Landesbühnen als Reformmodell: Partizipation und Regionalität als kulturpolitische Konzeption für die Theaterlandschaft 9783839450833

State theaters and the justice of participation: cultural-political concepts for redesigning the performing arts.

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German Pages 502 Year 2020

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Inhalt
Danksagung
Zum Geleit
1 Forschungen zur Theaterpolitik. Eine Einleitung
2 Die Konstruktion einer Theaterlandschaft. Definitionen und Strukturen
3 Die Praxis der Landesbühnen. Beobachtungen, Analysen und Reflexionen
4 Partizipation als Konzept? Eine fallbezogene Betrachtung
5 Ein Modell der Theaterreform. Kulturpolitische Herausforderungen
Abbildungs- und Tabellenverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Quellenverzeichnis
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Landesbühnen als Reformmodell: Partizipation und Regionalität als kulturpolitische Konzeption für die Theaterlandschaft
 9783839450833

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Katharina M. Schröck Landesbühnen als Reformmodell

Theater | Band 128

Katharina M. Schröck (Dr. phil.), geb. 1985, ist Kulturwissenschaftlerin und arbeitet als Theaterreferentin im Kulturamt der Stadt Frankfurt am Main, wo sie den Fachbereich Darstellende Kunst und Kulturelle Bildung leitet. Darüber hinaus forscht sie zu den Themenfeldern Theaterlandschaft, Kulturpolitik für die Darstellenden Künste, Kinder- und Jugendtheater sowie Partizipation und kulturelle Teilhabe.

Katharina M. Schröck

Landesbühnen als Reformmodell Partizipation und Regionalität als kulturpolitische Konzeption für die Theaterlandschaft

Zugl.: Hildesheim, Univ. Diss., Fachbereich Kulturwissenschaften und Ästhetische Kommunikation unter dem Titel: „Landesbühnen als Modell für eine Reform des Theaters in Deutschland. Eine Untersuchung von kulturpolitischen Konzepten zur Partizipation in den Darstellenden Künsten“. Gutachter: Prof. Dr. Wolfgang Schneider (Universität Hildesheim), Prof. Dr. Julius Heinicke (Hochschule für angewandte Wissenschaften Coburg). Disputation am 15.5.2019.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abruf bar. © 2020 transcript Verlag, Bielefeld Alle Rechte vorbehalten. Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Maria Arndt, Bielefeld Umschlagabbildung: Landesbühne Rheinland-Pfalz Satz: Lars Kleinschmidt Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-5083-9 PDF-ISBN 978-3-8394-5083-3 https://doi.org/10.14361/9783839450833 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Unsere aktuelle Vorschau finden Sie unter www.transcript-verlag.de/vorschau-download

Inhalt

Danksagung | 7 W OLFGANG S CHNEIDER: Zum Geleit | 9 1 Forschungen zur Theaterpolitik. Eine Einleitung | 13 1.1 Theaterland – Theaterkrise? | 13 1.2 Landesbühnen als Gegenstand des Forschungsinteresses | 22 2

Die Konstruktion einer Theaterlandschaft. Definitionen und Strukturen | 31 2.1 Notwendigkeit(en) von Theaterreform(en)? | 32 2.1.1 Kulturpolitik in Deutschland | 32 2.1.2 Die deutsche Theaterlandschaft | 45 2.1.3 Theaterlandschaft und Theaterpolitik auf dem Prüfstand | 61 2.2 Partizipation als kulturpolitisches Konzept in den Darstellenden Künsten | 64 2.2.1 Definition, Formen und Ziele | 65 2.2.2 Teilhabeformate und Theater(-kunst) | 75 2.2.3 Erkenntnisse aus der (Nicht-)Besucherforschung | 89 2.2.4 Entwicklungspotenzial Amateurtheater | 99 2.2.5 Kinder- und Jugendtheater als Modell? | 110 2.2.6 Kulturpolitik für Partizipation | 122 2.3 „Landesbühne“ als kulturpolitisches Konstrukt in der Theaterlandschaft | 134 2.3.1 Definition von Landesbühne | 135 2.3.2 Landesbühne als theaterpolitisches Phänomen | 140 2.3.3 Landesbühne als kulturpolitischer Akteur | 151 2.3.4 Landesbühnen als Modell für eine Theaterreform? | 158 3

Die Praxis der Landesbühnen. Beobachtungen Analysen und Reflexionen | 163 3.1 Annäherung an den Gegenstand: Material und Methode | 163 3.1.1 Forschungsstil und Forschungsdesign | 164 3.1.2 Experteninterviews als Methode | 171 3.1.3 Erkenntnisgewinn durch Auswertung und Reflexion | 175 3.2 Landesbühnen im Deutschen Bühnenverein | 180 3.2.1 Die Landschaft der Landesbühnen | 180 3.2.2 Veranstaltungen und Besucher | 188 3.2.3 „Kernaufgaben“ und „Sonderprogramme“ | 197 3.2.4 Kollektivum Landesbühne? Eine Annäherung | 207

3.3 Besonders unter Gleichen – beispielhafte Expertisen | 211 3.3.1 Landestheater Württemberg-Hohenzollern Tübingen Reutlingen | 212 3.3.2 Theater für Niedersachsen | 216 3.3.3 Landestheater Burghofbühne Dinslaken | 220 3.3.4 Grenzlandtheater Aachen | 224 3.3.5 Landesbühnen Sachsen | 227 3.3.6 Hessisches Landestheater Marburg | 231 3.3.7 Schleswig-Holsteinisches Landestheater und Sinfonieorchester | 235 3.3.8 Expertenblicke auf die Landesbühnenlandschaft | 238 4 Partizipation als Konzept? Eine fallbezogene Betrachtung | 241 4.1 Die Landesbühne – eine Selbstbeschreibung | 242 4.1.1 „Die“ Landesbühne – Schnittmengen und Differenzen | 243 4.1.2 Selbstverständnis der Landesbühnen(-Intendanten) | 248 4.1.3 Arbeitsbedingungen und Arbeitsweisen | 258 4.1.4 Kulturpolitischer Auftrag: Verständnis, Freiheiten, Einschränkungen | 281 4.2 Landesbühnen als Teil der Theaterlandschaft – eine Verortung | 292 4.2.1 Landesbühnen: Freie Stadttheater? | 293 4.2.2 Kooperation, Konkurrenz, Ignoranz? | 305 4.2.3 Partnerschaften und Verbündete im Alltag | 320 4.2.4 Landesbühnen im Flickenteppich Theaterversorgung | 328 4.3 Teilhabe als Prinzip – Konzepte von Partizipation | 337 4.3.1 Definitionen, Verständnis, Anwendung | 338 4.3.2 Verortung und Bedeutung im Konstrukt Landesbühne | 355 4.3.3 Publikum und Nicht-Besucher | 364 4.3.4 Möglichkeiten, Grenzen, Chancen | 373 4.4 Perspektiven eines Theatermodells | 383 4.4.1 Schwächen und Stärken | 384 4.4.2 Modellbaukasten für eine Theaterreform | 397 4.4.3 Ein vergleichender Blick ins europäische Ausland | 410 5 5.1 5.2 5.3 5.4 5.5

Ein Modell der Theaterreform. Kulturpolitische Herausforderungen | 425 Landesbühnen als Hybrid in der deutschen Theaterlandschaft | 427 Partizipation als Vermittlungsprinzip | 436 Die neue Rolle des Publikums | 442 Reform des Theaters als Reform der Kulturpolitik? | 451 Die Zukunft (in) der Region – ein neuer Auftrag? | 458

Abbildungs- und Tabellenverzeichnis | 467 Abkürzungsverzeichnis | 469 Quellenverzeichnis | 471

Danksagung

Von den ersten thematischen Überlegungen bis zu dieser Publikation war es ein langer Weg, auf dem ich viele neue Erfahrungen sammeln, mein Wissen erweitern und einen Beitrag für die kulturpolitische Forschung leisten konnte. Dies alles war nur möglich durch die Begleitung und Beratung meiner Betreuer, denen ich herzlich Danke sage: Prof. Dr. Wolfgang Schneider: Für den fachlichen Austausch, die fordernden Erwartungen, die fördernden Aufmunterungen und die ehrlichen Worte, die mir nicht nur bei der Erstellung meiner Doktorarbeit halfen und meine Forschung unterstützen, sondern darüber hinaus auch wertvolle Hinweise gaben und geben für meinen beruflichen und akademischen Weg. Prof. Dr. Julius Heinicke: Für die unkomplizierte Unterstützung, für den freundlichen und motivierenden Zuspruch und die Gespräche über Gegenstand, Inhalte und das große Ganze an unterschiedlichsten Orten dieser Welt. All meinen Interviewpartnern danke ich für die Bereitschaft, mir ehrlich und offen Rede und Antwort zu stehen – die Interviews sind Grundlage aller meiner Herleitungen und Schlussfolgerungen – und für die freundliche Art und Weise, die mir nicht nur half, die Gespräche zu führen, sondern auch dafür sorgte, dass ich viel Freude daran hatte. Zu promovieren sei eine Lebensentscheidung, sagte mir Wolfgang Schneider zu Beginn des Weges. – Dem ist tatsächlich so und diese Arbeit zu verfassen, war nur zu verwirklichen durch die Hilfe und den bedingungslosen Rückhalt meines Partners und meiner Familie und die niemals enden wollende Ermutigung meiner Freundinnen und Freunde, die mich immer wieder in meiner Entscheidung bestärkten. Ich danke euch von Herzen für alles! Danken möchte ich darüber hinaus all denen, die ein offenes Ohr für mich hatten, die mich auf ihre Art und Weise unterstützten, sei es durch kritische Fragen, ein fachliches Streitgespräch oder die konstruktive Hinterfragung des Warums. Ein besonderer Dank geht zudem an meine Mitdoktorandinnen und Mitdoktoranden: Für das gemeinsame Motivieren, das Verständnis für Probleme und Herausforderungen, die anderen nicht nachvollziehbar erscheinen, für das gemeinsame Wagnis auf dem internationalen Parkett und vor allem für die Überzeugung und den Spaß an der Sache! Katharina M. Schröck, im Januar 2020

Zum Geleit W OLFGANG S CHNEIDER

Es ist noch nicht so lange her, dass in Deutschland kulturpolitisch von einer Theaterlandschaft gesprochen wird. Und trotz vielerlei Bemühungen und Beziehungen, ja sogar Förderungen, heißt es noch immer, dass zwei Säulen die Darstellenden Künste prägen, die Stadt- und Staatstheater und die Freien Theater. Ganz abgesehen davon, dass solche oberflächlichen Betrachtungen das Amateurtheater und seine Bedeutung insbesondere in der Fläche missachten, wird das Bild mit den Säulen der tatsächlichen Beschreibung von Theater nicht gerecht. Es gibt zahlreiche Akteure, die, mehr oder weniger institutionalisiert, die theatrale Infrastruktur gestalten. Es sind vor allem auch die sogenannten Landesbühnen, die für eine Verbreitung von Theaterkunst und Theaterpädagogik sorgen, einerseits als Stadttheater am Stammsitz und andererseits mit Gastspielen in den Abstecherorten. Diese besondere Spezies der Theaterlandschaft gestaltet in rund 25 Erscheinungsformen die Distribution von Aufführungen und ermöglicht somit auch die Partizipation eines Publikums jenseits der Metropolen. Es ist also an der Zeit, deren Konzepte näher zu betrachten, die Entwicklungen, was Programme und Projekte betrifft, zu analysieren und die TeilhabeErmöglichungen zu reflektieren, um Landesbühnen als Modell zu identifizieren, das für eine Reform des Theaters in Deutschland dienen könnte. Katharina M. Schröck hat sich dieser Aufgabe gestellt. Sie geht in ihrer Forschungsarbeit den kulturpolitischen Diskursen zwischen inhaltlicher Argumentation und finanzpolitischer Rechtfertigung nach, beschäftigt sich ganz generell mit den Begründungsweisen von Theaterpolitik und der gesellschaftlichen Funktion von Kunst und setzt sich mit dem Krisengefüge der Darstellenden Künste auseinander. „Der demografische Wandel mit Bevölkerungsbewegungen von ländlichen Gebieten hin zu urbanen Ballungsräumen, eine immer interkultureller werdende, schrumpfende, alternde Gesellschaft und rasant sich entwickelnde neue kulturelle Ausdrucksformen – dies alles stellt die Kulturinstitutionen vor Herausforderungen, die sie längst nicht alle und nicht immer zu meistern wissen“ (S. 18). Der Bedarf nach Veränderungen, insbesondere in der mit jährlich rund drei Milliarden Euro öffentlich geförderten Theaterlandschaft, ist evident, fragt sich nur, welche Baustellen zu beobachten sind, welche Ziele verfolgt und wie die Prozesse der Transformation angegangen werden. Katharina M. Schröck konzentriert sich auf Konzepte von Partizipation. „Es meint eine Teilhabe und Teilnahme, eine Kultur für alle und von allen und scheint ein geeigneter Ansatzpunkt zu sein, das Theater zu reformieren und

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Relevanz herzustellen, da es sich eben genau mit der Zusammengehörigkeit von Leben und Kunst auseinandersetzt und in diesem Schnittfeld verortet ist“ (S. 21). Gegenstand der Untersuchung sind die Landesbühnen, auch weil sie als Nukleus des Theatersystems gesehen werden können, stationär und mobil zu arbeiten, diverse Publika vor Augen haben und immer wieder neu zu gewinnen versuchen, auch mit einer Polyphonie von Themen, Ästhetiken und Strukturen. Landesbühnen waren bisher auch noch nicht im Fokus wissenschaftlicher Betrachtungen, wie die Beschreibung der Forschungslücke überzeugend nachweisen kann. Diskursanalyse und Experteninterviews bilden die Grundlage der Vorgehensweise, ein Abgleich von Idee und Wirklichkeit soll Erkenntnisse generieren. Die These lautet: „Eine Reform des Theaters in Deutschland ist nur möglich, wenn Partizipation als Konzeption nicht nur als Konzept in den Darstellenden Künsten, sondern auch als Konzeption von Theaterpolitik verstanden wird“ (S. 29). Es geht also um das Phänomen Landesbühnen, um die Strukturen und um die Akteure; es geht um Rahmenbedingungen und Steuerungsmechanismen; es geht um die deutschen Landesbühnen als kulturpolitisches Instrument. „In welchem Verhältnis stehen Erwartungshaltung, Beauftragung und Absichten zu den zur Verfügung gestellten Ressourcen und Möglichkeiten? Sind Spielräume vorhanden und wie werden diese genutzt? Welche Rolle spielen Sonderförderprogramme für die Erfüllung des Auftrages?“ (S. 64) Katharina M. Schröck stellt immer wieder Fragen zum Theater: Welches und wo, für wen und mit wem, erreichbar und finanzierbar? Schon früh konstatiert sie, dass es wohl einer Kulturentwicklungsplanung bedürfe, bei der die Verantwortung für Partizipation definiert werde. Und wie werden Vorstellungen von Teilhabe und Teilnahme umgesetzt? Nach einer komprimierten theaterpolitischen Einleitung beschäftigt sich ein Kapitel mit der Konstruktion von Theaterlandschaft, mit Definitionen und Strukturen, mit der Kulturpolitik von Landesbühnen. Die Praxis der Landesbühnen steht im Zentrum. Beobachtungen, Analysen und Reflexionen kreisen um „Kernaufgaben“ sowie „Sonderprogramme“ und begründen die Auswahl der Beispiele. In einem weiteren Kapitel dreht sich alles um Partizipation als Konzept; Stärken und Schwächen werden ebenso erörtert wie Bestandteile eines Modellbaukastens für eine Theaterreform. Das letzte Kapitel versucht, die Ergebnisse für die Reform der Theaterlandschaft zu pointieren, als Modell zu beschreiben und als kulturpolitische Herausforderung zu formulieren. Katharina M. Schröck widmet sich kundig und kompetent dem Phänomen Landesbühne, weiß die komplexe Gemengelage der Theaterlandschaft zu beforschen, kennt sich in der Besucherforschung ebenso aus wie in der Kulturellen Bildung, blickt auf das Umfeld mit Freiem Theater, Amateurtheater sowie Kinder- und Jugendtheater und generiert umfänglichst Praxis und Perspektiven der verantwortlichen Akteure. Sie legt offen, was als Selbstverständnis zu Tage gefördert wurde, sie hält fest, was als Arbeitsbedingungen und Arbeitsweisen zu beobachten ist und sie rekurriert immer wieder auf Teilhabe als Prinzip der künstlerischen Arbeit in all seinen Erscheinungsformen. Mit zumeist übersichtlichen Abbildungen fasst sie strukturell zusammen, was sich zu Theaterlandschaft, Landesbühne und Partizipation sagen lässt, begleitet ihre Ausführungen mit Tabellen zur besseren Übersicht. Die transkribierten Experteninterviews machen deutlich, wie mit klugen Fragen Tiefenbohrungen zum Verständnis von konzeptionellen Überlegungen und strukturellen Bedingungen erkenntnisreich beitragen können.

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Gelegentlich werden Positionen auf den Punkt gebracht und ergeben in der Zusammenschau ein vielfältiges Panorama: „Die Idee von Theater der Landesbühnen scheint sich also in einem Balance-Akt zu bewegen zwischen künstlerischer Eigenverwirklichung, herzustellender Relevanz, marktkonformen Entscheidungen und der Überzeugung, Theater nicht nur von Menschen, sondern vor allem auch für Menschen zu machen“ (S. 255). Dabei werden immer auch wieder die Probleme benannt: „Die Landesbühnen bieten das an, von dem sie und oder die Gastspielveranstalter denken, dass die Schulen es wollen, denn die Schulen erwarten, dass ihre Veranstalter das besorgen, was sie gebrauchen können“ (S. 262). Katharina M. Schröck sammelt akribisch vor allem auch das, was an den Landesbühnen noch nicht wirklich beim Reformieren angegangen wird. Noch immer spielen die Nicht-Besucher keine große Rolle, noch immer sind die Kooperationen mit Freiem Theater eher sporadisch, noch immer fehle es an mutigen Projekten zur Partizipation, wie sie etwa durch die Bundeskulturstiftung im Programm TRAFO punktuell möglich gemacht werde. Partizipatorische Formate verstehen sich als Ermöglichung von künstlerischer Arbeit, insbesondere mit Kindern und Jugendlichen, seien aber extrem personalaufwändig und würden eigentlich nicht in das Portfolio von Landesbühnen passen, die ja wegen der dezentralen Aufgaben in der Fläche kaum nachhaltige Wirkung entfalten können. Die befragten Intendanten zählen deshalb größtenteils Vermittlungsangebote als Vor- und Nachbereitung der Aufführungen zum Konzept von Partizipation. In diesem Bereich fehlt es ebenso an kommunalen Kooperationen wie an der Bereitschaft für künstlerische Komplizenschaften. Katharina M. Schröck plädiert deshalb für eine Neukonzeption der Landesbühnen, einer klaren Neubewertung der Aufgabe als Theater der Stadt und einer Ausweitung des Programms in der Provinz und nicht für die Provinz. Landesbühnen könnten die neuen Experten der Region werden, nicht nur für Menschen Theater machen, sondern auch mit ihnen. Drei Modelle hält sie fest: Das Stadttheater mit Abstechern. Die Landesbühnen, die „sich als wurzelndes Theater verstehen, nicht nur im Sinne einer Verpartnerung mit einer bestimmten Anzahl von Gastspielorten, sondern mit mehreren produzierenden, miteinander verbundenen Standorten“ (S. 456). Die dritte Variante soll sich als reisendes Theater des dezentralen Produzierens verstehen. Letztendlich gehe es um eine theaterpolitische Neubewertung von Kernaufgaben. Ein Zusammendenken von Teilhabe und Teilnahme mit gleichberechtigter Ausrichtung neben der Kunstproduktion als Aufgabe öffentlich geförderter Theater hätte auch Auswirkungen auf die Theaterlandschaft insgesamt. Qualität wäre dann nicht mehr nur ein Kriterium für die Inszenierungen für Publikum, sondern auch für künstlerische Projekte mit Publikum. Ein umfassendes Werk, das hat Katharina M. Schröck geschaffen: ein kulturpolitisches Kompendium zur Zukunft von Regionaltheatern, ein Baukasten zur Reform der Landesbühnen sowie einige konzeptionelle Überlegungen zur Entwicklung der Theaterlandschaft. Sie kennt sich aus, stellt die richtigen Fragen, weiß ergiebig Praxen zu analysieren und Positionen des Personals zu reflektieren. Das alles ist theoretisch fundiert, die Literatur ist state of the art, der Diskurs kommt zudem zur rechten Zeit. Prof. Dr. Wolfgang Schneider, Institut für Kulturpolitik der Universität Hildesheim

1 Forschungen zur Theaterpolitik. Eine Einleitung

Einzigartig sei die deutsche Theaterlandschaft, nicht nachzuahmen, so besonders und bedeutsam, dass sie in ihrer Gesamtheit seit einigen Jahren ganz offiziell in Deutschland zum immateriellen Weltkulturerbe gezählt wird.1 Nachtkritik.de, die tagesaktuelle Online-Quelle über das Theaterleben in Deutschland, stellt eine eigene Rubrik zur Verfügung, in der ausschließlich über die Situation, die Entwicklungen, Chancen und Herausforderungen des deutschen Theatersystems anhand von Artikeln und dank einer leicht zugänglichen Kommentarfunktion intensiv diskutiert und gestritten wird. Unsere Landschaft der Darstellenden Künste sei vorbildlich, sagen die einen, von allem zu viel und überall das Gleiche, meinen die anderen (Haselbach u. a. 2012); Theaterpolitik brauche Entwicklung und Planung (Schneider 2013a), die Krisen verlangen Reformen (Schmidt 2017) und genau an der Schnittstelle werden Rufe nach Gerechtigkeit laut, denn wie kann es sein, dass die Steuergelder aller für ein Vergnügen einiger weniger verwendet werden? Wer achtet auf die, die nicht in den Genuss von Theater kommen (Renz 2016) und welche Rolle spielt eigentlich die Kulturelle Bildung innerhalb dieses Systems (Schneider 2010a)? Die Theaterdebatte (Wagner 2004) scheint allgegenwärtig, es werden Perspektiven gesucht, Bekenntnisse eingefordert und Theaterinstitutionen, Theaterschaffende und die Theaterverantwortlichen aufgefordert, sich einzubringen, sich zu ändern und zu bleiben, wie sie sind.

1.1 T HEATERLAND – T HEATERKRISE ? Das Theaterland steckt in einer Theaterkrise, in einer Theaterkrise scheint sich auch die Kulturpolitik zu befinden und dieser Kreislauf führt zu einer scheinbaren Ausweglosigkeit. Wie ein Lichtblick in der Düsternis werden die guten Nachrichten verbreitet, wenn eine Kommune oder ein Bundesland sich öffentlich dazu bekennt, die Förderung für die Freien Darstellenden Künste zu erhöhen – auch wenn dies zum Teil nur ein Tropfen auf dem heißen Stein zu sein scheint. Diskutiert wird über die Theater in

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Seit 2014. Im Jahr 2018 wurde die deutsche Theater- und Orchesterlandschaft für die Aufnahme in die internationale UNESCO-Liste des Immateriellen Kulturerbes nominiert, die Entscheidung hierüber stand zum Zeitpunkt der Erstellung dieser Arbeit noch aus, siehe dazu Deutsche UNESCO-Kommission 2018.

14 | Landesbühnen als Reformmodell

Deutschland mit ganz unterschiedlicher Zielrichtung: Je nachdem, wer Wortführer2 ist und wer mitdiskutiert, stehen andere Aspekte im Vordergrund: Es geht um Finanzierung und Kosten, darum, wer eine Vormachtstellung innehat und ob sie ihm gebührt, wo und wie Zusammenarbeiten ermöglicht oder aufgetragen werden sollten und natürlich auch um künstlerische Fragen und um ein Hinterfragen der „richtigen“ Arbeitsweisen und der zeitgemäßesten Arbeitsformen. Meist bewegen sich diese Diskussionen auf dem schmalen Grat zwischen inhaltlicher Argumentation und finanzpolitischer Rechtfertigung und nur zu leicht gewinnt das eine Oberhand über das andere, dann werden schneller Verteilungskämpfe eröffnet, als so manchem Beteiligten recht ist. Die Theaterinstitutionen, die Theaterlandschaft, die Theaterfinanzierung werden allesamt als krisenbehaftet wahrgenommen, die Darstellenden Künste scheinen sich der Gesellschaft, aus der sie entspringen, die sie spiegeln (sollten) und der gegenüber sie verantwortlich zeichnen, entfremdet zu haben. Man mag sogar davon sprechen, dass „das Theater ein Ort ist, in dem sich strukturelle und organisatorische Zustände konserviert haben, die nichts mehr mit der Wirklichkeit zu tun haben, die das Theater abbildet und die es erreichen möchte“ (Schmidt 2017, S. 26). Theaterpolitische Diskurse

Diskutiert und gestritten wird über das Theater seit Jahrzehnten – eine neue Aufmerksamkeit auf die Debatten lenkte der Schlussbericht der Enquete-Kommission Kultur in Deutschland,3 die sich vier Jahre lang intensiv mit Kunst und Kultur in Deutschland beschäftigte, deren Arbeit mittlerweile jedoch auch bereits mehr als zehn Jahre zurückliegt. In diesem Bericht beschreibt die Kommission die Lage von Kunst und Kultur in Deutschland, betrachtet die Institutionen und Strukturen und eröffnet mit mehr als 500 Handlungsempfehlungen Raum für neue Diskurse und Ansatzpunkte für Reformen. In ihrer Arbeit war die Kommission keinesfalls vor Zweifel und Kritik gefeit, wie dem Vorwort des Abschlussberichts zu entnehmen ist: Angezweifelt wurde grundsätzlich die Zuständigkeit, da sich der Bund nicht in die Hoheit der Länder einzumischen habe – dieser Zweifel wurde schnell ausgeräumt, da das staatliche Handeln auf Bundesebene beispielsweise durch die Gesetzgebung eine direkte Auswirkung auf die Kunst und Kultur hat und durch diese Abhängigkeit eine Begründung für die Beschäftigung durchaus gegeben ist. Doch dies weist auf die grundlegende Problematik der Zuständigkeit hin: Wer, im Sinne politischer Entscheidungsgremien, ist auf welchen Ebenen wie und warum verantwortlich für die Gestaltung der Rahmenbedingungen von Kunst und Kultur und somit auch für die Strukturen der Theaterlandschaft und ihrer Institutionen? Verantwortung kann hier Verschiedenes meinen: Die Beauftragung, sich der Kultur, im Sinne einer Ermöglichung, Pflege und Förderung, zu widmen und oder eine Fürsorgepflicht gegenüber den Akteuren im Kulturbereich.

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In dieser Arbeit wird aus Gründen der besseren Lesbarkeit auf eine geschlechterspezifische Differenzierung verzichtet und das generische Maskulinum verwendet. Weibliche und anderweitige Geschlechteridentitäten werden dabei ausdrücklich mitgemeint, soweit es für die Aussage erforderlich ist. Spezifische Benennungen einzelner Personen bleiben davon unberührt. Der Einfachheit halber werden im Folgenden für die Enquete-Kommission Kultur in Deutschland verkürzte Benennungen verwendet, beispielsweise Enquete Kultur oder Enquete-Kommission.

Forschungen zur Theaterpolitik. Eine Einleitung | 15

Als größtes Manko innerhalb der bundesdeutschen Strukturen stellt die Enquete die sogenannte Freiwilligkeit der kulturellen Leistungen fest und fordert die Aufnahme von Kultur als Staatsziel. Mit dieser Grundsätzlichkeit ist auch ein anderer Vorwurf verbunden, dem die Enquete-Kommission ausgesetzt war, er berührt den Kern aller kulturpolitischer Diskussionen: „Mehr als einmal wurde die Frage gestellt, warum sich eine Kommission des Deutschen Bundestages mit dem Thema Kultur befasst. [...][es] wurde Unverständnis geäußert, ob es für die Politik nicht wichtigere Aufgaben als die Kultur gäbe. Was rechtfertigt also die Einsetzung einer Enquete ‚Kultur‘? Es ist die Bedeutung, die eine vielfältige und lebendige Kultur für unsere Gesellschaft hat“ (Deutscher Bundestag 2007, S. 4). Mit dieser Aussage steht zunächst eine Feststellung im Raum, die innerhalb der theaterpolitischen Debatten für unterschiedliche Argumentationslinien verwendet wird: Einerseits scheint Theater als Kunst und kulturelle Ausdrucksform bedeutsam zu sein, muss also nicht grundsätzlich in Frage gestellt werden – andererseits sollte doch stets befragt werden, welche Bedeutung Theater tatsächlich innerhalb der Gesellschaft hat, haben kann und haben sollte. Eine solche Sinnhaftigkeit kann sich herstellen durch die künstlerische Aushandlung relevanter Themen, kann sich aber auch auf die Wirkungen von Theater beziehen, auf das, was Theater leisten kann, zum Beispiel im Bereich der Kulturellen Bildung; es sei „auch erforderlich, die Grundlagen der Aneignung von Kultur zu stärken. Kulturelle Bildung ist eine der besten Investitionen in die Zukunft unseres Landes“ (ebd., S. 8), so schreibt die Enquete. „Ohne kulturelle Bildung fehlt ein Schlüssel zu wahrer Teilhabe“ (ebd.). – Diese Sätze stehen exemplarisch für eine wirkungsorientierte Debattenkultur, die auch nicht vor den Darstellenden Künsten haltmacht: Was kann, sollte, müsste Theater leisten, bezogen auf Kulturelle Bildung? Was „bringt“ uns Theater, wieso ist es wichtig? „Kulturelle Bildung macht nicht nur stark, sondern auch klug. Denn sie hat gleichermaßen Auswirkungen auf Persönlichkeitsentwicklung und Lernfähigkeit“ (ebd.). Wäre Theater in diesem Sinne dann eine Erweiterung des Schulbetriebs in die Abendstunden? Oder geht es doch vielmehr um die Stärkung von Individualität und Charakterbildung? Muss Theater Effekte beabsichtigen oder ist die wichtigste Absicht die generelle, im besten Falle kritische Auseinandersetzung mit der Gesellschaft? Entscheidend ist der Zweck, die Absicht, sowohl bezogen auf das gestalterische Wirken von Theaterarbeit, als auch von kulturpolitischen Entscheidungen. Eine solche Zielsetzung bestimmt wiederum die Begründungsweisen von Kulturpolitik und deren Prämissen. Die Enquete Kultur stellt die Beschreibung und das Selbstverständnis des Kulturstaates Deutschlands heraus und verweist auf die gesellschaftliche Funktion von Kunst, Kultur und Kulturpolitik und die Notwendigkeit von Verantwortungsteilung: Ein Zusammenspiel unterschiedlicher Akteure ist notwendig, um die Vielfalt der kulturellen Landschaft zu ermöglichen und zu erhalten. Diese Landschaft wird geprägt durch verschiedene Handlungs- und Wirkungsfelder, die miteinander verwoben sind, spezifische Anforderungen haben und gleichermaßen umfassend betrachtet werden müssen. Charakteristika, Besonderheiten, Herausforderungen dieser einzelnen Bereiche münden in den Abschlussbericht und in Handlungsempfehlungen. Dementsprechend werden auch die Darstellenden Künste sehr genau in ihren Strukturen beschrieben und Baustellen aufgezeigt. Bemerkenswert ist jedoch dabei, dass bei aller Spezifika des Theaters innerhalb der Kulturlandschaft, die Enquete Kultur in ihrem Bericht nicht von Theaterpolitik spricht:

16 | Landesbühnen als Reformmodell

Kunstpolitische Argumentationen, medienpolitische Entscheidungen, das scheint möglich; das Theater unmittelbar mit dem Begriff der Politik zu verbinden, scheint vermieden zu werden. Vielleicht ist diese Vorsicht auf die deutsche Vergangenheit zurückzuführen, in der Theaterpolitik als Machtinstrument für Propagandazwecke missbraucht wurde und der Begriff seitdem negativ behaftet ist. Er soll hier aber beschreiben, was symptomatisch ist: Das Theater und seine Kulturpolitik werden diskutiert bezogen auf die Inhalte, die Institutionen, ihre Förderung – nur selten geht es um eine konzeptionelle Betrachtung oder eine ganzheitliche Betrachtung des Theaters als Institution, als Kunstform und als Akteur kulturpolitischer und gesellschaftspolitischer Aushandlungs- und Entscheidungsprozesse, eben um eine spezifische Kulturpolitik der und für die Darstellenden Künste. Zudem scheinen die Diskurse in einem Ungleichgewicht geführt zu werden: Auch, wenn – spätestens seit dem Bericht der Enquete Kultur – die Theaterlandschaft als Begriff etabliert wurde, scheint sowohl diese Landschaft, als auch die Diskussion um Theater geteilt: Freie Theaterarbeit steht in einem anderen Fokus als die Strukturen der Stadt- und Staatstheater; Amateurtheater wird in den Debatten kaum berücksichtigt, es wird hauptsächlich über die professionellen Betriebe gestritten. Kinder- und Jugendtheater scheint immer ein Sonderfall zu sein und taucht in den grundlegenden Strukturdebatten, wenn überhaupt, dann meist im Zusammenhang mit Kultureller Bildung und ästhetischer Erziehung auf. Sobald die Diskussionen um Bedeutung von Theater und dessen Funktion innerhalb der Gesellschaft oder um künstlerische Ansprüche konkreter werden, bleibt der Fokus auf einzelnen Gegebenheiten verhaftet, die Abstraktion auf die gesamte Theaterlandschaft wird meist nicht vollzogen: Mit „Theaterdebatte“ ist dann die Diskussion in einer bestimmten Stadt gemeint, unter „Theaterkrise“ wird eine ganz konkrete Gefährdungssituation eines Theaters verstanden. Die Komplexität der Theaterlandschaft begründet dies: Es ist nachvollziehbar, dass man lieber über Einzelfälle, denn über das große Ganze spricht, denn diese bleiben greifbar und scheinen einfacher behandelt werden zu können. Sowohl die Stadttheaterdebatte auf nachtkritik.de (nachtkritik.de 2014) als auch die Hildesheimer Ringvorlesung „Theater. Entwickeln. Planen“ (2012/13, siehe dazu Schneider 2013b, S. 21) sind bemerkenswerte Ansätze für eine umfassende Diskussion, sie versuchen, die Diskurse auf eine andere, übergeordnete Ebene zu heben und die Theaterlandschaft in ihrer Komplexität und mit den internen Abhängigkeiten und Verflechtungen zu betrachten. Natürlich stößt man dabei an Grenzen, dafür gestaltet sich das System zu feingliedrig. Es ist also nachvollziehbar, dass sich die Diskurse zumindest in gewisser Weise voneinander trennen und auf der einen Seite das Stadttheater, auf der anderen das Freie Theater betrachtet wird; auch weil seitens der Kulturpolitik nach wie vor eine Trennung zwischen öffentlich getragenem und öffentlich gefördertem Theater zu bestehen scheint, sowohl in den Haushalten als auch in der Intensität der Betreuung, Überprüfung und kritischen Beobachtung. Zusammen diskutiert werden die beiden Säulen der Theaterlandschaft meist im Zusammenhang eben dieser Trennung; sei es, dass eine Abwendung wahrgenommen wird oder sie sich wieder stärker aufeinander zuzubewegen scheinen. Während die Grenzen zwischen Freier und städtischer Theaterarbeit an manchen Stellen verschwimmen, verhärten sich an anderer Stelle die Fronten. Da aber noch nicht einmal so richtig klar zu sein, wer oder was denn eigentlich „Frei“ ist, sind diese Diskurse auch eher ermüdend denn zielführend

Forschungen zur Theaterpolitik. Eine Einleitung | 17

und neigen dazu, sich letztendlich doch wieder nur um die Fragen der Finanzierung zu drehen. Die eingangs zitierte Aussage, die dem Theater eine grundsätzliche Krisenhaftigkeit zuschreibt, stammt aus dem Buch „Theater, Krise und Reform. Eine Kritik des deutschen Theatersystems“ (Schmidt 2017), dessen Titel Programm ist, das sich jedoch ebenfalls auf ein Element der Theaterlandschaft, nämlich das öffentlich finanzierte Theater fokussiert: Thomas Schmidt, Verfasser dieser umfangreichen Abhandlung, attestiert dem Theater in Deutschland eine umfassende Krise: Produktions- und Überproduktionskrise, strukturelle Krisen seien nur Teil der Symptomatik, die Krise der Kulturpolitik gehe einher mit einer Finanzierungskrise, einer Legitimationskrise und der Krise der Organisation (siehe dazu Teil eins der Publikation, Schmidt 2017, S. 3–326). Einleitend für seine Beobachtungen und Reflexionen fasst Schmidt die aktuellen Tendenzen der Theaterdebatte in Deutschland zusammen und beschreibt unterschiedliche Strömungen, denen allen der Ausgangspunkt gemein ist, „dass sich das deutsche Theater in einer Situation befindet, die so nicht mehr fortgeführt werden kann“ (Schmidt 2017, S. 20).4 Schmidt sieht insbesondere die Kulturpolitik in einer grundlegend kritischen Lage, die sich äußere „1. An einem sinkenden Stellenwert der Kulturpolitik im Kontext anderer Politiken; 2. An einer unzureichenden Motivation und Handlungsfähigkeit der Kulturpolitiker; 3. An einer fehlenden Programmatik und Vision“ (ebd., S. 124). Entsprechend der Spezifika all dieser Krisen gibt es unterschiedliche Vorgehensweisen, sie in Angriff zu nehmen oder zu bewältigen. Letztendlich konzentrieren sich diese alle mehr oder minder auf die Frage danach, ob Theater sein muss, für wen es ist und sein sollte und wie es sich zu gestalten habe und genau diese Fragen verbinden sich mit der Trias der kulturpolitischen Krise nach Schmidt. Legitimationsdebatten und Relevanzfragen

Natürlich wird meist und hauptsächlich um die öffentliche Finanzierung von Kunst und Kultur gestritten, trotz aller Beteuerungen, dass es in kulturpolitischen Diskussionen doch eigentlich um mehr gehen müsste. Die anhand wirtschaftlicher Argumente geführte Debatte berührt den eigentlichen Kern der Theaterkrisen, indem sie dem Theater in Deutschland eine geringe und schwindende Relevanz diagnostiziert. Die EnqueteKommission bemüht ihr eigenes Bild von Kultur als Grundpfeiler der Gesellschaft, um die Situation zu beschreiben: „Die Pfeiler dieses Fundaments bedürfen jedoch starker Verankerung. Denn sie werden nicht nur durch kleinere Beben erschüttert [...]. Sie werden auch durch Unterspülungen bedroht, die von der Not der öffentlichen Haushalte in den letzten Jahren ausgelöst wurden“ (Deutscher Bundestag 2007, S. 5). Gestützt und gerettet werden die in Schieflage geratenen Kulturinstitutionen durch den Staat, doch in allererster Linie durch die Bürger selbst: „Der größte Kulturfinanzierer in Deutschland ist der Bürger. Zunächst als Marktteilnehmer, dann als Spender und in dritter Linie

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Für eine ausführliche Herleitung und Beschreibung der einzelnen Diskursansätze sei hier auf das einführende Kapitel der Publikation verwiesen (siehe dazu Schmidt 2017, S. 11– 47), in der Schmidt Gemeinsamkeiten und Unterschiede der verschiedenen Strömungen – „Monokultur des Stadttheaters (von Hartz), Institutionenkritik (Goebbels), Kulturinfarkt (Klein), Theater-Entwicklungsplanung (Schneider) und Krise und Reform des Theatersystems (Schmidt) einander gegenüberstellt“ (Schmidt 2017, S. 20).

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als Steuerzahler“ (ebd.). Der Kulturbürger ist Finanzier, Gestalter und Nutznießer in einem – sollte es zumindest sein, denn die von ihm maßgeblich finanzierten Einrichtungen schaffen Angebote für ihn, zu seiner Bildung, zu seinem Vergnügen. Allerdings, und dieser Einwurf ist Ausgangspunkt für eine umfassende Systemkritik, obwohl alle Steuerzahler dafür sorgen, dass kulturelle Einrichtungen eingerichtet, gefördert und erhalten werden, können nach wie vor nur einige wenige privilegierte Menschen als regelmäßige Kulturnutzer bezeichnet werden. Etwa die Hälfte aller Bürgerinnen und Bürger Deutschlands besuchen niemals eine Theateraufführung und nutzen somit das öffentlich bereitgestellte kulturelle Angebot nicht. Der durchschnittliche Theaterbesucher der Abendvorstellungen ist meist deutscher Herkunft, stammt aus dem Bildungsbürgertum und steht oft bereits in der zweiten Lebenshälfte (vgl. hierzu exemplarisch Mandel u. a. 2014). Ein Abbild der Gesellschaft sähe anders aus. Lediglich im Kinder- und Jugendtheater zeigt sich die Ausnahme von der Regel: Als Theater für ein junges Publikum wird es von einem eben solchen frequentiert und insbesondere durch die Angebote für Schulen und Kindereinrichtungen werden junge Zuschauer aus verschiedensten sozialen Schichten und mit unterschiedlichen Hintergründen erreicht. Kulturelle Erlebnisse dürfen aber, ausgehend von den demokratischen Grundprinzipien und der Forderung einer Gleichbehandlung aller, nicht Einzelnen vorbehalten bleiben, das kulturpolitische Leitbild „Kultur für alle“ drückt genau dies aus – doch auch dieses scheint, wenn noch nicht ganz gescheitert, sich zumindest in Schieflage zu befinden und bedarf einer stetigen immer wieder neuen kulturpolitischen Aufmerksamkeit (siehe dazu Schneider 2010a). Der demografische Wandel mit Bevölkerungsbewegungen von ländlichen Gebieten hin zu urbanen Ballungsräumen, eine immer interkultureller werdende, schrumpfende, alternde Gesellschaft und rasant sich entwickelnde neue kulturelle Ausdrucksformen – dies alles stellt die Kulturinstitutionen vor Herausforderungen, die sie längst nicht alle und nicht immer zu meistern wissen. Das Publikum scheint nicht nur zu schwinden, sondern auch ein unbekanntes Wesen zu sein – und genauso scheint für den Großteil der Menschen die (professionelle) Darstellende Kunst keinerlei Relevanz in ihrem Leben zu haben. Natürlich ist dies pauschalisiert ausgedrückt und eine genauere Betrachtung wird notwendig sein für die Durchführung der hier beabsichtigten Untersuchung, zunächst geht es jedoch um die Ausgangslage. Theaterbetriebe scheinen Luxus zu sein, als so gesehene freiwillige Leistung wird sich nur selten bemüht, ihre Notwendigkeit zu begründen. Gerade in Zeiten klammer Kassen scheinen andere Schwerpunktsetzungen wichtiger zu sein, andere Lebensbereiche als vorrangig bewertet zu werden – was durchaus nachvollziehbar ist: „Der Strukturwandel in Industrie und Wirtschaft lässt Arbeitsplätze wegbrechen [...]. Die Steuereinnahmen sinken. Kultureinrichtungen wie Theater, Bibliotheken, Museen stehen bei Sparzwängen häufig zuerst zur Disposition, weil sie zu den freiwilligen Aufgaben der Gemeinden gehören. Ihr Wert für das Zusammenleben in den Regionen wird oft als nachrangig betrachtet, obwohl gerade sie zur Stabilisierung von Identität und Gemeinschaftsbildung wesentlich beitragen können“ (Kulturstiftung des Bundes 2019g). Diese Situationsbeschreibung, die gleichzeitig als Begründung für ein Förderprogramm der Kulturstiftung des Bundes dient,5 vereint die Hinterfragung der Legitimation von Kultureinrichtungen mit der Frage nach der aktuellen Relevanz: Was kann und sollte

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Das Förderprogramm „TRAFO – Modelle für Kultur im Wandel“ wird im weiteren Verlauf näher vorgestellt.

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Theater leisten – im Allgemeinen für und mit unserer Gesellschaft und im Speziellen für den Einzelnen? Wie kann Theater wieder Bedeutung erlangen, dass es eben nicht mehr heißt: Theater für wenige, sondern mindestens Theater für viele? Vielleicht aber, auch das wäre ein Argument innerhalb des Diskurses, überwiegt der Relevanzverlust bereits derart, dass eine Fürsprache für die Legitimation von Theater aussichtslos erscheint. Die Setzung, dass Kunst und Kultur und somit auch Theater als meritorisches Gut eine umfängliche politische Unterstützung braucht und erhalten sollte, scheint, in Bezug auf die Darstellenden Künste zwar noch nicht hinfällig, sie scheint jedoch keinen zweifelsfreien selbstsicheren Rückhalt mehr zu haben und nicht mehr als selbstverständlich in der Gesellschaft verankert zu sein. Um innerhalb der Debatte um die eigene Rechtfertigung Befürworter zu gewinnen, werden immer stärker Argumente bemüht, die sich auf die positiven Effekte von Theater beziehen: Kulturelle Bildung als Schlagwort ist bereits gefallen; durch die Darstellenden Künste sollen die Menschen klüger, sozial verträglicher, redegewandter, kommunikativer und noch viel mehr werden (vgl. dazu beispielsweise Elbertzhagen 2010). Die Verbindung zwischen Theaterkunst und Theaterbildung wird auch mit Blick auf die Finanzierung und die Legitimation aufrecht gehalten und dies durchaus mit variabler Schwerpunktsetzung: Je nach den Erwartungen der Träger und den Voraussetzungen für eine Förderung scheint das eine oder andere Argument zu überwiegen. Hieraus ergeben sich jedoch Verstrickungen, welche die Fronten der Debatten noch verhärten können: Wenn die Darstellenden Künste auf soziale Effekte reduziert werden und der Eigenwert ihrer künstlerischen Arbeit vernachlässigt wird, kann es dazu führen, dass eben die Theater, die sich ausschließlich auf eine zweckfreie Kunst berufen, in dem Sinne, dass sie damit keine konkrete Absicht verfolgen, auf verlorenem Posten stehen. Genau dies ist der Kernpunkt der Debatte um Relevanz und Legitimation: Geht es eigentlich wirklich um die Darstellende Kunst oder um etwas anderes? Darf es nur um das eine oder das andere gehen? Wie löst sich diese Problemstellung in der Praxis der Theaterarbeit und wie könnte sich daraus vielleicht auch eine neue Bedeutung von Theater für das alltägliche Leben ergeben? Forderungen nach Reformen

Bevor dem öffentlich geförderten Theater jegliche Existenzberechtigung, sprich jedwede Art von Unterstützung durch die öffentliche Hand abgesprochen wird, wird versucht, die Krisen zu bekämpfen und mit Reformansätzen das Theater in Deutschland zu retten, zu neuem Sinn zu führen und eine neue Selbstverständlichkeit herzustellen. Wie dabei vorgegangen werden soll, wird unterschiedlich gesehen und bewertet, die Ansätze sind vielfältig und Lösungen im Kleinen und im Großen werden ausgetestet. Zehn Jahre nach Veröffentlichung des Abschlussberichts der Enquete Kultur hat sich einiges getan, viele der von ihr aufgezeigten Baustellen wurden in Angriff genommen und neue Entwicklungen wurden angestoßen.6 Gleichwohl scheint dies immer noch nicht genug: Wuppertal, als Sinnbild von Theaterkrise, scheint immer noch über-

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Im Rahmen eines Schwerpunktes („10 Jahre Kulturenquete des Bundes“) widmeten sich die Kulturpolitischen Mitteilungen im Dezember 2017 den Auswirkungen des Berichts, Wolfgang Schneider zeigt darin, bezogen auf die Theaterlandschaft, alte und neue Baustellen auf und skizziert ebenfalls die seitdem andauernden theaterpolitischen Diskurse, vgl. Schneider 2017.

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all möglich zu sein (siehe dazu „Wuppertal ist überall! Die kulturpolitische Krise der Dramatischen Künste offenbart Reformbedarfe in der deutschen Theaterlandschaft“, Schneider 2013c) und die vorgeschlagenen Reformen changieren zwischen einer Operation am offenen Herzen, um einen Kulturinfarkt aufzuhalten, und dem Versuch, mit homöopathisch wirksamen Sonderförderungen die Symptome zu bekämpfen. Um das Theater in Deutschland zu retten, braucht es eine Herangehensweise, der eine intensive Auseinandersetzung vorausgeht. Die Publikation „Theater entwickeln und planen“ (Schneider 2013a), die aus der gleichnamigen Vorlesungsreihe an der Universität Hildesheim hervorgegangen ist, stellt an sich selbst den Anspruch in diesem Sinne „Kulturpolitische Konzeptionen zur Reform der Darstellenden Künste“ vorzustellen. Anhand dieses Untertitels wird deutlich: Es geht um die Reform der Institutionen, des Systems, aber auch der Inhalte und der Ideen dessen, was Theater ist und wie es sich als Phänomen darstellt und ausprägt. Das Inhaltsverzeichnis des Buchs liest sich wie ein Handzettel für Reformen: Angesetzt werden könnte an den Strukturen der Theaterlandschaft oder innerhalb der Betriebe und gleichermaßen kann das Wechselspiel zwischen beiden als Reformansatz dienen. So beschreibt beispielsweise Thomas Oberender ein Theater neuen Typs, das entsteht durch die Änderung des Werkbegriffs, des Publikums, der Institution selbst und den damit sich neu formierenden Machtverhältnissen (vgl. Oberender 2013). Auch die Zuständigkeitsebenen staatlicher Kulturpolitik bieten in diesem Kontext Ansatzmöglichkeiten für Reformdenken; so fordert Oberender beispielsweise eine Künstlerförderung auf Bundesebene ein (vgl. Oberender 2017). Thomas Schmidt sieht ebenfalls den Bund in einer neuen Verantwortung, bezogen auf eine Förderung von Theater (vgl. Schmidt 2017, insbesondere Kapitel 4.1.3, S. 265–271), setzt seine Reformvorschläge aber umfassender an. Er plädiert für eine schrittweise Veränderung des gesamten Theatersystems, beruft sich auf die bereits benannte Krisensituation und stellt ein eindrucksvolles 40-Punkte-Modell zur Neugestaltung öffentlicher Theaterbetriebe auf (vgl. Schmidt 2017, S. 386 f.). Dass mögliche Reformen des Theaters in Deutschland sich nicht nur auf die Institutionen und Strukturen beziehen dürfen, sondern auch das Publikum im Blick haben müssen, scheint vor dem Hintergrund der Relevanzfrage nur selbstverständlich; aber auch hier scheinen die Unterschiede der Ansätze so vielfältig wie das Publikum selbst: Aus kulturmanagerialer Sicht scheint das Audience Development eine richtige Strategie. Beobachtet man die Situation des Theaters mit einem theaterpädagogischen Hintergrund, scheint klar: Das Kinder- und Jugendtheater zeigt Ansätze auf, wie Theater durch Strategien der Vermittlung neu gedacht und geformt werden könnte (siehe weiterführend Schneider 2013a, Teil 2 „Vermittlung entwickeln“). Gleichwohl scheinen Argumente, die sich der Partizipation als Prinzip bedienen meist auf ihre theaterpädagogische Anwendbarkeit reduziert zu werden und selten in der Diskussion um Theaterarbeit im Allgemeinen berücksichtigt zu werden. Thomas Schmidt ist auch hier eine Ausnahme, denn er plädiert unter anderem für mehr Mitbestimmung und Beteiligung der Mitarbeiter, um das Theater der Zukunft neu zu gestalten (siehe weiterführend Schmidt 2017, Teil II „Theater in Transition“). Nicht nur das akademische Feld, auch die Theatermacher selbst fordern Reformen ein – jeder für sich, seine Interessen verteidigend und verfolgend. Das können einzelne Akteure sein oder ein Zusammenschluss eines Verbandes, die Unterscheidung ist zunächst nicht relevant. Dies ist selbstverständlich und obwohl immer wieder betont wird, dass die Änderungsvorschläge keinesfalls als Neid-Debatte oder Umverteilungskämpfe

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misszuverstehen seien, dreht es sich letztendlich doch immer wieder darum, wer wieso für welche Arbeit welches Geld erhält, respektive erhalten sollte. Verbunden damit sind auch gegenseitige Zuschreibungen von Verantwortungen und Hauptaufgaben. Wer ist für die künstlerische Innovation zuständig, wer sollte als Bildungsinstitution fungieren, wer darf neue Formate austesten und von wem wird eine Beständigkeit erwartet? Veränderungen werden auch in Bezug auf die kulturelle Teilhabe, besser: die kulturelle Nicht-Teilhabe gefordert: Mehr Theater für mehr Menschen brauche es. Doch wie dieses Theater gestaltet sein sollte? Darauf gibt es sehr viele unterschiedliche Antworten und die eingangs beschriebene zähe Struktur der Theaterlandschaft zeigt sich doch sehr reformresistent in ihrer Gesamtheit. Die Tradition der Stadt- und Staatstheater scheint ihre unantastbare Daseinsberechtigung zu sein, die Innovationskraft der Freien Szene ist längst nicht mehr ihr Alleinstellungsmerkmal, wird aber stets als Argument bemüht. Was es braucht, ist ein Umdenken und Neugestalten auf allen Ebenen: der Organisationen, des Netzwerks Theaterlandschaft, der Inhalte und der Kulturpolitik, um Theater wieder zukunftsfähig zu machen, neue Relevanz herzustellen, damit die Legitimation nicht grundsätzlich zweifelhaft bleibt. Alles in allem muss am Anfang dieser Prozesse ein neuer Konsens stehen, warum und welches Theater für wen „sein muss“. Eine einfache Postulierung, dass Theater eben sein muss, weil Theater eben ist, reicht nicht aus. Eine Herangehensweise scheint sich in dem Konzept von „Partizipation“ zu eröffnen: Es meint eine Teilhabe und Teilnahme, eine Kultur für alle und von allen und scheint ein geeigneter Ansatzpunkt zu sein, das Theater zu reformieren und Relevanz herzustellen, da es sich eben genau mit der Zusammengehörigkeit von Leben und Kunst auseinandersetzt und in diesem Schnittfeld verortet ist. In seinen fünf „Hildesheimer Thesen“ (Schneider 2013a) zeigt Wolfgang Schneider die Notwendigkeit von Reformen auf und nimmt zugleich alle Akteure in die Pflicht, sich an der Ausgestaltung dieser zu beteiligen: „Die künstlerischen und politischen Träger der deutschen Stadt- und Staatstheater sind mitschuldig an der Misere, weil sie allzu gerne nur auf die Perpetuierung ihres Systems beharren“ (ebd., S. 22), er spricht ihnen zwar zu, sich zumindest ansatzweise zu bemühen, doch „es ist nichts Strukturelles passiert, bei dem man sagen könnte, dass es eine Perspektive für das Überleben wäre“ (ebd.). Er weist zudem auf die Herausforderungen der Migration hin, denen sich Theater stellen muss, betont, dass Theaterlandschaft in ihrer Vielfalt wahrgenommen werden muss, bemängelt die unzureichenden Konzepte für Kulturelle Bildung und fordert ein Bekenntnis dazu ein, Theaterförderung auch als Risikoprämie zu verstehen. Damit verbunden spricht Schneider einen Reformansatz an, der sich an die grundsätzliche Ausrichtung von Theaterarbeit wendet: Geht es nur um das Theater sehen oder auch um das Theater spielen? Selber zu spielen, Theater ganzheitlich erfahren, kann ein Zugang zu den Darstellenden Künsten sein. Entscheidend ist die Verbindung zwischen dem, was da auf der Bühne passiert und dem eigenen Leben, dem Alltag. Eine solche könnte hergestellt werden durch partizipatorische Arbeit. Wenn mangelnde Teilhabe und Teilnahme mitentscheidend sind für die Hinterfragung und Anzweiflung von öffentlichen Theaterinstitutionen, scheinen die Reformen, die sich dieser Problematik widmen, am vielversprechendsten. Doch wie kann mehr Partizipation erreicht werden, welcher Mittel kann und muss sie sich bedienen und welche Formen kann sie annehmen? Kultur für alle und Kultur mit allen ist eine tiefst demokratische Überzeugung, die von der Gleichberechtigung aller ausgeht. Bei allen Forderungen nach einer Umgestaltung der

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Theaterstrukturen wird oftmals übersehen oder vergessen, dass innerhalb der Theaterlandschaft eigens für die Herstellung vergleichbarer Lebensverhältnisse ein Konstrukt geschaffen wurde, um „ein demokratisch inspiriertes Angebot von Kunst und Kultur für möglichst alle Bürger zu sichern“ (Zehelein 2011, S. 17). Im Dienste einer flächendeckenden kulturellen Teilhabe agieren die Landesbühnen als ein besonderes Phänomen innerhalb der Theaterlandschaft: Den Stadt- und Staatstheatern gleichgestellt und doch anders strukturiert und beauftragt; eine Bühne mit dem Auftrag zu reisen, in der Tradition der Wanderbühnen der Vergangenheit und doch nicht mit diesen vergleichbar.

1.2 L ANDESBÜHNEN ALS G EGENSTAND DES F ORSCHUNGSINTERESSES Die deutschen Landesbühnen stehen im Mittelpunkt dieser Forschungsarbeit: Instrumente für Teilhabe, Versorgungsdienstleister für Theaterkunst. Ihre originäre Aufgabe besteht darin, überall dort Theateraufführungen hinzubringen, wo kein eigenes Theater vorhanden ist. Soweit so unklar. In den skizzierten Reformansätzen und Diskursen werden die Landesbühnen als Teil des Stadt- und Staatstheatersystems kaum beachtet; weder ihrer Konstruktion noch ihrem Auftrag wird besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Dabei scheint gerade die Landesbühne – ohne die weiteren Ausführungen dieser Arbeit vorwegzunehmen – geradezu prädestiniert dafür sowohl Ziel als auch Auslöser von Reformen zu sein. In den bislang zitierten Publikationen kommt die Landesbühne, wenn überhaupt, nur ansatzweise vor. Beschrieben wird sie meist gleichzeitig als vorbildhaft und abschreckend, so sieht Thomas Schmidt in ihrer Konstruktion gleichermaßen Nachteile als auch Zukunftspotenzial: „Die Rolle von Landestheatern, in deren Programmen die Schauspieler mit einer enormen Arbeitsbelastung an zwei oder mehr Spielorten auftreten und zwischen diesen Orten hin- und herpendeln müssen, muss völlig neu beleuchtet und bewertet werden, um von hier aus Ableitungen für die Theater zu entwickeln“ (Schmidt 2017, S. 257, Hervorhebung im Original). Die Landesbühnen scheinen von ihrem Konzept her irgendwie veraltet – ein Dienstleister für die Bildung und Versorgung der ländlichen Bevölkerung, ist dies wirklich (noch) notwendig? – und sich zugleich interessant genug darzustellen, um als Modell neue Wege aufweisen zu können. Wolfgang Schneider fordert in der fünften der bereits zitierten Hildesheimer Thesen, dass „mobile ‚Szenische Einsatzkommandos‘ (SEK) über kurz oder lang als dramatische Interventionstruppen die Landesbühnen in ihrem gesellschaftlichen Auftrag ablösen“ (Schneider 2013b, S. 24) sollten; allerdings weist Schneider in einem anderen Zusammenhang darauf hin, dass die Landesbühnen selbst auch interventionistisch eingreifen und gerade im ländlichen Raum neue und wichtige Aufgaben übernehmen könnten: „Freie Gruppen und Regionaltheater haben eine besondere Funktion im Flächenland, nämlich neben einer Kultur von allen vor allem für die Kultur für alle zu sorgen“ (Schneider 2014b, S. 203). Wenn Landesbühnen tatsächlich diesem Anspruch gerecht werden, also ein „Für“ und ein „Von“ zu berücksichtigen, könnten sie in ihrer Konstruktion und durch ihre Tätigkeiten dazu beitragen, der Relevanzfrage und Legitimationszweifeln entgegen treten zu können.

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Eine inhaltliche Erstbegründung für das Interesse an den Landesbühnen ist also schnell gefunden: Ihre Struktur, ihre Beauftragung und die Art und Weise ob und wie sie dem an sie gesetzten Anspruch gerecht werden können, zu analysieren, könnte zu Erkenntnissen führen, ob sich das Konstrukt vor dem Hintergrund der Theaterkrisen aktueller denn je zeigt und somit als Impulsgeber für Reformen fungieren könnte – oder ob es sich als suboptimal umgesetzte Idee herausstellt, was in der Konsequenz dazu führen könnte, neue Handlungsbedarfe zu formulieren. Diese Untersuchung soll nicht zum Ziel haben, das Konstrukt Landesbühnen neu zu begründen oder sie in Gänze abzuschaffen. Vielmehr wird davon ausgegangen, dass eine am Beispiel der Landesbühnen durchgeführte Reflexion von Theaterlandschaft, Theaterstrukturen und Rahmenbedingungen ihren Teil zu einer generellen Agenda der Theaterpolitik beitragen könnte. Maßgeblich ist dabei die Untersuchung von kulturpolitischen Konzepten zur Partizipation, die konzentriert angelegt sind und sich ausdrücken im Modell Landesbühne – somit könnte dieses kulturpolitische Gebilde im Zusammenhang mit der Debatte um Kulturfinanzierung den haushaltspolitischen Überlegungen mit gesellschaftspolitischen Argumenten begegnen. Forschungslücke Landesbühne

Auffallend ist, dass bis auf die wenigen bereits zitierten Erwähnungen, die Landesbühnen in den Diskussionen um die Lage des Theaters in Deutschland und mögliche Zukunftsszenarien nur punktuell vorkommen. Als öffentlich getragene Theaterunternehmen zählen sie zu den Stadt- und Staatstheatern, es ist also zu vermuten, dass sie einfach als dieser Gruppe zugehörig angesehen werden. Landesbühnen sollten jedoch in ihrer Sonderstellung wahrgenommen werden, denn schließlich sind sie nicht nur ein Theater für eine Stadt, sondern zugleich als Reisebühne verpflichtet: „Sie sind historisch meist aus Wanderbühnen hervorgegangen und führen einen erheblichen Teil aller Vorstellungen außerhalb ihres Stammsitzes, aber innerhalb eines bestimmten Spielgebietes auf“ (Deutscher Bundestag 2007, S. 108), so beschreibt die Enquete Kultur diese Art des Theaterbetriebs. An ihrer Finanzierung sind meist mehrere Kommunen und auch das jeweilige Bundesland beteiligt, sodass sie auch als eine besondere Art der interkommunalen Zusammenarbeit zu werten sind. Landesbühnen scheinen generell kaum beachtet zu werden, sowohl im akademischen oder fachöffentlichen als auch im kulturpolitischen Diskurs: Zwar tauchen Besprechungen ihrer Produktionen im Feuilleton auf, manchmal sogar im überregionalen, ebenso wie auf dem Online-Portal nachtkritik.de und auch die bekannten Theaterzeitschriften berichten ab und an über sie, doch in der wissenschaftlichen Forschung scheinen sie kaum wahrgenommen zu werden. Vielleicht liegt dies auch an der unklaren Bezeichnung, Landesbühne und Landestheater wird oft gleichbedeutend verwendet, obwohl es Unterschiede gibt. Die Spezialfunktion der Landesbühnen scheint nicht so bekannt oder präsent. Der Auftrag und die Bestimmung der Landesbühnen ist zudem irgendwie vage und scheint hinsichtlich möglicher Reformen kaum einer aktuellen Betrachtung würdig, denn erfolgversprechender scheint es, das System an sich zu befragen, oder konkret das Sinnbild des deutschen Systems, das Stadttheater umzubauen. Natürlich wird von solchen Diskussionen und Forschungen die Landesbühne als Idee auch berührt, in Frage gestellt und als reformbedürftig beschrieben, denn sie ist Teil des Systems; doch eine spezifische Betrachtung fehlt. So widmet sich beispielsweise Thomas Schmidt – dem Anspruch einer Vollständigkeit seiner Systemkritik folgend –

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auch den Landesbühnen und betrachtet diese insbesondere hinsichtlich ihrer effizienten Arbeitsweisen trotz der ihnen viel abfordernden Arbeitsbedingungen, aber auch er gibt keine genaueren Einblick in die spezifischen Anforderungen und die theaterpolitischen Potenziale dieses Konstrukts. Weder in der Publikation, noch in der online geführten Diskussion der Hildesheimer Thesen finden die Landesbühnen ihren Platz: Da ist von „Strukturen planen“ (Schneider 2013a, Teil 3) die Rede und davon, Vermittlung zu entwickeln (Schneider 2013a, Teil 2); die Theaterorganisationsform Landesbühne als Konstruktion wird inhaltlich in den Artikeln nicht konkret oder ausführlich behandelt.7 Landesbühne scheint heimlich still und leise im Fahrwasser der Stadt- und Staatstheater mitzufahren – aber gleichzeitig doch auch im Vergleich anders wahrgenommen zu werden, darauf weist zumindest folgende Aussage Henning Fülles hin, der sich in seinem Artikel mit der Theaterlandschaft Niedersachsen und den Beziehungen zwischen freiem und städtischem Theater beschäftigt: Er spricht davon, dass das Hildesheimer Stadttheater durch die Umwandlung in ein „Landestheater zur ‚Flächenversorgung‘ gleichsam ‚downgegraded‘“ (Fülle 2013, S. 285) wurde. Dies kann ein Hinweis darauf sein, dass die Landesbühnen – wenn ihnen denn einmal Achtung geschenkt wird – sich einigen Vorurteilen stellen müssen. Landesbühne ist zunächst einmal eine Sammelbezeichnung: Jedes einzelne Theater der Art „Landesbühne“ ist ein eigenständiger Betrieb und als individuelles Unternehmen mit eigenständigen Strukturen zu betrachten, entsprechend wie jedes Stadttheater auch standortsensibel in seiner Verortung diverse Ausprägungen erfahren kann. Dies kann Einfluss haben auf die Arbeitsweisen, die Organisation des Betriebs und natürlich auch auf die künstlerische Arbeit. Die Landesbühnen sind jedoch nicht nur divers, sondern sie sind auch überschaubar: In ganz Deutschland gibt es nur etwas mehr als 20 von ihnen 8 – eine Vergleichbarkeit und das Herausstellen von typischen Eigenschaften und spezifischen Besonderheiten wird, im Gegensatz zu anderen Theaterbetrieben, eher möglich sein. Forschungsarbeiten, die sich explizit mit den Landesbühnen in Gänze oder einzelnen Theatern dieser Art beschäftigen, sind rar gesät. In den 1990er Jahren untersuchte Martina Grätz die Öffentlichkeitsarbeit der Landesbühnen, näherte sich auf diesem Weg dem Konstrukt Landesbühne an und zeigte die besonderen Herausforderungen des Reisebetriebs in diesem Felde auf (Grätz 1995). 2011 analysierte Anna Katharina Winkler in ihrer Diplomarbeit anhand der Württembergischen Landesbühne Esslingen „Die Kunst des Gastspiels“ (Winkler 2011). Ebenfalls vor nunmehr etwas über 20 Jahren legte Claudia Borowy ihre Dissertation vor mit dem Titel „Kommerzielles Tourneetheater in ensemblelosen Gemeinden. Rahmenbedingungen, Struktur- und Funktionsprinzipien eines Produktions- und Distributionsmodells innerhalb des deutschen Theatersystems. – Ergebnisse einer empirischen Bestandsaufnahme“. In dieser Arbeit, deren Fokus auf den kommerziellen Anbietern liegt, widmet sich Borowy auch den deutschen Landesbühnen als wichtige Akteure des Gastspielmarktes (Borowy 1998).

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Zwar wird das Theater für Niedersachsen mehrfach als eine der Landesbühnen erwähnt, doch geht es in den entsprechenden Artikeln nicht um die Landesbühne selbst, sondern um die Theaterlandschaft Niedersachsens, respektive um Formen und Arbeitsweisen des Kinderund Jugendtheaters, vgl. Fülle 2013 und Werner 2013. Diese ungenaue Anzahl wird in Kapitel 3.2 erläutert.

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Neuere wissenschaftliche Untersuchungen der Theaterlandschaft konzentrieren sich auf einzelne Strukturelemente oder auf bestimmte Handlungsfelder, wie beispielsweise die Kulturelle Bildung. Forschungen zum ländlichen Raum – einem wichtigen Wirkungsfeld der Landesbühnenarbeit – widmen sich überwiegend soziokulturellen und breitenkulturellen Fragestellungen9 und auch in diesem Forschungsfeld scheinen die Landesbühnen nicht als ein gesondert zu betrachtendes Phänomen eingeschätzt zu werden. Sie scheinen nicht nur rudimentär beachtet zu werden, sie scheinen zugleich auch nur bedingt in Erscheinung zu treten. So werden sie in der Studie Doreen Götzkys zur Kulturpolitik in ländlichen Räumen erwähnt und beschrieben, aber sie scheinen nicht als wichtiger kulturpolitischer Akteur wahrgenommen zu werden oder aber sich nicht selbst als solcher zu positionieren (vgl. dazu Götzky 2013). Im Jahr 2017 startete ein groß angelegtes bundesweites Forschungsprojekt mit dem Titel „Krisengefüge der Künste. Institutionelle Transformationsdynamiken in den darstellenden Künsten der Gegenwart“ (DFG-Forschungsgruppe Krisengefüge der Künste 2017a), welches sich ausführlich mit den Krisen der Darstellenden Künste beschäftigen wird. Es ist in mehrere Teilprojekte an mehreren deutschen Universitäten aufgeteilt, um die große Bandbreite und Varietät der Theaterlandschaft abzudecken – doch auch dort kommt, wenn man von den Projektbeschreibungen ausgeht, den Landesbühnen keine besondere Aufmerksamkeit zuteil, sie werden vermutlich, wenn überhaupt, in den Untersuchungen der Stadttheaterbetriebe vorkommen (vgl. DFG-Forschungsgruppe Krisengefüge der Künste 2017b und DFG-Forschungsgruppe Krisengefüge der Künste 2017c). Theater und Wissenschaft

Eine Betrachtung der Landesbühnentheater und der Idee Landesühne könnte auf unterschiedliche Weise erfolgen: Wie immer, wenn über „Theater“ geforscht wird, muss zunächst die Disziplin, das Fach gewählt werden, aus dessen Sicht ein Erkenntnisgewinn beabsichtigt ist. Landesbühne kann, wie auch das Stadttheater oder das Freie Theater, untersucht werden anhand betriebswirtschaftlicher Kriterien, bezogen auf künstlerische Artefakte und so weiter. Theaterpolitische Forschung scheint nach wie vor ein Desiderat, wird oftmals kombiniert, als interdisziplinäres Forschungsfeld betrachtet. Ausgehend von der krisenhaften Zustandsbeschreibung der Theaterlandschaft sind in den vergangenen Jahren, neben den bereits erwähnten Analysen, Forschungsarbeiten in speziellen Bereichen entstanden, die einen theaterpolitischen Zusammenhang herstellen: Untersuchungen zu einzelnen Elementen der deutschen Theaterlandschaft erweitern die Vorstellungen dieser Landschaft durch Beschreibungen und Reflexionen, zu nennen ist hier exemplarisch insbesondere das Werk Henning Fülles: „Freies Theater. Die Modernisierung der deutschen Theaterlandschaft (1960 – 2010)“ (Fülle 2016a). Bezogen auf die skizzierte Infragestellung der Relevanz von Theater zeigen sich im Themenfeld Migration und vor dem Hintergrund einer sich ändernden Gesellschaft aktuelle Herausforderungen, die ebenfalls besonders beforscht werden und wurden. Verwiesen sei hier auf die Arbeit von Azadeh Sharifi, die sich in ihrer Forschung mit

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Verwiesen sei hier exemplarisch auf die Forschungen Beate Keglers zur Soziokultur in ländlichen Räumen; Dissertation mit dem Titel „Soziokultur in ländlichen Räumen. Die kulturpolitische Bedeutung gesellschaftsgestaltender Kulturarbeit am Beispiel Niedersachsen“, siehe Forschungsprojekt Schnittstellen zwischen Hochkultur und Kultureller Bildung 2018b.

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der Partizipation von postmigrantischen Künstlern und Publikum und der Stellung von People of Color im deutschen Theatersystem beschäftigt (Sharifi 2011). Sharifi befragt die fehlende Repräsentanz im deutschen Theater, ein Aspekt, der für die Reform des Theaters in Deutschland maßgeblich ist: Nicht nur im Publikum, auch auf und hinter der Bühne braucht es den Querschnitt der gesamten Gesellschaft, nicht nur die Präsenz einiger weniger. Die Herausforderungen von „Theater und Migration“ werden auch in der gleichnamigen Publikation aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachtet (Schneider 2011). Fragen von Partizipation und Teilhabe sind auch Ausgangspunkt der Publikumsund der sogenannten Nicht-Besucherforschung. Thomas Renz hat sich diesem Feld intensiv gewidmet (Renz 2016), seine Forschungsergebnisse sind auch relevant für die hier durchzuführende Untersuchung, sie werden an entsprechender Stelle ausführlicher dargestellt. Ebenfalls diesen Bereich berühren Untersuchungen im Bereich des Kulturmanagements und die Ausformulierung entsprechender Strategien, wie beispielsweise im Feld des interkulturellen Audience Developments (vgl. Mandel 2017). Um eine Reform des Theaters anstoßen zu können, muss Theater in seiner Komplexität betrachtet werden. Dafür kann sich auch theaterwissenschaftlicher Ansätze bedient werden: Eine wissenschaftliche fundierte Betrachtung von künstlerischen Arbeitsprozessen, Ausdrucksweisen und eine Diskussion aktueller Tendenzen, auch in Bezug auf theatergeschichtliche Entwicklungen, kann Theaterarbeit inhaltlich und ästhetisch beschreiben, aus den gewonnen Erkenntnissen Herausforderungen aufzeigen und bezogen auf diese können auch kulturpolitische Handlungsempfehlungen entwickelt werden. Eine solche Betrachtung hat ein bestimmtes Erkenntnisinteresse, diesem ähnlich kann sich die explizit auf theaterpädagogische Wirkungsweisen fokussierte Forschung beispielsweise sowohl mit Aspekten der Aufführungsanalyse befassen als auch sich auf individuelle Prozesse der Beteiligten fokussieren. Gewisse Aufmerksamkeit erhalten in diesem theaterwissenschaftlichen Kontext auch besondere Verortungen von Theater, beispielsweise wenn künstlerische Prozesse im öffentlichen Raum stattfinden, oder ortsspezifisch neue Formate entstehen, die dann wiederum Gegenstand einer Analyse werden können; ebenso kann die Untersuchung (scheinbar) neuer Arbeitsweisen, wie beispielsweise die Arbeit mit Experten des Alltags, Aufschluss geben über neue Formen eines partizipatorischen Theaters. Diese Ansätze sind nur bedingt kulturpolitisch motiviert – sie alle können jedoch Hinweise geben für eine theaterpolitische Betrachtung. Sie können Konsequenzen aufzeigen, die aus den Forschungsergebnissen resultieren und kulturpolitische Auswirkungen haben könnten, wie beispielsweise die Erweiterung des Verständnisses von Darstellender Kunst als etwas, was nicht nur auf einer klassischen Theaterbühne mit ausgebildeten professionellen Darstellern stattfinden muss. Die Darstellenden Künste werden auch indirekt in Forschungsarbeiten mit einbezogen; oder anders: Sie werden durch Betrachtungen bestimmter Felder berührt, ohne explizit Gegenstand der Untersuchungen zu sein; die Forschungen beispielsweise zum ländlichen Raum sind ein solches Beispiel, denn sie widmen sich meist einer gebietsbezogenen Fragestellung und nicht ausschließlich der Analyse einer gewissen Kunstform oder bestimmter Institutionen. Gerade der rurale Raum ist in seiner Gegenüberstellung zu urbanen Strukturen ein aktuelles Themenfeld: Er bestimmt Tagungsprogramme, wird untersucht und erklärt und es sollen konzeptionelle Ansätze gefunden, beschrieben und entwickelt werden. Ein explizite kulturpolitische Beschäftigung mit

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dem Theater jenseits der Metropolen hat bislang nur ansatzweise stattgefunden, auch wenn das Thema virulent zu sein scheint, wie aktuelle Veröffentlichungen und Veranstaltungen zeigen: Auf der Online-Plattform „Kulturelle Bildung online“ wird der ländliche Raum verstärkt thematisiert10 , im Frühjahr 2019 erschien eine Publikation zum „Theater in der Provinz“ (Schneider u. a. 2019)11 und auch die Kulturpolitischen Mitteilungen starteten in das Jahr 2019 mit einer Schwerpunktausgabe zur „Kulturpolitik für ländliche Räume“ (Knoblich 2018). Eine Forschungsarbeit ist in Entstehung begriffen, die sich ausdrücklich kulturpolitisch mit dem Theater in der Fläche beschäftigt: Silvia Stolz untersucht in ihrer Doktorarbeit die Bedeutung von Gastspieltheatern innerhalb der Theaterlandschaft (Arbeitstitel: „Das Theater der Distribution. Kulturpolitische Konzeptionen von Gastspieltheatern als Teil der deutschen Theaterlandschaft“, siehe dazu Stiftung Universität Hildesheim 2018). Zugleich scheint ein Riss durch die Theaterlandschaft zu gehen, denn obwohl die Theaterlandschaft außerhalb der Metropolen an Aufmerksamkeit zu gewinnen scheint, was sich auch in besonderen Förderprogrammen und einer zunehmenden Anzahl an Künstlerresidenzen im Ländlichen zeigt, liegt der Fokus der Theaterdiskurse nach wie vor in der Stadt: Inhalte, Ästhetik und Strukturen werden meist anhand von urbanen Situationen befragt und diskutiert; dort scheinen die (professionellen) Darstellenden Künste greifbarer und leichter zu diskutieren. Auch dieser Aspekt rückt die Landesbühnen in das Forschungsinteresse, denn sie bewegen sich zwischen Stadt und Land, agieren von einem urbanen Raum in den ländlichen hinein. Die hier vorliegende Arbeit versteht sich als theaterpolitische Forschung, möchte die Theaterlandschaft anhand des Gegenstandes der Landesbühnen betrachten und diese in ihrer Konstruktion in organisatorischer Hinsicht und bezogen auf die zugrunde liegenden Konzeptionen befragen – immer mit Bezug auf die Frage nach einer kulturpolitisch gewollten und erwarteten kulturellen Ermöglichung von Teilhabe und mit der Absicht, Erkenntnisse über Abläufe und Bedingungen zu erlangen, die für die Beschreibung theaterpolitischer Prozesse allgemeinere Gültigkeit haben können. Eine Betrachtung oder Bewertung der künstlerischen Arbeit ist für diesen Zweck zunächst weder zielführend noch sinnstiftend, ist also nicht Teil dieser Untersuchung. Ebenso wenig kann und soll diese Arbeit im Sinne einer Wirkungsforschung die individuellen Prozesse analysieren, die durch Partizipation im Verständnis von Kultureller Bildung angestoßen werden können; und sie hat auch nicht den Anspruch, sich in quantitativer Weise den Fragen von Teilhabe zu nähern. Eine wissenschaftliche Beschäftigung mit kulturpolitischen Fragestellungen, eine Untersuchung kulturpolitischer Konzeptionen sollte immer auch einen Beitrag leisten zu der Erstellung einer kulturpolitischen Theorie, das heißt also Erklärungsmodelle aufzeigen und Beschreibungen erstellen, welche die Zusammenhänge kulturpolitischer Prozesse zu erläutern versuchen. Um sich diesen zu nähern, müssen Fragestellungen entworfen werden, die nicht nur die Auswahl des Gegenstandes begründen, sondern auch die Richtung weisen für zu überprüfende Hypothesen. Grundannahme für die hier vorliegende Arbeit ist dabei, dass die Theaterlandschaft in Deutschland die

10 Siehe dazu https://www.kubi-online.de/themenfeld/laendliche-raeume. 11 Die Verfasserin dieser Arbeit ist an dieser Publikation als Mitherausgeberin und Autorin beteiligt und war in der Veranstaltungsleitung einer gleichnamigen Tagung im Jahr 2018; darauf wird im weiteren Verlauf näher eingegangen.

28 | Landesbühnen als Reformmodell

Grundstruktur bildet für theaterpolitische Konzeptionen und Entscheidungen, während zugleich diese Landschaft selbst zunächst noch kartografiert werden muss. Aufbau der Untersuchung

Die angestrebte Analyse strukturiert sich anhand dieser Ausgangspunkte und die Beziehung der drei genannten Aspekte untereinander zieht sich durch die Arbeit: Es geht um die Landesbühnen als konkretes Phänomen, sie bilden den Untersuchungsgegenstand; es geht auch um die Theaterlandschaft, denn diese ist das Handlungs- und Wirkungsfeld, das Netzwerk, innerhalb derer Landesbühne agiert und im Zusammenhang geht es um die Beschreibung und Erläuterung von kulturpolitischen Ideen und deren Umsetzung, um die genaue Betrachtung der Konzeptionen von Partizipation und deren Umsetzung im Konzept Landesbühne – mit dieser Verbindung schließt sich der Kreis zurück zum Gegenstand. Nachdem hier einleitend die Ausgangslage der Untersuchung und die grundlegende Motivation skizziert wurde, müssen nun zunächst die bereits verwendeten Begriffe näher erläutert und die bislang nur erwähnten kulturpolitischen Prinzipien und Konzepte, wie das der „Teilhabe“, genauer gefasst werden. Um sich mit dem Gegenstand zu beschäftigen, braucht es eine fundierte Beschreibung dessen, was Landesbühne ist, wie sich Theaterlandschaft gestaltet und welches Verständnis von Kulturpolitik der Analyse zugrunde liegt. Ausgehend von den Definitionen und Begriffsbestimmungen werden, diese reflektierend und ineinander in Bezug setzend, Annahmen formuliert und Fragestellungen ausgearbeitet. Diese dienen, unter Berücksichtigung der spezifischen Rolle der Landesbühnen, der theoretischen Konstruktion von Theaterlandschaft als Ausgangspunkt für die empirische Betrachtung (Kapitel 2 „Die Konstruktion einer Theaterlandschaft. Definitionen und Strukturen“). In dem darauffolgenden Kapitel 3 „Die Praxis der Landesbühnen. Beobachtungen, Analysen und Reflexionen“ erfolgt der Einstieg in die konkrete gegenständliche Analyse, an dieser Stelle wird auch das Forschungsdesign ausführlich beschrieben; diese Forschungsarbeit gestaltet sich nach den Prinzipien der Grounded Theory und ist dementsprechend immer auch auf sich selbst bezogen. Verweise zwischen den einzelnen Teilen dieser Arbeit sollen helfen, den Forschungsprozess nachzuvollziehen und die Argumentation zu stützen. Um die Landesbühne als kulturpolitisches Konstrukt zu befragen, zu ergründen, wie sich Landesbühne als Modell charakterisiert und um daraus mögliche Stellschrauben oder Ansatzpunkte aufzeigen zu können, wie das Theater in Deutschland reformiert werden könnte, muss schrittweise vorgegangen werden. Zunächst wird also in diesem dritten Teil die Gesamtheit der Landesbühnen betrachtet, um ein allgemeines Bild zu erhalten und um die für eine genauere Untersuchung zu betrachtenden Einzelfälle zu bestimmen. In Kapitel 4 „Partizipation als Konzept? Eine fallbezogene Betrachtung“ erfolgt die ausführliche Analyse des Modells Landesbühne anhand des eigens generierten Materials, das durch Experteninterviews entstanden ist. Ein grundsätzlicher Abgleich zwischen Idee und Wirklichkeit, also: was soll Landesbühne sein – was ist Landesbühne, wird ergänzt durch mögliche Szenarien: was kann Landesbühne sein – was könnte sie sein. Das Vorgehen erfolgt hier entsprechend der grundsätzlichen Bereiche dieser Arbeit: Es geht um das Konstrukt Landesbühne im praktischen Sinne, also ihr Selbstbild, die Rahmenbedingungen ihrer Arbeit und deren Auswirkungen und den kulturpolitischen Auftrag (Kapitel 4.1 „Die Landesbühne – eine Selbstbeschreibung“);

Forschungen zur Theaterpolitik. Eine Einleitung | 29

dies berücksichtigend wird Landesbühne in ihrer Position innerhalb der Theaterlandschaft charakterisiert und die daraus entstehenden Beziehungen reflektiert (Kapitel 4.2 „Landesbühnen als Teil der Theaterlandschaft – eine Verortung“). Diese beiden Analyseschritte sind notwendig, um die Konzepte von Partizipation der Landesbühnen im Kapitel 4.3 „Teilhabe als Prinzip –Konzepte von Partizipation“ zu untersuchen und zu bewerten, da diese maßgeblich sowohl von der eigenen Auffassung und den Arbeitsmöglichkeiten als auch durch die Einflüsse von anderen geprägt werden. Den vierten Teil dieser konkreten Fallbetrachtung abschließend (Kapitel 4.4 „Perspektiven eines Theatermodells“), werden die Überlegungen der interviewten Intendanten bezogen auf mögliche zukünftige Entwicklungen thematisiert, dies erfolgt anhand einer Gegenüberstellung von Stärken und Schwächen des Modells Landesbühne und mündet in der Aufstellung von möglichen Ansätzen für eine Neugestaltung und ein Neudenken von Landesbühne im Speziellen und dem Theater im Allgemeinen. Die bis dahin erlangten Erkenntnisse werden durch einen Exkurs ergänzt: Aus drei europäischen Länder werden Beispiele benannt, anhand derer die dortigen Umsetzungen der Idee einer theatralen Grundversorgung vorgestellt werden. Wie sich eine Theaterreform modellhaft auf Grundlage der Ergebnisse dieser Forschungsarbeit gestalten könnte und welche Herausforderungen für Theaterpolitik damit einhergehen, wird im fünften Kapitel, „Ein Modell der Theaterreform. Kulturpolitische Herausforderungen“, dargestellt. Eine wissenschaftliche Arbeit hat nicht den Zweck, konkrete Umsetzungsschritte zu postulieren, am Ende wird jedoch ein Plädoyer dafür stehen, sowohl das Theater in Deutschland als auch die Theaterpolitik konzeptionell neu zu denken. Eine Reform des Theaters in Deutschland ist nur möglich, wenn Partizipation als Konzeption nicht nur als Konzept in den Darstellenden Künsten, sondern auch als Konzeption von Theaterpolitik verstanden wird.

2 Die Konstruktion einer Theaterlandschaft. Definitionen und Strukturen

Das Theater in Deutschland scheint mehr denn je in der Situation, sich selbst rechtfertigen zu müssen. Bei allem Stolz auf die Theaterlandschaft wird ihre grundsätzliche Gestaltung hinterfragt. Dabei scheint selbst die Begrifflichkeit einer Landschaft der Darstellenden Künste in sich nicht konsistent. Die Bezeichnung selbst wurde maßgeblich durch ihre Verwendung im Abschlussbericht der Enquete Kultur1 geläufig und obwohl der Bericht für eine umfänglichere Verwendung plädierte, wird der Begriff „Theaterlandschaft“ meist ungenau verwendet oder bleibt auf das zweigliedrige System Stadttheater und Freie Theater reduziert. Um Überlegungen zu einer Reform des Theaters in Deutschland auf Grundlage wissenschaftlicher Forschungsergebnisse anzustoßen, braucht es daher zunächst eine Darstellung des strukturellen Schemas und der kulturpolitischen Bedingungen dieser Landschaft, innerhalb derer sich Landesbühne konstituiert: Was sind Elemente der Theaterlandschaft, welche Akteure sind zu benennen? Welche Rahmenbedingungen prägen diese Landschaft; welche Steuerungsmechanismen sind erkennbar, die sich als konkrete Theaterpolitik bezeichnen lassen? Welche Grundlagen bestehen für eine Forderung nach einer kulturellen Teilhabe und wie ist diese zu verstehen? Wie wird das Konstrukt „Landesbühne“ hergeleitet, beschrieben und was zeichnet diesen Gegenstand in kulturpolitischer Hinsicht, als Phänomen und als Akteur einer Theaterlandschaft aus? In diesem Kapitel werden, ausgehend von diesen Fragen, die für die Analyse notwendigen Begrifflichkeiten definiert und eingegrenzt: Als erstes wird das dieser Arbeit zugrunde liegende Verständnis von Kulturpolitik dargestellt, um die notwendigen Grundlagen für die Analyse kulturpolitischer Konzeptionen zu legen und um die Zusammenhänge zwischen kulturpolitischen Begründungsweisen, respektive Leitbildern und der Ausformung einer Theaterlandschaft als theaterpolitische Konsequenz darzulegen. Daran anschließend wird sich dem Begriff der Partizipation angenähert, der sehr divers verstanden und angewandt wird. Im dritten Teil wird der Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit vorgestellt: Die deutschen Landesbühnen werden beschrieben als kulturpolitisches Instrument und zugleich als Akteur innerhalb der Theaterlandschaft mit besonderer Verantwortung für Teilhabe-Ermöglichung. Aufeinander aufbauend werden nicht nur die Strukturen dargestellt und Begriffe erläutert, sondern

1

Siehe hierzu die Erläuterungen in dem Abschlussbericht der Enquete Kultur, Deutscher Bundestag 2007, insbesondere Kapitel 3, S. 91–228.

32 | Landesbühnen als Reformmodell

zugleich die Forschungsfragen für diese Untersuchung aufgestellt, respektive Ansatzpunkte aufgezeigt, an denen, Stellschrauben gleich, Justierungen für eine Veränderung der Theaterlandschaft möglich erscheinen.

2.1 N OTWENDIGKEIT ( EN )

VON

T HEATERREFORM ( EN )?

Die Zeit scheint reif für weitreichende Reformen des Theaters in Deutschland – zahlreiche Baustellen scheinen vorhanden, doch werden diese nur vereinzelt und zögerlich angegangen. Will man nun grundsätzliche Überlegungen zu einer Reform anstoßen, kann dies, wie skizziert, aus verschiedenen Richtungen geschehen: Ein Ansatz wäre eine Betrachtung der künstlerischen Ausdrucksformen und eine Untersuchung dieser hinsichtlich ästhetischer Aspekte, verbunden mit einer Diskussion über zeitgenössische und zeitgemäße Formen der Darstellenden Künste und deren Bezug zum Leben und der Gesellschaft. Für eine kulturpolitische Argumentation ist es jedoch notwendig, sich den Strukturen und den Bedingungen von Theaterarbeit zu nähern und nicht deren Inhalte und Ästhetiken zu bewerten – denn schließlich sind die Rahmungen und die kulturpolitische Steuerung das Fundament für die künstlerische Freiheit. Die Ausgestaltung der Strukturen und das In-Frage-Stellen dieser ist eng verknüpft mit den zugrunde liegenden kulturpolitischen Verständnissen, Zielsetzungen und Handlungen. Die Entscheidungen der kulturpolitischen Akteure ermöglichen die Ausformung einer Theaterlandschaft, deren Akteure sich wiederum auf unterschiedliche Art und Weise kulturpolitischen Erwartungen gegenüber zu positionieren haben und sich in ihrer Arbeitsweise und als Elemente eines Netzwerks auch zueinander entsprechend positionieren. Dabei bilden Aspekte einer kulturellen Teilhabe den roten Faden dieser Herleitungen, immer auch in Bezug auf den Gegenstand dieser Untersuchung, die Landesbühnen in ihrer Funktion als kulturpolitisches Konstrukt. 2.1.1 Kulturpolitik in Deutschland „Kulturpolitik – Ein Praxisfeld ohne Theorie?“ – Diese Frage, von Bernd Wagner als Überschrift seines Artikel im Jahrbuch Kulturmanagement 2011 (Wagner 2011, S. 41) gewählt, beschreibt den Ausgangspunkt sämtlicher kulturpolitischer Forschungsarbeiten. Um sich dem Forschungsfeld Kulturpolitik zu nähern, gilt es, sich auf unterschiedliche Argumentationslinien zu berufen. Die eine übergreifende kulturpolitische Theorie ist nicht vorhanden. Der Diskurs über die Frage, was Kultur und Politik konstituiert, wie sie sich in den vergangenen Jahrzehnten neu ausgerichtet hat, wurde an anderen Stellen bereits ausführlich geführt: „Kulturpolitik ist sowohl als politisches Praxisfeld als auch als Wissenschaft eine Interdisziplin, weshalb es unterschiedlichste Zugangsweisen gibt, um Kulturpolitik beobachtbar, systematisierbar, interpretier- und entwickelbar zu machen“ (Götzky 2013, S. 7). Für diese Untersuchung sei von der umfassenden Beschreibung kulturpolitischer Prozesse ausgegangen, wie sie im Vorwort der Publikation „Grundlagentexte zur Kulturpolitik“ zu finden ist: „In der demokratischen Gesellschaft ermöglicht Kulturpolitik Produktion, Distribution und Rezeption von künstlerischen Prozessen, dient der Partizipation, Interaktion und Kommunikation im kulturellen Austausch“ (Schneider 2007,

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S. 8). Kulturpolitik ist also die Ermöglicherin von künstlerischen und kulturellen Prozessen. Ulrike Blumenreich beschreibt diese Prämisse im Zusammenhang mit der Entwicklung des kulturpolitischen Verständnisses in Deutschland und Europa: „Die Neue Kulturpolitik der siebziger und achtziger Jahre, deren Prinzipien mittlerweile Allgemeingut geworden sind, stand von Beginn an im Einklang mit den programmatischen Empfehlungen des Europarats. Die Begriffe der kulturellen Identität, des kulturellen Erbes, der kulturellen Vielfalt und Partizipation gehören zur Programmatik dieser Politikkonzeption. Heutzutage besteht die Hauptaufgabe der Kulturpolitik darin, möglichst vielen Menschen den Zugang zu Ereignissen der Kunst und Kultur zu ermöglichen“ (Blumenreich 2014, S. 5). Neben diesen Grundlagen versucht sich Oliver Scheytt in seinem „Plädoyer für eine aktivierende Kulturpolitik“ den Aspekten von Kultur als Wirkungs,- Handlungs- und Politikfeld zu nähern und Kulturpolitik in diese Zusammenhänge einzuordnen: Kulturpolitik hat demnach eine inhaltliche, eine strukturelle und institutionelle sowie eine prozessuale Dimension, die „Aufgaben- und Gestaltungsdimensionen von Kulturpolitik“ (Scheytt 2008, S. 30 f.) lassen sich also in die Beschreibungen eines Politikfelds hinsichtlich Policy, Polity und Politics einordnen. Patrick Föhl und Norbert Sievers sehen hierin jedoch eine konkrete Herausforderung: „Weder ist heute selbstverständlich, welche Ziele Kulturpolitik hat (‚Policy‘), wer sie in welchen Verfahren formuliert und bestimmt (‚Politics‘) und wer schließlich im Netzwerk der Kulturpolitik (‚Polity‘) die Verantwortung für die Umsetzung trägt“ (Föhl u. a. 2013, S. 69 f.).2 Kulturpolitik als Gesellschaftspolitik

Im Zuge der sogenannten Neuen Kulturpolitik haben sich einige Leitsätze für Kulturpolitik in Deutschland etabliert (vgl. hierzu exemplarisch Scheytt 2008 und Fuchs 1998), diesen entsprechend definiert auch die Enquete-Kommission Kultur in ihrem Abschlussbericht Kulturpolitik als Gesellschaftspolitik: „Gesellschaftspolitik gestaltet die Rahmenbedingungen von Kunst und Kultur. Sie wirkt durch ihre Entscheidungen über Infrastrukturentwicklungen, soziale Sicherungssysteme, Besteuerung usw. auf die Entwicklung von Kunst und Kultur ein und ist demzufolge auch Kulturpolitik. Gleichzeitig ist Kulturpolitik auch Gesellschaftspolitik: Sie wirkt durch Kunst und Kultur beeinflussend und prägend auf die Grundorientierungen des gesellschaftlichen Lebens ein“ (Deutscher Bundestag 2007, S. 49). Gefordert wird explizit eine „Kulturpolitik, die sich als Gesellschaftspolitik versteht und daher Kunst und Kultur ermöglicht, verteidigt und mitgestaltet“ (ebd., S. 50).3 Kulturpolitik fungiert dabei als Vermittler zwischen „gesellschaftlicher Situation/Entwicklung einerseits und staatlichem/kommunalem Handeln im Blick darauf andererseits“ (ebd., S. 51).4

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3

4

Im Sinne einer Politikfeldanalyse wird sich diesen Fragen in Bezug auf den Gegenstand im weiteren Verlauf der Untersuchung angenähert, siehe dazu auch die Beschreibung des Forschungsdesigns in Kapitel 3.1. Zu den Auswirkungen von Kunst und Kultur auf Gesellschaft und Individuum sei auf das erste Kapitel sowie das Kapitel 2.1. des Abschlussbericht der Enquete-Kommission verwiesen: Deutscher Bundestag 2007, S. 47–52. Zur Beschreibung des Wirkungs- und Handlungsfeld Kultur siehe Deutscher Bundestag 2007, S. 51 und Scheytt 2008, S. 16–32.

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Verbunden mit diesem Ansatz, dass Kulturpolitik sich eben nicht auf die Künste beschränkt, sondern vor dem Hintergrund eines breiteren Kulturverständnisses in die Pflicht genommen wird, andere Gesellschaftsbereiche zu berücksichtigen, gilt Kulturpolitik immer auch als Querschnittsaufgabe.5 „In dem Maße wie sie [...] Ziele bestimmt, die in der Regel nicht auf kunstimmanente beschränkt sind, geht sie über den engeren Kunst- und Kulturbereich hinaus und bezieht sich auf andere gesellschaftliche Felder wie das politische, das ökonomische und das Bildungssystem beziehungsweise betrifft die Gesellschaft als Ganze. Kulturpolitik ist gerade wegen der Formulierung solcher, über die Kunst hinausreichenden Zielsetzungen, [...] immer auch ‚Gesellschaftspolitik‘“ (Wagner 2011, S. 41). Kulturpolitik trägt in diesem Sinne Verantwortung dafür, dass Kultur für, mit und durch die Gesellschaft wirken kann und nimmt sich selbst in die Pflicht, auf die damit verbundenen Fragestellungen, wie dies erreicht werden kann, zu reagieren. Diese hier nur kurz skizzierte Herleitung einer Begründung von Kulturpolitik hat mehrere Konsequenzen: Sie muss und soll demnach als Förderin und Rahmengeberin Kunst und Kultur ermöglichen und unterstützen und die individuelle und gesellschaftliche Komponente berücksichtigen. Das heißt also nicht nur gesamtgesellschaftliche Entwicklungen, sondern insbesondere auch persönliche Entwicklungs- und Bildungsprozesse des Einzelnen berücksichtigen und befördern: „Durch die Künste werden Individualität und soziale Gebundenheit thematisiert. Damit wirken die Künste weit über die Sphäre der künstlerischen Kommunikation in die Gesellschaft und prägen deren menschliche Sinn- und Zwecksetzung“ (Deutscher Bundestag 2007, S. 50). Die grundlegenden Überzeugungen dieses kulturpolitischen Verständnisses spiegeln sich in dem Begriff „Kulturstaat“, der in Bezug auf die Bundesrepublik angewendet wird und von Kultur als meritorisches Gut ausgeht: „Nicht der Markt, sondern in erster Linie das Gemeinwohl bestimmt den besonderen Wert kulturellen Schaffens. Dementsprechend hat sich auch in der Staats- und Verfassungsrechtslehre in den 1980er Jahren der Terminus ‚Kulturstaat‘ etabliert, der auch in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Freiheit der Kunst immer wieder verwendet worden ist. Mit Artikel 35 des Einigungsvertrages erlangte der Begriff Verfassungsrang“ (Knoblich u. a. 2009, S. 70). Verbunden mit diesem Verständnis sind kulturpolitische Begründungsweisen und Leitsätze wie „Kultur für alle“ und das „Bürger- und Menschenrecht Kultur“, die im Kontext der Begriffsbestimmung von Teilhabe näher betrachtet werden und welche die Grundlage für die Idee einer kulturellen Grundversorgung oder gar Daseinsvorsorge bilden, die im entsprechenden Abschnitt in Kürze dargestellt werden. Entscheidend ist, dass das Konzept „Kulturstaat“ nicht „auf staatliches Handeln [zielt], sondern [...] das gesamte kulturelle Leben in der Bundesrepublik Deutschland [umfasst], das ganz wesentlich vom kulturellen Trägerpluralismus und von der kommunalen Selbstverwaltung geprägt ist. Insoweit wird in einem zeitgemäßen Kulturstaatsgedanken mitgedacht, dass die kulturelle Infrastruktur und die Kulturpolitik bestimmt sind von den Prinzipien der kulturellen Vielfalt und Teilhabe“ (ebd.).6

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Ein Umstand, der nicht nur zum Vorteil gereicht, sondern in der Praxis auch hinderlich sein kann – vergleiche dazu Schröck 2011a, S. 47–50. Zur Einführung und der Diskussion dieses Begriffs sowie dessen Verbundenheit mit dem Konzept des Kulturbürgers sei insbesondere auf Teil zwei und drei des Buchs „Kulturstaat Deutschland“ verwiesen: Scheytt 2008, S. 67–151.

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Verantwortungen von Kulturpolitik

Zunächst seien die staatlichen Handlungsmöglichkeiten, auf die in diesem Zitat verwiesen werden, skizziert. Innerhalb Deutschlands sind die kulturpolitischen Aufgabenbereiche in unterschiedliche Zuständigkeitsbereiche aufgeteilt, die zugleich in das politische System eingebettet sind. Kulturpolitik ist Ländersache – die Kulturhoheit der Länder garantiert eine Unabhängigkeit der Bundesländer in diesem Zuständigkeitsbereich (vgl. Deutscher Bundestag 2017, Artikel 30): „So wird die Vielfalt der Kultur nicht nur grundrechtlich, sondern auch organisationsrechtlich durch die bundesstaatliche Struktur garantiert. [...] Die Kulturhoheit und die Kulturkompetenz der Länder sind dann angesprochen, wenn es um eine öffentliche Verantwortung für den jeweiligen Kulturbereich geht. Diese Verantwortung ist als öffentlicher Auftrag Grundlage für staatliches und in der Folge kommunales Handeln im Sinne einer Bereitstellung kultureller Infrastruktur“ (Deutscher Bundestag 2007, S. 54). Dieses Zitat weist bereits darauf hin: Kulturpolitik ist hauptsächlich Kommunalpolitik: Den Kommunen obliegt die Ausgestaltung des Kulturauftrags, die Ermöglichung und die Pflege, also das Aufrechterhalten der Infrastruktur vor Ort. Legitimiert und begründet wird diese Aufgabe durch die kommunale Selbstverwaltung, die durch das Grundgesetz festgelegt ist (vgl. Deutscher Bundestag 2017, Artikel 28 Abs. 2, vgl. dazu ebenfalls Deutscher Bundestag 2007, S. 56). Auf welche Weise die Kommunen dieser Beauftragung nachkommen, ist individuell auszuformen, „der Kulturauftrag der Kommunen [ist] ein kulturpolitisch zu konkretisierender Kulturgestaltungsauftrag [...]. Kulturarbeit ist also generell eine pflichtige Selbstverwaltungsaufgabe, konkret entscheiden die Gemeindeorgane über die Ausgestaltung der Kulturangelegenheiten“ (ebd., S. 90).7 Grundsätzlich liegt ein Fokus von Kulturpolitik auf Kunst- und Kultur-Förderpolitik und auch hier zeigt sich, dass Kulturpolitik in diesem Sinne hauptsächlich von den Kommunen und Ländern gestaltet wird, da diese in finanzieller Hinsicht die größten Aufwendungen für kulturelle Angebote verzeichnen.8 Bedeutsam für die hier durchgeführten Überlegungen ist, dass der Bund prinzipiell keine kulturpolitischen Kompetenzen auf Landes- oder Kommunalebene hat und nicht in den Kulturgestaltungsauftrag direkt eingreifen darf. Gleichwohl wird natürlich durch die Bundesgesetzgebung eine Rahmung für diesen geschaffen und vorgegeben. Zudem wurden in den vergangenen Jahren einige Förderprogramme und Förderfonds etabliert, die der Unterstützung von Programmen, Projekten und Institutionen dienen, die eine Bedeutung für die gesamte Bundesrepublik haben. Eine zusammenfassende Beschreibung der Kompetenzen und Organisationsformen von Kulturpolitik der unterschiedlichen staatlichen Ebenen bietet neben dem bereits mehrfach zitierten Abschlussbericht der Enquete-Kommission auch beispielswei-

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Dieser Kulturgestaltungsauftrag wird fälschlicherweise immer noch als „freiwillige Leistung“ bewertet, siehe dazu die Ausführungen im Abschnitt 2.2.1 und das zweite Kapitel des Abschlussberichts der Enquete Kultur, Deutscher Bundestag 2007, S. 51–91. „Wie in den Jahren zuvor werden die Kulturausgaben 2013 überwiegend von Ländern und Gemeinden bestritten (41,0% bzw. 45,4%). Die Länder (einschließlich Stadtstaaten) stellten ein Budget von 4,1 Milliarden Euro und die Gemeinden von 4,5 Milliarden Euro zur Verfügung. Der Bund beteiligte sich an der Kulturfinanzierung mit weiteren 1,3 Milliarden Euro (13,6%)“ (Statistische Ämter des Bundes und der Länder 2016, S. 28).

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se der Beitrag von Ulrike Blumenreich im Compendium Cultural Policies (Blumenreich 2014); für eine Diskussion der Kompetenzverteilung sei ein weiteres Mal verwiesen auf die Enquete Kultur (Kapitel 2.2 und 2.3, Deutscher Bundestag 2007, S. 52–68) und die Abhandlung Oliver Scheytts (Kapitel III.2, Scheytt 2008, S. 116–142). In dem Kontext dieser Aufgabenverteilung und des Kulturgestaltungsauftrags besteht der in Deutschland stark ausgeprägte Trägerpluralismus: Kulturelle Einrichtungen sind nicht nur Unternehmen der öffentlichen Hand, es gibt eine Vielzahl an Institutionen, die in unterschiedlicher Weise konstruiert sind: Öffentlich getragene oder finanzierte Betriebe und Akteure bilden einen Sektor, daneben sind marktwirtschaftlich und zivilgesellschaftlich organisierte Angebote als weitere Sektoren des Feldes zu benennen.9 Innerhalb dieses Feldes übernimmt staatliche Kulturpolitik eine neue Stellung: „Der sich durch Kooperation und Delegation entlastende Staat wird in dieser Funktionszuschreibung nicht mehr nur als Hoheits- und Interventionsstaat klassischer Prägung verstanden, sondern eher als befähigender und ermöglichender Staat, der auch aktivierend und moderierend tätig wird, um eine möglichst reibungslose Kombination von öffentlicher Regulierung, marktvermittelter Produktion und bürgerschaftlichem Engagement zu erreichen“ (Sievers 2013). Kulturpolitik als Cultural Governance

Im Sinne einer Erfüllung ihres Kulturauftrages, in der gerade beschriebenen aktivierenden Funktion, kann die öffentliche Hand Institutionen beauftragen: In diesem Verständnis stehen beispielsweise Theaterinstitutionen, die von einer oder mehreren Kommunen und oder einem Bundesland getragen werden und die Verantwortung für die Bereitstellung von Kulturangeboten sowie einer Teilhabe-Ermöglichung an dieser übernehmen. Der Begriff des Kulturstaates, der eine aktivierende Kulturpolitik betreibt, wurde insbesondere von Oliver Scheytt geprägt; er beinhaltet nicht nur die gerade erwähnte Beteiligung weiterer, nicht-staatlicher Akteure innerhalb des Handlungsfeldes Kultur, sondern zugleich auch deren Beteiligung an der Gestaltung von kulturpolitischen Prozessen; dies steht wiederum in Verbindung mit dem gesellschaftspolitischen Ansatz von Kulturpolitik: „Programmatik und Aufgaben sollten daher nicht einseitig festgelegt, sondern im gesellschaftlichen Diskurs herausgearbeitet werden. Dabei kann Kulturpolitik für die Vermittlung zwischen den verschiedenen am Kulturprozess beteiligten Akteuren (Künstlern, Kulturschaffenden, freien Trägern) ebenso sorgen, wie sie freie Institutionen, Künstlerorganisationen, Verbände etc. einbeziehen kann. Diese Akteure bringen sich je nach den vorhandenen Möglichkeiten in die kulturpolitische Willensbildung ein“ (Deutscher Bundestag 2007, S. 51 f.). Oliver Scheytt bezeichnet die von ihm beschriebene aktivierende Kulturpolitik als „Cultural Governance“: „Sie nutzt die Gesamtheit der vielfältigen Wege, auf denen Individuen sowie öffentliche und private Kulturinstitutionen in einem kontinuierlichen Prozess ihre gemeinsame Angelegenheiten regeln, ihre unterschiedlichen Interessen ausgleichen und kooperatives Handeln initiieren. Der Kulturstaat aktiviert als Initiator und Moderator von Netzwerken staatliche und nicht-staatliche Akteure. Wesentliche Elemente der aktivierenden

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Die Enquete Kultur beschreibt dieses Feld unter dem Titel „Kulturförderung in gemeinsamer Verantwortung von Staat, Zivilgesellschaft und Wirtschaft“, Deutscher Bundestag 2007, S. 195–200, vgl. dazu auch Sievers 2013.

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Kulturpolitik sind daher Kommunikation, Koordination, Kooperation und Konsens“ (Scheytt 2008, S. 150). Dieses Konzept, Kulturpolitik als Vermittlerin innerhalb einer vernetzten Struktur zu begreifen, kann für die Betrachtung und Untersuchung der Theaterlandschaft ein Ansatzpunkt sein: Kulturpolitik kann – neben den allgemeinen gesetzgebenden Rahmenbedingungen – durch Förderungen, durch Zielsetzungen und durch Entscheidungen hinsichtlich Personal oder möglicher Kooperationsgebote und -verbote gestalterisch in die Kulturlandschaft einwirken: Dabei sind die Institutionen der öffentlichen Hand zugleich Instrument und Partner im Sinne einer Erfüllung der eigenen Aufgabenstellung; können Partner sein für andere Akteure und die Möglichkeit eröffnen, „kreative Allianzen“ einzugehen (siehe dazu ebd., S. 269–281), um gemeinsam verantwortungsvoll der Bereitstellung einer kulturellen Infrastruktur gerecht zu werden (vgl. Deutscher Bundestag 2007, S. 86). Dieses vermittelnde und aktivierende Handeln führt zu Konsequenzen für die Kulturgesellschaft im Allgemeinen und den Kulturbürger im Einzelnen und ist verbunden mit den kulturpolitischen Leitsätzen, eine breite kulturelle Teilhabe zu ermöglichen, fußend auf dem so bezeichneten Bürgerrecht Kultur, das sich wiederum aus dem Menschenrecht auf Teilhabe speist.10 Dies wiederum begründet die kulturpolitische Verantwortung, eine kulturelle Infrastruktur oder Grundversorgung zu gewährleisten und steht im Zusammenhang mit der Verantwortungsübernahme und -teilung der kulturpolitischen Akteure. Trotz aller Zusammenarbeiten und Beauftragungen, um ein breites Kulturangebot zu ermöglichen, darf sich der Staat nicht aus der Verantwortung ziehen: „Für die Einlösung der beiden konstitutiven kulturpolitischen Leitmotive ‚Kulturelle Teilhabe‘ und ‚Kulturelle Vielfalt‘ (also ‚Kultur für alle‘ und ‚von allen‘) hat die öffentliche Hand eine Garantiefunktion. Sie hat für deren Einlösung Verantwortung, die sie selbstverständlich im Zusammenspiel mit Wirtschaft und Zivilgesellschaft wahrnehmen sollte. Alle Erfahrung lehrt, dass Markt und Bürgerschaft allein nicht die notwendigen Ressourcen aufbringen, um kulturelle Teilhabe und Vielfalt für alle KulturbürgerInnen (und eben nicht nur die BildungsbürgerInnen) sicherzustellen“ (Scheytt 2013). Kulturpolitik und kulturelle Infrastruktur

Die Ermöglichung einer kulturellen Infrastruktur ist demnach Aufgabe der öffentlichen Hand und wird möglich durch das Zusammenspiel vieler Akteure; die kulturelle Grundversorgung, die jedem Menschen vergleichbare Lebensverhältnisse zusichert, ist also eine Prämisse von Kulturpolitik. „Dem liegt ein Gemeinwohlverständnis zugrunde, das auf Inklusion aller Gesellschaftsmitglieder zielt und insofern mehr als die Summe der um Verteilungsgewinne konkurrierenden Partialinteressen umfasst“ (ebd.). Über die Begrifflichkeiten „kulturelle Infrastruktur“, „Grundversorgung“ oder gar „Daseinsvorsorge“ und ihre Verwendung wurde und wird eingehend diskutiert: „Das Begriffselement der ‚Versorgung‘ hat in den letzten Jahren vielfach Kritik ausgelöst, insbesondere mit Blick auf die Verwendung dieses Begriffes im Bereich der Künste und der Kunstförderung, da Kunst nicht der ‚Versorgung‘ diene. Manche Kritiker warnen auch vor einer weiteren ‚Verrechtlichung‘ des Kulturbereichs, da die kulturelle Grundversorgung letztlich nur durch die Gewährleistung von ‚Standards‘ umgesetzt werden

10 Siehe dazu exemplarisch Deutscher Bundestag 2007, S. 47–50.

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könne“ (Deutscher Bundestag 2007, S. 84). Für den Kulturbereich, für die Künste, scheint eine solche Festlegung auf Standards abschreckend zu sein: Denn wer bestimmt wie, welches Angebot ausreicht, um einen wie auch immer festgelegten Minimalstandard zu erfüllen? Zudem könnte ein solcher Standard Qualität und Freiheit einschränken und würde eine Vergleichbarkeit behaupten, die nicht einfach herzustellen ist. Im Feld der (Kulturellen) Bildung scheint eine (standardisierte) „Versorgung“ weniger problematisch zu sein: „Demgegenüber hat der Begriff der ‚kulturellen Grundversorgung‘ insbesondere im Bereich der kulturellen Bildung (Musikschulen, Jugendkunstschulen, Volkshochschulen etc.) große Akzeptanz gefunden“ (ebd.). Unabhängig von der Problematik des Versorgungsbegriffs und der damit zusammenhängenden Diskussion über Standardisierungen, stellt die Enquete fest, „dass die Begriffe der kulturellen Grundversorgung und kulturellen Daseinsvorsorge die ‚staatliche Seite‘ des kulturellen Lebens in den Blick nehmen und auf die ‚Gewährleistung einer kulturellen Infrastruktur‘ im öffentlichen Interesse abzielen. Kultur wird als ein ‚öffentliches Gut‘ erfasst, für das (öffentliche) Verantwortung zu übernehmen ist“ (ebd.). Der Deutsche Kulturrat setzt sich aufgrund dieser Problematiken für den Begriff „Daseinsvorsorge“ ein und postulierte 2004 folgende Definition, verbunden mit Forderungen an die Kulturpolitik: „Daseinsvorsorge im Bereich der Kultur meint ein flächendeckendes Kulturangebot in den verschiedenen künstlerischen Sparten, das zu erschwinglichen Preisen, mit niedrigen Zugangsschwellen breiten Teilen der Bevölkerung kontinuierlich und verlässlich zur Verfügung steht. Neben der quantitativen Sicherung von kulturellen Angeboten ist deren Qualität ein wesentliches Charakteristikum. Daraus folgt, dass öffentlich finanzierte Kultureinrichtungen nicht nur den Mainstream bedienen dürfen, sondern ihnen auf Grund ihres Status die Aufgabe zukommt, auch die nicht eingängigen Kunstformen zu präsentieren. Dazu gehören ganz besonders innovative, noch nicht etablierte künstlerische Ausdrucksformen“ (Deutscher Kulturrat 2004). Der Staat sei demnach in der Verantwortung, nicht einfach eine Basis von Angeboten zu ermöglichen, sondern sollte zugleich sicherstellen, dass unterschiedliche Kunstformen gleichberechtigt entstehen und bestehen können. Die Legitimation für eine solche umfassende Kulturlandschaft sieht der Kulturrat in der breiten Teilhabe der Bevölkerung, so dürfe sich kulturelle Daseinsversorgung nicht nur auf die Produktion und die Bereitstellung eines Angebots beschränken, maßgeblich sei auch, dass die Bürgerinnen und Bürger dieses wahrnehmen (können): „Nur so lässt sich die Definition als Daseinsvorsorge und die weitgehende Finanzierung durch die Allgemeinheit begründen“ (ebd.). Bemerkenswert ist, dass der Kulturrat für die Bewertung was ausreichend sei, die Bevölkerung und deren Einschätzungen als maßgeblich ansieht: „Die Politik ist gefordert, unter Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger Entscheidungen über den Umfang des kulturellen Angebotes zu treffen und nach diesen Entscheidungen für eine adäquate Mittelausstattung Sorge zu tragen“ (ebd.). Dies zeugt einerseits von einer demokratischen Auffassung, ist jedoch für die Diskussion auch kein unerheblicher Streitpunkt, berührt er doch die Frage nach der Mündigkeit jedes Einzelnen und könnte der Einstufung von Kultur als meritorisches Gut entgegengesetzt werden. Unerlässlich sei bei der Konzeption das Feld der Kulturelle Bildung, „als wichtige Voraussetzung für eine breite Beteiligung aller Menschen am kulturellen Leben“ (ebd.), sowie die kulturelle Vielfalt als „Grundlage der kulturellen Daseinsvorsorge. Es ist daher erforderlich, dass alle künstlerischen Sparten berücksichtigt werden müssen“ (ebd.). Ergänzt werden diese kulturpolitische Leitmotive der Vielfalt und der Kultu-

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rellen Bildung durch die Wahrung des kulturellen Erbes, das im Gleichgewicht zur Förderung von und Forderung nach neuen Entwicklungen zu stehen hat: „Die kulturelle Daseinsvorsorge geht über den Erhalt des bestehenden Kulturangebotes hinaus. Neben der Pflege des Kulturerbes muss die Kulturpolitik auch der Innovation verpflichtet sein. Eine Gesellschaft ohne Geschichtsbewusstsein verleugnet ihre Wurzeln, eine Gesellschaft ohne Innovationen ist rückwärtsgewandt. Gerade der Kulturbereich ist gefordert, ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Tradition und Innovation herzustellen“ (ebd.). Die Enquete Kultur entscheidet sich für eine differenzierte Verwendung und Beschreibung der Begriffe und stellt die Verantwortung der öffentlichen Hand in den Vordergrund: „In der Grundannahme, dass Kultur ein ‚öffentliches Gut‘ ist und dass Staat und Kommunen öffentliche Verantwortung für Kulturpflege, Kulturarbeit und Kulturförderung wahrzunehmen haben, hat sich die Enquete-Kommission immer wieder in den verschiedensten Zusammenhängen mit Charakter und Umfang dieser öffentlichen Verantwortung befasst, die mit den schon genannten Begrifflichkeiten ebenso umschrieben werden wie mit dem Begriff der ‚kulturellen Daseinsvorsorge‘. [...] Es entspricht einem allgemeinen europäischen Staatsverständnis, dass der Staat bei einem bestehenden ‚öffentlichen Interesse‘ Verantwortung für öffentliche Angebote übernimmt“ (Deutscher Bundestag 2007, S. 84). Im Sinne einer umfassenden Betrachtungsweise von kulturpolitischem Handeln, nicht nur der Institutionen und Gebietskörperschaften der öffentlichen Hand, will die Kommission mit der Vokabel der „kulturellen Infrastruktur“ auch ausdrücken, dass die Bereitstellung und Sicherung dieser auch auf den Handlungen anderer Akteure beruht. Die Herausforderung, die auch für die Betrachtung der Theaterlandschaft im Besonderen entscheidend ist und die ein Diskussionspunkt bleibt, ist die mit diesen geteilten Aufgabenfeldern verbundene Frage nach Qualität und der Bewahrung dieser: „Infrastruktur kann nicht ‚irgendwie‘ sichergestellt werden, sondern sollte eine je nach Handlungsfeld generell zu umschreibende Qualität haben [...] oder eine im Einzelfall gegebenenfalls vor Ort in Zielen für die Infrastrukturleistung festzulegende Qualität aufweisen (zum Beispiel Theater mit eigenem Ensemble in bestimmter Größe oder lediglich Gastspieltheater)“ (ebd., S. 85).11 Daraus lässt sich folgern, dass grundsätzlich in der Bereitstellung des Angebots keine Unterschiede hinsichtlich Umfang und Qualität bereits konzeptionell angelegt werden sollten, es zugleich vielmehr auch um eine spezifische Beurteilung von Notwendigkeiten und Möglichkeiten geht. – Ortsbezogene Besonderheiten und auch die jeweiligen Bedürfnisse der Bevölkerung sollten also individuell berücksichtigt werden. Kulturpolitik als urbane Kulturförderung?

Unabhängig von den Begründungsweisen und Leitformeln kulturpolitischen Handelns (vgl. dazu Fuchs 1998), muss konstatiert werden, dass Kulturpolitik sich hauptsächlich als Förderpolitik begreift, respektive vor allem als solche wahrgenommen wird. Dies ist auch nachvollziehbar, da die Kommunen und Länder hauptsächlich durch eben diese

11 Die in die Aussage getroffene Bewertung von Qualitäten im Sinne der Ausgestaltung eines Theaterbetriebes wird an späterer Stelle bedeutsam werden: Augenscheinlich ist für die Verfasser des Abschlussberichts der Enquete-Kommission ein Gastspieltheater hinsichtlich einer Qualitätsbeurteilung in Bezug auf die Infrastruktur minderwertiger als ein Ensembletheater.

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in gewissem Maße kulturpolitisch gestalten.12 Wenn festgestellt wird, dass Kulturpolitik hauptsächlich Kommunalpolitik sei, ist dies ebenfalls zu differenzieren, denn der Schwerpunkt der Kulturförderung scheint trotz aller Überlegungen zu einer flächendeckenden versorgenden Infrastruktur in den Metropolregionen und Zentren verankert zu sein: „Kulturpolitik ist vor allem Stadtpolitik. Die meisten öffentlichen Mittel fließen in die großen Städte und Metropolen, die auch den Löwenanteil der kulturellen Infrastruktur finanzieren. Theater, Orchester, Museen, Bibliotheken, Festivals und vieles mehr – fast alles, was gut und teuer ist, findet sich in den Städten“ (Sievers u. a. 2015, S. 6). Diese Tatsache widerspricht dem grundsätzlichen Verständnis der Neuen Kulturpolitik „Kultur für alle und von allen“ als Maßgabe zu sehen, denn dieser Auftrag „ist auf städtische Gemeinwesen nicht zu reduzieren, sondern erfordert auch den Blick in die kleineren Städte und Gemeinden; denn immerhin leben – je nach Abgrenzung zwischen ‚städtisch‘ und ‚ländlich‘ – immer noch 25 Prozent der Deutschen auf fast 70 Prozent der Fläche“ (Sievers u. a. 2015, S. 6). In den städtischen Gebieten gibt es grundsätzlich mehr Angebote, was auch der Tradition der deutschen Kulturinstitutionen geschuldet ist, und in diesem Zusammenhang auch mehr Kulturpolitik im Sinne einer Förderung, Vernetzung, Unterstützung. „Weiterhin macht der Kulturfinanzbericht deutlich, dass es einen signifikanten Zusammenhang zwischen den kommunalen Kulturausgaben und der Größe der Kommune gibt: Je kleiner die Kommune, desto geringer sind die Kulturausgaben pro Kopf“ (Götzky 2013, S. 93). Diese geringeren Kulturausgaben spiegeln das Selbstverständnis der Entscheidungsträger und die Stellung von Kultur(-Politik) innerhalb der Kommunalpolitik; denn auch wenn der Kulturgestaltungsauftrag als Selbstverwaltungsaufgabe eine besondere Position einnimmt, scheint er in der konkreten Situation nicht bedeutsam zu sein – was Auswirkungen hat auf das für den Kulturbereich zur Verfügung gestellte Budget, welches wiederum die Lage bestärkt: „Die herausgehobene Stellung, die der Kulturpolitik im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltungsaufgaben zugeschrieben wird, spiegelt sich nicht im Interesse der kommunalen Verantwortlichen an diesem Politikfeld wider. Dies liegt in erster Linie daran, dass die formale Bedeutung keine finanzielle Entsprechung in den kommunalen Haushalten hat. Wichtige politische Themenbereiche sind nach Ansicht vieler Kommunalpolitiker und auch der Spitzenverbände jene mit hohen Budgets. Es fehlt folglich am Gestaltungswillen“ (ebd., S. 276).13 Zugleich bestimmt die Haushaltslage maßgeblich die Gestaltungsmöglichkeiten, denn wenn Kulturförderung als freiwillige Leistung gewertet wird, dafür aber wenige, kaum oder gar keine Finanzen eingeplant oder vorhanden sind, kann sich auch kein Wille zur Gestaltung ausformen, geschweige denn tatsächlich in diesem Sinne gehandelt werden (vgl. dazu Sievers u. a. 2015, S. 27).14

12 Siehe dazu exemplarisch Schröck 2011a, eine Analyse kommunaler Kulturpolitik, die sich hauptsächlich in Förderkonzeptionen ausgestaltet. 13 Dieses Beziehungsgeflecht verstärkt die eingangs dargestellte Korrelation, die immer wieder in leicht abweichenden Formulierungen festgestellt wird: Die Krise des Theaters ist die Krise der Theaterförderung ist die Krise der Theaterpolitik. Vgl. dazu beispielhaft Schneider 2013a, S. 21. 14 Dass diese Feststellung natürlich extreme Auswirkungen auf den Gastspielmarkt und somit auf alle Akteure der Theaterlandschaft hat, wird sich im Verlauf der empirischen Auswertung mehrfach zeigen.

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Nicht nur die Größe der Finanzbudgets ist entscheidend, auch die Wertschätzung städtischer und ländlicher Kulturangebote scheint sehr unterschiedlich. Peter Henze fordert in seinem „kulturpolitischen Pamphlet“ im Weißbuch Breitenkultur („Land | Kultur | Arbeit: Ein kulturpolitisches Pamphlet“, Henze 2014) gerade in Bezug auf diese Ungleichheit Konsequenzen: „‚Regionale Kulturförderung‘ geht immer von kleinen Beträgen aus, ‚überregionale‘ von großen. Immer noch fließen 90 Prozent von Kulturfördermitteln in die Städte, Projektförderungen der Stiftungen ergeben ein ähnliches Bild – gern gesehen sind immer wieder ‚Leuchtturmprojekte‘, Events mit Häppchencharakter und überregionaler Presse – auch wenn das nur wenige so sagen“ (Henze 2014, S. 124). Auch Thomas Renz stellt bei seiner Betrachtung der Theaterlandschaft fest: „Zum einen gibt es eine eklatante Ungleichheit des Angebots öffentlich geförderter Stadt- und Staatstheater zwischen Stadt und Land. Zum anderen gibt es in ländlichen Räumen sehr wohl Theater in vielfältiger Praxis, welche allerdings vom Theaterdiskurs und somit auch von der Theaterpolitik in Deutschland (so gut wie) gar nicht wahrgenommen werden“ (Renz 2018). Renz und Henze verweisen auf das grundsätzliche Problem: Da sich Theaterpolitik, Theaterdiskurs und Theaterförderung auf die Städte konzentrieren, sind deren Kategorien entsprechend urban geprägt und nur bedingt der ländlichen Situation entsprechend. Dies zeigt sich insbesondere im Schnittfeld von soziokultureller Arbeit und Breitenkultur. „Nachhaltig und dringend notwendig hingegen angesichts der dramatischen Strukturveränderungen auf dem Land wäre, die ‚normale alltägliche soziokulturelle Tätigkeit‘ – ‚die wir leider nicht fördern können und wollen‘ – so hören wir es oft. Natürlich ist solch eine Kulturarbeit und eine entsprechende Kulturpolitik Struktur- und Gesellschaftspolitik. Diese vorgetragenen Schlagworte bleiben indes Leerformeln, wenn dieser möglichen Erkenntnis nicht gravierende finanzielle Entscheidungen folgen“ (Henze 2014, S. 124).15 Die hier vorliegende Untersuchung beschäftigt sich nicht explizit mit der Kulturpolitik in ländlichen Regionen oder einem Vergleich von dieser zur städtischen kommunalen Kulturpolitik, daher sei an dieser Stelle auf entsprechende Studien verwiesen, die bereits auch zitiert wurden: Doreen Götzky legt mit ihrer Dissertation eine Abhandlung zur „Kulturpolitik in ländlichen Räumen“ vor, untersucht anhand des Beispiels Niedersachsens (Götzky 2013); in ihrem Fazit beschreibt sie umfassende Handlungsempfehlungen und notwendige Konsequenzen für eine erfolgreiche Kulturpolitik außerhalb der Metropolen, die sich eben (nicht mehr) auf urbane Strukturen konzentrieren oder diese immer als Vergleich herbeiführen darf. Ein umfassendes Bild von Ansatzpunkten zur kulturpolitischen Weiterentwicklung im Ländlichen sowie von Best Practice Beispielen zeigt „Vital Village“ auf. Der Sammelband widmet sich der „Entwicklung ländlicher Räume als kulturpolitische Herausforderung“ (Schneider u. a. 2017b).16

15 Die hier angesprochene Unterscheidung zwischen einer Förderung von Soziokultur und anderer Förderbereiche wird im weiteren Verlauf der Begriffsbestimmungen thematisiert: Wo, wie und warum es Abgrenzungen zwischen soziokultureller, breitenkultureller oder sogenannter hochkultureller Arbeit und Angebote gibt und welche Auswirkungen dies auf die Kulturlandschaft hat. 16 Ebenfalls sei hier erneut verwiesen auf die Forschungen von Beate Kegler zum Thema Soziokultur in ländlichen Räumen sowie die Studien von Silvia Stolz zum „Theater in der Fläche“ (Dissertation, laufendes Forschungsprojekt). Für beide siehe Stiftung Universität Hildesheim 2018.

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Entscheidend für eine Betrachtung der Theaterlandschaft und daher hier zu erwähnen sind die grundlegenden Unterschiede der Strukturen in Metropole und Provinz: neben den bereits genannten finanziellen Aspekten, der demografische Wandel sowie die Ausgestaltung von Kulturarbeit hinsichtlich Institutionalisierung und GovernanceAnsätze.17 Kulturelle Aktivitäten organisieren sich außerhalb größer Städte verstärkt institutionenunabhängig; Projekte werden initiiert, getragen und realisiert von ehrenamtlich engagierten Personen, nicht von festen professionalisierten Strukturen. Sobald diese informellen Konstruktionen sich ändern, bedeutet dies eine Veränderung im kulturellen Angebot – dies sei zunächst wertfrei festgestellt, denn schließlich können Kunst und Kultur auch von Änderungen profitieren. Zugleich besteht die Gefahr, dass, wenn gewachsene Strukturen sich ändern, Personen oder Personengruppen sich umorientieren, oder sich nicht mehr beteiligen (können), Angebote ersatzlos wegfallen (vgl. dazu „Ohne Eckki läuft nichts im Dorf“, Kegler 2017, S. 220). Doch gerade vor dem Hintergrund, dass die Kulturpolitik der öffentlichen Hand in ländlichen Regionen oftmals nur in geringem Maße gestalterische und inhaltliche Ausformungen erlebt, ist das Engagement der Bürger entscheidend: „Kulturpolitik im ländlichen Raum spielt somit meist nur da eine Rolle, wo sich kulturelle Akteure einmischen, die Beteiligung der politischen Gemeinde einfordern oder als Partner dieser auftreten. Kulturelle Bildung findet dort statt, wo sich Initiativen, Einrichtungen und Konzepte finden, die diese initiieren, fördern und wo die entsprechende Beteiligung der ländlichen Bevölkerung gelingt“ (Sievers u. a. 2015, S. 27). Die Idee einer aktivierenden Kulturpolitik, welche verschiedene Akteure zusammenbringt, um im Sinne einer Cultural Governance gemeinsame Ziele zu verfolgen, scheint also im ländlichen Raum – wenn auch mit bescheidenen Mitteln und unter semi-professionellen bis ehrenamtlichen Bedingungen – besonders wichtig. Teilweise wird dies bereits ganz praktisch umgesetzt, wie es die gerade zitierte Feststellung für die Kulturelle Bildung beschreibt. Dieser Aspekt wird im weiteren Verlauf der empirischen Betrachtung immer wieder eine Rolle spielen, Fragen der Zusammenarbeit auf unterschiedlichen Ebenen im Dienste einer gemeinsamen Sache – der breiten kulturellen Versorgung und der Ermöglichung kultureller Partizipation – bewegen sich in diesem Kontext. Zugleich stehen die Strukturen vor Herausforderungen hinsichtlich gesellschaftlicher Veränderungen: Das Land wird älter und bunter, die Metropolen größer, der ländliche Raum leerer und gerade dort steht „angesichts des demografischen Wandels [...] die kulturelle Infrastruktur vor gravierenden Umstrukturierungsprozessen. Dies betrifft alle Aspekte der Kultur – dauerhafte professionelle Strukturen vor Ort, mobile Angebote, aber auch Formen der Laienkultur und des bürgerschaftlichen Engagements und selbstverständlich auch die Kulturelle Bildung. Die Herausforderungen des demographischen [sic] Wandels sind eine Querschnittsaufgabe, die nicht in der Verantwortung und mit den Mitteln nur eines Ressorts zu finanzieren ist“ (ebd., S. 8).

17 Da der Begriff „ländlicher Raum“ in dieser Arbeit der Abgrenzung zu den urbanen, großstädtischen Strukturen dienen soll und in dieser Gegenüberstellung gebraucht wird, wird er nicht eingehender beschrieben. Zu einer Definition, respektive zu den Darstellungen, dass es „den einen ländlichen Raum nicht gibt“, sei exemplarisch auf die entsprechenden Beiträge in Schneider u. a. 2017b und auf das zweite Kapitel der Studie von Doreen Götzky (Götzky 2013) verwiesen.

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Theaterpolitik als Teil von Kulturpolitik

Kulturpolitik als Querschnittsaufgabe – darauf wird immer wieder hingewiesen und Konsequenzen in dieser Hinsicht eingefordert und dies wird auch für die weitere Argumentation maßgeblich sein. Der Begriff „Kulturpolitik“ ist dabei selbst auch eine Art Oberbegriff, er vereint in sich unterschiedliche Aufgaben und Bereiche, die jeweils ebenfalls Verantwortungen unterschiedlicher Zuständigkeiten aufweisen. Die Darstellenden Künste sind ein solcher Teilbereich. Die „Theaterpolitik“ kann also als Begriff verstanden werden, der sich auf die kulturpolitischen Aktivitäten, Prozesse und Konzeptionen im Bereich der Darstellenden Künste bezieht. Wie der Terminus „Theaterpolitik“ mit Inhalten zu füllen ist, wird auch innerhalb dieser Untersuchung immer wieder neu befragt werden. Oft ist mit einer Kultur(förder)politik, die das Theater als Gegenstand ihres Handelns sieht, eine Kulturpolitik für den professionellen Theaterbereich gemeint, das Amateurtheater als Form von Breitenkultur scheint nur bedingt wahrgenommen zu werden oder gar im Fokus der Entscheidungen und Prozesse zu stehen.18 Die Diskussionen über eine Kulturpolitik, welche die Strukturen und Rahmungen für eine Theaterlandschaft gestaltet, konzentrieren sich allzu oft nur auf Fragen der Finanzierung und der Infrastruktur, selten werden theaterpolitische Konzeptionen diskutiert und die Verwendung des Begriffs selbst wird anscheinend vermieden.19 Die Begrifflichkeiten Theaterlandschaft und Theaterpolitik beinhalten zugleich eine Einschränkung: Die Vokabel „Theater“ suggeriert immer den Bezug zu den klassischen Formaten der Darstellenden Kunst; im Sinne einer korrekten und sensiblen Ausdrucksweise sollte richtigerweise von einer Landschaft der Darstellenden Künste sowie einer Kulturpolitik für die Darstellenden Künste gesprochen werden, denn dieser Begriff beinhaltet ein weiteres Verständnis von Theaterkunst.20 Die Enquete Kultur spricht sich für eine Beachtung und Förderung dieser Landschaft der Darstellenden Künste mit ihrer besonderer Struktur aus: „Die Enquete-Kommission empfiehlt Bund, Ländern und Kommunen, die deutsche Theaterlandschaft insbesondere in ihrer Vielfalt an Kooperationen, Netzwerken und Modellen zu stärken“ (Deutscher Bundestag 2007, S. 116). Theaterpolitik solle sich also, neben der Verantwortung für eine Bereitstellung von Angeboten, auch im Sinne einer moderierenden Funktion von Kulturpolitik auf die Beziehung (und die Beziehungspflege) der unterschiedlichen Akteure und Institutionen beziehen. Darüber hinaus betont die Kommission die Notwendigkeiten der Förderung unterschiedlicher Organisationsformen, also auch der freien Theaterarbeit sowie eine

18 Siehe dazu auch die Beschreibung der Theaterlandschaft im folgenden Kapitel. 19 Vgl. hierzu auch die entsprechenden Darstellungen im einleitenden Kapitel und die Nichtverwendung des Wortes „Theaterpolitik“ im Abschlussbericht der Enquete Kultur (Kapitel 1.1). Verwiesen sei zudem ergänzend auf ein Projekt des Instituts für Kulturpolitik der Universität Hildesheim, das sich dieser Thematik widmet: https://www.theaterpolitik.de/. 20 Natürlich ist der Terminus „Theater“ eingängiger und leichter zu verwenden, vermutlich hat sich die Verwendung des Wortes auch daher etabliert; auch in dieser Arbeit werden zugunsten einer besseren Lesbarkeit und aus Gründen des sprachlichen Ausdrucks die Termini „Theaterlandschaft“ und „Landschaft der Darstellenden Künste“ gleichermaßen verwendet. Eine grundsätzliche Diskussion dessen was „Theater“ definiert und welche Formen Theaterkunst annehmen kann, ist hier nicht beabsichtigt.

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besondere Berücksichtigung des Theaters für junges Publikum und schlägt Ländern und Kommunen vor, „regionale Theaterentwicklungsplanungen zu erstellen, mittelfristig umzusetzen und langfristig die Förderung auch darauf auszurichten, inwiefern die Theater, Kulturorchester und Opern auch Kulturvermittlung betreiben, um möglichst breite Schichten der Bevölkerung zu erreichen“ (ebd., S. 117). Zwar sind im bundesdeutschen Gebiet gelingende Beispiele für Kulturentwicklungsplanungen oder konzeptbasierte Kulturpolitik zu finden, doch zugleich scheinen Forderungen nach Kulturoder Theaterentwicklungsplanungen kritisch gesehen zu werden, die Befürchtung einer zu starken Einschränkung oder Einflussnahme auf die künstlerische Arbeit schiebt sich vor die Potenziale solcher Instrumente.21 Gleichermaßen scheinen gerade im Theaterbereich Planungen zu engeren Kooperationen oftmals gleich gesetzt zu werden mit Einsparungen und einem Zusammenlegen unterschiedlicher Institutionen (vgl. dazu Föhl u. a. 2009). In dieser konkreten Handlungsempfehlung der Enquete Kultur sind zwei Aspekte enthalten, welche notwendig sind für eine konkrete Konzeptionierung von zukunftsfähigen Strukturen: Die Standortsensibilität, also der Bezug auf eine bestimmte Region, ein definiertes Gebiet: Nicht alles muss oder kann für alle überall gleich gut sein; hier zeigt sich die Bedeutung einer Dezentralität, die auch in der Idee der Landesbühne umgesetzt zu sein scheint.22 Darüber hinaus ist hier ein Fokus für Theaterpolitik im Sinne einer Teilhabe festgelegt, da die Institutionen angehalten werden sollen, möglichst breite Schichten der Bevölkerung zu erreichen. Ob und wie eine solche Forderung mit der finanziellen Ausstattung durch eine Förderung verknüpft sein sollte, wird zu betrachten sein, denn letztendlich scheint das Credo von Theaterarbeit und -förderung in vielen Fällen die Kunstproduktion zu sein und erst dann die Ermöglichung von Teilhabe oder gar partizipatorischer Prozesse. Theaterpolitik scheint demnach auch unterschiedliche Absichten haben zu können. So stellt Ulrike Blumenreich in ihrer Studie kommunaler Förderstrukturen für Freie Theaterarbeit heraus: „Zu den drei wichtigsten selbstformulierten Zielen der Kommunen zählen (a) Die Förderung der kulturellen Vielfalt und eine breite kulturelle Grundversorgung, (b) die Stärkung der Akteure sowie die Förderung von KünstlerInnen samt einer Nachwuchsförderung und (c) die Verbesserung der Rahmenbedingungen sowie der Erhalt und die Weiterentwicklung der freien Darstellenden Künste“ (Blumenreich 2016, S. 96). Schwierigkeiten in der Förderpraxis und in der konzeptionellen Ausrichtung können insbesondere durch die Abgrenzung zu anderen kulturellen Bereichen als auch zu anderen Politikfeldern entstehen: Darstellende Kunst sei nicht Soziokultur, professionelle Theaterarbeit keine Bildungsarbeit. Das scheint die Grundannahme zu sein, zugleich heißt es jedoch, Darstellende Kunst sei per se Kulturelle Bildung und Thea-

21 Als ein Beispiel sei hier die Stadt Frankfurt am Main aufgeführt: Die Neustrukturierung des Theaterfördersystems erfolgte anhand einer umfangreichen Neukonzeptionierung unter Einbezug der Akteure (einem sogenannten „partizipativen Verfahren“ (Frankfurt 2015)) sowie mit öffentlichen Diskussionen um Absichten, Ziele und Inhalte einer städtischen Förderung und stellt somit in der Praxis einen Ansatz für konzeptbasierte Theaterpolitik dar. Gleichwohl scheint bei den städtischen Akteuren teils eine Skepsis gegenüber umfassender Kulturentwicklungsplanungen vorhanden, siehe dazu exemplarisch Schröck 2011a. 22 Siehe dazu die entsprechenden Beschreibungen von Landesbühne in Kapitel 2.3 und im weiteren Zusammenhang auch Kapitel 4.1.

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terarbeit könnte soziokulturelle Tendenzen entwickeln.23 Hier wird deutlich, dass Kulturpolitik nicht nur durch die so benannten und zuständigen Ressorts und Akteure gestaltet wird, auch andere Politikfelder können durch Förderprogramme oder Bereitstellung von Infrastruktur in den Kulturbereich hineinwirken; wobei der jeweilige Fokus den Unterschied ausmacht: Als prominentes Beispiel kann hier das Programm „Kultur macht stark“ angeführt werden, das auch für Akteure der Darstellenden Künste Möglichkeiten für eine Förderung von Vermittlungsformaten bietet und die Ermöglichung von Bildungsprozessen als ein Ziel formuliert.24 Ähnlich gibt es Programme zu einer Unterstützung des ländlichen Raums, die sich mehr oder weniger explizit auch Kulturinstitutionen widmen, die jedoch die künstlerische Theaterarbeit nicht im Fokus haben, sondern sich hauptsächlich auf Maßnahmen zur Stärkung der Infrastruktur beziehen (vgl. Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft 2017). Der anhaltende Diskurs über Abgrenzungen zwischen kulturellen Feldern scheint teilweise bereits zu ermüden, wenn auch stets präsent zu sein (vgl. Jahnke 2018b). So beschäftigt sich auch beispielsweise der Bundesverband Freie Darstellende Künste aus seiner Position heraus mit Förderinstrumenten und Konzeptionen von Theaterpolitik und weist in seinem aktuellen Positionspapier darauf hin, dass die Zweckfreiheit der Kunst gewahrt bleiben müsse, und gleichermaßen spartenübergreifende Formate und Projekte der Kulturellen Bildung Berücksichtigung finden müssten (vgl. Bundesverband Freie Darstellende Künste 2018). Diese ständige Differenzierung oder auch Selbstvergewisserung, ob und wie sich die Darstellende Kunst von Soziokultur, Kultureller Bildung und partizipatorischer Arbeit abzugrenzen hat oder auch nicht, wird auch für die Betrachtung der Landesbühnen eine Rolle spielen.25 An dieser Stelle kann keine umfassende Darstellung von Theaterpolitik, dem theaterpolitischen Handeln und den theaterpolitischen Positionen gegeben werden, auffällig ist jedoch, dass im Bereich der Darstellenden Künste der Bund in den vergangenen Jahren stellenweise selbst – direkt und indirekt – aktiver wird. Die Einführung des Theaterpreises des Bundes (siehe dazu Zentrum Bundesrepublik Deutschland des Internationalen Theaterinstituts 2018) ist dafür ebenso ein Beispiel wie die in den vergangenen Jahren aufgelegten Sonderprogramme der Bundeskulturstiftung zur Förderung besonderer Zusammenarbeiten wie beispielsweise „Doppelpass“.26 Grundsätzlich scheint sich Theaterpolitik als Bereich von Kulturpolitik hauptsächlich auf die Gestaltung der Rahmenbedingungen für die Produktion und Distribution zu beziehen – welche Verantwortung sie jedoch auch in Blick auf die Rezeption übernimmt, respektive übernehmen sollte, wird im weiteren Verlauf der Untersuchung herausgearbeitet. 2.1.2 Die deutsche Theaterlandschaft Nachdem bereits in der Hinführung zur Thematik und auch im Zusammenhang mit der Beschreibung von Kulturpolitik mehrfach von einer Landschaft, von einem Netzwerk,

23 24 25 26

Siehe dazu die Darstellungen der folgenden Abschnitte in Kapitel 2.2. Siehe auch dazu die Ausführungen im Folgekapitel, insbesondere 2.2.6. Siehe dazu Kapitel 2.2 und Kapitel 4. Dieses und ähnliche Förderprogramme werden in Kapitel 3 genauer dargestellt.

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von zueinander in Beziehung stehenden Akteuren gesprochen wurde, sei hier nun diese Landschaft der Darstellenden Künste hinsichtlich der einzelnen handelnden Elemente beschrieben. Damit sind an dieser Stelle die Theatermacher, die Institutionen, Verbände und Konstellationen der Darstellenden Künste selbst und nicht die rahmengebende staatliche Theaterpolitik gemeint, auch wenn selbst diese Abgrenzung nicht ganz einfach ist, wie zu zeigen sein wird. Die deutsche Landschaft der Darstellenden Künste ist in seiner Struktur einmalig, sowohl in seiner Entwicklung als auch seinem Bestand. Grundlegend wird in der Beschreibung der Theaterarbeit eine sich voneinander abgrenzende Teilung aufgezeigt: Die öffentlich getragenen Stadt-und Staatstheaterbetriebe und Landesbühnen auf der einen Seite, die sogenannte Freie Szene als zweiter Bestandteil; auch wenn es Bemühungen gibt, diese Trennung nicht als starre Gegenüberstellung zu verwenden, sondern als eine Beschreibung zweier agiler Elemente zu sehen.27 Zudem ist die Tendenz wahrzunehmen, das Amateurtheater als weitere Säule zu etablieren, dafür spricht sich auch die Enquete Kultur mit ihrer Verwendung des Begriffs Theaterlandschaft aus (vgl. dazu Schneider 2017); und es zeigen sich erste Ansätze, diese Säulen-Systematik auch um andere Akteure zu erweitern (siehe dazu beispielsweise Renz 2018). Eine genaue Darstellung der Entwicklung des Theaters in Deutschland kann hier nicht erfolgen; die für diese Arbeit notwendige Unterscheidungen, Charakteristika und Entwicklungen werden verkürzt dargestellt und es wird eine Einordnung in mehrere Bereiche vorgenommen, die keineswegs frei von Überschneidungen und Missverständnissen ist. Entsprechend dem Ansatz, dass es sich hierbei um eine kulturpolitische und nicht um eine theaterwissenschaftliche Untersuchung handelt, soll die Theaterlandschaft im Folgenden hauptsächlich anhand ihrer Strukturen beschrieben und die Akteure durch diese differenziert werden. Professionelle Säulen der Produktion

Die Vielfalt der Organisationsformen, Arbeitsweisen und Ästhetiken zeichnet die deutsche Theaterlandschaft aus, so beschreibt auch der Deutsche Bühnenverein, der Bundesverband der Theater und Orchester,28 auf seiner Webseite die Theaterlandschaft wie folgt: „Das Bild der Theater- und Orchesterlandschaft in Deutschland wird wesentlich durch die rund 140 öffentlich getragenen Theater bestimmt, also durch Stadttheater, Staatstheater und Landesbühnen. Hinzu kommen rund 220 Privattheater, etwa 130 Opern-, Sinfonie- und Kammerorchester und ca. 70 Festspiele, rund 150 Theater- und Spielstätten ohne festes Ensemble und um die 100 Tournee- und Gastspielbühnen ohne festes Haus. Darüber hinaus gibt es noch eine unübersehbare Anzahl freier Gruppen. Diese Vielfalt ist charakteristisch für die deutsche Theaterund Orchesterlandschaft. An die Stelle eines einzigen, übermächtigen Kulturzentrums – wie dies beispielsweise Paris für Frankreich ist – tritt in Deutschland eine Fülle von Häusern, die sich hin-

27 Verwiesen sei hier auf die entsprechende Fachliteratur zu diesem Diskurs, exemplarisch auf Fülle 2016a und Fonds Darstellende Künste 2007. 28 Der im eben dargestellten Sinne auch als ein theaterpolitischer Akteur zu werten ist, da er als Arbeitgebervertretung in Beratungs- und Entscheidungsprozesse eingebunden ist, siehe dazu die Ausführungen in Kapitel 2.3.3.

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sichtlich ihrer Qualität häufig in nichts nachstehen. So gibt es überall in der ganzen Bundesrepublik die Möglichkeit, anspruchsvolles Theater zu sehen und Konzerte zu besuchen.“ (Deutscher Bühnenverein 2019)

In diesem Zitat wird die Bandbreite der Betriebsformen, Ausrichtungen und Kategorien aufgezeigt; gleichermaßen ist auffällig, dass das Amateurtheater, also das nichtberufsmäßige Theater in dieser Beschreibung der Theaterlandschaft keine Erwähnung findet – der Blick ist eingeschränkt auf die professionellen Darstellenden Künste und diese sollen auch hier als Handlungs- und Wirkungsfeld von Theaterpolitik zunächst betrachtet werden. Um sich diesen zu nähern, sollen die Definitionen des Deutschen Bühnenvereins hinzugezogen werden: In der Theaterstatistik, der jährlich erscheinenden Kennzahlen-Statistik des Bühnenvereins wird die Begrifflichkeit „Theaterunternehmen“ verwendet, deren Definition erneut eine exkludierende ist, so sind als solche zu verstehen: „Stehende [...] Theater und Landesbühnen (Wanderbühnen) mit eigenem Ensemble, jedoch nicht Tourneetheater und Laienbühnen [...] sowie Varietés und Kabaretts“ (Deutscher Bühnenverein 2016, S. 9); als öffentliches Unternehmen werden die Theater verstanden, deren „rechtliche und / oder wirtschaftliche Träger Länder, Gemeinden, Gemeindeverbände sind, unabhängig davon, in welcher Rechtsform sie betrieben werden“ (ebd.). Innerhalb der Organisation des Bühnenvereins gibt die Satzung durch die Aufteilung der einzelnen Theater in unterschiedliche Gruppen weitere Unterteilungen vor. Demnach ist ein Staatstheater ein „Unternehmen, das von einem Land, oder von einer juristischen Person betrieben wird, die ganz oder überwiegend von einem Land getragen ist“ (Deutscher Bühnenverein 2006, S. 5, § 12), ein Stadttheater ein „Unternehmen, das von einer oder mehreren Gemeinden oder einem Gemeindeverband oder von einer juristischen Person betrieben wird, die ganz oder überwiegend von diesen Körperschaften getragen ist“ (ebd.), und eine Landesbühne „ein von der öffentlichen Hand getragenes Unternehmen, das nach seinem Auftrag Aufgaben eines Theaters oder eines Kulturorchesters für ein regionales Spielgebiet erfüllt und nach dem schriftlich erklärten Willen des Rechtsträgers nicht vorwiegend seinen Sitzort zu bespielen hat“ (ebd.).29 Privattheater werden in Abgrenzung pauschal definiert, nämlich als Unternehmen, deren Verfassung nicht von den genannten Definitionen abgedeckt wird (vgl. ebd.). Daraus folgt, dass im Verständnis des Bühnenvereines alle weiteren stehenden Theater, die im Bühnenverein Mitglied sind, als Privattheater bezeichnet werden. Darunter können dann auch sogenannte Freie Theater fallen, zum Beispiel Theaterhäuser mit öffentlicher Förderung, die die Bedingungen zur Aufnahme in den Bühnenverein erfüllen können. In der Theaterstatistik wird die Definition weiter eingegrenzt: „Privattheater sind Theater mit eigener Spielstätte sowie Berufsschauspielern, deren rechtliche und wirtschaftliche Träger Privatpersonen oder juristische Personen sind und deren Gesellschafter oder Mitglieder Privatpersonen sind“ (Deutscher Bühnenverein 2016, S. 225). Im allgemeinen Sprachgebrauch wird der Begriff „Privattheater“ sehr unterschiedlich verwendet; in der jeweiligen Verantwortlichkeit von zum Beispiel Kommunen als Hauptkulturförderer stadtspezifisch in Abgrenzung zu anderen Betrieben

29 Diese Kurzdefinition des Untersuchungsgegenstands soll hier ausreichen, zur genaueren Definition siehe Kapitel 2.3.

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hinsichtlich Umsatz, Spielplangestaltung oder Arbeitsweisen.30 Im einführenden Zitat ist die eindeutige Positionierung der öffentlichen Theater als „wesentliche“ Akteure kennzeichnend – schließlich ist der Bühnenverein, der diesen Absatz veröffentlichte, Vertreter eben dieser Theater. Dabei wird allerdings auch hier die Unschärfe der Begrifflichkeiten deutlich: Wenn zuvor ein Stadt-/Staatstheater nur über die Trägerschaft definiert wurde, wird hier eine Abgrenzung zu den Theater- und Spielstätten ohne festes Ensemble gezogen, ohne diese genauer zu definieren. Die vom Bühnenverein so bezeichnete „unübersehbare Anzahl“ Freier Gruppen wird vom Bundesverband Freie Darstellende Künste auf seiner Webseite etwas genauer beschrieben, er spricht von „2.000 Freien Theater (Solo-Theater, Gruppen und Theaterhäuser)“ (Bundesverband Freie Darstellende Künste 2019) – mengenmäßig eindeutig eine größere Anzahl, jedoch oftmals deutlich kleinere Betriebsformen als die vom Bühnenverein vertretenen Theater. Genau wie nicht alle festen Theaterinstitutionen Mitglied des Bühnenvereins sind oder sein müssen, vertritt auch der Bundesverband Freie Darstellende Künste nicht alle Freien Theater. Im Jahr 2017 hat der Bundesverband über seine Mitgliedsverbände ca. 1.500 Mitglieder und repräsentiert nach eigener Aussage „rund 20.000 Theater- und Tanzschaffende in Deutschland“ (ebd.).31 Bereits diese sehr oberflächliche Darstellung der Theaterlandschaft zeigt auf, dass die sogenannten Säulen sehr unterschiedlich aufgestellt und organisiert sind. Die größte Unterscheidung mag in der Trägerschaft und somit auch in der Finanzierung liegen: das Gros der öffentlichen Fördermittel fließt in den Bereich der eigenen Institutionen, also in die Stadt- und Staatstheater und die Landesbühnen. Allerdings ist ein direkter Vergleich der unterschiedlichen Systemelemente und ihrer Finanzierung – und damit auch in gewisser Weise ihrer kulturpolitischen Wertschätzung – nur schwerlich möglich, da es keine gemeinsamen umfassenden Erhebungen gibt.32 Im Kulturförderbericht (Statistische Ämter des Bundes und der Länder 2016) werden die Ausgaben für den Bereich der Darstellenden Künste auf Bundes-, Land- und kommunaler Ebene dargestellt, eine Ausdifferenzierung in Freie Szene und öffentlich getragene Institutionen müsste einzeln innerhalb der jeweiligen Zuständigkeiten erfolgen und somit auf der untersten, der Gemeindeebene beginnen. Erschwerend kommt hinzu, dass die Förderinstrumente und auch die Bezeichnungen für Theaterarbeit nicht einheitlich definiert sind, ebenso wenig wie „Privattheater“ ein geschützter Begriff ist, kann sich auch beispielsweise die Bezeichnung „Konzeptförderung“, auf unterschiedliche Fördersummen, -zeiträume und -inhalte beziehen.33

30 Diese inkonsistente Verwendung der Begrifflichkeiten führt nicht nur zu Verwirrung, sondern erschwert auch die Vergleichbarkeit von theaterpolitischen Entscheidungen oder von Förderinstrumenten, vergleiche dazu beispielsweise Blumenreich 2016. 31 Mitglied des Bundesverbandes sind „16 Landesverbände sowie drei assoziierte Verbände“, Bundesverband Freie Darstellende Künste 2019. 32 Zu dieser Thematik der ungleichen Stellung und Behandlung siehe insbesondere Fülle 2016a. 33 Darüber hinaus sind auch die zugänglichen Daten nicht unbedingt konsistent: So wird in der Theaterstatistik das Künstlerhaus Mousonturm in Frankfurt am Main als Privattheater geführt (siehe Deutscher Bühnenverein 2016), obwohl es sich um eine städtische GmbH handelt (und sich zugleich aber als Spiel- und Produktionsort für die Freie Szene positioniert).

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Neben den unterschiedlichen Arbeitsformen und der finanziellen Ausstattung soll hier in Kürze auch eine inhaltliche Abgrenzung zwischen städtischem und Freien Theater gezogen werden. Für eine ausführliche Darstellung des Freien Theaters, seiner Geschichte und Entwicklung sowie zu den Bezeichnungen „Freie Gruppen“, „Freie Szene“, „Freies Theater“, zwischen denen in der hier vorliegenden Untersuchung keine Unterscheidung gemacht wird, sei auf die umfangreiche Studie Henning Fülles zu dieser Thematik verwiesen (Fülle 2016a). Das Stadttheater34 „firmiert [. . . ] als Denkmal bürgerlichen Gemeinsinns“ (Roselt 2013b, S. 217), es entsteht „als Kind der Aufklärung“ (ebd.) gegen Ende des 18. Jahrhunderts, durch eine Umstrukturierung der vorhandenen Hof- und Fürstenbühnen. In dieser Zeit verpflichten sich „Theater auf die Pflege der dramatischen Literatur“ (ebd.) und etablieren sich „als moralische Anstalten im Kanon der Künste“ (ebd.). Ihr Bildungsauftrag legitimiert dabei ihre öffentliche Finanzierung. Gleichzeitig werden die Theaterbauten, die oft eine „monumentale Denkmalhaftigkeit“ (ebd.) ausstrahlen, zum örtlichen und tatsächlichen Mittelpunkt einer Stadtgesellschaft. Weitere essenzielle Elemente eines typischen Stadttheaters sind der professionelle Ensemblebetrieb und in der Regel ein Repertoire-Spielplan. Die sogenannten Freien Theater, Ensembles, Kollektive, Einzelkünstler, wandten sich in den 70er, 80er Jahren des 20. Jahrhunderts von den städtischen Theatern ab und entwickelten eigene Strukturen und Ästhetiken. Die Freien Theater wollten sich explizit in ihren Arbeitsweisen, inhaltlicher, ästhetischer und organisatorischer Natur, von den Stadt- und Staatstheatern abgrenzen – ob und wie weit diese Differenzierung noch zeitgemäß und sinnvoll ist, wird zunehmend hinterfragt,35 sie soll jedoch für die nachfolgende Herleitung genutzt werden. Im Zuge der nunmehr seit Jahren andauernden Theaterdebatte und den Diskursen zu einer (deutschen) Theaterkrise wurde und wird diese Systemkonstruktion, welche aus eben diesen zwei Säulen zu bestehen scheint, intensiv diskutiert. Dabei ist „das Freie Theater“ schwer zu beschreiben, die Unterschiede zwischen einzelnen Arbeitsformen und inhaltlichen Auseinandersetzungen, welche es sicherlich auch zwischen einzelnen Institutionen innerhalb des Systems „Stadttheater“ gibt, sind in der Breite der Freien Szene enorm. „Das ‚Freie Theater‘ gibt es nicht“ (Matzke 2013, S. 259) postuliert so zum Beispiel Annemarie Matzke in ihrem gleichnamigen Aufsatz, die Einschätzungen und Beschreibungen sind sehr singulär. Eine solche – die folgende Aussage des Theatermachers Stéphane Bittouns – soll an dieser Stelle als ein Ausgangspunkt der weiteren Überlegungen dienen: „Freies Theater ist Mobilität. Das bedeutet: Freies Theater geht zu den Leuten, tourt, veranstaltet Gastspiele, geht in Schulen, geht in Kindergärten. Das Freie Theater erreicht dadurch viele Menschen und übernimmt – zumindest in diesem Zusammenhang – oft Bildungs- und soziale Aufgaben. Das Freie Theater besitzt vom Aktionstheater über das Figurentheater eine größere Bandbreite an Genres als das Stadttheater. Das Freie Theater holt die Menschen stärker dort ab, wo sie sind, und das Freie Theater leistet im Kinder- und Jugendtheater das größte Engagement“ (Fonds Darstellende Künste 2007, S. 42).

34 Der Einfachheit halber wird nunmehr Stadttheater als Sammelbegriff verwendet, der auch die Staatstheater meint. 35 Vgl. hierzu die entsprechenden Beiträge insbesondere des dritten Buchteils in Schneider 2013a.

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Die Enquete Kultur schreibt in ihrem Abschlussbericht ebenso dem Freien Theater eine Innovationskraft zu, über die es sich (in Abgrenzung zu etablierten Theaterstrukturen) definiert: „Im Freien Theater schließen sich Künstler als freie Gruppen außerhalb der Struktur von Stadttheatern, Staatstheatern oder Privattheatern zusammen, um ein oder mehrere Projekte oder dauerhaft in eigener künstlerischer und finanzieller Verantwortung zu produzieren. [...] Freies Theater repräsentiert ein breites, meist experimentelles künstlerisches Spektrum. Freie Theater erschließen neue Stoffe, Themen und Spielweisen für das Theater, arbeiten oft genreübergreifend und an theaterfremden Orten. Freies Theater erschließt neue Publikumsschichten und neue Spielorte. Eine Vielzahl künstlerischer Neuerungen der vergangenen Jahre wurde von Freien Theatern entwickelt und anschließend auch von Stadt- und Staatstheatern übernommen. Sie arbeiten zunehmend in Netzwerken im deutschsprachigen Raum und international“ (Deutscher Bundestag 2007, S. 110).36 Sie werden somit gemeinhin als Innovationskraft der Theaterlandschaft angesehen und ihnen wird eine enorme Leistung bezüglich einer Teilhabe-Ermöglichung zugeschrieben. So attestiert auch die Enquete Kultur den Freien Theatern, dass sie im Bereich Kinder- und Jugendtheater Marktführer seien (ebd.). Freie Theater sind sowohl im urbanen als auch im ländlichen Raum aktiv, ihnen werden die Attribute „flexibel“ und „mobil“ hinsichtlich der Arbeitsweisen und Produktionsstrukturen zugeschrieben. Für das Land Niedersachsen – und dies scheint übertragbar auf andere Bundesländer – ist festzustellen: „Die Mehrheit der Freien Theaterszene ist in den größeren Städten angesiedelt, aber es existieren auch zahlreiche Theater, die auf dem Land produzieren oder mit ihren Stücken und Angeboten in der Fläche touren. Als mobiles Theater sucht man sein Publikum dort auf, wo es sich befindet“ (Niedersächsisches Ministerium für Wissenschaft und Kultur 2014, S. 38). Im Sinne der Betrachtung einer Theaterlandschaft, welche nicht aus zwei parallelen Säulen bestehen sollte, weist die Enquete Kultur auf die Notwendigkeit eines Zusammenrückens der unterschiedlichen Segmente hin: „Zur Zukunftssicherung der Theaterlandschaft in Deutschland bedarf es einer kritischen Neubetrachtung, konzeptioneller Überlegungen und kompetenten gemeinsamen Handelns. Es geht nicht um ein Entweder-Oder, um Stadttheater oder Freies Theater, es geht um ein sinnvolles Nebenund vor allem Miteinander“ (Deutscher Bundestag 2007, S. 107). Auch wenn sich die Trennung beider Säulen mittlerweile aufzuweichen scheint, wird die Notwendigkeit einer Annäherung immer wieder weiterhin auch in kulturpolitischen Debatten postuliert und gleichermaßen eingefordert. Gleichwohl verstärken die unterschiedlichen Arbeits- und Produktionsbedingungen, die auch durch die jeweilige finanzielle Ausstattung und die jeweilige Standortsituationen geprägt werden, den Charakter einer Zweiteilung der Theaterlandschaft. Thomas Oberender spricht von einem „dichotomische[n] Schema“ (Oberender 2017, S. 30), also einer Struktur, die aus zwei sich gegenüberstehenden Teilen besteht, nämlich „die traditionellen Stadt-, Staats- und Landestheater auf der einen Seite, auf der anderen Seite die Strukturen des freien Theaters“ (ebd.):

36 Auch hier wieder deutlich, dass die Begriffe undeutlich verwendet werden: Die EnqueteKommission definiert Freie Theater in Abgrenzung zu den Privattheatern, siehe dazu die obigen Ausführungen zur Begriffsbestimmung.

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Tabelle 2.1: Dichotomisches Schema in vorläufiger Übersicht (Oberender 2017, S. 31)

Produktion Förderung Distribution Künstler*innen Ensemble Institution Werkform Darsteller*innen Budget Evaluierung Werdegang Spielbetrieb Vermittlungsprogramme und Diskurs

Traditionelle Struktur exklusiv Haus Haus am Heimatort Angestellte Hausensemble Kunst folgt Struktur Interpretation Interpreter*innen mehrjährig fix geförderte Institution periodisch „Hocharbeiten“ Repertoire selbst gestaltet

Freie Szene kooperativ Produzent*in Tour über Festivals und Institutionen neuen Typs Unternehmer*innen Projektensemble Struktur folgt Kunst Kreation Urheber*innen temporär gefördertes Werk ständig Selbstermächtigung En Suite von Veranstalter*innen organisiert

Diese Gegenüberstellung ist – wie Oberender selbst einschränkt – eine vorläufige Übersicht. Die grundsätzliche Gegenüberstellung von Gegensätzen scheint im Allgemeinen die Unterschiede zwischen öffentlichen Theaterbetrieben und Freier Szene abzubilden, doch es gibt natürlich innerhalb der jeweiligen Arbeit und Selbstbeschreibungen auch Abstufungen.37 Das Schema der in der deutschen Theaterlandschaft professionell Agierenden muss zudem noch erweitert werden um stehende kommerzielle Theaterunternehmen und private kommerzielle Tourneetheater; zu ersteren gehören beispielsweise die in verschiedenen Städten etablierten Musicalbetriebe. Die Tourneetheater, die auf dem Gastspielmarkt agieren, erhalten oft keine oder nur indirekte Förderung, je nachdem ob es sich um rein kommerzielle oder gemeinnützige Theaterproduzenten handelt. Eine genaue Begriffsbestimmung ist auch hier schwierig und verlangte eine detaillierte Beschäftigung. Im Zuge kulturpolitischer Diskussionen werden diese Institutionen nur marginal berücksichtigt, dennoch handelt es sich bei diesen Produzenten und Anbietern ebenfalls um wichtige Akteure, denen vor allem hinsichtlich eines Konzeptes von Cultural Governance mehr Bedeutung und Aufmerksamkeit zuteilwerden sollte. Mit der Stellung dieser Betriebsformen, ihrer Einordnung in die Theaterlandschaft sowie deren Herausforderungen und Potenzialen beschäftigt sich Claudia Borowy in ihrer Dissertation mit dem Titel „Kommerzielles Tourneetheater in ensemblelosen Gemeinden“, auf die hier verwiesen sein soll (Borowy 1998). 37 Für eine Untersuchung der Landesbühne als besonderes Element der Theaterlandschaft sind diese grundsätzlichen Charakteristika gesondert zu betrachten und zu bewerten, was in Kapitel 2.3 vorgenommen wird. Die Diskussionen um Abgrenzungen und Gemeinsamkeiten zwischen Theater in öffentlicher Trägerschaft und Freier Szene sind, wie erwähnt, anhaltend, es sei daher erneut verwiesen auf die Stadttheaterdebatte auf nachtkritik.de (nachtkritik.de 2014) und die bereits zitierte entsprechende Literatur.

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Gastspielhäuser – Element der Distribution

Ebenfalls ein weiterer wichtiger Bestandteil der Theaterlandschaft sind die zahlreichen sogenannten Bespieltheater: Spielstätten unterschiedlicher Beschaffenheit, mit diversen möglichen Trägerschaften, vielfältigen Programmen – kurzum alle Häuser, die eine Bühne für die Darstellenden Künste bieten, ohne in der Regel selbst ein Ensemble vorzuhalten und deren Existenz demnach entscheidend für eine erfolgreiche Arbeit der Landesbühnen ist.38 Die Interessengemeinschaft der Städte mit Theatergastspielen e.V. (INTHEGA) weist darauf hin, dass der Begriff „Bespieltheater“ der eigenständigen Arbeit der Gastspiel einladenden Bühnen nicht gerecht wird; die Bezeichnung „Gastspieltheater“39 wird präferiert: Diese Häuser seien nicht bloße Abspielstätten, sondern gestalteten das Kulturangebot vor Ort, erstellten einen abgestimmten Spielplan und hätten unterschiedliche Formate im Programm. Zudem gibt es aufgrund der individuellen Situationen und Standorte auch zunehmend Mischformen des Spielplanbetriebes; so hat beispielsweise das Theater Fürth eigene Inszenierungen ebenso im Programm, wie Koproduktionen und Gastspiel-Aufführungen (vgl. dazu ebenfalls Borowy 1998 sowie Scherz-Schade 2019). Die Abgrenzungen der einzelnen Formen und Begriffe sind zum Teil schwierig und nicht eindeutig: Es gibt öffentlich getragene Gastspieltheater ohne eigenes Ensemble, die dem Namen nach als „Stadttheater“ gelten (beispielsweise das Stadttheater Aschaffenburg) und als ein eben solches als zentraler öffentlicher Kulturort einer Stadt fungieren; es gibt Gesellschaften der öffentlichen Hand, die als Produktionsstätte für Freie Theater fungieren (zum Beispiel das Künstlerhaus Mousonturm in Frankfurt am Main); Freie Theaterhäuser, die im Auftrag der Gemeinde Aufgaben der Theaterversorgung übernehmen, als reine Spielstätte oder als Koproduktionspartner fungieren oder mit einem eigenen Ensemble Stücke zur Aufführung bringen (exemplarisch seien ebenfalls aus Frankfurt das Freie Theaterhaus und das Theaterhaus Ensemble genannt); es gibt Kooperationsmodelle, bei denen Freie Theater und Stadttheater kontinuierlich zusammenarbeiten und noch vieles weiteres mehr. Dabei kann es sein, dass die Begrifflichkeiten in Kommunen, Bundesländern und auf Bundesebene in ihrer Bedeutung variieren. So ist nicht jedes „Landestheater“ eine Landesbühne, ebenso wenig wie jedes „Stadttheater“ ein festes Ensemble haben muss, wenn es als Gastspielbetrieb organisiert ist, geschweige denn, dass „Freie“ Theater gänzlich unabhängig von der öffentlichen Hand agieren könnten und nicht minder als zentraler Kulturort einer Stadt fungieren können.40 Die Gastspielhäuser und Gastspielveranstalter werden, auch im Hinblick auf eine wissenschaftliche Betrachtung, im Vergleich zu den anderen Akteuren in der Theaterlandschaft noch wenig wahrgenommen. Sowohl im öffentlichen Diskurs, als auch in der theaterpolitischen Auseinandersetzung werden sie erst seit Kurzem beachtet.

38 Und die wiederum auch von der Landesbühnenarbeit in gewisser Weise abhängig sind, hierzu sei vorab verwiesen auf Kapitel 4. 39 Auch die Abgrenzung dieser Begriffe zueinander und zu der Bezeichnung „Gastspielort“ wird uneindeutig und inkonsistent geführt, dies wird aufgegriffen in Kapitel 4.1.3. 40 Auf die Bedeutung der Namen und Benennung sowie die Ungenauigkeiten in Zuschreibungen und die daraus entstehenden Missverständnisse wird an späterer Stelle erneut eingegangen.

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Silvia Stolz hat sich der Thematik angenommen und beforscht in ihrer Dissertation die Bedeutung von Gastspieltheatern in der Fläche (vgl. Stiftung Universität Hildesheim 2018 und siehe Stolz 2019); ebenso widmet sich Thomas Renz der Gastspieltheaterstruktur und deren Bedeutung in einem Beitrag für „Kulturelle Bildung online“ (Renz 2018). Auch unter den Gastspieltheatern gibt es große Unterschiede, die Finanzierung, die Betriebsform und die Geschichte der Häuser sind sehr divers: So gibt es beispielsweise Theater, welche aus Sparmaßnahmen ihren eigenen Produktionsbetrieb einstellen oder stark reduzieren mussten oder Häuser, die sich als Kulturzentren verstehen und nur einen Teil des Programms mit den Darstellenden Künsten gestalten. Renz beschreibt weiterhin, dass die Arbeitsweise dieser Häuser der Produktionsweise von Festivals ähnlich sei, mit dem großen Unterschied, dass es in den Gastspieltheatern in der Regel kein eigenes fest angestelltes künstlerisches Personal gibt. Zugleich „schaffen [sie] durch Programm- oder Abonnementreihen, Öffentlichkeitsarbeit und Marketing sowie persönlicher Präsenz vor Ort ähnliche Angebote und lokale Marken wie Stadttheater mit eigenem Ensemble und unterscheiden sich in vielen organisatorischen Merkmalen nicht von denen“ (ebd.). Insbesondere in Bezug auf die Professionalität und die Ausstattung gibt es ebenfalls sehr große Unterschiede: „Häufig sind diese Bespieltheater Teil einer kommunalen Verwaltung. Dann ist die Kulturamtsleitung auch gleichzeitig Theaterleitung oder delegiert diese. Einige werden auch durch Kulturvereine getragen, welche häufig auf eine lange Tradition bürgerschaftlichen Engagements für ein eigenes Stadttheater zurückblicken können und in der Regel professionelles Personal stellen, somit in Organisation und Haushaltsvolumen nicht von anderen professionellen Theatern zu unterscheiden sind“ (ebd.). Die Gastspielhäuser sind – eben weil sie nicht selbst produzieren – in einer besonderen Situation, denn sie sind nicht nur abhängig von den Angeboten der produzierenden Theatern, sondern für diese umgekehrt unverzichtbare Partner im Dienste einer kulturellen Teilhabe-Ermöglichung: „Der Verband INTHEGA beansprucht, für 15 Millionen Menschen in Deutschland den Zugang zum professionellen Theater zu gewährleisten“ (ebd.). Da Gastspielhäuser maßgeblich für die Distribution von Darstellender Kunst in der Fläche und somit für kulturelle Teilhabe und eine flächendeckende kulturelle Infrastruktur verantwortlich zeichnen, plädiert Thomas Renz dafür, sie als eigenständiges Element der deutschen Theaterlandschaft zu beachten, wahrzunehmen und zu stärken. Er stellt diese Forderung in den Zusammenhang mit einer Kritik am urban orientierten Diskurs: „Die Autoren der Amateurtheaterstudie 2015 haben das Amateurtheater als ‚dritte Säule‘ neben dem etablierten Stadt- und Staatstheater sowie dem Freien Theater ausgerufen [Renz u. a. 2014]. Dadurch sollte deutlich gemacht werden, dass der Diskurs um Theater nicht nur von den Angeboten der etablierten, großstädtischen Theater bestimmt werden muss. Über eine Erweiterung dieses Modells um eine ‚vierte Säule‘, dem Gastspieltheater, lohnt es sich nachzudenken!“ (Renz 2018). Dass diese Institutionen mehr Beachtung verdienen und benötigen, scheint auch auf Ebene des Bundes wahrgenommen zu werden, so richtet sich der Theaterpreis des Bundes 2019 erstmalig „auch an Häuser, die über kein festes Ensemble verfügen“ (Zentrum Bundesrepublik Deutschland des Internationalen Theaterinstituts 2018) – damit wird diese nichtproduzierende Theaterform zumindest punktuell in eine Vergleichbarkeit mit anderen Institutionen gehoben und der Fokus auf die Ensemble- und Repertoirebetriebe nicht ausschließlich beibehalten.

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Amateurtheater – Theater als Breitenkultur

In der eben zitierten Aussage Thomas Renz’ wird erneut deutlich, was auch die Enquete Kultur einfordert: Das Amateurtheater sollte als weitere wichtige Säule der Theaterlandschaft verstanden werden (vgl. dazu Schneider 2017). In den vergangenen Jahren hat sich der Diskurs dahingehend erweitert, dass dieser Bereich der Landschaft der Darstellenden Künste zunehmend wahrgenommen wird: Die nicht-professionelle Theaterarbeit ist an Bedeutung nicht zu unterschätzen und hinsichtlich ihrer quantitativen Erscheinungsformen tatsächlich ein sehr umfassender Teil der Theaterlandschaft. Der Bund Deutscher Amateurtheater beziffert diese in seinem Jahresbericht von 2017: „Zum 31.12.2017 waren in diesen 18 Mitgliedsverbänden insgesamt 2476 Mitgliedsbühnen registriert, darunter Vollmitglieder, Kleinstbühnen, Einzelmitglieder, Freilichtbühnen, Schulbühnen und Figurentheater“ (Bund Deutscher Amateurtheater 2018, S. 6); diese beeindruckende Zahl wird ergänzt durch die Feststellungen der Studie Amateurtheater in Niedersachsen, denn in diesen Mitgliedsbühnen spielen „geschätzt 100.000 Laien ehrenamtlich Theater [...] und [sollen] jährlich etwa 8 Millionen Zuschauer erreichen“ (Götzky u. a. 2014, S. 3) – und es ist davon auszugehen, dass längst nicht alle bestehenden Amateurtheatergruppen Mitglied in diesem Bundesverband sind. Mit einer Diskussion um Anerkennung des Amateurtheaters als gleichberechtigten Teil der Theaterlandschaft geht die Diskussion über Abgrenzungen einher: Oftmals ist die Bewertung einer künstlerischen Qualität verbunden mit dem Professionalisierungsgrad der Wirkenden. Die Akteure des dualen Systems sind in der Regel professionell arbeitende Organisationen und damit sind sowohl betriebliche Formen des Stadt- und Staatstheaters als auch der Freien Szene gemeint, im Amateurtheater gibt es nur vereinzelt Formen der Anstellung oder finanziellen Honorierung. Genauso wie jedoch auch im Amateurtheater professionell arbeitende Künstler in Produktionen oder die Theaterarbeit im Allgemeinen eingebunden sein können, gibt es auch in den Stadttheatern und in der Freien Szene zunehmend Arbeitsformen, welche nicht-professionelle Akteure einbeziehen. Diese Formen sind oftmals kritischer Gegenstand für Diskussionen über (künstlerische) Qualität, Aufgabenbereiche des öffentlichen Theaters sowie (notwendige und argumentativ vorgeschobene) Abgrenzungen und Grenzverschiebungen zu anderen künstlerischen Arbeitsweisen mit pädagogischen oder anderweitig zweckgebundenen Ansätzen wie Spracherwerb, integrative Arbeit oder Konfliktmanagement. Verkürzt: Wo fängt Kunst an und hört Pädagogik oder Sozialarbeit auf und umgekehrt.41 Unabhängig von künstlerischen Inhalten, Formen und handwerklichen Qualitäten ist es Tatsache, dass das Amateurtheater bei weitem nicht die gleiche kulturpolitische Aufmerksamkeit erhält wie die professionell arbeitenden Theater, weder in ideeller Anerkennung noch bei finanziellen Zuwendungen. „Es gibt zwar mehr als zehn Mal so viele Amateurtheater als Stadttheater, aber von den rund drei Milliarden Euro jährlich, die aus öffentlichen Mitteln in die Theaterlandschaft fließen, erhalten die Amateurtheater noch nicht einmal ein Promille“ (Götzky u. a. 2014, S. 7). Allerdings scheint dies für die Amateurtheater nur bedingt ein tatsächliches Problem zu sein, denn eine weite-

41 Verwiesen sei hier vorab auf die Diskurse um partizipatorische Formate sowie Inhalte, Absichten und Qualitäten von Kultureller Bildung, die in Kapitel 2.2 thematisiert werden.

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re Erkenntnis der Studie über die Strukturen des Amateurtheaters in Niedersachsen ist, dass viele der Akteure nicht von Fördermöglichkeiten wissen und diese auch gar nicht unbedingt als notwendig erachten: „Auffällig ist, dass neben der Unbekanntheit der Förderer (49%) ein ebenfalls großer Teil der Theater keiner Förderung bedarf (43%). Dieser Wert deckt sich mit den eher niedrigen Jahresumsätzen kleiner Theatergruppen, welche mit ihrer finanziellen Situation offenbar zufrieden sind“ (ebd., S. 34). Doch – wie auch bereits dargestellt – sind Kulturförderung und Kulturpolitik oftmals auch gedanklich miteinander verbunden, Amateurtheater scheint hinsichtlich seines Rufs, seiner Qualität und seiner Bedeutung im gesamten theaterpolitischen Kontext nur marginal wahrgenommen zu werden und nur geringe Wertschätzung zu erfahren, gerade auch im Vergleich zu anderen Phänomenen und Angeboten der Breitenkultur aus den Bereichen Tanz und Musik – professionelles Theater und Amateurtheater scheinen zwei Welten, die klar durch eine unterschiedliche Bewertung voneinander getrennt scheinen. So scheint „der Ruf und der Stellenwert des Amateurtheaters in der Kommunalpolitik nicht dem Ruf des Theaters im Allgemeinen zu entsprechen. Generell wird Theater als bildungsbürgerlicher Ort verstanden, als wichtiger Bewahrer einer Kulturtradition und zunehmend als Vermittler von Kultureller Bildung. [...] Amateurtheater scheinen in lokalpolitischen Diskussionen von diesem positiven Ruf allerdings selten zu profitieren. Im Gegensatz beispielswiese [sic] zum Breitensport oder zum Laienmusikwesen scheinen sie vor allem in ländlichen Räumen seltener als Akteure des Gemeinde- und Kulturlebens wahrgenommen zu werden“ (ebd., S. 1 f.).42 Das Amateurtheater ist grundsätzlich ein Akteur der städtischen und der ländlichen Theaterlandschaft, in ländlichen Gebieten scheint es flächendeckend präsent zu sein, wie exemplarisch am Beispiel Niedersachsen dargestellt werden kann (siehe dazu Renz u. a. 2014).43 Die Studie zeigt zugleich erneut den Unterschied zwischen urbanen und ländlichen Regionen auf, in denen sich die professionell arbeitenden Theater hauptsächlich verorten: „Es gibt keine relevanten ‚weißen Flecken‘ mit Regionen oder Orten, an denen nicht Theater gespielt wird. Allerdings fällt auf, dass Amateurtheater überwiegend in Kleinstädten und kleinen Gemeinden beheimatet sind [...] Die Hälfte [...] ist in kleinen Gemeinden mit bis zu 5.000 Einwohnern angesiedelt, insgesamt sind 75 Prozent [...] in Kleinstädten bis maximal 20.000 Einwohnern beheimatet. Dies ist ein erstes Indiz dafür, dass Amateurtheater vor allem ein breitenkulturelles Phänomen in ländlichen Räumen darstellt“ (ebd., S. 114 f.). In den Städten und Metropolregionen zeigt sich ein anderes Bild: „Natürlich gibt es Amateurtheater auch in Großstädten, diese sind sich untereinander sehr ähnlich, unterscheiden sich allerdings stark von der Mehrheit der Amateurtheater in ländlichen Räumen. Die Theater in Großstädten haben eher eigene Theaterräume, hängen zum Teil infrastrukturell mit Stadt- und Staatstheatern zusammen und inszenieren häufiger. Auch erhält ein höherer Anteil finanzielle

42 Für eine kurze Darstellung in welcher Weise Amateurtheater Gegenstand eines theaterwissenschaftlichen Forschungsinteresses wird, nämlich oftmals in Verbindung mit dem institutionalisiertem professionellem Theater, beispielsweise hinsichtlich des Bürgerbühnen-Formats oder mit Blick auf die Zielgruppe junger Menschen als Schultheater siehe Götzky u. a. 2014 – beide Aspekte werden im Folgekapitel kurz thematisiert. 43 Auch wenn sich die Auswertung nur auf einen Anteil aller existierender Theater bezieht, nämlich auf die, welche an der Befragung teilgenommen haben, lässt sich eine Tendenz nachweisen.

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Förderung und sie verfügen eher über Systemkenntnis in Bezug auf Förderstrukturen“ (ebd.). Amateurtheater in der Stadt ist also stärker in die Strukturen von professioneller Theaterarbeit und Theaterförderung eingebunden; Amateurtheater im ländlichen Raum übernimmt eine wichtige Rolle im Sinne einer breiten Teilhabe und trägt im aufgezeigten Verständnis somit einen Teil kulturpolitischer Verantwortung (vgl. Landesverband Amateurtheater Baden-Württemberg 2016). Publikum – die Seite der Rezeption

Amateurtheater definiert sich über die Beteiligten: Nicht-professionelle Aktive produzieren gemeinsam, entwickeln, spielen. Man könnte auch sagen: Das Publikum, das von den professionell arbeitenden Theatern adressiert wird, gestaltet sein eigenes Theater. Doch Amateurtheater hat wiederum Publikum, das nicht selbst spielt und Amateurtheater kämpft auch dagegen an, nur als Vermittler und Bindeglied zum Publikum gesehen zu werden.44 Die Besucher von Theater, die Zielgruppen der Theaterarbeit, werden bei der Beschreibung der Theaterlandschaft nur bedingt berücksichtigt: Verständlich, da das Hauptaugenmerk auf den Produzenten und Anbietern der Darstellenden Kunst liegt. Zugleich zeigt dies aber auch, dass die (kulturpolitische) Aufmerksamkeit immer auf dem Produzieren und Distribuieren und nicht dem Rezipieren liegt – eben auf den Schwerpunkten einer Theaterpolitik, die sich hauptsächlich als Förderpolitik versteht.45 Das Publikum, eine große inhomogene Masse,46 ist auf unterschiedliche Weise in Verbänden oder Zusammenschlüssen organisiert, die, wenn auch nicht Hauptgegenstand dieser Untersuchung, zumindest Erwähnung finden sollten. Auch hier zeigen sich verschiedene Konzepte: So gibt es beispielsweise Formen der selbstorganisierten Arbeit, in welchen sich die Zuschauer als Förderer und Unterstützer positionieren, wie beispielsweise Fördervereine oder Freundeskreise. Welche Bedeutung Theaterfördervereine haben können, wurde aktuell am Beispiel der Stadt Frankfurt am Main erforscht: Theresa Victoria Leonhardt betrachtet in ihrer Studie „Aus der Krise geboren. Theaterfördervereine und ihre Protagonisten in Frankfurt am Main seit 1924“ das bürgerschaftliche Engagement und den Einsatz der Bürgerschaft für die Städtischen Bühnen in Frankfurt – und stellt eine Verbindung her, dass gerade in für das Theater schwierigen Zeiten, die Unterstützung von Privatpersonen, Stiftungen und der Zivilgesellschaft entscheidend sein können (vgl. Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main 2018). Im Sinne eines Governance-Ansatzes ist das Phänomen eines solchen Einsatzes und der Einbezug zivilgesellschaftlichen Engagements wichtig und die durch solche Vereine entstehende Bindung zu den Institutionen kann gerade vor dem Hintergrund von Spardebatten bedeutend sein, da hierdurch weitere Stimmen zur Unterstützung eines Betriebs mobilisiert werden könnten.47 44 Das Amateurtheater wird im weiteren Verlauf genauer betrachtet, siehe dazu Kapitel 2.2.4. 45 Das Missverhältnis zwischen Angebot und Nachfrage das dadurch entsteht, beschreibt Thomas Schmidt unter dem Schlagwort „Produktions- und Überproduktionskrisen“ (Schmidt 2017, S. 91–103); in dieser Arbeit wird eine Schwerpunktverschiebung von Angebot zu Teilhabe im weiteren Verlauf angesprochen. 46 Zumindest solange man diese nicht in unterschiedliche Interessensgruppen fasst, siehe dazu die Ausführungen zu einer Zielgruppenorientierung in Kapitel 2.2. 47 Ebenfalls mit dieser Thematik, jedoch in Bezug auf Museen und Institutionen der Bildenden Kunst, haben sich Carsten Baumgarth und Marina Kaluza beschäftigt: Baumgarth u. a. 2012.

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Neben diesen besonderen Freundeskreisen und Fördervereinen, die unterschiedlich benannt und strukturiert sein können, gibt es auch Organisationsformen, die sich selbst als Schnittstelle sehen, wie die Theatergemeinden. Diese „vermitteln als gemeinnützige Organisationen ermäßigte Karten für Theater und Konzerte. Sie informieren über das Theater- und Konzertgeschehen, sie unternehmen Theater- und Kulturreisen ins In- und Ausland. Sie organisieren Museumsbesuche, Vorträge, Diskussionen und bieten auch den Blick hinter die Kulissen. Die Theatergemeinden machen für Sie Kultur zu einem gemeinsamen Erlebnis“ (Bund der Theatergemeinden 2019). „Der Bund der Theatergemeinden vertritt mit seinen Vereinen rund 80.000 Kulturfreunde in ganz Deutschland“ (Bund der Theatergemeinden 2018). Einen Abriss über die Geschichte und einen Ausblick auf die aktuellen Herausforderungen dieser Publikumsvertretungen gibt Michael Grill in seinem Beitrag in der Publikation „Theater in der Provinz“.48 Er beschreibt unter anderem die kulturpolitische Bedeutung der Theatergemeinden, sie „profilieren sich als moderne Plattformen für Kulturleben und -diskurs“ (Grill 2019, S. 200), sie mischten sich ein und seien vor allem auch Unterstützer in Diskussionen um Legitimation und Rechtfertigung von Theaterinstitutionen. Der Rat für darstellende Kunst und Tanz im Deutschen Kulturrat ruft auch aus diesem Grunde ebenfalls zu einer Wertschätzung auf und unterstreicht die Bedeutung der inhaltlichen Arbeit und der Serviceangebote der Publikumsorganisationen, denn sie „sind dem Gemeinwohl verpflichtet und vermitteln zwischen Kulturinstitutionen und Publikum. Sie bieten zahlreiche Zusatz- und Begleitangebote an, um einerseits für die Bühnen Publikum heranzubilden und zu verstetigen, und um andererseits für die Nutzer von kulturellen Angeboten Service und Komfort zu steigern“ (Rat für darstellende Kunst und Tanz im Deutschen Kulturrat 2016). Darüber hinaus sind solche Vereine auch wichtige Förderer und Unterstützer, durch finanzielle Mittel aber auch durch wertschätzendes symbolisches Handeln, wie zum Beispiel der Verleihung von Ehrenpreisen (vgl. ebd.). Das Publikum als Zielgruppe, als Kunde und als Unterstützer: in unterschiedlichen Funktionen werden die Menschen wahrgenommen, an die sich die Darstellenden Künste richten. Gerade diese Zuschauer sind existenziell für Theater, das in seinem klassischen Verständnis bedeutet, dass jemand etwas vor jemandem spielt – ein Betrachter ist also zunächst grundsätzlich notwendig, damit ein Theatererlebnis stattfinden kann.49 Die Rezeptionsseite sollte also in den Darstellungen von Theaterlandschaft unbedingt berücksichtigt werden, ist sie doch – je nach Betrachtung – Teil oder sogar Mittelpunkt einer kartografischen Darstellung von Theaterlandschaft. Dass dabei die scharfen Grenzen zwischen Schauendem und Spielendem zumindest punktuell immer mehr verschwimmen, leitet über zu der Betrachtung von Konzepten von Partizipation, deren Bedeutung und Erscheinungsformen. Bevor sich jedoch diesem Themenfeld gewidmet wird, gilt es, die einzelnen Elemente der Theaterlandschaft in Beziehung zueinander zu setzen.

48 „Publikumspflege im Wandel. Theatergemeinden in der Stadt, in der Provinz, am besten überall“, Grill 2019. 49 Die grundsätzliche Debatte dessen, was Theater bedeutet, wie es sich konstituiert, ist an anderer Stelle ausführlich geführt worden; es sei daher auf die entsprechenden theatertheoretischen und theaterwissenschaftlichen Abhandlungen verwiesen, exemplarisch: FischerLichte 2009 und Balme 2014.

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Theaterlandschaft als Netzwerkstruktur

Diese kurze Beschreibung der einzelnen Segmente einer vielfältigen und diversen Theaterlandschaft ist lediglich eine Skizze, gleichwohl eine, welche aufzeigt, dass eine intensive Beschäftigung mit den einzelnen Bestandteilen notwendig ist. Sie verweist auch darauf, dass Kulturpolitik diese Theaterlandschaft ermöglicht und gestaltet durch finanzielle Unterstützung, rechtliche Rahmengebung und die grundsätzliche Bestätigung und Selbstvergewisserung, dass die Darstellenden Künste elementarer Bestandteil unserer Kulturlandschaft und somit einer kulturellen Infrastruktur für Teilhabe sind. Deutlich wird selbst bei einer verkürzten Darstellung der Situation und Entwicklung der einzelnen Elemente, dass diese ein differenziertes Netzwerk bilden: Kein Theater agiert völlig frei innerhalb des Theatersystems. Neben den allgemein gültigen Einordnungen und Beschreibungen ist der Blick auf den Standort, auf den jeweiligen Mikro-Kosmos maßgeblich: Welche Akteure mit welchen Funktionen und welcher finanzieller Unterstützung Verantwortlichkeiten übernehmen, kann ortsspezifisch stark variieren. In einer Großstadt, in der es mehr professionell produzierende Institutionen gibt, kann das Amateurtheater anders arbeiten als in Gebieten mit geringerer Bevölkerungsdichte und weniger Angeboten des professionellen Bereichs. Ein Freies Theater mit Spielstätte in einer Stadt kann als Stadttheater fungieren, ebenso wie ein Gastspielhaus für eine Region Kulturzentrum sein kann. In diesen Gastspielhäusern und ihrer Programmgestaltung wird auch ganz praktisch deutlich, dass eine Betrachtung der Landschaft der Darstellenden Künste eine interdisziplinäre sein muss: Unter dem Begriff subsumieren sich nicht nur Sprechtheater und Oper oder Tanz, sondern auch Kleinkunst, Mischformen, bezogen auf das Genre und auf die Beteiligten; szenische Lesungen und konzertante Aufführungen sind nur zwei Beispiele für Grenzbereiche, genau wie Poetry Slams, die auch als eine Form der darstellenden Lyrik gewertet werden könnten. Welche Schwerpunkte innerhalb der Programmgestaltung gelegt werden, ist ebenfalls abhängig von der Situation und den Entscheidungen der jeweiligen Theaterpolitik, den zugesprochenen oder abgesagten Förderungen, ebenso wie von der Publikumsstruktur und den anderen vorhandenen Angeboten, die als Konkurrenz oder als Ergänzung gewertet werden können. Die Landschaft der Theaterschaffenden und der Theaterinstitutionen steht natürlich in Berührung mit anderen Segmenten der Kulturlandschaft: Partner, auch Konkurrenten, Unterstützer und Nachbarn finden sich in soziokulturellen Zentren, außerschulischen Lernorten, Schulen sowie in weiteren Kulturinstitutionen wie Museen, Konzerthäusern, Veranstaltungsorten und so weiter. All diese Akteure befinden sich in einem Netzwerk der Beziehungen zueinander, untereinander und verdeutlichen die Komplexität des kulturpolitischen Feldes der Theaterlandschaft. Das Netzwerk Theaterlandschaft soll als Grundlage für die folgenden Überlegungen dienen, denn immer, wenn Kulturpolitik gestalterisch oder regulierend in dieses Netz eingreift und bestimmte Stellschrauben bewegt, ergeben sich daraus selbstverständlich Konsequenzen für die gesamte Landschaft. Das folgende Schaubild, Abbildung 2.1 „Akteure im Netzwerk Theaterlandschaft“, soll als Übersicht schematisch die Komplexität der Theaterlandschaft darstellen, die sich eben nicht auf eine reine Säulen-Landschaft reduzieren lässt. Die Positionierung der einzelnen Elemente soll zunächst keine Bewertung ihrer Stellung innerhalb des Netzwerks bedeuten; eine Verfeinerung und Überprüfung dieser Darstellung und der Beziehungen der Akteure zueinander wird im weiteren Verlauf der

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Untersuchung durchgeführt. Es geht zunächst darum, die Vielfalt der Theaterlandschaft vereinfacht darzustellen, die Diversität der Strukturen abzubilden.50 Bereits durch diese einfache Skizze wird deutlich, welch kompliziertes Beziehungsgeflecht sich ergeben könnte, wenn die einzelnen Elemente sich gegenseitig gleichermaßen wahrnehmen würden, sowohl im Sinne einer Beachtung als auch mit Blick auf mögliche Interaktionen, und wenn Kulturpolitik das gesamte Geflecht entsprechend ganzheitlich betrachten würde. Eine ausführliche Netzwerkanalyse für die gesamte deutsche Theaterlandschaft scheint weder sinnvoll, noch wäre sie in einem angemessenen Rahmen durchzuführen. Für einzelne Regionen ist eine Detailuntersuchung jedoch durchaus möglich und erstrebenswert, gerade in Hinblick auf mögliche Kulturentwicklungsplanungen und konzeptbasierte kulturpolitische Entscheidungen. Ein Beispiel für eine solche Analyse ist die „Kulturentwicklungskonzeption für die Modellregion Landkreis Hildburghausen und Landkreis Sonneberg“, die sich nicht ausschließlich auf die Darstellenden Künste, sondern auf die gesamte Kulturlandschaft bezieht und eine „Visualisierung der Governance-Strukturen in der Modellregion mittels einer Netzwerkanalyse“ (Föhl u. a. 2014) beabsichtigt. Norbert Sievers und Patrick Föhl betonen in dem Kontext von Kulturentwicklungsplanungen wie wichtig es sei, Beziehungsstrukturen zu berücksichtigen – und dies gilt entsprechend eben auch für die Betrachtung von Konzeptionen im Bereich der Darstellenden Künste: „Zu den Aufgaben der Kulturpolitik und -planung zählen [...] nicht mehr nur die Entwicklung der kulturellen Infrastruktur und die Verteilung von Subventionen [...], sondern auch die ‚Gestaltung‘ von Relationen, also Beziehungen. Als befähigende und ermöglichende Politik geht es hierbei vor allem darum, nicht-staatliche Akteure in Wirtschaft und Gesellschaft zur Kooperation und Koproduktion zu ermuntern und Engagement fördernde Rahmenbedingen zu gestalten, damit sich kulturelle Szenen und kreative Milieus selbst entwickeln können“ (Föhl u. a. 2013, S. 77). Theaterpolitik trägt die Verantwortung, die Theaterlandschaft nicht nur als ein Konstrukt unterschiedlicher Elemente zu betrachten, sondern auch hinsichtlich der Beziehungen dieser zueinander verantwortungsvoll, die Freiheit der Einzelnen achtend – also eher aktivierend denn regulierend – einzuwirken. Ein Netzwerk gestaltet sich durch unterschiedliche Akteure in differenzierten Machtpositionen und insbesondere die Handlungen dieser Akteure, die daraus resultierenden Konsequenzen und sich ergebenden hierarchischen Positionierungen eröffnen Ansätze für eine gegenstandsbezogene Forschung. Die Abhängigkeiten und Abgrenzungen durch zugeschriebene Charakteristika und Beziehungsmuster zeigen auf, wo Reformen (ein-)greifen könnten, ebenso wie sie Herausforderungen und Potenziale markieren können. Sie sind somit eine Grundlage für die zu formulierenden Forschungsfragen dieser Untersuchung, denn insbesondere in dem Teilbereich der Theaterlandschaft, der sich als Gastspielmarkt definiert, sind die Verbindungen der Akteure entscheidend für die Ausgestaltung.51

50 Nicht abgebildet werden hier Überschneidungen und Kooperationsformate, wie beispielsweise institutionalisierte Formen des Amateurtheaters, die an einem Stadttheater angegliedert sein können. 51 Darauf wird in Zusammenhang mit der Beschreibung der Landesbühnen als kulturpolitische Akteure näher eingegangen, siehe dazu das folgende Kapitel, insbesondere 2.3.3, dort und in

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2.1.3 Theaterlandschaft und Theaterpolitik auf dem Prüfstand Theaterpolitik und Theaterlandschaft bedingen einander, sie selbst stehen als zwei Systeme zueinander in Relation, bilden also wiederum auch eine eigene Netzwerkstruktur (vgl. Sievers 2013). Insofern ist eine wissenschaftliche Betrachtung dieses Feldes immer auch eine Untersuchung dieser Beziehung, denn Theaterlandschaft und Theaterpolitik sind miteinander verbundene Kausalitäten. Kulturpolitik soll im Sinne der Prämisse „Kultur für alle und Kultur für allen“ breite Teilhabe ermöglichen. Hierfür stehen unterschiedliche Instrumente zu Verfügung: Theaterförderung kann durch unterschiedliche Maßnahmen kurz- oder langfristige Vorhaben ermöglichen; Förderprogramme zielen darauf ab, längerfristige Strukturen zu entwickeln (deren Nachhaltigkeit jedoch in Frage gestellt werden muss), und durch die Einrichtung von Institutionen, die von der öffentlichen Hand finanziert und beauftragt werden, findet eine Verantwortungsübergabe, respektive -teilung statt: Diese Betriebe übernehmen die Aufgabe und stehen somit in der Pflicht, kulturelle Angebote bereitzuhalten und Teilhabe zu ermöglichen. Um also die Idee von Teilhabe als Konzept innerhalb der kulturellen Infrastruktur zu befragen, ist es notwendig, den Blick auf eben diese Akteure zu richten: Wie gestalten sich ihre Strukturen, was sind Freiheiten und Zwänge, welche Beauftragung führt zu welchem Handeln und welche Schwerpunktsetzungen sind in diesem Rahmen (noch) möglich? Wie konstituiert sich ihr Selbstverständnis, welche Funktionen und welche Relevanz schreiben sie sich selbst zu und wie beeinflusst dies ihre Arbeit? Damit verbunden ist die Befragung der jeweils vorhandenen Konzepte von Teilhabe ebenso wie von der Theaterkunst an sich – zwischen diesen beiden besteht auch eine Abhängigkeit zueinander, welche im Folgekapitel skizziert werden soll. Diese Auffassungen wiederum stehen natürlich in Zusammenhang mit der Beauftragung der Institutionen und schließlich steht Kulturpolitik in der Pflicht, zu gewährleisten, dass diese Akteure in der Lage sind, ihren Aufgaben nachzukommen: „Staatlich-kommunales Handeln zum Schutz und zur Unterstützung von Kunst und Kultur durch deren Förderung, die Sicherung ihrer infrastrukturellen Grundlagen und die Schaffung kulturfreundlicher Rahmenbedingungen bildet die eine zentrale Dimension von Kulturpolitik“ (Wagner 2011, S. 44). Wie in der Einleitung aufgezeigt, scheinen die Darstellenden Künste in Deutschland ein Relevanzproblem zu haben: Nur wenige ausgewählte Menschen nehmen am öffentlich bereitgestellten Angebot teil, die Bedeutung der Darstellenden Künste wird minder geschätzt und im Zuge finanzieller Debatten oftmals gegen andere Teilbereiche unserer Gesellschaft ausgespielt. Theaterlandschaft und Theaterpolitik hinsichtlich der zugrunde liegenden Konzepte zu überprüfen, kann auch dazu dienen, aufzuzeigen, welche Argumente in Haushaltsverhandlungen als Fürsprecher fungieren könnten und welche Akteure und Beziehungen in dieser Hinsicht gestärkt werden müssten. Kulturpolitische Konzepte und theaterpolitisches Handeln konzentrieren sich meist auf die ersten beiden Teile der künstlerischen Verwertungskette: Produktion und Distribution stehen im Fokus und dabei scheint der Förderschwerpunkt klar auf der Produktion: Theaterbetriebe werden gefördert, um Theaterkunst zu produzieren und als Bildungsinstitutionen zu fungieren; die Theaterhäuser der Distribution, die Gastspiel-

Kapitel 3.1 werden auch der Netzwerkcharakter und eine mögliche Analyse der Netzwerkstrukturen genauer beschrieben.

62 | Landesbühnen als Reformmodell

häuser, leiden unter mangelnder Aufmerksamkeit, schwindender Beachtung und sich immer weiter reduzierender finanzieller Zuwendung. Eine Gastspielförderung für das Freie Theater ist auch (noch) nicht flächendeckend und ausreichend etabliert. Die Idee des klassischen Stadttheaters als Ensemble- und Repertoirebetrieb scheint das Maß aller Dinge – bei allen Ansätzen, das Freie Theater als möglichst gleichberechtigte Form zu etablieren oder die Gastspielhäuser in ihrer Bedeutung zu stärken. Welche Stellung innerhalb der Kulturpolitik die Rezeption im Sinne einer Teilhabe und Teilnahme einnimmt, wird im Fokus dieser Arbeit stehen, beginnend mit den Beschreibungen im nächsten Kapitel. Bevor dort ausführlich über den Partizipationsbegriff gesprochen wird, muss bereits hier im Zusammenhang mit theaterpolitischen Fragestellungen und Reformbedarfen hervorgehoben werden, dass dieses Feld seitens der Kulturpolitik anscheinend – im Vergleich zu den anderen Bereichen – immer noch etwas stiefmütterlich behandelt wird, trotz aller positiver Entwicklungen in diesem Bereich (siehe dazu beispielsweise die Ergebnisse der Studie „Lernorte oder Kulturtempel“, Keuchel u. a. 2010). Eine Konzentration von Theater(-angeboten) in den Ballungszentren ist eindeutig, sie entspringt dem einzigartigen Stadttheatersystem. Diese Grundstruktur zeigt jedoch auch die Ungerechtigkeiten auf, die Landschaft scheint, trotz vieler Grenzverschiebungen, geprägt durch viele Klüfte: zwischen Stadt und Land, zwischen „eigenem“ Theater und Bespieltheater, zwischen professioneller und nicht-professioneller Theaterarbeit, um nur einige aufzuzählen. Neben den rein faktischen Bewertungen, also der reinen quantitativen Ballung in den großen Zentren, schwingt bei dieser Frage immer auch ein bewertender Aspekt mit. Gastspielhäuser gibt es eben überwiegend in den ländlicheren Regionen: „Die Namen der Städte bilden ein Potpourri der deutschen Provinz: Paderborn, Papenburg, Peine, Pirmasens, Pirna, Plochingen und so weiter und so fort. Großstädte finden sich so gut wie gar nicht auf dieser Liste, da dort öffentliche Theater mit eigenem Ensemble existieren und nur sehr selten darüber hinaus auch parallel Gastspielproduktionen eingekauft werden“ (Renz 2018); und auch die Enquete Kultur – wie oben stehend zitiert – versieht das Gastspieltheater mit einem „lediglich“ (siehe oben und Deutscher Bundestag 2007, S. 85). Allerdings muss auch befragt werden, ob sich in der Theaterpraxis diese Differenzierung und die Unterschiede zwischen Stadt und Land, zwischen einem „richtigen“ Theater und einem, das als „lediglich“ gilt, wirklich bemerkbar machen, oder ob es eher eine behauptete Differenzierung ist. Hier setzt das Forschungsinteresse dieser Arbeit an: Wie verorten sich in diesem Gefüge die Ensembletheater, die den expliziten Auftrag haben, diese Gastspielhäuser zu bedienen? Welche Rolle können sie übernehmen, um diese Differenz zu überwinden?52 Eine qualitative Bewertung von Institutionen und deren Struktur – auch wenn sie unbegründet, vorverurteilend stattfindet, sagt viel aus über die erwarteten Kernaufgaben von Theater: Das Ideal scheint die eigenständige professionelle Kunstproduktion zu sein, nicht die partizipatorische oder theaterpädagogische Arbeit. Doch kann eine solche Zuschreibung eines Verständnisses noch haltbar sein? Sollten nicht längst Mischformen ebenso in die Kernkompetenz von Theater fallen, als solche verstanden werden und müsste dementsprechend Theaterpolitik nicht darauf reagieren? Die Grenzen zwischen professioneller und nicht-professioneller Theaterarbeit verschwimmen

52 Oder ist dies gar nicht die Absicht? Die Beschreibung des Gegenstands und der anhand seiner Untersuchung zu stellenden Forschungsfragen folgt in Kapitel 2.3.

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zunehmend, wenn auch hauptsächlich in Projekten und nicht in struktureller Hinsicht. Was von manchen als Gefahr einer Deprofessionalisierung und Eingriff in die Kunstautonomie angesehen wird, könnte doch auch einen Impuls geben für eine Befragung von theaterpolitischen Prämissen.53 Wenn man Kulturpolitik als Gesellschaftspolitik ernst nimmt, braucht es eine konzeptionelle Hinwendung zu der Ermöglichung kultureller Teilhabe, flächendeckend, egal ob in der Stadt oder auf dem Land; wenn man Kulturpolitik im Sinne eines Governance-Ansatzes versteht, braucht es den Einbezug unterschiedlicher Akteure, egal ob professionell, semi-professionell oder nicht-professionell, braucht es das Verständnis von Theaterlandschaft als agiles Netzwerk und ein Bewusstsein für die dort vorherrschenden Beziehungen und Abhängigkeiten: Denn diese Landschaft gestaltet sich nicht nur als Netzwerk, sondern auch als ein Markt für Theaterarbeit und in einem solchen herrschen andere Regeln und Bedingungen – auch darauf wird im weiteren Verlauf eingegangen. Möchte man das Verständnis von Theater – als Kunst und als Institution – befragen und zugleich die Theaterlandschaft in ihrer Struktur auch hinsichtlich der in ihr vorhandenen Relationen und etablierten Hierarchien respektive Abgrenzungen der Akteure zueinander untersuchen, scheint das Theater in der Provinz als das richtige Feld, denn außerhalb der Metropolen treffen alle Elemente der Theaterlandschaft aufeinander. Die kulturelle Vielfalt in den ländlichen Regionen wird oftmals nicht wahrgenommen, obwohl gerade dort Potenziale vorhanden sind: „Die positiven Auswirkungen der Stärkung regionsinterner, endogener, dezentraler, auf Partizipation aufbauender Prozesse auf alle gesellschaftlichen Bereiche (integrierte Regionalentwicklung) werden in der Kulturförderung manchmal ausgeblendet. Die Förderung kultureller Vielfalt sollte genauso anerkannt werden wie kulturelle Spitzen- und Leuchtturmförderung“ (Deutscher Bundestag 2007, S. 138). Grundlegend für die weiteren Herleitungen, und als roter Faden für diese Untersuchung zu sehen, ist eine ständige und wiederholende Befragung von Theaterpolitik und Theaterlandschaft – auch in ihrem gegenseitigem Verhältnis zueinander: Denn genau so wie Strukturen durch politische Rahmensetzungen gestaltet werden, prägen Landschaften und ihre Akteure politische Prozesse und diese sind als kulturpolitische Entscheidungen und Handlungen zu bewerten (im Sinne eines umfassenden, nicht auf staatliche Akteure reduzierten Kulturpolitikbegriffs). Die Fragestellungen dieser Arbeit beruhen also auf einer kritischen Betrachtung sowohl der Landschaft der Darstellenden Künste als System als auch des dahinterstehenden kulturpolitischen Verständnisses und Handelns. Dass dabei unterschiedliche Interessen und Schwerpunktsetzungen aufeinandertreffen, ist nicht nur unvermeidbar, sondern kann zugleich als Potenzial genutzt werden, um aufzuzeigen, welche konkreten Baustellen im Theaterland Deutschland anzugehen wären. Ausgangspunkt ist auch hier wiederum eine Feststellung der Enquete Kultur, die mit den folgenden Aspekten ein „‚kulturpolitisches Grundmodell‘ für die Sicherung der kulturellen Infrastruktur in Deutschland“ (ebd., S. 86) beschreibt: „Aufgabe der Kulturpolitik ist es, Konsens über die Sicherung der kulturellen Infrastruktur [...] herbeizuführen“ (ebd.), maßgeblich für diesen Konsens sei es, die „Handlungsfelder

53 Zur Thematik der Deprofessionalisierung forscht unter anderem Jens Roselt, siehe dazu exemplarisch Roselt 2012.

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(kulturelles Erbe, Künste, kulturelle Bildung, Medien etc.) durch die öffentliche Hand herauszuarbeiten, [...] auf dem die jeweiligen Aktivitäten des öffentlichen Verantwortungsträgers basieren“ (ebd.); um die Qualität der Infrastruktur und der Angebote in diesen Feldern zu sichern, brauche es Standards, die, als volatil angesehen, nur bedingt festgelegt werden könnten, aber diskutiert und beschrieben werden müssten. Verantwortungspartnerschaften und deren „aktive Gestaltung“ (ebd.) werden als „nahezu unverzichtbar für die Erfüllung des öffentlichen Auftrages“ (ebd.) bewertet und schließlich weist die Enquete Kultur auf das Portfolio der möglichen Instrumente der öffentlichen Hand hin, „insbesondere die Bereitstellung von Ressourcen und Fördermitteln sowie die Gestaltung der rechtlichen Rahmenbedingungen“ (ebd.). Theaterpolitik ist also hinsichtlich der Theaterlandschaft auf genau diese Punkte zu überprüfen: Wie stehen die Handlungsfelder, auch hinsichtlich Wahrnehmung und Wertschätzung, in Bezug zueinander? Mit Blick auf kulturelle Teilhabe also auch das Zusammenspiel zwischen der Wahrung des kulturellen Erbes, der (zeitgenössischen) Künste und der Kulturellen Bildung? Welche Aktivitäten in wessen Verantwortung sind diesen Felder zuzuschreiben, gibt es Konzentrationen auf bestimmte Bereiche? Zeichnen sich Standards und Qualitäten in der Infrastruktur der Theaterlandschaft ab, wie können diese nicht nur betrachtet, sondern auch fokussiert und konzeptionell (neu) gefasst werden? Welche Aufgaben und Zielsetzungen sind wie innerhalb der Theaterlandschaft verteilt und welche (neuen) Partnerschaften können oder sollten hierzu neu initiiert werden? Und nicht zuletzt: In welchem Verhältnis stehen Erwartungshaltung, Beauftragung und Absichten zu den zur Verfügung gestellten Ressourcen und Möglichkeiten? Sind Spielräume vorhanden und wie werden diese genutzt? Welche Rolle spielen Sonderförderprogramme für die Erfüllung des Auftrages? Die inhaltliche Ausrichtung der jeweiligen Arbeit der Institutionen, die Gestaltung ihrer Theaterarbeit und ihre Reichweite im Sinne des Spielgebiets als auch der Besucherstruktur, muss situations- und standortspezifisch befragt werden: Braucht es wirklich (noch) mehr Theater für mehr Menschen? Oder: Welches Theater braucht es wo für wen (und mit wem)? Damit ist nicht unbedingt die künstlerische Ausrichtung gemeint, sondern vielmehr die Funktion, die Theater als Institution und als Kunstform übernehmen kann.

2.2 PARTIZIPATION ALS KULTURPOLITISCHES KONZEPT IN DEN DARSTELLENDEN K ÜNSTEN Es wurde nun bereits mehrfach und ohne konkretere Differenzierung von „Partizipation“, von „Teilhabe“ gesprochen und auch die Begriffe „Kulturvermittlung“ und „Kulturelle Bildung“ sind im Zusammenhang mit den einführenden Beschreibungen von Kulturpolitik und Theaterlandschaft gefallen. Dieses Kapitel dient der Klärung von Definitionen, Funktionszuschreibungen und Verständnissen von Partizipation: Mit einer Beschreibung unterschiedlicher Absichten, Wirkungsweisen und Erscheinungsformen von partizipatorischen Prozessen wird in die Thematik eingestiegen. Teilhabe und Kulturvermittlung sind immer auch im Kontext einer Differenzvorstellung zu beschreiben und zu verstehen: Wenn jemand teilhat, hat jemand anderes nicht teil, wenn ich etwas vermittle oder vermitteln muss, heißt dies, dass eine Distanz (wie geartet auch immer) zu überwinden ist. Die Betrachtung der Negativseite, also beispielsweise derer, die nicht teilhaben (können, wollen), ist also für ein Verständnis von Teilhabe-

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Ermöglichung und einer Untersuchung der damit verbundenen Konzepte unabdingbar, weswegen Erkenntnisse aus der Nicht-Besucherforschung für die vorliegende Arbeit und eine kulturpolitische Einordnung und Bewertung der Landesbühnenarbeit wichtige Ansatzpunkte liefern können. In der Beschreibung der Theaterlandschaft wurde bereits sichtbar, dass das Amateurtheater eine Sonderstellung einnimmt, auch dieses kann hinsichtlich konzeptioneller Überlegungen zur Teilhabe als Impulsgeber fungieren: Denn schließlich definiert sich diese Theaterform nicht über seine künstlerischen Inhalte, sondern durch die Personen, die an der künstlerischen Arbeit teilhaben. Ebenso muss das Kinder- und Jugendtheater hinsichtlich partizipatorischer Konzepte betrachtet werden, da in diesem Feld die Verankerung von Teilhabe eine grundständig andere zu sein scheint, als im Theater für allgemeines oder erwachsenes Publikum. Dieses Kapitel abschließend werden Fragestellungen formuliert, die sich auf eine Kulturpolitik für Partizipation beziehen, mit der Absicht, sich dem Gegenstand weiter anzunähern und weitere Grundlagen für die vorliegende Analyse zu legen.54 2.2.1 Definition, Formen und Ziele „Kultur für alle und von allen“ – dieser Leitsatz der Neuen Kulturpolitik bezieht sich zwar in seiner Formulierung und in seiner Absicht auf die gesellschaftliche Allgemeinheit, doch in der praktischen Umsetzung und der Realität unserer Kulturlandschaft, muss der Blick genau auf die tatsächlich Reichweite kultureller Angebote gerichtet werden und unterschieden werden zwischen Aspekten von Angebot und Nachfrage, sowie der tatsächlichen (aktiven) Teilhabe an künstlerischen Aktivitäten und kulturellen Veranstaltungen. Zugleich wird der Begriff Teilhabe inflationär und synonym mit dem Terminus Partizipation verwendet und scheint unterschiedliche Bedeutungszuschreibungen je nach Forschungs- und Interessenfeld zu erfahren.55 Der Begriff muss also in Bezug auf die Darstellenden Künste und im Kontext der dargestellten kulturpolitischen Grundsätze beschrieben werden. Der Gedanke des Teilhabens ist für die Darstellenden Künste vielleicht noch mehr als bei anderen Kunstformen essenziell: Um ein Theatererlebnis entstehen zu lassen, braucht es – in einem grundsätzlichen Verständnis von Theater – unterschiedliche Beteiligte: jene, welche künstlerisch kreativ tätig sind und somit Theater spielen und solche, die dieses Ereignis rezipieren, die an der Darstellung im Sinne eines Betrachters, Zuhörers teilhaben. Dies ist natürlich eine sehr verkürzte Darstellung, denn der Zuschauer selbst ist ebenso wenig rein passiver Konsument, wie der Darstellende rein Produzierender ist: Auch die einzelnen Ensemble-Mitglieder haben Teil an der gemeinsamen Aktivität, auch der Zuschauer kann unterschiedlich aktiv an der Entstehung eines theatralen Momentes teilhaben und auch die eigene Wahrnehmung beziehungs-

54 Teile dieses Kapitels dienten als Grundlage für zwei wissenschaftliche Artikel der Autorin, die im Rahmen der International Conference on Cultural Policy (ICCPR) 2016 in Seoul, sowie der Konferenz des International Theatre for Young Audience Research Network (ITYARN) 2017 in Kapstadt präsentiert wurden: Schröck 2016 und Schröck 2017b. 55 Siehe hierzu exemplarisch die Betrachtungen hinsichtlich bildungspolitischer, sozialpolitischer und kulturpolitischer Verantwortungen in der Publikation „Partizipation als Programm“, Schneider u. a. 2017a.

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weise Stellung innerhalb dieser Grundkonstellation kann differieren.56 Es gilt also eine Unterscheidung zu treffen, welche unterschiedlichen partizipatorischen Prozesse Theater beinhalten, anstoßen oder auch verwehren kann. Bevor sich der Funktion, den Möglichkeiten, der Zielsetzung und der Implementierung des Konzeptes „Partizipation“ in den Darstellenden Künsten genähert wird, sei zunächst auf die rechtlichen Grundlagen eingegangen, welche die kulturpolitischen Zielsetzungen begründen. Teilhabe als Menschenrecht

Die Idee von Partizipation und Teilhabe kann unterschiedliche Ansätze haben: Zunächst ist eine Teilhabe möglichst vieler an den kulturellen Angeboten einer Gesellschaft eine grundständig demokratische Überzeugung. Jeder, egal wie alt, welchen Geschlechts, welcher Herkunft, egal welchen Bildungsstands, wo er wohnt, was er verdient, muss die Möglichkeit erhalten, an Kunst und Kultur zu partizipieren. – Dies ist nicht lediglich die Überzeugung einer kulturpolitischen Strömung oder nur eine aktuelle Leitformel politischen Handelns, sondern Menschenrecht, wie im Artikel 27 („Freiheit des Kulturlebens“), Absatz 1 der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“ ausgedrückt: „Jeder hat das Recht, am kulturellen Leben der Gemeinschaft frei teilzunehmen, sich an den Künsten zu erfreuen und am wissenschaftlichen Fortschritt und dessen Errungenschaften teilzuhaben“ (Generalversammlung der Vereinten Nationen 1948).57 Dieses Grundrecht wird in seiner Bedeutung insbesondere für junge Menschen auch in der UN-Kinderrechtskonvention betont. Im Artikel 31 wird in Absatz 1 festgelegt: „Die Vertragsstaaten erkennen das Recht des Kindes auf Ruhe und Freizeit an, auf Spiel und altersgemäße aktive Erholung sowie auf freie Teilnahme am kulturellen und künstlerischen Leben“ (Generalversammlung der Vereinten Nationen 1989). Absatz 2 des Artikels verpflichtet zugleich die Vertragsstaaten, diese Teilnahme zu ermöglichen, auch durch die Bereitstellung eines entsprechenden Angebots: „Die Vertragsstaaten achten und fördern das Recht des Kindes auf volle Beteiligung am kulturellen und künstlerischen Leben und fördern die Bereitstellung geeigneter und gleicher Möglichkeiten für die kulturelle und künstlerische Betätigung sowie für aktive Erholung und Freizeitbeschäftigung“ (ebd.). Hilmar Hoffmann leitete von diesen Grundrechten den grundsätzlichen kulturpolitischen Gestaltungsauftrag ab, der sich in einer Verantwortung für eine flächendeckende kulturelle Infrastruktur äußert und der die Grundauffassung von Kulturpolitik als Gesellschaftspolitik bestätigt: „Jeder Bürger muss grundsätzlich in die Lage versetzt werden, [kulturelle] Angebote in allen Sparten und mit allen Spezialisierungsgraden wahrzunehmen und zwar mit einem zeitlichen Aufwand und einer finanziellen Belastung, die so bemessen sein muss, dass keine einkommensspezifischen Schranken aufgerichtet werden. Weder Geld noch ungünstige Arbeitszeitverteilung, weder Fami-

56 Verwiesen sei an dieser Stelle auf die grundsätzlichen Abhandlungen über die Theorie des Theaters sowie die Funktion von Darstellendem und Zusehendem, sowie die verschiedenen Praktiken, die eine solche klassische Trennung zu überwinden suchen; exemplarisch seien hier Formate wie beispielsweise das „unsichtbare Theater“, oder als neuere Entwicklung die vielerorts populär gewordene Verwendung von neueren Technologien genannt, welche die klare Einstufung in die Rollen des Betrachters oder des Betrachtenden zu überwinden versuchen, beispielsweise durch Einbezug von Elementen der sogenannten Augmented Reality. 57 Im zweiten Absatz des Artikels wird das Recht auf Urheberschaft beschrieben, siehe ebd.

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lie oder Kinder noch das Fehlen eines privaten Fortbewegungsmittels dürfen auf die Dauer Hindernisse bilden, die es unmöglich machen, Angebote wahrzunehmen oder entsprechende Aktivitäten auszuüben“ (Hoffmann 1979, S. 11). Deutlich wird bei dem Blick auf die Formulierungen der Menschenrechte und durch dieses Zitat Hilmar Hoffmanns, dass es nicht nur um eine einseitige Beteiligung geht: Nicht nur um das Rezipieren, sondern auch um die eigene Tätigkeit. Hoffmann legt Wert auf die gleichwertige Beachtung des Erlebens von Kunst und Kultur, also der Möglichkeit, Erfahrungen durch Rezeption zu machen und der Ermöglichung, selbst kreativ tätig zu werden. Was Hofmann als „kulturelles Lernen“ bezeichnet, beschreibt die grundlegende Idee von Prozessen Kultureller Bildung als Lern- und Bildungsprozess verbunden mit einer Selbstermächtigung: „Eine kritische Forderung alternativer Kulturpolitik ist das kulturelle Lernen. Über die Ausbildung aktiver Wahrnehmung mittels kultureller Medien soll jeder Mensch dazu befähigt werden, sich die ihm angebotenen Fertigkeiten und Informationen zu erwerben und nach Erlangung kultureller und sozialer Kompetenz selbst produktiv zu werden“ (Hoffmann 1979, S. 54).58 Kulturpolitisches Handeln sollte also immer berücksichtigen, dass es nicht nur um die Ermöglichung von Zugängen für Erleben von Kunst und Kultur im Sinne eines Zuhörens, Zusehens oder Dabeiseins gehen sollte, sondern auch um die Eröffnung von Möglichkeiten, eigene kreative und gestalterische Handlungen auszuführen. Diese beiden Seiten einer Medaille59 werden für die vorliegende Untersuchung mit entscheidend sein, denn bei einer Betrachtung von Konzepten zur Partizipation muss demnach immer auch berücksichtigt werden, inwiefern sich die Angebote für Teilhabe im Sinne eines Besuchs, eines eher passiven Konsums, darstellen, oder ob und wie sie auch das Mitmachen oder das eigene Produzieren ermöglichen oder fördern. Bevor auf diese Unterscheidung und die damit verbundenen Konsequenzen eingegangen wird, muss ein weiteres, in diesem Kontext entscheidendes, Menschenrecht aufgeführt werden: Das allgemeine Recht auf Bildung wird in Artikel 26 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte beschrieben, im zweiten Absatz wird darüber hinaus festgelegt: „Die Bildung muss auf die volle Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit und auf die Stärkung der Achtung vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten gerichtet sein“ (Generalversammlung der Vereinten Nationen 1948). Hier stellt sich der Zusammenhang zwischen Kultur und Bildung her: Bildung sollte dazu dienen, die Menschenrechte – und damit auch das darin inkludierte Recht auf kulturelle Teilhabe – zu stärken; und angesichts eines weiten Verständnisses von Kultur in Bezug auf das gesellschaftliche Zusammenleben der Menschen, das wiederum geprägt und geformt wird durch die einzelnen Individuen, ihrer Haltungen, Handlungen und Persönlichkeiten, ergibt sich auch hier eine enge Verbindung. Die Ermöglichung von Teilhabe im Sinne einer Kulturellen Bildung kann dabei verschiedene Wirkungsabsichten verfolgen. Grundsätzlich geht es um die Befähigung und Ermächtigung, gesellschaftsgestaltend tätig zu werden und um die individuelle

58 Zu den Auswirkungen und den Aktualitäten von Hoffmanns Pamphlet „Kultur für alle“ sei verwiesen auf Schneider 2010a. 59 Insbesondere im Kinder- und Jugendtheater scheint diese Doppelseitigkeit ein geflügeltes Wort geworden zu sein – und gleichermaßen scheint auch in diesem Feld das Zusammendenken dieser beiden scheinbar sich gegenüber stehenden Ansätze (Theater sehen und Theater spielen) fest etabliert zu sein, siehe dazu die Ausführungen im entsprechenden Kapitel 2.2.5.

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Weiterentwicklung im Sinne des menschenrechtlichen Verständnisses einer Persönlichkeitsentfaltung. Teilhabe kann demnach unter anderem die Absicht haben, politisierend, emanzipativ, bildend oder unterhaltend zu wirken. Diese Unterteilung der Absichten, die unterschiedlich motiviert seien können, soll als Einstieg in die differenzierte Herleitung der Begriffsverwendung dienen, da diese die Komplexität von Teilhabe bereits darstellen: „politisierend: aufklärend motiviert, häufig aktivistisch ausgerichtet (auch agitierend); emanzipativ: demokratisch motiviert, zielt auf Ermächtigung und Mitbestimmung; bildend: didaktisch motiviert, will Bildungsinhalte und Kompetenzen vermitteln; unterhaltend: spielerisch motiviert, auf Animation, Erleben und Aktion zielend“ (Seitz 2012, S. 7).60 Zur Verwendung der Termini

Die Möglichkeit des Einzelnen, an der Gesellschaft teilzuhaben; die Gesellschaft, die geformt wird durch das Teilnehmen der Einzelnen an gesellschaftlichen Aushandlungsprozessen – dieser Zusammenhang verstärkt die demokratietheoretische Bedeutung von Teilhabe und einer Ermöglichung dieser. Vanessa-Isabelle Reinwand-Weiss verwendet diesen Kontext für eine Begriffsabgrenzung und Beschreibung eines Konzeptes von Teilhabe: „Teilhabe ist mehr als Partizipation. An etwas zu partizipieren heißt, mitzumachen. Teil an etwas zu haben, heißt dagegen, es grundlegend mitzugestalten, vielleicht sogar Teil davon zu sein oder im Prozess zu werden. Teilhabe beschreibt also ein Konzept, in dem der bzw. die Einzelne nicht nur mitmachen darf an einer Sache, sondern ein Teil von ihr wird und das wiederum bedeutet, dass der bzw. die Einzelne das Ganze ausmacht. Teil zu haben und dadurch letztlich auch Verantwortung zu übernehmen, stellt also ein grundlegendes demokratisches Prinzip dar“ (ReinwandWeiss 2017, S. 253). Diesen grundsätzlich demokratischen Aspekt von Partizipation hebt auch Jörg Zirfas hervor, der die Prozesse von Teilhabe im Sinne einer Mitgestaltung und Beteiligung versteht: „Ganz allgemein bezieht er [der Begriff Partizipation] sich auf die Möglichkeit bzw. Wirklichkeit der Selbst- oder der Mitbestimmung gemeinschaftlicher Belange des Zusammenlebens, wobei unter Bestimmung Beratung (Mitsprache), Entscheidung (Mitwirkung) und Umsetzung (Mitbestimmung) gemeint sein kann. Partizipation ist damit per se ein Vermittlungsprinzip zwischen den Individuen und den allgemeinen, sozialen oder politischen Institutionen. Idealiter wäre dann das politische Ganze (das totum einer Gemeinschaft, einer Gesellschaft, eines Staates etc.) im Einzelnen (pars) und jedes Einzelnen im Ganzen repräsentiert“ (Zirfas 2015). Die daraus entstehende Überzeugung, dass Beteiligung immer auch Funktionen eines Mittlers übernehmen kann, macht Teilhabe zugleich zu einem politischen Prozess, durch den Aspekte des gesellschaftlichen (Zusammen-)Lebens ausgehandelt werden. Dies gilt insbesondere auch für das hier betrachtete Politikfeld. Versteht man Kulturpolitik zudem nicht nur als die staatlichen Akteure und ihr Handeln, sondern grundsätzlich als Vermittlerin zwischen allen am Kunstprozess Beteiligten (vgl. die obigen Ausführungen und Scheytt 2008), dann verstärkt sich die Bedeutung von Teilhabe im Sinne einer Möglichkeit, Gesellschaft gerade auch im Kulturbereich mitzugestalten. Die in

60 Hanne Seitz hat diese Unterteilung auf die zeitgenössische Theaterarbeit bezogen und geht dabei von den von Silke Feldhoff erarbeiteten Wirkungsabsichten partizipatorischer Arbeit in der Bildenden Kunst aus. Siehe dazu Feldhoff 2011.

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diesem Prozess Einbezogenen, die Partizipierenden, sind somit an kulturpolitischen Entscheidungsprozessen und Handlungen beteiligt.61 Entgegen der inhaltlichen Begriffsbestimmung und Abgrenzung zwischen Teilhabe und Partizipation, die Reinwand-Weiss vornimmt, wird im allgemeinen Sprachgebrauch Partizipation als „das Teilhaben, Teilnehmen, Beteiligtsein“ (Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften 2019) verstanden und auch im Diskurs um eine Teilhabe-Ermöglichung oder gar -gerechtigkeit sowie in kulturpolitischen Forderungen zu einer umfassenden Teilhabe werden oftmals die Termini Teilhabe und Partizipation gleichermaßen und austauschbar verwendet, ohne dass auf eine notwendige Differenzierung geachtet wird (vgl. hierzu insbesondere Renz 2016, S. 35 ff.). Grundsätzlich scheinen beide Begriffe immer eine Abgrenzung zu beschreiben, so versteht auch der Duden unter dem Verb partizipieren den Vorgang „von etwas, was ein anderer hat, etwas abbekommen; teilhaben“ (Duden online 2019). Grundsätzlich bedeutet Teilhabe also auch, dass ein Anderer, das Gegenüber immer etwas abtreten muss; die Frage in welcher Bestimmung und Hierarchie dies geschieht, also wer über welchen Teil wie entscheidet, der abzugeben wäre, bleibt dabei zunächst offen, ist jedoch für eine Betrachtung kulturpolitischer Konzepte durchaus entscheidend, da sich hier eine Machtfrage impliziert: Wer hat die Entscheidungsgewalt, in welcher Weise und mit welcher Absicht der Andere etwas von dem Eigenen abbekommt, oder darüber, wer sich in welcher Weise in die Handlungsvollzüge und Entscheidungsprozesse einbringen darf oder kann. Im Kultur-Thesaurus der Publikation „Vital Village“ wird Partizipation in Bezug auf eben diese Teilhabe an Prozessen beschrieben, es geht also um den Einbezug in Handlungsvollzüge und somit der Herstellung eines gemeinschaftlichen Prozesses sowie gemeinsam verantworteter Entscheidungen: „Partizipation ist ein Sammelbegriff für unterschiedliche Formen und Ebenen von Beteiligung und geht über eine reine Teilnahme hinaus. Im deutschsprachigen Raum wird Partizipation auch als Teilhabe bezeichnet. Der Begriff wird im Allgemeinen definiert als eine Beteiligung der Teilhabenden an gemeinsamen Entscheidungen über die Gestaltung von Prozessen und deren Zielausrichtung“ (Kegler u. a. 2017a, S. 197); die Autoren grenzen weiterhin den Begriff der kulturellen Teilhabe ein, die „definiert [wird] als aktive Mitwirkung an kulturellen und gesellschaftsgestaltenden Prozessen der Menschen vor Ort. Dabei können künstlerische Prozesse eine Rolle spielen“ (Kegler u. a. 2017a, S. 198). Kulturelle Teilhabe bezieht sich hier also vor allem auf eine gesellschaftliche Teilhabe, die auch durch künstlerische Handlungen erfahrbar gemacht werden kann – im gleichen Glossar werden künstlerische Prozesse als Formate beschrieben, die auf der „Grundidee und Rahmensetzung von professionellen Kunstschaffenden“ (ebd., S. 198) aufbauen und durch Künstler initiiert und durchgeführt werden. Mit dieser Definition wird die Begrifflichkeit der Teilhabe in Bezug auf Kunst und Kultur durch eine weitere Komponente erweitert, nämlich die Unterscheidung zwischen professioneller und nicht-professioneller künstlerischer Tätigkeit. Durch diese Beschreibung wird der Distanzeffekt, welcher der Verwendung der Begriffe zu eigen ist, noch einmal unterstrichen: Bei den Diskussionen und Betrachtungen von partizipatorischer Arbeit in den

61 Dieser Gedanke spielt insbesondere im Kontext der Positionierung der Landesbühne als kulturpolitischer Akteur innerhalb der Theaterlandschaft eine entscheidende Rolle und wird daher in Kapitel 2.3 genauer betrachtet.

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Künsten wird meist davon ausgegangen, dass Menschen an einem Projekt teilhaben, das von professionellen Akteuren gestaltet und angeboten werden. Es gilt also immer die Frage von Entscheidungsmöglichkeiten und Machtverhältnissen innerhalb eines solchen Prozesses zu beachten, insbesondere auch hinsichtlich einer mehrseitigen Wirkung von Teilhabe, nämlich sowohl in Bezug auf die beteiligten Institutionen als auch auf die involvierten Individuen.62 Eine weitere Unterscheidung zwischen Teilhabe und Teilnahme kann hinsichtlich des Momentums getroffen werden: „haben“ ist ein Zustand beschreibendes Verb, „nehmen“ meint einen aktiven Handlungsvollzug, genauso kann dies übertragen werden auf die Begriffe von kultureller Teilhabe und Teilnahme. Bei ersterem geht es um das tatsächliche Dabeisein, also darum, anwesend zu sein und im Sinne eines konzeptionellen Ansatzes auch um die Möglichkeit, diesen Zustand herzustellen: Teilhabe zu ermöglichen bedeutet in diesem Sinne, Zugang zu ermöglichen. Bei einer Teilnahme handelt es sich damit eher um einen aktiven Vorgang. Für die Praxis der Darstellenden Künste zeigt eine solche Zuordnung also, dass unter „Teilhabe“ grundsätzlich verstanden wird, dass Menschen Kulturveranstaltungen besuchen und diese rezipieren; bei einer „Teilnahme“ einen aktiveren gestalterischen Part übernehmen. – In diesem Sinne werden also die Begriffe anders gedeutet und verwendet, als in den oben zitierten Ausführungen. Ute Pinkert bezieht die beiden Termini Teilhabe und Teilnahme auf die konkrete Vermittlungsarbeit im Theater und beschreibt sie anhand aktueller Entwicklungen innerhalb der theaterpädagogischen Arbeit: „Eine qualitative Veränderung gegenüber der über vierzig Jahre alten Forderung nach einer ‚Teilhabe‘ neuer Zuschauerschichten begründet sich darin, dass diese innerhalb der letzten zehn Jahre zunehmend mit Strategien der Öffnung zusammengedacht wird“ (Pinkert 2014b, S. 52), Teilhabe wird also in Zusammenhang mit Kunstvermittlung63 und Audience Development als Begrifflichkeit genutzt und verwendet, während Teilnahme verstärkt in den Kontext Kultureller Bildung und der damit verbundenen Prozesse gesetzt wird. „Mit dem Begriff der Teilnahme wird hier das Phänomen bezeichnet, dass bestimmte Zuschauerschichten des soziokulturellen Kontextes seitens des Theaters nicht mehr nur mit bestimmten Angeboten ‚zielgerichtet‘ angesprochen werden, sondern Vertreter_innen derselben selbst auf der Bühne agieren“ (ebd., S. 54). Hier vermischen sich also die Grenzen zwischen kultureller Teilhabe und künstlerischen Prozessen und die Fragen nach Verantwortlichkeiten, Handlungsmöglichkeiten und den internen Beziehungen rücken in den Fokus, da sich professionelle und nicht-professionelle Akteure gemeinsam in Entscheidungsprozesse begeben. Dies ist für Barbara Mundel der entscheidende Aspekt des Begriffes: „Das Thema der Partizipation hat jedoch neben dem Aspekt der Teilhabe noch den Aspekt der Teilnahme [...] eine verstärkte Verflüssigung der bisher klar definierten Grenzen zwischen Laien und Profis“ (Mundel u. a. 2011, S. 131). Geht man also davon aus, dass sich die Termini je nach Verwendung auf unterschiedliche Prozesse beziehen, die je nach Richtung der Handlungen und Entscheidungen von den Institutionen oder den beteiligten Individuen aus beschrieben werden können, müssen bei einer Betrachtung von Konzepten zur Partizipation die Absichten

62 Auf beide Aspekte wird im folgenden Unterkapitel eingegangen. 63 Zur auch widersprüchlich und unterschiedlich verwendeten Bedeutung von „Vermittlung“, die hier nicht auch noch aufgegriffen werden soll, siehe beispielsweise Henschel 2012.

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und die Zielsetzung der partizipatorischen Angebote berücksichtigt werden, die sich wiederum in der Verwendung von Begriffen wie Kulturvermittlung, Audience Development und Kultureller Bildung niederschlagen. Thomas Renz trifft für seinen Forschungsansatz hinsichtlich der Nicht-Besucherforschung im Zusammenhang mit Audience Development als Steuerungsinstrument eine Unterscheidung zwischen den Begriffen „Partizipation“ und „Teilhabe“. Er verdeutlicht, dass aufgrund der wörtlichen Bedeutung von Partizipation mit diesem Begriff eine aktive Konnotation verbunden ist: „Der etymologische Ursprung von ‚Partizipation‘ (lat. pars = Teil, capere = fangen, sich aneignen) macht bereits deutlich, dass die Teilnahme eines Individuums an z.B. sozialen Prozessen oder an einer Kulturveranstaltung allerdings mehr als ein einfaches ‚Dabeisein‘ und somit eine aktive Teilnahme im Sinn einer persönlichen Involvierung bedeuten kann“ (Renz 2016, S. 35).64 In diesem Sinne soll in dieser Arbeit die Formulierung „partizipatorische Arbeit“ oder „partizipatorische Angebote“ bezogen sein auf solche Vorhaben, welche eine aktive Teilnahme ermöglichen; während sich „Teilhabe“ hauptsächlich auf das passivere Moment des Dabeiseins bezieht.65 Begründungen und Wirkungen von Teilhabe

Die Nicht-Besucherforschung ist ein wichtiges Forschungsfeld hinsichtlich kulturpolitischer Konzeptionen, kann sich aber, nach Thomas Renz, nur auf bestimmte Aspekte der Teilhabe-Forschung erstrecken, so sei es zwar aufgrund statistischer Erhebungen relativ leicht, die Rezeption von kulturellen Veranstaltung statistisch zu erfassen: „Die Messung der Anwesenheit auf kulturellen Veranstaltungen ist empirisch über verhaltensrelevante Merkmale recht einfach forschungstechnisch möglich [...] Dieses statistische Merkmal ist dann Voraussetzung für jede weitere Binnendifferenzierung von Teilhabe. Das einfache ‚Dabeisein‘ sagt allerdings noch nichts über weitere z.B. persönlich oder sozial erlebte Prozesse des Besuchs aus“ (Renz 2016, S. 35). Dass jemand ein Theater besucht hat, lässt also keine Rückschlüsse darüber zu, ob und wie dieser Besuch für diese Person persönlich relevant war, kulturelle Bildungsprozesse angestoßen hat, ob er sich dazugehörig fühlte und wie dieser Besuch welche Auswirkungen auf zukünftiges Handeln haben wird.66 Je nach Forschungsansatz gilt es also, die Wirkungen von Teilhabe zu beforschen, die individuellen Prozesse der Selbstentwicklung 64 Er verweist zudem auf die im englischen Sprachgebrauch übliche Differenzierung von participation und attendance, die sich im deutschen Sprachgebrauch in der Form nicht ergeben hat, vgl. Renz 2016, S. 35. 65 Dass auch hierbei unterschiedliche Stufen einer Aktivierung der Teilhabenden und Teilnehmenden möglich sind, wird im entsprechenden Abschnitt dargestellt. Im weiteren Verlauf werden die Termini Partizipation und aktive Teilnahme weitgehend synonym verwendet, wobei der Begriff „Partizipation“ die „Teilhabe“ quasi einschließt, da ein Mitmachen das Dabeisein voraussetzt. Eine Differenzierung der Begrifflichkeiten wird im jeweiligen Kontext verdeutlicht, sodass es zu keiner missverständlichen Verwendung oder Deutung kommt. 66 Es lässt sich also zunächst nur mutmaßen, ob beispielsweise ein Theaterbesuch dazu führt, dass diese Person erneut ins Theater gehen wird oder nicht. Die gängigen Theaterstatistiken bilden innerhalb ihrer Besuchszahlen nicht ab, ob und wie oft eine Person mehrfach ins Theater gegangen ist. Die Abonnementsbuchungen einzelner Institutionen können Hinweise geben, es bräuchte jedoch eigentlich gesonderte Erhebungen.

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durch Kulturelle Bildung qualifiziert wahrzunehmen und zu messen oder aber einen handlungsorientierten Ansatz zu verfolgen und somit die Institutionen, deren Angebote und die tatsächliche sowie potenzielle Nachfrage in den Blick zu nehmen. Ohne hier die vergangenen und aktuellen Diskussionen um das Themenfeld Kulturelle Bildung in Gänze abbilden zu wollen,67 die Diskurse um Partizipation und Kulturelle Bildung erleben eine Schnittmenge in dem Moment, in dem Kulturelle Bildung kulturelle Teilhabe ermöglichen soll und in dem Partizipation im Sinne einer aktiven Teilnahme als Form der Kulturellen Bildung verstanden wird (vgl. dazu Schwanenflügel u. a. 2012). Dieser Zusammenhang spiegelt sich auch wider in den Begründungsweisen, beabsichtigten Effekten und Ausrichtungen von partizipatorischen Angeboten und in deren Konzeption: Geht es um die Perspektive der Institution oder um die Perspektive des teilnehmenden Individuums?68 „Kulturvermittlung, Kulturmanagement und Audience Development sind professionelle Funktionen des Kulturbetriebs, die vor allem im strategischen Zusammenspiel Rahmenbedingungen herstellen, unter denen Kulturelle Bildung stattfinden kann. Kulturvermittlung und Kulturmanagement gehen von der professionellen Seite des Vermittlers aus, Kulturelle Bildung von der Seite des sich bildenden Subjekts“ (Mandel 2013c). Diese Unterscheidung der Betrachtungsrichtung zeigt sich in den möglichen Messungen der daraus resultierenden Effekte, so kann ein erfolgreiches Vermitteln anhand der entsprechenden Kennzahlen auf der „Output-Ebene durch das Verhalten gemessen werden“ (Renz 2016, S. 36), während das „individuelle und soziale Erleben [...] empirisch auf der Outcome-Ebene im Sinne von Wirkungsforschung gemessen werden“ (ebd.) kann. In Bezug auf den zu untersuchenden Gegenstand der Landesbühne ergeben sich also zahlreiche Fragestellungen: Neben der grundsätzlich zu klärenden Begriffsbestimmung in der Praxis, also wie die Theater Teilhabe und Teilnahme verstehen, gilt es auch zu betrachten, welche Absichten mit entsprechenden Angeboten verfolgt werden

67 Siehe hierzu unter anderem Schneider 2010a, sowie die umfangreiche Sammlung von Beiträgen zum Diskurs im Handbuch Kulturelle Bildung (Bockhorst u. a. 2012) sowie auf der zugehörigen Webseite https://www.kubi-online.de/. 68 Silke Feldhoff differenziert in ihrer Dissertation die Verwendung der Begriffe „partizipatorisch“ und „partizipativ“ dahingehend, dass erster sich auf die Absicht bezieht, dass das so bezeichnete Projekt die Möglichkeit für aktive Teilnahme schaffen will, während bei der Verwendung des Attributs „partizipativ“ bereits unterstellt wird, dass dieses tatsächlich solche Momente generiert: „Im Falle von ‚partizipatorisch‘ bedeutet dies, dass jemand Teil haben oder teilnehmen kann, ihm die Möglichkeit eingeräumt wird, er eingeladen wird etc. ‚Partizipatorische‘ Projekte sollen demnach eine Teilhabe leisten, sie haben den Zweck, die Zielsetzung einer wie auch immer gearteten oder zu definierenden Teilhabe. Demzufolge ist in den Ausdrücken ‚partizipatorisch‘ resp. ‚partizipativ‘ eine Sprechperspektive angelegt. ‚Partizipatorisch‘ transportiert die Innenperspektive derjenigen, die ein Beteiligungsangebot unterbreiten, beschreibt also in erster Linie eine Absichtserklärung. ‚Partizipativ‘ hingegen transportiert die objektivere Außenperspektive, also eine Beschreibung darüber, wie ein Beteiligungsangebot faktisch beschaffen war und ob es genutzt wurde. Im Ergebnis meint ‚partizipatorisch‘ das intendierte, vorerst lediglich potenzielle Ermöglichen aktiver Teilhabe und sozialer Beziehungen, beschreibt die Zielsetzung einer Arbeit. ‚Partizipativ‘ hingegen meint eine aktive Teilhabe, die tatsächlich stattgefunden hat, beschreibt also das Ergebnis einer Aktion, eines Projektes“ (Feldhoff 2011, S. 22).

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und wie diese begründet werden. Diese Begründungsweisen sind auch entscheidend, wenn die Landesbühnen als Instrument für Teilhabe-Ermöglichung im Sinne einer kulturellen Infrastruktur verstanden werden. Bezogen auf die Unterscheidung zwischen Output und Outcome wäre also festzustellen, ob es hauptsächlich um die Kennzahlen, also Auslastungszahlen, Veranstaltungsstatistiken etc. geht, oder um die subjektiven Effekte.69 Thomas Renz identifiziert verschiedene Gründe für das Bestreben, Teilhabe zu ermöglichen und partizipatorische Formate zu entwickeln und zu etablieren. In seinem Beitrag „Kulturelle Teilhabe als Programm. Theaterpolitik für Partizipation“ in der Publikation „Theater in der Provinz“ beschreibt er sie wie folgt: „Legitimatorische Gründe verschaffen einem Phänomen wie beispielsweise einer Kunstsparte oder einer Theateraufführung Bedeutung. Dies basiert auf dem Paradigma, dass der Wert einer Entscheidung oder eines Phänomens steigt, wenn mehrere Parteien daran beteiligt sind“ (Renz 2019, S. 28, Hervorhebungen im Original). Teilhabe steht in diesem Kontext also in Zusammenhang mit der Grundidee einer demokratischen und auf Beteiligung setzenden Gesellschaft; verbunden damit sind die in der Einleitung zur Thematik dargestellten Hinterfragungen von Legitimation und Relevanz von öffentlich getragenen Kulturinstitutionen bei gleichzeitiger nachgewiesener Beteiligung nur einiger weniger. Darüber hinaus spricht Renz von emanzipatorischen, ökonomischen und künstlerischen Gründen für das Bestreben nach möglichst breiter Teilhabe: Partizipation kann dazu dienen, bestimmte Gruppen zu emanzipieren, das heißt also ihnen die Möglichkeit für eigene Entfaltung zu geben, beispielsweise durch die aktive Mitgestaltung in künstlerischen Prozessen. Nicht vernachlässigt werden darf die ökonomische Begründung, vor deren Hintergrund es auch um eine Steigerung der Betriebseffizienz geht: Einerseits durch Einbezug der Mitarbeiter in Entscheidungen zur Motivationssteigerung und internen Bindung, andererseits durch eine möglichst gute Auslastung – also einer möglichst großen Teilhabe – und somit guten Finanzierung der eigenen Arbeit.70 Die künstlerischen Begründungen sind ein weiterer Aspekt partizipatorischer Arbeit: Die Darstellenden Künste werden durch unterschiedliche Formen von Partizipation und durch unterschiedliche Teilnehmende gestaltet, angefangen durch die gemeinsame kollektive künstlerische Arbeit, über die notwendige Anwesenheit verschiedener Personen hin zu aktiveren Formen des Einbezugs nicht-professioneller Akteure (vgl. ebd., S. 28 ff.). Bevor auf diese Modi von Partizipation näher eingegangen wird, muss sich zunächst noch etwas detaillierter der Kulturvermittlung und dem Audience Development gewidmet werden. „Kulturvermittlung kann sowohl Marketingziele durch Aufmerksamkeitsmanagement und Steigerung von BesucherInnen- und Einnahmezahlen verfolgen wie auch zur individuellen Bereicherung des einzelnen Kulturnutzers beitragen sowie auch gemeinnützige gesellschaftspolitische Ziele verfolgen, die über den Kultursektor hinausreichen“ (Mandel 2013c). Der Aspekt der Vermittlung, der immer auch die darin vorhandene und sich selbst bestätigende Distanz betont, scheint oftmals

69 Zu den Wirkungsforschungen von Kultureller Bildung siehe exemplarisch Elbertzhagen 2010. 70 Eine Teilnahme der Mitarbeiter als Aspekt von Partizipation wird im weiteren Verlauf berücksichtigt, verweisen sei zunächst generell auf die Ausführungen von Thomas Schmidt zu dieser Thematik: Schmidt 2017.

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in der Praxis im Sinne eines Kulturmarketings eingenommen zu werden. Auch wenn Birgit Mandel betont, dass selbst „wenn ein ausschließlich im Interesse einer spezifischen Institution handelndes Kulturmanagement Vermittlungsinstrumente nur einsetzt, um mehr Besucher zu gewinnen, können dabei als parallele Effekte individuelle kulturelle Bildungsprozesse und gesellschaftliche Reflexionsprozesse ausgelöst werden“ (ebd.). Eine Betrachtung von Kulturvermittlung muss also immer auch berücksichtigen, welche Prozesse mit den vermittelnden Handlungen beabsichtigt sind und welche im Fokus stehen. Mit dem Audience Development hat in den vergangen Jahren ein neues Konzept in die kulturpolitische und kulturmanageriale Diskurse und Praxis Einzug gehalten (siehe dazu insbesondere das Kapitel „Audience Development zwischen Marketing und Politik“, Renz 2016, S. 47–89). „Die Ausgangsidee von Audience Development ist das Publikum“ (Renz 2016, S. 53). Man versteht darunter Instrumente, welche im Sinne einer Kulturvermittlung und des Kulturmanagements in allen Ebenen und für alle Handlungsentscheidungen die Publikumsperspektive berücksichtigen „und zwar nicht im Sonne einer ökonomischen oder gar dogmatischen Markt- oder Nachfrageorientierung“ (ebd.). Um diesem Anspruch gerecht zu werden, müssen die Institutionen ihr Publikum – und auch ihr Nicht-Publikum oder die Noch-Nicht-Besucher gut kennen; es geht bei diesem Ansatz nicht nur um Aspekte der Werbung, der Imagepflege oder eines Heranführens an das Programm, sondern auch um die Erarbeitung zielgruppenspezifischer Angebote. „Audience Development bringt Kulturmarketing, künstlerische Produktion und kulturelle Bildung gleichberechtigt vor dem Hintergrund der Bedürfnisse des Publikums zusammen“ (ebd., S. 54). In welcher Weise Audience Development kulturelle Teilhabe fördern kann, leitet Renz in seiner nun bereits mehrfach zitierten Dissertation her. Grundsätzlich bleibt der Begriff des Audience Developments als kulturmanageriales Konzept verbunden mit der klassischen Aufteilung einer Angebotsherstellung auf der professionellen Seite in Bezug auf ein dem diesen gegenüberstehendem Publikum: „Audience Development arbeitet mit Ansätzen aus dem Kulturmarketing, der Kultur-PR, der Besucherforschung, der Kunstvermittlung und der kulturellen Bildung, um kulturelle Angebote für unterschiedliche Zielgruppen zu gestalten, zu positionieren, zu kommunizieren, zu vertreiben und zu vermitteln“ (Lewinski-Reuter u. a. 2011, S. 9). Doch auch hierbei gilt zu beachten, ob die Maßnahmen einer Veränderung der Institution und ihres Angebots dienen, oder ob es um den möglichst effizienten, weil zielgruppengerichteten Verkauf von Eintrittskarten gilt. Das Dilemma bleibt bestehen: Wenn beispielsweise Zielvereinbarungen getroffen werden, um bestimmten Gruppen eine Teilhabe zu ermöglichen, wird dann für diese Gruppen tatsächlich eine neue Relevanz hergestellt? Werden Strategien angewendet, um das Publikum zu erweitern, oder um die Institution vielleicht in ihrer Struktur und Ausrichtung neu zu denken? Hat dies Konsequenzen auf das Kunstprodukt und wenn ja, welche?71 Für die Betrachtung des Gegenstands der Landesbühne in Zusammenhang mit Konzepten zur Partizipation in den Darstellenden Künsten ist es also notwendig, sowohl die verschiedenen Formen partizipatorischer Arbeit und ihrer Ziele sowie ihre Gestaltung zu beschreiben als auch einen Blick auf die aktuellen Tendenzen innerhalb der Theater zu richten.

71 Vgl. dazu Renz 2016, S. 284 f.

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2.2.2 Teilhabeformate und Theater(-kunst) Teilhabe kann nicht nur als Begriff für unterschiedliche Konzepte dienen und auf verschiedene Weise begründet sein, sondern bezieht sich auch auf unterschiedliche Akteurskonstellationen. In der Praxis der Darstellenden Künste können verschiedene Ebenen von Partizipation aufgezeigt werden: Die Teilnahme aller, die am künstlerischen Prozess mitwirken; der Einbezug von Menschen, die sonst nicht regelmäßig in diesen Prozess eingebunden sind, sowohl bezogen auf die künstlerische, als auch die konzeptionelle Arbeit eines Theaterbetriebes; sowie eine Teilhabe und Teilnahme von anderen, nicht zu der Institution gehörenden Akteuren, also beispielsweise die Zusammenarbeit zwischen einem Stadttheater und einer Freien Theatergruppe oder einem Amateurtheater. Meist ist jedoch (wie auch bereits in den Begriffsbestimmungen deutlich wurde) mit partizipatorischer Arbeit die Beteiligung nicht-professioneller Darsteller gemeint – dabei ist die implizierte Distanz, wer bei wem mitmachen „darf“, oft Programm und auch die mit einer solchen Arbeit beabsichtigten Ziele scheinen meist einen Fokus auf legitimatorische Gründe zu legen.72 Darüber hinaus sind vor allem Kinder und Jugendliche oft die wichtigste Zielgruppe dieser Programme, Maßnahmen und Angebote.73 Zugleich scheint es nach wie vor, auch wenn Partizipation, genau wie Kulturelle Bildung, zunehmend Beachtung und Anerkennung zu erfahren scheint, dass immer noch ein Rechtfertigungsdruck vorhanden ist: Warum arbeitet ein Theater auf einmal mit anderen zusammen, seien es Laien oder andere Partner? Oder auch: Warum weigern sich Betriebe, sich auf solche Projekte einzulassen? Sind diese Zusammenarbeiten tatsächlich faire Kooperationen (vgl. Hampel 2015) im Sinne einer gleichberechtigten, sich gegenseitig achtenden Wahrnehmung? Welche Stellung nehmen partizipatorische Formate im Selbstverständnis von Theaterinstitutionen ein? Hierbei spielen auch die unterschiedlichen Betriebsformen von Theater eine Rolle, die verschiedene Arbeitsweisen, Aufträge, Selbstverständnisse und nicht zuletzt unterschiedlich geartete Ressourcen mit sich bringen, wie in Kapitel 2.1.2 dargestellt. Partizipation berührt die Darstellende Kunst konzeptionell in vielschichtiger Weise. Der Diskurs um die Begrifflichkeit und ihre Gelingensbedingungen betrifft sie grundsätzlich, da sie sich als kollektive Kunst konstituiert. Als solche würden „Fragen der Beteiligung nicht nur im Modus der Präsentation oder der Aufführung virulent, sondern auch im Produktionsprozess“ (Lutz-Scheuerle 2017, S. 148), so stellt es Christoph Lutz-Scheuerle dar. Lutz-Scheuerle, der die inhaltliche Verbindung zwischen Partizipation und Demokratie, respektive partizipativer Prozesse mit demokratischem Handeln kritisiert (vgl. ebd., S. 147–158), verdeutlicht, dass der genaue Blick auf die tatsächlichen Momente angeblicher Partizipation zu richten sei. Er möchte darauf hingewiesen wissen, dass „reale Beteiligung von Laien in künstlerischen Prozessen nicht nur Fragen der Pädagogik und der Vermittlung aufruft, sondern auch, dass der Prozess unter Umständen oftmals von ‚Partizipationsfiktionen‘ begleitet ist, die – fälschlicherweise – von der Gleichheit aller Beteiligten ausgehen“ (ebd., S. 149). Selbst wenn es in den vergangenen Jahren zu einer Neubeachtung des Zuschauers kam, der eine stärkere

72 So setzen viele Programme auf eine Beteiligung von Menschen mit Migrationshintergrund oder bildungsbenachteiligte Menschen. 73 Auch aus diesem Grunde erhält das Kinder- und Jugendtheater ein eigenes Unterkapitel in diesem Text, siehe unten.

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Einbindung in künstlerische Prozesse erfahren soll, sei zu beachten, dass „demokratische Formen von Partizipation sich vielleicht inklusiv denken mögen, letztendlich aber immer auch Ausschlüsse schaffen – also exkludierend sind“ (ebd., S. 158). Dies ist für die hier geführten Überlegungen dahingehend entscheidend, da die Institution Theater, auch wenn sie sich im Sinne einer demokratisierenden Funktion „als die eigentliche Agora des Politischen“ (ebd., S. 153) verstünde, diesen Möglichkeitsraum gesellschaftlicher und politischer Beteiligung nur für einen elitären Kreis eröffnet – ein Faktum, das zu Recht verstärkt Fragen von Relevanz und Legitimation aufwirft.74 Für Wolfgang Sting ist die Theaterarbeit selbst, egal welcher Institution, per se partizipatorisch: „Das Theater als ästhetische, soziale und kollektive Praxis vermittelt in seinen Arbeitsweisen also per se Partizipationspraktiken. Auch wenn keine Partizipation, Intervention oder andere intendierten programmatischen Ziele erfolgen oder verfolgt werden, schmälert das die Bedeutung der ästhetischen Praxis nicht. Denn diese wirkt situativ und individuell und erfüllt keine normativen Zielsetzungen“ (Sting 2017). Das Theater scheint sich durch, mit und in Bezug auf Partizipation in seiner Grundstruktur ändern zu können; zugleich wird es gerade auch deshalb vermehrt in die Pflicht genommen, eben auch für andere Bereiche, außerhalb der „reinen“ Kunst mehr Verantwortung zu übernehmen: „Die durch Partizipation eröffneten Kommunikationsräume und Betätigungsfelder machen den Unterschied zwischen Kunst und sozialer Praxis, zwischen künstlerischen und alltäglichen Aufführungen, zwischen Hoch- und Popkultur immer durchlässiger. Partizipation nährt den Wunsch nach einer Demokratisierung der Kunst. Sie soll nicht nur allen zugänglich, sondern insbesondere auch brauchbar sein. Als sozialste unter den Künsten hat das Theater immer schon die Hoffnung geweckt, auch im gesellschaftlichen und politischen Alltag Anwendung zu finden. So überrascht es nicht, dass verschiedene gesellschaftliche Bereiche (Politik, Stadtplanung, Schule, Sozialarbeit etc.) davon ausgehen, mithilfe ästhetischer und theatraler Verfahren auch brachliegende soziale, personale und handelnde Kompetenzen entwickeln zu können“ (Seitz 2015). Diese Feststellung Hanne Seitz’ verdeutlicht den Konflikt, dem Theater ausgesetzt ist: einerseits Kunstform, zugleich Ort der gesellschaftlichen Verständigung, einerseits ästhetische Praxis, andererseits verankert in sozialen Feldern. „Unter dem Paradigma der Relevanz profiliert sich das Theater als der Ort, dessen künstlerische Praxen nicht nur künstlerisch überzeugen sollen, Theaterpraxis soll zugleich die bessere Pädagogik sein“ (Lutz-Scheuerle 2017, S. 152 f.). Verbunden mit dieser grundsätzlichen Befragung, was Theaterkunst sein soll, sein kann und wie sie sich gestaltet, stellt sich die Frage nach der Beziehung zwischen Theaterkunst und Theatervermittlung, zwischen künstlerischen Projekten und sozial-integrativen Angeboten. Avantgardeorientierung und Tribalisierung als Entwicklungstendenzen

Ute Pinkert beschäftigt sich mit diesen Fragestellungen unter anderem in ihren Aufsätzen über die spannungsgeladene Beziehung zwischen Theater und Vermittlung (siehe dazu Pinkert 2011 sowie Pinkert 2014a) und beschreibt diese sowohl von Seiten des Theaters als auch von Seiten der Vermittlung. Ihre Beobachtungen sollen hier dazu dienen, den vermuteten und zu betrachtenden Gegensatz zwischen Kunst und Pädagogik sowie damit verbunden die Stellung der ästhetischen und der partizipatorischen Ar-

74 Siehe dazu auch die nachfolgenden Darstellungen der Nicht-Besucherforschung.

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beit zueinander zu beschreiben.75 Pinkerts Überlegungen gehen von der „praktische[n] Erfahrung aus, dass Theaterpädagogik am Theater von verschiedenen Anspruchskulturen geprägt ist und sich immer an Schnittstellen verorten lässt: zwischen Theaterkunst und Zuschaukunst, zwischen Theaterbetrieb und Schulbetrieb, zwischen Kunstdiskurs und theaterpädagogischem Fachdiskurs“ (Pinkert 2011, S. 3, Hervorhebungen im Original).76 Sie unterscheidet zwei aktuelle Entwicklungstendenzen im Theater: Auf der einen Seite stünde die avantgardeorientierte Theaterform: „Das Theater erscheint hier als Institution, die der stetigen Ausdifferenzierung, der Spezialisierung und Erforschung theaterkünstlerischer Möglichkeiten zu dienen hat“ (ebd., S. 5). Die Zuschauer müssten sich, so Pinkert, damit diese spezielle Ausrichtung des Theaters funktioniere, entsprechend (weiter-)bilden, Theatervermittlung müsse dies unterstützen und sich in diesem Sinne ausgestalten: „Damit die theatrale Kommunikation in diesem Modell gelingt, müssen sich die Zuschauer in einer den Künstlern vergleichbaren Weise spezialisieren. Vermittlung als solche wird nicht thematisiert oder sie erscheint als Service in Form zusätzlicher Informationsangebote für spezialisierte Zuschauer. Besondere Aufmerksamkeit bekommt die Vermittlung dann, wenn die Gruppe der Zuschauspezialisten zu klein ist, und eine Diskrepanz zwischen spezialisierten Künstlern und nicht spezialisierten Zuschauern offensichtlich wird. Dann erscheint sie als defizitärer Bereich und wird durch zusätzliche Kräfte unterstützt, durch Marketing, Öffentlichkeitsarbeit und Theaterpädagogik“ (ebd., S. 6). Dieser defizitäre Blick unterstreicht die Funktion von Vermittlung als Heranführung, als eine Ansprache eines (neuen) Publikums mit einer Absicht des Erklärens, das Verstehen möglich zu machen. Oft würden Strategien angewandt wie „auf Verführung setzende Verpackungen von Inszenierungen in Ereignis-/Eventformate oder pädagogische Angebote wie Workshops und Einführungsgespräche, die neue Zuschauer werben und sie bilden sollen, damit sie die Zeichen und Wirkungsstrategien des Theaters verstehen und nachvollziehen können“ (ebd.). Das Verständnis, was dieser Form von Theater zugrunde liegt, basiert auf einer „hochspezialisierten Arbeitsteilung, wie sie sich im deutschen Stadttheater im letzten Jahrhundert herausgebildet hat. Dabei wird die theatrale Kommunikation praktisch in zwei Bestandteile untergliedert: zum einen in die Produktion ästhetischer Zeichen – die Inszenierung als ureigene Aufgabe des künstlerischen Personals, und zum anderen in die Vermittlung der ästhetischen Zeichen an das Publikum in den Aufführungen“ (ebd., S. 5). Die Aufgabe einer (Weiter-) Bildung der Zuschauer wird in dieser Theaterform als eine zusätzliche angesehen, als

75 Der hier gewählte Gegensatz künstlerische Produktion vs. partizipatorische Formate ist bewusst so formuliert, da er auch in der Analyse des Gegenstandes Bedeutung erfahren wird; zu Ansätzen einer Überwindung dieser Trennung sei auf das Theater für und mit jungem Publikum verwiesen, siehe dazu die entsprechenden Ausführungen in den folgenden Abschnitten. 76 Vgl. hierzu auch Sting 2017: „Wenn Theater so als ästhetischer und sozialer Kommunikations- und Erfahrungsraum gefasst wird, dann setzt sich Theaterpädagogik theoretisch und praktisch, künstlerisch und pädagogischdidaktisch mit der Rahmung, Bereitstellung und Gestaltung dieser Räume und den darin möglichen ästhetischen und sozialen Erfahrungen auseinander. Theaterpädagogische Projekte mit nichtprofessionellen Akteurinnen und Akteuren ermöglichen im szenischperformativen Handeln und Rezipieren vorrangig Wahrnehmungs-, Spiel-, Gestaltungs- und Ausdruckserfahrungen.“

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additiv zu der eigentlichen Aufgabe der Kunstproduktion, diese nicht direkt berührend oder beeinflussend, insofern werden auch alle damit verbundenen Maßnahmen und Strategien nicht als Kernbereich von Theaterarbeit angesehen. Während sich Theaterpädagogik und Theatervermittlung in diesem Verständnis einerseits als Dienstleister der Kunst zu verstehen hat, der Auftrag zur Bildung, im Sinne einer „Theater-Alphabetisierung“ (ebd., S. 6) zu verstehen ist und ihr Zweck ist, das fertige Kunstprodukt erfolgreich zu erklären und zu verkaufen, bietet zugleich die strikte Trennung zwischen Theaterpädagogik und künstlerischem Betrieb Möglichkeiten für die Entwicklung eigenständiger Formate (vgl. ebd., S. 6 f.). Gleichwohl stellt Pinkert ein strukturelles Ungleichgewicht fest: „Als Expertinnen für Bildung befinden sich die Theaterpädagoginnen außerhalb des höher bewerteten künstlerischen Betriebes und sind strukturell isoliert. [...] Das Spannungsfeld, mit dem Theatervermittler_innen in einer avantgardeorientierten Theaterform konfrontiert sind, ist dasjenige zwischen künstlerischem Betrieb und pädagogischem Auftrag“ (ebd., S. 6). Als Gegensatz zu dieser avantgardeorientierten Theaterform beschreibt Pinkert das tribalisierte Theater als gegensätzlichen Ansatz und bezieht sich dabei auf Überlegungen Armin Petras’. Der grundlegende Unterschied sei die Ausrichtung, so lege das tribalisierte Theater seinen Fokus nicht auf (zeitgenössische) Kunst, sondern auf das Publikum: „Im tribalisierten Theater orientiert sich die Produktion theatraler Zeichen und Ereignisse nicht in erster Linie am aktuellen Kunstdiskurs, sondern an den Wahrnehmungsweisen, ästhetischen Bedürfnissen und Themen der jeweiligen Zielgruppe“ (ebd., S. 8) – dieses Theater entspräche somit durch diesen Ansatz und der Idee den mittlerweile als selbstverständlich geltenden Arbeitsweisen im Kinder- und Jugendtheater, die sich weniger linear definierten (vgl. ebd., S. 7): „Die Erforschung dieser Wahrnehmungsgewohnheiten, die Recherche der Themen und Bedürfnisse sowie die Rückkopplung der Resonanz der Inszenierungen werden zum Bestandteil des Produktionsprozesses. Im Vergleich zur zuerst skizzierten Theaterform wird hier die theatrale Kommunikation nicht klar in Produktion und Rezeption getrennt. Im tribalisierten Theater hat man es eher mit Durchmischungen und Kreisläufen zu tun. So können Rechercheprozesse, die in Vor- und Teilaufführungen rückgekoppelt werden, wieder unmittelbar in die Produktion einfließen. Oder/und die Aufführung erscheint eingebettet in einen langen Rechercheprozess und eine Nachbereitung der Aufführung wird wiederum zum Anlass einer neuen Recherche“ (ebd., S. 8). Diese Theaterform ist also zu verstehen als Theater, das die Kunstproduktion und die Vermittlung nicht grundsätzlich getrennt, sondern im Gegenteil als sich gegenseitig befruchtend versteht: Sowohl die Besinnung auf und die Beachtung des Zuschauers und auch des Vermittlungsprozesses selbst und somit auch Formate aktiver Teilnahme, sind essenziell für die Produktionsphasen. Dabei gibt es natürlich Abstufungen der unterschiedlichen Einbindungen und Berücksichtigungen, die untenstehend genauer dargestellt werden. Armin Petras sieht die von ihm beschriebene Tribalisierung des Theaters als eine gegenläufige Entwicklung zur Urbanisierung des Theaters und setzt somit die konzeptionelle Ausrichtung von Theaterformen in den Zusammenhang mit ihrer Verortung und ihren Strukturen: „Die Urbanisierung bedeutet die Bewegung von Theatermachern zwischen den Zentren der Bevölkerung“ (Petras 2003, S. 42) und sei hauptsächlich zu erkennen in zwei Strukturen: Erstens das sogenannte Plattformtheater, das sich dem Avantgardtheater verpflichtet: „Es muss und soll wild, jung, und vor allem anders sein,

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nur dann kommen Zuschauer, die selbst natürlich jung, wild und anders sind“ (ebd.); Petras ist sich gewiss, dass sich dieses Theater wird durchsetzen können, aber eine solche Chance nur in den Großstädten habe. Zweitens das Festivaltheater, das punktuell, also zu einer gewissen Zeit an einem bestimmten Ort die bedeutenden Produktionen der großen Theater zeigt, oder mit den wichtigsten Regisseuren produziert und Hochleistungsniveau bietet. „Die jeweilige territoriale und soziale Einbindung in die Region ist gerade nicht gewünscht. Es geht darum, sich über dieses Territorium zu erheben, oder es in eine Reihe mit den Metropolen zu stellen“ (ebd., S. 43). Petras sieht diese Theater ebenfalls zukunftssicher, ausgerichtet am Eventcharakter, an provozierenden Formen bei höchstem künstlerischen Niveau. Komplementär und konträr gegenüber stünde die Tribalisierung von Theater, unter der Petras Folgendes versteht: „Tribalisierung von Theater bedeutet die programmatische, inhaltliche, personelle und funktionelle Anbindung von Theaterstrukturen an eine jeweilige Region – egal ob es sich um ein Gebiet oder eine Stadt handelt. Die jeweilige mentale, kulturhistorische und soziale Situation ist genaustens zu untersuchen und für die Theatermacher, bei Gefahr ihres Unterganges unbedingt zu beachten“ (ebd.). Auch in dieser Linie sieht Petras zwei Ausformungen: Das Landestheater (und er meint damit die Landesbühnen), das mit der Situation der „Entindustrialisierung von Gebieten“ (ebd., S. 41) umgehen muss, ein Theater, welches „ländliches Publikum, extrem alt oder extrem jung“ (ebd.) ansprechen soll und das Stadttheater, welches vor allem die bürgerliche Mittelschicht anspricht, mit ihrem „spezifischen Selbstbewusstsein, gewachsen und verankert in der jeweiligen Region“ (ebd., S. 42) und zugleich das Stadttheater als Ort der „Repräsentanz der Bürgerschaft seiner Stadt“ (ebd.). Pinkert deutet diese Unterscheidung auch hinsichtlich der Rolle des Publikums und damit verbunden der entsprechenden Verantwortung von Theatervermittlung. Demnach setzten die Theater der Urbanisierung, zu denen sie auch die „avancierten Stadttheater in den Metropolen“ (Pinkert 2011, S. 7) zählt, „auf ein avantgardistisches bzw. hoch gebildetes Publikum und produzieren experimentelle, oft auch gattungsübergreifende Aufführungen sowie Theaterereignisse von höchstem künstlerischen Niveau“ (ebd.). Diese Überlegungen können ein Ansatzpunkt für die grundlegende Analyse von kulturpolitischen Konzeptionen zur Partizipation in den Darstellenden Künsten sein, nämlich zu hinterfragen, ob im Theater die Theaterkunst im Mittelpunkt steht und die Theatervermittlung dieser zu dienen hat – oder ob der Zuschauer im Fokus steht, Partizipation im Sinne einer Teilhabe und Teilnahme als Grundorientierung des Handelns mitgedacht und als essenziell für die eigene Arbeit verstanden wird. Solange das eine wichtiger als das andere angesehen wird, geht damit eine grundsätzlich unterschiedliche Bewertung des künstlerischen Niveaus einher. Aus diesen Orientierungen ergeben sich auch Konsequenzen für die konkrete Kunstvermittlung im Theater. Es gilt also zu befragen, „wie sich Kunstvermittlung zur Institution [...] ins Verhältnis setzt“ (ebd., S. 9). Pinkert bezieht sich auf Carmen Mörsch und ihre Untersuchungen der institutionalisierten Kulturvermittlung im Museum und beschreibt vier Diskurse: den affirmativen, reproduktiven, dekonstruktiven und transformativen;77 für die hier weiter durchgeführten Analysen sind die Strategien und Maßnahmen, die sich diesen Diskursen in ihrer jeweiligen Bedeutung zuordnen

77 Eine ausführliche Beschreibung würde hier zu weit führen, es sei verwiesen auf den bereits zitierten Artikel sowie die Forschungen von Carmen Mörsch (Mörsch 2009).

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sowie ihre Zugehörigkeit zu den Theaterformen im Sinne einer Tribalisierung oder avantgardeorientierten Urbanisierung entscheidend: Im affirmativen Diskurs steht die Deutung und Vermittlung des Kunstwerkes im Mittelpunkt, beispielsweise durch eine einleitende Einführung vor einer Vorstellung, welche eine Inszenierung erläutert; es geht hier also um die Ansprache eines spezialisierten Publikums. In neueren Formaten „präsentieren sich die Theater als Zentren einer Wissensproduktion, die den künstlerischen bzw. den vermittlungsorientierten Diskurs des Hauses für ein interessiertes Fachpublikum öffnet“ (Pinkert 2011, S. 10); angesprochen werden also bereits interessierte und auch bereits gebildete und wissende Personengruppen. Die Hierarchie der Ansprache (das Theater bildet den Zuschauer und nicht umgekehrt) ist eindeutig, es handelt sich also um Maßnahmen, die eher dem avantgardeorientierten Theater entsprechen. Genauso ist der reproduktive Diskurs eher dieser Theaterform zuzuordnen; hier steht die Vermittlung vor allem im Dienste der Institution, um ein möglichst breites Publikum zu erreichen, Zugänge zu schaffen im Sinne eines Abbaus von Schwellen und zugleich Interesse und Freude zu wecken (ebd.); dies wird hauptsächlich über praktische theaterpädagogische Arbeit versucht und erreicht: „In der Theaterpädagogik gilt es als unanfechtbar, dass sich diese Schaulustförderung am besten über einen erfahrungsorientierten Ansatz vermitteln lässt. Dabei sind Vorbereitungsworkshops komplex konzipiert: Sie laden die Teilnehmer_innen dazu ein, über die praktische Erprobung von auf die Inszenierung bezogenen Interaktionsspielen, von Rollenskizzen und szenischen Momenten Erfahrungen sowohl mit den Themen als auch mit der Produktions- und Spielweise der Inszenierung zu machen. Die an das Spielen anknüpfende Reflexion soll den Workshopteilnehmenden die Relevanz der jeweiligen Themen deutlich machen und den Blick dafür öffnen, wie diese Themen in der Inszenierung auf spezifisch theatrale Weise umgesetzt werden“ (ebd., S. 11, Hervorhebungen im Original). Der sogenannte dekonstruktive Diskurs, der sich nach Carmen Mörsch auf eine Kritik sowohl der Institution als auch der Kunst bezieht, scheint nach Pinkert im Theater noch nicht relevant zu sein: „So hat meines Wissens in der theaterpädagogischen Diskussion bislang keine kritische Auseinandersetzung mit dem Theater als Institution und als Wirklichkeitskonstruktionsmaschine stattgefunden“ (ebd., S. 12.). Auch Wolfgang Sting stellt fest: „Aktuelle Spielformen der Kunst wie partizipative Projekte stellten nie die Macht der Institution und der Kunstschaffenden in Frage, das Top-down-Prinzip bleibe bestehen, weil vorbestimmt wird, wie man partizipieren solle“ (Sting 2017). Gleichermaßen sei jedoch im transformativen Diskurs die Möglichkeit der Veränderung gegeben: „Theatervermittlung, die dem transformativen Diskurs folgt, arbeitet dabei in unterschiedlicher Gewichtung in zwei Richtungen: zum einen an der Erweiterung des Theaterbegriffes durch Einbeziehung von Impulsen aus anderen Künsten, Aktionsformen und der Kunstpädagogik und zum anderen an der Öffnung des Theaters in sein soziales und politisches Umfeld hinein“ (Pinkert 2011, S. 13). Für Pinkert ist eindeutig, dass „der dekonstruktive und transformative Diskurs mit der oben skizzierten tribalisierten Theaterform korrespondieren“ (ebd., S. 14). Das heißt also, dass bei einem Verständnis von Theater, das sich an den Menschen ausrichtet und Teilhabe und Teilnahme als grundlegenden Ansatz implementiert hat, zugleich sich selbst immer wieder auf den Prüfstand stellen sollte, eben durch die Erfahrungen und Maßnahmen im partizipatorischen Bereich. Mark Terkessidis plädiert in diesem Sinne dafür, statt der Begriffe Teilhabe oder Teilnahme die Bezeichnung „Kollaboration“ zu

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verwenden, um Prozesse einer Beteiligung zu beschreiben: „Der Begriff Kollaboration ist einer, der eine etwas stärkere Betonung auf das demokratische Potential legen soll. [...] Im Rahmen von Kollaborationen wollen und sollen wir alle gemeinsam lernen; da steht nicht schon von vorneherein fest, wer wem was beibringt. [...] Der Prozess kann die Richtung ändern. Das heißt, wenn ich kollaboriere, muss ich auch anerkennen, dass ich einen gewissen Kontrollverlust in Kauf nehmen muss. Dieser Kontrollverlust ist das, was Teilgabe bedeutet“ (Terkessidis 2015, S. 30).78 Hanne Seitz beobachtet gerade im zeitgenössischen Theater eine Veränderung durch partizipatorische Arbeit; dort „werden die Unterschiede zwischen Kunst und sozialer Praxis, zwischen Politik und Spiel, zwischen künstlerischen und alltäglichen Aufführungen immer durchlässiger“ (Seitz 2012, S. 3). Theaterkunst scheint sich also auch im Sinne des transformativen Diskurses zu ändern, oder zumindest sich ansatzweise zu öffnen.79 Sie beschreibt zudem eine durch diese Arbeit einsetzende und damit einhergehende Veränderung sowohl von Theater als auch des Publikums: „Von der Einführung in Stücke über Publikumsgespräche bis zur Bühnenpräsenz – kein Theater will heutzutage auf Vermittlung und partizipatives Potenzial verzichten. Partizipation thematisiert – ähnlich dem Integrationsgedanken – gesellschaftlichen Ausschluss und spricht Menschen an (Behinderte, Migranten, Jugendliche), die nicht teilhaben wollen oder können. Damit zielt partizipative Kunst nicht nur auf die Demokratisierung der Künste, sondern ganz generell auf Ausschlusstendenzen in unserer Gesellschaft. Partizipation bewirkt mehr als nur Teilhabe; die partizipativen Erprobungen mit ihren experimentellen und durchaus riskanten Unternehmungen haben die Theaterlandschaft radikal verändert: Die Theater sind nicht mehr die selben und die Zuschauer auch nicht mehr“ (ebd., S. 4). Strategien, Modi, Ziele

Wie im zeitgenössischen Theater, in der Praxis der Darstellenden Künste Teilhabe und Teilnahme verstanden und ermöglicht wird, ist Voraussetzung, um die zugrunde liegenden Konzeptionen zu verstehen und Desiderate offen zu legen. Es braucht also noch eine genauere Beschreibung, wie die bisher aufgezeigten Überlegungen zu Formen und Inhalten von Partizipation ganz praktisch in der Theaterarbeit implementiert werden können. Der Fokus wird auch hier auf der Beteiligung nicht-professioneller Akteure liegen, doch zumeist sind die Strategien, Modi und Ziele auch übertragbar auf Kooperationen mit professionellen Theatermachern, dieser Transfer wird im empirischen Teil dieser Arbeit und in der Diskussion der Ergebnisse immer wieder durchgeführt werden. Bei allen Betrachtungen ist – wie bereits verdeutlicht – die jeweilige Haltung und Absicht entscheidend: „Partizipation als eine besondere Form der Rezeption künstlerischer Ereignisse ist wie jede Rezeption davon abhängig, mit welcher Haltung Künstler

78 Dieser Aspekt der Teilgabe wird im Zusammenhang mit den Überlegungen zu einer Kulturpolitik für Partizipation erneut aufgegriffen, da er die Zweiseitigkeit eines Beteiligungsprozesses beschreibt, die sich meist in einem Ungleichgewicht zu befinden scheint. 79 Ein Format, das in den Fokus der wissenschaftlichen Betrachtung gerückt ist und das in diesem Kontext zu verorten ist, sind die sogenannten Bürgerbühnen, die im Forschungsprojekt „Krisengefüge der Künste“ hinsichtlich einer Transformation des Stadttheaters untersucht werden (siehe dazu DFG-Forschungsgruppe Krisengefüge der Künste 2017a) und die auch im weiteren Verlauf Beachtung finden werden, siehe dazu Kapitel 2.2.4.

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und Künstlerinnen zur Partizipation einladen, ob sie z. B. auf Erweiterung des Erfahrungshorizonts zielen, Aufklärung leisten wollen oder politische Wirksamkeit suchen, ob die Teilnahme alltägliche oder künstlerische Aktivität verlangt, ob die partizipierenden Akteure einer bereits existierenden Idee folgen oder selbst im Prozess involviert sind, ob ihre Beteiligung für die künstlerische Arbeit notwendig oder nur Legitimation ist. Was, warum, wer, wo, wann, wozu, wie – Fragen, nicht nur künstlerischer, sondern auch politischer und ethischer Art“ (Seitz 2012, S. 8). Es müssen also nicht nur die Absichten, sondern auch die dazu angewendeten Maßnahmen genauer klassifiziert werden, um für die empirische Betrachtung der Theaterlandschaft im Allgemeinen und der Landesbühnen im Speziellen Möglichkeiten einer Beschreibung und Bewertung der partizipatorischen Ansätze zu haben. Auch wenn die konkrete Messung der Auswirkungen solcher Projekte und Zusammenarbeiten auf die Beteiligten hier nicht durchgeführt werden kann (vgl. Renz 2016 sowie Elbertzhagen 2010), ist eine Bewertung der partizipatorischen Angebote in Hinblick auf ihre jeweilige Konstruktion hilfreich, um den Stellenwert dieses Teils von Theaterarbeit innerhalb der Institutionen einzuschätzen. Wenn Theater im Auftrag stehen, Partizipation zu ermöglichen und dieses so gedeutet wird, dass es nicht nur um eine Teilhabe und Teilnahme an künstlerischen Erlebnissen oder Prozessen geht, sondern auch um eine gesellschaftliche Partizipation, sollte davon ausgegangen werden, dass die öffentlich getragenen Theater in diesem Sinne auch möglichst vielfältige und variantenreiche Angebote für eine umfassende Teilhabe und Teilnahme bereitstellen; im Sinne eines Audience Developments, und gleichermaßen auch hinsichtlich einer Ermächtigung des Publikums: „Partizipative Kunst will die Zuschauer an Bedeutung generierenden Prozessen beteiligen, ihre Willensbildung forcieren und Entscheidungsprozesse voran bringen“ (Seitz 2012, S. 2). Je nachdem wie diese Formate zur Beteiligung gestaltet sind, zeigt sich eine Art Abstufung der Aktivität, beziehungsweise der Eigenleistung der Personen, die involviert werden. Hanne Seitz beschreibt fünf „Partizipationsstrategien und Rezeptionsmodi“ (ebd., S. 5), sie stellt also den unmittelbaren Zusammenhang zwischen dem Rezipieren und dem Partizipieren her, der sich bis zu einem gewissen Maße zu einem Produzieren entwickeln kann. Als erstes zählt sie den mentalen Modus auf, also das aktive Zuschauen, das präsente Dabeisein, nicht nur im Sinne einer körperlichen Anwesenheit, sondern verstanden als ein aktives Mitdenken, Imaginieren, Bezüge herstellen und Ähnliches. Diese Form wird ermöglicht durch Inszenierungskonzepte, die eine solche Beschäftigung mit dem, was passiert, anstoßen, sei es durch verschiedene Ebenen von Handlung oder Erzählung, postdramatische Arbeitsweisen oder ungewöhnliche Bildsprachen. In der kommunikativen Strategie geht es hauptsächlich um eine diskursive Teilnahme, oft in Form von Gesprächen, die meist der Vor- oder Nachbereitung dienen, wie beispielsweise Inszenierungsgespräche; die sich aber auch auf Beratung oder Interessensabfragen hinsichtlich einer Programmgestaltung beziehen können. Die zuarbeitende Arbeitsweise bezieht sich auf dokumentarische Theaterarbeit sowie Recherchetheater und sollte somit erwartungsgemäß im tribalisierten Theater am stärksten vertreten sein: Hier steuern die Beteiligten Geschichten bei, eventuell auch Artefakte und haptisches Material oder werden beispielsweise als Interviewpartner in die Stückentwicklung einbezogen. Diese Form kann demnach nicht nur in der hier betrachteten Beziehung Zuschauer – Theaterschaffende Anwendung finden, sondern könnte sich auch auf die Beteiligung der Künstler selbst, auf den Austausch der Theatermacher unter-

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einander beziehen; diese Arbeitsweise scheint geeignet für Formate, in denen es keine klare Trennung mehr zwischen den Teilgebenden und den Teilnehmenden gibt. Als vierten Modus benennt Seitz die Möglichkeit des Mitproduzierens – und hier bezieht sie sich klar auf die Konstellation professioneller Theater und nicht-professionelle Beteiligte. Dabei geht es um „aktives Involviertsein, körperliche Beteiligung, meist unter Leitung professioneller Theatermacher, Einbezug professioneller und nichtprofessioneller Spieler“ (ebd.). Formate des „Mitmachtheaters“ (ebd.) werden darunter ebenso verstanden wie Arbeiten mit Einbezug sogenannter Experten des Alltags; wobei die künstlerische Arbeit im Mittelpunkt steht und nicht der sozial-integrative Aspekt des Mitmachens; „ästhetische und inhaltliche Qualität [ist] oft wichtiger als die Förderung der partizipierenden Akteure, Partizipation ist meist konstitutiv für die entstehende künstlerische Arbeit; z. B. durch Neuinterpretation klassischer Werke mit nichtprofessionellen Spielern oder Akteuren, die ihr eigenes Leben darstellen; durch Zuschauer, die (bewusst oder unbewusst) Teil der Inszenierung werden, die von Station zu Station geleitet werden [...]; durch zufällige Beteiligung aufgrund einer Animation oder Ansprache im öffentlichen Raum“ (ebd., S. 5 f.). Als freieste partizipatorische Vorgehensweise beschreibt Seitz die selbstproduzierenden Formate, die sich auszeichnen durch kollektive Arbeit, eine gleichberechtigte Mitbestimmung und den Fokus auf die Zusammenarbeit, den Prozess und die performativen Handlungen: „die sozial-kommunikative und subjektive Dimension erscheint vorrangig, ebenso die Prozessorientierung (gegenüber dem künstlerischen Produkt oder Werk); z. B. durch Eigen- oder Ensembleproduktionen; durch performative Arbeiten, in denen das künstlerische Handeln nicht mehr Repräsentationsfunktion hat, sondern der Vollzug eine eigene (nichtsymbolische) Wirklichkeit erzeugt“ (ebd., S. 6). Hier scheint also der individuelle Prozess maßgeblich und das künstlerische Produkt diesem untergeordnet, im Gegensatz zu dem mitproduzierenden Modus, in dem das Kunstwerk wichtiger scheint. Dass dies nur eine Deutungsmöglichkeit ist, wird durch die weiteren Ausführungen dieser Arbeit gezeigt werden, so kann es durchaus Projekte geben, innerhalb derer beides gleichermaßen wichtig ist oder die zumindest eine solche Gleichstellung behaupten.80 Diese kurzer Darstellung unterschiedlicher Rezeptionsmodi und Partizipationsstrategien und ihre Einordnung in eine Art Reihenfolge des Aktivitätslevels, geschieht zunächst ohne Wertung, jedoch könnte man erwarten, dass ein Theaterbetrieb, der auf eine umfassende Partizipation Wert legt oder sich diesem Prinzip verpflichtet fühlt, möglichst unterschiedliche Arten an Angeboten bereit hält.81 Zugleich zeigen sich in dieser Klassifikation auch die unterschiedlichen Machtpositionen innerhalb solcher partizipatorischer Arbeit: Je mehr der Zuschauer, oder der Nicht-Profi, oder der sonst nicht dem Betrieb Zugehörige aktiv involviert wird oder Möglichkeiten dazu bekommt, desto mehr Deutungshoheit und Entscheidungsgewalt muss das Theater auch abtreten.

80 Verwiesen sei hier auf die entsprechenden Artikel in Schneider u. a. 2017a, die sich mit dieser Thematik auseinandersetzen, vor allem in dem Buchteil „Perspektiven für eine partizipative Programmatik“. 81 Diese These war Ausgangspunkt für den Artikel der Autorin, der während der ICCPR 2016 präsentiert wurde: „The German ‘Landesbühnen’ – a prototype for ‘tribalisation of theatre’? Significance of audience participation for the survival of theatre“, Schröck 2016.

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Seitz führt in diesem Kontext drei Partizipationsformate auf, die alle über das klassische Theatererlebnis im Sinne einer Bühnenproduktion hinaus gehen. Sie bezieht sich dabei erneut auf Silke Feldhoff und die von ihr erarbeiteten Kategorien und benennt Interventionen, als „soziale Eingriffe, die durch ihren überraschenden, auch störenden Gestus über eine bloße Aktivierung hinausgehen; entweder (mit dem Wunsch nach realen Veränderungen) körperlich agitierend oder nur auf symbolischer (und mentaler) Ebene durchspielend; z. B. durch unsichtbare (nicht als Theater erkennbare) Eingriffe im öffentlichen Raum [...] ; Format- und Rahmenverschiebungen“ (Seitz 2012, S. 7); als zweite Kategorie die „Soziale Praxis“, „erlebnis-, alltags-, auch eventorientierte Formate“ (ebd.), die häufig im öffentlichen Raum angesiedelt seien, mit der Absicht zeitlich begrenzte Gemeinschaftsbildungen zu initiieren, unter anderem auch durch den Einbezug alltäglicher Handlungen wie Kochen und Essen oder temporäre Situationen des Feierns. Im dritten Format, dem Zielgruppentheater, stehen bestimmte Gruppen im Fokus; der Schwerpunkt liegt dabei nicht auf einem Endprodukt, sondern auf dem Prozess; dieser sei „oft außerkünstlerisch interessiert“ (ebd.), es gehe hauptsächlich darum, die Teilnehmer zu fördern und zu integrieren; thematisch werden für diese Gruppe und ihren Sozialraum wichtige Themen behandelt.82 Die bereits erwähnte, notwendig erscheinende und sich möglicherweise aus dieser partizipatorischen Arbeit ergebende Öffnung des Theaters, sowohl als Betrieb als auch bezogen auf das zugrunde liegende klassische Theaterverständnis, die Fokus-Verschiebung vom autonomen Kunstwerk hin zu einem Verständnis von Darstellender Kunst als sozialer Praxis,83 wird zuweilen auch kritisiert: Es stellt sich auch hier die Frage nach der eigentlichen Kernaufgabe und dem Selbstverständnis von Theaterbetrieben: Geht es um die Kunstproduktion oder geht es um die Schaffung eines gesellschaftlichen Ortes des Austausch und Verhandelns; geht es um professionelle Theaterarbeit oder um soziale, integrative, gar therapeutische Projekte? Auf Grundlage der bisherigen Herleitungen könnte erwartet werden, dass die Theater im öffentlichen Auftrag, insbesondere die Landesbühnen als Instrument für kulturelle Teilhabe, in ihrer Arbeit sowohl unterschiedliche Modi der Partizipation anbieten, als auch verschiedene Formate für Teilhabe und Teilnahme umsetzen: Gerade vor der Begründung einer gesellschaftspolitischen Theaterpolitik scheint das Zielgruppentheater für den Theaterbetrieb im Sinne eines Stadttheaters besonders wichtig zu sein. Die Darstellenden Künste als soziale Praxis zu betrachten, in diesem Sinne die Theaterkunst als autonome ästhetische Praxis aufzubrechen, mit dem Selbstverständnis auch andere Funktionen als die einer Bildungseinrichtung zu übernehmen, könnte bei der Betrachtung des Gegenstand ebenso Bedeutung erfahren: Schließlich agieren die Landesbühnen nicht nur im städtischen, sondern auch im ländlichen Raum und dort können

82 Die hier implizierte Vermutung, dass im Zielgruppentheater nicht die Kunst im Mittelpunkt stünde, lässt erneut den Verweis auf das Kinder- und Jugendtheater zu, in dem genau diese Vorannahme immer noch und immer wieder den Diskurs zu bestimmen scheint; siehe dazu Kapitel 2.2.5. 83 Christoph Lutz-Scheuerle verweist auf die Entwicklungen, Theater als soziale Kunst im Sinne eines sozialen Handelns zu betrachten (vgl. Lutz-Scheuerle 2017, S. 149). Hiermit verbunden sind auch Schlagworte wie „Forschendes Theater“ und „Theater in sozialen Feldern“ siehe dazu exemplarisch Fachhochschule Dortmund 2016 sowie Bundesarbeitsgemeinschaft Spiel und Theater 2015.

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Kunst und Kultur differenzierte Funktionsweisen übernehmen oder diesen zugeordnet werden.84 Gerade auch in den ländlichen Gegenden übernehmen kulturelle Praktiken und künstlerische Prozesse eine wichtige Rolle im Kontext von Gemeinschaftsbildung, oft verbunden mit Alltäglichkeiten oder akuten Herausforderungen der Gemeinschaft, der zweiten Kategorie der benannten Formate nach Seitz entsprechend (vgl. dazu auch die Darstellungen zu Herausforderungen und Entwicklungen im ländlichen Raum in Schneider u. a. 2017b.). Ob und wie theatrale Interventionen im Falle der öffentlichen Theater als Format etabliert werden (können) ist ebenfalls ein zu untersuchender Aspekt; wie dieser auf die Landesbühnen bezogen werden kann, wird betrachtet, wenn die Landesbühnen im Folgekapitel detaillierter als Forschungsgegenstand dargestellt werden. Applied Theatre: Arbeitsfeld und Institutionskritik

Die Ansätze, die hier unter den Begriffen transformatorische Theaterpädagogik, interventionistische Formate und Theater als soziale Praxis beschrieben wurden, werden nicht nur verstärkt in der praktischen Theaterarbeit umgesetzt, sondern rücken auch mehr in die akademische Aufmerksamkeit und zwar nicht nur auf den theaterpädagogischen Diskurs beschränkt. Aus dem englischsprachigen Raum hat sich für die Betrachtung dieser Schnittfelder zwischen Theaterkunst und Feldern der Sozialarbeit die Bezeichnung „Applied Theatre“ durchgesetzt. Wolfgang Sting konstatiert, dass dieser Terminus in seiner begrifflichen Bestimmung und auch in seiner praktischen Anwendung mittlerweile in der deutschen Theaterlandschaft Einzug gehalten habe, bei der Betrachtung der zugehörigen meist englischsprachigen Abhandlungen über diese Thematik, „wird deutlich, dass der englische Überbegriff Applied Theatre, entstanden aus der Zusammenführung unterschiedlicher theaterpädagogischer Kontexte (Drama Education, Theatre in Education, Theatre in Social Fields), ein weites Arbeitsfeld meint, das übergreifend die Theaterarbeit mit nichtprofessionellen Akteurinnen und Akteuren in pädagogischen, sozialen und therapeutischen Zusammenhängen meint. Bei uns firmiert das unter ‚Theaterpädagogik‘“ (Sting 2017). Entscheidender aber als die Suche nach entsprechenden deutschen Worten, die sich durchaus schwierig gestalten kann (vgl. dazu das Vorwort in Warstat u. a. 2017), ist die dahinter stehende Haltung, die auch für die hier geführten Diskussion entscheidend sein könnte: „Wichtig ist dabei, dass hier keine Hierarchie zwischen künstlerisch und sozial oder pädagogisch orientierten Projekten pejorativ vorgenommen wird wie mitunter im deutschen Sprachraum“ (Sting 2017) – Sting verweist mit dieser Aussage auf die mitunter übliche, oftmals auch nur implizit vorgenommene Vorabbewertung bestimmter Formate: Eine Aufführung von oder mit nicht-professionellen Darstellern scheint eine andere Bewertung zu erfahren als eine von nur professionellen Mitwirkenden. Die grundsätzliche Frage nach einer Abgrenzung zwischen Kunst und Pädagogik, zwischen ästhetischer, künstlerischer Arbeit und sozialpädagogischen Effekten schwebt, bezogen auf interne Strukturen als auch auf die gesamte Theaterlandschaft, immer über den Diskussionen über die Qualität und die Stellung von partizipatorischer

84 Siehe dazu die Darstellung der diesbezüglichen Forschungsergebnisse von Doreen Götzky in Kapitel 2.3.2.

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Arbeit. Im Applied Theatre wird bewusst mit diesen – scheinbaren weil behaupteten – Gegensätzen umgegangen: „Applied Theatre als Praxiskonzept arbeitet mit klaren ethischmoralischen Absichtserklärungen und normativen Setzungen, was Theater leisten kann. Da besteht eine große Nähe zu den programmatischen Papieren der kulturellen Bildung. Applied Theatre betont aber immer das Und: Ästhetisch und sozial, künstlerisch und pädagogisch, Social Change und Transformation, Community Building und Empowerment“ (ebd., Hervorhebungen im Original). Selbstverständlich, dies muss klar gemacht werden und wird immer wieder, auch von Wolfgang Sting, betont, bedeute dies nicht eine Reduzierung der Qualitätsansprüche: „Bei allen Unschärfen im Inhaltlichen, die ein solcher Containerbegriff mit sich bringt, und offensiven Versprechungen, welche Wirkungen intendiert werden, sehe ich hier eine Chance, die letztlich unproduktive Hierarchisierung von Projekten im Bereich der kulturellen und ästhetischen Bildung aufzuheben. Das heißt nicht, dass keine kritische Reflexion in Bezug auf die Professionalität und Substanz der Projekte und Macherinnen und Macher erfolgen sollte, sondern dass eine vorschnelle Klassifizierung in hier Kunst und da Sozialprojekt nicht mehr zeitgemäß ist“ (ebd.). Teilhabe wird in diesem Sinne als Chance wahrgenommen, künstlerische Prozesse in einer besonderen Konstellation anzustoßen und zugleich wertvolle Erfahrungen für die Beteiligten zu generieren; es entspricht dabei den oben benannten Partizipationsformaten „Zielgruppentheater“ und Theater als „Soziale Praxis“ und versteht sich dabei auch in einer demokratischen und politischen Funktion: „Das Zauberwort [...] lautet ‚Partizipation‘ – und zwar in dem Sinne, dass soziale Gruppen, die in der Öffentlichkeit sonst wenig wahrgenommen werden, eine Bühne, einen Ausstellungsraum oder ein anderes sichtbares Forum geboten bekommen sollen. Im Kontext dieser Art sozial engagierter Kunst gilt es, den Blick auf ein Theater zu richten, das meist außerhalb der Kunstsphäre situiert wird und das sich in Deutschland [...] bisher weitgehend jenseits des Interesses der Theaterwissenschaft entwickelt hat“ (Warstat u. a. 2015, S. 7). Theater dieser Art kann dabei in ganz unterschiedlichen Formen stattfinden und ganz unterschiedliche Bereiche ansprechen, eine große Herausforderung dabei ist, dass für eine Beschreibung dieser Projekte adäquate Beschreibungsmuster fehlen oder anderen Feldern entnommen werden müssen. „Im Englischen dient der Begriff applied theatre als Sammelbezeichnung für Theaterprojekte mit expliziter politischer, pädagogischer oder therapeutischer Intention. Es handelt sich um Projekte, die sich an klar definierte Zielgruppen richten: Dorfgemeinschaften, Stadtteilgruppen, Patienten, Klientinnen, Häftlinge, Betriebsbelegschaften, Angehörige genau eingegrenzter sozialer Milieus, jedenfalls Gruppen, die explizit benannte soziale Merkmale teilen“ (ebd.). Das Augenmerk der Arbeit liegt bei den Projekten des Applied Theaters auf den Beteiligten, den auf sie wirkenden Effekten und ihren Erfahrungen. Diese können unterschiedliche Wirkung entfalten und sind auch im Kontext einer Verzweckung von künstlerischen Projekten als Gegenargument zu beachten, insofern, dass Kunst als zweckfrei zu gelten habe. So können theaterpädagogische Projekte, wie beispielsweise Jugendclubs, im Bereich der Kulturellen Bildung als künstlerische Arbeiten gewertet werden, oder der Fokus kann eben auf die Transfereffekte gelegt werden: „Wenn etwa Kinder oder Jugendliche in den Probenprozessen zu einer Theateraufführung Stimmund Sprechtechniken, mimetische Kompetenzen und Improvisation erlernen, können sie von diesen Fähigkeiten, so die Hoffnung, anschließend auch in anderen Lebensbereichen profitieren“ (ebd., S. 8).

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Applied Theatre kann in diesem Sinne, also mit der bewussten Haltung, dass die Projekte immer auch etwas beabsichtigen, als ein Gegensatz zur Kunstautonomie wahrgenommen werden, oder aber in einer produktiven Wendung als Ansatz für Reformdenken gewertet werden, mit der Absicht, diese Trennung zu überwinden. Die Autoren des Buchs „Theater als Intervention. Politiken ästhetischer Praxis“ beschreiben die Situation wie folgt: „Wo hingegen – wie in Deutschland – ein kunstaffines Stadt- und Staatstheater vorherrschend war oder noch ist, bedeuten die neuen Formen eine Herausforderung für das angestammte Autonomie-Ideal, weil sie von explizit definierten Zwecken ausgehen“ (ebd., S. 9). Dementsprechend seien an Stadt- und Staatstheatern zwar vereinzelt Projekte zu finden, die sich dem Applied Theatre zuordnen ließen, doch meist sind solche Arbeiten in anderen gesellschaftlichen Institutionen verankert. „Applied theatre möchte nicht selten gezielt in gesellschaftliche Kontexte intervenieren“ (ebd., S. 10). Applied Theatre – und dieser Einschub ist notwendig, um den Kontext zu verdeutlichen – wird im Diskurs vor allem auch auf Projekte und Vorhaben bezogen, die im Zusammenhang mit Entwicklungsarbeit stehen, beispielsweise zur gesundheitlichen Prävention, initiiert und finanziert von Verbänden der Entwicklungshilfe; oder auf Programme im therapeutischen Zusammenhang beispielsweise in Kliniken oder Gefängnissen. Ausführliche Fallbeispiele und Beschreibungen finden sich in den bereits zitierten Büchern über das Applied Theatre und würden hier zu weit führen (siehe dazu Warstat u. a. 2015 und Warstat u. a. 2017). Vor dem Hintergrund jedoch einer Ungerechtigkeit der Teilhabechancen in Deutschland, bezogen auf die Möglichkeiten, an den professionellen Darstellenden Künsten teilzuhaben und teilzunehmen,85 könnte Applied Theatre als Begrifflichkeit und als Praxisfeld einen Ansatz bieten, um diese Situation zu ändern. Denn den „Mitwirkenden sollen Erfahrungen ermöglicht werden, die in direkter, unmittelbarer Weise zu einer Veränderung ihrer Situation beitragen“ (Warstat u. a. 2015, S. 9).86 Applied Theatre scheint sich für eine Institutionskritik innerhalb des Kunstsystems und auch der Theaterlandschaft zu eignen, da es sich explizit von den etablierten Strukturen abgrenzen will (Parallelen zur der Entwicklung des Freien Theaters in Deutschland sind also in dieser Hinsicht vorhanden). „Das Applied Theatre wird somit als Bewegung fort von anderen Theaterformen angesehen – weil es seinen Schwerpunkt auf ‚einfache Leute‘ und deren Geschichten legt, statt auf professionelle Schauspieler und schriftlich festgelegte Abläufe, weil es nachhaltig in lokale Kontexte eingebunden ist und sich klar zu einer Kombination aus sozialen und künstlerischen Zielen bekennt“ (Bala 2016, S. 276). Nicht das Produkt, nicht das Angebot ist maßgeblich, sondern der Prozess, die Entwicklung, die Teilnahme; und da es diese Aspekte nicht ausreichend in den vorhandenen Strukturen vertreten oder vorhanden sieht, versucht das Applied Theatre, neue Formen zu finden. Sruti Bala sieht das Applied Theatre als Möglichkeit, durch die partizipatorische Konzeption Kritik am bestehenden System zu üben – entsprechend der Überlegungen von Hanne Seitz hinsichtlich des dekonstruktiven und transformatorischen Diskurses, bezogen auf die Theaterpädagogik am Theater. Bereits die Benennung, Beschreibung und Absichtserklärungen des Applied Theatres zeigen die Differenzen zum bestehen-

85 Siehe dazu insbesondere die Ausführungen im Folgekapitel. 86 Auch wenn sich diese Aussage zunächst und im originären Kontext nicht auf die kulturelle Teilhabe bezieht, soll dies für die vorliegende Untersuchung so abstrahiert werden.

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den professionellen, kunstorienierten Theatersystem auf. Bala verwendet den Begriff „Applied Theatre“ ebenfalls als Sammelbezeichnung für Formen des „‚Community Theatre‘, ‚Theatre for Development‘ oder ‚Participatory Theatre‘ [...]. Diese Kategorien sind keineswegs neutral und deskriptiv, sondern verweisen auf ihre Herkunft aus spezifischen Abgrenzungsprozessen mit jeweils eigenen impliziten ideologischen Annahmen, die beispielsweise die Unterscheidung der Arbeit von professionellen Theaterschaffenden vom Amateur- oder Laientheater betreffen, der etablierten von der angewandten Kunst, autonomen von heteronomen Sichtweisen zum Platz des Theaters in der Gesellschaft“ (ebd., S. 275). Theaterarbeit im Sinne des Applied Theatres sei gekennzeichnet durch eine Suche nach und eine Bewegung hin zu anderen Institutionen, zu neuen Beziehungsformen und zu einer Veränderung der bestehenden Institutionen: „Es gilt als hervorgegangen aus einer kritischen Reaktion auf das Fehlen dieser [oben benannten] Merkmale in den etablierten nationalen, bürgerlichen und kommerziellen Theatersphären. Eine Bewegung fort von diesen Institutionen impliziert eine Suche nach anderen Institutionen, die charakterisiert ist durch ein Streben hin zu alternativen institutionellen Räumen, in Kooperation mit den Menschen, die tagtäglich dort leben oder arbeiten. Dafür infrage kommen entweder gesellschaftliche Institutionen wie Schulen, Seniorenheime, Jugendclubs, Gefängnisse oder Krankenhäuser oder auch die zeitweilige Besetzung öffentlicher oder privater Räume wie etwa Straßen, Plätze, Dächer, Wohnhäuser oder Gärten, wobei Passanten zur Partizipation eingeladen werden“ (ebd., S. 276 f.). Auch wenn Bala diese Bewegung vor allem anhand internationaler Beispiele im Kontext mit parteipolitischen oder gewerkschaftlich organisierten Aktionen und Handlungsabsichten beschreibt,87 kann sich dies auch auf die Strukturen eines Theaterbetriebes beziehen: „Das kann in Gestalt eines Aufrufs zur Veränderung der Arbeitsprozesse innerhalb des Theaters geschehen oder durch die Infragestellung der hierarchischen Beziehungen zwischen Theaterregisseuren, Schauspielern, Dramaturgen, Übersetzern, Produktionsassistenten, Beleuchtern, Bühnen- und Kostümbildnern“ (ebd., S. 277). Hierbei wird die Beschreibung von partizipatorischer Arbeit, mit der Absicht und auch der Chance, strukturverändernd zu wirken, auch auf eine Partizipation der Mitarbeiter bezogen und nicht nur auf die klassische Konstellation ZuschauerTheatermacher.88 Auch wenn, wie bereits angedeutet, sich die hier zitierten Abhandlungen hauptsächlich auf internationale Beispiele beziehen und dort verstärkt Projekte im Feld der Entwicklungszusammenarbeit, der Therapie oder des Unternehmentheaters betrachtet werden, sollen die dort formulierten Überlegungen zur Betrachtung des hier analy-

87 „Die Bewegung fort von den etablierten Theaterinstitutionen geht einher mit einer Bewegung hin zu Institutionen wie Gewerkschaften und politischen Parteien, deren Kundgebungen und öffentliche Aktivitäten oft auf der Straße stattfinden. Die Ablehnung etablierter Institutionen und die Hinwendung zu alternativen Institutionen werden oft auch von Versuchen begleitet, bestehende Institutionen und institutionelle Praktiken zu transformieren“ (Bala 2016, S. 277). 88 Im Laufe dieser Arbeit wird noch mehrfach gezeigt werden, dass Partizipation in unterschiedlichen Modi sich auch an die Personen richtet, die aufgrund ihrer Professionalität oder ihrer Aufgaben innerhalb des Theaterbetriebes verortet sind, sei es in konkreten Theaterinstitutionen oder als Akteure innerhalb des Gastspielmarktes.

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sierten Gegenstandes dienen. Als öffentlich getragene Theaterform stehen die Landesbühnen auch in der Pflicht, die Sruti Bala für das europäische Theater grundsätzlich gegeben sieht: „Von zeitgenössischen Theaterpraktiken in Europa wird beispielsweise gemeinhin erwartet, dass sie irgendeine Form von Institutions- oder Selbstkritik zum Ausdruck bringen und damit zeigen, dass ihnen bewusst ist, von den Strukturen oder Institutionen, die sie tragen, zugleich gefördert und eingeschränkt zu werden. Das Fehlen einer solchen selbstkritischen Haltung führt meist zu Misstrauen oder wird als mangelnde Glaubwürdigkeit oder Kritikfähigkeit wahrgenommen“ (ebd., S. 283). Einer solchen Selbstkritik könnte also unter anderem auch durch Formate Ausdruck verliehen werden, welche mit Hilfe partizipatorischer Arbeitsweisen die Institution Theater – in dem hier beschriebenen Falle also des Konstruktes Landesbühne – als solche befragen; oder positiv ausgedrückt: Durch Formate, die unterschiedliche Personengruppen beteiligen, sei es aus der Zuschauer- oder der Mitarbeiterschaft, könnten in partizipatorischen Prozessen Erkenntnisse gewonnen werden, die Einfluss auf die zukünftige Theaterarbeit haben könnten. Gleichwohl muss bei diesen Überlegungen immer berücksichtigt werden, in welcher Situation und mit welcher Absicht diese Formate und Arbeitsweisen stehen, denn in gleichem Maße wie es bereits von Sting und Pinkert festgestellt wurde, weisen auch Warstat und Kollegen darauf hin: „Gegenhegemoniale Arbeitsweisen scheitern oft schon an der unleugbaren Abhängigkeit der Praktiker von unterstützenden Institutionen, die ihrerseits Träger oder Agenten hegemonialer Diskurse sind“ (Warstat u. a. 2015, S. 181). Partizipatorische Arbeit in einem (öffentlich getragenen) Theaterbetrieb wird nicht, oder nur bedingt, darauf zielen (können), diesen Betrieb gänzlich obsolet werden zu lassen. 2.2.3 Erkenntnisse aus der (Nicht-)Besucherforschung Die Annäherung an die Begrifflichkeit, die Gestaltungsmöglichkeiten und Zielsetzungen von Partizipation hat bereits mehrfach aufgezeigt, dass sich die Angebote der professionellen Darstellenden Künste meist nur auf einen bestimmten Personenkreis beziehen: Entweder auf eine ganz bestimmte (benachteiligte) Gruppe oder aber „das Publikum“. bereits in der thematischen Einführung wurde als prägnant beschrieben, dass man immer nur über eine wenige Handvoll spricht, wenn man über das Theaterpublikum nachdenkt: „Nach den Modi der Beteiligung zu fragen, bedeutet nämlich den Blick auf diejenigen zu fokussieren, die gewissermaßen schon dabei oder drin sind und ignoriert all diejenigen, die, aus welchen Gründen auch immer, von vornherein ausgeschlossen bleiben“ (Lutz-Scheuerle 2017, S. 148). Dieses Kapitel soll also maßgeblich die Erkenntnisse in die Betrachtung miteinbeziehen, die aus der Forschung über diese Ausgeschlossenen entstanden sind, denn da die „Frage nach der Beteiligung auch die Frage nach den Zugängen einschließt“ (ebd.), muss eben diese Zugangsermöglichung betrachtet werden. Respektive es muss befragt werden, warum eben wie wem ein solcher Zugang verwehrt bleibt und welche Bemühungen sowohl von den Kulturinstitutionen als auch der Kulturpolitik unternommen werden, um die Menschen strukturell in die Lage zu versetzen, an Kunst und Kultur teilzuhaben und daran teilzunehmen. Thomas Renz’ Betrachtung von Nicht-Besuchern und mangelnder Teilhabe aus Sicht

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einer sozialen Ungerechtigkeitsforschung dienen für die nun folgenden Ausführungen als Grundlage.89 Teilhabe-Barrieren und soziale Ungerechtigkeit

Für eine Betrachtung der Theaterlandschaft hinsichtlich der Ermöglichung von Partizipation dienen vor allem Forschungsergebnisse hinsichtlich der kulturellen Infrastruktur und bezüglich besuchsverhindernder Barrieren der Erkenntnisgewinnung. Thomas Renz unterscheidet bei diesen Barrieren zwei grundsätzliche Arten: Die von der Institution ausgehenden und die vom Individuum ausgehenden Hindernisgründe.90 Renz führt als erste Barriere die mangelnde kulturelle Infrastruktur an: Nur wer die Chance hat, ein kulturelles Angebot auch zu erreichen und zu besuchen, kann diese Gelegenheit in einen Besuch, also eine Handlung ummünzen und somit partizipieren. Allerdings ist dieser Zusammenhang zunächst keine sich gegenseitig erfüllende Bedingung, also „dass ein Abbau der Barriere der mangelnden kulturellen Infrastruktur durch neue Einrichtungen und damit verbunden zusätzliche Kulturveranstaltungen nicht automatisch zu einer entsprechend steigenden Besucherintensität oder gar einer Aktivierung von bisherigen Nicht-Besuchern führt“ (Renz 2016, S. 141). Dies bedeutet, dass eine kulturelle umfangreiche Infrastruktur zwar eine notwendige Grundvoraussetzung ist für Teilhabe – wo nichts ist, kann auch nicht teilgenommen werden – aber keine hinreichende Bedingung. Diese Feststellung hat natürlich Konsequenzen auf die Begründungsweisen der Idee „Landesbühne“: Einerseits stützt sie die Idee einer Reisebühne, stellt jedoch zugleich ihre Ausrichtung und Wirksamkeit in Frage. Es gibt, wie schon dargestellt wurde, große Unterscheide zwischen den Metropolen und der Provinz, was die Teilhabechancen im Sinne einer flächendeckenden Infrastruktur angeht: „Auch wenn [...] die grundsätzliche Nachfrage nach Theater sich gar nicht so sehr zwischen ländlichen und urbanen Räumen unterscheidet, ist das Angebot (öffentlich-geförderter) Theater sehr stark vom Faktor ‚Stadt‘ abhängig. [...] Dies ist zwar ein Stück weit als schwer veränderbare kulturpolitische Tatsache anzusehen, schafft aber immense Probleme in der Frage nach Teilhabegerechtigkeit auf der Angebotsseite zwischen urbanen und ländlichen Räumen. [...] Auch der Blick auf die gesamte Republik macht diese Ungleichheit deutlich. Von den 140 Stadt- und Staatstheatern [...] befinden sich lediglich 24 in Städten mit weniger als 50.000 Einwohnern“ (Renz 2018). Die deutsche Sektion der Internationalen Vereinigung des Theaters für Kinder und Jugendliche (ASSITEJ) hat in ihrer Studie „Zur Lage des Kinder- und Jugendtheaters in Deutschland“ (Renz 2017) aufgezeigt, dass Kinder und Jugendliche in (großen) Städten viel bessere Chancen haben, mit professionellem Theater in Kontakt zu kommen, als diejenigen, die im ländlichen Raum leben. Darüber hinaus seien in den Städten

89 Insbesondere die Forschungsergebnisse seiner Dissertation, Renz 2016; der Fokus seiner Arbeit richtet sich auf öffentlich finanzierte Kultureinrichtungen. 90 Da diese Arbeit sich nicht den individuellen Bildungsprozessen der Individuen durch kulturelle Teilhabe und Teilnahme oder den Persönlichkeitsmustern der Besucher und NichtBesuchern widmet, seien diese Aspekte hier nur in dem Umfang angesprochen, indem sie für die Herleitung der Forschungsfragen notwendig sind. Zur intensiveren Betrachtung sei neben den Forschungen Thomas Renz’ exemplarisch verwiesen auf Schneider u. a. 2017a sowie Keuchel 2014a.

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mehr Optionen gegeben, auch konkret auf eine bestimmte Altersgruppe zugeschnittene Produktionen zu erleben (vgl. ebd.). Thomas Renz, Autor der Studie, betont, dass es sich bei diesen Unterschieden nicht um marginale Zahlen handelt, sondern spricht davon, dass diese Möglichkeit, solches Theater zu erleben „mit dem Wohnort in einer Großstadt um ein Vielfaches wächst“ (Renz 2018). Dieses Ungleichgewicht des Angebots kann verschiedene Konsequenzen haben: Wenn kaum die Möglichkeit besteht, mit Theater in Kontakt zu kommen, können auch keine (neuen) Erfahrungen gemacht werden, eine Entwicklung des Rezeptionsverhaltens kann somit kaum stattfinden; wenn es nur wenige, vereinzelte Gelegenheiten gibt, Theater zu erleben, kann sich nur bedingt eine Beziehung zum Theater aufbauen. Die Frage nach einer Relevanz von Theater im eigenen, alltäglichen Leben stellt sich ebenso, wie die danach, welche Funktionen, welche Theater im jeweiligen Umfeld übernehmen.91 Neben dem Hindernis des ganz pragmatischen Zugangs, also der Möglichkeit, ein Theater zu erreichen und logistisch einen Theaterbesuch bewältigen zu können, können noch weitere Barrieren vom Theater selbst ausgehen. Dazu gehören die Preisgestaltung, die Kommunikation der eigenen Arbeit, der Service und die Dienstleistungen im Allgemeinen sowie nicht zuletzt die Kunstwerke an sich (vgl. dazu Renz 2016, S. 139–153) – wobei dieser letzte Punkt bereits in den zweiten Teil der Betrachtungen überleitet, die sogenannten subjektbedingten Barrieren (vgl. ebd., S. 153–163). Die Überwindung dieser personenbezogenen Barrieren sind letztendlich ausschlaggebend und relativieren die institutionsbezogenen Barrieren: Nur weil ein Theater vorhanden ist, es geschickt Werbung macht und es wenig oder gar nichts kostet, ergibt sich dadurch nicht automatisch ein Theaterbesuch.92 Grundsätzlich ist festzuhalten, dass „der Einfluss des Wohnorts auf die grundsätzliche Nachfrage nach Theater wesentlich weniger relevant als die Zugehörigkeit zu bestimmten (Bildungs-)Milieus“ (Renz 2018) ist. Denn „Beteiligung ist in erster Linie eine Frage der Verteilung von Teilhabechancen, anderseits aber immer auch eine Frage des Wollens und der inneren Haltung. Sind die Teilhabechancen gegeben, so liegt es immer noch am Einzelnen, diese zu ergreifen“ (Lutz-Scheuerle 2017, S. 148 f.). Selbst wenn es grundsätzlich eine Motivation zu einem Besuch einer kulturellen Einrichtung gibt, können Barrieren als „Phänomene bestehende Motivationsprozesse unterbrechen“ (Renz 2016, S. 153). Als solche unterbrechende Barrieren können benannt werden: das Image von Kultureinrichtungen, mangelnde Begleitungen, keine oder mangelnde Zeit und altersspezifische Barrieren.93 Eine Kulturinstitution kann sich bemühen, sich diesen besuchsverhindernden Barrieren zu stellen und sie zu überwinden, was nur in begrenztem Maße möglich scheint; gleichwohl bleiben dann nach wie vor diejenigen außen vor, die grundsätzlich (noch) gar nicht darüber nachdenken, beispielsweise ein Theater zu besuchen. Letztendlich ist eben die persönliche Motivation der entscheidende Faktor: Wer nicht ins Theater

91 Siehe dazu Götzky 2013, S. 113–118; aufgegriffen wird dieser Aspekt in dieser Arbeit in Kapitel 2.3.2. 92 Zumindest wenn von professionellem Theater gesprochen wird. Diese professionelle Theaterarbeit steht, wie gezeigt, im Mittelpunkt der Diskussion. Dass das Amateurtheater in dieser Hinsicht eine andere Stellung einnimmt, wurde bereits erwähnt und soll im weiteren Verlauf noch näher betrachtet werden. 93 Renz verortet diese Aspekte in entsprechende theoretische Analyserahmen, vgl. dazu Kapitel 5.5 in Renz 2016.

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gehen will, geht nicht. So trivial dieser Satz ist, umso mehr Beachtung muss er finden, wenn darüber nachgedacht wird, wie man mehr Menschen eine theatrale Teilhabe (und darüber hinaus auch eine aktive Teilnahme) ermöglichen kann. Entsprechend sollte überprüft werden, ob sich die meisten partizipatorischen Maßnahmen hauptsächlich bereits an die richten, die keine grundsätzliche Abneigung haben, denen nur noch ein gewisser Impuls fehlt, den Rubikon zu überschreiten, oder ob es – und wenn ja, welche – gezielte Maßnahmen gibt, die eine grundsätzliche Motivation zum Ziel haben. Ein Ansatz der Nicht-Besucherforschung nimmt genau diese Fragestellung in den Blick: Warum haben Menschen keinen Anreiz, Kulturinstitutionen zu besuchen, ein Ereignis wie eine Theateraufführung zu erleben, oder aber was macht es ihnen unmöglich, eine Motivation dazu auszubilden oder weiter zu entwickeln? Thomas Renz nähert sich der „Nicht-Besucherforschung als soziale Ungleichheitsforschung“ (Kapitel 5.6. in ebd.) und fasst ernüchtert zusammen: „Die gering ausgeprägte Teilhabe ist nicht nur durch fehlende wahrgenommene Verwirklichungschancen oder durch Barrieren unterbrochene Teilhabemöglichkeiten bei vorhandenem Grundinteresse so klein, sondern auch eindeutig durch fehlende Teilhabevoraussetzungen bedingt. Es existieren also bestimmte Gruppen in der Gesellschaft, welche strukturell von der Teilhabe an öffentlich geförderten Kulturveranstaltungen ausgeschlossen sind“ (ebd., S. 180). Menschen, die keine Teilhabevoraussetzungen haben, verfügen über „formal niedrige Bildungsabschlüsse“ (ebd.), haben in jungen Jahren keine kulturelle Sozialisation, bezogen auf öffentlich geförderte Kultureinrichtungen durch ihre Familie und wenig durch die Schule erfahren, charakterisieren sich durch einen „niedrige[n] soziale[n] Status in Bezug auf Einkommen und Beruf“ (ebd.), gestalten ihre Freizeit mit anderen Angeboten wie Fernsehen oder Sport, bevorzugen „soziale Interaktion mit Freunden und Familien, Wohlfühlen und Entspannen“ (ebd.) für ihre Freizeitgestaltung. Wenn sie sich für öffentlich geförderte Kulturveranstaltungen interessieren, dann für Formate der Populärkultur und sie wissen zudem wenig darüber, wie eigentlich beispielsweise ein Theaterbesuch abläuft und was auf der Bühne verhandelt wird. Als unterrepräsentiert gelten zudem Männer und Menschen mit Migrationshintergrund, wobei hierbei das jeweilige Milieu gewichtiger ist; darüber hinaus zeigt sich, dass „jüngere Generationen nicht mehr so intensiv an öffentlich geförderten Kulturveranstaltungen teilnehmen wie ältere Generationen“ (ebd., S. 181). Es bestätigt sich also das in der Einleitung aufgezeigte Bild des weißen, älteren – weiblichen – Theaterbesuchers.94 Strategien für das (interkulturelle) Audience Development

Nun kann weder ein Theaterbetrieb im Einzelfall noch die Theaterpolitik im Gesamtzugriff auf einen Schlag und umfassend all diese Barrieren und sämtliche Benachteiligung überwinden. Gleichwohl stehen öffentliche Institutionen in der Verpflichtung, sich einer Gerechtigkeit zumindest anzunähern. Unabhängig von den Bemühungen, Publikum für das eigene Haus zu generieren, sollte es auch darum gehen, das grundsätzliche Ansehen der Darstellenden Künste zu verbessern, dass Theater eben nicht (mehr) als „nervende Pflichtveranstaltung“ (Schneider 2013a, S. 22) wahrgenommen wird.95 Thomas Renz erarbeitet aus seinen Forschungsergebnissen Handlungsempfehlungen für Strategien des Audience Developments und für eine diese unterstützende

94 Zur weiterführenden Betrachtung siehe Mandel u. a. 2014 und Keuchel 2014a. 95 Oder als etwas nur für alte Leute, siehe dazu Keuchel 2014a.

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Kulturpolitik, die auch für eine kritische Betrachtung der Theaterlandschaft als Rahmung und Untersuchungsansatz verwendet werden können. Bereits die erste Empfehlung verdeutlicht die breite Verantwortungsteilung kulturpolitischer Entscheidungen, im Mittelpunkt steht die (Kulturelle) Bildung: „Die Existenz von Verwirklichungschancen als zentrale Voraussetzung für kulturelle Teilhabe kann durch eine langfristige Integration kultureller Bildungsangebote in schulische und außerschulische Angebote gefördert werden“ (Renz 2016, S. 265). Daraus und aus den vorherigen Argumentationen lässt sich auch eine Verantwortung von öffentlich getragenen Kulturinstitutionen für Kulturelle Bildung ableiten; und zwar nicht nur als Instrument für eine Publikums(zurück)gewinnung,96 sondern auch hinsichtlich der Verbesserung der Teilhabechancen, weil „die Entwicklung des Interesses an Kunst und Kultur am wirksamsten in jungen Jahren erfolgt“ (ebd., S. 266). Thomas Renz weist unter anderem darauf hin, Nicht-Besucher und Gelegenheitsbesucher in die Konzeption von Maßnahmen mit einzubeziehen; das hieße also Partizipation in unterschiedlichen Modi und Formaten für genau diese Zielgruppe anzubieten und gegebenenfalls mit diesen zu entwickeln. Momentan scheint es nach wie vor oft so, dass vor allem die bereits erreichten Personengruppen in Konzeptentwicklungen einbezogen werden und die Angebote anhand ihrer Bedürfnisse ausgerichtet und gestaltet werden.97 In Bezug auf die Evaluation erfolgreicher Projekte durch den British Arts Council und die Untersuchungen Birgit Mandels zählt Renz folgende Strategien auf, die sich auf die „Zielgruppe ohne Verwirklichungschancen“ (Renz 2016, S. 273–276) anwenden lassen könnten: Die Outreach-Strategie, also die Bewegung der Kulturinstitution aus ihren Gebäuden hinein in den Lebensraum bestimmter Zielgruppen; die Ambassador-Strategie, also die Idee von Kultur-Botschaftern oder auch Kultur-Scouts, die, im Rahmen einer Peer-to-Peer-Beziehung, Bezüge zwischen Zielgruppe und Institution herstellen können; die Kooperationsstrategie, welche auf Zusammenarbeiten mit anderen Einrichtungen, nicht unbedingt des Kulturbereichs setzen, um so eine Verbindung zur Zielgruppe herzustellen;98 die Partizipationsstrategie, die auf eine Erhöhung der Motivation durch Beteiligung setzt, denn: „Mehrfach empirisch bestätigt ist das Potenzial der eigenen aktiven Kunstproduktion als Schlüssel zur Kunstrezeption“ (ebd.); sowie die Vermittlungsstrategie, die auf der Überzeugung beruht, dass eine per-

96 Zur Argumentation und der zugehörigen Debatte über das „Publikum von morgen“ siehe Kapitel 2.2.5. 97 So setzt sich beispielsweise das von der Bundesbeauftragen für Kultur und Medien geförderte Pilotprojekt „Kulturelle Teilhabe im ländlichen Raum“ das Ziel der „Gewinnung datengestützter Erkenntnisse darüber, wie Kultureinrichtungen im ländlichen Raum (Museen, Theater, Open-Air-Festivalveranstaltungen) durch zielgruppenspezifische Angebote und gattungsübergreifende Kooperationen neue Publikumsschichten eruieren sowie langfristig binden können“ (Museumsbund 2017), dabei konzentrieren sich die Erhebungen jedoch auf Besucherbefragungen, also auf die Menschen, die bereits grundsätzliches Interesse an den Einrichtungen zeigen, siehe dazu Presseportal Meeresmuseum 2017. 98 Renz verweist in diesem Zusammenhang auf die grundsätzliche Herausforderung, „dass diese dann ‚auf Augenhöhe‘ stattfinden muss und nicht ein Partner zum Dienstleister degradiert wird“ (Renz 2016, S. 275); vgl. dazu die in dieser Arbeit gezogenen Verweise auf Hampel 2015 und zu der Implementierung dieser Strategien in die Praxis erneut Schneider u. a. 2017a.

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sönliche Komponente entscheidend ist; dies kann auch unterstützend für die anderen strategischen Maßnahmen dienen: „Allen Strategien ist gemein, dass die Hinführung, die eigentliche Rezeption sowie die Nachbereitung durch eine persönliche Vermittlung unterstützt werden“ (ebd.). Die Vermittlungsstrategie geht davon aus, dass „jeder für einen entsprechenden Besuch zu begeistern ist, wenn er nur von jemand anderem dazu eingeladen bzw. motiviert wird“ (ebd.).99 Weitere Strategien und Handlungsempfehlungen, die sich mehr auf die Gruppe der Gelegenheitsbesucher beziehen, betreffen unter anderem das Kulturmarketing und die Kulturvermittlung, auf die der Vollständigkeit halber verwiesen wird (vgl. ebd., S. 271–286). Für die hier durchgeführte Analyse sind neben den genannten Strategien die Schlussfolgerungen Renz’ bezogen auf die künstlerische Produktion relevant, da damit eine Neubewertung des Verhältnisses von künstlerischer und partizipatorischer Arbeit verbunden sein kann. In Blick auf die Strategien, Personengruppen eine Teilhabe zu ermöglichen, denen bislang der Zugang verwehrt blieb, könne Audience Development „einen Beitrag zum Abbau sozialer Ungleichheit“ (ebd., S. 274) leisten. „Es unterscheidet sich von Angeboten der sozialen Arbeit durch den hohen Stellenwert der künstlerischen Erfahrung“ (ebd.); dennoch stellt auch Renz die künstlerische Produktion der Kulturinstitutionen als einen Faktor für potenzielle Veränderungen auf den Prüfstand, mit daraus wiederum resultierenden Konsequenzen: So könne ein Stadttheater, welches mit Outreach-Projekten und partizipatorischen Strategien in die Lebenswelt bestimmter Milieus eintaucht und dort aktiv wird, sich verändern, es würde dann „mindestens zum Stadtteilarbeiter, vielleicht zum Stadtentwickler oder sogar zum mobilen sozio-kulturellen Zentrum“ (ebd., S. 287). Die Kluft zwischen „Kunst“ und „Sozialem“ und die ständige Betonung dieser Differenzierung scheint sich innerhalb der Theaterlandschaft und des theaterpolitischen Diskurses zunehmend auch auf die Thematiken Diversität, Integration und Inklusion, zu beziehen, die in den vergangenen Jahren an Bedeutung gewonnen haben. Für Birgit Mandel spiegeln sich Fragen eines interkulturellen Audience Developments in der Verantwortung der öffentlich getragenen Kulturinstitutionen: „Öffentliche Theater und Museen haben dabei nicht die Aufgabe Sozialarbeit zu machen, aber sie haben die Aufgabe, mit künstlerischen Mitteln interkulturelle Bildungsprozesse zu ermöglichen. Dadurch werden sich langfristig auch die Institutionen verändern und repräsentativer für die sich verändernde Bevölkerung“ (Mandel 2012). Langfristigkeit und Nachhaltigkeit sind auch hier die Maßgabe und auch wenn sich das folgende Zitat auf das interkulturelle Audience Development bezieht, gilt dies für sämtliche inklusive Maßnahmen und Vorhaben: „Nur die konsequente politische Strategie der Öffnung und der Anerkennung hin zur Diversität unserer Gesellschaft, die sich auch in den gesellschaftlich und künstlerisch relevanten Einrichtungen abbilden muss, schafft hier Innovation und gesellschaftlich bedeutsame Kulturarbeit. Ein neues Hinschauen ist notwendig!“ (Harting u. a. 2013, S. 9).

99 Dies sei zunächst so dahingestellt, denn das hängt natürlich davon ab, wer wen zu was einladen oder motivieren will. Dass davon ausgegangen wird, dass sich tatsächlich jeder davon überzeugen ließe, ein Theater zu besuchen, wenn die Ansprache die richtige ist, zeigt einerseits ein Grundvertrauen in die Bedeutung von Theater, kann aber andererseits auch als etwas naiv gedeutet werden.

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Für eine solche Entwicklung sind nicht nur die Institutionen in der Verantwortung, sondern die öffentliche Hand muss hierfür Möglichkeiten schaffen und Rahmenbedingungen vorgeben, die neue Entwicklungen ermöglichen: „Die Erfahrungen aus Großbritannien zeigen auch, dass eine engagierte Kulturpolitik durch geeignete Anreize und Interventionen die Öffnung von Kultureinrichtungen für neues, vielfältigeres Publikum nachhaltig anregen kann. Wenn es gelingt, die Chancen auf kulturelle Teilhabe auch für solche Bevölkerungsgruppen zu erhöhen, die bislang keinen Zugang zu kulturellen Angeboten gefunden haben, kann der Kultursektor auch zum Zusammenhalt einer sich ausdifferenzierenden Gesellschaft beitragen. Teilhabe an Kunst und Kultur bedeutet auch Teilhabe an den symbolischen Ressourcen einer Gesellschaft“ (Mandel 2013a, S. 13); der zugrunde liegende Gedanke führt zurück auf die Überlegungen und die Verbindungen zwischen kultureller und gesellschaftlicher Teilhabe und einer Kulturpolitik als Gesellschaftspolitik: „In einem interkulturellen Audience Development geht es also nicht nur darum, mehr und neues Publikum, z.B. aus den Reihen von Menschen mit Migrationshintergrund, zu gewinnen, sondern auch um interkulturelle Veränderungsprozesse von Kultureinrichtungen mit dem Ziel, diese zu Gemeinschaft stiftenden Treffpunkten und spielerischen (Aus-)Handlungsfeldern für vielfältige Gruppen einer Gesellschaft zu machen“ (ebd., S. 13 f.). Wenn man diese Aussagen ernst nimmt, verbunden mit den beschrieben Strategien und Gedanken zu einer partizipatorischen Theaterarbeit, sollte und müsste sich die Veränderung der Institutionen sowohl auf das Publikum, als auch das Programm, als auch die internen Strukturen beziehen. Es eröffnet sich also ein langer verzweigter Weg zu einem möglichen Erfolg.100 Teilhabeorientierung zwischen Abhängigkeit und Kunstfreiheit

Die Forderung einer Neuorientierung oder Umgestaltung weg von der Angebots- hin zur Teilhabeorientierung trifft immer, mal mehr mal weniger schnell und intensiv auf die Gegenargumente einer unantastbaren Kunstfreiheit: Eine zu starke Gefälligkeitspolitik zugunsten des Publikums könne und würde die Autonomie der künstlerischen Entscheidungen einschränken und sich sicher auch auf die Qualität negativ auswirken – egal mit welchen Begründungen die Verfechter eines an Partizipation ausgerichtetem Theaterverständnis dagegen halten.101 Es ist aber unübersehbar, dass die Krise des Theaters auch mit der Beziehung zwischen Kunstschaffenden und Kunstrezipierenden, zwischen Theater und Zuschauer zu tun hat. Für Thomas Schmidt ist klar, dass die Theaterbetriebe sowohl dem künstlerischen Auftrag verpflichtet sind sowie verstärkt der Kulturellen Bildung, als auch dem Publikum an sich, denn dieses gilt als Kennzahl für Erfolg,102 doch er stellt auch 100 Ohne dieses Themenfeld hier weitergehend zu öffnen, sei auf die entsprechenden wissenschaftlichen Betrachtungen verwiesen, insbesondere Sharifi 2011, Allmanritter 2017 und Mandel u. a. 2014. 101 Ebenso wie eine klare Zwecksetzung von Theaterarbeit der Freiheit künstlerischer Arbeit widersprechen würde, siehe dazu die obigen Abschnitte zum Applied Theatre. Thomas Renz stellt aber beispielsweise heraus, dass es auch nicht von Schaden wäre, wenn die Kultureinrichtungen dem Bedürfnis des Publikums nach Erholung und Spaß in der Freizeitgestaltung näher kommen würden (vgl. Renz 2016, S. 284 ff.). 102 „Im Mittelpunkt steht der Zuschauer, und gemessen wird die Leistung des Theaters an der Zahl der erreichten Besucher. Hinzugekommen ist in den letzten Jahren vor allem der erwei-

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fest: „Tatsächlich liegen Zuschauererfolg und Künstlerischer [sic] Erfolg nicht zwingend eng beieinander. In der Regel sind viele der besten Opern- und Schauspielaufführungen in den Metropolentheatern bereits Publikumserfolge, wenn sie von den Jurys besucht und ausgewählt werden. [...] Dabei gibt es eine Reihe außerordentlich starker künstlerischer Erfolge in Häusern jenseits der Metropolen, die in ihren Regionen keine, zumindest keine großen Zuschauerströme an sich ziehen, weil sie für den Geschmack des einheimischen Publikums zu zeitgenössisch sind – von einigen wenigen Überraschungserfolgen einmal abgesehen“ (Schmidt 2017, S. 53 f.). Schmidt lässt diese Aussage über den ländlichen Publikumsgeschmack zunächst kommentarlos stehen und auch hier soll die Diskussion einer möglichen Bewertung noch nicht geführt werden – für die empirische Auswertung wird diese Behauptung aber Bedeutung erfahren, denn hier zeigt sich die Verbindung zwischen Möglichkeiten zur Entwicklung von Rezeptionserfahrungen in Abhängigkeit vom vorhandenen Angebot. Um jedoch die Verpflichtungen eines Theaterbetriebes zu verstehen und somit auch die Möglichkeiten und Grenzen von bestimmten künstlerischen Experimenten und neuen Formaten zu beschreiben, muss zunächst die einfache Schlussfolgerung als Ausgangspunkt dienen: „[D]ie Theater müssen mit den eingesetzten Mitteln so viele Zuschauer wie möglich erreichen, um damit einen Rückhalt bei Zuschauern, Bevölkerung und vor allem bei der Politik auszubauen, und gleichzeitig finanzielle Einnahmen und Liquidität zu generieren“ (ebd., S. 54). Ansätze wie die aufgeführten Strategien des Audience Developments oder einer vielschichtigen Theatervermittlung stehen also immer auch unter diesem Vorsatz, der zudem noch verschärft wird durch das Bemühen, bei gleichzeitiger Akquise von neuen Publika die alten nicht zu verlieren.103 Von Schmidts Darstellungen ist an dieser Stelle seine Betrachtung der Legitimationskrise interessant (siehe ebd., S. 166–181), die er nicht nur auf das (Vertrauens-) Verhältnis zwischen Theater und Zuschauer bezieht, sondern als Netzwerk betrachtet, in dem auch Medien, also Öffentlichkeit, Politik und Theatermitarbeiter berücksichtigt werden müssen (siehe dazu die Grafik 10: „Die vier Quellen der Legitimation des Theaters“, ebd., S. 170), denn die Hinterfragung der Legitimation von Theater kann

terte Bildungsauftrag [...] . Ein Aspekt darf in diesem ganzen Zusammenhang nicht vergessen werden: der künstlerische Auftrag, die Entwicklung nicht nur eines neuen Repertoires im Rahmen von Uraufführungs- und Kompositionsaufträgen, sondern auch der Ensembles, neuer Inszenierungsstile, Formensprachen und Formate, und schließlich auch einer wachsenden Performativität und Interdisziplinarität zwischen den einzelnen darstellenden Künste“ (Schmidt 2017, S. 50, Hervorhebungen im Original) – Schmidt sieht also die Theater auch in der Pflicht, neue Formate und übergreifende Ansätze zu entwickeln. 103 Die Diskussion um eine Kennzahlenorientierung der Theater kann hier nicht in Gänze ausgeführt werden, ist jedoch natürlich grundlegend für Reformüberlegungen: Darf Theater sich auf seine Kunstautonomie beziehen, ohne dass berücksichtigt wird, wie viele (und welche) Rezipienten damit erreicht werden? In der Kommunalpolitik gründen solche Debatten immer auch auf einer Rechtfertigung und Hinterfragung öffentlicher Förderung, versinnbildlicht durch den „Zuschuss pro Zuschauerkopf“, der jedoch in beide Argumentationsverläufe eingebracht werden kann: So wird Freien Theatern bei einer hohen Förderung mit geringer Auslastungs- oder Zuschauerzahl dies oftmals vorgehalten, dass jedoch in städtischen Betrieben der Pro-Kopf-Zuschuss meist noch viel höher liegt, wird oftmals im direkten Vergleich weniger offen postuliert.

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sich in diesen Zusammenhängen gegenseitig verstärkend auswirken. Vertrauensbildung ist für Schmidt ein wichtiges Element, weil dadurch eine unterstützende Bindung entstehen kann – und zwar bezogen auf das Publikum, aber genauso auch hinsichtlich aller Stakeholder und insbesondere der Mitarbeiter selbst.104 Um besser auf einen Erfolg oder Misserfolg von Produktionen reagieren zu können, wäre ein Umschwenken des klassischen Repertoirebetriebs auf Mischformen nach Schmidts Meinung eine Möglichkeit: „Voraussetzung für ein neues Spielsystem ist immer eine gründliche kombinierte Zuschaueranalyse, also der genauen Analyse des Geschmacks der Zuschauer, der bisherigen Nachfrage und der Einschätzung des bisher gelaufenen Repertoires. Diese wird mit einer demografischen Untersuchung gepaart, mittels der man in etwa die Entwicklung der Hauptströmungen im Zuschauergeschmack der nächsten Jahre feststellen kann. Verbunden ist dies mit einem Trend von einer stark angebotsorientierten hin zu einer gemischten Programmierung unter starker Einbeziehung der Nachfrage“ (ebd., S. 390). Der Ablauf einer Programmierung, die Gestaltung eines Spielplans ist ein komplexer Prozess, der unterschiedlichen Einflüssen ausgesetzt ist und verschiedene Rahmenbedingungen berücksichtigen muss. Friederike von Cossel nähert sich diesem Feld mit ihrer Analyse „Entscheidungsfindung im Kulturbetrieb am Beispiel der Spielplangestaltung im Theater“ (Cossel 2011) an: Ausgehend von Ansätzen der Organisationstheorie (insbesondere der Organisationskonfiguration nach Mintzberg und dem sogenannten Mülleimer-Modell sowie dem Neoinstitutionalismus) entwirft sie ein Modell für Spielplangestaltungsprozesse im Theater und entwickelt den Begriff des „Wagemutsindex“, der sich konstituiert durch die (mögliche) Risikobereitschaft eines Theaters hinsichtlich der Programmauswahl und künstlerischer Entscheidungen in Bezug auf die jeweilige Situation und die Rahmenbedingungen: Der Wagemutsindex bilde „das Verhältnis zwischen künstlerisch anspruchsvollen, in Bezug auf ihren ökonomischen Gewinn aber risikoreichen Produktionen und solchen Veranstaltungen [...], die weniger riskant einzuschätzen sind“ (Cossel 2011, S. 126). Von Cossel konstatiert in der Herleitung ihrer Hypothesen – ähnlich wie Schmidt – eine Divergenz zwischen künstlerischem und finanziellem Erfolg: „Für Theaterbetriebe wurde festgestellt, dass ein Spannungsverhältnis zwischen künstlerischen und ökonomisch-administrativen Erwartungen besteht, das heißt, geplante Produktionen können entweder künstlerischen oder ökonomisch-administrativen Anforderungen entsprechen. Zwar gibt es durchaus die Möglichkeit, dass sich auch künstlerisch anspruchsvolle Inszenierungen als Verkaufsschlager erweisen, in der Planung bilden sie aber ein größeres ökonomisches Risiko“ (ebd.). Der Umgang mit dieser Spannung kann sich unterschiedlich gestalten und ist abhängig von dem jeweiligen Vertrauen des Publikums in das Theater, welches sich, wie jeder Umweltfaktor, im Laufe der Zeit natürlich auch ändern kann. Dieser Zeitfaktor sei nicht zu unterschätzen und von Cossel folgert: „Konnte ein Theater zunehmend ein Publikum für sich gewinnen, das auch gegenüber experimentellen Aufführungsstilen oder unbekannten Autoren aufgeschlossen ist, so können entsprechend mehr riskante Produktionen in einen Spielplan aufgenommen werden, ohne dass mit Publikumsverlusten zu rechnen ist. Fühlt sich ein Publikum hingegen vom Spielplan über mehrere Jahre überfordert, so dass beispielsweise stetig sinkende Abonnements-

104 Dieser Aufbau einer internen Legitimation, also die Stärkung der internen Beziehungen und des dort vorhandenen Rückhalts wird unten stehend aufgegriffen.

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zahlen zu verzeichnen sind, so sollte der Wagemutsindex des Spielplans entsprechend angepasst werden“ (ebd.). An dieser Stelle könnte und sollte jedoch auch Kunstvermittlung einsetzen, die in einem Verständnis als Dienstleister für einen avantgardeorientierten Betrieb einer Überforderung des Publikums entgegenwirken und durch zielgerichtete Strategien und Angebote unterstützend für die Rezeptionserfahrung fungieren könnte – auch wenn ein solcher Ansatz die Distanz zwischen Kunst und Zuschauer gleichermaßen überwinden wie vertiefen könnte. Die Absicht und die Haltung sind entscheidend: Geht es um ein Heranführen, um ein Erklären oder um die Herstellung eines lebensweltlichen Bezugs?105 Von Cossel beschreibt die Abhängigkeiten von Umweltreaktionen zum Wagemutsindex im Zeitverlauf als Wellenbewegung: ist das Vertrauen (wieder) hergestellt, können mehr Risiken eingegangen werden, überwiegen die negativen Reaktionen, wird darauf reagiert und so weiter (vgl. dazu Kapitel 5 in ebd., S. 126–135). Die Ergebnisse von Cossels, eine Überprüfung von 24 Hypothesen, führen zu einem Modell der Entscheidungsfindung zur Spielplangestaltung, in das sie – nach ihrer empirischen Studie – die Interaktion mit der Umwelt als wichtigen Aspekt aufnimmt: Das von ihr zunächst aufgestellte Wellenmodell des Verhältnisses von Risikofreude und Umweltreaktion ist also kein Selbstläufer, sondern kann durch interagierende – also auch partizipatorische – Maßnahmen beeinflusst werden (siehe dazu ebd., S. 226 f.). Von Cossel kommt zu der Erkenntnis: „Wichtig ist demnach nicht nur, dass eine Auseinandersetzung mit den Zuschauergruppen stattfindet, sondern dass diese als wichtiger Bestandteil der Entscheidungsfindung erkannt und organisational in den Entscheidungsprozess eingebunden wird“ (ebd., S. 229). Auch wenn jedes Theater individuell in seiner jeweiligen Situation eigens betrachtet werden müsste und auch wenn sich Theater bezüglich der öffentlichen Reaktion auf eine Produktion irren können, zieht sie das Fazit, dass „an den einzelnen Häuser der Erfolg sowohl in künstlerischer als auch ökonomischer Hinsicht umso größer war, je größer das Interesse an der Umwelt und die Interaktion mit den wahrgenommen Erwartungshaltungen war“ (ebd., S. 228 f.) und plädiert in ihrem Schlusswort dafür, „Vorurteile dahingehend abzulegen, dass eine Befriedigung von Publikumswünschen zwingend einer anbiedernden Spielplangestaltung entsprechen muss, die vorrangig ökonomische Ziele verfolgt. Es verhält sich im Gegenteil so, dass eine auch organisational verankerte und in die Entscheidungsfindung integrierte Interaktion mit der Umwelt zu künstlerisch und ökonomisch erfolgreichen Spielplänen führen kann“ (ebd., S. 230). Erfolgreiche Arbeit in Blick auf Kunst und Finanzen bei Berücksichtigung der Nachfrage – welcher Aspekt hier wen bedingt oder rechtfertigt, soll im weiteren Verlauf der Ausführungen beachtet werden, denn schließlich ist im Einzelfall entscheidend, ob künstlerische (und finanzielle) Erfolge „trotz“ oder „gerade durch“ die Interaktion mit dem Publikum zu Stande kommen können. Dass ein in mehrfacher Hinsicht erfolgreicher Dialog mit dem Publikum stattfinden und zu Erfolg führen kann, ist auch abhängig von der Organisationsstruktur und den daraus resultierenden Hierarchien und Prozessabläufen:106 In Betrieben mit „entsprechender partizipativer Beteiligung der Teilnehmer in der Entscheidungsfindung“ (ebd.,

105 Siehe dazu erneut die obigen Ausführungen in Kapitel 2.2.1 und 2.2.2. 106 Vgl. dazu auch Cossel 2010, S. 231.

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S. 229),107 gelänge dies besser als in „vorrangig formal-hierarchisch geprägten Strukturen“ (ebd.) – auch wenn letztendlich die Intendanz als Entscheidungsmacht weiterhin bestünde, liege es an ihr, diese Beteiligung und Entscheidungsprozesse zu einer Interaktion zu ermöglichen und zu befördern. Es stellt sich also bei einer Betrachtung von Theaterstrukturen immer auch die Frage nach der Stellung der entsprechenden Abteilungen innerhalb des Betriebs, also ob und wie beispielsweise theaterpädagogische oder dramaturgische Mitarbeiter in konzeptionelle Entscheidungen eingebunden sind.108 Thomas Schmidt plädiert in diesem Zusammenhang für einen Paradigmenwechsel im Theaterbetrieb, der unter anderem auch mehr partizipatorische Elemente innerhalb der Theaterarbeit ermöglichen soll: Dazu gehören nicht nur die Bemühungen, das Publikum an das Theater zu binden, sondern die Umstrukturierung innerhalb des Betriebs, wie beispielsweise ein neues Leitungsmodell, das „Direktorenmodell“: „Damit werden die Verantwortung und die Entscheidungskraft eines Einzelnen auf ein Team von Direktoren übertragen, die unmittelbarer mit der Theaterarbeit und den Mitarbeitern ihrer Bereiche verbunden sind. Das verbessert die Kommunikation erheblich, vereinfacht die Entscheidungswege, führt zu einer besseren Identifikation der Mitarbeiter und einer besseren Motivation“ (Schmidt 2017, S. 389) – Partizipation kann also auch in einer Institution zu einer besseren Verbindung und Identifikation führen; damit verbunden fordert Schmidt mehr Mitbestimmung auch in künstlerischen Entscheidungen: „Mitbestimmung (Partizipation)[:] Bestandteil der Neuorganisation der Theater ist die Einrichtung einer neuen Form der Mitbestimmung, die eine Partizipation der Ensembles und der Abteilungen an der Entscheidungsfindung ermöglicht. [...] Ziel muss es sein, dass das Ensemble der Leitung in allen Entscheidungen auf Augenhöhe begegnen kann“ (ebd., S. 440). Bezogen auf die Stellung und Bedeutung einer Interaktion mit der Umwelt würde dies bedeuten, dass insbesondere den Mitarbeitern der entsprechenden Abteilungen, wie beispielsweise Theaterpädagogik und Vermittlung, mehr Mitbestimmung zugestanden werden sollte. In einem Theater, das einen Fokus auf partizipatorische Arbeit legt, sollten diese Bereiche demnach mehr Macht innerhalb der internen Strukturen auch bezüglich künstlerischer und strategischer Entscheidungen haben. 2.2.4 Entwicklungspotenzial Amateurtheater Es wurde nun bereits mehrfach von dem Publikum, den Zuschauern und den nichtprofessionellen Akteuren gesprochen. Das Amateurtheater muss nicht nur als wesentlicher, wenn auch oft wenig betrachteter Teil der Theaterlandschaft, sondern auch als ein Konzept von Partizipation in den Darstellenden Künsten in dieser Untersuchung Beachtung finden. Amateurtheater, als eine Form von Breitenkultur, definiert sich nicht über das Genre, die Inhalte oder über eine bestimmte Ästhetik, sondern über die Beteiligten: Es geht um Theaterspiel von nicht-professionellen (oder besser: nichtberufsmäßig agierenden) Darstellern, um Theaterarbeit von eben solchen Theatermachern. Partizipation ist ein elementarer Bestandteil für das Selbstverständnis: Es geht

107 Verbunden mit einem „Vorliegen adhokratischer Bestandteile in der Organisationskonfiguration“ (Cossel 2011, S. 229); vgl. dazu ebd., S. 112–117. 108 Wie es auch oben stehend bereits thematisiert wurde und wie es Ute Pinkert beschreibt.

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um das gemeinsame Tun, das Entwickeln von etwas Gemeinsamen, meist auf ehrenamtlicher Basis und fest verankert in den Strukturen vor Ort. Wie bereits dargestellt, gibt es überall in Deutschland Amateurtheatergruppen unterschiedlicher Größe und Strukturen, mit oder ohne eigenen Bühnen, mit unterschiedlichen Ausrichtungen und Arbeitsweisen. Der Bundesverband Deutscher Amateurtheater (BDAT), der sich der kulturpolitischen Arbeit und der Vernetzung der Amateurtheater in Deutschland und der Welt verschrieben hat, charakterisiert sich und seine Mitglieder auf seiner Webseite: „Unsere Philosophie ist ‚Theater für alle‘, von und mit allen Generationen. Wir fördern das bürgerschaftliche Engagement und bieten kulturelle und künstlerische Bildung durch Amateurtheater. Wir leisten kulturpolitische Lobbyarbeit und vernetzen das Amateurtheater national und international“ (Bund Deutscher Amateurtheater 2016). Strukturen, Funktionen und Bedeutung

Amateurtheater scheint also die Form der Darstellenden Kunst, welche Partizipation in verschiedenen Modi und Formaten verinnerlicht hat und darauf seine Arbeit ausrichtet und aufbaut. Dementsprechend sieht der BDAT seine Verantwortung: „Als Dachverband der Amateurtheaterverbände in Deutschland verstehen wir Theater als Theater für alle Menschen. Daraus leiten wir einen kulturellen, einen sozialen und einen bildungspolitischen Auftrag ab“ (Bund Deutscher Amateurtheater 2016). Weiterhin betont der Verband die Stellung der Amateurtheater als „eine wesentliche Säule des kulturellen bürgerschaftlichen Engagements. Sie tragen zur kulturellen Grundversorgung Deutschlands bei, insbesondere auch im ländlichen Raum“ (ebd.). Amateurtheater sind also wesentlich daran beteiligt, dass die Idee einer möglichst breiten Teilhabe und Teilnahme ganz konkret gelebt wird. Jedoch – und dieser Unterschied ist prägnant – sind dies eben Angebote von Amateuren, und keine professionellen. Diese Differenzierung wird weithin pejorativ oder zumindest vorverurteilend verwendet: Gut ist, was professionell ist, gut ist was Geld kostet.109 Die Enquete Kultur versucht diesem Bild entgegenzuwirken, indem sie die „Laienkultur“, zu der das Amateurtheater in dem Abschlussbericht gezählt wird, nicht nur als elementaren Teil der kulturellen Landschaft beschreibt, sondern die Qualität und Bedeutung der Arbeit betont: „Laienkultur und Brauchtum finden in Tausenden Orchestern, Chören, Theater- und Tanzgruppen sowie zahllosen Kulturvereinen statt. [...] Sie sind unverzichtbarer Bestandteil der kulturellen Infrastruktur sowie ein Garant des vielfältigen kulturellen Angebots und der kulturellen Teilhabe in Deutschland. Auf hohem künstlerischem Niveau betätigen sich hier unzählige Menschen – Frauen und Männer, Junge und Alte – in ihrer freien Zeit, um Kultur aktiv zu leben und zu gestalten“ (Deutscher Bundestag 2007, S. 190). Amateurtheater sind nicht nur Ausdruck und Möglichkeit für ein ehrenamtliches Engagement, sondern bieten aktive Freizeitgestaltung, intergenerativ, als gleichberechtigtes Angebot für alle. Sie wollen nicht einfach nur spielen, sondern sehen sich selbst einer hochwertigen künstlerischen Arbeit verpflichtet. Norbert Radermacher, langjähriger Präsident des BDAT widmet sich dieser Frage nach Qualität und Kunst: „Das AT ist ein Ort künstlerischen Schaffens – die Rahmenbedingungen und die künstlerischen Parameter sind vielleicht andere als die im berufsmäßig ausgeübten Theater – dafür aber nicht weniger qualitätsvoll. [...] Das Amateurtheater unterliegt besonde-

109 Siehe dazu die obigen Ausführungen zur Kulturpolitik als urbane Förderpolitik, Kapitel 2.1.1 und die entsprechenden Abschnitte in 2.1.2.

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ren künstlerischen Rahmenbedingungen und Maßstäben, ästhetischen Kategorien und gesellschaftlichen Implikationen“ (Radermacher 2015, S. 5).110 Theaterarbeit in diesem Sinne vereint also die beschriebenen Diskurse und Partizipationsformate: Es geht sowohl um die individuellen Prozesse, als auch um die Erschaffung eines gemeinsamen Kunstwerks.111 Freiwilligkeit und Unabhängigkeit bilden die Grundlage für das Theater als gemeinsame soziale Praxis: Für den Amateurschauspieler sei „das persönliche Interesse am Theater [...] sein besonderer Zugang zur Kunst“ (Radermacher 2015, S. 5), so Radermacher. Er sieht eine Verbindung zwischen Theaterspiel und „Bewältigung des Lebensalltags“ (ebd.). Diese positiven Aspekte, vor allem auch das gemeinsame Tun und Erleben wirkten auch auf das Publikum, so nehme das Amateurtheater insbesondere eine gesellschaftsbindende und identitätsstiftende Funktion ein: „Der Besuch einer Freilichtaufführung im Sommer kann zum geselligen Erlebnis einer Familie und/oder einer Gruppe werden (mit Champus, Chips und Bulletten) [sic]“ (ebd., S. 6).112 Diese Funktionen äußern sich auch in der nach Radermacher besonderen Stärke des Amateurtheaters, in der „lokalen Verbundenheit zwischen Spielern und Publikum“ (ebd.); diese Nähe ermögliche eine intensive Beschäftigung mit der Heimat, der Gesellschaft, dem Zusammenleben und dem Theater, woraus sich „anhand authentischer Darstellungen und Milieubeschreibungen eine einzigartige künstlerische Ausdrucksform“ (ebd.) entwickle, die nicht nur dazu diene, Geschichte und Geschichten zu behandeln oder aufzuarbeiten, sondern vor allem „in der die Unnachahmlichkeit trefflicher Ausdrucksformen zum genüsslichen Erlebnis werden kann“ (ebd.). Vereinfacht gesagt: Es kann schlichtweg auch Spaß machen, sich in dieser Art und Weise mit dem eigenen Dorf zu beschäftigen, vor allem wenn „Darsteller und Zuschauer Teil dieses dramaturgischen Konzepts werden“ (ebd.). Das Amateurtheater scheint die praktische gelebte Verbindung zwischen Kunst und Alltag zu sein: „Die Nähe zur Lebenswirklichkeit, die oft gekoppelt ist mit einer Authentizität der Darstellung, benennt eine künstlerische Kategorie, in der das Leben und die Kunst in einem idealen Sinne zusammenfinden“ (ebd., S. 8). Die enge Interaktion mit der Umwelt ist für dieses Theater nicht nur unverzichtbar, sondern konstituierendes Element: Es geht um ein wir für uns. Amateurtheater zeigt sich also als kulturelle Ausdrucksform überall, von allen, für alle, mit allen – gleichwohl gestaltet sich die Situation der jeweiligen Theater je nach Verortung unterschiedlich. Die Sonderstellung des Amateurtheaters in der Provinz hebt auch Doreen Götzky hervor: „Die wichtigste Theaterform im ländlichen

110 Friederike Keuler, Vorstandsmitglied des BDAT und des Landesverband Amateurtheater Baden-Württemberg, stellte zu Beginn der Tagung „Theater in der Provinz“ in Memmingen 2018 klar: „Ich bin nicht im Amateurtheater hängen geblieben, ich habe mich bewusst dafür entschieden“ (Keuler zitiert nach Schröck 2018a). Weiterführend zur Tagung siehe Kapitel 3.1 sowie (Schneider u. a. 2018). 111 Zur Geschichte des Amateurtheaters und einer Betrachtung dieser Theaterform hinsichtlich Aspekte der Kulturellen Bildung siehe Radermacher 2013. 112 Dieser Aspekt von Schampus, Chips und Buletten ist nicht zu vernachlässigen, wie auch Beate Kegler in ihrem Vortrag „Wurst und Spiele“ im Rahmen der Tagung „Schnittstellen zwischen Hochkultur und Kultureller Bildung“ im Dezember 2018 in Coburg verdeutlichte, siehe dazu Forschungsprojekt Schnittstellen zwischen Hochkultur und Kultureller Bildung 2018d.

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Raum ist zweifelsohne das Amateurtheater“ (Götzky 2013, S. 72). Sie weist zudem auf die punktuell vorhandenen Verbindungen zwischen Freier Theaterszene und Amateurtheater hin, die sich im Grenzbereich zwischen Darstellender Kunst, Soziokultur und Breitenkultur bewegen: „Viele davon haben soziokulturelle Profile, wie z. B. die Heersumer Sommerspiele, bei denen professionelle Theaterschaffende gemeinsam mit der örtlichen Bevölkerung aufwendiges Landschaftstheater inszenieren“ (ebd., S. 75). Auf Grundlage der Auswertung der von ihr durchgeführten Interviews beschreibt Götzky die Unterschiede der Amateurtheaterarbeit im ländlichen und im urbanen Raum, sowie deren jeweiligen Herausforderungen: Amateurtheater in Städten könnten ein größeres Repertoire bespielen und auch gewagtere Stoffe ausprobieren, während im ländlichen Raum eher die Komödien bevorzugt würden, was zurückzuführen sei auf die Bereitschaft, sich auf andere Themen, Inhalte und Formen einzulassen und die unterschiedlichen Rezeptionserfahrungen. Während es in der Provinz leichter sei, Räume und Unterstützung zu gewinnen, wäre im städtischen Umfeld eine Vernetzung und Zusammenarbeit einfacher; Sorgen um Nachwuchs sei überall ein Thema (ebd., S. 230 ff. und vgl. dazu die Beschreibungen des Amateurtheaters in Kapitel 2.1.2). Die Strukturen von Amateurtheater gestalten sich entsprechend dem Selbstverständnis: auch wenn Norbert Radermacher einfordert, dass Kulturpolitik Amateurtheater nicht nur stärker wahrnehmen, sondern auch finanziell stärker berücksichtigen sollte, bleibt der Kern des Engagements das Ehrenamt. Jedoch könnte Unterstützung beispielsweise auch in Form von Fortbildungen angeboten werden, die auch handwerkliche Weiterqualifizierung ermöglichen, was wiederum einer Qualität der künstlerischen Arbeit zugute käme (vgl. dazu Radermacher 2015). Dementsprechend folgern auch die Autoren der Studie zum Amateurtheater in Niedersachsen (Götzky u. a. 2014), dass es angepasster Förderinstrumente braucht, welche die Infrastruktur der Amateurtheaterarbeit unterstützen, Fortbildungen ermöglichen und Vernetzungen anstoßen. Sie schlagen – ausgehend von den durchgeführten Expertengesprächen – die Einrichtung regionaler Kompetenzzentren vor, die dezentral auf professioneller Ebene Unterstützung ermöglichen, „um Kooperationen und Innovationen zu fördern. Diese Kompetenzzentren könnten zum einen bedarfsgerechte Fortbildungen anbieten, zum anderen auch individuelle ‚Starthilfe‘ für neue Gruppen geben, wie auch kompetente Unterstützung für bestehende Theatergruppen in Fragen der Projektförderung und der Geschäftsführung anbieten“ (Götzky u. a. 2014, S. 42). Neben Beratung und Weiterbildung könnten diese Zentren auch als Impulsgeber fungieren, Zusammenarbeiten anstoßen und „[k]ompetente Kulturpädagogen der einzelnen Gattungen könnten mobil und projektbezogen zu den jeweiligen Theatergruppen kommen“ (ebd.) Die Regionalität ist dabei ein Erfolgsfaktor, denn diese Zentren „würden durch ihre Dezentralität die ‚weiten Wege‘ im Flächenland Niedersachsen verringern, die bisher auch eine Barriere für die Nichtnutzung vorhandener Weiterbildungsanbieter sind. Zum anderen könnten diese Zentren nahraumorientiert agieren und damit die Zielgruppe in ihren gewohnten sozialen und geografischen Räumen ansprechen“ (ebd.). Auch hier also erneut die Bewegung zu den Menschen vor Ort, die Schaffung von Möglichkeitsräumen für eine Beteiligung und wieder die Betonung des Netzwerkes – sowohl bezogen auf die Darstellenden Künste, aber im Amateurtheater gleichermaßen die Verbindung zu anderen Politik- und Handlungsfeldern: Amateurtheaterarbeit als kreativer Prozess, mit gemeinschaftsbildender Funktion, als Unterhaltung und Ent-

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spannung wie Bildung gleichermaßen. Hier zeigen sich einige Potenziale für die Theaterlandschaft und für partizipatorische Ansätze innerhalb dieser. Darstellende Kunst als soziale und ästhetische Praxis

Das Amateurtheater stellt sich also als Vorbild dar – wenn auch in der Wahrnehmung zunächst nur auf die sozial-integrative Wirkung und (noch) nicht bezogen auf künstlerische Qualitäten und ästhetische Formsprachen. „Das Amateurtheater kämpft immer noch um eine adäquate finanzielle Ausstattung, aber mehr noch um seine gesellschaftliche und künstlerische Anerkennung, insbesondere in der Politik und in den Medien“ (Radermacher 2015, S. 4), auch wenn die ersten Schritt für eine Neubewertung gegangen seien.113 Als größtes Hindernis scheint sich hier die Schwierigkeit der klaren Zuordnung bemerkbar zu machen: Amateurtheater ist kein Berufstheater, es ist aber auch kein reines Zwecktheater im Sinne einer therapeutischen Wirkung für die Dorfbewohner, die gemeinsam ihre Vergangenheit auf der Bühne verarbeiten. Es gestaltet sich als eine vielfältige Schnittmenge zwischen Breiten- und Soziokultur, wirkt als kollektive kulturelle Ausdrucksform, ist (theoretisch) offen für alle114 und zugleich extrem abhängig von den einzelnen Akteuren und deren (ehrenamtlichen) Engagement; verortet sich also zwischen sozialer und ästhetischer Praxis und entspricht demnach einem Theater der Teilhabe und Teilnahme, wie es bisher beschrieben wurde. Dabei gilt es die Hierarchie und die Absicht des Handelns zu beachten: Nach der Definition von Breitenkultur im Glossar des Buchs „Vital Village“, bezieht sich dieser Begriff auf ein weites Kulturverständnis und demnach fallen in diesen Bereich Tätigkeiten „die aus der künstlerisch-kulturellen Freizeitbeschäftigung von Menschen entstehen“ (Kegler u. a. 2017a, S. 197); prägend sei, dass sie auf zivilgesellschaftlichem Engagement beruhe, sich „lokal und selbstorganisiert“ (ebd.) gestalte und „immer auch Ausdruck von Gesellschaftsgestaltung“ (ebd.) sei. Soziokultur übernimmt im Verständnis der Autoren vor allem auch eine Funktion des Anstoßens und Moderierens, so beziehe sich der Begriff auf „Erscheinungsformen partizipativer Kulturarbeit [...], die ihre Angebote, Projekte und Beteiligungsformate darauf ausrichten, Menschen unterschiedlicher Lebenswelten zu gemeinsamem kulturellem Agieren zusammenzubringen“ (ebd.). Soziokultur, in der Tradition einer Kultur für alle und von allen, konzentriere sich auf „gesellschaftsrelevante Themen mit direktem Bezug zur Situation der lokalen und regionalen Bevölkerung“ (ebd.). In der Beschreibung der Konzepte vom Theatervermittlung und Applied Theatre wurde bereits dargestellt, dass auch die öffentlich getragenen Institutionen vermehrt im soziokulturellen Bereich aktiv werden: „Mit der Öffnung der Künste und etablierten Kulturinstitutionen für eine Teilhabeorientierung und zunehmend zeitgemäße Impulssetzung hat auch die Hochkultur zahlreiche soziokulturelle Forderungen umgesetzt. Die Künste sind inzwischen fester Bestandteil soziokultureller Aktivitäten und Projekte“ (ebd., S. 197). Eine klare Abgrenzung zu Formaten der Breitenkultur ist nicht immer möglich, das Amateurtheater ist dafür ein gutes Beispiel, da es, unter Berücksichtigung unterschiedlicher Organisationsgrade, nicht klar dem einen oder anderen Feld zuzuordnen ist. Es ist, wie auch partizipatorische Projek-

113 Vgl. dazu exemplarisch Schneider 2014b, dort insbesondere die Abschnitte zur „Entdeckung der Breitenkultur“ und „Die Kulturpolitik der Breitenkultur“, S. 207–211. 114 Die Frage nach der Exklusivität bestehender Gruppen und Abgrenzungsdynamiken zu anderen Gruppierungen ist natürlich auch im Amateurtheater präsent.

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te professioneller Theater oder Formate der Kulturellen Bildung, angesiedelt in einem Grenzbereich zwischen Teilhabe und Teilnahme. Amateurtheater als Teilbereich der Darstellenden Künste macht deutlich, wie unterschiedlich die Funktionszuschreibungen von (partizipatorischer) Theaterarbeit sein können. Das Amateurtheater zeichnet sich durch eine besondere Beziehung der Beteiligten zu ihrer kreativen Arbeit aus. Die enge Verbindung zwischen Mitmachenden, Inhalt, Umsetzung und Resonanz beim Publikum bewirkt Prozesse der Selbstbestätigung, ist Moment der gesellschaftlichen Teilhabe und lässt gleichzeitig Kunst entstehen – auch wenn selbst bei den Beteiligten die Bezeichnung der eigenen Tätigkeit als „Kultur“ schwerfällt, oder gar als unsinnig erscheinen kann (vgl. dazu Keuchel 2014b und Götzky 2013). Beate Kegler sieht großes Potenzial in breitenkulturellen und soziokulturellen Aktivitäten, gleichermaßen für den ländlichen Raum als strukturellen Raum als auch für die Kulturlandschaft generell sowie für eine zukünftige Gesellschaftsgestaltung: „Positive Beispiele finden sich vor allem dort, wo die Soziokultur sich als Impulsgeberin und Netzwerkpartnerin versteht, die die wertschätzende Nähe zu den Menschen vor Ort sucht und sich aufmacht, sich gemeinsam mit diesen auf eine Suche [...] [zu] machen“ (Kegler 2017, S. 222). Erfolgreich seien diese Projekte, wenn ausreichend Zeit vorhanden sei, die Menschen und ihre Lebenswirklichkeiten kennenzulernen, wenn die Partner sich „kümmern“ (ebd.) und vor allem dann, wenn sich die „Kulturarbeiter_innen nicht als diejenigen verstehen, die das Füllhorn der (Hoch-) Kultur auf die vermeintlich ungebildeten Dörfler_innen ausschütten und ihnen so zum Glücke verhelfen“ (ebd.). Wie bei jeder guten, gelingenden Zusammenarbeit und partizipatorischen Ansätzen sei die oft benannte Augenhöhe maßgeblich; doch darüber hinaus bemesse sich der Erfolg oder die Qualität von soziokultureller Arbeit „nicht an der künstlerischen Bühnentauglichkeit oder dem internationalen Ranking in künstlerischen Wettbewerben sondern vielmehr an der – schwerer messbaren – Wirkungskraft für die jeweiligen Regionalgesellschaften und deren Entwicklung“ (ebd.). Im Gegensatz zu den künstlerischen Absichten von Projekten der professionellen Darstellenden Künste ist also das Erleben und Erfahren der Beteiligten, der Prozess, wichtiger als das künstlerische Endprodukt – man kann also eine Verbindung herstellen zwischen diesen Beschreibungen von Amateurtheater als soziokulturelles und breitenkulturelles Phänomen zu den oben beschriebenen Partizipationsmodi, -strategien und -zielen. Der unterschiedlichen Fokussierung kann durch unterschiedlichen Formaten Ausdruck verliehen werden, die auch die Gegensätzlichkeiten überwinden können, so konstatiert es Wolfgang Sting: „Inzwischen hat die vormals kontrovers geführte Debatte über Prozess- oder Produktorientierung der Erkenntnis Platz gemacht, dass für jeden Spiel- und Theatervorgang eine Vielzahl sozialer und ästhetischer Prozesse und Produkte konstitutiv zusammenwirken. In der Gewichtung von künstlerischen und pädagogischen oder sozialen Akzenten und Zielen artikulieren sich die unterschiedlichen theaterpädagogischen Positionen und Ansätze“ (Sting 2017). Schnittstelle zur Hochkultur? – Chancen und Grenzen

Amateurtheater könnten Vorbildfunktion für die professionell arbeitenden Theater übernehmen – doch in der Praxis scheinen sie oft auf ihren Nutzen für eine Publikumsgewinnung reduziert zu werden: Wer selber praktische Erfahrungen auf oder hinter der Bühne gesammelt hat, hat mehr Interesse an den Darstellenden Künsten, ist also leichter zu einem Besuch in einem Theater zu bewegen; wer Interesse an den

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Darstellenden Künsten zeigt, hat vielleicht mehr Rezeptionserfahrung gesammelt und gehört somit zu einem Publikum, dessen Geschmack ausgefeilter sein könnte und dem man hinsichtlich experimenteller Formate mehr zutrauen könnte und so weiter. In den vergangenen Jahren hat sich eine besondere Form der Anbindung von Amateurtheater an professionelle Theaterinstitutionen entwickelt: In der Bürgerbühne erarbeiten Amateure unter professioneller Leitung, teilweise mit weiteren professionellen Darstellern und Mitarbeitern, eingebunden in den Theaterbetrieb eine Produktion, die auch in den regulären Spielplan aufgenommen wird.115 Es handelt sich also quasi um eine Weiterentwicklung der theaterpädagogischen Spielclubs und entspricht den Arbeitsweisen, die verstärkt im Freien Theater erprobt wurden, sogenannte Experten des Alltags einzubeziehen. Kritisch betrachtet könnte unterstellt werden, dass dieses Format vor allem als Möglichkeit der Publikumsgewinnung und -bindung verstanden wird, oder als eine notwendige Maßnahme im Sinne einer Rechtfertigung gegenüber politischen Entscheidungsträgern, dem Vorwurf einer mangelnden Relevanz oder Legitimation begegnend und es dementsprechend nicht aus künstlerischen Absichten ins Leben gerufen wurde. Auch Miriam Tscholl, von 2009 bis 2019 Leiterin der Bürgerbühne des Staatsschauspiel Dresden, vermutet diese Absicht, sieht darin aber zunächst nichts Negatives, im Gegenteil: „Wer selbst Theater spielt, möchte auch Theater sehen. Wer selbst ein Instrument spielt, wird auch gerne in ein Konzert gehen. Die gerne verwendete Bezeichnung Marketinginstrument finde ich unzutreffend, denn Kultur ist zwar nicht frei von ökonomischen Marktstrukturen, wird aber im besten Falle nicht zu diesem Zwecke praktiziert. Wahrscheinlich gäbe es die Bürgerbühne nicht, wenn Intendanten nicht auf Zuschauerjagd sein müssten. Wenn wir Theater als Instrument der Auseinandersetzung für diese Gesellschaft denken, ist es keineswegs ein Widerspruch, Theaterprojekte für Laien anzubieten, damit der Zuschauerraum voller wird, sondern es ist die Pflicht der Theaterschaffenden, möglichst viele Menschen für Theater zu interessieren. Zumal es die Steuern aller sind“ (Tscholl 2014, S. 16 f.). Ob Hauptzweck oder nicht, die Zuschauergewinnung funktioniert: „Laut Umfrage gehen die Darsteller der Bürgerbühne durchschnittlich mehr als sechs Mal so häufig ins Theater wie zuvor, im Durchschnitt insgesamt elfmal pro Spielzeit, und sie bringen durchschnittlich 25 Bekannte mit in ihre eigene Vorstellung“ (ebd., S. 17). Allerdings sind, worauf auf Thomas Renz verweist, nicht alle Effekte unmittelbar erkennbar: „Nicht messbar sind die weitere Streuung durch die Stadt, das Gefühl von Zugehörigkeit zum eigenen Theater und der Wert, den Theater für die Darsteller bekommt“ (ebd.). Was jedoch deutlich wird, auch durch die lange Laufzeit der Bürgerbühne, „dass die Zahl von Interessierten ständig zunimmt, da sich die positiven Erfahrungen durch das Publikum, die Familien und die Stadt kommunizieren. Die Zugehörigkeit zum Haus wächst mit den Jahren. Die ehemaligen Spieler werden zu Publikum, und auch neu gewonnenes Publikum (Nachbarn, Eltern, Bekannte, Arbeitskollegen) wird zu Spielern“ (ebd.). Es findet also eine Öffnung und eine Durchmischung zwischen Theaterinstitu-

115 Die Zusammenarbeit zwischen professionellen und nicht-professionellen Akteuren wurde natürlich nicht erst in Dresden am Staatsschauspiel unter der Bezeichnung „Bürgerbühne“ erfunden; Hajo Kurzenberger gibt in seiner Veröffentlichung zur Dresdner Bürgerbühne einen Überblick über die Entwicklungen, vgl. Kurzenberger 2014.

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tion und den Menschen in Dresden statt, zumindest in eine Richtung: Die Amateure erhalten Einzug auf die Bühne, in das Haus.116 Welche künstlerischen Auswirkungen solche Formate und gemeinsame Arbeiten auf die professionellen Mitarbeiter und letztendlich auf die Strukturen der Häuser haben oder haben könnten, ist nicht in Kürze zu beschreiben oder zu untersuchen. Das bereits erwähnte Forschungsprojekt „Von Bürgerbühnen und Stadtprojekten“ wird sich diesen Fragen ausführlich widmen.117 Ein Aspekt, den Tscholl als essenziell für die Bürgerbühnenarbeit beschreibt, kann jedoch für den Verlauf der weiteren Darstellung Bedeutung erfahren: „Damit Theater mit Laien künstlerisch eine ernstzunehmende Erweiterung innerhalb des Theaterdiskurses ist und somit nicht ausschließlich aufgrund von Partizipationsbewegungen subventioniert wird, sollten Laiendarsteller nicht einfach versuchen, Profischauspieler zu imitieren, denn da schneiden sie vergleichsweise schlecht ab. Sie müssen alternative Inhalte und Formen entwickeln. [...] Wenn sich professionelle Schauspieler nicht mit einem Stoff identifizieren, [...] werden [sie] in der Lage sein, dies mit ihrer Professionalität weitestgehend auszugleichen [...]. Bei einem Laien ist dies nicht möglich: Sein Körper, sein Blick und sein ungeschicktes Bemühen werden ihn sofort verraten. Diese Schwäche kann als Chance genutzt werden: Der Regisseur ist permanent gezwungen, das Gesagte und Gespielte in eine Verbindung zum Leben des Darstellers zu bringen“ (ebd., S. 18.) Tscholl referiert hier auf dreierlei: Zunächst sollte ein Vergleichen der unterschiedlichen Formate vermieden werden: Amateurtheater ist – rein handwerklich und bezogen auf die Ausbildung – nicht gleichzusetzen mit professioneller Darstellender Kunst; unterschiedliche Maßstäbe und Bewertungen seien angebracht, die auch auf die jeweilige Rahmung Rücksicht nehmen müssen.118 Wenn dafür entsprechende Formen und auch ein entsprechendes Vokabular gefunden werden, könnte diese Arbeitsweise als Kunstform verstanden werden, die sich eben nicht auf die sozialen Aspekte einer Teilnahme reduzieren lässt, sondern die als „ernstzunehmende Erweiterung“ (ebd., S. 19) wahrgenommen und verstanden wird. – Die Bürgerbühne also als das Format, um partizipatorische Kunst im Diskurs als gleichwertig zu etablieren und die Idee von Theater zu verändern? Auch dies bleibt zu überprüfen.119 Der dritte Punkt in dieser Replik betont die Notwendigkeit, eine Identifikation zu schaffen, Kunst und Lebenswelt zu verbinden oder zumindest in Beziehung zu setzen; dafür wiederum gilt der schon oft genannte Appell: Die Theater müssen ihr Publikum kennenlernen, sich auch auf dieses einlassen und zwar in grundsätzlicher Manier, nicht in schulmeisterhafter Attitüde.120 Ob dies gelingt, wäre einzelfallbezogen zu überprüfen, auch die künstlerische Bewertung müsste anhand entsprechender Kriterien durchgeführt werden. Für die Dresdner Bürgerbühne scheint zumindest der

116 Verstärkt wird dies auch durch die Vorgabe, dass kein Beteiligter ein zweites Mal in Projekten der Bürgerbühne mitwirken darf, so wird gewährleistet, dass tatsächlich immer Theaterneulinge teilnehmen (vgl. Tscholl 2014, S. 17 f.). 117 Hier sei zunächst exemplarisch auf weiterführende Lektüre verwiesen, wie die bereits erwähnte Publikation zur Dresdner Bürgerbühne (Kurzenberger u. a. 2014) und Pinkert 2014a. 118 Siehe dazu auch die Annäherungen an eine adäquate Beschreibung partizipatorischer künstlerischer Prozesse und Ergebnisse in Warstat u. a. 2015. 119 Nicht zuletzt aufgrund des oben dargestellten Dilemmas der Abhängigkeiten und der damit verbunden Einschränkung für tatsächliche Kritik und Änderungen. 120 In diesem Aspekt zeigt sich eine Verbindung zur Idee des tribalisierten Theaters.

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gesellschaftliche Anspruch in dem begrenzten möglichen Rahmen erfolgreich erfüllt worden zu sein: „Und immer wieder fällt der gleiche euphorische Satz der Spieler: ‚Im normalen Leben wären wir uns, so unterschiedlich wie wir sind, nie begegnet!‘ Es klingt ein wenig sozialkitschig, aber es ist eine reale Beobachtung: Hier begegnen sich Arm und Reich, Weiß und Schwarz, Jung und Alt“ (ebd., S. 21). Auch wenn das Dresdner Modell der Bürgerbühne zumindest von den Befürwortern als ein Instrument zur Neuerfindung des Theaters gepriesen wird,121 kommt es auch an seine Grenzen, wie anschaulich in der Auswertung des Projekts „Der Fall aus dem All“ (Staatsschauspiel Dresden u. a. 2013) nachzulesen ist. Es wurde ermöglicht durch eine Sonderförderung im Rahmen von „Doppelpass“ und war eine Kooperation mit den Theater aspik. Das Projekt fand im ländlichen Raum statt, in ReinhardtsdorfSchöna, einer Gemeinde, die vor allem durch die hohen Wahlergebnisse der NPD bekannt wurde. Der Projektverlauf zeigt exemplarisch die Herausforderungen von Theaterarbeit an der Schnittstelle zwischen Hoch-, Sozio- und Breitenkultur und macht deutlich, wie wichtig Absicht und Haltung für die Gestaltung von Partizipationsformaten ist. Bereits die Ansprache der Bevölkerung um eine Mitwirkung stellte sich als Herausforderung dar: „Miriam Tscholl, Mitorganisatorin des Theaterprojekts, kann noch viele solcher Situationen aus der Anfangszeit schildern, bei denen sie im Dorf zunächst auf eine Mauer aus Schweigen, Skepsis und Argwohn stieß. ‚Wenn ich nicht wüsste, dass wir dem Ort etwas Gutes bringen – ich käme mir störender vor als ein Zeuge Jehovas vor der Haustür‘, seufzte sie nach den ersten Treffen in der Sächsischen Schweiz“ (Staatsschauspiel Dresden u. a. 2013, S. 16). Tscholl selbst muss feststellen, dass die Reichweite der Bürgerbühne sich trotz aller Erfolge, neue Menschen für eine Mitwirkung zu begeistern, auf die bereits an Theater interessierten Menschen beschränkt und dass von Dresden aus wenig in die Region gewirkt werden kann: „An soziale Grenzen stößt die Bürgerbühne zum Beispiel, wenn sich gesellschaftliche Gruppierungen nicht für angebotene Theaterprojekte interessieren. [...] Nur bereits Theaterbegeisterte nahmen lange Fahrtwege auf sich, um sich Stücke am Staatsschauspiel Dresden anzuschauen oder als Darsteller an Theaterprojekten der Bürgerbühne teilzunehmen“ (ebd.,

121 So hat die Bürgerbühne Dresden beispielsweise den 2018 erstmalig vergebenen Preis der Commerzbank-Stiftung für institutionelle Kulturvermittlung erhalten, mit folgender Begründung: „Im Urteil der Jury bewegt sich das Staatsschauspiel Dresden mit seinen Bürgerbühnen am sichersten im Spannungsfeld von Bewahrung und zeitgemäßer Darstellung. ‚Die Bürgerbühnen bieten dem Publikum ein Höchstmaß an Beteiligung‘, sagte Kießling-Ta¸skın [Vorstand Commerzbank-Stiftung]. ‚Das bringt auch das Theater selbst in Bewegung. Die Impulse von außen verändern den internen Blick auf das kulturelle Erbe und die Arbeit daran. Ein Fluss kommt in Gang, in dem sich das Theater mit der Gesellschaft bewegt und weiterentwickelt‘, präzisierte Kießling-Ta¸skın. Mit seinem Konzept nimmt das Staatsschauspiel Dresden eine Vorreiterrolle ein. Andere Theater in Deutschland haben die Idee der Bürgerbühne bereits aufgegriffen. [Birgit] Mandel führte in ihrer Laudatio aus: ‚Das Staatsschauspiel ist Erfinder einer eigenen Theatersparte: der Bürgerbühne. Ihr grundlegendes Element ist die Zusammenarbeit mit der Stadtgesellschaft. Hier verhandeln Bürgerinnen und Bürger mit theatralen Mitteln Themen, die sie bewegen, und zeigen sie auf der großen Bühne des Hauses. Und das nicht nur als einmaliges Projekt: Die wechselnden Produktionen sind dauerhafter Bestandteil des Spielplans‘“ (Commerzbank-Stiftung 2018).

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S. 20). Notwendig sei daher, im Sinne einer Outreach-Strategie die Stadt zu verlassen. Dabei geht es um die Gewinnung neuer Publika, aber auch darum, „unbekannte lokale und soziale Faktoren als Herausforderung zu verstehen, theaterferne Orte und Menschen als inhaltlich-ästhetische Erweiterung unserer erprobten Theatergewohnheiten zu begreifen und als Stadttheater kultur- und sozialpolitische Verantwortung für eine strukturell vernachlässigte Region zu übernehmen“ (ebd., S. 21). Hier bewegt sich also eine öffentliche Kulturinstitution sowohl räumlich als auch in seinem Verständnis: Es geht nicht mehr nur um künstlerische Arbeit, sondern eine gesellschaftlich-soziale Komponente ist essenziell für das Vorhaben. Damit eröffnet sich ein weiteres Hindernis, nämlich die konzeptionelle inhaltliche Ausrichtung und die Vorannahmen der professionellen Theatermacher, die auf das ländliche Dorfleben stießen. Die beteiligten Theatermacher beschreiben die Schwierigkeiten, den Argwohn, der nur mit viel Zeit und Geduld überwunden werden konnte: „Schnell stellten wir fest, dass das Hauptproblem des Dorfes die Stigmatisierung des Orts als Nazidorf [ist]. Unsere ‚Mission‘ bekam dadurch ein klares Ziel: das Dorf mit einem anderen Image zu besetzen. Die Grundprinzipien unseres Theaterformats haben sich dadurch nicht verändert, allerdings haben wir zum ersten Mal dokumentarische Interviews in die fiktive Geschichte eingeflochten und szenisch bebildert“ (ebd., S. 30). So führte die Situation vor Ort und die Begegnung mit den Menschen tatsächlich zu einer neuen Form der Theaterarbeit, die sich jedoch ganz klar einem missionarischen Ziel verpflichtet. – Die Möglichkeiten und Unmöglichkeiten, einem solchen Ziel gerecht zu werden, beschreibt Barbara Behrendt in der Projektauswertung. Diese wohlgemeinte Absicht führte zu Ablehnungsverhalten seitens des Dorfes, wofür der Bürgermeister des Ortes, Olaf Ehrlich folgende Worte findet: „Die Einwohner fühlen sich angegriffen, wenn man denkt, hier gäbe es nichts. Sie reagieren dann mit Abwehr und sagen: Wir lassen uns keine Kultur überstülpen. [...] – man darf den Leuten nicht mit der Keule kommen, nach dem Motto: Euch werde ich hier schon Demokratie beibringen! Die engagierten Leute fühlen sich auf den Schlips getreten, wenn man sie nur unter dem NPD-Aspekt betrachtet“ (ebd., S. 60). Was für diesen Einzelfall gilt, kann verallgemeinert werden, wie es auch Beate Kegler beschreibt, wenn sie sich gegen das Ausleeren eines Füllhorns ausspricht (siehe oben): Wahrnehmung und Achtung der Gegebenheiten vor Ort sind entscheidend. Eine erfolgreiche Zusammenarbeit an der Schnittstelle zwischen Kunst und Sozialarbeit, zwischen Institution und Vereinsstrukturen kann nur gelingen, wenn alle Beteiligten für einen gleichberechtigten Dialog bereit sind – dass dabei die Frage der Finanzierung auch entscheidend ist, wird immer wieder betont: Sofern ein Projektpartner das Geld oder auch Ausstattung und Know-how mitbringt, ist dieser oftmals in den entsprechenden Bereichen der dominantere Partner.122 Im Falle dieses exemplarischen Projekts führte dies sogar zu einem Bruch: „Der anfangs interessierte Faschingsverein [...] blieb unbeteiligt (vielleicht waren wir mit unseren professionellen Bühnenbauten und Requisiten eine zu starke Konkurrenz)“ (Staatsschauspiel Dresden u. a. 2013, S. 23 f.). Der Verein entschied sich also für seine Souveränität in dem Bereich; anfangs war angedacht, ihn an Bühne und Ausstattung zu beteiligen.

122 Siehe dazu und zu den grundsätzlichen Bedingungen für eine faire Zusammenarbeit Hampel 2015.

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Als letzter Verweis auf dieses herausgegriffene Einzelprojekt soll die Frage nach den tatsächlichen Zielgruppen stehen: „Am Tag nach der Premiere ist eigentlich Premiere. Die Städter, die Theatermenschen, die Angereisten sind wieder abgereist. Heute sitzt die Dorfbevölkerung im Publikum, die Zugewandten ebenso wie die kritischen Geister“ (ebd., S. 84). Ein Projekt also mit dem Dorf, aber nur bedingt für das Dorf? – Auch diese Zielsetzung des Endprodukts hinterfragt die wahre Absicht solcher Formate: Geht es wirklich um einen gemeinsamen Entwicklungsprozess vor Ort? Oder um das Präsentieren einer erfolgreichen – mit Bundesmitteln ermöglichten – beispielhaften Arbeit in der Provinz? Die Auswirkungen, welche dieses Projekt darüber hinaus auf die künstlerische Arbeit des Staatsschauspiels oder grundsätzlich für den Theaterdiskurs hat, wie Miriam Tscholl es von der Bürgerbühne eigentlich erwartet, scheinen doch eher fraglich. Die Beantwortung dieser Frage steht hier nicht im Fokus, jedoch sollte dieses Beispiel zeigen, wie sehr Absicht und Haltung den Erfolg eines Projekts bestimmen und wie groß die Unterschiede zwischen urbanem und ländlichen Raum hinsichtlich der Strukturen und Erwartungen sein können. Neben diesem Beispiel aus Sachsen gibt es natürlich noch viele andere Beispiele für Schnittstellen zwischen Hochkultur und Breitenkultur. Im Bereich des Freien Theaters ist die Zusammenarbeit mit Vereinen, mit nicht-professionellen Darstellern schon längere Zeit wichtiges Element der Arbeit, auch bezogen auf die skizzierten unterschiedlichen Modi und Formate von Partizipation. Da sich die vorliegende Untersuchung jedoch mit den Strukturen der Landesbühnen und somit mehrheitlich den Stadttheater ähnlichen Betrieben beschäftigt, würde eine Betrachtung von Freier Theaterarbeit am Grenzbereich zur soziokulturellen Arbeit zu weit führen. Nach der Auswertung der empirischen Erhebung werden in die Schlussbetrachtungen exemplarische Beispiele Einzug erhalten.123 Die Bürgerbühne Dresden sollte hier beispielhaft auszugsweise auf die Hindernisse, Herausforderungen und Chancen einer Zusammenarbeit zwischen professionellen und nicht-professionellen Theatermachern (im städtischen und im ländlichen Raum) aufmerksam machen; die sich daraus ergebenden Fragen und Hinweise werden bei der Erstellung der Forschungsfragen und in der empirischen Untersuchung Berücksichtigung finden. Verwiesen sei hier ergänzend auf das Forschungsprojekt der Hochschule für angewandte Wissenschaften Coburg, das sich unter dem Titel „Schnittstellen zwischen Hochkultur und Kultureller Bildung“ der Thematik annähert, wie Institutionen in Bezug auf eine teilhabeorientierte Ausrichtung und partizipatorischer Angebote zusammenarbeiten können (vgl. Forschungsprojekt Schnittstellen zwischen Hochkultur und Kultureller Bildung 2018c). Das Projekt, das sich nicht nur auf die Darstellenden Künste bezieht, sondern alle Kunstsparten berücksichtigen will, verortet sich „im Dunstkreis von Elfenbeinturm oder Kultur für alle // Zwischen Kulturvermittlung und Partizipationsprojekt // Theater als Intervention // Kulturvermittlung zwischen sozialer und ästhetischer Praxis“ (Forschungsprojekt Schnittstellen zwischen Hochkultur und Kultureller Bildung 2018a).

123 Verwiesen sei hier auf die entsprechende Fachliteratur, exemplarisch sei die Betrachtung der Arbeiten von Rimini Protokoll benannt, Dreysse u. a. 2007.

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2.2.5 Kinder- und Jugendtheater als Modell? Projekte, die aktive Teilnahme ermöglichen sollen, die sich zwischen künstlerischer und gesellschaftlicher Zielsetzung bewegen, laufen auch Gefahr, instrumentalisiert zu werden, in dem Sinne, dass die Kunst einem Zweck untergeordnet wird oder dass behauptete partizipatorische Formen mehr der Selbstbestätigung einer Institution denn der Entwicklung der Teilnehmer dienen. Diese Spannungsfelder und die damit zusammenhängenden Fragen beschäftigen die Darstellenden Künste für junge und mit jungen Menschen in grundsätzlicher Weise: Ob das (künstlerische) Endergebnis entscheidend ist, oder ob es um die Bildungsprozesse der Teilnehmenden geht; welche Strukturen für eine „erfolgreiche“ Teilhabe und Teilnahme unerlässlich sind und auf was sich dieser Erfolg bezieht, auf die Transfereffekte oder eine gute Auslastung; welche Hierarchien und Haltungen notwendig oder zu vermeiden sind, um tatsächlich partizipative Momente zu gestalten und wie die Qualität dieser dann gemessen werden kann – all diese Aspekte sind fest verankert im Diskurs um das Kinder- und Jugendtheater als ein Zielgruppentheater, das zumeist im Fokus der Betrachtungen steht, wenn es um Themen wie Partizipation und Kulturelle Bildung geht. Formate des Mitmachens sind essenziell für die zeitgemäße Kinder- und Jugendtheaterarbeit und Strukturen für nachhaltige Zusammenarbeiten wurden und werden dort entwickelt. Partizipation als Konzept scheint gerade in diesem Felde so verankert, dass das Kinder- und Jugendtheater Vorbildfunktion einnehmen zu können scheint. Für junge und mit jungen Menschen

Kinder- und Jugendtheater definiert sich als Genre nicht über Inhalte oder ästhetische Mittel, sondern über die Zielgruppe (und zeigt hiermit eine Ähnlichkeit zum Amateurtheater). Es geht um die Darstellenden Künste für und mit jungen Menschen; das Genre wird von allen Theaterorganisationsformen angeboten und zeichnet sich durch eine große thematische Breite und Vielfalt der Gestaltung aus. Die Begrifflichkeiten „Kinder- und Jugendtheater“ und „Theater für junges Publikum“, die hier meist synonym verwendet werden sollen, zeigen bereits die immanente Zweiteilung des Genres auf: Wenn von Kinder- und Jugendtheater gesprochen wird, wird im Fachdiskurs meist das professionelle Produzieren für jüngere Menschen gemeint; gleichwohl kann darunter auch das Theater mit Kindern und Jugendlichen verstanden werden, welches sowohl in Amateurtheater-Strukturen als auch in professionellen oder semi-professionellen Rahmungen stattfinden kann. In den vergangen Jahren hat sich die Bezeichnung „Theater für junges Publikum“ durchgesetzt, wenn über die Arbeit für die Zielgruppe gesprochen wird, auch hinsichtlich immer noch existierender Vorverurteilungen: „Erstens sagen wir mit ‚Theater für Kinder‘ deutlich, dass wir nicht über das Theaterspiel der Kinder sprechen. Und zweitens leidet der Begriff Kindertheater immer noch unter einem sehr schlechten Image: Kindertheater sei luschig gemacht und für Schauspieler einfach nur anstrengend. Dieses Bild stimmt aber längst nicht mehr. In der Gesellschaft herrscht obendrein die Meinung vor, Kindertheater müsse nur bunt und lustig sein, das reiche schon für das junge Publikum. Da fehlt einfach die notwendige Wertschätzung“ (Taube 2010, S. 2). Auch wenn diese Aussage Gerd Taubes aus dem Jahr 2010 stammt und sich seither einiges in der Anerkennung getan hat, scheint nach wie vor das Theater für junges Publikum um sein Ansehen zu kämpfen. Diese Geringschätzung im Vergleich zu anderen Genres äußert sich in der kulturpolitischen Unter-

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stützung und Förderung, so schreibt der Rat für darstellende Kunst noch im Frühjahr 2018: „Festzustellen ist aber, dass die vorhandenen Infrastrukturen, Förderinstrumente und finanziellen Ressourcen dem besonderen Stellenwert des jungen Publikums und dem Engagement und der Professionalität der dort tätigen Künstler_innen nicht gerecht werden“ (Rat für darstellende Kunst und Tanz im Deutschen Kulturrat 2018, S. 1).124 Kinder- und Jugendtheater ist Kunst – eine Kunstform, die „eingebettet ist in soziale und pädagogische Kontexte“ (Schneider 2009a, S. 166).125 Wenn über Kunstvermittlung, über Partizipation und Projekte im Grenzbereich zwischen Bildung und Kultur gesprochen wird, wird meist im gleichen Atemzug das Kinder- und Jugendtheater benannt: Nicht nur, weil die in diesem Genre sich bewegenden Akteure solche Formate oft ganz selbstverständlich anbieten, sondern auch, weil sie die meisten mittlerweile etablierten Methoden und Instrumente erfunden und erprobt haben und diese auch ständig weiterentwickeln. Interdisziplinäres Arbeiten mit unterschiedlichen Beteiligten in ganz diversen Kontexten ist Normalität, Teilhabe und Vermittlung grundlegende und konstituierende Elemente. Kinder- und Jugendtheater ist (also auch) Kulturelle Bildung: „Professionelle Darstellende Künste für junges Publikum sind per se Kulturelle Bildung. Die künstlerische Arbeit mit und von Kindern und Jugendlichen findet in professionellen Kontexten ebenso statt wie im Amateur- und Schultheater. Beide ergänzen und inspirieren einander. Vermittlungsangebote und Tanz-/Theaterpädagogik sowie Projekte im Theaterunterricht an Schulen erweitern die Arbeit der Theater und schaffen Zugänge für Kinder, Jugendliche, Familien und Multiplikator_innen“ (Rat für darstellende Kunst und Tanz im Deutschen Kulturrat 2018, S. 1). Das junge Publikum steht im Fokus und zwar nicht als die nachwachsende Generation künftiger Publika, sondern als präsentes Gegenüber – auch wenn es hierbei sowohl in der öffentlichen Diskussion als auch der Praxis unterschiedliche Bewertungen gibt. Das Genre wird nicht mehr nur von „Spezialtheatern“ bedient, sondern fast jedes öffentlich getragene Theater bietet mittlerweile ein mehr oder weniger umfangreiches Programm für die Zielgruppe an (vgl. Taube 2012).126 Je nach Betrachtungsweise ist eine solche Normalisierung von Kinder- und Jugendtheater unterschiedlich zu bewerten: Einerseits lässt sie befürchten, dass sich Unterschiede innerhalb der Qualität zwischen den Theatern, die sich auf dieses Genre konzentrieren und solchen, die es nur zusätzlich anbieten, entwickeln und verstärken. Das hängt zusammen mit der Beauftragung und der Bedeutung des Kinder- und Jugendtheaters: Eigenständige, originär für diese Zielgruppe arbeitende Theater sind eben hauptsächlich dafür zuständig; während einzelne Produktionen oder auch Spartenmodelle immer in der Gefahr stehen, dem Erwachsenentheater untergeordnet zu werden. Dies kann sich nicht nur auf die Arbeit, sondern vor allem auch auf die Arbeitsmentalität, die Finanzierung und die Anerkennung auswirken und Vorurteile verstärken:

124 Zur kulturpolitischen Stellung des Kinder- und Jugendtheaters siehe Schröck 2011a und Schneider 2012. 125 Siehe weiterführend dazu auch Hentschel 2016b. 126 Dass dies situationsbedingt auch zu Konkurrenzsituationen führen kann, ist nachvollziehbar; Kulturpolitik steht dann in der Verantwortung, die Rahmenbedingung für eine vielfältige Kulturlandschaft entsprechend zu gestalten. Anhand des Beispiel Frankfurt am Main hat die Autorin sich mit kommunalen Konzeptionen für Kinder- und Jugendtheater beschäftigt und eine Fallstudie vorgelegt, auf die bereits verwiesen wurde: Schröck 2011a.

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„Du bist am Ziel, [...] wenn das Kinder- und Jugendtheater ganz selbstverständlich zum Kerngeschäft des Theaters gehört“ (Kantel 2012, S. 22).127 Andererseits kann dies auch als Fortschritt angesehen werden, da das Kinder- und Jugendtheater endlich (zumindest ansatzweise, siehe die obigen Aussagen zur Finanzierung) gleichberechtigt betrachtet wird: „Das Kindertheater, das lange darunter gelitten hat, ein Spezialund kein Normaltheater zu sein, ist endlich den Kinderschuhen entwachsen. Ein Großteil der Produzenten hat inzwischen das begrüßenswerte Selbstverständnis entwickelt ‚Theater kann eben nur Theater sein!‘“ (Hentschel 2016a, S. 208).128 Das Theater für ein junges Publikum greift genau dort an, wo die Nicht-Besucherforschung Desiderate sieht: Gerade in jungen Jahren muss der Grundstein für Kulturinteresse gelegt werden und am besten scheint dies zu gelingen, wenn man nicht nur schaut, sondern auch spielt, wenn Teilhabe und Teilnahme aktiv ermöglicht werden – und ganz nebenbei lassen sich noch zahlreiche positive Effekte aufzählen, die den Kindern nur nützen, nicht schaden. Gerade im schulischen Kontext werden die Darstellenden Künste als Möglichkeit der Bildung wahrgenommen. Es muss also auch hierbei immer wieder postuliert werden: „Theater ist Kunst und nicht Mittel zum Zweck“ (Schneider 2012, S. 113). Gleichzeitig ist genau diese positive Bewertung Begründung für die Arbeit mit und für Kinder und Jugendliche; nicht selten müssen Rechtfertigungen für finanzielle Mittel der öffentlichen Hand genau auf diese Nebeneffekte einen Schwerpunkt legen und die Kunst scheint in den Hintergrund zu treten.129 Das Kinderund Jugendtheaterzentrum in der Bundesrepublik Deutschland mit Sitz in Frankfurt am Main formuliert somit genau diese Angelegenheit als sein erstes Ziel: „Kinderund Jugendtheater als Kunst. Das Zentrum macht das Kinder- und Jugendtheater als Kunst öffentlich sichtbar, reflektiert und entwickelt seine Qualität. Dazu regt es fachliche Debatten an und gestaltet sie aktiv mit. Es bietet Anlässe und Gelegenheiten, die künstlerische Qualität des Kinder- und Jugendtheaters zu diskutieren und Wege zur Entwicklung seiner Ästhetik zu reflektieren“ (Kinder- und Jugendtheaterzentrum in der Bundesrepublik Deutschland 2008). Fragen nach den Absichten und der Qualität der Arbeit und die Diskussion darüber scheinen im Kinder- und Jugendtheaterbereich fast noch entscheidender als in anderen Darstellenden Künsten. Dass das Theater mit jungen Menschen mittlerweile in einer ähnlichen Weise als eigenständige Kunstform mit eigener Ästhetik angesehen wird, ging ein langer Prozess voraus, mit Diskussionen innerhalb der Szene und der Öffentlichkeit und dieser scheint auch noch lange nicht gänzlich abgeschlossen. Als „Mitmachtheater“ verschrien, als Schultheater gefürchtet, haben sich partizipatorische Projekte mittlerweile jedoch als besondere Ausdrucksform etabliert: So wurde beispiels-

127 Bis dahin scheint noch ein langer Weg zu gehen, siehe dazu exemplarisch Schröck 2011b. 128 Dieses Zitat steht im Zusammenhang mit der Feststellung, dass sich immer mehr Inszenierungen an ein gemischtes Publikum, beispielsweise an Jugendliche, jüngere und ältere Erwachsenen richten. Die Diskussion über Vor- und Nachteile eines solchen Ansatzes des Theaters für alle Altersgruppen, ausgehend vom Kinder- und Jugendtheater, wird in den vergangenen Jahren verstärkt geführt, beispielsweise im Rahmenprogramm des Deutschen Kinder- und Jugendtheatertreffens „Augenblick Mal!“ 2017 in Berlin (vgl. Kinder- und Jugendtheaterzentrum in der Bundesrepublik Deutschland 2017). 129 Mit dieser Problematik wird sich unten stehend beschäftigt, auch anhand einer aktuellen Studie Aron Weigls, auf die bereits an dieser Stelle hingewiesen sei: Weigl 2018.

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weise Brigitte Dethier, Intendantin des Jungen Ensemble Stuttgart (JES) 2009 gemeinsam mit dem Choreographen Ives Thuwis-De Leeuw mit dem Deutschen Theaterpreis „DER FAUST“ ausgezeichnet. Geehrt wurden die beiden für die Inszenierung „Noch 5 Minuten“ (siehe Junges Ensemble Stuttgart 2018). Bei dieser Produktion (und mehreren darauf folgenden, ähnlich konzipierten) handelt es sich um ein Tanztheaterstück, bei dem professionelle Darsteller mit Jugendlichen im regulären Theaterbetrieb zusammenarbeiten (ohne das dieses Format als „Bürgerbühne“ bezeichnet wurde). Auch das Deutsche Kinder- und Jugendtheatertreffen „Augenblick Mal!“, das alle zwei Jahre in Berlin stattfindet, hat in den vergangene Jahren mehrfach Produktionen mit gemischtem Ensemble eingeladen, unter anderem „Neun Leben“ von dem genannten Duo.130 Die Projekte des JES sind nicht nur aufgrund ihrer Besetzung besonders, sie versuchen auch die Grundsituation solcher Zusammenarbeiten zu durchbrechen: „Die Grundkonstellation ihrer Tanztheaterproduktionen ist immer das Zusammentreffen von Schauspieler_innen und Jugendlichen, die im Tanz gemeinsam Neuland betreten und sich auf Augenhöhe begegnen können“ (Bundesakademie für Kulturelle Bildung Wolfenbüttel 2018) – alle Beteiligten machen also etwas, von dem sie wenig(er) Ahnung haben, die Schauspieler sind auf dem Gebiet des Tanzes vielleicht nicht gänzlich unerfahren, aber in der Regel nicht in diesem Feld ausgebildet; der Dialog zwischen Profis und NichtProfis wird somit durch die Rahmensetzung und die Arbeitsbedingungen auf einer anderen Ebene verortet, sodass es möglich scheint, dass Partizipation tatsächlich auch im Sinne eines Kontrollverlusts, einer Teilgabe innerhalb einer Kollaboration stattfinden kann. Die selbstkritische Reflexion scheint dem Kinder- und Jugendtheater immanent zu sein; die eigene Qualität der künstlerischen Arbeit wird stetig und immer wieder neu befragt, auch im nationalen und internationalen Austausch und auf zahlreichen Fachveranstaltungen und Festivals. Die eigenen Inhalte werden meist unmittelbar mit der Zielgruppe verhandelt: Der Lebensweltbezug ist für das (gute) Kinder- und Jugendtheater ganz grundsätzliche Ausrichtung und Maßstab. Daher ist auch die enge Arbeit mit Kindern und Jugendlichen Bestandteil der konzeptionellen Arbeit, in allen möglichen Abstufungen und Ausformungen, durch Expertenbefragungen, Gesprächen nach Probenbesuchen oder Workshops zur gemeinsamen Stückentwicklung (vgl. dazu Pinkert 2014a). Dabei kann es möglich sein, „dass das Theater für Kinder sowohl künstlerisch frei und ästhetisch orientiert ist und zugleich sein Publikum engagiert im Blick hat“ (Hentschel 2016b, S. 209), sich also tatsächlich teilhabeorientiert positioniert, in ständiger Interaktion mit der Umwelt. Das Überwinden von Trennungen und Zuschreibungen scheint prägend für zeitgemäßes Kinder- und Jugendtheater zu sein: „Die Theaterkunst für Kinder und Jugendliche hat sich als integraler Bestandteil der Theaterarbeit in Deutschland etabliert und das Theater für junge Zuschauer ist ein anerkannter Teil der Theaterkultur in Deutschland geworden. Und zwar weil sich sowohl das Kinder- und Jugendtheater als auch das Stadttheater verändern und sich das Kinder- und Jugendtheater nicht mehr durch Abgrenzung, sondern durch Grenzüberschreitungen künstlerisch verortet. [...] Altersgrenzen und Spartengrenzen werden überwunden, die Grenzen zwischen Amateuren und professionellen Schauspielern fallen, die strukturellen und ästhetischen Abgrenzungen

130 Siehe hierzu weiterführend die Beschreibungen des Freien Kindertheaters in Europa von Tine Koch, die sich auf das gleiche Beispiel bezieht: Koch 2016, S. 453–457.

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zwischen Kinder- und Jugendtheater und Erwachsenentheater werden durchlässiger. Mit einer enormen Spannbreite an Stilen, Lesarten, Handschriften und ästhetischen Zugängen zu Stoffen und Themen ist das Theater für Kinder und Jugendliche künstlerisch und gesellschaftlich auf der Höhe der Zeit“ (Taube 2012, S. 7 f.). Zielgruppentheater

Gleichwohl bleibt die grundsätzliche Ausrichtung an eine spezielle Zielgruppe das entscheidende Charakteristikum. Aron Weigl stellt in seiner Dissertation die kulturpolitischen Herausforderungen und Potenziale einer Zielgruppenorientierung im Zusammenhang mit Kultureller Bildung heraus. Auch wenn er sich in seiner Forschungsarbeit auf die Auswärtige Kulturpolitik bezieht, sind folgende Feststellungen ebenso für die theaterpolitische Rahmengebung für die Darstellenden Künste innerhalb Deutschlands von Bedeutung – sowohl für das Theater für junges Publikum als auch für das für Erwachsene. Eine ständige Überprüfung und Neuausrichtung der eigenen Arbeit ist auch bei einer klaren Konzentration auf eine bestimmte Gruppe niemals zu vernachlässigen: „Dass die Zielgruppe als bereits existent verstanden wird, also nicht neu entdeckt werden muss, heißt eben nicht, dass sie automatisch Beachtung in Konzeptionen findet. Zu diesem Gedankenschluss muss ergänzt werden, dass selbst wenn eine Zielgruppe konzeptionelle Aufmerksamkeit erfährt, die Art und Weise, wie letztlich die Partizipation am kulturellen Leben aussieht, stark differieren kann. So ist der Besuch von Kulturinstitutionen nur eine Möglichkeit. Um dem Anspruch, also den Interessen verschiedener Gruppen gerecht zu werden, ist kulturpolitisch zwangsweise eine Öffnung gegenüber allen denkbaren Formen der Auseinandersetzung mit kulturellen Phänomenen notwendig“ (Weigl 2016, S. 82). Weigl weist damit auf die Mitbeachtung verschiedener partizipatorischer Möglichkeiten hin, betont die konkrete Beschäftigung mit der jeweiligen Zielgruppe und beschreibt die daraus resultierenden Konsequenzen, denen man sich bewusst sein muss: „Insgesamt lässt sich sagen, dass Kulturelle Bildung als Politikfeld in Deutschland zielgruppenorientiert ist. Damit werden künstlerisch-ästhetische Bildungsprogramme Teil einer kulturellen Teilhabe insgesamt, die sie wiederum befördern können. Zielgruppenorientierung führt nicht zwangsweise zu einem Zuwachs an Partizipation aller am kulturellen Leben einer Gesellschaft. Sie bietet vielmehr die Möglichkeit dazu. In jedem Fall verlangt Zielgruppenorientierung aber eine auf die jeweiligen Interessen von Untergruppen oder gar Individuen angepasste Kulturvermittlung“ (ebd., S. 88). Es ist klar, dass, wenn sich eine Institution auf eine spezielle Gruppe fokussiert, andere vielleicht nicht die gleiche Aufmerksamkeit bekommen. Aus diesem Umstand könnten jedoch Impulse entstehen, wenn Ansätze beispielsweise auch für andere Zielgruppen adaptiert werden, oder grundsätzlich die Teilhabe-Ermöglichung im Sinne einer gesamtgesellschaftlichen Betrachtung dadurch befördert wird: „Kinder als Zielgruppe zu definieren, heißt dementsprechend, sie in Zusammenhang mit Gruppen anderen Alters zu setzen. Damit ergeben sich auch Chancen für die Kulturvermittlung für Erwachsene. Zielgruppenorientierung in Projekten bedeutet nicht, einzig auf eine Gruppe zu fokussieren, sondern sich der Heterogenität und Transkulturalität einer Gesellschaft, aber auch den einzelnen gesellschaftlichen Gruppen, sowie den verschiedenen Graden an Teilhabe bewusst zu sein. In diesem Sinne werden dann verstärkt Zielgruppen in ihrem gesellschaftlichen Kontext und ihren Interessen entsprechend berücksichtigt“ (ebd., S. 318 f.).

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Der gesellschaftliche Aspekt von Kinder- und Jugendtheater, als ein Theater, welches sich ganz konkret an der Lebenswelt bestimmter Gruppen ausrichtet, zeigt sich sowohl in der Teilhabe-Ermöglichung, als auch in der inhaltlichen Ausgestaltung und in den Teilnahme-Formaten. Theater für Kinder und Jugendliche erreicht durch die gezielten Angebote über Bildungseinrichtungen ein viel diverseres Publikum als Theater mit anderer Ausrichtung. Im schulischen Kontext werden alle Kinder erreicht, unabhängig ihres Hintergrunds oder sozialen Situation (im Jugendalter gestaltet sich die Situation wieder etwas anders, da durch die Ausdifferenzierung des Bildungssystems hier eine neue Milieu-Zuschreibung erfolgt). Die inhaltliche Beschäftigung mit Themen aus dem Lebensumfeld junger Menschen stellt eine enge Verbindung zum Publikum dar – dennoch gibt es eine große Distanz: Professionelles Theater wird von älteren Menschen für jüngere gemacht, egal ob die Theatermacher direkt nach der Ausbildung oder kurz vor dem Ende des Berufswegs sich an Kinder und Jugendliche richten, sie sind immer nicht (mehr) Teil ihrer Zielgruppe. Diese Differenz wird mehr oder weniger im Diskurs und in der Praxis thematisiert, zeigt aber die notwendige Anbindung an junge Menschen in der Arbeit auf. Dieser Problematik widmet sich das „Jahrbuch für Kinderund Jugendtheater 2014“, unter dem Titel „Abbild, Zerrbild, oder? Konstruktionen von Kindheit im Theater für junges Publikum“ (Schneider 2014a). Die thematische Beschäftigung mit dem, was Kindheit bedeutet und bedeuten kann, wird im Kinder- und Jugendtheater auf verschiedenen Ebenen parallel behandelt: „Kinder und Jugendliche sind als Publikum gemeint; Kinder und Jugendliche spielen auch als Protagonisten auf der Bühne eine Rolle; die Inszenierungen setzen sich mit aktuellen und historischen Lebenswelten von Kindern und Jugendlichen auseinander. Wie ist das, wenn ältere Schauspieler jüngere Helden spielen? Was sind das für Konstruktionen, die Kindheit behaupten und Jugend vorführen? Worum geht es, um Illustration oder um Irritation? Was ist der Blick der Erwachsenen auf die junge Generation? Welche Erwartungen haben die jungen Zuschauer an die Charaktere der Schauspielkunst?“ (ebd., S. 1). Diese immanente Distanz findet sich nicht nur im Kinder- und Jugendtheater, man kann dies genauso auf Stadttheater übertragen, die mit Amateuren zusammenarbeiten, dabei deren Sichtweise jedoch nur bedingt selbst einnehmen können; oder mit Blick auf die vorherrschenden Unterschiede zwischen Metropolen und der Provinz, auf die Arbeit von städtischen Theatern in ländlichen Gebieten: Woher weiß der Städter, was dem Zuschauer der ländlichen Regionen als Identifikationsmöglichkeit dient? Wie müssen Inhalte, Rollen und Umsetzung gestaltet sein, was sagt die Inszenierungsweise über die Erwartungen gegenüber des anderen aus? Eben diese Fragen werden hinsichtlich der Arbeit der Landesbühne interessant – denn schließlich handelt es sich bei dieser um ein Stadttheater, das auch nicht-städtische Zielgruppen und ein sehr heterogenes Publikum bedienen muss.131 Durch diese Reflexion des Theaterverständnisses und der eigenen Arbeitsweisen, bei gleichzeitiger Befragung des Verhältnisses der Generationen zueinander, wird Kinder- und Jugendtheater dargestellt als ein Ort für den gesellschaftlichen Diskurs, der auch die ästhetischen Konsequenzen befragt, die sich daraus ergeben: Gutes Theater für junges Publikum kann entweder versuchen, sich den Kindern hinsichtlich der gestalterischen Mittel anzunähern, beziehungsweise zumindest an die Darstellungsweisen, von denen Erwachsene denken, dass sie passend wären – oder es kann sich

131 Siehe dazu im weiteren Verlauf Kapitel 2.3.

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seiner Position bewusst sein, dass es ihm nicht möglich sein wird, die Lebenswelten zu kopieren, die Kunst also darin liegt, mit den entsprechenden (theatralen) Mitteln etwas zu formen, was sich nicht anbiedert, sondern Möglichkeiten der Interpretation bietet: „Ist es das, was die Kunst für Kinder ausmachen sollte? Den Kinderton treffen? [...] Braucht es zum Jugendtheater also nur den Jargon? [...] Zunächst einmal: Kindheit ist Vielfalt. [...] Kindheitsdarstellungen sind also eher nicht dokumentarisch, im schlimmsten Falle aber Karikatur. Deshalb plädieren die zeitgenössischen Autoren, Dramaturgen und Regisseure für eine Offenheit in der Reflexion von Lebenswelten. Die Möglichkeiten seien durch die ästhetischen Mittel definiert, durch das Narrative, das Performative und das Mediale. Es gehe um die Haltung der Handschrift, die den mündigen Zuschauer brauche“ (ebd.) Für das Abgleichen zwischen Vorstellung und Realität, für die Frage der Beziehung zwischen „Dasein und Darstellung“ (ebd.) braucht es den engen Kontakt und den steten Austausch mit eben jener Zielgruppe; denn es gilt nicht nur, für diese zu arbeiten, sondern auch von dieser zu lernen, mit ihr zu kollaborieren. Dabei geht es nicht um Fragen des bloßen Geschmacks oder Gefallens, auch wenn diese natürlich eine Rolle spielen; es geht vielmehr um ein Aufspüren von Themen, Verstehen von Ausdrucksweisen und dem Auffinden einer gemeinsamen Theatersprache. Ein solcher Prozess kann natürlich dann dazu führen, dass die Spezifität der Arbeitsweisen, Inhalte und Ästhetiken eben nur für eine bestimmte Gruppe adäquat erscheint und andere entsprechend ausschließt. Dies wird vor allem in den Spielplänen der Kinder- und Jugendtheater sichtbar, die eine klare Einteilung ihrer Produktionen nach Altersstufen vornehmen. Nähe zu und Kommunikation mit der Zielgruppe prägen das Theater für junges Publikum, es verfügt „über eine vergleichsweise lange Tradition der Vermittlung. [...] Auch war der Zusammenhang von Theaterrezeption und eigenem Theaterspiel an den Kinder- und Jugendtheatern immer im Blick. Heute zeichnen sich die Theater für junge ZuschauerInnen dadurch aus, dass sie ihr Publikum schon im Produktionsprozess einbeziehen und ihm immer mit Neugier begegnen. Diese Offenheit dem Publikum gegenüber, die Bereitschaft, es mit seinen Fähigkeiten, Erwartungen und Bedürfnissen ernst zu nehmen, macht die Begegnung und auch die theaterpädagogischen Aktivitäten dialogisch“ (Wartemann 2012). In solchen kommunikativen Prozessen in der Entwicklungs- und Probenphase helfen die jungen Menschen nicht nur mit direktem Feedback zu Inhalten oder Bildsprache, sondern können durch ihre Reaktionen und ihre Ausdrücke künstlerische Impulse beisteuern: „Die Idee vom Theater als Kommunikation geht in den Kinder- und Jugendtheatern über die einzelne Aufführung hinaus. [...] Auch Entwicklungen im Theater für die Allerkleinsten [...] haben gezeigt, dass die Begegnung von KünstlerInnen und Publikum nicht primär direktiv im Sinne eines audience developments zu verstehen ist, sondern die Beobachtungen der Zuschauer umgekehrt künstlerisch anregend sein können“ (ebd.).132 Der Unterschied zu Maßnahmen, welche im Dienste einer Publikumsgewinnung oder einer einseitig erklärenden Kunstvermittlung stehen, zeigt sich in der Wertschätzung und der Haltung: „Weil die Begegnung mit Kindern und Jugendlichen im Theater

132 Vergleiche hierzu auch den Bericht von Melanie Florschütz und Michael Döhnert, Florschütz u. a. 2009, die beschreiben, wie sie durch die Reaktionen ihres ganz kleinen Publikums dazu gebracht werden, Bühnenvorgänge auf ganz neue Weise auszutesten: „Diese Suche nach theatralen Mitteln ist für mich als Künstlerin bereichernd“ (ebd.).

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für junge Zuschauer nicht als notwendiges Übel, sondern als genuiner Teil der Theaterkunst verstanden wird“ (ebd.) – diese Sicht auf die Arbeit für und mit jungen Menschen kann Einfluss haben auch auf die Theaterbetriebe, in denen Kinder- und Jugendtheaterarbeit nur einen Teil ausmacht, sofern die Institutionen diese Gedanken mittragen und den Ansätzen genügend Freiräume geben. Durch eine Arbeitsweise, welche sich an der Zielgruppe ausrichtet und diese miteinbezieht, kann die grundlegende Idee dessen, was Theater (als Kunst und Institution) sein könnte, weiterentwickelt und neu gedacht werden: „Theaterpädagogische Formate bewegen sich zwischen Lektionen in kunsterzieherischer Tradition und einer offenen Erkundung dessen, was man als Theater bezeichnet“ (ebd.). Die Kunst der Kunstvermittlung

„In der Praxis sind die Sphären künstlerischer und pädagogischer Theaterarbeit nicht zu trennen. Theaterpädagogik am Theater gilt längst nicht mehr als Erklärungs- und Vermittlungsinstrument der Theaterkunst, sondern als deren konzeptioneller Bestandteil. Kunst und Pädagogik [...] können als einander dialektisch bedingende Sphären der Kulturellen Bildung im Theater begriffen werden“ (Taube 2013). Das Kinder- und Jugendtheater ist in der Hinsicht einer Grenzaufweichung zwischen Wirkungen und Absichtslosigkeit, zwischen Kunst und Bildung oder Sozialarbeit bereits mehrere Schritte weiter, als das an einer Kunstautonomie oder avantgardistisch orientierte Theater, nach der oben gegeben Definition. „Die Vermittlungskunst wird mittlerweile als eigenständiges Kunstformat gesehen“ (ebd.). Im Zentrum steht der (junge) Mensch, der von den durch Theater angestoßenen Bildungsprozessen profitiert und zugleich durch das eigene Mit-Spiel seinen Teil für die kreative Erschaffung von Kunst beiträgt. „Zudem versteht sich die Theaterpädagogik zunehmend als eine Vermittlungskunst mit performativem Charakter. Mit spielerischen und performativen Mitteln werden Themen der Kinder und Jugendlichen szenisch bearbeitet und das Theater als ein experimenteller Raum des künstlerischen Forschens für die jugendlichen ExpertInnen ihrer Lebenswirklichkeit begriffen“ (ebd.). Wenn man also partizipatorische Arbeit als künstlerische Arbeit begreift, dann sollte diese genauso elementarer Bestandteil der Theaterarbeit sein, wie das Produzieren mit ausschließlich professionellen Mitwirkenden. Wenn man Vermittlung und Teilhabe als Kunst ansieht, dann gehören diese zur Kernaufgabe der Kunstinstitutionen und müssen entsprechend beachtet und gefördert werden. Dementsprechend ist die Arbeit mit (jungen) Menschen auch im Verständnis von Theater als Ort gesellschaftlicher Aushandlung zu verstehen: „Als soziale Kunst qualifiziert sich ein Theaterprojekt in dreifacher Weise: durch die Arbeitsform des gemeinsamen Machens (als soziales Lernen), durch die aufgegriffenen Themen und Interessen (als sozialpolitisches Engagement) und durch die soziale Ästhetik, die die beteiligten Spielerinnen und Spieler zur öffentlichen Performance bringt (als ästhetische Kommunikation). Diese soziale Ästhetik der Theaterpädagogik äußert sich in der jeweils eigenständigen Ausdrucksform und -kraft einer sozialen Gruppe und Produktion. Durch die künstlerische Bearbeitung wird das soziale Anliegen geformt und kommunizierbar in der Aufführung. Theater schafft und fordert eine zweifache Kommunikation: eine innere Kommunikation der Spielerinnen und Spieler während des Arbeitsprozesses und eine äußere Kommunikation mit dem Publikum durch die Veröffentlichung des Arbeitsergebnisses“ (Sting 2017).

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Vom Kinder- und Jugendtheater lernen, heißt dessen Methoden und Arbeitsweisen als Vorbild zu nehmen, um die unterschiedlichen Ebenen von Kommunikation, Bildung und künstlerischer Aussage bewusst zu gestalten: „Im Kontext kulturelle Bildung ist Theaterpädagogik heute zu verstehen als eine künstlerische Arbeit, aber nicht – und das ist elementar – als eine eitle Kunst oder Imitation des Kunstbetriebs, sondern als eine angewandte Kunst, die die beteiligten Spielerinnen und Spieler zum Handeln und Sprechen bringt, im Sinne von Empowerment und Partizipation. Und daraus, falls überhaupt notwendig, ihre soziale und pädagogische Berechtigung bezieht. Nur durch die ästhetische Praxis ergeben sich die beim Theaterspielen möglichen Lern und Bildungsprozesse. Theater kann so eine Schule des Sehens sein, aber mehr noch: auch eine Schule des Sprechens, eine Schule des (Sich-) Zeigens und Befremdens, eine Schule des Sich-Begegnens sowie letztlich eine Schule der Teilhabe an Kultur und Gesellschaft“ (ebd.). Überträgt man diesen Ansatz auf das Theater für allgemeines Publikum, auf die Herausforderungen einer exklusiven Teilhabe und der geringen Relevanz der (professionellen) Darstellenden Künste für den Großteil der Bevölkerung, geht es also sowohl um die Ermöglichung des eigenen individuellen sich Einbringens, aber auch um die Eröffnung von Möglichkeiten, an einem Theatererlebnis im Sinne eines Kunsterlebnisses teilzuhaben. Die sich niemals auflösende Diskrepanz zwischen (als notwendig erachteter) Wirksamkeit und Zwecklosigkeit kann dabei positiv genutzt werden, wenn diese sich in der Haltung und den Absichten des jeweiligen handelnden Akteurs niederschlägt und sich ihre eigenen Formen der Darstellungen sucht. Gerd Taube stellt in dem Zusammenhang die Multiperspektivität dar, die das Theater als Kulturelle Bildung auszeichnet: „Aus der Perspektive der Kulturellen Bildung erscheint das Theater als eine Kunstsparte und Kulturtechnik, aus deren Eigenarten spezielle kunst- und kulturpädagogische Methoden hervorgegangen sind, um die kulturellen Bildungspotenziale der Theaterkunst wirksam zu machen. Aus der Perspektive der Theaterkunst erscheint die Kulturelle Bildung als ein im gesellschaftlichen, bildungstheoretischen und politischen Diskurs dominierendes Paradigma, das vor allem als Anspruch an die soziale Wirksamkeit der Theaterkunst verstanden wird“ (Taube 2013). Wirksam würden beide Seiten für die Nutzer durch die doppelte Aneignung des Sehens und Spielens. Diese Multiperspektivität führe zu einer Annäherung zwischen Vermittlung und Kunst: „Mit der Theaterkunst verbindet sich oftmals auch eine pädagogische Haltung, und die Theaterpädagogik vertritt einen künstlerischen Anspruch. Mit dem Konzept der Vermittlungskunst wird inzwischen versucht, die prinzipielle Dichotomie von Zuschauen und Spielen tendenziell aufzuheben und die Kunstvermittlung selbst als künstlerische Praxis zu begreifen“ (ebd.). Dies habe Auswirkungen auf die Theaterarbeit, denn dabei „werden die institutionellen und formalen Koordinaten einer szenisch-dramatischen Theaterkunst zugunsten der Offenheit emanzipatorischer und partizipativer Konzepte des performativen Theaters aufgegeben“ (ebd.). Geesche Wartemann sieht im Kinder- und Jugendtheater sowohl für einzelne Theater als auch übergeordnet für den Diskurs um Partizipation Potenzial. Sie stellt die These auf: „Theater für junge Zuschauer sind die Vorreiter in der Entwicklung und Reflexion von Modellen der Vermittlung, von denen alle Theater profitieren können“ (Wartemann 2013, S. 154). Wartemann stellt in ihren Erläuterungen zu dieser Aussage klar, dass es dabei nicht um die „gängigen Formate von Vermittlung“ (ebd., S. 155) geht, die im Sinne einer inszenierungs- oder spielplanbegleitenden Theaterpädagogik dem

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Hinführen und Erklären dienen, wie Materialmappen, Gespräche und einzelne Workshops. Denn diese Vermittlungsformate „zielen darauf, die Zuschauenden für Theater zu interessieren und zu qualifizieren, wollen eine Auseinandersetzung mit den Inhalten, aber auch Darstellungsmitteln der Inszenierungen anregen. Eine Vermittlungsarbeit in diesem Sinn will Zugang zur Theaterkunst schaffen, stellt jedoch Kunstbegriffe und Produktionsweisen ihrer Institution nicht kritisch zur Diskussion“ (ebd.). Sie steht also nicht unter der Maßgabe einer transformatorischen oder dekonstruktiven Theatervermittlung und ist auch von den Interventionen eines Applied Theatres im Sinne einer Institutionskritik weit entfernt. Die neuen Tendenzen im Kinder- und Jugendtheater der vergangenen Jahrzehnte überwinden diesen Ansatz, der dazu dient eine Informationsund Kenntnisdifferenz auszugleichen. Durch den Einbezug des Publikums in den Probenprozess nimmt man dieses als etwas anderes wahr, nämlich „nicht nur als Empfänger des Kunstprodukts Aufführung“ (ebd.), gesteht ihm somit eine Mündigkeit und ein Mitspracherecht zu, das zu nutzen es aufgefordert wird. „Es besteht eine Neugier und Offenheit dem Publikum gegenüber, das man nicht defizitär bestimmt, sondern mit seinen Fähigkeiten, Erwartungen und Bedürfnissen ernst nimmt“ (ebd.). Nimmt man diese grundlegende Konzeption ernst und beachtet die sich entwickelnden neuen Formate, so lässt sich eine Entwicklung beobachten, eine „Ergänzung der Theatervermittlung vom reproduktiven zum transformativen Diskurs“ (ebd., S. 157), die sich unter anderem in der Etablierung von Laboren äußert, die das Erforschen des Theaters zum Ziel und Zweck haben: „Das Theaterlabor [...] möchte das Theater aus den jeweiligen Bedingungen und Kontexten neu entwickeln“ (ebd., S. 157). Die Rollenzuschreibung eines Experten, der einer anderen Person, die weniger Kenntnis zu haben scheint, etwas erläutert oder diese anleitet, würde somit in Frage gestellt. Theatervermittlung hat in diesem Verständnis ihren belehrenden Duktus aufgegeben, zugunsten eines originär künstlerischen Anspruchs. Damit verbunden ist eine Notwendigkeit, adäquate Qualitätskriterien, respektive ein Vokabular zur Beschreibung der Arbeit, der künstlerischen Prozesse und Ergebnisse, aufzustellen – darin zeigt sich eine ähnliche Herausforderung, wie die, der sich das Amateurtheater zu stellen hat. Schließlich ist Theaterkunst mit Kindern etwas anderes als Theaterkunst mit professionell ausgebildeten und arbeitenden Mitwirkenden für Kinder.133 Strukturen als Erfolg und Herausforderung

In welcher Weise und ob diese theoretischen Überlegungen zu einer Auflösung der Abgrenzungen zwischen Kunst, Pädagogik, Vermittlung und aktiver Teilhabe Wirkung entfalten und in der Praxis implementiert werden können, ist auch abhängig von den Strukturen. Das Theater für Kinder und Jugendliche ist Vorreiter in Angelegenheiten der Partizipation, Inklusion, Integration und Diversität und hat bezogen auf eine strukturelle Verankerung von Maßnahmen und Programmen viel erreicht. Die Projektabhängigkeit vieler Formate wurde bereits thematisiert und dies ist nach wie vor und auch im Kinder- und Jugendtheater grundsätzlich eine andauernde Herausforderung.

133 Die Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (BKJ) hat sich der Thematik einer Qualitätsbewertung bezogen auf die Kulturelle Bildung gewidmet, siehe dazu den anlaufenden Diskurs und die Materialien auf der Webseite: Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung 2010.

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Nachhaltigkeit ist ein Thema, welches ständig neu eruiert wird, jedoch meist durch die Förderstrukturen in den Hintergrund gedrängt wird: Gefördert werden innovative, zeitlich begrenzte Vorhaben, denn dadurch kann Theaterpolitik gestaltend tätig werden; oder die bestehenden Strukturen werden dauerhaft auf gleichbleibendem Niveau unterstützt, dass Entwicklung nur punktuell möglich scheint. Zudem ist festzustellen, dass die klassische Theatervermittlung an öffentlich getragenen Häusern, bei denen das Kinder- und Jugendtheater nur einen Teilbereich ausmacht, nach wie vor wenig selbstkritisch arbeitet und in ihren Strukturen eben diese nicht befragt (siehe dazu Wartemann 2013, S. 157). Gleichwohl sind im Feld des Theaters für und mit jungen Menschen Programme entstanden und haben sich als Strukturen etabliert, die eine Verankerung der Arbeit im institutionellen Kontext und somit auch eine Langfristigkeit der Arbeit ermöglichen; dies wiederum kann zu einer Weiterentwicklung der Formate bei gleichzeitiger steter Überprüfung führen, da ein Abgleich von Erfolg und Misserfolg auch über einen längeren Zeitraum bei gleichzeitiger Beachtung der Umweltfaktoren möglich ist. Charakteristisch für solche Strukturen sind eben die bereits genannten Eigenschaften des Kinder- und Jugendtheaters als grenzüberschreitendes Feld: So positioniert sich das Programm Theater und Schule (TUSCH) seinem Namen entsprechend an der Schnittstelle zwischen Theater und Schule; Formate des „Community Dance“, die sich nicht nur explizit an junge Menschen richten, gehen in bestimmten Konstellationen zurück auf das Förderprogramm „Tanzplan“ des Bundes, welches sich in bestimmten Städten ausschließlich an Angebote für Kinder und Jugendliche richtete und als drittes Beispiel das Modellprojekt „Kulturagenten für kreative Schulen“, das mit persönlicher Vermittlung Kulturinstitutionen und Schulen zusammenbringen will. Allen drei Programmen, bei allen Unterschieden in Ausrichtung und Gestaltung, ist gemein, dass sie auf Zusammenarbeiten setzen. Um nachhaltige Arbeit zu ermöglichen und für alle Beteiligten positive Effekte zu erzielen, ist die Schaffung und Verankerung von partnerschaftlichen Strukturen maßgeblich. Bildungseinrichtungen und Kulturinstitutionen sollen – durch die Verbindung der kulturellen Bildungsarbeit – miteinander vernetzt werden und im besten Falle sollen nicht nur die Kinder und Jugendlichen etwas lernen und erfahren, sondern auch die Kulturinstitutionen und die künstlerischen Mitarbeiter sollen von der gemeinsamen Arbeit profitieren. Kooperationen zwischen Schule und Theater stehen nicht im Fokus der hier durchgeführten Untersuchung, dennoch soll an den genannten Programmen gezeigt werden, dass aus diesem Bereich durchaus Impulse entstehen, die in Hinsicht auf mehr Teilhabe und der Gestaltung der Theaterlandschaft aufgegriffen werden könnten.134

134 Für eine ausführliche Betrachtung, kulturpolitische Einschätzungen sowie die Herausforderungen solcher Programme siehe exemplarisch Schneider 2009b, Stiftung Universität Hildesheim u. a. 2016 und Fink 2017. In den genannten Evaluationen wird auch auf das grundständige Problem der Anschlussfinanzierung hingewiesen: Sobald das Programm ausläuft, müssen Lösungen für eine Weiterführung oder Anschlussangebote gefunden werden, die meist nach einer Anschubfinanzierung durch Bundesmittel oder Stiftungsgelder die Verantwortlichkeiten kommunaler Kulturpolitik ansprechen und diese in der Pflicht gesehen werden, die Projekte durch entsprechende Finanzierung am Leben zu erhalten, was nicht unproblematisch sein kann.

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Die Programme positionieren sich im Grenzbereich zwischen Kultur und Bildung – werden aber im Gegensatz zu beispielsweise dem Bundesprogramm „Kultur macht stark“ aus (unterschiedlichen) Kulturetats gefördert und nicht aus Mitteln der Bildung. Dies impliziert auch die Ausrichtung und die Gestaltung der Programmumsetzung. Zugleich weisen diese unterschiedlichen Programme und deren Zielsetzungen auf eine notwendige Umgestaltung der Strukturen und ein Überdenken der Zuständigkeiten hin: Partizipation ermöglichen und Zugänge schaffen ist nicht alleinige Aufgabe der staatlichen Kulturpolitik, sondern benötigt ein Mitwirken von Sozial-, Bildungs- und Integrationspolitik. Kooperationen zwischen unterschiedlichen Politik- und Praxisfeldern bedeuten auch ein Befragen der eigenen Strukturen und der Arbeitsweisen: „Die Theaterarbeit zwischen Künstlern, Theaterpädagogen, Schülern und Lehrern ist eine Chance und Herausforderung für alle Beteiligten“ (Sting u. a. 2012, Klappentext). Bei allen Erfolgen für die Kulturelle Bildung, für die die Programme gelobt werden, stellen sie doch immer heraus, dass Teilhabe-Ermöglichung und Ermächtigung zur Partizipation nur bedingt als Aufgabe von Kunst gesehen werden solle und somit nicht das Hauptinteresse von Kulturinstitutionen sein könne: „Es ist eine Kunst etwas zusammenzubringen, aber es kann nicht die Aufgabe von Kunst sein, gesellschaftliche, integrative Leistungen zu erbringen“ (Bachmann 2014). Sowohl solche strukturell angelegten Programme als auch die Grundstrukturen der Spezialtheater für Kinder und Jugendliche zeichnen sich durch einen großen Unterschied zu anderen Institutionen aus: Sie verstehen Partizipation als eine Kernaufgabe. Leider scheint dieses Verständnis nur bedingt von der Programmidee hinaus auf die beteiligten Betriebe zu wirken, in denen weiterhin auf eine Schwerpunktsetzung auf die „eigentliche“ Kernaufgabe beharrt wird. So kritisiert Birgit Mandel mit Blick auf die Evaluationen der Förderprogramme, auf die sie verweist (siehe dazu Fink 2017): „Kulturelle Bildungsprojekte würden von Kulturinstitutionen häufig outgesourct [...] Die Einrichtungen offerieren Vermittlungsprogramme, ohne dass diese ihre Routinen stören: [...] Einerseits sind Kulturvermittler*innen in Kunst-und Kultureinrichtungen unerlässlich als Legitimationsfaktor für öffentliche Förderung, indem sie neue, junge Besucher*innen gewinnen, häufig in Kooperation mit Schulen, und dazu beitragen, dass diese sich möglichst persönlich bereichernd mit den Gegenständen ihrer Einrichtung auseinandersetzen. Andererseits möchten viele Einrichtungen in dem, was sie als ihr ‚Kerngeschäft‘ begreifen: die Präsentation exzellenter Kunst, nicht durch Interessen und Ansprüche der Kulturvermittlung gestört werden“ (Mandel 2018). Mandel führt weiterhin aus, dass, obwohl eine Tendenz zu einer geänderten Wahrnehmung und Positionierung zu bemerken sei, die Kulturinstitutionen sich dieser jedoch verschließen möchten: „In der öffentlichen Wahrnehmung von Kultureinrichtungen und den kulturpolitischen Ansprüchen an diese ist aktuell ein deutlicher Wechsel vom ‚Schutzraum für die Künste und kulturelles Erbe‘ zu einem Bildungs- und Freizeitort für die Bevölkerung erkennbar, ein Anspruch, dem sich die Fach-Akteure in den Einrichtungen, so die These, subtil zu entziehen versuchen, indem sie Kulturvermittlung als ‚add on‘ so installieren, dass diese den Kunstbetrieb nicht weiter stört“ (ebd.).

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Diese Problematik bezieht sich jedoch größtenteils auf die Betriebe, die eben nicht als Spezialtheater originär für ein junges Publikum arbeiten.135 Für diese scheint – wie dargestellt – eine Verankerung partizipatorischer Arbeit in den Grundstrukturen selbstverständlich (wenn natürlich auch in unterschiedlichen Ausgestaltungen). Dieses Ausrichten des Betriebs und des Handelns nach der Maxime möglichst breit Teilhabe und Teilnahme zu ermöglichen, könnte als Modell fungieren: Bezogen auf das Verständnis von Partizipation – nämlich als Mehrwert, nicht als Minderung – und auf die ständige Qualitätsdiskussion, indem eben alle Aufgabenbereiche berücksichtigt werden und Kunst nicht gegen partizipatorische Prozesse ausgespielt wird. In der Betrachtung von Theaterinstitutionen und ihrer Konzeption sollte der Blick also auch genauer auf das Kinder- und Jugendtheater gerichtet werden, denn die Stellung, welche dieses innerhalb der Strukturen einnimmt, könnte Rückschlüsse darüber zulassen, welche Stellung partizipatorische und zielgruppengerichtete Arbeit in diesem Theater hat. Diese Positionierung könnte gleichermaßen als Indikator dafür dienen, welches Verständnis von Theater und damit verbunden welche Idee von Theaterpolitik diesem Theater zugrunde liegt. 2.2.6 Kulturpolitik für Partizipation „Um der Bedeutung von Kunst und Kultur für Individuum und Gesellschaft gerecht zu werden, bedarf es einer Kulturpolitik, die insbesondere den Prozess der kulturellen Partizipation vorantreibt“ (Deutscher Bundestag 2007, S. 49). Die Ausformulierung dieser Notwendigkeit ist zugleich eine Aufforderung zur Verantwortungsübernahme: Kulturpolitik soll und muss dafür sorgen, dass eine Teilhabe- und Teilnahmegerechtigkeit angestrebt wird. Dabei sind – und dies wurde deutlich durch die bisherigen Ausführungen – sowohl „Kulturpolitik“ als auch „Partizipation“ Sammelbegriffe verschiedenster Bedeutungsweisen. Kulturpolitik im Sinne eines staatlichen Handelns kann Rahmenbedingungen schaffen, um Zugänge zur kulturellen Teilhabe zu schaffen; sie kann durch Förderungen Institutionen in die Lage versetzen, Kunst zu produzieren und Partizipation zu ermöglichen; sie kann durch Verantwortungszuschreibungen Akteure beauftragen oder Zusammenarbeiten ermöglichen und konstruiert so eine Theaterlandschaft, die sich an Kunstproduktion und Partizipation ausrichtet. Innerhalb dieser sind unterschiedliche Konzeptionen von Partizipation vorhanden, die in ganz verschiedenen Formaten in die Praxis umgesetzt werden (können). Kulturpolitik als Förderpolitik legt einen Schwerpunkt auf die künstlerische Produktion, unter der Wahrung von Kunstfreiheit bei gleichzeitiger Absicht, die Darstellenden Künste als soziale Praxis und kulturelle Ausdrucksform für alle zu öffnen. Die Kunst scheint der Kernbereich; die Abgrenzung zu anderen Politikfeldern ist einerseits nachvollziehbar, scheint jedoch gerade im Themenfeld der kulturellen Teilnahme auch hinderlich. Die ewige Debatte um Abgrenzungen und Zuständigkeiten scheint es sowohl in der Kulturpraxis als auch auf der staatlichen kulturpolitischen Ebene zu geben. Wie gestaltet sich also „Kulturpolitik für Partizipation“ im weitesten Sinne?

135 Und ist im Übrigen auch mit neuen Herausforderungen für die meist spezialisiert ausgebildeten Kulturvermittler verbunden, die sich als mehr als bloße Dienstleister für eine bessere Verkaufbarkeit des Produktes Kunst verstehen, vgl. Mandel 2018.

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Theaterpolitik und Teilhabe?

Kulturpolitik als Querschnittsaufgabe wird durch verschiedene Ressorts und Zuständigkeiten gestaltet, darauf wurde bereits verwiesen. Einzelne Programme, Projekte und Maßnahmen im Bereich der Kulturellen Bildung werden vermehrt durch Bildungs- und Jugendpolitik durchgeführt, doch hier soll nun zunächst Theaterpolitik als ein Teilbereich von Kulturpolitik im Mittelpunkt stehen. Theaterpolitik als Rahmengebung für die Darstellenden Künste sollte alle Bereiche des Feldes beachten, das heißt alle Genres, von Musiktheater, Tanztheater, Sprechtheater, Performance, Kinder- und Jugendtheater, Amateurtheater und interdisziplinären Ansätzen; all die Formen künstlerischer und partizipatorischer Arbeit gleichermaßen berücksichtigen und das egal wo, ob in Groß-, Mittel-, Kleinstädten, in Ballungsgebieten oder in dünn besiedelten Regionen. Zieht man die von Ulrike Blumenreich breit angelegte Evaluation der Kulturförderung der Bundesländer und Kommunen zu Rate, wird eindeutig klar, dass es auch in diesem Bereich heißt: Die eine Theaterpolitik gibt es nicht.136 Zu groß sind die Unterschiede in Förderinstrumenten, deren inhaltlichen Ausrichtung, zeitlichen Dimensionen und konkreter Benennung, (rechtlichen) Rahmenbedingungen oder konzeptionellen Grundlagen – eine nachvollziehbare Tatsache, denn der Kulturföderalismus dient ja auch dem Sinn einer dezentralen Ausgestaltung von Kulturarbeit und jedes Land und jede Kommune hat Gestaltungsfreiheiten. Es ist davon auszugehen, dass das Feld „Partizipation“ daher auch sehr unterschiedlich seitens der Theaterpolitik Beachtung erfährt oder sich in expliziten Konzeptionen wiederfindet. Wenn man die grundsätzlichen Faktoren betrachtet, welche Partizipation ermöglichen, beziehungsweise dieser entgegen stehen, so scheinen der Theaterpolitik die vier grundlegenden infrastrukturellen Hürden zumindest bekannt zu sein und sie sich einer Überwindung dieser bereits angenommen zu haben: Erreichbarkeit, Finanzierbarkeit, rechtliche Schranken und Bildung (Max Fuchs nennt diese vier Bereiche in Anlehnung an Franz-Xaver Kaufmanns Untersuchungen sozialer Teilhabe, vgl. Fuchs 2014). Die Theaterdichte ist – trotz der Unterschiede zwischen den Regionen – im Schnitt sehr groß, die Menschen immer mobiler und auch die Eintrittspreise sind – natürlich auch dank öffentlicher Zuwendungen – soweit gestaffelt, dass es quasi überall auch moderate Preise oder Angebote gibt. Rechtlich gesehen wird niemandem der Zugang zur Kunst verwehrt und hinsichtlich der Bildung stehen die vielen Programme zur Kulturellen Bildung und im schulischen Kontext in der Pflicht, hier Schwellen abzubauen. Dass dies alles nicht ausreicht, wurde anhand der Ergebnisse der Nicht-Besucherforschung gezeigt, aber zumindest lassen sich Bemühungen erkennen, dass durch diese Barrieren nicht grundsätzlich Ausschlusskriterien entstehen. Die Idee der Landesbühne entspringt genau diesem Kontext. Durch sie soll einer weiteren Ungleichheit entgegengewirkt werden, nämlich den großen Unterschieden zwischen städtischem und ländlichem Kulturangebot; wobei sich diese Betrachtung, wie gezeigt, auf professionelle Angebote und Institutionen bezieht.

136 Siehe dazu Blumenreich 2016; Blumenreich untersucht die Förderstrukturen für Freie Theaterarbeit, doch auch in Bezug auf Stadt- und Staatstheater sowie die Landesbühnen scheint es keine Einheitlichkeit einer umfassenden theaterpolitischen Konzeption zu geben, daher können die Ergebnisse auf den hier betrachteten Gegenstand übertragen werden.

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Eine Möglichkeit für Theaterpolitik, über diese Rahmenbedingungen hinaus, Teilhabe und Teilnahme zu ermöglichen und indirekt die Angebote mitzugestalten, sind Zielvereinbarungen oder (im Falle des Freien Theaters) Förderauflagen: So können Gelder an die Erwartung gebunden werden, dass beispielsweise bestimmte (neue) Zielgruppen angesprochen werden, oder dass Formate wie beispielsweise Bürgerbühnen oder Spielclubs vertraglich verankert werden. Im Auftrag des Bundesverbandes Freie Darstellende Künste erstellte Aron Weigl eine umfassende Studie mit dem Titel „Freie darstellende Künste und Kulturelle Bildung im Spiegel der bundesweiten Förderstrukturen“ (Weigl 2018), in der er nicht nur Fördermöglichkeiten, sondern auch das Verständnis und die Bedeutung von Kultureller Bildung und Freier Theaterarbeit untersucht. Die Ergebnisse der Untersuchung, auch wenngleich diese sich nicht zunächst auf die Theaterbetriebe der öffentlichen Hand eins zu eins übertragen lassen, zeigen auf, wie inhaltliche Arbeit, Erwartungshaltungen der Akteure und der Geldgeber sowie die Deutungen einer vermeintlichen oder tatsächlichen Beauftragung einander bestimmen können: Im Sinne eines Kulturpolitikbegriffs, der sich auch auf die Prozesse und Aushandlungen innerhalb von Abhängigkeiten bezieht, lassen die von Weigl benannten Forschungsergebnisse Rückschlüsse auf eine Idee von Theaterpolitik und deren Konzepte zur Kulturellen Bildung (und damit eben auch Partizipation) zu. Zunächst stellt Weigl die Untersuchung in Zusammenhang mit der Gesamtentwicklung und des Bedeutungszuwachses des Themenfeldes sowie der politikfeldübergreifenden Verantwortung: „Die Folgen der Veröffentlichung der ersten PISA-Ergebnisse im Jahr 2001 haben die Landschaft der Kunst- und Kulturvermittlung – schulisch und außerschulisch – stark geprägt. Kulturelle Bildung als Aktions- und Politikfeld hat seitdem in Deutschland, aber auch weltweit an Bedeutung gewonnen. Im Ergebnis zeigt sich ein Wandel der Kulturförderlandschaft [...]137 auf allen gebietskörperschaftlichen Ebenen in Deutschland. Zuletzt hat auch das Bundesministerium für Bildung und Forschung ein hochdotiertes Förderprogramm im Bereich Kulturelle Bildung aufgelegt und damit die Diskussion um diesbezügliche Zuständigkeiten der verschiedenen Gebietskörperschaften und der unterschiedlichen Ressorts intensiviert“ (Weigl 2018, S. 11 f.). In seiner Analyse beschreibt Weigl mehrfach, dass die Inhalte, Zielrichtungen, Maßnahmen von kultureller Bildungsarbeit oder partizipatorischer Theaterarbeit nur vage definiert oder abgegrenzt werden – das Grundproblem ist also auch hierbei die große Vielfalt an Bedeutungen und Auslegungen der Begriffe. Zentral ist in der Untersuchung auch die Frage nach der Kausalität zwischen Theaterarbeit und Finanzierung, zwischen Theaterpolitik und der Praxis der Darstellenden Künste: Verstehen Theater Teilhabe-Ermöglichung und partizipatorische Arbeit als ihre originäre Aufgabe oder als Mittel zum Zweck, Förderung zu erhalten? Und umgekehrt: Bemühen sich Theater um entsprechende Formate, weil sie nur dann Geld erhalten?138 Ist Kulturelle Bildung

137 Weigl fügt hier folgenden Verweis ein: „Die beiden Weltkonferenzen zu Arts Education 2006 in Lissabon und 2010 in Seoul markieren eine neue Phase des internationalen Interesses an Kultureller Bildung“ (Weigl 2018, S. 11). 138 An dieser Stelle sei erneut auf die Publikation „Theater als Intervention“ verwiesen, die Autoren beschreiben, dass Freie Theater „aufgrund von Förderrichtlinien oder thematischen Ausrichtungen der Institutionen, die sie einladen und finanzieren in [...] Spannungsverhältnisse“ (Warstat u. a. 2015, S. 30) geraten.

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ein neues Arbeitsfeld und ein neuer Förderbereich, oder wird damit nur ein Begriff eingeführt, der die Freie Theaterarbeit beschreibt, so wie sie sich seit jeher gestaltet hat? „Aus einer Opposition gegenüber den etablierten Theaterinstitutionen heraus entstanden, setzten sich die freien darstellenden Künste zum Ziel durch Kunst emanzipatorische Prozesse zu initiieren, die letztlich zur Veränderung der Gesellschaft beitragen würden. Zuschauer*innen sollten im Sinne einer Selbstermächtigung dazu befähigt werden, herrschende Verhältnisse zu erkennen und zu deren Wandlung beizutragen. Dabei standen Autonomie und das künstlerische Vorhaben in einem kollektiven prozessorientierten Arbeitsmodus im Zentrum der Auseinandersetzung“ (ebd., S. 12). Nach Weigl sieht das Freie Theater Teilhabe und Teilnahme nicht als Verpflichtung im Sinne einer Auflage an, sondern als konstituierendes Element – und zwar originär in Abgrenzung zu den Theaterinstitutionen der öffentlichen Hand.139 Aus dieser Feststellung ergeben sich deutliche Konsequenzen in der Verantwortungszuschreibung und -übernahme, welche im weiteren Verlauf befragt werden, und die im Zuge der empirischen Auswertung einen wichtigen Aspekt markieren werden: Wenn die Freien Theater grundsätzlich Partizipation als Konzept ihrer Arbeit verankert haben, macht sie dies dann zu besonderen kulturpolitischen Akteuren und Instrumenten für eine umfassende Teilhabe- und Teilnahme-Ermöglichung? Müsste sich dies dann nicht in theaterpolitischen – also auch fördertechnischen – Entscheidungen niederschlagen? Bedeutet dies eine weitere Abgrenzung zur Kunstautonomie und bestärkt dies die Rollenzuschreibung innerhalb der Theaterlandschaft? Diese Diskussion wird im Ansatz von Weigl in der Studie teilweise durchgeführt. Bei aller Abgrenzung und oppositionellen Positionierung zu den Einrichtungen der Stadt- und Staatstheater war die Ausrichtung hin zu den Menschen prägender Faktor für die Entwicklung des Freien Theaters, besonders bezogen auf den Gedanken Kultureller Bildung und Teilhabe: „Die Nähe zum Publikum war wichtig, insbesondere für die Akteur*innen des Theaters für ein junges Publikum als einem wichtigen Teil der freien darstellenden Künste. Kinderund Jugendtheaterakteur*innen hatten einen besonderen Zugang zu Kultureller Bildung, da sie von einem spezifischen Publikum aus dachten. Zuschauer*innen sollten nicht nur Empfänger*innen, sondern Beteiligte sein. Kunst und Partizipation gingen

139 Eckhard Mittelstädt sieht in dieser praxisnahen Verbindung von kulturellen Bildungsprozessen und künstlerischer Arbeit eine konstituierende Komponente Freier Theaterarbeit, die auch zu einer neuen Idee von Theaterkunst geführt und nach und nach Einzug in das etablierte Theater gefunden habe: „Im Feld der Kulturellen Bildung haben die Freien Theater seit den Anfängen eine Vorreiterrolle gespielt, immer wieder mit neuen Formen experimentiert, durch ihre Nähe zum Publikum dessen Teilhabe ermöglicht und aus verschiedenen Motiven den bildenden Charakter des Theaterereignisses herausgestellt. Nach der um die Jahrtausendwende einsetzenden Bildungsdebatte hat sich diese Haltung im deutschen Theater durchgesetzt und kaum ein Stadttheater verzichtet auf die Vermittlung seiner künstlerischen Arbeit. Mit den performativen Formaten stellt sich auf der einen Seite die Frage nach der Rolle der AkteurInnen, aber auch nach der Rolle der ZuschauerInnen neu. Der bildenden Wirkung solcher Formate konnte sich hier nur beschreibend angenährt [sic] werden. Ein sich veränderndes Kunstverständnis, das sich zunächst im Freien Theater manifestierte, muss nun auch in den Diskurs im Feld der Kulturellen Bildung eingebunden sein. Dies gilt vor allem für die Rezeption, denn in der theaterpädagogischen Debatte ist die Performance als Praxis schon angekommen“ (Mittelstädt 2013).

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Hand in Hand“ (Weigl 2018, S. 12). Von Beginn an ist mit einer solchen Orientierung die Frage verbunden, ob und wie es gelingt, Kunst und (Kulturelle) Bildung voneinander abzugrenzen und ob und wie dies überhaupt sinnvoll erscheint oder gar gefordert wird: „Kulturelle Bildung denkt von Adressat*innen aus, von deren Lebenswelt und Anliegen, während Kunst im Zugang freier ist [...] Problematisch für die freien darstellenden Künste ist nicht, dass in Projekten Kultureller Bildung die Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Fragestellungen gesucht wird. Das ist Kernthema der freien darstellenden Künstler*innen und ihres künstlerischen Handelns. Problematisch ist vielmehr, wenn für Fördermittelanträge Ziele und Wirkungen der künstlerischen Tätigkeit formuliert werden müssen, was dem Verständnis von Kultureller Bildung im Sinne der Prozess- und Ergebnisoffenheit und der Zweckfreiheit von Kunst widerspricht“ (ebd., S. 21). Dieser Aspekt lässt sich, nach Thomas Renz, auch auf die öffentlichen Kultureinrichtungen übertragen: Zielvereinbarungen seien als ein strategisches Instrument für eine Förderung von Teilhabe anzusehen und als solche anzuwenden; das Problem bei solchen ist und bleibt jedoch neben der Überprüfbarkeit einer tatsächlichen Wirksamkeit die dahinterliegende Absicht. Es zeigen sich also im Prinzip die gleichen Problematiken, die auch Weigl für die Freie Theaterarbeit herausstellt. Zielvereinbarungen, welche beispielsweise einfordern, dass mehr jüngere Menschen erreicht werden sollen, lassen sich rein rechnerisch durch zahlreiche Vorstellungen eines immer ausverkauften Weihnachtsmärchens leicht einhalten – diese Kennzahlen beweisen jedoch nur die Anwesenheit der Kinder und sie sagen dagegen nichts über mögliche Prozesse aus. Auch bezogen auf die Qualität der Arbeit können hier kaum Kriterien greifen: Theaterpädagogische Arbeit kann beispielsweise daran gemessen werden, wie viele Teilnehmer anwesend waren und ob und wie oft es zu einer öffentlichen Präsentation kam, ob jedoch eine adäquate Form für partizipatorische Momente gefunden wurde, kann kaum überprüft werden, ebenso wenig die zugrunde liegende Absicht: Geht es um eine gemeinsame kreative Arbeit oder nur um die Erfüllung der Auflagen? Eine Möglichkeit, nicht nur durch Zielsetzungen oder Förderrichtlinien und -vereinbarungen Teilhabe kulturpolitisch zu steuern, sind Konzeptionen für diesen Bereich im Sinne einer Kulturentwicklungsplanung.140 Mit Blick auf die – meist kommunalen – Konzeptionierungen wird deutlich, dass diese Ressort übergreifend aufgestellt und durchgeführt werden müssen. Am einfachsten erscheint dies im Bereich der Kulturellen Bildung und innerhalb dieser mit Bezug auf junge Menschen, da dort übergreifende Programmarbeit in unterschiedlichen Zuständigkeiten bereits erprobt wurde und sich etabliert hat. Theaterpolitik, obwohl ganz eindeutig Querschnittsaufgabe, scheint kaum die gesamte Theaterlandschaft im Blick zu haben. Ein Nebeneinander öffentlich getragener und sogenannter Freier Theater, aber auch von Kinder- und Jugendtheatern als Spezialtheater und solchen mit Zusatzprogramm für junges Publikum scheint die Regel.141 Um eine Theaterpolitik für Teilhabe zu implementieren, zu stärken und konzeptionell zu denken, braucht es eine Verständigung auf die eigentlichen Absichten und Ziel-

140 Weigl verweist auf die Studien Susanne Keuchels in denen sie Konzeptionen zur Kulturellen Bildung untersucht hat, siehe dazu Weigl 2018, S. 32 f. 141 Dass solche Strukturen auch ohne ausformuliertes Konzept durch die Steuerung der Politik durch Förderinstrumente im Verlaufe der Jahre wachsen können und ein eigenes Netzwerk bilden, zeigt das Beispiel Frankfurt am Main, vgl. Schröck 2011a.

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setzungen der Akteure, klare Begriffsbestimmungen und eine Diskussion der Abgrenzungslinien zu anderen Feldern und zwischen Zuständigkeiten. In diesem Sinne müssen Arbeitsweisen, Inhalte sowie die innerhalb der Theaterlandschaft und innerhalb partizipatorischer Zusammenarbeiten sich aufbauenden Hierarchien in den Blick genommen werden. Ebenfalls verbunden damit ist die Notwendigkeit, die Bereitschaft zu Kollaborationen im Schnittfeld Kultureller Bildung zu erhöhen: „Man erlebt es relativ häufig, dass es einen Unwillen gibt, sich zu öffnen, einen Unwillen, irgendeine Form von Teilgabe zu leisten“ (Terkessidis 2015, S. 22). Auch in dieser Hinsicht könnte Theaterpolitik noch mehr befördern, die Theater beispielsweise in die Lage versetzen, relativ risikofrei eine Teilgabe zu wagen und somit Verantwortung zu teilen.142 Theaterpolitik zwischen Theaterkunst, theatraler Bildung und gesellschaftlicher Partizipation

Es scheint eindeutig, „dass die Frage der Partizipation eines großen Teils der Stadtgesellschaft am Theater der Stadt zu einer Kernfrage künftiger Legitimation für die finanzielle Investition in die Arbeit dieser Theater wird“ (Mundel u. a. 2011, S. 131 f.). Allerdings muss dies vor dem Hintergrund der bisherigen Ausführungen so verstanden werden, dass es eben nicht nur um eine Neugestaltung von Instrumenten des Marketings oder der Vermittlung geht, sondern dass sich die Institutionen und somit die Kunst selbst ändern sollten (vgl. ergänzend Renz 2016). Daraus ergeben sich in der Konsequenz Fragen nach dem, was das eigentliche Kunstwerk sei oder sein könnte und nach der Linie zwischen akzeptieren Zielen partizipatorischer Arbeit, einer Zweckbestimmung der selbigen und der als notwendig erachteten Abgrenzung zur Pädagogik. Die Autoren des Buchs „Applied Theatre“ möchten für eine solche Diskussion Ansätze aufzeigen und eine Grundlage für einen neuen Diskurs vorschlagen: „Brauchen wir einen Begriff, der uns einmal mehr dazu verleitet, Theaterformen säuberlich entlang einer Grenze von Kunst und Nicht-Kunst zu sortieren? Denn dazu führt die Rede von Applied Theatre oft. Wer diesen Begriff wählt, möchte häufig andeuten, dass das betreffende Theaterereignis primär nach anderen als ästhetischen Kriterien zu bewerten sei. Als ob ästhetische Kriterien jemals ausgereicht hätten, um Theater differenziert einzuschätzen“ (Warstat u. a. 2017, S. 7). Die Begrifflichkeiten und deren Verwendung stoßen an Grenzen und ebenso sind auch Theater und Partizipation in ihrer Auswirkung und ihrer inhaltlichen Bestimmung eingeschränkt. Hanne Seitz weist auf die mögliche Überschätzung der Wirkungen von partizipatorischer Arbeit hin: Zugänge zu schaffen und partizipatorische Angebote bereitzustellen, könne bezogen auf eine kulturelle Teilhabe etwas ermöglichen, doch keinesfalls seien dadurch große gesellschaftliche Veränderungen zu erwarten. Es geht also bei einer konzeptionellen Beschreibung auch um eine realistische und bewusste Zielsetzung und Absichtsformulierungen: „So mag nicht verwundern, dass auch das Theater auf der Suche nach Aufmerksamkeit und Breitenwirkung Teilhabekonzepten höchste Priorität zuspricht und zugleich Gefahr läuft, diesem fast schon inflationären Trend blind und zugleich euphorisch gestimmt zu fol-

142 Dies kann sich auf verschiedene Arbeitsbereiche beziehen, auch auf die Kooperation mit anderen Theatermachern oder Akteuren aus soziokulturellen Kontexten, die Verantwortungsfrage bezüglich solcher Kontrollverluste wird sich im weiteren Verlauf als markanter Aspekt herausstellen.

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gen. Selbstredend werden partizipative Angebote die gesellschaftliche Lage nicht verändern, sie können Menschen – unabhängig von ihrem sozioökonomischen Status – allenfalls einladen, an Kunst und Kultur teilzuhaben und ihnen so (andernorts nicht zuteil werdende) Anerkennung und Aufmerksamkeit zollen“ (Seitz 2012, S. 10). Theaterkunst und partizipatorische Arbeit bräuchten immer eine selbstkritische Haltung, auch um den „naiven, gutgläubigen Teilhabekonzepten [zu] trotzen“ (ebd.). Theaterpolitik steht vor dem Dilemma, einerseits Teilhabe zu ermöglichen, um soziale Gerechtigkeit herzustellen, während diese Absicht zugleich eine gewisse Naivität ausdrückt und die zugleich als Gegensatz zur freien künstlerischen Gestaltung wahrgenommen wird, in deren Verantwortung theaterpolitisches Handeln ebenfalls steht. Die Lösung hierfür scheint in der gängigen Praxis gegeben: Durch Vereinbarungen, Förderungen und Regelungen wird durch Maßnahmen der Vermittlung und des Audience Developments dem einen Bereich genüge getan, die Theaterkunst selbst bleibt möglichst frei von Zwängen und unbelastet und es bleibt die Selbstvergewisserung, etwas für gesellschaftliche Gerechtigkeit getan zu haben. Dies scheint zumindest für einen Teil der öffentlichen Kulturbetriebe zu gelten. Aron Weigl legt in seiner Studie ausführlich dar, wie sich die Situation für die Akteure der Freien Theaterszene gestaltet. Grundsätzlich gibt es eine Trennung zwischen der Förderung von Kunst und der Förderung Kultureller Bildung und eben kaum ressortübergreifende Förderbereiche: „Der Einzug von Teilhabe als Kriterium in Förderrichtlinien oder in Beiratsentscheidungen ist Realität. Für Programme Kultureller Bildung ist das selbstverständlich. Für Programme, die die Kunstförderung allgemein zum Zweck haben, sind verschiedene Tendenzen beobachtbar. Einerseits finden dementsprechende Vorgaben Eingang in die Förderpraxis, andererseits werden klare Trennungen gezogen und jedes Projekt, das kulturelle Teilhabe oder Teilnahme stärken möchte, bewusst von der Förderung ausgeschlossen. Beide Entwicklungen bergen Hindernisse für die Antragstellung. So führt die erstere dazu, dass Antragsteller*innen vermehrt kulturelle Teilhabe als Ziel formulieren, ohne das unbedingt zu wollen. Das Förderprogramm bestimmt den Charakter des Projekts. Die zweite Tendenz bewirkt eine künstliche Trennung von Kunst und kultureller Teilhabe, die in der Praxis nicht existiert“ (Weigl 2018, S. 175). Die Abhängigkeit von Förderprogrammen sowie die originäre Positionierung des Freien Theaters im Gegensatz zu den öffentlich getragenen Theaterinstitutionen führen zu einer ambivalenten Situation: (Freie) Theater scheinen sich entscheiden zu müssen, ob sie ihre Arbeit als reine Kunst verstehen, sich also entgegen ihrem Selbstverständnis von einem partizipatorischen Ansatz entfernen und somit ihre Abgrenzung zum (klassischen) Stadttheater negieren wollen, oder ob sie sich zu den Prozessen partizipatorischer Arbeit bekennen und somit den Kunstanspruch aufgeben. Zugleich verwehren sich die Freien Theater gegen eine Verantwortungsübernahme durch Projekte der Kulturellen Bildung, die letztlich nicht alle gesellschaftlichen Probleme lösen könne – und dies auch nicht zum Ziel haben dürfe: „Akteur*innen, die eine Einstellung des ’l’art pour l’art’ vertreten, müssen sich zumindest die Frage gefallen lassen, ob sie damit nicht indirekt einem Hochkulturbegriff, in dem ein geringes Interesse an kultureller Teilhabe aller gesellschaftlichen Gruppen zum Ausdruck kommt, sehr viel näher stehen als dem Gedanken eines inklusiven und gesellschaftskritischen Theater- und Tanzschaffens. Wenn Kulturelle Bildung allerdings dazu gefördert wird, um Missstän-

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de in anderen gesellschaftlichen Bereichen auszugleichen, dann widerspricht dies dem Verständnis einer großen Mehrheit der freien darstellenden Künste“ (ebd.). Die Unterscheidung zwischen Kultureller Bildung und Kunst anhand ihrer Ausrichtungen, die in theoretischer Hinsicht zweckdienlich ist für die Gestaltung von Förderinstrumenten, zeigt sich in der Praxis von Theaterarbeit durchlässig: „Kulturelle Bildung ist von den Adressat*innen aus gedacht. Deren Lebenswelt steht im Fokus der Themensuche, im besten Fall gemeinsam mit ihnen. Es geht um deren Selbstermächtigung in einem konkret künstlerisch-reflexiven Verständnis, aber auch in einem gesellschaftlichen. Kunst denkt nicht zwangsweise von den Adressat*innen aus, sondern ist frei in ihren Zugängen. Sie kann von einer Idee oder einem Thema aus gedacht sein. Das heißt nicht, dass Kunst nicht auch auf Adressat*innen ausgerichtet ist. Das heißt nicht, dass Kulturelle Bildung nicht auch frei Themen bearbeitet. Es handelt sich lediglich um eine andere Priorität des Zuganges“ (ebd., S. 178). Ein solcher Ansatz entspricht den Darstellungen einer Kunstvermittlungskunst in einer Multiperspektivität und scheint sich in der Idee eines tribalisierten Theaters umzusetzen: Die Adressaten bereichern das Theater mit ihren lebensweltbezogenen Themen und Inhalten; durch eine künstlerische Bearbeitung dieser können individuelle Prozesse der Bildung und des Empowerments stattfinden. Diese beidseitige Ausrichtung und Wirkungsweise beschreibt gleichermaßen Vorund Nachteile der Theaterarbeit für und mit jungen Menschen: je nach Argumentation (und je nach Förderbereich oder Zielvorgaben aus dem kultur-, sozial- oder bildungspolitischen Sektor) kann das eine oder das andere im Fokus stehen: „Diese Unterscheidung zwischen Projekten Kultureller Bildung und künstlerischen Projekten erklärt auch das Dilemma, dem Akteur*innen des Kinder- und Jugendtheaters oft ausgesetzt sind. Ist Kinder- und Jugendtheater per se Kulturelle Bildung oder ist es Kunst? Ein Abgrenzungsbedürfnis ist nur deshalb notwendig, weil Förderkriterien zwischen Kunst und Kultureller Bildung trennen und damit Kinder- und Jugendtheater oft von der Kunstförderung ausschließen. Aus der obigen Definition heraus kann es schlicht das eine und das andere sein, eine Vorwegnahme wäre falsch“ (ebd., S. 179). Teilhabe-Ermöglichung durch Zielgruppenorientierung

Die gesamte Betrachtung des Themenfeldes Theaterpolitik und Partizipation führt also immer wieder auf das Kinder- und Jugendtheater, seine Arbeitsweisen und seine Ausrichtung als Zielgruppentheater zurück. Entscheidend ist, dass es nicht ein Theater für alle jungen Menschen ist: Altersspezifische Angebote sind in diesem Feld üblich und wohl auch erfolgreich. (Ohne hier die Diskussion zu eröffnen, welche Entwicklungsund Altersstufen für gemeinsame Theatererlebnisse sinnvoll, förderlich oder hinderlich sein könnten.) Über die exkludierende Wirkung kultureller Angebote wurde bereits gesprochen; sie erfährt eine Steigerung durch Angebote für ganz spezifische Personengruppen: Auch wenn Erwachsene mit Freude ein Stück für Kinder erleben können,143 fühlen sich Jugendliche vielleicht eher nun bedingt durch ein Stück für Kleinkinder angesprochen; genauso kann beispielsweise die Sprache einer Inszenierung eine bestimmte Gruppe einladen, eine andere wird sich dadurch vielleicht gegen einen Besuch entscheiden. Dasselbe gilt auch für motivationale Barrieren: eine partizipatorische Ar-

143 Letztendlich ist die Aussage „gutes Kindertheater ist auch für Erwachsene gut“ ein Wahlspruch vieler Akteure des Kinder- und Jugendtheaters.

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beit mit bestimmter Thematik richtet sich explizit beispielsweise an eine Region oder eine bestimmtes Alterskohorte – für andere ist der inhaltliche Bezug nicht gegeben oder eventuell sogar abschreckend. „Um die kulturpolitische Zielvorstellung einer kulturellen Grundversorgung zu erfüllen, bedarf es einer konzeptionellen Zuwendung gegenüber allen gesellschaftlichen Gruppen“ (Weigl 2016, S. 81) – so leitet Aron Weigl seine Überlegungen zur „Zielgruppenorientierung als Bedingung für kulturelle Teilhabe“ (ebd.) ein und bezieht sich auf Hilmar Hoffmann, wenn er ausführt: „Um alle Teile der Bevölkerung zu erreichen, wäre also eine gezielte Vermittlung für einzelne Gruppen notwendig. Ein Grund dafür ist nicht nur, wie Hoffmann schreibt, um auf die Vorkenntnisse und Gewohnheit Einzelner Rücksicht zu nehmen, sondern auch, jene zu bedenken, die bisher zu wenig kulturpolitische Aufmerksamkeit erfahren haben“ (ebd.). Partizipation ermöglichen bedeutet auch, alle Elemente des Prozesses zu beachten, es geht dabei um Rollenverteilung, inhaltliche Ausrichtung und Berücksichtigung der Bedürfnisse der jeweiligen Zielgruppe: „Es existiert eine enge Kausalität zwischen dem ‚was‘ und dem ‚wer‘. Das heißt, ‚was‘ für ein künstlerisch-ästhetisches Bildungsprogramm ich kreiere oder ‚was‘ ich künstlerisch-ästhetisch erarbeite, hängt davon ab, ‚für wen‘ oder ‚mit wem‘ dies geschieht. Das betrifft alle an diesem Prozess Beteiligten, also sowohl Kinder, Künstler, Vermittler, Pädagogen als auch Politiker. Der Prozess selbst vollzieht sich immer in Auseinandersetzung mit der Zielgruppe“ (ebd.). Weigl schließt daraus: „Das Prinzip der Lebensweltorientierung muss also im Sinne der ‚Interessen‘ von Gruppen Eingang in das Konzept der ‚Zielgruppenorientierung‘ finden“ (ebd., S. 82) – und dies gilt nicht nur für die Zielgruppe der jungen Menschen, sondern kann sich ebenso auf die Lebenswelt von Senioren, Menschen mit Beeinträchtigungen, Großstädtern, Dorfbewohnern, Studenten, Arbeitern und viele noch zu definierende Gruppen beziehen. Mit Bezug auf die UN-Kinderrechtskonvention stellt Weigl fest, dass „kulturelle Teilhabe [...] die kulturpolitische Zielvorgabe ist [...]. Dadurch wird eine konzeptionelle Zielgruppenorientierung nötig, die wiederum die Anpassung künstlerisch-ästhetischer Bildungsprogramme verlangt. Dies wirkt sich auf die Teilhabe der damit inkludierten Individuen aus, insofern deren Interessen berücksichtigt werden, und modifiziert so indirekt die gesamte gesellschaftliche Partizipationsstruktur“ (ebd., S. 84). Sein Modell zur Teilhabekausalität (ebd., Abbildung 1) betrachtet er als „Weg zur Anpassung von Teilhabeungerechtigkeit“ (ebd., S. 85), weist aber ebenfalls darauf hin: „Ist eine Zielgruppe im Fokus einer kulturpolitischen Konzeption, kann das durchaus bedeuten, dass andere gesellschaftliche Gruppen keine Aufmerksamkeit erfahren“ (ebd.). Die logische Schlussfolgerung ist also, „Zielgruppenorientierung als Orientierung auf Untergruppen einer größeren Zielgruppe zu verstehen. Dieses Vorgehen sensibilisiert außerdem für die Berücksichtigung unterschiedlicher Interessen innerhalb einer Zielgruppe“ (ebd.). Für die hier geführte Argumentation und die Überprüfung der Implementierung kulturpolitischer Konzepte in der Praxis bedeutet dies also: Maßnahmen, welche von Theaterpolitik und den von ihr beauftragen Theaterinstitutionen ergriffen werden, um Menschen eine Partizipation am kulturellen Leben zu ermöglichen, müssen differenzieren, wie sie sich an wen wenden: Sind damit Instrumente gemeint, um Gelegenheitsbesucher zu Stammkunden zu machen; geht es um eine Weiterbildung bereits interessierter Menschen, denen ein (intellektueller) Zugang zur Kunst angeboten werden soll; oder stehen Menschen im Fokus der Strategien, die zu den (Noch-)Nicht-Besuchern zählen, deren grundsätzliche Motivation geweckt werden muss und denen die

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Relevanz öffentlich geförderter Kunst sehr fremd zu sein scheint? Und nicht zuletzt: Findet eine solche Ausdifferenzierung überhaupt in der Praxis und in der Konzeptionierung statt oder geht es nur darum, ein angemessenes Maß an Methoden vorweisen zu können, ohne deren Absicht und Wirksamkeit zu überprüfen oder schlicht zu befragen? Zwei Beispiele für eine Zielgruppenorientierung in der konzeptionellen Verankerung von partizipatorischen Angeboten seien aufgeführt: Die Dresdner Bürgerbühne versucht mit Zuschreibungen und Klassifizierungen in reflektierender Weise umzugehen, auch das ist eine Möglichkeit, sich auf einen Lebensweltbereich zu konzentrieren und zugleich gesellschaftliche Ordnungen bereits in der Ausrichtung zu befragen:144 „So schreiben wir kein Projekt für ‚Arbeitslose‘ aus, sondern für ‚Dresdner mit zu viel Freizeit, gegen den Stress des Nichtstuns‘. Das führt dazu, dass Arbeitslose sich zwar angesprochen fühlen und erscheinen, aber nicht unter sich bleiben, sondern mit unterbeschäftigten Kindern, Rentnern, gelangweilten Lehrern und anderen eine ganz eigene ‚Randgruppe‘ bilden. [...] So ist der Blick des Betrachters, der mit seiner Zuordnung ‚innerhalb oder außerhalb einer Gesellschaft stehend‘ immer auch gesellschaftliche Ordnungen reproduziert, auf dem Prüfstand, und es beginnt ein vielfältiges Spiel mit Identitäten und Realitäten, welches sich nicht auf Milieu und Klasse reduzieren lässt“ (Tscholl 2014, S. 15 f.). Als zweites Beispiel soll hier das Programm „TANZLAND“ aufgeführt werden (Kulturstiftung des Bundes 2019f) – es richtet sich an unterschiedliche Zielgruppen: Gastspieltheater können sich auf eine Förderung bewerben; an sie richtet sich das Programm zunächst, es geht darum, zeitgenössischen Tanz auch dort zu ermöglichen, wo er als – finanzielles – Risiko betrachtet, bislang wenige Chancen hatte. Zugleich ist mit der Förderung ein Vermittlungsprogramm verbunden: Die Zielgruppe, an der sich hier orientiert wird, sind die Menschen, die bislang wenig Rezeptionserfahrungen mit zeitgenössischem Tanz haben sammeln können – auch weil die Gastspieltheater in ihrem Einzugsbereich vorher vielleicht wenig bis gar keine Angebote in diesem Bereich vorgehalten hatten, sei es durch fehlende eigene Erfahrungen oder eine geringe Risikobereitschaft. Hier gibt es also eine Ausrichtung des Programms an die Zielgruppe der mit zeitgenössischen Tanz noch Unerfahrenen, in den Unterzielgruppen Gastspielveranstalter und Gastspielpublikum.145 Verantwortungszuschreibung und -übernahme

Wer was wie mit wem für wen und warum macht, kann sich nicht nur auf die Konzepte von Programmen oder Projekten beziehen, welche zum Ziel haben, Menschen an künstlerischen und oder Bildungsprozessen zu beteiligen – genauso kann man dies auch auf Theaterpolitik und die Gestaltung der Theaterlandschaft beziehen.146 Damit verbunden sind dann im Sinne einer aktivierenden Kulturpolitik Fragen nach der Ver144 Vergleiche hierzu die oben skizzierten Überlegungen zu der Distanz zwischen Theatermachern und Zielgruppe und den daraus resultierenden inhaltlichen und ästhetischen Konsequenzen bezüglich Identifikation und Reflexion. 145 Das Förderprogramm TANZLAND wird im empirischen Teil weiterhin als Beispiel dienen und ausführlicher dargestellt. Bezüglich des Themenfelds einer Zielgruppenorientierung von Kulturpolitik sei an dieser Stelle verwiesen auf entsprechende Fachliteratur: Schneider 2010b und Mandel 2016. 146 In der klassischen Fragestellung von Policy, Politics und Polity, vgl. 2.1.1.

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antwortung der unterschiedlichen Akteure sowie die Zuschreibung von Aufgaben und Verpflichtungen. „Die öffentliche Hand ermöglicht kulturelle Aktivitäten selbst und trägt eine Verantwortung für die Partizipation breitester Einkommens- und Bevölkerungskreise an künstlerischen Aktivitäten und dem kulturellen Erbe. [...] Staat und Kommunen erfüllen ihren öffentlichen Auftrag nicht nur durch die Finanzierung eigener Einrichtungen, sondern schaffen Rahmenbedingungen für Eigenaktivitäten der anderen Akteure und tragen nicht zuletzt auch durch finanzielle Unterstützung zu einer Trägerpluralität in der kulturellen Infrastruktur bei“ (Deutscher Bundestag 2007, S. 196). Die Vielfalt diverser Angebote und Trägerschaften sollte nicht als Konkurrenz, sondern als eine Möglichkeit für Zusammenarbeit und gemeinsame Zielsetzungen gesehen werden, so steht es im Abschlussbericht der Enquete Kultur. Für die theoretische Konstruktion und die praktische Gestaltung einer Theaterlandschaft gilt also insbesondere das, was mit dem Begriff der kulturellen Infrastruktur bezeichnet wird: Nicht nur die Einrichtungen der öffentlichen Hand, auch die in privater Trägerschaft, ob mit oder ohne Unterstützung durch öffentliche Förderung sowie die nicht-berufsmäßigen Angebote und die (potenziellen und tatsächlichen) Zuschauer gemeinsam bilden ein Netzwerk. Dieses Netzwerk der Darstellenden Künste, zu dem ebenso die kulturpolitischen Akteure, die nicht selbst künstlerisch, aber rahmengebend tätig sind, gehören, ist wiederum Teil einer größeren Kulturlandschaft. „Daher kommt Kulturpolitik zuallererst eine Vermittlerrolle zu: Sie vermittelt zwischen Kulturgesellschaft einerseits und Kulturstaat andererseits; zwischen gesellschaftlicher Situation als Wirkungsfeld und staatlichem/kommunalem Handeln im Hinblick darauf. Kulturpolitik sorgt auch für die Vermittlung zwischen den am Kulturprozess beteiligten Akteuren. Die Partizipation der Nutzer und Besucher von Kultureinrichtungen ist ebenso bedeutsam wie die Beteiligung von kulturellen Vereinigungen, freien Gruppen, Künstlern und Kulturschaffenden“ (Scheytt 2006, S. 36). Wenn man nun Partizipation als kulturpolitische Konzeption untersucht, muss also betrachtet werden, wie welche Verantwortung von welchem Akteur übernommen, oder diesem übertragen wird. Diesbezüglich wurde bereits darauf hingewiesen, dass innerhalb der Theaterlandschaft unterschiedliche Selbstverständnisse und Rollenzuschreibungen vorherrschen; welche auch durch die staatliche Kulturpolitik durch Förderungen und Rahmensetzungen beeinflusst und gesteuert werden (können). Kulturpolitisches Handeln, welches Partizipation ermöglichen soll, erstreckt sich dabei auf verschiedene Ebenen; dass Absichten, Ziele und Maßnahmen dabei stark variieren können, wurde gezeigt. Im Allgemeinen wird das Konzept Partizipation auf eine kulturelle und dadurch gesellschaftliche Partizipation von Menschen bezogen und meint damit unterschiedliche Formate und Modi. Eine kulturpolitische Steuerung sollte allerdings darüber hinaus auch eine weitere Ebene berücksichtigen, nämlich die Beteiligung von Institutionen an Entscheidungen und der Gestaltung von Theaterlandschaft. Wenn eine an Teilhabe und Teilnahme orientierte Kulturpolitik im Sinne einer Zielgruppenorientierung handelt, müssten die Fragen wer was wie mit wem warum macht, auch auf die Theaterlandschaft und die kulturpolitische Rahmung bezogen werden; also: Welche Kulturpolitik richtet sich mit welchen Maßnahmen warum an welche Akteure? Warum gibt es Unterschiede hinsichtlich einer Zielsetzung und einer Überprüfung der Arbeit zwischen den unterschiedlichen Theaterformen; wer bestimmt die Diskussion um Qualität, den Kunstbegriff und die Möglichkeiten und Grenzen partizipatorischer Arbeit? Wie kann sich diese Diskussion produktiv von einem urbanen Diskurs in einen verwandeln,

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der auch die Vielfalt der Provinz gleichermaßen berücksichtigt? Im Einzelfall könnten Kooperationen bezogen auf die Gestaltung der Beteiligung innerhalb der dadurch ermöglichten Projekte anhand der Kriterien einer „Fair Cooperation“ (Hampel 2015) untersucht werden: Geht es beispielsweise um eine gleichberechtigte Zusammenarbeit zwischen Stadttheater und Freiem Theater? Um eine Durchmischung der jeweiligen Publika, um künstlerische Auseinandersetzung oder schlicht darum, die Bemühung zu zeigen, die unterschiedlichen Akteure zusammen zu bringen? Die Frage nach Verantwortung schlägt sich auch in den Strukturen nieder: Kommunen und Länder (und in besonderen Fällen der Bund) geben den Gestaltungsauftrag in die Hände der Akteure der Darstellenden Künste. Die Verantwortung für Teilhabe-Ermöglichung und im besten Falle einer aktiven Teilnahme, übertragen sie an die Theaterinstitutionen, die ihre Hauptverantwortung, ihre Kernaufgabe zunächst nicht unbedingt darin sehen, hauptsächlich partizipatorische Projekte, womöglich noch mit sozialen und nicht künstlerischen Absichten, anzubieten. Werden gleichzeitig noch andere Akteure für ebensolche Projekte explizit gefördert, kann es sein, dass es hier zu Verantwortungszuschreibungen und -verschiebungen innerhalb der Theaterlandschaft kommt: Warum sollte der eigene Betrieb sich um Partizipation kümmern, wenn es doch genug andere Akteure gibt, die sich darum kümmern (sollten)? Eine Kulturpolitik für Partizipation sollte die Theaterlandschaft in Gänze und in ihrer spezifischen Unterschiedlichkeit beachten – also als Teillandschaften innerhalb einer Stadt oder einer Region oder eines Bundeslandes. Für die empirische Betrachtung und eine Untersuchung der Theaterlandschaft zeigen sich genau hier die Ansatzpunkte. Sind die behaupteten Abgrenzungen zwischen Zuständigkeiten und Selbstverständnissen tatsächlich vorhanden? Wer übernimmt welche Verantwortung für Partizipation, wo ist diese in welcher Weise für die Konstitution eines Theaters entscheidend; wo und warum ist sie Aufgabe und Ziel vieler und wo wird sie von den Akteuren einander zugeschoben? Und natürlich: Welche Bedeutung hat kulturelle Teilhabe und Teilnahme in konkreten kulturpolitischen Konzepten, wie äußert sich dies innerhalb der Institutionen und ihrer Arbeit und in welchem Verhältnis steht sie zu den Funktionen von Theater als Bildungseinrichtung, Ort gesellschaftlichen Austausches, soziales Event und so fort? Was wird von Theaterpolitik erwartet, vorgegeben; wird dies überprüft und wenn ja, wie? Welche Ziele setzen sich die Institutionen selbst?147 Hinsichtlich einer Grundversorgung ist auch die Gleichberechtigung von urbanen und ländlichen Räumen zu berücksichtigen: Übernehmen Kulturpolitik und die beauftragten Akteure hier Verantwortung? Oder kommt es zu einem Ungleichgewicht, wo wird sich vielleicht aus der Verantwortung zurückgezogen? Gerade dort, wo Breitenkultur das meiste Angebot bereitstellt, muss darauf geachtet werden „dass bürgerschaftliches Engagement nicht als Ersatz für staatliche Förderung angesehen werden darf. Es geht [...] darum, dass der Staat die Bürgerinnen und Bürger, die Verantwortung für das kulturelle Leben vor Ort übernehmen, unterstützen muss. Eine lebendige Bürgerkultur ist eine Ergänzung zur institutionalisierten Kultur“ (Deutscher Bundes-

147 Sowohl die Publikation „Partizipation als Programm“ (Schneider u. a. 2017a) als auch „Kulturpolitik für Kinder“ (Schneider 2010b) widmen sich diesen und ähnlichen Fragestellungen: Welchen Stellenwert hat Teilhabe, haben zielgruppenorientierte Angebote für junge Menschen in Kulturpolitik und der Praxis der (Darstellenden) Künste.

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tag 2007, S. 9). Das Vorhandensein nicht-professioneller Aktivitäten darf also weder als Anlass gesehen werden, sich aus der dortigen Verantwortung zu ziehen; noch darf es dazu kommen, dass die institutionalisierte Kultur diese Angebote als minder erachtet und versucht, diese mit der eigenen Arbeit zu überdecken: Die oftmals zitierte gleiche Augenhöhe ist auch einzufordern an den Berührungspunkten zwischen professioneller und nicht-professioneller Theaterarbeit und bildet somit einen weiteren Aspekt für die Analyse. Bisher wurde keine konkrete Unterscheidung zwischen den Termini „Konzept“ und „Konzeption“ getroffen: Eine Konzeption meint eine „Leitidee“ (Duden online 2019) oder ist zu verstehen als „geistiger Entwurf“ (ebd.), das Konzept hingegen geht daraus hervor, der Begriff kann verstanden werden als „klar umrissener Plan, Programm für ein Vorhaben“ (ebd.) – auch wenn im üblichen Sprachgebrauch hier kaum differenziert wird, zeigt sich der Unterschied in der Beschreibung der Meta-Ebene und der tatsächlichen Umsetzung, oder zumindest in dem Aufstellen von Maßnahmen, um sich der Umsetzung anzunähern. Partizipation als Konzeption meint die grundlegende Überzeugung, dass Kulturpolitik im hier aufgeführten Sinne, in Verantwortungspartnerschaften, als Gesellschaftspolitik, eine kulturelle Infrastruktur für Partizipation zu ermöglichen sucht. Konzepte äußern sich in tatsächlichen Planungen und Handlungen, um diese Idee in die Praxis zu überführen und umzusetzen. Dies kann in Form von Förderprogrammen passieren oder sich ganz konkret in der Etablierung eines Spezialtheaters äußern, das einer Teilhabe und Grundversorgung originär verpflichtet ist: In der Idee und Konstruktion von Landesbühne.

2.3 „L ANDESBÜHNE “ ALS KULTURPOLITISCHES KONSTRUKT IN DER T HEATERLANDSCHAFT Die deutschen Landesbühnen: Theater mit dem öffentlichen Auftrag, Theaterkunst zu distribuieren. Die Konstruktion und das Konzept „Landesbühne“, die im Fokus dieser Analyse stehen, müssen vor der empirischen Betrachtung zunächst genauer definiert werden. Allerdings reicht eine reine Bestimmung der Aufgabe und der konstituierenden Elemente nicht aus, die Landesbühne muss auch in Bezug auf die bisherigen Ausführungen konzeptionell beschrieben werden. Da die Landesbühnen in der wissenschaftlichen Forschung bislang wenig Beachtung erfahren haben (vgl. Kapitel 1), ist dieses Kapitel als erster Schritt für eine Untersuchung des Gegenstands anzusehen: Es handelt sich um eine theoretische Herleitung dessen, was Landesbühne sein soll, beziehungsweise der Erwartung, was sie zu sein habe und zu sein gedenkt. Als öffentlich getragenes und beauftragtes Theater ist die Landesbühne sowohl ein Ergebnis theaterpolitischer Entscheidungen, als auch aktiv handelndes und gestaltendes Element der Theaterlandschaft. Sie scheint als Konzept besondere kulturpolitische Prämissen in sich zu vereinen: als Verbindungsachse zwischen urbanen und ländlichen Regionen; als Grundversorger und Teil der kulturellen Infrastruktur und als Instrument, um eine breite Konzeption von Partizipation umzusetzen. Als Abschluss dieses Kapitels, das sich in theoretischer Hinsicht der Konstruktion einer Theaterlandschaft unter den genannten Maßgaben gewidmet hat, werden unter Berücksichtigung der bisherigen Ausführungen die Fragestellungen für den empirischen Abgleich mit der Wirklichkeit erarbeitet und Hypothesen aufgestellt, die nicht

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nur die Auswahl des Gegenstandes begründen, sondern gleichermaßen aufzeigen, wie und wieso eine Analyse der Landesbühnen Ansatzpunkte für die als notwendig erachteten Reformen von Theaterlandschaft und Theaterpolitik markieren kann. 2.3.1 Definition von Landesbühne Die Landesbühnen sind eine besondere Ausgestaltung einer von der öffentlichen Hand getragenen Theaterinstitution und unterscheiden sich hinsichtlich der Organisationsstrukturen und der Verantwortung gegenüber einem kulturpolitischen Auftrag zunächst nicht grundlegend von Stadt- und Staatstheatern. Verwirrend ist die inkonsistente Bezeichnung: Landestheater ist nicht gleich Landesbühne. Auch wenn in der Literatur Landestheater und Landesbühne meist deckungsgleich verwendet wird, gibt es Unterschiede. Die Bezeichnung Landestheater bezieht sich in der Regel, wie die Benennung Stadt- oder Staatstheater, auf die Finanzierung oder Trägerschaft und verbunden damit ist der Hinweis, in welchem Dienste das Theater steht oder stand, denn die Bezeichnung kann auch auf eine historische Entwicklung zurück gehen. Landesbühnen können also die Bezeichnung Landestheater tragen, weil sie beispielsweise maßgeblich vom jeweiligen Bundesland finanziert werden, sie müssen jedoch weder den einen oder den anderen Begriff im Namen tragen.148 Das unterscheidende Merkmal zeigt sich in der verpflichtenden Reisetätigkeit.149 Landesbühnen sollen und müssen ihre Inszenierungen auf Reisen schicken; Landestheater müssen nicht in dieser Verpflichtung stehen (vgl. dazu Deutscher Bundestag 2007, S. 108). Bezüglich einer genaueren Auftragsbeschreibung existieren leichte Unterschiede in der Deutung, wie genau sich dieser Auftrag gestalte und wie er umzusetzen sei. Das Theaterlexikon sieht die Landesbühnen in Unterscheidung zu den Stadt- und Staatstheatern als Theater, die „den besonderen kulturpolitischen Auftrag [haben,] zur flächendeckenden Bespielung in Gebieten, in denen kein öffentliches Theater ansässig ist“ (Brauneck u. a. 2007, Eintrag „Landesbühne“). Bereits diese Darstellung weist auf ein grundsätzliches Problem hin, das im Zusammenhang steht mit den Beschreibungen einer kulturellen Infrastruktur im Gegensatz zu einer Grundversorgung: Landesbühnen sollen dort tätig werden, wo es kein anderes Theater gibt, das von der öffentlichen Hand gefördert (oder getragen) wird. Nach dieser Definition werden die anderen Akteure und Angebote ausgeblendet: Ob es beispielsweise ein Freies Theater in den jeweiligen Gebieten gibt, das ja durchaus die dortige Versorgung im Sinne eines Theaterprogramms übernehmen könnte; oder aber ob Amateurtheaterstrukturen vorhanden sind, scheint zunächst irrelevant. Wahrscheinlich ist mit der Bezeichnung „öffentliches Theater“ in diesem Falle ein öffentlich finanzierter Ensemble- und Repertoirebetrieb, also ein Stadttheater gemeint. Diese Überlegung wird auch gestützt durch die folgende Begriffsbestimmung: Das Nachschlagewerk „Kulturmanagement von A-Z“ bezieht sich auf die Satzung des Bühnenvereins und beschreibt die Landesbühne als den „dritten Typus der

148 Siehe dazu die Darstellungen im Folgekapitel, 3.2, so zählt beispielsweise das Theater Hof zu den Landesbühnen und ebenso das Landestheater Detmold. Das Landestheater Coburg hingegen ist beispielsweise keine Landesbühne. 149 Wie bereits durch die Definitionen im Kapitel 2.1.2 aufgezeigt.

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öffentlich-rechtlichen Theater“ (Heinrichs u. a. 2001, S. 239), gleichermaßen in Ähnlichkeiten und in Abgrenzung, denn sie seien „Theaterunternehmen, die Staats- und Stadttheater wären, wenn sie einen stehenden Betrieb hätten. Über die Hälfte der Zahl der Vorstellungen muß außerhalb des Stammhauses (d.h. dem Sitz der Landesbühne) stattfinden. Die Landesbühne soll von dem Bundesland, in dem sie ihren Sitz hat, überwiegend finanziert werden. Die Landesbühnen sind also ‚Wandertheater‘ (‚Stadttheater auf Rädern‘), die mit Gastspielen jene Städte bereisen, die kein eigenes Ensemble unterhalten und nur Aufführungsspielorte (Theatergebäude, Stadthallen, Mehrzweckhallen) bereitstellen“ (ebd.). Hier wird also genauer ausdifferenziert, dass es darum geht, den Ensemblebetrieb in ensemblelosen Gemeinden zu übernehmen – zwar ist dies nun etwas detaillierter formuliert, doch auch hier bleibt unklar, wie mit den jeweils bestehenden Strukturen vor Ort umgegangen werden soll. Es wird nicht bestimmt, ob Landesbühne als alleiniger Dienstleister fungieren soll oder kann, also im Sinne eines Basisangebots zu verstehen ist, oder ob und wie die Landesbühnenarbeit als Ergänzung des Angebot anderer Theatergruppen angesehen werden könnte. Dieser Aspekt ist jedoch auch nur einzelfallbezogen genauer zu untersuchen, soll also zunächst nicht weiter befragt werden. Der Einschub, dass die Finanzierung zu einem Großteil vom jeweiligen Bundesland getragen werden sollte, taucht so in den anderen Definitionen des Bühnenvereins oder des Theaterlexikons nicht auf, soll also hier zunächst als ein interpretativer Zusatz der Autoren gewertet werden. Aufgrund der Verantwortung für die Fläche scheint es jedoch logisch, dass auch die Bundesländer „ihre“ Landesbühnen unterstützen.150 Genauer betrachtet werden soll jedoch die Selbstbeschreibung der Landesbühnen: Die Landesbühnengruppe im Deutschen Bühnenverein,151 kümmert sich innerhalb des Verbandes um die besonderen Angelegenheiten und Bedürfnisse der Landesbühnen und vertritt sie als Interessenvertretung auch gegenüber kulturpolitischen Entscheidungsträgern. Es ist also davon auszugehen, dass die in der Landesbühnengruppe beschlossenen Absichtserklärungen für alle dort aufgenommenen Landesbühnen Geltung haben (sollten) und diese daher hier dazu dienen können, das Konstrukt Landesbühne weitergehend zu definieren. Die Landesbühnen haben sich im Rahmen der Jahreshauptversammlung des Deutschen Bühnenvereins am 12. Juni 2008 Leitlinien gegeben, die ihre gemeinsamen Arbeitsgrundlagen darstellen und strukturelle Besonderheiten hervorheben. Dieses Leitbild soll hier als ein wichtiges Dokument in Gänze aufgeführt werden, jedoch zur Analyse unterteilt in thematische Abschnitte.152

150 Dieser Aspekt wird bezogen auf die konkrete Betrachtung der Landesbühnen interessant und wird entsprechend in Kapitel 3 aufgegriffen. 151 Die Gruppenabgrenzungen entsprechen den Definitionen der Bühnenvereinssatzung, wie in 2.1.2 dargestellt. 152 Veröffentlicht wurde das Leitbild sowohl auf der Webseite der Landesbühnen (Landesbühnengruppe im Deutschen Bühnenverein 2019b), als auch in einer gemeinsamen Publikation (Deutscher Bühnenverein / Landesbühnengruppe 2012) sowie auf der Webseite der INTHEGA (Landesbühnengruppe im Deutschen Bühnenverein 2008). Zwischen den einzelnen Veröffentlichungen gibt es leichte Abweichungen orthografischer und grammatikalischer Natur, inhaltlich sind die Texte identisch.

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Die Leitlinien berühren unterschiedliche Aspekte der Theaterarbeit sowie deren kulturpolitischen Bewertung und legen bestimmte Ausrichtungen fest. Der erste Paragraph stellt den Auftrag der Landesbühnen dar (alle Paragraphen des Leitbildes hier zitiert nach Landesbühnengruppe im Deutschen Bühnenverein 2008): 1. Die Landesbühnen bespielen neben ihren eigenen Bühnen am Standort Städte und Gemeinden, die nicht über Theater mit eigenen Ensembles verfügen.

Grundsätzlich ist die Hybridität der Landesbühnen ihre Grundkonstitution: Sie bespielen sowohl eine eigene Bühne in der Stadt, in der sie verortet sind und darüber hinaus, „daneben“, sind sie als Gastspiel gebende Theater tätig. Auffällig ist, dass hier nicht davon gesprochen wird, dass die Landesbühne als reisendes Theater „nicht vorwiegend seinen Sitzort“ (Deutscher Bühnenverein 2006, S. 5) zu bespielen hat, beziehungsweise dass mehr als die Hälfte der Vorstellungen außerhalb stattfinden müsse, wie es die obige Definition beschreibt. Hier zeichnet sich bereits ab, dass diese Differenzierung oder vielmehr die Erfüllung einer solchen Kennzahlgröße gegebenenfalls für das eigene Selbstverständnis der Landesbühnen nicht entscheidend zu sein scheint – oder dieses sich im Laufe der Jahre gewandelt hat, ohne dass jedoch eine Anpassung der Satzung des Bühnenvereins notwendig erschien. Durch die hier gewählte Formulierung scheint ein relatives Gleichgewicht zwischen der Bespielung der eigenen und der fremden Bühnen akzeptabel zu sein. Der Fokus der Arbeit wird mit diesem ersten Satz ebenfalls auch auf Versorgung der Städte gelegt, die kein eigenes Ensembletheater haben, wiederum ohne weitere Differenzierung. Es ist davon auszugehen, dass auch hiermit im klassischen Verständnis ein Stadttheater-Ensemble gemeint ist. Diese begrifflich ungenaue Verwendung, die zugleich vermuten lässt, dass eine bestimmte Form von Theaterarbeit gemeint ist, verweist erneut auf eine gewisse vorherrschende Vorverurteilung innerhalb der Theaterlandschaft: Einer Stadt ohne eigenem, also öffentlich getragenen, in Stadttheater-Manier arbeitenden, Ensemble scheint etwas zu fehlen. Ob diese Interpretation haltbar ist, oder wie diese Feststellung tatsächlich gemeint ist, wird in der empirischen Auswertung relevant, da sich daraus Rückschlüsse ziehen lassen über die Wahrnehmung und gegenseitige Wertschätzung unterschiedlicher Akteure. Im Leitbild der Landesbühnen werden auch nachfolgend wenige Begriffe genau bestimmt; der einleitenden Beschreibung des grundsätzlichen Auftrags folgen Feststellungen über das Verständnis von Theaterkunst und es werden Aussagen über die auferlegte Selbstverpflichtung sowie die Spielplangestaltung getroffen: 2. Die Landesbühnen gewährleisten mit anspruchsvollen Theatervorstellungen und Konzerten ein dezentrales Kulturangebot. Sie realisieren somit im kulturellen Bereich den Auftrag des Grundgesetzes, das allen Bundesbürgern vergleichbare Lebensverhältnisse zusichert. 3. Unter Berücksichtigung der Anforderungen der jeweiligen Gastspielorte ist es für die Landesbühnen eine moralische Verpflichtung, das Erbe der großen Weltkultur zu erhalten und zu pflegen. Darüber hinaus stehen sie in der Verantwortung gegenüber den humanistischen Werken aller Genres der Vergangenheit und Gegenwart, bis hin zu Ur- und Erstaufführungen. Die Landesbühnen loben jährlich einen Autorenförderpreis aus.

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Durch diese Aussagen positionieren sich die Landesbühnen eindeutig in ihrem Selbstverständnis als öffentliche Institution mit klarem Kultur- und Bildungsauftrag im Dienste einer kulturellen Grundversorgung. Zugleich wird deutlich gemacht, dass sich die Landesbühnen im Sinne dieses Auftrags der Gleichberechtigung aller und der Ermöglichung flächendeckender kultureller Teilhabe verpflichten – der Aspekt der Teilnahme oder Partizipation kommt hier nicht vor, allerdings wird auch „Teilhabe“ nicht näher erläutert. Die Komposition der Aussage, vergleichbare Lebensverhältnisse durch dezentrales anspruchsvolles Kulturangebot als Zusicherung zu formulieren, nimmt die Landesbühnen in die Verantwortung, dass inhaltlich und ästhetisch keine Unterscheidungen getroffen werden, egal ob es sich um ein Angebot, also eine Inszenierung, für den Stammsitz oder für die Gastspielreise handelt. Es wäre also davon auszugehen, dass es keine künstlerischen Unterschiede gibt zwischen der Theaterarbeit in einer, beziehungsweise für eine Metropole oder einer im, beziehungsweise für den ländlichen Raum. Der dritte Punkt scheint diese grundsätzliche Gleichheit jedoch wieder einzuschränken: Die spezifischen Gegebenheiten auf der Gastspielreise müssen berücksichtigt werden – was dies jedoch für konkrete Auswirkungen hat, wird nicht erläutert. Es könnte sich also sowohl auf die ästhetische Umsetzung als auch die Spielplangestaltung und Stückauswahl beziehen. Eine „moralische Verpflichtung“ für klassische Theaterliteratur bei gleichzeitiger Berücksichtigung und Achtung zeitgenössischer Werke eröffnet breiten Interpretationsraum hinsichtlich der inhaltlichen Ausrichtung der Landesbühnenarbeit. Genauso ist der selbst gesetzte Qualitätsanspruch wenig aussagekräftig, denn die Formulierung „anspruchsvoll“ kann sehr weit ausgelegt werden. Neben der breiten Verantwortung für unterschiedliche Genres, Epochen und Stilrichtungen, konzentrieren sich die Landesbühnen in ihrem Selbstverständnis als Bildungsinstitution auch auf Vermittlungsarbeit und Zielgruppenorientierung: 4. Die Landesbühnen bieten eine Fülle von theaterpädagogischen Angeboten und leisten somit bildungspolitische Basisarbeit fernab der Mittel- und Oberzentren. Einen Schwerpunkt ihrer Arbeit sehen die Landesbühnen im Kinder- und Jugend- sowie Seniorentheater. Viele Landesbühnen unterstützen darüber hinaus Amateur- und Schultheater.

Theaterpädagogik als klare bildungspolitische Arbeit zu bezeichnen, unterstreicht das Verständnis der Landesbühnen als Bildungseinrichtung und lässt sogleich ein zugrunde liegendes Verständnis von theaterpädagogischer Arbeit im Sinne einer vermittelnden Tätigkeit mit erklärender Absicht vermuten. Zugleich wird dadurch deutlich, dass sich die Landesbühnen selbst im Auftrag unterschiedlicher politischer Prinzipien sehen: Durch ihre „bildungspolitische“ Basisarbeit und ihrem Dienst „im Auftrag des Grundgesetzes“ unterliegen sie kulturpolitischen und sozialpolitischen Erwartungen. Den Fokus auf Kinder- und Jugendtheater in diesem Abschnitt und nicht im Zusammenhang mit der künstlerischen Überzeugung zu erwähnen, stellt dieses in den Kontext von pädagogischer Arbeit, respektive legt es auf das Feld der Kulturellen Bildung fest. Diese Funktionszuschreibung wird dadurch verstärkt, dass es im Zusammenhang mit der Förderung von Amateurtheater genannt wird.153 Zugleich zeigt dieser 153 Verwiesen sei auf die entsprechenden Abschnitte in 2.2, die sich mit dem Zielgruppentheater und den Schwerpunktsetzungen auf künstlerische oder integrative Arbeit befassen.

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Abschnitt jedoch, dass Formen der partizipatorischen Theaterarbeit nicht nur auf junge Menschen bezogen werden, den Landesbühnen die Existenz anderer Zielgruppen und Theaterformen bewusst ist und sie daraus Verantwortung ziehen. Dass die Unterstützung von Amateurtheater sich nur auf „viele“ Landesbühnen und nicht alle bezieht, ist nachvollziehbar, da dies sehr situationsabhängig (und regional sehr unterschiedlich) sein kann. Bemerkenswert ist, dass die anderen produzierenden Akteure der Theaterlandschaft keine Erwähnung finden: Gerade im Kinder- und Jugendtheaterbereich sind Freie Theater besonders wichtige und präsente Produzenten und Anbieter, deren Arbeitsfelder werden mit dieser Schwerpunktsetzung klar tangiert. Hinsichtlich ihrer Strukturen, die also im Dienste dieser Beauftragung ausgerichtet zu sein haben, beschreiben sich die Landesbühnen wie folgt und positionieren sich damit als Akteur in Beziehung zu anderen Theatern, ohne diese jedoch zu benennen: 5. Die Landesbühnen fühlen sich überwiegend dem Ensemble- und Repertoiretheater verpflichtet. Das Ensembletheater gewährleistet ausgewogene Besetzungsstrukturen nicht nur in Hauptrollen. 6. Die Landesbühnen sind darauf spezialisiert, ihre Inszenierungen flexibel, rasch und unter Wahrung künstlerischer Prinzipien an die unterschiedlichsten Bühnenverhältnisse anzupassen. Logistik und Equipment sind auf die Erfordernisse der Gastspieltätigkeit abgestimmt.

Die Landesbühnen betonen mit dieser Charakterisierung erneut ihre Nähe zu Stadtund Staatstheatern, hinsichtlich Ensemble- und Repertoire-Strukturen und schreiben sich zudem positive Attribute hinsichtlich flexibler Arbeitsweisen und spezialisierter Arbeitsabläufe zu, um der Gastspieltätigkeit gerecht werden zu können. Doch diese notwendige Flexibilität kann auch als einschränkendes Attribut betrachtet werden, wie das Nachschlagewerk Kulturmanagement anmerkt: „Oft findet der Abstecher auch in Räumen statt, die das originalgetreue Spielen im Sinne der ursprünglichen Inszenierung nicht zulassen und zu Improvisation zwingen“ (Heinrichs u. a. 2001, S. 239). Diese Beschreibung der ortsspezifischen Anpassung an einen anderen Spielort als negatives Attribut, welches den originären künstlerischen Anspruch der reisenden Inszenierung verändern könnte, wird von den Landesbühnen – erwartungsgemäß – nicht in die Selbstbeschreibung aufgenommen. Mit ihrem Leitbild positionieren sich die Landesbühnen als spezialisiertes Reisetheater – und bewerten sich selbst als wichtiges unverzichtbares Element innerhalb der Theaterlandschaft: 7. Die Spitze von Hochkultur in den Zentren ist ohne die breitenwirksame Arbeit der Landesbühnen in der Region nicht denkbar. 8. Landesbühnen sind oft der Einstieg für den Nachwuchs in die künstlerischen und technischen Theaterberufe. 9. Die Landesbühnen sind im Deutschen Bühnenverein als Landesbühnengruppe vertreten und den Staats-, Stadt- und Privattheatern formell gleichgestellt. Ferner stehen die Landesbühnen im ständigen Dialog mit dem Vorstand der INTHEGA (Interessengemeinschaft der Städte mit Theatergastspielen e.V.).

Erneut ist hier auffällig, dass die Landesbühnen sich selbst eine Sonderstellung zuweisen: Punkt sieben des Leitbildes referiert darauf, dass nur wenn eine kulturelle Infra-

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struktur im Sinne eines grundlegenden Angebots vorhanden ist, es zu der Entwicklung von „Spitzen“, also von kulturellen Leuchttürmen kommen kann. Dass diese als in den Zentren angesiedelt angesehen werden, bekräftigt die Wahrnehmung von Kulturpolitik als urbane Förderpolitik und den Fokus der Diskurse auf die größeren Städte. Man kann diesen Satz des Leitbilds auf zwei Weisen deuten: Zum einen kann es so verstanden werden, dass Landesbühnentheater als etwas beschrieben wird, was im Gegensatz zu den (hoch-)kulturellen Spitzen steht, als etwas, was nicht den künstlerischen Bestleistungen verpflichtet ist, sondern der Grundversorgung. Diesem Abwärtsvergleich versuchen die Landesbühnen mit dem letzten Abschnitt entgegenzuwirken: Die formelle Gleichstellung mit den anderen Theatern, gleich welcher Organisationsstruktur. Zum anderen kann man diese Feststellung darauf beziehen, dass die Landesbühnen mit ihrer flächendeckenden Arbeit die Theaterlandschaft an sich stärken, da sie durch ihre Breitenwirksamkeit Zugänge schaffen und Menschen dadurch grundsätzlich an das Theater heranführen. Im Sinne einer Stärkung der Theaterlandschaft und somit als eine Art Dienstleistung für die Verbesserung der Strukturen könnte auch Punkt acht gelesen werden, der ein wenig aus der Dramaturgie der Leitlinien zu fallen scheint. Mit ihrer Positionierung als Karriere-Sprungbrett kann man die Landesbühnen einerseits als wichtigen Ausbildungsort, als gute Einstiegsmöglichkeit für Berufsanfänger und somit als Förderer des Nachwuchses ansehen. Andererseits hinterlässt dieser Satz auch den Eindruck, dass die Landesbühnen als berufliche Zwischenstation angesehen werden, was wiederum Rückschlüsse über die Rollenzuschreibung und Qualitätserwartungen zulässt. Besonders hervorzuheben ist abschließend der Hinweis der engen dialogischen Zusammenarbeit mit der INTHEGA. Die INTHEGA ist als Vertreterin der Gastspieltheater die wichtigste Partnerin innerhalb des Gastspielmarktes, gute Beziehungen sind somit essenziell; die Landesbühne definiert sich auch über die Relationen innerhalb der Landschaft und des Marktes. 2.3.2 Landesbühne als theaterpolitisches Phänomen Landesbühne gestaltet sich somit als ein besonderes Phänomen innerhalb der Landschaft der Darstellenden Künste: In ihr manifestiert sich das Konzept einer flächendeckenden kulturellen Infrastruktur, sie ist prinzipiell der kulturellen Teilhabe verpflichtet und somit auch ein konkretes Instrument für die Umsetzung einer Konzeption von Partizipation, zunächst theoretisch in der ganzen Breite der Interpretationsmöglichkeiten der Begrifflichkeit. Durch ihre Konstruktion bewegen sich die Landesbühnen in mehreren theaterpolitisch relevanten Themenfeldern, die über ihre Stadttheaterfunktion mit Bildungs- und Kulturauftrag hinausgehen. Als mobiles Theater für die Fläche, das sich selbst Flexibilität zuschreibt, scheinen sie prädestiniert zu sein für eine Theaterarbeit der Teilhabe und Teilnahme. Gleichermaßen scheint durch ihre Arbeit die Konzentration der kulturpolitischen Steuerung (und Förderung) auf den urbanen Raum sich aufzuweichen, zugunsten des ländlichen Raums: die Landesbühnen schaffen eine Verbindung zwischen Stadt und Provinz durch ihre Arbeit von einem Ort aus hinaus in die Region. Beide Aspekte hängen miteinander zusammen, auch gerade hinsichtlich der Positionierung der Landesbühne innerhalb der Theaterlandschaft. Dieser gedankliche Dreischritt soll als Gliederung für dieses Kapitel dienen:

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Landesbühne als Konzept zur Partizipation?

„Erinnern wir uns: Die Landesbühnen oder Landestheater wurde [sic] vor allem nach den Katastrophen der beiden Weltkriege gegründet; dies aus der notwendigen Einsicht, dass die je [sic] neue Republik neben dem wirtschaftlichen Wiederaufbau sich vor die Aufgabe der Gestaltung einer neuen, erneuerten republikanischen Gesellschaft gestellt sah, um so ein demokratisch inspiriertes Angebot von Kunst und Kultur für möglichst alle Bürger zu sichern; galt es doch, dem Ungeist zu begegnen, der so erfolgreich wie folgenreich Werke der Kunst aus dem gesellschaftlichen Bewusstsein verdrängte oder diese korrumpiert hatte“ (Zehelein 2011, S. 16). Mit dieser Passage aus der Laudatio anlässlich der Verleihung des Deutschen Theaterpreises DER FAUST 2010 an die deutschen Landesbühnen wird die originäre Idee von Landesbühne betont; vor dem Kontext eines demokratischen Verständnisses von Kulturpolitik und der Notwendigkeit gesellschaftlicher Partizipation. Sie dienen also dazu, die Vorstellung von Theaterpolitik einer Kultur für alle umzusetzen und könnten so als Kämpfer gegen die soziale Ungerechtigkeit der ungleich verteilten Zugangsmöglichkeiten betrachtet werden; zunächst bezogen auf die logistischen Barrieren, denn sie gehen als mobiles Theater eben dorthin, wo das Publikum ist. Gleichwohl wurde deutlich gemacht, dass dies alleine nicht ausreicht, um tatsächlich breite Teilhabe und Teilnahme im Sinne einer aktiven Beteiligung zu initiieren – und schließlich bedeutet Partizipation als Konzeption nicht nur Theater für alle, sondern auch Theater mit und von allen. Es wäre also zu erwarten, dass die Landesbühnen auch diese Prämisse umsetzen, respektive sich darum bemühen. Den Bereich der Kulturellen Bildung betrachten die Landesbühnen als ein Kernelement – so wird es im Leitbild beschrieben und so betont es auch Kay Metzger, der Vorsitzende der Landesbühnengruppe im Deutschen Bühnenverein154 : „Besonders hervorzuheben ist das umfangreiche Spielplanangebot der Landesbühnen für Kinder und Jugendliche. Damit leisten die Landesbühnen – häufig auch als professionelle Kooperationspartner für Schulen und Bildungseinrichtungen vor Ort – einen beachtlichen Beitrag zur ästhetischen Bildung“ (Deutscher Bühnenverein / Landesbühnengruppe 2012, S. 12). Auch die Enquete Kultur unterstreicht die Bedeutung der Landesbühnen für das Kinder- und Jugendtheater: „Vor allem die mobilen Landesbühnen sorgen dafür, dass 20 Prozent der Aufführungen in der Region gezeigt werden“ (Deutscher Bundestag 2007, S. 109).155 Allerdings scheinen die Landesbühnen hier hinter den Angeboten der Freien Theater zurückzustehen: „Spielen die Stadt- und Staatstheater vorwiegend für das junge Publikum in der Stadt, gelten die Angebote der privaten und freien Kinder- und Jugendtheater überwiegend den Kindern und Jugendlichen auf dem Land. Sie produzieren ein Drittel der Inszenierungen, gastieren mit 60 Prozent der Veranstaltungen in anderen Spielstätten und spielen 30 Prozent ihrer Aufführungen auf dem Land“ (ebd., S. 109). Bei aller Betonung des großen Einsatzes und Erfolgs der Landesbühnen in diesem

154 Metzger übte dieses Ehrenamt von 2011 bis 2018 aus, siehe dazu 3.3.8. 155 Diese Prozentangabe bezieht sich auf die Gesamtanzahl der Aufführungen für Kinder und Jugendliche der öffentlichen Theaterbetriebe und ergibt sich aus der Analyse der Werkstatistik des Deutschen Bühnenvereins: „Die öffentlichen Theater produzieren zwei Drittel der Inszenierungen für diese Zielgruppe. Drei Viertel der Veranstaltungen werden in der eigenen Spielstätte angeboten“ (Deutscher Bundestag 2007, S. 109).

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Feld, steht im Gegensatz dazu das Ergebnis der Studie zur Lage des Kinder- und Jugendtheaters in Deutschland: „Abseits von Großstädten findet eine flächendeckende Versorgung aller Kinder und Jugendlichen mit altersadäquatem institutionalisiertem Theater in Deutschland nicht statt“ (Renz 2017, S. 28). Hier zeigt sich ein erster Ansatzpunkt für die weiteren Überlegungen: Wenn Landesbühne sich als Konzept zur Partizipation konstruiert und versteht und gerade das Theater für junge und mit jungen Menschen als ein explizites Feld für partizipatorische Arbeit verstanden wird, dann wäre zu erwarten, dass sie darauf ein Augenmerk richtet. Insbesondere vor dem Hintergrund der Schaffung und anschließender Bewahrung einer Zugangsgleichberechtigung, um eben diesen Missstand zu überwinden, denn die starken Unterschiede auch im Kinder- und Jugendtheater sind „zum einen auf die historisch gewachsene Ungleichheit im kulturellen Angebot in Deutschland zurückzuführen, welches schon immer in urbanen Räumen dichter war“ (ebd.). Natürlich bezieht sich das Leitmotiv einer Teilhabe und Teilnahme nicht nur auf junge Menschen und die Landesbühnen sind von ihrer Konstruktion her keine reinen Spezialtheater für Kinder und Jugendliche, sondern Dienstleister für die gesamte Gesellschaft.156 In seinem Rückblick anlässlich des 30-jährigen Jubiläums der Kulturpolitischen Gesellschaft stellt Oliver Scheytt heraus, dass es eine Hinwendung der Kulturpolitik zu den Menschen brauche und zwar nicht nur durch eine quantitative Ausweitung von Kulturangeboten, sondern durch die Etablierung solcher, die individuelle Prozesse ermöglichen: „Kulturpolitik wird als Gesellschaftspolitik nur dann erfolgreich sein, wenn sie das einzelne Individuum viel stärker als bisher in seiner Identität, Individualität und Kompetenz stärkt. Die bloße Teilhabe an Kulturangeboten reicht nicht hin. Kultur für alle nur als ‚Publikumsvergrößerungsstrategie‘ zu verstehen greift zu kurz. Das ‚Bürgerrecht Kultur‘ einzulösen, heißt nicht mehr Ereignisse zu produzieren, sondern die kulturelle Daseinsvorsorge für die Kulturbürger zu stärken, den Einzelnen zu aktivieren“ (Scheytt 2006, S. 34). Landesbühne als kulturpolitisches Instrument hat also auch diesen Anforderungen gerecht zu werden: Es geht nicht (nur) darum, möglichst viele Vorstellungen in einem möglichst großen Spielgebiet abzuliefern, sondern auch darum, die Menschen aktiv partizipieren zu lassen. Das heißt also, dass Landesbühne konzeptionell nicht nur als ein Dienstleister von Distribution anzusehen ist, sondern auch im Sinne einer Teilnahmeorientierung die Rezipienten im Blick hat, beziehungsweise haben sollte. Die Idee der Landesbühne geht zurück auf die Wanderbühnen und auch Kay Metzger verweist in der Selbstdarstellung der Landesbühnen auf diese Theaterform und die damit verbundenen theatergeschichtlichen Entwicklungen: „Mit dem Wort ‚Wanderbühne‘ verbindet sich sofort das Bild vom ‚fahrenden Volk‘, das über die Lande tingelt, eine Assoziation, die durchaus auf den Ursprung der deutschen Theatertradition hinweist: Theater wurde in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts von zusammengewürfelten Truppen im Rahmen von Tourneen in kleinen und großen Städten, in Wirtshäusern und Schlössern aufgeführt. Das Spiel richtete sich ganz nach dem Geschmack der Zuschauer, der für Johann Christoph Gottsched meist ein ‚übler Geschmack‘ war. Dabei

156 Diese Feststellung wird im Zuge von Zukunftsbetrachtungen befragt werden, auch vor dem Hintergrund der Darstellungen einer Zielgruppenorientierung zur Ermöglichung von Teilhabe, verwiesen sei hier bereits auf das entsprechende Kapitel 4.4.

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waren und sind Wanderbühnen Kulturvermittler der ganz besonderen Art“ (Deutscher Bühnenverein / Landesbühnengruppe 2012, S. 12). Eben dieser letzte Satz, der nicht weiter ausgeführt wird, eröffnet Interpretationsspielraum und wirft Fragen auf. Was soll darunter verstanden werden? „Kulturvermittler“: Geht es um die Schnittstelle zwischen Theaterbetrieb und Publikum, also um die Interaktion mit der Umwelt, die im Sinne von Cossels Auswirkungen auf die Spielplangestaltung hat? Oder referiert Kay Metzger damit auf ein Verständnis von Kulturvermittlung im klassischen Sinne einer Heranführung, einer Geschmacksbildung, einer Erklärung, einem Bildungsauftrag? Im Landesbühnen-Almanach von 1979 positionieren sich die Landesbühnen eindeutig und verstehen ihren Auftrag darin „zur Volks-‚Bildung‘ durch kulturell hochstehende Veranstaltungen beizutragen. Definiert man ‚Bildung‘ als ‚Verarbeitetes Wissen‘, so ergibt sich daraus der Auftrag zur Information plus Verarbeitung: Information über wichtige, unsere Zeit- und Lebensumstände angehende alte und neue dramatische Literatur, und Verarbeitung in Form von Interpretationshilfe sowohl durch die Inszenierung selbst als auch durch Vor- und Nachbereitung, Gesprächs- und Diskussionsbereitschaft im – sowohl von der Bühne herab wie von Angesicht zu Angesicht geführten – Dialog als Partner einer ganzen Region“ (Landesbühnengruppe im Deutschen Bühnenverein 1979, S. 15). Lässt man den letzten Nachschub, die Landesbühne als Partner der Region, kurz vernachlässigt (er wird untenstehend erneut aufgegriffen), wird hier eindeutig erkennbar, dass in dieser Auslegung die Landesbühne ganz klar die Idee von Vermittlung im Sinne eines Erlernens, eines Verstehens vertritt. Nun ist diese Aussage bereits gut 40 Jahre alt, allerdings findet man ähnliche Ansätze im dargestellten Leitbild der Landesbühnen und auch in neueren Beschreibungen von Landesbühne als besonderer Theaterform finden sich Darstellungen der Landesbühne als Bildungsmaßnahme. So sieht Thomas Schmidt die Landesbühnen beispielsweise als ein Instrument zur Erziehung eines künftigen Publikums, das niedrigschwellige Angebote zur Verfügung stellt und so den Erstkontakt mit den professionellen Darstellenden Künsten ermöglichen kann: „Die vor allem jungen Zuschauer dieser Regionen sind dereinst die Besucher der Stadt- und Staatstheater von morgen. Das pyramidale, dreigestaffelte System der deutschen Theaterlandschaft muss auch als solches gedacht werden: dass der Zuschauer die Möglichkeit hat, sich mit der sukzessiven physischen Eroberung eigener Spielräume vom Landestheater (als junger Mensch) hin zum Theater in den größeren, dann erreichbaren Städten zu entwickeln“ (Schmidt 2017, S. 128 f.). Der Aspekt der Qualität der künstlerischen Arbeit – Metzger verweist auf Gottsched, der den Geschmack der Zuschauer als „übel“ bezeichnet – und die mit diesem Zitat verbundene Thematik einer Ausrichtung der Arbeit an dem Publikum, sowie der damit implizierten Notwendigkeit, den Geschmack des Publikums verbessern zu müssen, sei zunächst hier erwähnt und wahrgenommen, er wird im weiteren Verlauf der Untersuchung erneut aufgegriffen werden. Ungeachtet dessen, dass das Publikum – welchen Alters auch immer – als Publikum von heute und nicht als das von morgen beachtet werden muss, würde diese Annahme implizieren, dass die Landesbühnen versuchen sollten, nicht nur möglichst viele Menschen zu erreichen, sondern diese auch an das Theater zu binden. Eine hohe Bindung wird, den bisherigen Ausführungen folgend, durch eine aktive Teilnahme, durch die Herstellung eines konkreten Bezuges erreicht. Das hieße also, dass Landesbühnen einen Schwerpunkt ihrer Arbeit besonders auf den Bereich der aktivierenden

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Partizipationsmodi legen sollten – und im Umkehrschluss, dass Theaterpolitik sie vor allem auch dazu in die Lage versetzen sollte. Wenn Landesbühnen also als konkrete Umsetzung einer Idee von Teilhabe und Teilnahme fungieren, dann müssten sowohl ihre Struktur als auch ihre Handlungen so gestaltet sein, dass diese Konzeption von Partizipation als Maxime im Vordergrund steht. Dies würde bedeuteten, dass die Landesbühnen als Theaterinstitutionen partizipatorische mindestens gleichberechtigt zur künstlerischen Arbeit als ein Primat ansehen und sich somit nicht nur auf letztere konzentrieren. Aus dieser ersten Hypothese lassen sich Forschungsfragen ableiten, die sich vor allem auf die Grundproblematik beziehen: Was ist in der ganz konkreten Gestaltung der einzelnen Landesbühnen, bezogen auf den jeweiligen Auftrag, unter Partizipation zu verstehen? Welche Vorstellungen von Teilhabe und Teilnahme herrschen vor und wie werden diese umgesetzt? Welche Stellung nimmt das Feld innerhalb der Theaterinstitution ein und wie unterscheidet sich Landesbühne dadurch von anderen Theatern? Können Landesbühnen der Erwartung gerecht werden, dass sie eine Funktion einnehmen im Sinne eines demokratischen Verständnisses einer kulturellen Grundversorgung? Da sich Landesbühne als Phänomen von theaterpolitischen Entscheidungen und Handlungen manifestiert, zieht eine Betrachtung von Landesbühne als Gegenstand immer auch eine Befragung der Theaterpolitik mit sich: Nicht nur die Theaterinstitutionen sollen analysiert werden, sondern die zugrunde liegenden theaterpolitischen Grundsätze. Somit ist diese Analyse auch eine stete Befragung und Erweiterung der kulturpolitisches Konzeption von Partizipation. Alleine dass die Landesbühnen als Instrument bestehen, als konkrete Umsetzung des Vorhabens, Zugänge zu schaffen und im besten Falle Teilhabe und Teilnahme zu ermöglichen, scheint die Notwendigkeit ihrer Existenz zu bestätigen. Gleichwohl müssen auch die Landesbühnen immer wieder ihre Existenz rechtfertigen. „[K]ulturpolitisch hat sich das Bespielen der Bürgerhäuser mit Produktionen, die auch von den kommerziellen Tourneeunternehmen verbreitet werden, längst überlebt“ (Schneider 2004, S. 243), so äußert sich Wolfgang Schneider im Jahrbuch Kulturpolitik 2004 und fordert ein Umdenken der Strukturen und eine klarere Profilbildung, beispielsweise mit einem Fokus auf Kinder- und Jugendtheater. Die Landesbühnen scheinen darunter zu leiden, dass sie meist als Grundversorgungsinstrument wahrgenommen und darauf reduziert werden und strengen sich an, sich darüber hinaus als besondere und eigenständige Theaterinstitutionen zu positionieren: „’Wir brauchen Theater für unser Leben. Wir brauchen es nicht nur in den großen Metropolen. Es sollte möglichst von jedem Ort aus erreichbar sein’. So Richard von Weizsäcker 1987 vor dem Deutschen Bühnenverein. Ohne die Bespieltheater und ohne die Landesbühnen wäre das in vielen Regionen kaum zu verwirklichen. Menschen, die nicht mobil sind, und zahlreichen Kindern und Jugendlichen bliebe der Zugang zu Theatervorstellungen und Konzerten verwehrt. Gäbe es keine Landesbühnen, man müsste sie erfinden. [...] Die Landesbühnen sind moderne Theaterunternehmen mit qualifizierten Ensembles, konturenreichen Spielplänen und anspruchsvollen Inszenierungen und unverzichtbar für die deutsche Theaterlandschaft“ (Deutscher Bühnenverein / Landesbühnengruppe 2012, S. 13, Hervorhebungen im Original). Warum aber sind sie unverzichtbar für die Theaterlandschaft? Ihre Rolle als Kulturvermittler und Zugangsvermittler ist ein Argument; weitere sind zu suchen und zu finden in ihrer künstlerischen Arbeit und in der Sonderstellung innerhalb der Landschaft

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der Darstellenden Künste und ihrer (Vorbild-)Funktion. Dieser Findungsprozess bestimmt diese Untersuchung und gibt die Ausrichtung der Forschungsfragen vor: Denn wenn die Landesbühnen tatsächlich neu erfunden werden müssten, wenn es sie nicht gäbe, könnte ihre (Neu-)Konstruktion tatsächlich modellhaft sein für eine Reform des Theaters. Urbane Theaterkunst für die Provinz?

Landesbühnen changieren in ihrer Konstruktion als Stadttheater mit Reisefunktion an der Schnittstelle zwischen Metropolen und Provinz, zwischen urbanem und ländlichem Raum: Dies führt zu sowohl künstlerischen als auch kulturpolitischen Implikationen. Innerhalb der Städte mit breitem Kulturangebot, gefördert und ermöglicht durch Kultur- und Kunstförderpolitik, kann sich eine ausdifferenzierte Szene entwickeln; die Theater können sich auf unterschiedliche Zielgruppen, Ästhetiken, Inhalte und Ausrichtungen spezialisieren. Die Tendenzen hin zu einem avantgardeorientierten auf der einen und einem tribalisierten Theater auf der anderen Seite scheinen sich in der Kluft zwischen Stadt und Land weiter zu entwickeln. Auch das Publikum scheint ein anderes zu sein: Wenn mehr unterschiedliche Angebote zur Verfügung stehen, können andere Erfahrungen gemacht werden, die Wellenbewegung des Wagemutsindex der Spielplangestaltung kann eine andere Frequenz erfahren als in Regionen, in denen es nur wenig professionelles Theaterangebot gibt. Ebenso können Theater in einer Großstadt andere Funktionen übernehmen, als in der Provinz. Doreen Götzky fasst die „Charakteristika ländlicher Kultur in Abgrenzung zu städtischer Kultur, wie sie aus kulturpolitischer Perspektive im Diskurs extrahiert wurden, zusammen“ (Götzky 2013, S. 118): Im urbanen Raum sei der Kulturbegriff „an den Künsten ausgerichtet“ die Produktion zeichne sich aus „durch professionelle Kulturschaffende“, ein „umfangreiches, diversifiziertes, durch die öffentliche Hand finanziert[es]“ Angebot; die Rezeption gestalte sich „konsumtiv, milieuspezifisch“ und „anonym“. Im ländlichen Raum hingegen verstünde sich der Kulturbegriff als „an Lebenswelt und Alltag ausgerichtet“; produziert würde „durch aktive Teilhabe der Bevölkerung“, also auch nicht-professioneller Akteure, das Angebot, das durch Privatengagement finanziert sei, gestalte sich überschaubar und gering diversifiziert. Die Rezeption sei „generationsübergreifend, weniger milieuspezifisch“ und „durch soziale Beziehungen untereinander gekennzeichnet“. Während in den Städten hauptsächlich öffentliche Institutionen und Kirchengemeinden als Träger fungierten, seien es im Ländlichen Vereine, Kirchengemeinden, Schulen und Kindergärten (alle Zitate und Verweise dieses Absatzes: „Abb. 14: Unterschiede Kultur Land / Stadt entsprechend Diskursanalyse“, ebd.).157 Landesbühne, als Wanderer zwischen zwei Welten, muss sich also sowohl in der Selbstwahrnehmung als auch in der jeweiligen Funktion positionieren: Versteht sich Landesbühne als ein Stadttheater, das auf Reisen geht, oder als Theater für die Provinz, das sich dort verortet und gegebenenfalls dort eine andere Aufgabe zu übernehmen hat? Die zweite „Kulturplattform“ am 16. September 2017 in Hülben158 kommt

157 Vergleiche hierzu die Beschreibungen des Amateurtheaters als breitenkulturelles Phänomen insbesondere im ländlichen Raum unter 2.1.2 und 2.2.4. 158 Eine Veranstaltung der „Lernenden Kulturregion Schwäbische Alb“ im Rahmen des Programms „TRAFO – Modelle für Kultur im Wandel“, vgl. Bürgermeisteramt Hülben 2017.

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zu dem Schluss: „Besonders fatal sei es, gute Kulturarbeit im ländlichen Raum an den Merkmalen städtischer Kulturangebote zu messen, da zukunftsweisende und nachhaltige Kulturarbeit nur auf der Grundlage der vorhandenen Lebensbedingungen entstehen kann. Vielmehr sollte danach gefragt werden, ob die vorhandenen Angebote zur gesellschaftlichen Entwicklung vor Ort beitragen und mit ihnen Zusammenhalt, Austausch und Innovation gefördert werden können. Um sich diesem Anspruch zu stellen, müssten aber auch die Rahmenbedingungen für Kulturschaffende im ländlichen Raum verbessert werden“ (Alb 2017, S. 6). Berücksichtigt man diese Feststellung, stellt sich die Landesbühne in einem besonderen Licht dar: Demnach kann es nicht einfach darum gehen, „städtische“ Theaterkunst in die Fläche zu tragen, sondern vielmehr darum, dort als Impulsgeber zu fungieren, um Prozesse des Community Buildings und der Breitenkultur anzustoßen – mit einer solchen Zielsetzung würde die Landesbühne als Konstrukt mit ihrer Tätigkeit in die Nähe soziokultureller Arbeit, in dem oben beschriebenen Verständnis, rücken (vgl. dazu die Projektbeschreibungen und die Ausführungen in Schneider u. a. 2017b). Allerdings gestaltet sich Landesbühne auch hierbei nicht eindimensional: Versteht man sie in einer Vermittlerrolle, heißt das auch, dass Landesbühne als eine Bildungseinrichtung in dem Sinne verstanden werden könnte, neue Rezeptionserfahrungen zu ermöglichen, auch um den Blick und die Akzeptanz zu weiten, was die Formenvielfalt der Darstellenden Künste angeht; vereinfacht ausgedrückt: Die Kunst der Metropole, die den Kunstdiskurs dominiert, in die Fläche zu tragen und für deren Verständnis zu sorgen – als Volksbildungseinrichtung wie oben beschrieben und als Beitrag zu einer Entwicklung des Geschmacks?159 Einmal davon abgesehen, dass diese Haltung die Distanz zwischen der sogenannten städtischen Hochkultur und dem ländlichen, in diesem Sinne „kulturarmen“ Raum verstärkt, stellte eine solche Absicht die Landesbühnen vor verschiedene Hindernisse, die durch die finanziellen Engpässe vieler Kommunen und den demografischen Wandel noch verstärkt werden. Kristina Volke sieht „die größte Chance für Kulturinstitutionen außerhalb der Großstädte darin [...], einen gesellschaftlichen Raum für Kommunikation, Interaktion und Interessenaushandlung zu schaffen“ (Volke 2017, S. 1), auch wenn dies diese „zugleich vor eine fast unlösbare Aufgabe stellt“ (ebd.).160 Ihre Überlegungen schlagen die Verbindung zwischen dem Konstrukt Landesbühne, der Idee eines tribalisierten Theaters und der Relevanz erzeugenden und Gemeinwesen gestaltenden Konzeption von Partizipation: „Dabei geht es den Kultureinrichtungen vor allem darum, innerhalb einer Gesellschaft, in der das Interesse an Kunst und Kultur von viel dringlicheren Bedürfnissen überlagert wird, ein Gefühl für Relevanz zu erzeugen oder, so könnte man es etwas weniger neutral ausdrücken,

159 Zu solchen Bestrebungen könnte das bereits dargestellte Programm TANZLAND gezählt werden, dessen Ziel es ist, dem zeitgenössischem Tanz seine Zugangsschwellen zu nehmen und das Publikum dazu in die Lage versetzen will, einen kritischen Blick für diese Kunstform zu entwickeln. TANZLAND wird im Rahmen der empirischen Betrachtung näher thematisiert, siehe 3.2.3. 160 Ausgehend von der Problematik, dass durch die Ausdünnung der Kulturlandschaft und der Infrastruktur diese Kultureinrichtungen „nicht nur vor der Aufgabe [stehen], viel größere Gebiete ‚bedienen‘ zu müssen, sondern sie treffen bei der Bevölkerung, für die sie spielen und ausstellen, auf teilweise andere Kulturbedürfnisse als die klassischen bildungsbürgerlichen, die in den Städten vorherrschen“ (Volke 2017, S. 1).

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einen Platz im Leben derer zu erobern, deren Interesse so dringend benötigt wird. Nicht nur, weil die Institutionen nicht als Selbstzweck Kultur betreiben, sondern qua Definition Publikum und Nutzer brauchen um existieren zu können, sondern auch, weil Kunst und Kultur eine gesellschaftsgestaltende Kraft haben, die gerade in den Regionen von Nöten ist, wo sie nur wenig gefördert wird“ (ebd., S. 1 f.). Kann Landesbühne all diese Aufgaben übernehmen? Relevanz herstellen, Theaterkunst vermitteln, Gemeinschaft stiften, gesellschaftliche und kulturelle Teilhabe und Teilhabe ermöglichen? Kann sie dies überhaupt erreichen, als ein Theater der Stadt, das das Land „bedient“ und vor dem Hintergrund der Tatsache, dass andere Bedürfnisse viel dringlicher scheinen? Oder sind solche Überlegungen eines Anforderungsprofils gänzlich überzogen, da die Landesbühnen als Fremdkörper in der Provinz diese Rolle gar nicht übernehmen können? Denn „in den Dörfern wird unter dem Kulturbegriff vielmehr die bürgerlich und urban geprägte Hochkultur verstanden [...]. Mit dem Dorf und der gemeinschaftsprägenden Breitenkultur hat diese Welt – nach Auffassung vieler breitenkultureller Akteure selbst – nichts zu tun“ (Sievers u. a. 2015, S. 27). Bedeutet dies also doch, dass Landesbühne, einem avantgardeorientierten Stadttheater gleich, sich besser auf die Theaterkunst und nicht die gesellschaftlich-sozialen Effekte konzentrieren sollte? Anhand der Landesbühnen kann also das Spannungsfeld zwischen Kunst und Leben, zwischen künstlerischer Absicht und sozialen Effekten beobachtet werden, da sie genau diesen Gegensatz in sich selbst widerspiegeln zu scheinen. Trotz aller Bedeutung, die sich die Landesbühnen für die Region und als Grundversorger, als Ermöglicher von Theatererlebnissen und damit verbunden für die Gemeinschaftsbildung zuschreiben, weist Johannes Rieger zu Recht darauf hin: „Mal ehrlich, es wäre falsch, wenn wir uns als Theater dafür entschuldigen müssen, Kunst zu machen“ (Rieger zitiert nach Stuke 2011) – oder aber ist er im Unrecht und im ländlichen Raum ist eben die „Kunst“ nicht das eigentliche Ziel von Theaterarbeit und eine Entschuldigung wäre in dem Sinne gerechtfertigt, dass die Bedürfnisse des ländlichen Raums bislang verkannt wurden? Bei einem Versuch, diese Fragen zu beantworten und den Handlungsspielraum der Landesbühnen nachzuvollziehen, spielt ihre besondere Situation eine wichtige Rolle: Trotz der öffentlichen Beauftragung und Finanzierung müssen sie auf dem Gastspielmarkt agieren. Wie anhand von den Forschungsergebnissen von Cossels und Schmidts dargestellt, scheinen Kunst und Verkaufserfolg oftmals, wenn sie sich auch nicht gänzlich zu widersprechen scheinen, dann doch in einem gewissen Missverhältnis zueinander zu stehen; und auch Thomas Renz zeigt auf, dass das Bedürfnis nach erholsamer Freizeitbeschäftigung nur bedingt von den öffentlichen Kulturinstitutionen erfüllt zu werden scheint. Landesbühne bewegt sich also als Konstrukt in mehreren Spannungsfeldern; widersprüchliche Funktionszuschreibungen bestimmen ihr Dasein und sie konstituiert sich dadurch in mehrfacher Hinsicht als besonderes Element innerhalb der Theaterlandschaft. Auch hier sollten Fragen zu den dahinterliegenden theaterpolitischen Absichten und Zielsetzungen ansetzen: Wenn Landesbühne als Instrument für Partizipation und zugleich als Vertreterin eines kunstautonomen Stadttheaters konstruiert ist, werden dann beide Bereiche gleichberechtigt als Kernaufgabe angesehen? Sind die Landesbühnen in der Lage, den an sie gestellten Erwartungen gerecht zu werden und die hohen Ansprüche an eine Multifunktionalität zu erfüllen? Auch diese Fragen lassen sich zunächst nicht in der Verallgemeinerung beantworten, sondern begründen die Notwendigkeit einer spezifischen, fallbezogenen Betrachtung.

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Landesbühne als Teil der Theaterlandschaft

Die Landesbühnen als reisende Stadttheater mit besonderem politischen Auftrag: Sonderlinge innerhalb der Theaterlandschaft? Sie übernehmen in mehrfacher Hinsicht eine Sonderrolle – angesiedelt zwischen Kunstproduktion und sozialer Praxis scheinen sie den partizipatorischen Ansätzen von Amateurtheater und Soziokultur ähnlich; in ihrer Funktion als Bildungseinrichtung und Ort der künstlerischen Auseinandersetzung und des gesellschaftlichen Austauschs entsprechen sie dem Bild eines Stadttheaters und bieten hierdurch Identifikationsmöglichkeiten. Darüber hinaus scheinen sie auch in betriebswirtschaftlicher Weise besonders zu sein: „Die Landestheater sind auch die Theater, die am effizientesten produzieren hinsichtlich der eingesetzten finanziellen Mittel je gezeigter Vorstellung“ (Schmidt 2017, S. 62).161 Diese Argumentation ist natürlich vor dem Hintergrund möglicher Haushaltseinsparungen ein gewichtiges Argument: Warum sollte ein womöglich teureres Stadttheater erhalten werden, wenn auch eine viel effizientere Landesbühne ausreichen würde? Schnell bewegt man sich mit solchen Argumentationslinien in einer Bewertung und einem Vergleich der unterschiedlichen Elemente der Theaterlandschaft, bei der jedoch die inhaltliche Ausrichtung und Funktionszuschreibung nicht vergessen werden darf. Während bislang das Konstrukt Landesbühne als eine Ergänzung beschrieben wurde, als ein Instrument, um die weißen Flecken auf der Theaterlandkarte zu bekämpfen, könnte Landesbühne jedoch auch als günstige Minimallösung verstanden werden und sich somit negativ auf die Stellung der Stadttheater auswirken. „Die schnell, günstig und flexibel produzierenden Landestheater, besitzen oft eine größere Zukunftsfähigkeit, als die zuvor erwähnten, Kleinen und Mittleren Stadttheater“ (ebd., S. 60), so schlussfolgert beispielsweise Thomas Schmidt. Vielleicht führt auch diese unterschwellige Angst zu den ständigen selbstvergewissernden Bewertungen innerhalb der Theaterlandschaft hinsichtlich Qualität und Notwendigkeit – dass das Ansehen eines Theaters mit Ensemble höher zu werten sei als das „nur“ eines Gastspielhauses, wie es die Enquete Kultur formuliert, ist nur ein Beispiel dafür.162 Bereits die Definition von Landesbühne und das Leitbild der Landesbühnen zeigten auf, dass ihre Positionierung gegenüber den Stadttheatern konstituierend ist: die breitenwirksame Arbeit als Stütze für die hochkulturellen Spitzen; die Landesbühne als Sprungbrett und nicht zuletzt als Erzieherin der ländlichen Bevölkerung als zukünftiges Publikum der Stadttheater – die Landesbühnen also als Dienstleister sowohl für die Distribution von Theaterkunst als auch im Dienste eines Fortbestands des Theatersystems. Es scheint ein wenig so, als ob die Landesbühnen gleichermaßen um ihre Stellung in der Theaterlandschaft ringen und sich dabei ihrer Sonderstellung bewusst sind – ein weiterer Ansatzpunkt für eine genauere Betrachtung: Welche Rolle schrei-

161 Der Vergleich bezieht sich auf die von Schmidt eingeführte Staffelung, als Beispiel führt er an: „Die Mittelwerte dieser drei Gruppen sprechen für sich: während eine Vorstellung im Landestheater im Mittel bei 30.000 e liegt, kostet sie im Stadttheater bereits 46.000 e und hat schließlich beim Leuchtturmtheater mit 162.000 e den Kosten für einen Abend verdreifacht“ (Schmidt 2017, S. 63). 162 Weitere solche Abgrenzungen durch Qualitäts-, Funktions- und Bedeutungszuschreiben scheinen zwischen allen Akteuren der Landschaft der Darstellenden Künste üblich, verwiesen sei vorab auf das Kapitel 4.2.

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ben sich die Landesbühnen tatsächlich selbst zu, in welche werden sie vielleicht und warum gedrängt, wie steht es um Partnerschaften und Konkurrenzen? Der Vergleich mit den Stadttheatern liegt auf der Hand, da Landesbühnen ja prinzipiell zunächst Stadttheater mit speziellem Auftrag sind. Dabei wird ein Aspekt oftmals übersehen, respektive er wird als solcher bislang nicht ausführlich diskutiert: Die Konzeption der Landesbühnen zeigt Charakteristika, die man in der Schnittstelle zwischen Stadttheater und Freiem Theater verorten kann. „Bei den Landestheatern haben sich meist aus finanzieller Not und mit entsprechendem Einfallsreichtum Produktionsformen entwickelt, die denen der freien Szene nicht unähnlich sind: Es wird in einem geschützten Rahmen entwickelt (konzipiert, geplant und produziert) und in einem geöffneten Rahmen präsentiert, und zwar im Zuge von Gastspielen und Koproduktionen. Die verschiedenen netzwerkartigen Koproduktions- und Kooperationsstandorte, die wir bei der Freien Szene vorfinden, werden bei den Landestheatern durch die verschiedenen Bespielorte ersetzt, die ihren Koproduktionsanteil in Form einer eingerichteten Spielstätte und einer anteiligen Zuwendung einbringen“ (ebd.). Gleichwohl gibt es bei diesen Ähnlichkeiten, welche die Dichotomie des Systems163 aufzuweichen scheinen, entscheidende Unterschiede: „Die produktionsbezogenen Unterschiede bestehen darin, dass das Landestheater als Institution Produzent ist, während diese Funktion in der Freien Szene auf den Schultern der verschiedenen Produktionshäuser oder der freien Gruppe selbst liegt, verschieden gewichtet, also verteilt und fixiert und mit höheren Risiken verbunden ist. Und der andere Unterschied koppelt sich hier an: Das Landestheater bezieht wie auch das Stadt- und das Staatstheater eine, zumeist über mehrere Jahre festgelegte institutionelle Förderung, während die Gruppen der Freien Szene immer wieder, meist nur kurzzeitige projektbezogene Förderung beantragen können“ (ebd.). Die Landesbühnen scheinen gegenüber den Freien Theatern durch ihre Betriebsstruktur und in finanzieller Hinsicht Vorteile zu haben, die sich innerhalb des Gastspielmarktes auswirken könnten. Sind Landesbühnen also – zumindest ansatzweise – eine Theaterform, welche die klassische, immer noch bestehende Trennung der beiden Systemelemente Stadttheater und Freies Theater überwinden könnte? Auch wenn der Landesbühnenbetrieb dem eines Stadttheaters in vielerlei Hinsicht zu entsprechen scheint, kann es durchaus zu neuen Erkenntnissen führen, wenn man diesen Vergleich weiterführt und als Ansatz für diese Untersuchung die Landesbühne als eine Art „freieres“ Stadttheater versteht. Gestützt wird diese Überlegung durch die Mobilität und die Flexibilität, Attribute der Theaterarbeit, die für die Landesbühne wie auch das Freie Theater gelten und ebenso durch die Haltung „sich zum Publikum zu bewegen“. Hinsichtlich des Vergleichs, den Thomas Oberender zwischen etablierten und freien Theaterformen zieht, ist insbesondere in diesem Zusammenhang die Verantwortungszuschreibung der Vermittlungsarbeit interessant, die ja auf Grundlage der bisherigen Überlegungen einen Schwerpunkt der Landesbühnenarbeit ausmachen sollte: Im Freien Theater sei diese hauptsächlich von den Veranstaltern organisiert, im Stadttheaterbetrieb würde diese selbst gestaltet (siehe oben, 2.1 und vgl. Oberender 2017); die von Oberender formulierte Abhängigkeit der Freien Theater von Festivaltheatern, Veranstaltern und Plattformen scheint eine weitere Ähnlichkeit zu den Landesbühnen zu sein, die sich in einer starken Wechselbeziehung mit den Gastspielhäusern befinden. Interessant ist hier die Aufgabenverteilung

163 Siehe oben, Kapitel 2.1.2.

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und Verantwortungszuschreibung: Wird beispielsweise die Vermittlungsarbeit von den Landesbühnen selbst geleistet, in die Hände der Veranstalter gelegt oder wird sie gemeinsam gestaltet? Eine zu überprüfende Nähe zu den Freien Theatern stellt die Landesbühnen sowohl als mögliche Konkurrenten als auch potenzielle Partner derselben dar. Erneut ist hier das Kinder- und Jugendtheater ein entscheidendes Feld. Landesbühnen und Freie Theater sind maßgebliche Akteure in diesem Bereich und bemühen sich um eine flächendeckende Angebotsvielfalt. Dass dieses Angebot längst nicht umfangreich genug ist, wurde benannt. Wenn nun Landesbühnen als besonders effizient, flexibel, mobil gelten und durch ihre Stellung als öffentlich getragene Theaterbetriebe einen Vorteil gegenüber der Freien Theaterarbeit haben, die sich eben nur bedingt nachhaltige Strukturen aufbauen kann, ist dies dann einer Weiterentwicklung der Theaterlandschaft in diesem Feld nicht eher abträglich denn förderlich? Bezogen auf die Kinder- und Jugendtheater in den großen Städten kommt die ASSITEJ-Studie zur Lage des Kinder- und Jugendtheaters zu dem Schluss, dass für die Zukunft insbesondere Kooperationen zuträglich wären: „Perspektivisch können in diesen urbanen Strukturen mögliche Mischformen mit Gästen als neue Produktionsverfahren im Kinder- und Jugendtheater der Stadt- und Staatstheater auch als Lernort für die Theaterlandschaft ausprobiert werden. Dadurch würde auch der bisher recht übersichtliche Austausch von Stadt- und Staatstheatern mit Akteuren des Freien Theaters weiter ausgebaut werden“ (Renz 2017, S. 28). Freies Theater versteht sich zumindest teilweise im Prinzip als ein Theater der Partizipation, das durch seine Arbeitsweisen und die Nähe zu den Menschen im besten Falle Relevanz nicht nur behauptet, sondern sich aus eben dieser selbst konstituiert.164 Landesbühnen sollten ihre Arbeit, so die Annahme, ebenfalls auf einer solchen Konzeption begründen – wenn dem so ist, scheinen Landesbühnen und Freie Theater auf mehreren Ebenen Berührungspunkte vorzuweisen, die sich gemeinsam weiter entwickeln könnten und Grundlage sein könnten für eben einen solchen produktiven Austausch wie durch die ASSITEJ-Studie vorgeschlagen. Dies wiederum führt zu Erwartungen an Theaterpolitik, als Politik, die sich auf die Gestaltung der Relationen der Akteure zueinander beziehen kann, auf das Vermitteln zwischen unterschiedlichen Beteiligten und die die Rahmenbedingungen gestalten kann, die für eine solche Annäherung vonnöten sind. Theaterpolitik gestaltet Theaterlandschaft und kann Verbindungen und Beziehungen der einzelnen Elemente dieser Landschaft zueinander gleichermaßen befördern oder erschweren. Die Frage ist also, ob die Landesbühnen sich in der Lage befinden, sich strukturell weiter zu entwickeln als eine Mischform aus Stadttheater und Freiem Theater, als Hybrid aus stehendem und reisendem Theater? Vielleicht wird aber festzustellen sein, dass diese theoretische Überlegung in der Praxis gänzlich unhaltbar ist, weil sich Landesbühnen und Freie Theater gegenseitig gar nicht richtig wahrnehmen, oder aber nur als Konkurrenten betrachten, nicht als potenzielle Verbündete? Die Konstruktion Landesbühne hat in diesem Sinne innerhalb der Theaterlandschaft eine gewisse Machtposition, nicht zuletzt durch ihre Effizienz, die als Vorbild oder, je nach Betrachtungsweise, als Drohfaktor anzusehen ist und durch ihre – theoretisch – vorhandene relativ stabile finanzielle Situation durch die öffentliche Förderung. Als Teil

164 Siehe dazu erneut die Ausführungen Aron Weigls (Weigl 2018) sowie die Beschreibungen Freier Theaterarbeit in 2.1.

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des Netzwerkes von Theaterlandschaft und Theaterpolitik beeinflussen die Landesbühnen durch ihre Beauftragung, die ihnen dadurch zu Teil werdende Stellung und ihre Handlungen, die bestimmt werden durch die Auslegung ihres Auftrages, das Beziehungsgeflecht der Theaterlandschaft, sind somit nicht nur als Phänomen zu beschreiben, sondern als Akteure zu bewerten, die die Landschaft der Darstellenden Künste aktiv gestalten. 2.3.3 Landesbühne als kulturpolitischer Akteur Indem die Landesbühnen als kulturpolitische Maßnahmenträger fungieren, treten sie sowohl direkt als auch indirekt in Interaktion mit anderen Theatern und Institutionen. Landesbühnen sind Partner und gehen Kooperationen ein, sie sind zugleich Konkurrent auf dem Gastspielmarkt und im Kampf um Wahrnehmung und Publikumszuspruch, sie haben Einfluss auf die kulturelle Infrastruktur und sie wirken im Feld der Kulturellen Bildung. Gegenüber all dieser Abhängigkeiten müssen die Landesbühnen in Verantwortung treten und sich zugleich rechtfertigen vor ihren Rechtsträgern, den anderen Theaterakteuren und gegenüber ihren unterschiedlichen Publika, im Stammsitz und unterwegs. Sie sind also keineswegs passive Instrumente, sondern müssen, entsprechend dem dieser Arbeit zugrunde liegenden breiteren Verständnis von kulturpolitischem Handeln, als kulturpolitische Akteure wahrgenommen und beschrieben werden: Sie sind verantwortlich für Entscheidungen und Vorgänge, welche die Landschaft prägen und beeinflussen und ebenso sind die Landesbühnen in kulturpolitische Aushandlungsprozesse miteinbezogen, sowohl durch ihre Theaterarbeit, als auch im Sinne einer Verantwortungsübernahme, durch die Beauftragung durch die öffentliche Hand. Cultural Governance und kulturpolitische Verantwortung

„Politische Steuerung erfolgt heute in einer Vielzahl von netzwerkartigen Strukturen. Auf allen Feldern haben sich Politiknetzwerke aus staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren gebildet, die nicht nur an der politischen Willensbildung mitwirken, sondern auch die Erfüllung gesellschaftlicher Aufgaben übernehmen“ (Knoblich u. a. 2009, S. 68). Der Begriff „Akteur“ bezeichnet dabei nicht nur Personen, sondern kann sich auch auf unterschiedliche Organisationsformen, sogenannte komplexe Akteure beziehen – in diesem Verständnis wurde er auch bislang ohne nähere Erläuterung in dieser Untersuchung verwendet. Diese komplexen Akteure wiederum können unterschieden werden in kollektive und korporative Akteure: „Kollektive Akteure entstehen, indem Individuen sich kooperativ zusammen schließen. Das Ergebnis können strategische Allianzen, Clubs, Bewegungen oder Verbände sein. Es kommt zwischen den in diesen kollektiven Akteuren versammelten Mitgliedern nur zu einer Zusammenarbeit, nicht aber zu einer Verschmelzung. Die Mitglieder korporativer Akteure hingegen legen zur Verfolgung ihrer Ziele ihre Ressourcen zusammen; es entsteht eine neue Handlungseinheit mit eigener Rechtspersönlichkeit. Beispiele hierfür sind Regierung, [...] Unternehmen“ (Blum u. a. 2011, S. 54 f.). Landesbühnen als Theaterunternehmen sind also korporative Akteure; genauso sind es andere Theaterbetriebe und der zielgerichtete Zusammenschluss Freier Künstler für eine Projektdauer – ob mit oder ohne eigenen Namen entsteht für diese Produktion durch die einzelnen Beteiligten ein Konstrukt

152 | Landesbühnen als Reformmodell

(Ensemble, Company, die Bezeichnungen sind vielfältig) mit eigener Rechtsform.165 Korporative Akteure, die eine juristische Person bilden, können sich genauso wie natürliche Personen anlassbezogen zusammenfinden und somit einen kollektiven Akteur bilden. Der Verbund der Landesbühnen, die Landesbühnengruppe ist demnach so ein kollektiver Akteur, der gemeinsame Interessen verfolgt, dessen einzelne Mitglieder jedoch ihre (finanzielle und rechtliche) Eigenständigkeit wahren. Theoretisch denkbar wäre auch, dass sich innerhalb der Theaterlandschaft weitere, vielleicht zeitlich begrenzte, Akteurskonstruktionen ausbilden, die sich durch strategische Allianzen bilden. Ob ein Zusammenschluss einen korporativen oder kollektiven Akteur ausbildet, ist abhängig von der Art der Zusammenarbeit und der Intensität der Verbindung: „Kollektive wie auch korporative Akteure profitieren davon, dass Individuen ihre Interessen und ihre Ressourcen bündeln. Jedoch sind kollektive Akteure letztlich von den Präferenzen ihrer Mitglieder abhängig und werden von diesen kontrolliert. Korporative Akteure hin gegen sind in sehr viel weiterem Maße unabhängig“ (ebd.). In einem solchen Verständnis als Akteur, der auch in Beziehung zu anderen ähnlichen Akteuren tritt, ist Landesbühne eingebunden in kulturpolitische Verantwortung, Entscheidungsprozesse und Handlungen. Sie ist nicht nur passiv beauftragt, sondern im Sinne eines Governance-Ansatzes166 aktiv verpflichtet: „Cultural Governance orientiert sich nicht nur an ökonomischen Zielen, sondern setzt auf Inklusion. Sie bezieht nicht nur die unterschiedlichsten Akteure bei der kulturpolitischen Steuerung und Leistungsentwicklung ein, sondern achtet auch auf ein ausgewogenes kulturelles Angebot für alle Bevölkerungskreise. Die Governance-Perspektive entspricht einem solchen Leitbild: Nicht einer alleine, nicht nur auf der Basis einseitig festgelegter Ziele, nicht nur akteurszentriert wird kulturpolitisches Handeln begründet, sondern im Zusammenspiel der beteiligten, mehr oder weniger institutionalisierten Träger des kulturellen Lebens. Partizipation, Mitwirkung und Kooperation sind wesentliche Elemente der Steuerung und der Teilung von Verantwortung“ (Knoblich u. a. 2009, S. 74). Landesbühne übernimmt als Akteur im öffentlichen Auftrag die Funktion einer theaterpolitischen Steuerung, durch das „Zusammenspiel“ mit anderen Akteuren sowohl des öffentlichen Sektors, als auch aus Markt und Zivilgesellschaft, immer mit Blick darauf, die Prämisse einer möglichst breiten kulturellen Beteiligung für alle umzusetzen. „Das richtige Maß ist hier entscheidend, um [...] das Niveau unserer ererbten Kulturvorstellungen zu sichern [...]. Die Fürsorge des Staates zielt also auf eine neue Selbstregelung einerseits, aber ebenso auf Verhandlungsgeschick in Hinblick auf die Modi alternativer Leistungserbringung durch nichtstaatliche Anbieter andererseits. Im Leitbild des ‚aktivierenden Kulturstaates‘ verbirgt sich [...] der Versuch, Kulturpolitik in die Mitte der Gesellschaft zu führen, sie noch stärker als bisher zu einem gemeinsamen Anliegen der unterschiedlichen Akteure zu machen“ (ebd., S. 77). Wichtig ist bei diesem Verständnis der Ausgleich, es „verbirgt sich keine Staatsgläubigkeit, die

165 Diese kann nach Projektende aufgelöst werden; die simpelste Form einer solchen Rechtsform ist die Gemeinschaft bürgerlichen Rechts (GbR), die sofort durch die gemeinsame Absichtserklärung entsteht und sich nach Erreichen des Ziels (also beispielsweise die Premiere einer Produktion und eine bestimmte Anzahl Aufführungen) wieder auflöst. Notwendig ist die Benennung als GbR oder Gründung einer anderen Rechtsform oftmals für die Zuwendung im Rahmen öffentlicher Kulturförderung. 166 Siehe hierzu die Ausführungen in Kapitel 2.1.1.

Die Konstruktion einer Theaterlandschaft. Definitionen und Strukturen | 153

im Sinne einer Verknappungsrhetorik lediglich Lasten abwälzt“ (ebd.). Eben deshalb darf sich staatliche Theaterpolitik nicht hinter dieser Auslegung zurückziehen, denn sie trägt – in aktivierender Weise – Mitverantwortung, dass es zu keinem Ungleichgewicht innerhalb dieser Struktur kommt. Insbesondere mit Blick auf die kulturpolitischen Prämissen und Zielsetzungen muss die öffentliche Hand für eine Ausgewogenheit der Anbieter und ihrer Position innerhalb des Netzwerkes achten und somit die einzelnen Akteure und ihre Stellung entsprechend unterstützen oder regulierend eingreifen. Den Landesbühnen fällt für dieses Zusammenspiel eine besondere Rolle zu, denn schließlich wurden sie dafür geschaffen, explizit in die Theaterlandschaft hinein zu agieren, denn nicht anders lässt sich die Sicherstellung einer kulturellen Infrastruktur bewerkstelligen. – Wenn man grundsätzlich von der Notwendigkeit des Modells Landesbühne ausgeht und diese nicht grundsätzlich in Frage stellt. Ein Untersuchungsansatz, der hier weiterverfolgt werden soll, ist demnach, ob und wie sich Landesbühne selbst als aktiv gestaltende Institution wahrnimmt, ob sie sich ihrer damit verbundenen Macht bewusst ist und wie sie sich mit dieser innerhalb der Theaterlandschaft positioniert; oder ob sie sich lediglich als Instrument von Theaterpolitik versteht und auf eine Passivität reduziert. Die verantwortungsvolle Position der Landesbühnen bekommt eine noch größere Bedeutung, wenn man die Landschaft der Darstellenden Künste nicht nur als Netzwerk betrachtet, sondern sie auch in ihrer Ausformung als Markt betrachtet. Dieser Produktions-, Aufführungs- und Gastspielmarkt ist abhängig von Angebot, Nachfrage und Preisgestaltung. Effizienz und Effektivität sind bei allen Fördermaßnahmen und der Anerkennung von Kultur als meritorisches Gut daher keineswegs zu vernachlässigen. Eine weitere zu beantwortende Frage ist daher, ob und wie das Konstrukt Landesbühne diese Marktsituation verzerrt, was wiederum theaterpolitische Auswirkungen nach sich zieht. Frei nach Walter Benjamin stehen die Landesbühnen, wie auch andere öffentliche Theater, in der Pflicht, nicht nur Angebot bereitzustellen, dass die Nachfrage bedient, sondern eine solche Nachfrage selbst zu erzeugen.167 Doch wie reagieren Landesbühnen mit ihrem Angebot auf die Nachfrage und umgedreht: Welche Nachfrage gibt es für ihr Angebot und wie steht dieses im Verhältnis zu anderen? Landesbühnen sollen überall dort tätig werden, wo es kein öffentliches Theaterensemble gibt, ungeachtet dessen, ob vielleicht private Anbieter (egal ob Freie Theater oder Tourneetheater) vor Ort tätig sind oder es andere, nicht-professionelle Angebote dort gibt – ist alleine diese Annahme nicht ein Widerspruch zu dem Verständnis eines Zusammenspiels der unterschiedlichen Akteure aus Markt, Zivilgesellschaft und Staat? Und noch einmal der Hinweis auf die Bewertung der Landesbühnen als effiziente Maßnahme: Befördert ein Konzept wie das der Landesbühne nicht den Rückbau einer kulturellen Infrastruktur und steht damit eigentlich im Gegensatz zu deren ursprünglichen Idee, der Schaffung eines breiten und vielfältigen kulturellen Angebots für alle? Verhindert Landesbühne durch ihren Auftrag und Existenz eine Entwicklung, da durch sie bereits ein als ausreichend angesehener Standard eines theatralen Angebots vorgegeben wird? „Hinter dem in der Nachkriegslogik der jüngeren Bundesrepublik steckenden Ansatz, Theatervorstellungen so vielen Menschen wie möglich in der Region zu ermöglichen,

167 „Es ist von jeher eine der wichtigsten Aufgaben der Kunst gewesen, eine Nachfrage zu erzeugen, für deren volle Befriedigung die Stunde noch nicht gekommen ist“ (Benjamin 1966, S. 36).

154 | Landesbühnen als Reformmodell

verbirgt sich eine unerkannte Erfolgsgeschichte, die dazu geführt hat, dass sich die Hälfte der deutschen Landestheater unter den 20 effizientesten Theatern in Deutschland befindet, wenn man das Verhältnis des Ressourceneinsatzes zu den Ergebnissen der Theaterarbeit betrachtet“ (Schmidt 2017, S. 257). Diese Gefahr, dass sich Landesbühne zu einem günstigen Ersatz für bestehende Strukturen etablieren kann, sichert ihr einerseits eine Zukunftsperspektive, zeigt jedoch auch, auf welch schmalem Grat und in welchen vielschichtigen Abhängigkeiten die Landesbühnen agieren. Markt und Netzwerk: Relationen innerhalb der Theaterlandschaft

Das Netzwerk Theaterlandschaft und der darin enthaltende Gastspielmarkt entstehen durch kulturpolitische Rahmensetzung und Steuerung und werden gestaltet durch die einzelnen, darin sich konstituierenden und vorhandenen Akteure. Um eine Untersuchung dieser Landschaft durchzuführen, reicht es, wie gerade hergeleitet, nicht aus, die einzelnen Akteure, ihr Selbstverständnis und ihre Arbeitsbedingungen zu betrachten. Vielmehr ist es wichtig, die Beziehung der Akteure zueinander, die gegenseitige Wahrnehmung und ihre jeweiligen Arbeitsweisen, also die Akteurskonstellationen zu beschreiben und zu analysieren. Durch ihre Aktivitäten, je nach Ausrichtung Rücksicht nehmend, kooperativ oder konkurrierend, beeinflussen sich die Theaterakteure gegenseitig, gestalten die Landschaft und sind gleichermaßen dadurch Teil kulturpolitischer Handlungs- und Entscheidungsprozesse. Eine Beschreibung, wie sich die Theaterlandschaft als Netzwerk im Speziellen gestaltet, wird durch diese Untersuchung ansatzweise angestrebt. Sie soll zu einem besseren Verständnis der Landschaft der Darstellenden Künste und dementsprechend auch von Theaterpolitik dienen und zu Erklärungsansätzen führen.168 Netzwerke im Allgemeinen können sich sehr ausdifferenziert gestalten, sie sind geprägt durch ihre internen Machtzuschreibungen und Beziehungen: „Zunächst lassen sich die Merkmale von Netzwerken im Vergleich zu den Steuerungsformen Markt und Hierarchie beschreiben: Netzwerke können als Verflechtungen zwischen Akteuren angesehen werden. Meist wird die Enge der Bindungen der Akteure in Netzwerken als ein zentrales Element angesehen [...]. Im Vergleich zum Markt ist die Kopplung der Akteure enger, da die soziale Organisiertheit größer ist. Damit hängt ein intensiverer Kommunikations- und Informationsaustausch, generell eine höhere Interaktionsdichte, zusammen. Im Vergleich zu festen Institutionen dagegen wird Netzwerken ein lockerer Bindungsgrad zwischen ihren Akteuren bescheinigt“ (Diller 2009, S. 56). Dies bestätigt die Konstruktion der Theaterlandschaft: Sie ist kein dirigistisches System, die Verbindungen zwischen den einzelnen Akteuren sind relativ locker, da jeder seine (künstlerische) Freiheit wahren will und dazu auch in die Lage versetzt wird, beziehungsweise versetzt sein sollte. Zugleich besteht durch die Konstruktion der Theaterlandschaft eine gewisse Verbindung der Akteure zueinander, diese sind teilweise durch Handelsbeziehungen geprägt. Dar-

168 Da in dieser Untersuchung die Konzepte und nicht die Akteure und das Netzwerk im Fokus stehen, wird hier keine vollständige Netzwerkanalyse durchgeführt, diese wäre zudem nur sinnvoll und zielführend für eine Analyse eines begrenzten Gebietes, beispielsweise einer bestimmten Region, eines Ballungsgebietes oder einer abgegrenzten Akteurskonstellation, wie sie im Rahmen einer Kulturentwicklungsplanung durchgeführt wird, siehe dazu exemplarisch die bereits erwähnte Kulturentwicklungskonzeption: Föhl u. a. 2014 sowie Föhl u. a. 2009 und Sievers u. a. 2013.

Die Konstruktion einer Theaterlandschaft. Definitionen und Strukturen | 155

über hinaus gestalten sich die Beziehungen in Netzwerken, und auch das gilt für die Theaterlandschaft, horizontal, also nicht-hierarchisch (was die Netzwerke wiederum von den festen Institutionen mit vertikalen Beziehungsmustern unterscheidet).169 Gleichwohl bedeutet eine relativ lockere, horizontale Beziehung nicht, dass es keinerlei hierarchische Unterschiede und somit eine stark divergierende Machtstellung der einzelnen Akteure innerhalb dieser Relation zueinander gibt: „Zwischen rechtlich und organisatorisch gleichgestellten Akteuren können auch in formal hierarchiefreien Netzwerken erhebliche Machtunterschiede bestehen, wenn z.B. die Ressourcen Finanzen und Information ungleich verteilt sind. Macht bildet sogar ein funktionales Element von Netzwerken“ (ebd., S. 58). Insbesondere wenn es um die Ressourcenverteilung und damit zusammenhängend um eine Finanzierung geht, wird mit Blick auf die Theaterlandschaft deutlich, dass die Bezeichnung und Betrachtung als „Markt“ gerechtfertigt ist: Es kann entsprechende Beziehungen, Abhängigkeiten und Zwänge hinsichtlich Preisgestaltung, finanziellem Erfolg durch gute Auslastung, Kauf und Verkauf von Produkten (nämlich beispielsweise von Produktionen an Gastspielhäuser) geben. Doch in der deutschen Kulturlandschaft überwiegt dieser Anteil (noch) nicht, die freie Gestaltung und (relative) finanzielle Unabhängigkeit der Institutionen, im Sinne einer Gemeinnützigkeit, also als nicht gewinnorientiert wirtschaftende Unternehmen sind Kernelemente und begründen die staatliche Förderung – auch wenn der letzte Aspekt sich durchaus diskutabel gestaltet, da alle Kulturbetriebe trotz finanzieller Unterstützung immer auch wirtschaftlich arbeiten müssen und ihre Arbeit (je nach Struktur mehr oder weniger) gegenfinanzieren müssen. Eine soziologische Betrachtung von Markt und Netzwerk würde hier zu weit führen, es sei an dieser Stelle ausreichend, darauf hinzuweisen, dass für die Theaterlandschaft als Netzwerk auch Folgendes angenommen werden kann: „Netzwerke nehmen eine intelligente Verbindung aus den beiden anderen Steuerungstypen Markt und Hierarchie vor. Sie versuchen deren Dysfunktionen zu vermeiden, indem sie die Fähigkeit der Hierarchien, Ziele zu verfolgen und Kontrolle auszuüben, mit der Flexibilität von Märkten verbinden“ (ebd.). Möchte man das Netzwerk Theaterlandschaft in seiner Struktur bewerten, muss seine Besonderheit berücksichtigt werden, das es von anderen Netzwerken unterscheidet: Die Akteure – zumindest die staatlich geförderten und oder beauftragten, verfolgen alle in unterschiedlicher Art und Weise kulturpolitische Absichten: Dazu zählt unter anderem das Ziel kultureller Teilhabe, neben all den anderen Zielsetzungen, die Kulturpolitik als Handlungs- und Wirkungsfeld betreibt und für sich vereinnahmt.170 Eine solche Zielorientierung bei gleichzeitiger Flexibilität birgt auch Nachteile: „Genau diese Flexibilität durch lose Kopplung ist aber auch ihre Schwäche. Denn damit verbunden sind auch Unverbindlichkeiten: Jeder Akteur hat immer die Möglichkeit, (vor allem in gerichteten Netzwerken) explizit die ‚Exit-Option‘, den Ausstieg, wahrzunehmen und (eher in ungerichteten Netzwerken) sich stillschweigend nicht mehr zu beteiligen“ (ebd., S. 58).

169 „Dass, verglichen mit festen Institutionen, horizontale (nicht-hierarchische) Beziehungen in Netzwerken kennzeichnend sind und sie deswegen gegenüber dem vertikalen Koordinationsmuster abgrenzbar sind [...], ist nahezu ein Axiom der Netzwerkforschung“ (Diller 2009, S. 56). 170 Also auch künstlerische Tätigkeit, Ermöglichung von Kreativität, Gemeinschaftsbildung etc., vgl. dazu Kapitel 2.1.1.

156 | Landesbühnen als Reformmodell

Die Landesbühnen und auch andere Theaterinstitutionen können, als im öffentlichen Auftrag stehend, sich nur bedingt zurückziehen, also „aussteigen“ – es sei denn natürlich, sie werden als Institutionen komplett aufgegeben oder orientieren sich neu, was wiederum ihre Legitimation in Frage stellen würde.171 Das Netzwerk Theaterlandschaft ist also weniger flexibel als andere Netzwerke und die Akteure werden somit in gewisser Weise in ihrem Gestaltungsspielraum grundsätzlich eingeschränkt oder zumindest innerhalb einer bestimmten Rahmung gesteuert. Das daraus resultierende Beziehungsgeflecht, in das die Landesbühnen in unterschiedlichen Rollen eingebunden sind, zu betrachten, kann also nicht nur zum Erkenntnisgewinn über das Konstrukt Landesbühne beitragen, sondern zudem die Strukturen der Theaterlandschaft beleuchten; hierzu müssen noch die Art der Beziehungen beschrieben werden: Grundsätzlich sind gerichtete und ungerichtete zu unterscheiden, die sich auch auf die Beschreibung des Netzwerkes übertragen lassen (im vorhergehenden Zitat bereits beinhaltet). Ungerichtete Beziehungen sind symmetrisch, das heißt „wenn Akteur 1 mit Akteur 2 kommuniziert, automatisch Akteur 2 auch mit Akteur 1 kommuniziert. Es geht in der Kommunikation z. B. um gegenseitigen Austausch oder die gemeinsame Entwicklung von Ideen. Anders gestalten sich gerichtete Beziehungen, wie z. B. das Fragen um Rat“ (Rürup u. a. 2015, S. 21). Letztere Beziehungen werden auch als asymmetrisch bezeichnet und können sich natürlich nicht nur in Momenten einer Beratung äußern. Ein Beispiel aus dem Theaterbetrieb wäre ein frontal gehaltener Einführungsvortrag, der die Interpretation des Werkes durch den Regisseur erläutert. Hier werden zunächst einseitig Informationen (über die Inszenierung), Schlussfolgerungen (Deutung der Textvorlage) und Entscheidungen (der künstlerischen Mitwirkenden) kommuniziert, ohne das die Möglichkeit einer rückläufigen Kommunikation eröffnet wird, wie es beispielsweise in einem offenen Publikumsgespräch der Fall wäre. Diese Symmetrie geht einher mit einer bestimmten Machtverteilung und Rollenzuschreibung,172 die Auswirkungen haben auf die Stabilität und die Entwicklung des Netzwerks: „Während in ungerichteten Netzwerken eher ‚Strong Ties‘, die auf lange Sicht haltbar sind, ausgebildet werden und somit Vertrauen, Solidarität und Sicherheit entstehen lassen, zeichnen sich gerichtete Netzwerke eher durch ‚Weak Ties‘ aus, die besser geeignet sind, eine Fülle von neuen Informationen zu transportieren“ (Diller 2009, S. 57). Beziehungen der Akteure untereinander, die auf einer Gegenseitigkeit beruhen, können demnach eine Stabilität und damit Nachhaltigkeit bilden; (ziel-)gerichtete Verbindungen, also beispielsweise das projektbezogene Erreichen, Erfüllen einer bestimmten Absicht, können kurzfristig zu Innovationen führen, deren Beständigkeit jedoch vermutlich eher schwächer sein wird. Umgekehrt betrachtet können natürlich auch zu feste Verbindungen, traditionell gewachsene Beziehungen, zu einer gewissen

171 Ein Beispiel hierfür wäre eine neue Ausrichtung, beispielsweise wenn ein Stadttheater umfunktioniert würde in ein kommerziell arbeitendes Musical-Theater und somit die Gemeinnützigkeit und die Förderwürdigkeit abgesprochen bekäme. 172 Je nach Dynamik und beteiligten Persönlichkeiten entstehen so Momente, in denen Fremdbestimmung oder Selbstbestimmung unterschiedlich wahrgenommen werden kann. Dies wiederum ist ein wichtiger Aspekt innerhalb partizipatorischer Projekte, da sich hierin die Haltungen und Absichten widerspiegeln.

Die Konstruktion einer Theaterlandschaft. Definitionen und Strukturen | 157

Starrheit führen, die Veränderungen innerhalb des Netzwerkes, bezogen auf das Miteinander aber auch die Zielerreichung, erschwert oder sogar verhindert.173 Abbildung 2.2: Landesbühne als kulturpolitisches Konstrukt       

    

   

  

 

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Übertragen auf die Theaterlandschaft und die Landesbühnen scheint diese Einordnung sich in den Strukturen wiederzufinden: Das Netzwerk der Darstellenden Künste charakterisiert sich, da es über einen längeren Zeitraum gewachsen ist, als relativ stabil in seiner (grundsätzlichen) Konstruktion; die Handlungen der Akteure sind selbstbezogen und -bestätigend, geht es doch um eben die Gestaltung dieser Landschaft der Darstellenden Künste. Eine grundlegende Änderung dieses Netzwerks, beispielsweise im Sinne einer neuen Zielsetzung, scheint weder wünschenswert noch möglich, da die Künste als grundsätzlich zweckfrei angesehen werden. Die starren, weil lange so etablierten Strukturen scheinen gleichzeitig reformbedürftig und reformresistent. Förderprogramme, die kurzfristig zielgerichtete Zusammenarbeiten ermöglichen, können kurzfristig eine Änderung herbeiführen und Impulse geben, werden aber kaum die „Strong Ties“ der Landschaft nachhaltig beeinflussen. Um eine Reform der Theaterlandschaft anzustoßen, müsste also genau an dieser Stelle angesetzt und überlegt werden, wie die Beziehungen der Akteure gestaltet sein müssten, wie diese beeinflusst werden könnten, um Veränderungen zu erreichen – unter Berücksichtigung der Konsequenzen und der damit zusammenhängenden (sich neu bestimmenden) Machtpositionen.

173 Solche „Negativnetzwerke“ (Diller 2009, S. 58) können dazu führen, dass Handlungs- und Entscheidungsprozesse blockiert werden (vgl. ebd.).

158 | Landesbühnen als Reformmodell

Landesbühne als Gegenstand bewegt sich genau an der Schnittstelle der hier skizzierten Fragen von Macht, Hierarchien, Beziehungen und Zielsetzungen. Die Abbildung 2.2 „Landesbühne als kulturpolitisches Konstrukt“ soll diese Komplexität vereinfacht darstellen und als Grundlage dienen für die weitergehende Betrachtung. Dieser Teil der Untersuchung wird im Folgenden abgeschlossen durch die Entwicklung und Zusammenstellung der Forschungsfragen, die sich an den hier aufgezeigten Abhängigkeiten und Verantwortlichkeiten, deren Pflege, Wahrnehmung und Entwicklung orientieren. 2.3.4 Landesbühnen als Modell für eine Theaterreform? Die Landesbühnen kennzeichnen sich als Forschungsgegenstand nach den bisherigen Ausführungen auf mehreren Ebenen als multifunktionale Schnittstelle und hybrides Konstrukt: Sie dienen einem öffentlichen Bildungs- und Kulturauftrag, gestalten durch ihre Arbeit die Kulturlandschaft mit, prägen die Theaterlandschaft sowohl in Städten als auch im ländlichen Raum; sie sollen Stadttheaterfunktion ebenso übernehmen wie Verantwortung für Angebote der Kulturellen Bildung; als kulturpolitisches Instrument sollen sie die Sicherstellung einer kulturellen Infrastruktur und Grundversorgung gewährleisten und müssen sich selbst als Akteur innerhalb eines ausdifferenzierten Beziehungsgeflechts positionieren. Dem bisherigen logischen Aufbau der Untersuchung folgend, ergeben sich mehrere Bereiche, die anhand der Landesbühnen untersucht werden können – immer vor dem Hintergrund, Partizipation als kulturpolitisches Konzept in den Darstellenden Künsten zu befragen. Das Konstrukt Landesbühne ist dabei gleichermaßen anzusehen als Untersuchungsgegenstand, dessen Betrachtung zum Erkenntnisgewinn über die theaterpolitischen Strukturen führen soll, als mögliches Modell für Reformansätze und ebenso als mögliches Ziel ebensolcher Neukonzeptionierungen.174 Eine empirische Betrachtung der Landesbühnen ist nicht nur als eine Analyse einer bestimmten Theaterform zu werten oder als ein reiner Abgleich zwischen Erwartungen und Realität, sondern soll auch einen Beitrag zu einer konzeptionellen Weiterentwicklung von Theaterpolitik, die wiederum die Landschaft der Darstellenden Künste maßgeblich bestimmt, und zu einem theaterpolitischen Erklärungsmodell leisten.175 Herausforderungen, die anhand der Landesbühnen im Speziellen dargestellt werden, sind aufgrund des Netzwerkcharakters der Theaterlandschaft als Herausforderungen für die Darstellenden Künste im Allgemeinen anzusehen und fordern somit kulturpolitische Reaktionen ein. Die Potenziale, die im Modell Landesbühne liegen, können ebenso abstrahiert werden und zu Handlungsempfehlungen führen.

174 Dieses Kapitel diente als Grundlage für die Vorstellung des Forschungsvorhabens im Rahmen der Coburger Tagung „Schnittstellen zwischen Hochkultur und Kultureller Bildung“ am 10. und 11.12.2018. Unter dem Titel „Teilhabe in der Provinz – Kulturelle Bildung auf dem Thespiskarren?“ wurden das Forschungsdesign und erste Forschungsergebnisse präsentiert (vgl. Forschungsprojekt Schnittstellen zwischen Hochkultur und Kultureller Bildung 2018d). 175 Dieser Ansatz der Grounded Theory und das darauf beruhende Forschungsdesign wird im Folgekapitel im Abschnitt 3.1 erläutert.

Die Konstruktion einer Theaterlandschaft. Definitionen und Strukturen | 159

Hierfür ist eine strukturierte Betrachtung notwendig, welche die Komplexität des Konstrukts Landesbühne berücksichtigt: Als Leitfaden für das weitere Vorgehen soll daher der Ansatz zur Analyse von kulturpolitischen Konzeptionen von Max Fuchs dienen, der ausgehend von den Elementen des Politischen nach Thomas Mayer Leitfragen für eine Untersuchung aufstellt und zugleich Abhängigkeiten darstellt (vgl. dazu Fuchs 1998, S. 115–129). Abbildung 2.3: Skizze Analyserahmen für politische Konzepte176          

  

            

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Um kulturpolitische Konzepte zur Partizipation zu untersuchen – die, wie festgestellt, im Prinzip bereits die konkreter gefassten Umsetzungen der grundlegenden Idee, der zugehörigen Konzeption sind – ist es notwendig, diese in gesellschaftliche Zusammenhänge einzuordnen: Was führt zu der Implementierung des Konzeptes und auf welchen gesellschaftlichen Teilbereich bezieht es sich? Was also sind die kulturpolitischen Notwendigkeiten und Begründungen? Dies wurde in diesem Kapitel hergeleitet. Darüber hinaus muss sich die Analyse auf die Ausgestaltung der Konzepte richten, auf ihre Ziele und Absichten, die dafür angewendeten Maßnahmen und Strategien, welche Auswirkungen sie haben und gleichermaßen muss untersucht werden, wer die tatsächlichen Nutznießer, also (erreichten) Zielgruppen sind. Fuchs ordnet diese Fragen den vier Elementen des Politischen zu: der Beteilungs-, Motivations-, Wirkungs- und Handlungsseite. Die Abbildung 2.3 „Skizze Analyserahmen für politische Konzepte“ soll

176 In Anlehnung an „Abb. 12. Analyse von Politik-Konzeptionen“, Fuchs 1998, S. 117.

160 | Landesbühnen als Reformmodell

verdeutlichen, wie aus dieser Zuordnung Forschungsfragen und Hypothesen hergeleitet werden können. Durch die bisherigen Ausführungen konnten bereits einige Aspekte bestimmt werden: Die Landesbühnen stehen, beauftragt durch die öffentliche Hand, maßgeblich in der Verantwortung für die Umsetzung der Absicht, für das Erreichen des Ziels, einer flächendeckenden kulturellen Infrastruktur für breite Teilhabe und Teilnahme. Es ist anzunehmen, dass die Landesbühnen sich dafür vielfältiger Instrumente und Strategien bedienen, um Zugänge zu schaffen, Relevanz herzustellen und Barrieren abzubauen. Adressiert werden idealiter und theoretisch alle Menschen; tatsächlich erreicht werden jedoch nur wenige. Bezogen auf die Ziele der Landesbühnenarbeit – unter der Maßgabe, dass sie sich selbst gegenüber der Absicht verpflichtet fühlen, der sozialen Ungerechtigkeit unterschiedlicher Zugangsmöglichkeiten entgegenzuwirken – muss genauer betrachtet werden, welche eigenen Bewertungen die Landesbühnen vornehmen: Welche Rolle spielt beispielsweise die künstlerische Verwirklichung im Verhältnis zu möglichst guten Auslastungszahlen, die wiederum eine breite Teilhabe belegen, aber keine qualifizierte Aussage über eine aktive Teilnahme ermöglichen? Treffen die Landesbühnen (überhaupt) eine Unterscheidung zwischen Teilhabe und Teilnahme, reicht das bloße Dabeisein aus, oder geht es um eine aktive Beteiligung der Menschen? Durch welche Motivation wird diese begründet, geht es um eine Publikumserweiterung oder um eine künstlerische Weiterentwicklung durch Teilgabe, also Verantwortungsteilung? Dies hängt wiederum mit zweierlei zusammen, mit den Adressaten und Zielgruppen ebenso wie mit dem Verständnis von Partizipation: Landesbühnen verkörpern als Konzept die Idee einer kulturellen Teilhabe und Teilnahme und in ihnen selbst sind zugleich ebenfalls unterschiedliche Konzeptionen von Partizipation vorhanden – die je nach den Möglichkeiten innerhalb dieser als Konzepte ausgeformt werden können und als solche die tatsächliche Arbeit der Landesbühnen mitbestimmen. Gleichermaßen prägt die jeweilige tatsächliche Situation die Handlungsfähigkeit und kann somit die vorherrschenden Auffassungen und Einstellungen verändern. Die Rahmenbedingungen können also sowohl die Konzepte (und somit die konkrete Umsetzung) als auch die Konzeption (die grundlegende Auffassung) beeinflussen. Theoretisch sollten alle Menschen zu einer Partizipation ermutigt und befähigt werden, doch an wen richten sich die Landesbühnen konkret? Wem soll wie eine Teilhabe oder Teilnahme ermöglicht werden? Welche Rolle spielen dabei Kinder und Jugendliche und die Kulturelle Bildung, wie ist das Kinder- und Jugendtheater verortet, ist es Vorzeigeerfolg partizipatorischer Arbeit oder essenzieller Bestandteil des Selbstkonzepts? Sprechen die Landesbühnen gezielt weitere unterschiedliche Zielgruppen an? Beziehen sie sich nur auf die Besucher, die bereits am Theater Interessierten oder haben sie auch die (Noch-)Nicht-Besucher im Blick? Eine Erhebung, wer tatsächlich wann und wie mit welcher Nachhaltigkeit erreicht wird, also eine umfassende statistische Erhebung der Besucher und im Idealfall der Nicht-(Mehr-)Besucher führt hier zu weit, wäre jedoch in begrenztem Maße für konkrete Untersuchungsbereiche durchaus eine wichtige Forschungsarbeit. Verfolgt man die Annahme, dass Landesbühne sich innerhalb der Entwicklungstendenzen des Theaters als eine Form tribalisierten Theaters etablieren könnte, muss betrachtet werden, wo, wie und in welchem Umfang die Landesbühnen Impulse aus ihrer Umgebung aufgreifen; ob und in welcher Weise möglichst viele unterschiedliche Modi von Partizipation umgesetzt werden und welche Formate entwickelt und angeboten werden.

Die Konstruktion einer Theaterlandschaft. Definitionen und Strukturen | 161

Neben diesen inhaltlich orientierten Fragen gilt es auch, sich den Strukturen genauer zuzuwenden, die Trägerschaft und Beteiligungen zu beachten. Landesbühne ist kein isoliert wirkendes Instrument, sondern steht in Verantwortung und Abhängigkeit zu anderen Akteuren. Eine Betrachtung dieser Beziehungen ist unerlässlich für die Untersuchung: In diesen zeigt sich nicht nur die multiple Beteiligung, die für die breite Umsetzung für das Konzept Partizipation notwendig scheint, sondern sie spiegeln auch das Selbstverständnis der Landesbühnen wider. Eine Beschreibung desselben lässt wiederum Rückschlüsse darauf zu, in welcher Weise die Landesbühnen ihre Beauftragung deuten und wo sie selbst für sich Verantwortung sehen: Ist das System Landesbühne als Teil einer kulturellen Infrastruktur konzipiert, die davon ausgeht, dass weitere (private und kommerzielle) Angebote ergänzend vorhanden sind? Oder sehen die Landesbühnen sich selbst als ausreichende Alleinversorger an? Welche Funktion von Theater sollen, wollen, können sie wahrnehmen, wo greifen sie in die Zuständigkeiten anderer Theater ein und wo werden sie von den anderen in ihren Handlungen eingeschränkt? Wie interagieren die Landesbühnen mit anderen Theatern? Wie werden diese an der Umsetzung des Auftrages beteiligt oder eventuell nicht beachtet oder gar ignoriert – sowohl die anderen professionellen Anbieter, als auch die Gastspieltheater und Amateurtheater? Ein Abgleich von Idee und Wirklichkeit, der Theorie und Praxis des Konstrukts Landesbühne, soll Schlussfolgerungen ermöglichen, welche für die Theaterlandschaft in Gänze bedeutsam sein können. Einige solcher Ansatzpunkte wurden bereits im Verlauf dieses Kapitels hypothetisch beschrieben: Landesbühnen scheinen sich innerhalb der Theaterlandschaft fluider verorten zu lassen als beispielsweise ein klassisches Stadttheater oder ein avantgardeorientiertes Freies Theater. Zu überprüfen ist auch die Annahme, dass eine gewisse Nähe zwischen Landesbühnen und Freier Theaterarbeit zu existieren scheint – wenn dem so ist, könnte Landesbühne prädestiniert dafür sein, eine Zusammenarbeit mit freien Akteuren zu intensivieren. Wenn Landesbühne im Sinne eines öffentlichen Theaters zu verstehen ist, das sich auch in den Bereich der soziokulturellen Arbeit begibt, beispielsweise durch Outreach- oder Kooperationsformate, dann könnte sie als genau der Impulsgeber fungieren, der für die ländliche Breitenkultur als sinnvoll und notwendig erachtet wird. Dabei zeigt sich auch die Flexibilität der Strukturen: Ist Landesbühne ein Stadttheater mit Reiseverpflichtung, also grundsätzlich ein kunstautonomer Betrieb, in dem Kunstvermittlung einem klaren erzieherischen Auftrag entspricht? Oder ist Landesbühne ein Theater, das sich öffnet in Richtung Breitenkultur und sich als Ort der Vergemeinschaftung versteht? Wie gestaltet sich der Spielplan? Können Landesbühnen wagemutig ihrer Selbstverpflichtung folgen, zeitgenössische Arbeiten umzusetzen, oder dominieren die Mechanismen des Gastspielmarktes? Welche Rolle spielt dabei die künstlerische Qualität und der Vergleich zu anderen Theaterproduzenten? All diese Aspekte äußern sich in den Strategien und Maßnahmen, die von den Landesbühnen angewendet werden, um ihre konzeptionellen Ziele zu erreichen (oder sich ihnen zumindest zu nähern). Diese müssen genau betrachtet werden, denn in der Gestaltung der konkreten Instrumente zeigt sich die Umsetzung der Absicht in eine Handlungsrationalität und sie stehen in unmittelbarem Zusammenhang mit den gerade benannten Bereichen. Entscheidend ist hierbei auch die Bewertung der tatsächlichen Wirksamkeit der Handlungen, denn Erfolg oder Misserfolg können zu einer Anpas-

162 | Landesbühnen als Reformmodell

sung der einzelnen Elemente der konkreten Umsetzung des Konzeptes führen, dieses sogar grundlegend in Frage stellen. Landesbühne bewegt sich in vielfachen Spannungsfeldern: als Kunstbetrieb innerhalb des Gastspielmarkts, als Verbindungselement zwischen Metropole und Provinz, in einer Doppelverantwortung als Instrument und Akteur – ob und wie sich dieses Theater innerhalb dieser vielfältigen Anforderungen behaupten kann, wird eine Leitfrage sein, denn diese führt zu theaterpolitischen Konsequenzen hinsichtlich der Rahmenbedingungen, Strukturen sowie einer grundsätzlichen Befragung des Auftrages an die Landesbühne. Schließlich sollte klargestellt werden, ob das aktuelle Konzept von Landesbühne als überholt zu betrachten ist, ob die Idee an der Realität scheitert, oder ob es als Wegweiser für zukünftige Entwicklungen dienen könnte. Wenn dem der Fall ist, müssen anhand der Praxis der Landesbühnen Stellschrauben aufgezeigt werden, an denen eine Reform des Theaters und der Theaterpolitik ansetzen könnte. Diese wiederum könnte dazu dienen, die Landschaft der Darstellenden Künste als Konstruktion an sinnvollen Punkten zu festigen und an anderen eine vielleicht notwendige (neue) Flexibilität herzustellen.

3 Die Praxis der Landesbühnen. Beobachtungen, Analysen und Reflexionen

Aufbauend auf den hergeleiteten Fragestellungen und ausgehend von den zugrunde liegenden Definitionen und Begriffsabgrenzungen, folgt in diesem Kapitel nun der Schritt in die empirische Forschung. Bislang wurde der Gegenstand in theoretischer Hinsicht beschrieben, es gilt nun, den Abgleich mit der Realität durchzuführen, um herauszufinden, was Landesbühne als Konzept in der Praxis auszeichnet und aufzuzeigen, wo welche Potenziale und Herausforderungen liegen, die für eine allgemeine Agenda der Theaterpolitik konstruktiv nutzbar gemacht werden können. Bevor der Blick auf die Landschaft der Landesbühnen als ein Segment der Theaterlandschaft gerichtet wird, soll zunächst das Forschungsdesign dieser Arbeit beschrieben und das methodische Vorgehen dargelegt werden, welches den weiteren Aufbau der Untersuchung bedingt: Eine erste statistische Analyse der Landesbühnen im Deutschen Bühnenverein und ihres Angebots dient als Grundlage für die Auswahl von konkreten Fallbeispielen, eine nähere Betrachtung dieser Beispiele schließt das Kapitel ab und leitet über zum umfangreichsten Teil dieser Arbeit, der Untersuchung der Landesbühnen anhand ausgewählter Expertisen.

3.1 A NNÄHERUNG AN DEN G EGENSTAND : M ATERIAL UND M ETHODE Diese Untersuchung hat die Absicht, durch die analytische Betrachtung eines Teilbereichs der Theaterlandschaft Erkenntnisse zu gewinnen, die abstrahiert werden können auf die Betrachtung des Theaters in Deutschland allgemein und die dazu führen sollen, damit verbundene Konsequenzen für ein Verständnis von Theaterpolitik aufzuzeigen. Es handelt sich dabei somit um eine gegenstandsbezogene Forschung, an deren Ende ein Modell stehen soll, das eine kulturpolitische Theorie als Erklärungsansatz von kulturpolitischen Prozessen ergänzen kann. Hierfür ist die Anwendung verschiedener Methoden notwendig; geeignet für diese Vorgehensweise ist der Ansatz der Grounded Theory, der eine methodische Triangulation nicht nur erlaubt, sondern begünstigt und es somit ermöglicht, Elemente der Politikfeldanalyse ebenso wie der Netzwerkanalyse in den Forschungsprozess einfließen zu lassen.

164 | Landesbühnen als Reformmodell

3.1.1 Forschungsstil und Forschungsdesign Die Grounded Theory beschreibt als Begriff den forschenden Prozess, eine gegenstandsbezogene Theoriebildung zu entwickeln. Sie zeichnet sich insbesondere durch ihre methodische Offenheit und eine fortwährende Iteration des Vorgehens aus. Die von Barney Glaser und Anselm Strauss entwickelte Grounded Theory wird oftmals als Forschungsansatz beschrieben, sollte jedoch besser als „Forschungsstil“ bezeichnet werden, da dieser Begriff der Komplexität gerechter wird: „Der Grund dafür liegt in der substantivischen und damit objektivierenden Form des Labels ‚Grounded Theory‘, das seine Doppeldeutigkeit daraus bezieht, dass es die zentrale Qualität der mit dem Verfahren zu erarbeitenden Theorien zugleich zum Namen für das Verfahren selbst erhebt. Damit verweist die Bezeichnung ‚Grounded Theory‘ gleichermaßen auf Prozess und Ergebnis, auf problemlösendes Forschungshandeln und auf die dabei hervorgebrachten gegenstandsbezogenen Theorien, gerade weil das Ergebnis angemessen nur aus dem Arbeitsprozess heraus zu verstehen ist, in dem es produziert wurde“ (Strübing 2018, S. 28, Hervorhebungen im Original). Für eine angewandte Kulturpolitikforschung, also für die wissenschaftliche Betrachtung kulturpolitischer Phänomene mit starkem Praxisbezug, deren Erkenntnisse in Schlussfolgerungen resultieren können, die den Charakter von Modellbeschreibungen haben, scheint die Grounded Theory gut geeignet: „In diesem Sinne zielt die Grounded Theory auf gegenstandsbezogene Theorien mit praktischem Erklärungspotenzial, die auch für die Akteure im untersuchten Handlungsfeld rezipierbar sind und zu einem verbesserten Verständnis ihrer Praxis beitragen“ (ebd., S. 35). Aus diesem Realbezug, bei gleichzeitiger theoretischer Betrachtung und Entwicklung einer Erklärung, kann ein praktischer Nutzen gezogen werden, da im besten Falle die Ergebnisse der Forschung „Handelnde also in die Lage versetzt, sich kompetenter in ihrer Umwelt zu bewegen“ (ebd.). Gegenstand und Theorie – ein Prozess

Für das hier angestrebte Vorgehen sind insbesondere zwei Charakteristika der Grounded Theory maßgeblich: die Möglichkeit, verschiedene Methoden zu kombinieren und die zirkuläre Prozesshaftigkeit des Vorgehens.1 Die Grundidee ist, dass während der Forschung relativ anhaltend und gleichzeitig Datenmaterial generiert, dieses ausgewertet und zu theoretischen Annahmen verdichtet wird. Entscheidend ist dabei, im Sinne einer wissenschaftlichen Qualitätssicherung, dass nicht nur die Bezüge der einzelnen Schritte nachvollziehbar sind, sondern dass auch der Prozess des Forschens eindeutig dargestellt wird und somit nicht nur die Ergebnisse, sondern auch ihre Entstehung dokumentiert und beschrieben werden (vgl. dazu ebd., S. 30). „Anstatt Datengewinnung, Datenanalyse und Theoriebildung als nacheinander zu bewältigende Arbeitsschritte anzulegen, besteht die Forschungslogik der Grounded Theory gerade darin, dass alle drei Tätigkeiten parallel betriebene Modi des Forschens sind, die sich gegenseitig produktiv beeinflussen“ (ebd., S. 37). Gleichermaßen versteht sich dieser Prozess der gegenstandsbezogenen Theoriebildung als nicht abgeschlossen: Am Ende des Forschungs-

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Die Grounded Theory soll hier in ihren Grundzügen beschrieben werden, in dem Umfang, der für das Verständnis des Forschungsprozess notwendig ist. Für eine ausführlichere Erläuterung siehe beispielsweise Pentzold u. a. 2018 oder Krotz 2005.

Die Praxis der Landesbühnen. Beobachtungen, Analysen und Reflexionen | 165

vorhabens steht nicht die eine fertige gültige Theorie, sondern Theorie selbst wird als Prozess verstanden, der veränderlich bleibt und somit weiterhin gegenstandsbezogen angepasst, aktualisiert oder auch neu befragt werden kann. Forschung ist demnach kein linearer Prozess, sondern zirkulär (vgl. Flick 2011, S. 122–131). Durch das Aufbrechen eines schrittweise vorgehenden Forschungsdesigns, in dem die Arbeitsschritte aufeinander folgen, kommt es zu einer Neubewertung des Verhältnisses zwischen Theorie, Vorwissen, Kontext, Datenmaterial und Auswertung, so wird „im Ansatz der gegenstandsbegründeten Theoriebildung den Daten und dem untersuchten Feld Priorität gegenüber theoretischen Annahmen eingeräumt. Diese sollen nicht an den untersuchten Gegenstand herangetragen, sondern in der Auseinandersetzung mit dem Feld und darin vorfindlicher Empirie ‚entdeckt‘ und als Ergebnisse formuliert werden“ (Flick 2011, S. 124). Bei aller Offenheit ist jedoch immer der jeweilige Kontext der Untersuchung und des Gegenstands entscheidend: „Es geht nicht um die Reduktion von Komplexität durch Zerlegung in Variablen sondern um die Verdichtung von Komplexität durch Einbeziehung von Kontext. Auch Methoden müssen dem untersuchten Gegenstand angemessen sein und dementsprechend ausgewählt sein“ (ebd.). Der gesamte Forschungsprozess richtet sich also nach dem zu untersuchenden Phänomen, dabei werden sowohl Vorgehen als auch Methodik als auch die Datenerhebung und -auswahl, deren Auswertung und die Ergebnisformulierung ständig in Bezug zueinander überprüft. Bezogen auf die vorliegende Forschungsarbeit wird also deutlich, dass anhand des Gegenstandes der Landesbühnen kulturpolitische Prozesse, Beziehungen und die daraus resultierende Konstruktion einer Theaterlandschaft untersucht werden, um ein Modell aufzustellen, welches erklärend fungieren kann und zugleich Ausgangspunkt sein kann für eine weitere Beschäftigung mit der Thematik. Mit einem theoretischen Modell sind hiermit „Aussagenzusammenhänge gemeint, die den Forschungsgegenstand auf der Basis der erhobenen Daten beschreiben und in seiner Struktur und Entwicklung sowie seinen Kontexten fassen“ (Krotz 2005, S. 189). In diesem Verständnis kann ein solches Modell als ein Beitrag zu einer theaterpolitischen Theorie angesehen werden.2 „In der analytischen Arbeit im Rahmen der Grounded Theory geht es nicht um alltagspraktische, situativ gebundene Orientierung, sondern darum, aus der Fülle empirischen Materials relevante theoretische Konzepte und Aussagen zu generieren“ (Strübing 2018, S. 39). Eine solche Forschung setzt zunächst eine Forschungsfrage, also ein Interesse voraus, aufgrund „derer ein empirisches Phänomen überhaupt erst als solches wahrnehmbar und in seiner Bedeutung für das Forschungsproblem zu bestimmen ist“ (ebd.). Die Kombination aus Forschungsproblem, dem Wissen und der Perspektive des Forschenden „entscheidet, was wir als Phänomen wahrnehmen, wie Fälle konstituiert werden und was genau deren Relevanz ausmacht“ (ebd.). Die Prozessualität und die enge Orientierung am Gegenstand darf also nicht missverstanden werden als ein unvoreingenommener Blick, der sämtliche theoretische Beschäftigung mit dem Themenfeld ausblendet – im Gegenteil, das Wissen um Zusammenhänge und die Einordnung des Gegenstands in ihn umgebende Bedingungen sind

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Zur Beschreibung der unterschiedlichen Komplexität von Modellen und Theorien vgl. Blum u. a. 2011, S. 35–37: „Modelle sind nie vollständig in sich geschlossen, sondern enthalten immer einen Bezug zur Empirie“ (ebd., S. 36); „Theorien weisen den höchsten Abstraktionsgrad auf. Sie erlauben daher allgemeine Aussagen und eine hohe Übertragbarkeit“ (ebd., S. 38).

166 | Landesbühnen als Reformmodell

notwendig für die Forschung und Teil der Reflexion des Prozesses: Diese Kenntnis wird auf das Phänomen und die resultierenden Ergebnisse bezogen und dient somit gleichermaßen dem Erkenntnisgewinn, als sie auch durch diesen erweitert und ständig überprüft wird: „Vorwissen ist in diesem Sinn also Wissen, das wir vorab in den Forschungsprozess einbringen und das, damit man Neues finden kann, darin auch reflektiert werden muss. [...] Es muss, und das ist Teil der Vorbereitung des Forschungsprojekts und der Forschungsfrage, beschrieben und damit kritisierbar und reflektierbar gemacht werden – dann kann es im Forschungsprozess auch überwunden werden“ (Krotz 2005, S. 168). Kontextwissen und Rolle der Forschenden

Der Gegenstand und das in Bezug auf diesen generierte und auszuwertende Datenmaterial liegen im Fokus des Forschungsprozesses, die Interpretation nimmt also einen sehr großen Stellenwert ein, da sie auch bereits in der Auswahl des Forschungsobjekts und der Daten stattfindet. Der Kenntnisstand der Forschenden sowie deren Persönlichkeit sind also entscheidende Faktoren innerhalb dieses wissenschaftlichen Vorgehens. Gemäß der Grundannahme, dass sich Grounded Theory realen Phänomen nähern will und einen Gegenstand in der Alltagspraxis fassen und begreifen möchte und ohne auf die theoretisch-philosophischen Grundlagen der Grounded Theory ausführlich einzugehen, ist festzustellen, dass der „pragmatistische Realitätsbegriff [...] gravierende Konsequenzen für zentrale Konzepte der empirischen Forschung, insbesondere für das Verständnis von Daten [hat]. Von Mead stammt die pragmatistisch inspirierte Vorstellung, dass Daten nicht in der Welt vorhandene Entitäten sind, die man als Forscherin oder Forscher gewissermaßen ‚aufsammeln‘ könnte, sondern aus der empirischen Welt erst aktiv gewonnen werden müssen. [...] Daten sind demnach das prozesshafte Produkt der Interaktion von Forschenden und Feld, die durch die sich ebenfalls entwickelnde Forschungsfrage als ‚Problem‘ strukturiert wird“ (Strübing 2018, S. 35). Die Generierung von Daten und diese selbst sind als veränderlich zu verstehen, so ist ebenfalls die Behandlung dieser Daten Teil des Forschungsprozess: „Das von Mead übernommene Verständnis von Daten als prozesshaften Produkten dagegen lenkt in der Grounded Theory die Aufmerksamkeit stärker auf die materialen, sozialen und kognitiven Transformationen, die das Material auf dem Weg vom ‚Feld‘ bis auf den Schreibtisch der Forscherin oder des Forschers durchläuft“ (ebd., S. 35 f.). Welche Daten also wie von wem bezogen auf welchen Gegenstand in die Ergebnisfindung einfließen, muss genauso beachtet werden, wie die damit verbundene Fragestellung und die daraufhin durchgeführte Auswertung. Eine Behandlung des Materials sowie die daraus resultierenden Forschungsergebnisse werden also immer auch in Bezug auf die forschende Person betrachtet: Ihre „Kreativität“ (ebd., S. 38) führt erst dazu, dass aus den Daten ein abstrahiertes Erklärungsmuster entstehen kann, sie ist also absolut notwendig für den hier skizzierten Forschungsverlauf, muss jedoch ebenso als Kritikpunkt angesehen werden, da durch diesen Moment der Eigenleistung ein subjektiver Faktor hinzukommt, den zu reflektieren absolut notwendig ist (vgl. ebd., insbesondere S. 37 f.). Mit dieser „kreativen“, interpretativen Leistung wird nicht nur der Verlauf der Forschung bestimmt, sondern durch sie wird die Gegenstandsauswahl an sich begründet und sie ist konstituierendes Element für den ständigen Abgleich zwischen Gegenstand, Erkenntnisgewinn, Theoriebildung und Methodik: „Ein einzelner empirischer Indika-

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tor mag den Anstoß für die Entwicklung erster Konturen eines theoretischen Konzeptes geben, und eine fortgesetzte Kette von Indikatoren ist zur Verfeinerung und Spezifizierung des Konzeptes unabdingbar. Doch nur wenn forschendes Problemlösen sie als relevant für seinen Gegenstand erachtet, wird daraus die Grundlage der Theoriebildung. Relevanz ist nicht im Material, sondern sie wird entwickelt in der Beziehung zwischen Forscherin bzw. Forscher, Material und Forschungsfrage“ (ebd., S. 39 f.). Die Verfasserin dieser Arbeit bringt in die Untersuchung Kontextwissen in Form von Fachwissen als auch praktischer Erfahrungen aus dem kulturpolitischen Feld der Darstellenden Künste mit; ihre bisherige Forschungspraxis, wissenschaftliche Beschäftigungen mit dem kulturpolitischen Themenfeld prägen ihren Kenntnisstand ebenso wie die Erfahrungen im Rahmen ihrer Berufstätigkeit.3 Politikfeldanalyse als Netzwerkanalyse

Das Forschungsdesign beinhaltet mehrere Aspekte; neben einer Betrachtung des Modells Landesbühne geht es auch um eine Politikfeldanalyse, die sich gut mit den Prinzipien der Grounded Theory vereinen lässt: „Ihre Aussagen über die politische Wirklichkeit möchte die Politikfeldanalyse theoriegeleitet gewinnen und Erkenntnisgewinne für die wissenschaftliche Theoriebildung erzielen. Gleichzeitig möchte sie empirische Erkenntnisgewinne leisten, die von konkretem Nutzen für die politische Praxis sind. Die Policy Forschung verortet Theorie und Praxis nicht als Dualismen, sondern sucht gerade, hier aufgebrochene Gegensätze zu überwinden und konkreten Nutzen für Wissenschaft und praktische Politik abzuwerfen“ (Blum u. a. 2011, S. 17). Das bedeutet also für den iterativen Prozess: Die konzeptuellen, sich ständig erweiternden Ergebnisse der empirischen Forschung, die an sich Versatzstücke eines theoretischen Ansatzes bilden, werden auf den Gegenstand bezogen überprüft und erweitert. Die Betrachtung der Landesbühnen als kulturpolitische Akteure innerhalb der Theaterlandschaft, die aus der Situation und den Handlungen zu erschließenden kulturpolitischen Konzepte und Verständnisse ergeben eine Vorstellung von Theaterpolitik, die wiederum anhand der Landesbühnen und ihrer Praxis überprüft und begründet wird. Leitend sind dabei die grundsätzlichen Fragen der Politikfeldanalyse: „(1) Was politische Akteure tun, (2) warum sie es tun und (3) was sie letztlich damit bewirken“ (ebd., S. 16., Hervorhebungen im Original). Es werden demnach bei einer solchen Untersuchung mitnichten nur Teilbereiche untersucht, sondern immer auch das Zusammenspiel: „Viel mehr bilden Strukturen und Institutionen (polity) erst den Rahmen, innerhalb dessen sich politische Prozesse (politics) vollziehen, die dann wiederum konkrete politische Inhalte (policy) zum Gegenstand haben und konkrete politische Resultate hervorbringen (können). In diesem Sinne muss also die Politikfeldanalyse immer alle drei Ebenen des Politikbegriffs betrachten“ (ebd., S. 15 f., Hervorhebungen im Original).

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Als Leiterin des Fachbereichs „Darstellende Kunst und Kulturelle Bildung“ im Kulturamt der Stadt Frankfurt am Main arbeitet sie im Bereich der kommunalen Kulturpolitik in der Kommunalverwaltung und hat sich innerhalb dieser Zuständigkeit Sachverstand über die Strukturen und die Praxis der Theaterlandschaft angeeignet. Dass das Kinder- und Jugendtheater auch innerhalb dieser Position den Schwerpunkt des Bereichs Kulturelle Bildung ausmacht, sie zudem für die ASSITEJ freiberuflich tätig war und assoziiertes Mitglied dieses Vereines ist, erklärt das Vorwissen bezogen auf das Kinder- und Jugendtheater als theaterpolitischen Teilbereich an der Schnittstelle zu Bildungs- und Sozialpolitik.

168 | Landesbühnen als Reformmodell

Das heißt also, es werden zunächst sowohl die Landesbühnen als Akteure befragt, ihre Handlungen und Entscheidungen im Sinne eines Agierens innerhalb der Theaterlandschaft betrachtet. Die daraus resultierenden Erkenntnisse hängen zusammen mit und führen zu einer Beschreibung der Situation der Landesbühnen, also den Rahmenbedingungen ihrer Arbeit, sowie den davon abhängig ausgeprägten Arbeitsweisen. Ebenfalls unter dem „Warum“ ist das jeweilige Konzept von Partizipation zu untersuchen, denn dieses hat maßgeblichen Anteil an der Frage nach den Auswirkungen: Werden die jeweiligen Absichten und Ziele erreicht? Wie wirksam sind die Methoden und Maßnahmen der Landesbühnen und welche Konsequenzen ziehen diese wiederum mit sich? Entsprechend können diese Fragestellungen auch auf die Ebene der Theaterpolitik bezogen werden, dies wurde im Prinzip bereits mit dem Ansatz zur Analyse von politischen Konzeptionen beschrieben: Was tut Theaterpolitik für eine Beteiligung möglichst aller Menschen, warum tut sie dies und in welcher Art und Weise sind welche Auswirkungen festzustellen? Gemäß der hier dargestellten Methodik dieser Untersuchung wurde sich diesen Fragen im zweiten Kapitel dieser Arbeit bereits angenähert und dadurch die Auswahl des Gegenstandes begründet, der für eine genauere Erklärung der Zusammenhänge als relevant eingestuft wird. Anhand der Landesbühnen werden diese theoretischen Vorannahmen überprüft, gegenstandsbezogen angepasst und somit iterativ erweitert, um ein Modell für eine mögliche Reform des Theaters und der Theaterpolitik zu erstellen. Ausgangspunkt ist hier die bereits skizzierte Sicht auf Theaterpolitik und Theaterlandschaft, respektive Kulturpolitik und Kulturlandschaft als Netzwerkstruktur.4 „Für die Politikfeldanalyse ist es wichtig, danach zu fragen, welche Akteure aktiv sind, wie sie ihre Interessen durchzusetzen versuchen und ob sie in politische Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse eingebunden sind. Darüber hinaus – und das ist nun der originäre Ansatz der Netzwerkanalyse – ist es von hoher Bedeutung, welche Beziehungsgeflechte zwischen den einzelnen Akteuren existieren. Die Netzwerkanalyse widmet sich dem Umstand, dass nicht allein entscheidend ist, welche Akteure aktiv und beteiligt sind: Es macht auch einen Unterschied, wie diese Akteure zusammenarbeiten, kooperieren und sich koordinieren“ (Blum u. a. 2011, S. 60 f.). Eine ausführliche und vollständige Netzwerkanalyse würde eine umfangreiche Analyse sämtlicher Beziehungsmuster aller Akteure vorsehen, also die Relationen aller Theater in der Theaterlandschaft oder innerhalb eines bestimmten Spielgebiets. Das ist für das hier verfolgte Forschungsinteresse nicht zielführend,5 gleichwohl sollten die Ansätze einer solchen Analyse dazu dienen, das Modell Landesbühne in ihrem Kontext genauer zu erfassen. Das ständige Interagieren der Akteure bildet auch eine grundsätzliche Komponente des Grounded Theory-Ansatzes: „Für die Untersuchung sozialer Prozesse ist nicht die Getrenntheit, sondern die Verbundenheit von Handelnden mit ihrer Umwelt zentral. Die relational zu bestimmenden Prozesse zwischen den nur scheinbar getrennten Entitäten sind die entscheidenden Objekte sozialwissenschaftlichen Erkenntnisgewinns: Eine Gruppe ist eine Gruppe dadurch, dass sie im Interaktionsprozess sich

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Siehe dazu die obigen Ausführungen unter 2.1.2 und 2.3. Vgl. dazu Blum u. a. 2011, S. 33–54, dort wird unter anderem der Akteurszentrierte Institutionalismus vorgestellt. Aus diesem Ansatz wurden Anlehnungen für diese Arbeit entnommen, hinsichtlich der Definition von Akteuren und den zwischen diesen vorherrschenden Machtverhältnissen, vgl. dazu 2.3.3.

Die Praxis der Landesbühnen. Beobachtungen, Analysen und Reflexionen | 169

selbst so konstituiert, aber eben auch von anderen so behandelt wird“ (Strübing 2018, S. 35 f.). Einschränkung des Gegenstands durch Fallauswahl

Um sich den Fragestellungen dieser Arbeit anzunähern war es zunächst notwendig, die Landesbühnen als Teilbereich der Theaterlandschaft, als besondere Form eines öffentlichen Theaterunternehmens im Allgemeinen zu betrachten; diese Darstellung und die daraus resultierenden Erkenntnisse führten zu der Entscheidung, den Gegenstand weiter einzuschränken. Die Konzentration auf die Landesbühnen war wiederum auch selbst ein erstes Ergebnis der grundlegenden Beschäftigung mit dem Themenkomplex und den Fragestellungen: Um kulturpolitische Konzepte zur Partizipation in den Darstellenden Künsten zu analysieren, scheinen die Landesbühnen aus den hergeleiteten Gründen und den daraus resultierenden Vorannahmen als Untersuchungsgegenstand geeignet; und unter den Vorannahmen einer theaterpolitischen Gestaltung und Steuerung, im Sinne einer Verantwortungsübertragung an Institutionen, werden auch ausschließlich die Landesbühnen in ihrer definierten Form betrachtet und nicht Theater, welche zwar ähnliche Aufgaben übernehmen, denen aber keine explizite Beauftragung seitens der kulturpolitischen Entscheider auferlegt ist. Wäre beispielsweise die Fragestellung in der Weise entwickelt worden, dass die Darstellenden Künste im ländlichen Raum im Fokus stünden, oder die Reisetätigkeit von Bühnen in privater Trägerschaft und deren Auswirkungen auf Teilhabe-Ermöglichung, wäre der Gegenstand anders eingegrenzt worden.6 Hier wurde das Verfahren der Grounded Theory angewandt, das als „Parallelisierung der Arbeitsschritte und die Sequenzierung des Samplings“ (ebd., S. 37) beschrieben werden kann: „Analytische Ideen bei der Auswertung der Daten sollen nicht nur die Entwicklung der gegenstandsbezogenen Theorie beeinflussen, sie wirken auch, ebenso wie die Theoriegenese selbst, auf den Prozess der Datengewinnung zurück, indem etwa andere Datentypen oder modifizierte Formen der Datengenese eingesetzt werden (zum Beispiel durch Variieren des verwendeten Interviewleitfadens), aber auch indem die Auswahl der Fälle selbst, also das Sampling, durch die entstehende Theorie gesteuert wird“ (ebd.). Die Landesbühnen wurden zunächst überblicksartig hauptsächlich statistisch betrachtet; für die konkrete Analyse wurde frühzeitig beschlossen, den Gegenstand weiter einzuschränken, um durch eine tiefer gehende Untersuchung mehr Einblicke in die jeweiligen Arbeitsweisen zu erhalten und um anhand exemplarischer Beschreibungen des Selbstverständnisses und der jeweiligen Konzepte von Partizipation praxisnah Aspekte aufzuzeigen, welche für die Beschreibung eines zukunftsgerichteten Modells notwendig sind. Es wurden also aus der Summe aller (zu Beginn der Forschung bestehender) Landesbühnen eine Fallauswahl gemäß des theoretischen Samplings der Grounded Theory getroffen. Dieses Sampling entspricht dem iterativen Vorgehen: Die Auswahl der einzelnen Fälle entwickelt sich im Verlauf des Forschungsprozesses und wird anhaltend verfeinert und überprüft, so wird „das Sampling sukzessive im Projekt-

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Dass das Prinzip der Teilhabe als konstituierendes Element konzentriert in den Landesbühnen angelegt ist und dass daher angenommen werden kann, dass sie entsprechend Partizipation als ein Prinzip ihrer Arbeit betrachten sollten, sie somit als ein Konzept von Partizipation anzusehen sind, wurde dargestellt. Dass hier darauf verwiesen wird, unterstützt die zirkuläre Prozesshaftigkeit der Forschung.

170 | Landesbühnen als Reformmodell

verlauf und orientiert an Auswahlkriterien aus der entstehenden Theorie durchgeführt“ (ebd., S. 41). Übertragen heißt dies: Aus der Betrachtung der Gesamtheit der Landesbühnen, die im Folgekapitel dargestellt wird, kristallisierten sich erste Annahmen heraus, für deren Überprüfung die Beschäftigung mit einzelnen Fällen sinnvoll erschien. Ausgehend von den sich entwickelnden Forschungsfragen zeichnete sich ab, dass bestimmte Variablen für eine weitergehende Betrachtung entscheidend sein könnten. Damit der zirkuläre Prozess nicht gen Unendlichkeit weitergeführt wird, besteht für das Verfahren des Samplings die theoretische Sättigung als Abbruchkriterium für die Fallauswahl: Sofern feststeht, dass auch das Einbeziehen eines weiteren Fallbeispiels keine zusätzlichen Erkenntnisse erwarten lässt, welche die bisherigen Ergebnisse bestätigen oder widerlegen würde, kann die Fallauswahl abgeschlossen werden, um eine zielführende Arbeit zu gewährleisten (vgl. dazu Krotz 2005, S. 167–179). Die Feststellung einer Sättigung gilt auch der Beendigung des Prozesses eines ständigen Abgleichs der Forschungsinhalte, -methoden und -ergebnisse.7 Entscheidend ist die Bandbreite der Auswahl der empirisch zu untersuchenden Fälle: „Einmal sollte man [solche] berücksichtigen, die ähnlich gelagert sind wie die bisher verwendeten, um die allgemeineren Aussagen, die man gewonnen hat, zu testen, also um festzustellen, ob sie wirklich haltbar sind. – Zum anderen sollte man aber auch anders gelagerte Fälle berücksichtigen, also systematisch nach Gegenbeispielen suchen. Damit kann man nämlich feststellen, ob die Aussagen auch für diese Fälle gelten [...] Als drittes Auswahlkriterium können von außen herangetragene theoretische Vermutungen dienen“ (Krotz 2005, S. 192). Bei der Fallauswahl sollten demnach Landesbühnen berücksichtigt werden, die sich in gewisser Weise unterscheiden, die also eine große Varianz der Erscheinungsformen repräsentieren; zugleich sollten vergleichbare Theater (bezogen auf Struktur und Rahmenbedingungen) in die Auswahl aufgenommen werden. Gleichermaßen sollten die Landesbühnen als Beispiel dienen, anhand derer die bisherigen Überlegungen zu Theaterpolitik, Theaterlandschaft und Partizipation in ihrer Komplexität überprüft oder zumindest abgeglichen werden können – mit der Möglichkeit sowohl einer Bestätigung als auch einer Widerlegung der bisherigen Annahmen. Ohne der weiteren Analyse vorzugreifen, sei als ein Beispiel für ein Kriterium die Frage angeführt, ob eine Landesbühne rein statistisch das Grundkriterium der Landesbühne, nicht überwiegend am Sitzort zu spielen, erfüllt, oder nicht. Ein anderes wäre die Auswahl unterschiedlich großer Betriebe mit diversen Spielgebieten, um die Stellung der Landesbühne innerhalb der Theaterlandschaft mit möglichen Konkurrenzsituationen oder partnerschaftlichen Beziehungen zu untersuchen.8

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„Zugleich wird der stabile Kern des zentralen Konzeptes zunehmend gefestigt und verdichtet, indem weitere homogene Fälle herangezogen und verglichen werden. Dabei stellt sich die Frage des Abbruchkriteriums: Wie lange soll dieser Vergleichsmodus beibehalten werden? Die Grounded Theory schlägt hier das Kriterium der Theoretischen Sättigung vor: Wenn das fortgesetzte Einbeziehen weiterer homogener Fälle keine zusätzlichen Eigenschaften mehr erbringt, gilt dieser Theoretisierungsschritt als gesättigt und ein gleichartiges Fortfahren würde keinen zusätzlichen Erkenntnisgewinn erbringen“ (Strübing 2018, S. 40). Eine Beschreibung der Fallauswahl erfolgt in Kapitel 3.3; die Begründung dieser Auswahl sukzessive in Kapitel 3.2. Für die Fallauswahl diente eine Art Fragenkatalog, der nicht an die Theater ausgegeben wurde, aber die Arbeit der Autorin strukturierte.

Die Praxis der Landesbühnen. Beobachtungen, Analysen und Reflexionen | 171

3.1.2 Experteninterviews als Methode Grundlage für die Entwicklung der Forschungsfragen und die Auswahl der Fallbeispiele als Annäherung an den Gegenstand war eine Analyse der vorliegenden Dokumente: Die Statistiken des Deutschen Bühnenvereins wurden gesichtet, ebenso die Selbstdarstellungen der Landesbühnen auf der gemeinsamen Webseite, ihre Betrachtung und ihre Einbettung in dem aktuellen kulturpolitischen Diskurs. Diese Untersuchungsschritte mündeten in die vorhergehenden Kapitel und sind Ausgangspunkt für die Beschreibung der Landesbühnen in diesem Kapitel. Für die notwendige Tiefe der Betrachtung war jedoch das vorliegende Material nicht ausreichend: Die verwendeten Quellen liefern keine hinreichenden Informationen für eine Analyse und Bewertung kulturpolitischer Konzeptionen von Partizipation in den Darstellenden Künsten und lassen nur bedingt Rückschlüsse auf die Konstitution der Theaterlandschaft und das dahinter stehende Verständnis von Theaterpolitik zu. Auch die bisherigen Ergebnisse wissenschaftlicher Forschungen über die Landesbühnen sind nicht ausreichend, da die Landesbühnen selten im Fokus solcher Betrachtungen stehen, beziehungsweise nur gewisse strukturelle Aspekte der Institution Landesbühne bislang untersucht wurden (siehe dazu Kapitel 1.2). Weiterführendes Datenmaterial muss also für die hier angestrebte Untersuchung generiert werden. Im Sinne einer qualitativen Sozialforschung wurde für den Schwerpunkt der Analyse eine qualitative Methodik ausgewählt, die im Gegensatz zu quantitativen Verfahren besonders geeignet ist, soziale Zusammenhänge zu beschreiben und zu bewerten – und somit den Ansprüchen der hier beabsichtigen Forschung gerecht wird (vgl. Flick 2011, S. 39–71). „Wesentliche Kennzeichen sind dabei die Gegenstandsangemessenheit von Methoden und Theorien, die Berücksichtigung und Analyse unterschiedlicher Perspektiven sowie der Reflexion des Forschers über die Forschung als Teil der Erkenntnis“ (Flick 2011, S. 26). Als angemessenes Instrument für die Betrachtung der Landesbühnen bietet sich die Form des Experteninterviews als ein Spezialfall des leitfadengestützten Interviews an. Der Befragte steht dabei als „Experte für ein bestimmtes Handlungsfeld“ (ebd., S. 214) im Fokus der Betrachtung und nicht als Privatperson. Versteht man sozialwissenschaftliche Forschung als Untersuchungen, in denen soziale Prozesse und Situation rekonstruiert und erklärt werden sollen, dienen Experteninterviews dazu „dem Forscher das besondere Wissen der in die Situationen und Prozesse involvierten Menschen zugänglich zu machen“ (Gläser u. a. 2010, S. 13). Die Experten sind nicht selbst Gegenstand, aber ihr Wissen dient der Darstellung und der Interpretation des Gegenstands (siehe dazu und weiterführend ebd. Kapitel 1, S. 11–23); insbesondere verfügen die Experten sowohl über internes Betriebswissen als auch Kontextwissen, können somit Informationen bereitstellen und vermitteln über Arbeitsweisen und Strukturen und diese aber zugleich in einen größeren Zusammenhang stellen, abstrahieren und bewerten. Gleichzeitig sind die Experten, sofern sie als aktiv in einem Tätigkeitsfeld agierende Personen ausgewählt wurden, in der Position, den untersuchten Gegenstand mit zu gestalten und zu beeinflussen (vgl. Flick 2011, S. 214 f.) und bringen somit die Perspektive der Beziehungen innerhalb des Akteursnetzwerk ebenfalls ein.9

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Weiterführend zur Methodendiskussion siehe Meuser u. a. 1991.

172 | Landesbühnen als Reformmodell

Expertenwissen und -auswahl

Die Auswahl der Gesprächspartner erfolgte ebenfalls nach dem Vorgehen des theoretischen Samplings und hängt mit der Auswahl der als exemplarische Fälle ausgewählten Landesbühnen zusammen. Sowohl die Personengruppe der zu interviewenden Experten als auch die einzelnen Personen wurden anhand der ersten Erkenntnisse der Untersuchung und in Bezug auf die Forschungsfragen ausgewählt: So kann die Frage nach Teilhabe und Teilnahme, deren Bedeutung und Rolle in der Arbeit der Landesbühnen, genauso wie die nach dem Selbstverständnis und der Stellung innerhalb der Theaterlandschaft und die nach dem theaterpolitischen Verständnis nur durch die Landesbühnen selbst beantwortet werden. Um die notwendige Kombination aus Prozess-, Betriebs- und Kontextwissen zu erhalten, wurde entschieden, Intendanten der Landesbühnen als Gesprächspartner auszuwählen. Diese können detailliertes Expertenwissen über die Institution, ihr Arbeitsumfeld, die Arbeitsbedingungen, Chancen und Möglichkeiten für die Analyse beitragen und die komplexe Situation der Theaterlandschaft, respektive des Gastspielmarktes einschätzen und beschreiben. Da die Konzepte von Partizipation im Mittelpunkt der Untersuchung stehen, wurde auch überlegt, Theaterpädagogen als Interviewpartner hinzuzuziehen; diese Idee wurde jedoch verworfen, da es nicht nur um die konkrete partizipatorische Arbeit der Landesbühnen geht, sondern um die konzeptionelle Ebene, sowie die Bewertung des Konzeptes in Zusammenhang mit der Beauftragung und der Struktur. Auch bei der Festlegung der Gesprächspartner wurden bestimmte Kriterien entsprechend der Fallbeispielauswahl angelegt. Die dafür verwendeten Auswahlparameter wurden durch die Variable „Intendanten-Persönlichkeit“ erweitert, es ergaben sich dadurch für das Sampling-Verfahren mehrere iterative Auswahldurchgänge. Da sich die Einstellung der leitenden Mitarbeiter immer auch in der Arbeit spiegelt und Entscheidungen dadurch beeinflusst werden, ist es für diese Untersuchung wichtig, unterschiedliche Intendanten mit differenten Erfahrungen und Hintergründen auszuwählen. Um möglichst umfangreiches Kontextwissen zu erhalten, wurde darauf geachtet, dass die ausgewählten Gesprächspartner Erfahrungen in unterschiedlichen Theaterbetrieben, respektive Organisationsformen vorweisen konnten, um eine Einordnung der Landesbühne in die Theaterlandschaft qualifiziert vornehmen zu können und die Stärken und Schwächen dieser Theaterform auch im Vergleich zu anderen Theatern bestimmen zu können. Hierfür wurden die öffentlich aufzufindenden Lebensläufe der Intendanten verwendet und es wurden aktuelle Presseartikel über die Landesbühnen hinsichtlich besonderer oder prägnanter Äußerungen der jeweiligen Theaterleitungen untersucht. Darüber hinaus spielte natürlich auch die persönliche Einschätzung der Interviewerin eine Rolle: Ausschlaggebend war auch immer die Überlegung, ob der jeweilige Intendant als Gesprächspartner geeignet schien, in dem Sinne, ob er bereit und fähig dazu sei, konkrete Fragen im Rahmen einer wissenschaftlichen Forschungsarbeit zu beantworten, seine Arbeit kritisch zu betrachten und Überlegungen zu seiner Theaterarbeit auch abstrahieren zu können.10 Da die Bestimmung der Gesprächspartner und der Fallbeispiele einander bedingen, erfolgt die Darstellung und Begründung auch zusammenhängend in Kapitel 3.2 und 3.3.

10 Diese Tatsache der Kooperationsbereitschaft wird als nicht zu unterschätzendes Kriterium in der entsprechenden Fachliteratur betont, siehe exemplarisch Gläser u. a. 2010, S. 172–191.

Die Praxis der Landesbühnen. Beobachtungen, Analysen und Reflexionen | 173

Leitfaden-Erstellung und Interview-Durchführung

Als angemessenes Instrument für die Durchführung der Datenerhebung, wurde das leitfadengestützte halbstandardisierte Experteninterview angesehen und es wurden daher entsprechend solche Interviews konzipiert und durchgeführt. Maßgeblich ist dabei die Verwendung eines Interviewleitfadens, der sicherstellt, dass alle wichtigen Themenkomplexe tatsächlich angesprochen werden. Nach Gläser und Laudel versteht sich der Leitfaden als eine Art beispielhaftes Interview. Wichtig bei dieser Methode, die sich dadurch von standardisierten Fragebogen-Erhebungen abgrenzt, ist der flexible Umgang mit dem Leitfaden und den Fragestellungen. Er enthält alle wichtigen Fragenbereiche und einige Hauptfragen, diese werden jedoch situationsbezogen flexibel gehandhabt. Es müssen nicht alle Fragen im Gespräch tatsächlich formuliert und angesprochen werden, der Leitfaden dient als Orientierung, um während des Gespräches keine für die Untersuchung wichtigen Aspekte unbesprochen zu lassen. Entscheidend ist ein natürlicher Gesprächsverlauf, der eine Offenheit und – möglichst – eine Ehrlichkeit befördert (vgl. dazu Gläser u. a. 2010, S. 142–153 und Meuser u. a. 1991). Diese Methodik eröffnet die Möglichkeit, das Interview relativ frei an den Gesprächsverlauf und die -situation anzupassen: Die Fragen müssen weder in jedem Interview gleichlautend noch in der gleichen Reihenfolge gestellt werden, es gibt die Möglichkeit, spontane Nachfragen zu stellen oder den Gesprächsablauf entsprechend der Entwicklung der Antworten zu variieren. Da es bei dieser Methode nicht darum geht, möglichst klar aufeinander zu beziehende Aussagen (im Sinne einer eindeutigen Vergleichbarkeit) festzustellen, sondern einen Einblick in die Situation der Landesbühnen und die Prozesse ihrer Arbeit zu erhalten, ist dieses Vorgehen sinnvoll (vgl. dazu Flick 2011, S. 194–227). Zudem stützt diese Erhebungsmethodik das induktivdeduktive Vorgehen der Grounded Theory zur Datengenerierung (vgl. Krotz 2005). Der Leitfaden wurde dementsprechend in einem mehrstufigen Verfahren erstellt und auch während des Untersuchungszeitraums fallbezogen angepasst, das heißt, dass in jedem Gespräch innerhalb der vorbereiteten Fragenkomplexe Schwerpunktsetzungen erfolgten. So wurde meist nach bestimmten Aspekten gefragt, welche als Auswahlkriterien für eben das bestimmte Fallbeispiel gedient hatten und es wurde immer nur eine Auswahl der vorformulierten Fragen tatsächlich gestellt. Entsprechend der Gliederung dieser Arbeit und dem logischen Aufbau der Analyse folgend, gliedert sich der Leitfaden in diese vier Bereiche: 1. Landesbühne als konkretes Theatermodell – Idee, Auftrag, Arbeitsweisen 2. Positionierung in der Theaterlandschaft – was macht die Landesbühnen als Theatermodell besonders? 3. Partizipation – Bedeutung, Verankerung, Möglichkeiten 4. Zukunftsmodell Landesbühne als Modell für eine Reform – was wäre möglich und wie? Die konkreten Fragen entstanden aus der bis dato durchgeführten Recherche und der Beschäftigung mit den vorhandenen Quellen, wie Fachliteratur und grauer Literatur. Um einen Redefluss in Gang zu setzen, ist es innerhalb dieser Methode möglich und vorgesehen, dem Gesprächspartner zum Einstieg in das Interview – oder nach Bedarf auch bei einem Wechsel in einen anderen Fragenbereich – ein Zitat oder eine Aussage zur Erwiderung vorzulesen. Mit einem solchen Stimulus erhält der Interviewpartner

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die Gelegenheit, auf etwas zu reagieren, was die Beantwortung der ersten Fragen und den Gesprächseinstieg erleichtert. Für alle vier Fragenbereiche wurden solche kurzen Textabschnitte vorbereitet, jedoch nur nach Bedarf verwendet,11 lediglich der Beginn der Interviews gestaltete sich immer gleich. Eine Herausforderung, die in der entsprechenden Literatur angesprochen wird, kann die Kontaktaufnahme mit potenziellen Interviewpartnern sowie die eigentliche Durchführung der Interviews sein, innerhalb derer es zu Ablehnungsverhalten seitens des Interviewten kommen kann. Daher sind die Vorbereitung und die Vorgehensweise sowohl vor als auch während des Gesprächs entscheidend (vgl. dazu Gläser u. a. 2010, S. 153–187). Die Autorin fragte, nachdem die Auswahl der Interviewpartner in der ersten Version feststand, telefonisch bei den Theatern in den Leitungsbüros an und bat um Kontaktaufnahme zu den jeweiligen Intendanten, um sich an diese dann schriftlich zu wenden. In diesem Anschreiben wurde kurz das Forschungsvorhaben skizziert und ein Experteninterview angefragt, dessen Ablauf und Konzeption ebenfalls dargestellt wurde. Der Leitfaden wurde vorher nicht zur Verfügung gestellt, um die Offenheit des Gesprächs nicht zu beeinflussen. Einige der Intendanten erbaten sich weitere Informationen, es wurden jedoch nur die Fragenbereiche bekannt gegeben, um die Gliederung des Interviews deutlich zu machen; mit manchen wurden vorab kurze Telefongespräche geführt, in denen das Forschungsvorhaben und die Methodik ein weiteres Mal beschrieben wurden. Alle gewünschten und angefragten Experten sagten zu und waren für ein Interview bereit. Unmittelbar vor den Interviews gab es immer ein kurzes einführendes Gespräch, in dem der Ablauf des Gesprächs erneut skizziert wurde und sich die Forscherin (erneut) kurz vorstellte. Damit sollte zum einen eine angenehme Atmosphäre geschaffen werden (vgl. ebd.), zum anderen wurde dadurch das Vorwissen der Interviewerin dargelegt. Dieses Vorgespräch führte meist zu einer angenehmen, als offen und ehrlich wahrgenommenen Gesprächsstimmung; situationsbezogen auch zu einer anderen Art der Verständigung, da das Gespräch relativ gesehen auf einer Ebene geführt werden konnte, was ebenfalls der Methode zuträglich ist: Die Experten haben natürlich ein Fachwissen, das der Forscherin fehlt und das sie erfragen möchte, jedoch konnte der Lebenslauf und die Berufstätigkeit der Forscherin bezeugen, dass ihrerseits gewisse Fachkenntnis vorhanden ist, sodass ein Fachgespräch möglich wurde und es eben nicht nur einfach eine Befragung war. Teilweise wurden die Interviews mit kurzen Rundgängen durch das Theatergebäude oder einem Besuch einer Vorstellung verbunden, diese waren zwar nicht Bestandteil der Analyse, unterstützten jedoch die positive Stimmung der Gespräche. Die Interviews fanden alle im ersten Halbjahr 2016 statt und hatten jeweils eine anvisierte Länge von ungefähr 60 Minuten. Die Interviewpartner erklärten sich mit der Aufzeichnung der Gespräche, der Verwendung dieser als Quelle und einer Zitation einverstanden.12

11 Welcher Text wie und wann in welchem Gespräch verwendet wurde, wird zum Teil in der Auswertung thematisiert. 12 Auf eine Veröffentlichung der gesamten Transkripte wird verzichtet; die einzelnen transkribierten Texte werden jedoch als unveröffentlichte Quellen aufgeführt und die zitierten Passagen sind entsprechend gekennzeichnet.

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Alle Gespräche verliefen konstruktiv und lieferten wertvolles Datenmaterial. Zu Beginn des Forschungsprozess wurde überlegt, weiterführend Experten anderer Institutionen zu befragen, beispielsweise Vertreter aus der Kulturpolitik der Kommunen oder Länder oder Theatermacher aus anderen Bereichen; da dies jedoch der Analyse keine weiteren ergänzenden Informationen für die Forschungsfragen eingebracht hätte, wurde entsprechend des Vorgehens der Grounded Theory im Sinne einer theoretischen Sättigung davon Abstand genommen. Ergänzend zu den Experteninterviews wurde ein Hintergrundgespräch mit einem weiteren Intendanten geführt; dieses wurde aufgezeichnet, jedoch nicht transkribiert. Da das Theater nicht ursprünglich als Fallbeispiel ausgewählt war, und die Forschung zur Zeit dieses Gesprächs schon in einem fortgeschrittenen Stadium war, wurde es nicht in die Auswahl der untersuchten Landesbühnen aufgenommen. Darüber hinaus kann ein weiteres Gespräch als zusätzlich bereichernd benannt werden: Im Rahmen der Forschung zur Publikation „Theater in der Provinz“ (Schneider u. a. 2019) fand ein Interview mit der Leitung des „Theaters Lindenhof“ (nach eigener Angabe ein privates Regionaltheater) statt. Die Inhalte dieser Gespräche dienten als Ergänzung der „Expertenblicke auf die Landesbühnenlandschaft“ und werden dort entsprechend genauer thematisiert (siehe Kapitel 3.3.8). 3.1.3 Erkenntnisgewinn durch Auswertung und Reflexion Nach jedem Interview verfasste die Interviewerin ein kurzes Memo zur ersten Reflexion des Gesprächsverlaufs. Dies diente auch dazu, kleinere Korrekturen und Anpassungen im Leitfaden vorzunehmen. Entsprechend der Methodik wurden Erkenntnisse der ersten Interviews in den darauffolgenden teils angesprochen oder implizit verwendet, so dass auch hier keine Parallelität, sondern ein sich entwickelnder Prozess der Forschung stattfand. Die Gesprächsaufzeichnungen wurden von der Autorin mehrfach angehört und transkribiert.13 Die in der Grounded Theory als maßgeblich für die Forschung zu verstehende Auswertung und Interpretation der Daten, also der Transkripte, erfolgte anhand der dafür vorgesehenen Schritte des Codierens und Kategorisierens (siehe Strübing 2018), dieser ebenfalls sich mehrfach wiederholende Prozess wurde mit Hilfe des Computerprogramms F4-Analyse durchgeführt. Auch dieses Vorgehen ist mehrstufig: Als erstes werden die Texte codiert, dabei ergeben sich diese Codes aus dem Textmaterial selbst, denn „diese Codes und Konzepte bringen wir nicht in dem Sinn mit, wie es die so genannte quantitative Inhaltsanalyse tut, die vorab Kategorien definiert, nach denen sie dann im Text sucht. Stattdessen versucht man beim offenen Codieren im Rahmen der Grounded Theory, Konzepte aus dem Interviewtext heraus zu entwickeln, wobei man die Kontexte berücksichtigt, in die ein Befragter seine Äußerungen stellt“ (Krotz 2005, S. 172, Hervorhebungen im Original) – dabei spielt natürlich das Vor- und Kontextwissen der Forscherin eine Rolle, denn die Texte werden nicht völlig offen, sondern in Be-

13 Weil für diese Untersuchung der Inhalt der Aussagen und nicht die Art und Weise, wie sie ausgesprochen wurden, entscheidend ist, wurde keine vollständige phonetische Transkription durchgeführt; gleichwohl wurde der jeweilige Sprachduktus beibehalten, da er die einzelnen Aussagen in ihren Besonderheiten unterstützt und zugleich einen angenehmen Lesefluss der jeweiligen zitierten Passagen befördert.

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zug darauf und hinsichtlich der Forschungsfragen codiert. „Das Codieren ist also eine Art Verdichten und Strukturieren dessen, was der Experte sagt, wobei man dafür eben Konzepte und Codes benutzt“ (ebd.), diese wiederum dienen der Beschreibung des jeweiligen Phänomens, um in weiteren Schritten sich dessen Erklärung zu nähern: „Ziel ist dabei, jene Eigenschaften herauszuarbeiten, die für das sich abzeichnende Konzept ‚wesentlich‘ sind, die also für Existenz und Funktionieren der damit in der jeweils rekonstruierten Perspektive bezeichneten Phänomene konstitutiv sind – und das Konzept damit von anderen zu unterscheiden erlauben“ (Strübing 2018, S. 44). Im weiteren Zyklus der Auswertung werden diese Codes in höhere verallgemeinerte Sinnzusammenhänge gestellt. Diese werden als Kategorien benannt und deren Abhängigkeiten zueinander werden dargestellt: „Kategorien sind bereits strukturelle Elemente der zu entwickelnden Theorie, wenn sie sich an den Daten bewähren, denn sie dienen dazu, die Vielzahl von Codes, die man bis dahin gefunden hat, zu strukturieren und systematisch zu ordnen“ (Krotz 2005, S. 175). Der ständige wiederkehrende Abgleich der sich entwickelnden Kategorien mit den Texten selbst führt zu einer Überprüfung und eventueller Anpassung dieser. Parallel zu dieser Auswertung entstehen Memos und Kurzprotokolle, welche die ersten Ergebnisse, Kategorien und Zusammenhänge dokumentieren und ebenfalls wieder in die weitere Arbeit an und mit den Texten einfließen. Nach und nach kann so ein erklärendes Modell entstehen: „Es geht um das Kodieren ‚um die Achse‘ einer zentralen Kategorie herum. Erst so kann aus der Entwicklung theoretischer Konzepte schließlich eine Theorie erwachsen, denn eine reine Taxonomie von Sub-Konzepten, Konzepten und Kategorien ist noch nicht erklärend. Axiales Kodieren zielt also auf erklärende Bedeutungsnetzwerke, die die jeweils fokussierte Kategorie möglichst umfassend erklären. Dabei werden nicht alle im Material identifizierten Phänomene systematisch vergleichend untersucht, sondern nur diejenigen, von denen – nach dem vorläufigen Stand der Analyse – angenommen werden kann, dass sie für die Klärung der Forschungsfrage relevant sind. Damit wird implizit bereits eine Reihe zunächst vager Hypothesen entwickelt, die im weiteren Gang der Analyse überprüft werden“ (Strübing 2018, S. 45). Ein praktisches Beispiel aus dieser Analyse: Zunächst wurden alle Textpassagen markiert, die Partnerschaften oder Konkurrenzsituationen thematisieren. Diese Codierungen wurden im Verlauf der Auswertung unterschiedlichen Kategorien zugeordnet wie beispielsweise „Beziehung zu den Gastspielhäusern“, „Konkurrenz auf dem Gastspielmarkt“; diese wiederum wurden in Beziehung gesetzt zu den thematischen Feldern „Selbstverständnis der Landesbühnen“ und „Positionierung innerhalb der Theaterlandschaft“. Der transkribierte Text und die Codierung von Textstellen führt natürlich alleine nicht zu einem Ergebnis, es „bedarf vielmehr a) einer guten Idee, das heißt der Zusammenhang muss von uns aktiv entdeckt werden, und b) einer Entscheidung: Wir müssen unter verschiedenen, sich anbietenden zentralen Konzepten dasjenige auswählen, mit dem wir unser Forschungsproblem am besten gelöst sehen“ (Strübing 2018, S. 46).14 Aufgrund der Komplexität des Gegenstands und der diversen Abhän-

14 „Mit dieser Entscheidung beginnt das sogenannte selektive Kodieren, das man auch als ein Re-Kodieren verstehen kann. Nun wird die gesamte bisher erarbeitete Landschaft von Konzepten und Beziehungen zwischen Konzepten noch einmal mit Blick auf die nun fokussierte Schlüssel- oder Kernkategorie überdacht [...] Die damit implizierte Überarbeitung der bis-

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gigkeiten wurde entsprechend versucht, die Erstellung der Kategorien zielführend für die Untersuchung zu gestalten und diese zugleich in der Gliederung dieser Arbeit abzubilden. So werden beispielsweise Aussagen der Intendanten zu der Bürgerbühne als ein Format von Partizipation je nach Kontext zur Bestimmung des Verständnisses von Teilhabe und Teilnahme verwendet; sie lassen teilweise aber auch Rückschlüsse auf den Vergleich mit stehenden Theatern zu. Im Verlauf der Untersuchung kristallisierte sich heraus, dass das Verständnis von Theaterkunst als wichtiger erachtet werden muss als zunächst vermutet; so entstand während der Auswertung die Codierung „Kunstform Theater“, die eingeordnet wurde in die Kategorie „Selbstverständnis und Definition“; ebenso wurde sehr oft über den Ruf und die Qualität der Theaterarbeit gesprochen, sodass durch eine Codierung dieser Textstellen die Kategorie des Vergleichs zu anderen Theatern und die Kategorie „Publikum“ erweitert wurden. Teilweise kam es also zu einer Mehrfachcodierung, wenn eben bestimmte Aussagen sich auf verschiedene Komplexe beziehen lassen. Die nach mehreren Auswertungszyklen sich ergebende Kategorisierung zeigt sich wie folgt: 1. Landesbühne als konkretes Theatermodell • Arbeitsbedingungen – Heterogenität und Extreme (Infrastruktur, Professionalisierungsgrade) – Räume – zeitliche Dimensionen – Nachhaltigkeit, Langfristigkeit der Planung – Marktmechanismen und Titelzwang – Marketing (Kritiken, Mundpropaganda, Werbung) – Finanzen / finanzielle Situation / Drittmittel – Partnerschaften – informelle, vertragliche – Theateraffinität vs. Unkenntnis (Veranstalter + Politik) – Zwischenmenschliches • Auftrag und Definition – Erweiterung des Auftrags – Sonderprojekte (Bedingungen, Probleme) • Selbstverständnis und Definition – Beschreibung – Reisetheater, wurzelnd, Stadttheater etc. – Tradition – Kunstform Theater – gesellschaftliche Relevanz – Verankerung im Stadt- /Alltagsleben – Zwischenmenschliches

herigen Kodierungen stellt allerdings nicht eine Korrektur im Sinne der Verbesserung fehlerhafter Kodierungen dar, sondern eine Neujustierung der analytischen Perspektive: Was bislang in Bezug auf eine Reihe unterschiedlicher, im Projektverlauf immer wieder modifizierter tentativer Sichtweisen kodiert wurde, soll im selektiven Kodieren nun insgesamt auf eine einheitliche Analyseperspektive hin überarbeitet werden. Das Ergebnis ist weder in einem höheren Maße richtig, noch kommt ihm eine erhöhte Gültigkeit zu. Am Ende des selektiven Kodierens sollte aber die Analyse im Hinblick auf die Forschungsfrage ein höheres Maß an Konsistenz aufweisen“ (Strübing 2018, S. 47). Eine genauere Differenzierung ist nicht notwendig für die Nachvollziehbarkeit des Forschungsprozesses. Für eine ausführliche Beschreibung der einzelnen Kodierungsschritte siehe ebd., S. 42–48 und Krotz 2005.

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2. Positionierung in der Theaterlandschaft • Konkurrenz – Netzwerk Landesbühnen – Marktmechanismen und Titelzwang – Ruf / Qualität • Vergleich zu Stadttheatern / Freien Theatern / Privaten Tourneetheatern – zeitliche Dimensionen – singuläre Anwesenheit, Langfristigkeit der Planung – Marketing (Kritiken, Mundpropaganda, Werbung) – Zwischenmenschliches • Partnerschaften – informelle, vertragliche – Netzwerk Landesbühne – andere professionelle Kulturanbieter – Amateurtheater – Vereine / Kirchen 3. Partizipation und Publikum • Verständnis – gesellschaftliche Relevanz – Verankerung im Stadt- /Alltagsleben • Bedeutung • aktive Maßnahmen – allgemeine Theaterpädagogik, nicht spielplanbegleitend – Theaterpädagogik, spielplanbegleitend • Publikum – Heterogenität und Extreme (Publikum) – Theateraffinität vs. Unkenntnis (Publikum) – zeitliche Dimensionen – Nachhaltigkeit, singuläre Anwesenheit – Marketing (Kritiken, Mundpropaganda, Werbung) – Stadt-Land-Gefälle – Ruf / Qualität – Gesellschaft – demografischer Wandel, Migrationshintergründe • Split-Audience – Marktmechanismen und Titelzwang – Marketing (Kritiken, Mundpropaganda, Werbung) 4. Zukunftsmodell Landesbühne als Modell für eine Reform • Möglichkeiten / Chancen – Gesellschaft – demografischer Wandel, Migrationshintergründe • Gefahren • Herausforderungen – Gesellschaft – demografischer Wandel, Migrationshintergründe • Wünsche • Erweiterung des Auftrags – Sonderprojekte (Bedingungen, Probleme) 5. Sonstige bemerkenswerte Aussagen • Spielplangestaltung und Stückauswahl • Kinder- und Jugendtheater

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Den einzelnen Unterkategorien und Codes wurden entsprechende Textpassagen zugeordnet, diese werden in der Auswertung als direkte und indirekte Zitate als Belege verwendet. Eine Zuordnung von Textstellen ist auf allen Ebenen möglich, also je nach Aussageninhalt und -bewertung beispielsweise die Einordnung in „Arbeitsbedingungen“, bei allgemeineren Formulierungen, oder unter „Marketing“ wenn konkrete Maßnahmen dieses Bereichs genannt werden. Dementsprechend entwickelten sich je nach der Qualität der Aussagen bezogen auf das Abstraktions- oder Spezifizierungslevel unterschiedlich viele Unterkategorien – oder eben gar keine, so wurde die Kategorie, in der die Bedeutungszuschreibungen des Begriffs Partizipation gekennzeichnet wurden, nicht weiter verfeinert, da eine weiterführende Ausdifferenzierung auf Grundlage der Daten keinen Mehrwert ergab. Das Beziehen der Kategorien zueinander und die Interpretation dieser, sowie das Aufzeigen von Kausalitäten und Korrelationen ergibt sich aus den vier benannten Themenfeldern, respektive bestätigten diese und somit bestimmen diese auch die Gliederung des Kapitels 4; lediglich die zusätzlich sich ergebende fünfte Kategorie wurde im Sinne eines Querverweises für alle Themenbereiche verwendet. Innerhalb dieser zusätzlichen Kategorie kristallisierte sich heraus, beziehungsweise bestätigte sich, dass das Kinder- und Jugendtheater eine besondere Rolle innerhalb des Theaterverständnisses und der Konzepte für Partizipation einnimmt. Diese Feststellung wurde demnach in der Auswertung berücksichtigt und hat entsprechend auch in besondere Weise Einzug in die Herleitungen des Kapitels 2 sowie in die Fallauswahl erhalten. Vorstellung und Diskussion der Zwischenergebnisse

Die Grounded Theory ermutigt zu einem ständigen Austausch mit anderen Forschern und einem andauernden Überprüfen der Erkenntnisse aus dem Forschungsprozess, denn eine Reflexion der eigenen Forschung kann zu einer weiteren Entwicklung beitragen. Die Autorin präsentierte ihr Forschungsprojekt und Zwischenergebnisse sowohl im universitätsinternen Austausch zwischen den Doktoranden des Instituts für Kulturpolitik der Universität Hildesheim als auch auf unterschiedlichen Tagungen im internationalen und nationalen Kontext. Die Diskussionen, die sich den Präsentationen anschlossen, gaben Impulse für die eigene wissenschaftliche Arbeit und halfen bei der fokussierten Auswertung, da deutlich wurde, welche Schwerpunkte und Besonderheiten hervorzuheben sind.15 Der akademische Austausch fand während des gesamten Zeitraums der Forschung und Erstellung dieser Arbeit statt. Neben den bereits benannten Vorträgen im Rahmen von Konferenzen16 , wurde die Autorin von zwei Tagungen eingeladen, diese wissenschaftlich zu begleiten und an den Abschlussdiskussionen teilzunehmen. Diese teil-

15 Exemplarisch sei hier auf die ICCPR 2016 verwiesen: einem Vortrag der Autorin schloss sich eine Diskussion an, während derer die Feststellung, dass Kulturpolitik sich auch als Gesellschaftspolitik zu verstehen und zu positionieren habe, von den internationalen Konferenzteilnehmern als Alleinstellungsmerkmal für die deutsche Theaterlandschaft wahrgenommen wurde. 16 Welche Kapitel dieser Arbeit in diesem reflexiven Sinne des Forschungsdesigns für Artikel und Vorträge als Grundlage dienten (oder umgekehrt) ist an den entsprechenden Stellen nachvollziehbar kenntlich gemacht.

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nehmenden Beobachtungen an Diskussionsrunden zur Theaterlandschaft wurden protokolliert und flossen teilweise ebenfalls in die Analyse ein.17 Im April 2018 fand im Landestheater Schwaben in Memmingen eine Tagung mit dem Titel „Künstlerische Vielfalt und kulturelle Teilhabe als Programm? Perspektiven für Theater in der Provinz“ statt, an deren Gestaltung und Organisation die Autorin als Tagungsleitung (mit Wolfgang Schneider und Silvia Stolz) beteiligt war (siehe dazu Schneider u. a. 2018). Die Diskussionsrunden der Tagung wurden aufgezeichnet; die Notizen, die während der Tagung und durch die Auswertung des Audiomitschnitts entstanden sind, dienten als ergänzende Quelle. In die Konzeption der Tagung flossen die bis dato erarbeiteten Ergebnisse und Forschungsfragen ein, so gestalteten sich die Diskussionspodien und Gesprächsrunden anhand der Themenbereiche und Kategorien der hier durchgeführten Analyse. Ebenfalls wurden die Podiumsteilnehmer so ausgewählt, dass möglichst neue und ergänzende Perspektiven einbezogen wurden, die nicht bereits durch die Experteninterviews abgedeckt wurden. Die Tagungsdiskussionen führten zu einer teilweisen Bestätigung der bisher vermuteten Annahmen und zu neuen Erkenntnisgewinnen, die bei der hier durchgeführten Untersuchung berücksichtigt wurden.

3.2 L ANDESBÜHNEN

IM

D EUTSCHEN B ÜHNENVEREIN

Der Untersuchungsgegenstand wurde, wie gezeigt, in mehrfachen Schritten eingegrenzt. Ausgehend von dem Forschungsinteresse, kulturpolitische Konzepte zur Partizipation im Feld der Darstellenden Künste zu untersuchen (vgl. Kapitel 2.3), wurden die Landesbühnen in ihrer speziellen Beauftragung als Gegenstandsbereich ausgewählt. Entsprechend dem Forschungsdesign, das eine konzentrierte Auswahl zu untersuchender Einzelfälle vorsieht, wurde eine umfassende Analyse aller Landesbühnen als nicht notwendig erachtet. Trotzdem muss ein Überblick über die Landesbühnen in ihrer Gesamtheit erfolgen, bevor die Fallauswahl im Sinne eines theoretischen Samplings durchgeführt werden kann: Erst durch eine allgemeine Betrachtung und Beschreibung der Landesbühnen können Kriterien aufgestellt werden, anhand welcher sinnvolle Beispiele ausgewählt werden können und deren Intendanten als Interviewpartner entsprechendes Expertenwissen für die Analyse liefern können. In diesem Sinne ergänzen hier quantitative Erhebungen den qualitativen Forschungsansatz und stützen diesen. Dementsprechend wird in diesem Kapitel nun eine Übersicht über die Landesbühnen im Deutschen Bühnenverein gegeben – jedoch nur in der Tiefe, die argumentativ notwendig ist, um entsprechend die Auswahl der einzelnen Bühnen zu begründen, die dann weitergehend im Fokus stehen. Es wird dabei aufgebaut auf die in Kapitel 2.3 beschriebene Definition und die Herleitungen zum Verständnis von Landesbühne als besonderes Konstrukt mit öffentlichem Auftrag. 3.2.1 Die Landschaft der Landesbühnen Die vorliegende Arbeit konzentriert sich, der bisherigen Argumentation entsprechend, auf die Landesbühnen, die sich im Deutschen Bühnenverein als Landesbühnengruppe

17 Siehe hierzu Schröck 2017a und Schröck 2018b.

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zusammengeschlossen haben, da diese die formellen Voraussetzungen für die Bezeichnung „Landesbühne“ erfüllen sollten. Eine aktuelle Übersicht all dieser Landesbühnen wird als Liste auf dem gemeinsamen Internetauftritt der Landesbühnengruppe gepflegt (Landesbühnengruppe im Deutschen Bühnenverein 2019a). Diese Auflistung wurde während des Untersuchungszeitraums mehrfach angepasst, da es zu einigen Änderungen innerhalb der Landesbühnenlandschaft kam, die unten stehend kommentiert werden. Ausgangspunkt der Analyse war die folgende Übersicht, die in der Broschüre „Die Landesbühnen im Deutschen Bühnenverein“ 2012 veröffentlicht wurde (Deutscher Bühnenverein / Landesbühnengruppe 2012, S. 19), und die auch zu Beginn des Forschungsprozesses im Jahr 2014 online aufzufinden war. Demnach gab es zu diesem Zeitpunkt 23 Theaterunternehmen, die als Landesbühnen gelten. Es handelt sich dabei um folgende 22 Theater und ein Orchester in zehn Bundesländern (übernommen aus ebd.): • Baden-Württemberg – Die Badische Landesbühne, Bruchsal – Württembergische Landesbühne Esslingen – Landestheater Württemberg-Hohenzollern Tübingen Reutlingen • Bayern – Landestheater Dinkelsbühl Franken-Schwaben – Theater Hof – Landestheater Schwaben, Memmingen • Hessen – Hessisches Landestheater Marburg • Mecklenburg-Vorpommern – Theater und Orchester GmbH Neubrandenburg/Neustrelitz – Mecklenburgisches Landestheater Parchim • Niedersachsen – Theater für Niedersachsen, Hildesheim – Landesbühne Niedersachsen Nord, Wilhelmshaven • Nordrhein-Westfalen – Grenzlandtheater Aachen – Westfälisches Landestheater, Castrop-Rauxel – Landestheater Detmold – Landestheater Burghofbühne, Dinslaken – Das Rheinische Landestheater Neuss • Rheinland-Pfalz – Landesbühne Rheinland-Pfalz, Neuwied • Sachsen – Landesbühnen Sachsen, Radebeul – Elbland Philharmonie Sachsen, Riesa18 • Sachsen-Anhalt – Landesbühne Sachsen-Anhalt – Lutherstadt Eisleben – Nordharzer Städtebundtheater, Halberstadt/Quedlinburg – Theater der Altmark, Stendal • Schleswig-Holstein – Schleswig-Holsteinisches Landestheater und Sinfonieorchester, Schleswig

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Mitte September 2017 wurde in öffentlichen Medien bekannt gegeben, dass Brandenburg zwei Landesbühnen erhalten soll (siehe exemplarisch dpa 2017). Seit Herbst 2018 sind diese auch auf der Webseite der Landesbühnen verzeichnet. Dabei handelt es sich nicht um Theaterneugründungen, sondern um eine Erweiterung des Auftrages bestehender Bühnen und somit eine neue Verantwortungszuschreibung als Landesbühne. Damit verbunden ist auch eine Namensänderung: es sind die Uckermärkischen Bühnen Schwedt, sie tragen seitdem zusätzlich den Titel Landesbühne Nord und die Neue Bühne Senftenberg, die den Namenszusatz Landesbühne Süd erhielt (siehe ebd.).19 Zudem gab das Landestheater Oberpfalz, das „jüngste deutsche Landestheater“ (Landestheater Oberpfalz 2018a), gegründet 2010, im Herbst 2017 bekannt, dass es in den deutschen Bühnenverein aufgenommen wurde (vgl. Landestheater Oberpfalz 2017). Es wurde jedoch bislang noch nicht unter dem gemeinsamen Auftritt der Landesbühnengruppe präsentiert. Diese drei relativ neuen Landesbühnen konnten aufgrund des begrenzten Untersuchungszeitraums in dieser Analyse nicht berücksichtigt werden.20 Diesen Erweiterungen der Landesbühnenlandschaft entgegengesetzt, stehen verschiedene Theater, die während des zeitlichen Verlaufs dieser Untersuchung durch Umstrukturierungen und Veränderungen ihren offiziellen Landesbühnen-Status verloren haben oder dessen Erfüllung stark angezweifelt wurde und die somit zeitweise oder auch endgültig aus der offiziellen Auflistung der Landesbühnen auf dem gemeinsamen Webauftritt herausgenommen wurden. Die Landesbühne Sachsen-Anhalt, Eisleben, wurde während der vergangenen Jahre mehrfach umstrukturiert: Der Theaterbetrieb konnte unter dem Namen „Theater Eisleben“ weitergeführt werden, getragen wird dieses vom Kulturwerk Mansfeld Südharz, das aufgrund neuer Aufgabenschwerpunkte zwischenzeitlich nicht mehr als Landesbühne bezeichnet werden konnte, jedoch mittlerweile wieder einen Schwerpunkt auf die Region legt (Lutherstadt Eisleben 2019). Bei den Landesbühnen in Mecklenburg-Vorpommern zeichnet sich die Situation ebenfalls kompliziert: Während der Untersuchung wurde der Status der beiden Landesbühnen in diesem Bundesland durch aktuelle Konzeptionen zur Neugestaltung in Frage gestellt. Die Theater und Orchester GmbH Neubrandenburg/Neustrelitz sollte mit dem Theater Vorpommern in Greifswald und Stralsund in einem geplanten Staatstheater Nordost zusammengeführt werden, dieses Vorhaben wurde jedoch aufgegeben (o.A. 2018b). Das Landestheater Parchim wurde mit dem Mecklenburgischen Staatstheater Schwerin zum Mecklenburgischen Staatstheater fusioniert und gilt somit nicht mehr als eigenständige Landesbühne (Mitzlaff 2017). Es zeigt sich also, dass die Landesbühnen – und somit die Theaterlandschaft und der Gastspielmarkt – einer steten Entwicklung und Veränderung unterworfen sind. Dazu

18 Bei der Elbland Philharmonie Sachsen handelt es sich um ein Kulturorchester, welches eigenständig als Unternehmen in den Dokumenten des Bühnenvereins aufgelistet wird, jedoch über kein eigenes darstellendes Ensemble verfügt. 19 Auf ihrer eigenen Webseite bezeichnen sich die Uckermärkischen Bühnen als „Landestheater“ (vgl. Uckermärkische Bühnen Schwedt 2017), auch hier kommt es also wieder zu einer unklaren Verwendung der Bezeichnungen. 20 Der Intendant der (designierten) Landesbühne in Schwedt, Reinhard Simon, nahm als Podiumsgast an der Memminger Tagung teil und brachte dort seine Perspektiven ein; ebenso ist in der Publikation „Theater in der Provinz“ ein Interview mit ihm erschienen, siehe Fülle 2019.

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Abbildung 3.1: Verteilung der Landesbühnenstandorte in Deutschland

kommen die üblichen Bewegungen im Theatersystem wie Intendanten- und Ensemblewechsel, die natürlich auch die Landesbühnen betreffen, die für die Analyse jedoch zu vernachlässigen sind.21 Trotz aller Änderungen bleibt die Erstreckung der Landesbühnen über das gesamtdeutsche Bundesgebiet weitgehend erhalten. Mit Blick auf die Übersichtskarte, Abbildung 3.1 „Verteilung der Landesbühnenstandorte in Deutschland“, zeigen sich jedoch unterschiedliche Konzentrationen bezogen auf die regionale Verbreitung; eingezeichnet sind die Städte, in denen die Landesbühnen ihren Hauptsitz haben. Die Städte und Theater sind der Übersicht halber in der Karte nicht benannt. Die drei neueren Landesbühnen, die in der Untersuchung nicht berücksichtigt wurden, sind als Quadrate dargestellt; der Kreis verweist auf die ehemalige Landesbühne in Parchim. Die Auswertung der statistischen Daten der Landesbühnen, die den folgenden Ausführungen zugrunde liegen, schließt das Landestheater Parchim noch mit ein, berücksichtigt die drei neueren Landesbühnen jedoch nicht, da die verfügbaren Daten zeitversetzt veröffentlicht werden: Als Hauptquelle wurde die Theaterstatistik des Deutschen

21 Bei einigen der betrachteten Fälle kam es während des Untersuchungszeitraums und der Auswertung zu Wechseln der Theaterleitung, diese werden in den entsprechenden Abschnitten erwähnt.

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Bühnenvereins für die Spielzeit 2014/2015 verwendet; es wurden also die Landesbühnen berücksichtigt, die in dieser Zeit als solche zu bewerten waren.22 Die Definition Landesbühne gibt keine Einschränkungen vor bezüglich der Rechtsform, der Organisationsstruktur, der Sparten, der finanziellen Ausstattung etc.; dementsprechend heterogen zeigt sich die Landesbühnenlandschaft in der Spielzeit 2014/15. Für die bessere Nachvollziehbarkeit der weiteren Betrachtungen soll eine Tabelle den entsprechenden Überblick über die Vielfalt geben (Tabelle 3.1 „LandesbühnenÜbersicht“). In dieser und in den nachfolgenden tabellarischen Übersichten werden die offiziellen Namen der Landesbühnen verwendet (Stand 2015), die zum Teil von den Benennungen durch den Bühnenverein etwas abweichen.23 Tabelle 3.1: Landesbühnen-Übersicht24 Theater Die Badische Landesbühne Württembergische Landesbühne Esslingen Landestheater WürttembergHohenzollern Tübingen Reutlingen Landestheater Dinkelsbühl Theater Hof Landestheater Schwaben Hessisches Landestheater Marburg Theater und Orchester Neustrelitz/Neubrandenburg

Bundesland

Stammsitz

Träger [Rechtsform]

Bruchsal

20 Gemeinden/Landkreise, Land BW [e.V.]

Esslingen

Land Baden-Württemberg, Stadt Esslingen [AöR]

BadenWürttemberg

Tübingen/ Reutlingen

Land Baden-Württemberg und die Städte Tübingen und Reutlingen [AöR]

Bayern

Dinkelsbühl

Stadt Dinkelsbühl [AöR]

Bayern

Hof

Bayern

Memmingen

Hessen

Marburg

MecklenburgVorpommern

Neubrandenburg/ Neustrelitz

BadenWürttemberg BadenWürttemberg

Stadt Hof und weitere Städte [Zweckverband] Zweckverband Landestheater Schwaben [Zweckverband] Land Hessen, Stadt Marburg [GmbH] Stadt Neubrandenburg, Landkreis Mecklenburgische Seenplatte, Stadt Neustrelitz [GmbH]

22 Diese Theaterstatistik wurde verwendet, da sie zum Zeitpunkt der Verfassung der vorliegenden Arbeit die aktuellste war. Die Bestimmung der Fallbeispiele und der Interviewpartner erfolgte auf Grundlage der Theaterstatistiken der Spielzeiten 2009/2010 und 2012/2013. Die konkreten Daten weisen im Laufe der Jahre natürlich gewisse Veränderungen auf, die für diese Analyse entscheidenden Tendenzen bleiben jedoch bestehen. 23 Die Bezeichnungen sind bis auf zwei Ausnahmen auch noch 2018 aktuell: Aufgrund der skizzierten Umstände wird das Theater in Parchim mittlerweile unter dem „Mecklenburgischen Staatstheater“ gefasst, die Landesbühne in Eisleben heißt nun „Theater Eisleben“.

Die Praxis der Landesbühnen. Beobachtungen, Analysen und Reflexionen | 185

Theater

Mecklenburgisches Landestheater Parchim

Bundesland MecklenburgVorpommern

Stammsitz

Parchim

Träger [Rechtsform] Zweckverband „Mecklenburgisches Landestheater Parchim“ [Zweckverband] Stadt Hildesheim, Landkreis Hildesheim, Zweckverband Landesbühne Hannover, Land Niedersachsen [GmbH]

Theater für Niedersachsen

Niedersachsen

Landesbühne Niedersachsen Nord Grenzlandtheater Aachen Westfälisches Landestheater

Niedersachsen NordrheinWestfalen NordrheinWestfalen

Landestheater Detmold

NordrheinWestfalen

Detmold

Burghofbühne Dinslaken Landestheater im Kreis Wesel

NordrheinWestfalen

Dinslaken

Kreis Wesel, Stadt Dinslaken, etc.(weitere 7 Städte und Gemeinden) [e.V]

Das Rheinische Landestheater Neuss

NordrheinWestfalen

Neuss

Land Nordrhein-Westfalen, Stadt Neuss, Rhein Kreis Neuss, weitere Städte [e.V.]

RheinlandPfalz

Neuwied

Stiftung Schlosstheater [gGmbH]

Sachsen

Radebeul

Sachsen

Riesa

SachsenAnhalt

Eisleben

Freistaat Sachsen [GmbH] Kulturraum Meißen - Sächsische Schweiz - Osterzgebirge [GmbH] Landkreis Mansfeld-Südharz. Lutherstadt Eisleben, Stadt Hettstedt [gGmbH]

Nordharzer Städtebundtheater

SachsenAnhalt

Halberstadt/ Quedlinburg

Landkreis Harz, Städte Halberstadt und Quedlinburg [AöR]

Theater der Altmark

SachsenAnhalt

Stendal

Stadt Stendal [Regiebetrieb]

Landesbühne Rheinland-Pfalz im Schlosstheater Neuwied Landesbühnen Sachsen Elbland Philharmonie Sachsen Landesbühne SachsenAnhalt/ Kulturwerk Mansfeld-Südharz

Hildesheim

Wilhelmshaven

Zweckverband [GmbH]

Aachen

Städteregion Aachen [GmbH]

CastropRauxel

Westfälisches Landestheater e.V. [e.V.] Kreis Lippe, Stadt Detmold etc. (Landesverband Lippe, Stadt und Kreis Paderborn, Staatsbad Oeynhausen, Verein zur Förderung des Landestheater Detmold) [GmbH]

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Theater

Bundesland

Stammsitz

Träger [Rechtsform]

SchleswigHolsteinisches Landestheater und Sinfonieorchester

SchleswigHolstein

Schleswig/ Flensburg/ Rendsburg

Städte Schleswig, Flensburg, Rendsburg u.a. [GmbH]

Augenfällig sind in dieser Übersicht die unterschiedlichen Trägerschaften: Die einzelnen Bundesländer sind zwar meist in die Förderung der Theater eingebunden, jedoch nicht unbedingt als Hauptträger benannt, respektive in einigen Fällen ist eine direkte Beteiligung des Landes auch nicht unmittelbar erkennbar; kommunale Verbindungen scheinen die überwiegende Form für eine Trägerschaft zu sein (in welchem vertraglichen Verhältnis oder welcher Organisationsform ist zunächst nicht entscheidend). Aus dieser Feststellung lassen sich einige Annahmen ableiten: Es ist davon auszugehen, dass die finanziellen Träger der einzelnen Landesbühnen erwarten, dass das Theater entsprechend Veranstaltungen im jeweiligen Hoheitsgebiet durchführt. Dies entspricht zunächst auch der Definition des Deutschen Bühnenvereins, der sich darin auf ein regionales Spielgebiet bezieht; dabei bleibt auch weiterhin offen, ob sich dieses ausschließlich auf die entsprechenden Regionen, Städten und Kommunen erstreckt oder aber auf ein gesamtes Bundesland oder sogar darüber hinaus. Zugleich wird durch die multiple Trägerschaft der Doppelcharakter der Landesbühnen sichtbar hervorgehoben: Landesbühne zu sein bedeutet in den meisten Fällen nicht nur reisendes Theater, sondern auch explizit Stadttheater für den Sitzort zu sein. Hierfür gibt es bei den gelisteten Bühnen gleich mehrere Auffälligkeiten: Das Grenzlandtheater Aachen wird getragen von der Städteregion Aachen, nicht von der Stadt Aachen alleine,25 die ein eigenes Stadttheater und eine Puppenbühne betreibt (Deutscher Bühnenverein 2016, Tabelle 1, S. 10), woraus sich folgern ließe, dass das Grenzlandtheater Aachen keine reine Stadttheaterfunktion zu übernehmen hat, da diese Position bereits besetzt ist, es sich also auf die Reisetätigkeit konzentrieren könnte. Einige der Theater werden explizit durch mehrere Städte getragen und es ist davon auszugehen, dass sie dementsprechend diesen gegenüber differenzierte Verpflichtungen haben, die sich auf unterschiedliche Art und Weise äußern können: So kann man erwarten, dass das Schleswig-Holsteinische Landestheater allen drei Stammsitzen in einer gewissen Weise gerecht werden muss. Die Landesbühne Niedersachsen Nord in Wilhelmshaven, die von einem Zweckverband mehrerer Kommunen getragen wird, geht mit der Situation sehr offen und programmatisch um, indem sie auf ihrer Webseite postuliert: „Wir sind das Stadttheater für zwölf Kommunen“ (Landesbühne Niedersachsen Nord 2018). Da jedoch meist der Ort im Fokus der Betrachtung steht, in dem die Verwaltung und Theaterleitung angesiedelt ist (so auch in der obigen Kartendarstellung und entsprechend auf der gemeinsamen Webseite der Landesbühnen), kann es sein, dass die anderen Stammsitzorte bereits in der Wahrnehmung von außen minder beachtet werden.

24 Stand 2014/15, eigene Darstellung, Daten entnommen aus Deutscher Bühnenverein 2016. 25 Die Stadt Aachen ist Mitglied des Gemeindeverbandes, siehe dazu StädteRegion Aachen 2019.

Die Praxis der Landesbühnen. Beobachtungen, Analysen und Reflexionen | 187

Zugleich wird bei der geografischen Verteilung der Landesbühnen deutlich, dass sich manche in unmittelbarer Nachbarschaft zu anderen befinden. Die daraus entstehende Situation, die einerseits potenziell Konkurrenz hervorrufen, andererseits durch die vorteilhafte Nähe Möglichkeiten für Zusammenarbeiten eröffnen könnte, wird unterschiedlich genutzt. 1994/95 haben so beispielsweise die Landestheater NordrheinWestfalens ein gemeinsames Büro für Öffentlichkeitsarbeit gegründet. Dort kooperieren das Westfälische Landestheater Castrop-Rauxel, die Burghofbühne Dinslaken, das Rheinische Landestheater Neuss und das Landestheater Detmold (siehe dazu Kapitel 3.3.3 und Kapitel 3.3.4); in Baden-Württemberg wurde die Zusammenarbeit insbesondere im Bereich des Kinder- und Jugendtheaters in einem Arbeitskreis gefestigt (siehe dazu Kapitel 3.3.1). Andere Theater haben hingegen als einzige Landesbühne in ihrem Bundesland eine besondere Stellung, ebenso ist auffällig, dass manche Bundesländer gar keine eigene Landesbühne vorzuweisen haben. Nicht ersichtlich ist hierdurch jedoch die allgemeine Theaterversorgung der Gebiete, dazu müssten alle Stadt- und Staatstheater sowie Gastspielhäuser und (freie) Veranstaltungsorte für Darstellende Kunst ebenso kartiert dargestellt werden, wie auch die Freien Theatergruppen und Bühnen; ein Aufwand, dem der Umfang und die Absicht dieser Arbeit nicht entsprechen kann. Es darf daher nicht zu möglicherweise vorschnellen Bewertungen der Stellung einer Landesbühne kommen, beispielsweise des Hessischen Landestheater Marburgs als einzige Landesbühne in Hessen. Dieses Alleinstellungsmerkmal zeichnet sie natürlich aus, muss jedoch relativiert werden, wenn man die hohe Dichte an Stadt- und Staatstheatern in Südhessen berücksichtigt, die ein großes Einzugsgebiet haben und darüber hinaus auch Gastspiele anbieten.26 Die sehr unterschiedlichen Bühnen sind nicht nur in organisatorischer Hinsicht sehr verschieden, ebenso divers ist die finanzielle Ausstattung und das Personalgefüge. Da jedoch die Budgets und die Personalstruktur zwar in den Einzelfällen selbstverständlich Auswirkungen auf die Theaterarbeit haben, jedoch für die allgemeine Betrachtung zunächst nicht ausschlaggebend sind, wird an dieser Stelle auf eine tabellarische Auswertung verzichtet und auf die Theaterstatistiken verwiesen. Exemplarisch sei jedoch die Bandbreite dargestellt (alle Daten dieses und des nächsten Absatzes aus Deutscher Bühnenverein 2016, Tabelle 4, S. 115 ff.): Mit nur 21 Mitarbeitern verfügt die Landesbühne Rheinland-Pfalz in Neuwied über die kleinste Personalstruktur, während das Landestheater Detmold in dieser Spielzeit 709 Mitarbeiter beschäftigte, wobei diese sich aufteilen in 320 ständig beschäftigte und 389 nicht-ständig beschäftigte Mitarbeiter (produktionsbezogene Gastverträge) und diesbezüglich als größte Landesbühne zu bezeichnen ist. Mit gerade einmal 25 ständig beschäftigten Mitarbeitern gehört die Burghofbühne Dinslaken ebenfalls zu den kleinen Betrieben; ihr Arbeitspensum leistet sie mit zusätzlichen 51 nicht-ständig Beschäftigten – es werden also noch einmal doppelt so viele Menschen hinzugezogen, als der Stellenplan eigentlich vorsieht. Erwartungsgemäß zeichnet sich die Spartengestaltung der einzelnen Theater auch im Personal ab, so sind die Mehrspartenhäuser, die auch Musiktheater anbieten, Spit-

26 Eine genaue Betrachtung der Entwicklungen in Hessen ist hier nicht Thema, verwiesen werden soll an dieser Stelle jedoch auf eine ehemalige Landesbühne, das Theater am Turm in Frankfurt, das sich „von der bieder-braven Wander- und Landesbühne Rhein-Main zum abenteuerlichsten Theater in Deutschland“ (Laages 2016) verwandelte.

188 | Landesbühnen als Reformmodell

zenreiter in dieser Statistik: Das Theater für Niedersachsen mit 358 Mitarbeitern insgesamt (259 ständige plus 99 nicht-ständige), das Schleswig-Holsteinische Landestheater und Sinfonieorchester mit 426 Mitarbeitern (348 plus 78) sowie das bereits erwähnte Landestheater Detmold. Auffällig ist zudem, dass einige der Landesbühnen kein, beziehungsweise kaum künstlerisches Personal in einem festen Beschäftigungsverhältnis anstellen. Aus diesen sticht das Grenzlandtheater Aachen hervor, das bei 37 ständigen Mitarbeitern, davon zehn im künstlerischen Bereich, 86 nicht-ständige Mitarbeiter vorweist, von denen der Großteil in Rahmen von produktionsbezogenen Gastverträgen verpflichtet wird. Die für Stadt- und Staatstheater – und somit ja auch für die Landesbühnen – typische Struktur sieht ein Ensemble vor, denn nur durch dieses kann ein Repertoirebetrieb ermöglicht werden. Auch hiervon gibt es Abweichungen: Sowohl die Landesbühne Rheinland-Pfalz als auch das Grenzlandtheater, beide mit wenig bis kaum eigenem künstlerischen Personal, gestalten ihren Spielplan nach dem En-Suite-Modell (vgl. Landesbühne Rheinland-Pfalz im Schlosstheater Neuwied 2018 und Grenzlandtheater Aachen 2019c). Bezogen auf das Verhältnis von Betriebseinnahmen und -ausgaben, hinsichtlich der Wirtschaftlichkeit und der Auslastungszahlen kommt Thomas Schmidt, wie bereits dargestellt, zu dem Ergebnis, dass die Landesbühnen zu den effizientesten Betrieben innerhalb der öffentlich getragenen Theaterstruktur zählen. Gemessen an der „Zahl Zuschauer je eingesetzter Steuermillion“ (Schmidt 2017, S. 260) kommen die Landesbühnen auf einen vergleichsweise hohen Mittelwert von 14.400 e (ebd.).27 Landesbühnen seien „die fleißigen und effizienten unter den Theatern, die mit der geringsten personellen und finanziellen Ausstattung zur Grundversorgung großflächiger Regionen mit Theatern beitragen“ (ebd., S. 33). 3.2.2 Veranstaltungen und Besucher Eine Landesbühne definiert sich über ihre Reisetätigkeit. Dementsprechend ist zu erwarten, dass die Reisetätigkeit der Landesbühne die Aktivitäten im Stammsitz überwiegt oder mit diesen zumindest in der Anzahl der Veranstaltungen gleichzieht. Diese Annahme kann anhand der Theaterstatistiken des Deutschen Bühnenvereins relativ schnell überprüft werden, doch wie bei jeder Auswertung einer Statistik liegen die Unterschiede im Detail. So gibt es Landesbühnen, deren Stammsitz über mehrere Städte verteilt ist, wie im Falle des Schleswig-Holsteinischen Landestheaters, dessen Betrieb auf die drei Städte Schleswig, Flensburg und Rendsburg aufgeteilt ist. Die Summe der Veranstaltungen insgesamt bezieht sich also auf die Veranstaltung in den drei Städten in den dortigen unterschiedlichen Spielstätten. Diese Summe direkt mit der Anzahl der auswärtigen Gastspiele zu vergleichen, kann zunächst zu einer fehlerhaften Einschätzung führen. Gleichwohl geht es ja darum, herauszufinden, ob mehr Veranstaltungen

27 Er vergleicht sie insbesondere mit „Theater[n], die zum Teil künstlerisch sehr erfolgreich und mit einem ambitionierten Programm arbeiten“ (Schmidt 2017, S. 260), jedoch nur auf eine Verhältniszahl von ungefähr 5.000–6.000 Besucher pro Million Euro Steuergelder (mit einigen Ausreißern nach unten) kommen (ebd.). Allerdings lässt eine solche Rechnung keinen Rückschluss inhaltlicher Natur zu, Formate mit Publikumsbegrenzungen oder unterschiedlich gestaltete Spielorte werden in dieser Darstellung nicht berücksichtigt.

Die Praxis der Landesbühnen. Beobachtungen, Analysen und Reflexionen | 189

„außerhalb“ als am „Stammsitz“ angeboten werden – die Grundaussage bleibt also gleich, egal, ob es sich beim Stammsitz um eine Stadt oder mehrere Städte handelt, da nicht die absoluten Zahlen entscheidend sind, sondern die Verhältnisse zwischen „Heimspielen“ und Gastspielen aufgezeigt werden sollen. Ein weiterer Faktor, der kritisch betrachtet werden muss, ist die Zusammensetzung der Daten. Für einen ersten Überblick, ob die Landesbühnen ihrem Auftrag gerecht werden, mehr außerhalb als vor Ort zu spielen, wurde zunächst die Spalte 12, „Veranstaltungen insgesamt“, der Tabelle 2 der Theaterstatistik 2014/15 verwendet. Diese Zahl setzt sich zusammen aus der Anzahl der „eigenen Veranstaltungen am Standort".28 In die Gesamtsumme fließen auch die „Sonstigen Veranstaltungen“ ein, die nicht näher definiert werden, denen man jedoch aufgrund der in der Theaterstatistik genannten Beispiele („Kabarett, Lesungen, Liederabende etc.“ Deutscher Bühnenverein 2016, S. 37) einen künstlerischen Charakter zuschreiben kann und somit im Sinne eines „Bespielens“ verstanden werden können – hier zeigt sich eine Ungenauigkeit in der generellen Definition von Landesbühnenarbeit ebenso wie in der statistischen Erfassung: Wo werden die Grenzen gezogen zwischen einer Veranstaltung der Darstellenden Kunst und eines anderen Genres, wie werden diese in Bezug auf eine Erfüllung des Auftrages gewertet? Für diese Untersuchung wurde an dieser Stelle festgelegt, dass, auch wenn es sich bei diesen Veranstaltungen nicht um klassische Theateraufführungen handelt, sie dennoch bei der Darstellung und des Vergleichs des Angebotes berücksichtigt, beziehungsweise nicht heraus gerechnet werden, da sie das kulturelle Angebot im Allgemeinen bereichern.29 Die Gesamtveranstaltungszahl wird berechnet ohne theaternahes Rahmenprogramm,30 dessen Erfassung nachrichtlich erfolgt. Mit einbezogen werden aber in die Summe der Veranstaltungen nach der Theaterstatistik die Gastspiele fremder Ensembles.31 Da sich die Definition der Landesbühne grundsätzlich auf ihr eigenes Angebot bezieht und nicht auf das von ihr als Theater unmittelbar vorgehaltenes und ermöglichtes Angebot generell,32 sind die Gastspiele fremder Ensembles zwar Veranstaltungen, welche den Besuchern im Stammort zugutekommen, das dortige Programm mitgestalten, sie müssten jedoch der Genauigkeit halber eigentlich für die Überprüfung der Verhältnisse des Spielbetriebs der Landesbühne

28 Spalten 1–9 der Tabelle, in der Theaterstatistik aufgeschlüsselt nach Sparten, die hier zunächst irrelevant sind. 29 Zudem ist eine statistische Feinanalyse hier weder Aufgabe noch zielführend; es zeigt sich jedoch auch hier, dass die Unterschiede dann oftmals im statistischen Detail liegen können. Es bleibt beispielsweise unklar, ob eine szenisch-musikalisch Lesung als „Sonstige Veranstaltung“ gewertet wird oder doch in der Statistik einer Studiobühne auftaucht. Da es sich bei den „Sonstigen Veranstaltungen“ immer nur um eine relativ gesehen geringe Zahl handelt, würde ein Abzug dieser in der Summen-Darstellung auch keine großen Unterschiede hinsichtlich der Verhältniszahlen nach sich ziehen. 30 „Theaternahes Rahmenprogramm: Einführungsveranstaltungen, spezielle Angebote für Lehrer, Führungen sowie andere Angebote, die der Vermittlung dienen und für die kein oder nur geringes Entgelt genommen wird“ (Deutscher Bühnenverein 2016, S. 37). 31 Spalte 11 der Tabelle 2 „Veranstaltungen“. 32 In Einzelfällen gibt es hiervon innerhalb der individuellen kulturpolitischen Erwartungen, beziehungsweise des jeweiligen Auftrages Abweichungen, siehe dazu beispielsweise Kapitel 3.3.7.

190 | Landesbühnen als Reformmodell

abgezogen werden, da es sich bei ihnen um Veranstaltungen von Dritten handelt.33 Allerdings ist auch diese Argumentation nicht vor Kritik gefeit: Wenn auf einer Bühne Vorstellungen stattfinden, dienen diese der kulturellen Versorgung der Menschen vor Ort und hinsichtlich der Kennzahlen ist es zunächst egal, wie die Programmierung sich zusammensetzt, also unabhängig davon, ob es sich um eine Produktion der Landesbühne oder von einem anderen Theater handelt. Dementsprechend wurden ja auch die „Sonstigen Veranstaltungen“ in die Darstellung aufgenommen, da es um das künstlerische Angebot in Gänze und nicht nur um Theatervorstellungen geht. Führt man diese verkomplizierte Betrachtung durch, zeigt sich, dass sich die Berechnung der Verhältnisse ohne die Gastspiele fremder Ensembles im Sitzort statistisch bei zwei Landesbühnen bemerkbar macht: Bei der Württembergischen Landesbühne Esslingen und dem Theater der Altmark verschiebt sich das Verhältnis (geringfügig) zu Gunsten der Reisetätigkeit. Diese beiden Fälle werden in den folgenden tabellarischen Übersichten mit einem Asterisk gekennzeichnet. In der Tabelle 3.2 „Veranstaltungen vor Ort und eigene Gastspiele“ werden die Verhältnisse zwischen den Veranstaltungen im Stammsitz und denen auf Reisen dargestellt. Sie verdeutlicht die großen Unterschiede innerhalb der Landesbühnenlandschaft; die Bandbreite reicht von 25 bis 524 Veranstaltungen vor Ort, bei den Gastspielen liegt die Anzahl zwischen 31 und 350 Veranstaltungen. Tabelle 3.2: Veranstaltungen vor Ort und eigene Gastspiele34

Theater

vor Ort (davon fremde Gastspiele)

Die Badische Landesbühne

155 (0)

313

67%

außerhalb deutlich

363 (22)

350

51%

ausgewogen*

510 (39)

184

28%

vor Ort - sehr deutlich

181 (3) 239 (1) 147 (0)

55 79 56

24% 25% 28%

v.O. - sehr deutlich v.O. - sehr deutlich v.O. - sehr deutlich

258 (29)

31

12%

v.O. - sehr deutlich

491 (36)

109

19%

v.O. - sehr deutlich

125 (1)

81

40%

v.O. - gering

378 (39)

194

36%

v.O. - deutlich

Württembergische Landesbühne Esslingen Landestheater Württemberg-Hohenzollern Tübingen Reutlingen Landestheater Dinkelsbühl Theater Hof Landestheater Schwaben Hessisches Landestheater Marburg Theater und Orchester Neustrelitz/Neubrandenburg Mecklenburgisches Landestheater Parchim Theater für Niedersachsen

außerhalb

Anteil eigene außerhalb

Fokus der Arbeit

33 Hier zeigen sich schnell die Grenzen der Statistik, insbesondere im Falle von Kooperationen wie beim Theater für Niedersachsen, deren Erfassung nicht detailliert erläutert wird. Siehe dazu Kapitel 3.3.2.

Die Praxis der Landesbühnen. Beobachtungen, Analysen und Reflexionen | 191

Theater

Landesbühne Niedersachsen Nord Grenzlandtheater Aachen Westfälisches Landestheater Landestheater Detmold Burghofbühne Dinslaken Landestheater im Kreis Wesel Das Rheinische Landestheater Neuss Landesbühne RheinlandPfalz im Schlosstheater Neuwied Landesbühnen Sachsen Elbland Philharmonie Sachsen Landesbühne SachsenAnhalt Nordharzer Städtebundtheater Theater der Altmark Schleswig-Holsteinisches Landestheater und Sinfonieorchester

vor Ort (davon fremde Gastspiele)

außerhalb

Anteil eigene außerhalb

Fokus der Arbeit

264 (20)

234

49%

ausgewogen

301 (0)

87

22%

v.O. - sehr deutlich

123 (0)

266

68%

außerh. - deutlich

363 (5)

194

35%

v.O. - deutlich

25 (0)

167

87%

außerh. - sehr deutlich

251 (38)

116

35%

v.O. - deutlich

189 (66)

111

47%

v.O. - gering

362 (0)

244

40%

v.O. - gering

k. A.

k. A.

k. A.

keine Angabe mgl.

161 (40)

46

28%

v.O. - sehr deutlich

255 (28)

217

49%

ausgewogen

278 (22)

258

50%

ausgewogen*

524 (62)

228

33%

v.O. - deutlich

Die Wertung der Schwerpunkte ergibt sich aus den prozentualen Verhältnissen der Anzahl der eigenen Gastspiele zu den gesamten eigenen Veranstaltungen (vor Ort und außerhalb ohne fremde Gastspiele), mathematisch gerundet auf volle Prozentwerte. Dabei wird eine Abweichung von einem Prozentpunkt, also die Prozentwerte 49–51, als ausgewogenes Verhältnis zwischen Gastspielen und Veranstaltungen vor Ort bezeichnet, auch um gewisse Schwankungen, die ein Theaterbetrieb mit sich bringt, auszugleichen.35

34 Spielzeit 2014/15, eigene Darstellung, Daten der Spalten 1–3 entnommen aus Deutscher Bühnenverein 2016. 35 Für eine genaue statistische Bewertung wäre es zudem notwendig, eine Langzeitstudie über mehrere Jahre durchzuführen, um so einen Mittelwert für einen bestimmten Zeitraum zu erhalten, um eventuelle, nicht von den Landesbühnen zu beeinflussende Störfaktoren ausblenden zu können. Dies ist aber hier nicht Zielsetzung, geschweige denn für die weitere Analyse notwendig. Gleichwohl wurden die Verhältnisse der Veranstaltungen und Besuchszahlen (siehe Tabelle 3.3) mit Daten aus den Vorjahren abgeglichen. Es gibt zwar geringe

192 | Landesbühnen als Reformmodell

Weiterhin erfolgt die Gewichtung in Schritten von jeweils 10 Prozentpunkten, ausgehend von einer Gleichverteilung: Bis zu einer Abweichung von 10 Prozentpunkten wird diese als gering bezeichnet, als deutlich bei bis zu 20 Prozentpunkten Abweichung, eine darüber hinausgehende Abweichung (also Prozentwerte kleiner 30 bzw. größer 70) gilt als sehr deutlich. Für die weitere Auswertung wird die Elbland Philharmonie aus der Betrachtung ausgenommen: Da die Zahlen in der Theaterstatistik für Kulturorchester nicht wie bei den Theaterunternehmen entsprechend erfasst werden und somit keine verwertbaren Daten vorliegen, würde eine Mitführung dieses Betriebs die Statistik verfälschen.36 Es wird also ab sofort für die statistische Bewertung von 22 Landesbühnen ausgegangen. Stichprobenartig wurde überprüft, ob eine Herausnahme der „Sonstigen Veranstaltungen“ aus der Bilanz eine starke Änderung der Verhältniszahlen nach sich führen würde; im Falle der Landesbühnen Sachsen, die für die entsprechende Spielzeit 67 Veranstaltungen unter dieser Rubrik angeben haben, würde sich dementsprechend der Anteil eigener Veranstaltungen außerhalb auf 45% verschieben, das ist zwar bezogen auf die ursprünglich errechnete Zahl eine große Abweichung, ändert jedoch nicht die Einordnung in die benannten Kategorien.37 In der Summe haben die Landesbühnen des Deutschen Bühnenvereins in der betrachteten Spielzeit also insgesamt 5.943 Veranstaltungen (inklusive fremder Gastspiele) in ihren jeweiligen Sitzorten und 3.620 Gastspiele durchgeführt, das heißt das Verhältnis der Anzahl der Veranstaltungen außerhalb prozentual zu den Gesamtveranstaltungen beträgt im Schnitt (nur) 38%. Durch diese Übersicht zeigt sich deutlich, dass bei den meisten Landesbühnen der (quantitative) Schwerpunkt der Arbeit auf den Veranstaltungen vor Ort liegt und nur einige wenige, nämlich fünf von 22 tatsächlich als Reisebühne fungieren, wenn man von der Beschreibung „nicht überwiegend am Sitzort“ zu spielen ausgeht. Davon zeigen zwei Theater das Merkmal einer deutlichen Gastspieltätigkeit, nämlich Die Badische Landesbühne und das Westfälische Landestheater. Die Burghofbühne Dinslaken kann, nach der hier aufgestellten Einstufung, als einziges Theater die Kategorie „sehr deutlich ausgeprägte Reisetätigkeit“ für sich beanspruchen. Bei vier weiteren Landesbühnen ergibt sich rechnerisch ein sehr geringes Delta, man kann also von einer Ausgewogenheit zwischen der Bespielung des Sitzortes und der Gastspieltätigkeit sprechen; dabei handelt es sich um die Württembergische Landesbühne Esslingen, die Landesbühne Niedersachsen Nord, das Nordharzer Städtebundtheater und das Theater der Altmark. Das heißt also, dass ungefähr ein Drittel der Landesbühnen (7 von 22) rein rechnerisch nicht vorwiegend ihren Sitzort bespielt. Berücksichtigt man die Landesbühnen, die tatsächlich deutlich mehr außerhalb spielen, liegt die Quote nur noch bei 3 von 22, also knapp einem Siebtel. Gleichwohl wird bereits durch diese einfache tabellarische Übersicht deutlich, dass die Heterogenität der Bedingungen die Arbeit beeinflusst, so sind die vorhandenen ei-

Schwankungen, die Grundverhältnisse bleiben jedoch bestehen. Verwendet wurden für diesen Vergleich Deutscher Bühnenverein 2011, Deutscher Bühnenverein 2014 und Deutscher Bühnenverein 2016. 36 In der Folgetabelle wird die Elbland Philharmonie nachrichtlich noch mitgeführt. 37 Die Landesbühnen Sachsen haben von allen Landesbühnen die höchste Anzahl „Sonstige Veranstaltungen“ angegeben, daher wurde dieses Beispiel als das mit der größten Abweichung exemplarisch gewählt.

Die Praxis der Landesbühnen. Beobachtungen, Analysen und Reflexionen | 193

genen Spielorte natürlich ein Faktor, der Einfluss auf die Anzahl von Veranstaltungen hat: Besonders auffällig ist die geringe Anzahl der Veranstaltungen der Burghofbühne Dinslaken vor Ort, die auf die Spielortsituation zurückzuführen ist.38 Ebenso wenig lassen sich aus den bloßen Veranstaltungszahlen Rückschlüsse auf die Art der Vorstellungen schließen, in der Theaterstatistik erfolgt lediglich eine Aufschlüsselung der Veranstaltungen auf die einzelnen Spielstätten des jeweiligen Theaters, es wird so zum Beispiel deutlich, dass im Theater für Niedersachsen die meisten Veranstaltungen im Großen Haus stattfinden und auch die Inszenierungen des Großen Hauses am häufigsten als auswärtige Gastspiele aufgeführt werden (Deutscher Bühnenverein 2016, Seite 50, Spalte 13, Zeile 2). Daraus lässt sich folgern, dass das Theater für Niedersachsen hauptsächlich Gastspieltheater mit vergleichbaren Dimensionen und Ausstattungen mit Abstechern bedient, bezüglich derer man annehmen kann, dass davon weniger vorhanden sind, als beispielsweise Räume für kleinere oder intimere Formen der Darstellenden Kunst. Darüber hinaus lassen diese Zahlen keine Rückschlüsse über das eigentliche Spielgebiet zu, also ob die auswärtigen Veranstaltungen in der Region, im Bundesland oder in größerer Entfernung stattgefunden haben – und selbst wenn es eine solche Verfeinerung der Zahlen gäbe, wäre die Vergleichbarkeit nur eingeschränkt möglich, da weitere Faktoren wie die Größe des Bundeslandes oder die Reichweite der Begrifflichkeit „Region“ nicht abgebildet werden. Darüber hinaus könnte man weitere Vergleichsfaktoren berechnen, wie die Theaterangebote innerhalb eines Bundeslandes; die Konkurrenzsituation der Landesbühnen untereinander berücksichtigend, müsste man diese wiederum mit der Bevölkerungsdichte in Bezug setzen. Eine solche detaillierte statistische demografische Analyse ist für die hier durchgeführte Untersuchung nicht notwendig, könnte aber für zukünftige Schritte und eine regionalbezogene Forschung sowie Planung aufschlussreich sein. Um der Argumentation entgegenzutreten, dass es nicht nur um die Anzahl der durchgeführten Veranstaltungen gehen kann, sondern dass das damit erreichte Publikum berücksichtigt werden muss, müssen auch die entsprechenden Daten der Theaterstatistik über die Besuchszahlen ausgewertet werden (Tabelle 3.3 „Besucher vor Ort und eigener Gastspiele“).39 Eine Ungenauigkeit ergibt sich auch bei dieser Betrachtungsweise erneut durch die Methodik der Theaterstatistik: Bei den Besuchszahlen am Standort wird nicht mehr in eigene und fremde Veranstaltungen ausdifferenziert, sondern eine Gesamtsumme angegeben. Daher ist eine Bereinigung der Besuchszahlen am eigenen Standort unter Herausnahme der Gastspiele fremder Ensembles nicht möglich, was aber für die hier herzuleitenden Überlegungen unbedeutend ist, da es zunächst grundsätzlich um die Bereitstellung eines Theaterangebotes und darum geht, wie viele Menschen durch

38 Siehe dazu Kapitel 3.3.3. 39 Hierfür wurden die Spalte 18 und 19 der Tabelle 3 der Theaterstatistik 2014/15 (Deutscher Bühnenverein 2016) verwendet, auch in der Tabelle 3 werden nachrichtlich gesondert die Besucher des theaternahen Rahmenprogramms aufgeführt, die jedoch für die hier getroffenen Überlegungen zunächst zu vernachlässigen sind und die nicht in die Summenzahlen eingerechnet wurden. Genau wie bei den Veranstaltungszahlen wurden ebenfalls die Vorjahreszahlen betrachtet und auch hier wurden keine signifikanten Unterschiede in den Verhältnissen bemerkt.

194 | Landesbühnen als Reformmodell

das jeweilige Theater erreicht werden. Bei den mit einem Asterisk gekennzeichneten Theatern würde eine mögliche differenzierte Berechnung jedoch eventuell – bezogen auf die eigenen Aufführungen – eine Verschiebung der Verhältnisse bedeuten. Mit der gleichen Argumentation wurden die Besuchszahlen der „Sonstigen Veranstaltungen“ in diesem Vergleich ebenfalls nicht herausgerechnet, obwohl sie in der Theaterstatistik einzeln geführt werden (Spalte 9 der Tabelle 3): Es geht bei dieser Betrachtung darum, wie viele Menschen eine künstlerische Rezeptionserfahrung machen konnten, gleich welchen Genres oder Formats. Tabelle 3.3: Besucher vor Ort und eigener Gastspiele40

Theater

Besucher vor Ort

Besucher eigener Gastspiele

Anteil Gastspiele an Besucherzahl

Die Badische Landesbühne

21.584

39.138

64%

63.430

49.224

44%

74.483

28.520

28%

Landestheater Dinkelsbühl

42.580

10.209

19%

Theater Hof

86.046

24.415

22%

Landestheater Schwaben Hessisches Landestheater Marburg Theater und Orchester Neustrelitz/Neubrandenburg Mecklenburgisches Landestheater Parchim Theater für Niedersachsen Landesbühne Niedersachsen Nord

25.164

13.227

34%

33.545

9.895

23%

99.193

27.867

22%

11.586

18.227

61%

111.497

51.221

31%

55.188

59.226

52%

Grenzlandtheater Aachen

62.279

20.004

24%

16.254

71.256

81%

81.819 33.895 [inkl. Gastspiele]

60.280

42%

v.O. - sehr deutlich v.O. - sehr deutlich v.O. - deutlich v.O. - sehr deutlich v.O. - sehr deutlich außerh. deutlich v.O. - deutlich außerh. ausgewogen v.O. - sehr deutlich außerh. - sehr deutlich v.O. - gering

[keine Angabe]

Berechnung nicht mgl.

(außerh. sehr deutlich)

41.281

24.612

37%

v.O. - deutlich

Württembergische Landesbühne Esslingen Landestheater Württemberg-Hohenzollern Tübingen Reutlingen

Westfälisches Landestheater Landestheater Detmold Burghofbühne Dinslaken Landestheater im Kreis Wesel Das Rheinische Landestheater Neuss

Fokus der Arbeit außerhalb deutlich vor Ort gering* v.O. - sehr deutlich

Die Praxis der Landesbühnen. Beobachtungen, Analysen und Reflexionen | 195

Theater

Landesbühne RheinlandPfalz im Schlosstheater Neuwied Landesbühnen Sachsen Elbland Philharmonie Sachsen Landesbühne SachsenAnhalt Nordharzer Städtebundtheater Theater der Altmark Schleswig-Holsteinisches Landestheater und Sinfonieorchester

Besucher vor Ort

Besucher eigener Gastspiele

Anteil Gastspiele an Besucherzahl

Fokus der Arbeit

47.551

21.958

32%

v.O. - deutlich

113.265

72.185

k. A.

k. A.

39% Berechnung nicht mgl.

v.O. - deutlich keine Angabe mgl.

24.404

13.766

36%

v.O. - deutlich

49.031

35.574

42%

v.O. - gering

28.724

23.002

44%

v.O. - gering*

122.743

25.190

17%

v.O. - sehr deutlich

Auffällig ist, dass sich bei der Betrachtung dieser Kennzahlen eine Verschiebung ergibt: Eine der Landesbühnen konnte außerhalb mehr Besucher erreichen als vor Ort, obwohl diese Bühne weniger Veranstaltungen außerhalb denn zuhause anbietet. Es handelt sich dabei um das Mecklenburgische Landestheater Parchim. Beim Westfälischen Landestheater zeigt sich ebenfalls ein anderes Verhältnis: Nach der oben benannten Einstufung kann die Reisetätigkeit, bezogen auf die Besucher, nun als sehr deutlich angegeben werden. Da die Burghofbühne keine Differenzierung der Daten vornimmt, kann hier rechnerisch keine Aussage getroffen werden, es kann jedoch davon ausgegangen werden, dass der Fokus der Arbeit gleich bleibt (daher die Einstufung in Klammern). Bei der Landesbühne Rheinland-Pfalz zeigt sich eine gegenläufige Verschiebung; bezogen auf die Veranstaltungen ist die Konzentration auf den Stammsitz als gering zu bezeichnen, bezogen auf die Besuchszahlen verschiebt sich das Verhältnis um rund 15 Prozentpunkte, so dass der Fokus nun deutlich auf dem Stammsitz liegt. Auch hier lässt sich nur mutmaßen, dass dies mit den Begebenheiten der Gastspielhäuser und deren Platzkapazitäten zu tun haben könnte. Wenn man bei der Württembergischen Landesbühne Esslingen und dem Theater der Altmark wohlwollend berechnet, dass man von den Besuchszahlen im Stammsitz eigentlich noch die Besucher der Gastspiele fremder Ensembles abziehen müsste (siehe oben) und davon ausgeht, dass das Verhältnis dann den Zahlen aus der obigen Tabelle entspricht (den beiden Theatern also auch hier eine Ausgewogenheit zwischen Stammsitz und Gastspieltätigkeit zuschreibt), dann wären es 7 von 22 Landesbühnen, die mit ihrer Reisetätigkeit mehr, beziehungsweise ähnlich viele Menschen außerhalb ihres Standortes erreichen als bei sich vor Ort. Diese Quote entspricht der Betrachtung der Veranstaltungszahlen.

40 Spielzeit 2014/15, eigene Darstellung, Daten der Spalten 1–3 entnommen aus Deutscher Bühnenverein 2016.

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Bei der Darstellung der Veranstaltungen und Besuchszahlen vor Ort wird in der Theaterstatistik eine Differenzierung nach Sparten, respektive Genres vorgenommen, die bei den Gastspielen außerhalb nicht abgebildet werden. Man kann also auch hier aus der Statistik nicht genau ablesen, mit welchen Angeboten der Darstellenden Kunst das jeweilige Theater auf Reisen geht. Für eine Betrachtung der allgemeinen Verhältnisse ist dies zu vernachlässigen, soll jedoch bei der auf den hier dargestellten statistischen Auswertungen folgenden Auswahl der Fallbeispiele Berücksichtigung finden. Logischerweise ist der Aufwand für ein Gastspiel je nach Genre unterschiedlich: Ein Ein-Personen-Stück für Kinder ist flexibler und transportabler als eine besetzungsstarke Operninszenierung. Einen gewissen Hinweis gibt die Aufschlüsselung der Gastspiele nach den zugrunde liegenden Spielstätten, auf die bereits weiter oben im Abschnitt zu den Veranstaltungszahlen hingewiesen wurde: Eine Inszenierung, die beispielsweise für das Große Haus eines Theaters konzipiert wurde, benötigt vergleichbare Bühnenmaße für ein erfolgreiches Gastspiel, diese werden voraussichtlich nur in einem Bespieltheater zur Verfügung stehen, das einen ähnlich großen Raum und damit vergleichbare Zuschauerplätze zur Verfügung stellen kann. Dementsprechend zieht eine solche „große“ Produktion auch mehr Zuschauer (vgl. dazu Scherz-Schade u. a. 2012). Kinder- und Jugendtheater hingegen wird oftmals für kleinere Räume oder begrenzte Zuschauerzahlen konzipiert (mit der Ausnahme des großen Weihnachtsmärchen) und ist in dem Sinne für die Statistik einer Aufführung oftmals „schlechter“, wenn es um die reine Anzahl Besucher geht.41 Ebenso ist aus dieser Statistik nicht erkennbar, wie viele unterschiedliche Ortschaften durch die Landesbühne mit Theatervorstellungen bedient werden. Es ist davon auszugehen, dass die Anzahl erheblich differiert. Auf den Webseiten einiger Landesbühnen werden die Gastspielorte gelistet, die regelmäßig bedient werden, jedoch oft ohne Konkretisierung der Häufigkeit der Gastspiele und ohne eine Ausdifferenzierung der, diesen regelmäßigen Gastspielen zugrunde liegenden, Vertragsabsprachen oder Vereinbarungen. Die Theaterstatistik erfasst nachrichtlich – das heißt diese Angaben werden nicht in die Berechnung von Verhältniszahlen oder Summen einbezogen – die Anzahl der Veranstaltungen und der Besucher des sogenannten „theaternahen Rahmenprogramms“. Eine Darstellung der Besuchszahlen dieser Veranstaltungen „dokumentieren die Leistungsfähigkeit der Häuser“ (Deutscher Bühnenverein 2016, S. 65). Bei der Bewertung der Statistik könnte es auch in diesem Bereich zu einer Ungenauigkeit kommen, da Veranstaltungen, welche dem Bereich Vermittlung zuzuordnen sind, eventuell im Bereich „Sonstige Veranstaltungen“ aufgeführt werden könnten, die nicht näher klassifiziert werden.42

41 Auch wenn das Kinder- und Jugendtheater als ein Schwerpunkt der Landesbühnen bezeichnet wird, soll hier keine weiterführende statistische Auswertung bezogen auf das Genre erfolgen; bei den Fallbeispielen wurden diese Zahlen teilweise berücksichtigt; einzusehen sind diese, bezogen auf die Veranstaltungen, in Deutscher Bühnenverein 2016, Tabelle 2, Spalte 6; über die Besuchszahlen gibt die gleiche Spalte der Tabelle 3 Auskunft. 42 Dies unterstreicht die Problematik einer eindeutigen Klassifizierung partizipatorischer Angebote.

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Da es sich bei den Angaben um ergänzende, da nachrichtliche, Informationen handelt, ist nicht zu erwarten, dass alle Theater hierfür eindeutige oder belegbare Zahlen angeben. So ist auffällig, dass bei einigen Theatern in der Theaterstatistik keine Veranstaltungen im Bereich theaternahes Rahmenprogramm aufgeführt sind, obwohl auf den jeweiligen Webauftritten Angebote zu finden sind. Zudem widersprechen sich zum Teil die Angaben in der Statistik oder die Angaben zu Veranstaltungs- und Besucheranzahl zeigen eine so große Differenz, dass die Zahlen kaum realistisch erscheinen: So will beispielsweise das Schleswig-Holsteinische Landestheater mit nur einer Veranstaltung des theaternahen Rahmenprogramms 2.340 Besucher erreicht haben (vgl. ebd., S. 60 und S. 109); das Landestheater Tübingen hingegen führt für seine acht Veranstaltungen leider gar keine Besucher auf (vgl. ebd., S. 61 und S. 111). Um sich also einen Überblick über die Angebote im Bereich Vermittlung und somit auch Theaterpädagogik und Partizipation zu verschaffen, müssen andere Quellen ergänzend hinzugezogen werden. Die Klassifikation der Theaterstatistik lässt jedoch bereits einen Schluss zu: Das theaternahe Rahmenprogramm, die Vermittlungstätigkeiten, werden zunächst nicht als künstlerisches Programm angesehen und haben nicht die gleiche Bedeutung wie dieses. Das zeigt sich sowohl in der Benennung – nah am Theater, rahmengebend – als auch in der Freiwilligkeit der Angaben als nachrichtliche und somit weniger bedeutsame Kennzahlen. Es stellt sich also auch an dieser Stelle die Frage nach einer Bewertung der Kernbereiche der Theaterarbeit und den Aufgaben, die als Zusatz gewertet werden. 3.2.3 „Kernaufgaben“ und „Sonderprogramme“ Die statistischen Daten beschreiben die Theaterunternehmen in ihrer Struktur; sie lassen jedoch wenig Rückschlüsse über die Arbeitsweisen zu und geben auch keinen Einblick in die Inhalte der Arbeit. Ein Überblick über die Spielpläne, wie ihn die Werkstatistik des Deutschen Bühnenvereins geben könnte, würde ebenfalls wenig über die jeweilige Ausrichtung und die künstlerischen Handschriften aussagen und nur Vermutungen zulassen. Dementsprechend lässt sich anhand dieser Daten auch nur sehr bedingt die Frage nach dem Hauptgeschäft der Landesbühnen beantworten. Im Einzelfall könnte man die Statistik in diesem Kontext weitergehend interpretieren. So scheint beispielsweise für das Theater für Niedersachsen die Vermittlungsarbeit einen hohen Stellenwert zu haben: Es gibt für die Spielzeit 2014/15 an, 651 Veranstaltungen im theaternahen Rahmenprogramm durchgeführt und damit 30.192 Besucher erreicht zu haben (ebd., S. 50 und 91), das sind deutlich mehr Veranstaltungen in diesem Bereich als im künstlerischen (eigene Veranstaltungen am Standort ohne fremde Gastspiele: 339). Gleichwohl mag die Theaterstatistik nicht verraten, welcher Art dieses Rahmenprogramm war und wie es erfasst wurde, die Vergleichbarkeit zu anderen Theatern ist nicht gegeben und es bleibt bei Mutmaßungen. Alleine, dass die Theater die Statistik in diesem nur nachrichtlich erfassten Bereich sehr unterschiedlich mit ihren Daten zu pflegen scheinen, könnte darauf hinweisen, dass die anderen Kennzahlen entscheidender sind. Dies ist natürlich nachvollziehbar, denn die Theaterstatistik dient auch dazu, darzulegen, wie erfolgreich die Theater sind (zumindest die, die in der Statistik erfasst werden) und auf welche Weise die Steuergelder verwendet werden, sprich in die künstlerische Arbeit fließen. Hier bestätigt sich – erwartungsgemäß – dass die Theater als

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Kerngeschäft die Kunstproduktion sehen und von ihnen genau in diesem Bereich eine „gute“ Arbeit erwartet wird; zumindest im Allgemeinen gesprochen; denn was die Geldgeber und Träger tatsächlich von den jeweiligen Bühnen erwarten, kann variieren, wie auch im Folgenden deutlich werden wird (siehe dazu Kapitel 3.3). Bei den Landesbühnen scheint sich ein besonderes Verhältnis zu dieser Erwartungshaltung und der eigenen Selbstvergewisserung zu ergeben: So betonen sie grundsätzlich ihre künstlerische Ausrichtung, stellen dieses Kerngeschäft aber immer in den Kontext ihrer Beauftragung, wie durch das Leitbild deutlich wird (vgl. dazu die Darstellungen in 2.3.1). Dieser Aspekt und die sich dadurch ergebenen Spannungen werden sich als ein roter Faden durch die folgenden Auswertungen ziehen, denn immer wieder kommt die Frage genau hierauf zurück: Was ist die originäre Aufgabe der Landesbühnen, was geht darüber hinaus? Die bisherigen Herleitungen machen deutlich, dass ein Theater durchaus mehrere Bereiche als Kernaufgabe betrachten könnte, gar sollte, wenn es im Dienste einer kulturellen Teilhabe und Teilnahme beauftragt wurde. So ist im Falle der Landesbühnen, entsprechend der bis hier geführten Argumentation, anzunehmen, dass sie eben nicht nur die Theaterkunst, sondern auch die Partizipation als wichtigen Kernbereich ihrer Tätigkeit ansehen. Um dies zu überprüfen, müssen die Formate für Teilhabe und Teilnahme hinsichtlich Art und Umfang betrachtet werden. Theaterpädagogische „Grundausstattung“

Nimmt man die öffentlichen Webauftritte der einzelnen Landesbühnen zur Grundlage, ist zu erkennen, dass alle Landesbühnen gewisse theaterpädagogische, beziehungsweise vermittelnde Materialien oder Veranstaltungen regelmäßig anbieten. Es handelt sich dabei um eine Art Standard-Repertoire, das mittlerweile so gut wie in allen Theatern der öffentlichen Hand zu finden zu sein und sich demnach als „normal“ etabliert zu haben scheint (vgl. dazu beispielsweise Pinkert 2014a). Umgekehrt: Es würde auffallen, wenn ein Theater gänzlich darauf verzichtete, von daher scheint es prinzipiell bereits zu den Dingen zu gehören, die man von einem Theater erwarten kann. Wobei mit „man“ sowohl das Publikum, als auch die Zuwendungsgeber und politischen Entscheidungsträger gemeint sind. Wenn diese Annahme zutrifft, müssten diese Angebote durch die Struktur und die Finanzierung der Theater abgedeckt sein und nicht als Sonderaufgabe und -ausgabe zählen. Natürlich gestalten sich die einzelnen Methoden in jedem Theater etwas anders. Zu unterscheiden sind dabei zwischen spielplanbegleitenden und allgemein theaterpädagogischen oder vermittelnden Angeboten: Also ob eine bestimmte Inszenierung im Fokus der Maßnahme steht, oder die Darstellenden Künste im Allgemeinen und ebenfalls kann die Absicht der Maßnahmen variieren (vgl. dazu 2.2). Gemäß den selbst gesetzten Leitlinien der Landesbühnen ist das Kinder- und Jugendtheater als ein Schwerpunkt der Landesbühnenarbeit anzusehen – und dieses wiederum scheint unauflöslich mit partizipatorischen Angeboten verbunden. Dies spiegelt sich auch in den Darstellungen des theaterpädagogischen Programms der Landesbühnen wider: Angebote der Vermittlung oder mit partizipatorischem Charakter sind hauptsächlich im Bereich des „jungen Theaters“ zu finden, beziehungsweise werden auf den Webseiten verstärkt dort dargestellt. Der Fokus der theaterpädagogischen Arbeit scheint also – erwartungsgemäß – auf jungem Publikum zu liegen. Zugleich ist aber der deutschlandweite Trend ebenfalls erkennbar, dass auch das Seniorentheater verstärkt ins Blickfeld gerückt wird

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und Spielclubs für „Best Ager“ oder generationenübergreifende Projekte sind keine Seltenheit mehr. Im Falle der Landesbühnen ist grundsätzlich zu unterscheiden, welche Formate nur im Stammsitz der Landesbühne, also quasi im Rahmen der Stadttheaterfunktion zugänglich sind und welche Maßnahmen auch für die Menschen in den Gastspielorten konzipiert sind. Auch hierbei gilt es die Unterscheidung zwischen spielplanbezogenen Formaten und solchen der allgemeinen Theaterpädagogik zu berücksichtigen. Da die Bezeichnung der einzelnen Angebote, Projekte und Programme teils variiert und in jedem Theater eine Vielzahl ausdifferenzierter Beschreibungen für die einzelnen Maßnahmen verwendet werden, wird hier auf eine umfassende Einzeldarstellung verzichtet und das theaterpädagogische, respektive das Vermittlungsrepertoire der Landesbühnen zusammenfassend im Überblick dargestellt.43 Die häufigste Methode für die Vermittlung einer konkreten Inszenierung, ihrer Inhalte sowie ihres künstlerischen Konzeptes, sind auch bei den Landesbühnen klassischerweise begleitende Texte und Dokumente, die gleichwertig als Printprodukt als auch digital zur Verfügung gestellt werden. Dazu gehören Materialmappen als Anleitung für eigene (beispielsweise im schulischen Kontext durchgeführte) theaterpädagogische Arbeit, mit Hintergrundinformationen zur Inszenierung sowie des Kontextes der Produktion, oder auch schlicht ein ausführliches Programmheft mit weiterführenden Informationen über das Stück, die Aufführung, die beteiligten Personen. Grundsätzlich handelt es sich um ein relativ offenes Angebot, da die Texte und Informationen theoretisch für jeden zugänglich gemacht werden können, da sie sowohl an den Stammsitzen vor Ort als auch bei den Gastspielen ausgelegt und verteilt werden können – und online sowieso ortsungebunden verfügbar sind.44 Allerdings richten sich diese Materialien (überwiegend) nur an die bereits an der Theaterarbeit interessierten Menschen. Ergänzend zu den verschriftlichten Informationen bieten einige der Landesbühnen dialogische Veranstaltungen an: Einführungsveranstaltungen unmittelbar vor einer Vorstellung, sowie Publikumsgespräche (beispielsweise mit Schauspielern, dem Dramaturg, Regisseur oder anderen Beteiligten) nach einer Aufführung. Diese Angebote im Zusammenhang mit einer bestimmten Produktion werden vor Ort und außerhalb angeboten und erreichen somit sowohl das Publikum im Stammsitz als auch außerhalb auf Gastspielen. Einige der Landesbühnen bieten darüber hinaus Informationsveranstaltungen zur Vorstellung des gesamten Spielplanes an, bei denen die Dramaturgie der Spielzeit erläutert und die einzelnen Produktionen vorgestellt werden, ergänzend dazu gibt es intensivere individuelle Veranstaltungen für Gastspielhäuser und Veranstalter

43 Die Ergebnisse der Recherche für dieses Kapitel wurden in dem Artikel verarbeitet, der im Rahmen der ICCPR 2016 präsentiert wurde (Schröck 2016). Dieser war wiederum Grundlage für einen Artikel, der im Rahmen der ITYARN-Konferenz vorgestellt wurde (Schröck 2017b). 44 Sprachbarrieren werden dabei jedoch selten berücksichtigt, die Materialsammlungen sind meistens einsprachig auf Deutsch verfasst. Ein bemerkenswerter Sonderfall ist das erste Spielzeitheft der ab der Spielzeit 2018/19 neu eingesetzten Intendantinnen des Landestheaters Marburg, das die Informationen zu den Stücken in drei Sprachen – deutsch, englisch, arabisch – vorhält. Auch wenn die nicht-deutschen Texte kürzer sind als die deutschen und sich der Informationsgehalt auf eine Beschreibung des Stückes beschränkt, wird hier ein multilinguales Publikum mitgedacht, siehe Hessisches Landestheater Marburg 2018.

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oder für Multiplikatoren wie beispielsweise Lehrer. Diese können sowohl einmal im Jahr stattfinden, beispielsweise vor der Sommerpause mit Blick auf die nächste Spielzeit, oder regelmäßig über eine längere Dauer, wie zum Beispiel ein Lehrerstammtisch. Veranstaltungsangebote, die stärker auf eigene Tätigkeiten abzielen, also beispielsweise spielpraktische Workshops zur Vor- oder Nachbereitung einer Inszenierung ebenso wie allgemeine theaterpädagogische Workshops, werden je nach Umsetzung ebenfalls als reisendes Format für die Veranstaltungsorte der Gastspiele angeboten. Diese Möglichkeiten werden auf den Webseiten meist unter Schlagworten wie „Theaterpädagogik unterwegs“ oder „Theater für alle“ oder „Auf Reisen“ gesammelt, oft gibt es nähere Informationen jedoch nur nach vorheriger Kontaktaufnahme, da individuelle Absprachen getroffen werden müssen. Es gibt darüber hinaus einige Formate, die nur am Stammsitz der Landesbühnen angeboten werden, nämlich solche, die sich auf die Bühne als Haus beziehen (Führung hinter den Kulissen etc.), die den Probenprozess begleiten (sowohl einmalig, wie Probenbesuche, aber auch langfristig angelegte, wie beispielsweise Probenklassen, die eine Produktion in ihrem Entstehungsprozess länger begleiten); oder solche, die als theaterpraktische Veranstaltung längerer Dauer ausgelegt sind (Jugendclubs mit regelmäßigen Treffen, Bürgerbühnen-Formate und ähnliche). Einige Landesbühnen fallen zudem durch besondere Projekte auf, die eine intensive Beteiligung nicht-professioneller Akteure beabsichtigen, oder die in besonderer Zusammenarbeit mit Partnern, zum Beispiel mit Schulen, entstanden sind und sich besonderer Strategien bedienen. Diese besonderen partizipatorischen Ansätze wurden bei der Auswahl der Fallbeispiele und der Interviewpartner berücksichtigt und werden in diesem Kontext im weiteren Verlauf näher beschrieben. Mit Blick auf die öffentlich zugänglichen Informationen und einer Betrachtung der Landesbühnen in ihrer Gesamtheit ist festzustellen, dass die Landesbühnen zwar ein Standard-Repertoire gleichermaßen in ihrem Stammsitz und auf Reisen anbieten, partizipatorische Formate mit einer höheren Eigenaktivität der Beteiligten jedoch meist auf die eigene Stadt (und das unmittelbare Umfeld) beschränkt zu sein scheinen. Allerdings ist hierzu nur bedingt eine eindeutige Aussage zu treffen, da die mobilen theaterpädagogische Angebote zwar zum Teil öffentlich beworben werden, es jedoch schwer nachzuvollziehen ist, in welchem Umfang diese tatsächlich wo und wie realisiert werden. Die Frage des „Warums“, also weshalb sich Unterschiede ergeben, lässt sich durch eine quantitative Betrachtung zunächst nicht erschließen, daher hat dieser Aspekt auch in den Interviews Berücksichtigung gefunden. Es lassen sich jedoch bereits Vermutungen anstellen, die zu dem Ausgangspunkt zurückführen und die Frage nach der Kernaufgabe in den Fokus nehmen. Susanne Keuchel und Benjamin Weil haben im Auftrag des Zentrums für Kulturforschung eine umfangreiche Erhebung zum Thema „Bildungsangebote in klassischen Kultureinrichtungen“ durchgeführt und die Ergebnisse unter dem Titel „LERNORTE oder KULTURTEMPEL“ (Keuchel u. a. 2010) veröffentlicht. Befragt wurden dafür unter anderem alle deutschen Theater45 und es konnte festgestellt werden, dass die Vielfalt und der Umfang der sogenannten Bildungsangebote in den vergangenen Jah-

45 Inklusive Orchester und Musiktheater, sowie eine Auswahl Museen und Bibliotheken, siehe dazu Keuchel u. a. 2010, S. 5.

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ren zugenommen hat (vgl. ebd.),46 was sowohl die zunehmende Bedeutung solcher Formate bestätigt, als auch die Entwicklung eines gewissen Standard-Repertoires erklärt. Gleichermaßen stellen die Autoren die hier bereits beschriebene vorherrschende Diskrepanz über die Auffassungen der Haupt- und Nebenaufgaben der Institutionen fest und verweisen auch auf Hindernisse bei der Befragung: Einige der befragten Institutionen merkten an, dass doch bereits die Aufführung eines Theaterstücks „per se ein Bildungsangebot“ (ebd., S. 11) sei; daher musste sowohl bei der Datenerhebung als auch der Auswertung darauf hingewiesen werden, dass im „Fokus der Studie [...] jedoch nicht die elementaren Programminhalte dieser Einrichtungen, sondern die konkrete Vermittlung derselben“ (ebd.) standen.47 Ein Ergebnis der Untersuchung ist jedoch, dass „Kulturtempel auch Bildungseinrichtungen sind“ (ebd., S. 13). „Auf der anderen Seite stehen vor allem die Kunstproduzenten, also die Theater [...] in einem Zwiespalt zwischen dem [...] Anspruch, Kunst zu produzieren und/oder Bildung zu vermitteln“ (ebd.), auch wenn alle Einrichtungen sich in diesem Feld betätigen, ging es um die Bewertung, um die „Gewichtung. So weisen die kunstproduzierenden Kultureinrichtungen darauf hin, dass Bildung gar nicht ihre zentrale Aufgabe und dieser Aufgabenbereich letztlich auch nicht budgetiert sei“ (ebd., S. 13 f.). Projektarbeit und Förderprogramme

Ergänzende Angebote, die über den normalen Spielbetrieb hinausgehen, besondere Projekte und Kooperationen, die nicht dem Standard-Programm entsprechen, sind demnach oftmals nur möglich durch zusätzliche finanzielle Mittel oder ergänzende Förderprogramme. Gerade diese Förderprogramme stiften andererseits auch dazu an, sich neuen Strukturen gegenüber zu öffnen oder sich in neue Bereiche vorzuwagen und im Idealfall geben sie einen notwendigen Impuls, der sich zu einer Verstetigung entwickeln kann. In den vergangenen Jahren wurden auf Bundesebene unterschiedliche Programme aufgelegt, von denen zum Teil auch einige der Landesbühnen profitierten. Mit den Konzeptionen dieser Förderprogramme, deren Ausrichtung wird erneut die grundlegende Frage berührt, was als Leistung von den (öffentlich getragenen) Theatern grundsätzlich erwartet werden kann, und welche Dinge als Zusatz, als „Extra“ angesehen werden und somit der Drittmittelfinanzierung bedürfen.

46 Von dieser Feststellung geht auch das Forschungsprojekt „Von Bürgerbühnen und Stadtprojekten – Neu-Formatierung als Symptom des institutionellen Wandels im gegenwärtigen deutschen Stadt- und Staatstheater“ aus: „Allein die Gesamtsumme der Veranstaltungen der sogenannten ‚fünften Sparte‘ hat sich in den vergangenen 15 Jahren verdreifacht. Es handelt sich bei den dort zusammengefassten Veranstaltungen um verschiedene Formen wie beispielsweise szenische Lesungen, Performances, Konzerte, Workshops etc. Darüber hinaus sind zahlreiche neue Formen im Programmangebot zu verzeichnen, wie z.B. weitreichende Kulturvermittlungsangebote, partizipative Projekte und ortsspezifische Stückentwicklungen“ (DFG-Forschungsgruppe Krisengefüge der Künste 2017c). 47 „Vermittlungsangebote, die über das Regelprogramm hinausgehen, stehen im Fokus dieser Studie. Unter einem kulturellen Bildungsangebot werden also im Rahmen dieser Studie Angebote verstanden, die durch künstlerisch-kreative und/oder rezeptiv-analytische Vermittlungsmethoden einer speziellen Zielgruppe Kunst und Kultur nahebringen“ (Keuchel u. a. 2010, S. 12).

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Hier lässt sich in mehrfacher Hinsicht auf das kulturpolitischen Verständnis von Verantwortlichkeiten referieren: Entscheidend ist nicht nur, wer mit welcher Begründung in der Position steht, also die Macht hat, eine Einstufung in „Kern-“ und „Sonder-“ Aufgaben vorzunehmen, sondern auch wer die Konsequenzen dieser Entscheidung zu tragen hat. Darüber hinaus spielen die Ebenen der staatlichen Kulturpolitik für diese Prozesse ebenfalls eine Rolle: Die Zuständigkeit für die Bereitstellung einer kulturellen Infrastruktur und Grundversorgung liegt bei den Bundesländern und Kommunen, die Bundesebene kann daher nur ergänzend tätig werden, was sich auch in der Ausgestaltung der Instrumente abbildet. Dennoch und zugleich ist eine Absicht der Programme, Innovation zu ermöglichen, etwas Außergewöhnliches anzustoßen, was dann vielleicht zukünftig in der Landschaft der Darstellenden Künste Normalität werden könnte oder sollte. Eine Betrachtung der Sonderprogramme kann demnach aufzeigen, wo eine Diskrepanz besteht zwischen der Erwartung, respektive Annahme, was ein Theater originär als eine wichtige Aufgabe ansehen sollte und was realiter als solche verankert ist, beziehungsweise welche eben (immer noch, weiterhin) als Sonderprogramm, als Zusatz und Extra bewertet werden (muss). Wenn also eine Landesbühne innerhalb eines solchen Programms gefördert wird, könnte dies so gedeutet werden, dass das entsprechende Projekt nicht als eigentliche Kernaufgabe verstanden wird, demnach dafür nicht genug Ressourcen dafür eingeplant wurden oder zur Verfügung stehen, es somit nur als (einmaliges) Sonderprojekt realisiert werden kann.48 Einige Bundesländer, Städte und Regionen haben ebenfalls besondere ergänzende Projektförderinstrumente aufgelegt, durch die eine besondere Unterstützung neuartiger Formate möglich werden soll; da hier aber die Gesamtheit der Landesbühnen betrachtet wird, muss der Fokus auf den Programmen liegen, die theoretisch allen Landesbühnen offen stehen. Von den unterschiedlichen Förderprogrammen der Kulturstiftung des Bundes49 sollen einige dargestellt werden, die den Aufgabenbereich der Landesbühnen in bestimmter Weise berühren: Es gibt einige Programme, die sich explizit an die Akteure der Darstellenden Künste richten, sowie andere, die sich durch eine Genre-Offenheit auszeichnen. Die folgenden drei ausgewählten sind für diese Arbeit interessant, da sie die Felder Kooperation, Vermittlung und Transformation als Förderabsicht beschreiben.50

48 Dass eine Förderung auch heißen kann, dass die Landesbühne geschickt im Antragsschreiben ist und bereits bestehende Strukturen, beispielsweise bereits einen Kontakt zur Freien Theaterszene, genutzt hat, um Bundesfördermittel zu erhalten, wäre natürlich auch eine Auslegung, diese ist hier jedoch für die Argumentation nicht hilfreich. 49 „Die Kulturstiftung des Bundes fördert Kunst und Kultur im Rahmen der Zuständigkeit des Bundes. Ein Schwerpunkt liegt auf der Förderung innovativer Programme und Projekte im internationalen Kontext. Außerdem erschließt sie künstlerische und interdisziplinäre Wissenspotenziale für die Diskussion gesellschaftlicher Fragen“ (Kulturstiftung des Bundes 2019a). 50 Es gab zwei weitere Programme mit dem Schwerpunkt Teilhabe und Mobilität, die jedoch bereits eingestellt wurden, beziehungsweise nur für einen bestimmten Zeitraum konzipiert waren: Mit „Heimspiel“ wurden Projekte unterstützt, „die sich mit der urbanen und sozialen Realität der Stadt auseinandersetzen und ein neues Publikum für das (Stadt-)Theater gewinnen sollten“ (Kulturstiftung des Bundes 2019d); die „Wanderlust“ „unterstützte deutsche Stadt-, Staats- und Landestheater, die das Fernweh gepackt hatte und die sich zu neuen Ho-

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Grundsätzlich verstehen sich die Programme als Strukturförderfonds, als Ausdruck des „Engagement[s] für die Zukunftsfähigkeit der deutschen Theaterlandschaft“ (Kulturstiftung des Bundes 2019b). Der Fonds „Doppelpass“ fördert Kooperationen zwischen Freien Theatern und stehenden Theaterbetrieben und setzt sich zum Ziel „die freie Szene und Theaterinstitutionen in Deutschland zum Erproben neuer, tourfähiger Formen der Zusammenarbeit und künstlerischen Produktion anzuregen. Die Förderung will Künstler/innen beider Seiten den nötigen Freiraum eröffnen, um ihre Strukturen und Arbeitsweisen produktiv zu verbinden“ (ebd.) – demnach soll also eine Verbindung zwischen den Produzenten der Theaterlandschaft geschaffen werden; in einer neuen Auflage wurde die Absicht außerdem um den Gedanken eines Gastspiels erweitert: „Zu den bisherigen Tandems aus freier Gruppe und Theaterhaus kommt ein weiteres Partnerhaus hinzu. Die einzelnen Produktionen werden zwischen den Häusern ausgetauscht“ (ebd.). Hier soll also in mehrfacher Weise das unterstützt werden, was für die Landesbühnen – theoretisch – bedeutsam oder gar bereits normal sein könnte, nämlich eine Zusammenarbeit mit Freien Theatern, wenn man davon ausgeht, dass die Landesbühnen dafür prädestiniert sein könnten (vgl. dazu Kapitel 2), und die gemeinsame Entwicklung von gastspielfähigen Produktionen. Auch wenn das Problem der Nachhaltigkeit leider meist ungelöst bleibt, könnte eine kooperative Arbeit, verbunden mit einem Gastspielaustausch als Potenzial für eine neue Verbindung innerhalb der Theaterlandschaft gewertet werden. In den vergangenen Jahren wurden aus diesem Fonds Kooperationsprojekte der Landesbühnen Sachsen, des Landestheaters Schwaben und des Landestheaters Tübingen gefördert.51 Das Förderprogramm „TANZLAND“, das ausschließlich für Tanztheater konzipiert ist, richtet sich an die Gastspiellandschaft und bezieht sich auf die Ungleichheit der Angebote und Zugangsmöglichkeiten zwischen urbanem und ländlichen Raum, die insbesondere bezogen auf den zeitgenössischen Tanz deutlich wird; es gebe ein „Gefälle zwischen den Angeboten in Großstädten, in denen die meisten der 60 fest an Stadtund Staatstheatern arbeitenden Tanzensembles beheimatet sind, und kleineren Orten, in denen, meist mangels eigener Ensembles, nur selten zeitgenössischer Tanz oder auch Ballett auf den Bühnen zu sehen sind“ (Kulturstiftung des Bundes 2019f). Um diesen Zustand zu beheben, fördert TANZLAND Gastspiele und will somit „das Angebot an zeitgenössischen Tanzproduktionen ganz gezielt in kleineren und mittleren Städten erweitern oder überhaupt erst möglich machen“ (ebd.). Dabei soll es nicht nur um reine Abspielvereinbarungen gehen, sondern es sollen Zusammenarbeiten initiiert werden, die möglichst nachhaltig wirken. So ist das Ziel, die „Gastspielpraxis durch Kooperationen auszubauen und zu intensivieren und damit Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass diese Praxis auch nach dem Förderprogramm der Kulturstiftung des Bundes Anerkennung und Interesse bei Publikum und potenziellen öffentlichen Förderern erfährt“

rizonten aufmachen wollten [...] förderte auf Antrag eine feste Austauschpartnerschaft mit einem ausländischen Theater für die Dauer von zwei bis drei Spielzeiten“ (Kulturstiftung des Bundes 2019h). 51 Sowie aktuell 2018 ein Projekt mit dem Landestheater Marburg; für weitere Informationen und Beschreibungen aller Doppelpass-Projekte siehe Kulturstiftung des Bundes 2019b.

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(ebd.).52 Einige bemerkenswerte Besonderheiten zeigen sich in der konkreten Umsetzung des Programms: Antragssteller müssen Mitgliedstheater der INTHEGA sein und einen Partner für die Gastspielkooperation finden; das heißt rein formal können Theaterhäuser mit eigenem Ensemble als Gastspiel gebende Häuser keinen Antrag von sich aus stellen. Zudem können und sollen „[b]egleitende Veranstaltungen aus dem Bereich Tanzvermittlung und Publikumsarbeit, die das Interesse und die Neugier an zeitgenössischem Tanz fördern“ (Dachverband Tanz Deutschland e. V. 2019a) unterstützt werden. Diese sind sogar mit entscheidend für eine Förderzusage: „Denn die Entwicklung neuer Vermittlungsangebote in Zusammenarbeit mit Akteuren und Institutionen am Gastspielort ist ein wichtiger Aspekt von TANZLAND. Die von TANZLAND geförderten Gastspielkooperationen zeichnen sich durch ihre Arbeit mit dem Publikum vor Ort aus und sollen in dieser Hinsicht modellhaft wirken“ (ebd.). Diese Strukturförderung ist somit ein Steuerungsinstrument für den Gastspielmarkt – ein wenig nachgefragtes Produkt soll gestärkt werden – und ein Instrument für die Stärkung partizipatorischer Arbeit. Zeitgenössisches Tanztheater und dessen Vermittlung scheinen demnach ein Desiderat innerhalb der Gastspiellandschaft zu sein, sonst würde ja keine solche Sonderförderung vonnöten sein. Zugleich setzt dieses Programm genau an der Problematik der geringen Rezeptionserfahrungen und den damit verbundenen eingeschränkten Entwicklungsmöglichkeiten an, bezogen auf persönlichen Geschmack, Kenntniserweiterung und damit zusammenhängend der Entwicklung von Bewertungskriterien für Theater. Zur Zeit partizipieren zwei Landesbühnen an dem Förderprogramm. Weitere Tanzensembles verschiedener Landesbühnen sind zwar als potenzielle Partner auf der Webseite des Programms verlinkt (ebd.), beispielsweise das Ballett des SchleswigHolsteinischen Landestheaters oder des Landestheaters Detmold; bislang gibt es aber keine weiteren Zusammenarbeiten. Daraus ließe sich entweder folgern, dass die Landesbühnen im Bereich des zeitgenössischen Tanzes keine solche Förderung nötig, oder dass andere Produzenten sich dieser Nische angenommen haben. Die Beschreibung einer konkreten Zusammenarbeit relativiert die gerade dargestellte Bedeutung der Vermittlungsarbeit; es scheint, dass mit dieser keine gemeinsame künstlerische Arbeit gemeint ist, sondern das Heranführen an das Tanztheater mit der Absicht, neue Zuschauer zu generieren. Allerdings verweist dieses Beispiel auch darauf, dass es durch die Förderung möglich wird, eine infrastrukturelle Barriere zu überwinden: „Durch die TANZLAND-Gastspiele müssen die Schulen in Neuburg nicht mehr mit vielen Kindern in eine andere Stadt fahren, um eine hochkarätige Tanzproduktion zu erleben: zwei Gastspiele des Nordharzer Städtebundtheaters Halberstadt/Quedlinburg finden in den kommenden zwei Jahren auf der Bühne des Stadttheaters statt. Beide Vorstellungen richten sich besonders an Kinder zwischen 5 und 12 Jahren und erweitern damit die städtische Kindertheaterreihe um hochkarätige Tanzproduktionen. Das Ballett des Nordharzer Städtebundtheaters erhält durch die TANZLAND-Gastspielkooperation die Möglichkeit, Gastspiele in einer anderen

52 In diesem Satz zeigt sich die Erwartungshaltung, dass eine Nachhaltigkeit auch dadurch hergestellt wird, dass die anderen kulturpolitischen Verantwortungsebenen nach der Projektförderung eine weitere Arbeit finanzieren sollten, was zu Konflikten führen könnte und keinesfalls als selbstverständlich anzusehen ist.

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Region durchzuführen und so ein neues Publikum zu gewinnen“ (Dachverband Tanz Deutschland e. V. 2019c). Die Kooperation zwischen dem Stadttheater Herford und der Deutschen Tanzkompanie Neustrelitz53 zeigt hingegen exemplarisch, dass auch andere Schwerpunktsetzungen möglich sind: „Mit einem Labor, das zum tänzerischen Experimentieren einlädt, vielen Workshops und Gastspielen kommt die Deutsche Tanzkompanie nach Herford: gemeinsam mit dem Publikum möchten sich die 14 Tänzer*innen überraschen lassen. Aktionen und Projekte für Erwachsene, Kinder und Jugendliche lassen den Tanz immer wieder neu erleben“ (Dachverband Tanz Deutschland e. V. 2019b). Das dritte hier erwähnenswerte Programm richtet sich nicht ausdrücklich an Akteure der Darstellenden Künste, sondern beabsichtigt eine regional bezogene Entwicklung: „Mit dem Programm ‚TRAFO – Modelle für Kultur im Wandel‘ wendet sich die Kulturstiftung des Bundes erstmals gezielt an ländliche Regionen und kleinere Gemeinden mit ihrem Kulturangebot, um dort Transformationsprozesse anzustoßen“ (Kulturstiftung des Bundes 2019g). Es werden also explizit künstlerische Projekte gefördert, die im Sinne einer Institutionskritik die Absicht haben, die bestehenden Verhältnisse zu ändern, also im Prinzip als „angewandte Kunst“ zu verstehen sind (vgl. hierzu Kapitel 2.2.2). Angesprochen ist aber nicht eine einzelne Institution, sondern die Kulturlandschaft eines Gebietes: „In Zusammenarbeit mit ausgewählten Modellregionen werden in enger Kooperation mit den beteiligten Partnern vor Ort Konzepte für eine Transformation bestehender Kultureinrichtungen entwickelt. Dabei geht es nicht allein darum, möglichst viele dieser Einrichtungen zu bewahren, sondern vielmehr nach ihrer veränderten Rolle zu fragen: Wen wollen wir erreichen? Wie soll ein attraktives Kulturangebot für die Stadt und die Region in Zukunft aussehen? Wie kann es anders organisiert werden? Gefördert werden Projekte und künstlerische Ansätze mit Pionierfunktion, die neue Wege kultureller Produktion aufzeigen“ (Kulturstiftung des Bundes 2019g). Innerhalb des geförderten Vorhabens „Lernende Kulturregion Schwäbische Alb“ stehen die Vernetzung unterschiedlicher professioneller und ehrenamtlicher Akteure aller Sparten und deren Zusammenarbeit ebenso im Fokus wie das Ausprobieren neuer Formate und nicht zuletzt die Entwicklung der Region im weiteren Sinne, nicht nur bezogen auf Kunst und Kultur. In diesen Absichten spiegelt sich die idealtypische Vorstellung, dass Kultureinrichtungen auch als gesellschaftlicher Ort des Aushandelns und als relevante Impulsgeber für Aspekte des Zusammenlebens fungieren können. „In sogenannten Kulturwerkstätten arbeiten des Theater Lindenhof in Melchingen, das Landestheater Tübingen, das Federseemuseum Bad Buchau, die Opernfestspiele Heidenheim und die inter!m-Kulturhandlungen [sic] an gemeinsamen Projekten mit Künstler/innen, Schulen und anderen Akteuren auf der Schwäbischen Alb. Dadurch wird ein gemeinsamer Lernprozess in Gang gesetzt, bei dem die Transformation des kulturellen Lebens in der gesamten Modellregion im Mittelpunkt steht“ (ebd.).54

53 Die Tanzkompanie ist verbunden mit der Theater und Orchester GmbH Neubrandenburg/Neustrelitz und somit Teil dieser Landesbühne. 54 Darüber hinaus sollen durch dieses Projekt auch Fördermittel der Europäischen Union leichter beantragt werden können, sodass auch weitere Orte und Institutionen der Region davon profitieren können: „Die Kulturwerkstätten geben ihre Erfahrungen an neue Kutur- [sic] und Bildungsträger weiter, die in einem Regionalfonds eigene Projekte beantragen können. Hier-

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Bei einer Betrachtung von Zukunftsszenarien für die Theaterlandschaft, innerhalb derer die Landesbühnen eine besondere Rolle einnehmen könnten, stellt sich die Frage, ob und wie diese Sonderaufgaben ihren Status als Extra verlieren sollten und als „normales“ Geschäft der Kulturinstitutionen angesehen werden könnten. Dies müsste sich dann nicht nur in entsprechenden Absichtserklärungen oder Zielvereinbarungen, sondern vor allem auch in den entsprechenden Budgets äußern. Gleichermaßen sollte beobachtet werden, wo die Vorhaben, die durch diese Sondermittel ermöglicht werden, zwar eigentlich schon als Hauptaufgabe verstanden und eingefordert werden, deren Umsetzung jedoch an den Rahmenbedingungen scheitert und von Drittmitteln abhängig bleibt. Ebenfalls in diesem Kontext aufzuführen (auch wenn es bereits verschiedentlich erwähnt wurde) ist „Kultur macht stark. Bündnisse für Bildung“, ein Förderprogramm des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, durch das außerschulische kulturelle Bildungsangebote gefördert werden. Zielgruppe sind bildungsbenachteiligte Kinder und Jugendliche (nach Definition des Bundesministeriums, vgl. Bundesministerium für Bildung und Forschung 2019), Anspruch ist die Herstellung sozialer Gerechtigkeit bezogen auf (kulturelle) Bildungsprozesse. Ein wichtiger Bestandteil innerhalb des Programms und der Einzelprojekte ist das zivilgesellschaftliche Engagement: „Die Verantwortung für die Bildung junger Menschen muss als gesamtgesellschaftliche Aufgabe verstanden werden. Mit den Bündnissen für Bildung formieren sich lokale Netzwerke von Akteuren der Kultur-, Bildungs- und Jugendarbeit mit dem Ziel, vor Ort dauerhaft Unterstützungs- bzw. Bildungsangebote zu etablieren. Gestützt von ehrenamtlichen Helfern transportieren die Bündnisse kulturelle Bildung direkt in den Sozialraum der benachteiligten Kinder und Jugendlichen und regen auch Eltern und weitere Personen oder Einrichtungen aus dem Umfeld zur Mitarbeit und -gestaltung an. Bündnisse für Bildung tragen so dazu bei, zivilgesellschaftliches Engagement nachhaltig zu stärken und eine neue soziale Bewegung für gerechte Bildungschancen anzustoßen“ (ebd.). Auch hier steht wieder eine Kooperation im Fokus der Förderungen, in diesem Fall angesiedelt am Grenzbereich zwischen Bildung, Kultur und Sozialem; also in einem Feld, das nach den bisherigen Überlegungen auch als selbstverständliches Wirkungs- und Handlungsfeld für öffentlich getragene Kulturinstitutionen angesehen werden könnte (vgl. hierzu die obigen Ausführungen in Kapitel 2.2.6 hinsichtlich einer Verantwortungszuschreibung und Querschnittsaufgabe vor allem im Bereich der Kulturellen Bildung). Von den Landesbühnen wurden beispielsweise die Landesbühnen Sachsen und Die Badische Landesbühne durch das Programm gefördert.55

für stellt TRAFO gemeinsam mit dem EU-Förderinstrument LEADER Mittel zur Verfügung. Modellhaft soll so ein EU-Fördertopf weiter für die Kultur geöffnet werden. Die Verwaltungen arbeiten überregional zusammen, um die Kultureinrichtungen bei der Antragstellung und Umsetzung ihrer Projekte zu unterstüzen [sic]“ (Kulturstiftung des Bundes 2019g). 55 Das Programm ist recht komplex aufgebaut und auf mehrere Projektträger verteilt, siehe dazu Bundesministerium für Bildung und Forschung 2019 und weiterführend die Evaluation des Programms, Lehmann u. a. 2018.

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3.2.4 Kollektivum Landesbühne? Eine Annäherung Die kurze, nicht in die Tiefe gehende und allgemein gehaltene Betrachtung der Landesbühnen anhand ihrer statistischen Kennzahlen bestätigt das, was bereits durch die vage gehaltenen Definitionsversuche anzunehmen war: „Die“ Landesbühne gibt es nicht, zu groß ist die Varianz der Unternehmen, die Angebotsgestaltung und die Ausprägung der Gastspieltätigkeit. Möchte man es defizitär formulieren: Ausgehend von der Vorgabe, mehr außerhalb als daheim spielen zu sollen, können nur einige wenige Landesbühnen als „richtige“ Landesbühnen gelten. Offensichtlich reicht diese einfache Rechnung jedoch nicht aus und es müssen neue Beschreibungen formuliert werden. Schließlich scheint eine rein statistische Bewertung und Kategorisierung für den Kulturbereich ungerecht. Natürlich kann ein Theater, das den Auftrag hat, zu reisen, dahingehend überprüft werden, ob es die Auflagen erfüllt, ebenso wie jeder durch Steuergelder finanzierte Betrieb nachweisen können sollte, ob und wie er seinen damit verbundenen Aufgaben gerecht wird. Aber wie genau werden diese Vorgaben, die Beauftragung, bestimmt, festgelegt, überprüft und von wem und wie eingefordert? Wem gegenüber muss ein Theater Rechenschaft ablegen? Natürlich seinen Trägern und Förderern, aber nicht doch auch seinem Publikum? Und genau hier zeigt sich das Problem der Nachweisbarkeit: Über den Impact von Theaterarbeit, die Auswirkungen auf individueller Ebene, im Sinne von Bildungsprozessen oder schlichtweg Erholung, Freude, und ähnlichen Effekten, sagt die Zahlenstatistik nichts aus, die partizipativen Momente bleiben im Verborgenen (vgl. dazu Kapitel 2.2). Selbst wenn man darauf beharrte, Landesbühnen nach der Quote der Gastspielveranstaltungen oder nach den Auslastungszahlen im Stammsitz und unterwegs einzustufen und zu bewerten, müsste man mehr Daten erheben: Man müsste auch die Variablen berücksichtigen, die diese Zahlen bedingen, also eben das „Warum“ einbeziehen. Dass die Landesbühnen in ihrem Leitbild die Formulierung vermeiden, dass das Landesbühnen-Sein sich durch eine bestimmte Quote an Gastspielen auszeichnen würde, lässt ja bereits Vermutungen über die aktuelle Situation und die Entwicklungen zu: Vielleicht braucht es die Landesbühnen und ihr reisendes Angebot nicht mehr so wie früher? Oder es entspricht einfach der Tatsache, dass die Landesbühnen einfach keine Reisebühnen mehr in diesem Sinne sein können. Es muss also auf andere Weise denn durch einen Kennzahlenvergleich dargestellt werden, was „Landesbühne“ auszeichnet. Im Ansatz wurde versucht, sich dem durch eine Betrachtung der „Kernaufgabe“ und der „Sonderprogramme“ zu nähern, doch auch hier stößt die Dokumentenanalyse an ihre Grenzen. Bemerkenswert ist, dass die Landesbühnen, bei aller Heterogenität der einzelnen zu dieser Gruppe gehörenden Theater, darauf bedacht sind, als Kollektiv aufzutreten und nach außen zu kommunizieren, dass es meist um die Landesbühnen im Plural, nicht um eine Landesbühne im Singular geht. Sie versuchen also die Wahrnehmung ihrer selbst nach außen hin zu stärken und sich gemeinsam als einen für die Theaterlandschaft unverzichtbaren Akteur darzustellen (vgl. dazu Kapitel 2.3). Deutlich wird dies unter anderem durch das Landesbühnen-Festival, das unter dieser Maßgabe entstand und besteht: „Mit den Landesbühnentagen riefen die deutschen Landestheater 1981 ihr eigenes Festival ins Leben. Damals – wie auch heute – stand das Theatertreffen ganz im Zeichen der Repertoirevielfalt. Nicht die Leistung der einzelnen Ensembles soll beurteilt, sondern die Bandbreite und das Gesamtschaffen der Theater gewürdigt werden.

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Es erfolgt demnach auch keine Prämierung einzelner Produktionen oder Akteure. Die Landesbühnentage besitzen Werkschaucharakter: Sie demonstrieren den Grundgedanken der Landestheater, die Programmfülle und Breitenwirksamkeit sowie den Erhalt der einzigartigen Theaterlandschaft“ (Deutscher Bühnenverein / Landesbühnengruppe 2012, S. 15). Die Gesamtheit der Landesbühnenkunst wird angepriesen und diese – die Kunst – steht im Zentrum des Festivals, dieses soll als „Leistungsschau“ (Metzger 2014, S. 14) die Vielfalt und Qualität der Landesbühnenarbeit präsentieren und zugleich den einzelnen Theatern als Plattform dienen: Die teilnehmenden Landesbühnen „stellen sich mit ausgesuchten Inszenierungen aller Sparten vor und präsentieren das Beste, was aktuell an deutschen Landestheatern zu sehen ist“ (Landestheater Württemberg-Hohenzollern Tübingen Reutlingen 2018). Die Landesbühnen legen also Wert darauf, in ihrer künstlerischen Qualität wahrgenommen zu werden – der Aspekt des Vergleichens mit anderen, insbesondere in dieser Hinsicht, könnte demnach besondere Bedeutung für sie haben. Das Spannungsfeld zwischen künstlerischer Freiheit und Verwirklichung und gleichzeitiger Verantwortung für eine kulturelle Grundversorgung, scheint die Landesbühnen in ihrem Kern und ihrem Selbstverständnis zu bedingen und wird dementsprechend in den Interviews ausführlich thematisiert und im Verlauf der weiteren Auswertung behandelt werden. Für die Beschreibung eines Modells Landesbühne und für mögliche Reformansätze, ist es nötig, neu zu befragen, was „die“ Landesbühne charakterisiert. Um ein neues Verständnis des Konstrukts zu bekommen, braucht es ein solches der einzelnen Landesbühnen: Was zeichnet (die) Landesbühne aus, was sind tatsächliche konkrete Aufgaben und Arbeitsweisen? Dazu gehören, entsprechend der gerade geführten Reflexion, Fragen zu den Bedingungen und Verhältnissen: In welcher Relation stehen die Landesbühnen zu sich selbst, zum Teil Stadt-, zum Teil Reisetheater? Was sind Elemente, die allen Landesbühnen zu eigen sind, wo liegen Unterschiede? Welche Variablen bedingen die Arbeit der Landesbühnen und beeinflussen die Möglichkeiten für die Erfüllung ihres Auftrages? Wo finden sich welche Partner und Potenziale für die Mission, Beteiligung zu ermöglichen, wo Konkurrenzen und Hindernisse? Um das „Warum“ zu verstehen und ein neues „Was“ herzuleiten, ist es notwendig, sich diesen Fragen qualitativ zu nähern. Dafür sollen auf Grundlage der bislang dargestellten Erkenntnisse bestimmte einzelne Theater und deren Intendanten ausgewählt werden, wie im Forschungsdesign vorgesehen. Für die Bestimmung der Kriterien einer solchen Fallauswahl (vgl. Flick 2011, S. 165 ff.) sollen die Spannungsfelder verwendet werden, innerhalb derer sich die Landesbühnen bewegen und die durch die bisherigen Herleitungen aufgezeigt werden können. Diese Felder, die auch als Rahmenbedingungen für die Theaterarbeit fungieren, bieten Ansatzpunkte für kulturpolitische Steuerung, für strategische, konzeptionelle Entwicklungen; die Diskrepanzen zeigen Baustellen auf, die hinsichtlich einer Reform des Theaters anzugehen sind. Es handelt sich dabei nicht nur um rahmengebende Faktoren, sondern auch um bestimmte Charakteristika, welche die Landesbühnen und ihr Selbstverständnis und somit ihre Handlungen prägen. Durch eine Ermittlung und Darstellung der als typisch zu bezeichnenden Eigenschaften von Landesbühne, kann die Untersuchung auch dazu dienen, eine neue Beschreibung und Einordnung des Modells Landesbühne zu erarbeiten. Für das weitere Vorgehen sind also folgende Feststellungen und Festlegungen entscheidend: Das Kollektiv der Landesbühne wird durch gewisse Faktoren und Attribute bestimmt. Dazu gehören die Reisetätigkeit und Verantwortung als Theater für den

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Stammsitz, der Auftrag, Partizipation zu ermöglichen und im Dienste einer kulturellen Grundversorgung gleichwertige Lebensverhältnisse herzustellen, also gegen die soziale Ungerechtigkeit von Teilhabechancen anzutreten. Die Arbeit für und mit Kindern und Jugendlichen scheint aus verschiedenen, hier dargestellten Gründen ein wichtiger Bereich für die Landesbühnen zu sein und somit auch eine gewisse Allgemeingültigkeit für alle Landesbühnen zu haben. Ebenso ist für alle gleich, dass sie sich auf dem Gastspielmarkt behaupten müssen und sich gleichermaßen als Bildungsinstitution und künstlerisch tätige Akteure verstehen. Ihre Gemeinsamkeit scheint sich auch in einer Abgrenzungsbeschreibung zu spiegeln: Die Landesbühnen sind keine Stadttheater, die auch ab und an Gastspiele anbieten; sie sind keine Tourneetheater, die eine andere Ausrichtung und Struktur haben; sie sind keine Freien Theatergruppen, die unabhängig von Strukturen und Orten produzieren könnten. Alle anderen Eigenschaften, die den einzelnen Typ bedingen, scheinen individuell ausgeprägt zu sein. Dazu gehört, welche künstlerischen Schwerpunkte gesetzt werden oder wie sich das Verhältnis zwischen der Arbeit im Stammsitz und in den Gastspielorten darstellt. Zu diesen individuellen Spezifika zählen auch die Spielstättensituation, die Verortung innerhalb der Theaterlandschaft bezogen auf Partnerschaften oder Abhängigkeiten auf dem Gastspielmarkt, die Anwendung und Ausgestaltung partizipatorischer Maßnahmen, die künstlerische Schwerpunktsetzung und so weiter. Innerhalb folgender Pole scheint die Ausgestaltung der jeweils einzelnen Landesbühnen grundsätzlich changieren zu können: • Kulturpolitische Rahmung – Schwerpunktsetzung: hauptsächlich Stadttheater oder Reisebühne – politische Vorgaben: schriftlich fixiert und eingefordert oder lose Erwartungshaltungen • Strukturelle Gegebenheiten – Budget: gesicherte Finanzierung oder überwiegende Abhängigkeit von Drittmitteln – Spielgebiet: klar definiert oder ohne festgelegte Abgrenzungen • Beziehung zu anderen Akteuren – Stellung auf dem Gastspielmarkt: vertragliche Vereinbarungen oder freier Handel – Positionierung in der Theaterlandschaft: Beziehung zu anderen Theatern positiv, negativ oder neutral • Selbstverständnis – Verständnis von Partizipation: vermittelnd und edukativ oder produktiv und explorativ – Verständnis der Kernaufgaben: Kunst im Mittelpunkt oder breites Kulturverständnis An diesen Spannungsfelder orientieren sich die Fragen des qualitativen Teils der Untersuchung – sie dienen als Kriterien für die Eingrenzung des Gegenstands und als Grundlage für den Leitfaden. So führt beispielsweise die Darstellung der Position auf dem Gastspielmarkt auch zu Erkenntnissen über die Abhängigkeit der Landesbühnen als Produzenten von den Distributoren, den Gastspielhäusern. Diese Beziehungen wiederum charakterisieren das Netzwerk der Theaterlandschaft.

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Um in der Erhebung möglichst vielfältige Einschätzungen zu erhalten und somit ein diverses Datenmaterial zu generieren, sollte die Fallauswahl möglichst eine Vielfalt an Varianten abdecken. Es sollten also Theater näher betrachtet und deren Intendanten als Experten zu Rate gezogen werden, die sich innerhalb dieser Spannungsfelder unterschiedlich verorten. Um den Ansprüchen des Sampling-Verfahrens gerecht werden zu können, müssen jedoch auch Landesbühnen und entsprechend Experten ausgewählt werden, die Ähnlichkeiten zueinander vorweisen, um die Vergleichbarkeit zu wahren. Die Gewichtung der Auswahlkriterien erfolgt gemäß des Forschungsinteresses, so sollten beispielsweise Landesbühnen aus unterschiedlichen Bundesländern ausgewählt werden, um ein möglichst variantenreiches Gebiet in Deutschland mit unterschiedlichen politischen Gegebenheiten abzudecken und um Rückschlüsse auf die kulturpolitischen Rahmenbedingungen (Anforderungen ebenso wie Unterstützung) ziehen zu können; da es aber nicht um eine Analyse der Kulturpolitik der Bundesländer geht, ist es nicht notwendig, jedes Bundesland abzudecken oder alle Landesbühnen eines Bundeslandes zu betrachten. Bei der Analyse geht es nicht nur um Gemeinsamkeiten des Modells Landesbühne oder einer neuen Beschreibung der allgemeinen Kategorie Landesbühne, sondern auch um das Aufzeigen von Besonderheiten, denn diese wiederum ermöglichen das Verständnis von Abhängigkeiten. Die Bandbreite der Aspekte schlägt sich dabei in der Fallauswahl wieder. Es wurde darauf geachtet, unterschiedliche Landesbühnen auszuwählen, bezogen auf: • Größe hinsichtlich Personal/Budget/Spielstätten/insgesamt • Verhältnis Veranstaltungen im Stammsitz und außerhalb / Verhältnis Besucherzahlen im Stammsitz und außerhalb • Spartenangebot des Theaters • (partizipatorische) Angebote im Bereich Vermittlung/Teilhabe/Theaterpädagogik – Anzahl und Art • besondere Formate und Angebote, wie Festivals, Kooperationen mit anderen Theatern Bei dieser Liste handelt es sich um Aspekte, die zum Teil auf einfache Weise auch in quantitativer Hinsicht bestimmt werden können, für deren Interpretation aber ergänzendes Expertenwissen notwendig ist, wie dieses Kapitel aufzeigte. Dementsprechend wurden die reinen Informationsdaten dieser Punkte im Vorfeld der Fallauswahl betrachtet, sie begründen die Einschränkung des Gegenstands und die Expertenauswahl (also wer über diese Bereiche ausreichend Kontext- und Betriebswissen vorweisen kann) und werden ausführlich in den Interviews thematisiert. Entsprechend flossen auch Erkenntnisse der theoretischen Herleitungen ein: So führte beispielsweise die Feststellung, dass partizipatorische Formate insbesondere im Kinder- und Jugendtheater verankert sind, respektive dort originär zur Arbeitsweise dazu gehören, zu einer besonderen Berücksichtigung des Themenfeldes und somit wurde bei der Auswahl der Fallbeispiele dem Bereich „junges Theater“ besondere Bedeutung zugerechnet. Die Zielsetzungen der Arbeit in diesem Bereich, also die mit den partizipatorischen Maßnahmen verbundenen Absichten, können jedoch nur durch die Aussagen von Experten genauer analysiert werden, die zu einem klareren Bild des in den Landesbühnen vor-

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herrschenden Verständnisses von Partizipation beitragen, und nicht alleine durch die Analyse der öffentlichen Projektbeschreibungen. Als eine weitere grundlegende Variable für eine erste Eingrenzung möglicher Fallbeispiele wurde auch die Entstehung der Landesbühnen berücksichtigt, also seit wann das jeweilige Theater die Funktion einer Landesbühne inne hat, ob das Theater ursprünglich als Landesbühne gegründet wurde, oder durch eine Fusion oder Umstrukturierung diese Funktion zugeteilt bekommen hat. Denn diese Entwicklung kann das Selbstverständnis des Theaters, dessen Verankerung in seinem Spielgebiet und sein Image beeinflussen. Darüber hinaus wurde neben den kollektiven Eigenschaften besonders auf Alleinstellungsmerkmale geachtet, also Attribute, welche die einzelne Bühne von den anderen unterscheidet, beziehungsweise die grundsätzlich als Besonderheit zu werten ist. Beispiele hierfür wären die Situation im Bundesland (einzige Landesbühne oder mehrere), die Verortung (ein Stammsitz oder mehrere), Abweichungen vom zu erwartenden Standard, zum Beispiel kein Repertoire- und Ensemblebetrieb. Bei der Auswahl der Theater und der Interviewpartner wurde auch die jeweilige Biographie der Intendanten als Kriterium berücksichtigt. Da die Landesbühne in ihrer Funktion und in ihrer Positionierung innerhalb der Theaterlandschaft betrachtet wird, wurden vornehmlich Intendanten ausgewählt, die neben ihrer Expertenfunktion als Leiter einer Landesbühne Erfahrungen in anderen Organisationsformen gemacht haben (sowohl im Stadt- und Staatstheaterbetrieb als auch in der Freien Szene) und die unterschiedliche Hintergründe haben (Ausbildung, Berufserfahrung etc.).56 Die Expertisen der Einzelnen sollen zu dem Verständnis des Kollektivums beitragen, von dem sie ein Teil sind – die dafür ausgewählten besonderen Theater unter gleichen werden nun im Folgenden porträtiert.

3.3 B ESONDERS

UNTER G LEICHEN BEISPIELHAFTE E XPERTISEN



Durch das iterative Verfahren wurden aus der Gruppe der Landesbühnen zunächst dreizehn Theater in die engere Betrachtung genommen, aus diesen wurden in einer weiteren Überprüfung schließlich sieben für eine weitergehende Analyse ausgewählt und deren Intendanten als zu interviewende Personen festgelegt. Diese Feinauswahl erfolgte unter Berücksichtigung der Kriterien für die Expertenauswahl und bis zu dem erreichten Grad der theoretischen Sättigung. Verkürzt: Es kann davon ausgegangen werden, dass die Betrachtung dieser Auswahl an unterschiedlichen Landesbühnen für diese Untersuchung ausreicht. Allerdings wurden zwei Theaterleiter als ergänzende Experten für die Interviews hinzugezogen, die nicht explizit zu ihrem eigenen Haus, sondern zu der Landesbühnenschaft im Allgemeinen befragt wurden, deren Theater also als Betrieb nicht genauer analysiert wurden. Das Kontextwissen dieser Experten wurde als Mehrwert eingeschätzt, unabhängig von der Struktur der von ihnen geleiteten Landesbühnen. Die Besonderheiten der einzelnen Theater, ihre Entstehung, ihr kulturpolitische Auftrag und die Begründung, warum sie Teil der Untersuchung wurden, werden in

56 Vgl. hierzu entsprechend Kapitel 3.1.

212 | Landesbühnen als Reformmodell

diesem Kapitel vorgestellt und leiten über in die Auswertung der Expertengespräche. Die Informationen über die jeweiligen Häuser wurden als Hintergrundwissen für die Interpretation der Aussagen berücksichtigt und sind notwendig für die Bewertung bestimmter Entscheidungen und Handlungen. Vor allem der jeweilige konkrete Auftrag und die aktuellen Rahmenbedingungen für die Landesbühnenarbeit – soweit an diesem Punkt erkennbar – dienen als Grundlage für die Einschätzung und Deutung des Selbstverständnisses der Landesbühnen. In den kurzen Beschreibungen der ausgewählten Landesbühnen werden die Besonderheiten, zum Teil auch Alleinstellungsmerkmale, hervorgehoben, die für die weiteren Überlegungen und mögliche zukünftige Entwicklungen als beispielhaft angesehen werden können. 3.3.1 Landestheater Württemberg-Hohenzollern Tübingen Reutlingen In Baden-Württemberg, einem Bundesland, das sowohl durch Industrie geprägte Städte und Regionen als auch ländliche Räume umfasst, gibt es drei Landesbühnen. Eine davon ist das Landestheater Württemberg-Hohenzollern Tübingen Reutlingen (LTT), das kurz nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet wurde. Das LTT bespielt neben seinen beiden Stammsitzen Tübingen und Reutlingen unterschiedliche Orte in Baden-Württemberg und gibt darüber hinaus auch bis ins deutschsprachige Ausland Gastspiele. Auf seiner Webseite listet das Theater 28 regelmäßige Gastspielorte (Landestheater Württemberg-Hohenzollern Tübingen Reutlingen 2019b). Verankert ist das LTT in der Stadt Tübingen: Dort wird 1945 das „Städtische Schauspielhaus Tübingen“ gegründet, zwei Jahre später begann die Zusammenarbeit der Städte Tübingen und Reutlingen im Theaterbereich und begründete den „Zweckverband Städtetheater Tübingen Reutlingen“, weitere fünf Jahre später steigt das Bundesland (damals: Württemberg-Hohenzollern) in den Betrieb ein und das Theater wird zur Landesbühne (vgl. Landestheater Württemberg-Hohenzollern Tübingen Reutlingen 2019a). Obwohl das Theater quasi zwei Stammsitze hat, ist es räumlich in Tübingen verortet, wo es Jahrzehnte lang ohne eigenes Theatergebäude tätig war: „In den ersten 35 Jahren war es ‚Untermieter‘ im Museum, litt unter Raumnot und spielte im Wechsel mit dem Kinobetrieb. Seit nunmehr 30 Jahren [Anm. d. A.: Eröffnung der neuen Spielstätte 1979 (vgl. ebd.)] ist es Hausherr der ehemaligen Stuhlfabrik Schäfer und hat wesentlich zur Belebung und Aufwertung der Südstadt beigetragen“ (Rauch u. a. 2009, S. 3). Diese Verankerung im Stadtteil und die Gründungshistorie unterstreicht die Stellung des LTT in seiner Stadttheaterfunktion. Das Theater selbst ist bemüht, diese Funktion mit der Beauftragung als Reisebühne in Einklang zu bringen. Die Doppelverantwortung einer Landesbühne scheint also für das LTT im Selbstverständnis konstituierend zu sein: „Als Landestheater spielt das LTT mehr als ein Viertel seiner insgesamt über 900 Vorstellungen jährlich bei Abstechern. Gleichzeitig ist das LTT Stadttheater für Tübingen und Reutlingen“ (Landestheater Württemberg-Hohenzollern Tübingen Reutlingen 2019a).57 Diese Positionierung spiegelt die Trägerschaft wider: „Wegen ihrer besonderen Aufgabenstel-

57 Hier zeigt sich die Ungenauigkeit der statistischen Datenerfassung, denn laut Theaterstatistik des Bühnenvereins führt das LTT zumindest in den betrachteten Jahren keine 900 Veranstaltungen durch. Auch wenn sich die Zahlen der Theaterstatistik auf die Spielzeit und nicht das Jahr beziehen, gibt es hier eine große Abweichung der Angaben.

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lung werden die Landestheater überwiegend von Land finanziert“ (Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg 2010), laut einer Finanzierungsvereinbarung (Landtag von Baden-Württemberg 2012) von 2012 soll bis 2017 ein Finanzierungsverhältnis von 70:30 (Land zu Stadt) für das Landestheater Tübingen erreicht werden. Auch wenn seitens des Rechnungshofes Bedenken formuliert wurden, dass das Verhältnis der Veranstaltungszahlen des Theaters nicht der paritätischen Förderung entspreche (vgl. Landtag von Baden-Württemberg 2013), werden Überlegungen zu einer „Kommunalisierung“ des LTT als „nicht aktuell“ bewertet (beide Landtag von Baden-Württemberg 2012, S. 5). Kinder- und Jugendtheater als Netzwerk

Die charakteristische Hybridität der Landesbühnen ist ein Faktor, der somit anhand dieses Beispiels gut untersucht werden kann. Ein weiterer ist die Stellung von partizipatorischer Arbeit innerhalb des Hauses und die Bedeutung des Kinder- und Jugendtheaters. Das Theater für junges Publikum hat in Baden-Württemberg besondere Strukturen entwickelt: Die drei dortigen Landesbühnen, also das LTT, die Württembergische Landesbühne Esslingen und die Badische Landesbühne Bruchsal, waren maßgeblich an der Etablierung des „Modells Baden-Württemberg“ für Kinder- und Jugendtheater beteiligt.58 Das Bundesland legt einen besonderen Schwerpunkt auf Theater für junges Publikum, an allen Stadt-/Staatstheatern und Landesbühnen wurden ab Mitte der 1980er Jahre Sparten eingerichtet (am LTT 1984, vgl. Landestheater WürttembergHohenzollern Tübingen Reutlingen 2019a). Die Akteure des Feldes, die öffentlich getragenen Theater und die Freie Szene, organisieren sich in einem 1983 gegründeten gemeinsamen Arbeitskreis (ursprünglich „Arbeitsgemeinschaft“, seit 2011 Arbeitskreis, vgl. Jüttner u. a. 2013, S. 89). Dieser Zusammenschluss, der nicht nur für die Organisation der Baden-Württembergischen Kinder- und Jugendtheatertage und die Verleihung des Theaterpreises zuständig zeichnet, soll „über die Diskussion der spezifischen Interessen der einzelnen Kinder- und Jugendtheater zu einer gemeinsamen Vertretung [...] finden. [...] Zu den wichtigsten Aufgaben gehört neben dem regelmäßigen Problemaustausch [...] die Kontaktnahme zu den beiden Landesministerien, die für kulturelle Anliegen zuständig sind, sowie die Unterstützung in Städten, in denen das Kinderund Jugendtheater noch über keine ausreichende politische Lobby verfügt“ (ebd.). Impulsgebend waren die fünften Baden-Württembergischen Theatertage, die 1981 in Tübingen stattfanden und einen Schwerpunkt auf das Kinder- und Jugendtheater legten. Eröffnet wurde das Festival mit der Uraufführung von Paul Maars „Mützenwexel“: „Hier glückte sogar etwas, womit sich die Theatertage ebenso wie andere Festivals oft vergeblich mühten: die Eröffnung mit einer Premiere, deren Wirkung nicht bis zum Erscheinen der Rezensionen verpufft, sondern nachhaltige Impulse setzt [...] Und es triumphierte eben nicht nur dieses Stück, sondern eine ganze Sparte“ (ebd., S. 16); auf diesem Erfolg aufbauend wurde bei den nächsten Theatertagen in Esslingen ein Parallelfestival für das Kinder- und Jugendtheater gegründet. Diese „Schöne Aussicht“ ist seit 2004 fest am Jungen Ensemble Stuttgart verankert.59

58 Über die Kinder- und Jugendtheaterszene des Landes ist nachzulesen in der Publikation „Schöne Aussicht“ (Schneider u. a. 2012). 59 Die Auswirkungen der Baden-Württembergischen Theatertage auf die Entwicklung der Theater, insbesondere des Kinder- und Jugendtheaters, ist in der Veröffentlichung „Reisen

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Grundversorgung und Vielfalt

Die Landesregierung legt neben der besonderen Unterstützung des Theaters für junges Publikum (siehe dazu den Abschnitt „Kulturelle Bildung als Schwerpunktthema“ in Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg 2010) einen Schwerpunkt auf die Kultur im ländlichen Raum: Dezentralität wird gleichberechtigt mit Liberalität, Pluralität und Subsidiarität als eine der vier Grundprinzipien der Landeskulturpolitik genannt: Kulturelle Teilhabe muss unabhängig vom Wohnort überall ermöglicht werden (vgl. Landtag von Baden-Württemberg 2017, S. 31). „Zur Kulturpolitik im Flächenstaat gehört, Theater in ländlichen Gebieten zu ermöglichen. Diese Aufgabe erfüllen in Baden-Württemberg drei Landesbühnen“ (Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg 2010, S. 69). In der gerade zitierten „Konzeption zur Entwicklung der Kultur in Baden-Württemberg“, werden die Landesbühnen in ihrer Doppelfunktion und in Abgrenzung zu anderen Akteuren definiert. Dabei wird ihre Arbeit als kulturpolitisches Instrument beschrieben, mit dem das Dezentralitätsprinzip durch „Theaterkunst hoher Qualität“ (ebd., S. 70) umgesetzt wird. Sie bietet „einem Publikum, das am Heimatort Theateraufführungen besuchen will, eine leicht zugängliche Möglichkeit und schafft Identifikationen in der Funktion eines örtlichen Theaters für viele Städte und Gemeinden“ (ebd.). Ebenso beschreibt die Konzeption, dass es Auftrag der Landesbühnen sei, „ambitioniertes Ensembleund Repertoiretheater anzubieten“ (ebd.) und dabei „risikofreudige, unbequeme und unberechenbare Kunst mit unterhaltsamen und traditionellen Produktionen“ (ebd.) zu kombinieren. Erwartungsgemäß fordert das Bundesland von seinen Landesbühnen eine qualitätsvolle theatrale Grundversorgung, eine Mischung aus zeitgenössischer und traditioneller Kunst. Wie die Theater dabei die Erwartung erfüllen können oder sollen, Identifikationsort für viele zu sein, wird nicht genauer dargelegt. Bemerkenswert ist der in der Konzeption vermerkte Hinweis auf die Ausrichtung der Spielpläne und die theaterpädagogische Arbeit: „Für die Landesbühnen in Baden-Württemberg sind der Abendspielplan und der Spielplan für Kinder- und Jugendtheater gleichermaßen wichtig. Beide Spielpläne beinhalten ein umfangreiches theaterpädagogisches Angebot und leisten so kulturelle Basisarbeit im ganzen Land“ (ebd.). Eine Gleichberechtigung hieße, dass Theater für Menschen jeden Alters innerhalb des Betriebs die gleiche Stellung hätte – bezogen auf Ressourcen, Veranstaltungen und künstlerische Entscheidungen – eine Annahme, die hier nur bedingt überprüft werden kann, die aber zusammenhängt mit dem zweiten Satz des Zitats, der darauf schließen lässt, dass Angebote im Bereich Vermittlung und Partizipation ebenso für ein allgemeines Publikum durch die Landesbühnen vorgehalten werden sollten und nicht nur für Kinder und Jugendliche. Am LTT wird dieser Erwartung durch Angebote beispielsweise für ältere Menschen Genüge getan.60 Ausdrücklich wird in der Kulturkonzeption darauf hingewiesen, dass durch die Landesbühnen eine Vielfalt geschaffen wird, welche durch andere reisende Theater

durch ein Bühnenland“ nachzulesen, so wurde zum Beispiel die Ausrichtung des Festivals am Theater Konstanz 1989 verbunden mit der Gründung einer „Jungen Sparte“ (1990), vgl. Jüttner u. a. 2013, S. 77 und S. 89. 60 Das Frauentheater Purpur spielt als Seniorinnentheater in der Werkstatt des LTT, siehe Landestheater Württemberg-Hohenzollern Tübingen Reutlingen 2014, S. 65.

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nicht gewährleistet werden könnte. Die Frage nach einer eventuellen Konkurrenz oder Wettbewerbsverzerrung, also einer Positionierung innerhalb der Theaterlandschaft wird nicht thematisiert. Dabei ist gerade in Baden-Württemberg auch die Freie Szene besonders aktiv im ländlichen Raum, so stellt beispielsweise die Landesregierung die große Bedeutung des durch die Region geförderten Theaters Lindenhof in Melchingen fest (Landtag von Baden-Württemberg 2017, S. 31). Mit Verweis auf die Studie „Freie Darstellende Künste im Ländlichen Raum Baden-Württembergs“ (Landesverband Freie Tanz- und Theaterschaffende Baden-Württemberg 2016) wird im gleichen Zusammenhang festgestellt, dass im Rahmen der Theaterförderung „über ein Drittel der geförderten Aufführungen (das entspricht ca. 3.000 Aufführungen im Untersuchungszeitraum von 1993 bis 2014) im ländlichen Raum stattgefunden haben“ (ebd.). Die „Amateurtheater mit allein weit über 600 Bühnen, die im Landesverband Amateurtheater organisiert sind“ (ebd., S. 32) werden als Akteure im ländlichen Raum geschätzt und unterstützt. Aufgrund der Situation in Baden-Württemberg, den vielen Akteuren im ländlichen Raum und einer flächendeckenden Schwerpunktsetzung auf Kulturelle Bildung, ist das LTT daher auch als Fall interessant hinsichtlich möglicher konkurrierender Situationen sowie gleichermaßen eventueller Zusammenarbeiten mit unterschiedlichen Kulturakteuren und könnte die Möglichkeiten und Herausforderungen für kooperatives Arbeiten aufzeigen. Dieser Aspekt wird dadurch bestärkt, dass das LTT während des Betrachtungszeitraums mit dem Projekt „Lernende Kulturregion Schwäbische Alb“ im Rahmen des oben beschriebenen Programms „TRAFO“ gefördert wurde. Es arbeitete in diesem Zusammenhang gemeinschaftlich mit dem bereits erwähnten Theater Lindenhof sowie weiteren Freien Theatermachern und Künstlern zusammen: „Die Kulturwerkstatt Theater möchte durch die Kooperation des in der Stadt angesiedelten Landestheaters Tübingen (LTT) und des auf dem Land ansässigen Regionaltheaters Lindenhof Melchingen das kulturelle Leben auf der Schwäbischen Alb stärken und weiterentwickeln. Die beiden Akteure tauschen ihre Projekte aus und setzen gemeinsame Themen. Die Theaterwerkstatt des LTT arbeitet verstärkt partizipativ: In Projektwerkstätten kommen Bürger und Kulturakteure der Schwäbischen Alb mit Theatermacherinnen zusammen und entwickeln gemeinsam Theaterprojekte zu Themen der Region. Das Theater Lindenhof wird zu einem Kultur- und Kommunikationshaus ausgebaut und erprobt neue Angebote und Vermittlungsformate“ (Kulturstiftung des Bundes 2019e). Die Absicht des Programms, eine Transformation der Kulturlandschaft zu initiieren, sollte sich im besten Falle auch in dem Selbstverständnis des LTT widerspiegeln und Konsequenzen im Sinne einer Ausrichtung der eigenen Arbeit aufzeigen. Thorsten Weckherlin als Experte

Der Intendant des LTT ist nicht nur aufgrund der skizzierten Besonderheiten des LTT als Experte interessant, sondern darüber hinaus auch wegen folgender Aspekte: Zu Beginn des Untersuchungszeitraumes gab es einen Intendantenwechsel, Thorsten Weckherlin übernahm zur Spielzeit 2014/15 für zunächst vier Jahre die Theaterleitung von Simone Sterr, er befand sich also zum Zeitpunkt der Interviews etwa in der zeitlichen Hälfte seiner ersten dortigen Intendanz. Lang genug, um die Situation einzuschätzen und zugleich gerade der richtige Zeitpunkt, um Impulse aus seinen Erfahrungen auf-

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zunehmen und Entwicklungen anzustoßen.61 Bevor er ans LTT kam, war er zehn Jahre lang Intendant der Burghofbühne Dinslaken, ist also Kenner unterschiedlicher Landesbühnen mit verschiedenen Rahmenbedingungen. In den 1990er Jahren baute er das Berliner-Ensemble-Tourneetheater auf und wirkte danach als freischaffender Regisseur sowie an Stadttheatern (siehe Weckherlin 2019). Für seine Zeit am LTT wünschte er sich im Spielzeitheft seines ersten Jahres: „Immer ein volles Haus! Auf ein bürgernahes LTT, in dem die wirklich wichtigen Themen unseres Lebens verhandelt werden. Mit viel Spaß und Ausdauer“ (Landestheater Württemberg-Hohenzollern Tübingen Reutlingen 2014, S. 30). Diese Orientierung an dem Zuschauer scheint für Weckherlin entscheidend und lässt Vermutungen über die Theaterarbeit zu: So verwendet er für die Beschreibung des Landesbühnentheaters den Begriff „Gebrauchstheater“, den er 2014 im Interview mit Theater der Zeit erläuterte: „Das Gegenteil von Theater fürs Feuilleton. Mit direkt und emotional erzählten Geschichten“ (Weckherlin u. a. 2014, S. 16). Er positioniert sich damit im Diskurs um eine schwindende Relevanz des Theaters nicht im avantgardeorientierten Kunstbetrieb, sondern in einem Theater, welches sich näher am Menschen orientiert. 3.3.2 Theater für Niedersachsen Das LTT wurde nur einige Jahre nach seiner Gründung als Stadttheater mit den Aufgaben einer Landesbühne betraut. Das Theater für Niedersachsen (TfN) bedient hingegen das Kriterium, auch eine relativ junge Landesbühne mit in die Untersuchung aufzunehmen. Es handelt sich dabei nicht um eine Neugründung, sondern um die Fusion zweier Theaterbetriebe: Das TfN entstand zur Spielzeit 2007/08 aus der Zusammenlegung des Stadttheaters Hildesheim und der Landesbühne Hannover, vornehmlich aus finanziellen Gründen, man verspreche sich davon „mehr Theater ... fürs gleiche Geld“ (Lutz Stratmann zitiert nach Fischer 2011). Einerseits wurde die Entwicklung der neuen Landesbühne vom Niedersächsischen Landtag als theaterstruktureller Erfolg gelobt, denn dieses „in der Bundesrepublik einmalig[e]“ (Niedersächsischer Landtag 2007, S. 51) Vorgehen, eröffne „die Möglichkeit, wirklich einen effektiven Umgang mit immer knapper werdenden öffentlichen Ressourcen bei gleichzeitigem Zugewinn für das niedersächsische Theaterpublikum in der Region zu gestalten“ (ebd.); andererseits wurde die Fusion auch kritisch gesehen, denn sie hatte Einschränkungen zur Folge, wie beispielsweise eine Abnahme der Veranstaltungs- und Produktionszahlen (vgl. Fischer 2011). In einem Artikel der Deutschen Bühne wird zudem auf die Prozesse verwiesen, die wohl unterschätzt wurden, wie unter anderem „Umbaumaßnahmen, um das Stadttheater landesbühnentauglich zu machen, und Umstrukturierungen, damit die Landesbühne stadttheatertauglich wurde“ (ebd., S. 45). Aufgrund seiner Entstehung kann das TfN als Beispiel somit Aspekte aufzeigen, wie Landesbühne sich innerhalb eines solchen Spannungsfeldes positioniert, gegenüber diverser Erwartungshaltungen aufgrund einer Umformulierung des Auftrags: Nicht mehr nur ein Stadttheater mit Tradition in einer Großstadt, sondern auf einmal auch in der Verantwortung für unterschiedliche Publika in anderen Städten und dem ländlichen Raum. Henning

61 Der Vertrag mit Thorsten Weckherlin wurde Anfang 2016 vorzeitig bis 2024 verlängert (vgl. Burkhardt 2016).

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Fülles Beschreibung, dass das Stadttheater durch die Fusion „zu einem Landestheater zur ‚Flächenversorgung‘ gleichsam ‚downgegraded‘“(Fülle 2013, S. 285) worden sei, wurde bereits zitiert; er weist damit auch auf die pejorative Einschätzung gegenüber den Landesbühnen hin, die, wie dargestellt, für diese eine große Herausforderung zu sein scheint. Das TfN bietet sich somit als Paradebeispiel an, um Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen Theater in der Stadt und in der Provinz zu betrachten – sowohl bezogen auf Rezeptionserfahrungen, Geschmäcker und Funktionsübernahmen. Getragen wird das TfN durch mehrere Gesellschafter (siehe oben), gefördert wird es unter anderem durch das Niedersächsische Ministerium für Wissenschaft und Kultur, welches das Theater als Bühne in kommunaler Trägerschaft bezeichnet (vgl. Niedersächsisches Ministerium für Wissenschaft und Kultur 2019).62 In Niedersachsen nehmen das „Theater für Niedersachsen und die Landesbühne Niedersachsen Nord [...] für das ganze Land die Funktion einer Landesbühne wahr“ (ebd.).63 Zielvereinbarungen zur Stärkung von Teilhabe

Das Land Niedersachsen hat mit den Trägern und den Leitungen der von ihm geförderten Theater jeweils eine Zielvereinbarung mit einer Laufzeit von 2015–2018 abgeschlossen. Diese Vereinbarungen gewähren die Planungssicherheit, durch eine festgelegte finanzielle Unterstützung sowie die Zusicherung der anteiligen Kostenübernahmen bei Tarifsteigerungen und werden im Kulturbericht des Landes Niedersachsen als „ein echtes Bündnis für Theater“ (Niedersächsisches Ministerium für Wissenschaft und Kultur 2014, S. 66) beschrieben. Im Mittelpunkt der vereinbarten kulturpolitischen Ziele steht „die Stärkung der kulturellen Teilhabe und kulturellen Bildung [...]. Einen wesentlichen Schwerpunkt bilden dabei die theaterpädagogische Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, die Erschließung neuer Publikumsschichten und die Förderung des Bürgerschaftlichen Engagements“ (ebd., S. 38). Neue Publika sollen durch „zielgruppenspezifische Angebote“ (ebd.) angesprochen werden, zu deren Entwicklung die Theater wortwörtlich aufgefordert werden (vgl. ebd.). Diese Ansprache wird insbesondere in Verbindung mit den theaterpädagogischen Angeboten auf das junge Publikum bezogen, „die das Ziel einer Stärkung der kulturellen Teilhabe und kulturellen Bildung verfolgen“ (ebd.). Niedersachsen sieht sich in diesem Gebiet als Vorreiter, spricht in dem Kulturbericht von „Kinder- und Jugendarbeit, bei der die niedersächsischen Theater eine deutschlandweit führende Stellung einnehmen“ (ebd.).64 Aus der Erwartung einer Zielgruppenorientierung wird eine Konsequenz für die künstlerisch-inhaltliche 62 Das Land fördert insgesamt sechs solcher Bühnen in kommunaler Trägerschaft. 63 Der prozentuale Anteil der Landesförderung gestaltet sich – Stand 2010 – unterschiedlich, so erhält das TfN eine Landesförderung von 36,21%, die Landesbühne Niedersachsen Nord 48,43% (siehe Niedersächsischer Landtag 2010). Zum Vergleich: Das TfN hat mit einem Verhältnis von rund 36% eine geringere Abstecherquote als die Landesbühne Niedersachsen Nord, bei der die Veranstaltungszahlen beinahe ausgeglichen sind, hier spiegelt sich also die Landesförderung in der Reisetätigkeit wider. 64 Für den kritischen Leser ist hier anzumerken, dass von Kinder- und Jugendarbeit und nicht von Kinder- und Jugendtheaterarbeit gesprochen wird. Diese feine Unterscheidung könnte als ungenaue Formulierung bewertet werden, oder aber im Kontext um die Diskussion über Theater-Kulturarbeit im Spannungsfeld zwischen künstlerischer oder sozialer Arbeit mit jungem und für junges Publikum ein bewusstes Statement sein.

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Arbeit gezogen, auch im Hinblick auf die Entwicklung der kommenden Jahre: „Die konsequente Zielgruppenorientierung von Angeboten zur Steigerung der Repräsentanz der Bevölkerung der jeweiligen Region im Theater ist weiter auszubauen“ (ebd., S. 39). Von den Landesbühnen wird also erwartet, dass die regionale Bevölkerung verstärkt auftauchen soll – ob sich dies auf den Zuschauerraum beschränkt und ob und wie dies durch beispielsweise ortsspezifische Stückentwicklungen oder den Einbezug regionaler Artefakte oder Akteure ermöglicht werden könnte, scheint im Ermessen der Theater zu liegen. Diese Rahmenbedingungen scheinen eine stabile Fördergrundlage zu versprechen und zeigen den kulturpolitischen Willen, die Relevanz von Theater zu stärken und breite Bevölkerungsschichten zu erreichen. Es muss jedoch kritisch hinterfragt werden, inwieweit die vereinbarten Ziele realistisch erscheinen und ob und wie eine solche Zielsetzung tatsächlich die konkrete Theaterarbeit beeinflusst (vgl. dazu die Ausführungen in Kapitel 2.2). Der Niedersächsische Landtag stellt fest, dass die „erfolgreiche Erfüllung dieser Aufgaben [...] zu einer Öffnung der kommunalen Theater und einer Steigerung der Attraktivität für größere Teile der Bevölkerung [führt]“ (Niedersächsischer Landtag 2016). Ob und wie die Theater, indem sie diesen Vereinbarungen nachkommen, respektive um diesen Erwartungen gerecht zu werden, Maßnahmen ergreifen, die auch die künstlerische Arbeit betreffen, oder ob es sich dabei um Strategien handelt, neue Kunden für das alte Produkt zu akquirieren, bleibt offen. Entscheidend ist das Ergebnis eines nachweisbaren Zuschauerzuwachses: „Die Einrichtungen sind gemäß der Zielvereinbarungen gefordert, jährlich Konzepte vorzulegen, die für 10 % der künstlerischen Aktivitäten darlegen, wie durch zielgruppenorientierte Maßnahmen neue Publikumsschichten gewonnen werden sollen. [...] Eine Erfolgsprüfung erfolgt durch einen jährlichen Tätigkeitsbericht“ (ebd.) – bislang konnten alle Theater diese Vorgaben zur Zufriedenheit erfüllen (vgl. ebd.). Das TfN gehört zu den größten Landesbühnen in Deutschland; es bedient seine zwei Stammorte Hildesheim und Hannover mit insgesamt acht Hauptspielstätten sowie über 50 Städte in Niedersachsen und über die Landesgrenzen hinaus (siehe Theater für Niedersachsen 2019a). An drei Orten werden eigene Abonnement-Reihen angeboten, woraus sich schließen lässt, dass die dortige Zusammenarbeit fester und regelmäßiger ist als mit anderen Gastspielstätten, was wiederum interessant sein könnte hinsichtlich der Strukturen und der Mechanismen des Gastspielmarkts. Der Reiseauftrag wird im Gesellschaftsvertrag der Landesbühne ausdifferenziert: „Bespielt werden das Theater samt seiner Spielstätten in Hildesheim, Gemeinden und Städte Niedersachsens und die Spielstätte in Hannover in einem festzulegenden Verhältnis. Ausgewählte Produktionen können auch außerhalb des Spielgebietes der Gesellschaft aufgeführt werden“ (Theater für Niedersachsen 2017). Das TfN soll also prinzipiell ganz Niedersachsen bespielen – dies entspricht auch der Förderung durch das Bundesland – und natürlich seine eigenen Spielstätten und die Orte seines Ursprungs, Hildesheim und Hannover. Das Verhältnis scheint verhandelbar, es wird nicht direkt festgelegt, wie viel mehr das TfN wo spielen muss, es scheint also nicht unbedingt mehr außerhalb Hildesheims denn vor Ort spielen zu müssen, was auch in diesem Fall den Charakter eines Stadttheaters mit Reisefunktion betont.

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Kooperation und Partizipation als Schwerpunkt

Neben den besonderen Rahmenbedingungen durch die Landeskulturpolitik zeichnet sich das TfN durch seine feste Musical-Sparte („MusicalCompany“) aus, die einzige in Deutschland, die durch öffentlich Gelder getragen wird. Entstanden ist sie, nachdem im Rahmen der Fusion die Tanztheatersparte eingespart wurde (vgl. Fischer 2011). Darüber hinaus bietet das TfN auch Musiktheaterproduktionen aus dem Bereich Oper und Operette an und gehört somit zu den wenigen reisenden Anbietern von Musiktheater in Niedersachsen (ebd. und Theater für Niedersachsen 2019b) und innerhalb der Landesbühnen generell (vgl. Scherz-Schade u. a. 2012); das Sprechtheater-Angebot komplettiert das Drei-Sparten-Haus (vgl. Theater für Niedersachsen 2019b). Im Bereich Kinder- und Jugendtheater hat das TfN eine besondere Form des Produzierens etabliert: das Junge Theater kooperiert mit Freien Theatern und erarbeitet mit diesen Partnern mehrere Inszenierungen pro Jahr, ergänzend zu diesen Koproduktionen werden Gastspiele Freier Theater gezeigt (ebd.).65 Das TfN scheint dadurch eine besondere Position innerhalb der Theaterlandschaft einzunehmen und könnte demnach Vorbildcharakter haben. Eine Befragung dieser Positionierung ist nicht nur hinsichtlich der institutionalisierten Zusammenarbeit mit Freien Theatern im Bereich des Kinder- und Jugendtheaters interessant, sondern auch bezogen auf Aspekte der Konkurrenz oder Parallelitäten: Ebenso wie in Baden-Württemberg existiert in Niedersachsen eine breit aufgestellte Freie Szene, die sowohl in den Städten, als auch im ländlichen Raum agiert (vgl. Niedersächsisches Ministerium für Wissenschaft und Kultur 2014, S. 38). Der Kulturbericht des Landes Niedersachsen sieht in diesen Tätigkeiten das Freie Theater begründet, denn „[a]ls mobiles Theater sucht man sein Publikum dort auf, wo es sich befindet“ (ebd.). Darüber hinaus existiert eine starke und vielfältige Amateurtheaterszene in Niedersachsen, die sich als elementarer Bestandteil der Theaterlandschaft positioniert.66 Ob und in welcher Form sich durch die vorhandenen unterschiedlichen Theaterformen und -akteure Synergien oder Parallelwelten mit der Landesbühne entwickeln, kann Hinweise geben sowohl auf das Verständnis von Landesbühne als auch auf deren Wahrnehmung innerhalb der Theaterlandschaft durch andere Akteure. Nicht zuletzt ist das TfN als Fallbeispiel prädestiniert durch das sogenannte „Hildesheimer Modell“, entstanden am Stadttheater Hildesheim. Dieses Modell ist „seit den 1960er Jahren in Theaterkreisen bekannt und meint die Zusammenarbeit mit Schulen, die Kooperation mit freien Theatern oder anderen Gruppen und vor allem: die aktive Teilhabe von Bürgern und Bürgerinnen an ihrem Theater. Das TfN hat diese Idee übernommen“ (Roske 2014, S. 7). Partizipation scheint also eines der Hauptprinzipien der Landesbühnenarbeit von Hildesheim aus zu sein und wird auf der Webseite als besonderer Ansatz des Theaters beworben, der sich an alle – und eben nicht nur jun-

65 Die hohe Kooperationsbereitschaft des TfN in allen Sparten geht zurück auf die Arbeitsweise des Stadttheaters Hildesheim, die beschrieben wird im Artikel „Kooperationen als Weg zu einem kundenorientierten Kulturprodukt. Das Kooperationskonzept des Stadttheaters Hildesheim“ (Almstedt u. a. 2006, S. 245–259), in dem diese Arbeitsweise insbesondere auch hinsichtlich der Gewinnung neuer Publikumsschichten sowie der Publikumsbindung betrachtet wird, vgl. dazu auch Fülle 2013. 66 Und die als Forschungsgegenstand einer kulturpolitischen Studie, die bereits mehrfach zitiert wurde, besondere Aufmerksamkeit erhielt, vgl. Götzky u. a. 2014 und Renz u. a. 2014.

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ge oder benachteiligte oder sonst als besonders gekennzeichnete Zielgruppen – richtet (vgl. Theater für Niedersachsen 2019b). Jörg Gade als Experte

Geleitet wird das Theater von Jörg Gade, der davor seit 2004 Intendant der Landesbühne Hannover war und somit gleichermaßen von der Fusion unmittelbar betroffen als auch an ihrer Umsetzung beteiligt war. Er kann also Einblicke geben in diese Umfunktionierung und die damit verbundenen Erwartungen und Herausforderungen. Da er von 1990 bis 1995 Chefdramaturg des Stadttheaters Hildesheim war, kennt er auch diesen Stadttheaterbetrieb vor der Neugestaltung und sollte somit die Änderungsprozesse, die durch die Zusammenlegung angestoßen wurden, nachvollziehen und beschreiben können. Zuvor war er unter anderem als freischaffender Regisseur tätig und an verschiedenen Theatern in unterschiedlicher Funktion aktiv, beispielsweise auch an der Landesbühne Niedersachsen Nord, Wilhelmshaven. Er leitete zudem vormals das Kinder- und Jugendtheater am Staatstheater Braunschweig (vgl. Theater für Niedersachsen 2018). Gade verfügt also über Kenntnisse unterschiedlicher Betriebsformen und Arbeitsweisen und über Expertenwissen im Feld des Kinder- und Jugendtheaters. Im Januar 2018 gab er bekannt, seinen Vertrag fristgerecht zu Ende der Spielzeit 2019/20 auslaufen zu lassen (vgl. Prante 2018). 3.3.3 Landestheater Burghofbühne Dinslaken Einen Gegensatz zur großen und jungen Landesbühne TfN stellt die 1951 als „Theater für Bergmannskultur“ gegründete Burghofbühne in Dinslaken dar. Sie ist nicht nur die kleinste der Landesbühnen in Nordrhein-Westfalen, sondern auch innerhalb des Verbundes aller Landesbühnen der kleinste Betrieb – durch diesen Vergleich wird ihr Alleinstellungsmerkmal noch deutlicher: Die Burghofbühne ist die Landesbühne mit der höchsten und deutlichsten Gastspielquote. Darüber hinaus zeichnet sich ihre Spielstättensituation als besonders: In seinem Stammsitz Dinslaken hat das Theater selbst keinen eigenen größeren Theaterraum als Spielort zur Verfügung. Im Tenterhof, auf dem das Theater untergebracht ist, gibt es Proberäume und eine kleine Studiobühne, Premieren fanden in der Regel in der Kathrin-Türks-Halle statt, die aber seit 31. Dezember 2015 wegen Brandschutzmängeln geschlossen ist (siehe Stadt Dinslaken 2019). Als Ausweichspielstätten fungieren unter anderem die Aulen verschiedene Schulen (ebd.). Dass die Burghofbühne eine tatsächliche Reisebühne ist, scheint also auch gezwungenermaßen so zu sein. Die Funktion eines Stadttheaters in Dinslaken scheint sich dabei etwas anders zu gestalten, beziehungsweise wird sich anders gestalten müssen, als in Städten mit klassischem Theatergebäude und kontinuierlichem Spielbetrieb in einem solchen eigenen Haus. Zwischen Auftragserfüllung und ökonomischen Zwängen

Betrieben wird das Theater vom „Burghofbühne Dinslaken Landestheater im Kreis Wesel e. V.“ (Burghofbühne Dinslaken 2017b), der laut Satzung „das Interesse vor allem der im engeren Einzugsbereich des Theaters lebenden Bevölkerung an darstellender Kunst wecken und verstärken und so allgemeinbildend wirken“ (ebd.) soll. Der Auftrag dieser Landesbühne bezieht sich also mit klarer pädagogischer Absicht insbesondere auf ein regionales Spielgebiet, sowohl mit Hinblick auf Publikumsgewinnung

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(Interesse wecken) als auch die Berücksichtigung und Festigung des Stammpublikums (Interesse verstärken).67 Es wäre also zu erwarten, dass die Burghofbühne vor allem Gastspiele in Kreis um Dinslaken durchführt, was bei der (relativen) Nähe zu den anderen, größeren Landesbühnen Nordrhein-Westfalens Fragen nach der Wettbewerbsfähigkeit und möglicher Konkurrenz oder notwendiger Abstimmungen aufwirft. Zudem zeigt der erste Blick auf den Spielplan der Burghofbühne die Weite des Spielgebietes auf: Termine in Luxemburg, Rheinland-Pfalz, Niedersachsen und in außerhalb der direkten Region liegenden Städten sind aufgeführt (vgl. Burghofbühne Dinslaken Landestheater im Kreis Wesel e. V. 2019c). Es gibt jedoch im schriftlich fixierten Auftrag weder eine eingrenzende Definition des Begriffes „engerer Einzugsbereich“ noch eine genaue Beschreibung des „vor allem“, hier ist also durchaus Interpretationsspielraum gegeben. Während des Untersuchungszeitraumes geriet die Burghofbühne in eine existenzgefährdende Situation, sodass sie 2015 kurz vor der Schließung stand: Der Kreis Wesel hatte angekündigt, aus Spargründen seine Mitgliedschaft in dem Verein zu beenden, der Wegfall des Mitgliedsbeitrages hätte die Burghofbühne ohne Kompensation durch andere Drittmittelgeber finanziell nicht verkraftet; selbst bei einer geplanten stufenweisen Reduzierung über fünf Jahre und trotz des hohen Etat-Anteils, den die Landesbühne selbst einspielt (siehe Dai 2015). Nach intensiven Diskussionen, sowohl intern als auch in politischen Gremien und der Öffentlichkeit (mit starkem Rückhalt des Publikums, vgl. ebd.), kam es 2017 zu einer Satzungsänderung, welche den Fortbestand des Theaters ermöglichte und für die (nahe) Zukunft sichern soll: In den kommenden Jahren soll sich der Beitrag des Kreises Wesels verringern, während der der Stadt Dinslaken gleichermaßen zunehmen soll. Zudem wurden für die Stadt Dinslaken als Sitzort und den Kreis Wesel besondere Fristen für einen möglichen Austritt aus dem Verein festgelegt. Ein weiterer Bestandteil der Lösung ist, dass die Burghofbühne selbst auch einen Beitrag leistet und erhebliche Summen einspart (und zwar 30.000 e), eine Tatsache, die dazu führt, in der Rettung einen „Kompromiss auf wackeligen Beinen“ (RP Online 2015) zu sehen. Laut eigenen Angaben spielt die Landesbühne über 30% ihres Etats selbst ein, stößt jedoch an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit: Die Nachfrage für weitere Gastspielverkäufe ist vorhanden, sie kann diese jedoch aufgrund fehlender Ressourcen nicht bedienen (vgl. Burghofbühne Dinslaken 2017a). Die hohe Eigenleistung geht einher mit der von Thomas Schmidt attestierten hohen Effizienz der Landesbühnenarbeit, zeigt aber auch die hohe Abhängigkeit der Burghofbühne von den Erfolgen auf dem Gastspielmarkt. Es stellt sich die Frage, ob die hohe Gastspielquote aus der Überzeugung und der Ausrichtung der Arbeit resultiert, oder eine Notwendigkeit ist, entwachsen aus den finanziellen Einnahme-Zwängen (in Kombination mit der oben beschrieben Spielstättensituation, die nur wenige Einnahmen vor Ort zulässt). Daraus lassen sich Rückschlüsse ziehen über das Spielgebiet: Die Menschen des nahen Einzugsgebiets sollen hauptsächlich nutznießen, doch wenn im direkten Umkreis keine oder zu wenige Gastspiele von den Veranstaltern gebucht, also bezahlt, werden, scheint dieses Gebiet erweitert werden zu müssen, auch wenn dies dem expliziten Regionalbe-

67 Obwohl dies natürlich auch differenziert interpretiert werden könnte, wenn man grundsätzliches Kulturinteresse noch nicht mit einem tatsächlichen Besuch gleichsetzt, vgl. dazu Kapitel 2.2.3; dann ginge es hierbei um eine Verstärkung der grundlegend vorhandenen Motivation und um die Schaffung von Impulsen, um eine tatsächliche Kulturnutzung auszulösen.

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zug des Auftrages zu widersprechen scheint. Die Gewichtung zwischen künstlerischem und wirtschaftlichem Erfolg einerseits und der Verpflichtung gegenüber der Beauftragung andererseits, ist, sowohl bei der Burghofbühne als auch bei anderen Landesbühnen, genauer zu betrachten, denn diese sagt etwas aus über die tatsächlichen kulturpolitischen Absichten und die Wertschätzung der Theaterarbeit: Wenn die Bereitstellung einer kulturellen Infrastruktur tatsächlich so wichtig ist und eine Ermöglichung von Partizipation wirklich einen hohen Stellenwert auf der politischen Agenda hat, dann sollte die Erfüllung dieses Auftrages nicht hinter ökonomischen Abwägungen zurückstehen müssen. Gemeinsame Verantwortung für ein Bundesland

Der Auftrag einer theatralen Grundversorgung ist in Nordrhein-Westfalen (NRW) auf mehrere Schultern verteilt. Das Bundesland schreibt sich selbst „eine herausragende Theaterlandschaft“ (Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen 2013, S. 28) zu, in der die Landestheater ein bedeutsamer Bestandteil sind, denn: „Auch im ländlichen Raum kommt das Theater nicht zu kurz. Dafür sorgen die vier Landestheater in Detmold, Castrop-Rauxel, Neuss und Dinslaken, die das Theaterangebot in kleineren Städten und Gemeinden ergänzen“ (Niedersächsisches Ministerium für Wissenschaft und Kultur 2014, S. 31). Nach dieser Auflistung fehlt das Grenzlandtheater Aachen als die fünfte Landesbühne in NRW; dies hängt mit der Bezeichnung durch das Bundesland und der Finanzierung der Theater zusammen, was im entsprechenden Abschnitt weiter ausgeführt wird. Bemerkenswert ist hier die Wortwahl, die den Landesbühnen keine Versorgungstätigkeit, sondern die Aufgabe einer Ergänzung zuteilt. Diese Formulierung ist wohl bedacht und lässt Entwicklungen innerhalb der Theaterlandschaft vermuten, denn im Vorjahr hieß es im Kulturförderbericht noch: „Die vier Landestheater übernehmen neben ihrer Funktion in der Sitzstadt die kulturelle Versorgung im ländlichen Raum und sichern das Theaterangebot in kleineren Städten und Gemeinden“ (Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen 2013, S. 29). Die Position der Landestheater scheint sich also leicht verändert zu haben. Es bleibt an dieser Stelle Verschiedenes zu vermuten: Entweder gab es einen Zuwachs an Angeboten der Darstellenden Kunst im ländlichen Raum, egal ob in städtischer Trägerschaft oder im Bereich des Freien Theaters und eine Grundversorgung durch die Landesbühnen ist nicht (mehr) notwendig, respektive die Konkurrenz ist so angewachsen, dass es nicht mehr alleine bei den Landesbühnen liegt, ob sie in der Versorgungsverantwortung sind oder ein anderer Akteur. Oder aber die Landesbühnen können nicht mehr die Versorgung sicher stellen, sondern (nur noch) ergänzend tätig sein, weil die finanzielle Situation der Gastspiel veranstaltenden Städte nur noch eine punktuelle Beauftragung der Landesbühnen ermöglicht.68 Im Folgesatz wird (identisch in beiden Kulturförderberichten) weiter erläutert, was die Landesbühnen darüber hinaus besonders macht: „Eine kontinuierliche künstlerische Profilierung der Theater und die neuen Herausforderungen des demografischen Wandels machen die Landestheater zum unverzichtbaren Teil der Kulturlandschaft“ (Niedersächsisches Ministerium für Wissenschaft und Kultur 2014, S. 31). Charakte-

68 Diese Vermutung wird gestützt durch die Aussagen von Kay Metzger (vgl. Metzger 2014, S. 14) und betrifft nicht nur die Theater in Nordrhein-Westfalen, sondern zum Beispiel auch die Landesbühne in Marburg, siehe 3.3.6.

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risierender Aspekt ist also eine Profilbildung der künstlerischen Arbeit, die sich auch auf die notwendige Abgrenzung der Landesbühnenangebote zu den Spielplänen der anderen produzierenden und auf dem Gastspielmarkt tätigen Theater beziehen könnte. Bemerkenswert ist die Verbindung, die hier gezogen wird, zwischen der Unverzichtbarkeit der Landesbühnen im Zusammenhang mit dem demografischen Wandel: Auch dies wird ohne nähere Erläuterung postuliert und eröffnet Interpretationsmöglichkeiten, zum Beispiel in der Weise, die Landesbühnen als geeignetes Instrument zu verstehen, um das Theater auf den Wandel der Gesellschaft reagieren zu lassen. In diesem Sinne wären von den Landesbühnen in NRW aufgrund dieser kulturpolitischen Setzung strategische Maßnahmen auch im Sinne eines interkulturellen Audience Developments zu erwarten und ein breites Angebot im partizipatorischen Bereich sowohl mit Blick auf Teilhabe als auch Teilnahme. Die vier im Kulturförderbericht genannten Landesbühnen bilden, wie bereits beschrieben, einen Zusammenschluss, in welchem die Burghofbühne ebenfalls kooperiert. Das gemeinsame Büro für Öffentlichkeitsarbeit (gegründet 1994/95), fungiert insbesondere als Kontaktstelle zu (potenziellen) Gastspielhäusern und Veranstaltern. Neben einem gemeinsamen Webauftritt mit einer durchsuchbaren Datenbank der aktuellen Repertoires und der buchbaren Premieren sowie gemeinsamen Printprodukten, sogenannten Spielzeitmappen für alle vier Theater, gibt es koordinierte Aktionen, wie eine gemeinsame Spielplanvorstellung als besonderes Event. Das Büro versteht sich nicht nur als Schaltstelle für Kommunikation der Theaterarbeit, sondern will insbesondere auch die „kulturpolitischen Aufgaben der Landestheater verstärkt in die Öffentlichkeit“ (Die Landestheater NRW 2019a) tragen, also auch die Beauftragung kommunizieren, die damit einhergehenden Umstände erläutern und deren Bedeutung in der Öffentlichkeit unterstreichen. Mirko Schombert als Experte

Dass sich die Burghofbühne im Sinne einer breiten Teilhabe positioniert, zeigt sich auch durch das theaterpädagogische Programm, das durch die neue Theaterleitung deutlich ausgebaut wurde: Seit 2014/15 ist Mirko Schombert Intendant, in den Jahren davor leitete er (seit 2010) das Kinder- und Jugendtheater des Staatstheaters Mainz. Davor war er unter anderem Gründungsmitglied des Jungen Schauspiels am Deutschen Theater in Göttingen und zuvor als freischaffender Theaterpädagoge aktiv (vgl. Kaempf 2017). Unter Schomberts Leitung wurde unter anderem die „Bürgerbühne Dinslaken“ gegründet, die sich jedoch zu 100% durch Drittmittel finanziert und somit kein gesicherter regulärer Teil des Theaterbetriebes ist (vgl. Burghofbühne Dinslaken 2017a). Dieser Umstand scheint die Diskussion um die Kernaufgaben eines Theaterbetriebs fortzuführen: Trotz des oben zitierten klaren Auftrags, der auch pädagogische Absichten beinhaltet, scheinen partizipatorische Formate demnach zumindest teilweise als Sonderprogramme angesehen zu werden. Die Landesbühne engagiert sich für den „Kulturrucksack NRW“ (Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen u. a. 2019) indem es dafür vier Stücke sowie ein entsprechendes Rahmenprogramm anbietet. Zudem bietet sie mit dem Programm „Jedem Kind einen Theaterbesuch“ jedem Kindergartenkind in Dinslaken und der näheren Umgebung einen kostenlosen Theaterbesuch pro Jahr an. „Um das Theatererlebnis perfekt zu machen, gibt es ein theaterpädagogisches Rahmenprogramm obendrauf“ (Burghofbühne Dinslaken Landestheater im Kreis Wesel e. V. 2019b). Gemeinsam mit der Spar-

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kasse verleiht die Burghofbühne alle zwei Jahre den „Kathrin-Türks-Preis“ für Nachwuchsautorinnen im Jugendtheater. Der dezidiert theaterpädagogische Hintergrund des jungen Intendanten macht ihn zu einem interessanten Gesprächspartner; es wäre zu erwarten, dass insbesondere seine Einschätzung zum Thema Teilhabe im Vergleich zu anderen Theaterleitern differenzieren könnte, da partizipatorisches Arbeiten und Strategien hierfür für ihn – wie im Kinder- und Jugendtheaterbereich üblich – eine andere Selbstverständlichkeit haben könnten. Bereits im Juni 2017 wurde bekannt gegeben, dass Mirko Schombert seine Intendanz bis 2024 verlängern wird: „Er habe das Theater künstlerisch nach vorne gebracht und es verstanden seinen künstlerischen Anspruch und gleichzeitig die Verkaufszahlen in Einklang zu bringen“ (Kaempf 2017). Auch diese Begründung der Intendanzverlängerung gibt erneut einen Hinweis darauf, dass es für die Landesbühnen entscheidend zu sein scheint, Kunst und Kommerz in einer produktiven Waage zu halten. 3.3.4 Grenzlandtheater Aachen Der Deutsche Bühnenverein listet für Nordrhein-Westfalen mit dem Grenzlandtheater eine fünfte Landesbühne auf, die weder im Kulturförderbericht zusammen mit den anderen vier aufgezählt wird, noch im gemeinsamen Büro vertreten ist. Grund für diese Unterscheidung sind die unterschiedlichen Trägerschaften und Finanzierungsmodelle. Im Kulturförderbericht des Landes Nordrhein-Westfalens ist das Grenzlandtheater Aachen unter „Privattheater und freie Szene“ gelistet (siehe Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen 2013, S. 59 und Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen 2014, S. 60), hat also eine andere Stellung als die vier sogenannten Landestheater, sowohl hinsichtlich der Finanzierung als auch der Beauftragung, da das Grenzlandtheater somit nicht in der oben beschriebenen Verantwortung gegenüber dem Land steht. Hochkultureller Anspruch und Niedrigschwelligkeit

Das Grenzlandtheater Aachen der Städteregion Aachen wurde 1950 als Privattheater gegründet („Theater im Zimmer“ (Grenzlandtheater Aachen 2019b)). Bereits nach einem Jahr wurde es in eine GmbH umgewandelt, deren Gesellschafterin der Landkreis Aachen war – nach einigen organisatorischen und strukturellen Veränderungen über die Jahrzehnte,69 übernahm die neugegründete „StädteRegion Aachen“ die Aufgaben des Kreises und ist somit alleinige Gesellschafterin des Grenzlandtheaters. Die Städteregion bezeichnet sich als „innovative[n] Gemeindeverband“ (StädteRegion Aachen 2019), bestehend aus 10 Städten und Gemeinden.70 Die Städteregion hat das Grenzlandtheater konkret beauftragt mit der „Aufführung von Theaterstücken kulturell hoch stehenden Charakters“ (StädteRegion Aachen 2015, S. 193) – wobei dieser Auftrag in inhaltlicher Hinsicht zunächst sehr unklar bleibt, da nicht genauer beschrieben wird, wie sich eine solche Ausrichtung an Hochkultur in der

69 „Der [bis 2009 bestehende] Kreis Aachen wurde 1972 aus den Landkreisen Aachen und Monschau und angrenzender Gebiete gebildet“ (StädteRegion Aachen 2019). 70 Aachen, Alsdorf, Baesweiler, Eschweiler, Herzogenrath, Monschau, Stolberg, Würselen, Simmerath, Roetgen, siehe StädteRegion Aachen 2019

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tatsächlichen Arbeit äußern könnte oder sollte. In den „Angaben zum Lagebericht zur öffentlichen Zwecksetzung“ (ebd., S. 197) des Beteiligungsberichts wird diese Zielsetzung in Zusammenhang mit den Kennzahlen auch nur bedingt klarer gefasst, allerdings auch hier wieder in den direkten Zusammenhang mit dem wirtschaftlichen Erfolg gestellt. So hätte das Theater bezogen auf das Jahr 2014 den „vorgegebenen öffentlichen Zweck der Aufführung kulturell anspruchsvollen, spannenden und unterhaltsamen Theaterstücken für die Bevölkerung in der Region Aachen [...] vollumfänglich erreicht“ (ebd.). Begründet wird dies – und damit dem Theater auch eine „kulturell anspruchsvolle“ Tätigkeit attestiert – mit den hohen Vorstellungs- und Besuchszahlen: Die „statistischen Auswertungen über die Vorstellungen und Besuchszahlen mit einer sehr guten Auslastungsquote belegen die erfreuliche Resonanz auf die in der Spielzeit aufgeführten Theaterstücke und Musicals“ (ebd.). Der Schwerpunkt der Arbeit des Grenzlandtheaters liegt entsprechend seiner Struktur auf der Region Aachen, gleichwohl wird ihm in dem Beteiligungsbericht die Landesbühnenfunktion zugeschrieben. Im Zusammenhang mit dem gerade zitierten Beleg für die erfolgreiche Arbeit des Theaters wird ergänzt: „Dies gilt genauso [...] für die Abstecher in der Region, die im Rahmen der Funktion des Grenzlandtheaters als Landesbühne intensiv bespielt werden“ (ebd.). Diese Aufgabe ist ebenso wie die Aufführung von Theaterstücken Gegenstand und somit Zielsetzung für das Handeln der Gesellschaft: „Der Bevölkerung des Aachener Raums soll Gelegenheit und insbesondere auch durch günstige Preisgestaltung die Möglichkeit gegeben werden, die Theateraufführungen zu besuchen, um die Kunst und das Verständnis für sie zu fördern und hierdurch einem gemeinnützigen Zweck zu dienen“ (ebd., S. 193). Bemerkenswert bei dieser Auftragsbeschreibung sind mehrere Aspekte; zum einen wird hier Kunstvermittlung als ein Ziel der Theaterarbeit verstanden: Absicht ist eine Förderung des Kunstverständnisses, was als klarer Auftrag für kulturelle Bildungsarbeit gedeutet werden könnte. Zum zweiten tauchen die Eintrittspreise explizit als begründendes Element auf, was einerseits als eine zusätzliche Legitimierung des Unterhalts eines Theaters durch die Finanzmittel der Städteregion Aachen gedeutet werden könnte und was andererseits den Hinweis gibt auf die Verpflichtung der Landesbühnen, niedrigschwellig zu arbeiten und bestimmten besuchsverhindernden Barrieren konzeptionell entgegen zu wirken. Landesbühne ohne Stadttheater-Charakter

Verortet ist das Theater in der Elisen-Galerie, einem Einkaufszentrum in der Innenstadt Aachens. Das Theater bespielt dort eine Bühne, darüber hinaus gibt es Gastspiele in Aachen und der Region, die laut Webseite überwiegend nicht in Theatergebäuden, sondern mehrheitlich in Schulen oder Stadthallen stattfinden (16 Orte nach Grenzlandtheater Aachen 2019d). Angeboten wird überwiegend Sprechtheater, es gibt jedoch auch immer wieder musikalische Produktionen und mit „GRETA“, dem jungen Grenzlandtheater Aachen, gibt es neben dem Abendspielplan ein explizites Programm für Jugendliche. Alle Produktionen werden im En-Suite-Modell angeboten, es gibt also keinen Repertoirebetrieb, der für die Landesbühnen in der Regel typisch ist. Auch in einem weiteren klassischen Merkmal weicht das Grenzlandtheater ab: Das Theater hat kein eigenes festes künstlerisches Ensemble: Abgesehen von Verwaltung, Tech-

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nik, Theaterpädagogik, Dramaturgie71 und Intendanz werden Gäste verpflichtet, dabei werden Freie Künstler (Regie, Schauspiel, Bühnenbild) engagiert, die zum Teil einem festen Pool entstammen, auf den zurückgegriffen wird (siehe dazu Deutscher Bühnenverein / Landesbühnengruppe 2012, S. 81). Dieses Charakteristikum scheint mit der Auftragsbeschreibung zusammenzuhängen: In diesem wird das Theater zur Aufführung von Theater verpflichtet – nicht explizit zur eigenen Produktion. Hier eröffnen sich unterschiedliche Deutungen: Das Grenzlandtheater könnte seinem Auftrag also auch durch das Veranstalten von Gastspielen nachkommen, oder aber – wie im EnSuite-Bereich nicht unüblich – fertige Produktionen inklusive aller Aufführungsrechte einkaufen und sie somit als eigene Stücke vermarkten. Für die Erreichung des Ziels ist kein eigenes künstlerisches Personal notwendig, es kann also zusätzlich bezogen werden und muss nicht im Stellenplan verankert sein. Ob die Struktur hier die Ausformulierung des Auftrags bedingt oder umgekehrt, ist nicht nachvollziehbar, aber auch nicht notwendigerweise wichtig, die Situation, wie sie ist, zeigt, wie ähnlich sich Gastspielhäuser und Landesbühnen in der grundsätzlichen Beauftragung sein können: Es geht um die Distribution von Theaterkunst, die Ermöglichung, an Theatererlebnissen teilhaben zu können; wie das geschieht, also durch welche künstlerisch tätigen Akteure, ist zunächst einmal zweitrangig (solange der Erwartung bezüglich Qualität entsprochen wird). Die darstellerische Leistung der Schauspieler, die im Grenzlandtheater engagiert sind, wird durch zwei Preise gewürdigt, welche der Auszeichnung der Künstler dienen und zugleich deren Bedeutung für den Theaterbetrieb unterstreichen, auch wenn es sich um kein festes Ensemble handelt: Der Kurt-Sieder-Preis, der von der gleichnamigen Stiftung getragen wird, ist mit 2.000 Euro dotiert. Er würdigt jährlich je einen Schauspieler des Grenzlandtheaters und des Theaters Aachen (vgl. Grenzlandtheater Aachen 2019b). Der Karl-Heinz Walther-Preis wurde vom Förderverein des Theaters initiiert, wird von wechselnden Sponsoren („Paten“) gestiftet und zeichnet jede Spielzeit junge Darsteller des Grenzlandtheaters aus (verbunden mit 2.500 Euro Preisgeld, vgl. Grenzlandtheater Aachen 2019a). Anhand dieser beiden Preise wird das Engagement von Publikumsorganisationen beispielhaft sichtbar und sie sind zugleich ein Beispiel für die Nachwuchsförderung, die an den Landesbühnen möglich scheint und für den hohen Qualitätsanspruch an die künstlerische Arbeit, dem hier durch Ehrungen besonders Ausdruck verliehen wird. In Aachen selbst gibt es, wie in der obigen statistischen Auswertung bereits erwähnt, neben dem Grenzlandtheater auch noch das Stadttheater Aachen. Das Grenzlandtheater ist also auch hinsichtlich seiner Rolle im Stammsitz ein Sonderfall: Es ist anzunehmen, dass das Grenzlandtheater nicht als zweites Stadttheater für Aachen fungiert, demnach eine andere Ausrichtung als das Stadttheater hat und somit auch eine andere Funktion innerhalb der Stadtgesellschaft übernimmt. Insbesondere die Möglichkeit zu einer Identifikation der Bürger mit dem Theater, die ja in der Argumentation oftmals mit einem Ensemblebetrieb verbunden wird, scheint hier beobachtenswert. Zusammenhängend mit der Betriebsstruktur ist die Programmgestaltung im En-Suite-Modell logische Konsequenz. Das Grenzlandtheater ist also in mehrfacher Hinsicht eine

71 Ob und wie Theaterpädagogik und Dramaturgie zu dem künstlerischen Bereich gezählt werden sollten, sei hier nicht weiterführend diskutiert, wäre jedoch durchaus eine dem Diskurs angemessene Fragestellung.

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atypische – oder vielleicht besser: ungewöhnliche Landesbühne und dadurch als Fallbeispiel besonders interessant, denn Abweichungen von der üblichen Struktur könnten Aufschluss geben über Vor- und Nachteile der jeweiligen Form und über tatsächliche und behauptete Normalitäten des Theaterbetriebs. Uwe Brandt als Experte

Mit Uwe Brandt erweitert sich das Portfolio der Intendanten-Persönlichkeiten. Er leitet seit 2009/2010 das Grenzlandtheater; zuvor war er Referent des Oberbürgermeisters in Aachen sowie im Veranstaltungsmanagement tätig (vgl. Rother 2008). Darüber hinaus ist er Schauspieler und Regisseur (auch am Grenzlandtheater selbst) und war in der Freien Szene Aachens tätig. Zu Beginn seiner Amtszeit wünschte er sich Perspektiven für den Bereich des jungen Theaters, vor allem „eine eigene Spielstätte für das Kinderund Jugendtheater, nachdem diese Arbeit hier schon so gut angelaufen ist“ (Rother 2008); auch er scheint also darauf einen Schwerpunkt setzen zu wollen. 3.3.5 Landesbühnen Sachsen Die Landesbühnenarbeit wird geprägt durch die Situation im jeweiligen Bundesland, bestimmt durch die Kulturförderung und die aktuelle Kulturpolitik und auch durch die Tradition der jeweiligen Theaterlandschaft und deren Strukturen. Der Osten der Bundesrepublik kann auf eine besondere Theatertradition zurückblicken und das Land Sachsen gibt den Institutionen mit seinem Kulturraumgesetz eine besondere kulturpolitische Rahmung (vgl. hierzu Wulf 2013). Die Landesbühnen Sachsen (LBS) sind, wenn man, wie oben dargestellt, die Elbland Philharmonie als Orchesterbetrieb ausnimmt, die einzige Landesbühne des Bundeslandes, mit Sitz in Radebeul. Die LBS bespielen und verwalten als eigene Spielstätten das Stammhaus in Radebeul sowie die Felsenbühne in Rathen, eine Naturbühne, in der traditionell Karl-May-Inszenierungen gezeigt werden. Die Landesbühne wurde erst 2012/13 in eine GmbH umgewandelt, davor war sie als Eigenbetrieb (als rechtlich unselbstständiger, organisatorisch abgesonderter Teil der Staatsverwaltung des Freistaates Sachsen) organisiert.72 Zeitgleich wurde das Orchester der Landesbühne mit der Neuen Elbland Philharmonie zur Elbland Philharmonie Sachsen fusioniert (eine ausführliche Geschichte des Orchesters findet sich unter Elbland Philharmonie Sachsen 2018). Die LBS und die Elbland Philharmonie Sachsen arbeiten eng zusammen, Kooperationen sind vertraglich geregelt (vgl. Freistaat Sachsen 2015, S. 20). Die LBS sind eine 100%-ige Gesellschaft des Freistaates Sachsens (siehe dazu die Abbildung 9 (ohne Seite) in Sächsisches Staatsministerium der Finanzen 2017), die Kreisstadt Radebeul ist an der Finanzierung beteiligt (vgl. Landesbühnen Sachsen 2015). Das Theater erfüllt laut dem Beteiligungsbericht Sachsens „Aufgaben eines Repertoiretheaters für ein regionales Spielgebiet mit Aufführungen an Abstecherorten insbesondere in den Kulturräumen des Freistaates Sachsen“ (Sächsisches Staatsministerium der Finanzen 2017, S. 117). Das „wichtige staatliche Interesse“ (ebd., S. 118) wird in diesem Bericht erläutert und begründet die Trägerschaft durch das Bundesland: Die Leitziele „Erhöhung der Lebensqualität, Bewahrung und Förderung der kulturel-

72 Siehe dazu Deutscher Bühnenverein / Landesbühnengruppe 2012, S. 110 f.

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len Identität und Vielfalt, Stärkung der Attraktivität und Produktivität des Wirtschaftsstandortes“ (ebd.) bedingen die strategischen wirtschafts- und kulturpolitischen Ziele zur „Stärkung des Kulturreiselands Sachsen“ (ebd.). Ein „[a]usgewogenes theatrales Angebot bei gleichbleibend hoher Qualität“ (ebd.), soll den Zweck der Landesbühnen-Gesellschaft bedingen, ein „leistungsstarkes Mehrspartentheater“ (ebd.) zu sein. Es zeigen sich also die vielschichtigen Erwartungen und Anforderungen an das sächsische Theater, das für verschiedene Gesellschafts- und Politikbereiche einen Mehrwert generieren soll. Identitätsstiftende, ergänzende Grundversorgung

Die LBS werden explizit als kulturpolitisches Instrument mit mehreren Funktionen beschrieben: „Das Kulturangebot wirkt identitätsstiftend für die lokale Bevölkerung. Insbesondere die intensive Reisetätigkeit innerhalb des Freistaats trägt zu einer Verstärkung des Kulturangebots im ländlichen Raum bei“ (ebd., S. 119). Die Kombination zwischen einer Identifikationsstiftung und einer Angebotsstärkung zeigt ein weiteres Spannungsfeld der Landesbühnenarbeit auf: Sich identifizieren kann laut Duden bedeuten, „jemandes Anliegen, etwas zu seiner eigenen Sache machen“ (Duden online 2019), beziehungsweise gegenüber einer anderen Person „Motive und Ideale in das eigene Ich“ (ebd.) übernehmen. Ob und wie mit den Produktionen einer Reisebühne, die an einem bestimmten Ort, nämlich dem Stammsitz, produziert und dann in die Fläche und den ländlichen Raum gebracht werden, ein solcher Vorgang möglich ist, ist zu hinterfragen. Ein solcher Anspruch hätte dann eventuell auch Auswirkungen auf Stoffauswahl und künstlerische Umsetzung: Können Inszenierungen für alle Regionen gleichermaßen eine identitätsstiftende Funktion übernehmen oder gilt es vielmehr, regionalspezifische Ansätze zu berücksichtigen? Wie können solche Arbeiten das Kulturangebot in den Orten der Region verstärken, ohne dieses zu überlagern oder vielleicht andere, eventuell sogar widersprüchliche Identifikationsmöglichkeiten anzubieten? Vielleicht sind diese Überlegungen aber auch hinfällig, wenn der ländliche Raum innerhalb Sachsens sich gar nicht so heterogen gestaltet, wie hier angenommen. Allerdings sprechen die Erfahrungen der Bürgerbühne Dresden für eine große Heterogenität (vgl. dazu entsprechend Kapitel 2.2.4). In diesen Fragen spiegeln sich die oben benannten Leitziele der Landesbühnenarbeit wider, kulturelle Identität zu wahren und zugleich Vielfalt zu ermöglichen. Bemerkenswert ist bei der Auftragsbeschreibung der LBS, dass die Ergänzungsfunktion so deutlich formuliert wird. Ihre Verantwortung ist es nicht, Grundversorgung zu betreiben, sondern das Vorhandene zu verstärken – ohne dass dieses anscheinend bereits existierende Angebot vorwegnehmend bewertet würde, also egal welcher Quantität oder Qualität und auch mit einer Genre-Offenheit, nicht nur beschränkt auf die Darstellenden Künste. Dies könnte so interpretiert werden, dass die LBS mindestens dazu angehalten sind, die bestehende Kulturlandschaft zu berücksichtigen und gegebenenfalls und darüber hinaus diese sogar aktiv zu unterstützen oder die dort vorhandenen Potenziale zu nutzen. – Sollte kein eigenes Kulturangebot bestehen, kann eine „Verstärkung“ natürlich auch bedeuten, zunächst eines zu schaffen, oder aber vielleicht Möglichkeitsräume zu entwickeln, also im Sinne eines soziokulturellen Impulsgebers zu fungieren.

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Besondere Rahmenbedingungen in Sachsen

Die LBS stehen als Theater des Bundeslandes im direkten Zusammenhang mit dessen kulturpolitischen Prinzipien und werden dadurch in die Pflicht zur Erfüllung dieser genommen: „Die Förderung von Kunst und Kultur ist im Freistaat Verfassungsauftrag. Die Teilnahme an Kultur ist der gesamten Bevölkerung zu ermöglichen. Dies geschieht durch eine moderate Eintrittspreisgestaltung. Im erforderlichen Umfang wäre kein Privater bereit, dies fortzuführen oder gar auszubauen“ (Sächsisches Staatsministerium der Finanzen 2017, S. 119). Eine Grundversorgung und flächendeckende Infrastruktur für eine breite Partizipation ist also auch hier mit einer niedrigschwelligen Preispolitik verbunden, die die Finanzierung des öffentlichen Theaterbetriebs rechtfertigt und die Verantwortung unterstreicht, welche die öffentliche Hand und die durch sie beauftragen Institutionen übernehmen. Wenn auch keine inhaltliche Richtungsbestimmung formuliert wird, könnte die Verwendung des Wortes „Teilnahme“ Hinweise geben: Wenn man diese, im Sinne dieser Untersuchung, als eine aktive Beteiligung versteht, sind die LBS tatsächlich in der Pflicht, nicht nur Kultur für alle zu ermöglichen, sondern auch Angebote der aktiven Partizipation bereitzustellen. Dies ist jedoch eine sehr weite Deutung, da der Begriff in dem zitierten Dokument nicht weiter ausgeführt wird und demnach auch als Synonym für Teilhabe verwendet worden sein könnte. Während des Untersuchungszeitraums wurde die Trägerschaft der Landesbühnen Sachsen und deren Theaterarbeit, beziehungsweise der kulturpolitische Auftrag sowie die Existenzberechtigung der LBS hinterfragt,73 das Sächsische Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst hat diesbezüglich Anfang November 2015 einen Bericht zur Evaluation des Sächsischen Kulturraumgesetzes veröffentlicht (vgl. Freistaat Sachsen 2015). In diesem nimmt es Stellung zum Konstrukt und der Finanzierung der LBS und zwar im Vergleich zu anderen, ähnlichen Institutionen als auch vor dem Hintergrund der spezifischen sächsischen Situation der Kulturräume: „Im bundesweiten Vergleich ist die alleinige staatliche Trägerschaft an einer solchen Einrichtung einmalig, Landesbühnen werden sonst in kommunaler Trägerschaft betrieben“ (ebd., S. 20). Diese Aussage ist nur bedingt richtig, beziehungsweise benötigt eigentlich eine genauere Eingrenzung: Die Konstruktion der LBS ist, aufgrund der Situation in Sachsen, einzigartig, aber wie durch die Theaterstatistik ersichtlich, sind nicht immer Kommunen die (alleinigen) Träger der einzelnen Landesbühnen; wenn aber meistens auch an der Trägerschaft beteiligt, was ja aber auch bei den LBS der Fall ist. An der Finanzierung der LBS sind durch das Kulturraumgesetz alle Kulturräume des Freistaates beteiligt (vgl. Sächsisches Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst 2008, § 6 Sächsischer Kulturlastenausgleich), was die Kulturräume, „die über eine eigene Theaterinfrastruktur verfügen, als systemwidrig“ (Freistaat Sachsen 2015, S. 20 f.) ansehen: In den großen Städten (den urbanen Kulturräumen) gebe es kaum Veranstaltungen der Landesbühnen, dort hätte man also nichts oder nur wenig von der Mitfinanzierung; in den ländlichen Gebieten würden die LBS mit den dort arbeitenden Theatern in Konkurrenz treten, was ebenfalls negative Auswirkungen hätte. Zudem wird die ungleiche Belastung der Kulturräume, die sich durch die ungleichmäßige Bespielung des Landes ergibt, als un-

73 Zu der Diskussion, in der es sich auch darum drehte, ob es sich bei dem Konstrukt um einen „Systembruch“ des Kulturraumgesetz oder um eine „Systemwidrigkeit“ handelt, siehe Kommunalpolitisches Forum Sachsen 2016.

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gerecht empfunden;74 weswegen im Sinne einer „Sachgerechtigkeit der Finanzstrukturen“ (ebd.) eine Strukturanpassung der LBS empfohlen wird, an der die Sitzgemeinden (beziehungsweise der Sitzkulturraum) mitarbeiten sollen. Der Gastspielbetrieb in andere Kulturräume soll über die Zahlung von individualisierten relativierten Summen zur Kostenbeteiligung gesichert werden.75 Unabhängig von der aktuellen Diskussion wurde mit der strukturellen Umwandlung der LBS in eine GmbH vor einigen Jahren eine Erweiterung des Spielgebietes und eine Neuausrichtung des Auftrages verbunden, die auch eine „geografisch weiter gefasste Verantwortung für die Unterstützung ästhetischer Bildung umfasst“ (Deutscher Bühnenverein / Landesbühnengruppe 2012, S. 110.). Auch hier also wieder die Zuschreibung als unterstützender Kulturakteur in Zusammenhang mit Bildungsprozessen und einer Zugangsermöglichung für diese auch in der Fläche. Unter dem Label „junges.studio“ bieten die LBS ein umfangreiches theaterpädagogisches Programm an, um diesem Anspruch gerecht zu werden. Das Spartenangebot der LBS umfasst, neben dem 2014 neu hinzugekommenen Bereich Figurentheater, Musiktheater, Schauspiel und Tanz (vgl. Landesbühnen Sachsen 2015). Die LBS kooperieren – und entsprechen somit ihrer Rolle als Ergänzer – mit zahlreichen Akteuren; Stadt- und Staatstheatern und Freien Theatern. Diese Zusammenarbeiten gestalten sich sowohl in festen Partnerschaften als auch projektbezogen. Bespielt werden auch Nicht-Theater-Orte wie Gärten, Schlösser und Kirchen (vgl. ebd.). Im Rahmen von „Doppelpass“ gab es 2013 unter dem Titel „eLBe ÜBER(N)FLUSSGESELLSCHAFT“ eine Zusammenarbeit mit dem Tanztheater „bodytalk“ aus Köln (siehe Kulturstiftung des Bundes 2019c). Erfahrungen aus einer längerfristig angelegten Zusammenarbeit liegen also vor und können in die Untersuchung einbezogen werden. 2015 wurden die Deutschen Landesbühnentage von den LBS ausgerichtet. Dabei erstreckte sich das Programm nicht nur auf das Haupthaus in Radebeul, sondern es wurden auch Aufführungen in weiteren Spielstätten angeboten (Sachsen 2015, S. 6–7), was die gute Vernetzung der LBS im unmittelbaren Umfeld Radebeuls aufzeigt.

74 „Im Jahr 2013 haben die Landesbühnen Sachsen 458 Auftritte, das sind 82,4% aller ihrer Auftritte, im Kulturraum Meißen-Sächsische Schweiz-Osterzgebirge absolviert. Davon lagen 259 Auftritte (46,6%) in der Radebeuler Stammspielstätte, 81 Auftritte (14,6%) auf der Felsenbühne Rathen. Dagegen stehen 98 Auftritte und Gastspiele in anderen Kulturräumen bzw. außerhalb Sachsens (17,6%). Trotz dieser ungleichmäßigen Auftrittspraxis sind alle Kulturräume durch die Befrachtung der Kulturraummittel entsprechend ihrem sonstigen Anteil an diesen Mitteln belastet. Der auf den Kulturraum Meißen-Sächsische SchweizOsterzgebirge entfallende Anteil an der Befrachtung ist aufgrund seiner unterdurchschnittlichen Kulturausgaben niedriger als der der anderen Kulturräume, obwohl dieser Kulturraum mit Abstand am meisten von den Landesbühnen Sachsen profitiert“ (Freistaat Sachsen 2015, S. 21). 75 „Eine solche oder vergleichbare Regelung zur Rückführung der Befrachtung kann vom Freistaat allerdings nicht einseitig getroffen werden. Erforderlich wäre vielmehr eine Mitwirkung der kommunalen Ebene oder Dritter mit dem Ziel, die Rückführung kostenneutral für das Land zu erreichen“ (Freistaat Sachsen 2015, S. 21).

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Manuel Schöbel als Experte

Intendant der LBS ist seit 2011 der Autor, Dramaturg und Regisseur Manuel Schöbel.76 Er war ehemals unter anderem Leiter des Mittelsächsischen Theaters Freiberg/Döbeln und kennt somit verschiedene Theaterstrukturen und unterschiedliche Rollenzuschreibungen innerhalb des Freistaats Sachsens. Neben seiner praktischen Theaterarbeit engagierte er sich insbesondere im Kinder- und Jugendtheaterbereich, unter anderem war er 20 Jahre lang (1990–2010) stellvertretender Vorsitzender der ASSITEJ Deutschland und Vorsitzender des Kuratoriums des Kinder- und Jugendtheaterzentrums in der Bundesrepublik Deutschland (vgl. Landesbühnen Sachsen 2019). Es wäre also zu erwarten, dass er gerade auch hinsichtlich des Themenfeldes Partizipation Expertenwissen vorweisen kann und darüber hinaus aufgrund seiner Zeit in Freiberg/Döbeln die Beziehungen zwischen Landesbühne und anderen Theaterinstitutionen innerhalb eines Bundeslandes beschreiben kann, gerade hinsichtlich der Erwartungen an eine „ergänzende“ Kulturversorgung bei gleichzeitiger identifikationsstiftender Funktion. 3.3.6 Hessisches Landestheater Marburg Wie schon bei der allgemeinen Darstellung der Landesbühnenlandschaft angemerkt, hat das Land Hessen nur eine einzige Landesbühne: Das Hessische Landestheater Marburg (HLTM). 1946 als „Schauspiel Marburg“ gegründet, wurde das Theater 1990 zur gemeinsam vom Land Hessen und der Sitzstadt Marburg getragenen Landesbühne. Der das bestimmende Theatervertrag begründete dies „in dem Bestreben, das künstlerische Niveau zu heben“ (Hessisches Ministerium für Wissenschaft und Kunst 1990, §1, S. 12). Stadt und Land sind gleichberechtigte Gesellschafter (je 50% des Stammkapitals entfallen auf Land bzw. Stadt, vgl. Magistrat der Universitätsstadt Marburg 2017, S. 66), wobei die Betriebskosten ungleich aufgeteilt sind: Das Land Hessen übernimmt hier 59%, die Stadt Marburg 41%, die Stadt Marburg stellt jedoch zusätzlich das ErwinPiscator-Haus kostenfrei zur Nutzung bereit (ebd., S. 67). Der Zweck der Gesellschaft liegt in dem „Betrieb eines Theaters mit Schauspiel und Kindertheater, dessen Spieltätigkeit überwiegend außerhalb des Sitzortes – aber nicht mehr als 60% – vorzugsweise und schwerpunktmäßig in Hessen erfolgen soll“ (ebd.). Besonders ist in diesem Fall, dass die Festlegung der Gastspieltätigkeit mit einer Höchstgrenze verbunden ist, bei den anderen ausgewählten Landesbühnen gibt es keine derartigen Vorgaben. Dadurch und durch die Schwerpunktsetzung des Spielbetriebs auf das Land Hessen wird die Doppelfunktion des HLTM als Theater für die Stadt Marburg und das Bundesland unterstrichen – und zugleich die Förderung durch beide Träger legitimiert, denn schließlich sollen und wollen sowohl Stadt als auch Land profitieren. Die Festlegung auf bestimmte Sparten ist durchaus üblich für die Zielsetzung eines Theaterbetriebs, dass hier das Kinder- und Jugendtheater explizit genannt wird, hebt dieses in eine besondere Stellung innerhalb des Theaters, es könnte also nicht nach Intendanten-Willkür einfach abgeschafft werden.

76 Im Februar 2016 wurde seine Verlängerung bis 2022 bekannt gegeben, vgl. Sächsisches Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst 2016.

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Quotenerfüllung und Kennzahlen-Interpretation

Der notwendige, respektive zu erwartende Umfang einer Reisetätigkeit des Hessischen Landestheaters wird unterschiedlich bewertet, so merkt der Hessische Rechnungshof bereits 2003 an (vgl. Hessischer Rechnungshof 2004), dass das Theater „die ursprünglichen Erwartungen des Landes, Produktionen ganz überwiegend in theaterlosen hessischen Gemeinden zu spielen, nicht erfüllt“ (ebd., S. 151) und auch nach Auswertung der Theaterstatistik wird sehr deutlich, dass die Aufführungen des Theaters überwiegend in Marburg selbst stattfinden. Umgekehrt betrachtet werden die 40% der Vorstellungen, die notwendigerweise in Marburg stattfinden sollen, mehr als erreicht. In der gleichen Drucksache stellt jedoch das Hessische Ministerium für Wissenschaft und Kunst klar, dass das HLTM die geplanten Gastspiele aufgrund externer Bedingungen nicht hatte durchführen können (ebd., S. 153 f.) und listet zugleich die Erklärungen für diesen Umstand auf: „grundlegende politische und gesellschaftliche Veränderungen im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung [haben] weit reichende Modifikationen der kommunalen und ländergetragenen Theaterstrukturen bewirkt“ (ebd., S. 154). Insbesondere die Entwicklungen der Landbevölkerung hätten die Theaterarbeit strukturell beeinflusst – damit könnte sowohl die wachsende Mobilität der Menschen, als auch der demografische Wandel in ländlichen Regionen gemeint sein. Der Bericht, der das Konzept des HLTM kritisch beschreibt, fordert Verbesserungen, stellt die Landesbühne jedoch nicht grundsätzlich in Frage: So verweist er auf die „eingetretene Stabilisierung des Theaterangebots in der mittelhessischen Region“ (ebd.), womit die Bedeutung der Bühne als regionale Kultureinrichtung, die in den ländlichen Raum wirkt, unterstrichen wird.77 Diese besondere Wichtigkeit des HLTM für die Region wird begründet mit der Vergrößerung des Einzugsbereichs: Die Menschen seien nicht nur mobiler, sondern es gebe ein „Bedürfnis der Zuschauer, Vorstellungen in der spezifischen Atmosphäre eines Theaterhauses zu erleben“ (Hessischer Landtag 2004, S. 114). Hiermit wird ein sich ändernder Anspruch des Publikums impliziert: Es scheint es zu bevorzugen, eine gewisse Distanz zu überwinden, um ein Theatererlebnis in dem dafür adäquaten „richtigen“ Haus zu erleben; denn die Rezeption einer Theateraufführung in einem vielleicht provisorisch eingerichtetem Bühnenraum, einem Kulturzentrum oder Stadthalle scheint nicht (mehr) befriedigend genug. Verbunden damit kommt die unterschwellige Bewertung und Idee dessen, was Theater zu sein habe, zum Vorschein: Eine Theateraufführung ist demnach eine Vorstellung in einem klassischen Bühnenraum, deren Transfer auf einen anderen Raum natürlich zu Einbußen führen muss. Die Konzentration der Spieltätigkeit auf Marburg wird also nicht nur negativ gesehen, da das HLTM durch diese Entwicklungen auch ohne Reisetätigkeit ein diverses, nicht nur städtisches Publikum erreicht. Allerdings sei dieses geänderte Verhalten nicht der einzige Grund für das HLTM, wenig zu gastieren, so der Bericht weiter. Gleichermaßen führten die sich negativ entwickelnden Haushalte von Ländern und Kommunen zu Einsparungen – euphemistisch ausgedrückt hätte es dadurch bedingt „neue kultur- und bildungspolitische Prioritätensetzungen“ (ebd., S. 115) gegeben. Hinzu käme die wachsende Konkurrenz auf dem Gastspielmarkt, der das HLTM nur bedingt gewachsen zu sein scheint: Andere Thea-

77 Dies wird ebenfalls im aktuellen Kulturatlas des Landes Hessens hervorgehoben (Hessisches Ministerium für Wissenschaft und Kunst 2018, S. 23, 28).

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ter, darunter auch Landesbühnen, würden den hessischen Markt ebenfalls bedienen und insbesondere im Bereich Kinder- und Jugendtheater sei die Freie Theaterszene verstärkt aktiv. Die Gastspiel veranstaltenden Theater würden zudem einen breiteren Spielplan anbieten, daher auf die Produktionen unterschiedlicher Anbieter in verschiedenen Genres zurückgreifen und sich somit nicht mehr nur aus dem Spielplan eines Theaters bedienen wollen (vgl. ebd., S. 114 f.). Als weiterer positiver Aspekt bei der Bewertung des HLTM wird auch hier – ähnlich wie bei der Burghofbühne Dinslaken – die Wirtschaftlichkeit des Theaterbetriebs hervorgehoben. Im Vergleich zu anderen Landesbühnen wäre „der durchschnittliche Zuschuss des Landes pro Besucher im HLT[M] am niedrigsten“ (ebd., S. 115). Dieser Aspekt scheint die nicht erfüllte Gastspielquote aufzuwiegen: Das HLTM hat es schwer, sich auf dem Markt zu behaupten, kann also weniger außerhalb als vor Ort in Marburg anbieten, aber da die Arbeit unter dem Strich finanziell erfolgreich ist, scheint nicht alles schlecht zu sein. Ein solches Abwägen zwischen inhaltlichen und finanzpolitischen Kriterien und die ungleiche Bemessung derselben ist eine wichtige Thematik, die für die Landesbühnenarbeit entscheidend sein könnte und gleichermaßen Rückschlüsse zulässt, über die Bewertung theaterpolitischer Prämissen im Vergleich zu Haushaltsfragen. Die Wirtschaftlichkeit und die Verwendung der öffentlichen Gelder wird im Finanzhilfebericht für die Jahre 2015–2019 des Landes Hessen (vgl. Hessisches Ministerium der Finanzen 2017, Anlage 5) in Bezug gesetzt zu der Zielsetzung der Theaterförderung des Landes Hessens. Dabei nimmt sich das Land selbst in die Pflicht, durch seine theaterpolitischen Entscheidungen „Theaterkunst von hoher künstlerischer Qualität zu ermöglichen“ (ebd., S. 127). Hier lassen sich Parallelen zur Auffassung des Landes Sachsen ziehen; der hohe Qualitätsanspruch (wie auch immer dieser gedeutet wird) kann nur mit Hilfe der öffentlichen Hand erfüllt werden, und sollte, könnte nicht in (rein) privatwirtschaftliche Hand gegeben werden.78 Theaterförderung soll künstlerische Experimente ermöglichen, die einer gewissen finanziellen Unabhängigkeit bedürfen: „Insbesondere soll dabei das hohe wirtschaftliche Risiko bei der Weiterentwicklung und Erneuerung ästhetischer Formen und Inhalte sowie die Pflege des kulturellen Erbes ausreichend abgefedert werden“ (ebd., S. 129). Dass zugleich auch der Erwartung Ausdruck verliehen wird, dass sogar die Aufrechterhaltung des Bildungskanons mit finanziellen Risiken behaftet sein könnte, also auch bei einem Spielplan voller Klassiker des kulturellen Erbes eine Förderung notwendig sei, damit Theater ihrer Arbeit nachgehen können, unterstreicht die grundsätzliche Bedeutung von Theater als meritorisches Gut. Teilhabe mit Fokus auf das Kinder- und Jugendtheater?

Die Kunstproduktion wird an erste Stelle gesetzt, die „Partizipation möglichst vieler Bürger an der Theaterkunst, die Sicherung [...] von Arbeitsplätzen sowie positive wirtschaftliche Auswirkungen auf die Sitzgemeinde [...] sind ausdrücklich erwünschte Nebeneffekte“ (ebd., S. 127). Breite Teilhabe der Bevölkerung ist also nicht primäres Ziel, sie scheint wünschenswert, aber keine notwendige Bedingung, um den Erfolg des

78 Diese Überzeugung spiegelt den Gedanken einer Cultural Governance und die Verantwortungsteilung für eine kulturelle Infrastruktur mit entsprechenden hohen Standards, vgl. dazu die Ausführungen zur kulturellen Infrastruktur in Kapitel 2.1.1.

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Theaterbetriebes zu messen.79 Dies steht natürlich im Widerspruch zu den oben genannten Kritikpunkten: Wenn die Kunstproduktion an erster Stelle steht, wirtschaftlicher Erfolg und Besuchszahlen also nicht maßgeblich, sondern nur Nebeneffekte (wenn auch ausdrücklich erwünschte) sind, gäbe es auch an geringen Auslastungsoder Veranstaltungszahlen nichts auszusetzen. Diese Annahme steht als Frage auch im Hintergrund der Untersuchung: Was ist die Absicht von Theater und damit der Institution Landesbühne, welche Schwerpunkte und Ausrichtungen sind entscheidend: experimentelle Kunst, durch öffentliche Förderung ermöglicht, breite Teilhabe, egal mit welcher künstlerischen Ausrichtung, oder ein Theaterbetrieb mit ausgeglichener wirtschaftlicher Bilanz? Unabhängig von der Einstufung von Partizipation als Nebeneffekt, zeichnet sich das HLTM „durch eine vorbildliche Kinder- und Jugendarbeit“ (Hessisches Ministerium für Wissenschaft und Kunst 2018, S. 62) aus und bietet unterschiedliche Programme und Projekte, um Teilhabe zu ermöglichen. Das „Junge Theater Marburg“, als Sparte für Theater für und mit jungen Menschen, wird von einem mehrköpfigen Leitungsteam geführt. Angeboten werden Stücke für junges Publikum und unterschiedliche theaterpädagogische Formate, wie Spielclubs und klassische Vermittlungsformen. Ein Patenschaftsprogramm und ein Sozialfonds sollen den Menschen einen Theaterbesuch ermöglichen, die durch eine fehlende Begleitung oder geringe finanzielle Mittel an einem Besuch gehindert werden (vgl. Junges Theater im Theater Marburg 2018c und Junges Theater im Theater Marburg 2018b; hiermit wird versucht, zwei grundlegende Barrieren für einen Theaterbesuch zu überwinden, vgl. Renz 2014). Die Zusammenarbeit der Landesbühne mit Schulen wird als erfolgreich wahrgenommen: „60 Kooperationsverträge mit Schulen belegen die große Bedeutung des Theater-Angebots für Kinder und Jugendliche in der Region“ (Hessisches Ministerium der Finanzen 2017, S. 128). Die Expertise des HLTM erstreckt sich also auf Erfahrungen in der kulturellen Bildungsarbeit und der Zugangsermöglichung und bereichert so die Analyse. Des Weiteren wird durch die Auswahl des HLTM als Fallbeispiel auch ein Festival veranstaltendes Theater berücksichtigt. Kontinuierlich seit über 20 Jahren (seit 1995) veranstaltet das HLTM jedes Jahr im Frühling die Hessische Kinder- und Jugendtheaterwoche „KUSS: kuck! schau! spiel!“ (Junges Theater im Theater Marburg 2018a). Bei einem Blick in die Festivalprogramme fällt auf, dass die eingeladenen Inszenierungen zum großen Teil von Freien Theatern entwickelt wurden, was zum einen Rückschlüsse über Angebot und Qualität zulässt und zugleich die Frage nach möglichen Kooperationspotenzialen aufwirft. Festivalort ist Marburg, die eingeladenen Produktionen werden nicht in anderen Spielorten gezeigt und es gibt auch kein „KUSS“ auf Reisen – diese Tatsache verweist auf eine grundlegende Fragestellung über die Landesbühnenarbeit und macht die Problematik des ungleichen Verhältnisses zwischen Sitzort und Gastspielort sichtbar: Welche Angebote des Spielplans sind tatsächlich auch den ländlichen Regionen zugänglich, und welche konzentrieren sich auf den Stammort und das unmittelbare Einzugsgebiet, sind also nur dort zu erleben – und woran liegt das?

79 Die anderen hier aufgezählten ökonomischen Aspekte eines (Stadt-)Theaterbetriebes verweisen auf die Umwegrentabilität eines solchen Betriebs und die Einstufung eines Theaters als Standortfaktor. Dies soll nicht unerwähnt bleiben, muss aber nicht weiter ausgeführt werden.

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Interimssituation als besondere Rahmung

Während der Fallauswahl und des Untersuchungszeitraums gestaltete sich die Spielstättensituation des HLTM in seinem Stammsitz als problematisch: Eine Hauptspielstätte der Landesbühne ist das Erwin-Piscator-Haus. Dieses Gebäude, die ehemalige Stadthalle Marburgs, war ab der Spielzeit 2013/14 nicht bespielbar und wurde nach den dringend notwendigen Umbaumaßnahmen als „multifunktionale[s] Kultur-, Veranstaltungs- und Tagungszentrum“ (Universitätsstadt Marburg 2018) mit mehreren Nutzern (ebd.) 2016 neu eröffnet. Das HLTM musste während der Bauphase auf den großen Theatersaal verzichten und hat in dieser Zeit, neben der Bespielung der kleineren Säle im Theater am Schwanhof, neue Spielorte in der Stadt besetzt. Zum Teil wurden theaterfremde Orte als Theaterräume umfunktioniert und ortsspezifisch bespielt, wie zum Beispiel die Galeria Classica, ein ehemaliges Autohaus (vgl. Badouin 2013). Ob und wie diese temporären Theaterräume nur eine Interimslösung waren, oder ob durch die Zwischennutzung neue Kulturräume geschaffen wurden, bleibt zu beobachten. Diese Übergangszeit und die gefundenen Lösungen für den Spielbetrieb markieren das HLTM als besonderes Beispiel für diese Untersuchung, denn sie könnten Hinweise geben auf eine mögliche erweiterte Aufgabenzuschreibung für Landesbühnen im Sinne einer Bespielbarmachung von neuen Orten. Matthias Faltz als Experte

Während der gesamten Zeit ohne Spielstätte war Matthias Faltz Intendant der HLTM und wird demnach über Herausforderungen und Chancen dieser Situation berichten können. Die Intendanz hatte er seit 2010 inne, zuvor leitete er sechs Jahre lang das Junge Staatstheater Wiesbaden und arbeitete als Regisseur, Autor und Darsteller in der Freien Theaterszene. Er kennt also unterschiedliche Theaterstrukturen und weiß demnach Vor- und Nachteile einzuschätzen. Seinen Verzicht auf eine weitere Vertragsverlängerung ab 2018 gab er frühzeitig bekannt (vgl. Lamparth 2017). Mit der Spielzeit 2018/19 trat eine neue Doppelspitze, bestehend aus Carola Unser und Eva Lange, die Leitungsfunktion an. Ihre Arbeit und Expertise werden aufgrund des Zeitpunktes jedoch nicht mehr in die Analyse aufgenommen. 3.3.7 Schleswig-Holsteinisches Landestheater und Sinfonieorchester Auch in Schleswig-Holstein gibt es nur eine Landesbühne, das Schleswig-Holsteinische Landestheater und Sinfonieorchester (SHL), das zu den größten Landesbühnen Deutschlands gehört.80 Das SHL bietet Aufführungen aus allen Sparten, unter den Bereich „Musiktheater“ fallen Oper, Operette, Konzerte, Musical- und Ballettaufführungen, dazu kommen Schauspiel, Puppentheater und Kinder- und Jugendtheater.81 Extras wie Sonderformate, Spielclubpremieren oder Filmvorführungen ergänzen den Spielplan (vgl. Becher 2013).

80 Nach eigenen Aussagen „mit rund 380 Beschäftigten und über 700 Vorstellungen“ (Schleswig-Holsteinisches Landestheater und Sinfonieorchester 2019b). 81 Pläne, eine eigenständige Kinder- und Jugendtheatersparte zu gründen und in Itzehoe anzusiedeln, scheiterten 2016 aus finanziellen Gründen, siehe dazu Althaus 2016.

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Viele Standbeine, viele Verpflichtungen

1974 ist das SHL aus dem Zusammenschluss der drei selbstständigen Bühnen in Flensburg, Rendsburg und Schleswig entstanden, das Nordmark-Sinfonie-Orchester wurde eingegliedert (vgl. Schleswig-Holsteinisches Landestheater und Sinfonieorchester 2019a). Produktionsorte waren zu Beginn des Untersuchungszeitraums und zum Zeitpunkt der Fallauswahl die drei Sitzstädte, auf diese waren auch die einzelnen Abteilungen des Theaterbetriebes aufgeteilt: Musiktheater, Ballett und Sinfonieorchester in Flensburg; Intendanz, Verwaltung sowie ein Teil des Schauspielensembles in Schleswig, der zweite Teil des Schauspiels inklusive Schauspieldirektor in Rendsburg; in Harrislee die zentralen Werkstätten für alle Sparten der Landesbühne (vgl. Landesbühnengruppe im Deutschen Bühnenverein 2013). 2016 wurde der Verwaltungssitz von Schleswig nach Rendsburg verlegt (vgl. Schleswig-Holsteinisches Landestheater und Sinfonieorchester 2019b). Diese Konstruktion, mit einer Verteilung der Strukturen auf so viele verschiedene Städte ist innerhalb der Landesbühnengruppe einmalig. Auftrag des Theaters ist laut Beteiligungsbericht der Stadt Flensburg 2018 „der regelmäßige Betrieb eines Mehrspartentheaters und Orchesters in Flensburg, Rendsburg, Schleswig und die Veranstaltung von Theateraufführungen und Konzerten in weiteren Orten im Spielgebiet“ (Stadt Flensburg – Fachbereich Finanzen, Abteilung Beteiligungscontrolling 2018, S. 166). Es wird festgelegt, dass sich die Reisetätigkeit des SHL auf die Gesellschafter-Gebiete konzentrieren sollte. So erstreckt sich das Spielgebiet der Landesbühne schwerpunktmäßig auf den nördlichen und westlichen Teil des Bundeslandes, während die Stadttheater Kiel und Lübeck den Süden und Osten des Landes mit Theater versorgen.82 Hamburg fungiert innerhalb Schleswig-Holsteins ebenfalls als wichtiger Theaterstandort, denn es „ist davon auszugehen, dass die Bevölkerung im südlichen Schleswig-Holstein aufgrund der räumlichen Nähe zu Hamburg verstärkt auch auf das dortige Theaterangebot zurückgreift“ (Ministerium für Justiz, Kultur und Europa des Landes Schleswig-Holstein 2013, S. 33). Diese Aufteilung des Bundeslands in bestimmte Theatergebiete regelt die Zuständigkeiten und kann entsprechend genutzt werden, um Konkurrenzen zu vermeiden. Gleichermaßen hebt sie die regionale Verpflichtung der jeweiligen Theater hervor. Getragen wird die Schleswig-Holsteinische Landestheater und Sinfonieorchester GmbH durch seine Gesellschafter-Städte, das Bundesland ist nicht unmittelbar finanziell beteiligt, aber „gewährt über den kommunalen Finanzausgleich im Rahmen eines Vorwegabzugs den jeweiligen Kommunen Zuweisungen zu den Betriebskosten, um sie bei der Unterhaltung ihrer Theater zu unterstützen und die Versorgung des Landes mit Theaterangeboten in der Fläche zu sichern“ (ebd., S. 43). Hier übernimmt also das Land in indirekter Weise Verantwortung für eine Grundsicherung des Theaterangebots. Eine nicht unmaßgebliche Rolle, besonders für die Angebote des Kinder- und Jugendtheaters, übernimmt die Theaterbürgerstiftung Flensburg, deren finanzielle Unterstützung zweckgebunden für das Theater für und mit jungen Menschen verwendet wird und durch die Formate mit Beteiligung von Kindern und Jugendlichen realisiert werden können (vgl. MUTHEA 2016). Eine solche zweckgebundene Förderung erzeugt

82 Diese beiden genannten Theater übernehmen keine Landesbühnenfunktion, gemeint ist das jeweilige Einzugsgebiet, vgl. Ministerium für Justiz, Kultur und Europa des Landes Schleswig-Holstein 2013, S. 33.

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einerseits eine Verlässlichkeit und Kontinuität, kann jedoch dazu führen, dass, wenn diese Extraförderung wegfällt, der geförderte Bereich im Sinne einer Zusatzaufgabe verstanden und eingestellt wird. Abhängigkeiten von Ort und Raum

In den vergangenen Jahren hat das SHL mit mehreren Problemen zu kämpfen: Einer der Hauptspielorte, das Theater Schleswig, musste 2011 aufgrund baulicher Mängel geschlossen und abgerissen werden. Eine Interimsspielstätte konnte im „Slesvighus“ eingerichtet werden, die jedoch über deutlich weniger Sitzplätze verfügt und für Musiktheater nicht, beziehungsweise nur eingeschränkt nutzbar ist (siehe dazu Ministerium für Justiz, Kultur und Europa des Landes Schleswig-Holstein 2013, S. 63 ff). Diese Situation hat das Konstrukt der Landesbühne grundlegend erschüttert und zu „erheblichen Turbulenzen“ (Peter Sönnichsen zitiert nach Scherz-Schade 2015, S. 3) geführt. Das Kulturministerium des Landes Schleswig-Holstein kommt im „Konzept zur Sicherung der öffentlichen Theater und des Theaterstandortes Schleswig“ zum Schluss: „Ziel muss es daher sein, den Theaterstandort Schleswig mit Aufführungs- und Produktionsmöglichkeiten für Schauspiel und Musiktheater zu erhalten, um das Landestheater in seiner jetzigen Struktur fortzuführen. Das Konstrukt Landestheater funktioniert nur mit drei vollwertigen Produktionsstätten in Flensburg, Rendsburg und Schleswig“ (Ministerium für Justiz, Kultur und Europa des Landes Schleswig-Holstein 2013, S. 68). Der Umzug des Verwaltungssitzes und die Verlagerung des Hauptspielortes von Schleswig nach Rendsburg war eine Reaktion auf die prekäre Situation (siehe ScherzSchade 2015). Neben der Problematik, dass ein Hauptspielort weggefallen ist, bedrohten finanzielle Einsparungen die Landesbühne: Der Kreis Dithmarschen kündigte seine Mitgliedschaft, auch in Reaktion zur Schließung des Standortes Schleswig, zu Ende August 2019 (siehe dpa 2015b) und auch der Kreis Schleswig-Flensburg drohte mit seinem Ausstieg aus der GmbH, sofern sich die Rahmenbedingungen nicht änderten (siehe dpa 2015a). 2017 konnte jedoch die Situation entspannt werden: Ein neuer Gesellschaftervertrag, der die Interessen der einzelnen Gesellschafter neu und individuell berücksichtigte, wurde abgeschlossen (siehe Frank 2017), der Kreis SchleswigFlensburg konnte als Gesellschafter gehalten werden und die Stadt Schleswig hat den Neubau eines Theaters beschlossen (siehe Wolf 2017b). Das SHL bespielt inklusive seiner drei Stammsitze fest und regelmäßig elf Gesellschafter-Städte, dort zum Teil mehrere Räume oder Bühnen; diese werden auf der Webseite des Theaters als „unsere Spielstätten“ bezeichnet. Diese Benennung ist speziell und betont die enge Partnerschaft zu den Orten und die Verpflichtungen gemäß der Struktur, denn eigentlich werden nur die direkt durch das Theater betriebenen Spielstätten als ihm zugehörig bezeichnet, im Falle des SHL also die Spielstätten in Schleswig, Rendsburg und Flensburg (siehe dazu Deutscher Bühnenverein 2016, S. 32). Alle weiteren Orte, die mit Abstechern bedient werden, werden auf der Webseite gesammelt unter „Gastspielorte“ gelistet, was die Unterschiede in der Stellung dieser Orte noch unterstreicht (vgl. Schleswig-Holsteinisches Landestheater und Sinfonieorchester 2019c). Alleinstellungsmerkmal oder Herausforderung?

Eine weitere Besonderheit liegt in der Auftragsbeschreibung des SHL; die eingangs zitierte Beauftragung als Mehrsparten-Theaterbetrieb in mehreren Orten wird ergänzt

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um die Funktion eines Gastspielveranstalters: „Dazu gehört auch die Veranstaltung von Aufführungen anderer Bühnen und Konzerte anderer Orchester“ (Stadt Flensburg – Fachbereich Finanzen, Abteilung Beteiligungscontrolling 2018, S. 166). Das SHL ist demnach explizit dazu aufgefordert, oder – je nach Interpretationswille – hat demnach die Möglichkeit, seinem Auftrag auch mit Hilfe von Dritten nachzukommen, indem es Vorstellungen nicht ausschließlich selbst produzieren und den künstlerischen Betrieb nicht alleine aufrecht erhalten muss. Eine Quote wird nicht festgesetzt und es wird auch nicht bestimmt, um welche anderen Theater oder Orchester es sich dabei handeln sollte. Es wäre also denkbar, dass das SHL als Spielort für andere Einrichtungen der öffentlichen Hand Spielstätte sein könnte, aber auch für Freie Theater oder Amateurtheater. Diese Option ist wiederum in zweifacher Weise zu deuten: Wenn es ausdrücklich gewünscht ist, Fremdveranstaltungen zu ermöglichen, dann wäre zu erwarten, dass dies auch budgetär und konzeptionell in der Planung berücksichtigt wird – oder aber es wird hierdurch vereinfacht, bei eventuellen Haushaltsdebatten Einsparungen im produzierenden Bereich des Betriebs vorzunehmen, da der Gesellschaftszweck dadurch nicht grundsätzlich gefährdet würde. Mit dieser Formulierung wäre außerdem die Möglichkeit gegeben, den Spielbetrieb auch aufrechtzuerhalten, falls die eigene Theaterarbeit es nicht mehr zu leisten vermag, die genannten verpflichtenden Spielorte zu bedienen. Darin zeigt sich ein interessanter Aspekt für zukünftige Entwicklungen und auch für die Rolle der Landesbühnen, denn in diesem Sinne könnte das SHL seinem Reiseauftrag durch die Verpflichtung Dritter gerecht werden und sich somit als Agentur oder als Instrument der Distribution neu positionieren. Das SHL zeichnet sich darüber hinaus durch seinen Musiktheater-Schwerpunkt aus: Unter der Vorannahme, dass gerade Abstecher mit großen Opernproduktionen besondere logistische Herausforderungen mit sich bringen, ist zu erwarten, dass anhand der Erfahrungen des SHL die Arbeitsbedingungen und Herausforderungen eines Reisetheaters besonders betrachtet werden können. Darüber hinaus sind gerade in dem Bereich Musiktheater, der auch Ballett einschließt, die Anforderungen an die Spielstätten und somit die Gastspielorte besonders hoch (exemplarisch seien ein Tanzboden als Notwendigkeit und die besonderen Akustikansprüche genannt) und deren NichtErfüllung kann zu (künstlerischen) Einschränkungen führen. Peter Grisebach als Experte

Generalintendant des SHL ist seit der Spielzeit 2010/11 Peter Grisebach, er wird das Theater 2020 auf eigenen Wunsch verlassen (vgl. o.A. 2018a). Grisebach wechselte von der Intendanz des Stadttheaters Bremerhavens an die Landesbühne, zuvor war er als Oberspielleiter unter anderem am Opernhaus Kiel tätig, hatte also vorher noch keine Erfahrung im Gastspielsektor, kennt jedoch die Theaterlandschaft Norddeutschlands und ist ausgewiesener Musiktheater-Experte: Er ist ausgebildeter Balletttänzer, Konzertpianist, studierte Schauspiel und ist als Regisseur tätig (vgl. o.A. 2009). 3.3.8 Expertenblicke auf die Landesbühnenlandschaft Mit diesen sieben Fallbeispielen ist die Bandbreite an unterschiedlichen Landesbühnenbetrieben als besondere Einzelfälle des Kollektivums Landesbühne gut abgedeckt, die Expertisen sollten demnach ausreichend sein für die beabsichtigte Analyse. Gleichwohl wurde es als sinnvoll erachtet, zwei weitere Intendanten als Experten auszu-

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wählen, die sich durch spezifisches Wissen über und persönliche Erfahrungen mit der Landesbühnenlandschaft auszeichnen: Kay Metzger und Friedrich Schirmer. Die Interviews, die mit ihnen geführt wurden, haben dementsprechend eine Sonderstellung. Ihr Fokus lag auf der Einschätzung der Landesbühnenlandschaft und übergeordneten Fragestellungen und nicht auf den konkreten Arbeitsweisen und der Situation der von ihnen geleiteten Theater. Da natürlich auf diese Bühnen während der Gespräche immer wieder verwiesen wurde und auch eine allgemeine Bewertung sich oftmals auf exemplarische Vorgänge oder Entscheidungen bezieht, wurden diese Aussagen als Ergänzung zu der Auswertung der Interviews berücksichtigt.83 Friedrich Schirmer und Marcus Grube

Friedrich Schirmer ist seit der Spielzeit 2014/15 Intendant der Württembergischen Landesbühne Esslingen (WLB)84 und hat aufgrund seines künstlerischen Lebenslaufs einen besonderen Blick auf die Landesbühnen: Er hatte diese Position in der WLB bereits in den Jahren von 1985–89 inne, ist also als Leiter zu einem ehemaligen Theater zurückgekehrt, was selten vorkommt (vgl. Kaempf 2018). Diese Tatsache war mit ausschlaggebend für die Entscheidung, ihn als zusätzlichen Experten anzufragen. In den 1990er bis 2000er Jahren war er unter anderem Intendant am Staatstheater Stuttgart und am Deutschen Schauspielhaus Hamburg. Seine Erfahrungen mit unterschiedlichen Theaterbetrieben in verschiedenen Gegenden des Bundesgebiets machen ihn zu einem interessanten Interviewpartner, von dem zu erwarten ist, dass er die Besonderheiten des Landesbühnenbetriebes auch im Vergleich zu anderen Theaterformen erläutern kann. An dem Gespräch mit Friedrich Schirmer nahm spontan zusätzlich Marcus Grube, der damalige Chefdramaturg der WLB teil,85 dessen Aussagen somit auch als zusätzliche Quelle dienten. Mit der WLB wird ein zweites Theater des Landes Baden-Württemberg innerhalb der Untersuchung thematisiert. Sie wird von der Stadt Esslingen und dem Land BadenWürttemberg getragen und wurde 1919 als eine der ersten Landesbühnen Deutschlands gegründet. Die WLB ist ein reines Schauspieltheater; Kinder- und Jugendtheater spielt eine wichtige Rolle und ist als eigene Sparte organisiert. Das Theater hat Formate wie den Esslinger Kulturrucksack oder das „Theatertäschle“ als kulturpädagogische Angebote eingeführt (siehe dazu Württembergische Landesbühne Esslingen 2019). Kay Metzger

Kay Metzger war seit Herbst 2005 Intendant des Landestheaters Detmold; nach dem geführten Interview, das im Januar 2016 stattgefunden hat, wurde sein Wechsel an das Theater Ulm zur Spielzeit 2017/18 bekannt (siehe Kasch 2016). Er war Vorsitzender der Landesbühnengruppe im Deutschen Bühnenverein (seit 2011, dieses Ehrenamt endet mit seinem Wechsel nach Ulm, siehe ebd.) und im Vorstand des Landesverband Mitte im Deutschen Bühnenverein und fungierte daher für diese Analyse

83 Dementsprechend wurden auch beide Gespräche im gleichen Umfang transkribiert wie die anderen Experteninterviews. 84 2018 wurde sein Vertrag bis 2023/24 verlängert, siehe Kaempf 2018. 85 Grube hat ab der Spielzeit 2019/20 ebenfalls die Funktion eines Intendanten inne und leitet ab dann die WLB mit Schirmer in einer Doppelspitze, siehe Kaempf 2018.

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als Gesprächspartner mit einer kulturpolitischen Funktion als Vertreter der Landesbühnen innerhalb des Arbeitgeberverbandes. Metzger war vor seiner Detmolder Zeit seit 1999 Intendant am Nordharzer Städtebundtheater, hat also bereits unter anderem Erfahrung mit der Leitung einer weiteren Landesbühne (ebd.). Das Landestheater Detmold ist der größte Landesbühnenbetrieb in Nordrhein-Westfalen und die einzige Landesbühne innerhalb dieses Bundeslandes mit der Sparte Musiktheater (verfügt über Ballett- und Opernensemble, Orchester). Es stellt sich selbst als „größte Reisebühne Europas“ (Landestheater Detmold 2019) dar: „Rechnet man die für alle Gastspiele deutschlandweit zurückgelegten Kilometer zusammen, so käme man dreimal um den Globus“ (ebd.). 2009 wurde die Kinder- und Jugendtheaterbühne „KASCHLUPP“ eröffnet; das Landestheater Detmold ist Teil der Initiative „Theater auf Rezept“: Kinder und Jugendliche erhalten bei den Vorsorgeuntersuchungen U10, U11 und J1 in der Arztpraxis Theatergutscheine (vgl. Klinkhammer 2015). Zusätzliche Expertenmeinungen

Ergänzend zu den insgesamt neun leitfadengestützten halbstandardisierten Experteninterviews wurde ein Hintergrundgespräch mit Alexander Netschajew, seit 2012/13 Intendant des Theater der Altmark, Stendal, geführt; er verließ das Haus zur Spielzeit 2017/18 (vgl. Wolf 2017a). Dieses Gespräch ergab sich durch die Teilnahme der Autorin an dem Symposium „Theater als soziale Räume der Öffentlichkeit“,86 welches im Zusammenhang mit der Preisverleihung des Theaterpreises des Bundes 2017 vom Internationalen Theaterinstitut am Theater der Altmark durchgeführt wurde.87 Das Theater der Altmark legte in den vergangen Jahren ein Augenmerk auf junges Publikum sowie partizipatorische Projekte: 2014 wurde das „Junge Theater“ gegründet, um die Kinder- und Jugendtheaterarbeit des Hauses deutlicher sichtbar zu machen. Es gibt zudem eine Bürgerbühne und mehrere Spielclubs. Das Theater hat in den 1990er Jahren seine Musiktheater-Sparte schließen müssen und kooperiert seitdem mit verschiedenen Partnern, um weiterhin Musiktheater und Konzerte in Stendal anbieten zu können (Spielzeit 2017/18: Mitteldeutsche Kammerphilharmonie (Theater der Altmark 2018a) und Nordharzer Städtebundtheater (Theater der Altmark 2018b)). Das Gespräch wurde aufgenommen und fließt punktuell in die Auswertungen mit ein. Als weiteres Hintergrundgespräch kann das Interview zählen, das die Autorin mit dem Theater Lindenhof führte. Dieses fand als Gruppengespräch unter Beteiligung von Wolfgang Schneider, Silvia Stolz und seitens des Theaters Stefan Hallmayer (Intendanz) und Simone Haug (Presse- und Öffentlichkeitsarbeit) im Sommer 2018 in Melchingen statt. Anlass für das Treffen war, wie bereits in Kapitel 3.1.2 erwähnt, die Recherche für die Publikation „Theater in der Provinz“. Das Gespräch diente als Grundlage für einen Buchbeitrag (Kranixfeld 2019a); im weiteren Verlauf wird gelegentlich auf die Inhalte Bezug genommen.

86 Siehe dazu Kapitel 3.1.3 und Schröck 2017a. 87 Das Theater der Altmark gehörte 2015 zu den Preisträgern, siehe Zentrum Bundesrepublik Deutschland des Internationalen Theaterinstituts 2018.

4 Partizipation als Konzept? Eine fallbezogene Betrachtung

Sieben Fallbeispiele dienen somit als eingegrenztes Forschungsfeld: Das Expertenwissen der Intendanten dieser beispielhaften Bühnen bezogen auf die eigene Situation, die Einschätzung der zusätzlichen Experten und die Erkenntnisse aus den Einzelfallbetrachtungen können transferiert werden, um das Modell Landesbühne zu konturieren. Eine Eingrenzung, was Landesbühne tatsächlich ist, was sie sein kann und was ihr nicht möglich scheint, ist notwendig, um Reformmöglichkeiten aufzuzeigen und um nachzuprüfen, ob das Konzept Landesbühne tatsächlich als ein Instrument für Teilhabe fungieren kann, respektive welche Möglichkeiten sich dafür ergeben. In diesem Kapitel wird daher das generierte Material, also die Interviewtranskripte, ausgewertet, um die bisherigen Ergebnisse aus der Analyse bereits vorhandener Quellen zu ergänzen, zu überprüfen und zu diskutieren. Zunächst werden die Landesbühnen auf ihr Selbstverständnis hin befragt und es werden die Arbeitsbedingungen der Landesbühnen und die Variablen, die die tägliche Arbeit beeinflussen, dargestellt, da diese entscheidend dafür sind, wie Landesbühne sich – auch in Verhältnis zu ihrem eigenen Anspruch und Verständnis – gestalten kann. Eine Selbstbeschreibung entsteht auch immer durch in Beziehung setzen mit Anderen, sei es durch Annäherung oder abgrenzend. Als zweiter Schritt wird also die Stellung und Positionierung der Landesbühne in der Theaterlandschaft betrachtet: Differenzierungen zu anderen Theaterorganisationsformen werden ebenso dargestellt wie Gemeinsamkeiten und auch der gegenseitige Einfluss der Partner und Konkurrenten im Netzwerk der Darstellenden Künste. Aus dem Selbstbild sowie der jeweiligen Deutung von Auftrag, Verantwortlichkeiten gegenüber und Abgrenzungen zu anderen Theatern ergibt sich ein Verständnis von Theaterkunst, das eng verbunden ist mit einer Idee von Teilhabe und Teilnahme: Die in den Landesbühnen vorhandenen Konzepte zur Partizipation werden somit in Bezug auf die vorhergehenden Ergebnisse im dritten Unterkapitel untersucht. Im abschließenden vierten Teil werden Perspektiven für eine Zukunft der Landesbühnen aufgezeigt, die in den Interviews angesprochen wurden oder sich aus den Gesprächen ableiten lassen. Ein Blick ins europäische Ausland schließt diese Überlegungen ab und dient als Überleitung zum Schlusskapitel der Analyse, das sich den kulturpolitischen Herausforderungen widmet, die aus den dargestellten Erkenntnissen resultieren. Diese Reihenfolge beruht auf den Gesprächsverläufen und auf der logischen Verknüpfung der Fragen: Was ist Landesbühne, wo steht sie wie in Beziehung zu anderen Akteuren, was bedeutet das für die Ermöglichung von Teilhabe

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und wie wird diese verstanden?1 Natürlich wurden die einzelnen Kategorien im dynamischen Gesprächsverlauf nicht scharf voneinander abgetrennt und natürlich gibt es nicht nur einen linearen Bezug der Themen zueinander, sondern eine feingliedrige Verstrickung. Querverweise und Bezüge sind demnach im Sinne einer nachvollziehbaren Analyse notwendig und zeigen zugleich die Komplexität des Forschungsgegenstands.

4.1 D IE L ANDESBÜHNE –

EINE

S ELBSTBESCHREIBUNG

Wie dargestellt gibt es einige wenige Definitionen, was „Landesbühne“ sein soll, die sich im Wesentlichen auf die Vorgabe einer (schwerpunktmäßigen) Reisetätigkeit reduzieren lassen könnten, was jedoch nicht der Wirklichkeit der Landesbühnen entspricht. Herauszufinden, welche allgemein gültigen Faktoren für „die Landesbühne“ gelten, war Ausgangspunkt der Interviews. Als eine Grundlage für die Analyse der Theaterpraxis der Landesbühnen dienen die Herleitungen des Kapitels 2, insbesondere das Leitbild der Landesbühnen – die dort gemachten Aussagen und Feststellungen mit teils großer Offenheit und weitem Deutungsspielraum gilt es im einzelnen anhand der Fälle genauer zu betrachten und zu überprüfen. Sowohl der kulturpolitische Auftrag der Landesbühnen als auch dessen Erfüllung sind verschiedenen Abhängigkeiten ausgesetzt: Die Bestimmung, was jede einzelne Landesbühne zu sein hat, wird vorgegeben durch die jeweils individuelle spezifische Aufgabe, die in Satzungen, Zielvereinbarungen etc. festgelegt und, wie bei der Darstellung der Fallbeispiele gezeigt, mit unterschiedlicher Genauigkeit ausformuliert ist. Hinzu kommt die standortspezifische Situation der Landesbühne, die eine Auslegung des Auftrages beeinflusst, da gewisse Aspekte vor Ort nicht oder nur eingeschränkt zu erfüllen zu sein scheinen – oder im positiven Sinne formuliert: die besonderen Rahmenbedingungen führen zu einer Schwerpunktsetzung in der Arbeit und dazu, dass bestimme Eigenschaften dadurch besonders ausgeprägt werden können. Kontextfaktoren, die, wie erläutert, als Auswahlkriterien dienten, sind das jeweilige Bundesland (Kulturpolitik der Länder und Kommunen als Rahmenbedingungen, dadurch abhängig auch Finanzierung und Theaterdichte), die geschichtliche Entstehung der Landesbühne und deren Verankerung vor Ort (als Landesbühne gegründet, Funktion übertragen bekommen, Fusionierung etc.), die unterschiedlich starken vertraglichen Verpflichtungen (abhängig von Trägern, festen Gastspielpartnern, Kooperationen mit anderen Theatern etc.) und die sehr diverse Situation der Landesbühnen bezüglich Spiel- und Produktionsstätten (ein oder mehrere Stammsitze und/oder Spielstätten etc.). Durch die Fallauswahl und die Beschreibung der einzelnen Bühnen innerhalb ihres Kontextes wurde bereits gezeigt, dass „Landesbühne sein“ unterschiedliche Schwerpunkte bilden kann und die differenzierten Aufträge Handlungsspielräume und Interpretationsmöglichkeiten eröffnen: Landesbühne kann ein Theater für ein bestimmtes Gebiet sein, ein zielgruppenspezifisches Theater, Funktionen eines Stadttheaters und eines Veranstalters übernehmen, soll künstlerischer Experimentierort sein und zugleich identitätsstiftender Versorger. Die Arbeit eines Theaters wird nicht nur durch Vorgaben und Rahmungen geprägt, sondern ist auch stark abhängig von den leitenden Personen,

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Die auch die Gliederung des Interviewleitfaden bestimmten, wie in Kapitel 3.1 erläutert.

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die durch ihre Erfahrungen und Auffassungen eine bestimmte Idee von Theater vorgeben und bestrebt sind, diese umzusetzen. Ob und wie dies gelingt ist auch eine Frage der Ermöglichung oder Einschränkung der vorherrschenden Arbeitsbedingungen. Eigenschaften, die die einzelnen Bühnen auszeichnen und die sie entwickelt haben, um auf ihre Umwelt zu reagieren, lassen darauf schließen, was das Modell Landesbühne an sich ausmacht, innerhalb welcher Variablen es sich bewegen kann. Mit Hilfe der modellhaften Beschreibung solcher Faktoren und deren Kausalitäten zueinander, wird sich dem Verständnis des Konstrukts Landesbühne angenähert. 4.1.1 „Die“ Landesbühne – Schnittmengen und Differenzen Als Einstieg in die Experteninterviews wurden, als Stimulus für den Gesprächseinstieg,2 den Intendanten zwei (auch in dieser Arbeit bereits analysierte) Definitionen von Landesbühne vorgelesen; ein Ausschnitt aus der Satzung des Bühnenvereins über die Landesbühnengruppe: „Zu ihr gehört ein von der öffentlichen Hand getragenes Unternehmen, das nach seinem Auftrag Aufgaben eines Theaters oder eines Kulturorchesters für ein regionales Spielgebiet erfüllt und nach dem schriftlich erklärten Willen des Rechtsträgers nicht vorwiegend seinen Sitzort zu bespielen hat“ (Deutscher Bühnenverein 2006); sowie der definierende Satz aus dem gemeinsamen Leitbild der Landesbühnen: „Die Landesbühnen gewährleisten mit anspruchsvollen Theatervorstellungen und Konzerten ein dezentrales Kulturangebot. Sie realisieren somit im kulturellen Bereich den Auftrag des Grundgesetzes, das allen Bundesbürgern vergleichbare Lebensverhältnisse zusichert“ (Landesbühnengruppe im Deutschen Bühnenverein 2008). Durch die Konfrontation mit diesen Zitaten wurde das grundlegende Verständnis, was Landesbühne zu sein habe, bereits zu Beginn des Gesprächs zur Diskussion gestellt. Die Methode, mit einem einführenden Zitat das Gespräch flüssig in Gang zu setzen, hat überwiegend gut funktioniert, in dem Sinne, dass nicht nur die gegeben Definitionen kommentiert wurden, sondern diese zugleich als Anlass genommen wurden, die eigene Sicht, respektive die theatereigene Situation zu beschreiben. In diesen Kurzdefinitionen sind die charakteristischen Attribute der Landesbühnenarbeit enthalten und damit auch die Erwartung, was Landebühne zu sein habe, skizziert: Schwerpunktsetzung auf Gastspiele und nicht auf den Stammsitz, also Reisetätigkeit bei gleichzeitiger Berücksichtigung, dass es einen Sitzort gibt; Bespielung eines regionalen Gebietes und Gewährleistung eines dezentralen Kulturangebots, also Regionalität und Dezentralität, vergleichbare Verhältnisse für alle Menschen schaffend, unter der Maßgabe „anspruchsvoller“3 Kunst, also qualitätvolle Grundversorgung.4 Diese Begriffe sollten also theoretisch die kleinste gemeinsame Schnittmenge für die Orientierung der Landesbühnenarbeit sein. Grundsätzlich stimmten die interviewten Intendanten in erster Reaktion mit den genannten Definitionen überein – erwartungsgemäß, denn schließlich sind die Landesbühnen im Deutschen Bühnenverein sowohl dessen Satzung als auch ihrem Leit-

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Siehe dazu Kapitel 3.1. In Anführungszeichen, da diese Vokabel hier nicht definiert werden kann oder soll. Die Unterscheidung in Grundversorgung, Daseinsvorsorge und kulturelle Infrastruktur kann an dieser Stelle zunächst nebensächlich bleiben.

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bild verpflichtet, beziehungsweise werden den dort festgesetzten Überlegungen nicht grundsätzlich widersprechen. Betont wird von allen die große Bandbreite an Varianzen, die Heterogenität der Landesbühnen und der deutschen Theaterlandschaft. Fast jeder Interviewpartner stellte unmittelbar nach der allgemeinen Bestätigung klar, dass sein Theater in gewissen Punkten von der Definition abweiche und erläuterte Einschränkungen, Erweiterungen oder Besonderheiten seiner Landesbühne, die mit dem jeweiligen individuellen Auftrag und den Rahmenbedingungen zusammenhängen. Bemerkenswert ist, dass Kay Metzger, in seiner Funktion als Vorsitzender der Landesbühnengruppe im Deutschen Bühnenverein, im Interview unmittelbar das Thema der Verhältnisse zwischen Vorstellungen vor Ort und Gastspielen anspricht, denn „ob sie immer mehrheitlich sind, die Aufführungen außerhalb des Sitzortes, das sei mal dahin gestellt“ (Metzger 2016). Das Grenzlandtheater Aachen ist, wie beschrieben, ein Sonderfall unter den Landesbühnen und Uwe Brandt ist auch der einzige, der ganz klar ausdrückt, dass hauptsächlich auf der heimischen Aachener Bühne produziert und gespielt wird, dies jedoch kein Widerspruch sei zur Erfüllung des Auftrages einer Landesbühne: „In unserem Fall, [...] sind wir was Besonderes, [...] weil wir durchaus in erster Linie im Haus spielen. Wir [...] spielen schon einen überwiegenden Teil der Vorstellungen hier [...] und gehen dann jeweils immer zum Ende der Produktion [...] zwei bis drei Wochen mit dem Stück in die Region, auf Abstecher. Und machen dann im Grunde genommen, das, was eine klassische Landesbühne macht: Sie erfüllt diesen Auftrag, alle Menschen mit Kultur gleich zu versorgen“ (Brandt 2016).5 Es sei wichtig, zu beachten, dass „jedes Haus und jede Truppe, jeder Intendant und auch letzten Endes der Auftrag ein bisschen anders“ (ebd.) sei. Einige der Intendanten bestätigen, dass gewisse Quotenerfüllungen erwartet werden, die grundsätzliche Situation der jeweiligen Bühnen kann dies jedoch erschweren, wie gezeigt werden wird. Logischerweise korreliert die Reisetätigkeit mit der Anzahl der Buchungen der Gastspiele, diese wiederum sind abhängig vom Gastspielmarkt: Je erfolgreicher eine Landesbühne verkauft, also gebucht wird, desto mehr kann sie unterwegs sein, desto mehr kann sie dem Auftrag gerecht werden, reisende Bühne zu sein. Dies ist logisch und mag trivial klingen, die Art und Weise wie damit umgegangen wird, beziehungsweise die Grundvoraussetzungen für die Markttätigkeit variieren jedoch stark. Ohne die Beschreibung der Bedingungen auf dem Gastspielmarkt vorweg zu nehmen, seien die verschiedenen Modelle kurz genannt: einige Landesbühnen haben feste Partner, die eine bestimmte Anzahl von Produktionen grundsätzlich abnehmen und somit für eine Basisquote sorgen;6 andere Bühnen wiederum haben informelle vertrauensbasierte Absprachen mit Gastspielveranstaltern, weitere sind überwiegend frei auf dem Markt unterwegs. Unabhängig von den Verkaufsstrategien und Rahmenbedingungen wird in den meisten Fällen eine Produktion zunächst auf der eigenen Bühne zur Premiere gebracht und dann auf Reisen geschickt. So stellen beispielsweise Jörg Gade und Brandt klar, dass zunächst eine Inszenierung für das eigene Haus entwickelt wird, die dann entweder für die Gastspielorte angepasst oder direkt reisefähig konzipiert wird. Der Fokus wird somit unterstrichen: Schwerpunkt der künstlerischen

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Diese Arbeitsweise entspricht auch dem En-Suite-Betrieb: Zunächst wird en bloc im eigenen Haus gespielt, dann folgen Gastspiele und die Produktion wird abgespielt. Vgl. dazu die jeweiligen Situationsbeschreibungen der einzelnen Theater in 3.3.

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Arbeit ist zunächst der Stammsitz, was aufgrund der Strukturen auch logisch ist: Dort wo der Betrieb angesiedelt ist, wird klassischerweise produziert, das Ergebnis, das Produkt, wird verteilt, verkauft, also dezentral angeboten. Dass dies Auswirkungen auf die künstlerische Arbeit, die ästhetische Umsetzung haben kann, wird deutlich, wenn im weiteren Verlauf über die Arbeitsbedingungen gesprochen wird; dieses Vorgehen sagt bereits viel über die zugrunde liegende Überzeugung aus: Die eigentliche Produktion im Originalzustand ist für das Stammhaus, die anderen Veranstaltungsorte müssen mit einer gegebenenfalls veränderten Version vorlieb nehmen. Eines der fundamentalsten Wesensmerkmale der Landesbühnen ist, auch nach Meinung der Experten, die Doppelfunktion, die ihnen zugeschrieben wird, die hybride Verantwortung, zugleich stehendes Theater im Stammsitz als auch reisende Bühne zu sein. Dieser Charakterzug wird unterschiedlich gewertet und gewichtet und die Bandbreite der unterschiedlichen Ausformungen ist auch bei dieser Eigenschaft groß. Im Gegensatz zum grundsätzlich reisenden Theater, bezeichnet beispielsweise Matthias Faltz das HLTM „als Stadttheater mit Reiseverpflichtung und mit Gastspielverpflichtung“ (Faltz 2016), wohingegen Manuel Schöbel sein Theater ähnlich in doppelter Verpflichtung aber in umgekehrter Bedeutungsreihenfolge als „Landesbühne [...] für Sachsen, und Stadttheater für Radebeul“ (Schöbel 2016) sieht. Das gleichzeitige Dasein und damit einhergehende Verpflichtungen als Stadttheater und Reisebühne sind natürlich abhängig von den Gegebenheiten vor Ort, die ausführlich noch betrachtet werden, hier jedoch exemplarisch zunächst zwei Beispiele: Welche Funktion ausgeprägter ist oder stärker gewichtet wird, ist stark abhängig von dem jeweiligen Konstrukt und hat auch wirtschaftliche Gründe: Die Burghofbühne Dinslaken kann beispielsweise nur schwerlich als Stadttheater fungieren, da sie in Dinslaken über kein entsprechendes Theaterhaus verfügt7 und muss ihr Augenmerk auf die Reisetätigkeit legen, auf die sie finanziell angewiesen ist. Beim Landestheater Tübingen hingegen ist die Rolle als Theater für Tübingen die gewichtigere, unter anderem da die hohe Vorstellungszahl am Stammsitz mit hoher Auslastung die Finanzierung des Theaterbetriebes sicher stellt (vgl. Weckherlin 2016 und siehe dazu die Beschreibung der Arbeitsbedingungen im entsprechenden Unterkapitel und Kapitel 4.2.1). Der Vorgabe oder Erwartung, dass Landesbühnen regional arbeiten, um ein dezentrales Angebot zu ermöglichen, wird ebenfalls sehr unterschiedlich entsprochen: Die Landesbühnen decken Spielgebiete verschiedener Größe ab, die Reichweite ihrer Gastspieltätigkeit variiert, was in Verbindung steht mit der Vermarktung der Stücke und den zur Verfügung stehenden Gastspielorten: So bespielt beispielsweise die Burghofbühne auftragsgemäß einerseits regional die Orte der Trägergemeinden, muss sich darüber hinaus aber auch deutschlandweit und im deutschsprachigen Ausland verkaufen, um genügend Einnahmen generieren zu können und um der Konkurrenzsituation in Nordrhein-Westfalen mit gleich mehreren anderen Landesbühnen zu entgehen (vgl. Schombert 2016). Durch diese (erzwungene, weil notwendige) starke auswärtige Reisetätigkeit, wird jedoch natürlich wiederum die Auftragserfüllung eingeschränkt, beziehungsweise geschickt interpretiert: Schombert unterstreicht daher den Aspekt der

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Die Burghofbühne ist die klassischste Landesbühnen, im Sinne eines Fokus auf die reisende Persönlichkeitshälfte, da ihr Arbeitsschwerpunkt eindeutig auf der Reisetätigkeit liegt, beziehungsweise liegen muss, da sie keinen richtigen eigenen Spielort im Stammsitz hat, vgl. Schombert 2016 und die Beschreibung der Situation der Burghofbühne in Kapitel 3.3.3.

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Dezentralität (vgl. ebd.), also die Verteilung auf viele unterschiedliche Orte, während andere Landesbühnen sich klarer auf ihr Bundesland und oder benachbarte Gebiete als Spielgebiet konzentrieren und nur punktuell in weiter entfernte Gegenden reisen (vgl. bspw. Schöbel 2016, Grisebach 2016 und Faltz 2016). Ob die Reisetätigkeit der Landesbühne auf alle Produktionen zutreffen müsse, wird ebenso differenziert wahrgenommen: Nicht alle Theaterleitungen sehen sich verpflichtet, jede künstlerische Arbeit ihres Theaters auf Wanderschaft zu schicken, während andere grundsätzlich davon ausgehen, dass alle Inszenierungen gastspieltauglich sein müssen. Es fällt auf, dass dazu jedoch während der Interviews Widersprüche auftauchen. So merkte fast jeder Interviewpartner, auch die, die sich zur konsequenten Reisefähigkeit bekannten, an, dass es immer auch Stücke gäbe, die nicht auf Tour geschickt werden (könnten); sei es, weil es sich dabei um besondere Projekte mit lokalem Charakter handelt, um ortsspezifische Inszenierungen oder Produktionen mit Beteiligung nicht-professioneller Akteure – oder weil sie sich schlicht aus verschiedenen Gründen nicht verkaufen lassen (vgl. dazu beispielsweise Gade 2016).8 Auch wenn die einzelnen Ausnahmen meist begründet werden, eröffnet sich hier eine Differenz zu einer Grundaussage des Leitbildes: der Zusicherung vergleichbarer Lebensverhältnisse. Wenn man dies ernsthaft verfolgen möchte, müsste man ermöglichen, dass alles, was in der Stadt, im Stammsitz, produziert wird, auch außerhalb gezeigt wird und gerade besondere außergewöhnliche Produktionen nicht dem ländlichen Raum vorenthalten werden.9 Allerdings scheint Darstellende Kunst im Sinne eines spezifischen Kunstwerks nicht immer transportabel – ein Konflikt, der den Intendanten bewusst ist und ihre Arbeit nicht nur prägt, sondern auch einschränkt und eine große Rolle in den täglichen Entscheidungen spielt. Umgekehrt könnte man die vergleichbaren Lebensverhältnisse ja auch in der entgegengesetzten Richtung deuten und die Produktionsweisen, die in den Nicht-Zentren, also außerhalb der Metropolen vorhanden sind, in die städtischen Theater einladen und das dortige Kulturangebot ergänzen, erweitern, verändern. Es wird jedoch in der Konzeption der Landesbühnen davon ausgegangen, dass die Landbevölkerung die gleichen Lebensverhältnisse haben sollte, wie die Stadtbewohner, das heißt, das gleiche Angebot an Kunst und Kultur erleben können dürfen – womit eine Wertung bereits mitschwingt. Während der Gespräche kristallisierte sich heraus, dass auch von den Gesprächspartnern dieser Qualitätsgedanke implizit mitgetragen wird und damit verbunden eine qualitative Abgrenzung von professioneller Kunstproduktion zu semi-professionellen Projekten der Breitenkultur stattfindet.10 Es wird also deutlich, dass neben dem allgemein gültigen Vorsatz, Theater in Gastspielen auch außerhalb des eigenen Ortes anzubieten, folgende Fragen entscheidend

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Die Konsequenzen dieser Feststellungen werden im weiteren Verlauf und insbesondere in Kapitel 4.1.4 diskutiert. 9 Hier zeichnet sich bereits die Unterscheidung zwischen einer „klassischen“ Theaterproduktionen und anderen Formaten ab, die in der Interpretation des Auftrages eine Rolle spielt und sich auch niederschlägt in den Unterschieden zwischen Stammsitz und Gastspielort und den jeweils dort gemachten Angeboten. Dieser Aspekt steht im Zusammenhang mit Grenzen und Möglichkeiten der Beauftragung und wird daher im Verlauf dieses Kapitels genauer betrachtet. 10 Ein Aspekt, der im Themenfeld Publikum und Partizipation, in Kapitel 4.3, weitere Beachtung finden wird.

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sind, um das Phänomen Landesbühne genauer zu fassen: Welches Theater wird mit welcher Absicht wohin gebracht – und wie hängen diese Überlegungen und Entscheidungen voneinander ab? Der Auftrag, Gebiete ohne eigenes Theater-Ensemble mit Theaterkunst zu versorgen, impliziert einen gewissen Bring-Gestus mit einem Verständnis der Theaterinstitution als Bildungseinrichtung: Dort wo (angeblich) nichts ist, bringt die Landesbühne etwas hin. Grundgedanke scheint eine defizitäre Betrachtung der Gebiete außerhalb der (kulturellen) Zentren. Weitere Aussagen bekräftigen diesen Gedanken: Standortspezifisch gibt es bereits vor Ort Angebote anderer Akteure, die durch die Landesbühnen-Gastspieltätigkeit beeinflusst werden und die ihrerseits Konsequenzen für die Arbeit der Landesbühnen haben.11 Die Selbstverpflichtung der Landesbühnen zu Qualität, also zu „anspruchsvollen Theatervorstellungen“ wird zwar erwartungsgemäß von allen Interviewpartnern bestätigt, zugleich klar gestellt, dass obwohl dies ein dehnbarer, beziehungsweise undeutlicher Begriff sei (vgl. Schombert 2016), sich alle Landesbühnen verantwortlich dafür fühlen, qualitätvolle Arbeit zu leisten und dem guten Ruf der Landesbühne gerecht zu werden (vgl. Metzger 2016). Immerhin – so muss man es fast ausdrücken – sind alle Experten der gleichen Meinung, dass die Landesbühne wichtiges Instrument für eine flächendeckende Versorgung mit Theaterkunst ist. Die Grundversorgung kann also als umfassender, allgemeingültiger Bestandteil der Arbeit und des Auftrages gelten. Das Problem einer kulturellen Grundversorgung, einer fehlenden einheitlichen Festlegung von (Mindest-)Standards, bleibt jedoch bestehen (vgl. Kapitel 2.1.1), dementsprechend ist diese Basisdienstleistung in ihrer Ausprägung von der Interpretation der Akteure abhängig. Die Landesbühnen zeichnen sich als sehr inhomogene Gruppe, die auch hinsichtlich der zu erwartenden Grundausrichtung mehr Varianzen als Übereinstimmung zeigen. Ausgehend von den fünf Elementen – Reisetätigkeit, Regionalität, Dezentralität, Qualität/Anspruch und Grundversorgung – entstehen neue Fragen für die detaillierte Einzelfallbetrachtung: Grundlegend, auch wenn die künstlerische Bewertung der Landesbühnenarbeit kein Ziel dieser Untersuchung ist, muss der Frage nach dem, was Theaterkunst ist, sein sollte, sein könnte, nachgegangen werden, da diese mit dem Selbstverständnis und den umgebenden Faktoren zusammenhängt. Doch es geht nicht hauptsächlich um die Idee von Theater als Kunst, sondern auch um die Frage von Strukturen und Funktionen sowie um die Bestimmung, welches Theater für wen wo notwendig, hinreichend, ausreichend ist: Bezieht sich Grundversorgung nur auf ab und an stattfindende kulturelle Momente? Oder auf eine umfassendere Bereitstellung von Möglichkeiten der Rezeption und Partizipation? Werden die Differenzen zwischen den Orten und Publika, ihre Erwartungen, Wünsche, Erfahrungen, wahrgenommen und beachtet, oder wird lediglich eigentlich zentralistisch fokussierte Kunst dezentral verbreitet? Wird das Zentrum oder die Region bevorzugt? Versteht sich Grundversorgung als Dienstleistung zur Herstellung eines Minimums? Oder dient sie als Ergänzung bereits vorhandener Angebote – wenn ja, wie werden diese eingeschätzt und berücksichtigt?

11 Dies soll hier so angedeutet stehen bleiben, da es in Kapitel 4.2 ausführlich thematisiert wird.

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4.1.2 Selbstverständnis der Landesbühnen(-Intendanten) Um sich diesen Fragen zu nähern und um die Idee von Theater zu beschreiben, die der Landesbühnenarbeit zugrunde liegt, soll das Theaterverständnis der ausgewählten Intendanten befragt werden. Durch die Aussagen der Experten wird bestätigt, was anzunehmen war: Das Verständnis wird ganz eindeutig beeinflusst durch die Erfahrungen und Lebenswege der einzelnen Intendanten sowie durch die Rahmenbedingungen und die Geschichte der einzelnen Theater. Die Tradition des Standortes, die Tätigkeit vor Ort und auf Reisen prägen die Idee, was Theater leisten könnte und sollte – umgekehrt beeinflusst diese Idee natürlich auch, welche Aktivitäten verstärkt, welche vermindert durchgeführt oder welche als essenziell und welche als Zusatz angesehen werden. Die Darstellung des jeweiligen individuellen Selbstverständnisses erfolgt unter dem Gesichtspunkt, allgemein zutreffende Beschreibungen aufzuzeigen, die für das Modell Landesbühne generell gültig sein könnten. Hierzu werden aus den Aussagen der Intendanten jeweils einige prägnante Auffassungen und Beschreibungen aufgegriffen, die der Untersuchung des Gegenstandes dienen und es wird nicht der jeweilige persönliche Theaterbegriff umfassend ausgeführt. Gemeinsamkeiten in den Verständnissen dessen, was Theater, was Landesbühne sein kann, werden hervorgehoben und Bezüge der Meinungen untereinander hergestellt. Es soll hier nicht abschließend geklärt werden, was „die“ Idee von Theater der Landesbühnen ist, vielmehr werden durch die Meinungen und Positionen entscheidende Charakteristika herausgearbeitet, die wieder maßgeblich in Wechselwirkung stehen mit den Rahmenbedingungen der Arbeit: Der Abgleich zwischen Vorstellung und Wirklichkeit kann nur durchgeführt werden, wenn beides genau betrachtet wird. Funktionen von (Landesbühnen-)Theater

Der Begriff „Theater“ wird nicht nur in dieser Arbeit, sondern auch in den Gesprächen mit mehrfacher Konnotation verwendet: Theater als Kunstform, Theater als institutionalisierter Betrieb. In dem Verständnis als Institution der öffentlichen Hand kann das Theater, und somit auch die Landesbühne, verschiedene Funktionen übernehmen, beziehungsweise in die Verpflichtung genommen werden, gewisse Aufgaben zu bedienen. Welche dieser Pflichten tatsächlich als existenziell verstanden werden und welche als ein zusätzliches Extra definiert werden, ist nicht nur eine Frage von Finanzierungen und Zielvereinbarungen, sondern bezeichnend für das Selbstverständnis der Theaterleitung und dadurch entscheidend für die Ausrichtung der Arbeit: Was für den Intendanten die Hauptfunktion von Theater ist, zeigt sich in der Prioritätensetzung der Arbeit – zumindest theoretisch, wenn der Kontext es ermöglicht, gemäß seinen Idealen zu agieren. Generell wird Landesbühne von den Experten zunächst als eine Sonderform der Stadt- und Staatstheater gesehen, als Institution, die sowohl einem Bildungsauftrag zu folgen habe, als auch die Auseinandersetzung mit Kunst ermöglichen und fördern soll; Landesbühne sei, wie „jedes andere öffentlich geförderte Theater auch, [...] da [...] besteht kein Unterschied im kulturpolitischen Auftrag“ (Schombert 2016). Theater könne man nach Uwe Brandt verstehen als eine „Bildungseinrichtung, als eine Institution, die auch Dinge sagen muss und sagen darf, und [...] sagen können muss“ (Brandt 2016), immer mit dem Anspruch, dass es „gutes Theater sein [muss]; was sich nicht anbiedert [...], also klar kann man mal den Zeigefinger erheben, aber ja, es muss auch Spaß ma-

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chen, es muss anregen“ (ebd.). Das Verständnis als Ort der Bildung könne auch negativ umschlagen, wie Friedrich Schirmer klar stellt: Es ginge „nicht darum, einen Kanon von Wissen, von Literatur lebendig zu erhalten“ (Schirmer u. a. 2016), Theater dürfe nicht missverstanden werden als „ein Mittel der Zwangspädagogisierung“ (ebd.), ein solches Verständnis hielte er „für einen großen Fehler, [...] einen großen Irrtum“ (ebd.). Er sieht Theater als Ort der Vergegenwärtigung, um sich mit Ereignissen und Begebenheiten auseinanderzusetzen: „Wir bemühen uns, Geschichten zu erzählen und mit den Geschichten Zuschauer zu berühren, zu interessieren. Und auch Vergangenes zu vergegenwärtigen. [...] Theater ist, egal ob es Stadttheater, Staatstheater oder Landesbühnentheater ist, [...] der Erinnerungsspeicher, [...] den unsere Gesellschaft zur Verfügung hat. Geschichten von gestern, von vorgestern, von einst zu vergegenwärtigen und dadurch auch erfahrbar zu machen und daran [...] teilzuhaben“ (ebd.). Diese Vergangenheitsorientierung scheint zunächst eine klare Positionierung; Matthias Faltz beschreibt im Gegensatz dazu seine Bemühungen, auf Aktuelles zu reagieren und wie wichtig es sei, sich diese Flexibilität zu bewahren (siehe Faltz 2016). Er deutet den öffentlichen Auftrag auch nur bedingt als Bildungsauftrag, sieht Theater in der Verantwortung, dass es eine „Anlaufstelle ist, für interessierte Leute, die sich politisch kulturell, künstlerisch ausdrücken, austauschen wollen, [...] mehr [ist] als so ein Ort, wo man abends Klassiker spielt und irgendwie den Theaterkanon abarbeitet“ (ebd.). Theater wird betrachtet als ein Ort der Kommunikation, der Auseinandersetzung mit dem Leben an sich, es sei „Menschsein pur“ (Brandt 2016). Weckherlin bringt es auf die einfache Formel: „man wird durch Theaterkunst mehr. Also im Kopf“ (Weckherlin 2016). Unabhängig von dem mehr oder minder stark im Vordergrund stehenden Bildungsauftrag kann Theater eine wichtige identitätsstiftende Rolle spielen. In dem Zusammenhang kann es auch eine gewisse Lebensqualität ermöglichen und aufrecht erhalten und somit die Forderung nach vergleichbaren Lebensverhältnissen erfüllen, wie Peter Grisebach beschreibt: „Warum soll denn der dafür bestraft werden, dass er auf der grünen Wiese irgendwo wohnt und nicht in der Stadt“ (Grisebach 2016). Landesbühne ermögliche durch ihre Reisetätigkeit Momente für „lokale Identifikation; da wo ich meinen Lebensmittelpunkt habe“ (ebd.) – allerdings schränkt Grisebach diese Aussage ein; er stellt den bereits theaterinteressierten Menschen in den Mittelpunkt, dessen Wunsch, Theater zu erleben, man bedienen solle: „Wenn er es möchte, sollte er die Möglichkeit erhalten, es zu bekommen“ (ebd.). Theater würde Orte beleben, gerade durch das mobile Kulturangebot würde der ländliche Raum strukturell aufgewertet – wenn die künstlerische Arbeit „lebendig, fordernd, anspruchsvoll ist“ (ebd.). Die Idee des Bringens, insbesondere zu den wenig mobilen Menschen, verbunden mit dem demografischen Wandel ist für Grisebach nach wie vor und zukünftig sogar verstärkt essenziell für das Konzept Landesbühne (vgl. ebd.). Jörg Gade ist ähnlicher Auffassung, er sieht dabei auch die Verantwortung von Landesbühnen, die Orte jenseits von Großstädten durch Kulturangebot zu bereichern, um zu verhindern, dass „wir rings um die Metropolen nur Schlafstädte haben“ (Gade 2016). Die Grundidee der Landesbühnen, als reisendes Theater eine Grundversorgung zu gewährleisten, macht die Landesbühnen für Metzger per se zu „Kulturvermittler[n] der besonderen Art“ (Deutscher Bühnenverein / Landesbühnengruppe 2012, S. 12), denn schließlich ermöglichten sie durch die Gastspieltätigkeit bereits einer breiteren Bevölkerungsschicht Theatererlebnisse: „Das ist die Frage, ob wir was Besonderes tun [...]. Wir fahren eben hin und dadurch sind wir schon Kulturvermittler, das heißt, wir

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ersparen vielen Menschen das Reisen zu Theatern, dadurch, dass wir hinkommen; [...] also in gewisser Weise ist es eine Dienstleistung“ (Metzger 2016). Vermittlung wird von Metzger also verstanden im Sinne der Überwindung infrastruktureller Hürden, als Maßnahme, Kunst und Publikum logistisch zusammenzubekommen, bezieht sich also auch im Sinne einer Dienstleistung zunächst auf das Bringen von etwas zu jemanden, der – wie Grisebach es formulierte – bereits den Willen und den Wunsch entwickelt hat, dies anzunehmen. Die Frage danach, ob und wie man Menschen dazu bringen könne oder solle, den Wunsch nach Theater überhaupt zu entwickeln oder zu äußern, wird später explizit verfolgt. In den Gesprächen wurde nur von einigen wenigen Intendanten Teilhabe und Publikumsentwicklung als essenziell für die Idee von Theater genannt, beispielsweise von Thorsten Weckherlin: „[I]ch bin auch derjenige, der gerne hier eben halt jemanden reinbringt, der mit Theater erst mal nichts am Hut hat. Und das finde ich, ist wichtig“ (Weckherlin 2016). Uwe Brandt verbindet den Aspekt von Teilhabe mit Überlegungen zu einer erweiterten Funktionsbeschreibung, nämlich der Ermöglichung Kultureller Bildung. Er sieht in der Ansprache von neuen, jüngeren Zuschauern eine Hauptaufgabe seines Theaters – und meint damit nicht die damit oft assoziierte Zielgruppe Kinder und Jugendliche, sondern „Menschen zwischen 30 und 50“ (Brandt 2016); denn man dürfe nicht vergessen, dass es auch in der eigenen Stadt, im eigenen Umfeld Menschen gäbe, die noch nie im Theater waren. Er ist überzeugt, dass gerade für die Noch-Nicht-Besucher Theaterkunst eine Wirkung im Sinne Kultureller Bildung entfalten kann: „Wir erleben ja auch, [...] dass dreißigjährige Menschen sagen, ich bin zum ersten Mal im Theater. [...] Und die kommen nicht irgendwie [...] vom Mars, sondern die sind hier aus dieser Stadt [...] und [die] sagen dann, ich habe immer gedacht, das ist nichts für mich, aber das ist total super. Ich komme wieder“ (ebd.). Das Theater für junges Publikum gehört dabei für ihn unabdingbar dazu – und sollte einen entsprechenden Stellenwert zugesprochen bekommen, als eine Verantwortung verstanden werden, die gleichberechtigt behandelt werden sollte: „Kindertheater schneidet allen irgendwie ins Fleisch, aber nicht im Sinne, weil wir es nicht gerne machen, wir finden es super [...], da müsste Politik was tun; dafür muss Geld her [...] jeder findet das super, aber alle gehen davon aus, dass wir das aus dem normalen Budget [stemmen ...] – die meinen ja immer, man streift sich da irgendwie Kasperle und Krokodil über den Arm und dann läuft es schon“ (ebd.). Peter Grisebach sieht die Landesbühnen in der Pflicht, sich um die Jugend zu kümmern – auch weil er die aktuellen Entscheidungsträger in Politik und Verwaltung zum Teil betrachtet als eine „verlorene Generation. Fürs Theater verloren. Wenn sie nie herangeführt wurden. Und, da sind Jahrzehnte verpennt worden, man hat ein Abonnementspublikum bedient, [...] und hat den Nachwuchs und die Jugend vergessen“ (Grisebach 2016). Zugleich zeigt er, wie Brandt auch, das Abwägen zwischen als hauptsächlich angesehenen Tätigkeiten und den zusätzlichen auf, die wichtig erscheinen, jedoch finanziell nicht lohnenswert und somit de facto der Erfüllung anderer Schwerpunkte auch im Wege stehen können: „Inzwischen, und da bin ich sehr stolz drauf, ist fast jeder dritte Besucher des Landestheaters ein Kind oder ein Jugendlicher. Natürlich muss ich dann auch grade meine Abonnenten pflegen und hegen, denn die bezahlen mir das. Weil Sie an Jugendlichen nichts verdienen.“ (ebd.). Teilhabe und Teilnahme sind als Grundprinzipien in Mirko Schomberts Theaterverständnis als wesentlich verankert – und er bezieht diese explizit nicht nur eingeschränkt

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auf das Kinder- und Jugendtheater (vgl. Schombert 2016):12 „[I]ch glaube ja, dass Partizipation [...] absolut zu Theater dazugehört“ (ebd.). Dementsprechend hat er unter anderem auch eine Bürgerbühne in Dinslaken gegründet (vgl. Kapitel 3.3.3) – dass jedoch die Tätigkeiten in diesem Bereich rein idealistischer Natur sind und nicht dem als originär betrachteten Auftrag der Landesbühne entsprechen, merkt auch Schombert an, denn „wenn wir mal ehrlich sind, diese Bürgerbühne, die wir hier gegründet haben, die brauchen wir als Landestheater nicht. Also die hilft uns nicht. Partizipation“ (ebd.). Und weiter: „Die bringt kein Geld, im Gegenteil, die macht wahnsinnig viel Arbeit; kostet eher Geld, und unsere Kunden, wenn man [...] betriebswirtschaftlich taktisch drauf guckt, [... die] interessiert [... es] einen Scheiß, ob wir hier eine Bürgerbühne haben, oder nicht. Das heißt, bei uns ist es wirklich einfach eine rein idealistische ideologische Überzeugung, dass das dazugehört“ (ebd.). Konflikte zwischen den Basisfunktionen, den zusätzlichen Rollen und den persönlichen Prioritäten und Bewertungen deuten sich also an und zeigen die Spannungsfelder zwischen Idee und Umsetzung auf, die verstärkt werden durch die stete Balance zwischen Metropole und Land, zwischen dem Stadttheaterdasein und der Reisebühnenexistenz: Beide Pole scheinen sich auf das Theaterverständnis auszuwirken und umgekehrt scheint für beide Positionen ein etwas anderes Verständnis zu existieren, sodass die möglichen Funktionen von Theater jeweils eine andere Bedeutung erhalten. Einige der Gesprächspartner beschreiben die ortsspezifischen Aufgaben und Wirkungsmöglichkeiten, die sich zurückführen lassen auf die grundsätzlich unterschiedliche Situation: In Metropolen, in Großstädten mit festem Theaterbetrieb kann sich die Funktion von Theater, eine kritische Auseinandersetzung mit Kunst zu bieten, differenzierter entwickeln, durch das breite Angebot spezieller Ästhetiken kann der Theaterbesuch eine andere Bedeutung erlangen, je nach besetzter Nische kann das Theater Einrichtung der künstlerischen Avantgarde sein oder auch stärker den Anspruch einer Bildungseinrichtung erfüllen (vgl. Faltz 2016). Hingegen wird im ländlichen Raum die kommunikative und identitätsstiftende Funktion stärker wahrgenommen und gewichtet, wie Jörg Gade beschreibt.13 Dort sei insbesondere das gemeinsame Erleben entscheidend, denn die Vorstellung vor Ort „bietet [...] eine Art Identität, eine Identifikation des Publikums mit ihrer Kommune“ (Gade 2016). Gade verwendet für die Beschreibung des Phänomens den Begriff „öffentliche[s] Gesellschaftsritual Theaterbesuch“ (ebd.). Das Theatererlebnis würde ein Zusammentreffen der Gemeinschaft generieren, das so sonst nicht mehr stattfinde, „man trifft sich sonst nur noch beim Schützenfest und vielleicht beim Kirchenbesuch; aber ansonsten gibt es keine Orte der Zusammenkunft“ (ebd.). Theaterkunst sei dabei ein zentrales Element dieser Art des Zusammenkommens, denn es „würde nicht funktionieren, wenn wir uns treffen zum gemeinsamen Biertrinken oder zum Büroklammern Zerbiegen“ (ebd.), sondern es brauche Darstellende Kunst, die einen „in Herz und Hirn und Bauch bewegt“ (ebd.). Allerdings, und dies schränkt Gade selbst auch ein, handelt es sich bei den Teilnehmern an diesem Theatererlebnis, bei den Menschen, die dieses Ritual gemeinsam begehen, nur um einen ausgewählten Teil der Bevölkerung, um ein „Segment“ (ebd.) der Ein-

12 Im Gegensatz zu anderen Intendanten, die eine Teilnahme im Sinne partizipatorischer Formate meist – intendiert oder nicht intendiert – auf die Arbeit mit jungen Menschen beziehen; siehe dazu Kapitel 4.3. 13 Die Interviewpartner bestätigen somit die bisherigen Herleitungen aus Kapitel 2.

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wohnerschaft. Eine exkludierende Wirkung dieses Rituals wird also wahrgenommen – diese Feststellung soll hier zunächst jedoch nicht weitergehend thematisiert werden, es sei verwiesen auf die genauere Analyse des Verständnisses von Publikum und NichtBesucher im entsprechenden Unterkapitel (siehe Kapitel 4.3.3). Die Begrifflichkeit des Rituals geht von einer gewissen Beständigkeit, einer Wiederholung aus, doch ein Gastspiel und damit die Landesbühnenarbeit, kann auch als Event wahrgenommen werden, ein, wie Peter Grisebach es beschreibt, Highlight sein, das das Gemeindeleben im positiven Sinne in seiner Außergewöhnlichkeit bewegt (vgl. Grisebach 2016). Für Manuel Schöbel ist eine Regelmäßigkeit und starke Präsenz notwendig, damit Theater seine Wirkung entfalten und seinen Funktionen gerecht werden kann: Theater soll „für Bürger Deutschlands, egal wo sie grade wohnen; zugreifbar sein“ (Schöbel 2016) und dabei aber nicht als singuläres Auftauchen wahrgenommen werden: „Alles was wir da machen ist darauf ausgerichtet, nicht ein Reisetheater zu sein, sondern ein Theater, das Wurzeln an verschiedenen Orten ausbildet“ (ebd.). Ausschlaggebend sei es, ein „Eigentümerbewusstsein“ (ebd.) zu schaffen, damit sich die Menschen mit dem Theater identifizieren, „dass sich ein Stückchen Stolz auf das eigene Theater damit [...] verbinden lässt, dass hier etwas entsteht, was nirgendswo anders entsteht, was ein Unikat [...] ist“ (ebd.).14 Hier sieht er auch den besonderen Auftrag der Landesbühnen begründet, denn „das Selbstbewusstsein des Menschen, der Kunst, Theaterkunst miterlebt, ist ein anderes, wenn er das auf seinem Marktplatz oder in seinem Kulturhaus erlebt. Ein anderes, nicht ein besseres, aber ein anderes, als wenn er sich auf die Reise nach Verona gemacht hat und dort die Geschichte der Liebenden betrachtet“ (ebd.). Theater als Ereignis und/oder Alltag

Die Verankerung von Kunst im alltäglichen Leben und damit eine (Wieder-)Herstellung von Relevanz ist Motivation und Kern von Schöbels Arbeit und seiner Idee von „Theater, was sich sehr stark auch eingreifend in die Alltagskultur und gesellschaftliche Strukturen hinein definiert, wo es darum geht, dass wir ein Kunstangebot als Bestandteil des gesellschaftlichen Lebens machen“ (ebd.). Er selbst führt diese Überzeugung auch auf seinen persönlichen Werdegang zurück, auf seine Erfahrungen im Kinder- und Jugendtheater (vgl. dazu ebd.).15 Landesbühne dürfe nicht als singuläres Ereignis auftauchen: Es ginge darum, die zeitliche Verweildauer zu expandieren, durch die Arbeit vor Ort eine höhere Bindung zu erreichen und zugleich die faktischen und metaphorischen Barrieren eines Theatergebäudes zu überwinden: „[W]ir versuchen, unseren Aufenthalt an diesen Orten nicht nur für die Aufführungsdauer zu definieren, sondern zum Teil zu probieren, an anderen Orten; Premieren an anderen Orten herauszubringen; dadurch eine größere Identifikation der Einwohner, der potenziellen Zuschauer mit dem Theater zu erreichen; teilzuhaben am Kulturleben auch dieser anderen Gemeinde und Städte; durch die Einbindung in den Jahreskalender [...] wir müs-

14 Diese Aussage Schöbels bezieht er im Gesprächsverlauf insbesondere auf Stückentwicklungen, die einen lokalen Bezug haben, davon losgekoppelt kann sie jedoch auch für das hier allgemeinere Verständnis als Beschreibung dienen. Die speziellen Projekte werden im weiteren Verlauf näher betrachtet. 15 Diese Verbindung zum Theater für junges Publikum hinsichtlich der Arbeitsweisen aber auch der konzeptionellen Überlegungen, was Theater sein kann, wird im Laufe der Herleitungen an mehreren Stellen verdeutlicht werden.

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sen raus aus dem Gemäuer des Theaters, wir müssen dazugehören“ (ebd.). Schöbel nimmt die Landesbühnen sogar in die Pflicht, neue oder minder genutzte Alltagsorte als Spielorte zu entdecken, zu erobern und als Kulturorte (wieder) zu beleben und die LBS versuchen, „in sogenannten theaterfernen Orten präsent zu sein. Das Theater an authentischen Orten“ (Schöbel 2016); „ob auf Bahnhöfen, Marktplätzen, [...] Theater am Unort, also eigentlich an dem nicht mehr funktionsfähigen Ort, an dem nicht mehr besuchten Ort, Theater anzubieten“ (Schöbel 2016). Landesbühne müsse mehr als ein Aufführungsdienstleister sein, diese Auffassung teilt auch Matthias Faltz: „Ein lebendiges Theater [wird] wirklich nur als lebendiges Theater wahrgenommen [...], wenn es eben mehr ist, als nur dieses wir spielen da drei-, viermal die Woche“ (Faltz 2016). Der Lebensweltbezug, das Auftauchen im Lebensalltag ist für Peter Grisebach im Kinder- und Jugendtheater besonders gut zu erfüllen: „[Wir] spielen Theater dort, wo Menschen ihren Lebensmittelpunkt haben, das ist bei Schülern halt in der Schule. Deswegen haben wir [...] ein Repertoire an Klassenzimmerstücken entwickelt. Wir gehen dorthin, wo die ihren Schulalltag haben und spielen da plötzlich Theater. Und die werden damit konfrontiert und haben die wirklich tollsten Reaktionen da drauf“ (Grisebach 2016). Eine Verankerung im Alltag, die Eroberung der täglichen Lebensbereiche kann aber auch auf andere Weise geschehen, wie das Grenzlandtheater zeigt: Der Anspruch, dass Theater im positiven Sinne eine Normalität entwickelt und keine Exklusivität aufbaut, hat dort zu einer außergewöhnlichen Form der Produktionsweise geführt: Die Jugendtheater-Produktionen des Grenzlandtheater werden innerhalb der Schulen geprobt und dort zur Aufführung gebracht, so wird Theater auf ganz andere Art und Weise im Alltagsleben der jungen Menschen verankert; offene Proben gehören zum Prozess ebenso dazu, wie die tägliche Begegnung von Theatermitarbeitern und Schülern vor Ort. Zu den Vorstellungen werden dann andere Schulen eingeladen, sodass auch hier eine neue Begegnung stattfinden kann (vgl. Brandt 2016).16 Uwe Brandt verwendet für die Beschreibung der Bedeutung von Kunst und der Stellung von Theaterkunst im täglichen Leben eine Metapher: Theater dürfe nicht als „Luxus-Frucht“ (ebd.) angesehen werden, Theater solle für alle als selbstverständlich angesehen werden, als „Grundnahrungsmittel“ (ebd.) – um so verstanden zu werden, dürfe Theater selbst sich nicht als exklusiv verstehen, denn schließlich sei Theater „ja vor allen Dingen fürs Publikum. Ich [...] glaube, Theater funktioniert seit eh und je nur deswegen, weil es Leute gibt, die es machen; und Leute, die es angucken. Wenn der eine fehlt und der andere nur da ist, ist das relativ langweilig“ (ebd.). Theaterarbeit steht also in verschiedenen Pflichten und Verantwortungen sich selbst und anderen gegenüber. Kunstfreiheit bei Marktzwang

„[W]ir [sind] natürlich vor allem einer künstlerischen Überzeugung verpflichtet [...]; wie jedes andere Stadt- und Staatstheater auch“ (Schombert 2016) – mit dieser Feststellung legt Mirko Schombert den Kern von Theaterarbeit (der Institutionen in öffentlicher Trägerschaft) fest. Kennzeichnend sei jedoch, dass „es für die Landesbühnen eben schwerer [ist], die sind da auf steinigerem Gebiet unterwegs“ (ebd.). Um ihrem Auftrag als Reisebühne gerecht werden zu können, müssen die Landesbühnen sich auf

16 Das Format des Klassenzimmerstücks und die Zusammenarbeit mit Schulen wird im weiteren Verlauf erneut aufgegriffen und ausführlicher thematisiert.

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den Gastspielmarkt begeben, dadurch entsteht eine Konfliktsituation, denn „das ist ja auch der Sinn und Zweck einer Förderung, dass man eben nicht nur rein kommerziellen Interessen untergeordnet ist; [wir] bewegen uns aber auf einem Markt, der rein kommerziell funktioniert“ (ebd.). Martin Krumbholz wählt dafür in einem Gespräch mit Thorsten Weckherlin die Formulierung: „Landesbühnen sind polymorphe Gebilde, eigenartige Hybride aus Kunst und Kommerz“ (Weckherlin u. a. 2014, S. 15). Die Burghofbühne und sich selbst sieht Schombert in der Verpflichtung, Theaterkunst innerhalb der Rahmenbedingungen, also in Abhängigkeit der Erfolge auf dem Gastspielmarkt, bestmöglich zu gestalten – um sich selbst gerecht zu werden, aber auch im Sinne der Beauftragung öffentlicher Theater zu handeln: „Unser Auftrag ist natürlich auch von Landesseite aus, dass wir [...] die Freiheit einer öffentlichen Förderung dafür nutzen, eben nicht nur unter kommerziellen Gesichtspunkte zu produzieren [...] das tun wir ja gar nicht. Wenn wir es nur unter kommerziellen Gesichtspunkten machen würden, dann wäre es auch einfacher“ (ebd.). Der Druck, gar Zwang, sich bei der Stückauswahl und Spielplangestaltung an bekannten Titeln orientieren zu müssen, wird als wichtige Arbeitsbedingung der Landesbühne im folgenden Kapitel detailliert untersucht; dieser Aspekt muss und soll auch hier erwähnt werden, da er auch stark mit dem eigenen Selbstverständnis zusammenhängt. Schombert ist sich der Zwänge bewusst, hält aber in seiner Überzeugung klar dagegen, dass sich die eigene Vorstellung von gutem Theater sich diesen nicht beugen dürfe: „Titel schon, das geht nicht anders, sonst findet das Theater nicht statt; und da denken wir sozusagen diese Marktmechanismen mit; und beugen uns denen auch; hören dann damit aber auf und tun es nicht mehr in der Umsetzung. In dem Moment wo sich die Tür der Probebühne schließt, werden diese Stücke mit dem selben Anspruch mit dem selben ästhetischen Mut wenn man so will, umgesetzt, wie man es an jedem anderen größeren Theater auch machen würde“ (ebd.). Ein hehrer Vorsatz, denn ein „Theater, das leer gespielt ist, ist dann auch wieder nicht gut“ (Weckherlin 2016). Diese Spannung zwischen den Anforderungen und Erwartungen, in die sich alle Landesbühnen begeben, weiß Thorsten Weckherlin produktiv zu nutzen: „Ich brauche tatsächlich dieses Korrektiv auch für meinen Kopf. Dass ich sage, das ist ein Spagat. Der ist anstrengend“ (ebd.). Seine Vorstellung von Theater als „Gebrauchstheater“ (Weckherlin u. a. 2014, S. 16) und als „Gegenteil von Theater fürs Feuilleton“ (ebd. und siehe Kapitel 3.3.1) erläutert er im Interview: Es gebe Inszenierungen, bei denen „teilweise die Leute völlig hilflos rausgehen, wir natürlich positive Kritiken haben“ (Weckherlin 2016), doch wenn man die Menschen berühre, wenn die verhandelten Themen Relevanz haben und etwas auslösen, sei die Form und Umsetzung minder wichtig, denn „sie gehen raus und haben irgendwas mitgenommen, sei es ein Lächeln oder ein Weinen oder – es muss ja nicht gleich die Katharsis sein, aber, dann haben wir doch schon viel erreicht; [...] da kann man denen aber jede Ästhetik bringen“ (ebd.). Den Musentempel aufzuweichen (Formulierung der Interviewenden, vgl. ebd.), bei gleichzeitiger Bewahrung des eigenen Anspruches zeichnet Weckherlins Idee von Theater aus: „Aber wir machen Kunst. Und Kunst kann ja alles und darf ja alles und irritiert“ (ebd.). Freiheit der Kunst – durch Überzeugung und ermöglicht durch die öffentliche Finanzierung; für Uwe Brandt geht damit einher, dass Theater nicht als selbstreferentieller Kunstbetrieb missverstanden werden und sich nicht in diese Richtung hin entwickeln dürfe. Das sei jedoch leider ein Trend, den er beobachte; „viele Theatermacher machen nur Theater für sich selbst. Und das halte ich für einen großen Fehler“ (Brandt

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2016). Er sieht dabei die Intendanten in der Pflicht, dass sie angemessen mit ihrer Verantwortung und damit verbunden mit der öffentlichen Förderung umgehen. Die Idee von Theater der Landesbühnen scheint sich also in einem Balance-Akt zu bewegen zwischen künstlerischer Eigenverwirklichung, herzustellender Relevanz, marktkonformen Entscheidungen und der Überzeugung, Theater nicht nur von Menschen, sondern vor allem auch für Menschen zu machen. Für Friedrich Schirmer zeichnet sich in der Konsequenz die Theaterarbeit der Landesbühne durch eine Unverfälschtheit aus: „Sie ist einfach, sie ist direkt, [...] ist sozusagen verkürzter, [...] sie ist nackt. [...] Sie können sich nicht hinter Couture und Firlefanz verstecken. Hinter einem RegieNamen, hinter einem Hype, hinter irgendwas“ (Schirmer u. a. 2016). Anspruch – Qualität – Struktur

„Wichtig ist die Konvention. Dass man zusammenkommt. Dass es da jemanden gibt, der geht da hin, um etwas zu sehen und der andere wird gesehen und macht was“ (Weckherlin 2016). Auch Thorsten Weckherlin reduziert Theater zunächst auf das Wesentliche, das Zeigen und Schauen, dass jedoch einen Effekt des „mehr Werdens“ haben muss (siehe oben): „Wenn ich das als Funktion nehme für unsere Arbeit – man wird mehr – dann ist die Form eigentlich erst mal sekundär, [...] wie ich das verpacke[...] und wo man [...] zusammenkommt“ (ebd.). Die Definition von guter – weil etwas im Menschen bewirkende – Theaterkunst sei also unabhängig von der künstlerischen Handschrift und zumindest für Weckherlin auch losgelöst vom Raum oder Ort. Ein solches Verständnis ist bezeichnend für einen Landesbühnenintendant, ohne die Kausalität zu befragen: Landesbühnentheater ist notwendigerweise dergestalt, dass es relativ unabhängig von dem einen (Theater-)Raum zu sein hat und scheint damit mit diesem Verständnis zunächst deckungsgleich.17 Die künstlerische Umsetzung, die Ästhetik der Landesbühnenproduktionen ist kein Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit, gleichwohl wurden natürlich Fragen zur Qualität und auch Eigenheiten der unterschiedlichen Handschriften der künstlerischen Verantwortlichen in den Interviews thematisiert. Für eine Darstellung der Idee von Landesbühnentheater sollen an dieser Stelle die Aussagen von Peter Grisebach hinzugezogen werden, er verwies im Gespräch mehrfach auf dessen Entwicklung. In den 1970er Jahren hätten die Landesbühnen innerhalb der Theaterlandschaft noch einen sehr schlechten Ruf gehabt, man erwartete quasi ein Bühnenbild mit „wackeligen Wänden, [...] Landesbühne war Endstation. Wenn du 20, 30 Jahre als Sänger, als Schauspieler [...] dich durch den Dschungel deiner Strafe da durchgekämpft hattest; aber Landesbühne, [...] da angekommen, hieß: danach kommt nichts mehr“ (Grisebach 2016). Sowohl die Qualität als auch das Selbstverständnis der Landesbühnen scheint sich seitdem gewandelt zu haben, Kay Metzger beschreibt die Landesbühnen als Spezialisten, als Experten für gut, schnell und effektiv organisierte und durchgeführte Abstecher, bei gleichzeitiger Garantie des künstlerischen Niveaus (vgl. Metzger 2016). Wie welche Qualität hergestellt wird, werden kann, unterliegt stark den tatsächlichen Möglichkeiten, bei einigen Theaterleitungen schlägt sich die Frage nach einer Erfüllung des eigenen Anspruchs auch im Verständnis der Arbeitsweisen wieder. Matthias Faltz ist überzeugt, dass die Struktur eines Theaterbetriebs, und somit auch die

17 Diese Thematik wird ausführlich im folgenden Unterkapitel diskutiert, siehe dazu Kapitel 4.1.3.

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Hierarchien und Verantwortungen, Auswirkungen auf die künstlerische Arbeit haben können: Anzustreben sei es, dass sich alle Mitarbeiter mit der gemeinsamen Arbeit identifizieren können, sich kreativ einbringen und sie somit auch aktiv teilhaben an der künstlerischen Tätigkeit: „Wenn ich aber die Leute einlade, also [...] Vorschläge mache, [...] wie wollen wir es machen und derjenige, der dann [...] das Lichtkonzept umsetzen muss, [...] Chancen hätte, mitzuentscheiden; dann entsteht was anderes, als wenn ich – weil ich bin eingesetzt als Geschäftsführer und Intendant – [...] sag [...], was du zu machen hast“ (Faltz 2016). Gelingende Theaterarbeit zeichne sich dadurch aus, dass alle Mitarbeiter sich als Mitgestalter der künstlerischen Arbeit begreifen, egal aus welchem Gewerke, egal ob sichtbar auf der Bühne oder nicht; „die Leute müssen sich wiederfinden in den Produktionen“ (ebd.). Bereits in der Personalstruktur sei angelegt, wo der Schwerpunkt des Betriebes liegen könne. Im HLTM sei daher die Verwaltung „minimalst, [es] gibt, glaub ich, kein Theater, was eine kleinere Verwaltung hat; aber alles andere geht in die Kunst; und in Dramaturgie und Theaterpädagogik“ (ebd.), dadurch sei es möglich, „dass wir auch viel [...] Rahmenprogramm anbieten [...] aber alles [...] aus einer Künstlerperspektive und [...] wir verwalten uns nicht selber“ (ebd.) und somit könnte es seinem eigenen Vorsatz gerecht werden, als Theater mehr zu bieten als nur eine Aufführung. Für Faltz sind die Mitarbeiter und die Arbeitsstrukturen entscheidend und der tatsächliche Ort in gewisser Weise nebensächlich, er ist also ähnlicher Auffassung wie Weckherlin: „Es ist schön, quasi in Ruhe zu produzieren und irgendwo auch zu wissen, für welchen Raum man es konzipiert und wo man es raus bringt, aber davon hängt sozusagen die Idee Theater nicht ab, von diesem einen tollen Raum“ (ebd.). Sofern man sich verabredet habe, was Theater für einen ist, wenn man eine gemeinsame Idee verfolge, dann sei es auch egal, wo man eine Inszenierung entwickle, entscheidend sei das Ensemble. Dabei meint er nicht nur das identifikationsstiftende Schauspielensemble, sondern den Zusammenhalt und die angestrebte Teilhabe aller Mitarbeiter am kreativkünstlerischen Prozess. Er zieht hier mehrfach einen Vergleich zu der Freien Szene, in denen es Strömungen gibt, die insbesondere seinen Ideen von kollektiver Kreativität entsprechen, aber auch hinsichtlich der Mobilität und notwendigen Flexibilität. Es müsse ein besonderes Selbstverständnis geben, um als Landesbühne zu bestehen – dazu gehört die Überzeugung, dass das Miteinander im Theaterbetrieb ein anderes sein müsse. Für Uwe Brandt ist damit Menschlichkeit verbunden, mit Auswirkungen auf die Hierarchien, die eher kommunikativ als abgrenzend gestaltet sein sollten (vgl. Brandt 2016). Nur wen sich alle Mitarbeiter mit dem Haus, mit der Aufgabe, Landesbühne zu sein und mit der künstlerischen Handschrift identifizieren, kann Theaterarbeit erfolgreich sein. Auch Mirko Schombert sieht Chancen in einer möglichst flachen Hierarchie und einer gemeinsamen Verständigung auf Entscheidungen (vgl. Schombert 2016). Hier zeigt sich ein Selbstverständnis, das mit gewissen Vorstellungen brechen will: Weg vom stark differenzierten Abteilungsbetrieb hin zu weicheren Formen der Zusammenarbeit. Und selbst wenn der Landesbühnenbetrieb klassisch hierarchisch strukturiert ist, seien nach Auffassung Thorsten Weckherlins gerade die Landesbühnen für Transformationsprozesse besonders geeignet. In diesem Kontext spricht er die Förderprogram-

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me des Bundes an, die genau solche Prozesse anstoßen und ermöglichen wollen.18 Diese Überlegungen gehen einher mit dem Selbstbewusstsein, dass „Landesbühnen eine größere Zukunft haben als klassische kleinere Kommunaltheater“ (Weckherlin 2016), das sich auch darauf begründet, dass Landesbühnen durch ihre Reisetätigkeit „automatisch flexibler [...] [sind,] weil man anders tickt“ (ebd.). Im Ansatz scheinen zumindest diese Intendanten nicht fern von den Überlegungen und Forderungen Thomas Schmidts zu mehr Mitbestimmung im Theaterbetrieb zu sein (siehe dazu Schmidt 2017 und die folgenden Ausführungen in Kapitel 4.1.3). Experten der Adaption

Die Gastspieltätigkeit und damit die Notwendigkeit, flexibel und mobil zu sein, gehört für alle Landesbühnen zum Selbstbild. Kay Metzger bezeichnet dies als wesentlich für das Landesbühnen-Sein, „auf jeden Fall ist die Grundvoraussetzung einer Landesbühne die Bereitschaft und der Wille, die Theateraufführungen für die Gastspielbühnen zu adaptieren“ (Metzger 2016). Also vor Ort, im Stammsitz, produzieren und dieses Ergebnis dann anpassen – eine klare Richtungsvorgabe, die die Auffassung unterstützt, dass der Originalzustand, also die ursprüngliche künstlerische Bearbeitung, nur in manchen Orten (vornehmlich im Stammsitz) gezeigt werden kann und andere, die nicht die gleichen Voraussetzungen bieten, mit einer geänderten Version vorlieb nehmen müssen. Adaption ist in zweierlei Methode möglich: Durch Assimilation und durch Akkommodation. Entweder wird das Andere an die eigenen Vorstellungen angepasst oder das Eigene entsprechend der neuen Situation modifiziert. Dieser Gedankengang ist essenziell für die weitere Analyse der Landesbühnenarbeit und damit zusammenhängend der Fragen von Kulturpolitik, denn diese Entscheidung über den Gestus definiert die zugrunde liegende Überzeugung einer Differenz und somit auch einer Hierarchie: Müssen sich die Gastspielorte an die inszenatorische Umsetzung anpassen – mit den Konsequenzen, dass der dortige Raum die ursprüngliche Bühne so gut wie möglich nachzuahmen und zugleich das dortige Publikum seine Erwartungen der (externen) Vorstellung von Theater anzupassen hat? Oder werden in der Konzeption einer Produktion bereits die diversen örtlichen Bedingungen berücksichtigt und auch die vielleicht vom Großstadtoder Stammsitzpublikum differierenden Erwartungen? Natürlich ist dies keine Entweder-oder-Entscheidung. Adaption bezeichnet als Begriff zunächst umfassend Vorgänge der Anpassung, diese können akkommodatives und assimilatives Verhalten in einem Wechselspiel beinhalten. Betrachtet man dieses Konzept unter Einbezug entwicklungspsychologischer Ansätze,19 lassen sich folgende Konsequenzen aufzeigen, die auch auf die hier dargestellten Überlegungen übertragbar sind: Assimilation und Akkommodation sind insbesondere im Sinne eines selbstregulativen Prozesses essenziell, somit maßgeblich für die Bildung und Festigung eines Selbstverständnisses und damit einer Positionierung gegenüber anderen. Adaptionsverhalten dient zudem als Bewältigungsstrategie für konfliktgeladene Situationen:

18 In seinem Fall sind damit konkret die Zusammenarbeit mit Akteuren der Freien Szene und Programme zur Förderung des ländlichen Raums gemeint, siehe dazu die Beschreibungen der Kooperationen im nächsten Kapitel und vgl. Weckherlin 2016. 19 Im hier verwendeten Sinne bezieht sich das Konzept der Adaption auf die Persönlichkeitsentwicklung, siehe dazu das Kapitel 9, verfasst von Ulman Lindenberger, Abschnitt 3.3. in Oerter u. a. 2002.

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Während Assimilation darauf abzielt, die Umwelt zu verändern, um die eigenen Überzeugungen beibehalten zu können oder zu bestätigen,20 „erleichtert akkommodatives Bewältigungsverhalten das Aufgeben nicht erreichbarer Ziele, die Reduktion des Anspruchsniveaus und die positive Neubewertung besser erreichbarer Ziele“ (Lindenberger 2002, S. 390). Übertragen auf die Situation einer Landesbühne zeigt dies folgende Optionen auf: Wird der Gastspielort an ihre Vorstellungen angepasst und versucht die Landesbühne, das Publikum im Sinne ihrer Handschrift und künstlerischen Ideen „anzupassen“, sprich darauf zu prägen oder hinsichtlich ihrer Seherfahrungen zu erziehen; oder verändert sie sich zugunsten der Reisetätigkeit, gleicht sie ihre künstlerischen Auffassungen den Erwartungen an, berücksichtigt sie die räumlichen Gegebenheiten bereits im künstlerischen Prozess, denkt also beispielsweise vorsichtshalber in kleineren Dimensionen, um kompatibler zu sein – in Realiter wird der Kompromiss zwischen beiden Ansätzen vorherrschen, jedoch je nach Bereich variieren. Die Fähigkeit der Adaption ist für die Landesbühnen besonders wichtig, sie muss dauerhaft den Anforderungen standhalten: „Da hängt ja ganz viel dran, das ist sehr kompliziert. Künstlerisch kompliziert, aber auch logistisch“ (Metzger 2016). 4.1.3 Arbeitsbedingungen und Arbeitsweisen Kay Metzger bringt es auf den Punkt: die Arbeit der Landesbühnen ist kompliziert. Auch die anderen Intendanten beschreiben ihre Tätigkeit als anspruchsvoll, anstrengend und schwierig. Wie jeder Theaterbetrieb haben auch die Landesbühnen mit bestimmten Variablen umzugehen, die trivial erscheinen mögen, allerdings nicht marginalisiert werden dürfen: Räume, Finanzen, Personen, Zeit als Ressourcen – deren Verfügbarkeit oder Mangel beeinflussen die Theaterarbeit und somit auch, wie die idealen Vorstellungen von „richtigem“ oder „gutem“ Theater, die eigenen Ansprüche wirklich umgesetzt werden können, oder ob sogar das eigene Verständnis revidiert werden muss, um sich den Tatsachen anzupassen. Diese Faktoren sind also nicht nur als existenziell für erfolgreiche Theaterarbeit anzusehen, sondern auch als Hinweisgeber zu werten, als mögliche Stellschrauben für eine Verbesserung oder auch Verschlechterung der Lage der Landesbühnen (und natürlich aller anderen Theater auch), denn genau hier könnte Theaterpolitik steuernd – oder regulierend – eingreifen.21 Die Grundkonstruktion der Landesbühnen, sich als Reisebühne behaupten und zugleich eine Funktion als stehendes Theater im Stammsitz übernehmen zu müssen, verstärkt vergleichsweise zu anderen Theaterbetrieben die Abhängigkeit von diesen Ressourcen, beziehungsweise setzt diese in andere Zusammenhänge. Bevor dieser Vergleich durchgeführt wird, werden

20 An dieser Stelle sei ein Verweis auf die Verwendung des Konzeptes der Assimilation in der Populärkultur erlaubt: Sehr vereinfacht und schematisch wird dieses anhand der Borg verdeutlicht, eine außerirdische Rasse im Star-Trek-Universum, die kriegerisch ohne Ausnahme alle anderen Lebensformen in ihresgleichen verwandelt, ohne jemals sich selbst in Frage zu stellen (siehe dazu CBS Entertainment 2019). Dieser imperialistische Ansatz soll natürlich keinesfalls den Landesbühnenintendanten unterstellt werden, doch möge dieses Beispiel dazu dienen, die Konzepte zu erläutern. 21 Und dadurch die Beziehungen und die Art der Kommunikation innerhalb des Netzwerkes der Theaterlandschaft beeinflussen, siehe dazu entsprechend Kapitel 2.3.

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zunächst die Arbeitsbedingungen der Landesbühnen und ihre Reaktion auf diese beschrieben und zwar dementsprechend nicht in der klassischen Einteilung Infrastruktur, Finanzen, etc., sondern bereits in ein Verhältnis zueinander gesetzt, das den Problemfeldern der Landesbühnenarbeit entspricht. Dadurch wird ein Abgleich oder ein Bezug zu dem Selbstverständnis ermöglicht, der dieses Kapitel abschließen wird. Marktabhängigkeit als Gradmesser

Ähnlich wie auch die anderen öffentlichen Theaterbetriebe entwerfen die Landesbühnen mit einem gewissen zeitlichen Vorlauf einen Spielzeit-Spielplan, für den Stücke ausgewählt werden, die entweder neu inszeniert werden oder aus dem Repertoire wiederaufgenommen werden.22 Die Landesbühnen berücksichtigen dabei bereits den Gastspielbetrieb, denn alle Stücke des Spielplans sollen ja meist sowohl in der eigenen Spielstätte als auch unterwegs auf Gastspielen aufgeführt werden, wobei üblicherweise die Neuinszenierungen zunächst im eigenen Haus zur Premiere kommen und danach auf Reisen gehen. Die Herangehensweise der Spielplangestaltung ist bei den einzelnen Bühnen unterschiedlich, die Mechanismen des Gastspielmarktes, an dem sich die Arbeit der Landesbühnen ausrichtet, setzen zu verschiedenen Zeitpunkten ein, beziehungsweise machen sich in bestimmtem Maße, auch dies in Abstufungen, verzögert bemerkbar, je nach dem Grad der Abhängigkeit vom Markt: Einige der Theater können auf einen festen Pool an Veranstaltern, respektive Einkäufern vertrauen, wie beispielsweise das Landestheater Schleswig-Holstein, das fast ausschließlich seine Gesellschafter-Städte bedient und diese ihrerseits die Produktionen der Landesbühnen immer „abnehmen“ (vgl. Grisebach 2016). Einige haben lose, informelle, auf Vertrauen und Erfahrung basierende Absprachen, andere wiederum sind unabhängig unterwegs und müssen über ihre Gastspielreisen frei verhandeln. Manuel Schöbel verweist auf ein weiteres Detail, bezogen auf das Beispiel der LBS: Selbst wenn es im Vorfeld eine Vereinbarung gibt, dass eine Stadt eine Produktion kauft, ist noch nichts darüber gesagt, wie viele Aufführungen davon gebucht werden und „das ist natürlich ein Risiko [...], ich denke eine bestimmte Grundvereinbarung könnte es ruhig geben; das würde der Freiheit der Kunst noch ein bisschen aufhelfen“ (Schöbel 2016). Dass eine solche Vereinbarung natürlich aber in die Spielplangestaltung der Gastspiel veranstaltenden Städte eingreifen würde und für diese es wiederum natürlich nicht nur eine inhaltliche, sondern auch eine finanziell-rechnerische Frage ist, bleibt ebenso zu beachten, wie eine Souveränität der Entscheidungsgewalt. Die gegenseitige Verantwortung innerhalb des Netzwerkes der Theaterlandschaft ist zu diskutieren, auch hinsichtlich gegenseitiger Unterstützung bei gleichzeitiger Konkurrenz, sowohl in der täglichen Arbeit, als auch bei der Spielplangestaltung. Gleichwohl es bei den genauen Abläufen der Planungen natürlich Unterschiede gibt, soll Mirko Schomberts Erklärung beispielhaft für das grundlegende Prinzip aufgeführt werden. Er erläutert das Vorgehen der Burghofbühne im Kontext, dass sie die kleinste der Landesbühnen in Nordrhein-Westfalen ist. Nach der Auswahl von „Stoffen, die

22 Die Theater wählen in unterschiedlicher Art und Weise Stücke aus, die sie interessieren, die thematisch in die Planung passen, die künstlerisch reizvoll sind und die der Außenund Selbstwahrnehmung entsprechen. Weiterführend sei ein weiteres Mal verwiesen auf die Arbeit von Friederike von Cossel, Cossel 2011.

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uns einfach künstlerisch interessieren“ (Schombert 2016), muss zunächst die Marktfähigkeit überprüft werden, ob mit positivem Zuspruch zu rechnen ist, oder ob ein Stück bereits übermäßig präsent war, auch deutschlandweit;23 also „ist dieses Stück in den letzten Jahren – entweder durch unsere Kollegen der anderen Landestheater oder einfach auch auf dem gesamten Abstechermarkt, auch der Privatanbieter, schon durchgenudelt“ (Schombert 2016).24 Hierbei erhält die Burghofbühne, wie die anderen Landestheater Nordrhein-Westfalens auch,25 Unterstützung durch das gemeinsame Büro, das die Recherche übernimmt und einschätzt, wie hoch die Verkaufschancen sein könnten (vgl. ebd. und dazu ebenso Metzger 2016). Als dritten Schritt führt Schombert die Überprüfung der Rechte an – und verweist auch hier noch einmal auf mögliche Probleme durch andere Akteure: „Wenn zum Beispiel Landgraf, was der größte private Anbieter ist [...], wenn die da eben einen Finger drauf haben, dann kriegen wir die Rechte dafür einfach nicht“ (Schombert 2016). Wenn diese Vorstufen abgeschlossen sind, „wenn wir also künstlerisch das abgeklärt haben, die Markt-Chancen der Vergangenheit, die Verlagsrechte, dann [...] sprechen [wir] dann nochmal drüber, bei welchen Stoffen wir davon ausgehen, [...] dass die sich auch verkaufen lassen, dass die eine Chance haben“ (ebd.) – diese Überlegungen bleiben zum Teil jedoch trotz aller Statistiken und Erfahrungen immer noch spekulativ, „das bleibt am Ende eh so ein Glaskugel-Lesen“ (ebd.). Zu unterscheiden ist hier zwischen Neuproduktionen und Repertoire: Bei neuen Stücken setzt der Verkaufsprozess teilweise lange vor Probenbeginn ein, der Verkauf von Repertoirestücken kann auch nach Premiere stattfinden oder weitergehen.26 Das Verhandeln von Gastspielverkäufen ist unabhängig von vertraglichen Verpflichtungen oder formalen Absprachen während des gesamten Jahres Teil der täglichen Arbeit der Landesbühnen. Gebündelt geschieht dies auf den Verkaufsmärkten der INTHEGA,27 die zweimal im Jahr, verbunden mit einer Tagung, stattfinden: „Der INTHEGA-Theatermarkt im Herbst ist die Leitmesse für deutschsprachiges Tourneetheater und bietet rund 170 Ausstellern aller Sparten sowie Anbietern u.a. aus den Bereichen Ticketing, Software und Technik eine Plattform, auf die eigenen Angebote aufmerksam zu machen“ (INTHEGA 2018), entsprechend gibt es einen Theatermarkt im Frühjahr. Die INTHEGA-Mitglieder sind nicht nur wichtige Veranstalter und somit Einkäufer von Gastspielen, sondern haben eine besondere Stellung inne, die ihnen auch

23 Bereits bei der Stückauswahl für den Spielplan ist entscheidend, welches Spielgebiet man regelmäßig bedient und da die Burghofbühne sich nicht auf ein regionales Gebiet begrenzt, ist auch die Konkurrenzsituation bezüglich der Inhalte und Themen ausgedehnter und es wird in ihrem Falle der Markt deutschlandweit betrachtet, vgl. Schombert 2016. 24 Dieser Aspekt der Konkurrenz wird aufgegriffen in Kapitel 4.2. 25 Noch einmal sei angemerkt, dass das Grenzlandtheater Aachen nicht dazu zählt, es demnach hier theoretisch einen Nachteil erfährt. 26 Sofern vorhanden, hier auch wieder die Ausnahme Grenzlandtheater, und sofern diese Stücke im Sinne einer Transportfähigkeit für den Gastspielmarkt geeignet sind. 27 Die INTHEGA ist einer der wichtigsten Partner der Landesbühnen und verdient eine intensivere Beschäftigung; da sie eine wichtige Netzwerkerin innerhalb der Theaterlandschaft ist, soll die INTHEGA in diesen Zusammenhängen (Kapitel 4.2) näher betrachtet werden. Für die Entscheidungen über den Spielplan kann sie eine beeinflussende Rolle spielen, daher wird sie auch hier kurz thematisiert.

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erlaubt, in gewissem Maße Einfluss zu nehmen. Matthias Faltz beschreibt dies in einem positiven Sinne, da die Meinung der INTHEGA auf einer Kenntnis des aktuellen Gastspielmarktes aufbaut und „wenn uns da jemand, zum Beispiel als [sic] Eschborn, Frau Kiesel, die da in dieser INTHEGA eine wichtige Rolle spielt; sagt, [...] wollt ihr nicht mal im Lutherjahr jetzt ein Luther-Stück machen, oder was auch immer; dann hören wir schon genau zu“ (Faltz 2016). Für Kay Metzger ist die informelle Absprache mit engen Vertrauten so wichtig, das die endgültigen Abstimmungen des Spielplans davon beeinflusst werden können: „Wir haben das und das Stück in Überlegung, wie schätzt ihr das ein? Wird das funktionieren? Habt ihr Interesse? [...] das sind [...] wirklich sehr spannende Gespräche, die auch wirklich [...] manchmal dann [... zu] Änderungen, Nachjustierungen des Spielplans führen“ (Metzger 2016). Durch den großen zeitlichen Vorlauf, der dem Gastspielmarkt immanent ist, werden Titel und Stücke in der Regel bereits ein bis zwei Jahre im Vorhinein ausgesucht und im Portfolio angeboten, bei Neuproduktionen also bereits deutlich bevor tatsächlich an der künstlerischen Umsetzung gearbeitet wird. Da das Inszenierungskonzept bei den Verhandlungen meist noch nicht feststeht, die Veranstalter also die „Katze im Sack“ (Weckherlin u. a. 2014, S. 16) kaufen (müssen), wird die Entscheidung anhand anderer Kriterien getroffen: Vertrauen auf die Qualität, Kenntnis der bisherigen Arbeit und in besonderem Maße anhand der Stückauswahl: Die Auswahl der „richtigen“ Titel ist für ein erfolgreiches Bestehen auf dem Markt entscheidend. Insbesondere Mirko Schombert beschreibt dieses Phänomen, das zugespitzt als Titelzwang bezeichnet werden soll: Die Produzenten wählen Stücke und Themen aus, bei denen zu erwarten ist, dass diese auch abgenommen werden, die Veranstalter neigen dazu, das auszuwählen, was sie kennen und was aus ihrer Sicht erfolgversprechend ist, da natürlich auch die Veranstalter gewisse Erfolge (zum Teil künstlerischer Natur, aber hauptsächlich hinsichtlich der Auslastungszahlen) verzeichnen müssen. Dies kann auch zu einem Zirkelschluss führen: Die Landesbühnen orientieren sich bei ihrer Spieplangestaltung an Titeln mit möglichst guten Aussichten für einen erfolgreichen Verkauf, aus diesem Pool wählen die Veranstalter ebenso die Titel aus, die Erfolg verheißend scheinen und die ihnen bekannt sind; aber dadurch können weder unbekanntere Stücke bekannt werden, noch weniger gut verkaufte Stücke zu Verkaufserfolgen werden und so weiter. Im Bereich Musiktheater entsteht dadurch auch eine Divergenz zwischen vorhandenen und tatsächlich aufgeführten Werken, wie Peter Grisebach darstellt: „70, 80 Opern werden gespielt von den hunderttausenden, die jemals komponiert wurden“ (Grisebach 2016), sodass die Spielplangestaltung auch immer ein Abwägen zwischen den Werken mit Wiedererkennungseffekt und zeitgenössischen Arbeiten beinhaltet, denn „natürlich ist es immer so, dass man in die bekannteren Titel leichter Publikum rein zieht“ (ebd.). Vorwiegend in den Orten, in denen nur ab und an Musiktheater im Spielplan angeboten wird, respektive für Publikum, das nur wenig Erfahrung im Musiktheater sammeln kann, werden die klassischen Titel und Stoffe bevorzugt. Die Musiktheaterstandorte, die ein breiteres Programm vorhalten, seien hingegen froh über neue, unbekanntere Stücke.28 Es kommt also bei der Spielplangestaltung auch darauf an, wie ausdifferenziert die Erfahrungen und Erwartungen im jeweiligen Gastspielort sind. Dies verdeutlicht erneut die Situation der Landesbühne, das Changieren zwischen

28 „Es muss auch eine zeitgenössische Oper drin sein, damit die sich nicht langweilen, die sagen, och, jetzt habe ich schon wieder die Traviata“ (Grisebach 2016).

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(eigener) Stadt, den regelmäßig bespielten und den seltener besuchten Orten und der richtige Umgang mit den dort vorhandenen Erwartungen. Landesbühnen, die regelmäßiger an einem festen Spielort vertreten sind, scheinen also mehr Möglichkeiten bei der Auswahl von Stücken zu haben als solche, die freier unterwegs sind: Je geringer die Marktabhängigkeit und sicherer die Abnehmerstruktur, desto größer scheint zumindest bezogen auf Themen und Inhalte die künstlerische Freiheit. Titelauswahl alleine sei kein Erfolgsgarant auf dem Gastspielmarkt, darüber stünde die Qualität der Arbeit, denn diese kann auch ausschlaggebend für den Verkauf von Stücken sein, die eigentlich wenig Chancen auf dem Markt hätten. Gerade für das Musiktheater kann dies nach Kay Metzgers Meinung gelten, „da hat sich so ein gewisser Ruf auch eingestellt, so dass wir beispielsweise [...] Titel wie ‚La Traviata‘ oder ‚Zauberflöte‘ oder ‚Fledermaus‘, die ja absolut im Überangebot sind, die ich ja eigentlich gar nicht bringen dürfte, weil ich weiß, da sind sieben, acht, neun, zehn Anbieter mit dabei – die können wir trotzdem bringen, weil [...] viele Gastspielhäuser sagen: wenn es Detmold anbietet, dann holen wir es von Detmold, und nicht eben von einem osteuropäischen Tournee-Unternehmen“ (Metzger 2016). Die Landesbühnen-Qualität hilft also im Konkurrenzkampf auf dem Markt und verleiht der Landesbühne eine besondere Stellung im Vergleich zu anderen, die im folgenden Kapitel genauer betrachtet werden soll. Die Gastspieleinkäufer vertrauen auf die Arbeit der Landesbühnen und diesem Vertrauen gelte es nicht nur gerecht zu werden, sondern es auch zu stärken, denn das Abhängigkeitsverhältnis ist ein fragiles: Die Landesbühnen wollen wiederkommen, die Veranstalter nicht enttäuscht werden. Um einen weiteren Bereich anzuführen, in dem die Stückauswahl durch weitere Variablen maßgeblich mitbestimmt wird, sei das Kinder- und Jugendtheater genannt. Dort wird zum Teil versucht, eine hohe Kaufgarantie über den Lehrstoff herzustellen; die Theater bieten das an, was die Schulen wollen, die Schulen erwarten, dass die Theater dies anbieten – beziehungsweise im Falle der Landesbühnen müsste es lauten: Die Landesbühnen bieten das an, von dem sie und oder die Gastspielveranstalter denken, dass die Schulen es wollen, denn die Schulen erwarten, dass ihre Veranstalter das besorgen, was sie gebrauchen können. Wenn Jörg Gade diese Situation beschreibt, wird zugleich deutlich, dass Kinder- und Jugendtheater zum Teil außerhalb schulischer Thematiken immer noch einen schweren Stand hat, da es sehr schwer sei, Produktionen zu verkaufen, die nicht auf den Lehrplan bezogen werden können: „Ich kann den örtlichen Veranstalter davon überzeugen, am einfachsten ist das immer noch [...], wenn man sagt, das ist wirklich ein schulrelevanter Stoff [...], da sollten sie versuchen, über ihr normales Abo-Publikum und ihre normale Klientel hinaus, auch die Schulen anzusprechen. Weil das auch noch Abiturstoff ist [...]. Da funktioniert das“ (Gade 2016). Bei allen Titel-Entscheidungen und den damit zusammenhängenden Zwängen, ist die Art und Weise der Umsetzung entscheidend – nicht nur, dass die hohe Qualität als Anspruch durchgängig gewahrt werden muss, auch die Auseinandersetzung mit den Stoffen und Themen mache die Theaterkunst aus: „Wenn wir heute Maria Stuart in einer Kammerspielversion spielen, hat das den Grund, dass für die Gymnasien in Schleswig-Holstein Maria Stuart von Schiller zum Abiturstoff erwählt worden ist. Und ich [...] für diese spezielle Zielgruppe [...] eine Versuchsanordnung für Maria Stuart [entwickelt habe]: Was sagt uns so ein Klassiker heute? Was kann es sagen? Was hat es überhaupt mit uns zu tun [...]. Also nicht das bebilderte Abspiel einer Geschichte, die man auch im Reclamheft nachlesen kann, sondern viel mehr“ (Grisebach 2016).

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Dieses Mehr-Sein als das Bedienen von Erwartungen, der eigenen künstlerischen Überzeugung treu zu bleiben, ist für Mirko Schombert absolut entscheidend und geht einher mit der Freiheit, welche die Landesbühnen als öffentlich finanzierte Theater im Gegensatz zu anderen Produzenten haben können: Der „Luxus, in Anführungszeichen, den wir uns erlauben, [... ist,] bei den Titeln auf Titel dann trotzdem zu achten, hinter denen wir stehen; und sie vor allem aber auch mit voll Karacho und nicht kommerziell denkend eben umzusetzen“ (Schombert 2016). Kunst trotz Kommerz – hier kann eine starke Reibungsfläche entstehen, die noch verstärkt wird, wenn die Erwartungen zu einem Titel nicht deckungsgleich sind. Schombert führt hierzu als Beispiel die Burghofbühnen-Inszenierung von „Frühstück bei Tiffany“ an. Das Stück ließ sich, durch den gleichnamigen Film bekannt, gut verkaufen, die Umsetzung hatte jedoch nicht die Verfilmung, sondern den ursprünglichen Roman zur Grundlage29 und hat „zu Verstörungen auch beim Publikum geführt“ (ebd.). Solche Momente gelte es dann auszuhalten und selbstbewusst durchzustehen, denn auch solch ein bewusst hergestellter Bruch mit der Erwartungshaltung „funktioniert schon. Wenn das nicht funktionieren würde, dann würde ich es auch nicht machen“ (ebd.).30 Die Art und Weise, wie Titel bedient werden, weil sie bedient werden müssen, muss stets überprüft werden, so betont Thorsten Weckherlin es auch für den Kinderund Jugendtheaterbereich: „Baden-Württemberg hat ja drei Landesbühnen – die sitzen da noch ganz gepflegt so auf Abitur relevanten Themen drauf und die werden natürlich noch wie sauer Brot gebucht. Aber wenn man mal mitfährt und das Publikum dort sieht, dann sagt man sich: Schadet man sich da selbst nicht eher; wenn jemand mal den ‚Faust‘ um elf Uhr zeigt und die Schüler wollen das gar nicht sehen. [...] Ich glaube schon, dass wir da mit anderen Formaten, inhaltlich wahrscheinlich mit dem gleichen Thema, die Leute mehr interessieren“ (Weckherlin 2016). Zwischenhändler und Split-Audience

Um dieses Beispiel des Kinder- und Jugendtheaters weiterzuführen: Die Schüler dürfen nicht selbst entscheiden, ob sie den „Faust“ sehen wollen oder nicht, denn die Entscheidung wird ihnen gleich in mehrfacher Hinsicht abgenommen: Vom Lehrer, der die Aufführung als Aktivität gewählt hat, dessen Entscheidung wiederum vom Lehrplan bestimmt wird und durch den örtlichen Veranstalter, der diese Produktion vom produzierenden Theater gebucht hat. Kennzeichnend für die gesamte Ausrichtung der Arbeit der Landesbühnen ist genau diese Situation der „‚Split-Audience‘, d.h. die Käufer/innen der Vorstellungen sind nicht automatisch identisch mit den Besucher/innen der Vorstellungen“ (Weckherlin zitiert nach TRAFO – Modelle für Kultur im Wandel 2017, S.2); die Landesbühne kann nur in ihrem eigenen Sitzort direkt und unmittelbar auf das dortige Publikum zugreifen und mit ihm in Kontakt treten, bei allen Gastspielen ist ein Veranstalter, der

29 Der „Roman von Truman Capote ist viel härter und viel düsterer eigentlich als diese Hollywood-Schmonzette, die man eigentlich kennt“ (Schombert 2016). 30 Diese Aussage kann auf zwei Weisen verstanden werden: Entweder in der Hinsicht, dass Schombert solche Risiken nicht eingehen würde, wenn er dadurch das Vertrauen der Partner zerstören würde, oder dass er nicht Landesbühnenintendant wäre, wenn sich Kunstfreiheit nicht würde behaupten können gegenüber den Marktmechanismen.

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zugleich Einkäufer, Händler ist, zwischengeschaltet31 – und dieser Zwischenhändler, diese Person ist nicht nur einer der wichtigsten Partner für die Landesbühnen, sondern stellt auch eine der kritischsten Komponenten dar. Claudia Borowy bezeichnet die Veranstalter und Zwischenhändler in ihrer Dissertation als „Gatekeeper“ (Borowy 1998) und schreibt ihnen somit existenzielle Entscheidungsgewalt32 zu: Der „Torwächter“ entscheidet, welche Produktion gebucht und gespielt wird und ist in diesen Entscheidungen natürlich auch nicht frei von Zwängen und Erwartungen, den Rahmenbedingung im jeweiligen Ort und natürlich auch beeinflusst durch persönliche Erfahrungen, Kenntnisse und Geschmack. In den Interviews wird die große Bandbreite der Zustände deutlich; in großen Gastspiel veranstaltenden Kommunen gibt es ausreichend Budget für die Erstellung und Aufrechterhaltung eines umfangreichen auch abwechslungsreichen Spielplans. Die Gastspielhäuser verstehen sich dort mehr als reine Bespieltheater, sie prägen ihr Haus mit einem eigenen Profil, neben Gastaufführungen werden zum Teil ergänzende Programme oder Projekte im Vermittlungsbereich oder interdisziplinären Charakters angeboten (vgl. dazu Schröck 2018a). Dem gegenüber stehen meist kleinere Kommunen, in denen die Kulturveranstaltungsreihe zum Teil von Vereinen betrieben wird, die Veranstalter selbst semi-professionell oder ehrenamtlich arbeiten und mit immer weniger zur Verfügung stehendem Budget versuchen, den Spielort und das Kulturangebot aufrechtzuerhalten.33 Der Titelzwang ist auch für die Zwischenhändler dahingehend eine Vorgabe, dass die Auslastung stimmen muss – und neben den gut verkäuflichen Namen muss die künstlerische Umsetzung zum jeweiligen Ort „passen“, denn das Publikum vor Ort soll nicht enttäuscht oder vergrault werden, sondern im besten Falle Bestätigung erfahren, dass es richtig war, die Aufführung zu besuchen und motiviert werden, das Theater weiterhin zu besuchen. Durch diese Formulierung wird klar, welcher Blick zumeist auf das Publikum geworfen wird: Es geht hauptsächlich um bereits vorhandene oder ehemalige Zuschauer, nur bedingt um neue Theaterbesucher, dies wurde in den Interviews unterschiedlich thematisiert, in den Selbstverständnissen beschrieben und wird gemeinsam mit dem Phänomen der Split-Audience im Zusammenhang mit den Konzepten zur Partizipation der Landesbühnen ausführlicher behandelt. Der Gastspieleinkäufer entscheidet also nach bestem Wissen und Gewissen stellvertretend für das Publikum und immer vor dem Hintergrund seiner Zwänge, somit vielleicht auch

31 Ausnahmen gibt es hier beispielsweise wenn mehrere Sitzorte vorhanden sind und direkt bespielt werden. Vereinzelt treten die Landesbühnen auch selbst als Veranstalter auf, wie das TfN in Langenhagen, siehe dazu Gade 2016, dabei entfällt dann der Zwischenhändler. 32 Diese Machtposition kann unterschiedlich eingesetzt werden, Borowy konzentriert sich in ihren Ausführungen auf die kommerziellen Tourneetheater; die Abhängigkeit der Landesbühnen von den Veranstaltern ist aufgrund der öffentlichen Förderung eine etwas andere. Der Veranstalter ist aber gleichwohl eine der wichtigsten Knoten im Netzwerk des Gastspielbetriebes, siehe dazu auch Kapitel 4.2. 33 Hier soll keine Kausalität unterstellt werden, es gibt sicher auch kleine Veranstaltungsorte und oder nicht-professionelle Veranstalter, die relativ frei von finanziellen Zwängen agieren können und die über ein großes Fachwissen verfügen. Eine detaillierte Betrachtung der Gastspielveranstalter und der Gastspielorte kann hier nicht durchgeführt werden, es sei aber erneut auf die aktuellen Forschungen von Silvia Stolz und die Ergebnisse der Betrachtungen Borowys verwiesen, Borowy 1998.

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weniger risikofreudig als es sich mancher Produzent wünschen würde und er verstärkt durch dieses Handeln die Ausrichtung des Marktes an Titeln. So seien die Veranstalter oft, „was die Risikoschwelle anbelangt, sehr hochschwellig [...], das heißt also, [...] Operntitel der dritten Reihe, haben keine Chance“ (Metzger 2016) – unbekanntere Werke haben also kaum eine Möglichkeit, ihren Bekanntheitsgrad zu steigern. Titelzwang, gemäßigt risikofreudige Entscheidungen – die Gesprächspartner thematisieren dies zum einen als Hindernis, zeigen jedoch, wie beispielsweise Mirko Schombert, auch Verständnis, da ihnen die Situation der Partner natürlich sehr bewusst ist und man ihnen diese nicht zur Last legen solle: „[D]as meine ich noch nicht mal als großen Vorwurf. Nicht an die Zwischenhändler [...] es ist eher [...] aus der Not geboren, weil in den Städten selber, in den Kulturämtern, im Kultur-Budget so wenig Geld drin ist, dass dort keine Risiken möglich sind [...] – es gibt da Ausnahmen [...] – im Großen und Ganzen stimmt das aber; das ist so eng gestrickt, dass die meisten auf Nummer sicher gehen müssen“ (Schombert 2016).34 Hinsichtlich der bevorzugten Titel zeigen sich in den Gesprächen ambivalente Einschätzungen: Insbesondere Thorsten Weckherlin verweist darauf, dass sich die bekannten klassischen Stücke immer weniger erfolgreich vermarkten lassen: „Ich war früher [...] immer dafür, auch einen gewissen Kanon zu bedienen. Aber der funktioniert lange nicht mehr. Ist auch unwichtig geworden“ (Weckherlin 2016). Warum dem so sei, wisse er nicht zu beantworten, doch auch Kay Metzger macht ähnliche Beobachtungen. Es gäbe „so einen Trend in deutschen Spielplänen und der spiegelt sich sehr im Buchungsverhalten wider, da ist natürlich die Adaption eines Filmes oder eines Romanes viel willkommener als [...] ‚Wilhelm Tell‘ oder ‚Kabale und Liebe‘ [...]. Also es gibt inzwischen einige Bespieltheater, die kaum noch Klassiker buchen, mit dem Argument, sie laufen nicht [...]. Ich glaube, wir dürfen uns nichts vormachen, dass [...] der Bildungskodex sich verändert – und verändert hat“ (Metzger 2016), eine Entwicklung, auf die man sich einstellen müsse. Wenn auch diese Einschätzung nicht von allen geteilt wird, einig sind sich die Intendanten, dass es auch möglich sei, außergewöhnliche Titel und zeitgenössische Autoren zu spielen oder auch ungewohnte künstlerische Umsetzungen als Gastspiel zu realisieren, sofern man es schafft, die Veranstalter für die Vorhaben zu begeistern; „ich muss also den Kulturdezernenten [...] oder den Kulturvereinsvorsitzenden [...] zwei Jahre im Voraus davon überzeugen, dass er uns bucht, nicht die anderen; dass er dieses Stück bucht, obwohl er den Titel noch nie gehört hat und den Autoren nicht kennt. Das kann man entweder damit machen, indem man sagt, ist aber komisch, oder ist aber Musik bei – oder indem man langfristig Vertrauen aufbaut“ (Gade 2016). Diese Aussage Jörg Gades beinhaltet zwei Möglichkeiten, den Verkaufserfolg zu steigern: Durch argumentative Überzeugung unter Zuhilfenahme von Aspekten, die voraussichtlich die Akzeptanz erhöhen, also dass es sich trotz der Unbekanntheit um verträgliche Kost handelt; oder aber durch das Appellieren an das partnerschaftliche Verhältnis, das auch darauf beruht, dass keiner der Partner es riskie-

34 Erneut sei hier auf die wissenschaftliche Analyse Friederike von Cossels verwiesen, die im Zusammenhang mit der Spielplangestaltung eines Theaters den Begriff „Wagemutsindex“ einführt, um zu beschreiben, wie sehr sich Theater auf Entscheidungen einlassen, deren Auswirkungen (bezogen auf Publikumsreaktion, Ansehen des Betriebs und finanzielle Risiken) nicht absehbar sind, Cossel 2011. Vgl. dazu auch Kapitel 2.2.3.

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ren würde, etwas zu veranstalten, was gänzlich dem Risiko des Scheiterns vorverurteilt ist. Erstere Strategie ähnelt dem klassischen Verhandeln von Paketen: Nimmst du dieses, bekommst du jenes – dies praktizieren die Landesbühnen auf verschiedene Weise, so bietet beispielsweise die Burghofbühne mit dem „Räuberteller“ ein kostenloses Kindertheaterstück zu jeder gekauften Produktion des Abendspielplans dazu (vgl. Burghofbühne Dinslaken 2016) und auch andere Landesbühnen schnüren Pakete oder geben Rabatte beim gleichzeitigen Einkauf mehrerer Stücke.35 Die zweite Herangehensweise, die Beziehungspflege der Akteure untereinander, eine enge Partnerschaft, wird von allen Gesprächspartnern als essenziell für erfolgreiche Arbeit aufgeführt und kann in zwei Richtungen funktionieren, sowohl hinsichtlich der Vermittlung ungewohnter oder schwieriger Stücke oder Inszenierungen als auch bezüglich der Formulierung von Wünschen und Erwartungen der Gastspielveranstalter an die Produzenten.36 Kay Metzger beschreibt den Stellenwert eines guten Verhältnisses zu den Gastspielorten anhand des Beispiels einer „Wildschütz“-Inszenierung, „bei der wir auch in Detmold gemerkt haben, dass da ein gewisser Reizfaktor war, an provokantem Material und das haben wir kommuniziert mit den Partnern, die es gebucht haben und die waren sehr dankbar, dass wir das transparent gemacht haben, einige haben gesagt, wir bleiben bei der Anfrage, andere haben dann ein Alternativangebot wahrgenommen. Und das ist [...] sehr wichtig, dass so ein Vertrauen da ist. Wenn man [...] seinen Partner quasi ins offene Messer laufen lässt, dann wird er hinterher fragen, warum habt ihr nicht mit mir gesprochen; was habt ihr euch dabei gedacht. Und wenn man das kommuniziert, gehen die anders damit um“ (Metzger 2016). Die Ermöglichung eines alternativen Programms, wenn einem Veranstalter eine Inszenierung zu gewagt erscheint, offenbart die Kluft zwischen den eigenen Vorstellungen von künstlerischer Arbeit und ästhetischer Umsetzung, dem Wunsch, diesen treu zu bleiben und der Verpflichtung gegenüber dem Veranstaltungsort und dem Publikum, deren Überwindung Kompromisse zu erfordern scheint. Überspitzt man die von Metzger gewählte Formulierung „ins Messer laufen lassen“, wird angedeutet, dass ungewöhnliche Ästhetiken als Bedrohung und nicht als Bereicherung wahrgenommen werden – es sei denn, man kann den Partner durch gute Kommunikation vom Gegenteil überzeugen. Erschwerend kommt hinzu, dass die Veranstalter, die Zwischenhändler so entscheiden, wie sie denken, dass ihr Publikum es sich wünscht. Die Landesbühnen wandeln dabei auf schmalem Grat, balancieren zwischen den teilweise disparaten Erwartungen und Einstellungen. Anna Scherer, Leiterin des Kinder- und Jugendtheaters

35 Im Falle Nordrhein-Westfalens auch institutionenübergreifend; die Burghofbühne bewirbt auf ihrer Webseite: „Wenn Sie mindestens vier Stücke der Landestheater NRW buchen, erhalten Sie von der Burghofbühne Dinslaken 10% Rabatt auf ein Burghofbühnen-Stück“ (Burghofbühne Dinslaken Landestheater im Kreis Wesel e. V. 2019a). 36 Die Beziehung der Akteure untereinander ist auch entscheidend für die Positionierung der Landesbühnen in der Theaterlandschaft, insbesondere da Partnerschaften und Zusammenarbeit auf der einen Seite zu einer Konkurrenzsituation auf der anderen Seite führen können. Dementsprechend könnten die Ausführungen zu den Zwischenhändlern ebenfalls im nächsten Kapitel dieser Arbeit verortet sein; da die Abhängigkeit von den Veranstaltern sich jedoch als eine Arbeitsbedingung mit den größten möglichen Auswirkungen darstellt, ist das Themenfeld vorrangig auch hier in der Beschreibung des Modells Landesbühne verortet.

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der Burghofbühne, berichtete auf der Memminger Tagung zum Theater in der Provinz von einem daraus entstehenden kritischen Moment bei einem Gastspiel der „Reifeprüfung“. Ausgewählt wurde dieses Stück aufgrund seiner Bekanntheit: „Ist ein Titel, ganz klar, wir können uns darauf verlassen, dass es gut verkauft wird“ (Scherer zitiert nach Schröck 2018a), aber es wurde ein Regisseur verpflichtet, „der macht eine moderne Inszenierung daraus und natürlich ist Mrs. Robinson nackt. Das wird einer Veranstalterin warum auch immer erst am Tag selber klar; sie kommt zu uns, eine halbe Stunde vor Vorstellungsbeginn und sagt: Kann man da nicht was machen? Weil unser Publikum will das nicht. Vielleicht ziehen wir die an? Haben Sie Unterwäsche dabei?“ (ebd.). Das Team der Burghofbühne bleibt eisern bei seinem Konzept, trotz der Androhung der Veranstalterin, dass das Publikum ganz bestimmt den Raum verlassen würde. „Es ist keiner gegangen, kein einziger“ (ebd.), im Gegenteil, die Aufführung wurde vor Ort positiv aufgenommen. Dies zeigt exemplarisch, wie entscheidend es ist, dass der Zwischenhändler in seiner Funktion sein Publikum so gut kennt, dass er seine Entscheidungen entsprechend treffen kann. Anna Scherer berichtet auch, dass sie oft von Veranstaltern zu hören bekämen, dass sie dieses oder jenes persönlich gut fänden, es aber leider nichts für ihr Publikum sei, niemand in die Aufführung kommen würde, es also (nur) deshalb nicht gebucht würde. Die Teilung, der „Split“, liegt also nicht nur zwischen Landesbühne und dem tatsächlichem Zuschauer, sondern kann auch zwischen Veranstalter und Publikum verlaufen – was es nicht leichter macht, den Kreis des Titelzwangs zu unterbrechen. Dass die Stimmen der Gastspielpartner, mindestens der Stammkunden, der langfristig verbundenen Orte, Gehör finden oder zumindest nicht ignoriert werden, ist für die Landesbühnen selbstverständlich. Dies dürfe aber nicht in dem Sinne missverstanden werden, dass der Spielplan von außen (mit-)bestimmt würde, oder es gar zu Beeinflussungen der künstlerisch ästhetischen Arbeit käme, so wie Manuel Schöbel es exemplarisch formuliert: „das heißt nicht, ich mach es allen recht und ich mach es schick und glatt, und hübsch, damit es keinen stört“ (Schöbel 2016). Der Austausch mit den engen Partnern ist wichtig für die Auswahl von Themen, Stücken und zum Teil auch Genres und kann, wie oben am Beispiel des Lutherjahres gezeigt, auch Impulse geben. Von Bedeutung für die Programmauswahl in den Gastspielhäusern und Veranstaltungsorten ist also nicht nur eine – vermutete – erfolgreiche Titelauswahl und der gute Ruf der Landesbühnen, immer hohe Qualität zu liefern, sondern auch die Kenntnis über Stücke und Autoren, sowie unterschiedlicher ästhetischer Ausdrucksweisen und der künstlerische Geschmack der Entscheider vor Ort. Das Interesse des Publikums ist für die Landesbühnen im Gastspielbetrieb zunächst zweitrangig, da dieses durch den Zwischenhändler vertreten wird.37 Allerdings kennen die Landesbühnen nicht nur das tatsächliche Publikum oft nicht, auch die Veranstalter scheinen manchmal ein unbekanntes oder eher unverstandenes Wesen zu sein, wie Thorsten Weckherlin freimütig zugibt, denn „manchmal weiß ich auch gar nicht, wie die so ticken. Die Kulturamtsleiter“ (Weckherlin 2016).

37 Ohne Wertung, ob diese Stellvertreterfunktion adäquat ausgeführt wird oder verbessert werden könnte. Der Veranstalter trifft die Stückauswahl – so klingt es in den Gesprächen durch – hauptsächlich für das vorhandene oder potenzielle, also bereits interessierte Publikum; ob und wie Nicht-Besucher adressiert werden, ist zunächst auch hier also nicht ersichtlich; vgl. hierzu Kapitel4.3.3.

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Für Jörg Gade ist dabei die zunehmende Deprofessionalisierung in diesem Bereich ein ernst zu nehmendes Phänomen, das er zwar zunächst nur für Niedersachsen feststellt, aber dennoch in die Gesamtbetrachtung einfließen soll, da Entwicklungen in diese Richtung auch in anderen Bundesländern nicht auszuschließen sind.38 In vielen niedersächsischen Kommunen sei die Verantwortlichkeit für die Kulturveranstaltungen von städtischer Hand an ehrenamtlich Tätige oder Vereinsstrukturen abgegeben worden, an einen „Kulturverein, der von der Kommune bezuschusst wird und der Kulturverein setzt sich zusammen aus ehrenamtlichen Mitarbeitern, die sich für Theater begeistern. [...] Das ist gar nicht schlecht; weil zunächst mal bedeutet das, ich habe zu tun mit theaterbegeisterten Menschen. Und in der anderen Variante beim städtischen Angestellten kann es mir durchaus passieren und passiert es auch immer wieder, dass mein Gegenüber den Eindruck erweckt, als wäre er vom Katasteramt strafversetzt worden. Und hat überhaupt keinen Bock. Da sind mir die theaterbegeisterten Laien lieber“ (Gade 2016). Motivation, Interesse und Engagement sind also auch hier maßgeblich für erfolgreiche Kulturarbeit, doch zum Teil seien die begeisterten Verantwortlichen „keine Veranstaltungsprofis“ (ebd.) und ihre Fachkenntnis, respektive ihr Sachverstand sei begrenzt, auch dadurch, dass sie einfach nicht in dem Maße in Kontakt mit Theater kommen (können), wie hauptamtlich Tätige in großen Veranstaltungsstätten: Sie „haben ihre Aboreihe mit sechs Vorstellungen, acht Vorstellungen im Jahr die sie dort veranstalten und das ist [...] auch der Kosmos den sie leisten können“ (ebd.), dadurch sei es noch schwieriger, ungewöhnliche Formate oder unbekannte Titel erfolgreich zu vermitteln; „wenn ich denen jetzt komme und sage, ich hab hier noch ein ganz tolles Stück für Achtjährige, für 150 Zuschauer begrenzt, also eine kleine mobile Geschichte, das ist für die genauso als ob ich sagen würde: Und dann hab ich hier noch die Elefantennummer mit den Tigern. Da wissen die gar nicht, was die damit anfangen sollen“ (ebd.).39 Gade ist der Auffassung, dass die Landesbühnen in der Pflicht stünden, die Veranstalter vor Ort zu unterstützen und auch ein Stück weit zu professionalisieren (vgl. ebd.).40 Uwe Brandt bezieht diese Problematik auch auf die technischen Anforderungen und die unterschiedlichen Gegebenheiten der Theaterorte, „dann hat man natürlich auch da draußen, je nachdem welcher Veranstaltungsort das ist, mit Hausmeistern oder mit Helfern zu tun, die jetzt mit Theater auch nicht unbedingt so viel am Hut haben, und da muss man die davon überzeugen, dass man da eine Schraube rein drehen müsste“ (Brandt 2016). Auch bei den von einzelnen Personen getroffenen Entscheidungen fließt natürlich die finanzielle Situation und die Möglichkeiten des jeweiligen Veranstaltungsortes in die Überlegungen ein, ebenso wie die Erwartungshaltungen, die sich unterschiedlich entwickeln können, je nach Umfang des Spielbetriebes in den Gast-

38 Die Untersuchung von Claudia Borowy zeigt eine zunehmende Verlagerung der Verantwortlichkeiten für kulturelle Veranstaltungen von kommunaler in private Trägerschaft bis in die 1990er Jahre, eine aktuelle Betrachtung wäre durchaus interessant und angebracht, vgl. dazu Borowy 1998 und die Überlegungen zur Kulturpolitik als urbane Kulturförderung in Kapitel 2.1.1. 39 Dieses Zitat zeigt natürlich auch eindrücklich, mit welchen Herausforderungen zeitgenössisches Kinder- und Jugendtheater kämpfen muss. 40 Diese Meinung zeigt natürlich die Verortung der Landesbühne innerhalb einer bestimmten Hierarchie der Theaterlandschaft, siehe dazu Kapitel 4.2.

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spielorten. Kay Metzger beschreibt diese Diversität bei einer gleichzeitigen Wertung, so gebe es „Bespieltheater von ganz hoher Wertigkeit, [...] die haben erst mal technisch ganz andere Möglichkeiten, aber sie haben auch über die Jahre hinweg andere Akzentuierungen gehabt. Und die gehen viel gelassener mit Inszenierungen um, die vielleicht nicht ganz dem [...] Publikumsgeschmack entsprechen, als [...] andere Bühnen [...], die keinen so hoch gefahrenen Spielbetrieb haben“ (Metzger 2016). Theaterräume und Bühnenorte

Abstufungen in der Professionalität der einzelnen Spielorte finden sich natürlich nicht nur in den organisatorischen Strukturen und bezogen auf das Personal, sondern auch in der Gestaltung der Räumlichkeiten und den technischen Möglichkeiten vor Ort. Einige Gastspielorte verfügen über ein gut ausgestattetes voll funktionsfähiges Theatergebäude, in anderen finden die Aufführungen in Mehrzweckhallen oder Gemeindesälen statt.41 Die Infrastruktur der Gastspielorte ist großes Thema für die Intendanten und wird in den Interviews ausführlich angesprochen: Ausstattung und Gestaltung der Gastspielräume haben nicht nur Einfluss auf die jeweilige Aufführung, auch die Situation der Garderoben, des Foyers und der Gesamteindruck beeinflussen die Atmosphäre, die das jeweilige Gastspiel mitbestimmt – soweit so normal, da diese Faktoren bei jeder Theateraufführung den Gesamteindruck des Erlebnisses prägen. Bei den Landesbühnen sind aber diese Aspekte bereits im Vorfeld mit entscheidend: Aufgrund des frühzeitigen Verkaufs der Stücke ist es oft bereits vor Probenbeginn klar, dass das Stück auch in bestimmten anderen Städten und in den dort vorhandenen Räumlichkeiten zur Aufführung kommen soll und muss (vgl. Schombert 2016) und auch nach der Premiere bei Übergang ins Repertoire geht der Verkauf weiter. Alle Produktionen, ob bereits vor der ersten Aufführung als Gastspiel gebucht oder erst danach, sollten also im besten Falle stets so konzipiert sein, dass sie für möglichst viele Bühnen kompatibel sind. Sowohl die Vorverkäufe, als auch der Zwang, Produktionen ständig und weiterhin auf dem Markt anzubieten, haben Konsequenzen für die künstlerische Umsetzung, denn das ständige daran Erinnern, dass die Inszenierung nicht nur auf die eigene Bühne, sondern auch in andere Räume – und vor allem in einen Transporter – passen muss, bedeutet, das „Bühnenbild muss so geartet sein, dass es verladen werden kann. Innerhalb einer gewissen Zeit“ (Grisebach 2016). Die Grundvoraussetzung für den Gastspielbetrieb und somit für die erfolgreiche Landesbühnenarbeit ist, dass die Bühnenbilder „klappbar, zusammenklappbar“ (Weckherlin 2016) sind, oder, um einen Begriff Kay Metzgers zu verwenden, es muss das „Ziehharmonika-Prinzip“ (Metzger 2016) anwendbar sein. Die Vermutung liegt nahe, dass dies ohne Zweifel Auswirkungen auf die ästhetische Arbeit haben wird, eine tatsächliche Beeinflussung wird in den Gesprächen nur behutsam zugegeben. Die Tatsache, dass jede Inszenierung flexibel sein muss, wird im-

41 Es zeigen sich hier die Grenzen des Begriffs „Gastspieltheater“ oder „Gastspielhaus“, eigentlich müsste man immer von „Gastspielräumen“ sprechen, denn als solcher kann auch ein Foyer oder eine Mehrzweckhalle fungieren. „Gastspielorte“ bezeichnet meist die Gastspiel veranstaltenden Städte und Gemeinden, kann aber ebenso als umfassender Begriff für die in diesen Städten vorhandenen Orte (Gebäude, Plätze, Räume) für Gastspiele verstanden werden. Die Bezeichnungen werden auch im öffentlichen Diskurs relativ ungenau verwendet, vgl. dazu den entsprechenden Abschnitt in Kapitel 2.1.2.

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mer mitgedacht, mit mehr oder weniger konkreten Konsequenzen. In Detmold werden so die Umsetzungsideen der künstlerischen Teams auf die Reisefähigkeit hin überprüft; „das ist [...] absolut gesetzt in unserem Haus, dass die Bühnenbildabgaben, die Inszenierungskonzepte eigentlich nur angenommen werden, wenn sie dieses Kriterium erfüllen“ (Metzger 2016). Für Uwe Brandt ist das rechtzeitige Bedenken der unterschiedlichen Umstände der Gastspielorte Teil der Arbeit, auch wenn es öfter zu Situationen kommt, für die Kompromisse mitgedacht oder Alternativen spontan erarbeitet werden müssen: „Wir müssen selbstverständlich schon bei den ersten Überlegungen darüber nachdenken, können die denn da auf dem Boden, in der und der Kleinstadt, mit dem Veranstaltungsort, [...] überhaupt steppen? Ja oder Nein. Nein, können Sie nicht, weil da liegt irgendwie ein Teppich [...]. Bedeutet, wir müssen einen Boden mitnehmen. Oder einen anfertigen. Das [...] sind sehr skurrile Dinge. Oder geht die Kerkertreppe, [...] da weit genug in die Bühne rein oder müssen wir die dann zu Hause lassen – [...] wenn man einmal das Konzept stehen hat und weiß welcher Streifen aus der Bühne eben für den Abstecher im LKW bleibt, dann ist das soweit geplant, aber man muss schon auch improvisieren“ (Brandt 2016). Mirko Schombert bemüht sich, die unterschiedlichen Möglichkeiten der Bühnengestaltung planerisch zu beachten, versucht jedoch, sich nicht dadurch einschränken zu lassen: „[W]ir wissen, was die kleinste denkbare möglich Bühne ist, aber [...] wenn wir danach gehen würden, könnten wir nur noch Bühnenbilder irgendwie auf drei Meter bauen; wir gucken schon, was ist die kleinste Bühne, die bisher verkauft ist [...] und wir haben es auch immer im Kopf, dass die Bühnenbilder einigermaßen flexibel sein müssen, also die meisten Bühnenbilder gibt es in einer kleinen und in einer großen Variante“ (Schombert 2016). Diese Varianten ermöglichen es, je nach Größe des Spielortes auszuwählen, welche Bauten und Dekorationen verwendet werden, doch auch diese Methode hat Grenzen; „es kann aber trotzdem natürlich auch mal sein, dass Bühnenbilder an manchen Orten einfach nicht funktionieren, weil sie da zu groß sind“ (ebd.). Matthias Faltz sieht dies für Marburg eher pragmatisch, denn „wenn wir in der Stadthalle arbeiten, dann passt das eigentlich auch in jede andere Stadthalle“ (Faltz 2016). Nach seinem Verständnis von Theater sei jedoch, wie bereits dargestellt, der Raum nicht das Entscheidende (vgl. dazu ebd.). Geteilt wird diese Meinung von Friedrich Schirmer, dessen Idee von Landesbühnenarbeit sich gerade durch eine Direktheit auszeichnet und von Peter Grisebach, der akzeptiert, dass sich das Theater der Landesbühnen eben anders zu gestalten habe und er auf Dinge verzichten müsse, wie „spektakuläre Bühnenverwandlungen, bei uns ist das Spektakulärste mal, dass eine Drehscheibe sich dreht; aber mehr geht nicht. [...] Versenkungen geht schon mal nicht, da müsste ich ja irgendwie mit einer Kreissäge anreisen“ (Grisebach 2016). Faltz erläutert zudem, dass auch bei ihnen im Haus Varianten mitgedacht werden, „es gibt immer [...] Plan B [...] für die Gastspiele“ (Faltz 2016) – aber auch diese Möglichkeit könne man nicht gänzlich ausreizen, er sieht es somit wie Schombert, denn „es gibt auch Stücke die passen dann wirklich nicht überall hin“ (ebd.). Vor allem im Musiktheater zeigt sich eine weitere Schwierigkeit, wie Peter Grisebach berichtet. Zwar habe das SHL „ein Bühnenmaß in Flensburg mit dem wir überall dort auftreten können, wo wir nicht größer werden, aber die Grundvoraussetzungen vorfinden, die man halt für Musiktheater braucht. Musiktheater funktioniert nur auf Bühnen mit Orchestergraben. Davon gibt es immer weniger“ (Grisebach 2016). Darüber hinaus bedauert er auch die künstlerischen Einschränkungen, die sich durch das

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Diktat der Reisefähigkeit ergeben: „Wir müssen unglaublich mobil sein. Das macht es manchmal ein bisschen ärgerlich; weil so richtig spektakuläre Sachen, da müssen wir uns sehr viel einfallen lassen. Dass es tatsächlich optisch auch spektakulär ist. Also das leidet natürlich, da ist ein Kompromiss gefragt“ (ebd.). Thorsten Weckherlin weiß eine weitere Schwierigkeit zu beschreiben, die für das LTT und für Tübingen gilt, aber prinzipiell die anderen Landesbühnen auch herausfordert: Die Gestaltung der Bühne im Stammort gibt den Maßstab für die Produktionen vor, „wenn wir hier ein Bühnenbild konzipieren, wir haben hier eine Draufsicht auf die Bühne, [...] eine tolle Tribünen-Bestuhlung [...]. Du kannst ganz anders Bühnenbilder konzipieren, bloß in einer Stadthalle hat man permanent eine Untersicht, das heißt man sieht eigentlich gar nichts, was auf dem Boden stattfindet; und hier schon. Und das ist eine Herausforderung“ (Weckherlin 2016). Während er selbst dies „attraktiv“ (ebd.) findet, betont er, es sei „auch hart, natürlich, für die Bühnenbildner, aber auch hart für die Schauspieler“ (ebd.). Aufgrund dieser Ausführungen wird sehr deutlich, dass, bei aller Verpflichtung zu vergleichbaren Lebensverhältnissen, die Gastspielorte – zumindest wohl einige – mit einer veränderten, vereinfachten, verkleinerten Aufführung vorlieb nehmen müssen, als die Besucher im Stammhaus. Das scheint logisch, denn Kompromisse müssen eingegangen werden, doch dieser Punkt ist durchaus auch kritisch zu betrachten, da er den Bring-Gestus der Landesbühnenarbeit erneut unterstreicht und als eine etwas herablassende Art gedeutet werden kann. Die Gastspielorte und das dortige Publikum müssen halt einfach mit dem Kleineren, Anderen vorlieb nehmen.42 Auch wenn die verkleinerten Versionen künstlerisch den gleichen Anspruch erfüllen, sind es nur Varianten der Ursprungsidee und manche Inszenierungen werden bestimmte kleinere Orte nie erreichen, weil sie dort nicht zu realisieren, respektive nicht dorthin zu kopieren sind. Natürlich zieht hier auch das Gegenargument, dass eben nicht überall alles möglich ist, auch das liegt in der Natur der Sache, der Unterschiedlichkeit der Rahmenbedingungen. Jörg Gade formuliert dazu folgenden Gedanken: „[I]m Grunde genommen, macht das schon Sinn, ein Theater, ein Bühnenbild auch für einen Raum zu entwickeln und im Theater eine enge Verbindung zwischen Bühnenbild und Zuschauerraum zu haben und so weiter. [...] – Transportfähigkeit von Theater hat auch ihre Grenzen“ (Gade 2016). Im Kinder- und Jugendtheater hat sich ein besonderes Format entwickelt, auf das im Zusammenhang mit der Funktion von Räumen hingewiesen sei: Klassenzimmerstücke werden vom Grunde auf nicht für eine technisch hoch ausgestattete Bühne konzipiert, sondern eben „nur“ für einen Klassenraum. Hier wird ein Nicht-Theater-Ort als Theaterraum besetzt, was natürlich auch Konsequenzen für die Ästhetik mit sich bringt: Keine Verdunklung und keine Rampe, eine Spielfläche von wenigen Quadratmetern und unmittelbare Nähe zum Publikum. Ohne große Einschränkung kann ein Klassenzimmerstück theoretisch einfach in einen anderes Klassenzimmer übertragen werden, denn schließlich sind diese sich alle irgendwie ähnlich. Das Grundkonstrukt bleibt gleich (sowohl das des Raumes als auch das der Produktion), ist also optimal auf Reisen zu schicken. Es soll dem Klassenzimmerstück und dem Kinder- und Jugendtheater hier nicht unterstellt werden, dass diese Form sich lediglich aus Überlegungen zum Raum, im Sinne einer einfachen, transportablen Spielbarkeit entwickelt hat; die

42 Oder, im Falle des Publikums, als Konsequenz selbst mobil werden, vgl. dazu 3.3.6 und die Ausführungen in Kapitel 4.3.3.

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Verortung in der Schule, also dem Lebensmittelpunkt junger Menschen bei gleichzeitiger Besetzung des Klassenraumes als Teil einer Bildungsinstitution, ist eine bewusste Entscheidung und verbunden mit einer inhaltlichen Ausrichtung an Themen, die entsprechend für diese Aufführungssituation ausgewählt werden – eine Konzeption, die dem reinen Gastspielbetrieb im Sinne einer möglichst wiederholbaren Aufführung einer Bühnenproduktion entgegengesetzt ist.43 Gleichwohl kann die Beschreibung des Theaters im Klassenzimmer, die Anne Richter in ihrem Artikel zum Thema auf der Webseite des Goethe-Instituts verwendet, im Prinzip auf die Landesbühnenarbeit an sich übertragen werden: „Eine ästhetische Situation ergibt sich beim Klassenzimmerstück dadurch, dass das Theater zum Publikum und nicht das Publikum ins Theater kommt. Immer wird der jeweils wechselnde Klassenraum mit seiner Einrichtung zum Mitspieler und zum großen Unbekannten für die Schauspieler“ (Richter 2016). Unabhängig davon, ob Klassenrauminszenierung, szenische Installation oder Guckkasten-Produktion: Jeder Raum hat Auswirkungen auf den einzigartigen Moment des Aufführungsereignisses und die Darsteller agieren innerhalb dieser Umgebung, interagieren mit dem Publikum auf unterschiedliche Weise je nach Gestaltung und Beschaffenheit des Raumes. Die Gastspielsituation gerade in erstmalig oder von der Landesbühne nur selten bespielten Räumen, verlangt dabei den Darstellern viel ab, mehr als bei einer routinierten Vorstellung auf der heimischen oder regelmäßig bespielten Bühne, da sie sich auf eine neue Situation einzustellen haben. Sie müssen sich mit den unterschiedlichen (architektonischen) Gegebenheiten der Bühnen und der Zuschauerräume auseinandersetzen und vielleicht auch szenisch improvisieren, wenn zum Beispiel der Auftritt auf die Bühne nicht wie im Stammhaus von mehreren Seiten, sondern vielleicht nur von einer möglich ist; oder sich das Bühnenbild aus Platzgründen hat ändern müssen (und der Kerker eben keine Treppe mehr hat, siehe oben). Die teils widrigen, teils überraschenden, teils störenden Umstände sind für das Personal der Landesbühnen zusätzliche Herausforderungen, insbesondere die Nähe oder Entfernung zum Publikum und die ungewohnte Akustik sind Faktoren, auf die schnell und professionell reagiert werden muss. Ein Extrembeispiel nennt Uwe Brandt; das Grenzlandtheater spielt „in einem alten Kino in einer Stadt, das komplett mit Samt ausgeschlagen ist, [...] kein Wort verlässt [da] die Münder und geht weiter als 20 Zentimeter über die Rampe“ (Brandt 2016). Doch die Hindernisse beschränken sich nicht nur auf die eigentlichen Aufführungsund Zuschauerräume; auch die Gegebenheiten des Ortes insgesamt bestimmen das Theatererlebnis mit. Auch hier gibt es extreme Abweichungen, die gut ausgestatteten Stammsitze und Gastspielhäuser, mit Foyers und geeigneten Räumen für die Vorbereitung der Aufführung, hochprofessionell arbeitende und ausgestattete Veranstaltungsorte stehen im krassen Gegensatz zu Spielorten, in denen die Bausubstanz fragwürdig ist (vgl. Brandt 2016), oder bei denen weder Heizung noch Lüftung richtig funktionieren, oder die Technik defekt ist (vgl. Weckherlin 2016). Für Friedrich Schirmer ist genau dieser Aspekt der Raumsituation und der Umgang damit prägend für die Landesbüh-

43 Das Genre Klassenzimmerstück wurde in der entsprechenden Literatur ausführlich behandelt, weiterführend sei exemplarisch auf die Dissertation von Caroline Heinemann verwiesen, die sich mit Interaktions- und Produktionsräumen des Kinder- und Jugendtheaters beschäftigt (Heinemann 2016) und auf Schneider u. a. 2006.

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nen, denn der „energetische Moment [von Theater hat] [...] auch was mit Räumen zu tun, deswegen ist Wandertheater auch so schwierig“ (Schirmer u. a. 2016). Die Spielorte geben nicht nur die Arbeitsbedingungen für die Mitarbeiter vor, sondern beeinflussen auch die Stimmung der Aufführung. Nach Jörg Gades Einschätzung sei „schrecklicher als die Bühnensituation [...] eigentlich die Foyer-Situation. Da hab ich also ein Schulpausenfoyer, in der einen Ecke steht das Aquarium mit den toten Fischen; und in der anderen Ecke ist die Glaskabine des Hausmeisters mit dem handgemalten Schild, was die Pausenmilch kostet. Und in dieser Atmosphäre will ich nun also einen abendlichen Theaterbesuch, das öffentliche Gesellschaftsritual Theaterbesuch pflegen“ (Gade 2016). Er beschäftigt sich mit der Überlegung, „wie kann ich die örtlichen Veranstalter darin unterstützen ihre Räume aufzuwerten, auch atmosphärisch aufzuwerten. Ich träume immer davon, wir können es nicht realisieren, weil wir es nicht hinkriegen; ich wünsche mir ein mobiles Foyer. Ich würde mir wünschen, [...] unsere Technik fährt da hin, baut den ‚Zerbrochenen Krug‘ auf, und dann bauen sie nochmal zwei Stunden ein mobiles Foyer auf, um einfach diese schrecklichen FoyerSituationen aufzupeppen“ (ebd.). Der Gegensatz zwischen den Spielorten mit optimalen Bedingungen und denen mit widrigen Umständen beschäftigt die Intendanten sehr – verständlicherweise, da sie tagtäglich damit konfrontiert werden. Und natürlich wird in den Interviews gerade über die schwierigen Orte gesprochen, denn die, an denen alles gut läuft und die Arbeitsbedingungen denen im Stammsitz entsprechen, bringen eben neben den üblichen Anstrengungen eines Gastspiels keine Hindernisse oder Probleme mit sich, stellen daher keine Herausforderung dar, sondern ermöglichen ganz einfach die Arbeit in angenehmer Umgebung. So weist Uwe Brandt darauf hin, dass es „auch absolute tolle Dinge [gibt]; [...] da haben wir ja wirklich super tolle Partner. Und da ist es auch noch so, da kommt diese Schauspieltruppe an und dann steht da zu essen, zu trinken und nach der Vorstellung nochmal zu trinken und die tragen sich da in Gästebücher ein, [...] da wird man noch [...] so richtig hofiert, als [...] Künstler“ (Brandt 2016). Für Brandt ist es allerdings selbstverständlich, dass sich die Belegschaft mit den Ortsbedingungen zu arrangieren und im schlimmsten Fall, der zum Glück sehr selten vorkäme, auch selbst Hand anzulegen habe: „[D]a sind Umkleiden, in denen es Schimmel gibt an den Wänden; die sind kalt im Winter, und das sind schon teilweise auch Bedingungen, wo man [...] schon [...] sehr [...] auf die Kollegen einreden muss, das doch dann bitte auch zu tun. [...] Oder ja, wir helfen uns dann selber. Hat schon dazu geführt, dass unsere Leute am Tag vorher dann da noch gestrichen haben. Oder wir mit Gasöfen anreisen“ (ebd.). Die Landesbühnen gelten und sehen sich selbst als Experten für Gastspiele, Peter Grisebach bezieht dieses Fachwissen auch auf die Bühnensituationen. Wenn das Know-how der Landesbühnen stärker hinzugezogen würde, könnten bestimmte Orte nicht nur aufgewertet werden, sondern hätten auch Fehler vermieden werden können. Er bemängelt zugleich, dass die Expertise der Landesbühnen, selbst wenn sie angefragt würde, aus finanziellen oder zeitlichen Gründen nicht berücksichtigt würde und nennt gleich mehrere Beispiele von Veranstaltungsorten, die vom SHL nicht mehr oder nur noch eingeschränkt bespielt werden können, da die Raumgestaltung sich zu negativ auf das Aufführungsereignis auswirkt: Zum einen durch die schlechten Sichtverhältnisse für das Publikum, zum anderen durch die von der Architektur abhängigen Raumakustik, wie er es für einen ehemaligen Spielort des SHL beschreibt, dort waren „die ersten neun Reihen auf einer Höhe. Mit dem Ergebnis, die ersten vier Reihen konnten noch

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irgendwie das Bühnengeschehen verfolgen, aber dahinter sah man nur Hinterköpfe. [...] Zweiter Punkt: Wenn man [...] einen Raum haben möchte, in dem so viel gespielt wird, muss der Raum wandelbar sein. [...] Für Musiktheater brauchen Sie eine andere Akustik als für Schauspiel. [...] Sorgt dafür, dass es mal eine Konzertakustik gibt, mal eine trockene [...], das kann man ja machen [...] – wurde alles nicht gemacht. Mit dem Ergebnis, dass wir dort eine Akustik für das Schauspiel hatten, die hallig war; und man letztlich den Text nicht verstand. Besonders wenn er schnell gesprochen wurde. Das heißt Schauspiel, wo sie nichts sehen und nichts verstehen, da hinterfragen selbst treuste Abonnenten, ob sie sich das leisten müssen“ (Grisebach 2016). In der Konsequenz werden an diesem Ort durch das SHL nur noch Sinfoniekonzerte angeboten und keine szenischen Arbeiten mehr. Ebenso sei die oben genannte Problematik eines notwendigen Orchestergrabens auch so spezifisch, dass viel schief gehen kann: „[D]ass so ein Orchestergraben attraktiv ist, wusste man auch zum Beispiel in Husum. Als man die dortige alte Kongresshalle in einen Neubau [umwandelte, eine] neue Kongresshalle, die jetzt NCC, Nordsee-Congress-Centrum heißt, da hat die Stadt Husum gesagt: ‚Mh, aber wäre ja toll, wenn auch das Landestheater bei uns Musiktheater anbieten würde, dann bauen wir einen Orchestergraben.‘ Und haben in den Stadtetat 200.000 Euro gestellt und haben da ein Loch in den Boden gebaut. Sie hätten nachfragen sollen. Weil ein Orchestergraben ist nicht ein Loch im Boden“ (ebd.). Die Raumsituation kann demnach so extrem im Gegensatz zum eigenen Anspruch auf künstlerische Qualität stehen, dass diese nicht miteinander vereinbar sind. Friedrich Schirmer spricht in diesem Zusammenhang von einem „Hallenwahnsinn [...] [, der] überall ausgebrochen ist, in den 80ern. Dass [...] sozusagen keine Theater mehr gebaut wurden, sondern repräsentative Mehrzwecksäle [...]. Mit edelsten Hölzern, wo man noch nicht mal rein bohren darf. Da waren die alten Schuppen besser“ (Schirmer u. a. 2016). Auch für Schirmer bedeuten diese Bedingungen, dass sowohl die künstlerische Umsetzung als auch die jeweilige konkrete Darstellung auf der Bühne gegen diese Schwierigkeiten wirken müssen: „Das ist sozusagen der Kampf, den wir im Alltag haben [...]. Deswegen müssen Aufführungen, die reisen, eigentlich immer hier eine Überkraft haben für diesen sehr schönen Zuschauerraum in Esslingen, [...] wir müssen unsere Ästhetik, wir müssen einen Raum immer mitnehmen [...]. Die Aufführung müssen hier quasi eine Überkraft haben, damit sie in den Hallen noch bestehen“ (ebd.). Ensemble, Hierarchien, Arbeitsstruktur

Sich den Örtlichkeiten stellen, gegen die Herausforderungen der Räume ankämpfen – das fällt auf die Mitarbeiter der Landesbühnen zurück: Das künstlerische Ensemble wird auf besondere Art und Weise gefordert, die Darsteller müssen „sich auf den Punkt konzentrieren [...], Leistung abrufen können und dann wirklich mit einer unglaublichen Intensität und Präzision, wie man das ja eigentlich auch immer möchte, [...] trotz aller Reisestrapazen, [...] vielleicht Backstage-Strapazen, dann die Leistung abrufen“ (Metzger 2016); und auch die Gewerke und technischen Abteilungen müssen ebenfalls Außergewöhnliches leisten und Improvisationstalent zeigen, denn „man spielt ja in einer Schulaula und einem Gemeindezentrum und ehemaligen Kapelle und ehemaligem Kino und überdachtem Fußballplatz – und das sind ja teilweise die letzten Abenteuer dieses Planeten, die man da teilweise besteht. Oder bestehen muss. Manchmal auch nicht besteht“ (Brandt 2016). Das schweißt zusammen und fördert Stolz auf das Geleistete, vor allem, wenn die Gastspielreise den Abschluss einer En-Suite gespielten

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Produktion bildet, wie dies im Grenzlandtheater Aachen der Fall ist: „Und das ist dann schon zu Ende einer Produktion durchaus nochmal so ein Ferienlager-Ding. Also, da gehen alle nochmal irgendwie so ins Camp“ (ebd.). Ein Ereignis, das Brandt in seiner Ambivalenz beschreibt als „abenteuerlich. Kann ja auch romantisch sein. Manchmal ist es romantisch, manchmal [...] nervt es“ (ebd.). Ähnliche Begriffe werden von den anderen Gesprächspartnern genannt, immer in Bezug auf die Gastspielreisen. Wenn man im Bus zum Abstecher fährt, dort gemeinsam dafür sorgt, dass ein erfolgreicher Abend stattfindet und danach wieder gemeinsam zurückfährt, „da hat man natürlich so viel Zeit miteinander [...]. Und das ist ja immer ein bisschen wie Klassenfahrt. [...] Und im besten Fall, wenn man miteinander kann, ist es [...] immer wieder neu spannend“ (Faltz 2016). Marcus Grube, Chefdramaturg der WLB ist sogar der Meinung, ein „Abstecher ist natürlich auch eine Art Social Event“ (Schirmer u. a. 2016) und auch Thorsten Weckherlin bestätigt, dass gerade die schwierigen Situationen die Bindung stärken: „Es ist ein anderer Zusammenhalt, weil es ist oft eine körperliche Sache. Die Fahrt im Bus. Dieses ‚Mann, wie sieht hier der Raum jetzt aus?‘; der Inspizient der sagt: ‚Mensch hier müsst ihr aufpassen‘“ (Weckherlin 2016). Dass sich bei den Landesbühnen eine andere Kollegialität entwickle, zeichne sie aus: „Nirgendwo am Theater ist die Zusammengehörigkeit zwischen künstlerischem und technischem Personal so intensiv wie an den Landesbühnen“ (Noack 2011, S. 17), eine Beschreibung von Bernd Noack, die so treffend zu sein scheint, dass der ursprüngliche Artikel sogar Einzug in das porträtierende Buch „Die Landesbühnen im Deutschen Bühnenverein“ gehalten hat44 und somit als einvernehmliche Tatsache für alle Landesbühnen angesehen werden kann. Die gegenseitige Rücksichtnahme ist auch für Kay Metzger zugleich typisch und notwendig, „man verbündet sich dann doch am Abstecherort und [...] die Technik gibt schon, wenn man an den Gastspielort kommt, Hinweise, da müsst ihr drauf aufpassen und so weiter, also das ist ein ganz anderer Dialog; das ist sehr schön“ (Metzger 2016). Für Mirko Schombert ist ein gutes Binnenverhältnis der Mitarbeiter, der enge Zusammenhalt ein spezieller Charakterzug der Landesbühnen, denn „natürlich kommt hinzu, durch dieses viele Herumtouren, dass [...] abends nach der Vorstellung einfach [...] alle ins Hotel gehen und nachher noch irgendwie an der Bar sitzen, oder was essen; dass man im Bus zusammen sitzt; da entsteht natürlich schon nochmal irgendwie was Besonderes“ (Schombert 2016), allerdings relativiert er diese Einschätzung zugleich, denn dies sei auch von der Größe eines Betriebs abhängig und nicht unbedingt von der Aufgabe des jeweiligen Theaters (vgl. ebd.),45 und „kann [...] aber in den StadttheaterKantinen auch“ (ebd.) entstehen. Gemeinsame Erlebnisse schweißen zusammen und um die Landesbühnenarbeit erfolgreich werden zu lassen, um dafür zu sorgen, dass alles reibungslos funktioniert, ist es notwendig, dass die Mitarbeiter sich aufeinander verlassen können und dass gemeinsam alles dafür getan wird, dass die Aufführung dem eigenen Anspruch an qualitätvoller Theaterarbeit gerecht wird, den Erwartungen vor Ort entspricht, die Widrigkeiten überwindet und als erfolgreich gelten kann. Selbstverständlich gilt dies, oder sollte gel-

44 Und die als ein Zitat zur Gesprächsstimulation in den Interviewleitfaden aufgenommen wurde, vgl. 3.1.2. 45 Andere Gesprächspartner teilen diese Auffassung, siehe dazu beispielsweise Schirmer u. a. 2016.

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ten, für die Arbeit in jedem Theaterbetrieb, aber die Landesbühnen werden aufgrund ihrer Reisetätigkeit öfter mit herausfordernden Situationen konfrontiert – der Umgang damit zeichnet die Landesbühnen auch im Vergleich zu anderen Theatern aus: „Landestheater muss ja viel viel flexibler sein. Weil wir ja in ganz unterschiedliche Spielorte kommen, die teilweise wirklich auch widrige Bedingungen haben; und da müssen halt alle irgendwie mit ran. Und da müssen alle dann vielleicht auch schnell flexible Lösungen überlegen. Und dadurch glaube ich schon, dass vielleicht nochmal ein anderer Team-Gedanke entsteht. Der einfach abteilungsübergreifender ist“ (Schombert 2016). Alle müssen gemeinsam an einem Strang ziehen, damit es funktioniert, auch unter Stress; „wenn sich in so einer Situation ein Bühnenarbeiter mit der Hauptdarstellerin anfängt [...] zu zanken; dann hast du ein Problem. Sie hat ein Problem, weil er macht das Licht für sie und sie wird definitiv kein schönes haben [...]. Oder [er] hat eins, weil sie beschwert sich“ (Brandt 2016). Die intensive Beziehung zwischen künstlerischem und technischem Personal und insgesamt das Verhältnis aller Mitarbeiter zueinander, steht immer auch unter dem Risiko, dass es kippt, gerade wenn man „auf relativ engstem Raum zusammen“ (Metzger 2016) ist, zum Beispiel bei den Busfahrten, aber auch am Gastspielort selbst; „natürlich ist immer die Gefahr, dass man irgendwann so einen Lagerkoller kriegt, so Phasen gibt es sicherlich auch; aber trotzdem ist da ein anderer Teamgeist und der ist, glaube ich, auch notwendig, weil jeder Abend eine neue Herausforderung darstellt“ (ebd.). Auch hier wieder die Frage nach der Kausalität: Die Zusammenarbeit und das Verhältnis der Mitarbeiter untereinander wird gestärkt durch die Bedingungen des Gastspielbetriebs und diese Beziehung muss zugleich so gut sein, dass der Theaterbetrieb professionell auf hohem Niveau möglich ist, denn dieser darf nicht unter einem schlechten Verhältnis leiden. Zwang zur Improvisation kann dabei sowohl positiv konnotiert sein als auch als anstrengend gewertet werden, wie Thorsten Weckherlin es beschreibt: „[D]ie Gewohnheit ist da nicht so fest verankert. Und ich glaube, wenn ein Mensch da nicht mehr so in der Gewohnheit herumtappst, wenn du immer wieder überlegen musst, teilweise improvisieren musst, dass das einen Reiz ausmacht. Aber auch zu Spannung führen kann, ganz klar“ (Weckherlin 2016). Mit solchen Spannungen müssen die Mitarbeiter und die Leitungen umgehen können, dazu kommt die generelle Sorgfaltspflicht gegenüber dem Personal, als ein im Gastspielbetrieb besonders wichtiger Verantwortungsbereich der Theaterleitungen: Wenn beispielsweise ein Abstecher theoretisch in einem Tag machbar ist, das Ensemble dadurch aber zu sehr unter Stress gesetzt wird, muss eben (gegebenenfalls) zukünftig für diesen Ort so geplant werden, dass die am Gastspiel Beteiligten eine Übernachtung vor Ort ermöglicht bekommen – das hat natürlich Konsequenzen auf den Spielplan und die konkreten Kosten dieses Gastspiels.46 Auf der anderen Seite können arbeitsrechtliche Vorgaben wie Ruhezeiten herausfordernd sein, eine Thematik, die insbesondere für Peter Grisebach in SchleswigHolstein als großes Flächenland bedeutsam ist. Einige weitere entfernte potenzielle Spielorte können nicht bedient werden, da durch die zurückzulegende Strecke die zulässigen Arbeitszeiten überschritten würden; manche der Orte, die momentan bespielt werden, können nur durch einen Schichtbetrieb mit Gastspielen versorgt werden: „Ich

46 Matthias Faltz nennt hierzu als Beispiel einen Abstechers des Weihnachtsmärchens, vgl Faltz 2016.

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hab ein gewisses Personal, die laut Arbeitszeitgesetz nicht länger als soundso viele Stunden am Stück arbeiten dürfen. Das heißt, wenn die irgendwann los fahren und die Arbeitszeit beginnt und fahren sehr weit [...] dann habe ich schon Probleme, dass diejenigen, die aufgebaut haben, [...] nicht bis zum Ende der Vorstellung warten können, um sie dann abzubauen und wieder nach Hause zu fahren. Dann muss ich schon irgendwie jonglieren, mit zwei Schichten, damit ich nicht länger als elf Stunden Arbeitszeit mit denen mache. Insofern noch weiter [...] zu gehen, hieße letztendlich unseren Spielplan völlig blockieren. Weil ich muss ja auch elf Stunden Nachtruhezeit gewährleisten und so viel Personal habe ich ja nicht“ (Grisebach 2016). Ohne ein konkretes Beispiel zu nennen, verweist auch Thorsten Weckherlin auf die Arbeitszeitproblematik (vgl. Weckherlin 2016), die auch die künstlerische Produktion einschränkt: Wenn das Ensemble erst in der Nacht vom Abstecher zurückkommt, kann die morgendliche Probe aufgrund der einzuhaltenden Ruhezeiten auch einmal ausfallen (vgl. ebd.). Das Abwägen von Prioritäten unter Berücksichtigung der personalrechtlichen Bestimmungen ist also auch im Zusammenhang mit der Verantwortung für ein Spielgebiet zu sehen: Wie weit kann eine Landesbühne – geografisch gesprochen – gehen, ohne, dass die anderen Orte (inklusive Stammsitz) Nachteile erfahren oder die Qualität der Arbeit darunter leidet?47 Entscheidend für eine gelingende (Zusammen-)Arbeit ist die Selbstverpflichtung und die Bindung der Mitarbeiter an das Haus, die Matthias Faltz zu stärken versucht und damit seiner Idee von Theater folgt, dass gute Theaterkunst nur durch gemeinsam verantwortetes Wirken entstehen kann. Strukturen, in denen durch Hierarchie und Zuschreibung von Aufgaben mehr Grenzen zwischen den Mitarbeitern gezogen als Zusammenarbeit gefördert wird, lehnt er ab, denn dadurch und mit der dadurch entstehenden Frustration würde Kreativität eingeschränkt (vgl. Faltz 2016) – und diese ist auch im Sinne der Bewältigung der Gastspielsituationen notwendig. Im Grenzlandtheater wird der Beziehung der Mitarbeiter ebenfalls ein sehr großer Stellenwert einberaumt, Uwe Brandt legt „großen Wert darauf, dass bei Konzeptionsgesprächen auch die Schreiner mit dem Ensemble zusammenkommen oder die Leute von der Kasse“ (Brandt 2016) und genauso gilt für Mirko Schombert der Grundsatz, Entscheidungen nicht gegen den Widerstand seiner Mitarbeiter durchzusetzen, sondern den bereits zitierten besonderen abteilungsübergreifenden Team-Gedanken innerhalb der Landesbühnen zu stützen und zu nutzen: „Es ist ein bisschen meine eigene Selbstverpflichtung, [...] im Team zu entscheiden und da irgendwie zu einem Konsens zu kommen; [...] das macht es natürlich langwieriger und anstrengender, aber ich glaube auch besser, weil keiner kann alleine alles besser wissen als die anderen“ (Schombert 2016). Dass diese Idealvorstellung allerdings in der tatsächlichen Welt nicht unbegrenzt haltbar ist, äußern die Intendanten im gleichen Atemzug. So funktioniert für Schombert diese Abstimmung mit den Mitarbeitern gerade deshalb, weil „es nicht die Verpflichtung dazu gibt, am Ende einen Konsens zu haben, [...] dann ist auch nicht die Gefahr so groß sich irgendwann tot zu laufen oder irgendwo fest zu haken“ (ebd.) – und er schränkt ein, „an ein wirklich kollektives Mitbestimmungsmodell oder so glaube ich nicht“ (ebd.). Auch wenn die Atmosphäre positiv sein muss, Machtspiele vermieden werden sollten, findet auch Uwe Brandt, dass gewisse Strukturen notwendig sind, es

47 Diese Problematik bezieht sich auch auf das theaterpädagogische Programm und wird aufgegriffen in Kapitel 4.3.

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müsse „eine Hierarchie geben, [...] wie auf einem Schiff, einer muss wissen, wo vorn und hinten ist, oder Bug und Heck, [...] also der Meinung bin ich auch: wir diskutieren so lange bis wir blöd sind, das funktioniert nicht“ (Brandt 2016). Für die Landesbühne zu arbeiten, bedeutet, sich bewusst für die Wanderbühnentätigkeit und die damit verbunden besonderen Herausforderungen zu entscheiden. Jedes Ensemblemitglied muss sich diese Situation ständig vergegenwärtigen und es gilt, diese von Anfang an deutlich zu kommunizieren; auch um gegen eventuell vorherrschende Vorurteile und Klischees entgegen zu wirken. Denn natürlich hängt die Arbeitsbelastung auch von der Anzahl der Gastspiele ab und zumindest in Marburg ist es laut Matthias Faltz „gar nicht so [...] wie das Vorurteil [das] in den Schauspielschulen die Runde macht, dass [...] man da irgendwie ständig im Bus hängt und keine Lust drauf hat. Also von daher erfüllen wir jetzt gar nicht das Klischee“ (Faltz 2016). Einige der Intendanten preisen dagegen gerade die Anstrengungen des Landesbühnen-Gastspielbetriebes an, bezeichnen sie als Chance für eine persönliche und fachliche Entwicklung. So böten die unbekannten oder bei den Abstechern immer wieder neuen Bühnensituationen eine Möglichkeit, seine Fähigkeiten zu überprüfen, weiterzuentwickeln und auch das Zusammenspiel im Ensemble zu stärken, wie Kay Metzger es beschreibt; „man reagiert ja als Künstler auf einen Raum; ob der größer ist, enger, man spürt ja, wie das Publikum konditioniert ist, ob die wirklich offen sind, ob man die knacken kann, im guten Sinne des Wortes und das schweißt dann glaub ich auch sehr zusammen“ (Metzger 2016). Es gebe in seinem Theater zwar auch einige Darsteller, die sich schon seit mehreren Jahren der Landesbühnenarbeit verpflichtet fühlen und auch gerne dort seien, aber gerade der Nachwuchs sehe die Landesbühne eher als eine Zwischenstation, „die wechseln dann auch nach drei vier Jahren, meist an größere Häuser,[48 ] was wiederum für unsere Ensemble-Politik spricht, und das ist auch absolut gut so; umgekehrt sagen diese Kolleginnen und Kollegen, dass sie hier unglaublich viel gelernt haben. Also, immer dieses ganz Spontane, ganz frisch am Spielort wirklich schauen, wie sind die Proportionen, wie muss ich mich drauf einstellen, wie muss ich meine Stimme umstellen im Saal, das gibt eine unglaubliche Routine und Kraft, die sich dann für das weitere Berufsleben auszahlt“ (ebd.). In ein Landesbühnen-Ensemble eintreten heißt, sich den Bedingungen zu unterwerfen und zugleich die Chancen zu nutzen, welche die Landesbühnenarbeit jungen Künstlern bietet – darauf spekuliert Peter Grisebach: „[I]ch brauche Menschen, die hungrig sind und nicht die satt sind. Und das sind nun mal jüngere Menschen, die Erfahrungen sich erarbeiten wollen, Erfahrungen machen wollen und das benutze ich tatsächlich auch als Lockmittel“ (Grisebach 2016), denn schließlich würden bei ihm junge Sänger direkt die großen Rollen des Musiktheaters singen dürfen und nicht wie in einem großen stehenden Ensemble zunächst mit Nebenrollen vorlieb nehmen müssen (vgl. ebd.).

48 Erneut kann hier eine Aussage Metzgers als eine qualitative Abstufung interpretiert werden. Detmold ist eine der größten Landesbühnen, der Wechsel an größere Häuser könnte also den Wechsel an Stadt- oder Staatstheaterbetriebe meinen; wenn Landesbühne als Sprungbrett für andere, „bessere“ Theater verstanden wird, hieße das umgekehrt, dass Landesbühne in der Bewertung von Theater nicht an oberer Stelle steht. Bezogen werden könnte dies sowohl auf die Arbeitsbedingungen und -belastungen als auch die Inhalte sowie die künstlerische Arbeit.

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Auf was sich die neuen Mitarbeiter einlassen, das müsse klar und von Anfang an kommuniziert werden. Star-Allüren und Befindlichkeiten könne sich keiner im Landesbühnen-Ensemble leisten und ein gewisses Verantwortungsbewusstsein müsse vorhanden sein, das Kay Metzger als Ehrenkodex beschreibt: „Wir führen intensive Gespräche bevor wir jemanden engagieren. Also da muss ganz klar [sein], dass man drei Stunden im Bus sitzt und dann eine Königin der Nacht singen muss. Und [...] wieder drei Stunden zurück fährt. Und das fragen wir ab. Ich hab bis jetzt, bis auf [...] wenige Ausnahmen, das Glück gehabt, dass man wirklich spürt, dass die das sehr engagiert machen; es ist ein hohes Verantwortungsbewusstsein da, man trägt ja den Namen der Institution raus und hat als Darsteller eine individuelle Verpflichtung, diesem Namen alle Ehre zu geben; [...] also das ist so mein Eindruck, dieser Ehrenkodex ist schon da“ (Metzger 2016). Klare Worte findet Uwe Brandt um auszudrücken, dass die Verantwortung des Ensembles sich sowohl auf das Miteinander als auch auf die Aufführung und die Aufgabe der Landesbühne bezieht. Die „Mannschaft [muss sich] mit dem Haus so identifizieren, dass sie sagen, okay, geht nicht gibt es nicht [...]: der Lappen muss hoch! [...] Und da geh ich auch so weit, dass ich [...] den Künstlern von der Bühne nicht alles durchgehen lasse. Da akzeptiere ich auch nicht, wenn da einer sagt: [...] ich kann so nicht arbeiten, ich reise ab; oder ich kann hier nicht singen, hier hängen Luftschlangen“ (Brandt 2016) – solche Verhaltensweisen kämen vor, trotz aller vorhergehender Gespräche, aber glücklicherweise nicht oft. Thorsten Weckherlin schätzt die Arbeit an einer Landesbühne ebenfalls als Möglichkeit einer persönlichen und beruflichen Weiterentwicklung ein, sieht aber ein Problem in der schwindenden Relevanz von Theater allgemein, auch bezogen auf Personalfragen. Der Theaterbetrieb sei „nicht mehr attraktiv [...]. Also auch nicht mehr als Arbeitgeber. Das krieg ich mit. Und auch nicht mehr für junge Schauspieler, die von guten Schauspielschulen kommen, [...] vor zehn Jahren hätte kein Schauspieler zu mir gesagt: ‚Och nee, ich weiß nicht, das ist mir doch zu anstrengend dieses Touren und so‘ – das ist ein Zweijahresvertrag, du lernst hier alles! Und nach diesen zwei Jahren [...] haust du ab [...] Lass dir das doch nicht nehmen!“ (Weckherlin 2016) Das Ensemble ist für die Landesbühnen, wie für die anderen klassischen öffentlichen Theaterbetriebe auch, fester Bestandteil der Struktur.49 Ensembletheater würde nicht nur vom Publikum erwartet (Gade 2016), sondern es verstärke auch die Möglichkeit einer Identifikation des Publikums mit dem Theater, so Kay Metzger: „[E]s gibt auch Leiter von Gastspieltheatern, die schon vorher fragen, ist denn die Sängerin [...] und ist der Sänger da besetzt, die sogar wissen, dass ihr Publikum sich schon durchaus mit gewissen Protagonisten identifiziert und sich freut, wenn die wieder kommen, in einer anderen Rolle“ (Metzger 2016). Dies kann aber nur funktionieren, wenn die Landesbühne regelmäßig mit festem Ensemble und nicht zu selten an diesen Orten ein Gastspiel aufführt. Zeitliche Dimensionen

Zeitliche An- und Abwesenheit ist ein weiterer Faktor, der die Landesbühnenarbeit stark prägt. Die zeitlichen Dimensionen verstärken zudem die Unterschiede zwischen

49 Zumindest für die meisten Landesbühnen, aber selbst die Ausnahme, das Grenzlandtheater, bedient sich ja aus einem gewissen festen Pool an Darstellern.

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der Arbeit im Stammsitz und somit der Rolle, Stadttheater für diesen Stammort zu sein und der Aufgabe als reisende Bühne: Solange es sich nicht um einen festen Spielort handelt, gastiert die Landesbühne in einem Gastspielort für eine, manchmal zwei Aufführungen und kommt erst nach geraumer Zeit wieder zurück, wenn überhaupt. In manchen Orten gibt es eine Regelmäßigkeit und Häufigkeit von Gastspielen, sodass sich eine gewisse Identifikation mit dem Theater entwickeln kann, allerdings sind auch diese regelmäßigen Abstecher meist mit einer kurzen Verweildauer verbunden. Dadurch wird einer der wichtigsten Kanäle des Marketings torpediert: Eine Inszenierung kann sich nicht „rumsprechen“, es kann nicht durch Mund-zu-Mund-Propaganda auf eine Produktion hingewiesen werden und es kann zwar in der lokalen Zeitung darüber berichtet werden, aber der dadurch interessierte Bürger hat keine Gelegenheit mehr, eine Aufführung zu besuchen, wenn die Gastspiele abgespielt sind (siehe dazu Gade 2016).50 Da sich dieses Moment der zeitlichen Abwesenheit insbesondere auch im Vergleich zu den Möglichkeiten eines Stadttheaters bemerkbar macht und sich vor allem auch auf das Verhältnis zum Publikum bezieht, wird es in den entsprechenden Kapiteln ausführlich behandelt, es darf aber an dieser Stelle als maßgebliches Charakteristikum der Landesbühnenarbeit nicht unerwähnt bleiben. Einige der Landesbühnen versuchen, dieser singulären Anwesenheit entgegen zu wirken und wollen eben als mehr als nur auf Durchreise wahrgenommen werden: Diese Versuche reichen vom Räuberteller-Konzept, also dem Bemühen, öfter im Programm der Gastspielorte zu erscheinen, über die Verlegung von Proben und Premieren in andere Orte als den Stammsitz, um dort präsent zu sein, hin zu den Spielplan erweiternde Programme, um mehr zu bieten als lediglich eine Aufführung. Eine hauptsächliche Schwierigkeit ist die vorhandene Abstufung von Exklusivität: Daheim in ihrem Stammhaus ist die Landesbühne meist alleiniger Anbieter oder zumindest in einer gewissen Vormachtstellung, unterwegs in manchen Gastspielorten nur ein Programmpunkt von mehreren im jährlichen Spielplan der großen Gastspielhäuser; in anderen Orten sind hingegen die Abstecher der Landesbühnen das einzige öffentlich-rechtliche professionelle Kulturangebot, und wenn es dies nicht gäbe, würde dort nichts stattfinden (oder besser: nichts anderes stattfinden, vgl. dazu Schombert 2016). Hier zeigt sich erneut die Abhängigkeit von den bereits benannten Problematiken, denen sich die Landesbühne stellen muss: Solange es nur wenig Diversität im Programm vor Ort gibt, oder immer nur das gleiche wenige Angebot, können weder das Publikum noch der Veranstalter grundlegend andere Erfahrungen sammeln, ihre Kenntnisse und ihren Geschmack dementsprechend nicht erweitern oder überprüfen, es werden somit weiterhin ähnliche Angebote bevorzugt und so weiter. Durch die kurze zeitliche Anwesenheit der Landesbühne in den ländlichen Regionen wird der Event-Charakter des Gastspieles verstärkt, was einen positiven Effekt haben kann, wie Peter Grisebach es betont; „ja, das ist so die lokale Identifikation; da wo ich meinen Lebensmittelpunkt habe, wenn dort – und das erlebe ich bei jedem – [...] Landestheater kommt und es ist so wie früher: Wow, der Zirkus kommt in die Stadt, wow die Künstler kommen. Wow! Es ist lebendig, es ist Leben da plötzlich“ (Grisebach 2016). Diese Wahrnehmung von Landesbühne als besonderes, seltenes Ereignis

50 Gerade im dörflichen Umfeld ist die persönliche Empfehlung mehr wert als jeder überregionale Feuilletonartikel, ein typisches Merkmal für den ländlichen Raum, vgl. dazu beispielsweise weiterführend Götzky 2013 und Kegler 2017.

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steht jedoch im Widerspruch zu den Aussagen, es sei angestrebt oder wichtig, Theater im alltäglichen Leben zu verankern. Die LBS versuchen, wie bereits oben zitiert, auch außerhalb Radebeuls Produktionen zu erarbeiten und darüber hinaus auch bei den für diese Orte wichtigen Jahresveranstaltungen präsent zu sein („wir müssen dazugehören, zum Stadtfest“ (Schöbel 2016)). Das ist jedoch aufgrund der zeitlichen Dimensionen, die nicht nur die Präsenz der Theater vor Ort, sondern bereits die gesamten Planungsprozesse bestimmen, nur eingeschränkt möglich und nur für eine bestimmte Anzahl an Städten machbar: „Wir versuchen so was nun nicht in einer Stadt, nicht in Radebeul, zu realisieren, sondern ich sage mal mindestens [...] in [...] zwölf Städte[n], wo wir sagen, da sind wir so regelmäßig da, dass wir auch für die Bürger dieser Stadt und die Kulturverantwortlichen in Anführungszeichen anfragbar sind [...]. Also ein Prinzip, was sich [...] ganz gut anhört, in der Realität aber sehr sehr schwer umzusetzen ist, [... es] braucht eine ganz große Flexibilität, da muss man auch noch anrufbar sein, wenn es sechs Wochen vor dem Termin ist; also hier gibt es [...] große Widersprüche, große Anforderungen an die [...] Theater-Organisationsstruktur“ (ebd.). Zeit ist also ein Faktor, der sich auf alle Bereiche niederschlägt: Die An- und Abwesenheit hat Einfluss auf die Wahrnehmung und Verankerung vor Ort, zugleich ist sie auch in finanzieller Hinsicht als nicht unwesentlich zu berücksichtigen, da wie oben dargestellt, hinsichtlich Arbeitszeiten und der Planung von Aufführungen immer auch ein Abwägen stattfinden muss, wer wie lange wo sein beziehungsweise hinfahren kann. Der Gastspielmarkt erfordert lange Vorlaufzeiten, diese können sich auf die künstlerische Arbeit auswirken, sich in der Spielplangestaltung und den Inszenierungen niederschlagen und verhindert kurzfristige Programmentscheidungen. Die Gegensatzpaare „kontinuierliche-punktuelle Anwesenheit“ sowie „Langfristigkeit-Spontaneität“ spiegeln die hybride Persönlichkeit der Landesbühne wider: in der Stadt verankert und zugleich Bühne auf (Durch-)Reise sein. 4.1.4 Kulturpolitischer Auftrag: Verständnis, Freiheiten, Einschränkungen Landesbühne – in ihrer Gesamtheit als Modell und als konkreter Einzelfall – bewegt sich also in mehrfachen Spannungsfeldern und Abhängigkeiten, die nun in Beziehung zueinander gebracht werden sollen: Auftrag – Selbstverständnis – Arbeitsbedingungen bilden eine Trias der gegenseitigen Beeinflussung: die zugrunde liegende Beauftragung und ihre Forderungen werden mit dem Blick des eigenen Verständnisses interpretiert, daraus formen sich Handlungsabsichten, deren tatsächlichen Umsetzung jedoch sehr von dem Hintergrund, von den Umständen abhängt. Dabei ist die Richtung der Zusammenhänge durchaus nicht einfach linear, sondern eine gegenseitige Verstrickung kann zu komplexen Beeinflussungen führen und den Interpretationsspielraum sowohl erweitern als auch einschränken.51 Bereits die kulturpolitischen Erwartungen an das Konstrukt Landesbühne können durch ihre relative (Begriffs-)Offenheit individuell ausgelegt und verstanden werden und obwohl die interviewten Intendanten, wie gezeigt, grundsätzlich mit den allgemei-

51 Vgl. hierzu die Abhängigkeiten von Beteiligungs-, Motivations-, Handlungs-, Wirkungsseite als Elemente des Politischen und als Analyserahmen, dargestellt in Abbildung 2.3.

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nen Zuschreibungen einer Reisetätigkeit, Regionalität, Dezentralität und Grundversorgung einverstanden sind, müssen diese ideellen Kategorien mit der Arbeitswirklichkeit abgeglichen werden. Beginnend bei der Dezentralität muss dazu die eigentliche und genaue Wortbedeutung berücksichtigt werden: Dezentralität ist nach der Definition des dazugehörigen Adjektivs „dezentral“ zu verstehen als „1. von einem Mittelpunkt entfernt; 2. auf verschiedene Stellen oder Orte verteilt, nicht von einer Stelle ausgehend“ (Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften 2019) – die zweite Beschreibung scheint zunächst zutreffend, die Aufführungen der Landesbühnen finden verteilt an verschiedenen Orten statt; das dezentrale Wirken bezieht sich jedoch hauptsächlich auf die Distribution. Betrachtet man den Aspekt der Produktion, ist festzustellen, dass die Landesbühnen überwiegend von ihrem Stammsitz, von ihrem Zentrum, also einem Mittelpunkt aus arbeiten: Die Inszenierung wird für den und in dem Stammsitzort entwickelt und danach von dort ausgehend an andere Orte gebracht.52 Der Aspekt von „Heimat“, einer Produktionsstätte, von der aus die Aufgabe der Reisetätigkeit übernommen wird, wird von den Intendanten als unverzichtbar bezeichnet,53 was einerseits nachvollziehbar ist, da ein solcher fest verorteter Produktionsort natürlich hinsichtlich Ressourcen und logistischer Fragen viele Vorteile bietet, andererseits aber auch zu hinterfragen ist, da diese Konstruktion den Charakter des Bring-Gestus der Landesbühnen unterstreicht. Die Konzentration auf das Zentrum könnte also hinsichtlich einer Dezentralität als widersprüchlich, gar gegensätzlich zu der eigentlichen Idee stehen. Doch diesem Gedankengang wird von den Intendanten widersprochen, eine solche Schlussfolgerung abgelehnt und auch die genaue Lektüre der jeweiligen Aufträge macht deutlich: Landesbühnen sind einem dezentralen Theaterangebot verpflichtet, nicht einem dezentralen Theaterschaffen. Je nach Sichtweise wird der Auftrag somit als Rechtfertigung oder Entschuldigung aufgeführt, gar keine andere Möglichkeit zu haben: Ortsspezifische Projekte seien zwar künstlerisch reizvoll und eine angenehme Abwechslung, sie würden aber dem Auftrag widersprechen und seien daher weder erwünscht, noch zu realisieren. Da sie ja nur in einem Ort stattfinden würden, weil sie nur dort stattfinden könnten, können sie nicht auf Reisen gehen, also nicht distribuiert werden, wie Mirko Schombert bedauert: „Es gibt hier die große Kohlenmischhalle in Dinslaken, da hätte ich total Lust drauf, könnte man was Supergutes machen; die ist 200 Meter lang, da war die Ruhrtriennalen-Eröffnung; [...] aber da möchte ich mal auf AkquiseTour gehen und einen Ort finden, der 200 Meter lang ist. Um das dahin zu verkaufen“ (Schombert 2016). Dementsprechend muss die Kennzeichnung der Landesbühne mit dem Begriff „Regionalität“ inhaltlich eingeschränkt werden. Um auch hier eine Definition aus dem Wörterbuch heranzuziehen: Regionalität ist der „Bezug zur Region“ (Duden online 2019) – diese Begriffsbestimmung scheint ebenfalls nur in gewissem Maße auf die

52 Eine Ausnahme der Richtungsorientierung Stadt nach außerhalb stellt ein Projekt der LBS dar, das im Rahmen des Reformationsjubiläums entsteht und vornehmlich „an vielen Orten der Reformation gespielt werden soll [...] und gleichzeitig ist es aber auch ein Stück, was wir durchaus für unser ganz normales Abo im Theater in einer Hausversion nochmal adaptieren; weil dieses spezifisch sich am Ende doch auch wieder für einen ganz großen Zuschauerkreis auflösen lässt und aufbereiten lässt“ (Schöbel 2016). 53 Siehe dazu zum Beispiel Faltz 2016 und Gade 2016.

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Landesbühnen zuzutreffen. Selbst wenn man die Beauftragung der Versorgung eines regionalen Spielgebietes so deutete, dass darunter auch weitläufige Gebiete eines Bundeslandes fallen können, ist festzustellen, dass viele Landesbühnen eben mehr als nur eine definierte Fläche bespielen (respektive aufgrund der Abhängigkeit vom Gastspielmarkt bespielen müssen) und mehr als nur eine klar abgegrenzte Region bedienen. Den „regionalen Bezug“ auf die Trägerschaft zurückzuführen, wäre bedingt möglich, aber auch nicht sehr haltbar (vergleiche dazu die Übersicht in 3.2). Eine inhaltliche Bestimmung des Ausdrucks scheitert an den Gegebenheiten: Ein Bezug zur Region durch Identifikation der Menschen ist aufgrund der zeitlichen Dimensionen, die die Landesbühnenarbeit bestimmten, nur eingeschränkt bedingt möglich; eine Verbindung zur Region durch künstlerische oder gar partizipatorische Maßnahmen herzustellen, also zum Beispiel durch eine Stückentwicklung, ausgehend von lokalen Begebenheiten oder Persönlichkeiten, wäre ein Ansatz, aber auch dieser wird nur zaghaft verfolgt. Projekte und Produktionen mit lokalem Bezug seien sinnvoll und spannend, doch nur, wenn auch diese transportabel bleiben, denn dem Auftrag müsse man treu bleiben. Manuel Schöbel geht mit den Landesbühnen Sachsen einen ersten vorsichtigen Weg in diese Richtung und nennt Beispiele für eine auf Recherche basierende Arbeit: „‚Das Geheimnis der blauen Schwerter in Meißen‘, [...] das ist natürlich ein Stück, was in Meißen mit der Porzellanmanufaktur zu Hause ist. Das kann man aber transportieren, [...] an bestimmte andere Orte, wo auch Industriegeschichte eine Rolle spielt, [da] gibt es [...] auch Anknüpfungspunkte und außerdem ist es einfach ein gutes Stück von Katrin Lange [...]. Ein Stück wie ‚Fürstenzug nach Kötzschenbroda‘ was in der Friedenskirche in Radebeul uraufgeführt wurde, ist schwerer transportfähig, [...] es behandelt tatsächlich die Ereignisse um den Friedensschluss nach dem Dreißigjährigen Krieg und es bezieht einen Teil seines Reizes daraus, das tatsächlich der Tisch angeblich noch da ist, an dem dieser Friedensschluss damals getroffen wurde und dass wir genau um diesen Tisch herum in der Friedenskirche Theater gespielt haben. Dann kann man es immer noch adaptieren, wenn man nach Wermsdorf geht und sagt, das ist jetzt ein anderer Friedensschluss, der dort eine Rolle spielt und es lebt immer noch davon“ (Schöbel 2016).54 Schöbel weist darauf hin, dass dieses Vorgehen auch bei anderen Intendanten als zukunftsweisend wahrgenommen werde, doch leider scheinen nur zaghaft weitere Versuche in diese Richtung unternommen zu werden. Es muss jedoch erwähnt werden, dass einige der Intendanten einen lokalen Bezug auf die Geschichte(n) der Region oder einer Stadt durch die Autorenauswahl herzustellen gedenken. Es macht allerdings einen Unterschied, ob einzig der Lebensmittelpunkt eines Schriftstellers als Verknüpfung angesehen wird, oder ob eine Aufbereitung der vor Ort stattgefunden historischen Momente angestrebt wird, sei es durch neue Stückentwicklungen oder durch die Umsetzung von bestehenden Texten.55 Unmittelbar mit diesem Gedanken verbunden ist das Verhältnis zwischen Reisetätigkeit und stehendem Theaterbetrieb, zwischen Stadt und Land, denn obwohl zunächst

54 Ortsbezogenheit im Sinne einer Stückentwicklung mit lokalen Akteuren, sowohl Theatergruppen, Vereinen als auch Einzelpersonen ist ansatzweise vorhanden; da es sich dabei um Projekte mit partizipatorischem Anspruch handelt, werden diese gesondert im Zusammenhang mit der Betrachtung der Partizipationskonzepte benannt; siehe dazu Kapitel 4.3. 55 Als Beispiel sei hierfür eine Schwerpunktsetzung des LTT auf Stücke von Hermann Hesse genannt, der eine Zeit lang in Tübingen lebte und wirkte.

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das Primat der Reisefähigkeit als wichtigste Regel über dem Handeln der einzelnen Landesbühnen steht, gibt es Ausnahmen: Besondere außergewöhnliche Projekte oder auch kleine, spontane, ergänzende Formate stehen nicht unter dem Druck, verbreitet zu werden, da sie weder in die Abläufe des Gastspielmarktes noch in die Erwartungen eines Angebots von Theatervorstellungen zu passen scheinen. Gemäß der Interpretation des Auftrages geht es zunächst um die Verbreitung von Theateraufführungen – alles was nicht darunter fällt, kann entweder gar nicht stattfinden, oder muss eben nicht auf Reisen geschickt werden. Die Auslegung der Beauftragung bietet also wahlweise eine Rechtfertigung oder eine Ausrede und dies führt zurück auf die Frage nach den Kernaufgaben. Die Sonderfälle, die nicht reisen können, sind explizit eine Ergänzung des eigentlichen Auftrages, müssen sich diesem zwar nicht unterwerfen, allerdings müssen sich die Landesbühnen diese Abweichungen vom Kerngeschäft leisten können: Ermöglicht werden diese Projekte daher meist durch zusätzliche Ressourcen, beispielsweise durch Kooperationen im Rahmen von Bundesförderprogrammen, wie die Bespielung der WM-Halle in Riesa (vgl. ebd.) oder durch Sondermittel anlässlich besonderer Ereignisse (vgl. Gade 2016); oder es handelt sich um kleinere Experimente, für die, wenn der Auftrag so verstanden wird, dass er sich auf die Distribution von Bühnenstücken begrenzt, keine Notwendigkeit gegeben ist, sie an andere Orte zu tragen und die daher nur im Stammsitz durchgeführt werden: Spielplanbegleitend, neue Räume erkundend oder die Grenze der Genre-Zuschreibungen überschreitend, wie ein gemeinsamer Liederabend oder Gesprächsrunden zu einem aktuellen Thema der Stadtgesellschaft (vgl. ebd. und Faltz 2016). Diese Formate werden legitimiert durch die Funktion, Stadttheater zu sein: Hiermit geht eine bestimmte Verantwortung einher und neue Möglichkeiten eröffnen sich, denn im Stammsitz ist man weniger oder anderen Zwängen unterworfen als auf dem Gastspielmarkt. Daraus ergeben sich als Konsequenzen eine Hinterfragung der Auftragsinterpretation und weiterführende Fragestellungen: Warum scheint die Landesbühnenfunktion auf klassische Theaterarbeit reduziert? Kann und sollte Landesbühne nicht verstärkt auch andere Formate auf Reisen schicken? Griffe sie damit in die Zuständigkeit oder das Angebot anderer Akteure ein? Überstiege das ihre Kompetenz? Es bleibt zunächst die Frage danach, wer die Entscheidungsmacht und den Entscheidungswillen besitzt, den Auftrag (neu) auszulegen. Die (tatsächliche und wahrgenommene) Einschränkung der Beauftragung führt zu einer Selbstbestätigung und Verstärkung der Idee von Theater als Bühnenkunst und da diese klassischerweise im eigenen Haus produziert wird, gilt dieses als Maßstab; bei Gastspielen kann es dazu kommen, dass diese ursprüngliche Inszenierung „beschnitten“ (im wörtlichen Sinne, bezogen auf das Bühnenbild) werden muss. Die Aufrechterhaltung der Qualität und damit des Anspruchs (als eine weitere Bestimmung für Landesbühnenarbeit) scheint unter widrigen Umständen zu leiden, beziehungsweise kann nur unter Anstrengung gewahrt werden. Es kann sein, dass eine bestimmte Produktion nicht in allen gewünschten oder geplanten Orten gezeigt werden kann, weil sie einfach nicht dort hin passt (logistisch und inhaltlich). Dies kann kritisch beurteilt werden, da es ja, im Sinne vergleichbarer Lebensverhältnisse, darum geht, den Menschen außerhalb der Großstädte (und damit außerhalb des Einzugsbereichs der dort vorhandenen Theater) genau das zu bieten, was sie in der Stadt hätten erleben können. Genau so kann aber argumentiert werden, dass im Sinne einer Grundversorgung und hinsichtlich des Anspruches qualitätvolle Theaterkunst zu bieten, nicht jede Produktion als Gast-

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spielproduktion angeboten werden muss, dass nicht jede Kunst reisen kann und sollte, da nicht jedes Kunstwerk mobil oder adaptierbar ist. Die Abhängigkeiten verstärken sich gegenseitig: Wenn man davon ausgeht, dass ein kleinerer Veranstaltungsort aufgrund der räumlichen Umstände und der begrenzten finanziellen Mittel immer nur eine „kleine“ Produktion einladen kann, dann wird den Menschen vor Ort selten bis gar nicht die Möglichkeit gegeben, außergewöhnliche oder große Inszenierungen zu erleben. Umgekehrt könnte es auch sein, dass die Mitbeachtung möglichst vieler Gastspielorte Einfluss auf die künstlerischen Entscheidungen und Konsequenzen für die Inszenierungen im Stammsitz hat: Wenn dort in der Produktionsphase immer die kleinste Bühne mitgedacht, immer die schlechteste Sichtachse berücksichtigt würde, könnte dies im Umkehrschluss bedeuten, dass das Publikum eine „schlechtere“ oder kleinere Version einer Inszenierung dargeboten bekäme, als möglich gewesen wäre, wenn diese Gedanken nicht (bewusst und unbewusst) im Hintergrund stünden. Die spezifische Erarbeitung einer passenden Produktion für jeden Ort wäre die theoretische, aber weder praktikable noch realistische Lösung. Die bereits genannten Ansätze, nicht nur im Stammhaus zu produzieren, scheinen im Dienste eines Neuverstehens des Auftrags von Angebotsdistribution hin zu dezentraler Produktion gedeutet werden zu können – tatsächlich sind diese aber auch wiederum unter Berücksichtigung der Arbeitsbedingungen zu bewerten: Dass die Premiere eines Stückes nicht im Stammsitz, sondern in anderen Städten oder Häusern stattfindet, wie ansatzweise bei den LBS angestrebt, ist eng verbunden mit dem Verständnis von Theaterarbeit des Intendanten, aber auch nur möglich durch die spezifische Situation in Sachsen und zugleich eine Reaktion auf diese. Die Auslagerung des Kinder- und Jugendtheaters des Grenzlandtheaters Aachen ist entweder als innovativer Ansatz zu betrachten oder kann als Notlösung angesehen werden, um den Betrieb einer Sparte, für die keine eigene Spielstätte vorhanden ist, aufrechtzuerhalten. Die Zwitterstellung der Landesbühnen ist auch verbunden mit der Aufteilung des Publikums: Stadttheater-, sprich Stammsitzpublikum auf der einen Seite, Gastspielpublikum auf der anderen Seite; ersteres ist im direkten Zugriff vor Ort, es kann anders eingebunden werden, die Rückspiegelung von Erwartungen (und Enttäuschungen) sind unmittelbare – das Gastspielpublikum ist im übertragenen Sinne und tatsächlich in weiter Entfernung. Es ist nicht nur teils sehr wenig bekannt, es wird auch immer vertreten durch einen Zwischenhändler, der ein Interessenvertreter des Publikums und zugleich Verantwortlicher für das Kulturangebot ist, im Auftrag der Kommune, unter den Zwängen seiner eigenen Situation. Eine Ungerechtigkeit entsteht dabei nicht nur darin, dass sich nicht alle Orte alles leisten können, räumlich und finanziell, sondern dass diese Menschen an diesen Orten (Veranstalter und Publikum) nur langsam ihre Seherfahrungen entwickeln können: Wenn immer nur das veranstaltet wird, das passt, beziehungsweise von dem der Zwischenhändler annimmt, es wäre passend – und zwar auf die Logistik bezogen und auf die Erwartungshaltungen des Publikums, oder eher: der vom Veranstalter erwarteten Erwartungshaltung – kann keine Entwicklung stattfinden, wird jede Veränderung unmöglich. Der sich dadurch ergebende Teufelskreis eines Titelzwangs, bei der gleichzeitigen Bemühung, dem eigenen Anspruch und der künstlerischen Freiheit treu zu bleiben, wurde ausführlich beschrieben. Der Gedanke einer „anspruchsvollen Grundversorgung“ geht damit einher. Eine Versorgung kann so verstanden werden, dass es an etwas fehlt und dieses Etwas zunächst grundlegend zur Verfügung gestellt werden muss. Eine etwas anmaßende Zu-

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schreibung, denn wer entscheidet, wo „nichts“ ist? Wer beobachtet, ob es nicht doch etwas gibt und falls es doch etwas gibt, wie wird dieses bewertet? Wo braucht es vielleicht gar keine zusätzliche Versorgung mehr, wo eine sinnvolle Ergänzung? Die Landesbühnen alleine scheinen dies nicht entscheiden zu können – aber können es die Gastspielveranstalter? Oder bestimmt alleine der Markt, bestimmen die Ressourcen, wo Ergänzung überhaupt möglich ist? Hier zeigen sich erneut Ansatzpunkte für theaterpolitisches Handeln im Sinne eines Intervenierens. Für das Basisangebot in einer Kommune könnte es ausreichen, „etwas“ anzubieten und nicht „alles“, was der oben genannten Problematik, dass nicht alles adaptiert werden kann, entgegen käme. Aber wo zieht man die Grenze, was und wie viel genügt? Wer trifft all diese Entscheidungen in welcher Verantwortung?56 Die Landesbühne ist innerhalb der Theaterlandschaft kein Einzelgänger, kann dies gar nicht sein – wie sie jedoch in Beziehung zu anderen steht, welche Position sie sich innerhalb einer kulturellen Infrastruktur selbst zuschreibt, muss genauer betrachtet werden, auch um Zukunftsszenarien aufzustellen. Nicht nur das Wer und Was, sondern auch das Wie scheint entscheidend: Versorgung der Orte, die kein eigenes professionelles Theater haben, als grundlegende Begründung der Idee Landesbühne, wird als Notwendigkeit von allen Intendanten unterstrichen: Es brauche die Landesbühnen, es sei gut, dass es die Landesbühnen gebe. Gestützt werden diese Überzeugungen im Rückschluss wieder mit dem eigentlichen Auftrag: Wenn es die Landesbühnen nicht gäbe, würde an gewissen Orten kein Theater stattfinden – nur einige wenige der Gesprächspartner, wie Mirko Schombert und Peter Grisebach, schränken dies ein und sagen, es würde dann ein anderes Theater stattfinden. Dabei schwingt die Überzeugungen der Qualität mit: Die Landesbühnen garantieren, dass in den Orten ohne eigenes Ensemble öffentlich gefördertes – und damit „gutes“ Theater gezeigt wird. Was jedoch als ein solches angesehen wird, welche Abgrenzungen auch hinsichtlich Qualitätsfragen und Vorverurteilungen von anderen Theaterakteuren getroffen werden, wird noch betrachtet werden und zu diskutieren sein. Wenn man allerdings eine Grundversorgung nicht nur auf Theateraufführungen bezieht, sondern im eigentlichen Sinne als kulturelle Grundversorgung ansieht, scheint sich hier der Auftrag selbst zu widersprechen, denn dann könnte man fordern und argumentieren, dass eben nicht nur Distribution Aufgabe sei, sondern auch dezentrale Produktion und darüber hinaus dezentrale Ermöglichung Kultureller Bildung in die Zuständigkeit der Landesbühnen fallen würden. Teilhabe, Vermittlung, die Erschließung neuer Publikumsgruppen scheint für die Landesbühnen zu ihrem Verständnis von Theaterarbeit, wenn auch unterschiedlich stark ausgeprägt, dazuzugehören. Was genau darunter verstanden wird, scheint ebenso stark zu differieren, wie die tatsächliche Umsetzung. Ausgehend von den bisherigen Ergebnissen und der Gegenüberstellung von Idee und Realität scheint es kaum möglich zu sein, dass Partizipation in ihrem umfassenden Sinne als Teilhabe und Teilnahme tatsächlich von den Landesbühnen ermöglicht werden kann, geschweige denn sogar in gleichberechtigter Weise im Stammsitz und auf Reisen. Selbstverständlich ist alles, was die Landesbühne tut, nur unter Verwendung der vorhandenen Ressourcen möglich. Die Finanzierung der Arbeit, die wirtschaftliche Si-

56 Es spiegelt sich also in der Praxis genau die Diskussion um eine Grundversorgung und um Mindeststandards, die in Kapitel 2 skizziert wurde.

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tuation der Theaterbetriebe wurde bislang in den Ausführungen nur am Rande berücksichtigt, ist jedoch mit entscheidend und wird weiterhin im Verlauf der Untersuchung als Faktor präsent sein. Um den Erwartungen gerecht zu werden und im Sinne des Auftrages erfolgreich zu sein, müssen die Landesbühnen – so wie jedes andere Theater, das im öffentlichen Interesse agiert – in die Lage versetzt werden, diese Ziele zu erreichen. Landesbühnen sollten nicht abhängig sein müssen vom kommerziellen Gastspielmarkt und sollten auch hinsichtlich künstlerischer Experimente eine gewisse Freiheit von monetären Zwängen haben – doch auch hier zeigt sich die Spannung, die dem Konstrukt immanent ist: Die Abhängigkeit vom Markt und damit auch von den Erwartungen der Zwischenhändler bleibt bestehen, auch wenn die subventionierten Landesbühnenproduktionen vielleicht günstiger zu haben sind und die Landesbühnen damit indirekt die Gastspielhäuser unterstützen (siehe dazu Metzger 2014, S. 14). Gespielt wird das, was gekauft wird, gezeigt wird das, was den Einkäufer überzeugen konnte. Die Finanzen bestimmen offensichtlich die Konstruktion der Landesbühnen mit – alles, was in Drittmittelabhängigkeit entsteht, muss eigentlich als nicht zum Kerngeschäft gehörig angesehen werden, wie die bereits benannten Projekte mit ortsspezifischem Bezug oder die Zusammenarbeit mit anderen Akteuren. Zugleich wird die Erweiterung des Leistungsspektrums erwartet und eingefordert, teils ohne entsprechende Anerkennung und oder ergänzende Unterstützung: Hier wurde unter anderem auf das Kinder- und Jugendtheater als wichtiger Bereich hingewiesen, der sich aber negativ auf die Bilanz auswirke. Die bereits zitierte Aussage Mirko Schomberts über die Bürgerbühne, die sich finanziell nicht rechne, steht exemplarisch für die Problematik, zu entscheiden, welche Tätigkeiten als essenziell gewertet und daher als feste Positionen in der Finanzplanung berücksichtigt und welche als Extra gewertet werden. Als zusätzliche Arbeitsbereiche neben der klassischen Produktion und Distribution von Theaterkunst wurden bereits nicht nur Formate der Kulturellen Bildung oder partizipatorische Maßnahmen genannt, sondern auch die Professionalisierung von Veranstaltern, die Ertüchtigung von Spielorten sowie Netzwerkbildung und Zusammenarbeit in der Theaterlandschaft – dieses Netzwerk der Darstellenden Künste wird nun im nächsten Schritt untersucht, die Frage nach der Verantwortung im Bereich der Kulturellen Bildung, also auch Vermittlung und Teilhabe, darauffolgend. In diesem Kapitel wurde dargestellt, dass, wie so oft, auch bei den Landesbühnen Vorstellung und Realität nicht unbedingt deckungsgleich sind, sondern es zwischen Idee und Verwirklichung durch die Umstände Reibungsverluste gibt. Die von den Intendanten als wichtig formulierten Funktionen von Theater können nur eingeschränkt Wirkung entfalten: In der (Stammsitz-)Stadt kann Theater andere Funktionen übernehmen als auf dem (Gastspiel-)Land; die möglichen Effekte sind abhängig von der Präsenz vor Ort, sowohl im Sinne einer Exklusivität als auch zeitlich betrachtet. Theater soll ein Ort des Austausches und der Kommunikation sein, das Publikum darf dabei nicht vergessen werden: Landesbühnen sollen Partizipation ermöglichen und Identität stiften, haben jedoch immer eine Distanz zum eigentlichen Publikum durch einen zwischengeschalteten Veranstalter und sind oftmals nicht kontinuierlich oder längere Zeit vor Ort anwesend; sie sollen Theater für ein Spielgebiet sein, sind teilweise jedoch nur ein Programmpunkt unter vielen; sie sollen professionell und anspruchsvoll Theatervorstellungen durchführen, sehen sich jedoch oft mit schwierigen räumlichen und atmosphärischen Bedingungen konfrontiert; sie sollen vergleichbare Verhältnisse schaffen, können jedoch ihre Produktionen kaum auf alle Orte übertragen; sie sollen ei-

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nem Bildungsauftrag Genüge leisten und zugleich zeitgemäße Theaterkunst schaffen, haben jedoch wenig Möglichkeiten, aus dem Zirkel des Titelzwangs auszubrechen. Die besonderen Abhängigkeiten und Bedingungen, die durch das Bemühen entstehen, dem Auftrag gerecht zu werden, beeinflussen die praktische Umsetzung der theoretischen Idee dessen, was Theater sein könnte – oder hat sich die Vorstellung von Theater, das Selbstverständnis bereits dem Arbeitsumfeld und den Möglichkeiten und Hindernissen angepasst? Ein Henne-Ei-Problem der Kausalkette: Wenn Matthias Faltz betont, dass der Raum für seine Idee von Theater nicht ausschlaggebend sei, sagt er das dann, weil er keine andere Wahl hat, als den Raum als unwichtig anzusehen, da die Aufführungen der Landesbühnen auch in für Theater eigentlich schwierigen Räumen bestehen müssen? Wenn Friedrich Schirmer darauf hinweist, dass Landesbühnentheater direkter sei, ist das dann eine bewusste Entscheidung oder eine Reaktion auf die Gastspielbedingungen, denn, wie Marcus Grube es ausdrückt, Landesbühnenarbeit könne „sich hinter keiner Maschinerie verstecken“ (Schirmer u. a. 2016). Ist dem so, weil es keinen „Orchestergraben, den Sie fahren können“ (ebd.) gibt oder weil das Landesbühnentheater bereits von der dahinterstehenden Überzeugung her solche Ausstattungen nicht braucht? Uwe Brandt geht sogar soweit, die Bezeichnung „Landesbühne“ nicht ausschließlich so zu verstehen, dass mit dieser Benennung ein Auftrag verbunden ist, sondern umgekehrt als eine Art Belohnung dessen, was bereits originäres Verständnis und Handeln des Grenzlandtheaters war, denn „dieses Haus hat traditionell diese Aufgabe immer schon übernommen [...]. Der ehemalige Kreis, heute Städteregion [hat] gesagt [...]: Okay, wir haben ein Haus [...] mitten in der Stadt. Super – aber dann wäre es doch klasse, wenn von da aus [...] die anderen Gemeinden dieses Kreises und die Städte im Kreis dann auch bespielt werden. So und dann hat man das eine Zeitlang gemacht und diesen Auftrag führen wir immer noch aus, weil es nach wie vor auch noch geliebt wird und weil man dafür natürlich auch Zuschüsse vom Land bekommt, als Landesbühne“ (Brandt 2016). Brandts Aussage soll auch noch einmal verdeutlichen, dass die Intendanten in ihren Entscheidungen nicht nur das Selbstverständnis, den allgemeinen Auftrag und die Arbeitsbedingungen abwägen, sondern ihre Prioritätensetzung dann letztendlich stark abhängig ist von den lokalen Erwartungen der Träger: Eine Landesbühnenleitung habe „freie Hand darin, auch weitere Abstecherorte zu suchen, zu finden, zu bespielen, auch Dinge zu verändern und das auch zu gestalten. Prinzipiell ist aber gewünscht, dass wir auch mit unseren Produktionen eben diese Städteregion versorgen“ (ebd.) – auch wenn es hier explizit um das Grenzlandtheater geht, zeigt das Beispiel, wie die Landesbühnen auf mehreren Ebenen mit Anforderungen, Erwartungen und Verpflichtungen jonglieren müssen, es immer Kompromisse wird geben müssen, um möglichst vielen gerecht werden zu können. Selbstüberzeugung und gesehene Notwendigkeit einer Theaterversorgung geht bei den Landesbühnen einher mit den Freiheiten und Pflichten als Institution der öffentlichen Hand, ein grundlegend kulturpolitisch-philosophisches Moment, das gerade im Falle eines Theaters für eine Region als grundsätzlich in den Fokus rückt. Eine gewisse Verantwortung haben die Landesbühnen natürlich auch sich selbst gegenüber, nicht nur, um dem eigenen Selbstbild gerecht zu werden, sondern auch in Bezug auf das Bild der Landesbühnen in ihrer Gesamtheit, also dem Kollektiv der Landesbühnen und somit gegenüber dem Leitbild, das sich die Landesbühnen öffentlich als Richtlinie gegeben haben, und das in Kapitel 2.3.1 betrachtet wurde. Es lässt sich

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bestätigen, dass die als grundsätzlich formulierten Absichten dieser Leitlinien auch im Selbstverständnis der Intendanten eine Rolle spielen, diese wurden umfassend in diesem Kapitel thematisiert. Es besteht kein Zweifel darüber, dass die Landesbühnen als Experten für Gastspiele im Dienste einer Grundversorgung, mit dezentralem Angebot die Schaffung und Wahrung vergleichbarer Lebensverhältnisse anstreben. Auch scheint es umfassend gültig zu sein, dass die Landesbühnen in engem Austausch mit der INTHEGA stehen, die Ensemble- und Repertoire-Struktur verinnerlicht haben (mit der bekannten und benannten Ausnahme) und sich selbst als gute Station des Lernens und Ausprobierens für den künstlerischen Nachwuchs betrachten. Einige der Aussagen des Leitbilds müssen jedoch differenzierter betrachtet werden. Bereits der erste Punkt, die Aufgabe Städte ohne Theater mit eigenem Ensemble zu versorgen, beinhaltet eine Beschreibung, die viel über die Positionierung der Landesbühnen aussagt und unterschiedlich gedeutet werden kann: Hauptsächlich sind damit Städte ohne eigenes festes professionelles Ensemble gemeint, nach diesem Verständnis können also auch Gastspielorte bedient werden, in deren Häusern andere Gruppen angesiedelt sind, die nicht als professionell gelten – ein Beispiel, das im Folgekapitel angesprochen wird. Was in diesem Falle als Bereicherung wahrgenommen wird, könnte in anderen Fällen auch eine gewisse Überheblichkeit darstellen: Wenn es bereits ein Angebot gibt, vielleicht ein festes freies Ensemble, ist die Frage zu stellen, wie dieses wahrgenommen wird und was aus diesem Moment entstehen kann oder könnte, auch vor dem Hintergrund des Festlegung, dass sich die Landesbühnen – zumindest teilweise – als Unterstützer des Amateurtheaters positionieren. Diese Aspekte werden näher betrachtet werden, ebenso wie das Kinder- und Jugendtheater und dessen Verständnis; im Zusammenhang mit der Schwerpunktsetzung auf dieses Genre wird auf die Wichtigkeit der theaterpädagogischen Programme hingewiesen, die beschrieben werden als „bildungspolitische Basisarbeit“ (Landesbühnengruppe im Deutschen Bühnenverein 2008, vierter Absatz des Leitbilds) – hier ist zu betrachten, ob und in welchem Maße Theaterpädagogik in welchem Sinne als Bildung verstanden und gelebt wird. Ein anderer Punkt des Leitbildes, der sich als fraglich darstellt, kann wiederum hier nicht abschließend geklärt werden: Die Landesbühnen sehen sich in Verpflichtung gegenüber dem Kanon der Weltliteratur aber genauso gegenüber zeitgenössischer Literatur – inwieweit diese doppelte Verantwortung vor dem Hintergrund der beschriebenen Marktmechanismen, dem Druck der geeigneten Titelauswahl, Bestand haben kann, könnte durch eine umfangreiche Auswertung der Werkstatistik des Deutschen Bühnenvereins überprüft werden, wäre aber für diese Untersuchung nicht gewinnbringend. Ein weiteres Statement des Leitbilds wurde bisher noch nicht konkret befragt, erschließt sich aber aus den bisherigen Herleitungen: Die Landesbühnen behaupten von sich, dass durch ihre breitenwirksame Tätigkeit, die „Spitze von Hochkultur in den Zentren“ (ebd., siebter Absatz) ermöglicht werde. Dabei eröffnen sie deutlich den Unterschied zwischen Stadt und Land, zwischen Metropole und Region und stellen ihn in Zusammenhang mit Funktionen und Wirkungen von Theater. Ist Landesbühne also zu verstehen als ein Dienstleister, der die breite Masse bedient, damit sich für Einzelne besondere Ausformungen von Kunst und Kultur entwickeln können? Dies impliziert ja bereits eine gewisse Abstufung, eine Verstärkung der Distanz zwischen elitärem Publikum spezieller „Spitzenkultur“ und dem Publikum dieser diametral entgegenstehender „Basiskultur“ und somit auch einer Bewertung: Denn der Begriff „Spitze“ suggeriert bereits, dass alles was dort ist „oben“ oder „vorne“ ist – selbst wenn es sich in ei-

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ner Spitze immer verengt, es läuft daraufhin zu. Dass eine solche Gegenüberstellung den Landesbühnen nicht gerecht wird, wurde durch die bis hier durchgeführte Auswertung der Experteninterviews gezeigt, doch damit ist dieser Diskurs noch nicht abgeschlossen. In dem Symposium zum „Theater als soziale Räume der Öffentlichkeit“, das im Juli 2016 im Rahmen der Verleihung des Theaterpreises des Bundes in Stendal stattfand, wurde in den Diskussionen immer wieder auf die wahrnehmbaren und wahrzunehmenden großen Unterschiede zwischen Metropole und ländlichem Raum verwiesen und auf die damit verbundene Wertung: Die Orientierung gehe immer Richtung Stadt, dort, wo sich eigene „Blasen“ für Kunst entwickeln können, scheint das Zentrum avantgardistischer, neuer Kunst zu sein, doch auch die Region, das Land hat Potenziale zu bieten, sie scheinen nur im direkten Vergleich oft als minder betrachtet zu werden (vgl. Schröck 2017a und entsprechend Kapitel 2). Es gilt also, einen abwägenden Blick zu behalten, ob und wie gerade überhebliche Zuschreibungen vorgenommen werden – und zwar sowohl in der Beschreibung des Modells Landesbühne, als auch hinsichtlich der Positionierung gegenüber anderen, der gelebten Idee von Partizipation und der Darstellung möglicher Zukunftsszenarien. Der Gedanke des Bring-Gestus und seine Zuschreibung drängt sich hier wieder in den Vordergrund und die Überlegungen zu der Bedeutung eines regionalen Theaters im inhaltlichen Verständnis. Anhand der Betrachtung und des Abgleichs von Idee und Realität der Landesbühnen wurden nun bereits einige Problemfelder aufgezeigt, die als Baustelle für mögliche Reformen in Betracht gezogen werden können. Aus diesen Ergebnissen resultieren weitergehende Fragestellungen, die als Grundlage für die weitere Analyse gesehen werden. Die Abbildung 4.1 „Auftrag, Arbeitsbedingungen und Selbstverständnis der Landesbühnen“ fasst diese und die bisherigen Erkenntnisse über die Beauftragung, das Verständnis und die sich aus den Arbeitsbedingungen ergebenen Attribute der Landesbühnenarbeit schematisch und beispielhaft zusammen; die Skizze einer Waage soll die Abhängigkeiten vereinfacht darstellen, die Paarbildungen könnten entsprechend weitergeführt werden, was durch den jeweils oberen Kasten angedeutet wird. Beispielsweise kann die Qualität der Arbeit darunter leiden, dass Kompromisse hinsichtlich der Räumlichkeiten eingegangen werden müssen, wird die Qualität jedoch stärker gewichtet, heißt dies, dass weniger Kompromisse eingegangen werden, also zum Beispiel ein gewisser Ort nicht mehr vollumfänglich bespielt wird, dadurch fehlt an diesem Ort ein kontinuierliches und umfangreiches Angebot, was wiederum Auswirkungen auf die Seherfahrungen hat, was wiederum verhindern könnte, dass unbekannte, „risikoreiche“ Werke an diesem Ort gezeigt werden. Ebenfalls ist eine umfangreiche Auseinandersetzung mit Theaterkunst, also auch mit ihren diversen Ästhetiken nur möglich, wenn die Menschen die Möglichkeit haben, diese Bandbreite tatsächlich zu erfahren: In einer großen Stadt mit mehreren Theatern gibt es mehr Auswahl, ebenso in einem Gastspielhaus mit ganzjährigem Programm unterschiedlicher Anbieter als in kleineren Orten mit nur wenigen Veranstaltungen pro Jahr; eine Verankerung vor Ort, also beispielsweise im Stammsitz, lässt mehr künstlerische Experimente zu, als ein fragiles Verhältnis zu neuen Gastspielorten. Ein Durchbrechen der sich selbst verstärkenden Effekte scheint nur schwerlich und nur mit Unterstützung anderer möglich.57 Die übergreifenden Aspekte, die im weiteren Verlauf der Untersuchung im Fokus stehen und

57 Eine Hilfestellung versucht TANZLAND zu geben, indem es als Förderprogramm genau hier ansetzt.

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daher in der Skizze abgesetzt dargestellt werden, könnten je nach Auslegung und Verständnis die Balance der Waage beeinflussen. Abbildung 4.1: Auftrag, Arbeitsbedingungen und Selbstverständnis der Landesbühnen

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Die Landesbühnen bemühen sich, die Waagschale auf Seiten ihres Selbstverständnisses und ihres Anspruchs zu halten und dagegen anzukämpfen, dass sich eine negative Abwärtsspirale entwickelt, also die teils herausfordernden Bedingungen ihre Arbeit dominieren – und es gelingt ihnen durch ihre Arbeitsweisen und Eigenschaften, die sich dementsprechend spezialisiert haben. Ein weiteres Mal sei hier auf die Entwicklungspsychologie zurückgegriffen, um den Prozess einzuordnen (vgl. zum Folgenden Lindenberger 2002). Jedes Selbst, im übertragenen Sinne soll hier die Landesbühne als ein solches verstanden werden, ist bestrebt, sich in einem Gleichgewicht zu befinden, das heißt Diskrepanzen gegenüber sich selbst und der Umwelt zu vermeiden oder aufzulösen, dies kann zu Anpassungsstrategien führen, die bereits beschrieben wurden. Assimilation und Akkommodation können jedoch auch in einem weiteren Sinne auf die Ausrichtung des eigenen Selbst bezogen werden: Entweder die eigenen Ziele werden hartnäckig weiter verfolgt, das heißt, die eigenen Überzeugungen als Maxime angesehen; oder die eigenen Ziele werden hinsichtlich der Umweltfaktoren und Beeinflussungen flexibel angepasst. Entscheidend ist dabei der Effekt, der dadurch entsteht: Da aufgrund der akkommodativen Prozesse die Zielsetzung angepasst wurde, wird es nicht zu einem Scheitern kommen. Wenn ich meinen Anspruch, das, was ich erreichen will, vor dem Hintergrund bestimmter Unwägbarkeiten oder Herausforderungen ändere, werde ich zufrieden sein, wenn ich es erreiche, denn ich habe ja das geschafft, was ich mir vorgenommen habe. Diese beiden Methoden stehen zunächst ohne Wertung: Eine hartnäckige Orientierung an der ursprünglichen Absicht kann ebenso zu

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einem Erfolg führen, erfordert eine andere Anstrengung und ist verbunden mit assimilativen, also die Umwelt an das eigene Vorhaben angleichenden Prozessen. Darunter könnte im Falle der Landesbühnen auch verstanden werden, die Rahmenbedingungen, also auch die kulturpolitische Beauftragung, die Finanzierung und das Verständnis sogenannter Kernaufgaben an die eigenen Überzeugungen und tatsächliche Arbeit anzugleichen oder dieses zumindest anzustreben. Ein Intendant einer Landesbühne, und im übertragenen Sinne die Landesbühne an sich, muss sich für eine der Möglichkeit entscheiden, bezogen auf viele einzelne Kriterien und Entscheidungen: Von der künstlerischen Umsetzung einer Inszenierung bis zu der Überlegung, wer wie wo mit was erreicht werden soll und welche Funktion Theater und Landesbühne in der Gesellschaft übernehmen sollte.

4.2 L ANDESBÜHNEN ALS T EIL EINE V ERORTUNG

DER

T HEATERLANDSCHAFT –

Jedes Theater in Deutschland ist Teil der Landschaft der Darstellenden Künste und Akteur in diesem Netzwerk: Wie in jedem System ergeben sich innerhalb einer Netzwerkstruktur unterschiedlich stark ausgeprägte Abhängigkeiten und Beziehungen. Die Landesbühnen nehmen, wie in Kapitel 2.3 dargestellt, eine besondere Rolle ein, sie interagieren mit anderen Theatern, fungieren als Partner und Konkurrent, ähneln bestimmten Theatern und deren Betriebsformen und grenzen sich von anderen explizit ab. Eine zu überprüfende These dieser Untersuchung ist die Annahme, dass Landesbühnen in ihren Arbeitsweisen und ihrer Bestimmung zwar zu einem Teil einem klassischen Stadttheaterbetrieb entsprechen, in ihren Funktionen und Aufgaben und den damit zugesprochen Attributen wie Mobilität und Flexibilität sich der Freien Theaterarbeit annähern, respektive zumindest ähnlich sein könnten.58 Im zweiten Teil der Experteninterviews lag daher der Schwerpunkt auf der Position, die die Landesbühne in Relation und im Vergleich zu anderen Theaterbetrieben einnimmt. Auch hier erfolgt die Auswertung in einem Dreischritt: Zunächst wird der Vergleich zu den Strukturen, Arbeitsweisen und Rahmenbedingungen der Stadt- und Staatstheater und der Freien Szene, also den professionell produzierenden, nicht kommerziellen Theatern gezogen. Dabei wurde die Betrachtung hinsichtlich der Struktur der Landesbühnen zusammengeführt, also die Stadttheaterfunktion einerseits im Abgleich mit reinen Stadttheatern und die Reisebühnenfunktion in Bezug auf Freie Theaterarbeit. Das darauf folgende Unterkapitel widmet sich den durch die Beauftragung der Landesbühnen entstehenden Konkurrenz-Situationen und damit zusammenhängend den Kooperationsmöglichkeiten mit professionell arbeitenden Theatern, wobei dabei neben den selbst produzierenden nicht-kommerziellen Theatern besonders auch die Tourneetheater und die Gastspielhäuser zu beachten sind. Im dritten Teil wird die Positionierung der Landesbühne gegenüber weiteren Akteuren innerhalb der Kulturlandschaft, die nicht dem professionellen Bereich oder nicht ausschließlich den Darstellenden Künsten zuzuordnen sind, beschrieben. Eine Zusammenfassung der Erkenntnisse und die daraus resultierenden Fragen und Ergebnisse schließt das Kapitel ab. Einschränkend muss betont werden,

58 Siehe dazu die Herleitungen in Kapitel 2.1 und 2.3.4.

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dass als Interviewpartner nur Landesbühnenintendanten als aktive Experten für ihr Arbeitsgebiet ausgewählt wurden. Die Einordnung der Landesbühnen in das Beziehungsgeflecht zu anderen Theatern und die Bewertung der Unterschiede geschieht also hauptsächlich aus Sicht der Landesbühnen und daher nicht unabhängig, sondern immer voreingenommen. Als Erweiterung bezieht sich die Analyse daher ergänzend auf die Feldnotizen, die sich aus der Teilnahme an unterschiedlichen Fachtagungen ergeben haben. 4.2.1 Landesbühnen: Freie Stadttheater? Durch die Analyse der Selbstbeschreibung und der Rahmenbedingungen ihrer Arbeit wurde ersichtlich, dass die Landesbühnen, obwohl sie sich teilweise als Stadttheater für ihren Stammsitz identifizieren, sich deutlich von den üblichen Stadttheaterstrukturen unterscheiden. Entscheidend für eine Einordnung der Landesbühnen in die Theaterlandschaft ist die Hybridität der Landesbühnen: Die Konstitution der Landesbühne als Reise-Stadt-Theater und die jeweilige Gewichtung auf eine der beiden Rollen wirkt als maßgebliches Spannungsfeld auf alle Entscheidungen und auch auf die eigene Positionierung und Wahrnehmung. Dabei ist die Einzelfallbetrachtung maßgeblich, denn obwohl schon bereits die Definition „Stadttheater“ uneindeutig zu sein scheint, sei die Heterogenität bei ihnen nicht so ausgeprägt wie bei den Landesbühnen, wie Kay Metzger auf die Frage nach der Beschreibung des Konstruktes Landesbühne behauptet: „[D]as Schwierige an der Definition der Landesbühnen ist, dass die Landesbühnen sehr individuelle Bühnen sind. Sie können also viel eher Stadttheater über einen Kamm scheren als Landesbühnen“ (Metzger 2016).59 Gemeinsamkeiten und Abweichungen lassen sich in unterschiedlichen Bereichen feststellen: In den Arbeitsweisen und Rahmenbedingungen der täglichen Theaterarbeit, sozusagen in praktischer Hinsicht; sowie in der Funktionszuschreibung und übernahme, sprich dem Auftrag und zugleich der Erwartungshaltung, was das Theater zu leisten habe. Der Leitfaden sah als Einstieg für diesen Themenkomplex wiederum ein stimulierendes Zitat vor, das jedoch nur bei drei Interviews tatsächlich und auch nur in gekürzter Form verwendet wurde; bei allen anderen entwickelte sich der Gesprächsverlauf entsprechend auch ohne den folgenden textlichen Impuls: „Eine Landesbühne, das ist eine Mischung aus Wanderbühne, freier Gruppe und dem Motto ‚Der Intendant fährt den Bus auch selbst‘“ (Weckherlin u. a. 2014, S. 15). Eine Einordnung des eigenen Theaters und der eigenen Arbeit in die Theaterlandschaft und somit auch ein Vergleich zu den Strukturen eines Stadttheaters oder den Arbeitsweisen der Freien Szene ist abhängig von der jeweiligen spezifischen Situation der Landesbühne und hängt natürlich auch eng zusammen mit den persönlichen Erfahrungen und Vorstellungen des jeweiligen Intendanten, wie Theaterarbeit sich zu gestalten habe; ein Bezug zu den im vorhergehenden Kapitel dargestellten Faktoren ist also immer gegeben. Zu bemerken ist bei einem Vergleich unterschiedlicher Organisationsformen, dass stets eine Wertung mitzuschwingen scheint: Dieses oder jenes sei besser, zumindest vorteilhafter oder an-

59 Vgl. hierzu Kapitel 2.1.2. Da es vergleichsweise viel weniger Landesbühnen als reine Stadttheater gibt, bringen die Landesbühnen ja bereits durch diesen Faktor eine größere Varietät mit sich.

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erkannter. Unkenntnis, falsche Einschätzungen und Vorurteile spielen dabei ebenfalls eine Rolle. Hinsichtlich eines Vergleichs mit den Stadttheatern wussten alle Intendanten eine Einschätzung abzugeben und Unterschiede sowie Ähnlichkeiten aufzuzeigen; bei den Fragen zur Positionierung gegenüber Freien Theater und zu einem Abgleich der Strukturen und des Theaterverständnisses waren die Intendanten nur zum Teil gewillt oder fähig, ausführlich zu antworten, was wiederum Rückschlüsse zulässt, über die gegenseitige Kenntnis und Berührungspunkte innerhalb der Theaterlandschaft. Da alleine aufgrund der unterschiedlichen Gesprächsanteile über die verschiedenen Ausprägungen von Theater eine Gewichtung geschieht, soll die Darstellung der Vergleiche in einer dafür geeigneten Abstufung erfolgen: Zu Beginn soll der Landesbühnenbetrieb mit dem Stadttheaterbetrieb verglichen werden. Damit hängt die Betrachtung der Stadttheaterfunktion der Landesbühne zusammen, denn ein Abgleich mit den Stadttheatern führt bei den Landesbühnen aufgrund ihrer Hybridität auch immer zu einer Befragung der eigenen Gewichtung dieser Funktion und einer Begründung oder Rechtfertigung der Schwerpunktsetzung. Darauf aufbauend wird die Spezialisierung der Landesbühnen im Vergleich zu den Stadttheatern beschrieben und abschließend die Betrachtung möglicher Ähnlichkeiten der Reisebühnenfunktion der Landesbühne zur Freien Theaterarbeit. Stadt-Theater: Vorbild und Maßstab?

Grundsätzlich sind die Landesbühnen strukturell wie Stadt- und Staatstheater aufgestellt, die maßgeblichen Unterschiede, die auch die tägliche Arbeit somit am stärksten beeinflussen, zeigen sich in den im Vorfeld benannten Faktoren der Landesbühnenarbeit: Marktabhängigkeit und Spielplangestaltung, Distanz zu und mittelbarer Zugriff auf das Publikum, Raumsituation(en), Hierarchien, zeitliche Dimensionen sowie natürlich wieder und ständig die doppelte Verantwortung als Zwitterwesen. Im Vergleich mit einem klassischen Stadttheaterbetrieb zeigen sich hier auch die zirkulären Bedingungen dieser Abhängigkeiten untereinander: Ein Stadttheater ist verankert vor Ort, es kann über einen längeren Zeitraum unmittelbar mit seinem Publikum interagieren, ist nicht auf Gastspiele angewiesen, respektive steht in keiner Verantwortung, solche durchführen zu müssen und kann daher mit anderen Strukturen einen diversen Spielplan gestalten. Dieser wird zudem hauptsächlich durch eigene Produktionen gestaltet, nur in wenigen Fällen wird das eigene Programm ergänzt durch Fremdpositionen, das gilt auch für die Landesbühnen in ihrer Stadttheater-Rolle. Dass in größeren Städten mit mehreren Theatern ein festes Theater ein bestimmtes Profil entwickeln und vielleicht sogar bestimmte ästhetische Nischen besetzen kann, wurde bereits erwähnt. Die größte Kluft zwischen Stadttheater- und Landesbühnenbetrieb zeichnet sich in der Grundstruktur ab: Während das Stadttheater sich als (relativ) unabhängiger Akteur der Theaterlandschaft positionieren kann,60 muss die Landesbühne ihr Handeln immer auch am Gastspielmarkt ausrichten und das, so Mirko Schombert, „unterscheidet [sie] sehr von Stadt- und Staatstheatern“ (Schombert 2016). Dabei scheinen die Landesbühnen mit ihren Gastspielproduktionen dem Vorurteil ausgesetzt, in gewisser Gefälligkeit zu produzieren und scheinen aufgrund der Rei-

60 Dabei ist natürlich auch ein Stadttheater immer eingebettet in eine lokale Situation, muss auf andere Akteure reagieren, die Angebot und Nachfrage innerhalb dieses kleineren Netzwerkes mitbestimmen.

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setätigkeit als weniger profiliert wahrgenommen zu werden als reine Stadttheater. Die unterschiedlichen, sowohl realen als auch durch Unwissenheit auf das Gegenüber projizierten, gegenseitigen Erwartungen an einen Stadttheater- und einen Landesbühnenbetrieb lassen sich exemplarisch anhand des Beispiels Theater für Niedersachsen und seiner Gründung darstellen (vgl. dazu Kapitel 3.3.2). Die Zusammenlegung der Landesbühne Hannover mit dem Stadttheater Hildesheim war in dieser Form zunächst einzigartig und musste die unterschiedlichsten Hürden überwinden. Dabei führte der scheinbar grundsätzliche Widerspruch zwischen Stadttheater- und Landesbühnenarbeit dazu, dass die Fusion beinahe scheiterte. Neben juristischen Fragen gab es insbesondere Diskrepanzen bezüglich bestimmter Begriffe und Herangehensweisen, wie Jörg Gade aus seiner Erfahrung der damaligen Verhandlungen berichtet: „Wenn wir als Landesbühne darüber gesprochen haben, dass es darum geht, eine Produktion oder ein Programm zu entwickeln, das man auf dem Gastspielmarkt platzieren kann; [...] darum, etwas auf einem Markt erfolgreich zu platzieren, dann war das für uns als Landesbühne alltägliches Normalgeschäft; führte bei den Kollegen des Stadttheaters zu reflexartigen Hautausschlägen. Dass wir überhaupt über ja marktkonforme Begriffe nachdenken – mussten“ (Gade 2016). Das Agieren auf dem Markt wird als negativ behaftet angesehen: Sich behaupten müssen in einer künstlerischen und finanziellen Konkurrenzsituation, die Notwendigkeit, sich verkaufen zu müssen, wird direkt konnotiert mit Publikumsgefälligkeit, Einschränkung der Kunstfreiheit und damit auch immer mit einer minderen Qualität.61 Es ist auffällig, wie oft die Landesbühnen rechtfertigen und betonen, dass sie, genau wie die anderen öffentlich getragenen Theaterinstitutionen, dem hohen Anspruch nach künstlerischer Qualität und Wertigkeit gerecht werden: Es wird immer der Aufwärtsvergleich bemüht und betont, dass die Landesbühnen auf dem gleichen Level wie die Stadttheater auch arbeiten: Formulierungen, die implizieren, dass die Stadttheater das anzustrebende Niveau vorgeben.62 In Hildesheim sorgte daher die geplante Zusammenlegung dementsprechend im Vorfeld für Ängste und Zweifel: „Und dann gab es eine Phase, wo [...] im Stadttheater Hildesheim oder in Hildesheim in der Öffentlichkeit spürbar wurde, eine große Skepsis vor dieser Fusion. Es wurde immer wieder, bis hinein in den Aufsichtsrat, formuliert, dass mit der Fusion zu befürchten ist, eine Niveauabsenkung, vor allem im Schauspiel; weil man dann eben nicht mehr anspruchsvolles zeitgenössisches Theater zeigen kann“ (ebd.). Hier zeigt sich nicht nur die angebliche Abstufung zwischen Theaterarbeit und Theaterkunst eines Stadttheaters und einer Landesbühne, sondern damit verbunden auch eine Vorverurteilung der unterschiedlichen Publika. Für Jorg Gade war dies der Anlass, dass ihm – nach eigenen Worten – in einer Aufsichtsratssitzung die Hutschnur platzte (ebd.): „[I]ch habe gesagt, das, was wir hier erleben ist doch nichts anderes als die Borniertheit von einer kleinen Stadt gegenüber noch kleineren. Die Sorge, die sie hier formulieren, ist doch die, wir intelligenten Hildesheimer müssen in Zukunft ein Theater machen, das auch der doofe

61 Die anhaltende Diskussionen um eine Autonomie der Kunst, einer Ausrichtung am Publikum, eine damit verbundene Befragung von Legitimation und Relevanz von Theater wurde in Kapitel 2 abgebildet. 62 Siehe dazu die entsprechenden Passagen über Qualität in der Selbstbeschreibung der Landesbühnenintendanten und die Darstellung der Konkurrenzsituationen im folgenden Unterkapitel.

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Gronauer versteht. Das ist doch dummes Zeug. So. Das wollten die natürlich so nicht verstanden wissen“ (ebd.). Die tatsächlich vorhandenen oder nur von außen zugeschriebenen Unterschiede in den Erwartungshaltungen wurde bereits exemplarisch beschrieben: Die Entwicklung des Publikums, seines Geschmacks und somit auch seiner Erwartungen und Toleranzschwellen sind abhängig von der Präsenz und der Verortung des jeweiligen Theaters. In einer Stadt kann ein Theater, da es ganzjährig, im wörtlichen Sinne andauernd vor Ort produziert und präsentiert, besser auf das Publikum reagieren, es gleichermaßen erziehen, idealerweise gemeinsam mit ihm wachsen. Mirko Schombert stellt dies in Zusammenhang mit der allgegenwärtigen Marktabhängigkeit, in der er den größten Unterschied zwischen Stadttheater und Landesbühne sieht (vgl. Schombert 2016): „Natürlich muss auch ein Stadt- und Staatstheater auf den Spielplan gucken und dafür sorgen, dass die Auslastung einigermaßen okay ist und so; aber: die können sich natürlich ein Publikum heranziehen oder die können – das klingt so autoritär, die können mit einem Publikum zusammen sich entwickeln und wachsen; ich hab ein eigenes Haus [...] und kann sagen, ich spiele jetzt hier [...] ein eher unbekanntes Stück, das spiele ich aber einfach und vertraue darauf, dass die Qualität siegen wird, es sich in der Stadt rum sprechen wird, eine gute Kritik kommen wird, die Zuschauer vielleicht generell schon so auf das Staatstheater geeicht sind, dass sie auch Experimente mitgehen und kommen – all das fällt zumindest bei uns an der Burghofbühne Dinslaken weg“ (ebd.). Zeit als Problematik wird auch im Vergleich mit den Stadttheatern in doppeltem Maße ersichtlich: die kurzfristige Präsenz in den Gastspielorten bei gleichzeitiger Langfristigkeit der Planung, jeweils in Abhängigkeit zum Gastspielmarkt. Bei den Landesbühnen setzt der Verkaufsmoment teilweise bereits vor der Produktionsphase ein, somit gibt es bei den Landesbühnen eine Beeinflussung oder zumindest Irritation der klassischen Abläufe, wie sie innerhalb eines Stadttheaterbetriebes zu finden sind,63 mit im Extremfall gravierenden Auswirkungen, welche die Kluft zwischen Stadttheaterund Landesbühnenarbeit aufzeigen: „Wenn wir hier ein Stück ansetzen, was nicht so bekannt ist, dann wird es mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit nicht gekauft; und dann wird es nicht gespielt werden. Also das ist eine ganz große Zwangslage, in der wir sind; und das ist auch ein riesiger Nachteil gegenüber der Stadttheaterstruktur“ (ebd.).64 Die Burghofbühne ist bei dieser Argumentation aufgrund der nicht vorhandenen eigenen richtigen Spielstätte das besondere Ausnahmebeispiel, dessen ist auch Schombert sich bewusst, er verweist als Gegenbeispiel auf das vergleichsweise sehr große Landestheater Detmold, dieses habe „einen wahnsinnigen Spielbetrieb vor Ort in diesem Haus, das funktioniert so eigentlich als Zwitterwesen zwischen Stadttheater und Landestheater“ (ebd.). Die Gewichtung der hybriden Verantwortung ist stark abhängig von den Möglichkeiten und den Bedingungen im Stammsitz und unterwegs: Dort, wo der Theaterbetrieb angesiedelt ist, können andere Bindungen zwischen Theater und Publikum, den

63 Thomas Schmidt beschreibt diese als vier aufeinander aufbauende Kernprozesse: Konzeption, Planung, Produktion, Präsentation, siehe dazu Schmidt 2012, S. 70–74. 64 Die weiteren Beeinflussungen durch die Situation des Gastspielmarktes wurden in Kapitel 4.1 beschrieben: Berücksichtigung der Erwartungshaltungen und Raumsituation nehmen Einfluss auf die Konzeptions- und Planungsphase, die zeitlichen Abläufe sind sowohl hinsichtlich Länge als auch Parallelität anders getaktet als im reinen Stadttheaterbetrieb.

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politisch Verantwortlichen und weiteren Akteuren der Kultur- oder Bildungslandschaft entstehen.65 Theater für eine Stadt zu sein geht einher mit bestimmten Erwartungshaltungen, denen es gerecht zu werden gilt: Angefangen von den Ansprüchen des Publikums und Erwartungen hinsichtlich bestimmter künstlerischer Ausdrucksformen bis zu den Zielsetzungen der Geldgeber, Kennzahlen wie Auslastung und Vorstellungsanzahl betreffend. Begünstigt wird dies verständlicherweise durch die zur Verfügung stehenden Infrastruktur und die Rahmenbedingungen: Die Konzentration der künstlerischen Arbeit auf den Stammsitz kann neben der Selbstverpflichtung, Theater für diesen Ort zu sein, auch finanzielle oder aus der Tradition erwachsene Gründe haben: In Tübingen fungiert beispielsweise das LTT „als die kulturelle Kirche im Dorf; [...] wir sind das Stadttheater für Tübingen; der Oberbürgermeister kommt aufgrund der Konstellation, dass wir ein Landestheater sind sehr günstig an ein Stadttheater, denn das meiste Geld kommt von der Landesregierung aus Stuttgart [...] du unterhältst hier mit einer kleinen Minisumme ein richtiges Stadttheater“ (Weckherlin 2016). Was ein Stadttheater eigentlich genau auszeichnet, wird auch durch die Interviewpartner unterschiedlich beschrieben, für Peter Grisebach bezieht sich die Bezeichnung auch auf die Bereitstellung eines umfangreichen Programms aus mehreren Sparten und er sieht sein Landestheater dadurch in der Funktion als Stadttheater für drei Städte, denn „jedes Theater von diesen Hauptgesellschaftern, Flensburg, Rendsburg und Schleswig, bekam ja plötzlich das Theaterangebot eines [...] kleinen bis mittleren Stadttheaters und zwar ein Fünf-Sparten-Angebot. Überall war Musiktheater, Tanztheater, Schauspiel, Sinfoniekonzert, Kinder- und Jugendtheater, beziehungsweise Puppentheater dabei“ (Grisebach 2016). Ein klarer Vorteil wäre, dass dies deutlich günstiger für die Städte sei, als jeweils ein eigenes Theater zu unterhalten; „ein normales Stadttheater, [...] das kostet uns ungefähr 10 Millionen Euro aus dem Stadtsäckel. Und mein größter Gesellschafter, Flensburg, dort hab ich 200 Arbeitsplätze, zahlt grade mal 2 Millionen; ein Fünftel davon und hat ein komplettes Angebot, genauso Rendsburg; die zahlen nur 500.000. Schleswig 500.000. Und insofern ist es eine absolute Win-win-Situation; für sehr wenig Etat bekommt eine riesige Fläche ein komplettes Theaterangebot“ (ebd.). Grisebach weist jedoch unmittelbar in den folgenden Sätzen auf die Einschränkungen hin, die das Konstrukt Reisebühne mit sich bringt und auf die Kompromisse, die sie eingehen muss, das Konstrukt ist also nur „[i]m Prinzip“ „wunderbar“ (beide ebd.). Mit diesen beiden Beispielen wird bereits deutlich, dass die Stellung der Landesbühne (wie vermutet, vgl. Kapitel 2.3) in der Theaterlandschaft als konfliktreich zu beschreiben ist. Dies wird von den Gesprächspartnern mit Blick auf die Zukunft und damit verbundenen Chancen und Gefahren thematisiert und wird entsprechend im zugehörigen Kapitel ausführlicher betrachtet. Eine Konzentration auf den Stammsitz und somit auf die Stadttheater-Persönlichkeit der Landesbühne birgt die Gefahr, dass die Gastspieltätigkeit leidet: In qualitativer Hinsicht, wenn die Reisebühnenfunktion als Zusatz und nicht Hauptaufgabe gewertet würde – auch wenn diese Möglichkeit von den Gesprächspartnern ja grundsätzlich negiert wird, da der Anspruch sei, auf den Gastspielbühnen das Gleiche zu zeigen wie auf den Bühnen im Stammsitz; aber auch in quantitativer Weise, insbesondere aus finanziellen Gründen, mit denen beispielsweise Matthias Faltz argumentiert: Das HLTM sieht er als Stadttheater „mit dem Wunsch, mit der Absicht, zu reisen. Und Tourneen oder

65 Vgl. dazu ergänzend die Ausführungen in Kapitel 2.2, insbesondere 2.2.3.

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Gastspiele zu machen. Und das funktioniert gut, weil die Gesellschafter letztendlich nicht darauf pochen, dass wir so und so viel Prozent Gastspiele machen, sondern sie wollen, dass wir [...] unseren Einnahme-Soll erfüllen, um [...] auch den wirtschaftlichen Teil da abzusichern; und das funktioniert die letzten Jahre, zum Glück gut; und da sind alle zufrieden“ (Faltz 2016).66 Mit dieser Formulierung verdeutlicht Faltz auch die Interpretation seiner Beauftragung: Er spricht von Wunsch, nicht von Auftrag; von Absicht, nicht von Ziel, was den (dominanter ausgeprägten) Stadttheater-Charakterzug noch unterstützt. Im Verlauf des Gesprächs weist Faltz allerdings gleichermaßen darauf hin, dass das HLTM dennoch auf seine Reisetätigkeit als Einnahmequelle und daher auf freie Verkäufe angewiesen sei: Auch aus diesem Grunde beschränke sich das Spielgebiet, weil er keine festen Abnehmer habe, nicht auf Hessen, sondern das Theater gebe Gastspiele bundesweit und bis in die Schweiz hinein (vgl. ebd.). Thorsten Weckherlin sieht sich in Tübingen in einer ähnlichen Situation der schweigenden Akzeptanz seitens der Träger „Ich mein ich habe ja den Auftrag gekriegt, 50% der Abstecher nach draußen zu kriegen. Ich hab grade mal 22 geschafft, diese Spielzeit. Bis jetzt schreien die da nicht auf; [...] natürlich kann ich das Angebot hier reduzieren. Aber warum? Das wissen auch die Träger. Ich mach da hier gutes Geld. Darf man ja auch nicht vergessen“ (Weckherlin 2016).67 Dass sich die meisten der Landesbühnen eher als Stadttheater mit Reisefunktion denn als Reisebühne mit Stadttheateraufgabe betrachten, hat demnach auch finanzielle Gründe; auch da die Sitzstadt in den meisten Fällen zu den Hauptgeldgebern gehört und als wichtiger Träger natürlich Ansprüche stellt. Darüber hinaus prägt das Verständnis als Stadttheater mit Reisefunktion auch die weiteren als notwendig erachteten Rahmenbedingungen: Stadttheaterarbeit im klassischen Verständnis eines Ensemble- und Repertoirebetriebes ist nur möglich mit einer bestimmten Infrastruktur vor Ort und fordert diese gleichermaßen ein: Bühne, Gewerke, Probenräume, ein Zentrum, oder wie Jörg Gade es bezeichnet, eine Heimat, die absolut notwendig sei: „[D]ie Sitzorte der Landesbühnen sind deshalb wichtig, weil damit diese Kunst entstehen kann, braucht es eine Heimat. Die Landesbühne Hannover gehörte zu den letzten Landesbühnen lange lange Zeit, die kein eigenes Haus hatte. Die hatten irgendwo in der Stadt ein paar Werkstätten angemietet; hatten irgendwo anders eine Probebühne, aber sie hatten kein Theater. Und es war [...] für den damaligen Intendanten ganz wichtig, das zu erkämpfen und zu erreichen [...] er hat damals den Politikern immer gesagt: Diese Schauspieler, die sie da oben grade bewundert haben, den Faust und den Mephisto, die nehmen jetzt ihre Aldi-Plastiktüte und steigen in den Bus. Die haben kein Zuhause“ (Gade 2016). Gade bezieht sich in dieser Argumentation nicht nur auf die Bedeutung des Stammsitzes als Ort, sondern unterstreicht durch das indirekte Zitat die Bedeutung des Ensembles als Identifikationsfiguren, die Darsteller als Funktionsträger für die Beziehung zwischen Theater und Stadt und zugleich aber auch die Distanz zwischen Zuschauer

66 Vergleiche hierzu auch die Einschätzung des Bundesrechnungshofs, dass äußere Umstände zu einer Reduzierung der Gastspieltätigkeit geführt haben, auf die in dieser Arbeit im Abschnitt 3.3.6 verwiesen wurde. 67 Allerdings deutet auch Weckherlin an, dass die Geldgeber außerhalb Tübingens durchaus Druck ausüben, die Verhältnisse von der Konzentration auf Tübingen zugunsten der Bespielung der Fläche zu ändern, vgl. dazu Weckherlin 2016.

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und Theatermachern: Die da oben, die man bewundert, die besonderes zu sein scheinen im Gegensatz zu dem Besucher – eine gewisse Unnahbarkeit, die mit dem Verständnis von Theater zusammenhängt und sich auch in dem Besuchsverhalten spiegeln könnte, denn von der Bewunderung abgesehen, kann diese auch umschlagen in Desinteresse oder das Gefühl, dass dieses Theater nichts mit einem selbst zu tun habe. Dieser Konflikt, der sich vor allem in Fragen der Besucher- und Nicht-Besucherforschung niederschlägt, wird von Thorsten Weckherlin auch auf die räumlichen Barrieren bezogen, die abschreckende Wirkung entfalten könnten; „die klassischen Stadttheater, das ist für mich immer ein großes Merkmal, strahlen immer noch so eine auratische Exklusivität aus; wo Klein-Erna, wenn sie dran vorbeigeht und in das Säulenportal hineinguckt, oft geht es auch noch nach oben, sagt: das was die da drin verhandeln, das ist nicht mein Thema und ich versteh das wahrscheinlich gar nicht“ (Weckherlin 2016). Die Ausstrahlung eines Gebäudes und die damit verbundenen Assoziationen scheinen ein wichtiges Element der Selbst- und der Fremdwahrnehmung und die jeweilige Architektur scheint kongruent mit der Gewichtung innerhalb der Hybridität Stadt-Reisetheater der einzelnen Fallbeispiele zu sein, so schwärmt Kay Metzger über seine Heimstätte, in der das Landestheater Detmold „einen richtigen halben Stadttheaterbetrieb parallel fährt“ (Metzger 2016): „[W]ir sind hier in einem historischen Theatergebäude, 1824 gebaut, ein wunderbarer Theatersaal, mit vier Sparten“ (ebd.). Jörg Gade spricht gleichermaßen sehr positiv über das Hildesheimer Theater, das zugleich eine mehrschichtige Bedeutung hat: Durch dieses Gebäude und die Verortung positioniert sich das TfN vor dem Hintergrund des oben beschriebenen Konflikts klar in seiner Funktion (auch) Stadttheater für Hildesheim zu sein, beziehungsweise tatsächlich auch örtlich zu bleiben.68 Ein Gegenbeispiel stellt das LTT dar: Für Weckherlin zeichnet sich beispielsweise das Haus des LTT durch seine Andersartigkeit aus, die bereits aufgrund der Gebäudegestaltung im Gegensatz zu den klassischen Stadttheatergebäuden eine Niedrigschwelligkeit mit sich bringe. Diese würde dem Gedanken Landesbühne zu sein in dem Sinne einer einfachen Zugänglichkeit entsprechen, denn „es war früher eine Stuhlfabrik, [...] man hat keine Eintrittsängste [...]. Man latscht hier auch den ganzen Tag durch; [...] und diese Selbstverständlichkeit, ein Theatergebäude zu betreten, ist hier gegeben, [...] das finde ich wahrlich schön“ (Weckherlin 2016). Ebenso ist die Situation in Marburg besonders: Das Hessische Landestheater Marburg, entstanden aus dem dortigen Stadttheater, hat trotz Konzentration auf den Stammsitz dort kein eigenes repräsentatives Theatergebäude zur Verfügung („wir haben nicht so ein Theaterhaus wie zum Beispiel in Detmold oder so, die so ein klassisches Theatergebäude haben“ (Faltz 2016)). Während der Intendanz von Matthias Faltz und zum Zeitpunkt der Interviews wurden in der Interimszeit der Umbaumaßnahmen der Stadthalle verschiedene Orte in der Stadt bespielt, was einen besonderen Effekt hatte und mit Blick auf mögliche Veränderungen der Landesbühnenarbeit im weiteren Verlauf der Untersuchung als Beispiel dienen wird; zukünftig wird das Theater aber in der neuen Multifunktionshalle produzieren und aufführen, die es sich mit anderen Akteuren teilen wird (vgl. Kapitel 3.3.6) – was

68 „[D]er Stammsitz ist ganz wichtig; für uns als TfN hat es wieder noch eine besondere Situation, weil wir ja aus einer Fusion hervorgegangen sind. Also auch hier ein sehr altes, gewachsenes Theater, 1909 gegründet; als Stammsitz haben. Das ist auch ein Luxus, das ist schön“ (Gade 2016).

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dies über die Vorstellung von Theater in Marburg aussagt und welche Absicht dahinter steckt, nämlich bewusste Niedrigschwelligkeit und Alltäglichkeit erzeugen, oder eine Herabstufung des Theaters in dem Sinne, dass es nicht als eigenständige Kulturinstitution mit eigenem repräsentativen Gebäude zu werten sei, kann hier nicht diskutiert werden. Diese Fragestellung sagt jedoch bereits etwas über die Verhältnisse der Strukturen untereinander aus: Wann ist ein Theater ein „richtiges“ Theater? Wie sehr ist dieses Verständnis an Räume und Orte und somit an Strukturen gebunden? Für Matthias Faltz scheint ein großes Theatergebäude mit entsprechender Ausstattung nicht ausschlaggebend zu sein: „[W]ir haben weder richtige Seitenbühnen, noch Züge; es lebt sowieso immer wirklich von einer guten Idee; es lebt nicht von diesen Theaterdrehbühnen und Versenkungen und Orchestergraben“ (ebd.). Hier zeigt sich der enge Zusammenhang zwischen Rahmenbedingungen und Theaterverständnis, der auch in den vorhergehenden Überlegungen bereits angesprochen wurde.69 Entsprechend der Ausführungen zu dem Selbstverständnis und dem kulturpolitischen Auftrag zeichnet sich ab, dass im Verständnis der Interviewpartner die klassische Produktionsweise und der damit verbundene (Stadt-)Theaterbetrieb als Maßgabe angesehen wird: Die Theaterproduktionen werden meist verstanden als Bühnenproduktionen für einen Theaterort. Dass eine Anerkennung als Theater für eine (und der) Stadt mit dem Gebäude zusammenhängen kann und daran auch die Akzeptanz des Theaterbetriebes festgemacht wird, deutet Jörg Gade nur an, für Peter Grisebach und das SHL sind damit schmerzhafte Erfahrungen verbunden: Der Wegfall eines der drei Hauptgebäude in Schleswig hat das Konstrukt der Landesbühne nachhaltig erschüttert, da nicht nur ein Spielort gänzlich wegzubrechen drohte, sondern auch einige der Träger dies zum Anlass nahmen, die finanzielle Unterstützung zu überdenken, gar in Frage zu stellen; dargestellt wurde dies in Kapitel 3.3.7. Der Theaterbetrieb der Landesbühne kann weitergeführt werden, nicht zuletzt auch durch den Zusammenhalt und die Verhandlungen aller Partner, ähnlich wie die Existenz der Burghofbühne durch das Netzwerk der beteiligten Kommunen gesichert werden konnte (vgl. entsprechend das Kapitel 3.3.3). Eine Trägerschaft, die auf mehreren Schultern ruht, ist typisch für die Landesbühnen, Kay Metzger sieht darin sogar den tatsächlichen Vorteil gegenüber den Stadttheaterstrukturen, benennt aber im gleichen Atemzug auch die Gefahr, die sich aus dieser fragilen Abhängigkeit ergeben kann:70 „Was die Landesbühnen stärkt und schwächt zugleich, das ist die Struktur [...] in einer sehr ambivalenten Trägerschaft. Die meisten Landesbühnen haben mehrere Träger; [...] und das ist auf der einen Seite sehr gut, weil in so einem partnerschaftlichen Pool es schwer ist, auszuscheren; [...] wer will der erste sein? Auf der anderen Seite sind [...] Landesbühnen dann wiederum labil, wenn jemand der erste ist [...] das ist also eine sehr spannende Gemengelage; im Großen

69 Eine solche im Gesprächsfluss stattfindende Verknüpfung der Gegebenheiten mit der Idee von Theaterarbeit könnte man auf zwei Weisen deuten: Dass Faltz eine für seine Situation passende Auffassung entwickelt hat oder aber, dass er gerade mit dieser Überzeugung besonders geeignet für die Leitung einer Landesbühne ist, da er mit den Bedingungen umzugehen weiß und sie nicht als negative Einschränkung betrachtet; vgl. dazu die vorhergehenden Überlegungen in Kapitel 4.1.4. 70 Er verweist dabei auf die Situation des SHL, für die zum Zeitpunkt der Interviews tagesaktuell noch keine verträgliche Lösung absehbar schien, siehe dazu Metzger 2016

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und Ganzen hat es sich gezeigt, dass [...] diese Landesbühnen mit einer relativ breiten Trägerschaft nach wie vor sehr stabil sind. Stabiler als manches Stadttheater“ (Metzger 2016). Zudem muss die Landesbühne in diesem Netzwerk der Geldgeber auch vielen Partnern gerecht werden und die Gewichtung der unterschiedlichen Aufgaben, also die unterschiedlich starke Bespielung der einzelnen Orte oder eine Konzentration auf bestimmte Städte ist durchaus nicht konfliktfrei, wie Thorsten Weckherlin hinsichtlich der Positionierung des LTT als Stadttheater Tübingens anmerkt (vgl. Weckherlin 2016). Spezialisierung Landesbühne

Manuel Schöbel, der die Landesbühnen Sachsen als Stadttheater für Radebeul und als Theater für Sachsen ansieht, betont die in seinem Fall eindeutig scheinenden Unterschiede zwischen Stadttheater- und Reisefunktion: Die „Landesbühnen Sachsen sollen als Ergänzung zu diesem Stadttheaternetz fungieren. Und das finde ich persönlich aus einer Doppelperspektive – einmal war ich Intendant [...] eines der betroffenen Stadttheater und jetzt bin ich Intendant der Landesbühnen Sachsen – doppelt richtig, und vernünftig, weil ich glaube, die Theaterstandorte mit den festen stehenden Ensemble kann man nicht ersetzen für eine Stadt; das ist so wichtig, dass die Menschen ihre Schauspieler in der Stadt wiedertreffen und [...] dass die Künstler und die Techniker da wohnen und arbeiten, das ist großartig und das soll erhalten bleiben; gleichzeitig ist es natürlich möglich, mit so einer Landesbühne, [...] auch das Angebot so eines Stadttheaters zu erweitern und zu ergänzen; und wir sind halt darauf spezialisiert, zu fahren, zu reisen, unterwegs zu sein und dabei relativ effizient, die verschiedenen Sparten des Theaters anzubieten“ (Schöbel 2016). Bei allen aufwärts gerichteten Vergleichen, was an dem Stadttheaterbetrieb besser sei als bei den Landesbühnen, betonen auch die anderen Gesprächspartner gleichermaßen die Aspekte ihrer Arbeit, die sie als positiver, als Vorteil bewerten: Die Beweisführung, warum es angenehmer sei, in Stadttheater-Verhältnissen zu produzieren, wird genau so für die Gegenargumentation verwendet: Das Fehlen oder nicht ausreichende Vorhandensein von all dem, was einem stehenden Ensembletheater bei stetiger Präsenz in einer Stadt zum Vorteil gereichen mag, scheint für die interviewten Intendanten den Reiz der Landesbühnen auszumachen. Kritisch betrachtet stellt sich natürlich auch dabei die Frage nach den Kausalitäten oder anders ausgedrückt nach der Betrachtungsrichtung, also ob der Zustand die Bewertung bestimmt oder umgekehrt. Matthias Faltz beschreibt seine Situation im Vergleich zu Stadttheatern als nicht negativ belastet, es „[gibt] in den reinen Stadttheatern so von dem Nachdenken über Inszenierungen weniger Einschränkungen [...], wir müssen natürlich diese Möglichkeit, damit zu reisen, immer im Hinterkopf haben; was ich aber eigentlich noch nie so wirklich als Nachteil gesehen habe“ (Faltz 2016). Das Selbstbewusstsein der Landesbühnen und ihrer Intendanten ist in dieser Hinsicht gerade in Abgrenzung zu den reinen Stadttheaterstrukturen ein ausgeprägtes: Als ausgewiesene Experten für ihr Fach könnten sie im Bereich der Gastspiele schneller, besser und effektiver sein, sowohl durch die Ausrichtung ihrer künstlerischen Arbeit (auch) auf die Reisetätigkeit als auch durch die darauf ausgerichteten Strukturen (vgl. Weckherlin 2016). Die Landesbühnen sind spezialisierte Theater, die mit ihrer Expertise andere Theater ausstechen können, wie Jörg Gade feststellt, denn sie hätten „ein Know-how auch entwickelt [...], das uns zu Experten in diesem Bereich macht. Das erlebe ich auch immer wieder im Gespräch mit den Gast-

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spielorten, die sagen: um Gottes Willen, keine Gastspiele von Stadttheatern, die reisen drei Tage vorher schon an und bringen mir das Haus durcheinander [...]; und bei den Landesbühnen weiß ich, die kommen, spielen, fahren wieder und die wissen wie es geht“ (Gade 2016). Kay Metzger, dessen Aussagen zu dem notwendigen hohen Niveau der Ensembleleistungen bereits zitiert wurden, betont mehrfach, dass man als Landesbühne die Gastspieltätigkeit nicht nur wollen, sondern auch dazu fähig sein müsse, denn Landesbühnen „machen das als ihr Hauptgeschäft, zu reisen, auch wenn man jetzt das Wort Wanderbühne vielleicht mit einem gewissen Räuspern [...] sähe, [...] man muss das können“ (Metzger 2016). Was er auf die Motivation der Mitarbeiter und die Qualität der Arbeit bezieht, lässt sich natürlich auch übertragen auf die Ressourcen: Geld, Ausstattung und Personal muss den Anforderungen des Gastspielbetrieb entsprechend vorhanden sein, beziehungsweise zur Verfügung gestellt werden, damit die Landesbühnen zur Erfüllung ihres Auftrages ermöglicht werden. Dass die besonderen Anforderungen bestimmte Eigenschaften ausprägen, wurde bereits hergeleitet; dass sich die Landesbühnen dadurch besonders auszeichnen, meint auch Thorsten Weckherlin und bestätigt damit die Aussagen Gades und Metzgers: „Ein Bühnenbild mal ganz schnell innerhalb eines Tages da aufzubauen – wenn das Thalia-Theater eingeladen wird, [...] – die Bühnentechnik legt da den ganzen Betrieb für ein Gastspiel lahm. Für uns ist es: vormittags wird aufgebaut, abends wird wieder abgebaut; es wird gespielt und tschüss. [...] Dass man da automatisch flexibler ist, weil man anders tickt“ (Weckherlin 2016). Die Einstellungen des Personals zu der täglichen Theaterarbeit, der Zusammenhalt der Mitarbeiter, die internen Strukturen und ihr Zusammenhang mit den Arbeitsbedingungen und dem Selbstverständnis wurden ebenfalls bereits thematisiert; das Arbeitsumfeld und die Hierarchien in den Landesbühnen dienen den interviewten Intendanten teilweise als weiterer Abgrenzungsfaktor zu großen Stadttheaterbetrieben. Matthias Faltz sieht den großen Verwaltungsapparat, den es in Theaterinstitutionen geben kann, kritisch und betont die relativ kleinen Verwaltungsstrukturen des HLTM, im Mittelpunkt des Theaterbetriebes habe die Kunst(-produktion) zu stehen und die Organisationsform eines Stadttheaters könnte für diese sogar hinderlich denn fördernd sein, gerade wenn es um Entscheidungsgewalt und Dienstwege ginge (vgl. ebd.), denn leider führe ein zu hierarchisch geführtes Theater dazu, dass „da viele Leute frustriert sind [...] – und Kreativität funktioniert eben nicht, wenn man frustriert ist“ (ebd.). Faltz bezieht sich auf seine eigenen Erfahrungen im Stadttheaterbetrieb, andere Gesprächspartner verweisen auf die gängigen Vorurteile der strengen Zuständigkeiten im Stadttheater, über die man sich nicht hinwegsetzen dürfe, etwas was bei Uwe Brandt auf absolutes Unverständnis stößt: „[I]ch hab noch nie verstanden, warum irgendwie jemand, der Ton macht, nicht in der Lage ist, auch eine Glühbirne einzudrehen. [...] das ist ja [...] schon ein abgenudelter Gag aus der Theaterwelt. Also, was soll das? So Leute brauch ich nicht um mich herum und wenn auf einer Probe [...] von mir [... bei einem] Vorhang, [...] ein Röllchen aus der Schiene rauskommt, dann stell ich mich auch auf die Leiter“ (Brandt 2016). Die dargestellte enge Zusammenarbeit der Mitarbeiter innerhalb der Landesbühnen zeigt sich also auch in einer gemeinsamen Verpflichtung und der umfassenden Verantwortung und nicht der strikten Trennung von Bereichen, „das man da einfach gar nicht fragt, ist das jetzt meine Aufgabe, oder ist das seine Aufgabe, sondern sagt, [...] wer kümmert sich drum und dann wird es gemacht; [...] ich habe [...] immer wieder versucht, klar zu machen, dass es nicht darum geht, dass die

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Bühnentechnik dann nicht die Kabel mit wegräumt, [...] oder die Bühnenarbeiter von der rechten Seite, [...] nicht das anfassen, was in der Mitte hängt und links, die fassen das auch nicht an, weil es nicht klar ist, ob es rechts oder links ist, wo ich finde, das ist Kindergarten“ (Faltz 2016). Eine solche Arbeitsbeziehung mit nur geringer Hierarchie und gemeinsamer Verantwortung kann natürlich nicht nur innerhalb der Landesbühnen entstehen, Friedrich Schirmer und Mirko Schombert weisen beispielsweise darauf hin, dass die interne Struktur und das Verständnis von Theaterarbeit nicht von der Gastspieltätigkeit, sondern viel mehr von der Größe des Betriebs abhänge, denn diese sei entscheidend für die Kommunikation, so Schirmer: „[M]an muss ein kleines Theater führen wie ein großes und ein großes wie ein kleines. Das heißt hier, dass die Wege so nah sind, dass sozusagen kaum Sitzungen stattfinden“ (Schirmer u. a. 2016) und Schombert ist sich sicher, dass enger Zusammenhalt und unkomplizierte Zusammenarbeit in jedem kleineren Theater gut entstehen und gelebt werden könne, „wenn man irgendwie in Mitarbeitergrößen von 30, 40, 50 Personen [...] denkt, dann ist das natürlich was anderes, als wenn man so einen 500-Mitarbeiter-Tanker [...] hat“ (Schombert 2016)71 Freie(ere) Theaterarbeit?

Erneut zeigt sich an diesem Punkt die Heterogenität der Landesbühnen: Während Kay Metzger feststellt, dass sein Theater vom Duktus der Freien Szene weit entfernt sei (bezogen auf das Theatergebäude in Detmold, siehe Metzger 2016), scheinen einige der Theater Zuschreibungen für sich zu übernehmen, die originär in der Freien Theaterarbeit verwurzelt scheinen. Sie beschreiben sich als mobile flexible, zur Improvisation fähige Theater, mit (teilweise und vielleicht auch nur behaupteten) flachen Hierarchien sowie damit zusammenhängend einem Verständnis von Theater als kollektive und partizipatorische Kunst. Allerdings lässt sich eine der Annahmen dieser Forschungsarbeit, dass sich Landesbühnen in ihrer Struktur zwischen Stadttheater und Freiem Theater bewegen, zunächst nicht bestätigen. Die großen Unterschiede zwischen Landesbühne und Freiem Theater scheinen einen weiterführenden Vergleich sogar hinfällig werden zu lassen: Landesbühnen können ihre Inszenierungen relativ flexibel anpassen, sie sind mobil mit dem bereits erstellten Produkt, welches gegebenenfalls durch notwendige Improvisation angepasst wird – diese Eigenschaften beziehen sich also auf die Distribution, die ja auch im Mittelpunkt ihrer Beauftragung steht, wie durch die Ausführungen der Intendanten deutlich wurde. Freie Theater hingegen wenden diese Eigenschaften bereits auch in der Produktionsphase an: Sie sind grundsätzlich mobil – produzieren nicht nur an einem oder für einen bestimmten Ort72 und flexibel – können auch kurzfristig auf aktuelle Themen reagieren. Ihre Arbeitsweise steht somit gewissermaßen konträr zu den Abläufen der Landesbühnenarbeit, zu dem „Geschäftsmodell Landesbühne“ (Gade 2016), das nach Jörg Gades Formulierung „eben mit dieser Langfristigkeit arbeitet

71 Zu den Aspekten einer stärkeren Mitverantwortung, also auch Mitbestimmung innerhalb des Theaters und der Bedeutung einer partizipatorischen und vertrauensvollen Arbeitsstruktur vgl. die obigen Darstellungen in Kapitel 4.1, weiterführend Kapitel 2.3 und Kapitel 4.3. 72 Diese scherenschnittartige Beschreibung sei hier im Sinne der Argumentation verwendet; es gibt auch Freie Gruppen, die ausschließlich oder hauptsächlich nur für einen bestimmten Spielort produzieren, vgl. dazu Kapitel 2.1.2.

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und das läuft grade den [...] ästhetischen Produktionsweisen auch der Freien Theaterleute zuwider. Also, alles was prozesshaft ist, wo postdramatisch gearbeitet wird, wo ich also noch am wenigsten vorher sagen kann, [...] wie am Ende das Produkt aussehen wird. Das kollidiert halt damit, wenn ich zwei Jahre vorher das Produkt schon irgendwem verkaufen muss“ (ebd.) – Gade zieht hier also eine Abgrenzung hinsichtlich der Möglichkeiten, die sich durch Arbeitsweisen und Rahmenbedingungen ergeben, verbunden mit der klaren ästhetische Unterscheidung: Landesbühne könne eben nicht so frei arbeiten, nur bedingt experimentelle Formen ausprobieren, da sie sich den Mechanismen des Marktes beugen und ihrem Auftrag gerecht werden müsse. Gleichwohl muss hier angemerkt werden, dass auch die Freien Theater nicht gänzlich ohne Zwänge arbeiten können und die Abhängigkeit von öffentlichen Fördermitteln auch zu großen zeitlichen Vorläufen führen kann: Es ist zwar nicht vergleichbar mit einem Verkauf einer Produktion im Voraus, jedoch muss das Konzept eines freien Projekts auch ein halbes bis ein Jahr vor Probenbeginn im Rahmen von Förderanträgen angepriesen werden, die oft eine klare Beschreibung dessen, was noch nicht existiert, verlangen. „Dabei befindet sich der Antragssteller in der Zwickmühle, dass sein Antrag möglichst konkret benennen muss, was gemacht werden soll, ohne dass dabei der Eindruck entstehen darf, es stünde schon alles fest (denn dann wäre es ja kein Projekt mehr, sondern nur noch das Produkt)“ (Roselt 2013a) und genauso wie dem Veranstalter beim Einkauf einer Produktion mit bekanntem Titel nicht garantiert wird, dass die Umsetzung den damit verbundenen Erwartungen entspricht (wie Mirko Schombert dies anhand der Dinslakener Inszenierung von „Frühstück bei Tiffany“ exemplarisch erläutert), gilt für die Antragslage und Förderentscheidung „dass ein guter Antrag nicht notwendig zu einem guten Theaterprojekt führt. Wie umgekehrt ein schlechter Antrag nicht zwangsläufig ein schlechtes Theaterprojekt hervorbringen wird“ (ebd.). Selbst die gemeinsame kollektive Erarbeitung einer Inszenierung, falls diese Idee denn tatsächlich so in der Praxis umgesetzt wird, ist längst nicht mit den Arbeitsweisen eines frei arbeitenden Ensembles zu vergleichen: Schließlich wurde das Thema, der Titel für die zu erarbeitenden Produktion bereits durch äußere Bedingungen, nämlich dem Verkauf sowie in bestimmten Fällen auch durch die zu berücksichtigen räumlichen Einschränkungen, vorgegeben. Auch hier kann auf einen aktuellen Diskurs innerhalb der Darstellenden Künste verwiesen werden: Die Frage, inwieweit Förderprogramme durch die Vorgabe bestimmter Themen oder Schwerpunkt die künstlerische Arbeit einerseits durch die finanziellen Mittel natürlich unterstützen, andererseits durch die Vorgaben die künstlerische Freiheit wiederum eingrenzen.73 Eine weitere vermutete Annäherung an Arbeitsweisen der Freien Szene, eine ortsspezifische Bespielung theaterferner Orte, respektive die ortsbezogene Anpassung einer Produktion, kann auch nur oberflächlich bestätigt werden: Eine Nutzbarmachung neuer Nicht-Theater-Orte für Theater, verbunden mit der Ertüchtigung der Räume für

73 Ob Idee oder Antrag, Projekt oder Finanzierung zuerst kommt, scheint ein ungelöstes Problem zu sein, das immer wieder auch auf Konferenzen und Treffen von Fachverbänden thematisiert wird, wie beispielsweise während des Symposiums „Zukunft des Tanzes“: Teilnehmer der Tagung formulierten in unterschiedlichen Gesprächsformaten immer wieder den Zwang, sich an neue Förderprogramme anzupassen, was gerade hinsichtlich des Feldes „Vermittlung“ zu Kontroversen führte, da zum Teil eine Verschiebung von Kunstförderung zu Vermittlungsförderung wahrgenommen wird, siehe dazu Schröck 2018b.

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eine Bespielbarkeit, eine Leistung und Aufgabe, die einige der Landesbühnen für sich als Verantwortung sehen, bezieht sich zumeist nur auf eine Besetzung des Ortes für Vorstellungen, nur zum Teil mit inhaltlichem Ortsbezug. Ausnahmen, also Projekte, die tatsächlich lokale Thematiken aufnehmen oder bestimmte neue Orte als Teil der Produktion ansehen, werden immer mit dem Vorsatz durchgeführt, sie auch möglichst reisefähig zu gestalten (vgl. dazu Kapitel 4.1.4). Für ortsspezifische (also site-specific) Produktionen, sorgfältige Dokumentar- und Recherchetheater, die in den vergangen Jahren verstärkt im Freien Theater entwickelt wurden und nach und nach Einzug in die Stadttheater und Landesbühnen fanden, ist es notwendig, sich auf den Ort einzulassen, hinsichtlich der Begebenheiten und den dort vorhandenen Strukturen, um das notwendige Material zu sammeln und solches mehr. Dafür braucht es nicht nur Anpassungsfähigkeit und Offenheit, sondern vor allem ausreichend Zeit und Präsenz. Dies ist möglich innerhalb von (freier) Projektarbeit, für die Landesbühnen scheint dies überwiegend unmöglich und auch unvorstellbar: Sie könnten es sich schlicht nicht leisten, hinsichtlich der Ressourcen aber auch hinsichtlich der Restriktionen durch den Auftrag, der so gedeutet wird, dass sich Mobilität auf die Distribution und nicht die Produktion bezieht, so würden solche ortsbezogene Projekte „natürlich auch grade extrem zuwider laufen, dem eigentlichen Landesbühnenprinzip [...] – ist auch ein weites Feld, nämlich die Frage, wie übertragbar ist die Kunst eigentlich oder wie übertragbar, wie wanderfähig ist Theater wirklich“ (Gade 2016). 4.2.2 Kooperation, Konkurrenz, Ignoranz? In den Interviews wurde das Gesprächsangebot über einen Vergleich zwischen Landesbühne und Freien Theatern nachzudenken, sehr unterschiedlich angenommen, aus den Reaktionen der Gesprächspartner lassen sich Rückschlüsse über das Verständnis und zugleich auch die Bewertung der unterschiedlichen Typen von Theater ziehen, die sich deutlich niederschlagen in den angestrebten und tatsächlichen Kooperationen sowie der wahrgenommenen und vorhandenen Konkurrenzsituation. Deutlich wurde auch, dass Teile der Theaterlandschaft – Institutionen, Akteure – nicht beachtet oder vorverurteilend eingeschätzt werden, die geschieht teilweise auch aus Unkenntnis der Strukturen, Verständnisse und Aufgaben der anderen Akteure. Zudem scheinen die einzelnen sogenannten Säulen der Theaterlandschaft immer noch sehr als Parallelwelten wahrgenommen zu werden. Die Intendanten wurden gebeten, die Position der Landesbühne nicht nur im Vergleich zu anderen Betrieben, sondern auch hinsichtlich der Stellung zueinander zu beschreiben und die sich dadurch ergebenden Beziehungen einzuschätzen. Abhängigkeiten und Verantwortlichkeiten entstehen dabei sowohl durch die kulturpolitischen Beauftragungen (und dessen Deutung durch die Theater), aber auch durch die Rahmenbedingungen des Gastspielmarktes und der Strukturen, die sich je nach Bundesland, Region und Stadt anders gestalten: Je nach Theaterdichte, nach Fördermöglichkeiten gibt es unterschiedlich stark ausgeprägte regionale Theaterlandschaften, in denen es mehr oder weniger Partner und Konkurrenten gibt, oder auch parallel existierende Theater, mit denen kein Kontakt zustande kommt, oder die gar nicht in der Wahrnehmung auftauchen.

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Annäherungen an eine andere Welt: Landesbühnen und Freie Theater

Insbesondere die Berührungspunkte und Beziehungen zu den Freien Theatern gestalten sich regionalspezifisch sehr unterschiedlich und werden daher auch differenziert eingeschätzt: Kay Metzger beispielsweise sieht die Freie Szene als Akteur der Theaterlandschaft, die auch im Gastspielbereich tätig ist, ohne dass es in diesem Feld zu einem Wettbewerb käme: „Allerdings gibt es ja durchaus Unternehmen der Freien Szene, die marginal gefördert ist, die trotzdem auch in den Tournee-Markt hinein agieren. Das ist auch gut so, da hab ich jetzt kein Problem mit; [...] das [ist] jetzt nicht unbedingt Konkurrenz, weil es zum Teil sehr [...] spezielle Dinge sind“ (Metzger 2016). Demnach bespielen Stadttheater (und Landesbühnen) und Freie Theater unterschiedliche Nischen, die sich historisch durch die Abgrenzung und Entwicklung der Freien Szene ergeben haben oder aus Konkurrenz um Ressourcen entstanden sein könnten.74 Während es anscheinend immer noch ein entschiedenes Nebeneinanderher zu geben scheint, wird zugleich wahrgenommen, dass sich die strikte Trennung innerhalb des Theatersystems an bestimmten Punkten aufgeweicht habe: „Ich glaube dass die Grenzen, das beobachten wir ja auch schon in den letzten Jahren; die Grenzen zwischen Freier Theaterarbeit und etablierter Theaterarbeit also der institutionellen Theaterarbeit nennen wir es mal lieber, dass die immer fließender werden“ (Gade 2016). Mirko Schombert beschreibt, dass das Freie Theater (immer noch) als Innovator der Theaterlandschaft angesehen wird, „wir müssen ja mal Theater neu denken und die Freie Szene kriegt es ja auch hin und und da geht viel mehr Innovation aus“ (Schombert 2016). Er stellt jedoch auch eine Annäherung fest, die er gutheißt; „aber ich glaube, dass das nicht automatisch Gegensätze sind. Aber da muss Freie Szene und Stadttheater viel mehr zusammenkommen, das ist klar. Wobei das glaub ich auch mehr passiert, als es in den Köpfen immer so ankommt“ (ebd.). Als ein Beispiel berichtet in diesem Kontext von dem Zusammentreffen zwischen der Performancegruppe She She Pop und den Vertretern der öffentlich getragenen Theater auf einer Tagung des Deutschen Bühnenvereins und stellt fest, „da gibt es auf beiden Seiten keine Ressentiments oder keinen Hass, im Gegenteil; [...] beide Seiten sehen sehr klar die Vor- und Nachteile des anderen. [...] She She Pop, [...] war wiederum total begeistert von diesen StadttheaterStrukturen. Die sie wahrscheinlich anders nutzen würde[n] auch nochmal. Aber eben auch nicht ganz anders. [...] in Stuttgart [... haben sie] ein Projekt mit dem Schauspielhaus gemacht; und [...] sehr viel Zeit im Stadttheater verbracht und das finde ich [...] interessant, dass dann auch so eine Gruppe [...] sich hinstellt und sagt ‚Okay, krass, hätte ich am Ende jetzt so nicht gedacht; was wir davon auch für uns gelernt haben aus dieser Reise.‘ Und das, glaub ich, geht total ineinander“ (ebd.). Eine Grenzüberschreitung, das Näherkommen, könnte demnach von zwei Seiten geschehen, es gelte die Vorteile beider Seiten aufzuspüren und zu nutzen. Eine gegenseitige Annäherung stößt im Falle der Landesbühnen jedoch sehr schnell an Grenzen; die Überlegung, ob gerade die Landesbühnen prädestiniert für eine Zusammenarbeit mit den Freien Theater wären, wird von den Interviewpartnern sehr schnell und fast gänzlich als nicht machbar abgewiesen. Selbst Mirko Schombert, der

74 Erneut sei auf die umfassende Dissertation Henning Fülles verwiesen, in der er sich nicht nur den organisatorisch strukturellen Unterschieden widmet, sondern insbesondere auch Inhalte, Absichten und politische Dimensionen betrachtet: Fülle 2016a.

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zugibt, die Arbeit in der Burghofbühne „fühlt sich hier auch so an, wie eine Freie Gruppe“ (ebd.), sieht wenig Möglichkeiten für eine Kooperation und unterscheidet zwischen inhaltlichen und strukturellen Gründen. Er geht davon aus, dass sich beispielsweise She She Pop eben nicht dem Titelzwang unterordnen ließe und es gar nicht zu einer Realisation käme; „inhaltlich haben wir dieses Problem, was ich die ganze Zeit ja beschreibe, [...] man braucht Titel und da wird es She She Pop schwer haben [...], ich glaub auch: wenn sie da wären, würde es gehen. Aber sie werden da nicht eingekauft werden“ (ebd.). Auch wenn Schombert im Gespräch zunächst meint, dass es in struktureller Hinsicht vielleicht eher möglich wäre, schränkt er dies sofort wieder ein, bezogen auf die Reisetätigkeit und die Gastspiele, die gebucht werden würden: „Natürlich ist es strukturell einfacher mit unseren Leuten. Weil die müssen wir nicht zahlen. Eine Freie Gruppe – die schicken wir dann einfach dahin, [...] da muss man dann halt immer klären, könnt ihr da überhaupt; [...] She She Pop [...] machen ja in den Kammerspielen bei Lilienthal [...] was; und [...] sind [...] mit drei [...] Leiterinnen eingekauft, machen es aber zu sechst und wechseln sich dann immer ab, [...] weil immer irgendwer irgendwie was anderes hat. [...] in so einer Struktur würden wir wahrscheinlich die Hälfte der Sachen gar nicht annehmen können, weil irgendwie eine von denen nicht kann“ (ebd.). Er kommt somit hinsichtlich der Frage, ob eine Zusammenarbeit zwischen Landesbühne und Freiem Theater umsetzbar wäre, zu dem Schluss: „Also nee, wahrscheinlich nicht“ (ebd.); hält eine solche also für nicht zu realisieren, weil die Gegensätze der Arbeitsweisen zu groß seien und auch weil solche Kooperationen zusätzliche Kosten verursachen, respektive zusätzliche Mittel benötigt würden. Diese Hindernisse scheinen sämtliche Ansätze oder Ideen für (gemeinsame) Experimente im Keim zu ersticken und stehen in direktem Zusammenhang mit den in Kapitel 4.1.4 aufgezeigten Einschränkungen. Kay Metzger sieht es ähnlich wie Schombert, bezieht es aber auf die zeitlichen Dimensionen und auch auf den Freiheitsgedanken; „das fängt schon [...] mit den Planungsvorläufen an [...], wir Landesbühnen planen ja zwei bis drei Jahre im Voraus und das können wir eigentlich auch nur, wenn wir einen gewissen Bestand haben, dass wir wissen, wer ist im Haus, wie kann man Stücke besetzen; die man anbietet und das ist, glaube ich, in der Freien Szene komplexer. Weil sie kurzfristiger denkt und agiert. Und [...] sich vorbehält, diese Freiheit zu behalten [...] ob man die Freie Szene wirklich mit all den Auflagen, die man so an Schauspieler stellt, als Reisetheater, gewinnen könnte, weiß ich nicht“ (Metzger 2016). Der Unterschied der Aussagen und Begründungen findet sich in Blickrichtung: Metzger denkt darüber nach, Freies Theater in den Betrieb Landesbühne zu integrieren und sieht es daran scheitern.75 Allerdings bleibt auch er offen und relativiert seine Aussage ortsbezogen: „[D]as könnte überhaupt nicht funktionieren, das würde ich jetzt nicht sagen, [...] dazu ist ja Theater zu sehr eine Fantasiekiste [...]. Ich kann es mir jetzt für Detmold hier sehr schwer vorstellen, vielleicht tu

75 Auch wegen der unterschiedlichen Gehaltsvorstellungen, „weil das fängt ja bei der Bezahlung an; also wir bezahlen ja streng nach Tarif im Grunde genommen und das ist in der Freien Szene anders. Also da hab ich so meine Fragezeichen, ob das wirklich funktioniert“ (Metzger 2016). Diesem Schlusssatz der eben zitierten Replik wurde während des Interviews nicht weiter nachgegangen und würde auch hier einen Nebenschauplatz eröffnen; welche Vorstellung Metzger von den Honoraren und damit auch den Arbeitsbedingungen in der Freien Szene hat, bleibt also unbeantwortet.

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ich mich deswegen auch schwer mit der Antwort [...]. Es ist immer auch die Frage, in was für einer Region man sitzt [...]. Wir sitzen hier ein bisschen einsam in Lippe, die nächsten Oberzentren sind einfach auch weiter weg, und interessanterweise auch nicht mit einer großen Freien Szene“ (ebd.). Kooperation kann also erst möglich werden, wenn entsprechende potenzielle Partner, die auch als solche wahrgenommen werden, und die notwendigen (zusätzlichen) Ressourcen vorhanden sind. Dem LTT und den LBS wurden durch Sonderfördermittel Zusammenarbeiten ermöglicht (vgl. Kapitel 3.2.3), die Thorsten Weckherlin bezogen auf seine Erfahrungen als wichtig und förderlich bewertet: „Wir haben jetzt Doppelpass, [...] NYX e.V., eine völlig durchgeknallte Gruppe, [...] ich liebe die [...] weil ich von denen was lernen kann. [...] Diese Denke mal umzudenken. Es dauert. Aber dafür haben wir ja die zwei Jahre, und das wird finanziert von der Bundeskulturstiftung“ (Weckherlin 2016). Zusammenarbeit mit anderen Akteuren scheint tatsächlich nur als Zusatz im Rahmen von Förderprogrammen möglich; die Notwendigkeit dieser Programme wird durch eben diese Tatsache argumentativ gestützt, diese zeigt jedoch im Umkehrschluss auf, dass bislang noch keine strukturelle Veränderung im Sinne einer kooperationsfreundlichen Ressourcenbereitstellung stattgefunden hat. Es bleibt die grundsätzliche Frage, ob und wie durch Sondermittel ermöglichte Projekte tatsächlich nachhaltig in die Theaterbetriebe wirken, wirken können, wirken sollen. Positiv betrachtet werden neue Formate und Herangehensweisen ermöglicht, mit negativen Blick betrachtet kann die Folge sein, dass solche Kooperationen nie als Hauptaufgabe angesehen, nie „normal“ werden, für sie immer zusätzliche Gelder gebraucht werden, da sie Sonderaufgaben bleiben. Erneut zeigen sich die (tatsächlichen oder interpretierten) Grenzen der Beauftragung und der mit ihr verbunden Rahmenbedingungen, die einer tatsächlich engen Zusammenarbeit zwischen Landesbühnen und Freien Theatern aus genannten Gründen entgegen stehen. Bei einem Blick auf die Projekt-Webseite der Kooperation zwischen LTT und NYX wird deutlich: Die neuen performativen Ansätze wurden ausschließlich in Tübingen gezeigt und nicht auf Reisen geschickt, (auch) weil sie ortsspezifische Bezüge aufwiesen, da sich der „Believe Tank“ zunächst auf das Haus des LTT konzentrierte und dann an einem Tübinger Ort weiterarbeitete; „so verlässt der BELIEVE TANK das LTT und zieht in die swt-Maschinenhalle am Wehr, an einen Ort, der atmosphärisch neue Möglichkeiten schafft. [...] Nach Recherchen, Gesprächsformaten, Stadtspaziergängen, Theater in allen Räumen und einer Uraufführung entwirft das BELIEVE TANK-Team ein Game-Theater, mit dem auch große Fragen spielerisch verhandelbar sind“ (Landestheater Württemberg-Hohenzollern Tübingen Reutlingen 2016). Manuel Schöbel beschreibt Ähnliches für die Doppelpass-Förderung der Landesbühnen Sachsen in Zusammenarbeit mit bodytalk, die eine Produktion in der WMHalle in Riesa ermöglichte, bei der klar war, dass diese nicht reisefähig gestaltet werden kann, „das war nicht mehr adaptierbar, da haben wir die Halle so bespielt, dass es ein Unikat wurde, ein einmaliges Ereignis, was ein Stück Industriegeschichte und Geschichte der Stadt Riesa als Ausgangspunkt zum Gegenstand hatte und das konnte man jetzt nicht woanders hin bringen“ (Schöbel 2016). Zusammenarbeit mit Freien Theatern ist bei beiden Beispielen also eindeutig angelegt als zeitlich befristetes Projekt, das nur für die Landesbühne in ihrer Stadttheater-Rolle möglich scheint und nicht für die Landesbühne als Reisebühne.

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Ein Gegenbeispiel für diese Konzentration auf einen Ort, respektive eine Stadt, ist das Großprojekt „Stadt.Land.Im Fluss“, gefördert durch „TRAFO“, das wiederum in seiner Struktur bereits sehr komplex angelegt ist.76 Das LTT und das Theater Lindenhof in Melchingen sind dafür „eine Ehe eingegangen“ (Weckherlin 2016), es gibt gemeinsame Projekte und jedes Theater hat eine eigene Linie weiterer Vorhaben entwickelt.77 Das Projekt konzentriert sich nicht nur auf eine oder zwei Städte, sondern durchdringt die Region mit unterschiedlichen Aktionen und Produktionen, unter Beteiligung weiterer Künstler und Institutionen. Doch auch wenn es umfassender scheint als ein Doppelpass-Projekt, auch hier gibt es eine zeitliche Beschränkung und die Abhängigkeit von Drittmitteln, sodass auch hier die Nachhaltigkeit in Frage gestellt werden kann.78 Während es sich bei diesen Beispielen um Einzelfälle projektbezogener Kooperationen handelt, hat sich im TfN eine dauerhafte Zusammenarbeit mit der Freien Szene als fester Teil des Theaterbetriebes etabliert. Die Gestaltung der Kinder- und Jugendtheatersparte durch Kooperationen war ein Grund, diese Landesbühne als Fallbeispiel zu betrachten, denn es scheint hier ja eine dauerhaft erfolgreiche Zusammenführung von Freier Szene mit einer Theaterinstitution der öffentlichen Hand gelungen. Allerdings ist auch hier ein kritischer Blick angebracht, da die Koproduktionen nicht, wie vermutet, integraler Bestandteil des Planungs- und Spielbetriebs sind, sondern zusätzlich auf weitere Förderungen angewiesen sind: „[Wir] haben dann ein Koproduktionsmodell entwickelt, dass wir mit einer Handvoll Gruppen kontinuierlich seit vielen Jahren jetzt zusammenarbeiten und wir bieten eine Mindestanzahl an Vorstellungen, wir bieten den Probenraum, wir bieten einen Ausstattungszuschuss, [...] die Ausstattung wird in unseren Werkstätten produziert, und wir bieten eine Festgage pro Vorstellung; und was ganz wichtig ist, eine feste Anzahl von Vorstellungen. Trotzdem funktioniert das nur über Drittmittelförderung weil [...] die Personalkosten der Freien dann über Drittmittel gebracht werden. Die Drittmittel sind aber [...] abhängig [...] von einer Mindestanzahl von Vorstellungen in Niedersachsen. Und die sind garantiert durch uns“ (Gade 2016). Aus Gades Sicht dient also dieses Modell dazu, dass die Freien Theater Drittmittel einwerben können und ihnen dadurch das (freie) Produzieren überhaupt erst ermöglicht wird, da sie ja neben den einzuwerbenden Drittmitteln technische Unterstützung, auch in Form von Raum- und Sachkosten sowie eine Aufführungsförderung erhalten. Anders betrachtet könnte man diese Praxis auch so bewerten, dass sich das TfN die Honorare während der Produktionsphase spart: Wenn man bedenkt, dass die so entstandenen Produktionen nicht nur in Hildesheim, sondern auch auf Abstechern gezeigt werden, die Freien Theater also mit dazu beitragen, dass die Landesbühne ihrem Auftrag gerecht wird, könnte man dieses Modell auch in Frage stellen und eine Lösung für den anscheinend notwendigen Drittmitteleinsatz finden. Dies wiederum wirft die Frage auf, ob und wie die Landesbühne bezogen auf ihren Auftrag Verantwortung abgeben darf, sollte, könnte oder – im Sinne einer kulturellen

76 Wie es so manchem Programm auf Bundesebene eigen ist, siehe dazu die entsprechende Erläuterung in Kapitel 3.2.3. 77 Da diese sich größtenteils partizipatorischer Ansätze bedienen, werden diese auch in die Betrachtungen des Folgekapitel einfließen. 78 Dies wurde auch während der Memminger Tagung zum Theater in der Provinz thematisiert, Thorsten Weckherlin wich einer direkten Beantwortung aus, vgl. Jahnke 2018a.

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Infrastruktur und angesichts eines Governance-Ansatzes gar müsste (vgl. dazu Kapitel 2.1.1). Bevor diesen Überlegungen nachgegangen wird, muss jedoch auch noch die Entstehung dieser Kooperationen betrachtet werden, die aufzeigt, dass es unterschiedliche Motivationen für eine Zusammenarbeit geben kann und dass auch hier die Standortspezifität entscheidend ist. Beim TfN in Hildesheim ist das Modell zur Vermeidung einer drohenden Konkurrenzsituation entstanden. Im Rahmen der Fusionsverhandlungen sollte zunächst ein Schwerpunkt des neuen Theaters auf Produktionen für junges Publikum gelegt werden, berichtet Jörg Gade, er wollte „ein Kinder- und Jugendtheater mit eigenem Ensemble und eigenem Etat und allem drum und dran. Dann haben wir aber gemerkt, dass das für jede Stadt richtig wäre, nur für Hildesheim nicht. Weil es in Hildesheim [...] eine unglaublich breite und auch gute und hochprofessionelle Freie Theaterszene gerade im Bereich Kinder- und Jugendtheater gibt. Und deswegen haben wir gesagt, es ist Quatsch jetzt hier was Eigenes zu gründen, das führt nur zu unguten Konkurrenzsituationen und weil bei uns mehr Geld im Hintergrund ist, machen wir die anderen platt und das ist alles Blödsinn; lieber das, was da ist, stärken“ (Gade 2016). Die Absicht, durch die Zusammenarbeit die Freien Theater zu fördern und zu unterstützten, schlägt sich in der Konstruktion nieder und erklärt die Beschreibung Gades über sein Verständnis des Modells – und auch hier zeigt sich eine ungleiche Beziehung, die in vielen Kooperationen zu finden ist oder sich aufgrund der unterschiedlichen Ressourcen entsprechend entwickelt: Zwar ist das TfN auf die Produktionen für seinen Spielplan angewiesen, aber den Freien Künstler bleibt es überlassen, ob sie die Personalkosten durch eine Förderung abdecken können. Was passiert, wenn die Gruppen keine Drittmittel erhalten, also ob die Freien Gruppen dann ohne Honorare arbeiten oder das TfN einspringt, wurde während des Interviews nicht weiter eruiert. Ebenso wurde der durch Gade selbst aufgebrachte Widerspruch in dem Gespräch nicht thematisiert: Wie oben zitiert ist er eigentlich der Meinung, dass sich freie, zeitgenössische Theaterarbeit mit den Strukturen der Landesbühnen widerspreche, es ließe sich also schlussfolgern, dass entweder Kinder- und Jugendtheater eine Ausnahme darstellt oder aber nicht prozesshaft und postdramatisch (vgl. ebd.) arbeitet.79 Gerade im Kinder- und Jugendtheaterbereich wäre eine starke Konkurrenz oder Kooperation, zumindest eine Berührung und gegenseitige Wahrnehmung zwischen Landesbühnen und Freier Szene generell zu erwarten, da schließlich beide für sich in Anspruch nehmen, in diesem Feld einen Schwerpunkt ihrer Arbeit zu setzen.80 Bemerkenswerterweise erwähnen lediglich Friedrich Schirmer und Marcus Grube eine bestehende Konkurrenz mit „Kleinstgruppen, die Kinder- und Jugendtheaterbetriebe sind“ (Schirmer u. a. 2016).81 Für Uwe Brandt ist gerade in diesem Feld, bezogen auf das enge Spielgebiet des Grenzlandtheaters, eine enge Absprache mit den anderen Akteuren wichtig, um Konkurrenz zu vermeiden; „wir haben uns hier mit den anderen

79 Ästhetische Fragen werden hier nicht behandelt oder gewertet, daher bleibt diese Überlegung zunächst ohne Konsequenz; das Kinder- und Jugendtheater wird aber in seiner Vorbildfunktion (vgl. Kapitel 2.2.5) in dieser Untersuchung noch weitergehend beachtet werden. 80 Siehe dazu 2.1.2 sowie Landesverband Freie Tanz- und Theaterschaffende Baden-Württemberg 2016 und Renz 2017. 81 Leider war der Satz nicht ganz verständlich, es ist nicht klar, ob Grube und Schirmer Freie Theater oder kommerzielle Anbieter meinten.

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Theatern in der Region, in der Stadt ein bisschen darauf geeinigt, dass wir uns um die Schüler der weiterführenden Schulen kümmern, es gibt ein anderes Haus und auch das Stadttheater mit Weihnachtsmärchen, eine Freie Theatergruppe, die haben eher die Kindergartenkinder und die Grundschulkinder im Blick; und wir machen Theater für Menschen ab zehn, elf aufwärts“ (Brandt 2016). Für solche Vereinbarungen braucht es Kenntnisse über die anderen Akteure und die Bereitschaft und Gelegenheit zu einem Dialog, der sich natürlich in einer kleineren Region anders gestalten kann als in einem Bundesland oder sogar deutschlandweiten Wirkungsgebiet. Unabhängig von einzelnen möglichen Fällen einer ortsbezogenen Zusammenarbeit oder Wettbewerbssituation können übergeordnete Strukturen geschaffen werden, um die gegenseitige Wahrnehmung zu stärken, so wie der bereits in der Beschreibung der Fallbeispiele erwähnte Arbeitskreis Kinder- und Jugendtheater in Baden-Württemberg, in dem eben auch die Akteure der Freien Szene vertreten sind. Ob es einen Blick auf das gibt, was außerhalb der eigenen Wände passiert, sagt viel über die Position der Landesbühne und ihr Selbstverständnis aus und hängt zusammen mit der Deutung der Vorgabe, Grundversorger zu sein. Manuel Schöbel setzt sich dabei in seinen Aussagen von den anderen Intendanten ab und beschreibt die Landesbühnen Sachsen in ihrem Auftrag und in ihrer Idee als Teil der sächsischen Kultur- und Theaterlandschaft, die geprägt ist durch die Geschichte und die Fördersystematik (vgl. Schöbel 2016). Die LBS erweitern mit ihrer Arbeit das Angebot der Stadttheater, insbesondere hinsichtlich der Angebote von Tanz, der teilweise unterrepräsentiert ist (vgl. ebd.), in anderen Bereichen kommt es zu Kooperationen mit Theatern, wobei immer darauf geachtet werden muss und wird, „dass wir nicht der Szene, der Freien, Figuren- und Puppentheater Konkurrenz machen“ (ebd.) und obwohl es in Sachsen „nicht so sehr viel Freies Theater in der Fläche [gibt] [...] kann man aufpassen, [...] das kann man merken“ (ebd.). Schöbel spricht damit die Verantwortung der Landesbühnen für die Theaterlandschaft an, die ihr durch ihre Stellung zuteil wird, die man als „machtvoll“ charakterisieren könnte – zumindest in diesem Kontext zunächst bezogen auf ihre Vormachtstellung im Gastspielmarkt eben durch ihre Finanzierung und (den auch daraus resultierenden) guten Ruf. Geschwisterrivalität? Landesbühnen und Stadttheater

Aufeinander aufpassen, die Wahrnehmung dessen, was neben der eigenen Tätigkeit auf dem Gastspielmarkt und innerhalb der Landschaft der Darstellenden Künste passiert, bezieht sich auch auf eine mögliche Konkurrenz und gegenseitige Rücksichtnahme der Landesbühnen untereinander: Titelkonkurrenz und der generelle Wettbewerb um erfolgreiche Verkäufe beeinflussen das gegenseitige Verhältnis der Landesbühnen, gerade wenn diese keine vertraglich abgesicherten Gastspielvereinbarungen haben. In Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen gibt es jeweils mehrere Landesbühnen und dies wird – natürlich – auch von den Intendanten wahrgenommen und thematisiert. Friedrich Schirmer beschreibt die Lage der WLB wie folgt: „Also es gibt ja sozusagen keine Zwangsabnahme, [...] im Spielgebiet Baden-Württemberg konkurrieren quasi ja vier Landesbühnen miteinander, [...] Bruchsal, Tübingen, Esslingen und [...] die Melchinger ja [...] quasi auch als professionelles Regionaltheater, sind es vier Landesbühnen, die ihre Spielpläne den Orten anbieten und die Orte sind frei, in den Spielplänen sich zu bedienen. Das heißt also, es ist immer so eine Frage von Angebot und Nachfra-

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ge“ (Schirmer u. a. 2016).82 Die Landesbühnen müssen sich also auch untereinander behaupten, sich voneinander absetzen; „das ist sozusagen das Hauptaugenmerk, [...] was können wir kreieren, was können wir machen, dass die Orte Interesse haben, das abzunehmen [...] da bemühen wir uns [...], dass es so kompliziert wie möglich und so einfach wie nötig ist. Da konkurrenzfähig sein“ (ebd.); Schirmer betont, dass nicht der Wettbewerb im Fokus stünde, sondern die künstlerische Arbeit: „Natürlich würde man lieber mehr Abstecher verkaufen als die Konkurrenz, ist doch ganz klar; [...] aber das ist nicht Ziel unseres Handelns“ (ebd.).83 Überschneidungen gelte es daher im inhaltlichen Sinne, also bezogen auf das Angebot, zu vermeiden. Darüber hinaus könnte die Ausdehnung auf weiter entfernte Spielgebiete oder das Agieren in einer Region, in der sonst keine anderen Landesbühnen tätig sind, zum Vorteil gereichen, oder sogar notwendig sein, wie Mirko Schombert es einschätzt: „Es gibt ganz viele Landesbühnen, die tatsächlich in ihrer Region bleiben. [...] Was auch ein bisschen zu der Frage führt, warum machen wir das nicht. [...] ich glaube einfach schlicht und ergreifend, weil wir es auch müssen. Es ist eine sehr unbefriedigende Antwort, aber weil wir einfach so klein sind und so ein kleines Budget haben, dass wir darauf angewiesen sind, das überall anzubieten. [...] es sind [...] vier NRW-Theater hier [...] in NRW, und [...] TfN [...], Niedersachsen, Hildesheim, ist ja auch nicht so weit weg; Neuwied, Rheinland-Pfalz, [...] ist auch nicht so weit weg [...]. Ja, klar, das merkt man [...], die sind auch schon irgendwie überall unterwegs; [...] ich glaub, das hat wiederum wieder weniger mit der Größe zu tun als damit, dass hier so eine Ballung ist. In Schleswig-Holstein ist ja nicht so viel anderes“ (Schombert 2016). Matthias Faltz sieht die Konkurrenzsituation relativ entspannt, da die Angebote der Landesbühnen sich ja auch voneinander abgrenzten, die Einkäufer auf die unterschiedlichen Ästhetiken und die jeweilige Handschrift des Theaters achten, zugleich weist er jedoch auch darauf hin, dass Kontakte, Beziehungen und die Preisgestaltung natürlich von Vorteil seien: „[K]lar auf der einen Seite ist es eine Konkurrenz, weil andere da auch spielen, aber auf der anderen Seite sind es letztendlich auch die Angebote, die sich unterscheiden sollen [...] und klar, wenn es jetzt zum Beispiel [...] drei Landesbühnen gibt, die ‚Was ihr wollt‘ spielen und der Veranstalter sucht sich jetzt eine aus und dann ist man derjenige, [...] für die sie sich entschieden haben, ist das natürlich gut; entweder weil sie einen kennen, oder weil sie die Bilder angenehm finden oder weil sie es sich sogar angeschaut haben oder weil es für sie finanziell günstiger ist. Da gibt es dann so drei Varianten“ (Faltz 2016). Bei aller im alltäglichen Geschäft nicht zu vermeidenden Konkurrenz sehen sich die Landesbühnen doch als eine Gruppe mit gemeinsamen Interessen, in allen Gesprä-

82 Das Theater Lindenhof mit Sitz in Melchingen, das bereits mehrfach erwähnt wurde, ist ein von der Region gefördertes Freies Theater (nach der Definition des Deutschen Bühnenvereins ein Privattheater) und zählt daher nicht offiziell zu den Landesbühnen des Deutschen Bühnenvereins, da es keine Institution der öffentlichen Hand ist und auch nicht dem Auftrag einer Landesbühne verpflichtet ist. Dass es als Landesbühne wahrgenommen wird, zeigt, wie unwichtig formale Zuschreibungen für die Praxis sein können. 83 Dies ist natürlich Betrachtungssache, denn gerade in Erhebungen im Feld des Theatermanagements und im Rahmen betriebswirtschaftlicher Betrachtungen und oder Prüfungen durch die Geldgeber spielen natürlich die Kennzahlen und der Vergleich zu anderen Theatern immer eine Rolle in den Argumentationen, siehe dazu beispielsweise Schmidt 2017.

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chen wurde dies deutlich, wenn auch nicht immer explizit ausgesprochen. Oft wurde auf andere Landesbühnen und ihre Situation verwiesen, was nicht nur die Heterogenität immer wieder verdeutlichte, sondern auch ein Zeichen für Austausch und gegenseitiges Wahrnehmen ist. Das Kollektiv der Landesbühnen scheint von allen einzelnen verinnerlicht zu sein und getragen zu werden. Die Landesbühnen arbeiten auf verschiedenen Ebenen und punktuell auch miteinander, im übergreifenden Sinne in der Landesbühnengruppe im Deutschen Bühnenverein, aber auch konkret die Theaterarbeit betreffend: Das Büro der Landestheater in Nordrhein-Westfalen ist ein solches Beispiel, das aber zugleich einen Sonderfall betont, indem es sich auf die Landestheater im Sinne einer Landesförderung beschränkt und das Grenzlandtheater Aachen außen vor lässt. Durch die Konzentration auf den Aachener Raum und durch die besondere Arbeitsweise scheint der Wettbewerb mit den anderen Landesbühnen im Bundesland nicht so ausgeprägt sein, dass Uwe Brandt ihn angesprochen hätte, dies wäre allerdings eine nähere Betrachtung wert; auch ob und wie das Grenzlandtheater vom gemeinsamen Büro profitieren könnte – ob dies allerdings möglich (aufgrund der unterschiedlichen Fördergrundlagen) oder überhaupt gewünscht ist, wäre ebenfalls gesondert zu befragen. Die Landesbühnen sind davon überzeugt, sich durch ihre Expertise der Gastspieltätigkeit von anderen abzusetzen und dass sie eine besondere Qualität von Theaterarbeit entwickelt hätten, wie Kay Metzger in einem Beitrag für „Theater der Zeit“ unterstreicht – und wieder schwingt in den folgenden Passagen mit, dass die Landesbühnen sich zu messen hätten mit anderen Theatern, vornehmlich den Stadttheatern: „Der Ruf der Landesbühnen in der Branche war lange nicht der beste. Dieses Paralleluniversum, das fern der Stadt- und Staatstheater irgendwo im Niemandsland tourt, lange Busfahrten, dürftige Spielstätten und improvisierte Bühnenbilder in Kauf nimmt, konnte einem nur suspekt sein. Striese auf der Landstraße, Schmiere in Utzbach. Und irgendwie doch unentbehrlich für das von der Politik eingeforderte dezentrale Kulturangebot. Aus der Schmuddelecke sind die Landesbühnen längst heraus, ihr Selbstverständnis hat sich gewandelt“ (Metzger 2014, S. 13). Metzger bewertet die Gastspieltätigkeit als originären Tätigkeitsbereich der Landesbühnen, als eben ihre Profession und sieht daher das Agieren anderer Theater in öffentlicher Trägerschaft in diesem Bereich kritisch: „Umgekehrt ärgere ich mich über das eine oder andere Stadttheater, was sehr aggressiv in den Markt hineindrängt und versucht Gastspiele anzubieten, weil ich auch deren Auftrag nicht erkenne. [...] Die bekommen ihre Gelder von einer Stadt, um eine Stadt mit Theater zu versorgen und auch zu beleben mit allen Projekten und Tätigkeiten auch außerhalb der Bühne. Warum bewerben die ganz gezielt ihre Produktionen auf dem Abstechermarkt [...]; nun ist der Wettbewerb immer frei [...] – aber ja, ich sage mal, es verwässert ein bisschen den Markt“ (Metzger 2016). Diese Aussage steht natürlich zunächst etwas in Widerspruch zu den oben zitierten Passagen, in denen die Interviewpartner verdeutlichen, dass die Veranstalter viel lieber eine Landesbühne denn ein Stadttheater als Gastspiel buchen würden. Ein Spannungsfeld, was genauer zu betrachten wäre: Entsteht eine Konkurrenz zwischen Landesbühnen und Stadttheater einfach durch das dadurch entstehende Überangebot? Oder sind die Stadttheater-Inszenierungen aufgrund der besseren Ausstattung mit Ressourcen (noch) günstiger als Gastspiel zu buchen, sodass die Veranstalter die womöglich umständliche Vor- und Nachbereitung in Kauf nehmen? Auch hinsichtlich ästhetischer Unterscheidungen wäre eine Untersuchung dieser aufkommen-

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den Konkurrenz interessant: Gibt es erkennbare auf die Institution, beziehungsweise den unterschiedlichen Betrieb zurückzuführende Unterschiede in Inhalt und Umsetzung? Die Landesbühnen scheinen gleichermaßen bemüht, ihre Ähnlichkeit mit den Stadttheatern zu betonen, als auch ihre Spezialisierung hervorzuheben – und in diesem Kontext auch die Wahrnehmung der Landesbühnen als Kollektivum zu stärken. In dessen Zuständigkeit sollte dann kein Unbefugter hinein agieren. Allerdings können nicht nur Stadttheater den Landesbühnen Konkurrenz machen, das Konstrukt einer Landesbühne selbst kann als Gefahr für das Stadttheater angesehen werden; die sich dadurch ergebenen möglichen Szenarien einer Umwandlung der Theaterlandschaft wurde von den Intendanten benannt und wird hinsichtlich der Perspektiven in Kapitel 4.4 beleuchtet. Nischendasein und Abgrenzung – Tourneetheater und Landesbühnen

Ebenfalls auf Gastspiele spezialisiert – und damit ganz offensichtlich das Handlungsund Wirkungsfeld der Landesbühnen berührend – sind die Tourneetheater. Als überwiegend kommerziell orientierte Unternehmen werden diese Betriebe in privater Trägerschaft bei den Betrachtungen der öffentlich geförderten Theaterlandschaft meist nicht berücksichtigt und auch in den Interviews werden sie nur punktuell thematisiert. Das Verhältnis zwischen Landesbühnen und Tourneetheatern scheint einfach beschrieben zu sein: Die Landesbühnen nehmen diese zunächst ganz neutral gesprochen als Mitanbieter auf dem Markt war, deren Produktionen ebenfalls von den Veranstaltern eingekauft werden. Wie stark die Tourneetheater tatsächlich als Konkurrenten anzusehen seien, wird unterschiedlich eingeschätzt. Grundsätzlich erfolgt auch hier die Beschreibung der Beziehung anhand dreier Aspekte: Geld, Ruf und Qualität – und diese drei Variablen hängen natürlich auch mit dem Status eines öffentlich getragenen Theaters zusammen. Den Landesbühnen kann ihre öffentliche Finanzierung einen Vorteil einbringen, da sie ihre Gastspiele für einen günstigeren Preis anbieten und eine gewisse Verlässlichkeit bezeugen können. Sie seien somit nach der Einschätzung Matthias Faltz’ „finanziell interessanter [...] für die [Veranstalter ...] wir sind subventioniert, wir müssen sozusagen nicht unseren ganzen Stab mit diesen Gastspielen bezahlen, sondern das ist abgesichert“ (Faltz 2016). Jörg Gade ist anderer Meinung, zumindest wenn die Genre-Auswahl beachtet wird, denn wenn es um „leichte Unterhaltung“ (Gade 2016) ginge, bekäme man als Veranstalter solche Stücke von einem kommerziellen Theater „zu dem gleichen Preis, zu dem ich die eher schwerere Kost von der Landesbühne bekomme“ (ebd.). Inwiefern die öffentlichen Mittel, die in die Landesbühnenarbeit fließen, den Gastspielmarkt verzerren,84 wäre eine gesonderte Betrachtung wert – im Zusammenhang mit der Bedeutung von Kunst und Kultur als meritorischem Gut eröffnet sich ein weiterer Forschungsbereich, der hier nicht in Gänze abgedeckt werden kann, jedoch in den abschließenden Überlegungen Berücksichtigung finden wird, da vor allem die Beziehungsgeflechte und die darin entstehenden Kommunikationsmuster sich entsprechend der Ressourcenverteilung entwickeln können (vgl. dazu 2.3.3).

84 Oder zumindest beeinflussen, so positionieren sich die Landesbühnen Nordrhein-Westfalens klar als günstige Anbieter und bewerben ihre „künstlerisch anspruchsvollen Inszenierungen [...] zu vertretbaren Preisen“ (Die Landestheater NRW 2019b).

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Neben der Preisgestaltung der Gastspielangebote greift die Konkurrenzsituation bereits in der Planungsphase der Spielpläne, auf die Problematik des Rechteerwerbs wurde bereits hingewiesen (siehe dazu erneut Schombert 2016). Sie wird durch folgende Aussage Peter Grisebachs jedoch auch in den Kontext eines inhaltlichen Wettbewerbs gestellt: „Konkurrenz kann entstehen durch Verlage, die Aufführungsrechte an die großen Tournee-Unternehmen vergeben haben. Und jedes Theater mit Schauspiel sucht nach der intelligenten Komödie, mit der man ein Publikum unterhalten kann, ohne sich von den grauen Zellen zu verabschieden und nur noch Klamauk zu machen. [...] und sobald so was auf den Markt schiebt, dann steht Herr Landgraf natürlich sofort da [...] und sichert sich die Aufführungsrechte [...] und wenn dann [...] ein Theater kommt und sagt, jetzt wollen wir das aber auch spielen [...] Dann gibt es manchmal sehr sehr schwierige Verhandlungen. Da entsteht so eine Konkurrenz-Geschichte. Der eine hat ein kommerzielles Unternehmen und wir haben einen öffentlichen Auftrag. Und dazu gehört eben auch, die Komödien-Süchtigen zu bedienen“ (Grisebach 2016). Für ihn ist die Rechte-Klärung sogar der einzige Fall, in dem er von Konkurrenz sprechen mag, denn die Tourneetheater würden hinsichtlich konkreter Veranstaltungen im Falle des SHL nicht in einen Wettbewerb treten: Deren Produktionen seien „überhaupt nicht interessant für die Abnehmer; weil sie haben ihr Landestheater, sie sind Teil [...] der Theater-GmbH. Also, warum sollen sie sich bei Herrn Landgraf oder wo auch immer irgendwelche Komödien mit TV-Stars einkaufen“ (ebd.). Geprägt und getragen wird dieses Selbstbewusstsein durch die Struktur des SHL, das hauptsächlich in den Spielstätten seiner Gesellschafter-Städte auftritt und dort das Programm quasi alleine stellt, lediglich zwei der festen Partner gestalten ihr Programm auch mit den Produktionen anderer Anbieter, wobei auch dort das SHL als wichtigstes Element der Planung gesehen wird, so Grisebach: „Neumünster nimmt sich das aus dem Spielplan, wenn es das sich leisten kann; und kauft dann zu“ (ebd.) und nicht: Neumünster ergänzt sein Programm um einige Produktionen des SHL, also genau gegensätzlich zu der Situation in Sachsen, wo die LBS als Ergänzer fungieren. Welche Rolle die Landesbühnenproduktionen innerhalb des Programms der Gastspielortes spielen, also ob sie Hauptprogrammpunkt sind, einer von vielen oder nur vereinzelte unregelmäßige Gastspiele gegeben werden, ist sehr unterschiedlich; beinahe alle Intendanten betonen jedoch die Bedeutung der differenzierten inhaltlichen Positionierung. Peter Grisebach bleibt der einzige, der so explizit davon spricht, auch für unterhaltendes Theater sorgen zu müssen, die anderen umschreiben die Vielfalt der Angebote und die von ihnen wahrgenommene Nischenbildung, durch die es zu einer Konkurrenz-Vermeidung oder zumindest einer anderen Wahrnehmung eines möglichen Wettbewerbs kommt – jedoch auch wieder in Abhängigkeit der spezifischen Situation. So stellt Matthias Faltz, der in seiner Landesbühne überwiegend Sprechtheater (zum Teil mit Musik) anbietet, bei Betrachtung der Spielpläne der Gastspielhäuser, in denen das HLTM auftritt, fest: „[Ich] empfinde es jetzt nicht so als Konkurrenz, weil das, was da noch so läuft, Oper oder Ballett oder [... ein] Gospel-Abend oder [...] viel auch Kabarett; das machen wir ja gar nicht; und haben das Gefühl, zumindest da, wo wir sind, [...] haben wir [...] einen guten Stellenwert und das, was die Veranstalter noch dazu holen, sind dann oft Formate, die wir gar nicht haben“ (Faltz 2016). Ähnlich bewertet Kay Metzger die Stellung des Detmolder Landestheaters im Bereich Musiktheater: Bezogen auf dieses Genre, das im Gastspielmarkt aufgrund der

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vergleichsweise hohen Kosten grundsätzlich etwas weniger stark vertreten ist, wird die Konkurrenzsituation durch eine Spezialisierung in gewisser Weise entschärft.85 Mirko Schombert beschreibt die unterschiedliche Schwerpunktsetzung in einer negativen Abgrenzung, wenn es die Landesbühnen nicht gäbe, würde in manchen Gebieten „kein Theater stattfinden. Beziehungsweise dann würde vielleicht anderes Theater stattfinden. Dann wäre es noch mehr Kabarett; wogegen auch nichts zu sagen ist; aber noch mehr Kabarett [...], das würde schon was verändern, glaube ich, in der Vielfalt, vielleicht auch in der Qualität“ (Schombert 2016). Die Praxis der Landesbühnen, bekannte Stoffe aufgrund ihrer guten Vermarktbarkeit auszuwählen, wurde bereits beschrieben, Schombert macht aber auch im Vergleich zu den Angeboten der Tourneetheater ein weiteres Mal deutlich, dass die künstlerische Umsetzung entscheidend sei, aber natürlich auch den Verkaufserfolg bestimme. Würde man nur eine gute Auslastung beabsichtigen und inhaltlich-ästhetische Ansprüche vernachlässigen, könnte dies die Arbeit erleichtern (dies würde jedoch eben auch dem eigenen Selbstverständnis widersprechen, vgl. Kapitel 4.1.4): „Dann gucken wir irgendwie, dass wir ‚Harry Potter‘ – da kriegen wir die Rechte natürlich nicht – [...] auf den Spielplan setzen; ‚Honig im Kopf‘ machen wir dann auch noch; und ‚Fack ju Göhte‘, eine Adaption und ‚Feuerzangenbowle‘ und inszenieren das dann vor allem auch noch genau so wie man es erwartet, wir gucken uns den Film an, machen genau die Kostüme, [...] und so arbeiten ja auch viele Privattheater, muss man auch sagen, die wirklich nur kommerzielle Anbieter sind“ (ebd.). Es scheint eine besonders gut gepflegte Meinung über die kommerziellen Tourneetheater zu sein, dass diese im Gegensatz zur klassischen Ensemble-Arbeit mehr auf eine möglichst originalgetreue Adaption von bekannten Werken (Filmen, Stücke oder Bücher) oder die Positionierung eines oder mehrere „Stars“ setzen, was Schombert durch den Einschub „Gabi Köstner kommt vorbei“ (ebd.) andeutet, und auch Matthias Faltz (siehe Faltz 2016) und Jörg Gade (siehe Gade 2016) ins Gespräch einbringen. Vorurteile und nur eingeschränkte Kenntnis treffen hier auf eigene Erfahrungen und Wissen durch Hörensagen. Tourneetheater ist ein Sammelbegriff für eine heterogene Gruppe, es gibt größere und kleinere Unternehmen, sie können rein kommerziell ausgerichtet sein oder von der Umsatzsteuer befreite Unternehmen ohne öffentliche Förderung und mehr (vgl. Schröck 2018a). Eine genauere und aktuelle Betrachtung der Strukturen, ihrer Ästhetik, ihrer Arbeitsweisen und ihres Selbstverständnisses würde einen, wenn nicht auch ganz weißen, mindestens grauen Bereich in der Karte der Theaterlandschaft füllen.86 Explizit wird in den Interviews nicht über die Qualität der künstlerischen Arbeit anderer Akteure gesprochen, es schwingen jedoch immer wieder vergleichende Bewertungen mit, die trotz der Beschwichtigung einiger Gesprächspartner deutlich machen, dass der Wettbewerb auf dem Markt ein wesentliches Element der täglichen Arbeit

85 Seine Aussagen zu der besonderen Qualität der Landesbühnenarbeit und ihrem guten Ruf, der die Entscheidungen der Veranstalter zugunsten der Landesbühne beeinflussen kann und zu der Möglichkeit der Landesbühnen durch ihre Ausstattung und Struktur besser, weil professioneller, zu sein als andere, wurden auszugsweise bereits zitiert, sollen hier als Ergänzung erneut als Verweis aufgeführt werden, vgl. Metzger 2016. 86 Verwiesen sei erneut auf die etwas ältere Abhandlung von Claudia Borowy, Borowy 1998, und weiterführend auf Schröter 2019.

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ist. So betonen sowohl Peter Grisebach (siehe dazu Grisebach 2016) als auch Matthias Faltz die Entwicklung der Landesbühnen in den vergangenen Jahren hin zum „Qualitätsmerkmal Landesbühne“.87 „[I]ch glaube, dass die Veranstalter gemerkt haben, dass sie oft bei den Landestheatern eine bessere Qualität bekommen können und dann eben nicht nur zwei Wände da stehen und drei Scheinwerfer, sondern [...] da bauen dann [...] fünf, sechs Leute irgendwie einen halben Tag auf; und dann wird geleuchtet [...] richtig Theater gezaubert [...]; ich glaube, dass die Konkurrenz da ist, aber die Landesbühnen mit dem qualitativen Anspruch da ganz gut abschneiden oder sich bei dem Interesse der Veranstalter recht nach oben gearbeitet haben“ (Faltz 2016). Hier wird deutlich, dass Vormachtstellung und auch Qualität mit der öffentlichen Finanzierung zusammenhängen können. Durch diese können die Landesbühnen ihre Produkte günstiger anbieten (siehe oben), durch die Spezialisierung und auch durch die dafür zur Verfügung stehenden Ressourcen sei die Stellung der Landesbühnen aber auch im direkten Vergleich der Arbeitsqualität, nicht nur der künstlerischen, eine vorteilhafte, so Faltz weiter: „[D]iese Akzeptanz oder auch dieser Stellenwert, den die Landesbühnen haben, hat sich sehr verbessert, [...] wir haben mehr Leute und mehr Kapazitäten [...] was so Inszenierungsaufbauten oder so was angeht, das ist also qualitativ hochwertiger“ (Faltz 2016). Die Landesbühnen haben demnach gegenüber den anderen Gastspielproduzenten unterschiedliche Vorteile: Gegenüber den Stadttheatern sind sie spezialisierter; gegenüber den Tourneetheatern behaupten sie eine bessere Qualität und die Bespielung anderer Inhalte; gegenüber den Freien Theatern scheint eine bescheidende Parallelität gepflegt zu werden, mit den genannten Ausnahmen, hier wurde kein allgemein gültiger Vorteil oder Nachteil explizit benannt, was wiederum aufzeigt, dass hier für einen generellen Vergleich die Szene zu divers und umfangreich zu sein scheint. Einige der Interviewpartner, wie Friedrich Schirmer, sind überzeugt, dass es bei einer Betrachtung des Gastspielmarkts und des Netzwerks der Theaterlandschaft insgesamt aber gar nicht um einen positionierenden Vergleich gehen kann und darf: „Geht es dem größten Haus am Platze gut, geht es auch den kleineren gut. Weil dann hat Theater Konjunktur, dann ist Theater angesagt. [...] Wenn es dem Haus nicht gut geht, dann ist das schlecht für alle“ (Schirmer u. a. 2016). Solange es also allen einigermaßen gut ginge, was ja auch wieder sehr subjektiv ist, wäre es in Ordnung, wenn jeder seiner Arbeit nachginge und sich weder Kooperation noch Konkurrenz anbieten „und insofern, denke ich, wir nehmen schon wahr, was die andern machen, aber wir sind so konzentriert auf unsere Arbeit, dass wir auch gar keine Zeit haben, nach Tübingen zu fahren, uns anzugucken, was Weckherlin macht – er macht das auch nicht. Also, die haben viel zu tun, [...] wir haben das zu tun und fertig“ (ebd.). Was Schirmer auf die Beziehung der Landesbühnen unter sich bezieht, könnte im übergreifenden Sinne für alle Anbieter von Gastspielproduktionen gelten: Ein friedliches Nebeneinanderher als Ziel – was jedoch angesichts der schwierigen Situation auf dem Gastspielmarkt eher ein Wunschdenken zu bleiben scheint. Abhängigkeiten und Vertrauen: Landesbühnen und Gastspielorte

Unabhängig davon, ob andere produzierende Theater als ernst zu nehmende Wettbewerber oder zu akzeptierende Mitbewerber angesehen oder kaum wahrgenommen

87 Begriff verwendet durch die Interviewerin (Faltz 2016).

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werden, für die Landesbühnen entscheidend in ihrem Tun und für ihren Auftrag unerlässlich sind die Gastspielveranstalter, mit ihnen besteht die wichtigste Beziehung: Ohne die Gastspielorte können die Landesbühnen ihre Produktionen nicht auftragsgemäß verbreiten, ohne die Landesbühnen würde den Gastspielorten ein bestimmtes Theaterangebot fehlen, die Abhängigkeit und gegenseitige Verantwortung ist also immens. Gleichwohl scheint es auch hier ein Ungleichgewicht in der Relation zu geben, denn die Gastspielveranstalter müssen nicht auf das Angebot der Landesbühnen zurückgreifen, sie könnten theoretisch darauf verzichten. Keiner der Intendanten würde die Gastspielorte als „Kunden“ bezeichnen, es wird von Veranstaltern gesprochen, teils und punktuell auch von Einkäufern, immer wieder von Partnern und von Zusammenarbeit, nicht von Geschäftsbeziehung. Die enge Beziehung zu diesen Veranstaltern, damit verbunden auch vertrauensvolle Absprachen, Rücksichtnahme und gegenseitiges Verständnis, ist ein wesentlicher Bestandteil der Landesbühnenarbeit. Immer wieder kam in den Interviews die Sprache auf diese Beziehung, sei es bei der Beschreibung der Arbeitsbedingungen, als auch des Selbstverständnisses – jedoch weniger als über die Stellung der Landesbühnen innerhalb der Theaterlandschaft gesprochen wurde. Nicht zu gering einzuschätzen ist die Machtstellung der Gastspielveranstalter: Durch ihre Programmauswahl steuern sie den Wettbewerb und nehmen Einfluss auf den Markt. Nur in einigen Fällen setzt sich das Programm eines Gastspielortes ausschließlich oder hauptsächlich aus Landesbühnenproduktionen zusammen und selbst diese müssen immer wieder neu überzeugen, sofern es keine vertraglich abgesicherten regelmäßigen Verpflichtungen gibt. Dabei helfen den Landesbühnen Gastspiele, die eine erfolgreiche Geschäftsbeziehung ermöglichen und festigen: „Da gibt es so langsam so einen Vertrauensbonus, den ich kriege, den muss ich mir irgendwie aufbauen, aber ansonsten ist es tatsächlich so, innerhalb des LTT nehme ich das, und von dem nehme ich das und von dieser Bühne das und vom privaten Tourneetheaterunternehmer [...] nehme ich das. Und der Markt ist krude“ (Weckherlin 2016), so beschreibt es Thorsten Weckherlin. Natürlich sind die Gastspielorte als Element des Gastspielmarktes ihm ebenso unterworfen wie die anderen Akteure, sie agieren unter gewissen Erwartungen und Verantwortungen und nehmen eine besondere Position innerhalb der Theaterlandschaft ein. Die Rolle der Veranstalter als Gatekeeper beeinflusst die Arbeit der Landesbühnen und aller anderen Theateranbieter maßgeblich, wie in der Beschreibung der Arbeitsweisen und -bedingungen bereits ausführlich dargestellt. Die Veranstaltungsorte gestalten sich sehr heterogen, hinsichtlich Professionalisierung, Ressourcen, Ausstattung und Profilbildung, auch bezüglich der Zusammenarbeit mit den Landesbühnen gibt es viele Variationen und die Frage nach der Verantwortungszuschreibung von Aufgaben kann auch hier gestellt werden: Was gehört zu den Kernaufgaben eines produzierenden, was zu denen eines präsentierenden Theaters? Gastspielorte veranstalten nicht nur die Aufführungen der Anbieter, beziehungsweise der Produzenten,88 sondern sind auch für die Bewerbung der Vorstellungen zuständig. Sie müssen dafür sorgen, dass die Produktionen ein, respektive ihr Publikum erreichen: Was dies auf einer konzeptionellen Ebene bedeutet, wird im Folgekapitel besprochen; hinsichtlich des Verkaufens, also bezogen auf das Marketing, hat ein Erfolg

88 Die Begrifflichkeiten werden oftmals synonym verwendet, der Unterschied, wie ihn Iris von Zastrow während der Memminger Tagung verdeutlichte, wird in Kapitel 4.2.4 aufgegriffen, vgl. dazu Schröck 2018a.

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oder Misserfolg des örtlichen Veranstalters in diesem Bereich Auswirkungen auf den Gastspielmarkt und somit auf die Zusammenarbeit mit den Landesbühnen. Menschen für das Theater zu begeistern, ist nicht immer unbedingt eine leichte Aufgabe, für die Landesbühnen als auch für die Veranstalter, das wissen auch die Gesprächspartner und sprechen ihre Anerkennung aus, wie Uwe Brandt, wenn er sagt, „die kaufen unser Gastspiel sozusagen ein und die Vermarktung und die Öffentlichkeit ist dann eigentlich bei Ihnen. Aber die haben es schwer“ (Brandt 2016). Wenn es möglich ist, also der Gastspielort entsprechend ausgestattet ist, einen umfangreichen Spielplan anzubieten, sei dieser oft sehr breit angelegt, die Veranstalter „wollen einfach eine gute Mischung im Programm“ (Gade 2016), so schätzt es Jörg Gade ein, auch um unterschiedlichste Interessen zu bedienen. Diese Varianz im Angebot wird klar durch unterschiedliche Positionen ermöglicht, die von unterschiedlichen Akteuren angeboten werden, eine Differenzierung, die wiederum die in diesem Kapitel beschriebenen möglichen Konkurrenzsituationen beeinflusst: „[U]nsere Gastspielorte erwarten von uns nicht die leichte Kost und das Boulevard; wenn sie das wollen, kaufen sie das sowieso woanders ein [...], dann bin ich ja viel besser bedient bei einem der kommerziellen Anbieter, der mir die Komödie auch noch mit einer bekannten Nase aus Film, Funk und Fernsehen verkauft“ (ebd.). Bei allem Verständnis für die Gastspielveranstalter wird in dem Zusammenhang dennoch auch wieder auf den Titelzwang referenziert; man müsse „vielleicht auch ganz nüchtern betrachtet sagen, das es natürlich auch stimmt. Natürlich [...] kommen mehr Leute in die großen Titel“ (Schombert 2016), fasst Mirko Schombert die Beschreibung der Marktsituation zusammen. Die immense Bedeutung einer guten Beziehung zwischen den Landesbühnen und den Gastspielorten wird unterstrichen durch die breit kommunizierte und postulierte Partnerschaft mit der INTHEGA. Die INTHEGA, Sprachorgan und Interessenvertretung der Veranstalter, „hat die Aufgabe, die öffentlich- und privatrechtlichen, insbesondere die kommunalen und gemeinnützigen Veranstalter von Theater- und Konzertgastspielen bei ihrer Kulturarbeit zu unterstützen und die Interessen gegenüber Dritten durch Empfehlungen, Verhandlungen, Abschluss von Vereinbarungen und andere geeignete Schritte zu wahren“ (INTHEGA 2001), sie sucht „die Partnerschaft mit denen, die Theater in der Fläche machen, besonders den privaten Tourneetheatern und den Landesbühnen“ (INTHEGA 2008) und positioniert sich zudem als kulturpolitischer Akteur (ebd.). Sowohl online in einer Datenbank als auch in unterschiedlichen Printprodukten sammelt und veröffentlicht die INTHEGA Informationen sowohl zu Gastspielveranstaltern, Bühnen, Ausstattungen etc. als auch der Angebote und Spielpläne der reisenden Theater und zwar gleich welcher Organisationsform. Die INTHEGA ist also genau in der Schnittstelle tätig und könnte nicht nur gastspielnehmende und gastspielgebende Theater zusammenbringen, sondern auch den Austausch der Anbieter und Produzenten untereinander verstärken und fördern – was auch bereits geschieht, durch die Tagungen und Veranstaltungen. Bedeutend für die Spielplangestaltung und den Gastspielverkauf der Landesbühnen und somit auch für das Bestehen innerhalb konkurrierender Wettbewerbssituationen sind aber nicht nur die offiziellen und formalen Kanäle der INTHEGA, sondern vornehmlich die bereits beschriebenen informellen Beziehungen, die durch Kontakte, Erfahrungen und Zusammenarbeit entstehen und entstanden sind. Auch innerhalb des Netzwerkes der INTHEGA sind persönliche Empfehlungen entscheidend: Matthias Faltz weiß so zu berichten, dass „die Veranstalter sich untereinander [in der

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INTHEGA], sehr genau verständigen und austauschen und wenn wir irgendwo gespielt haben und die sagen: ‚ey, das war super, das müsst ihr euch auch mal holen‘, [...] das ist sozusagen eine bessere Referenz als wenn wir sagen, hier wir haben eine tolle Kritik gekriegt“ (Faltz 2016). Das Verhältnis kann positiv geprägt sein, voller Vertrauen und im dialogischen Austausch. Es könnte aber auch kippen, wenn ein Partner abhängiger von dem anderen wird, als dieser es umgekehrt ist, oder wenn sich eine Verschiebung der Verantwortungen und Zuständigkeiten ergibt. Auch an dieser Stelle wird die Beziehung bereits theaterpolitisch beeinflusst: Die Gastspielorte sind aufgrund ihrer eigenen Situation größtenteils auf subventionierte Gastspiele angewiesen. Würde diese indirekte Förderung wegfallen oder würden die Gastspielorte selbst auskömmlicher finanziert werden, könnte das zu einer Umgestaltung das Marktes führen. Möglich wäre, dass die Gastspielorte dann verstärkt auf andere Anbieter zurückgreifen würden, es könnte sich auch eine neue Dynamik hinsichtlich der Stückauswahl und der ästhetischen Vielfalt ergeben. Diese theaterpolitische Steuerung ist zudem bemüht, der Ungleichheit der Akteure entgegenzuwirken; die INTHEGA bildet, genau wie die Landesbühnen, ein Kollektiv, ist jedoch hinsichtlich der Anzahl der Mitglieder ein deutlich größerer kollektiver Akteur, der mit mehr anderen Akteuren interagiert, als die Landesbühnen, wodurch sich die besondere Machtposition der Gastspielorte in der Theaterlandschaft noch einmal verstärkt. Auch wenn natürlich im Binnenverhältnis die Beziehung zwischen den einzelnen (korporativen) Akteuren zunächst überwiegt, muss die Gesamtsituation immer mit bedacht werden, da die Einzelverhältnisse die Gesamtstruktur des Netzwerkes bedingen. 4.2.3 Partnerschaften und Verbündete im Alltag Bislang wurde hauptsächlich von den professionell arbeitenden Theatern gesprochen und auch die Verflechtungen innerhalb der Theaterlandschaft nur auf die Stellung dieser zueinander dargestellt. Im Sinne der bisherigen Herleitungen und Argumentation gilt es aber, die Theaterlandschaft möglichst umfänglich in Gänze zu betrachten, den nur dann lassen sich Aussagen treffen über die Netzwerkstrukturen, über die Stellung und Positionen der Akteure in Beziehung zueinander. Dass dabei der Gastspielmarkt und seine Mechanismen eine große Rolle spielen, wurde deutlich; innerhalb dieses Wettbewerbs sind die Faktoren Professionalität, die mit Qualität gleichgesetzt wird, Kooperationen und Konkurrenz entscheiden. Doch wie positioniert sich die Landesbühne zu den Akteuren der Darstellenden Künste und der Kulturlandschaft, die nicht in diesem Segment angesiedelt sind? Theater von Nicht-Profis ist als Teil der Breitenkultur überall zu finden, sowohl in Großstädten als auch im ländlichen Raum, Berührungspunkte mit der Arbeit der Landesbühnen scheinen also, so eine Vermutung, eigentlich unvermeidbar. Nimmt man jedoch eine vorhandene Parallelität von professionellem und nicht-professionellem Theater an, da es keine Überschneidungen im Tätigkeitsfeld des Gastspielmarkt gibt, ist ebenso wahrscheinlich, dass sich Amateurtheater und Landesbühnentheater wenn überhaupt nur punktuell begegnen. Das Amateurtheater als großer Bereich der Landschaft der Darstellenden Künste ist nicht minder, eher wahrscheinlich noch heterogener als die anderen Akteure, es könnten also sehr diverse Beziehungen zu den Landesbühnen entstehen oder vorhanden sein.

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Zur begrifflichen und inhaltlichen Abgrenzung soll zunächst von unabhängig arbeitenden, das heißt nicht (überwiegend oder hauptsächlich) an einen öffentlichen Theaterbetrieb angegliederten nicht-professionellen Theatern die Rede sein, wobei es auch bei dieser Form durchaus professionelle Aspekte der Arbeit geben kann (vgl. die Beschreibungen in Kapitel 2.1.2 und weiterführend Keuler 2019). Formate, die Laienund Berufstheatermacher mischen und verbinden und organisatorisch an ein Theater gebunden sind, wie Bürgerbühnen, Spielclubs und ähnliche, werden im Zusammenhang mit den Konzepten zur Partizipation genauer betrachtet, wobei es natürlich auch hier Mischformen und Grenzbereiche gibt. Während der Interviews überschnitten sich die Bereiche teilweise. Wenn von nicht- oder semi-professionellem Theater gesprochen wurde, wurden zumeist die eigenen Angebote thematisiert, teilweise wurde über das Amateurtheater auch hinsichtlich möglicher zukünftiger Entwicklungen gesprochen. Die Positionierung der Landesbühnen zum „freien“ Amateurtheater (im Sinne von Strukturen, die nicht institutionalisiert an einem öffentlichen Theaterbetrieb angegliedert sind) kann aufgrund der wenigen Aussagen während der Gespräche nicht verallgemeinert werden, die einzelnen Meinungen zeigen aber die Bandbreite der Beziehungen. Es scheint einerseits nur eine vage Kenntnis des Feldes zu geben, keine Wahrnehmung möglicher Berührungspunkte und eine Abgrenzung bezüglich ästhetischer und qualitativer Aspekte; andererseits gibt es eine standortsensible Beachtung, Kenntnis und Wertschätzung sowie Unterstützung und Zusammenarbeiten. Im Gespräch mit Peter Grisebach kam das Amateurtheater wie nebenher zur Sprache, Ausgangspunkt dafür war seine Aussage zum Mundarttheater und die damit verbundene hohe Identifikation der Menschen in den jeweiligen Gebieten. Ein Spezialbereich, der vom SHL nicht bedient würde, denn „das machen ja dann andere Theatergruppen, die lokalen, die Hobby-Theaterleute, die niederdeutsche Bühne, Husum, Niebüll, Kiel, Flensburg, Rendsburg, Schleswig – überall gibt es diese eingetragenen Vereine und bilden das dann ab [...]. Die sind stolz da drauf. Genauso wie wenn Landestheater kommt, wow, großes Theater, große Bühne, großer Aufwand; aber sie sind auch stolz auf ihre Vereine, die dann da niederdeutsche Komödien spielen“ (Grisebach 2016). Durch dieses Zitat wird erneut bestätigt, dass Theater identitätsstiftende Funktion ebenso übernehmen, wie dass es als Ereignis wahrgenommen und als kulturelle Ausdrucksform gewertet werden kann. Indirekt spricht Grisebach auch die Wertschätzung unterschiedlicher Theaterarbeit an, mundartliche Unterhaltung kann gleich bewertet werden, wie eine professionelle Bühnenproduktion – auf beide können die Zuschauer (im besten Falle) stolz sein. Grisebach sieht zunächst keine direkten Berührungspunkte zwischen diesen beiden Theaterwelten, eher eine Ergänzung (vgl. ebd.) – doch auf Nachfrage, warum es denn keine Unterstützung oder Zusammenarbeit des SHL mit Amateurtheatergruppen gäbe, reagiert er leicht irritiert: „Aber so was macht man ja immer. [...] das ist ja selbstverständlich. Ich meine, wenn die niederdeutsche Bühne in Flensburg im Flensburger Theater spielt, sind es ja auch meine Techniker, die das mitbetreuen [...] mein [...] Malersaalvorstand in den Zentralwerkstätten des Landestheaters wird auch hier und da mal gefragt, kannst du nicht bei uns die Bauernstube entwerfen? Und dann fragt er mich, ob er das darf und selbstverständlich darf er das, wenn er nicht die eigentliche Arbeit bei mir – also; da gibt es selbstverständlich Verknüpfungen, aber nicht institutionalisiert“ (ebd.). Die Förderung nicht-professioneller Theaterarbeit scheint also so selbstverständlich, dass kaum erwähnenswert, das Amateurtheater wird demnach durchaus als Akteur wahrgenommen

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und wertgeschätzt. Gleichwohl bleibt die Unterstützung der lokalen Amateurtheaterarbeit eine zusätzliche Aufgabe, die klar dem eigenen Auftrag untergeordnet ist: Solange diese keine Unterbrechung des eigenen, professionellen Betriebsablaufs bedeutet, kann sie gerne geleistet werden, doch nur so lange, wie es mit der Ressourcenplanung vereinbar bleibt. Auch hier zeigen sich Grenzen der Beauftragung und der Verantwortlichkeiten, beziehungsweise des Verantwortungsbewusstseins auf, ähnlich den Projekten mit Freien Theatern, die genauso nur als Zusatz möglich scheinen. Eine andere Bedeutungszuschreibung für Amateurtheater ist aus dem Gespräch mit Kay Metzger ablesbar. Er stellt die Daseinsberechtigung von Amateurtheater nicht in Frage, verweist aber unmittelbar auf die Unterschiede zwischen professioneller und semi-professioneller Arbeit und spricht von Amateurtheater vor allem in Abgrenzung zur Bürgerbühne, nicht nur in struktureller Hinsicht, sondern auch bezogen auf die Inhalte: „Das unterscheidet, glaube ich, Amateurtheater sehr; die Bürgerbühne, das ist ja auch das Sympathische daran, die will ja auch nicht den Anspruch erheben, wir spielen jetzt ‚König Lear‘ [...] oder moderne Stücke. Sondern im Grunde genommen wird das, was die Bürgerbühne machen soll, auch auf die Bürgerbühne zugeschnitten, zum Teil auch mit ganz authentischen Geschichten, wenn es bis hinein in persönliche Lebensberichte geht [...]. Und Amateurtheater, durchaus sympathisch, ich meine das jetzt nicht bewertend, aber die spielen natürlich im Grunde genommen alles [...] von ‚Hair‘, einem komplexen Musical, was man erst mal gut besetzen muss, bis zum ‚Besuch der alten Damen‘ [...], ganz ganz viel; und da würde ich differenzieren; da würde ich sagen, das hat seine Berechtigung; auch in einem gewissen Lebensprozess eines Menschen, der sich da hineinkniet“ (Metzger 2016). Zwei Aspekte lassen sich hier verdeutlichen, die das vorherrschende Bild von Amateurtheater zu zeichnen scheinen. Auch wenn Metzger betont, dass er es neutral verstanden wissen wolle, scheint der Qualitätsaspekt entscheidend: Der Zweifel, ob Amateurtheater in der Lage ist, Stücke gut zu besetzen, also ob das Theater es überhaupt schafft, die für eine bestimmte Inszenierung einer Stückvorlage notwendigen Menschen mit den entsprechenden Talenten zu finden, drückt eine Wertung aus. Ebenso scheint die Wahrnehmung zu überwiegen, dass diese Theaterarbeit weniger als Kunst, denn als etwas, das für den „Lebensprozess eines Menschen“ wichtig sei, zu gelten habe. Persönlichkeitsentwicklung und Transfereffekte scheinen dem ästhetischen Anspruch in ihrer Bedeutung zu überwiegen. Darüber hinaus verweist Metzger indirekt auf die Gefahr der Deprofessionalisierung im Theater, bei allem Respekt gegenüber Laienspiel: „[A]ber ich glaube schon auch an die Wertigkeit der Professionalität der Theaterarbeit; also man lernt ja nicht umsonst mehrere Jahre den Schauspieler-Beruf, den Sänger-Beruf, Regie und Bühnenbild und dergleichen mehr und da sollte man wirklich differenzieren“ (ebd.). Zugleich verbindet Metzger seine Überlegungen zum Amateurtheater mit einer Verantwortungszuschreibung: „Es gibt natürlich, und das ist auch absolut legitim, an Bespieltheatern, das finde ich auch sehr vorbildlich, immer wieder Aktivitäten, dass man Amateure in das Theater lässt vor Ort, also es wird ein Stück produziert und dann darf die Schule X oder der Verein Y in zwei Wochen in so einem Bespieltheater Schlussproben, technische Einrichtung etc. [durchführen] und dürfen dann drei, vier, fünf Aufführungen spielen. Das finde ich, ist eine schöne Wahrnehmung einer [...] regionalen Verantwortung eines Bespieltheaters und [...] vielleicht ist dann der eine oder andere dann doch neugierig, was sonst wo angeboten wird. Allerdings glaube ich nicht, dass wenn jetzt ein Amateurtheater hier in Detmold dann beispielsweise ein biss-

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chen weiter entfernt [...] auftritt, ob die dann wirklich dankbar sind, oder ob sie sagen, wir wollen eigentlich abends Profitheater und nicht Liebhabertheater“ (ebd.). Amateurtheaterstrukturen sieht er als Möglichkeit, Verbindungen zu schaffen zwischen Theater und der Region und möglicherweise im besten Fall auch als ein Instrument zur Akquise von Theaterzuschauern, als Möglichkeit, Theaterlust zu wecken. Zugleich spricht er dem Amateurtheater eine Wirkung oder Qualität von Produktionen mit künstlerischem Eigenwert ab, wenn die lokale Bedeutung und Beziehung nicht vorhanden oder gegeben sei. Durch diese Zitate wird der zugrunde liegende Diskurs deutlich, der maßgeblich das Verständnis von Theater in Deutschland beeinflusst: Auch wenn sich die Grenzen zwischen professioneller und nicht-berufsmäßig ausgeübter Theaterarbeit in Projekten und bestimmten Strukturen aufzuweichen scheinen, wird gerade vom institutionalisierten Theater die Abgrenzung aufrecht gehalten und behauptet: Professionelle Kunst auf der einen Seite – auf der anderen künstlerisch anmutende Projekte mit Liebhabercharakter, oftmals auch konnotiert mit soziologischen, pädagogischen oder therapeutischen Effekten.89 Mirko Schombert sieht durchaus Potenzial im Feld des Amateurtheaters, auch in seiner Erscheinungsform der Bürgerbühne. Für ihn ist die Zusammenarbeit mit einem Theaterbetrieb jedoch nicht unbedingt entscheidend, denn „eine Bürgerbühne kann sich auch irgendwo gründen, wo es kein Stadttheater gibt, wenn man als Kommune da die entsprechende Infrastruktur schafft“ (Schombert 2016). Man könne vorhandenes Amateurtheater unterstützen, „nicht nur durch eine professionelle Struktur, sondern schon auch durch eine professionelle Kompetenz“ (ebd.). Für ihn ist eine solche professionelle Unterstützung das Unterscheidungskriterium zwischen reinem Amateurtheater und der Bürgerbühnenstruktur. Die dadurch entstehende neue Konstellation, also das Mitwirken eines Profis, der Blick eines ausgebildeten Theatermachers, könnte Möglichkeiten für Entwicklungen bieten und zwar nicht im Sinne einer Verbesserung, einer qualitativen Neubewertung, sondern dass etwas Neues entstehen könne. Reine finanzielle Förderung sei daher nur bedingt zielführend, denn eine Kooperation bedeute ja im besten Falle, dass sich für alle Beteiligten etwas ergibt, etwas bewegt: „[D]er Mehrwert einer Bürgerbühne ist ja, dass durch eine professionelle Leitung oder – ja doch auch Leitung von außen, dass da Leute auch nochmal wachsen, auch nochmal neue Dinge ausprobieren. Also, das braucht es, glaub ich, schon, man braucht da die Profis halt. Die Regisseure, Theaterpädagogen auch, wenn sie entsprechend da irgendwie aufgestellt sind; und dann die professionelle Infrastruktur. [...] Aber es reicht nicht, dem Amateurtheaterverein einfach nur irgendwie nochmal 3.000 Euro für neue Scheinwerfer da hinzustellen. Damit entsteht ja erst mal nichts Neues“ (ebd.). Der Gedanke, ob vielleicht doch etwas anderes entstünde, einfach durch die Verbesserung der technischen, der infrastrukturellen Situation, wird nicht weiter verfolgt. Auch wenn im Bereich des professionellen Theaters oft argumentiert wird, dass mehr Geld mehr ermöglichen würde,90 sind die Finanzen alleine nicht ausschlaggebend. Entscheidend für alle Art von Kooperationen, egal ob zwischen Liebhabern und Berufs-

89 Diese Zuschreibungen und Gegenüberstellungen bestimmen auch das Verständnis von Teilhabe und partizipatorischer Arbeit, verwiesen sei rückblickend auf Kapitel 2.2 und im Vorgriff auf Kapitel 4.3. 90 Unter anderem würden mehr Ressourcen vielleicht mehr Kooperationen mit beispielsweise Freien Theatern möglich machen, wie oben exemplarisch aufgezeigt.

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theatermachern oder zwischen gleichartigen Theaterorganisationsformen ist die Absicht, die einer Zusammenarbeit zugrunde liegt. Bereits in der Planung oder in der ersten Phase des Entstehens einer Zusammenarbeit zwischen professionellem und Amateurtheater, kommt es aus Sicht von Naemi Keuler, Präsidentin und Geschäftsführerin des Landesverbands Amateurtheater Baden-Württemberg, oft zu einem Ungleichgewicht, bestimmt durch eine herablassende Betrachtungsweise, die sich aus Unkenntnis speist. Eine nicht seltene Situation, für die sie klare Worte findet: Man könne als Akteur nicht einfach „aufs Dorf raus gehen, und sagen, ich hab da Geld bekommen und erwarten, dass die Leute auf dem Dorf, in der Provinz sagen ‚Juchheißassa ihr seid jetzt die Heilsbringer, ihr bringt uns die Kunst‘“ (Keuler zitiert nach Schröck 2018a. Dem Prinzip „erst fragen, dann entwickeln“ (ebd.), würde viel zu selten gefolgt und es passiere öfter als man denke, dass Künstler mit einer Idee und mit Geld aufs Land kämen und sich wunderten, warum keiner mitmachen wolle (vgl. ebd.). Hier zeigt sich erneut die Problematik der Entwicklungsrichtung von Projekten: Entsteht eine Idee und eine Partnerschaft aus einer gemeinsamen Überzeugung und Vision, für die dann Finanzierung eingeworben werden muss? (Weil und solange solche Kooperationen nicht als Kerngeschäft gewertet werden und daher nicht in der Finanzplanung originär berücksichtigt werden.) Oder gibt ein Förderprogramm eine Richtung vor, ein Thema oder einen Ansatz, um gemeinsam tätig zu werden und sich Partner zu suchen? Entscheidend sei neben der gegenseitigen Wahrnehmung auch die beidseitige Anerkennung: Anna Eitzeroth, Projektleiterin von „Wege ins Theater“, ein Förderprogramm im Rahmen von „Kultur macht stark“, stellte auf der Memminger Tagung fest, dass eine „Dominanz der urbanen Meinungen“ (Eitzeroth zitiert nach Schröck 2018a) vorherrsche und zugleich ein defizitärer Blick auf den ländlichen Raum geworfen würde. Partnerschaften wären eine Möglichkeit, diese Sichtweise zu ändern, die Provinz nicht einfach als Einzugsgebiet zu begreifen, sondern die sich dort bewegenden Akteure, also auch das Amateurtheater und andere Formen der Breitenkultur bewusst und wertschätzend wahrzunehmen. Insbesondere im ländlichen Raum seien Strukturen für Kulturelle Bildung und Kunstangebote stärker durch Personen als durch Institutionen gestaltet; Programme wie „Kultur macht stark“ könnten als Türöffner fungieren, Expertisen und Perspektiven zusammenbringen und Strukturen schaffen und fördern (vgl. ebd.). Anna Eitzeroth spricht aus ihrer Sicht exemplarisch vom Kinder- und Jugendtheater; dass, wenn man Theater als Ort des gesellschaftlichen Diskurses verstünde, man Kinder und Jugendliche als Teil dieser Gesellschaft ernst nehmen müsse und somit Projekte mit ihrer Beteiligung einen wertschätzenden Stellenwert erhalten sollten. Dies gilt aber natürlich für alle Menschen und somit generell für Kooperationen mit Laien. Naemi Keuler setzt sich für eine solche Akzeptanz und Wahrnehmung des Amateurtheaters und seiner Akteure ein. In den Interviews wird im Zusammenhang mit dem Bestreben, Theater in dem Alltag der Menschen zu verankern, von Berührungspunkten gesprochen, von denen Amateurtheater einer sein kann: Theater von Nicht-Profis wird wahrgenommen als eine Freizeitbeschäftigung, eng eingebunden und verbunden in das alltägliche Leben der Beteiligten; durch das Selberspielen entstünde bereits eine Bindung zum Theater, eine Grundneugier auf die Darstellenden Künste, wovon natürlich auch die professionellen Theater profitierten. Keuler betonte in den Vorbereitungsgesprächen zur Memminger Tagung das daraus oft entstehende Missverständnis: Amateurtheater seien eben nicht zu reduzieren auf die Rolle einer potenziellen Zu-

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schauergruppe, die man einfacher ansprechen und bewerben könne, sondern müssten als eigenständige Theaterakteure akzeptiert werden; ihre Wünsche und Bedürfnisse müssten respektiert werden, in ihrer Eigenständigkeit und bei beabsichtigten Zusammenarbeiten.91 Als ein Beispiel für eine behutsame Beobachtung und fürsorgliche Beachtung der vorhandenen Theater- und Kulturlandschaft sollen an dieser Stelle erneut die Landesbühnen Sachsen aufgeführt werden. Ein wichtiger Spielort für die LBS ist das Theater Meißen, in dem nicht nur professionelles Theater in Form von Gastspielen fest verankert sei, sondern das Amateurtheater eine sehr wichtige Rolle spiele und eine gegenseitige Rücksichtnahme notwendig und selbstverständlich sei, wie Manuel Schöbel beschreibt: „[W]ir haben [...] in Meißen ein wichtiges Amateurtheater, was sehr profiliert dort [...] spielt, was wir durchaus auch als Bestandteil der Freien Szene verstehen, wo wir sagen, da sollten wir aufpassen, dass wir uns gegenseitig nicht Zuschauer abspenstig machen und vielleicht auch nicht Repertoire gegenseitig weg spielen. Also das versuchen wir. Oder wir informieren uns [...] voneinander, [...] dass es nicht zufällig wird, sondern durchdacht und geplant ist“ (Schöbel 2016). Das Zusammenspiel unterschiedlicher Gruppen und die lokale Verankerung des Liebhabertheaters zeichneten das Meißener Theater aus und die Gemeinschaft hätte durchaus positive Auswirkungen für die Landesbühne: „Ich mag das ja total, [...] in solchen Häusern wie eben [...] in Meißen, da gibt es mehrere Amateurtheater mit semiprofessionellen Aspekten, [...] das ist toll, dass die dieses Haus, was kein eigenes großes Ensemble mehr hat, [...] sich zu eigen machen und damit auch prägen und beleben. Und das hilft uns auch, wenn wir hinkommen als gastierendes Ensemble, dass da eine Theaterklientel da ist, überhaupt“ (ebd.). Bei genauer Lektüre sind zwei bemerkenswerte Aussagen in diesem Satz enthalten, die für die Diskussion möglicher Tendenzen nicht vernachlässigt werden dürfen: Schöbel deutet an, dass der Spielort auch durch das Amateurtheater als Theaterbetrieb aufrecht gehalten wird, diese Gruppen und die Landesbühnen Sachsen füllen also eine dort entstandene Lücke, wie auch auf der Webseite des Theaters vermerkt ist: „Bis 1963 brillierte das Theater mit einem eigenen Ensemble. Schauspieler, Tänzer und ein Orchester bezauberten viele Jahrzehnte das große Publikum. Als Gastspieltheater konnte das Haus seine traditionsreiche Geschichte fortsetzen“ (Theater Meißen 2018). Eine Tatsache, die enorme Auswirkung auf das Verhältnis innerhalb des Netzwerkes Theaterlandschaft und die Stellung einzelner Akteure in der Bedeutung und ihrer Wahrnehmung haben kann und bereits andeutet, was in den Betrachtung möglicher Zukunftsszenarien aufgegriffen wird: Die Gefahr, dass die Landesbühnen oder andere reisende Ensembles stehende Theater ersetzen könnten (bei aller Versicherung, dass dies gar nicht sein könnte, wie die Intendanten stets argumentieren). Der abschließende Satz Schöbels kann als Bestätigung, respektive Erweiterung der Aussage Friedrich Schirmes gelesen werden: Wenn es einem Theater gut geht, ginge es auch den anderen Theatern gut. Zugleich klingt auch hier wieder die Feststellung durch, dass Amateurtheater eine Möglichkeit bieten, die Zielgruppe theaterinteressierter Menschen zu vergrößern, respektive durch sie neues Publikum generiert werden kann. Schöbel bezieht in seine Überlegungen nicht nur die Landschaft der Darstellenden Künste ein, sondern spricht durchweg von einer Kulturlandschaft, in deren Verantwortung auch die Theater stünden. So ist es für ihn im „Schlösser- und Burgen-Land Sach-

91 Diese Meinung entspricht den Feststellungen und Herleitungen aus Kapitel 2.2.4.

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sen [...] ganz selbstverständlich, dass man [...] die Pflege einer Museumslandschaft mitdenkt und versucht zu berücksichtigen, bei Bespielkonzepten. Gerade für einen jungen Zuschauer, der verführt werden kann, das eigene Bundesland, die Region kennenzulernen, als eine historisch gewachsene, als eine stark kulturell geprägte Landschaft. Und wenn Theater sich dazu ins Verhältnis setzt, dann kann es immer versinnlichen, kann immer Orte auch beleben“ (Schöbel 2016). Es ergeben sich dabei Partnerschaften unterschiedlichster Natur: Die LBS bemühen sich durch Produktion und Präsentation „in sogenannten theaterfernen Orten präsent zu sein“ (ebd.) und sind stets auf der Suche nach Verbündeten, die es ermöglichen und erleichtern, dass die LBS nicht nur als Gastspieltheater im Gastspielhaus, sondern als lebendiger Teil der Kultur vor Ort wahrgenommen werden, als im Alltag verankert: „Das ist was, was ich auch persönlich sehr mag und sehr wichtig finde, das sind Erfahrungen, die zum Teil aus dem Kinder- und Jugendtheater kommen, mit einem Theater, was sich sehr stark auch eingreifend in die Alltagskultur und gesellschaftliche Strukturen hinein definiert, wo es darum geht, dass wir ein Kunstangebot als Bestandteil des gesellschaftlichen Lebens machen“ (ebd.). Die LBS beleben diese Gedanken nicht nur durch Aufführungsformate, sondern auch durch gemeinsame Arbeiten in den Kulturorten oder Stückentwicklungen, die lokale Gegebenheiten und Geschichte(n) aufgreifen: „Das heißt wir brauchen starke Partner; das können Jugendclubs sein, das können aber auch Einrichtungen sein der Soziokultur, es sind manchmal – in Sachsen – auch architektonisch wertvolle Gebäude; Schlösser, Burgen, manchmal Museen, die daran interessiert sind, ein regelmäßiges Theaterund Performance-Angebot zu zeigen“ (ebd.). Der Begriff der „Kooperation“ ist weder geschützt noch wird er hier eindeutig beschrieben, er kann sich auf eine Partnerschaft beziehen, bei der alle Beteiligten inhaltlich verantwortlich zeichnen, kann sich aber auch ganz einfach auf beispielsweise die Eröffnung eines Spielortes beziehen. Als Gegenbeispiel zu den Bestrebungen der LBS mit ortsbezogenen Produktionen Gebäude, Räume und Städte zu beleben und somit im alltäglichen Leben verankert zu sein, seien Kay Metzgers Aussagen hinzugezogen. Auch das Landestheater Detmold arbeitet mit Einrichtungen in der Stadt zusammen, diese Kooperationen nutzen dem „Stadttheater-Feeling [...], wir machen zum Beispiel hier die Einführungsmatinee zum Stück, [zur Premiere,] ganz bewusst nicht im Theater, [...] sondern wir gehen raus, [...] wir sind im Landesmuseum, wir sind in einem Autohaus, wir sind im Sitzungssaal des Kreises, wir sind im Freilichtmuseum; und erreichen dadurch nochmal ganz andere Publikumsschichten, als wenn wir jetzt hier in unserem schönen historischen Theater das machen würden“ (Metzger 2016). Verbündete im alltäglichen städtischen Leben dienen hier einer Sichtbarmachung des Theaters in der Stadt, wiederum verbunden mit der Absicht, dadurch neue Publika zu erschließen. Eine inhaltliche oder dialogische Partnerschaft scheint nur bedingt stattzufinden, aber in Zusammenarbeit mit anderen kulturellen Akteuren, wie beispielsweise Kirchen, ansatzweise vorhanden zu sein: „Wir haben auch immer wieder Produktionen außerhalb des Theaters, wir kooperieren ja sehr viel mit Kirchen beispielsweise; haben einen Judas-Monolog in einer Kirche; [...] wir hatten einen Ballett-Abend [...] zu Orgelmusik und solche Dinge“ (ebd.). Ob diese Strategien von Erfolg gekrönt sind, wäre im Falle Detmolds gesondert zu analysieren, es bleibt jedoch die Vermutung, dass alleine durch Ortswechsel bei gleichbleibenden Inhalten nur bedingt ein neuer Kreis Zuschauer erreicht werden kann (vgl. dazu Kapitel 2.2.3).

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Wenn man die Motivation, in anderen Orten präsent zu sein, nicht aus Marketingsicht beurteilt, sondern aus künstlerischem Interesse, muss unterschieden werden, ob es sich bei einer Inszenierung in einem Nicht-Theater-Ort um eine Auseinandersetzung mit dem Raum und seinen Gegebenheiten handelt oder ob versucht wird, den Nicht-Theater-Ort in ein Theater zu wandeln, beziehungsweise ein solches zu imitieren. Für Mirko Schombert ist das Erstgenannte reizvoll, jedoch kaum zu realisieren, das Zweitgenannte eigentlich aus qualitativen Gründen zu vermeiden, was auch nicht immer möglich ist: „Also ich bin ein Riesenfan von irgendwelchen site-specific Projekten und [...] ich bin einfach ein Verfechter von Strukturen vor Ort. Also sagen wir mal so, wenn man irgendwie ein super geiles Projekt in einem [...] aufgegeben Supermarkt macht. Oder in einer Zeche, oder wo immer man so Sachen halt [...] macht; dann finde ich das super geil. Wenn ich allerdings einfach in die Schulaula vor Ort gehe, oder in die Stadthalle, wo mit Podesten eine Bühne aufgebaut wird; wo sozusagen versucht wird, das klassische Theatergebäude zu simulieren; mit ganz klar bestuhlten Reihen, [...] dann hab ich quasi ein festes Haus, nur das in schlecht. Dann hätte ich lieber ein besseres Haus. Mit einem besseren Boden und besseren Scheinwerfern und so“ (Schombert 2016). Eine Wunschvorstellung, die Schombert selbst als Utopie bezeichnet, aber die Abhängigkeit von Räumlichkeiten und die herausfordernden Bedingungen für die Landesbühnen ein weiteres Mal in den Fokus rückt.92 Zugleich macht sie aber deutlich, dass ein Kooperationspartner nicht schlichtweg als Theater-Spielstätte missbraucht werden sollte, nur weil man sich einen positiven Effekt durch die neue Verortung erhofft. Eine Partnerschaft mit Räumen der Alltagskultur, des Alltagslebens sollte – ebenso wie mit Akteuren der Breitenkultur – durch inhaltliches Interesse und Auseinandersetzung entstehen, nicht durch äußere Faktoren bedingt werden. Verwiesen sei hier auf die obigen Gedanken zum Aachener Modell, die Produktion von Jugendtheater in den Schulen kann gleichermaßen auf Überzeugung zurückzuführen als auch eine Kompromisslösung sein. Um zu den Gedanken Schöbels zurückzukehren: Verankerung im Alltag auch durch die Besetzung theaterfremder Orte – eine Taktik, die auch im Kinder- und Jugendtheater durch Aufführungskonzepte für Räume in Bildungseinrichtungen Anwendung findet. Im Falle der Landesbühnen ist dieses Vorgehen zu differenzieren: Klassenzimmerstücke, die bereits erwähnt wurden, sind konzeptionell ausgerichtet an einer Eroberung, einer Bespielung des alltäglichen Aufenthalts- und Bildungsortes der Kinder und Jugendlichen. Darüber hinaus werden in Schulen klassische Produktionen, also Inszenierungen, die nicht originär für einen Klassen-, sondern einen Theaterraum konzipiert wurden, gezeigt. Dafür stellen die Institutionen oft Schulaulen oder Sporthallen zur Verfügung. Sie dienen dann also ebenso als Veranstaltungsorte wie Stadthallen oder Mehrzweckhallen auch. Für Kinder- und Jugendtheater allgemein, in privater oder öffentlicher Trägerschaft, sind Bildungs- und Betreuungseinrichtungen unverzichtbare Partner, um die Zielgruppe zu erreichen, also um zu gewährleisten, dass die Produktionen überhaupt

92 „[W]enn irgendwie jeder Ort ein gut ausgestattetes Haus hätte mit Bühne; [...]. Aber ist natürlich illusorisch; es gibt ja einen Grund, warum nicht jede kleine Kommune ein eigenes Haus hat und insofern reden wir da jetzt wirklich von einer totalen Utopie; wenn man da jetzt ein bisschen realpolitisch drauf guckt, wird das natürlich nie der Fall sein“ (Schombert 2016).

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auf ihre Zuschauer treffen (können), aber auch für die im Kinder- und Jugendtheater wichtige Rückbindung an das Publikum bezogen auf Inhalte und Ästhetik. Die Landesbühnen bemühen sich ebenfalls um solche Kontakte mit Schulen, doch dies ist meist nur möglich für die Stadttheaterfunktion der Landesbühne. Enge Kooperationen sind nur möglich mit Einrichtungen im unmittelbaren Umfeld des Stammsitzes; in ihrer Reisefunktion scheint für die Landesbühnen eine langfristige und kontinuierliche Zusammenarbeit mit Schulen und anderen Alltagsorten kaum zu realisieren. Es zeigt sich also auch hier wieder ein Ungleichgewicht der Möglichkeiten innerhalb der Hybridität der Landesbühnen, wie sich deutlich in den folgenden Ausführungen bestätigen wird. Ob durch Vorstellungen in Schulen (sei es im Klassenraum, in der Turnhalle, der Aula oder dem Schulhof), die jungen Menschen Theater tatsächlich als etwas wahrnehmen oder wahrzunehmen lernen, das alltäglich ist, also nicht als exklusiver Luxus verstanden werden soll, ist ein anderes Forschungsfeld. Tatsächlich scheint der Effekt von Theatererlebnissen im Schulzusammenhang im Vergleich zu außerschulischen Theatererfahrungen zurückzubleiben (vgl. dazu Keuchel 2014a). Diese Fragestellungen und Feststellungen leiten bereits über in das folgende Kapitel, das sich dem Thema Partizipation, also der Teilhabe, Teilnahme und Beteiligung unterschiedlicher Akteure widmet. Zuvor sei jedoch erneut ein Zwischenfazit gezogen. 4.2.4 Landesbühnen im Flickenteppich Theaterversorgung Die Stellung der Landesbühnen innerhalb der Theaterlandschaft, ihre Positionierung als Akteur auf dem Gastspielmarkt ist geprägt von den kulturpolitischen Verantwortungszuschreibungen und Aufträgen. Sie zeigt sich als abhängig von den jeweils hinter der Theaterarbeit stehenden Überzeugungen und Vorstellungen dessen, was Theater eigentlich bedeutet und zu sein habe und den Rahmenbedingungen für diese Theaterarbeit.93 Peter Grisebach bezeichnet das Netzwerk der Darstellenden Künste in Deutschland als „wunderbaren Flickenteppich Theaterversorgung“ (Grisebach 2016). Der Begriff Flickenteppich, der abwertend verstanden werden kann, als minderwertig oder als eine zufällige Zusammenfügung von textilen Resten, soll hier in positiver Deutung verwendet werden, auch in Abgrenzung zu der immer noch präsenten Bildhaftigkeit von „Säulen (in) der Theaterlandschaft“. Der Teppich der Theaterlandschaft, man könnte auch sagen, die Patchwork-Decke, setzt sich zusammen aus vielen Elementen: Typen und Formen von Theatern in öffentlicher, privater Trägerschaft, professionelle, semi-professionelle oder nicht-berufsmäßige Theaterarbeit sind voneinander zu unterscheiden, sind jedoch ebenso miteinander verwoben, klare Grenzen können vorhanden sein oder sich verschwommen darstellen. Innerhalb der rahmengebenden Strukturen existiert ein buntes Feld an Ausprägungen, Institutionen und Arbeitsweisen. Der Theaterlandschaftsteppich schwebt auch nicht im luftleeren Raum, sondern liegt innerhalb einer Kulturlandschaft, es gibt Beziehungen zu anderen Institutionen, Abhängigkeiten von diesen. Alle produzierenden und anbietenden Akteure, die Landesbühnen, Stadt- und Staatstheater, Freien Theater mit ihren zahlreichen Unterarten, kommerzielle (Tournee- und stehende) Theater, Amateurtheater, Gastspielhäuser, Ver-

93 Teile dieses Kapitels dienten als Grundlage für den Artikel der Autorin, der im Rahmen der ICCPR 2018 präsentiert wurde (Schröck 2018c).

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anstaltungsorte und Theaterorte des Alltags bilden ein fragiles ineinander verwobenes Netz, wobei sich die einzelnen Teile mal mehr berühren, mal weiter voneinander entfernt sind. Bezeichnend ist, dass auch wenn es auf Arbeitsebene Berührungspunkte gibt und benannt werden können, die Akteure der Landschaft der Darstellenden Künste auf Verbandsebene, in kulturpolitischer Hinsicht, eine Distanz voneinander aufzuweisen scheinen. „Die Theaterlandschaft, das sind die Stadttheater, die Landesbühnen, die Freien Theater, die Amateurtheater, die Tourneetheater. Sie sind die fünf Finger einer Hand, die zusammengehören! Und hier am Landestheater Schwaben in Memmingen sind sie alle erstmals zusammengekommen. Das ist eine Premiere!“ (Schneider zitiert nach Schröck 2018a), so beschreibt es Wolfgang Schneider in seiner Eröffnungsrede der Konferenz zum Theater in der Provinz in Memmingen. Hinzugefügt sei das Bild der Gastspieltheater als Handfläche, die eine Plattform bilden, durch welche die Theaterproduzenten wirken können, um die Versorgung mit Theaterkunst zu ermöglichen (vgl. dazu das Plädoyer Thomas Renz’ für die Anerkennung der sogenannten vierten Säule, Renz 2018). Es zeigte sich in den bisherigen Ausführungen deutlich, dass die wichtigsten Partner der Landesbühnen die Gastspielhäuser und -orte sind und sie in enormer Abhängigkeit von ihren Entscheidungen stehen.94 Die Bedeutung einer persönlichen Verbindung zu den Veranstaltern wurde dargestellt, exemplarisch soll für die Beschreibung des Verhältnisses zwischen Landesbühnen und Gastspielhäusern ergänzend hier Manuel Schöbel zitiert werden. Für ihn ist entscheidend, dass bei allen Zusammenarbeiten und Absprachen, welche eine gegenseitige Unterstützung und Erleichterung der Arbeit mit sich führen, die Freiheit der Theaterbetriebe nicht eingeschränkt wird: „Es gibt dann durchaus auch immer mal Bemühungen, dass wir unser Tanzrepertoire in gewisser Weise vorankündigen, gegenüber wichtigen Partnern [...] das ist eine ganz feine Abstimmung; ich bin ja ganz froh, dass ich nicht ein Aufsichtsgremium habe, in dem ich [...] fünf Köche habe, die alle den Spielplanbrei mit anrichten wollen [...], sondern dass wir da selbstständig sind und damit auch eben die Freiheit der Künste gewährleistet bleibt; aber andererseits, [...] solche Vorabsprachen, die man freiwillig trifft, [...] geben einen Rahmen vor [...]. Also eine bestimmte Definition braucht es, damit man seine Freiheit, die dann bleibt, auch wirklich kreativ und sinnvoll nutzt. Also in einem luftleeren Raum entsteht gar nichts Freies, sondern nur was Allgemeines“ (Schöbel 2016). Die Landesbühnen wollen also trotz aller Abhängigkeit ihre künstlerische Freiheit waren – dass die Gastspielhäuser diese für ihr Programm und ihr Profil ebenso in Anspruch nehmen werden, davon kann ausgegangen werden. Inwieweit aber diese Freiheit tatsächlich möglich ist, bei all den Abhängigkeiten des Gastspielmarktes, insbesondere von den Vorannahmen des Erfolges von bestimmten Titeln oder Stücken, wurde bereits hinterfragt und wird in dieser Analyse auch weitergehend immer wieder thematisiert werden. Die Beziehung zwischen den Landesbühnen und den Gastspielorten scheint also immer bestimmt durch die jeweilige Akzeptanz und die Anerkennung der momentanen Machtverhältnisse und der individuellen Freiheitsräume. Ansonsten könnten beispiels-

94 Ein Zeichen, dass das Bündnis zwischen Landesbühnen und Gastspielhäusern als essenziell wahrgenommen wird, wurde unter anderem auch durch die Landesbühnentage 2017 gesetzt: Das Festival fand nicht intern in einer Landesbühne, sondern in einem Gastspieltheater statt, vgl. Wolfsburg 2017.

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weise die Veranstalter darauf beharren, mehr Mitentscheidung einberaumt zu bekommen. Letztendlich liegt es auch stark in ihrer Hand, ob die Landesbühnen ihrer Beauftragung gerecht werden können. Ohne gebucht zu werden, ohne eine Möglichkeit, ihre Produktionen zu zeigen, kann Landesbühne als Reisebühne nicht existieren, ihren Auftrag nicht erfüllen – was trivial klingt, hat kulturpolitische Konsequenzen, die hier nur skizziert, aber dann im Gesamtzusammenhang der Arbeit diskutiert werden sollen. Die Gastspielveranstalter hätten zum Teil die Möglichkeit, ihr Programm ohne die Landesbühnen zu gestalten – ob dies finanziell, inhaltlich und bezogen auf die Qualität überhaupt eine Option wäre, steht auf einem anderen Blatt. Dass dieses Szenario ein erdachtes bleibt, scheint zumindest durch die aktuelle Situation und Entwicklung einigermaßen gesichert: Durch die öffentliche Subvention sind die Landesbühnen attraktiv für die Veranstalter, durch die Nischenbildung können unterschiedliche Theaterformen im gegenseitigen Einvernehmen existieren, verschiedene Inhalte abgedeckt und Erwartungen erfüllt werden. Zudem sichern Verträge und Absprachen die Aufrechterhaltung des Systems. Konflikte können entstehen, wenn es über eine Besetzung von Nischen hinaus, die meist von den Akteuren aus stattfindet, eine Zuschreibung von außen gibt, wenn also bestimmten Akteuren von anderen gewisse Aufgabenbereiche „zugeteilt“ werden, die dann anderen wiederum verwehrt bleiben (sollen). Im Ansatz zeigt sich dies in der Positionierung der Landesbühnen als Spezialtheater für den Gastspielmarkt. Eine Zuschreibung von Zuständigkeiten und Verantwortungen ist nicht hinsichtlich ästhetischer Ausrichtungen möglich – die Freiheit der Kunst steht dem entgegen (in inhaltlicher Hinsicht könnten jedoch auch hier Richtungen, beispielsweise durch bestimmte Genres, vorgegeben werden). Verantwortungsverschiebungen finden daher vorwiegend in Bereichen statt, die nicht als Hauptaufgabe des eigenen Theaters verstanden werden, besonders deutlich wird dies im Bereich der Publikumsbindung und der Partizipation. Friederike Lüdde findet dafür auf der Memminger Tagung deutliche Worte. Sie stellt die Frage, warum die Theaterinstitutionen der öffentlichen Hand denn eigentlich alles machen müssten (vgl. Schröck 2018a) und referiert damit die gestiegenen Erwartungen an öffentliche Theaterbetriebe (vgl. Kapitel 2.2); soziokulturelle Projekte oder integrative Maßnahmen könnten doch die Freien Theater übernehmen, denn die öffentlich getragenen Theater hätten ja einen Bildungsauftrag. Diese Aussage war bewusst als Provokation gewählt, macht aber deutlich: Das Grundverständnis, welcher Akteur innerhalb des Netzwerks Theaterlandschaft für was zuständig zu sein habe, scheint immer noch ein relativ klassisches. Es bekräftigt die kunstautonome Institutionalisierung und die daraus resultierende Gegenbewegung. Ein weiteres Beispiel sei mit den Landesbühnen Sachsen aufgeführt, die sich als Ergänzung der Angebote der Stadttheater in Sachsen sehen: Was zum Teil auf die Programmgestaltung von Genres wie Tanz bezogen ist, ließe sich ebenso auf die Ästhetik und künstlerische Handschrift übertragen, nämlich das zu produzieren, was in den Stadttheatern nicht zu sehen ist. Vom Grundsatz her war und ist dies auch eine Zuschreibung der Freien Theater: Die Abgrenzung zu den etablierten Institutionen, hinsichtlich der Arbeitsweisen aber auch der künstlerischen Arbeit. Allerdings scheinen die Landesbühnen diesen Gedankenschritt nicht zu vollziehen, aber auch nicht vollziehen zu können, weil ihnen die Orientierung an ihrem Auftrag und an einem klassischen Theaterverständnis scheinbar keine Freiheiten lässt. Zwar spricht Thorsten Weckherlin in Memmingen vom Ende der Zeit eines Kulturimperialis-

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mus und davon, die Grundidee des Wandertheaters neu zu denken (vgl. Schröck 2019), doch solange das Grundverständnis von Theaterkunst und der Beauftragung sich nicht ändert, wird es schwierig, tatsächlich strukturelle Änderungen herbeizuführen. Weckherlin nennt das Programm TRAFO als eine Möglichkeit. Er reagiert damit auf die Aussage Lüddes mit der Feststellung, dass es das LTT gebraucht hätte, um die Freien Theater für die Projekte im Rahmen von TRAFO zu begeistern und diese überhaupt zu initiieren. Wenn Friederike Lüdde im gleichen Kontext davor warnt, sich in „Nebenschauplätzen“ (Lüdde zitiert nach Schröck 2018a) dieser Art zu verzetteln, zeigt das die Bandbreite der Wahrnehmung des Selbstverständnisses und der Positionierung zu den anderen Theaterakteuren. Die Beziehung zwischen den Akteuren scheint trotz aller Annäherung noch getrübt durch Vorurteile, Halbwissen und auch Desinteresse. Parallelität im Handeln entsteht dabei auch durch die Heterogenität von Deutungsmöglichkeiten sowie der Verwendung von Begrifflichkeiten. Wenn Iris von Zastrow sich in Memmingen vehement gegen die Bezeichnung „Anbieter“ wehrt, zeigt das, wie angegriffen sie sich in ihrem Verständnis fühlt und dass sie es als Herabsetzung wahrnimmt; schließlich richte sie ihr Tun und ihr Schaffen nicht an merkantilen Aspekten aus, wie es Anbieter tun würden, sondern würde als Produzentin ihre Entscheidungen anhand gesellschaftskritischer und künstlerischer Gesichtspunkte treffen (vgl. Schröck 2018a). Sie will ihr Theater im Sinne Lessings als Kanzel verstehen – ein starker Gegensatz zu den Aussagen und dem Selbstverständnis Jens-Erwin Siemssens, der sein Theater als Lagerfeuer bezeichnet (vgl. ebd.) und von einem ganz anderen Verständnis von Theater, seiner Bedeutung und seinem Wirkungspotenzial ausgeht und das sich wiederum unterscheidet von der Theateridee Sibylle Broll-Papes, in deren Zentrum die Kunstautonomie steht (vgl. ebd.). Auch wenn dies nur drei Stimmen von vielen sind, zeichnet sich ab, welche große Varianz von Theater vorherrscht. Irgendwo dazwischen scheinen sich die Landesbühnen zu bewegen: Mal näher am klassischen Stadttheater-Ideal, mal ähnlicher am Kunstverständnis freier arbeitender Theater. Landesbühnen als fluides Konstrukt, soweit die Theorie – in der Praxis zeigt sich das Konstrukt Landesbühne sehr stark definiert durch Abhängigkeiten. Ihre Stellung in der Theaterlandschaft ist eine besondere, da sie ein besonderes Modell von Theater sind, mit ausgeprägten Eigenschaften, die sie sowohl sehr zum Einzelgänger machen, besonders durch die starken Abhängigkeiten und Zwänge ihrer Beauftragung, doch punktuell auch Zusammenarbeit ermöglichen, dadurch, dass sie eine bestimmte Expertise ausgeprägt haben. Die Annahme, dass sich Landesbühnen mit ihrer Beauftragung und ihrer Arbeit zwischen Stadttheater und Freier Theatern positionieren, wurde bereits als nur ansatzweise zutreffend beschrieben. Zieht man den in Kapitel 2.1.2 vorgestellten Vergleich der Strukturen hinzu, unter der Berücksichtigung der Überlegungen des Kapitels 2.3, lassen sich folgende Elemente aufzeigen, welche die Landesbühne als strukturell besonders ausweisen: Die Produktion sei in klassischen Theaterstrukturen exklusiv, in freien Strukturen kooperativ – wenn man Kooperation im rudimentären Sinne deuten möchte, könnte man hier eine kooperative Produktionsweise auch bei den Landesbühnen vorfinden: Wenn man die Berücksichtigung der Gastspielorte hinsichtlich Stückauswahl, ästhetischer Umsetzung und örtlicher Gegebenheiten, die teils informellen, teils vertraglichen Absprachen sowie vertrauensbasierte Hinweise und Rücksichtnahme auf die Erwartungen und Möglichkeiten der einzelnen Orte als Zusammenarbeit

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werten möchte. In der Publikation „Die Landesbühnen im Deutschen Bühnenverein“ positioniert Kay Metzger die Landesbühnen gerade hinsichtlich dieser Partnerschaft: „Im besten Sinne des Wortes sind Landesbühnen Dienstleister, oft aber auch strategischer Partner für den Veranstalter vor Ort“ (Deutscher Bühnenverein / Landesbühnengruppe 2012, S. 13). Ob und wie sich – geprägt durch die Strukturen und die Abhängigkeiten – tatsächlich eine gemeinsame Strategie entwickeln ließe, die nachhaltig wirken kann, bleibt noch unbeantwortet. Ein weiterer Aspekt, der den Diskurs über Landesbühne erweitern könnte, ist die gegenseitige Abhängigkeit von Form und Inhalt: Während im Stadttheaterbetrieb die Kunst der Struktur folge, also die Kunst innerhalb des bestehenden Systems entstünde, würde im Freien Theater die Struktur der Kunst entsprechend angepasst. Auch diese Gegenüberstellung kann man auf den Gastspielbetrieb übertragen: Produziert werden hauptsächlich Bühnenproduktionen im Ensemble- und Repertoirebetrieb, die künstlerische Arbeit entsteht also innerhalb der vorgegebenen Strukturen; die Gastspielhäuser und -orte versuchen, sich diesen Produktionen entsprechend auszustatten. Der optimale Gastspielort ist also ein Theaterraum für klassische Bühnenproduktionen, da es also hauptsächlich dementsprechende Raumsituationen gibt, werden weiterhin solche dafür passende Produktionen erarbeitet. Sobald ein Gastspielort diesen Erwartungen nicht gerecht wird, wird von widrigen Bedingungen gesprochen; die Tätigkeiten des Produzierens und Distribuierens der Landesbühnen folgen also einerseits den Strukturen und diese wiederum der (hauptsächlich angebotenen) Kunst. In Bezug auf die Distribution steht die Landesbühne mit ihrer Reisefunktion klar in ähnlicher Abhängigkeit wie die Freie Theaterarbeit, die laut Oberenders Vergleich durch „Tour über Festivals und Institutionen neuen Typs“ (Oberender 2017) erfolge, während die Stadttheater und die Landesbühnen in dieser Rolle sich auf das „Haus am Heimatort“ (ebd.) konzentrierten. Damit zusammenhängend muss der Bereich „Vermittlungsprogramm und Diskurs“ (ebd.) betrachtet werden: Das Spannungsfeld, dass diese als Stadttheater „selbst gestaltet“ (ebd.) werden können und im Rahmen der Reisetätigkeit, genau wie bei Freien Theatern auch, „von Veranstalter*innen organisiert“ (ebd.) werden, liegt dem folgenden Kapitel als maßgeblicher Faktor zugrunde. Landesbühnen sind auch Stadttheater, aber nicht nur, sie sind fahrende Theater, aber keine Freien Gruppen; ihr Hauptaugenmerk liegt auf der Distribution der Darstellenden Künste. Alles was darüber hinausgeht, also auch eine Zusammenarbeit mit anderen, scheint nur mit zusätzlichen Freiheiten und Ressourcen machbar, auch wenn eine (neue) Partnerschaft dem Auftrag vielleicht sogar zugute käme. Einige der Landesbühnenintendanten sind mit ihren Theatern Kooperationen eingegangen, die nicht über zusätzliche Mittel finanziert oder durch diese angestoßen wurden. Matthias Faltz nennt das Beispiel der Zusammenarbeit zwischen HLTM und dem Leipziger Theater „Wilde und Vogel“, diese äußert sich darin, dass diese Freie Gruppe ihre Stücke nach Leipziger Premiere auch im HLTM zeigt. Der Begriff Kooperation, in seinen unbestimmten Bedeutungsmöglichkeiten, scheint strukturenübergreifend, also bezogen auf eine Zusammenarbeit mit anderen Organisationsformen bei den Landesbühnen kaum eine gemeinsame inhaltliche Arbeit zu meinen. Eine tatsächliche künstlerische Kooperation gab es zwischen dem HLTM, dem Staatstheater Darmstadt und dem Theaterhaus Jena – hier scheinen die ähnlichen Strukturen zu einer Kompatibilität auf Arbeitsebene zu führen. Initiiert und möglich wurde dieses Projekt durch „eine persönliche Verbindung [...] sowohl unser Dramaturg und der, der das von Darmstadt

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aus betreut, die kennen sich und unser Dramaturg kennt das Theaterhaus Jena gut, deswegen gab es die Verbindung und wenn es über jemand anders laufen würde, gäb es eine andere Verbindung“ (Faltz 2016), so Faltz. Erfolgreiche gemeinsame Arbeit ist und bleibt insbesondere im kulturellen Bereich enorm abhängig von den Personen, die daran beteiligt sind.95 Erneut seien beispielhaft die LBS aufgeführt, die mit dem Theater Bautzen aus künstlerischer Absicht kooperieren und die durch persönliche Beziehung entstand – auch hier wieder eine Zusammenarbeit ähnlicher Strukturen, zwischen Landesbühne und Stadttheater. Manuel Schöbel beschreibt diese Kooperation auch vor dem Hintergrund der Angebotsergänzung: „[D]a passt einfach dazu eine bestimmte Umtriebigkeit der künstlerischen Leitungen; wir machen jetzt zum Beispiel eine Händel-Oper zusammen, eine Puppen-Oper; weil das Theater in Bautzen über eine Puppenspielsparte mit sechs Puppenspielern verfügt, [...] was ganz selten ist, [...] und [...] wir kommen mit Chor, Orchester und Solisten und sie sind mit den Puppenspielern dabei und schon haben wir Aufführungsbedingungen für zwei Aufführungsserien, eine bei uns und eine in Bautzen im Abo“ (Schöbel 2016) – also eine Bereicherung für die beiden Städte Bautzen und Radebeul. Gilt in der Theaterlandschaft also überwiegend „gleich und gleich gesellt sich gern“? Das scheint nachvollziehbar aufgrund der ähnlichen Arbeitsweisen und -bedingungen, aber bezieht sich das auch auf die Idee von Theater und einen gemeinsamen, weil ähnlichen Anspruch an Qualität? Die Beziehungspflege zwischen (potenziellen) Projektpartnern ist entscheidend, das dürfte allen an Kooperationen interessierten Künstlern klar sein; doch innerhalb der Theaterlandschaft scheint es noch sehr viel wertende (Vor-)Urteile untereinander zu geben. Das Gefälle der Anerkennung der Arbeiten anderer Theater scheint die Grundstruktur der Landschaft der Darstellenden Künste bei allen bereits vorhandenen Annäherungen in ihrer Parallelität und Abgrenzung zu stärken, anstatt diese aufzuheben. Thorsten Weckherlin ist sich sicher, „die Missgunst unter Kunstschaffenden, ob die nun frei oder fest sind, [...] ist immer da“ (Weckherlin 2016). Gemeinsam daran arbeiten die Strukturen aufzubrechen, würde ermöglicht unter anderem durch Sonderprojekte, die auch dazu dienen, die eigene Arbeit neu zu denken, überdenken zu müssen, durch die Konfrontation mit anderen Vorstellungen, wie Weckherlin über die Doppelpass-Zusammenarbeit reflektiert (vgl. ebd.). Strukturen neu zu denken ist ein Ansatzpunkt für eine Reform der Theaterlandschaft; das Überdenken der grundsätzlichen Überzeugungen von kulturpolitischer Verantwortung und den grundsätzlichen Funktionen von Theater wäre ein konsequenter Schritt. So stellt Weckherlin fest, dass trotz aller Projekte und Kooperationen, die neue Formen der Darstellenden Kunst und Momente von Teilhabe an neuen Orten ermöglichen sollen, das LTT „den Auftrag gekriegt [habe], hier in Tübingen [...] die ästhetische Reibungsfläche auch für die Bildungsbürger hier zu sein. Was teilweise nichts mehr ist für den Herrn Abonnenten aus Sigmaringen. Ich nenne Sigmaringen jetzt nur mal als Parade-Beispiel“ (ebd.). Warum soll denn aber nur das Stadttheater-LTT Reibungsfläche bieten und nicht die Reisebühne-LTT? Die Kluft zwischen Stadt und Provinz

95 Naemi Keuler sagt dazu ganz klar: „Ich kann nur mit jemandem zusammenarbeiten, mit dem ich auch ein Bier trinken kann, auf Kooperationen muss man Bock haben“ (Keuler zitiert nach Schröck 2018a). Leider reicht das alleine nicht aus, wenn die Trennungsgräben zu groß erscheinen.

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und somit zwischen stehendem und reisendem Theater scheint im Denken fest verankert, auch wenn immer wieder versucht wird, klarzustellen, dass es einen Unterschied nicht gebe, wie verschiedentlich durch Zitate in dieser Untersuchung bereits belegt. Das Stadttheater scheint anzustrebendes Ideal zu sein, durch die Strukturen und durch die dadurch mögliche kontinuierliche, auf die Stadt und ihre Bewohner bezogene Arbeit, die wiederum andere künstlerische Experimente ermögliche und die Ausbildung spezieller ästhetischer Handschriften befördere. So stellt beispielsweise auch Mirko Schombert fest: „‚1984‘ zum Beispiel, im Stadttheater [...] würde das auch keinen hinterm Ofen hervor locken, aber es ist, glaube ich, für Landestheater-Verhältnisse eine sehr drastische Inszenierung“ (Schombert 2016). Dieser Fall zeigt erneut die enge Verbindung zu den Gastspielorten und das gegenseitige Vertrauen, das auch dazu führen kann, neuen Formaten oder Ästhetiken eine Chance zu geben, wie Schombert weiter ausführt: „[D]as hat schon dazu geführt, dass da auch regelmäßig Leute rausgehen. Schimpfend und fluchend [...,] genauso wie auf der anderen Seite da Standing-Ovations durch den Saal branden; begeisterte genau wie hassende Zuschauer Briefe sowohl an die Veranstalter als auch uns [schreiben] [...]. Und die Tatsache, dass das passiert, ist ja erst mal toll. In beide Richtungen einfach irgendwie super. Und das finden auch die Veranstalter im übrigen toll. Mal zu deren Verteidigung. [...] die waren eigentlich alle begeistert [...] Und darum glaube ich: Im Gegenteil, muss man da die Fahne hochhalten und darf die Fläche nicht aufgeben. Ich wollt halt nur eine Lanze brechen oder zumindest ein bisschen Verständnis äußern, wie es dazu kommt, auch dass die Kulturamtsleute so denken, wie sie denken“ (ebd.) – Landesbühnen und Gastspielhäuser also als Verbündete, um neue, andere künstlerische Ansätze anzubieten und konservatives Theaterdenken aufzubrechen? Eine Partnerschaft, die sich nicht nur auf Kauf und Verkauf, Produktion und Distribution, sondern auch auf die Entwicklung der Seherfahrungen bezieht, die zeitgenössische Kunst erfahrbar machen will, dadurch, dass sie auch außerhalb der kulturellen Ballungsgebiete gezeigt wird? Die starke Abhängigkeit zwischen Landesbühnen und den Gastspielorten äußert sich nicht nur durch Kauf und Verkauf einer Produktion: Die Landesbühnen geben die Verantwortung des Marketings, der Zuschauerbewerbung an die Veranstalter ab, das Risiko einer erfolgreichen und ausgelasteten Vorstellung wird also weitergereicht, die sich daraus ergebenden Verstrickungen haben Auswirkungen auf die tägliche Arbeit, auf die Konkurrenzsituation des Gastspielmarktes sowie eine mögliche Entwicklung des Publikums. Das TANZLAND-Programm zeigt sich beispielsweise in diesem Sinne als klares Steuerungsinstrument, das genau hier einsetzt, weil es in die Abhängigkeiten eingreift und das Netzwerk der Theaterlandschaft so (zumindest punktuell) beeinflusst. Unabhängig von Vermittlungsformaten und Publikumszuspruch, der Publikumskontakt ist entscheidend. Auffällig bleibt, dass bei den meisten Diskussionen über die und den Darstellungen von der Theaterlandschaft nur von den produzierenden Akteuren gesprochen wird; nimmt man die Gastspielhäuser und -orte als gleichberechtigtes Element in die Überlegungen mit auf, bleibt der Fokus immer noch auf dem Angebot – die Seite der Nachfrage, der Rezeption wird kaum beachtet. Zur Memminger Tagung wurden daher nicht nur die Theatermacher und -veranstalter zur Diskussion eingeladen, gleichberechtigt wurde auch der Bund der Theatergemeinden als Vertretung der Publikumsorganisationen beteiligt. Genauso wie die Wahrnehmung der Gastspielhäuser gestärkt werden muss, da sie eine wichtige Ankerposition im Netzwerk

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Theaterlandschaft einnehmen, sollte das Publikum als Verbraucher, als Ziel der Arbeit, als Kunde, als Kritiker, als wesentlicher Bestandteil einer Theateraufführung stärker in den Blick genommen werden, denn das Publikum als Faktor ist das einzige, was allen Theaterschaffenden gleich ist: ohne Publikum kein Theater. Dass gerade auch das Publikum andere Meinungen und Auffassungen von Darstellender Kunst haben kann als die Macher, ist auch eine Binsenweisheit. Die Publika der Theater und deren Erwartungen gestalten sich sehr divers – und nicht nur bezogen auf Metropole oder Provinz, sondern generell gesprochen; eine Heterogenität und Vielfalt ist daher für die Darstellenden Künste ebenso wichtig und einzufordern. Mirko Schombert macht es jenseits eventueller eigener Präferenzen klar: „Ich gehöre auch nicht zu denen, die sagen, man darf keine Guckkastenbühne mehr haben – darf man von mir aus; solange man irgendwie die Offenheit hat, es auch anders zu machen. Das ist auch wieder eine Frage von Vielfalt“ (Schombert 2016). Dass die deutsche Theaterlandschaft in ihrer vielfältigen Struktur einmalig ist, wird auch von den anderen Interviewpartnern immer wieder betont, beispielsweise von Thorsten Weckherlin, der fest davon überzeugt ist, „stolz sein sollten wir wirklich auf dieses staatlich subventionierte Theatermodell. Also das ist schon geil. [...] – ich krieg das mit, wenn Freunde aus dem Ausland hier sind und sagen: Wie bitte? Also das finanziert der Staat? [...] Diese Selbstverständlichkeit, also auch mit einer hochgezogenen Nase gibt es in jedem Kaff irgendwie ein Theater, ich übertreibe jetzt – das ist schon eine tolle Sache. Und das sollten wir auch weiterhin machen“ (Weckherlin 2016). Allerdings zeigt bei der Beschreibung der Theaterlandschaft und allem utopischen Denken immer auch die aktuelle Situation, insbesondere vor dem Hintergrund finanzieller Überlegungen, Entwicklungstendenzen auf, die kritisch betrachtet werden können. Diese sollen im einzelnen im übernächsten Kapitel thematisiert werden, doch auszugsweise können sie auch an dieser Stelle die Beziehungen innerhalb der Theaterlandschaft beschreiben. So stellt auch Mirko Schombert fest, dass solange es nicht überall Möglichkeiten für alle Theaterformen gibt, es gut sei, „dass es die Landesbühnen gibt, die eben mit dem selben Qualitätsanspruch wie die Stadt- und Staatstheater auch unter widrigen örtlichen Bedingungen versuchen, das da zu ermöglichen“ (Schombert 2016). Landesbühnen also als Lückenfüller? Je nach Betrachtungsweise eine günstige Lösung, wie bereits oben angesprochen, oder eine Gefahr, mit dieser Argumentation andere Strukturen aufzuweichen oder zu ersetzen. Zusammenlegungen aus Spargründen, oder die Abwicklung bestimmter Sparten gibt und gab es auch bei den Landesbühnen. Das funktioniert, aber es sei, so sagt es Manuel Schöbel über die Zusammenarbeit der Landesbühnen Sachsen mit der Elbland Philharmonie, „kein Ideal, weil [...] eine homogene Struktur im Musiktheater natürlich leichter ist und schneller auch konzeptionell zu profilieren ist, aber wir können nach den drei oder vier Jahren auch sagen, allen Unkenrufen zum Trotz, ist es gelungen, bei guter Organisation genau so viele Aufführungen des Musiktheaters wiederum zu spielen [...], dafür werden wir aber auch sehr gelobt, weil sich viele gewundert haben und viele gedacht haben, das geht nicht. [...] Ich will nicht Reklame für das Modell machen, aber ich kann aus unserer Sicht auch nicht sagen, es geht nicht“ (Schöbel 2016). Um also ein breites Angebot zu ermöglichen und aufrechtzuerhalten, müssen Kompromisse eingegangen werden und die Theater müssen sich scheinbar mit den neuen Strukturen abfinden. Aufzugeben, „auszusteigen“ aus dem Netzwerk Theaterlandschaft, scheint eben keine Option (vgl. Kapitel 2.3.3).

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Eine möglichst breite Palette an Darstellender Kunst zu ermöglichen, hängt für Manuel Schöbel nicht nur mit einer möglichst großen Abdeckung unterschiedlicher Spartenangebote zusammen. Die Landesbühnen könnten seiner Meinung nach zumindest Impulse geben, die die Landschaft positiv beeinflussen könnten, beispielsweise durch die Erschließung neuer Theaterräume: „Also auch das wäre ja denkbar; dass wir helfen, Orte bespielbar zu machen; also in Königstein zum Beispiel gab es ein Kino, ein altes, was von einem Verein betrieben wurde, neu mit Leben gefüllt wurde, nachdem es einige Jahre still stand und leer stand; und die haben dort Kinovorführungen gemacht, die haben dort Vorträge gemacht; wir haben angefangen, dort zu spielen – damit entsteht natürlich dann auch wieder ein Stückchen Infrastruktur und dann kann natürlich auch der nächste wieder anlanden und es könnte sogar sein, dass aus der Region sich Menschen zusammenfinden und sagen, jetzt wollen wir mal ein eigenes Theaterprojekt machen; also auch diese Richtung wäre ja denkbar. Möglich und sehr angestrebt“ (Schöbel 2016). Die Landesbühnen könnten also Orte urbar machen und sich so als Pioniere auszeichnen (womit eine weitere Ähnlichkeit zu den Freien Theatern gefunden wäre, die zum Teil die Eroberung neuer Spielorte konzeptionell für sich beanspruchen). Auch das bräuchte jedoch neue Freiheiten im Denken und im Handeln. Landesbühnen könnten demnach als Ergänzung für die Strukturen oder als Impulsgeber fungieren, dieser Gedanke wird im nächsten Kapitel weitergeführt. Sie könnten darüber hinaus auch für die Akteure der Darstellenden Künste oder der Kulturlandschaft generell als Andockstelle fungieren. Ein vielversprechendes Beispiel scheint das Festival „KUSS“ am Landestheater Marburg zu sein, zu dem überwiegend Freie Theater eingeladen werden – ein Zeichen dafür, dass die Arbeit der Freien Szene als vorbildhaft angesehen wird, dass es hier erste Ansätze einer Zusammenarbeit geben könnte? Nur bedingt, so die ernüchternde Antwort von Matthias Faltz, eingeladen würden die Freien vorwiegend, „weil die auch günstiger sind, als [...] wenn wir da in Wiesbaden anfragen [...] das können wir uns nicht leisten, weil das Budget zu klein ist“ (Faltz 2016). In diese Richtung weiterzudenken, wird oft gestoppt durch die Argumentation, der Auftrag würde dies nicht vorsehen – die Sonderstellung der Landesbühnen innerhalb der Theaterlandschaft wird also gleichzeitig ermöglicht und ausgebremst durch die kulturpolitischen Vorgaben. In einem solchen Fall wirken die Eigenschaften der Landesbühnen, flexibel zu sein, auf Unbekanntes reagieren und dieses fruchtbar aufgreifen zu können, positiv – Landesbühnen könnten somit als Verbindungsstrebe innerhalb der Theaterlandschaft fungieren. Auf der anderen Seite könnten sich die Spezialisierung der Landesbühnen und ihre Position auch negativ auswirken, wenn nämlich Landesbühne dadurch als potenzieller Lückenfüller bewertet würde, ein Szenario, das von den Intendanten mehrfach angedacht wurde, somit ein starkes Gewicht in den Zukunftsszenarien darstellt und in diesem Kontext behandelt wird. Ein Ausgangspunkt der Memminger Tagung war die Überzeugung, dass gerade das Theater in der Provinz, in der alle Akteure aufeinandertreffen, aufzeigen kann, welchen Reformbedarf die Theaterlandschaft insgesamt hat, daher soll das folgende Schema versuchen, aufzuzeigen, welche Ansatzpunkte und Baustellen gekennzeichnet werden können. Dabei muss natürlich eine skizzenhafte Vereinfachung erfolgen. Ein Abbilden aller Berührungspunkte und Beziehungen sowie der komplexen Kooperationen, Konkurrenzsituationen, gegenseitigen Ignoranz, Vorurteile oder Vorbildfunktionen der Akteure der Landschaft der Darstellenden Künste scheint unmöglich. Was jedoch als Feststellung dargestellt werden kann, ist, dass sich in der Theaterlandschaft, durch den

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Gastspielmarkt und ihre Struktur, die sich auf Theaterstandorte konzentriert, ein Beziehungsgeflecht ergibt, in denen Rolle, Macht und Ansehen ungleich verteilt scheinen. Die Skizze 4.2 „Beziehungsgeflecht Theaterlandschaft“ zeigt auf, dass eigentlich, entgegen aller Wahrnehmung und Ausrichtung, die momentan wenig beachteten Akteure eine zentrale Stelle haben: Die Veranstalter und das Publikum konzentrieren alle Beziehungen auf sich. Im Fokus steht klar die Aufführung, das Angebot (aber weniger die Teilhabe und Teilnahme). Diese Darstellung kann argumentativ für die Notwendigkeit von Theaterpolitik und Theaterförderung verwendet werden, denn durch deren Steuerung kommt es zu keiner Konzentration der Entscheidungsgewalten; eine Ausgeglichenheit der Beziehungen sollte Ziel theaterpolitischen Handelns sein. Abbildung 4.2: Beziehungsgeflecht Theaterlandschaft

     

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Deutlich wurde, dass das Zwitterwesen die Landesbühnen zu schwächen scheint, da sie in der Wahrnehmung als halbes Stadt- und als halbes Reisetheater verortet sind und dadurch auch mit sich selbst in Konkurrenz zu treten scheinen: Immer muss zwischen diesen beiden Rollen und den jeweiligen Pflichten und Freiheiten gewichtet werden. Die Fragen nach den Konsequenzen aus diesen Relationsbeschreibungen, den Positionen und den Einschätzungen der Akteure untereinander führt zu den weiteren Themen dieser Untersuchung: Welche Rolle spielt das Publikum und wie wichtig ist dessen Partizipation? Wie zeichnen sich diesbezüglich kulturpolitische Verantwortungszuschreibungen? Und wieder: Geht es um die Aufführung, das Kunstwerk, das Angebot, oder um Teilhabe, Teilnahme und Teilgabe, also darum, zu rezipieren, einbezogen zu werden oder aktiv mitgestalten zu können?

4.3 T EILHABE ALS P RINZIP – KONZEPTE VON PARTIZIPATION Die Landesbühne wurde nun als Konstrukt beschrieben, das Selbstverständnis in Zusammenhang mit den Rahmenbedingungen der Arbeit dargestellt und die Stellung, respektive die Rolle der Landesbühnen als reisendes Stadttheater innerhalb der Landschaft der Darstellenden Künste skizziert. Entsprechend der Herleitungen aus Kapitel 2 und 3 ist davon auszugehen, dass die Landesbühnen ihre Arbeit grundsätzlich

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so ausrichten, dass möglichst breite und vielfältige kulturelle Teilhabe und Teilnahme ermöglicht wird. Um diese Annahme zu verifizieren, gilt es, die der Theaterarbeit zugrunde liegende Konzeptionen von Partizipation zu analysieren. Dementsprechend wird sich in diesem Kapitel zunächst dem Verständnis des Begriffes und dessen Auslegung durch die interviewten Experten angenähert. Da die grundsätzliche Idee von Partizipation und die Auffassung, wie sie zu ermöglichen sei, zunächst sehr individuell ist, wird jedes Fallbeispiel einzeln berücksichtigt; daraufhin soll eine allgemein gültige Beschreibung (gestützt und ermöglicht durch die Bandbreite der Fallauswahl), respektive sollen Tendenzen eines allgemeinen Verständnisses formuliert werden. Die jeweiligen Kenntnisse und Erfahrungen der Intendanten sind dabei ebenso prägender Faktor wie die Rahmenbedingungen vor Ort und im Gastspielbetrieb. Nach der Eingrenzung der Begrifflichkeit und ihrer Verwendung in der Landesbühnenarbeit wird eine Einordnung innerhalb des Konstruktes Landesbühne vorgenommen: Welche Rolle spielen die unterschiedlichen partizipatorischen Formate? Welchen Stellenwert hat aktive Teilnahme im Gesamtzusammenhang des Auftrages der Landesbühne? Auf diesen beiden analytischen Schritten aufbauend, wird im dritten Unterkapitel das Publikum als Akteur und zugleich Variable für die Landesbühnenarbeit gesondert betrachtet, in diesem Zusammenhang auch die Nicht-Besucher als nicht minder bedeutender Faktor, insbesondere hinsichtlich Überlegungen zu einer Zukunft der Theaterlandschaft. Der Schwerpunkt dieser Untersuchung liegt auch hier auf den Auswertungen der Experteninterviews, ergänzend wurden hierzu für das Themenfeld Partizipation Beispiele aus der Praxis hinzugezogen, sowohl von den als Fallbeispiel ausgewählten Theatern, als auch von anderen Landesbühnen, die bislang nicht berücksichtigt wurden.96 4.3.1 Definitionen, Verständnis, Anwendung Entsprechend der Methodik beinhaltete der Leitfaden für die Experteninterviews für den Themenbereich „Partizipation“ ebenfalls Zitate, die als Einstieg für das Gespräch über diese Thematik hätten verwendet werden können. Allerdings wurde von den vorbereiteten Textabschnitten nur einer verwendet, eine Aussage Kay Metzgers, und dieses auch nur in indirekter Form und in lediglich drei der Interviews: „Dabei waren

96 Eine genaue Betrachtung der partizipatorischen Angebote sowie einiger exemplarischer Projekte war Grundlage für zwei wissenschaftliche Aufsätze der Autorin, die im Rahmen der ICCPR 2016 in Seoul, beziehungsweise der ITYARN Konferenz 2017 in Kapstadt präsentiert wurden. Diese beiden Ausarbeitungen dienen als Ergänzung, eine eventuelle Verwendung dieser wird entsprechend durch Verweise markiert. Ebenso fließen auch in dieses Kapitel Erkenntnisse aus teilnehmenden Beobachtungen ein, neben der Tagung in Memmingen auch aus der Teilnahme als Tagungsbeobachterin der Symposien „Theater als soziale Räume der Öffentlichkeit“ in Stendal, veranstaltet vom Internationalen Theaterinstitut am 06.07.2017, siehe Schröck 2017a, und „Zukunft des Tanzes“, veranstaltet vom Dachverband Tanz Deutschland e.V., am 21.–22.09.2018 in Essen, siehe Schröck 2018b. Das Kapitel diente als Grundlage für den Vortrag „Teilhabe in der Provinz – Kulturelle Bildung auf dem Thespiskarren?“ (Forschungsprojekt Schnittstellen zwischen Hochkultur und Kultureller Bildung 2018d).

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und sind Wanderbühnen Kulturvermittler der ganz besonderen Art“ (Deutscher Bühnenverein / Landesbühnengruppe 2012, S. 12).97 Die Grundannahme, dass Landesbühnen bereits durch ihre Arbeit und ihre Beauftragung im Dienste einer Vermittlung und Teilhabe stehen, durchzog alle Gespräche, auch ohne dass dies explizit ausgesprochen wurde. In den meisten Fällen wurde während der Interviews immer wieder von Maßnahmen, Vorstellungen und Möglichkeiten partizipatorischer Arbeit gesprochen, ohne dass jedoch nach einer expliziten Definition gefragt wurde. Die Begriffsbestimmung dessen, was unter Partizipation verstanden wird, kann jedoch anhand der exemplarisch genannten Beispiele und Beschreibungen der Gesprächspartner erfolgen. Wie bereits in Kapitel 2.2 skizziert, beinhaltet der Begriff der Partizipation ein weites Feld von Teilhabe- und Teilnahme-Möglichkeiten und auch in den Interviews zeigt sich deutlich, dass der Terminus als Sammelbegriff für diverse Maßnahmen und Instrumente verstanden wird. Für diese kann man eine gewisse Staffelung hinsichtlich des aktiven Parts der Teilnehmenden feststellen. Neben dieser Einstufung, die als Leitfaden zur Einordnung der Angebote dienen kann und daher auch die Gliederung dieses Kapitels vorgeben soll, ist auch die Absicht der Angebote für eine Analyse der Konzepte von Partizipation hinzuziehen: Sind die Formate, die von den Intendanten in den Bereich Partizipation eingeordnet werden, eigenständige Maßnahmen, die eine Beschäftigung mit der Kunstform Theater an sich ermöglichen sollen, oder sind sie vermittelnder Natur, haben also im Kern das Programm und die Arbeit der einzelnen Landesbühne zum Inhalt? Steht im Mittelpunkt die Theaterkunst, ein Bildungskanon oder der gesellschaftliche Aspekt eines Theaterbesuchs? Nicht weniger bedeutsam für das Konzept von Partizipation, das der Theaterarbeit zugrunde liegt, ist die Frage nach der angesprochenen Zielgruppe: Werden hauptsächlich, ausschließlich die Menschen adressiert, die bereits am Theater interessiert sind? Oder werden Maßnahmen explizit dazu angewandt, neue Zuschauergruppen zu erreichen? Diese Fragestellung zeigt bereits, dass die Abgrenzung von Maßnahmen, die der aktiven Teilhabe dienen sollen zu denen, die als Marketinginstrumente bezeichnet werden können und solchen, die dem Bereich Audience Development zuzuordnen sind, teilweise vage zu sein scheint.98 Relevanz und gesellschaftliche Teilhabe?

Bereits der Titel der vorliegenden Arbeit, der den interviewten Intendanten in Vorbereitung vorgelegt wurde, stellt die Landesbühnen in den Zusammenhang von Partizipation als Konzept, diese Grundannahme wurde immer auch in den kurzen Vorgesprächen thematisiert: Teilhabe als Gründungsabsicht der Landesbühnen und im Sinne einer Grundversorgung als hauptsächliche Aufgabe. Durch die Reisetätigkeit der Landesbühnen werden infrastrukturelle Barrieren, die einen Theaterbesuch verhindern

97 Wie Kay Metzger seine eigene Aussage deutet, wurde bereits im Zusammenhang mit dem Selbstverständnis erläutert: „Das ist die Frage, ob wir was Besonderes tun [...]. Wir fahren eben hin und dadurch sind wir schon Kulturvermittler, das heißt, wir ersparen vielen Menschen das Reisen zu Theatern, dadurch, dass wir hinkommen. [...] also in gewisser Weise ist es eine Dienstleistung“ (Metzger 2016), siehe dazu 4.1.2. 98 Siehe hierzu die Begriffsbestimmungen und -abgrenzungen in Kapitel 2.2 und ergänzend dazu den in Kapitel 2.3.4 dargestellten Analyserahmen, der verdeutlicht, dass das Themenfeld Partizipation sich als komplexes Feld gestaltet, dessen Untersuchung unterschiedliche Fragestellungen berücksichtigen muss.

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könnte, abgebaut: Die Landesbühne kommt zu den Menschen, die Menschen müssen nicht zur Landesbühne kommen. Uwe Brandt ist sich sicher, das „lieben die Leute. Nach wie vor. Und komischerweise lieben sie es auch, dass sie dafür nicht groß Auto fahren, Zug reisen oder was weiß ich was tun müssen. Es ist allerdings durchaus auch eine bestimmte Generation, die das noch kennt und auch so mag“ (Brandt 2016). Brandt spricht hiermit zweierlei aus: Zum einen, dass die Überwindung von infrastrukturellen Barrieren ganz pragmatisch dazu beitragen kann, dass Menschen an einer Theateraufführung teilhaben können, zum anderen, dass entscheidender als dieser Aspekt die Grundeinstellung ist und auch die Erfahrungen, welche die Menschen bereits mit Theater und Landesbühnen gemacht haben. Nicht nur ihm, auch den anderen Gesprächspartnern ist bewusst, dass sie mit ihrer Arbeit immer nur einen bestimmten Teilbereich der Gesellschaft erreichen – Jörg Gade spricht im Zusammenhang mit der Begrifflichkeit Gesellschaftsritual Theaterbesuch von einem Segment der Bevölkerung, das diesem Ritual beiwohne, respektive es praktiziere; und auch die bereits zitierten Aussagen Thorsten Weckherlins machen deutlich, dass nur von einer partiellen Teilhabe gesprochen werden kann.99 Feststellungen, die bestätigen, welch geringe Relevanz Theater in der Breite der Gesellschaft zu haben scheint: Können Theaterinstitutionen denn überhaupt Orte der gesellschaftlichen Auseinandersetzung sein, wenn nur eine bestimmte kleine Elite sich dazugehörig fühlt und die Darstellenden Künste als relevant für ihr eigenes Leben ansieht? Ist die Behauptung, Theater (als kulturelle Ausdrucksform, als Institution) würde gesellschaftliche Teilhabe fördern, überhaupt tragbar, wenn nur kleine Teile der Gesellschaft ebenfalls an den Angeboten der kulturellen Institutionen teilhaben? Dies Fragen berühren das Thema der sozialen TeilhabeUngerechtigkeit, das in Kapitel 2.2.3 behandelt wurde.100 Erneut spiegelt sich hier das Verständnis von Theater: Müssen Theater der öffentlichen Hand im Allgemeinen und Landesbühnen im Besonderen denn tatsächlich unbedingt eine breite gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen? Wäre es nicht auch ihr gutes Recht, sich auf bestimmte Personenkreise zu konzentrieren und für diese ein spezielles Programm zu entwickeln? Schließlich würde eine solche Spezialisierung dazu führen, dass nicht alles ein bisschen gemacht wird, sondern ein Schwerpunkt gesetzt werden kann. Natürlich kann eine solche Schwerpunktsetzung dazu führen, dass sich der Kreis derer, die Theater als wichtig erachten, noch verkleinert, was die Relevanzdiskussion weiterhin befeuern würde: Solange Kulturinstitutionen von allen Steuerzahlern finanziert werden, sollten sie auch alle daran teilhaben dürfen und können. Immer wird, insbesondere vor dem Hintergrund des Infragestellens der Legitimation öffentlicher Theaterförderung, davon gesprochen, den Bildungstempel Theater zu öffnen, neue Relevanz zu erzeugen und Partizipation in allen Facetten zu ermöglichen. Es wird jedoch

99 Teilhabe am kulturellen Leben und somit auch gesellschaftliche Teilhabe bezieht sich immer nur auf eine bestimmte Gruppe und ist immer auch abgrenzend. Eine Feststellung, die auch das Verständnis von Kulturvermittlung prägt, wie unten stehend gezeigt werden wird. 100 Das Amateurtheater muss sich diese Fragen nicht stellen: Die zahlreichen Theatergruppen in ganz Deutschland scheinen Selbstläufer zu sein, jede und jeder kann teilhaben, Naemi Keuler ist überzeugt, „das Amateurtheater muss kein Audience Development machen“ (Düspohl u. a. 2019, S. 91) und auch Beate Kegler beschreibt in ihren Ausführungen zum Theater in der Provinz die Breite der Teilhabe-Ermöglichung durch das Amateurtheater, vgl. Kegler 2019.

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zu wenig darüber diskutiert, was das Kerngeschäft der Theaterinstitutionen ist und was man – auch im Anbetracht der besonderen Situation der Landesbühnen und den besonderen Bedingungen ihrer Arbeit – überhaupt von den Theatern verlangen kann. Jörg Gade beschreibt die Erwartungshaltungen an sein Haus, die sich auch in den Zielvereinbarungen mit dem Land Niedersachsen wiederfinden, ambivalent, denn einerseits würde „Arbeit mit bildungsfernen Schichten, [...] Arbeit für und mit Bürgern mit Migrationshintergrund; [...] der ganze partizipative Bereich“ (Gade 2016) zu Recht eingefordert, zugleich aber verlangt, dass die Bilanz sich nicht verschlechtere (vgl. ebd.). Niedrigschwellige Arbeit und Zugänge für eine möglichst breite Teilhabe, gerade der von Gade genannten gesellschaftlichen Gruppen generierten (meist) keine zusätzlichen Einnahmen, dafür aber mehr Kosten (vgl. dazu die Feststellungen über das Kinder- und Jugendtheater in Kapitel 4.1). Dieses Beispiel zeigt, dass innerhalb des Theatersystems Teilhabe und Relevanz teils konservativ gedacht werden und es um Besuchszahlen und damit um Auslastung geht – so ist beispielsweise bei Jörg Gade das Nachdenken über Partizipation eng verbunden mit einem Nachdenken über Marketing, über Maßnahmen und Strategien, Zuschauer zu akquirieren und im besten Falle an das Haus zu binden. Die wichtigste Frage scheint zu sein, wie die nicht-teilhabenden Menschen in das bestehende Theater gebracht werden können,101 nur bedingt wird befragt, ob und wie sich Theater an sich gestalten sollte, um mehr Teilhabe und gesellschaftliche Auseinandersetzung zu ermöglichen. Nach wie vor zeigt sich eine Orientierung am Kunstprodukt, am Angebot: Dieses gilt es, anzupreisen, den Konsum – oder die Teilhabe, je nach Blickwinkel aus wirtschaftlicher oder kulturpolitischer Sicht – zu ermöglichen und Barrieren, die eine solche verhindern, zu überwinden. Ein konzeptionelles Mitdenken und Beachten des (Nicht-)Publikums und von Partizipation scheint, auch bei den Landesbühnen, nur rudimentär vorhanden.102 Hinsichtlich der Programmgestaltung scheinen gerade die Landesbühnen dafür kaum Spielraum zu haben – die Marktmechanismen sorgen dafür, dass sich die immer wieder gleichen Stücke reproduzieren; selbst bei der größtmöglichen Ausgestaltung im Sinne einer künstlerischen Handschrift und dem Ausprobieren ungewohnter Ästhetiken: So lange die Themen und Titel gebucht, produziert, veranstaltet werden, die für gute Auslastung sorgen, so lange wird die Auslastung dafür sorgen, dass genau diese Themen und Titel weiter die Programme bestimmen und somit immer wieder die gleichen Personenkreise angesprochen werden.103 Ein Ausbrechen aus einer solchen Gewohnheit ist für alle Theater, nicht nur für die Landesbühnen, mit Risiko behaftet: Dass die Abonnenten die Experimente und auch

101 Die Unterscheidung, ob es dabei um an Theater bislang uninteressierte Menschen geht oder um solche, die nur noch einen Motivationsschub brauchen, wird im Zusammenhang der Überlegungen zu Publikum und Nicht-Besucher aufgegriffen. 102 Auch wenn sich grundsätzlich Ansätze einer Neuausrichtung weg von der Angebotsorientierung in Richtung einer Teilhabeorientierung abzeichnen. vergleiche dazu die Ausführungen in Kapitel 2.2, und es bei den Landesbühnen zu einer Berücksichtigung der Erwartungshaltungen kommt, wie ausgeführt wurde. 103 Diese aufeinander bezogene Selbstbestätigung wird im weiteren Verlauf der Darlegungen anhand einer Einschätzung Mirko Schomberts um eine Ebene erweitertet: Die Vorverurteilung des zu erwartenden Angebots kann Einfluss auf die Besuchsentscheidungen haben, siehe dazu im Vorgriff Kapitel 4.3.3.

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die weniger einträglichen Angebote mitbezahlen, klingt wie eine Binsenweisheit des Theatersystems. Die Idee von Teilhabe, Ermöglichung dieser sowie die damit auch immer verbundene Exklusion ist abhängig vom Verständnis dessen, was Theater sein kann und sollte. Wird Theater als Bildungsinstitution verstanden, wird weiterhin ein bestimmter Personenkreis angesprochen, der Interesse und entsprechende Vorkenntnisse vorzuweisen hat. Mittlerweile weicht aber auch diese Vorannahme auf, der Kanon an Literatur und Werken scheint sich zu ändern, den Landesbühnen liegt daran, nicht als Institution verstanden zu werden, die sich an einem Lehrplan abarbeitet. Dass sich die Stückauswahl und die Erwartungen des Publikums und der Veranstalter in den vergangenen Jahren gewandelt habe, der klassischen Kanon nicht mehr funktioniere, wurde schon erwähnt; Kay Metzger versucht diesen Trend folgendermaßen zu erläutern und weist indirekt auf eine wichtige Hürde für Teilhabe hin: „[I]ch denke [...], es [...] liegt schon der Reiz darin, für den Zuschauer, eine klare Geschichte erzählt zu bekommen; Personen, mit denen er sich identifizieren kann; jetzt könnte man sagen, das gibt es bei Klassikern auch – vielleicht ist das Unterscheidungsmerkmal, [...] dass, wenn wir jetzt an Filmadaptionen denken, [... diese] nicht unbedingt einen gewissen Bildungs-, Geschichtskodex bedürfen, sondern man kann sich relativ unvorbereitet rein setzen und Dinge erleben, die einen dann begeistern, als Geschichte, als Plot. Der meinetwegen auch mal blutig endet oder im Happy End endet; das ist dann glaub ich gar nicht die Frage, [... sondern] wie viel Vorwissen muss ich in eine Aufführung mit reinbringen; was für ein Gefühl muss ich für eine historische Sprache haben“ (Metzger 2016). Notwendiges Vorwissen kann Teilhabe verhindern, respektive die Annahme, dass ein solches notwendig sei oder erwartet würde, kann ebenfalls die Entscheidung hemmen, eine Theatervorstellung zu besuchen. Andersherum betrachtet kann statuiert werden, dass Theater gerade durch seine Position als Bildungseinrichtung für solche Menschen bedeutsam ist, die Theater eben als Bildungsinstitution schätzen und die Auseinandersetzung mit den Bühnenstoffen als zur Allgemeinbildung dazugehörig verstehen. Bildung im Sinne einer Kenntnis von literarischen Werken oder geschichtlichen Kontexten kann ein Faktor sein, der Theater zu einem Erlebnis für eine eingegrenzte Bevölkerungsgruppe macht. In diesem Zusammenhang sei ein weiteres Mal auf das Kinder- und Jugendtheater verwiesen: Für alle interviewten Intendanten steht dieses in Zusammenhang mit Schlagworten wie Lebensweltbezug und Verankerung im Alltag. Theater für junges Publikum scheint eine umfassendere Teilhabe am Erlebnis Theater zu ermöglichen: Weil es in den Schulen stattfindet, weil es über die Schulen kommuniziert wird und weil gerade durch Veranstaltungen für und mit Grundschulen prinzipiell alle Kinder gleich welchen Hintergrundes erreicht werden können. Aber auch hier gilt: Ist der Ansatz ein thematischer, also wird sich inhaltlich auf die aktuelle Lebenssituation ausgerichtet, oder wird der Bezug über die Auswahl lehrplanrelevanter Literatur hergestellt? Wenn ein Theater einen bestimmten Schulstoff bespielt, kann dadurch auch wieder nur eine bestimmte gesellschaftliche Schicht angesprochen werden, beispielsweise nur die gymnasiale Oberstufe. Sprachkenntnisse und unterschiedliche kulturelle Prägungen können weitere Variablen sein, die eine Teilhabe an einem Theatererlebnis und somit einer gesellschaftlichen Teilhabe verhindern oder erschweren. Peter Grisebach nennt für das SHL ein Beispiel, das sich auf die unterschiedlichen Zugangsmöglichkeiten der verschiedenen Sparten bezieht: „[W]ir merken, dass [...] die deutsche Minderheit in Dänemark im-

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mer weniger deutsch spricht und deswegen nur zum Musiktheater kommen möchte [...] und natürlich auch insofern hoch dankbar ist für Tanztheater, was sie verstehen, ohne dass ein Wort gesprochen wird“ (Grisebach 2016). Das Gleichgewicht zu finden, sich in seinem künstlerischen Selbstverständnis und dem eigenen Qualitätsanspruch nicht reduzieren zu lassen, dabei auf die unterschiedlichen Teilgesellschaften zu reagieren, ist eine besondere Aufgabe für die Landesbühnenintendanten. Thorsten Weckherlin vergleicht exemplarisch die unterschiedlichen gesellschaftlichen Strukturen und die daraus resultierenden Erwartungshaltungen an Theater, „es war arbeitergeprägt in Dinslaken, im Ruhrpott, wir mussten anders an das Publikum ran; hier bin ich anfangs oft verreckt durch meine Offenheit. Bei diesem spießigen Schwaben-Publikum [...] es dauert anderthalb Jahre, so langsam lerne ich die Pappenheimer kennen und sie lernen mich kennen“ (Weckherlin 2016) – dieses Zitat soll dienen, um zu zeigen, dass Theater als Ort einer gesellschaftlichen Teilhabe je nach Region unterschiedliche TeilGesellschaften ansprechen muss und kann; allerdings bezieht auch Weckherlin seine Aussagen wieder auf das Publikum, also bereits tatsächlich am Theater teilhabende Menschen. Diese Überlegungen weisen erneut darauf hin, dass die standortspezifische Situation, die regionalen Gegebenheiten und Strukturen Berücksichtigung erfahren sollten. Der Gedanke einer Grundversorgung im Sinne eines Angebots, das für alle Menschen überall gleich relevant sei, dass durch dieses eine breite Teilhabe ermöglicht werde, scheint dadurch grundsätzlich ein zum Scheitern verurteilter Ansatz. Dass Stadt-Theater und Land-Theater unterschiedliche Funktionen zugeschrieben bekommen, bezieht sich auch auf das Moment von Teilhabe: Versteht man gesellschaftliche Partizipation als Teilhabe und Teilnahme am kulturellen Leben im Sinne einer Freizeitgestaltung, eines kommunikativen unterhaltsamen Abends oder bezogen auf die Beteiligung am gesellschaftlichen Diskurs oder als Möglichkeit am Kunstdiskurs, also der Entwicklung der Darstellenden Kunst, teilzunehmen? Im besten Falle ermöglicht Theater all dies gleichzeitig. Versteht man Theater als Möglichkeitsraum für Partizipation an gesamtgesellschaftlichen Prozessen und ihrer Aushandlung, folgen daraus verschiedene Konsequenzen, die sich niederschlagen können in der programmatischen Ausrichtung der Häuser, der Publikumsansprache, der Findung und Bindung neuer Zuschauergruppen und einer Berücksichtigung der Diversität unserer Gesellschaft auch in den eigenen Strukturen. Zwei Ansätze der ausgewählten Landesbühnen sollen hier exemplarisch vorgestellt werden: Eine Reaktion auf gesellschaftliche Entwicklungen kann beispielsweise die Öffnung des Theaterhauses für neue Formate sein, die einen Austausch unabhängig von einem Kunstwerk, sprich einer Inszenierung, ermöglichen. Für Matthias Faltz ist es somit wichtig, „dass wir so viele [...] Gesprächsangebote aber auch [...] Themen auf dem Spielplan haben, oder auch innerhalb [...] unseres Gesamtangebots so anbieten, dass man sich darüber austauscht und miteinander ins Gespräch kommt, [...] über diese Vor- und Nachgespräche, oder [...] wir hatten [... einen] Syrien-Abend, oder [... zur] Ukraine-Krise, da haben wir einen [...] deutsch-russischen Freundschaftsabend gemacht, um da so einen Gegenpol und so eine Diskussion anzuschieben, [...] also permanent solche Sachen“ (Faltz 2016). Hier versteht sich Theater also als ein Ort für gesellschaftliche Auseinandersetzung über die Kunstproduktion und -rezeption hinaus, was wiederum die Frage nach der Hauptaufgabe von Theater und seiner Zielrichtung mit sich führt.

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Eine andere Möglichkeit, Theater als relevanten Ort für gesellschaftliche Teilhabe zu positionieren, sind Ansätze, regionale Begebenheiten, Personen, Geschichten thematisch und inhaltlich aufzugreifen.104 Bereits genannt wurden die Stückentwicklungen der Landesbühnen Sachsen, die sich auf örtliche Geschichten und Personen beziehen; in Hildesheim verwirklichte das TfN anlässlich des Stadtjubiläums das Großprojekt „Im Namen der Rose“, „ein stadtspezifisches Projekt mit großer Bevölkerungsbeteiligung“ (Gade 2016), bei dem zahlreiche Personen und Personengruppen aus der Stadt in der künstlerischen Umsetzung beteiligt waren. In ähnlicher Weise hat das Theater der Altmark in Stendal unter der Leitung von Alexander Netschajew mit „Ritter Roland“ eine Produktion erarbeitet, die sich mit der Geschichte des Stendaler Roland beschäftigt, an deren Entstehung und Aufführung Stendaler Bürger beteiligt waren und die somit die Stadtgesellschaft und ihre Geschichte auf die Bühne bringt. Alle Intendanten geben zu verstehen, dass Theater eben mehr sein sollte als nur eine Vorstellung abzuspielen, Manuel Schöbel beschreibt die Notwendigkeit, dass die Menschen „ganzheitlich mit Theater zu tun [...] bekommen und nicht einfach nur schön angezogen ins Theater gegangen, jetzt geht es los, Vorhang zu, jetzt ist es wieder zu Ende, sondern wir versuchen [...] die Verlängerung des Rezeptionsprozesses und das ist dann die Grundüberschrift: Es geht darum, dass Theater viel früher anfängt als der erste Schauspieler spricht und dass es viel später aufhört, als dass der letzte Vorhang gefallen ist“ (Schöbel 2016). Die Konzeption von Partizipation hängt eng zusammen mit der Begrifflichkeit des Rezipierens: Wird dieser verwendet zur Beschreibung einer „sinnlichen Aufnahme“ (Duden online 2019), geht es also zunächst um das reine Ansehen und Anhören, oder beinhaltet er den Aspekt des Begreifens, wird die Vokabel also als eine „verstehende Aufnahme eines Werkes“ (ebd.) gedeutet, oder geht es sogar um das Vereinnahmen von etwas, die „Auf-, Übernahme fremden Gedanken-, Kulturguts“ (ebd.). Je nach Deutung stellt sich die Frage, welche Maßnahmen dazu führen können, dass die jeweiligen Prozesse erfolgreich verlaufen. Vermittlung zur Teilhabe

Es sei zunächst der Ansatz näher betrachtet, der Rezeption und Teilhabe in den Kontext von Kulturvermittlung stellt, also eine „verstehende Aufnahme“ des Werkes ermöglicht. Dabei ist Kulturvermittlung auch ein Begriff mit vielen Deutungsmöglichkeiten, gemäß der in Kapitel 2.2 dargestellten Wirkungsabsichten, werden entsprechende Maßnahmen auch bei den Landesbühnen in unterschiedlichen Bereichen angewendet: Vermittlung kann dazu dienen, am Kunstdiskurs teilzuhaben also unterschiedliche Formen und ästhetische Ausdrucksweisen der Darstellenden Künste näher gebracht zu bekommen; sie kann dazu verwendet werden, Inhalte zu erläutern und zwischen künstlerischer Absicht und Erwartungen des Publikums zu dolmetschen; sie kann Verständnis und Kenntnis über den Theaterbetrieb und die Theaterkunst erzeugen und sie kann Publikum und Künstler einander näher bringen. Immer jedoch steht Vermittlung auch für die Überwindung einer vorhandenen Kluft und ihre Begrifflichkeit und Anwendung ist zudem keineswegs konfliktfrei. Sowohl in den Gesprächen auf der Memminger Tagung als auch bei den Symposien in Essen und Stendal kam die Sprache immer auf die Rolle der Vermittlung als Teil oder Ermöglicherin von Partizipation und in der Abgrenzung zur künstlerischen Arbeit. Die grundsätzliche Spannung scheint sich in der Ge-

104 Vgl. dazu Kapitel 4.1 und Kapitel 2.2.2.

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genüberstellung der Begriffe abzuzeichnen: Vermittlung könne – so die überwiegende Meinung der Tagungsteilnehmer in Essen – keine Kunst sein, sie sei nicht ihr zu gehörig; um Kunst verstehen zu können, um an ihr teilhaben zu können, wird Vermittlung als Instrument der Erklärung verstanden. Ob die Darstellenden Künste grundsätzlich einer Vermittlung bedürfen oder nicht, wird einerseits sehr differenziert beurteilt, an anderer Stelle aber nicht ausreichend reflektiert.105 In den Verständnissen der interviewten Intendanten zählen Vermittlungsangebote zum großen Bereich der Partizipation dazu, oder anders ausgedrückt: Durch Angebote der Vermittlung wird bereits Partizipation ermöglicht. Beinahe alle Landesbühnenintendanten zählen die mittlerweile in jedem Theater als Standardangebot vorhandenen klassischen Veranstaltungen und Materialien auf: Vor- und Nachgespräche, Stückeinführungen, Programmhefte, all das, was dazu dient, dem Publikum Form und Inhalt näher zu bringen. Diese Formate verstärken den lehrhaften Charakter, der auch die Differenz zwischen Künstler und Zuschauer verdeutlicht. Dem Publikum soll, muss zunächst erklärt werden, um was es geht und was sich der Künstler wohl dabei gedacht hat – allerdings ist auch bei einer solche Bewertung von Vermittlungsangeboten die besondere Situation der Landesbühnen zu berücksichtigen. Bevor darauf eingegangen wird, soll folgende Beschreibung Kay Metzgers die Ambivalenz der Begrifflichkeit darstellen: „Was wir an einigen Orten, die es wollen, [...] anbieten und auch machen, sind zum Beispiel Stückeinführungen vor den Aufführungen, [...] eine Dienstleistung, die sehr wichtig ist, weil der Anbieter vor Ort dann wirklich seinem Publikum [...] auch nochmal das Gefühl gibt, mit was für einer Wertigkeit so ein Abend [...] stattfindet. Dass man sich vorher vom Dramaturgen die wichtigsten Dinge des Werkes, der Inszenierung erläutern lassen kann, wie das ja an Stadttheatern inzwischen fast Standard ist; das bringt sehr viel und ich bin immer sehr froh über solche Anfragen, weil ich merke, dass dann da vor Ort eben auch ein sehr intensiver Dialog mit dem Publikum stattfindet und nicht nur ein Plakat irgendwo aufgehängt wird und dann kommen die Truppen und dann wird das Plakat wieder abgenommen“ (Metzger 2016). Es geht also um Erläuterung, aber zugleich auch um die von Schöbel benannte Verlängerung des Rezeptionsprozesses, also darum, dem oftmals nur punktuellen Auftauchen der Landesbühne in den Gastspielorten eine andere Verankerung und Wahrnehmung zu ermöglichen. Metzger bewertet das Vermittlungsangebot auch als Ausdruck von „Wertigkeit“ – wie in den Stadttheatern auch soll also in den Gastspielhäusern eine Diskussion über das Stück und die Inszenierung in Gang gesetzt werden (können). – Das Publikum würde demnach genauso geachtet wie in anderen Städten, da sie ebenso eine Einführung für die Produktion erhalten: So verstanden ist die Geste des Vermittelns keine herablassende, durch einen Schulmeistercharakter geprägte, sondern ein wohlwollendes Angebot, an den gleichen Diskursen und Fragestellungen teilzuhaben, wie auch in anderen Theatern und Städten. (Und wieder lässt sich hier ein Vergleich mit dem Vorbild Stadttheater erahnen.) Ob allerdings durch diese Art der Ge-

105 Vgl. hierzu Schröck 2017a und Schröck 2018b. Diese Auffassung steht den Entwicklungen im Kinder- und Jugendtheater konträr entgegen, innerhalb derer von Kunstvermittlungskunst gesprochen wird (vgl. Kapitel 2.2.5). Theatervermittlung und partizipatorische Arbeit im Sinne eines transformativen Diskurses zu verstehen und anzuwenden, kommt in diesen Diskussionen zu kurz, soll aber im weiteren Verlauf hier in dieser Untersuchung anhaltend zur Debatte gestellt werden; vgl. dazu Düspohl u. a. 2019 und Kapitel 2.2.2.

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spräche tatsächlich ein Dialog entstehen kann, scheint fragwürdig, da Vermittlung im Sinne einer Inszenierungsbegleitung und -erläuterung oftmals sehr einseitig konzipiert ist.106 Zudem stellt sich erneut die Frage, für wen durch diese Angebote Partizipation ermöglicht wird: Denn die Einführungs- und Nachgespräche, Materialmappen und Programmhefte stehen meist denen zur Verfügung, die bereits Karten für eine Aufführung erworben haben, respektive deren örtlicher Veranstalter bereits entschieden hat, welche Produktion zu sehen sein wird. Von diesen Maßnahmen setzen sich die Vermittlungsangebote ab, die nicht in unmittelbarer Verbindung mit einer Aufführung stehen, sich auf den gesamten Spielplan beziehen, oder Theater als Kunstform oder als Institution im Mittelpunkt haben. So beschreibt Kay Metzger für Detmold, dass durch die Veranstaltungen zur Spielplanvorstellung in anderen Orten der Stadt als dem Theatergebäude auch dazu dienen, andere Publika anzusprechen (vgl. Metzger 2016 und Kapitel 4.2.3). Viele der Theater haben insbesondere für Bildungseinrichtungen spezielle Angebote im Programm, um die aktuellen Stücke vorzustellen, oder stellen ergänzendes Material für eine Beschäftigung im Unterricht zur Verfügung. Vermittlungsangebote seien grundsätzlich ein wichtiges Mittel, um direkt in Kontakt mit dem Publikum zu treten, wie Marcus Grube beschreibt, so wie die „Einführung, [die wir dann vor Ort anbieten,] bei der ich schon merke, wie viele interessiert es gerade; [...] wir machen auch [...] Spielplanvorstellungen für Orte, die mehrere Sachen haben, dass wir dann hinfahren und den Abonnenten die Möglichkeit bieten, [...] sagen: wir stellen ihnen mal die Stücke vor“ (Schirmer u. a. 2016). Vermittlung kann also auch als Möglichkeit gesehen werden, das Publikum teilnehmen zu lassen im Sinne eines Dialogs, eines Feedbacks – inwiefern sich aus einem einführenden Vortrag jedoch tatsächlich ein ausgeglichenes Gespräch entwickelt, sei dahin gestellt (vgl. dazu die Ausführungen zu Kommunikationssymmetrien unter 2.3.3). Vermittlung bezieht sich aber im Falle der Landesbühnen nicht nur auf die vorhandenen oder potenziellen Publika, sondern sehr stark auch auf die Veranstalter. Diesen ein neues Konzept, ein unbekanntes Stück nahezubringen, kann auch als Vermittlungsarbeit gewertet werden – durch die besondere Situation und Abhängigkeit zwischen Gastspielorten und Landesbühnen scheint in diesem Falle tatsächlich eine gewisse dialogische Vermittlung zu geschehen, wie durch exemplarische Aussagen über Rücksichtnahme oder Hinweise auf vielleicht ungewohnte ästhetische Bilder bereits gezeigt. Hier gestaltet sich die Kommunikation weniger hierarchisch als zwischen Publikum und Theater, da die Beziehung eine andere ist (vgl. ebd.) Kunstvermittlung kann auch eine Teilhabe am Kunstdiskurs ermöglichen, so wie es TANZLAND beabsichtigt. Durch die Kombination der Förderung, also dass nicht nur Gastspiele finanziell unterstützt werden und daher das Risiko eines finanziellen Misserfolges etwas abgeschwächt wird, sondern dass zusätzlich ein Vermittlungsprogramm angeboten wird, wird eine Auseinandersetzung, sowohl des Publikums als auch der örtlichen Veranstalter, mit einer spezifischen Produktion und mit dem Genre Tanz generell befördert.

106 Siehe dazu die Klassifikationen nach Hanne Seitz in Kapitel 2.2 sowie die unten stehenden Ausnahmen im Bereich des Kinder- und Jugendtheaters, die zumindest theoretisch die eingleisige Vermittlungsarbeit in einen dialogischen Prozess umzuwandeln versuchen.

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Maßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit und des Marketings werden von den interviewten Intendanten ebenfalls unter den Bereich Vermittlung gefasst, denn sie können Instrumente sein, neues Publikum zu erschließen und vorhandenes zu binden. Manuel Schöbel bringt beide Aspekte in den Zusammenhang, dass Theater mehr sei als das bloße Veranstalten von Theateraufführungen, „das hat zu tun mit der Qualifizierung der Marketing-Arbeit, die nicht einfach nur eine Verkaufsarbeit ist, sondern die eine inhaltliche Arbeit im Vorfeld ist; und die hat zu tun mit der Möglichkeit, die man vielen Leuten gibt, sich wirklich im Theater zu entäußern von den klassischen Formen des Zuschauergesprächs, der Mail, der Eintragung ins Buch, den Spielplanvorschlägen, bis eben zu offeneren Formen, die vorträglich bei Theaterfesten eine Rolle spielen“ (Schöbel 2016). Das Publikum erhält also nicht nur eine Möglichkeit, durch Gespräche mehr zu erfahren, sondern es kann genauso seine Erfahrungen, Meinungen, Einschätzungen und Wünsche an das Theater übermitteln – welche Konsequenz dieses Handeln hat, wäre im Einzelfall zu betrachten. Jörg Gade denkt Vermittlung und Kommunikation eng zusammen, neben den oben bereits zitierten Herausforderungen, inwiefern Theater eine gesellschaftliche Teilhabe strukturell ermöglichen kann, ist für ihn auch ein weiterer Blickwinkel entscheidend, der auch die dem Theater nicht grundsätzlich abgeneigten Menschen berücksichtigt: „[I]ch finde es viel [...] spannender ehrlich gesagt, mich mit der Frage zu beschäftigen, was passiert da? Wie komm ich an die ran, [...] wie kann ich dafür sorgen, dass bei einer kultur- und kunstinteressierten Klientel der Theaterbesuch wieder stärker ins Zentrum rückt und wieder in den Fokus einer Freizeitgestaltung rückt. Wie erreiche ich die überhaupt noch?“ (Gade 2016). Allerdings dürften vermittelnde Maßnahmen nicht reduziert oder missverstanden werden als Mittel zum Zweck einer besseren Auslastung, insbesondere im theaterpädagogischen Bereich, der ebenfalls Angebote der Vermittlung beinhaltet, wie Jörg Gade weiterhin feststellt, wenn er seinen „Anspruch an Theaterpädagogik“ (ebd.) beschreibt: „[E]s läuft was falsch, in meinem eigenen Verständnis, wenn ich auf die Vorverkaufszahlen der nächsten Woche schaue und stelle fest, da ist eine Vorstellung, die ist leer; und ich ruf den Theaterpädagogen an und sag: Mach mal voll. Dann habe ich was von Theaterpädagogik nicht verstanden. [...] Bei der spielplanbegleitenden Theaterpädagogik geht es darum, die Inhalte [...] unserer Produkte, unserer Inszenierungen mit anderen Mitteln zu vermitteln und zu erweitern. Also in Form von vorbereitenden Workshops, Vor- und Nachbereitungsgeschichten in Schulen und so weiter. Da ist mir ganz wichtig, dass das keine Einbahnstraße ist, sondern auch, dass das wieder zurückfließt“ (ebd.). Auch er lässt zunächst offen, wie genau das geschehen soll, respektive bereits umgesetzt wird. Partizipation als Teilnahme

Gade differenziert den Bereich in diesem Zusammenhang weiter, „der andere wichtige große Teil der Theaterpädagogik ist der ganze partizipative Bereich; also die aktive Teilhabe“ (ebd.); auch die anderen Intendanten zählen diesbezüglich zahlreiche Angebote auf. Die Heterogenität der Landesbühnen zeigt sich erneut in diesem Feld, mal gibt es mehr, mal weniger ausdifferenzierte Angebote, grundsätzlich wird auch bei den Maßnahmen für eine aktivere Teilnahme das klassische Spektrum abgedeckt: Workshops unterschiedlicher Art und Dauer und Spielclubs sind typisch, die konkreten Gestaltungen und Möglichkeiten sind wiederum ortsspezifisch zu unterscheiden: „[D]as TfN hat hier in Hildesheim ungewöhnlich viele Theaterjugendclubs und Spiel-

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gruppen [...] für Kinder, für Erwachsene, für alle Altersgruppen. Jedes Theater ist ja inzwischen stolz da drauf, dass sie einen Jugendclub haben; wir haben dreizehn. [...] das ist nicht nur ein Verdienst des TfN, sondern das ist auch nur möglich, weil das eine sehr lange Tradition hier in Hildesheim schon hat; es ist auch nur möglich weil es durch den Studiengang Kulturpädagogik [...] hier eine Klientel von freischaffenden Theaterpädagogen gibt“ (ebd.). Bei aller Bedeutung der theaterpädagogischen Arbeit wird deutlich, dass ein umfassendes Angebot dennoch nur durch ergänzende Ressourcen möglich scheint, in diesem Fall durch zusätzliches Personal, es somit als Zusatz gewertet zu sein scheint, und daher abhängig ist von starken Partnerschaften, wie Gade betont; „es gibt ja hier in Hildesheim [...] das Theaterpädagogische Zentrum; mit denen arbeiten wir sehr gut zusammen und haben also unsere eigenen Theaterpädagogen aber [holen] auch immer wieder Theaterpädagogen aus dem Theaterpädagogischen Zentrum dazu, gerade für die ganzen Spielclubs“ (ebd.). Während den Gesprächen wurde darauf verzichtet, zu detailliert über die einzelnen Programme und Maßnahmen zu sprechen, die dem Standardrepertoire der Theaterpädagogik entsprechen; es kann jedoch, auch mit Blick auf die Darstellung auf den Webseiten der Landesbühnen, eine Konzentration der Angebote auf den Bereich des Kinder- und Jugendtheaters festgestellt werden.107 Dies scheint durchaus nachvollziehbar, da partizipatorische Formate zunächst verstärkt in diesem Feld entwickelt wurden und dort besonders nachgefragt werden (vgl. Kapitel 2.2.5), wie auch Manuel Schöbel im Zusammenhang mit seiner Idee von Theater beschreibt: „Also hier ist meine persönliche Biographie als Kinder- und Jugendtheatermacher ja von entscheidender Bedeutung. Ich glaube, dass in den 80er und 90er Jahren im Jugendtheater sehr sehr viel im Sinne des Partizipationsprozesses geleistet worden ist, was dann gleichzeitig und zum Teil nachlaufend in verschiedenen Stadttheatern und Landesbühnen Einzug erhalten hat. Manchmal hat das sogar auch mit anderen Biographien zu tun, sind halt eine Menge junger Leute, die irgendwann mit 40 oder 45 dann den Jugendtheaterbereich verlassend, in den Stadttheatern und Landesbühnen angekommen sind. Und bestimmte Erfahrungen haben wir alle mitgenommen“ (Schöbel 2016).108 Wie bei vielen anderen Theatern ist auch bei den LBS die Kinder- und Jugendtheatersparte maßgeblich verantwortlich für die partizipatorischen Angebote, diese beschränken sich jedoch (mittlerweile), wie Schöbel verdeutlicht, weder auf eine bestimmte Zielgruppe („Partizipationsprozesse hören eben nicht auf, wenn man 18 ist, [...] wir hatten als erstes die vielen Seniorenclubs [...] und inzwischen wissen wir, [...] das ist auch für die Berufstätigen spannend, wenn sie schon mal mit Theater zu tun haben“, ebd.), noch auf einen bestimmten Teilbereich der Darstellenden Künste: „Wir haben als Basis dessen unser Junges Studio, wo aber eben alle jung sich Fühlende und

107 Aufgrund der Ähnlichkeit der Angebote in ihrer Konstruktion sei hier allgemein auf die Webseiten der einzelnen Theater verwiesen; eine Zusammenfassung der Angebote erfolgte für die Artikel der Autorin, Schröck 2016 und Schröck 2017b, siehe dazu auch Kapitel 3.2.3. 108 Die vielleicht unbedacht formulierte Äußerung, dass die Jugendtheatermacher in den Stadttheatern angekommen seien, könnte in Bezug gesetzt werden zu der in der Theaterlandschaft immer noch vorherrschenden pejorativen Beurteilung von Qualität: Ankommen impliziert, das erreicht zu haben, was erstrebenswert ist. Allerdings wird Schöbel diese Interpretation nicht intendiert haben, da er sich sehr für das Kinder- und Jugendtheater und dessen Anerkennung einsetzt, vgl. Kapitel 3.3.5.

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Gebliebene ihren Platz haben, es gibt, ich glaube im Moment sieben funktionierende Jugendclubs; die reichen von Tanz und Bühnenakrobatik zu klassischen Spielgruppen in allen Altersgruppen, zur Seniorengruppe; zur Medienwerkstatt, wie das so ist; das ist eine große Gruppe von Menschen, die also regelmäßig zu uns kommt und hier selber kreativ ist, das Haus mit belebt“ (ebd.). Dass durch Möglichkeiten der Teilnahme das eigene Theater belebt werden kann, soll im folgenden Abschnitt genauer betrachtet werden, zunächst soll noch auf folgende Erläuterung Schöbels verwiesen werden, die entscheidend ist für die Idee und das Verständnis von Partizipation. Als Fortsetzung seiner Ausführungen, dass durch das Kinder- und Jugendtheater partizipatorische Arbeitsweisen und Formate in Theatern für allgemeines Publikum Einzug erhalten haben und was die Lehren aus den Entwicklungen waren, zeigt er das grundlegende Spannungsfeld auf, dem sich partizipatorische Programme und Projekte immer ausgesetzt sehen. Entscheidend für erfolgreiche Arbeit in diesem Feld sei die Grundüberzeugung: „Und dazu gehört als erstes, dass Pädagogik nichts Blödes sein muss; dass Kunstpädagogik im Umfeld von Theater großartige auch auf sich selbst gerichtet spielerische Vorgänge sind, die einfach im Umfeld der Theateraufführung entstehen und nicht nur dieser Theateraufführung dienen, sondern zum Teil einen ganz großen Eigenwert entwickeln und das zweite, dass wir den Gedanken, dass das Lernen und die Hinwendung zur Botschaft, zur Mission, nicht aufhört, wenn man aus der Schule kommt, sondern dass der Prozess des lebenslangen Lernens nicht nur meint, dass man technisch immer weiter lernt, sondern dass man eben auch als Mensch und psychisch weiter auch Erfahrungen macht“ (ebd.). Teilhabe, Theaterpädagogik, eigenständige künstlerische Projekte, spielplanbezogene Vermittlungsarbeit – die Begriffe, die auch von den Intendanten teils überlappend verwendet werden, zeigen das komplexe Feld und die Unklarheit der Abgrenzungen. Die doppelte Funktion, die Schöbel beschreibt, ist dabei entscheidend für die Zielsetzung und Ausrichtung der Arbeit: Partizipatorische Formate können verstanden werden als die Ermöglichung eigener künstlerischer Arbeit oder als Lernort für Weiterbildung und Ausbildung von Kompetenzen. Oftmals ist eine Mischung dieser beiden vorhanden, je nach Betrachtung wird mal der eine Aspekt, mal der andere stärker bewertet. Jörg Gade sieht den Bereich der Kulturellen Bildung als eine weitere neue Aufgabe von Theater, „wo Theater einfach ja inzwischen [...] eine Funktion bekommen hat und auch übernommen hat, wo es eben auch [...] gerade in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, um Persönlichkeitsbildung geht, um Teamfähigkeit, um [...] einfach ganz viele Social Skills, [...] die in der Arbeit entwickelt werden“ (Gade 2016). Zugleich beschreibt er, dass die jeweiligen Ergebnisse partizipatorischer Projekte unterschiedlich gewertet werden könnten und rekurriert dabei auf den Diskurs um Absichten, Abgrenzungen und Zuschreibungen zwischen Theaterkunst und pädagogischer Arbeit, der bereits in dieser Arbeit skizziert wurde. In „wenigen Glücksmomenten, [...] gelingt es dann ja auch, künstlerisch und theatralisch spannende Prozesse zu haben. [...] ehrlich gesagt geht es mir immer noch so, dass [...] es [...] natürlich nicht immer so ist. Und [...] nach wie vor, das ist weniger geworden, früher war es noch stärker, [...] mein Problem mit solchen Arbeiten ist, dass ich nicht weiß, [...] wozu ich gebeten bin oder wie ich jetzt eigentlich grade drauf schauen soll. Bin ich jetzt [...] der glückliche Vater, der sieht wie seine Tochter da oben Schiller spricht; bin ich der Sozialarbeiter, der da unten sitzt und sagt: oh für die da oben ist das jetzt aber ganz wichtig? Für ihre Entwicklung. Oder bin ich der Zuschauer, der unten sitzt und einfach einen tollen Theaterabend ha-

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ben will; und dem das zu Recht erst mal Wurscht ist, ob das da oben Laien sind oder Leute sind, die vier Jahre studiert haben“ (ebd.).109 Unabhängig von einer Wertung der unterschiedlichen Facetten, können diese Faktoren die Zielsetzung partizipatorischer Arbeit beeinflussen, beziehungsweise prägen, vielleicht auch in einer relativ unbewussten Art und Weise, wie sich bei folgendem Beispiel aus Detmold zeigt: „Was wir gemacht haben allerdings, ist ein Rechercheprojekt, mit Jugendlichen, da haben wir die Jugendlichen auch entscheiden lassen, ob sie sich eher für das Thema Drogen oder neue Medien entscheiden, also die großen Probleme, die eben durch die Handys und so weiter entstehen; sie haben sich ganz eindeutig für die Drogenproblematik entschieden; und dann haben wir im Dialog mit denen ein Stück entwickelt, das jetzt auch bald Premiere haben wird“ (Metzger 2016). Auf den ersten Blick ermöglicht dieses Projekt also jungen Menschen sich mit einem frei gewählten Thema auseinanderzusetzen, bei genauerer Betrachtung wird jedoch deutlich, dass es zugleich als pädagogische Maßnahme gesehen wird, da sie die Wahl hatten zwischen der Auseinandersetzung mit Drogen oder den negativen Auswirkungen der Medien, die zwar noch als „neu“ beschrieben werden, für jüngere Generationen aber längst Normalität sind. Dieses Problem zeigt sich bei dem Großteil der partizipatorischen Angebote der Theater: Auch wenn die Gestaltung relativ frei bleiben soll, gibt es oft im Vorfeld eine Festlegung auf ein bestimmtes Thema, dieses kann sich beziehen auf den Spielplan, das Spielzeitmotto, den Lehrplan oder auf einen aktuellen gesellschaftlichen Diskurs. Natürlich ist dies nachvollziehbar, um mit einer Gruppe zu arbeiten, braucht es gewisse Rahmensetzungen. Jedoch zeigt sich in der Struktur der Angebote, dass meist ein klassisches Verständnis von Theaterarbeit zugrunde gelegt wird; eine Gruppe erarbeitet eine Präsentation zu einem von den Theatermachern als relevant bewerteten Problem, die dann oft zu Ende der Spielzeit auch einige Male gezeigt wird.110 Die Bürgerbühne wird oft als Weiterentwicklung der Spielclub-Formate bezeichnet,111 ihre Grundidee ist jedoch eine gemeinsame Stückentwicklung mit Amateuren unter professioneller Leitung im Theaterbetrieb. Von den Gesprächspartnern wird die Bezeichnung „Bürgerbühne“ oder „Bürgertheater“ unterschiedlich verwendet und ausgelegt, so unter anderem auch von Peter Grisebach: „Bei uns [... hat] die Bürgerbühne [...] mehrere Facetten. Also diese niederdeutschen Mundartgeschichten ist die eine Facette, die andere ist, was wir für Kinder und Jugendliche machen; Theaterjugendclub. Denen also Möglichkeiten zu geben. Das dann auch zu präsentieren bei Aufführungen etc.; zu Bürgerbühne gehört für mich auch unser Flüchtlingstheater, [...] Asylbewerber bilden eine Theatergruppe und entwickeln ein Stück. Das habe ich vor zwei Jahren das erste Mal gemacht und das hat sich verselbstständigt und wird weiter gehen; [...] da ist natürlich meine Dramaturgin dabei, bei der Probenarbeit, bei der Konzeptionsfin-

109 Für Gade scheint demnach die Professionalität zunächst nicht ausschlaggebend für eine Qualität der Arbeit, oder zumindest nicht explizit ausnahmslos. Eine solche Einschätzung wäre in Bezug auf die scharfe Abgrenzung zwischen professioneller und nicht-professioneller Arbeit beachtenswert und kann im Gegensatz zu den Aussagen Metzger diskutiert werden, der klar die Professionalität als Kriterium an eine vordere Stelle steht, wie bereits dargestellt. 110 Vgl. hierzu die Ausführungen in Schröck 2017b. 111 Siehe dazu 2.2, sowie exemplarisch die Sonderausgabe der Deutschen Bühne zum Thema „Bürgerbühne“ (Deutscher Bühnenverein 2018).

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dung [...]. Meine Techniker bauen denen das, was sie brauchen; und dann gibt es eine Aufführung“ (Grisebach 2016). Dieses Beispiel verdeutlicht ebenfalls, dass sich Dinge frei entwickeln oder weiter entwickeln können, die Rahmung aber dennoch durch die Strukturen des Theaters vorgeben werden: Eine dramaturgische Begleitung und gemeinsame Konzeptfindung kann gleichzeitig Unterstützung sein, als auch als richtungsweisende Vorgabe verstanden werden. Der Vorteil dieser Strukturen ist jedoch, dass diese Produktionen als Teil der eigenen Theaterarbeit in der Betriebsplanung berücksichtigt werden, also nicht von freien Kapazitäten abhängig sind, wie freiwillige zusätzliche Unterstützungen beispielsweise von „freien“ Amateurtheatergruppen (vgl. Kapitel 4.2.3). Ein Abwägen zwischen Eigenständigkeit und Planungssicherheit ist demnach auch in diesem Bereich notwendig. Vielleicht können die partizipatorischen Projekte mit professioneller Begleitung, die mehr sind und wollen als reine Spielclubs, ein Ansatz sein, die oben genannten vielfältigen Erwartungen zu bedienen und es ermöglichen, die Ergebnisse auf mehreren Ebenen gleichzeitig zu bewerten, wie Jörg Gade weiterführend darstellt: „[M]ir ging es so oft so, dass ich nicht wusste, welchen Hut soll ich jetzt bitteschön aufsetzen? Bin ich jetzt der Papa oder der Sozialarbeiter oder der Theaterzuschauer; und dann gibt es eben, und das meine ich mit diesen Glücksmomenten, dann gibt es diese Momente, wo einen das umhaut; und wo [...] man alles ist. Wo man alle drei gleichzeitig sein kann“ (Gade 2016). Gade bezieht dies nicht explizit auf Bürgerbühnen-Produktionen, doch man kann diese Aussage auf solche Formate beziehen, denn die Frage nach Qualität scheint durch die Mischformen abgefedert zu werden: Wenn nicht-professionelle Darsteller auf professionelle Strukturen treffen, scheint die Akzeptanz, diese Arbeit als Kunstform einzuschätzen, höher zu sein, alleine durch die andere Stellung innerhalb des Spielplans; zugleich wird unterstellt, dass die Teilnehmer Kompetenzen ausund weiterbilden. Es ist jedoch ein differenzierter Blick angebracht, ob es sich bei der partizipatorischen Arbeit um eine gemeinsame Entwicklung einer Produktion, einen Einbezug in die Probenarbeit oder um punktuelle Auftritte handelt, wie Manuel Schöbel es in Bezug auf die Teilnehmer der Spielclubs beschreibt, „die spielen bei uns auch relativ häufig [...] mit [...] in Aufführungen; das ist auch möglich, dass da so ähnliche Formen [...] entstehen wie die Formen des Bürgertheaters“ (Schöbel 2016). Eine solche Beteiligung kann entweder für einzelne Personen ermöglicht werden, wie es beispielsweise auch durch den Einsatz von Statisterie und Kleindarstellern praktiziert wird, bei den Landesbühnen gibt es zudem einige Beispiele, bei denen Vereine oder Amateurgruppen bei einer Produktion mitwirken können. Im Falle des HLTM benennt Matthias Faltz beispielsweise die Einbindung von Chören in bestimmte Inszenierungen sowie die Beteiligung eines Tanzsportvereins (vgl. dazu Faltz 2016). Auch bei solchen Produktionen muss die Absicht befragt werden: Geht es um den Einbezug aus marketingtechnischen, künstlerischen oder finanziellen Gründen? Soll durch eine Teilnahme eine zukünftige Teilhabe gesichert werden; über die Familie der Teilnehmenden neue Zuschauer erreicht werden? Ist mit dem Einbezug der Nicht-Profis eine künstlerische Entscheidung verbunden oder gibt es schlichtweg keine Ressourcen für zusätzliches professionelles Personal? Vermutlich wird es auch immer eine Mischkalkulation dieser Gründe sein, wie die Beispiele zeigen, die Uwe Brandt aufführt: „[F]ür ‚Hello Dolly‘ brauchten wir sechs tanzende Kellner. [...] Da hab ich aber keine sechs ausgebildeten Tänzer geholt, sondern [... welche] aus einer freien Hip-Hop[-Gruppe] [...] und diese Truppe haben wir jetzt da rein geholt und haben dann aus diesen 14

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Jungs jeden Abend [...] sechs alternierend auf die Bühne gestellt. Oder ich erinnere, dass wir mal einen Chor brauchten, dann haben wir dann auch keine ausgebildeten Sänger [engagiert], sondern [...] eben auch aus [...] einer freien Ecke“ (Brandt 2016). Dass Uwe Brandt diese Gruppen und Vereine zu den freien Künstlern rechnet, spiegelt sein breites Verständnis von den Darstellenden Künsten wider und kann als Argumentation innerhalb der Diskussion über Grenzziehungen zwischen professioneller und nicht-professioneller Arbeit dienen, denn berücksichtigt werden hier die unterschiedlichen Expertisen, im Falle der Tänzer der Tanzstil und die akrobatischen Fähigkeiten (vgl. ebd.). Durch den Einbezug von anderen Akteuren können sich interessante darstellerische und künstlerische Effekte und zugleich ein Mehrwert für alle Beteiligten ergeben, dessen ist Brandt sich bewusst, „das war eine bewusste Entscheidung [...]. Hat ja einfach was mit Verhältnissen und Beziehungen zu tun. Die Choreographin [...], mit der wir zusammenarbeiten, die ist hier aus dieser Region [...], die holt diese Jungs von der Straße schon seit Jahren [...] ist eine ausgebildete Tänzerin, und macht mit denen [...] Dance, Hip-Hop, alles Mögliche; und da haben wir halt gesagt, okay, dann nehmen wir halt Jungs aus deiner Truppe; [...] das war schon eine klare Entscheidung. [...] Weil die vielleicht auch mal den Theaterbetrieb kennenlernen – sollten oder wollten, [...] war dann auch so. [...] eine tolle Mischung, wenn du so Künstler hast und [...] auf der anderen Seite so normale Leute – [...] da passiert ja auch ganz viel“ (ebd.). Anhand dieser Beschreibung wird deutlich, dass partizipatorische Maßnahmen innerhalb der Vernetzung der Theaterlandschaft durch eben diese befördert werden und entstehen können – und dass die Landeschaft sich eben nicht nur auf Theaterbetriebe erstreckt, sondern auch andere kulturelle Bereiche durchaus innerhalb dieses Netzes eine wichtige Rolle einnehmen können. Zugleich betont Brandt einen weiteren Aspekt: Im besten Falle gibt es nicht nur ein- sondern beidseitige Effekte, dass nicht nur die Teilnehmenden, sondern auch der Theaterbetrieb selbst von diesen partizipatorischen Formaten und Arbeitsweisen profitieren kann. Gleichwohl bleibt grundsätzlich die Frage nach dem tatsächlichen Umgang miteinander innerhalb einer solchen dialogischen Zusammenarbeit: Sind die Beteiligten ein weiteres Element der künstlerischen Gestaltung eines Regisseurs oder Projektleiters oder gibt es eine eigene aktive kreative Mitwirkung, welche die Teilnehmenden sogar zu Mitautoren des Werkes macht? Partizipation als Teilgabe?

Partizipation kann also durchaus auch als ein mehrgleisiger Prozess verstanden werden, und wenn man ihn nicht als Einbahnstraße versteht, ist er verbunden mit einer gewissen Teilgabe: Aktive Teilnahme (in Abgrenzung zu den Maßnahmen der Vermittlung zur Teilhabe) kann nicht nur eine Beteiligung am künstlerischen Schaffen gleich weder Intensität oder Absicht ermöglichen, in gewissem Maße tritt der Theaterbetrieb dazu auch einige seiner Verantwortlichkeiten und Aufgaben ab. Dies kann sich beziehen auf einen Teil der performativen Gestaltung, auf die dramaturgische Arbeit im Sinne einer Stückentwicklung und sogar auf bestimmte Arbeitsbereiche – hier ist zu unterscheiden zwischen der Arbeit mit nicht-professionellen Akteuren und der mit professionellen Akteuren und Strukturen. Die bereits aufgezählten Beispiele der Beteiligung von Gesangs- oder Tanzvereinen können auch in diesem Sinne verstanden werden, dass die Landesbühnen einen bestimmten Part der künstlerischen Gestaltung abgeben in die Hand von Amateuren und sich somit auch von ihnen abhängig machen.

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Hinzu kommt, dass das Theater einen Teil des Erfolgs an die beteiligten Gruppen abtritt und dadurch einen Moment der Identifikation schaffen kann, wie es Manuel Schöbel exemplarisch beschreibt: „[W]enn wir ‚Wie im Himmel‘ spielen und da ist eben in dem Stück vorgesehen, dass am Ende ein großer Chor auftritt, na dann treten in allen unseren Aufführungsorten Chöre aus der Stadt am Ende der Aufführung zu den Schauspielern, um das Schlusslied zu singen; und es ist ein bewegender und schöner Moment, wenn dann im Zuschauerraum plötzlich Leute aufstehen; die waren doch nur Zuschauer – nein sie sind Mitspieler, sie sind am Ende Mitsänger“ (Schöbel 2016). Allerdings scheint es sich bei dem Einsatz der Sänger und Tänzer um einen festen Bestandteil der Inszenierung zu handeln, das Zepter, die Hauptverantwortung für die Produktion bleibt vermutlich dem Theater erhalten. Verständlich, da sich bei diesen Produktionen, die regulär im Spielplan laufen, Erfolg oder Misserfolg maßgeblich auf die Landesbühnenarbeit auswirken und weil die Einbindung unterschiedlicher außenstehender Akteure in den Probenprozess und die Gastspieltätigkeit der Landesbühnen nur schwerlich möglich scheinen. Entsprechend sind solche Momente der Abgabe künstlerischer Verantwortung nur punktuell aufzufinden. Auffällig scheint zudem, dass die Beteiligung von Chören und Tanzformationen mehrfach als Beispiel angeführt wird, der Einbezug von Amateurtheatergruppen jedoch kaum benannt wird.112 Dies scheint einerseits strukturelle Gründe zu haben (wie in den kommenden Abschnitten dargestellt werden wird), könnte jedoch auch wieder auf die gegenseitige Vorverurteilung und Bewertung der Theaterarbeit zurückzuführen sein. Ansatzweise binden die Landesbühnen professionell arbeitende Theater in Prozesse der Teilnahme ein und lassen Momente der Teilgabe zu: Die bereits beschriebene Zusammenarbeit zwischen dem TfN und der Freien Szene im Kinder- und Jugendtheaterbereich ist ein Beispiel hierfür. Das TfN stellt dafür nicht nur Ressourcen bereit, sondern gibt diese Sparte in inhaltlicher und künstlerischer Verantwortung ab – zumindest teilweise, denn die Rückkopplung an das eigene Haus sowie die dramaturgische Entscheidung und Begleitung verbleibt bei dem TfN. Ebenso können die vereinzelten projektbezogenen Zusammenarbeiten von Landesbühnen und Freien Theatern als partizipatorische Prozesse gewertet werden. Gerade die Konfrontation mit anderen Kunstverständnissen und Arbeitsweisen kann anstrengend sein und zusammenhängen mit der Einforderung der Partner, gewisse Bereiche übernehmen oder nutzen zu dürfen – oder anders ausgedrückt, der Bereitschaft des Theaters, diese abzugeben, also Teilgabe zu ermöglichen. Das kann inhaltliche Aspekte berühren, aber auch ganz logistische, eine Herausforderung, mit der das LTT konfrontiert war, als beispielsweise einige Ensemble-Mitglieder im Rahmen des Doppelpass-Projekts mehrfach und parallel verpflichtet waren und daher die regulären Abläufe des Betriebs gestört wurden (vgl. Weckherlin 2016). In gewisser Weise führen partizipatorische Formate und eine Öffnung des Hauses für alles, was über eine Theateraufführung hinaus geht, auch zu einer – teilweisen und zaghaften – Abgabe der Spielplangestaltung und Programmauswahl. Theater sind eben nicht nur Produktions- und Aufführungsbetriebe für Darstellende Kunst, sondern daneben entwickeln sich Angebote unterschiedlichster Genres, die nicht mehr ausschließ-

112 Als Ausnahme ist die gemeinsame Bespielung des Theater Meißen durch die LBS und Amateurtheater zu werten, doch dies bezieht sich ja zunächst auf die Gestaltung eines lokalen Spielplans und nicht auf eine gemeinsame künstlerische Arbeit an Produktionen.

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lich in der Verantwortung der Theaterleitungen liegen, respektive liegen können, da die Kompetenzen unterschiedlich ausgeprägt sind. Thorsten Weckherlin sieht in dieser Öffnung der Theater einen wichtigen Schritt. Er zeigt die Bandbreite der Veranstaltungen im LTT auf und verweist auch auf die damit verbundenen Herausforderungen am Beispiel der „offene[n] Bühne, von den Theaterfreunden organisiert. Das ist dann zum Schreien komisch manchmal, manchmal ganz schrecklich, was da passiert; wenn Theaterwissenschaftler plötzlich aus ihrem Lieblingsbuch lesen; aber ich finde, jeder hat Lust irgendwie mit Farben, mit Licht, mit Ton mit Gesang, mit seinem Körper was zu machen und dann soll er das auch machen, dafür sind wir ja da. Da [...] gibt es ja alle möglichen Anreize, wir sind immer noch zu zaghaft finde ich“ (ebd.). Verfolgt man diesen Gedanken, könnte es sogar soweit gehen, die Deutungshoheit dessen, was Darstellende Kunst ist oder sein sollte, zum Teil an andere Akteure abzutreten: „[W]ie definiert sich Theaterkunst: Ist es, zum Beispiel, die Spielergruppe Frauentheater Purpur, [...] das sind alte Damen bis 93 Jahre alt; [...] grade bei diesen Bürgerbühnen, nennen wir es mal so; ist die Nähe zum Publikum noch viel extremer da und auch so eine Sehnsucht, sich das anzugucken, anzuschauen, auch die Ästhetik oder das Format, einfach mal zu akzeptieren auf einer klassischen Bühne wie hier. [...] die Bude ist immer voll. Ich muss ja drauf reagieren, wenn ich das merke. Das liegt ja nicht nur daran, weil die Familienmitglieder plötzlich im Publikum sitzen, und weil Oma oder der kleine Sohn auf der Bühne herum hüpft. Das ist eine ganz wichtige neue Ästhetikform geworden“ (ebd.). Für die Entwicklung neuer Formate, einer Verantwortungsübergabe hinsichtlich inhaltlicher Ausgestaltungen, sind natürlich auch die eigenen Mitarbeiter, das eigene Ensemble der Landesbühnen eine Gruppe, für die Partizipation im Sinne gemeinsamer künstlerischer Prozesse ermöglicht werden sollte. Nimmt man die Idee von gemeinsamer Theaterarbeit ernst, die Matthias Faltz für sich beschreibt, könnte dies auch dazu führen, mehr künstlerische Verantwortung und Deutungshoheit in die Hand der Mitarbeiter abzugeben. In gewisser Weise geschieht dies auch bereits in spielplanergänzenden Formaten, denn „es wird auch immer [...] vielschichtiger; [...] wir haben innerhalb der Stadt [...] Spielorte, die temporär genutzt werden; dass wir ein leerstehendes Ladenlokal [...] bespielen, mit so kleinen Lesungen und Formaten, die dann so über drei Wochen [laufen], wo die Schauspieler dann noch so Specials [machen], wo die auch Lust drauf haben“ (Faltz 2016). Verbunden mit diesem Ausprobieren kann auch das Loslösen von der Sicherheit sein, dass am Ende ein zu präsentierendes Ergebnis steht und auch diese Freiheit kann Entwicklungen ermöglichen, die dem Theater als relevanten Ort zugutekommen können: „Also dass wir [...] versuchen, permanent zu reagieren; [...] zum Beispiel, einer von den Schauspielern, [...] seine Eltern sind Rumänen, der [...] hat schon angefangen mit einem syrischen Regisseur, mit Flüchtlingen [...] zu arbeiten, [...] ob ein Stück rauskommt, das wird man sehen; also [... man] permanent irgendwie versucht, zu reagieren, was aus dem Ensemble heraus für ein Interesse da ist; als auch da, wo wir das Gefühl haben, müsste man, könnte man eigentlich was machen. Und das macht für mich die Lebendigkeit aus“ (ebd.).113

113 Vgl. hierzu erneut die Ausführungen zu den Hierarchien im Theaterbetrieb und den Überlegungen zu der Stellung theaterpädagogischer Abteilungen innerhalb der Theater, Kapitel 2.2 und Kapitel 4.1.

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4.3.2 Verortung und Bedeutung im Konstrukt Landesbühne Es zeigt sich also, dass sich sowohl das Verständnis von Partizipation als auch die Verwendung der Begrifflichkeiten und die tatsächliche Umsetzung in der täglichen Arbeit sehr vielschichtig gestalten, grundsätzlich das Themenfeld Partizipation jedoch als ein wichtiges angesehen wird. Für die einzelnen Landesbühnen könnten die einzelnen Formate und Angebote der jeweiligen Theater umfangreich und detailliert hinsichtlich Absicht und Umsetzung, Effekt und Nachhaltigkeit und weiteren Faktoren beschrieben werden.114 Hinsichtlich einer Analyse der Landesbühnenstruktur ist jedoch auch in diesem Feld wieder eine Trennung festzustellen und entscheidend: Es herrscht ein enormes Ungleichgewicht zwischen den Angeboten, welche die Landesbühne als Stadttheater und denen, die sie als Reisetheater bereitstellt. Für die folgenden Überlegungen, welchen Stellenwert die partizipatorische Arbeit innerhalb des Konstruktes Landesbühne hat, ist diese Unterscheidung fundamental, da die Rahmenbedingungen die Arbeit in diesem Feld massiv beeinträchtigen und die differenzierten Gegebenheiten auch die Absicht und die Anwendung der Formate bestimmen. Gerade hinsichtlich aller Maßnahmen und Projekte des partizipatorischen Bereichs scheint die Landesbühne in ihrer hybriden Konstruktion gespalten: Absicht und Umsetzung im Stammsitz und unterwegs scheinen beinahe konträr, was auch in Zusammenhang mit der gegenseitigen Verantwortungszuschreibung und Funktionsübernahme in Beziehung steht. Grundsätzlich hat die Bedeutung partizipatorischer Angebote und die Bereitstellung entsprechender Maßnahmen sowie die Entwicklung entsprechender Formate in den vergangenen Jahren zugenommen. Dies äußert sich in den erweiterten Erwartungshaltungen, was Theater zu leisten habe und in der Programmgestaltung der Häuser; so betonen auch die interviewten Intendanten, dass sie in diesem Bereich einiges in Bewegung gesetzt hätten, quantitativ und qualitativ hinsichtlich der Angebotspalette, und zugleich innerhalb ihrer Strukturen. Entsprechend seinem Verständnis, dass ein Theater mehr sein muss als eine Aufführungsstätte, nämlich Anlaufstelle sein sollte, hat Matthias Faltz als Intendant die Strukturen des HLTM entsprechend angepasst, „deswegen habe ich auch diese Abteilung Dramaturgie, Theaterpädagogik, so aufgestockt und [...] umstrukturiert am Anfang, sodass wir für unser kleines Haus eine relativ große [...] Dramaturgie-Abteilung mit vier Dramaturgen [haben]; das ist total ungewöhnlich; wir haben drei Theaterpädagogen, das ist auch viel für das kleine Haus“ (Faltz 2016). In diesem Zusammenhang erwähnt Thorsten Weckherlin ebenfalls diese beiden Abteilungen und zeigt erneut auf, das der immer noch überwiegende Schwerpunkt der theaterpädagogischen Arbeit auf Kunstvermittlung zu liegen scheint. Auch das LTT hat dafür nach eigenen Angaben das Personal aufgestockt: „[W]ir haben drei Theaterpädagogen. Wir haben hier vier Dramaturgen; also da legen wir, [...] besonderen Wert drauf, dass wir diesen betreuenden, erklärenden Part, wirklich was Theaterkunst sein kann, auch hier verstärkt haben“ (Weckherlin 2016).115 Ob mit Theaterkunst nun eine bestimmte Inszenierung oder die Darstellenden Künste allgemein gemeint sind, ist für diese Überlegung nicht entscheidend: Vermittlung, im Sinne einer Heranführung,

114 Dabei würde es sich um weitere einzelfallbezogene Forschungsarbeiten handeln, dieser Ausblick für weitere wissenschaftliche Betrachtungen sei bereits hier angemerkt. 115 Das HLTM und das LTT haben demnach den gleichen Personalschlüssel in diesen Bereichen.

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kann Absichten der Kulturellen Bildung verfolgen, aber auch als Instrument des Marketing, der Öffentlichkeitsarbeit und des Audience Development verstanden werden, das wird durch die Aussagen der Interviewpartner bestätigt. Anhand des Kinder- und Jugendtheaterbereichs kann die Nähe der unterschiedlichen Absichten und Auswirkungen kurz aufgezeigt werden: Bildungs- und Betreuungseinrichtungen sind wichtige Kooperationspartner für Theater, durch sie kommt der Kontakt zu der jungen Zielgruppe zustande, sie liefern Publikum und Partizipierende, durch Schulvorstellungen werden (theoretisch) alle Kinder und Jugendliche erreicht und kommen so in Kontakt zum Theater. Teilnehmer an Beteiligungsformate werden so gefunden und gleichzeitig wird die Auslastung gesichert. Dass sowohl Faltz als auch Weckherlin die Abteilungen Theaterpädagogik und Dramaturgie in einem Atemzug nennen, ist nicht verwunderlich, kulturvermittelnde Aufgaben übernehmen in den Landesbühnen nicht nur die Theaterpädagogen, gerade das Format der Einführungsvorträge oder der Publikumsgespräche wird oft auch von Dramaturgen gestaltet. Darüber hinaus scheinen auch die mit dem Vertrieb beauftragten Personen vermittelnde Tätigkeiten zu übernehmen: Dass es manchmal gilt, den Gastspielveranstaltern eine bestimmte Inszenierung nahe zu bringen oder ein bestimmtes künstlerisches Konzept zu erläutern, ist als Teil der täglichen Arbeit der Landesbühnen beschrieben worden. Für die Gesprächspartner ist partizipatorische und theatervermittelnde Arbeit ein wichtiger Aspekt ihrer Theaterarbeit, die Aussagen hierzu flossen bereits in die Darstellung des Selbstverständnisses ein; ebenso wurde in diesem Zusammenhang bereits auf die ambivalente Situation hingewiesen: Partizipatorische Formate sind hinsichtlich der zusätzlichen Ausgaben und der geringen bis keinen Einnahmen zunächst einmal nicht gut für die haushalterische Bilanz und zugleich scheinen die vorhandenen Ressourcen die gesteigerte Erwartungshaltung sowie die Bedienung der großen Nachfrage nicht ausreichend abzudecken. Selbst wenn innerhalb des Theaterbetriebes entsprechende Stellen vorgesehen sind, sind die Landesbühnen auf zusätzliche Kooperationspartner angewiesen, dies kann eine Institution wie ein theaterpädagogisches Zentrum sein (beispielsweise in Hildesheim, vgl. Gade 2016), oder auch die Kooperation zwischen LBS und den theaterpädagogischen Zentren Dresden und Sachsen vgl. Schöbel 2016) oder es können frei arbeitende Theaterpädagogen sein (ebenfalls beispielsweise beim TfN vgl. Gade 2016 und Radebeul vgl. Schöbel 2016). Wenn man Kunstvermittlung, Teilhabe und Teilnahme zusammen denkt, könnte man jedes Angebot im Bereich des Kinder- und Jugendtheaters als eine strategische Handlung im Sinne eines Audience Development verstehen: Interesse möglichst früh wecken, Menschen dazu verleiten, sich mit den Darstellenden Künsten auseinanderzusetzen; in dieser Hinsicht scheint das Kinder- und Jugendtheater per se missverstanden werden zu können als Mittel zum Zweck. Dieser Gedanke geht einher mit dem Stellenwert von partizipatorischer Arbeit im Allgemeinen und der Arbeit mit jungen Menschen im Speziellen. Als Möglichkeit der Publikumsgenerierung (des aktuellen und des von morgen) gern gesehen, als Möglichkeit zur Kulturellen Bildung angesehen und anerkannt. Aber als gleichwertige Kunstform, gar als ein Schwerpunkt der Arbeit? Längst nicht überall und immer, auch nicht bei den Landesbühnen – auch wenn die

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Intendanten immer wieder die Wichtigkeit dieses Feldes beteuern, bleibt es vergleichsweise ein Nebenschauplatz.116 Bühne der Stadt: Identifikation und Partizipation

Partizipation als Tätigkeitsfeld wird (noch) nicht als so originär und essenziell verstanden wie die Produktion professioneller Theateraufführungen, so ist es auch verständlich, dass die positiven Effekte partizipatorischer Arbeit immer auch als Argument zur Selbstbegründung und Legitimation vorgebracht werden (müssen). Die Unterscheidung in bereits am Theater interessierten Menschen und den Nicht-Besuchern, beziehungsweise den Noch-Nie-Besuchern liegt allen Betrachtungen der Theaterarbeit und den Konzepten von Partizipation zugrunde, wird aber selten ausführlich thematisiert.117 Grundsätzlich scheinen Menschen, die selbst Theater spielen oder an Produktionen beteiligt sind, generell an Theater interessiert zu sein, wie beispielsweise in den Beschreibungen der Effekte der Bürgerbühne Dresden betont wird. Dazu kommt, dass jeder Beteiligte weitere Besucher mit ins Theater bringt – ein Effekt der nicht zu verleugnen und sicher auch nicht negativ wahrgenommen wird: „Das große Bürgerprojekt im Stadttheater machen einen schon die Verwandten voll. Jetzt mal böse gesagt“ (Schombert 2016), so schätzt es Mirko Schombert ein. Neben den positiven Auswirkungen auf die Persönlichkeitsbildung und den sogenannten Transfereffekten und den Aspekten der Kulturellen Bildung, können partizipatorische Angebote weitere Funktionen übernehmen und das jeweilige Theater kann in mehreren Bereichen von ihnen profitieren. Dies wird durchweg als positiv wahrgenommen, auch wenn dies nicht im Fokus stehen sollte. Der direkte Kontakt zu den Menschen in der Sitzstadt, der durch partizipatorischen Maßnahmen gestärkt wird, dient als Verankerung der Landesbühnenarbeit und ist auch ein Teil der Beziehungspflege zwischen Theatermachern und Publikum. Für Matthias Faltz ist selbstverständlich, dass ein Theater als Ort des gesellschaftlichen Diskurses eine Stadt lebenswerter machen könne, „das ist auch interessant für die Stadtgesellschaft, wo Leute bleiben oder sich ansiedeln, die [...] so ein kulturelles Angebot auch brauchen; also das nicht nur irgendwo so ein Klecks in der Peripherie ist, sondern wirklich eine lebendige Stadt und diese Lebendigkeit wird extrem mitgeprägt von einem Theaterensemble. Und das, glaube ich, hat was mit den Machern zu tun. [...] das kann man [... am] Modell Landestheater ganz gut beobachten, wie man mit den richtigen Leuten so ein Ensemble zusammenstellen kann, was in die Stadt hineinwirkt“ (Faltz 2016). Zugleich sei es wichtig, die Frage der Legitimation nicht aus den Augen zu verlieren, dass Theater „den Leuten, die es finanzieren müssen, das Gefühl gibt, das macht total Sinn, dass wir diese Subventionen zahlen“ (ebd.). Damit meint Faltz sowohl die politischen Verantwortlichen als auch die Bewohner einer Stadt, und dieses Gefühl der Sinnhaftigkeit werde gestärkt durch Beteiligungsformate, die eben mehr in die Gesellschaft hineinwirken als die reine Theatervorstellung: „Wenn die aber merken, okay, die Leute kümmern sich um Leute die auf der Straße sind, die kümmern sich darum, dass diese jugendlichen Flüchtlinge sich irgendwie ausdrücken können oder irgendwie über ihre Probleme re-

116 Verwiesen sei auf die obigen Darstellungen und Beschreibungen des Selbstverständnisses von Brandt, Grisebach und Schombert. 117 In der vorliegenden Untersuchung widmet sich unter anderem das folgende Unterkapitel dieser Thematik.

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den können, da gibt es [...] Bewegungstheater mäßig irgendwie Möglichkeiten sich auszudrücken oder sich zu verständigen [...]; das sind ja alles so Sachen, die da am Theater entstehen, wo sonst keiner in der Lage ist, das aufzufangen oder das anzubieten und ich glaube dieses Verständnis oder dieses Bewusstsein für diese Kulturelle Bildung auch für diese Suche nach einem Ort oder dieses Füllen eines Ortes, der jeden Abend einlädt zum Austauschen und gemeinsam schauen und darüber reden; das ja macht so Theater, kann Theater wichtig bleiben lassen“ (ebd.). Die (Wieder-)Herstellung von Relevanz ist also entscheidend; dies kann unterstützt werden durch aktive Einbeziehung der Menschen, oder auch durch die Zuarbeit der Region und ihrer Geschichten; Großprojekte wie „Im Namen der Rose“ in Hildesheim oder der Stendaler „Roland“ können eine starke Bindung zwischen einem Theater und seinem Publikum erzeugen. Identifikation mit dem „eigenen Theater“ kann sogar stärker wiegen als eine Bewertung der Qualität der künstlerischen Arbeit, wie Sibylle Broll-Pape, Intendantin des Theater Bamberg es während der Memminger Tagung beschrieb. Eine Besucherin des Stadttheaters sei der Meinung, das „Münchner Theater sei besser, aber das Bamberger gehöre eben zu ihnen“ (Heinicke 2019, S. 79).118 Bei Projekten mit großer Beteiligung geht es im besten Falle um eine beidseitige Bereicherung, auch hinsichtlich künstlerischer Aspekte – ansatzweise wurde dies exemplarisch bereits angesprochen. Jörg Gade sieht in der Rückkopplung der theaterpädagogischen Arbeit an den Theaterbetrieb einen weiteren wichtigen Aspekt, denn gerade das unmittelbare Feedback, das oft in der theaterpädagogischen Arbeit, bei vermittelnden Angeboten gegeben wird, könne als Input für die künstlerische Arbeit genutzt werden, auch ganz konkret für eine Inszenierung; daher sei es wichtig, „dass die Erkenntnisse, die die Theaterpädagogen gewinnen, [...] – wir machen demnächst ‚Dantons Tod‘; wenn die Theaterpädagogen in den Schulen merken, wir werden immer auf denselben Punkt angesprochen, der offensichtlich missverstanden wird; dann finde ich wichtig, dass das zurückfließt, vielleicht kann man ja relativ einfach was verdeutlichen oder ändern letztendlich auch bis in die Inszenierung hinein“ (Gade 2016). Mirko Schombert reagiert auf die Frage, ob Partizipation die Theaterarbeit oder gar die Theaterstrukturen beeinflussen könne, sehr pragmatisch und ehrlich, insbesondere vor der konkreten Situation der Burghofbühne in Dinslaken: „Ja, es wäre schön, wenn ich jetzt ja sagen könnte, weil das natürlich auch meine eigene Argumentation und meine eigene Überzeugung so unterstützen würde, aber es tut es hier bei uns in der Struktur nur [...] marginal vielleicht. [...] es ist schön, mitzukriegen, das kriegen auch unsere Schauspieler mit, wenn hier eine gewisse Energie über den Hof wabert und die Leute irgendwie da sind [...] dass damit so ein Stimmungsdynamik-Ding mit einhergeht; natürlich sind das Leute, die dann auch unsere Premieren oft sehen, und die uns da dann auch Sachen einfach zurückmelden; wie es ihnen gefallen hat, die sich dann eine Probe angucken und so; das ist auch hilfreich, wie es immer hilfreich ist, Feedback

118 Dass zu identitätsstiftenden Prozessen auch eine Abgrenzung zu anderen gehört, wurde bereits anhand der Befürchtungen der Hildesheimer gegenüber der Fusion des Stadttheaters mit der Landesbühne Hannover beschrieben: Die Angst, das eigene Theater teilen zu müssen, verbunden mit der Annahme, dass sich durch die Änderung der Struktur und des Spielgebietes Änderungen im Programm ergeben würden und das „eigene“ Theater dann an Qualität verlieren würde.

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zu bekommen“ (Schombert 2016). Schomberts Aussage unterstützt die Feststellung, dass Menschen, die aktiv darstellendes Spiel betreiben, dem Theaterschauen gegenüber positiv voreingenommen scheinen; verbunden damit ist auch immer ein Gefühl der Wertigkeit. Dieses kann gegenseitig entstehen, denn die positive Stimmungsdynamik, die er beschreibt, treffe auch das Ensemble und „man sozusagen so ein Gefühl bekommt von: ja stimmt, deswegen mach ich den Job ja auch, weil es einfach geil ist und für andere ist das ein Hobby“ (ebd.). Das Gefühl, etwas Wertvolles zu leisten, selbst teilzuhaben und teilzunehmen an etwas Besonderem, stärkt wiederum die interne Bindung des Ensembles an den Theaterbetrieb; dass ein starker Zusammenhalt gerade innerhalb der Landesbühnenstruktur essenziell ist, zeigten die Ausführungen zu den Arbeitsbedingungen und Selbstverständnissen. Neben dem Gefühl, durch partizipatorische Arbeit etwas Gutes zu tun und vielleicht auch den richtigen Schritt hinsichtlich einer Zukunft der Darstellenden Künste zu gehen, ist die Verankerung, die Achtung durch die lokale Bevölkerung auch entscheidend für den Rückhalt, der gerade in finanziell schwierigen Zeiten notwendig ist: „[D]as ist wiederum sehr sehr instrumentalisierend gedacht, aber eben auch existenziell; in der Spardebatte hat uns das natürlich schon auch geholfen. Zum einen, um zu sagen, hey guck mal, wie wollt ihr die Burghofbühne plattmachen, kommt doch mal, was wir alles machen, wir haben zum Beispiel eine Bürgerbühne; das ist ja immer das, was Kinder- und Jugendtheatern passiert, dass die dann in solchen Spardiskussionen als Argument vor sich her getragen werden – zu Recht auch, aber natürlich instrumentalisiert; und zum anderen, weil darüber nochmal ein anderes Mobilisierungspotenzial auch da war, was Unterschriften und so betrifft. Aber das ist dann natürlich kein künstlerisches Argument; das ist dann tatsächlich das taktische Element dahinter“ (ebd.). Diese Effekte, die nicht unbedingt die künstlerische Arbeit beeinflussen, aber strategisch genutzt werden könnten, beziehen sich auf die partizipatorische Arbeit in der Sitzstadt – für die Reisebühne gehen all diese Aspekte verloren, respektive sind gar nicht erst möglich, denn diese Arbeit sei „nochmal was anderes als in der Stadt, wo man, wenn man da taktisch drauf guckt, über Bürgerbühne und Partizipation [...] in der Stadt sich nochmal mehr vernetzt und damit nochmal mehr Publikum generiert oder sich politisch absichert, oder etwas gesicherter dasteht. Das mag hier in Dinslaken zu einem gewissen Teil auch so sein; aber [...] das bringt uns keine Zuschauer, das bringt uns nicht mehr Verkäufe, also alles das, was man an Stadttheatern zumindest als positiven Nebeneffekt abfeiern könnte, von solchen Partizipationsprojekten, haben wir gar nicht“ (ebd.). Für Schombert stellt sich dennoch nicht die Frage, auf partizipatorische Arbeit zu verzichten, da er und sein Team „die Verantwortung in dem Moment haben, in dem wir ein Theater leiten und gleichzeitig das Gefühl haben, dass das aber zum Theater essentiell dazu gehört; wäre es mir halt auch echt komisch vorgekommen, es nicht zu machen. Und wir machen es ja hier auf kleinem Niveau“ (ebd.). Ein Verzicht darauf hätte also in diesem Sinne eine negative Auswirkung auf seine Theaterarbeit, da ein für ihn notwendiges Element dann fehlen würde. Bühne auf Reisen: Vermittlung und Verantwortungsabgabe?

Die Formate für eine aktive Teilnahme konzentrieren sich bei der Burghofbühne auf ein kleines Angebot in Dinslaken und den näheren Umkreis („ein ausgebautes ClubSystem. Vier verschiedene Spiel-Clubs. Werkstätten, mit Workshops und so“, ebd.), unterwegs, also im Rahmen der Gastspielreisen, können nur wenige, zeitlich klar ab-

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grenzte Maßnahmen realisiert werden: „Was wir unterwegs [...] nur machen können Richtung Partizipation, [...] Anna Scherer macht eigentlich ein klassisches theaterpädagogisches Programm. Workshops, Einführungen, Nachbereitungen, Materialmappen, Projekttage, für alle Produktionen, die hier in der Umgebung stattfinden; sagen wir mal so bis ein, eineinhalb Stunden Fahrt geht; für alles was weiter ist, da fährt sie dann schon mal, wenn es irgendwie geht, mit. Aber ansonsten wird es natürlich schwierig. Dann gibt es noch die Möglichkeit zu Nachgesprächen; zu Einführungen, das machen dann entweder Nadja, eine Dramaturgin oder ich; aber wir können keine dauerhaft angelegten partizipativen Projekte über Dinslaken oder über den Kreis hinaus anbieten. Dafür ist die Struktur einfach eine andere“ (ebd.). Im Gegensatz zu den oftmals zahlreich vorhandenen Angeboten in der Sitzstadt und der unmittelbaren Umgebung, scheint es also für die anderen Orte des Spielgebietes nur rudimentäre Angebote geben zu können, die sich überwiegend auf vermittelnde Methoden fokussieren. Genau wie bei der Frage nach ortsspezifischen Arbeiten oder Kooperationen mit anderen Akteuren ist die ernüchternde Erkenntnis, dass den Landesbühnen für partizipatorische Arbeit im Rahmen ihrer weitläufigen Gastspieltätigkeit Ressourcen fehlen. Ideen und Vorhaben werden daher nicht umgesetzt, obwohl sie als wichtig erachtet werden, wie Kay Metzger meint: „[W]ir haben das immer wieder auf der Agenda, wir haben es nicht realisiert, weil wir jetzt rein logistisch in den Bereich kommen, dass wir das eigentlich mit unserer Manpower als Landesbühne [...] mit der großen Reisetätigkeit gar nicht schaffen“ (Metzger 2016). Ergänzend kommt hinzu, dass semi-professionelle Theaterarbeit, die performativen Ergebnisse von Spielclubs, Workshops oder Bürgerbühnen-Formaten nicht unbedingt als Teil des originären Reiseauftrages verstanden werden: Somit wird auch keine Verantwortung für diesen Bereich gesehen oder von sich aus übernommen – dies hängt natürlich wieder mit den zur Verfügung stehenden Mitteln wie Geld, Personal und Zeit zusammen, denn für alle Sonderaufgaben benötigt es Sondermittel. Gerade hinsichtlich der Angebote für aktive Partizipation zeigt sich die große Kluft zwischen Verantwortungsbewusstsein und Auftrag, Stadttheater zu sein, gegenüber der Beauftragung und Pflicht, als Distributor für Darstellende Kunst zu fungieren – und es verdeutlicht sich auch erneut die Differenzierung zu einem reinen Stadttheater, wie Kay Metzger es in diesem Zusammenhang beschreibt: „[I]ch glaube, das ist tatsächlich ein Unterschied zu den Stadt- und Staatstheatern [...] es ist [...] eher die Aufgabe eines Theaters, das ganz bewusst den Auftrag annimmt, für seine Stadt für seine Bürgerschaft, in seine Bürgerschaft hinein zu agieren. Wir kämen da zu einem Spagat, der uns vielleicht einen Bänderriss herbeiführen würde; weil wir eben so viele Partner haben. Wir müssen ja an Publikümer denken und nicht nur an ein Publikum; und die Ressourcen, [...] wenn ich jetzt sage, ich würde in einer Stadt wie Herford, die ein Bespieltheater haben, so was machen, die könnten wir glaub ich gar nicht abdecken. Man muss dann [...] auch vor Ort sein, man muss sich in den Ort hineingearbeitet haben, hineingedacht haben und nicht von außen drauf gucken, sonst kann [... man] auch keine richtige partizipative Partnerschaft aufbauen. Das ist glaub ich schon ein ganz ganz großer Unterschied, dass wir dieses Modell nicht so ohne Weiteres in die Fläche tragen können“ (ebd.). Allerdings gibt es einige Versuche, auch im Rahmen der Gastspieltätigkeiten ein umfangreiches partizipatorisches Programm anzubieten, dessen Erfolg jedoch nicht nur von den entsprechenden Ressourcen abhängen muss, wie Jörg Gade berichtet: „Trotzdem habe ich immer davon geträumt, [...] doch zumindest an einigen ausge-

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wählten Gastspielorten so etwas doch auch etablieren. Und wir haben eine Theaterpädagogin, [...] der verbiete ich immer, irgendwas in Hildesheim zu machen, [...] sie ist da unglaublich aktiv, in den Gastspielorten dort theaterpädagogisch zu arbeiten, aber es ist uns bisher nicht gelungen, so etwas in einem der Gastspielorte zu etablieren. [...] ich glaube der Grund ist, dass uns zu einem der Support vor Ort fehlt. Und [...] die Logistik. [...] wünschenswert fände ich es nach wie vor. [...] und sei es auch nur ganz hier in der Nähe, Alfeld, ist der nächste größere Ort, der ganz dicht dabei ist, [...] aber wir haben das in Alfeld probiert; es ist gescheitert, [...] die Gründe waren, dass es dort bereits für die, die sich für Theaterspiel aktiv interessieren, andere Angebote gibt; also letztlich kein Bedarf wirklich da war; und es auch letztlich dann immer wieder an so Dingen scheiterte, wie Räumlichkeiten zu haben vor Ort und so weiter“ (Gade 2016). Gade spricht von mangelndem Rückhalt und fehlender Unterstützung, seinen Erklärungen zufolge liegt das aber nicht an einer grundsätzlichen Ablehnung, sondern unter anderem daran, dass in der ausgewählten Stadt bereits Strukturen nicht-professioneller Theaterarbeit vorhanden waren: Die Landesbühne trat also mit ihren Bemühungen in Konkurrenz mit den bereits bestehenden Möglichkeiten für eigenes Theaterspiel – erfolglos, da die lokale Verankerung stärker wog als ein von außen hinzukommendes Angebot und verständlich, da nicht jeder auf eine kulturelle Bereicherung durch Außenstehende wartet. Dieses Beispiel zeigt erneut, wie wichtig es ist, die Theaterlandschaft in all ihren Ausprägungen sorgfältig zu beachten. Gelingende Partizipation braucht Präsenz, Kontinuität und intensive Beschäftigung mit den Menschen vor Ort – all das, was die Landesbühne als Reisetheater eben nicht hat und nicht kann oder nur schwerlich aufbauen kann. Ausnahmen sind nur in den Städten möglich, in denen die Landesbühne versucht, die Singularitäten ihrer Arbeit aufzubrechen, wie es die LBS versuchen: Am „Standort in Radebeul sind wir weit gekommen mit der Öffnung hin zur Mitwirkung und Mitgestaltung des Theaters durch unsere Zuschauer, letzten Endes auch unsere Homepage und unser Repertoire ist darauf ausgerichtet und nun versuchen wir das eben in Schritten an verschiedenen anderen Standorten auch zu schaffen. Ich sag mal Meißen ist eine gute Chance, dass wir da relativ weit kommen, da haben wir dann noch die Burgfestspiele als Höhepunkt im Jahr und eben eine große Nähe, wo wir auch mit den Bürgern, die dort selber kreativ sind, ganz gut in Kontakt kommen können“ (Schöbel 2016). Meißen nennt Manuel Schöbel als Beispiel, nur ist diese Stadt relativ nahe an Radebeul gelegen, die Entfernungen sind nicht so weit; und er spricht wiederum von Menschen, die bereits selbst kreativ sind, es geht also um ein Ansprechen der bereits an Kunst und Kultur Interessierten und nicht um die Eroberung kulturferner oder desinteressierter Personen oder Gruppen. Ein weiterer Ansatz wäre es, gezielt regional zu arbeiten, so führt Schöbel es weiter aus, „wir versuchen das ein bisschen in Freital auch noch zu etablieren und wir haben Theaterpädagogen, die sich so regional besonders spezifisch, zum Beispiel einer, der jetzt anfängt sich mit Neustadt und der Region dort im Elbsandsteingebirge zu befassen; unser Tanzpädagoge, der Michal Sandor, der als freier Künstler mit uns zusammenarbeitet, der hat sehr stark dieses Gebiet in Königstein weiter geprägt und sozusagen immer weiter Projekte angezettelt, die auf Beteiligung aus waren“ (ebd.). Wichtig sei die Prozesshaftigkeit solcher Entwicklungen, die eben auf lokale Gegebenheiten zu reagieren habe: „Aber das ist ein Puzzlespiel und da muss man auch immer wissen, da entsteht was, damit es wieder neu entsteht und manches vergeht dann auch mal für den Moment. Partizipation ist Prozess, das muss und darf immer wieder neu

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beginnen und der andere ist immer wieder frei in seiner Entscheidung, mach ich jetzt weiter, setze ich neu an, höre ich auf mit euch und die Gruppen müssen sich immer wieder finden“ (ebd.). Die Zusammenarbeit mit freien Künstlern und oder Kulturvermittlern, um auch in der Funktion als Reisebühne partizipatorische Arbeit verwirklichen zu können, ist ein Ansatz; doch in diesem Kontext stellt sich erneut die Frage von Verantwortung und Verantwortungszuschreibung: Wenn Partizipation als Teil der Theaterarbeit verstanden wird, darf man die Verantwortung dafür dann abgeben? Wenn ja, an wen? Reichen Projektstrukturen aus; wenn nicht, wie können strukturelle Veränderungen für nachhaltige Angebote angestoßen werden? „Ein Theaterpädagoge an jedem Gastspielort, das wäre für die Theaterpädagogen der Landesbühnen in Deutschland, die aufgrund der Abstechersituation ihrer Häuser vor besonderen Aufgaben stehen, ideal“ (Landesbühnengruppe im Deutschen Bühnenverein 2014), so fordern es die Landesbühnen. Kay Metzger greift diesen Gedanken im Gespräch auf, verbunden mit dem Hinweis, dass dort, wo in den Gastspielorten theaterpädagogisch gearbeitet würde, alleine dadurch bereits Ansatzpunkte und Potenziale entstünden: „Das geschieht in gewisser Weise an den Bespieltheatern, es sind leider nicht gar so viele, die eine eigene Theaterpädagogik haben; da merken wir schon mal, das da ein ganz anderer Rückenwind da ist; ich würde mir [...] wünschen, dass jedes Bespieltheater einen eigenen Theaterpädagogen hat; [...] der hat die Nähe zu den Schulen, zu den Jugendlichen; der hat die Nähe zum Befinden einer Stadt und zum Anfühlen einer Stadt“ (Metzger 2016). Den Gastspielorten diese Verantwortung zu übertragen, scheint einerseits eine sinnvolle Schlussfolgerung zu sein, andererseits ist dies auch ein Eingriff in die Struktur der Gastspielhäuser, denn wen sollte dieser Theaterpädagoge alles mitbetreuen? Nur die Landesbühnenproduktionen? Oder das Gesamtprogramm des Hauses? Das würde seine Tätigkeit auf eine Vermittlung fokussieren. Oder ist damit eine allgemeine theaterpädagogische Arbeit gemeint, die sich nicht auf Produktionen bezieht, sondern offener partizipatorischer gestaltet ist? Eine grundsätzliche Übertragung der Verantwortung von theaterpädagogischer Arbeit an die Gastspielorte würde die Trennung zwischen Kunst produzierendem Betrieb und partizipatorischer ausgerichteter Arbeit verstärken. Die Frage nach einer Verantwortung und deren Zuschreibung steht in Zusammenhang mit der Deutung des eigenen kulturpolitischen Auftrages, dessen Grenzen und Chancen; Mirko Schombert sieht die Beauftragung und die Mechanismen des Gastspielmarktes sogar einer Ausweitung der partizipatorischen Arbeit im Gastspielbetrieb entgegengesetzt: „Wenn man Bürgerbühne groß denkt, [...] dann würde das ja bedeuten, dass wir hier eine große Abendspielplan-Produktion mit Amateuren unter professioneller Regie umsetzen. So verstehe ich ja Bürgerbühne im Stadttheaterbetrieb. [...] dann muss man mit den Amateuren ein paar Spieltermine absprechen, aber dann macht man das. Aber da wir eben so viel unterwegs sind, mit Übernachtungen teilweise dann eine Woche und so, ist das hier organisatorisch gar nicht möglich, und deswegen können wir es auch als große Produktion nicht machen, plus auch hier, es würde ja wieder keiner kaufen. [...] Warum sollte irgendjemand [...] im Allgäu hier unsere tolle Produktion der Dinslakener Seniorengruppe [...] einladen. Wird nicht passieren. [...] so viel Realitätssinn habe ich da inzwischen entwickelt. Und die könnten wiederum nicht [...] tagelang weg sein und darum geht es dann leider nicht. Aber hier vor Ort geht es; und ja das ist uns wichtig“ (Schombert 2016). Bürgerbühne bleibt also für die Landesbüh-

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nen ein Extra, etwas, was sich der Stammsitz gönnen kann; die Produktionen scheinen für andere, ortsfremde Zuschauer und somit die Gastspielorte wohl nicht interessant (ob aus inhaltlichen oder ästhetischen Gründen ist zunächst unwesentlich) und grundsätzlich nicht für den Gastspielmarkt und die Reisetätigkeit geeignet. Die Dinslakener und übertragen auf die anderen Landesbühnen, die Menschen im Stammsitz, werden also bevorteilt gegenüber denen in den Gastspielorten. Doch wie das Beispiel Alfeld zeigt: Ist es wirklich als Benachteiligung zu sehen, wenn man nicht jedes partizipatorische Format und Angebot versucht zu kopieren und auf andere Städte zu übertragen? Einen reisenden Bürgerbühnen-Leiter zu etablieren, oder ähnliches, wäre das möglich? Mirko Schombert stellt sich dieser Frage kritisch: „Ja, kann man machen, aber ich frag mich warum? Also, warum soll ich von Dinslaken aus irgendwo nach Bayern runter fahren um da eine Bürgerbühne zu gründen. [...] im Idealfall ist eine Bürgerbühne ja auch lokal verankert und wer immer die leitet, oder wer immer dafür verantwortlich ist, sollte ja seine Leute kennen und ein Gespür für die Region, für die Besonderheiten haben, für die Themen, die dort irgendwie grade akut sind; und da finde ich eigentlich wichtig, dass da jemand lokal ist. Zumindest eine Person, die dann da irgendwie organisiert und Kontakte herstellt und weiß, wie die ticken; als wenn irgendwo aus [...] hunderten Kilometer Entfernung irgendwer angereist kommt und [...] schnell mal was macht“ (ebd.). Diese inhaltlichen Gegenargumente stützt Schombert erneut mit den organisatorischen Hindernissen, also ähnlich wie bei der Frage nach möglichen Kooperationen mit den Freien Theatern: „Mal davon abgesehen, dass [...] ganz oft die Bürgerbühnenprojekte [...] – das ist jetzt ein rein organisatorisches Ding, aber anders als klassische Produktionen ja nicht, fünf, sechs Wochen am Stück durchgeboxt werden – die großen schon – aber ganz oft sind es ja trotzdem auch Sachen, die dann ein-, zweimal die Woche laufen und dafür dann über einen längeren Zeitraum. Spätestens da wird es ja auch strukturell organisatorisch ein bisschen überdenkenswert, ob das dann auch sinnvoll ist, dass da immer Leute hin und her reisen“ (ebd.). Selbst wenn es den Willen, die Unterstützung und die Möglichkeit gäbe, scheinen die Arbeitsabläufe einer Ausweitung der partizipatorischen Arbeit zuwider zu laufen. Ansatzweise haben die LBS und auch das HLTM für diese Herausforderungen Kompromisslösungen gefunden: Die bereits erwähnte Inszenierung „Wie im Himmel“ der LBS bindet lokale Chöre ein, da es sich aber um die Schlussszene handelt, ist dies mit wenig Probenaufwand verbunden. Ähnlich arbeitet das HLTM bei einer Produktion ebenfalls mit lokalen Akteuren; würde beispielsweise die Stadt Rüsselsheim eine Aufführung von „Die Ereignisse“ anfragen, würde das HLTM diese dann „wirklich mit einem Chor aus Rüsselsheim machen“ (Faltz 2016). Solange es um eine punktuelle Beteiligung geht, ist diese relativ einfach umzusetzen, wenn jedoch eine lokale Gruppe so in die Inszenierung eingebunden ist, dass sie eben nicht eins zu eins durch eine andere ersetzt werden kann, bedeutet dies eben einen größeren Aufwand – in logistischer und finanzieller Hinsicht, wie Matthias Faltz beschreibt: „[Z]um Beispiel haben wir ‚Cinderella‘ auf dem Marktplatz gemacht und da gibt es auch einen großen Frauenchor, das spielen wir nächstes Jahr im Sommer in Dreieichenhain auf den Burgfestspielen, und da würden wir aber unsere Leute auch mitnehmen. Also da fahren wir dann mit zwei Bussen [...] – das ist aber für den Veranstalter relativ teuer“ (ebd.). Eine solche Verteuerung kann natürlich auch wiederum zu Unverständnis führen, wenn der (scheinbare) Mehrwert, der sich durch die Beteiligung Dritter ergibt, für die Veranstalter nicht nachvollziehbar ist oder den Aufpreis aus ihrer Sicht nicht rechtfertigt.

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Matthias Faltz akzeptiert jedoch, dass im Zweifel eine Produktion mit der Einbindung nicht-professioneller Akteure eben auch nicht dem Gastspielmarkt zur Verfügung gestellt werden kann – diese Einstellung muss ein Theater sich ebenfalls im wörtlichen Sinne leisten können, denn eine solche Ausnahme innerhalb des Betriebs, die nicht auf Reisen geschickt werden kann, kann zu finanziellen Einbußen führen und, je nach Auslegung, sogar dem eigentlichen Auftragsverständnis widersprechen. Faltz sieht hierin die Theaterleitung in der Verantwortung zu priorisieren, wenn er sagt, „es gibt solche Fälle, [...] dass wir zum Beispiel jetzt eine Anfrage bekommen haben, ‚Nathan der Weise‘, [... für] 2017; da spielt aber ein Chor mit, mit Jugendlichen und der ist relativ wichtig; also das sind [...] 15 Jugendliche, wo ich gesagt hab, [...] das kann man nicht absichern; da sind die Jugendlichen schon irgendwo zum Studium und was auch immer, das ist nicht seriös, also dass wir das dann irgendwie fünfmal umbesetzen, und deswegen hab ich gesagt nee, können wir nicht zusagen“ (ebd.). Das vermutete Gefälle innerhalb der partizipatorischen Arbeit der Landesbühnen (vgl. Kapitel 3.2.3) scheint sich zu bestätigen und die Erwartung, dass die Landesbühnenarbeit sich an aktiveren Formen der Partizipation ausrichten (sollte), kann nicht erfüllt werden; schlichtweg, weil dafür die Freiheiten zu fehlen scheinen: Formate aktiver Beteiligung werden im Schwerpunkt in der eigenen Stadt oder im engeren Umfeld angeboten, teilweise durch Kooperationen umgesetzt. Im reinen Gastspielbetrieb scheint sich Partizipation auf die Teilhabe an einem Theatererlebnis und auf Theatervermittlung zu beschränken – vermittelnde Maßnahmen scheinen in den Gastspielorten sogar eine noch wichtigere Rolle einzunehmen als im Stammsitz. 4.3.3 Publikum und Nicht-Besucher Diese Feststellung verweist auf die unterschiedliche Wahrnehmung und Betrachtung der diversen Publika. Das Gastspielpublikum scheint mehr Vermittlung vonnöten zu haben – wegen der Seherfahrungen, die sich verschieden ausprägen können und wegen des Rezeptionsverhaltens, das Kay Metzger beschreit: „Wenn ein Stadttheater eine Inszenierung erstellt, spielt es diese Inszenierung je nachdem zwölf-, 15-mal und das Publikum kann sich ein bisschen sortieren, es kann sich rum sprechen, es ist so und so geworden; einige wollen es vielleicht nicht sehen, weil es ein zu radikaler Regieansatz ist, andere wollen es dann erst recht sehen; diese Möglichkeiten gibt es ja an Gastspielorten nicht. Man muss abends kommen und auf den Punkt genau abliefern und dieses Rezeptionsverhalten hat man natürlich im Hintergrund – es gibt mit Sicherheit Inszenierungen und künstlerische Ansätze, die man mit großer Freude in größeren Theaterstandorten – Berlin, Hamburg, Stuttgart, Frankfurt – verteidigen kann, mit denen man aber auf einer Gastspielbühne möglicherweise Schiffbruch erleiden würde“ (Metzger 2016). Diese Aussage verdeutlicht noch einmal gut das grundlegende Spannungsfeld, in dem sich Landesbühne als Konstrukt bewegt: Immer der Vergleich zum (künstlerisch anspruchsvolleren) Stadttheater und die singuläre Anwesenheit auf Reisen als grundsätzliches und problematisches Charakteristikum. Metzger beschreibt hier also einen Unterschied zwischen dem Publikum in den Städten mit eigenem Ensembletheater und denen ohne; seine Kollegen schätzen die Situation unterschiedlich ein, was natürlich auch vom jeweiligen Spielgebiet und den jeweiligen Gastspielorten abhängig ist.

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Friedrich Schirmer geht bei seiner Spielplangestaltung in der WLB nicht von eventuellen unterschiedlichen Geschmäckern des Publikum aus, sondern betont die Bedeutung der Inhalte und der Themen: „Wir bemühen uns keinen Spielplan so nach dem Kalkül zu machen, sondern [...] es muss alles überall eigentlich funktionieren und natürlich gibt es so Stoffe wie ‚Die Bauernoper‘ oder ‚Die Glückskuh‘, die in den ländlichen Orten besser funktionieren als hier, weil es dann doch vielleicht einen kleinen großstädtischen Dünkel solchen Stoffen gegenüber gibt, aber das interessiert uns eigentlich nicht; [...] wenn wir einen Stoff interessant finden, dann wollen wir ihn erzählen. Dann wollen wir ihn hier erzählen, aber genauso gut in Ilshofen oder Gerabronn oder Gerlingen, was nun unser Abstecher auch bringt. Da gibt es für mich keinen Unterschied“ (Schirmer u. a. 2016). Ähnliches stellt Thorsten Weckherlin fest: „Ich mache keinen Unterschied, zwischen dem Publikum. Ich glaube jeder hat Lust, eine spannende Geschichte erzählt zu bekommen“ (Weckherlin 2016), er schränkt jedoch zugleich ein, dass es dennoch eine gewisse Differenzierung gebe, denn „von der Altersstruktur mach ich aber einen Unterschied. [...] Tübingen ist eine relativ junge Stadt [...]; heißt nicht, dass jetzt [...] nur Studenten hier reinkommen, [...] aber die Klientel, die hier rein kommt, ist altersmäßig bestimmt jünger als die Klientel, die wir in der Stadthalle in Sigmaringen bespielen“ (ebd.). Schirmer beschreibt, dass das Verhältnis zwischen Publikum und Stückauswahl manches Mal von einen gewissen Hochmut geprägt sein könnte – dass also die Großstadt die Stoffe, die für das ländliche Publikum geeignet scheinen, von vorneherein als unpassend bewerten würde – mit diesen Vorverurteilungen hat auch Jörg Gade Erfahrung sammeln müssen; die Vorbehalte der Hildesheimer gegenüber der Umwandlung des Stadttheaters in eine Landesbühne wurden oben stehend bereits behandelt. Für Gade führten die behaupteten Unterschiede zwischen Stadt- und Provinz-Publikum und seine (nach eigener Beschreibung trotzige) Reaktion auf die Diskussionen darauf zu einer Fehlentscheidung für die Spielplangestaltung, wie er reflektiert: Die Befürchtung, dass das Niveau des Hildesheimer Theaters durch die Fusion absinken könne, „führte aber dazu, dass [...] wir in der ersten Spielzeit einen Schauspielspielplan aufgelegt [haben], den ich mich als Landesbühne nicht getraut hätte [...]. Interessant [...] war die Reaktion, und das, was wir dann erlebt haben; wir hatten einen unglaublichen Zuschauereinbruch in Hildesheim und wir hatten die selben wütenden Diskussionen in Hildesheim wie unterwegs. [...] hat uns eine Menge Probleme gemacht, dieser Spielplan; [...] aber die wichtigste Erkenntnis war: Das was unser Publikum in Hildesheim von einem gelungenen Theaterabend erwartet, unterscheidet sich nicht in einem Punkt von dem, was unser Garbsener, unser Burgdorfer oder Bad Bevenser Publikum erwartet. Die Unterscheidung ist eine behauptete. Es gibt sie nicht“ (Gade 2016). Was Gade in einem Nebensatz anklingen lässt, dass er sich normalerweise als Landesbühnenintendant nicht getraut hätte, so einen Spielplan zu machen, unterstreicht erneut die Abhängigkeit der Landesbühnenarbeit von einem erfolgreichen Gastspielverkauf und die Beeinflussung der künstlerischen Entscheidungen von den damit zusammenhängenden Mechanismen. Wenngleich Gade feststellt, das kein Unterschied in den Erwartungen und Geschmäckern bestünde, kann die heterogene Situation des Spielgebietes Konsequenzen für die Spielplangestaltung haben. Ausgehend von der Beauftragung, möglichst vielen Menschen eine Teilhabe zu ermöglichen und Zugänge zu schaffen, sollten möglichst viele Menschen angesprochen werden. Dies kann durch möglichst passende Angebote

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für spezifische Publika umgesetzt werden, wie Matthias Faltz für das HLTM darlegt. Er sieht die gezielte Ansprache bestimmter Zielgruppen als Teil seiner differenzierten Beauftragung als Stadttheater für die Bürger Marburgs, als Reisebühne und als Kinderund Jugendtheater: „Das heißt, wir versuchen, also nicht nur [...] verschiedene Theaterformen und verschiedene Autoren und verschiedene Zeiten, [...] zu präsentieren, wir haben auch sozusagen durch diese verschiedenen Zielgruppen noch verschiedene Vorgaben; und deswegen funktioniert es glaube ich auch zusammen, dass ich für Marburg ein Theater mache, weil es hier auch die Leute gibt wie in Rüsselsheim, die vielleicht einen ähnlichen Geschmack haben oder wie in Rüsselsheim ein Theater-Abo haben, die gibt es ja in Marburg auch; aber wenn ich [...] mich jetzt sozusagen nur um die [...] Zielgruppe Studenten in Marburg kümmern würde, hätte ich möglicherweise Schwierigkeiten mit den Gastspieltheatern, dass die sich nicht so dafür interessieren würden, was wir machen; deswegen ist es so eine breite Palette“ (Faltz 2016). Die Erfüllung des Auftrages und des eigenen Anspruches scheint also leichter, wenn sich die Publika innerhalb des Spielgebietes nicht zu sehr voneinander unterscheiden, daraus ließe sich folgern, dass ein kleines Spielgebiet im Sinne der konkreten Ansprache besser wäre, als ein großflächiges; dies ist jedoch eine Variable, die die Landesbühnen nicht oder nur zu einem kleinen Teil selbst bestimmen können, da sie abhängig ist vom Auftrag und der finanziellen Situation.119 Faltz setzt den notwendigen Erfolg beim jeweiligen Publikum in den Kontext der Marktsituation und seines eigenen Rollenverständnisses; „deswegen stimmt das, dass wir uns als Theater für Marburg verstehen, mit dem entsprechenden Publikum, nämlich auch der Aufgabe für junge, für studentische Zuschauer Angebote zu machen [...] – das ist ja nicht nur der Titel, [...] die Umsetzung muss ja auch funktionieren, wenn [...] hinterher die Lehrer beim [...] Weihnachtsmärchen – da sitzen irgendwie 800 Leute in Rüsselsheim – wenn die dann hinterher alle sagen: ‚Oh Gott, was ist denn das für ein Quatsch¿ [...] – selbst wenn da Schneekönigin drüber steht, kann es ja alle Leute irgendwie irritieren; dann laden die uns nicht wieder ein; aber das ist zum Glück nicht so, [...] es funktioniert sowohl in Marburg, als auch in den Gastspielorten“ (ebd.). Diese Beschreibung beinhaltet zwei weitere wichtige Aspekte für die Betrachtung des Themenfeldes: Dass ein bekannter Titel nicht unbedingt etwas über die Inszenierungsweise aussagt und eventuell die Erwartungen des Publikums oder des Veranstalters gegensätzlich zur Umsetzung durch die Theater stehen können, wurde bereits auch unter Berücksichtigung der Aussagen Mirko Schomberts als ein Faktor der Landesbühnenarbeit beschrieben; darüber hinaus wird klar: Das Publikum, also die Zielgruppen, die von der Theaterarbeit angesprochen werden und die unmittelbar mit dem Ergebnis der künstlerischen Arbeit in Kontakt kommen, dieses bewerten, sind nicht nur die tatsächlichen Zuschauer vor Ort (im Stammsitz und unterwegs), sondern auch die Mittlerpositionen: Im Falle des Kinder- und Jugendtheaters hauptsächlich die Lehrer und

119 Siehe hierzu die Ausführungen zu den Arbeitsbedingungen und den jeweiligen Aufträgen: Ein bestimmtes Spielgebiet ist vom Grundsatz her bei manchen Bühnen bereits durch die Beauftragung definiert, beziehungsweise die geldgebenden Städte müssen bedient werden. Bei anderen ist das Spielgebiet sehr großflächig und nicht eingeschränkt, aufgrund der Abhängigkeit von den Einnahmen oder weil die Landesbühne ein großes Gebiet versorgen muss, weil dort großer Bedarf besteht und wenig anderes Angebot vorhanden ist; vgl. Kapitel 3.2 und Kapitel 3.3.

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Betreuer, im Falle des Gastspielmarktes zusätzlich auch noch die jeweiligen Veranstalter. Diese Staffelung bringt einige für die Landesbühnen spezifische Herausforderungen mit sich, die bereits unter dem Begriff „Split-Audience“ thematisiert wurden (vgl. Kapitel 4.1.3) und die im weiteren Verlauf als charakteristisch für die Gastspieltätigkeit und mögliche Stellschrauben für Veränderungen genauer betrachtet werden müssen. Das Publikum als Begrifflichkeit ist in sich auch mit einer Doppeldeutigkeit behaftet, das Duden-Wörterbuch definiert es als „Gesamtheit der Zuschauer, Zuhörer einer Veranstaltung“ (Duden online 2019) und zugleich als „Gesamtheit von Menschen, die an etwas Bestimmtem, besonders an Kunst, Wissenschaft o. Ä., interessiert sind“ (ebd.) – es sind damit also sowohl der konkrete Zuschauerkreis als auch die potenziellen Besucher gemeint. Im Falle der Landesbühnen muss man also von einer Vierteilung ausgehen, welche die Komplexität der Herausforderungen der Landesbühnenarbeit unterstreicht: Neben den tatsächlichen Besuchern und den potenziellen setzt sich diese Teilung fort in der getrennten Betrachtung des Publikums im eigenen Stammsitz vor Ort und dem in den Gastspielorten, also unterwegs. Bei mehreren Dutzend Spielorten (oder sogar knapp 100, wie bei der Burghofbühne Dinslaken) kann man gar nicht jedes Publikum genauer kennen (vgl. Schröck 2018a); im besten Falle kennt man die jeweiligen Veranstalter gut und diese wiederum kennen die Menschen in ihren Gemeinden entsprechend. Bei all diesen Beschreibungen und Überlegungen des Gesprächspartner wird meist von bereits an Kultur interessierten Menschen ausgegangen. Der Nicht-Besucher, oder der Noch-Nicht-Besucher wird bei den Reflexionen über die eigene Arbeit nur punktuell thematisiert, gleichwohl er im öffentlichen Diskurs verstärkt als potenzielle Zielgruppe wahrgenommen und eine Ansprache dieser Gruppen von den Trägern teils eingefordert wird. In kulturpolitischen Forderungen, wie den Zielvereinbarungen mit dem TfN, sieht Jörg Gade jedoch diesbezüglich ein Auseinanderdivergieren zwischen den Notwendigkeiten und den Bewertungen, welche Ausrichtung vielleicht wichtiger oder und ebenso wichtig wäre: „[W]enn aus der Politik die Forderung kommt, machen Sie doch mal was für bildungsferne Schichten, machen Sie doch mal was für Menschen mit Migrationshintergrund; ich im Grunde genommen sagen muss: ja, das finde ich wichtig, aber eigentlich ist mir eine andere Zielgruppe viel wichtiger, viel naheliegender; nämlich die Zielgruppe derjenigen, die – ich sehe einfach mit Sorge, dass wir eine wachsende Zahl von kultur- und theaterinteressierten Menschen haben, die, wenn ich sie anspreche, sagen sie mir doch, sie finden Theater ganz toll, [...] gehen auch gerne ins Theater – ‚ja, wann warst du denn das letzte Mal da? – Oh das war, oh das war, was war denn das? Das war, das war 2001‘“ (Gade 2016). Gleichermaßen beschreibt Uwe Brandt eine (notwendige) Hinwendung zum potenziellen Publikum, denn „sie sind alle herzlich willkommen – die Gruppe, wo auch Stadttheater viel mehr für tun können und auch müssen, so die Studenten und Schüler der oberen Jahrgänge und [...] Menschen zwischen 30 und 50. Die also dann auch eine gewisse Theateraffinität vielleicht entwickelt haben bis dahin [...]. Leute die dann auch bereit sind, vielleicht auch, weil sie es können, dafür Geld auszugeben, dafür Zeit zu opfern; ich meine auch Leute, wo junge Familien gegründet worden sind und man in der Lage ist, sich auch wieder mal einen Babysitter zu gönnen [...]; an die ranzukommen, ist relativ schwierig“ (Brandt 2016). Er bestätigt somit mit seinen Erfahrungen aus der Praxis, was die Nicht-Besucherforschung feststellt: Ältere und jüngere Menschen scheinen leichter erreicht werden zu können, als ein potenzieller mittelalter Zu-

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schauer; warum es diese Lücke gibt, kann unterschiedliche Ursachen haben. Brandt bringt diese Gedanken auch in den Kontext des demografischen Wandels und der unterschiedlichen Bedeutungen von Theater für die Menschen und der unterschiedlichen Mobilität und Motivation: „[Es] gehen [...] deutlich weniger Leute ins Theater und das ist natürlich in ländlichen Gebieten [...] wahrscheinlich dann auch zwangsläufig so, dass man da eben ganz schwer nur an jüngere Menschen dran kommt oder die auch eher, muss man schon auch sagen, Lust haben, dann in die Stadt zu fahren, in ein Theater, was dann noch mehr an Komfort oder auch an künstlerischen Möglichkeiten bietet“ (ebd.). Landesbühnentheater erreicht, auch das eine Bestätigung des bereits Gesagten, nur eine bestimmte Klientel. Die Verantwortung, sowohl bereits Interessierte zu überzeugen, eine Theateraufführung zu besuchen, als auch ganz neues Publikum anzusprechen, also einen wichtigen Teilbereich von Theaterarbeit, treten die Landesbühnen an die Gastspielorte ab: Die Publikumsansprache vor Ort, sowohl im Sinne einer Öffentlichkeitsarbeit und Marketings als auch im partizipatorischen Bereich wird zu deren Aufgabe. Auf die komplexe Situation, dass wiederum die Veranstalter nicht nur in Vertreterposition für das Publikum entscheiden, sondern auch in Rechtfertigung gegenüber ihres Auftrages und vor dem Hintergrund notwendiger zu erfüllender Vorgaben, wie beispielsweise einer guten Auslastung, die für die Finanzierung des Betriebs unerlässlich ist, wurde im Kontext der Arbeitsbedingungen und Abhängigkeiten hingewiesen. Trotz aller Absprachen und gemeinsamer Einschätzungen, welche Stücke wohl erfolgreich sein könnten, kann der tatsächliche Zuspruch davon abweichen. Matthias Faltz führt einige Beispiele auf, die zeigen, dass man auch bei aller Erfahrung mit seinen Vermutungen nicht immer richtig liegt: „‚Nathan der Weise‘, ist ein Klassiker, wo man sagen könnte, das interessiert viele; das ist von der Umsetzung schon anspruchsvoll, [...] in Marburg [...] funktioniert es gut, aber wir reisen damit nicht viel. Anderes Stück, ‚Paradies hungern‘, ist eine Uraufführung, [...] funktioniert in Marburg okay, ist jetzt nicht der Knaller, obwohl es eine interessante [...] und eine wirklich anspruchsvolle [...] Umsetzung [ist]; aber von den Veranstaltern hat sich dafür keiner interessiert. ‚Soul Kitchen‘ ist etwas, was wir für Marburg gemacht haben, in dieser Galeria Classica, es ist ein spezieller Spielort, [...] eine Kneipe rein gebaut in ein ehemaliges Autohaus; was aber die Veranstalter vom Titel her und von dem, was sie da vermuten, interessiert, haben wir jetzt auch schon mehrmals auf Gastspiel gespielt und [...] es funktioniert auch da“ (Faltz 2016). Ganz eindeutig lassen sich weder das Buchungsverhalten noch die Reaktionen hervorsagen (vgl. Kapitel 4.1.3). Gleichwohl wird durch die Aussagen Faltz’ erneut eine Unterscheidung der Publika betont: „Es gibt sowohl Stücke, die wir für Marburg speziell denken und machen, die [...] am Gastspielort funktionieren; es gibt aber auch Stücke, die wir machen, weil wir denken, das könnte auch [...] Gastspielhäuser mit interessieren; die dann aber nur in Marburg gespielt werden. [...] das ist jedes Jahr neu, [...] das ist ganz seltsam, es gibt [...] keine Agenda, die man abarbeiten könnte, um erfolgreich zu sein“ (ebd.). Die gestufte, über Umwege stattfindende Publikumsansprache und umgedreht auch das verzögerte Feedback erschweren die Spielplangestaltung; dass auch die Einschätzung der Veranstalter hinsichtlich ihres Publikums und seiner Erwartungen und dessen tatsächlichen Reaktionen differieren können, wurde bereits beschrieben. Methoden zur Publikumsforschung, eine Befragung ihrer Interessen und Wünsche, die längst nicht bei allen Theaterbetrieben Standard sind, richten sich im Falle der Landesbühnen in

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erster Linie zunächst an die Veranstalter – wobei dieses Verhältnis wiederum ein anderes ist, als der direkte Bezug zu den Zuschauern. Mirko Schombert beschreibt für die Burghofbühne ein Verfahren, in das enge Partner einbezogen werden: „Ganz am Ende kann es schon mal sein, dass [...] bei ein, zwei Positionen wir uns irgendwie unsicher sind; und [...] dass wir dann an einige Bespieltheater, allerdings dann ausgewählte, mit denen wir eh auch vertrauensvoll schon lange zusammenarbeiten, so eine Art inoffiziellen Fragebogen schicken. [...] da stehen dann irgendwie fünf Titel drauf und liebe Leute, das heißt jetzt nicht, dass ihr die gerade wählen dürft, ist jetzt nicht so ein Thalia-Theater-Modell, es kann auch trotzdem was ganz anderes werden, aber, es würde uns helfen und es würde uns interessieren, wenn ihr einfach mal eine Rückmeldung gebt. Das [...] geht an die, mit denen wir eh im persönlichen Kontakt sind, eine Handvoll, wo man das so halb offiziell macht“ (Schombert 2016). Alle Positionen aller Gastspielorte und aller verschiedenen Publikumsgruppen zu berücksichtigen, würde die künstlerische Arbeit der Landesbühne sehr einschränken und eine Bedienung aller Erwartungen und Geschmäcker wäre vermutlich unmöglich.120 Also doch eher eine Spielplangestaltung, die im besten Falle einen möglichst breiten Schnitt der Zuschauer anspricht? Die Krux, die hinter dieser Frage steckt, beschäftigt alle Theater und auch die Landesbühnen. Uwe Brandt nähert sich ihr mit einer grundsätzlichen Überlegung zur Theaterkunst; „da haben natürlich viele Menschen auch unterschiedliche Meinungen zu. Aber es darf auf keinen Fall, meiner Meinung nach, eine Form von Theater sein, die nur für die da ist, die sie machen“ (Brandt 2016), sondern Theater müsse „für alle [sein], ja vor allen Dingen fürs Publikum. Ich [...] glaube Theater funktioniert seit eh und je nur deswegen, weil es Leute gibt, die es machen und Leute, die es angucken. Wenn der eine fehlt und der andere nur da ist, ist das relativ langweilig“ (ebd.). Damit dies gelingen kann, müsse man die Menschen kennen, das sei essenziell und – hier spiegelt sich sein Verständnis von Theater wider, das er als nicht-elitär zu betrachten versucht – er habe kein Verständnis, wenn die Theatermacher „nicht wissen, in welcher Stadt sie sind, für welche Leute sie das machen, das geht ja auch manchmal hanebüchen aneinander vorbei“ (ebd.). Die Sensibilität für den Ort und seine Bewohner sei entscheidend, für das Grenzlandtheater Aachen ist dies aufgrund seiner Struktur in anderem Maße umsetzbar als für Landesbühnen mit breitem Spiel- und Aufgabengebiet. Insbesondere in den weiter entfernten oder nur selten besuchten Gastspielorten scheinen die dortigen Menschen, sowohl das Publikum als auch die Nicht-Besucher gar nicht greifbar. Friedrich Schirmer bemüht sich daher, mindestens einen Fernblick auf die Reaktionen des jeweiligen Vorstellungspublikums zu erhalten. Bei allen Aufführungen seien Mitarbeiter der Landesbühne vor Ort und gäben Feedback per Kurznachricht; dies sei neben den Einführungsgesprächen ein möglicher Moment der Kontaktaufnahme mit dem Publikum, „bei jeder Produktion, die reist, sind zwei Assistenten dabei – einer auf der Bühne, einer im Zuschauerraum und ich kriege nach jedem Abstecher in der Nacht eine SMS, wie die Vorstellung war. Wie sie angekommen ist, ob das Publikum zufrieden war, [...] ob der lokale Veranstalter, der da war, zufrieden war, ob wir zufrieden sind, ob die Vorstellung gut war, ob sie sehr gut war, ob sie passabel war, das kriege ich nach jeder Vorstel-

120 Schombert stellt – mit dem Verweis auf das Thalia-Theater – klar, dass ein solches Verfahren nicht einem reinen Mitbestimmungsmodell gleichen soll, vgl. dazu die bereits zitierte Meinung Schöbels, Schöbel 2016.

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lung“ (Schirmer u. a. 2016). Ein Kontakt scheint überhaupt nur mit den tatsächlichen Besuchern und Zuschauern möglich, die Landesbühnen können, wenn überhaupt, in den Gastspielorten nur mit diesen Menschen in Beziehung treten – die Nicht-Besucher kann sie (und das ist nachvollziehbar) gar nicht kennen lernen. Ob eine Landesbühne in ihrer Funktion als Stadttheater diese Gruppe beachtet, gar kennt, scheint auch fraglich, aber zumindest kann die Stadtgesellschaft als Ganzes im Stammsitz anders wahrgenommen werden als in den Gastspielorten.121 Umgekehrt ist es für ein Publikum oder ein mögliches Publikum auch einfacher, sich mit einem Theater vor Ort auseinanderzusetzen, das einen kontinuierlichen Spielplan aufweist. Genau wie die Veranstalter und Landesbühnenintendanten in gewisser Weise die Erwartungen der Zuschauer beurteilen müssen, sieht Mirko Schombert in der Gegenrichtung eine Auswirkung des Rufs der Landesbühnen und Gastspielorte auf die Publikumsstruktur. Diese stärkt wiederum die sich gegenseitig bedingende Erfüllung der Erwartungen hinsichtlich erfolgreicher Stücke: „Natürlich [...] kommen mehr Leute in die großen Titel. Grade in den kleinen Orten, die die Bespieltheater haben. Die Leute die [...] irgendwo in kleinen Orten leben, die so theateraffin sind, dass sie auch [...] den neuesten krassesten Scheiß [...] sehen wollen, [...] die warten nicht darauf, dass das bei ihnen in die Stadthalle kommt. Die setzen sich ins Auto und fahren 20 Kilometer nach Köln oder [... sonst] wohin, das ist [...] manchmal die etwas ernüchternde Praxis, die Realität“ (Schombert 2016). Diese Einschätzung, die er mit Uwe Brandt teilt (vgl. Brandt 2016), verstärkt als Tatsache die Exklusivität, beziehungsweise die Ausbildung von bestimmten Publikumsgruppen mit unterschiedlichen Ansprüchen, Erwartungen und Möglichkeiten. Gleichwohl traut Schombert dem Publikum grundsätzlich eine hohe Toleranzschwelle zu: „[I]ch glaube, dass da trotzdem [...] das Publikum [...] sehr viel mitgeht; [es] gibt [...], glaub ich, trotzdem eine Obergrenze [...], also wenn ich zum Beispiel an Robert Borgmann denke, [...] der halt relativ bildgewaltig und verstörend inszeniert; der hat in Mainz schon, ehrlich gesagt, nur für einen Bruchteil des Publikums funktioniert; und die anderen waren verstört. Ich glaube, [...] wenn man das dann irgendwo [...] in der Stadthalle macht, dann wird es da immer noch ein paar Leute geben, die das super finden, die damit was anfangen können, aber der Prozentsatz wird nochmal kleiner. [...] die sind dann wahrscheinlich gar nicht in die Stadthalle [...] gegangen, weil sie [...] gar nicht erwarten, da das zu sehen. Das ist natürlich eine Entwicklung, die sich über Jahrzehnte hingezogen hat“ (Schombert 2016). Nicht nur die Landesbühne und die Veranstalter müssen die Publikumsreaktionen im Voraus erahnen, auch die Menschen in den Gastspielorten können ihrerseits gewisse Vorurteile hinsichtlich der Landesbühnen und auch der Programmierung der Gastspielhäuser haben (und pflegen). Das Publikum in Ballungsgebieten hat die Chance, auf alternative Angebote zurückgreifen zu können, während das in der Peripherie eben mit dem vorliebnehmen muss, was vor Ort programmiert und gezeigt wird, es sei denn, die Menschen haben die Möglichkeit über die Grundversorgung hinaus andere Theatererfahrungen machen zu können. Dieser Aspekt verstärkt die Differenz zwischen städtischen Gebieten und der Provinz hinsichtlich partizipatorischer Prozesse: „Wenn sich im urbanen Raum die Möglichkeiten zu einer demokratischen Teilhabe durch ver-

121 Vgl. dazu die oben beschriebenen Versuche, sich in anderen Orten präsenter zu verankern, die genau darauf abzielen, ein ganzheitliches Kennenlernen zu initiieren und darauf eine umfassendere Beziehung aufzubauen.

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schiedenartige Institutionen sehr ausdifferenziert vergegenwärtigen, so reduziert sich deren Zahl auf dem Land beträchtlich“ (Jahnke 2019, S. 85), so beschreibt Manfred Jahnke die Situation in seinem Beitrag in der Publikation „Theater in der Provinz“. Neben einer Unterscheidung zwischen einem Publikum, das mehr Angebote wahrnehmen kann und mehr Optionen bekommt, seine Seherfahrungen auszuweiten und einem, das nicht in dieser Lage ist, sei es durch mangelnde Alternativen oder durch fehlende Mobilität und Motivation, auf andere Orte auszuweichen, scheint es eine weitere Diskrepanz zwischen Fachpublikum und den alltäglichen Zuschauern zu geben, wie Thorsten Weckherlin feststellt: „Wir haben [...] Herrendorfs Fragment-Roman auf die Bühne [...] gebracht, ‚Die Bilder Deiner Großen Liebe‘ – das versteht keiner. [...] das ist so postdramatisch, [...] erkläre das mal Klein-Erna. Dass da drei Schauspieler eigentlich eine Rolle spielen und mit Texten einfach arbeiten – ganz anders als man eben halt eine erzählte Geschichte haben will; wo teilweise die Leute völlig hilflos rausgehen, wir natürlich positive Kritiken haben, weil die Kritiker das wieder nicht negativ beschreiben wollen, habe ich das Gefühl“ (Weckherlin 2016). Die Erfahrung aus der Praxis, dass anscheinend künstlerischer Erfolg und Publikumszuspruch nicht zusammenhängen müssen, bestätigt die oben skizzierten Beobachtungen (vgl. Kapitel 2.2.3) und weist erneut auf den Zwiespalt zwischen künstlerischer Selbstverwirklichung, notwendiger Auslastung und Herstellung von Relevanz hinsichtlich einer Legitimation der Theaterarbeit hin. Gleichwohl sei Offenheit und Neugier gegenüber der Darstellenden Künste entscheidend, wie Weckherlin an anderer Stelle verdeutlicht (vgl. ebd.), vielleicht, so sei angefügt, auch entscheidender als das (immer noch als notwendig erachtete) Verstehen einer Inszenierung oder eines Textes.122 Teils indirekt, teils explizit wird von fast allen Gesprächspartnern angesprochen, dass sich künstlerische Freiheit, experimentelle Formen und Formate und Landesbühnenarbeit in einer bestimmten Spannung zueinander befinden – dies kann aus Erfahrungen begründet oder ein Vorurteil sein. Anna Scherer berichtet so beispielsweise auf der Memminger Tagung, dass die eigentlichen Zuschauer teils offener und interessierter gegenüber bestimmter Formen seien, als die Veranstalter selbst, die zum Teil die Gastspielverhandlungen eröffneten mit dem Hinweis, dass es am wichtigsten sei, dass die Kostüme ordentlich seien.123 Innerhalb der Gastspiel-Theaterlandschaft

122 Eine kleine Anekdote sei hier berichtet: Im Rahmen ihrer Forschungsreise nach Tübingen besuchte die Autorin eine Aufführung des „Demian“ im LTT. Ihre Sitznachbarin hatte sich mithilfe der Reclam-Ausgabe akribisch auf den Abend vorbereitet und das Heft, mitsamt ihrer Notizen zum Werk und dem Entstehungskontext, mit ins Theater gebracht; nach der Inszenierung verabschiedete sie sich mit dem Hinweis, sie sei etwas irritiert, sie hätte das Stück wohl anders, nämlich falsch verstanden. Peter Grisebach verweist auf ähnliches Verhalten wenn er die Reaktion des Publikums beschreibt, „warum machen die denn das? Das steht doch in diesen gelben Heften doch ganz anders“ (Grisebach 2016). 123 Vgl. dazu Schröck 2018a und die Beschreibungen Scherers in ihrem Beitrag zur Publikation „Theater in der Provinz“, in der sie die (unterstellten) Ansprüche des Publikums skizziert, wie sie ihr von Dritten beschrieben wurden: „Inszenierung und auch das Bühnenbild dürfen bis zu einem gewissen Grad auch ‚modern‘ sein. Dieser Grad ende jedoch, wo man beispielsweise eine leere Bühne statt eines ‚schönen‘ Bühnenbildes finden würde“ (Scherer 2019, S. 218). „Dem Publikum ist es wichtiger, dass die Kostüme sauber und gut gebügelt sind, als das, was inhaltlich auf der Bühne passiert“ (ebd.).

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scheint es durchaus Fehleinschätzungen zu geben und eine unterschiedliche Bewertung von Qualität in Hinblick auf zeitgenössische Kunst oder der Anerkennung und Erwartung professionellen Handwerks. An dieser Stelle treten Publikumsorganisationen in das Blickfeld. Michael Grill vom Bund der Theatergemeinden positioniert seinen Verband in Memmingen als Vermittler zwischen Kunst und Publikum; macht deutlich, dass es in ihrem Selbstverständnis jedoch keineswegs darum ginge, in die Spielpläne hinein zu dirigieren. Die Beziehung zwischen Theatermacher und Theaterbesucher ist eine fragile und komplexe, die nicht nur eine genauere, sondern auch immer eine situationsspezifische Untersuchung bedürfte. Bedeutend scheint für die Landesbühnen die Entwicklung zu sein, die sie mit ihrem Publikum durchlaufen kann – und umgekehrt. Ein gemeinsamer Weg, der zu einem neuen Verständnis führt, verlangt Beharrlichkeit und Präsenz; scheint deshalb nur möglich in den Orten, die regelmäßig bespielt werden und verlangt nach Strukturen, wie sie beispielsweise im SHL angelegt sind. Peter Grisebach berichtet von einer Veränderung der Einstellungen der Zuschauer, im Kontext einer sich gegenüber Vorurteilen freikämpfenden Landesbühne: „Sie sind neugieriger geworden. Sie sind offener geworden. [...] Natürlich haben sie sich zwischendurch unheimlich geärgert. Natürlich standen dann schreckliche, schreckliche Kommentare in unseren Besucherbüchern in den Foyers. Aber dazu ist Theater auch da. [...] Ich meine, es gibt keine allgemein verbindliche Ästhetik, also haben wir für Diskussionen zu sorgen, haben wir anzuregen, anzustoßen und für Leben zu sorgen [...]. Das ist eigentlich ein schöner Erfolg, dass uns das gelungen ist; also wir haben uns alle von Anfang an gegen dieses Landesbühnen-Image gewehrt. [...] Mal gelingt es besser, mal weniger gut. Auch hier gilt: Scheitern tust du sowieso, aber wichtig ist, auf welchem Niveau“ (Grisebach 2016). Scheitern auf hohem Niveau, diese Überzeugung setzt neben einem Selbstbewusstsein auch die Möglichkeit dazu voraus – denn nur wenn Scheitern auch verziehen werden kann, kann man es sich leisten; diese Überlegungen werden Eingang finden in den zukunftsorientierten Blick auf die Landesbühnenstruktur. Die Entwicklungen, die sich aus Seherfahrungen und -erwartungen, aus der Programmgestaltung und den Reaktionen darauf ergeben, zeigen eine weitere Tendenz auf, die Kay Metzger als eine auch auf die Gesellschaft bezogene Änderung wahrnimmt: „[M]an fragt sich natürlich, was passiert da momentan mit dem Publikum und mit dem Rezeptionsverhalten, wie funktioniert Angebot und Nachfrage, also prägt letztendlich die Nachfrage dann doch mehr das Angebot als umgekehrt – beim Theater sollte man ja eigentlich davon ausgehen, dass es umgekehrt ist – hängt es mit der Entwicklung der Literatur insgesamt zusammen; was schreiben Autoren für Stücke? Und dergleichen mehr und [...] da kann man jetzt resignativ werden, vielleicht kann man auch einen Kulturpessimismus an den Tag legen, umgekehrt kann man natürlich auch sagen, wenn man solche Spielplanangebote vorhält, dann entspricht man ja auch einem Bedürfnis und das gilt es, glaube ich in der nächsten Zeit auszuloten“ (Metzger 2016). Sein Blick in die Zukunft ist erwartungsgemäß positiv: „Ich glaube, die Faszination Theater wird bleiben, also der leibhaftige Mensch vor einem leibhaftigen Publikum, ist immer noch was anderes als der Kinofilm, aber was wir für Geschichten erzählen und wie wir sie erzählen, da wird es sicherlich große Veränderungen geben“ (ebd.). Man müsste ergänzen: Und mit wem und für wen man sie erzählt, denn Repräsentanz und Relevanz sollte sich auf Publikum, (Noch-)Nicht-Besucher und die Beteiligten beziehen.

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4.3.4 Möglichkeiten, Grenzen, Chancen Ein solcher Blick auf aktuelle Entwicklungstendenzen und damit zusammenhängende Zukunftsszenarien wird im folgenden Kapitel eröffnet. Zunächst sollen aber die Darstellungen und Überlegungen zum Themenfeld Partizipation zusammenfassend betrachtet und Schlussfolgerungen formuliert werden, auch im Hinblick auf die Position der Landesbühne innerhalb dieses Feldes. Landesbühnen sind ein kulturpolitisches Konzept für Partizipation, bei einer detaillierten Betrachtung zeigt sich jedoch, dass sie überwiegend als Instrument für TeilhabeErmöglichung fungieren und weniger als ein Akteur mit überwiegend partizipatorischer Ausrichtung im Sinne einer Teilnahme und -gabe. Einem ständigen Zwiespalt unterschiedlicher Verantwortlichkeiten ausgesetzt, scheint sich den Landesbühnen nur ein schmaler Streifen an Handlungsmöglichkeiten zu eröffnen. Jede einzelne Landesbühne muss, wie jedes andere Theater auch, abwägende Entscheidungen treffen, die verbunden sind mit Fragen beispielsweise nach dem besten Weg, das Abo-Publikum zu bedienen, neue Publika zu erschließen, ohne das vorhandene zu verlieren; oder nach dem Verhältnis zwischen Kunstfreiheit, dem eigenen Anspruch und Publikumsgefälligkeit, der Stellung von partizipatorischer Arbeit in dieser Hinsicht und mit weiteren, die bereits diskutiert wurden. Zusätzlich muss die Landesbühne in all ihren Entscheidungen auch immer ihre Sonderstellung berücksichtigen: Sie hat sich gegenüber ihrer hybriden Konstruktion und ihren parallelen Aufgaben, also Stadt-Theater und ReiseBühne zu sein, zu verhalten und muss in dieser Hybridität bestehen. In ihrer Funktion als stehendes (Ensemble-)Theater scheint für die Landesbühnen eine große Bandbreite partizipatorischer Maßnahmen möglich: Aktive Einbeziehung der Menschen vor Ort durch Spielclubs, Bürgerbühnen oder ähnliche Formate semi-professioneller Zusammenarbeit; die theaterpädagogische Arbeit auf Gastspielreisen scheint sich auf vermittelnde Angebote beschränken zu müssen. Während sie im Stammsitz selbst verantwortlich zeichnen für Teilhabe und Teilnahme und ihrer Ermöglichung in all ihren Facetten, geben die Landesbühnen unterwegs Verantwortung ab an die Gastspielveranstalter, denen gegenüber sie jedoch auch selbst in einer bestimmten Verpflichtung stehen. Die Beziehung zwischen Gastspielhäusern und Landesbühnen und deren Gestaltung als ein fragiles Miteinander, das unterschiedlichen Aufträgen und Erwartungen gerecht werden muss, wurde als eines der wichtigsten und prägendsten Elemente für die Landesbühnen herausgestellt – auch hinsichtlich des Feldes Partizipation ist dieses Verhältnis ausschlaggebend und zugleich kritischster Moment, da hier unterschiedliche Erwartungen, Voraussetzungen und Verständnisse aufeinandertreffen. Dass Marketing und Öffentlichkeitsarbeit in der Zuständigkeit der Gastspielorte liegen, scheint logisch, da sie den direkten Zugriff auf das Publikum haben – sollten sie also auch zuständig sein für partizipatorische Arbeit? Eine nachvollziehbare Forderung, doch es ist zu unterscheiden hinsichtlich der aufgezeigten Funktionen, Zielsetzungen und Methoden solcher Maßnahmen. Geht es um Vermittlung konkreter künstlerischer Werke, sollten dann nicht die Produzenten, also die Landesbühnen, in die Pflicht genommen werden? Dies scheint momentan Usus: Einführungen, Gespräche und einzelne Workshops werden meist von den Landesbühnen selbst durchgeführt, Materialien von ihnen zur Verfügung gestellt, da der Sinn ja auch darin liegt, die eigene künstlerische Arbeit zu erläutern und Zugänge zu eröffnen. Hier mischt sich das

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Feld Kunstvermittlung mit der Öffentlichkeitsarbeit; die Gastspielhäuser sind darauf angewiesen, Informationen und gegebenenfalls auch Material von den Landesbühnen zu erhalten. In einem gewissen Sinne beginnt die vermittelnde Tätigkeit der Landesbühnen bereits in der Erstansprache der Veranstalter, wenn diese nicht ein festes Kontingent oder mit einer gewissen Regelmäßigkeit bestimmte Angebote buchen, greifen auch hier Maßnahmen, die sich zwischen Kunst und Verkauf, zwischen Betrieb und Publikum ansiedeln (vgl. dazu Kapitel 2.2 und weiterführend Pinkert 2014a). Wenn man jedoch nicht von rein spielplanbezogenen Formaten ausgeht, sondern von einer allgemeinen theaterpädagogischen Arbeit, also Workshops, Maßnahmen, die sich nicht explizit oder ausschließlich auf eine bestimmte Inszenierung oder eine Programmgestaltung beziehen, stellt sich tatsächlich die Frage nach der Verantwortlichkeit und den Kernaufgaben: Die theaterpraktische Arbeit mit Menschen in den Gastspielorten, seien es bereits als Kulturnutzer zu bezeichnende oder Nicht-Besucher, scheint nicht Aufgabe der Landesbühnen zu sein, da sich ihr Auftrag hauptsächlich auf die Produktion und Distribution professioneller Theaterkunst konzentriert, wie ausführlich belegt. Zudem lassen die Zwänge des Gastspielmarktes, vor allem die zeitlichen Abläufe keine Verankerung vor Ort zu, die eine kontinuierliche Arbeit ermöglichen würde, die wiederum wichtig für längerfristig angelegte Maßnahmen ist. Natürlich muss auch hinterfragt werden, welche Rolle die Gastspielhäuser in diesem Feld überhaupt übernehmen können: Wenn ausreichend Ressourcen vorhanden sind, können umfassendere theaterpädagogische und partizipatorische Programme für aktive Teilnahme etabliert werden, so kann es Workshops geben, vielleicht auch Spielclubs oder zumindest projektbezogene Veranstaltungen. Allerdings ist die Erarbeitung semi-professioneller Produktionen nicht möglich, wenn es kein eigenes künstlerisches Personal vor Ort gibt; das alleinige Zurverfügungstellen von Räumen und Technik kann eine Unterstützung für Amateurtheatergruppen sein, ermöglicht jedoch nur bedingt eine künstlerische Zusammenarbeit. Die Forderung der Landesbühnen, in jedem Spielort einen Theaterpädagogen zu etablieren, ist einerseits nachvollziehbar, man müsste jedoch genau betrachten, für welche Aufgaben diese Person gedacht wäre – geht es nur um eine bessere Vermittlung bestimmter Produktionen, verbunden mit der Hoffnung auf einen besseren Verkauf? Oder geht es um die Etablierung partizipatorischer Formate, verankert in den Häusern vor Ort? In jedem Falle scheint dieser Vorschlag in die Kompetenzen der Gastspielhäuser einzugreifen, insbesondere wenn es um eine Verantwortungszuschreibung und nicht eine Verantwortungsteilung geht. Unerlässlich, und dies zieht sich auch in diesem Kapitel wie ein roter Faden durch die Analyse, ist der enge Kontakt zwischen Veranstalter und Anbieter. Denn nur der lokale Partner kann unabhängig von konkreten Maßnahmen das Stimmungsbild des jeweiligen Ortes einfangen und wiedergeben, nur er kann auch die Wichtigkeit und Unwichtigkeit kultureller Ereignisse richtig deuten und Hinweise geben, wann, wo und wie die Landesbühnen Andockstellen finden und nutzen könnten, um mit den Menschen in Kontakt zu treten, denn „ von hier aus auf die Entfernung kommt man nicht auf die Idee, dass das Drahtseilfest in Clausthal-Zellerfeld wichtig ist“ (Gade 2016). Was Jörg Gade im Gespräch auf die daraus resultierenden Konsequenzen für entsprechende Marketing-Maßnahmen bezieht, kann genauso gut in den Kontext gebracht werden, Theater (wieder) im Alltag der Menschen zu verankern, nämlich durch die Präsenz bei wichtigen Veranstaltungen (und an wichtigen Orten, vgl. Kapitel 4.2.3) einen Bezug zwischen Landesbühne und Publikum herzustellen. Hier spielen eben-

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falls die unterschiedlichen Funktionszuschreibungen von Theater und Partizipation eine Rolle: Es geht nicht nur um die Auseinandersetzung mit dem, was auf der Bühne passiert, um die Aushandlung gesellschaftlicher Themen, sondern (vor allem auch im ländlichen Raum) zudem um die Teilnahme an einem Ereignis, um einen kommunikativen Moment. Für Mirko Schombert verbinden sich daher durch die Landesbühnen verschiedene Aspekte von Teilhabe: „Ich glaube schon, dass die Landesbühnen, grade wenn sie in der Fläche unterwegs sind [...] Leute dann die Möglichkeit haben, [...] wo einfach die berühmte, [...] Hemmschwelle vielleicht geringer [ist]; also es gibt da Leute, in den Orten, die einfach nicht so weit fahren können; gesundheitlich, oder weil sie es sich nicht leisten können, oder weil sie es auch nicht wollen und dann ist der Schritt vielleicht einfacher, einmal um die Ecke in die Stadthalle zu gehen, [...] da trifft man dann auch seine Leute aus dem Ort, was schön ist [...] – ich mein das überhaupt nicht despektierlich, sondern ganz realistisch [...]; dass [man] sozusagen Leute [erreicht], die, [...] wenn das in der Stadthalle nicht wäre, dann eben nicht 30 Kilometer in die nächste Stadt fahren würden“ (Schombert 2016). Landesbühne kann also ein Instrument sein, das Barrieren überwindet, oder diese zumindest absenkt und gesellschaftliche Zusammenkünfte befördert.124 Schombert deutet auch an, dass bei der Entscheidung, eine Theatervorstellung zu besuchen, unterschiedliche Motivationen eine Rolle spielen; ebenso muss genau betrachtet werden, welche Absichten sich in der partizipatorischen Arbeit aufzeigen lassen. Geht es um eine Überwindung von Barrieren oder um eine Herstellung von Relevanz? Ist die Hauptaufgabe partizipatorischer Angebote zu verstehen als Beziehungspflege zu den Zuschauern, als Marketing mit anderen Mitteln? Oder als eine Möglichkeit, Verbindungen zu schaffen, Themen und Inhalte mit gesellschaftlicher Bedeutung neu zu verhandeln, Relevanz neu herzustellen, so dass auch Nicht-Besucher neu angesprochen werden und um gesellschaftliche Partizipation zu ermöglichen? Ein dritter Aspekt scheint leider immer noch am wenigsten wahrgenommen und als Möglichkeit in Betracht gezogen zu werden: Partizipatorische Arbeit als Ansatzpunkt gemeinsamer künstlerischer Arbeit, als Sonde, aktuelle gesellschaftliche Situationen aufzuspüren und die Strukturen sowie Arbeitsweisen der professionellen Darstellenden Künste neu zu denken, als Anstoß, neue künstlerischer Arbeitsmethoden zu entwickeln. Versucht man, die Absichten in der Landesbühnenarbeit aufzuspüren, muss klar sein, dass ein vergleichender Blick auf die Gesamtstruktur den Einzelfällen nicht gerecht werden kann; auch da in dieser Untersuchung die Seite der Gastspielveranstalter, also deren Konzepte und Möglichkeiten, nicht berücksichtigt wird. Es ist jedoch auch ohne eine detaillierte Analyse aller Methoden im Bereich Vermittlung, Theaterpädagogik, Partizipation jedes einzelnen Theaters möglich, bestimmte Tätigkeitsfelder aufzeigen, die darauf hinweisen, wo Potenziale zu nutzen wären und wo Unmöglichkeiten zu überwiegen scheinen.

124 Diese Aspekte treffen aber für alle Gastspiele von Theateraufführungen und ebenso für andere kulturelle Erlebnisse zu. Der Unterschied scheint in der Absicht zu liegen: Geht es hauptsächlich um die Ermöglichung eines netten Abends oder um die Auseinandersetzung mit etwas durch eine bestimmte Ästhetik. Die unterschiedlichen Funktionszuschreibungen von Theater, wie sie die interviewten Intendanten sehen, sind in Kapitel 4.1 dargestellt worden.

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Sei zunächst die erste Gegenüberstellung betrachtet: Geht es darum, Menschen zu überzeugen, ein Theater zu besuchen? Ist Hauptaufgabe der theatervermittelnden Maßnahmen eine Produkt-Bewerbung, durch Erklärung und den Versuch, Verständnis zu erwecken? Man ist verleitet, es bei den Landesbühnen als Reisetheater darauf zu beschränken; auch die Veranstalter vor Ort haben wenig andere Möglichkeiten in Bezug auf die Landesbühnenarbeit: Selbst wenn es ein eigenständiges theaterpädagogisches Angebot vor Ort gibt, kann dies sich immer nur entweder auf eine Vermittlung der Gastspielinhalte oder auf Theaterarbeit im ganz allgemeinen Sinne beziehen. Theaterpädagogische Maßnahmen im Sinne einer Weiterbildung der Seherfahrungen und Auseinandersetzung mit zeitgenössischer Kunst können innerhalb der Bedingungen und Abhängigkeiten des Gastspielmarktes nur ansatzweise erfolgen. Einen Bezug herstellen, durch Teilnahme der Menschen an der künstlerischen Arbeit als Koproduzenten, als Mitautoren, Mitspieler scheint wiederum nicht durch die Gastspielhäuser leistbar zu sein: Stückentwicklungen, welche die Geschichte und Geschichten der Region berücksichtigen, Formen des Dokumentartheaters, Rechercheformate, all diese Möglichkeiten partizipatorischer Arbeit sind verbunden mit einer lokal bezogenen künstlerischen Erarbeitung – ein Aufgabenfeld, das nicht unbedingt den Bühnen ohne künstlerisches Personal zugeschrieben werden kann und das zugleich die Landesbühnen nicht als ihre Verpflichtung wahrnehmen. Am schwierigsten scheint der dritte Punkt möglich und erfahrbar, der sich nicht nur auf nicht-professionelle Akteure beziehen muss: Momente der gegenseitigen Teilhabe und Teilgabe könnten entstehen durch Kooperationen, die gerade für die Landesbühnen durch die restriktiven Bedingungen nur schwerlich zu realisieren sind, oder kategorisch unmöglich scheinen, da sie dem Auftrag widersprechen würden. Die Anforderungen des Gastspielmarktes führen unweigerlich zu einem relativ eingeschränkten Blick, einer Konzentration auf das potenzielle Publikum; es geht bei Überlegungen zur Stückauswahl und Angebotsgestaltung immer auch darum, sich gut zu verkaufen, das Publikum zu halten. Wie man gänzlich neue Bevölkerungsschichten ansprechen könnte, scheint kaum Thema, da es kaum Thema sein kann, weil das Aufrechterhalten des erfolgreichen Gastspielbetriebes für alle Beteiligten am wichtigsten, weil essenziell ist. Zu befragen, warum Besucher nicht mehr kommen, wäre auch für die Landesbühnen sicherlich hilfreich, die Interviewpartner deuteten an, dass sie nicht genau wissen oder verstehen, warum manche Stücke nicht den erwarteten Zuspruch erfahren. Besucher- und Nicht-Besucher-Studien, die hier nützliche Erkenntnisse bringen könnten, scheinen jedoch die Ressourcen der Landesbühnen gänzlich zu übersteigen, beziehungsweise scheinen die Landesbühne wiederum nur bedingt als ihre Aufgabe anzusehen, da die Verpflichtung diesbezüglich bei den Veranstaltern zu liegen scheint. Um die sich selbst bestätigenden Kreise des Gastspielmarktes und damit zusammenhängend der Entscheidungen für bestimmte Spielplangestaltungen aufzubrechen, braucht es eine Beteiligung aller Akteure; einen gemeinsamen Austausch und Möglichkeiten des Ausprobierens. Unerlässlich ist dabei jedoch die gegenseitige Wahrnehmung und Wertschätzung, denn wenn es an dieser mangelt, kann es auch zu keiner Änderung des Handelns kommen. Die anhaltende Diskussion über den Stellenwert von Vermittlung im Vergleich zu der Kunst, den Produktionen selbst, wurde dargestellt. Während des Symposiums „Zukunft des Tanzes“ wurde vorherrschend die Auffassung vertreten, dass das eine weniger wert sei als das andere, das eine könne keine Kunst sein, müsse dieser dienen, während gleichermaßen in Frage gestellt wurde, ob Kunst überhaupt

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der Vermittlung bedürfe oder gänzlich ohne auskommen müsse. Sabine Reich versucht diese Problematik ansatzweise zu lösen, wenn sie davon spricht, es ginge nicht um Tanz vermittelnde Maßnahmen und Methoden, sondern darum, eine Verbindung herzustellen: „Verbindungen schaffen statt Vermittlung verordnen“ (Reich 2019, S. 213), müsste die Ausrichtung sein. Solange es auf der einen Seite ein fertiges Kunstprodukt und auf der anderen Seite einen (zahlenden) Zuschauer gibt, ist auch eine solche Verbindung immer mit einer bestimmten Hierarchie oder zumindest einer behaupteten Deutungshoheit verbunden. Auch während der Auseinandersetzungen zum Theater in der Provinz in Memmingen wurde das grundsätzliche Verhältnis zwischen Kunst und Teilhabe, professioneller Arbeit und partizipatorischen Ansätzen immer wieder kontrovers angesprochen. Während Sibylle Broll-Pape sich dafür stark machte, dass Publikum auch Publikum sein lassen zu dürfen (vgl. Schröck 2018a), vertraten die anwesenden freischaffenden Theaterkünstler die Position, dass sich gerade durch das sich aufeinander Einlassen von Profis und Amateuren Potenziale für künstlerische Arbeiten ergeben; Fragen nach „echter“ Beteiligung wurden gleichermaßen diskutiert wie Chancen einer gezielten Publikumsansprache (vgl. dazu weiterführend Düspohl u. a. 2019). Wenn auch die konkrete Einbindung von lokalen Akteuren auf der Bühne durch die Reisetätigkeit der Landesbühne verhindert oder zumindest erschwert wird, scheinen Formate des Koproduzierens, des Zulieferns,125 die Möglichkeiten für Partizipation eröffnen und über kunstvermittelnde Angebote hinausgehen, in vielfacher Hinsicht eine landesbühnentaugliche Chance zu sein. Diese Ansätze werden bereits zum Teil von einigen der Akteure erprobt, diese Beispiele wurden schon mehrfach positiv erwähnt. Jedoch zeigt sich in Hinblick auf partizipatorische Arbeit erneut und verstärkt das Grundproblem, dass auch diese Projekte oftmals als Sonderaufgaben betrachtet werden, denen eine Nachhaltigkeit und auch Unabhängigkeit fehlt. Solche Nadelstiche gelte es eigentlich zu vermeiden – Manuel Schöbel verwendet diesen Begriff zur Beschreibung des leider nur zu oft punktuellen Auftauchens und der kurzen Anwesenheit der Landesbühne, wogegen er versucht anzukämpfen, indem er eine längere Präsenz in den Orten anstrebt (vgl. Schöbel 2016). Er verbindet damit die Notwendigkeit stabiler Strukturen, die eben auch durch die Verankerung partizipatorischer Arbeit in den jeweiligen Orten herzustellen wären. Bundesförderprogramme ermöglichten zwar Projekte mit längerer Dauer, was er durchaus zu schätzen weiß, „aber dass das projektbezogen bleibt, ist richtig, weil wir keine Mitarbeiter haben, die irgendwo anders eine Arbeitsstelle haben und dort wohnen und ständig Anlaufpartner sind; das muss immer definiert sein, wann ist derjenige da und wofür ist er da. Wenn aus dem einen Projekt das nächste erwächst, [...] dann ist das gut“ (Schöbel 2016). Unabhängig von den Forderungen oder Vorstellungen, dass die Gastspielhäuser (mehr) Verantwortung für partizipatorische Arbeit übernehmen sollten, ist das Netzwerk von Akteuren in diesem Bereich wichtig und sollte gefördert werden, insbesondere um die Bedeutung dieser Tätigkeiten an sich zu unterstreichen. Denn es sei klar, „wenn man Kunstpädagogen an Standorten hat, dann hilft das. Und dieses Modell haben wir ja im Kinder- und Jugendtheater überall gesucht, immer geguckt, wie kriegen wir das hin, ob in Hamburg oder Berlin, mit der Partnerschaft zwischen Schule und

125 Diese Formate gehören insbesondere im Kinder- und Jugendtheater bereits zu den StandardArbeitsmethoden, vgl. dazu erneut Kapitel 2.2.5.

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Theater im Rahmen von TUSCH oder jetzt hier in Sachsen mit dem Versuch, tatsächlich für das Bundesland so ein Netzwerk von Theaterpädagogen aufzubauen, die sich miteinander in Kommunikation befinden“ (ebd.). Nur durch eine Stärkung des Netzwerks und von Partizipation generell als Handlungs- und Wirkungsfeld könnte sich nachhaltig etwas entwickeln, „wir haben ein starkes Theaterpädagogisches Zentrum Dresden, Theaterpädagogisches Zentrum Sachsen, gibt es beides hier und wir sind eben Partner und arbeiten gerne mit beiden zusammen; um solche Netzwerke mit zu befördern, weil wir als Landesbühne und Reisende [...] sehr davon profitieren, wenn wir überall kompetente Partner haben“ (ebd.). Manuel Schöbel nennt TUSCH, das Kooperationsprogramm „Theater und Schule“, nicht zufällig als Beispiel und es bestätigt die Feststellung, dass das Kinder- und Jugendtheater als Vorreiter in Sachen Partizipation bezeichnet werden kann. Teilhabe und Teilnahme wird in diesem Feld nicht nur als Mantra vor sich her getragen, sondern steht tatsächlich im Zentrum des Handelns. Die Arbeit nah an den jungen Menschen, ihren Gedanken, Themen, ihrer Lebenswelt, ist ebenso selbstverständlich wie der enge Kontakt, sei es durch Probenbesuche, Feedback, Gespräche, aber auch durch Zusammenarbeiten und gemeinsames Ausprobieren. Theater mit Kindern und Jugendlichen und Theater für Kinder und Jugendliche, Theater sehen und Theater spielen, werden in Bezug auf dieses Genre immer zusammen gedacht; die natürlicherweise auch kontrovers geführte Diskussion über Qualität gerade hinsichtlich der professionellen Arbeit mit jungen Darstellern bestimmten das Feld in den vergangenen Jahren und sind auch bei weitem noch nicht abgeschlossen.126 Deutet man an, dass in dieser Hinsicht das Erwachsenentheater noch lernen könnte, stößt dies oft auf Unverständnis; die Unterscheidung zwischen Liebhabertheater und professionellem Theater scheint sich immer auch auf die Qualität und die Erwartungshaltung zu übertragen, wie die zitierten Bewertungen des Amateurtheaters als Teil der Theaterlandschaft im vorhergehenden Kapitel zeigten. Häufig werden die Erfolge des Kinder- und Jugendtheaters auch in Zusammenhang mit der Entwicklung des Publikums gebracht: Der frühe Erstkontakt sei entscheidend, es gelte, das Publikum von morgen anzusprechen (vgl. hierzu erneut exemplarisch Grisebach 2016 und Faltz 2016). Das Interesse zu wecken, gelingt besonders gut durch die eigene Aktivität, die als positiver Nebeneffekt auch die ganz persönliche Entwicklungen beeinflusst. Dies ist natürlich nicht nur auf das Kindesalter begrenzt, sondern gilt generell für das darstellende Spiel, wie Mirko Schombert es betont, „es gibt tolle Amateurtheatergruppen [...], so bin ich auch zum Theater gekommen“ (Schombert 2016). Persönliche Erfahrungen, wie die gerade genannte, sind entscheidend, denn das was man selbst erlebt hat und selbst kennt, wird anders beurteilt als etwas Fremdes (wie auch in Kapitel 2.2.4 ausgeführt). Die Möglichkeit zu schaffen, sich mit etwas zu identifizieren und zugleich eine enge Verbindung und Normalität herzustellen, scheint das Ziel des Modells des Grenzlandtheaters Aachen zu sein, die Methode, Jugendtheaterstücke in Schulen zu produzieren, wurde bereits beschrieben. Für Uwe Brandt hat diese Vorgehensweise auch mit der Bedeutung und Wertschätzung von theaterpädagogischer Arbeit zu tun und zieht kulturpolitische Konsequenzen nach sich: Ermöglicht durch eine Förderung durch die Städteregion sind die Vorstellungen für die Schulen kostenfrei, die Schüler müssen nur selbst die Anreisekosten tragen, die jedoch in den meisten Fällen durch die Schüler-

126 Diese Aspekte wurden in Kapitel 2.2.5 dargestellt.

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fahrkarten bereits abgedeckt sind (vgl. Brandt 2016), dadurch ändere sich auch die Aufgabe der theaterpädagogischen Abteilung, die nicht mehr auf anstrengende Überzeugungsarbeit reduziert wird, wie es leider der Fall sein kann.127 Brandt ist überzeugt, dass durch diese Arbeitsweise beide Seiten etwas gewinnen können: „Also man hat einfach Feedback bei der Entstehung; und wir unterstützen deren Theaterarbeit, [...] die haben ja meistens auch Theater-AGs, [...] oder wir machen dann Workshops da vor Ort [...] und bringen die Produktionen [...] an der Schule zur Premiere und spielen die ersten zehn Tage dann immer da. Das heißt dann aber auch, andere Schulen kommen in diese Schule, und gucken sich das dann da an. Was den tollen Effekt hat, dass dann eben auch der Hauptschüler mal in so ein Gymnasium muss, oder umgekehrt. Und da ganz interessante Mischungen dann auch im Publikum sitzen. [...] Und je nachdem was für Menschen das sind, [...] brennt da schon die Luft“ (ebd.). Auf diese Weise kann Theater als gesellschaftlicher Ort der Auseinandersetzung auf verschiedenen Ebenen eine Bedeutung erlangen. Warum nur dieses Zögern, Erwachsene in ähnliche Weise in den Theaterbetrieb einzubinden? Der Vorteil an Schulkooperationen ist natürlich auch, dass in den Bildungsinstitutionen ein Zugriff auf die Zielgruppe direkt möglich ist, und dass zumindest in der Grundschule mehr oder minder alle gesellschaftlichen Schichten gleichermaßen erreicht werden können. In Einrichtungen der Weiterbildung ist eine solche Breite der Teilnehmer nicht mehr gewährleistet. In Institutionen der Erwachsenenbildung wie den Volkshochschulen findet man oftmals Seminare, die sich eine vermittelnde Funktion zuschreiben, Besuchskreise und in manchen Fällen auch Spielgruppen; daneben gibt es informelle Angebote der Kulturellen Bildung und natürlich zahlreiche Amateurtheatergruppen in unterschiedlichen Organisationsformen. Der Einbezug von Ensembles und Gruppierungen aus den Bereichen Tanz und Musik stellt Möglichkeiten einer Beteiligung dar, doch auch hier zeigen sich die Einschränkungen: Bei den genannten Beispielen geht es weniger um eine gemeinsame Entwicklung von etwas, denn um das Einbeziehen von einem Partner in die eigene Produktion. Die Absicht hinter solchen Vorgängen sollte auch immer kritisch beurteilt werden; es kann legitim sein, eine Gruppe Breakdancer in die Inszenierung einzubinden, weil es eine bestimmte Aussage verstärkt, doch es sollte nicht um eine Art Quotenerfüllung für Einbezug von Laien missverstanden werden. Auf die Frage, ob die Zusammenarbeit mit den Hip-Hop-Tänzern, eine einmalige Sache war oder zu verstetigen wäre, antwortet Uwe Brandt: „Es war gut und es hängt vom Stück ab. Wenn ein Stück so was hergibt, [...] wenn das Sinn macht, finde ich das immer toll; ich habe immer so ein Problem damit, wenn es schick ist. Oder wenn man es nur macht, weil man es am Theater macht, so wie auf einmal alle in Mikros sprechen oder alle irgend-

127 „[V]on daher ist dieses ganze Organisatorische [...], was auch immer damit verbunden war – auch für Theaterpädagogen ein Horror ist, das sind ja Klinkenputzer, [...] ein Horror-Job [...]: ‚können wir jetzt nicht besprechen, wir haben erst in vier Wochen Konferenz, und [...] wir haben auch Schluckimpfung, wir haben auch Bundesjugendspiele‘, ja, es ist wirklich albern und ich hab mir das auch eine Zeit lang angeguckt [...] und hab sie immer reden hören, auch die Politiker, wie wichtig das ist und dann haben wir irgendwann gesagt, das geht nicht. Also wenn ihr wollt, dass wir das machen, dann [... müssen] zwischen Schule und Theater, [...] die Türen so offen sein, wie es auch nur geht. Und das hat ein bisschen gedauert, aber hat dann gut funktioniert und seitdem flutscht das sehr sehr gut“ (Brandt 2016).

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wann mal nackt waren oder irgendwann irgendwer in irgendeinem Stück irgendwo vor einer Videokamera sitzt; [...] so Sachen, die langweilen mich. Aber wenn das [...] ein guter Kniff ist oder [...] sagen wir mal so: wenn es richtig ist, dann ja“ (ebd.). Die künstlerische Entscheidung und Absicht ist demnach wichtig, nur so können eine Qualität und eine Ernsthaftigkeit in der Auseinandersetzung hergestellt werden. Diese Auffassung teilt Stefan Hallmayer vom Theater Lindenhof in Melchingen, der sich während der Memminger Diskussionen dafür stark macht, dass Kooperationen, die ja auch partizipatorische Arbeiten sind, künstlerisch motiviert sein sollten (vgl. Kranixfeld 2019a). Natürlich kann auch eine Kombination von Gründen der Anlass für partizipatorische und kooperative Projekte sein: Neben einer künstlerischen Motivation spielen auch finanzielle Überlegungen und die Bewertung von Transfereffekten eine Rolle. Kein Theater würde seine Existenz durch ein zu risikoreiches Projekt ernsthaft gefährden wollen – bezogen auf die Ressourcen und die eventuell daraus entstehende Institutionskritik (vgl. dazu Kapitel 2.2.2). Darüber hinaus können auch Image-Fragen und Positionierungen der Institution innerhalb der Kulturlandschaft ausschlaggebend sein. Kulturelle Bildung und Partizipation sind nach wie vor in Mode, es gehört auch zum guten Ruf, Angebote für Randgruppen vorzuhalten. Dazu sei ein Beispiel aus den Diskussionen der Essener Tagung eingebracht: Ein Stadttheater im Ruhrgebiet wollte Skateboarder, die sich in einem Jugendtreff der Stadt lose zu einer Gruppe gefunden hatten, in eine Produktion auf der großen Bühne einbinden – dies führte auf Seiten der Nicht-Profis zu Irritationen, denn sie verstanden sich als Street-Art-Künstler, deren Aussage und Anspruch durch den Transfer auf eine klassische Bühne in ein aus ihrer Sicht biederes Haus, das auch noch Eintritt für die Teilhabe am Kunsterlebnis verlange, zerstört würde – eine Reaktion die wiederum auf Unverständnis im Theater traf (vgl. Schröck 2018b). Immer wieder gilt also: Respekt und Wahrnehmung. Micha Kranixfeld vom Syndikat Gefährliche Liebschaften beschreibt in Memmingen als entscheidend für künstlerische Kooperationen (und im seinen Falle für die Theaterarbeit in der Provinz) den Moment der Übernahme. In dem Moment, in dem sich eine Dorfgesellschaft der auf Zusammenarbeit beruhenden künstlerischen Arbeit und des durch die Recherche vor Ort entstandenen Kunstwerks bemächtigt, es weiterführt, verändert und es sich zu eigen macht, entsteht tatsächlich etwas Neues und Gemeinsames.128 Grundsätzlich ist bei fairen Kooperationen und bei gelingender partizipatorischer Zusammenarbeit entscheidend, wie die Machtverhältnisse sich gestalten: Gibt es einen Part, der mitarbeiten „darf“, oder haben alle Beteiligten ein Anrecht auf Mit-Autorenschaft? Müssen die Beteiligten sich erst einen gewissen Stand erarbeiten, also auf einem bestimmten Niveau Theater verstehen oder selbst gestalten können, oder werden die gegebenen Voraussetzungen in die Arbeit inkludiert? Bringt nur der eine dem anderen etwas bei, oder gibt es eine symmetrische Kommunikation, aus der beide profitieren? Einen gescheiterten Versuch, Theaterarbeit neu zu gestalten und einen kollaborativen Prozess der Teilnahme und Teilgabe anzustoßen, beschreibt Matthias Faltz aus seiner ersten Spielzeit als Intendant des HLTM. Die Zusammenarbeit mit der Universität Gießen und dem dortigen Institut für Angewandte Theaterwissenschaft war ein

128 Kranixfeld beschreibt dies ausdrücklich in seinem Bericht über die Arbeit auf der Schwäbischen Alb, Kranixfeld u. a. 2018.

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Versuch, künstlerische Experimente zu ermöglichen und sich gegenseitig Impulse für die jeweilige eigene Arbeit zu geben: „[W]ir haben [...] Treffen zwischen den Schauspielern und den Studenten von den Angewandten Theaterwissenschaft gemacht, und dann haben die im Theatersommer so ganz viele Formate gemacht; das war relativ zeitaufwendig und für beide Seiten [...] anstrengend weil [... es] so ganz viele unterschiedliche Arbeitsmethoden gab und sich manche dann auch irgendwie nicht so betreut gefühlt haben, wie sie es erwartet hätten“ (Faltz 2016). Unterschiedliche Erwartungen an den jeweiligen Partner und auch Vorurteile können eine Zusammenarbeit immer erschweren, führten in diesem Falle auch dazu, dass die Kooperation in der damaligen Form nicht weitergeführt wurde, jedoch den Grundstein legte für einzelne gemeinsame Projekte; „bei der Auswertung haben wir gemerkt, da gab es auch Vorurteile, was Stadttheater angeht, also wo die dann zum Teil geschimpft haben, wo ich gesagt hab: Leute, aber wenn ihr da ein Problem mit habt, wir müssen das nicht unbedingt wieder machen, also das ist ja jetzt eine Erfahrung – nee nee, das war ja super und ich sag na, aber das hat sich nicht so angehört, also ihr habt euch aufgeregt – [...] deswegen gibt es da in den letzten Jahren eher so Studenten, die sagen, ich würde gerne meine Diplominszenierung bei euch machen und zeigen und das gibt es immer wieder“ (ebd.). Die Annäherung der beiden Institutionen führte also zu neuen Einzelbeziehungen, was durchaus anzuerkennen ist, denn für jedwede Zusammenarbeit gilt, dass eine solche auch enden kann und eine Fortführung nicht erzwungen werden sollte. Faltz beschreibt den damaligen Versuch als einen, der von einer Struktur ausging und nicht von einem gemeinsamen Thema (vgl. ebd.), was zu den Unstimmigkeiten geführt hatte. Seine Konsequenz für ein nächstes Mal wäre, ein Thema vorzugeben, beispielsweise das Spielzeitmotto, „unter einem neuen Blickwinkel könnte man wieder starten, das man sagt, man trifft sich zu einem Thema; [...] man will gerne, was weiß ich, ein Semester lang sich mit Brecht beschäftigen und wir haben Brecht im Spielplan und das ganze Kontextmaterial erarbeiten wir zusammen und was machen wir so für Rahmenangebote, das kann man alles machen, aber dann müsste man [...] entweder von uns oder vom Institut [...] erst mal eine Idee auf die Agenda setzen“ (ebd.). Ein Impuls sollte also von einem der Partner kommen; wenn dann ein gleichberechtigter Prozess in Gang gesetzt werden kann, könnte Neues entstehen. Solche Vorschläge können durchaus von verschiedenen Seiten kommen – ob ein Studiengang oder das Theater ein Thema vorschlägt, ob eine Schulklasse oder eine Theaterpädagogin, ob eine Dorfgemeinschaft oder eine Landesbühne den ersten Annäherungsversuch wagt und eine Zusammenarbeit anbahnt, sollte eigentlich keinen Unterschied machen. Allerdings müssen die Menschen und Institutionen auch zu einem solchen Dialog ermächtigt werden, um Prozesse von Partizipation überhaupt anstoßen zu können. Für Mirko Schombert steht fest, dass „die Eröffnung der Möglichkeit teilzuhaben und sei es erst auch nur durch was Kleines, absolut zu Theater dazugehört und dass daher [...] grade in diesem öffentlichen Interaktiven, die Chancen und Möglichkeiten des Theaters liegen“ (Schombert 2016). Diese „rein idealistische ideologische Überzeugung“ (ebd.) scheint sich stärker als in anderen Theaterbetrieben gegen die Rahmenbedingungen behaupten zu müssen. In einem einfachen Schaubild (Abbildung 4.3 „Partizipation im Zwitterwesen Landesbühne“) soll zusammenfassend und als Überleitung zu den weiterführenden Betrachtungen dargestellt werden, dass die Landesbühnen sich in einer paradoxen Situation befinden: Sie sind Instrument der kulturellen Daseinsvorsoge, im Dienste einer

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Ermöglichung von Partizipation, werden jedoch durch eben diese Beauftragung in den Freiheiten so eingeschränkt, dass sie einer Erfüllung dieser Aufgabe im umfassenden Sinne nicht gerecht werden können. Positive Charaktereigenschaften des Konstrukts Landesbühne prallen auf die Arbeitsbedingungen und zerbrechen an der Hybridität seines selbst. Abbildung 4.3: Partizipation im Zwitterwesen Landesbühne

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Als Stadttheater scheinen die Landesbühnen bereits mehr Möglichkeiten zu haben und umzusetzen, wenn auch dieser Bereich durchaus noch ausbaufähig erscheint und der Prozess von Teilhabe, Teilnahme und Teilgabe nur in Einzelfällen vollumfänglich als Chance wahrgenommen und ausgestaltet wird. Als Reisebühne scheint ihnen das Potenzial, das in partizipatorischer, kollaborativer Arbeit liegt, gänzlich verwehrt zu bleiben, respektive es scheint als solches nicht wahrgenommen zu werden, aus den ausführlich beschriebenen Gründen: Das Selbstverständnis, ihre Beauftragung, ihre Rolle in der Theaterlandschaft und die damit verbundenen Verantwortungsfragen stehen im Weg und verhindern, dass das Potenzial ausgeschöpft wird. Und sie sorgen dafür, dass die kulturelle Vielfalt außerhalb des eigenen Theaterbetriebes, die sich zeigt in einzelnen Menschen, Orten oder anderen Akteuren der Kulturlandschaft und deren Arbeit in unterschiedlichster Erscheinungsform, kaum Berücksichtigung finden kann. Die Konzepte von Partizipation gestalten sich dementsprechend: Teilhabe wird als Maßgabe angesehen, Teilnahme und Teilgabe jedoch als Extras wahrgenommen, die sich, wenn überhaupt, nur die Stadttheater-Landesbühne leisten kann. Partizipation im umfänglichen Sinne als Kernaufgabe zu verstehen und ganzheitlich als Handlungsmaxime zu begreifen, scheint eine theoretische Vorstellung zu bleiben, die Forderung danach bleibt hypothetisch, denn sie ist nicht umsetzbar im Modell Landesbühne, so wie es sich derzeit darstellt. Solange der Auftrag der Landesbühnen sich so gestaltet, dass die professionelle Kunstproduktion und (die einfache, reine) Teilhabe an dieser im Mittelpunkt steht und er von ihnen derart ausgelegt wird, dass für eine Veränderung dieser Tatsache keine Begründung, gar Notwendigkeit besteht, scheint sich die Situation selbst zu bestätigen und zu verstärken. Welche Änderungen jedoch möglich

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scheinen, wie mit diesen Chancen umgegangen werden könnte und sollte, wo neue noch unentdeckte Möglichkeiten liegen, wie die Stärken die Schwächen zu überwinden versuchen könnten, soll nun im vierten und letzten Themenbereich betrachtet werden.

4.4 P ERSPEKTIVEN

EINES

T HEATERMODELLS

Mit der vorliegenden Arbeit soll nicht nur eine Analyse des Gegenstandes Landesbühne durchgeführt werden, sondern auch Entwicklungen aufgespürt und aufgezeigt werden, die die Theaterlandschaft sowohl in negativer, als auch positiver oder den Status Quo bewahrender Hinsicht betreffen. Anhand einer kritischen Betrachtung möglicher Zukunftsszenarien soll das Modell Landesbühne noch genauer beschrieben werden, um Ansatzstellen zu identifizieren für eine Reform der Theaters in Deutschland. Im Sinne diesen Vorgehens wurden in den Interviews im vierten Teilbereich Fragen gestellt, die dazu dienten, aktuelle Baustellen aufzuzeigen. Dabei blieben die Beschreibungen von möglichen Zukunftsvorstellungen von Landesbühne teils unkonkret, wurden dabei jedoch immer in Verhältnis gesetzt zu den Strukturen der Landschaft der Darstellenden Künste und verbunden mit einer Hinterfragung von Theater als Kunstform und als Ort gesellschaftlichen Austausches. Auch wenn die Antworten verständlicherweise teils sehr auf die individuelle Situation bezogen waren, lassen sich aus den Gesprächsverläufen insgesamt und aus den bereits ausgewerteten Fragebereichen Tendenzen ablesen, die nun in diesem Kapitel als Perspektiven aufgezeigt werden sollen. Aufgrund der komplexen Fragestellung und der übergreifenden Beantwortung folgt dieses Auswertungskapitel der empirischen Untersuchung einer anderen Struktur als die bisherigen. Mit einer Gegenüberstellung von Stärken und Schwächen, die sich widerspiegeln in Chancen für die Landesbühne und in Herausforderungen, gar einer erfolgreichen Zukunft im Weg stehenden Aspekte, sollen perspektivische Überlegungen durchgeführt werden, die so auch von den Gesprächspartnern mehr oder weniger explizit wahrgenommen werden, respektive in den Interviews zur Sprache kamen. Diese Blicke in mögliche Zukunftsvarianten werden in einem zweiten Schritt kombiniert mit den bisherigen Erkenntnissen und weiteren exemplarischen Ansätzen, die in der Praxis der Landesbühnen aufzufinden sind, um mit diesen einen Baukasten zu entwerfen, der für eine Neugestaltung der Theaterlandschaft als Werkzeug dienen könnte. Die bereits ausführlich bis hierher exemplarisch dargestellten Ansätze von Landesbühnenarbeit, die über die reguläre Gastspieltätigkeit hinausgehen, werden für die Zusammenstellung des Modellbaukastens aufgegriffen und unter Schlagworten zusammengefasst, die durch zusätzliche Beispiele erweitert werden. Ergänzt werden diese Ausführungen durch einen Exkurs: Auch in anderen europäischen Ländern gibt es unterschiedliche Modelle, mit denen institutionalisiert eine Grundversorgung mit den Darstellenden Künsten sichergestellt werden soll. Diese gestalten sich unterschiedlich; können aufgrund des jeweiligen Kontextes auch nicht als Schablone, aber im geringsten Falle als Hinweisgeber fungieren. Die Diskussion des so sich zusammensetzenden Modells von Theaterarbeit und der aus einer Verwendung des Baukastens resultierenden Konsequenzen und Herausforderungen rundet diese Untersuchung im folgenden fünften Kapitel ab.

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4.4.1 Schwächen und Stärken Dass es kaum möglich ist, von der einen Landesbühne zu sprechen, dass sich die Heterogenität des Konstrukts in den spezifischen Situationen, Aufträgen und Positionierungen ausformt, wurde hinreichend dargelegt. Auch die Überlegungen zu möglichen Zukunftsszenarien der Interviewpartner weichen je nach Einzelfall verständlicherweise voneinander ab. Die für den Einstieg in diesen Themenbereich vorbereiteten Fragen im Leitfaden für die Interviews wurden bei keinem Gespräch wörtlich verwendet – die Intendanten kamen von alleine und immer wieder auf Perspektiven zu sprechen und thematisierten sowohl Chancen als auch Gefahren, gleichermaßen von den Landesbühnen ausgehend als auch diese betreffend. Es soll nun bei aller Individualität betrachtet werden, welche Richtung das Konstrukt Landesbühne einschlagen könnte oder in welche es zur Zeit gedrängt zu werden scheint, es gilt also vom Einzelfall auf das Kollektivum zu abstrahieren, um das Modell Landesbühne neu zu beschreiben. Die einzelnen Abschnitte widmen sich der Ambivalenz bestimmter Themen, die sich zunächst als Schwäche darstellen, oft aber zu ein Stärke gewandelt werden könnten – dafür braucht es jedoch die entsprechenden Rahmenbedingungen und Steuerungsmechanismen, deren Gestaltung abschließend diskutiert werden muss. Wie zu erwarten war, sprechen sich alle interviewten Experten für eine grundsätzliche Zukunftsfähigkeit der Landesbühnen aus – alle vertreten den Standpunkt, dass Landesbühnen unverzichtbares Instrument für die Vielfalt der Landschaft der Darstellenden Künste sind und sind überzeugt, dass durch ihre Arbeit eine breite Teilhabe ermöglicht wird. Unterschiedlich wahrgenommen wird die Situation der Theaterkunst und der Theaterlandschaft insgesamt, was auch auf die jeweilige Position und Rolle der befragten Personen zurückzuführen ist; so nimmt es kaum Wunder, dass Kay Metzger, der in seiner Funktion als Vorsitzender der Landesbühnengruppe im Deutschen Bühnenverein und damit als Vertreter des Arbeitgeber- und Lobby-Verbandes der deutschen Theater- und Orchesterlandschaft als Experte ausgewählt wurde, ausdrücklich klarstellt, dass „die Theater ja besser besucht [werden], als man denkt, das zeigt ja auch die Statistik des Deutschen Bühnenvereins immer wieder und die deutschen Theater erreichen in einer Saison mehr Zuschauer als die Bundesliga beispielsweise. Was ja viele nicht glauben, aber das ist tatsächlich so“ (Metzger 2016). Überaltertes Konzept oder zeitgemäße Dienstleistung?

Allerdings stellt Metzger im gleichen Satz fest, dass man sich nicht auf dieser Tatsache ausruhen dürfe: „Luft nach oben gibt es immer; was in dem Zusammenhang eher Sorgen bereitet, ist die Tatsache, dass natürlich im ländlichen Raum Veränderungen stattfinden. In dem Sinne, dass Bevölkerungsschwund da ist“ (ebd.). Die mit dieser Änderung verbundenen Auswirkungen auf die Gastspieltätigkeit spürt auch Uwe Brandt, der im Gespräch mehrfach anspricht, dass sie im Grenzlandtheater „auf den Abstechern damit zu kämpfen [haben], dass es schwer ist, auch junge Leute da ins Theater zu kriegen“ (Brandt 2016).129 Der demografische Wandel wird von den Gesprächspartnern wahrgenommen und hinsichtlich der Zukunft der Theaterlandschaft kritisch

129 Wobei er mit „jungen Leuten“ auch die Zielgruppe der 30- bis 50-Jährigen meint, wie weiter oben ausgeführt.

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bewertet, zugleich sehen einige der Intendanten diese Entwicklung auch als Impuls für eine Neuausrichtung. Erstere Einschätzung, so die Meinung Kay Metzgers, hängt vor allem mit der finanziellen Lage der ländlichen Räume zusammen: „Das ist ein Thema, mit dem wir uns momentan sehr intensiv befassen, dass Kulturetats zusammengestrichen werden; wenn man früher acht Opern gekauft hat, kauft man vielleicht nur noch fünf oder vier. [...] wir versuchen, [...] mit unserem Spielplanangebot, mit unseren Gesprächen [dem] ein bisschen entgegen zu wirken. Was aber nicht im Umkehrschluss heißen darf, dass man aufgeben darf, weil ich glaube, dass dieser Ansatz, [...] dass ein Theater eigentlich von jedem Ort aus erreichbar sein muss – so wie man sich ein Buch kaufen kann – [...] schon gut ist [...]. Allerdings, machen wir uns nichts vor, wenn es tatsächlich drastische Einbrüche in der Bevölkerungsentwicklung gibt, dann ist es nachvollziehbar, dass die Angebote nicht mehr in der normalen Größenordnung abgerufen werden“ (Metzger 2016). Metzger sieht also die negative Entwicklung durch mögliche Einsparungen (finanzieller und dadurch in der Konsequenz auch kultureller Natur) als Tatsache an, stellt zugleich die Rolle der Landesbühnen heraus, die gegen solche Entscheidungen ankämpfen sollten. Aufgeben sei keine Option, da scheinen alle Interviewpartner gleicher Meinung zu sein. Doch wo verläuft die Grenze, ab welcher Neigung der Waagschalen zu Ungunsten der eigenen Überzeugung ist der Auftrag nicht mehr haltbar (vgl. dazu Abbildung 4.1)? Es zeigt sich hier eine der größten Schwächen der Landesbühnen, die immense Abhängigkeit von der finanziellen Ausstattung der Gastspielorte, in Verbindung mit den ausführlich beschriebenen Marktmechanismen. In den Genuss der LandesbühnenDienstleistung können nur die kommen, die es sich auch leisten können, die Leistung zu bezahlen. Diese Tatsache hängt eng zusammen mit einer Diskussion um Mindeststandards einer Grundversorgung und der Debatte um eine Freiwilligkeit kultureller Leistungen.130 Allerdings stellt sich gerade vor dem Hintergrund von Spardebatten verstärkt die Frage nach der gesellschaftlichen Relevanz von Theaterkunst im Allgemeinen und der Landesbühne als Modell im Besonderen, dies war ein Ausgangspunkt für diese Untersuchung. In den Gesprächen hinterfragte die Interviewerin die Grundkonstruktion der Landesbühne: Theater aus der Stadt aufs Land zu bringen, den Menschen dort also etwas zu bringen, was sie angeblich brauchen, was sie alleine nicht haben oder schaffen können.131 Diese Funktionalität birgt eine bestimmte Haltung, die man den Landesbühnen vorwerfen könnte, als herablassend und nicht mehr zeitgemäß, die von den interviewten Experten aber auch selbst reflektiert wird. Sie sind sich des Rechtfertigungsdrucks bewusst, der auf den öffentlich geförderten Theatern lastet. Für Uwe Brandt schließt diese nachvollziehbare Kritik an dem grundlegenden Gestus nicht aus, dass die Landesbühne dennoch ein wichtiges und funktionierendes Modell für Theaterdistribution sei, das nach wie vor auch vom Publikum sehr positiv aufgenommen würde: „Diese Grundidee Landesbühne, [...] – das klingt ja so ein bisschen überheblich – [...] wir bringen das Theater aufs Land. [...] Das gibt es ja in der Form so extrem nicht

130 Dies wurde ausführlich in dieser Arbeit angesprochen, siehe dazu Kapitel 2, insbesondere 2.1.1. 131 Es wurde bereits verschiedentlich thematisiert, dass dies auch zusammenhängt mit der grundsätzlichen Problematik einer Grundversorgung: Wer entscheidet wie, wo was fehlt und was dort verbessert werden sollte.

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mehr; aber man kommt eben mit einer hochprofessionellen, hochqualitativen Produktion mit absoluten Profis [...] aus einem Theater per LKW und starken Männern und Frauen [...] in das Dorf, in die Kleinstadt oder in die Gemeinde [...]. Das lieben die Leute“ (Brandt 2016). Dass es vor allem eine bestimmte Gruppe an Menschen ist, die diese Art von Theater lieben, kann einerseits als Nachteil ausgelegt werden, allerdings könnte man auch argumentieren: Besser einige wenige erreichen, als gar niemanden. Außerdem, solange sich noch Besucher einfinden in die Vorstellungen der Landesbühnen daheim und unterwegs, scheint diese Art der kulturellen Dienstleistung ja durchaus noch angenommen zu werden und demnach nicht obsolet zu sein. Thorsten Weckherlin weiß um das Vorurteil gegenüber der Landesbühnen, eine Form des Kulturimperialismus zu praktizieren,132 verwehrt sich diesem aber in dem Gespräch: „Sie beschreiben da eine Form von Arroganz: ‚wir machen so das richtige Theater‘; das hat wahrscheinlich irgendwann manchmal den Anschein, aber dafür bin ich viel zu bodenständig und dafür [...] bin ich dann auch zu neugierig, um auch neue oder andere Publikumsschichten zu generieren oder auch zu interessieren. Wir sind ja so unterschiedlich geworden hier, in dieser Welt; [...] ich krieg das selbst in meiner Familie [mit], dass es nicht so selbstverständlich ist, Leute mit Theaterkunst zu beseelen“ (Weckherlin 2016). Die Relevanz der Darstellenden Künste in der sich ändernden Gesellschaft herzustellen und zu stärken, dieser großen Aufgabe sehen sich alle Kulturinstitutionen und Akteure ausgesetzt – auch wenn die Diskussion darüber bereits zu ermüden scheint. Ein Künstler des PENG-Künstlerkollektivs entschied sich daher während seines Kurzvortrages im Rahmen des Symposiums „Zukunft des Tanzes“ zu einer Abkehr des Begriffes „Relevanz“ und schlug vor, lieber von „Urgenz“ zu sprechen: Themen von aktueller Wichtigkeit inhaltlich und künstlerisch aufzugreifen, müsste Kern des Handelns sein (vgl. Schröck 2018b). Hier scheint der Spielraum der Landesbühnen sehr eingegrenzt, denn das Aufgreifen urgenter Entwicklungen scheint nicht vereinbar mit den Planungs- und Arbeitsprozessen der Reisebühnen. Man kann dazu neigen, die Landesbühnen als Paradebeispiel zu sehen für den Vorwurf: Überall zu viel und das Gleiche und für immer Dieselben. Dagegen streiten die Gesprächspartner mit ihrer täglichen Arbeit an, auch wenn sie den Zwängen ihres Auftrages und den Eingrenzungen der Marktmechanismen nur in kleinen Schritten entfliehen können. Die Abhängigkeit von Gastspieletats und von der Finanzlage der Kommunen und Länder kann Entscheidungen beeinflussen; ein weiteres großes Manko der Landesbühnenkonstruktion scheint darüber hinaus die Begrenzung der Ermöglichung von Partizipation nur für eine bestimmte Gruppe zu sein. Teilhabe weniger statt aller?

Landesbühnen scheinen eigentlich prädestiniert dazu zu sein, Theater wichtig sein und wichtig werden zu lassen, denn – theoretisch – sind sie nah dran an den Menschen und der Gesellschaft. Der Bezug zwischen Kunst und Menschen sei das entscheidende Kriterium für die Darstellenden Künste: „Tempel der Kunst sind nicht so zukunftsfähig; es braucht die ständige Reibung zwischen den Zuschauenden und den Künstlern

132 Weckherlin verwendete diese Bezeichnung in den Diskussionen in Memmingen, als er seine Motivation für die Teilnahme an TRAFO damit begründete, der Kulturimperialismus sei zu beenden, vgl. Schröck 2019.

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im Theater. Der Theaterkünstler ist eben kein autonomer Verfertiger von vollständigen Werken. Sein Werk ist erst da, wenn es jemand sieht. Und dieses Bewusstsein gilt es bei Theaterleuten immer wieder zu stärken; dass sie diesem Irrtum nicht unterliegen. Sie sind keine bildenden Künstler, die etwas fertig machen und dann sagen: ‚so, jetzt guckt mal‘“ (Schöbel 2016). Durch ihre Reisetätigkeit kommen die Landesbühnen in Berührung mit vielen unterschiedlichen Menschen, Teilen der Gesellschaft; zwar immer nur mit einem exklusiven Teilbereich, aber auch dieser ist in sich heterogen, wie Manuel Schöbel weiter ausführt: „[W]ir fertigen vor den Augen unserer Zuschauer und vor den Ohren unserer Zuhörer. Und [...] durch diesen Gedanken vieler Orte, vieler Menschen Mitdenkens, für die ich was mache, wird das befördert. Und das ist nicht zum Schaden. [... . Das Theater] muss seinen Platz dort finden, wo es unmittelbar und schneller als andere Künste reagiert, auf das, was dem Menschen widerfährt und geschieht. Was unsere Gesellschaft prägt. Und es muss immer ein Ort sein, [... für:] ‚ich kann hier kommunizieren, [...] ich höre hier ganz öffentlich Meinungen, ich erfahre Möglichkeit, es wird ein Leben durchgespielt, so könnte es auch sein und ich bin dabei‘; das ist ein Ermutigungsprozess für Leute und der sollte möglichst [...] für [alle] Bürger Deutschlands, egal wo sie grade wohnen, zugreifbar sein“ (ebd.). Diese Vielfalt der Augen und Ohren müsse sich auch wiederfinden in den Strukturen und Inhalten, so wünscht sich Schöbel, „dass das Sprechtheater sich noch weiter vom Literaturzentrismus entfernen kann und sich noch mehr als ein multilinguales Theater, was mehrsprachig agieren kann, entwickelt; in Hinblick auf die zu erwartende Gestalt unserer zukünftigen Städte und Gemeinden, die aus Menschen aus vieler Herren Länder zusammengesetzt sein werden; nichtsdestotrotz können die alle und sollen die alle diese wunderbare Kultur und die Literatur dieses Landes, des deutschsprachigen Raumes genießen, bei uns, in den Theatern, aber gleichzeitig ist es wichtig, dass so wie unser Repertoire international ist, auch unsere Theatersprachen, sowohl die wirklich gesprochene Sprachen als auch die Sprachen der Bühne, der Maske, der Musik – die ganze Welt atmen. Und wünsche mir, dass viel dafür getan wird, dass die Ausbildung der Künstler so ist, dass sie das lernen, dass das befördert wird, dass wir viel dafür tun, unsere Infrastruktur so zu stärken, dass das in den nächsten Jahren gelingt“ (ebd.). Schöbel spricht die Notwendigkeit an, Repräsentanz auf allen Ebenen herzustellen und zu ermöglichen; eine Aufgabe, die nicht alleine den Landesbühnen zuzuschreiben ist, da sie eine gesamtgesellschaftliche und eine kulturpolitische im weiteren Sinne ist, aber auch gerade deshalb ein Anliegen ist, dem sich die Landesbühnen als öffentliche Kulturinstitutionen widmen müssen. Landesbühnen könnten und sollten als Entdecker und Aufdecker von Entwicklungen dienen, Theater als Reagenz der Gesellschaft – bei gleichzeitiger Beibehaltung der Vielfalt, Neues entdecken und Altes bewahren – eine große Aufgabe, deren Erfüllung durch die Tatsache strauchelt, dass das tatsächliche Wirkungsfeld sehr begrenzt ist. In ihren Möglichkeiten versuchen die einzelnen Bühnen zu reagieren, sei es durch die Stärkung von Tanz als Kunstform, die ohne das gesprochene Wort auskommt oder durch Angebote, die beispielsweise auf Migration und Flucht reagieren. Dass solche Projekte immer noch als Besonderheit herausgestellt werden, dass die Beschäftigung eines Mitarbeiters mit einer Herkunft aus einem Krisengebiet immer noch eine Pressemeldung wert ist, zeigt wie wenig diese tatsächliche Veränderung unserer Gesellschaft als Tatsache angenommen und immer noch als Phänomen diskutiert wird (vgl. Schröck 2017b). Darüber hinaus sind Projektvorhaben, die sich explizit als inklusiv betrachten

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und versuchen, der Diversität der Gesellschaft gerecht zu werden, leider oftmals dennoch mit einem rein westeuropäischen Theaterverständnis konzipiert, selbst wenn man zur Rezeption nicht einer bestimmten Sprache mächtig sein muss, können die differierenden kulturellen Konnotationen zu Missverständnissen führen (vgl. ebd.). Eine Möglichkeit der (neuen) Verankerung der Bedeutung von Theater kann auch sein, das Publikum und die Entscheider von morgen rechtzeitig zu begeistern und zu beteiligen. Nur wenn die Darstellenden Künste wieder eine Anerkennung erfahren, auf allen Ebenen, nicht nur beim Publikum, den (Noch-)Nicht-Besuchern und den politischen Entscheidern und Geldgebern, muss man nicht länger überlegen, wie man Hindernisse überwindet: Barrieren dürften gar nicht erst entstehen, meint Matthias Faltz, „wenn man das so nicht erlebt hat und kennengelernt hat, dann tut man sich schwer damit, [...] hindert die Leute dann auch später ins Theater zu gehen; weil sie denken, das ist nichts für mich, das ist was für schlaue Leute oder so; und diese Hemmschwelle abzubauen, das wäre schon wichtig, [...] dass diese Berührungsängste, ins Theater zu gehen, abgebaut werden; und das hat einfach mit Erfahrung zu tun, die sie nicht [...] oder zu wenig gemacht haben, und dass versuche ich permanent abzubauen und das ist natürlich durch jeden, [...] als Statist oder Chorsänger [...] ist, [...] weniger. [...] Das sind ja ganz normale Leute“ (Faltz 2016). Diese „normalen“ Leute zu erreichen, könnte eine Stärke der Landesbühne sein: Die gezielte Ansprache, eine Verbindung herstellen und mit dieser Stärke und Begründungen einer Relevanz könnte argumentativ gegen die Einschränkungen und Abhängigkeiten der Landesbühnenarbeit und des Gastspielmarktes angekämpft werden. Dafür bräuchte es aber vielleicht eine bewusste Entscheidung für eine Zielgruppenorientierung, die einen neuen Fokus ermöglicht und dadurch Teilhabe und Teilnahme befördert. Mehr Theater für mehr Menschen – diese Forderung, die insbesondere im Kinderund Jugendtheater immer wieder gestellt wird, könnte mit den Landesbühnen organisch verbunden sein. Die Landesbühnen bezeichnen sich selbst als wichtige Akteure im Kinder- und Jugendtheater, wie unter anderem Thorsten Weckherlin betont; „wir waren für die Stadttheater Vorreiter, also die Landesbühnen an sich, was das Kinderund Jugendtheater angeht. [...] eine richtige Sparte aufzubauen, war für das LTT hier in Tübingen eine Selbstverständlichkeit, schon immer [...], war glaub ich auch Vorreiterrolle für die anderen Bühnen; [...] und mit diesen Stücken tatsächlich in die Schulklassen zu gehen oder in die Aula oder sonst wohin und junges Publikum zu beglücken oder auch nicht – oft teilweise zu enttäuschen, das finde ich sehr spannend. Und das finde ich als kulturpolitischen Auftrag [...] gut“ (Weckherlin 2016). Davon ausgehend könnte sich doch hier eine mögliche Zukunftsorientierung eröffnen: Einen Schwerpunkt zu legen auf Formate, die eine Beziehung zwischen den sogenannten normalen Menschen und dem Theater entstehen lassen, im Alltag und in der Lebenswelt verankert – im ersten Schritt durch das Angebot für junges Publikum, in weiteren Schritten durch mehr partizipatorische Angebote und zielgruppenspezifische Besetzung von Alltagsorten und Themen – auch wenn diese hier nun vorliegende empirische Untersuchung eine Entfaltung in diesem Bereich leider noch kaum wahrnehmen kann. „Schwarzbrot und Butter“

Die Möglichkeiten der Landesbühnen, eine solche Aufgabe zu meistern, stellen sich als eingeschränkt dar: Strukturveränderungen und Experimente scheinen nur im Stammsitz oder in befristeter Projektarbeit in Angriff genommen zu werden, beziehungswei-

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se werden zu können. Als Reisetheater sind sie Spezialisten ihres Faches – nur leider beinhaltet dieses Fach hauptsächlich Adaption denn ortsbezogene Kreation. Die Landesbühnen bedienen all die Menschen, die nicht selbstständig für ein Theatererlebnis eine Reise aufnehmen können oder wollen (und sei die Reisezeit auch noch zu kurz, die Entfernung noch so klein), scheinen jedoch nur wenig in der Position, den geschilderten Mangel an Relevanz und Anerkennung zu bekämpfen. Eine der Schwächen, die in den Selbstbeschreibungen der Landesbühnen wahrzunehmen ist, ist die konträre Selbstbeurteilung: Experten für die Gastspieltätigkeit, die sich trauen, selbst widrigen Bedingungen zu trotzen, die ohne Heizung und gegen das Tageslicht, mit Turnhallenakustik und ohne Garderobe professionell Theateraufführungen durchziehen – doch die der Mut fürs Risiko verlässt, wenn es darum geht, mit Seherfahrungen zu brechen oder auf neue künstlerische Wege umzuschwenken. Ein solcher Vorwurf ist natürlich in Anbetracht der Abhängigkeiten nicht zu halten; doch es stünde den Landesbühnen gut zu Gesicht, sich selbst neu zu positionieren. Eigenschaften und Attribute, welche die interviewten Intendanten sich selbst und ihren Bühnen zuschreiben, stellen das Theater der Landesbühnen als robuster, direkter, ehrlicher als anderes Theater dar. Darauf scheinen die Intendanten stolz zu sein, aber gleichzeitig auch damit zu hadern, denn diese Beschreibungen können auch negativ behaftet sein. Im Gespräch drückt Thorsten Weckherlin mit folgender Formulierung aus, welchen Stellenwert die künstlerische Arbeit der Landesbühnen innerhalb der Ausrichtung als „Gebrauchstheater“ zu haben scheint: „[W]ir haben auch Glück, Gernot Grünewald wird jetzt plötzlich mit einer Produktion, die er hier gemacht hat [...], für den FAUST nominiert, [...] – das ist so nette Butter, die man plötzlich noch dazu kriegt [...] zu dem Schwarzbrot, was man da sonst so zu machen hat“ (Weckherlin 2016). Lässt sich dies in dem Sinne interpretieren, dass Landesbühnenarbeit die bodenständige Versorgung mit dem Notwendigsten bedeutet – alles darüber hinaus ist ein Extra; trocken Brot für jeden, gebuttertes Brot für einige Ausgewählte? Oder anders: Für wen reicht Brot, wer bekommt Butter und warum? Diesen Fragen kann sich die Landesbühne nicht alleine stellen, da sie nicht alleiniger Produzent und Lieferant ist und somit nur teilweise über die Gestaltung des künstlerischen Abendbrots entscheidet. Der größte Hindernisgrund, in künstlerischer Hinsicht mehr aufzutischen, liegt in der Unsicherheit, welche Konsequenzen das Handeln haben könnte, denn „seien wir doch mal ehrlich, wir wollen doch wiederkommen“ (Schirmer u. a. 2016), so Marcus Grube, „wenn ich jetzt sage, nach mir die Sintflut, das kann nicht funktionieren“ (ebd.). Um die Metapher gänzlich auszureizen: Eine Umstellung der Ernährung muss fürsorglich erfolgen, auch wenn die Gastspieltätigkeit es nicht einfach macht.133 Qualität kombiniert mit einer gewissen Risikobereitschaft ist hierfür notwendig, das meint auch Kay Metzger, „man muss nicht nur in die Deckung gehen, man kann auch schon wirklich versuchen, gewisse Visionen zu verfolgen“ (Metzger 2016), wenn es Rückendeckung dafür gäbe, von den Gastspielorten als Partner, das schiebt Metzger hinterher, „das ist mir wichtig, im

133 Peter Grisebach verwendet ein ähnliches Bild, wenn er beschreibt, wie herausfordernd es für das SHL und dessen Publikum es war, sich aneinander zu gewöhnen: „Das ist so wie: plötzlich kommt ein anderes Essen auf den Tisch. Wo mir das andere doch immer geschmeckt hat; warum soll ich denn das essen, was ich nicht kenne? Oder was anders aussieht?“ (Grisebach 2016).

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Grunde genommen, dieses partnerschaftliche Verhältnis zwischen Landesbühne und Gastspielbühne“ (ebd.). Bei aller durchscheinenden Selbstskepsis, dass die Landesbühnen dem Vergleich mit der großen Schwester Stadttheater nicht in allen Belangen Stand halten können, stellen einige der Gesprächspartner heraus, dass die Landesbühnen längst auf einem anderen Niveau arbeiteten als vor einigen Jahren; solange diese Rechtfertigung notwendig ist, kann sich allerdings auch wenig Entwicklung abzeichnen. – Auch hier zeigt sich wieder eine Parallele zum Kinder- und Jugendtheater: Wenn man dem Genre und den Akteuren nicht den notwendigen Respekt zollt, scheint es immer nur eine Entwicklungsstufe zu sein: Sprungbrett wird es positiv genannt; man könne viel lernen; es würde einen fit machen für später (bezogen sowohl auf das Publikum als auch die Darsteller), die künstlerische Qualität oder der dahinter stehende Anspruch werden oftmals vorverurteilend als minder angenommen.134 Für mutige Schritte braucht es ein gesundes Selbstbewusstsein: Vertrauen auf die eigene Qualität, aber auch darauf, das Publikum und seine Reaktionen richtig einzuschätzen. Zwar ist der Kontakt mit den Zuschauern nur kurz, manchmal selten, aber die unmittelbare Reaktion kann zu einer Auseinandersetzung führen und vielleicht sind eine notwendige Provokation und ein Bruch mit den Erwartungen genau der richtige Anstoß. Zudem kann die Landesbühne die Heterogenität ihrer Publika nutzen, um Erfahrungen mit ihren Reaktionen zu sammeln und auszutesten, ob und was vielleicht trotz aller Befürchtungen ein Erfolg werden könnte und so nach und nach mehr „Butter“ einführen und den Menschen im positiven Sinne mehr zumuten. Bevor erneut die Mechanismen des Gastspielmarktes als Hindernis aufgeführt werden, sei auf die Darstellungen Anna Scherers verwiesen, die das Kinder- und Jugendtheater als erfreuliche Ausnahme innerhalb des Landesbühnenbetriebs beschreibt: Die Auswahl der Gastspiele erfolge weniger über Titel als über das Zielgruppenalter, sodass in diesem Feld neue Formate ausprobiert, neue Autoren uraufgeführt und Experimente möglich werden könnten (vgl. Scherer 2019.). Die Landesbühnen haben bereits Erfahrungen gesammelt, dass auch Unbekanntes zu Erfolg führen, dass auch Ungewöhnliches funktionieren kann; sie haben die handwerkliche Qualität, das Know-how und sie haben das Vertrauen ihrer Partner und im besten Falle auch des Publikums. Eine Grundversorgung mit Darstellender Kunst kann als Basis verstanden werden, doch kann nicht genau diese Verantwortung in positiver Hinsicht so gedeutet werden, dass es eben nicht nur um die Grundbedürfnisse geht, sondern auch darum, etwas darüber Hinausgehendes zu ermöglichen? Hier zeigt sich ein weiteres Potenzial der Landesbühnen: Theater in die Fläche zu tragen, könnte auch Entwicklungsmotor für neue künstlerische Tendenzen sein; Landesbühnen könnten sich in ihrer partnerschaftlichen Rolle verstärkt als Impulsgeber begreifen, als Experimentierraum, ohne das Publikum und die Veranstalter zu vergessen. Dass es für die Ausnutzung solcher Potenziale und das Ausleben der Stärken Unterstützung bedarf, ist logisch und wird in den abschließenden Schlussfolgerungen aufgegriffen. Spagat mit doppeltem Standbein

In der Theaterarbeit im Stammsitz scheint eine Ausgewogenheit zwischen Schwarzbrot und Butter stärker möglich zu sein, als unterwegs in der Rolle als ein Anbieter

134 Auf die entsprechenden Aussagen der Intendanten wurde bereits mehrfach hingewiesen; vgl. dazu auch Kapitel 2.2.5 und weiterführend Schröck 2011a.

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unter vielen. Die Schizophrenie ihrer Konstitution, dabei weder pures Stadttheater nur reine Reisebühne zu sein, ist für die Landesbühne absolut prägend, doch ob er ihr zum Vor- oder Nachteil gereicht, ist auszuloten: Wenn Landesbühne sich stets nur mit den Stadttheatern vergleicht, kann sie diesem Vergleich nie gerecht werden, dies wurde hinreichend besprochen; wenn sie ihr Handeln nur darauf ausrichtet, zu versuchen, Stadttheater unter widrigen Umständen zu kopieren, kann dies dem Selbstbewusstsein und auch der Qualität schaden. Natürlich hat die Verankerung in einer oder in mehreren Sitzstädten positive Aspekte: Rückhalt vor Ort, direkter Dialog, das Ausprobieren neuer Formate und das Reagieren auf aktuelle Ereignisse. Natürlich könnte die Reisetätigkeit ein Vorteil sein: Nicht nur, weil dadurch eine kulturelle Versorgung ermöglicht, Theateraufführungen zu den Menschen gebracht werden, sondern auch weil Landesbühne als Institution erfahren könnte, was die Menschen in den unterschiedlichen Gebieten bewegt, welche Themen dort auf welche Weise verhandelt werden – oder welche eben nicht urgent erscheinen. Der Spagat zwischen Stadt und Land, zwischen Erwartungshaltungen und Anspruch, spiegelt sich wider in der Risikobereitschaft der Intendanten. Thorsten Weckherlin beschreibt diesen als anstrengend und in gewisser Weise ambivalent: „Das ist typbedingt, also [...] wie weit kann ich gehen? Ich würde teilweise viel weiter gehen, aber dann habe ich wieder – seien es meine Großeltern, oder meine Bekannten, oder meine jüngste Schwester, die gar nicht so weit gehen würde, und dann denk ich mir; ein Theater, das leer gespielt ist, ist dann auch wieder nicht gut. Also ich brauch tatsächlich dieses Korrektiv auch für meinen Kopf. Dass ich sage, das ist ein Spagat. Der ist anstrengend, da gebe ich Ihnen ganz Recht“ (Weckherlin 2016). Hier wird also das Potenzial, dass man seine Theaterkunst unterschiedlichen Zuschauergruppen zur Bewertung vorlegen kann und muss, als ein hemmender Faktor wahrgenommen und gewertet – es erfolgt immer eine solche Bewertung, sowohl durch die unmittelbare Reaktion als auch durch das geäußerte Feedback und gegebenenfalls durch Konsequenzen des Handelns, wie ein künftiges Fernbleiben oder aber auch ein Wiederkommen. Die mangelnde Risikobereitschaft wird begründet mit mangelnden Gestaltungsmöglichkeiten: Man würde ja, wenn man könnte – diese Konzentration auf eine Einschränkung sollte ebenfalls gewendet werden in ein mögliches Potenzial: Landesbühne könnte in der Sitzstadt, am eigenen Standort, mit der dortigen engen Beziehung zum Publikum, neue Ansätze austesten, weiter gehen, als es das Publikum bisher gewohnt ist und diese Formate dann auf Reisen schicken. Genauso könnte sie die heterogenen Anforderungen und die Vielfalt der Publika als Chancen nutzen, wie es auch einige der Intendanten äußern. Dass eine Produktion in der einen Stadt nicht funktioniert, heißt nicht, dass sie in einer anderen Stadt nicht erfolgreich sein könnte und umgekehrt. Friedrich Schirmer unterteilt die Theaterarbeit in eine Matrix von Erfolg und Qualität: „[F]ür mich gibt es die vier Kategorien von Produktionen. Bei der Generalprobe stelle ich fest, eine Produktion hat eine Qualität, bei der Premiere weiß ich, ob sie Erfolg hat. Ich stelle fest, eine Produktion hat keine Qualität; sie hat trotzdem Erfolg; sie hat Qualität und keinen Erfolg; sie hat keine Qualität und keinen Erfolg. Diese vier Grundmodelle gibt es und dazwischen bewegen wir uns in Schattierungen und das [...] macht Wandertheater aber so schwierig“ (Schirmer u. a. 2016). Dass reisendes Theater immer auch mit dieser Art der Unsicherheit auskommen muss, ist den Gesprächspartnern bewusst, zeigt aber

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auch, dass ein Kennenlernen der Spielorte und der Publika schlichtweg essenziell ist und bleibt. Das Bild eines Standbeins beinhaltet immer auch das einen Spielbeins: Fest verankert zu sein an einer Stelle ermöglicht freie Bewegung auf den Seiten. Dies kann sich nicht nur auf künstlerische Experimente beziehen, sondern im Falle der Landesbühnen auch auf die finanzielle Struktur. Es wurde bereits angesprochen, dass sowohl die Hybridität der Landesbühnen als auch die mehrgliedrige Trägerschaft zum Nach- wie zum Vorteil gereichen kann: Die Konzentration auf dem Stammsitz kann mit den dort generierten Einnahmen zusammenhängen, genauso wie mit den Verpflichtungen gegenüber der jeweiligen Geldgeber. Gleichermaßen dienen Gastspiele als Einnahmequelle und die Bespielung der Fläche wird ebenso von den Trägern eingefordert. Es liegt in der Natur der Sache, dass immer ein Bein mehr belastet wird: Sicherheit in finanzieller Hinsicht im Stammsitz könnte zu einer größeren Risikobereitschaft im Reisegeschäft führen – doch diese Rechnung ist wieder ohne die Gastspielveranstalter gemacht, denn diese haben meist kein zweites Standbein. Vielleicht könnten die Landesbühnen die Partnerschaft in dem Sinne stärken, dass sie das Risiko mehr auf ihre Seite ziehen? Auch dies wäre im Einzelfall genauer zu prüfen. In den Gesprächen, in dieser Untersuchung und auch in der Literatur, die sich den Landesbühnen widmet, fallen Begriffe wie Spagat, gerne als Dauerspagat (vgl. Burkhardt 2014) oder doppelter Spagat differenziert, Balance oder Jonglage. Anstatt sich auf die damit verbundene Dehnung und Anstrengung zu konzentrieren, sollte ein Fokus auf die daraus resultierende Stärke gelegt werden: Nur durch eine feste Verankerung ist eine solche sportliche Übung zu meistern. Die Landesbühnen haben Rückhalt in ihren Sitzstädten und den festen Partnerorten, können darauf vertrauen und sollten die daraus entwachsenen Synergien in den Fokus rücken: Zumindest bei den regelmäßig bespielten Spielorten entsteht ein Verhältnis, das über eine reine Verkaufsabwicklung hinaus geht, können Reaktionen und Erfahrungen die eigene Arbeit zurückspiegeln. Die Kenntnis der Veranstalter über ihre Region könnten ebenso genutzt werden für die Arbeit in der Heimat, wie der Dialog mit dem heimischen Publikum Impulse für die Arbeit unterwegs geben kann. Eine mögliche Diskrepanz zwischen der Programmgestaltung in der eigenen Stadt und der Tatsache, ein Programmpunkt von vielen verschiedenen zu sein, könnte produktiv genutzt werden, um Desiderate des Angebots und innerhalb der Struktur der Theaterlandschaft festzustellen und darauf zu reagieren. Überlebenskünstler und Lückenbüßer?

Bei allen Unwägbarkeiten, die ein Blick in die Zukunft des Theaters als Kunst und als Institution aufzeigt, scheinen sich die Intendanten sicher, dass die Darstellenden Künste nach wie vor eine unverzichtbare kulturelle Ausdrucksform sind. Das Bedürfnis nach einer Auseinandersetzung mit den großen Themen, einem Verhandeln von Geschichten und Geschichte sei nach wie vor ungebrochen, sogar bedeutsamer denn je, wie Marcus Grube trotz aller Herausforderungen befindet: „Andererseits gibt es eine Sache, die dem Theater auf eine gewisse Art und Weise hilft. [...] je komplexer die Probleme sind, [...] oder je schwieriger auch eine gesellschaftliche Situation ist; davon profitiert das Theater auf eine Art. Weil die Leute [...] haben irgendwie eine Ahnung eingepflanzt, dass sie sagen, jetzt müssen wir auch mal wieder ins Theater gehen. Nicht weil sie sich weg unterhalten lassen wollen, wie im Musikantenstadl, wo man dann Sahne drüber gießt und dann ist alles wieder gut“ (Schirmer u. a. 2016). Eine

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Einschätzung, die Friedrich Schirmer ergänzt, durch die Überzeugung, dass Theater „ein uraltes Menschheitsgeschenk [ist]; und dieses Theater wird es immer geben; ob es die Betriebe geben wird, ob es die Staatstheater geben wird; ob es die Stadttheater geben wird; kann ich nicht beantworten“ (ebd.) – er beschränkt diese Aussage jedoch, denn „eine Form von Theater, die mich betäubt, die mich ablenkt, ja die einfach alle Stimmen in mir so überlagert, das Theater meine ich nicht“ (ebd.). Theater also in seiner Daseinsberechtigung als Ort des gesellschaftlichen Diskurses. Dass jedoch die Menschen von sich aus die Bedeutung dieser Kunstform wahrnehmen würden, mag für einen Teil gelten, aber nicht für alle, darauf wurde ausführlich hingewiesen. Für die Betrachtung der Theaterlandschaft ist vor allem die Annahme wichtig, dass Theater als Kunstform eine gewisse Resilienz in sich zu tragen scheint, die Friedrich Schirmer bildhaft beschreibt: „Ich weiß nur, wenn es eine Kunst-, eine Theaterorganisationsform geben wird, die [...] ein großes Überlebenspotenzial hat, dann sind es die Wanderbühnen. Denn dann ist es wieder so wie zu Shakespeares Zeiten die Truppe, die ihr Zeug zusammen aus dem Koffer holt [... und] es kann stattfinden; [...] ich glaube [...] die Landesbühnen sind da eine sehr unterschätzte Organisationsform, weil die können verdammt viel. Und sind zudem flexibel, reisefähig, können ihr Zeug überall hintragen; in die abgelegensten Hallen, in die abgelegensten Orte, können wir für einen Moment, wenn es gelingt, Theater zaubern. Das können die großen Häuser so eher nicht. Die großen Häuser sind eher [...] wie ein Riesentanker, da ist der Bremsweg alleine schon sieben Seemeilen, [...] wir sind eine kleine, flexible Einheit mit sozusagen einem zentralen Schiff und kleinen Beibooten [...] – ich mach mir um die Zukunft der Landesbühnen keine Sorgen“ (ebd.). Dass sich die Landesbühnen als kleine, wendigere Variante von reisefähigen Stadttheater bezeichnen und verstehen, macht sie vielleicht resistenter gegenüber Bedrohungen und Veränderungen, kann jedoch auch die Wahrnehmung stärken, sie als Art Lückenfüller anzusehen: Kay Metzger spricht zwei mögliche Zukunftsvarianten an, so „könnte man von zwei Horrorszenarien sprechen: Das eine ist die Verzichtbarkeit von Landesbühnen [...], das andere ist die Verzichtbarkeit von gewissen Theaterstandorten, weil es Landesbühnen gibt“ (Metzger 2016). Ein Verzicht auf das Konstrukt Landesbühne wäre denkbar, wenn man sich entweder von der Idee einer staatlich garantierten Grundversorgung verabschiedet oder aber anderen Akteuren dieses Feld überlässt, zum Beispiel den Stadttheatern; „ein Theater, nehmen wir mal eins, etwas dezentral, Oldenburg, beispielsweise, die könnten doch auch die Aufgabe wahrnehmen, die die Landesbühne Nord inne hat, nämlich dann mit Produktionen rausfahren“ (ebd.). Metzger selbst stellt (erwartungsgemäß) sogleich diese Möglichkeit selbst wieder in Frage, verweist auf die notwendigen Kompetenzen für eine professionelle Reisetätigkeit: „Allerdings muss man dazu sagen, können die das – Fragezeichen?“ (ebd.). Eine Stärkung der Rolle der Landesbühne in dem Sinne, dass man stehende Theater mit eigenem Ensemble zu ihren Gunsten auflöst, wäre eine andere Alternative: „Man kann sagen eine Stadt wie Wuppertal, Hagen, um jetzt mal so ganz extreme Beispiele zu nehmen, sind finanziell am Ende; gut, dann sollen sie aus ihren Häusern Bespieltheater machen und die Landestheater kümmern sich drum, dass diese Häuser bespielt werden“ (ebd.). Wollte man auf die Landesbühne gänzlich verzichten, könnte man die genannten Negativaspekte dafür als Argumentation ins Felde führen: Die Landesbühne kann keine Verankerung vor Ort schaffen, sie kann keine Verbindung zum Publikum in den verschiedenen Gastspielorten herstellen, sie kann nicht in künstlerischer Hinsicht avant-

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gardistischer Vorreiter sein – all das könnten Stadttheater oder freie Projekte besser und effektiver erreichen. In gleichem Sinne könnte man damit auch den anderen Ansatz entkräften: Stadttheater aufzulösen und durch Landesbühnen bespielen zu lassen, würde die regionalen Strukturen erschüttern, wäre also (auch) keine nachhaltige Lösung, sondern würde zu einer Verschlechterung der Situation führen. Kay Metzger betont die Vielfalt der Theaterlandschaft in ihrer Einzigartigkeit, die es zu schützen gelte, bei allem Lob der Landesbühne glaube er „allerdings auch an die Wertigkeit des Stadttheaters [...], wenn ich jetzt zum Beispiel übermorgen an ein Stadttheater wechseln würde, hätte ich nicht das Bedürfnis, dieses Stadttheater jetzt unbedingt auf Landesbühne zu trimmen, sondern ich wäre dann sehr dankbar, dass ich, wie es das Wort ja auch sagt, ein Theater für eine Stadt machen kann und mich in eine Stadt hineindenken kann; viele Dinge, über die wir gesprochen haben, auch angehen könnte, die ich jetzt hier nicht machen kann; also da wäre das Bedürfnis, nicht da. Ein einzelnes Gastspiel ja, – aber nicht große große Abstechertätigkeit“ (ebd.).135 Bei allen Reformbestrebungen einerseits und den gesellschaftlichen Veränderungen anderseits sieht Metzger die Landesbühnen weiterhin im Vorteil, denn „keine Probleme gab es nie – [...] es wird auch immer Probleme geben, es wird auf Grunde der Veränderungen der Gesellschaft auch Veränderungen im Theater geben. Und da ist die Frage inwieweit die Theater sich drauf einstellen; also unsere Gesellschaft wird nun mal bunter, welche Bereiche der Bevölkerung erreichen wir mit unserem Angebot, wo müssen wir es modifizieren und wo sind demografische Entwicklungen, bei denen dann letztendlich nur noch eine Landesbühne helfen kann, um einzuspringen an einem Produktionsort, beispielsweise. Ich glaube, dass in zwanzig Jahren die Theaterlandschaft nicht so aussieht wie heute; [...] ich glaube tatsächlich, dass sie kleiner werden wird; ich glaube allerdings auch, dass es die Landesbühnenszene weiter geben wird; ob mit allen Theatern, das wage ich nicht zu prognostizieren, aber ich glaube ein Großteil derer, die eine sehr klare regionale Ausrichtung haben, mit lang gewachsenen Strukturen, dass das doch eine Nachhaltigkeit haben wird; allerdings, da mache ich mir nichts vor, es wird bis in die Stadttheaterszene hinein Veränderungen geben“ (ebd.). Manuel Schöbel verwehrt sich dem Gedanken, dass Landesbühnen missverstanden werden könnten als Ablösung der klassischen Stadttheaterstrukturen, gerade auch deshalb betont er während des Gesprächs die Funktion der LBS als Ergänzung der Strukturen.136 Mirko Schombert spricht diese unterschwellige Zuschreibung als mögliche Konkurrenz für bestehende Theater offen aus: „Die Gefahr, die völlig unfreiwillig von Landestheatern ausgeht, oder grundsätzlich vom Abstechermarkt, ist [...] – da wird dann irgendwie eine Schauspielsparte abgewickelt, [...] mit dem Argument; ja da kann man da ja Gastspiele hinholen. Und insofern, wenn noch ein paar mehr Theater geschlossen werden, wenn noch ein paar mehr Theater dicht gemacht werden und die Gebäude aber ungenutzt herumstehen, ist das für die Landesbühnen wahrscheinlich ein Vorteil. [...] Das finde ich aber kein erstrebenswertes Ziel. Das finde ich ziemlich parasitär gedacht, wenn das so ist. Weil, dadurch einfach die Theaterlandschaft in

135 Im Verlaufe des Forschungszeitraum wird aus diesem Gedankenspiel ein Postulat für zukünftige Tätigkeiten, denn wie kurz nach dem Interview 2016 bekannt wurde, wechselt Kay Metzger mit der Spielzeit 2018/19 vom Landestheater Detmold an das Theater in Ulm (vgl. Kasch 2016). 136 Vgl. seine so benannte Betrachtung aus einer Doppelperspektive, Schöbel 2016.

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Deutschland – die aus Stadt-, Staats-, und Landestheatern besteht, [...] die würde ich da eben nicht auseinanderdividieren wollen – insgesamt Schaden nimmt“ (Schombert 2016). Schombert sieht die Zukunftsfähigkeit des Modells Landesbühne in Zusammenhang mit der gesamten Theaterlandschaft, deren vielfältige Infrastruktur sie ja gerade auszeichnen würde (vgl. ebd.). Er spricht sich für eine realistische Beurteilung aber auch für eine – theoretische weil utopische – Ausweitung des Stadttheatersystems aus: „So gesehen [...] sind die Landesbühnen, [...] ist die Bespielung der Fläche ein Element davon. Wenn man da ein Stadttheater hin bauen würde, wäre das aber wahrscheinlich noch besser sogar, weil die einen dauerhafteren Spielbetrieb machen würden. Deshalb tu ich mich ein bisschen schwer zu sagen, dass Landestheater da jetzt das Allheilmittel ist. Eigentlich [...] fände ich es besser, wenn irgendwie [in] jede[r] Stadt und in jeder Kommune ein eigenes Theater stünde, was sich wirklich mit den Leuten vor Ort auseinandersetzt und dort regelmäßig etwas anbietet“ (ebd.). Auch wenn Landesbühne nicht die gesamtem Probleme der Theaterlandschaft heilen kann, könnte sie ihre Spezialisierung dazu nutzen, die Infrastruktur für Theater in der Provinz aufrechtzuerhalten, Kulturorte wieder zum Leben zu erwecken oder neu zu erschließen. Dafür bräuchte es die Bekenntnis zu ihrer Rolle, die immer schwierig bleibt, wie gerade auch das letzte Zitat Schomberts erneut deutlich macht. Der Gedanke, dass ein eigenes Theater für jede Stadt besser wäre, scheint verankert, sollte jedoch nicht der Eroberung zusätzlicher neuer Orte im Weg stehen. Als selbst ernannter Überlebenskünstler sollte die Landesbühne zugleich Verantwortung für andere übernehmen – was die interviewten Intendanten in gewisser Weise ja auch durch ihre Aussagen zum Erhalt der Theaterstruktur bereits tun. Bei allen Charakterzügen und Eigenschaften, welche der Landesbühne zum Überleben gereichen sollen, ist eindeutig klar: Die einzelnen Akteure innerhalb der Theaterlandschaft sind – bewusst und unbewusst, freiwillig oder gezwungenermaßen – voneinander abhängig. Ein gegenseitiges Ausspielen wäre nur zum Schaden – genauso schädlich wäre aber auch das Herunterspielen möglicher Konkurrenzsituationen oder der immer doch auch vorhandenen Missgunst. Dem Umstand, dass bei Überlegungen zu einer Abwicklung eines Theaterstandortes oder zu massiven finanziellen Einsparungen, die Auswirkungen auf die künstlerische Qualität haben könnten, „natürlich bei einem Bespieltheater manchmal die politische Hemmschwelle geringer ist als an einem Produktionsort“ (Metzger 2016), könnten auch die Landesbühnen versuchen, entgegenzuwirken. Instrument und Akteur

Die Landesbühnen könnten sich also ihrer Rolle innerhalb der Theaterlandschaft und ihrer besonderen Position innerhalb der Darstellenden Künste mehr bewusst werden und sie stärker annehmen und ausspielen. Es scheint jedoch, als würde das Ausprobieren neuer Ideen bereits vor den ersten Überlegungen ins Stocken geraten, denn immer muss zunächst überprüft werden, ob solche Handlungen und Entscheidungen in das Geschäftsmodell Landesbühnen passen. Der Auftrag wird als bestimmende Tatsache angesehen, nur in einzelnen Fällen, fast zaghaft und immer begründet als Sonderaufgabe, entstehen neue Formate, welchen die vorgegebenen Bestimmungen dehnen und die politische Aufgabe weit auslegen. Woran es liegt, dass nicht anders, offener, beispielsweise ortsspezifisch gearbeitet oder eine langfristige Zusammenarbeit mit Dritten initiiert wird, kann unterschiedlich beantwortet werden. Die Expertengesprächen ließen zwei Begründungsweisen erkennen, die auch miteinander verknüpft sind: Zum einen

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das Vorschieben des Auftrages als Ausrede und somit die Selbstreduzierung des eigenen Daseins und Wirkungshorizonts auf ein kulturpolitisches Instrument; zum zweiten eine bestimmte Ausprägung des psychologischen Phänomens des fundamentalen Attributionsfehlers.137 Beide Argumentationslinien sind miteinander verknüpft, haben im Prinzip sogar den gleichen Ursprung. Menschen neigen dazu, bei einer Bewertung von Handlungen und Entscheidungen anderer Personen einen anderen Bewertungsmaßstab anzulegen, als bei einer eben solchen Bewertung des eigenen Tuns: Während bei den anderen zumeist die Disposition, also die Eigenschaften, als Grund für eine bestimmte Handlung gesehen werden, werden bei der Selbstbewertung die situativen Elemente stärker wiegen. Vereinfacht gesagt: Wenn der andere beispielsweise bei einer Prüfung scheitert, ist er nicht schlau genug oder hat nicht genügend gelernt, er ist also selbst dafür verantwortlich; wenn man selbst erfolglos bleibt, wird meist der Aufgabenstellung oder Prüfungsumgebung Schuld gegeben, denn die Fragen waren zu schwierig und außerdem war es zu laut im Prüfungsraum – diese Einschätzungstendenz ist natürlich individuell unterschiedlich ausgeprägt, doch die grundlegende Neigung zu einer solchen Bewertung ist ein nachgewiesenes Phänomen. Im Falle der Landesbühnen und der Gastspielveranstalter – auf die man dieses Verhalten projizieren kann, wenn man sie als Akteure betrachtet – scheint diese verzerrte Attributionsbewertung ansatzweise und in unterschiedlicher Intensität angewendet zu werden. So wird beispielsweise die mangelnde Risikobereitschaft der Gastspielveranstalter für neue Titel oder ungewöhnliche künstlerische Ansätze kritisiert, es wird zugleich aber wahrgenommen und berücksichtigt, dass auch die Veranstalter nicht frei von Umwelteinflüssen entscheiden können und ihrerseits gewissen Erwartungen und Verpflichtungen ausgesetzt sind. Wenn jedoch vorverurteilt wird, dass gewisse Inszenierungen oder Projekte zu Unmut führen und auf Ablehnung stoßen werden, wird dies mit dem Geschmack des Publikums argumentiert, der Rückschluss, dass dieser sich ja nicht nur aufgrund seiner selbst, sondern gerade durch die situativen Möglichkeiten entwickeln und prägen kann, wird nur ansatzweise gezogen. Es gelte also, nicht zu befürchten, dass jemandem etwas nicht gefällt, sondern zu befragen, warum es sein könnte, dass er etwas bevorzugt? Weil er von Grunde auf eine Präferenz für beispielsweise literarische Klassiker besitzt? Oder weil er aufgrund des Angebots, das sich immer wieder selbst bestätigt, eine solche Vorliebe ausgebildet hat, respektive diese sich nicht ohne Weiteres wird ändern können? Gleichermaßen gilt es, die Bewertung der eigenen Disposition und des Kontextes hinsichtlich der dadurch beeinflussten Entscheidungen in Frage zu stellen: Wenn die Landesbühnen ihre Verantwortung für partizipatorische Arbeit negieren, oder Überlegungen zu ortsspezifischen Projekten von vorneherein als wenn überhaupt einmalig oder grundsätzlich unmöglich bewerten, tragen sie ihre Beauftragung als Hinderungsgrund vor. So positionieren sie sich in dem Verständnis, ein Instrument zur Erfüllung des Auftrages zu sein; ihre eigenen Handlungsmöglichkeiten, die ihnen offen stehen, als kulturpolitischer Akteur, der auch andere Wege einschlagen könnte, nehmen sie nur sehr begrenzt wahr. Einige dieser Versuche, sich stärker zu positionieren und durch konkrete Handlungen die Umweltfaktoren zu überwinden oder zu beeinflussen, könnte vorbildhaft für eine neue Konstituierung von Landesbühne und ihrer Rolle in der Thea-

137 Zu der Definition und Beschreibung des fundamentalen Attributionsfehlers siehe Rohrmann 2000.

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terlandschaft sein. Landesbühnen sind in der vorteilhaften Situation, sich eine aktive Rolle zuschreiben zu können, wenn sie denn bereit wären, sich dieser Verantwortung zu stellen, Initiator für Veränderungen zu sein. Diese könnten die Theaterlandschaft berühren, und ihre eigenen Arbeitsweisen und im Besonderen die Rahmenbedingungen betreffen, sodass die Reduzierung auf das Dasein als Instrument nicht mehr vorgeschoben werden könnte. Ebenso kann auch das Verständnis als Instrument Vorteile mit sich bringen, denn wenn man sich als solches versteht, kann man die Beauftragung auch zum eigenen Vorteile nutzen und interpretieren. Für beide Herangehensweisen, eines neuen selbstbewussten Handelns als Akteur und einer Neuauslegung der Funktion und Verantwortung als kulturpolitisches Instrument, braucht es Unterstützung der anderen Akteure der Darstellenden Kunst und der Verantwortlichen in Politik und Verwaltung. Dann ist es möglich, die in dem Konstrukt Landesbühne angelegten Stärken tatsächlich zu nutzen – wie die nun folgenden Beispiele aufzeigen sollen. 4.4.2 Modellbaukasten für eine Theaterreform Landesbühnen seien nicht die allgemeine Lösung für eine zukünftige Landschaft der Darstellenden Künste, so sieht es Mirko Schombert, und auch nicht das eine Instrument für die Ermöglichung von Partizipation – dies wäre auch vielleicht eine zu große Bürde und außerdem als Ansatz zum Scheitern verurteilt, denn schließlich gestaltet sich eine Landschaft ja gerade eben nicht nur aus einem Element, sondern aus vielen Bestandteilen. Die Struktur der Landesbühnen wurde hier modellhaft beschrieben, dieses Modell bietet Erklärungsansätze für das Verständnis von Theaterpolitik ebenso wie es Reformbedarfe und Lösungsansätze aufzeigt, die bedeutsam sein könnten für eine Weiterentwicklung von Theater und Theaterpolitik.138 Ein Modellbaukasten dient in diesem Sinne dazu, an konkreten einzelnen Elementen aufzuzeigen, wie sich daraus etwas Neues konstruieren ließe. Seine Bestandteile sind beispielhafte Projekte, Maßnahmen und Ansätze, welche die gerade formulierten Schwächen zu überwinden und die darin verborgenen Stärken zu nutzen versuchen. Allen Ansätzen bleibt gemein, dass sie zunächst nur versuchsweise und stellenweise in der Praxis ausgetestet werden. Eine dauerhafte Implementierung, um strukturelle Entwicklungen anzustoßen, steht unter dem Vorbehalt der grundsätzlichen Überwindung bestimmter Herausforderungen, die im Schlusskapitel formuliert werden. Bei aller Modellhaftigkeit und Reformbemühungen ist es wichtig, dass ein Grundsatz erhalten bleibt: Die Wertschätzung der Darstellenden Künste als Kunstform und kulturelle Ausdrucksform, die darüber hinaus unterschiedliche Funktionen übernehmen kann. „[W]enn die Leute das ernst nehmen und schätzen und damit auch demütig umgehen, dann wird Theater auch immer ein wichtiger Player [...] der Zukunft sein“ (Brandt 2016). Uwe Brandts Aussage könnte als Hinweis für ein erstes Element eines Modellbaukastens verstanden werden: Sich der Bedeutung des eigenen Handelns be-

138 Dieses Kapitel diente als Grundlage für den Beitrag „Die Zukunft der Landesbühnen. Neue Formate in den Darstellenden Künsten“, (Schröck 2019) sowie für den Artikel, der im Rahmen der ICCPR 2018 präsentiert wurde, mit dem Titel „Rethinking theatre and its policy: Challenges and possibilities of the performing arts beyond the metropolises, exemplified by the German regional theatres“ (Schröck 2018c).

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wusst werden und sein – dies ist verbunden mit der Positionierung des eigenen Selbst gegenüber dem eigenen Anspruch und den Erwartungen der Auftraggeber und der Partner. Es schließt sich daran die Frage nach dem eigentlichen Kerngeschäft an und die Notwendigkeit der Schärfung eines eigenen Profils: Landesbühne als Konglomerat verschiedener Funktionen und Aufgaben? Oder als ein Theater mit definierter Zuständigkeit und klaren Handlungsfeldern? Die Landesbühne als Kollektivum oder die Landesbühne als eine Besondere unter Gleichen? Bildung eines Profils

Einige der Fallbeispiele versuchen ihre Rolle zu schärfen, sich mit Alleinstellungsmerkmalen zu positionieren, was innerhalb der so vielfältigen Theaterlandschaft kein einfaches Unterfangen ist. Für die Landesbühnen bedeutet Profilbildung auch, sich von anderen Anbietern abzugrenzen, durch eine besondere Qualität, eine Handschrift und daraus resultierend durch den guten Ruf ihrer professionellen Arbeit; diese Aspekte wurden deutlich durch die Selbstbeschreibung und die eigene Einordnung hinsichtlich der Wettbewerbssituation auf dem Gastspielmarkt. Gleichzeitig wollen die Landesbühnen aber nicht als Konkurrenten für Stadttheater missverstanden werden.139 Was könnte jedoch ein spezielles Landesbühnen-Profil sein, das über die Reisetätigkeit hinaus geht? Der Vorschlag Wolfgang Schneiders, „Landesbühnen mit dezidiertem Profil für ein junges Publikum, das wäre ein Konzept, das auszuprobieren wäre“ (Schneider 2004, S. 243), scheint leider kaum umsetzbar bei den gegebenen Umständen; denn alleine mit Theater für Kinder und Jugendliche kann die Finanzierung des Betriebs kaum gestemmt werden,140 zu groß ist die Abhängigkeit vom erwachsenen Publikum. Auch die von Thorsten Weckherlin beschriebene Vorreiterrolle der Landesbühnen in diesem Bereich war nur möglich durch eine zusätzliche Mittelbereitstellung. Darüber hinaus könnte man das Argument ins Felde führen, dass eine solche gruppenspezifische Konzentration der Idee einer Grundversorgung und Gleichbehandlung aller widersprechen würde. Gleichwohl könnte eben diese Ausrichtung grundsätzlich in Frage gestellt werden, wie schon mehrfach argumentiert: Vielleicht wäre es aufgrund der Unmöglichkeit wirklich alle Menschen gleich zu erreichen, besser, wenigstens einige „richtig“, also konkret und individuell anzusprechen und partizipieren zu lassen. Eine konsequente Zielgruppenorientierung für gelingende Partizipation und Kulturelle Bildung wäre ein Ansatz, wobei damit kein kundenorientiertes Marketing gemeint ist, sondern eine strategische und konzeptionelle Orientierung, wie in Kapitel 2.2.5 und Kapitel 2.2.6 ausgeführt. Es bräuchte für eine solche Schwerpunktsetzung eine Umstrukturierung des Systems, als ersten Schritt jedoch ein Umdenken. Mirko Schomberts persönliches Alleinstellungsmerkmal unter den interviewten Intendanten ist seine Ausbildung: Ein Theaterpädagoge als Intendant, wäre das eine wegweisende Profilbildung, sollte das ein

139 Wie beispielsweise Manuel Schöbel deutlich macht, wenn er betont: „Theaterstandorte mit den festen stehenden Ensembles kann man nicht ersetzen für eine Stadt“ (Schöbel 2016), vgl. dazu ebenfalls die oben ausgeführten Einschätzungen des Vergleichs zu und der Konkurrenz mit den Stadttheatern in Kapitel 4.2. 140 Auch Schneider führt diese Problematik weiter aus und fordert eine stärkere und umfassendere Unterstützung auch der Schulen und der notwendigen Kooperation zwischen Theatern und Bildungseinrichtungen, vgl.Schneider 2004, S. 243.

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Muss sein für zukünftige Landesbühnen? Seine Reaktion auf diese Frage scheint zunächst zurückhaltend („nein, ach das das finde ich nicht“ (Schombert 2016)), dann aber macht er sich stark für eine grundsätzliche Verankerung von Partizipation in den Theaterstrukturen: „Tatsächlich bin ich ja einer der wenigen, das stimmt schon, aber ich fände es natürlich schön und wünschenswert, wenn alle Verantwortlichen – weil mir das einfach am Herzen liegt – einfache eine Affinität, ein Interesse daran haben, Theater insoweit zu öffnen, in Richtung Partizipation“ (ebd.). Und er setzt sich für eine angemessene Anerkennung und Stellung von Theaterpädagogik innerhalb des Theaterbetriebs ein: „[D]as sollte [...] meiner Ansicht nach nicht so sein, im Sinne von [...] bei der Kinderbespaßung passiert das dann da auch noch irgendwie mit. Das sollte sicherlich eine Stelle sein, die in irgendeiner Form – ob sie jetzt nominell zur Leitung dazu gehört, oder nicht, finde ich jetzt erst mal nicht so wichtig – [...] zumindest in den entscheidenden Gremien sitzt, [bei] Profilausrichtungsgesprächen oder was auch immer, mit dabei ist und sich da einbringen kann. Und [...] dass es auch gewünscht ist, sich einzubringen und [...] von den Erfahrungen da zu profitieren“ (ebd.). Partizipation also nicht nur als Werkzeug, als Methodensammlung, sondern der Arbeit und der Ausrichtung des Theaters fundamental zugrunde liegend. Dieser Gedanke entspricht der Annahme, die zu Beginn dieser Forschungsarbeit als These formuliert wurde, dass Partizipation im weitesten Verständnis als Handlungsprinzip bereits bei allen Landesbühnen verankert wäre und die sich durch die Analyse nicht hat bestätigen lassen. Schombert selbst hält eine grundsätzliche Ausrichtung der Landesbühnen an partizipatorischen Arbeitsweisen nicht für sinnvoll, sähe es im Gegenteil als Einschnitt in die Vielfalt, wenn diese Ausrichtung verpflichtend wäre oder gar jede Theaterleitung einen entsprechenden Hintergrund vorzuweisen hätte; „da können wir auch gerne jemanden für einstellen, der das dann super kann und macht, also da muss jetzt nicht jeder irgendwie selber schon mal als Frosch über die Probebühne gehüpft sein. [...] Und ich glaube schon auch, von allem mal abgesehen, dass es auch gut ist, wenn da unterschiedliche Intendantinnen, Intendanten unterschiedliche Schwerpunkte haben, weil Pluralität, Vielfalt ist nun mal – wenn wir das im Theater nicht mehr hinkriegen, dann wo denn dann sonst noch. Darum soll ruhig das eine Theater so, das andere Theater so sein. Und dann kann ich das eine Theater kacke finden und das andere super; aber wenn alle nur noch gleich gebürstet sind, dann finde ich es [...] auch ein bisschen zu viel des Guten“ (Schombert 2016). Neben einer klaren Ausrichtung zur partizipatorischen Arbeit, die hier zunächst noch eine Idee bleibt, sind auch noch andere Ansätze für eine Schärfung des Selbstverständnisses und des nach außen wahrnehmbaren Profils zu erkennen. Uwe Brandt macht deutlich, dass es bei allen Herausforderungen und Bestrebungen zur Veränderung wichtig ist und bleibt, sich selbst und seiner Überzeugung treu zu sein: „[I]ch finde Theater extremst wichtig, [... es] wird auch [...] zunehmend wichtiger. Also ich glaube, je mehr die Leute nur noch auf ihre Smartphones gucken, sich im Internet bewegen, sich bei Facebook die Meinung geigen oder andere seltsame Dinge unternehmen, umso mehr habe ich den Eindruck braucht man auch [...] so was Geerdetes und so was Verwurzeltes wie Theater; [...] das ist halt Menschsein pur. [...] Und ich glaube da liegt für uns Theatermacher und Theaterliebende eine ungeheure Chance, wo man halt auch ständig überlegen muss, wie geht man damit um. [...] Biedern wir uns jetzt alle mit an und gehen wir auch über Facebook mit Werbung raus und habe ich eine eigene App und und und — oder versuche ich es darüber, dass ich eben so dieses ursprüngliche

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Geschäft nach vorne stelle und zuerst mal nur gucke, dass die Leute wenigstens mal reinkommen“ (Brandt 2016). Theater dürfe sich nicht verstellen, solle sich nicht anbiedern; dies geht Hand in Hand mit der Bedeutung der Vielfalt, die Mirko Schombert hervorhebt. Nicht jede Institution muss sich zwangsweise jeder neuen Entwicklung anschließen, die Tradition der Theaterkunst und der Theaterinstitutionen in Deutschland seien nicht zu verkennen, darauf beruft sich auch Kay Metzger. Eine Landesbühne könnte also auch ihr Profil als ein Traditionshaus schärfen: „Für mich ist ganz erstaunlich, wenn wir so in die Annalen schauen, dass Detmold, im vorletzten Jahrhundert, Münster, Osnabrück bespielt hat als Gastspielbühne [...] eine lange Tradition, lange Wurzeln dahinter stecken und ich finde, wenn Traditionen, wie Gustav Mahler es gesagt hat, nicht nur die Asche sind, sondern auch das Feuer und die Glut, die wir weitertragen; dann sieht man, dass die Landesbühnen, auch wenn sie sich sicherlich verändern werden und auch verändert haben, etwas ganz Wunderbares sind“ (Metzger 2016). Ob es jedoch ausreicht, sich auf die Tradition von Theater zu besinnen, wie Kay Metzger es tut, oder darauf zu vertrauen, dass die Menschen sich in bestimmten Situationen auf das Theater als Kunstform besinnen, wovon Friedrich Schirmer und Marcus Grube überzeugt sind (vgl. Schirmer u. a. 2016) wäre angesichts der beschriebenen Entwicklungen kritisch zu beobachten. Zu einer Profilbildung kann auch gehören, sich auf seine individuellen Stärken zu konzentrieren und eine ganz bestimmte regionale Ausrichtung zu stärken. Weniger ein Theater für alle überall und mehr ein Spezialtheater für einen besonderen Ort – auch ein solcher Weg fordert kulturpolitische Konsequenzen ein, die abschließend aufgezeigt werden. Egal mit welchem Profil, eine klarere Positionierung könnte auch die Stellung der Landesbühnen als Akteure im Netzwerk Theaterlandschaft stärken; wenngleich man im Hintergrund berücksichtigen muss und nicht vergessen darf, welche Auswirkungen bestimmte Schwerpunktsetzungen auf das Kollektivum der Landesbühnen hätten. Professionalisierung unterstützen

Ganz gleich ob ein Neudenken der Ausrichtung angestrebt wird oder nicht, die Landesbühnen sehen sich als Teil von Theaterlandschaft; als Dienstleister, aber nicht Konkurrent, als Ergänzung, nicht als Ersatz. Als Dienstleistung wird vornehmlich die Produktion von Inszenierungen und das Anbieten derselbigen verstanden, doch die Landesbühnen können auch in anderer Hinsicht einen Dienst leisten. Einige Vorgehensweisen wurden bereits exemplarisch beschrieben, auch anhand dieser zeigen sich Möglichkeiten für eine Weiterentwicklung, hinsichtlich der Infrastruktur für die Darstellenden Künste sowie der Professionalisierung von am Gastspielmarkt Beteiligten. Das Knowhow der Landesbühnen kann dabei als hilfreiche Unterstützung dienen, sowohl Theater-Unorte als solche zu erschließen, als auch vorhandene baulich zu verbessern – Beispiele hierfür wurden von Manuel Schöbel und Peter Grisebach genannt und bereits zitiert.141 Führt man diesen Ansatz gedanklich weiter, könnten Landesbühnen als Beratungsstellen, als Ausbilder und Weiterbilder fungieren. Nicht in dem Sinne, dass die Landesbühnen mit ihren Ansprüchen und Herausforderungen als Sprungbrett für junge Künstler verstanden werden, sondern als Unterstützer für die Professionalisierung von

141 Vgl. die Aussagen zum Nordsee-Congress-Centrum, Grisebach 2016, und exemplarisch zur Ertüchtigung eines alten Kinos Schöbel 2016.

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im Gastspielmarkt involvierten Personen. Jörg Gade beschreibt die Veränderung der Beziehungen, weg von Verkaufsverhandlungen hin zu umfangreicher Unterstützung und Weitergabe von Wissen und Können, so habe er „tatsächlich [...] auch erlebt von 2004 bis heute, wie sich mein Job gegenüber den Gastspielorten gewandelt hat [...] ich hatte selbst das die ersten Jahre auch noch erlebt, mein Vorgänger hat sich immer selbst der Intendant mit dem Musterkoffer genannt; also eine richtige Verkaufstour im Herbst, wo man rum geht und vorstellt [...], das ist das Programm der nächsten Spielzeit und dann hat man irgendwelche guten Verkaufsargumente, und dann hofft man, mit einem vollen Buchungsbuch zurückzukommen. Das hat sich komplett gewandelt, diese Verkaufsgespräche gibt es immer noch, sie nehmen aber nur noch einen sehr geringen Teil der Gespräche und den Hauptteil [... nimmt] jetzt ein: Professionalisierung der ehrenamtlichen Veranstalter“ (Gade 2016). Bei den folgenden Beispielen für solche Tätigkeiten wird deutlich, dass es dabei meist um Fragen des Marketings geht (vgl. ebd.), der Fokus dieser Überlegungen scheint auf dem Verkaufsprozess zu liegen, das Produkt wird nicht in Frage gestellt, sondern es geht darum, dieses besser zu vermarkten. Genauso bezieht Gade die Unterstützungsleistung der Landesbühne („richtige Servicegeschichten; und Professionalisierung“, ebd.) auf die Öffentlichkeitsarbeit, also auf die Möglichkeiten der Werbung und Ansprache des Publikums in Sinne der Anpreisung einer konkreten Produktion: „Wir haben mal angeboten, [...] haben es dann wieder eingestellt, weil es nicht richtig angenommen wurde; so ein Rund-um-sorglos-Paket, was die Presse angeht. Dass wir gesagt haben, wir können für Sie vor Ort in diesem Ort die gesamte Pressearbeit übernehmen, wenn Sie das wünschen; [...] so ein ehemaliger Studienrat, der hat noch nie in seinem Leben mit der Presse was zu tun gehabt [...] der kriegt die Pressetexte sowieso von uns; aber überhaupt die so an den Pressemenschen zu platzieren, dass der das eben auch nicht erst am Tag der Veranstaltung bringt und so weiter“ (ebd.). Wenn man Professionalisierung aber nicht nur auf die Aufrechterhaltung eines Betriebs, effiziente Werbung oder finanzielle Entscheidungen bezieht, sondern inhaltliche Fragen mit berücksichtigt, müssten die Veranstalter dann nicht auch in Bezug auf die Künste fortgebildet werden? Nicht nur Tipps erhalten, wie man ein Produkt besser anpreist, sondern Hilfestellungen an die Hand geben, wie man ein Produkt vielleicht anders bewerten könnte? Auf diese Weise könnte auch der von den Intendanten angesprochenen geringen Risikobereitschaft entgegen getreten werden: Wenn man die Kenntnis über aktuelle Tendenzen der Darstellenden Künste, das Wissen über unbekanntere Texte, Autoren und Künstler erweitert, könnte zumindest teilweise und im Ansatz vielleicht eine Ausweitung des üblichen Titel-Kanons erreicht werden.142 Natürlich sind die Landesbühnen bei allen theoretischen Erweiterungen ihrer Zuständigkeiten immer noch dem Auftrag verpflichtet, Kunst zu produzieren und zu distribuieren und können nicht originär und ausschließlich als Weiterbildungsinstitution in die Pflicht genommen werden. Gleichwohl könnten eine Unterstützung der Professionalisierung und eine Förderung des Sachverstands sich ebenfalls positiv auswirken auf das Beziehungsgeflecht und die Machtpositionen innerhalb der Theaterlandschaft, die gegenseitige Kommunikation könnte dadurch auf eine andere Ebene transferiert werden.

142 Hier stellt sich eine Verbindung her zu den Ausführungen in Kapitel 4.3: Vermittlungsangebote können auch als Weiterbildungsmaßnahme und als partizipatorisches Angebot für Veranstalter, nicht nur für das Publikum, gesehen und entsprechend gestaltet werden.

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Landesbühnen könnten also auch verstanden werden als Anbieter von Qualifizierungsmaßnahmen, als Aufzeiger von Varianten und – bei der notwendigen Unterstützung – Vorreiter sein für ein künstlerisches Ausprobieren oder für ein neues Denken von Theaterverständnissen, sie könnten beispielsweise versuchen, die Vorstellung aufzubrechen, eine gute Produktion müsse eine Inszenierung für einen klassischen Bühnenraum sein: Ansatzweise berichteten die interviewten Intendanten von Projekten, welche sich vom klassischen Theaterraum entfernen, um neue Orte zu erobern und für diese passende Formate zu entwickeln. Dass dies nur vereinzelt stattfindet, wurde analytisch begründet durch die Rahmenbedingungen der Arbeit sowie die Einschränkungen des Auftrages: Bühnenproduktionen sind gut transportabel und zu adaptieren; die Gastspielhäuser bemühen sich, entsprechende Bühnensituationen vorzuhalten oder nachzuahmen. Stellenweise gibt es Bemühungen der Landesbühnen, auch Nicht-Theater- oder sogar sogenannte Unorte für Theateraufführungen bespielbar zu machen, Räume herzustellen, die für eine professionelle Arbeit notwendig sind und diese tragen. Gemeint sind hiermit nicht (nur) Hinweise, beispielsweise wie ein Orchestergraben funktionsfähig zu gestalten sei,143 oder auf die notwendige Neugestaltung des Foyers hinzuweisen (vgl. dazu Gade 2016), sondern die Nutzung neuer Orte durch und für die Darstellende Künste. Das HLTM hat in Marburg erste Versuche unternommen, so wurde ein ehemaliges Autohaus umgestaltet zur „Galeria Classica“. In diesem Fall war die Besetzung neuer Räume jedoch nur temporär, die dort entstandenen Inszenierungen gehen dem Repertoire verloren, wie Matthias Faltz erklärt: „‚Woyzeck‘ zum Beispiel ist auch sehr erfolgreich gewesen, aber [...] – die Galeria wird jetzt aufgelöst, weil wir in die Stadthalle zurückgehen, das können wir also nicht mehr weiterspielen, weil wir es hier nicht reinkriegen; deswegen mussten wir zwei Gastspiele absagen, oder konnten nicht zusagen, weil wir es nicht mehr weiterspielen können. Und um nur für ein Gastspiel das dann für anderthalb Jahre am Leben zu erhalten, ist unseriös“ (Faltz 2016). Ein erfolgreiches Stück wird also aufgegeben, weil es im Stammsitz nicht mehr gezeigt werden kann und weil die Passform ungeeignet scheint. Das HLTM ist jedoch nur bedingt ein gutes Beispiel für ein neues Ausprobieren und Nutzen von Bühnensituationen außerhalb originärer Theaterbauten, da diese Arbeitsweise nur interimistisch erprobt wurde, entstanden aus einer Übergangssituation heraus. Es sei daher an dieser Stelle ein weiteres Beispiel hinzugezogen, das bislang noch keinerlei Erwähnung fand: Das Landestheater Oberpfalz hat sich einer andere Notwendigkeit angenommen, der Bekämpfung von Leerstand im ländlichen Raum. Gefördert durch „LandKULTUR“, einem Teilbereich des Bundesprogramms „Ländliche Entwicklung“ des Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (vgl. Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft 2017) baut das Landestheater Oberpfalz temporäre Bühnen in verlassenen Gebäuden, um dort Theater zu spielen, aber auch um einen Ort für einen Austausch, Kommunikation und Kreativität entstehen zu lassen (vgl. Landestheater Oberpfalz 2018b). Wenn solche Vorhaben nachhaltig sein sollen, die Absicht ist, diese Orte nicht nur temporär zu verwandeln, sondern eine nachhaltige Nutzbarmachung für kulturelles Arbeiten und Erleben angestrebt ist, müssten sie grundständig finanziert werden. Dies ist nicht nur Aufgabe von staatlicher Kul-

143 „[E]in Orchestergraben ist nicht ein Loch im Boden“ (Grisebach 2016).

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turpolitik; Entwicklungshilfe in dem Sinne einer strukturellen Unterstützung scheint hier gefragt und sinnvoll. Förderprogramme unterschiedlicher Ressorts, die momentan einen Schwerpunkt auf den ländlichen Raum legen, zeigen die vielfältige Verantwortung und zugleich Potenziale für Synergien auf. Strukturentwicklungen können von den Theatern aus hinein in neue Räume und Orte wirken, indem diese für die eigene Arbeit entsprechend geformt werden. Genauso wäre aber auch der umgekehrte Weg denkbar, also eine wirkliche ortsspezifische Urbarmachung, bei der die Kunst und die Struktur den Gegebenheiten folgt. Netzwerker werden

Um neue Ansätze auszuprobieren und Reformen anzustoßen, braucht es nicht nur Geld und Unterstützung seitens unterschiedlicher Politikfelder, sondern insbesondere auch Partnerschaften und Beziehungen der Akteure auf Handlungsebene. Dies kann sich beziehen auf eine strategische Zusammenarbeit, gegenseitige Hilfestellungen, das gemeinsame Hinarbeiten auf bestimmte Ziele. Künstlerische Kooperationen scheinen im Falle der Landesbühnen noch komplizierter als jedes andere gemeinsame Projekt unterschiedlicher Akteure grundsätzlich. Verstärkt wird dies noch durch die Ungleichheit der Partner, die Einzigartigkeit der Landesbühnen in ihrer Struktur und in ihrem Auftrag. Wenn ihre Besonderheit und die damit verbundenen Anforderungen auch hinderlich sein mögen, zugleich könnten sie genutzt werden für neue partnerschaftliche Ansätze. Eine Möglichkeit wäre, in ihrer Funktion als stehendes Theater als Plattform zu dienen; nicht nur in klassischer Weise beispielsweise für Schultheater-Aufführungen am Ende des Schuljahres, sondern als Spiel- und Produktionsort für andere Theater. Theoretisch könnte so das Haus anderweitig genutzt werden, wenn das eigene Ensemble unterwegs auf Reisen ist.144 Vielleicht könnte man den Gedanken eines Festivals, wie das KUSS am HLTM, ebenso weiterentwickeln im Sinne einer Servicefunktion, einer Vermittlungsplattform für Arbeiten unterschiedlicher Anbieter und Produzenten. Für Gastspielproduktionen aus dem Ausland scheint eine solche Funktionsübernahme bereits als selbstverständlich angesehen zu werden, da auch der Kostenfaktor eine nicht unerhebliche Rolle spielt: „Wenn jetzt also zum Beispiel eine Gruppe aus Korea eingeladen wird und die sagen, also wir würden kommen, aber wir brauchen noch drei Termine, und ich will, dass die kommen, dann muss ich mich darum kümmern, dass diese drei Termine noch zustande kommen. [...] Das würde man machen. Aber [...] das haben wir sozusagen noch nicht als Hauptaufgabe für uns verstanden. Theoretisch geht es aber“ (Faltz 2016). Man könnte ein solches Verständnis von Dienstleistung also theoretisch einmal ausprobieren für innerdeutsche Theateranbieter und -veranstalter, auch wenn Matthias Faltz auf ein Nachdenken über diesen Vorschlag nur zögerlich eingeht: „Ja, ich meine es gibt ja auch Agenturen, [...] da gibt es eine Stadt oder einen Kulturamtschef, der sagt, wir wollen hier ein kleines Festival machen, kannst du das mal für uns organisie-

144 Dass dieser Gedanke hier zunächst nur kurz angerissen wird, soll nicht die sich damit eröffnende Problematik verharmlosen: Natürlich ist eine Öffnung des Hauses an spielfreien Tagen nicht unbedingt ein einfacher Vorgang, da Probe-, Einrichtungs- und Ruhetage beachtet werden müssen. Grundsätzlich scheint jedoch bei einer Landesbühne eine solche Nutzung des Hauses als Spiel- und Produktionsstätte leichter umsetzbar als bei einem reinen Stadttheater.

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ren, mach mal Vorschläge. [...] Und dann [...] kauft der das ein [...] und dann sagt eine andere Stadt, das finde ich toll, das wollen wir auch so und dann [...] verkaufen die irgendwie fünf Produktionen [...]; so was könnte man auch machen“ (ebd.). Umzusetzen sei dies nur, wenn es eine klare Entscheidung dafür gäbe, „dann müsste es jemanden geben, der uns damit beauftragt. Oder das Land sagt; ihr müsst jetzt irgendwie noch Geld [erwirtschaften ...] in dem Falle könnte man sagen, okay wir machen das, weil wir können da 10 Prozent Provisionskosten oder so was noch mitdenken. Das [...] wäre sozusagen nochmal eine Erweiterung des Aufgabengebietes. [...] Theoretisch ist das denkbar. Es ist nur die Frage, ob dann zum Beispiel das TheaterGrueneSosse sich von uns nach Berlin verkaufen lassen wollen würde“ (ebd.). Eine Erweiterung des Auftrages, unter Berücksichtigung eventueller finanzieller Auswirkungen wäre also nötig für ein Austesten einer solchen neuen Partnerschaft – und mindestens genauso wichtig ein gegenseitiges Kennenlernen und Formulieren von Erwartungen. Dass Matthias Faltz hinterfragt, ob ein Freies Theater überhaupt die Hilfe einer Landesbühne in Anspruch nehmen wollen würde (die zugleich eventuell mit Kosten verbunden wäre), ist genau der richtige Ansatzpunkt: Es gilt, gemeinsam etwas zu wollen, Strukturen dafür zu schaffen und neue Beziehungen herzustellen. Narrative aufspüren und Komplizenschaften eingehen

Eine Partnerschaft kann sich auch gestalten als eine (temporäre) Komplizenschaft: Sich mit jemanden verabreden, verbünden, einen gemeinsamen Plan entwerfen und verfolgen. Diese Komplizenschaft kann mit allen Akteuren eingegangen werden, das können Amateurtheater sein, wie im Theater Meißen; lokale Künstler oder Theaterpädagogen wie in Hildesheim und andere professionelle Akteure wie Freie Theater in den genannten projektbezogenen Zusammenarbeiten – oder aber sogar ganz andere Institutionen und Strukturen aus den Bereichen Sozio- und Breitenkultur, die sich nicht ausschließlich den Darstellenden Künsten zurechnen. Ein solcher Partner könnte auch ein ganzes Dorf sein oder ein bestimmter Stadtteil. Wenn es einem Theater gelingt, eine Verbindung mit lokalen Akteuren herzustellen, einen Bezug zu einem Ort und seinen Bewohnern aufzubauen, kann dies den Grundstein dazu legen, dass etwas Neues entstehen kann und gemeinsame künstlerische Arbeit möglich wird. Wenn dies in besonderem Maße gelingt, sei es gar nicht mehr notwendig, davon zu sprechen, Hindernisse zu überwinden, weil sich Hemmschwellen gar nicht erst aufbauten (vgl. Faltz 2016). Eine Möglichkeit bietet das Aufgreifen von lokalen Geschehnissen, eine Auseinandersetzung mit Personen aus der Region und ihren Taten; was natürlich auch wieder unterschiedliche Formen annehmen kann: So hat das Landestheater Schwaben in Memmingen beispielsweise mit „Nebel im August“ eine Stückentwicklung in Auftrag gegeben, die sich mit dem Schicksal von Ernst Lossa beschäftigt, dessen Geschichte sich in unmittelbarer Nachbarschaft von Memmingen ereignete (Landestheater Schwaben 2018). Hier zeigt sich eine für Landesbühnen geeignete Lösung für Theaterarbeit mit Ortsbezug; ein lokaler Berührungspunkt wird hergestellt über historische Fakten, die Produktion jedoch ist eine klassische Bühnenarbeit, gastspieltauglich und somit in den normalen Betrieb der Landesbühne integrierbar. Für einen anderen Weg hat sich die Landesbühne Niedersachsen Nord in Wilhelmshaven entschieden. Gemeinsam mit dem Freien Theater „Das Letzte Kleinod“ entwickelte es mit „Fliegeralarm“ eine sehr spezifische Produktion – ermöglicht wiederum

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durch finanzielle Sondermittel. Weltkriegsbunker in Wilhelmshaven und Emden wurden zu Spielorten für eine Inszenierung, die entwickelt wurde aus Gesprächen mit Zeitzeugen; Geschichte und Geschichten wurden recherchiert und künstlerisch bearbeitet, zu einem Stück zusammengefügt. Die Aufführungen vor Ort, unter Einbezug der Bunker als Gebäude und Bühne; die Erlebnisse der damaligen vor den Bombenangriffen sich Schützenden erzählt von professionellen Darstellern, eine Wiederbelebung von Orten und Erfahrungen, zugleich regional verankert doch im Transfer eine Bedeutung herstellend, die nicht nur für die Beteiligten erlebbar war (vgl. Landesbühne Niedersachsen Nord 2015). Bei allen Schwierigkeiten für kontinuierliche Zusammenarbeiten könnte dies ein Ansatz sein, gemeinsam mit Partnern vor Ort, Momente des Lebens aufzuspüren, die Themen und Inhalte liefern könnten für künstlerische Arbeiten. Das kann ein großes Ereignis der Menschheitsgeschichte sein, das kann aber genauso gut etwas ganz Alltägliches sein, das durch ein Theater kulturell verformt eine neue Symbolik erhält, so wie es die Arbeiten von Micha Kranixfeld und dem Syndikat Gefährliche Liebschaften zeigen und wie er es unter anderem in seinem Beitrag der Publikation „Theater in der Provinz“ beschreibt (vgl. dazu Kranixfeld 2019a sowie Kranixfeld u. a. 2018.). Narrative lassen sich aufspüren und können greifbar gemacht werden durch Komplizenschaften; genauso können sie neue Komplizenschaften entstehen lassen und diese verändern, festigen, verstetigen. Eine solche Verbindung zwischen lokalen Akteuren und ihrer Geschichte prägt auch die Arbeit des Theater Lindenhofs in Melchingen, zeichnet diese aus. Um Projektentwicklungen vor Ort, mit einem Ort ernsthaft anzugehen, braucht es eine ständige Befragung, was Darstellende Kunst sein kann und sollte; und es braucht eine Rückspiegelung, was die Menschen, die an solchen Vorhaben beteiligt sind, von Theater erwarten und was sie darunter verstehen. Auch wenn die Grundvereinbarung, jemand spielt etwas vor jemanden, allgemein gültig zu sein scheint, gibt es doch vielfältige Formen der Darstellenden Künste, genauso wie es unterschiedliche Erfahrungen mit ihnen und Auffassungen über ihre Möglichkeiten gibt. Stefan Hallmayer sieht genau darin ein Potenzial: Je vielfältiger die Region, desto vielschichtiger könnten neue Projektideen entstehen und Wirklichkeit werden, aus diesem Reichtum schöpfe das Theater Lindenhof Narrative für seine Arbeit. Mit Geduld und einem fürsorglichen aber bestimmten Graben in der Vergangenheit hat sich das Theater Lindenhof ein besonderes regionales Netzwerk aufgebaut, das seine künstlerische Arbeit nicht nur speist, sondern damit verwoben ist.145 Vielfalt bezieht sich nicht nur auf die Ausdrucksweisen und kulturellen Formen, die es sowohl in urbanen Gebieten als auch in der Provinz gibt, sondern auch auf die Bevölkerungsstrukturen. Die Uckermärkischen Bühnen Schwedt, die erst seit Kurzem den Titel einer Landesbühne zugesprochen bekommen haben, sehen ihre Selbstverpflichtung eng mit der Situation ihres Landstriches verbunden: Nah an der polnischen Grenze gelegen, sind Kooperationen mit polnischen Theatern und Kultureinrichtungen ebenso Normalität, wie zweisprachige Inszenierungen; Intendant Reinhard Simon findet in dieser Vernetzung und der Beachtung der Mehrsprachigkeit der Region sogar die

145 Ausführlich dargestellt werden die Arbeitsweisen und die Verbundenheit des Theaters mit der Region im Artikel „Aus der Provinz agieren“, der aus dem gemeinsamen Gespräch mit der Theaterleitung entstand und von Micha Kranixfeld bearbeitet wurde, siehe Kranixfeld 2019a und Kapitel 3.3.8.

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Daseinsberechtigung des Theaters begründet. Die Zusammenarbeit mit verschiedenen Institutionen und Bevölkerungsgruppen sieht er als Chance, denn durch diese könnten neue Formate, könne neue Kunst entstehen (siehe dazu Fülle 2019). Vielfalt der Region zeigt sich in der Pluralität von kulturellen Hintergründen und ebenso in der vor Ort gelebten Breitenkultur: Freiwillige Feuerwehren, Spielmannsund Fanfarenzüge, Kirchenchöre und Tanztreffs gestalten nicht nur das jeweilige Vereinsleben und Kulturprogramm in der Provinz, sondern bieten einen Fundus an künstlerischen Ausdrucksweisen, Interessen und Kenntnissen. Diese wahrzunehmen und zu berücksichtigen, könnte zu neuen Impulsen für die eigene Theaterarbeit führen. Vorsichtige Versuche diesbezüglich sind bei den untersuchten Landesbühnen zu erkennen, meist in Form einer Beteiligung eines Chores, wie exemplarisch dargestellt wurde. Um diese Richtung weiter zu verfolgen, Pluralität zu entdecken und für die eigene Arbeit zu nutzen, braucht es nicht nur ein Feingefühl für Narrative und die Bereitschaft für Komplizenschaften, sondern auch den grundsätzlichen Willen sowie die dazu notwendige Handlungsfreiheit. Unerlässlich ist zudem, nicht aufgrund von voreingenommenen Qualitätsbeurteilungen oder fehlgeleiteten, weil nicht hinreichend durch Wissen gestützte Einschätzungen, bestimmte Erscheinungsformen von Kunst und Kultur als unwichtig oder nicht interessant genug zu verurteilen. Anna Eitzeroth sieht darin einen der notwendigsten Schritte für eine Weiterentwicklung des Theaters in der Provinz: „Wir müssen aus diesem Abgrenzungsdenken heraus, das meint, dass Soziokultur auf keinen Fall Kunst sei“ (Eitzeroth zitiert nach Jahnke 2018b). Präsenz und Verlässlichkeit herstellen

Das Wichtigste für eine solche Arbeit, für Zusammenschlüsse für eine Projektdauer und darüber hinaus, ist ein Faktor, der sich in der Gastspieltätigkeit und der Landesbühnenarbeit durch einen Mangel auszeichnet: Kontinuität. Die zu geringe Präsenz der Landesbühnen in den Gastspielorten verhindert und erschwert vieles. Dieser Tatsache entgegenzuwirken, ist ein weiterer Versuch, die Situation zu ändern und die Bedingungen zu verbessern. Länger vor Ort sein, öfter in den Orten auftauchen und wahrgenommen werden, kann helfen, eine Bindung zu schaffen, Partizipation erleichtern und Projekte in Gang setzen, die unmöglich scheinen, solange Landesbühne nur als ein Aufblitzen im Kulturleben wahrgenommen wird. Auch hier zeigen sich unterschiedliche Richtungen: Neben den geschilderten Ansätzen, die versuchen, Theater und Landesbühne im Alltag der Provinz anzusiedeln, kann es auch darum gehen, schlicht und einfach die Spielplananteile im jeweiligen lokalen Programm zu erweitern. Eine andere Herangehensweise ist, das Publikum in seiner Breite anzusprechen und somit für möglichst viele möglichst verlässlich präsent zu sein, beispielsweise dadurch, für alle Altersgruppen immer wieder etwas anzubieten, so kann der Grundschüler genauso wie der Schüler einer weiterführenden Schule bis hin zum Student mit dem Theaterangebot groß werden. Dafür braucht es aber Gastspielhäuser, die genau diese Bandbreite an Angeboten abkaufen, sonst bleibt ein solches Konzept wieder auf den Stammsitz reduziert. Kooperationen mit Bildungseinrichtungen sind erneut hierfür ein gutes Beispiel: Wenn ein Theater jedes Jahr entweder in die Schule oder den Kindergarten kommt, oder die jungen Menschen geschlossen das Theater besuchen, entsteht eine Normalität, die wichtig ist für den gegenseitigen Rückhalt; das gleiche Prinzip verfolgen die Programme der Kulturrucksäcke, wie sie beispielsweise von der Burghofbühne angeboten werden (vgl. Burghofbühne Dinslaken Landestheater im Kreis Wesel e. V. 2019b).

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Schwierig wird es, die Präsenz in einem Ort aufrechtzuerhalten, der sich aus finanziellen Gründen eigentlich kein (Gastspiel-)Theater mehr leisten kann. Friedrich Schirmer sieht gerade in solchen Situationen die Landesbühnen in der Verantwortung: „Wie jetzt zum Beispiel die Finanzkrise die Orte sehr gebeutelt hat, da ist es dann an die Kulturetats wirklich vehement gegangen und [...] dann haben Orte [...] ihren Betrieb eingestellt und haben jetzt diese Hallen, die Defizite produzieren und es findet dabei kaum etwas statt. [...] da kann man eben nur sagen, na ja, man muss eben trotzdem hin“ (Schirmer u. a. 2016). Die Bespielung der Fläche darf nicht aufgegeben werden, bei allen Widrigkeiten der Bedingungen, diese Auffassung scheinen die Gesprächspartner alle zu teilen. Regelmäßigkeit und Verlässlichkeit beziehen sich nicht nur darauf, dass das Theater als ständiges Angebot da sein wird (im besten Falle), sondern auch, dass sich die Qualität der Arbeit zuverlässig auf einem Niveau hält – immer mit dem Anspruch, sich auch verbessern zu können. Eine Veränderung des Angebots wird durch eine längere und intensivere Anwesenheit vor Ort erst möglich, auch dieser Aspekt wurde schon diskutiert. Gerade Produktionen, die auf Recherche basieren, die partizipatorische Elemente beinhalten, oder die spezifisch für bestimmte Orte entwickelt werden, brauchen die feste und längerfristige Verankerung. Verbunden mit solchen Ansätzen ist auch eine Verantwortungszuschreibung und -übernahme, gilt es doch, eine Art Gewohnheitsrecht auf die Arbeit der Landesbühne zu etablieren, das sich nicht nur auf den Spielplan bezieht, sondern auch auf die Möglichkeiten der partizipatorischen Angebote. Feste Verankerung, also kontinuierliche Arbeit, muss sich gleichermaßen mit der Frage auseinandersetzen, welche Arbeit in dem gegebenen zeitlichen Rahmen möglich ist, was als Minimalangebot eingestuft wird und ob ein solches als ausreichend bezeichnet werden kann. Überdenken von Zuständigkeiten

Bei allen genannten Stellschrauben für eine Veränderung der Situation und der Rahmenbedingungen scheint die sich durch den Auftrag der Landesbühnen ergebende Begrenzung jeder Entwicklung in gewisser Weise entgegenzustehen. Eine Neuauslegung der Beauftragung wäre, sich von der Idee des Distribuierens einer im Stammsitz erarbeiteten Produktion ab- und sich dezentraler Produktion und Partizipation hinzuwenden; dies wurde bereits als Gedanke vorgestellt und wird auch in den abschließenden Überlegungen einen wichtige Position einnehmen. Jörg Gade hat versuchsweise auf eine andere Art das Geschäftsmodell Landesbühne erweitert, das TfN tritt nicht nur als Anbieter auf, sondern in drei Gastspielorten selbst als Veranstalter. Diese Initiative war jedoch keine originär strategische Entscheidung, sondern eine Reaktion auf eine Verlustsituation, wie Gade in Bezug auf den Standort Langenhagen erläutert, den er zu Beginn seiner Intendanz besuchte und somit zufällig Zeuge eines einprägenden Erlebnisses war: „Die Vorstellung begann damit, dass eine städtische Beauftragte [...] erklärte, dass die Theaterreihe im Sommer eingestellt werden muss und dies eine der letzten Vorstellungen ist. Und zwar nicht etwa, weil die Stadt Langenhagen kein Geld mehr hatte, um diese Gastspiele einzukaufen, sondern weil die Frau, die sich darum jahrzehntelang gekümmert hatte, als städtische Angestellte nun in Pension ging, [...] die Stelle nicht neu besetzt werden sollte. [...] ich hab gedacht, das kann nicht sein, man kann nicht irgendwie ein volles Theater schließen; und habe dann [...] Gespräche mit der damaligen Bürgermeisterin geführt, und wir haben ein Modell entwickelt, diese Theaterreihe zu retten; indem wir sie in unsere

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Hände übernommen haben; also wir haben [...] den Abonnenten-Stamm übernommen und spielen seitdem dort auf eigenes Risiko“ (Gade 2016). Dieses eigene Risiko sicherte Gade zumindest in dem Sinne ab, dass das TfN eine Monopolstellung erhielt; „bis zu dem Zeitpunkt war es in Langenhagen so, das Abonnement bestand aus acht Vorstellungen; davon waren vier von der Landesbühne und vier von der Konkurrenz. Und wir haben halt gesagt, wir machen das, wir retten euch die Theaterreihe, aber nur wenn wir alle acht Vorstellungen bekommen“ (ebd.). Da dieses Vorgehen gut funktionierte, wurde das Prinzip auch noch auf Clausthal-Zellerfeld und Goslar übertragen (in Goslar handelt es sich um eine Konzertreihe, vgl. ebd.). Allerdings schätzt Gade diese Ausweitung der Zuständigkeit als nicht haltbar ein, insbesondere aufgrund der begrenzten vorhandenen Ressourcen; „selbst in diesen Orten, wo wir jetzt ohne Zwischenhändler auftreten, ist es unheimlich schwer, [...] es wäre sehr sehr personalaufwändig, dort wirklich ein ausgereiftes Marketing mit dem Ziel Erschließen neuer Publikumsgruppen zu etablieren. Ich bin inzwischen der Überzeugung, dass das, was wir dort gemacht haben, um die Reihen zu retten, kein Zukunftsmodell ist. Weil es [...] personell nicht zu leisten ist, man müsste dort eine Art Statthaltersystem einrichten, man müsste also zwei, drei Mitarbeiter immer dort vor Ort haben“ (ebd.). Das Modell Langenhagen kann durchaus ambivalent betrachtet werden: Die Landesbühne wirkt dort konkurrenzlos, die Programmvielfalt wird also einseitiger (im Sinne eines alternativlosen Anbieters), Veranstalter scheinen überflüssig zu werden, man könnte also theoretisch einige der Gastspielhäuser einsparen oder zumindest deren Aufgabenbereiche und Zuständigkeiten verkleinern. Entgegen dieser Kritik ist durch dieses Modell aber ein Theaterveranstaltungsort erhalten geblieben und zumindest in diesen wenigen Fällen löst sich die Problematik der Split-Audience auf. Jedoch verpufft der positive Effekt, wenn weder genügend Personal noch Finanzen vorhanden sind, um das Potenzial, das sich aus der neuen Situation ergibt, zu nutzen. Ähnlich steht es um eine Verankerung von partizipatorischer Arbeit als gemeinsame Zuständigkeit, ein Ansatz, der ebenfalls denkbar wäre, der aber im Detail ausgearbeitet werden müsste. Eine neue Auslegung des Auftrages in dem Sinne, die positiven Seiten der verschiedenen Aufgabenbereiche Produktion, Distribution, Organisation, Partizipation zu vereinen, müsste konzeptionell erdacht und überprüft werden; dies geht jedoch nicht ohne Beteiligung der Gastspielhäuser und -veranstalter: Neue Absprachen und Verantwortungsbereiche könnten ein neues Modell von Theater entstehen lassen – ein erster Gedankenversuch hierzu wird im Schlusskapitel dieser Arbeit entworfen. Scheitern als Option

Sich einem neuen Modell anzunähern, veränderte Zuständigkeiten und neue Verantwortungsübernahmen auszutesten, kann auch bedeuten, ein Scheitern zu riskieren und sich diesem auszusetzen. Jörg Gade räumt ein, dass die Übernahme der Veranstalterfunktion hinsichtlich zukünftiger Entwicklungen vielleicht nicht die beste Entscheidung war, doch er und das TfN haben es probiert. Leider fehlt oftmals die Bereitschaft für weitere Experimente, insbesondere im künstlerischen Bereich, die mit Risiken verbunden sein könnten – dies mag individuelle Gründe haben, kann aber auch daran liegen, dass die Möglichkeit für solche Versuche nicht als gegeben erscheint, da bei einem Scheitern mögliche Verluste nicht aufgefangen werden können. Finanzielle Einbußen wäre eine Negativwirkung, viel einschneidender wäre aber der Verlust von

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Partnern oder gar ein Bruch vertrauensvoller Beziehungen. Der stete Blick darauf, ob man sich etwas leisten kann, unter Berücksichtigung der Ressourcen, aber auch in Bezug auf Erwartungshaltungen, kann zu einer sehr geringen Risikobereitschaft führen, oder zu Arbeitsweisen und Formaten, die lediglich möglichst abgesicherte Wagnisse zulassen. Auf den Diskussionspodien im Memmingen fiel in diesem Zusammenhang hierzu der Begriff „Kompensationsmodell“: Produzenten und Anbieter müssten Stücke im Programm haben, die eine gewisse Stabilität hinsichtlich Zuspruch und Einnahmen erwarten ließen, um sich ungewöhnlichere Titel, unbekanntere Autoren oder experimentelle Formen leisten zu können (vgl. dazu Düspohl u. a. 2019). Das Schnüren von Paketen könnte auch hier den Absatz der mutigeren Stücke etwas sichern, das Prinzip „Räuberteller“ könnte erweitert werden um andere Kombinationen, zum Beispiel um Bestseller und Uraufführungen, oder auf das Angebot, einen Klassiker zu kaufen, und eine performative Installation gratis dazu zu erhalten. Scheitern riskieren oder Sicherheit bewahren – diese Frage scheint eine originäre Sinnfrage der Landesbühnen-Konstruktion zu sein, die ständige Selbstkrise zwischen Kunstfreiheit, Selbstverwirklichung und Verkaufszwang sowie Marktmechanismen prägt ihr Selbstbild und ihre Arbeit. Dennoch, und hier zeigt sich eine Ansatzstelle für kulturpolitische Steuerung, muss es möglich sein, Dinge zu riskieren, egal ob der Versuch scheitert oder zu einem (vielleicht auch überraschenden) Erfolg führt, denn schließlich gilt, „Theater muss scheitern dürfen; einer der Gründe warum wir subventioniertes Theater sind“ (Grisebach 2016). Zögerlich sprechen die Intendanten von einzelnen Wagnissen, man merkt den Antworten die geringe Risikobereitschaft an, die natürlich auch im Zirkelschluss von Titelzwang, Seherfahrungen und Erwartungshaltungen verfangen sind. Kay Metzger verbindet einen Erfolg eines Ausprobierens von neuen künstlerischen Handschriften oder Ansätzen mit der dahinter stehenden Sicherheit, dass man selbst diesem Weg vertraut und die Gastspielveranstalter entsprechend vorbereitet, denn „wenn man gewisse Dinge mit Überzeugung macht – aber das ist dann wiederum am Stadttheater auch genauso – dann funktioniert es vielleicht auch in der Fläche; also wir hatten ja auch einige Inszenierungen [...] die man durchaus als gewagter ansehen könnte und die dann erstaunlicherweise doch da und dort funktioniert haben“ (Metzger 2016).146 Mirko Schombert sieht hingegen gerade auch in einer provozierten Reibung eine Chance für das Theater an sich, wie er anhand der Inszenierung von „1984“ darlegt; denn gemäß dem Motto, dass jede Kritik gute Kritik sei, kann auch die Äußerung von negativen Publikumsreaktionen zumindest ein erster Kontakt mit eben diesem Publikum sein. Jede Reaktion könne, wenn sie denn wahrgenommen und wertgeschätzt würde, einen Dialog anstoßen, denn dies sei etwas, „was da eigentlich überhaupt nicht passiert; also normalerweise gehen da viele Leute rein, gehen wieder raus, trinken einen Sekt und das war es“ (Schombert 2016).147 Risiken eingehen zu können, diese auch zu wagen, ist für Schombert mit Blick auf die Zukunft der entscheidende Punkt, „für die Landestheater im Allgemeinen, wäre

146 Die ausgelassene Passage dieses Zitates beinhaltet unter anderem das „Wildschütz“Beispiel, welches bereits an entsprechender Stelle im Kapitel 4.1.3 verwendet wurde, um die Bedeutung der Kommunikation mit den Gastspielveranstaltern und die unterschiedlichen Erwartungshaltungen zu erläutern. 147 Vgl. dazu die Ausführungen zu dem Beispiel „1984“ in Kapitel 4.2.4.

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wirklich einfach das mein größter Wunsch, dass es eben einfach mehr Mut [...] auf dem Abstechermarkt gibt. Mehr Mut zum Experiment, mehr ein sich drauf einlassen, ja dann auch mehr Mut zum Scheitern“ (ebd.). Hierzu bedarf es Personen, die sich trauen und die entsprechenden Rahmenbedingungen, die dies zulassen, ermöglichen und fördern – dabei sollten alle Seiten in den Blick genommen werden: Produzenten und Veranstalter genauso wie das Publikum selbst, denn auch diesem sollte die Möglichkeit zu Experimenten zugesprochen werden. 4.4.3 Ein vergleichender Blick ins europäische Ausland Mit diesem letzten Element eines Baukastens für eine Theaterreform zeigt sich, dass dieser viele Einzelteile beinhaltet, die jedes für sich aber vor allem auch zusammengesetzt einiges verändern und umgestalten könnten; die dafür zu konstruierenden Maßnahmen und Strategien werden im Schlusskapitel vorgestellt und diskutiert. Dabei gilt es, die Landschaft der Darstellenden Künste in Deutschland zu beachten, die sich durch ihre Einmaligkeit der Strukturen auszeichnet. Diese Forschungsarbeit ist keine vergleichende Studie, dennoch kann ein kleiner Exkurs ins europäische Ausland für die Überlegungen hilfreich sein, da die dortigen entsprechenden Modelle von Gastspieltheater Ansätze aufzuzeigen, die als Impulse für eine zukünftige Entwicklung des Theaters in Deutschland aufgegriffen werden könnten. Manuel Schöbel beschreibt mit Blick auf die Zukunft der Theaterlandschaft, dass „die internationale Bewegungsrichtung [...] eher pro Landesbühne [ist]. Regionaltheater, wie es zum Beispiel im skandinavischen Raum heißt, sind durchaus im [...] Trend“ (Schöbel 2016). Ausgehend von diesem Hinweis Schöbels und den Erfahrungen, welche die Autorin durch die Teilnahme an internationalen Konferenzen sammeln konnte, sollen im Folgenden drei Modelle theatraler Grundversorgung anderer Länder vorgestellt werden; nicht in ausführlicher Vollständigkeit, sondern immer vor dem Hintergrund der dieser Arbeit zugrunde liegenden Argumentation. Der Exkurs möge als kleiner Einblick bewertet werden, es geht nicht um eine vollumfängliche Darstellung der Kulturpolitiken anderer Länder sowie der jeweiligen Theaterlandschaften und Fördersysteme,148 sondern um eine Erweiterung der Sichtweise. Netzwerk als Stärke – das schwedische Riksteatern

Schöbel ergänzt seine Aussage durch den Hinweis, dass besonders ein Blick lohne „in skandinavische Länder, [...] mit einer ganz reichen Erfahrung, was das bringt, wenn man sich nicht auf das Produzieren von Kunst alleine beschränkt, sondern wenn man auch das Kommunizieren über Kunst und die Betreuung des Rezeptionsprozesses professionell betreibt“ (ebd.). Skandinavien scheint in Angelegenheiten der Kulturellen Bildung vorbildhaft zu sein; in Diskussionen und Texten zu Teilhabe, Kinder- und Jugendtheater, Kulturvermittlung, werden exemplarisch und vorbildhaft fast immer

148 Eine solche vergleichende Analyse wäre ein eigenständiges Forschungsvorhaben; eine Untersuchung des Freien Theaters in Europa liegt vor, die Publikation „Das Freie Theater im Europa der Gegenwart“ (Brauneck u. a. 2016) ist Ergebnis umfangreicher Forschungsprojekte, die sich mit den Ästhetiken, Strukturen und den Kulturpolitiken verschiedener Länder befasst haben.

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Schweden, Norwegen, Finnland oder auch Dänemark genannt. Als ein Beispiel unter vielen sei eine Tatsache herausgegriffen: „In Dänemark gibt es ein Schulgesetz, das es den Schülern ermöglicht, zwei Mal im Jahr ein Theater zu besuchen, in Schweden gibt es hierzu einen Erlass des Kultusministeriums“ (Schneider 2009b, S. 43), ebenso ist der Kulturelle Schulrucksack, eine Erfindung Norwegens zum Sinnbild einer Teilhabe-Ermöglichung geworden (ebd.). Das schwedische Kinder- und Jugendtheater war bereits Gegenstand wissenschaftlicher Betrachtungen (vgl. exemplarisch Schneider 2003), für die hier zu führende Argumentation ist jedoch ein bestimmtes Unikum der schwedischen Theaterlandschaft interessant, das „Riksteatern“. Dieses Nationaltheater ist nicht eine einzelne Bühne mit Reiseauftrag, sondern eine Gemeinschaft unterschiedlicher Akteure, mit dem Auftrag, Darstellende Kunst in ganz Schweden zu ermöglichen. Auf seiner Webseite bezeichnet es sich selbst als das „schwedische Tourneetheater“ (Riksteatern I Hallunda 2019). Ein Kooperationspartner aus England beschreibt das Riksteatern als „a most vibrant popular movement and the largest producing touring theatre company in Sweden“ (Black Theatre Live 2018). Das schwedische Nationaltheater kann als ein Modell für die Zusammenarbeit unterschiedlicher politischer Ebenen, Strukturen von Gebietskörperschaften und Akteure der Darstellenden Kunst angesehen werden. Möglich wurde und ist diese Arbeitsform durch die kulturpolitische Schwerpunktsetzung des Landes. Seit den 1990er Jahren kann eine Entwicklung in der schwedischen Kulturpolitik beobachtet werden, die durch gesellschaftliche Veränderungen angestoßen wurden: „the most significant changes in the general conditions for cultural policy have been results of increasing regionalisation, globalisation and new media“ (Harding 2016, S. 3). Als Reaktion darauf, kam es zu einer Verschiebung von Zuständigkeiten, die dazu führten, dass die regionalen Verwaltungen und die Regionalpolitik mehr Verantwortungen übernahmen („new efforts to transfer policy-making powers from the national to the regional level“, ebd.). Bei den regionalen Kulturplanungen, die von dem durch die schwedische Regierungen eingesetzten Kulturrat geprüft und beschieden werden, ist es Voraussetzung, dass Akteure der jeweiligen Kulturlandschaft in die Konzeptionierungen einbezogen werden müssen: „In the 2000’s, regional governments have become increasingly involved in Swedish cultural policy, both in creating their own cultural policies and in distributing funding from the national budget. [...] a significant part of the national funding for culture was transferred to regional governments. Under this model – known as the Cultural Cooperation Model – the Swedish Arts Council acts as a representative of the national government in approving the Cultural Policy Plans of the regional governments for national funding. In the making of their Cultural Policy Plans, regional governments also obligated to consult with representatives of cultural institutions, professionals and civil society in their respective regions“ (ebd., S. 4). In diesem Zusammenhang stehen die nationalen Tourneebetriebe, zu denen neben Institutionen der Bildenden Kunst auch das Riksteatern zählt. Dass Kulturinstitutionen reisen, sich also zu den Menschen bewegen, hat in Schweden Tradition. Diese Einrichtungen und ihre Programme fungieren dadurch als Verbindung zwischen den nationalen und regionalen Angeboten und Institutionen und werden als Bereicherung wahrgenommen: „The most important institutions are production organisations operating in the field of theatre (Riksteatern) and art exhibitions (Riksutställningar). [...] Riksteatern is based on a large number of regional theatre associations. Their common goal is to make high quality events in theatre and visual arts available in all parts

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of Sweden“ (ebd., S. 36). Das Riksteatern, das zunächst hauptsächlich als staatliche Institution wahrgenommen wurde, positoniert sich zunehmend als Akteur (in) der Zivilgesellschaft: „Riksteatern is now emphasising the role of member associations and thus its role in civil society, somewhat in contrast with its previous emphasis on its role as a national institution“ (ebd.). Das Nationaltheater ist kein klassischer Tourneetheater-Betrieb, der mit einem Ensemble Stücke auf einer Bühne produziert und dann vertreibt, sondern es ist ein Zusammenschluss zahlreicher Akteure, es gibt Spielstätten, regionale Ensembles, TourneeProduktionen, die sich zum Teil auch ganz explizit an bestimmte Zielgruppen richten oder sich ausgewählten Genres verpflichtet haben. Durch die schwedische Kulturpolitik, die nicht nur eine Grundversorgung, sondern auch die Teilhabe von Randgruppen in den Blick genommen hat (vgl. Fülle 2016b, S. 316 f.), entstand eine Theaterlandschaft, in der die einzelnen Theaterinstitutionen einen Verbund an Kooperationen bilden, miteinander agieren (vgl. ebd. und Brauneck 2007) und sich gegenseitig unterstützen; dazu gehören auch Amateurtheater, die eine Förderung durch das Riksteatern erfahren (vgl. Rubin 1994). Das Riksteatern versteht sich als „demokratische Massenorganisation“ (Riksteatern I Hallunda 2019), als „Arena für Kreativität und Entfaltung“ (ebd.) und wirbt auf seiner Webseite für das Modell: „Eine Idee und die Bereitschaft zu gemeinnützigem Engagement tragen unsere Organisation. Zahlreiche Unterorganisationen bringen Bühnenkunst wie Schauspiel und Tanz einem Publikum in ganz schweden [sic] nahe. Auch Sie können Mitglied in einem der angeschlossenen Theaterverein [sic] und als solches Teilhaber einer der weltgrößten Theaterorganisationen werden. Ihre Mitarbeit trägt dazu bei, dass noch mehr Menschen in den Genuss von Bühnenkunst kommen. [...] Die insgesamt gut 40 000 Privatpersonen und Organisationen sind, kraft ihrer Mitgliedschaft in einem der Theatervereine (Riksteaterförening), Eigentümer einer demokratischen Massenorganisation. Mitglied können aber nicht nur diese Vereine werden, sondern auch andere Zusammenschlüsse wie etwa Schulen. Das Riksteatern ist ein großes Forum für Ideenaustausch“ (ebd.). In seiner Struktur beschränkt sich das Riksteatern nicht mehr nur auf Schweden, sondern geht Kooperationen mit internationalen Partnern ein, so erweitert das „Black Theatre Live“, ein ähnlicher Zusammenschluss von tourenden Theatergruppen und -produktionen in England, die Beschreibung des schwedischen Nationaltheaters wie folgt: „The Riksteatern [...] organises, mediates, produces and develops the Performing Arts. [...] The National Theatre has a broad and diverse operation stretching from north to south and far beyond Sweden’s borders. It has international and intercultural activities where theatre, dance and the performing arts serve as tools for creating links between the local and the global“ (Black Theatre Live 2018). Die verbindende Funktion scheint maßgeblich zu sein: Zwischen dem Regionalen und dem Nationalen, dem Lokalen und dem Globalen und zwischen zahlreichen Akteuren und Beteiligten. Dieses Konstrukt scheint zudem Aushängeschild für eine gelingende kooperative Kulturpolitik zu sein – an dieser Stelle soll es als positives Beispiel und als Ideengeber fungieren, dabei ist davon auszugehen, dass auch im schwedischen Modell nicht alles reibungslos verläuft. Die lokale Konkurrenz zwischen dem Riksteatern und Freien Ensembles wäre ein Aspekt, den es genauer und kritischer zu beobachten gelte, da die „Tendenz, zum Nachteil des unabhängigen Theaters vor allem das institutionalisierte Theater zu fördern“ (Svensson 2017, S. 94), durchaus einer Vielfalt der Landschaft

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auch zum Nachteil gereichen kann. Ebenso müsste man die Strukturen der Organisation, Entscheidungskompetenzen und Mitbestimmungsmöglichkeiten im Detail analysieren, um dem Modell kritisch gegenüber zu treten. Der Wiener Standard beschreibt so das Modell Riksteatern gleichermaßen mit einer gewissen Bewunderung und einem leicht abschätzigen Ton: „Schweden verfügt mit dem so genannten Riksteatern über ein vorbildliches Theater-Tourneesystem. Dessen Hauptquartier im Stockholmer Süden erinnert an eine Ikea-Filiale. [...] Dass sich hier alles um beinharte Logistik und natürlich Effizienz dreht, daran lässt die unscheinbare, jedem x-beliebigen Konzern zur Ehre gereichende Gebäudefassade keinen Zweifel: ein Universal-Versand der Theaterkunst. Im Inneren aber rattert die Kunstproduktion“ (Affenzeller 2006). Die Herausstellung eines entscheidenden Unterschieds zur deutschsprachigen Theaterlandschaft beendet den kurzen Artikel über das Riksteatern: „Dass in Österreich so manche Theaterarbeit aufgrund fehlender Tourneestrukturen oft nur vier-, fünfmal gezeigt wird, das versteht hier niemand“ (ebd.). Der Reisebetrieb scheint in Schweden Normalität und keine Ausnahme und man kann vermuten, dass er somit auch kein Grund für eine vorschnelle und vorverurteilende Minderbewertung der Qualität zu sein scheint. Natürlich gibt es nicht nur einen Unterschied der Theaterarbeit zwischen Schweden und Deutschland, sondern auch hinsichtlich der Organisationsstrukturen, der Kulturpolitik und der Verwaltungsebenen. Gleichwohl könnte die Idee des Riksteatern als Impuls für ein neues Konstrukt dienen: Landesbühne nicht mehr nur als reisendes Stadttheater denken, sondern als einen Mediator, einen Organisator, einen Sammelpunkt von Kompetenzen, Plattform und Sprachrohr für die Akteure in der Provinz und in den Metropolen. Kulturpolitische Strategien, Planungen von Theaterentwicklungen im regionalen Kontext, angestoßen durch die Landesbühnen als Vertreter der lokalen Netzwerke, in enger Kommunikation mit Theatermachenden, Theaterzeigenden und Theaterfördernden. Gleichermaßen steht das schwedische Modell vor allem auch im Bereich des Kinder- und Jugendtheaters für eine Selbstverständlichkeit im Umgang mit den Darstellenden Künsten, auch mit weniger klassischen Darstellungsformen oder Inhalten: „Man kann durchaus behaupten, dass das schwedische Kindertheater seine feinen Lackschuhe ausgezogen hat. Was noch in den 60er Jahren eine Unterhaltung für Kinder der Ober- und Mittelschicht war, [...] ist heute eine Kunstform für alle Kinder, unabhängig von sozialer Zugehörigkeit und Wohnort“ (Huss u. a. 2002, S. 4), so schätzt das Schwedische Institut im Jahr 2002 die Situation in Schweden ein und sieht insbesondere die mobilen Gruppen als maßgeblichen Faktor dieser Entwicklung: „Dass das Kindertheater seinem Publikum in jeder Hinsicht näher gekommen ist, ist das Ergebnis der radikalen 70er Jahre, als Schauspieler, Regisseure und Dramatiker die institutionalisierten Theater verließen. Voller Enthusiasmus fuhr man Schauspieler, Musikinstrumente und Kulissen in normalen PKWs hinaus zu den Schulturnhallen. Ziel war es, Theater zu einer Selbstverständlichkeit zu machen; die Stücke sollten das Leben der Jugendlichen widerspiegeln. Man bemühte sich auch darum, das Publikum in kleineren Gruppen zu treffen, um den Kindern das Gefühl zu vermitteln, sie seien besonders auserwählte Zuschauer“ (ebd.). Neben diesen Theatern, welche das Kinderund Jugendtheater als Kunstgattung und im Diskurs besonders beeinflussten,149 wird

149 Es sei hier insbesondere das Unga Klara genannt, welches das Schwedische Institut als „Schwedens kreativstes Kinder- und Jugendtheater“ (Huss u. a. 2002, S. 5) bezeichnet,

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in der Darstellung der besonderen Theaterarbeit für junges Publikum auch das Riksteatern herausgestellt, „dessen Hauptaufgabe darin besteht, durch Schweden zu reisen und allen den Zugang zu Kindertheatervorstellungen zu ermöglichen. Ein Ziel von Unga Riks besteht darin, mit Theaterkonventionen zu brechen“ (ebd.). Das staatliche Tourneetheater ist in Schweden also nicht einfach nur ein TheaterVersender (in Anlehnung an den bereits zitierten Artikel des Standards), sondern sieht sich auch als Theater der Innovation – ob dieses Versprechen in der Praxis eingehalten wird, beziehungsweise werden kann, müsste gesondert überprüft werden.150 Das Riksteatern-Modell soll hier als Exempel dafür dienen, dass sich die Landesbühnen in einer aktiven Rolle begreifen könnten, als Netzwerker und Impulsgeber innerhalb einer Kulturlandschaft; sodass sie in diesem Sinne tätig werden könnten und vielleicht gerade durch ihre besondere Stellung dazu befähigt werden, mit Konventionen zu brechen. Theater der Region – das National Theatre Wales

Das Stichwort des regionalen Kontextes führt zum zweiten internationalen Beispiel, dem Nationaltheater in Wales, das auf seiner Webseite sein Selbstverständnis wie folgt postuliert: „The nation of Wales is our stage! From forests to beaches, from aircraft hangars to post-industrial towns, village halls to nightclubs“ (National Theatre Wales 2019f). Ausgehend von einem kleinen Produktionszentrum in Cardiff arbeitet das National Theatre Wales im gesamten Land, dabei sind ortsspezifische Produktionen ebenso Teil des Programms wie Recherchearbeiten und interdisziplinäre Arbeiten, die nicht mehr ausschließlich den Darstellenden Künsten zugeordnet werden können; es versteht das Land Wales als Quelle für die künstlerische Arbeit: „We operate from a small base in Cardiff’s city centre, but we work all over the country, and beyond, using Wales’ rich and diverse landscape, its towns, cities and villages, its incredible stories and wealth of talent as our inspiration“ (ebd.). Auf dem Internetauftritt der walisischen Hauptstadt Cardiff wird die Tätigkeit des Theaters noch weiter zugespitzt: „We bring together storytelling poets, visual visionaries and inventors of ideas. We collaborate with artists, audiences, communities and companies to create theatre in the English language, rooted in Wales, with an international reach. You’ll find us around the corner, across the mountain and in your digital backyard“ (Cardiff Council 2019). Maßgeblich für die Arbeit des Theaters ist seine Offenheit: Es scheint, wenn man der Webseite Glauben schenken will, dass jeder und jede gleich welche Idee an das Theater herantragen könne. Es positioniert sich nah an den Walisern ausgerichtet, insbesondere an den jüngeren Generationen. Die Online-Community erlaubt nicht nur, mit den Theaterleuten in Kontakt zu treten, sie ist Plattform für Kritik ebenso wie für Ideenentwicklungen; Stücke werden nachbereitet, Inhalte vorbereitet (vgl. National Theatre Wales 2019d). Eine Einsicht in die aktuellen Produktionen und Spielpläne ist dort möglich, Ausschreibungen von Stellen, Aufrufe zur Zusammenarbeit sind ebenfalls dort

„es gehört zu Stockholms Stadttheater. Die künstlerische Leiterin Suzanne Osten hat über Jahrzehnte mit einer Anzahl von Regisseuren, Schauspielern, Künstlern, Dramatikern und Schriftstellern zusammengearbeitet und sich bemüht, auf der Bühne die Lebensbedingungen von Kindern zu thematisieren. [...] Durch die Arbeit mit Unga Klara ist ein neuer Theaterstil entstanden, der vieles in Frage stellt, einen drastischen Humor hat und mutig die menschlichen Lebensbedingungen untersucht“ (ebd.). 150 Für die kritische Betrachtung sei weiterführend erneut verwiesen auf Schneider 2003.

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online gestellt, Blogs berichten über aktuelle Themen, Trends und künstlerische Aktivitäten und in Gruppenforen werden unterschiedlichste Aspekte von Theaterarbeit diskutiert und Aktionen koordiniert. Exemplarisch sei die Gruppe „Rethinking Education“ genannt: „A group for anyone who wants to help us develop an NTW [National Theatre Wales] approach to education“ (National Theatre Wales 2019b). Es gibt auch Gruppen, die sich an einen bestimmten Personenkreis richten und sich der Beteiligung der Mitarbeiter widmen; die verschiedenen „Official National Theatre Wales Groups“ adressieren zum Beispiel Autoren („Writers who want to be part of National Theatre Wales, share ideas, get feedback from each other, and hear about opportunities“, ebd.), oder Menschen auf oder hinter der Bühne, sortiert nach Arbeitsbereichen. Die Diskussionen und der Austausch sind öffentlich, zugänglich für die, die bereits am Theater arbeiten, genauso für die, die dies anstreben oder einfach nur mitreden möchten. Das Nationaltheater stellt nicht nur eine Informationswebseite zur Verfügung, sondern fungiert in vielerlei Hinsicht als Nachwuchsförderer und Plattform für Austausch und Zusammenarbeit. Manche künstlerische Arbeiten beinhalten sogar einen Teil, der nur online zu erleben ist und mit dem Live-Erlebnis in Wechselwirkung tritt, wie beispielsweise die Produktion „Bordergame“, über welche die Wiener Zeitung berichtet: „[Das Theater] lädt [...] zu einer Vorstellung ein, bei der die Theatergäste irgendwo zwischen dem englischen Bristol und dem walisischen Newport im freien Gelände herumstapfen werden. Teilnehmern an dieser Inszenierung wird empfohlen, wetterfeste Kleidung, Wasserflaschen und eine kleine Vesper mitzubringen. Und eine Bahnfahrkarte, um überhaupt nach Newport zu kommen. [...] Die Beteiligten haben die Aufgabe, aus dem ‚Vereinigten Königreich von Neubritannien und Nordirland‘ (also aus England) in die ‚Autonome Republik Cymru‘ (also in eine Art Freies Wales) überzuwechseln. Weil die Grenze geschlossen ist, muss man Schmuggler kontaktieren, die einen heimlich nach Cymru bringen sollen. Zuschauer daheim entscheiden online über Verlauf und Ausgang des Dramas“ (Nonnenmacher 2014). Grenzen werden hierbei auf mehreren Ebenen überschritten und hinterfragt – wo hört Theater auf und fängt politische Intervention an? Im Programm des National Theatre Wales ergänzen „Shows“ und „Projects“ einander: Das eine sind Produktionen der Darstellenden Künste, das andere experimentelle, interdisziplinäre Formate; die Vorstellungen können an einen bestimmten Ort gebunden sein, da sie an und für diesen inszeniert wurden, oder sie können auf Reisen gehen und dennoch außergewöhnliche Orte bespielen, wie zum Beispiel das in Kooperation mit einer frei arbeitenden Theatergruppe entwickelte Stück „SPLISH SPLASH“: „A multi-sensory, underwater, touring production created with theatre company Oily Cart, performed exclusively for young people aged 3–19 in hydrotherapy pools in schools, hospices and hospitals“ (National Theatre Wales 2019e). Projekt-Formate sind beispielsweise Diskussionsforen zum Thema Inklusion, ebenso wie ausführliche Recherchen über Hip-Hop und dessen Potenzial für Theaterarbeit sowie installative Aktionen im Stadtraum, wie die „Eparrots“ im Rahmen von „CITY OF THE UNEXPECTED“: Kleine elektrische Papageien, in Straßenlampen versteckt, beleidigten Passanten, deren Reaktionen von Kindern gefilmt wurden und wodurch eine neue Zuschauer-Darsteller-Situation entstand: „motion activated digital insult generators, created by artist Paul Granjon who, assisted by Heledd Watkins, worked with secondary schoolchildren across South Wales and presented an opportunity to engage with pupils as scientists, as readers, as performers and as teenagers“ (National Theatre Wales 2019a). Die per-

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formative Arbeit erobert neue Räume, entsteht aus diesen und hinterfragt die Konventionen von Theater(-kunst) auf allen Ebenen. Das Nationaltheater scheint tatsächlich ein walisisches Theater zu sein: Die Arbeit richtet sich an den Orten, Menschen, Ideen, Themen und Möglichkeiten aus; die Arbeitsweise und Überzeugung, ortsspezifisch zu wirken, ist nicht nur dem Umstand zuzusprechen, dass es kein eigenes festes Theatergebäude gibt, sondern hat in Wales eine Tradition, wie es John E. McGrath (Gründungsintendant und Leiter des Nationaltheaters von 2009–2015) in einem Gespräch mit der Japan Times erklärt. Das Theater hätte die Chance ergriffen, die vorhandenen kreativen Potenziale aufzuspüren und zu nutzen: „We started from the strengths and traditions of Welsh culture. Unlike in England, Wales hasn’t many big regional theaters, but there is a tradition of more site-specific work. [...] So we used those models and those strengths, and also took things about the 21st-century digital era, to set up the company and create works in different places around Wales [...] We link all that up through digital networks and also do a lot of community-based projects to make sure there’s a strong sense of engagement in each place we go to“ (Tanaka 2013). Die Dezentraltiät und die Verbundenheit mit den eigenen Wurzeln sei in Wales – auch vor dem Hintergrund der Beziehung der einzelnen Länder innerhalb Großbritanniens – von großer Bedeutung: „I think in Wales particularly, people don’t like it if everything becomes centralized in one place. Its culture is a lot about valuing where you are from, valuing the rural as well as the urban. So we really focus on locations and really dig into the specific cultures and histories of different places where we follow a tradition of site-specific productions. About two-thirds to three-quarters of our work isn’t in traditional theater buildings“ (ebd.). Er erwähnt in diesem Kontext auch, dass gerade durch ungewöhnliche Spielorte neues Publikum erschlossen werden könne: „For people who don’t go to theater, theaters can be quite intimidating, so working in unusual places gives people a reason to go to them“ (ebd.).151 Finanziert wird das National Theatre Wales vom Arts Council Wales und der walisischen Regierung; zusätzlich ist es abhängig von Drittmittelgebern und ständig auf der Suche nach weiterer Unterstützung, die sehr prominent auf der Webseite als Chance zur Investition beworben wird („National Theatre Wales is a registered charity, and relies on donations from individuals, businesses and trusts and foundations to keep creating extraordinary theatre across Wales and beyond“ (National Theatre Wales 2019c)). Was wie ein Erfolgsmodell klingt, das spannende, im wörtlichen Sinne bürgernahe Theaterarbeit verspricht, muss sich auch mit Kritik auseinandersetzen. Die Wiener Zeitung würdigt das Nationaltheater, denn es „gehört zu den mutigsten Theatern der Britischen Inseln. Es wandelt auf gänzlich unkonventionellen Wegen“ (Nonnenmacher 2014), doch die britische Tageszeitung The Guardian berichtet im Herbst 2018 von den zunehmenden negativen Stimmen aus Wales gegenüber der Arbeitsweise des Theaters: Hauptkritikpunkt ist, dass in der Praxis überwiegend nicht-walisische Künstler engagiert würden oder Produktionen gänzlich verantworteten (vgl. Morris 2018); das Theater würde die Talente, die direkt vor seiner Tür schlummerten, zu wenig beachten und fördern. Zugleich wird bemängelt, dass das Theater zu wenig Darstellende Kunst produziere; dieser Punkt wird verbunden mit der Abgrenzung zu Standorten mit breitem

151 Inwieweit alleine ein ungewöhnlicher Ort zu einer nachhaltigen Publikumsentwicklung beitragen kann, wurde bereits befragt, vgl. dazu Kapitel 2.2.3 und 4.2.3.

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Theaterangebot: „This is not to put down standups, artists or singers, but the company is not called National Productions Wales. Its list of artistic goals reads like a document belonging to an anti-National Theatre in London. This would be fine if we had what London has but we don’t“ (Parry 2018). Beide zitierten Artikel wollen zu einer Diskussion auffordern, was ein Nationaltheater eigentlich zu sein haben und sein könnte – die Fragen nach den Kerngeschäften, Verantwortungsübernahmen und Funktionsbeschreibungen spielen also auch in Wales aktuell eine wichtige Rolle. Natürlich ist auch der Vergleich zwischen der Situation in Wales und dem Konstrukt Landesbühne in Deutschland nicht deckungsgleich möglich, da sich die Rahmenbedingungen und die Strukturen sehr unterscheiden. Dennoch soll auch aus diesem Beispiel ein Aspekt herausgezogen werden: Die Orientierung in die Region hinein, ein Fokus auf die dezentrale Produktion könnte – bei aller Kritik und allen Schwierigkeiten – funktionieren; interdisziplinäre, partizipatorische, ortsspezifische Arbeit könnte eine besondere Ausrichtung eines neuen Modells von Theater sein, das als Ergänzung zu bestehenden Bühnen verstanden werden und funktionieren könnte, überall dort, wo es gebraucht wird; das sich sensibel an die Gegebenheiten anpasst, Chancen und kreative Potenziale aufspürt und diese nicht invasiv zu übernehmen gedenkt. Im Gespräch mit Mirko Schombert erwähnte die Autorin im Zusammenhang mit Möglichkeiten und Unmöglichkeiten von ortsspezifischer Arbeit das National Theatre Wales als Beispiel. Nach Schomberts Meinung ein gänzlich anderes Konzept, das zunächst nicht mit der aktuellen Idee von Landesbühne vereinbar sei, da dieses sich auf die Gastspieltätigkeit beschränke: „Wenn Landestheater die Grundidee hat, mobil zu sein, um eigentlich überall stattfinden zu können; ist site-specific das Gegenteil. Weil es dann nur an dem Ort funktioniert“ (Schombert 2016). Schombert verweist hierbei auf die Grundkonstruktion, dass es bei Landesbühnenarbeit hauptsächlich darum ginge, fertige Produktionen zu zeigen und nicht ortsbezogen zu produzieren, denn „wenn wir site-specific ernst nehmen; dass man sich nämlich wirklich mit dem gegebenen Ort auseinandersetzt, dann ist das das Gegenteil von Landestheater“ (ebd.). Die Idee des walisischen Nationaltheaters auf das deutsche Theatersystem zu übertragen, wäre ein ganz neuer Ansatz: „In unserem Fall wäre das ja [...], wenn wir von der öffentlichen Förderung ausgehen, dann eher der Bund, der vielleicht sagt: ich möchte das mobile Bundestheater gründen und mit Geld ausstatten und das hat den Auftrag, an immer wechselnden Orten site-specific Projekte umzusetzen. Klar. Kann man natürlich machen [...] – aber es ist immer eine Frage des Auftrages und zumindest der aktuelle Auftrag der Landesbühnen ist eben ein anderer. [...] dann denken wir über eine völlig andere Struktur nach“ (ebd.). Ein solches strukturelles Neudenken von Theaterinstitutionen und Theaterförderung bietet einen Ansatz für mögliche Reformen und soll als ein weiteres Element in die Abschlussdiskussion dieser Untersuchung einfließen. Grundversorgung und Aufgabenteilung – Theater in den Niederlanden

Wie die letzte zitierte Stelle des Artikels des Guardian zeigt, kann ein Theaterbetrieb, der sich weder um Genre-Grenzen noch konventionelle Arbeitsweisen zu kümmern scheint, sich durchsetzen und sinnvoll sein, wenn es in seinem Umfeld auch andere Angebote der Darstellenden Künste gibt. Dies scheint gleichermaßen für alle Theaterlandschaften zu gelten. Eine ergänzende Institution mit explizitem regionalen Auftrag, ortsbezogener Verantwortung und spezifischer Arbeitsweise zu schaffen, bei gleichzei-

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tiger Beibehaltung und gegebenenfalls sogar Stärkung anderer Angebote und Strukturen, wäre demnach eine Möglichkeit.152 Das dritte Beispiel aus dem europäischen Ausland soll einen weiteren Ansatz darstellen: Die Idee einer Grundversorgung durch Aufgabenteilung. Das Theatersystem in den Niederlanden galt ebenfalls seit vielen Jahren als nachahmenswert. Die folgenden Beschreibungen müssen sich jedoch auf die Vergangenheit beziehen, da sich die niederländische Theaterlandschaft durch enorme Einschnitte im Kulturetat und Einsparungen in Millionenhöhe in starker Veränderung befindet.153 Eine aktuelle Situationsbeschreibung der niederländischen Theaterlandschaft sowie die Entwicklungen der vergangenen Jahre in Hinblick auf die Veränderungen kann und soll hier nicht geleistet werden, interessant für den hier betrachteten Gegenstand ist das Konzept der Theaterarbeit in den Niederlanden, das grundsätzlich erhalten geblieben ist, wenn auch stark eingeschränkt. Die Landschaft der Darstellenden Künste in den Niederlanden setzte sich „im Wesentlichen aus einigen wenigen staatlichen Theatern und 22 Produktionshäusern [...] [zusammen], die die Bereiche Schauspiel, Musik, Tanz, Performance und Jugendtheater mit je einem eigenen Schwerpunkt abdecken“ (Schmidt 2012, S. 135). Entscheidend für das Theatersystem in den Niederlanden ist die Teilung der Aufgaben- und Zuständigkeitsbereiche: „Die Bühnen, die Presenters genannt werden, werden finanziell von den Städten getragen, während die Gruppen und Einzelkünstler, die Producers (besser: Perfomers), Geld aus dem Ministerium erhalten“ (ebd., S. 136). Thomas Schmidt nimmt in der gerade zitierten Einführung in das Theatermanagement unter anderem einen Vergleich zwischen den Strukturen von und für Theater in Deutschland und in den Niederlanden vor (siehe ebd.). Während bei uns beispielsweise Koproduktionen nur vereinzelt stattfänden, hauptsächlich zwischen großen Theatern und Festivals, seien Zusammenarbeiten bei unseren Nachbarn „Grundlage des Theatersystems“ (ebd.); Gastspiele seien in der deutschen Theaterlandschaft selten, für die niederländischen Theater sei es Usus, die Premiere in den Produktionshäusern zu veranstalten und danach auf Tournee zu gehen. En-Suite sei dort die übliche Spielweise, im Gegensatz zu unserem typischen Repertoirebetrieb. Ein solcher Spielbetrieb wird natürlich durch Gastspiele begünstigt und umgekehrt: Eine Produktion wird erarbeitet, im Block an verschiedenen Orten gespielt, muss nicht im Repertoire gehalten werden, die nächste Produktion kann abgespielt werden.154 „In den Niederlanden ist im Gegensatz zu Deutschland die Produktion von der Spielstätte getrennt. Alle Theatergruppen haben eine Reiseverpflichtung und meist keine, oder nur eine kleine eigene Spielstätte“ (Robbrecht u. a. 2011). Nach der Beschrei-

152 Zumindest zunächst als eine Annahme; ob und wie ein solches Modell praxistauglich für das deutsche Theatersystem wäre, wird in den weiterführenden Überlegungen zu einem möglichen Reformansatz thematisiert, müssen doch die jeweiligen regionalen Spezifika natürlich berücksichtigt werden. 153 „Die härtesten Kürzungen treffen die Bildende Kunst (von 53,5 Millionen auf 31 Millionen) und die Darstellende Kunst (von 263 Millionen auf 156 Millionen). Die staatliche (Reichs-) Förderung wird also um 40 Prozent gekürzt!“ (Robbrecht u. a. 2011, S. 38); vgl. Berg 2012. 154 Diese Gegenüberstellung sei in der Kurzfassung dargestellt, Vor- und Nachteile eines Repertoire- oder eines En-Suite-Betriebs im Grundsatz zu diskutieren, steht hier nicht im Fokus.

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bung Joachim Robbrechts und Jörg Vorhabens beruht das niederländische Theaterverständnis also auf Mobilität. Reisebühne zu sein ist dort (zumindest für die meisten Theater) die Regel, nicht die Ausnahme. Daraus ließe sich schlussfolgern, dass alle Produktionen immer daraufhin konzipiert und umgesetzt werden, möglichst transportabel zu sein – somit gäbe es auch keine Unterscheidung zwischen stehenden und tourenden Inszenierungen und auch keine mögliche qualitative unterschiedliche Bewertung: Wenn alles immer darauf ausgelegt ist, auf unterschiedlichen Bühnen zu funktionieren, gibt es keine Varianten im Sinne einer Originalumsetzung und einer eventuell zugeschnittenen Reiseversion. Dennoch gibt es eine Gliederung der Theaterlandschaft: „Die neun großen Theatercompagnien arbeiten jeweils eng mit einer Stadschouwburg zusammen. Vom Staat werden aber nicht nur die Stadtcompagnien subventioniert, sondern auch die sogenannten ‚Produktionshäuser‘ und der Fonds für die Bühnenkunst, bei dem Schauspielerkollektive und unabhängige Theatermacher Subvention für bis zu vier Jahren beantragen können. Nun sollen in den Niederlanden lediglich weiterhin die neun großen Stadtcompagnien dieselben Mittel bekommen, dagegen die einundzwanzig Produktionshäuser nicht länger subventioniert werden“ (ebd.).155 Bei aller Gleichberechtigung einer Reiseverpflichtung, die dazu führt, dass fast alle Theater ihren Beitrag für eine mobile kulturelle Grundversorgung leisten müssen, gibt es also dennoch klare Unterschiede. Diese werden nicht nur in der Finanzierung deutlich, sondern zeigen sich auch in der Idee der „Durchströmung“, die eine klare Entwicklungsrichtung vorgibt und dadurch Qualitätsstufen impliziert: „Die Produktionshäuser haben die Aufgabe, jungen Talenten, die frisch aus der Ausbildung kommen, Arbeitsmöglichkeiten zu bieten [...] . Sie bieten den Künstlern die Chance, sich zu entwickeln. [...] Langsam sollen die jungen Talente aufgebaut werden: von der Schule über das Produktionshaus zum Kleinen Saal und dann auf die große Bühne. Dieses Modell heißt ‚Durchströmung‘“ (Robbrecht u. a. 2011, S. 39). Doch nicht alle Gruppen folgen dieser Systemvorgabe, auch wegen ästhetischer Differenzen: „Es zeigte sich aber, dass viele Theatermacher nicht zu den Stadtcompagnien ‚durchströmten‘, sondern eine eigene Gruppe gründeten. Dies geschah vor allem deshalb, weil sich die eigensinnigen Handschriften der Theatermacher nicht für den großen Saal eigneten oder nicht mit bestehenden Compagnien kompatibel waren“ (ebd.). Dennoch, so führen Robbrecht und Vorhaben in ihrem Artikel weiter aus, war die Anerkennung einer Inszenierung unabhängig von dem Namen oder der Größe des jeweiligen Theaters. „Nun wird von vielen Theatermachern befürchtet, dass diese Gleichheit der Wahrnehmung wegfallen wird und Qualität mit der Größe der Gesellschaft gleichgesetzt wird. Die Gefahr besteht, dass dem Autonomen und Alternativem [sic] keine Gelegenheit mehr gegeben wird, sich zu entwickeln. Bis jetzt konnte das niederländische Theater so progressiv sein, da es dort keine vergleichbare Theatertradition wie in Deutschland gibt, aber hier liegt auch die Verwundbarkeit“ (ebd., S. 40). Diese sehen die Autoren vor allem in dem Publikum und dessen geringen Rezeptionserfahrungen sowie in seinem Geschmack: „Der größte Teil des Publikums sieht die Aufführungen nicht in einer Tradition, hat

155 „Das Konzept der Produktionshäuser (jene niederländischen Institutionen, in denen junge Künstler relativ frei ihre Arbeit weiterentwickeln können) wurde vom Ministerium als unnötig erachtet und die nationale Förderung wird 2013 komplett eingestellt. Allerdings hält man die Produktionshäuser auf lokaler Ebene für so wichtig, dass einige Städte und Theater zur Zeit nach Möglichkeiten suchen, um die Häuser am Laufen zu halten“ (Berg 2012).

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nicht den geschulten Blick und die Bedürfnisse eines Kenners, sondern will vor allem unterhalten werden“ (ebd.). Dies Zitate unterstreichen das Offensichtliche: Auch das Nachbarland ist keineswegs eins zu eins mit den Strukturen in Deutschland zu vergleichen, zu unterschiedlich sind Historie, Inhalte, Entwicklungen und die Fördersysteme der Landschaft der Darstellenden Künste und vielleicht auch die Erfahrungen und die Kenntnisse des Publikums. Das Modell Niederlande soll jedoch den Blick öffnen auf mögliche Verbindungen zwischen den Akteuren in der Landschaft der Darstellenden Künste: Wenn man alle Freien Theater, die eine Förderung des Bundeslandes oder einer Region erhalten, verpflichtete, auf Gastspielreise zu gehen, müsste man dafür Strukturen schaffen und Möglichkeiten bieten – oder anders herum gedacht: Eine neue Form der Theaterförderung könnte sich explizit an einem solchen System ausrichten und tourende Theater unterstützen, die Koproduktionen mit stehenden Häusern eingehen; ebenso wie die dafür notwendige Infrastruktur vorgehalten werden müsste. Eine solche Infrastruktur und die entsprechenden Kompetenzen könnten von den Landesbühnen und den Gastspielhäusern zur Verfügung gestellt werden, oder aber neue Zusammenarbeiten könnten als Ergänzung des Auftrages entstehen. Vielleicht wäre es sogar denkbar, dass eine Landesbühne eine Art Mentorschaft für ein Freies Theater übernimmt, wie es mit Matthias Faltz im Kontext von KUSS angedacht wurde. Thomas Oberender beschäftigt sich mit ähnlichen Überlegungen und führt eine Stärkung reisender Truppen als eine These im Kontext einer möglichen Künstlerförderung auf Bundesebene auf, bringt dies zugleich mit einer Aufhebung des starren Repertoire-Systems in Verbindung: „Viele Häuser, die heute als Repertoire-Betriebe funktionieren, werden sich über kurz oder lang nach neuen Freiräumen sehnen, die nur entstehen, wenn sie dieses Repertoire-System modifizieren. Eine Alternative ist z.B. die Mischung aus einem en suite-Betrieb [sic] mit kleinerem Ensemble und vielfarbigem Programmsegment als einladende Bühne. [...] Der Bund könnte diesen Wandel progressiv gestalten, indem er für diese neu entstehenden Strukturen ein Konzept für die Förderung des bundesländerübergreifenden Tourens von Produktionen entwickelt, das in kleiner Form im Modell der Landestheater vorgeformt ist“ (Oberender 2017, S. 33). Eine Kulturförderung seitens des Bundes in diesem Sinne wäre eine Neuerung; ein Mitdenken aller Akteure und derer Spezialisierungen für ein solches Modell förderlich und notwendig. Neue Strukturen für den Theaterbetrieb könnten sich auch an einer weiteren niederländischen Besonderheit orientieren: Die Ermöglichung einer aktiven Teilhabe, die Hand in Hand geht mit einer flächendeckenden Versorgung, ist Teil der Kultur- und Schulpolitik in den Niederlanden: „Das Ideal ist, dass jedes Kind während seiner gesamten schulischen Laufbahn [...] mit hochwertigen professionellen kulturellen Aktivitäten in Berührung kommt. Nicht als Anreiz sondern strukturell. Nicht freiwillig sondern als Teil des Schulpflichtprogramms“ (Lawson u. a. 2003, S. 22). Um dieser Vorgabe gerecht zu werden, muss es eben gut erreichbare gute Angebote geben, auch wenn dieses aufgrund der erwähnten Einsparungen stark eingegrenzt wurde. Auch außerhalb des schulischen Kontextes wird Formaten für Beteiligung eine Bedeutung zugesprochen: „Neu ist ein Fonds der kulturellen Partizipation, der Teilhabe in den Künsten fördert, damit Menschen eine aktivere Rolle bei künstlerischen Aktivitäten spielen können“ (Schneider 2016, S. 632). Bei allen Einsparungen und Begrenzungen, denen

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sich die niederländische Kulturlandschaft stellen muss, scheint sich hier ein Handlungsfeld zu eröffnen: Die Kombination von Reisetheater mit aktiver Partizipation – eine Idee, die im Verlauf dieser Untersuchung anhand der deutschen Landesbühnen aufgezeigt, aber nicht als realiter dargestellt werden konnte. Perspektiven für eine deutsche Entwicklung

Diese drei Beispiele sollen, bei aller Kürze ihrer Darstellung, als Ergänzung für die bisherigen Überlegungen dienen und verdeutlichen, dass Gastspieltätigkeiten, die reisenden Darstellenden Künste, in mehrfachem Sinne zukunftsfähig sein könnten. Konkret können die genannten besonderen Formen theatraler Grundversorgung für die abschließenden Schlussfolgerungen Hinweise für kulturpolitische Schwerpunktsetzungen, ein Überdenken der Organisationsformen und eine Neufassung von Begrifflichkeiten geben. In Schweden scheint der Ansatz von Cultural Governance konkret umgesetzt zu werden und dabei die unterschiedlichen Ebenen von (staatlicher) Kulturpolitik ebenso wie unterschiedliche kulturpolitische Akteure zu berücksichtigen, Entscheidungen zur regionalen Kulturförderung scheinen standortsensible Entwicklungen einzubeziehen. Durch die schwedischen Strukturen der regionalen Ansätze wird die Wahrnehmung der anderen und des anderen und somit die gegenseitige Beachtung auf besondere Weise institutionalisiert. Das Riksteatern, gestützt durch die Regionalentwicklungen, positioniert sich in seiner Konstruktion als korporativer Akteur mit eigener Rechtsform – ein solcher könnte, im Gegensatz zu einem kollektiven Akteur (also einem einfachen Zusammenschluss, siehe Kapitel 2.3.3) eine stärkere Machtposition einnehmen, die ihm eine bessere Stellung innerhalb der Kulturlandschaft und gegenüber kritischen Argumentationen bietet. Bei uns wäre eine solche Institutionalisierung eines Verbundes unterschiedlichster Theaterstrukturen nur bedingt zu kopieren und auch der Negativaspekt einer dadurch entstehenden Monopolstellung darf nicht minder bewertet werden; gleichwohl ist die zugrunde liegende Idee entscheidend: Potenziale und Synergien zu bündeln, um einer kulturpolitischen Aufgabe gerecht zu werden, um sich selbst als Akteur zu stärken und um dem Aktionsfeld mehr Geltung zu verschaffen – diese Gedanken werden in den Schlussfolgerungen dieser Arbeit einen wichtigen Stellenwert einnehmen. Aus dem walisischen Beispiel können ebenfalls einige Ansatzpunkte für Überlegungen zur deutschen Theaterlandschaft gezogen werden. Die Regionalität als Besonderheit wurde hervorgehoben, darüber hinaus scheint das National Theatre Wales die Debatte um neue Zuschreibungen von Kategorien in die Praxis umzusetzen: Dass Theater mehr sein kann als eine klassische Bühnenproduktion, bestimmt die künstlerische Arbeit: Digitale Formate, ungewöhnliche Kollaborationen – Grenzüberschreitungen werden nicht nur zugelassen, sondern provoziert und aktiv gesucht; dazu kommen eine vielschichtige Öffnung auf unterschiedlichste Weise, neue Partizipationsformate und Kommunikationswege. All das ist nur möglich durch eine Anerkennung von anderen (Kunst-)Formen und mit einer entsprechenden Neugier und dazugehörigem Mut, dieser wiederum braucht Rückhalt und Freiräume. Dieser Ansatz des Theaters in Wales kann jedoch gleichermaßen umschlagen, wenn das Theater seinen ursprünglichen Auftrag aus dem Auge verliert, wenn die Darstellende Kunst als solche gänzlich verloren geht, sich nicht weiter entwickelt, sondern überformt wird. Ein solches Modell wie in Wales könnte als Ergänzung der vorhandenen Strukturen ein Innovationsmotor

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für künftige Entwicklungen und Beziehungen unterschiedlichster Akteure innerhalb der Kulturlandschaft sein und sollte demnach nicht als ein Ersatz für (alle) traditionelle(n) Theaterinstitutionen missverstanden werden. Auch hinsichtlich der Sensibilität, der Einbeziehung und der Stärkung der bereits vorhandenen Strukturen, die, wie mehrfach betont, entscheidende Faktoren für eine erfolgreiche regionale Zusammenarbeit sind, scheint das National Theatre Wales nur bedingt vorbildhaft zu sein. Dennoch soll es als Beispiel dafür dienen, dass grenzüberschreitendes innovatives Denken und Handeln der Theaterbetriebe und der Theaterpolitik voneinander abhängen: Das eine braucht und bedingt das andere. Die Gegenseitigkeit unterschiedlicher Elemente und deren Abhängigkeit wird auch im niederländischen System deutlich: Gastspiele und En-Suite-Betrieb ergänzen sich und die Reise mit einer Produktion ist gleichermaßen normal, notwendig und wird erwartet. Hier zeigt sich eine große Diskrepanz zum deutschen Gastspielmarkt: Während die Landesbühnen, ihrer Struktur als Stadttheater entsprechend, überwiegend als Repertoirebetrieb arbeiten, gestalten die Gastspielhäuser ihr Programm meist quasi ohne Spielsystem (vgl. Stolz 2019, S. 55), beziehungsweise vielleicht noch am ehesten dem En-Suite-Betrieb vergleichbar, falls eine Produktion mehrfach gezeigt wird. Zwangsweise kommt es hierbei zu Reibungsverlusten, wie ausführlich dargestellt. Eine Überlegung, die durch das dritte Beispiel gestützt werden kann, ist die Aufwertung von Gastspielen als Format und Spielform: Wenn es normaler würde, dass Produktionen auf Reisen gehen, wenn es hierfür eine bessere und passendere (finanzielle) Unterstützung gäbe, würde einerseits mehr Konkurrenz entstehen, andererseits könnten auch Synergien entwickelt werden. Auch dieser Gedanke soll hier nur angerissen und im anschließenden Kapitel ausgeführt werden, er berührt Aspekte von Macht, Stellung und Ansehen der einzelnen Akteure innerhalb der Theaterlandschaft. Das Feld der Partizipation wird ebenfalls hierdurch berührt: Gastspiele mit partizipatorischen Maßnahmen zu verbinden, geschieht ansatzweise, aber auch hier zeigt das System Grenzen auf – wenn das Gastspielsystem sich auf eine En-Suite-Arbeitsweise fokussieren und dieses auch auf die Formate der Partizipation ausweiten würde, könnten Ensemble und Theaterpädagogik, könnten Produktionen und Formate der Zusammenarbeit mit Laien auf Reisen gehen und somit eine neue Kontinuität des Arbeitens ermöglichen. Im deutschen System zeigen sich hier auch bereits Abstufungen: Die „normalen“ Spielclub-Aufführungen werden meist zu Ende der Spielzeit en bloc gezeigt, die Bürgerbühnen-Produktionen in das reguläre Programm und gegebenenfalls somit ins Repertoire (zumindest für eine Spielzeit) aufgenommen – was sowohl positive (dauerhafte Arbeit, Möglichkeit der ständigen Weiterarbeit, bessere Vermarktung etc.) als auch negative (zeitliche Dimensionen, Aufwand etc.) Seiten haben kann. Es braucht hier neue Formate für den Gastspielbetrieb, für die Theater auf Reisen, die vielleicht im „dazwischen“ angesiedelt sein könnten; hierfür braucht es Experimente und es gilt mehr Erfahrungen und Austausch zu generieren – auch spezifisch auf die Anforderungen einer Reisebühne angepasst. Ein gemeinsamer Aspekt der benannten unterschiedlichen beispielhaften Strukturen bleibt die Idee einer als notwendig und sinnvoll erachteten kulturellen Grundversorgung aller Menschen mit den Darstellenden Künsten; diese kann in den Zusammenhang gestellt werden mit der dadurch sich bildenden agilen Netzwerkstruktur, die auch zu der Etablierung von neuen Beziehungen genutzt werden könnte. Im besten Falle würden hierdurch faire künstlerische Kooperationen unterschiedlicher Akteure ermög-

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licht und gefördert. Die ständige Konfrontation mit einem anderen und neuen Publikum könnte ebenfalls positive Auswirkungen haben: Für das Publikum selbst, dem ein neuer Erfahrungshorizont eröffnet würde und für die Theater, die daran wachsen könnten. Die Beispiele zeigen, dass in unterschiedlichen Systemen Partizipation in einem engen Zusammenhang mit einer kulturellen Infrastruktur gedacht und implementiert wird, sowohl im Feld des Kinder- und Jugendtheaters, aber auch darüber hinaus mit dem Anspruch, breite Teilhabe und Teilnahme zu ermöglichen – auch durch neuartige Formate und Konzepte, die vielleicht mit den traditionellen Erwartungshaltungen brechen. Diese exemplarischen Ansätze stärken die Argumentation, dass für die erfolgreiche Bespielung der Fläche und für die Bereitstellung partizipatorischer Angebote eine Zusammenarbeit unterschiedlicher Akteure essenziell scheint: Nicht eine Bühne alleine kann alles im Alleingang schaffen oder abdecken, weder logistisch noch bezogen auf die künstlerische Handschrift. Nur durch eine Vielfalt an Ausdrucksformen kann der Vielheit von Erwartungen und Bedürfnissen entsprochen werden.

5 Ein Modell der Theaterreform. Kulturpolitische Herausforderungen

Diese Untersuchung ist keine Studie über das Theater in der Fläche, über Kultur im ländlichen Raum, es stellte sich jedoch deutlich heraus, dass die Unterschiede zwischen Theaterballungsgebieten und Gegenden, die nicht zu diesen gezählt werden können, prägend sind für die Landesbühnen, ihre Arbeit und ihre Rolle. Denn dort, wo es wenig öffentlich getragenes Theaterangebot gibt, werden sie am meisten „gebraucht“, so ihre Einstellung und dorthin treibt sie demnach auch ihr Auftrag. Die Provinz ist ein wichtiger Handlungs- und Wirkungsraum der Darstellenden Künste; sie ist ein bedeutsames Aktionsfeld von heute und könnte ebenso ein entscheidendes für morgen sein – um den mittlerweile geflügelten Begriff aus dem Feld des Kinder- und Jugendtheaters neu zu verwenden. Die Gleichzeitigkeit ist dabei zu betonen, gemäß dem Slogan „Kinder sind nicht nur das Publikum von morgen, sondern sind das Publikum von heute“, dürfen das Theater in der Provinz und seine Akteure nicht in einer instrumentalisierenden Funktion, sondern müssen in ihrer präsenten Bedeutung wahrgenommen werden: Das Theater in der Provinz ist nicht der Trostpreis, der die Menschen außerhalb der urbanen Gegenden zufriedenstellen soll, es ist nicht das Instrument, um Zuschauer heranzuziehen für die Metropoltheater und es ist bei weitem nicht das Anhängsel, das die lehrende und führende Hand der städtischen Hochkultur nötig hat. Wie es in dieser Arbeit gezeigt wurde: Der Anspruch an Qualität ist gleichermaßen hoch, auch wenn die Ästhetiken der Akteure unterschiedlich sein können und es eventueller neuer Beschreibungen dafür bedarf; es darf nicht darum gehen, das Publikum in der Hierarchie der Theaterformen weiterzuentwickeln, sondern es muss darum gehen, ihm zweckfrei möglichst umfangreiche Rezeptionserfahrungen zu ermöglichen – und kein Dorf hat auf den hochkulturellen Messias gewartet, der einer Dorfgemeinschaft künstlerische Lösungen anträgt. Künstlerische Vielfalt ist Programm – die Landesbühnen sind ein Teil dieser Vielfalt. Möchte man eine zukunftsfähige Theaterlandschaft konstruieren, sind die Details entscheidend: Wenn über die Darstellenden Künste im ländlichen Raum, in der Fläche gesprochen wird, sollte es immer um das Theater in der, nicht um das Theater für die Provinz gehen.1 Gleiches gilt natürlich für die urbanen Theaterlandschaften: Die

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Die Formulierung des Titels der Memminger Tagung entspricht diesen Überlegungen, die Präpositionen sind bewusst gewählt, um die dahinter stehende Haltung deutlich zu machen. Die Diskussion um die Bezeichnung „Provinz“ ist ebenfalls damit verbunden, sie wird in der entsprechenden Publikation weitergeführt, siehe dazu Schneider u. a. 2019.

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Frage, wer welches Theater, für wen, mit welcher Haltung und Absicht macht, bleibt grundsätzlich und steht in enger Verbindung mit den kulturpolitischen Prinzipien und Konzeptionen.2 Ob innerhalb oder außerhalb der Metropolen, die Theaterlandschaft muss sich den Krisen stellen, die ihr zugesprochen werden und denen sie gegenübersteht. Ihre Akteure müssen sich zu den daraus resultierenden Anforderungen und Erwartungen positionieren und auf diese reagieren: schwindendes Interesse an den Darstellenden Künsten, Fragen von Finanzierung und Legitimation, ein erwarteter, erstrebenswerter und gleichermaßen kritisch beäugter Wandel von der Angebotsorientierung zur Teilhabeorientierung, Aufweichen von institutionalisierten Grenzen zwischen professionell arbeitenden Theaterkünstlern und Amateurkünstlern, Diskussionen über neue Qualitäten in der Darstellenden Kunst sowie eine neue Betrachtung der Funktionen von Vermittlung, Theaterkunst, Teilhabe und Teilnahme. Dieses Kapitel bildet den Abschluss der Analyse – und ist im Verständnis des Forschungsdesigns zugleich Auftakt für weiterführende kritische Betrachtungen derselbigen. Die Ergebnisse und die bisherige Diskussion münden hier in die Darstellungen von Herausforderungen, denen sich Theaterpolitik stellen muss und die verbunden sind mit denen der Landesbühnen. Der Versuch, anhand der Landesbühnen Prozesse, Inhalte und Strukturen von Theaterarbeit und Theaterpolitik zu erklären, mündete in einem Modellbaukasten für eine Theaterreform. Dieser zeigt auf, dass es gilt, Maßnahmen zu überlegen, Instrumente zu entwerfen, um die Landschaft der Darstellenden Künste zukunftsfähig zu gestalten. Selbst wenn die Überlegungen nun abstrahiert und auf eine andere Ebene gehoben werden, bleiben die Landesbühnen Gegenstand und Impulsgeber gleichermaßen wie Ansatzpunkt für mögliche Reformen. Um Schwächen zu überwinden, Stärken herauszuarbeiten, braucht es eine stete Hinterfragung der Selbstgewissheit, einen Abgleich zwischen den extern herangetragenen Erwartungen und Anforderungen mit den internen, den eigenen Überzeugungen, Einstellungen und Absichten. Dieser Prozess ist in seiner Wirksamkeit ein kulturpolitischer, verhandelt er doch Ziele und Handlungsstrategien, im besten Falle unter Einbezug der theaterpraktischen und der staatlichen Ebene, im Dialog zwischen Theaterbetrieb und öffentlicher Hand. Eine Profilausbildung ist für Theater nur möglich und haltbar, wenn die Rahmenbedingungen entsprechend gestaltet werden, die Erweiterung des Handlungsspielraums innerhalb eines bestimmten Auftrages ist nur möglich, wenn der Auftraggeber dies anerkennt und befördert. Nur dann kann sich eine Offenheit entwickeln, um neue Orte und Räume zu erschließen, die Freiheit sich entfalten, sich neuen Verbündeten anzunähern. Komplizenschaften einzugehen, um Narrative aufzuspüren und etwas Neues entstehen zu lassen, bei der bewussten Gefahr des Scheiterns, verlangt eine sensible Wahrnehmung und Wertschätzung der Akteure untereinander, braucht eine konstruktive Atmosphäre ohne durch Zwänge hervorgerufene Konkurrenz oder behaupteter Qualitätshierarchien. Die Herstellung und Wahrung von Kontinuität gelingt nur, wenn eine Langfristigkeit und Nachhaltigkeit tatsächlich abgesichert ist. Dies alles läuft auf eines hinaus: Alle die theaterpolitisch Handelnden, die Teil dieser Aushandlungsprozesse sind, müssen sich der Fragilität und der verzweigten Konstruktion der Landschaft der

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Dieses Kapitel diente als Grundlage für den Artikel „Die Zukunft der Landesbühnen. Neue Formate in den Darstellenden Künsten“ (Schröck 2019).

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Darstellenden Künste (noch stärker) bewusst werden und vielseitige Verantwortung für diese übernehmen. Existenziell bleibt es, die Relevanz von Theater, die Verankerung der Darstellenden Künste in der Gesellschaft immer wieder neu und kritisch zu betrachten. Es geht nicht nur darum, wie sich Landesbühne als integraler Bestandteil einer Theaterlandschaft in der Provinz oder in einer Metropolregion entwickeln kann, sondern darum, wie Theater in welcher Funktion als wichtig wahrgenommen werden kann. Das ist nicht alleinige Aufgabe der Theaterinstitutionen, staatliche Theaterpolitik aller Ebenen muss hier ebenfalls in die Verantwortung genommen werden, insbesondere die Länder und Kommunen innerhalb ihres Gestaltungsauftrages. Dargestellt und diskutiert wurden hier ein Abgleich zwischen Idee und Wirklichkeit, die Überprüfung eines kulturpolitischen Instruments mit einer ganz spezifischen Aufgabe, das Phänomen einer klaren Absicht. Aufgezeigt werden können nun Stellschrauben für eine Reform des Theaters, die zum Ziel haben könnte, die Kluft zwischen Freiem, staatlichem und Amateurtheater zu überwinden; Partizipation in den Fokus zu nehmen und mehr Menschen eine Beteiligung an mehr Theater zu ermöglichen; dem Publikum mehr Mündigkeit zuzusprechen und es in seiner vielfältigen Rolle stärker wahrzunehmen; die Relevanz von Theater als positives Argument zu stärken, dass das Fehlen derselben nicht mehr als Gegenargument in Haushaltsdebatten dienen kann; und die mit den daraus resultierenden Veränderungen theaterpolitischer Konzeptionen ein neues Theater der Regionen konstruieren könnte.

5.1 L ANDESBÜHNEN

ALS H YBRID IN DER DEUTSCHEN T HEATERLANDSCHAFT

Das prägendste Charakteristikum der Landesbühnen ist ihr Fluch und Segen zugleich: Stadttheater mit Reisefunktion, stehendes Theater und mobiler Anbieter zu sein, kreiert eine Spannung, die ohne eine Lockerung, ein Nachgeben auf der einen oder anderen Seite nicht auszuhalten wäre. Eine Balance erfordert immer auch eine leichte Hin-undHer-Bewegung, eine ausgleichende Verteilung der Belastung. Würde man versuchen, allen Anforderungen gleichermaßen gerecht zu werden, droht ein Bänderriss oder der Verlust des Gleichgewichts (vgl. dazu Abbildung 4.1 „Auftrag, Arbeitsbedingungen und Selbstverständnis der Landesbühnen“.) Eine solche bildliche Beschreibung drückt auch aus, wie die Theaterlandschaft meist gesehen und dargestellt wird: Als Säulen-Konstruktion mit großen Abständen zwischen den einzelnen Elementen, deren Überbrückung nur mit mühseligem Aufwand und entsprechendem Material, also Ressourcen, angegangen werden kann. Landesbühne könnte, und darauf läuft die Argumentation dieser Untersuchung hinaus, als eine Verbindungsstrebe innerhalb dieser Landschaft fungieren: Ihre Hybridität nutzen, die Erfahrungen und Eigenschaften dazu verwenden, alle produzierenden Akteure, gleich welcher Arbeitsform und rechtlicher Gestaltung, die Akteure der Distribution und der Rezeption mehr in das Geflecht Theaterlandschaft einzubinden und für neue Kommunikationswege und Symmetrien dieser zu sorgen. Sowohl zwischen einzelnen als auch den kollektiven Akteuren in ihrer jeweiligen Machtposition. Mit einer solchen Betrachtung der Landesbühne als verbindendes Element würde man nicht nur der Konstruktion der Theaterlandschaft mit ihren Abhängigkeiten gerecht, wie sie be-

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schrieben wurde, sondern es könnten zugleich die darin liegenden Potenziale intensiver und besser genutzt werden. Eine solche Entwicklung, unter der Berücksichtigung der einzelnen Akteure und deren Aufgaben und Funktionen, soll nicht zu einer radikalen Auflösung des vorhandenen Systems führen, sondern in einem Prozess ausloten, wer wo mit welchen Handlungen sinnvoll Wirkung entfalten könnte; immer vor dem Hintergrund des dargestellten Anlasses und der grundsätzlichen Idee von Partizipation als kulturpolitische Konzeption (vgl. dazu Abbildung 2.3 „Skizze Analyserahmen für politische Konzepte“). „Nicht Fisch noch Fleisch“3

Dirk Fröse charakterisiert die Landesbühnen im Landesbühnen-Almanach als ein Dazwischen, kein Fleisch, kein Fisch – also keines so richtig. Positiv gewendet kann festgestellt werden, dass die Landesbühnen eine multiple Rolle ausfüllen, mit ihren spezialisierten Arbeitsweisen es meistern, diversen Anforderungen gerecht zu werden und sich selbst zuschreiben, ganz unterschiedliche Funktionen zu übernehmen. In gleicher Weise wie Thomas Oberender das Freie Theater von den traditionellen Strukturen unterscheidet und wie es auch Thomas Schmidt im Ansatz beschreibt, zeigen die Ergebnisse dieser Arbeit auf, dass zumindest in bestimmten Punkten die Landesbühnen auch hier im Dazwischen liegen.4 Diese Zwischenstellung wird jedoch noch zu wenig genutzt, denn der größte Unterschied zwischen diesen beiden Elementen der Theaterlandschaft liegt nicht in den Strukturen oder der inhaltlich-ästhetischen Ausrichtung, sondern in der kulturpolitischen Verantwortung und Beauftragung, der Unfreiheit in diesem Sinne. Die Konstruktion der Landesbühnen und ihr Selbstverständnis als Stadttheater mit besonderem Auftrag, führt dazu, dass sie bestimmte Strukturen ausbilden, die sowohl dem Stadttheater als auch dem Freien Theater ähnlich scheinen, und sorgt parallel dafür, dass die bestehende Distanz als unüberwindbar wahrgenommen wird: Landesbühnen sind und scheinen zu bleiben weder ein „richtiges“ Stadttheater noch ein „echtes“ Freies Theater. Die Forschungsergebnisse stützen die Beschreibung der Landesbühne als „Zwischentheater“. Natürlich ist eine Landesbühne nicht das Gleiche wie eine Freie Theatergruppe, kann dies gar nicht sein. Eine Beschreibung der Ähnlichkeiten kann aufzeigen, wo Kulturpolitik ansetzen könnte, um die Theaterlandschaft als Geflecht und nicht als Säulen-Konstruktion zu stärken: Die Landesbühnen produzieren exklusiv für ihre Bühne, doch in gewisser Weise auch kooperativ mit und beeinflusst durch die Gastspielorte; die Distribution bringt eine ständige Evaluation mit sich: Ist etwas nicht erfolgreich, wird es nicht weiter angeboten. Die Kunst folgt zunächst der Struktur: Ensemble-Stücke als Bühnenproduktionen sind die Regel, das Nachahmen einer Bühnensituation scheint obligatorisch, die Kopie eines Theaters das Ideal; anderes wäre möglich, aber scheint ungewöhnlich. Wenn diese sich gegenseitig bestätigende Bedingung durchbrochen würde, könnte ein freieres Arbeiten, in dem sich die Kunst ihre Struktur und Form sucht, möglich werden und neue künstlerischen Ausdrucksformen könnten entstehen. Um eine solche Änderung herbeizuführen, um ein Aufweichen des starren Schemas anzustoßen, braucht es den kulturpolitischen Willen und die Freiheit, sich von den

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Zitat aus Landesbühnengruppe im Deutschen Bühnenverein 1984, S. 127. Vgl. dazu die Herleitungen in Kapitel 2.3.2 und 4.2.4.

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bisherigen Zuschreibungen zu lösen: Entscheidend sollte sein, was von einem Theater erwartet wird (in künstlerischer Hinsicht und in funktionaler) – und wie es diese Erwartungen deutet und erfüllt; weniger die Betriebsstruktur, die Zuordnung in Förderbereiche oder die Einstufung der Zugehörigkeit zu der einen oder anderen Säule. Die Forderungen nach mehr Offenheit, Flexibilität und einem Arbeiten, dass der Freien Szene ähnlicher werden könnte, sind leicht gestellt, hierfür bräuchte es aber radikale Änderungen innerhalb der Landschaft: Solange die Abhängigkeiten des Gastspielmarktes in der Art und Weise bestehen, wie sie hier beschrieben wurden, bleiben Entwicklungen nur in sehr kleinem Ausmaße möglich. Aber: wozu eigentlich diese Verrenkung? Warum die Nähe zwischen Landesbühne und Freiem Theater suchen und behaupten? Weil eine Annäherung eine Zusammenarbeit realistischer erscheinen, eine geringere Distanz Gemeinsamkeiten erkennen ließe und ein gegenseitiges Lernen bedingen könnte. Eine Annäherung könnte somit dazu führen, dass sich neue Verbindungen – eben Verstrebungen – ergeben. Diese Idee ist längst nicht neu, die Auflösung des Stadttheaters wurde genauso schon gefordert, wie die grundsätzliche Abschaffung der Theaterförderung; allerdings ergeben sich mit den Landesbühnen, ihrem Spezialwissen, ihren ausgeprägten Eigenschaften und ihrer Vernetzung in der Landschaft neue Perspektiven, „die Idee von Landesbühnen weg von der Stadttheater-Doublette hin zu einer originären Produktions- und Distributionsagentur für theatrale Ereignisse“ (Schneider 2014b, S. 203) zu entwickeln, wäre eine davon. Die Nicht-Fisch-Nicht-Fleisch-Rolle der Landesbühnen könnte somit positiv gewendet werden, indem Landesbühnen sich als Spezialisten für eben diese Zwischenstellung entwickeln und positionieren. In den Interviews wurde deutlich, dass die Landesbühnen eine Heimat für die Theaterarbeit als notwendig erachten: Ein Haus mit entsprechender Ausstattung, um die (handwerkliche) Qualität der Arbeit sicherzustellen und eine Stadt, in der man sich verankern kann, mit der man sich gemeinsam verändert und entwickelt. Vielleicht könnten Landesbühnen eine solche Heimat für die Freien Theater bereitstellen, wäre es denkbar, die Landesbühne als Agentur zu sehen, als Gastspielorganisator und (finanzieller) Förderer einerseits, aber andererseits auch als Interessenvertretung und Mentor innerhalb der Theaterlandschaft. Dies könnte nur gelingen, wenn die oft wohlwollend und gönnerhafte formulierte Behauptung tatsächlich ernst genommen würde, dass alle Theater als Teil der Landschaft ihren eigenen Teil beitragen und kein Konkurrenzdenken nötig wäre. In der Praxis ist man davon noch sehr weit entfernt – vor allem solange die Fragen der Refinanzierung und Eigeneinnahmen unweigerlich zu einem Konkurrenzkampf führen. Die Heterogenität der Theaterlandschaft bietet genug Potenzial für eine Gemeinsamkeit statt einem Gegeneinander, nicht nur hinsichtlich der Arbeitsweisen, Produktionsformen und ästhetischen Handschriften, sondern auch bezogen auf die jeweilige Funktion der einzelnen Theater in ihrer Umgebung: Bildungsinstitution, Ort der Gemeinschaftsbildung, Kunsttempel, Forum für alltägliche Auseinandersetzung, interventionistisches Ereignis – alles das, was auch von den Landesbühnen erwartet und ansatzweise von einzelnen als ihre Aufgabe betrachtet wird (und in Kapitel 4.1.2 dargestellt wurde). Das größte Hindernis für eine solche Verflechtung innerhalb der Theaterlandschaft ist und bleibt die theaterpolitisch intendierte und in der Praxis gelebte Festlegung auf „wichtigere“ und „richtigere“ Funktionszuschreibungen, Aufgaben und Ziele und nicht zuletzt Gestaltung von Theaterarbeit.

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Wider eines Klassensystems

Theater mit Ensemble versus Häuser mit Gastspielbetrieb, Stadttheaterarbeit versus Freie Theaterarbeit, professionelles Produzieren versus Laienspiel – die Gegensätze innerhalb der Theaterlandschaft werden immer wieder postuliert und zeigen sich auch in der Selbstwahrnehmung der Akteure. Das ist nachvollziehbar, denn schließlich gestaltet sich das eigene Selbst immer auch durch Abgrenzung zu anderen. Die Frage ist jedoch, ob dies produktiv genutzt wird oder in dekonstruktives Denken umschlägt. Bei den Landesbühnen scheint der Aufwärtsvergleich zu den Stadttheatern und der Abwärtsvergleich zu beispielsweise den kommerziellen Tourneetheatern zum Selbstverständnis dazuzugehören und die eigene Stellung zu bestätigen (thematisiert und beschrieben wurde dies in Kapitel 4.2). Bei aller Würdigung der einzelnen Elemente der Theaterlandschaft und den Bemühungen, diese als eine Patchwork-Landschaft der Darstellenden Künste und nicht als Säulen-Tempel zu beschreiben, scheinen das Missverhältnis der gegenseitigen Wertschätzung und das oft unzulängliche Wissen übereinander Entwicklungen zu erschweren, gar zu verhindern. Dieses geht einher mit der unterschiedlichen Wahrnehmung: Avantgardeorientierte Plattformtheater erreichen durch die Präsenz im internationalen Feuilleton eine andere Publicity als das plattdeutsche Amateurtheater kurz vorm Deich, beide werden von Politik und Presse unterschiedlich beachtet. Die Landesbühnen stehen in dem Vorteil als Theater der öffentlichen Hand eine gewisse Aufmerksamkeit zu erfahren, doch oftmals wird allein die Nähe zur Provinz, die „provinzielle“ Arbeit als Schimpf- und Schmähwort mit der Arbeit im Ländlichen verbunden.5 Ein solches Vergleichsverhalten kommt nicht von ungefähr, wird befördert von den Entwicklungen des Systems, das geprägt ist von einer kleinteiligen Entstehung und gegensätzlichen Haltungen, die zu einer Ausdifferenzierung führten. Mangelndes Verstehen durch unzureichende Kenntnis führt zu Schubladendenken und pejorativen Einordnungen und zwar bezogen auf alle Elemente der Theaterlandschaft. „Ein Grund für das Missverhältnis von ‚Anerkennung der Bedeutung‘ des Freien Theaters und dem Fortbestand seiner kulturpolitischen Isolierung besteht allerdings auch in dem mangelhaften Verständnis, was denn Freies Theater – im Unterschied zum Stadt- und Staatstheater – ausmacht, worin seine differentia specifica und seine Bedeutung für die Theaterlandschaft bestehen. Jenseits der formalen Feststellung, dass es sich um Formen handelt, die außerhalb der Stadt- und Staatstheater produziert werden, gibt es dazu keinen ausgewiesenen, auch historisch und empirisch tragfähigen begrifflichen Konsens“ (Fülle 2016a, S. 17 f.). Was Henning Fülle hier für das Freie Theater feststellt, ist in ähnlicher Weise auch gültig für die Landesbühnen: Dem lückenhaften Verständnis, was Landesbühne auszeichnet, wie sie arbeitet und was sie beabsichtigt, sollte diese Arbeit entgegenwirken. Auf- und Abwärtsvergleiche, die durch Wissenslücken und Vorannahmen nur noch einfacher werden, stehen im Zusammenhang mit der Selbstwirksamkeit und dem Drang, diese bestätigt zu bekommen: Je nach Disposition neigt man dazu, sich mit etwas zu vergleichen, was besser gestellt ist als man selbst und dieser Aufwärtsvergleich führt dazu, dass die eigenen (vermeintlichen) Mängel deutlich sichtbar werden.

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Zur grundsätzlichen Diskussion der Begrifflichkeiten sei verwiesen auf Schneider u. a. 2019, exemplarisch auf Kegler 2019.

Ein Modell der Theaterreform. Kulturpolitische Herausforderungen | 431

Umgekehrt führt der Abwärtsvergleich zu einer positiven Herausstellung des Selbstwerts und der Dinge, die man besser kann – oder von denen man mehr hat. Ein solcher sozialer Vergleich als Phänomen der Persönlichkeitspsychologie, bezogen auf die Akteure der Theaterlandschaft, hängt auch immer zusammen mit den Strukturen, den Ressourcen und den situativen Bedingungen. Man mag von Neid oder Missgunst sprechen, es bleibt jedoch gleich, dass die Unterschiede in der Wertschätzung, die sich in einer auf Förderpolitik reduzierten Theaterpolitik auch in den zugesprochenen finanziellen Summen äußern, Auswirkungen haben auf das Miteinander; die Machtstellung und die Kommunikation beeinflussen. Der Abwärtsvergleich der Landesbühnen richtet sich eindeutig auf die anderen produzierenden Akteure des Gastspielmarktes, die sich nicht in öffentlicher Trägerschaft befinden: Sie selbst bieten – so die Überzeugung – bessere, günstigere und bezogen auf die Logistik schneller und einfacher hochwertigere Gastspiele an. Sogar in Bezug auf die Stadttheater stellen sich die Landesbühnen in diesem Vergleich als überlegen dar. Mit dem Amateurtheater wird ein Vergleich gar nicht erst bemüht, da dieses in Hinsicht einer möglichen Vergleichbarkeit gar nicht wahrgenommen wird. Bezogen auf das Stadttheater, denen sich die Landesbühnen natürlich in besonderer Weise ähnlich fühlen, dominiert der Aufwärtsvergleich, der von ihnen kontinuierlich geführt wird in künstlerischer und struktureller Hinsicht. Dieses Vergleichen beeinflusst das Selbstbewusstsein der Landesbühnen und ihre Selbstdarstellung nach außen, allerdings scheint dies jedoch eher unbewusst zu geschehen. Für die Landesbühnen scheint es normal, Stolz darauf zu sein, dass sie als Sprungbrett für Künstler dienen. Dass dies eine Qualitätsabstufung impliziert, ebenso wie eine Basisarbeit für die Spitze der Hochkultur (vgl. Landesbühnengruppe im Deutschen Bühnenverein 2008) es beinhaltet, scheint von ihnen nicht wahrgenommen oder auch als Faktum nicht hinterfragt zu werden: Ein Stadttheater, gestärkt durch die Verankerung in der Stadt, gestützt durch die Erwartung, zeitgenössischer Kunstbetrieb zu sein, scheint mehr Möglichkeiten als die Landesbühne zu haben. Nicht zuletzt durch die vertrauensvolle Bindung zu seinem Publikum, die bessere Ausstattung und die Unabhängigkeit vom Gastspielmarkt kann Stadttheater wagemutiger sein, Experimente riskieren. Es darf – zugespitzt formuliert – sich in seiner kunstautonomen Haltung versenken und avantgardeorientiert wirken. Das gleiche Niveau an künstlerischer Freiheit, Selbstverwirklichung und partizipatorischer Arbeit scheint für die Landesbühnen in unerreichbarer Nähe, der Aufwärtsvergleich wird immer als solcher fungieren und niemals dazu führen, dass sich das Selbstbild der Landesbühnen positiv verstärkt. Sich dem Stadttheater anzugleichen, scheint für einige der Landesbühnen gleichzeitig Wunschvorstellung, unrealistisch und hinsichtlich der Selbstverpflichtung im Sinne des eigenen Auftrages zugleich kein hehres Ziel, hier zeigt sich eine Paradoxie. Die Möglichkeit eines horizontalen Vergleichs, der die realistischste Einschätzung seines Selbst und der anderen zulassen würde, scheint im Theaterleben verpönt: Sich mit anderen Landesbühnen zu vergleichen, zu befragen ob eine denn nun besser sei als die andere und warum oder welche wohl die bessere sein könnte, wird vermieden. Verständlicherweise, denn jede Landesbühne ist als Teil des kollektiven Akteurs Landesbühnengruppe den anderen Mitgliedern zu einer gewissen Loyalität verpflichtet, auch wenn sie natürlich durchaus unterschiedlich arbeiten und nicht vor gegenseitiger Kritik gefeit sind. Ein Abgleich zwischen den einzelnen Landesbühnen (öffentlich ausgetragen) würde jedoch nur zu einer Schwächung des Kollektivums führen. Genau

432 | Landesbühnen als Reformmodell

dasselbe gilt natürlich auch für alle anderen Verbände und Vertretungen: Der Deutsche Bühnenverein würde ebenso wenig einem Stadttheater im Vergleich zu einem anderen grundsätzlich eine bestimmte Qualität absprechen, wie der Bundesverband Freie Darstellende Künste seine Mitgliedstheater zueinander bewerten würde. Dieses „wir hier und da die anderen“ verfestigt sich selbst bestätigend in den Arbeitsweisen, spiegelt sich durch die und in den Förderstrukturen, bestätigt sich selbst in der kulturpolitischen Betrachtung und äußert sich in den Erwartungshaltungen gegenüber den einzelnen Akteuren: Vorannahmen, was sie wie zu tun hätten und wofür sie verpflichtet werden könnten, scheinen immer noch die Beziehungen zu dominieren. So nimmt es kaum Wunder, dass die unbeliebteren Zuständigkeiten scheinbar wie ein schwarzer Peter einander zugeschoben werden: Nicht nur auf den Podien der Memminger Tagung zum Theater in der Provinz, auch in den Gesprächen und in öffentlichen Verlautbarungen scheint es immer noch darum zu gehen, wer Kunst machen darf und wer sich der Partizipation annehmen muss, wer einfach nur als Kultur- und Bildungsinstitution wirken kann und wer im Grenzbereich zur sozial-integrativen Arbeit tätig werden sollte. In der Konsequenz ziehen sich somit einige Theater aus einer allgemeinen Verantwortung, umfangreiche Teilhabe und Teilnahme zu ermöglichen und andere kämpfen um die Wahrnehmung als ganzheitliches Phänomen (wie in Kapitel 2.2 ausgeführt und in Kapitel 4.3 gegenständlich dargestellt wurde). Das Freie Theater wird gerne in die Verpflichtung genommen, partizipatorische Ansätze auszuprobieren und zu entwickeln – jedoch scheint es keine Scheu davor zu geben, die dort erprobten Verfahren als eigene Erfindungen des Theaters der öffentlichen Hand neu zu präsentieren: Das Beispiel Bürgerbühne und die auch kontrovers geführte Diskussion um diese angebliche Neuerfindung von Theaterarbeit ist hierfür exemplarisch zu benennen – mal ganz davon abgesehen, dass die „Bürgerbühne“ im Sinne eines Spiels von nicht-berufsmäßig Darstellenden per se nicht nur im Amateurtheater erfunden, sondern dort seit Jahrhunderten praktiziert wird, auch mit professioneller Beteiligung (siehe dazu Keuler 2019). Entscheidend ist, wem die Deutungshoheit zugesprochen wird: Wer entscheidet, welches Theater für was und wen in welcher Funktion „richtig“ ist? Den Amateurtheatern wird überwiegend eine gemeinschaftsbildende Funktion zugesprochen, dem Kinder- und Jugendtheater oft eine erzieherische. Das beide Theater eine bestimmte künstlerische Ästhetik ausbilden, muss immer wieder und ständig (auch in dieser Arbeit) wiederholt werden, da diese Tatsache trotz aller Fortschritte immer noch nicht überall im Diskurs angekommen zu sein scheint. Eine solche Zuschreibung innerhalb der Klassifizierungen von Akteuren kann auch zu Widersprüchen führen: Wenn die Landesbühnen behaupten, im Kinder- und Jugendtheater seien sie eh besser als andere, aber zugleich aufgrund ihrer Konstruktion und der Arbeitsbedingungen kaum in der Lage sind, ihrem eigenen Anspruch der damit verbundenen theaterpädagogischen und partizipatorischen Arbeit gerecht zu werden und diesen Verantwortungsbereich abzugeben versuchen, unterstreicht das die Dringlichkeit, die engen Zuschreibungen und Einordnungen aufzubrechen. Der Blick nach links und rechts sollte den Blick nach oben und unten ersetzen, denn nur die Betrachtung der anderen Akteure als anders und gleich und nicht als besser oder schlechter kann die notwendigen Entwicklungen ermöglichen. Dabei können Bundesförderprogramme einen Impuls geben – aber nicht vollumfänglich wirken, sie „legen den Finger auf die Wunde des ausbleibenden Wandels: Der Publikumsschwund

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bei den Bildungsbürgern und die Exklusion der breiten Bevölkerung sowie die Selbstbezogenheit der institutionalisierten Darstellenden Künste“ (Schneider 2017, S. 43). Vielleicht braucht es für eine solche gegenseitige bessere Wahrnehmung und eine Hinwendung vom Auf- und Abwärtsvergleich zum Horizontalvergleich zunächst mehrere kleinere Schritte. Angefangen bei einer Schaffung von Rahmenbedingungen, die eine gleichberechtigte Arbeit ermöglichen, über das Finden einer gemeinsamen Verständigung über Phänomene und Arbeitsweisen hin zu einer konzeptionellen Kulturpolitik, die Theaterlandschaft nicht als trennendes System, sondern synergetisches Gebilde betrachtet. Dabei darf gerade Letzteres nicht zu einer Absenkung der Qualität führen – beispielsweise in dem falschen Schluss, dass Landesbühnen als Lückenbüßer einspringen könnten, in Gebieten in denen ein eigenes Theater eingespart werden soll. Zudem muss eine solche konzeptionelle Neugestaltung sensibel mit den existierenden Machtstrukturen und Beziehungsgeflechten umgehen, wie die folgenden Abschnitte verdeutlichen werden. Infrastruktur statt Grundversorgung

Bei aller Annäherung wird eine Differenzierung (zunächst noch) bestehen bleiben: Die Verantwortung durch Beauftragung gegenüber einer Selbstverpflichtung, oder besser: einer Selbstermächtigung. Eine Landesbühne steht in der Pflicht, Theater außerhalb der eigenen Stadt anzubieten; einige Theater übernehmen diese Verantwortung von sich aus, aus künstlerischen Gründen und persönlichen Entscheidungen. So bekennt sich das Theater Lindenhof als Regionaltheater, weil es für und mit und in der Region Theater macht und machen will. Die Förderung durch die Städte der Region kam hinzu und ermöglicht diese Arbeit – hat diese aber so nie in Auftrag gegeben oder von sich aus beabsichtigt (vgl. Kranixfeld 2019a). Natürlich gibt es auch hier Grauzonen; durch eine Förderung, wenn sie denn kontinuierlich erfolgt, kann eine gegenseitige Bindung entstehen, die eine gewisse Verpflichtung beider Parteien mit sich bringt. Eine Art Gewohnheitsrecht einerseits, aber vielmehr eine Verantwortungsübernahme im Sinne eines Miteinanders: Geldgeber und Theaterbetrieb ziehen so – zumindest theoretisch – an einem Strang, um ein kulturelles Angebot zu ermöglichen. In den Herleitungen zum kulturpolitischen Verständnis dieser Untersuchung wurde es dargestellt: Der kleine aber bedeutende Unterschied zwischen den Konzepten „kulturelle Grundversorgung“ und „kulturelle Infrastruktur“ ist der Betrachtungswinkel. Eine staatliche Daseinsvorsorge liegt zunächst ganz bei der öffentlichen Hand, deshalb können von ihr finanzierte und beauftragte Institutionen für eine Versorgungstätigkeit in die Pflicht genommen werden. Die Begrifflichkeit der kulturellen Infrastruktur eröffnet einen weiteren Blick, der auch nicht-staatliche Akteure in ihrer Verantwortung und ihrem Beitrag für die gemeinschaftliche Gestaltung eines flächendeckenden Angebots wahrnimmt. Während dieser Arbeit wurden die Begrifflichkeiten bislang wechselseitig verwendet, nun muss aber eine spezifische Verwendung erfolgen. Es scheint so, dass die Landesbühnen sich im Sinne einer Grundversorgung positionieren und verstehen: Gäbe es sie nicht, würde es an Theater fehlen. Es liegt in ihrer Verantwortung, überall grundlegend vergleichbare Lebensverhältnisse zu schaffen, oder zumindest sich diesem Zustand anzunähern und ihn zu behaupten. Dass es bei allen Bemühungen immer zu Ungleichheiten kommt, scheinbar unvermeidlich kommen muss, ist eine der zentralen Feststellung der Untersuchung, welche die Beobachtungen und Vorannahmen, die in dieser Hinsicht beschrieben wurden, bestätigt (vgl. Kapitel 2).

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Dieses Pflichtbewusstsein schränkt zugleich die Freiheiten der Landesbühnen in ihrer Arbeit enorm ein: Die Grundversorgung wird als Hindernis angesehen, bestimmte Formen der Darstellenden Künste auszutesten oder sich neuer Formate zu bedienen. Wenn etwas nicht reisen kann, kann es nicht der Grundversorgung dienen, kann also nicht umgesetzt werden – oder es muss als Sonderprogramm gewertet werden und außerhalb des eigentlichen Kerngeschäfts stattfinden und vergrößert so die Ungleichheit zwischen Stammsitz und Gastspielbetrieb, zwischen Stadttheater und Reisebühne. Eine gegenstandsbezogene Theaterpolitik – also eine Kulturpolitik, die sich auf die Entscheidungsprozesse und Handlungen der Akteure der Darstellenden Künste bezieht und diese berücksichtigt – sollte genau hier ansetzen und die Frage nach dem Kerngeschäft mit der nach einer kulturellen Infrastruktur verbinden: Wenn es nicht mehr nur um eine flächendeckende Versorgung mit Theaterkunst, um die möglichst barrierefreie Zugangsermöglichung, sondern um eine Beteiligung im vielschichtigen Sinne geht, muss konkret gefasst werden, wer mit wem auf welche Weise dazu in die Lage versetzt wird und dies leisten kann. Dies darf nicht missverstanden werden, dass alle Akteure sich um alle(s) kümmern sollen, mit ähnlichen Strategien und gleichen Absichten; es geht um eine gegenseitige Verstärkung des Netzwerks, indem sich auch Teilnetzwerke ausbilden können, die unterschiedliche Ziele verfolgen. Das kann gerade für ein bestimmtes Gebiet, für einen regionalen Ausschnitt der Theaterlandschaft sinnvoll sein: „Für die Entwicklung einer Bezugseinheit, z.B. einer Region, kann daher die Kombination aus gerichteten und ungerichteten Netzwerken entscheidend sein. Ungerichtete Netzwerke üben dabei eine unterstützende Funktion für gerichtete Netzwerke aus, indem sie ihre personalen, symbolischen und kulturellen Bindungen verstärken und gegenseitiges Vertrauen zwischen den Akteuren erzeugen. Aber auch umgekehrt unterstützen gerichtete Netzwerke ungerichtete“ (Diller 2009, S. 57). So trivial es klingen mag: Das Wissen, gemeinsam eine Theaterlandschaft zu bauen und zu gestalten, kann durch die Vertrauensbildung zu einer Stärkung des Beziehungsgeflechts führen. Wenn dabei alle mehr oder weniger gleiche Achtung erfahren (was realiter noch nicht erreicht zu sein scheint), können Strukturen sich ändern, kann die Verkrustung aufgeweicht werden, ohne dass die Gefahr besteht, dass dadurch bleibende Verletzungen entstehen (vgl. Schombert 2016). Kooperation und Konkurrenz können dabei nah beieinander liegen, weder das eine noch das andere lässt sich verordnen, erzwingen oder kann von oben herab dirigiert werden. Förderprogramme, die mit der Absicht in die Theaterlandschaft eingreifen, Zusammenarbeit zu ermöglichen und Strukturveränderungen herbeizuführen, bewirken Begegnungen, sind jedoch meist nicht ausbalanciert, sondern intern verzerrt, bezogen auf die jeweilige Macht- und Ressourcenverteilung. Eine notwendige Augenhöhe könnte auf unterschiedliche Weise herzustellen sein. Die Unterstützung von semiprofessionellen Strukturen, eine Weiterbildung und Professionalisierung der Gastspielveranstalter wäre hierfür ein beispielhafter Ansatz. Faire Kooperationen (vgl. Hampel 2015) sind notwendig, um eine anhaltende Verbindung zwischen den Akteuren herzustellen. Dies muss und kann nicht auf einen Schlag und deutschlandweit gelingen: Das Theater in der Provinz könnte ein Beginn sein und beispielhafte Orte und Regionen könnten musterhaft wirken. In Ansätzen wurden erste zaghafte Versuche im Laufe dieser Analyse vorgestellt und beschrieben; dass diese zu einer anhaltenden, strukturellen Veränderung wachsen, ist nur möglich, wenn Kulturpolitik dafür Luft verschafft: Raum, Zeit und die Freiheit, sich im Sinne einer In-

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frastruktur von der Grundversorgung abzuheben. Wenn Kooperationen mit einer beabsichtigten Fairness, wie Annika Hampel sie beschreibt, nicht als Extra verstanden, sondern für die Landesbühnen in einer neuen Rolle als Verbindungsstrebe in der Theaterlandschaft als eine Kernaufgabe gedeutet würden, könnten und müssten sie grundsätzlich in der Konstruktion verankert sein; das heißt, es könnte beispielsweise ein eigenes Budget nur für Kooperationen bereitgestellt werden. Dabei sollte eine Zusammenarbeit aber im weiten Sinne verstanden werden, als die gemeinschaftliche Bereitstellung und Pflege einer kulturellen Infrastruktur. Die daraus ermöglichten Maßnahmen könnten gleich mehrfach unterschiedlichen Akteuren und Bereichen zugutekommen: Für Experimente im Spielplan, mit einem Risiko, das nicht zu Lasten der vertrauensvollen Partnerschaft mit den Gastspielhäusern geht, für längerfristige Zusammenarbeiten mit Freien Theatern, die nicht dem Spielzeitverkaufsrhythmus unterworfen sind, für ein Kennenlernen des und ein gemeinsames Lernen mit dem Amateurtheater, ohne den zwanghaften Drang, ein reisefähiges Stück zu entwickeln und so fort. Vielleicht wäre es so auch möglich, Expertisen neu zusammenzubringen, neue Zuständigkeiten zu formulieren und neue Verantwortungsbereiche zu umschreiben (vgl. dazu Kapitel 4.4.2). Wenn man diese Zusammenarbeiten dann auch noch auf den ländlichen Raum fokussieren würde, dass es nicht, wie leider so oft üblich, zu einem Konglomerat kurzfristiger einmaliger Projektarbeiten im urbanen Kontext kommt, wäre viel gewonnen. Nicht gemeint ist mit einem solchen Vorschlag eine bloße Anhebung der Fördersummen – denn sonst läuft nur das weiter, was bislang auch postuliert wird, nämlich dass durch die Finanzierung der Landesbühnen allen geholfen würde – was mit Blick auf die Konkurrenz und die prekäre Situation der Gastspiel veranstaltenden Orte nicht nur naiv, sondern sogar als herablassend zu bezeichnen ist. Wenn Kay Metzger die Leistung der Landesbühnen anpreist und im gleichen Satz einfordert „Kommunen und Länder sollten bereit sein zu einer strategischen Partnerschaft für die Kultur in der Fläche, einer Partnerschaft, bei der den Landesbühnen eine wichtige Rolle zufällt. Von den Subventionen der Landesbühnen partizipieren die Kommunen und Veranstalter, die diese buchen“ (Metzger 2014, S. 14), dann verstärkt dies nur die finanzielle gegenseitige Abhängigkeit, ermöglicht aber keine inhaltliche, von einem Finanzierungsdruck unabhängigere Zusammenarbeit. Eine strategische Partnerschaft für die Kultur in der Fläche sollte und muss auch die anderen Akteure dialogisch einbeziehen – wo und wie auch immer diese dazu bereit sind – und darf eine solche Verbindung nicht auf rechnerisch-finanzielle Gründe reduzieren. Unbestritten bleibt auch bei diesen Überlegungen die Freiwilligkeit. Keine Zusammenarbeit sollte erzwungen werden, nicht die Ressourcen sollten entscheidend sein, sondern die gemeinsamen, gefundenen und formulierten Ziele, Absichten und Erwartungen. Eine neue Betrachtung von (gemeinsamen) Aufgaben und Funktionen kann zu einer sinnvollen Arbeitsteilung führen; grundsätzlich scheint es nicht nur bereits Praxis zu sein, sondern durchaus auch nachvollziehbar und sinnvoll, beispielsweise im Bereich der Theaterpädagogik Unterstützung durch Freie Künstler oder andere Akteure einzuholen. Das Warum ist aber entscheidend und die Bewertung dieser Arbeit in Bezug auf das Kerngeschäft: Ist es eine Notlösung, mit einem theaterpädagogischen Zentrum zusammenzuarbeiten oder gibt es auch einen inhaltlichen Bezug? Wird anderen die Verantwortung zugeschoben, weil diese es vielleicht tatsächlich besser können oder weil man selbst keine Kapazitäten mehr hat? Wenn Theaterlandschaft als „Flickenteppich“ im positiven Sinne wahrgenommen wird, wird durch die Verflech-

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tung auch die Individualität gestützt und kann sich besser ausprägen. Sich der anderen Akteure, deren Expertisen und Aufgabenbereiche bewusst zu werden, kann die eigene Profilbildung unterstützen: Vielleicht kann sich dann eine Landesbühne gewahr werden, sich in einer bestimmten Sparte zu spezialisieren, während eine andere zu dem Schluss kommt, dass in einem bestimmten Bereich andere bereits gute Arbeit leisten und diese dann innerhalb ihrer Möglichkeiten zu unterstützen versucht. Dazu gehört auch ein gewisser Pioniergeist, der von den Intendanten vereinzelt beschrieben wird: Die Eroberung neuer Theaterräume, die Urbarmachung von Spielorten, könnte durch die Landesbühnen und ihre Spezialisierung geleistet werden – auch wenn einige von diesen vielleicht nur einmalig zu bespielen sind, könnten grundsätzlich neue Orte auch für andere Akteure neu etabliert werden und durch ihre Existenz wiederum neue Aktivitäten anstoßen. Eine Bereitschaft, hier Entdecker und Wegbereiter zu sein, stünde im Dienste einer kulturellen Infrastruktur und wäre durchaus eine Möglichkeit, die Bedeutung dieser im Gegensatz zu einer reinen Grundversorgung hervorzuheben (vgl. hierzu die Ausführungen in Kapitel 4.4).

5.2 PARTIZIPATION

ALS

V ERMITTLUNGSPRINZIP

Teilhabe und Teilnahme als Maßgabe – dieser kulturpolitische Leitspruch scheint essenziell zu sein, er legitimiert Kulturförderung, bedingt die Theaterlandschaft, bestimmt die Existenz und die Daseinsberechtigung der Landesbühnen. Wie genau sich dieser Leitsatz jedoch konzeptionell ausgestaltet, wie er umgesetzt wird, war Ausgangsfrage dieser Untersuchung. Die empirische Betrachtung hat bestätigt und verdeutlicht, was theoretisch hergeleitet wurde: Partizipation in unterschiedlichen Formaten und Verständnissen deckt als Begriff und als Arbeitsfeld ein breites Feld ab, wird ebenso kontrovers diskutiert, wie in vielfältiger Weise verwendet. Bei allen dargestellten unterschiedlichen Absichten und Umsetzungen in Theorie (Kapitel 2.2) und Praxis (Kapitel 4.3) gestaltet sich Beteiligung immer als prozesshafte Auseinandersetzung. In diesem Verständnis, ausgehend davon, dass Kulturpolitik als Begriff sich bezieht auf eine Vermittlung aller am künstlerischen Prozess Beteiligten, kann man partizipatorische und partizipative Vorgänge als kulturpolitische Handlungen verstehen: Durch diese Momente einer gesellschaftlichen Partizipation und gemeinschaftlichen Reflexion wird das Handlungs- und Wirkungsfeld Kultur gestaltet, was wiederum bedeutet, dass hier eine Mitbestimmung der Inhalte und somit der Prinzipien stattfindet. Wenn man partizipatorische künstlerische Prozesse mit einem solchen kulturpolitischen Verständnis konnotiert, dann hat dies Auswirkungen auf das Feld der Theaterpolitik: Partizipation ist dann nicht ein Mittel zum Zweck, eine Beschreibung von Maßnahmen an den Schnittfeldern zu anderen Feldern, sondern Partizipation ist dann anzusehen als grundständiges Prinzip von Vermittlung – sowohl im Sinne einer Vermittlung zwischen allen Beteiligten, als auch im klassischen Sinne einer Kunstvermittlung. Eine solche Setzung führt Konsequenzen nach sich, für die Idee von Theaterpolitik, für die Ausrichtung theaterpolitischer Entscheidungen und für die Konzepte von Theaterinstitutionen – also auf das gesamte Politikfeld bezogen für die Inhalte, Strukturen und Prozesse.

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Gegenseitigkeit als Erfolgsfaktor

Damit Partizipation eine Wirkung als elementares Vermittlungsprinzip entfalten kann, braucht es ein weites Begriffsverständnis und eine Anwendung von Maßnahmen in eben diesem Sinne. Eine einseitige Richtung, ein reiner Bring- und Erklär-Gestus ist weder gemeint noch ausreichend, entscheidend ist eine Gegenseitigkeit, die auf verschiedenen Ebenen wirkt: Durch ein Miteinander kann nicht nur ein Vertrauen entstehen, das für künstlerische Prozesse förderlich ist und das die Beziehungen zwischen den Akteuren (und somit das Netzwerk Theaterlandschaft) stützt, sondern es kann auch der individuellen Entwicklung aller Beteiligten förderlich sein. Solche Lern- und Bildungsprozesse können sich – ebenso wie die Theaterkunst unterschiedliche Funktionen übernehmen kann – auf verschiedene Bereiche erstrecken: Gemeinschaftlichkeit, soziales Miteinander, Transfereffekte im Sinne einer Stärkung sogenannter Soft-Skills, Erweiterung des künstlerischen Horizonts, Aufbrechen von Gegensätzlichkeiten und Vorverurteilungen. Die Augenhöhe, die bei der Beschreibung von Kooperationen immer als besonders wichtiges Schlagwort genannt wird, muss sich in den Beziehungsebenen abbilden, nicht minder wichtig ist, auf eine Zweigleisigkeit, auf einen Austausch zu achten – eben eine Kollaboration, die einhergeht mit Kontrollverlusten auf beiden Seiten. Leider wird in der Praxis partizipatorischen Zusammenarbeitens immer wieder auf die simplen strukturellen Muster einer asymmetrischen Kommunikation eines Belehrens oder Beibringens verfallen. Wenn tatsächlich anerkannt und beachtet würde, dass beide Seiten einander bereichern können, könnte dies eine Relevanz von Theater wiederbeleben, weil dadurch ein neuer Bezug zwischen Kunst und Leben (wieder) hergestellt würde. Dies kann gelingen, wenn die Öffnung einer Institution nicht nur bedeutet, dass Außenstehende an den Arbeitsergebnissen teilhaben können, vereinzelt an bestimmten Maßnahmen teilnehmen dürfen, sondern dass eine solche Offenheit sich darin äußert, dass auch die Institution selbst sich vor Ideen, Themen, Arbeitsweisen nicht verschließt. Die Erkenntnis zu erlangen, dass Kunstvermittlung selbst künstlerischen Mehrwert haben kann, dass partizipatorische Arbeit nicht nur die Teilnehmer, sondern die Organisationsstrukturen verändern könnte, scheint ein langer Weg. Allerdings: Das Kinder- und Jugendtheater hat es geschafft, sich auf diesen zu begeben, dann müssten und sollten doch auch die Theater für allgemeines Publikum dazu in der Lage sein – schließlich sind diese meist besser ausgestattet und situiert (vgl. dazu Kapitel 2.2.5). Ein solches Vorgehen, die Bereitschaft sich auf solche gegenseitigen Prozesse einzulassen, braucht jedoch ein Überdenken des eigenen Selbst: Nur wenn die Institution sich eingesteht, dass Wissen nicht nur von ihr gepachtet ist, sondern sie auch von anderen lernen kann, dass Themen, Ideen, Artefakte nicht nur in den eigenen vier Wänden schlummern, sondern auch herangetragen werden können und die Deutungshoheit auch zu divergierenden Einschätzungen führen kann, kann ein Versuch unternommen werden. Damit verbunden ist eine spezifische Wahrnehmung der anderen: der anderen Theaterakteure außerhalb des eigenen Betriebs genauso wie des (aktuellen, zukünftigen und potenziellen) Publikums und der Nicht-Besucher. Eine Gegenseitigkeit kann nur gelingen, wenn keine defizitäre, sondern konstruktive Bewertung erfolgt. Mit dem klassischen Modell Landesbühne ist dies nicht vereinbar, solange deren Arbeit wahrgenommen wird, „als würde ein LKW voller Fracht irgendwo etwas hinschütten“ (Siemssen zitiert nach Schröck 2018a) und keinerlei inhaltlicher Bezug zum Ort vorhanden ist oder hergestellt wird (ebd.).

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Damit auch Landesbühne eine gemeinsame Baustelle eröffnen kann und nicht nur als Zulieferer verkannt wird, braucht sie auch hierfür den entsprechenden Rückhalt, die „Erlaubnis“, sich nicht nur als Dienstleister definieren zu müssen, sondern auch als assoziierter Partner verstanden zu werden und sich als solcher zu positionieren. Und es braucht das Einverständnis, dass Partizipation als Prinzip auch zu einer gegenseitigen Vermittlung des Kunstverständnisses beitragen kann: Um eine wirkliche Gegenseitigkeit herzustellen, muss das klassische Bewertungsdenken überwunden werden. Durch das Partizipieren an anderen Arbeitsformen, die anderen künstlerischen Ideen entspringen, sollten eben jene auch innerhalb der eigenen Qualitätsstandards Berücksichtigung finden. Damit ist nicht gemeint, dass sich alle Grenzen zwischen professioneller und nicht-professioneller Darstellender Kunst, zwischen Theaterkunst und soziokultureller Arbeit gänzlich auflösen. Vielmehr geht es um die Anerkennung unterschiedlicher Ästhetiken mit der ihr jeweils eigenen Qualität – die nicht in einer vorher festgelegten Hierarchie von „gut“ nach „schlechter“ variiert, sondern in allen Facetten von „anders“. Das gemeinsame (Aus-)Probieren könnte – wenn wenigstens das – dazu führen, dass man die Absichten, Bedürfnisse und Bedingungen des Gegenübers kennenlernen und nachvollziehen kann. Vorurteile und abwertende Einschätzungen fußen meist – und diese triviale Feststellung trifft leider und natürlich auch auf die Theaterlandschaft zu – auf Unkenntnis und Ignoranz. Wenn das gemeinsame Arbeiten die Unterschiede der Partner vermitteln kann, sodass diese auf künstlerische Weise thematisiert und genutzt werden können, wenn die Reibungsfläche zwischen Kunst und Sozialem, zwischen Institutionalisierung und Unabhängigkeit produktiv verwendet wird, ohne sie dabei zu überhöhen oder zu negieren, kann genau hieraus etwas Innovatives, etwas Neues, etwas Besonderes entstehen. Das gilt für alle Akteure der Darstellenden Künste untereinander – wenn man für ein solches Wagnis bereit ist und der Freiraum dafür zur Verfügung steht. Dann kann sich im besten Falle eine neue gemeinsame Theatersprache finden lassen, die auch wiederum der Verflechtung mit anderen in der Theaterlandschaft zugute käme.6 Zugänge als Voraussetzung, Aktivierung zum Ziel

Aktive Teilnahme und umfassende Teilhabe sind nur möglich, wenn ausreichende Zugänge vorhanden sind und Motivationsanreize geschaffen werden. Auch hier besteht ein enger Zusammenhang: Wer selbst aktiv ist, entwickelt mehr Interesse, wird also selbst verstärkt teilhaben und teilnehmen. Diesen sich selbst verstärkenden Kreislauf kann Theater nutzen, um sich als Institution neu zu „vermitteln“ (im hier hergeleiteten Sinne eines partizipatorischen Vermittlungsprinzips) und eine (neue) Relevanz für die Theaterarbeit und die Theaterkunst (wieder) herzustellen. Wenngleich diese Feststellung meist auf die Arbeit mit nicht-professionellen Beteiligten bezogen wird, gilt dieser Ansatz gleichermaßen für Zusammenarbeiten mit Beteiligung anderer, professioneller Akteure. Das Schaffen von Zugängen und die Aktivierung der Teilnehmenden kann in unterschiedlicher Weise stattfinden, denn je nach Funktion und Absicht gestaltet sich die

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Vor allem in internationalen Koproduktionen ist dieser Aspekt entscheidend; die Partner müssen optimalerweise beidseitig bereit sein, sich auf das Theaterverständnis der anderen Kultur einzulassen und einen gemeinsamen Weg zu finden, vgl. hierzu Hampel 2015 und Schröck 2017b.

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Umsetzung. Konzentriert sich Theater in der Provinz beispielsweise darauf, einen Ort gesellschaftlichen Miteinanders und des Austausches anzubieten, sollte der Zugang dermaßen gestaltet sein, dass keine gesellschaftliche Gruppe ausgeschlossen wird. Dies kann sich neben den üblichen Maßnahmen der Preisgestaltung und Barrierefreiheit auch auf logistische Aspekte beziehen: Eine Nachmittagsvorstellung wird Senioren eine Teilhabe erleichtern, für Berufstätige diesen Zugang jedoch verschließen. Wenn Partizipation im Sinne einer Gemeinwesen-Gestaltung verstanden wird, sind andere Arbeitsweisen und Formate angebracht, als wenn es darum geht, Theater als Instrument der Kunsterziehung und der Fortbildung zu positionieren. Gerade die Wanderer zwischen den Sphären, die Landesbühnen, sollten die unterschiedlichen Funktionen und Aufgaben, die Theater einnehmen und übernehmen kann, bewusst wahrnehmen und gestalten. Die in künstlerischer Hinsicht oft als störend empfundene Pause kann beispielsweise gleichermaßen Ausdruck dafür sein, dass den Bedürfnissen der Besucher, sich auszutauschen, stattgegeben wird, als auch der Notwendigkeit der Veranstalter Genüge tun, Einnahmen zu generieren (vgl. Gade 2016). Hier kann Partizipation auf unterschiedlichen Ebenen stattfinden und um als Prinzip gelten zu können, müssen auch all diese berücksichtigt werden: Es geht nicht nur um die Rezipienten, sondern auch um die Mittlerpositionen, die Distributoren und die Mit-Produzenten. Erneut ist hierfür das Kinder- und Jugendtheater ein Vorbild, denn es denkt seit jeher alle mit: Zielgruppe sind nicht nur die jungen Menschen, die im Zuschauerraum sitzen und die im Produktionsprozess auf unterschiedliche Weise beteiligt werden, auch wenn diese natürlich im Fokus stehen; auch die Multiplikatoren, die Zwischenhändler, die Vermittler der Split-Audience werden berücksichtigt und einbezogen. Ob und wie die Produzierenden während des Entstehungsprozesses an Entscheidungen beteiligt werden, ist natürlich sehr unterschiedlich und vom Einzelfall abhängig. Im Kinder- und Jugendtheater finden sich Beispiele eines anderen Verständnisses von Gemeinsamkeit in Produktionsprozessen, die Impulse geben könnten für die partizipatorische Arbeit generell: „Im Hinblick auf Projekte mit Schauspielern und Laien sehe ich eine weitere große Chance für Veränderungen im Stadttheater: Bei diesen gemischten Projekten kann ich doch eigentlich nicht mehr per Besetzungsliste einen Schauspieler verordnen, in einem Projekt zu sein. Sondern dann muss sehr viel mehr auf Eigenverantwortlichkeit umgeschaltet werden. Ein Schauspieler muss kommen und sagen: Ich interessiere mich für dieses Projekt. Du kannst nicht erwarten, dass einer zwei Monate lang in der Wohnwagenstadt probt. Wenn er das nicht will, bringt das dem Projekt nämlich gar nichts. Da muss es aufhören, dass es nur Entscheidungen in der Theaterleitung gibt. Es muss ein breiteres Wollen geben. Das ist eine Chance für die Ensemblebindung, das ist eine Chance für die Eigenverantwortlichkeit des Künstlers“ (Dethier zitiert nach Mackert 2011, S. 156 f.). Brigitte Dethier spricht hier genau die Chance für eine Beteiligung auf mehreren Ebenen an: Ein partizipatorischer Ansatz kann für die gesamten Institution und die einzelnen Persönlichkeiten Anstoß sein für Bildungsprozesse, neue Erfahrungen, eben Entwicklungen. Aktivierung der Beteiligten muss ermöglicht werden, dabei aber auf einer freiwilligen Bereitschaft beruhen und setzt Eigenverantwortung voraus. Die Landesbühnen scheinen hierfür – zumindest in einigen Fällen – gute Voraussetzungen zu haben: Ein enger Zusammenhalt innerhalb des Betriebs, ein gutes Binnenverhältnis und der Versuch, allen Mitarbeitern Gestaltungsfreiheiten zu gewähren, dass jeder an der Erstel-

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lung eines gemeinsamen Kunstwerks beteiligt wird, könnte Grundlage sein, um die Chance zu nutzen, die Dethier beschreibt (vgl. dazu die Darstellungen in Kapitel 4.1). Was genau in welchem Umfang aus den sich so daraus entwickelnden neuen Formaten entsteht, ist schwerlich nachweisbar oder zu messen; dies ist auch nicht notwendig, wenn den Theatern zugestanden wird, was Dethier klar formuliert: „Es ist unsere verdammte Pflicht, zu experimentieren. Denn wir haben den Freiraum, dass eben auch mal etwas schiefgehen kann“ (Dethier zitiert nach Mackert 2011, S. 157). Diese Erlaubnis zur Lücke, eine mögliche Ineffektivität in Kauf nehmen zu können, muss den Theatern bewusst sein und seitens der Entscheider gestützt und ausgeweitet werden – dann wird es auch obsolet, ein Projekt anhand seines Erfolgs zu beurteilen, denn die Notwendigkeit einer solchen Beurteilung verstärkt oftmals die Trennung zwischen „künstlerischer“ und „pädagogischer“ Arbeit, auch weil klare Kriterien für eine Verschmelzung dieser Arbeitsweisen zu fehlen scheinen. Dies ist natürlich gegensätzlich zu den Bemühungen, diese Kluft eigentlich überwinden zu wollen und kontraproduktiv für den Ansatz, die Unterscheidung während des Prozesses produktiv zu reflektieren. Damit eine gleichberechtigte Beteiligung funktionieren kann, muss die gemeinsame Absicht klar sein und offen gelegt werden. Partizipatorische Arbeiten sollten, genauso wie andere Kooperationen auch, eine gemeinsame Motivation haben; die durchaus künstlerischer, pädagogischer oder eben beidseitiger Natur sein kann (vgl. dazu insbesondere Kapitel 2.2.2). Teilgabe im Prozess

Diese Überlegung rührt auch wieder an der grundlegenden kulturpolitischen Setzung: Was ist Hauptaufgabe der Theaterinstitutionen, was ist Zusatzprogramm, was sollte im Fokus stehen, was wird wohlwollend als ergänzendes Nebenher geduldet? In der theaterpolitischen Praxis scheint die klare Zuordnung zu verschwimmen, Erwartungshaltungen spiegeln sich aber bislang nur bedingt in den Strukturen wider – die Beispiele dieser Untersuchung zeigen deutlich, dass Wille, Wunsch und Wirklichkeit oft nicht kongruent zueinander sind. Partizipation als Vermittlungsprinzip könnte helfen, wenn auch eine Deckungsgleichheit nicht unmittelbar möglich scheint, hier eine Annäherung zu bewirken. Eine Veränderung der Institution und somit ein Überdenken kulturpolitischer Prämissen ist kein einfacher Prozess, beinhaltet er doch immer Momente des Aufgebens im Sinne eines Abgebens, einer Teilgabe. Dies bezieht sich auf Entscheidungen und Handlungsvollmachten ebenso wie auf Deutungshoheiten und bringt auch die Frage mit sich, wie Darstellende Kunst sich auf welche Weise künstlerisch zu definieren habe. Momente von Teilgabe können – wenn man diese als partizipatorischen Vermittlungsprozess begreift – gemeinsame künstlerische Ideen befördern, die sich speisen aus dem dadurch hergestellten Bezug zueinander und der Wahrnehmung einer gegenseitigen Relevanz. Auf diese Weise können neue faire Partnerschaften die Darstellenden Künste als Genre bereichern und zugleich die Institutionen verändern. Eine solche Komplizenschaft könnte auch bedeuten, dass Aufgaben verteilt und Verantwortungsbereiche geteilt werden. Wenn beispielsweise eine Landesbühne ihren Schwerpunkt und ihre Expertise in einem bestimmten Feld sieht, hindert sie nur die momentane Struktur, andere Felder im positiven Sinne abzugeben, um ihrem ganzheitlichen Auftrag zu entsprechen.

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Teilgabe innerhalb der Institution hat eine Theaterpolitik der öffentlichen Hand zur Voraussetzung, die solche Prozesse ermutigt, die Akteure dazu befähigt und die alle potenziellen Konstellationen befürwortet: Die Finanzierung einer Bürgerbühne, als Andockstelle für Amateurschauspieler, ist ein Anfang und zugleich Feigenblatt, da durch sie kaum grundlegende Änderungen des Stadttheatersystems zu erwarten sind.7 Eine längerfristige Kollaboration mit Amateurtheatern oder Freien Theatern, die nicht in Projektdimensionen, sondern strukturell konzipiert ist, könnte der Institutionskritik in Bezug auf die Isoliertheit der öffentlich getragenen Bühnen begegnen und eine Verbindung innerhalb der Theaterlandschaft herstellen. Hier geht es um eine echte Teilgabe, nicht um die zeitweise Zurverfügungstellung von Räumen oder Bühnen, nicht um die Eröffnung der Möglichkeit, die spielfreien Tage zu nutzen, sondern um eine (Teil-)Übernahme der Institution durch andere, so wie es im Einzelfall projektbezogen (beispielsweise in „Doppelpass“-Formaten) bereits praktiziert wird und um eben den beschriebenen gegenseitigen Effekt des Lernens und sich Entwickelns. Das grundsätzliche Problem, dass eine dekonstruktive und transformative partizipatorische Arbeit an ihren eigenen Abhängigkeiten scheitert, bleibt zunächst bestehen, aber auch hier könnte eine schrittweise Änderung möglich sein (vgl. die Ausführungen in Kapitel 2.2). Bei den Landesbühnen scheint eine solche Teilgabe punktuell umgesetzt, doch durchaus ausbaufähig: Die Zusammenarbeit des TfN mit Freien Gruppen, um den Spielplan des Kinder- und Jugendtheaters zu gestalten, ist nur bedingt eine klare Teilung von auftragserfüllender Verantwortung, denn eher eine Zweckpartnerschaft, sie bietet aber Potenzial, welches auszuschöpfen entsprechende Ressourcen benötigt. Nur bei einer entsprechenden Ausstattung und bei einer adäquaten strukturellen Gleichstellung der Partner wäre es möglich, gemeinschaftlich dem Landesbühnenauftrag zu folgen und in seinem Sinne zu handeln. Eine partizipatorisch angelegte Verantwortungspartnerschaft sollte immer eine inhaltliche Absicht verfolgen, nicht aus wirtschaftlichen Begründungen und Notwendigkeiten entstehen oder an solchen Erfolgen orientiert sein. Dazu braucht sie aber eben die Freiheit einer Kontinuität und eine stabile Verortung. Wenn beides gegeben ist, kann ein neues Zusammenspiel entstehen, wie in Meißen, wo die LBS in gemeinsamer Verantwortung mit den dortigen Amateurtheatermachern das Theater mit Leben füllen und es dadurch am solchen erhalten – hier verbinden sich finanzielle Notwendigkeiten mit einer gemeinsamen Absicht. Doch warum beschränken sich solche Beispiele meist auf die anderen produzierenden Theater? Was ist mit den Gastspielhäusern?8 Wäre es nicht auch denkbar, ja sogar mehr als nachvollziehbar, diesen wichtigen strategischen Partnern eine Möglichkeit der Beteiligung einzuräumen? Die Argumentation könnte dafür genutzt werden, die Verantwortungsteilung weiter voranzutreiben, beispielsweise im theaterpädagogischen Bereich oder bezogen auf die Öffentlichkeitsarbeit (vgl. Kapitel 4.4.2 und 4.4.1). Sie könnte aber auch dazu genutzt werden, beispielsweise die Spielplangestaltung im Prozess neu zu denken und den Titelzwang als Marktmechanismus zu überwinden. Die

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Die Forschungen im Rahmen des Projekts „Krisengefüge der Künste“ könnten hierzu spannende neue Erkenntnisse und Einschätzungen liefern, siehe dazu DFG-Forschungsgruppe Krisengefüge der Künste 2017a. Die Tourneetheater scheinen ebenfalls ausgenommen aus dem Nachdenken über mögliche Kooperationen, dies kann am bereits dargestellten Abwärtsvergleich liegen, gepaart mit einer gewissen Ignoranz gegenüber anderen Anbietern, siehe dazu Kapitel 4.2.

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Landesbühnen neigen dazu, die Gastspielveranstalter als wichtigste Vertraute zu bezeichnen, auf deren Bedürfnisse einzugehen sei – stellen aber gleichzeitig immer klar, dass ihre Freiheit der Spielplanauswahl und der künstlerischen Entscheidungen dadurch nicht eingeschränkt würde und dies auch nicht passieren dürfte. Warum ist das so entscheidend? Natürlich, das „Dilemma des Theaters als staatlich subventioniertem Kulturbetrieb besteht darin, einerseits nicht völlig frei, mit hohem Wagemut, aber vor leeren Rängen spielen, andererseits aber auch nicht nur museale Erhaltungsarbeit oder reinen Unterhaltungsklamauk bieten zu wollen“ (Cossel 2010, S. 233) – aber wäre nicht gerade eine Teilnahme der Partner an den Entscheidungsprozessen ein wichtiger Schritt, die gegenseitigen Bedürfnisse und Zwänge zu vermitteln? Die Landesbühnen praktizieren dies schon seit Langem und erfolgreich auf informellen Wegen, doch es bleibt immer eine Rechtfertigung vonnöten, die klarstellt, dass die Kunstbetriebe natürlich nicht (nur) den schnöden Erwartungen folgen würden. Abgesehen von der nicht besonders großen Praktikabilität, wenn zu viele Köche das Rezept mitbestimmen wollen (vgl. Schöbel 2016), könnten spezifische neue Möglichkeiten gefunden werden, respektive die bereits praktizierten Vorgehensweisen könnten ihren Ruf einer Anrüchigkeit verlieren. Dies ist aber unwahrscheinlich, solange von den Akteuren und von der Theaterpolitik diese Gegenüberstellung nach wie vor befördert und erwartet wird: Das Berufstheater der Landesbühnen habe hohe Theaterkunst zum Inhalt zu haben und keine Schenkelklopfer, denn diese gäbe es ja im kommerziellen Bereich und im Amateurtheater zu Genüge. Die Zwänge des Marktes sollten nicht die Freiheit der Kunst dominieren, auch wenn sie es in bestimmter Weise tun (vgl. Kapitel 4.1.3). Diese Einstellung verstärkt wiederum die Etablierung des Klassensystems der Theaterlandschaft, weil die Akteure des Gastspielmarktes immer als unfreier wahrgenommen werden, als die anderen. Wie, wenn nicht durch gemeinsames Handeln sollte der Kreis der gegenseitigen vorverurteilenden Erwartungshaltung unterbrochen werden? Das gegenseitige Vertrauen könnte durch eine Verantwortungsteilung gestärkt und dazu genutzt werden, gemeinsam, unter gegenseitiger Beteiligung, mehr Mut zu wagen und sich gemeinsam gegenüber den Herausforderungen und den Anforderungen der Träger und kulturpolitischen Entscheider zu positionieren.

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In all diesen Ausführungen wurde nun das Publikum selbst bislang nur wenig berücksichtigt; dabei ist es für eine Zukunftsbetrachtung unerlässlich, dieses als Teil der Theaterlandschaft, als Akteur wahrzunehmen und ihm dementsprechend auch Entscheidungs- und Handlungsspielraum zuzuschreiben. Das Publikum, und dazu neigt der Gastspielmarkt, wird oft nur als ein Faktor in der Entscheidungs- und Wirkungskette berücksichtigt: Der Kunde, der das Endprodukt konsumiert, essenziell notwendig und gleichermaßen quasi unbekannt. Auch für die Kulturpolitik der öffentlichen Hand ist der Zuschauer eher ein indirekter Faktor: Er soll adressiert werden, er dient zahlenmäßig zur Überprüfung der Auslastung und der Förderziele; konzeptionell wird zwar auf die Bedeutung von Kunst und Kultur für das Individuum und die Gesellschaft verwiesen, das Publikum als Ganzes findet in Konzepten wenig Beachtung – das junge Publikum scheint hier eine Ausnahme, allerdings wird dieses meist nur als speziell zu adressierende Zielgruppe angesehen. Unterstützt wird die ungenaue Wahr-

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nehmung des Publikums durch dessen Heterogenität: Zuschauer und Menschen, die (noch) nicht zu diesen zählen, können ganz unterschiedliche Erwartungen und Erfahrungen haben und ganz verschiedene Positionen gegenüber den Theaterinstitutionen einnehmen. „Publikum“ wurde bislang als Begriff für die Menschen verwendet, die am Theater interessiert sind und dieses besuchen (könnten), doch in seiner originären Bedeutung meint das Wort die Öffentlichkeit, das Volk. In dieser Bedeutungszuschreibung umfasst das Publikum also sowohl die regelmäßigen Besucher und Gelegenheitsbesucher, als auch die Nie-Besucher, die Wiederholungsgänger ebenso wie die Noch-Nicht- und Nicht-Mehr-Besucher. Diese unterschiedlichen Gruppen, zwischen denen es natürlich auch zu Bewegungen und Verschiebungen kommen kann, sollten prinzipiell immer alle mitgedacht werden; denn sie alle sind eingeschlossen in die Leitformel „Kultur für alle“. Schwierig ist dies insbesondere, wenn das Publikum, der Zuschauer in der Wahrnehmung reduziert wird auf seine Eigenschaft als Kunde – denn die Nicht-Besucher sind eben keine Kunden, daher schwerer fassbar und stellen somit eine unbekannte Variable für die Theaterarbeit dar. Die Menschen, denen Teilhabe und Teilnahme erst noch ermöglicht werden soll, ebenso wie diejenigen, die bereits über Zugänge verfügen, gilt es ganzheitlich wahrzunehmen. Eine Reduktion auf ihr Kauf- und Konsum-Verhalten ist nachvollziehbar, solange die Eintrittseinnahmen den Betrieb finanziell sichern und die Auslastungszahlen die Legitimation gegenüber den Trägern rechtfertigen müssen.9 Die Zahlkraft der Menschen für das Theater zu gewinnen, ist (noch) notwendige Bedingung für den Fortbestand der Institutionen, aber keine hinreichende: Um der Relevanz-Krise zu begegnen, die auch in den Gesprächen mit den Intendanten immer wieder thematisiert wurde, gilt es, dem Publikum, dem Volk in einer positiven Bedeutung als Öffentlichkeit und Gemeinschaft eine neue, aktivere Rolle zuzugestehen, damit ein ausverkauftes Haus nicht auf volle Kassen reduziert wird, sondern im eigentlichen Sinne wieder dafür stehen kann, dass es sich um einen relevanten Ort für die Menschen handelt. Hiermit verbunden wäre auch die Schärfung des Blicks auf das „Wer?“ im Gegensatz zu „Wie viele?“. Die fehlende Repräsentanz der Vielfalt der Gesellschaft in den Theatern, vor, auf, hinter der Bühne, bleibt Thema. Das Publikum neu und intensiver wahrzunehmen, ist keine neue Idee; auf diesen Überlegungen fußen beispielsweise die Konzepte des Audience Developments.10 Während die kulturmanagerialen Strategien ausgehend von den Kulturinstitutionen diese und das Publikum in ein engeres Verhältnis zu bringen versuchen, soll es hier um eine Aktivierung der Zuschauer selbst als Akteur innerhalb der Theaterlandschaft gehen: Denn als solcher sind sie zu betrachten und in dieser Rolle zu stärken.

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An dieser Stelle wäre erneut ein Verweis auf das Kinder- und Jugendtheater angebracht: Da die Kinder- und Jugendtheater eben nicht von den reinen Eintrittseinnahmen leben können, weil die Ticketpreise niedrig gehalten werden sollen und müssen, werden sie oftmals vergleichsweise hoch bezuschusst, was zu Unverständnis und Neid führen kann. Die Wichtigkeit des Theaters für Kinder und Jugendliche überwiegt also in diesen Fällen der Einforderung finanzieller Erfolge des Betriebs. Für das Erwachsenentheater ist eine solche Auffassung nur unzulänglich verbreitet. 10 Und natürlich muss wieder das Kinder- und Jugendtheater genannt werden, vgl. hierzu exemplarisch Israel u. a. 1996.

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Erkennt man das Publikum, unter Berücksichtigung der Vielfalt dieses Sammelbegriffs, als ein Element der Landschaft der Darstellenden Künste an, müssen seine Beziehungen zu den anderen Akteuren auf den Prüfstand gestellt werden – und Theaterpolitik muss sich bewusst werden, dass dem Publikum, als in dem Netzwerk Theaterlandschaft agierend, eine gewisse Machtposition zugeschrieben werden muss, respektive es diese bereits innehat. Dass diese oft – auch unter falscher Befürchtung – als negativ gedeutet wird, äußert sich in der Angst vor einem Qualitätsverlust der Theaterarbeit, wenn man sich zu sehr auf die Wünsche des Publikums einlassen würde. Eben dieser Gedanke führt gleichzeitig zu einer Bestärkung der Notwendigkeit einer Kulturförderung zum Schutz des meritorischen Guts Theater. Verkürzt ausgedrückt: Es gilt, dem Publikum Angebote zu unterbreiten, um eine Nachfrage zu wecken, dabei dürfe es aber nicht zu einer Anbiederung kommen (vgl. Kapitel 2.3.3 und 4.3.3). Die Beziehung wird gezielt asymmetrisch gehalten: Dem Publikum wird etwas angeboten, aber es möge nicht ihm überlassen werden, dieses Angebot konkret zu beeinflussen. Bei aller Berücksichtigung möglicher Argumente gegen Mitbestimmungsmodelle und Spielplanabstimmungen durch das Publikum (die den Diskussionen um eine Beteiligung der Gastspielorte gleichen), sollte sich Theaterpolitik der Herausforderung stellen, dem Publikum eine neue Position zuzugestehen. Eine neue Mündigkeit

Diese neue Rolle müsste mit bestimmten Eigenschaften ausgefüllt werden: Mirko Schombert betont es beispielhaft; es bräuchte mehr Mut, man müsse sich (als Theater) und den Zuschauern mehr zutrauen (können). Oft wird die Verantwortung für bestimmte Entscheidungen in der Programmauswahl und der künstlerischen Umsetzung von einem zum anderen geschoben, letztlich seien die Zuschauer daran schuld, egal ob in tatsächlicher Hinsicht oder durch Vorannahmen der Veranstalter, resultierend auf deren Erfahrungen (so beschrieben anhand der Beispiele der Burghofbühne, vgl. ergänzend Scherer 2019). Damit mutige Vorstöße möglich werden, braucht es nicht nur Freiräume für die Theaterschaffenden, die ein Scheitern als Option zulassen, sondern auch ein neues Selbstbewusstsein des Publikums und eine stärkere Mündigkeit desselben. Kulturelle Bildungsprozesse können sich positiv auf die Selbstermächtigung auswirken, die zusammenhängt mit der persönlichen Eigenverantwortung, die wiederum mit der Mündigkeit einer Person verbunden ist. Solche Prozesse zu initiieren, Bildung auch im Sinne einer Entwicklung zu befördern, ist eine der Hauptverantwortungen öffentlich getragener Theater; als solche muss sie verstärkt wahrgenommen werden und müssen entsprechende Maßnahmen noch konkreter umgesetzt werden. Mündigkeit beschreibt – neben der rechtlichen Einordnung – die Selbstbestimmung oder Urteilsfähigkeit einer Person. Zwei Eigenschaften, die im Gastspielbetrieb dem Publikum nicht gänzlich abgesprochen werden, jedoch sehr unterschiedliche Ausprägungen erfahren können: Hier zeigt sich besonders deutlich der Unterschied zwischen einer Stadt mit kontinuierlichem, vielfältigem Theaterbetrieb und einer, die nur vereinzelt Angebote im Bereich der (professionellen) Darstellenden Kunst vorhalten kann. Die Selbstbestimmung in Bezug auf die Auswahl, welches Stück man sehen möchte, wird zur Fremdbestimmung durch den Gastspielveranstalter, durch den Zwischenhändler; die Urteilsfähigkeit und somit auch die Geschmäcker werden von eben diesen Mittelsmännern eingeschätzt, vorhergesehen und gedeutet. Der Gastspielmarkt diktiert

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die Entscheidungskette, diese zu unterbrechen ist nicht einfach, da die Abhängigkeiten die Freiheiten überwiegen, auch wenn die Landesbühnen versuchen, gegenzusteuern. Immer wieder kamen die interviewten Intendanten in diesem Zusammenhang auf Vertrauen und Verantwortung zu sprechen: Rücksichtnahme auf die Partner, Änderungen oder Wagnisse nur im gegenseitigen Einvernehmen. Die Interaktion mit der Umwelt darf sich jedoch nicht auf Gastspielanbieter und Gastspielveranstalter beschränken, sie muss auch das Publikum einbeziehen und dementsprechend versuchen die Theaterakteure, zu diesem eine Beziehung aufzubauen. Dieser Versuch gestaltet sich je nach Ansatz ganz unterschiedlich: Vermittlungsangebote, Image-Pflege und Werbung richten sich an die bestehende Kundschaft und die, die bereits kurz vor der Entscheidung stehen, ein Theater zu besuchen. Erklärende und heranführende Maßnahmen können zweifach bewertet werden: Als überheblich, mit einer lehrhaften, erzieherischen Absicht, oder positiv beschrieben als ein Angebot zur Weiterbildung, zur Erweiterung des Wissens, kombiniert mit neuen Erfahrungen, die wiederum die Urteilsfähigkeit stärken können. Mündigkeit hängt auch zusammen mit Wertschätzung und Ernsthaftigkeit – Aspekte, die im Kinder- und Jugendtheater als grundlegend für die Arbeit gelten, weshalb es auch in diesem Abschnitt erneut als Vorbild aufgeführt wird. Es geht dabei um eine ernsthafte Beachtung der Lebenswelt, ein Feingefühl für aktuelle Themen und um die Anerkennung des Gegenübers in seiner individuellen Besonderheit. Daraus resultiert eine angemessene gegenseitige Herausforderung und ein hoher Anspruch: Theater muss nicht immer nur lieb, nett, gefällig sein, sondern könnte, darf und sollte fordernd sein, ungewöhnlich, mehr verlangen und Reibungsfläche anbieten – das gilt genauso für allgemeines Publikum, wenn man dieses als mündig anerkennt (vgl. erneut Kapitel 2.2.5). Wie eine größere und unabhängigere Selbstbestimmung erreicht werden kann, ist eine komplexe Frage. Die Mechanismen des Marktes lassen sich nicht einfach aufheben und die Theater beharren auf ihrer künstlerischen Entscheidungsfreiheit. Eine Bestimmung des Spielplans durch die Veranstalter oder direkt durch das Publikum scheint eine schlimme Vision, aber auch nur solange man diesem eine Mündigkeit abspricht. Beispielhaft ist für diese Situation der klassischste aller Streitpunkte im Kinder- und Jugendtheater: das Weihnachtsmärchen als Sinnbild für seichte Kost. Natürlich gefällt es, natürlich wird es eingefordert. Solange man keine Birnen kennt, wird man Äpfel immer bevorzugen, weil ein Vergleich gar nicht erst möglich ist: „Denn wem man einmal Bonbons und Zuckerguss versprochen hat, der fordert diese beim nächsten Besuch wieder ein“ (Mand 2012, S. 69). Auch hier muss nicht in einem Entweder-Oder gedacht werden. Ein Mehr an Theater könnte ein Mehr an Möglichkeiten bieten und die Menschen hätten mehr Alternativen zur Auswahl; könnten eigenmächtigere vergleichende Urteile fällen, weil sie Optionen kennenlernen würden. In Ballungszentren oder in den Speckgürteln großer Städte kann dies bereits einfach möglich sein, doch in der Provinz droht dies sowohl an der geringeren Anzahl an Theatern als auch an der kleineren Programmvielfalt zu scheitern. Die Landesbühnen und Gastspielorte bemühen sich um eine gute Beziehung zu ihrem Publikum, die Sensibilität der Wahrnehmung scheint jedoch auch an ihre Grenzen zu stoßen, wie die Aussagen der Intendanten aufzeigen, in denen sie sich über bestimmte Verhaltensweisen und Entscheidungen wundern und diese nur bedingt nachvollzie-

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hen können. Wenn also beobachtet wird, dass sich der Bildungskanon und die Nachfrage danach sich zu ändern scheinen und mehr Filmadaptionen eingefordert werden – sollte dann das bildungsbürgerliche Ideal gerade deshalb und trotzdem weiter hochgehalten werden? Wenn klassische Stücke des Lehrplans Selbstläufer werden, heißt das dann, dass zeitgenössische Autoren lieber nur verhalten im Nischenprogramm inszeniert werden sollten? Die Angst vor einer Veränderung der Bildungs- und Kulturinstitution im Sinne eines Verlustes von Qualität und Anspruch scheint allgegenwärtig und wird als Argument aufgeführt gegen eine zu starke Beteiligung anderer. Das ist nachvollziehbar und in gewisser Weise gerechtfertigt, denn jedem Theater steht es in seiner Beauftragung frei, nach seiner Überzeugung künstlerisch zu gestalten (zumindest in dem Maße, das von den Trägern gewünscht, erwartet und geduldet wird). Für eine Zukunftsfähigkeit des Theaters scheint jedoch eine größere Eigenverantwortung des Publikums angebracht, die mit einer Stärkung der Selbstbestimmung zusammenhängt. Natürlich zeichnet sich das Publikum nicht durch ein einheitliches Meinungsbild aus, die Heterogenität der Ansprüche, Wünsche und Erwartungen ist enorm und flexibel. Meinungen können sich ändern, Geschmäcker sich entwickeln und Haltungen verfestigt oder aufgeweicht werden. Ein Ausweg aus dieser Situation könnte eine stärkere Orientierung an unterschiedlichen Zielgruppen sein: Es gibt die Menschen, denen kein Stück zu klassisch, keine Inszenierung zu konservativ sein kann und es gibt diejenigen, die sich jedes Mal aufs Neue überraschen lassen wollen und keine Provokation scheuen und es gibt die, die wahrscheinlich größte Anzahl, die sich in der Bandbreite dazwischen verorten. Die Landesbühnen scheinen zu versuchen, ihre künstlerische Arbeit daran auszurichten, so halten sie klassische Stoffe und zeitgenössische Erstaufführungen, unterschiedliche Inszenierungsstile und ästhetische Handschriften im Programm. Gleichwohl gibt es eine sehr große Anzahl an Menschen, die sich weder dem einen noch dem anderen zuordnen lassen und sich auch nicht in der Mitte wiederfinden, weil sie schlichtweg noch keine Erfahrungen oder noch zu wenige gemacht haben, um eine eigenverantwortete Meinung auszubilden. Für diese Menschen neue Möglichkeiten zu eröffnen, das ist eine originäre Aufgabe für die Theater, die sich einer Teilhabeorientierung verpflichtet fühlen. Wie kann aber dies geschafft werden und was wären die Auswirkungen? Konzentrierten sich die Theater auf eine Zielgruppe, bestünde natürlich die Gefahr, dass andere wegfallen – doch ist dies wirklich eine Gefahr oder wäre es nicht einfach konsequent? Eine Spezialisierung braucht eine geeignete Nische und die notwendige Unterstützung, sich dieser widmen zu können. Ob und wie eine konsequentere Zielgruppenorientierung, also eine Berücksichtigung der Wünsche und Bedürfnisse und eine Beteiligung des Publikums nicht auch vorteilhaft sein könnte, wird mit Berufung auf die Negativaspekte meist nicht einmal diskutiert. Dabei könnte die Auseinandersetzung mit einer bestimmten Zielgruppe, eine Beschäftigung mit deren Problemen, Themen, Wünschen, Ängsten, zu einer besseren Wahrnehmung und Reflexion gesamtgesellschaftlicher Strukturen führen und das Theater als Ort gesellschaftlicher Auseinandersetzung stärken, insbesondere wenn diese Orientierung eine partizipatorische Arbeit grundsätzlich mitdenkt. Die Ausrichtung hin zu einer Zielgruppe heißt nicht, diese schlichtweg mit dem zu bedienen, was vielleicht erwartet wird, sie beruht auf einer Auseinandersetzung mit der Lebenswelt dieser Menschen. Eine Annäherung zwischen Theater und Publikum muss sich nicht in gefälligen Spielplanentscheidungen äußern; wenn dem Publikum eine vielschichtigere Mündigkeit und Eigenverantwortung zugestanden wird, könnte

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auch eine neue Beteiligung erreicht werden: Sowohl durch ein gezieltes Ansprechen und Kennenlernen der großen Anzahl an Menschen, die bislang (noch) nicht durch die Theaterarbeit der öffentlich getragenen Bühnen erreicht werden, als auch durch eine aktive Beteiligung des Publikums an kreativen Prozessen durch partizipatorische Zusammenarbeit. Ein solches Zugeständnis funktioniert nur über ein gegenseitiges – und wieder wird es benannt – Vertrauen. Dieses kann zu mutigeren Entscheidungen führen und zu einer stärkeren gegenseitigen Zuneigung beitragen. Das Publikum braucht, so drückt es Naemi Keuler in Memmingen aus (vgl. Schröck 2018a), ein Fürsprechertum. Es darf nicht nur auf seine Besuchstätigkeit reduziert wahrgenommen werden, sondern sollte in seiner Komplexität wertgeschätzt werden; die Pflege einer Beziehung beruht auf Gegenseitigkeit und auch in diesem Falle auf Freiwilligkeit. Das Theater muss sich ebenso auf ein solches neues Verhältnis einlassen, wie das Publikum es auch tun müsste. Und selbstverständlich gilt auch hier: Zuschauer soll auch einfach Zuschauer bleiben dürfen – denn wie jedem Akteur innerhalb der Theaterlandschaft muss auch dem Publikum eine Wahlfreiheit eingeräumt werden, mit wem und in welcher Weise für welche Absicht es Beziehungen aufbauen möchte. Partnerschaften zur Gemeinschaftsbildung

Überzeugungen und Wünsche, Situationen und aktuell wichtige Themen, eben Aspekte seines gesamten Umfelds und Alltags bringt das Publikum mit und daraus ließen sich im Sinne des Vermittlungsprinzips Partizipation gegenseitige Prozesse anstoßen, was dazu führen könnte, dass die nicht-berufsmäßig im Theater involvierten Menschen nicht auf ihre Rezipientenrolle reduziert, sondern in einem produktiven Sinne als Mitspieler, Zulieferer, Produzenten wahrgenommen werden (vgl. Kapitel 2.2.2). Es geht also um eine neue Zuschreibung, weg von der Passivität hin zu einer aktiveren Beteiligung. Das Aufspüren von Geschichten, die Reflexion von Geschichte, ein neues Inbezugsetzen der Wünsche und Herausforderungen einer Gemeinschaft, das Wahrnehmen von gruppenspezifischen Dynamiken, all das wären mögliche Strategien für eine neue produktive Zusammenarbeit. Eine solche Ausrichtung der Theaterarbeit kann einen neuen Zugang zum Publikum ermöglichen, indem Relevanz hergestellt wird – wenn mit der notwendigen Sorgfalt vorgegangen wird, sich den Menschen außerhalb des regulären Theaterbetriebs vor Ort respektvoll und interessiert genähert wird und die Bereitschaft besteht, auch die eigenen Kategorien von „gut“ und „richtig“ zu überprüfen. Ein Überstülpen von Ideen, Arbeitsweisen und künstlerischen Formaten kann, wenn überhaupt, nur kurz und sporadisch gelingen; dass es entscheidend ist, die Zielgruppe und die Menschen, die zur Beteiligung eingeladen werden, zu respektieren, macht (gutes) Kinder- und Jugendtheater erfolgreich vor und zeigen es die beispielhaft benannten Komplizenschaften. Diese Untersuchung zeigt auf, wo und wie die Landesbühnen sich punktuell trauen und die Möglichkeit haben, sich auf das Publikum einzulassen und ihm einen Teil der Verantwortung und Gestaltung zu überlassen. Hier ist jedoch noch sehr viel Ausbaupotenzial. Andere Akteure, vor allem im Freien Theater, scheinen in dem Feld erfolgreicher zu sein, auch weil sie etwas mehr Gestaltungsfreiheit in diesem Bereich zu haben scheinen: Eine tatsächliche faire Zusammenarbeit benötigt Zeit, Geduld und Freiraum im Denken und Gestalten; Ressourcen die überall und immer knapp zu sein scheinen. Wichtiger ist jedoch die Haltung und die Entscheidung, sich auf etwas Neues einzulassen, die Möglichkeit einzuräumen, dass ein Vorhaben unter klassischen Maß-

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stäben scheitern könnte, ebenso wie es vielleicht eine neue Entwicklung anstoßen oder voranbringen könnte: Es geht nicht darum, mit Laien den professionellen Betrieb nachzuahmen, sondern gemeinsam eine neue Sprache zu entwerfen und eine gegenseitige Übernahme zu ermöglichen. Auch wenn ein Theater sich der Lebenswelt annimmt, recherchiert, aufgreift, nachfragt und sich mit diesen Ergebnissen und den vorhandenen Artefakten eines Ortes auseinandersetzt, etwas Neues und Gemeinsames entsteht erst in dem Moment, in dem sich eine Dorfgesellschaft dem so entstandenen Kunstwerk bemächtigt, es weiterführt, verändert und es sich zu eigen macht (vgl. dazu erneut die Beschreibungen Micha Kranixfelds in Kranixfeld u. a. 2018 und Kranixfeld 2019b.). Ein solcher Prozess erfordert Momente der Teilgabe, des Abtretens von Verantwortung, Deutungs- und Entscheidungshoheit. Dabei kann es auch zu einer Vermischung der Funktionen von Theater kommen: Das Projekt kann lehrreich sein, es kann den Kunstbegriff erweitern, es kann dazu führen, dass sich Kunst und Alltag einander annähern und die Darstellenden Künste als soziale Praxis verstanden und gelebt werden können. Dort wo sich inhaltliche, ortsspezifische und Aspekte des gemeinschaftlichen Zusammenlebens verbinden, könnten neue spannende Formate entstehen, die auch in ihrem künstlerischen Eigenwert wahrgenommen werden sollten und den Qualitätsdiskurs bereichern könnten (vgl. dazu Kapitel 2.2.4). Unterschiedliche Expertisen können solche Arbeitsweisen unterstützen: Die Vielfalt der breitenkulturellen Arbeitsweisen und Darstellungsformen bietet zahlreiche Ansatzmöglichkeiten für ein gemeinsames kreatives Suchen und Gestalten. Verhindert wird ein Zusammenkommen zwischen professionellem Theater und Breitenkultur gerade in der Provinz durch die vorhandenen und oft betonten Vorannahmen: So wie die Institutionen der „Hochkultur“ oftmals etwas abwertend auf die Amateurkunst zu blicken scheinen, werten auch die Akteure der Breitenkultur das eigene gestalterische Tun nicht unbedingt als „Kultur“ oder „Kunst“, die Abgrenzung zu dem, was in den professionellen Betrieben geschieht, scheint beiderseitig ziemlich gefestigt. Bestenfalls vorsichtige Berührungspunkte werden in institutionalisierten Formen gesehen und in der Praxis erprobt, wie der schon als Routine geltende Einbezug eines Laien-Chores in eine Bühnenproduktion des Theaters. Durch die Einhaltung der Genre-Grenzen kommt auch niemand in die Verlegenheit, über Qualitätsunterschiede nachzudenken, oder zu thematisieren, gar erklären zu müssen, warum, mit welcher Absicht und wie beispielsweise ausgerechnet in einer bestimmten Produktion gewisse Rollen durch Amateurschauspieler besetzt wurden. Eine Überwindung dieser Zuschreibungen und somit ein offeneres und gleichberechtigteres Austesten von neuen Dingen kann erreicht werden durch das Aufheben der Machtpositionen bereits in der konzeptionellen Ausrichtung einer Zusammenarbeit. Die Methode des JES, ausgebildete Schauspieler und Jugendliche auf einem für beide Seiten unbekannten Terrain zusammenzuführen, ist hierfür ein Beispiel (vgl. Kapitel 2.2.5). Je nach Betrachtungsweise kann man ein solches Projekt als künstlerisches Experiment ansehen oder die dadurch in Gang gesetzten Lernprozesse betonen und betrachten. Die Fokussierung auf die gemeinsame künstlerische Arbeit muss nicht zu einer Verleugnung der dadurch entstehenden Effekte führen, ebenso wenig, wie die Betonung der positiven Auswirkungen auf die Beteiligten der Qualität des Kunstwerks einen Abspruch erteilen muss. Ohne in die Schieflage zu geraten, Theater instrumentalisieren zu wollen, gilt es, sich zu vergegenwärtigen: „Theater war immer Teil der alltäglichen

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Kommunikation [...] Theater ist weit mehr als eine Kunstform“ (Warstat u. a. 2015, S. 17 f.). Sich darauf zu besinnen, ist für eine Reform des jetzigen Zustandes entscheidend. Die Autoren des gerade zitierten Buchs, das sich dem Applied Theatre widmet, appellieren dazu, anzuerkennen: „Es ist möglich und fruchtbar, professionelles Theater zu machen, ohne sich dabei ständig auf die Kunst zu berufen“ (ebd., S. 19). Die Zuwendung zu dem, mit neuem Selbstbewusstsein ausgestatteten, Publikum könnte auch zu einer Stärkung der Legitimation öffentlich getragenen Theaters beitragen. „Je weniger Verständnis in Zeiten schrumpfender öffentlicher Haushalte für die Kunstförderung aufgebracht wird, desto mehr geraten Künstler unter Druck, ihrer Arbeit einen Nutzen für die Gesellschaft zuzuschreiben“ (ebd., S. 10). Ein solcher Nutzen könnte auch sein, durch eine neue, für die Menschen relevante Theaterarbeit, Partizipation zu ermöglichen, Gemeinsinn zu stärken und im Sinne einer kulturellen Teilnahme und Teilhabe, diese zur eigenen Kreativität und zu gesellschaftlicher Beteiligung zu ermutigen11 – und im Umkehrschluss, durch gegenseitiges Teilgeben und Lernen die Strukturen der Institutionen zu verändern. Die „Anwendung“ von Theater wäre dann, durch partizipatorische Arbeit, im Verständnis einer Tribalisierung des Theaters, eben diese Theaterlandschaft neu zu gestalten und würde dazu führen, dass sich die Darstellenden Künste über sich selbst neu verständigen (müssten). Vor allem in der Provinz könnte so eine neue Anerkennung für Theater geschaffen werden, eine neue Bedeutungszuschreibung entstehen und das Selbstwertgefühl, die Mündigkeit aller Beteiligter, der Theaterinstitutionen und des Publikums als Öffentlichkeit, gestärkt werden: „Wir sind auf dem Land, wo es nicht für selbstverständlich gehalten wird, dass Menschen künstlerisch tätig sein sollten. Dass Kunst nicht nur kostet, sondern einen wertvollen Beitrag zur gesellschaftlichen Veränderung beitragen kann, wird hier nicht gleich gesehen. Aber die Hingabe, die entsteht, wenn Menschen in ihrem eigenen Ort Theater machen, ist überwältigend. Wenn 270 Menschen durch ein Theaterprojekt gemeinsam einen Teil ihrer eigenen Geschichte erzählen, mit den tausenden von Absprachen [...], liegt allein darin schon ein Mehrwert. Sie fühlen sich verantwortlich und werden zu Gastgebern für das Publikum aus anderen Orten“ (Hallmayer zitiert nach Kranixfeld 2019a, S. 127). Regionale Vielfalt für künstlerische Vielfalt

So heterogen wie das Publikum, so vielfältig seine Geschichte und Geschichten – die Vielfalt in einer Region bietet ideale Voraussetzungen auch für eine künstlerische Vielfalt und eine Vielheit an Formaten der Darstellenden Kunst. Der rote Faden dieser Untersuchung ist die Beschreibung der Theaterlandschaft als eine Verflechtung unterschiedlicher Akteure und eben dieses Netz unterstützt die Hinwendung der Theater zu dem Publikum innerhalb einer Komplizenschaft. Freiwilligkeit, die Akzeptanz unterschiedlicher Expertisen und die gemeinsame Zielfindung ist dabei, wie bei allen gelingenden Kooperationen, unerlässlich. Nicht jeder Landwirt muss seinen Lebenssinn in der Kreation avantgardistischer Performances suchen, nicht jeder Opernsänger muss als Mediator auf der Kuhweide Nachbarschaftsstreitereien schlichten. Nicht jedes Theater muss die Darstellende Kunst neu erfinden und keine Institution sollte sich ge-

11 Und weniger im Sinne einer pädagogischen oder erzieherischen Funktion, wie beispielsweise das schon plakativ als Standardbeispiel eingebrachte „Anti-Drogen-Stück“ des Jugendtheaters oder die theaterpädagogische „Gegen-Mobbing-Kampagne“ für Kinder.

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zwungen fühlen, wider seiner künstlerischen Überzeugung zu handeln. Als „Experten des Alltags“ können professionelle Darsteller ebenso gelten wie nicht-professionelle, je nach Beschreibung des Expertentums. Die Erfahrungen und Erlebnisse der Menschen einer Region, als kollektive Erinnerung, können nicht nur dazu beitragen, sondern dafür sorgen, dass Theater seinem gesellschaftlichen Auftrag auch als politisches Theater gerecht wird. Die Landesbühne Niedersachsen Nord und das „Das Letzte Kleinod“ haben dies mit dem Projekt „Fliegeralarm“ auf besondere Weise gezeigt. Abgesehen von der zeitgeschichtlichen Erinnerung macht dieses Projekt deutlich, dass nicht nur die Menschen und Geschichten von Orten Inhalte bieten für eine künstlerische Auseinandersetzung; auch die Orte selbst bieten sich an, können Anlass und Gegenstand sein, für ein gemeinsames Erarbeiten und auch Verarbeiten (vgl. Kapitel 4.4.2). Vielfalt zeigt sich auch in Interdisziplinarität und der Aufweichung von Grenzen – im ländlichen Raum ganz normal, die Spezialisierung ein scheinbar städtisches Phänomen. Exemplarisch betrachtet Naemi Keuler in der Publikation „Theater in der Provinz“ das Amateurtheater in Baden-Württemberg und stellt fest: „Somit wird die Beobachtung gemacht, dass bürgerschaftlich Aktive im Amateurtheater in der Regel auch mindestens einem zweiten lokalen Verein angehören [...] und sich dort engagieren. Demnach ist davon auszugehen, dass die Überschneidung [...] sich auch auf die Bevorzugung bestimmter Muster in Kunst- und Kulturformen auswirkt. Dazu passend ist die Hypothese, ‚Kunst existiere nicht auf dem Land‘. Diese Aussage ist völlig unzutreffend. Hingegen ist real, dass die Vielfalt und Nachfrage lokal beschränkt ist. Je weniger Einwohner eine Region [...] hat, desto weniger spezifisch ist die Nachfrage nach spezielleren Angeboten. Weniger Zuschauer für besondere Kunstformen sind das Resultat. Doch Kunst existiert auf dem Land wie in der Stadt, sofern man Kunst mit den folgenden Schlagworten belegt: ‚Provokation, gesellschaftliche Strahlkraft, Subjektivität, Erklärung von Kunst durch Rezipienten‘“ (Keuler 2019, S. 166). Eine Überwindung von Sparten-Denken, verbunden mit der Abkehr von einer vorverurteilenden Klassifizierung der Qualität scheint vor allem für die Arbeit in der Provinz sinnvoll und anzustreben – wird jedoch durch die momentanen Strukturen und den vorherrschenden Zwang, sich einzuordnen, erschwert und unterbunden. Eine zu starre Kategorisierung wird der Realität nicht gerecht. Die Vielfalt und Diversität der künstlerischen Ausdrucksformen und der Menschen mit ihren Wertvorstellungen, Ideen, Kunstverständnissen und kulturellen Prägungen sollten nicht hinderlich sein, sondern als Chance begriffen und ergriffen werden. Diese Tatsache wird auch von Kulturschaffenden erkannt und als problematisch beschrieben, beispielsweise während des Symposiums „Theater als soziale Räume der Öffentlichkeit“, in dem sich ein Podium den Perspektiven für eine Theaterarbeit im ländlichen Raum widmete: „Das Raster der Förderinstrumente hinterlässt für die Kulturarbeit im ländlichen Raum zu viele weiße Flächen und verbunden mit der Machtsituation der Förderstrukturen können dadurch eine Konkurrenzsituation und Missgunst entstehen, die für eine gemeinsame Kulturarbeit in der Region schädlich sind“ (Schröck 2017a). Die Landschaft der Darstellenden Künste, als in sich geschlossenes System, mit scheinbar eindeutigen Rollen- und Funktionszuschreibungen der Akteure, steht im Widerspruch zu der Realität und der idealen Vorstellung einer vielfältigen Kulturlandschaft. Kulturpolitik wird den hier beschriebenen Anforderungen und Entwicklungen

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nicht mehr gerecht, die Reduzierung von Kulturpolitik auf Förderentscheidungen verhindert, dass sich die Strukturen entsprechend der Gegebenheiten ändern und der Vielfalt nicht nur gerecht werden, sondern diese auch befördern: Vielfalt als Programm ist kein Teil des Modellbaukastens für eine Reform des Theaters, sondern bestimmt ihn grundlegend. Dass den Landesbühnen ein Arbeiten in diese Sinne, vernetzend, partizipatorisch, Potenziale von Komplizenschaften nutzend, weitestgehend verwehrt bleibt, wurde durch diese Untersuchung deutlich. Selbst wenn der Wille vorhanden und das praktische Know-how ausreichend wäre, um künstlerische Vielfalt und das Prinzip Partizipation neu zu verbinden, bremst sie dreierlei aus: Ihr Auftrag, ihr Pflichtbewusstsein gegenüber diesem und die Rahmenbedingungen ihrer Arbeit. Es liegt an ihnen, ihre Pflicht gegenüber der Beauftragung so weit wie möglich auszulegen und so neue Ansätze auszutesten. Die Erwartungshaltung zu modifizieren, die Gesamtsituation zu verbessern und sich selbst eine neue Rolle und Position in der Theaterlandschaft zuzugestehen, liegt in gewissem Maße in ihrer eigenen Hand, doch sie können nicht alleine in die Verantwortung gezogen werden.

5.4 R EFORM DES T HEATERS DER K ULTURPOLITIK ?

ALS

R EFORM

Die gesamten bisherigen Darstellungen und Überlegungen führen zu der Schlussfolgerung: Eine Reform des Theaters in Deutschland ist nur möglich durch ein neues kulturpolitisches Denken und Verständnis. Anhand des Gegenstands wurde Kulturpolitik als Politikfeld untersucht, wurden Konzepte dargestellt, praktische Umsetzungen befragt und es wurde versucht, die damit zusammenhängenden Prozesse zu erklären. Ansatzpunkte für mögliche Reformen wurden aufgezeigt und ebenso Beispiele anhand derer bereits im Kleinen Veränderungen angestoßen werden. Die Ergebnisse machen deutlich, dass die Rahmenbedingungen geändert und die zugrunde liegenden Prämissen auf den Prüfstand gestellt werden müssen. Die Strukturen der Landschaft der Darstellenden Künste werden von kulturpolitischen Absichten, Verantwortungszuschreibungen und festgelegten Mustern gestaltet, sind von diesen abhängig – sollten aber gleichermaßen ihrerseits einen Einfluss ausüben können, wenn man die Akteure im Sinne dieser Untersuchung auch als kulturpolitisch Handelnde begreift. Kulturpolitische Leitformeln, Realpolitik und die Praxis der Darstellenden Künste scheinen nur teilweise übereinzustimmen. Sie reagieren zwar aufeinander, doch können sich auch behindern, wie diese Analyse exemplarisch anhand des Konstrukts der Landesbühnen gezeigt hat. Eingesetzt und gedacht als kulturpolitisches Konzept für Partizipation, sorgt ihre eigene restriktive Situation dafür, dass sich eine Konzeption von Partizipation im umfassenden Sinne weder entwickeln noch tatsächlich umsetzen lässt. Für eine Weiterentwicklung der Theaterlandschaft wäre es sinnvoll, Theaterpolitik als eigenständiges Politikfeld wahrzunehmen und zu stärken, um sich dann anderen Feldern anzunähern, Verbindungen zu suchen und Schnittstellen zu öffnen. Die Darstellenden Künste zeichnen sich durch besondere Spezifika aus, die es zu berücksichtigen gilt, wenn man konzeptionell über sie nachdenkt und Veränderungen initiieren will. In dieser Arbeit wurde versucht, diese Mehrdimensionalität von Theaterarbeit zu

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skizzieren, die sich beispielhaft im Spannungsfeld von Theater als Kunstform und sozialer Praxis oder der starken Ausdifferenzierung in unterschiedliche Arbeits- und Organisationsformen äußert. Theaterpolitik hat sich dementsprechend zu gestalten. Sie muss mehr sein als eine Kunstförderpolitik; denn als solche wahrgenommen und darauf reduziert zu werden, hat unweigerlich zur Folge, dass ein Systeminfarkt über kurz oder lang vehementer die Theaterlandschaft aus der Bahn werfen könnte denn je. Solange es keinen Grundkonsens über die Legitimation öffentlich geförderter Theaterarbeit gibt, der gesellschaftlich begründet werden kann, wird das Theater als Gattung und als institutionalisierte Kunstform in Haushaltsdebatten argumentativ immer den Kürzeren ziehen. Theaterpolitik sollte auch noch stärker als Kulturpolitik allgemein als Querschnittsaufgabe wahrgenommen werden; wenn sie sich nicht nur als Gesellschaftspolitik, sondern explizit auch als Bildungs- und Sozialpolitik verstünde, wäre ein ressortübergreifendes Arbeiten vielleicht einfacher. Gleichwohl sollte sie dadurch keinen willkürlichen Charakter erhalten, sondern den Darstellenden Künsten mit ihren vielen Ebenen gerecht werden und nicht vergessen, dass eben die Theaterkunst mindestens genauso wichtig ist wie die anderen Bereiche. Eine komplexe Aufgabe, die eine klare Positionsbestimmung einfordert. Teilhabe und Teilnahme als Kernaufgabe begreifen

Ein solches neues Verständnis würde helfen, eines der elementarsten Grundprobleme der Theater in ihrer Arbeit und Ausrichtung zu überwinden: Teilhabe oder Teilnahme, Kunst zum Rezipieren oder Angebote zum Partizipieren? Die Frage der Abgrenzungen, entweder Kunst oder Nicht-Kunst, würde in diesem Sinne zwar nicht gelöst werden, die behauptete Unvereinbarkeit des Tuns würde jedoch obsolet. Wenn Theater grundsätzlich beides, die Darstellende Kunst und die Partizipation als ihre Hauptaufgabe betrachten würden und könnten – und dafür braucht es eben auch ein klares theaterpolitisches Bekenntnis – würden sich bestimmte Hemmnisse in neue Handlungen verwandeln lassen. Bezogen auf den Gegenstand würde dies eine neue Freiheit in der Ausgestaltung des Auftrages bedeuten: Landesbühnen müssten sich nicht mehr ausschließlich auf die Erarbeitung von gastspielfähigen Produktionen konzentrieren, sondern bekämen die Möglichkeit, sich anderen Formaten verstärkt zu widmen. Natürlich ist dies – und das wurde aufgezeigt – bereits ansatzweise gelebte Praxis, allerdings fehlt bislang die grundsätzliche Freiheit und eine Aufforderung dazu. In einer weiteren Konsequenz würde eine solche Setzung die Etablierung einer neuen Theaterform anstoßen können – diese Idee wird als abschließende Überlegung ausformuliert werden. In der Praxis der Theaterlandschaft sind die Akteure bereits bemüht, teilhabe- und teilnahmeorientiert zu denken und zu arbeiten. Strategien des Audience Developments setzen hier an, ebenso der Versuch, mit Zielvereinbarungen die Hauptaufgaben und Verantwortungsbereiche einer Institution neu zu beschreiben. Dies kann jedoch nur bedingt erfolgreich sein, wenn sich dementsprechend nicht auch die Strukturen und Rahmenbedingungen ändern: Der Modellbaukasten für Veränderungen bleibt auf der Strecke, wenn niemand dazu in der Lage versetzt wird, die Werkzeuge zu verwenden. Wenn die Aufgaben und Funktionen in ihrer Vielschichtigkeit wahrgenommen, akzeptiert und gefördert würden, wäre viel gewonnen: Die Theatermacher müssten sich nicht rechtfertigen, weder in die eine oder andere Richtung, also nicht für „zu wenig Kunst“ oder „zu viel Partizipation“ oder umgekehrt. Weder sie noch die Träger und Geldgeber müssten sich demnach sorgen, dass die Theater ihre „eigentliche“ Aufgabe vernachläs-

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sigten. Problematisch bleibt eine adäquate Beschreibung einer solchen Theaterarbeit, aber auch hier werden und würden sich Kriterien und ein entsprechendes Vokabular finden lassen, schließlich wäre auch diese Entwicklung ein Prozess, den es zu begleiten gelte. Eine solche theaterpolitische Neubewertung von Kernaufgaben hätte zur Konsequenz, dass sich auch Bereiche von Zusatzaufgaben, von Projekten der „Ausnahme“, des „Sonder“ neu definierten. Die vorhergehenden Gedankenschritte aufgreifend, muss auch bei einer solchen neuen Ausrichtung deutlich werden, welcher Akteur für was von wem welchen Auftrag erhält, oder sich selbst dafür verantwortet. Theaterpolitik müsste eine klare Position einnehmen, als Vermittler fungieren und Findungsprozesse ermöglichen. Nicht jede Institution sollte und müsste Partizipation als neue Hauptaufgabe verinnerlichen, eine begründete Klarstellung von Zuständigkeiten könnte jedoch Erwartungshaltungen und Handlungsmöglichkeiten besser vereinbaren. Bezogen auf die Landesbühnen, um auch hier beispielhaft zu bleiben, wäre eine zu treffende Entscheidung und Festlegung, ob (diese bestimmte, einzelne) Landesbühne fungieren sollte als günstige Möglichkeit der Grundversorgung oder als Impulsgeber für regionale Entwicklung; als Kunstlieferant oder als Schnittstelle zur Breitenkultur; als erzieherische Bildungsinstitution oder als ein Ort des Empowerment, das eine aktive kulturelle und gesellschaftliche Teilnahme befördert. Ein Theater mit neuer Kernverantwortung könnte sich von der Orientierung am Angebot, am Produkt, tatsächlich hinwenden zur Partizipation, zum Publikum im weiten Sinne, damit noch einen Schritt weiter gehen als bisher und den Zwiespalt überwinden, der bislang so vieles zu verhindern scheint (vgl. Kapitel 4.3.4). Ein Zusammendenken von Teilhabe und Teilnahme als gleichberechtigte Ausrichtung neben der Kunstproduktion und ästhetischen Auseinandersetzung als Aufgabe der öffentlich geförderten und finanzierten Theater, hätte auch Auswirkungen auf die Beziehungen innerhalb der Theaterlandschaft, denn schließlich würde ein solches Prinzip die bestehenden Verhältnisse durchmischen: Dann hätte beispielsweise ein Theater, das sich auf partizipatorische Arbeit ausrichtet, die gleiche Existenzberechtigung wie ein Theater, das sich hauptsächlich einer Ästhetik widmet, die nur für einen bestimmten elitären Kreis ansprechend ist. Die interne Einordnung nach Qualität oder (angeblicher) Relevanz müsste somit nach neuen Maßstäben erfolgen – und die bislang als „minder“ betrachteten Akteure der Landschaft der Darstellenden Künste müssten so mehr Aufmerksamkeit und Anerkennung erfahren. Damit einhergehen müsste auch eine Neubestimmung, wer als Akteur innerhalb dieser Landschaft gewertet wird, theaterpädagogische Zentren oder soziokulturelle Einrichtungen sind Beispiele für welche, die sich in Grenzbereichen bewegen. Es geht bei diesen Überlegungen nicht darum, Theaterkunst obsolet werden zu lassen, nicht um eine Reduzierung des Anspruchs oder eine Verringerung der künstlerischen Freiheit, sondern um eine Aufwertung von partizipatorischen Konzepten. Das bedeutet nicht, dass jedes Stadttheater die Hälfte seiner Ressourcen auf theaterpädagogische Arbeit umlegen sollte.12 Aber es würde bereits konzeptionell dieser Arbeitsbereich als wichtig postuliert werden und somit den Theatern auch argumentativ die Mög-

12 Obwohl gerade in Bezug auf die Kinder- und Jugendtheatersparten die Forderung nach einer inhaltlichen und finanziellen Gleichstellung mit den anderen Sparten durchaus gerechtfertigt wäre (vgl. Renz 2017), diese Diskussion würde allerdings hier zu weit führen.

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lichkeit gegeben, hier als Andockstelle zu fungieren oder Kooperationen einzugehen. Wenn Zusammenarbeiten dann entstehen, ist wiederum die Forderung an die Träger nachvollziehbar und gerechtfertigt, diese im Sinne der (neuen, erweiterten) Kernaufgabe anzusehen und entsprechende Mittel bereitzustellen. Betrachtet man Partizipation als Prozess von Teilhabe, Teilnahme und Teilgabe, der sich nicht auf die Konstellation Profis und Laien beschränkt, sondern sich auch auf andere Kollaborationen bezieht, hätte ein neues Verständnis, eine neue Anerkennung von Partizipation Auswirkungen auf die gesamte Theaterlandschaft: Zusammenarbeiten gleich welchen Inhalts, gleich welcher Absicht, ob ästhetische Experimente, Eroberung neuer Orte oder die gemeinsame Erprobung neuer Formate hätten eine neue Berechtigung und müssten in diesem Sinne ebenfalls gleichberechtigt mitgedacht werden. Dann wären keine Sondermittel für Kooperationen mehr nötig, weil sie als grundsätzliche Arbeitsweise verankert wären – so wie bereits in diesem Kapitel argumentiert. Solch eine Erweiterung – nicht Ersetzung – der Kernbereiche öffentlicher Theater würde die Netzwerkstruktur der Theaterlandschaft beeinflussen. Die Flexibilität von Netzwerken sorgt eigentlich dafür, dass Akteure sich auch dazu entschließen können, aus Beziehungen und Absichtsverfolgungen auszusteigen; diese Möglichkeit des Aussteigens ist jedoch innerhalb der Theaterlandschaft nur bedingt möglich (wie in Kapitel 2.3.3 dargestellt). Wenn man jedoch Theaterbetrieben die Möglichkeit ließe, sich mehr der einen oder der anderen Aufgabenstellung zu widmen, könnten neue Teilnetzwerke entstehen, welche wiederum neue Beziehungen entstehen lassen könnten. Die dort neu entstehenden Machtverhältnisse würden sich bei einer bewussten Neufassung der Verantwortungsbereiche und Hauptaufgaben markant von der aktuellen Situation unterscheiden: Dass in einer Zusammenarbeit der eine Partner für die Vermittlung, der andere für die Kunst und je nach Schwerpunktsetzung des Projekts der eine oder der andere daher mehr in die finanziellen Verantwortung gezogen wird, wäre damit obsolet. Oder anders formuliert: Theater hätten größere Freiheiten, sich einer Funktion explizit zuzuwenden, ohne sich deswegen rechtfertigen zu müssen. Dann kann ein partizipatorisches Projekt mit der gleichen Ernsthaftigkeit verfolgt werden, wie das Streben nach einer Einladung zum Deutschen Theatertreffen. Eine Anerkennung unterschiedlicher Kernaufgaben könnte hier zu einer Neugestaltung der Beziehungen bis hin zu einer symmetrischeren Ausrichtung, zu einem gleichberechtigteren Miteinander führen. Erprobt und gelebt wird dies bereits in unterschiedlichen Projektformaten, wenn genug Zeit, Geld und Raum dafür vorhanden ist. Eine symmetrische Kommunikation und Beziehungsgestaltung kann nachhaltiger wirken als eine asymmetrische, damit sich aber eine solche ausbilden kann, braucht es nicht nur Neuformulierungen der Auftragsbestimmungen, sondern auch strukturelle Möglichkeiten. Anpassung der Strukturen – Reaktion und Antizipation

Theaterpolitik würde sich mit einer Anerkennung von Partizipation als grundlegendes Konzept für Theaterarbeit inhaltlich positionieren und damit Strukturänderungen anstoßen – umgekehrt müssen sich die Arbeitsbedingungen und strukturellen Rahmungen auch entsprechend der Entwicklungen anpassen. Damit eine Landschaft sich lebendig gestalten kann, braucht es eine anhaltende Spiegelung und Rückspiegelung zwischen Vorstellung und Wirklichkeit, zwischen Erwartungen und Handlungsspielräumen und die Erkenntnis, dass auf Abweichungen in diesem Abgleich reagiert werden muss. Dass dieser Prozess asynchron oder eher unrund zu verlaufen scheint, spiegelt sich

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in den vielfältig zu benennenden Krisen des Theaters, diese wiederum führen zu der Forderung nach grundsätzlichen Reformen. Die Finanzierungsmodelle und Förderprogramme neu zu gestalten, wäre sicherlich ein Ansatz (vgl. beispielsweise Oberender 2017 und Schmidt 2017, S. 127 ff.). Eine damit herbeigeführte bessere Stellung der einzelnen Akteure kann maßgeblich sein: Änderungen im Betrieb können nur umgesetzt werden, wenn die Möglichkeit dazu besteht. Aber das allein reicht nicht aus, es braucht eine klare Verständigung darauf, welche Rolle die Darstellenden Künste in der Gesellschaft übernehmen können, was Theater sein soll und sein kann. Dies müssen die Akteure, die Theater und die Öffentlichkeit aushandeln, Theaterpolitik muss diese Entwicklung wahrnehmen und gegenstandsbezogen darauf reagieren. Wenn sich die Darstellenden Künste und Soziokultur in der Praxis einander annähern, wenn Theaterinstitutionen neue, andere oder verschiedene Funktionen auf einmal übernehmen, müssen Politik und Verwaltung Flexibilität beweisen, Rahmungen anpassen und Notwendigkeiten antizipieren. Ob und wie dies gelingen könnte, diese Debatte wird seit Langem geführt und bringt unterschiedliche Ergebnisse. Ein Ansatz scheint, die Zuständigkeiten neu zu verteilen. Fachbereichsübergreifende Förderprogramme sind eine Möglichkeit, doch auch hier läuft es meist darauf hinaus, dass der eine oder andere Bereich mehr zu sagen hat, seine Intention überwiegt, was meist auch mit den Finanzen zusammenhängt. Außerdem liegt es nicht allein bei der öffentlichen Hand, auch Theater müssen ihre Strukturen den Entwicklungen anpassen: Wenn Partizipation als Konzept innerhalb des Betriebs eine bessere Stellung erhalten soll, muss sich das auch in Hierarchien und im Budget wiederfinden; diese wiederum sind natürlich abhängig vom Geldgeber, aber letztendlich können Zielvereinbarungen ja auch beidseitige Aushandlungen sein. Im Falle der praktischen partizipatorischen Arbeit würde eine solche Strukturanpassung, als Konsequenz aus einer Erweiterung der Kernaufgaben von Theater, darauf reagieren, dass Kunst und Vermittlung mehr zusammen gedacht werden sollten und somit auch dem aktuellen Diskurs der Kulturakteure begegnen. Ausgehend von den Ergebnissen der Analyse und den hier formulierten Schlussfolgerungen, müssten strukturelle Änderungen der Theaterlandschaft die Hybridität der Landesbühnen nutzbar machen, Partizipation als Vermittlungsprinzip stärken und das Publikum in seiner Rolle als Akteur aktiv einbinden. Die Theaterpolitik der öffentlichen Hand muss in die Verantwortung treten, als Mentor und als Wegbereiter das Beziehungsgeflecht bewusst zu beobachten und gegebenenfalls gezielt in die Machtverhältnisse eingreifen. Beispiele für solche regulierenden Eingriffe und für Steuerungsinstrumente wurden aufgezeigt. Die Landesbühne selbst ist in ihrer Konstruktion selbst ein solches, da sie originär dazu gemacht ist, eine bestimmte Position zu besetzen und die entsprechende Rolle zu übernehmen. Eingriffe in die Strukturen müssen immer auch die jeweilige spezifische Situation berücksichtigen. Bezogen auf ein bestimmtes Gebiet, eine Region, könnte die Stärkung bestimmter Akteure zu einem Verlust der Vielfalt führen. Ebenso könnte der gegenteilige Effekt erzielt werden, dass die Vielfalt sich stärker äußern kann, wenn einzelnen Akteuren eine neue Rolle zugesprochen wird, wenn beispielsweise eine neue Anerkennung bestimmter Arbeitsweisen den Akteuren neue Möglichkeiten eröffnet. Theaterpolitik sollte sich der Einflussnahme auf fragile Beziehungen bewusst sein: Einzelne Akteure sollten und könnten gezielt unterstützt werden, doch es darf zu keiner Vereinzelung führen, denn Theaterpolitik muss die gesamte Landschaft der Darstellen-

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den Künste im Blick haben. Gleichwohl darf es dabei auch nicht zu einer Vernachlässigung der Standortspezifität kommen, im Gegenteil, diese sollte noch sensibler als bisher wahrgenommen werden, auch das ist ein Ergebnis dieser Betrachtung. Urbaner und ländlicher Raum, metropole und rurale Gegenden sind mit Augenmaß zu unterscheiden: Weder sollten Gegensätze behauptet werden, die nicht existieren, noch sollten diese künstlich aufrecht gehalten werden, aber genauso wenig darf man die vorhandenen Unterschiede missachten oder als zu gering einschätzen. Theater in der Stadt hat andere Voraussetzungen und gestaltet sich anders als in der Provinz – das heißt aber nicht, dass das eine zu mehr oder das andere zu weniger fähig wäre, zu bieten oder zu erwarten hätte. Das Ungleichgewicht zeigt sich besonders, wenn man die Maßstäbe aufeinander zu übertragen versucht. Verglichen mit der Anzahl an Aufführungen unterschiedlichster Genres kann ein Dorf neben einer Großstadt nur „verlieren“; der gemeinschaftsbildenden Wirkung eines Freilichttheaters am Waldesrand kann eine Landesbühne nur sehr beschränkt nahekommen. Zumindest solange, wie sie und ihre Arbeit an städtischen Idealen gemessen wird und ihr besonderes Zwitterwesen wenig Entfaltungsmöglichkeiten erhält. Vielleicht wäre eine mögliche Anpassung der Strukturen eine neue bewusste Ausdifferenzierung von Landesbühne: Das einfache Kriterium reisen zu sollen, mag vielleicht als eine Eigenschaft des Kollektivums gelten, wird aber den individuellen Bühnen nicht gerecht. Durch diese Analyse zeigten sich prinzipiell drei Formen von Landesbühne auf, die in den Fallbeispielen bereits teilweise angelegt sind. Diese in ihren Besonderheiten zu stärken, wäre ein möglicher Ansatz, damit sie sich entsprechend entwickeln, weiter spezialisieren und in der jeweiligen Profilausrichtung festigen könnten. Das erste Modell entspräche am ehesten der klassischen Vorstellung von Landesbühne: Als Stadttheater von einem Ort aus agierend, mit Abstechern in einem definierten Gebiet, so ausgestattet, dass eine Konzentration auf dieses gelegt werden kann und keine Ausfransung oder ein Verlassen des Spielgebietes aus finanziellen Gründen notwendig ist. Der zweite Typ von Landesbühne könnte sich als wurzelndes Theater verstehen, nicht nur im Sinne einer Verpartnerung mit einer bestimmten Anzahl von Gastspielorten, sondern mit mehreren produzierenden, miteinander verbundenen Standorten. Die dritte Variante wäre die umtriebigste Form, ganz ungebunden, losgelöst von einem Stammsitz, frei agierend, ein reisendes Theater des dezentralen Produzierens. Alle drei Modelle hätten Auswirkungen auf die Theaterlandschaft, verlangten ein neues Denken und eine neue Verantwortung. Es wäre eine neue Spezialisierung, verbunden mit entsprechenden Konsequenzen, die theaterpolitischen Rückhalt und Willen voraussetzt. Ganzheitliche Theaterpolitik statt Segmentierung

Theaterpolitik sollte, bei allen einzelnen Profilbildungen und Einzelfallentscheidungen eine ganzheitliche Strategie verfolgen und eben die gesamte Landschaft der Darstellenden Künste im Blick haben – auch wenn das selbstverständlich erscheint, muss es betont werden. Das heißt nicht, dass es keine Spezialisierung geben darf, im Gegenteil: Vielleicht werden die kulturpolitischen Prämissen eben dadurch leichter zu erreichen, indem man sie schrittweise und teilweise angeht. Eine umfassende Teilhabe und Teilnahme könnte dann durch konkrete Zielgruppenorientierung nach und nach erreicht werden. Konzeptionelle Entwicklungsplanungen im Kleinen, statt sich von der Komplexität der Gesamtsituation abschrecken zu lassen.

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Dass ein Missverhältnis zwischen den Rollen der einzelnen Akteure, deren Handlungsmöglichkeiten und Arbeitsbedingungen und deren Wahrnehmung besteht, zeigen die Darstellungen der Theaterlandschaft in dieser Arbeit anhand der Landesbühnen auf. Die eigentlich machtvollste Position innerhalb des Gastspielmarkts scheinen die Gastspielhäuser und das Publikum zu haben, denn schlussendlich sind diese die Elemente mit den meisten Verbindungen zu anderen Akteuren (vgl. Abbildung 4.2 „Beziehungsgeflecht Theaterlandschaft“), doch auch hier gibt es keine Eindeutigkeit der Rollenzuschreibung: Einerseits entscheiden die Gastspieltheater, was wo und wie oft gezeigt wird und bestimmten damit die entscheidenden Variablen (Raum, Zeit, Publikumskontakt, Kontinuität, Verlässlichkeit) für erfolgreiche Theaterarbeit mit. Andererseits scheinen sie aber aufgrund ihrer Stellung in der Förderlandschaft zu sehr von finanziellen Faktoren abhängig, um diese Macht als Freiheit auszunutzen. Der Finanzdruck bestimmt die Zusammenarbeit mit den Gastspielanbietern. Landesbühnen scheinen eine Vormachtstellung gegenüber anderen zu haben oder zumindest eine gewisse Bevorzugung zu erfahren, diese wird jedoch – indirekt und direkt – durch das Publikum eingeschränkt, da dessen Bewertung (mittelbar oder unmittelbar) machtvoll genug ist, um die Spielplangestaltung, aufgrund der Abhängigkeit von einem vollen Haus, zu beeinflussen. Theaterpolitik scheint diese Verhältnisse noch viel zu wenig zu berücksichtigen. Wenn eingefordert wird, dass Landesbühne mehr künstlerische Vielfalt herstellen soll, dann muss entsprechend nicht nur darauf eingewirkt werden, dass neue Stücke im Stammsitz ausprobiert werden, sondern es muss die Möglichkeit geben, Einfluss auf die Machtbeziehungen zu nehmen. Wenn Landesbühne als Instrument für Teilhabe und für Teilnahme fungieren soll, muss für beide Aspekte Spielraum geschaffen und Verantwortung übernommen werden. Eine ganzheitliche Stärkung der Landesbühnen könnte zu einer Verbesserung ihrer Situation führen, könnte aber auch die Schließung weiterer Ensembletheater mit sich bringen, da die Landesbühne machtvoll genug würde, deren Platz einzunehmen. Wenn Landesbühne einen neuen Ort erobern und bespielen, neue Beziehungen aufbauen würde, dann könnte das dort zu neuen Entwicklungen, aber auch zu der Vernachlässigung eines anderen Partners führen. Dass dies als Dilemma wahrgenommen wird, liegt an der momentanen Omnipräsenz eines nicht zu erfüllenden Anspruchs, Grundversorgung so zu deuten, möglichst allen gleichermaßen auf gleiche Weise gerecht zu werden. Dieser Situation zu entkommen, wäre möglich durch eine neue Auslegung oder eine Neuformulierung des Auftrags. Eine ganzheitliche Theaterpolitik müsste sich abwenden von einem kurzfristig orientierten reaktiven Gestalten: Nachhaltigkeit ist nicht nur ein leeres Wort für die Entwicklung einer Landschaft. Zielvereinbarungen können Richtungswechsel anstoßen – wenn diese aber alle vier oder fünf Jahre, entsprechend einer neuen Regierungsbildung, neu formuliert werden, ist eine kontinuierliche Entwicklung unmöglich. Wenn jedoch eine Vereinbarung ein Selbstläufer wird, dann kann dies dazu führen, dass gar keine Veränderungen mehr möglich scheinen und dementsprechend auch nicht in Angriff genommen werden. Das Problem, wie durch einmalige Förderungen angestoßene Projekte verstetigt werden können, ist und bleibt grundsätzlich. Selbst wenn es Projekte gibt, die von ihrer Einmaligkeit leben, deren Konzeption darauf beruht, vergänglich zu sein, muss die Erwartungshaltung angepasst werden und man darf die Beteiligten nicht in die Pflicht nehmen, so etwas erneut zu wagen oder umzusetzen. Wenn der Theaterpreis des Bundes Häuser auszeichnet, ist das gut gemeint, unterstützt jedoch die

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Wahrnehmung, dass die stehenden Betriebe das wichtigste Element der Theaterlandschaft zu sein scheinen. Es wäre zukunftsweisend, wenn alle Ebenen von Theaterpolitik die Vielfalt der Landschaft tatsächlich wahrnehmen und berücksichtigen würden. Wenn sich alle Akteure der Darstellenden Künste im Sinne eines kollektiven Akteurs zusammenfänden, könnte dieser eine Stimme ausbilden, die auch gegenüber anderen Gehör fände: Sei es in finanziellen Debatten, in der Hinterfragung der Notwendigkeit von Theater für eine Gesellschaft oder auch im gegeneinander ausspielen von Kunst mit anderen Bereichen. Dazu müssten alle Theatermachenden und theaterpolitischen Entscheider dazu bereit sein, gewillt sein, Cultural Governance konkret zu gestalten und die Konzeption von Partizipation als neues Leitbild zu verinnerlichen. Die Frage bleibt, wie Theaterpolitik gezielt und ganzheitlich die Theaterlandschaft verändern könnte. Einige Ansätze wurden hier benannt, konkrete Empfehlungen für eine Umsetzung kann eine wissenschaftliche Arbeit nur eingeschränkt liefern, gleichwohl jedoch neben einer Benennung von möglichen Stellschrauben ein Plädoyer dafür sein, sich den Herausforderungen zu stellen. Das Instrument der Kulturentwicklungsplanung, das immer wieder eine Renaissance erlebt (vgl. Föhl u. a. 2013) und von der Enquete Kultur bezogen auf eine regionale Umsetzung für den Theaterbereich empfohlen wird, wäre ein Ansatz. Verbunden damit ist ein konzeptionelles Denken von Theaterpolitik, welches die hier vorgeschlagenen Punkte berücksichtigt und gleichermaßen spezifisch ausgerichtet das große Ganze nicht aus dem Blick verliert; Theaterpolitik darf weder nur reagieren, noch bestehende Strukturen unter allen Umständen aufrecht erhalten – sie sollte Konzeptionen entwickeln, Umsetzungsstrategien planen und Möglichkeitsräume eröffnen. Die Forderung mehr Theater für mehr Menschen kann ein Schritt in die richtige Richtung sein, man müsste diese aber ergänzen um das „Wo“ und das „Wie“, das „Für wen?“ und das „Mit wem?“. Fragen, die sensibel zu beantworten wären und die zum Entwurf eines neuen Modells von Theater führen könnten.

5.5 D IE Z UKUNFT ( IN )

DER

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EIN NEUER

AUFTRAG ?

Die Landesbühnen mit ihrem Charakter und ihren Erfahrungen als Zwitterwesen haben als Betrachtungsgegenstand Möglichkeiten und Grenzen für die Implementierung von Konzepten zur Partizipation aufgezeigt. Ihre ständige Balance zwischen Anforderungen, Erwartungen und den Arbeitsbedingungen hält sie in Atem; sie fühlen sich ihrem Auftrag verpflichtet, zugleich scheint er eine Entfaltung zu verhindern. Als ewiger Grenzgänger zwischen Stadt und Land, zwischen Orten, die sie mit dem Begriff Heimat verbinden und solchen, an denen sie ein wenig wie ein Fremdkörper wirken, sind sie Diener vieler Herren und versuchen ihre Selbstständigkeit dennoch zu wahren. All die Momente positiver Schaffenskraft, die sich von der üblichen Gastspieltätigkeit abheben, scheinen an die Grenzen des Konstrukts zu stoßen, doch sie zeigen auf, in welche Richtung sich Theater bewegen könnte: Der Nukleus der Theaterlandschaft, das Theater in der Provinz, könnte Ausgangspunkt und Ziel für nachhaltige Änderungen sein. Dabei führen die Überlegungen wieder zurück zum Ausgangspunkt: Den Landesbühnen wird eine bestimmte Regionalität zugeschrieben – aber bei dieser handelt sich eher um eine Beschreibung der Verortung, einen Hinweis auf das Spielgebiet, die Förderung durch und Abhängigkeit von Trägern innerhalb eines bestimmten Gebietes. Es

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gilt jedoch, sich der Bedeutung dieses Begriffs zu besinnen und daraus Konsequenzen zu ziehen. Theater neu in einer Regionalität zu begreifen, ist eine Conclusio der durchgeführten Analyse: Eine Orientierung hin zu der und an der Region wäre eine konkrete Umsetzung einer Konzeption von Partizipation, bei einer gleichzeitigen Reform des Theaters, in seinem Verständnis und in seinen Strukturen, möglich. Die folgenden Überlegungen begegnen damit einer Kritik des Konstrukts Landesbühne und bestimmten Vorverurteilungen bezogen auf das Publikum, also die Menschen, die nicht Teil eines professionellen Theaterbetriebs sind, und wenden diese ins Positive, indem sie genau das nutzbar machen, was in den Vorwürfen verankert ist. Die Argumentation geht dabei aus von Theater als Kunst produzierender Institution, dem Publikum als Ziel der Leitformel „Kultur für alle und von allen“ und der Konzeption von Partizipation als Prinzip. Es geht dabei um die Beschreibung eines neuen Modells mit neuen Arbeitsweisen, das auf einem neuen kulturpolitischen Auftrag beruht, dessen Zielsetzung und Ausformulierung sich aus den Erkenntnissen der Untersuchung speist. Nicht nur für, sondern mit

Eine Ansicht der vornehmlich städtisch verankerten Kulturinstitutionen sei, so Naemi Keuler, „dass der Zuschauer im ländlichen Raum in seinem Kunstverständnis gefördert werden muss, weil es antiquiert und traditionell geprägt ist. Nach unserer Ansicht ist davon auszugehen, dass die Prägung, das Sehverhalten und die künstlerischen Neigungen von Zuschauern wie auch Teilnehmenden stark lokal und regional geprägt sind“ (Keuler 2019, S. 165). Es ist ganz logisch; was der Bauer nicht kennt, frisst er nicht. Um seinen Horizont zu erweitern, gibt es zwei Möglichkeiten: Die Zwangsernährung oder die Neugier auf Neues wecken. Dass es dafür unterschiedliche Methoden gibt, zeigt das Portfolio an Vermittlungsangeboten; dass diese jedoch nur bedingt wirksam sind, sein können, wurde dargestellt. Der Schlüssel kann das Miteinander sein: Wer selbst aktiv beteiligt ist, wer etwas von sich teilgibt, kann eine ganz anderen Bezug zu dem Entstehungsprozess und auch dem Endprodukt entwickeln, auch dies war bereits ein Hauptargument der Ausführungen. Im besten Falle profitieren alle Beteiligten gleichermaßen: „So haben viele Freie Theater längst bewiesen, dass es ein gewinnbringendes Neben- und Miteinander von Produktionen für Menschen und Aktionen und Aufführungen mit Menschen gibt. Durch Nähe zum Alltag der Menschen, Einbindung in die Arbeit von Bürgerinitiativen, Vereinen und politischen Aktionen entsteht ein großer gesellschaftlicher Gewinn“ (Henze 2014, S. 126 f.). Was Peter Henze hier beschreibt, einen neuen „Schulterschluss zwischen Soziokultur und Freier Theaterarbeit (ein uralter Ansatz)“ (ebd., S. 126), ließe sich, wenn man sich den hier beschrieben Herausforderungen stellt, auf andere Akteure übertragen, denn er „verwischt im guten Sinne die Grenzen [...]: Kultur bzw. Theater nicht vornehmlich zu den Leuten ‚bringen zu wollen‘, sondern mit ihnen gemeinsam tätig zu werden, was selbstverständlich auch eigene Produktionen und künstlerische Entwürfe einschließt“ (ebd.). Nimmt man Partizipation und künstlerische Gestaltung als gemeinsame, sich einander befruchtende Kernaufgaben eines öffentlich getragenen Theaters an, könnte man eine solche Arbeitsweise sogar von den Theaterinstitutionen einfordern – respektive müsste sie dazu in die Lage versetzen, sich dementsprechend auszurichten und zu orientieren. Bezogen auf die Landesbühne würde ein solch erweitertes Verständnis zu einem neuen Auftrag führen oder vielmehr Möglichkeiten eröffnen, diesen bezogen auf

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ihr Hauptgeschäft neu zu deuten: Sie könnte dann beispielsweise ihren Fokus verschieben und statt etwas wohin zu bringen, könnte sie eben dort produzieren und zwar unter Einbezug der Menschen vor Ort und unter Berücksichtigung der spezifischen örtlichen Begebenheiten. Natürlich, so ein immer wieder auftauchendes Argument, gäbe es gerade im Ländlichen wichtigere Dinge: Infrastruktur, ärztliche Versorgung, das Gefühl, abgehängt zu sein, von der Stadt und den urbanen Diskursen. Warum und auf welche Weise sollte ausgerechnet (Theater-)Kunst in einer solchen Atmosphäre notwendig sein und angenommen werden? Indem sich die Darstellenden Künste ihrer gesellschaftlichen Verantwortung neu bewusst werden, sich die Institutionen tatsächlich und wörtlich öffnen für neue Ideen, neue Akteure und neue Formate, die auch einen Teil Selbstverlust mit sich bringen können. Eine oft geführte Argumentation während der Gespräche für diese Untersuchung war die Ausrichtung des Handelns an der Herstellung vergleichbarer Verhältnisse, an einer Art Gerechtigkeit bezogen auf die Versorgungsdichte und -art: Die Erarbeitung einer ortsspezifischen Arbeit oder eines partizipatorischen Formats würde nicht nur, weil es eben nicht reisefähig sei, dem Auftrag widersprechen, sondern würde auch einen Ort einem anderen gegenüber bevorteilen. Da jedoch nie alle überall gleichermaßen erreicht werden können, der Fokus auf eine Teilzielgruppe erfolgreicher sein könnte, als eine allgemeine Orientierung, müsste auch hier eine Entscheidung getroffen werden, die es erlaubt, sich konzentriert einem bestimmten Dorf, einer bestimmten Gegend, eben einer bestimmten Region zu widmen. Nur dann wäre es möglich, sich mit der angebrachten Sorgfalt mit den Menschen dort und ihren Anliegen auseinanderzusetzen und – die Bereitschaft eines Mitwirkens vorausgesetzt – gemeinsam Dinge zu entdecken und zu erarbeiten. Dass so etwas funktionieren kann, zeigt das Theater Lindenhof in Melchingen. Es scheint in dem hier dargestellten Sinne genau die Aspekte einer neuartigen Landesbühne zu vereinen und die Probleme der „üblichen“ Landesbühnenarbeit zu überwinden. Natürlich ist dieser Vergleich sowohl ungerecht als auch nicht ganz haltbar: Die Landesbühnen stehen, trotzdem sie als Akteur gewisse Macht ausüben können, in den Zwängen ihrer Beauftragung als Instrument, während die Melchinger sich bewusst und frei als regionales Theater positionieren und sich als solches selbst ermächtigen. Bei aller Entscheidungsfreiheit für ihre künstlerische Arbeit, die grundsätzlich partizipatorisches Arbeiten einschließt, stoßen sie auch aufgrund mangelnder Anerkennung – oder besser: fehlender Kategorisierungen, an Grenzen. „Ich glaube, dass die Chancen von Dezentralität und Vielfalt grundsätzlich unterschätzt werden. [...] Vielfalt und Dezentralität sollte sich auch in der Förderlandschaft spiegeln“ (Hallmayer zitiert nach Kranixfeld 2019a, S. 132), so beschreibt es Stefan Hallmayer und stellt genau die entscheidende Frage: „Aber wer hat den Auftrag, sich um das Land zu kümmern? Bei den Landesbühnen geht es um die sogenannte Bespielung der Fläche. Das ist kein moderner Kulturbegriff. Trotzdem: Die Wanderbühne ist nach wie vor aus meiner Sicht ein gutes Konzept mit Zukunftsperspektive. Aber ist die ‚Bespielung‘ ausreichend? Die Gesellschaft, nicht nur die Kunst, verbaut sich eine Chance, wenn sie nicht fördert, was in den Nischen, in der Peripherie und auf dem Land gedacht und entwickelt wird. [...] Zu glauben, man müsste da kulturell nachbessern und aufklären ist zu kurz gegriffen. Unsere Arbeit ist ein Beweis dafür, dass die Geschichten vom Land fürs Theater taugen. Und dass unsere Welt nicht erzählt ist, wenn man nur Geschichten aus Stuttgart oder Hamburg hört“ (ebd.).

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Es braucht die Wahrnehmung des Gegenseitigen, eine Anerkennung der gemeinschaftsbildenden Wirkung und des Eigenwerts der künstlerischen Prozesse, die durch eine Hinwendung zu der Region entstehen können; denn diese Gegenseitigkeit als Gemeinsamkeit, als Miteinander, kann sowohl für das Theater als auch den ländlichen Raum zukunftsweisend sein. Die Autoren des Buchs „Vital Village“ bringen es auf den Punkt: „Was fehlt, ist ein Paradigmenwechsel in der Kulturpolitik, eine Suche nach den Narrativen der ländlichen Räume und geeignete Strategien zur Stärkung der Gestaltungskraft der Dorfgemeinschaften. [...] Partizipation als Grundprinzip demokratischen Miteinanders ist gleichsam das Grundprinzip jeglicher Breitenkultur – die Dorfgemeinschaften sind seit jeher Labore der Erprobung partizipatorischer Gemeinwesensgestaltung“ (Kegler u. a. 2017b, S. 360). Landesbühnen als (neue) Experten der Region

Hier sind Akteure gefragt, die sich einbringen, sich trauen, auf diese Suche zu gehen und sich einlassen auf eine andere Art des Arbeitens, welche die Selbstbestimmung aller Beteiligten stärkt und zugleich durch die künstlerische Auseinandersetzung eine neue abstrahierende Ebene ermöglicht. „Wo die Breitenkultur mangels Impulsgeber_innen und wegen zentralisierter oder bürokratisierter Fremdbestimmung ihrer Gestaltungskraft beraubt wurde, da sind es Formate und Methoden der Soziokultur oder der partizipativen künstlerischen Prozesse, die zur zeitgemäßen Wiederbelebung der dörflichen Potenziale beitragen können – sofern die kulturpolitischen Rahmenbedingungen gegeben sind, die zur Existenzsicherung und Qualifizierung der Akteur_innen erforderlich sind“ (ebd., S. 360 f.). Ein solche gemeinsame Suche, die als künstlerischer Prozess nach Besonderheiten schürft und gleichermaßen dazu in der Lage ist, aus diesen etwas zu transformieren, was eine Allgemeingültigkeit behaupten kann, verlangt Akteure, die dazu gewillt und dazu in der Lage sind. Die entscheidende Frage ist jedoch, ob die vorhandenen Möglichkeiten die Akteure daran hindern, einen Willen auszubilden, ob der Wille ausreicht, die Möglichkeiten zu ändern oder ob die gegebene Situation einen Stillstand verursacht. Genau hier müsste Theaterpolitik mit der Ausformulierung eines neuen Auftrages für ein neues Theater ansetzen, um eine Veränderung dieses Zustandes herbeizuführen. Die Landesbühnen könnten diese impulsgebende Funktion übernehmen: Sie sind hervorragend vernetzt, schreiben sich selbst zu, enge Verbindungen in die Regionen zu haben. Dass diese sich leider meist auf den Austausch von Dienstleistungen reduziert und mit den Menschen vor Ort nur punktuell und mittelbar in Kontakt getreten wird, scheint dem Bild zu entsprechen, das die Landesbühnen in der öffentlichen Wahrnehmung prägt und was Jens-Erwin Siemssen mit seinem LKW-Vergleich beschreibt (vgl. Schröck 2018a). Dass dies der Landesbühnenarbeit nicht gänzlich gerecht wird, wurde ebenfalls gezeigt; Sensibilität ist vorhanden, Aufmerksamkeit für die Wünsche und Erwartungen bestehen durchaus. Um sich des Bildes der Landesbühnen als Auslieferer einer unpersönlichen Fracht (vgl. ebd.) zu bedienen: Die Landesbühnen wären, zumindest in ihrer unmittelbaren Region und ihrem nahen Umfeld, gut dazu geeignet, mit der ausgekippten Ladung etwas mit den Menschen vor Ort zu bauen – oder, um es noch etwas weiter zu treiben: Beim Einladen etwas aus der Region mitzunehmen, so dass sich nach und nach etwas vermischt. Sie haben die Kontakte und das Wissen außerhalb ihrer eigenen vier (Stadt-)Mauern, könnten dieses intensivieren und in diesem

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Sinne ihre Expertise als Reisebühnen erweitern, in der Funktion als Experten für die Region. Dazu gehört die Wahrnehmung und die Achtung aller Akteure der regionalen Theater- und Kulturlandschaft, das Feingefühl für Themen, Geschichten und Artefakte und die ehrliche Einschätzung der eigenen Rolle innerhalb dieser Regionalität: Solange Landesbühnen oder Theaterinstitutionen generell als Fremdkörper wahrgenommen werden, scheint jede Entwicklung von vornherein verhindert. Als Experte für die Region kann eine Landesbühne in einem neuen Verständnis auch besser entscheiden, welche Funktion sie übernehmen sollte: Wird sie gebraucht als Ort der künstlerischen Auseinandersetzung? Oder als Bühne für die Aushandlung einer regionalen Fragestellung? Geht es hauptsächlich um eine gemeinsame Freizeitgestaltung oder um das Finden einer gemeinsamen Ausdrucksweise? Welche Bedürfnisse werden geäußert, wo kann Landesbühne Unterstützung anbieten und Plattform sein? Das Förderprogramm TRAFO setzt genau hier an: „Während sich die Kulturinstitutionen in den Großstädten seit einigen Jahren mit den Veränderungen der Stadtgesellschaft beschäftigen, stehen die Einrichtungen in kleineren Städten und im ländlichen Raum vor der grundsätzlichen Frage: Was können wir unseren Bürgern überhaupt noch anbieten? Und was brauchen die Menschen, die hier leben?“ (Kulturstiftung des Bundes 2019g). Um die notwendige Nachhaltigkeit herzustellen, darf sich eine solche Ausrichtung nicht als Projektschleife im Dauerlauf verstehen, sondern muss eine eigenständige Verankerung erhalten. Es sollte nicht darum gehen, Strukturen für einander kompatibel zu machen, sondern sich inhaltlich neu zusammen zu finden und entsprechende Strukturen aufzubauen. Die Ausrichtung der Landesbühnen zu verbinden mit dem Vorschlag, Kompetenzzentren für Amateurtheater (vgl. Kapitel 2.2.4) einzurichten, wäre eine Idee, welche ihre Eigenschaft als Schnittstelle innerhalb der Theaterlandschaft stützen würde. Das Expertenwissen könnte auch dazu führen, dass sich Landesbühne bewusst klassifiziert: Ob sie sich weiterhin als Stadttheater mit Reisefunktion definiert, als reisende Bühne, die an vielen verschiedenen Orten produziert oder ein Theater der Koproduktion, das auf die Zusammenarbeit mit anderen baut und Verantwortung abgibt. All diese verschiedenen Formen von Landesbühnenarbeit sind im Ansatz bereits vorhanden, wie die Fallbeispiele dieser Untersuchung aufzeigten – ein klareres Konzept würde helfen, diese Ausrichtungen zu stärken und neu zu begründen. Wenn Landesbühne sich spezialisierte auf die Funktion eines regionalen Theaters im inhaltlichen Sinne, dann könnte etwas entstehen, das, ähnlich dem Nationaltheater in Wales, immer wieder neue Arbeitsweisen, Orte und Beteiligte entdeckt und im positiven Sinne für sich erobert, indem es nutzt, was es dort findet und sich selbst dieser Region hingibt. Eine solche neue Beauftragung könnte auch eine neue Zuständigkeit mit sich bringen, könnte verstanden werden als ein neues, mobiles Bundestheater (vgl. Kapitel 4.4.3). Dieser Vorschlag ginge weiter als die Gedanken von Oberender und Schmidt für den Einstieg des Bundes in die Theaterförderung.13 Diese Vorschläge wä-

13 Schmidt formuliert beispielsweise die Idee einer finanziellen Unterstützung zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen und beruft sich hier argumentativ auch auf die Wirtschaftlichkeit der Landesbühnen: „Mit einer Bundes-Unterstützung der Landestheater [...] würde der Bund nicht nur ein Zeichen setzen und deutlich machen, dass die Landestheater eine wichtige Säule im deutschen Theatersystem sind. Die Landestheater könnten auf lange Sicht ihre Strukturen weiter reformieren, die zumeist hochbelasteten Spieler und Techniker entlasten

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ren Reaktionen auf die momentanen Herausforderungen, sie vernachlässigen jedoch in ihrer Allgemeinheit die Spezifika der einzelnen Bühnen und gehen – mit Blick auf die Beauftragung – nicht weit genug, denn nur eine verbesserte Finanzsituation alleine wird nicht zu einer kompletten Umgestaltung oder einem gänzlichen Neudenken führen, auch dieses Argument wurde in dieser Untersuchung mehrfach ausgeführt und begründet. Ein mobiles Bundestheater müsste nicht alleine vom Bund finanziert sein, auch hier gilt das Prinzip der Aufgabenteilung. Mit einer konkreten Förderung eines solchen neuen Theatermodells wäre auch eine Verantwortung und eine Beauftragung verbunden – die Diskussion, wie dies mit der Kulturhoheit der Länder zu vereinbaren wäre, müsste im Anschluss an diese Arbeit geführt werden. Ein Regionaltheater im wörtlichen Sinne

Grundausrichtung eines solchen Theaters wäre die Regionalität von Theaterarbeit, in dem Verständnis, wie sie sich beispielhaft in der Konstruktion des National Theatre Wales abbildet, das sich auf die regionalen Besonderheiten besinnt, diese als Inspirationsquelle zu nutzen weiß und in die Region hineinwirkt und sich dafür explizit auch in die Provinz bewegt. „Positiv ist der Begriff ‚Provinz‘ zu definieren als Bekenntnis zur kulturellen Eigenständigkeit einer Region. Er gewinnt Kraft und Bedeutung nicht durch Abgrenzung nach außen, sondern durch Öffnung nach innen“ (Immelmann 2002, S. 67), so wird es in der Festschrift zum 50-jährigen Jubiläum der Landesbühne Niedersachsen Nord beschrieben. Theater der Provinz könnte also im positiven Sinne ein Theater meinen, das sich als regional wurzelnd und daraus Wirkung und Sinn ziehend versteht. Mit einem Regionaltheater muss aber keineswegs ein Theater gemeint sein, das ausschließlich in regionalen Gebieten, im ländlichen Raum situiert ist und dort agiert. Es muss auch keine neue Bühne sein, die irgendwo am Deich oder auf der Alm gebaut wird, sondern sollte verstanden werden als ein neues Konzept für Partizipation in den Darstellenden Künsten, das mit Leben gefüllt werden kann durch unterschiedliche Akteure. Die Landesbühnen könnten prädestiniert dafür sein, doch genauso könnten Freie Theater eine solche Aufgabe übernehmen oder es wird eine neue Form konstruiert, die unterschiedliche Arbeits- und Organisationsformen vereint. Der Vorschlag, „das Theaterhaus als neue Form der Landesbühne“ (Schneider 2004, S. 257) zu begründen, „um das Potenzial der Freien Theater zu verknüpfen mit den mobilen Theaterproduktionen der Stadt- und Staatstheater“ (ebd.) geht in diese Richtung, aber nicht weit genug, denn ein Theater der Regionalität müsste Partizipation als Prinzip verankert haben. Ähnlich wie das Riksteatern in Schweden eine Struktur bildet, die unterschiedliche Produzenten, Anbieter und Veranstalter vereint oder auch wie in den Niederlanden, wo die Arbeitsteilung die Konstruktion der Theaterlandschaft ausmacht und trägt, müsste ein neues Regionaltheater durch die Landschaft der Darstellenden Künste gestützt werden. Nur wenn der Zwang wegfällt, möglichst flächendeckend Verantwortung zu übernehmen, sei es durch den Auftrag, die Erwartungen oder finanzielle Gründe, könnte ein Theater regional verankert wirken.

und verstärken und sich dabei auch konzeptionell und inhaltlich weiter entwickeln“ (Schmidt 2017, S. 128).

464 | Landesbühnen als Reformmodell

Diese regionale Verankerung bezöge sich auf die inhaltliche Verantwortung: der Bezug zu den Menschen, das Aufgreifen der Regionalität, in Abgrenzung zu anderen Institutionen; nicht einfach noch eine Variante von Bürgerbühne, denn eine solche Einordnung würde dem hier beschriebenen Konzept nicht gerecht: „Region“ bezeichnet etwas, das durch gemeinsame Merkmale geprägt ist; damit sind eben nicht nur einzelne Personen gemeint, sondern die gesamte Verfasstheit eines Gebiets. Ein Theater, das sich auf die Region beruft, sollte sich allen Artefakten und Gegebenheiten, den Stimmungen und der Atmosphäre bewusst sein, die künstlerischen Ausdrucksformen kennenlernen und anerkennen – der Bedeutung des Wortes „Region“ in konzeptioneller Weise entsprechend. Um die Ernsthaftigkeit der Absicht zu wahren, sollte es zudem vor allem immer wieder neu die Notwendigkeit der eigenen Theaterarbeit befragen – und vielleicht auch zu dem Schluss kommen, dass bestimmte Verbindungen nicht dafür gemacht sind, ewig zu halten. Dann gilt es, diese zu lösen, bevor sie sich zu sehr verhärten und einen neuen Wirkungsort zu suchen. Ein Regionaltheater muss kein „Heimattheater“ sein, in einem Sinne der Verklärung von alten Sagen, der Vergegenwärtigung von Geschichte oder der Bearbeitung von lokalen Geschehnissen. Es könnte aber diese Funktion übernehmen. Wichtig ist dabei die Auseinandersetzung, die Überhöhung des Geschehenen, die Reibung unterschiedlicher Erfahrungen und Erwartungen in ästhetischer und inhaltlicher Hinsicht.14 Um solch ein partizipatorisches Konzept von regionaler Theaterarbeit umsetzen zu können, braucht es ein Selbstverständnis des Theaters, das diese Absicht stützt. Ein Theaterbetrieb, der ausgerichtet ist an dem Drang der Theaterleitung zu einer künstlerischen Selbstverwirklichung, scheint mit einer solchen neuen Funktion nicht vereinbar. Auch die Strukturen innerhalb der Institution müssen dieser Arbeitsweise entsprechen. Wie sich diese gestalten könnten, beschreiben die für diese Arbeit interviewten Intendanten: Das Miteinander ist auch innerhalb des Betriebs entscheidend; Hierarchien und Zuständigkeiten müssten sich der konzeptionellen Idee anpassen. Ein neues Regionaltheater erfinden, das im Sinne einer konzeptionellen Gestaltung in der Region, für die Region, mit der Region arbeitet – dafür braucht es auch die Bereitschaft, Verantwortung und Beauftragung auf mehrere Schultern zu verteilen. Das Theater Lindenhof muss nicht erfunden werden, es hat sich selbst begründet; einige der Landesbühnen scheinen bereit und geeignet für einen neuen Auftrag und vielleicht müssen an der ein oder anderen Stelle ganz neue Strukturen erdacht werden. Wenn man sich löst von dem klassischen Denken, das die Theaterlandschaft noch immer bestimmt, und die hier aufgezeigten Potenziale in der vorgeschlagenen Weise nutzt, könnte etwas entstehen, was Akteure zusammenbringt, statt sie gegeneinander auszuspielen, das Teilnahme, Teilhabe und Teilgabe in „fairer“ Weise umsetzt, weil es dazu die Freiheit und den Auftrag gibt. Das bedeutete aber ganz klar eine Neubestimmung weg von der Top-Down-Orientierung von Theaterpolitik und Theaterbetrieben hin zu einer Bottom-Up-Ausrichtung mit der wirklichen Öffnung für andere und anderes. Wenn man die vorhandenen Landesbühnen, oder einige von ihnen, in eine solche neue regionale Zuständigkeit führen würde, bräuchte es auch den Mut, selbstbewusst weiße Flecken in der kulturellen Grundversorgung hinzunehmen, respektive die Be-

14 Auch hier, zum Abschluss der Arbeit, sei ein weiteres Mal auf das Kinder- und Jugendtheater verwiesen, dass sich gerade diesen Auseinandersetzungen widmet und aktuell den Begriff der Heimat auf die Agenda gesetzt hat, siehe dazu Schneider 2019.

Ein Modell der Theaterreform. Kulturpolitische Herausforderungen | 465

reitschaft, solche zu riskieren, denn die Konzentration auf eine Region lässt sich nicht vereinen mit einer flächendeckenden Verantwortung. Für welche konkrete Ausrichtung, Arbeitsweise, Handschrift sich ein Theater zusammen mit der Region auch entscheidet; es geht bei diesem Modell um ein konzentriertes Theater, dessen Bezeichnung sich konzeptionell begründet. Ein Theater der Region, mit der Region und für die Region, nicht lediglich ein durch die Region finanziertes, obwohl die Finanzierung und Trägerschaft selbstverständlich mit entscheidend ist für die Etablierung und praktische Umsetzung eines solchen Konzeptes. Ein regionales Theater braucht den Rückhalt und die Finanzierung seitens der Städte, Gemeinden und Länder (und vielleicht ebenso des Bundes); regionale Kooperationen sind möglich und keine Seltenheit, sie scheinen aber oft nicht unproblematisch zu verlaufen (vgl. dazu Föhl u. a. 2009). Die spezifischen kommunalen und interkommunalen Herausforderungen zu lösen, ist nicht Aufgabe der kulturpolitischen Forschung, selbst wenn sie anwendungsorientiert durchgeführt wird. Sie kann jedoch Erklärungsversuche liefern und Hinweise formulieren, wie es auch diese Arbeit hier beabsichtigt. Zur Verdeutlichung der hier gewonnenen Erkenntnisse soll abschließend die Abbildung 5.1 „Landesbühnen als Reformmodell“ dienen, die, ausgehend vom Gegenstand der Landesbühnen, Stellschrauben für mögliche Entwicklungen von Theaterpolitik und Theaterlandschaft aufzeigt. Abbildung 5.1: Landesbühnen als Reformmodell                 

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Die Ergebnisse der Untersuchung und die daraus generierten Schlussfolgerungen können als Empfehlungen für zukünftige Prozesse gewertet werden und zu solchen auffordern. Sie sollen darlegen, wo und wie notwendige Reformen angestoßen werden könnten – wie beispielsweise die beschriebene Neuausrichtung, beziehungsweise Etablierung eines neuen Theaters, in der grundlegenden Konzeptionierung orientiert an Partizipation und Regionalität. Die Argumentation dieser Analyse macht deutlich, dass sich kulturpolitisches Handeln und Entscheiden auf Konzeptionen berufen muss, auch um die Gestaltung der Rahmenbedingungen für die Darstellenden Künste daran und nicht nur mit Blick auf die Finanzlage ausrichten zu können. Dafür ist eine klare Ausformulierung von und durchgängige Bekenntnis zu grundsätzlichen Ideen und Überzeugungen entscheidend. Das Verständnis von Partizipation als eine solche prinzipielle Konzeption von Theaterpolitik, die sich äußert und widerspiegelt in konkreten Konzepten von Partizipation in den Darstellenden Künsten, könnte den anhaltenden Legitimationsdebatten Paroli bieten und den Grundstein legen für eine Entwicklung des Theaters in Deutschland. Die daraus resultierenden Herausforderungen müssten von allen Akteuren der Theaterlandschaft gemeinschaftlich in Angriff genommen werden, mit dem Ziel, eine neue Relevanz des Theaters von, für und mit den Menschen herzustellen.

Abbildungs- und Tabellenverzeichnis

A BBILDUNGEN 2.1 2.2 2.3

Akteure im Netzwerk Theaterlandschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 Landesbühne als kulturpolitisches Konstrukt . . . . . . . . . . . . . . . . 157 Skizze Analyserahmen für politische Konzepte . . . . . . . . . . . . . . . 159

3.1

Verteilung der Landesbühnenstandorte in Deutschland . . . . . . . . . . . 183

4.1 4.2 4.3

Auftrag, Arbeitsbedingungen und Selbstverständnis der Landesbühnen . . 291 Beziehungsgeflecht Theaterlandschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 Partizipation im Zwitterwesen Landesbühne . . . . . . . . . . . . . . . . 382

5.1

Landesbühnen als Reformmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 465

TABELLEN 2.1

Dichotomisches Schema in vorläufiger Übersicht . . . . . . . . . . . . . . 51

3.1 3.2 3.3

Landesbühnen-Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 Veranstaltungen vor Ort und eigene Gastspiele . . . . . . . . . . . . . . . 190 Besucher vor Ort und eigener Gastspiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194

Abkürzungsverzeichnis

ASSITEJ Internationale Vereinigung des Theaters für Kinder und Jugendliche. BDAT Bundesverband Deutscher Amateurtheater. GmbH Gesellschaft mit beschränkter Haftung. HLTM Hessisches Landestheater Marburg. ICCPR International Conference on Cultural Policy. INTHEGA Interessengemeinschaft der Städte mit Theatergastspielen e.V.. ITYARN International Theatre for Young Audience Research Network. JES Junges Ensemble Stuttgart. LBS Landesbühnen Sachsen. LTT Landestheater Württemberg-Hohenzollern Tübingen Reutlingen. NRW Nordrhein-Westfalen. SHL Schleswig-Holsteinisches Landestheater und Sinfonieorchester. TfN Theater für Niedersachsen. TUSCH Theater und Schule. WLB Württembergische Landesbühne Esslingen.

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