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German Pages [268] Year 2015
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Eva Reichert-Garschhammer / Christa Kieferle / Monika Wertfein / Fabienne Becker-Stoll (Hg.)
Inklusion und Partizipation –
Vielfalt als Chance und Anspruch
Vandenhoeck & Ruprecht
Mit 20 Abbildungen und 9 Tabellen. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-647-70173-8 Umschlagabbildung: © pixelpott – fotolia.com © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen / Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U.S.A. www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Printed in Germany. Satz: SchwabScantechnik, Göttingen Umschlag: SchwabScantechnik, Göttingen Druck und Bindung: e Hubert & Co., Göttingen Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.
Inhalt
Einführung 1. Inklusion und Differenzierung – Pädagogik der Vielfalt . . . . . . . . . . . 1.1 Pädagogik der Vielfalt – Auf dem Weg zur inklusiven Kindertageseinrichtung (Ulrich Heimlich) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Inklusion in Kinderkrippen (Monika Wertfein) . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Inklusion und innere Differenzierung – Offene Arbeit und Projektarbeit als optimale Antwort (Eva Reichert-Garschhammer) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4 Differenzierte Raum- und Tagesgestaltung und offene Bildungsplanung mit Kindern in der Praxis offen arbeitender Kitas (Eva Reichert-Garschhammer, Claudia Reiher, Susanne Kleinhenz & Maria Förster) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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2. Inklusion und Partizipation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 2.1 Inklusion und Partizipation (Rüdiger Hansen) . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 2.2 Inklusion und Partizipation im Konzept der Hans-Georg Karg Kindertagesstätte (Reinhard Ruckdeschel & Christine Mull) . . . . . 97 3. Inklusion und Interkulturalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Integration und Interkulturalität in Kindertageseinrichtungen – Die Rolle der Nichtumgebungssprache für das Wohlbefinden von Kleinkindern (Annick De Houwer) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Unterstützung von Mehrsprachigkeit in inklusiven Kindertageseinrichtungen (Christa Kieferle) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Interkultureller Gesprächskreis – Ein Angebot der Kindertageseinrichtung an Mütter (Sini Werninger-Niemi) . . . . . .
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4. Inklusion in der Bildungspartnerschaft mit Eltern in Kita und Schule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 4.1 Inklusion und Partizipation in frühpädagogischen Programmen für die frühe Kindheit: Was wirkt (Susan B. Neuman) . . . . . . . . . . . 149 4.2 Auch Eltern kommen in die Schule (Andreas Wildgruber, Wilfried Griebel, Andrea Schuster, Julia Held & Bernhard Nagel) 157 4.3 Ein umfassendes Konzept von gelebter Bildungspartnerschaft zwischen Eltern, Kindertageseinrichtung und Schule im Landkreis Mühldorf (Sigrid Lorenz & Dagmar Winterhalter-Salvatore) . . . . . 166 4.4 Bildungspartnerschaft mit Eltern in der Praxis – Vielfalt als Herausforderung und Chance (Brigitte Netta) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 5. Inklusion und Bildungsplanung – Optimale Bildungschancen für alle Kinder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Einfluss der Betreuungsqualität der verschiedenen Bildungsorte auf die sprachliche und sozial-emotionale Entwicklung von Kindern mit und ohne Migrationshintergrund (Fabienne Becker-Stoll, Kathrin Beckh, Daniela Mayer & Julia Berkic) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 KOMPIK – Ein Instrument für die kindbezogene und individuelle Bildungsplanung und -gestaltung (Martin Krause & Toni Mayr †) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3 Kommunales Bildungsmanagement in der Landeshauptstadt München (Wolfgang Brehmer & Norbert Ziegler) . . . . . . . . . . . . . . 6. Inklusion zwischen Anspruch und Wirklichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1 Inklusion mit Blick auf Kinder mit Behinderungen (Timm Albers) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2 Inklusion mit Blick auf Kinder mit Migrationshintergrund (Mitra Sharifi Neystanak) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3 Kinder in Armut und Benachteiligung – Prüfstein und Chance für inklusive Krippen und Kindergärten (Hans Weiß) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4 Inklusion und Vorurteilsbewusste Bildung und Erziehung (Petra Wagner) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.5 Inklusive Bildung – zur Lage in Deutschland /Ute Erdsiek-Rave) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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6.6 Kompetenzorientierte Aus- und Weiterbildung – Verankerung von Inklusion als Inhalt und Prinzip (Klaus Fröhlich-Gildhoff) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 Verzeichnis der Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263
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Inklusion ist ein Thema, mit dem sich Wissenschaft und Praxis derzeit sehr intensiv auseinandersetzen. Mit der Verbindung von Inklusion und Partizipation wollen wir mit diesem Band einen neuen Akzent in der Inklusionsdebatte im Bildungswesen setzen. Ausgangspunkt ist das weite Inklusionsverständnis der Deutschen UNESCOKommission: »Inklusive Bildung bedeutet, dass allen Menschen – unabhängig von Geschlecht, Behinderung, ethnischer Zugehörigkeit, besonderen Lernbedürfnissen, sozialen oder ökonomischen Voraussetzungen – die gleichen Möglichkeiten offen stehen, an qualitativ hochwertiger Bildung teilzuhaben und ihre Potenziale zu entwickeln« (DUK, 2012, S. 10). Von der Teilhabe zur Partizipation und Inklusion durch Partizipation sind zwei richtungsweisende Kernaussagen, die im fachlichen Diskurs in jüngerer Zeit immer häufiger fallen und in diesem Band aufgegriffen und vertieft werden. Das englische Wort participation, das sich in der Originalfassung der UNKonvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-BRK) als Leitbegriff durchzieht, wurde in der deutschen Fassung in der Regel mit Teilhabe übersetzt. Im Bildungswesen findet die Auffassung, dass der Begriff Teilhabe zu kurz greife und Partizipation weit darüber hinausgehe, immer mehr Zuspruch und damit zunehmend Konsens: ȤȤ Teilhabe durch eine weite Auslegung mit Partizipation gleichzusetzen, ist ein Vorschlag, der auf viel Gegenrede stößt. Im Bildungswesen wird Partizipation, die Kinder und Jugendliche ernst nimmt, in erster Linie definiert als ein Recht auf Beteiligung an Entscheidungen, die das eigene Leben und das der Gemeinschaft betreffen; Partizipation umfasst Selbst- und Mitbestimmung, Eigen- und Mitverantwortung, konstruktive Entscheidungsfindung und Konfliktlösung (vgl. Hansen/Knauer/Friedrich, 2004; BMFSFJ, 2010). Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und regulären Bildungssystem, an seinen Institutionen und Ressourcen wird assoziiert mit Teilnahme, Mitdabei- und Einbezogensein. Nach den für Partizipation entwickelten Stufenmodellen
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handelt es sich bei diesen Aspekten um Vorstufen und Voraussetzungen von Partizipation. ȤȤ Das Begriffspaar Teilhabe und Teilgabe ist ein Versuch, die doppelseitige Struktur gesellschaftlicher Partizipationsprozesse herauszustellen: Inklusive Bildung wird für alle Kinder und Jugendlichen ungeachtet ihrer spezifischen Lern- und Unterstützungsbedürfnisse erst dann erfahrbar, wenn sie in regulären Bildungseinrichtungen nicht nur am Bildungsgeschehen als Teilnehmer teilhaben und deren Ressourcen nutzen können, sondern vor allem auch aktiv etwas dazu beitragen können als Mitgestalter des gemeinsamen Lebens und Lernens (vgl. Gronemeyer, 2009 zit. in Heimlich, 2013, S. 23). ȤȤ Partizipation erweist sich als wichtigster Faktor, die pädagogische Praxis in Bildungseinrichtungen für alle gleichermaßen teilhabe- und teilgabeorientiert und damit inklusiv zu gestalten. Partizipation als Oberbegriff für Teilhabe und Teilgabe findet sich wieder in der deutschen Übersetzung des von Booth, Ainscow und Kingston für Kindertageseinrichtungen entwickelten Index für Inklusion (2012, S. 15, 13): »Inklusion passiert, sobald der Prozess der zunehmenden Partizipation begonnen wird. (…) Partizipation schließt Lernen, Spiel oder Zusammenarbeit mit anderen ein. Es bedeutet: Beteiligung und Mitsprache an dem, was wir tun. Im Grunde geht es darum, um unser selbst Willen wahrgenommen, akzeptiert und wertgeschätzt zu werden.« Akzeptanz und Wertschätzung von Individualität und Vielfalt bedeutet, Möglichkeiten der Partizipation auszubauen und neue Formen des Miteinanders zu entwickeln, die Prozesse des Voneinanderlernens im Dialog (Ko-Konstruktion) für alle Beteiligten zu ermöglichen. Die Herausforderung Inklusion ist aus Sicht von Inklusionsexpertinnen und -experten nur zu bewältigen, wenn wir zu einer anderen Kultur des Umgangs, der Kommunikation und Wertschätzung kommen. »Partizipation und Ko-Konstruktion bieten einen optimalen Rahmen, in dem sich eine inklusive Pädagogik der Vielfalt entwickeln und ihre Potenziale entfalten kann« (BayStMAS/BayStMBW, 2012, S. 35). Diese These stützt sich auf folgende Wissenschaftserkenntnisse und Praxiserfahrungen: ȤȤ Basierend auf dem Bild vom Kind als aktives Individuum und kompetenter Mitgestalter seiner Bildung und Entwicklung »sind Partizipation und KoKonstruktion auf Dialog, Kooperation, Aushandlung und Verständigung gerichtet« (S. 30). Sie erleichtern es, Bildungsprozesse unter den heterogenen Voraussetzungen und Bedürfnissen der Kinder zu gestalten. ȤȤ »Partizipation stärkt Kinder in ihrer Entwicklung zu verantwortungsbewussten Persönlichkeiten. Dazu gehören die Haltung, sich zuständig zu
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fühlen für eigene Belange und die der Gemeinschaft, und die Kompetenz, sich konstruktiv auseinanderzusetzen, eigene Interessen zu vertreten, sich in andere hineinzuversetzen und Mehrheitsentscheidungen zu akzeptieren. (…) Partizipation erhöht die Identifikation mit der Einrichtung, stärkt das Gemeinschaftsgefühl und erleichtert soziale Inklusionsprozesse, denn Mitentscheidung ist untrennbar verbunden mit sozialer Mitverantwortung« (S. 31, 35 – Quellen: BMFSFJ, 2010, Hansen/Knauer/Friedrich, 2004). ȤȤ »Ein Voneinander- und Miteinanderlernen kann gerade in Gruppen mit Kindern unterschiedlicher kultureller Hintergründe, Fähigkeiten und Bedürfnisse zu einem bereichernden Prozess werden. (…) Ein gewollter und bewusst gestalteter Umgang mit Vielfalt ist Voraussetzung für ihre produktive Nutzung. (…) Heterogene Lerngruppen, in denen Vielfalt als Bereicherung anerkannt und wertgeschätzt wird, bieten Chancen für jedes Kind, seine Kompetenzen weiterzuentwickeln« (S. 35 f.). Wichtig dabei ist, die Erfahrungen, Kompetenzen und Interessen der Kinder aufzugreifen, ihnen Gelegenheiten zu geben, Bildungsprozesse aktiv mitzugestalten und durch Austausch ihre eigenen herkunftsbedingten Weltsichten um die der anderen zu erweitern. In einem Klima der gegenseitigen Anerkennung und Wertschätzung schlägt ein solches Vorgehen Brücken zwischen den Kindern aus unterschiedlichen Lebenswelten (vgl. z. B. Prengel, 2014, Sulzer/Wagner, 2011, Bischoff/König/Zimmermann, 2013). Bekräftigend und rechtlich klarstellend sind die Aussagen, welche die am Deutschen Institut für Menschenrechte angesiedelte Monitoringstelle zur UNBehindertenrechtskonvention zum Thema »Partizipation« im Kontext von Inklusion gemacht hat (2010, S. 1 f.): Die »englische – völkerrechtlich verbindliche – Fassung der UN-Konvention« verwendet »die Begriffe ›participation‹ bzw. ›to participate‹ völkerrechtlich in 25 Fällen.« Durch deren Übersetzung mit »Teilhabe« und »Teilnahme« in der deutschen UN-BRK-Fassung »gehen … wesentliche Aspekte, die die Konvention mit dem Begriff ›Partizipation‹ verbindet, etwa der Aspekt der Mitbestimmung, verloren. Deshalb sollte der Begriff ›Partizipation‹ auch in die deutschsprachige Diskussion aufgenommen werden.« Die UN-BRK »thematisiert Partizipation auf vielfältige Art und Weise und versteht Partizipation als Querschnittaufgabe«, durch sie »erhält Partizipation ein noch größeres Gewicht«, so vor allem auch für Menschen mit Behinderung. Der Grundsatz der vollen und wirksamen Partizipation im Sinne von Teilhabe und Mitbestimmung aller Menschen (vgl. Art. 3 UN-BRK) ist »leitend für die Umsetzung der gesamten Konvention und wichtig für das Verständnis der in ihr enthaltenen Rechte. Dies bedeutet beispielsweise, dass beim Auf-
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bau eines inklusiven Bildungssystems Menschen mit Behinderungen und ihre Organisationen einbezogen werden müssen.« Ein gelingender UN-BRK-Umsetzungsprozess zeichnet sich dadurch aus, alle Beteiligten zum Dialog zu befähigen und neue Formen der Partizipation zu entwickeln, die alle Menschen jeden Alters erreicht, auch Randgruppen, sowie Sprachenvielfalt und vielfältige Ausdrucksformen (z. B. auch Gebärdensprache, Blindenschrift) einbezieht. Den Bildungseinrichtungen kommt hierbei eine Schlüsselrolle zu. Was diesen Band auszeichnet, ist die einmalige Zusammenführung von international und national renommierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die das Thema »Inklusion und Partizipation – Vielfalt als Chance und Herausforderung« für den Bereich Kindertageseinrichtungen auf verschiedenen Ebenen aus unterschiedlichen fachspezifischen Perspektiven beleuchten und mit Expertinnen und Experten guter Praxis in einen lebendigen Dialog treten. In diesem Kontext wird Inklusion unter sechs Blickwinkeln gemeinsam betrachtet und diskutiert: ȤȤ Inklusion und Differenzierung – Pädagogik der Vielfalt ȤȤ Inklusion und Partizipation ȤȤ Inklusion und Interkulturalität ȤȤ Inklusion in der Bildungspartnerschaft mit Eltern in Kita und Schule ȤȤ Inklusion und Bildungsplanung – optimale Bildungschancen für alle Kinder ȤȤ Inklusion zwischen Anspruch und Wirklichkeit Der Band bietet – auf dem aktuellen Stand der Wissenschaft und Praxis – sowohl einen Orientierungsrahmen als auch eine Diskussionsgrundlage für Wissenschaft, Administration und Praxis zu diesem bildungspolitisch bedeutsamen Schüsselthema, bei dem noch viele Fragen offen sind. Aus der Perspektive des weiten Inklusionsverständnisses der UNESCO im Sinne einer Pädagogik der Vielfalt werden zentrale Aspekte einer inklusiven Bildungspraxis sowie das Zusammenspiel von Inklusion und Partizipation diskutiert. Dabei werden auch Wege aufgezeigt, wie das Leitbild Inklusion durch Partizipation in der frühpädagogischen Praxis und in der kommunalen Bildungsplanung Eingang finden kann, um allen Kindern gleichermaßen soziale Teilhabe, Mitsprache und bestmögliche Bildungschancen zu garantieren. Dieser Band setzt wichtige Impulse für die aktuelle Inklusionsdebatte und bereichert diese durch neue interdisziplinäre Sichtweisen und innovative Ansätze einer inklusiven Pädagogik der Vielfalt in Tageseinrichtungen für Kinder und im Übergang zur Schule.
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Allen Autorinnen und Autoren, die diesen Band mit ihren Beiträgen bereichern, möchten wir an dieser Stelle herzlichst danken. Unserer besonders Dank gilt Frau Angela Roth, sie hat die Korrespondenz mit den Autorinnen und Autoren und deren Beiträge koordiniert und somit wesentlich zur Entstehung und Fertigstellung dieses Bandes beigetragen. München, im Oktober 2014 Eva Reichert-Garschhammer, Christa Kieferle, Monika Wertfein, Fabienne Becker-Stoll
Literatur BayStMAS-Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Soziales, Familie und Integration/ BayStMBW-Bayerisches Staatsministerium für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst (Hrsg.): Gemeinsam Verantwortung tragen. Die Bayerischen Leitlinien für die Bildung und Erziehung von Kindern bis zum Ende der Grundschulzeit. München, 2012/2014. URL: http:// www.stmas.bayern.de/kinderbetreuung/bep/baybl.php und http://www.km.bayern.de/eltern/ erziehung-und-bildung.html Bischoff, U./König, F./Zimmermann, E.: Mehr Partizipation wagen. DJI Bulletin, 4/2013; S. 20–21. BMFSFJ-Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hrsg.): Qualitätsstandards für die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen. Allgemeine Qualitätsstandards und Empfehlungen für die Praxisfelder Kindertageseinrichtungen, Schule, Kommune, Kinderund Jugendarbeit und Erzieherische Hilfen. Berlin, 2010. URL: http://www.kindergerechtesdeutschland.de/publikationen/qualitaetsstandards-zur-beteiligung/ Booth, T./Ainscow, M./Kingston, D.: Index für Inklusion (Tageseinrichtungen für Kinder). Deutschsprachige Ausgabe. GEW (Hrsg.). Berlin, 5. Auflage, 2012. URL: http://www.eenet.org.uk/ resources/docs/Index%20EY%20German2.pdf Deutsches Institut für Menschenrechte (Hrsg.): Partizipation – ein Querschnittsanliegen der UNBehindertenrechtskonvention. Positionen Nr. 3. Berlin, 2010. URL: http://www.institut-fuermenschenrechte.de/uploads/tx_commerce/Positionen_nr_3_Partizipation_ein_Querschnittsanliegen_der_UN_Behindertenrechtskonvention.pdf DUK-Deutsche UNESCO-Kommission: Bildungsregionen auf dem Weg. Inklusive Bildung in Aachen, Wiesbaden, Hamburg und Oberspreewald-Lausitz. Bonn, 2012. URL: http://www. unesco.de/fileadmin/medien/Dokumente/Bildung/inklusion_bildungsregionen_2012.pdf Gronemeyer, M.: Die Macht der Bedürfnisse. Überfluss und Knappheit. Darmstadt, 2. Auflage, 2009 Hansen, R./Knauer, R./Friedrich, B.: Die Kinderstube der Demokratie. Partizipation in Kindertagesstätten. Ministerium für Justiz, Frauen, Jugend und Familie des Landes Schleswig-Holstein (Hrsg.). Kiel, 2004. URL: http://partizipation-und-bildung.de/pdf/Hansen%20et%20al_ Die%20Kinderstube%20der%20Demokratie.pdf Heimlich, U.: Kinder mit Behinderung. Anforderungen an eine inklusive Frühpädagogik. WiFFExpertisen Nr. 33. München, 2012. URL: http://www.weiterbildungsinitiative.de/uploads/ media/Exp_33_Heimlich.pdf Prengel, A.: Inklusion in der Frühpädagogik. Bildungstheoretische, empirische und pädagogische Grundlagen. WiFF-Expertisen Nr. 5. München, 2. überarb. Auflage, 2014. URL: http://www.
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weiterbildungsinitiative.de/uploads/media/Inklusion_in_der_Fruehpaedagogik_5Band_2ue baAuflage_2014_Prengel.pdf Sulzer, A./Wagner, P.: Inklusion in Kindertageseinrichtungen – Qualifikationsanforderungen an die Fachkräfte. WiFF-Expertisen Nr. 15. München, 2011. URL: http://www.weiterbild ungsinitiative.de/publikationen/details/artikel/inklusion-in-kindertageseinrichtungenqualifikationsanforderungen-an-die-fachkraefte.html
1. Inklusion und Differenzierung – Pädagogik der Vielfalt
1.1 Pädagogik der Vielfalt – Auf dem Weg zur inklusiven Kindertageseinrichtung Ulrich Heimlich
Auch in der BRD ist die Aufnahme von Kindern mit Behinderungen in allgemeine Kindertageseinrichtungen mittlerweile zum Alltag geworden (vgl. Fritzsche/Schastok, 2001; Herm, 2008; Heimlich/Behr, 2009; Kron, 2010; Albers, 2011; Kreuzer/Ytterhus, 2011). Einige Bundesländer halten bereits flächendeckende Angebote (z. B. Bremen, Berlin, Hessen) bereit, während viele auf dem Weg zu einem bedarfsgerechten Angebot sind. Mit der Ausweitung der Zahl der integrativen Gruppen in Kindertageseinrichtungen geht allerdings nicht nur das Problem der Ressourcenausweitung im Bereich des Personals und der räumlichen Ausstattung von Kindertageseinrichtungen einher. Im Vordergrund des bedarfsgerechten Ausbaus von integrativen Gruppen in Kindertageseinrichtungen steht vielmehr die Frage, wie die Qualität der pädagogischen Arbeit mit dieser quantitativen Weiterentwicklung Schritt halten soll. Unter internationaler Perspektive (vgl. Guralnick, 2001) verschiebt sich derzeit die Zielsetzung der Integrationsentwicklung im Bildungs- und Erziehungssystem in Richtung auf Inklusion. Seit der Erklärung von Salamanca aus dem Jahre 1994 (vgl. Österreichische UNESCO-Kommission, 1996) sind in vielen Ländern inklusive Kindertageseinrichtungen und Schulen entstanden. Mit der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung aus dem Jahre 2006, die von Deutschland 2009 ratifiziert worden ist, rückt das globale Ziel eines inklusiven Bildungs- und Erziehungssystems endgültig in den bildungspolitischen Focus (vgl. Deutscher Bundestag 2008). Im Folgenden soll zunächst der Zusammenhang von Inklusion und Qualität bezogen auf Kindertageseinrichtungen grundgelegt (1.0) und anhand der Münchener Studien zur Qualitätsentwicklung in Kindertageseinrichtungen empirisch fundiert werden (2.0). Abschließend wird nach den Konsequenzen für die Kompetenzen frühpädagogischer Fachkräfte in inklusiven Kindertageseinrichtungen gefragt (3.0).
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Inklusion und Qualitätsentwicklung – Theoretische Grundlegung Zweifellos hat es in Kindertageseinrichtungen immer schon eine Qualität der pädagogischen Arbeit gegeben. Eine neue Dimension hat die Qualitätsdiskussion in den 1990er-Jahren besonders dadurch gewonnen, dass nunmehr Management- und Steuerungssysteme dazu beitragen sollen, den Prozess der Qualitätsentwicklung bewusst zu machen, systematisch zu gestalten und zu kontrollieren.
Qualität in der Behindertenhilfe Der Begriff »Qualität« leitet sich von den lateinischen Begriffen qualis und qualitas ab. Qualis bedeutet so viel wie Beschaffenheit, Eigenschaft und bezieht sich auf die Gesamtheit der charakteristischen Eigenschaften (einer Sache, Person). Damit ist die Beschaffenheit eines Produktes im Sinne von spezifischen Merkmalen gemeint. Qualitas weist auf eine Vorstellung von der Güte eines Produktes im Vergleich zu bestimmten Beurteilungsmaßstäben hin (vgl. Zollondz, 2002, S. 9 ff.). Insofern haftet dem Qualitätsbegriff stets eine normative Dimension an, d. h. Qualität enthält Vorstellungen von besonders guten Arbeitsergebnissen bzw. Personeneigenschaften oder auch sozialen Beziehungen. Gleichzeitig verweist er auf die Notwendigkeit der Bewertung und enthält so ebenfalls eine evaluative Dimension (vgl. Honig u. a., 2004, S. 23 f.). Von einem betriebswirtschaftlichen Qualitätsverständnis ist deshalb das Modell einer sozialen Qualität deutlich abzuheben (vgl. Heimlich, 2008a). Dabei handelt es sich ebenfalls um ein normativ bestimmtes Konzept, allerdings mit spezifischer Ausrichtung: »Mit Sozialer Qualität (im Original kursiv – U. H.) ist ein Wertkomplex gemeint, der sich auf das Individuum als Person, begabt mit unverlierbarer Menschenwürde, und zugleich auf seine Zugehörigkeit (Inklusion) zu anderen in einer ihm und dem Gemeinwohl förderlichen Weise bezieht. Eine spezifische Ausprägung und Funktion enthält diese Qualität unter dem Aspekt drohender Ausgrenzungen (Exklusionen), wie z. B. ökonomischer Benachteiligungen oder vorliegender funktioneller Beeinträchtigungen (Behinderungen).« (Speck, 1999, S. 129).
Inklusion beinhaltet im Unterschied zu Integration ein erweitertes Verständnis von selbstbestimmter sozialer Teilhabe, in dem von vornherein auf Situationen
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und Institutionen der Aussonderung verzichtet wird, die Unterschiedlichkeit der Mitglieder eines Gemeinwesens (Heterogenität) als Bereicherung für alle betrachtet wird und alle die gleiche Möglichkeit haben an diesem Gemeinwesen zu partizipieren und zu diesem Gemeinwesen beizutragen (vgl. Heimlich, 2003; Heimlich, 2013; Prengel, 2010). Wird der Wertekomplex »soziale Qualität« nun genauer betrachtet, so geraten auf dem Hintergrund aktueller gesellschaftlicher Entwicklungen mehrere Teilwerte in das Blickfeld. Soziale Qualität erfordert: ȤȤ Menschlichkeit im Sinne einer humanen Annahme aller auch angesichts vorhandener individueller Unterschiede, ȤȤ Autonomie im Sinne einer Achtung vor den unveräußerlichen Selbstbestimmungsrechten jedes Einzelnen, ȤȤ Professionalität im Sinne der fachlichen Kompetenz und Überprüfbarkeit von Hilfeleistungen, ȤȤ Kooperativität im Sinne einer alle Beteiligten einbeziehenden möglichst engen Zusammenarbeit, ȤȤ Organisationale Funktionalität im Sinne effektiver Strategien des Zusammenwirkens der verschiedenen beteiligten Ebenen einer Hilfeleistung und ȤȤ Wirtschaftlichkeit im Sinne eines nachvollziehbaren und dem Bedarf angemessenen Einsatzes von Personal- und Sachmitteln (vgl. Speck, 1999, S. 130 ff.). Diese Teilwerte sozialer Qualität bilden zugleich die ethische Grundlage pädagogischen Handelns und gelten deshalb ebenfalls für Angebote der Behindertenhilfe. Auch die Qualität der Behindertenhilfe ist damit bereits in Prozesse der Inklusion und Exklusion von Menschen mit Behinderungen eingebunden.
Pädagogische Qualität in inklusiven Kindertageseinrichtungen Besonders durch die Nationale Qualitätsinitiative (vgl. Bundesministerium für Familie, Frauen, Senioren und Jugend, 2002) konnten die Grundlagen der Qualitätsentwicklung in der Pädagogik der frühen Kindheit zu Beginn des neuen Jahrtausends rapide weiterentwickelt werden. Pädagogische Qualität hat in Kindertageseinrichtungen einen deskriptiven Aspekt, der sich auf beobachtbare und beschreibbare Strukturen im Sinne äußerer Merkmale bezieht. Damit eng verbunden ist der normative Aspekt, der den Vergleich der konkreten pädagogischen Arbeit als Prozess mit Gütemaßstäben zum Gegenstand hat.
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Unterschiedliche wissenschaftstheoretische Standpunkte bedingen dabei jeweils spezifische methodische Zugänge zur Entwicklung und Erfassung von pädagogischer Qualität in Kindertageseinrichtungen. In mehr pragmatischer Absicht entstandene Qualitätsmodelle haben auf der Ebene der jeweiligen Einrichtung zum Ziel, das eigene Qualitätsverständnis eines Erzieherinnenteams in Kooperation mit Eltern, Kindern und Trägern auszuarbeiten (relativistische Qualitätsmodelle). Demgegenüber stehen systematische Versuche der Ableitung von Qualitätskonzepten in einrichtungsübergreifender Perspektive und auf der Basis systematischer Qualitätsforschung (strukturell-prozessuale Qualitätsmodelle). Dahinter steht die bislang noch nicht abschließend geklärte Frage, ob es ausreicht, pädagogische Qualität auf Einrichtungsebene zu definieren oder ob es nicht sinnvoller ist, pädagogische Qualität als einrichtungsübergreifendes Konzept zu etablieren. Ein Ausweg aus diesem Dilemma bieten möglicherweise ökologische Qualitätsmodelle, die davon ausgehen, dass sich pädagogische Qualität auf mehreren Handlungsebenen einer Pädagogik der frühen Kindheit entfaltet (vgl. Dippelhofer-Stiem/Wolf, 1997, S. 11).
Qualitätsentwicklung in inklusiven Kindertageseinrichtungen – Praktische Umsetzung Zwischenzeitlich wird auch in inklusiven Kindertageseinrichtungen die Frage nach der Qualität des Angebotes gestellt (vgl. Dittrich, 2008; Heimlich, 2011; Kobelt-Neuhaus, 2002; Kreuzer, 2006; Störmer, 2001). Von den Qualitätskonzepten, die die Integration von Kindern mit Behinderung als weitere Aufgabe von Kindertageseinrichtungen mit aufgreifen, lassen sich solche Qualitätskonzepte unterscheiden, die die Qualität der integrativen pädagogischen Arbeit zum zentralen Gegenstand haben. Dies ist beispielsweise im Münchener Modell zur Entwicklung integrativer Qualitätsstandards der Fall. Im Auftrag der Landeshauptstadt München, des größten kommunalen Trägers von Kindertageseinrichtungen in Deutschland, wurde in den Jahren 2002 bis 2008 insgesamt drei Forschungsprojekte zur Qualität in integrativen Kindertageseinrichtungen durchgeführt. Dabei stand besonders der Weg der gemeinsamen Entwicklung von integrativen Qualitätsstandards auf Träger- und Einrichtungsebene im Vordergrund.
Pädagogik der Vielfalt – Auf dem Weg zur inklusiven Kindertageseinrichtung
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Qualitätsstandards in integrativen Kindergärten (QUINTE) Im Rahmen des Begleitforschungsprojektes »Qualitätsstandards für die Integrationsentwicklung in Kindertageseinrichtungen (QUINTE)« waren 11 Kindergärten und ihre Erzieherinnenteams sowie die Eltern beteiligt (Träger: Landeshauptstadt München, Schulreferat). Im Rahmen des Projekts QUINTE bestand deshalb die Zielsetzung darin, gemeinsam mit den beteiligten Modelleinrichtungen Qualitätsstandards für die integrative pädagogische Arbeit auf allen Ebenen von integrativen Kindergärten zu formulieren: Kinder und Eltern, Gruppe, Team, Einrichtung, Umfeld. Basis dieser gemeinsamen Entwicklungsarbeit war neben der Konzeptionsanalyse der Einrichtungen und einer Sichtung der einschlägigen Literatur eine externe Evaluation mit Hilfe der Kindergartenskala (KES-R, vgl. Tietze u. a., 2001) sowie eine Befragung der pädagogischen Fachkräfte und der Eltern (zu den Ergebnissen im Einzelnen: vgl. Heimlich/Behr, 2005). Bei der externen Evaluation mit Hilfe der KES-R ergaben sich vergleichsweise gute Ergebnisse in Bezug auf die pädagogische Qualität in integrativen Kindergärten, die deutlich höher liegen als die Ergebnisse nicht-integrativer Einrichtungen. Im Ergebnis entstanden in diesem dialogischen Entwicklungsprozess 26 Qualitätsstandards bezogen auf die integrative Arbeit in Kindertageseinrichtungen. Innerhalb der Qualitätsstandards wurde zwischen einer Mindestqualität und einer optimalen Qualität in 5 Stufen Möglichkeiten der Qualitätsentwicklung aufgezeigt. Die Umsetzung der Qualitätsstandards in die Praxis erfolgt in einem trägerinternen Implementationsprozess, der auch Möglichkeiten der Selbstevaluation in den beteiligten Modelleinrichtungen enthielt und dem Leitbild der inklusiven Kindertageseinrichtung verpflichtet ist.
Qualitätsstandards in integrativen Kinderkrippen (QUINK) In einem zweiten Projekt zur Entwicklung integrativer Qualitätsstandards ist eine Übertragung des Untersuchungsdesigns auf die 4 integrativen Kinderkrippen in der Trägerschaft der Landeshauptstadt München (Sozialreferat) vorgenommen worden. Basis der Entwicklung von integrativen Qualitätsstandards waren erneut die Analyse der Einrichtungskonzeptionen, die Sichtung der Literatur zur Thematik und die Durchführung einer externen Evaluation mit Hilfe der Kinderkrippenskala (KRIPS-R) (vgl. Tietze u. a., 2005) sowie eine Befragung der pädagogischen Fachkräfte und der Eltern. Auch die integrativen Kinderkrippen erzielten sehr gute Werte in Bezug auf die pädagogische Qualität. Das Entwicklungsmodell der Qualitätsstandards erwies sich prinzipiell als
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übertragbar, auch wenn dabei spezifische Anforderungen der pädagogischen Arbeit in Krippen zu berücksichtigen waren. Es entstanden auf den 5 Ebenen der Qualitätsentwicklung insgesamt 27 Qualitätsstandards, die erneut von den Einrichtungsteams formuliert und in den einrichtungsbezogenen Implementationsprozess zurückgegeben wurden (vgl. Heimlich/Behr, 2008; Seitz/Korff, 2008).
Integrative Qualität aus Kindersicht In den Projekten QUINTE und QUINK stand die Erwachsenenperspektive im Vordergrund. Das galt sowohl für die Perspektive der externen Evaluation als auch für die Perspektiven der pädagogischen Fachkräfte und die der Eltern. Dabei wird stillschweigend vorausgesetzt, dass die Perspektiven der Erwachsenen und der Kinder – insbesondere auch der Kinder mit Behinderung – prinzipiell übereinstimmen (vgl. Roux, 2002). Dass diese Annahme nicht so ohne weiteres tragfähig ist, hat sich in einer dritten Studie gezeigt, die Behr (2009) durchgeführt hat. Im Ergebnis entsteht auf der Basis einer eingehenden Prüfung der vorhandenen Forschungsinstrumente ein Forschungsdesign, in dem ein kombiniertes Instrumentarium zum Einsatz kommt. Schon bei den Erhebungsverfahren sind sowohl qualitative Aspekte (z. B. Leitfadeninterviews) als auch quantitative Aspekte (z. B. Emotionskarten, Soziometrie) berücksichtigt. Neben zahlreichen Befunden, die die Ergebnisse der bisherigen Inklusionsforschung bestätigen (z. B. gelungene emotionale Integration, aber wenig Freundschaften zwischen Kindern mit und ohne Behinderung) ist ein Befund besonders hervorzuheben. Die Ergebnisse der soziometrischen Untersuchung geben auch Hinweise auf soziale Distanzierung, ganz besonders in Bezug auf Kinder mit Verhaltensproblemen. Dieser Befund wird jedoch durch die subjektive Sicht der Kinder in ein anderes Licht gestellt. Sie können offenbar sehr genau angeben, was ihnen an anderen Kindern gut oder nicht gut gefällt und warum sie zu ihnen Kontakt wünschen oder nicht. Mit der Behinderung hängt dies jedoch in der Regel nicht zusammen. Vielmehr drückt sich hier ein Stück »Normalisierung« im sozialen Umgang miteinander aus. Damit hat Behr trotz der Beschränkung auf eine kleine Stichprobe und eine Einrichtung klar gezeigt, dass die Qualitätsforschung im Bereich der Integration/Inklusion zukünftig ihre Aussagen stets durch die Erfassung der kindlichen Perspektive absichern sollte.
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Kompetenzen für inklusive Frühpädagogik Welche Konsequenzen ergeben sich daraus nun für das Kompetenzmodell der frühpädagogischen Fachkräfte in inklusiven Kindertageseinrichtungen? Mit Kompetenz sind im allgemeinen Sprachgebrauch der Sachverstand bzw. die Fähigkeiten eines Menschen gemeint (von lat. competentia = Zusammentreffen). Daneben meint Kompetenz in einem eher juristischen Sinne aber auch Zuständigkeit für eine bestimmte Aufgabe, wobei diese Zuständigkeit sicher nicht ganz ohne entsprechende fachliche Fähigkeiten realisiert werden kann. Franz E. Weinert definiert Kompetenzen im psychologischen Sinne als »die bei Individuen verfügbaren oder durch sie erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen, sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten um die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können (…)« (Weinert, 2002, S. 27 f.).
Im pädagogischen Sinne wird Kompetenz neben den sachlichen Fähigkeiten insbesondere auf berufsethische Überlegungen bezogen, um daraus die Zuständigkeit für pädagogische Aufgaben abzuleiten. Auf der Ebene einer vorläufigen Begriffsbestimmung können inklusive Kompetenzen also zum einen als pädagogische Fähigkeiten zur Gestaltung solcher Situationen und Prozesse angesehen werden, die eine Begegnung von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit und ohne Behinderung ermöglichen. Zum anderen umfasst inklusive Kompetenz stets auch eine berufsethische Reflexion im Sinne einer Haltung bezogen auf die Aufgabe der Inklusion von Menschen mit Behinderung. Heilpädagogische Kompetenz zeichnet sich in einem spezifischen Sinne dadurch aus, dass umfassende Grundlagenkenntnisse bezogen auf die individuellen Bedürfnisse von Kindern mit Behinderung im Sinne von basalen Entwicklungsmodellen in den verschiedensten Entwicklungsbereichen vorliegen. Daraus ergibt sich des Weiteren die Fähigkeit zur Feststellung des vorhandenen Lern- und Entwicklungsstandes im Sinne einer heilpädagogischen Diagnostik. Heilpädagoginnen und Heilpädagogen verfügen darüber hinaus über die Fähigkeit zur Entwicklung von individuellen Fördermaßnahmen und sind in der Lage, deren Effekte zu evaluieren. Damit ist jedoch nicht die Vorstellung verbunden, dass entsprechende individualisierte Förderangebote in der Regel außerhalb der inklusiven Gruppe in der Kindertageseinrichtung durchgeführt werden. Vielmehr ist im Sinne einer Verhinderung von sozialen Ausgrenzungsprozessen dafür Sorge zu tragen, dass individuelle Förderangebote in den Gruppenalltag
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eingebunden bleiben. Wenn aufgrund von räumlich-materiellen Ausstattungsmerkmalen (z. B. in einem separaten Therapieraum) Förder- bzw. Therapieangebote gemacht werden, dann sollten diese auch für Kinder ohne Behinderung offen bleiben und im Sinne einer inklusiven Kleingruppenförderung realisiert werden (vgl. Heimlich, 2008). Gemäß dem Mehrebenenmodell der Entwicklung inklusiver Kindertageseinrichtungen (vgl. Heimlich, 2013; Booth/Ainscow/Kingston, 2006) lassen sich Kompetenzschwerpunkte bezogen auf Kinder mit individuellen Förderbedürfnissen, inklusive Spiel- und Lernsituationen, multiprofessionelle Teams, inklusive Einrichtungskonzeptionen und die Unterstützungssysteme einschließlich der externen Kooperation unterscheiden. Dabei ist die Kompetenz, angemessene Vorkehrungen für Kinder mit Behinderungen vorzuhalten, auf allen Ebenen mit zu denken.
Mit Heterogenität umgehen lernen Frühpädagogische Fachkräfte in inklusiven Kindertageseinrichtungen stehen vor der Aufgabe, Kinder in ihren individuellen Förderbedürfnissen vor dem Hintergrund einer Vielfalt an Heterogenitätsdimensionen (z. B. Alter, Geschlecht, Migration, soziale Lage) wahrzunehmen und das inklusive Förderangebot differenziert auf diese spezifische Ausgangslage auszurichten. Beobachtungsfähigkeiten sollten deshalb besonders geschult werden. Daneben gilt es die Entwicklungsgeschichte einzelner Kinder zu erschließen und ein Verständnis für Risikofaktoren sowie vorliegende Entwicklungsprobleme zu entwickeln. Insofern benötigen frühpädagogische Fachkräfte in inklusiven Tageseinrichtungen eine basale pädagogisch-diagnostische Kompetenz, die es ihnen ermöglicht auf die individuellen Bedürfnisse aller Kinder einzugehen (z. B. Spielbeobachtung). Gleichzeitig sollte auch auf weitere Kompetenzen zurückgegriffen werden, die beispielsweise aus der Frühförderung, durch Therapeuten/innen oder von Heilpädagogen/innen und auch Eltern mit eingebracht werden können (vgl. Klein, 2010; Sarimski, 2011). Überdies ist eine kontinuierliche und kooperative Selbstreflexion der eigenen Heterogenitätswahrnehmung erforderlich.
Inklusive Gruppenarbeit gestalten Die Inklusionsentwicklung in Kindertageseinrichtungen wird im Kern durch das gemeinsame Spiel von Kindern mit und ohne Behinderung bestimmt. Inklusive
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Bildungsprozesse in Kindertageseinrichtungen finden im gemeinsamen Spiel statt. Frühpädagogische Fachkräfte sollten in der Lage sein, inklusive Spiel- und Lernsituationen zu gestalten. Es ist bezogen auf die frühkindliche Entwicklung davon auszugehen, dass Spielen und Lernen hier in enger Verzahnung ablaufen (vgl. Heimlich, 2001). Dazu zählen im einzelnen Fähigkeiten zur flexiblen Raumgestaltung und zur Auswahl eines multisensorischen Angebotes an Spielmitteln. Ebenso sollten frühpädagogische Fachkräfte interaktive Spielprozesse in Gang setzen und unterstützen können bis hin zu der Fähigkeit, sich so in Spielprozesse hinein zu begeben, dass über das Mitspielen das gemeinsame Spiel der Kinder in seiner Intensität noch weiterentwickelt wird. Alle weiteren Förder- oder Therapiemaßnahmen sollten jeweils eng auf diesen pädagogischen Kernbereich bezogen bleiben (vgl. Heimlich, 1995; Klein, 2010 und den Kinderweltenansatz bei Sulzer/Wagner, 2011).
Teamarbeit entwickeln Die entscheidende Entwicklungseinheit einer inklusiven Kindertageseinrichtung bleibt das Team der frühpädagogischen Fachkräfte. Vielfach wird es bei der inklusiven Arbeit um weitere professionelle Kompetenzen erweitert (z. B. Therapeuten/innen, Heilpädagogen/innen, Sozialpädiater/innen, Sozialarbeiter/innen, Frühförderer/innen). Zusammenarbeit in multiprofessionellen Teams und die darauf bezogene Fähigkeit zur Teilnahme an Teamentwicklungsprozessen gehört deshalb ebenso zu den Aufgaben der frühpädagogischen Fachkräfte im Rahmen der Inklusionsentwicklung. Teams können alle Ebenen der Inklusionsentwicklung thematisieren. Fallbesprechungen im Team sind ebenso denkbar, wie die gemeinsame Planung und Evaluation der differenzierten Gruppenarbeit usf. (vgl. Klein, 2010).
Inklusive Konzeptionen erstellen Frühpädagogische Fachkräfte sollten in der Lage sein, sich Prozesse der insti tutionellen Entwicklung bewusst zu machen und die gemeinsame Zielvorstellung einer inklusiven Kindertageseinrichtung zu formulieren lernen. Dabei können durchaus unterschiedliche pädagogische Profile von Tageseinrichtungen entstehen. Aber allein die Reflexion über das pädagogische Konzept zählt bereits zu den Qualitätsmerkmalen von inklusiven Kindertageseinrichtungen. Qualitätsentwicklung und Evaluation sind deshalb ebenso unverzichtbare Bestand-
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teile einer inklusiven pädagogischen Arbeit im Elementarbereich (vgl. Heimlich/Behr, 2005, 2008).
Regionale Netzwerke bilden Alle inklusiven Kindertageseinrichtungen sind auf externe Kooperationspartner und Unterstützungssysteme angewiesen. Als erstes ist hier die Fähigkeit zur intensiven Kooperation mit den Eltern zu nennen und die Anerkennung der spezifischen Kompetenz, die von dieser Seite in den gemeinsamen Bildungsund Erziehungsprozess eingebracht wird. Sodann sollten sich frühpädagogische Fachkräfte auf kooperative Prozesse mit anderen Experten/innen einlassen können und ihre spezifische fachliche Kompetenz in diesem Prozess behaupten können. Ebenso sind die Grenzen der eigenen Professionalität zu bedenken. Frühpädagogische Fachkräfte sind weder Therapeuten/innen noch Frühförderer/ innen, aber sie können in der Kooperation mit anderen Fachleuten durchaus zu einer gegenseitigen Ergänzung der unterschiedlichen Kompetenzen beitragen (Kompetenztransfer). Frühpädagogische Fachkräfte haben über die Kindertageseinrichtung hinaus also bei der Inklusion auch verstärkt Aufgaben im Bereich der Vernetzung der eigenen Tageseinrichtungen mit anderen sozialen Diensten. Die Kooperation mit der Fachberatung und die Bereitschaft zur kontinuierlichen Fortbildung sind hier ebenso als unverzichtbare Bestandteile anzuführen (vgl. Dorrance, 2011). Diese inhaltlichen Aufgabenschwerpunkte sind durch solche Arrangements didaktisch-methodisch zu realisieren, die einen Bezug zur Thematik der Gemeinsamkeit und der Kooperation wahren (z. B. Zusammenarbeit in kleinen Teams innerhalb der Ausbildung bzw. biographische Zugänge, vgl. Schildmann/ Völzke, 1994). Außerdem ist die fachpraktische Ausbildung um die Inklusion zu erweitern, so dass die Planung, Durchführung und Evaluation von Maßnahmen der Inklusion bereits in der Ausbildung von frühpädagogischen Fachkräften fest verankert wird. Heilpädagogische Kompetenzen kommen im Elementarbereich als Unterstützungssystem zum Tragen, wenn beispielsweise Frühförderer/innen oder Heilpädagogen/innen Diagnose und Förderung in der inklusiven Tageseinrichtung anbieten.
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Schlussbemerkung Der Zusammenhang von Inklusion und Qualität erweist sich so im Überblick als grundlegend für die pädagogische Arbeit in Kindertageseinrichtungen. Pädagogische Qualität in der Behindertenhilfe ist zugleich inklusive Qualität. Ohne die Zielsetzung einer selbstbestimmten sozialen Teilhabe kann die pädagogische Qualität in der Arbeit bei Kindern mit Behinderung nicht hinreichend bestimmt werden. Rein ökonomische Modelle des Qualitätsmanagements enthalten deshalb die Gefahr weiterer Ausgrenzungen, da der »Mehraufwand« für Kinder mit Behinderungen unter dem Druck von Kosteneinsparungen ausdrücklich gerechtfertigt werden muss. Qualitätsentwicklung in inklusiven Kindertageseinrichtungen ist von daher auf einen eigenständigen pädagogischen Zugang angewiesen. Ein Blick in integrative Kindertageseinrichtungen lehrt jedoch, dass umfassende Qualitätsentwicklung eher über spezifische Qualitätskonzepte geleistet werden kann, die in einem dialogischen Entwicklungsprozess aus den Einrichtungen selbst hervorgehen und für Prozesse der Selbstevaluation offen bleiben. Für die praktische Umsetzung der inklusiven Bildung in Kindertageseinrichtungen wird es letztlich entscheidend sein, wie die frühpädagogischen Fachkräfte sich für diese neue Herausforderung qualifizieren können und wie sie die neuen fachlichen Kompetenzen erwerben können. Damit sind zum einen Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen auf regionaler Ebene angesprochen, wie sie durch den »Wegweiser Weiterbildung frühpädagogischer Fachkräfte« zum Thema »Inklusion von Kindern mit Behinderung« angeregt werden sollen (vgl. DJI, 2013). Zum anderen werden ebenso Maßnahmen zur Weiterentwicklung der Ausbildung frühpädagogischer Fachkräfte auf allen Ebenen des Ausbildungssystems erforderlich (Fachschulen, Fachhochschulen, Universitäten, vgl. Heimlich, 2013).
Literatur Albers, T.: Mittendrin statt nur dabei. Inklusion in Krippe und Kindergarten. München, 2011 Behr, I.: Aspekte inklusiver Qualität in Kindertageseinrichtungen aus der Sicht 4- bis 6jähriger Kinder mit und ohne besondere Bedürfnisse – eine Pilotstudie. Berlin, 2009 Booth, T./Ainscow, M./Kingston, D.: Index für Inklusion (Tageseinrichtungen für Kinder) Lernen, Partizipation und Spiel in der inklusiven Kindertageseinrichtung entwickeln. Deutschsprachige Ausgabe (Übersetzung: T. Hermann, Wiss. Beratung: U. Heimlich, A. Hinz). Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft. Frankfurt a. M., 2006 Bundesministerium für Familie, Frauen, Senioren und Jugend (Hrsg.): Nationale Qualitätsinitiative im System der Tageseinrichtungen für Kinder (NQI). Berlin, 2. Auflage, 2002
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Deutscher Bundestag: Entwurf eines Gesetzes zu dem Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 13. Dezember 2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen sowie zu dem Fakultativprotokoll vom 13. Dezember 2006 zum Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Drucksache 16/10808, 16. Wahlperiode, 08. 11. 2008 URL: http://www.bundestag.de/aktuell/archiv/2008/22810535_kw48_soziales/ index.htm Deutsches Jugendinstitut (DJI): Inklusion – Kinder mit Behinderung. Grundlagen für die kompetenzorientierte Weiterbildung. Ein Wegweiser der Weiterbildungsinitiative Frühpädagogische Fachkräfte (WiFF). München, 2013 Dippelhofer-Stiem, B./Wolf, B. (Hrsg.): Ökologie des Kindergartens. Weinheim/München, 1997 Dittrich, G.: Entwicklung pädagogischer Qualität in integrativen Kindertagesstätten. In: Kreuzer, M./B. Ytterhus (Hrsg.): »Dabeisein ist nicht alles«. Inklusion und Zusammenleben im Kindergarten. München, 2008; S. 202–218 Dorrance, C.: Barrierefrei vom Kindergarten in die Schule? Eine Untersuchung zur Kontinuität und Integration aus Sicht der betroffenen Eltern. Bad Heilbrunn, 2011 Fritzsche, R./Schastok, A.: Ein Kindergarten für alle – Kinder mit und ohne Behinderung spielen und lernen gemeinsam. Neuwied u. a., 2001 Guralnick, M. J. (Hrsg.): Early Childhood Inclusion. Focus on Change. Baltmore/London/Toronto/ Sydney, 2001 Heimlich, U.: Einführung in die Spielpädagogik. Eine Orientierungshilfe für sozial-, schul- und heilpädagogische Arbeitsfelder. Bad Heilbrunn, 2, 2001 Heimlich, U.: Integrative Pädagogik – eine Einführung. Stuttgart, 2003 Heimlich, U.: Qualität. In: S. Lingenauber (Hrsg.): Handlexikon der Integrationspädagogik,1, Kindertageseinrichtungen. Bochum/Freiburg, 2008; S. 168–172 Heimlich, U.: Inklusion in Kindertageseinrichtungen – eine Frage der Qualität. Frühe Kindheit 14, 6, 2011; S. 25–27 Heimlich, U.: Kinder mit Behinderung –Anforderungen an eine inklusive Frühpädagogik. München, 2013 Heimlich, U./Behr, I.: Integrative Qualität im Dialog entwickeln. Auf dem Weg zur inklusiven Kindertageseinrichtung. Münster, 2005 Heimlich, U./Behr, I.: Qualitätsstandards in integrativen Kinderkrippen (QUINK) – Ergebnisse eines Begleitforschungsprojektes. Vierteljahresschrift für Heilpädagogik und ihre Nachbargebiete (VHN) 77, 4, 2008; S. 301–316 Heimlich, U./Behr, I. (Hrsg.): Inklusion in Kindertageseinrichtungen. Internationale Perspektiven. Münster, 2009 Herm, S.: Konzepte integrativer Förderung im Elementarbereich. In: H. Eberwein/J. Mand (Hrsg.): Integration konkret. Begründung, didaktische Konzepte, inklusive Praxis. Bad Heilbrunn, 2008; S. 107–120 Honig, M. S./Joos, M./Schreiber, N.: Was ist ein guter Kindergarten? Theoretische und empirische Analysen zum Qualitätsbegriff in der Pädagogik. Weinheim/München, 2004 Klein, F.: Inklusive Erziehungs- und Bildungsarbeit in der Kita: Heilpädagogische Grundlagen und Praxishilfen. Lehr-/Fachbuch. Köln, 2010 Kobelt-Neuhaus, D.: Gemeinsame Erziehung von Kindern mit und ohne Behinderung in Tageseinrichtungen – Qualitätsmerkmale von Einzelintegration aus Elternsicht. Gemeinsam leben 10, 2, 2002; S. 54–61 Kreuzer, M.: Pädagogische Qualität von integrativen Kindergärten. Einschätzungen und Anregungen. Gemeinsam leben 14, 2006; S. 132–140 Kreuzer, M./Ytterhus, B. (Hrsg.): »Dabeisein ist nicht alles.« Inklusion und Zusammenleben im Kindergarten. München, 2. Auflage, 2011
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1.2 Inklusion in Kinderkrippen Monika Wertfein
Kinderkrippen bieten grundsätzlich ein vielfältiges Handlungsfeld für eine Pädagogik der Vielfalt. Schließlich trägt jedes Kind, jede Familie und jede Fachkraft zur Heterogenität bei. Jede Kindertageseinrichtung steht vor der Herausforderung jedem Kind individuell gerecht zu werden, ohne die lebendige Gemeinschaft aller Beteiligten aus dem Blick zu verlieren. Doch worauf kommt es dabei an? Dieses Kapitel stützt sich auf folgende zwei Thesen: ȤȤ Kinder in den ersten drei Lebensjahren haben einen besonderen Anspruch an die inklusive Qualität des Kita-Alltags. ȤȤ Ein verlässliches Miteinander von Kindern, Fachkräften und Eltern entspricht dem inklusiven Anspruch jeder Kindertageseinrichtung. Vor dem Hintergrund dieser Thesen soll aufgezeigt werden, welche Bedeutung den individuellen und sozialen Bedürfnissen in Kinderkrippen(gruppen) zukommt und wie demnach eine qualitativ hochwertige Bildung, Erziehung und Betreuung von Kindern in den ersten drei Lebensjahren familienergänzend gelingen kann. Im Zentrum der Betrachtung stehen Kinderkrippen, Kinderkrippengruppen sowie Tageseinrichtungen, die Kinder vor dem dritten Lebensjahr aufnehmen und eine gemeinsame Bildung, Erziehung und Betreuung von Kindern mit und ohne Behinderung zum Ziel haben.
Die Unterschiede der Kinder in den Blick zu nehmen Würde man Kinder in den ersten drei Lebensjahren fragen, was sie sich von einer Kindertageseinrichtung wünschen, würde man je nach Alter des Kindes unterschiedliche Antworten erhalten. Ein Säugling würde sich vor allem die intensive Zuwendung und körperliche Nähe einer Person wünschen, die ihn nach Bedarf füttert, pflegt und in
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den Schlaf wiegt. Ein Kind mit 18 Monaten würde mit Nachdruck den Wunsch nach viel Zuspruch, Aufmerksamkeit und Trost zum Ausdruck bringen, vor allem dann, wenn es an seine Grenzen kommt und mit starken Gefühlen zu kämpfen hat. Ein zweijähriges Kind würde sich möglichst viel Raum für Eigenständigkeit und selbstwirksame Erfahrungen wünschen und gleichzeitig den wachen Blick einer Bezugsperson, um sich in neuen Situationen durch soziale Rückversicherung, z. B. durch Blickkontakt, ein »alles in Ordnung« abzuholen. Jedes Kind ist anders und dies lässt sich nicht nur an den unterschiedlichen Altersgruppen festmachen. Schließlich sind auch unter Gleichaltrigen große Wesensunterschiede zu beobachten. Einige »Krippenkinder« können körperlich aktiv, mutig, selbstständig und sozial aufgeschlossen, andere eher zurückhaltend, erst einmal beobachtend, vorsichtig und schüchtern sein. Neben Temperamentsunterschieden, tragen auch die Familien der Kinder zur Vielfalt in der Krippengruppe bei: so treffen z. B. Kinder mit unterschiedlichen Familiensprachen, aus unterschiedlichen sozialen und ökonomischen Verhältnisse zusammen. Somit vertritt jede Kindertageseinrichtung, die Kinder in den ersten drei Lebensjahren aufnimmt das inklusive Motto »Jedes Kind ist willkommen!« und gibt damit jedem Kind eine Chance nach seinen Möglichkeiten an der Gemeinschaft teilzuhaben. Andererseits wird erwartet, dass jedes Fachteam in einer Kindertageseinrichtung dies leistet. Dabei können die Vielfalt der Kinder und Familien und der damit unterschiedlich intensive pädagogische Aufwand für die Entwicklungsbegleitung der Kinder und die Zusammenarbeit mit den Eltern sehr unterschiedlich ausfallen. Nicht immer erleben die Fachteams die bestehenden Ressourcen an Personal und Zeit als ausreichend (Wertfein/Müller/Kofler, 2012).
Inklusive Alltagspraxis bewusst gestalten Es ist die tägliche Aufgabe der Fachkräfte für alle Kinder eine angemessene Balance zwischen deren Bedürfnis nach Sicherheit und Zuwendung sowie nach Autonomieunterstützung und selbstwirksamen Lernerfahrungen zu schaffen. Dies gilt für die Gestaltung des Tagesablaufs, der Tagesroutinen, des täglichen Ankommens und Verabschiedens sowie der Interaktionen mit den Fachkräften und unter den Kindern. Die Bedeutung der täglichen Abläufe und Alltagssituationen stehen bei vielen Fachkräften nicht im Vordergrund ihrer pädagogischen Überlegungen. Wenn zudem die Ressourcen knapp sind, gerät der Bereich der Gesundheit, Ernährung und Pflege schnell ins Hintertreffen, während andere Bildungsbereiche, wie die Sprache, Musik oder Mathematik grundsätzlich als wichtiger
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Inklusion und Differenzierung – Pädagogik der Vielfalt
betrachtet und behandelt werden (Wertfein/Müller, 2012). Dabei nimmt die alltägliche Lebenspraxis einen großen Teil des Kitaalltags ein; allein die Mahlzeiten umfassen 10 bis 15 Wochenstunden (Kultti, 2014). Für die Kinder sind das gemeinsame Essen, das Wickeln, das Umziehen oder das Händewaschen mit zentralen Entwicklungsaufgaben verknüpft. Sie stellen selbstverständliche Bildungsgelegenheiten dar, um grundlegende Alltagskompetenzen zu erlernen und kulturelle Unterschiede zu erleben (Borke/Döge/Kärtner, 2011). Am Beispiel der regelmäßigen Mahlzeiten wird deutlich, wie eng eine bewusste Gestaltung der Tagesroutinen mit dem Anspruch auf entwicklungsförderliche und für jedes Kind angemessene Bildung zusammenhängen kann. So ist bekannt, dass vor allem Essenssituationen für Kinder und ihr Wohlbefinden von Bedeutung sind (Roberts, 2011). Jede Mahlzeit ermöglicht den Genuss mit allen Sinnen, die individuelle Erfahrung von Hunger, Appetit und Sättigung und das Erleben persönlicher Vorlieben sowie neuer Geschmacksund Geruchserfahrungen. Somit stehen die Gesundheitsbildung und Wahrnehmungsschulung bei jeder Mahlzeit als Bildungsthema im Vordergrund. Bei den gemeinsamen Mahlzeiten kann sich jedes Kind als Teil der Gemeinschaft erleben, den sozialen Zusammenhalt in der Gruppe pflegen und sich mit anderen über Erfahrungen und neue Ideen austauschen. Jede Mahlzeit bietet damit grundsätzlich wertvolle Lerngelegenheiten in sprachlicher als auch sozialer Hinsicht und schafft einen klaren Rahmen, in welchem die aktiven Gesprächsbeiträge der Kinder im Mittelpunkt stehen (Kultti, 2014; Dickinson/Freiberg/ Barnes, 2011). Dies kommt auch sozial eher zurückhaltenden Kindern zugute: aktuelle Forschungsbefunde sprechen dafür, dass es Kindern mit Behinderung während der Mahlzeiten leichter fällt mit anderen Kindern zu interagieren, als dies während des Freispiels oder bei Kleingruppenaktivitäten der Fall ist (Kemp et al., 2013). Weitere naheliegende Bildungsthemen von Essenssituationen sind die Feinmotorik (z. B. das Essen mit unterschiedlichem Besteck aus unterschiedlich geformtem Geschirr) und mathematische Fertigkeiten (z. B. das Zuordnen von Gedeck zu Sitzplätzen, Abzählen von Besteck), die durch die größtmögliche aktive Beteiligung der Kinder bewusst genutzt werden können. Inwiefern Kinder von Mahlzeiten als Bildungsangebot profitieren, hängt maßgeblich davon ab, wie diese Situationen gestaltet werden. Bildungsprozesse erfordern klare Strukturen sowie ausreichend Zeit und Raum für gemeinsames Tun und die Partizipation aller Kinder: »Eine klare Tagesstruktur, vorhersehbare Abläufe und übersichtliche Kleingruppen in überschaubaren Räumen unterstützen die Kinder darin, Sicherheit und Orientierung zu gewinnen« (Wertfein, 2013, S. 350). Wenn Mahlzeiten zudem in einer entspannten, emotional positiven Atmosphäre stattfinden und alle Kinder diese aktiv mitgestalten können, sind
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sie ganz im Sinne des inklusiven Anspruchs wertvolle Gelegenheiten für soziale Teilhabe und die gemeinsame Bildung aller Kinder. Hierbei geht es nicht darum, dass sich jedes Kind an die Gegebenheiten und Gewohnheiten anpasst. Inklusion bedeutet, dass die bestehenden Strukturen immer wieder daraufhin geprüft werden, ob sie für alle Kinder hilfreich und angemessen sind. Wenn sich beispielsweise Differenzen zwischen den Bedürfnissen von Kindern und der Tagesstruktur ergeben (z. B. Kinder sind frühzeitig hungrig oder müde), ist eine Veränderung im Tagesablauf oder eine Flexibilisierung (z. B. es wird eine Frühesser-Gruppe eingerichtet) erforderlich. Diskrepanzen zwischen Qualitätsanspruch und gelebter Wirklichkeit sind in Kinderkrippen(gruppen) vor allem dann zu beobachten, wenn Alltagssituationen zu wenig pädagogische Bedeutung und nur geringe Ressourcen (Aufmerksamkeit, Zeit, Personal) zugemessen werden. Oftmals führt dies zu Essenssituationen, die unter Zeitdruck und in einer angespannten Atmosphäre eher als Pflichtprogramm gestaltet werden (Beckh et al., 2013; Wertfein/Müller/ Kofler, 2012). Die Interaktionen zwischen Fachkräften und Kindern fokussieren dann eher auf das Essverhalten der Kinder und werden von knappen An- bzw. Zurechtweisungen durch die Fachkräfte dominiert (Kultti, 2014; König, 2009). Auch unangemessene, rigide Erwartungen an das Essverhalten der Kinder (z. B. »Kinder müssen aufessen«, »es wird nicht mit den Fingern gegessen«) können dazu beitragen, dass nicht das Erleben der gemeinsamen Mahlzeit, sondern Kritik und Ungeduld die Atmosphäre prägen. Das »Einschleichen« von negativen Interaktionen zwischen Fachkräften und Kindern in Tagesroutinen wie den Mahlzeiten und in Pflegesituationen (Wickeln/Toilette) kann unterschiedliche Gründe haben, birgt aber unreflektiert immer das Risiko verinnerlicht und zu einer ablehnenden Grundhaltung zu werden (Gutknecht, 2012). Regelmäßige Teamreflektion zur pädagogischen Praxis und die intensive Auseinandersetzung der Fachkräfte mit der Heterogenität der Kinder und ihrer Familien kann eine solche Negativspirale verhindern. Dies zeigt sich darin, dass integrative Einrichtungen tendenziell eine höhere pädagogische Qualität aufweisen (Heimlich/Behr, 2008; Wertfein, 2013).
Feinfühlige Interaktionen zwischen Fachkraft und Kind Kinder in den ersten drei Lebensjahren, die in kleinen Gruppen spielen, machen erste Erfahrungen des sozialen Zusammenlebens und ihrer Grenzen. Sie lernen zunehmend ihr eigenes Verhalten entsprechend zu regulieren (z. B. gemeinsames Teilen, Umgang mit Aggression und Wut). Dazu brauchen sie pädagogische
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Fachkräfte, die einen Überblick über die Gruppensituation haben, um Probleme vorauszusehen und zu vermeiden (z. B. damit sich Kinder nicht gegenseitig verletzen oder selbst in Gefahr bringen). Entscheidend ist, dass die Erwartungen an alle Kinder ihrem Alter und Entwicklungsstand entsprechen (z. B. von Zweijährigen wird nicht erwartet, dass sie über längere Zeiträume warten können) und dass Interaktionsprozesse unter Gleichaltrigen nicht sich selbst überlassen werden (Prengel, 2010). Alle Kinder brauchen Fachkräfte, die ihnen Orientierung vermitteln, indem sie konsistent auf das Verhalten der Kinder reagieren, nicht strafende Methoden zur Regelumsetzung einsetzen (z. B. Verhaltensalternativen aufzeigen) und die positiven Verhaltensweisen beachten und benennen (z. B. durch Loben). Inklusives pädagogisches Handeln hat zum Ziel alle Kinder in ihrer Individualität zu stärken und gleichzeitig die Unterschiede zwischen den Kindern im Gruppengeschehen wahrzunehmen und zu berücksichtigen. Lieselotte Ahnert bezeichnet den gleichzeitigen Blick auf die Gruppe und das einzelne Kind als »empathisches, gruppenbezogen ausgerichtet[es] Erzieherverhalten« (Ahnert, 2004, S. 268). Nur wenn die Fachkraft die Ressourcen und Stärken jedes Kindes berücksichtigt sowie die Gruppenprozesse aufmerksam beobachtet, kann sie frühzeitig und angemessen erkennen, ob und wann ein Kind ihre Unterstützung braucht, um eine Aufgabe zu bewältigen oder mit anderen Kindern in Kontakt zu treten. Nur ein responsives Verhalten der Fachkräfte, das die individuellen Äußerungen jedes Kindes ernst nimmt und aufgreift, kann allen Kindern im Sinne der Inklusion gerecht werden (Gutknecht, 2012). Aus den umfangreichen Forschungsarbeiten von Michael Guralnick (2009) zu sozialen Interaktionen von Kindern lässt sich ableiten, dass Inklusion dann gelingt, wenn Barrieren für Spiel, Lernen und Partizipation für alle Kinder ermittelt und abgebaut werden, um Bildungsangebote für alle Kinder zugänglich zu machen. Entsprechend sollten inklusive Einrichtungen gekennzeichnet sein durch ȤȤ einen respektvollen Umgang und positive, nachhaltige Beziehungen (z. B. Kinder und Fachkräfte fühlen sich miteinander sichtlich wohl, sprechen ruhig und freundlich miteinander), ȤȤ eine hohe Individualisierung und Kindorientierung (z. B. Aktivitäten richten sich flexibel nach den aktuellen Bedürfnissen, Interessen und Kompetenzen der Kinder), ȤȤ eine hohe Partizipation und Autonomie der Kinder (z. B. jedes Kind entscheidet selbst, mit wem es spielen und befreundet sein möchte; Kinder dürfen sich nach ihren Fähigkeiten aktiv beteiligen), ȤȤ klare Erwartungen, Regeln und Grenzen (z. B. alle Kinder wissen, was zu
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tun ist und halten sich daran; die Fachkraft lobt und beschreibt erwünschtes Verhalten) und ȤȤ vielfältige Lerngelegenheiten im Kitaalltag (z. B. auch Übergänge ermöglichen Lernerfahrungen, sie werden vorausschauend und aufmerksam gestaltet) (vgl. Pianta/Hamre, 2009; Booth, Ainscow/Kingston, 2007). Beobachtungsstudien zufolge werden vor allem solche Kinder in der Gruppe abgelehnt, die sich nicht an soziale Konventionen halten, häufig in Konflikte verwickelt sind und sich sprachlich schwer verständlich machen können (Albers, 2012). Auch Kinder mit sprachlichen und motorischen Beeinträchtigungen benötigen bei der Gestaltung von positiven Peer-Beziehungen die besondere Unterstützung der Erwachsenen (Hestenes/Caroll, 2000; Harper/McCluskey, 2002; Dicarlo/Reid, 2004; Kreuzer/Ziebell, 2009). Da Kinder mit Behinderung selbst weniger Spielkontakte initiieren (Hestenes/Caroll, 2000; Odom, 2002), kann fehlende Unterstützung schnell zur sozialen Benachteiligung einzelner Kinder in der Gruppe führen. Bei der sozialen Hilfestellung durch die Fachkraft ist zu beachten, dass das Kind im Gruppenkontext nicht zusätzlich geschwächt wird (Gutknecht, 2012) und dass ein zu aktives Eingreifen das kindliche Spiel oftmals vorzeitig beendet (Jungmann/Albers, 2008; Wolfberg, 2008). Nimmt die Fachkraft jedoch die Rolle der »empathischen Spielpartnerin« und »Moderatorin« ein, die eher zurückhaltend einer »Spieleinladung« eines Kindes folgt, kann sie die soziale Teilhabe aller Kinder angemessen unterstützen (Junmann/Albers, 2008; Casey, 2008). Dabei spielt die Beziehungsqualität zwischen Fachkraft und Kind eine wichtige Rolle, da sie als emotionale Grundlage zu den sozialen Kompetenzen der Kinder im Umgang mit Gleichaltrigen beiträgt (Birch/Ladd, 1998; Howes et al., 1994; Howes, 2000).
Selbstfürsorge und Teampflege Der Aufbau und die Pflege guter, stabiler Fachkraft-Kind-Beziehungen fordert jede Fachkraft und jedes pädagogische Team. Um der Vielfalt der Anforderungen im Alltag einer Kindertageseinrichtung und der Heterogenität der Akteure und Situationen gerecht werden zu können, müssen die Fachkräfte einerseits flexibel und offen für Veränderungen sein. Andererseits erfordert ein gut funktionierendes Team ein hohes Maß an Strukturierung und klare Absprachen (z. B. bei der Aufgabenverteilung). Der pädagogische Alltag mit Kindern in den ersten drei Lebensjahren ist emotional anspruchsvoll und geprägt von wechselnden, sehr individuellen
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Bedürfnissen sowie starken Gefühlen (z. B. bei Trennung, Frustration). Dies erfordert kompetente Fachkräfte, die gerne mit dieser Altersgruppe arbeiten, emotional belastbar sind und einfühlsam auf die Bedürfnisse der Kinder eingehen. Eltern und Kinder stellen hohe Erwartungen an die Verfügbarkeit und emotionale Standfestigkeit der Fachkraft. Dabei sollte die Selbstfürsorge der Fachkraft nicht zu kurz kommen. Außerdem braucht jede kompetente Fachkraft ein starkes Team, innerhalb der Einrichtung sowie mit externen Experten und Fachdiensten. Wichtige Qualitätskriterien einer inklusiven Kindertageseinrichtung, in der sich nicht nur alle Kinder und Eltern, sondern auch jede Fachkraft wohl, wertgeschätzt und unterstützt fühlt, sind (in Anlehnung an Tietze et al., 2007): ȤȤ die Berücksichtigung von Gesundheitsaspekten am Arbeitsplatz Kindertageseinrichtung (z. B. rückenschonende Sitzmöglichkeiten für Fachkräfte in den Gruppenräumen; Schallschutz in stark frequentierten Räumen, etwa Bistro) ȤȤ die Berücksichtigung persönlicher Bedürfnisse der Fachkräfte (z. B. separater Personalraum, abschließbare Aufbewahrungsmöglichkeiten für persönliche Dinge, besondere Vorkehrungen für Erzieherinnen mit Behinderungen) ȤȤ die Zusammenarbeit, der Zusammenhalt und die Vernetzung der Fachkräfte (z. B. positives Teamklima, klare Aufgabenverteilung/Zuständigkeiten, regelmäßige Teambesprechungen im Klein- und Großteam, interdisziplinäre Zusammenarbeit) ȤȤ die Möglichkeiten der beruflichen Fortbildung, Reflexion und Evaluation (z. B. kollegiale Beratung, Hospitationen im Team, Zugang zu Fachliteratur, Fortbildungsplanung im Team). »Team werden« und »Team sein« sind in Kindertageseinrichtungen besondere Herausforderungen, zumal jedes Kita-Team ständig neuen Herausforderungen und oftmals auch während des Kindergartenjahres Teamveränderungen unterworfen ist. »Die fortwährende Reflexion dieser ›Beziehungsarbeit‹, der Interaktionsprozesse mit den Kindern und der Zusammenarbeit im Team sind das professionelle Fundament für positive Interaktionen und zentraler Bestandteil pädagogischer Qualität.« (Kofler/Wertfein/Müller, 2013, S. 12 f.) Schließlich braucht jedes Team unterstützende Strukturen und regelmäßige Zeiträume für Teamentwicklung, zur Stärkung des Miteinanders und der Erarbeitung gemeinsamer Ziele. Dennoch gerät die Teampflege (z. B. durch regelmäßigen Austausch und gemeinsame Reflexionsprozesse) oftmals ins Hintertreffen, vor allem dann, wenn die täglichen Anforderungen die zeitlichen und personellen Ressourcen übertreffen (z. B. Personalknappheit, keine festen Teamzeiten, hohe Personalfluktuation, lange Öffnungszeiten).
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Dies hat Konsequenzen und schlägt sich langfristig auf das subjektive Wohlbefinden und die Arbeitsmotivation der Fachkräfte nieder und geht letztendlich auf Kosten der pädagogischen Leistungsfähigkeit und Qualität. Werden wichtige Teamsitzungen zugunsten von dringlichen Elterngesprächen oder zusätzlichen Dokumentationen (z. B. für die Zusammenarbeit mit Therapeuten) ausgelassen (was keine Seltenheit ist!), kann dies zu zusätzlichen Belastungen und Stressreaktionen führen (z. B. Missverständnisse und Konflikte belasten das Miteinander im Team). Denn es bestehen enge Zusammenhänge zwischen der Arbeitszufriedenheit der Fachkräfte, ihren Interaktionen mit den Kindern und dem Zusammenhalt im Team (Wertfein/Müller/Danay, 2013; Wertfein/Spies-Kofler/ Becker-Stoll, 2009; Kuger/Kluczniok, 2008; de Schipper et al., 2007). Daher ist es insbesondere in inklusiven Einrichtungen erforderlich, dass ausreichende Verfügungszeiten für zusätzliche Tätigkeiten und Maßnahmen eingeplant werden: ȤȤ für längere oder häufigere Elterngespräche (z. B. während der Eingewöhnungszeit), ȤȤ für Teamentwicklungsmaßnahmen (z. B. feste Schließzeiten für Klausurtage zu Beginn des Kindergartenjahres) und ȤȤ für die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit Fachdiensten (dies umfasst u. a. zusätzliche Verwaltungstätigkeiten, Telefonate, regelmäßige Konferenzen, um die notwendigen Rahmenbedingungen zu schaffen und Unterstützungssysteme z. B. für die Aufnahme eines Kindes mit Behinderung zu organisieren). Hierin wird deutlich, dass Inklusion in Kindertageseinrichtungen kein Selbstläufer ist, sondern den flexiblen Einsatz zusätzlicher Ressourcen auf allen Ebenen und im Sinne aller Akteure erfordert. Nur so kann es gelingen, jede Kindertageseinrichtung an die Ansprüche aller Kinder, Eltern und Fachkräfte stetig anzupassen und die inklusive Qualität der Einrichtung zu sichern bzw. weiter zu entwickeln.
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1.3 Inklusion und innere Differenzierung – Offene Arbeit und Projektarbeit als optimale Antwort Eva Reichert-Garschhammer
Literaturrecherchen im Internet zu den Stichworten Inklusion, Differenzierung, Vielfalt, Heterogenität, Diversität ergaben, dass für den Schulbereich bereits viele Fachpublikationen hierzu vorliegen, für den Kitabereich hingegen nur drei Tagungsbände: ȤȤ Differenzierung, Integration und Inklusion. Was können wir im Umgang mit Heterogenität an Kindergärten und Schulen in Südtirol1 lernen? (Bräu/Carle/ Kunze, 2011) ȤȤ Diversität – Ressource und Herausforderung für die Pädagogik der frühen Kindheit (pfv: Hammes-Di Bernardo/Schreiner, 2011) ȤȤ Vielfalt von Anfang an – Inklusion in Krippe und Kita (nifbe: Albers/Bree/ Jung/Seitz, 2012). In keinem dieser Bände findet sich ein Beitrag zur Gestaltung einer differenzierten Lernumgebung, obgleich dies zu den Kernelementen einer Pädagogik der Vielfalt zählt. In der frühpädagogischen Inklusionsdebatte wird dem Thema noch kaum Beachtung geschenkt, in den einschlägigen WiFF-Expertisen (Prengel, 2014, Sulzer/Wagner, 2012) wird es nur gestreift. Im Dialog mit der Praxis zeigt sich, dass innere Differenzierung als Fachbegriff eher unbekannt und ihr Zusammenspiel mit der Öffnung von Kitas nach innen und außen nur wenigen bewusst ist. Seit Erprobung und Einführung des Bayerischen Bildungsplans findet am Staatsinstitut für Frühpädagogik (IFP) eine intensive Auseinandersetzung mit Modell- und Konsultationseinrichtungen statt, die in ihrer Praxis bereits seit Jahren den Ansatz der Offenen Arbeit realisieren und Projektarbeit betonen. Ein wesentlicher Befund ist, dass diese Einrichtungen beim Thema Inklusion und Differenzierung derzeit die größte Expertise aufweisen. Durch systematische 1 Italien kann auf 30 Jahre Erfahrungen mit der Integration junger Menschen ins reguläre Bildungssystem zurückblicken, in Südtirol kommen zudem die Erfahrungen mit der Mehrsprachigkeit hinzu.
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Öffnung nach innen und außen ist es ihnen gelungen, mit Kindern zusammen Lernumgebungen zu schaffen, die in hohem Maße differenziert auf deren unterschiedliche Bedürfnisse und Interessen eingehen. Öffnungsprozesse erweisen sich somit als Voraussetzung, das Inklusionsprinzip der inneren Differenzierung angemessen zu verwirklichen. Was unter innerer Differenzierung konkret zu verstehen ist und welche Antworten die Ansätze Offene Arbeit und Projektarbeit hierzu in Theorie und Praxis unter Berücksichtigung des aktuellen Forschungsstands entwickelt haben, wird im Folgenden dargelegt.
Inklusion und Differenzierung – Begriffsklärungen und Zusammenspiel Die Heterogenität der Individuen als Normalität, Ressource und Bereicherung wahrzunehmen, anzuerkennen und wertzuschätzen ist Grundlage und Leitziel von Inklusion. Eine inklusive Auslegung des Begriffs Heterogenität hat zu folgenden Grundsätzen geführt: ȤȤ Alle sind gleich, alle sind verschieden, d. h. wir sind »verschieden, ohne einander untergeordnet zu sein« (Prengel, 2014, S. 20). ȤȤ Jeder Mensch ist einzigartig und besonders und in diesem Sinne immer anders. Es ist daher normal, verschieden und anders zu sein. Gleichheit und Verschiedenheit (Heterogenität) zeichnen sich durch viele verschiedene Dimensionen aus, die in Tabelle 1 in Bezug auf Kinder zusammengefasst sind. Anstelle von Gleichheit ist oft auch von Gleichberechtigung die Rede, was jedoch zu kurz greift.
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Tabelle 1: Dimensionen von Gleichheit und Verschiedenheit Alle Kinder sind gleich
Alle Kinder haben die gleichen Menschenrechte, so vor allem auf –– gemeinsame und bestmögliche Bildung, –– umfassende Partizipation und –– Schutz vor Diskriminierung Alle Kinder haben viele Gemeinsamkeiten – sie –– lernen von Geburt an –– sind aktive Individuen, kompetente Mitgestalter ihres Lebens, ihrer Bildung und Entwicklung und Experten in eigenen Belangen –– bringen grundlegende Kompetenzen, Stärken und Schwächen sowie ein reiches Lern- und Entwicklungspotential mit –– haben dieselben Grundbedürfnisse, so vor allem nach sozialer Eingebundenheit, Autonomie- und Kompetenzerleben bzw. Selbstwirksamkeit
Alle Kinder sind verschieden
Jedes Kind bietet ein Spektrum einzigartiger Besonderheiten vor allem in Bezug auf folgende Aspekte: Persönliche Heterogenitätsmerkmale und Gruppenzugehörigkeiten –– Alter und Geschlecht –– Temperament und Anlagen –– Körperfunktionen und -strukturen (Behinderung) Individuelle Bedingungen des Aufwachsens –– kultureller Familienhintergrund, Ethnie, Sprache(n), Religionszugehörigkeit –– sozio-ökonomischer Familienhintergrund –– Familienstruktur und die in der Familie praktizierten Lebensstile –– Wohnort Individuelle Lernausgangslagen und Lernkontexte –– Bildungs- und Entwicklungsbiographie –– Vorwissen und aktuelles Kompetenzniveau –– Stärken, Begabungen und Interessen –– Lern- und Entwicklungstempo, Lernstil –– Lern- und Unterstützungsbedürfnisse –– Anregungspotential in der Familie, Kita, Schule, Peergemeinschaft Individuelle Lebenslage und Lebensgeschichte, die aus all diesen Faktoren und der Mehrfachgruppen-Zugehörigkeit des Kindes resultiert
»Alle Kinder sind gleich, was ihre Rechte angeht, ihre Ansprüche an ein erfülltes und friedliches Leben, an die Entfaltung ihrer Persönlichkeit und ihrer Potenziale. (…) Und jedes Kind ist besonders, was seine individuellen Lernzugänge und seine Weltsicht angeht, aber auch seine Lebensverhältnisse und Lernmöglichkeiten. Hier gibt es große Unterschiede für Kinder in Deutschland, sogar eine zunehmende Kluft zwischen Erfahrungsreichtum und Bildungsmöglichkeiten, je nach sozialem Status der Familien« (Wagner, 2011, S. 34).
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Angesichts zunehmender Heterogenität und sozialer Ungleichheit stehen Bildungseinrichtungen heute vor der Herausforderung, die gleichen Rechte aller Kinder auf gemeinsame, qualitativ hochwertige Bildung bestmöglich zu realisieren und zugleich für soziale Zugehörigkeit, Wohlbefinden und Engagiertheit aller Kinder zu sorgen (Wagner, 2011, S. 34). Mit den herkömmlichen Strategien des Aussonderns und Segregierens (Homogenisierung) wird man dieser Herausforderung nicht mehr gerecht, aber auch nicht mit Gleichbehandlung (Wagner, 2011, S. 34): ȤȤ Strategien, die »Kinder aufgrund bestimmter Merkmale (wie Sprache, Entwicklung, Motorik) langfristig zu homogenen Fördergruppen« fassen und separieren, verstärken die Sonderbehandlung dieser Kinder (Sulzer/ Wagner, 2011, S. 23; Wagner, 2013, S. 13, 54 f.). Sie setzen bei den Lernund Entwicklungsdefiziten der Kinder an, um ihren Rückstand in Bezug auf Normalentwicklung mit speziellen Fördermaßnahmen auszugleichen und aufzuholen. Diese Defizite werden »häufig mit Geschlecht, Kultur, Sprache, entwicklungsbezogenen Faktoren, sozioökonomischen Status begründet (…), was Stereotypisierungen Vorschub leistet. (…) Selbst wenn die Förderung im besten Willen positiv gemeint ist, erhalten die Kinder die Botschaft, nicht ›gut genug‹ zu sein, ›anders‹ zu sein, was häufig mit Stigmatisierungsprozessen verbunden ist« (Sulzer/Wagner, 2011, S. 23 f.). »Die Betonung dessen, was Kinder nicht können, beschädigt ihr Selbstwertgefühl und führt dazu, dass ihnen nicht viel zugetraut wird« (Wagner, 2012, S. 55). ȤȤ Strategien, die alle Kinder gleichbehandeln (z. B. in Form gleicher Aufgabenstellungen), können bei ungleichen Startbedingungen vorhandene Ungleichheitsverhältnisse verstärken (Wagner, 2013, S. 14; DUK, 2010, S. 12). Sie erweisen sich als »Quelle von Entwicklungserschwernissen und Diskriminierung. Denn die Verschiedenheit der Kinder wird durch Gleichbehandlung nicht zum Verschwinden gebracht, sondern lässt viele von ihnen an fiktiven Durchschnittsstandards scheitern« (Kron, 2011, S. 87). »Kinder brauchen Unterschiedliches, um die gleichen Chancen für die Entwicklung ihrer Persönlichkeit und ihrer Bildungsbiographie zu haben« (Sulzer/ Wagner, 2011, S. 23) und »erfolgreiche Bildungsprozesse zu durchlaufen« (Wagner, 2013, S. 13). Die volle, gleichberechtigte und selbstbestimmte Bildungsteilhabe aller Kinder erfordert eine Vielfalt ungleicher Maßnahmen, die Kindern unterschiedliche Zugänge zu Bildungsthemen, unterschiedliche Ausdrucksweisen, Lernwege und Lerntempi und dabei auch Auswahl, Mitsprache und Mitgestaltung ermöglichen (Wagner, 2011, S. 34, Kron, 2011).
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ȤȤ Vorzuhalten ist »ein breites Spektrum an strukturellen, räumlichen, personellen und materiellen Möglichkeiten« (Stahlmann/Pudzich, 2013, S. 13) und eine Vielfalt an Lern- und Unterstützungsangeboten, wobei das kooperative Lernen in heterogenen Gruppen als Ressource und durchgängiges Prinzip im Vordergrund einer inklusiven Bildungsgestaltung steht (Arend-Steinebach, 2011, S. 142 f.). ȤȤ Je größer die Vielfalt von Bildungs- und Lernmöglichkeiten ist und je mehr Auswahl, Entscheidungs- und Handlungsspielraum die Kinder haben, desto besser gelingt der Umgang mit Heterogenität (Koeppel, 2011, S. 241). Bei inklusiver Bildung werden die »Lernenden stärker herausgefordert, ihr eigenes Lernen zu steuern und einzuschätzen und sich anderen Lernern zuzuwenden« und somit »Verantwortung für den eigenen Lernprozess als auch Mitverantwortung für das Lernen anderer« zu übernehmen; folglich gewinnen auch Paten- und Tutorenmodelle auf Peerebene an Bedeutung (Arend-Steinebach, 2011, S. 147; vgl. auch Speck-Hamdan, 2011, S. 20). Auf den Punkt gebracht heißt »Normalität in einer inklusiven Gesellschaft (…) auch, dass nicht jedes Angebot für jeden geeignet ist, und eine Vielfalt an inklusiven Angeboten im Grunde inklusiver ist, weil sie Wahlmöglichkeiten aufzeigen. (…) Einer heterogenen Gesellschaft tut ein heterogener Umgang mit Inklusion ganz gut« (Pella, 2012, S. 25). Innere Differenzierung in Bildungseinrichtungen ist ein Sammelbegriff für organisatorische und pädagogische Maßnahmen, die auf Gruppen- und Einrichtungsebene eingesetzt werden, um auf die individuellen Unterschiede der Kinder gezielt einzugehen, Vielfalt als Lernchance produktiv zu nutzen und damit die volle Bildungsteilhabe aller Kinder zu gewährleisten (vgl. ArendSteinebach, 2011, Heymann u. a., 2011). Die Gestaltung einer differenzierten Lernumgebung zählt zu den Kernaspekten inklusiver Einrichtungsentwicklung und Bildungsorganisation (Heymann u. a., 2011) und bezieht sich auf die Raumgestaltung, Materialausstattung und deren Darbietung ebenso wie auf das Bildungsangebot, die Lernaufgaben, Sozial- und Arbeitsformen (vgl. BayStMAS/ BayStMBW, 2012, S. 38). ȤȤ Differenzierte Lernumgebungen zeichnen sich aus durch vielfältige Formen der inneren Differenzierung und Öffnung und erfordern eine konsequente Orientierung und Anpassung an die wachsenden Kompetenzen der Kinder und deren aktive Beteiligung (vgl. BayStMAS/BayStMBW, 2012, S. 38). Innere Differenzierung setzt eine Öffnung nach innen und außen voraus, weil sie auf Gruppenebene rasch an ihre Grenzen stößt. ȤȤ Durch differenzierende Maßnahmen auf Einrichtungs- und Gruppenebene
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lässt sich ein weites Spektrum unterschiedlicher Bedürfnisse, Kompetenzen und Interessen der Kinder bedienen. Diese Maßnahmen beziehen sich sowohl auf die Vervielfältigung der Bildungs- und Erfahrungsmöglichkeiten, die Kindern auch selbstbestimmte Nutzung und Auswahl eröffnen, als auch auf die Sicherstellung ausgewogener Wechsel im Tagesablauf und in der Gruppenbildung für gemeinsame Bildungsaktivitäten (siehe Tabelle 2). Tabelle 2: Formen der inneren Differenzierung und Öffnung Vervielfältigung der Bildungsund Erfahrungsmöglichkeiten
Um allen Kindern Teilhabe, selbstbestimmte Nutzung und Auswahl sowie ein Voneinander-Lernen zu ermöglichen, braucht es: –– vielfältige Begegnungen und Beziehungen –– Diversität und Multiprofessionalität im Team –– attraktive Raum-, Material-, Medien-, Angebots- und Aufgabenvielfalt, die sich durch vielfältige Themen, Anspruchsniveaus und Sprachen auszeichnet –– pädagogisch-didaktische Methodenvielfalt (z. B. Lernformen, Moderationsmethoden, Partizipationsformen) –– Verfahrensvielfalt bei der Beobachtung und Dokumentation von Bildungsprozessen –– Kooperationsvielfalt mit Eltern und externen Netzwerkpartnern
Ausgewogene Wechsel im Tagesablauf und in der Gruppenbildung
–– Selbstbestimmte und pädagogisch initiierte und moderierte Lernphasen, wobei es ausreichend moderierte Lernphasen geben muss –– Individuelle und kooperative Lernformen, wobei das kooperative (Peer-) Lernen im Vordergrund steht –– Arbeit in heterogenen und homogenisierten Lerngruppen (z. B. nach Alter, Sprache, Interesse), wobei der Arbeit in heterogenen Kleingruppen zentrale Bedeutung zukommt –– Ausreichend Bewegung und Entspannung, was sich auf Tagesund Raumgestaltung bezieht
Seit Inkrafttreten der UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland stehen alle Bildungseinrichtungen vor der Aufgabe, die Forderung nach einem inklusiven Bildungssystem in ihre Praxis schrittweise umzusetzen. Die Notwendigkeit, bestehende Lernumgebungen differenzierter zu gestalten, richtet den Blick auf die Arbeits- und Bildungsorganisation von Kindertageseinrichtungen: »Jahrzehntelang dominierte die Vorstellung, dass Kindergartenkinder bei ihrem Eintritt in die Einrichtung einer bestimmten ›Gruppe‹ mit einer oder zwei ›Kindergärtnerinnen‹ zugewiesen wurden und in diesem Gruppenverband von meist 25 Kindern und mehr, mit den für sie zuständigen Erwachsenen auch ihre gesamte Kindergartenzeit durchlaufen sollten. Hatte eine Einrichtung mehrere Gruppen, die Zwerge, die Wichtel und die Elfen, so arbeiteten diese weitgehend getrennt
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voneinander und führten alle Angebote im eigens für diese Gruppe kleinkammrig gestalteten Gruppenraum durch – nutzten sogar oft das Außengelände, in für jede Gruppe ausgewiesenen Bereichen, zu vereinbarten Zeiten und arbeiteten mit einem Belegungsplan für den Bewegungsraum, der ebenfalls von den einzelnen Gruppen zeitlich getrennt aufgesucht wurde. Erst die wenigen Nachmittagskinder der verschiedenen Gruppen trafen sich gemeinsam im Garten und konnten so im Spiel ›gruppenübergreifend‹ Kontakt aufnehmen. Wer in welche der von den Erwachsenen definierten Gruppe beim Kindergartenstart kam, war dem Zufall oder einem einrichtungsinternen Reglement überlassen. Diese Vorgehensweise wurde jahrzehntelang nicht hinterfragt« (Haug-Schnabel, 2011a, S. 9) – auch weil man davon ausging, dass Kinder ein solches Setting für ihre gesunde Entwicklung brauchen.
Aus heutiger Sicht ist gruppenbezogenes Arbeiten selbst schon für Kinder bis drei Jahren mit gravierenden Nachteilen verbunden, da sie wenig Differenzierung bieten kann und Kinder in ihren Bildungs- und Erfahrungsmöglichkeiten einschränkt: »Gruppenbezogenes Arbeiten kann für Kinder unter drei Jahren bedeuten, dass sie nur für eine begrenzte Anzahl von gleichaltrigen und gleichgeschlechtlichen Spielpartnern zur Verfügung haben sowie nur eingeschränkte Kontaktmöglichkeiten mit anderen Kindern und Fachkräften anderer Gruppen. Allein schon die eingeschränkte Aktivitätenauswahl nach dem Motto ›von allem etwas‹, kann oft für ein Kind bedeuten, dass gerade nichts für sein Alter, seinen Entwicklungsstand und seine Spezialinteressen dabei sein kann. Hierdurch gehen die Erfahrungsmöglichkeiten und Interaktionen verloren, ein unnötiges Entwicklungsrisiko, das nur durch mehr Öffnung und eigeninitiativen Zugang zu Spielpartnern, Räumen, Materialien und Fachkräften verhindert werden könnte« (Haug-Schnabel, 2011b, S. 23 f.).
Ein überwiegend gruppenbezogenes Arbeiten in Kitas erweist sich somit als Barriere für mehr Lernen und Teilhabe im Sinne des Index für Inklusion (Booth u. a., 2004). Deren Abbau gelingt nur, wenn die Ressource Öffnung nach innen und außen mobilisiert wird – auch für Kinder bis drei Jahren und für Kinder mit Behinderungen. Während in den ostdeutschen Ländern das gruppenbezogene Arbeiten in Kitas noch vorherrschendes Modell ist, finden in den westdeutschen Ländern heute in den allermeisten Kitas Öffnungsprozesse statt; sie arbeiten zunehmend mehr oder weniger auch gruppenübergreifend oder haben bereits das Stadium der Offenen Arbeit erreicht.
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Praxisexpertise zu Inklusion und Differenzierung – Kitas, die offen arbeiten Inklusive Pädagogik ist eine Pädagogik der Vielfalt, die im Elementarbereich auf innovative Ansätze und ein dort entwickeltes »Reservoir an didaktischen Arrangements« (Prengel, 2014, S. 33) zurückgreifen kann. Inklusionsexperten nennen in diesem Zusammenhang immer wieder den Situationsansatz sowie die Reggio-, Montessori- und vorurteilsbewusste Pädagogik (Prengel, 2014, Sulzer/ Wagner, 2011, Wagner, 2013) und übersehen dabei den Ansatz der Offenen Arbeit. Dieser wurde von vornherein als Pädagogik der Nichtaussonderung, Achtsamkeit und Vielfalt konzipiert und wird in der Praxis zumeist in Kombination mit den genannten anderen inklusionsfreundlichen Ansätzen realisiert: »In inklusiven Bildungseinrichtungen kann man gar nicht anders arbeiten als offen. (…) Offen bedeutet offen für alle Kinder zu sein. Niemand wird ausgegrenzt, alle gehören dazu« (Lill, 2012, S. 83). »Gerade bei Offener Arbeit geht es darum, Kinder, die nicht ins normale Raster passen in die Regelkita (…) aufzunehmen statt sie auf Sondereinrichtungen zu verweisen. (…) Eine Kultur der Nichtaussonderung ist ein Basisbaustein der Offenen Arbeit, woraus deren Prinzipien Individualisierung, Differenzierung und Flexibilisierung resultieren. Eine flexible Planung und Organisation erfordert ein hohes Maß an gemeinsamer Verantwortung, Reflexion und Kooperation im Team« (Lill, 2012, S. 33).
Inklusion, Partizipation und Differenzierung sind die Grundlagen und Stärken der Offenen Arbeit. Der intensive Austausch mit den bayerischen Konsultationskitas, die diesen Ansatz in qualitativer guter Weise praktizieren, brachte zum Vorschein, dass diese Kitas hierzu derzeit die meisten Erfahrungen gesammelt und Antworten entwickelt haben: ȤȤ Offene Arbeit orientiert sich an den Kompetenzen, Interessen und Bedürfnissen der Kinder und schafft eine Bildungs- und Lernkultur, die Partizipation, Kooperation, Dialog, BeobAchtung und Dokumentation hoch gewichtet. Dies ermöglicht auf Vielfalt wertschätzend einzugehen, zusammen mit Kindern und Eltern als Bildungspartner ein differenziertes Angebot zu gestalten, für jedes Kind eine individuelle Bildungsbegleitung zu realisieren und zugleich das gemeinsame Lernen in heterogenen Lerngruppen zu betonen. ȤȤ Offene Arbeit setzt hohes Vertrauen in das aktive, engagierte, kompetente Kind und dessen Lernfähigkeit, Entscheidungen für sich und andere zu treffen, mehr Verantwortung für das eigene Lernen und das der anderen zu übernehmen. Sie gesteht Kindern ein hohes Maß an Selbstbestimmung, Eigen-
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aktivität, Mitsprache, Mitgestaltung und Verantwortungsübernahme zu, um sie in vielen Basiskompetenzen zu fordern und zu stärken. Mit ihrer Bildungsvielfalt ermöglicht Offene Arbeit Kindern, ihre Talente zu entdecken. Offene Arbeit vervielfacht das Bildungs- und Beziehungsangebot, erweitert den Entscheidungs- und Handlungsspielraum für Kinder und Erwachsene. Alle Pädagoginnen und Pädagogen arbeiten mit allen Kindern. Die Kinder erhalten viele Optionen, zu entscheiden, welche Räume sie aufsuchen, welche Angebote und Materialien sie auswählen, mit welchen pädagogischen Fachkräften und anderen Kindern sie zusammen spielen und lernen wollen. Erreicht wird dies durch eine Pädagogik, die die Ideen und Fragen der Kinder offensiv aufgreift, und durch vielfältige Formen der inneren Differenzierung und Öffnung, die sich teils zu Strukturmerkmalen der Offenen Arbeit entwickelt haben (z. B. Gruppen- und Raumöffnung). Im Fokus steht die gemeinsame Verantwortung des Teams für das Haus und alle Kinder, die sich durch stärkenorientierte Arbeitsteilung, gemeinsame Nutzung der Räume und Materialien, gemeinsame Bildungsorganisation auf Einrichtungsebene und hohe Gewichtung von Teamarbeit auszeichnen. Die Kompetenzen und Ressourcen der Eltern erweitern das Bildungsangebot. Offene Arbeit braucht eine durchdachte Struktur, hohe Transparenz und eine gute Eingewöhnung, damit Kinder vom breiten Spektrum der Bildungsmöglichkeiten profitieren. Sie beinhaltet eine klare und zugleich flexible Tagesstruktur, die eine offene Bildungsplanung mit Kindern zulässt, Rituale im Tagesablauf, vereinbarte Partizipationsformen für Kinder, ein »schlankes« Hausregelwerk – grundsätzlich mit den Kindern aufgestellt – und sprechende Wände, die das aktuelle Kitageschehen für alle sichtbar machen. Der Weg zur Offenen Arbeit geschieht durch schrittweise Öffnung nach innen und außen, was einen kontinuierlichen Qualitätsentwicklungsprozess unter aktiver Einbeziehung aller Beteiligten mit offenem Ausgang in Gang setzt. Sich auf diesen anspruchsvollen und längerfristigen Öffnungsprozess einzulassen lohnt sich, weil er für Wohlbefinden und Engagiertheit aller sorgt (Lill, 2012) und gegenseitige Unterstützung und Entlastung deutlich zunehmen. Offene Arbeit ist erreicht, wenn ein Kind so viel wie möglich, mindestens aber über die Hälfte seiner Anwesenheitszeit frei wählen kann, welche Personen, Räume und Angebote es aufsucht, und die Prinzipien Offener Arbeit erfüllt sind. Offene Arbeit bleibt in Bewegung, denn Bedürfnisse, Gesellschaft und Pädagogik befinden sich im steten Wandel.
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Offene Arbeit im Spannungsfeld zwischen Erfolgsmodell und Reizwort Dass der Ansatz der Offenen Arbeit in der nationalen Inklusionsdebatte übersehen oder bewusst nicht thematisiert wird, kann daran liegen, dass er umstritten ist. Im Fachdiskurs dominant sind die Stimmen, die die Eignung Offener Arbeit für alle Kinder teils massiv in Frage stellen, so insbesondere für Kinder bis drei Jahren und für Kinder mit Behinderungen oder Verhaltensauffälligkeiten (Lill, 2011; Braun/ Dörfler, 2008). Sorge ist, dass diese Kinder in Kitas mit offener Arbeitsweise nicht das finden, was sie brauchen, nämlich ein hohes Maß an Orientierung, Ruhe und individueller Zuwendung, viel Struktur und klare Regeln. Diesen Kindern wird nicht zugetraut zu lernen, mit erweiterten Handlungsspielräumen und Auswahlmöglichkeiten kompetent umzugehen, sondern Überforderung unterstellt. Es wird schlichtweg davon ausgegangen, dass für diese Kinder eine feste Gruppe und ein klar definiertes Raum- und Personenangebot nach wie vor unerlässlich seien. Offene Arbeit bewegt sich heute im Spannungsfeld zwischen »Erfolgsmodell an der Basis« (Dollase, 2011, S. 10) und größtem Reizwort – bei keinem anderen Thema sind die Meinungen so konträr. Offene Arbeit ist eine wachsende Basisbewegung innovationsfreudiger PädagogInnen im Kitabereich, die auch im Schulbereich Fuß gefasst hat (Stichwort: Offener Unterricht). Inspiriert von reformpädagogischen Ideen und internationalen Reformbewegungen (z. B. Montessori, Korzcak, Freinet, Malaguzzi) hat sie in Niedersachsen in den 70er-Jahren ihren Ausgang genommen, sich bundesweit rasch verbreitet und zur Bildung von Netzwerken geführt. Im Kitabereich ist sie heute als pädagogischer Ansatz im Sinne von Inklusion anerkannt (Knauf/Düx/Schlüter, 2007, S. 151 ff.). Die wissenschaftlich begleitete Implementierung der seit 2003 sukzessiv eingeführten Bildungspläne brachte in Ländern wie Baden-Württemberg, Bayern und Sachsen folgende Erkenntnis hervor: »Aktuelle pädagogische Konzepte zur Umsetzung der Bildungspläne lassen sich in der Offenen Arbeit weitaus besser realisieren als in der traditionellen Gruppenpädagogik« (Andres, 2009, S. 18 zit. in Haug-Schnabel, 2011b, S. 24). In offen arbeitenden Kitas zeigt sich, dass ihnen die Umsetzung der Bildungspläne leichter fällt und besser gelingt (Reichert-Garschhammer, 2012, S. 25), dass diese Arbeitsweise »nicht nur mehr Qualität in der pädagogischen Arbeit ermöglichen, sondern auch zu einer höheren Arbeitszufriedenheit führen« kann (Cramer u. a., 2007, S. 17). In Bayern wurde Offene Arbeit daher auch im Bayerischen Bildungsplan und in Handreichungen hierzu verankert. »Haben Sie ihren Kindergarten schon auf den Kopf gestellt? Zum Chaos der so genannten Offenen Arbeit. Eine vorbeugende Polemik« (Huppertz, 1992, S. 52) –
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Offene Arbeit befindet seit ihrer Entstehung im Kreuzfeuer der Kritik und der Chaos-Vorwurf hält sich bis heute hartnäckig. »Offene Arbeit ist nicht automatisch gut – so wenig wie traditionelle Arbeitsweisen« (Lill, 2011), sie ist ein hoch anspruchsvolles Konzept. Auch sind die »Unterschiede zwischen den einzelnen offen arbeitenden Einrichtungen« und ihre »Abweichungen zur Fachliteratur« teils erheblich (Makalowski, 2010). Was Offene Arbeit zum Reizthema macht, sind die vielen Problemanzeigen in Bezug auf ihre Umsetzung in der Praxis: es gibt zu viele Irrtümer, was gute, qualitätsvolle Offene Arbeit ausmacht (z. B. jedes Kind kann machen, was es will; offene Türen oder Funktionsräume reichen aus) und dadurch zu viele schlechte Umsetzungsbeispiele (z. B. Laisserfaire-Pädagogik, die Kinder sich weitgehend selbst überlässt und zu Chaos führt) und eine zu hohe Scheiternsquote (z. B. Öffnungsprozesse im HauruckVerfahren, die alsbald wieder rückgängig gemacht werden).
Offene Arbeit im Spiegel von Wissenschaft und Forschung Offene Arbeit in der Kitapraxis ist erstaunlicherweise ein noch kaum beforschtes Feld, wobei in jüngerer Zeit das Forschungsinteresse an dieser Thematik wächst. Während empirische Studien hierzu immer noch rar sind, ist Offene Arbeit zunehmend im Blickfeld größer angelegter Studien (siehe Tabelle 3). Tabelle 3: Forschungsüberblick zu Offener Arbeit in Kitas Empirische Studien zu Offener Arbeit
1. Gemeinsame Erziehung von Kindern mit und ohne Behinderung im offenen Kindergarten (1987–1991 – Büchsenschütz/Regel, 1991) 2. Bedingungen, die das Gelingen des Konzepts der Offenen Arbeit in der Praxis beeinflussen (Weise, 2008) 3. Überprüfung des Handlungskonzepts offener Kindergartenarbeit in der Praxis (Makalowski, 2010, 2011) 4. Kinder unter drei Jahren in der Offenen Arbeit – Konzepte und Strategien der Einbindung (Rau, 2014)
Größere Studien, die Offene Arbeit berücksichtigen
1. Kinderstube der Demokratie – Partizipation in Kindertageseinrichtungen (Hansen/Knauer/Friedrich, 2004; Hansen/Knauer/ Sturzenhecker, 2011) 2. Öffnung der Kindergartengruppe für Kinder ab 1 Jahr (Riemann/ Wüstenberg, 2004; Wüstenberg/Riemann, 2006) 3. Begleitstudien zur Umsetzung der Bildungspläne auf Länderebene (z. B. Baden-Württemberg, 2010, Bayern, 2013, Sachsen, 2008) 4. Internationale und nationale Bildungsstudien, so vor allem die Hattie-Studie (Hattie, 2009/2013) und die NUBBEK-Studie (Tietze u. a., 2012, 2013)
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Die Begleitstudien zur Umsetzung der Bildungspläne in Baden-Württemberg, Bayern und Sachsen geben nicht nur über die hohe Vereinbarkeit der Offenen Arbeit mit den Anforderungen der Bildungspläne Aufschluss, sondern auch über ihren Verbreitungsgrad in der Praxis. Die in Tabelle 4 zusammengefasste Datenlage zur Arbeitsorganisation in Kitas ergibt das bereits genannte OstWest-Gefälle und folgende weitere Trends: ȤȤ Während sich in Bayern 22 % und in Baden-Württemberg sogar 31 % der Kitas als offen arbeitend bezeichnen, sind es in Sachsen nur 8 %. Die Längsschnitterhebung in Baden-Württemberg zeigt, dass der Anteil offen arbeitender Kitas wächst (4 %-Steigerung in zwei Jahren) und eine zunehmende Öffnung der Gruppenstruktur in Kitas zu registrieren ist. Die Daten zeigen auch, dass die meisten Kitas mit offener Arbeitsweise weiterhin Stammgruppen bilden, wo sich die Kinder z. B. im Morgenkreis treffen. ȤȤ Im Einrichtungsarten-Vergleich ist Offene Arbeit unterschiedlich verbreitet, dies ergab eine entsprechende Datenauswertung der 22 % offen arbeitenden Kitas in Bayern. Sie kommt am häufigsten vor in Kinderkrippen (47 %) gefolgt von Kindergärten (28 %) und Häusern für Kinder ohne Krippengruppen (27 %); am wenigsten verbreitet ist sie in Häusern für Kinder mit Krippengruppen (19 %). Tabelle 4: Arbeitsorganisation in mehrgruppigen Kitas im Ländervergleich Abfrage-Items Baden-Württemberg Baden-Württemberg2 Abfrage-Items Bayern 2006 2008 (N=1820) (N=1568) Fast nie gruppenübergreifend 8,90% 6,63% Arbeiten in Stammgruppen ohne Öffnung Manchmal gruppenübergreifend 37,53% 33,33% Oft auch gruppenübergreifend 26,54% 29,85% Überwiegende Arbeit in Stammgruppen mit zeitweiser Öffnung Meistens gruppenübergreifend 20,60% 22,19% Überwiegend Offene Arbeit mit zeitweiser Arbeit in Stammgruppen Nahezu alles gruppenübergreifend 6,43% 8,99% Offene Arbeit – keine Stammgruppen Verbreitungsgrad Offener Arbeit in 27,03% 31,18% Kitas
Bayern3 2009–11 (N=841) 6%
Sachsen4 2008 (N=602) 50%
72%
42%
18%
8%
4% 22%
8%
2 Röbe/Huppertz/Füssenich, 2010, S. 97 f. 3 Interne Berechnungen im Rahmen der Evaluation des Projekts »Sprachberatung in Kitas in Bayern« (Oliver Nicko). 4 Tietze u. a., 2008, S. 67.
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Angesichts des mittlerweile hohen Verbreitungsgrads und der nicht abreißenden Kritik sind folgende weitere Forschungsbefunde der in Tabelle 3 genannten Studien zu Offener Arbeit von hohem Interesse: ȤȤ Das von der Universität Oldenburg (Axel Wieland u. a.) begleitete Modellprojekt Gemeinsame Erziehung von Kindern mit und ohne Behinderung im offenen Kindergarten in Niedersachsen erbrachte den Nachweis, dass eine Verbindung von Integration/Inklusion und Gruppenöffnung möglich ist (Büchsenschütz/Regel, 1991; Pirschel, 1999; Struck, 1999; Klattenhoff, 1999; Braun/Dörfler, 2008, S. 27; Santjer, 2011). Kinder mit Behinderungen kommen mit offener Arbeitsweise in der Regel gut zurecht, wenn bestimmte organisatorische und pädagogische Qualitätsanforderungen erfüllt sind. ȤȤ »Bei offener Arbeit ergibt sich für die Kinder im Kindergartenalter eine höhere Prozessqualität (KES-RZ) als bei gruppenbezogener Arbeit; dies gilt nicht für die [altersgemischten] Gruppen mit Kindern im Krippenalter« (Tietze u. a., 2012, S. 8). Dieser grundsätzlich positive Befund der NUBBEK-Studie verdeutlicht die Unsicherheiten offen arbeitender Kindergärten, die sich für Kinder bis drei Jahren geöffnet haben. In diesen Einrichtungen noch kaum realisiert (Rau, 2014) wird das nach Forschungsstand für geeignet befundene »Nestprinzip«, das für die U3-Kinder eine Nestgruppe mit eigenem Nestraum und Personal vorsieht, um einen flexiblen Übergang in den offenen Hausbereich zu ermöglichen (Riemann/Wüstenberg, 2004; Wüstenberg/Riemann, 2006). In der Praxis finden sich viele Konzepte der Einbindung von U3-Kindern in den Offenen Kindergarten, wobei die Bildung von Krippengruppen am häufigsten vorkommt, gefolgt von Nestgruppen; bei diesen beiden Konzepten, deren bisherige Umsetzung in der Praxis keine prinzipiellen Unterschiede erkennen lässt, wechseln die U3-Kinder zumeist erst ab dem 3. Lebensjahr ins Offene Haus, sodass ihnen die Vorteile der Offenen Arbeit bis dahin gar nicht zu Teil werden (Rau, 2014, S. 7, 125). ȤȤ Das Konzept der offenen Kita ist pädagogisch wie strukturell ein Partizipationskonzept (Hansen u. a., 2004), das die Selbst- und Mitbestimmungsrechte der Kinder im Kitaalltag betont. Gerade in offen arbeitenden Kitas zeigt sich, dass Kinder – unabhängig ihres Alters und ihrer besonderen Bedürfnisse – viel mehr vermögen, als ihnen herkömmlich zugetraut wird, dass die Skeptiker gegenüber Offener Arbeit junge Kinder und Kinder mit Behinderungen systematisch unterschätzen. »In Deutschland besteht nach wie vor die Tendenz, Kinderrechte ausschließlich als Schutzrechte (…) und als Versorgungsrechte (Bildung und Teilhabe an gesellschaftlichen Ressourcen) zu thematisieren. Kinderrechte als Beteiligungsrechte werden dagegen insbesondere für jüngere
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Kinder nach wie vor seltener berücksichtigt. Diese Vorgehensweise bei der Umsetzung der UN-Konvention folgt einer fürsorglichen und damit bevormundenden Sichtweise: Kinder seien mit Beteiligungsrechten überfordert, man müsse daher zu ihrem Wohl entscheiden. Häufig ist es Erwachsenen, die so handeln und entscheiden, gar nicht bewusst, dass sie damit Kinderrechte entscheidend beschneiden« (Hansen/Knauer/Sturzenhecker, 2011, S. 40). ȤȤ Eine Hauptursache, warum eine gute Umsetzung Offener Arbeit so oft misslingt, ist: »Die Fachliteratur zur Offenen Arbeit liefert wenig eindeutige und einheitliche Handlungsanleitungen, weshalb situative Interpretationsspielräume bei Erzieherinnen immer wieder Unsicherheiten erzeugen« (Makalowski, 2011, S. 31). Hattie und Makalowski weisen in ihren Studien zudem nach, dass einige Kritikpunkte an Offener Arbeit berechtigt sind und dieser Ansatz daher auch einer konzeptionellen Weiterentwicklung bedarf. ȤȤ Die zu registrierende »Vielfalt der Ausgestaltung macht es sehr schwierig, die Offene Arbeit als solche in Forschungsprojekten zu untersuchen. Dies dürfte der Grund sein, warum es in diesem Bereich so wenig Arbeiten gibt« (Rau, 2014, S. 16).
Offene Arbeit und Inklusion – Entwicklung fachlicher Standards mit der Praxis Das Erfolgsmodell Offene Arbeit entbehrt bis heute einer klaren Definition und fachlicher Standards, die den aktuellen Entwicklungen im Kitabereich (z. B. Bildungspläne, Krippenausbau, Inklusion) und neueren Wissenschaftserkenntnissen Rechnung tragen. Was es jedoch gibt, ist ein reicher Schatz an Praxiserfahrungen über qualitätsvolle Offene Arbeit und gelingende Öffnungsprozesse. Diesen zu heben und mit dem Wissen aus der Fach- und Forschungsliteratur zu verknüpfen und darauf aufbauend Standards für Offene Arbeit und Wege dorthin zu entwickeln, ist daher wichtiger denn je. Dies schafft zugleich die Grundlage, die Lust macht auf die dringend benötigte Forschung zu Offener Arbeit. Dieser Herausforderung hat sich das Staatsinstitut für Frühpädagogik zusammen mit dem Netzwerk Konsultationseinrichtungen Bayern (Ko-KitaNetzwerk), in dem alle Kitas offen oder zumindest oft/meistens gruppenübergreifend arbeiten, gestellt. Die im April 2011 gegründete AG Offene Arbeit, der auch Fachberatungen mit einschlägiger Expertise angehören, hat sich zum Ziel gesetzt, ein Positionspapier zu Offener Arbeit zu entwickeln: ȤȤ In der ersten Arbeitsphase (2011/2012) ging es darum, den Erfahrungsschatz der AG-Mitglieder zur Offenen Arbeit zu heben. Dieser umfasst auch die
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vielen Einblicke der Ko-Kitas in die Kitapraxis, die sie im Rahmen ihrer 3,5-jährigen Konsultationstätigkeit (2009–2012) erhielten. Um tiefgehende Auseinandersetzungen bei den sechs AG-Treffen zu erzielen, wurde vor jeder Sitzung ein Fragebogen mit primär offenen Fragen an die Ko-Kita-Teams zu bestimmten Aspekten der Offenen Arbeit versandt. Die zur Gestaltung von Öffnungsprozessen gemachten Ko-Kita-Erfahrungen wurden im Rückblick wie auch in der Gegenwart erfasst, da die AG-Treffen Veränderungsprozesse in den Ko-Kitas auslösten. Die AG-Sitzungen wurden dokumentiert, die ausgefüllten Fragebögen erfasst. ȤȤ In der zweiten Arbeitsphase (2013–2015) wird am IFP anhand des zusammengetragenen Praxiswissens und der einschlägigen Fach- und Forschungsliteratur das Positionspapier entwickelt und in Redaktionssitzungen mit der AG schrittweise diskutiert und optimiert. Aufgrund der Komplexität der Thematik beansprucht diese Arbeitsphase viel Zeit. Nach Fertigstellung des abgestimmten Entwurfs ist eine bundesweite Expertenanhörung geplant; die Rückmeldungen werden in der AG erörtert, um gemeinsam zu entscheiden, welche Berücksichtigung finden. Veröffentlicht wird das Positionspapier in einer Bundesfassung als Verlagspublikation und in einer Bayernfassung als Onlinepublikation. In diese Standardentwicklung eingebettet ist die notwendige konzeptionelle Weiterentwicklung der Offenen Arbeit. Im Fokus dabei stehen die Studien von Hattie und Makalowski und deren zu lösende Problemanzeigen: ȤȤ Nach der Hattie-Studie weisen Offener Unterricht/Offene Arbeit, bei denen Pädagoginnen und Pädagogen Kindern primär selbstorganisiertes Lernen ermöglichen, unter allen reformpädagogischen Ansätzen die geringsten Effektstärken für Lernerfolg auf. Strukturiertes, pädagogengesteuertes Arbeiten, wo Pädagoginnen und Pädagogen eine aktive, die Kinder aktivierende Rolle einnehmen, führt eindeutig zu mehr Lernerfolg (Hattie, 2009/2013; vgl. auch Steffens/Höfer, 2011). ȤȤ Die im Rahmen der Makalowski-Studie durchgeführte Kinderbefragung in offen arbeitenden Kindergärten ergab, dass sich die meisten Kinder mehr Interaktion und Beziehung mit den pädagogischen Fachkräften und täglich mehr Angebote wünschten und bei ihrem freiem Spiel mehr Erwachsenenbeteiligung und mehr Unterstützung, wenn sie Hilfe benötigen. Im Rahmen der Schulvorbereitung haben die befragten Pädagoginnen und Pädagogen selbst geringes Vertrauen in die Effizienz selbstorganisierten Lernens und verpflichten die Kinder zur Teilnahme am schulvorbereitenden Angebot (Makalowski, 2010, 2011).
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Konsequenz aus beiden Studien ist, den Selbstbildungsansatz, der bis heute die frühpädagogische Diskussion in Deutschland dominiert sowie vielen reformpädagogischen Ansätzen (z. B. Offene Arbeit, Montessori-Pädagogik, Situationsansatz) und den Bildungsplänen der meisten Länder zugrunde liegt, weiterzuentwickeln. ȤȤ Zukunftsweisend ist der Bildungsansatz der Ko-Konstruktion, den einige Länder in ihrem Bildungsplan aufgreifen (z. B. Bayern, Hessen, RheinlandPfalz, Sachsen-Anhalt). Ko-Konstruktion, die Kindern und Erwachsenen eine gleichermaßen aktive Rolle bei der Gestaltung von Bildungsprozessen und den Pädagoginnen und Pädagogen die Steuerungsverantwortung zuweist, basiert auf Selbstbildung, stellt jedoch die Bedeutung der sozialen Interaktion, Kooperation und Kommunikation in lernenden Gemeinschaften für Kinder heraus. Bei hoher Interaktionsqualität erzielt Ko-Konstruktion bessere Lerneffekte als selbstentdeckendes Lernen, da sie Kinder in ihren sozialen, sprachlichen und kognitiven Kompetenzen mehr fordert und stärkt (Fthenakis, 2009, S. 9; König, 2009, 2010). ȤȤ Inklusionsexperten betonen das gemeinsame Lernen in heterogenen Lerngruppen (Prengel, 2014; Heimlich, 2012), da »der Prozess der Inklusion nur gelingen kann, wenn die Gruppe und Gemeinschaft, verbunden mit Prozessen der Teilhabe, als solche stärker in den Fokus genommen werden« (Jung, 2012, S. 119). Von besonderer Bedeutung ist die pädagogische Begleitung und Nutzung des Peerlernens, bei dem Kinder Erfahrungen in Bezug auf individuelle Unterschiede und daraus zu entwickelnde Gemeinsamkeiten machen können (Heimlich/Behr, 2009; Sulzer/Wagner, 2012; BayStMAS/ BayStMBW, 2012). »Die Schaffung eines Rahmens für eine kooperative Gestaltung von Bildungsprozessen, in denen Vielfalt und Heterogenität als Normalität erlebt werden können und eine Gruppenzugehörigkeit für alle Kinder erfahrbar wird, bildet den eigentlichen Kern einer inklusiven Praxis« (Jung, 2012, S. 120). ȤȤ Die Weiterentwicklung Offener Arbeit im Sinne eines ko-konstruktiven Bildungsverständnisses verändert die Pädagogenrolle und rückt die Moderation kooperativer Bildungsprozesse in heterogenen Lerngruppen und die Interaktionsqualität mit Kindern in den Fokus. Zugleich überwindet sie die strikte Trennung von (Frei-)Spiel und Angebot, die beide neu zu definieren sind. Dies eröffnet neue Perspektiven auf die Gestaltung einer differenzierten Lernumgebung dergestalt, dass Spiel- und Angebotsphasen stärker miteinander verzahnt und im Tagesablauf nebeneinander stattfinden können. In diesem Kontext wird es möglich, unter aktiver Beteiligung der Kinder die Anzahl und Vielfalt von Angeboten und gemeinsamen Bildungsaktivitäten zu erhöhen.
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Das Positionspapier zur Offenen Arbeit wird – analog zum bereits herausgege benen Positionspapier zur Projektarbeit (siehe unten) – wie folgt aufgebaut sein: 1. Definition und Bedeutsamkeit der Offenen Arbeit 2. Fachliche Standards für die Offene Arbeit 3. Wege zur Offenen Arbeit Die AG hat folgende Grundlagen der Offenen Arbeit herausgearbeitet: Menschenbild und Haltung – Inklusion und Pädagogik der Vielfalt – Partizipation und Ko-Konstruktion. Welche Strukturelemente Offene Arbeit auszeichnen und wie Orientierung und Potentialentfaltung im Offenen Haus gelingen, dazu hat sich die AG auf die in Tabelle 5 dargelegten Standards verständigt. Wie eine differenzierte Raum- und Tagesgestaltung und eine offene Planung von Bildungsprozessen mit Kindern konkret aussehen können, wird im Folgebeitrag an drei Einrichtungsbeispielen aufgezeigt. Tabelle 5: Fachliche Standards der Offenen Arbeit Strukturelemente der Offenen Arbeit 1. Teamverantwortung für Haus und alle Kinder – stärkenorientiere Arbeitsteilung und Teamarbeit 2. Gruppenöffnung – von Stamm- zu Bezugsgruppen mit Offener Arbeitsweise 3. Raumöffnung – themenbezogene Bildungs- und Erfahrungsräume 4. Öffnung nach außen – Netzwerkarbeit mit vielen Bildungspartnern 5. Klare Tagesstruktur – Angebotsvielfalt und flexible Planung mit Kindern 6. Dienstplanung im Offenen Haus 7. Gestaltungsfaktor Einrichtungsart und -größe 8. Qualitätsentwicklung – Selbstverständnis als lernende Kitagemeinschaft Orientierung und Potenzialentfaltung im Offenen Haus 1. Schlüsselprozess Eingewöhnung 2. Hohe Transparenz – Strukturen, Empfang, Gesprächskreise, sprechende Wände 3. Gesicherte Partizipationsrechte der Kinder – »Kita-Verfassung« 4. Regeln und Grenzen – »Weniger ist mehr!« 5. Interaktions- und Beziehungsqualität – Voneinanderlernen im Dialog 6. BeobAchtung und Dokumentation – vielfältiger positiver Blick aufs Kind und Portfolio
Projektarbeit – idealer Einstieg für offenes und differenziertes Arbeiten mit Kindern Das Arbeiten in Projekten erweist sich als idealer Einstieg für offenes, differenziertes und damit inklusives Arbeiten mit Kindern (vgl. Heymann u. a., 2011). Für Kindertageseinrichtungen ist Projektarbeit kein Novum und spielt eine zentrale Rolle, je mehr sie nach dem Situationsansatz, der Reggio-Pädagogik
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bzw. dem Ansatz der Offenen Arbeit bereits pädagogisch arbeiten. All diese in den 70er-Jahren entstandenen Ansätze beinhalten Projektarbeit als Kernelement. In den letzten Jahren hat sie sich jedoch stark verändert und positiv weiterentwickelt (z. B. Kompetenzorientierung, Partizipation, Inklusion) und wird als optimaler Ansatz zur Umsetzung der Bildungspläne und als Schlüssel für hohe Bildungsqualität gesehen (Reichert-Garschhammer u. a., 2013). »Ein Projekt in Bildungseinrichtungen ist eine offen geplante, [einmalige] Bildungsaktivität einer lernenden Gemeinschaft von Kindern und Erwachsenen. Im Mittelpunkt steht die intensive, bereichsübergreifende Auseinandersetzung mit einem die Kinder interessierenden Thema und dessen Einbettung in größere Zusammenhänge. Gemeinsam wird das Thema vielseitig und arbeitsteilig untersucht und erforscht; dabei auftretende Frage- und Problemstellungen werden identifiziert und gemeinsam kreative Lösungswege gesucht und entwickelt, was sich über einen längeren Zeitraum erstreckt. Zentrales Merkmal von Projekten ist daher ihr Ablauf in mehreren Phasen« (Reichert-Garschhammer u. a., 2013, S. 17).
Projektarbeit ist ein auf Inklusion gerichteter didaktischer Ansatz, da er alle am Thema interessierten Kinder mit ihrer Einzigartigkeit einbezieht und auf der Basis von Partizipation, Ko-Konstruktion und differenzierter Arbeitsteilung eine Pädagogik der Vielfalt ermöglicht. Projektarbeit schafft einen Rahmen, in dem jedes Kind seine Fähigkeiten zum Thema einbringen kann und zum Ausprobieren von Neuem und damit zum nächsten Entwicklungsschritt ermutigt wird. Ein Von- und Miteinanderlernen kann gerade in heterogen zusammengesetzten Projektgruppen zum bereichernden Prozess werden. ȤȤ In Projekten können »sich Kinder unterschiedlichen Alters oder mit unterschiedlichen Fähigkeiten auf ihre je eigene Weise mit dem Thema auseinandersetzen und Erfolgserlebnisse haben« (Schuhmann, 2010, S. 20). Am selben Thema arbeitend können ältere und jüngere Kinder je nach individueller Kompetenz unterschiedliche Rollen im Lernprozess einnehmen und verschiedene Lernwege in ihrem individuellen Lerntempo beschreiten. Um den unterschiedlichen Interessen der Kinder Rechnung zu tragen, können Untergruppen gebildet werden, die das Thema unter verschiedenen Aspekten und Blickwinkeln bearbeiten und beleuchten. ȤȤ Um die Teilhabe aller Kinder am Projekt sicherzustellen, kommen vielfältige Ausdrucksweisen zum Einsatz, die sich nicht auf verbale Formen beschränken. »Wenn Themen z. B. auch durch Bewegung, musikalisch und künstlerisch erforscht werden, können sich Kinder verschiedene Wahrnehmungs-, Ausdrucks- und Verstehensweisen über ein und dasselbe Thema erschließen,
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sich mit anderen austauschen und somit Bedeutungen ko-konstruieren« (BayStMAS/BayStMBW, 2012, S. 39). »Alle Fragen und Ideen der Kinder werden ernst genommen. Das ist wichtig, denn sie zeigen uns, was und wie die Kinder ihre Umwelt wahrnehmen, wie sie ihre Erfahrungen interpretieren, die Welt begreifen, verstehen und zum Ausdruck bringen« (Förster, 2009, S. 12 f.). Das mit dem Netzwerk Konsultationseinrichtungen Bayern bereits herausgegebene Positionspapier Projektarbeit im Fokus: Fachliche Standards und Praxisbeispiele für Kitas (Reichert-Garschhammer u. a., 2013), das auch in einer auf Bayern zugeschnittenen Fassung erschien (Reichert-Garschhammer/Ko-KitaNetzwerk Bayern, 2012) gibt viele weitere Einblicke, was qualitativ hochwertige Projektarbeit heute auszeichnet und wie es gelingt, ein projektfreundliches Klima in Kindertageseinrichtungen zu schaffen.
Ein Resümee zum Schluss Im Rahmen der wissenschaftlichen Begleitung der Erprobung des Bayerischen Bildungs- und Erziehungsplans in 104 Modelleinrichtungen wurde resümierend eine Gesamtidee entwickelt, welche pädagogischen Konzepte, Ansätze und Strategien eine gute Planumsetzung in der Praxis garantieren. Diese Gesamtidee wurde im BayBEP wie folgt verankert: »In ihrer Kombination scheinen folgende Vorgehensweisen ein guter Weg, diesen Plan angemessen umzusetzen: ȤȤ Das Konzept der inneren Öffnung, insbesondere auch das der offenen Kindertageseinrichtung, das mehr gruppenübergreifendes Arbeiten und Kindern mehr Angebotsauswahl eröffnet. ȤȤ Das Prinzip der inneren Differenzierung des pädagogischen Angebots, das mehr Kleingruppenarbeit und individuelle Unterstützung ermöglicht. ȤȤ Der Projektansatz, weiterentwickelt im Sinne des lernmethodischen Kom petenzerwerbs, der bereichs- und altersübergreifendes Arbeiten ermöglicht. ȤȤ Das gezielte Aufgreifen von Alltagssituationen, die sich in vielen Bildungsbereichen für unmittelbare Lernprozesse der Kinder eignen. ȤȤ Eine hohe Gewichtung der Mitwirkung der Kinder am Bildungs- und Einrich tungsgeschehen sowie der Bildungs- und Erziehungspartnerschaft mit Eltern. Dieses Vorgehen beinhaltet die Chance, die vorhandenen Ressourcen effizienter einzusetzen und zugleich die Bildungsqualität für die Kinder zu erhöhen« (BayStMAS/IFP, 2005/2012, S. 53/41).
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Mit Blick auf die aktuelle Herausforderung Inklusion und innere Differen zierung sind diese Aussagen aus dem Jahr 2005 heute noch genauso richtungsweisend wie vor 10 Jahren.
Literatur Albers, T./Bree, S./Jung, E./Seitz, S./nifbe (Hrsg.): Vielfalt von Anfang an. Inklusion in Krippe und KiTa. Freiburg, 2012 Andres, B.: Bindungsbedürfnisse der Kinder in der Offenen Arbeit. Anmerkungen zum achtsamen Umgang. TPS 3/2009, S. 18 f. Arend-Steinebach, C.: Überlegungen zur Didaktik der Inklusion. In: K. Bräu/U. Carle/I. Kunze (Hrsg.), Differenzierung, Integration, Inklusion. Was können wir vom Umgang mit Heterogenität an Kindergärten und Schulen in Südtirol lernen. Baltmannsweiler, 2011; S. 141–150 BayStMAS-Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Soziales, Familie und Integration/ BayStMBW-Bayerisches Staatsministerium für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst (Hrsg.): Gemeinsam Verantwortung tragen. Die Bayerischen Leitlinien für die Bildung und Erziehung von Kindern bis zum Ende der Grundschulzeit. München, 2012/2014. URL: http:// www.stmas.bayern.de/kinderbetreuung/bep/baybl.php und http://www.km.bayern.de/eltern/ erziehung-und-bildung.html Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen/IFP-Staatsinstitut für Frühpädagogik: Der Bayerische Bildungs- und Erziehungsplan für Kinder in Tageseinrichtungen bis zur Einschulung. Berlin, 1. Auflage, 2005, 5. erweiterte Auflage mit BayBLKurzfassung, 2012. URL zum Einsehen: http://www.ifp.bayern.de/projekte/laufende/bildungsplan.html Booth, T./Ainscow, M./Kingston, D.: Index für Inklusion (Tageseinrichtungen für Kinder). Deutschsprachige Ausgabe. GEW (Hrsg.). Berlin, 2006. URL: http://www.eenet.org.uk/resources/docs /Index%20EY%20German2.pdf Bräu, K./Carle, U./Kunze, I. (Hrsg.): Differenzierung, Integration, Inklusion. Was können wir vom Umgang mit Heterogenität an Kindergärten und Schulen in Südtirol lernen. Baltmannsweiler, 2011 Braun, R./Dörfler, M.: Geschichte(n) der offenen Arbeit? In: R. Gruber/B. Siegel (Hrsg.), Offene Arbeit in Kindergärten. Das Praxisbuch, Weimar/Berlin, 2008; S. 23–30 Büchsenschütz, J./Regel, G.: Mut machen zur gemeinsamen Erziehung. Zeitgemäße Pädagogik im Offenen Kindergarten. Hamburg, 1991 Cramer, M./Förster, A./Groß, M./Mann, H.: Was braucht die Kita zur Umsetzung des Sächsischen Bildungsplans? Eine Untersuchung zum Abgleich von gesetzlich festgelegten Aufgaben und Zielen und den vorhandenen Personal- und Zeitressourcen in Sächsischen Kindertageseinrichtungen. Abschlussbericht. Paritätischer Wohlfahrtsverband Landesverband Sachsen (Hrsg). Dresden, 2007. URL: http://daten2.verwaltungsportal.de/dateien/seitengenerator /paritaetische_untersuchung_kita_rahmenbedingungen_13_11_07.pdf Dollase, R.: Offen arbeiten – was heißt das überhaupt. Gedanken zu Vergangenheit und Zukunft eines Konzepts. Welt des Kindes 5/2011; S. 10–13 DUK-Deutsche UNESCO-Kommission: Inklusion. Leitlinien für die Bildungspolitik. Bonn, 2. Auflage, 2010. URL: http://www.unesco.de/fileadmin/medien/Dokumente/Bildung/Inklusion LeitlinienBildungspolitik.pdf Förster, M.: Keine Sonderveranstaltung, sondern ganz normaler Alltag. Projekte als Kern der Kindergartenzeit. TPS 2/2009; S. 11–13 Fthenakis, W. E.: Ko-Konstruktion: Lernen durch Zusammenarbeit. Kinderzeit 3/2009; S. 8–13.
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Inklusion und innere Differenzierung
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Inklusion und Differenzierung – Pädagogik der Vielfalt
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1.4 Differenzierte Raum- und Tagesgestaltung und offene Bildungsplanung mit Kindern in der Praxis offen arbeitender Kitas Eva Reichert-Garschhammer, Claudia Reiher, Susanne Kleinhenz & Maria Förster
»Offene Arbeit hat eine sichtbare und unsichtbare Seite« (Lill, 2011, S. 7). Gradmesser für eine offene Arbeitsweise sind nicht die veränderten äußeren Kitastrukturen wie Räume, Regeln, Tagesstruktur, Planung, sondern die innere Einstellung und Haltung. »Bei Offener Arbeit geht es (…) in erster Linie um einen veränderten Blick auf ihren unsichtbaren Kern, der das aktive Kind in seinem Autonomiestreben und in seiner gleichwürdigen Beziehung zu den Erwachsenen ins Zentrum stellt. Von diesem Kern ausgehend sind alle Gestaltungsfragen des offenen Hauses zu klären, die je nach Bedingungen vor Ort anders aussehen« (Möllers, 2012, S. 16). Trotz der vielen Gesichter, die Offene Arbeit haben kann, gibt es Strukturmerkmale, an denen sie erkennbar ist. Diese haben sich in den vielen Häusern, die sich am Ansatz der Offenen Arbeit orientieren, herausgebildet und teils zunehmend etabliert. Offene Arbeit ermöglicht, für Kinder attraktive, anspruchsvolle Lernumgebungen und komplexe Strukturen zu schaffen, die ein Höchstmaß an inneren Differenzierungsformen aufweisen und Kindern ein breites Spektrum von Bildungs- und Lernmöglichkeiten bieten. Dieser Veränderungs- und Gestaltungsprozess erfordert den Mut von Kitateams, Barrieren im Kopf zu durchbrechen, bestehende Sichtweisen und Strukturen kritisch zu hinterfragen und ihre Arbeit- und Bildungsorganisation neu zu denken. Wie die Gestaltung differenzierter Lernumgebungen mit Kindern bei Offener Arbeit in der Praxis aussehen kann, wird am Beispiel von drei bayerischen Konsultationseinrichtungen auf drei Ebenen vorgestellt: ȤȤ Differenzierte Raumgestaltung am Beispiel der Kita Gut Heuchelhof in Würzburg ȤȤ Differenzierte Tagesgestaltung am Beispiel des Kindergartens »Am See« in Bad Kissingen, der Krippen-, Kindergarten- und Hortkinder aufnimmt ȤȤ Offene Planung von Bildungsprozessen mit Kindern am Beispiel des Kindergartens St. Peter und Paul, »Lernwerkstatt für Kinder« in Hammelburg/ Westheim, der sich für Krippenkinder geöffnet hat.
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Inklusion und Differenzierung – Pädagogik der Vielfalt
Die Erläuterungen zu jedem dieser Beiträge sind der aktuellen Entwurfsfassung des Positionspapiers zur Offenen Arbeit entnommen, das derzeit am Staatsinstitut für Frühpädagogik in Kooperation mit dem Ko-Kita-Netzwerk Bayern entsteht (siehe vorheriger Beitrag). Im Vorfeld ist noch zu erwähnen, dass die meisten offen arbeitenden Kitas weiterhin Stammgruppen bilden, tagsüber jedoch überwiegend gruppenübergreifend gearbeitet wird.
Differenzierte Raumgestaltung – Basis für differenziertes pädagogisches Arbeiten Die Kita Gut Heuchelhof in Würzburg hat schon vor vielen Jahren hausintern ihre Türen geöffnet und sich entschieden, ihre multifunktionellen Gruppenräume, in denen alle Lern- und Spielbereiche vorhanden sind, umzugestalten in themenbezogene Bildungs- und Erfahrungsräume, die für alle Kinder gleichermaßen offen stehen: ȤȤ Themenbezogene Bildungs- und Erfahrungsräume geben den individuell unterschiedlichen Bedürfnissen, Tätigkeiten und Interessen der Kinder optimalen Raum. Kinder finden in diesen Räumen vielfältige Möglichkeiten zur Selbstorganisation ihrer Lernprozesse allein und mit anderen vor. Für alle Räume gilt der Grundsatz, dass sie für die Kinder in ihrer Nutzung offen und in ihren Strukturen, Ordnungsprinzipien und Regeln transparent sind. Alle Räume besitzen einen hohen Anregungsgehalt und Aufforderungscharakter, indem sie mit vielfältigen und hochwertigen Materialien ausgestattet sind. ȤȤ Die themenbezogenen Bildungs- und Erfahrungsräume sind von der Atmosphäre und Ausstattung her unterschiedlich konzipiert, um für alle wichtigen und voneinander deutlich unterscheidbaren Tätigkeiten und Bedürfnissen der Kinder förderliche Entfaltungsfelder zu schaffen. Da jeder Raum seine eigene Funktion hat, haben die Kinder größtmögliche Chancen, nach ihren Neigungen und Wünschen zu spielen und ihre Umwelt zu erfahren. Durch die größeren Entfaltungsmöglichkeiten erfahren die Kinder eine Bereicherung ihres Umfelds und werden offener für Neues und Anderes. ȤȤ Wichtig dabei ist, dass sich das Angebot in den Räumen den Kindern anpasst und nicht umgekehrt. Um den Kindern optimale Bedingungen zu bieten, wird das Raumkonzept und somit die vorbereitete Umgebung immer wieder überdacht und verändert. In die Veränderungen der Räume fließen regelmäßig die Beobachtungsergebnisse ein, wie Kinder die Räume und Materialien nutzen und was unbenutzt bleibt. Die Weiterentwicklung der Räume geschieht gemeinsam mit den Kindern.
Differenzierte Raum- und Tagesgestaltung und offene Bildungsplanung
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Beispiel für ein differenziert gestaltetes Raumkonzept In der Kita Gut Heuchelhof umfasst das Raumkonzept elf themenbezogene Bildungs- und Erfahrungsräume, die jeweils über kleine Rückzugsbereiche verfügen: 1. Atelier mit Tonraum 2. Holzwerkstatt 3. Entdeckerland mit Montessori-Bereich 4. Kosmoszimmer 5. Bücherei 6. Rollenspielbereich mit Theaterbühne und Musikwerkstatt 7. Spiel- und Bauzimmer 8. Forscherbereich 9. Kindercafé 10. Bewegungsraum 11. Garten, der genauso differenziert gestaltet ist wie die Innenräume.
Räume wirken und bilden. Gute räumliche Bedingungen und attraktive, anregende Materialien stimulieren Interessen und Lernprozesse von Kindern direkt und unmittelbar, haben nach Forschungsstand erheblichen Einfluss auf Intensität und Vielfalt der Lernprozesse sowie auf Wohlbefinden und Gesundheit (u. a. Mayr/Kofler, 2011; Franz/Vollmert, 2009). Das Funktionsraumprinzip der Offenen Arbeit, das die multifunktionalen Gruppenräume durch themenbezogene Bildungs- und Erfahrungsräume (wie z. B. Atelier, Bauraum, Bibliothek, Forscherlabor, Theaterwerkstatt) ersetzt hat, greift dieses Wissen auf. Es ist inspiriert von der Montessori-Pädagogik (Stichwort: vorbereitete Lernumgebung) und der Reggio-Pädagogik (Stichwort: Raum als dritter Pädagoge), die der Raum- und Materialqualität (z. B. verwendungsoffene Materialien, »Echtzeug«) höchste Bedeutung beimisst. ȤȤ Mit Einführung der Bildungspläne hat die Gestaltung der räumlichmateriellen Lernumgebung als Basis der pädagogischen Arbeit neue Aufmerksamkeit erfahren. Kitas, die zu jener Zeit bereits offen arbeiteten, entwickelten ihre themenbezogenen Raumkonzepte weiter. Sie suchten nach Wegen, den verschiedenen Bildungsbereichen auch in der Raum- und Sachausstattung gerecht zu werden und diese dort besser abzubilden bzw. zu repräsentieren. Zugleich sorgten sie für ausreichend Rückzugsräume. ȤȤ Mit dem Krippenausbau und der Öffnung vieler Kindergärten für U3-Kinder kam für offen arbeitende Kindergärten die Notwendigkeit hinzu, nun auch Nesträume vorzusehen.
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Inklusion und Differenzierung – Pädagogik der Vielfalt
ȤȤ Im Zuge der Weiterentwicklung von Kitas zu inklusiven Einrichtungen hat das Thema differenzierte Lernumgebung nun seinen Höhepunkt erreicht. Inklusionsexpertinnen und -experten betonen: »In allen Ansätzen inklusiv orientierter Frühpädagogik stellt die Gestaltung des Raums und des Materialangebots eine zentrale didaktische Handlungsdimension dar, insbesondere auch in der Reggiopädagogik« (Prengel, 2014, S. 34) und in der Offenen Arbeit. Eine Bildungs- und Lernkultur, die auf Vielfalt, Kompetenzorientierung, Selbstorganisation, Ko-Konstruktion und Potentialentfaltung setzt, hat andere Anforderungen an Bildungsräume: Es braucht differenziert und flexibel gestaltete Räume, die Lernende einladen, darin individuell und in Gruppen tätig zu sein und eigenaktiv mit Materialien umzugehen, die Möglichkeiten für konzentriertes Arbeiten und Rückzug schaffen und zugleich Platz bieten für Interaktion, Dialog und Präsentation. Kitas, die offen arbeiten, werden diesen Anforderungen vielfach schon gerecht. Bewusst und differenziert gestaltete themenbezogene Bildungs- und Erfahrungsräume intensivieren die jeweilige Funktion der Räume (z. B. Bauraum statt Bauecke), sodass wesentlich mehr und tiefergehende Lern- und Spielprozesse der Kinder entstehen können. Sie bieten Kindern hohes Anregungspotential, wenn sie veränderbar und mit Kindern gestaltbar sind, wenn die Materialausstattung vielseitig, anspruchsvoll und hochwertig (z. B. »Echtzeug« und verwendungsoffenes Material statt vorgefertigtes Spielzeug; mehrsprachige Bücher und Bücher in Blindensprache) sowie für die Kinder im Alltag stets präsent und zugänglich ist. Bereits Kleinstkinder sind aktive Mitgestalter ihrer Bildungsräume, wenn beobachtet wird, wie sie die Räume nutzen und pädagogische Impulse aufnehmen, und sodann entsprechende Weiterentwicklung erfolgt. Solch innovative Raumkonzepte ȤȤ führen zu einer Differenzierung und Vielfalt von Bildungsräumen, was Kinder, aber auch PädagogInnen und Eltern motiviert, Einrichtung und Garten für sich nach und nach zu erobern und zu entdecken, ȤȤ bieten Kindern unterschiedliche Strukturen, Bildungsthemen und Zugänge (z. B. überall gelten andere Regeln, nicht mehr in jedem Raum gibt es eine Bauecke), eine Vielfalt anregender Materialien für alle Altersstufen, mehr Auswahlmöglichkeiten und Platz und damit viel mehr Lern- und Spielmöglichkeiten (z. B. im Bauraum viel Lego statt in jeder Bauecke der Gruppenräume nur ein bisschen Lego), ȤȤ eröffnen Kindern eine bessere und gezieltere Nutzung von Raum und Material und sorgen für mehr Ruhe und Konzentration bei allen Beteiligten, ȤȤ ermöglichen Kindern, längere Zeit an einer Sache dran zu bleiben,
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angefangene Bauwerke am nächsten Tag weiterzubauen, da die Dinge nicht jeden Tag weggeräumt werden müssen, sondern bei Bedarf auch tagelang stehen bleiben können, ȤȤ erleichtern die Durchführung von Projektarbeit, da in den Bildungs- und Erfahrungsräumen mit ihren unterschiedlichen inhaltlichen Schwerpunkten auf das Thema bereichsübergreifend eingegangen werden kann, ȤȤ ermöglichen Kindern und Erwachsenen sich zu begegnen, aber auch sich aus dem Weg zu gehen, ȤȤ steigern somit die Bildungs- und Beziehungsqualität der Einrichtung und sind daher ein zentrales Qualitätsmerkmal Offener Arbeit. Offene Arbeit geht jedoch über die Gestaltung anregender Bildungsräume und die Lernbegleitung der Kinder in diesen Räumen weit hinaus. Wichtig mit Blick auf erfolgreiche Bildungsprozesse sind vor allem auch pädagogisch moderierte Bildungsaktivitäten der Fachkräfte mit den Kindern in (heterogenen) Kleingruppen. Dies lenkt den Blick und das Interesse auf die Gestaltung differenzierter Tagesabläufe in offen arbeitenden Kitas.
Differenzierte Tagesgestaltung – klare und flexible Tagesstruktur als Rahmen Die jahrelange Erfahrung mit Offener Arbeit im Kindergarten »Am See« hat zur Erkenntnis geführt, dass sich eine differenzierte Tagesgestaltung durch folgende Merkmale auszeichnet: ȤȤ Um Kindern eine möglichst hohe Vielfalt an Angeboten bereit zu stellen, gilt es im Tagesablauf Angebotsphasen und Freispiel eng miteinander zu verzahnen, vielfältige Formen der Bildungsorganisation einzubeziehen (z. B. Lernen in Alltagssituationen, Arbeitsgruppen, Projekten, Exkursionen), im Wechsel individuelles Lernen und kooperatives Lernen im Dialog mit anderen in verschiedenen Gruppenkonstellationen zu ermöglichen und für ausreichend Bewegung und Entspannung zu sorgen. ȤȤ Offene Arbeit betont das Lernen in Interaktion, Kooperation und Kom munikation in Kleingruppen und bezieht das Kind als Mitgestalter seiner Bildung und Entwicklung aktiv ein. Die Pädagoginnen übernehmen hierbei die Moderatorenrolle, führen Regie und besitzen ein breites, die Kinder aktivierendes Methodenrepertoire. Sie ermöglichen den Kindern viel Eigenaktivität, Mitsprache und Mitgestaltung. Der Dialog mit den Kindern steht im Fokus.
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Inklusion und Differenzierung – Pädagogik der Vielfalt
ȤȤ Im Tagesablauf kommt das gemeinsame Lernen mit anderen in vielen verschiedenen Ausprägungen vor, wie z. B.: Lernen in Arbeitsgruppen, Lernen in Projektgruppen, die ein gemeinsames Thema bearbeiten, Lernen in homogenen Gruppen, voneinander Lernen im Freispiel, Lernen von Gleichaltrigen, die sich auf Augenhöhe begegnen und Wissen, Können und Interessen austauschen, Lernen von der Fachfrau, die in der Kita z. B. für das Atelier zuständig ist, Lernen von externen Profis im Rahmen von Exkursionen, Lernen durch generationenübergreifende Begegnungen. ȤȤ Offene Arbeit berücksichtigt bei der Tagesgestaltung auch, dass Kinder täglich ausreichend Gelegenheiten erhalten, für sich und andere Verantwortung zu übernehmen (z. B. eigene Stärken präsentieren, den Erwachsenen beim Zubereiten von Mahlzeiten helfen und anderen Kindern beim Essen, sich um die Tierpflege kümmern). Für die Realisierung einer solch differenzierten Tagesgestaltung braucht es eine klar erkennbare Zeitstruktur mit Ritualen und Signalen. In der Tagesstruktur gilt es Bringphase, Frühbesprechung des Teams, Marktplatz-Treffen, Frühstück, Freispiel, Angebote, Projektarbeit, Aufräumphase und Apello (Dialogrunde) in einen sinnvollen zeitlichen Ablauf zu bringen (siehe Tabelle 6). Zwei zweistündige Phasen, wo freies Spiel sowie Projekte und weitere Angebote nebeneinander und verzahnt stattfinden, sichern Angebotsvielfalt und Flexibilität. Rituale und Signale geben den einzelnen Tagesschwerpunkten eine wiederkehrende Struktur. Tabelle 6: Beispiel für differenzierte Tagesstruktur – Offener Kindergarten »Am See« in Bad Kissingen 7:15–8:00 Uhr
Frühdienst – Frühbesprechung im Team, Information über Planungsordner
8:00–8:30 Uhr
Empfang, wo alle Informationen zusammenlaufen Vorbereitung des Obstbuffets mit einigen Kindern im Bistro
8:30–9:00 Uhr
Marktplatz – Versammlung aller Kinder, um u. a. Tagesablauf zu besprechen, Wünsche, Anträge und Beschwerden einzubringen
9:00–10:00 Uhr
Obst-/Vitamin-Buffet als Angebot
9:00–11:00 Uhr
Nebeneinander von freiem Spiel und vielfältigen Angeboten in heterogenen und homogenen Kleingruppen (nach Interesse, Projekte, AGs) in den themenbezogenen Bildungs- und Erfahrungsräumen mit Auswahlmöglichkeit
11:00–11:45 Uhr
Akustisches Signal zum Aufräumen, danach: Apello – Treffen in den Bezugsgruppen zur Dialogrunde
Differenzierte Raum- und Tagesgestaltung und offene Bildungsplanung
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11:00–13:30 Uhr
Mittagessen (zeitversetzt für die Nest-, Kindergarten- und Schulkinder)
11:45–12:00 Uhr
Abholen der Kinder
13:30–15:30 Uhr
Nebeneinander von freiem Spiel und Projekten/Angeboten in den Räumen Hausaufgabenbetreuung
15:00–15:30 Uhr
Bistro-Öffnung für Brotzeit
15:30–17:00 Uhr
Flexible Abholung – Spätdienst ab 16:30 Uhr in einem Bildungsraum
Grundlage für eine differenzierte Tagesgestaltung ist nach den Erfahrungen offen arbeitender Kitas eine klare und zugleich flexible Tagesstruktur, die Rituale im Tagesablauf vorsieht, eine offene Bildungsplanung mit Kindern zulässt und durch sprechende Wände flankiert wird, die das aktuelle Kitageschehen für alle sichtbar machen. ȤȤ Herausforderung ist, den Tagesablauf so differenziert zu organisieren, dass die Strukturen verlässlich und flexibel sind (z. B. mehr Nebeneinander und Verzahnung von Freispiel- und Angebotsphasen) und zugleich eine gute Mischung aus Freispiel, Ritualen, Lernen in Alltagssituationen und Projekten inklusive Exkursionen gewährleistet ist. Täglich wichtig sind ko-konstruktive Bildungsprozesse in lernenden Gemeinschaften, in denen Erwachsene und Kinder reale Aufgaben und Probleme kooperativ und kommunikativ lösen, gemeinsam die Bedeutung von Dingen erforschen und durch Austausch ihrer vielfältigen Sichtweisen nach Lösungen suchen, die alle mittragen. Für moderierte Bildungsaktivitäten mit Kindern kommen verschiedene Formen der Gruppenbildung zum Einsatz (z. B. gruppenübergreifend gebildete Kleingruppen, die altersgemischt/-homogen, offen/geschlossen sein können) (Reichert-Garschhammer, 2012). ȤȤ Die konkrete Planung und Organisation von Zeiten, Projekten und weiteren Angeboten orientieren sich in der Offenen Arbeit »daran, was für die Kinder in ihrer Gesamtheit und in ihrer jeweiligen Besonderheit bedeutsam ist (…), was den Bedürfnissen der Kinder und ihrer Familien entspricht. (…) Planung, die Zeit lässt, flexibel bleibt und auf das wirkliche Leben reagiert, ist die hohe Kunst der Offenen Arbeit. Sie gelingt, wenn alle Kolleginnen sie gemeinsam tragen, erfordert Vertrauen und Gelassenheit – und schafft Qualitäten, denn wenn ein Team die Erfahrung macht, dass offene Planung nicht nur möglich ist, sondern auch die Zusammenarbeit erleichtert – dann zieht Gelassenheit ein« (Lill, 2012, S. 17). Offene Arbeit korrespondiert mit neuen Wegen in der Dienstplangestaltung, in die die pädagogischen Fachkräfte aktiv einbezogen werden und deren unter-
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Inklusion und Differenzierung – Pädagogik der Vielfalt
schiedliche Stärken und Bedürfnissen in viel stärkerem Maße Berücksichtigung finden können. ȤȤ Auch Kleinstkinder kommen mit Offener Arbeit gut zurecht, wenn alle Räume für sie transparent und Pädagoginnen zugegen sind, Tages- und Wochenablauf in Form von Ritualen für sie erkennbar sind und sie wissen, wo was passiert. Die Möglichkeit freier Bewegung nutzen sie unglaublich, gehen in Räume, die sie gerade interessieren, bzw. zeigen, dass sie woanders hinwollen, wenn ihre Bezugsperson für sie stets sichtbar bleibt (Prokop in Reichert-Garschhammer/Gräser/Prokop, 2010, S. 204).
Offene Planung von Bildungsprozessen mit Kindern – Projektarbeit im Fokus Eine offene Planung von Bildungsprozessen, die Kinder als ideenreiche Mitgestalter aktiv mit einbezieht, ist im Kindergarten St. Peter und Paul gängige Praxis. Sie ist das Ergebnis einer intensiven Auseinandersetzung mit dem Forschungsstand zur Art und Weise, wie junge Kinder (nachhaltig) lernen, und mit der Reggio-Pädagogik im Team. Bildung geschieht vor allem dann, wenn Kinder ȤȤ eine Beziehung zum Thema, zur Sache, zur Person haben, ȤȤ Freude am Thema haben und das Tun für sie von Bedeutung ist, ȤȤ selbsttätig sein dürfen und die Möglichkeit erhalten ihren Eindrücken Ausdruck zu verleihen, zu forschen, zu entdecken und zu begreifen, ȤȤ Sicherheit und Angstfreiheit erfahren, ȤȤ Anerkennung und Bestätigung finden sowie ȤȤ ihre Bildungsprozesse aktiv mitgestalten, denn beteiligte Kinder sind glückliche Kinder. Vor diesem Hintergrund setzt eine offene Planung von Bildungsprozessen eine bestimmte Haltung der Pädagogin voraus, die sich durch folgende Merkmale auszeichnet: ȤȤ Wahrnehmend beobachten, den Kindern mit Neugierde und Staunen begegnen, mit ihnen im Dialog sein und sie ernst nehmen ȤȤ Kinder kompetenzorientiert in den Blick nehmen und entdeckend-kooperatives Lernen statt darbietendes Lernen betonen, welches die Pädagogin ermöglicht und aktiv begleitet und dabei die Kinder durch kleine Impulse und viele offene Fragen aktivierend unterstützt ȤȤ sich auf die Herausforderung einlassen, selbst wieder neugierig zu werden für die Geheimnisse der alltäglichen Dinge
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ȤȤ den Prozess und nicht das Ergebnis bzw. Endprodukt in den Vordergrund stellen, denn Kinder machen Umwege und lernen durch Versuch und Irrtum ȤȤ den Kindern Zeit und Raum lassen, denn »jedes Kind hat ein Recht auf den heutigen Tag« (Janusz Korczak). Offene Planung von Bildungsprozessen geschieht in Gesprächsrunden (z. B. »Was-tun?«-Runde, Morgen-, Schlusskreis, Kinderkonferenz), in der Begegnung und darstellenden Auseinandersetzung mit dem Lerngegenstand bzw. Thema und in der Hypothesenbildung. Impulsgebend für die gemeinsame Planung und Reflexion mit Kindern sind offene Fragen, die Kinder zum Nachdenken anregen und anregende Gespräche in Gang bringen: ȤȤ Was haben wir gestern gemacht? Wie geht es heute weiter? ȤȤ Was weiß ich schon? Was will ich noch wissen? ȤȤ Was haben wir bereits gelernt? Wie haben wir dies gelernt? Im Kindergarten St. Peter und Paul findet das gemeinsame Lernen überwiegend in Projekten statt, die mit den Kindern offen geplant und realisiert werden. Projektarbeit kommt dem Forscherdrang der Kinder insoweit entgegen, dass sie die Möglichkeit haben, ein sich entwickelndes Thema auf verschiedene Arten zu durchleuchten, zu erkunden, zu verstehen, und sich selbst ihr Wissen von den Dingen der Welt aufbauen. Das setzt aufmerksame Pädagoginnen und Pädagogen voraus, die Anregung und Unterstützung geben und selbst Freude am Forschen und Experimentieren haben: »In dir muss brennen, was du in anderen anzünden willst« (Augustinus). Die Pädagoginnen und Pädagogen sind offen für das, was geschieht, und stets bereit zum Dialog. Das mit dem Ko-Kita-Netzwerk Bayern entwickelte Positionspapier »Projektarbeit im Fokus – Fachliche Standards und Praxisbeispiele für Kitas« (Reichert-Garschhammer u. a., 2013) stellt heraus, was offene Planung von Bildungsprozessen mit Kindern in Projekten – im Rahmen der verschiedenen Projektphasen – konkret heißt. »Die Findung neuer Projektthemen und Projektgruppen erweist sich als Schlüsselphase, der hohe Aufmerksamkeit und viel Zeit zu widmen ist und in der die Interessen und Bedürfnisse der Kinder im Mittelpunkt stehen. (…) Nicht nach einem Projekt suchen, sondern sich von einem Projekt finden lassen, sich dafür ausreichend Zeit zu nehmen und die Entscheidung für ein Projekt mit den Kindern zu treffen« ist das Erfolgsgeheimnis der Schlüsselphase Projektfindung (Reichert-Garschhammer u. a., 2013, S. 34, 63). Im Positionspapier finden sich aus dem Kindergarten St. Peter und Paul folgende, bereits publizierte Beispiele,
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die aufzeigen, wie Projekte, die im Sinne einer offenen Planung in erster Linie von den Kindern ausgehen, entstehen können: Projekt »Stromforscher«: »Sina erzählt im Morgenkreis: ›Meine Mama hat heute Morgen im Bad das Licht nicht angemacht!‹ Ich antworte ihr: ›Vielleicht wollte sie Strom sparen.‹ Josuha fragt: ›Was ist Strom sparen?‹ Ich sage ihm, dass man den Strom, den man verbraucht, auch bezahlen muss. Sina meint: ›Und wenn man das Licht auslässt, dann muss man nichts bezahlen.‹ Josuha sagt: ›Meine Mama bezahlt nie, wenn sie das Licht anmacht!‹ Alle sind sich einig – keiner bezahlt! Daraufhin gehen wir zum Stromzähler und schauen wo der Stromverbrauch gezählt wird. Wir werden herausfinden, was das ist, was da gezählt wird« (Förster, 2011, S. 189). Projekt »Die Seifenblasenventilatormaschine«: »Während eines Gesprächs über die Kompetenzen der Kinder stellen wir fest, dass alle Kinder Baumeister und Erfinder sind. Wir wollen zusammen etwas Neues erfinden. Nils: ›Wir können Seifenblasen erfinden.‹ Mauricio: ›Dann machen wir so ein Ding für Seifenblasen, damit man nicht mehr selbst blasen muss.‹ Nach längerer Diskussion beschließen die Kinder, eine Seifenblasenventilatormaschine zu bauen« (Förster, 2011, S. 189 f.). Chef- und Chefinnen-Projekt: »In unserem Kindergarten gibt es sehr viele Bestimmer. Immer der erste sein zu wollen, aussuchen, was gespielt wird, wo und wer mitspielen darf, der Chef sein dürfen, und wenn nicht, dann sogar handgreiflich werden. Hinter jeder Bestimmer-Variante steht ein Bedürfnis, in diesem Fall ist es das Bedürfnis Stärke und Macht. Dieses Bedürfnis greifen wir auf und veranstalten eine ganze Woche Ringkämpfe. Ist körperliche Kraft das Wichtigste, um Chef sein zu können? Wir gehen der Sache nach und beginnen ein Chef- und Chefinnen-Projekt, um herauszufinden, was es heißt, ›Chef zu sein‹« (Förster, 2009a, S. 11; vgl. auch Förster, 2009b, 2011). Projekt »Das Kindergartenbuch«: »Der Beginn des Projekts führt auf verschiedene Tätigkeiten der Kinder zurück: ȤȤ Im Freispiel entstehen ›Bücher‹ in verschiedenen Ausführungen und Größen, in die die Kinder mit Hilfe der Anlauttabellen schon richtige Geschichten schreiben. Diese selbst gefertigten Bücher sind den Kindern sehr wichtig. Sie nehmen sie mit nach Hause, bringen sie aber immer wieder mit und schreiben weiter. Eine Mutter schreibt sogar ein Gedicht in ein solches ›Buch‹. Täglich wechseln Freunde- oder Poesiealben den Besitzer. ȤȤ In unserem KiGa wird viel dokumentiert. Auch das ahmen die Kinder nach. Inzwischen haben alle Großen ihr Protokollheft und schreiben auf ihre Art und Weise auf, was andere im Morgenkreis erzählen oder was wir zusammen besprechen. ȤȤ Zu vielen Ereignissen bringen Kinder ihre Sachbücher mit: Wir hatten eine
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Maus im KiGa – Helene bringt ein Buch über Mäuse mit. In Amerika war ein Erdbeben – Silas und Max bringen ein Buch über Vulkane mit, damit wir nachschauen können, warum so etwas passiert. Das Thema ›Buch‹ ist ständig präsent. Wir beschließen selbst ein Buch zu schreiben, und zwar über unseren Kindergarten, damit die ›Neuen‹ schon mal Bescheid wissen« (Förster, 2011, S. 191 f.). Als gute Einstiege in Projekte haben sich bestimmte Rituale und Leitfragen herausgestellt sowie eine kleinschrittige Projektplanung, die stets offen ist für neue Ideen und Veränderungen jederzeit zulässt. »Je mehr die Planung eines Projekts von Kindern und Erzieherinnen gemeinsam gestaltet wird, desto mehr Identifikation und Engagiertheit können entstehen. Da stecken meine Ideen und Fragen drin« (Jacobs, 2012, S. 51). Geeignete Fragen an Kinder im Rahmen der gemeinsamen Projektplanung sind: ȤȤ Was wollen wir zusammen tun? ȤȤ Was interessiert Euch an dem Thema? Was wisst ihr schon über das Thema? Was wollt ihr noch darüber erfahren? Welche Fragen habt ihr dazu? Welche Ideen und Forschungsfragen sollen wir verfolgen? ȤȤ Wer will wo mitmachen? Wer kennt sich da besonders gut aus? Wer übernimmt welche Aufgabe z. B. etwas mitbringen, einer Frage nachgehen, bestimmte Infos beschaffen? Die Projektrealisierung beginnt mit der Suche nach Antworten zu den aufgeworfenen Fragen. Eine Einbettung des Themas in größere Zusammenhänge findet automatisch statt, wenn die Pädagoginnen und Pädagogen den weiteren Ideen und Fragen der Kinder folgen, mit Kindern gemeinsam versuchen, diese sogleich in die Tat umzusetzen bzw. Antworten zu finden (z. B. Atlas holen, Begriffe klären, weitere Fragen stellen, die Kinder auf weitere Ideen bringen), und die Lernprozesse in täglichen »Was-tun«-Runden gemeinsam reflektieren (Was haben wir gemacht? Was haben wir dabei gelernt? Wie haben wir es gelernt? Wie geht es nun weiter?). Diese die Kinder aktivierende Form der Projektsteuerung setzt sich in der Projektabschluss- und Projektevaluationsphase und bei der Projektdokumentation fort. Noch spannender werden Projekte, wenn auch die Eltern aktiv einbezogen sind; auch hierzu enthält das Positionspapier viel Anregung. Projektarbeit in diesem Sinne zu realisieren heißt aus Sicht des Ko-Kita-Netzwerks Bayern, sich von einer angeleiteten Beschäftigungspädagogik wegzubewegen
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und die Kinder viel stärker in die Planung, Gestaltung und Durchführung von Bildungsprozessen einzubeziehen und ihre Interessen und Ideen aufzugreifen. »Projektarbeit ist für Kinder erlebnisreich und interessant, wenn sie selbst den Verlauf mitbestimmen können. Projekte werden deshalb nicht für, sondern mit Kindern geplant« – dies stellen die online abruf- bzw. einsehbaren Bildungspläne von Berlin, Hamburg und Saarland als fachlichen Standard heraus. Obgleich die Bildungspläne aller Länder Kinderpartizipation im Bildungsgeschehen betonen, hat sich diese Anforderung noch nicht als gängige Kitapraxis etabliert. »Nach herkömmlichem Verständnis gehen Angebote von der Pädagogin aus und betreffen vor allem Bildungsaktivitäten, bei denen die Pädagogin Aufgabe, Lernziele und Inhalte, Materialien und Methoden, Ablauf und evtl. Ergebnis sowie Zielgruppe zugleich vorgibt und vorbereitet« (Reichert-Garschhammer u. a., 2013, S. 23). »Wir Pädagoginnen sind herausgefordert zu lernen, da wir in der Ausbildung einen anderen pädagogischen Ansatz erfahren und verinnerlicht haben. Es wurde viel zu schnell erklärt, bestimmt. Die Erwachsenen wussten immer, was Kinder brauchen, und es wurde nie so richtig überprüft, ob wir da richtig liegen« (Prokop in BayStMAS/IFP, 2010, S. 127).
Die gemeinsame Entwicklung des Positionspapiers zur Projektarbeit hat im KoKita-Netzwerk Bayern dazu geführt, die Partizipation der Kinder im Rahmen der Projektarbeit neu zu überdenken und in allen Projektphasen zu intensivieren, sowie deutlich sichtbare Effekte bewirkt: »Sinnvoll und wichtig ist es dabei, den Kindern mehr Verantwortung zu übertragen. (…) Mehr Partizipation der Kinder verändert die Vorbereitung der Pädagoginnen und erhöht die Effektivität der pädagogischen Arbeit, die zu nachhaltigen Lernprozessen bei den Kindern führt. Mit Kindern planen bedeutet sich selbst mehr zurückhalten und auf das Könner-Prinzip zu vertrauen. Voraussetzung dafür ist, Kindern ausreichend Zeit für Partizipation zu geben. Die Fähigkeit zur Selbststeuerung und Selbstorganisation der Kinder wächst in dem Maße, als ihnen Möglichkeiten zur Auswahl und freien Entscheidung zugestanden werden« (Reichert-Garschhammer, 2013, S. 40, 94).
Projektarbeit mit Kinderbeteiligung ist keine Frage des Alters und auch schon mit Kindern bis drei Jahren möglich. Inklusion in der Projektarbeit bedeutet, auch die wahrnehmende und aufmerksame Beobachtung der Pädagoginnen und Pädagogen sowie nonverbale Ausdrucks- und Kommunikationsweisen zu betonen, um allen Kindern Mitgestaltung zu ermöglichen.
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Intensivierung der Kinderpartizipation – Schlüssel für Inklusion und Differenzierung Nach dem Index für Inklusion passiert Inklusion, »sobald der Prozess der zunehmenden Partizipation begonnen wird. (…) Partizipation schließt Lernen, Spiel oder Zusammenarbeit mit anderen ein. Es bedeutet: Beteiligung und Mitsprache an dem, was wir tun« (Booth u. a., 2007, S. 15). Die nachstehenden Praxisberichte aus Bayern und Niedersachsen machen Mut, in Kitas Teamentscheidungen herbeizuführen, Kinderpartizipation für alle Bildungsprozesse auszubauen und in eine offene Planung mit Kindern einzutreten. Die dadurch ausgelösten Veränderungsprozesse setzen (Zeit-)Ressourcen frei und ebnen den Weg, Lernumgebungen differenzierter zu gestalteten: »Diese Teamentscheidung setzte eine Rollenveränderung der Pädagoginnen in Gang. Als Bildungsmoderatoren, Dialogpartner und Impulsgeber ermöglichen sie den Kindern mehr Partizipation und verstehen sich i. S. eines ko-konstruktiven Bildungsverständnisses als Mitgestaltende und Mitlernende. ›Moderieren statt belehren‹ wurde zum pädagogischen Leitziel erhoben. Gewonnen wurden Zeitressourcen für die Beobachtung der Kinder. Um die individuellen Lern- und Entwicklungsprozesse der Kinder besser verstehen und die sie interessierenden Lernthemen komplexer gestalten zu können, wurde die Beobachtung der Kinder (…) intensiviert« (ReichertGarschhammer/Netta/Prokop, 2010, S. 77 f.). »Das Konzept der offenen Arbeit und die gemeinsame [Bildung und] Erziehung von Kindern mit und ohne Behinderung waren die letzten ausschlaggebenden Punkte, um meinen Traum, in dieser Kindertagesstätte arbeiten zu dürfen, zu verwirklichen. Mir zur Seite stand ein hoch motiviertes und engagiertes Team. (…) Schon damals erlebte ich es als etwas ganz Besonderes, dass sich die Kinder in unserer Einrichtung entsprechend ihrer Bedürfnisse und Befindlichkeiten eigenverantwortlich für Räume und Angebote entscheiden konnten. Die Kinder zeigten uns aber noch viel mehr: Wir lernten von ihnen, dass sie unabhängig von ihrem Alters- und Entwicklungsstand sehr wohl in der Lage sind, verantwortlich mit sich selbst und anderen umzugehen und ihre Bedürfnisse einfordern können. Wir lernten, uns immer stärker zurückzunehmen, sensibler hinzuschauen, uns auf ihre Welt einzulassen (…), gemeinsam mit ihnen Antworten auf ihre Fragen zu suchen und ihren Stolz und ihre Erfolge mit ihnen teilen zu dürfen. Unsere pädagogische Arbeit veränderte sich. Wir wurden BegleiterInnen und Unterstützer unserer Kinder, aber auch Herausforderer, Berater und Beobachter. Heute erlebe ich sich beteiligende Kinder mit und ohne Behinderungen während des gesamten Tagesablaufes. BesucherInnen werden von Kindern empfangen, Kin-
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der gestalten verantwortlich Morgenrunden und Angebote, Kinder bieten Kindern Hilfestellungen in fast jeder Lebenslage, Kinder übernehmen verschiedene Dienste wie Blumen gießen, kleine Reinigungsdienste, Tischdecken und -abräumen, Frühstück einkaufen und zubereiten, ›Erste Hilfe‹-Maßnahmen, Telefondienste … Kinder mischen sich ein, sie wollen mitreden, miteinbezogen werden, Partner sein: Es geht nicht über sie, es geht nur noch mit ihnen. Bei meinen Streifzügen durch die Einrichtung (…) sind für mich bedeutungsvolle Augenblicke, miterleben zu dürfen, mit wie viel Begeisterung und Motivation die Kinder in unserer Einrichtung ihre Ideen verantwortlich planen, aushandeln und in den Alltag integrieren. Der respektvolle und wertschätzende Umgang unserer MitarbeiterInnen gegenüber unseren Kindern berührt mich immer wieder aufs Neue. Im Laufe der Jahre ist die Inklusion durch Partizipation für uns (…) zu einer Lebensphilosophie und einer ständigen Herausforderung geworden« (Oest, 2012, S. 168 f.).
Literatur Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen/IFP-Staatsinstitut für Frühpädagogik (Hrsg.): Bildung, Erziehung und Betreuung von Kindern in den ersten drei Lebensjahren. Eine Handreichung zum Bayerischen Bildungs- und Erziehungsplan für Kinder in Tageseinrichtungen bis zur Einschulung. Berlin/Weimar, 2010. URL: http://www. begegnungsland.de/BGL_CD/Inhalt/Tipps/Bildung__Erziehung_und_Betreuung_von_ Kindern_in_den_ersten_drei_Lebensjahren.pdf Booth, T./Ainscow, M./Kingston, D.: Index für Inklusion (Tageseinrichtungen für Kinder). Deutschsprachige Ausgabe. GEW (Hrsg.). Berlin, 2006. URL: http://www.eenet.org.uk/resources/docs/ Index%20EY%20German2.pdf Förster, M.: Keine Sonderveranstaltung, sondern ganz normaler Alltag. Projekte als Kern der Kindergartenzeit. TPS 2/2009; S. 11–13 Förster, M.: Wer ist hier der Chef? Wie Kinderthemen zu Erwachsenenthemen werden. Die Kindergartenzeitschrift 16/2009b; S. 12–15 Förster, M.: Projekte als methodisches Kernstück für neugieriges, forschendes und fragendes Lernen. In: G. Regel/U. Santjer (Hrsg.), Offene Kindergarten konkret in seiner Weiterentwicklung. Aus der Praxis für die Praxis, 20 Jahre später. Hamburg, 2011; S. 183–206 Franz, M./Vollmert, M.: Raumgestaltung in der Kita. In diesen Räumen fühlen sich die Kinder wohl. München, 4. Auflage, 2009 Jacobs, D.: Projektarbeit – Kitaleben mit Kindern gestalten. Weimar/Berlin, 2012 Lill, G.: Was Sie schon immer über Offene Arbeit wissen wollten. Weimar/Berlin, 2012 Lill, G.: Was ist gute offene Arbeit? Wie eine klare Position zur Qualität verhilft. TPS, 7/2011; S. 4–8 Mayr, T./Kofler, A.: Qualitätseinschätzung und -entwicklung sprachlicher Bildung in Kindertageseinrichtungen. In: E. Reichert-Garschhammer/ C. Kieferle, Sprachliche Bildung in Kindertageseinrichtungen. Freiburg, 2011; S. 251–266 Möller, C.: Offen Arbeit – ein Konzept entfaltet sich. Die sichtbaren und unsichtbaren Seiten der Offenen Arbeit. In: Verband katholischer Kindertageseinrichtungen Bayern/Caritas Regensburg (Hrsg.). Wir nehmen alle mit. Auf dem Weg zur offenen Arbeit. München, 2012; S. 15–23 Oest, A.: Inklusion durch Partizipation – zur vielfältigen Mitwirkung der Kinder, In: Albers, T./
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Bree, S./Jung, E./Seitz, S./nifbe (Hrsg): Vielfalt von Anfang an. Inklusion in Krippe und KiTa. Freiburg, 2012; S. 168–175 Prengel, A.: Inklusion in der Frühpädagogik. Bildungstheoretische, empirische und pädagogische Grundlagen. WiFF-Expertisen Nr. 5. München, 2. überarb. Auflage, 2014. URL: http://www. weiterbildungsinitiative.de/uploads/media/Inklusion_in_der_Fruehpaedagogik_5Band_2ue baAuflage_2014_Prengel.pdf Reichert-Garschhammer, E.: Offene Arbeit = gute Qualität des Bayerischen Bildungs- und Erziehungsplans (BayBEP). Pädagogische Begründungen und Impulse. In: Verband kath. Kindertageseinrichtungen Bayern/Caritas Regensburg (Hrsg.), Wir nehmen alle mit. Auf dem Weg zur offenen Arbeit. München, 2012; S. 25–29 Reichert-Garschhammer, E. u. a.: Projektarbeit im Fokus. Fachliche Standards und Praxisbeispiele für Kitas. Berlin, 2013 Reichert-Garschhammer, E./Gräser, A./Prokop, E.: Anschlussfähige Bildung von Anfang an. In: F. Becker-Stoll/J. Berkic/B. Kalicki (Hrsg.), Bildungsqualität für Kinder in den ersten drei Lebensjahren. Berlin, 2011; S. 190–203 Reichert-Garschhammer, E./Netta, B./Prokop, E.: »Wir sind auf dem Weg …« Die Umsetzung des Bayerischen Bildungs- und Erziehungsplans für Kinder in Tageseinrichtungen bis zur Einschulung in Kitas in Amberg und München. In: H. Hoffmann/U. Rabe-Kleberg/S. Viernickel/I. Wehrmann/R. Zimmer/nifbe (Hrsg.), Starke Kitas – starke Kinder. Wie die Umsetzung der Bildungspläne gelingt, Freiburg, 2010; S. 75–90
2. Inklusion und Partizipation
2.1 Inklusion und Partizipation Rüdiger Hansen
In verschiedenen frühpädagogischen Diskursen wird die Bedeutung von Partizipation – meist als didaktisch-methodisches Prinzip – betont. So gilt Partizipation als ȤȤ »Schlüssel für gelingende Bildungsprozesse«, da Bildung als Aneignungsprozess ohne die aktive Beteiligung der Kinder nicht zu haben ist (vgl. stellvertretend für die Bildungspläne der Bundesländer Knauer und Hansen, 2008; Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen und Staatsinstitut für Frühpädagogik München, 2005), ȤȤ einzige Möglichkeit, demokratische politische Bildung von Kindern in Kindertageseinrichtungen zu befördern (vgl. Hansen, Knauer & Sturzenhecker, 2011), ȤȤ ein Beitrag zur Resilienzförderung, da Partizipation in besonderem Maße Selbstwirksamkeitserfahrungen ermöglicht und Handlungskompetenz fördert (vgl. Lutz, 2012) ȤȤ ein wichtiger Beitrag zum Kinderschutz, da Kinder, die erfahren, dass Erwachsene nicht immer das letzte Wort haben und dass es erwünscht ist, sich einzumischen und zu beschweren, dieses auch leichter gelingen mag, wenn sie von Gewalt und Missbrauch bedroht sein sollten (vgl. Hansen & Knauer, 2013a und 2013b). Folgerichtig wurden durch das Bundeskinderschutzgesetz die gesetzlichen Anforderungen an die Träger von Kindertageseinrichtungen verschärft. Während Partizipation in der Kinder- und Jugendhilfe bereits seit den 1990er-Jahren als verbindliche Strukturmaxime festgeschrieben war (§ 8 SGB VIII), ist seit dem 1. 1. 2012 die Betriebserlaubnis unter anderem von Kindertageseinrichtungen an die konzeptionelle Verankerung von Partizipations- und Beschwerdeverfahren für Kinder gebunden (§ 45 SGB VIII). Auch mit dem Thema Inklusion in der Frühpädagogik ist Partizipation eng verknüpft. In der UNESCO-Publikation »Inklusion: Leitlinien für die Bildungspolitik« heißt es:
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»Inklusion wird […] als ein Prozess verstanden, bei dem auf die verschiedenen Bedürfnisse von allen Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen eingegangen wird. Erreicht wird dies durch verstärkte Partizipation an Lernprozessen, Kultur und Gemeinwesen, sowie durch Reduzierung und Abschaffung von Exklusion in der Bildung« (Deutsche UNESCO-Kommission e. V., 2010, S. 9).
Laut »Index für Inklusion« meint Inklusion explizit, »die Partizipation von allen Kindern wie auch Erwachsenen zu steigern« (Booth, Ainscow & Kingston, 2006, S. 10): »Inklusion in Bildungs- und Erziehungseinrichtungen der frühen Kindheit beschäftigt sich ebenso mit der Partizipation der Mitarbeiter/innen wie mit der Einbeziehung der Kinder und Jugendlichen. Partizipation schließt Lernen, Spiel oder Zusammenarbeit mit anderen ein. Es bedeutet: Beteiligung und Mitsprache an dem, was wir tun. Im Grunde geht es darum, um unser selbst Willen wahrgenommen, akzeptiert und wertgeschätzt zu werden. Inklusion zu entwickeln schließt ein, alle Formen der Ausgrenzung zu reduzieren. […] [Exklusion] bezieht sich auf alle zeitweiligen oder längerfristigen Kräfte, die einer vollen Partizipation entgegenwirken« (Booth, Ainscow & Kingston, 2006, S. 13).
Inklusion – so verstanden – verfolgt zwei eng miteinander verzahnte Ziele: Sie will Partizipation und Teilhabe für alle ermöglichen und alle Barrieren, die einer Beteiligung und Mitsprache an Lernprozessen, Kultur und Gemeinwesen im Wege stehen, abbauen. Wird dieser komplexe Anspruch für die Frühpädagogik konkretisiert, richtet sich der Blick in der Regel zunächst auf die Vielfalt der Kinder: »Inklusion geht aus von der Aufmerksamkeit für die Einzigartigkeit jedes Kindes sowie vom Ideal des gemeinsamen Lebens und Lernens aller Kinder mit der ganzen Bandbreite möglicher körperlicher, psychischer, sozialer und kognitiver Beschaffenheiten, einschließlich aller vorkommenden Stärken und Schwächen« (Prengel, 2014: S. 6 f.).
Auch im »Index für Inklusion« beginnt Inklusion in Kindertageseinrichtungen damit, die Unterschiede zwischen den Kindern wahrzunehmen, zu respektieren und zu schätzen (vgl. Booth, Ainscow & Kingston, 2006, S. 13). Wenn dann der »Respekt für Vielfalt mit der Infragestellung von Machtverhältnissen und Ungerechtigkeit« (Sulzer und Wagner, 2011, S. 21) verbunden wird, können Teilhabebarrieren abgebaut werden. So kann eine »egalitäre Differenz« in der hetero-
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genen Kindergruppe entstehen, die es den Kindern ermöglicht, »verschieden, ohne einander untergeordnet zu sein« (Prengel, 2014, S. 20). »Der Respekt vor der Unterschiedlichkeit bedeutet, dass wir es vermeiden, Hierarchien zu schaffen, die auf diesen Unterschieden gegründet sind« (Booth, Ainscow & Kingston, 2006, S. 13). Um Partizipation und Teilhabe für alle zu ermöglichen, sind »Diversitätsbewusstsein und Diskriminierungskritik« (Sulzer & Wagner, 2011, S. 22) bezüglich der Kindergruppe zwar notwendig, allerdings keinesfalls hinreichend. Im »Index für Inklusion« wird darauf hingewiesen, »dass Diskriminierung zwischen allen auftreten kann: zwischen Erzieherinnen, Erzieherinnen und Kindern, Erzieherinnen und Eltern sowie zwischen Kindern« (Booth, Ainscow & Kingston, 2006, S. 103). Zu Recht fragt daher Sandra Richter als Mitarbeiterin in der Fachstelle Kinderwelten für Vorurteilsbewusste Bildung und Erziehung, ob der Adultismus – die Diskriminierung von Kindern allein aufgrund ihres Alters – nicht die erste erlebte Diskriminierungsform sei (vgl. Richter, 2013). Petra Wagner stimmt ihr zu, dass Kindern Partizipation häufig vorenthalten würde, weil sie »zu jung«, »zu unreif« oder »zu unerfahren« seien. Diese Form des Ausschlusses gelte es kritisch zu hinterfragen (vgl. Wagner, 2012, S. 5). Bleibt der Blick hingegen ausschließlich auf die »soziale Partizipation« in der heterogenen Kindergruppe gerichtet, besteht die Gefahr, dass eine Machtabgabe an die Kinder lediglich als »spezielle Interventionsmethode« (Albers, 2011, S. 21) funktionalisiert wird, die pädagogischen Fachkräften neben anderen zur Verfügung steht, um pädagogische Angebote so zu gestalten, »dass Kinder in ihrer Individualität gestärkt werden und lernen, mit Unterschieden zu leben« (Albers, 2011, S. 19). Das spezifische Machtverhältnis zwischen Erwachsenen und Kindern bliebe davon weitgehend unberührt; eine »demokratische Partizipation« aller in der Kita wäre auf diese Weise nicht zu verwirklichen. Partizipation lässt sich eben nicht auf ein didaktisch-methodisches Prinzip reduzieren, sondern erfordert ein grundlegendes Umdenken in der Frühpädagogik. Kinder können sich Partizipation und Demokratie nur aneignen, indem sie sie (er)leben. Dazu müssen sie berechtigt sein, in demokratischen Verfahren (zumindest partiell) gleichberechtigt mitzuentscheiden – auch auf die Gefahr hin, dass etwas dabei herauskommt, was die Erwachsenen so nicht beabsichtigt hatten. Partizipation – und damit Bildung, Inklusion oder Kinderschutz – können nur gelingen, wenn das Machtgefälle zwischen Erwachsenen und Kindern (zumindest partiell) aufgehoben wird und die Kinder als gleichwertige Menschen mit eigenen Rechten angesehen werden, denen man zutrauen kann und soll, diese auch wahrzunehmen. Janusz Korczak hat diese Erkenntnis schon vor fast 100 Jahren in dem Satz zusammengefasst: »Kinder werden
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nicht erst zu Menschen – sie sind bereits welche« (Korczak, 1979, S. 106). Entsprechend räumte er den Kindern in den von ihm geleiteten Kinderheimen eigenständige Rechte ein und führte ein Kindergericht ein, das auch für die Erwachsenen verbindliche Entscheidungen traf. Das Konzept »Die Kinderstube der Demokratie« (Hansen, Knauer & Sturzenhecker, 2011) nimmt diesen Ansatz Korczaks auf und ermöglicht es, Kindertageseinrichtungen systematisch als demokratisch(er)e Orte zu entwickeln. Dazu klären die pädagogischen Fachkräfte die Rechte der Kinder, führen verlässliche Beteiligungsgremien ein, gestalten die Beteiligungsverfahren methodisch angemessen und die Interaktionen zwischen allen Beteiligten respektvoll. Dabei wird besonders deutlich, was Partizipation von pädagogischen Fachkräften verlangt, wenn auch Beschwerdeverfahren für Kinder eingeführt werden.
Die Mitentscheidungs- und Beschwerderechte der Kinder klären Partizipation in der Frühpädagogik beginnt mit der Frage, wer das Recht und die Macht haben soll, Entscheidungen zu fällen, die das Leben jedes einzelnen Kindes und das Leben der Gemeinschaft betreffen (vgl. Schröder, 1995, S. 14). Dabei stehen zunächst alle Entscheidungen, die im Kita-Alltag getroffen werden, auf dem Prüfstand; es gibt kein Tabu. Dürfen die Kinder beispielsweise selbst oder mitentscheiden, ob, was und wie viel sie essen, wie sie sich – auch im Außengelände – kleiden, ob, wann und wie lange sie schlafen, mit wem sie was, wann, wo und wie machen, wie die Räume gestaltet werden, wofür das Geld der Einrichtung ausgegeben wird oder wer die neue Erzieherin wird? Pädagogische Fachkräfte beteiligen Kinder bei solchen Themen recht unterschiedlich. Während eine Erzieherin ihnen viele – manchmal vielleicht sogar zu viele – Entscheidungsspielräume zugesteht oder zumutet, sorgt eine andere – manchmal vielleicht auch zu sehr – dafür, dass sie bekommen, was sie ihrer Meinung nach brauchen. Und dieselbe Erzieherin kann ihnen heute eine Mitsprache zugestehen, die sie ihnen morgen wieder verwehrt. Im Konzept »Die Kinderstube der Demokratie« wird versucht, diese Willkür einzuschränken, indem die Selbst- und Mitentscheidungsrechte der Kinder differenziert und eindeutig geklärt werden. Das bedeutet nicht, dass die Kinder dann über alles (mit)entscheiden müssten. Aber es verlangt, dass die pädagogischen Fachkräfte immer wieder kritisch hinterfragen, ob und wie es jeweils zu rechtfertigen ist, dass sie eine Entscheidung nicht mit, sondern für die Kinder treffen.
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Dabei geraten sie oftmals in einen Zwiespalt zwischen ihrem Auftrag, Fürsorge für die Kinder zu übernehmen, und dem Anspruch, den Kindern Selbstverantwortung und Autonomie zuzugestehen: Wie wollen sie beispielsweise handeln, wenn ein Krippenkind sich weigert, gewickelt zu werden? Viele Fachkräfte sind bereit, zehn Minuten später erneut vorzusprechen, wenn ein Kind seine aktuelle Tätigkeit nicht unterbrechen mag, um sie zum Wickeltisch zu begleiten. Die meisten Fachkräfte können einem Kind auch die Option einräumen, von einer anderen Kollegin gewickelt zu werden, weil sie selbst vielleicht kurz zuvor eine Auseinandersetzung mit dem Kind hatten. Letztlich besteht aber die Mehrzahl der Fachkräfte darauf, dass ein Kind, dessen Windel voll ist, gewickelt werden müsse. Doch wodurch ist es zu rechtfertigen, die Integrität eines Kindes gegen dessen ausdrücklichen Willen auf diese Weise zu verletzen? Die Fachkräfte müssen hier abwägen, was schwerer wiegt: ein wunder Po oder ein gebrochener Wille. Um zu klären, welche (Mitentscheidungs-)Rechte die Kinder in sol chen Fragen in einer Kindertageseinrichtung haben sollen, müssen die pädagogischen Fachkräfte darüber einen fachlich fundierten Konsens erzielen (und sich anschließend ggf. mit den Eltern darüber verständigen). Denn nur, wenn jede Fachkraft ausdrücklich damit einverstanden ist, sich bei einer Entscheidung auf eine offene Auseinandersetzung mit den Kindern einzulassen und das Ergebnis, wie immer es aussehen mag, mitzutragen, kann ein verlässliches Kinderrecht entstehen, das nicht bei der nächsten Gelegenheit wieder übergangen wird. Im Konzept »Die Kinderstube der Demokratie« finden diese grundsätzlichen Klärungsprozesse im Rahmen einer »Verfassunggebenden Versammlung« statt. Ziel einer Verfassunggebenden Versammlung ist die Erarbeitung einer »KitaVerfassung«, in der die grundlegenden (Mitentscheidungs-)Rechte der Kinder schriftlich verankert sind. Zum Thema »Wickeln« hat ein Fachkräfte-Team sich z. B. auf die folgende Formulierung geeinigt: Auszug aus einer Kita-Verfassung: § 10 Hygiene (1) Die Kinder haben das Recht selbst zu entscheiden, ob sie gewickelt werden. Sie haben das Recht mitzuentscheiden, wann, wie und von wem sie gewickelt werden. Die pädagogischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter behalten sich das Recht vor zu bestimmen, –– dass und wann ein Kind gewickelt wird, wenn aus ihrer Sicht dem Kind oder anderen durch die Ausscheidungen des Kindes akute gesundheitliche Gefahren drohen,
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–– wo ein Kind sich aufhalten darf, wenn die Einrichtung oder Einrichtungsgegenstände durch die Ausscheidungen des Kindes drohen verschmutzt zu werden. (2) [ …]
Solch eine differenzierte Klärung alltäglicher Entscheidungssituationen löst in der Regel intensive Teamentwicklungsprozesse aus. In diesem Fall hielten die Fachkräfte es letztlich nur dann für angemessen, die Selbstbestimmung der Kinder einzuschränken, wenn Infektionskrankheiten vorliegen oder eine Windel einmal »überläuft«. Ausschlaggebend dafür, dass sie den Kindern so viel Zutrauen entgegenbrachten, war, dass die Fachkräfte zu der Überzeugung gelangten, Kinder müssten in der Regel gar nicht zu ihrem »Glück« gezwungen werden. Der Bericht einer Mutter während eines Elternabends bestätigt diese Einschätzung: Sie konnte ihre unter Neurodermitis leidende Tochter lange Zeit nur unter Anwendung körperlicher Gewalt wickeln, da das Kind sich stets energisch gegen die schmerzhafte Prozedur zur Wehr setzte. Ihr Kinderarzt gab der verzweifelten Mutter schließlich den Rat, ihre Tochter nicht mehr zum Wickeln zu drängen. Als sie ihr daraufhin das Recht gewährte, selbst zu entscheiden, ob und wann sie gewickelt wird, ließ sich das Mädchen nach einiger Zeit trotz der weiterhin vorhandenen Schmerzen freiwillig wickeln. Die Erfahrungen aus dem Projekt »Die Kinderstube der Demokratie« unterstreichen, dass in solchen Situationen meist weniger die vermeintliche Unvernunft der Kinder, als vielmehr der von den Erwachsenen inszenierte Machtkampf einer einvernehmlichen Lösung des Problems im Wege steht. Wenn die Erwachsenen beschließen, den Kindern Selbstbestimmungsrechte bezüglich ihrer persönlichen Angelegenheiten zuzugestehen, nutzen diese sie in aller Regel sehr kompetent und verantwortungsvoll. Die Abwägungen der pädagogischen Fachkräfte können auch dazu führen, dass nicht alle Kinder dieselben Rechte erhalten. So haben in manchen Einrichtungen die Kindergartenkinder das Recht weitgehend selbst zu entscheiden, wie sie sich im Außengelände kleiden, während die Fachkräfte sich das Recht vorbehalten, dies für Krippenkinder und Kinder mit einer taktilen Wahrnehmungsstörung ggf. zu bestimmen. Nicht zur Disposition steht in einer Verfassunggebenden Versammlung das Recht von Kindern, sich – auch über das Verhalten von pädagogischen Fachkräften – zu beschweren; es ist gesetzlich garantiert. Kita-Verfassungen bieten jedoch die Möglichkeit, dieses Recht zu konkretisieren und konzeptionell zu
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verankern. So können die Fachkräfte den Kindern in Personalfragen nicht nur ein Mitspracherecht bei der Einstellung neuer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zugestehen, sondern auch explizit ein Beschwerderecht festschreiben: Auszug aus einer Kita-Verfassung: § 19 Personal (1) […] (2) Die pädagogischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verpflichten sich, den Kindern Möglichkeiten zu eröffnen, Beschwerden über Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter öffentlich zu äußern und anschließend 1. entweder über diese Beschwerden öffentlich mit den Kindern zu verhandeln und ggf. gemeinsam Konsequenzen zu beschließen oder 2. in ihrer Dienstversammlung über diese Beschwerden zu verhandeln, ggf. Konsequenzen zu beschließen und den Kindern die Ergebnisse ihrer Verhandlungen begründet mitzuteilen.
Mit dieser Formulierung übernehmen die Fachkräfte die Verantwortung dafür, Gelegenheiten zu schaffen, in denen Kinder mögliche Beschwerden über das Verhalten der pädagogischen Fachkräfte äußern können. Sie warten nicht ab, bis es ein Kind aus eigenem Antrieb schafft, eine Beschwerde vorzubringen, sondern stellen ihr eigenes Verhalten aktiv zur Diskussion, indem sie beispielsweise regelmäßig in Abschlusskreisen oder Kinderkonferenzen abfragen, ob die Erwachsenen etwas gesagt oder getan hätten, worüber die Kinder sich gefreut oder geärgert hätten oder was sie traurig gemacht hätte. Viele pädagogische Fachkräfte äußern diesbezüglich, dass sie es bevorzugen, Beschwerden über ihr Verhalten unmittelbar mit dem jeweiligen Kind selbst zu bearbeiten. Aber Beschwerdeverfahren, die auch nutzbar sein sollen, wenn Kinder von Übergriffen bedroht oder betroffen sind, können nicht auf solch ein Vorgehen beschränkt bleiben, denn eine Täterin oder ein Täter wäre eine gänzlich ungeeignete Beschwerdestelle. Daher brauchen Beschwerdeverfahren stets ein gewisses Maß an einrichtungsinterner Öffentlichkeit. Auch bezüglich des Umgangs mit Regeln kann den Kindern ein Beschwerderecht eingeräumt werden:
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Auszug aus einer Kita-Verfassung: § 10 Regeln (1) Die Kinder haben das Recht mitzuentscheiden über die Regeln des Zusammenlebens in der Einrichtung sowie über den jeweiligen Umgang mit Regelverletzungen. Letzteres gilt auch, wenn pädagogische Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter einer Regelverletzung bezichtigt werden. (2) Die pädagogischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter behalten sich das Recht vor, zu bestimmen und durchzusetzen, 1. dass niemand verletzt oder beleidigt werden darf, 2. dass die Einrichtung und die materielle Ausstattung nicht ohne aus ihrer Sicht angemessene Gründe beschädigt werden darf, 3. […]
In Kita-Verfassungen wird regelmäßig geklärt, wie Regeln entstehen und wie mit Regelbrüchen umgegangen wird. Dabei gibt es immer auch Regeln, die die Erwachsenen erlassen wollen und dann auch durchsetzen müssen. Die so aufgestellte Regel, dass niemand verletzt oder beleidigt werden darf, verlangt, dass pädagogische Fachkräfte physischer und psychischer Gewalt sowie (offener) Diskriminierung entschlossen entgegentreten – ggf. sogar in Anwendung ihres (obrigkeitlichen) Gewaltmonopols. Das verhindert zwar nicht die subtileren Formen von Ausgrenzung und Gewalt, gewährleistet Kindern und Erwachsenen aber ein gewisses Maß an Sicherheit und Schutz vor Übergriffen in der Einrichtung. Gleichzeitig verweist eine solche Kita-Verfassung auch auf die Bereiche, in denen die Kinder an der »Gesetzgebung« und der »Rechtsprechung« mitwirken können. Das wiederum schließt ein, dass die Kinder die Fachkräfte zur Rechenschaft ziehen können, wenn diese ihre (obrigkeitliche) Macht missbrauchen oder selbst gegen eine bestehende Regel verstoßen. Das folgende Beispiel zeigt, wie solche strukturell verankerten Beschwerderechte sich im Alltag einer Kindertageseinrichtung auswirken können:
Im Bistro der Kita darf man nur frühstücken, wenn ein Platz am Tisch frei ist. So wurde es im Kinderparlament beschlossen. Als die Erzieherin Anja heute Morgen ins Bistro kam, waren alle Plätze besetzt. Sie trank rasch einen Kaffee im Stehen, aß dabei hastig ein halbes Brötchen und eilte wieder hinaus. Max, der währenddessen am Frühstückstisch saß, bringt Anjas Regelbruch zur Sprache, als die Erzieherinnen später im Kinderparlament fragen, ob sie etwas
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getan hätten, worüber die Kinder sich geärgert hätten: »Wieso frühstücken die Großen einfach im Stehen und wir müssen immer warten, bis ein Platz frei ist? Das ist ungerecht!« Anja versteht die Empörung von Max und versucht ihr Verhalten zu erklären: »Ich musste noch beim Maltisch mit aufräumen. Da hatte es eine Überschwemmung gegeben. Und dann wartete schon die Mama von Selim auf mich. Und weil ich so hungrig und durstig war und kein Platz frei war, habe ich schnell im Stehen gefrühstückt.« Die Kinder haben zwar nach Anjas Erklärung Verständnis für ihr Verhalten, finden aber, dass auch die Großen im Sitzen frühstücken müssen. So beschließen sie, für solche Notfälle im Bistro einen Barhocker aufzustellen, auf dem nur Erwachsene sitzen dürfen, wenn sie einmal ganz schnell etwas essen und trinken müssen.
Die Kinder nahmen in dieser Situation ihr in der Kita-Verfassung garantiertes Recht wahr, sich über einen ungerecht(fertigt)en Regelbruch einer Fachkraft zu beschweren; und die Erwachsene nahm die Verpflichtung an, ihr Verhalten gegenüber den Kindern öffentlich zu rechtfertigen und es ihrer Bewertung auszusetzen.
Verlässliche Beteiligungs- und Beschwerdegremien einführen Es ist ein erster Schritt zu einer demokratisch(er)en Kindertageseinrichtung, die Rechte der Kinder zu klären. Damit Kinder ihre Rechte jedoch wahrnehmen können, müssen sie sie auch kennen und wissen, wo und wie sie ihre Interessen geltend machen können. Insbesondere, wenn Kinder an Entscheidungen beteiligt werden sollen, die die Gemeinschaft der ganzen Tageseinrichtung betreffen, werden geregelte Strukturen und Verfahren benötigt. Nur in sehr kleinen Einrichtungen kann alles mit allen besprochen werden. Welche Gremien und Verfahren angemessen sind, kann nicht pauschal beantwortet werden, sondern muss für jede Kindertageseinrichtung entsprechend ihrer Organisationsstruktur individuell entwickelt werden. Grundsätzlich werden Gremien auf mindestens zwei Ebenen benötigt. Erstens muss es ein Gremium geben, das legitimiert ist, Entscheidungen für die ganze Einrichtung zu treffen (z. B. über das Motto des gemeinsamen Faschingsfestes oder die Umgestaltung des Flurs). Zweitens muss es aber auch Gremien geben, in denen alle Kinder sich mit dem jeweiligen Thema auseinandersetzen und sich
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dazu eine Meinung bilden können. Damit die Kinder diese Strukturen auch eigeninitiativ nutzen können, müssen sie überschaubar aufgebaut und im Alltag verlässlich verankert sein. In repräsentativen Gremien, in denen einige Kinder für andere sprechen und ggf. entscheiden, muss zudem gewährleistet sein, dass die Interessen aller Kinder einfließen können. So werden in manchen Einrichtungen beispielsweise die unter-dreijährigen Kinder in einem Kinderparlament, das sich aus gewählten Delegierten der Kindergruppen und des Teams zusammensetzt, durch eine pädagogische Mitarbeiterin aus dem Krippenbereich vertreten, sofern sich dort (noch) keine Kinder finden, die diese Aufgabe selbst übernehmen wollen und können. Sobald Kinderparlamente, Kinderräte, Kinderkonferenzen oder ähnliches eingeführt worden sind, hören die pädagogischen Fachkräfte von den Kindern vermehrt Aussagen wie die folgende: »Das könnt ihr gar nicht allein bestimmen. Das müssen wir erst im Kinderrat abstimmen.« Diese Beobachtung legt die Schlussfolgerung nahe, dass Kindern durch das Erleben der regelmäßigen Aushandlungen in den formalen Beteiligungsgremien bewusster wird, dass sie über (Mitentscheidungs-)Rechte verfügen, während sie die Berücksichtigung ihrer Interessen durch die Fachkräfte im Alltagsgeschehen eher dem individuellen Wohlwollen der jeweiligen Fachkraft zuschreiben und daraus keinen (Rechts-) Anspruch ableiten. Aus demselben Grund können in Kita-Verfassungen – neben den ausgewiesenen Beschwerderechten, die in den allgemeinen Beteiligungsgremien (Gruppenkonferenzen, Kinderparlamenten etc.) wahrgenommen werden können – auch explizite Beschwerdegremien und -verfahren festgelegt werden: Auszug aus einer Kita-Verfassung: Abschnitt 1: Verfassungsorgane § 1 Verfassungsorgane Verfassungsorgane der Kita […] sind die Gruppenkonferenzen, das Kinderparlament und die Kindersprechstunde. […] § 4 Kindersprechstunde (1) Die Kindersprechstunde findet einmal in der Woche statt. (2) Während der Kindersprechstunde empfängt die Einrichtungsleitung alle Kinder, die ihr etwas mitteilen, Wünsche äußern oder Beschwerden vorbringen wollen. (3) Die jeweiligen Kinder selbst oder die Einrichtungsleitung mit Zustimmung der jeweiligen Kinder können ein von den Kindern vorgebrachtes Thema unter anderem einer Gruppenkonferenz, dem Kinderparlament oder der Dienstver-
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sammlung der pädagogischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zur Entscheidung vorlegen.
Eine solche Kindersprechstunde hat eine etwas andere Ausrichtung als die anderen Beteiligungsgremien, in denen es vorzugsweise um Planungen und Entscheidungen geht, die die Gemeinschaft betreffen. In der Kindersprechstunde können auch einzelne Kinder das Gespräch mit der Einrichtungsleitung suchen. Solche Gremien sollten niedrigschwellig angelegt sein. Manche Kinder kommen zunächst nur deshalb in die Sprechstunde, weil es dort Kekse gibt. Später berichten sie vielleicht, was sie an diesem Tag erlebt haben. Aber sie äußern auch Ärger – über Dinge, die ihnen nicht gefallen, über andere Kinder oder auch über pädagogische Fachkräfte.
Es ist Kindersprechstunde. Die Tür zum Büro der Leiterin steht offen. Da kommen Tina und Meral herein und kriechen ohne ein Wort unter den Schreibtisch. Die Leiterin beugt sich zu ihnen hinab: »Hallo, ihr zwei, was macht ihr denn da?« Die Kinder drucksen ein wenig herum. Dann sagt Meral: »Gabi schimpft immer mit uns. Das ist gemein.« Die Kita-Leiterin weiß, dass die im Allgemeinen sehr besonnen handelnde und bei den Kindern beliebte Erzieherin momentan privat sehr belastet ist. Sie erkundigt sich bei den Mädchen, was denn im Einzelnen geschehen sei und schlägt dann vor, gemeinsam mit ihnen ein Gespräch mit der Erzieherin zu führen. In dem gemeinsamen Gespräch am Nachmittag unterstützt die Leiterin die beiden Mädchen, der Erzieherin mitzuteilen, dass sie es ungerecht und gemein fanden, wie diese mit ihnen geschimpft hätte. Die Erzieherin ist davon sichtlich emotional berührt; dennoch gelingt es ihr, den Kindern zu berichten, dass sie seit einiger Zeit ihre kranke Mutter pflege, oft in Sorge um sie und sehr angestrengt sei und deshalb wohl manchmal den Kindern gegenüber ungeduldig und gereizt reagieren würde. Sie bedankt sich bei den Mädchen für ihre Rückmeldung und verspricht ihnen, dass sie ihre Situation am nächsten Morgen in der Gruppenkonferenz allen Kindern offenlegen werde.
Die Kita-Leiterin wiegelt die Beschwerde der Mädchen nicht ab, um ihre Kollegin zu schonen. Doch sie schlägt ein Setting vor, um die Beschwerde zu bearbeiten, das es der ohnehin schon belasteten Erzieherin erleichtert, die Beschwerde entgegenzunehmen, und das dennoch durch die Teilnahme der Leiterin zumindest
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eine Teilöffentlichkeit herstellt, also nicht auf der Beziehungsebene zwischen den jeweils Betroffenen verbleibt.
Die Beteiligungs- und Beschwerdeverfahren methodisch angemessen gestalten Um in Kindertageseinrichtungen ihre Partizipations- und Beschwerderechte wahrnehmen zu können, brauchen alle Kinder Unterstützung. Vor Entscheidungen, an denen junge Kinder beteiligt werden, muss in der Regel ein ausführlicher Meinungsbildungsprozess erfolgen. Die Kinder sind mit vielen Entscheidungen das erste Mal konfrontiert; und ihnen fehlen oftmals Vorerfahrungen und das nötige Wissen, um zu einer eigenen Entscheidung zu gelangen. Außerdem sind sie es meist noch wenig gewohnt, dass Erwachsene sie ernsthaft beteiligen oder sie sich gar über sie beschweren dürfen. Daher muss Partizipation nicht nur gewollt, sondern auch pädagogisch gestaltet werden – und zwar diversitätsbewusst, um Ausgrenzungen zu vermeiden. In Kindertageseinrichtungen begegnen wir stets einer Vielfalt unterschiedlicher Kinder: jüngeren und älteren, Mädchen und Jungen, Kindern mit unterschiedlichen Begabungen und Beeinträchtigungen, Kindern unterschiedlicher kultureller, religiöser oder nationaler Herkünfte, Kindern aus armen oder reichen Familien, aus Familien mit unterschiedlichem Bildungshintergrund usf. Annedore Prengel betont: »Heterogenität zeigt sich in verschiedenen Dimensionen«, wobei »Kinder immer verschiedenen Gruppierungen zugleich angehören« (Prengel, 2014, S. 21). Um dieser Vielfalt gerecht zu werden, stehen pädagogische Fachkräfte in Partizipationsverfahren stets vor der Frage, was jedes einzelne Kind braucht, um sich beteiligen zu können: welche Ansprache, Information, methodische Variation, Ermutigung etc.
Der Kita ist ein zusätzlicher Raum im selben Gebäude zur Verfügung gestellt worden, der gemeinsam mit den Kindern gestaltet werden soll. Die pädagogischen Fachkräfte überlegen nun, wie sie auch die gehörlosen Kinder, die die Gebärdensprache noch kaum beherrschen und mit denen die Kommunikation sich oft noch schwierig gestaltet, in die Planung einbeziehen können. Dazu bauen sie ein nahezu maßstabgerechtes Modell des Raumes in Form einer Puppenstube. Dieses tragen sie in den Raum, zeigen den Kindern die Türen und die Fenster im Modell und gehen mit ihnen zu den echten Türen und
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Fenstern, bis sie den Eindruck haben, dass die Kinder die Puppenstube als Modell des Raumes erkannt haben. Dann stellen sie kleine, ausgeschnittene Fotografien der Kinder in die Puppenstube, bieten ihnen zahlreiche unterschiedliche Bildchen von Spiel-, Bastel- und Werkmaterialien an und fordern sie mit Gesten dazu auf, das Modell damit einzurichten. Dieses Verfahren ermöglicht nicht nur den gehörlosen Kindern, ihre Interessen in die Planung einzubringen, es kommt bei allen Kindern gut an. So kristallisieren sich nach und nach inhaltliche Schwerpunkte für die künftige Nutzung des Raumes heraus. Und auch die detaillierte Einrichtung wird anschließend mit Hilfe des Modells gemeinsam mit allen Kindern entworfen.
Partizipation in der Frühpädagogik erfordert ein hohes Maß an methodischer Kreativität, unter anderem um abstrakte Informationen oder Fragestellungen für die Kinder so zu konkretisieren, dass sie sinnlich erfassbar und begreifbar werden und an ihre jeweiligen Vorerfahrungen anknüpfen. Das gilt ebenso für die Einführung von Beschwerdeverfahren: Was brauchen Kinder, die aufgrund ihres Alters oder einer Beeinträchtigung (noch) nicht in der Lage sind, eine Beschwerde über etwas, das ihnen widerfahren ist, vorzubringen? Für unter-dreijährige oder schwerstmehrfachbehinderte Kinder sind ein Meckerbriefkasten, der regelmäßige Tagesordnungspunkt »Beschwerden« im Kinderparlament oder eine Kindersprechstunde bei der Leitung nur schwer bis gar nicht zugängig. Aber auch jüngere Kinder (schon Babys) oder schwerstmehrfachbehinderte Kinder sind in der Regel in der Lage, ihren Unmut über das Verhalten einer Fachkraft ihnen gegenüber unmittelbar zum Ausdruck zu bringen. Diese meist nonverbalen Äußerungen gilt es wahrzunehmen und darauf zu reagieren. Doch wie kann solch eine unmittelbare Beschwerde bearbeitet werden, wenn eine Fachkraft sie übersieht oder übergeht?
Die zweijährige Semra will sich selbst die Gummistiefel anziehen. Den linken Stiefel hat sie an den rechten Fuß gezogen, den anderen hält sie verkehrtherum in der Hand. Die Erzieherin Angela möchte sie unterstützen – es soll in den Garten gehen, und fast alle anderen sind schon draußen. »Komm, lass mich dir helfen«, bietet sie Semra an und nimmt ihr den Gummistiefel aus der Hand. Semra beginnt wütend zu weinen. Angela versucht, Semra die Stiefel anzuziehen, aber das Mädchen entwindet sich ihr immer wieder. Angelas Kollegin hat die
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Szene beobachtet. »Lass mich mal helfen«, sagt sie jetzt. »Ich glaube, Semra möchte sich die Stiefel alleine anziehen.«
Hätte Angela sich hier durchgesetzt, wäre Semra kaum in der Lage gewesen, ihre Beschwerde über die ihr widerfahrene Behandlung anschließend an anderer Stelle vorzubringen. In diesem Fall kann das Beschwerdeverfahren nur unmittelbar in der Situation ansetzen, in der das Kind die Beschwerde vorbringt. Das kann eine unter den Fachkräften verabredete Kultur des »Sich-Einmischens« ermöglichen. Angelas Kollegin macht die Beschwerdeverarbeitung durch ihre unmittelbare Einmischung möglich. Semra erfährt dadurch, dass Angelas Verhalten nicht deren Zustimmung erfährt und ihre Beschwerde etwas bewirken konnte. Angela gelingt es, ihrer Kollegin die Situation zu überlassen (auch wenn ihr das eigene Fehlverhalten vielleicht noch gar nicht ersichtlich ist), weil dieses Einmischen unter den Kolleginnen als Beschwerdeverfahren (nicht nur) in der Krippe verabredet und auch in der Kita-Verfassung verankert ist. Auszug aus einer Kita-Verfassung: § 19 Personal (1) […] (2) […] (3) Die pädagogischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verpflichten sich, sich insbesondere in Machtkämpfe zwischen Erwachsenen und Krippenkindern schlichtend einzumischen sowie bei einer Beteiligung an einem Machtkampf mit einem Krippenkind eine solche Einmischung zuzulassen.
Auch hier geht es um eine Herstellung von Öffentlichkeit im Beschwerdeverfahren. Wenn Fachkräfte sich aus Sicht anderer Fachkräfte den Kindern gegenüber »falsch« oder ungerecht verhalten, sollten die anderen sich einmischen und das auch vor den Kindern thematisieren dürfen.
Die Interaktionen respektvoll gestalten Damit Partizipation in Kindertageseinrichtungen gelingen kann, müssen zudem die Interaktionen zwischen Fachkräften und Kindern respektvoll und dialogisch gestaltet sein. Kinder werden sich nur einmischen und beschweren, wenn sie erleben, dass die Erwachsenen ihnen mit aller Aufmerksamkeit und
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Anteilnahme zuhören, sich mühen, sie zu verstehen, und ihre Beiträge mit der gebührenden Ernsthaftigkeit behandeln. Magda Gerber, die mit Emmi Pikler im Säuglingsheim Lóczy in Budapest einen pädagogischen Ansatz entwickelt hat, der vom Respekt vor den Kindern ausgeht, hebt hervor: »Wir respektieren Babys nicht nur, wir bringen unseren Respekt jedes Mal zum Ausdruck, wenn wir mit ihnen interagieren« (Magda Gerber in Petrie und Owen, 2006, S. 48). Wie herausfordernd das sein kann, wird besonders augenfällig, wenn Kinder uns widersprechen und kritisieren. Vielen Erwachsenen fällt es bereits schwer, von anderen Erwachsenen Kritik an ihrem (professionellen) Verhalten entgegen zu nehmen. Kritisiert zu werden, löst zumeist unangenehme Gefühle aus; häufig reagiert man spontan mit Rückzug oder (aggressiver) Gegenwehr. Beschwerden von Kindern einzuholen, dürfte da kaum leichter fallen. Pädagogische Fachkräfte, die dies Kindern in Kindertageseinrichtungen ermöglichen wollen, müssen aber nicht nur in der Lage sein, deren Kritik weitgehend gelassen anzunehmen; sie müssen sie sogar dabei unterstützen, diese (öffentlich) zu äußern und in einer Auseinandersetzung mit den Fachkräften über die Inhalte der Beschwerde aufrecht zu erhalten. Janusz Korczak hat zu diesem Zweck gezielt pädagogische Situationen hergestellt, in denen er selbst vor dem Kindergericht des Kinderheimes angeklagt wurde: »Ich selbst habe mich im Verlaufe eines halben Jahres fünfmal dem Gericht gestellt« (Korczak, 1994, S. 351). Durch die öffentlichen Verhandlungen über das Fehlverhalten des Heimleiters Korczak und die anschließende »Verurteilung« (die Aussage: das Verhalten war falsch) erfuhren die Kinder, dass auch Erwachsene fehlbar sind und Kinder von ihnen Rechenschaft verlangen können. Korczak betont aber vor allem, welch ungeheuren Lernprozess solche Partizipation für pädagogische Fachkräfte bedeutet: »Ich behaupte mit aller Entschiedenheit, dass diese wenigen Fälle Grundstein meiner eigenen Erziehung zu einem neuen ›konstitutionellen‹ Pädagogen waren, der den Kindern kein Unrecht tut, nicht weil er sie gern hat oder liebt, sondern weil eine Institution vorhanden ist, die sie gegen Rechtlosigkeit, Willkür und Despotismus des Erziehers schützt« (Korczak, 1994, S. 351 f.).
Partizipation – und damit Bildung, Inklusion und Kinderschutz – können in der Frühpädagogik nur realisiert werden, wenn pädagogische Fachkräfte sich der Auseinandersetzung mit dem Machtverhältnis zwischen Erwachsenen und Kindern stellen und Kindertageseinrichtungen als demokratisch(er)e Orte gestalten.
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Literatur Albers, T.: Mittendrin statt nur dabei. Inklusion in Krippe und Kindergarten. München, 2011 Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen/Staatsinstitut für Frühpädagogik München (Hrsg.): Der Bayerische Bildungs- und Erziehungsplan für Kinder in Tageseinrichtungen bis zur Einschulung. Weinheim/Basel, 2005 Booth, T./Ainscow, M./Kingston, D.: Index für Inklusion. Lernen, Partizipation und Spiel in der inklusiven Kindertageseinrichtung entwickeln, Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (Hrsg.). Frankfurt am Main, 2006 Deutsche UNESCO-Kommission e. V. (Hrsg.): Inklusion: Leitlinien für die Bildungspolitik, Bonn, 2010 URL: http://www.unesco.de/fileadmin/medien/Dokumente/Bibliothek/Inklu sionLeitlinienBildungspolitik.pdf Hansen, R./Knauer, R.: Beschweren erwünscht! Wie Kindertageseinrichtungen Beschwerdeverfahren für Kinder umsetzen können. Teil 1, in: TPS – Theorie und Praxis der Sozialpädagogik Nr. 9/2013, 2013a, S. 40–43. Hansen, R./Knauer, R.: Beschweren erwünscht! Wie Kindertageseinrichtungen Beschwerdeverfahren für Kinder umsetzen können. Teil 2, in: TPS – Theorie und Praxis der Sozialpädagogik Nr. 10/2013, 2013b, S. 44–47 Hansen, R./Knauer, R./Sturzenhecker, B.: Partizipation in Kindertageseinrichtungen. So gelingt Demokratiebildung mit Kindern! Weimar/Berlin, 2011 Knauer, R./Hansen, R.: Erfolgreich starten. Leitlinien zum Bildungsauftrag in Kindertageseinrichtungen. Ministerium für Bildung und Frauen des Landes Schleswig-Holstein (Hrsg.). Kiel, 2008 Korczak, J.: Von Kindern und anderen Vorbildern. Gütersloh, 1979 Korczak, J.: Das Recht des Kindes auf Achtung. Göttingen, 1994 Lutz, R.: Mitbestimmung in Kindertageseinrichtungen und Resilienz. Deutsches Kinderhilfswerk e. V. (Hrsg.): Kinderreport Deutschland, 2012. Berlin, 2012 Petrie, S./Owen, S.: Authentische Beziehungen in der Gruppenbetreuung von Säuglingen und Kleinkindern. Freiamt, 2006 Prengel, A.: Inklusion in der Frühpädagogik. Bildungstheoretische, empirische und pädagogische Grundlagen. Weiterbildungsinitiative Frühpädagogische Fachkräfte. WiFF Expertisen, Band 5, 2., überarbeitete Auflage München, 2014. URL: http://www.weiterbildungsinitiative.de /uploads/media/Inklusion_in_der_Fruehpaedagogik_5Band_2uebaAuflage_2014_Prengel.pdf Richter, S.: Adultismus: die erste erlebte Diskriminierungsform? Theoretische Grundlagen und Praxisrelevanz. Alice Salomon Hochschule, FRÖBEL-Gruppe, Weiterbildungsinitiative Frühpädagogische Fachkräfte. KiTa Fachtexte, o. O., 2013 URL: http://www.situationsansatz.de/ fles/texte%20ista/fachstelle%20kinderwelten/kiwe%20pdf/richter_adultismus_die%20 erste%20erlebte%20diskriminierungsform.pdf Schröder, R.: Kinder reden mit! Beteiligung an Politik, Stadtplanung und Stadtgestaltung. Weinheim/Basel, 1995 Sulzer, A./Wagner, P.: Inklusion in Kindertageseinrichtungen. Qualifikationsanforderungen an die Fachkräfte. Weiterbildungsinitiative Frühpädagogische Fachkräfte. WiFF Expertisen, Band 15, München, 2011. URL: http://www.weiterbildungsinitiative.de/uploads/media /WiFF_Expertise_Nr._15_Annika_Sulzer_Petra_Wagner_Inklusion_in_Kindertageseinrichtungen.pdf Wagner, P.: Thesen zum Verhältnis von Inklusion und Partizipation. Unveröffentlichtes Manu-skript eines Vortrages auf der Fachtagung »Baustelle Inklusion 2012: Inklusion und Partizipation«, veranstaltet von der Fachstelle Kinderwelten für Vorurteilsbewusste Bildung und Erziehung am 15. 06. 2012 in Berlin, 2012
2.2 Inklusion und Partizipation im Konzept der Hans-Georg Karg Kindertagesstätte Reinhard Ruckdeschel & Christine Mull
Lucas kam im Alter von 4 Jahren in die Hans-Georg Karg Kindertagesstätte. Voraussetzung für die Aufnahme ist grundsätzlich, dass die Kinder in der Regel sauber sind. Dies war bei Lucas anscheinend der Fall. Schon in den ersten Wochen zu Beginn des Kindergartenjahres zeigte sich allerdings, dass Lucas nicht die Toilette benutzte. Regelmäßig kam es zu kleineren und größeren »Störungen« verschiedenster Art in der Gruppe, zumindest äußerten die Kinder, sie fühlten sich gestört. In einem Vier-Augen-Gespräch mit Lucas sagte dieser zu seiner Erzieherin, er möchte nicht auf die Toilette, da es dort so eintönig sei und er seine guten Gedanken verlöre. Eigentlich sollte eine Toilette wie eine Forschungsstation aussehen, dann ginge er gerne hin. Nach gemeinsamer Überlegung wurde die Toilette der Gruppe daraufhin von Kindern und Erzieherinnen zu einer Unterwasser-Forschungsstation umgestaltet. Die Fische und Tiefseemonster hingen bald als Mobiles von der Decke, zudem gab es eine Bibliothek und Forschungsinstrumente zur Wassererforschung. Der gewünschte Effekt trat unmittelbar nach der Umgestaltung ein: Lucas war »sauber« und weitere Störungen blieben aus. In der Hans-Georg Karg Kindertagesstätte des CJD Nürnberg werden inklusiv Kinder mit besonderer intellektueller Begabung mit Kindern aus dem umliegenden Stadtteil und Kindern, die Eingliederungshilfen benötigen, gefördert. Angeschlossen sind eine Begabungspsychologische Beratungsstelle und eine Kinderakademie mit außerschulischen Bildungsangeboten. Die Einrichtung ist die Konsultationseinrichtung des Staatsinstituts für Frühpädagogik (ifp) und gehört zum Kita-Konsultationsnetzwerk Hochbegabung der KargStiftung. Bereits in der Planungsphase im Jahr 1997 vertrat das CJD die Position, dass Integration bzw. die Überzeugung, Integration verwirklichen zu wollen, als grundsätzliche pädagogische Haltung nicht auf die Integration behinderter Kinder in Regeleinrichtungen beschränkt werden kann, sondern selbstverständlich auch die Integration von Kindern mit Migrationshintergrund oder
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die Integration von Kindern mit besonderen Begabungen in eine gesellschaftliche Realität meinen muss. Dementsprechend spielen und lernen in der HansGeorg Karg Kindertagesstätte seit der Gründung hochbegabte Kinder, Kinder aus dem umliegenden Stadtteil St. Leonhard, Kinder mit Eingliederungshilfen und Kinder mit Migrationshintergrund gemeinsam. Unsere Einrichtung pflegt eine enge Kooperation mit der naheliegenden Grundschule St. Leonhard, in welcher ebenfalls inklusiv Kinder der gleichen Gruppen unterrichtet werden. Alle Projekte der Hochbegabtenförderung sind im CJD grundsätzlich inklusiv. Inklusion ist einer der zentralen Leitgedanken im Profil des Trägers, zudem vermeiden wir den Big-fish-little-pond-Effekt, können jedoch die Vorteile des Basking-in-reflected-glory-Effekts nutzen. Der Big-fish-little-pond-Effekt besagt, dass zwei Schüler mit gleicher persönlicher Leistungsfähigkeit, die allerdings Klassen mit unterschiedlichen Niveaus besuchen, ein unterschiedliches akademisches Selbstkonzept bzw. eine unterschiedliche Selbstwahrnehmung der eigenen Fähigkeiten entwickeln können. Das Kind in der schwächeren Klasse nimmt die eigenen Leistungen und Fähigkeiten höher war als das Kind in der leistungsstärkeren Klasse. Dem Big-fish-little-pond-Effekt entgegen wirkt der Basking-in-reflectedglory-Effekt. Dieser Effekt wirkt dahingehend, dass das Zugehörigkeitsgefühl zu einer leistungsstarken und prestigeträchtigen Gruppe das eigene akademische Selbstkonzept erhöhen kann. Es scheint allerdings so zu sein, dass die »Kosten« des Big-fish-little-pond-Effekts den »Nutzen« des Basking-in-reflected-gloryEffekts übersteigen (Preckel/Goetz, 2006). Die Erfahrungen in unseren KitaStammgruppen zeigen, dass Kindergartenkinder sehr wohl ihre Fähigkeiten mit anderen Kindern vergleichen und lernen, diese leistungsbezogen einzuschätzen. Wir erleben es jedoch als sehr erfreulich, dass unsere Kinder motorische und soziale Fähigkeiten ebenso schätzen wie intellektuelle Fähigkeiten. Die Kinder wissen, dass beispielsweise Franz eben schon bis 100 zählen und bis 20 rechnen kann, ebenso kann Paula am besten Purzelbäume schlagen und Katrin kann sehr gut einen Streit schlichten.
Ausgewählte Formen von Partizipation in der Hans-Georg Karg Kita »Kinder haben das Recht an allen sie betreffenden Entscheidungen entsprechend ihrem Entwicklungsstand beteiligt zu werden. Es ist zugleich ein Recht, sich nicht zu beteiligen. Dieser Freiwilligkeit seitens der Kinder, ihr Recht auszuüben, steht
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jedoch die Verpflichtung der Erwachsenen gegenüber, Kinder zu beteiligen, ihr Interesse für Beteiligung zu wecken« (Bayerischer Bildungs- und Erziehungsplan, 2012, S. 238) (Art. 12 UN-Kinderrechtskonvention, § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII, Art. 10 Abs. 2 BayKiBiG).
»Beteiligung« bedeutet »Partizipation« im Sinne von Mitwirkung, Mitgestaltung und Mitbestimmung und setzt Partnerschaft und Dialog voraus. Ergebnisoffene Situationen, in denen Willensbildungsprozesse gemeinsam erfolgen und Ergebnisse auch anders als gedacht ausfallen könne, zeichnet sie aus. In Tageseinrichtungen ist jedem Kind zu ermöglichen, Verantwortung zu übernehmen und eigene Aktivitäten zu gestalten, soweit sich dies mit seinem Wohl und dem der Gemeinschaft vereinbaren lässt. Als »Experten in eigener Sache« werden die Kinder in Planungs-, Aushandlungs- und Entscheidungsprozesse mit einbezogen. Beteiligung ist in jedem Alter möglich. Das Alter spielt lediglich für die Beteiligungsform eine Rolle, nicht für die Beteiligung als solche. Je jünger die Kinder sind, desto wichtiger sind die ausgesendeten Körpersignale und ihre Körpersprache. Kinder können sehr genau mitteilen, was sie beschäftigt, äußern auf Nachfrage ihre Ideen und sind darin konkret und handlungsorientiert. Kinder können oftmals mehr als ihnen die Erwachsenen zutrauen! Lernangebote, die den Interessen und Bedürfnissen der Kinder entsprechen, sind wirkungsvoll und nachhaltig, denn als Ko-Konstrukteure sind die Kinder intrinsisch motiviert. Kinderbeteiligung in Tageseinrichtungen führt Kinder ein in die Regeln der Demokratie. »Demokratie ist die einzige Staatsform, die gelernt werden muss« (Negt, 2014). Demokratisches Verhalten hat in unserer Gesellschaft einen hohen Stellenwert, Demokratie lebt vom Engagement ihrer Bürger. Die geschützte Öffentlichkeit der Tageseinrichtung ist dafür ein ideales Erfahrungs- und Übungsfeld. Für Kinder wird Politik dadurch konkret erfahrbar. Damit allerdings die Beteiligung von Kindern gelingen kann, müssen vor allem die Erwachsenen bereit und kompetent sein sich zu beteiligen. Entscheidungsspielräume, in denen Kinder Beteiligung erfahren, werden stets von den Erwachsenen eingeräumt! Partizipation verändert die Erwachsenen-KindBeziehung und stellt das Handeln mit den Kindern in den Mittelpunkt. Leider sind immer noch viele Erwachsene daran gewöhnt, für Kinder zu denken und zu entscheiden, ihnen Verantwortung nicht zu übergeben, sondern abzunehmen. Partizipation der Kinder erfordert zugleich auch die Beteiligung der Eltern und des Teams, aber auch Partizipation zwischen Träger und Team. Beteiligungsprozesse anzustoßen ist ein Prozess der Team- und Organisationsentwicklung. Partizipation im Team ist die Basis für Partizipation der Kinder. Wichtig ist auch,
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dass die Erwachsenen ihr eigenes Kinderbild reflektieren: Was traue ich Kindern zu? Was können und wissen unsere Kinder schon alles? Kinderbeteiligung bietet die Chance, den notwendigen Perspektivenwechsel im Umgang mit Kindern zu vollziehen. Deshalb kann nur eine strukturelle Verankerung von Beteiligungsformen in der Tageseinrichtung gewährleisten, dass Kinder – unabhängig von anderen Personen – ihre Beteiligungsrechte regelmäßig wahrnehmen können.
Beteiligungsformen in der Hans-Georg Karg Kita In der Konzeption der Kindertageseinrichtung sind drei wesentliche Beteiligungsformen verankert: ȤȤ Beschwerdemanagement ȤȤ Kinderbeirat ȤȤ Kindergespräche Beschwerdemanagement Um eine Betriebserlaubnis zu erhalten, sind Träger gemäß § 45 Abs. 2 Nr. 3 SGB VIII (Achtes Buch Sozialgesetzbuch – Kinder- und Jugendhilfe) dahingehend nachweispflichtig, dass die Rechte von Kindern und Jugendlichen in der Einrichtung durch die Anwendung geeigneter Verfahren der Beteiligung sowie der Möglichkeit der Beschwerde in persönlichen Angelegenheiten gesichert sind. Zur Überprüfung dieser Voraussetzungen haben Träger von Einrichtungen mit dem Antrag auf Betriebserlaubnis eine pädagogische Konzeption vorzulegen, die Auskunft über Maßnahmen der Qualitätsentwicklung und -sicherung gibt. Folgende Methoden, die von den Kindern gewollten Wege für alle Beteiligten transparent zu machen, wurden festgelegt (Kurzbeschreibung): 1. Aufnahme-Vertrag
Es gibt einen neuen Vertragsteil, dies ist ein großes Ausrufezeichen. Will ein Kind sich beschweren, können das Kind oder die Eltern das Ausrufezeichen in das Postfach des Kindes stecken oder persönlich abgeben. (Symbol: wichtig, etwas passt nicht, bitte frag mich). Terminvereinbarung zur Klärung erfolgt durch die Pädagogen, diese klären auch, ob der Termin mit oder ohne Kind stattfinden soll. Der Termin soll ideal am selben Tag erfolgen, der darauffolgende Tag ist auch möglich.
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2. Besprechung mit Kindern
Die Möglichkeiten der Beschwerde werden mit den Kindern bei der Erarbeitung der Gruppenregeln besprochen, bei der Wahl des Kinderbeirats wird das Thema wiederholt, in der ersten Kindergartenzeitung im Kita-Jahr findet sich ein Artikel zum Thema Beschwerde für Kinder, weiteres Aufgreifen erfolgt nach Bedarf. 3. Informationen an die Eltern – Transparenz in der Bildungs- und Erziehungspartnerschaft
Information der Eltern erfolgt bei Erstkontakt und Vertragsabschluss, ausführliche Informationen bei der Elternbeiratswahl, Details in erster Kindergartenzeitung, weitere Infos über den Beirat nach Bedarf. Wünsche zur Veränderung können über den Kinderbeirat jederzeit thematisiert werden. Kinderbeirat Der Kinderbeirat hat entgegen dem Elternbeirat, der ein beratendes Gremium ist, ein echtes Mitbestimmungsrecht, welches sich jedoch nicht auf trägerrelevante und personalrechtliche Themen bezieht. Der Kinderbeirat tagt regelmäßig zu Themen, die in der Kita gerade aktuell sind. Wenn Kinder in einer Kita vor eine Wahl gestellt werden, ist dies in der Regel öffentlich. Unser demokratisches Grundverständnis und unsere Wahlgesetze sagen uns jedoch, dass eine echte Wahl neben weiteren Grundsätzen z. B. geheim stattfinden muss. Die Kinderbeiratswahl erfolgt deshalb entsprechend den demokratischen Wahlgrundsätzen. Seit Einführung des Kinderbeirats im Jahr 2010 schlagen die Kinder bei Besprechungen häufiger vor, Entscheidungen in den ersten Wochen des Kita-Jahrs über den Beirat zu treffen. So wurde z. B. das Sommerfest 2011 komplett von Kindern mit Kindern als Experten verschiedener Spielstationen organisiert. Kindergespräche Die Kindergespräche finden bei uns analog zu Entwicklungsgesprächen mit den Eltern statt. Zweimal jährlich kann jedes Kind mit der Bezugserzieherin unter vier Augen folgende und weitere Themen besprechen: ȤȤ Gibt es etwas, was du mit mir besprechen möchtest? ȤȤ Freunde? Soziale Beziehungen? ȤȤ Was gefällt dir in der Kita? Was nicht so gut? ȤȤ Stärken? Das kann ich gut! ȤȤ Das will ich noch lernen
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ȤȤ Zielvereinbarung mit dem Kind ȤȤ Das Kind entscheidet selbst, ob das Kindergespräch Teil des Entwicklungsgesprächs mit den Eltern sein soll, oder nicht.
Kinderbefragungen: Wie zufrieden sind Kinder mit ihren Erzieherinnen? Jährlich erfolgen bei uns Kinder-Befragungen, eine dieser Befragungen hat auf jeden Fall das Thema: Wie zufrieden sind die Kinder mit ihren Erzieherinnen? Betrachten wir aber zunächst die prototypische Situation eines Gesprächs im Stuhlkreis einer Kita und die verschiedenen relevanten psychologischen Aspekte. Die Situation, dass Kinder in Gesprächskreisen bei einer Sache entscheiden oder mitentscheiden dürfen, ist pädagogischer Alltag. Bei näherer Betrachtung der psychologischen Phänomene, die in solchen Gesprächskreisen auftreten, muss man jedoch erkennen, dass eine solche Situation nichts mit unseren demokratischen Grundsätzen zu tun hat. Im Gegenteil: unser Credo, Kinder seien Bildungsexperten, kollidiert mit den auftretenden psychologischen Gruppenphänomenen. Einige typische Phänomene, die in einer altersheterogenen Kita-Gruppe in Gesprächskreisen auftreten, seien kurz genannt. Für die persönliche Wahl oder Entscheidung eines Kindes sind derartige Aspekte häufig entscheidender als der eigene Wille. Es gibt Antworten nach sozialer Erwünschtheit, »Kleben« an Aussagen oder Deutungen anderer Kinder, man könnte dieses Phänomen als eine Art Gruppenperseveration bezeichnen. Die Orientierung an anderen, Stellung in der Peergroup ist oftmals entscheidend, Aspekte wie z. B. etwas zu wagen, abwarten können, Unsinn machen, können Entscheidungen beeinflussen. Also sind Gruppengröße, soziale Stellung und das Beziehungsgeflecht oft die entscheidenden Kriterien, welche Wünsche ein Kind äußert. Seit mehreren Jahren führen wir jährlich Kinderbefragungen mit Metaplanmethoden durch, die den Kindern bisher stets großen Spaß gemacht haben und die den Kindern verdeutlichen, dass ihre Meinung wichtig ist. Befragungen mit Kindern sind auch ein präventives Element unseres Beschwerdemanagements. Das Vorgehen erfolgt in folgenden Schritten: ȤȤ Kartenabfrage, Brainstorming, Ideen ȤȤ Clustern nach Sammel-/Oberbegriffen ȤȤ Lückenanalyse ȤȤ Bewertung der Oberbegriffe nach bestimmten Kriterien ȤȤ Interpretation und Diskussion
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ȤȤ Lösungsvorschläge, weitere Kreativmethoden z. B. PMI Metaplan ist natürlich zunächst keine Methode für Kinder, sondern kommt aus der Erwachsenenbildung. Die Erfahrung zeigt aber, dass Kinder hervorragend brainstormen und praktisch alles auf Karten malen können, was ein Erwachsener in Stichworten auf Karten schriebe. Zur Verdeutlichung nachfolgend einige Schritte des Vorgehens mit Kindergartenkindern. Befragungen mit vorformulierten Fragen oder strukturierte Interviews haben den Vorteil, dass der Fragende differenzierte Antworten zu exakt gestellten Fragen erhalten kann. Es gibt jedoch die grundlegende Problematik, dass durch die Vorüberlegungen und die Vorformulierung die Vorannahmen des Fragenden stets mit einfließen. Bei offenen Befragungen stellt sich dieses Problem weniger, jedoch sind die Ergebnisse im Allgemeinen spärlicher, besonders, wenn eine offene Befragung in schriftlicher Form durchgeführt wird. Bei der Methode der Metaplan-moderierten Gruppendiskussion haben wir die Möglichkeit, Informationen in der Breite, also ohne dass die Vorannahmen des Fragenden eine wesentliche Rolle spielen, zu erhalten, die in der Diskussion auch vertieft und zu konkreten Lösungsvorschlägen erarbeitet werden können. Wir erhalten die Informationen, die unseren Kindern wirklich wichtig sind – und die somit auch für uns wichtig sind! Erforderliche Materialien wären: Metaplanwand bzw. Pinnwand, es dürfen auch 2 Wände sein, verschiedenfarbige Metaplankarten, Pinnadeln, Buntstifte. Bei der zweiten Bewertung sind für das vorgestellte Vorgehen schemenhafte Gesichtsdarstellungen auf großen Kartons erforderlich. Wir empfehlen buntes Kartonpapier, das in jeder Kita vorrätig ist. Der gesamte Zeitaufwand beträgt mit Pausen bei der Langversion etwa 90 Minuten, Varianten sind bereits mit 30 Minuten durchführbar.
Das Vorgehen Schritt für Schritt Einleitung und Information
In dem nachfolgend dargelegten Beispiel der Befragung geht es darum, dass Kinder die Arbeit der Pädagogen bewerten. Mit der Methode können jedoch auch andere pädagogisch relevante Aspekte eingeschätzt oder bewertet werden. In einem ersten Schritt werden die Kinder begrüßt, anschließend wird den Kindern das Vorhaben der Kinderbefragung kurz erklärt. Es geht hier darum, den Kindern deutlich zu machen, was sie in den nächsten Minuten zu erwarten haben. Es ist sinnvoll, den Kindern zu verdeutlichen, dass man sie mit einer bestimmten Methode befragen will, um zu erfahren, was für
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sie wirklich wichtig ist. Weiterhin sollten die zur Verwendung kommenden Materialien wie die Pinnwand, Metaplankärtchen und Buntstifte vorgestellt werden. Aufwärm-Spiel
Ein besonderer Spaß ist bisher stets schon das Einstiegsspiel, in dem die Kinder die Methode des Power-Brainstormings kennen lernen. Dieses Spiel hat das Ziel, dass die Kinder mit der Methode des Brainstormings vertraut werden und dass sie auf das Finden möglichst vieler Ideen in kurzer Zeit eingestimmt sind. Es werden zwei Mannschaften gebildet. Die Mannschaften erhalten nacheinander den Auftrag zu einer bestimmten Frage möglichst viele Ideen bzw. Einfälle zu nennen. Zeit für jede Mannschaft zum Nennen der Ideen sind ca. 30 Sekunden. Jedes Mannschaftsmitglied soll möglichst viele Ideen nennen und kann diese einfach sagen. Der Moderator zählt die Anzahl der Nennungen mit. Diejenige Mannschaft gewinnt, die mehr Ideen genannt hat. Instruktion
Die nachfolgende Anweisung bzw. die einzelnen Instruktionen sind als Auftrag an das Kind zu verstehen, sie sind nicht streng nach Vorgabe durchzuführen, sondern nach Situation und Verständnis der Kinder. Gegebenenfalls müssen einzelne Instruktionen wiederholt oder mit eigenen Worten erklärt werden. Grundsätzlich ist wie bei allen Moderationen das Geschick des Moderators für ein gutes Gelingen mitentscheidend. Wir spielen jetzt ein Spiel. Dazu bilden wir zunächst zwei Mannschaften (die Mannschaften sollen nach einem System gebildet werden, das den Kindern vertraut ist). Ziel des Spieles ist es zu gewinnen. Es gewinnt diejenige Mannschaft, die mehr Einfälle hat. Mannschaft Eins, ihr habt gleich etwa eine halbe Minute Zeit, möglichst viel zu sagen, was eine Mama alles machen muss. Es gibt ja so viele Dinge, die die Mütter so machen. Es fällt euch bestimmt viel ein. Ihr dürft anfangen, wenn ich »Los« sage, dann darf Jeder von euch so viel sagen, wie euch einfällt. Hast du dazu noch eine Frage? Dann also »Los«! Es kann bei diesem Spiel recht laut werden. Die Erfahrung zeigt, dass die Kinder ihre Ideen umso lauter nennen, je mehr ihnen einfällt. Analog zur ersten Mannschaft erhält die zweite Mannschaft anschließend den Auftrag möglichst viele Ideen oder Dinge zu nennen, die der Vater bzw. der Papa macht. Falls eine Mannschaft deutlich mehr Nennungen schaffen sollte, ist dies natürlich kein hinreichender Beweis dafür, dass eine der genannten Gruppe tatsächlich mehr macht. Manche Kinder kennen vielleicht das Spiel outburst und sind somit mit der Auftragsstellung vertraut.
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Im nächsten Schritt sammeln die Kinder auf Metaplankarten Ideen, was eine Erzieherin machen muss. Die Kinder können ihre Ideen auf die Karten schreiben oder malen. Die Kinder dürfen sich gegenseitig helfen. Jede Idee ist als Idee zu verstehen, und sei sie noch so verrückt. Kritik ist nicht erlaubt. Jeder darf die Ideen der Anderen aufgreifen und sie weiterspinnen. Es gelten die grundsätzlichen Regeln des Brainstormings. Instruktion
Wir überlegen jetzt gemeinsam, was eine Erzieherin so alles machen muss. Alles, was dir dazu einfällt, darfst du auf eine Karte malen oder schreiben. Für jede Idee nimmst du eine Karte. Der Moderator verteilt Karten und Buntstifte. ȤȤ Ihr könnt anfangen zu malen und zu schreiben. ȤȤ Falls ein Kind eine Idee eines anderen Kindes kritisiert oder sein Bild bemängelt, greift der Moderator dies auf und betont, es ginge darum, möglichst viele Ideen zu finden, alles sei erlaubt und Kritik sei verboten. ȤȤ Es ist grundsätzlich besser, die Instruktionen knapp zu halten und bei Bedarf weiter zu instruieren oder die Regeln zu erklären. ȤȤ Für das Sammeln vieler Ideen und Malen und Schreiben auf Karten ist ein Zeitrahmen von bis zu 15 Minuten erforderlich. Benennen und Kommentieren aller Karten, Klumpen
Wenn der Ideenstrom langsam versiegt und etliche Karten an die Metaplanwand geheftet sind, werden alle Karten von ihren Verfassern benannt und kommentiert. Der Moderator zeigt nacheinander auf alle Karten und fordert die Kinder auf zu benennen, was mit der Karte gemeint sei. Es hat sich bei unseren Befragungen gezeigt, dass Gruppen von Kindern anscheinend über ein Gruppengedächtnis verfügen. Bei allen durchgeführten Befragungen konnten die Kinder alle Karten und deren Sinn erklären. Teilweise waren es bis zu 60 Karten, der größere Anteil gemalt, einige beschrieben. Anschließend bzw. während des Kommentierens werden die Karten zu Klumpen/Clustern geordnet. Gleiche bzw. ähnliche Karten werden zusammen geheftet. Karten, die thematisch zusammen passen bzw. die sich unter einen Oberbegriff fassen lassen, werden zusammengefasst. Erfahrungsgemäß gibt es viele ähnliche Nennungen, so dass eine verbleibende Menge von 15 bis 20 Karten mit Oberbegriffen oder wichtigen Einzelaspekten zu erwarten ist. Wichtig ist, dass das Klumpen im engen Dialog mit den Kindern, auf keinen Fall gegen ein Votum der Kinder erfolgt. Deshalb ist die Vorgabe einer Instruktion nicht möglich.
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Lückenanalyse
Im nächsten Schritt erfolgt eine Lückenanalyse. Für Lückenanalysen gibt es vielerlei Methoden. Wir empfehlen hier eine Analyse des Tagesablaufs in der Kita. Der Moderator beginnt mit dem Eintreffen des Kindes in der Kita und geht Punkt für Punkt den Tagesablauf der Kita durch. Bei allen Stationen fragt er die Kinder, ob ihnen hierzu noch etwas Wichtiges einfiele, was auf der Tafel noch fehlen würde. ȤȤ Wiederholungen im Tagesablauf sind zulässig. ȤȤ Wenn einem Kind bei einer Station des Tages etwas wichtig erscheint, darf das Kind eine weitere Karte malen oder schreiben. Bei der Lückenanalyse können sich mehrere Ideen ergeben, die für die Kinder wichtig sind. ȤȤ Eine bei Kindern beliebte Variante der Lückenanalyse besteht darin, als Interview-Team, das aus drei oder vier Kindern besteht, Erzieherinnen im Haus zu befragen, was sie alles machen müssen. Die Bedingung dabei ist, dass bereits Genanntes nicht gilt. Wir hatten es bei einer Befragung erlebt, dass drei Teams aus jeweils drei Kindern drei oder vier neue Ideen bzw. Erzieher-Tätigkeiten erfragen konnten. Erste Bewertung
Es erfolgt die erste Bewertung. Die Kinder sollen mit einer 3-stufigen Skala jede Karte bewerten. Die Frage lautet, wie wichtig das sei, was die Erzieherin macht. Eine Abstufung könnte lauten: sehr wichtig, unentschieden, nicht wichtig. Wir hatten bei verschiedenen Durchführungen auch mit mehrstufigen Skalen experimentiert. Als gut anwendbar erwies sich eine Dreifach-Stufung. Hier ist der Effekt der gegenseitigen Beeinflussung am geringsten. Alle Kinder, nicht nur die hoch begabten, schaffen ein dreistufiges Votum. Bei der Bewertung ist auch eine Visualisierung der Bewertung zu empfehlen. Auch hier ist es sinnvoll, auf ein System zurückzugreifen, welches den Kindern bereits bekannt ist. Wir hatten letztendlich eine gleichzeitig visuelle, motorische und verbale Einschätzung der Kinder angewandt, da diese Bewertung unseren Kindern bereits vertraut war. Die Bewertungsmethode fand ihre Anwendung bereits im römischen Circus: Daumen nach oben heißt sehr wichtig, Daumen quer bedeutet unentschieden, Daumen nach unten heißt unwichtig. Die Kinder zeigen und nennen ihre Einschätzung. Instruktion
Du darfst jetzt alle Dinge, die eine Erzieherin macht, noch einmal betrachten (Moderator zeigt auf die Karten) und sagen und zeigen, wie wichtig das ist. Ihr kennt doch alle das Spiel mit dem Daumen. Daumen hoch heißt sehr wichtig. Macht doch mal alle mit. Daumen quer heißt unentschieden, ich weiß nicht, ob es wichtig
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ist oder nicht so sehr. Daumen nach unten heißt unwichtig. Ich zeige auf die Karte und benenne das, was die Erzieherin macht, dann sagst du, ob es wichtig ist oder nicht. Schau nicht auf die anderen Kinder. Es kommt darauf an, ob du glaubst, wie wichtig die Sache ist oder wie wichtig das, was die Erzieherin macht, für dich ist. Die Bewertungen werden notiert. Es bleibt der persönlichen Vorliebe des Moderators überlassen, ob er für jede Karte die einzelnen Bewertungen notieren will, also z. B. 8 mal wichtig, 2 mal unentschieden, oder ob er gleich den Medianwert bilden will. Es ist allerdings darauf zu achten, dass das Notieren der Voten nicht zu viel Zeit in Anspruch nimmt. In unserem Beispiel könnte eine kurze Notierung der Ergebnisse folgendermaßen aussehen: der Moderator schreibt auf eine Ecke der Karte eine 8 mit einem kleinen Pfeil nach oben, darunter eine 2 mit einem quer stehenden Pfeil. Eine knappe Notierung der Bewertungsergebnisse ist für den Moderator mit wenig Zeitaufwand zu schaffen. Pause mit Eis
Diese Pause ist enorm wichtig. Die Kinder haben seit geraumer Zeit schwer gearbeitet, wenn auch mit einem riesigen Spaß. Ohne Pause kleben die Kinder an der Aufgabenstellung der ersten Bewertung, das heißt, sie bewerten bei der zweiten Bewertung nicht, wie gefordert, wie gut die Erzieherinnen ihre Aufgaben bewältigen, sondern wieder, wie wichtig jede Verrichtung ist. Mit Eis-Pause war das Phänomen des Klebens am ersten Bewertungsauftrag nahezu nicht festzustellen. Zweite Bewertung
Es folgt die zweite Bewertung. Die Frage lautet, wie gut die Erzieherinnen die auf den Karten genannten Tätigkeiten machen. Jede Karte wird wieder einzeln bewertet. Wir empfehlen Power-Voting im Raum. Auf einer Längsachse im Raum befinden sich Smileys. Auf der einen Seite ein lachendes Gesicht, auf der anderen Seite ein weinendes Gesicht, dazwischen in der Mitte ein neutrales Gesicht. Die Kinder sollen sich ihrem Votum entsprechend stellen. Lachgesicht heißt: die Erzieherinnen machen es gut, Neutrales Gesicht heißt: mal so, mal so, Weingesicht heißt: die Erzieherinnen machen es nicht gut. Bei dieser Methode ist darauf zu achten, dass es zu keiner sozialen Gruppenbildung, also Antwort nach sozialer Erwünschtheit, kommt. Hat der Moderator diesen Eindruck, soll er dies thematisieren. Erfahrungsgemäß können begabte Kinder gut ihre eigene Einschätzung vertreten.
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Der Moderator notiert die Bewertungen zu den einzelnen Karten oder bildet den Median. Die Instruktion zur zweiten Bewertung erfolgt analog zur Instruktion bei der ersten Bewertung. Es sollte bei jeder Karte wiederholt werden, dass es darum geht, wie gut die Erzieherinnen es machen. Auch das Festhalten der Ergebnisse erfolgt analog zur ersten Bewertung. Ein Lachgesicht kann als oben offener Bogen, ein neutrales Gesicht als Querstrich und ein weinendes Gesicht als Halbbogen, der nach unten offen ist, notiert werden. Unterschiede und Handlungsbedarf
Die Bewertungen werden verglichen. Zudem erfolgt eine inhaltliche Auswertung. Zur inhaltlichen Auswertung eine Anmerkung. Nach unserer Kinderbefragung haben wir erkannt, wie sehnlich der Wunsch einiger Jungen nach einer Carrera-Bahn war. Jetzt haben wir eine Carrera-Bahn. Seltsamerweise kam vorher niemand auf die Idee, dass Jungs in der Kita diesen Wunsch hegen. Handlungsbedarf besteht bei den Nennungen, die als wichtig eingestuft wurden, deren Bearbeitung aber als weniger gut oder neutral bewertet wurde. Sind Dinge nach Meinung der Kinder weniger wichtig, aber die Erzieherinnen machen es gut, besteht zunächst kein Handlungsbedarf. Alle genannten Aspekte, die nach Meinung der Kinder wichtig sind, also die erste Bewertung hoch ausfällt, bei denen die Erzieherinnen nach Meinung der Kinder ihre Arbeit jedoch nicht so gut erledigen, also die zweite Bewertung niedriger ausfällt als die erste, muss im Sinne eines fairen Miteinanders bearbeitet werden. Denn eine Befragung ohne weitere Konsequenzen wäre sinnlos. Es kann sein, dass ein erkannter Handlungsbedarf nicht in der Runde mit Kindern diskutiert werden kann, da Organisationsentwicklungsmaßnahmen oder Personalentwicklungsaufgaben erforderlich wären. Zumindest liegt in solchen Fällen ein klares Votum unserer primären Kunden vor. Änderungs-Vorschläge/Brainstorming
Zu den Aspekten, bei denen Handlungsbedarf besteht, werden wieder mittels Brainstorming Ideen gesammelt und auf ihre Durchführbarkeit geprüft. Idealerweise sollten die Ideen, falls sie durchführbar sind, natürlich auch realisiert werden. Dies ist Aufgabe der Pädagogen. Die Umsetzung ihrer Ideen zeigt den Kindern, dass ihre Meinung und ihre Mitarbeit zählen und dass es sich lohnt, Verantwortung zu übernehmen.
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Varianten Varianten sind grundsätzlich möglich. Es geht nicht darum, das Vorgehen in allen Schritten genau einzuhalten. Ziel ist es, den Kindern zu vermitteln, wie man mit Spaß gemeinsame Aktivitäten reflektieren kann. Bereits beim ersten Brainstorming-Spiel können die Kinder lernen, dass alle Aspekte, Dinge, Statements, die sie nennen, zunächst als Ideen wertvoll sind. Bei dem Sammeln von Ideen auf Karten und dem anschließenden Clustern wird oftmals schon intensiv diskutiert. Insofern bietet sich in gewissen Situationen auch folgendes Vorgehen an: ȤȤ Einstiegsspiel ȤȤ Brainstorming/Kartenabfrage ȤȤ Clustern ȤȤ PMA PMA ist eine Abwandlung der PMI-Methode von De Bono. Statt Plus, Minus, Interessant, lauten die Bewertungen bzw. Einteilungen. Plus, Minus, Anders, also als Instruktion an die Kinder z. B. folgendermaßen formuliert: ȤȤ Was fandest du toll, was hat dir gefallen? ȤȤ Was war nicht so toll, was hat dir nicht gefallen? ȤȤ Was könnte oder sollte man anders machen?
Wir haben bei einigen Feedbackrunden erlebt, dass die Kinder hier intensiv und mit vielfältigen und differenzierten Statements diskutieren und ihre Karten den Kategorien zuteilen können.
Literatur Hansen, R./Knauer, R.: Beschweren erwünscht! Wie Kindertageseinrichtungen Beschwerdeverfahren für Kinder umsetzen können. Teil 1, TPS 9/2013; S. 40–43 Hansen, R./Knauer, R.: Beschweren erwünscht! Wie Kindertageseinrichtungen Beschwerdeverfahren für Kinder umsetzen können. Teil 2, TPS 10/2013; S. 44–47 Negt, O.: 2014; URL: http://www.politische-bildung.eu/politische-bildung/index.html Preckel, F./Goetz, T.: Der »Big-fish-little-pond-Effekt«. Özbf, news and science, 14, 2006; S. 24–26 Ruckdeschel, R.: Verantwortungsgenese im Elementarbereich. In: A. Hackl/C. Pauly/O. Steenbuck/G. Weigand (Hrsg.), Begabung und Verantwortung, Karg Heft 05/2013
3. Inklusion und Interkulturalität
3.1 Integration und Interkulturalität in Kindertageseinrichtungen – Die Rolle der Nichtumgebungssprache für das Wohlbefinden von Kleinkindern Annick De Houwer
Am 3. Juni 2014 widmeten die deutschen Medien den neuen Ergebnissen auf Basis der Zensusdaten des Statistischen Bundesamtes aus dem Jahr 2011 zur Zuwanderung nach Deutschland viel Aufmerksamkeit. Berichtet wurde unter anderem, dass fast jeder fünfte Mensch in Deutschland einen Migrationshintergrund hat (siehe z. B. tagesschau.de)1. Dieser Anteil liegt für die Kleinkinder in Deutschland sogar noch höher: 28 % der Kinder unter 3 und 30 % der Kinder zwischen 3 und 5 Jahren haben einen Migrationshintergrund2. Obwohl es große Unterschiede in diesen Proportionen zwischen den Bundesländern gibt (Untergrenze: 6 %; Obergrenze: 43 %), ist überall in Deutschland die Anzahl von Kleinkindern mit Migrationshintergrund erheblich größer als die der ganzen Bevölkerung mit Migrationshintergrund (siehe Abbildung 1). Laut Pressemitteilung Nr. 253 des Statistischen Bundesamtes vom 16. 07. 2014 zeigen vorläufige Ergebnisse der Statistik der Kinder- und Jugendhilfe einen großen Anstieg in der Inanspruchnahme von Kindertagesbetreuung zwischen 2012 und 2014. Dieser Anstieg und die Statistiken von 2011 lassen vermuten, dass mehr und mehr Kinder mit einem Migrationshintergrund in Kindertageseinrichtungen in ganz Deutschland zu erwarten sind, auch wenn im Vergleich zu Kindern ohne Migrationshintergrund die Quote von Kindern mit Migrationshintergrund in Tageseinrichtungen und Tagespflege fast überall in Deutschland niedriger ist (s. Daten für 2013 in Tabelle C3–2A, Autorengruppe Bildungsberichterstattung, 2014). 1
»Zu den Personen mit Migrationshintergrund zählen alle Ausländerinnen und Ausländer sowie Deutsche, die nach 1955 selbst zugewandert sind oder bei denen mindestens ein Elternteil nach 1955 aus dem Ausland nach Deutschland kam.« (Statistisches Bundesamt, Wiesbaden, 2014; URL: https://www.zensus2011.de/SharedDocs/Aktuelles/Ergebnisse/PM_Destatis_20140603. html?nn=3065474). 2 Eigene Berechnungen; Datenquelle: Zensusdatenbank Zensus 2011 der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder, https://ergebnisse.zensus2011.de/#, (Stand 04. 06. 2014).
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