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German Pages [120] Year 1980
HYPOMNEMATA 63
HYPOMNEMATA U N T E R S U C H U N G E N ZUR ANTIKE UND ZU IHREM
NACHLEBEN
Herausgegeben von Albrecht Dihle / Hartmut Erbse / Christian Habicht Hugh Lloyd-Jones / Günther Patzig / Bruno Snell
H E F T 63
V A N D E N H O E C K & R U P R E C H T IN G Ö T T I N G E N
KATHARINA
SCHMIDT
Kosmologische Aspekte im Geschichtswerk des Poseidonios
V A N D E N H O E C K & RUPRECHT IN G Ö T T I N G E N
CIP-Kurztitelaufnahme Schmidt,
der Deutschen
Bibliothek
Katharina:
Kosmologische Aspekte im Geschichtswerk des Poseidonios / Katharina Schmidt. — Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1980. (Hypomnemata; H. 63) ISBN 3-525-25159-2
Gedruckt mit Unterstützung der Kommission für Alte Geschichte und Epigraphik des Deutschen Archäologischen Instituts © Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen 1980. — Printed in Germany. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, das Buch oder Teile daraus auf foto- oder akustomcchanischem Wege zu vervielfältigen Gesamtherstellung: Hubert Sc Co., Göttingen
Vorwort Diese Untersuchung lag im Herbst 1976 in der vorliegenden Fassung der Philosophischen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i.Br. als Dissertation vor. Sie geht auf die Anregung von Herrn Professor Strasburger zurück, dem ich für seine stetige und wohlwollende Anteilnahme an ihrem Entstehen großen Dank schulde. Ebenso danke ich den Herausgebern der ,Hypomnemata', besonders Herrn Professor Dihle, für die Aufnahme meiner Arbeit in diese Reihe, desgleichen der Kommission für Alte Geschichte und Epigraphik des Deutschen Archäologischen Instituts in München für die Gewährung eines Druckkostenzuschusses und schließlich dem Verlag Vandenhoeck & Ruprecht für die Sorgfalt und Umsicht bei der Herstellung des Druckes. Bielefeld, im Januar 1980
Katharina Schmidt
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Inhaltsverzeichnis Einleitung I. Die Klimatheorie des Poseidonios 1. 2. 3. 4.
F 28 (= Strab. II 2,1 p. 9 4 - 3 , 8 p. 104) F 102 (= Galen. De plac. Hippocr. et Plat. 5) βϋκρατος bei Strabon und Poseidonios F 121 (= Vitruv VI 1 , 1 - 1 2 )
II. Zur Geschichte der Klimatheorie und der klimatologischen Völkerbetrachtung vor Poseidonios 1. Die astronomische Zonenfrage 2. Die klimatologische Völkerbetrachtung a) Herodot und der hippokratische Autor von irepi άέβίον υδάτων τόπων b) Piaton c) Aristoteles d) Die allgemeine Entwicklung 3. Poseidonios und die skizzierte Tradition
III. Die klimatologische Kernstelle im Geschichtswerk des Poseidonios 1. Zur quellenkritischen Bedeutung der Klimatheorie für das Geschichtswerk 2. Zu Strab. VI 4,1 p. 285/86 über Italien a) Textanalyse b) Zur poseidonischen Herkunft der klimatologischen Argumentation c) Konsequenzen dieser Zuweisung an Poseidonios d) Die Anwendung der klimatologischen Betrachtung auf das Geschichtswerk des Poseidonios und ihre Problematik
IV. Stabilisierende und modifizierende Faktoren der klimatologischen Determination 1. Strab. IV 1,14 p. 188/89 über das gallische Flußsystem 2. Stabilisierung: das Beispiel Turdetaniens und der Gebirgsvölker im Norden Spaniens 3. Modifizierung: das Beispiel Lusitaniens und der Keltiker
9 13 13 18 22 26
33 33 35 36 42 48 52 54
58 58 60 60 64 72 76
80 80 90 94
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Schlußbetrachtung: Die Funktion der Römer innerhalb der Oikumene
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Exkurs zu Strabons Europakapitel (II 5,26 p. 126/27)
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Literaturverzeichnis
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Stellenregister
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Einleitung Mit einem Umfang von mindestens 52, vermutlich jedoch noch mehr Büchern1 nimmt die groß angelegte Zeitgeschichte des Poseidonios, die an Polybios anknüpfend mit dem Jahr 145 begann und sehr wahrscheinlich bis in die 60er Jahre hinabreichte 2 , innerhalb seines Gesamtwerkes einen beträchtlichen Raum ein. Von den 26 für Poseidonios überlieferten Titeln, welche die charakteristischen Themen der stoischen Schulphilosophie und darüber hinaus eine Reihe naturwissenschaftlicher Arbeiten nachweisen, scheint keiner annähernd so umfangreich behandelt worden zu sein 3 . So stellt sich schon von dieser ganz äußerlichen Beobachtung her die Frage, welches Interesse der Philosoph Poseidonios mit der Geschichtsschreibung verband und auf welche Weise die verschiedenen Bereiche seines Denkens und Teile seines Werkes zusammenhängen. Für die Behandlung dieser Frage hat Karl Reinhardt mit seinen Poseidonios-Arbeiten den Rahmen gesteckt 4 und klargemacht, daß die einzelnen poseidonischen „Disziplinen nicht als logisch abgegrenzte Fächer, sondern als einander ergänzende, wie Glieder in einem Organismus mit- und ineinander wirkende Betrachtungsarten" 5 aufzufassen sind. Nur so konnte Poseidonios dem universellen Gegenstand seines Denkens und Forschens, dem Kosmos in allen seinen Erscheinungen, gerecht werden. Diese systembedingte Interdependenz zwischen den einzelnen Werken des Poseidonios wird ange1
FGrHist IIA, Nr. 87, Τ 1 = Τ la Edelstein-Kidd. (Die Testimonien und Fragmente werden in der Regel ohne Zusatz aus den FGrHist von F. Jacoby zitiert oder mit dem Zusatz Ed.-Kidd versehen.) Dazu die Erwägungen von H. Strasburger, Poseidonios on Problems of the Roman Empire. JRS 55, 1965, 42 und 44. 2 Strasburger, a.O. 3 K. Reinhardt, RE „Poseidonios", 567ff. (erscheint im folgenden als: Reinhardt, RE). 4 K. Reinhardt, Poseidonios, München 1921; ders., Kosmos und Sympathie, München 1926; ders., Poseidonios über Ursprung und Entartung. Orient und Antike 6, Heidelberg 1928, und RE „Poseidonios". 5 Reinhardt, Poseidonios, 233.
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sichts der Überlieferungslage für das Geschichtswerk 6 methodisch bedeutsam. Schon bei einem ersten Durchblättern der wenigen ausdrücklich unter Poseidonios Namen überlieferten Fragmente 7 fällt auf, daß sie kaum ein Stück politischer Ereignisgeschichte enthalten. Stattdessen begegnen wir einer Fülle kulturgeschichtlicher Beobachtungen und anschaulicher Zustandschilderungen, die das Leben der Völker im Osten und Westen der Oikumene in lebendigen Bildern vor unseren Augen erstehen lassen. Ist diese merkwürdige Proportion des historischen Stoffes allein auf die Zufälligkeit der Uberlieferung zurückzuführen, die das Geschichtswerk des Poseidonios durch die Vermittlung von Autoren kenntlich macht, die selbst nicht als Historiker geschrieben haben (Athenäus, Strabon, für den wir auf die Geographie beschränkt sind, und Plutarch)? Oder darf dieses überraschende Verhältnis zugleich als Zeugnis für des Poseidonios eigenes Interesse gewertet werden? Die Frage läßt sich nicht entscheiden, ohne daß man auch anonymes poseidonisches Material heranzieht, insbesondere jenes, das die Quellenforschung überzeugend in der Weltgeschichte Diodors, in den Büchern V und von XXXII an, nachgewiesen hat 8 . Aus der Benutzung des Poseidonios durch Diodor 9 wird zunächst klar, daß ein großer Teil der beschreibenden Fragmente ursprünglich den ethnographischen Exkursen des Geschichtswerkes angehört haben muß, in denen Poseidonios seinen Lesern die Eigenheiten der Völker in Verbindung mit den geographischen Merkmalen ihrer Länder vor Augen führte, mit denen die Römer im Zeitraum seiner Berichterstattung militärisch in Berührung gekommen waren; Diodor hat dieses Material aus seiner ursprünglichen Stellung im Geschichtswerk herausgelöst und isoliert zur Komplettierung seines Inselbuches (V) verwandt 10 . Aber trotz der Filterung und Verkürzung, die der durch Diodor ohnehin weitgehend trivialisierte poseidonische Stoff der Bücher XXXIIff. in der komplizierten Diodorüberlieferung durch die Konstantinischen Exzerpte noch zusätzlich erlitten hat, lassen diese Partien erkennen, daß auch im Rahmen der politischen Ereignisgeschichte selbst die Beschreibung von Zuständlichkeiten dem eigentlichen Ereignisbericht 6
Dazu besonders Jacoby, FGrHist IIc, 157ff. 7 FF 1 - 2 7 ; 2 9 - 7 3 . FF 5 1 - 7 9 , 2 5 2 - 2 8 4 (Ed.-Kidd). 8 Dazu vor allem Jacoby, IIc, 159 und Strasburger, a.O. 42. 9 FF 1 0 8 - 1 1 2 ; 114; 1 1 6 - 1 1 9 im Anhang. 10 FF 1 1 6 - 1 1 9 .
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die Waage hält. Als Beispiel mag die Darstellung des 1. sizilischen Sklavenkrieges gelten (F 108) 1 1 , welche die Krankhaftigkeit der sozialen Verhältnisse auf der Insel so anschaulich werden läßt, daß sie gleichsam von selbst in politische Bewegung geraten, sobald nur Sklaven und Großgrundbesitzer ihre geeigneten Exponenten gefunden haben. Beschreibung und Bericht sind hier unmittelbar aufeinander bezogen und durch die aitiologische Betrachtungsweise des Historikers so eng verknüpft, daß der vernünftige Zusammenhang des Geschehens evident wird, das politische Ereignis also nicht unerwartet erscheint 12 . Dieses Beispiel, dem eine Reihe anderer hinzuzufügen wäre 1 3 , gibt zu der Vermutung Anlaß, daß Poseidonios die ethnisch-geographischen Vorfindlichkeiten, die er in den Exkursen beschrieben hat, und die politisch-militärischen Aktionen, von denen er zu berichten hatte, auf vergleichbare Weise miteinander in Beziehung gesetzt und im Rahmen seines gesamten Geschichtswerkes nicht nur zu einer literarischen Einheit, sondern zu einer historischen Aussage verbunden hat. In der vorliegenden Arbeit soll nun der Versuch unternommen werden, die Klimatheorie des Poseidonios als einen Schlüsselgedanken vorzustellen, der den inhaltlichen Zusammenhang zwischen den ethnographischen Partien und dem politischen Ereignisbericht im Geschichtswerk erschließt und darüber hinaus das Scharnier liefert, in dem das philosophische und naturwissenschaftliche mit dem historischen Werk des Poseidonios verbunden sind. Wie sich zeigen wird, verdanken wir dieser systematischen Verknüpfung der Klimatheorie mit dem philosophischen Denken und der naturwissenschaftlichen Forschung im Blick auf das Geschichtswerk inhaltliche Kriterien für die Interpretation bekannten und die Auffindung anonymen poseidonischen Materials, insbesondere in der Geographie des Strabo. Anklänge der Klimalehre in den Völkerbeschreibungen des Poseidonios sind unschwer zu erkennen 14 und auch mehrfach 11 Dazu Reinhardt, RE 6 3 2 - 3 5 ; Strasburger, a.O. 43, bes. Anm. 37; Jacoby IIc, 206ff.
12 F 108b, 15: και ταύτα άπήντησβ τοις μέν πολλοίς bvekniστως και παραδόξως, τοϊς be •πραγματικών 'έκαστα δυναμένοις Kpivew ούκ άλόγως έ'δοξε συμβαίνει ν.
Vgl. dazu unten S. Als Beispiel sei ein I V 4,2 p. 195/96), in völker (vgl. Vitruv V I 13 14
74; 99. Abschnitt aus der gallischen Ethnographie genannt (Strab. welchem die klimatologische Charakterisierung der Nord1,3—11 = F 121) deutlich vernehmbar ist.
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in der Forschung berührt worden 1 5 ; die Kernstelle jedoch, von welcher her die Bedeutung der Klimatheorie nicht nur für die ethnographischen Exkurse, sondern für die Interpretation des gesamten Geschichtswerkes aufgezeigt werden kann, ist bisher noch nicht für Poseidonios gesichert. So geht es in dieser Arbeit vorrangig darum, die poseidonische Herkunft dieser Stelle mit Hilfe seiner Klimatheorie zu erweisen und den Radius ihrer Implikationen für das Geschichtswerk durch einen Rückblick auf die Geschichte der klimatologischen Völkerbetrachtung zu bestimmen. Da letztlich nach dem Interesse des Philosophen Poseidonios an der Geschichtschreibung gefragt ist, kam es nicht darauf an, alles Material aus Strabons Büchern III—VI, das sich mir von den systematischen Kriterien der Klimatheorie her als möglicherweise poseidonisch erwiesen hat, vorzustellen und zu behandeln, sondern es galt, den Problemzusammenhang zu skizzieren, der mit der Applikation der Klimatheorie auf die Geschichtsschreibung gegeben ist; unter diesem Gesichtspunkt sind die angefügten Poseidonios-Stellen aus Strabons Gallien- und Spanienbüchern ausgewählt und interpretiert worden. 15
Jacoby IIc, 172; K. Trüdinger, Studien zur Geschichte der griechisch-römischen Ethnographie. Diss. Basel 1918, 104; Reinhardt, Poseidonios, 29f.; O. Gigon, Der Historiker Poseidonios, Bern 1967, 95; A. Dihle, Zur hellenistischen Ethnographie, Genf 1962, 227ff.
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I. Die Klimatheorie des Poseidonios (FF 28; 102; 121) Zur Charakterisierung der poseidonischen Klimatheorie soll zunächst von gesicherten Poseidonios-Fragmenten ausgegangen werden, um eine möglichst unstrittige Ausgangsposition zu erhalten. Allerdings muß die so gewonnene Grundlage von vornherein zwei Einwänden unterliegen: einmal im Blick auf ihre Verläßlichkeit, insofern man sich auch durch einen restriktiven Fragment-Begriff 1 nicht der Frage nach der Zuverlässigkeit der Überlieferung, der Glaubwürdigkeit eines überliefernden Autors, nicht der Frage nach dessen eigenen Darstellungsinhalten und -absiebten entziehen kann, und insofern Zurückhaltung und positivistische Entschiedenheit uns nicht von dem schwankenden und unsicheren Boden hypothetischer Kombinationen und Autorschaftserwägungen fernhalten können, auf den uns ja gerade ,gesicherte' Fragmente oftmals zwingen 2 . Der zweite Einwand gegen eine solche Grundlage richtet sich auf ihre Eignung als Ausgangsbasis, insofern es - zumal bei unserer Fragestellung — nicht genügen kann, die Klimatheorie des Poseidonios in den Konturen und mit den Akzenten darzustellen, die sie durch eine mehr oder weniger zufällige Überlieferung erhalten hat, sondern es darauf ankommt, sie in ihren Implikationen und möglichen Bezügen zu dem übrigen Werk des Poseidonios zu erfassen. 1. F 28 (Strab. II 2,1 p. 94-3,8
p.
104)
Aus dem Referat, das Strabon (II 2,1 p. 94-11 3,8 p. 104) von Poseidonios' großem, systematisch-naturwissenschaftlichen Werk πβρϊ 1
Vgl. L. Edelstein, The Philosophical System of Posidonius. A. J. Ph. 57, 1936, 288; 322. L. Edelstein-I. G. Kidd, Posidonius, I. The Fragments, Cambridge 1972, XV—XVII, wo Kidd Edelsteins Fragment-Begriff vorführt. Marie Laffranque, Poseidonios d'Apamee, Paris 1964, Chap. I. Nicht ganz so strikt O. Gigon, Arch. f. Gesch. d. Philos. 44, 1962, 98, und zur Frage nach einem geeigneten Ausgangspunkt für Poseidonios-Untersuchungen, 91f. 2 Etwa F 28, dessen Qualität als .Fragment' im strengen Sinn sehr unterschiedlich ist, vgl. bes. Strab. II 3,1 p. 96 und II 3,7 p. 102f. (= F 28 §§ 5, 21, 22).
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Ωκεανού
κάί των
κατ'
αύτόν gibt ( F 28 = F 49 E d . - K i d d ) , geht
hervor, daß die Zonenlehre des Poseidonios zwei A s p e k t e unter einer umfassenden aitiologischen Fragestellung vereinigt, einen streng mathematisch-astronomischen ( π ρ ό ς τα ουράνια) im engeren Sinn erdkundlich-beschreibenden (πρός τα
und einen άν&ρώπεοα)3.
Mit H i l f e dieser Kategorien hat Poseidonios o f f e n b a r das von ihm vorgefundene Überlieferungsmaterial geordnet und auf seine A n g e messenheit ( χ ρ ή σ ι μ ο ν ) und Richtigkeit hin geprüft (II 2,3 p. 9 5 ) . U n t e r dem A s p e k t πρός τα ουράνια
w u r d e n die Kugelgestalt von
K o s m o s und E r d e und ihre Stellung zueinander erfaßt und die daraus sich ergebenden Vermessungsprobleme etwa an H a n d der Projektionsmöglichkeiten erörtert 4 . In diesem Z u s a m m e n h a n g ist Poseidonios auf die vor ihm geläufige Einteilung der E r d e in fünf Z o nen eingegangen, die er in der F o r m und mit der Fragestellung, wie sie Parmenides und Aristoteles v o r g e n o m m e n hatten, o f f e n b a r wegen ihrer terminologischen Ungenauigkeit v e r w a r f 5 . Z w a r hatte sich Aristoteles zur A b g r e n z u n g seiner fünf Z o n e n der kosmisch, d.h. durch den jährlichen L a u f der Sonne bedingten Erdparallelkreise z u m Ä q u a t o r b e d i e n t 6 und damit eine Z o n e zwischen den W e n d e k r e i s e n d e zwei zwischen diesen u n d den Polarkreisen 7 und wieder Vgl. dazu die grundsätzlichen Bemerkungen über den Zusammenhang von Kosmologie und Geographie aus Poseidonios' Einleitung bei Strabon I 1,14, 15, 16 p. 8 (τα έπίγεια τοις οϋρανίοις ουνάπτον εις ev . . . ) . Reinhardt, Poseidonios, 46f. 4 Strab. I 1,15 p. 8. Jacoby, He, 172f. Η. Berger, Geschichte der wissenschaftlichen Erdkunde bei den Griechen, Leipzig 1903, 552ff. 5 Uber die unterschiedlichen Kriterien in den Zoneneinteilungen handelt G. Aujac, Strabon et la science de son temps, Paris 1966, 149ff. 6 Arist. Met. II 5,362aff.; Aujac, a.O. 152; Berger, Wissenschaftliche Erdkunde, 302ff. Ob Parmenides' Zoneneinteilung auch astronomisch begründet war, ist zu bezweifeln, weil sie die Wendekreise nicht berücksichtigt; vgl. J. O. Thomson, History of Ancient Geography, Cambridge 1948, 122. Eher scheinen seine 5 Zonen mit der poseidonischen Einteilung unter dem Aspekt πρός та άνϋρώπεια vergleichbar zu sein (Berger, a.O. 209ff. spricht von physisch-geographischen Zonen); Poseidonios' Kritik bezöge sich in diesem Fall auf die übermäßige Ausdehnung der mittleren Zone verbunden mit der Behauptung ihrer Unbewohnbarkeit. Zum doxographischen Wert der Zurückführung auf Parmenides vgl. Reinhardt, Kosmos und Sympathie, 361 (Anm. 2). 3
7 Es ist umstritten, ob die Kritik, die Strab. II 2,2 p. 95 (F 28 § 3) an der aristotelischen Abgrenzung der κατεψυγμεvq übt, berechtigt ist, insofern sie Aristoteles unterstellt, daß er den für jede geographische Breite variablen Grenzkreis der Zirkumpolarsterne zum Zonenteiler gemacht habe; belastend: Thomson, Ancient Geography, 117; Berger, Wissenschaftliche Erdkunde, 212, 306;
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zwei zwischen diesen und dem jeweiligen Pol erhalten; doch waren diese fünf Zonen nicht auch konsequent .astronomisch' benannt worden, nämlich entsprechend den in den einzelnen Zonen zu beobachtenden Schattenverhältnissen, wonach sich an eine „zweischattige" Zone zwischen den Wendekreisen nach Norden und Süden jeweils eine „einschattige" und daran bis zum Pol je eine „ringsumschattete" anschließen würde — wie Poseidonios vorschlägt (Strab. II 2,3 p. 95 = F 28; Strab. II 5,43 p. 135/36 = F 76; vgl. auch Strab. II 5,37 p. 133). Aristoteles verwendet stattdessen wie Parmenides die Bezeichnungen „verbrannte Zone" (zwischen den Wendekreisen), „gutgemischte Zonen" und „kalte Zonen" und führt durch diese Terminologie schon den Aspekt προς τα άνϋρώπεια ein, διακβκαυμένην jap Xeyeodai το άοίκητον διά καύμα . . . (F 28 § 2), dem nach Poseidonios' Auffassung aber die Fünf-Zonen-Einteilung keineswegs gerecht werden kann. Denn wo es nicht mehr darum geht, den Lauf der Gestirne, bzw. die Himmelszonen auf die Erde zu projizieren, um die Beziehung zwischen Weltall und Erde zu verdeutlichen und um daraus Anhaltspunkte für die Beschreibung und Berechnung von Größe, Gestalt und Anordnung der kosmischen Körper und ihrer Bewegungsabläufe zu gewinnen 8 , sondern wo die Qualität dieser Beziehung erfaßt und die vielfältig zu beobachtenden Auswirkungen dieses Abhängigkeitsverhältnisses — insbesondere zwischen Sonne und Erde — für alle Erscheinungsformen auf der Erde erforscht werden sollen, da bietet diese herkömmliche Fünf-Zonen-Einteilung ein zu grobes und darum kaum brauchbares Raster 9 . Poseidonios führt die Bedeutung und Konsequenz dieses Aspektwechsels vor, indem er auf den geographischen Befund im Bereich der Wendekreise verweist, speziell wohl auf den Wüstengürtel, der sich im Süden der Oikumene über ihre gesamte Länge hin erstreckt 10 . dagegen: Aujac, Strabon et la science, 122—125, 154 und Strabon I 2 zur Stelle (Anm. 5 zu S. 56 auf S. 143). Die streng astronomische Definition des Polarkreises ist Strabon auf jeden Fall aus Poseidonios vertraut, II 5,43 p. 136 (F 76). 8 Poseidonios über Aufgabe und Fragestellung der Astronomie: Simplicius, In Aristotelis Physica 11,2 (193 b 23); pp. 2 9 1 , 2 1 - 2 9 2 , 3 1 Diels (= F 18 Ed.-Kidd), abgesetzt hier gegen die Physik. Vgl. dazu Reinhardt, RE 644ff., der Strabon II 5,2 p. 110 heranzieht, und ders., Poseidonios, 47f. 9 Vgl. dazu unten S. 22 Anm. 32. 10 Man wird hier sicher die Passagen bei Strab. II 5,33 p. 130f. und XVII 3,23 p. 838f. hinzunehmen dürfen, in denen die Silphium tragende Zone ganz entsprechend der poseidonischen Beobachtung behandelt wird.
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Die schmalen Landstriche um die Wendekreise weisen alle Merkmale intensiver Sonnenbestrahlung auf: Gebirge, an denen sich die Wolken abregnen könnten, und Flüsse fehlen gänzlich, so daß das Land jeder Bewässerung entbehrt. Entsprechend sandig und ausgetrocknet ist der Boden, auf dem neben einigen feuerhaltigen (πυρώδβς), ausgedörrten Früchten nur das Silphium gedeiht, die einzige Pflanze, die überhaupt den extremen Bedingungen des Klimas widersteht und die als ibvov dieser Zonen daher geeignet ist, die Zugehörigkeit der einzelnen Länder zu diesem Erdstrich vom Westen der Oikumene bis hin zu den gedrosischen Ichthyophagen im Osten durch ihr Vorkommen anzuzeigen 11 . Die unbarmherzige Wirkung dieser heißen, trockenen Witterungsbedingungen für das organische Leben, das sich darunter entwickelt, wird deutlich, wenn der Blick auf Tiere und Menschen fällt, die bis in ihre körperlichen Erscheinungen hinein von dem Feuchtigkeitsmangel der Luft zeugen: „Daher entstehen hier kraushaarige, kraushörnige Lebewesen mit wulstigen Lippen und breiten Nasen 12 ; denn was an ihnen zu äußerst ist, das schrumpft zusammen." Was also von der astronomisch-mathematischen Problemstellung nicht erfaßt wurde, darauf führt nun diese Beobachtung; obwohl für den ganzen Bereich der herkömmlichen Zone zwischen den Wendekreisen das Kriterium der „Zweischattigkeit" gleichermaßen zutrifft, läßt sie im Blick auf die Lebensbedingungen, die sie bietet, doch große Unterschiede erkennen, die ihrerseits nur durch die Bahn der Sonne zu erklären sind: da diese im Bereich der Wendekreise (zur Zeit der Sommer- bzw. Wintersonnenwende) nahezu einen halben Monat ununterbrochen in zenitaler Stellung verharrt, finden sich hier auch die stärksten Spuren ihrer versengenden Kraft (F 28 § 4). Poseidonios zieht aus dieser Beobachtung (προς τα άνύρώπεια) auch die Argumente, mit denen er seine Stellungnahme in der Streitfrage, ob die Äquatorialzone bewohnbar sei oder nicht,-begründet 13 . Wenn 11
So gibt das Silphium der Zone schließlich ihren Namen, Strab. XVII 3,23 p. 839; II 5,33 und 37 pp. 131 und 133. 12 Einer vergleichbaren Reihung charakterisierender Adjektive (δίόπερ οϋλότριχας και ούλόκβρως και τροχείλους και πλατύρρινας yevväo&ai) werden wir in poseidonischen Texten noch vielfach begegnen, s. unten S. 91, Anm. 34/4. 13 Jacoby IIc, 173. Neben F 28 §§ 2, 4 und 6 ist in diesem Zusammenhang Kleomedes, de mot. circ. I 6 p. 56, 27 Ziegler (F 78) heranzuziehen. Nach Kleomedes' Referat klingt Poseidonios' Stellungnahme fast provokativ: Kai пейте ξώναι eivai της γης των εΰδοκίμων φυαικών άποφηναμένων, αυτός
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schon die eigentlich heiße Zone trotz ihrer ungünstigen Sonnenposition b e w o h n t werden kann — wie aus der Besiedelung im Bereich von Syene, durch das der nördliche Wendekreis verläuft, zu sehen ist (F 78) —, um wieviel mehr m u ß dann nicht auch das Gebiet u m den Äquator bewohnbar sein, w o die Sonne nämlich nicht stehen bleibe, ihr täglicher und jährlicher Verlauf sogar schneller erfolge 1 4 , und wo die ständige Tag- und Nachtgleiche immer wieder ausreichend Zeit zur Abkühlung gewähre 1 5 . Da die Erd-Kunde nicht weit genug reicht, schließt Poseidonios aus der Schritt für Schritt noch feststellbaren Verbesserung der Lebensbedingungen vom nördlichen Wendekreis nach Süden (Syene / Meroe / Äthiopien / sommerliche Regenfälle / Nilschwelle) 1 6 auf die günstigen Verhältnisse (οίκουμένη ν και ευκράτου, F 78) am Äquator selbst: δηλοϋν φησι τό τούς νοτιωτέρους αύτών εχειν τό περιέχον εύκρατότερον καΧ την γην καρπιμωτέραν και εύυδροτέραν (F 28 § 4). Mit der Zoneneinteilung verband Poseidonios o f f e n b a r 1 7 ein ganz anders geartetes Interesse als seine Vorgänger, mit denen er sich auseinandersetzt. Während diese sie dazu benützen, die Hauptgegensätze der Temperatur zu fixieren und schematisch (5-Zonen-Zahl) gegeneinander abzugrenzen, um die auf diese Weise isolierten geographischen Bereiche nach dem groben Maßstab: bewohnbar — unbewohnbar zu bewerten, sieht Poseidonios in der Zoneneinteilung ein geeignetes Instrument, die allmählichen Ubergänge 1 8 zwischen den einzelnen Erdstrichen mit ihren jeweiligen Eigentümlichkeiten (etwa hinsichtlich Witterung, Fauna und Flora) 1 9 zu erfassen und die in Nord- oder Südrichtung langsam zu- bzw. abnehmende Lebensqua-
την υπ' έκβίνων 8шкексшадси λεη/ομένην οΐκουμένην και εϋκρατον eivai άπβρήνατο (vgl. auch unten S. 24 Anm. 38). 14 Vgl. die zahlreichen zeitlichen Bestimmungen im Blick auf den Sonnenlauf in F 78 und am Ende von F 28 § 6. Zum Verständnis der Vorstellung von einer schnelleren Sonnenbewegung in Ost-West- und Nord-Süd-Richtung am Äquator vgl. Aujac, Strabon I2 zur Stelle II 3,2 p. 97 (Anm. 4 zu S. 60 auf S. 144). 15
και διά τούτο σύμμετροι' έχούσης προς άνάψυξιν τό διάστημα (F 78); zu
dem teleologischen Moment in der Naturbetrachtung, unten S. 70; 84 16 Diese Methode des Rückschlusses auch F 78 im selben Zusammenhang. 17 Vgl. die die Relation hervorhebenden Komparativformen εύκρατότερον,
καρπιμωτέραν, 18 19
εύυδροτέραν.
Zum Interesse an den allmählichen Abstufungen s. unten S. 67, 82 F 28 § 4 und § 7; Strab. XVII 3,23 p. 839.
2 Schmidt (Hyp. 63)
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lität der einzelnen Bereiche entsprechend ihrer Position zur Sonne zu erklären. 2. F 102 (= Galen, de plac. Hippocr. et Plat. 5) Wie weit der Einfluß des Klimas reicht und in welchem Maße er das Leben in den einzelnen Zonen bestimmt, wird deutlich, wenn man das F 102 (169 Ed.-Kidd, wo der ganze Zusammenhang abgedruckt ist) 20 hinzunimmt. In die bei Galen überlieferte kritische Auseinandersetzung des Poseidonios mit Chrysipp über die Erklärung für das Auftreten von Schlechtigkeit schon bei den Kleinkindern und in seine damit verbundenen Ausführungen über die πα&ητικαί κινήοβις, in denen sich die nicht vom XOJLOTLKÖV beherrschten unvernünftigen Kräfte der Seele, das ΰυμικόν und das έΜ&νμητικόν manifestieren, findet sich ein Stück poseidonischer „Physiognomik" 21 eingefügt: „Was unter Tieren und Menschen breitbrüstig und heißer sei, das sei von Natur mutvoller (ϋυμικώτβρα), was dagegen breithüftig und kälter sei, sei feiger (δειλότερα). Auch hätten sich die Menschen je nach den Landstrichen (κατα τάς χώρας) beträchtlich in ihren Charakteranlagen (τοις ij&eai) unterschieden, und zwar in bezug auf Feigheit (δειΧία) und Kühnheit (τόλμα) oder Neigung zu Lust (φιΧήδονον) und zu Mühe (φΟνόπονον); denn die Pathosbewegungen der Seele folgten jeweils der Verfassung des Körpers (enea&ai τχι Siaüeaei τον σώματος), und diese erleide, infolge der atmosphärischen Mischung um ihn herum (έκ της ката τό "περιέχον κράσβως) nicht unerhebliche Änderungen (άλλοιοδσ#αι). Auch das Blut unterscheide sich ja in den Lebewesen im Blick auf Hitze und Kälte, Dick- und Dünnflüssigkeit (πάχει / λεπτότητι) und viele andere Unterschiede, über die Aristoteles ausführlich gehandelt habe." Nach dieser Überlieferung weist Poseidonios eine aitiologische Verknüpfung zwischen somatischen, psychischen und klimatischen Phänomenen auf. Ausgangspunkt ist die Feststellung eines Zusammenhangs zwischen äußerer (Körperbau) und innerer (Körpertemperatur) Verfassung des Körpers. Den beiden einander gegenübergestellten Konstitutionstypen, an denen dieser Zusammenhang gezeigt wird, 20 Galen, de plac. Hipp, et Plat. V. 459 - 6 5 , pp. 437, 1 - 4 4 , 11 Μ. 21
συνάπτει δέ εΐκότως τοις λ&γοις τούτοις ο ΪΙοσεώώνιος τα κατά την φυσιο•γνωμονίαρ φαινόμενα (F 169 Ed.-Kidd, 84f.). Die Stelle behandelt Reinhardt, RE 739ff.
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entspricht jeweils eine charakteristische psychische Verhaltenstendenz, die in dem einen Fall durch das Vorherrschen des ι3υμός im Kräftehaushalt der Seele (τόλμα), im anderen Fall durch sein Fehlen (δειλία) bestimmt wird. Zur Verdeutlichung dieser körperlich-psychischen Entsprechungen wird das Ergebnis in dem größeren, und das heißt zugleich in dem methodisch »vergrößernden' Rahmen ethnographischer Erkenntnisse verifiziert 22 . Entsprechend der körperlich-seelischen Differenzierung der Menschheit in Völker κατα τάς χώρας können nun die zunächst als Gegensätze nebeneinandergestellten Faktoren (Körperbau, Hitze, Kälte, Mut, Feigheit) geographisch voneinander getrennt veranschaulicht werden 2 3 . Dabei erfährt die Unterscheidung nach dem ΰυμικόν noch eine Ergänzung durch diejenige nach dem έπι&νμητικόν, welches die Menschen bzw. Völker im Blick auf ihre Tendenz zu Vergnügung oder Arbeitsamkeit differenziert. Aber die Erweiterung in den ethnographischen Bereich dient nicht nur einer methodischen Verdeutlichung und Komplettierung des Problems, sondern mit ihr führt Poseidonios einen neuen Gedanken in die Untersuchung ein, der hier den Endpunkt des Zurückfragens und damit das Anfangsglied in der anvisierten Ursachenkette bezeichnet, — den Gedanken, daß die Differenzierung der Menschen ката тая χώρας in Völker 24 mit unterschiedlichen körperlichen und entsprechenden charakterlichen Merkmalen von der in den einzelnen Erdstrichen herrschenden, jeweils andersartig zusammengesetzten klimatischen 25 Mischung (έκ τής ката το νβρνέχον κράσβως) abhängig ist. Die Konstituenten der Krasis, die vier Elemente mit den ihnen eigenen Kräften (Wärme, Kälte, Trockenheit, Feuchtigkeit) und Qualitäten (aktiv/passiv), die je nach ihren Mischungsverhältnissen und den Arten ihres Ineinanderwirkens die verschiedenen Erscheinungsformen im gesamten Kosmos hervorbringen, 22
Dazu ist das entsprechende methodische Verfahren bei Piaton, Politeia IV 4 3 5 e 3—436 а 3 zu vergleichen, s. unten S. 42f. 23 Der Ausführung dieses Ansatzes begegnen wir bei Vitruv VI 1,1 —11, s. unten S. 2 6 f f . 24 Mit der Perfektform διενηνοχέναι ist noch der genetische Aspekt bewahrt, der darauf weist, daß der Prozeß als .Differenzierung aus einer Ureinheit' verstanden wurde, vgl. Vitruv VI 1,8 hominum corpora uno genere figurationis et una mundi coniunctione concepta . . . " . Dazu Reinhardt, RE 680f. und F 105b (Strab. XVI 4,27 p. 784). 25 .Klimatisch' ist hier im modernen Sinn gebraucht, als „Gesamtcharakter der Witterungserscheinungen einer örtlichkeit" (Fischer Lexikon der Geographie, hrsg. v. G. Fochler-Haucke, Frankfurt 1 9 5 9 , 204).
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sind hier nicht genannt — ein Zeichen, wie unmittelbar der κρασιςBegriff mit dieser — verbreiteten — Vorstellung verknüpft ist 2 6 . Daß sie auch hier vorauszusetzen ist, geht aus der Unterscheidung der Konstitutionstypen nach ihrer Körpertemperatur und des Blutes der Lebewesen nach Temperatur und Konsistenz deutlich hervor. Dagegen fehlt jeder Hinweis darauf, wie die Wirkung der atmosphärischen Krasis auf die ihrem Einfluß ausgesetzten Lebewesen physiologisch vorzustellen ist, eine Frage, die in den ethischen Kontext nicht unbedingt aufgenommen werden mußte. Wir wollen diese Frage aufnehmen, wenn uns im Anschluß an den knappen Abriß der poseidonischen Klimatologie der Blick auf die Geschichte dieses Gedankengutes zeigen wird, wie schon früh klimatische Beobachtung und Krasislehre zu einem aitiologisch orientierten Vorstellungskomplex zusammengewachsen sind 27 . Einstweilen gilt es festzuhalten, daß Poseidonios die Voraussetzung für eine ausgewogene, nicht den irrationalen Kräften des ύυμός oder der έπι&υμία einseitig ausgelieferte seelische Konstitution — und das heißt scharf formuliert: die Voraussetzung für eine Verwirklichung der gegenüber Pflanzen und Tieren nur dem Menschen eigenen Möglichkeit der λογιστική άρχή (vgl. F 33 Ed.-Kidd) 28 in der Qualität der ihn umgebenden klimatischen Verhältnisse angelegt sieht, die ihn durch Ausgewogenheit oder Einseitigkeit ihrer Mischungsfaktoren bestimmen. Diese Pointierung ist berechtigt, weil Poseidonios hier den Grundgedanken seiner Ethik — ai τοϋ σώματος
κράσεις οίκβίας έαυταϊς έρ^ά^ονται
τας πα&ητικας κινήσβις (F 153/169 Ed.-Kidd) — um den Aufweis des klimatischen Abhängigkeitsverhältnisses erweitert und damit deut-
26 Vgl. etwa Nemesios, nat.hom. 5, der einen Überblick über die Geschichte der Elementenlehre gibt; weiter: Vitruv VIII (Praefatio), Diodor 1,7. SVF, I 102; II 411; 420; 561 u.ö. Über die poseidonische Krasislehre: Reinhardt, RE 657f.; 660f.; 741f. и.о.; ders., Kosmos und Sympathie, 345f. und Poseidonios, 369ff. 27 Es ist sicher nicht beliebig, sondern durch den Zusammenhang bedingt, wenn Poseidonios oder Galen diesen Abschnitt schließen mit einem Rückverweis auf Aristoteles, bzw. Hippokrates und Piaton; dazu unten S. 36ff. 28 Galen, de plac. Hipp, et Plat. V 4 7 6 - 7 , pp. 4 5 6 , 1 4 - 4 5 7 , 1 1 Μ. ,,ό'σα μεν
ούν τών ξ ώων δυσκίνη τά те έστι και προσπεφυκότα δίκην φυτών πέτραις Ц τισιν έτέροις τοιούτοις, έπιδυμίφ μόνη διοικβϊσΰαι λβγει[αύτά], τα δ ё αλλα τα αλόγα σύμπαντα ταϊς δυνάμεαιν άμφοτέραις χρήσϋαι, rfi те έπιϋυμητικχι καΐ rfi dvpoeibel, τον Ονΰρωπον δέ μόνον ταϊς τρ tat, προσείληφέναι γάρ και.
την λογιστικής άρχήν." 20
lieh fixiert, in welchen Zusammenhang bei ihm die klimatheoretischen Beobachtungen gestellt sind: die Bewegungen, Verlagerungen und Veränderungen im seelischen Kräftehaushalt des Einzelnen und die geographische Differenzierung der Menschheit in Völker (κατά τάς χώρας) sind aus dem bestimmenden Einfluß derselben Kräfte zu erklären. Wo immer wir bei unserer Untersuchung auf Spuren der Klimatheorie stoßen, ist also der Zusammenhang zur Ethik bereits vorgegeben 29 , so daß wir Fragestellungen aus ihrem Bereich aufnehmen müssen, wenn wir die Implikationen der klimatischen Sehweise für Verständnis und Interpretation der ethnographischen Exkurse und des GeschichtsWerkes erfassen wollen 30 . Wir kehren zurück zu unserem Ausgangsfragment, Strabons Exzerpt von περί ώκεανοϋ. Die Verschiedenartigkeit der klimatischen Krasis, bei der das aitiologische Zurückfragen in Galens Poseidonios-Referat haltgemacht hat, wird nun mit Hilfe des Zusammenhangs, den F 28 überliefert, durch das vertikale Abhängigkeitsverhältnis zwischen Sonne und Erde — ganz der Thematik von περί ώκεανοϋ entsprechend — ihrerseits erklärt. Denn auch in Strabons Text finden sich Spuren der poseidonischen κράσις-Vorstellung: die Gebiete südlich des nördlichen Wendekreises, heißt es, hätten το περιέχον εύκρατότερον και την γήν καρπιμωτέραν και εύυδροτέραν. Damit ist die entsprechend der unterschiedlichen Sonneneinstrahlung gegebene Variabilität der klimatischen Mischung bezeichnet, deren Feuchtigkeitsgehalt sich je nach dem Anteil der Wärme wandelt. Besonders deutlich ist diese Vorstellung da zu erkennen, wo Poseidonios sie in der Beschreibung der Wendekreiszonen mit seinen Beobachtungen προς τα ά,νϋρώπενα verbindet (F 28 § 4); wie mit dem Epitheton 7τυρώδες das Ubergewicht des Feuergehaltes in den pflanzlichen Zusammensetzungen sprachlich veranschaulicht wird, so führt auch die Aufzählung der zahlreichen physiognomischen Folgeerscheinungen der Hitze bei Menschen und Tieren die Einseitigkeit und Unausgeglichenheit dieser klimatischen Lebensbedingungen eindringlich vor Augen. Wie wir aus Galens Exzerpt wissen, ist damit auch die seelische Konsti29
Vgl. dazu auch die Geschichte des klimatologischen Gedankens, unten S. 36ff. 30 Der Verdacht O. Gigons, daß es sorgfältiger Interpretation gelingen sollte, , jedenfalls die Umrisse poseidonischer Ethik aus dem Geschichtswerk im Ganzen zu deduzieren" (Der Historiker Poseidonios, 96), scheint mir daher berechtigt.
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tution der Menschen weitgehend festgelegt 31 ; so können wir abschließend sagen, daß sich für Poseidonios die Bewertung der Lebenssituation in den einzelnen Erdstrichen nach der Qualität der dort herrschenden klimatischen Krasis richtet, die je nach dem Verhältnis ihrer Faktoren zueinander dahin tendiert, die Menschen in der Verwirklichung ihrer ethischen Möglichkeiten und Aufgaben einzuengen oder zu unterstützen. 3. €νκρατος bei Strabon und
Poseidonios
Diese Spuren der poseidonischen Krasis-Vorstellung haben mit dem zahlreichen Vorkommen des Begriffes εϋκρατος in Strabons Text wenig zu tun. Strabon schließt sich im Gebrauch von βϋκρατοζ als Zonendefinition den Verfechtern der Fünf-Zonen-Einteilung an 32 ; 31
Das ist bei Strabon zwar nicht ausgesprochen, aber seine Kritik F 28 § 22 (II 3,7 p. 102f.) richtet sich gegen diese Konsequenz der poseidonischen Klimatheorie. 32 Das zeigen vor allem F 28 §§ 2, 3 und 5. In § 3 (Strab. II 3,1 p. 96) stehen die beiden Bedeutungen von κράσις als ,μεσάτης θάλπους' bzw. εύκρατος nebeneinander und bieten so einen Ansatz, um Strabonisches und Poseidonisches voneinander zu sondern: Soweit die zusammenfassende Bemerkung Strabons zur Fünf-Zonen-Teilung unter das Stichwort φνσικώς fällt, könnte das Material auf Poseidonios zurückgehen. Dafür spricht einmal die Wiederaufnahme des Aspektes προς τα ουράνια, zum anderen die Erläuterung zum Begriff κράσις τον περιέχοντος; Übermaß, Mangel und mäßige Sonneneinstrahlung, die je eine andere κράσις zur Folge haben, werden hier nicht angeführt, um Bewohnbares von Unbewohnbarem zu trennen, sondern doch offensichtlich, weil mit ihrer Hilfe die jeweils unterschiedlichen Erscheinungsformen des Lebens, das sich in ihrem Einflußgebiet entwickelt, erklärt werden können. (διαφοραί sc. της κράσεως ... συντείνουσαι πρός те τάς των ζώων και φυτών . συστάσεις . . . ) Es wäre denkbar, daß Poseidonios in der Auseinandersetzung mit seinen Vorgängern (Parmenides?) den Sinn einer Unterscheidung von drei großen Temperaturstufen herausgestellt hat (vgl. seine eigene dementsprechende Dreiteilung am Ende dieses Abschnitts und bei Vitruv VI 1,3—11, s. unten S. 26ff.), wobei möglicherweise der ursprüngliche Zusammenhang zwischen der κράσις-Vorstellung und dem eÜKparoc-Begriff der Fünf-Zonen-Teilung aufgezeigt wurde. Strabon macht daraus eine Rechtfertigung der Fünf-ZonenTeilung auch im Blick auf die erdkundliche Erforschung der Oikumene ( γ ε ω γ ρ α φικώς), verbindet also diese Überlegung mit der Schematisierung: kalt und heiß = unbewohnbar; gemäßigte Mitte = bewohnbar = Oikumene = Gegenstand der Geographie. Die einzige εύκρατος-Stelle in den Poseidoniosfragmenten (vgl. den Index bei Ed.-Kidd), die sich nicht ganz mühelos in diese Gegenüberstellung einfügen läßt, ist Strab. II 5,43 p. 136 (F 76, F 208 Ed.-Kidd), wo die astronomische
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da er sich, wie er immer wieder zu verstehen gibt, mit seinem Interesse auf den bekannten Teil der Erde beschränken will 3 3 , wird εύκρατος bei ihm zur Bezeichnung der nördlichen Mittelzone zwischen den Zonen, die wegen Kälte oder Hitze unbewohnbar sind, und charakterisiert — in dieser Abgrenzung — die Oikumene insgesamt. βϋκρατος (bzw. δΰσκρατος, II 3,1 p. 96) dient also zur Lokalisierung der gröbsten Temperaturunterschiede im Sinne einer Abgrenzung von bewohnbarem und unbewohnbarem Gebiet 3 4 und wird damit für den Bereich der Oikumene zu einem erstarrten Begriff, der von dem, was die κράσις-Vorstellung impliziert, nichts mehr reflektiert. Denn für klimatisch bedingte Differenzierungen innerhalb der Oikumene verstellt diese Terminologie ja geradezu den Blick! Das Hauptinteresse des Poseidonios, um dessentwillen er den Aspekt πρός та άνΰρώπβια schon in die Erdzonendiskussion eingebracht hat, richtet sich aber, wie wir gesehen haben, gerade darauf, die Eigentümlichkeiten der einzelnen Erdstriche in ihrer Abhängigkeit von der Sonneneinstrahlung zu erfassen. Da es ihm auch für den geographischen Ausschnitt der Oikumene darum geht, die Unterschiede der Lebensbedingungen, die sie in sich begreift, zu erkennen 3 5 , schließt sie bei ihm die Hauptgegensätze des Klimas 3 6 ein, die Strabons Terminologie aus ihr verbannt; es ist nur konsequent, wenn Poseidonios die Extreme der Oikumene, wo Übermaß oder Mangel an Hitze herrschen, entsprechend seiner Interessenrichtung auch ethnographisch benennt: ,,ώς äv el κάί ταΖς έΰνικαϊς διαφοραϊς άττέφαινε ζώνας, άλλη ν μεν την Αίϋνοκικήν, άλλη ν δέ την Σκυϋικήν καΐ Κελτική ν, τρίτην δβ την ävä μέσον" (Strab. II Zonendefinition des Poseidonios referiert wird. Aber auch hier ist fraglich, ob die Bezeichnung εύκρατος für die beiden einschattigen Zonen der südlichen und nördlichen Hemisphäre auf Strabon oder Poseidonios zurückgeht, der sich gegebenenfalls der Begrifflichkeit seiner Vorgänger bedient, um sich mit seiner Definition dann von ihnen abzusetzen. 33 Strab. II 3,1 p. 96 (F 28 § 3); II 3,3 p. 98 (§ 8); II 5,4 p. 112; II 5,43 p. 136 (F 76); II 5,34 p. 131f. u.ö. 34
Besonders deutlich Strab. II 5,3 p. 111: εύκρατους μεν ούν ψασι τας οίκeioüai δυναμένας, άοικήτους δε τας αλλας, την μεν δια καύμα, τας δε δια ψύχος. Vgl. Aujac, Strabon I 2 zur Stelle (Anm. 2 zu S. 81 auf S. 157), die ebenfalls auf die begriffliche Unklarheit bei Strabon hinweist.
35 Strab. II 3,7 p. 102 (F 28 § 21): „... εμελλον έξαλλάξεις δείκνυσάαι ζώων те κάί φυτών ксй άέρων τών μβν τη κατεψυγμένη συναπτόντων, τών δε τη διάκεκαυμένη ..." 36
Vgl. dazu auch oben S. 22 Anm. 32.
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3,1 p. 9 7 ) . Wieder k o m m t hier zum Ausdruck, worauf schon Poseidonios' Stellungnahme in der Kontroverse über die Äquatorialzone gewiesen hatte (s. S. 16f.), daß es ihm weniger um die Feststellung bewohnbar oder unbewohnbar geht, als vielmehr um die Frage, ob ein Erdgürtel besser oder schlechter zu bewohnen ist. Die mittlere ,Oikumenen-Zone' zwischen der äthiopischen im Süden und der keltisch-skythischen im Norden, welche Strabon hier auch flüchtig erwähnt, wäre wohl im poseidonischen Sinn, entsprechend der κράσιςVorstellung, als εύκρατος zu bezeichnen, weil sie die optimale Klimamischung innerhalb der Oikumene aufweist 3 7 . Poseidonios überträgt also sein Erd-Zonen-Einteilungsprinzip, wie er es am Beispiel der Äquatorial- und Wendekreiszonen methodisch vorgeführt hat, auf den Bereich der Oikumene 3 8 . Die notwendige, feinere Beobachtungs- und Orientierungsskala liefern ihm „bestimmte Parallelkreise zum Ä q u a t o r " (παραλληλοις τισϊ τώ ίοημβρίνω, Strab. II 3,7 p. 1 0 2 ) , die zwischen sich die κ λ ί μ α τ α 3 9 einschließen; dieses sind im Vergleich zu den Erdzonen relativ schmale Landgürtel, in denen 37 Dazu unten S. 26ff. 3 8 Mir scheint die Fragestellung, die Poseidonios mit dem Aspekt 7τρός та άν&ρώττ€ΐα in die Erdzonendiskussion einführt, qualitativ nicht unterschieden zu sein von der Zielsetzung auch seiner oikumenischen Geographie (eßeWov έξαλλάξβΐΐ δείκνυσύαΐ), daß also die gesamte Erde und die Oikumene als zwei Anwendungsbereiche für dieselbe methodische Untersuchung anzusehen sind. Das zeigt etwa die provokative Übernahme der von der Fünf-Zonen-Teilung .besetzten' Begriffe οίκονμέVT] und εύκρατος für die Charakterisierung der Äquatorialzone (F 78 und oben S. 16 Anm. 13), der eine differenziertere Verwendung dieser Begriffe für den Bereich der Oikumene entspricht (s. unten S. 67f.), oder die Bedeutung der κράσις-Vorstellung für die Erklärung des Befundes in beiden Bereichen, damit verknüpft schließlich das durchgängige Interesse für die Hauptunterschiede des Klimas mit seinen Abstufungen und seinen Auswirkungen für die Lebensmöglichkeiten. Anders E. Honigmann, Die sieben Klimata und die ΠΟΛΕΙΣ ΕΠΙΣΗΜΟΙ, Heidelberg 1929, der die Zonenteilung (Erde) und die Klimataeinteilung (Oikumene) strikt voneinander trennt, und sich daher (folgerichtig) verwundern muß, daß Poseidonios seine ethnische Teilung mit der Zonenteilung und „nicht lieber mit den Klimata in Zusammenhang brachte." (27). Vgl. auch dagegen Jacoby, IIc, 173. 39 Zur Begriffsbestimmung und Erläuterung von κλίμα und παράλληλος vgl. Aujac, Strabon et la science, 161 ff.; 168ff.; dies., Strabon I 2 , Lexique grec s.v. κΧίμα (186). Zu Definition und Geschichte der Begriffe: Honigmann, Die sieben Klimata, 4 - 1 2 ; D. R. Dicks, The ΚΛΙΜΑΤΑ in Greek Geography. CI. Q. 49, N.S. 5, 1955, 2 4 8 - 2 5 5 ; ders., Strabo and the ΚΛΙΜΑΤΑ, daselbst, 50, N.S. 6, 1956, 2 4 3 - 2 4 7 .
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von Westen bis Osten jeweils die gleichen astronomischen Werte gemessen werden (Polhöhe über dem Horizont, Länge der kürzesten und längsten Tage etc.) und die dementsprechend im Blick auf „Lebewesen, Pflanzen und L u f t " (F 28 § 21) dieselben Merkmale aufweisen. Das Gerüst der Parallelkreise und Klimata, wie es von Hipparch (Strab. II 5 p. 131ff.) besonders nach der astronomischen Seite programmatisch zum Instrument einer mathematisch fundierten wissenschaftlichen Geographie entwickelt worden w a r 4 0 , hat Poseidonios offenbar nach der erdkundlich beschreibenden Seite (πρός τα άνϋρώπεω.) hin ausgeweitet (vgl. besonders F 105 a + b und auch F 28 § 22), bei gleichzeitigem Interesse auch an der Verifizierung der überlieferten astronomischen Klimata-Daten (F 99 und F 205 Ed.-Kidd) 4 1 . Dieses System beruht gleichzeitig auf Messungen und Beobachtungen, verbindet also den vertikalen und den horizontalen Aspekt poseidonischer Forschung. Dabei dient der horizontale Aspekt dazu, einmal die schrittweise Verschlechterung der Lebensbedingungen von einer ,εύ κρατος '-Mitte aus nach Norden und Süden zu erfassen, zum anderen auch räumlich Getrenntes im Osten und Westen der Oikumene auf Grund der Gleichartigkeit seiner Merkmale als klimatisch zusammengehörig zu erkennen (vgl. die Silphiumzone). Demgegenüber öffnet der vertikale Aspekt den Blick für die UrVgl. Dicks I, 2 4 8 f . , 2 5 3 f f . und Dicks II, 2 4 4 . Ob er sich dabei auf eine Siebenzahl (Meroe, Syene, Alexandria, Rhodos, Hellespont, mittlerer Pontos, Borysthenes, vgl. Honigmann, 12f.) festlegte und diese sogar kanonisierte (Reinhardt, Kosmos und Sympathie, 56f.; 398ff.; ders., RE 677f.) scheint mir weder nach der Fragmentlage sicher zu entscheiden, noch von der Fragestellung her sehr ergiebig zu sein. Eine zahlenmäßige Begrenzung (παραλλήλοις Ttoi . . . F 28 § 21) ist allerdings insofern anzunehmen, als die einzelnen Abstufungen von Süden nach Norden jeweils noch meßbar und beobachtbar sein mußten. Die Siebenzahl aber scheint mir an die Vorstellung von der Unbewohnbarkeit des Gebietes südlich des Zimtlandes gebunden zu sein (Honigmann, 12), die Poseidonios ja nicht teilte (s. oben S. 16f.); stattdessen begegnet bei ihm F 78 der Begriff κλίμα für den äquatorialen Breitengürtel. Dieser — gemessen an Honigmanns Definition („die Klimata liegen sämtlich innerhalb der Oikumene", S. 9) — unorthodoxe Gebrauch kann natürlich auf Kleomedes zurückgehen; er würde aber auch Poseidonios entsprechen, weil beide Aspekte 41
(πρός τα ουράνια: ... μη ёуχρονίζοντος irepi то κλίμα - sc. τού ήλιου . . . und πρός τα άνΰρώπβια: πάν το υπό τον ϊοημερινόν κλίμα εϋκρατον bzw. οΐκουμένην . . . ) berücksichtigt sind und er, wie wir sahen (oben S. 16 Anm. 13), bei der Charakterisierung der Äquatorial zone überhaupt dazu neigte, die begriffliche Fixierung der wissenschaftlichen Diskussion zu durchbrechen.
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Sachen dieser Beobachtungen, die jeweils aus der gleichen oder andersartigen Stellung der einzelnen Klimazonen zur Sonne erklärt werden. Wenn wir also von der Klimatheorie des Poseidonios sprechen, dann meinen wir dieses komplexe, aitiologisch ausgerichtete Instrumentarium seiner Untersuchungen, welches die Krasis-Lehre voraussetzt und darum auch deren ethische Konsequenzen mit einschließt. 4. F 121 (= Vitruv
VI
1,1-12)
Ehe wir nach der Geschichte dieser klimatischen Sehweise fragen, wollen wir den kleinen Radius, den wir für die Definition unserer Ausgangsposition gewählt haben, aufgeben und das F 121, das nicht zu den „attested fragments" 4 2 zählt, hinzunehmen, weil es das Bild, das wir von der poseidonischen Klimatheorie gewonnen haben, nicht nur in seinen Umrissen bestätigt, sondern auch im Blick auf die Auswirkungen der klimatischen Einflüsse auf körperliche und seelische Konstitution der Menschen anschaulich ergänzt. Für unsere Fragestellung ist dieser Bereich insofern bedeutsam, als sich von hier aus der Übergang zu Fragmenten aus den ethnographischen Exkursen der Historien stofflich nahezu von selbst ergibt 43 . Vitruv (VI 1,3—11) hat ein Stück der poseidonischen Klimatheorie erhalten 44 , weil er empfiehlt, bei der Errichtung von Privatgebäuden die klimatischen Bedingungen der Gegenden (regiones) beziehungsweise — wie er im poseidonischen Sinn terminologisch korrekt hinzufügt — der .Klimata' (inclinationes mundi) 4 5 zu beachten, welche abzulesen seien: ex natura rerum . . . atque etiam ex membris cor« Ed.-Kidd, XIV. S. oben S. 13, Anm. 1. 44 Zu Vitruv VI 1,3—11, Fr. Boll, Studien zu Claudius Ptolemaeus. Jahrb. f. class. Philol., Suppl. Bd. XXI, 1894, 189ff. und E. Oder, Quellensucher im Altertum. Philol. Suppl. VII, 1899, 318ff. 45 Dieses begriffliche .Nachfassen' scheint mir als Indiz dafür gelten zu können, daß Vitruvs Vorlage griechisch ist, er also direkt aus Poseidonios schöpft und den adäquaten Ausdruck für κλίμα, das ja auch bis zur Bedeutung von .Gegend' (regio) erweitert und damit unterminologisch geworden war, erst finden muß; vgl. Dicks I, 252; Honigmann, 6 mit Anm. 1. E. Norden, Die germanische Urgeschichte in Tacitus Germania, Darmstadt 4 1959, 111, nimmt wegen der laudes Italiae Vermittlung durch Varro an, Jacoby, IIc, 206, eine römische Zwischenquelle. Für direkte Benutzung: Trüdinger, Studien, 121 Anm. 1 und Reinhardt, Poseidonios, 83. Dazu auch unten S. 30 Anm. 51.
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poribusque gentium (3). Schon diese Einleitung enthält also einen Hinweis auf den methodischen Doppelaspekt des Poseidonios, für den Berechnung (inclinatio = Neigungswinkel) und Beobachtung ein komplementäres System bilden zur Erklärung der vielfältigen und verschiedenartigen Erscheinungsformen innerhalb der Oikumene. Ausgangspunkt der Vitruv'schen Darstellung ist die optimale klimatische Mischung, die wegen der Ausgewogenheit der entscheidenden Faktoren und damit ihrer Zuträglichkeit für alles Leben gleichsam das Maß für die gesamte Oikumene setzt: Namque sol quibus locis mediocriter profundit vapores, in his conservat corpora temperata. Von hier aus gesehen nehmen in Richtung Norden Kälte und Luftfeuchtigkeit in gleichem Maße zu, wie die Intensität der Sonne nachläßt. Sie prägen durch ihren Einfluß auf das Mischungsverhältnis der menschlichen Körper nicht nur das Aussehen, sondern auch die psychischen Eigenschaften und geistigen Fähigkeiten der nördlichen Bewohner. Zu den gemeinsamen äußeren Merkmalen gehören ihre großen, von Feuchtigkeit aufgeschwemmten Körper, die helle Hautfarbe, das blonde, strähnige Haar, die blaßblauen Augen und die tief tönenden Stimmen. Während aus dem übermäßigen Anteil des Feuchten in ihren Körper (abundantia sanguinis) Tapferkeit und Kampfbereitschaft erwachsen, verhindert die Kälte, die den Geist in trägem Zustand erstarren läßt, daß sich diese Fähigkeiten auf wohl durchdachte, Erfolg versprechende Unternehmungen richten: magnis virtutibus sunt sine timore, sed tarditate animi sine considerantia inruentes sine sollertia suis consiliis refragantur (10). Südlich der günstigen Mischungszone dagegen, wo Hitze und Trockenheit der Luft das Klima zunehmend bestimmen, hat der Brand der Sonne (impetus soli) Haut, Augen und Haare der Menschen dunkel gefärbt und mit dem Entzug der Feuchtigkeit kleine Gestalten mit krausem Haar und hoher Stimmlage entstehen lassen. Listige Verschlagenheit und schnelle Entschlußkraft sind die hervorragenden geistigen Eigenschaften dieser Völker (animis acutissimis infinitaque sollertia consiliorum: 10), deren Wirksamkeit in Kriegssituationen allerdings von übergroßer Furcht und Feigheit entscheidend beeinträchtigt wird (propter sanguinis exiguitatem timidiores sunt ferro resistere: 4). Nach diesem Aufweis der Hauptunterschiede zwischen den Bewohnern des Nordens und des Südens, kehrt die Betrachtung wieder zur Mitte zurück, die Vitruv abschließend in den laudes Italiae dem römischen Volke zuerkennt. Denn die Klugheit der Römer sei groß genug, dem unkontrollierten Ansturm nördlicher 27
Völker zu begegnen, ihre Tapferkeit besiege die Anschläge südlicherer Gegner. Ita divina mens civitatem populi Romani egregia temperataque regione conlocavit, uti orbis terrarum imperii potiretur (11). Auf das Problem, das diese Lokalisierung der Mittelzone bei Vitruv aufwirft, werden wir auch in späterem Zusammenhang immer wieder einzugehen h a b e n 4 6 . Unabhängig von seiner Lösung läßt sich zunächst an Vitruvs Referat zeigen, daß mit der hier entwickelten poseidonischen Klimatheorie der Blick konsequenterweise auf die Mitte und ihre Charakterisierung gelenkt wird. Feuchtigkeit und Hitze erscheinen als die aktiven Qualitäten 4 7 in dem klimatischen Krasis-Gefüge, welche die Menschen, abgesehen von der Wirkung auf die körperliche Konstitution, jeweils auf einem bestimmten Sektor beeinflussen. Während die Feuchtigkeitsquote auf die psychische Verhaltensskala zwischen Feigheit/Ängstlichkeit und Mut/Tapferkeit einwirkt, bestimmt der Hitzeanteil die intellektuellen Fähigkeiten von schwerfälliger Dummheit bis hin zu Klugheit und Geistesschärfe. Da nun Feuchtigkeit und Hitze nach Norden und Süden zu in umgekehrtem Verhältnis zu- bzw. abnehmen, bis sie sich an den Extremen geradezu ausschließen, wird in dem Charaktergefüge der dortigen Bewohner die genaue Entsprechung zu dieser Proportion erkannt; denn das Höchstmaß an Tapferkeit (Norden) und das Höchstmaß an Geistesschärfe (Süden) sind hier mit geistigen (Kälte) bzw. psychischen (Trockenheit) Insuffizienzerscheinungen unweigerlich verknüpft. Dadurch wird der ethische Wert von ,fortitudo' und ,cogitatio' entscheidend beeinträchtigt: ohne das geistige Korrektiv wird Tapferkeit zu ,Tollkühnheit' (sine considerantia inruentes), ohne psychische Triebkraft die Klugheit zu List und Verschlagenheit (infinita sollertia consiliorum). Dieser Darstellung von den Extremen als jeweils einer Verbindung von einem Zuviel und einem Zuwenig korrespondiert notwendig die Vorstellung von einer mittleren Stufe, auf die hin von beiden Seiten her die extremen Eigenschaften abnehmen und die ihnen entgegengesetzten anwachsen, so daß diese Mitte, als Schnittpunkt aller in den Extrembereichen genannten Kräfte und Qualitäten, sämtliche Vorzüge auf sich vereinigt, ohne gleichzeitig die von der Einseitigkeit herrührenden Ein-
4« Unten S. 30; 56; 79. 47 Feucht und heiß als aktive Qualitäten bei Poseidonios: Reinhardt, RE 660f., 741f.
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schränkungen zu teilen 4 8 . Die laudes des Vitruv entsprechen also in ihrer Konstruktion genau dem, was zuvor entwickelt wurde 4 9 ; wie er den Vergleich zwischen Nord- und Südvölkern in erster Linie an der fortitudo-cogitatio-Gegenüberstellung vorgeführt hat, so kann ihm jetzt der Hinweis auf die sich militärisch auswirkende Überlegenheit der Bewohner des Mittelbereichs genügen, um die providentielle Berufung (divina mens) Roms zur Weltherrschaft daraus abzuleiten. Trotz dieser Ubereinstimmung mit der zuvor entwickelten Klimatheorie werden wir die geographische Projektion der Mitte, wie sie hier bei Vitruv vorliegt, nicht selbstverständlich auch Poseidonios zuschreiben dürfen, zumal Vitruv eine Relativierung seiner eigenen Aussage unterlaufen zu sein scheint. Zwischen die Gegenüberstellung der äußeren, körperlichen Merkmale nördlicher und südlicher Völker und die Darstellung ihrer geistigen und seelischen Verschiedenartigkeit ist eine umständliche Beschreibung von der Konstruktion eines Weltdreiecks eingeschoben (VI 1,5—7/8), welches mit einem griechischen Saiteninstrument, der Sambuka, verglichen wird und dazu dienen soll, die von Süden her langsam gegen die Mitte hin abnehmende und von der Mitte nach Norden dann zunehmend tiefer absteigende Tonhöhe in der Stimmlage der Völker zu veranschaulichen 5 0 . Obwohl ja das Bild der Sambuka mit der gleichmäßig 48
Vitruv VI 1,11: „ab utraque parte mixtionibus temperatas et invictas habet laudes" (sc. Italia). 49 Vgl. Reinhardt, RE 680. 50 Vgl. zum Verständnis die Skizze (Abb. 13,1) in der Vitruvausgabe von C. Fensterbusch, Darmstadt 1964, und seine Anmerkung zur Stelle (S. 347). Während zunächst die unterschiedlichen Stimmlagen der Völker von deren Entfernung zum ,Weltenraum' (d.h. von der Höhe der variablen Kathete in dem vorzustellenden rechtwinkligen Dreieck) abhängig gesehen werden — entsprechend dem Bild von den längeren und kürzeren Saiten, die die Tonhöhe bestimmen —, wird diese Erklärung in den Paragraphen 7 und 8 im Sinne der zuvor (und im folgenden) entwickelten Klimatheorie modifiziert und ergänzt, so daß auch hier wieder Feuchtigkeit und Wärme als die eigentlich verursachenden Qualitäten erscheinen: Entfernung (altiores habent distantias ad mundum, § 7) bedeutet also: mehr Feuchtigkeit, Nähe (brevitas altitudinis ad mundum, § 6) dagegen Hitze (§ 8: ex umidis naturae locis graviora fieri et ex fervidis acutiora). In dieser konsequenten Interpretation des Saiten-Vergleichs sehe ich ein Argument für die Zugehörigkeit dieses Stückes zu dem Kontext des klimatheoretischen Exzerptes, für dessen Anordnung im einzelnen wohl Vitruv verantwortlich ist (vgl. Trüdinger, Studien, 122 und unten S. 31 Anm. 52). Zu dem Welt-
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zunehmenden Länge der Saiten vom Winkel bis zur größten Öffnung des Instruments, d.h. die Vorstellung von der regelmäßigen Abnahme der Tonhöhe bei den Völkern von Süden nach Norden, einen markanten Einschnitt in der Mitte gerade nicht nahelegt, kündigt sich schon bei der Einführung in die Bedeutung dieses Vergleichs (§ 6) die Orientierung auf die Mitte an, wobei sehr unvermittelt von Griechenland die Rede ist: „secundum earn autem reliquae (sc. chordae) ad mediam Graeciam remissiores efficiunt in nationibus sonorum scansiones, item a medio in ordinem crescendo . . . " Diese — beiläufige — geographische Präzisierung bleibt völlig isoliert; wie wenig Gewicht auf ihr liegt, ist daran zu sehen, daß sie auch nicht wieder aufgenommen wird, wenn in den folgenden Paragraphen der Instrument-Vergleich im Sinne der dargestellten Klimatheorie interpretiert wird und die Zweiseitigkeit der Erklärung für die unterschiedlichen Stimmlagen (Feuchtigkeit- bzw. Hitze-Einfluß) erst verständlich macht, daß dieser ganze Einschub überhaupt auf einen Mittelbereich ausgerichtet und von ihm her konzipiert ist. Unsere bisherige Untersuchung hatte gezeigt, daß mit der poseidonischen ,εϋκρατος'-Mitte ein von Westen nach Osten über die ganze Oikumene verlaufender κλιμα-Gürtel gemeint ist; für eine einschränkende Übertragung des Mitte-Begriffs auf ein einzelnes Land jedenfalls hat uns das klimatheoretische System noch keine Anhaltspunkte geboten. Aber selbst wenn man im Fall von Italien noch erwägen muß, wieweit Vitruvs „Patriotismus" 51 für diese Übertragung verantwortlich zu machen ist, so zeigt doch nun diese zweite Form geographischer Projektion der ,Mitte', daß möglicherweise auch bei Poseidonios mit dergleichen Lokalisierung zu rechnen ist, ohne daß deswegen ein Widerspruch zu seinem κλιμα-Gürtel-System entstehen muß. Denn die Vorstellung von dem εύ'κρατος-Streifen läßt sich auch zerlegen in eine Reihe einzelner Abschnitte, die potentiell alle — als Träger der charakteristischen Merkmale der βύκρασια — zu Repräsentanten der Mitte gemacht werden könnten, sofern nur die jeweilige geographische Konkretisierung nicht absolut gesetzt und dadurch der ,Mitte'-Begriff grundsätzlich eingeschränkt wird. Auf eine dreieck: Norden, Germanische Urgeschichte, 107f.; Reinhardt, Poseidonios, 80ff.; Oder, Quellensucher, 323 mit Anm. 121. 51 Reinhardt, Poseidonios, 83; ders., RE 680: „Die vermeintlichen ,laudes Italiae' sind nichts anderes als die Nutzanwendung der zuvor entwickelten Rassenlehre."
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mögliche Form, solche Übertragungen auf einen Zonen-Ausschnitt zu relativieren, weist vielleicht der Vitruv-Text hin. Die Erwähnung Griechenlands im Sinne eines mittleren Bezugspunktes zwischen dem Süden und dem Norden der Oikumene scheint hier mit der Konstruktion und Erläuterung des Tondreiecks in den anthropogeographischen Kontext hereingekommen zu sein 5 2 . Da Vitruv sich an dieser MitteBezeichnung offensichtlich nicht störte, muß sie in seiner Vorlage eine Funktion gehabt haben, die von ihm nicht als Widerspruch oder Konkurrenz zu den laudes Italiae, auf die er zustrebte, empfunden w u r d e s 3 . Auch wenn im Zusammenhang mit der geometrisch-astronomischen Konstruktion (und Spekulation) die Mitte auf Griechenland fixiert war, konnte bei einer politisch ausgerichteten Auswertung und Aktualisierung des klimatheoretischen Materials Italien als Land der Mitte ohne Unstimmigkeiten danebengestellt werden. Das relativierende Moment mag hier also in einer unterschiedlichen Problemstellung liegen, die jeweils zu einer anderen geographischen Präzisierung der Mitte führen kann. Dabei wäre denkbar, daß die hervorragende Rolle, die Rhodos in der mathematisch-astronomischen Geographie seit Dikaiarch als Schnittpunkt des Hauptparallels und des Hauptmeridians einnimmt, eine Übertragung des mittleren Bezugspunktes auf Griechenland, zumal in dem beschriebenen Zusammenhang, begünstigt h a t 5 4 . Vitruvs Exzerpt trägt also, wenn wir zusammenfassen, vornehmlich durch Entfaltung und Präzisierung dessen, was bei Galen 5 5 mit zwei Sätzen angedeutet war, zur Erweiterung unserer Kenntnis von der s2
Das scheint am ehesten möglich, wenn Vitruvs Vorlage griechisch ist; denn daß zwei Exzerptoren Griechenland und Italien kommentarlos nebeneinander stehen lassen, ist kaum denkbar. Gleichzeitig weist dieser Befund auf Umdisposition und starke Kürzung des vorgegebenen Stoffes durch Vitruv. s3 Das gilt unabhängig von der Frage, ob er auch die Italien-Übertragung in seiner Vorlage vorgefunden hat oder nicht. Vgl. Aujac, Strabon I 2 zu Strab. II 5,16 p. 120 (Anm. 3 zu S. 97 auf S. 163); Berger, Wissenschaftliche Erdkunde, 378f., 432 (mit Fig. 13) und besonders 415f., wo er darauf hinweist, daß bei Eratosthenes im Zusammenhang mit der ganzen Erdkarte die Meridiane von Athen und Rhodos immer zu einem verschmolzen und mal nach der einen, mal nach der anderen Stadt benannt wurden (vgl. auch Thomson, Ancient Geography, 163f.). Wahrscheinlich genügt es überhaupt sich vorzustellen, daß es für einen griechisch schreibenden Autor einfach näher lag, in dem dargelegten Zusammenhang die Mitte auf Griechenland zu beziehen und dadurch das Bild anschaulicher zu machen, ss S. oben S. 18.
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poseidonischen Klimatheorie bei. Mit der bei ihm neu hinzukommenden ausführlichen Beschreibung der Hauptunterschiede zwischen den nördlichen und den südlichen Völkern im Blick auf Körpergestalt, Stimmlage, Haut-, Augen- und Haarfarbe, auf ihre psychischen Energien und geistigen Fähigkeiten wird die Differenzierung κατά τάς χώρας (nach Galen) expliziert und in einen definierten geographischen Rahmen gestellt. Daneben liegt auch in Vitruvs Referat das Gewicht auf dem Nachweis der aitiologischen Beziehung zwischen klimatischer und menschlicher κράσις, wobei die Wirkungsweisen der bestimmenden klimatischen Faktoren Feuchtigkeit und Hitze auf Körper und Charakter — über Galen hinaus — erläutert werden. In gleichem Maße, wie bei Vitruv die Jcpäaii-Vorstellung nicht mehr nur vorauszusetzen, sondern zum Hauptgegenstand der Darstellung geworden ist, so wird aus seinem Text auch deutlich, daß nach der poseidonischen Klimatheorie die geographischen Unterschiede nicht nur als Gegensätze fixiert werden, sondern daß sie als graduelles Abweichen von einer optimalen klimatischen Mischung nach entgegengesetzten Richtungen hin zu verstehen sind. Damit wird das Interesse ausdrücklich auf die Mitte als einem Bereich gelenkt, in dem die βύκρασια des Klimas die Realisierung der ihr entsprechenden еЬкрааСа der Menschen begünstigt. Wenn bei Vitruv schließlich der ausgeglichene Zustand im Kräftehaushalt der Seele, der geographischen Dislozierung der einzelnen Kräfte entsprechend, einem ganzen Volk des MitteBereichs zugesprochen wird, so weist dies immerhin auf die Möglichkeit, daß die klimatheoretische Krasislehre des Poseidonios, über den Zusammenhang zur Ethik im Sinne einer Erfüllung der Bestimmung des Einzelnen hinaus, auch eine politische Auswertung des Gedankens nahelegt, und zwar als Frage nach der ethischen Funktion eines Volkes im ethnischen und politischen Gefüge der gesamten Oikumene.
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II. Zur Geschichte der Klimatheorie und der klimatologischen Völkerbetrachtung vor Poseidonios Die Frage, ob Poseidonios seine Klimatheorie in bewußtem Rückgriff auf die Überlieferung ausgebildet hat und in welchem Maße sie durch die ausdrückliche oder stillschweigende Auseinandersetzung mit vorgegebenen Problemstellungen bestimmt ist, führt in ganz verschiedene Bereiche der wissenschaftlichen Literatur, in der sich die beiden Pfeiler des poseidonischen Klimasystems, die astronomische Messung und Berechnung und die darauf bezogene Beobachtung und Beschreibung des Befundes auf der Erde, nur gesondert voneinander zurück verfolgen lassen. 1. Die astronomische
Zonenfrage
Die Ansätze für die astronomisch-mathematische Komponente seiner Klimatheorie hat Poseidonios, wie wir sahen, in der Diskussion über die Prinzipien möglicher Erdzonenteilung über Aristoteles bis auf Parmenides zurückverfolgt 1 . Die Auswahl der hier ausdrücklich Genannten wird wohl auf Strabon zurückgehen; denn seit der Erkenntnis von der Kugelgestalt der Erde sind Anzahl und Ausdehnung der Erdzonen, verknüpft mit der Frage nach ihrer Bewohnbarkeit, von den Vertretern der wissenschaftlichen Erdkunde immer erneut erörtert worden 2 ; dabei hat einmal die insbesondere nach Süden zu sich stetig ausweitende geographische Kenntnis, durch welche die Grenzen der Menschheit immer weiter herausgeschoben wurden, zu den jeweils notwendigen Revisionen Anlaß gegeben 3 und daneben die allmähliche Vervollständigung der astronomischen Daten, durch welche die 1
F 28; s. oben S. 13f. Gisinger, RE Suppl. IV „Geographie", 578—580; Berger, Wissenschaftliche Erdkunde, 302f., 373f., 393f.;ders., Die geographischen Fragmente des Eratosthenes, Leipzig 1880, 79ff., bes. 83f.; Dicks, The ΚΛΙΜΑΤΑ, 253ff. 3 J. Partsch, Die Grenzen der Menschheit, I. Die antike Oikumene, Leipzig 1916, 52ff.; Berger, Wissenschaftliche Erdkunde, 508. 2
3 Schmidt (Hyp. 63)
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Dauer des Sonnenzenitstandes an den einzelnen Orten genau gemessen und verglichen werden konnte, dahin geführt, daß sich das Erdzonenproblem auch auf die Frage nach der Bewohnbarkeit der Äquatorialzone zuspitzen ließ. In der Spezialschrift des Polybios: πβρϊ ττ?ς ΰπό τον ίσημερινόν οίκήσεως4 waren die entscheidenden Argumente für eine Bewohnbarkeit schon zusammengestellt, die dann auch von Poseidonios in seine Beweisführung aufgenommen wurden (F 28 und 78). Wie aus dem Zeugnis bei Geminos (Isagog. 16 p. 178, 2 Man.) hervorgeht, ist bereits bei Polybios die These von der Bewohnbarkeit der Äquatorialzone zweifach abgestützt, indem auch hier zu ihrer Begründung auf die Ergebnisse empirischer Forschung sowie auf die Konsequenzen astronomischer Erwägung hingewiesen wird 5 ; aber bei ihm handelt es sich offenbar, soweit die Kürze des Textes überhaupt ein solches Urteil zuläßt, um ein Vorgehen, das die auf so verschiedenen Wegen gefundenen Argumente so verwertet, daß sie nur durch das gemeinsame Beweisziel — den faktischen Nachweis der Bewohnbarkeit — verbunden sind, ohne daß auch eine innerliche Abhängigkeit zwischen ihnen herausgestellt würde. Darin unterscheidet sich dann allerdings diese eher additiv zu nennende Zweigliedrigkeit der Argumentation bei Polybios/Geminos wesentlich von dem, was wir als Kennzeichen der poseidonischen Klimatheorie herausgestellt haben: die methodische Verflechtung der beiden Aspekte πρός та ούράννα und πρός та άν&ρώπβια im Sinne wechselseitiger Bestätigung und Begründung der aus beiden Fragestellungen gewonnenen Ergebnisse. Zugleich wird hier der Abstand des Poseidonios zu der bisherigen Forschungsperspektive im Bereich der astronomisch-geographischen Wissenschaft deutlich, in welcher, wie wir schon sahen 6 , die Frage nach dem Befund auf der Erde auch vereinzelt behandelt wird 7 , in der Regel aber nur als summarischer Hinweis auf eine mögliche oder nicht mögliche Bewohnbarkeit auftaucht. Die Bedeutung der Untersuchungen προς τα άν&ρώπβια als Ausgangspunkt 4
Gemin. isag. 16 p. 176,23 ed. Manit.; dazu Jacoby, IIc, 173ff.; Berger, Wissenschaftliche Erdkunde, 505ff. 5 Gemin. isag. 16 p. 178,2 Manit.: και α μεν ιστορίας φέρε ι των κατωπτευκότων τας οικήσεις και έπιμαρτυρούντων τοις φαινομένοις, α δέ έπιλογίξεται έπι της φυσικής περί τον ήλιον ύπαρχούσης κινήσεως. Spekulativer ist die Argumentation, die zusammen mit Panaitios' Votum für eine bewohnbare Äquatorialzone überliefert ist (F 135, van Straaten). 6 Oben S. 17. 7 Besonders bei Eratosthenes, vgl. Berger, Wissenschaftliche Erdkunde, 437ff.; Oder, Quellensucher, 328.
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für die wissenschaftliche Behandlung nicht nur der Oikumene, sondern der gesamten Erde wird aber daraus ersichtlich, daß Poseidonios mit seiner klimatheoretischen Methode gerade an dem für die Zonenlehre so zentralen Punkt der Wendekreisgürtel ansetzt und von da aus dann Rückschlüsse auch für die Lebensbedingungen im Bereich der Äquatorialzone zieht. Wie Poseidonios durch diese Verklammerung seiner Klimatologie mit der Zonenfrage den von seinen Vorgängern in der geographischen Fachwissenschaft abgesteckten Rahmen für das Zonenproblem sprengt, so stellt er nun auch umgekehrt seine Klimalehre durch eben diese Verklammerung in eine astronomisch-geographische Relation, die älteren Versuchen, beobachtete Unterschiede zwischen den Völkern durch den Einfluß des jeweiligen Klimas zu erklären, durchweg fehlt — offenbar, weil eine ausdrückliche Verbindung zu der Erdkugelgeographie hier vor Poseidonios nicht hergestellt worden ist. 2. Die klimatologische
Völkerbetrachtung
Wenn nun für diese Seite der poseidonischen Klimatheorie nach den möglichen Anstößen aus der Uberlieferung gefragt wird, so geht es nicht darum, eine möglichst lückenlose .Geschichte der klimatischen Theorie' zu entwerfen, — das wichtigste ist hierzu ohnehin von Trüdinger, Diller und Heinimann bereits gesagt 8 —, sondern um die nach unserer Skizzierung der poseidonischen Klimatheorie naheliegende Frage, mit welchen Bewertungen seine Vorgänger die auf verschiedene Klimaeinflüsse zurückgeführten Unterschiede im beobachteten Befund verbunden haben und ob die klimatologischen Ergebnisse bei ihnen — ausdrücklich oder etwa durch den Kontext, in den sie gestellt wurden —, auf eine politische Interpretationsmöglichkeit abzielten.
8
Trüdinger, Studien, 34ff., 51 ff.; Hans Diller, Wanderarzt und Aitiologe, Studien zur Hippokratischen Schrift Ttepi άέρων ύδάτων τόπων. Philol., Suppl. XXVI, Heft 3, Leipzig 1934; Felix Heinimann, Nomos und Physis, Herkunft und Bedeutung einer Antithese im griechischen Denken des 5. Jahrhunderts, Diss. Basel 1945, bes. 13—41 und 172ff. Einen Überblick gibt auch schon Oder, Quellensucher, 326ff., bei dem vor allem die zahlreichen Theophrast-Stellen zu vergleichen sind.
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a) Herodot und der hippokratische Autor von περί άέρων τόπων
υδάτων
Der wichtigste Vorgänger des Poseidonios auf dem Gebiet der Klimatologie ist — nach der Überlieferungslage — der Autor der hippokratischen Schrift irepi άέρων υδάτων τόπων. Zwar rühmt auch Herodot die Vorzüglichkeit des jonischen (I 143) oder griechischen (III 106) Klimas, weil dort weder Kälte und Feuchtigkeit, wie im Norden, noch Hitze und Trockenheit, wie im Süden, erdrückend überwiegen, sondern diese bestimmenden Faktoren aufs schönste gemischt seien, und repräsentiert damit eine wichtige Stufe in der Entwicklung der Klimatheorie, weil hier die Parallelisierung der klimatischen Ε ukrasie-Vorstellung mit dem für Alkmaion von Kroton überlieferten medizinischen Begriff der Eukrasie zur Definition der Gesundheit des Einzelnen 9 greifbar wird. Aber bei Herodot wird aus einer solchen Feststellung über die klimatische Beschaffenheit eines Landstriches nichts gefolgert; sie wird weder zur Erklärung von Besonderheiten des Landes, seiner Tier- und Pflanzenwelt herangezogen, noch werden die Merkmale seiner Bewohner und ihrer Lebensgewohnheiten zu ihr in Beziehung gesetzt 10 ; infolgedessen liefert sie auch keine die einzelnen Beschreibungen der verschiedenen geographischen Bereiche zusammenfassende Fragestellung, vielmehr stehen diese klimatischen Vorzüge Joniens und Griechenlands und die verschiedenen, jeweils andersgearteten Vorzüge der übrigen Länder ganz gleichberechtigt nebeneinander 11 . So bleibt der klimatologische Aspekt ohne systematisierende Funktion für die Fülle des ethnographischen Materials und kann von uns da, wo er auftritt, nur auf Grund einer Kenntnis der Schrift πβρι άέρων ύδάτων τόπων als 9
VS I 24 В 4 (Diels): της μεν ύγιείας eivai συνεκτικήν την ίσονομίαν των δυνάμεων, üypoö, ξηρού, ψυχρού, ϋερμού, πικρού, γλυκέος και των λοιπών, την δ' έν αύτοϊς μοναψχίαν νόσου ποιητικήν. Vgl. dazu Heinimann, a.O. 174f., der die Nähe dieser Gesundheitsdefinition zu der archaischen Bevorzugung der maßvollen Mitte {μηδέν άγαν) heraushebt. Weiter zur frühen griechischen Medizin, Werner Jaeger, Paideia 2, Berlin 1944, 1 Iff. 10 Es ist zu fragen, ob Her. II 35 (αμα . . . ) als Ausdruck einer inneren Abhängigkeit der Besonderheiten Ägyptens von seinem ebenfalls besonderen Klima verstanden werden darf (vgl. Norden, Germanische Urgeschichte, 59f.), oder ob es sich nicht vielmehr um eine additive Zusammenstellung des bemerkenswert Anderen handelt. " Vgl. Her. III 1 0 6 ( - 1 1 6 ) und dazu Diller, Wanderarzt, 84ff. über Herodots archaische, d.h. parataktische Weise, die Welt nach Superlativen zu ordnen.
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Hinweis auf eine systematische Betrachtungsweise verstanden werden, die aus Herodots Text allein jedoch keineswegs greifbar wird 12 . Gleich zu Beginn des 2. Teils der Schrift ,Uber die Umwelt', auf den es hier allein ankommt, wird der methodische Charakter der nun folgenden Untersuchung angekündigt: der Verfasser will die Unterschiede zwischen Asien und Europa aufzeigen, und zwar im Blick auf die Völker, ihre Gestalt, Sitte und Lebensweise, wie im Blick auf die Natur der Länder und die Beschaffenheit ihrer Flora und Fauna. Aber er versteht seine Aufgabe nicht als Gegenüberstellung von Beschreibungen im Sinne eines paradoxographischen Interesses, wie es für die Jonier vorauszusetzen ist 1 3 , sondern als Nachweis für die These, daß die zu beobachtenden Unterschiede auf den unterschiedlichen Einfluß des Klimas zurückzuführen und von da her zu erklär e n s i n d : то 8e α'ίτνον τούτων
ή κρήσις
των ώρέων
(с. 1 2 ) . D i e A u s -
breitung von länder- und völkerkundlichem Material steht also ganz im Dienste dieser aitiologischen Zielsetzung. Durch die Kombination zweier Erdeinteilungsprinzipien schafft sich der Autor ein geographisches Koordinatensystem, in das er seine Beweisführung hineinstellt: In die programmatisch angekündigte Gegenüberstellung von Asien und Europa, die den Ost-West-Gegensatz erfaßt, wird durch die Ausweitung Europas nach Skythien und Asiens nach Ägypten/Libyen die Nord-Süd-Opposition geschickt eingefügt 14 . Mit jedem der beiden Gegensatz-Paare verfolgt der Autor einen eigenen Aspekt zum Thema Klimaeinfluß: in Nord-SüdRichtung vornehmlich einen statischen, der die Folgen von gleichbleibenden Temperaturzuständen aufzeigt, in der Ost-West-Gegenüberstellung einen dynamischen, der die Folgen von Klimaschwankungen erfaßt. Während für die Nord-Süd-Gegenüberstellung das Schema: extrem kalter Norden — extrem heißer Süden — ausgeglichene Mitte vorliegt 15 , wird in Ost-West-Richtung mit der einfachen Opposition: zahlreiche heftige Klimawechsel im Westen — 12 Vgl. e t w a die . S y s t e m f e t z e n ' IX 122, II 77, II 3 5 , I V 1 0 6 u.a. 13 Vgl. Trüdinger, S t u d i e n , 3 4 f f . ; H e i n i m a n n , N o m o s u n d Physis, 2 3 f . 14 Z u m S c h e m a t i s m u s : Trüdinger, S t u d i e n , 3 9 ; K. Merz, Forschungen über die A n f ä n g e der E t h n o g r a p h i e bei den Griechen, Diss. Zürich 1 9 2 3 , Teildruck:
die Schrift nepi αέρων
υδάτων
τόπων, 44f.; Diller, Wanderarzt, 7 2 - 7 6 ; ders.,
Hippokrates, S c h r i f t e n , übersetzt u n d m i t Einführungen hrsg., H a m b u r g 1 9 6 2 , lOlf. 15
Dieses S c h e m a ist a u c h bei H e r o d o t I 1 4 2 v o r a u s z u s e t z e n .
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Gleichmaß ohne Schwankungen im Osten gearbeitet, also ohne die Konstruktion eines Mittebereichs. Damit trifft die Charakterisierung der Mitte (zwischen Nord und Süd) nur für die Mitte Asiens zu, weil hier das Gleichmaß im Sinne fehlender Klimaschwankungen mit der Ausgeglichenheit zwischen nördlicher Kälte (und Feuchtigkeit) und südlicher Hitze (und Trockenheit) zusammenfällt 1 6 . Auch sonst wird die Frage nach etwa auftretenden Klimawechseln im Anwendungsbereich des Nord-Mitte-Süd — Schemas immer zugleich mit behandelt, insofern ja abgesehen vom Westen (d.h. von Europa ohne Skythien) alle überhaupt erfaßten Gebiete in dieser Beziehung einen negativen Befund, also klimatisches Gleichmaß ohne Wechsel , aufweisen. So wird das gesamte ethnographische Material jeweils nach beiden Richtungen hin interpretiert. Wenn wir nun versuchen, das Schema zu beschreiben, aus dem sich eine Bewertung für die einzelnen geographischen Bereiche und insbesondere für die Mitte (Asiens) ergibt, so ist zunächst festzustellen, für welche ethnographischen Phänomene und Beobachtungen die beiden Klimafaktoren jeweils zur Erklärung herangezogen werden; dabei ergibt sich eine klare Verteilung der ,Kompetenzen 4 . Da die Behandlung Libyens ausgefallen ist, sind wir für die Nord-Süd-Gegenüberstellung auf die Beschreibung der Skythen und ihres Landes (c. 18—22) und auf die wenigen Bemerkungen zur Mitte Asiens im Einleitungskapitel (12) angewiesen. Aus diesen geht jedoch deutlich genug hervor, daß aus den charakteristischen Temperaturzuständen der winterlichen Kälte, des lauen Mittelmaßes (und der sommerlichen Hitze), die jeweils im Norden, der (östlichen) Mitte und im Süden das Klima nahezu das ganze J a h r hindurch bestimmen, die äußeren Merkmale der dort lebenden Menschen, die Besonderheiten ihrer Gestalt (μορφή), ihrer Lebensweise (δίαιτα) und.ihrer Bräuche (νόμοι) hergeleitet und von da auch die Vorzüge und Mängel der Länder im Blick auf Pflanzenwuchs, Tiervorkommen und Bewässerungszustand erklärt werden 1 7 . Dagegen dient das Kriterium der Klimaschwankung, das mit der thematisch übergeordneten Ost-West-Kontrastierung verbunden ist, zur Begründung der seelischen Veranlagung, der geistigen Fähigkeiten (ήϋος) und der körperlichen Konstitution der Bewohner Asiens und Europas und wird auch zur Erklärung der verschiedenartigen land16 c. 12: έχει δέ κατά την Άσίην οι) πανταχη όμοιως, άλλ' όση μέν της χώρης έν μέο κείται τού θερμού και τοϋ ψυχρού, αϋτη μέν εύκαρποτάτη ... κτλ.
" с. 12, 15, 18, 19.
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schaftlichen Formationen im Osten und im Westen herangezogen18. In Nord-Süd-Richtung wird nun nach einem Bewertungsschema verfahren, das sich an dem Gesundheitsbegriff der Medizin orientiert und dementsprechend die klimatischen Extreme gegenüber der ausgeglichenen Mitte negativ beurteilt, weil hier nicht Ισονομία19 (oder wie es Kap. 12 heißt: Ισομοιρίη) unter den Grundqualitäten des Klimas wie des menschlichen Körpers herrscht, sondern μοναρχία (с. 18: περι δέ τών λοιπών Σκυΰβων της μορφής ... ωύτός λόγος και irepi τών Αιγυπτίων πλην ότι οί μέν υπό τοΰ ϋβρμοΰ βίσι βεβιασμένοι, οι δ' υπό τοϋ ψυχρού). So liest sich die Charakterisierung der skythischen μορφή, von der es heißt, daß sie infolge der anhaltenden Kälte und des hohen Feuchtigkeitsgehaltes der Luft dick, fleischig, ungegliedert, aufgedunsen, feucht und schlaff sei 20 , auch wie die Beschreibung eines Krankheitsbildes, von dem sich Größe, Schönheit und Wohlgeratenheit der Bewohner in der Mitte Asiens vorteilhaft abheben 21 . Gleichwohl kommen auch dieser ausgeglichenen Mitte nicht nur positive Prädikate zu; denn der Autor stellt hier wie im Bereich der Extreme charakterliche und geistige Mängel bei den Bewohnern in ursächlichen Zusammenhang zu dem bei ihnen herrschenden klimatischen Gleichmaß, das keine Temperaturschwankungen kennt. So werden die Menschen zwar als sanft, aber zugleich als temperamentlos, passiv, feige, widerstandslos, geistig stumpf, anstrengungsscheu und körperlich schlaff beschrieben 22 . Diesem Negativkatalog entgehen, entsprechend dem vorgeführten Schema, allein die Völker Europas (ohne Skythien), die infolge heftiger, häufiger und schroffer Witterungsumschwünge eine kämpferische Geistesart und eine körperlich und seelisch zähe Konstitution entwickelt haben, welche der Autor als Erregbarkeit, Mut, Kühnheit und Zorn, als Eigenwilligkeit, Selbstbewußtsein, Scharfsinnigkeit und Widerstandswille, als Ausdauer, Abhärtung und Anstrengungsbereitschaft kennzeichnet 23 . Da der Westen in der Nord-Süd-Gegenüberstellung nicht 18 19 20
c. ( 1 2 ) , 1 3 , 1 6 , 2 3 , 24. Alkmaion v. Kroton, VS I 2 4 В 4 (vgl. die Anmerkung 9 auf S. 3 6 ) . c. 19.
21 c. 12.
c. 12 für die Mitte Asiens, c. 15 für die Leute am Phasis (Norden von Asien), c. 1 6 für Asien allgemein (als Repräsentant des Ostens), c. 19 für Skythien, in ausdrücklicher Parallelisierung zu Ägypten, c. 2 4 ( 9 ) als allgemeiner Grundsatz in der abschließenden Zusammenfassung formuliert. 2 3 Vgl. die c. ( 1 2 ) , 1 6 , 2 3 , 2 4 mit den Begriffen: то ävSpeiov, το ταλαίπωρου, 22
то'έμπονον,то ϋυμοβώές; όργή, то άγνώμον; то аурюи, то άμείλικτον, то eü39
erfaßt ist, wird kaum etwas zur äußerlichen Gestalt der Völker oder zur Fauna und Flora dieses Teiles von Europa gesagt, ein Zeichen, wie konsequent die Zuständigkeiten' zwischen den beiden Arten möglicher Klimaauswirkung eingehalten sind. Dagegen führt der Autor die Vielgestaltigkeit landschaftlicher Formationen in Europa 2 4 — Berge, Wälder, Ebenen und Wiesen dicht beieinander — ausdrücklich auf den differenzierenden Einfluß starker Klimaschwankungen zurück und setzt dem die Entsprechung: gleichmäßiges Klima — ebenmäßiges Land entgegen. Während der Autor für die dargestellte Beeinflussung der Menschen durch die gleichbleibenden Temperaturzustände auf die medizinische Krasislehre zurückgreifen kann, m u ß er zur Begründung der Wirkungen, welche die Klimaumschwünge auf die Menschen ausüben, eine allgemeine Behauptung aufstellen, die ihrerseits nicht in gleicher Weise medizinisch-physiologisch abgesichert zu sein scheint: „Denn der ständige Wechsel in allen äußeren Verhältnissen ist es, der den Geist der Menschen aufweckt und nicht zur Ruhe kommen l ä ß t " (c. 16) 2 5 und entsprechend (c. 23): „Denn im immer Gleichen und Ähnlichen liegt der Grund zur Schlaffheit, im ständig sich Wandelnden aber der Widerstandswille für Körper und Seele" (Diller) 2 6 . Jedenfalls passen die Eigenschaften und Fähigkeiten, die der Autor aus den Klimawechseln für die geistig-seelische und die körperliche Konstitution der Menschen folgert, insbesondere Widerstandsfähigkeit, Abhärtung und Zähigkeit, die immerhin ohne einen robusten Gesundheitszustand nicht denkbar sind, keineswegs zu dem, was sonst von der medizinischen Theorie mit klimatischen Umschwüngen in Verbindung gebracht wird. Der Autor selbst weist im ersten Teil seiner Schrift (c. 6) darauf hin, daß die nach Westen gelegenen Städte besonders ungesund seien und ihre Bewohner infolge großer Witterungsgegensätze innerhalb eines einzigen Tages überaus anfällig für alle Krankheiten 2 7 . Am entschiedensten findet sich die Theorie ψυχον, то μάχιμον, το αύΰάδες, то ιδκ/γνώμον, то ές τάς τέχνας όξύτερον και ζυνετωτέρον. ^ с. 13. 25
с. 16: αΐ yap μεταβολαί eioi των πάντων αΐ έπεγεφουσαι την γνώμην του άνΰρώπου και ούκ έώσαι άτρεμΐξειν. 26 с. 23: έν μεν yap τω άεί (όμοίω και) παραπλησίω αΐ ρα&υμΐαι eveiaiv, έν δέ τφ μεταβαλλομένω αΐ ταλαιπωρίαι τφ σώματι και rfi ψυχή ... 27 с. 6: . . . (wayκτ] ταύτας τάς πολιάς de aw κεϊσύαι νοσερωτάτην ... διό και άχρόους [sc. τούς άν&ρώπους] те εικός ewai και άρρωστους, τ φ те νοσευμάτων •πάντων μετέχει ν ... 40
von der gesundheitsschädigenden Wirkung der Klimawechsel bei Herodot formuliert, der die Gesundheit der Ägypter aus ihrem gleichbleibenden Klima erklärt: (II 77) „Denn die Veränderlichkeit verursacht den Leuten die meisten Krankheiten, und vornehmlich der Jahreszeiten" (Lange) 2 8 . Wir entnehmen aus dieser Diskrepanz, daß der Autor für den Bereich der Ost-West-Gegenüberstellung, in der mit der Klimawechseltheorie gearbeitet wird, offenbar nicht primär medizinisch interessiert ist. Wie schon die auffallende Häufung von agonalen Qualitäten in der Völkerpsychologie anzeigen kann, so wird aus der unmittelbaren Parallelsetzung der Wirkungsweisen des Klimas (als Wechsel oder Gleichmaß) mit denen des jeweiligen politischen νόμος erst recht deutlich, daß die Gegenüberstellung von Asien und Europa auf einen politischen Nachweis hin konzipiert ist 2 9 : das gleichmäßige Klima Asiens führt zu Charaktereigenschaften wie Feigheit, Schlaffheit, knechtische Gesinnung, die in gleicher Weise durch den politischen νόμος der Asiaten, nämlich die Königsherrschaft, gefördert werden; ebenso entsprechen die klimatisch bedingten charakterlichen Merkmale der Europäer — Selbstbewußtsein, Eigenwilligkeit und Mut — der Wirkung, die auch ihre politische Autonomie auf sie ausübt. Die aus den Klimaumschwüngen abgeleitete Völkerpsychologie scheint also ganz darauf zugeschnitten, daß über sie als tertium comparationis die Parallelisierung von Klimawechselwirkung und Nomoseinfluß auf die Menschen möglich wird 3 0 . Damit wird nun die zunächst vielleicht befremdliche Kombination der beiden Erdeinteilungsprinzipien (Asien—Europa / Norden-Mitte-Süden) und die damit verbundene Zweiteilung der klimatischen Einflußmöglichkeit in einen .statischen' und einen .dynamischen' Aspekt als Versuch verständlich, den klimatologischen Gedanken, wie er ursprünglich für das Nord-Süd-Schema ausgebildet war, durch die Klimawechseltheorie so zu erweitern, daß er politisch aus28
έν γαρ τησι μεταβολήσι τοϊσι άνϋρώποισι ai you σαι μάλιστα yivovrcu, τών те άλλων η άρτων και δη και τών ώρέων μάλιστα. Vgl. in diesem Sinn weiter, π. ά. ύ. т. 3 und 4, 10 und 11; περί ιερής νόσου 13; 17(394); περί διαίτης 2(470f.). Heinimann, Nomos und Physis, 176f. behandelt diese Theorie der metereologischen Medizin in anderem Zusammenhang, c. 16 und 23. 30 Der Autor stellt νόμος und Klima noch als gleichberechtigte αϊτίαΐ für die menschliche φύσις nebeneinander; eine natürliche Disposition der Bewohner eines Landstrichs durch das Klima auf einen entsprechenden νόμος wird hier also noch nicht aufgezeigt. Dazu Diller, Wanderarzt, 117.
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wertbar wurde. Schließlich zeigt die Ausgliederung der Nord-Süd-Exponenten in der antithetischen Behandlung von Skythien und Libyen aus der als Thema formulierten Gegenüberstellung von Asien und Europa, daß hier mit Asien und Europa nicht mehr (wie die Hinzunahme von Skythien zu Europa und Libyen zu Asien zunächst wohl nahelegt) die Erdhälften der alten jonischen Erdkarte 31 gemeint sein können, sondern daß mit ihnen der zumal nach den Perserkriegen aktuelle politische Ost-West-Gegensatz bezeichnet werden soll 32 . So gelingt es dem Autor, das gegenwärtige Kräfteverhältnis zwischen Asien und Europa nicht nur politisch, durch den Nomos, sondern darüber hinaus natürlich, durch das Klima, zu erklären; dabei erhält die politische Überlegenheit Europas (Klimawechseltheorie) nur um so mehr Gewicht, je besser eine Schwarz-weiß-Malerei vermieden werden kann, d.h. je größer die Vorzüge Asiens und ganz besonders der Mitte Asiens nach dem Nord-Süd-Schema erscheinen müssen. Die Betrachtung der Schrift π. ά. ύ. т. hat gezeigt, daß die unter dem Einfluß der physiologisch spekulativen Medizin ausgebildete Klimatologie früh mit einer aitiologischen Fragestellung verbunden wurde (S. 37), ja daß darüber hinaus ihre besondere Ausbildung und Erweiterung beim hippokratischen Autor offenbar auf das Bedürfnis zurückzuführen ist, den aitiologischen Nachweis auch auf die bestehenden politischen Kräfteverhältnisse zwischen Asien und Europa auszudehnen. Beim Autor hat das zu der beschriebenen Doppelkonstruktion mit den gegensätzlichen Bewertungsschemata im Bereich der Ost-West-Gegenüberstellung geführt. Wir werden jetzt zu fragen haben, wie die Anregung des hippokratischen Autors, sein Hinweis auf eine politische Applikationsmöglich der Klimatheorie, in der Folgezeit aufgenommen wurde. b) Piaton Die Piatonstellen, die wir nun als nächstes heranzuziehen haben, erweisen ihre Zugehörigkeit zu unserer Fragestellung nicht etwa durch die explizite Entwicklung eines klimatologischen Konzepts, dem Autor von π. ά. ν. т. vergleichbar, sondern durch vereinzelte und sehr knappe Kennzeichnungen einiger Völker oder Volksstämme, aus denen jeweils ein kleines Stück Völkerpsychologie sichtbar wird 33 . 31
Vgl. Jacoby, RE „Hekataios" 2703f. Das hat einleuchtend Heinimann, Nomos und Physis, 39f., herausgestellt. 33 Diese Stellen gehören zum festen Repertoire jedes Uberblicks über das klimatologische Gedankengut, vgl. Trüdinger, Studien, 57f.; Norden, Ger32
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Politeia 435e/436a hat Piaton die Untersuchung der Gerechtigkeit am vergrößernden Objekt des Staates (368dff.) beendet und beginnt nun damit, seinem methodischen Plan entsprechend (434dff.), das vorläufige Ergebnis in der Übertragung auf den Einzelnen und seine Gerechtigkeit zu überprüfen. Um die Voraussetzung für die Analogie zwischen Staat und Einzelnem, die Annahme, „daß jedem von uns dieselben Grundformen (είδη) und Verhaltensweisen (ή&η) innewohnen wie dem Staate" (Apelt), möglichst evident zu machen, werden die Völker angeführt, bei denen jeweils eines der Merkmale, die zuvor zur Unterscheidung der drei Stände im Staat geführt hatten, besonders charakteristisch herausragt. „Es wäre doch lächerlich, zu glauben, das Mutvolle (τό ΰυμοβιδβ'ς) sei nicht von den Einzelnen her in den Staat gekommen, die tatsächlich in diesem Rufe stehen — wie etwa die Bevölkerung von Thrakien und Skythien und fast durchgängig die der nördlichen Gegenden, oder der Wissenstrieb (то φιλομαϋές), den man vor allem hierzulande ansetzen mag, oder der Erwerbstrieb (τό φιλοχρήματου), den man am meisten den Phönikern und Ägyptern zuspricht." Die Methode der ,Makroskopie', die Untersuchung des gestellten Problems an einer nächst größeren Einheit, wie sie Piaton zwischen Einzelseele und Staat angewandt hatte, wird hier also bis in die Dimension der Völkerwelt erweitert, offenbar um daran zu verdeutlichen, daß die einzelnen Vertreter einer Gesamtheit jeweils deren typische Merkmale repräsentieren 34 . Die Charakteristika, unter denen die Völker hier subsumiert sind, werden zum Teil an anderen Stellen bestätigt und ergänzt. So werden Ägypter und Phöniker als Gegenbeispiel da angeführt, wo in den Nomoi (747bff.) von dem positiven Einfluß die Rede ist, den eine Beschäftigung mit Zahlen auf die Bildungsfähigkeiten auch der „schläfrigen" und „unbegabten" Naturen 35 haben könnte, sofern nur diese .Diatribe' von entsprechend umsichtigen, gegen das Unfreie und Erwerbsorientierte solcher Seelen gerichteten gesetzgeberischen Maßnahmen flankiert wird. Wo diese fehlen, da stellt sich statt der Weisheit (σοφία) Verschlagenheit (navovpyCa) ein, „wie sie jetzt . . . in den Ägyptern, Phönikern und vielen anderen Völkern durch das manische Urgeschichte, 6 1 , 3 ; Karl Vretzka, Piaton, der Staat, Stuttgart 1 9 5 8 , 5 0 7 zu 4 3 5 e ; Diller, Wanderarzt, 1 1 7 f f . ; O. Gigon, Aristoteles, Politik, München 1 9 7 3 (dtv), S. 3 7 4 zu 1 3 2 7 b 2 - 3 8 . 34
Vgl. dazu Trüdingers sorgfältige Aufschlüsselung der Stelle, a.O. 5 7 , 2 .
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... τον νυστάξοντα και άμα&η φύσει ...
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Unfreie ihrer übrigen Einrichtungen und Erwerbsarten sich erzeugte, sei es nun, daß etwa ein schlechter Gesetzgeber, der ihnen zuteil ward, das bewirkte oder ein Mißgeschick (χαλεπή τύχη), welches sie betraf, oder sonst etwas Derartiges, in der Natur Begründetes" (ehe φύσις άλλη τις τοιαύτη, 747c) 3 6 . Was diese lose Zusammenstellung von τύχη und φύσις hier bereits anzudeuten scheint, die Vorstellung einer natürlichen Determination der Völker aufgrund ihrer geographischen Lage, wird in dem nun folgenden Passus ausdrücklich durch den Hinweis erläutert, daß nicht alle Gegenden in gleicher Weise geeignet seien, „bessere oder schlechtere Menschen" hervorzubringen, ein Umstand, der bei der Gesetzgebung beachtet werden müsse. Als Faktoren, die jeweils über Zuträglichkeit oder Unzuträglichkeit entscheiden können, werden Stürme (πνεύματα), Hitze (είλήοεις), Wasser (ϋδατα) und die aus der Erde kommende Nahrung (17 έκ της *γής τροφή) angeführt, „welche nicht nur den Körpern Besseres oder Schlechteres gewährt, sondern auch nicht minder in den Seelen dergleichen hervorzubringen vermag". Auch ohne die leichten Anklänge an den Titel der Schrift περϊ άβρων υδάτων τόπων überstrapazieren zu müssen 3 7 , läßt sich dieser Bemerkung entnehmen, daß hier an eine die Umwelt und ihre klimatischen Bedingungen ähnlich berücksichtigende Erklärung für die Ausbildung unterschiedlicher Völkertypen gedacht sein muß. Das erläutert schließlich auch eine dritte Stelle, Timaios 24c 4—d 3, die Wiedergabe des Enkomions auf Attika, wie es Solon von dem saitischen Priester vernommen haben soll: Die Göttin, ihrem Wesen nach selber φιλοπόλεμος und φιλόσοφος, gründete da den athenischen Staat, wo die gute klimatische Beschaffenheit (εύκρααία των ωρών) die verständigsten Menschen (φρονιμωτάτους Άνδρας) hervorzubringen versprach 3 8 . W. Jaeger 3 9 hat gezeigt, daß Piaton den Begriff des ΰυμοειδες, mit dem er die nördlichen Völker, die Wächter in seinem Staatsentwurf 36
Ubersetzung von Hieronymus Müller, Piaton, Sämtliche Werke, 6, Hamburg 1959 (rororo). 37 Norden, Germanische Urgeschichte, 61,3. Daß hier nicht einfach die Schrift des Autors von 7Г. ä. ύ. Т. als Grundlage anzusetzen ist, zeigt die angedeutete direkte diätetische Beeinflussung der seelischen Konstitution, für die bei dem Autor allein die Klimawechsel zuständig waren. 38 Vgl. zum Preis Athens auch Kritias, 109c/d und Menexenos, 237bff. 39 W. Jaeger, A New Greek Word in Plato's Republic (The Medical Origin of the Theory of the δυμοβώές). Eranos 44, 1946, 1 2 3 - 1 3 0 ; vgl. dazu die ein-
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und die vom Logos zu bändigende Willenskraft in der menschlichen Seele bezeichnet, aus der Völkerpsychologie des hippokratischen Autors von π. ά. ύ. т. übernommen hat, wo es erstmals nachzuweisen ist, — wie wir sahen in der Charakterisierung der unter dem Klimawechsel-Einfluß lebenden Europäer 40 . Ebenso scheint in Piatons Vorstellung von den Phönikern und Ägyptern (bes. Nomoi 747bff.), insofern er sie mit den ,unfreien', ,schläfrigen' und »geistig nicht sonderlich begabten' Naturen vergleicht 41 , etwas von der Darstellung der Asiaten in π. ά. ύ. т. eingegangen zu sein, wie überhaupt ihr wichtigstes Merkmal beim Autor, die Unlust zu Mühe und Arbeit, wenn man es positiv faßt, ein auf die ήδοναί ausgerichtetes Leben bezeichnet, wofür bei Piaton das έπι&υμητικόν j φιλοχρή42 ματον steht . Aus diesen Berührungspunkten könnte man schließen, daß bei Piaton Anregungen der Schrift π. ά. ύ. т. aufgenommen sind und er möglicherweise die Ost-West-Antithese des hippokratischen Autors in die Achse des Nord-Süd-Schemas eingefügt hat, wodurch dessen zweifache, zugleich direkte und indirekte klimatologische Erklärweise durch eine einheitliche Begründung ersetzt worden wäre. Mit dieser Vermutung können wir uns hier begnügen, zumal sich Piatons klimatheoretische Vorstellungen im Einzelnen nicht leuchtende Modifizierung bei E. L. Harrison, The Origin of ΰ υ μ ο ε ώ ή ς . CI.Rev. 67, 1953, 138—140. Zweifelnd über die H e r k u n f t : F. Dirlmeier in seinem Komm e n t a r zu Aristoteles, Nikomachische Ethik, S. 3 4 3 zu S. 62,2. 40 Vgl. oben S. 39 mit A n m . 23. 41 So weit wird man den Vergleich hier sicherlich ausdehnen dürfen. 42 Oben S. 41 u n d S. 43, Anm. 35. In π. ά. ö. т. heißt es c. 24, wo die Eigenschaften der Bewohner eines klimatisch besonders begünstigten Landes (wie es die mittleren Asiaten ja sind) beschrieben werden: τότε pädußOV Kai TO νπνηρόν e'anv ev αύτοίοιν ες те τάς τέχνας παχέες και ού λεπτοί ούδ' όξεβς. Daß die Ägypter hier tatsächlich immer mit den Phönikern zusammen genannt werden, k ö n n t e ein Zugeständnis Piatons an den klimatheoretischen K o n t e x t sein; denn über die Ägypter bestand ja sonst auch eine ganz anders geartete literarische Tradition: vgl. etwa bei Piaton selbst die Solonerzählung im Timaios (24aff.). O. Murray, Hecataeus of Abdera and Pharaonic Kingship. The J o u r n a l of Egyptian Archeology 56, 1970, 141 ff. bezieht die idealisierenden Ägyptenpassagen Tim. 24 ( u n d Politikos 290d—e) auf Altägypten u n d sieht dagegen in der Nomoistelle einen Hinweis auf gegenwärtige Degenerationserscheinungen. — Daneben sind die zahlreichen Bemerkungen in den Vorsokratikerfragmenten u n d bei Diodor 1,96—98 zu nennen über hervorragende Griechen, die bei den Ägyptern in die .Lehre' gegangen sind (Diels, 11 A 1 — Thaies; 14,4 — Pythagoras; 68 A 1 - D e m o k r i t ; 47 A 5 - Piaton). Schließlich leistet auch Herodot diesem Ägypterbild keineswegs Vorschub.
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genau nachzeichnen lassen, da sie nirgends um ihrer selbst willen entwickelt werden. Aber die nachhaltigen ,Zutaten', die Piaton dem klimatologischen Gedankengut beigefügt hat, betreffen ohnehin nicht so sehr die geographische oder physiologisch-medizinische Seite der Theorie als vielmehr, worauf der Nachweis von W. Jaeger bereits hindeutet, den Zusammenhang, in den das Klimatologische von ihm gestellt worden ist. Denn die Merkmale der genannten Völkertypen, d a s ϋυμοεώές,
d a s φιΧομα&ές/φροριμώτατον
und das
φιλοχρήματο?/
äveXevüepov entsprechen den drei menschlichen Antriebskräften, die Piaton in seiner Lehre von der Dreiteilung der Seele unterschieden und charakterisiert hat, und zwar so, daß diese Völker jeweils einen der drei Menschentypen κατ' έζοχήν verkörpern: die Ägypter und Phöniker den, bei welchem das Gewinn (φιλοκερδές) und materiellen Besitz (φιλοχρήματου) begehrende έπιΰνμητικόν die Vorherrschaft in der Seele hat, die Thraker und Skythen als nördliche Völker die vom &υμο€ιδές beherrschten Menschen, deren ganze Willenskraft auf das vucäv, κρατβϊν und βύδοκιμείν ausgeht, die (attischen) Griechen
schließlich den vom Хоуштисои regierten Menschen, dessen φιΧομαΰία (φιΧοσοφία) auf das Wissen des wahren Seins gerichtet ist 4 3 . Die völkerpsychologischen Beispiele veranschaulichen also die drei είδη der Seele auf einer geographischen Stufe der Disjunktion, die über die Vergrößerung auf die Ebene des Staates und seiner drei Stände noch hinausgeht. Wenn nun in der angeführten Nomoistelle festgestellt wird, daß manche Länder bessere, manche schlechtere Menschen hervorbringen, so kommt darin zum Ausdruck, daß der ontologisch begründeten Rangordnung der είδη in der Seele des Einzelnen 44 und dementsprechend hierarchischen Aufbau der ständischen Funktionen im Idealstaat auch eine Wertabstufung der Völker nach ihrem ή&ος korrespondiert, welche sich gleichermaßen auf den erkenntnistheoretischen Vorrang des Хоуштисои gegenüber dem ϋυμοεώες und zumal dem έπι&υμητικόν gründet. Wie wir sahen, tritt für die Begründung dieser Unterschiede im Bereich der Völker die Klimatheorie ein 4 5 . Piaton hat allerdings diese Analogie zwischen Seele/Staat und Völkerwelt deutlich begrenzt; denn auf der Völkerebene sind bei ihm die « Vgl. Politeia 581aff. 44 Andreas Graeser, Probleme der platonischen Seelenteilungslehre, München 1969 (= Zetemata 47), 21ff. 45 Zur unterschiedlichen Determination der Menschen φύσει ist auch der Mythos zur vergleichen vom Gott, der den einen Gold, den anderen Silber oder Eisen beimischte (Politeia 415).
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Teile nicht auch, wie in der Seele und im Staat, zu einer Einheit zusammengefaßt, in welcher sich erst der Sinn dieser Funktionsteilung offenbart als Einklang der widerstrebenden Antriebe und der unterschiedlichen Befähigungen unter der Herrschaft des gegenseitige φιλία stiftenden λογιστικοί 46 . Ziel unserer Untersuchung wird es sein aufzuzeigen, wie bei Poseidonios diese kosmopolitische Ausweitungsmöglichkeit realisiert ist. Ihre Voraussetzung liegt in der über die (völker)psychologische Terminologie vermittelten Verbindung von klimatologischem Gedankengut und philosophischer Ethik, wie sie bei Piaton zuerst vorliegt; die Unterschiede zwischen den Völkern, die nach der Klimatheorie φύσβι bestehen und zu erklären sind, werden in dem philosophischen Kontext in eine Rangordnung gebracht, die der ontologisch begründeten Werteskala der Ethik analog ist. Damit ist die Möglichkeit geschaffen, das ethische Prinzip der Uber- und Unterordnung auch auf die Völkerwelt zu übertragen und einen politischen Herrschaftsanspruch klimatheoretisch zu begründen, der über den bloßen Nachweis einer tatsächlichen natürlichen Überlegenheit im Sinne des hippokratischen Autors weit hinausgeht. Der gesunde, zuträgliche Zustand der Seele, dem die δικαιοσύνη im Staat entspricht, beruht also auf Uber- und Unterordnung der einzelnen Seelenteile, bzw. der ihnen entsprechenden Stände, nach Maßgabe ihrer ontologischen Qualifikation. Infolgedessen ist bei Piaton der zunächst quantitativ zu definierende Begriff der gemä-, ßigten, zuträglichen Mitte zwischen extremer Hitze (Trockenheit) und extremer Kälte (Feuchtigkeit), wie ihn das frühe klimatologische Schema anbietet, nicht aufgenommen; er ließe sich allenfalls erschließen, insofern offenbar mit einer natürlichen Disposition zur Gerechtigkeit — zur Gesundheit der Seele — für Griechenland gerechnet wird 47 , welches in dem ebenfalls nur angedeuteten NordSüd-Schema etwa die Mitte einnimmt 48 . Eine explizitere Auslegung, welche die Politisierung des klimatheoretischen Gedankens dann weiterhin begünstigt, erfährt der klimatische Mitte-Begriff allerdings erst in der Verbindung mit der aristotelischen Mesotes-Ethik 49 . Dazu bes. Politeia 4 4 3 c 9 - 4 4 4 und 5 8 9 a 6 - b 6 . Insofern die Vorherrschaft der Phronesis (Tim. 2 4 c 4 f f . ) eine Voraussetzung für die Dikaiosyne ist. « S. oben S. 4 4 . 4 9 Diller, Wanderarzt, 1 1 7 ; zur eingeschränkten Geltung des Mesotes-Begriffes, vgl. unten S. 4 9 f . 47
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с) Aristoteles Heranzuziehen ist die Stelle aus der Politik des Aristoteles (VII, 7,1327 b20—35), in der die Diskussion über die günstigsten Bedingungen für die Einrichtung des besten Staates mit der Frage nach der wünschenswerten φύσις seiner Bürger abgeschlossen wird. Ein Hinweis auf die griechischen Staaten und die gesamte Oikumene soll anschaulich machen, welche natürlichen Unterschiede zwischen Völkern bestehen können. Dabei werden die Bewohner der kalten Regionen, nämlich Europas 5 0 , den Völkern Asiens gegenübergestellt: das Vorherrschen von ΰυμός (Energie des Mutes) impliziert Mangel an διάνοια und τέχνη (Intelligenz und Geschicklichkeit) bei den Europäern, das Vorherrschen von διάνοια und τέχνη dagegen Mangel an ΰνμός bei den Asiaten. Diesem Schema der psychischen Kräfteverteilung korrespondiert ein Schema der politischen Organisationsform: Mut ist mit Freiheit gepaart, Feigheit mit Knechtschaft; Denkvermögen bedeutet Herrschaftsbefähigung nach außen, sein Mangel politische Organisationslosigkeit. Daraus ergibt sich: die Völker des (nördlichen) Europa genießen zwar ein Höchstmaß an Freiheit, sind aber unfähig zu politischer Organisation (άπολίτεντα) und Herrschaft über ihre Nachbarn (άρχειν ού δυνάμενα). Die Völker Asiens haben dagegen eine hervorragende intellektuelle und .technische' Begabung (διανοητικά και τεχνικά την φνχήν), der allerdings ein Mangel an ύυμός korrespondiert, so daß sie von starker Herrschaft geknechtet leben. Die Gegenüberstellung läuft auf eine Betrachtung der Mitte hinaus: weil ϋυμός und διάνοια hier in eine Proportion gesetzt sind, in der das — negative — Höchstmaß des einen das — ebenso negative — Mindestmaß der anderen und stetige Zunahme auf der einen Seite stetige Abnahme auf der anderen impliziert, entsteht eine Mitte, die ihrem Wesen nach ein .Mittleres' (μεσάτης) ist, ihrer Bewertung nach aber einen Höhepunkt (άκρατης) bezeichnet 5 1 ; denn mit der Teilhabe an beiden
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W. L. Newman, The Politics of Aristotle, vol. III p. 363,23: „και introduces
an explanation and limitation of τα έν το'ις φυχροίς τόποις έ'άνη." si EN II 6,1107а6—8: διό κατά μέν την ούσίαν και τον Xoyov τον το τι ην είναι λέγοντα μεσάτης έστιν ή άρετή, κατά δέ τό Άριστον και τό ευ άκρότης. Zu dieser und den folgenden Passagen aus der Nik. Ethik vgl. den Kommentar von F. Dirlmeier und seine Ubersetzung, Berlin 1956. Zum Prinzip der richtigen Mitte: I. Düring, Aristoteles, Heidelberg 1966, 448ff.
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psychischen Anlagen entgeht sie der .wertwidrigen'52 Einseitigkeit der Extreme. Dieser Mittebegriff wird unmittelbar mit dem klimatologischen Schema verknüpft, wie die Überleitung zur Betrachtung Griechenlands zeigt, dem die höchste politische Qualifikation unter den Völkern zugesprochen wird: wie Griechenland geographisch die Mitte zwischen den kalten Teilen Europas und Asien einnimmt, so hat es auch wesensmäßig Anteil an beiden (ώσπβρ ßeoevet. κατά τους τόπους, ούτως άμφοϊν μετέχει . . . ) ; und wie es an ύυμός und διάνοια teilhat, so vereinigt es auch Freiheit mit politischer Ordnung und der Befähigung, über alle zu herrschen 53 . In dieser Politikstelle geht es um die ethische Bewertung der unterschiedlichen psychischen Naturanlagen; das unterstreicht noch einmal die abschließende Zusammenfassung, die das eö Kenpäadai der Griechen nach der Seite des έ'νύυμον und διανοητικόν als beste Voraussetzung für eine gesetzgeberische Förderung und Entwicklung der άρβτή bei den Bürgern herausstellt 54 . Wenn auch der Mesotes-Begriff, wie er in der Nik. Ethik zu einer ersten Definition der ethischen äperaί eingeführt wird 5 5 , für die Beschreibung des hier vorliegenden völkerpsychologischen Schemas unmittelbar zu verwenden war, so läßt er sich für die Interpretation des hier entworfenen Mittels zwischen ΰυμός und διάνοια doch nicht in gleicher Weise einsetzen. Denn nur der άνμός gehört ja dem irrationalen Bereich der Seele an, aus dessen Energien die verschiedenen Charaktertugenden als optimale quantitative Proportion zwischen je einem Zuviel und einem Zuwenig hergeleitet werden. Die dianoetischen Tugenden dagegen sind nicht Terminologie nach H. Schilling, Das Ethos der Mesotes. Eine Studie zur Nikomachischen Ethik des Aristoteles, Tübingen 1 9 3 0 (= Heidelberger Abhandlungen zur Philosophie und ihrer Geschichte, 22) 10 und 2 I f f . 5 3 Dieser Preis Griechenlands wird an eine Bedingung geknüpft: die Vereinigung der griechischen Stämme unter eine politische Herrschaft. Die Bedeutung dieses Zusatzes ist umstritten, vgl. Düring, a.O. 4 7 9 mit Anm. 3 1 5 und 3 9 6 f . mit Anm. 3 4 0 ; s. auch unten S. 51 Anm. 65. Pol. 1327b36—39. s s EN 11,6 1106b36—1107a8. Zwar wird schon hier auf das .maßgebliche' Verhalten des φρόνιμος und die Ubereinstimmung mit dem όρδός λόγος verwiesen, um die Richtigkeit der Mitte, der Mitte над' ήμάς, zu autorisieren, aber das Gewicht liegt vorerst noch auf der Einführung des Mitte-Prinzips überhaupt: äperq als μεσάτης δβ δύο κακιών, της μέν над' ύπερβολήν της δβ κατ έ'λλειψα>. Das wechselseitige Zusammenwirken von φρόνησις und ήύική άρετή wird dann ausführlich im VI. Buch behandelt, vgl. unten S. 50 Anm. 58. 52
4 Schmidt (Hyp. 63)
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quantitativ — als Mitte — definiert 5 6 . In unserem Zusammenhang, in dem nach der politischen dperrj-Befähigung gefragt ist, muß διάνοια, entsprechend der Einteilung EN VI 2 5 7 , zunächst eingeschränkt und als die auf das Handeln ausgerichtete ,abwägende Reflexion' (λογιστικοί') bestimmt werden, von welcher gilt, daß sie der — qualitativ — richtigen Ausrichtung durch die Charaktertugenden bedarf, um zu .sittlicher Einsicht' (φρόνησις) und damit überhaupt ethisch wertvoll zu werden 5 8 . Das ev κβκραούαι kann also erst dann einen Werthöhepunkt darstellen, wenn das günstige Nebeneinander der natürlichen Anlage auch als festes Miteinander der ethischen und dianoetischen Vorzüge im jeweiligen Handeln realisiert wird. Nur gemessen an diesem Zusammenwirken der Charaktertugenden mit denen des Verstandes kann διάνοια auch negative Bedeutung erhalten, sofern sie nämlich isoliert ist. Aristoteles beschreibt diese isolierte διάνοια EN VI,13 als δεινότης 5 9 , als die ambivalente Naturgabe ,intellektueller Gewandtheit' (Dirlmeier), deren ethischer Wert sich allein nach dem Ziel bemißt, auf das sie ausgerichtet ist und für das sie die Mittel ersinnt. Für die Richtigkeit des Zieles sorgen die Charaktervorzüge 60 , und nur in der Einheit mit ihnen kann intellektuelle Gewandtheit als sittliche Einsicht wirksam werden; setzen diese jedoch nicht das oberste Ziel, so äußert sich δεινότης als Gerissenheit (πανουργία)61, als Findigkeit im Dienste eines Handelns, dessen Antriebe statt in der richtigen Mitte im jeweiligen Zuviel oder Zuwenig der irrationalen Seelenkräfte liegen und das darum etwa gierig und unbeherrscht die
56 EN VI Dirlmeier, S. 316 Anm. 40,5. 57
EN VI,2 1139a5—17: ... και ύποκείσύω δύο та Xoyov έχοντα, ev μέν ф ΰεωρούμεν τα τοιαύτα των Ηντων δσων αϊ άρχαΐ μή ένδέχονται άλλως έ'χειν (= τό έπιστημονικόν), ev δέ φ τα ένδεχόμενα (= τό λογιστικόν). s8
Ein Hinweis schon EN VI,2 1139a29—31: τοϋ δέ -πρακτικού кал
διανοητικού
άλήϋεια όμολ&γως έχουσα τγι όρέξει τή όρϋή und 1139a34; VI,5 1140 11-20 erscheint die ethische Tugend der σωφροσύνη als Garant für die Richtigkeit des Urteilsvermögens der Phronesis; in diese Richtung weisen weiter Dirlmeier mit seinem Kommentar S. 458, 131,8 zu VI,9 und die Darstellung der falsch orientierten εύβουλΐα bei einem unbeherrschten, minderwertigen Menschen EN VI,10 1142Ы8—20; EN VI,13 schließlich behandelt diese Relation ausdrücklich; vgl.
1144a36: ώστε φανερόν ότι άδύνατον φρόνιμου είναι μή δντα άγαϋόν, oder die Zusammenfassung 1144b30—32. 59 1144a23—1144Ы; dazu den Kommentar bei Dirlmeier, S. 469f., Anm. 138,4. 60
1144a7: ή μέν yap άρετή τον σκσπόν ποιεί όρϋόν ... « EN VI,13 1144a26f.: αν μέν ούν ό σκοπός ft καλός, έπαινετή έοτιν, έάν δέ φαύλος, πανουργία.
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Lustempfindungen aufsucht und dem Begehren nachgibt, allen Anstrengungen, Schmerzen und Gefahren schwach und feige aus dem Wege geht und mit Unaufrichtigkeit, List und Hinterhältigkeit sein Ziel verfolgt 62 . Mit dieser Interpretation rückt die isolierte διάνοια in die Nähe dessen, was bei Piaton unter dem imϋυμητικόν subsumiert ist und auch in seiner knappen Charakterisierung der Ägypter und Phöniker zum Ausdruck kommt (Leg. 747 b6—d)63: eingebettet in eine allgemeine dveXevüepia und πολνχρηματία schlägt bei ihnen σοφία nur allzu leicht in πανουργία um. Offenkundiger allerdings ist der Anschluß ein Piaton und das vorhandene völkerkundliche Material bei der Charakterisierung der (nördlichen) Völker Europas: sie stehen unter dem Einfluß des in ihrer Natur verwurzelten ΰυμός, der nur im Hinhören auf die abwägende Reflexion seine Hitzigkeit und Übereiltheit ablegen und mit Hilfe der Phronesis zur echten ethischen Arete der Tapferkeit ,kultiviert' werden könnte 64 . Die Chancen für ein solches Ineinanderwirken von ethischem und dianoetischem Potential zugunsten der politischen Arete sind nach der aristotelischen Konstruktion aber nur in Griechenland, der geographischen Mitte zwischen den einseitigen Veranlagungen, gegeben 65 . Mit der ausdrücklichen Ausrichtung der Völkerpsychologie auf ihre politische Relevanz, wie sie grundsätzlich schon durch den Kontext der ,Politik' angezeigt ist, hat sich das Gewicht innerhalb der Klimatologie gegenüber dem hippokratischen Autor entscheidend verlagert: hatte bei ihm die Darlegung der klimatischen Einflüsse auf Länder, Pflanzen, Tiere und Menschen im Vordergrund gestanden und war die politische Bedeutsamkeit dieser unterschiedlichen natürlichen Beeinflussung nur indirekt, aus der Uberschneidung der beiden Einteilungsschemata, zu erschließen gewesen66, so ist bei Aristoteles nun umgekehrt die Klimatheorie selbst nicht entfaltet; sie klingt allenfalls an in der Bezeichnung φνχροί τόποι und in der Aufnahme des Schemas: Extrem — Mitte — Extrem, das hier jedoch nicht mit 62
Die Beispiele, die sich aus EN II—V beliebig ergänzen und differenzieren ließen, sind im Blick auf das völkerkundliche Material ausgewählt. «3 Vgl. oben S. 43. « Zur Charakterisierung des ϋυμός EN 111,3 1116b23ff. und VII,7 1149a24ff.; dazu den Kommentar bei Dirlmeier, S. 343 Anm. 62,2, der die Beziehung zum platonischen ΰνμοβώές erläutert. 6S Diese politische Qualifikation wird ausdrücklich nur als Möglichkeit formuliert; auf jeden Fall wird kein Anspruch daraus abgeleitet. « Vgl. oben S. 41 f.
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der Nord-Süd-Opposition kombiniert ist. Aber auch die Ost-WestGegenüberstellung, die dafür eingetreten ist, könnte noch als ein »Relikt' der Klimatheorie verstanden werden, insofern sie vom hippokratischen Autor, wie wir sahen, in den klimatheoretischen Kontext eingeführt worden ist 6 7 . Diese auffällige Verlagerung und Verkürzung macht jedenfalls ganz deutlich, wie selbstverständlich die Verbindung von Klimaeinflußlehre und Völkerpsychologie einerseits (π. ά. ν. т.) und von Völkerpsychologie und philosophisch-politischer Ethik andererseits (Piaton) inzwischen geworden sein muß, wenn mit der völkerpsychologischen Terminologie allein der Gesamtzusammenhang, wie hier, evoziert werden kann. d) Die allgemeine Entwicklung Nicht überall aber, wo wir in der folgenden Zeit auf Spuren einer Klimalehre stoßen, ist dieser komplexe Zusammenhang im Blick. Vielmehr hat die zunehmende Popularisierung des klimatologischen Gedankens 68 , wie sie sich schon in der verkürzten Aristotelesstelle zeigt, offensichtlich dazu beigetragen, daß die einzelnen Glieder aus diesem Gefüge auch isoliert und den jeweiligen literarischen Ansprüchen oder wissenschaftlichen Fragestellungen entsprechend verwendet werden konnten. So überwiegt etwa in den Problemata physica 69 das Interesse an dem Nachweis eines physiologischen Zusammenhangs zwischen den unterschiedlichen klimatischen κράσεις und den körperlich-seelischen Besonderheiten bei den Völkern, wobei die Unterschiede selbst nur ganz grob typisiert werden. Dagegen steht die Klimaeinflußlehre, wo sie in der hellenistischen Ethnogra67
Auch der Zusatz, daß unter den griechischen Stämmen Unterschiede festzustellen sind, die denen zwischen den Völkern der Oikumene entsprechen, läßt sich wohl der Klimatheorie zuordnen, weil hier zum Ausdruck gebracht wird, daß die Mitte ihrerseits derselben differenzierenden Gesetzmäßigkeit unterliegt wie die gesamte Oikumene, daß sich die Unterschiede also (der Krasis-Vorstellung entsprechend) graduell vollziehen und erst zu den Extremen hin als Gegensätze fixierbar werden. Eine Infragestellung des griechischen Primats im Ganzen, wie Gigon sie in diesem Zusatz sieht, ist m.E. hier also gerade nicht „spürbar"; vgl. Aristoteles, Politik, übersetzt und hrsg. v. O. Gigon, Zürich, München 2 1971, zur Stelle 68 Trüdinger, Studien, 51 ff.; Norden, Germanische Urgeschichte, 61 f.; Dihle, Zur hellenistischen Ethnographie, 208f. 69 Problemata physica, XIV; dazu den Kommentar von Hellmut Flashar in der von ihm übersetzten Ausgabe (Aristoteles Werke, in deutscher Übersetzung hrsg. v. Ernst Grumach) Bd. XIX, S. 560ff.
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phie oder in ethnographischen Partien der Geschichtswerke erscheint, im Dienst der Erfassung und Beschreibung einzelner Länder und der Lebensbedingungen, die sie bieten 7 0 . Die thematische Beschränkung auf einen jeweils begrenzten geographischen Bereich der Oikumene mag dazu beitragen, daß hier das Phänomen der klimatischen Beeinflussung selbst — auch wenn Vergleiche wie zwischen Indien und Ägypten/Äthiopien angestellt werden — nicht grundsätzlich reflektiert und dem beschriebenen komplexen Schema entsprechend systematisiert wird und daher auch die Abstufungen unter den Völkern nach dem Bewertungsmaßstab, wie er sich aus der Kombination von Klimaeinflußlehre, Völkerpsychologie und philosophischpolitischer Ethik ergab, unterbleiben 71 . Allerdings kann ohne den Zwang einer Einordnung der einzelnen Beobachtungen in das vorgegebene Schema nun auch jedes Volk als Repräsentant eines beliebigen Vorzugs dargestellt werden, wie die verschiedenen moralphilosophisch inspirierten oder gefärbten Völkerbeschreibungen bezeugen 7 2 . — Schließlich ist die Vorstellung von der besonderen Auszeichnung einer Stadt oder eines Landes durch bevorzugte klimatische Bedingungen für entsprechende Enkomien ausgenutzt worden, ohne daß deswegen auch eine detaillierte Klimaeinflußlehre und zumal die spezifische Mitte-Vorstellung der philosophisch-politisch interpretierten Klimatheorie, die grundsätzlich die gesamte Oikumene in den Blick faßt, präsent sein müßten 73 . 70
Hier sind vor allem Abschnitte aus den Indiendarstellungen zu nennen: Nearch, FGrHist Nr. 133, F 18 (= Strab. XV 1,18); Aristobul, FGrHist Nr. 139, F 35 (= Strab. XV 1 , 1 7 - 1 9 ) ; Onesikritos, FGrHist Nr. 134, F 22 (= Strab. XV 1,22); Megasthenes, FGrHist Nr. 715, F 4 (36) (= Diodor II 36); ebenso Nearchs Passus über die klimatische Dreiteilung Persiens (F 1,40,2—4); weiter Polybios über Arkadien IV 21. 71 Besonders deutlich bei Agatharchides (Diodor 111,33,7—34), der die klimatischen Bedingungen der Skythen im Norden und der Troglodyten im Süden einander gegenüberstellt mit einer ganz anders gerichteten Pointe, als sie von der Klimatheorie her naheläge. 72 Hier ist die .Unvoreingenommenheit' des Agatharchides (vgl. Dihle, Zur hellenistischen Ethnographie, 214ff.) bei seiner Beschreibung der südlichen Randvölker der Oikumene besonders hervorzuheben (GGM 1,111—195); aber auch der Preis Indiens bei Megasthenes F 4 (bes. Diodor II 35,3—36; 38,2) und Ephoros' Notiz über die Skythen (FGrHist Nr. 70, F 158,4) sind zu vergleichen. Zum Komplex der Völkeridealisierung: Trüdinger, Studien, 133ff., bes. 139ff. 73 Isokrates, Busiris 11—15: über Ägypten, das sich, dank der besonderen Eigenschaften des Nil, klimatisch zwischen Regenfällen und Trockenheit hält;
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3. Poseidonios und die skizzierte
Tradition
Im Gegensatz zu dem Niederschlag, den diese aus einer komplexen und verbindlichen Systematik herausgelöste und entsprechend popularisierte Klimaeinflußidee im hellenistischen Schrifttum gefunden hat, knüpfte Poseidonios mit seiner klimatheoretischen Konzeption offenbar wieder an die physiologisch-philosophische Tradition des Gedankens an. Das geht zunächst schon aus dem bei Galen überlieferten Stück hervor 7 4 . Wenn auch hier das Problem der πα&ητικαι κινήσεις im Vordergrund steht und der Gedankengang eher beiläufig klimatologisch ausgeweitet erscheint, so repräsentiert doch in diesem Kontext bereits der Hinweis auf eine Abhängigkeit der unterschiedlichen körperlichen und psychischen Konstitutionen von den jeweils wirksamen klimatischen Mischungsverhältnissen die Perspektive der philosophischen Ethik, wie sie für die aufgezeigte klimatologische Tradition charakteristisch ist; auch wo, wie hier, auf jede geographische Systematisierung verzichtet ist, weist sie sich durch eine Terminologie aus, die in gleicher Weise für Völkerpsychologisches und Ethisches zuständig ist 7 5 . Differenzierter läßt sich das Verhältnis des Poseidonios zu dieser klimatologischen Tradition allerdings aus dem ausführlichen Exkurs bestimmen, den Vitruv der Darstellung der Klimalehre gewidmet h a t 7 6 . Wie bei Aristoteles ΰυμός und διάνοια die einseitige Veranlagung der Bewohner in den Extrembereichen charakterisierten 77 , so sind bei Vitruv fortitudo und cogitatio 7 8 einander gegenübergestellt und in ihrer gegenseitigen Ergänzungs- und Modifizierungsbedie besondere Begünstigung wird hier also nicht primär klimatheoretisch begründet. — Isokrates, Areopag. 74: Laudes Atticae mit völkerpsychologischer Terminologie, aber ohne Hinweis oder Rückgriff auf die klimatheoretisch wichtige Mitte-Plazierung. — Zu den Ehkomien vgl. die wichtige Beobachtung bei Diller, Wanderarzt, 84ff. Anm. 131. 74 F 102 (= F 169 Ed.-Kidd); s. oben S. 18. 75 Vgl. oben S. 46f. 7« F 121; dazu oben S. 26ff. 77 Oben S. 48. τ» Die Beschreibung der cogitatio als .infinita sollertia' (Vitruv VI 1,10) kann unsere Interpretation der isolierten διάνοια bei Aristoteles als δεινότης wohl stützen (oben S. 50f.). Kenntnis aristotelischer Schriften auch schon vor Andronikos v. Rhodos und seiner Aristoteles-Edition, ist bei rhodischen Gelehrten wegen der von Eudemos v. Rhodos begründeten Aristoteles-Tradition auf Rhodos zumindest nicht aus zuschließen (vgl. Düring, a.O. 35—40).
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dürftigkeit so beschrieben, daß auch bei ihm die höchste Qualifikation in der Mitte zu finden ist, auf deren Darstellung beide Entwürfe letztlich hinauslaufen. Zunächst darf also die völkerpsychologische Charakteristik bei Vitruv/Poseidonios sicher nicht als Ergebnis einer unvoreingenommenen individuellen Beobachtung gewertet werden, sondern sie ist als Ausfluß einer Systematik zu verstehen, die sich unter ganz bestimmten, teils medizinischen, teils politisch aktuellen Fragestellungen mit dem Ziel herausgebildet hat, die Unterschiede zwischen den Völkern zu erklären, und die dann, wie wir sahen, zunehmend zum Vermittler eines philosophisch-politischen Interesses geworden ist. Bei Poseidonios ist nun allerdings nicht nur die Mitte-Konstruktion aufgenommen, mit der Aristoteles die Klimaeinflußlehre auf das im Kontext der Politik interessierende Problem der besten natürlichen dperij-Befähigung zugeschnitten und verkürzt hat, sondern Vitruvs Exzerpt zeigt deutlich, daß Poseidonios darüber hinaus auch an die physiologisch explizite Tradition, wie sie der hippokratische Autor repräsentiert, anknüpft mit dem Versuch, den elementaren Einflußweg von der Krasis des Klimas über die körperliche Konstitution bis in die psychische Veranlagung hinein nachzuzeichnen und verständlich zu machen. Für das, was wir zunächst den horizontalen Aspekt poseidonischer Forschung genannt haben, — die Gesamtheit der Erscheinungen προς τα άνΰρώπειχι19 —, liefert diese hippokratische Komponente der Tradition den aitiologischen Ansatzpunkt, dessen grundsätzliche Bindung an die Deskription gerade auch Spielraum für stoffliche Ausweitung gewährt. In einem Punkt jedoch unterscheidet sich die klimatheoretische Systematik des Poseidonios, wie sie bei Vitruv vorliegt, erheblich von den früheren Darstellungen oder Verarbeitungen der Klimaeinflußlehre: er bedient sich hier nicht der vertrauten Namen der Völkerund Länderkunde oder der üblichen Erdteilbezeichnungen, um die extremen Bereiche geographisch zu fixieren, sondern er nimmt eine Lagebestimmung vor, die konsequent am Lauf der Sonne, ihrem Einfallswinkel auf der Erde und ihrer Intensität, orientiert ist. Von der Betrachtung der Klimaeinflußlehre herkommend stoßen wir hier noch einmal auf die für Poseidonios charakteristische methodische Verflechtung der beiden Aspekte προς τα ουράνια und προς τα άνϋρώπβυα, in welcher die bis dahin weitgehend getrennt voneinander verlaufenden Überlieferungsströme der astronomisch-mathew Oben S. 25f.
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matischen Geographie und der medizinisch-physiologischen Klimaeinflußlehre mit ihrer philosophisch-politischen Zuspitzung aufgehoben sind 8 0 . Erst in dieser Kombination wird das Schema Extrem — Mitte — Extrem ein für allemal auf die Nord-Süd-Opposition übertragen und die Klimaeinflußlehre auch im antiken Sinn zur ,Klima'theorie 8 1 . Bei Vitruv ist diese strenge Ortsbestimmung nach geographischen .Breiten' allerdings aufgegeben, um die bevorzugte Mitte ausdrücklich nach Italien zu verlegen — ein Bruch, den noch ein weiterer Wechsel in der Terminologie begleitet: an den ausführlichen Nachweis einer natürlichen Differenzierung und Determinierung der Völker durch das Klima schließt sich etwas unvermittelt der Hinweis auf die divina mens, deren Autorität erst da bemüht wird, wo es um die Interpretation dieser natürlichen Bedingungen geht und der Herrschaftsanspruch eines Volkes daraus abgeleitet wird. Sollte Poseidonios selbst diese klimatisch erklärte und teleologisch formulierte Vorherrschaft der Römer über die Völker der Oikumene als Konsequenz aus seiner Klimatheorie abgeleitet haben 8 2 , so wäre — nach unserem Rückblick auf die verschiedenen, vergleichbaren politischen Pointierungen — folgende Frage in die weitere Untersuchung aufzunehmen: ist es denkbar, daß Poseidonios den platonischen Überordnungsgedanken 83 mit der aristotelischen Mitte-Konstruktion verbunden hat, insofern hier das Land der Mitte, das den Werthöhepunkt innerhalb der Oikumene repräsentiert, die Verpflichtung zur Führung dessen erhält, was nach der Wertskala schlechter, nach der Seinsskala einseitiger ist? Wie immer diese Frage im Laufe der Untersuchung zu beantworten sein wird, auf keinen Fall dürfen wir das Interesse des Poseidonios an der Klimatheorie auf diese politische Auswertbarkeit verkürzen; vielmehr müssen wir zum Abschluß der bisherigen Untersuchung festhalten, daß Poseidonios mit seiner Klimatheorie ein Koordinatengefüge geschaffen hat, in das alles, was der Kosmos überhaupt in sich begreift, eingeordnet und in Relation zueinander gesetzt werden kann; so hat er auch die unterschiedlichsten Erscheinungsformen auf der Erde einer einheitlichen, kosmischen Aitiologie zugänglich so 81 82 83
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Oben S. 33ff. Vgl. oben S. 24f. Dazu unten S. 79. Oben S. 46f.
gemacht. Und wenn in seiner Klimatheorie mathematisch-geographische Berechnungen und physiologisch-medizinische Erwägungen mit ethisch-philosophischen Vorstellungen und einer ethnographisch-historischen Betrachtungsweise verbunden werden, wenn also die Fragestellungen der verschiedensten Forschungsbereiche bei Poseidonios auf dieses klimatologische System konvergieren, dann haben wir nicht nur die einzelnen Beobachtungen und Ergebnisse seiner Klimaforschung, sondern dieses klimatologische System selbst schon als Ausdruck und Manifestation für den sympathetischen Zusammenhang des Kosmos mit allen seinen Teilen zu verstehen 8 4 . Zum Begriff: F 106 Ed.-Kidd (= Cie. de div. II 3 3 - 3 5 ) . Grundlegend dazu: K. Reinhardt, Kosmos und Sympathie, München 1926.
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III. Die klimatologische Kernstelle aus dem Geschichtswerk des Poseidonios 1. Zur quellenkritischen Geschichtswerk
Bedeutung der Klimatheorie für das
Man könnte die so beschriebene Klimatheorie als ein Scharnier bezeichnen, in welchem beide Teile des poseidonischen Werkes zusammenhängen, der vorwiegend systematische, zu dem die naturwissenschaftlichen und philosophischen Arbeiten zählen, und der im Vergleich dazu eher deskriptive, den das Geschichtswerk mit den zahlreichen ethnographischen Exkursen repräsentiert. Wie mir scheint, läßt sich diese Stellung der Klimatheorie im Gesamtwerk für die Untersuchung der Exkurse und ihrer Funktion im Geschichtswerk unmittelbar nutzbar machen: denn mit Hilfe des systematischen Vorstellungsbereiches, wie ihn die Klimatheorie eröffnet, kann auch bei solchem poseidonischen Material, das in der Sekundärtradition isoliert oder flüchtig und unspezifisch notiert wurde, die ursprüngliche Zugehörigkeit zu diesem charakteristischen Kontext häufig noch erkannt werden, selbst dann, wenn der eigentümliche Stempel poseidonischer Sprache und poseidonischen Stils in dieser Brechung schließlich verloren gegangen ist. Auf der anderen Seite muß sich an diesem Kontext auch messen lassen, was an anonymem Material für Poseidonios in Anspruch genommen oder an bekanntem für die Rekonstruktion benützt werden soll, und standhalten, wenn es auf seine Stimmigkeit mit dem kosmologischen System hin geprüft wird. So liefert die Klimatheorie des Poseidonios für die quellenkritische Untersuchung insbesondere der ethnographischen Partien den geeigneten Schlüssel, der neues poseidonisches Gut auftun und Möglichkeiten zu seiner Interpretation erschließen kann und doch zugleich den Weg versperrt für eine schnell etikettierende und beliebige Addition disparater Stücke, ohne Rücksicht auf den systematischen Zusammenhang ihrer Herkunft. Da Poseidonios in dem Buch über den Ozean die Klimatheorie in ihrem kosmologischen Bezugssystem entwickelt, steht hier auch bei dem völkerkundlichen und geographischen Material, das er verwen58
det, das systematische Interesse im Vordergrund. In den ethnographischen Exkursen der Historien, die sich stofflich vielfach mit irepi ώκεανοϋ überschneiden 1 , wird dieses vielfältige Material dagegen in anschaulicher Breite zunächst um seiner selbst willen 2 entfaltet. Wir werden in diesem Kontext also in der Regel auf indirekte Spuren der Klimatheorie stoßen und mit solchen Details zu rechnen haben, die — zusammengenommen — ein lebendiges Bild ergeben, die sich aber darüber hinaus auch noch jedes für sich von den Implikationen der Klimatheorie her als ,nennenswert' erklären lassen müßten. In dieser zusätzlichen Einordnungsmöglichkeit unterscheidet sich wohl auch poseidonisches Gut aus den Ethnographien von dem der jeweils konkurrierenden Autoren, die ja auch Gedanken aus der Klimaeinflußlehre in ihre Völkerbeschreibung aufgenommen haben können 3 . Trotz der grundsätzlichen Differenzierung zwischen dem Ozeanbuch und den Historien ist die Frage der Zugehörigkeit einer Textstelle aus der Sekundärtradition nicht immer eindeutig zu klären, zumal bei Strabon, der in seiner Geographie beide Werke gründlich ausgeschöpft und verarbeitet hat 4 . Sie verliert aber insofern an Gewicht, ids es auf jeden Fall vorrangig darum gehen muß, das ausdrücklich Gemeinte und seine Bedeutungsrichtung scharf zu fassen, ehe die möglichen Implikationen und unausgesprochenen Konsequenzen in die Argumentation mit einbezogen werden können. Wir untersuchen darum ruhig auch eine klimatologisch explizite Strabon-Passage, die im Kontext der ethnographischen Exkurse auffällig und nach dem Gesagten eher untypisch wäre s .
1
Zum Verhältnis von πepi ώκεανού und Historien: Jacoby IIc, 172 zu F 28; Reinhardt, Poseidonios, 64f., 76; ders., RE 627f.; 631; 678. Stoffliche Überschneidung möglich: FF 90 und 116, vgl. Jacoby IIc 202; FF 31 und 28, vgl. Jacoby IIc 179; Arabien bei Diodor II 48—54, vgl. Reinhardt, Poseidonios, 127ff. 2 Diese Aussage wird man wohl nur vom Gesamtzusammenhang des Geschichtswerks her einschränken und differenzieren können, vgl. unten S. 103f. 3 Oben S. 52f. 4 Vgl. dazu die kontroverse Frage, ob Strabon neben dem Ozeanbuch auch die Historien benutzt habe, die Honigmann, RE „Strabon", 99 verneint, Jacoby IIc 1 79 zu F 31 überzeugend bejaht; vgl. auch Reinhardt, RE 663. 5 Dazu unten S. 72f.
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2. Zu Strab. VI 4,1 p. 285/86 über Italien a) Textanalyse Strabon hat nach einer einleitenden Bemerkung über Name, Größe und Gestalt der Apeninnenhalbinsel im Ganzen in den Büchern V und VI seiner Geographie die einzelnen Landschaften Italiens der Reihe nach von Norden nach Süden beschrieben und beschließt diesen Abschnitt seines Werkes mit einer Gesamtbetrachtung Italiens (VI 4,1 p. 285/6) und einem Überblick über die römische Geschichte von den Anfängen bis auf Tiberius (VI 4,2 p. 2 8 6 - 8 8 ) . Zur Einleitung des Italienkapitels, dem unser Interesse hier gilt, formuliert Strabon die Aufgabe, die er sich mit dieser Schlußbetrachtung gestellt hat: es sollen nun die wichtigsten Bedingungen für den Aufstieg der Römer in ihre so überragende Position genannt werden 6 . Unter dieser Fragestellung führt Strabon zunächst drei Umstände an, die er in einem straffen Punkt für Punkt aneinanderreiht: die inselähnliche Lage Italiens, das günstige Verhältnis von Größe und Anzahl seiner Häfen und die klimatisch bedingte Vielfalt des Landes im Blick auf Fauna, Flora und die lebensnotwendigen Güter. Während er für die beiden ersten Punkte jeweils mit einem einzigen Satzgefüge auskommt, hat sich der 3. Gedanke offensichtlich einer entsprechend knappen Behandlung widersetzt und zusätzliche Ausführungen herausgefordert, in denen der zunächst so klar markierte Gliederungsfaden verloren geht; die logische Zuordnung jedes angeführten Details zu dem Punkt drei wird jedenfalls von Strabon weder eindeutig festgestellt noch irgendwie erläutert. Erst mit dem Schlußsatz 7 nimmt Strabon die ihm entgleitende Gedankenführung wieder auf und nennt die Mittellage Italiens zwischen den größten Völkern der Oikumene als weitere günstige Bedingung für den Aufstieg der Römer, ein Argument, an Hand dessen er die vernachlässigte thematische Einheit des Kapitels zum Abschluß noch kenntlich zu machen versucht. Aus dieser vierfachen Begründung für den römischen Machtzuwachs scheint der 3. Punkt also wegen seiner Ausführlichkeit und der Unklarheiten in seiner Gliederung herauszufallen. Dieser Eindruck ver6
...τα μέγιστα νυν έπισημανούμεΰα, νψ' ών βίς τοσούτον ϋφος έξήρ&ησαν 'Ρωμαίοι. 7 Έν μέσω δε »cat των έϋνών των μεγίστων ούσα ...
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stärkt sich, wenn man die Gesichtspunkte untersucht, unter denen sich die angeführten geographischen Gegebenheiten Italiens mit der übergeordneten politischen Fragestellung verknüpfen lassen. Der Zusammenhang selbst ist, abgesehen von der zusammenfassenden Bemerkung des Schlußsatzes, an keiner Stelle ausdrücklich erklärt — wie Strabon überhaupt auf jegliche Einführung in seine Themastellung und die besondere Art ihrer Beantwortung verzichtet hat. Dem ersten Punkt, der die Meere und den Alpenriegel im Blick auf den Schutz anführt, den sie Italien ringsum gewähren, liegt eine militärisch-strategische Überlegung zugrunde, die im 2. Punkt weiter spezifiziert wird: Italiens relative Hafenlosigkeit schützt vor Angriffen von außen, zumal die beachtliche Größe der wenigen vorhandenen Häfen die eigenen militärischen Operationen besonders begünstigt. Die gedankliche Einheit der ersten beiden Punkte wird nur durch den Hinweis auf die friedliche Nutzungsmöglichkeit der großen Häfen für den Handelsverkehr leicht gestört, wiewohl sich auch dieser Gesichtspunkt sinnvoll mit dem vorhergehenden verknüpfen läßt. Mit dem 3. Punkt setzt dagegen eine Betrachtungsweise ein, welche die örtlichen Gegebenheiten nicht mehr nur nach ihrem Wert — und zwar vornehmlich dem strategischen Wert — bemißt, sondern die in erster Linie darauf zielt, einen geographischen Befund, hier den natürlichen Reichtum Italiens, in seinen Ursachen zu erklären. Denn wenn das Thema unter Punkt drei auf derselben Ebene diskutiert würde wie bisher, müßte „die größte Wandlungsbreite zum Besseren wie zum Schlechteren hin bei Tieren, Pflanzen und überhaupt allem, was zum Leben notwendig ist" als die materielle Grundlage der römischen Machtentfaltung vorab genannt sein; stattdessen faßt die Argumentation die Ursache für diese Wandlungsbreite zuerst in den Blick und setzt auf diese Weise „die vielen klimatischen Verschiedenheiten, denen Italien unterworfen ist", mit dem politischen Aufstieg der Römer direkt in Beziehung. Diese Gewichtverteilung macht das, was Strabon hier in syntaktischer Analogie zu Punkt 1 und 2 in einen Satz gedrängt formuliert hat, zu einer These, deren Erläuterungsbedürftigkeit Strabon selbst spürt. Seine Erklärung besteht zunächst aus drei Teilen: der erste betont die lange Nord-Süd-Ausdehnung Italiens, zu der noch die nicht unbeträchtliche Länge Siziliens hinzuzurechnen sei (έκτέταται bis μέρος). Der zweite belehrt darüber, daß sich gute und schlechte Klimaverhältnisse nach Kälte und Hitze sowie deren Zwischenstufen bestimmen lassen (βύκραοϊα bis μεταξύ τούτων). Im dritten Teil der Erklärung 61
wird versucht, aus der Kombination der geographischen mit der klimatheoretischen Information eine Schlußfolgerung zu ziehen (ώστβ έκ τούτων άι>άΎκη), zu deren Evidenz allerdings noch vorausgeschickt wird, daß Italien in der Mitte zwischen dem Extrem der Kälte und dem der Hitze liegt 8 . Erst dann wird verständlich, was gemeint ist: in die klimatische Abstufung von äußerster Kälte (im Norden) bis zur äußersten Hitze (im Süden) ist das „heutige" Italien mit seiner langen Nord-Süd-Ausdehnung so glücklich hineinplaziert, daß es den größtmöglichen Anteil an dem εύ'κρατος-Βεreich der Oikumene mit seinen vielfältigen Differenzierungen h a t 9 , ohne doch den extremen Bedingungen im Norden und Süden zu nahe zu kommen. Die nun folgende orographische Beschreibung ist ganz darauf zugeschnitten, die geographische Situation Italiens in ihrer Konsequenz zu charakterisieren: da sich der Apennin über die ganze Länge des Landes hinzieht, zu beiden Seiten aber noch fruchtbaren Ebenen und anbaufähigen Hügeln Raum läßt, kommt jeder Teil Italiens in den Genuß von Gütern aus dem Gebirge und dem flachen Land 1 0 . A u s d e r Ü b e r l e i t u n g (τούτο be και άλλως
συμβέβηκεν
αύτχι),
die
diesen Gedanken mit den vorangegangenen Erläuterungen zu Punkt 3 syntaktisch unmittelbar verknüpft, kann für den Zusammenhang zunächst folgendes entnommen werden: Für Italien hat sich das Teilhaben an den vielfältigsten Differenzierungen des Eukratos-Bereichs (τούτο), — welches es seiner langen Nord-Süd-Ausdehnung verdankt —, zusätzlich noch auf andere Weise (και Άλλως) ergeben, nämlich durch die Differenzierung nach geographischen Höhenunterschieden, die jeder einzelne quer zu der Längsachse abgeteilte landschaftliche Streifen durch das Nebeneinander von Gebirge, Hügel und Ebene aufzuweisen hat. Mit der Aufforderung an den Leser (και προστn?ei), innerhalb des angeschlagenen Themas auch noch die Größe und Vielzahl von Flüssen und Seen, sowie die zahlreichen warmen und kalten Heilquellen und den Reichtum an jederlei Metall in Rechnung zu stellen, ist Strabon schließlich in einen einfachen Aufzählungsstil ver8
... έν μέσω των υπερβολών άμφοτέρών κειμένη ν ... πλείστον της εύκρατου μετέχειν bezeichnet die Spanne zwischen Nord und Süd, Kai κατά πλεϊοτας ιδέας die zahlreichen klimatischen Stufungen, die dazwischen liegen und die Erzeugnisse differenzieren. 10 Eine vergleichbar zugespitzte Beschreibung findet sich Strab. IV,1,14 p. 188/9: über das gallische Flußsystem; vgl. dazu unten S. 80ff. 9
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fallen, der nur durch den Zusatz, daß die Quellgewässer von der Natur für die Gesundheit allenthalben bereitgestellt wurden, leicht unterbrochen wird. Als Schlußglied in dieser Addition werden die Holzvorräte genannt und die Nahrungsmittel für Mensch und Vieh, auf deren Spezifizierung Strabon mit dem Vorwand verzichtet, daß ihre Fülle (άφΰονία) und ihre Qualität (χρηστοκαρπία) sich jeder adäquaten Beschreibung entzögen 11 . Der strabonische 3. Punkt läuft also aus in eine Reihe von Einzelheiten, die alle für die reiche und vielfältige Ausstattung Italiens sprechen; ihre Zusammenstellung bei Strabon läßt jedoch nicht mehr viel spüren von der besonderen Argumentationsweise, mit der die klimatheoretische These in den Kapitelzusammenhang eingeführt worden war. Abschließend werden aus der Mittellage Italiens — und zwar aus seiner Mittelposition „zwischen den größten Völkern einerseits und Griechenland und den besten Teilen Asiens andererseits" zwei Gedanken abgeleitet, von denen jeder noch einen eigenen erklärenden Zusatz erhält: einmal die naturgegebene Qualifikation Italiens zur Vorherrschaft (προς r\yepoviav βύφυώς), weil es die umliegenden Länder „an Bestheit (dperfj) und Größe (ßeyeüei.) übertrifft", zum andern die mit der geringen Entfernung zu den genannten Völkern gegebene Möglichkeit, diese ohne großen Aufwand in Abhängigkeit zu halten. Strabon hat die geographischen Bezugspunkte für die mittlere Position Italiens in der Völkerwelt ungenau bezeichnet. Da aus dem zweiten Gedanken, den er daraus ableitet, deutlich hervorgeht, daß έι> μέσορ hier als gleichmäßige räumliche Distanz zu verstehen ist (τφ έγγΰς eü>ai) und Griechenland und Teile Asiens 12 östlich von Italien genannt werden, scheint mir die Annahme berechtigt, daß mit den „größten Völkern" die Iberer und Kelten im Westen ge-
11 Zu dieser Art des Kürzens sind ähnliche Strabonstellen zu vergleichen, s. unten S. 71; es ist zu fragen, ob Strabon so auf die charakteristische Besonderheit einer bestimmten Vorlage reagiert. 1 2 Welches die .besten Teile Asiens' sind, ist nicht ganz klar. Aus Strabons Überblick über Asien im Ganzen ist hierfür nichts zu entnehmen (II 5 , 3 1 + 3 2 p. 1 2 9 / 3 0 und XI 1 , 1 - 4 p. 4 9 0 / 9 1 ) . Vielleicht könnte aber das allgemeine Mittelmeerkapitel II 5,18 p. 122 herangezogen werden, demzufolge dann der gesamte Küstenbereich gemeint wäre (vgl. auch XVII 3 , 2 4 p. 8 3 9 ) . Lasserre, zur Stelle (S. 2 4 0 n. 2 zu S. 189) schlägt Ägypten und Syrien vor, und zwar wegen ihres politischen Gewichtes.
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meint sind 1 3 , so daß die Mittellage hier auf eine Ost-West-Achse zu beziehen wäre. Auf jeden Fall ist die logische Einheit zwischen dem vorangestellten Phänomen der Mittellage und dem zweiten Gedanken unschwer zu erkennen: aus der Mittellage folgert die Nähe zu den Völkern im Umkreis und daraus die leichte Möglichkeit ihrer Unterwerfung. Strabon ist hier also zum Abschluß seines Kapitels wieder zu der Betrachtung Italiens zurückgekehrt, die ihre Kriterien — wie schon in Punkt eins und zwei — vorwiegend aus militärischen und strategischen Erwägungen gewinnt. Schwieriger wird es aber, den zweiten Gedanken, die Qualifikation Italiens zur Vorherrschaft auf Grund seiner Arete und Größe, mit einer Mittellage, die die räumliche Distanz zu den anderen Völkern beschreibt, in Zusammenhang zu bringen, άρετή und με'γβΦος Italiens sind unter Punkt drei bei Strabon nicht nur beschrieben, sondern darüber hinaus auch erklärt worden: die βύψυια Italiens erschien dort als Konsequenz einer anders, nämlich im Sinne der Klimatheorie, definierten Mittellage zwischen den Extremen der Kälte und der Hitze (έν μ ε σ ψ των ύπβρβολών Αμφοτέρων κεψένην . . . ) . Weil sich das Stichwort ,έν μέοορ4 j e nach dem Kontext, in dem es steht, im Sinne des βϋκρατος-Bereichs oder des έγγύς eivai interpretieren läßt, konnte es für Strabon offensichtlich zu einem Scharnier werden, das die topographisch-militärische und die klimatologisch-geographische Betrachtungsweise seines Italienkapitels terminologisch miteinander verbindet 1 4 . So wird verständlich, daß er unter dem Hinweis auf die έν μ^σω-Position Italiens nicht nur den militärischen Aspekt aus Punkt eins und zwei aufgenommen und abgerundet hat, sondern auch für Punkt drei eine Schlußfolgerung versucht, in welcher der aitiologische Zusammenhang zwischen den klimatisch bedingten, vorzüglichen Gegebenheiten Italiens und dem politischen Aufstieg der Römer immerhin ausdrücklich vermerkt und damit die politische Ausrichtung auch für die klimatologische Betrachtungsweise erwiesen wird (гф μέν κρατιστ€ύ€ΐρ έν Aperfi те και ßeyeüei . . . προς r)yβμονΐαν βύφυώς έ χ ε ι . . . ) . b) Zur poseidonischen Herkunft der klimatologischen Argumentation Nach dieser Analyse des abschließenden und zusammenfassenden Satzes scheint mir die Vermutung bestätigt, daß Strabon sein Material Vgl. Lasserre, a.O. Die undeutliche Angabe der geographischen Relation für das έν μέσω im Schlußsatz wäre also vielleicht aus dem Bestreben zu erklären, den Begriff nach beiden Seiten hin möglichst offen zu halten. 13
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für dieses Schlußkapitel aus Vorlagen entnimmt, die auf ganz verschiedenen Argumentationsebenen die im Thema aufgeworfene politischhistorische Frage angehen. Während in Punkt eins, zwei und vier 15 der Aufstieg vorwiegend als militärische Entfaltung mit dem Ziel der Herrschaftsausbreitung und -erhaltung verstanden wird, ist er in Punkt drei in seiner Abhängigkeit von der wirtschaftlichen und zivilisatorischen Entwicklung zum Wohlstand im Lande selbst gesehen. Dabei werden die in Punkt eins, zwei, vier aufgeführten topographischen Gegebenheiten selbst nicht mehr hinterfragt, sondern lediglich auf ihre Zweckmäßigkeit hin befragt, wobei an Bewohner gedacht ist, die sich in Auseinandersetzung und Wettstreit mit anderen Völkern befinden. Demgegenüber geht die erklärende Darstellung in Punkt drei auf die Ursachen für die ungewöhnliche Vielfalt und den natürlichen Reichtum Italiens zurück und gliedert diesen außerordentlichen Befund in das grundsätzlich die gesamte Welt umspannende klimatologische System ein. Punkt drei konstatiert also eine Vorzugstellung Italiens, die nun nicht mehr mutatis mutandis auch andernorts vorstellbar wäre — wie es bei den in Punkt eins, zwei, vier genannten Vorzügen wohl der Fall ist —, sondern die unabhängig von jeder militärischen Durchsetzung oder politischen Verwirklichung grundsätzlich gegeben ist auf Grund einer die gesamte Oikumene in gleicher Weise determinierenden kosmischen Konstellation. Wenn schließlich diese kosmische Bevorzugung Italiens teleologisch verstanden und tatsächlich eine besondere Disposition zur politischen Hegemonie daraus abgeleitet wird, so tritt bei dieser Betrachtungsweise der Gedanke an ein besonderes Verdienst der Römer an ihrem politischen Aufstieg ganz zurück, der in Punkt eins, zwei und vier insofern präsent ist, als dort die Vormachtstellung in aktiver Ausnützung der topographischen Zweckmäßigkeiten erkämpft werden mußte; stattdessen wird hier einzig auf den Grund verwiesen, aus dem die Römer letztlich wurden, was sie sind. Damit stellt sich die Frage nach der Herkunft dieses so unterschiedlich orientierten Materials, das Strabon zwar unter dasselbe Thema stellen, jedoch nur so mühsam in einen zusammenhängenden Gedankengang ordnen konnte, daß ihm Ökonomie und Duktus der Gliederung darüber zerbrechen und die Zusammenfassung nur über einen schillernden e^eac^-Begriff gelingt. Schon nach den allge15
Gemeint ist mit 4. immer der im Schlußsatz enthaltene Gedanke von der topographischen Mittellage Italiens. 5 Schmidt (Hyp. 63)
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meinen Ergebnissen der Textanalyse scheint es berechtigt, für den dritten Punkt Poseidonios als Vorlage anzusetzen, für dessen Autorschaft sich nun auch noch im einzelnen Gründe aufführen lassen. Eine erste Bestätigung läßt sich aus der etwas umständlichen Darstellung der Längsausdehnung Italiens gewinnen, zu der die Länge Siziliens — τοσαύτη ούσα — ausdrücklich hinzugerechnet wird. Aus Strabons Sizilienkapiteln wissen wir, daß Poseidonios (F 63, 249 Ed.-Kidd) die Lage Siziliens ,klimatologisch' bestimmte, wobei er sich die längste Ausdehnung Siziliens zwischen dem Kap Pelorias und dem Kap Lilybäum (vgl. F 62) fälschlich in Nord-Süd-Richtung verlaufend vorgestellt hat. Zwar wurde, wie aus Strabons einleitender Lagebeschreibung Siziliens hervorgeht, auch von anderen Autoren 1 6 die längste Seite der Insel verschoben und das Kap Lilybäum um 45 Grad nach Südwesten verlegt, wodurch in Sizilien schon so etwas wie eine Verlängerung Italiens gesehen werden könnte. Aber erst die für Poseidonios ausdrücklich bezeugte weitere Verschiebung des Kap Lilybäum um abermals 45 Grad ganz nach Süden führt zu der Verlängerung in Nord-Süd-Richtung, um die es in der klimatologischen Gesamtbetrachtung Italiens geht. Wieweit ein Interesse an der den ganzen Eukratos-Bereich durchlaufenden Länge Italiens diesen ,bemerkenswerten' Irrtum begünstigt h a t 1 7 , läßt sich wohl kaum entscheiden; um so nachdrücklicher aber ist festzuhalten, daß diese Fehlorientierung eine stützende Funktion in der Beweisführung für die klimatische Bevorzugung Italiens erfüllt und nur sie den Zusatz τοσαύτη ούσα mit seinen klimatologischen Implikationen voll rechtfertigen kann. In diesem Zusammenhang möchte ich eine auf Poseidonios deutende Strabon-Steile jedenfalls anführen, in der die Zugehörigkeit Siziliens zu Italien ganz entsprechend dem ηροσΰήκη ... κα&άπερ μέρος in unserem Italienkapitel betont wird (Strab. VI 2,7 p. 273): ώσανεί yap μέρος τι της Ιταλίας έστιν ή νήσος ... Wieviel Gewicht auch hier auf dem Teil-Sein liegt, zeigt die grundsätzliche Vergleichbarkeit mit den anderen italischen Landschaften, das Herausstreichen der räumlichen Nähe und der Leichtigkeit der Handelstransporte, schließlich Siziliens besondere Funktion als ταμεϊον της 'Ρώμης. Sollte sich also die Autorschaft 16
Vgl. Lasserre zur Stelle (S. 150 η. 1). Jacoby IIc 195 zu F 62—64: „Die falsche Orientierung ist sehr bemerkenswert." Lasserre (S. 151 n. 3) vermutet, daß Poseidonios über astronomische Daten nur für Kap Pelorias und Kap Pachynos verfügte und sich darum geirrt habe. 17
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des Poseidonios für den klimatologischen Teil des Italienkapitels durch weitere Argumente bestätigen lassen, so wäre zugleich für diese Passage über die Vorzüglichkeit Siziliens 18 , die im übrigen durch ein angefügtes Poseidonios-Zitat (F 64 = F 250 Ed.-Kidd) begrenzt wird 19 , ein wichtiges Poseidonios-Kriterium gesichert. Neben diesem geographischen Indiz spricht nun vor allem die Entfaltung der Klimatheorie selbst für Poseidonios, genauer gesagt das im dritten Punkt dieses Italienkapitels vorliegende Verständnis des et/fcparoc-Begriffes und seine Verwendung. Unsere Darstellung der poseidonischen Klimatheorie, soweit sie aus Strabons Referat von περί ώκεανοΰ (F 28 = F 49 Ed.-Kidd) herauskristallisiert werden konnte, hat gezeigt, daß sich das Charakteristische der poseidonischen Klimalehre in der Absetzung von dem eu/cparoc-Begriff fassen läßt, der in der Diskussion um die Fünf-Zonen-Einteilung üblich war und auch von Strabon übernommen worden ist 20 . Während bei Strabon die Oikumene insgesamt als εύκρατος-Zone abgegrenzt wird gegen die Zonen, die wegen Kälte oder Hitze unbewohnbar sind, interessieren Poseidonios die Unterschiede und vielfältigen Differenzierungen innerhalb der Oikumene selbst sowie die Möglichkeit, sie zu beobachten und zu erklären. Dieses Ziel der poseidonischen Klimatheorie hat Strabon selbst mit aller Deutlichkeit bezeichnet (F 28 § 21: . . . παραλληλοις тш1 τω ίσημερίνω, δι ών ёμέλλον έ£αλλά£εις δείκνυσϋαι ξφων те και φυτών και άέρων21, των μέν τη κατεψυγμένη συναπτόντων, των δε τχι διακεκανμέν-η . . . ) und dabei auch die Vorstellung einer allmählichen Abstufung von einer Mitte aus zu den äußersten Bedingungen der Kälte oder Hitze mit angedeutet. Im Zusammenhang der poseidonischen Klimalehre wäre unter εύκρατος darum ein relativ bevorzugter, in seinen Übergängen 1 8 Vgl. dazu auch unten S. 71. Die sprachlichen Kriterien, die Lasserre für seine Poseidonios-Zuweisung anführt, können eine Bestätigung von der inhaltlichen Seite her durchaus vertragen! 1 9 Solche Zusätze, in denen Strabon seinen Gewährsmann nur für eine Einzelheit zitiert, obwohl er in ungleich größerem Maße aus ihm schöpft, sind häufig. Im Blick auf Poseidonios können als charakteristische Beispiele die gallische Ethnographie (IV 4,2—5 p. 1 9 5 — 9 8 ) und die Turdetanien-Beschreibung (III 2 , 1 - 9 p. 1 4 1 - 1 4 7 ) gelten.
Ich verweise hier auf die ausführlichere Darstellung oben S. 22. Mir scheint, daß Strabon hier, wie auch sonst wohl (vgl. unten S. 70), ein logisches Abhängigkeitsverhältnis in seinem Referat in eine bloße Parataxe aufgelöst hat; sonst müßte die Luft, d.h. das Klima im heutigen Sinn, hier jedenfalls vorrangig behandelt sein. 20 21
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nach Norden und Süden jedoch schwer abzugrenzender Teilbereich der Oikumene zwischen ihren Extremen zu verstehen, in welchem die klimatischen Mischungsverhältnisse im Vergleich zu der Situation an den Rändern günstig und vielfältig variiert sind; denn wie die Vorherrschaft eines Krasiselementes zur Mitte hin langsam abnimmt und dadurch die Einseitigkeit überwunden wird, so bringt das Anwachsen der Krasiskomponenten und ihre Ausgewogenheit in Richtung auf die Mitte auch eine zunehmende Vielfalt der Erscheinungen mit sich. Von diesem Eukratos-Begriff aus wird die klimatologische Argumentation im dritten Punkt bis in die einzelnen Formulierungen hinein verständlich: Dank seiner mittleren Position zwischen den Extremen im allgemeinen und seiner ungewöhnlichen Nord-Süd-Ausdehnung im besonderen weist Italien sämtliche klimatischen Abstufungen auf, die in dem mittleren Bereich der Oikumene überhaupt möglich sind (πολλαϊς ύποηεπτωκέναί διαφοραϊς άερων22 .../··· πλείστον της ευκράτου μετέχειν). Je nachdem, ob man sich vom Norden oder Süden Italiens einer gedanklich anzusetzenden ,Mitte der Mitte' nähert oder sich in diese Richtungen von ihr entfernt, schlägt die stufenweise Veränderung zum besseren oder schlechteren aus (προς те то βέλτιον και то χείρον)23 — und zwar im Blick auf Lebewesen, Pflanzen und alle Lebensnützlichkeiten, deren große Variationsbreite (πλείστην έξάλλαξιν/κατά πλείστας ιδέας) der weiten Klima-Spanne Italiens im Mittebereich entspricht. Die auffällige Betonung des Poseidonios, daß Italien durch die Position und Ausdehnung Siziliens nach Süden verländert werde, wird also erst im Zusammenhang mit dieser poseidonischen Eukratos-Vorstellung voll verständlich, für die mit einer geographischen Verlängerung in der klimatologisch relevanten Nord-Süd-Ausdehnung ein zusätzliches (hier sogar optimales) Ausschöpfen des klimatischen Mittebereichs und seiner reichen und differenzierten Wachstums- und Lebensmöglichkeiten gegeben ist. Der Versuch, nun auch für den zweiten Teil der Erläuterung, für die kurze Belehrung über die Kriterien klimatischer Eukrasie und 22 Den Zusatz Kai κράσεως möchte ich nicht tautologisch zu άέρων, sondern terminologisch verstehen — als Hinweis auf Poseidonios. Strabon hätte dann mit dem Krasis-Begriff noch den Rest eines Gedankens aus seiner Vorlage bewahrt, in der die Krasisvorstellung als Vermittler zwischen klimatischen Verhältnissen und materiellen Beschaffenheiten fungiert.
Die feinen Differenzierungen des Mittebereiches spiegeln ja die gröberen qualitativen Unterschiede der Oikumene im Ganzen, deren Bedingungen zu den Rändern hin schlechter, d.h. karger und einseitiger werden. 23
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Dyskrasie, ein Poseidonios-Indiz zu gewinnen, führt zu keinem vergleichbar sicheren Ergebnis. Vielmehr spiegelt gerade diese simplifizierende Erklärung wie überhaupt der ganze folgende Satz mit seinen Nachträgen und Wiederaufnahmen besonders deutlich Strabons Bemühen, sein komplexes, ausbreitendes und erklärendes, Material so in den Griff zu bekommen, daß er es, ohne zu ausführlich werden zu müssen, in das Konzept seines eigenen Schlußkapitels einfügen konnte. Doch ist diese Kurzfassung immerhin der ähnlich knappen Ausführung über die Hauptunterschiede der klimatischen Mischungsverhältnisse in Strabons eigener Zusammenfassung zur Fünf-Zonen-Diskussion vergleichbar, die er in sein langes Poseidoniosreferat (F 28) eingeschoben hat (II 3,1 p. 96 = F 28 § 5 = F 49, 62ff. Ed.-Kidd): της τούτον [ s c . τού περιέχοντος] τρ€ΐς
κράσεως
βίσιν αί ηενικώταται
και φυτών
συστάσεις
...
προς
τον ήλων
και συντείνουσαι υπερβολή
ύάλπους
κρινομένης
πρός
те τάς
και ελλειφις
δωφοράί των και
ζώων μεσάτης.
Für unsere Frage liegt die Vergleichbarkeit der beiden Kurzerläuterungen darin, daß Strabon jeweils in einem Poseidonios-Referat zu einer solchen klimatologischen Grundsatzbemerkung veranlaßt wird und dabei einen Modus der Verkürzung gefunden hat, der den komplizierten Wirkungszusammenhang zwischen Klimaeinfluß und Wachstumsdifferenzierung — um den es in beiden Stellen ja ausdrücklich geht — keineswegs erklärt, sondern nur die erste wichtige Voraussetzung für eine solche Erklärungsmöglichkeit benennt 24 . Während sich also die klimatologische These in Strabons drittem Punkt mit ihren Zusätzen dem Inhalt nach für Poseidonios sichern läßt, liefern die folgenden Sätze, in denen das Phänomen der italischen έ£άλλα£ις im Blick auf alle Lebensnützlichkeiten vorgestellt wird, zunächst keine eindeutigen Poseidonios-Kriterien 25 . Nur soviel 24
Oben S. 22 A n m . 32 habe ich versucht, das Material, das Strabon für seine
Zusammenfassung II 3,1 p. 96 benützt, an Hand des unterschiedlichen Eukratos-Verständnisses bei ihm und bei Poseidonios zu sortieren. Doch darf wohl die dort geäußerte Vermutung, das, was in diesem Paragraphen unter dem Stichwort φυσικώς gesagt ist, könnte auf Poseidonios zurückgehen, hier nicht als Argument in die Überlegung eingebracht werden. 25
Man wird sogar besonders vorsichtig, wenn man sieht, wie dieselben Punkte
(Orographie, Flüsse, Metalle, Wälder, Pflanzenreichtum und -qualität) auch in anderen Laudes Italiae ziemlich vollständig erscheinen, und zwar ebenfalls rein parataktisch: besonders vollständig bei Plinius, Η Ν X X X V I I , 2 0 1 - 2 0 2 , aber auch H N 111,39-42 und Dion. Hal. I 3 6 , 2 - 3 7 . Es wäre wohl lohnend, im Anschluß an die Strabonanalyse die genannten Passagen zu untersuchen, insbesondere die Pliniusstelle aus dem 37. Buch, die auch eine in ihrer Be-
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wird man sicherlich sagen können, daß diese sehr unspezifische inhaltliche Übereinstimmung — nirgends wird ja auf die vorangestellte klimatologische These ausdrücklich Bezug genommen — sowie Strabons A n k n ü p f u n g e n mit τούτο 8e και άλλως
. . . u n d kai
προστίύβι
. . . , die einen Zusammenhang anzeigen, ohne ihn zu definieren, darauf schließen lassen, daß in Strabons Vorlage der erklärende und der beschreibende Teil in eine klare und wohl keineswegs nur parataktische Beziehung zueinander gesetzt waren 2 6 . Diese Annahme sowie die nun folgenden Beobachtungen zu den drei Teilen der Aufzählungsreihe (1. τούτο 5e кал άλλως ..., 2. και προσήκει ..., 3. ύλης те Kai τροφής ...) sprechen immerhin für Poseidonios, zumal sich entsprechende Beschreibungskategorien zum Teil auch sonst in ethnographischen Poseidonios-Partien finden lassen. Zu 1) Die Charakteristik der orographischen Situation Italiens ist zielgerichtet auf die positiven Konsequenzen, die sich für die Bewohner des Landes daraus ergeben; insofern liegt dieser Naturbeschreibung ein teleologischer Aspekt zugrunde, wie er für Poseidonios mehrfach nachzuweisen ist, gesichert in F 49 (224 Ed.-Kidd), wo er über die günstige Höhe der lusitanischen Flußufer spricht, aber auch bei Strabon IV 1,14 p. 188/9, wo das gallische Flußsystem charakterisiert wird 2 7 . Zugleich enthält diese Passage eine bedeutsame klimatologische Implikation, wenn sie voraussetzt, daß die klimatischen Bedingungen einer Breite durch unterschiedliche Höhenlagen deutung schwer zu erschließende Angabe гиг geographischen Position Italiens enthält: ,quod contingit positione procurrentis in partem utilissimam et inter ortus occasusque mediam, aquarum copia, . . .'. Das einleitende quod könnte für die Quellenfrage insofern bedeutsam sein, als darin die Vorstellung von einer Abhängigkeit der Vorzüge des Landes von seiner geographischen Position gerade noch anklingt; die Bezeichnung .positione procurrentis in partem utilissimam' jedoch ist meines Erachtens überhaupt nur verständlich, wenn man sie auf den Eukratosbereich zwischen Norden und Süden im Sinne der poseidonischen Klimatologie bezieht. Die Suche nach systemtragenden Vokabeln oder Formulierungen, wie bei dieser Pliniusstelle, ist darum für poseidonische Quellenfragen so charakteristisch, weil sich die überliefernden Autoren in der Regel mehr für das Material als für den systematischen Zusammenhang interessierten, in welchen dieses bei Poseidonios gestellt war. 26 Dem Versuch, hier ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen dem gesamten geographischen Aspekt des Landes und seiner klimatologischen Position zu konstruieren, wie es Karl Reinhardt (Poseidonios, 8 8 f f . , bes. 106f.) grundsätzlich als Konsequenz der aitiologischen Geographie des Poseidonios entworfen hat, sind vom Text her enge Grenzen gesteckt. 27 Der Poseidonios-Nachweis wird unten S. 8 0 f f . geführt.
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modifiziert werden und darum auch in Ost-West-Richtung auf kleinstem geographischen Raum beträchtliche Differenzierungen auftreten können 2 8 . Zu 2) In dem Absatz über Größe, Menge und Vielfältigkeit der Gewässer hat der Hinweis auf die kalten und heißen Quellen sogar ausdrücklich eine teleologische Ausrichtung erhalten (πανταχού προς νγεϊαν φύσει παρεσκευασμένας . . . ) . Während die teleologische Pointe im orographischen Abschnitt jedoch eine Betrachtungsweise voraussetzt, die mit der Interpretation des landschaftlichen Befundes für eine besonders glückliche Auswirkung des Differenzierungsphänomens eine Erklärung zu finden versucht, erscheint diese zweite Bemerkung für einen Stoiker 29 als ausschmückende Floskel so naheliegend, daß sie wohl auch auf Strabons eigenes Konto gehen könnte. — Ob sich weiter aus der auffallend engen Zusammenstellung der Metallvorkommen mit den Gewässern ein Poseidonios-Indiz gewinnen lassen könnte — etwa im Sinne von Seneca, Q.N. 111,15 3 0 , wo in der Darstellung der Analogie zwischen dem menschlichen Körper und der Erde die Metalle als frühzeitig verfestigte Erdsäfte erklärt werden —, wird sich gerade angesichts der hier spürbar zunehmenden Verkürzungstendenz bei Strabon kaum sicher entscheiden lassen. Zu 3) Für die Art, wie sich Strabon hier dem sprachlichen Anspruch und der Ausführlichkeit seiner Vorlage entzieht, gibt es vergleichbare Stellen: einmal die schon angeführte Passage über die Vorzüglichkeit Siziliens (VI 2,7 p. 273) 3 1 : την δε της χώρας άρετην ύρυλονμένην ύπό πάντων, ούδέν χείρω της Ιταλίας άποφαινομένων, τί Sei \ёуеа>; dann aber vor allem III 2,8 p. 146, über Turdetaniens Metallreichtum: "ΗτεΎονρδητανία ... λάγον ούδένα άξιον καταλείπει περϊ τήνδε την άρετην τοις έπαινεϊν βουλομένοις ... wo das darauffolgende Kapitel III 2,9 (Pos. F 47 = F 239 Ed.-Kidd) anzeigt, daß Strabon die ,ρητορεία' des Poseidonios im Auge hat, von der er sich kritisch distanziert. 28
Zu dieser Frage auch unten S. 97; 105ff. Strabon selbst rechnet sich dazu: I 2,34 p. 41; II 3,8 p. 104. 30 . . . sed quemadmodum in nobis non tantum sanguis est sed multa genera umoris . . . sie in terra quoque sunt umoris genera complura: quaedam quae mature durentur (hinc est omnis metallorum ortus, ex quibus petit aurum argentumque avaritia, et quae in lapidem ex liquore vertuntur); . . . Zur Stelle: Reinhardt, Poseidonios, 171f.; ders., RE 674f. und 709. 31 Oben S. 66f. 29
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с) Konsequenzen dieser Zuweisung an Poseidonios Es bleibt nun zu fragen, welche Konsequenzen diese Zuweisung an Poseidonios für unsere Vorstellung von seinem Geschichtswerk hat und in welche Richtung sie unsere weitere Untersuchung lenkt. Soweit ich sehe, ist der inhaltliche Bruch in Strabons Italienkapitel bisher überhaupt nicht berücksichtigt, vielmehr der ganze Abschnitt einheitlich auf Polybios zurückgeführt worden 32 . Während Geffcken nur die „objektiv bewundernde . . . Stimme des militärisch beobachtenden Ausländers" aus dem Kapitel vernimmt, also Punkt drei in seiner Eigenheit überhaupt nicht in den Blick faßt, argumentiert Lasserre vorwiegend von diesem dritten Punkt aus und zieht um seinetwillen zunächst auch Poseidonios als Vorlage in Erwägung, „ ä cause de l'importance qu'il у accorde ä ses (sc.: de l'Italie) richesses agricoles" (S. 20). Seine Entscheidung fällt jedoch zugunsten des Polybios aus, weil er eine geographische Gesamtdarstellung Italiens bei Poseidonios überhaupt bezweifelt und zudem den dithyrambischen' Stil vermißt, mit dem Poseidonios etwa das Lob Turdetaniens gesungen habe. Die klimatologische Begründung für den landwirtschaftlichen Reichtum und damit den politischen Aufstieg Italiens, die für unsere Zuweisung das entscheidende Kriterium lieferte, bleibt bei Lasserre also ebenfalls unberücksichtigt. Von dieser Sicherung aus wird nun aber gerade die schon von J a c o b y 3 3 geäußerte Vermutung bestätigt, daß es bei Poseidonios auch eine italische Ethnographie im Geschichtswerk gegeben habe 3 4 . Diese Italiendarstellung wird wie in ihrer Funktion so auch in ihrem Stil von den übrigen Ethnographien des Geschichtswerkes unterschieden vorzustellen sein. Während die 32 J . G e f f c k e n , Saturnia Tellus. Hermes 27, 1 8 9 2 , 3 8 1 - 3 8 8 . F. Lasserre, Stra bon, Geographie t.III, Paris 1 9 6 7 , 10, 13f., 20, der immerhin die Autorschaft des Poseidonios erwägt. — Für das übrige Material des Kapitels, das in Punkt eins, zwei und vier enthalten ist, scheint mir Polybios als Grundlage möglich, vgl. die Argumentation bei Lasserre, 13f. 33 J a c o b y , IIc, 163 zu F 1; 193f. zu F 5 9 ; 219 zu F 119: „P. wird Italien irgendwo (I—II) als geographische Einheit behandelt h a b e n . " 34 Für die Zugehörigkeit dieser Passage zum Geschichtswerk spricht ihre Ausrichtung auf die historisch-politische Fragestellung nach einer Begründung für den Aufstieg der Römer. Diese Frage liefert j a nicht nur für Strabons ganzes Kapitel das Thema, sondern sie erwies sich gerade auch dem dritten Punkt unmittelbar zugehörig (vgl. oben S. 61 und 64). Für Strabon mag sich daraus um so leichter die Kontamination mit dem übrigen Material seines Kapitels ergeben haben.
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ethnographischen Exkurse in der Regel mit geographischen Gegebenheiten entfernterer Länder und mit Lebensbedingungen und -gewohnheiten mehr oder weniger fremder Völker vertraut machen, auf welche die Römer in den verschiedenen Teilen der Oikumene bei ihren politischen und militärischen Unternehmungen gestoßen waren 3 5 , die Beschreibung hier also in erster Linie auf Information und Anschaulichkeit zielt, geht es in der Italiendarstellung offenbar vorrangig um Analyse und Interpretation einer im großen Ganzen als bekannt vorauszusetzenden geographischen Situation, wobei die besonderen Merkmale des beschreibenden Stils, die Lasserre vermißt, ganz verständlich vor den erklärenden und reflektierenden Zügen in den Hintergrund getreten sein können. Solche für die Historien ungewöhnlichen Spuren einer expliziten Entwicklung der Klimatheorie und ihrer Konsequenzen 3 6 verweisen diesen Passus, wie mir scheint, an den Anfang des Werkes — in unmittelbare Nähe des Proömiums. Auch wenn kein gesichertes Fragment von dem Inhalt des Proömiums Kenntnis gibt, auf Evidenz im strengen (d.h. äußeren!) Sinn 3 7 hier also grundsätzlich verzichtet werden muß, scheint es doch gerade bei dem vermutlich programmatischen Inhalt des Proömiums unerläßlich, unsere Vorstellung von dem Möglichen jedenfalls mit aller Behutsamkeit auszuweiten und nach Maßgabe der inneren Übereinstimmung mit dem unzweifelhaft Poseidonischen zu differenzieren. In diesem Sinn hat Karl Reinhardt einen möglichen Gedanken des poseidonischen Proömiums aus Diodors Einleitungskapitel ausgegliedert (I 1,3), der sich vor allem durch den kosmischen Horizont, in dem über die Aufgabe des Historikers reflektiert wird, deutlich von seinem Kontext, den entsprechenden Überlegungen Diodors, unterscheidet 3 8 . Der Geschichtsschreiber wird in diesem Abschnitt als 35 Arabien: F F 3 , 1 1 4 ; Spanien: F F 4 5 - 5 4 , 115, 117; Kelten: F F 1 5 - 1 7 , 34, 55, 116; Ligurien: F F 57, 58, 118; Parther: F 5 ; J u d e n : F 70. Vgl. oben S. 59. Oben S. 13 mit Anm. 1. 3 8 Reinhardt, Poseidonios, 3 2 f . ; ders., K o s m o s und Sympathie, 184f.; 5 2 / 5 3 mit Anm. 2; R E 6 3 1 , 656. Zustimmend: M. Pohlenz, Die S t o a , Geschichte einer geistigen Bewegung, Bd. I, Göttingen 1948, 2 1 3 ; Bd. II, 1949, 105, 122; ders., S t o a und Stoiker, Zürich BAW 1 9 6 4 * , 276 (mit Anm. S. 378). W. Theiler, Historie und Weisheit, in: Festgabe für Hans von Greyerz zum 60. Geb., 5.4. 1967, Bern 1967, 74 Anm. 12; H. R. Neuenschwander, Mark Aurels Beziehun36
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.ausführendes Organ' (Reinhardt) 39 — υπουργός — der göttlichen Vorsehung begriffen, sofern er bemüht ist, die wechselseitige Verwandtschaft, an welcher die gesamte Menschheit ungeachtet ihrer Trennung nach Raum und Zeit teilhat, in seiner Darstellung zum Ausdruck zu bringen und das Geschehen der gesamten Oikumene als das einer einzigen Stadt aufzuzeichnen; auf diese Weise nämlich lege er Zeugnis ab von dem Werk der Vorsehung, welche die Ordnung der Gestirne und die menschlichen Naturen zu gemeinsamer Analogie' (είς κοινην äva\oyiai>) vereint in ewig gleichem Kreislauf führt. Der sehr formale Einwand gegen Reinhardts These 4 0 , daß Poseidonios ja keine Universalgeschichte (im diachronischen Sinn) geschrieben habe, das bei Diodor formulierte Programm aber auf einen zeitgeschichtlichen Ausschnitt von ca. 60 Jahren nicht zutreffen könne, berücksichtigt nicht, daß Poseidonios zwar im Anschluß an Polybios mit den Jahren 146/45 sein Werk begonnen hat, daß er jedoch die großen politischen Bewegungen seiner Zeit weit über diesen Ausgangspunkt hinaus bis in die Ursachen ihres Entstehens zurückverfolgt und auf diese Weise sehr wohl nicht nur das räumlich, sondern auch das zeitlich Getrennte in seiner Darstellung zu einer Einheit gebracht hat; man vergleiche dazu nur die weit ausholende Behandlung der Sklavenaufstände 4 1 und des Seeräuberkomplexes 4 2 , die Geschichte der spanischen Stämme und der Ausbeutung ihres Lan-
gen zu Seneca und Poseidonios, Bern, Stuttgart 1951 (= Noctes Romanae 3), 17. H. C. Baldry, The Unity of Mankind in Greek Thought, Cambridge 1965, 187. W. Spoerri, Späthellenistische Berichte über Welt, Kultur und Götter, Basel 1959 (auch Mus.Helv. 18, 1961, 63ff.). Vgl. auch J a c o b y lie, S. 163 zu F 1. Kritisch: J . Palm, Uber Sprache u n d Stil des Diodor von Sizilien, Lund 1955, 140 Anm. 1, der die ,Worte, wenn nicht auch die Gedanken' Diodor selbst zuschreibt. A. D. Nock, Posidonius. J R S 49, 1959, 5. 39 Ubersetzung bei Reinhardt, Kosmos und Sympathie, 184. 40 Nock, a.O. 5. 41 FF 7, 8, 108; über den 2. Sklavenkrieg: Diod. 3 6 , 1 - 1 1 ; Uber Spartakus: Diod. 38/9,21; Uber den Zusammenhang von .Sklavenschwemme' und Seeräuberunwesen: Strab. 14,5,2 p. 668/9, vgl. die folgende Anmerkung. 42 Vgl. dazu die überzeugende und methodisch exemplarische Poseidoniossicherung von H. Strasburger, Poseidonios on Problems of the Roman Empire. J R S 55, 1965, 40ff., der die entsprechenden, zum Teil sehr zerschnittenen Passagen aus Strabon (14,5,2 p. 668/9; 10,4,9 p. 477; 14,1,32 p. 644; 14,2,5 p. 652; 14,3,2 p. 664; 14,5,8 p. 671; 16,2,14 p. 754), Plutarch (Pomp. 24; 28) und Appian (Mithr. 92,416—96,445) zusammengestellt und so ausgewertet hat, daß nicht nur der Zusammenhang zu den unzweifelhaft poseidonischen Fragmenten geklärt, sondern darüber hinaus auch das grundsätzliche Interesse des Philosophen Poseidonios an einem solchen Gegenstand seines Geschichtswerkes evident wird.
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des 4 3 , den Exkurs über die Juden 4 4 oder aber die Überlegungen zu dem Problem, das die Völkerwanderungen der Kimbern und Teutonen aufgegeben haben 45 . Im übrigen mag für den Geschichtsschreiber, der seine Tätigkeit überhaupt in diese grundsätzliche Relation zur Vorsehung setzt, der Ausspruch des Poseidonios selbst gelten 4 6 : ,,unus dies hominum eruditorum plus patet quam imperitis longissima aetas" — zumal ein solches Verständnis impliziert, daß jede Darstellung, ob sie nun 60 oder 600 Jahre umfaßt, gemessen an dem
Werk der Vorsehung (εκείνη те yap ... κυκλεί συνεχώς απαιτα τον αιώνα . . . ) ausschnitthaft bleiben muß.
Der Gedanke, daß die gesamte Menschheitsgeschichte in einen einheitlichen Erklärungszusammenhang eingebunden ist, welcher letztlich auf der lebendigen Einheit des Kosmos beruht, könnte bei Poseidonios, in der Einleitung zu seinen Historien, eine klimatologische Auslegung erhalten haben. Denn in seiner Klimatheorie wird ja gerade dieses System gemeinsamer Analogie' zwischen Himmel und Erde manifest 4 7 , in dem sämtliche Völker und Zeiten der Oikumene unter einem kosmischen Gesichtspunkt zusammengefaßt sind, von dem her sie auch betrachtet werden müssen, will man die Besonderheiten ihres Wesens, ihrer Lebensbedingungen und Lebensäußerungen erfassen. Uber diesen Zugang zu einer allgemeinen Charakteristik der Völker hinaus würden die klimatologischen Erörterungen in der Einleitung des Geschichtswerkes — mit ihrer Konkretisierung am Beispiel des bevorzugten Italien — dafür sprechen, daß Poseidonios auch die unterschiedliche Rollenverteilung unter den Völkern im Geschehensablauf, die er in seiner Zeitgeschichte darzustellen hatte, von den unterschiedlichen klimatischen Voraussetzungen her zu verstehen und verständlich zu machen versucht hat. Denn mit Hilfe der Perspektive, welche die Klimatologie in den historischen Kontext einbringt, wäre die Erkenntnis vermittelt, daß die reichen Möglichkeiten der einen wie die einschränkenden Gegebenheiten der anderen durch dieselben kosmischen Kräfte bedingt sind und darum beide gerecht nur von diesen Voraussetzungen her behandelt 48 werden können: die Römer, die in Poseidonios' Historien als Träger 43
Besonders F 117 (= Diod. V 3 3 - 3 8 ) ; vgl. dazu etwa Strab. III 3,5 p. 153/4; III 3,8 p. 155/6; III 4,5 p. 158. 44 F 70. « FF 31,116; Strab. IV 4,2 p. 196; Plut.Mar. 11. Dazu Jacoby IIc zu F 31, 18 Of. 46 F 179 Ed.-Kidd (= Seneca, Ер. 78,28). 47 Oben S. 25f.; 35; 55 und besonders 56f. 48 In der politischen Wirklichkeit wie in der darstellenden Historiographie.
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der politischen Ereignisgeschichte erscheinen und sich durch eine besondere Befähigung zu politisch wirksamem, die ökumenischen Kräfteverhältnisse bestimmenden Handeln auszeichnen, und genauso solche Völker, denen Poseidonios in den Exkursen des Geschichtswerkes anschauliche Zustandsschilderungen gewidmet hat, die ihre ,Geschichtswürdigkeit' im Sinne der antiken Historiographie 49 jedoch in erster Linie der politischen oder militärischen Aktivität ihrer Eroberer verdanken. d) Die Anwendung der klimatologischen Betrachtung auf das Geschichtswerk des Poseidonios und ihre Problematik Bei einer so umfassend verstandenen Funktion der Klimatheorie für das Geschichtswerk muß allerdings besonders auffallen, daß in diesem Italienabschnitt die Bewohner des klimatisch bevorzugten Landes allenfalls als Empfänger und Konsumenten des natürlichen Reichtums erscheinen, ihre Physis jedoch überhaupt nicht beschrieben, geschweige denn als Ausdruck derselben optimalen klimatischen Mischungsverhältnisse vorgeführt wird 5 0 . Der Mangel dieses im strengen Sinn ethnographischen Aspektes bezeichnet, neben den expliziten klimatologischen Erläuterungen, einen weiteren Unterschied zu den übrigen ethnographischen Partien und könnte noch einmal, wie schon die Sonderstellung im Proömium 5 1 , auf eine besondere Funktion dieser Italiendarstellung für das gesamte Geschichtswerk hinweisen. Meines Erachtens spiegelt sich in diesem Befund ein grundsätzliches Problem, das sich Poseidonios bei der klimatologischen Charakterisierung Italiens und der Einschätzung und Beurteilung seiner Bewohner ergab: Angesichts der inneritalischen Ereignisse, die in den Rahmen seiner Zeitgeschichte fielen 52 , und des moralischen Substanzverlustes, den Poseidonios nach der Zerstörung Karthagos in zunehmendem Maße bei den Römern konstatierte 5 3 , mußte es 49
H. Strasburger, Die Wesensbestimmung der Geschichte durch die antike Geschichtsschreibung. SB d. Wiss. Ges. an d. Univ. Frankfurt/M. 5,3; 2. Auflage 1968, 62f.; 88. so Vgl. dazu Vitruvs Klimakapitel (Poseidonios F 121), oben S. 26ff., 54ff. Daß Vitruv seinerseits gekürzt und dabei wohl die Auswirkung des Klimas auf die Länderbeschaffenheit im nördlichen, südlichen und mittleren Bereich der Oikumene weggelassen hat, geht aus seinem Einleitungssatz möglicherweise noch hervor: „haec autem ex natura rerum sunt animadvertenda . . . atque etiam ex membris corporibusque gentium observanda" (F 121 § 3). 51 S. 73. 52 FF 108, 110, 111 und weitere Passagen bei Diod. 3 3 - 3 7 . 53 Etwa F 112; Diod. 37,2+3.
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schwerfallen, in ihnen einfach das von der N a t u r b e s o n d e r s zur A r e t e befähigte und d a m i t zur V o r h e r r s c h a f t b e r u f e n e V o l k der M i t t e zu erkennen und vorzustellen. Dagegen hat er o f f e n b a r die Wesensart und L e b e n s w e i s e der alten R ö m e r als M a n i f e s t a t i o n einer c h a r a k t e r l i c h e n Disposition v e r s t a n d e n , wie sie der b e v o r z u g t e n Sit u a t i o n ihres L a n d e s e n t s p r a c h 5 4 , w o b e i er die Möglichkeiten und die b e s o n d e r e n G e f ä h r d u n g e n , die mit einer so gesegneten N a t u r e i n e m V o l k gegeben und z u g e m u t e t sind, vielleicht s c h o n a m Beispiel T y r r h e n i e n s seinen L e s e r n eindrücklich v o r A u g e n geführt h a t . Der Abschnitt über die Tyrrhener (F 119) berücksichtigt zwei Stufen ihrer Entwicklung: den ursprünglichen Zustand, der sowohl durch die kriegerische Tüchtigkeit dieses Volkes als auch durch seine geistigen Fähigkeiten charakterisiert wird, und die Spätzeit, in welcher die Tyrrhener zur Bedeutungslosigkeit herabgesunken erscheinen, weil sie der auflösenden τρνφή, die ihnen Reichtum und Üppigkeit ihres Landes ermöglichten, erlegen sind ( . . . OVK άλόγως TT)Ρ των πατέρων Ьо%ш> έν τοις πολέμοις άποβεβλήκασι55). So zeugt nur noch der Name etwa des Tyrrhenischen Meeres von den politischen und militärischen Erfolgen, die sie ihrer άνδρεία verdankten, und auf ihre geistige Kapazität (γράμματα/^υσιολογία/^ολογι'α) weisen nun allein die sorgfältige Rezeption ihrer kulturellen Errungenschaften durch die Römer und die Achtung, die ihren Sehern noch immer entgegengebracht wird (F 1 1 9 , l b + 2 ) 5 6 . Man darf wohl in dieser zweiseitigen Veranlagung der Tyrrhener ein Beispiel für die ausgeglichene Kombination von .fortitudo' und ,cogitatio' erkennen, die Vitruv (VI 1,11+12) für das Mittevolk konstatiert, zumal — wie der letzte Satz des Fragments deutlich anzeigt 57 — hinter der Beschreibung der vielseitigen und reichen Fruchtbarkeit des Landes auch wirklich die klimatologische Erklärung steht. Damit kann der Tyrrhenienexkurs als überschaubares Exempel s 8 für das Schicksal eines Mittevolkes verstanden werden, das über allen Vorgaben, die es erhalten hat, die damit verbundenen Aufgaben vernachlässigt oder verkennt 5 9 .
F 59: σώφρονες δ' ή aap και πάντα άριστοι οι άρχαϊο ι 'Ρωμαίοι. Zu άποβεβλήκασι vgl. auch unten S. 94. 5 6 In einem solchen Aufspüren von Zeichen, die Rückschlüsse auf einen früheren Zustand zulassen, ist ein charakteristischer Zug poseidonischer Ethnographie zu sehen, vgl. etwa über Tyrrhenien bei Strab. V 2,5 p. 2 2 2 / 2 3 ; über den Vesuv, Strab. V 4,8 p. 247; F 59 (Ende) oder F 70, 37. 57 ϋγρά δε μετρίως έατϊν ού μόνον κατά την χεψερινην ώραν, άλλά кал κατά τον του βέρους καιρόν. 5 8 Jacoby (lie, 159) vermutet hier — bei ganz unterschiedlicher Begründung — ähnlich: „Er (sc. Pos.) bewundert das römische Wesen und rechtfertigt damit auch das römische Imperium . . . , ohne zu verkennen, daß Rom durch seine Erfolge in die Gefahr geraten ist, das Schicksal Etruriens . . . zu wiederholen." 5 9 Für die Stellung dieses Exkurses am Anfang des Geschichtswerkes sprechen die Konkordanz zu F 1 (bei Jacoby vermerkt) und die thematische Nähe zu 54
55
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Auf jeden Fall aber scheint Poseidonios an die Einfachheit (καρτερία και λιτή δίαιτα F 59) und charakterliche Festigkeit der alten Römer, ihr Maßgefühl für adäquates Verhalten gegenüber Göttern und Menschen 60 , immer wieder dort in seinem politischen Ereignisbericht erinnert und appelliert zu haben, wo es galt, die persönliche Integrität eines einzelnen Politikers herauszustellen und zu zeigen, in wie hohem Maße sie der allgemeinen moralischen Verfallsbewegung in der römischen Führungs- und Verwaltungsschicht und deren unmenschlichen und politisch verhängnisvollen Konsequenzen entgegenzuwirken vermochte 6 1 . Für den fehlenden ethnographischen Topos wäre also zunächst — im engeren Sinn — die Beschreibung anomischer Art und Zuständlichkeit im 2. Buch eingetreten, in organischem Anschluß an die Thematik des Proömiums und die klimatologische Italiendarstellung. Im weiteren Sinn verwies wohl der so auffällig von ethischen Reflexionen durchzogene historische Bericht auf die grundsätzliche Frage, wie bei den Völkern das Verhältnis von natürlicher Disposition und tatsächlicher Realisation zu bestimmen sei.
F 59: die Aufzählung alles dessen, was die Römer von anderen Völkern übernommen und verbessert haben. so F 59 (S. 260,20—25): εύσέβεια μέν ϋαυμαστή περί то δαψόνιον, δικαιοσύνη δε κατά πολλή τού νλημμελεϊν ευλάβεια про ς πάντας άνΰρώπους μετά της κατά yeujpyiav άσκήσεως. Dazu Reinhardt, Poseidonios über Ursprung und Entartung, 23. 61 Das vorbildliche politische Verhalten einzelner integrer Persönlichkeiten ist vorgeführt etwa in den F F 43, 59 (dessem ersten Teil F 6 und Diod. 33,28b zuzuordnen sind) und 112. — Einen ausdrücklichen Hinweis auf die altrömischen Maßstäbe für solche Lebensführung bietet dabei allerdings nur das F 59 (aus Athenäus), und dieses auch nur so, daß die skeptischen Überlegungen Jacobys (IIc, 194) über den thematischen Zusammenhang und seine Herkunft berechtigt erscheinen. Abgesehen davon, daß ja dieser ganze Komplex in das allgemeine Thema des Poseidonios von .Ursprung und Entartung' hineingehört, können meines Erachtens die zahlreichen Beispiele aus der Diodorüberlieferung für die politische Bedeutung integrer römischer Politiker, welche die oben genannte Reihe eindrucksvoll erweitern, den fraglichen Zusammenhang sichern (33,17; 34/35,23; 37,(4), 5, 6, 8 — mit ausdrücklichem Hinweis auf die altrömische Lebensweise —; 10, 11, 13): denn hier lebt die Darstellung jedes einzelnen Falles von dem Kontrast zu der allgemeinen moralischen Dekadenzbewegung, die bei der Karthago-Kontroverse im Senat (F 112) bis ins Einzelne vorausgesagt und dann in der Einleitung zum .Marsischen Krieg', ihrem wahnwitzigen Höhepunkt (37,2, 1+2+3), stufenweise analysiert und beschrieben wird.
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Auf Grund dieser Überlegungen glaube ich einmal, daß man Poseidonios nicht auf eine Römerlaudatio, wie sie Vitruvs klimatologisches Poseidoniosexzerpt beschließt, einfach festlegen darf. Diese fügte sich zwar folgerichtig an das zuvor entwickelte klimatologische System an 6 2 und mochte auch im Kontext von irepi ώκβανοϋ, wo es primär um die Darlegung der Theorie geht, als grundsätzlich mögliche Konsequenz — so oder ähnlich — formuliert worden sein; im Zusammenhang der Historien jedoch ist darüber hinaus, wie wir sehen, auch die allmähliche Depravation der ursprünglichen Naturanlage in den Blick gefaßt und nach den Ursachen gefragt worden, die dafür verantwortlich zu machen sind. Hieran knüpft sich nun andererseits die Frage, ob Poseidonios im Geschichtswerk wohl auch solche Faktoren aufzuzeigen versuchte, die geeignet wären, eine positive Modifizierung der natürlichen Determination, also etwa Korrektur- und Ausgleichsmöglichkeiten für weniger bevorzugte Ausgangsbedingungen bei Völkern an den Rändern der Oikumene in Gang zu setzen. Mit der Aufnahme dieser Überlegung in die Untersuchung weiterer ethnographischer Poseidonios-Partien des Geschichtswerkes gelingt es dann vielleicht, auf die Frage, die mit der philosophisch-ethischen Tradition der klimatologischen Mittekonstruktion nach Aufgabe und Funktion gerade des Mittevolkes gestellt ist 6 3 , im Blick auf die Römer eine differenziertere Antwort zu finden, als sie von der klimatheoretischen Systematik des Poseidonios zunächst angeboten wird. 62
Oben S. 28ff. und S. 56. 63 Oben S. 32 und S. 56.
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IV. Stabilisierende und modifizierende Faktoren der klimatologischen Determination 1. Strab. IV 1,14p. 188/89 über das gallische
Flußsystem
Strabon hat in seinem Gallienbuch einen Abschnitt überliefert 1 , in dem, wie sorgfältige Interpretation zeigen kann, die Frage nach Korrektur- und Ausgleichsmöglichkeiten schlechter Ausgangsbedingungen im Blick gewesen sein muß. Gemeint ist das Kapitel IV 1,14 p. 188/89, mit dem Strabon seine Ausführungen über das erste Viertel Galliens, die Gallia Narbonensis, ausdrücklich abschließt 2 , die IV 1,3 p. 178 begonnen hatten 3 . Doch sprengt dieses Kapitel den Rahmen, in den es gestellt ist, in doppelter Hinsicht: einmal, weil mit der Beschreibung des gallischen Flußsystems und des entsprechenden Warenverkehrs die Grenzen der Narbonensis verlassen und ganz Gallien wieder, wie schon in den ersten beiden Kapiteln des IV. Buches, Gegenstand der Betrachtung geworden ist, zum andern, weil an diese Beschreibung eine theologische Reflektion geknüpft ist. Zu Beginn von IV 1,14 p. 188 wird die Lage Tolosas bestimmt mit Hilfe einer poseidonischen Zahlenangabe über die Breite der Landenge bei Narbo 4 — in verständlichem Anschluß an IV 1,13 p. 188, 1
Diese und die folgenden Untersuchungen sollen anonymes Material, das zum größten Teil auch sonst schon mit Poseidonios in Verbindung gebracht wurde, auf Grund spezifischer inhaltlicher Verwandtschaft mit gesicherten Fragmenten als poseidonisch erweisen und zugleich den bisher bekannten Rahmen durch das Hinzugewonnene schlüssig erweitern. Dabei liefert die Klimatheorie des Poseidonios den zuverlässigen Kern, dessen systematische Integrationskraft auch bei zunehmender Entfernung von diesem Ausgangspunkt stark genug ist, um über die Richtigkeit der einzelnen Schritte nach Maßgabe der Stimmigkeit zu entscheiden. Allerdings wird wohl erst das Gesamtbild die Hinzunahme der einzelnen Textstücke und ihre Kombination miteinander ganz rechtfertigen können. 2
ταύτα μέν ύπέρ των νεμομένων την Ναρβωνϊην έπικράτειαν λέγομεν ... IV 1,2 ρ. 178 Ende: ... περί δέ των τεταρτημορίων έκάστον δωλαβόντες \ε·γωμεν νυνί, μεμνημένοι τυπωδώς, και πρώτον περί της Ναρβωνίτιδος. 3
4
F 34. Dazu unten S. 88f.
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wo von den Tektosagen und den Tolosanischen Schätzen die Rede war 5 . Darauf folgt völlig unvermittelt, aber unter Hinweis auf eine frühere Stelle 6 , ein Preis auf die Natur des Landes in bezug auf sein Flußsystem und dessen Verhältnis zu den beiden Meeren, dem Mittelmeer und dem Ozean. Der Vorzug, der dem Land daraus erwächst, liegt in dem mühelosen und weitverzweigten Güterverkehr, dank dessen alle Bewohner an allem Lebensnotwendigen Anteil haben — ein Sachverhalt, der eher auf das Wirken der Vorsehung als auf irgendwelche Zufälligkeiten bei der Ländergestaltung schließen lasse. Dem Weg der Waren folgend werden dann, bei der Rhone beginnend, die sich gegenseitig ergänzenden Wasser- und Landstraßen nachgezeichnet, die alle die Ozeanküste erreichen, sei es über die Seine, die Loire oder die Garonne. Mit der geographisch begrenzten Beschreibung der Narbonensis haben diese Angaben nichts mehr zu tun; sie sind vielmehr als Nachtrag zu den einleitenden Bemerkungen über das gesamte Gallien anzusehen (IV 1,2 p. 177/8), die Strabon wohl auch mit seinem Rückverweis im Auge hatte 7 . Der Nachtrag greift den Gesichtspunkt: Vorzüge, die den Bewohnern Galliens aus ihrem Flußsystem, d.h. ihrem natürlichen Straßennetz, erwachsen, aus dem Gallienüberblick heraus und behandelt ihn gewichtiger, als es die entsprechenden Sätze IV 1,2 vermuten lassen. Aber gerade dieses Gewicht wird erst mit Hilfe der zusätzlichen Informa5
F 33. Zu dem Rückverweis vgl. die folgende Anmerkung. 7 Um diesen Rückverweis zu erklären, wäre es wohl nicht nötig, mit Lasserre (zu IV 1,2, S. 123) zu Beginn von IV 1,2 eine Lücke anzunehmen, in der das Flußsystem und besonders die Rhone ausführlich vorgeführt worden wären, vielmehr würde hier der parallel zum Stichwort όμολογία beschriebene Sachverhalt (οϋτως δ' βΰψυώς ΐσχει τα peidpa πρός άλληλα, ώστε ...) völlig ausreichen. Allerdings bleibt dann noch der in IV 1,2 selbst gegebene Rückverweis auf eine Rhonebeschreibung ungeklärt. Ich würde hier ein Versehen Strabons doch in Erwägung ziehen, zumal sich zu Strabons Entlastung denken ließe, daß der Inhalt von Kap. IV 1,11, das die Rhone mit ihren Zuflüssen ausführlich behandelt, vor der endgültigen Abfassung der Einleitungsabschnitte fertiggestellt war. Wie überhaupt Versehen dieser Art immer als Kehrseite der großen Aufgabe, die Strabon sich gestellt hat, anzusehen und entsprechend zu bewerten sind. Vgl. dazu besonders gerecht, W. Hering, Geographie und römische Politik, Acta classica VI, 1970, 46ff. Zu Strabons Arbeitsweise überhaupt: ders., Strabo über die Dreiteilung Galliens, Diss. Rostock 1954, bes. 301; und ders., Gnomon 1968, 236ff. (zu Lasserres Strabonausgabe); Reinhardt, Poseidonios über Ursprung und Entartung, 27 Anm. 1, 38 Anra. 1, 72f. S. Sudhaus, Ätna, Leipzig 1898, 65; Aujac, Strabon, Geographie 1,1, .Notice' 4 7 - 4 9 . 6
6 Schmidt (Hyp. 63)
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t i o n e n v o n I V 1 , 2 ganz verständlich. D a die günstigen V e r k e h r s w e g e bis hin zu den fernen Ozeanküsten reichen, e r h a l t e n a u c h n o c h die V ö l k e r an d e r Peripherie des L a n d e s — und das heißt zugleich der O i k u m e n e —, was sie zur D e c k u n g ihres täglichen Bedarfs b e n ö t i g e n . Selbst die nördlichsten S t ä m m e gegenüber der b r i t a n n i s c h e n Küste (sie allein sind I V 1 , 1 4 p. 1 8 9 n a m e n t l i c h aufgeführt) w e r d e n a u f diese Weise einbezogen in die G e m e i n s c h a f t der , N u t z n i e ß e r ' des ges a m t e n L a n d e s (τάς ώφελείας
äveia&at.
κοινάς).
Das ist für die ent-
legenen n ö r d l i c h e n S t ä m m e v o n b e s o n d e r e r B e d e u t u n g , weil Gallien, wie in I V 1 , 2 k l a r g e m a c h t wird, v o n Süden n a c h N o r d e n ein qualitatives Gefälle aufweist. Die V o r z ü g e des Südens beginnen s c h o n bei d e m M e e r 8 , an welches der f r u c h t b a r s t e Teil Galliens, die N a r b o n e n sis, grenzt. Die k n a p p e A u f z ä h l u n g der K u l t u r p f l a n z e n , die in d e n einzelnen Teilen des L a n d e s so verschiedenartig sind und n a c h N o r den zu allmählich einseitiger w e r d e n , m a c h t ersichtlich, wie sinnvoll und erstrebenswert es ist, d a ß diese Güter in r e g e m A u s t a u s c h allen zugänglich w e r d e n . In unserem Z u s a m m e n h a n g liefert den A n s a t z p u n k t für eine Zuweisung d e r beiden Kapitel an P o s e i d o n i o s 9 , das heißt zugleich für Strab. IV 1,2 p. 177 Ende: συνάπτει (sc. ό 'Ροδαλός) προς την ήμετέραν άάλατταν κρείττίΟ της έκτός ούααν. Die Formulierung: das Mittelmeer ist das bessere, für die es, soweit ich sehe, keine Parallele gibt, wird bei Strabon II 5,18 p. 122 erläutert (vgl. zu der Stelle auch oben S. 63 Anm. 12): Der Vergleich der drei Erdteile unter dem Gesichtspunkt ihrer Vielgestaltigkeit (πολυσχήμων) liefert Strabon Begründung und Rechtfertigung, mit Europa, welches darin vor Libyen und auch Asien hervorsticht, seine Erdbeschreibung zu beginnen. „Der Grund aber, daß sie vielgestaltig sind oder nicht, liegt für alle in der inneren Küste; denn die äußere ist . . . einfach und mantelähnlich." Die Vorzüge der Mittelmeerküste liegen in ihrer Vielfalt (τό ποίκιλαν) begründet, darin, daß sie für die menschliche Kenntnis ganz erschlossen (τό γ/ώρψον) und ihr Klima gemäßigt (τό εΰκρατον) ist, schließlich, daß in ihrem Bereich wohlgeordnete staatliche Gefüge (τό πόλεσι κ αϊ edveoiv εύνομουμένοις συνοικούμενον) anzutreffen sind. Am Beispiel Europas wird diese günstige Wirkung auf die angrenzenden Länder dann II 5,26 p. 126/7 ausführlich dargestellt. Zu diesem Komplex auch unten S. 105—107. 8
» Lasserre (zu Strab. IV 1,2 p. 177/78, S. 123 und S. 210 zu S. 144 n. 1) betrachtet die beiden Abschnitte als Einheit und setzt unter Hinweis auf F 116 (= Diod. V 25) und das ,stoische Thema der όμολογία' Poseidonios als Vorlage an (dazu auch unten, S. 8 4 Anm. 15). — Auf Grund der parallelen Gliederung bei Diodor V 25 (Flüsse, Klima und Bodenerzeugnisse, Menschen) vermutet auch Trüdinger, Studien, 91 f. vorsichtig die Autorschaft des Poseidonios für IV 1,2.
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ihre an P o s e i d o n i o s orientierte Interpretation, die A n d e u t u n g einer z o n e n a r t i g e n Gliederung Galliens. Hinter der k n a p p e n Charakterisierung der Gallia N a r b o n e n s i s verbirgt sich o f f e n b a r der G e d a n k e , daß die vielfältigen, Italien vergleichbaren A n b a u m ö g l i c h k e i t e n 1 0 dieses gallischen Küstenlandes als Teil j e n e r V o r z ü g e zu e r k e n n e n seien, die nur die geographische Z u g e h ö r i g k e i t zu der k l i m a t i s c h e n M i t t e l z o n e der O i k u m e n e , b z w . ihre u n m i t t e l b a r e N ä h e , g e w ä h r e n kann. N a c h unserer K e n n t n i s der p o s e i d o n i s c h e n Klimalehre k ö n n e n wir d a v o n a u s g e h e n , daß die langsame A b n a h m e u n d V e r e i n f a c h u n g der V e g e t a t i o n nach N o r d e n an der O z e a n k ü s t e 1 1 , die als N o r d g r e n z e Galliens (und Spaniens) vorgestellt w u r d e , ihr E x t r e m erreicht. D a ß der Nord e n m i t seinen k l i m a t i s c h e n B e d i n g u n g e n bei P o s e i d o n i o s — ausführlicher als es aus Strabons Darstellung n o c h hervorgeht — b e h a n d e l t w o r d e n sein m u ß , zeigt das P o s e i d o n i o s e x z e r p t über Gallien bei D i o d o r 1 2 , der n u n allerdings, in j ä m m e r l i c h e r V e r s t ü m m e l u n g ' 1 3 , Daß Strabon für Gwamigallien einer ethnographisch ausführlichen Quelle folgt, zeigen die Gesichtspunkte (γλώττα, σώμα, ό'ψις πολιτεία), die zu der Dreiteilung Galliens führen und ein differenziertes Instrument der Volksbeschreibung erkennen lassen; und daß diese Vorlage gemessen an den politischen Zuständen seiner Gegenwart bereits überholt ist, geht aus der Angabe hervor, mit der Strabon die sachliche Einschränkung bei seiner Stoffauswahl auf das, was „durch die Natur und durch Völker definiert wird", rechtfertigt (IV 1,1 p. 177: ό'σα μέν ούν φυσικώς διώρισται δει Xeyew τον yecjypcupov και baa έϋνικώς, ... baa δ' οί ήyeμόveς προς τους καφούς πολιτευόμενοι δνατάττονσι ποικίλως, άρκεϊ кар έν κεφαλαίω τις ehr), τού δ' άκριβσύς άλλοις παραχωρητέον). Zur Unzeitgemäßheit seiner Quelle für Gesamtgallien sind auch zu vergleichen die im Anschluß an die ethnische Gesamtschilderung (IV 4,2 p. 195) gegebene Erklärung: άλλ' έκ τών παλαιών χρόνων τούτο λαμβάνομεν περί αντών ..., sowie die zahlreichen, auf die politische Gegenwart Bezug nehmenden Einschübe. Zu diesen K. Barwick, Caesars Commentarii und das Corpus Caesarianum. Philol. Suppl. XXXI 2, 1938, 36f.; daselbst auch allgemein zur Quellenfrage in Strabons IV. Buch 47f., sowie bei Hering, Strabon über die Dreiteilung Galliens; A. Klotz, Caesarstudien, Leipzig 1910, 65f. 10 Wein und ö l sind als die charakteristischen Erzeugnisse einer klimatologisch begünstigten geographischen Lage bei Poseidonios in der Regel im Blick, gerade auch dann, wenn sie fehlen: FF 15; 116 (Gallien); F 56 (Ligurien); Strab. III 4,16 p. 163/64 (iberische Mittelmeerküste); F 117 (Keltiberien); Strab. III 2,6 p. 144 (Turdetanien); III 3,7 p. 155 (iberische Bergstämme) u.ö. 11 Für Poseidonios bildet der Ozean die Nordgrenze Galliens, und die in nordsüdlichem Verlauf vorgestellten Pyrenäen bilden die Westgrenze (bzw. die Ostgrenze Iberiens). Zu der falschen Orientierung Strab. III 1,3 p. 137 mit den Anmerkungen von Lasserre, S. 185 und Barwick, Casesars Commentarii, 21. 12 V,25 (= F 116). 13 Jacoby, IIc 213 zu F 116.
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die Merkmale des Nordens auf das gesamte Land ausgedehnt und seinerseits das Thema Flußsystem ausdrücklich abgekürzt hat. Auf der Beschreibung der Rhone liegt also wohl darum in beiden Strabonabschnitten ein besonderes Gewicht, weil sie den Zugang nach Norden eröffnet und es ermöglicht, daß die Vorzüge der begünstigten Südküste auch auf das Binnenland und das nördliche Küstengebiet ausgedehnt werden. Diese teleologische Betrachtung der natürlichen Gegebenheiten tritt IV 1,14 ganz in den Vordergrund: die zahlreichen schiffbaren Flüsse, die wie ein feinmaschiges Netz das gesamte Land überziehen, scheinen hier geradezu darauf angelegt, Verbindungsmöglichkeiten zwischen Mittelmeer und Ozean zu schaffen und Handelsverkehr unter den Bewohnern herzustellen. Für Poseidonios ist dieses Flußsystem also offenbar darum zum besonderen Kennzeichen Galliens geworden, weil er erkannte, daß hier die Natur selbst Vorkehrung getroffen hat, die geographische Entlegenheit der nördlichen Bewohner und die Gefahr ihrer Isolation 1 4 zu überwinden, sowie die klimatisch bedingten Einseitigkeiten, die sie als Einschränkung ihrer Existenzmöglichkeit erfahren müßten, durch wechselseitigen Austausch auszugleichen. Nur von einer solchen Interpretation der geographischen Situation Galliens her läßt sich erklären, daß die Beschreibung des Flußsystems IV 1,14 in einer theologischen Aussage gipfelt: „Vor allem muß das dem Land eignende günstige Verhältnis von Flüssen einerseits und Meeren andererseits, und zwar des Äußeren in gleicher Weise wie des Inneren, noch einmal hervorgehoben werden 1 5 : denn wer seine Sinne darauf richtet, 14 Diese Konsequenz der poseidonischen Klimatheorie klingt bei Plinius, NH II 190 (= F 122) mit dem Blick auf die Randbewohner der Oikumene an: . . . isdem imperia, quae numquam extimis gentibus fuerint, sicut ne illae quidem his paruerint avolsae ac pro immanitate naturae urguentis illas solitariae.
15
... την dßoXoyiav της χώρας πρός те τους ποταμούς Kai την ϋάλατταν
...
Partner der Homologie sind Flüsse und Meere, nicht aber das Land selbst. Das Genitiwerhältnis, in dem χώρα zu ομολογία steht, ist subjektivisch zu verstehen: die Homologie von Flüssen und Meeren charakterisiert eine besondere Eigenschaft des Landes. Der Begriff όμολογία ist hier nicht terminologisch, im Sinne der stoischen Ethik, gebraucht, sonst müßten das menschliche Leben und die (vom Logos durchwaltete) Natur des Kosmos als Partner der Homologie erscheinen (vgl. SVF I 45, 179; III 3,3ff.). Lasserres Poseidonios-Begründung, hier werde das stoische Thema der όμολογία abgehandelt (s. auch S. 82 Anm. 9), ist darum so nicht verständlich. Mit dem stoischen Begriff hat ομολογία hier allenfalls gemeinsam, daß es sich um einen Relationsbegriff handelt, der jedoch zunächst, in der Zusammenstel-
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der wird erkennen, daß nicht zuletzt der Vorteil des Landes darin besteht, daß das, was zum Leben notwendig ist, mit Leichtigkeit von allen zu allen hin und hergebracht wird (έπιπλέκεσΰαι) und daß dadurch die Vorteile (des Landes) allen gemeinsam erwachsen; vornehmlich jetzt, da sie von den Waffen ausruhend eifrig das Land bestellen und ein zivilisiertes Leben führen; daher kann man wohl der Meinung sein, daß dieses Land nicht, wie es sich zufällig ergab (όπως ετυχβν), sondern nach einer vernünftig planenden Kraft (μετά λογισμού) angelegt ist und auf diese Weise Zeugnis ablegt von dem Werk der Vorsehung (тгроиоиг)". Der Gedankengang dieses Stückes wird durch den Einschub μάλιστα δε νϋν bis πολιτικούς, wenn nicht verfälscht, so doch störend unterbrochen. Schon sein Satzbau weist ihn als Zusatz aus, da hier das Subjekt wechselt, ohne gleichzeitig durch ein Nomen bezeichnet zu werden. Ob der Satz durch eine ungeschickt vorgenommene Kürzung Strabons an seiner Vorlage entstanden ist 1 6 , oder ob er der Bemühung Strabons um eine Aktualisierung seiner möglicherweise etwas ,veralteten' Quelle 17 im Sinne einer panegyrischen Zuspitzung auf einen historischen Moment zuzuschreiben ist 1 8 , — in jedem Fall muß diese Bemerkung hier gewaltsam in die allgemeine Aussage über die Beschaffenheit des Landes eingefügt worden sein. Ohne den Einschub erhalten wir einen klar in drei Teile gegliederten Satz, der im ersten Teil einen Befund feststellt und ihn in den anderen beiden Teilen auf zwei sehr verschiedenen Ebenen interpretiert. Der ausgesonderte Satz hatte sich zwischen die beiden Deutungen des Befundes (der ομολογία) geschoben, die nun direkt aufeinander folgen. Die erste Deutung (ei/poi yap äv τις έπωτήσας) zeigt die handelstechnischen lung mit Flüssen und Meeren, ganz vordergründig zu verstehen ist. Daß man ihn schließlich auch spezifischer, als Verweis auf den Logos, der in der Physis des Landes sichtbar wird, interpretieren könnte, dafür liefern erst die anschließenden Ausführungen die nötigen Anhaltspunkte. Zum Begriff: G. Bornkamm, ΟΜΟΛΟΓΙΑ, Zur Geschichte eines politischen Begriffes. Zuerst: Hermes 71, 1936, 3 7 7 - 9 3 , jetzt in: Geschichte und Glaube, I, München 1968, 1 4 0 - 1 5 6 ; zur Homologie der Stoa, daselbst 152ff. 16 Einen Ansatzpunkt für das personale Bezugswort, welches dann in dem von Strabon weggelassenen Satzteil gestanden haben müßte, könnte man in ,κοιτάς' erblicken, das bereits die Bewohner des Landes in die Landbeschreibung einbezieht. 17 Dazu oben S. 82 Anm. 9. 18 Lasserre vermutet hier einleuchtend eine panegyrische Anspielung auf die pax Augusta (S. 210 η. 2 zu S. 144).
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Chancen des gallischen Flußsystems auf, die zweite geht hiervon aus (ώστε), betritt jedoch überraschend eine theologische Ebene und sieht in der (recht, d.h. im Sinne der ersten Deutung verstandenen) geographischen Situation ein Zeugnis fürsorglich planenden Wirkens (μετά λογισμού) der Vorsehung. Wenn also die Möglichkeiten, die das Flußsystem in Gallien bietet, erkannt und durch Handel und Verkehr unter den Menschen ausgenützt werden, ist der in der Natur dieses Landes angelegte Zweck, für Ausgleich und Überwindung geographisch und klimatologisch determinierender Faktoren zu sorgen, erfüllt, und Physis wird als Pronoia erkennbar 19 . Solche, das ,Werk der Physis und das Werk der Pronoia' in eins zusammenfassende Betrachtung der Natu. 2 0 kennzeichnet die natürliche Theologie des Poseidonios, nach dessen Verständnis sich φύσις demjenigen als "πρόνοια offenbart, der sie teleologisch befragt und gewahr wird, daß ihr Wirken auf Erhaltung und Wohlergehen des Kosmos und aller seiner Teile ausgerichtet ist. Karl Reinhardt 2 1 hat mit dieser Fragestellung das Material bei Cicero, de natura deorum II gesondert und als poseidonisches Thema (der ciceronischen Nebendisposition) herauskristallisiert, was II 22,58 formuliert und teilweise 19
πρόνοια, ebenfalls in Verbindung mit φύσις oder έπίπτωσις, erscheint auch sonst bei Strabon: 1. V 3,8 p. 235; 2. V 3,8 p. 236; 3. XII 3,39 p. 561; 4. II 3,7 p. 102/03; 5. XVII 1,36 p. 809/10. In den ersten drei Stellen werden zu den naturgegebenen Vorzügen einer Stadt diejenigen addiert, die durch das Zutun der Menschen entstanden sind, d.h. πρόνοια bezeichnet hier, völlig unkosmisch, eine menschliche (Kultur-)Leistung. Strabon schmückt seine Beschreibung mit einer philosophischen Terminologie, ohne deren philosophische Bedeutung zu berücksichtigen. — Die 4. Stelle steht dagegen in poseidonischem Kontext (= F 28 § 22); Strabon bestreitet hier offenbar seine Kritik an Poseidonios mit poseidonischem Material (vgl. Jacoby IIc, 178): nicht έκ προνοίας entständen geographische Einteilungen wie die nach Breiten oder Erdteilen, sondern κατά έπίπτωσα> Kai σνντυχίαν. Von Pronoia kann in diesem Kontext bei Poseidonios die Rede sein, weil — das ist der Inhalt der 5. Stelle (XVII 1,36 p. 809/10) - Natur und Vorsehung zur Hervorbringung der Oikumene und ihrer Formation so ineinanderwirken und gewirkt haben, daß sie für den Menschen als dem höchsten irdischen Wesen bewohnbar ist (dazu auch unten S. 106). Auch hier begründet also die teleologische Fragestellung den Übergang von der Erdkunde in den Bereich der Theologie. Zur Interpretation der Stelle und ihrer Zuweisung an Poseidonios: Reinhardt, Poseidonios, 125f. und RE 664ff. 20
Vgl. Reinhardt, RE 664; 706. Zum Verhältnis von φύσις und πρόνοια allgemein in der Stoa: G. Picht, Die Grundlagen der Ethik des Panaitios, Diss. Freiburg 1943, 22 (M.S.). 21 Poseidonios, 208ff., Kosmos und Sympathie, 154ff., RE 697ff.
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in den teleologischen Kapiteln 115ff. ausgeführt ist: haec potissimum providet et in is maxume est occupata (sc. TtpÖVOUL), primum ut mundus quam aptissimus sit ad permanendum, deinde ut nulla re egeat, maxume autem ut in eo eximia pulchritudo sit atque omnis ornatus. Das Material, dessen sich Cicero für die Beweisführung bedient, umfaßt den gesamten Kosmos: er beginnt mit der zum Schutz vor äußerer Beschädigung vorzüglich geeigneten Kugelgestalt der Welt, verweist auf Nahrungs- und Wachstumskräfte, die Himmel und Erde einander liefern, um sich dann der Pflanzen- und, mit besonderer Ausführlichkeit, der Tierwelt zuzuwenden. Zahlreiche, auf Grund der Detailfülle außerordentlich farbige Beispiele dienen dazu, hier die Kraft der Erhaltung in ihren vielfältigen Ausdrucksformen anschaulich zu machen, mit dem Ziel, Natur als Vorsehung zu charakterisieren. Mit den Paragraphen 130ff. wird der Mensch in die Betrachtung einbezogen. Auf ihn weisen nicht nur die Pflanzen und Tiere, die seiner Pflege für ihre eigene Erhaltung bedürfen, sondern auch die unbelebte Natur, die vielerorts Voraussetzungen für ein mangelloses Leben des Menschen bietet. Leider hat Cicero gerade hier, wo es darum ging, „die geographische Mannigfaltigkeit dem teleologischen Gesichtspunkt zu gewinnen" 2 2 , stark gekürzt. Aus den angedeuteten Beispielen hat Reinhardt geschlossen, daß sie ursprünglich zusammengestellt waren, um zu zeigen: „die Natur sorgt für E r s a t z " 2 3 . Vielleicht müßte man, um sie wirklich alle zu fassen, noch allgemeiner sagen: sie sorgt für Ausgleich. Die aufgezählten Flüsse, die ihr durchströmtes Land bewässern (Nil), jährlich mit frischem Boden versehen (Euphrat) und zusätzlich noch besäen (Indus), schaffen Lebensbedingungen in Gebieten, die ihrer geographischen Lage nach dem klimatischen Wüstengürtel der Oikumene angehören und zur Bebauung sonst extrem ungeeignet wären ( 1 3 0 ) 2 4 . Vielfalt der Früchte und unterschiedliche Reifezeiten im J a h r verhindern, daß jemals Mangel aufkommt; die Etesien mildern die sommerliche Hitze und machen sie für das gesamte Leben erträglich (131). Ehe diese Reihe mit dem Hinweis auf den gleichmäßigen Wechsel von Tag und Nacht schließt, der den Menschen zu einem zwischen Arbeit und Ruhe ausgeglichenen Leben verhilft, nennt Cicero in Stichworten, was er übergeht ( 1 3 2 ) : enumerari enim non possunt fluminum opportunities, aestus maritimi mutuo accedentes et recedentes, montes vestiti atque silvestres, salinae ab ora maritima remotissimae, medicamentorum saludarum plenissimae terrae, dotes denique innumerabiles ad victum et ad vitam necessariae.
Zu dem angedeuteten Punkt der ,fluminum opportunitates' in Ciceros theologischem Gedankengang liefert nun die poseidonische Galliencharakterisierung ein ausführliches Beispiel, dessen teleologische Pointe durch die Klimalehre und ihre Implikationen 2 5 ganz hervortritt: auch dort war ja Physis als Pronoia erwiesen worden
22 23 24 25
Reinhardt, Reinhardt, Dazu oben Darin ganz
Kosmos und Sympathie, 169f. Kosmos und Sympathie, 170. S. 15f. entsprechend den von Cicero ausdrücklich genannten Flüssen.
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in der Einsicht, daß die Natur mit dem gallischen Flußsystem Ausgleich und Ersatz zur Förderung und Erhaltung menschlichen Lebens bis in den kalten Norden hinein geschaffen hat, bis in ein Gebiet also, in dem dieses Leben auf Grund der geographischen Lage und des Klimas von Mangel bedroht ist. Von diesem Interesse für die günstigen Verbindungsmöglichkeiten zwischen Mittelmecr und Ozean her, die einen natürlichen Ausgleich zwischen Fülle und Zugänglichkeit der Mitte und Kargheit und Entlegenheit des (nördlichen) Randgebietes gewähren, läßt sich nun auch eine Verbindung herstellen von der Darstellung des Flußsystems zu dem Einleitungssatz des Kapitels IV 1,14: „Tolosa aber ist auf der schmälsten Stelle der den Ozean vom Meere bei Narbo scheidenden Landenge erbaut, von welcher Poseidonios sagt, daß sie weniger als 3 0 0 0 Stadien halte" (Forbiger), — zu der Frage also nach der kürzesten Strecke zwischen diesen beiden Meeren. Damit wird zwischen dem unter Poseidonios' Namen überlieferten Fragment (F 34) und dem Rest des Kapitels ein innerer Zusammenhang sichtbar, von dem bei Strabon allerdings nur noch die bloße Tatsache der Zusammenstellung übrig geblieben ist. Die Maßangabe über die Landenge 2 6 (F 34) bestätigt den poseidonischen Ursprung weiterer Partien in Strabons Werk, was bei Lasserre in der Regel vermerkt ist, ohne daß das Interesse des Poseidonios an dieser Landenge 2 7 erklärt wäre. 1. Strabon beginnt mit II 5,27 p. 127 einen Uberblick über Größe und Gestalt der einzelnen Länder, die er in den folgenden Büchern genauer beschreiben wird. Bei den Angaben über Keltike (II 5,28 p. 128) wird der Landenge zwischen Mittelmeer u n d Ozean auf der Höhe von Narbo für die Gestaltung des Landes besondere Bedeutung beigemessen. Hier hat Gallien seine geringste Breite von weniger als 3 000, mehr als 2 0 0 0 Stadien. 2. Zu Beginn seiner Ausführungen über Iberien greift Strabon (III 1,3 p. 137) auf seine allgemeinen Angaben im 2. Buch zurück. Die geringste Breite fällt mit dem in nord-südlichem Verlauf vorgestellten Pyrenäengebirge 2 8 zusammen, welches die Grenze zum Keltenlande bildet. Ihre Ausdehnung wird auf 3 0 0 0 Stadien angegeben und bemerkt, daß die Landenge noch um ein geringes schmaler sei als die Länge der Pyrenäen. Die Angabe entspricht also den p. 128 genannten Maßen für die Landenge: weniger als 3 000, mehr als 2 000 Stadien. In diesem Abschnitt geht den Maßen der Vergleich Iberiens seiner Gestalt nach
26
Die entsprechende Angabe auch bei Diodor, V 35 (= F 117); dazu Müllenhoff, Deutsche Altertumskunde II, 177f. und 303ff. 27 Poseidonios' allgemeines Interesse an den Landengen läßt F 101a/b erkennen. 2 » Dazu oben S. 83 Anm. 11.
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mit einer ausgebreiteten Rindshaut voran (έ'οικε yap βύρση τεταμένη . . . ) , welche sich in ihrer Länge von Westen nach Osten erstrecke. 3. Zieht man hier den Abschnitt II 5,27 p. 127 hinzu, in dem auch schon durch das Bild der Rindshaut das iberische σχήμα anschaulich gemacht wurde, so wird deutlich, daß die Maßangaben mit diesen Gestaltangaben unmittelbar zusammenhängen 2 9 : das schmale Halsstück (Landenge) fällt hinüber ins benachbarte Keltenland und wird von der übrigen Haut durch die Pyrenäen im Osten abgetrennt. Die Beschreibung der Gestalt Iberiens greift also über die tatsächliche iberischkeltische Grenze hinaus. Das Interesse gilt der Landenge, die sowohl bei der iberischen als auch bei der keltischen Beschreibung behandelt ist. Weil sie im Sinne von Strabon II 5,17 p. 120 3 0 auf die der Oikumene Gestalt gebende Funktion des Meeres verweist, kann sie als primäre Nahtstelle zwischen den beiden Ländern verstanden werden. Für solche Anschauung muß dann auch die Beobachtung, daß die Bewohner des Landengengebietes, die Aquitaner, nach Sprache und Körperbau mehr den Iberern als den übrigen gallischen Stämmen gleichen (Strab. IV 1,1 und IV 2,1), als Zeugnis und Bestätigung besonderes Gewicht erhalten 3 1 . P o s e i d o n i o s hat also die g e o g r a p h i s c h e n B e d i n g u n g e n in Gallien als einzigartige A u s n a h m e s i t u a t i o n g e k e n n z e i c h n e t u n d b e s c h r i e b e n , weil hier die P r o n o i a m i t d e m F l u ß s y s t e m b u c h s t ä b l i c h d e n ,Weg g e w i e s e n ' hat zur Ü b e r w i n d u n g o d e r M o d i f i z i e r u n g der ungünstigeren Verhältnisse in d e n n ö r d l i c h e n L a n d e s t e i l e n . D e m g e g e n ü b e r n e h m e n sich die Passagen in S t r a b o n s S p a n i e n b u c h , in d e n e n die G e g e b e n h e i t e n an S p a n i e n s nördlicher O z e a n k ü s t e charakterisiert w e r d e n , w i e ein negatives G e g e n b i l d aus. D i e Klimalehre klingt auch hier in d e m ersten k u r z e n Uberblick über die L e b e n s b e d i n g u n g e n in d e n e i n z e l n e n ibe-
29
A. Schulten, Polybius und Posidonius über Iberien. Hermes 46, 1911, 587f., betont auch den Zusammenhang zwischen den Maßangaben und dem Vergleich mit der Rindshaut. J . Morr, Die Quellen in Strabons III. Buch. Philol. Suppl. XVIII, 3, Leipzig 1926, 24f., schreibt das Bild Poseidonios zu, indem er auf andere erdkundliche Vergleiche bei Poseidonios hinweist: F 98a/b; Strab. II 5,14 p. 118/19. 30 πλείστον δ' ή ΰάλαττα уешуραφεί και σχηματίζει την γην κόλπους änepyaξομένη και πελάγη και πορδμσύς, όμοίως δε ίσι?μούς και χερρονήσους και ακρας προσλαμβάνουσι δέ ταύτη και οι ποταμοί και τα 6ρη. Dazu Jacoby lie, 171 und über den theologischen Exkurs bei Strabon XVII 1,36 p. 809/10 (vgl. oben S. 86 Anm. 19) Reinhardt, Poseidonios, 126 und ders., RE 664ff. 31 Zu Poseidonios als Quelle für Strabons Oberblick über Gesamtgallien, oben S. 82 Anm. 9. Zur poseidonischen Herkunft der Bemerkungen über die Aquitaner: Trüdinger, Studien, 125; Jacoby IIc, 205. Auch der Hinweis, daß .Iberien' früher bis zur Rhone und zur Landenge gereicht habe (Strab. III 4,19 p. 166), könnte seine Überlieferung diesem Interesse verdanken.
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rischen Landstrichen nur flüchtig an 3 2 , für welche die gewohnte Qualitätsabstufung vermerkt wird (III 1,2 p. 137): im Süden außerordentlich gute, im größten übrigen Teil mit Gebirgen, Wäldern und mageren, unzureichend bewässerten Ebenen sehr viel ungünstigere Verhältnisse, im Norden schließlich, im Bereich der Ozeanküste, zu Kälte und Unwirtlichkeit auch noch die Nachteile völliger Isolation 33 . Schon dieser knappe Abriß verrät ein Interesse, das sich in der folgenden Beschreibung der spanischen Landesteile immer wieder aufspüren und mehrfach belegen läßt, das Interesse an solchen Faktoren nämlich, die verstärkend oder abschwächend Einfluß nehmen auf die natürliche (klimatische) Determination und die auf diese Weise die Wirkung der guten wie der schlechten Ausgangsbedingungen unterstützen und multiplizieren oder aber hemmen und modifizieren. 2. Stabilisierung: das Beispiel Turdetaniens im Norden Spaniens
und der
Gebirgsvölker
Am Beispiel Turdetaniens im Süden Spaniens, dessen anschauliche und differenzierte Beschreibung bei Strabon im Wesentlichen auf Poseidonios zurückgeht 34 , wird ausdrücklich illustriert, wie an sich 32 Entsprechend IV 1,2 p. 1 7 7 / 7 8 , s. oben S. 81f. Zu Strabons Quellen im 3. Buch, vgl. F. Lasserre, Strabon, Geographie II (Livres III et IV), Paris 1966, Notice, 4ff., der die wichtigste Literatur vermerkt u n d gute Poseidonios-Kriterien aufzählt (S. 6). 33 Dazu ist die oben S. 84 Anm. 14 angeführte Pliniusstelle zu vergleichen (F 122). Die allmähliche Qualitätsabstufung nach Norden ist auch III 1,6 p. 139 u n d III 2,3 p. 142 im Blick. Strab. III 1,6 p. 139; 2 , 1 - 9 p p . 1 4 1 - 1 4 7 . Vgl. Lasserre zu III 2,4 p. 142 (S. 33 n. 4); Strasburger, Wesensbestimmung, 94. Neben den Kriterien, die der Zusammenhang der Untersuchung herausstellt, sind hier eine Reihe von Einzelindizien zu beobachten, die für Poseidonios charakteristisch sind: 1. Die Betonung des Augenscheins oder der S t a n d p u n k t des Sehenden (III 2,3 p. 141/42), der zwar zu den Kennzeichen des Periplus u n d speziell auch des άνάπλους gehört (vgl. R. Güngerich, Die Küstenbeschreibung in der griechischen Literatur, Münster 1950, 6 u n d 12), für den es aber charakteristische Poseidonios-Parallelen gibt: F 47 (ίβών τις τους τόπους), F 55 (über die tetes coupees), F 88 (über eine vulkanische Erscheinung auf den Liparischen Inseln);
dazu III 2,7 p. 145 (τοις πόρρωάφορώσι... φαίνεται), IV 1,14 p. 188 (βϋροι yap άν τις έπιστήσας ... s. oben S. 84), V 4,8 p. 247 (in der Vesuvbeschreibung: έκ δέ της ΰφεως τβφρώδης ... φαίνει); VI 2,10 ρ. 276 (Thermessa: ούκ ёд. δαυμάξειν τους δρώντας ...).
90
s c h o n g u t e A u s g a n g s b e d i n g u n g e n ( ή δέ Ш
νότιος
π ά σ α εύδαίμων
σχβ-
τ ι . . . III 1 , 2 p . 1 3 7 ) n o c h g e s t e i g e r t w e r d e n k ö n n e n , w e n n die
g e o p h y s i s c h e B e s c h a f f e n h e i t des L a n d e s in gleicher Weise begünstigend w i r k t . W a s die Fülle, V e r s c h i e d e n a r t i g k e i t (III 2 , 4 p . 1 4 2 ) und Q u a l i t ä t seiner P r o d u k t e (III 1 , 6 p . 1 3 9 ; 2 , 6 p . 1 4 4 ) , u n d z w a r des L a n d e s w i e des M e e r e s , b e t r i f f t , hält T u r d e t a n i e n d e n V e r g l e i c h m i t d e n b e s t e n T e i l e n d e r O i k u m e n e aus (III 1 , 6 p . 1 3 9 ) 3 S , ein U r t e i l , m i t d e m , n a c h u n s e r e m V e r s t ä n d n i s , a u f die Z u g e h ö r i g k e i t z u m klim a t o l o g i s c h begünstigten M i t t e b e r e i c h verwiesen w i r d 3 6 . Diese natürliche Segensfülle w i r d n u n d u r c h einen H a n d e l s b e t r i e b v e r d o p p e l t , dessen P r o b l e m l o s i g k e i t u n d dessen A u s m a ß T u r d e t a n i e n einer B e s o n d e r h e i t seiner südlichen O z e a n k ü s t e v e r d a n k t : H i e r sind die E b e n e n 2. Die zwischen .früher' und j e t z t ' differenzierende Beschreibung: III 2,3 p. 141/42 von den Schiffsarten, III 2,6 p. 144 über die textilen Ausfuhrgüter, III 2,8 p. 146 über die Kupfer-, bzw. Goldgruben, III 3,7 p. 155 über Schiffsarten, III 4,8 p. 159/60 über Emporium, III 5,2 p. 168 über die Balearen, F 119 über Tyrrhenien (dazu oben S. 77 mit Anm. 56), V 1,12 p. 218 über die Metallgewinnung im Norden Italiens. 3. Der Blick auf Rom als .Zusammenfluß von Gütern' (vgl. Strab. V 3,7 p. 234/35: συνδρομή τις άγαΰών): III 2,5 p. 143/44 und III 2,6 p. 145 von Turdetanien her; VI 2,7 p. 2 7 3 von Sizilien her (dazu auch oben S. 66f.); V 1,12 p. 2 1 8 von Gallia cisalpina; V 2,9 p. 226/27 von den tyrrhenischen Seen; IV 4,3 p. 197 von den Kelten her. 4. Die Reihung charakterisierender Adjektive: III 2,3 p. 142 πέδιον μεγα, ύφηλόν, βϋκαφπον, μεγαλόδενδρον, βϋβοτον, entsprechend F 116 (Diod. V 31) über die Kelten; Strab. III 3,6 p. 154 über die Lusitaner; III 3,7 p. 154/55 über die iberischen Bergstämme; V 3,5 p. 231 über Latium; V 4,8 p. 247 über den Vesuv; VI 2 , 1 0 p. 2 7 5 über Thermessa. Selbst wenn in solcher Reihung eine Eigenheit Strabons zu sehen sein sollte (Trüdinger, Studien, 9 4 ; aber vgl. auch 97 zu F 116), scheint er damit doch auf die differenzierend und anschaulich beschreibende poseidonische Vorlage zu reagieren. Vgl. auch oben S. 16 mit Anm. 12. 35 ... ύπερβολήν ούκ änoKeine ι προς ωτασαν κρινομένη την οικουμένη ν άρετης χάριν καί των έκ γης ксй ύαλάττης αγαθών. 36 Der Hinweis auf Menge, Qualität und/oder Verschiedenartigkeit der Erzeugnisse durchzieht die ganze Turdetanienbeschreibung: III 2,4 p. 142; 2,6 p. 144 (von den Ausfuhrgütern und vom Viehvorkommen); 2,7 p. 145 (von den Seefischen); 2,8 und 9 p. 146 (über die Metallvorkommen; vgl. auch Diodor V 35,1 = F 117). Entsprechendes findet sich, ebenfalls gehäuft, im Italienbuch, in poseidonischen oder möglicherweise poseidonischen Partien: V 1,12 p. 218 (vom diesseitigen Gallien); 3,5 p. 231 (von Latium); 4,3 p. 242/43 (von Kampanien); VI 2,3 p. 269 und 2,7 p. 273 (von Sizilien, vgl. auch oben S. 66f.); 3,9 p. 2 8 4 (von Apulien); schließlich auch 4,1 p. 2 8 6 (von Italien als Ganzem, s. oben S. 62) und bei Diodor V 4 0 ( = F 1 1 9 § § 3 und 5, von Tyrrhenien).
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von zahlreichen Gräben und Schluchten (άναχνσεις) durchzogen, welche die Flut, die gerade im Bereich der Meerenge besonders heftig andringt, aufnehmen; so werden sie zeitweilig zu Flüssen und Kanälen, die als vollwertige Fahrrinnen das Flußnetz für den Schiffsverkehr erweitern und ergänzen und das Hinterland überall bequem mit dem Küstenstrich verbinden (schon III 1,9 p. 140, ausführlich III 2,4 p. 142/43 und 2,5 p. 143/44). Die Darstellung des regen Handelsverkehrs, der auf diese Weise im Inland wie mit dem Ausland möglich wird, steht im Zentrum der Turdetanienbeschreibung (III 2,4—7), denn er bringt sinnfällig zum Ausdruck, daß die Bewohner den Zweckzusammenhang, der sich aus dem Ineinandergreifen von Meer und Land 3 7 in ihrem Gebiet ergibt, erkannt und verwirklicht haben (III 2,5 p. 143: καταμαΰόντες 8' οΰν την ψύσιν των τόπων ο'ι άν&ρωποι . . . ) . Die zahlreichen Städte (III 2,1 p. 141) auf relativ kleinem Raum, an den Anachyseis wie an den Flüssen angelegt (III 2,5 p. 143), können bezeugen, wie die günstigen Ausfuhrbedingungen den natürlichen Reichtum des Landes vermehrt haben; darüber hinaus werfen sie aber auch ein Licht auf die Bewohner Turdetaniens, deren natürliche Disposition (im Sinne der poseidonischen Klimatheorie) unter so adaequaten Umweltsbedingungen offensichtlich voll zum Zuge k o m m t : Als die οοφώτατοι unter den Iberern sehen sie auf eine alte literarische und gesetzgeberische Tradition zurück (III 1,6 p. 139) 3 8 und haben Gemeinschaftsqualitäten ausgebildet, von denen ausdrücklich vermerkt wird, daß sie mit der Güte des Landes in Einklang stehen: (III 2,15 p. 151) τ\) δέ της χώρας ευδαιμονία και το ημερον και το πολιτικόν39 συνηκολούύηοε τοις ΎονρδητανοΙς. 37
Für dieses Küstenphänomen, der Homologie von Meeren und Flüssen in Gallien durchaus vergleichbar (Strab IV 1,14, oben S. 84), hat sich Poseidonios sicherlich auch im Problemzusammenhang von nep'l ώκεανού interessiert, weil es anschaulich machen kann, wie Wasser und Meer fortwährend ineinander übergehen (Strab. XVII 1,36 p. 809/10) und das Meer dem Land Kontur verleiht (Strab. II 5,17 p. 120, dazu oben S. 89 Anm. 30 und S. 86 Anm. 19). Ein entsprechendes Phänomen ist im Italienbuch mit vergleichbarem Interesse beschrieben (Strab. V 1,5 p. 212, wo zugleich der Vergleich mit dem ägyptischen Unterland für Poseidonios als,Vorlage spricht; vgl. Lasserre, zur Stelle). 38 Dazu auch Strab. III 4,3 p. 157 über Asklepiades von Myrleia, der in Turdetanien Grammatiklehrer war (Jacoby, FGrHist Nr. 697) und Strabon möglicherweise durch Poseidonios bekannt war. 39 Zum Begriff πολιτικός bei Strabon, F. Schotten, Zur Bedeutungsentwicklung des Adjektivs πολιτικός, Diss. Köln 1966, 123ff.
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Daß solcher Städtereichtum auf die Möglichkeiten und Fähigkeit der Bewohner zurückverweist, ihr Leben als JeQOV \0yov έχον Kai πολιτικού zu verwirklichen, bestätigt die sicher poseidonische Bemerkung 4 0 über die entgegengesetzte Situation in Keltiberien (III 4,13 p. 163), wo die Natur des Landes und die — entsprechende — Lebensweise der Bewohner eine durchgängige städtische Siedlungsweise gerade nicht ermöglichen, bzw. denkbar erscheinen lassen; denn das Land wird charakterisiert als karg, entlegen und unbebaut und die Bevölkerung als wild und zivilisationslos, so daß für sie nur ein Zusammenleben in Dörfern 4 1 in Frage kommt. D o c h n i c h t n u r die G u n s t d e r g u t e n , s o n d e r n a u c h die U n g u n s t d e r k l i m a t o l o g i s c h s c h l e c h t e n Ausgangsbedingungen k a n n d u r c h die bes o n d e r e n G e g e b e n h e i t e n des L a n d e s n o c h eine S t e i g e r u n g e r f a h r e n , in d i e s e m Fall z u m N a c h t e i l d e r B e v ö l k e r u n g , w o f ü r das Gebiet d e r n ö r d l i c h e n O z e a n k ü s t e in S p a n i e n das Beispiel liefert. N e b e n d e r gen a n n t e n C h a r a k t e r i s t i k i m ersten Ü b e r b l i c k über S p a n i e n (III 1 , 2 p. 1 3 7 ) , w o das άμικτον
κάνεπίπλβκτον
als zusätzliches E r s c h w e r n i s
für die B e w o h n e r der kalten u n d r a u h e n N o r d k ü s t e s c h o n hervorgeh o b e n w u r d e , ist die k n a p p e , n a c h t r a g a r t i g e B e m e r k u n g S t r a b o n s a m A n f a n g des Kapitels III 3 , 8 p . 1 5 5 h e r a n z u z i e h e n , mit d e r e r sich a u f die p o s e i d o n i s c h e n A b s c h n i t t e über L u s i t a n i e n (III 3 , 5 — 6 ) und die n o r d i b e r i s c h e n Gebirgsvölker (III 3 , 7 p. 1 5 4 / 5 5 ) z u r ü c k z u b e z i e h e n s c h e i n t 4 2 . Das Ungezügelte und Wilde in i h r e m Wesen (τό δνσήμερον
Kai äypiτες άϋρόαν, άντι της γης έκαρποϋντο την θάλασσαν und 14,96: ούχ υπό μοχθηρίας, άλλ' άπορίφ βίου (δια τον πόλεμον) έπι ταύτα έλθείν. 22 Der Hinweis auf die Umkehrung der Werte scheint ein Kennzeichen des Poseidonios zu sein: F 117 (Diod. V 34,7, von den Lusitanern, die das unwirtliche Bergland als .Vaterland' und .Zufluchtsstätte' betrachten); F 116 § 7 (Diod. V 32, zu einem Paradoxon bei den Kelten im Blick auf γάμος und μεϊξις); Strab. III 4,16 p. 164, über die Wirkung römischer Offiziere auf die Vettonen; Diod. 33,7,3: die pointierte Charakterisierung der Werteskala des Viriatus. 23 Plut. Pomp. 24. μ App. Mithr. 14,92. " Plut. Pomp. 24. 26 Plut. Pomp. 28,5: έννοήσας ούν от ι φύσει μεν άνθρωπος οϋτε γέγονεν oik' εστίν άνήμερον ξώον ούδ' αμεικτον, άλλ' έξίσταται τη как ид. παρά φύσιν χρώμενος, εθεσι δε και τόπων και βίων μεταβολαϊς έξημερούται... έ'γνω τούς άνδρας εις γην μεταφέρενν έκ της θαλάσσης και βίου γεύειν έπιεικοϋς, σννεϋισθέντας έν πόλεσιν οϊκείν και γεωργεϊν. Dazu Strasburger, Poseidonios on Problems, 5Of.
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der die Menschen darauf reagierten, sie zu wilden Kreaturen entarten ließ, die mit der Gemeinschaft der Menschen nichts mehr verband, so war nun auch bei den Voraussetzungen für diesen Bios anzusetzen, wenn eine wirksame und dauerhafte Abhilfe eingeleitet werden sollte. Mit der Uberführung der Piraten vom Meer auf das Land wird ihnen die Möglichkeit eröffnet, im Rahmen städtischer Siedlungen und bäuerlicher Erwerbstätigkeit eine dem Menschen adäquate Lebensweise „zu kosten", mit dem Ziel, die gestörte Homologie von menschlicher Physis und natürlicher Beschaffenheit ihrer Lebensbedingungen zu restituieren. Dabei weist die Vorstellung von dem Bios als einer ,Kost', die organisch auf die körperliche und psychische Konstitution der Menschen einwirkt 2 7 , auf die Uberzeugung des Poseidonios hin, daß die Lebensweise im Leben der Völker wie die Diät in der Erziehung des Einzelnen therapeutisch eingesetzt werden k ö n n e n 2 8 . So zeichnet sich Pompeius' Lösung des Seeräuberproblems für Poseidonios durch den Heilungsprozeß aus, der hier für die Betroffenen auf Grund einer gründlichen Analyse ihrer Lebensweise und ihrer Lebensvoraussetzungen eingeleitet wurde. Darüber hinaus ließ die gezielte Einflußnahme auf gerade diese Bevölkerungsgruppe (über ihre Lebensweise) wohl auch besonders evident werden, daß die Heilung eines Gliedes der menschlichen Gemeinschaft immer auch zum Wohl der gesamten Menschheit ausschlägt 29 . Von hier aus läßt sich nun auch wahrscheinlich machen, wie Poseidonios die Stellung der Römer, des klimatologisch bevorzugten Mitte-Volkes, im Rahmen der Völker der Oikumene sah. Nach dem klimatologischen Verständnis des Poseidonios sind die Unterschiede zwischen den Ländern und Völkern der Oikumene kosmisch bedingt. Während im Bereich der Mitte nördliche und südliche Klimaeinflüsse auf natürliche Weise zu optimalen Lebensbedingungen ausgeglichen werden, ist für die übrigen Länder und Völker der ent27
App. Mithr. 14,92: . . . yevoäßevoi
be κερδών
μεγάλων . . . Dazu F 108d:
τροφής και -γάλακτος και κρεών παρακειμένων, νλήΰος έξηγρίου τάς τε φυχάς και τα σώματα und Livius 38,17, über die Keltogalater in Kleinasien; dazu Norden, Germanische Urgeschichte, 156ff. und Reinhardt, RE 681. 28 Reinhardt, RE 628: „Therapeutisch wie die Ethik war auch das Geschichtswerk." Dazu 661 f. und besonders 741. 29 Zur menschlichen Gemeinschaft als Organismus, Mark Aurel, 8,34; 11,8; 2,1. Zur poseidonischen Herkunft dieses Themas, W. Theiler, Kaiser Mark Aurel, Wege zu sich selbst, Zürich 1951 (BAW), 20 und ders., Die Vorbereitung des Neuplatonismus. Zetemata 1, Berlin 1930, 11 Off.
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sprechende Ausgleich an politische Voraussetzungen geknüpft; denn die unterschiedlichen, jeweils ergänzungsbedürftigen Naturen dieser Völker und die verschiedenartigen, jeweils einseitigen Erzeugnisse dieser Länder können nur im Rahmen der gesamten Oikumene zu einer — der vollkommenen Situation in der Mitte vergleichbaren — Einheit zusammengefaßt werden. Dem natürlichen Prozeß der „Differenzierung aus einer Ureinheit" 3 0 durch das Klima muß daher ein politischer Prozeß korrespondieren, der überall Bedingungen für vergleichbare Lebensmöglichkeiten schafft. Nach der Klimatheorie des Poseidonios sind die Impulse für einen solchen Prozeß von den Römern zu erwarten, weil sie, als Volk der Mitte, weder nach der Seite ihrer materiellen Versorgung noch nach der Seite ihrer geistigen und charakterlichen Ausstattung auf Ausgleich und Ergänzung von außen angewiesen sind. Diese klimatologisch begründete natürliche Vorgabe muß darum wohl als Anspruch verstanden werden, innerhalb der Oikumene auf eine κοινωνία hinzuwirken, in der, nach dem Vorbild des Kosmos, die Länder und Völker zu einer organischen Einheit zusammengefaßt sind, innerhalb derer sie nach Funktion und Bedürfnis so ineinanderwirken, daß Wohl und Bestand des Ganzen wie aller Teile garantiert werden 3 1 . Diese allgemeine politische Konsequenz der Klimatheorie wurde offenbar im Kontext des poseidonischen Geschichtswerkes vielfältig erläutert und modifiziert, zunächst, wie wir sahen 3 2 , im Blick auf die Römer selbst, deren ,historischer Phänotyp' keineswegs selbstverständlich die bevorzugte charakterliche Grundausstattung erkennen ließ. Die politische Aufgabe der Römer innerhalb der Oikumene muß daher für Poseidonios mit der ethischen Anforderung an sie selbst verbunden gewesen sein, der Gefährdung durch ihren eigenen natürlichen Reichtum und dem Mißbrauch ihrer Position zu eigennütziger Bereicherung an anderen Völkern entgegenzuwirken 3 3 und die ihnen von der Natur angewiesene Rolle unter den Völkern in 30 Reinhardt, RE 680f. 31 Cie. off. III 22. Zur poseidonischen Herkunft dieser Stelle, bzw. ihres Kontextes, Reinhardt, RE 772, 824ff., Strasburger, Poseidonios on Problems, 51 n. 88. Zu dem Thema sonst: Theiler, Vorbereitung, 119ff. und 123 und dazu Reinhardt, RE 619; schließlich: H. C. Baldry, The Unity of Mankind in Greek Thought, Cambridge 1965, 188. Μ Oben S. 76ff. 33 Dazu Cie. off. III 2If., vgl. Strasburger, a.O., der die unmittelbare politische Relevanz dieser Maximen bei Poseidonios glaubhaft macht.
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Homologie mit der Natur auszufüllen. Diese Applikationsmöglichkeit der Telosformel auf ein ganzes Volk, bzw. das Zusammenleben der Völker ergibt sich als Konsequenz der engen (terminologischen) Verknüpfung zwischen klimatologischer Völkerbetrachtung und philosophischer Ethik, wie sie oben skizziert wurde 3 4 . Für Poseidonios war die Erwartung an die Römer, einen Prozeß in Gang zu setzen oder voranzutreiben, der darauf zielt, den in der klimatologischen Differenzierung der Oikumene angelegten Zweckzusammenhang zu realisieren, sicherlich nicht mit der gleichmäßigen Durchsetzung ihres Herrschaftsanspruchs gegenüber den übrigen Völkern und der rigorosen Demonstration ihrer politischen und militärischen Überlegenheit erfüllt. Vielmehr zeigen die gesicherten und mutmaßlichen Fragmente der ethnographischen Exkurse des Geschichtswerkes, daß sich ein — im Blick auf dieses Ziel — adäquates Verhalten nur aus der gründlichen Kenntnis eines jeden Volkes und der unvoreingenommenen Beobachtung seiner Umweltsbedingungen und Lebensweise ergeben kann. Dabei geht es keineswegs nur schematisch um die klimatologische Verifizierung und Einordnung der einzelnen Völker, sondern die untersuchten Passagen aus der gallischen und spanischen Ethnographie machen deutlich, daß jeweils das gesamte darüber ausgebreitete Geflecht modifizierender Einflüsse und stabilisierender Faktoren verständlich werden muß, wenn Ansatzpunkte für richtige politische Einflußnahme aufgespürt werden sollen. Der Historiker Poseidonios, der in den ethnographischen Exkursen seines Geschichtswerkes versucht, diesem differenzierten Geflecht wirksamer Faktoren gerecht zu werden und ein Bewußtsein für die speziellen Fähigkeiten und Leistungsmöglichkeiten, aber auch für die besonderen materiellen und politischen Bedürfnisse der Völker und Länder zu schaffen, liefert damit also die entscheidende Voraussetzung 3 5 für die Aufgabe der Römer, an der kosmisch begründeten Einheit der Oikumene politisch aktiv mitzuarbeiten. Seine diagnostischen Beschreibungen 36 wollen dabei keine konkreten Anweisungen für den Einzelfall geben, sondern den Blick und das Ver-
Besonders S. 47. Zur Homologie der Stoa, oben S. 84 Anm. 15. Vgl. dazu das Bild vom Historiker als .Diener der Vorsehung', Diod. I 1,3, oben S. 73ff. * Reinhardt, RE 627. 34
35
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ständnis für die έπιπλοκή των αιτίων37 in der Völkerwelt schärfen; damit geben sie für den politischen Ereignisbericht eine klare Folie ab, vor der die politischen Entscheidungen und militärischen Aktionen der Römer einen unerbittlichen Maßstab der Beurteilung finden 37
Vgl. den Begriff bei Mark Aurel 10,5; entsprechend συνάφεια eüXoyoq, 4,45; dazu Theiler, zur Stelle.
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Exkurs zu Strabons Europakapitel, II 5,26 p. 126/27 (zu S. 97 Anm. 4) Man ist versucht, Strabons Ausführungen über Europa und seine Vielgestaltigkeit (τό πολύοχημον; zur Charakterisierung Europas ids .ungleichmäßig', vgl. den Autor nepi Αέρων ύδάτων τόπων с. 13, oben S. 40) heranzuziehen, in denen sich eine unseren Poseidonios-Passagen durchaus vergleichbare Zuordnung von Landschaftstypus und Lebensweise findet (s. G. Aujac, Strabon 1,2, S. 165f. zu S. 109 n. 1—3, die Poseidonios nennt, deren Hinweise aber keine Sicherung darstellen): Ebenen und Gebirge durchziehen Europa in dichtem Nebeneinander und begünstigen sehr unterschiedliche menschliche Lebensformen und Fähigkeiten, die Ebenen das Ίβωρ^ικόν und ITOXLTLKÖV (βίρηνικόν), die rauheren Gebirge eher das μάχψον και άνδρικόν. So liegt in der geographischen Gliederung Europas seine natürliche Disposition auf ein politisches Gefüge hin begründet, in dem die Funktionen der bäuerlichen, städtischen und kriegsdienstleistenden (Berg-)Bevölkerung und ihre Leistungen (καρποί, τέχναι, ή&οποιίαι, οπλοι) sinnvoll — im Sinne wechselseitiger evepyeatai— aufeinander abgestimmt sind, sofern die zu friedlicher Lebensweise Neigenden die Führung haben. Die möglichen gegenseitigen βΧάβαί, die ebenfalls im Blick sind, ließen sich an der Situation in Lusitanien bestens exemplifizieren (Strab. III 3,5 p. 154, dazu oben S. 95f.). Diesen natürlichen Ausgleich in Europa haben die Herrschervölker, Griechen, Makedonen und Römer, auch mit den entlegenen, nördlich-kalten, oder sonst schlecht zu bewohnenden Gebieten hergestellt und diese allmählich in ihre Kulturlandschaft einbezogen (τους те άνβπιπ\έκτους άλλήλοις έπέπλβξαν καϊ τούς ά^ριωτέρους πολιτικώς ζην έδίδαξαν . . . / . . . έπιμελητάς δέ λαβόντα äyadovs καϊ τα φαύλως οίκούμβνα και λχιστρικώς ήμεροϋταή. Die Probleme, die sich für eine Poseidonios-Sicherung dieses Kapitels stellen, lassen sich in zwei Fragen zusammenfassen: 1. Wie verträgt sich die Behandlung des Erdteils Europa als einer Einheit mit Poseidonios' klimatologischem Grundverständnis, nach dem grundsätzlich die gesamte Oikumene im Blick ist und in Klimastreifen gegliedert 105
wird? — 2. Wo und in welchem Zusammenhang könnte sich Poseidonios über Europa geäußert haben? ad 1. F 28 § 21(22), Strab. II 3,7 p. 102/03, gibt an, daß Poseidonios neben der Breiteneinteilung der Oikumene auch die herkömmliche nach Erdteilen benützt habe, und Strabon äußert dazu kritisch, solche Einteilungen existierten nicht έκ προνοίας, sondern κατά έπίπτωσιν κάί συντυχίαν, genau wie die Unterschiede zwischen den Völkern und Sprachen (vgl. dazu oben, S. 86 Anm. 19). Die Erklärungen für dieses Nebeneinander sind unbefriedigend: Trüdinger, Studien, 122: Poseidonios sei von der Klimaeinteilung wieder zur üblichen Erdteileinteilung zurückgekehrt; Reinhardt, RE 675f. (auch 667) versucht, hier einen Zusammenhang zu der schwer verständlichen (klimatischen?) Ost-West-Differenzierung zu konstruieren (vgl. F 80, mit Jacobys Kommentar, und dazu jetzt vor allem A. Dihle, Der fruchtbare Osten, Rhein.Mus. 105, 1962, 97ff., dessen Zurückhaltung gegenüber klimatologischen Kriterien, die nicht die Ost-West-Differenzierung betreffen, für die Sicherung poseidonischer Überlieferung ich nicht teile). Für Poseidonios könnte sich Pronoia in den Erdteilformationen zeigen, zunächst allgemein, im Blick auf die Verteilung von Wasser und Land auf der Erde — zum Wohle des Menschen, der nicht im Wasser leben kann (vgl. Strab. XVII 1,36 p. 809/10, oben S. 86 Anm. 19); zum anderen wäre Strab. II 1,30 p. 83 heranzuziehen, wo geographische Einteilungsweisen propagiert werden, die möglichst nicht ώς έτυχε vorgehen (gegen Eratosthenes) und statt beliebiger Teile Glieder, d.h. organische geographische Einheiten, absondern. Als natürliche Begrenzung in diesem Sinn werden Meere, Flüsse und Gebirge genannt, wozu ausführlicher Strab. II 5,17 p. 120 (oben S. 89 Anm. 30 und S. 86 Anm. 19) zu vergleichen wäre. Man könnte also vermuten, daß es Poseidonios darum ging, den μέλος-Charakter der Erdteile deutlich zu machen, was zunächst durch ihre adäquate Ab-Teilung geschah (vgl. Strab. I 2,25 p. 31/32 und 2,28 p. 34/35, wo eine organische Trennung zwischen Asien und Libyen diskutiert wird), was aber auch durch die Charakterisierung der natürlichen Einheit, die ein Erdteil wie Europa darstellt (δια τούτο δέ και προς βίρήνην και προς πόλεμον αύταρκβστάτη έοτί), möglich wäre. Das Ziel dieser Europadarstellung läge dann darin zu zeigen, wie die Verbindung von Verschiedenartigem das Wesen einer organischen Einheit ausmacht, wodurch Europa zu ei106
nem Modell für die Einheit der Oikumene würde (vgl. dazu oben S. lOlf.)· Der klimatologische Aspekt ist in diesem Kapitel nicht expliziert, kommt allenfalls durch die Verbindung mit dem Mittelmeerkapitel (II 5,18 p. 121/22, s. oben S. 82 Anm. 8) zum Vorschein. Das Mittelmeer ist der Vermittler spezifischer Vorzüge, und diese Vorzüge und ihre Bedeutung lassen sich am Beispiel Europas besonders deutlich ablesen. Fragt man, was in dieser Beziehung Asien und Libyen wohl von Europa unterscheidet, so wäre festzustellen, daß Asien eine vergleichsweise kleine Mittelmeerküste hat und sich in Asien im Bereich der klimatologisch begünstigten Mitte der Tauros als Verlängerung der Mittelmeerlinie nach Osten erstreckt. Dieses Gebirge ist jedoch wegen der όμοιότης των άέρων (Strab XI 1,4 p. 491) seinem Charakter nach dem nördlichen Teil Asiens zuzurechnen. Damit fehlt dem größten Teil Asiens das spezifische εύκρατος der poseidonischen Klimatheorie. — Libyen hat zwar auch eine lange Mittelmeerküste, doch führt die Nähe zur Silphiumzone, dem Maximum an Sonneneinstrahlung in der Oikumene (s. oben S. 15f.) dazu, daß nur der schmale Küstenstrich fruchtbar und begünstigt ist (vgl. Strab. II 5,33 p. 130/31 und XVII 3,23 p. 839). — Demgegenüber kommt in Europa der ei/fcparoc-Bereich dank der geographischen Vielgestaltigkeit voll zur Geltung: Wandlungsbreite, Vielfalt, Fülle, zivilisatorische Ausstrahlungskraft. ad 2. Es wäre denkbar, daß Poseidonios, der nicht nur den Einfluß des Klimas, sondern auch den der Lebensweise und der Gewohnheit auf die Völker grundsätzlich in περί ωκεανού behandelt und wahrscheinlich auch das Verhältnis dieser Einflußarten zueinander geklärt hat (F 28 § 22), in diesem Problemzusammenhang das Modell Europa benützt hat.
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Literaturverzeichnis I. Ausgaben, Kommentare und kommentierte (zu den Hauptautoren)
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Stellenregister Alcmaeon YS I 24 В 4 (Diels)
Appianus Mithridateios
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10021 100 2 4 100" 10021 96 XCII, 4 1 6 - 9 6 , 445 74« XIV, 92
Aristoteles Ethica Nicomachea I I - V 116,1106b36-1107a8 1107a6—8 III 3, 1116b23ff. VI VI 2 VI 2, 1139a5—17 1139a29—31 1139a34 5, 1140 1 1 - 2 0 9 10, 1142Ы8—20 13
51« 49 S5 4851 514 9033
135 153 169 Ed.-Kidd., 84f.
345
1 7 9 Ed.-Kidd.
20 1821 20 7546
Fragmenta
2026
Strabo I 1 , 1 4 - 1 6 p. 8 1 , 1 5 p. 8
143
2 , 2 5 p. 3 1 / 2 2 , 2 8 p. 3 4 / 5
106 106 7129
2 , 3 4 p. 4 1 II 1 , 3 0 ρ . 8 3 2 , 1 p. 9 4 - 3 , 8 p. 1 0 4 2,2 p. 95 2 , 3 p. 9 5 3 , 1 p . 96/7
144
106 13 К7 14/15 132 2232 23 2ЗЗЗ 24 69 6924
3 , 2 p. 97 3 , 3 p . 98 3,7 p. 1 0 2 f .
76 so 7650
122
4542
Seneca Quaestiones Naturales III 1 5 7 1 7546 Epistulae L X X V I I I 28
99 77 9136 1114 13
ΙΟ 7
Pythagoras 1 4 , 4 (Die Is)
9341 119, lb + 2 3 + 5
25 2232
1714 23ЗЗ 132 2231 2335
3 , 8 p. 1 0 4 5 p. 1 3 1 f f . 5 , 2 p. 1 1 0 5,3 p. 1 1 1 5 , 4 p. 1 1 2 5 , 1 4 ρ. 1 1 8 / 9
24 106 7129 25 158 2334 2333 8929
117
5,16 p. 120 5,17 p. 120 5,18 p. 122 5,26 p. 126/7
5,27 p. 127 5,28 p. 128 5,31/2 p. 129/130 5,33 p. 130f. 5,34 p. 131f. 5,37 p. 133 5,43 p. 135/6
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1,9 p. 140 2 , 1 - 9 pp. 141-147 2,1 p. 141 2,3 p. 141/2 2,4-7 2,4 p. 142/3
118
8930 315" 89 9237 106 6312 82 8 107 82 8 9444 97" 105 88 89 88 96 s 3 6З12 1510 16" 107 2333 15 16" 15 157 2232 2333 12 90 91 93 8ЗИ 88 9033 9034 91 92 92 6719 9034 92 9033 9034 9134 92 9034 91
2,5 p. 143/4 2,6 p. 145
2,7 p. 145 2,8 p. 146 2,9 2,15 p. 151 3 , 3 - 6 p. 1 5 2 - 5 4 3,3 p. 152/3 3,4 p. 153 3,5-6 3,5 p. 153/4
3,6 p. 154 3,7 p. 154/5 3,8 p. 155/6 4,3 p. 157 4,5 p. 158 4,8 p. 159/60 4,13 p. 163 4,16 p. 164 4,17 p. 165 4,19 p. 166
913« 92 9134 92 83 1 0 91 9134 9136 9034 9136 71 9134 9136 71 9136 92 9341 96 95 9443 95 95 93 7543 9341 9443 95 9546 96 100 м 105 9134 991 7 831° 9134 93 7543 93 9238 7543 9134 93 9441 96 s 0 10022 97З 8931
5,1 p. 167/8 5,2 p. 168 / 1,1 p. 177 1,2 p. 177/8
1,3 p. 178 1,11 1,13 p. 188 1,14 p. 188/9
2,1 4 , 2 - 5 p. 1 9 5 - 8 4,2 p. 195/6 4,3 p. 197 6,2 p. 202 1,5 p. 212 1,12 p. 218
99 91« 839 89 803 81 81 7 82 82» 829 9032 80 817 80
6210
70 80 82 84 88 9034 9237 89 67" Ц14
75« 83 9
9134
973
98 7 60
2,10 p. 275/6 3,9 4,1 p. 285/6 4,2 p. 2 8 6 - 8 X 4,9 p. 477 XI 1,1-4 p. 490/1 1,4 p. 491 XII 3,7 p. 102/3 3,39 p. 561 XIV 1,32 p. 644 2,5 p. 652 3,2 p. 664 5,2 p. 668/9 5,8 p. 671 XV 1,18 1,17-19 1,22 XVI 2,14 p. 754 4,27 p. 784 XVII 1,36 p. 809/10
9134 9136
3,23 p. 838f.
9341 973
2,5 p. 222/3 2,9 p. 226/7 3,5 p. 231 3,8 p. 235/6 4,3 p. 242/3 4,8 p. 247
98« 77
60 9136 66 71 9134
9237
9341
2,1 p. 218
VI VI 2,3 p. 269 2,7 p. 273
3,24 p. 839
9136 9034 9134 9136 60 9136 97 60 7441
63 1 2 107 86" 86"
7441
53 7 0 7442
1924
9445
86"
8930
9237 106 1510 1611 17" 107 6312
56
9134 9134 9136 86" 9136 7756
9034 9134
Thales 11 A 1 (Diels)
4542
Vitruvius VI 1,1-11 1,1-12 1,3-11
1923 26 1114
119
2232 25 2544 1,3 1,4 1,5-7/8 1,6-8 1,6
120
1,8 1,10 1,11
27 29 29 s o 30
1Д2 VIII, Praefatio
1924 27 5478 28 2948 77 77 2026