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German Pages [328] Year 2008
Historische Semantik Herausgegeben von Bernhard Jussen, Christian Kiening, Klaus Krüger und Willibald Steinmetz Band 11
Vandenhoeck & Ruprecht
Kathrin Müller
Visuelle Weltaneignung Astronomische und kosmologische Diagramme in Handschriften des Mittelalters Mit 116 Abbildungen
Vandenhoeck & Ruprecht
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. ISBN 978-3-525-36711-7 Gedruckt mit Unterstützung der Gerda Henkel Stiftung, Düsseldorf, und der Johanna und Fritz Buch Gedächtnis-Stiftung, Hamburg.
© 2008, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen / www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Hinweis zu § 52a UrhG: Weder das Werk noch seine Teile dürfen ohne vorherige schriftliche Einwilligung des Verlages öffentlich zugänglich gemacht werden. Dies gilt auch bei einer entsprechenden Nutzung für Lehr- und Unterrichtszwecke. Printed in Germany. Umschlagabbildung: Oxford, Bodleian Library, MS Canon. Misc. 161, fol. 20r
Satz: OLD-Media OHG, Neckarsteinach Lithographie: SchwabScantechnik, Göttingen Druck und Bindung: b Hubert & Co, Göttingen Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.
Inhalt
Dank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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2 Sprachwerk. Die Diagramme im Timaeus-Kommentar des Calcidius . 2.1 Einführung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Die Diagramme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Das Diagramm a priori. Mathematik des Weltkörpers . . . . . . . . . . . 2.2.2 Diagramm und Buchstabe. Die Weltseele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.3 Speicher- und Erkenntnisfiguren. Astronomische Ordnungen und Phänomene aus vernünftiger Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
29 29 38 38 51
3 Visuelle Darbietungen in Wilhelms von Conches Dragmaticon philosophiae . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Einführung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Die Diagramme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1 Eine vernünftige Ordnung zu Beginn. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2 Theorieferne Diagramme. Die Elementenlehre. . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.3 Fiat descriptio. Was der Philosoph zum Diagramm zu sagen hat. . . 3.2.4 Sehen, Erkennen, Erinnern. Zur Bedeutung von Form und Farbe . 3.2.5 Das Visuelle im Dienst des Gedächtnisses. Mnemotechnische Probleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.6 Erkenntnisfiguren. Die Planetenbewegungen und die Form der Erde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 Formen des Anfangs. Das Sphärendiagramm zu Beginn von Robert Grossetestes De spera . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Einführung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Das Diagramm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.1 Das Diagramm a priori und das Diagramm als Textfigur. . . . . . . . . 4.2.2 Diagramm und Instrument. Ornamentierte Oberfläche und mimetisches Bild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
70 89
93 93 106 106 110 124 129 133 158 179
183 183 188 188 197 201
6
Inhalt
5 Wissen auf den Rändern. Die Diagramme in Johannes de Sacroboscos De spera . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Einführung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Die Diagramme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.1 Eine neue anthropozentrische Ordnungsfigur. Das Sphärendiagramm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.2 Visuelle Welterfahrung und abstraktes Denken. Die Kugelgestalt des Himmels und Form, Lage und Größe der Erde . . . . . . . . . . . . . . 5.2.3 Diagramm und Instrument. Die Himmelsordnung als Armillarsphäre. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.4 Die Ordnung der Klimazonen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.5 Aktualisierte Diagramme. Die Bewegung der Planeten und die Finsternisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
203 203 211 211 218 237 240 243 247
6 Zwischen Text und Instrument. Die Diagramme in der Theorica planetarum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1 Einführung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2 Die Diagramme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.1 Koordinaten und Bewegung im Diagramm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.2 Das Diagramm als terminologisches Gerüst. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.3 Diagramm und Instrument. Annäherungen an das Astrolabium. . 6.3 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
253 253 256 256 264 265 270
7 Schluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Anhang Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildungsnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Handschriftenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
281 307 309 315 317 319 324
Bildteil. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Dank
Bei der vorliegenden Studie handelt es sich um die leicht überarbeitete Fassung meiner Doktorarbeit, die im Januar 2006 vom Department Kulturgeschichte und Kulturkunde der Universität Hamburg angenommen wurde. Mein Dank gilt an erster Stelle Bruno Reudenbach, der diese Arbeit betreute und mir immer mit fachlichem Rat zur Seite stand. Ebenso danke ich Wolfgang Kemp, der sich bereit erklärte, als Zweitgutachter zu fungieren. Lorraine Daston danke ich für ihr großes Vertrauen, ihre Förderung und Unterstützung am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte in Berlin. Der interdisziplinäre Austausch und die hervorragenden Arbeitsbedingungen an diesem Institut waren für das Gelingen meiner Studie entscheidend. Danken möchte ich außerdem Dieter Blume, der das Projekt mit großer Aufmerksamkeit aus der Ferne verfolgte und hilfreich kommentierte, sowie Horst Bredekamp für sein Interesse und seine vorbehaltlose Unterstützung. Besonders gefreut hat mich schließlich die Aufnahme der Arbeit in die Reihe Historische Semantik. Mein Dank gilt den Herausgebern, und hier insbesondere Klaus Krüger sowie Christian Kiening. Finanziell ermöglicht wurden meine Forschungen durch ein Promotionsstipendium der Gerda Henkel Stiftung, das es mir auch erlaubte, zahlreiche Bibliotheksreisen zu unternehmen und die Handschriften im Original zu studieren. In seiner Schlussphase wurde das Projekt vom Evangelischen Studienwerk Villigst e.V. gefördert. Für die großzügige und unkomplizierte Hilfe bei der Beschaffung von Bildmaterial danke ich auch Urs Schoepflin, dem Leiter der Bibliothek des Max-Planck-Instituts für Wissenschaftsgeschichte. Druckkostenzuschüsse gewährten die Gerda Henkel Stiftung und die Johanna und Fritz Buch-Gedächtnisstiftung. Für die Arbeit an der Drucklegung bot mir das Kunsthistorische Institut in Florenz/Max-Planck-Institut ideale Bedingungen. Während meiner Zeit am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte konnte ich insbesondere von den Diagrammkenntnissen und dem astronomiegeschichtlichen Wissen von F. Jamil Ragep, Sally Ragep und Jochen Büttner profitieren. Mein Dank geht an die Mitarbeiter der Institutsbibliothek, namentlich Ellen Garske, für den ausgezeichneten Service bei der Literaturbeschaffung. Ashley West war die denkbar beste Büropartnerin. Ihr sowie Sachiko Kusukawa danke ich auch für die kritische Lektüre verschiedener Texte und ihre über die Dissertation hinausweisende Unterstützung. Eva Hofstetter half immer dann unermüdlich, wenn ich mit meinem Latein am Ende war. Mein ganz besonderer Dank gilt Anke te Heesen, Barbara Wittmann, Kia Vahland und vor allem
8
Dank
Dorothee Böhm und Mechthild Fend. Sie lasen nicht nur einzelne Teile des Manuskripts, sondern waren während der gesamten Zeit mit Anregungen und Kritik, Zuspruch und Hilfestellungen in allen Belangen des Dissertierens zur Stelle. Ohne sie wäre diese Zeit weitaus beschwerlicher gewesen. Meine Eltern Gerda und Gerhard Müller haben mir uneingeschränkt vertraut und mir in jeder Phase den Rücken gestärkt. Ihnen sowie meinen Geschwistern Annette und Henning ist diese Arbeit gewidmet. Florenz, im Juni 2008
Kathrin Müller
1 Einleitung
Bilder aus dem Weltraum können für Momente großer Begeisterung sorgen. Sind Forschungserfolge etwa der europäischen oder amerikanischen Weltraumbehörde zu vermelden, zeigt die Fernsehberichterstattung regelmäßig Forscherinnen und Forscher, die im Kontrollzentrum der Behörde vor Bildschirmen sitzen, ihre Missionen über visuelle und akustische Daten gebannt verfolgen und plötzlich in Jubel ausbrechen. Mit dem sicheren Landen der entsandten Flug- und Fahrzeuge, ihrem Einschwenken in Umlaufbahnen oder ihrem Andocken verbindet sich die Hoffnung, dass das beigefügte technische Gerät Messdaten sammelt sowie neue Bilder generiert und zur Erde sendet. Letztere sind so wertvoll, weil sie Dinge zeigen, die von der Erde aus nicht einmal mit technischer Unterstützung gesehen werden könnten. Sie eröffnen einen Blick, der nicht derjenige des Menschen ist. Diese Aufgabe der Sichtbarmachung stellt sich der Erforschung des Weltraums bereits seit der Antike. Kosmologie und Astronomie, das Studium des Weltganzen und der Bewegung der Himmelskörper, haben es seit jeher mit Gegenständen zu tun, die sich vornehmlich dem Auge darbieten, sich diesem aber gleichzeitig auch entziehen. Geozentrisch betrachtet, ist der Kosmos immer nur von seinem Innersten und immer nur zur Hälfte zu sehen, und die tatsächliche Größe und Beschaffenheit der als Lichtpunkte erscheinenden Himmelskörper bleiben aus der Distanz lediglich zu erahnen. Ungeachtet oder gerade aufgrund dieser Unsichtbarkeiten bemühten sich Kosmologie und Astronomie schon in Antike und Mittelalter um die Visualisierung des Weltganzen und seiner Körper. Dafür wurde vor allem eine visuelle Form genutzt, die auch heute noch neben den mithilfe der Technik in Satelliten, Sonden und Geländewagen erstellten Bildern nicht völlig an Bedeutung verloren hat: das Diagramm. Gegenstand dieser Studie sind astronomische und kosmologische Diagramme des lateinischen Mittelalters. Sie zeigen Strukturen und Gesetzmäßigkeiten des Weltganzen, veranschaulichen die Bewegungen der Planeten, erklären Himmelsphänomene und beschäftigen sich mit der visuellen Wahrnehmung der Welt. Darüber hinaus können sie Prinzipien und Ordnungen von Raum und Zeit anschaulich machen, die aus Sicht des Mittelalters mit der göttlichen Erschaffung der Welt ins Werk gesetzt wurden und im Rahmen der Heilsgeschichte von bleibender Gültigkeit waren.1 Gerade ihre Suche nach einer 1 Bisher liegt keine Buchpublikation vor, die einen Überblick über die kosmologischen und astronomischen Diagramme des lateinischen Mittelalters liefert. Besonders erwähnenswert
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Einleitung
Form für das Unsichtbare und Nichtkörperliche des Kosmos macht diese Diagramme zu besonders interessanten visuellen Gegenständen. Während sie einerseits häufig auf Seherfahrungen gründen, geht es andererseits immer darum, die sinnliche Wahrnehmung der Welt durch die Diagramme zu überbieten und das, was man sieht, innerhalb einer Wissensordnung zu verorten. Gerade weil sich ihre Form aus visuellen Befunden aus der Sinnenwelt sowie gedanklicher Abstraktion herleitet, sind Diagramme im Mittelalter wesentlich an der Semantisierung der Welt beteiligt. Durch das Diagramm wird die Weltbetrachtung in eine sinnvolle Form gebracht. Damit ist an dieser Stelle mehr gemeint als nur die Eigenschaft des Diagramms, Wissen aufzunehmen und visuell zu vermitteln. Es gilt vielmehr zu zeigen, inwiefern die Form selbst zum Wissen beiträgt und Aussagen über die dargestellte Welterkenntnis macht. Die Aufnahme dieser Studie in die Buchreihe »Historische Semantik« ist gerade deshalb eine besonders glückliche Fügung. Die Diagramme werden hier nicht als Illustrationen historischer, in Texten formulierter Wissensbestände verstanden und damit ebenso wenig vornehmlich zur Erläuterung des mittelalterlichen Kenntnisstands herangezogen. Die größte Aufmerksamkeit gehört vielmehr der Form selbst und ihren Potenzialen der Sinnerzeugung, und zwar stets im Verhältnis zu dem visuellen Apparat, mit dem sie gemeinsam auf einer Buchseite erscheinen kann: dem geschriebenen Text, dem Ornament, dem figurativen Bild. Es wird um Diagramme in Handschriften gehen, schließlich war – neben der gesprochenen Sprache – das handgeschriebene Buch das für die Wissenskultur des Mittelalters wichtigste Medium. Die Untersuchung widmet sich astronomischen und kosmologischen Diagrammen in lateinischen Handschriften des 11. bis frühen 14. Jahrhunderts und ist somit an einem Wandel der Visualisierungen von Welterkenntnis interessiert. Denn den historischen Rahmen bildet genau jene Zeit, in der sämtliche Wissensgebiete im Westen einen tief greifenden Prozess der Veränderung durchliefen. Grundsätzlich lassen sich zwei Entwicklungen ausmachen: Erfolgte im 11. und 12. Jahrhundert mit der Revision der platonisch geprägten Tradition eine intellektuelle Neuausrichtung, führte die im 12. Jahrhundert einsetzende Rezeption von Übersetzungen von zuvor unbekannten Schriften aus dem Arabischen und Griechischen zu einer neuen Wissensfülle und wiederum neuartigen Denkformen und Erkenntnissen. Dieser Wandel des Wissens ist vielfach untersucht worden. Die Fragen allerdings, ob und mit welchen Konsequenzen er auch die wissenschaftlichen und didaktischen Bildformen ergriff, sind bislang vollkommen unberücksichtigt geblieben. Sie stehen im Zentrum dieser Arbeit. Am Beiist an dieser Stelle aber der schön gestaltete, mit ausgezeichnetem Bildmaterial ausgestattete, thematisch geordnete und bis in die Gegenwart reichende Katalog der Ausstellung »Figures du ciel« der Bibliothèque nationale in Paris: Ausstellungskat. Paris 1998. Von großem Nutzen ist zudem nach wie vor John E. Murdochs umfangreiche Zusammenstellung von verschiedensten wissenschaftlichen Bildformen des Mittelalters: Murdoch 1984.
Einleitung
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spiel der astronomischen und kosmologischen Diagramme, die hier erstmals in einem systematischen Zugriff bearbeitet werden, soll geprüft werden, wie sich mit dem Wissen nicht nur die Inhalte, sondern auch die Funktionen und der erkenntnistheoretische Gehalt der visuellen Wissensfigur veränderten. Aus kunstgeschichtlicher Perspektive steht dieses Vorhaben schon durch seinen Gegenstand in der durch den Kunst- und Kulturwissenschaftler Aby M. Warburg (1866–1929) begründeten Forschungstradition. Warburg beschäftigte sich erstmals mit der Symbol- und Überlieferungsgeschichte der Bildwelten des Kosmos, wobei ihn die Vorstellung leitete, dass sich in dem Fortleben astronomischer und astrologischer Darstellungen seit dem Beginn der Menschheit ein beständiges, doch immer wieder anders gewichtetes Spannungsverhältnis zwischen einer rationalen und einer mythischen Verarbeitung der Himmelsphänomene dokumentierte. Warburgs Interesse galt auch astronomischen Diagrammen, richtete sich aber vor allem auf Darstellungen zu den symbolischen Aufladungen des Himmels und hier schwerpunktmäßig auf astrologische Motive.2 Warburg ging es dabei insbesondere um die Theorie eines kollektiven Bildgedächtnisses. In seiner Nachfolge führte vor allem Fritz Saxl dieses Forschungsinteresse fort.3 Warburgs Entgrenzung des kunsthistorischen Gegenstandsbereichs ist auch für die vorliegende Studie noch von grundlegender Bedeutung. Dass Diagramme, mitunter ästhetisch karge Wissensfiguren, die zu keiner Zeit als Kunstwerke gelten wollten, zum legitimen Gegenstand kunstgeschichtlicher Forschung werden, liegt in einem Interesse für die Gesamtheit der bildhaften Bedeutungsstiftungen begründet, das in den Forschungen Warburgs wurzelt.4 Heute ist gerade die Beschäftigung mit Bildern der Naturwissenschaften, Medizin und Technik ein prosperierendes Feld innerhalb einer bildwissenschaftlich ausgerichteten Kunstgeschichte, wobei allerdings das größte Augenmerk auf den Bildproduk2 Dies verdeutlicht vor allem Warburgs im Jahr 1930 im Hamburger Planetarium eröffnete Ausstellung »Bildersammlung zur Geschichte von Sternglaube und Sternkunde«. Ausstellungskat. Wien/Hamburg 1993, bes. S. 201–307. Vgl. auch die Tafeln A-C, 1–3, 20–27 sowie 58 f. im Bilderatlas Mnemosyne: Warnke/Brink 2000, S. 8–19, 30–47 u. 106–109. Vgl. auch Gombrich 1992 [1970], S. 245–294 u. 348–351. Für eine jüngere Studie der astrologischen Bilder von 1100 bis 1500 vgl. Blume 2000, hier bes. S. 1–4 für eine Diskussion der Forschungsleistungen Warburgs. 3 Für die vorliegende Arbeit waren vor allem Saxls »Verzeichnisse astrologischer und mythologischer illustrierter Handschriften des lateinischen Mittelalters« von großem Nutzen. Während Diagramme in vielen (älteren) Handschriftenkatalogen überhaupt keine Erwähnung finden, werden sie in diesen Verzeichnissen oft auch etwas genauer beschrieben. Saxl 1978 [1915]; ders. 1978 [1925/26]; Saxl/Meier 1953; fortgeführt von McGurk 1966. Vgl. auch Saxl 1957a–f. Ferner Klibansky/Panofsky/Saxl 1992 [1964] sowie Liebeschütz 1926; ders. 1930. 4 Das offizielle Signet des Londoner Warburg Institute, ein Diagramm aus einem frühen Druck von Isidors von Sevilla (um 560–636) De natura rerum, markiert diese Tradition und bringt die Programmatik einer kulturwissenschaftlichen Forschung in der Nachfolge Warburgs zum Ausdruck. Dazu Reudenbach 1993.
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Einleitung
tionen seit der Frühen Neuzeit, weniger des Mittelalters liegt.5 Von dieser Forschungsrichtung wird geltend gemacht, dass Bildern und den Techniken ihrer Herstellung bei der Hervorbringung und Etablierung von Wissen seit jeher eine entscheidende Bedeutung zukommt. Ihr wichtigstes und zugleich genuin kunsthistorisches Instrument bei der Annäherung an die Wissensbilder bildet die Formanalyse, worin sich eine weitere Spur Warburgs zeigt, der stets vom Bildmaterial her argumentierte. Die vorliegende Studie versteht sich als Beitrag zu diesem Forschungsgebiet. Sie verknüpft Kunstgeschichte und Wissenschaftsgeschichte, die ihrerseits längst nicht mehr nur Text-, sondern auch Bildforschung betreibt.6 Grundsätzlich soll diese Untersuchung, die sich fast ausschließlich mit bisher unveröffentlichten Diagrammen beschäftigt, die Kenntnis der (wissenschaftlichen) Bildwelten des Mittelalters erweitern. Sie wird dabei von einem starken Interesse für die Spielarten des Visuellen im Kontext der rationalen Welterschließung geleitet und ist in diesem Sinn als bildwissenschaftliche Studie zu verstehen. Am Beispiel des Diagramms soll nach den Materialisierungen und Bedeutungen gefragt werden, die das Visuelle – das visuelle Objekt wie die visuelle Wahrnehmung – für die im Buch fixierte Welterkenntnis erfahren und annehmen konnte. Mit den wissenschaftlichen und technischen Bildern ist in jüngster Zeit auch dem Diagramm als einer eigenständigen Wissensfigur neben Bild und Text gesteigerte Aufmerksamkeit zugekommen.7 In ihrem Grundlagenwerk »La cosmologie médiévale. Textes et images«, in dem sie die Kontinuität des antiken kosmologischen Wissens im Übergang zum christlichen Mittelalter darlegt, widmet sich die Philosophie- und Wissenschaftshistorikerin Barbara Obrist sowohl den Texten als auch den visuellen Darstellungen, wobei sie letztere nach drei Typen unterscheidet.8 Eine Art ›Urform‹ bildet demnach die geometrische, 5 Siehe vor allem das seit Frühjahr 2003 von Horst Bredekamp und Gabriele Werner herausgegebene Jahrbuch »Bildwelten des Wissens. Kunsthistorisches Jahrbuch für Bildkritik«, das sich auch Bildern aus den Geisteswissenschaften, den Massenmedien und der Populärkultur widmet. Zu dem verfolgten Ziel, »[…] eine empirisch begründete Kulturtheorie des Bildes als Wissensbestand und Wissenszustand zu entwickeln«, vgl. den ersten Beitrag: Bildwelten des Wissens 2003, hier S. 20. Die chronologisch geordnete Beispielfolge beginnt in diesem Band mit Galileo Galilei und der Zeit um 1610. Vgl. außerdem die Beiträge in der Anthologie »Iconic turn«: Maar/Burda 2004, in dem das Mittelalter jedoch nicht vorkommt. Immer wieder gestreift wird es in dem umfangreichen Sammelband Holländer 2000. 6 Aus der Fülle der jüngeren Anthologien seien hier nur solche genannt, die sich nicht allein mit Vormoderne und Moderne beschäftigen: Lefèvre/Renn/Schoepflin 2003; Baigrie 1996; Mazzolini 1993. 7 Vgl. Sebastian Buchers systematisierenden Überblick über die »Erkenntnisse bisheriger bildwissenschaftlich motivierter Forschungsarbeiten zum Phänomen ›Diagramm‹«, in dem er begriffsanalytische, gattungstheoretische und anwendungsorientierte Ansätze voneinander unterscheidet: Bucher 2007, hier S. 114. 8 Obrist 2004, S. 21–23. Obrists Buch ist der erste Teil einer zweiteiligen Studie zu den Texten und Bildern der mittelalterlichen Kosmologie vom Ende der Antike bis zum 12. Jh. Vgl. auch
Einleitung
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mit Buchstaben beschriftete Figur, die für die mathematische Beweisführung eingesetzt wurde. Das griechische diagramma meint diese gezeichnete Figur. In seinem Buch »The shaping of deduction in Greek mathematics«, einer Studie über die Funktion des Diagramms in der griechischen Mathematik, stellt Reviel Netz heraus, dass sich die mathematische Erkenntnisfindung in der Antike notwendig dieser Form des Diagramms bediente. Der engen Verknüpfung zwischen dem Denken und der visuellen Form werde durch die Verwendung des Wortes diagramma Rechnung getragen, da es nicht allein eine Bezeichnung für die Figur, sondern auch für die Beweisführung und den Lehrsatz selbst gewesen sei.9 Der zweite Typ ist nach Obrist die diagrammatische oder schematische Darstellung (représentation diagrammatique ou schématique), die ebenfalls eine geometrische Grundform habe, aber nicht mehr mit Buchstaben, sondern mit Wort- und Bildelementen ausgestattet sei. Der Verzicht auf die Buchstaben verweise auf die besondere Funktion der diagrammatischen Darstellung: Sie diene nicht mehr der Wahrheitsfindung, sondern stelle das etablierte, bereits geprüfte Wissen dar. Der dritte Typ schließlich sei illusionistischer Art und suggeriere mithilfe von perspektivischer Konstruktion oder Farbe eine dreidimensionale Raumsituation. Obrists dreigeteiltes Schema ist für die Beschäftigung mit mittelalterlichen Diagrammen ausgesprochen hilfreich, da es eine Aufmerksamkeit für formale Eigenarten und die Zusammenhänge von Form und Funktion schafft, ohne dabei als starres Ordnungssystem für die Entwicklung des Wissensbildes in Astronomie und Kosmologie seit der Antike gelten zu wollen.10 Die Autorin hebt selbst hervor, dass häufig in derselben Abhandlung verschiedene Darstellungstypen sowie Mischformen verwandt wurden. Auch wurde begrifflich nicht zwischen den Typen differenziert, sondern unsystematisch auf die figura, forma, descriptio oder, seltener, pictura und imago verwiesen. In der vorliegenden Untersuchung, in der die dritte, illusionistische Variante ohne Belang ist, werden die beiden anderen Typen auf der begrifflichen Ebene nicht voneinander unterschieden, sondern einheitlich als Diagramm bezeichnet. Damit ist hier eine visuelle Darstellung gemeint, die wesentlich aus geometrischen Formen wie Kreis, Quadrat, Dreieck gebildet und immer auch beschriftet ist, sei es mit Zahlen, Buchstaben, Wörtern oder ganzen Sätzen. Erst durch diese Schriftbeigaben oder auch die Verwendung von Farbe, Ornament und Figuration werden einzelne Formelemente zu BedeuMichel Cacouros’ Unterscheidung zwischen »schémas diérétiques, tableaux, figures syllogistiques et diagrammes« für griechische Handschriften mit Texten zur Logik: Cacouros 2001. 9 Netz 1999, hier bes. S. 35–42. Zum Diagramm in der griechischen Antike auch Bonhoff 1993, S. 8–40, sowie Stückelberger 1994. 10 Ulrich Ernst wählte jüngst einen spezifischen Zugang zum Diagramm, indem er es nach seinem formalen wie inhaltlichen Verhältnis zum Figurengedicht befragte. Seine Beobachtungen sind sehr überzeugend; durch sie wird zudem die Aufmerksamkeit für Eigenschaften der Form gestärkt. Vgl. Ernst 2005.
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Einleitung
tungsträgern innerhalb eines Bezugssystems. Das Diagramm ist wesentlich eine Darstellung von Relationen zwischen verschiedenen Größen. Es eröffnet einen Blick auf Ordnungen, die in ihrer Gesamtheit vom Auge in der Sinnenwelt nicht erfasst werden können, wobei es in der Bündelung und Verschränkung verschiedener Raum- und Zeitebenen sowohl das Ganze als auch seine einzelnen Teile simultan darzustellen vermag. Es steht in den hier im Folgenden untersuchten Abhandlungen nicht nur inhaltlich, sondern immer auch formal im Zusammenhang mit einem geschriebenen Text und wie dieser im Dienst der Vermittlung von Erkenntnissen. Dabei kann das Diagramm verschiedene Funktionen übernehmen, wie z. B. die einer Argumentationsfigur oder eines Informationsspeichers. Als visueller Gegenstand unterscheidet sich das Diagramm vom geschriebenen Text insbesondere durch seine Form. Sie ist für Inhalt und Funktion des Diagramms von entscheidender Bedeutung. Ein ganz ähnliches Diagrammverständnis liegt den Arbeiten der Mediävistin Christel Meier zugrunde, die sich eingehend mit den Diagrammformen des Hochmittelalters, insbesondere des 12. Jahrhunderts, beschäftigt hat.11 Meier spricht jedoch nicht nur vom ›Diagramm‹, sondern verwendet synonym Bezeichnungen wie ›diagrammatische Darstellungsweise‹, ›diagrammatische Form‹, ›Diagrammbild‹ und ›Schemabild‹. Für eine genauere, zeichentheoretisch fundierte Definition des ›Diagramms‹ bzw. des ›Diagrammatischen‹ als einer dritten Ausdrucksform neben Bild und Text plädieren die Kunsthistoriker Steffen Bogen und Felix Thürlemann.12 Ihre allgemeine Theorie des Diagramms soll einer kunsthistorischen Diagrammatik dienen, die, wie Bogen weiter ausführte, die Verflechtungen der bildlichen und diagrammatischen Darstellungsformen und die damit einhergehende Zusammenführung jeweils spezifischer Verfahren der Bedeutungskonstituierung analysiert.13 Von großem Nutzen für die hier beabsichtigte Analyse ist Bogens und Thürlemanns Theorie des Diagramms als eines Mediums des Denkens, welche sie in Anlehnung an den Philosophen und Zeichentheoretiker Charles Sanders Peirce (1839–1914) formulieren.14 Historisch 11 Meier 2003a, hier S. 23; dies. 2003b u. dies. 1990, S. 37 f. Auch Obrist verwendet letztlich einen ähnlichen Diagrammbegriff. Obrist 2004, S. 22. 12 Bogen/Thürlemann 2003. Ferner auch Gormans 2000, der, ebenfalls aus kunsthistorischer Sicht, eine Gattungstheorie des wissenschaftlichen Diagramms zu entwickeln versucht, dabei allerdings äußerst rigide vorgeht und für das lateinische Mittelalter allein das memorative Diagramm synoptischer Bauart herausstellt und dieses vom neuzeitlichen Funktionsdiagramm unterscheidet. 13 Bogen 2005. Die Unterscheidung zwischen dem Diagrammatischen und dem Bildlichen scheint aber nur dann zu funktionieren, wenn man der jeweiligen Darstellungsform nur ganz spezifische Eigenschaften zuspricht (Diagramm: kognitiv, Handlungsanweisung; Bild: emotional, Ersatzkörper, Erinnerungsbild). 14 Bogen/Thürlemann 2003, bes. S. 9 f., wo sie auf S. 10 schreiben: »Das Erkennen einer logischen Notwendigkeit ist somit Ergebnis einer spezifischen Konstruktion und Beobachtung von Diagrammen. Der logische Zusammenhang von Sachverhalten wird in ihrer koordinierbaren Darstellung anschaulich.« Vgl. auch Bucher 2007, S. 118–121, sowie Bogen 2006, S. 62.
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gesehen weist dieses Diagrammverständnis bis in die Antike zurück, wie es in der Verwendung des Wortes diagramma für die geometrische Figur sowie die Beweisführung zum Ausdruck kommt.15 Schon die Differenzierung der Darstellungstypen bei Obrist deutet jedoch an, dass sich diese Funktionsbestimmung auch verändern konnte. Ob das Diagramm darüber hinaus immer eine »pragmatische Potenz«16 besitzt und weniger Gegenstand der Betrachtung als vielmehr einer Auswertung ist, welche Richtmaße für nachfolgende Handlungen liefert, bleibt ebenso zu prüfen wie die These, nach der nur das Bild, nicht aber das Diagramm als fertige Form zu verstehen ist.17 Methodisch irritierend ist, dass Bogen seine Kriterien nicht an einem Diagramm, sondern am Beispiel eines Instruments, der Sonnenuhr, entwickelt und letztere zur ›Urform‹ des Diagramms wird.18 Bogens und Thürlemanns Anliegen, eine Theorie des Diagramms zu entwerfen, die von spezifischen Ausformungen absieht und den überhistorischen Kern dieser Darstellungsform zu greifen versucht, unterscheidet sich grundsätzlich von dem Erkenntnisinteresse der vorliegenden Arbeit. Denn hier wird es gerade um die Veränderlichkeit der Formen und Funktionen der astronomischen und kosmologischen Diagramme in Handschriften des Hoch- und frühen Spätmittelalters gehen.19 Orientierten sich die Autoren, Schreiber und Buchmaler dieser Zeit an der seit dem Frühmittelalter entwickelten Diagrammtradition, oder kam es zu Brüchen?
15 Vgl. Anm. 9. 16 Bogen/Thürlemann 2003, S. 22. 17 Diagrammatische Aufzeichnungen im Bereich der Medizin oder aber die Aktienindizes dienen z. B. als Diagnose- und Entscheidungshilfen. Bogen 2005, S. 153 f. Vgl. außerdem ebd., S. 162–170, wo es auf S. 167 heißt: »Das Diagramm ist dagegen keine fertige Form, sondern ein Prozess, in dem das Verhältnis von Formen bestimmt werden kann.« 18 In seinem Aufsatz von 2005 führt Bogen die Argumentation anhand von »zwei kulturhistorisch alten Techniken der graphischen Einschreibung« (S. 154), und zwar des Schattenrisses und der Sonnenuhr. Ausgangspunkt bilden die bei Plinius dem Älteren (23/24–79) zu findende Ursprungslegende der Kunst einerseits sowie Vitruvs (gest. 25 v. Chr.) Beschreibung einer aus Gnomon (Schattenzeiger) und Analemma (Schattenfeld) bestehenden Sonnenuhr andererseits. Dabei wird jedoch nicht weiter problematisiert, dass Plinius vom Ursprung der Bildherstellung, von der Technik der Einschreibung selbst, erzählt, während Vitruv allein den Gegenstand ›Sonnenuhr‹, nicht dessen Erfindung beschreibt. Da es Bogen darum geht, eine überhistorische, allgemeine Theorie des Diagramms aufzustellen, scheint er auch für das Diagramm an den Ursprung zurückzugehen, und Vitruvs Bericht erlangt (erstmals) den Stellenwert einer Ursprungslegende. 19 Es sei jedoch hinzugefügt, dass Bogens Interesse am Diagramm sehr weit gefasst ist. In seinem Aufsatz »Der Körper des Diagramms« aus dem Jahr 2006 fragt er nach dem Status der Materialität des Diagramms in mittelalterlichen Handschriften. Dieser Aspekt ist auch für die hier folgende Diagrammuntersuchung wichtig, obgleich ich stärker die Materialisierungen und weniger die Materialität hinterfrage. Bogen beschäftigt sich in diesem Aufsatz mit Diagrammen, die Gliedmaßen des menschlichen Körpers als loci einsetzen. Keines der hier im Folgenden analysierten Diagramme zu Astronomie und Kosmologie gehört zu dieser Gruppe.
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Die Tradition des Diagramms in Astronomie20 und Kosmologie21 gründete im lateinischen Westen wesentlich auf einer kleinen Gruppe von spätantiken Werken, die den Grundstock des frühmittelalterlichen Wissens über die Körper des Kosmos, ihre Ordnungen und Bewegungsformen bildeten, die umfassenden Kenntnisse der griechischen Antike aber nur fragmentarisch überlieferten. Aus der Fülle der naturphilosophischen Schriften lag dem Frühmittelalter allein ein Auszug aus Platons Timaeus (vor 347 v. Chr.) in der Übersetzung des Calcidius (um 400 n. Chr.) vor, der außerdem einen Kommentar zum Text Platons verfasst hatte. Zum spätantiken Erbe zählen vor allem auch das enzyklopädische Werk »Naturgeschichte« (Naturalis historia) von Plinius dem Älteren (23/24–79) sowie zwei weitere Abhandlungen aus der ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts: Martianus Capellas Kompendium der sieben freien Künste »Über die Hochzeit Merkurs und der Philologie« (De nuptiis Mercurii et Philologiae) sowie zum anderen Macrobius’ Kommentar zu Ciceros »Traum des Scipio« (Commentarii in Somnium Scipionis). Während diese Schriften erst seit der karolingischen Zeit intensiv rezipiert wurden, diente die im Jahr 613 vollendete kurze Abhandlung »Über die Natur der Dinge« (De natura rerum) Isidors von Sevilla (um 560–636) schnell vielerorts als Standardwerk. Auf der Grundlage dieser Schriften wurde die Welt wie schon in der Antike als ein sphärischer, vom Fixsternhimmel umgrenzter Körper aufgefasst, dessen Zentrum der ruhende Erdglobus bildet, um den die Sonne, der Mond und die übrigen fünf Planeten kreisen. Calcidius, Macrobius und Isidor machten Diagramme zu integralen Bestandteilen ihrer Texte und tra20 Die Astronomie zählte bereits seit dem Frühmittelalter zu den sieben freien Künsten (artes liberales), war als solche Unterrichtsgegenstand und galt als die Disziplin, die sich mit der Bewegung der Himmelskörper beschäftigte. Bei Isidor heißt es in den Etymologiae (nach 599/600): Astronomia est astrorum lex, quae cursus siderum et figuras et habitudines stellarum circa se et circa terram indagabili ratione percurrit. Isidor von Sevilla, Etymologiae 3.24, hg. Lindsay 1911:1. Ganz ähnlich lautet die Definition in einem Mitte des 13. Jh.s an der Pariser Artistenfakultät entstandenen Prüfungshandbuch: Astronomia est scientia mobilis magnitudinis, que cursus siderum et figuras et habitudines stellarum circa se et circa Terram indagabili ratione perquirit. Philosophica disciplina, hg. Lafleur 1988, S. 269,248–250. 21 Die Kosmologie existierte im Mittelalter zu keiner Zeit als eigenständiger Wissenschaftszweig. Darunter wird hier die Ergründung des mundus (gr. kosmos), der von Gott hervorgebrachten Welt in ihrer Gesamtheit, verstanden. Obrist 2004, S. 41–46; Grant 1996 [1994], S. 7–9. Isidor definierte: Mundus est caelum et terra, mare et quae in eis opera Dei. Isidor von Sevilla, Etymologiae 13.1, hg. Lindsay 1911:2. In den Glosae super Platonem des Wilhelm von Conches (ca. 1085 bis nach 1154), die zu dessen Spätwerk zählen, heißt es allgemeiner: Mundus est id quod gignitur. Sed omne quod gignitur habet principium existentie. Wilhelm von Conches, Glosae super Platonem 36 (zu Timaeus 28a), hg. Jeauneau 2006, S. 68. Vgl. auch Hugonnard-Roche 1998, S. 89: »La constitution d’une cosmologie met en jeu de nombreux éléments doctrinaux, à savoir, entre autres, une théorie des éléments et de leur génération (ou de leur incorruptibilité, lorsqu’il s’agit de l’élément céleste), une géométrie des mouvements, une structure d’ordre du monde, une théorie des moteurs (intelligences, ou âmes motrices des sphères, notamment); elle requiert aussi, bien évidemment, une analyse des mouvements célestes, qui a pour tâche d’interpréter les apparences fournies par l’observation.«
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dierten auf diese Weise nicht nur ein der Antike entstammendes Wissen, sondern auch antike Formen der visuellen Wissensvermittlung. Das Fortleben der Antike zeigt sich demnach auf der inhaltlichen wie auch der visuellen Ebene. Für die mittelalterliche Diagrammatik – verstanden als die Gesamtheit aller mittelalterlichen Diagramme – unzweifelhaft von prototypischer Bedeutung sind die Diagramme in Isidors von Sevilla De natura rerum, darunter vor allem die insgesamt sechs Kreisdiagramme, die der kurzen Abhandlung schon früh den Titel Liber rotarum (»Buch der Räder/Kreisdiagramme«) eintrugen.22 Die Varianten des Kreisdiagramms zu den Winden und desjenigen zu den Jahreszeiten23 in Handschriften des 7. bis frühen 13. Jahrhunderts hat Barbara Obrist präzise analysiert.24 Ihre Vorgehensweise kann einerseits als beispielhaft gelten, da sie sich vor allem durch eine detaillierte Aufmerksamkeit für individuelle Diagrammformen und die Interpretation der einzelnen formalen Elemente als Bedeutungsträger auszeichnet. Andererseits wendet sich Obrist entsprechend ihrem wissenschaftshistorischen Ansatz zuerst den kosmologischen Theorien und damit den Textüberlieferungen und erst im Anschluss den Diagrammen zu, was der Text-Diagramm-Folge in den Handschriften nicht immer gerecht wird.25 Sie legt jedoch überzeugend dar, dass sich im Diagramm ein spezifisches Verständnis eines Phänomens – der Winde, der Jahreszeiten – äußern konnte. Eine inhaltliche Zuspitzung oder die Ergänzung einer Theorie um neue Aspekte gelang dabei nicht allein durch die Integration von Text, sondern gerade auch durch die Gestaltung des Diagramms. Ersichtlich wird, dass die Diagramme in der karolingischen Zeit inhaltlich wie formal angereichert wurden. Diese Zeit, das späte 8. und das 9. Jahrhundert, war auch für die Überlieferung des spätantiken Erbes und die Entwicklung weiterer Überlieferungsstränge neben den Isidor-Diagrammen eine entscheidende Zeit, wie der Wissenschaftshistoriker Bruce Eastwood zeigen konnte. Sein jüngst erschienenes Buch »Ordering the heavens. Roman astronomy and cosmology in the Carolingian Renaissance« fasst die Ergebnisse seiner Forschungen zur karolingischen Rezeption von Macrobius, Plinius, Martianus und Calcidius zusammen.26 22 Eine Gesamtdarstellung zu Isidors Leben und Werk legte zuletzt Jacques Fontaine vor: Fontaine 2000, hier bes. S. 297–310. Zu dem noch immer Rätsel aufgebenden, nicht kreisförmigen Diagramm zu den vier Elementen (figura solida) zuletzt Eastwood 2001 u. Gorman 2001, ferner Bogen 2006, S. 73 f. Bernard Teyssèdre interessierte sich in seiner frühen Studie insbesondere für die anthropomorphen Formen in den Diagrammen aus vorkarolingischer Zeit: Teyssèdre 1960. 23 Siehe Farbabb. 6 dieser Arbeit. 24 Obrist 1997; dies. 1996. Ergänzend sei auf Thomas Raffs Studie zur Ikonografie der mittelalterlichen Windpersonifikationen hingewiesen, die ebenfalls Winddiagramme aufführt, aber einen ganz anderen Ansatz verfolgt: Raff 1978/1979, hier S. 139–155. Ferner Maurmann 1976. 25 Stärker am Diagramm orientiert sind die Fallstudien Obrist 2001 u. dies. 2000. 26 Eastwood 2007.
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Eastwoods ebenso präzise wie umfassende Kenntnis der Astronomie und Kosmologie seit dem Frühmittelalter beruht auf einem intensiven Handschriftenstudium, wobei sein Interesse nicht allein den Texten und schriftlichen Glossen, sondern immer auch den Diagrammen gilt. Seinem Buch ging eine Vielzahl von Aufsätzen voraus, in denen er sich insbesondere mit den Diagrammen beschäftigt, die die Planetenbewegungen veranschaulichen.27 Sind Eastwoods Kennerschaft und die Erträge seiner Forschungen für unsere Kenntnis der wissenschaftlichen Diagrammatik des Mittelalters auch von entscheidender Bedeutung, ist sein Interesse für die Diagrammform doch zu eng geführt. Denn die Form wird nur dort relevant, wo es um die im engeren Sinn wissenschaftshistorischen Fragen geht: Stellt ein Diagramm eine bestimmte Theorie korrekt dar? Sind formale Veränderungen auf ein präziseres oder neuartiges Verständnis einer Theorie zu deuten?28 Eastwood kann zeigen, dass Diagramme entwickelt wurden, welche die im Text erläuterten Phänomene in größerer Vollständigkeit zeigen, verschiedene Erklärungsmodelle nebeneinander darstellen oder zu neuen Synthesen gelangen. Deutlich wird, dass Diagramme auch als visuelle Glossen, dem Text beigestellte Randfiguren, die das Geschriebene kritisch prüfen und ergänzen können, konzipiert und genutzt wurden. Aus kunstgeschichtlicher Perspektive wurden die frühmittelalterlichen Diagramme erst von Bianca Kühnel genauer ins Auge genommen.29 Ihre Studie schließt auch die Diagramme zur Zeitrechnung ein, der die astronomischen Kenntnisse vor allem im Frühmittelalter vorrangig dienten. Die Komputistik war schon durch Beda Venerabilis (673/674–735) entscheidend systematisiert worden. Ihre Ordnungen wurden jedoch erst im Zuge der karolingischen Ak-
27 Es sei hier nur auf die wichtigsten Aufsätze verwiesen. Zu den von Eastwood analysierten Diagrammen gehören diejenigen zur Planetenbewegung in Calcidius’ Timaeus-Kommentar (Eastwood 1999; ders. 1992) sowie die Diagramme, die erst in karolingischer Zeit für das achte Buch von Martianus Capellas Handbuch zu den Künsten (Eastwood 1993b) sowie eine Gruppe von Exzerpten aus Plinius’ Enzyklopädie entwickelt wurden (Eastwood 2000; ders. 1987; ders. 1986). Der im Jahr 2000 von Eastwood gemeinsam mit Gerd Graßhoff veröffentlichte »Catalog of medieval astronomical planetary diagrams« stellt die Diagramme zu den Planetenbewegungen und -ordnungen zusammen, die in den genannten Schriften sowie außerdem bei Macrobius enthalten sind: Eastwood/Graßhoff 2000. Ein Katalogeintrag besteht aus einer Beschreibung des Diagramms und/oder dem ausführlichen Zitat der Textstelle, zu der das Diagramm gehört, sowie einer Reproduktion aus einer Handschrift. Der Handschriften-Index liefert genaue Folioangaben und reicht bis ins 15. Jh. Der gemeinsam mit Graßhoff verfasste Aufsatz fasst entscheidende Beobachtungen zu signifikanten Objekten zusammen und reicht bis ins 16. Jh.: Eastwood/Graßhoff 2003. Einen Überblick liefert auch Eastwood 1997. 28 Den Wandlungen von Planetendiagrammen in lateinischen Handschriften des 9. bis 12. Jh.s widmet sich auch die Doktorarbeit des Wissenschaftshistorikers Hans-Christoph Liess: »Geschichte, Gehalt und wissenschaftliche Funktion der Planetendiagramme des frühen Mittelalters«, die in der Reihe »Bern Studies in the History and Philosophy of Science« erscheinen wird. 29 Kühnel 2003.
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tualisierung und Aufwertung der wissenschaftlichen Überlieferungen auch in Diagramme übertragen.30 Kühnel verfolgt eine systematische Analyse der formalen sowie inhaltlichen Wechselbeziehungen zwischen der Ikonografie des wissenschaftlichen Diagramms und derjenigen der Maiestas Domini in der Zeit vom 8. bis zum 11. Jahrhundert.31 In den Formen der astronomischen und komputistischen Diagramme erkennt sie Christus-Symbole, die der Darstellung immer auch eine eschatologische Dimension geben. Kühnel versucht zwar, den Diagrammen gerecht zu werden, indem sie sie vor allem als visuelle Gegenstände begreift und der Formanalyse einen zentralen Stellenwert gibt. Problematisch an ihrer Argumentation ist dabei aber vor allem, dass sie auf den suggestiven und assoziativen Ebenen der Form geführt wird und an den konkreten Inhalten der Diagramme kaum interessiert ist. Da die Aufmerksamkeit nur auf bestimmte Formelemente wie beispielsweise Kreuzformationen gerichtet wird, hat die Diskussion der Diagramme einen nivellierenden Effekt. Sie wird der Verschiedenartigkeit der Diagramme nicht gerecht. Kühnel entgeht, dass das Diagramm immer als Träger eines spezifischen Inhalts gestaltet wurde und eine besondere Funktion zu erfüllen hatte. Diese Kontexte sollten auch dann sorgfältig analysiert werden, wenn man nach den Verknüpfungen von Glaube und Wissen auf der visuellen Ebene fragt. Vermutlich wird man dann zu Ergebnissen kommen, die nur auf einzelne Diagramme zutreffen und kaum verallgemeinert werden können.32 In der vorliegenden Arbeit soll dem Aspekt der religiösen Aufladung des wissenschaftlichen Diagramms nur dann nachgegangen werden, wenn die Form des Diagramms diesen erweiterten Bedeutungshorizont eindeutig nahelegt. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn die Form über ein ikonisches Potenzial verfügt, dessen Bedeutung und Funktion nicht aus dem begleitenden Text abzuleiten sind. Für die Überlieferung und Weiterentwicklung der karolingischen Diagramme zu Astronomie und Komputistik waren im 11. Jahrhundert Abbo (940–1004) und die Abtei von Fleury von Bedeutung. Eva-Maria Engelen hat das Werk Ab30 Siehe auch von Euw 1993. Zum Gegenstand kunstgeschichtlicher Forschung wurden ferner die figürlichen Sternbildzyklen, die aus der Antike datierten, aber erst seit karolingischer Zeit wieder tradiert wurden. Vgl. Haffner 1997; Aratea 1989; von Euw 1989; Saxl 1957b. 31 Eine vergleichende Betrachtung von Darstellungen der Maiestas Domini und kosmologischen und astronomischen Diagrammen des 11. Jh.s unternahm auch von Euw 1991. 32 Auch in der Wissenschaftsgeschichte ist die Frage nach dem Grad der Steuerung wissenschaftlicher Betätigung durch den Glauben für das Mittelalter noch lange nicht geklärt. In der Beurteilung der Verbindung von Theologie und Naturphilosophie im 13. Jh. stehen sich beispielsweise Edward Grant und Roger French/Andrew Cunningham diametral gegenüber. Vgl. z. B. Grant 1999, wo er auf S. 263 schreibt: »[…] medieval natural philosophers who explicated the texts of Aristotle’s natural books kept their inevitable involvements with God and the faith to a minimum.« Vgl. andererseits French/Cunningham 1996, wo sie auf S. 4 von der »[…] highly religious nature of thirteenth-century natural philosophy, and the religio-political motivation of those who created and studied it […].« sprechen.
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bos von Fleury aus philosophie- und wissenschaftshistorischer Perspektive untersucht und dabei auch die Diagramme berücksichtigt.33 Sie bezieht sich größtenteils auf Nachzeichnungen in modernen Druckwerken und wählt damit eine grundsätzlich problematische Materialbasis. Zunächst stellt sich die Frage, auf welchem Diagramm eine Nachzeichnung beruht. Auch im Falle Abbos ist meines Wissens kein Diagramm bekannt, das tatsächlich von seiner Hand stammt. Diagramme sind vielmehr Objekte der Überlieferung. Das bedeutet zum einen, dass sie in den meisten Fällen nur als Kopien nachfolgender Schreiber und Buchmaler vorliegen. Zum anderen wurden sie im Prozess des individuellen Abschreibens wesentlich stärker als der dazugehörige Text verändert. Moderne Nachzeichnungen lassen weder die Vielfalt der Diagrammvarianten noch das Formenspektrum erahnen, das das einzelne Diagramm durch die Verwendung von Farben, Ornament und Figuration kennzeichnen kann.34 Eine Vielzahl polychrom gestalteter Diagramme sind in den umfangreichen Kompilationen zu Kosmologie, Astronomie und Komputistik enthalten, die in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts in England entstanden, aber vermutlich auf Abbo und die Abtei in Fleury zurückgehen. Sie versammeln das in den Schriften verschiedener Autoren – Plinius, Isidor, Beda, Abbo – überlieferte Wissen für den Unterricht im Kloster und führen den Reichtum der bis in das Hochmittelalter reichenden Diagrammtradition eindrucksvoll vor Augen.35 Harry Bober, der sich als erster Kunsthistoriker nach Warburg und Saxl in den 1950er-Jahren mittelalterlichen Diagrammen zuwandte, beschrieb in einem Aufsatz die Handschrift W. 73 der Walters Art Gallery in Baltimore, die aus der Zeit 1190 bis 1200 datiert und ein später, im Umfang deutlich reduzierter Ableger der Kompilationen ist.36 Bober leistete Grundlagenforschung, identifizierte zunächst die Texte und beschrieb dann die Diagramme als kunstvoll gestaltete visuelle Instrumente der Wissensvermittlung: »They are not merely ›visual aids,‹ but visual instruments, artfully forged in a proven pedagogic tradition.«37 Es ging ihm vor allem um das inhaltliche Text-Diagramm-Verhältnis, die Platzierung der Diagramme innerhalb des Ganzen sowie die spezifischen Leistungen der gänzlich auf figür33 Engelen 1993. Siehe auch Eastwood 1999. 34 Diese Kritik an der Verwendung von modernen Diagrammreproduktionen trifft gleichermaßen Philippa Sempers Betrachtung von Diagrammen in Byrhtferths Enchiridion (um 1011). Ihre Materialwahl ist umso erstaunlicher, erklärt sie doch selbst: »Yet while scholars have on occasion discussed the content of some of these diagrams, the importance of their form, and its interaction with this content, has largely been neglected.« Semper 2004, S. 126. 35 Eine zusammenfassende Studie fehlt meines Wissens nach wie vor. Es handelt sich im Einzelnen um: (1) BL, MS Cotton Tiberius E. IV (Winchcomb, fr. 12. Jh.); (2) Oxford, SJC, MS 17, zs. mit BL, MS Cotton Nero C. VII, fols. 80–84 (Thorney, ca. 1110); (3) BL, MS Cotton Tiberius C. I, zs. mit BL, MS Harley 3667 (Peterborough, um 1122); ferner (4) BL, MS Egerton 3088 (13. Jh.). Vgl. auch Cambridge, SJC, MS 221 (I. 15) (12. Jh.). 36 Bober 1956/1957. 37 Ebd., S. 81.
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liche Elemente verzichtenden Diagramme. Bobers Ansatz ist heute und auch für die vorliegende Untersuchung noch wegweisend. Im 12. Jahrhundert fächert sich die Diagrammüberlieferung in eine Vielzahl neuer Stränge auf; Christel Meier spricht gar von einer »vehementen Evolution der Diagrammatik des 12. Jahrhunderts«38. Für den Diagrammgebrauch unterscheidet Meier zwei originäre Anwendungsbereiche, zum einen den wissenschaftlich-didaktischen, zu dem auch die von Bober untersuchte Kompilation gehört, zum anderen den visionär-meditativen Bereich, wobei es gerade in diesem Jahrhundert auch zu Überschneidungen beider Kontexte und zur Ausbildung neuer, komplexer Diagrammformen kam.39 Meier untersuchte insbesondere den Diagrammgebrauch bei Hildegard von Bingen (1098–1179) und Hugo von St. Viktor (gest. 1141) und analysierte eingehend die enge Verbindung, die zwischen den abstrakt-geometrischen Diagrammformen und erkenntnistheoretischen Vorstellungen bestand, welche auf eine Überwindung des Körperlichen und die Schau des Intelligiblen und des Schöpfers selbst zielten.40 Auch die kunstgeschichtliche Forschung hat sich bisher schwerpunktmäßig mit den Diagrammen beschäftigt, in denen sich auf inhaltlicher wie formaler Ebene das wissenschaftliche und das theologisch-heilsgeschichtliche Weltverständnis überlagern, wobei sich die Analyse einerseits auf die Ikonografie41, andererseits auf die formalen Ordnungen und Strukturen42 konzentrierte. Dieter Blume, der eine große Studie über astrologische Bilder in Mittelalter und Renaissance vorgelegt hat, thematisierte jüngst am Beispiel einer kleinen Auswahl von mittelalterlichen Diagrammen, die das Wissen über Körper und Kosmos zur Anschauung bringen, die Frage nach dem Verhältnis von Naturverständnis und Diagrammform.43 Für ihre Beiträge in den Katalogen von Ausstellungen über das 12. Jahrhundert 38 Meier 2003a, S. 48. 39 Überblick bei Meier 2003a, S. 47–53. Ein komplexes, bisher kaum bekanntes Mikrokosmos-Makrokosmos-Diagramm, das möglicherweise auf Uodalscalc von St. Ulrich und Afra (1124 bis um 1150) zurückgeht, beschreibt Berschin 2001. Eine Übersicht über verschiedene Diagrammtypen des 12. bis 14. Jh.s liefert Evans 1980. Joachim Krausse skizziert eine Geschichte des Diagramms (vor allem der Neuzeit): Krausse 1999. 40 Vgl. die in Anm. 11 genannte Literatur sowie Meier 1987. Zu Hugo von St. Viktor vor allem auch Sicard 1993 sowie Obrist 1986. Zu Joachim von Fiore dies. 1988. Weitere, allerdings spätere Beispiele aus dem visionär-meditativen Kontext sind die vollkommen außergewöhnlichen Diagramme (zw. 1330 u. 1350) des Opicinus de Canistris. Dazu Harding 1998. 41 Reudenbach 1980; Bronder 1972; Saxl 1957d. 42 Torp 2002; Reudenbach 1998a, bes. S. 628–634; Caviness 1983, bes. S. 107–110; Beer 1952. Grundlegend zu den Ordnungsmodi in der mittelalterlichen Kunst Kemp 1994. Anna C. Esmeijer entwickelte in ihrem Buch aus dem Jahr 1978 die interessante, aber zu eng gefasste These, dass die auf der Zahl Vier basierenden Diagrammformen nach dem vierfachen Schriftsinn konzipiert und als Instrumente der visuellen Exegese zu verstehen sind: Esmeijer 1978. Kritik von Meier 2003a, S. 24 f. 43 Blume 2006 sowie, zu den astrologischen Bildern, ders. 2000. Vgl. hier auch Sorci 2004, wo es um die Darstellung der Sonne im Diagramm und ihre Beschreibung in der Wissensliteratur des Mittelalters geht.
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trafen schließlich Johannes Zahlten44 und Anton von Euw45 eine Auswahl an kosmologischen und astronomischen Diagrammen verschiedenster Ausprägungen, um anhand dieser Diagramme das zeitgenössische Weltbild und Naturverständnis zu erläutern. Zwar interessiert sich gerade Zahlten auch für die Frage, ob die visuellen Darstellungen von der Spezifität der Welterkenntnis im 12. Jahrhundert zeugen.46 Er beschränkte sich in seinem Katalogbeitrag jedoch auf Darstellungen in Enzyklopädien, in denen man, dieser literarischen Gattung entsprechend, vorhandenes Wissen verschiedenster Gebiete laienhaft akkumuliert findet.47 Die Enzyklopädie war nicht der Ort, an dem um das aktuelle Wissen gerungen wurde, vielmehr schöpfte sie ihre Kenntnisse aus gerade jenen Schriften, die diese Herleitung gültiger Erkenntnis bereits geleistet hatten. Zahlten dehnte seine Recherche nicht auf die Kommentar- und Traktatliteratur aus, in der das Wissen über die Welt entwickelt und erörtert wurde und die somit näher am Puls der wissenschaftlichen Debatten war. Sein Beitrag ist deshalb für die Frage, ob und wie sich die Visualisierung der Erkenntnisse mit deren Wandel veränderte, wenig aufschlussreich. Gerade diese Frage jedoch steht im Zentrum der folgenden Untersuchung. Der im Hochmittelalter einsetzende Veränderungsprozess ist durch zwei Bewegungen geprägt. Bereits für das 11. Jahrhundert sind Ansätze eines neuartigen intellektuellen Interesses an der Welt auszumachen, das sich im 12. Jahrhundert gänzlich entfaltete, während zur selben Zeit lateinische Übersetzungen der philosophischen und wissenschaftlichen Werke der Griechen und Araber entstanden, deren Rezeption das neuartige Weltverständnis wiederum grundlegend verändern sollte. Zunächst ist es die Auffassung der natürlichen Welt als ein zwar von Gott erschaffenes, doch eigengesetzliches Ganzes, das vom Menschen durch die Vernunft entschlüsselt werden kann, die das Denken im 12. Jahrhundert charakterisiert.48 Dieses Bemühen, die Welt rational zu ergründen, wurde 44 Zahlten 1995. 45 von Euw 1975. In diesem Beitrag ist der enzyklopädische Liber Floridus (1121) des Kanonikers Lambert von St. Omer prominent vertreten. Er enthält eine Vielzahl sehr unterschiedlicher Diagramme, darunter insbesondere solche zu Astronomie und Kosmologie, die allerdings noch nicht genauer untersucht wurden. Harry Bober hatte sich in seinem Beitrag auf einem im Jahr 1967 veranstalteten Kolloquium zum Liber Floridus auch mit den Diagrammen beschäftigt; der Tagungsband enthält aber leider nur eine wenig aussagekräftige Zusammenfassung seines Vortrags: Bober 1973. 46 Auch in seiner Habilitationsschrift verfolgte Zahlten einen ganz ähnlichen Ansatz, allerdings untersuchte er darin nicht Diagramme, sondern Bilder zur Genesis auf ihren wissenschaftlichen Gehalt: Zahlten 1979. 47 Zu den »Grundzügen der mittelalterlichen Enzyklopädik« Meier 1984. 48 Andreas Speer hat dies am Beispiel von Gelehrten der sogenannten ›Schule von Chartres‹ eindrücklich gezeigt: Speer 1995. Aufgrund der Vielzahl von Publikationen zur Philosophie- und Wissenschaftsgeschichte des 12. Jh.s sei hier zusätzlich nur auf die folgenden Sammelbände verwiesen: Wieland 1995; Dronke 1988; Benson/Constable 1982. Siehe auch den Forschungsüberblick von Melve 2006, bes. S. 238–241.
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maßgeblich durch Platon, d. h. den Timaeus, gelenkt, für dessen Verständnis der Kommentar des Calcidius ein wichtiges Hilfsmittel darstellte.49 Übersetzungen von wissenschaftlichen Schriften aus dem Arabischen und Griechischen hatte es zwar schon vor dem 12. Jahrhundert gegeben, doch im zweiten Viertel dieses Jahrhunderts begann eine nahezu systematische Übertragung philosophischer und wissenschaftlicher Werke ins Lateinische.50 Der Westen knüpfte wieder an die Gelehrsamkeit der Antike an und nahm erstmals den Reichtum an Wissen zur Kenntnis, der vor allem im arabischen Kulturraum auf der Grundlage der antiken Tradition entstanden war. Mit der Aristotelesrezeption setzte eine Wende von Platon zu Aristoteles ein, die ihren Abschluss im 13. Jahrhundert fand.51 Die von Platon im Timaeus beschriebene Weltordnung verlor noch im 12. Jahrhundert ihre Gültigkeit und wurde durch die Lehren der aristotelischen Kosmologie ersetzt. Was die Astronomie betrifft, so wurden die Kenntnisse über die Bewegungen der Himmelskörper seit dem Ende des 12. Jahrhunderts nicht grundsätzlich revidiert, aber erweitert und präzisiert. Hatte in den Jahrhunderten zuvor der Timaeus-Kommentar des Calcidius noch die vollständigste Zusammenfassung der antiken Astronomie geliefert und dabei aber lediglich eine relativ grobe Vorstellung von der mathematisch-geometrischen Ordnung der Bewegungen vermittelt, war nun mit dem Almagest des Claudius Ptolemaeus (um 150 n. Chr.) das zentrale Werk der hellenistischen Planetenastronomie verfügbar und die systematische rationale Durchdringung des Raums sowie die rechnerische Bestimmung der Abläufe möglich. In der folgenden Untersuchung soll es um die Frage gehen, ob auch das Diagramm zum Träger hinzugewonnenen Wissens wurde und das neuartige intellektuelle Interesse an der natürlichen Welt zum Ausdruck brachte. Für dieses Erkenntnisinteresse scheinen die Diagramme am aufschlussreichsten zu sein, die in einem engen Zusammenhang mit der Erprobung des Denkens und der Etablierung von Wissen standen. Ein derartiger Kontext ist gegeben, wenn Diagramme einen integralen Bestandteil von Texten bilden, in denen für die Richtigkeit 49 Anna Somfai konnte mit ihrer Analyse von Glossen sowie von Veränderungen und Ergänzungen einzelner Diagramme in Timaeus-Handschriften überzeugend darlegen, dass ein verstärktes Interesse am Timaeus und an Calcidius’ Kommentar schon für das 11. Jahrhundert festzustellen ist: Somfai 2002. 50 Deutlich wird dies insbesondere angesichts der allein durch Gerhard von Cremona (ca. 1114–1187) aus dem Arabischen übersetzten Werke, darunter Ptolemaeus’ Almagest, Euklids Elementa, einige Abhandlungen von Aristoteles, Avicenna und Galen. Insgesamt müssen es etwa 80 Schriften gewesen sein. Eine kommentierte Liste bei Lemay 1978. Allgemein zu den Übersetzungen Butterworth/Kessel 1994; Jolivet 1988; d’Alverny 1982; zu Übersetzung und Rezeption des arabischen Wissens im lateinischen Mittelalter Speer/Wegener 2006. 51 Wieland 1985; Dod 2000 [1982]. Die weitreichenden Konsequenzen, die der Strom des neuen Wissens für die mittelalterliche Kosmologie hatte, sind von Edward Grant in seinem im Jahr 1994 erstmals erschienenen Buch »Planets, stars, and orbs. The medieval cosmos, 1200–1687« detailliert dargelegt worden: Grant 1996 [1994]. Vgl. auch Carmody 1956.
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von Aussagen nach einheitlichen Kriterien argumentiert und damit die Entstehung gültiger Erkenntnis reflektiert wird. Geeignet sind außerdem Texte, die aus der Frühphase der Rezeption des erstmals verfügbaren Wissens stammen, von zentraler Bedeutung für die Wissensvermittlung waren und im Universitätsunterricht eingesetzt wurden. Sie waren das Ergebnis einer kritischen Durchsicht der neuen Schriften und mussten die als wichtig und zutreffend erachteten Inhalte so darstellen, dass sie der Prüfung im Unterricht standhielten. In besonderem Maße werden diese Kriterien von dem Timaeus-Kommentar des Calcidius, der Dialogschrift Dragmaticon philosophiae des Wilhelm von Conches, Robert Grossetestes »Über die Sphäre« (De spera), der gleichnamigen Abhandlung von Johannes de Sacrobosco sowie der anonymen »Theorie der Planeten« (Theorica planetarum) erfüllt. Die Diagramme dieser Schriften werden hier erstmals systematisch untersucht. Der spätantike Timaeus-Kommentar des Calcidius steht am Beginn dieser Studie. Das hat verschiedene Gründe: Die Aktualität, die Platon seit dem 11. Jahrhundert erlangte, gründete auf dem intensivierten Studium des Timaeus. Auch wenn sich schon früh die Tendenz abzeichnete, dass sich die Gelehrten eingehender mit Platons Dialog in der Übersetzung des Calcidius als mit dessen Kommentar beschäftigten, wurde letzterer doch im 11. und im 12. Jahrhundert als der wichtigste Schlüssel zu Platons Werk angesehen. Im 11. Jahrhundert wurde der Kommentar häufiger als jemals zuvor kopiert und auch im 12. Jahrhundert entstanden noch viele Abschriften, die mit dem Text immer auch die Diagramme tradierten. Ähnliches gilt für die Überlieferung der Commentarii in Somnium Scipionis von Macrobius, deren Diagramme bisher ebenfalls kaum systematisch betrachtet wurden.52 Neben der Zunahme der Abschriften ist es im Fall von Calcidius’ Kommentar jedoch auch die Tatsache, dass dieses Werk als wichtigstes Referenzwerk diente, die es für die hier beabsichtigte Untersuchung besonders geeignet erscheinen lässt. Zudem überlieferte der Kommentar nicht nur eine weit größere Zahl von, sondern auch das breiteste Spektrum an Diagrammen zu Kosmologie und Astronomie. Die vorliegende Studie wählt deshalb Calcidius als Ausgangspunkt und untersucht zunächst einen spätantiken Diagrammgebrauch in seiner hochmittelalterlichen Fassung. Im Werk Wilhelms von Conches (ca. 1085 bis nach 1154), der zu den Gelehrten der sogenannten ›Schule von Chartres‹ zählt, kommen die Aktualisierung Platons und die dezidiert von der Vernunft geleitete Ergründung der natürlichen Welt beispielhaft zum Ausdruck. In weitaus größerem Maße als seine frühe Schrift Philosophia ist das Dragmaticon philosophiae mit Diagrammen ausgestattet. Hier stellt sich die Frage, ob Wilhelm, der dem tradierten Wissen immer erst nach sorgfältiger rationaler Prüfung zustimmte, in der Nutzung der Dia52 Vgl. aber Obrist 2004, S. 171–194, wo jedoch die frühmittelalterlichen Abschriften im Zentrum stehen.
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grammüberlieferung und der Übertragung von Wissensgegenständen in visuelle Formen eine vergleichbar kritische Haltung zeigte. Im zweiten Teil dieser Arbeit geht es dann um Diagramme und Texte des 13. Jahrhunderts, die bereits Quellen rezipierten, die den Westen erst mit den Übersetzungen im 12. Jahrhundert erreicht hatten. Während für Robert Grossetestes (ca. 1168–1253) De spera nur vermutet werden kann, dass es im Kontext des Unterrichts an der Universität in Oxford entstand, kann als sicher gelten, dass die Spera (um 1230) von Johannes de Sacrobosco sowie die anonyme Theorica planetarum (Anf. 13. Jh.) für den Unterricht an der Artistenfakultät in Paris geschrieben und als Lehrwerk bald vielerorts verwandt wurden. Diese Abhandlungen sind deutlich kürzer und spezialisierter als der Kommentar des Calcidius und das Dragmaticon Wilhelms von Conches, die beide im Unterricht an den Kathedralschulen, jedoch nicht an den Universitäten zum Einsatz kamen. Die Schriften Grossetestes und Sacroboscos sowie die anonyme Theorica sind Zeugnisse der ersten Stufe der Rezeption des neu verfügbaren astronomischen und kosmologischen Wissens. An ihnen sollen die Veränderungen, die diese Aufnahme des Neuen für die Diagramme mit sich brachte, exemplarisch analysiert werden. Bereits diese inhaltliche Skizze sollte deutlich machen, dass diese Arbeit nicht auf eine möglichst vollständige Darlegung der Entwicklung des astronomischen und kosmologischen Diagramms vom 11. bis zum frühen 14. Jahrhundert zielt, sondern spezifische Verfahren des Gebrauchs und der Gestaltung von Diagrammen in dieser Zeit herausstellen will. Dabei wird die Frage nach den Vorbildern einzelner Diagramme, insbesondere derjenigen, die von der lateinischen Diagrammtradition abweichen, im Hintergrund stehen müssen und nur punktuell und sehr allgemein beantwortet werden können. Wenn auch die Schriften, aus denen Autoren wie Grosseteste und Sacrobosco ihr Wissen entlehnten, in modernen Editionen vorliegen, so wurden Diagramme darin höchstens in Form von Nachzeichnungen eingefügt und bei der Beschreibung der Handschriften kaum berücksichtigt. Bei der Frage nach möglichen Quellen für ein neuartiges Diagramm wird hier deshalb immer nur auf eine andere Abhandlung in ihrer modernen Edition verwiesen werden können. Das Diagramm wird hier stets als ein Objekt verstanden, das in einem von verschiedenen Akteuren bestimmten Spannungsfeld entstanden ist. Da war zum einen die Stimme des Autors, d. h. der Text mit seinen inhaltlichen Angaben, seinen Versprechungen und den Verweisen auf das Diagramm. Hinzu kommt der in den hier ausgewählten Handschriften stets anonym bleibende Schreiber oder Buchmaler, der beim Kopieren zuerst die Entscheidung treffen musste, ob er seiner Vorlage folgen wollte, und der zudem immer vor der Aufgabe stand, das formalästhetische Verhältnis zwischen Diagramm, Schrift und Textschmuck zu gestalten. Schließlich ist an den – gleichsam anonym bleibenden – Rezipienten zu denken, den Nutzer der Handschrift, mit dem sich die Frage nach den zeitgenössischen Rezeptionsmustern verbindet. In dieser Charakterisierung der Per-
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sonen, ohne die das Diagramm, wie es tatsächlich auf der Buchseite erscheint, nicht denkbar ist, deutet sich die Komplexität einer Analyse von Diagrammen in mittelalterlichen Handschriften an, welche weniger daran interessiert ist, das ›richtige‹, vom Autor ursprünglich gemeinte Diagramm zu rekonstruieren, als vielmehr die verschiedenen Möglichkeiten der Funktionsbestimmungen, der Formgebungen und der Nutzungen zu greifen versucht.53 Dafür ist die genaue Textlektüre ebenso erforderlich wie die präzise Beschreibung der Diagrammform, schließlich generiert das Diagramm als visueller Gegenstand seinen Inhalt insbesondere über die Form. Doch Text und Diagramm stehen im Buch und auf der einzelnen Buchseite nicht nur in einem inhaltlichen Bezug zueinander. Sie werden nicht separat voneinander wahrgenommen, sondern bilden ein formalästhetisches Ganzes, das eine weitere bedeutungsstiftende Ebene herstellen kann. Es soll hier versucht werden, die Buchseite mit ihren Beziehungsgefügen von Schrift, Diagramm, Ornament und Bild als ein ästhetisches Feld zu betrachten, das auf visueller Ebene eine weitere Sinnordnung ausbildet.54 Die Analyse der verschiedenen inhaltlichen wie formalen Kontexte und Relationen ist im Folgenden immer an der Rezeptionsfolge ausgerichtet, die durch die Ordnung im Text und die Anordnung auf der Buchseite vorgegeben wird.
53 Für eine an den ›besten‹ Diagrammzeugen ausgerichtete Rekonstruktion ›richtiger‹ Diagramme für die moderne Edition von mittelalterlichen wissenschaftlichen Texten plädieren Busani/Raschella 2001. 54 Eine starke Aufmerksamkeit für die Materialisierungen auf der Buchseite und ihre Bezüge untereinander kennzeichnet auch aktuelle Forschungen zur Schrifttheorie. Die Philosophin Sybille Krämer plädiert für eine neue Betrachtung der Schrift, die auch deren Materialität und Bildlichkeit Rechnung trägt. Vgl. z. B. ihre Beiträge in zwei Sammelbänden, die sich mit der Schrift als Kulturtechnik und der Sichtbarkeit der Schrift beschäftigen: Krämer 2005 u. dies. 2006. Eigens hervorgehoben sei der Beitrag von Werner Kogge in dem ersten dieser Bände: Kogge 2005. Er führt eine theoretische Problematisierung sowie materialgestützte Analyse der Materialisierung von Schrift vor. Seine Beispiele sind neuzeitlich, so etwa Seiten aus einem Tagebuch Ludwig Wittgensteins oder einem choreographischen Skizzenbuch von Mary Wigman. An ihnen wird deutlich, dass es Kogge insbesondere um das operative Potential von Schrift geht: »Was wir beherrschen müssen, um mit Schrift umzugehen, ist der Wechsel von der elementaren zur konfigurativen und von der konfigurativen zur elementaren Ebene. Dass Schrift diesen Aspektwechsel erforderlich macht und dass Schrift das Potential dieses Aspektwechsels ausschöpft, zeichnet die Materialität des Mediums Schrift aus. […] In Schrift lässt sich deshalb in einer Weise denken, ordnen und erfinden, die kein anderes Medium ermöglichen kann.« Kogge 2006, S. 101. Diese Beiträge enthielten wertvolle Anregungen für meine Betrachtungen der Konfigurationen auf mittelalterlichen Manuskriptseiten, sind diese auch, das ist offenkundig, bei Weitem nicht so stark theoretisch gefasst wie die Analysen Kogges. Ich fürchte auch, dem aktuellen Schriftverständnis in meinen Analysen nicht gerecht zu werden und immer dort, wo es mir um das Verhältnis zwischen Diagramm und Schrift geht, ein zu stark phonografisches Verständnis von der Schrift beizubehalten. Hingewiesen sei an dieser Stelle noch auf Ulrich Ernsts Studie über »Facetten mittelalterlicher Schriftkultur«, in denen Ernst sich mit Schriftästhetik und Schriftreflexion in fiktionaler wie enzyklopädischer Literatur sowie in figürlichen Miniaturen beschäftigt: Ernst 2005.
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Die Untersuchung wird einerseits mit Blick auf die gesamte Überlieferung der einzelnen Abhandlungen in der Zeit vom 11. bis zum frühen 14. Jahrhundert geführt, andererseits auf einer Auswahl einzelner Handschriften basieren und deren Diagrammbestand nahezu vollständig abbilden. Es werden zum einen solche Kopien als zentrale Bezugsobjekte verwandt, in denen die Eigenarten der formalen Gestaltung, die die gesamte Überlieferung kennzeichnen, exemplarisch zur Anschauung kommen. Zum anderen sind gerade auch die Abschriften interessant, die singulär stehen und eine eigene Formsprache entwickeln. Für den Timaeus-Kommentar liegt der Fokus auf der Überlieferung im 11. und 12. Jahrhundert, für die übrigen Abhandlungen jeweils auf der frühen Überlieferung, d. h. für das Dragmaticon philosophiae auf der Spanne von der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts bis zum Ende des 13. Jahrhunderts, für Grossetestes wie Sacroboscos Spera und auch die anonyme Theorica auf der Zeit von der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts bis zum frühen 14. Jahrhundert. Die Diagramme, um die es im Folgenden gehen wird, sind integrale Bestandteile verschiedener Ordnungen. Sie gehören einem Text an, erscheinen mit diesem auf einer Buchseite und sind häufig gemeinsam mit anderen Schriften, die möglicherweise weitere Diagramme enthalten, Teil eines Codex. Das Diagramm ist schwerlich aus dieser Struktur der inhaltlichen wie formalen Beziehungen zu lösen, da es innerhalb des Ganzen zum Bedeutungsträger wird. Gerade in der Konzentration auf einzelne Handschriften, in der möglichst vollständigen Präsentation des gesamten Diagrammbestands des jeweiligen Texts in diesem Codex und in der Berücksichtigung der Diagramme in anderen Texten, die in dem Codex versammelt sind, soll es hier gelingen, dem Gegenstand gerecht zu werden. Im methodischen Zugriff auf das Diagramm ist die Formanalyse das entscheidende Instrument. Da jedoch das Diagramm stets als Teil eines Textganzen begriffen wird, ist die Analyse des durch den Text vermittelten Wissens über die Welt von gleichrangiger Bedeutung. Diese Arbeit verknüpft somit Kunstgeschichte und Wissenschaftsgeschichte und beschreibt Veränderungen der visuellen Weltaneignung im Diagramm im Übergang vom Hoch- zum Spätmittelalter.
2 Sprachwerk. Die Diagramme im Timaeus-Kommentar des Calcidius
2.1 Einführung Platons Timaeus (vor 347 v. Chr.) war das einzige naturphilosophische Werk, das dem lateinischen Mittelalter vor dem 12. Jahrhundert aus der griechischen Antike überliefert war. Um 400 n. Chr. hatte Calcidius den ersten Teil des Dialogs über die Erschaffung und Ausgestaltung der Welt ins Lateinische übersetzt und um einen ausführlichen Kommentar ergänzt.1 Bis ins Hochmittelalter war dieser Kommentar der Text, der die umfangreichste Erörterung astronomischer und kosmologischer Probleme enthielt. Der Vortrag des Timaeus In Platons Text spricht der sternkundige Timaeus über die Entstehung des Kosmos, über die Einrichtung und Gestaltung von Raum und Zeit sowie allem Lebendigen.2 Was die Frage nach dem Anfang der Welt betrifft, so findet sich in deren Körperlichkeit und Sinnlichkeit das entscheidende Argument für ihren Status als etwas Gewordenes in Abgrenzung zum unkörperlichen, intelligiblen Seienden.3 1 Die Übersetzung umfasst Timaeus 17a–53c. Übersetzung und Kommentar des Calcidius werden im Folgenden nach der Edition von Jan Hendrik Waszink zitiert: Platon/Calcidius, Timaeus, bzw. Calcidius, Commentarius, hg. Waszink 1962. Vgl. auch die Edition mit Übersetzung ins Italienische: Calcidius, Commentario, hg. Moreschini 2003. Calcidius wirkte etwa um 400 in Italien. Über seine Biografie lässt sich aus Mangel an Überlieferung nur spekulieren. Zusammenfassend Gersh 1986:2, S. 421–492; Wesche 1983 sowie Waszink 1972; kritisch zu der Annahme, Calcidius sei Christ gewesen, Somfai 2002, S. 12. Ciceros Timaeus-Übersetzung (27d–47b) war für die Patristik bedeutend, weniger jedoch im 11. und 12. Jh. Bakhouche 1997, für einen Vergleich mit Calcidius bes. S. 4–8. Vgl. auch Lemoine 1997. Weitere Dialoge Platons wurden erst in der Mitte des 12. Jh.s ins Lateinische übersetzt. Dazu Meinhardt 1995, Sp. 11; Wieland 1985, S. 607. 2 Placuit enim nobis Timaeum quidem, utpote in astronomia ceteris eminentem naturaeque rerum arcana rimatum, principe loco dicere orsum a mundi sensibilis constitutione usque ad genus hominum generationemque […]. Platon/Calcidius, Timaeus (27a), hg. Waszink 1962, S. 19,17–20. Ich konzentriere mich in dieser Inhaltsangabe auf die für die weitere Untersuchung relevanten Aspekte. Für eine umfangreichere Darstellung Zekl 1992, S. xvii–xlv. 3 Omne igitur caelum uel mundus seu quo alio dignatur nomine – faciendum est enim, quod in omni tractatu fieri decet, ut inter initia consideretur, quid sit quo de agitur; item mundus fueritne semper citra exordium temporis an sit originem sortitus ex tempore, considerandum –
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Die Diagramme des Calcidius
Mit der Unterscheidung zwischen dem Immerseienden und dem Werdenden, das nach dem Vorbild des Seienden entsteht, sind die grundlegenden Kategorien der platonischen Ontologie benannt. Sie sind auch für die Erkenntnistheorie von fundamentaler Bedeutung. Das Denken, die Erkenntnisform der Vernunft und des Verstandes (intellectum, ratio), und die sinnliche Wahrnehmung, das Betätigungsfeld bloßer Meinung (opinio), bilden die beiden wichtigsten Befähigungen des Menschen für die Herstellung von Wissen. Als wirklich und die Wahrheit repräsentierend kann nach Platon jedoch nur ein Wissen gelten, das das Immerseiende zum Gegenstand hat. Den Weg zu diesem Wissen ebnet allein die Vernunft; nur das Denken führt den Menschen zur Erkenntnis des Wahren und Stetigen, das ohne Zweifel ist. Die sinnliche Wahrnehmung hingegen heftet sich an alles Körperhafte, das lediglich nach dem Bild des Immerwährenden geschaffen ist und damit abhängig existiert. Das, was man aufgrund von sinnlicher Erfahrung zu wissen meint, kann sich nur durch einen hohen Grad der Wahrscheinlichkeit auszeichnen und ein bestmögliches Abbild der Wahrheit sein, diese aber nicht entblößen.4 Sein Vorhaben, von dem Gewordensein der Welt und damit auch von dem Sein, nach dessen Vorbild die Welt überhaupt erst Form gewinnen kann, in größtmöglicher Wahrscheinlichkeit zu sprechen, verpflichtet Timaeus somit, dem Denken zu folgen und allem bloßen Anschein zu misstrauen.5 Die Vorstellung vom Werden dessen, was von sich aus kein Sein hat, wird mit dem Postulat des ursächlichen Entstehens präzisiert: »Alles aber, was entsteht, wird notwendigerweise aus irgendeiner Ursache hervorgebracht; nichts nämlich wird, dessen Entstehung nicht eine wirkliche Ursache und ein Beweggrund vorausgeh[en].« (Omne autem quod gignitur ex causa aliqua necessario gignitur; nihil enim fit, cuius ortum non legitima causa et ratio praecedat.)6 Die körperliche Welt existiert somit in zweifacher Abhängigkeit und die Frage nach dem Wie ihres Entstehens zielt sowohl auf die Erkenntnis der intelligiblen, vorbildhaften Seinswelt als auch auf die Benennung der legitima causa et ratio, denn erst durch deren Wirken kann das Abbild entstehen. Bei Platon ist die »[…] Generalursafactus est, utpote corporeus et qui uideatur atque tangatur, cuncta siquidem huius modi sensilis corporeaque naturae […]. Platon/Calcidius, Timaeus (28b) hg. Waszink 1962, S. 21,4–9. 4 Est igitur, ut mihi quidem uidetur, in primis diuidendum, quid sit quod semper est, carens generatione, quid item quod gignitur nec est semper, alterum intellectu perceptibile ductu et inuestigatione rationis, semper idem, porro alterum opinione cum inrationabili sensu opinabile proptereaque incertum, nascens et occidens neque umquam in existendi condicione constanti et rata perseuerans. Ebd., (27d–28a), S. 20,15–20. Vgl. auch Mesch 2005, hier S. 41 f. Zu der Auffassung von der Wahrheit der Idee und dem modernen Konzept von der Aussage, dem Satz als Ort der Wahrheit Mittelstraß 1962, S. 75–80. Zur Unterscheidung zwischen der Vorstellung von der Welt als Abglanz der Wahrheit und dem neuzeitlichen Konzept einer vom irdischen Standpunkt ausgehenden Projektion von Erklärungsversuchen Konersmann 21999, S. 28. 5 Timaeus weist jedoch selbst auf die unumgängliche Unvollkommenheit seiner Rede hin. Platon/Calcidius, Timaeus (29c/d), hg. Waszink 1962, S. 22,9–14. Vgl. auch Böhme/Böhme 1996, S. 100 f.; Schlette 1993, S. 38, sowie Mittelstraß 1989, S. 58–60. 6 Platon/Calcidius, Timaeus (28a), hg. Waszink 1962, S. 20,20–22.
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che des Kosmos zu einer göttlichen Vernunft – und ja wohl doch entsprechenden Händen [personalisiert], denn es ist ein Handwerksmeister, den er da planen und zimmern, fügen, drechseln läßt.«7 Timaeus schildert in seinem Vortrag das Vorgehen des göttlichen Weltbildners, durch dessen Handwerk aus der ungeordneten Materie eine geordnete Welt entsteht.8 Da der Welterschaffer selbst ein gutes, weil gütiges und neidloses Wesen ist, formt er sein Werk so, dass es dem Schönsten und Vollkommenen möglichst ähnlich wird. Die Welt entsteht nach dem Vorbild der immer seienden Ideen; sie ist somit als Bestgelungenes und als Abbild des Intelligiblen zu verstehen.9 Optimal wird diese repräsentative Funktion erst dann erfüllt, wenn die Welt selbst zu einem vernunftbegabten und autarken, zu einem göttlichen Wesen wird. In Platons Entwurf verbindet Gott den Körper der Welt deshalb unauflöslich mit einer Seele, die nicht nur stofflich und strukturell das Ganze in sich enthält, sondern zudem alles Erschaffene unaufhörlich in eine gleichförmige Bewegung versetzt.10 Wissen ins Werk. Der Kommentar Platons Timaeus, in dem zunächst diese grundsätzliche Disposition der Welt und dann die Ausgestaltung alles Seienden erläutert werden, habe, so sagt Calcidius zu Beginn seines Kommentars, unter den Gelehrten lange als ein schwer zu entschlüsselnder Text gegolten.11 Diese Äußerung enthält eine Rechtfertigung für eine erneute Textexegese und markiert zugleich einen Anspruch, den Calcidius im Hinblick auf sein methodisches Vorgehen präzisiert. Die Dunkelheit, die die Rede des Timaeus umgebe, wird von ihm nicht als Makel des Texts selbst verstanden, sondern als Effekt einer falschen Methode bei dessen Interpretation erkannt. Die Frage, ob der Weltentwurf Platons überhaupt ein schlüssiges Ganzes repräsentiert, ist für Calcidius unzulässig. Entscheidend sei es, sich bei der Auslegung 7 Zekl 1992, S. xxxi. 8 Calcidius führt diesen Weltbildner (demiurgós bei Platon) in seiner Übersetzung als opifex (Platon/Calcidius, Timaeus (28a), hg. Waszink 1962, S. 20,22), opifex genitorque uniuersitatis ((28c), S. 21,11 f.), opifex et fabricator mundi ((29a), S. 21,16 f.), opifex deus ((29a), S. 21,20), rerum conditor fabricatorque geniturae ((29d), S. 22,17) ein. Zu den von Platon verwandten Begriffen Ekschmitt 21990, S. 102 f. Die platonische Vorstellung, dass die Welt aus Vorhandenem und nicht aus dem Nichts erschaffen wird, deutet sich auch in der Übersetzung von Timaeus 30a an: […] omne uisibile corporeumque motu importuno fluctuans neque umquam quiescens ex inordinata iactatione redegit [deus] in ordinem […]. Platon/Calcidius, Timaeus (30a), hg. Waszink 1962, S. 22,23–23,2. 9 Optimus erat [deus], ab optimo porro inuidia longe relegata est. Itaque consequenter cuncta sui similia, prout cuiusque natura capax beatitudinis esse poterat, effici uoluit […]. Ebd. (29e), S. 22,18–20. Vgl. auch ebd. (29a), S. 21,15–23. 10 Ebd. (30a–c), S. 23,3–9, wo es am Ende zusammenfassend heißt: Ex quo apparet sensibilem mundum animal intellegens esse diuinae prouidentiae sanctione. Vgl. auch Schlette 1993, S. 45. 11 Timaeus Platonis et a ueteribus difficilis habitus atque existimatus est ad intellegendum […]. Calcidius, Commentarius 1, hg. Waszink 1962, S. 57,1 f.
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Die Diagramme des Calcidius
des Timaeus eines der behandelten und zu erklärenden Gegenstände adäquaten Wissens zu bedienen.12 Der umfassende kosmologische Entwurf des Timaeus kann in seiner Gesamtheit und in seinen Einzelheiten demnach nur mithilfe sämtlicher Kenntnisse auf dem Gebiet der mathematischen Künste, der Arithmetik, Geometrie, Astronomie und Musik, entschlüsselt werden. Calcidius gibt vor, in seiner Textauslegung der Anforderung, den aktuellen Wissensstand für seine Erläuterungen zu nutzen, gerecht zu werden, und präsentiert seinen Kommentar damit explizit als Wissensliteratur. Seine Ankündigung impliziert, dass die Weltordnung, die er im Folgenden erläutern wird, eine mathematische Ordnung ist.13 Während der Philosoph alles Wissen in eine Erzählung vom Werden der Welt zu kleiden vermochte, erschließt sich dem nachfolgenden Gelehrten das Ganze erst dann, wenn er es Schritt für Schritt im Einzelnen nachvollzieht. Für den ge12 Der in Anm. 11 zitierte Satz wird weitergeführt: […] non ex imbecillitate sermonis obscuritate nata – quid enim illo uiro promptius? –, sed quia legentes artificiosae rationis, quae operatur in explicandis rerum quaestionibus, usum non habebant stili genere sic instituto, ut non alienigenis sed propriis quaestionum probationibus id quod in tractatum uenerat ostenderetur. Ebd., S. 57,2–6. Dass es sich allerdings bei dieser Kritik an ›den Alten‹ um einen Topos der Rechtfertigung handeln muss, wird angesichts der Quellenlage des Kommentars sogleich deutlich. Calcidius’ Ausführungen zu Arithmetik, Geometrie und Astronomie verweisen vor allem auf die (nicht überlieferte) Timaeus-Auslegung des Peripatetikers Adrastos von Aphrodisias (um die Mitte des 2. Jh.s n. Chr.). Waszink 1972, S. 240–243; Gersh 1986:2, S. 425 ff., sowie Switalski 1902, S. 64 ff., der auf S. 113 von einer »Unselbständigkeit des Kommentars« spricht. Der alexandrinische Mathematiker und Platoniker Theon von Smyrna (1. H. 2. Jh. n. Chr.) schrieb für sein Kompendium »Darlegung der für die Lektüre Platons nützlichen mathematischen Dinge« (Expositio rerum mathematicarum ad legendum Platonem utilium), der ältesten erhaltenen Timaeus-Auslegung, einen Großteil bei Adrastos ab. Ob auch Calcidius sich unmittelbar an Adrastos orientierte oder aber auf Theon zurückgriff, ist nicht geklärt. Im Folgenden wird Theon zitiert, wenn auf die Vorlage von Calcidius hingewiesen werden soll, und zwar nach: Theon, Exposition, hg. Dupuis 1966 [1892]. 13 Calcidius, Commentarius 2 f., hg. Waszink 1962, S. 58,1–15: In hoc porro libro cum de statu agatur uniuersae rei omniumque eorum quae mundus complectitur causa et ratio praestetur, necesse fuit multas et uarias existere quaestiones […]. Cunctis certarum disciplinarum artificialibus remediis occurrendum erat, arithmeticis astronomicis geometricis musicis, quo singulae res domesticis et consanguineis rationibus explicarentur ideoque his qui in artificialium usu non fuerant tamquam alienigenum sermonem ignorantibus minime probabantur, porro aliis qui unam aliquam ex disciplinis perceperant id solum quod sciebant recognoscentibus probabatur, cetera ignorationis obscuro latebant. Ex quo apparet hoc opus illis propemodum solis elaboratum esse ac uideri qui in omnium fuerant huius modi scientiarum usu atque exercitatione uersati […]. Vgl. auch Somfai 2002, S. 4 f. Dem mittelalterlichen Rezipienten war dieser Kanon der mathematischen Künste vertraut. Im Lehrgebäude der artes liberales, das von den Griechen entworfen worden war und auch im Mittelalter zur Systematisierung der Wissensgebiete diente, bildeten Arithmetik, Geometrie, Astronomie und Musik das quadriuium, neben dem das triuium die ›redenden‹ Künste, Grammatik, Rhetorik und Dialektik, umfasste. Für den Kanon der sieben artes liberales vgl. Martianus Capella, De nuptiis, hg. Willis 1983; für das quadriuium Boethius, De arithmetica 1.1, hg. Oosthout/Schilling 1999, S. 9,1–11,50. Zusammenfassend Stolz 2004, S. 6–69.
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schriebenen Kommentar bedeutet dies, dass auf Auszüge aus dem Timaeus umfangreiche Erörterungen folgen, die darauf zielen, die Aussagen Platons nicht nur beschreibend zu erläutern, sondern ihre Richtigkeit auch durch offenkundige und klar ersichtliche Vernunftschlüsse (rationes euidentes) zu beweisen.14 Dazu dienen zusätzlich zu den Erläuterungen im Text auch zahlreiche Diagramme. Diagramme trotz Bildhaftigkeit Calcidius integrierte insgesamt 25 Diagramme in seinen Kommentar, und zwar dort, wo es um die Erschaffung des Weltkörpers und der Weltseele, um die Gestalt und Ordnung des Kosmos sowie um die Bewegung der Planeten geht. Die Verwendung von Diagrammen ging vermutlich nicht auf Platon, sondern auf die Timaeus-Kommentatoren zurück; Calcidius war unter diesen nicht der erste, der sich des visuellen Instruments bediente. Insgesamt entstammten auch seine Diagramme einer lange etablierten, antiken Diagrammtradition.15 In den mittelalterlichen Handschriften finden sich in Calcidius’ Kommentartext ausschließlich diese Diagramme und keine narrativen Bilder, obgleich der erzählerische Vortrag des Timaeus genug Anschauliches geliefert hätte, um ohne Weiteres auch im Medium des Bildes erzählt werden zu können. Denn die Erschaffung der Welt, der Abbildungsprozess nach dem Vorbild des Intelligiblen, vollzieht sich als konkretes Tun des göttlichen Weltbildners. Schon nach wenigen Handgriffen sind aus dem Ungeordneten Körper und Seele der Welt geformt, woraufhin die Weltwerdung kontinuierlich voranschreitet und sich der Erschaffer gestaltend am Gelingen seines Werks erfreut.16 Dass die Schreiber und Buchmaler dennoch darauf verzichteten, Kommentar wie auch Übersetzung des Timaeus mit Bilderzählungen zu versehen, scheint darauf zu deuten, dass die Darstellung der Weltentstehung im Bild eine Auszeichnung war, die allein dem biblischen Schöpfungsbericht zukam, in dem sich das Werden der Welt allerdings sehr viel abstrakter als Sprechakt Gottes vollzieht.17 Dass das erzählende Bild nicht nur den mittelalterlichen Kopisten, sondern auch Calcidius im Kommentar unangebracht zu sein schien, erklärt sich weiterhin durch dessen mathematische Ausrichtung, schließlich oblag der Mathematik die Abstraktion vom Gegenständli14 So z. B. bei der Frage, ob die Welt kugelförmig ist: […] sed, opinor, dixisse hoc eum [Platonem] non sufficit, nisi hoc ita esse euidentibus ostendatur rationibus. Calcidius, Commentarius 59, hg. Waszink 1962, S. 106,22–24. 15 »Pour ce qui est du Timée, les illustrations semblent n’avoir été introduites qu’à l’initiative de ses commentateurs […].« Obrist 2004, S. 121 f. Zu den Diagrammen in Theons Expositio (vgl. Anm. 12) sowie Calcidius’ Kommentar ebd., S. 122–139. 16 Zur Freude am Werk: Quae quidem omnia in anima fieri eidemque insigniri palam est; quam cum moueri et uiuere animaduerteret factum a se simulacrum immortalis diuinitatis genitor suus, hilaratus impendio multo magis ad exemplum eius aemulae similitudinis aliud specimen censuit excogitandum. Platon/Calcidius, Timaeus (37c), hg. Waszink 1962, S. 29,19–22. Den Unterschied zur Schilderung im Buch Genesis bemerkt Zekl 1992, S. xxxiv. 17 Zur Schöpfung durch das Wort Gottes Ringleben 1996, S. 221 f.
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chen, nicht dessen Einbindung in eine Erzählung.18 Das abstrakt-geometrische, mit Buchstaben beschriftete Diagramm diente seit der griechischen Mathematik, deren Leistungen sowohl für Platons Weltentwurf als auch die Erläuterungen des Calcidius von grundlegender Bedeutung waren, als eine visuelle Figur der Erkenntnis und nicht lediglich der Veranschaulichung von Wissen. Es war ein unverzichtbares Instrument des mathematischen Denkens.19 Allgemein gesprochen scheint das Diagramm die Form der Visualisierung zu sein, die für das Textgenre des Kommentars am besten geeignet ist. Denn beide, Kommentar und Diagramm, zielen auf eine Offenlegung von Einzelaspekten und Strukturen, die im Fluss der Narration nur schwer zu fassen sind. Überlieferung und Auswahl Der handschriftlichen Überlieferung ist zu entnehmen, dass Calcidius’ Timaeus-Übersetzung wie auch der Kommentar vor allem im 11. und 12. Jahrhundert häufig kopiert wurden. Die meisten Abschriften entstanden in Frankreich und Deutschland, einzelne aber auch in England und Italien.20 In ihrer Untersuchung 18 Vgl. z. B. die spätere Definition von mathematica in Isidors von Sevilla Etymologiae (nach 599/600): Mathematica. Latine dicitur doctrinalis scientia, quae abstractam considerat quantitatem. Abstracta enim quantitas est, quam intellectu a materia separantes vel ab aliis accidentibus, ut est par, inpar, vel ab aliis huiuscemodi in sola ratiocinatione tractamus. Isidor von Sevilla, Etymologiae 3.1, hg. Lindsay 1911:1. 19 Netz 1999, bes. S. 12–88, sowie Bogen/Thürlemann 2003, S. 9 f. 20 Die Handschriftenüberlieferung reicht vom 9. bis ins 15. Jh. Für die folgende chronologische Gruppierung der Handschriften des 11. bis frühen 14. Jh.s übernehme ich die Zeiteinteilung, die Paul Edward Dutton seiner grafischen Darstellung der gesamten Handschriftenüberlieferung zugrunde legte: Dutton 1997, S. 204 f., Anm. 5 u. Abb. 1. Duttons Angaben basieren auf der Aufstellung und Datierung der Handschriften von Waszink 1962, S. cvi–cxxxi. Vgl. auch die Tabelle von Somfai 2002, S. 8 f.; die Auflistungen von Eastwood 1993b, S. 8, Anm. 4 f., sowie die grafische Darstellung von Southern 1979, S. 14. In meiner Gruppierung berücksichtige ich die in dieser Literatur zusätzlich zu Waszink genannten Handschriftenfunde sowie jüngere Korrekturen der Datierungen. Die Handschriften mit dem Kommentar des Calcidius werden einzeln aufgeführt. Die kursiv gedruckten Handschriften habe ich nicht im Original gesehen. Aus dem 9. und 10. Jh. datieren insgesamt sechs Handschriften mit der Übersetzung, von denen vier auch den Kommentar enthalten. Zu diesen frühen Abschriften Somfai 2002, S. 5 ff. – 10./11. Jh. (975–1025): Übersetzung: sechs Handschriften, von denen fünf auch den Kommentar enthalten: Bamberg, SB, MS Class. 18 (M. V. 15) (Würzburg); Krakau, Uniwersytet Jagiellonski, MS 529 II (Exzerpte); BSB, clm 6365 (Freising?); BnF, MS lat. 10195 (Echternach); ÖNB, cod. 2269. – 11. Jh. (1025–1075): Übersetzung: 14 Handschriften, von denen elf auch den Kommentar enthalten: BML, MS Plut. 89 sup. 51; Florenz, BNC, MS C. S. J. IV. 28; Köln, Dombibl., MS 192 (Darmst. 2167) (Deutschland); Leiden, Bibliotheek van de Universiteit, MS B. P. L. 64; BL, MS Add. 19968 (Deutschland); BnF, MS lat. 6280 (Südfrankreich?); BnF, MS lat. 6282 (Frankreich); BAV, MS Barb. lat. 22 (Frankreich); BAV, MS Reg. lat. 1861 (Deutschland?); ÖNB, cod. 443; HAB, MS 116 Gud. lat. 2° (4420) (Deutschland). Weitere zwei Handschriften enthalten nur den Kommentar: BAV, MS Barb. lat. 21 (Italien?); BAV, MS Reg. lat. 123 (Astronomische Kompilation mit Auszügen aus dem Kommentar) (Ripoll?).
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der verbalen und visuellen Glossen zu Übersetzung und Kommentar in Handschriften des 10. und 11. Jahrhunderts konnte Anna Somfai überzeugend darlegen, dass eine intensive Rezeption des Timaeus, die sich insbesondere auf die Mathematik des platonischen Weltentwurfs konzentrierte, bereits im 11. Jahrhundert einsetzte.21 Die Handschriften des 11. Jahrhunderts enthalten zumeist beide Texte, während im 12. Jahrhundert häufiger auf den Kommentar verzichtet wurde. Mit der Entstehung einer eigenständigen Tradition von Timaeus-Kommentaren im Verlauf des 12. Jahrhunderts wurde Calcidius’ Kommentar zwar seltener kopiert. Es ist den nun entstehenden Kommentarwerken sowie naturphilosophischen Schriften jedoch zu entnehmen, dass Calcidius’ Erläuterungen weiterhin eine wichtige Grundlage für das Verständnis des Timaeus bildeten.22 Kom– 11./12. Jh. (1075–1125): Übersetzung: zwölf Handschriften, von denen sechs auch den Kommentar enthalten: BL, MS Add. 15293 (Frankreich); BL, MS Harley 2652 (Exzerpt) (Deutschland); BL, MS Royal 12 B. XXII; Ambrosiana, MS I. 195 Inf.; BnF, MS lat. 6281 (Frankreich? Norditalien?); BnF, MS lat. 7188 (Normandie? England?). – 12. Jh. (1125–1175): Übersetzung: 31 Handschriften, von denen vier auch den Kommentar enthalten: Bamberg, SB, MS Patr. 77 (Exzerpte); Edinburgh, UL, MS 16 (D. b. IV. 6); Florenz, BNC, MS C. S. J. IX. 40; ÖNB, cod. 176 (Deutschland). Weitere zwei Handschriften enthalten nur den Kommentar: Neapel, BNC, MS VIII. F. 11 (Deutschland); BnF, MS lat. 6570. – 12./13. Jh. (1175–1225): Übersetzung: 17 Handschriften, von denen eine auch den Kommentar enthält: BSB, clm 13021. Weitere zwei Handschriften enthalten nur den Kommentar: Leipzig, UB, MS Rep. I. 4, 84 (Exzerpt); BnF, MS lat. 18104 (Exzerpte). – 13. Jh. (1225–1275): Übersetzung: sieben Handschriften; keine Handschrift mit dem Kommentar. – 13./14. Jh. (1275–1325): Übersetzung: fünf Handschriften, von denen eine auch den Kommentar enthält: Prag, Ústrední knihovna, MS 398. Die Zahl der Handschriften nimmt im 14. Jh. deutlich ab und erreicht einen weiteren Höhepunkt im 15. Jh. Eine ähnliche Überlieferung weisen Macrobius’ spätantike Commentarii in Somnium Scipionis auf. Eine Übersicht über die Überlieferung bei Barker-Benfield 1986, S. 224. Vgl. auch die Aufstellung der Handschriften von Eastwood 1994 sowie Ricklin 2000, S. 121 f. Zum Inhalt sowie zu den insgesamt fünf Diagrammen dieses Kommentars Obrist 2004, S. 171–194. Ciceros Somnium Scipionis bildet das vierte Buch in dessen Schrift De re publica. Cicero beschreibt, wie das körperlose Ich eines Träumenden zum Rand des Kosmos aufsteigt und aus der Perspektive Gottes die Schönheit der Welt erblickt, in deren Mitte die Erde ruht. Macrobius’ Kommentar wird im Folgenden zitiert nach der Edition von James A. Willis: Macrobius, Commentarii, hg. Willis 21970. 21 Somfai 2005 sowie dies. 2002, bes. S. 5 ff. Rezeption und Bedeutung des Timaeus vor dem 11. Jh. bleiben strittig. Die Ansicht, dass der Timaeus im frühen Mittelalter ein nahezu vergessenes Buch gewesen ist (Gibson 1969, hier S. 184: »[…] the Timaeus seems to have been a venerated curiosity rather than a work that men used and understood.« Außerdem Speer 2005, S. 215, sowie Obrist 2004, S. 48 u. 120, Anm. 2), steht derjenigen gegenüber, nach der insbesondere der Timaeus-Kommentar wenn auch nicht breit, so doch intensiv rezipiert wurde (McKitterick 1992; Eastwood 2007, S. 21 f. u. 313 ff.). Somfai zufolge ist den Glossierungen abzulesen, dass vor dem 12. Jh. Calcidius’ Kommentar stärker als seine Übersetzung des Timaeus rezipiert wurde. Somfai 2005, S. 139 f. Zur Rezeption sowie zu der Frage, warum der Kommentar im Früh- sowie im Hochmittelalter selbst unkommentiert blieb, auch Ricklin 2000, S. 120 ff. 22 »[…] cathedral schools and monasteries of the twelfth century wanted copies of the dialogue, but were replacing Calcidius’ commentary with the comprehensive glosses of Bernard
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mentar und Übersetzung wurden im 11. und 12. Jahrhundert für den Unterricht an den Kathedralschulen verwandt.23 Im 13. Jahrhundert versank der Timaeus im Zuge der Aristotelesrezeption nicht in die absolute Bedeutungslosigkeit. Er ging vielmehr in den Bildungskanon der Universitäten ein, wurde dabei allerdings stärker als Werk der politischen Utopie rezipiert, das von der Gesetzmäßigkeit in der geschaffenen Welt handelt, die der Verfassung des Staates als bestmögliches Vorbild diene.24 Die überlieferten Kommentar-Handschriften charakterisiert insgesamt eine formale Schlichtheit in der Gestaltung der Diagramme, des Texts und der Buchseiten. Das Textkorpus ist nur äußerst selten mit Schmuckinitialen versehen, und die Initialmajuskeln und Versalien kommen – wie auch die Diagramme – ohne weitere ornamentale Verzierungen aus.25 Die Diagramme sind meistens in der braunen oder roten Tinte gezeichnet, die auch für den Text verwandt wurde.26 Exemplarisch deutlich wird dies in der Abschrift von Übersetzung und Kommentar, die Ende des 11. oder Anfang des 12. Jahrhunderts in Frankreich entstand und sich heute im Besitz der British Library in London befindet (vgl. z. B. Abb. 1, 5, 6).27 Darin werden die Hauptabschnitte des in zwei Spalten anof Chartres, William of Conches, and various anonymous twelfth-century glossators. By then many fundamental and acceptable aspects of Calcidius’ interpretation of Plato had been incorporated into the twelfth-century understanding of the Timaeus.« Dutton 2003, S. 184. 23 Somfai hält es für möglich, dass die geringe Zahl der Abschriften des Calcidius-Kommentars im Zusammenhang mit dem Unterrichtswesen zu erklären ist. Demnach sei für die Schüler eine glossierte Übersetzung hinreichend gewesen und nur der Lehrer habe über eine Kommentar-Abschrift verfügt. Somfai 2002, S. 15. Zu Schule und Unterricht im 12. Jh. vgl. Verger 1998. 24 In einem zwischen 1230 und 1240 an der Pariser Artistenfakultät verfassten Examenshandbuch heißt es z. B.: Intentio Platonis in ›Thimeo‹ est ostendere rem publicam esse informandam ad instar naturalis iustitie, quam quidem naturalem iustitiam appellamus dispositionem partium uniuersi. Accessus philosophorum .vii. artium liberalium, hg. Lafleur 1988, S. 232,835–837. Vgl. auch Lafleur/Carrier 1997, S. 535 u. 539 f. 25 Mehrfarbige Zierinitialen sind nur in wenigen Handschriften zu finden: BAV, MS Reg. lat. 1308 (Italien, 1. H. 10. Jh.), fols. 1v, 1r, 7r, 26v, 30v; BML, MS Plut. 89 sup. 51 (11. Jh.), 1v; BnF, MS lat. 7188 (Normandie? England?, Anf. 12. Jh.), fols. 73r, 73v (Abb. 4 dieser Arbeit); Neapel, BNC, MS VIII. F. 11 (Deutschland, 12. Jh.), fols. 1r, 13v, 25r; BnF, MS lat. 6570 (12. Jh.), fol. 1r. 26 Mir sind nur zwei Handschriften bekannt, in denen sämtliche Diagramme farbig gestaltet sind: (1) in der frühen, in der ersten Hälfte des 10. Jh.s in Italien entstandenen Handschrift BAV, MS Reg. lat. 1308. Pellegrin 1978, S. 163 f.; Waszink 1962, S. cxxiv (datiert Anfang 11. Jh.); (2) in der Kompilation BAV, MS Reg. lat. 123, die Auszüge aus dem Timaeus-Kommentar enthält und im 11. Jh. (1056?) möglicherweise in Ripoll in Katalonien entstand. Pellegrin 1978, S. 35–38; Waszink 1962, S. cxxiii; Somfai 2002, S. 13–15. In den folgenden, späteren Handschriften sind immer nur einzelne Diagramme farbig gestaltet: BnF, MS lat. 10195 (Echternach, 10./11. Jh.); ÖNB, cod. 2269 (1. H. 11. Jh.); Köln, Dombibl., MS 192 (Darmst. 2167) (Deutschland, 11. Jh.); BnF, MS lat. 6570 (12. Jh.). 27 BL, MS Add. 15293, fols. 1r–48r. Catalogue of the Additions 1964 [1850], S. 123 (des Abschnitts 1844); Waszink 1962, S. cvii. Diese Handschrift ist in Text und Diagramm nahezu identisch mit der ebenfalls in Frankreich entstandenen Abschrift BAV, MS Barb. lat. 22,
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geordneten Textkörpers durch insgesamt fünf mehrzeilige rote Initialmajuskeln markiert, von denen nur zwei mit Schmuckformen ausgezeichnet sind.28 Wichtigstes Element der visuellen Textgliederung sind im ersten Teil des Kommentars kleinere, ebenfalls rote Initialmajuskeln, die den Beginn eines neuen Textabschnitts hervorheben. Sämtliche Diagramme sind mit brauner Tinte gezeichnet und in die Textspalten eingepasst. Diese Handschrift wird im Zentrum der folgenden Untersuchung stehen. Sie ist nicht nur repräsentativ für die formale Gestaltung von Text und Diagramm, sondern eignet sich darüber hinaus besonders für eine genauere Betrachtung der Diagramme, weil diese hier mit sicherem Strich gezeichnet und sorgfältig beschriftet sind. Da jedoch eine Handschrift allein kaum umfassend Auskunft über Status und Funktion der Diagramme in den Abschriften des 11. und 12. Jahrhunderts geben kann, werden im Folgenden auch Varianten und Besonderheiten in anderen Codices berücksichtigt und diskutiert. Wie in der Mehrzahl der Codices sind Übersetzung und Kommentar auch in der Londoner Handschrift jeweils in zwei Teile unterteilt und miteinander verschränkt. Auf die Widmungsschrift von Calcidius an einen gewissen Osius folgt der erste Teil des Timaeus, der die Erschaffung von Weltkörper und Weltseele sowie die Einrichtung der Zeit mithilfe der sich bewegenden Himmelskörper behandelt.29 Dann beginnt der Kommentar des Calcidius mit den Vorbemerkungen zu Inhalt und Methode sowie einer Auflistung der folgenden Kapitel. Nur in die sich nun anschließende Auslegung des ersten Teils des Timaeus integrierte Calcidius Diagramme. Haupttext und Kommentar des zweiten Teils verhandeln die vier Gattungen des Lebens, die Inkorporation der Seele, die Konstruktion des menschlichen Körpers und den ersten Abschnitt der Elementenlehre des Timaeus.30 In diesem zweiten Teil sind für die folgende Untersuchung die Ausführungen über das menschliche Auge, den Sehvorgang und die Entstehung und Wahrnehmung von Spiegelbildern von Bedeutung.
fols. 1v–52r, die als Vorlage gilt. Ihre Datierung ist jedoch nicht ganz eindeutig: Manuscrits classiques 1975, S. 73 (Ende 11. Jh.); Prete 1968, S. 31 f. (11. Jh.); Waszink 1962, S. cix (Anfang 11. Jh.). 28 BL, MS Add. 15293 (Frankreich, 11./12. Jh.), fols. 1r, 7r, 7v, 30r, 34v. 29 Timaeus 17a-39e. Die Identität des erwähnten Osius ist nicht geklärt. Ob es sich dabei um den gleichnamigen Bischof von Córdoba handelt, dem Calcidius möglicherweise als Archidiakon untergeordnet war – diese Verbindung wurde in Handschriften seit dem 11. Jh. hergestellt –, bleibt ungewiss. Calcidius, Commentarius (Ad Osium epistula), hg. Waszink 1962, S. 5 f. Vgl. ebd., S. x; Somfai 2002, S. 12; Ricklin 2000, S. 124. 30 Der zweite Teil umfasst Timaeus 39e–53c. Eine Übersicht über den gesamten Inhalt des Kommentars liefert Waszink 1962, S. xvii–xxxv.
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2.2 Die Diagramme 2.2.1 Das Diagramm a priori. Mathematik des Weltkörpers Gleich zu Beginn wird die bereits im Vorwort von Calcidius angedeutete Verknüpfung von Weltentstehung und Mathematik in Platons Weltentwurf deutlich. In dem ersten Kapitel »Über die Weltwerdung« (De genitura mundi) beschäftigt Calcidius die Frage nach der Struktur des Weltkörpers. Ausgehend von der Äußerung des Timaeus, dass die Welt ein perfekter Körper sei, erklärt er, dass vollendet diejenigen Körper seien, die aus Länge, Breite und Dichte bestehen.31 Calcidius interessiert im Folgenden weniger die Form der Welt als vielmehr die Art ihrer Zusammensetzung. Im Timaeus heißt es dazu, dass die Welt körperhaft, also sichtbar und berührbar sei, dies jedoch nicht ohne die Elemente Feuer und Erde sein könne.32 Die Welt wird als ein Zusammengefügtes begriffen, und es stellt sich die Frage, ob die beiden Bestandteile Feuer und Erde genügen, um ein stabiles, vollendetes Ganzes herzustellen. Platon kam es an dieser Stelle nicht auf die stofflichen Eigenschaften von Feuer und Erde an. Anders als Empedokles von Agrigent (492–432 v. Chr.), dessen Theorie der insgesamt vier Grundelemente Erde, Wasser, Feuer und Luft er übernahm, sah er den Zusammenhang der Welt nicht in dem harmonischen Mischungsverhältnis dieser Elemente begründet.33 Es wird zu Beginn des Timaeus vielmehr von der physischen Beschaffenheit der einzelnen Elemente abgesehen und ausschließlich deren Anzahl problematisiert.34 Die Entscheidung, Erde und Feuer durch genau zwei mittlere Elemente miteinander zu verbinden, trifft der Weltbildner nach den Regeln der Mathematik, nach denen Verbindungen zwischen einzelnen Größen durch proportionale Verhältnisse geschaffen werden. Nicht nur diese anfängliche Weltwerdung, sondern der gesamte platonische Weltentwurf folgt mathematischen Gesetzmäßigkeiten, denn allein deren An31 Calcidius, Commentarius 8, hg. Waszink 1962, S. 61,10–12: Iam ut doceat [Plato] mundi corpus perfectum esse – perfecta porro corpora sunt solida quae ex tribus constant, longitudine latitudine crassitudine […]. 32 Et quia corpulentus uisibilisque et contiguus erat merito futurus, sine igni porro nihil uisibile sentitur nec uero tangi quicquam potest sine soliditate, soliditas porro nulla sine terra, ignem terramque corporis mundi fundamenta iecit deus. Platon/Calcidius, Timaeus (31b), hg. Waszink 1962, S. 24,5–8. 33 Zu Empedokles’ Elementenlehre vgl. die zusammenfassenden Darstellungen von Böhme/Böhme 1996, S. 93–100, sowie Ekschmitt 21990, S. 65–75, bes. S. 69. 34 Platons Lehre von der formalen Entsprechung der vier Elemente und der fünf regulären Körper (Timaeus 53cff.) ist in der Übersetzung von Calcidius nicht mehr enthalten. Ohne die ausführlichen Erklärungen, die Platon liefert, überhaupt zu erwähnen, gibt Calcidius in seinem Kommentar lediglich an, dass das Element Feuer nach Platon die forma et figura pyramoides habe und das Element Erde ein Kubus sei. Calcidius, Commentarius 20, hg. Waszink 1962, S. 71,14 f.
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wendung garantiert, dass die sinnlich erfahrbare Welt als ein Optimum entsteht. Die Nähe der Mathematik zur höchsten Vernunft entsteht über die Objekte, über die sie sich äußert. Gleich der Welt der Ideen existieren diese außerhalb von Raum und Zeit – also außerhalb dessen, was hier erst noch entworfen werden soll. Die Mathematik ist eine rein gedankliche Welt, in der die wankelmütigen sinnlichen Erfahrungen irrelevant und Erkenntnisse von großer Gewissheit möglich sind. Das mathematische Denken »[…] nötigt, das Sein anzuschauen […]«35, da es auf die Welt des Intelligiblen ausgerichtet ist. Indem der Demiurg sein Werk dieser »strengsten Form«36 des Denkens unterwirft, entsteht es als ein Bestgelungenes, als ein möglichst genaues Abbild des Immergleichen.37 Wer dieses mathematische Weltganze in einem Kommentar entschlüsseln möchte, steht vor der Aufgabe, der Abstraktion zu folgen und die Gesetzmäßigkeiten der Zahl zu erläutern. Arithmetik des Zweidimensionalen Im ersten Kapitel seines Kommentars legt Calcidius die Argumentation für die Vierzahl der Elemente in Text und Diagramm dar.38 Er schließt die Möglichkeit aus, dass eine Mittelgröße (una medietas) allein genügt hätte, Feuer und Erde fest 35 Platon, Politeia 526e (zur Geometrie), bearb. Kurz, hg. Chambry, übers. Schleiermacher, 2001 [21990], S. 593. 36 Burkert 1962, S. 19. 37 Zum epistemologischen Status der Mathematik bei Platon ders., Politeia 522bff., bearb. Kurz, hg. Chambry, übers. Schleiermacher, 2001 [21990], S. 577 ff., sowie, zu dieser Stelle, Lafrance 1980, bes. S. 73–77. Zur »aprioristischen Auffassung der Mathematik« im Platonismus Heintz 2000, S. 17–55; außerdem Krafft 1971, S. 297–311, sowie Mittelstraß 1962, S. 107–110. Die Überlieferung, nach der Platon gesagt habe, Gott sei stets mit Geometrie befasst, beginnt erst mit Plutarch (kurz nach 45 bis nach 120). Ders., Quaestiones convivales 8.2, 718c–720c, übers. Minar/Sandbach/Helmbold 1993 [1961], S. 118–131; dazu auch Ohly 1982, S. 4. Auch in De arithmetica des Boethius (ca. 480–524), dem für das lateinische Mittelalter grundlegenden Text zur Arithmetik, kommt diese Vorstellung von der Mathematik als dem Denksystem, dem der Welterschaffer folgte, zum Ausdruck. Im zweiten Kapitel, De substantia numeris, heißt es: Omnia quaecumque a primaeua rerum natura constructa sunt, numerorum uidentur ratione formata. Hoc enim fuit principale in animo conditoris exemplar. Boethius, De arithmetica 1.2, hg. Oosthout/Schilling 1999, S. 14,1–4. 38 Den Hintergrund bildet die Analogie-Lehre in der griechischen Mathematik. Das lateinische proportio geht auf das griechische ἀναλογία (Analogie) zurück, einen ursprünglich mathematischen Begriff. Analogien schaffen Verbindungen zwischen Zahlen durch mittlere Zahlen (mittlere Proportionale), die identische Verhältnisse zwischen allen Gliedern stiften. Schriftlich fixiert wurden das Problem der mittleren Proportionalen und seine Lösung von Euklid (um 300v. Chr.) in den Elementa, die erst im 12. Jh. ins Lateinische übersetzt wurden. Für das lateinische Mittelalter bis zum 12. Jh. vgl. Boethius, De arithmetica 2.43 (De arithmetica medietate eiusque proprietatibus) ff., hg. Oosthout/Schilling 1999, S. 177 ff. Erläuterungen zu diesem mathematischen Problem bei Szabó 1969, S. 60–69 u. 127–130; zur Proportionenlehre in der griechischen Mathematik zusammenfassend Krafft 1996 [1990], S. 80 f. Zu den Diagrammen bei Calcidius Obrist 2004, S. 234 f. u. 266–273. Zum Konzept der Analogie als »hermeneutic axis« bei Calcidius vgl. Somfai 2004, zu den Diagrammen ebd. S. 208–212, sowie dies. 2005, S. 143 ff.
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miteinander zu einem vollkommenen Körper zu verbinden, denn in der Arithmetik wie auch der Geometrie seien es die lediglich zweidimensionalen Gebilde (planae figurae), die sich durch insgesamt drei Größen bilden lassen, was im Folgenden genauer erklärt wird. Zunächst geht es um die Darlegung der flächenhaften Verbindung in der Arithmetik (probatio arithmetica). Hier wird das erste Diagramm eingeführt: »Es sei also eine gezeichnete dreigestaltige Figur, die zeigen soll, inwiefern zwei Figuren, wenn sie voneinander entfernt sind, durch das Einfügen einer einzigen verwandten in der Mitte verbunden werden.« (Sit ergo descripta trigemina figura quae ostendat quatenus, si duo distent a se, una media continuentur cognata interiectione.)39 Das Diagramm, das diesem Satz in der Londoner Handschrift vorausgeht, besteht aus drei Rechtecken von annähernd gleicher Größe, die durch einen fortlaufend erscheinenden Linienzug miteinander verbunden sind (Abb. 1, links). In einigen Abschriften ist dem einführenden Satz der folgende Hinweis angefügt: »Es sind zwölf Linien, wie du siehst.« (Sunt linea duodecim ut uides.)40 Er weist darauf hin, dass das Diagramm zwölf einzelne Linien zeigt, welche die Rechtecke ausbilden. Letztere sind so angeordnet, dass zwei von ihnen getrennt nebeneinander liegen; der Abstand zwischen ihnen wird von dem dritten, unteren Rechteck überbrückt. Den Flächen sind, von links nach rechts, die Zahlen vi, xii und xxiiii zugeordnet. Jede von ihnen ist sowohl unterhalb der Fläche vermerkt als auch in dieser Fläche in ein Vielfaches der Ziffer i aufgegliedert. Mit der Darstellung der Zahl als Vielfaches der Eins ist ihre wesenhafte Beschaffenheit visualisiert: »Eine Zahl ist eine Ansammlung von Einheiten oder auch ein Haufen von Menge, der hervorgeströmt ist aus Einheiten.« (Numerus est unitatum collectio, uel quantitatis aceruus ex unitatibus profusus.)41 So formuliert es Boethius (ca. 480–524) in De arithmetica, dem Standardwerk zur Zahlenlehre und Rechenkunst im Frühmittelalter, in dem Zahlen im Diagramm auf ähnliche Weise veranschaulicht wurden.42 Der im Kommentar des Calcidius auf das Diagramm folgende Text erklärt, warum die beiden Randgrößen vi und xxiiii für die Erläuterung des Problems geeignet sind und warum es gerade die xii ist, die beide miteinander verbinden kann. Wichtig ist zunächst, dass jede der beiden oberen Größen aus zwei Faktoren gebildet wird, von denen im Diagramm jeweils einer oberhalb des jeweiligen 39 Calcidius, Commentarius 9, hg. Waszink 1962, S. 62,1–3. 40 Vgl. ebd. die Anmerkungen Waszinks. Siehe auch Abb. 2 dieser Arbeit. 41 Boethius, De arithmetica 1.3, hg. Oosthout/Schilling 1999, S. 15,1–16,4. 42 Ähnliche Diagramme finden sich z. B. in der Kopie von Boethius’ Arithmetik aus der zweiten Hälfte des 9. Jh.s, die in der Sammelhandschrift Köln, Dombibl., MS 186, fols. 1r–69v, enthalten ist, sowie in einer zweiten Kölner Handschrift, die aus dem 10. Jh. datiert und ausschließlich diese Abhandlung enthält: Köln, Dombibl., MS 185, fols. 1v–96r. Beschreibung der beiden Handschriften und Reproduktionen einzelner Folios im Ausstellungkat. Köln 1998, S. 299–302 u. 305–308. Vgl. auch Somfai 2005, S. 147 f.
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Feldes notiert ist (iii und vi).43 Derartige Größen können die Zweidimensionalität repräsentieren; die beiden Faktoren stehen für die Erstreckung in der Breite und in der Länge, die im Diagramm im zweidimensionalen Monadenfeld sowie in dessen Rahmung zur Anschauung kommt. Was nun die Verknüpfung der beiden Außengrößen betrifft, so findet sich im Diagramm kein Hinweis darauf, dass sie über deren Verdopplung bzw. Halbierung geschieht, aus der die xii resultiert. Mit dieser Zahl werden, so erläutert es der Text, bindende, weil identische Verhältnisse – 6:12 gleicht 12:24 – hergestellt. Die Erläuterung im Text stellt sicher, dass der Inhalt des Diagramms vom Rezipienten erkannt und erschöpfend verstanden wird.44 Ein zweites Diagramm, das in einer kleinen Gruppe von Handschriften an dieser Stelle hinzugefügt wurde, zeigt, auf welche Weise die Mittelgröße außerdem gebildet wird. Das Diagramm findet sich z. B. in einer Calcidius-Handschrift vom Anfang des 12. Jahrhunderts, die heute in Paris aufbewahrt wird (Abb. 2, oben).45 Die Antwort auf die im Text gestellte Frage – »Was ist das, was als Mittelgröße aus den äußersten entsteht?« (Quid quod medietas de extimis nascitur?) – findet sich im Diagramm, und zwar dank der beiden zusätzlich eingefügten Diagonalen. Ersichtlich wird hier schon im Diagramm, was im Text erst an späterer Stelle genauer erläutert wird, nämlich die Berechnung der mittleren Proportionalen Zwölf durch die Multiplikation der miteinander verbundenen Seiteneinheiten der beiden oberen Größen (ii und vi bzw. iii und iiii).46 Dieses um diagonale Verbindungen ergänzte Diagramm ist bereits in einer Abschrift des Calcidius-Kommentars aus der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts enthalten, die mit der Handschrift in Paris verwandt ist und sich heute in Wien befindet (Abb. 3, links oben).47 Hier kommt das Verbundensein der zwei äußeren Größen 43 Die Erläuterungen für die Zahl Sechs lauten: Quadrati quod principe loco descriptum est sit unum latus in momentis uerbi causa duobus, aliud latus in momentis tribus; hoc supputatum facit aream totius perfecti quadrati momentorum sex, bis enim tria sex sunt. Calcidius, Commentarius 9, hg. Waszink 1962, S. 62,3–9. 44 Haec autem medietas quae est in duodecim et ita adhaeret, ut impulsa extima quadrata continuatura uideatur, cognata est extimis, siquidem quota parte minor est imo, id est dimidia, tota maior est summo, siquidem duodecim uiginti et quattuor dimidia pars sit. Summa rursum uiginti quattuor posita in imo sit duodecim, quae est in medio dupla; summa item media summae superioris dupla, bis sex enim duodecim. Ebd., S. 62,9–14. 45 BnF, MS lat. 6281, fols. 1r–19r (Übersetzung) u. 23r–85r (Kommentar), hier fol. 24r. Auch in dieser Handschrift sind alle Diagramme mit der braunen Texttinte gezeichnet. Waszink 1962, S. cxxi (Norditalien?, Frankreich?); Pellegrin 1955, Nr. 123, S. 99 (Frankreich?, 12./13. Jh.). 46 Quid quod medietas de extimis nascitur? Siue enim summi limitis minorem summam cum imi limitis maiore summa multiplicauero seu contra summi limitis maiorem summam cum imi limitis minore summa contulero multiplicans, utraque hac uia nascitur duodecim numerus; tam enim bis sex quam ter quaterni duodecim fient. Calcidius, Commentarius 10, hg. Waszink 1962, S. 62,16–20. 47 ÖNB, cod. 2269, fols. 173r–193v, hier fol. 175r. Academia Caesarea Vindobonensis 1965 [1864/1868], S. 44 f. (Bd. 2); Munk Olsen 1982, Nr. C. 569, S. 313 f.; Waszink 1962, S. cxxvi. Da-
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durch eine Mittelgröße, das im Text mit den Verben »festmachen«, »anhaften« und »verbinden« (continere, adhaerere und sociare) umschrieben wird, in beiden Diagrammen durch die breite Strichführung besonders deutlich zur Anschauung. Auffällig ist außerdem die serifenartige Verstärkung der Ecken.48 Die Linienführung dieser ersten Diagramme zur probatio arithmetica erfüllt die Funktion des Absonderns sowie die des Verbindens. Die Rahmungen veranschaulichen darüber hinaus nicht nur die Zweidimensionalität der umschlossenen Zahlen, sondern enthalten als Ganzes auch die Lösung des Problems. Das Diagramm setzt sich aus zwölf Linienzügen zusammen. Auf diese Weise zeigt es nicht nur den Zusammenhang der drei Figuren, sondern es ist seiner Form die Größe eingeschrieben, die hier die Verbindung stiftet und damit das Ganze erst entstehen lässt. Geometrie des Zweidimensionalen An die arithmetische Darlegung schließt sich die probatio geometrica an. Dass sich auch zwei geometrische Größen durch eine mittlere zu einem Ganzen fügen können, erläutert Calcidius zunächst am Beispiel des Vierecks (parallelogrammum) und überträgt die Argumentation dann auf das Dreieck (triangularis forma/triangulum).49 Auch diesen Erläuterungen geht immer ein Diagramm voraus, auf das der Text mit den Formulierungen »es seien also auch nun gezeichnete Figuren« (sint ergo etiam nunc descriptae figurae), »es seien also zwei gleiche Vierecke« (sint igitur duo similia parallelogramma) und »es seien zwei gleiche Dreiecke« (sint duo similia triangula) Bezug nimmt.50 In der Abschrift in Wien charakterisieren das erste dieser Diagramme zur Geometrie erneut eine breite Strichführung und die serifenartige Betonung der Ecken (Abb. 3, links unten). Während letzteres auch beide Diagramme in einer weiteren, ebenfalls vom Beginn des 12. Jahrhunderts datierenden Handschrift in
tierung nach Bischoff 1967 [1933], S. 81, Anm. 26. Die Diagramme wurden in dieser Abschrift in Braun und/oder Rot gezeichnet. In der linken Spalte von fol. 175r sind sie braun mit roter Beschriftung. Das zweite Diagramm ist nicht ganz korrekt, da die Ziffer i in der Fläche oben links nicht sechs-, sondern achtfach eingetragen wurde. Die Handschriften in Wien und Paris bilden zusammen mit BAV, MS Barb. lat. 21 (Italien?, 11. Jh.) (hier fol. 35r) u. BnF, MS lat. 6570 (12. Jh.) (hier fol. 2r), die jeweils beide Diagramme zur Verknüpfung in der Fläche zeigen, die Familie δ im Stemma von Waszink 1962, S. cxlviii. 48 Eine serifenartige Gestaltung der Flächenecken kennzeichnet dieses Diagramm auch in BnF, MS lat. 10195, fol. 84v. Diese Ende des 10. oder Anfang des 11. Jh.s in Echternach entstandene Handschrift steht insgesamt singulär; nur hier sind z. B. die drei Flächen unverbunden nebeneinander dargestellt. Avril/Rabel 1995, Nr. 11, S. 19 f.; Waszink 1962, S. cxxii. Vgl. auch Somfai 2005, S. 162. 49 Für die folgende Zusammenfassung Calcidius, Commentarius 11 f., hg. Waszink 1962, S. 63,1–65,2, wo es zu Beginn heißt: Haec eadem distantium a se duum continuatio unius interiectu medietatis geometricis etiam probationibus reuelatur. Vgl. auch Somfai 2005, S. 149 f. 50 Calcidius, Commentarius 11, hg. Waszink 1962, S. 63,2 f., 63,6 f. u. 64,3 f.
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Paris kennzeichnet (Abb. 4)51, wird im Londoner Calcidius keines der Diagramme formal ausgezeichnet (Abb. 1, 5). Beide zeigen eine Großfigur, die aus drei Vier- bzw. Dreiecken zusammengesetzt ist. Die Dreiecksformen werden durch die Inschriften primus, secundus bzw. tercius triangulus eigens benannt.52 Dem Text gelingt es mithilfe griechischer Buchstaben, die geometrischen Gebilde in ihrer Gesamtheit wie in ihren Einzelteilen genauer zu beschreiben. Die Hilfsfunktion der Buchstaben, mit denen die Eck- und Schnittpunkte in jedem Diagramm beschriftet sind, wird im Text explizit deutlich: »Es seien also zwei gleiche Vierecke, denen die Buchstaben ΑΓΘ beistehen […].« (Sint igitur duo similia parallelogramma, quibus assistunt Graecae litterae ΑΓΘ […].)53 In beiden Fällen wird anschließend erläutert, dass zwei Flächen, die in Form und Größe identisch sind, durch eine gleichartige dritte Fläche miteinander verbunden werden können. Während im Diagramm die Gesamtfigur schon zu sehen ist, wird die dritte, verbindende Fläche im Fortschreiten der Textlektüre erst gebildet. Zum ersten Beispiel heißt es: »[…] und nachdem die Linien ΑΔ und ΘΖ gezogen worden sind, sollen die äußeren Linien ΔΕ und ΖΕ ausgeführt werden und auf diese Weise soll die ganze Form vervollständigt werden.« ([…] et directis lineis ΑΔ et ΘΖ agantur extimae lineae ΔΕ et ΖΕ compleaturque hoc pacto omnis figura.)54 Beim Lesen entstehen die Diagramme gleichsam erst, obwohl sie bereits zu Beginn der Erläuterung vollendet sind. Wie schon bei den Diagrammen zur probatio arithmetica ist auch hier der gesamte Argumentationsgang des Texts immer schon im jeweiligen Diagramm zusammengefasst. Anders als die Diagramme zur Arithmetik sind diejenigen zur Verbindung geometrischer Figuren nicht nur Ordnungsgerüste. In einer Kongruenz von Inhalt und Form stellen sie dar, was bezeichnet wird, d. h. viereckige und dreieckige Flächen. Wie bereits im Fall der Diagramme zur Arithmetik gewährleistet die Beschreibung im Text auch hier, dass der Rezipient auch tatsächlich sieht, was er bereits allein angesichts des Diagramms erkennen könnte. Die der Ordnung des griechischen Alphabets folgende Beschriftung ermöglicht dabei eine Übersetzung des visuell Dargestellten in den Beschreibungsmodus des Texts und verweist gleichzeitig auf die Prozesshaftigkeit menschlichen Erkennens im Medium der Sprache.
51 BnF, MS lat. 7188, fols. 73r–120v, hier fol. 74r. Waszink 1962, S. cxxi. Die Handschrift entstand möglicherweise in der Normandie oder in England. Die ersten vier Diagramme wurden mit brauner, alle folgenden mit roter Tinte gezeichnet. 52 Diese Inschriften sind jedoch nur in den Diagrammen in den in Anm. 47 genannten Handschriften (Familie δ) sowie BAV, MS Reg. lat. 1308 (Italien, 1. H. 10. Jh.), u. BnF, MS lat. 6280 (Südfrankreich?, 11. Jh.), welche die Familie τ bilden, sowie der Vorlage für die Londoner Abschrift, BAV, MS Barb. lat. 22 (Frankreich, 11. Jh.), zu finden. Dazu auch Somfai 2002, S. 16. 53 Calcidius, Commentarius 11, hg. Waszink 1962, S. 63,6 f. 54 Ebd., S. 63,12 f.
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Arithmetik des Dreidimensionalen Im Anschluss geht es um das Dreidimensionale und damit um das eigentliche Problem, schließlich heißt es bei Platon, dass der Körper der Welt dreidimensional und kugelförmig sei.55 Während ein flächenhaftes Gebilde aus drei Elementen geschaffen werden könne bzw. zwei Größen durch eine mittlere zu einer Fläche miteinander verbunden werden können, liege die Dreidimensionalität des Weltkörpers in der Vierzahl der Elemente begründet. Analog zu den Ausführungen über die planae figurae demonstriert Calcidius nun die Beschaffenheit der solidae formae zunächst auf dem Gebiet der Arithmetik, dann der Geometrie. Entsprechend werden im folgenden Diagramm wiederum Zahlen zueinander in Beziehung gesetzt und erneut dienen dazu geometrische Figuren sowie einzelne Linien. Das Diagramm im Londoner Calcidius-Kommentar zeigt vier kubische Formen, die durch eine Z-Linie miteinander verbunden werden (Abb. 6). Den Würfelformen sind die Zahlen xxiiii, xlviii, xcvi und cxcii beigeschrieben. Jede dieser Zahlen lässt sich als Produkt von drei Faktoren darstellen, welche dem jeweiligen Kubus zu entnehmen sind.56 Somit ist die Dreidimensionalität jeder einzelnen Größe sowohl inschriftlich als auch formal im Kubus angezeigt. Entsprechend werden die Kuben in dem auf das Diagramm folgenden Text als solidae und nicht mehr planae formae bezeichnet.57 Die Würfelformen sind in einigen Abschriften als gerahmte Flächen dargestellt, wie z. B. in einer weiteren Handschrift des 12. Jahrhunderts in Paris, wo sie in den Farben Rot und Blau gezeichnet wurden (Abb. 7).58 Vermutlich ist diese Form der Darstellung an dieser Stelle als einfacher zu zeichnende Abbreviatur der dreidimensionalen Form zu verstehen.59
55 Mundi corpus solidum esse dicit et globosum. Ebd. 13, S. 65,13. 56 So sind die Zahlen ii, iii, iiii im ersten Kubus die Faktoren von xxiiii. Die vierte Zahl vi ergibt sich – wie im ersten Diagramm zur Arithmetik – als Flächeninhalt durch die Multiplikation von ii und iii. Ebd. 14, S. 66,11–67,16. 57 Ebd. 15, S. 66,12. In einigen Handschriften ist dem Diagramm zudem die Über- bzw. Beischrift Descriptio solidarum figurarum cum numeris iuxta arithmeticam disciplinam beigefügt, so z. B. in ÖNB, cod. 2269 (1. H. 11. Jh.), fol. 175r (Abb. 3 dieser Arbeit). In der frühen Abschrift des Kommentars BnF, MS lat. 10195 (Echternach, 10./11. Jh.), fol. 85v (vgl. Anm. 48), ist die Dreidimensionalität der Formen noch deutlicher hervorgehoben. Die Kuben springen hier als ›Steckfiguren‹ ins Auge, denen die einzelnen Faktoren nicht als numerische Ziffern, sondern in Worten beigeschrieben sind, und deren Größe schrittweise zunimmt. 58 BnF, MS lat. 6570, fols. 1r–57r, hier fol. 3r. Die Rahmungen sind blau, die Verbindungslinien rot, die Beschriftungen braun. Die Farben Rot und Blau wurden in dieser Abschrift nur für die ersten Diagramme verwandt, alle übrigen wurden in Braun gezeichnet. Munk Olsen 1982, Nr. C. 388, S. 257 f.; Waszink 1962, S. cxxi; ferner Eastwood 1994, S. 145. Vgl. auch BAV, MS Reg. lat. 1308 (Italien, 1. H. 10. Jh.), fol. 9r, wo zwei farbig gestaltete Diagramme – eines mit den Größen als Vielfaches der Ziffer i, eines mit römischen Zahlen – zu finden sind, sowie die verwandte Abschrift BnF, MS lat. 6280 (Südfrankreich?, 11. Jh.), fol. 9v. Vgl. auch die drei Handschriften der Familie Π in Florentiner Bibliotheken. Waszink 1962, S. cxlviii. 59 In einigen der in Anm. 58 genannten Handschriften zeigt sich wenige Folios später eine Unsicherheit in der Darstellung von Kuben, in anderen wiederum sind die folgenden dreidi-
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Folgt man der z-förmigen Linie, welche die Kuben bzw. Flächen miteinander verbindet, ergibt sich eine Abfolge der Zahlen, die im Text unterhalb des Diagramms hergeleitet wird.60 Wiederum handelt es sich um eine Fügungsreihe des jeweils Zweifachen, was in einigen Handschriften, so z. B. in derjenigen in Wien, in einer zusätzlichen Randzeichnung veranschaulicht wird (Abb. 3).61 Die Zahlen sind darin vertikal aufgereiht und durch Bögen miteinander verbunden. Die Beischriften »das Doppelte«, »die Hälfte« und »das in der größeren Zahl zweimal Enthaltene« (duplum, medium und subduplum) benennen die Verhältnisse. Des Weiteren lässt sich die Verknüpfung zusätzlich durch verschränkte Multiplikationen von Faktoren der beiden äußeren Größen 24 und 192 herstellen.62 Diese Berechnungen ergeben nicht – wie noch bei der Verbindung zweidimensionaler Zahlen bzw. Figuren – eine einzige Größe, sondern bestätigen die Notwendigkeit von zwei Mittelgrößen. Dass die Zahlen durch die Proportionen und Rechenoperationen in ein festes Gefüge geraten, ist dem Diagramm nicht ablesbar, erscheint doch die lineare Fügungskette, zu der die vier Kuben miteinander verbunden sind, wenig stabil.63 Im Unterschied dazu gelingt es erneut dem Diagramm zur geometrischen Verknüpfung, sowohl die Dimensionen als auch die Struktur des Gesamten zu zeigen.
mensionalen Formen mit sicherem Strich gezeichnet. Vgl. z. B. BAV, MS lat. 1308 (Italien, 1. H. 10. Jh.), fol. 9v, u. BnF, MS lat. 6570 (12. Jh.), fol. 3r. 60 Harum solidarum formarum cognatio numerorum indicatur consortio, siquidem primi limitis summa dimidia pars sit secundi limitis summae […]. Calcidius, Commentarius 15, hg. Waszink 1962, S. 66,12–67,1. 61 Vgl. Somfai 2005, S. 156 f. Zur Verwendung dieses Diagrammtyps in griechischen Handschriften mit (Texten zu) der Logik des Aristoteles vgl. Cacouros 2001, S. 30–32, der ihn als »figure (diagramme ou schéma) syllogistique« klassifiziert. Das Verhältnis zwischen den Logik-Diagrammen und denen zur Geometrie bzw. Astronomie kommentiert er auf S. 24 wie folgt: »On peut les [les schémas compris dans les manuscrits de logique] rapprocher […] des figures géométriques (ou astronomiques) et il semblerait que le concept de démonstration, qui guère l’organisation des Analytiques, ait été appliqué tout d’abord, avant la naissance de la logique, à la géométrie […]. Il est donc probable que la schématisation de la logique ait suivi les mêmes chemins que celle de la géométrie dans le développement de la pensée grecque.« Vgl. auch Brumbaugh 1961. 62 Atque his mediis duabus, quae inter duas extimas formas inseruntur, genitura est de isdem extimis […]. Calcidius, Commentarius 15, hg. Waszink 1962, S. 67,4 f. Es werden im Folgenden Faktoren der ersten und letzten Größe miteinander multipliziert: iiii x xxiiii ergibt xcvi (zweite Mittelgröße) und vi x viii ergibt xlviii (erste Mittelgröße). Vgl. auch die Glosse in den Handschriften BAV, MS Reg. lat. 1308 (Italien, 1. H. 10. Jh.), fol. 9r, u. BnF, MS lat. 6282 (Frankreich, 11. Jh.), fol. 13r. 63 Somfai zufolge wurde die Linie, die die Kuben miteinander verbindet, erst von dem anonymen Glossator der Handschrift Brüssel, Bibliothèque Royale Albert Ier, MS 9625–9626 (Nordfrankreich, Ende 10. Jh.), hier fol. 12r, eingeführt. Somfai 2005, S. 152 u. 155. In einigen Handschriften stehen die vier Kuben unverbunden neben- und untereinander. Vgl. z. B. BnF, MS lat. 6282 (Frankreich, 11. Jh.), fol. 13r; HAB, MS 116 Gud. lat. 2° (4420) (Deutschland, 11. Jh.), fol. 12v; Ambrosiana, MS I. 195 Inf. (Ende 11. Jh.), fol. 9v.
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Geometrie des Dreidimensionalen Während sich die Notwendigkeit von zwei Mittelgrößen bei der Verknüpfung dreidimensionaler Größen bereits aus der Arithmetik folgern ließ, geht es nun um die Frage, ob auf diese Weise auch ein geometrisches Ganzes entstehen kann.64 Auch dem folgenden, letzten Abschnitt zur Frage nach der Entstehung des dreidimensionalen Weltkörpers geht ein Diagramm voraus, in dem die Struktur eines derartigen geometrischen Körpers offensichtlich werden soll: »Inwieweit also diese Zeichnung zeigt, dass zwei dreidimensionale Körper, welche die der Geometrie Kundigen Parallelepipeden nennen, durch zwei eingefügte gleiche dreidimensionale Körper gemäß der Regel des fortlaufenden Zusammentreffens verbunden werden, werde aus der Zusammensetzung wie aus der Auflösung klar ersichtlich.« (Quatenus ergo haec descriptio demonstrat, duo solida corpora, quae parallelepipeda geometrici uocant, insertis aliis similibus solidis duobus continuari iuxta rationem continui competentis tam ex coagmentatione quam ex dissolutione fiet palam.)65
Ungeachtet dieser Ankündigung, dass die Struktur des dreidimensionalen Verbundes aus zwei Perspektiven, nämlich am Gesamtkörper sowie in der Separierung der Einzelteile, verdeutlicht werde, folgt in den meisten Handschriften nur das Diagramm, das einen aus vier Würfelformen zusammengefügten Gesamtkörper zeigt. Schon in einer nordfranzösischen, heute in Brüssel befindlichen Kopie vom Ende des 10. Jahrhunderts wurde jedoch die Visualisierung im Diagramm auch genutzt, um die Kuben sowie auch die Flächen, aus denen diese Kuben zusammengesetzt sind, einzeln herauszustellen.66 Beide Dekonstruktionstypen finden sich auch in späteren Abschriften. In der Londoner Handschrift ist unter der Gesamtfigur ein weiteres Diagramm zu sehen, das die Kuben, aus denen die Großfigur zusammengesetzt ist, ein zweites Mal, nun allerdings getrennt voneinander, darstellt (Abb. 8).67 Im oberen Diagramm sind drei der Kuben so aneinander gelegt, dass sie einen rechten Winkel beschreiben und der vierte Kubus auf einen der äußeren gesetzt ist. Die Beschriftung des Diagramms mit griechischen Buchstaben ermöglicht auch hier eine Beschreibung des linearen Gefüges im Text. Mithilfe von Verben wie »ausgeführt werden«, »entstehen« und »gezogen werden« (eici, crescere, deduci) wird das Diagramm im Text Linie für Linie nachvollzogen, zunächst der linke (ΑΒΓΔΕΖΗΘ), dann der gleich große obere Kubus 64 Am Ende des Abschnitts, in dem das Diagramm zu der descriptio solidarum figurarum cum numeris suis iuxta arithmeticam disciplinam erläutert wird, heißt es: Sic duo extimi solidorum corporum duabus medietatibus uinciuntur, ut certa minimeque infitiabilis arithmeticae disciplinae confirmat auctoritas testimonium praebens Platoni. Calcidius, Commentarius 15, hg. Waszink 1962, S. 67,13–16. 65 Ebd. 18, S. 68,26–69,2. Für die folgende Erläuterung vgl. ebd. 18 f., S. 68,23–71,9. 66 Brüssel, Bibliothèque Royale Albert Ier, MS 9625–9626, fol. 13r. Vgl. Somfai 2005, S. 157– 161, sowie oben Anm. 63. 67 Vgl. auch BAV, MS Barb. lat. 22 (Frankreich, 11. Jh.), fol. 10v, welche zusammen mit den Abschriften in London und Brüssel die Familie α bildet. Waszink 1962, S. cxlviii.
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(ΚΘΛΜΝΞΟΠ). Beide berühren sich zunächst nur in einem Punkt. Während das Diagramm bereits vor Augen führt, dass der Zwischenraum durch zwei weitere Körper ausgefüllt werden kann, werden diese im Text nun aus den zwei bestehenden Kuben heraus entwickelt.68 Das Zusammengesetztsein und damit indirekt auch die Bildung der fertigen Figur werden in der Londoner Handschrift jedoch mit der zusätzlichen Darstellung der vier Einzelkuben auch auf visueller Ebene ersichtlich. Das Diagramm ermöglicht eine möglichst umfassende Erkenntnis des Prinzips der Verknüpfung, denn das obere zeigt die Verbindung, das andere die Gleichheit der einzelnen Teile. Im Wiener Calcidius aus der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts findet sich eine vergleichbare ›Baukastenanordnung‹ zusätzlich zu dem daneben etwas bedrängten Gesamtkörper (Abb. 9).69 Hier werden jedoch nicht die Kuben, sondern einzelne Flächen der Würfelformen separiert. Die visuelle Zerlegung der Großfigur geht damit noch einen Schritt weiter, ohne dass dabei das Gesamtgefüge aus den Augen verloren wird. Inschriften auf den Flächen geben Hinweise auf die Platzierung des Einzelteils im Ganzen. So ist z. B. die Ausgangsfläche ΑΒΓΔ als Oberfläche (plana superficies) bezeichnet, die gemeinsam mit ΕΖΗΘ die beiden Seiten des linken Kubus bildet: »Dieses wird über der ersten angeordnet, so dass Dreidimensionalität enstehe.« (hoc superponitur primae ut fiat soliditas.)70 Diese Kombination von Flächendarstellung und Inschrift eröffnet zusätzlich zu der ausführlichen Texterläuterung einen zweiten analytischen, nun jedoch stärker visuellen Zugriff auf die Gesamtfigur. Auffällig ist in der Londoner Handschrift, dass die vier unteren Kuben durch zwei Linien, die eine Kreuzform ergeben, getrennt werden. Durch den ornamentalen Schmuck ihrer Enden, jeweils drei Ranken mit Knospen, ist diese Kreuzform visuell mit dem vorhergehenden Diagramm verknüpft, das sich auf derselben Seite in der linken Spalte befindet (Abb. 8). Dieses Diagramm gehört noch zu den Ausführungen zur arithmetischen Verknüpfung und schließt diese ab. Calcidius erläutert hier, dass die Verbindungen, die durch proportionale Verhältnisse gestiftet werden, nicht immer ein zusammenhängendes Ganzes ergeben.71 Das Dia68 Am Ende heißt es: Quo pacto ostensum est duum solidorum parallelepipedorum similium duo media similia solida parallelepipeda iuxta rationem continui competentis inueniri, quod oportebat ostendi. Calcidius, Commentarius 19, hg. Waszink 1962, S. 71,6–9. 69 Vgl. auch BnF, MS lat. 10195 (Echternach, 10./11. Jh.), fol. 86v, sowie HAB, MS 116 Gud. lat. 2° (4420) (Deutschland, 11. Jh.), fol. 13r (hier sind ausschließlich die Einzelflächen gezeichnet). 70 In der achten Fläche unten rechts heißt es schließlich: & haec superponitur tercie superficiei ad soliditatem que omnia coaugmentantur ad figuram ostendendam suprascriptam. ÖNB, cod. 2269, fol. 175v. Somfai bezeichnet diese Inschriften in dem dekonstruierenden Diagramm in der Handschrift Brüssel, Bibliothèque Royale Albert Ier, MS 9625–9626 (Nordfrankreich, Ende 10. Jh.), hier fol. 13r, als »intra-diagrammatic gloss«. Somfai 2005, S. 159. 71 Calcidius, Commentarius 16, hg. Waszink 1962, S. 67,17–68,17. Vgl. Somfai 2005, S. 156 f.
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gramm besteht aus Bogenformen, die ebenfalls mit dem Motiv aus Ranken und Knospen verziert sind. Der linke Bogen öffnet sich unter der Überschrift »Das Fortlaufende, an drei Enden zusammentreffend« (Continuum competens in tribus finibus). An seinen Enden sind die Zahlen viii und ii notiert. Zwischen ihnen steht über einer mittleren Senkrechten die mittlere Proportionale iiii.72 Während der Bogen eine unvermittelte Verbindung zwischen den beiden äußeren Zahlen suggeriert, ist die Mittelgröße nach den Prinzipien der Arithmetik und gemäß den Angaben des Texts die notwendige Schnittstelle der Verknüpfung. Erst durch sie werden die anderen beiden Größen in das bindende Verhältnis 8:4:2 gesetzt.73 Während das Diagramm in diesem Punkt missverständlich ist, führt es das Einheitliche der Fügungsreihe – 8:4 gleicht 4:2 – in den identischen Abständen zwischen den Zahlen vor Augen. Auf diese Weise wird auch mithilfe der anderen beiden, identisch gestalteten Bögen, deren Überschrift »Das Auseinanderliegende, an vier Enden aufeinandertreffend« (Distans competens in quatuor finibus) lautet, die Gleichheit der Proportionen 8:4 und 6:3 verdeutlicht. Diese beiden Zahlenpaare fügen sich jedoch nicht zu einem zusammenhängenden Ganzen.74 Der Schmuck dieser Bögen taucht in dem Diagramm mit den vier einzelnen Kuben wieder auf. Auffällig ist nun die Hervorhebung des gemeinsamen Schnittpunkts der verzierten Linien mit einem Punkt und einem Kreis. Mit der visuellen Bezugnahme auf das vorhergehende Diagramm sowie dieser eindeutigen Hervorhebung der Verbundenheit der Linien wird hier im Diagramm auch veranschaulicht, worum es angesichts der vier voneinander getrennten Körper geht. Denn es soll, so steht es sowohl im einleitenden als auch im abschließenden Satz, gezeigt werden (ostendere), dass die äußeren Körper durch die Mittelgrößen »gemäß der Regel bezüglich des Verbindens« (iuxta rationem continui competentis) zu einem Ganzen zusammengefügt werden.75 Üblicherweise jedoch schließen diese Bögen nicht in Zierformen, sondern in Serifen ab. Die formalästhetische Nähe, die damit zwischen Diagramm und Buchstabe hergestellt wird, zeigt sich insbesondere in einer hier schon zuvor erwähnten Abschrift aus dem 12. Jahrhundert, in der die drei Bögen in roter Tinte in vertikaler Anordnung auf dem Seitenrand gezeichnet sind und die Form der Majuskel E bzw. C annehmen (Abb. 10).76
72 Vgl. Anm. 38. 73 Calcidius, Commentarius 16, hg. Waszink 1962, S. 68,3: Continuum competens est, quod communi medio fine coniungit extima […]. 74 Ebd., S. 68,4: […] distans [competens est], quod duobus mediis finibus separat extima […] . 75 Ebd. 19, S. 71,6–9: Quo pacto ostensum est duum solidorum parallelepipedorum similium duo media similia solida parallelepipeda iuxta rationem continui competentis inueniri, quod oportebat ostendi. 76 Zu dieser Handschrift Anm. 58.
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Zwischenbilanz: Mathematische Weltwerdung im Diagramm Mit diesen Erläuterungen ist ein wesentliches Moment der ontologischen Erzählung Platons geklärt: Die Welt entsteht als ein dreidimensionaler Körper aus genau vier gleichen Bestandteilen. Im Kommentartext kommt der Weltbildner dabei nur am Rande als Ausführender vor, schließlich ist es nicht seine Göttlichkeit, sondern die mathematische Ordnung der Dinge, die die Perfektion des Werdenden gewährleistet.77 Calcidius geht es um ein präzises Verstehen dieser Ordnung, die dem Demiurg Vorbild für sein Werk und damit der erst noch zu erschaffenden Sinnenwelt übergeordnet ist. In der mathematischen Welt unterliegt alles Entstehende den Gesetzmäßigkeiten der Zahl, und so befasst sich Calcidius zunächst mit der Arithmetik und erläutert die Prinzipien des Zwei- und Dreidimensionalen anschließend auf dem Gebiet der Geometrie.78 Obgleich im Kontext der Erzählung des Timaeus die Erfahrungswelt des Menschen erst noch entstehen wird, also von einem Sein die Rede ist, das nicht sinnlich wahrnehmbar ist, gehen den Texterläuterungen in diesen ersten Kapiteln visuelle Objekte, Diagramme, voraus. Ihnen wird die Fähigkeit zugesprochen, die Denkkategorien ›Zahl‹ und ›geometrische Figur‹, die anschließend im Text gedanklich erschlossen werden, zu visualisieren. Diese Diagramme sind abstrakt-geometrisch; wie der Text kommen auch sie ohne jegliches erzählerische oder figürliche Element aus. Da die repräsentierten Prinzipien gänzlich unabhängig sowohl von der Person als auch dem Denken des göttlichen Weltbildners existieren, bleibt dessen Wirken auch im Diagramm völlig unbeachtet. Dass die Diagramme transpersonales, unberührtes Wissen repräsentieren, äußert sich auch in den Aufforderungen zum Sein (sit ergo descripta figura etc.), die häufig am Beginn der Diagrammherleitungen stehen. In diesen Anfangsformeln fehlt jeglicher Hinweis, dass die Diagramme Ergebnisse eines Zeichenprozesses sind, bei dem eine individuelle Hand im Spiel gewesen ist.79 Da sich die
77 Dass das rationale Vorgehen Gottes die Bildung eines dreidimensionalen Weltkörpers gelingen lässt, wird an der folgenden Stelle des Kommentars besonders deutlich: Utitur ergo nunc ratione ac remedio continui competentis propterea quod natura eius coniugabilis est et adunatrix distantium limitum similisque eius rationis, qua deus mundi sensilis fabricator usus est, cum extimis mundi limitibus, igni atque terrae, aeris et aquae insereret medietatem. Calcidius, Commentarius 17, hg. Waszink 1962, S. 68,18–22. 78 Innerhalb des quadriuium (vgl. Anm. 13) wurde die Arithmetik als die erste Kunst angesehen, da sie sich mit den Zahlen selbst beschäftigt und die drei anderen mathematischen Künste ihr Wissen erst auf der Grundlage der Zahlentheorie entwickeln können. Formuliert hat dies für das Mittelalter vor allem Boethius, De arithmetica 1.1, hg. Oosthout/Schilling 1999, S. 12,73–75 u. 13,96–99: Quae igitur ex hisce prima discenda est nisi ea, quae principium matrisque quodammodo ad ceteras obtinet portionem? Haec est autem arithmetica. […] Rursus cum aliquam geometricam formam dixero, est illi simul numerorum nomen implicitum; cum numeros dixero, nondum ullam formam geometricam nominaui. Vgl. Bernard 1997, bes. S. 71 f. 79 Auch die an die Eingangsformel anschließenden Erläuterungen zum Diagramm sind in der dritten Person Singular bzw. Plural formuliert. Nur in den Ausführungen zur dreidimen-
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Formulierungen des Verbs »sein« (essere) bedienen, suggerieren sie vielmehr, dass es die verbale, schriftlich fixierte Aufforderung ist, die die Diagramme auf der Buchseite erscheinen lässt. Das Wort ruft mit dem Diagramm ein lineares Gebilde hervor, dessen Spezifik die Form und nicht die Schrift ist, das jedoch eng mit dem Geschriebenen verwoben wird. Das Diagramm geht der ausführlichen Texterläuterung in diesen ersten Kapiteln stets voraus und visualisiert schon vor der Textlektüre idealerweise das ganze Wissen. Dabei nutzt das arithmetische Denken das Diagramm in erster Linie als ein Ordnungsgerüst, das Verbindungen zwischen numerischen Größen veranschaulicht, wobei das Liniengefüge selbst zahlenmäßig bestimmt und damit Träger und Verkörperung einer arithmetischen Logik sein kann. Stärker als Abbild der allein denkbaren Gesetzmäßigkeiten fungiert das Diagramm auf dem Gebiet der Geometrie. Dort, wo es um die Prinzipien der Verbindung von Flächen und Körpern geht, ist alles im Diagramm vergegenwärtigt. Es zeigt die geometrischen Figuren in ihrer räumlichen Erstreckung sowie das Prinzip der Verknüpfung. Die Buchstaben und Inschriften im Diagramm sind Interventionen, die es dem Text ermöglichen, das Dargestellte zu adaptieren, es Satz für Satz zu rekonstruieren und damit das Betrachten der Figur auf eine visuelle Erkenntnis auszurichten.80 In einigen Handschriften wird zu dieser Erkenntnis, die auf die Struktur des geometrischen Körpers zielt, nicht erst im Text, sondern durch ein zweites Diagramm schon auf visueller Ebene angestiftet. Der Status des Diagramms als visueller Gegenstand, der als zweites, eigenständiges Medium zum Text hinzutritt, wird gleichzeitig abgeschwächt. Das Diagramm gerät auf verschiedenen Ebenen zum Modus eines Denkens, das primär im geschriebenen Text zum Ausdruck kommt. Die gezeichnete Figur ist in der wörtlichen Beschreibung enthalten, und allein dem schriftlich fixierten Text ist eine möglichst präzise Beschreibung der einzelnen Größen sowie der zu erläuternden Gesetzmäßigkeiten zu entnehmen. Da sich in jedem einzelnen tatsächlich gezeichneten Diagramm Ungenauigkeiten ergeben können, gewährleistet die Herleitung und Beschreibung des Diagramms im Text, dass das Verständnis des erläuterten Prinzips nicht von dem Diagramm abhängig ist, das auf sionalen Fügung in der Geometrie ist indirekt von einem Zeichenprozess die Rede: Describitur parallelogrammum […] sowie Huic aliud simile describitur hoc modo […]. Calcidius, Commentarius 18, hg. Waszink 1972, S. 69,2 u. 6. Hier tritt Calcidius auch selbst als Zeichnender auf: […] deduco enim per ΝΞ lineam ΞΥ lineam […]. Ebd. S. 69,14. Häufiger aber wird Calcidius als Sprechender aktiv, so z. B. ebd. 11, S. 63,10: Dico duum horum similium parallelogrammorum inueniri medium aliud rationabile. Vgl auch ebd. 12, S. 64,7, u. 18, S. 69,12. 80 Reviel Netz zufolge formulierte die griechische Mathematik ihre Texte im Hinblick auf Diagramme, wofür ihm u. a. die mangelnde Spezifizierung der im Text angeführten Punkte (Buchstaben) ein Indiz ist. Deren genaue Position ließe sich oft genug nur im Diagramm erkennen. Er spricht jedoch insgesamt von einer »inter-dependence« von Diagramm und Text, da ersteres seinen Inhalt ohne den Text nicht preisgebe. Netz 1999, S. 20–25, Zitat S. 25. Vgl. auch Obrist 2004, S. 269.
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der Buchseite erscheint. In der immer wieder zu beobachtenden Auszeichnung der Diagramme mit Serifen scheint diese Autorität des Texts reflektiert, denn auf diese Weise findet eine formalästhetische Angleichung von Diagramm und Schriftzeichen statt. In einer Calcidius-Handschrift aus dem 11. Jahrhundert, die sich heute in Florenz befindet, ist es die Rubrizierung dieser Diagramme, die eine Ähnlichkeit mit den ebenfalls rubrizierten Initialmajuskeln herstellt (Farbabb. 1).81 In der visuellen Figur ist damit ein Verweis auf das Geschriebene, das heißt in diesem Fall auf den Text, der die Rede des Timaeus und die Erläuterungen von Calcidius fixiert, und damit auf die Sprache angelegt. Das Diagramm geht in dieser Form in das Textgefüge des Kommentars ein und wird als Teil einer primär sprachlich und nicht visuell hergeleiteten Welterklärung erkennbar. Auch das Diagramm wird hier zum Zeichen der Rede, die allein den Menschen zur Vernunft führen kann, wie im Folgenden anhand der Diagramme zur Weltseele noch weiter ausgeführt werden soll.
2.2.2 Diagramm und Buchstabe. Die Weltseele Die Weltseele (anima mundi) beschreibt Timaeus als ein handwerkliches Produkt, bei dessen Fertigung Sein und Werden, das Selbige und das Verschiedene miteinander vermischt werden. Der Weltbildner formt demnach aus zwei Substanzen, zum einen der unteilbaren und unveränderlichen (indiuidua semperque in suo statu perseuerans substantia), zum anderen der teilbaren (diuidua substantia), die eine untrennbare Bindung mit allem Körperlichen eingeht und deshalb geteilt ist, eine dritte Substanz (tertia substantia) und vermengt schließlich alle drei zu einer einzigen Masse. Die von Calcidius im Anschluss an das entsprechende Zitat aus dem Timaeus gestellte Frage »Was sagt er?« (Quid est quod ait?) zielt auf ein Problem, das hinter der Schlichtheit der Erzählung verborgen bleibt.82 Kann konkreter gefasst werden, was miteinander zum Körper der Weltseele verbunden wird? Calcidius erläutert zunächst, dass mit der unteilbaren und der geteilten Substanz nicht nur die beiden grundsätzlichen Seinsformen – die der intelligiblen Ideen einerseits und jene der körperlichen Dinge andererseits – vermischt werden. Vielmehr sei auch die Wesensart (natura) aller natürlichen Dinge (omnia naturalia) zweigestaltig, denn ein jedes gleiche denen seiner Gattung (genus), unterscheide sich aber von denen einer anderen Art (species). Mensch und Pferd beispiels81 Florenz, BML, MS Plut. 89 sup. 51, fols. 1v–47v, hier fol. 7r. Waszink 1962, S. cxvi. 82 Itaque deus, inquit [Plato], tertium animae genus excogitauit hoc pacto: ex indiuidua semperque in suo statu perseuerante substantia itemque alia, quae inseparabilis corporum comes per eadem corpora scindere se putatur, tertium substantiae genus mixtum locauit medium inter utramque substantiam et cetera. Quid est quod ait? Calcidius, Commentarius 27 (Timaeus 35a), hg. Waszink 1962, S. 77,21–78,2. Zu der nach wie vor schwierigen Frage, wie Platons Beschreibung des Mischungsprozesses genau zu übersetzen und zu verstehen ist, Mesch 2005, S. 46–53; Schlette 1993, S. 45–47, sowie Cornford (1957) [1937], S. 59–66.
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weise seien einerseits identisch, da sie beide Lebewesen seien, andererseits aber verschieden voneinander, da der Mensch vernunftbegabt, das Pferd jedoch ohne Vernunft und stumm sei.83 Mit dem Unveränderlichen und Selbstidentischen sowie dem Veränderlichen und Verschiedenen sind in der dritten Substanz somit nicht allein zwei ontologische Extreme, sondern auch die grundsätzlichen Kategorien, die die Beschaffenheit der Dinge bestimmen, enthalten. Welche Bedeutung jedoch verbirgt sich hinter dem Begriff »Substanz«? Calcidius erläutert zwei unterschiedliche Interpretationen. Er sagt, die indiuidua substantia werde zum einen als die intelligible Welt (species intellegibilis mundi), die diuidua substantia als ungeordnete Materie (silua) verstanden. Weitaus ausführlicher referiert er die zweite Meinung, nach der der Begriff substantia eigentlich anima meine, im Körper der Weltseele also gleichsam zwei Seelen anwesend seien, von denen die eine rein und vom Körperlichen unberührt, die andere jedoch mit den Körpern sämtlicher Wesen der Sinnenwelt verbunden sei und diesen Lebendigkeit verleihe.84 Der Effekt der Vermischung dieser beiden Seelen in der Weltseele ist erkenntnistheoretischer Art, da mit der dritten Seele eine dritte, vernunftbegabte Gattung der Seele (tertium animae genus rationabile) entsteht. Diese hervorgebrachte Seele agiert als vereinheitlichendes Prinzip zwischen der intelligiblen und der sinnlichen Welt. Sie ist in den Körpern der geschaffenen Welt anwesend und dort von belebender Wirkung, gleichzeitig aber auch dem Bereich des Seienden angehörig und damit zur Erkenntnis des Intelligiblen befähigt. Allumfassend ist die Weltseele jedoch nicht nur im Stofflichen, sondern auch in ihrer Form. Bei der anschließenden Teilung der geschaffenen Masse geht der Weltbildner erneut nach den Regeln der Mathematik vor. Er entnimmt ihr Portionen, die in einem bestimmten Größenverhältnis zueinander stehen, und legt diese zu einem Strang nebeneinander. Das Ergebnis ist in Calcidius’ Kommentar als Fügungsreihe aus Zahlen in einem Diagramm dargestellt, das in fast allen Abschriften direkt auf die entsprechende, den Erläuterungen vorangestellte Textstelle aus dem Timaeus folgt.85 In der Londoner Handschrift ist eine zwei83 Omnia, inquit [Plato], naturalia uel eadem sibi uel diuersa sunt: eadem genere, diuersa specie, ut puta homo et item equus idem sunt (nam et hoc et illud animal est), at uero specie diuersa sunt (alterum enim eorum rationabile animal est, alterum inrationabile et mutum, et alterum bipes, alterum quadrupes). Calcidius, Commentarius 28 (Timaeus 35a), hg. Waszink 1962, S. 78,16–20. Vgl. Cornford (1957) [1937], S. 61 f. 84 Disceptatum tamen est a ueteribus, quae sit quae a Platone dicitur indiuidua, quae item diuidua substantia […]: num speciem intellegibilis mundi […] indiuiduam substantiam nuncupauerit, diuiduam uero siluam, quae uelut exordium et fons est corporum […] an potius indiuiduam Plato substantiam censeat eminentiorem animam, quae nulli sit incorporationi obnoxia cuiusque ueneranda puritas nulla corporis contagione uioletur, diuiduam uero substantiam illam animam dicat, quae non solum cunctis animalibus sed etiam stirpibus et arboribus dat uitalem uigorem […]. Ebd. 29, S. 79,6–18. Zur Quellenfrage ebd., S. xlviff. 85 Unam sumpsit ex uniuerso primitus portionem, post quam duplicem eius quam sumpserat, tertiam uero sescuplam quidem secundae, triplam uero primitus sumptae. At uero quartam sumpsit duplicem secundae, quintam triplam tertiae. Sexta fuit assumptio partibus septem
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schenklige, oben spitz zulaufende Figur zu sehen, die als »der Entstehung der Seele zugehörige Form« (forma pertinens ad psichonian) bezeichnet wird (Abb. 11). Ausgehend von der Ziffer i in der Spitze ist ihr links die Zahlenreihe i – ii – iiii – viii, rechts i – iii – viiii – xxvii eingeschrieben. Im folgenden Kommentartext heißt es etwas weiter unten zu dem Diagramm: »Diese Zeichnung also, die die Hervorbringung oder Verbindung der Teile, aus denen die Seele dem Vernehmen nach besteht, im Umriss zeichnet, zeigt die Regelhaftigkeit der engen Verbindung von Seele und Körper.« (Ista ergo descriptio quae partium ex quibus anima constare dicitur genituram seu coagmentationem deliniat, ostendit rationem animae corporisque coniugii.)86 Das Diagramm skizziert demnach nicht nur die Zusammenfügung der Bestandteile der Seele, sondern es macht auch das Prinzip der Verbundenheit zwischen Seele und Körper ersichtlich. Die aufgereihten Zahlen entsprechen zunächst den Angaben des Timaeus über die Größe der entnommenen Portionen. Deutlich wird, dass der Weltbildner – wie schon bei der Schaffung des Weltkörpers aus genau vier Elementen – proportionale Zahlenverhältnisse nutzt, um den Zusammenhang der einzelnen Teile zu garantieren. Beide Zahlenreihen sind Potenzfolgen; ihre einzelnen Teile sind nach dem Prinzip der bereits erläuterten »Regel bezüglich des Verbindens« (ratio continui competentis) miteinander verknüpft.87 Jede Zahl stiftet identische Verhältnisse zwischen den Zahlen, die sich in ihrem Strang vor und hinter ihr befinden. Zwischen der Struktur von Weltseele und Weltkörper besteht somit eine prinzipielle Gleichheit. In der numerischen Fügungsreihe der Weltseele ist zudem deren Fähigkeit angelegt, die gesamte Welt zu durchdringen und eine Verbindung zwischen dem Intelligiblen und der Welt der Körper herzustellen. Ausgehend von der Zahl Eins, die Calcidius als unteilbare Einheit (singularitas indiuidua) auffasst und die auf dem Gebiet der Geometrie die kleinste Einheit, den Punkt (nota), repräsentiert, beschreibt jede Zahlenreihe ein Fortschreiten zur jeweils nächsten Dimension. Über das Potenzieren der Zahlen Zwei und Drei, die beide für die Eindimensionalität stehen, welche in der Geometrie die Linie darstellt, sind der Weltseele zudem das arithmetische Prinzip der Zwei- sowie der Dreidimensionalität, welche schließlich durch die Kubikzahlen angezeigt wird, einverleibt.88 Somit ist die Weltseele nicht quam prima propensior, septima sex et uiginti partibus quam prima maior. Ebd. 32 (Timaeus 35b–c), S. 81,20–25. In der Handschrift BnF, MS lat. 6280 (Südfrankreich?, 11. Jh.) allerdings folgt das Diagramm an späterer Stelle (fol. 13r). 86 Calcidius, Commentarius 33, hg. Wazink 1962, S. 82,9–11. 87 Igitur secundum rationem continui competentis […] quod ualet octo aduersum quattuor, hoc quattuor aduersum duo et duo aduersum unum; rursus quod ualet uiginti septem numerus aduersum nouem, hoc nouem aduersum tria et tria aduersum unum. Ebd., S. 83,15–19. Vgl. auch Anm. 73. 88 Zur Herleitung der Welt aus der »Stufenfolge der mathematischen Gestalten« Burkert 1962, S. 21–23, sowie Cornford (1957) [1937], S. 66–70. Vgl. auch Waszink 1964, S. 9–11, sowie die Ausführungen zur Weltseele von Macrobius, Commentarii 2.2,3–11, hg. Willis 21970,
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nur nach den mathematischen Gesetzmäßigkeiten geformt, die allem Erschaffenen zugrunde liegen. Sie trägt nicht nur die proportionale Struktur, sondern auch die Form alles Körperlichen in sich und kann deshalb allgegenwärtig sein.89 Ein Spiegelbild der Weltseele Obgleich sich diese tiefere Bedeutung der dem Diagramm eingeschriebenen Zahlen erst mit der Lektüre des anschließenden Kommentartexts erschließt, wird dem Diagramm dennoch zugesprochen, die Bildung der Weltseele sowie das Prinzip ihrer Fügung zu zeigen. Dass dafür die Diagrammform von entscheidender Bedeutung ist, deutet sich schon in dem unmittelbar auf das Diagramm folgenden Satz an: »In dieser Form der Seelenkräfte tritt gleichsam wie aus einem Spiegel das Bild hervor.« (In hac forma uirium animae tamquam e speculo simulacrum resultat.)90 Mit forma ist hier vermutlich das gesamte Diagramm, d. h. die dreieckige Form samt der Zahleninschriften, gemeint, schließlich sind es erst die Zahlenreihen, welche die Form zu einer Form der Seelenkräfte machen. Mit diesem Vergleich des Diagramms mit einem Spiegelbild wird im selben Moment die Buchseite, Trägerin der visuellen Erscheinung, zum Spiegel. Spiegelbilder, ihre Wahrnehmung und – damit unlösbar verbunden – ihre Entstehung, verhandelt Calcidius im zweiten Teil des Kommentars in den Kapiteln zur visuellen Wahrnehmung (De uisu und De imaginibus).91 Das Erblicken von Bildern, die sich auf einer reinen, ungetrübten Oberfläche spiegeln, (intuitio) wird darin vom direkten, unmittelbaren Sehen eines Gegenstands (tuitio) unterschieden.92 Grundlegend für die von Calcidius erläuterte Theorie der visuellen Wahrnehmung ist Platons Vorstellung, dass dem Auge ein Feuer entströmt, das S. 100,2–101,3. Zur Ausfaltung der Zahl zu Punkt, Linie, Figur und Körper in der Arithmetik des Boethius vgl. Bernard 1997, S. 77–83. 89 Calcidius, Commentarius 33, hg. Waszink 1962, S. 82,11–15 u. 83,9–15. Diese Ausführungen fasst Calcidius zusammen, indem er sagt: Quae singula persequi longum est; sufficiat igitur demonstrasse rationem nascentis animae, quae incorporationi erat destinata, quod orsa a singularitate, indiuidua atque incorporea re gradatim per lineam et superficiem increuerit usque ad perfectum corpus prolixitatis latitudinis profunditatisque interuallis proptereaque tam subtilia quam solida penetret mundi sensilis corpora. Ebd. 38, S. 88,6–10. 90 Ebd. 32, S. 81,25 f. Bei Calcidius, Commentario 32, hg. Moreschini 2003, S. 169, lautet die Übersetzung: „Nella figura che segue appare come riflessa da uno specchio la rappresentazione delle facoltà dell’ anima.“ 91 Ebd. 236–263, S. 248–269. Kommentiert wird darin Timaeus 45b–46d. De imaginibus handelt vornehmlich von Traum- und Spiegelbildern. 92 Ebd. 239 (De uisu), S. 251,13–18: Tuitione quidem, ut quae simpliciter et prompte uidentur quaeque clementer uisum recipientia minime eum a se repellunt, ut flexus quin immo fractus rursum ad oculos redeat. Intuitione uero, ut quae fragmento radii recurrente ad oculorum aciem uidentur, qualia sunt quae in speculis et aqua considerantur, ceteris item, quorum tersa est quidem superficies, sed ob nimiam densitatem idoneus uigor ad repellendum quod offenderit. Daneben gibt es die detuitio, bei der es scheine, als würden die Bilder nicht aus dem Spiegel heraustreten, sondern in dessen Tiefe verankert sein, wie es z. B. auf der Oberfläche eines dunklen Teichs zu beobachten sei. Ebd. 242, S. 253,21 ff.
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mit dem gleichartigen Tageslicht zu einem Medium verschmilzt. Erst über dieses Medium empfangen Augen und Seele demnach die Sichtbarkeit eines Objekts. Über glänzenden Oberflächen jedoch verbinden sich das Feuer des Auges und das Licht, das von dem schließlich im Spiegel zu sehenden Objekt ausgeht, direkt miteinander, und ein Bild wird sichtbar. Der Spiegel wird zum Träger eines einerseits trügerischen, weil seitenverkehrten Bildes, das andererseits von der körperlichen Anwesenheit dessen zeugt, was optisch erscheint. 93 Durch den Vergleich mit einem Spiegelbild übertragen sich dessen Eigenschaften auf das Diagramm und dieses wird als Täuschung und Zeugnis zugleich präsentiert. Gemessen daran, welches Darstellungsvermögen und welche Bedeutung Calcidius diesem Diagramm zur Weltseele im Folgenden zuspricht, erscheint es wenig plausibel, dass es ihm an dieser Stelle auf den Aspekt der Sinnestäuschung ankam und er den Vergleich als eine Warnung vor dem Diagramm verstanden wissen wollte. Deutlich abgeschwächt ist auch ein weiteres Moment der Illusion. Während das Spiegelbild seinen Dingcharakter nur vorgibt und tatsächlich allein für und durch den Blick existiert, ist die Erscheinung der Weltseele auf der Buchseite gebannt.94 Letztere wird zu einer besonderen Form der reflektierenden Oberfläche, da auf ihr Unsichtbares offenbart und im selben Moment die Exklusivität dieser Sichtbarwerdung unterlaufen werden kann. Der Zeugnischarakter der visuellen Erscheinung hingegen verliert sich auch auf der Buchseite nicht. Der Vergleich mit einem Spiegelbild verleiht dem Diagramm deshalb eine gewisse Authentizität, indem er suggeriert, dass das Dargestellte tatsächlich existiert. Damit wird auf die besondere Leistung der diagrammatischen Darstellung auf der Buchseite verwiesen. Sie bringt die Struktur eines Körpers hervor, der in diesem Fall von einer Stofflichkeit ist, die für das menschliche Auge auf dem Weg der direkten Wahrnehmung unsichtbar bleibt. Wenn der Weltbildner die Weltseele auch als ein Geschöpf in den Händen halten mag, so ist sie als Verkörperung und Trägerin der Vernunft, nach der die Welt geschaffen ist, für den Menschen lediglich eine rein denkbare Größe. Erneut, doch an dieser Stelle explizit, zeigt sich, dass die Fähigkeit des Diagramms in der Visualisierung des Unsichtbaren gesehen wird. Dabei tritt auch hier, wie schon in den Kapiteln zur geometrischen Verknüpfung, der Gesamtkörper in seiner Struktur sowie seinen Einzelheiten mit dem Diagramm aus der Buchseite hervor. Als ein Spiegelbild der universellen Vernunft fungiert das Diagramm als Vermittler zwischen dem Intelligiblen und dem Erkenntnisvermögen des Menschen. 93 Ebd. 239, S. 252,6–9. 94 Zur Theorie des Sehens sowie der Wahrnehmung von Spiegelbildern bei Platon Vuilleumier 1998, zum Timaeus bes. S. 5–21, wo es auf S. 11 f. heißt: »[…] l’image du miroir est donc fondamentalement une illusion, non seulement par le fait qu’elle inverse la droite et la gauche, mais, plus profondément, parce qu’elle n’existe que pour et par la vue, qui la perçoit en même temps qu’elle lui prête sa consistance. Elle est ainsi une sorte d’›illusion matérielle‹, à mi-chemin entre l’être et le non-être ou l’apparence.«
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Dementsprechend sind die Texterläuterungen dem Diagramm nachgeordnet, und nach ihrer Lektüre wird deutlich, dass der gesamte Kommentar zu diesem Passus des Timaeus über die Schaffung der Weltseele bereits im Diagramm enthalten ist.95 Die forma triangularis Der Vergleich mit dem Spiegelbild impliziert, dass die Form des Diagramms der Erscheinung der Weltseele entspricht, dass sie gar nicht anders sein kann und also bewusst gewählt ist. Die Form zeichnet sich dadurch aus, dass sie die Zahlenreihen, in denen die Omnipräsenz der Weltseele angelegt ist, auf eine bestimmte Weise in der Fläche anordnet. Dass für Calcidius das Problem der Form der Darstellung von Bedeutung ist, wird im Anschluss an die Erläuterungen zur Bedeutung der Zahlen explizit deutlich. Er kündigt an, auch die Frage, »wie die Form der Zeichnung beschaffen sein müsse« (qualis debeat esse forma descriptionis)96, behandeln zu wollen. Das folgende Argument, mit dem er eine dreieckige Form (forma triangularis) als die am besten geeignete Form der Darstellung verteidigt, betrifft die Stellung der singularitas – im Diagramm durch die Zahl Eins repräsentiert – am Gipfelpunkt oberhalb der beiden Zahlenreihen. Dort stehe sie als Ursprung (origo numerorum), aus dem alle Zahlen, so auch die beiden Zahlenreihen im Diagramm, hervorgingen, während sie selbst dabei keinem Prozess der Veränderung unterworfen sei, sondern immer als singularitas bestehen bleibe. Diese Qualität sowie das Ursprungsmotiv machen sie zur Stellvertreterin für die Vernunft und den göttlichen Weltbildner, durch dessen Wirken alles Seiende entstehe.97 In der Anordnung der Zahlen veranschaulicht das Diagramm dieses Hervorgehen des Verschiedenen aus dem Einen, ein Prinzip der Weltwerdung, das 95 Waszink schreibt, dass Calcidius Timaeus 35b–c »mit Hilfe eines dreieckigen Diagramms« kommentiert. Waszink 1964, S. 2; vgl. auch ebd., S. 3 f. Zur Interpretation des Spiegelbildes als Bindeglied zwischen dem Sichtbaren und dem Intelligiblen bei Platon Vuilleumier 1998, bes. S. 34–47 (zu Phaidon 99d-100b). 96 Calcidius, Commentarius 34, hg. Waszink 1962, S. 83,27. 97 Ebd. 39, S. 88,11–89,2: Nunc praestanda est ratio formae istius triangularis […]. Nullam dico esse aptiorem figuram quam est haec in qua singularitas cacumini superimposita summitatem atque arcem obtinere consideratur, ut per eam uelut emissaculum quoddam tamquam e sinu fontis perennis prouidae intellegentiae quasi quidam largus amnis efflueret ipsaque singularitas mens siue intellegentia uel ipse deus opifex intellegatur esse. Cum enim sit origo numerorum omnibusque ex se substantiam subministret rationesque eorum tam simplices quam multiplicatas ipsa contineat, ceteris numeris incrementis imminutionibusque mutatis atque ex propria natura recedentibus sola inconcusso iure est atque in statu suo perseuerat semper eadem, semper immutabilis et singularitas semper, quem ad modum diuina omnia quae nulla temporis progressione mutantur suntque semper impetibili felicitate. Vgl. auch Waszink 1964, S. 19. Zur Definition der ›Einheit‹ die Ausführungen von Theon (vgl. Anm. 12) zu Beginn des Kapitels zur Arithmetik. Theon, Exposition 1.3 ff., hg. Dupuis 1966 [1892], S. 29 ff. Vgl. auch Macrobius: unum autem […] ipse non numerus sed fons et origo numerorum [est]. haec monas initium finisque omnium, necque ipsa principii aut finis sciens, ad summum refertur deum […]. Macrobius, Commentarii 1.6,7 f., hg. Willis 21970, S. 19,24–29. Vgl. auch Burkert 1962, S. 404.
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im Neuplatonismus ausdifferenziert und insbesondere im 12. Jahrhundert breit rezipiert wurde.98 Während der Weltbildner in der Erzählung des Timaeus die der Seelenmasse entnommenen Portionen zu einem Strang nebeneinanderlegt, brachte Calcidius sie in eine andere Ordnung. Er übernahm mit der forma triangularis eine Figur, die vermutlich bereits in der frühgriechischen Mathematik zur Darstellung dieser beiden Zahlenreihen verwandt und in den frühen Timaeus-Kommentaren als Diagrammform für die Weltseele übernommen worden war. Ebenso unklar wie die Frage, wer diese dreieckige Figur in der Antike zuerst gebrauchte, ist die, von wem und ab wann das Diagramm als ›Lambda-Diagramm‹ bezeichnet wurde. Während Calcidius lediglich für eine forma triangularis plädierte, ist in der Sekundärliteratur immer dort, wo dieses Diagramm zur Weltseele beschrieben wird, von dem ›sogenannten Lambda-Diagramm‹ die Rede.99 Diese Bezeichnung liegt nahe, da das Diagramm in den meisten Calcidius-Kommentaren – wie z. B. in der Handschrift in Wien aus der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts (Abb. 12) oder in einer Abschrift, die ebenfalls aus dem 11. Jahrhundert datiert und sich heute 98 Zur Theorie der aus dem Einen hervorgehenden Weltseele bei Plotin vgl. Schlette 1993, S. 102–112. Der christliche Neuplatonismus basierte vor allem auf Schriften des Boethius sowie des Pseudo-Dionysius Areopagita (5./6. Jh.). Zusammenfassend Klibansky 1981 [1939], S. 23–27. Zur Rezeption im 12. Jh. Gregory 1988, S. 70 ff., sowie Chenu 1997 [1957], S. 49 ff. 99 Krafft schreibt, dass vermutlich schon ältere Pythagoreer diese Zahlenfolge in der Form des griechischen Buchstaben Lambda anordneten. »Man [wer?] nannte dieses Gebilde deshalb ›Lambda‹ oder auch große Tetraktys, weil die Summe der ersten sechs Glieder gleich dem siebten Glied ist (1 + 2 + 3 + 4 + 8 + 9 = 27).« Krafft 1971, S. 348 f. Zur Veranschaulichung der Tetraktys erscheint das Diagramm auch in Dupuis’ Ausgabe von Theon (vgl. Anm. 12). Es wird dort jedoch im Text nicht mit der Form des Buchstaben Lambda (Λ) in Verbindung gebracht. Theon, Exposition 2.29, hg. Dupuis 1966 [1892], S. 157. Cornford schreibt: »Theon reproduces Crantor’s diagram, symbolising the procession from the one […].« Cornford (1957) [1937], S. 67. Plutarch sagt in seinem Traktat »Von der Erschaffung der Seele im Timaeus« (De animae procreatione in Timeo), dass Krantor (4. Jh. v. Chr.), Verfasser des ersten Kommentars zu Platon, ein Λ benutzt habe, um die Anordnung der Zahlen der Weltseele zu veranschaulichen: »Il problema della disposizione riguarda la questione se tutti i numeri debbano essere collocati in un’unica linea, come pensava Teodoro, o piuttosto in una figura a forma di Λ, come Crantore, con il primo termine collocato al vertice e i numeri doppi e tripli disposti separati in due linee.« Krantors Version sei, so Plutarch, die von Platon gewollte Darstellungsform, da sie die Zahlen besser ordne und die Fügungsreihen der Weltseele schlüssiger vor Augen führe. Dass Platon selbst diese Figur benutzt habe, wird hier nicht explizit behauptet. Plutarch, De animae procreatione 1027D (Zitat) u. 1017Df., hg. Ferrari/Baldi 2002, S. 157 u. 161 sowie 329 f., Anm. 233. Weiterhin Obrist 2004, S. 265 f. Macrobius beschreibt die Anordnung der Zahlen der Weltseele ähnlich wie Plutarch, gibt der entstehenden Figur jedoch keinen Namen und verweist auch nicht auf ein Diagramm. Macrobius, Commentarii 1.6.46, hg. Willis 21970, S. 26,22–28. Vgl. auch Stahl 1952, S. 109, Anm. 48. Für die Sekundärliteratur stellvertretend Bober 1961, S. 16: »Medieval commentators illustrate this [the fabric of the World-Soul] by the so-called lambda diagram.« Stahl 1952, S. 109, Anm. 48: »This so-called lambda diagram was popular with the commentators on the Timaeus […].« Für die frühe Verwendung dieses Diagrammtyps als Scholie zur Veranschaulichung logischer Systematiken Cacouros 2001 u. Brumbaugh 1961.
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im Besitz der Biblioteca Vaticana befindet (Abb. 13)100 – mit Serifen ausgestattet ist und damit einem Buchstaben ähnelt, und zwar gleichsam dem lateinischen A wie dem griechischen Λ.101 Es gibt jedoch auch andere formale Ausprägungen der dreieckigen Grundform, wie bereits mit dem flächenhaften Diagramm in der Londoner Handschrift deutlich geworden ist (Abb. 11).102 In dem in Rot gezeichneten Diagramm in einer Calcidius-Handschrift in Wolfenbüttel, die aus dem 11. Jahrhundert datiert, sind die Zahlen entlang der beiden Schenkel jeweils eingerahmt, sodass beidseitig eine Stufenfolge entsteht (Abb. 14).103 Auch der anonyme Autor der Kompilation Opusculum de ratione spere, die vermutlich im späten 11. oder im 12. Jahrhundert entstand, mit zahlreichen Diagrammen ausgestattet und bisher in vier Handschriften des 12. Jahrhunderts überliefert ist, fügte den Texterläuterungen zur Weltseele eine forma triangularis bei, ohne diese dem Buchstaben Λ anzugleichen (Abb. 15, links).104 Bei dem dazugehörigen Text handelt es sich um eine Zusammenfassung der Abschnitte aus dem Timaeus, in denen es um die Schaffung der Welt aus den vier Elementen, um die Kugelform, die Autarkie der Welt und schließlich die Entstehung der Weltseele geht. In der hier gezeigten, in England entstandenen und heute in Oxford aufbewahrten Abschrift weist das Diagramm zur Struktur der Weltsee100 BAV, MS Reg. lat. 1861, fols. 1r–117v, hier fol. 18v. Die forma triangularis ist mit brauner Tinte gezeichnet, die Überschrift und Zahlenbeischriften sind rot. Diese Abschrift entstand möglicherweise in Deutschland. Pellegrin 1978, S. 450 f.; Waszink 1962, S. 124; ferner Gibson 1969, S. 186 u. 191–194. Siehe auch die verwandten Handschriften BSB, clm 6365 (Freising?, Anf. 11. Jh.), fol. 15v, sowie Köln, Dombibl., MS 192 (Darmst. 2167) (Deutschland, 11. Jh.), fol. 21v; ÖNB, cod. 176 (Deutschland, 12. Jh.), fol. 21r. 101 So auch schon in der frühen Abschrift Valenciennes, BM, MS 293 (Saint-Denis? Reims?, 9. Jh.), fol. 28r; reproduziert bei Obrist 2004, Abb. 28. Vgl. außerdem BAV, MS Reg. lat. 1308 (Italien, 1. H. 10. Jh.), fol. 11v; BnF, MS lat. 7188 (Normandie? England?, Anf. 12. Jh.), fol. 77v; Neapel, BNC, MS VIII. F. 11 (Deutschland, 12. Jh.), fol. 6v; BnF, MS lat. 6570 (12. Jh.), fol. 8r. 102 Vgl. auch BnF, MS lat. 10195 (Echternach, 10./11. Jh.), fol. 89v, wo die Figur zudem mit grüner Farbe ausgemalt ist; BnF, MS lat. 6570 (12. Jh.), fol. 6v. 103 HAB, MS 116 Gud. lat. 2° (4420), fols. 1r–90r, hier fol. 17r. Die Kombination aus roten Linien mit brauner Beschriftung wurde hier für die meisten Diagramme verwandt. Koehler/ Milchsack 1966 [1913], S. 147; Waszink 1962, S. cxxviii. Die Handschrift entstand in Deutschland. 104 Opusculum de ratione spere ex summorum disciplinis philosophorum cum summo labore et diligenter excerptum. Die Kompilation beginnt – wie auch der Kommentar des Calcidius – mit dem Kapitel De genitura sensibilis mundi und behandelt zunächst die Frage nach der Vierzahl und den Qualitäten der Elemente, dann die nach der Struktur und der Erschaffung der Weltseele. Bei den Handschriften handelt es sich um: Erfurt, MS Ampl. 4° 23, fols. 98–126 (Mitte 12. Jh.); Bodleian, MS Digby 83, fols. 1–76 (England, Mitte 12. Jh.); Wroclaw, Biblioteca Uniwersytecka, MS Ac. IV 8° 11, fols. 17–96 (Frankreich, 12. Jh.), u. Hannover, NLB, MS IV 394, fols. 4–38 (13. Jh.). Zusammenfassend Vyer 1936, S. 689–691, demnach die Texte v. a. Isidor von Sevilla, Beda, Plinius und Abbo von Fleury entstammen. Vgl. auch Kauffmann 1975, S. 103, Abb. 205–207 u. 211. Lediglich die figürlichen Illustrationen zu den Sternbildern im letzten Teil der Kompilation waren bisher Gegenstand kunstwissenschaftlicher Betrachtung. Saxl/Meier 1953:1, S. 345 f. (zu Bodleian, MS Dibgy 83).
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le an seiner Spitze als besonderes Merkmal den Kopf eines Tieres (Löwen?) auf, aus dessen Maul die beiden Seitenflächen hervorkommen.105 Drei waagerechte, gelb ausgefüllte Balken liegen ›hinter‹ der Figur, während ein vierter als abschließende Basis der Gesamtfigur dient. An den Enden dieser Balken sind links und rechts in Rot und Grün die Zahlen der beiden Fügungsreihen notiert; nur die grüne Ziffer i befindet sich in der Innenfläche unterhalb der Spitze. Wenn auch das Motiv des Tierkopfes in diesem Zusammenhang überrascht und ikonografisch näher zu untersuchen ist, so übernimmt es doch die Funktion, die Idee des Hervorgehens der Zahlenreihen aus einem gemeinsamen Ursprung zu veranschaulichen.106 Zusätzlich verstärkt wird der bildliche Ausdruck des Hervorströmens des Vielzähligen aus der Einheit – Calcidius spricht in diesem Zusammenhang von effluere – durch die roten Zickzacklinien auf den Schrägbalken des Diagramms.107 Anders als im Kommentar des Calcidius ist in dieser Kompilation nicht nur die Struktur der Weltseele dargestellt, sondern es sind auch deren Erschaffung und damit ihre Stofflichkeit veranschaulicht. In der Handschrift in Oxford befindet sich direkt neben dem bereits beschriebenen Diagramm ein weiteres, dessen äußerer Kreis den Mischkrug aus der Erzählung Platons (crater platonis) darstellt.108 Drei sich überschneidende Kreise im Inneren dieses Außenkreises veranschaulichen vermutlich, dass hier letztlich drei Substanzen miteinander vermengt werden. Das Ausgangsmaterial für die Bildung der Weltseele wird als roter und grüner Strang dargestellt, wobei die Inschriften verdeutlichen, dass hier die unteilbare und die teilbare Substanz (indiuiduus/diuiduus) sowie die selbige und die verschiedene Wesensart (eadem/diuersa) miteinander vermengt werden. Die Widerspenstigkeit des Materials, dessen Vermischung sowohl nach dem Bericht des 105 Zu dieser Handschrift zusätzlich zu der in Anm. 104 genannten Literatur: Pächt/Alexander 1973, Nr. 196 u. Abb. 19; Eastwood 1986, S. 211 f. 106 Vgl. auch das Diagramm auf dem Seitenrand zu Macrobius in BAV, MS Ottob. lat. 1516, fol. 12r (Frankreich, Anf. 13. Jh.). 107 Zum Text von Calcidius Anm. 97. Die diagonal entlang der beiden Schenkel verlaufenden Inschriften lauten duplices numeri und triplices numeri und beziehen sich somit auf die beiden Potenzstufen. Dieses Diagramm zur Weltseele wurde nicht in jeder Abschrift der Kompilation identisch gestaltet. In den Handschriften (a) Erfurt, MS Ampl. 4° 23 (Mitte 12. Jh.), fol. 100v, u. (b) Hannover, NLB, MS IV 394 (13. Jh.), fol. 6v, wurde z. B. auf den Tierkopf und die Wellenlinien verzichtet. Zu diesen Handschriften zusätzlich zu der in Anm. 104 genannten Literatur: (a) Schum 1887, S. 304 f.; (b) Härtel/Ekowski 1982, S. 132–135. 108 Von diesem Mischkrug ist im Timaeus erst an späterer Stelle (41d) die Rede: Haec dixit et demum reliquias prioris concretionis, ex qua mundi animam commiscuerat, in eiusdem crateris sinum refundens […]. Platon/Calcidius, Timaeus, hg. Waszink 1962, S. 36,14 f. Er wird auch in einem kurzen, zusammenfassenden Text über Platons Weltseele, der im 13. Jh. vermutlich im Kloster Reun bei Graz als Teil einer Sammelhandschrift entstand, erwähnt: […] patrem sumpsisse duas essentias diuersum et idem et commiscuisse in uno cratere more pistoris quasi in globum […]. ÖNB, cod. 507, fol. 79v. Hier wurde allerdings nur die forma triangularis hinzugefügt. Zu dieser Handschrift Saxl 1978 [1925/1926], S. 81–86; Hermann 1926, S. 352 ff.
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Timaeus als auch den Angaben im Text auf diesem Folio nur gewaltsam gelingt, kommt in den Zähnen zum Ausdruck, von denen jeder Strang gesäumt wird.109 Ungewöhnlich ist an diesem Diagramm neben dem Gegenstand der Darstellung auch seine Nähe zur Narration. Es benennt nicht nur die Stoffe der Weltseele und führt deren Anordnung vor Augen, sondern veranschaulicht zugleich die Entstehung dieser Masse an einem bestimmten, mit der Inschrift crater platonis ausgewiesenen und der Erzählung des Timaeus verhafteten Ort. Die Kreisform ist im Diagramm ein lediglich rahmendes Element und bleibt selbst ohne Aussagekraft über die Beschaffenheit der Seele. Sie ist ein Element des Kontexts, nicht der Analyse. Dabei scheint es durchaus passend, dass gerade in dieser Darstellung Narration und Analyse zusammenkommen, denn schließlich ergibt die hier dargestellte Vermischung der Stoffe selbst ein Wesen, das als »Zwitternatur zwischen Geist und Stoff«110 verschiedenen Welten angehört. Die Diagramme im Kommentar des Calcidius hingegen bleiben rein analytisch.111 Während die Stofflichkeit der Weltseele nicht zum Thema der diagrammatischen Darstellung wird, ist die forma triangularis zur Struktur der Seele integraler Bestandteil des Kommentars. Immer wird dabei im Diagramm die Geschlossenheit der Figur formal betont. Die Folge der Potenzzahlen ist eine potenziell endlos weiterzuführende Aufreihung von Zahlen, die hier jedoch stets mit den Kubikzahlen endet, da diese auf die Ausdehnung der Weltseele im dreidimensionalen Raum verweisen.112 In den Diagrammen dienen unterschiedliche formale Mittel dazu, die Zahlenreihe als finite Folge darzustellen. Das flächenhafte Diagramm in der Londoner Calcidius-Handschrift rahmt die Zahlen ein; in der Kompilation in Oxford steht die Figur auf einem abschließenden waagerechten Balken. Am häufigsten allerdings werden – wie hier mit den Diagrammen in den Handschriften in Wien und dem Vatikan veranschaulicht (Abb. 12, 13) – die beiden Enden sowie oft auch die Spitze der Figur jeweils mit einer Serife akzentuiert. In diesen Fällen ähnelt das Diagramm sowohl dem lateinischen Buchstaben A – was dort besonders deutlich wird, wo die Überschrift des Diagramms in Capitalis rustica geschrieben ist (Abb. 13) – als auch dem griechischen Buchstaben Λ. In einer anderen, bereits erwähnten Handschrift aus dem 11. Jahrhundert ist es die Gestaltung des rechten Schenkels der forma triangu109 Bodleian, MS Digby 83 (England, Mitte 12. Jh.), fol. 4r,13–17 (Timaeus 35a): Ex indiuidua et diuidua substantia itemque ex eadem et diuersa natura congruas partes assumens et inter se commiscens illa natura concretioni atque adunationi generum repugnante et tam diuersis unum quiddam confecit. 110 Zekl 1992, S. xxxiii. Die Mischkrug-Diagramme in den Handschriften Erfurt, MS Ampl. 4° 23 (Mitte 12. Jh.), fol. 100r, u. Hannover, NLB, MS IV 394 (13. Jh.), fol. 6v, bleiben abstrakt-geometrisch. 111 Vgl. aber die der Übersetzung des Timaeus beigefügten Diagramme in: BAV, MS Vat. lat. 3815 (12. Jh.), fol. 33r, sowie, deutlich abstrakter, BnF, MS lat. 6280 (Südfrankreich?, 11. Jh.), fol. 6r, u. BnF, MS lat. 2389 (12. Jh.), fol. 36v. 112 Auf die potenzielle Endlosigkeit verweist Zekl 1992, S. 200, Anm. 54.
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laris als Balken oder Buchstabenstamm, durch die diese Ähnlichkeit zwischen Diagramm und Buchstabe hergestellt wird (Farbabb. 2).113 Diese formalästhetische Annäherung könnte als ein Zufallsprodukt betrachtet werden, würde an einer anderen Stelle im Kommentar nicht deutlich werden, dass es eine weitere Verschmelzung von Weltseele und Buchstabe im Diagramm gibt. Inkorporation der Weltseele Nach weiteren detaillierten Ausführungen zur Ausgestaltung der Zahlenfolgen, für die Calcidius zwei weitere dreieckige Diagramme einsetzt, nimmt er diesen Faden der Erzählung erst sehr viel später wieder auf, nämlich dort, wo er die räumliche Verbindung von Weltseele und Weltkörper erläutert.114 Nach einer Zusammenfassung der Kapitel zu Stofflichkeit und Struktur der Weltseele kommentiert Calcidius dann die Stelle des Timaeus, an der von der Spaltung der gesamten Fügungsreihe und der anschließenden kreisförmigen Verbindung der beiden Teile die Rede ist: »Nun teilte er diese Reihe selbst der Länge nach und machte aus einer einzigen Reihe zwei und fügte sie Mitte auf Mitte nach der Gestalt des griechischen Buchstaben Chi zusammen und krümmte sie zu Kreisen, bis sich ihre Enden vereinten.« (Tunc hanc ipsam seriem in longum secuit et ex una serie duas fecit easque mediam mediae in speciem chi [Χ] Graecae litterae coartauit curuauitque in orbes, quoad coirent inter se capita.)115 Calcidius erklärt den Vorgang mithilfe von drei Diagrammen, die in den meisten Abschriften auf die Erläuterung folgen.116 Im Kommentar wird diese Episode noch einmal rekapituliert, wobei allerdings die Gegenstände in den Händen des Weltbildners sogleich mit griechischen Buchstaben benannt werden: Gott teile die gerade Linie ΑΒ der Länge nach und bilde aus den beiden Teilen das Χ mit den Strängen ΓΔ und ΕΖ.117 An 113 Zu dieser Handschrift Anm. 81. Vgl. die Satzmajuskel A in Zeile sieben des abgebildeten Folios. 114 Calcidius, Commentarius 92, hg. Waszink 1962, S. 144,12 ff. Die anderen beiden Diagramme folgen auf die erste forma triangularis in den Kapiteln De modulatione siue harmonia, in denen Timaeus 35c-36b erläutert wird. Vgl. ebd. 40–55, S. 89–103, sowie Waszink 1964, S. 2 f. Zu der in diesen Diagrammen veranschaulichten pythagoreischen Harmonielehre Waerden 1943; zu ihrer Rezeption im karolingischen Gallien Huglo 1990, bes. S. 5–13; ferner Meyer 1995. Die hier angestellten Beobachtungen zur ersten forma triangularis gelten ebenso für die beiden folgenden Diagramme. Häufig werden diese beiden oder aber auch alle drei Diagramme in einer Großfigur ineinander verschränkt dar- und oft dem gesamten Text vorangestellt. Vgl. z. B. diese Handschriften mit der Timaeus-Übersetzung: CUL, MS 1132 (Ee. VI. 40) (12. Jh.), fol. 18r; ÖNB, cod. 278 (12. Jh.), fol. 1r. 115 Calcidius, Commentarius 92 (Timaeus 36b-c), hg. Waszink 1962, S. 144,13–16. In einigen Handschriften ist das chi nicht ausgeschrieben, sondern durch den Buchstaben Χ ersetzt. Zu Timaeus 36b–d Cornford (1957) [1937], S. 72–93. 116 In der Handschrift HAB, MS 116 Gud. lat. 2° (4420) (Deutschland, 11. Jh.), gehen die Diagramme den Erläuterungen voraus. 117 Hanc igitur seriem, non materiam neque corpus, secuit, inquit [Plato], deus, ut si quis ΑΒ rectam lineam in longum findat et de segminibus duobus chi [Χ] faciat ΓΔ.ΕΖ […]. Calcidius, Commentarius 92, hg. Waszink 1962, S. 145,4–6.
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dieser Stelle gibt es keinen direkten Verweis auf die Diagramme, sondern allein die Buchstaben machen deutlich, dass hier von den visuellen Darstellungen auf der Buchseite die Rede ist. Die gerade Linie ist im Diagramm in der Londoner Handschrift eine vertikale Linie, die zu ihren Enden breiter und von Serifen abgeschlossen wird und so an eine schmale I-Initiale erinnert (Abb. 16, Mitte). Aus der Spaltung dieses Strangs entstehen zwei Einzelstränge, aus denen der Weltbildner eine Χ-förmige Figur herstellt, welche das Diagramm rechts daneben zeigt. Hier wurde somit nicht nur in den Texterläuterungen, sondern auch im Diagramm die Vorgabe aus dem Text übernommen und das Diagramm als Buchstabe gestaltet. Griechische Buchstaben markieren die vier Enden des Χ, die in dem dritten Diagramm so in einem Punkt miteinander verbunden sind, dass der Buchstabe nicht mehr zu erkennen, sondern ein dreidimensionales, hier allerdings als Flächenfigur dargestelltes sphärisches Gebilde entstanden ist. Die Stränge des Χ sind nun zu zwei identisch großen Kreisen umgeformt (ΗΘΚΛ und ΗΜΚΝ), die sich in zwei Punkten schneiden. Dieses dritte Diagramm zeigt bereits die Anbringung der Weltseele im Weltkörper, welcher selbst – wie von Calcidius an früherer Stelle im Kommentar ausführlich erörtert118 – kugelförmig ist und von einer äußersten, die Fixsterne tragenden Himmelssphäre begrenzt wird. Diese umschließt hier als dritter, äußerer Kreis die beiden sich überschneidenden Kreise.119 Die Weltseele wird der Welt als sich selbst bewegende Kraft implantiert, die dem Ganzen seine Bewegung mitteilt und die Welt in eine unaufhörliche Kreisbewegung versetzt.120 Mit der Umformung des Χ entsteht zum einen der Himmelsäquator, zum anderen der Tierkreis. Das zwitterhafte Wesen der Weltseele äußert sich auch in der Unterscheidung dieser beiden Kreise voneinander. Der Himmelsäquator steht für die immer gleiche Bewegung der Fixsternsphäre, welche auch die sieben Planeten auf ihren Bahnen unterhalb des Tierkreises ergreift. Da sich die Planeten jedoch außerdem in die entgegengesetzte Richtung bewegen, wird der Tierkreis mit der ungleichen Bewegung in Verbindung gebracht.121 Der zweite Strang der Weltseele, der Tierkreis, wird in einem nächsten Schritt in die Kreisbahnen der einzelnen Planeten aufgespalten.122 Die damit entstehen118 Ebd. 59, S. 106,17 ff. 119 […] duos innexos sibi inuicem circulos faciat ΗΘΚΛ et ΗΜΚΝ, hosque ipsos exteriore alio circulo cuius motus conuersioque idem semper et uniformis sit circumliget, id est aplani. Ebd. 92, S. 145,7–9. 120 Mit dem unaufhörlichen Bewegungsimpuls durch die Weltseele wird die Welt zum lebenden, vernünftigen Wesen. Dazu und zum Beginn der Zeit mit der Bewegung: Ebd. 101 (Timaeus 36e), S. 152. Zur Problematik von Zeit und Ewigkeit Dales 1990, hier S. 4–11. 121 Calcidius, Commentarius 92 f., hg. Waszink 1962, S. 145,15–146,17. Im Text werden die beiden Kreise zunächst als exterior circulus, quem dicit eundem und interior circulus bezeichnet. Dazu auch Cornford (1957) [1937], S. 74–76. Diese räumliche Disposition wird im Diagramm nicht vermittelt. Ebd., S. 145,12–15. Vgl. auch Zekl 1992, S. xxxiii. 122 Calcidius, Commentarius 95, hg. Waszink 1962, S. 147,24 ff.
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de räumliche Ordnung des Himmels zeigt ein weiteres Diagramm, das jedoch im Text unerwähnt bleibt. In der Londoner Handschrift weist es deutliche Parallelen zur forma triangularis auf (Abb. 17). Zum einen sind hier die sieben konzentrischen Kreisbahnen, die den Mittelkreis mit der Inschrift terra umgeben, durch Inschriften in der oberen Hälfte als Umlaufbahnen der sieben Planeten ausgewiesen. In die untere Hälfte der Kreisbahnen sind zum anderen die Zahlen i bis xxvii eingetragen, und zwar so, dass sie ein dreieckiges Feld bilden, an dessen Spitze die i in der Bahn des Mondes steht, während die äußere xxvii die Basis bildet. Vor allem diese Anordnung der Zahlen stellt das Kreisdiagramm in einen Bezug zur forma triangularis, welche von Calcidius zu Beginn des Abschnitts über die Planetenbahnen auch im Text in Erinnerung gerufen wird: »Wir erinnern uns, dass das erste Diagramm der Entstehung der Seele auf die Weise beschaffen war, dass die eine Seite aus zweifachen, die andere aber aus dreifachen Zahlen zusammengestellt ist […].« (Tenemus memoria primam psychogoniae descriptionem sic esse formatam, ut unum quidem latus ex duplicibus, alterum uero ex triplicibus numeris sit ordinatum […].)123 In aller Kürze rekapituliert Calcidius die Struktur der Fügungsreihe noch einmal und behauptet dann, dass jene erste Skizze Platon dazu gedient habe, die Gestalt der Welt und die Einrichtung der Planetenbahnen zu veranschaulichen: »Dieser Zeichnung also, durch die er die Seele darstellte, zeichnet er [Platon] das Bild von angemessener Ähnlichkeit und ein Äußeres der Welt und stellt die sieben Kreise der Planeten hinein […].« (Huic ergo adumbrationi, qua depinxit animam, imaginem similitudinis aemulae speciemque mundi deliniat septemque circulos instituit planetum […].)124 Die Vorstellung, dass die Struktur des himmlischen Raums ein Abbild der Kräfte der Seele (uires animae) ist, da diese die Abstände zwischen den Planetenbahnen und damit auch die verschiedenen Größen dieser Kreisbahnen bestimmen, bleibt in dieser Handschrift kein rein gedankliches Konzept einer formalen Entsprechung.125 Dieses Diagramm verdeutlicht, dass die forma triangularis, an deren Spitze die Einheit steht und die hier auch in der räumlichen Ordnung des Himmels aufscheint, als totalitäre kosmische Figur gelten kann. Diese Interpretation legen allerdings nur die Diagramme in der Londoner Abschrift und deren Schwesterhandschrift nahe.126 In dem Diagramm des Kommentars in Wolfenbüttel wird die forma triangularis in der Formation der Zahlen lediglich angedeutet,127 in einer anderen Handschrift sind letztere unmittelbar hinter den Pla123 Ebd., S. 147,26–148,1. 124 Ebd., S. 148,2–4. 125 Zu den Zwischenräumen ebd. 96, S. 148,12–19: Sectioni quoque partium ex quibus animam constituit positio planetum conueniens uidetur, cum unam ab uniuerso facit sumptam primitus portionem, […] septem porro et uiginti partium Saturni nouissimam sectionem. In den meisten Handschriften ist das Diagramm dieser Textstelle zugehörig. 126 BAV, MS Barb. lat. 22 (Frankreich, 11. Jh.), fol. 28v. 127 HAB, MS 116 Gud. lat. 2° (4420) (Deutschland, 11. Jh.), fol. 63v.
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netennamen notiert (Abb. 18).128 An die figura triangularis erinnert hier nichts. Oft jedoch wurden die Zahlen gar nicht in das Diagramm eingetragen, sondern nur die Planetennamen aufgeführt und damit die Informationen aus dem Text nur unvollständig wiedergegeben. Weltseele, Diagramm und Buchstabe Wendet man sich erneut der forma triangularis selbst sowie den ersten beiden Diagrammen zur Spaltung der Weltseele zu, so fällt auf, dass letztere in zahlreichen Handschriften zu einem Diagramm zusammengefügt sind. Dieses ist häufig aus schlichten Linien gebildet, sodass allein die Buchstaben die Funktion der Linienbegrenzung übernehmen (Abb. 19).129 Dennoch ist die Auszeichnung der Linien mit Serifen keine Besonderheit der Abschrift in London, wie z. B. angesichts der Diagramme im Wiener Codex aus der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts (Abb. 20, rechts unten), in der etwa ein Jahrhundert früher entstandenen Abschrift in Paris (Abb. 21) sowie dem Calcidius in Wolfenbüttel aus dem 11. Jahrhundert deutlich wird (Abb. 22).130 Erneut wird das Diagramm einem Schriftzeichen angeglichen, was in der bereits erwähnten Handschrift in Florenz wiederum mit der Gestaltung eines der Stränge des Χ als Buchstabenstamm gelingt (Farbabb. 3).131 Anders als die mit Serifen ausgestatteten oder aber die Rubrizierung der Buchstaben übernehmenden Diagramme zur Mathematik des Weltkörpers in den ersten Kapiteln des Kommentars, die allein aufgrund dieses formalen Befundes als Zeichen der Rede über das Weltganze gelten können, ergibt sich in den Ausführungen zur Weltseele ein Hinweis, warum gerade hier die Diagramme die Form von Buchstaben annehmen. Die entscheidende Textstelle beschäftigt sich mit dem Problem der erkenntnistheoretischen Bedeutung der Weltseele. Der Aspekt, dass mit der Seele die Welt selbst zu einem lebendigen und vernunftbegabten Wesen wird, tritt bei Calcidius hinter einem anderen Gedanken zurück, wenn er erläutert, dass die beiden Seelen zusammengefügt werden, »[…] damit aus diesen beiden eine dritte vernunftbegabte Seelengattung zusammengefügt ist und deswegen nicht alle Körper, die Leben erlangten, folglich alle beseelten Wesen, stumm waren und der Vernunft entbehrten, sondern dass es außerdem eine derart beschaffene Gattung beseelter Wesen gab, die des Denkens, des Wissens und der 128 Zu dieser Handschrift Anm. 51. 129 Außergewöhnlich ist in der hier als Beispiel gezeigten Abschrift – BnF, MS lat. 10195 (Echternach, 10./11. Jh.) , fol. 102r – die Verflechtung der Leitkreise im linken Diagramm. Wie in den meisten Handschriften ist auch hier merkwürdigerweise die Reihenfolge der Diagramme vertauscht. Zu dieser Handschrift Anm. 48. 130 Zu diesen Handschriften Anm. 47, 45, 103. Vgl. außerdem die eindeutigen Fälle: Köln, Dombibl., MS 192 (Darmst. 2167) (Deutschland, 11. Jh.), fol. 21v; BAV, MS Barb. lat. 21 (Italien?, 11. Jh.), fol. 56r; BAV, MS Barb. lat. 22 (Frankreich, 11. Jh.), fol. 27v; BnF, MS lat. 6570 (12. Jh.), fol. 18v. 131 Zu dieser Handschrift Anm. 81.
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Erkenntnis fähig war, die zu bewundernde Regelhaftigkeit und Wohlgeordnetheit des göttlichen Werks verstand und den Urheber des Weltenwerks verehrte.« ([…] ut sit ex his duabus conflatum tertium animae genus rationabile, idcirco ne omnia muta essent et ratione carerent quae uitam sortirentur corpora, uidelicet animalia, sed esset praeterea genus animantium huius modi, quod rationis disciplinaeque et intellectus capax diuini operis admirandam rationem dispositionemque intellegens ueneraretur mundani operis auctorem.)132
Im Prozess der Weltwerdung ist erst mit der Weltseele die Voraussetzung für eine Sprach- und Vernunftbegabung des Kreatürlichen geschaffen. Erst mit der Weltseele stiftet der Demiurg eine innerweltliche Befähigung zur sprachlichen Äußerung, zum Denken und damit zu einer Einsicht in die rationale Ordnung der Welt, welche diese als göttliches Werk auszeichnet. In der Vermischung der indiuidua und der diuidua substantia zu einem dritten Stoff ist die Existenz eines tertium animae genus angelegt, das sich einerseits durch seine Verhaftung mit der körperlichen Welt, andererseits seinen kognitiven Zugang zu den schöpferischen Prinzipien auszeichnet. Mit seiner Sprachbegabung erweist sich der Mensch als eben jenes Zwitterwesen unter den Kreaturen. Die Sprache ist Zeichen und Trägerin der Vernunft. Während der Ort der Vernunft das Denken ist, findet sie ihren Ausdruck in der Sprache, in der sie zwar verkürzt und zergliedert wird. Dennoch ist sie es, die den Menschen an der Vernunft teilhaben lässt. Das Diagramm wird somit gerade dort zum Schriftzeichen, wo es auch um die Befähigung zum Vernunftgebrauch, zum sprachlichen Ausdruck, den der geschriebene Text fixiert, geht.133 Es scheint somit, als könne die als Buchstabe gestaltete forma triangularis als Signifikant innerweltlicher Sprach- und Vernunftbegabung interpretiert werden. Logos Darüber hinaus, doch im Sinne dieser Interpretation sei es erlaubt, eine weitere Bedeutung für das Λ zu vermuten. Dieses ist der erste Buchstabe des griechischen Wortes »Logos« (λόγος), eines zentralen Begriffs der griechischen, insbesondere der platonischen Philosophie. Auch wenn dessen Bedeutung vielfältig und die Reduktion auf wenige Begriffe fahrlässig ist, lassen sich doch zwei grundsätzliche Bedeutungsfelder ausmachen, die es möglich erscheinen lassen, das Λ im 132 Calcidius, Commentarius 29, hg. Waszink 1962, S. 79,18–23. Vgl. auch ebd. 31, S. 81,12– 18. Vgl. auch oben, Anm. 83. 133 Mit Sybille Krämers Überlegungen zur Bildlichkeit der Schrift könnte man diese Annäherung des Diagramms an das Schriftzeichen auch genau andersherum verstehen, d. h. als eine Selbstüberschreitung der Schrift: Dann käme das dem Schriftzeichen eigene Potential der Ikonizität in seiner Diagrammwerdung gesteigert zur Geltung. Meine erkenntnistheoretische Einbettung des Diagramms wäre aus dieser Perspektive nicht ohne Weiteres möglich, müsste man sich doch fragen, warum die Schrift an dieser Stelle im Kommentar an Visualität gewinnt. Ich jedoch argumentiere stärker von der im Text angekündigten forma uirium animae und damit vom Diagramm als visueller Figur her. Vgl. Krämer 2005, bes. S. 38–42.
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Diagramm als Abbreviatur für das Wort λόγος zu deuten.134 Damit wird hier spekulativ eine Bedeutung des Diagramms behauptet, die noch aus der griechischen Kommentartradition stammen könnte und sich mit den Abschriften des Calcidius-Kommentars im lateinischen Bereich fortsetzte. Logos hat zum einen auf dem Gebiet der Mathematik die Bedeutung ›Verhältnis‹ oder ›Proportion‹ und meint das Verhältnis zwischen zwei Zahlen.135 Im Timaeus verwandte Platon den Begriff beispielsweise dort, wo er von den Proportionen zwischen den vier Elementen oder der Formgebung der Weltseele sprach, was Calcidius mit ›Verwandtschaft‹ (cognatio) übersetzte.136 Der Logos der Weltseele zeigt sich dieser Bedeutung nach in den Größenverhältnissen zwischen den einzelnen Teilen, aus denen der Weltschöpfer die Seele formt. Sowohl die Größe dieser Teile als auch die identischen Proportionen zwischen ihnen sind den Fügungsreihen der Zahlen, die entlang der Schenkel der forma triangularis notiert sind, zu entnehmen. Der Logos der Weltseele kommt somit in diesen Zahlenfolgen zum Ausdruck und ist Gegenstand des Diagramms, das in Form des Λ abbreviaturhaft auf seinen Inhalt verweist.137 Angesichts des Diagramms wird deutlich, dass die Weltseele nicht das Produkt einer willkürlichen Zusammenfügung von Masse, sondern ein in seinen Einzelteilen genau zu definierendes Geschöpf ist. Das rationale Zahlenverhältnis im Körper der Weltseele verweist auf ihre Erschaffung im Hinblick auf die unveränderlichen Ideen. Die Weltseele wird erkennbar als Wesen der Vernunft, und die Verknüpfung zwischen Logos und Vernunft ist somit bereits in dieser mathematischen Bedeutung des Begriffs angelegt. Die Artikulation von Vernunft richtet sich stärker auf den Menschen, wenn unter Logos zum anderen und erneut sehr allgemein gesprochen das ›Reden‹ oder die ›Rede‹ verstanden wird. Im Timaeus benutzte Platon den Begriff am häufigsten in diesem Sinn.138 Die Befähigung des Menschen zur zusammenhän134 Zum Begriff λόγος in der griechischen Philosophie zusammenfassend Bühner 1980, Sp. 491–499. 135 Dazu sowie zu der Frage, ob dieser mathematische Begriff aus der Musiktheorie der Pythagoreer stammt, Burkert 1962, S. 414–416, sowie Szabó 1969, S. 221–229. 136 Platon/Calcidius, Timaeus (32b), hg. Waszink 1962, S. 25,4. Zur Übersetzung von ἀναλογία (vgl. Anm. 38) Somfai 2004, S. 205. 137 Michel Huglo erkennt in dem Zirkel, der dem christlichen Schöpfergott in Miniaturen des 13. Jh.s (z. B. ÖNB, cod. 2554, fol. 1v) beigegeben ist, eine Fortentwicklung des dreieckigen Diagramms zur Weltseele. Das Diagramm des mathematischen Logos der Weltseele wäre dann in ein Bild des Instruments überführt, mit dem Gott die Gesetzmäßigkeiten der Mathematik auf die ungeordnete Materie anwendet, sodass Harmonie und Ordnung entstehen. Huglo 1990, S. 17. Zum deus geometra auch Ohly 1982, S. 4. 138 Vgl. z. B. die folgenden Stellen des Timaeus in der Übersetzung von Calcidius: disputatio (17c), uerborum agmen atque inundatio sermonis (19e), sententia (47a), sermonis est ordinata communicatio (47c), dicere (47e). Platon/Calcidius, Timaeus, hg. Waszink 1962, S. 8,1; S. 11,4 f.; S. 44,4; S. 44,25; S. 45,11. Weitere Stellenangaben ebd. im Index auf S. 367. Zur Bedeutung von ›Logos‹ bei Platon auch Meyer 1999, bes. S. 52–55, sowie Bühner 1980, Sp. 493 f.
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genden, sinnvollen sprachlichen Äußerung wird im platonischen Weltentwurf teleologisch begründet. Rede hat hier den vornehmlichen Zweck, einem Denken Ausdruck zu geben, das der Vernunft folgt. Logos ist dann die Hervorbringung von Vernunft in der Sprache, vorzugsweise im gegenseitigen Gespräch, da dieses zu einer ständigen Überprüfung des Gesagten, der damit gestifteten Zusammenhänge herausfordert.139 Die Folgerung der menschlichen Vernunft und des Sprachvermögens aus dem Wesen der Weltseele erfolgt im Timaeus nicht, wie in der Erklärung von Calcidius, auf der stofflichen Ebene. Dennoch sind auch im Timaeus Vernunft, Weltseele und Sprache eng miteinander verknüpft. Denn grundsätzlich ist dem Menschen die Annäherung an die Vernunft und damit an das ewig Seiende, den wahren, nicht-sprachlichen Logos, überhaupt möglich, weil seine Seele der Weltseele nachgebildet ist. Die Vernunftbegabung des Menschen liegt in der strukturellen Ähnlichkeit seiner Seele mit der Weltseele begründet.140 Im Kommentar erläutert Calcidius das Zwiegespalten-Sein auch der menschlichen Seele, ihre durch den Umlauf des Selbigen angelegte Begabung zur Vernunft einerseits und andererseits ihre durch den Umlauf des Verschiedenen vorhandene Neigung zur Formulierung bloßer Meinung, die von Sinneseindrücken motiviert ist.141 Die Struktur der Weltseele, in der sich ihr Wesen manifestiert, ist dem Menschen über die sinnliche Wahrnehmung nicht zugänglich. Die Visualisierung des Intelligiblen im Diagramm zeigt aber das Vermögen des Menschen, dem vernünftigen Aufbau der Welt nachzugehen und ihn zu verstehen. Wird die Weltseele zum Objekt der Darstellung, wendet sich das Denken des Menschen nicht nur dem Allprinzip der Welt, sondern auch sich selbst zu. Die vernünftige Rede über die Weltseele ist eine Rede über die allumfassende Vernunft sowie über die Vernunftbegabung des Menschen, die dabei auch sich selbst zu verstehen sucht. Im Buch sind die Logoi, die Rede des Timaeus sowie der Kommentar des Calcidius, in Form von Schriftzeichen fixiert. Nimmt schließlich auch das Diagramm zur Weltseele die Form des Λ an, kann es als Abbreviatur für das Wort λόγος verstanden werden, da damit nicht nur der Verweis erfolgt, dass diese Wesensgestalt der Weltseele durch den Logos hervorgebracht wird, sondern dass zudem der innerweltliche Logos selbst durch diese allgegenwärtige Seele bedingt ist. Anders als im Fall des Buchstabens Λ liegt es nicht nahe, den Schriftzeichen Χ und Ι im inhaltlichen sowie gestalterischen Kontext des Calcidius-Kommentars eine besondere Bedeutung zuzusprechen. Das griechische Iota kann auch als lateinisches Ι gelesen werden, welches auch im Kommentar des Calcidius – analog 139 Meyer 1999, S. 53–55 (zu Platons Protagoras), sowie Zekl 1992, S. xix. 140 Principio figuram capitis diuinae potestates, quibus informandi corporis erat officium concreditum, ex mundi figura mutuatae teretem globosamque finxerunt eidemque duos circuitus uenerandae diuinitatis innexuerunt. Platon/Calcidius, Timaeus (44d), hg. Waszink 1962, S. 40,19–22. 141 Calcidius, Commentarius (zu 43d), hg. Waszink 1962, S. 224,20–225,13.
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zum biblischen Schöpfungsbericht oder zu der Erzählung des absoluten Anfangs bei Johannes142 – als Initiale des Anfangs fungiert: Iam ut doceat mundi corpus perfectum esse heißt es bei Calcidius zu Beginn über Platon und den Weltkörper.143 Üblicherweise ist jedoch die Gestaltung der I-Initiale in den KommentarHandschriften sehr schlicht; häufig fehlen sämtliche Initialen. Eine Ausnahme bildet die Handschrift in London, in welcher der Text mit insgesamt fünf roten Initialen und zahlreichen Initialmajuskeln ausgestattet ist. Das Ι zu Beginn des Kommentars ist nicht nur die größte dieser Initialen, sondern auch die einzige, die mit einem Füllmotiv geschmückt ist (Abb. 23). Der Buchstabenkörper ist in fünf vertikale Streifen unterteilt, von denen die beiden äußeren schlicht rot sind, der mittlere aber mit einem Ornamentstreifen verziert ist, der an eine Kordel erinnert. Ob dieses Motiv die Vermengung der zwei Substanzen zu einer mittleren Substanz bei der Herstellung der Weltseele aufruft und darüber eine inhaltliche Verknüpfung zwischen der Weltseele und dem Anfang der Weltdeutung hergestellt werden soll, bleibt unklar.144 Das Χ schließlich taucht im Kommentar nur an dieser Stelle in Text und Diagramm auf, wobei nichts auf eine spezifische Bedeutung dieses Buchstabens hinweist. Auch die frühchristliche christologische Interpretation des Χ findet in der Gestaltung des Diagramms keinen Niederschlag.145 Überlieferung im Diagramm Dass die Diagramme zur Weltseele in den Handschriften des Timaeus-Kommentars programmatisch als Buchstaben gestaltet wurden und auch als solche erkannt werden konnten, legen nicht allein der inhaltliche Kontext und der formale Befund nahe. Barbara Obrist hat am Beispiel Joachims von Fiore (gest. 1202) gezeigt, dass die Identifikation einer Diagrammform mit einem (griechischen) Buchstaben, dem eine besondere Bedeutung zukam, den Gelehrten des 12. Jahr142 In principio creavit Deus caelum et terram (Gen 1,1) bzw. In principio erat Verbum (Joh 1,1). Vgl. Anm. 17. 143 Vgl. Anm. 31. 144 In der Handschrift BnF, MS lat. 7188 (Normandie? England?, Anfang 12. Jh.), in welcher der Textkörper durch schlichte Initialmajuskeln und Versalien gegliedert wird, sind es – neben einer H-Initialmajuskel auf fol. 95v – ebenfalls zwei I-Initialmajuskeln, die durch ihre vertikalen, dreigliedrigen Füllmotive auffallen (77v: In hac forma uirium animae, u. 82v: Igitur quidem fixae stellae (Calcidius, Commentarius 69, hg. Waszink 1962, S. 116,1)). Vgl. auch ebd. das dritte Diagramm zur Weltseele auf fol. 80r. 145 Zu dieser Interpretation bei Justin (gest. um 165) und Irenäus von Lyon (etwa 140/150 bis nach 200) Bousset 1913, bes. S. 273–275. Dessen weiterführende Interpretation, dass damit auch die Weltseele mit Christus gleichgesetzt worden sei, bezeichnet Schlette als »sehr gewagte Spekulation«. Eine frühchristliche christologische Interpretation der Weltseele sei jedenfalls innerhalb der Rezeptionsgeschichte dieses Motivs ohne Folgen geblieben. Schlette 1993, S. 114 f. Zur Gestaltung des Χ als Bild im Book of Kells, seiner christologischen Bedeutung und Interpretation als zeichenhaftes Bild des inkarnierten verbum Werckmeister 1967, S. 147–170; zusammenfassend Lewis 1980, S. 142 ff. (mit weiterer Literatur).
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hunderts nicht fremd war.146 Joachim konzipierte ein Trinitätsdiagramm aus den geometrischen Figuren Dreieck und Kreis, welche er mit den Buchstaben Alpha (Α) und Omega (Ω) gleichsetzte. Das Diagramm, dessen schwierigste Aufgabe es war, die Trinität als Einheit zu zeigen, ließ Joachim die Form jener Buchstaben annehmen, mit denen sich Gott im Sprechakt selbst bezeichnet hatte. Die Deutung der buchstabenhaften Diagramme zur Weltseele als Sinnzeichen, mit denen eben nicht nur die Struktur und Ausformung dieser Seele vor Augen geführt wurde, sondern auch deren Zweckbestimmung als ein Vernunft stiftendes Wesen Gestalt gewann, was insbesondere für die als Λ gestaltete forma triangularis gilt, kann jedoch nur innerhalb des unmittelbaren Kontexts, des Kommentars von Calcidius, schlüssig sein. Sie trifft nicht auf ein identisches Verständnis der Weltseele in der Zeit, aus der die hier aufgeführten Handschriften datieren, also vor allem im 11. und 12. Jahrhundert. Als ein Motiv, das innerhalb der christlichen Schöpfungslehre bedeutungslos war, wurde die Weltseele erst mit der intensiven Rezeption Platons im 12. Jahrhundert wieder zum Gegenstand eines Nachdenkens über die Er- und Beschaffenheit der Welt.147 Nach dem Versuch einer direkten Assimilation, der sich in Abaelards (ca. 1079–1142) Gleichstellung der Weltseele mit dem Heiligen Geist äußerte, die auch Wilhelm von Conches (ca. 1085 bis nach 1154) kurzweilig übernahm, und dem darauf folgenden, deutlichen und folgenschweren Vorwurf, damit die Trinitätslehre zu verzerren, wurde die Weltseele weniger spezifisch als natürliche, belebende und bewegende Kraft (vigor naturalis) verstanden, welche sämtliche Sinnes- und Geisteskräfte und nicht insbesondere die Sprach- und Vernunftbegabung bewirke, bis sie schließlich aus den naturphilosophischen Traktaten gänzlich verschwand.148 Das von Calcidius dargelegte Konzept einer vernunftbegabten und 146 Obrist 1988. Sie geht jedoch allein auf die Konzeption, nicht auf die Gestaltung des Diagramms in den Handschriften ein. Zur Ikonografie der Trinitätsdiagramme bei Joachim sowie anderen Autoren Patschovsky 2003a, auch Abb. LP1 (BnF, MS lat. 427, fol. 26r). 147 Zur Marginalisierung des Motivs in der hebräisch-christlichen Überlieferung und in der Patristik Schlette 1993, S. 92–101 bzw. 112–123. Zur Debatte im 12. Jh. ebd., S. 127–145. 148 Den Verlauf der Debatte führen z. B. die Schriften des Wilhelm von Conches vor. In seinen Glosae super Boethium sprach sich dieser noch für die genannte Gleichstellung mit dem Heiligen Geist aus. Wilhelm von Conches, Glosae super Boethium 3m.9.515 ff., hg. Nauta 1999, S. 169 ff. In den Glosae super Platonem führte er diese Interpretation nur noch als eine Meinung an, ohne ihr jedoch selbst explizit zuzustimmen. Ders., Glosae super Platonem 71, hg. Jeauneau 2006, S. 124 f. In seinem Traktat Philosophia erwähnte er sie als eine bestehende Deutung neben zwei anderen, nach denen die Weltseele eine den Dingen innewohnende Kraft oder aber eine in allen Körpern anwesende unkörperliche Substanz ist. Ders., Philosophia 1.4, hg. Maurach 1980, S. 122. Schon in diesem Traktat jedoch wurde das Motiv der Weltseele von ihm nicht weiter diskutiert; im Dragmaticon philosophiae schließlich fand es keine Erwähnung mehr. Zu Wilhelm von Conches zusammenfassend Speer 2005, S. 222–226, sowie ders. 1995, S. 151–162, sowie Elford 1988, S. 326 f., u. Gregory (1955), S. 123 ff. Vgl. auch Dronke (1974), S. 227–232. Schlette 1993, S. 133–144, stellt die Interpretationen Abaelards und Wilhelms von Conches dar und äußert sich kritisch zu der zeitgenössischen sowie modernen Auffassung, beide hätten die Weltseele mit dem Heiligen Geist identifiziert. Zur »debate about
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deshalb auch die Existenz vernunftbegabter Kreaturen ermöglichenden Weltseele wurde außerhalb des Kommentars nicht fortgeschrieben, jedoch in den einzelnen Codices tradiert, und zwar auch auf visueller Ebene. Es ist, so scheint es, in der Form der buchstabenhaften Diagramme zur Weltseele enthalten. Die Abschrift des Timaeus-Kommentars wird erkennbar als »Garant für die Dauer des Wortes und die Präsenz von Autor und Sinn«149. Das Interesse, die Stimme des Kommentators und den Gehalt seiner Erläuterung möglichst unverfälscht präsent zu halten, manifestiert sich im Buch, im Text sowie im Diagramm.
2.2.3 Speicher- und Erkenntnisfiguren. Astronomische Ordnungen und Phänomene aus vernünftiger Sicht Die Akzentuierung von Linien im Diagramm mit Serifen ist in den meisten Handschriften auch ein Merkmal der Diagramme zur Sonnenfinsternis und zu den Schattenformen sowie oft auch des Diagramms zur Mondfinsternis (Abb. 24, 25 u. Farbabb. 3). Wie bei der forma triangularis besteht die Funktion der Serife auch hier darin, eine von einem Punkt ausgehende, sich eigentlich weit in den Raum erstreckende Linie zu verkürzen. Die Diagramme zu den Finsternissen und den Schattenformen nehmen jedoch nicht die Form bestimmter Buchstaben an. Sie sind durch die Serifen als Teil eines sprachlich formulierten und schriftlich fixierten Ganzen zu erkennen, in das sie durch die Beschriftung mit griechischen Buchstaben inhaltlich überführt werden. Das gilt vor allem für die beiden ersten Diagramme zu den Schattenformen, die ohne die Texterläuterungen kaum zu verstehen sind. Jedem dieser Diagramme geht eine Erklärung im Text voraus, in der jedoch nicht explizit auf das jeweilige Diagramm verwiesen wird. Es wird den Erläuterungen kommentarlos beigestellt oder im Text entworfen.150 Sonnenfinsternis Das erste Diagramm führt die Konstellation von Erde, Mond und Sonne bei einer Sonnenfinsternis vor Augen (Abb. 24). Durch die Inschriften luna, sol und umbra ist die Darstellung weniger abstrakt und auch ohne den Text, dessen Informationen hier visuell zusammengefasst werden, verständlich. Der Mond befindet sich the world-soul, which in various forms pervades the whole [12th] century« zusammenfassend Gregory 1988, S. 67–70 (Zitat S. 68), sowie Ott 1965. In den anonymen Accessus philosophorum .vii. artium liberalium (ca. 1230–1240), einem Leitfaden für die Examina an der Pariser Artistenfakultät, wird die Weltseele dem aristotelischen primum mobile subsumiert: Anima mundi est substantia incorporea deputata ad mouendum. […] Et, quia omnia sunt ordinata ad primum mobile, ideo omnia secundum sui ordinationem et inclinationem ad primum mobile recipiunt influentiam motus ab anima mundi. Accessus philosophorum .vii. artium liberalium, hg. Lafleur 1988, S. 236,890–896. Vgl. auch Lafleur/Carrier 1997, S. 535 u. 539 f. 149 Müller 21995, S. 209–212, Zitat S. 215. 150 Zu den folgenden Diagrammen auch Obrist 2004, S. 136–139.
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zwischen Sonne und Erde; er liegt auf einer vertikalen Achse, die durch Sonne und Erde verläuft.151 Zwei äußere Linien, die von der Erde ausgehen und die größere Sonne einfassen, sollen den Schattenumriss darstellen, worauf die links und rechts vom Mond eingetragene Inschrift umbra hinweist. Diese Inschrift ersetzt ein Bildzeichen und verunklärt die visuelle Darstellung, denn wie soll dort, wo sich dem Sonnenlicht kein Körper entgegenstellt, ein Schatten entstehen?152 Ein weiteres Mal, nun jedoch auf eine andere Art, wird der Übergriff der Schrift auf das Diagramm deutlich. Die Inschrift ist hier eine Intervention, die die Überzeugungskraft des Visuellen schwächt und den Status des Geschriebenen als Instanz der Präzisierung stärkt. Schattenformen Der Beschreibung der Planetenkonstellation bei einer Mondfinsternis geht eine Erläuterung der möglichen Formen eines Schattens voraus, mit der die Frage beantwortet werden soll, warum es nicht jeden Monat zu einer Verfinsterung des Mondes kommt.153 In zwei kurzen Textabschnitten werden mithilfe von zwei Diagrammen zunächst der zylindrische Schatten, welcher entsteht, wenn der lichtspendende und der beleuchtete Körper von identischer Größe sind, sowie dann der becherförmige Schatten beschrieben, den der beleuchtete Körper wirft, der größer als die Lichtquelle ist. Diese Erläuterungen können auf die Diagramme nicht verzichten, da die Erkenntnis auf die abstrakte Visualisierung ausgerichtet ist. Deutlich wird dies, wenn beispielsweise die Beschreibung der ersten, der zylindrischen Schattenform sich sogleich des Diagramms bedient bzw. dieses entwirft: »Stelle dir vor, dass der Licht heranbringende und ausstrahlende [Körper] ΑΒ, der freilich ΓΔ 151 In den meisten Handschriften ist zusätzlich das untere Medaillon mit der Inschrift terra versehen. Für die folgende Zusammenfassung Calcidius, Commentarius 88, hg. Waszink 1962, S. 139,10–141,2. 152 Mit Farbfeldern gestaltet sind diese Diagramme in den Handschriften BnF, MS lat. 10195 (Echternach, 10./11. Jh.), fol. 101r, sowie ÖNB, cod. 2269 (1. H. 11. Jh.), fol. 180v (Abb. 20 dieser Arbeit, links). Als solle diese Ungenauigkeit behoben werden, wurde das Diagramm in der Wiener Handschrift nicht nur so verändert, dass der Mond nicht mehr kleiner, sondern etwas größer als die Erde ist und folglich die gesamte Spanne zwischen den Linien ausfüllen kann. Der Mond wurde außerdem farbig gestaltet. Die Erde liegt als schwarz ausgefüllter Kreis völlig verdunkelt unter dem Mond, dessen untere Hälfte wässrig grün ist, was vermutlich ein Schimmern darstellen soll, während die obere, rote Hälfte weiterhin das Licht von der ebenfalls rot ausgefüllten Sonne empfängt. Während das Phänomen der Verdunklung im Zusammenspiel von Licht und Schatten angesichts dieses Diagramms besser verständlich wird, widerspricht es der später im Text folgenden Angabe, dass der Mond kleiner als die Erde ist: Calcidius, Commentarius 91, hg. Waszink 1962, S. 143,5–144,11. 153 Ebd. 89, S. 141,3–7: Lunae uero labor siue defectio sic demonstratur. Quod quidem, cum incurrerit umbram terrae, deficere uideatur, constat apud omnes, sed cur non semper aut omnibus mensibus, hoc dicendum. Ignium lucem praebentium radii directi feruntur umbras obiectorum corporum formantes in uarias figuras. Für die folgende Zusammenfassung ebd. 89 f., S. 141,3–143,4.
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erleuchtet, dass diese [Körper] aber gleich sind und beide kugelförmig […].« (Ut puta sit lucem afferens et luminans ΑΒ, quod uero illuminatur ΓΔ, haec uero aequalia sint et globosa utraque […].)154 Gleichermaßen erschließt sich der genaue Inhalt der abstrakt-geometrischen Diagramme nicht allein durch deren Betrachtung (Abb. 25); hier ist die Textlektüre notwendig, mit der gleichzeitig das einzelne Diagramm auf seine Richtigkeit hin geprüft werden kann. Die mit griechischen Buchstaben beschrifteten Diagramme zeigen jeweils zwei Kreise, die zunächst von identischer, dann von unterschiedlicher Größe sind und von zwei äußeren Linien eingefasst werden, welche erneut die Schattenränder nachzeichnen. Da der Text immer sehr dicht an die Diagramme herangeführt wird, kommt die jeweils über dem oberen Kreis zu denkende Schattenform nicht zur Darstellung; sie ist aus dem Diagramm zu folgern, ihm aber nicht unmittelbar zu entnehmen. Durch die Serifen werden die Linien vorzeitig beendet, betont doch der Text wiederholt, dass beide Schattenformen ins Unendliche (in immensum) wachsen würden. Diese Feststellung führt zu der Gewissheit, dass sich der Erdschatten zuspitzt und also konisch ist, da sich sonst nicht nur der Mond sehr viel häufiger in diesem Schatten befinden würde, sondern außer ihm auch noch zahlreiche andere Himmelskörper darin verschwinden müssten.155 Mondfinsternis Aus den Überlegungen zu den Schattenformen resultieren ein dritter Textabschnitt und ein drittes Diagramm, welches die Konstellation bei einer Mondfinsternis sowie die Form des Erdschattens zeigt (Abb. 16, links). Durch die Inschriften sol, terra und luna ist das Diagramm vom Text emanzipiert und auch ohne dessen Lektüre schnell verständlich. Die Rückbindung an den Text bzw. die Adaption des Gezeichneten durch das Wort findet jedoch auch hier über die zusätzliche Beschriftung mit griechischen Buchstaben statt, und erneut spricht wiederum der Text von abstrakten Einheiten, die nur im Diagramm zu finden und zu begreifen sind.156 Die Diagramme zu den Finsternissen und den Schattenformen zeigen – anders als diejenigen zur zwei- und dreidimensionalen Verknüpfung in Arithmetik 154 Ebd., S. 141,9–11. 155 […] ut ΚΛ, manifestum est umbram orbis ΚΛ, quae est ΚΜΛΝ, in formam quidem effigiari calathi, nec tamen hanc speciem mutari, etiamsi crescat umbra in immensum, nam cum sit maior ΚΛ diametrus ΗΘ diametro, profecto tam ΗΚΜ radius quam ΘΛΝ in immensum porrecti latiorem, quo plus crescent, effigiant opacitatem. Ergo siue umbra cylindroides seu calathoides erit, contingat necesse est ut multae stellae quae supra nos imminebunt per noctem non uideantur a nobis hac aut illa alia umbris obiectis et obstantibus. Ebd. 90, S. 142,1–7. Vgl. auch ebd. 89, S. 141,14–19. 156 So z. B.: Itaque si lucem aduehens praestabit magnitudine, ut ΞΟ, minus uero erit quod illustratur, ut ΠΡ, utraque autem globosa, ΠΡ circuli umbra quae est ΠΡΣ nascitur in modum coni desinens in acumen ibidemque finita ΞΡ et ΟΡ radiis porrectis in altum et contingentibus se inuicem apud notam Σ. Ebd. 90, S. 142,9–143,3.
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und Geometrie – keine Körper, die unabhängig von den Taten des Weltbildners existieren. Sie dienen vielmehr einem Verständnis astronomischer Phänomene, die erst nach den göttlichen Eingriffen im vollendeten Weltganzen zu beobachten sind. Dementsprechend nehmen die Diagramme nicht bereits vor jedem gedanklichen Erwägen Form an, sondern folgen auf der Buchseite erst auf die Texterläuterungen. Die Diagramme sind hier Instrumente der Erkenntnis, die mit dem Nachdenken über räumlich-zeitliche Konstellationen erst entstehen. Die Kugelgestalt des Himmels und Form, Lage und Größe der Erde Die Diagramme zu den Finsternissen und den Schattenformen sind bereits Teil des langen Exkurses über die räumliche Disposition und die Bewegung des Himmels und seiner Körper, den Calcidius »Von den Fixsternen und den Wandelsternen, zu denen auch die Sonne zählt sowie der Mond« (De stellis ratis et errantibus, in quarum numero sol etiam constituitur et luna) nennt und als eigenständiges Kapitel zwischen die Ausführungen zur Weltseele einfügt.157 Zu Beginn dieses Exkurses geht es ihm zunächst um eine kritische Überprüfung der Behauptungen Platons, welche die Kugelgestalt der Welt sowie die Form, den Ort und die relative Größe der Erde betreffen. Erneut soll hier somit der im Vorwort geäußerte Anspruch geltend gemacht und die Gültigkeit von Platons Aussagen durch offenkundige Vernunftschlüsse (rationes euidentes) bestätigt werden, die sich an dem Kanon des bestehenden Wissens über die Welt orientieren.158 Zunächst führt Calcidius an, dass sich die Himmelslichter in einer ständigen Bewegung entlang der äußersten Himmelsoberfläche befinden, während der sie nach ihrem Aufgang den Himmel durchwandern, dann im Westen untergehen und schließlich im Osten wieder erscheinen. Daraus ergebe sich, dass der Himmel zwei Hälften besitze und wir nur den oberen Teil sehen können, während uns der untere verborgen bleibe. Die Tatsache, dass alle Sichtlinien (ex omni uisu 157 Ebd. 56–97, S. 103–150, zur Kapitelüberschrift ebd. S. 60. Vgl. auch Waszink 1964, S. 31. 158 Calcidius, Commentarius 109, hg. Waszink 1962, S. 106,17–24: Rursum quo etiam expertibus astronomiae assecutio tradatur aliquatenus, ea quae ad praesentem tractatum pertinent breuiter dilucideque, prout natura eorum est, explicabuntur. Ait Plato [1] mundi formam rotundam esse et globosam, [2] terram item globosam in medietate mundi sitam [3] eamque puncti quidem instar obtinere, quod ad positionem pertinet, quod uero ad exiguitatem, notae cum uniuersae rei magnitudine comparatam; sed, opinor, dixisse hoc eum non sufficit, nisi hoc ita esse euidentibus ostendatur rationibus. Quatenus igitur est mundi forma teres et globosa? Für die folgende Zusammenfassung ebd. 109–111, S. 106,17–109,2. Zur Formulierung und Begründung dieser Annahmen zur Disposition des Kosmos diente den spätantiken Kommentatoren des Timaeus der Almagest des Claudius Ptolemaeus (um 150 n. Chr.). Darin bilden diese Behauptungen – etwas anders formuliert und um die Ansicht ergänzt, dass sich die Erde nicht bewegt – den Ausgangspunkt der gesamten Abhandlung. Die Erörterungen sind dort jedoch deutlich ausführlicher. Ptolemaeus, Almagest 1.2 ff., übers. Manitius, bericht. Neugebauer 1963:1, S. 6,5 ff. Ins Lateinische wurde der Almagest erst in der zweiten Hälfte des 12. Jh.s übersetzt.
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omnes lineae) von jedem Punkt der Erde bis zur äußersten Himmelserstreckung von identischer Länge seien, zeige, dass der Himmel kugelförmig sei, schließlich seien auch in einem Kreis die Linien, welche die Distanz zwischen dem Zentrum und der Peripherie durchmessen, immer gleich lang. Nur bei einem kugelförmigen Himmel komme es außerdem zu dem Phänomen, dass gleichzeitig zu dem Aufgang eines bestimmten Tierkreiszeichens immer ein bestimmtes anderes Sternbild des Tierkreises untergehe.159 Dass auch die Erde einer Kugel ähnlich sei, lasse sich auf viele Weisen verstehen, so z. B. daran erkennen, dass sich der Auf- und der Untergang der Sonne in westlicheren Gegenden später ereigne und eine Mondfinsternis nicht überall zum selben Zeitpunkt zu sehen sei. Auch die Beobachtung, dass man immer nur eine Hälfte des Sternenhimmels erblicke und sich der Ausschnitt verändere, sowie man weiter in den Norden oder Süden gelange, verweise auf die Kugelform der Erde.160 Schließlich diene als weiteres Argument die Tatsache, dass alles Stoffliche zum Mittelpunkt der Erde tendiere und sich gleichmäßig um diese Mitte herum verteile, wodurch eine Kugelform entstehe. Zur Verdeutlichung dieses letzten Punktes erläutert Calcidius die räumliche Ausdehnung des Wassers.
159 Principio caelestium ignium ortus uelut emergentium ex imo peragrationesque cum certis exaltationibus et deinceps descensionibus usque ad occasuum submersionem eorumque rursum ipsorum ortus ex eodem loco et item occasus in occiduum mare testantur ambire se diebus ac noctibus caeli extimam superficiem. Dehinc quod ex qualibet regione terrae dimidia et in summitate posita mundi pars uideatur a nobis, inferior uero non uideatur nisi dierum et noctium uicibus et successione superior reddita, obiecta et uisui nostro obsistente terra. Tum quod ex omni uisu omnes lineae undique uersum porrectae usque ad extimos ambitus caeli aequales uideantur, similiter ut circuli, cuius a puncto radii peruenientes usque ad extimam circumactionem aequali mensura sunt. Praeterea quod signifer circulus obliqua uertigine leuans in ortum signa certa ex aduerso consistentia diametroque distantia signa alia signis orientibus condat et premat in occasum, item ut in rotae uertigine, cuius cum certa pars ascendat, descendit eius aduersa, quod in alia forma nisi in sola rotunditate non prouenit. Calcidius, Commentarius 59, hg. Waszink 1962, S. 106,24–107,15. 160 Sphaerae autem similitudo in effigie terrae multimode comprehenditur, uel quod non isdem momentis temporum dies ubique illucescit noxque succedens umbras facit, sed tam ortus quam occasus in eois quidem citius fiunt, in occiduis uero regionibus tardius, ut perspicuum sit esse aliquam elatiorem eminentiam inter utramque caeli plagam quae obiecta, priusquam sol fiat excelsior, teneat noctis umbras, uel quod lunae defectus idem ubique eodemque momento accidens diuersis temporibus notatur, orienti quidem uicinis regionibus tardius, ceteris uero pro locorum diuersitate propter anfractus metasque et naturales eminentias terrae non isdem ubique curriculis illustrante sole terrae plagas ideoque luci eius e diuerso terrenis umbris etiamnunc obstantibus et a lunae illustratione prohibentibus, cum lunae labor nocturna tempestate fiat. Quid, quod globositas terrae liquido apparet inter aquiloni septentrionique et item austro meridieique subiecta, cum ex utraque regione huc atque illuc nocturnis itineribus commeantes incognitas sibi stellas spectant cum admiratione nouitatis, cum sit euidens non regionum stellas esse proprias, sed homines impediri quo minus omnes uideant sciantque terrae molibus atque exaggerationibus uisui obiectis. Ebd. 60, S. 107,16–108,10.
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Sphärische Form des Meeres Calcidius bezieht sich zunächst auf die Sinnenwelt und beschreibt zwei Szenen, in denen die Krümmung der Wasseroberfläche als Sichtbehinderung wahrgenommen wird: »Was wir nämlich jenseits des Meeres sehen, wenn wir am Strand stehen, wie zum Beispiel einen Baum, einen Turm oder auch ein Schiff auf eben demselben Meer, dies sehen wir, wenn wir mit Gesicht oder Blick auf gleicher Höhe mit dem Rücken oder der Oberfläche des Meeres liegen, entweder überhaupt nicht oder sehr viel kleiner, als es früher schien, offensichtlich weil sich die Krümmung des Meeres uns bei der Betrachtung entgegenstellt. Auch beim Segeln kommt es häufig vor, wenn vom Schiff aus das Land noch nicht gesehen wird, sehen es die Matrosen, wenn sie auf den Mast gestiegen sind […].« (Quae enim stantes in litore uidemus ultra fretum, ut arborem turrimue aut etiam in eodem freto nauim, haec iacentes exaequata facie uisuque cum dorso et superficie maris aut omnino non uidemus aut multo certe minora quam prius uidebantur, obsistente uidelicet contemplantibus marina incuruitate. Atque etiam in nauigando saepe numero, cum de naui terra nondum uideretur, ascensa arbore uidere nautae […].)161
Nach diesen Erläuterungen, welche die Seherfahrungen des Strandgängers und Schiffspersonals aufrufen, wird anschließend die Frage, warum sich das Wasser nicht mit einem geraden Abschluss im Raum erstrecke, mit seinem natürlichen Fließverhalten und mithilfe eines Diagramms erklärt, das ursprünglich aus Aristoteles’ (384–322 v. Chr.) De caelo stammt (Abb. 26).162 Deutlich wird, dass Calcidius die visuelle Darstellung nicht für eine Reproduktion dessen einsetzt, was sich den Augen in der Sinnenwelt darbietet. Im Diagramm wird nicht die beschriebene Strand- oder Schiffsszene noch einmal aufgegriffen. Vielmehr besteht seine Aufgabe darin, eine unsichtbare Gesetzmäßigkeit zu offenbaren, die das Verhalten der Dinge determiniert. Während die sinnliche Erfahrung der Welt lediglich zu einer zutreffenden Einsicht in das So-Sein des Geschaffenen führen kann, gehört das Diagramm zu der Erläuterung, die auf die tiefere Erkenntnis zielt, warum sich die Dinge gerade so verhalten, wie sie es tun. Die angestrebte Erkenntnisführung wird sogleich im ersten Satz explizit: »Auch wenn wir auf wissenschaftliche Weise Betrachtungen anstellen, finden wir die Kugelgestalt des ebenen und ruhenden Wassers, weil ja durch die Natur zugeteilt ist, dass aus höheren Orten die Flüssigkeit in die tieferen herabfließt; es gibt ferner freilich auch diese höheren, die von einem Abschnitt der Erde am meisten entfernt sind, aber auch niedrigere, die sehr wenig entfernt sind. Deshalb, wenn wir die Oberfläche des Wassers als eben annehmen und auf eine gerade Linie setzen, wie es ΑΒΓ ist […].« (Artificialiter quoque considerantes inuenimus aquae placidae et quiescentis globositatem, siquidem natura tributum sit ut ex superioribus locis humor in depressiora defluat; 161 Ebd. 62, S. 109,4–11. 162 Aristoteles, De caelo 287a30–287b14, übers. Stocks 1984, S. 474. Zum Diagramm Obrist 2004, S. 293–296. Auch Theon (vgl. Anm. 12) hatte es in seinen Timaeus-Kommentar integriert. Theon, Exposition 3.3, hg. Dupuis 1966 [1892], S. 202–205.
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sunt porro celsiora quidem ea quae a puncto terrae plurimum distant, humiliora uero quae minimum. Quare si ponamus aquae superficiem planam et in directa linea positam, ut est ΑΒΓ […].)163
Erneut handelt es sich bei dem Diagramm um eine sehr schlichte, aus wenigen Linien gebildete Form, und zwar um ein auf der Spitze stehendes Dreieck mit einem Kreisbogen über der Basis sowie einer mittleren Senkrechten, dessen Schnittpunkte mit griechischen Buchstaben beschriftet sind. Anders als die ersten Diagramme zur proportionalen Fügung in Arithmetik und Geometrie und deutlicher noch als bei der Frage nach der Form des Erdschattens entsteht das Diagramm hier im Zuge einer Suche nach Erkenntnis. Mit der Geraden ΑΒΓ ist der flache Meeresspiegel schematisch dargestellt.164 Der tiefer gelegene Punkt Κ (punctus terrae) wird im nächsten Schritt mit den drei Punkten der Geraden verbunden, und es stellt sich heraus, dass die Strecke ΚΒ kürzer ist als die seitlichen Strecken. Erst die Verlängerung bis zum Punkt Η schafft die identische Länge. Stelle man sich nun vor, dass das entstandene Liniengefüge ein Gefäß (uas) darstellt, in das Wasser fließt, so werde letzteres – gemäß seines natürlichen Fließverhaltens – zunächst zum tiefsten Punkt streben und sich dann gleichförmig in der Form ergießen (aequabiliter se fundare), also an allen Punkten der Oberfläche den gleichen Abstand zum tiefsten Punkt wahren. Das habe zur Folge, dass der Wasserpegel bis zum Punkt Η anwachse, »[…] woraus klar ersichtlich ist, dass auch die Oberfläche des Meeres und des gesamten Wassers rund ist, weil ja das Ordnungsprinzip der gesamten Welt und der Teile ein und dasselbe ist.« ([…] ex quo perspicuum est marinam quoque et totius aquae superficiem globosam esse, siquidem una eademque sit ratio uniuersitatis et partium.)165 Das Diagramm zeichnet ausschnitthaft den Umriss der ausgedehnten Masse nach und macht ersichtlich, dass auch das Wasser als ein Teil der Welt der Kugelform des Ganzen unterliegt und diese nachbildet.166 Es dient erneut einer erkenntnisfördernden Visualisierung einer universalen Gestalt, die sich der Mensch nicht unmittelbar durch sinnliche Wahrnehmung erschließen kann. Calcidius sagt am Ende des Abschnitts zur Kugelförmigkeit der Erde, dass deren Ausmaß nur mithilfe der Vernunft und des Denkens erkannt werden könne: »Ohne Zweifel, wenn wir die Größe der gesamten Erde mit dem Bewusstsein vernunftmäßig begreifen, finden wir die Wahrheit nicht mit dem Blick und den Sinnen heraus, sondern wir leiten sie eher hin zu den Mitteln des Verstandes und der Vernunft auf die Prüfung.« (Certe totius terrae magnitudinem animo rationabiliter concipientes ueritatem non uisu et sensibus inuestigamus sed ad rationis intellegentiaeque remedia potius examina163 Calcidius, Commentarius 62, hg. Waszink 1962, S. 109,11–110,2. 164 Für die folgende Zusammenfassung ebd., S. 110,1–9. 165 Ebd., S. 110,9–11. 166 Die ratio uniuersitatis et partium betrifft zunächst das Fließverhalten des Wassers. Es strebt, wie alle Dinge, zum tiefsten Punkt. Ebd., S. 109,11–14. Diese Vorstellung geht zurück auf Aristoteles’ Lehre von den natürlichen Orten der Dinge. Vgl. Craemer-Ruegenberg 1980, S. 94 ff.
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tionemque deducimus.)167 Als solle die rein geometrische Form des Diagramms als Ausweis für dessen erkenntnistheoretische Funktion herausgestellt werden, folgt das Diagramm in fast allen Abschriften erst auf diesen Satz und nicht schon dort, wo es im Text hergeleitet wird.168 Während der Text die sowohl durch sinnliche Wahrnehmung bedingte als auch zu gedanklicher Abstraktion strebende intellektuelle Disposition des Menschen zum Ausdruck bringt, indem er den Rezipienten dazu anregt, sich eine konkrete Situation, nämlich das Einfüllen von Wasser in ein Gefäß, vorzustellen und dann zu analysieren, ist es die Aufgabe des Diagramms, das geometrische Gerüst des Ganzen zu zeigen und dabei abstrakt zu bleiben. Das Diagramm wird gezielt als Erkenntnismittel eingesetzt, in dem das oberflächliche, flache Erscheinungsbild des Wassers sowohl abstrahiert dargestellt als auch durch die Gültigkeit eines weltumfassenden Prinzips korrigiert wird. Den Bezug zur Sinnenwelt jedoch stellt nur der Text her. Da das Diagramm ein Prinzip der Kreisgeometrie – der Abstand zwischen Zentrum und Peripherie ist im Kreis immer identisch – unmittelbar vor Augen führt, welches in der körperhaften Welt nicht sinnlich erfassbar ist und dennoch deren äußere Form bestimmt, ist es einerseits näher an der von der Sinnenwelt unabhängigen Wahrheit.169 Nur durch die Informationen des Texts jedoch kann andererseits gewährleistet werden, dass das Diagramm, das der einzelnen Abschrift beigefügt ist, den Vorgaben entspricht und diese Wahrheit nicht entstellt.170 Himmelsordnung Auf das Diagramm zur Krümmung der Wasseroberfläche folgen zwei Diagramme, in denen es um die Veranschaulichung der Ordnung des himmlischen Raums geht. Das Himmelsmodell, das im Folgenden beschrieben wird, geht auf Platon und den zeitgenössischen Astronomen Eudoxos von Knidos (395–342 v. Chr.) zurück und sollte bis zur kopernikanischen Wende für das Mittelalter von grundlegender Gültigkeit sein.171 167 Calcidius, Commentarius 63, hg. Waszink 1962, S. 110,15–111,2. 168 Ausnahmen dieser Regel sind: BAV, MS Reg. lat. 1308 (Italien, 1. H. 10. Jh.), fol. 16v; Florenz, BML, MS Plut. 89 sup. 51 (11. Jh.), fol. 19v; HAB, MS 116 Gud. lat. 2° (4420) (Deutschland, 11. Jh.), fol. 26r (hier geht das Diagramm seinem Entwurf im Text voraus). 169 In diesem Sinn auch Obrist 2004, S. 126. Besonders ersichtlich wird die Kreisgeometrie in dem Diagramm in der Handschrift BnF, MS lat. 10195 (Echternach, 10./11. Jh.), fol. 95v. Hier ist der Kreis vollständig gezeichnet und die drei Linien gehen von seinem Mittelpunkt aus. Zu dieser Handschrift auch Anm. 48. 170 In vielen Abschriften ist das Diagramm fehlerhaft. Der Punkt Κ ist dort nicht Mittelpunkt eines ausschnitthaft gezeichneten Kreises, und die Strecke ΚΗ ist deutlich länger als die Seitenstrecken. Vgl. z. B. BnF, MS lat. 7188 (Normandie? England?, Anf. 12. Jh.), fol. 82r. An die Frage nach der Form von Welt und Erde schließen Fragen nach dem Ort der Erde innerhalb des Ganzen (Mittelpunkt der Welt) und relativer Größe der Erde (im Verhältnis zur Sonne wie ein Punkt) an. Calcidius, Commentarius 64, hg. Waszink 1962, S. 111,3–20. 171 So war dieses Himmelsmodell dem lateinischen Mittelalter u. a. auch durch Macrobius überliefert. Ders., Commentarii 1.15, hg. Willis 21970, S. 61,1–64,10. Für antike Beschreibun-
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In den meisten Kommentar-Handschriften weist die Überschrift descriptio aplanos das Diagramm als eine Beschreibung der äußersten, die Fixsterne tragenden Himmelssphäre aus (Abb. 27).172 Es steht am Ende des Textabschnitts, in dem verschiedene Punkte und Kreisbahnen dieser Sphäre benannt und näher erläutert werden, und bildet die Ordnung in einer Kreisfläche ab.173 Die senkrechte Linie, die diese Fläche unterteilt, verbindet die beiden Pole der Welt (polus arcticus/polus antarticus) und bildet die Achse, um die die Himmelssphäre ihre gleichförmige Bewegung vollzieht. Sie beschreibt gleichzeitig den Meridian (meridialis), der im Diagramm jedoch – wie auch der Himmelsäquator (aequidialis) – als colurus bezeichnet ist.174 Der Himmelsäquator teilt die Himmelskugel in eine nördliche (septentrionalis) und eine südliche (australis) Hälfte, worauf die Inschriften in den beiden Randzonen der Kreisfläche hinweisen. Mit den Inschriften equidialis und equinoctialis ober- bzw. unterhalb des Himmelsäquators wird im Diagramm versucht, die im Text gegebene Erklärung für dessen Namen (circulus aequidialis) zu übernehmen und darauf zu verweisen, dass in den Äquatorregionen die Tage und Nächte von gleicher Dauer sind. Diese Beschriftung ist allerdings durch ihren Abstand vom Äquator und ihre Nähe zu den Kreisen der Sommer- und Wintersonnenwende (tropicus aestiuus solstitialis/tropicus brumalis) verwirrend. Innerhalb der Zone zwischen diesen beiden Kreisen verläuft diagonal ein breiter Sternengürtel, der Tierkreis (zodiacus/signifer). Er berührt den nördlichen Wendekreis im Sternzeichen Krebs (cancer), den südlichen im Zeichen Steinbock (capricornus), den Wendepunkten oder Solstitien der Sonne. Mit den Umschriften orizonta limitans/orizonta finalis wird der äußere Kreis des Diagramms zur Horizontlinie erklärt und damit implizit darauf verwiesen, dass die Darstellung – analog zum Gesichtskreis des Menschen – nicht das ganze Modell, sondern nur eine Hälfte des Himmels erfasst. Das Diagramm zur Ordnung der äußersten Himmelssphäre ist in der Londoner Handschrift außergewöhnlich ausführlich beschriftet; in den meisten Abschriften findet sich eine reduzierte Variante (Abb. 28).175 Zur Standardausgen der Himmelskreise Obrist 2004, S. 60–62. Charakteristisch für das Weltmodell des Eudoxos von Knidos ist vor allem sein System der konzentrischen Kugelschalen, in dem die Unregelmäßigkeiten im Umlauf der einzelnen Planeten als Resultate des Zusammenwirkens der Kugelschalenbewegungen erkannt und erläutert werden sollten. Zu Eudoxos Ekschmitt 21990, S. 119–124, sowie die Zusammenfassung von Lindberg 2000 [1992], S. 44 f. u. 96 ff. 172 Der Begriff aplanes wird erst im folgenden Abschnitt erklärt, der jedoch in BL, MS Add. 15293, noch auf fol. 19v direkt auf das Diagramm folgt: Igitur fixae quidem stellae nec errantes et item poli cum maxima cunctaque amplexu proprio continente sphaera, quae aplanes uocatur […]. Calcidius, Commentarius 69, hg. Waszink 1962, S. 116,1 f. 173 Zur folgenden Zusammenfassung ebd. 65–68, S. 111,21–115,19. 174 Colurus ist auch bei Theon (vgl. Anm. 12) ein Synonym für den Meridian. Theon, Exposition 3.8, hg. Dupuis 1966 [1892], S. 216 f. Zur Definition von colurus auch Martianus Capella, De nuptiis 8.823 f. u. 832 f., hg. Willis 1983, S. 311,9–16 sowie 314,1–21; Macrobius, Commentarii 1.15 f., hg. Willis 21970, S. 62,34–63,8. 175 Zu dieser Handschrift Anm. 45.
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stattung gehören die Inschriften polus articus/polus antarticus – occidens/oriens – tropicus estiuus/tropicus brumalis – limitaris. Das reduzierte Diagramm bildet die Textinformationen nur sehr fragmentarisch ab. In der Londoner Abschrift hingegen sind die Beschreibungen der Himmelssphäre in Text und Diagramm ähnlich umfangreich, wobei sie Begriffe integrieren, die im jeweils anderen Medium nicht benutzt werden. Das bedeutet, dass in das Diagramm externes Wissen eingegangen ist, was insbesondere mit dem Eintrag colurus deutlich wird. Planetenordnungen Im Anschluss kommt Calcidius auf die Wandelsterne (stellae errantes/planetes) zu sprechen.176 Zunächst erwähnt er kurz die Spielarten ihrer Bewegung – das Fortschreiten entgegen der Himmelsrotation, ihre Wanderungen in nördliche und südliche Richtung innerhalb des Tierkreises, das Vollenden der Umläufe innerhalb eines jeweils anderen Zeitraums – sowie ihres Erscheinens über und Verschwindens hinter dem Horizont und kommt dann zu der Frage nach der räumlichen Anordnung der Planetensphären zwischen dem Fixsternhimmel und der Erde. Als problematisch erweist sich dabei die Abfolge der Planeten Sonne, Venus und Merkur, da sich Venus und Merkur stets in großer Nähe zur Sonne befinden und mal ober-, mal unterhalb von dieser zu sehen seien. Während im Text das Modell der Pythagoreer sowie das des Eratosthenes von Kyrene (um 235 v. Chr.) vorgestellt werden, ist die von Platon vertretene Planetenordnung, die nach dem Mond zunächst die Sonne und dann erst Venus und Merkur vorsieht, vollständig nur dem Kreisdiagramm zu entnehmen, das auf die Texterläuterungen folgt und mit dem Titel »Anzeichen der Ordnung und Geschwindigkeit und Größe der Planeten« (Indicium ordinationis et uelocitatis et magnitudinis planetarum) versehen ist (Abb. 29).177 Wie in dem erst nachfolgenden Diagramm zu den Abständen zwischen den Planetenbahnen (Abb. 17) sind die Namen der Planeten auch hier in konzentrische Bahnen eingetragen, die die Erde im Zentrum umgeben. Dieses Diagramm jedoch dient nicht nur der Veranschaulichung einer räumlichen Ordnung, denn in den Kreisbahnen sind zwei weitere Rangordnungen untergebracht, in denen die Planeten und ihre Sphären nach Größe sowie Geschwindig176 Für die folgende Zusammenfassung Calcidius, Commentarius 69–73, hg. Waszink 1962, S. 116,1–122,2. 177 In dem im Text zuerst erläuterten Modell, das den Pythagoreern zugeschrieben wird, folgt die Sonne erst nach Mond, Merkur und Venus und nimmt die mittlere Position der Planeten ein. Nach Eratosthenes heißt die Reihenfolge Mond – Sonne – Merkur – Venus. Zu Platon heißt es: Plato etiam in hoc ipso Timaeo primam altitudinem a terra usque ad lunarem circulum, secundam usque ad solem liquido dimensus est […]. Ebd. 72, hg. Waszink 1962, S. 119,11–121,3 (Zitat 73, S. 121,6–8). Vgl. auch Stahl 1952, S. 162, Anm. 1. Die Anordnung von Venus und Merkur ober- bzw. unterhalb der Sonne bildete ein hartnäckiges Problem innerhalb des geozentrischen Weltmodells, da beide die Erde in der gleichen Geschwindigkeit wie die Sonne zu umkreisen und sich von letzterer nur gering in östlicher und westlicher Richtung zu entfernen schienen. Dazu Hamel 1998, S. 39–41.
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keit sortiert sind. Dabei enthält das Diagramm keinen Hinweis, welches der drei an der Peripherie notierten Kriterien (ordo – magnitudo – uelocitas) zu welcher Auflistung gehört. Die vorhergehende Diskussion der verschiedenen Modelle zur räumlichen Abfolge der Planeten lässt jedoch keinen Zweifel, dass mit der Rangfolge i. aplanes bis viii. luna eben diese räumliche Ordnung gemeint ist.178 Darüber lässt sich folgern, dass auch die anderen beiden Kriterien jeweils der im Uhrzeigersinn folgenden Auflistung zuzuordnen sind (magnitudo: i. aplanes bis viii. martis / uelocitas: aplanes maxima bis luna secunda). Zur Größe der Sphären und Geschwindigkeit der Planeten sind dem Text keine Angaben zu entnehmen, da Calcidius lediglich auf die Quelle dieser Statistik, Platons Politeia, verweist.179 Das Ordnungssystem Platons wird somit nicht im Text, sondern ausschließlich im Diagramm zitiert. Insbesondere im lateinischen Mittelalter, in dem Platons Politeia nicht verfügbar war, gewann das Diagramm an dieser Stelle die Funktion eines Überlieferungsträgers. Es bewahrte das Wissen über die platonische Ordnung. Da in der Diagrammüberschrift jeglicher Hinweis fehlt, dass hier lediglich eine Variante der Planetenordnung gezeigt wird, kommt dem Diagramm eine doppelte Funktion zu. Es ist eine visuelle Abbreviatur des himmlischen Raums, die durch die Verdichtung der Informationen keinen Zweifel an dem Modell entstehen lässt und der platonischen Ordnung die universale Autorität zugesteht, die ihr gebührt.180 Planetenbewegungen Während die Funktion der meisten der bisher besprochenen Diagramme darin bestand, der visuellen Wahrnehmung das Intelligible, seien es mathematische Prinzipien oder kosmische Ordnungen, zugängig zu machen, ist es auch die Wahrneh178 Deutlich wird das bereits in der Übersetzung von Timaeus 38d: Platon/Calcidius, Timaeus, hg. Waszink 1962, S. 30 f. (sowie Calcidius, Commentarius 58, ebd., S. 156,10–12). 179 Calcidius, Commentarius 73, hg. Waszink 1962, S. 121,8–122,1: […] [Plato] in Politia non ordinationem modo commemorans planetum, sed singulorum magnitudines uelocitates, etiam colores, hoc est splendores ac serenitates, notans […]. Vgl. Platon, Politeia 616d-617c, bearb. Kurz, hg. Chambry, übers. Schleiermacher 1971, S. 861 f. Die Geschwindigkeit eines Planeten beurteilte Platon nach der Theorie der Gegenbewegung der Planeten, d. h. der Bewegung entgegen der Bewegung der Fixsternsphäre. Burkert 1962, S. 311: »Saturn ist nicht der schnellste der Planeten, weil er am wenigsten hinter den Fixsternen ›zurückbleibt‹, sondern der langsamste, weil er von ihrer Bewegung sich am wenigsten emanzipiert […].« Entsprechend heißt es im Diagramm: [uelocitas] saturni minima. 180 In der Handschrift ÖNB, cod. 443 (1. H. 11. Jh.), findet sich das Diagramm zur Planetenordnung auf fol. 172r in reduzierter Form. Der Schreiber verzichtete auf die dritte Aufstellung der Planeten und integrierte nur die Ordnungen zur räumlichen Abfolge und zur Geschwindigkeit, denen er allerdings die ›Überschriften‹ ordo und uelocitas wenig eindeutig zuordnete. Dennoch ist Brian Eastwood hier zu widersprechen, der in beiden Aufstellungen eine räumliche Ordnung erkennt, also dem Diagramm zuspricht, die konkurrierenden Modelle beide in einer Figur darzustellen. Die Beischriften maxima, quarta inequalis bzw. tertia equalis weisen hingegen deutlich auf die Geschwindigkeit der Planeten hin. Eastwood 1999, S. 189 u. 206, Abb. 5.
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mung selbst, die in den folgenden Diagrammen thematisiert wird. Es geht darin um die Planetenbewegungen, deren Erörterung Platon im Timaeus mit der Begründung unterließ, dass sie nur sinnvoll geführt werden könne, wenn man Nachbildungen vor Augen habe, wobei er vermutlich an ein dreidimensionales Modell der Himmelskugel mit ihren Leitkreisen dachte.181 Calcidius widmet sich den Planetenbewegungen genauer und setzt dabei Diagramme als entscheidende Erkenntnisträger ein.182 Problematisiert werden die scheinbaren Unregelmäßigkeiten in der Bewegung der Planeten. Diese, so habe es zum einen den Anschein, kreisen nicht mit gleichförmiger Geschwindigkeit auf ihrer jeweiligen Bahn. Sonne und Mond ausgenommen, scheinen die Wandelsterne zum anderen bisweilen von ihrer Kreisbahn abzuweichen, indem sie zunächst zum Stillstand kommen und dann in die entgegengesetzte Richtung laufen, um schließlich wieder von West nach Ost voranzuschreiten.183 Calcidius streitet nicht ab, dass diese Phänomene zu beobachten seien, stellt jedoch in Frage, dass sich darin die wahre Bewegung der Planeten zeige. Denn Ungleichförmigkeit und Unregelmäßigkeit seien unvereinbar mit der Vorstellung von der himmlischen Bewegung als Ausdruck göttlichen Wirkens.184 Der Eindruck des Variablen in der Geschwindigkeit der Planeten und in der Geometrie der Planetenbahnen wird deshalb auf einen Irrtum beim Betrachten zurückgeführt (causa erroris in contemplando) und es heißt: »Dies alles scheint uns derart zu geschehen, aber tatsächlich vollzieht es sich nicht so, wie es scheint; der Ursprung des Irrtums beim Betrachten ist der, wenn sich die Plane181 Platon/Calcidius, Timaeus (40c–d), hg. Waszink 1962, S. 33,23–34,11, wo es am Ende heißt: […] cunctaque huius modi ratione atque orationibus persequi nihil agentis ac frustra laborantis est, maxime cum motus earum descriptioque sit a uisu atque oculis disputantis remota. Dazu zuletzt Obrist 2004, S. 95–101. 182 Zu diesen Diagrammen auch ebd., S. 126–128. 183 Calcidius, Commentarius 74, hg. Waszink 1962, S. 122,3–9: Superest, ut tractatui qui est habitus de stellis errantibus illud addatur, quasdam earum sequaces esse […], ut sol et luna sunt – hi quippe ignes numquam ad praecedentia signa transitum faciunt, sed ad ea semper quae sequuntur proptereaque nec subsistunt in motu nec regradantur umquam –, alias uero stellas nonnumquam praeire nonnumquam deseri, ut ceterae; quae interdum stare interdum redire pro spisso motu uidentur. Vgl. auch ebd. 77, S. 125,1–4. Zu diesen für die griechische Astronomie problematischen Phänomenen Hamel 1998, S. 37 ff. 184 Calcidius, Commentarius 77, hg. Waszink 1962, S. 125,4 f.: Quae quidem inconstantia non ita ut nobis uidetur prouenit; nulla enim in diuinis actibus inconstantia […]. Platon musste argumentativ noch den umgekehrten Weg gehen. Ihm war es erst möglich, die Planeten als göttliche und beseelte Wesen zu verstehen, als sich deren scheinbar ungleichförmige Bewegungen innerhalb des mathematisch definierten Sphärenmodells des Eudoxos von Knidos (vgl. Anm. 171) auf Gesetzmäßigkeiten zurückführen ließen. Mittelstraß 1962, S. 130 ff., bes. 136, sowie 152–159; Kanitscheider 21991, S. 62 f. Die Teleologie der Mannigfaltigkeit der Planetenbewegungen zeige sich darin, so erwähnt Calcidius kurz, dass durch diese zum einen Zeit messbar und zum anderen der vielfältige sublunare Prozess des Werdens und Vergehens verursacht werde. Calcidius, Commentarius 75 f., hg. Waszink 1962, S. 123,4–124,14. Zur »sichtbaren Leistung des Systems, den Zeiteinheiten« (Zekl 1992, S. xxxvi) Platon/Calcidius, Timaeus (37dff.), hg. Waszink 1962, S. 29 ff., sowie Calcidius, Commentarius 101 ff., ebd., S. 152,3 ff.
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ten durch ihre eigenen Kreise oder Sphären bewegen gleichsam unterhalb des Erhabenen der Fixsternsphäre, scheinen sie uns, die wir von der Region der Erde aus sehen, den Tierkreis, wie wir ihn sehen, als äußeren Kreis zu durchwandern, wobei der Luftkörper hindernd dazwischen liegt. Man muss also erreichen, dass, nachdem die Gründe dieser Irrtümer herausgestellt und gezeigt worden sind, die falsche Ansicht verstummt.« (Quae omnia ita fieri nobis uidentur sed reapse non ita fiunt ut uidentur; causa uero erroris in contemplando ea est quod, cum per proprios orbes ferantur seu globos idem planetes infraque aplanis orbis excelsa, nobis e regione terrae uidentibus obiectu aerei corporis impediente aspectum zodiacum exteriorem orbem peragrare uideantur. Faciendum ergo, ut expositis demonstratisque errorum causis falsa opinio conquiescat.)185
Die wahre Bewegung eines Planeten teilt sich demnach dem Beobachter auf der Erde nicht unmittelbar mit, da dieser die Bewegung vor dem Hintergrund des Tierkreises verfolgt und in Relation dazu beschreibt, während der Planet tatsächlich gar nicht innerhalb dieses Sternengürtels, sondern auf einer eigenen Kreisbahn unterhalb des Sternenhimmels gleichförmig und ohne Richtungswechsel voranschreitet. Calcidius kündigt die Falsifikation des nur scheinbar Wahren an und führt die nun folgende Analyse anhand von Diagrammen durch, was naheliegend erscheint, da es um eine Verbindung von Auge und Vernunft zur Erkenntnis der wahren Bewegung gehen wird. Lauf der Sonne: Schein und Trug Zunächst wird der Lauf der Sonne betrachtet und im Text ein Diagramm entworfen, das erst am Ende des betreffenden Abschnitts folgt (Abb. 30).186 »Es sei namentlich der von den Buchstaben ΑΒΓΔ umgebene Tierkreis […].« (Sit enim zodiacus circulus per ΑΒΓΔ notas circumactus […].)187 In die äußere Bahn des Kreisdiagramms sind entsprechend die Namen der Tierkreiszeichen eingetragen. Das Zentrum der Darstellung wird durch den Buchstaben Θ hervorgehoben und im Text als Ort der Erde ausgewiesen. Eine mittlere Senkrechte und eine mittlere Waagerechte teilen die Kreisfläche in gleich große Viertel. Die Linien treffen an den Punkten auf den Tierkreis, an denen der Umlauf der Sonne Veränderungen im Jahresablauf mit sich bringt. Die Buchstaben Α und Γ markieren die Tag- undNacht-Gleiche im Frühling bzw. Herbst, Β und Δ die Wendepunkte zu Sommerbzw. Winterbeginn. Die Unterteilung der Kreisfläche entspricht somit der des Jahres in die vier Jahreszeiten, deren jeweilige Dauer im Diagramm durch die den einzelnen Feldern eingeschriebenen Zahlen angegeben ist. Demnach währt der Frühling mit xciiii Tagen am längsten, während der Herbst eine Spanne von lxxxviii Tagen hat. Sommer und Winter stehen sich mit xcii bzw. xc Tagen gegenüber. Es zeigt 185 Ebd. 74, S. 122,14–123,3. Vgl. auch ebd. 77, S. 125,6–14. 186 Anders platziert ist das Diagramm in den Handschriften BAV, MS Reg. lat. 1308 (Italien, 1. H. 10. Jh.), fol. 19r; HAB, MS 116 Gud. lat. 2° (4420) (Deutschland, 11. Jh.), fol. 30v. 187 Calcidius, Commentarius 78, hg. Waszink 1962, S. 125,19. Für die folgende Zusammenfassung ebd., S. 125,19 ff.
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sich also, dass die Dauer der Jahreszeiten unterschiedlich ist, während die Sonne doch anscheinend, von der Erde aus betrachtet, jeweils eine identisch lange Strecke des Tierkreises durchläuft. Da jedoch, so betont Calcidius erneut, eine ungleichförmige Geschwindigkeit der göttlichen Wesensart der Sonne widerspreche, könne der Befund nur so gedeutet werden, dass sich die Sonne entlang des Tierkreises nur zu bewegen scheine, während sie ihren Weg tatsächlich auf einer eigenen, anders gelagerten Bahn beschreite.188 Das konzentrische Kreisdiagramm veranschaulicht zum einen die Entsprechung der vollständigen Durchquerung des Tierkreises der Sonne mit dem Verlauf des Jahres im reduzierten Weltmodell und verknüpft somit ein räumliches Fortbewegen mit seinem zeitlichen Phänomen. Dabei jedoch enthält das Diagramm keine Antwort auf die Frage, die es mit dem Missverhältnis zwischen dem Gleichmaß der unterteilten Fläche einerseits und der Verschiedenheit der eingeschriebenen Größen andererseits aufwirft. Es ist in dem Sinn als Erkenntnismittel eingesetzt, dass es zwar eine spezifische Information enthält, letztendlich jedoch auf eine Hinterfragung dessen zielt, was es nachzuzeichnen versucht, nämlich der Sehgewohnheit des Rezipienten. Es enthält, anders als die vorhergehenden Diagramme, nicht die ganze Wahrheit, weil es das zeigt, was ohne Vernunft allein aus der visuellen Wahrnehmung zu folgern ist. Lösung 1: Exzentrizität der Sonnenbahn Zwei Lösungsmodelle werden im Folgenden geboten, Entwürfe von Mathematikern, unter denen, so Calcidius weiter, das aufgezeigte Problem eine Debatte hervorgerufen habe.189 Erneut löst Calcidius an dieser Stelle seinen im Vorwort geäußerten Anspruch ein, bei der Erklärung des Timaeus auf das verfügbare Wissen zurückzugreifen. Mit dem Verweis auf die mathematici macht er zum anderen auch deutlich, dass die folgenden Himmelsmodelle keine Beschreibungen einer physikalischen Realität, sondern vielmehr gedankliche Entwürfe einer rein formalen Ordnung sind. Es geht darum, die zunächst unkoordiniert scheinenden Planetenbewegungen so aufzuschlüsseln, dass es grundsätzlich, wenn auch auf einer völlig abstrakten Ebene, möglich ist, diese als Phänomene innerhalb eines nach mathematischen Gesetzmäßigkeiten funktionierenden Systems zu erken188 Ebd., S. 127,11–15: Fieri tamen non potest, ut contra naturam suam diuinitate praeditam faciant aliquid uel patiantur inordinatum. Ex quo apparet per suum circulum et solem et ceteras stellas meantes aequabiliter et ordinate nobis e regione terrae spectantibus uideri per ΑΒΓΔ circulum, qui est non solstitialis sed zodiacus, meare. 189 Ebd. 79, S. 127,16–128,9. Zunächst schließt Calcidius die Möglichkeit aus, dass die Erde, die ja nunmehr nicht als Mittelpunkt der Sonnenbahn verstanden werden könne, direkt auf dieser liege. Dann heißt es (128,4–9): Superest igitur, ut Θ uel intra ambitum solstitialis circuli sit uel extra; utrumque enim assumptum rationem habere monstrabitur. Quae quidem res inter mathematicos disceptationem creauit, siquidem alii sphaeris eccentris, id est quae terram intra se contineant quidem sed non ut punctum suum, uehi planetas asserunt, alii epicyclis potius, hoc est a terra separatiuis nec imminentibus ei globis.
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nen. Das mathematische Modell äußert sich nicht über die naturhaft-physikalische Welt, sondern formuliert ein ideales System, in dem Fragen wie die nach der materiellen Beschaffenheit der Körper und Sphären belanglos sind.190 Im Kommentar des Calcidius können beide Lösungsmodelle konkurrenzlos nebeneinander stehen, da beide die Möglichkeit einer rationalen Interpretation der Planetenbewegungen demonstrieren.191 In beiden Modellen kann die Bewegung als ungleichförmig wahrgenommen werden und doch dem Prinzip der Gleichförmigkeit unterliegen. Beide werden im Kommentar jeweils anhand eines Diagramms erläutert. Zunächst erklärt Calcidius die Vorstellung von einer exzentrischen Sonnenbahn: »Es sei daher der der Sonne zugehörende, exzentrische Kreis ΕΖΗΚ und dieser habe seinen Mittelpunkt unterhalb des Kreisabschnitts ΕΖ, also dort, wo Μ ist.« (Sit igitur solstitialis eccentrus circulus ΕΖΗΚ et habeat punctum sub ΕΖ ambitu in medietate, scilicet ubi est Μ.)192 Die Sonnenbahn besitzt in diesem Modell einen eigenen Mittelpunkt, der hier mit dem Buchstaben Μ bezeichnet wird. Da Calcidius im Text nicht erst die konzentrische Ordnung von Tierkreis und Erde, sondern sogleich die exzentrische Sonnenbahn beschreibt und schon im nächsten Schritt die Angaben zur Dauer der Jahreszeiten auf diese überträgt, wird deutlich, dass er das vorhergehende Diagramm erneut heranzieht. Die exzentrische Bahn soll in jenes erste, konzentrische und in Viertel unterteilte Kreisdiagramm projiziert werden, wobei sich zeigen wird, dass die Länge jedes der vier Streckenabschnitte der Sonnenbahn mit der Dauer des jeweiligen Zeitraums korrespondiert. 190 Zur mathematischen Astronomie Platons und Eudoxos’, zur Aufteilung der Kosmologie in eine physikalische und eine mathematische Disziplin seit Ptolemaeus sowie zu den erkenntnistheoretischen Implikationen dieser Unterscheidung Kanitscheider 21991, bes. S. 58 f. sowie 79–82; Ekschmitt 21990, S. 122. Calcidius kommt im Anschluss an die Erläuterung der beiden Modelle kurz auf die Frage nach der Materialität der Planetenbahnen zu sprechen. Nach Aristoteles bestehen auch diese, wie der gesamte himmlische Raum oberhalb des Mondes, aus Äther, dem fünften Element. Sie seien keine Körper, sondern formale Gebilde: Idemque [Aristoteles] et eccentrorum et epicyclorum tollit opinionem propterea quod circulis, hoc est lineis picturatis et carentibus corpore, uehi stellarum uera et solida corpora non posse dicat. Calcidius, Commentarius 84, hg. Waszink 1962, S. 135,11–14. 191 Die beiden folgenden Modelle, zum einen das Exzenter-, zum anderen das EpizykelModell, wurden schon von Ptolemaeus im Almagest als gleichwertige Erklärungsmöglichkeiten vorgestellt. Ptolemaeus, Almagest 3.3 ff., übers. Manitius, bericht. Neugebauer 1963:1, S. 152,4 ff. 192 Calcidius, Commentarius 80, hg. Waszink 1962, S. 128,10. Vgl. zur folgenden Zusammenfassung ebd., S. 128,10 ff. Die Vorstellung von einer exzentrischen Sonnenbahn geht auf den Gelehrten Geminus zurück, der vermutlich Grieche war und wahrscheinlich im letzten Jh. v. Chr. lebte. Vgl. Ekschmitt 21990, S. 164 f., wo dieser schreibt: »Wie man sich das in der Realität vorzustellen hat mit der ekzentrischen Sonnenbahn, das überlässt freilich auch er [Geminus] lieber dem Leser selbst zur Entscheidung.« Die exzentrische Erklärung war auch bei Martianus Capella zu finden, dort allerdings ohne Diagramm. Martianus Capella, De nuptiis 8.848 f., hg. Willis 1983, S. 321,1–322,5.
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In der Handschrift in London jedoch folgt auf die ausführliche Beschreibung im Text ein grundsätzlich verändertes Diagramm (Abb. 31), in dem die vorgesehene, visuell nachvollziehbare Entsprechung von Zeit und Raum nicht wirklich gelingt. Zunächst ist der Hauptkreis, dessen Zentrum deutlich durch den Buchstaben Θ hervorgehoben wird, in Sechstel unterteilt. Zusätzlich ist nun ein innerer, leicht nach oben verschobener Kreis eingezeichnet, der solstitialis eccentrus circulus ΕΖΗΚ, dessen Buchstaben an den Diagonalen notiert sind. Sein Zentrum bleibt vage, die genaue Bestimmung des Buchstaben Μ undeutlich. Die Zahlen aus dem vorhergehenden Diagramm finden sich in vier Feldern wieder.193 Auch wenn die Tierkreiszeichen am Außenrand etwas verschoben sind und dadurch die Zuordnung einer Zeitangabe zu einem Streckenabschnitt erleichtert werden soll, ist gerade diese Zuordnung dem Diagramm allein nur schwer abzulesen. Nur mühsam und nur mithilfe des Texts lässt sich erschließen, dass die Sonne die längste Zeit, nämlich xciiii Tage, für die Strecke zwischen den Sternzeichen Stier (aries) und Zwillinge (gemini) braucht, weil sie dabei auch den längsten Weg, den Kreisabschnitt ΑΒ, auf ihrer Bahn zurücklegt. Ähnlich undeutlich ist die Zuordnung der Strecke von der Waage (libra) bis zum Schützen (sagittarius) zum Segment ΓΔ sowie der Zeitangabe lxxxviii. Bedeutend kürzer und von identischer Größe sind schließlich die beiden mittleren Teilstrecken, obwohl für sie eine Dauer von xcii bzw. xc Tagen angegeben ist. Der Effekt einer visuellen Erkenntnis, die Calcidius durch die Ergänzung des ersten Diagramms um ein weiteres Element, einen exzentrischen Kreis, beabsichtigt, bleibt hier aus. Ein Diagramm, das die im Text angelegte Erkenntnis ermöglicht, findet sich in einer zweiten Wiener Calcidius-Handschrift aus dem 11. Jahrhundert (Abb. 32).194 Die obere Seitenhälfte ist hier mit insgesamt vier Kreisdiagrammen ausgefüllt, von denen dasjenige links unten dem zuvor besprochenen Diagramm in der Londoner Abschrift sehr ähnelt. Dieses Diagramm sowie dasjenige rechts daneben, in dem der solstitialis eccentrus circulus konzentrisch ist, sind am häufigsten in den Kommentar-Abschriften zu finden, obgleich sie das beschriebene Modell nur verzerrt oder sogar gar nicht darstellen.195 Der präzisen Analyse von Brian Eastwood zufolge blieb diese Mangelhaftigkeit der Diagramme dem Schreiber des Wiener Kommentars nicht verborgen. Sie veranlasste ihn zu einem Neuentwurf.196 Das Ergebnis sind die beiden oberen Diagramme, in denen die Unterteilung des ersten Diagramms, mit dem die Erörterung über den anschei193 Es werden hier allerdings die genauen Zeitangaben aus Kap. 78 übernommen, und zwar für den Herbst 88 und 1/8 Tage, für den Winter 90 und 1/8 Tage. Calcidius, Commentarius 78, hg. Waszink 1962, S. 127,3–7. 194 ÖNB, cod. 443, hier fol. 174v. Hermann 1926, S. 16–8; Waszink 1962, S. cxxv. Vgl. auch Anm. 180 dieser Arbeit. 195 Zu Varianten dieses Diagramms in Handschriften aus der Zeit vom 9. Jh. bis zum Anfang des 11. Jh.s vgl. Eastwood 2007, S. 343 ff. 196 Eastwood 2002, S. 286–290, sowie ders. 1999, S. 187–194, hier S. 189–191.
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nend ungleichmäßigen Lauf der Sonne begonnen hat, beibehalten wird. Der exzentrische Kreis ist hier in vier ungleich große Abschnitte unterteilt und es wird augenfällig, dass die Unterschiede in der Zeitdauer auf die verschiedenen Längen der Bahnabschnitte zurückzuführen sind. Das rechte der oberen Diagramme ist dabei das vollständigere von beiden, da es eine Diagonale einschließt, auf der die beiden Kreismittelpunkte Μ und Θ liegen. Damit, so führt es der Text aus, soll zusätzlich verdeutlicht werden, dass die Mittelpunkte der Kreise nicht identisch sind. Dem Beobachter auf der Erde, der dem Lauf der Sonne folgt, scheint es, als schreite diese ungleichförmig entlang des Tierkreises voran, da er weder die Sonnenbahn noch deren Zentrum sehen kann, um das die Sonne mit einer stetigen Geschwindigkeit kreist. Das Diagramm bringt diese unsichtbaren Elemente zum Vorschein und ermöglicht damit eine gedankliche Korrektur durch visuelle Wahrnehmung.197 Lösung 2: Epizykel-Modell Darauf zielt auch das Diagramm, mit dessen Hilfe das zweite Modell erläutert wird und das ebenfalls den Erklärungen des Texts nachgestellt ist (Abb. 33). Nun wird der Raum zwischen Erde und Tierkreis neu bestückt: »Es sei folglich auch nun der Tierkreis, den die Buchstaben ΑΒΓΔ begrenzen, der der Sonne zugehörige [Kreis], das ist ΕΖΗΚ, der den Mittelpunkt des Tierkreises ausschließt und einen ihm eigenen Mittelpunkt Μ besitzt […].« (Sit igitur etiam nunc zodiacus circulus quem limitant notae ΑΒΓΔ, solstitialis uero excludens zodiaci circuli punctum, id est ΕΖΗΚ, habens ipse proprium punctum Μ […].)198 Die Grundform des ersten Diagramms wird hier erneut übernommen, wobei auf die Namen der Tierkreiszeichen sowie die Zeitangaben verzichtet wird. Ein konzentrischer Innenkreis trägt vier kleinere Kreise von identischer Größe, unter ihnen am höchsten Punkt den solstitialis circulus ΕΖΗΚ mit dem Mittelpunkt Μ. Auf diesem Kreis läuft die Sonne von West nach Ost, also vom Punkt Ε zunächst zum Punkt Κ. Der Kreis selbst wird, so heißt es im Text, Epizykel genannt. Er bewege sich nicht eigenständig, sondern werde auf einer Kreisbahn (ΜΟΝΞ) in die entgegengesetzte Richtung, von Ost nach West, um die Erde herumgeführt.199 Um diese Fortbewegung des Epizykels zu verdeutlichen, ist er im Diagramm vierfach dargestellt.
197 Dazu schreibt Eastwood 2007, S. 350: »Calcidius […] provided his audience with a qualitative rather than a quantitative model of the solar motion, explaining how the inequality of the seasons occurred but not attempting to show how to calculate the exact lengths of the seasons. These lengths were simply given. What was explained was the fact of inequality but not the amounts of inequality.« 198 Calcidius, Commentarius 81, hg. Waszink 1962, S. 131,5–7. Zur folgenden Zusammenfassung ebd., S. 131,7 ff. 199 Ebd., S. 131,4 f.: Epicyclus dicitur globus qui per aliquem circulum fertur. Das EpizykelModell war bereits dem Astronomen und Geografen Hipparch von Nikaia (tätig zw. 161 u. 127 n. Chr.) bekannt. Ekschmitt 21990, S. 173.
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Den gesamten Bewegungsablauf sowie dessen Wahrnehmung von der Erde aus erläutert der Text. Befinde sich die Sonne z. B. am Punkt Ε, so nehme sie der Betrachter unterhalb des Punktes Α des Tierkreises wahr. Auf dem Weg des Epizykels zum Punkt Β dieses Sterngürtels bewege sich die Sonne gleichzeitig auf dem Epizykel in die entgegengesetzte Richtung, also von Ε nach Κ. Obwohl sie in gleichförmiger Geschwindigkeit ihren Weg zurücklege, benötige sie somit dennoch mehr Zeit, um unterhalb des Punktes Β anzukommen, als für die Strecke von Β nach Γ. Auf diesem Wegstück nämlich bewege sich die Sonne auf dem Epizykel von Κ nach Η und somit bereits in die Richtung von Γ. Die Positionen der Sonne auf dem Epizykel unterhalb der vier markierten Punkte des Tierkreises sind, und dies ist der übliche Fall, im Diagramm der Londoner Handschrift nicht eingetragen. Will sich der Rezipient die Bahn, die die Sonne nach diesem Modell tatsächlich um die Erde vollzieht, vorstellen, muss er immer wieder auf die Beschreibung des Texts zurückgreifen. Auf eine Variante des Diagramms, die diese Vorstellung erleichtert, hat wiederum Brian Eastwood aufmerksam gemacht; sie findet sich erneut im Wiener Codex 443 (Abb. 34).200 Neben dem üblichen Diagramm hat der Schreiber hier ein zweites hinzugefügt, in dem er die von der Sonne beschriebene exzentrische Bahn eingezeichnet hat, welche die unterschiedliche Dauer der Jahreszeiten ersichtlich macht. Deutlich wird so auch, dass beide Modelle zu dem gleichen Ergebnis gelangen und einen exzentrischen Lauf der Sonne um die Erde beschreiben. Die Phänomene der Rückläufigkeit und des Stillstands in der Planetenbewegung Um eine Offenlegung des Blicks geht es schließlich auch in dem letzten Diagramm in dieser Reihe, das sich um eine Erklärung der Richtungswechsel im Lauf der Planeten bemüht und ebenfalls erst am Ende des dazugehörigen Textabschnitts zu finden ist (Abb. 35). Zu Beginn der Erläuterungen wird die Ursachenfindung angekündigt und das zu beobachtende Phänomen als Trugbild (imago) bezeichnet: »Weil uns ja einige von ihnen [den Wandelsternen] bald im Fortschreiten zu stehen, bald zurückzulaufen scheinen und zuweilen bestimmten Zeichen des Tierkreises vorauszueilen, zuweilen zurückzubleiben und zurückgelassen zu werden scheinen, soll im Folgenden die Ursache dieses Trugbildes erwogen werden.« (Sequitur ut, quoniam uidentur quaedam nobis earum modo stare in progressu, modo regradari et interdum praecurrere certa signa zodiaci circuli, interdum remanere ac relinqui, quae causa sit huius imaginis consideretur.)201
200 Eastwood 1999, S. 191. 201 Calcidius, Commentarius 85, hg. Waszink 1962, S. 136,7–10. Vgl. auch Obrist 2004, S. 127.
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Die Diagramme des Calcidius
Wiederum wird das Diagramm neu entworfen – »Es sei folglich der Tierkreis ΑΒΓΔ […].« (Sit ergo zodiacus circulus ΑΒΓΔ […].)202 –, erneut markiert der Buchstabe Θ das Zentrum, über dem auch hier ein Epizykel ΕΖΗ eingezeichnet ist. Letzterer wird von zwei Linien eingefasst, die dem Text nach eigentlich vom Zentrum, also dem Betrachterstandpunkt, ausgehen sollten. Diese Verschiebung des Ausgangspunkts der Linien, die in den Abschriften häufig zu finden ist, verfremdet den Inhalt. Die Kombination von der Bewegung eines Planeten auf dem Epizykel um den Mittelpunkt Μ von West nach Ost mit der des Epizykels um die Erde herum führt nun zu dem Effekt der wiederholten Stillstände und Rückläufe des Planeten. Es geht um die Bewegung der drei Planeten oberhalb von Sonne, Venus und Merkur, deren Umlaufbahn so lang ist, dass eine Umkreisung auf dem Epizykel nicht mit einem Umlauf desselben zusammenfällt. So erscheine es dem Betrachter, der zum Punkt Β hinaufschaue und dort den Planeten sehe, der sich tatsächlich am Punkt Ζ befinde, als schreite dieser Planet auf seinen Weg von West nach Ost nur so lange voran, bis er in die Nähe des Punktes Δ komme. Da sich der Planet nun dem Punkt Η auf dem Epizykel nähere und sich anschließend in Richtung des Punktes Ζ wieder von diesem entferne, komme es dem Beobachter so vor, als bliebe der Planet zunächst stehen, drehe sich dann um und laufe zurück, um erneut im Stillstand zu bleiben und erst dann wieder in die vorausliegenden Sternzeichen einzutreten. Während dem Beobachter die Bewegung unregelmäßig zu sein scheine, vollziehe sie sich doch tatsächlich in stetiger Geschwindigkeit und auf stets kreisförmigen Bahnen. Calcidius sagt, dass mit diesem Modell dem Konzept der Philosophen, das die Gleichförmigkeit aller kosmischen Bewegung behauptet, sowie dem Interesse der Mathematiker, die sichtbaren Erscheinungen zu erklären, Genüge getan werde.203 Anders als die beiden vorhergehenden Diagramme enthält dieses Diagramm nur den wichtigsten Aspekt der vorgestellten Ordnung, den Epizykel vor der Fixsternsphäre, der ›Leinwand‹ des Beobachters. Es dient somit nicht dazu, den gesamten Bewegungsverlauf zu veranschaulichen, und erklärt ein Phänomen grundsätzlich, ohne es räumlich genauer zu verankern. Wann, d. h. in welchen Abschnitten des Tierkreises, einer der Planeten Mars, Jupiter oder Saturn zum
202 Ebd., S. 136,10. 203 Die Philosophen plädieren Calcidius zufolge für die Bewegung des Epizykels mit der Drehung des Firmaments. Er macht geltend, dass sich die scheinbaren Ungleichförmigkeiten auch dann aus der Epizykel-Bewegung ergeben, wenn man der Ansicht der Mathematiker folge, d. h. die natürlichen Eigenschaften der himmlischen Körper nicht berücksichtige und den Epizykel entgegen der Drehung des Firmaments bewege. Ebd. 85 f., S. 136,10–138,3, wo es auf S. 137,14–16 heißt: Mathematicorum tamen non eadem est opinio quae philosophorum. Qui non ad ea quae uidentur, sed ad naturalem stellarum motum animaduertunt […]. Ebd., S. 138,1–3: Atque ita tam physicorum quam mathematicorum rationibus stationum praecessionumque et regradationum uisa patefiunt.
Zusammenfassung
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Stillstand kommt und anschließend den Weg rückwärts läuft, ist dem Diagramm nicht zu entnehmen. Gemeinsam ist den drei Diagrammen zur Planetenbewegung, dass sie eng mit dem Text verknüpft sind. Zwar wurde auch angesichts der übrigen Diagramme im Calcidius-Kommentar deutlich, dass sie ihren Erkenntniswert erst mit der Textlektüre entfalten. Die Diagramme zu den Planetenbewegungen jedoch sind zudem unvollständig und vor allem als Hilfsgerüste zu begreifen und zu nutzen, da sie ein entscheidendes Element, den Planeten, nicht zeigen. Diesen Körper aus der Sinnenwelt muss der Betrachter in das geometrisch-abstrakt bleibende Gerüst gedanklich oder vielleicht mithilfe eines Zeigegeräts einfügen. Wenn er das Gefüge dann in Bewegung setzt, offenbart es ihm seinen Inhalt. Anders ist auch, dass diese Diagramme räumlich-zeitliche Entwürfe darstellen und dabei sowohl einen Gegenstand, den Epizykel, in verschiedenen Momenten simultan zeigen oder aber, in dem letzten Diagramm, denselben Gegenstand in einem radikalen Ausschnitt bannen können. Der Text, der das Diagramm herleitet und seinen Erkenntnisgehalt beschreibt, fungiert wiederum als eine Instanz der Überprüfung des Diagramms, das der Rezipient in seiner Abschrift vorfindet.
2.3 Zusammenfassung In seinem Kommentar zu Platons Timaeus rekapituliert und erläutert Calcidius das rationale Weltganze, das in der Erzählung des Philosophen verborgen ist. Was er enthüllt, ist unsichtbar, denn die platonische Welt ist eine mathematische Ordnung, die sich allein dem Denken erschließt. Dennoch bilden visuelle Objekte, Diagramme, einen integralen Bestandteil des Kommentars. Entsprechend fehlen sie in keiner der hier näher betrachteten Abschriften des 11. und 12. Jahrhunderts. In dem Bemühen, die Welt der Erscheinungen mithilfe von abstraktgeometrischen Diagrammen ohne mimetische Referenz als eine Ordnung des zeitlos Gültigen darzustellen, kommt ein ambivalentes, letztlich jedoch teleologisch überformtes Verständnis des Sehsinns zum Ausdruck.204 Calcidius rühmt letzteren als den »besten und hervorragendsten aller Sinne« (optimus praeclarissimusque sensuum omnium), da erst durch ihn alles Erschaffene zum Gegenstand des Denkens werden könne und auf diese Weise eine Erkenntnis der Vollkommenheit der Welt möglich sei.205 Wie das Sprachvermögen, das dem Menschen 204 Dazu Konersmann 21999, S. 19 ff., wo es auf S. 19 heißt: »Die platonisch-aristotelische Tradition des Intellektualismus nimmt das Sichtbare nicht als das Fraglose hin, sondern unterwirft es dem Logos und ordnet es ihm nach. […] Die Prinzipienlehre verwirklicht ihr Bemühen um Allgemeinaussagen nicht als Hinsehen, sondern als Absehen, als Ab-straktion.« 205 Calcidius, Commentarius 236, hg. Waszink 1962, S. 248,15 f. Vgl. Platon/Calcidius, Timaeus (46e–47a), ebd., S. 44,4–7: Uisus enim iuxta meam sententiam causa est maximi com-
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Die Diagramme des Calcidius
vor allem zur vernünftigen Rede dienen soll, ist diesem auch das Sehen als Erkenntnismittel geschenkt. Tatsächlich von Nutzen ist es jedoch erst dann, wenn das Gesehene in den Bereich der Vernunft überführt wird. Allein durch die gedankliche Disziplinierung kann visuelle Wahrnehmung zu Erkenntnis führen. Die Notwendigkeit der rationalen Durchdringung des visuellen Befundes, aber auch die Möglichkeit der Einsicht in das Intelligible zeigt sich insbesondere in der Astronomie, lässt sich doch in den Himmelsphänomenen eine streng mathematische Ordnung entdecken.206 Das abstrakt-geometrische Diagramm kann der Überführung von visueller Wahrnehmung in Erkenntnis dienen, da es das zeigt, wodurch sich eine mathematische Ordnung auszeichnet, nämlich genau bestimmbare Relationen zwischen einzelnen Größen. Ersichtlich werden die mathematische Bedingtheit des Weltkörpers, Strukturen, die eigentlich nicht gesehen werden können, sowie Ordnungen, die sonst immer anders gesehen worden sind. Letzteres gilt insbesondere für die Diagramme zur Krümmung des Meeresspiegels sowie diejenigen zu den Bewegungen der Planeten.207 Das Diagramm soll die Perfektion der irrtumslos eingerichteten Welt offenbaren. Im Gegensatz zu den mathematischen Prinzipien, die die Vollkommenheit der Welt garantieren, wird der göttliche Weltbildner, durch dessen Hände die Welt entsteht, in keiner der Handschriften im Diagramm oder im Bild dargestellt. Die Diagramme zu den Planetenbewegungen und der Wölbung der Wasseroberfläche sind dem erläuternden Text jeweils nachgeordnet. Schon in dieser Anordnung kommt zum Ausdruck, dass sie Ordnungen darstellen, die ein rationales Sehen voraussetzen und Ergebnisse eines Prozesses des Umdeutens sind, den
modi plerisque non otiose natis atque institutis ob id ipsum quod nunc agimus; neque enim de uniuersa re quisquam quaereret nisi prius stellis sole caeloque uisis. Im Kommentar hebt Calcidius in dem Kapitel Laus uidendi die Notwendigkeit und den Nutzen des Sehvermögens für sämtliche Wissenschaften hervor. Calcidius, Commentarius 264–267, ebd., S. 269–273. 206 Bei der Betrachtung der Bewegungen im himmlischen Raum wird das Denken des Menschen sozusagen auf die richtige Bahn gebracht, weil sich ihm darin – über die Augen – sein Vorbild, die Weltseele, mitteilt. Platon/Calcidius, Timaeus (47b/c), hg. Waszink 1962, S. 44,17–23: […] deum oculos hominibus idcirco dedisse, ut mentis prouidentiaeque circuitus, qui fiunt in caelo, notantes eorum similes cognatosque in usum redigerent suae mentis, circuitusque animae, qui animaduersiones seu deliberationes uocantur, quam simillimos efficerent diuinae mentis prouidis motibus placidis tranquillisque, perturbatos licet, confirmatoque ingeneratae rationis examine, dum imitantur aplanem mundi intellegibilis circumactionem, suae mentis motus erraticos corrigant. Von der »paradigmatischen Funktion« der Astronomie für die Wissenschaft spricht Zekl 1992, S. xxxvi. 207 Dies gilt gleichermaßen für die drei letzten, hier nicht näher besprochenen Diagramme, die im ersten Teil des Kommentars noch folgen und die Ungleichförmigkeiten im Lauf des Planeten Venus zu erklären suchen. Zu den ersten beiden dieser Diagramme die detaillierte Analyse von Eastwood 1992, bes. S. 238 ff., sowie ders. 1993b, S. 9 f.; ferner Engelen 1993, S. 82–90. Vgl. auch Obrist 2004, S. 97 f.
Zusammenfassung
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der Text zusammenfasst.208 Das Diagramm kann das Sehen um intelligible Elemente ergänzen und so einen visuellen Befund richtigstellen. Es vermag auf die Tücke der Erscheinungen hinzuweisen, sodass die visuelle Erkenntnis das naive Sehen entlarvt. Aus der Schwäche des unbedarften Sehens zieht das Diagramm seine Stärke, da es stets mehr zeigt, als jenes erkennt, und damit eine Verschmelzung von Intellekt und Auge provoziert. Auf das erkenntnisfördernde Potenzial dieser Zusammenarbeit vertraut auch der Text, was in Formulierungen wie »aus diesem ist offensichtlich« (ex quo perspicuum est) und »aus diesem zeigt sich« (ex quo apparet) deutlich wird. Weniger erkenntnisweisend als beschreibend fungiert das Diagramm dort, wo es gleichberechtigt neben dem Text räumliche Anordnungen und Hierarchien zeigt, welche vom Menschen nicht in Gänze erfasst werden können. Es tritt hier als visuelle Abbreviatur und als Wissensspeicher auf, was insbesondere dort deutlich wird, wo es zum Überlieferungsträger von Informationen wird, die nicht im Text dokumentiert sind. Dem Diagramm gelingt es, die beschriebene Ordnung, die in der Lektüre des Texts immer wieder zergliedert wird, in ihrer Kohärenz zu zeigen. Das gilt gleichermaßen für die Diagramme in den ersten Kapiteln des Kommentars, die die proportionalen Strukturen zwei- und dreidimensionaler Gebilde vor Augen führen und letztlich ein der Weltwerdung inhärentes sowie vorausgehendes mathematisches Prinzip erläutern. Diese Vorstellung von der Existenz der mathematischen Gegenstände noch vor dem Werden der körperlichen Welt sowie unabhängig von ihrer Anwendung auf die Sinnenwelt spiegelt die Buchseite in der Anordnung von Diagramm und Text. Das Diagramm, das bereits das gesamte Wissen enthält, geht seiner sprachlichen Erläuterung fast immer voraus. Dabei jedoch gewährleistet diese Erläuterung eine Bindung der visuellen Darstellung an die Sprache, indem sie – in diesem ersten Kapitel wie auch in späteren Kapiteln – vorgibt, das Diagramm auf der Buchseite hervorzurufen. Jedoch nicht allein durch die Befehlsformen des Verbs »sein« (essere) erscheint das Diagramm als Modus des Sprechens. Zwar ist das visuelle Medium im Timaeus-Kommentar als Wissensfigur konzipiert, der für die Erkenntnisvermittlung und -gewinnung eine entscheidende Bedeutung zukommt. Dennoch ist häufig das Diagramm selbst auf der formalen Ebene von der Skepsis gegenüber dem leicht zu irritierenden Sehsinn und der Er208 Reviel Netz ist in seiner Studie zur griechischen Mathematik der Ansicht, dass die Platzierung des Diagramms am Ende des Texts keinen Aussagewert für seine Bedeutung als Erkenntnisinstrument habe. Zu bedenken sei vielmehr die relative Bedeutung von Anfang und Ende auf dem Papyrus. Text und Diagramm seien auf dem ausgerollten Blatt übersichtlicher zu erschließen gewesen als in einem gebundenen Buch, in dem man vor- und zurückblättern müsse. Netz 1999, S. 35, Anm. 55. In den hier untersuchten Calcidius-Handschriften hingegen, so meine These, richtet sich die Platzierung eines Diagramms nach dessen Inhalt und Funktion.
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Die Diagramme des Calcidius
fordernis der genauen Überprüfung und der gedanklichen Durchdringung des visuellen Gegenstands gekennzeichnet. Denn zum einen werden nicht nur Bildzeichen durch Inschriften ersetzt. Vielmehr ist die Mehrzahl der Diagramme zudem mit Buchstaben beschriftet, Interventionen des Texts im Diagramm, die es dem Text ermöglichen, sich der Darstellung in der Beschreibung zu bemächtigen und damit das Wissen – die Herleitung der Figur, die Folgerung von Erkenntnis – präzise zu überliefern. Calcidius fixiert das im Diagramm enthaltene Wissen stets auch im Text, fast immer kann der Rezipient im Text überprüfen, ob er ein fehlerloses Diagramm vor Augen hat und ob er das Diagramm auch richtig versteht. In dieser Sicherung des Wissens im Text scheint auch der Umstand reflektiert, dass die Diagramme im Prozess des Reproduzierens durch individuelles Abschreiben anfälliger für inhaltliche Manipulationen waren als der Text. Darüber hinaus wurde in zahlreichen Abschriften des 11. und 12. Jahrhunderts in der Gestaltung des visuellen Mediums selbst die zentrale und entscheidende Bedeutung der Sprache für die Welterkenntnis kenntlich gemacht. Die Diagramme wurden den Schriftzeichen häufig formalästhetisch angeglichen. Das mit Serifen oder einem Buchstabenstamm ausgestattete Diagramm verweist auf das Schriftzeichen und im Kontext des Kommentars somit auf das sprachlich Formulierte, mit dessen Hilfe erst die Erkenntnis, die in der visuellen Form enthalten ist und auf die der Kommentar zielt, präzise gefolgert werden kann. Es zeigt sich in dieser formalen Gestaltung, dass die Diagramme in vielen Handschriften als Teil eines logozentrischen philosophischen Konzepts tradiert wurden. Sie werden als der Schrift zugehörige visuelle Zeichen gestaltet. Die ambivalente Stellung wird insbesondere angesichts des Λ-ähnlichen Diagramms zur Weltseele deutlich. Es ist bildhafter Abglanz des Intelligiblen und damit Scharnier zwischen der Welt der Ideen, der Welt der einen Vernunft und der von rationaler Argumentation und Einsicht abhängigen Erkenntnisfähigkeit des Menschen, welche im Text abgebildet ist.209 Es ist Spiegelbild der Weltseele und als Buchstabe Λ Signifikant der Vernunftbegabung des Menschen, die sich in der Sprache äußert, zugleich.
209 Damit soll jedoch nicht gesagt werden, dass der Text als vollkommenes Abbild der Wahrheit zu gelten hat. Zu der Kritik am schriftlich fixierten Text als mangelhafter ›Abbildung‹ des philosophischen Gesprächs bei Platon Szlezák 1985, hier S. 7–19 (Phaidros 275d4– 278e4), sowie Zekl 1992, S. xix. Zu Platons Repräsentationskritik und der ›Stummheit‹ der semiotischen Systeme auch Ueding 1992, bes. S. 16–18.
3 Visuelle Darbietungen in Wilhelms von Conches Dragmaticon philosophiae
3.1 Einführung Aus der Mitte des 12. Jahrhunderts datiert ein Text, der einen Dialog wiedergibt, welcher die Erkenntnis der unsichtbaren wie sichtbaren Körper des Kosmos zum Ziel hat, ihrer Wesenheit sowie ihrer Bedeutung für das Ganze. Die Rolle des Wissenden übernimmt darin ein Philosoph, der anonym bleiben möchte, die des Fragenden ein Fürst, in dessen Schutz sich der Philosoph in Zeiten intellektueller Missstände begeben hat. An den sechs Tagen, an denen sich beide zum Gespräch über die Schöpfung Gottes treffen und dabei von den himmlischen Sphären zur Erde und zum Menschen hinabsteigen, beweist der Philosoph neben seinem Wissen nicht nur seine rhetorische Begabung, sondern er zeichnet auch. Der, der hier den »namenlosen Philosophen« (philosophus sine nomine) das Wort und das Diagramm einsetzen ließ, um dem vielversprechend interessierten Fürsten seine Welterkenntnis nahezubringen, war kein Geringerer als Wilhelm von Conches (ca. 1085 bis nach 1154), herausragender Gelehrter der sogenannten ›Schule von Chartres‹, dessen Werk u. a. Glossen zu Boethius’ »Trost der Philosophie« (De consolatione philosophiae), Macrobius’ Commentarii in Somnium Scipionis, Martianus Capellas De nuptiis Philologiae et Mercurii sowie Platons Timaeus beinhaltet und eine detaillierte Kenntnis des seit der Spätantike überlieferten Kanons des Wissens belegt.1 Wilhelms umfassende Kenntnisse bildeten 1 Wilhelm von Conches studierte, den Angaben im Metalogicon seines Schülers Johannes von Salisbury (ca. 1115–1180) zufolge, bei Bernhard von Chartres (gest. ca. 1130), der seit 1114 als Lehrer, seit 1124 als Kanzler an der Kathedralschule von Chartres wirkte. Wilhelm unterrichtete dann selbst Grammatik, allerdings bleibt unklar, an welchem Ort (Paris?, Chartres?). Vgl. die grundlegende Studie zu Leben und Werk Wilhelms von Tullio Gregory: Gregory (1955) sowie die sorgfältig abwägenden biografischen Angaben von Italo Ronca im Vorwort seiner Edition des Dragmaticon: Ronca 1997, S. xvii–xix. Ronca diskutiert ebd., S. xx–xxii, welche Schriften tatsächlich Wilhelm zuzuschreiben sind, und liefert einen chronologischen Überblick über das Werk. Von den oben genannten Werken sind die Glossen zu Martianus nicht überliefert. Was die ›Schule von Chartres‹ betrifft, so löste Robert W. Southern mit seinem Beitrag aus dem Jahr 1970 eine lang anhaltende Debatte über die historische Gültigkeit dieser Bezeichnung sowie über die geistesgeschichtliche Bedeutung der darunter versammelten Gelehrten aus: Southern 1970. Unabhängig jedoch von der Frage, welche Bedeutung der Ort Chartres für die Studien und die Lehrtätigkeit der ›Chartreser Magistri‹ gehabt hat, zu denen neben Bernhard und Wilhelm u. a. auch Thierry von Chartres (gest. nach 1156), Bern-
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Visuelle Darbietungen bei Wilhelm von Conches
die Basis für seine beiden naturphilosophischen Schriften, zum einen das Traktat Philosophia (1125–1130?), das, so Kurt Flasch, »erstmals eine systematische, nicht bloß enzyklopädische Gesamtdarstellung des europäischen Wissens der Zeit«2 entwarf, zum anderen das Dragmaticon philosophiae. In der Philosophia strebte Wilhelm die wahre Erkenntnis (vera comprehensio) der sichtbaren und unsichtbaren Dinge an.3 Diese Form der Erkenntnis verlangte zum einen den Gebrauch der Vernunft bei der Erklärung der von Gott erschaffenen Welt (mundus) und zielte immer auch auf ein Verstehen der einfachen, ersten Prinzipien alles Seienden. Leitgedanke dieses Erkenntnisinteresses war Platons Theorem des ursächlichen Entstehens. Das Hervorgehen der Welt aus dem Schöpfergott und somit die Existenz Gottes folgerte Wilhelm notwendig aus dem Gedanken, dass die Welt eine stabile Ordnung bilde, obgleich sie aus sich widerstrebenden Elementen zusammengefügt sei.4 Als »Philosoph« (philosophus) erörterte Wilhelm zunächst die Existenz und das trinitarische Wesen des Schöpfergottes, als »Physiker« (physicus) machte er dann die Phänomene der Sinnenwelt zum Gegenstand rationaler Überlegungen.5 Die philosophische Frage nach dem Hervorgehen der Welt aus einem intelligiblen Prinzip ging der Erörterung der natürlichen Dinge voraus und war Bedingung für ein wahres Erfassen dessen, was aus diesem Prinzip folgt. hard Silvestris (ca. 1100–1160) und Hermann von Kärnten (tätig 1138–1145) gezählt werden, hat sich deren Erkenntnisinteresse als verbindendes Charakteristikum erwiesen. Auf der Basis des Studiums des Timaeus sowie der Schriften des Boethius richtete sich die intellektuelle Aufmerksamkeit dieser Gelehrten auf die sinnenfällige Wirklichkeit, die hier zwar ursächlich in Abhängigkeit zu Gott gesehen, doch gleichzeitig als ein eigenständiges Ganzes begriffen wurde, dessen Entschlüsselung mithilfe der mathematischen Künste möglich erschien. Kobusch 2005; Speer 2002, S. 166 f.; Schrimpf 1995, S. 209 f.; Wetherbees Studie über die ›cosmologists‹ des 12. Jh.s: Wetherbee 1988 sowie, zusammenfassend, Schipperges 1983. 2 Flasch 2000, S. 265. Vgl. auch Speer 1995, S. 139. Die Schrift ist auch überliefert als Philosophia mundi und wird im Folgenden zitiert nach der Edition von Gregor Maurach: Wilhelm von Conches, Philosophia, hg. Maurach 1980 (Übersetzung ins Deutsche auf den S. 117–204). Zur Überlieferung Vernet 1946/1947, S. 243–259, wo dieser auf den S. 252–255 insgesamt 67 Handschriften aus dem 12.–15. Jh. auflistet. Nachdruck dieser Liste, Korrekturen und Ergänzungen: Vernet 1981, S. 143–159 u. 664 f. Zum Adressatenkreis der Philosophia Ricklin 1998, S. 132–134. 3 Wilhelm von Conches, Philosophia 1.4, hg. Maurach 1980, S. 18: Philosophia est eorum quae sunt et non videntur, et eorum quae sunt et videntur vera comprehensio. Vgl. zur folgenden Zusammenfassung zum Erkenntnisinteresse Wilhelms in der Philosophia die ausführliche Analyse von Speer 1995, Kap. 4, insbes. S. 130–150 u. 205–221. 4 Wilhelm von Conches, Philosophia 1.5–7, hg. Maurach 1980, S. 118 f. Zum Ursachenprinzip (Timaeus 28a) Wilhelm von Conches, Glosae super Platonem 36, hg. Jeauneau 2006, S. 67 f. Speer zufolge war dieses Prinzip eine »offenkundige Leitvorstellung« der ›Schule von Chartres‹. Speer 2002, S. 167 f. Vgl. auch Gregory (1955), S. 49 f., sowie Kap. 2, Anm. 6, dieser Arbeit. 5 Wilhelm von Conches, Philosophia 1.24, hg. Maurach 1980, S. 29: […] physicus de naturis corporum tractans […] philosophi vero de creatione mundi agentes, non de naturis singulorum corporum […].
Einführung
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Die Unterscheidung zwischen der Perspektive des philosophus und derjenigen des physicus betraf nicht nur das Erkenntnisinteresse, sondern auch die Art der jeweils angeführten Beweise. Die Rede des Philosophen über die Prinzipien der Welt wurde zur wahren Rede, da sie auf notwendigen Beweisen gründete, die des physicus hingegen bediente sich möglichst wahrscheinlicher, nicht zwingend notwendiger Begründungen. Wilhelm folgte Platons epistemologischer Differenzierung zwischen wahrer Erkenntnis, deren Gewissheit von ihrem Gegenstand, dem unveränderlich Seienden, herrührte, und begründeter Annahme, die so unstet war wie die Phänomene der Sinnenwelt, die sie zu erklären suchte, und sich gerade deshalb um größtmögliche Wahrscheinlichkeit bemühte.6 Wilhelms Auslegung der Schöpfung gründete auf Vernunft und zielte auf eine physikalische Erklärung der Konstitution der natürlichen Körper sowie der Prozesse, die die Körperwelt bestimmen. Er begriff Gott als erstes und sinngebendes Prinzip der Welt, schrieb der »wirkenden Natur« (natura operans) jedoch zu, schon am Anfang der Welt alles Kreatürliche – auch den Menschen – durch die ihr von Gott gegebenen Wirkkräfte in einem dynamischen Prozess hervorgebracht zu haben. Dass Gott Eva aus der Rippe Adams erschaffen habe, sei demnach nicht wörtlich zu verstehen.7 Wilhelms Einschätzung des Bibeltexts als eines Berichts, in dem von dem Ergebnis eines Vorgangs, nicht aber der eigentlichen Entstehung die Rede sei, sowie seine Weigerung, Gottes Allmacht als hinreichende Erklärung für rational schwer nachvollziehbare Phänomene zu akzeptieren, wie beispielsweise die Existenz von Wasser oberhalb des Firmaments, verweisen auf seinen intellektuellen Anspruch, stets erklärende, naturhaft-physikalische Beweise für das Behauptete anzuführen.8 Das Erkenntnisinteresse der Philosophia erfuhr deutliche Kritik durch Wilhelm von St. Thierry (um 1080–1148/49), der zuvor bereits den Vorwurf der Häresie gegen Abaelard erhoben und damit die Verhandlung ausgelöst hatte, die schließlich 1140 auf dem Konzil von Sens zur Verurteilung Abaelards geführt hatte. Ungefähr zur selben Zeit formulierte Wilhelm einen Brief an Bernhard von 6 […] ut philosophi enim necessarium, etsi non probabile ponimus, ut physici vero probabile, etsi non necessarium adiungimus. Wilhelm von Conches, Philosophia 1.19, hg. Maurach 1980, S. 26. Zur Differenzierung bei Platon bzw. Calcidius vgl. Kap. 2, Anm. 4, dieser Arbeit. Vgl. auch Fidora/Niederberger 2001, S. 27; Speer 1995, S. 163 f., sowie Flatten 1929, S. 76. 7 Wilhelm von Conches, Philosophia 1.42–44, hg. Maurach 1980, S. 37–39, wo es u. a. heißt (1.43, S. 38): Non enim ad litteram credendum est deum excostasse primum hominem. Zu den Wirkprinzipien der Natur – Verdichtung und Erwärmung – Speer 1995, S. 147–150. 8 Wilhelm von Conches, Philosophia 1.44, hg. Maurach 1980, S. 39: Nam in quo divinae scripturae contrarii sumus, si, quod in illa dictum est esse factum, qualiter factum sit, explicemus? sowie, zu den aquae congelatae super aethera (vgl. Gen 1,6 f.) 2.5, S. 43: Quid meserius quam dicere istud est: ›Quia deus illud facere potest‹, nec videre sic esse nec rationem habere, quare sic sit, nec utilitatem ostendere, ad quam hoc sit? Non enim quidquid deus potest facere facit. Zu Wilhelms Argumentation gegen die Existenz der Wasser oberhalb des Firmaments sowie die Erschaffung Evas aus der Seite Adams auch Jeauneau 1964, S. 847–851.
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Visuelle Darbietungen bei Wilhelm von Conches
Clairvaux (um 1090–1153), in dem er die philosophia nova Wilhelms von Conches in die Nähe der Theologie Abaelards rückte. Er warf seinem Namensvetter vor, Gottes Wesen und Werk physice ergründen zu wollen und in seinen Aussagen der Glaubenslehre zu widersprechen.9 Anders als im Fall Abaelards aber zog die Verurteilung Wilhelms von Conches keinen Prozess nach sich. Es scheint, als habe Wilhelm rechtzeitig einen weltlichen Beschützer gefunden, eben jenen fragenden Fürsten in dem eingangs genannten Dialogwerk, dem Dragmaticon philosophiae, der zweiten naturphilosophischen Abhandlung Wilhelms. Das Dragmaticon philosophiae Das Dragmaticon entstand nur wenige Jahre nach der scharfen Kritik durch Wilhelm von St. Thierry.10 Eine Reaktion auf die Vorwürfe blieb in dem neuen Werk nicht aus. Schon zu Beginn des Dragmaticon kam Wilhelm auf »unser Philosophia betiteltes Büchlein« (libellus noster qui Philosophia inscribitur)11 zu sprechen und erklärte, dass diese Schrift als ein Werk aus seiner Jugendzeit gleichsam fehlerhaft sei, neben wahren auch falsche Feststellungen enthalte und nicht alle notwendigen Aussagen treffe. In der neuen, um Vollständigkeit bemühten Abhandlung solle deshalb nur das, was als wahr gelten könne, übernommen, die alten Irrtümer aber verurteilt werden.12 Noch in diesem einleitenden Teil des Dragmaticon widerrief Wilhelm seine früheren Aussagen zur Trinität sowie seine Interpretation der biblischen Erzählung von der Erschaffung Evas aus der Rippe Adams als lediglich metaphorische Umschreibung eines ganz anderen Vorgangs.13 Die Kühnheit der Philosophia schien dahin. Dabei jedoch, so präzisierte Andreas Speer in seiner Studie über die »Begründungsversuche einer scientia naturalis im 12. Jahrhundert«, gab Wilhelm seinen 9 Der Brief wurde ediert von Jean Leclercq: Leclercq 1969, S. 382–391, hier S. 382,7–383,10, wo es u. a. heißt: Etenim post theologiam Petri Abaelardi, Guillelmus de Conchis novam affert philosophiam, confirmans et multiplicans quaecunque ille dixit, et impudentius addens adhuc de suo plurima, quae ille non dixit. Vgl. auch ebd. 389,247 f.: Datus enim in reprobum sensum homo physicus et philosophus, physice de Deo philosophatur […]. Zur Kritik an der Interpretation der Erschaffung Evas ebd., S. 390,290 ff. Die Vorwürfe Wilhelms von St. Thierry sind insbesondere gegen die Trinitätslehre in der Philosophia gerichtet. Wilhelm von Conches, Philosophia 1.9–12, hg. Maurach 1980, S. 20–22; Leclercq 1969, S. 383,19 ff., sowie, zusammenfassend, Gregory (1955), S. 106 ff. 10 Das Dragmaticon wird im Folgenden zitiert nach der Edition von Italo Ronca: Wilhelm von Conches, Dragmaticon, hg. Ronca 1997. Zusammen mit Matthew Curr veröffentlichte Ronca im selben Jahr eine englische Übersetzung des Texts: Wilhelm von Conches, Dragmaticon, übers. Ronca/Curr 1997. 11 Wilhelm von Conches, Dragmaticon 1.1.8 (Prologus), hg. Ronca 1997, S. 7,75 f. 12 […] quem in iuuentute nostra imperfectum, utpote imperfecti, composuimus, in quo ueris falsa admiscuimus multaque necessaria praetermisimus. Est igitur nostrum consilium, quae in eo uera sunt hic apponere, falsa dampnare, praetermissa supplere. Ebd., S. 7,76–80. 13 Ebd. 1.1.9 f., S. 8,85–9,105 (101/102: […] ideoque translatiue esse dictum quod ex costa Adae facta sit femina: hoc iterum dampnamus […].).
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in der Philosophia verfolgten Anspruch, die natürlichen Dinge vor dem Hintergrund ihrer notwendigen Prinzipien rational begreifen zu wollen, im Dragmaticon nicht auf.14 Wilhelm zufolge wandte sich das neue Werk demselben Gegenstand zu wie die Philosophia, und er kündigte an: »[…] einstweilen werden wir die Substanzen verhandeln, was wir nach der Art der Philosophie tun werden.« ([…] ad praesens de substantiis tractabimus, quod philosophice faciemus.)15 Italo Ronca zufolge vermied Wilhelm es an dieser Stelle sowie im gesamten Dragmaticon in Reaktion auf den Vorwurf Wilhelms von St. Thierry, sich explizit in die Rolle des physicus zu begeben. Stattdessen gab er vor, sich auf die philosophische Ergründung der Welt beschränken zu wollen.16 Damit jedoch ging keine grundsätzliche methodische Revision einher. Denn während es in der Philosophia noch geheißen hatte, »[…] der Physiker erörtert die Naturen der Körper, […] die Philosophen aber verhandeln die Erschaffung der Welt, nicht die Naturen der einzelnen Körper […].« ([…] physicus de naturis corporum tractans […] philosophi vero de creatione mundi agentes, non de naturis singulorum corporum […].)17, schrieb Wilhelm im Dragmaticon, die Aufgabe der Philosophie sei es, »[…] die Natur irgendeiner Sache, ihre Eigenschaften und Funktionen zu untersuchen […].« ([…] de natura ipsius [alicuius], moribus, officiis disserere […].)18 Wenn Wilhelm also im Dragmaticon vorgab, die Dinge philosophice untersuchen zu wollen, so bedeutete dies, dass er sich weiterhin für die natürlichen Eigenschaften der Dinge interessierte und dabei auf eine wahre Erkenntnis zielte, welche nur unter Berücksichtigung der letzten Ursache alles Existierenden möglich war. Die letzte Ursache, die Existenz eines göttlichen Prinzips, aus dem alles Existierende hervorgeht, folgerte Wilhelm im Dragmaticon nun jedoch nicht mehr 14 Speer 1995, S. 130–221. Speer diskutiert die These von Flasch, Wilhelm habe sich im Dragmaticon nicht mehr konsequent als physicus verstanden. Ebd., S. 136–138 u. 217–212. Vgl. auch Flatten 1929, S. 38 f. 15 Wilhelm von Conches, Dragmaticon 1.1.6 (Prologus), hg. Ronca 1997, S. 6,56 f. Vgl. auch ebd. 1.1.8. (Prologus), S. 7,75 f.: Est tamen de eadem materia libellus noster qui PHILOSOPHIA inscribitur […]. 16 Ronca 1990, S. 336 f. 17 Wilhelm von Conches, Philosophia 1.24, hg. Maurach 1980, S. 29. 18 Wilhelm von Conches, Dragmaticon 1.1.6 (Prologus), hg. Ronca 1997, S. 6,62 f. Dass er hier den Gegenstandsbereich des physicus der Philosophie subsumierte und letztere nun ebenfalls ein Studium der einzelnen Dinge der Welt sein konnte, ihrer Eigentümlichkeiten sowie ihrer funktionalen Einbettung in das Ganze, entsprach Wilhelms Einteilung der Wissenschaften im accessus seiner Glosae super Platonem, wo er neben der Theologie und der Mathematik auch die Physik der theoretischen Philosophie zugewiesen hatte. Wilhelm von Conches, Glosae super Platonem 5 (Accessus), hg. Jeauneau 2006, S. 9–11. Zum Gegenstandsbereich der Physik heißt es ebd., S. 10: Phisica vero est de naturis et complexionibus corporum: phisis enim est natura. Die Einteilung der Philosophie in einen praktischen (Ethik, Ökonomik, Politik) und einen theoretischen Zweig ging auf Aristoteles zurück und war von Boethius, Cassiodor und Isidor von Sevilla überliefert worden. Speer 1995, S. 210. Die Glosae super Platonem entstanden vor dem Dragmaticon, zählen aber wie dieses zu den »works of the maturity«. Vgl. Ronca 1997, S. xx–xxii.
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aus einer rationalen Überlegung, sondern er machte sie noch in der Einleitung des Dragmaticon zum Gegenstand des Glaubens, der confessio fidei.19 Bei der anschließenden Behandlung der erschaffenen Substanz (creata substantia) allerdings sollte Wilhelm immer dann, wenn es um sinnlich erfahrbare oder überprüfbare Phänomene ging, den Vorrang der Vernunft vor der Autorität der Bibel und der Patristik verteidigen und möglichst wahrscheinliche Argumente einfordern. Auch sollte er erneut die Allmacht Gottes nicht als hinreichende Begründung für eine Ansicht über die Sinnenwelt gelten lassen. Diese beiden Grundsätze – die Behauptung von unterschiedlichen Zuständigkeitsbereichen der heiligen Schriften einerseits und der menschlichen Vernunft andererseits sowie die Forderung nach einer Überprüfung dessen, was als Werk Gottes angeblich rational nicht verstanden werden könne – bestimmten z. B. wiederum die Diskussion über die Existenz von Wasser oberhalb des Himmels sowie auch die Frage nach der Verbindung von Seele und Körper beim Menschen.20 Im Dragmaticon wurden sie dabei offensiver mit den rechtgläubigen Interpretationsmustern konfrontiert. Denn diese Schrift wurde, wie bereits erwähnt, als Dialog, als Wechsel von Frage und Antwort konzipiert, und eine Eigenschaft des fragenden Fürsten war es, die Erklärungen des Philosophen auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen und dort, wo dieser sich von den Autoritäten entfernte, wahre oder wahrscheinliche Vernunftschlüsse (uera uel uerisimilis ratio) für seine Ansichten einzufordern.21 Die Figur des »authoritative and irreproachable guarantor 19 Wilhelm von Conches, Dragmaticon 1.3.1–5, hg. Ronca 1997, S. 11,3–13,47. 20 Ebd. 3.2.1–8, S. 57,1–60,79, wo es u. a. heißt: ¢Philosophus² In eis quae ad fidem catholicam uel ad institutionem morum pertinent, non est fas Bedae uel alicui alii sanctorum patrum contradicere. In eis tamen quae ad physicam pertinent, si in aliquo errant, licet diuersum adfirmare. Etsi enim maiores nobis, homines tamen fuere (3.2.3, S. 58,24–28). Vgl. auch: ¢Philosophus² Qui igitur Deum aliquid contra naturam facere dicit, uel sic esse oculis uideat, uel rationem quare hoc sit ostendat, uel utilitatem ad quam hoc sit praetendat (3.2.8, S. 60,76–79). Vgl. auch 6.25.3, S. 263,24–264,27: ¢Philosophus² Anima nec apposita nec mixta nec concreta est corpori, sed coniuncta. Quod uero quaeris, quid eam illi coniungit, quid eam illud amare facit, etsi possem dicere Deus, quia tamen physicam quaeris, accipe. Vgl. auch Speer 1995, S. 216–221; Ronca 1990, S. 339 f., sowie Flatten 1929, 35–39. 21 Wilhelm von Conches, Dragmaticon 3.2.4, hg. Ronca 1997, S. 58,30–32. Nach Speer 1999, S. 219, und Ronca 1990, S. 333, waren Adelards Quaestiones (vor 1137) Vorbild für Wilhelms Dragmaticon. Zum Dialog (unterschieden von der Quaestio) als untypischer literarischer Form für philosophisch-theologisches Denken im Mittelalter Jacobi 1999, S. 9–11. Von Moos 1989a u. ders. 1989b hingegen spricht von der Häufigkeit literarischer Dialogformen im Mittelalter und analysiert genauer den Dialogus Ratii et Everardi (zw. 1191 u. 1198) des Zisterziensers und Lehrers für kanonisches Recht (Paris) Eberhard von Ypern, welcher – ähnlich wie Wilhelm von Conches – die Dialogform zur Konfliktlösung und Verteidigung wissenschaftlichen Denkens einsetzte. Im Laufe des 12. Jh.s entwickelte sich nach von Moos eine »neue Kultur des problematisierenden Dialogs«. Von Moos 1989b, S. 199. Wilhelm von Conches selbst erklärte die Wahl dieser literarischen Form lediglich damit, Langeweile vermeiden zu wollen: Sed quia similitudo orationis mater est sacietatis, sacietas fastidii, nostram orationem dragmatice distinguemus. Wilhelm von Conches, Dragmaticon 1.1.11, hg. Ronca 1997, S. 9,109–111, Quellenangaben ebd.
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of orthodoxy«22 war neu im Dragmaticon, das sich als Dialog deutlich von dem Traktat aus der Jugendzeit unterschied. Ein Dialog für einen Fürsten Bereits der Titel des Dragmaticon verweist darauf, dass in diesem Text ein Gespräch geführt wird. Dabei kann jedoch nur vermutet werden, dass es Wilhelm selbst war, der diesen aus der griechischen Poetik entlehnten Begriff wählte. Er bezeichnet die Form der Dichtkunst, in der die Figuren die Handlung ohne die Stimme des Autors gestalten, und wurde in der Spätantike als Synonym für ›dialogisch‹ (dramaticus) verwandt.23 Dass ein derartiger Hinweis auf die Textform zumindest im Sinne Wilhelms war, verdeutlicht sogleich das Incipit des Dragmaticon, das als Antwort auf eine Frage verweist: »Du fragst, ehrwürdiger Herzog der Normandie und Graf von Anjou […].« (Quaeris, uenerande dux Normannorum et comes Andegauensium […].)24 Dabei enthält der erste Satz zunächst nur die Wiederholung einer Frage, womit es möglich wird, das Quaeris programmatisch an den Textbeginn zu stellen, damit den Text als eine adressierte Antwort kenntlich zu machen und die Erwartung zu wecken, in ihm weitere Antworten (und Fragen) hören zu können. Während der Antwortende ohne Identität bleibt und später den Wunsch äußert, in dem Gespräch lediglich als philosophus sine nomine25 aufzutreten, offenbart schon der erste Satz, wem hier geantwortet wird.26 Der dux Normannorum et comes Andegauensium war Gottfried von Plantagenet (1113–1151), der aus dem Haus der Grafen von Anjou stammte und im Jahr 1144 zudem den Titel ›Fürst der Normandie‹ übernahm, welchen er fünf Jahre später an seinen Sohn Heinrich, den späteren Heinrich II., König von England, übertragen sollte. In der Einleitung des Dragmaticon ließ Wilhelm den Philoso22 Ronca 1990, S. 334. 23 Der Titel Dragmaticon Philosophi(a)e ist nur in zwei Handschriften – Montpellier, Faculté de Médecine, MS H 145 (Pontigny, 1170–1175), u. Paris, BnF, MS lat. 6415 (Frankreich, 2. H. 12. Jh.) – überliefert. Am häufigsten ist die Schrift mit Philosophia oder Secunda Philosophia betitelt. Dazu sowie zu den Begriffen Dragmaticon und dramaticus die ausführlichen Angaben von Ronca 1997, S. xi–xvi. Er kommt ebd., S. xv, zu dem Schluss, dass der Titel von Wilhelm selbst stammt. Kritik an dieser Argumentation von Verweij 2001, S. 9. 24 Wilhelm von Conches, Dragmaticon 1.1.1 (Prologus), hg. Ronca 1997, S. 3,5 f. 25 Ebd. 1.1.11, S. 9,111 f.: Tu igitur, dux serenissime, interroga; philosophus sine nomine ad interrogata respondeat. Ronca weist darauf hin, dass dieser Topos der Bescheidenheit einen ironischen Unterton bekommt, »[…] if taken as a reply to the gratuitous insult received from William of St Thierry, who had described him as someone obscuri quidem nominis et nullius auctoritatis.« Ronca 1990, S. 334 f. Das Zitat aus dem Brief von Wilhelm von St. Thierry bei Leclercq 1969, S. 382,5–7. 26 Die um 1230 im Kölner Raum entstandene Dragmaticon-Handschrift Cod. Bodmer 188 der Bibliotheca Bodmeriana in Coligny enthält ein Frontispiz, auf dem zwei Dialogszenen bildlich dargestellt sind. Im unteren Register sitzen sich die Gesprächspartner des Dragmaticon gegenüber, der Magister Wilhelmus und der Dux Normannie. Analog sprechen im oberen Register Plato und die Philosophia miteinander. Dazu Lutz 2003, S. 46 u. 62–66 mit Abb. 6, sowie Meier 2005, S. 508 f.
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phen die Absicht äußern, eine der Wissenschaft (scientia) dienende Abhandlung für den Fürsten sowie dessen Söhne verfassen zu wollen.27 Aufgrund dieser Äußerung wird angenommen, dass Wilhelm gerade in den Jahren, in denen sich mit der Anklage Wilhelms von St. Thierry der Verdacht der Häresie gegen ihn richtete, am Hof Gottfrieds als Tutor wirkte und unter dem Schutz des Fürsten stand. Das Dragmaticon lässt sich demnach in die Jahre 1144 bis 1149 datieren.28 Wilhelm verfasste sein zweites naturphilosophisches Werk somit außerhalb des Umfelds der Kathedralschulen. Er kam jedoch ganz zu Beginn des Dragmaticon auf sein früheres Wirkungsfeld zu sprechen und gab seinen beißenden Spott über den aktuellen Niedergang der Bildung an den Schulen geschickt als eine Antwort auf die Frage des Fürsten aus: »Du fragst, ehrwürdiger Herzog der Normandie und Graf von Anjou, warum den Magistern unserer Zeit weniger geglaubt wird als den alten geglaubt wurde.« (Quaeris, uenerande dux Normannorum et comes Andegauensium, cur magistris nostri temporis minus creditur quam antiquis crederetur.)29 Wilhelms verbale Attacken zielten im Folgenden weniger auf die mangelhaft begabten Lehrer als vielmehr wiederholt auf die Schüler, denen er vorwarf, die Achtung vor ihren Lehrern und den Sinn für die Ernsthaftigkeit des Studiums in einer weltlichen Bequemlichkeit verloren zu haben.30 Diese Klagen, die Joan Cadden zufolge nicht nur den Topos des unter der Eitelkeit der Welt leidenden Gelehrten wiedergeben, sondern auch eine Irritation über die durch den gesellschaftlichen Wandel bedingten Veränderungen an den Schulen spiegeln, erfüllten im Dragmaticon zudem eine besondere Funktion.31 Die entschiedene Abgrenzung gegenüber der außerhöfischen Bildungswelt sowie das im selben Atemzug vorgebrachte Lob des Fürsten als Hoffnungsträger für einen Fortbestand gewissenhaften Lernens dienten dazu, den fürstlichen Hof als einen Ort der Bildung und eine für einen Gelehrten wie Wilhelm passende Wirkungsstätte zu definieren.32 Dass Wilhelm »[…] in die Entourage des 27 Wilhelm von Conches, Dragmaticon 1.1.5 (Prologus), hg. Ronca 1997, S. 5,50 f.: […] tibi et filiis tuis aliquid quod ad scientiam pertineat scribere proposuimus. 28 Gregory (1955), S. 3 u. 7, Anm. 5; Ronca 1997, S. xviii–xx. 29 Wilhelm von Conches, Dragmaticon 1.1.1 (Prologus), hg. Ronca 1997, S. 3,5–7. 30 Ebd. 1.1.2 (Prologus), S. 4,13–21 (Kritik an den magistri). Zur Kritik an den discipuli ebd. 1.1.3 (Prologus), S. 4,22–32, sowie 2.1.3 (Prologus), S. 34,23–30 (Adolescentes uero et iuuenes, in quibus aliquid spei consistere deberet, nugis et inutilibus deseruiunt […].), u. 3.1.2 (Prologus), S. 55,12–56,20, wo es u. a. heißt: In nugis sunt [nostri contemporanei] subtiles, in necessariis tardi et hebetes. 31 Dazu sowie zum Folgenden Cadden 1995, S. 14–22. Zum Topos der unter dem Einfluss der jüngeren Generation degenerierenden Kultur und zu seinem Gebrauch im 12. Jh. Chenu 1997 [1957], S. 317. 32 Wilhelm von Conches, Dragmaticon 1.1.5. (Prologus), hg. Ronca 1997, S. 5,43–37: Hae sunt igitur causae, dux illustrissime, quibus tota magistrorum dignitas et auctoritas periit, omnisque scientia sine spe fere euanuit. In te tamen et in filiis tuis aliquid spei consistit, quos non, ut alii, ludo alearum, sed studio litterarum tenera aetate imbuisti […]. Cadden 1995, S. 18: »[…] William took pains to present the case that the aristocratic household could replace the com-
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Fürsten aufgenommen werden [wollte], um dadurch einen gewissen Schutz zu erlangen«33, wird im Dragmaticon immer wieder deutlich. Der Autor nutzte die Dialogform, um seinem Schutzherrn das Garantieversprechen in den Mund zu legen, seinem Gesprächspartner, dem nach der wahren Erkenntnis strebenden Philosophen, ein Förderer und Beschützer sein zu wollen.34 So wurde Gottfried von Plantagenet in dem Moment, in dem das Dragmaticon im höfischen Adressatenkreis vorgelesen wurde, durch sein Alter Ego an dieses Schutzversprechen öffentlich erinnert.35 Zudem musste Gottfried feststellen, dass er in der Rolle des fragenden Fürsten zweifelsohne eine gute Figur neben dem Philosophen machte. Anders als die tugendlosen Studenten, die – ungeachtet ihres Nichtwissens – bereits am ersten Tag damit beginnen, Fragen zu stellen und Urteile zu fällen, anstatt damit bis zum achten Studienjahr zu warten, eröffnet der Fürst erst auf die Aufforderung des Philosophen hin die Diskussion mit einer ersten direkten Frage: »Da die Aufgabe, zu fragen, mir auferlegt wurde, frage ich […].« (Quoniam officium interrogandi michi est iniunctum, quaero […].)36 Er wird sich im Folgenden als ein gebildeter Gesprächspartner des Philosophen erweisen, der stets in der Lage ist, die Tragfähigkeit und Rechtmäßigkeit der vorgebrachten Argumente auf der Basis einer detaillierten Kenntnis der Lehrmeinungen zu überprüfen und die Antworten des Philosophen mit eigenen Stellungnahmen zu kommentieren. Nur an wenigen Stellen sieht sich der Philosoph gezwungen, den Fürsten zu tadeln und promised schools as the haven for disinterested learning, particularly natural philosophy.« Vgl. auch ebd., S. 22, sowie Ricklin 1998, S. 134, u. Speer 1995, S. 135 f. Neben den Lehrern und Schülern traf auch die Prälaten, insbesondere die Bischöfe, spöttische Kritik. Wilhelm missfiel vor allem deren Neigung, einfältiges und damit willfähriges Personal einzustellen. Ricklin sieht diese Kritik durch Wilhelms enttäuschte Hoffnung motiviert, wie andere Gelehrte auch von der schulischen in eine kirchliche Laufbahn überzuwechseln. Ricklin 1998, S. 145–147; Wilhelm von Conches, Dragmaticon 1.1.4 (Prologus), hg. Ronca 1997, S. 5,33–42, sowie 5.1.2–5 (Prologus), S. 132,11–134,37. 33 Ricklin 1998, S. 127. 34 Wilhelm von Conches, Dragmaticon 2.1.5 (Prologus), hg. Ronca 1997, S. 35,40–43: Vtinam, dux illustrissime, huius uoluntatis exercitium haberes! Tunc enim securus aduersus inimicos sapientiae pugnarem. ¢Dux² Me uiuo securus pugna. Vgl. auch ebd., 6.1.6 (Prologus), S. 181,41–44: Vt audio, exposita est et prostituta philosophia. Attamen si te fautorem et adiutorem haberem, a manibus uiolentorum illam eriperem uestesque illius abscissas resarcirem. ¢Dux² Me fautorem et adiutorem promitto. 35 Speer 1999, S. 219 u. 227: »Mehr noch als die Widmung macht die Einbindung in das Dialoggeschehen den Widmungsträger vor den Augen des übrigen Publikums zum Mitstreiter des Autors; im Dragmaticon gewinnt die dem Fürsten in den Mund gelegte Schutzverpflichtung gar den Charakter eines öffentlichen Garantieversprechens.« Vgl. auch Ronca 1990, S. 334. 36 Wilhelm von Conches, Dragmaticon 1.2.1, hg. Ronca 1997, S. 10,2 f. Zur Kritik am vorlauten Verhalten der Studenten ebd. 1.1.3 (Prologus), S. 4,22–26: Discipuli etiam culpa non carent, qui, relicta pythagoricae doctrinae forma, qua constitutum erat discipulum septem annis audire et credere, octauo demum interrogare, ex quo scolas intrant, antequam sedeant, interrogant; immo, quod deterius est, iudicant.
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damit – in einer Situation, in der sich die weltliche Schwäche des Philosophen in seiner Abhängigkeit von der fürstlichen Schutzmacht zeigte – zumindest die eigene intellektuelle Überlegenheit zu betonen.37 Das Dragmaticon hatte somit mehreren Ansprüchen zu genügen. Es sollte den Status Wilhelms von Conches als rechtgläubiger Gelehrter von hohem Rang bestätigen, dessen Welterkenntnis überzeugend vermitteln und damit der Bildung des Fürsten und seiner Söhne dienen sowie Gefallen am Hofe finden, denn schließlich sah Wilhelm gerade dort sein neues Wirkungsfeld. Im Text vollzieht sich die Darlegung der Welt in kleinen Schritten; sie ist als Antwort an den Fürsten adressiert, ihm wird die Welt erklärt. Für diesen des Gegenstands würdigen Dialogpartner suchte Wilhelm nicht nur nach den richtigen Worten, sondern er zeichnete auch.38 Mit welcher Absicht der Philosoph seinen Erklärungen ca. 30 Diagramme beifügte, welche er auswählte und was mit den Diagrammen im Prozess der Überlieferung – die zunächst noch kurz zu skizzieren ist – geschah, soll im Folgenden untersucht werden. Überlieferung und Auswahl Das Dragmaticon, um die Mitte des 12. Jahrhunderts in Nordfrankreich verfasst, wurde schon bald vielerorts kopiert und war bereits im späten 12. Jahrhundert in Bibliotheken außerhalb Frankreichs zu finden. Die Anzahl der Abschriften nahm bis zum frühen 14. Jahrhundert noch einmal deutlich zu. Insgesamt sind aus dem genannten Zeitraum bisher 45 Handschriften überliefert.39 Das Dragmaticon wurde als Grundlagentext im Unterricht an den Kathedralschulen benutzt 37 Ebd. 1.6.12, S. 27,114–28,115: Molesta ista congeries interrogationum ex hoc profluit quod impositiones et translationes nominum nescis; sowie (indirekte Kritik) 2.2.3, S. 36,28 f.: Bestialiter iudicat qui secundum solum sensum iudicat. 38 Schon in den Text der Philosophia integrierte Wilhelm ca. 13 Diagramme, die er, teilweise in abgewandelter Form, im Dragmaticon erneut einsetzte. Für einen ersten Überblick vgl. die Nachzeichnungen in der Edition von Maurach: Wilhelm von Conches, Philosophia, hg. Maurach 1980, S. 55 (Bahnen von Venus, Merkur und Sonne), 56 (Bewegung der Sonne durch den Tierkreis), 65 (Stellung von Sonne, Mond und Erde bei einer Sonnenfinsternis), 66 (Stellung bei einer scheiternden Sonnenfinsternis), 68 (Mondphasen), 69 (Stellung von Mond, Erde und Sonne bei einer Mondfinsternis), 70 f. (zylindrische, becherförmige und konische Schattenform), 72 (zwei Diagramme zur Mondfinsternis), 82 (Ozeanströmungen) u. 92 (Weltkarte). 39 Ich folge den Angaben von Ronca 1997, S. xxxvi–lxxii, hier lxiv. Auf der Basis früherer Übersichten zur Überlieferung des Dragmaticon sowie eines ausführlichen Studiums zahlreicher Handschriften im Original stellte Ronca eine Liste samt Kurzbeschreibungen von insgesamt 81 Handschriften des 12.–15. Jh.s zusammen, von denen insgesamt 61 den Text komplett oder umfangreichere Fragmente enthalten. Auf dieser Zusammenstellung basiert die folgende Übersicht über die Handschriften des 12. bis frühen 14. Jh.s, bei der ich wiederum die Zeiteinteilung von Dutton (vgl. Kap. 2, Anm. 20) verwende. Auch hier habe ich jüngere Ergebnisse zur Datierung der Handschriften berücksichtigt. Die kursiv gedruckten Handschriften habe ich nicht im Original gesehen. – 12. Jh. (bis 1175): drei Abschriften: Montpellier, Faculté de Médecine, MS H 145 (Pontigny); BAV, MS Reg. lat. 1021; BAV, MS Reg. lat. 1222.
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und – in der Zeit vor der Rezeption von Übersetzungen naturphilosophischer Schriften aus dem Griechischen und Arabischen – möglicherweise auch an den Artistenfakultäten der nun entstehenden Universitäten verwandt.40 Die Dragmaticon-Handschriften zeigen nicht die formale Einheitlichkeit in der Gestaltung von Text und Diagramm, die die hier zuvor betrachteten Calcidius-Handschriften kennzeichnet. Ein weiterer Unterschied besteht in der Verwendung von Farbe und Ornament. Während beides für den Calcidius-Kommentar nur in geringem Maße zum Einsatz kam, wurde der Text in den DragmaticonAbschriften häufig aufwendiger ausgestattet. Zweifarbige Silhouetten- oder Fleuronné-Initialen gliedern hier oft das in sechs Bücher aufgeteilte Textkorpus.41 Mehrfarbige oder figurative Initialen sind jedoch auch in den DragmaticonHandschriften selten.42 Die Diagramme sind in vielen Handschriften schlicht – 12./13. Jh. (1175–1225): 14 Abschriften: Cambridge, CCC, MS 385; Erfurt, MS Ampl. 8° 85; Frankfurt/Main, UB, MS Barth. 134; BL, MS Arundel 377; BSB, clm 564 (Bayern); BSB, clm 2595 (Alderspach?); Bodleian, MS Auct. F. 5. 25; BnF, MS lat. 6415 (Frankreich); Prag, Státní knihovna, MS XIV H8 (2653); Stuttgart, LB, MS HB VII 56; Tortosa, Biblioteca Capitular, MS 144; BAV, MS Palat. lat. 1042 (Deutschland); BAV, MS Reg. lat. 72 (Frankreich) (Fragment); HAB, MS 303 Gud. lat. 8°. – 13. Jh. (1225–1275): 21 Abschriften: Cambridge, GCC, MS 225; Cambridge, SJC, MS 171 (G. 3); Cologny, Bibliotheca Bodmeriana, cod. Bodmer 188; BML, MS Ashburn 173 (98); BML, MS Plut. 29. 47; BML, MS Strozzi 87; Florenz, BNC, MS II. VI. 2; Florenz, Riccardiana, MS 829 (Pisa); Halle, ULB, MS Yc 8° 8; BL, MS Add. 18210; BL, MS Royal 4 A. XIII; BL, MS Royal 12 F. X; Bodleian, MS Auct. F. 5. 28 (England?); Bodleian, MS e Musaeo 121; Oxford, CCC, MS 95; BnF, MS lat. 16207; Troyes, BM, MS 1342; Troyes, BM, MS 1861; Valenciennes, BM, MS 321; Vendôme, BM, MS 189; Zürich, Kantonsbibl., MS Car. C 125. – 13./14. Jh. (1275–1325): sieben Abschriften: SBPK, MS lat. 4° 39; Edinburgh, UL, MS 115 (D. b. V.15); Erfurt, MS Ampl. 8° 28; Glasgow, UL, MS Hunterian V.5.14; Ambrosiana, MS E. 12 Inf.; BSB, clm 15407 (Bayern/Österreich); Padua, BU, MS 2171. 40 Ronca zufolge zeigt sich auch in der indirekten Tradierung des Dragmaticon dessen schnelle Verbreitung und intensive Rezeption an den Artistenfakultäten des 13. Jh. s. Vinzenz von Beauvais (gest. 1264) z. B. integrierte das Werk nahezu vollständig in die zweite Fassung seines enzyklopädischen Speculum naturale. Ronca 1997, S. xxxiii. Vgl. auch Elford 1988, S. 308. 41 Die Auffassung von Buchstabe und Schmuck ist bei beiden Zierformen identisch. Während jedoch bei der ›romanischen‹ Silhouetteninitiale zumeist eine einspurige Blattkontur den Buchstaben umgibt, ist das ›gotische‹ Fleuronné ein lineares Ornament, das den Buchstaben wie ein filigranes Geflecht umspielt und auf den Seitenrand ausrankt. Die Farben für die Fleuronné-Initialen sind in den Dragmaticon-Handschriften fast immer Blau und Rot, wobei der Buchstabe in der jeweils anderen Farbe kompakt hervortritt. Beide Zierformen werden zur Kennzeichnung sämtlicher Textordnungen verwandt und können z. B. nur am Anfang der sechs Bücher (z. B. BL, MS Royal 12 F. X (13. Jh.)) und zusätzlich zu Beginn einzelner Kapitel (z. B. BL, MS Royal 4 A. XIII (13. Jh.)) stehen. Zu diesen Spielformen der ornamental verzierten Initiale: Fleuronné 1996; außerdem Jakobi-Mirwald 1997, S. 64 u. 89–94; Stirnemann 1990; Scott-Fleming 1989; Mazal 1986, S. 154 u. 156; Alexander 1978, S. 21. 42 Vgl. aber Montpellier, Faculté de Médecine, MS H 145 (Pontigny, 1170–1175), fols. 1r, 6v, sowie deren ›Zwilling‹ BnF, MS lat. 6415 (Frankreich, 2. H. 12. Jh.), fols. 1r, 4r, 7v, 12v, 14v (mehrfarbig); BML, MS Strozzi 87 (13. Jh.), fol. 1v (Figurinitiale). Letztere ist spektakulär: Die diagonale Cauda des Q bilden zwei nackte männliche Figuren, von denen sich die obere am
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in Braun oder Rot gezeichnet, in anderen jedoch polychrom gestaltet.43 Übereinstimmungen in der Ausstattung mit Diagrammen lassen Verwandtschaften zwischen den Handschriften erkennen, die Ronca allerdings für sein ›vorläufiges Stemma‹ nicht immer beachtet zu haben scheint.44 Ein Vergleich der Abschriften ergibt aber auch, dass an denselben Textstellen immer wieder ganz andere Diagramme vorkommen, d. h. Variationen in der Ausstattung mit Inschriften und in der ornamentalen Verzierung sowie Umformungen und -platzierungen einzelner Elemente im Diagramm. Die folgende Untersuchung der Diagramme des Dragmaticon, in der die Eigenheiten der Überlieferung des 12. und 13. Jahrhunderts möglichst umfassend berücksichtigt werden sollen und in der die Diagrammform, somit das Spektrum der Diagrammgestaltung, im Zentrum steht, kann sich angesichts des heterogenen Überlieferungsbildes zwangsläufig nicht nur auf eine einzige Handschrift konzentrieren. Das Hauptaugenmerk wird deshalb auf zwei Handschriften liegen. Die Abschrift aus dem 13. Jahrhundert, die sich heute im Besitz der Biblioteca Medicea Laurenziana in Florenz befindet, steht an dem einen Pol des Überlieferungsspektrums und repräsentiert die schlichte, wenig aufwendige Umsetzung von Text und Diagramm (z. B. Abb. 36, 38–40).45 Für beide ist hier die gleiche braune Tinte verwandt. Rubrizierungen – als solche sind neben den Initialmajuskeln und den Inhaltsangaben im laufenden Text sowie auf dem Seitenrand auch die Dialogwechsel hervorgehoben – erleichtern die Orientierung im Text. In den stets sorgfältig in den Text gebetteten Diagrammen hingegen kommen rote Inschriften und Linien nur selten vor. Daneben soll eine zweite Abschrift im Zentrum stehen, die Teil einer Sammelhandschrift ist, welche in dem Zeitraum 1170 bis 1175 im Zisterzienserkloster von Pontigny entstand und außerdem die Quaestiones (vor 1137) des Adelard von Bath (um 1116–1142), das achte Buch aus Martianus Capellas De nuptiis Philologiae et Mercurii sowie des Weiteren Texte zur Körperhaftigkeit der Seele Buchstaben festhält, während sie zu der unteren hinabschaut und diese am Haarschopf ergreift. Sehr fragwürdig ist, ob hier, wie Ronca schreibt, die beiden Dialogpartner dargestellt sein sollen. Die Ansicht, dass die Figuren die »sphere of the world« emporhalten, ist auch nicht tragbar. Ronca 1997, Nr. 12, S. xliii. 43 Die Zahl der Handschriften mit mehrfarbigen Diagrammen macht etwa ein Drittel der von mir im Original gesehenen Handschriften aus. Besonders farbenprächtige Diagramme finden sich in: Montpellier, Faculté de Médecine, MS H 145 (Pontigny, 1170–1175); BnF, MS lat. 6415 (Frankreich, 2. H. 12. Jh.); Cambridge, CCC, MS 385 (12./13. Jh.); BL, MS Royal 12 F. X (13. Jh.), sowie Oxford, SJC, MS 178 (England, 2. V. 14. Jh.). 44 Wilhelm von Conches, Dragmaticon, hg. Ronca, S. lxxii (»a tentative stemma codicum«). Auf der Ebene der Diagramme sind z. B. die Paare K und M nicht überzeugend. 45 BML, MS Ashburn 173 (98), fols. 1v–41r. Diese Handschrift enthält nur das Dragmaticon. Die Vorlage ist bisher nicht bekannt. Paoli 1891, Nr. 98, S. 174 f.; Ronca 1997, Nr. 10, S. xlii. Diese Handschrift bildet mit Erfurt, MS Ampl. 8° 85 (fr. 13. Jh.), Bodleian, MS Auct. F. 5. 25 (fr. 13. Jh.), sowie Venedig, Marciana, MS lat. XI. 31 (4149) (14./15. Jh.), Roncas Familie E. Ronca 1997, S. lxxii.
Einführung
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enthält.46 Die Texte in diesem Codex waren die einzigen naturphilosophischen Werke, die in den Grundstock der Bibliothek des 1114 gegründeten Klosters aufgenommen wurden.47 Keine andere Handschrift war ähnlich aufwendig mit Diagrammen ausgestattet wie die Sammelhandschrift mit dem Dragmaticon.48 Dass sich gerade diese nicht durch Schlichtheit auszeichnet, sondern vielmehr in der Gruppe aller überlieferten Dragmaticon-Handschriften durch besonders farbenprächtige und ornamentreiche Diagramme hervorsticht, mag ob ihrer Herkunft erstaunen.49 Die vom Zisterzienserorden propagierten Ideale der Einfachheit und 46 Montpellier, Faculté de Médecine, MS H 145, hier fols. 1r–61v. Peyrafort-Huin 2001, Nr. 99, S. 546 f. Vgl. auch Catalogue général 1849, S. 341 f.; Villetard 1901 [1900], S. 28 f.; Ronca 1997, Nr. 27, S. xlviii, der von »one of the best preserved and most beautiful MSS of the Dragmaticon« spricht. Des Weiteren Burnett 1987, Nr. 73, S. 185; Leonardi 1960, Nr. 113, S. 85 f. Vgl. auch Anm. 42 u. 43. 47 Monique Peyrafort-Huin legte eine hervorragende Studie über die Bibliothek des Klosters Pontigny vor, in der sie u. a. den ersten, zwischen 1165 und 1174 erstellten und 150 Codices verzeichnenden Bibliothekskatalog edierte sowie alle überlieferten Handschriften aufführte. Der Katalogeintrag für die Sammelhandschrift mit dem Dragmaticon lautet: De libro magistri Guillelmi de Conchis. Uno volumine, Philosophia magistri Guillelmi de Conchis; & eodem, cujusdam Adelardi Philosophia cum quibusdam Philosophorum de natura elementorum sententiis; Claudianus Viennensis ad postremum De triplici animarum statu, tribus libris. Peyrafort-Huin 2001, S. 276. Vgl. auch ebd., S. 89. Als einziges zu diesem frühen Bestand zählendes Werk, das sich ebenfalls mit Kosmologie und Astronomie beschäftigt, ist Bedas De temporum ratione (Auxerre, BM, MS 14, fols. 36r–83r, auch fols. 83r–84v) zu nennen. Ebd., S. 470 f. Eine Handschrift des 13. Jh.s enthält weitere komputistische Texte (BAV, MS Reg. lat. 109, fols. 151r–157r). Ebd., S. 565 f. Eine Gesamtdarstellung des frühen Bibliotheksbestands gibt die Autorin ebd., S. 79–99. 48 Den präzisen Beschreibungen der Handschriften von Peyrafort-Huin zufolge waren nur sehr wenige der übrigen Codices mit einzelnen, allerdings vollkommen schmucklosen Diagrammen ausgestattet. Es handelt sich um: (1) Schemata der Bäume der Tugenden und der Laster, in: Adalbertus Metensis, Speculum (Auxerre, BM, MS 21 (2. V. 12. Jh.), fols. 190v u. 191r; Peyrafort-Huin 2001, Nr. 21, S. 475); (2) ein (unvollständiges?) Kreisdiagramm mit dem Tierkreis und den Umlaufbahnen der sieben Planeten, in: Papias, Elementarium: R-Z (Auxerre, BM, MS 70 (12./13. Jh.), fol. 31r; ebd., Nr. 34, S. 483 f.); (3) Diagramme zu Arithmetik und Geometrie, zwei Diagramme zu den Verwandtschaftsgraden und eine Weltkarte, in: Isidor von Sevilla, Etymologiae (Auxerre, BM, MS 76 (2. V. 12. Jh.), fols. 21–22, 66v, 67r, 91v; ebd., Nr. 35, S. 484 f.), sowie (4) ein Diagramm zu den Verwandtschaftsbeziehungen mit aufwendigem Rahmenwerk, in: Gratianus, Decretum (Fragment) (Auxerre, BM, MS 269(?) (ca. 1170–1180), fol. 1r; ebd., Nr. 53.3, S. 498 f.). 49 Eine Vorlage für diese Handschrift ist nicht bekannt. Das Verhältnis zwischen ihr und ihrer ›Zwillingshandschrift‹, BnF, MS lat. 6415, die ebenfalls in der zweiten Hälfte des 12. Jh.s in Frankreich entstand, ist nicht geklärt. Die Handschrift in Paris enthält ebenfalls das Dragmaticon (fols. 1r–23v), Adelards Quaestiones sowie das achte Buch aus Martianus Capella, ist im übrigen Teil jedoch mit der Handschrift aus Pontigny nicht identisch. Das Dragmaticon ist hier nur unvollständig erhalten und mit lediglich drei Diagrammen (fol. 6r: zwei zur Verknüpfung der Elemente; fol. 13v: Weltkarte) ausgestattet. Diese Diagramme sind mit denjenigen in der Abschrift aus Pontigny nahezu identisch. Zur ›Zwillingshandschrift‹ Catalogus 1744, Nr. vi MCDXV, S. 241; Ronca 1997, Nr. 40, S. lii f.; außerdem Eastwood 1994, S. 145; Burnett 1987, Nr. 98, S. 188 (spricht auch für diese Handschrift von einem »Cistercian origin«); Murdoch 1984, Nr. 248, S. 283; Munk Olsen 1982, Nr. C. 387, S. 257.
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schlichten Zweckmäßigkeit jedoch, denen auf dem Gebiet der Buchmalerei die monochrome, grafische und unfigürliche Initiale entsprach, wurden im Skriptorium von Pontigny nicht während des gesamten 12. Jahrhunderts konsequent umgesetzt. Für den Textschmuck konnte Patricia Stirnemann zeigen, dass seit etwa 1165 mit der muschelförmigen Verzierung der Initialen (style coquille) in den Handschriften dieses Klosters die Polychromie an die Stelle der ästhetischen Strenge trat.50 Lässt sich die prächtige Gestaltung der Dragmaticon-Handschrift zum einen in diesem Kontext besser verstehen, soll die folgende Studie darüber hinaus zeigen, dass Farbe und Ornament im Diagramm nicht lediglich oberflächliche Ziermaßnahmen waren, sondern vielmehr dessen Inhalt und Funktion dienten.
3.2 Die Diagramme 3.2.1 Eine vernünftige Ordnung zu Beginn In seinem Sechstagewerk verhandelte Wilhelm von Conches die verschiedenen Ausformungen und Erscheinungsweisen aller Substanz (substantia), welche er als selbstständig Seiendes definierte, das in einzelne Kategorien zerfällt und sowohl das schöpferisch tätige Sein (substantia creatrice) als auch alles Erschaffene, somit sowohl Gott als auch die Schöpfung Gottes, umfasst.51 Im Dragmaticon beginnt die dialektische Suche nach einem rechten Verständnis der Dinge, wie bereits erwähnt, erst nach einer knappen, monologischen Abhandlung über die substantia creatrice, die ein Bekenntnis des Philosophen zum wahren Glauben ist.52 Erst 50 Stirnemann 2001, S. 64–66. Demnach ist die kurz nach 1176 enstandene Abschrift von Johannes’ von Salisbury Vita sancti Thomae Cantauriensis (BL, MS Egerton 2818, fols. 71r– 78r) der letzte Text, der im monochromen Stil ausgeführt wurde. Das Aufkommen des style coquille fällt mit dem Asylaufenthalt Thomas Beckets im Kloster Pontigny (1164–1166) sowie der Kanonisation Bernhards von Clairvaux (1174) zusammen. Ob sich der ästhetische Wandel mit diesen historischen Ereignissen erklären lässt, bleibt offen. »Que le phénomène [le style coquille] soit dû au séjour à l’abbaye de Thomas Becket et de son entourage de bibliophiles ou qu’il résulte d’une lassitude envers la rigueur de la monochromie, au moment même de la canonisation de saint Bernhard, le style ›coquille‹ marque une récouverte sur le monde extérieur et, par suite, une réintroduction de la polychromie à Pontigny.« Ebd., S. 65. Der style coquille ist nach Stirnemann jedoch kein auf Pontigny beschränktes Phänomen, sondern wude z. B. auch schon vor 1174 in Clairvaux verwandt. 51 Mit seiner ersten Frage fordert der Fürst den Philosophen auf, den Begriff substantia zu definieren. Die Antwort lautet schließlich: Substantia est res per se existens, sed alia est creatrix, alia creata. Wilhelm von Conches, Dragmaticon 1.2.2., hg. Ronca 1997, S. 11,24 f. Zur Definition von substantia und accidentia auch ders., Glosae super Platonem 160 (Timaeus 49a), hg. Jeauneau 2006, S. 291. Dazu auch Flatten 1929, S. 84–87. Zur Unterteilung des Dragmaticon in sechs Tagesdialoge und die Nähe zur Ordnung der Genesis Ronca 1997, S. 333 f. 52 Vgl. Anm. 19.
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danach begeben sich Philosoph und Fürst auf das Gebiet von Trugschlüssen, bloßen Ansichten und begründeten Erkenntnissen, auf dem sie zum Gebrauch ihrer Vernunft herausgefordert sind und von all dem, was erschaffen ist, zuerst das unsichtbare diskutieren.53 Sie zeigen sich darin einig, dass immer dann, wenn die Meinung eines heidnischen Gelehrten herangezogen werden müsse, Platon zitiert werden solle, da dessen Lehre stärker als andere mit dem christlichen Glaube übereinstimme.54 Als Quelle für das platonische Weltwissen diente Wilhelm u. a. der Timaeus-Kommentar des Calcidius, den er an dieser Stelle benutzte, um die unsichtbare Wesensfülle des Kosmos zu erläutern. Zu Beginn des Dialogs sprechen Philosoph und Fürst über die Sphären der Welt, die zwischen der Erde und dem Sternenhimmel liegen und nicht nur von einer jeweils anderen Stofflichkeit, sondern auch Aufenthaltsräume unterschiedlicher Lebewesen (animalia) sind.55 Was letztere eint und für Homogenität und Kommunikation im Kosmos sorgt, ist ihre Vernunftbegabung. Sichtbar unter diesen Wesen sind allein die Sterne, die animalia des äußeren Himmels, sowie die Menschen auf der Erde. Die Wesen hingegen, die den Raum zwischen Himmel und Erde bevölkern, sind unsichtbar. Das Gespräch zielt auf eine Erörterung gerade dieser mittleren animalia, ihrer Eigenschaften und Interventionsfähigkeiten. Die stufenweise Unterteilung des kosmischen Raums in die Regionen der Erde, des Feuchten, der Luft, des Äthers und des Himmels (terra, humecta regio, aera, aethera, caelum) bildet daher nur einen Ausgangspunkt für das Folgende.56 Dennoch zeigt das Kreisdiagramm in der Handschrift in Florenz (Abb. 36) genau diese kosmische Ordnung, womit dem Rezipienten lediglich eine Orientierungshilfe für die Verortung der einzelnen animalia gegeben wird, er jedoch bei der etwas komplexeren Darlegung der Eigenschaften dieser Wesen ohne visuelle Abbreviatur auskommen muss. Genau diese Funktion übernimmt das Diagramm in den anderen Abschriften, so auch in derjenigen aus Pontigny (Farbabb. 4). Der Zentralkreis und jede der vier Kreisbahnen enthalten nun umfangreiche53 Ronca 1990, S. 335, charakterisiert den Beginn des Dragmaticon treffend: »[…] the confessio, which is a strictly imposed soliloquy and therefore not a part of the dialogue, represents dogmatic Faith; the dialogue proper represents dialectic Reason.« 54 Wilhelm von Conches, Dragmaticon 1.4.1 f., hg. Ronca 1997, S. 14,7–9: ¢Dux² Si gentilis est adducenda opinio, malo Platonis quam alterius inducatur, plus namque concordat cum nostra fide. ¢Philosophus² Plato, philosophorum doctissimus […]. Weitere Belege für das Prestige Platons unter den Gelehrten des 12. Jh.s bei Chenu 1997 [1957], S. 65 u. 50 f., Anm. 1. Einen Überblick über die Quellen, die Wilhelm benutzte, liefert Ronca 1997, S. xxiv–xxxi. 55 Für das Folgende Wilhelm von Conches, Dragmaticon 1.4.2 ff., hg. Ronca 1997, S. 14,9 ff., sowie Calcidius, Commentarius 120 u. 129–136, hg. Waszink 1962, S. 164,19–165,15 u. 171,19– 177,12. 56 Das aethera bezieht sich nicht auf den Äther der aristotelischen Kosmologie, sondern auf eine Feuerschicht von größerer Dichte, als sie das Feuer des Himmels besitzt, was bei Wilhelm nicht weiter spezifiziert, aber bei Calcidius deutlich wird: Summum enim esse locum ait ignis sereni, huic proximum aethereum, cuius corpus esse ignem aeque, sed aliquanto crassiorem quam est altior ille caelestis […]. Calcidius, Commentarius 129, hg. Waszink 1962, S. 172,3–5.
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re Inschriften, die hier zudem farblich unterschieden sind. Die Elementarsphären sind nur indirekt benannt; dem Diagramm ist zu entnehmen, durch welche Eigenschaften sich das Wesen einer jeden Region auszeichnet. Im Text erläutert der Philosoph, dass es der Wunsch des Schöpfers gewesen sei, den gesamten Kosmos mit vernunftbegabten Wesen auszufüllen und die Distanz zwischen den Sternen und den Menschen zu überbrücken.57 Anders als die unsterblichen und Leidenschaften gegenüber unempfänglichen Sterne (animal celeste, uisibile, rationale, immortale, impatibile) ist der Mensch sterblich (mortale) und leidenschaftlich (patibile). Von diesen gegensätzlichen Eigenschaften nehmen die unsichtbaren Wesen der Zwischensphären jeweils eine auf: Sie sind inuisibile, rationale, immortale, patibile und unterscheiden sich untereinander zunächst durch ihre Ansässigkeit in einer jeweils anderen Stofflichkeit. Diese Ordnung der Vernunftwesen im Kosmos zeigt das Diagramm, wobei es durch die Kolonnenbildung der Inschriften die Wesensgleichheit – immer handelt es sich um ein animal rationale – sowie die Differenzen und Übereinstimmungen im Katalog der Eigenschaften übersichtlich verwaltet. Der Mensch wird in diesem Diagramm inschriftlich zum Zentrum des Ganzen, in dem er dennoch als Sonderling erscheint, denn nur er wird nicht durch eine zusätzliche Farbe ausgezeichnet. Die Wörter homo und animal terrenum, uisibile, rationale, mortale, patibile sowie der Erdkreis sind im Braun des Texts geschrieben bzw. gezogen, wodurch beide – Mensch und geschriebener Text – visuell miteinander in Beziehung gesetzt werden. Obgleich der Mensch von allen anderen Vernunftwesen des Kosmos unterschieden wird, ist er doch zentraler Bezugspunkt des Ganzen, da nicht nur alle Kreisbahnen um diesen Mittelpunkt verlaufen, sondern auch sämtliche Inschriften auf ihn ausgerichtet sind. Dieser formale Fokus entspricht der inhaltlichen Ausrichtung des Texts, in dem der Philosoph erläutert, dass die mittleren, unsichtbaren Wesen entweder als böse, Unheil stiftende Geister in das Leben des Menschen eingreifen oder aber positiv als Botschafter zwischen Gott und Mensch wirken. Von Güte und Mitleid werden die Luft- und Ätherwesen erfüllt, während das Dasein der Wesen der feuchten Himmelsregion von Neid und Hass bestimmt sei.58 Diese Scheidung der mittleren animalia rationales in Gut und 57 Wilhelm von Conches, Dragmaticon 1.4.2, hg. Ronca 1997, S. 14,14: Nullam uero illarum [quinque regionum] carere rationali animali uoluit. Bei Calcidius heißt es: […] quo interna mundi congesta sint animalibus ratione utentibus nec sit ulla eius regio deserta. Calcidius, Commentarius 120, hg. Waszink 1962, S. 165,3 f. 58 Anschließend erfährt der Fürst, warum diese kosmischen Vernunftwesen sowohl als daemones als auch als angeli bezeichnet werden können und warum die Frage, ob die Engel Geister oder Körper sind, letztendlich nicht entschieden werden könne. Wilhelm von Conches, Dragmaticon 1.5.1 ff, hg. Ronca 1997, S. 18,1 ff. Eine systematische Lehre von den Dämonen findet sich nicht – wie von Wilhelm wiederholt behauptet – direkt bei Platon, sondern im Kommentar des Calcidius. Dazu Somfai 2003; Boeft 1977. Vgl. auch Wilhelm von Conches, Philosophia, hg. Maurach 1980, S. 209 f., Anm. 30 f.
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Böse ist in der Handschrift aus Pontigny dem Text rechts neben sowie unterhalb von dem Diagramm zu entnehmen. Das Kreisdiagramm dient als Ordnungsfigur der Orientierung während der Lektüre.59 Gleichzeitig jedoch sorgt es für Irritation, denn es legt durch die Wahl der roten Tinte sowohl für das animal celeste als auch das animal humectum nahe, dass zwischen diesen beiden eine größere Nähe besteht als zu den eingeschlossenen Luft- und Ätherwesen, was jedoch nicht der Fall ist. Der Farbe im Diagramm ist hier nicht zu trauen. Anders als der Timaeus-Kommentar des Calcidius beginnt das Dragmaticon nicht mit mathematischen Problemen und Diagrammen, welche abstrakte Figuren und Größen veranschaulichen, die schon vor der Weltwerdung bestehen. Hier steht am Anfang vielmehr ein Diagramm, das eine Ordnung im geschaffenen Kosmos zeigt. Mit der lückenlosen Fülle des Kosmos thematisiert es auch die Ausrichtung der Welt auf den Menschen, dessen Distanziertheit zum göttlichen Außen und seine Verwandtschaft mit den kosmischen Vernunftwesen, durch die eine Nähe zu Gott hergestellt werden kann. Doch in dieser Fülle des Kosmos liegt ein Problem verborgen, das die mathematische Textur der Welt betrifft und auf das Calcidius, auf den sich Wilhelm hier stützte, innerhalb seiner Erläuterungen zu der Ordnung der animalia kurz hinwies. Denn wie schon beim Weltkörper, wo es gegolten habe, die Elemente Feuer und Erde durch die Einfügung weiterer Elemente zu Teilen eines einzigen Körpers werden zu lassen, gehe es auch hier darum, ein zusammenhängendes Ganzes durch Verbindungen zu stiften. Nun müsse die Distanz zwischen den Sternen und dem Menschen überbrückt werden, was jedoch auch Calcidius nicht anhand des mathematischen Prinzips der Verknüpfung erschöpfend erklärt, sondern durch die Teilidentitäten in den stofflichen Eigenschaften (naturae) der Vernunftwesen schnell gelingen lässt.60 Wilhelm lässt schon bei dieser anfänglichen Dialogsequenz die Mathematik ganz außen vor, stattet jedoch – anders als Calcidius – seine Erläuterungen zu 59 Das Diagramm in der Handschrift Bodleian, MS Auct. F. 5. 25 (fr. 13. Jh.), fol. 2r, bringt auch die Verbundenheit der fünf Wesen zur Darstellung, da hier in jeder Kreisbahn auf die Inschrift eine senkrechte Linie folgt, die in die folgende, untere Bahn zum Beginn der dortigen Inschrift hinabführt. Damit ist außerdem eine Lesehilfe gegeben. Ohne Senkrechte, aber mit versetzten Inschriften auch SBPK, MS lat. 4° 39 (13./14. Jh.), fol. 9v. 60 Calcidius, Commentarius 131, hg. Waszink 1962, S. 173,7–17: Quare cum sit diuinum quidem et immortale genus animalium caeleste sidereum, temporarium uero et occiduum passionique obnoxium terrenum, necesse est esse inter haec duo medietatem aliquam conectentem extimos limites, sicut in harmonia uidemus et in ipso mundo. Ut enim sunt in ipsis materiis medietates, quae interpositae totius mundi corpus continuant iugiter, suntque inter ignem et terram duae medietates aeris et aquae, quae mediae tangunt conectuntque extimos limites, sic, cum sit immortale animal et impatibile idemque rationabile, quod caeleste dicitur, existente item alio mortali passionibusque obnoxio, genere nostro, necesse est aliquod genus medium fore, quod tam caelestis quam terrenae naturae sit particeps, idque et immortale esse et obnoxium passioni. Zu Calcidius’ »deliberate application of the geometrical mean (and more generally the laws of mathematics) to an instance of theological enquiry« die präzise Studie von Somfai 2003 (Zitat S. 136).
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den kosmischen Wesen mit einem Diagramm aus. Ungewöhnlich für das Dragmaticon ist, dass das Diagramm hier nicht durch einen Verweis des Philosophen in den Gesprächsverlauf eingebettet ist.61 Stattdessen spricht der Philosoph den klugen Leser (prudens lector) an und traut ihm zu, die Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen den mittleren und den beiden äußeren Wesen seinen Worten entnehmen zu können, wodurch die Aufmerksamkeit eindeutig auf das Geschriebene, nicht das Gezeichnete gelenkt wird.62 Deutlich wird in dieser expliziten Aufmerksamkeit für den Leser zudem, dass Wilhelm sein Dragmaticon zwar als ein Gespräch konzipiert hat, das er exklusiv mit dem Fürsten führt, dabei jedoch berücksichtigte, dass sein Wortwechsel als Schriftstück in einem Codex fixiert und überliefert werden würde und vor allem mit einem anonymen Leserkreis zu rechnen hatte. Es ergibt sich somit eine paradoxe Situation, schließlich bekommt der lector, der den Worten folgen soll, das Diagramm an die Seite gestellt; ob es auch der Fürst sehen durfte, bleibt ungeklärt. Derart unentschieden ist der Einsatz des Diagramms jedoch nur an dieser einen Stelle des Dialogs.
3.2.2 Theorieferne Diagramme. Die Elementenlehre Noch am ersten Tag ihres gelehrten Beisammenseins beginnen Philosoph und Fürst mit einer Erörterung der Elemente. Sie bewegen sich dabei einerseits noch im Bereich der unsichtbaren Dinge, zu denen Feuer und Luft zählen, sprechen jedoch gleichzeitig über Sichtbares, über Erde und Wasser.63 Mit der Hinwendung zum körperlichen, sichtbaren Seienden ändert sich auch die Art der Argumentation des Philosophen, der seinen Zuhörer gemahnt, dass ihm nunmehr möglichst wahrscheinliche Erklärungen genügen müssen.64 Gleichzeitig verstärkt er das Vertrauen in die Einsichten, zu denen dieses Gespräch führen wird, mit dem Verweis auf die Konkurrenz. Er fordert den Fürsten auf, das Dokument ihrer Erörterung (noster scriptum) mit dem, was andere geschrieben haben, inhaltlich 61 Für die Ausstattung der Dragmaticon-Handschriften hat dies zur Folge, dass das Diagramm zu den kosmischen Vernunftwesen nicht immer an derselben Stelle innerhalb der Kapitel De creata substantia ¢De quinque animalium rationalium generibus² und ¢De daemonibus siue angelis² platziert wurde. In der Handschrift BAV, MS Reg. lat. 1222 (12. Jh.), fol. 216r, ist das Diagramm z. B. erst innerhalb der Diskussion über die Engel und Dämonen (dazu Anm. 58) zu finden. Es ist in dieser Abschrift zudem das einzige Diagramm auf dem Seitenrand, d. h. für dieses Diagramm wurde kein Textfeld ausgespart. 62 Wilhelm von Conches, Dragmaticon 1.4.3, hg. Ronca 1997, S. 15,21–23: Horum [mediorum animalium] diffinitionem communem apponemus; prudens lector, in quo cum extremis conueniant et in quo differant, ex diffinitione perpendat. 63 Zu den unsichtbaren Dingen zählt der Philosoph außerdem noch die Seele des Menschen, die jedoch erst innerhalb der Abhandlung über den Menschen erörtert wird. Ebd. 1.5.11, S. 21,103–105. 64 Ebd. 1.6.1, S. 22,6–8. Dazu Speer 1995, S. 163 f. u. 182 f. Vgl. auch Anm. 6 dieses Kapitels.
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zu vergleichen.65 Die anschließende Diskussion über die Elemente eröffnet eine schwierige Problemstellung; sie wird die Gesprächspartner ermüden und noch den folgenden Tag einnehmen. Die Elementenlehre Wilhelms von Conches gewinnt an Komplexität, da sie nicht sogleich eine Lehre der vier Elemente Feuer, Luft, Wasser und Erde ist, sondern zunächst eine kleinere Einheit zu greifen versucht. »Es sind folglich in jedem Körper Teilchen, die miteinander verbunden ein einzelnes Großes bilden; diese werden von uns Elemente genannt.« (Sunt igitur in unoquoque corpore minima, quae simul iuncta unum magnum constituunt; haec a nobis dicuntur elementa.)66 Für diese Definition beruft sich der Philosoph im Dragmaticon auf Constantinus Africanus (gest. 1087).67 Elemente sind demnach die kleinsten Teile (minima particula) in einem Körper und die Teile, aus denen jeder Körper zusammengesetzt ist. Das Element ist das Prinzip eines jeden Körpers, der erste Teil bei dessen Bildung, der letzte bei seiner Auflösung.68 Dass ein Element selbst unteilbar sein und der Prozess der Aufteilung eines Stoffes mit ihm enden soll, erscheint dem Fürsten jedoch fragwürdig, und er wirft das Problem auf, ob dieses kleinste Teil nicht auch sichtbarer und damit körperhafter Natur sein müsse, wenn aus ihm alle Körper der Sinnenwelt bestehen sollen. Zudem verdächtigt er den Philosophen der Rückführung alles Erschaffenen auf Materie und damit des gottlosen Atomismus der Epikureer.69 Der Philosoph kontert mit den Grenzen unserer Sinnenkräfte und erklärt, dass das einzelne Element nicht sinnlich erfahrbar, sondern nur mit dem Denken zu erfassen sei. In der zahlreichen Verbindung zeigten sich die Elemente als Körper; 65 Wilhelm von Conches, Dragmaticon 1.6.1, hg. Ronca 1997, S. 22,8–12: Sed nostrum scriptum scriptis aliorum compara et illis, qui de his melius scripserint, assensum adhibe. 66 Ebd. 1.6.6, S. 24,57–59. 67 Gleich im Anschluss an die soeben zitierte Stelle heißt es: Huic sententiae concordat Constantinus, ubi ait: ›Elementum est simpla et minima corporis particula.‹ Ebd., S. 24 f.,59 f. Wilhelm stützte sich hier sowie schon in der Philosophia und den Glosae super Platonem auf die Liber Pantegni des Constantinus Africanus, der vom muslimischen zum christlichen Glauben konvertiert war und vermutlich im Kloster Montecassino arabische Schriften ins Lateinische übersetzt hatte. Die Pantegni sind ein medizinisches Werk, das auf Galen (129 bis nach 210) sowie arabischen Quellen fußt. McKeon 1961, S. 227–231. Zur Rezeption der Pantegni durch Wilhelm Speer 1995, S. 164 ff.; Boiadjiev 1994, S. 374–376; Ronca 1994, bes. S. 273–276; Elford 1988, bes. S. 310 ff., sowie Gregory (1955), S. 201 ff. Vgl. auch Annala 1997, S. 204–210. 68 Wilhelm von Conches, Dragmaticon 1.6.2, hg. Ronca 1997, S. 22,15 f.: Elementum est quod in constitutione corporis inuenitur primum, in resolutione postremum. 69 Ebd. 1.6.3–13, S. 23,25–28,130, hier 1.6.8 f., S. 26,79–93. Zu den Quellen für die Kenntnis der epikureischen Lehre ebd. die Angaben des Herausgebers. Zu dem Wortwechsel über die Elementenlehre Elford 1988, S. 312 ff., wonach Wilhelm mit den Fragen des Fürsten seine eigenen Antworten übertrifft, S. 312: »[…] the questions are better than the solutions.« Vgl. insbes. Speer 1995, S. 182–192, der die prinzipientheoretische Bedeutung des Elementenbegriffs für die Naturphilosophie Wilhelms herausstellt. Vgl. auch Fidora/Niederberger 2001, S. 29 ff., für die sich in der Elementenlehre Wilhelms das Verständnis der Physik als einer hypothetischen Disziplin abzeichnet.
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das vereinzelte Element jedoch sei intelligibel und nur im metaphorischen Sinne ein Körper. Der Philosoph kann somit der Vorstellung der Epikureer, die Welt bestehe aus Atomen, zustimmen, stellt sie jedoch in den Rahmen des biblischen Schöpfungsberichts. Es habe einen Beginn der Welt gegeben, an dem diese in ihrer Gesamtheit durch das Sprechen Gottes erschaffen worden sei: »Er nämlich, der sprach und sogleich entstanden die Dinge, konnte die Teile und das Ganze gleichzeitig erschaffen.« (Qui enim dixit et facta sunt, partes et totum simul creare potuit.)70 Die Welt, die aus dem Nichts hervorgegangen sei, sei ein von den Elementarpartikeln ausgefülltes, ungeordnetes Ganzes gewesen, in dem Gott gleichzeitig diese kleinsten Teile schon zu Feuer, Luft, Wasser und Erde zusammengefügt und damit dem Ganzen eine Ordnung gegeben habe. Die vier Elemente (elementa) Feuer, Luft, Wasser und Erde sind hier also streng genommen keine Elemente, sondern aus den Elementen, den kleinsten Teilen, zusammengesetzte Körper.71 Diese Partikel sind Träger von Qualitäten, durch die Feuer, Luft, Wasser und Erde erst konstituiert werden. Jedes dieser vier sogenannten Elemente ist aus warmen, kalten, feuchten und trockenen Teilen zusammengesetzt, doch es herrschen immer zwei Qualitäten vor: Im Feuer sind es das Warme und das Trockene, in der Luft das Warme und das Feuchte, im Wasser das Feuchte und Kalte, in der Erde schließlich das Kalte und Trockene. Was an dieser Stelle nicht explizit erwähnt, jedoch bereits in der Aufzählung deutlich wird, ist das Verbundensein dieser vier Körper: Jeder von ihnen ist in einer Qualität identisch mit dem folgenden. Die vier Körper unterscheiden sich weiterhin durch die ihnen jeweils eigene Bewegungstendenz, die sie einen bestimmten Ort im Weltganzen einnehmen lässt. Auch diese Differenzierung wurde von Gott am Anfang eingerichtet, indem er das Feuer an einem höheren, die Erde an einem tieferen Ort anbrachte und Luft und Wasser zwischen ihnen platzierte.72 70 Wilhelm von Conches, Dragmaticon 1.6.9, hg. Ronca 1997, S. 26,92 f. Vgl. Gen 1 u. Ps 33,9. 71 Ebd. 1.7.1, S. 29,4–15, wo es u. a. heißt: Creator istas particulas in uno magno corpore creauit, non localiter distinctas, sed per ipsum totum commixtas, ita quod ex his particulis nichil extra hoc corpus erat. […] Sed ex hoc magno corpore statim quatuor corpora, quae hodie a quibusdam dicuntur elementa […] in diuersis locis creauit. Zu Wilhelms Vorstellung von der simultanen Schöpfung einer chaotischen Vermischung sowie Ordnung der Elemente Speer 1995, S. 174 f. u. 188. Dieses differenzierende Nachdenken über die Kategorie des Elements war in der Mitte des 12. Jh.s nicht vollkommen neu. Vgl. z. B. die Angaben zur Elemententheorie Hermanns von Kärnten in seiner Abhandlung De essentiis (1143) bei Speer 1995, S. 168, Anm. 112. Wilhelms Konzept entfernte sich jedoch mit seiner systematischen Unterscheidung der minima particula von den vier Elementen grundsätzlich von den tradierten Lehren zu den vier Elementen. Überblick bei McKeon 1961, S. 218–227. 72 Wilhelm von Conches, Dragmaticon 2.2.1–7, hg. Ronca 1997, S. 35,1–39,87. Diese Vorstellung, dass die vier Elemente durch die Fundamentalqualitäten warm/kalt und feucht/trocken (sowie leicht/schwer) konstituiert werden, basierte letztlich auf der Elementenlehre des Aristoteles. Dieser hatte die Lehre von Empedokles (vgl. Kap. 2, Anm. 33) und Platon systematisiert. Ihm war es gelungen, die Konstitution sowie die kontinuierliche und zyklische
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Nachdem er dem Philosophen bis zu dieser Stelle folgen konnte, fragt der Fürst nach der Ursache und dem vernünftigen Prinzip hinter der Erschaffung dieser vier Elemente, wobei er sich explizit auf Platon bezieht.73 Sein Gegenüber nimmt den Faden auf und referiert aus dem Timaeus, dass der Schöpfer eine sichtbare und tastbare Welt schaffen wollte und deshalb Feuer und Erde als Fundamente wählte.74 Wenn der Fürst kurz darauf die Frage stellt, warum Gott die beiden mittleren Elemente schuf und warum es genau zwei sind, befinden sich die beiden Gesprächspartner an dem Punkt, an dem Calcidius seinen Timaeus-Kommentar begann.75 Während dort jedoch die Argumentation für die Schaffung des Weltkörpers aus genau vier Elementen vor allem auf dem Gebiet der Mathematik geführt wurde, gründet die Stabilität des Weltgefüges, der praeclara mundi machina, bei Wilhelm weniger auf der Anzahl als vielmehr auf den Qualitäten der Elemente.76 Doch auch hier erfordert ein beständiges Weltgefüge gleiche Relationen zwischen den einzelnen Elementen (aequaliter se habere), was wiederum durch eine Frage des Fürsten verdeutlicht wird. Auch in dieser Welterklärung folgte der Weltschöpfer somit bestimmten Prinzipien, ohne die er genau diese, auf die Bedürfnisse des Menschen hin beschaffene Welt nicht hätte entstehen lassen können.77 Der Philosoph verdeutlicht dementsprechend, dass nur durch die Transformation der Elemente von einem in das andere theoretisch zu fundieren. Zu Aristoteles Böhme/Böhme 1996, S. 111–120. Die Korrelation zwischen den Elementen und diesen Qualitäten, bei der dem einzelnen Element jeweils zwei Qualitäten zugewiesen werden, war im lateinischen Mittelalter in jedem Handbuch zu finden. Vgl. z. B. Isidor von Sevilla, De natura rerum 11.2, hg. Fontaine 1960, S. 215,14–23 (wo sich Isidor auf Ambrosius [Hexaemeron] beruft), sowie, dazu, Obrist 1996, S. 121 ff. 73 Wilhelm von Conches, Dragmaticon 2.3.1, hg. Ronca 1997, S. 39,2–4: ¢Dux² Plato dicit: ›Nichil fit cuius ortum legitima causa et ratio non praecedat.‹ Ideo quaero quatinus, quare ista sunt facta, edisseras. Zu der verwandten Stelle bei Calcidius Kap. 2, Anm. 6. 74 Ebd. 2.3.1, S. 39,5–14. Vgl. Kap. 2, Anm. 32. 75 Ebd. 2.3.5, S. 41,50 f., sowie 2.4.1, S. 42,2 f.: ¢Dux² Quod sine medio esse non potuerunt, est probabile; sed quare Deus duo creauit media, est admirabile. Vgl. Kap. 2.2.1 dieser Arbeit. 76 Die Formulierung praeclara machina übernahm Wilhelm aus der Timaeus-Übersetzung des Calcidius. Platon/Calcidius, Timaeus, hg. Waszink 1962, S. 25,7, sowie Wilhelm von Conches, Dragmaticon 2.3.5, hg. Ronca 1997, S. 41,58 f. Zur machina mundi Popplow 2007 sowie Mittelstraß 1981, S. 51–59 u. 43, Anm. 25. Calcidius kommt auf die (bei ihm jeweils drei) Qualitäten der vier Elemente nur abschließend, im Anschluss an seine ausführliche Darlegung der arithmetischen und geometrischen Verbindungen zu sprechen. Calcidius, Commentarius 22, hg. Waszink 1962, S. 72,21–73,4. Im Gegenzug erläutert Wilhelm die arithmetischen Gesetze in der Elementenverknüpfung nur äußerst summarisch. (Schließlich wolle er hier keinen Kommentar zu Platon schreiben, habe er doch [in seinen Glosae] schon alles zu Platons Ausführungen zu den Elementen gesagt.) Wilhelm von Conches, Dragmaticon 2.5.3–6, hg. Ronca 1997, S. 46,37–48,75. 77 Ebd. 2.4.2, S. 43,12–18: ¢Dux² Sed uelim dicas, nonne potuit Deus in medio istorum aliquod corpus creare quod aequaliter ad duo extrema se haberet? ¢Philosophus² In potentia diuina nullum pono terminum sed tamen dico quod, si hoc fecisset, aer non esset, sine cuius spiritu homo ultra septem horas uiuere non potest, nec aqua, cuius usus in multis homini est necessarius. Der Philosoph argumentiert zuvor, dass Feuer und Erde allein nicht für die Schaffung
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Einfügung von sowohl Luft als auch Wasser ein stabiles Ganzes entstehen konnte, da diese beiden mittleren Elemente Verbindungen zu den äußeren eingingen, die in beiden Fällen identisch seien. In dieser »mathematisierenden Beweisführung«78 argumentiert der Philosoph allerdings nicht mit den Kombinationen der vier Qualitäten warm/kalt (calidus/frigidus) und feucht/trocken (humidus/siccus), sondern mit den Gegensatzpaaren grob/fein (corpulentus/subtilis), stumpf/ scharf (obtusus/acutus) und unbeweglich/beweglich (immobilis/mobilis), d. h. er weist jedem der vier Elemente insgesamt drei Qualitäten zu.79 Die Erde ist demnach grob, stumpf und unbeweglich (corpulenta, obtusa, immobilis), das Feuer fein, scharf und beweglich (subtilis, acutus, mobilis). Die langwierige Erklärung, dass ein Element allein, welche der Qualitäten es auch annehme, nicht als festes Bindeglied zwischen Feuer und Erde bestehen könne, versucht sich der Philosoph mit dem Verweis auf den prudens lector, auf dessen Kombinationsfähigkeiten er schon in dem Kapitel über die kosmischen Vernunftwesen gesetzt hatte, zu ersparen; der Fürst jedoch bittet um eine vollständige Erörterung.80 Als Ergebnis wird schließlich formuliert, dass genau zwei mittlere Körper geschaffen worden seien, die jeweils von dem einen der beiden äußeren Elemente zwei Qualitäten, von dem anderen jedoch nur eine Eigenschaft übernehmen: Wasser (corpulenta, obtusa, mobilis) und Luft (subtilis, obtusus, mobilis).81 Auf die ausführliche Darlegung folgt eine kurze Zusammenfassung, in der der Philosoph noch einmal beide Charakterisierungen der Elemente – mittels der zwei oder der drei Paare gegensätzlicher Qualitäten – anführt. Immer würden die Eigenschaften identische Relationen stiften und damit einen festen Zusammenhang herstellen. Unterschieden wird lediglich zwischen der Art des entstehenden Gefüges. Der Philosoph bezeichnet die Verbindung von jeweils zwei Qualitäten als zweidimensionale Verknüpfung (plana sinzugia), diejenige von eines stabilen Weltkörpers ausreichend gewesen wären. Zwischen ihnen hätte ein leerer Raum bestehen müssen – wobei ein Raum ohne Inhalt nicht existiere –, oder entweder wären die beiden Elemente ihrer jeweiligen natürlichen Bewegungsrichtung gefolgt und voneinander fortgestrebt oder aber die Erde wäre im Feuer versengt, sodass weder Mensch, Zentrum der Schöpfung, noch andere Lebewesen auf ihr existieren könnten. Bestünde zwischen Feuer und Erde nur Luft oder nur Wasser, würde jedes dieser Zwischenelemente mit nur einem der beiden äußeren eine Eigenschaft teilen; es wäre einem der äußeren Elemente ähnlicher und würde sich sogleich in dieses umwandeln. Ebd. 2.3.5–2.4.1, S. 42,64–10. 78 Speer 1995, S. 172. 79 Wilhelm von Conches, Dragmaticon 2.4.3 ff., hg. Ronca 1997, S. 43,21 ff. Auch diese Charakterisierung der vier Elemente war im lateinischen Mittelalter Standardwissen. Wilhelm übernahm die drei Paare gegenteiliger Eigenschaften vermutlich von Calcidius. Vgl. Anm. 76 sowie McKeon 1961, S. 239 f., Anm. 49. Diese Paare sind z. B. auch bei Isidor von Sevilla zu finden, dort ebenfalls zusätzlich zu den vier Qualitäten. Isidor von Sevilla, De natura rerum 11, hg. Fontaine 1960, S. 213,1–9. 80 Wilhelm von Conches, Dragmaticon 2.4.4, hg. Ronca 1997, S. 43,34. Vgl. auch Anm. 62. Siehe auch ders., Philosophia, hg. Maurach, S. 214 f., Anm. 49 u. 49a. 81 Wilhelm von Conches, Dragmaticon 2.5.1, hg. Ronca 1997, S. 45,3–5.
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drei Eigenschaften als dreidimensionale Verknüpfung (solida sinzugia).82 Dieser Differenzierung liegt offenkundig ein arithmetisches Denken zugrunde, dessen Grundlagen – die Definition flächen- und körperhafter Zahlen sowie deren Verbindung durch Proportionale – der Philosoph nur äußerst knapp und nahezu widerwillig auf das hartnäckige Fragen des Fürsten hin erklärt. Erneut und wiederum explizit beziehen sich dabei beide auf die Welterklärung Platons, und zwar auf dessen Argumentation, dass die Erschaffung eines dreidimensionalen Weltkörpers zwei mittlere Elemente erfordere.83 In dieser Wortkargheit des Philosophen, insbesondere jedoch auch in den Diagrammen, die er für den Fürsten zeichnet, kommt zum Ausdruck, dass Wilhelm von Conches an der mathematischen Durchdringung der Welt deutlich weniger interessiert war als noch Calcidius. Noch zur Zusammenfassung der Ausführungen zur Elementenlehre gehörend, folgt nun die Darstellung beider Verknüpfungen, der plana sowie der solida sinzugia, im Diagramm. Die plana sinzugia im Diagramm In der Handschrift aus Pontigny gehören zwei Kreisdiagramme zu diesem Textabschnitt; jede Verknüpfung wird hier also gesondert im eigenen Diagramm veranschaulicht (Farbabb. 5). In die Kreisfläche des linken Diagramms sind vier Farbflächen so gesetzt, dass sie die Form eines Diagonalkreuzes bilden, sich jeweils auf das Zentrum des Kreises zuspitzen und dort eine Ecke eines kleinen Quadrats berühren. Zur Kreisperipherie hin verjüngt sich jede dieser vier Flächen ein wenig, jede überschreitet die Kreislinie und schließt mit einem Kreissegment ab. Darin ist jeweils eines der vier Elemente vermerkt, dessen vorherrschende Eigenschaften – immer zwei aus der Gruppe der vier Fundamentalqualitäten – innerhalb der Fläche im Kreisinneren notiert sind. Rot ist die Fläche des Feuers, das trocken und warm ist, blau die der warmen und feuchten Luft, auf die 82 Ebd. 2.5.1 f., S. 45,5–46,28. Den Begriff sinzugia definiert Wilhelm (ebd., 2.5.2, S. 46,17–19) folgendermaßen: Sinzugia, quantum ad uocem sonat, est coniugatio; sed quantum ad significationem, sinzugia est eorum, quae in qualitatibus differunt, per medium coniunctio […]. Der Begriff entstammt der aristotelischen Elementenlehre (vgl. Anm. 72). Er entspricht – neben coniugatio – dem lateinischen coniunctio, connexio oder copulatio, wurde jedoch in lateinischen Texten oft beibehalten. Obrist 1996, S. 122. Zur Verwendung des Begriffs bei Wilhelm auch Ronca/Curr 1997, S. 184, Anm. 24, sowie Wilhelm von Conches, Philosophia, hg. Maurach 1980, S. 215, Anm. 50. Zur Unterscheidung von Verbindung (coniunctio) und Vermischung (commistio) der Elemente vgl. ebd. 1.29, S. 30. 83 Der Fürst leitet seine erste Frage ein mit den Worten: Cum de causa creationis mediorum hic est sermo, dic quid est quod inde dicit Plato […]. Der Unwillen des Philosophen kommt dort zum Ausdruck, wo er antwortet: Hoc est uim facere. Sed quia tibi omnia debeo, quid inde michi uidetur breuiter explicabo. Wilhelm von Conches, Dragmaticon 2.5.3–6, hg. Ronca 1997, S. 46,29–48,75, hier 2.5.3, S. 46,29 f., u. 2.5.4, S. 47,42 f. Die Ausführungen basieren an dieser Stelle auf Boethius, De arithmetica 2.46 (Quod superficies una tantum in proportionalitatibus medietate iungantur, solidi uero numeri duabus medietatibus in medio collocatis), hg. Oosthout/Schilling 1999, S. 191–194.
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rechts unten auf grünem Grund das feuchte und kalte Wasser folgt, auf dieses schließlich die braune Fläche der kalten und trockenen Erde. Durch diese farbliche Unterscheidung sowie die Vereinzelung als klar umrissene Fläche stellt das Diagramm die vier Elemente einerseits als distinkte Einheiten heraus, die andererseits durch die Linienführung im Diagramm untereinander verbunden werden. Denn jede seitliche Umrisslinie der Farbflächen lässt sich über den Punkt, an dem sie einen Eckpunkt des zentralen Quadrats berührt, hinaus verfolgen und in die Kontur der benachbarten Fläche überführen. Man vollzieht auf diese Weise einen Kreisbogen nach, der dann über die Kreisperipherie nach außen tritt und dort von der Umrisslinie der Elementfläche fortgeführt wird, wieder in die Kreisfläche hineinführt und in einen neuen Kreisbogen übergeht, der wiederum über das Quadrat in die Kontur der folgenden Elementfläche gleitet. Die vier Elemente sind so in ein lineares Kontinuum eingebunden und bereits in der formalen Anlage des Diagramms zeigt sich ihr lückenloser Zusammenhang. Dass sich die Elemente in diese stabile, in ihren Relationen stets gleiche Verknüpfung dank ihrer Eigenschaften einfügen, verdeutlichen die Inschriften, wobei die Beschriftung des Diagramms die Linienführung nutzt, denn unterhalb des Kreisbogens, der zwei Farbflächen miteinander verbindet, steht in jeder Fläche immer dieselbe Qualität. So wird ersichtlich, dass jedes Element eine seiner Qualitäten mit dem benachbarten Element gemein hat. Die Luft z. B. steht durch ihr feuchtes Wesen mit der ebenfalls feuchten Erde in Beziehung (humidus/humida) und verbindet sicht als warmes Element mit dem gleichsam warmen Feuer (calidus/calidus). Überzeugend vermittelt das Diagramm die Stabilität und Proportionalität des elementaren Gefüges. Bei diesem Diagramm, das die plana sinzugia zeigt, handelt es sich um eine seit dem 7. Jahrhundert im lateinischen Mittelalter vielfach und variantenreich tradierte, auf antike Vorlagen zurückgehende Form des Kreisdiagramms. Sie wurde insbesondere zur Visualisierung kosmologischer Themen genutzt, wie es Isidor von Sevilla in seiner schnell zum Standardwerk avancierenden Kompilation De natura rerum (612/613) grundlegend vorgeführt hatte (Farbabb. 6).84. Das Kreisdiagramm zeichnet sich formal schon bei Isidor durch die symmetrische Unterteilung seiner Fläche mit Kreissegmenten sowie mit konzentrischen Innenkreisen aus. Auch die in das so entstehende Linien- und Flächensystem eingetragenen Inschriften beziehen sich auf den einen Mittelpunkt der Gesamtfigur und benennen Aspekte einer übergeordneten Größe, die häufig im Zentrum als Thema des Diagramms benannt ist. Isidor veranschaulichte in derartigen Kreisdiagrammen zum einen die Komponenten des Jahres (annus), zum anderen diejenigen der kosmischen Einheit aus Raum, Zeit und Mensch (mundus, annus,
84 BSB, clm 16128, fols. 1r–41v, hier fol. 16r. Zu dieser Handschrift Bierbrauer 1990, Nr. 133, S. 71 f.
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homo).85 Immer veranschaulicht das Diagramm das Ganze in seinen Einzelteilen; es zergliedert und bindet alles Einzelne in ein komplexes Gesamtgefüge ein. Das Kreisdiagramm zur plana sinzugia in der Dragmaticon-Abschrift aus Pontigny ist eine Variante dieses schon im Frühmittelalter weithin bekannten Diagrammtyps, zeichnet sich jedoch durch formale Besonderheiten aus. Dabei handelt es sich zum einen um die aus braunen Linien und Punkten gebildeten Muster, die die Flächen zwischen den Farbkeilen der Elemente ausfüllen.86 Jedes dieser Muster ist anders, doch bei genauerem Hinsehen fällt auf, dass die jeweils einander gegenüberliegenden Muster achsensymmetrisch gestaltet sind. Dies wird insbesondere bei einem Vergleich des rechten und linken Musterfeldes deutlich. In letzterem sind die linearen Elemente seines Gegenübers in Punkte aufgelöst, während diejenigen, die im rechten Feld aus Punkten bestehen, weggelassen wurden. Auch für das obere und das untere Musterfeld gilt diese eingeschränkte Achsensymmetrie, in die sich die linearen Elemente des unteren Musters jedoch nicht fügen. Auch wenn diese Disposition der Musterfelder somit nicht konsequent ist und – anders als die Herausstellung der Elementflächen – beim Betrachten des Diagramms nur mühsam ersichtlich wird, ist sie auf gestalterischer Ebene dennoch eine weitere Maßnahme, mit der die Verknüpfung der unterschiedlichen Elemente zu einem ausgewogenen Ganzen gezeigt werden soll. Denn die beiden Muster, die annähernd achsensymmetrisch umgesetzt sind, füllen immer die Fläche zwischen zwei identischen Qualitäten aus. Genau wie das linke Muster grenzt auch das rechte an die Eigenschaften calidus und frigida, nur dass diese hier nicht Qualitäten des Feuers und der Erde, sondern der Luft und des Wassers sind. Die Muster sind sich aufgrund dieser Identität der Eigenschaften ähnlich, werden aber doch voneinander differenziert, da die Eigenschaften jeweils andere Elemente konstituieren. Die andere formale Besonderheit dieses Kreisdiagramms ist die farbige Gestaltung des zentralen Quadrats. Jede seiner Ecken ist mit einer Farbe ausgefüllt, 85 Zum Gliederungssystem dieses Diagramms Bogen/Thürlemann 2003, S. 5 f. Weitere frühe Versionen bei Teyssèdre 1960, S. 26, Abb. 9, u. 27, Abb. 11. Eine sorgfältige Analyse insbesondere der annus-Diagramme in weiteren De natura rerum-Abschriften des 8. bis 11. Jh.s liefert Barbara Obrist in ihrer Studie aus dem Jahr 1996, dort zur antiken Abstammung der Diagramme S. 98 u. 112. Auf S. 101 f. heißt es: »Au Moyen Âge, le diagramme isidorien de l’année et des saisons, ainsi que celui du monde, de l’année et de l’homme, qui en présente une extension, sont omniprésents dans les passages de cosmologie physique. On peut raisonnablement supposer une fréquence semblable de diagrammes pour les manuels de l’Antiquité.« Vgl. des Weiteren die in der Einleitung, Anm. 22 u. 24, genannte Literatur. In dieser Tradition steht ein weiteres Diagramm des Dragmaticon, nämlich dasjenige, welches das System der Jahreszeiten, Elemente, Qualitäten, Charaktere, Körpersäfte und Lebensalter zeigt. Es gehört zu der Passage Wilhelm von Conches, Dragmaticon 4.8–11, hg. Ronca 1997, S. 100,1–111,91. Montpellier, Faculté de Médecine, MS H 145 (Pontigny, 1170–1175), fol. 24v; BML, MS Ashburn 173 (98) (13. Jh.), fol. 17v. 86 Einzelne Musterelemente sind mit einem gelben Farbton ausgefüllt, der jedoch insgesamt sehr stark ausgeblichen ist.
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und zwar nicht mit derjenigen der die Ecke berührenden, sondern mit der Farbe der ihr gegenüberliegenden Elementfläche. Die Punktsymmetrie in der Farbgebung sorgt für ein stabiles Gleichgewicht um das Zentrum herum. Jede der Farbflächen wird mit der ihr entsprechenden Farbe im zentralen Quadrat visuell verknüpft; sie enthält ein Gegengewicht, das sie stärker an das Quadrat bindet. Diese Stabilität wird durch die vier Farbpunkte um das Zentrum von Quadrat und Kreis, mit denen die vier Farben in einer dritten Anordnung im Diagramm erscheinen, nicht maßgeblich beeinträchtigt. Die vier zentralen Punkte verweisen, gemeinsam mit dem zentralen Quadrat, auf den spezifischen Inhalt des Diagramms. In ihm kommt die plana sinzugia zur Anschauung, in der die Elemente mit jeweils zwei Eigenschaften ausgestattet sind, weshalb diese Form der Verknüpfung der zweidimensionalen Fläche und der flächenhaften Zahl ähnelt.87 Dabei gelingt es dem Diagramm durch die Form- und Farbgebung, das Quadrat und die Zahl Vier sowohl als Repräsentanten des Zweidimensionalen zu integrieren als auch als ordnungsstiftende Größen im Zentrum zu platzieren.88 Die Elemente sind im Diagramm nicht nur dank ihrer qualitativen Teilidentitäten untereinander im linearen Kontinuum verknüpft, sondern gehen auch eine stabile Verbindung mit dem Zentrum ein. Noch darüber hinaus fügen sie sich der Ordnungsvorgabe der zentralen Figuren und bilden die abgerundeten Eckpunkte eines weiteren, äußeren Quadrats. Auf diese Weise tritt der Aspekt des Zyklischen, der wechselseitigen Umwandlung der Elemente, der diesem Typ des kosmologischen Kreisdiagramms mit seinem übergreifenden linearen Gefüge eingeschrieben ist, hinter der Hervorhebung des Zweidimensionalen zurück.89 Die solida sinzugia im Diagramm Das rechte der beiden Diagramme in der Handschrift aus Pontigny veranschaulicht die dreidimensionale Verknüpfung (solida sinzugia) der vier Elemente (Farbabb. 5). Auch für diese Verbindung wurde hier die Form des Kreisdiagramms 87 Wilhelm von Conches, Dragmaticon 2.5.2, hg. Ronca 1997, S. 46,24–29: Plana uero est sinzugia terrae et aeris, uel aquae et ignis, quia contrarietas istorum in duabus est qualitatibus, quemadmodum planities in duabus dimensionibus; uel quia ad similitudinem planorum numerorum sunt coniuncta. 88 Zur Darstellung von Zahlen als Vielzahl von Einheiten Kap. 2, Anm. 42. Die Vier dient auch im Text als Beispiel für eine flächenhafte Zahl: Planus uero est numerus qui duas tantum habet aequales uoces in sui multiplicatione, ut bis bini, qui sunt iv […]. Wilhelm von Conches, Dragmaticon 2.5.5, hg. Ronca 1997, S. 47,57–59. 89 Zur Darstellung des Zyklus von Werden und Vergehen im Kreisdiagramm (der Jahreszeiten) Obrist 1996, S. 114–124. Das wechselseitige Umwandeln (transmutare) der Elemente durch Erwärmung oder Verdichtung in den verschiedenen Jahreszeiten erläutert der Philosoph im Dragmaticon entsprechend erst im Anschluss an seine Ausführungen zur Verbindung der Elemente, und zwar als erste Form der Bewegung (motus secundum substantiam generando et corrumpendo) im Kanon der vier aristotelischen Bewegungsarten. Durch diese Bewegung bleibe die Welt als ein unlösbares Ganzes bestehen. Wilhelm von Conches, Dragmaticon 2.6.1–3, hg. Ronca 1997, S. 48,5–49,34.
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gewählt, dessen Binnenstruktur sich jedoch deutlich von derjenigen des linken Diagramms unterscheidet. Während sich letzteres eindeutig in die Tradition der kosmologischen Kreisdiagramme des Frühmittelalters, die auf Isidors De natura rerum gründet, einordnen lässt, zeigt das rechte Kreisdiagramm keine unmittelbare Ähnlichkeit mit einem tradierten Diagrammtyp. In diesem rechten Diagramm gliedern farbige Medaillons die Kreisfläche horizontal. In der unteren Reihe befinden sich nebeneinander drei braun ausgefüllte Medaillons, in die die Qualitäten obtusa, immobilis und corpulenta, die Qualitäten der Erde, eingetragen sind; dementsprechend ist in der schmalen braunen Fläche oberhalb der Medaillons, mit der noch einmal deren Zusammengehörigkeit hervorgehoben wird, terra vermerkt. Auf die gleiche Weise sind die anderen drei Elemente in der Kreisfläche untergebracht. Etwas nach rechts verschoben, schließen sich über den braunen Medaillons der Erde die grünen des Wassers an, die die Qualitäten obtusa, corpulenta und mobilis enthalten. Es folgen darüber, nach links gerückt, blaue Medaillons mit den Eigenschaften der Luft (obtusus, subtilis, mobilis). Die Inschriften in den erneut nach rechts verschobenen roten Medaillons in der obersten Reihe dieser Schichtung benennen die Qualitäten des Feuers (acutus, subtilis, mobilis). Breite farbige Linien verbinden diejenigen Medaillons miteinander, in denen dieselbe Eigenschaft genannt wird, sodass deutlich wird, dass die beiden mittleren Elemente Luft und Wasser in zwei Qualitäten mit Feuer bzw. Erde und in einer Eigenschaft mit dem jeweils entfernteren Außenelement übereinstimmen. Die blauen Medaillons mit den Inschriften subtilis und mobilis sind mit den entsprechenden Medaillons aus der Feuerreihe verbunden; die Verbindung zum Element Erde kann durch die gemeinsame Eigenschaft obtusus/obtusa hergestellt werden. Entsprechend überbrückt nur eine Farbbahn die Distanz zwischen Wasser und Feuer, indem sie die Medaillons mit der Inschrift mobilis miteinander verbindet. Zur benachbarten Erde hingegen geht das Wasser zwei Verbindungen ein. An dieser Stelle jedoch enthält das Diagramm einen Fehler, da es neben den Medaillons mit der Inschrift corpulenta auch diejenigen, die mit obtusa und immobilis beschriftet sind, miteinander verbindet.90 Zudem wird deutlich, dass die Regel der zwei identischen Eigenschaften bei benachbarten Elementen auch zwischen Luft und Wasser herrscht. Anders als im linken Diagramm zur plana sinzugia, das mit seiner zirkulären Anordnung der vier Elemente hinsichtlich der Frage nach deren Verortung in der Welt undeutlich bleibt und eher eine zeitliche Dimension enthält, ist es genau das Streben der Elemente zu ihren natürlichen Orten im Kosmos, das ihrer Schichtung im rechten Diagramm zugrunde liegt. Entsprechend der Argumentation des Philosophen im vorhergehenden Text zeigt das Diagramm Luft 90 In der ›Zwillingshandschrift‹ (vgl. Anm. 49) BnF, MS lat. 6415 (Frankreich, 2. H. 12. Jh.), fol. 6r, sind hingegen sämtliche Verbindungen fehlerfrei. Hier ist jedoch das Diagramm zur plana sinzugia mit seinem Blütenornament im Zentrum weniger komplex.
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und Wasser als Zwischenelemente, die das in der Höhe angesiedelte Feuer und die aufgrund ihrer Schwere die Tiefe einnehmende Erde voneinander trennen und so beschaffen sind, dass durch sie ein Gesamtgefüge entsteht, das auf gleichen Verhältnissen beruht. Mithilfe der Linienzüge kann auch dieses Diagramm verdeutlichen, dass die Eigenschaften von Feuer, Luft, Wasser und Erde von entscheidender Bedeutung für die Verbindungen zwischen den vier Elementen sind. Deutlicher als dem linken Diagramm ist ihm jedoch auch zu entnehmen, dass erst die Eigenschaften die Elemente konstituieren. Denn die Kombinationen von je drei Qualitäten, die als Medaillonreihen übereinandergestellt werden, lassen für die Benennung des einzelnen Elements nur noch äußerst wenig Fläche übrig. Der Name des Elements fungiert hier lediglich als Klammer, unter der die Eigenschaften, die das Wesen des Elements bestimmen, zusammengefasst sind. In einer Variante dieses Diagramms in einer Dragmaticon-Abschrift aus dem 13. Jahrhundert, die sich heute in London befindet (Farbabb. 7), ließen diese spezifischen Darstellungsinteressen – die Stiftung von Verbindungen durch die Eigenschaften der beiden Zwischenelemente und die Konstituierung der Elemente durch ihre Qualitäten – die Nennung der äußeren Elemente ignis und terra obsolet werden; auch dem ersten Diagramm sind hier nur die Eigenschaften zu entnehmen.91 Diese Konzentration auf die Qualitäten der Elemente ist das Besondere des Diagramms zur solida sinzugia, das in ähnlicher Form in weiteren DragmaticonAbschriften zu finden ist.92 Diagramme, die die Elemente und ihre Eigenschaften in ein Ordnungssystem von untereinander verbundenen Medaillons bringen, waren im 12. und 13. Jahrhundert keineswegs neue oder singuläre Erscheinungen. Ein vergleichbares Diagramm wurde im zweiten Viertel des 12. Jahrhunderts einer umfangreichen Sammelhandschrift beigefügt, die zahlreiche Texte 91 BL, MS Royal 12 F. X (13. Jh.), fols. 1r–59v, hier fol. 2r. Warner/Gilson 1921:2, S. 64; Ronca 1997, Nr. 23, S. xlvi–xlvii; mit Schwarz-Weiß-Reproduktionen von einzelnen Diagrammen bei Murdoch 1984, Nr. 132, S. 144 f., Nr. 250, S. 287, Nr. 285, S. 355, wo es zu diesem Diagramm heißt: »The upper circle, representing the Aristotelian theory, contains labels for the four relevant primary qualities, but neglects the names of the elements they charaterize. The lower Platonic diagram fares only slightly better.« Diese Kritik halte ich also für unangebracht, auch wenn nicht zu leugnen ist, dass das untere Diagramm Fehler enthält: (a) die von acutus in der oberen Reihe ausgehende Verbindung; (b) die Eigenschaft mobilis in der unteren Reihe und ihre Verbindung zum Medaillon des Wassers; (c) die fehlende Verbindung zwischen dem Medaillon des Wassers und der Eigenschaft obtusa der Erde. 92 Vgl. z. B. BAV, MS Reg. lat. 1021 (12. Jh.), fol. 219v; BAV, MS Reg. lat. 1222 (12. Jh.), fol. 6r; Frankfurt/Main, UB, MS Barth. 134 (2. H. 12. Jh.), fol. 7v; BnF, MS lat. 6415 (Frankreich, 2. H. 12. Jh.), fol. 6r; BML, MS Strozzi 87 (13. Jh.), fol. 12r; Florenz, Riccardiana, MS 829 (Pisa, 13. Jh.), fol. 7r; Erfurt, MS Ampl. 8° 28 (13./14. Jh.), fol. 19v; Ambrosiana, MS E. 12 Inf. (13./14. Jh.), fol. 450v. Singulär ist das Diagrammpaar in BL, MS Add. 18210 (13. Jh.), fol. 69r, wo in jedem Diagramm der sphärische Aufbau der Welt nachvollzogen wird. Jedes Element nimmt eine Sphäre ein, in der dann auch seine Eigenschaften notiert sind. Abgebildet bei Murdoch 1984, Nr. 285, S. 355.
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und Diagramme zu Kosmologie, Astronomie und Komputistik enthält, um 1110 im Kloster Thorney entstand und heute zu den Schätzen des St. John’s College in Oxford gehört (Abb. 37).93 Anders als in den Diagrammen des Dragmaticon werden hier nicht die Elemente den Eigenschaften, sondern die Eigenschaften den Elementen, die nun die zentralen Einheiten des Diagramms bilden, zugeordnet. Die Elemente nehmen die vier großen, übereinander angeordneten Medaillons ein, während die Eigenschaften in deutlich kleineren Medaillons unterkommen, welche die mittlere Vertikale der Elemente beidseitig flankieren. In den acht Medaillons auf der linken Seite stehen die Kombinationen aus jeweils zwei Qualitäten pro Element, in den sechs rechten werden die insgesamt sechs Eigenschaften, von denen jedes Element drei besitzt, genannt. Lineare Verbindungen verdeutlichen die Zugehörigkeiten. Erstaunlich ist, dass in jedes der vier größeren Medaillons zwei Elemente eingetragen wurden, und zwar jeweils im rechten Winkel zueinander. Diese Ausrichtung der Inschriften korrespondiert mit derjenigen der Inschriften in den seitlichen Medaillons. Die Inschriften auf der linken Seite sind vertikal ausgerichtet und benennen die Eigenschaften des ebenfalls vertikal eingetragenen Elements. Die Qualitäten des von links nach rechts lesbaren Elements sind in den rechten Medaillons zu finden, in denen die Inschriften ebenso verlaufen.94 Auf diese Weise gelingt es, im vertikal strukturierten Diagramm auch das zu zeigen, was eigentlich dem Kreisdiagramm eignet: Im System der vier Fundamentalqualitäten verbinden sich auch Feuer und Erde. Hier ist es nicht ein Kreis, sondern die Reihe der vier Elemente, die sich mit der Kombination von ignis und terra im untersten Medaillon schließt.95 93 Oxford, SJC, MS 17, fol. 13r. Bei den zusätzlichen Farben handelt es sich um Rot und ein helles Gelb. Zu dieser Handschrift zuletzt Hanna 2002, S. 27–34, hier S. 28 u. 32. Vgl. auch oben, Anm. 35 der Einleitung. Dem Diagramm geht auf 12v/13r das Vorwort zu Bedas Abhandlung über die Jahreszeiten von Byrhtferth voraus, einem Schüler Abbos von Fleury. Byrhtferth, Enchiridion, hg. Baker/Lapidge 1995, S. 375–379. Die ältere Edition von Forsey 1928, bes. 516– 522, liefert auch eine Abbildung des gesamten Folios 13r. Auch Murdoch vergleicht dieses Diagramm mit demjenigen in der Londoner Dragmaticon-Handschrift. Murdoch 1984, Nr. 285, S. 354 f. Vgl. außerdem ebd., Nr. 282, S. 349, u. Nr. 289, S. 363. Weitere Diagramme zu den Elementen und ihren Eigenschaften, die ein ähnliches Ordnungsprinzip haben, sind z. B. in den folgenden Handschriften zu finden: Bodleian, MS Digby 83 (England, Mitte 12. Jh.), fol. 3r, u. Hannover, NLB, MS IV 394 (13. Jh.), fol. 5v, beides Kopien der astronomisch-kosmologischen Kompilation Opusculum de ratione spere (11./12. Jh.). Vgl. Kap. 2, Anm. 104, 105, 107. 94 In dem untersten Medaillon müsste die Inschrift allerdings nicht erneut mobilis, sondern immobilis lauten. 95 Im Diagramm heißt es rechts unterhalb des terra-Medaillons zur Unverbundenheit von terra und ignis im Sechserschema: Terra cum igni nulla supra dictarum proprietate ligatur itaque per media. Den Inschriften unterhalb der Medaillons der Elemente ist noch einmal zu entnehmen, welche drei Eigenschaften das jeweilige Element besitzt und welche Eigenschaft es mit welchem der anderen Elemente gemein hat. In den Zeilen oberhalb des Diagramms werden die Elemente ein weiteres Mal aufgelistet und jeweils mit zwei ihrer drei Qualitäten in Verbindung gebracht. Die Zahlen xxvii – xviii – xii – viii, links in Worten in ihre Faktoren zerlegt, verweisen auf die Proportionalität der Verbindung der Elemente. Erneut halte ich Murdochs
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Die Theorie und ihre Visualisierung Wenn es nun in einigen Dragmaticon-Diagrammen, und hier insbesondere in denen zur solida sinzugia, erst die Kombination von Eigenschaften ist, aus der sich ein Element ergibt, so besteht damit eine gewisse Nähe zu der im Text dargelegten Lehre, nach der die vier Elemente aus bestimmten Partikeln zusammengesetzte Körper sind. Es stellt sich die Frage, ob unter den verschiedenen Diagrammen nicht auch solche sind, in denen die Theorie vollständiger, also auch das Konzept der minima particula enthalten ist. Finden sich Diagramme, die – abweichend von der Tradition oder ihren zeitgenössischen Umsetzungen – auf den Text, dem sie nachfolgen, zugeschnitten sind? Die Antwort fällt negativ aus. Abgesehen von dem dargestellten Verhältnis zwischen Eigenschaften und Element stellt keines der Diagramme einen Textbezug her, der über den unmittelbar vorhergehenden Textabschnitt zur plana und solida sinzugia hinausgeht. Da dieser Befund so eindeutig ist und zudem im Text keine präzisen Angaben zur Diagrammgestaltung gemacht werden, ist davon auszugehen, dass Wilhelm selbst keinen Wert darauf legte, die im Detail erörterte Theorie ins Diagramm übertragen zu sehen. Das Spezifische seiner Elementenlehre kommt in den Diagrammen des Dragmaticon nicht zu Anschauung. Denn das Medaillon, in das eine Eigenschaft eingetragen ist, kann nicht unvermittelt als eines der kleinsten Teilchen aus der Elementenlehre Wilhelms angesehen werden. Seine Funktion als Inschriftenträger, der keine Aussage über die Körperhaftigkeit dessen gibt, was er bezeichnet, ist dazu in der Diagrammatik der Zeit zu stark etabliert. Auch die braunen Punkte, die in den beiden Diagrammen in der Handschrift aus Pontigny als weiteres formales Element hinzukommen, können nicht überzeugend als minima particula interpretiert werden. Abgesehen davon, dass aus braunen Punkten gebildete Muster in zahlreichen Diagrammen dieser Handschrift auftauchen, in denen sie nicht mit den Elementen assoziiert werden können, legt keines der beiden sinzugiaDiagramme eine Zugehörigkeit der Punkte zu den Elementen im Diagramm – ihren Farben, ihren Flächen – nahe. Besonders im rechten Diagramm findet eine deutliche Abgrenzung statt. Die übereinandergeschichteten Medaillons der Elemente werden von einer breiten, etwas ungleichmäßig verlaufenden braunen Linie umschlossen und erst jenseits dieser Linie schließt ein erneut ganz anderes Punktmuster an. Das rechte Diagramm wird von einem Kreis umgeben, der das, was sich auf seiner Fläche ausbreitet, kaum halten kann und im oberen Segment etwas ausgedehnt wird. Vor allem durch diese Kurskorrektur sowie die ungleiche Verteilung der Musterfläche entbehrt das rechte Diagramm jener Stabilität und Geschlossenheit, die das linke auszeichnen. Es kann kaum vermitteln, dass derart die Kritik – hier lautet der Vorwurf Redundanz und mangelnde Effektivität der Darstellung – für unangebracht und für ein Indiz für ein mangelndes Verständnis des Diagramms. Murdoch 1984, Nr. 285, S. 354 f.
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unauflösliche Textur der praeclara mundi machina sein soll. Dieses Verhältnis zwischen den beiden Diagrammen wird in keiner Dragmaticon-Handschrift umgekehrt; im Vergleich wirkt dasjenige zur solida sinzugia immer instabil. Es liegt vermutlich an dieser stärkeren Überzeugungskraft des kosmologischen Kreisdiagramms aus der Isidor-Tradition sowie der größeren Vertrautheit mit diesem Diagrammtyp, dass in einer kleinen Gruppe von Handschriften beide Verbindungsarten der Elemente in dieses, d. h. in ein einziges Kreisdiagramm, projiziert wurden, auch wenn dies einen inkonsequenten Bogenschlag von den drei Qualitäten der Erde zu denjenigen des Feuers erforderlich machte (Abb. 38).96 In vielen Handschriften schließlich wurde auf eine Darstellung der solida sinzugia im Diagramm ganz verzichtet und dem Versprechen des Texts, der die Visualisierung beider Verbindungen (utriusque sinzugiae descriptio) ankündigt, nicht Folge geleistet.97 Abgesehen von dieser Vorgabe jedoch erteilt der Text keine weiteren Auskünfte hinsichtlich der Form der Visualisierung. Deren genaue Beschreibung war zumindest für das Diagramm zur plana sinzugia überflüssig, da der überlieferte Diagrammbestand an dieser Stelle formgebend wirkte. Anstatt ein neuartiges Diagramm zu entwerfen, schöpfte Wilhelm von Conches aus der Tradition. Ebenso taten es die Schreiber, die das Dragmaticon kopierten und zu unterschiedlichen Lösungen für die Darstellung der elementaren Verbindungen kamen. Das lose Band zwischen Text und Diagrammform ermutigte einerseits dazu, die Erfahrung in der diagrammatischen Umsetzung kosmologischer Themen, die man durch das Kopieren oder das Betrachten von Diagrammen in anderen Codices erworben hatte, für die Ausstattung des Dragmaticon zu nutzen. Deshalb ist die Gruppe der Diagramme zu den Elementen nicht einheitlich. Es ist andererseits auch denkbar, dass gerade die Vertrautheit mit dem Typ des kosmologischen Kreisdiagramms zu einer Ökonomie beim Kopieren führte. Anstatt die in der Vorlage enthaltenen Diagramme genau zu übernehmen oder anstatt das eigene Diagramm mit den Texterläuterungen abzugleichen, begnügte sich der Schreiber mit dem schlichten Kreisdiagramm zur plana sinzugia. Damit war eine visuelle Form gegeben, bei deren Anblick sich die meisten Rezipienten vermutlich an ähnliche, auch detailliertere kosmologische Kreisdiagramme erinnerten. Man wusste also, was gemeint war. Besonders in diesem Fall der stark reduzierten Visualisierung wird deutlich, dass die Elementenlehre Wilhelms von Conches nicht auf visueller Ebene verhandelt wurde. Sollte das Kreisdiagramm, in das nur die vier Elemente oder nur die vier Fundamentalqualitäten eingetragen wurden, als Auslöser für eine Vergegenwärti96 Vgl. auch Cambridge, CCC, MS 385 (12./13. Jh.), S. 106; Bodleian, MS Auct. F. 5. 25 (fr. 13. Jh.), fol. 6r; Cambridge, GCC, MS 225 (13. Jh.), S. 33. Etwas eigenwilliger ist die Lösung für dieses Diagramm in der Handschrift BSB, clm 564 (Bayern, 3. V. 12. Jh.), fol. 46r. 97 Vgl. z. B. Bodleian, MS e Musaeo 121 (13. Jh.), fol. 19v, u. BL, MS Royal 4 A. XIII (13. Jh.), fol. 116r.
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gung eines präziseren Diagramms – sei sie mit dem Griff zu einem anderen Codex materieller oder mit dem Erinnern eines anderswo gesehenen Diagramms mentaler Art – funktioniert und damit im weiteren Sinne der Wissensvermittlung gedient haben, so verblasste im einzelnen Codex an dieser Stelle dennoch die Wissensfülle der fiktiven Gesprächssituation, da weniger gezeigt als vom Philosophen versprochen wurde. Die Hand des Schreibers verschmolz hier nicht mit der Hand des Philosophen, die in der Diagrammkunst allem Anschein nach geübt war und für die Bildung des Fürsten keine Mühen scheute. Vom Entstehen und von der Funktion der Diagramme sprechen die Formulierungen, mit denen der Philosoph zu den Diagrammen überleitet.
3.2.3 Fiat descriptio. Was der Philosoph zum Diagramm zu sagen hat Nur die Diagramme zu den Elementen bringt der Philosoph allein durch das Sprechen hervor: »[…] es werde ein Diagramm von jeder der beiden Verknüpfungen.« ([…] utriusque sinzugiae fiat descriptio.)98 Die Analogie zur schöpferischen Wortmacht Gottes ist offenkundig, hatte doch der Philosoph selbst noch am Tag zuvor betont, dass die Welt im Sprechakt Gottes entstanden war: Qui enim dixit et facta sunt, partes et totum simul creare potuit.99 Dabei war es ihm wichtig gewesen zu betonen, dass die Welt gleich von Beginn an als ein Ganzes aus kleinsten Teilchen und somit als ein in sich heterogener Gesamtkörper bestand. Es ist genau dieser Gesamtkörper, der in den Kreisdiagrammen zu den Elementen zu erkennen ist. Der Kreis versinnbildlicht als Ordnungsfigur oder auch nur als Rahmen für die elementaren Grundstrukturen die Einheit und Geschlossenheit der Welt; vermutlich wurde aus diesem Grund auch die Formation der Medaillons im rechten Diagramm in der Handschrift aus Pontigny mit einem Außenkreis versehen.100 Gerade angesichts dieses etwas ungleichförmigen Diagramms wird auch deutlich, dass das Wort des Philosophen – insbesondere in seiner reproduzierten, erneut abgeschriebenen Form – anders als das Wort Gottes nichts Vollkommenes und zudem nichts genuin Neues, sondern nur eine an das Pergament gebundene visuelle Nachbildung hervorbringen kann.101 Das fiat descriptio ruft somit nicht nur genau dort den göttlichen Schöpfungsakt auf, wo das gezeigt werden soll, was 98 Wilhelm von Conches, Dragmaticon 2.5, hg. Ronca 1997, S. 45,12 f. 99 Vgl. Anm. 70. 100 Vgl. auch BnF, MS lat. 6415 (Frankreich, 2. H. 12. Jh.), fol. 6r, wo die Einpassung in den Kreis besser gelingt. 101 Vgl. dazu Wilhelms Unterscheidung zwischen den Werken der Natur, den Werken des Menschen und dem von Gott Erschaffenen: Wilhelm von Conches, Dragmaticon 1.7.3 f., hg. Ronca 1997, S. 30,26–31,45; ders., Glosae super Platonem 37, hg. Jeauneau 2006, S. 69 f.; außerdem Calcidius, Commentarius 23, hg. Waszink 1962, S. 73,5–74,20. Vgl. auch Speer 1995, S. 205.
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die Welt seit ihrem Beginn zusammenhält. Gerade in der Analogiesetzung zum Sprechen Gottes bringt die Formulierung das reproduktive Wesen der philosophischen Welterklärung zum Ausdruck. Wilhelm verwandte diese Formulierung nur an dieser einen Stelle des Dragmaticon. Immer dann, wenn der Philosoph im Folgenden auf ein Diagramm verweist, scheint dieses entweder den beiden Dialogpartnern bereits vorzuliegen oder aber erst für den Fürsten zu entstehen, dann jedoch nicht durch das Sprechen, sondern von der Hand des Philosophen. Ut in hac figura. Suggestionen Den Anschein, dass der Philosoph das Diagramm bereits zur Hand hat und lediglich noch die Aufmerksamkeit des Fürsten von seinen Worten auf die visuelle Darstellung lenken muss, wecken Formulierungen wie »wie du in dieser sichtbaren Figur genau erwägen kannst« (ut in hac uisibili figura potes perpendere), »was die unten angefügte Zeichnung zeigt« (quod monstrat subiecta descriptio) oder »wie du in der unteren Figur siehst« (ut in inferiore figura uides).102 Mit den Angaben subiecta und inferior, die auf die Platzierung des Diagramms auf dem Folio verweisen, wird dem Leser des Dragmaticon ein weiteres Mal deutlich, dass er nicht einem sich über sechs Tage frei entfaltenden Gespräch beiwohnt, sondern einen Dialog nachvollzieht, dessen Handlungsrahmen von Beginn an die Buchseite war.103 Er stellt weiterhin fest, dass sich der Philosoph an diesen Stellen nicht lange mit der visuellen Form aufhält und, wie schon beim fiat descriptio, keine Angaben liefert, wie das geeignete Diagramm auszusehen habe. Ob Wilhelm auch an diesen Stellen eine Beschreibung des Diagramms deshalb für überflüssig erachtete, weil er eine tradierte Diagrammform benutzte oder aber weil er auf die Sorgfalt der Schreiber beim Kopieren seiner Schrift setzte, soll anhand von Beispielen noch näher betrachtet werden. In jedem Fall hat die Verwendung derart karger Verweissätze für die Rezeption des Dragmaticon zur Folge, dass die Kompatibilität des auf der Buchseite vorhandenen Diagramms mit den vorausge102 Wilhelm von Conches, Dragmaticon 4.6.4, hg. Ronca 1997, S. 96,36 f. (Diagramm zur heliozentrischen Bewegung der Venus); 3.7.8, S. 78,73 f. (Himmelskreise), sowie 4.15.2, S. 130,19 (Mond im Erdschatten). Vgl. auch ebd., 4.7.1, S. 97,49 f. (Bewegung der Sonne durch den Tierkreis); 4.13.1, S. 116,6 f. (Breitenbewegung von Mond und Sonne); 4.13.2, S. 117,13 f. (Stellung von Sonne, Mond und Erde bei einer Sonnenfinsternis); 4.13.3, S. 118,22 (scheiternde Sonnenfinsternis); 6.5.2, S. 194,18 (Weltkarte). 103 Vgl. Anm. 62 (prudens lector) u. 65 (noster scriptum) sowie auch die Formulierungen in margine paginae depingam (Diagramm zur Planetenabfolge) sowie quod in figura quatuor ciuitatum, quam superius depinximus, potes perpendere (Rückbezug auf das Diagramm zur Erdkugel, Verifikation). Wilhelm von Conches, Dragmaticon 4.5.5, hg. Ronca 1997, S. 94,45 f., sowie 6.4.5, S. 192,44 f. Vgl. auch Jacobi 1999, S. 21, wo es zum mittelalterlichen Dialog heißt: »Diese Texte sind als Nachahmung von mündlichem Gedankenaustausch konzipiert. Aber gerade diese Texte sind ursprünglich leserbezogen; sie sind durchweg für still lesende Rezipienten erdacht.« Vgl. außerdem von Moos 1989a, S. 994.
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henden Ausführungen gegeben zu sein scheint. Jedes Diagramm scheint das vom Philosophen gemeinte Diagramm zu sein. Eine noch stärkere Suggestion der Authentizität entfaltet sich dort, wo der Philosoph davon spricht, eine bzw. mehrere sichtbare Figur/-en entweder vor Augen stellen (uisibilem figuram oculis subiciemus), entwerfen (figuras componemus) oder zeichnen zu wollen (uisibilem figuram constituemus; faciam bzw. faciemus oder faciamus; depingam bzw. depingamus; pingam). Die Mehrzahl der Diagramme wird mit diesem Vokabular als Resultat der Federführung des Philosophen präsentiert.104 Das auf dem Folio einer Abschrift zu sehende Diagramm scheint in diesen Fällen immer das Diagramm zu sein, das von der Hand des Philosophen für den Fürsten entstanden ist. Grundsätzlich belegt die enge Bindung des Diagramms an die Person des Philosophen, dass dieses visuelle Medium innerhalb einer ambitionierten Welterklärung seinen legitimen Platz einnehmen konnte. Denn schließlich handelt es sich beim Dragmaticon um ein Werk, das Wilhelms von Conches Status als herausragender Gelehrter seiner Zeit sowie als geeigneter Tutor am Fürstenhof demonstrieren sollte.105 Genauer betrachtet, äußert sich in den Formulierungen, mit denen auf die Diagramme verwiesen wird, der engagierte, sich seinem Schüler zuwendende Lehrer. Funktionen des Diagramms Das Diagramm ist im Dragmaticon ein Element, das den Fluss des Gesprächs, den Wechsel von kritischer Nachfrage und wohl überlegter Erklärung, an die sich sogleich die nächste Frage anschließt, für einen Moment unterbricht. Im Codex stößt der Leser auf das Diagramm, dasjenige, das nun in der fiktiven Szene auch der Philosoph und der Fürst betrachten, im gemeinsamen Beisammensein vielleicht aber nur eines kurzen Augenblicks würdigen. Denn einen Austausch von Meinungen über das Diagramm gibt es an keiner Stelle; immer nimmt der Fürst das, was ihm gezeigt oder für ihn gezeichnet wird, unkommentiert hin. Dieses Schweigen herrscht auch über dem Diagramm bzw. den Diagrammen zu den Verbindungen zwischen den Elementen, und es ist bezeichnend für die dem visu104 Wilhelm von Conches, Dragmaticon 3.5.4, hg. Ronca 1997, S. 71,48 (Diagramm zu den Himmelssphären); 3.7.4, S. 76,40 f. (Häuser der Planeten); 4.4.3, S. 88,26 f. (Elevation und Depression einer Planetenbahn); 4.4.6, S. 89,51 f. (Epizykel und Exzenter); 4.5.3, S. 92,25 u. 27 (Heliozentrismus von Venus und Merkur), 4.5.5, S. 94,46 (Planetenabfolge); 4.11.6, S. 108,47 f. (Kreisdiagramm zu den Jahreszeiten); 4.13.8, S. 121,64 (zylindrische Schattenform); 4.13.9, S. 121,74 f. (konische Schattenform); 4.14.5, S. 125,48 f. (exzentrischer Lauf der Sonne); 4.15.1, S. 129,7 f. (Mondfinsternis); 5.2.11, S. 139,88 (Winde); 5.9.5, S. 166,43 (Ozeanströmungen); 5.9.11, S. 169,89 f. (Ozeanströmungen und Winde); 6.2.3, S. 183,26–29 (Erdscheibe, Falsifikation); 6.2.4, S. 183,34 (Erdkugel, Verifikation), sowie 6.3.1, S. 187,11 (Klimazonen der Erde). 105 Dass es dem Philosophen stets um die Nützlichkeit seiner Ausführungen geht, wird z. B. an der folgenden Stelle deutlich: Quod utilia sint ea quae dicam, meum est; sed quod placeant, tuum. Ebd. 6.11.2, S. 217,12–14.
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ellen Medium an dieser Stelle zugesprochene Funktion. Dem fiat descriptio geht eine Begründung für die visuelle Umsetzung des zuvor Gesagten voraus: »Aber da ja die Dinge besser im Gedächtnis bewahrt werden, die mit den Augen gesehen werden, werde ein Diagramm von jeder Verknüpfung.« (Sed quia melius retinentur quae oculis uidentur, utriusque sinzugiae fiat descriptio.)106 Weil das, was den Augen unterbreitet wird, besser in Erinnerung behalten werden könne, fügt der Philosoph seinen Ausführungen abschließend das Diagramm als ein zusätzliches Element der Unterweisung hinzu, und das dialogische Für und Wider kommt für einen Moment der affirmativen Sammlung zum Halt. Neben der Bindung des visuell Dargebotenen an das zuvor Gesagte ist es insbesondere diese Zweckbestimmung, die der Philosoph weiteren Diagrammen vorausschickt. So heißt es z. B.: »Aber da ja die Dinge leichter durch die Seele aufgelesen werden, die vor Augen gestellt werden, wollen wir das, was wir gesagt haben, in einer sichtbaren Figur darstellen.« (Sed quia facilius animo colliguntur quae oculis subiciuntur, id quod diximus in uisibili figura depingamus.) An anderer Stelle heißt es: »Damit alle Dinge besser in der Seele eingeprägt werden, werden wir eine sichtbare Figur vor Augen stellen, in der du das zuvor von den Zeichen Gesagte genau erwägen kannst […].« (Quae omnia ut melius animo infigantur, uisibilem figuram oculis subiciemus, in qua praedicta de signis poteris perpendere […].)107 In diesen Verweisen fällt zunächst auf, dass nicht nur die Sichtbarkeit der jeweils folgenden figura eigens hervorgehoben wird, sondern zusätzlich die Augen als das zuständige Sinnesorgan Erwähnung finden. Auf diese Weise wird das Diagramm dem gesprochenen und gehörten Wort explizit als ein zweites, anderes Medium hinzugefügt. Dessen Zweckgebundenheit formuliert der Philosoph nicht als Forderung, sondern als unbedingte Eigenschaft: Das visuelle Medium dient der sicheren Bewahrung dessen, was bereits vernommen und verstanden wurde. Mit dem Betrachten des Diagramms lasse sich das Gelernte besser im Gedächtnis behalten (melius retineri), von der Seele leichter auflesen (facilius animo colligeri) oder in ihr einprägen (melius animo infigeri).108 106 Ebd. 2.5, hg. Ronca 1997, S. 45,11–13. 107 Ebd. 5.9.5, S. 166,41–43 (Diagramm zu den Ozeanströmungen), sowie 3.7.4, S. 76,39–41 (Planetenhäuser). In der Philosophia nutzte Wilhelm den Verweis nur an zwei Stellen zur Funktionsbestimmung des Diagramms. Die Formulierungen sind hier einander ähnlich und mit denjenigen im Dragmaticon vergleichbar: Wilhelm von Conches, Philosophia 2.38, hg. Maurach 1980, S. 55 (Bahnen von Venus, Merkur und Sonne): […] sed quia facilius illabitur animo oculis subiecta descriptio intersecationem illam oculis ostendamus. Vgl. auch ebd. 3.26, S. 81 (Weltkarte): Sed quia facilius illabitur animo oculis subiecta descriptio, id quod dicimus, oculis subiciamus. Zu den Diagrammen in der Philosophia auch Anm. 38. 108 Man könnte an dieser Stelle vermuten, dass Wilhelm diese sichere Aufnahme des Gelernten weniger mit dem Betrachten des fertigen Diagramms als vielmehr mit dem Zuschauen bei dessen Entstehen oder aber mit dem Zeichnen selbst verband. Denn schließlich können Formulierungen wie oculis subiciemus, figuram faciemus oder depingamus nahelegen, dass der Fürst in den Herstellungsprozess eingebunden wird und sich das bereits Gelernte in eben diesem Prozess eingängiger erschließt. Andererseits ist die Rollenverteilung zwischen dem
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Ganz ähnliche, wenn auch nicht explizit auf die Gedächtnisleistung abhebende Begründungen für das Einfügen von Diagrammen finden sich in einem deutlich früheren kosmologisch-astronomischen Text, den spätantiken Commentarii in Somnium Scipionis des Macrobius. In dem Hinweis auf ein Diagramm zu den Planetenbahnen und Tierkreissektoren heißt es dort z. B.: »Und weil ja der Weg zur Vernunft leichter durch die Augen geebnet wird, teilt der Blick dies, was die Sprache beschreibt, besser zu.« (Et quia facilior ad intellectum per oculos via est, id quod sermo descripsit visus adsignet.)109 Auch hier ist es die den Augensinn involvierende Visualität des Diagramms, die die bessere Eingängigkeit des Erläuterten zweifelsohne garantiert. Es ist deshalb sehr wahrscheinlich, dass Wilhelm Macrobius für seine Verweise auf die Diagramme als Vorlage benutzte. Doch nicht immer verbindet sich mit dem Verweis auf die uisibilis figura der Hinweis auf die bessere Einprägsamkeit des erörterten Gegenstands. Der Philosoph intendiert mit dem Zeichnen des Diagramms an anderen Stellen eine bessere Verständlichkeit seiner Erklärungen. Die uisibilis figura soll hier der Offenkundigkeit (melius patere) oder dem besseren Erkennen und Verstehen (melius cognoscere bzw. intelligere) des erläuterten Sachverhalts dienen.110 Das Schweigen angesichts des Diagramms wird dabei dort vonseiten des Philosophen gebrochen, wo dieser die Übertragung ins Visuelle in seine Argumentation einbettet und das Diagramm nicht als Speicher-, sondern als Erkenntnisinstrument einsetzt. Beide Zweckbestimmungen sollen im Folgenden am Beispiel einzelner Diagramme untersucht werden. Zunächst jedoch gilt es, die Herleitung dieser Funktionen des Diagramms besser zu verstehen. Sie gründen auf einer engen Verknüpfung von Gedächtnisleistung und Erkenntnisvermögen mit visueller Wahrnehmung, die die Dialogpartner am sechsten Tag beschäftigt, an dem sie die Sphäre des Irdischen und damit auch den Menschen ergründen. Philosophen als dem Zeichnenden (depingam etc.) und dem Fürsten als dem Betrachtenden in den Diagrammverweisen deutlich angelegt, wobei letzterer immer auf das fertige Diagramm hingewiesen wird. Vgl. z. B. die bereits in Anm. 102 zitierten Stellen: in hac uisibili figura potes perpendere (Diagramm zur heliozentrischen Bewegung von Venus; Weltkarte) sowie in figura uides bzw. potes uidere (Bewegung der Sonne durch den Tierkreis; Stellung von Sonne, Mond und Erde bei einer Sonnenfinsternis; Stellung bei einer scheiternden Sonnenfinsternis). 109 Macrobius, Commentarii 1.21.3, hg. Willis 21970, S. 85,12 f. Vgl. auch ebd. 2.7.3, S. 117,32: oculis subiciendo picturam (Diagramm zu den Klimazonen); 2.5.13, S. 112,3–5: et quia animo facilius inlabitur concepta ratio descriptione quam sermone (Klimazonen der Erde); 2.9.7, S. 123,26 f.: omnia haec ante oculos locare potest descriptio substituta (Erdkarte). 110 Wilhelm von Conches, Dragmaticon 4.4.3, hg. Ronca 1997, S. 88,26 f. (Diagramm zur Elevation und Depression einer Planetenbahn); 4.5.3, S. 92,24–27 (Heliozentrismus von Merkur und Venus); 4.13.8, S. 121,63 f. (zylindrische Schattenform); 4.14.5, S. 125,48 f. (exzentrischer Sonnenlauf); 6.2.3, S. 183,26 f. (Erdscheibe, Falsifikation). Vgl. auch die Formulierungen ad huius rei intellectum quandam uisibilem figuram faciemus, ebd. 4.4.6, S. 89,51 f. (Epizykel und Exzenter), und ad huius euidentiam talem uisibilem figuram oculis subiciemus, 4.15.1, S. 129,7 f. (Mondfinsternis).
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3.2.4 Sehen, Erkennen, Erinnern. Zur Bedeutung von Form und Farbe Auch Wilhelm preist den Sehsinn vor allen anderen Sinnesvermögen, wobei er jedoch Constantinus folgt und, anders als Platon und mit ihm Calcidius, mit der größeren Reichweite des Augensinns im Vergleich zu den anderen Sinnen argumentiert.111 Explizit wiederum der Sehtheorie Platons beipflichtend, erläutert der Philosoph, dass Form und Farbe eines Gegenstands dem Menschen durch eine luftartige, sehr feine und klare Substanz (aerea, subtilis et clara substantia) mitgeteilt werden, die durch die Augen nach außen ströme und auf ihrem Weg zurück ins Gehirn gelange. Die Substanz verbinde sich außerhalb des Auges mit dem Licht und vermöge mit der Luft jeden Körper zu erreichen und zu umhüllen. Im Moment der ganzflächigen Berührung werde sie zur Trägersubstanz und nehme die Form und die Farbe des abgetasteten Gegenstands auf.112 Mit dieser Information ströme sie dann wieder durch die Pupille zurück und trete in das zerebrale Kammernsystem ein.113 Durch die vordere Gehirnkammer, die cellula phantastica, den Ort der visuellen Wahrnehmung, gelange sie in die cellula logistica, die mittlere Kammer, in der die Seele anhand der Form und der Farbe den gesehenen 111 Ebd. 6.19.1, S. 243,1–9. Die Augen gelten hier als instrumentum superius. Vgl. auch ebd. die Anm. des Herausgebers. Vgl. aber auch Ricklin 1997, S. 40 f. Zu Platon und Calcidius Kap. 2, Anm. 205. 112 Ebd. 6.19.3–5, S. 244,25–245,48, wo es u. a. heißt: […] academicam et platonicam sententiam de uisu quae sola uera est, prius explanabo. […] Est in cerebro quaedam aerea et subtilis substantia […]; unde propter nimiam subtilitatem sui et splendorem a Platone ignis uocatur. […] Praedicta igitur subtilis et clara substantia […] ad oculos uenit atque per illorum medietatem, quae pupilla dicitur, exiens, si splendorem in exteriori aere reperit, illi se coniungit atque cum eo usque ad obstaculum peruenit in speciem coni. Quod cum tangit, naturali labilitate per totam superficiem se diffundit, formamque illius et colorem in se recipit: proprium enim est aeris formas rerum et colores in se recipere. Zum Ursprung der aerea substantia als fumus in der Leber ebd. 6.14.2, S. 230,12–14, sowie 6.16.1, S. 233,4–234,26. Zur Sinneswahrnehmung als Akt der Berührung eines Körpers durch die luftartige Substanz Flatten 1929, S. 54–56. Im Dragmaticon wird die Form des griechischen Buchstabens Λ (vgl. Kap. 2.2.2 dieser Arbeit) zum Vergleich herangezogen, allerdings nicht im Zusammenhang mit der Weltseele, die im Dragmaticon gar nicht zur Sprache kommt, sondern bei der Beschreibung des Nervenverlaufs zwischen Auge und Gehirn. Wilhelm orientierte sich hier an den Ausführungen des Constantinus Africanus (Anm. 67). Wilhelm von Conches, Dragmaticon 6.19.4, hg. Ronca 1997, S. 245,35 f., sowie ebd. die Anm. des Herausgebers. Zur Sehtheorie Wilhelms vgl. auch Ricklin 1997, S. 27 ff. 113 Die auf Galen zurückgehende Lehre der drei zerebralen Kammern wurde im lateinischen Mittelalter erst mit Wilhelms Beschreibung des menschlichen Gehirns in der Philosophia bekannt; die Darlegung im Dragmaticon ist dann noch ausführlicher. Grundlage waren wiederum vor allem die Pantegni des Constantinus Africanus (Anm. 67). Diese Lehre, nach der in jeder der drei zerebralen Kammern ein Seelenvermögen des Menschen zu lokalisieren ist, bildete bald den Kern aller hirnphysiologischen Entwürfe. Zu Wilhelms Quellen, Terminologie und Eigenleistungen die Aufsätze O’Neill 1968 u. dies. 1967. Zu der architektonischen Metaphorik in der Beschreibung des menschlichen Gehirns Berns 2003, S. 571 f., auch 566 f.
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Körper erkenne und verstehe: »[…] aus der Gestalt nämlich und der Farbe einer Sache, die sie dort [in der cellula phantastica] sieht, erkennt die Seele, was jene Sache ist.« ([…] ex figura enim et colore rei, quam ibi aspicit, anima cognoscit quid sit res illa.)114 Aus dem visuellen Registrieren des äußeren Körpers wird hier ein bildhaftes Erkennen seiner Besonderheit, seiner Andersartigkeit im Vergleich zu anderen Körpern. Den Eingang zur dritten und hintersten Gehirnkammer, der cellula memorialis, halte die Seele wohl verschlossen. Sie öffne ihn immer dann, wenn sie einen neuen Gegenstand in dieser Kammer speichern oder sich etwas bereits Erfasstes in Erinnerung rufen wolle. Da also das gespeicherte Material im Moment des Sich-Erinnerns in die mittlere cellula logistica, in den Erkenntnisraum, gezogen wird, ist die Gedächtniskammer in erster Linie als Archiv von Erinnerungsbildern und nicht als Ort, an dem Erinnerung stattfindet, zu verstehen.115 Jeglicher Akt des Erkennens geschieht in der cellula logistica. Sie ist der zentrale zerebrale Raum, in dem sich die Seele die Welt in Form von Bildern erschließt. Zu den Kräften der menschlichen Seele zählt zum einen die Tätigkeit des Verstandes (ratio), die dazu befähigt, die Dinge der Körperwelt voneinander zu unterscheiden (discernere). Zum anderen ist die Tätigkeit der Vernunft (intelligentia) die Kraft, die zu Erkenntnissen über die Welt des Unkörperlichen führen kann (intelligere). Zu letzterer heißt es jedoch im Dragmaticon: »Aber da ja alles Unkörperliche unseren Sinnen unzugänglich ist, gibt es nur wenige, die eine sichere Kenntnis davon besitzen.« (Sed quia incorporea a sensibus nostris sunt remota, pauci sunt qui de eis certi sint.)116 Der Mensch ist also in erster Linie zur 114 Wilhelm von Conches, Dragmaticon 6.18.4, hg. Ronca 1997, S. 240,41 f. Zu der Struktur des Gehirns und dem Prozess des Sehens und Erkennens heißt es ebd., S. 240,33–42 u. a.: In capite sunt tres cellulae: una in prora, altera in puppe, tertia in medio. Prima uero cellula dicitur phantastica, id est uisualis, in ea enim anima uidet et intelligit. […] Media cellula dicitur logistica, id est rationalis, in ea enim discernit anima res uisas. Figuras enim et colores, quas uis phantastica intus traxit, uis logistica ad se trahit ibique rem a re discernit […]. Vgl. auch ebd. 6.19.5, S. 245,45–48: Cum figura uero et colore per oculos ad phantasticam cellulam reuertitur [subtilis et clara substantia], inde ad logisticam, ibique animae figuram et colorem rei repraesentat, uisusque efficitur. Inde est quod uisu circa rem figuram et colorem perpendimus. Die Sinneswahrnehmungen zählt Wilhelm zu den Seelenkräften (uirtus animalis); die Seele selbst definiert er als »[…] geistiges Prinzip (spiritus), das mit dem Körper verbunden ist und Erkennen und Verstehen ermöglicht.« Speer 1995, S. 198. Wilhelm von Conches, Dragmaticon 6.25.1, hg. Ronca 1997, S. 263,1–3: Est igitur anima hominis spiritus qui corpori coniunctus idoneitatem discernendi et intelligendi homini confert. Zu den Seelenkräften ebd. 6.14.1 ff., S. 229,56 ff. 115 Ebd. 6.18.5, S. 241,44–54, wo es zu Beginn heißt: Postrema cellula dicitur memorialis, quia in ea exercet anima memoriam. Quod enim per primam cellulam attraxit, in media discreuit, per quoddam foramen, quod est inter mediam et postremam cellulam, anima ad postremam cellulam transmittit. Hoc foramen caruncula quaedam similis capiti uberis mulieris obstruit. Cum uero anima uult aliquid nouum memoriae commendare uel uetus ad memoriam reuocare, remouet se illa caruncula aperiturque foramen. 116 Ebd. 6.26.3, S. 266,25–267,27. Ähnlich Boethius, De consolatione philosophiae 5. pr. 5.4, hg. Bieler 1957, S. 99,16–19. Vgl. auch Speer 1995, S. 200, wo dieser zu Wilhelms Ausführungen
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Bildung von Erkenntnis über die Welt befähigt, die sich seinen Sinnen mitteilt. Alles Wissen vermag er schließlich dank der Gedächtniskraft sicher zu speichern: »Das Gedächtnis ist die Kraft der Seele, durch die der Mensch das, was er zuvor erkannt hat, sicher bewahrt.« (Memoria est uis animae, qua firme retinet homo ante cognita.)117 Jede dieser Seelenkräfte wohnt dem Menschen als ein Potenzial inne, jede entfaltet ihre Wirkmacht erst durch die individuelle Inanspruchnahme, bei der Sorgfalt und gedankliche Disziplin gefragt sind. So fügen sich die gesehenen Farben und Formen in der cellula logistica nicht sogleich eigenständig in ein geordnetes Bild, das Informationen über die Eigenheiten des wahrgenommenen Körpers im Unterschied zu anderen Körpern enthält. Wissen über die Körperwelt stellt der Mensch zwar auf der Basis seiner visuellen Wahrnehmungen her, doch da die unmittelbare Vorstellung (opinio), die die Seele durch die Trägersubstanz von einem Gegenstand gewinnt, oftmals trügerisch ist, bedarf es ihrer sorgfältigen Prüfung mithilfe des Verstandes: »Wenn dieses Urteil über das körperliche Ding entweder durch die Zustimmung der Weisen oder aber durch notwendige Begründungen bestätigt ist, dann ist es ein Vernunftsschluss.« (Si uero hoc iudicium de re corporea uel assensu sapientum uel argumentis necessariis confirmetur, est ratio.)118 Mit der Stimme der Autorität und den notwendigen Arschreibt: »Das dem Menschen eigentümliche Vermögen ist demnach der Verstand, indem es seiner Mittelstellung als einem Wesen Rechnung trägt, das aus Körper und Geist besteht.« 117 Wilhelm von Conches, Dragmaticon 6.26.6, hg. Ronca 1997, S. 268,50 f. Vgl. auch ebd. 6.25.7–6.26.6, S. 265,65–268,51, wo es zu Beginn heißt: ¢Dux² Sed de eius [hominis animae] actionibus quas bruta animalia non habent, audire desidero. ¢Philosophus² Illae actiones multae et diuersae sunt. Est enim ingenium, est opinio, est ratio, est intelligentia, est memoria. In den Glosae super Boethium schreibt Wilhelm: Tria sunt quae faciunt perfecte sapientem: ingenium, id est naturalis uis ad aliquid cito intelligendum; ratio, id est discretio intellectorum; memoria praeteritorum. Nisi sciat aliquis intelligere, discernere, in memoria retinere, non est perfecte sapiens […]. Ders., Glosae super Boetium 1. pr. 1, hg. Nauta 1999, S. 19,39–43. Zu den Seelenkräften und Wilhelms Quellen Speer 1995, S. 198–204, sowie Flatten 1929, S. 67–82. Auf dem Gebiet von Gedächtnis und Erinnerung unterscheidet Wilhelm zwischen memoria und imaginatio, wobei letztere das produktive und reproduktive Vorstellungsvermögen umfasst und auch den Tieren eigen ist. Auch die imaginatio operiert mit den Farben und Formen, die von der Trägersubstanz durch das Auge vermittelt und im Gedächtnis gespeichert wurden: Et est imaginatio uis animae qua percipimus figuram et colorem rei absentis, quae ad hoc est in homine necessaria, ne rem obliuioni tradat. Hominis enim, quem uidimus, figuram et colorem per imaginationem nobiscum portamus, ideoque cum iterum illum uidemus statim recognoscimus. Etiam quae numquam uidimus saepe imaginamur, sed ad similitudinem rei eiusdem generis quam uidimus. Inde est quod imaginatio dicitur nasci ex uisu. Wilhelm von Conches, Dragmaticon 6.24.1, hg. Ronca 1997, S. 260,3–261,10. Obgleich die Einbildungs- und Vorstellungskraft nur vor dem Hintergrund der in der cellula memorialis bewahrten Betrachtungen funktionieren kann, ist sie vermutlich in der cellula uisualis, der Gehirnkammer des Sehens, angesiedelt, da sie als eine Fähigkeit des Wahrnehmens (percipere) definiert wird. So auch Flatten 1929, S. 60 f. Vgl. Berns 2003, S. 582 ff., zu »Imagination, Phantasie und Kombinatorik« bei antiken und frühmittelalterlichen Autoren. 118 Wilhelm von Conches, Dragmaticon 6.26.3, hg. Ronca 1997, S. 266,19 f. Zur opinio ebd. 6.26.2, S. 266,8–18, wo es am Ende heißt: Est igitur opinio falsum de rebus animae iudicium
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gumenten sind hier die beiden Festigungsstrategien genannt, die auch der Philosoph und der Fürst im Dragmaticon einander abverlangen, um nicht lediglich zu einer wagen Beschreibung, sondern zu sicheren Erkenntnissen über die Körperwelt zu gelangen. Dass auch die Bewahrung dieser Erkenntnisse im Gedächtnis nur das Ergebnis einer absichtsvollen geistigen Anstrengung sein kann, wird dort deutlich, wo Wilhelm den Philosophen von seinen eigenen Bemühungen sprechen lässt, die Worte seiner Lehrer zu bewahren: »Das, dux serenissime, was ich von meinen Lehrern wieder und wieder gehört und durch unzähliges Erinnern und unaufhörliche Meditation meinem Gedächtnis anvertraut habe und, damit ich die Worte, die unwiederbringlich entfliegen, sicherer bewahre, durch den Dienst meines Stiftes aufgeschrieben habe […].« (Ea quae a magistris, dux serenissime, multotiens audiui atque innumera recordatione iugique meditatione memoriae commendaui et, ut firmius uerba quae irreuocabilia uolant retinerem, stili officio designaui […].)119 Die Flüchtigkeit der gesprochenen Worte kann gleichsam auf dem Pergament wie im Gedächtnis gebannt werden; die Praktiken des Speicherns sind neben dem Aufschreiben der Wörter ein wiederholtes Erinnern an das Gehörte sowie anhaltendes Nachdenken über die Ausführungen der Lehrer.120 In die Rolle des aufmerksam zuhörenden, wissbegierigen Schülers schlüpft im Dragmaticon der Fürst, der jedoch nicht selbst zur Feder greifen muss, da er die Worte des Philosophen schriftlich fixiert empfängt. Das Lehrgespräch konnte sich so für den weltlichen Beschützer jederzeit erneut ereignen; immer wieder konnte der Fürst verfolgen, wie er entlang der Argumentationsstränge zu gesicherten Einsichten gelangte. Die Begegnung mit seinem intellektuell hervorragend gewappneten Alter Ego bei der Lektüre des Dragmaticon vergewisserte dem zuhörenden oder lesenden Fürsten stets, dass er sich letztlich bereits in Besitz sämtlicher Erkenntnisse befand. Neben der Verfügbarkeit des Texts im Codex mochte ihn diese Sicherheit von der Aufgabe des Memorierens der Worte des Lehrers entbinden. Jeder andere Rezipient allerdings, insbesondere derjenige, dem das Geschriebene nicht besonders eingängig war oder der nicht permanent auf eine Abschrift zurückgreifen konnte, war darauf angewiesen, sich den Inhalt bewusst einzuprägen und zum Bestandteil seines Gedächtnisses zu machen. Die uel uerum fluctuans et incertum. Grundlegend ist Platons Unterscheidung zwischen ratio und opinio. Vgl. Kap. 2, Anm. 4, sowie Wilhelm von Conches, Glosae super Platonem 34, hg. Jeauneau 2006, S. 66. Wilhelm erläutert den Erkenntnisprozess ausschließlich anhand des visuell Wahrgenommenen. Es wird nicht deutlich, wie die anderen Sinneswahrnehmungen verarbeitet werden. Zur bildhaften Speicherung sämtlicher Sinneswahrnehmungen Augustinus, Confessiones 10.8.13, übers. Flasch/Mojsisch 1989, S. 259 f. 119 Wilhelm von Conches, Dragmaticon 6.1.1, hg. Ronca 1997, S. 179,3–6. 120 Zum Hörsinn ebd. 6.21.1–6, S. 253,1–256,68, wo deutlich wird, dass sich auch das Hören in der cellula logistica ereignet (6.21.1, S. 253,9–12): Quae tangens [aerea substantia] aera quem in aure reperit simili forma informatur, cum qua ad animam in logistica cellula recurrit. Ibi anima figuram nostrae uocis perpendit, et fit auditus.
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Diagramme sollten diese Verinnerlichung erleichtern. Im Text werden sie explizit als Sehobjekte und damit als Gebilde deklariert, die sich durch ihre Form und oft auch durch ihre Farbe von Sprache und Schrift unterscheiden. Ein zuvor mit Worten verhandelter und in diesem Sinn abstrakter Gegenstand des Wissens – wie beispielsweise die Verknüpfung der Elemente – wird durch das Diagramm zum sichtbaren Gegenstand und damit zum Teil derjenigen Welt, über die der Mensch auf der Basis seiner Sinneserfahrungen und mithilfe seines Verstandes sichere Erkenntnis herstellen kann. Im Diagramm findet somit eine Rückübertragung eines vom Verstand geprüften und in eine sichere Feststellung gewandelten Sachverhalts aus der Sinnenwelt in ein sinnlich erfahrbares Ding statt, mit dem die Erkenntnis wiederum besser von der Seele erfasst und im Gedächtnis gespeichert werden kann. Das Diagramm ist ein Scharnier, allerdings steht es nicht – wie das erste Diagramm zur Weltseele im Timaeus-Kommentar des Calcidius – zwischen zwei ontologisch anderen Welten, sondern zwischen zwei Seelenkräften, dem Erkennen und dem Erinnern.121 Es ist Produkt eines Denkprozesses und gehört gleichzeitig der Welt der Sinne an. Es ist ein Instrument der erkennenden Seele, die ihr Wissen in das zurückführt, über das sie am freiesten verfügen kann: Form und Farbe. Die Auffassung vom Diagramm als Verstandesleistung ist für beide ihm zugesprochenen Funktionen – diejenige des Wissensspeichers und die des Erkenntnisinstruments – von grundlegender Bedeutung. Wie Formen und Farben in den Abschriften des Dragmaticon in den Dienst des Wissenstransfers gestellt werden, wird im Folgenden genauer analysiert.
3.2.5 Das Visuelle im Dienst des Gedächtnisses. Mnemotechnische Probleme Wie bereits im ersten Diagramm des Dragmaticon, das die Rangfolge der Vernunftwesen des Kosmos zeigt (Farbabb. 4), wird auch in den Diagrammen, die auf die visuelle Darstellung der plana et solida sinzugia elementorum folgen, eine Ordnung des kosmischen Raums in den Blick genommen. Erneut weitet sich der Fokus, nachdem die Gesprächspartner mit dem Elementarpartikel und den vier Elementen das Prinzip alles Körperlichen und die Grundstruktur des Weltkörpers sowie dann das Hervorgehen aller Körper durch die Wirkkräfte der Elemente erörtert haben.122 Mit der Frage des Fürsten, ob Aristoteles dem Weltbild 121 Vgl. Calcidius’ Diagrammverweis Kap. 2, Anm. 90. 122 Nachdem er mit den (vier) Elementen die Welt geschaffen habe, bilde Gott zunächst aus Bestandteilen der vier Elemente die Sterne. Da die Sterne auch feuriger Natur seien, beginnen sie, sich zu bewegen, wodurch ein Prozess der Erwärmung und Verdichtung der Elemente in Gang gesetzt werde, in dem alles weitere Körperliche entstehe. Wilhelm von Conches, Dragmaticon 3.3.1 ff., hg. Ronca 1997, S. 63,1 ff., wo es zu Beginn von 3.4.1, S. 65,1–5, heißt:
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Platons zustimme, in dem jeder Körper entweder eines der vier Elemente sei oder aus diesen Elementen gebildet werde, beginnt nun die Diskussion über das fünfte Element (quinta essentia) der aristotelischen Kosmologie, in der es jedoch nur um die Frage der sphärischen Anordnung der Elemente im Kosmos gehen wird.123 Den Worten des Philosophen ist zu entnehmen, dass Aristoteles die Existenz eines fünften Elements oberhalb des Mondes behauptet. Während Platon nur Erde, Wasser und Luft im sublunaren Raum ansiedele und den weiteren Raum mit dem Feuer ausfülle, befinden sich bei Aristoteles alle vier Elemente unterhalb der Mondbahn. Bis zum Firmament erstrecke sich dann die quinta essentia, die – anders als die anderen vier Elemente – eigenschaftslos und damit keinem Prozess der Veränderung unterworfen sei. Aus ihr bestehen demnach auch die sieben Planeten, was dem Philosophen im Dragmaticon vollkommen unplausibel erscheint. Denn wie könne beispielsweise die Sonne als ein Körper, der Wärme spendet, selbst ohne diese Eigenschaft sein? Er bezeichnet die aristotelische Position als Verirrung (dementia) und schlägt dem Fürsten vor, lieber über etwas anderes zu sprechen. Zunächst allerdings sollten sie sich nichtsdestotrotz eine sichtbare Figur von dem zuvor Gesagten vor Augen stellen: Vnam tamen uisibilem figuram super hoc oculis subiciemus.124 In der figura wird der kosmische Raum zu einer Abfolge gleichförmiger, konzentrischer Sphären verdichtet. Die Diagramme in den Handschriften aus Pontigny und in Florenz (Farbabb. 8 u. Abb. 39) weisen das Zentrum sowie die beiden folgenden Sphären übereinstimmend der Erde, dem Wasser und der Luft zu, wobei das wiederum aufwendiger mit Farben gestaltete Diagramm aus Pontigny mit der zusätzlichen Inschrift elementum in seinen Bezeichnungen präziser ist. Die Formulierung super hoc im Textverweis auf die figura bindet diese an das zuvor Gesagte; es finden sich jedoch keine genaueren Angaben, ob das Diagramm nur den platonischen Kosmos oder aber beide Entwürfe darstellen soll. Mit den Inschriften in den Kreisbahnen, die auf die Luftsphäre folgen, entscheidet sich, ob und wie das Problem gelöst wurde, die vorhergehende Erläuterung von zwei Modellen, von denen jedoch nur einem Gültigkeit zugesprochen wird, ins Diagramm zu übertragen. Corporibus stellarum sic creatis, quia ignea sunt naturae, coeperunt moueri atque ex motu aera sibi subditum calefacere; quo mediante aqua est calefacta, ex qua per ebullitionem ignis diuersa genera animalium sunt creata. Vgl. auch Anm. 7 u. 89. 123 Wilhelm von Conches, Dragmaticon 3.5.1–4, hg. Ronca 1997, S. 69,1–71,48. 124 Ebd. 3.5.4, S. 71,48. Zuvor hat es dort geheißen: In eis quae sunt infra lunam has quatuor qualitates esse: calorem, frigus, humiditatem, siccitatem; in eis quae sunt supra lunam, nullam de his: eadem nec grauia nec leuia esse […]. Stellae igitur omnes, tam erraticae quam infixae, ex quinta essentia, non ex quatuor constant elementis. Sed quomodo Sol, cum non sit calidus, fons sit caloris […] qui hanc sententiam, immo dementiam, tenere uoluerit, si potest, fingat. Hoc igitur praetermittentes, aliud dicamus. Ebd., 3.5.3 f., S. 70,28–71,47. Der Philosoph wird jedoch bald seiner eigenen Argumentation gegen das aristotelische Modell widersprechen. Vgl. ebd. 4.2.6, S. 85,41 ff., wo es zu Beginn heißt: Quid miraris, si quod non est frigidum frigus facit, cum etiam id quod est calidum frequenter hoc agit?
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Im Farbdiagramm schließt an die mit roter Tinte ausgefüllte Sphäre des Feuers (elementum ignis) die grüne Bahn des Mondes an. Dass das Diagramm also mit der abgeschlossenen Feuersphäre gerade die Ordnung zeigt, die vom Philosophen im Text als unsinnig verworfen wird, macht zusätzlich die Inschrift de .v. essentia in jeder weiteren Bahn deutlich. Gleichzeitig wird diese Ordnung jedoch durch die Farbgebung unterlaufen. Auffällig ist zunächst, dass die Kreisbahnen außerhalb der Mondbahn ebenso farbig sind wie die sublunaren Sphären. Der Raum der quinta essentia ist im Diagramm somit nicht als ein einheitlicher Bereich kenntlich gemacht, der sich durch seine ganz andere, nämlich unwandelbare Stofflichkeit deutlich von allem unterscheidet, was sich unterhalb des Mondes befindet. Bei der Farbgestaltung der sublunaren Sphären wurde jedem Element die gleiche Farbe wie in den vorhergehenden Diagrammen zu den elementaren Verknüpfungen (Farbabb. 5) zugewiesen. Da diese vier Farben, Braun, Grün, Blau und Rot, im Sphärendiagramm auch die jeweils als circulus bezeichneten Planetenbahnen ausfüllen, entstehen Korrespondenzen zwischen den Sphären einzelner Elemente und Planeten, und zwar zwischen denjenigen, die die gleichen Qualitäten besitzen. Das Diagramm greift damit dem Text voraus, denn auf die einzelnen Planeten und ihre Eigenschaften kommt der Philosoph erst am nächsten, am vierten Tag zu sprechen.125 Dem Text ist dann zu entnehmen, dass sowohl der Planet Saturn als auch der Mond als kalte Körper gelten und letzterer zudem von feuchter Natur sei; entsprechend sind im Diagramm die Bahnen dieser beiden Planeten mit Grün ausgefüllt, der Farbe des gleichsam kalten und feuchten Elements Wasser. Auf die gleiche Weise erklärt sich auch die rote Farbgebung, denn wie das Element Feuer sind auch die Sonne und der Planet Mars warm und trocken. Die farbliche Kennzeichnung der Bahnen der beiden gemäßigten, von allen vier Qualitäten gleichermaßen bestimmten Planeten Jupiter und Venus fügt sich allerdings nicht in dieses Schema, da diese Planeten durch die Farbe Blau mit dem Element Luft, in dem das Warme und das Feuchte vorherrschen, in Verbindung gebracht werden. Schon im übernächsten Diagramm stehen die Farben Grün, Blau und Rot für die gleichen sinnfälligen Qualitäten: Kälte, gemäßigte Temperatur und Wärme (Farbabb. 9). Ähnlich wie im Diagramm des Timaeus-Kommentars in London (Abb. 27) sind hier die einzelnen Himmelskreise benannt, wobei die Unterteilung des Himmels nun jedoch sowohl inschriftlich als auch farblich um die Ordnung der fünf verschiedenen Klimazonen ergänzt ist. Deren Erläuterung sowie ihre Darstellung im Diagramm gehen auf Macrobius zurück; beides war Standard in mittelalterlichen Weltbeschreibungen.126 Unter Verweis auf die Sonneneinstrahlung wurden Himmel und Erde übereinstimmend in eine heiße mittlere 125 Ebd. 4.2.1 ff., S. 83,1 ff. 126 Macrobius, Commentarii 2.5.7–17 u. 2.7.1–21, hg. Willis 21970, S. 111,4–112,32 u. 117,18–121,9. Macrobius übernahm eine aus der Antike stammende Unterteilung der Erde. Obrist 2004, S. 62–65 u. 147 ff.
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Zone (torrida zona), an die nördlich und südlich eine Region mit gemäßigtem Klima angrenzt (nostra temperata bzw. temperata australis), sowie dann zwei äußere kalte Zonen (frigida septemtrionalis bzw. australis) unterteilt.127 Warum im Diagramm zur Kosmosordnung (Farbabb. 8) schließlich die Merkurbahn mit brauner Tinte ausgefüllt ist und damit mit dem feuchten und trockenen Element Erde korrespondiert, bleibt ungeklärt. Merkur nimmt eine Art Sonderstellung unter den Planeten ein, da er im Text übergangen wird und nur ihm keine Qualitäten zugewiesen werden.128 Ob die Wahl des Brauns in dieser Sonderstellung begründet liegt oder aber mit der Farbgestaltung eine qualitative Identität zwischen Erde und Merkur nahegelegt werden soll, ist an dieser Stelle nicht zu entscheiden. Insgesamt jedoch wird deutlich, dass im selben Diagramm sowohl die platonische als auch die aristotelische Kosmosordnung zur Anschauung kommt, indem jede auf einer anderen formalen Ebene angesiedelt wird. Die stets in roter Tinte eingetragenen Inschriften übernehmen die Funktion, den Bereich der unwandelbaren, der Sinnenwelt räumlich und qualitativ entrückten und damit allein der Vorstellung zugänglichen quinta essentia anzuzeigen. Der Modus der Darstellung entspricht somit der bezeichneten Materie. Die quinta essentia bleibt in der visuellen Figur Schrift und damit begrifflich-abstrakt. Die Sphären des Kosmos hingegen, in dem alle Körper entweder für den Menschen unmittelbar sinnlich erfahrbar sind oder Eigenschaften besitzen, die denjenigen der sublunaren Körper entsprechen, sind wie durchtränkt mit Farbe. Der Kosmos, der von Partikeln ausgefüllt ist, von denen jedes einzelne eine bestimmte Qualität trägt, ist Farbe. Auch dieses Darstellungsverfahren birgt eine konzeptuelle Entsprechung. Denn gerade die kosmische Ordnung, die sich vom konkurrierenden Entwurf durch die sinnlichen Qualitäten aller Sphären auszeichnet, wird in eine sinnlich erfahrbare Ordnung, eine Ordnung der Farben, übersetzt. Im Kontext der im Dragmaticon ausgeführten Theorie des Sehens und Erkennens, nach der sich die menschliche Seele die Dinge der Körperwelt insbesondere über eine Wahrnehmung von Farben und Formen erschließt, hat das Diagramm sicherlich in erster Linie als Entwurf des platonischen Kosmos zu gelten, denn der satten Farbigkeit können die nur mühsam lesbaren Inschriften kaum etwas entgegensetzen. Die alles andere verdrängende Gültigkeit der platonischen Welt kommt in diesem Diagramm suggestiv zur Geltung. In den längeren Inschriften, die sich in jeder Planetenbahn der Kreisform fügen, werden Angaben zu den Umlaufzeiten der Planeten gemacht. Das Diagramm 127 Die übrigen Inschriften lauten, von links nach rechts: articus circulus uel septemtrionalis – tropicus uel solsticialis estiuus circulus – equinoctialis atque equidialis circulus – australis tropicus uel solsticialis hyemalis – circulus antarticus uel australis. 128 Grundlage für die Zuschreibung der vier Fundamentalqualitäten an die einzelnen Planeten waren die Angaben von Plinius, Naturalis historia 2.6.34–46, hg. Winkler/König 21997, S. 34–40. Auch bei Plinius bleibt Merkur eigenschaftslos.
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zeigt somit nicht nur die Ordnung im kosmischen Raum in seiner qualitativen Aufladung, sondern berücksichtigt auch den Aspekt der Bewegung der Fixsternsphäre und der Planeten. Mit letzterem kommt es dem Text ein weiteres Mal zuvor, denn die Zeitspannen, in denen die Planeten ihre eigene Bahn vollständig durchlaufen, erwähnt der Philosoph erst am Beginn des nächsten Tages.129 Beides, Ordnung und Bewegung im Raum, integriert auch das Sphärendiagramm in der Handschrift in Florenz (Abb. 39), wenn auch auf ganz andere Weise. In diesem monochrom braunen Diagramm gelingt die Darstellung beider Ordnungen allein auf der Ebene der Inschriften. Letztere dienen nicht nur dazu, die Sphären nach den Vorgaben Platons zu ordnen. In der Sphäre des Feuers, die sich hier außerhalb der Mondbahn befindet, ist neben dem Eintrag ignis zudem inschriftlich vermerkt, dass sich eben jene Mondbahn innerhalb, nach Aristoteles jedoch außerhalb des Feuers befinde: Circulus lune in igne sed supra ignem secundum aristolem[!].130 Auch dieses Diagramm zeigt in erster Linie die gültige, die platonische Ordnung und passt sich damit dem Text an, über dessen Inhalt auch hier das visuelle Medium zugleich inhaltlich hinauszuweisen vermag. Denn es zeigt die Sphärenfolge der Elemente und Planeten nicht als Ordnung verharrender Größen, sondern weiß auch das Prinzip der Bewegung im Kosmos zu vermitteln. Da die Inschriften in den Kreisbahnen nicht in einer Kolonne, sondern versetzt eingetragen sind, muss der Betrachter, der die Einträge im geordneten Nacheinander von außen nach innen erfassen will, mit einiger Konzentration die Bahnen mit den Augen und vielleicht, um sich das Ganze zu erleichtern, dem Finger oder einem Zeigegerät abkreisen. Ausgehend von saturnus in der letzten vollständigen Bahn, stößt er in der jeweils nächsten inneren Bahn nach einer Viertelumrundung auf den folgenden Eintrag, also zunächst auf iupiter, dann auf mars usw. Die Platzierung der Inschriften ist eine Rezeptionsvorgabe, die den Betrachter zum Abkreisen des Diagramms und damit zum Nachvollzug der kosmischen Kreisbewegung anstiftet, der nur die Erde im Zentrum der Welt nicht unterliegt. Dass das Diagramm dabei nicht als ein Modell der kosmischen Bewegungen zu verstehen ist, sondern nur das Prinzip der kreisförmigen Bewegung 129 Wilhelm von Conches, Dragmaticon 4.2.1 ff., hg. Ronca 1997, S. 83,1 ff., sowie ebd. 4.14.1–3, S. 123,1–124,36. Die Wortwahl weicht im Diagramm ab, die Angaben sind also nicht genau aus dem Text übernommen. Die Inschriften lauten, von innen nach außen: (1) Firmamenti semel per diem et noctem ab oriente per occidentem iterum in orientem fertur. (2) Saturni contra firmamentum nitentis triginta annis peragratur. (3) Iouis firmamento obuiam euntis duodecim annis peragratur. (4) Martis aduersus firmamentum currentis duobus annis percurritur. (5) Veneris contra firmamentum euntis aliquantum plus minus uno anno peragitur. (6) Mercurii contra firmamentum nitentis fere per unum annum consumatur. (7) Solis contra firmamentum con[unleserlich] uno anno completur. (8) Lune contra firmamentum concite mense uno finitur. 130 Vgl. auch das Diagramm in der mit dieser Abschrift verwandten Kopie: Florenz, BNC, MS II. VI. 2 (13. Jh.), fol. 54v; außerdem BSB, clm 2595 (Alderspach?, Anfang 13. Jh.), fol. 12r; Cambridge, GCC, MS 225 (13. Jh.), S. 43; Bodleian, MS Auct. F. 5. 28 (England?, 13. Jh.), fol. 192v; Oxford, SJC, MS 178 (England, 2. V. 14. Jh.), fol. 285v (farbig).
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impliziert, wird vor dem Hintergrund des Gesprächs zwischen dem Philosophen und dem Fürsten über die Bewegungen im Sphärenraum deutlich, welches jedoch erst an späterer Stelle im Text zu finden ist. Die Dialogpartner halten dann nämlich fest, dass die Himmelskörper in einem komplexen Zusammenspiel von Bewegung und Gegenbewegung den Kosmos durchschreiten.131 Als einen Verweis auf die Bewegung im Kosmos, von der allein die Erde nicht ergriffen wird, kann auch die Verteilung der Inschriften in den Kreisbahnen im Diagramm in einer dritten Abschrift verstanden werden, welche aus dem 12. Jahrhundert datiert (Farbabb. 10).132 Wie alle Diagramme in dieser Abschrift ist auch dasjenige zur Sphärenordnung in Blau und Rot sowie einem heute an den meisten Stellen stark ausgeblichenen Gelbton gestaltet, den Farben, die auch zur visuellen Untergliederung des Textkörpers verwandt wurden. Allein der Erdkreis ist hier ganz Farbfläche, deren zentrales Element, ein gelbes Kreuz auf gelb-rotem Grund, zum Zentrum der gesamten Kreisfigur wird. Damit gehört dieses Diagramm zu der außerordentlich kleinen Gruppe von astronomischen und kosmologischen Diagrammen in der Traktatliteratur des Hoch- und frühen Spätmittelalters, in denen nicht nur das Wissen über die Welt gezeigt, sondern der gesamte Kosmos auch unter ein christliches Zeichen gestellt wurde.133 Während das Kreuz inhaltlich als Verweis auf die Identität der hier analysierten Welt mit der Schöpfung Gottes zu verstehen ist, fungiert es in formaler Hinsicht gemeinsam mit der zentralen Farbfläche und der horizontal verlaufenden Inschrift terra als Ruhepunkt eines Ordnungsgefüges, in dem die Wörter, aufgelöst in einzelne Buchstaben, selbst zu kreisen beginnen. Die Namen der Elemente und Planetenbahnen sind in Sperrschrift in die Kreisbahnen eingetragen; der Betrachter muss den Verlauf jeder Bahn mit den Augen verfolgen und die Buchstaben visuell aufsammeln und zusammenfügen. Doch anders als beim Diagramm der Handschrift in Florenz (Abb. 39) vermittelt sich das Prinzip der Kreisbewegung hier nicht erst beim Lesen der Inschriften, sondern schon beim Betrachten der durch die Auflösung der Inschriften bewegt erscheinenden Kreisbahnen.134 Während das Diagramm damit die Vorstellung von einer Rotation 131 Zwar wenden sich die Gesprächspartner der Frage der Bewegung gleich unmittelbar nach der Erörterung der quinta essentia zu. Sie kommen jedoch erst am nächsten, dem vierten Tag zur Problematik der entgegengesetzten Bewegungen des Firmaments und der sieben Planeten. Zu letzterem Wilhelm von Conches, Dragmaticon 4.6.3, hg. Ronca 1997, S. 98,57–63. Vgl. auch das Diagramm in der mit dieser Abschrift verwandten Kopie: Bodleian, MS Auct. F. 5. 25 (fr. 13. Jh.), fol. 9v. 132 BAV, MS Reg. lat. 1222, fols. 1r–27r, hier fol. 9v. Ronca 1997, Nr. 56, S. lvii. 133 Vgl. z. B. das Diagramm zu den Elementenverbindungen (plana sinzugia) in derselben Handschrift: BAV, MS Reg. lat. 1222 (12. Jh.), fol. 6r, sowie in Florenz, BNC, MS II. VI. 2 (13. Jh.), fol. 53r. In letzterem ist die Kreuzform nicht im Zentrum eingefügt, sondern sie entsteht durch die Unterteilung der Kreisfläche und wird zu der bestimmenden Figur. 134 Warum der Mond und die Sonne mit den kleinen, gelb ausgefüllten Kreisen jeweils vier Mal auf ihrer Kreislinie markiert sind, kann ich nicht erklären. Auch die Kreislinie der
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der Welt um die Erde überzeugend vermittelt, büßt es an Übersichtlichkeit ein. Die Raumordnung – dieses Diagramm zeigt ausschließlich die platonische Version135 – wird nicht auf Anhieb ersichtlich, sondern lässt sich nur durch ein konzentriertes Betrachten erschließen. Eine ähnliche Zerstreuung in der Fläche, die ebenso sehr die Aufmerksamkeit des Betrachters herausfordert, charakterisiert das in der Handschrift aus Pontigny folgende Diagramm. Planetenhäuser Am Ende des dritten Tages beschäftigt die Gesprächspartner eine zweite Ordnung des kosmischen Raums. War für die zunächst besprochene und im Diagramm gezeigte Unterteilung des Kosmos die Stofflichkeit der Sphären das entscheidende Kriterium, so geht es nun um Himmelskreise, die in der Fixsternsphäre anzusiedeln und somit allen Elementen- und Planetensphären übergeordnet sind. Diese Kreise sind sichtbar oder unsichtbar, sie werden durch Formationen der Fixsterne gebildet oder bleiben abstrakter Natur und markieren dann zumeist Grenzen, die vom Lauf der Sonne bestimmt werden.136 Zunächst widmen sich Philosoph und Fürst dem Tierkreis (zodiacus) genannten Sternengürtel, dessen zwölf Bilder als Häuser (domicilia) der Planeten gelten. Diese Bezeichnung gründe auf der Vorstellung, dass jeder der sieben Planeten in bzw. unter einem bestimmten Sternzeichen erschaffen worden sei: Dieses Zeichen werde das erste Haus (domicilium proprium et primum) des Planeten genannt. Die fünf verbleibenden Sternbilder seien den fünf oberen Planeten als deren jeweiliges zweites Haus (domicilium secundum) zugewiesen worden.137 In diesen beiden Häusern, insbesondere im ersten Haus, entfalte jeder Planet die größte Kraft (uis), womit sein Einfluss gemeint ist, den er auf die Erde und den Menschen hat und der von seinen Eigenschaften bestimmt ist.138 An diese insgesamt sehr kurze Erläuterung, Fixsternsphäre wird von derartigen kleinen Kreisen besetzt. Dort verweisen sie sicherlich auf die Sichtbarkeit dieser Sphäre durch die Fixsterne. Das blaue Ornamentband in der Mondbahn ist eine lückenfüllende Zierform, die in dieser Handschrift am Ende von Textzeilen häufiger auftaucht, vgl. z. B. fols. 4r, 7r u. 16r. Vgl. auch die ähnlichen Diagramme in: BAV, MS Reg. lat. 1021 (12. Jh.), fol. 222v; Cambridge, SJC, MS 171 (G. 3) (13. Jh.), fol. 25v; BML, MS Strozzi 87 (13. Jh.), fol. 18v; Florenz, Riccardiana, MS 829 (Pisa, 13. Jh.), fol. 11r; Erfurt, MS Ampl. 8° 28 (13./14. Jh.), fol. 21v; Ambrosiana, MS E. 12 Inf. (13./14. Jh.), fol. 453r. 135 Vgl. auch BSB, clm 564 (Bayern, 3. V. 12. Jh.), fol. 55v; BAV, MS Palat. lat. 1042 (Deutschland, 2. H. 12. Jh.), fol. 18r; Cambridge, CCC, MS 385 (12./13. Jh.), S. 119; BL, MS Royal 4 A. XIII (13. Jh.), fol. 118v. In dem Diagramm BML, MS Plut. 29. 47 (13. Jh.), fol. 12v, hingegen wurde die Sphäre des Feuers weggelassen. 136 Wilhelm von Conches, Dragmaticon 3.7.1–13, hg. Ronca 1997, S. 75,1–81,133. 137 Ebd. 3.7.3, S. 76,28–37, wo es zu Beginn heißt: Illud signum, in quo planeta est creatus, eius domicilium uocatur. 138 Ebd. 3.7.4, S. 76,38 f. Zu den Wirkmächten der Planeten ebd. 4.2.1 ff., S. 83,1 ff. Wie u. a. von Ronca angegeben, nutzte Wilhelm für diese Ausführungen zu den Häusern der Planeten sicherlich den Cicero-Kommentar des Macrobius: Macrobius, Commentarii 1.21.24–27, hg. Willis 21970, S. 89,8–90,1. Anders als bei Wilhelm ist das Sternbild bzw. das erste Haus dort
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die vor allem aus Aufzählungen der Planet-Sternbild-Paare besteht, fügt der Philosoph ein Diagramm an, zu dem er mit den folgenden Worten überleitet: »Damit alle Dinge besser in der Seele eingeprägt werden, werden wir eine sichtbare Figur vor Augen stellen, in der du das zuvor von den Zeichen Gesagte genau erwägen kannst, bis auf die Neigung, die in der Fläche nicht gezeichnet werden kann.« (Quae omnia ut melius animo infigantur, uisibilem figuram oculis subiciemus, in qua praedicta de signis poteris perpendere, excepta obliquitate, quae in plano pingi non potest.)139 Die Ordnung, die bisher in einer Aneinanderreihung von Worten bestand, kann nun in ihrer Geschlossenheit, d. h. im sich schließenden Kreis, genauer betrachtet werden. Dabei ist auch die visuelle Darstellung nicht perfekt, da sie die Abweichung des Tierkreises vom Himmelsäquator nicht zu zeigen vermag. Dennoch wird sie als ein Medium, das Gegenstand des Augensinns ist, der besseren Einprägsamkeit und damit der sicheren Bewahrung des erläuterten Wissens dienen. Das an dieser Stelle ohne weitere Vorgaben des Texts einzufügende Diagramm fällt in den Kopien aus Pontigny und in Florenz auf der Ebene der Inschriften sowie hinsichtlich der formalen Gliederung identisch aus (Farbabb. 11 u. Abb. 40). Beide Kreisdiagramme werden aus zehn gleichförmigen Kreisbahnen gebildet, die ein nicht näher bezeichnetes gemeinsames Zentrum haben. In der äußersten Kreisbahn sind jeweils die Namen der zwölf Tierkreiszeichen eingetragen; aus der linearen Abgrenzung der Namen voneinander folgt eine Einteilung der gesamten Kreisfläche in zwölf Segmente. In der anschließenden Bahn wird jedes Sternzeichen als das erste oder zweite Haus eines Planeten bezeichnet.140 Inschriften in den oberen Sektoren weisen die folgenden sieben Kreisbahnen als Umlaufbahnen der Planeten aus (circulus saturni etc.). Wie bereits die zuvor gezeigten Diagramme besteht auch dieses Diagramm im Dragmaticon in Florenz allein aus Linie und Inschrift; die entstehenden Binnenflächen bleiben leer und zeigen nur das Pergament. Insbesondere nach der Textlektüre ist das Diagramm dank dieser reduzierten Gestaltung schnell erschließbar, auch wenn einige Inschriften sehr klein ausfallen und auf dem Kopf gelesen werden müssen, will man ein Hantieren mit dem Codex vermeiden. jedoch nicht der Ort, an dem ein Planet erschaffen wurde (planeta est creatus). Vielmehr gehen die Planeten in der Stunde, in der die Welt entstand, in dem Sternbild bzw. gemeinsam mit diesem auf (cum signo oriebatur; erat in signo). Dass es Wilhelm darum ging, auch die Planeten als Schöpfung Gottes darzustellen, wird in seinen Glosae zum Timaeus deutlich. Dort heißt es: Et est domicilium planete signum in quo creatus est a Deo […]. Wilhelm von Conches, Glosae super Platonem 108, hg. Jeauneau 2006, S. 196. Zu weiteren möglichen Quellen vgl. ders., Dragmaticon, hg. Ronca 1997, S. 76, die Anmerkungen des Herausgebers. 139 Ebd. 3.7.4, S. 76,39–42. 140 Im Diagramm der Handschrift in Florenz folgen die Inschriften dem Muster: Domicilium Planetae .i. und Secundum Domicilium Planetae; in der Handschrift aus Pontigny lauten sie: Primum Domicilium Planetae; Secundum Domicilium/Domicilium Secundum Planetae sowie Domicilium Solis und Domicilium Lune.
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Noch vor einer Wahrnehmung der Inschriften entsteht bei der Betrachtung des Diagramms in der Handschrift aus Pontigny der Eindruck des Bunten und Zerstreuten. Denn die Kreisbahnen dieses Diagramms ziert ein vielfarbiges Muster, das größere, an Kaffeebohnen erinnernde Formen ausbildet, welche von Punkten begleitet werden. Bei genauem Hinsehen zeigt sich eine Ordnung in der ästhetischen Fülle. Jeder Bahn ist sorgfältig ein eigenes Muster zugewiesen, wobei sich jedoch keine Systematik in der Bestückung erkennen lässt. Andere Eingriffe sind wiederum unregelmäßig. So werden nur einige der Inschriften von Punktanhäufungen umgeben, und nur in der Venusbahn ist die Inschrift circulus in einer blauen Farbfläche platziert. Neben den linksbündig eingetragenen Sternbildnamen in der äußeren Kreisbahn füllen kleine, meist zweifarbige, individuell gestaltete Musterbänder die restliche Fläche. Mögen sich Ordnung und Kontingenz in dieser Auffüllung des Diagramms mit farbigem Ornament auch die Waage halten, zum inhaltlichen Erschließen der visuellen Darstellung verhält sich der Schmuck nahezu subversiv. Er erschwert nicht nur das Finden und Lesen der Inschriften, sondern entbehrt auch eines Sinns, der der Vorstellung von den Planetenhäusern im unmittelbaren oder entfernteren Textbezug dient. Erweist sich der Schmuck des Diagramms auch auf inhaltlicher Ebene als unbrauchbar, so mag er dennoch in anderer Hinsicht von Bedeutung gewesen sein. Die Frage ist, ob darin nicht die Erfordernisse einer spezifisch mittelalterlichen Rezeption zu erkennen sind, die für jedes Diagramm eine Rolle spielten, möglicherweise jedoch gerade für die elaborierte, den heutigen Betrachter aber verwirrende Gestaltung dieses Diagramms maßgeblich waren. Mnemotechnische Diagramme? Der Formulierung im Text zufolge steht das Diagramm zu den Planetenhäusern im Dienst der Gedächtnisleistung des Rezipienten.141 Da weitere Vorgaben zu seiner Form, den Inschriften und der Farbe nicht gemacht werden, scheint jedes Diagramm, das die vorher besprochene Ordnung im Tierkreis darstellt, diese Funktion zu erfüllen. Allein die Tatsache, dass es seinen Inhalt immer in sichtbarer, möglicherweise auch mit Farbe ausgestatteter Form präsentiert, scheint Garantie für den Nutzen des Diagramms zu sein, denn als sichtbarer Gegenstand wirkt dieses auf die von der Seele im Gehirn des Menschen gesteuerten Gedächtnisoperationen. Möglicherweise jedoch wurde das einzelne Diagramm von dem Buchmaler nicht nur als Gegenstand des natürlichen Gedächtnisses, sondern als Instrument der Gedächtniskunst begriffen und gestaltet. Erklärt sich die verblüffende Form- und Farbenpracht des Diagramms zu den Planetenhäusern in der Handschrift aus Pontigny vielleicht in dem Moment, in dem man dieses Diagramm als mnemotechnisches Hilfsmittel erkennt? Spätestens an dieser Stelle stellt sich damit auch die Frage, warum gerade die Diagramme im Dragmaticon 141 Vgl. Anm. 139.
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derart farb- und ornamentreich gestaltet wurden. Denn die wenigen Diagramme in früheren oder aber zeitgenössischen Handschriften aus Pontigny bleiben vergleichsweise schlicht.142 Anlass zur Verknüpfung von Diagramm und Mnemotechnik geben insbesondere die Thesen der Mediävistin Mary Carruthers, die in ihren materialreichen Studien über die Gedächtniskunst (memoria) im lateinischen Mittelalter eine große Gruppe von Texten und Bildern, darunter insbesondere Arbeiten der Buchmalerei, als Erinnerungsstücke auffasst, als Produkte oder Instrumente antrainierter, künstlicher Gedächtnisvorgänge.143 Die Fähigkeiten und Anforderungen, Dinge willentlich im Gedächtnis zu speichern und sich jederzeit daran erinnern zu können, bildeten Carruthers zufolge die wichtigste Kulturtechnik im gesamten Mittelalter. Von grundlegender Bedeutung für mittelalterliche Mnemotechniken war demzufolge die antike ars memorativa, die jedoch im monastischen Kontext des frühen Mittelalters in eine Praktik der meditativen Verinnerlichung biblischer Texte und spiritueller Inhalte verwandelt wurde und sich damit aus ihrer engeren Bestimmung als Kunstfertigkeit des Rhetorikers löste.144 Ausgehend von 142 Besonders deutlich wird dies angesichts einer Weltkarte aus Isidors Etymologiae in einer Handschrift aus dem zweiten Viertel des 12. Jh.s oder aber einem Diagramm zu den Verwandtschaftsgraden aus der Zeit 1170 bis 1180, das zwar polychrom und figürlich eingefasst ist, selbst aber farblos und ohne Ornament bleibt. Auxerre, BM, MS 76 (2. V. 12. Jh.), fol. 91v; Peyrafort-Huin 2001, Nr. 35, S. 484 f.; Auxerre, BM, MS 269(?) (ca. 1170–1180), fol. 1r; Peyrafort-Huin 2001, Nr. 53.3, S. 498 f., Nr. 53.3. Siehe auch Anm. 48. Reproduktionen der Diagramme unter http://www.enluminures.culture.fr/documentation/enlumine/fr/rechguidee_00. htm (12. 11. 2007). Zu den Verwandtschaftstafeln in menschlicher Gestalt und der Ontologisierung wie Autorisierung der graphischen Einschreibung durch den rahmenden Körper vgl. Bogen 2006. 143 Vgl. insbesondere ihre erste umfassende Studie: Carruthers 1990, hier vor allem S. 221–257 (»Memory and the book«). Eine übersichtliche Zusammenfassung der Thesen liefert die Einleitung zu einem jüngeren Sammelband mit hoch- und spätmittelalterlichen Quellentexten sowie verschiedenen Bildtypen: Carruthers/Ziolkowski 2002, S. 1–31. Zum Verhältnis von Gedächtniskunst und bildender Kunst im Mittelalter auch Yates 1990 [1966], S. 76 u. 82–101. Auch der Kunsthistoriker Andreas Gormans hat vor wenigen Jahren eine große Studie über die mnemotechnische Funktion geometrischer Bild- und Begriffsschemata des Mittelalters und der Frühen Neuzeit vorgelegt: Gormans 1999. 144 Nach Carruthers hatte memoria im Frühmittelalter – anders als in der Antike und in der Zeit nach 1240 – weniger den Status einer systematisch in schriftlich fixierten Abhandlungen konzipierten Kunst (ars), sondern vielmehr einer kognitiven Fertigkeit (»cognitive craft«), die nur von einem anderen Praktizierenden erlernt werden konnte. Von einer ars memorativa war demnach zuerst bei Albertus Magnus (ca. 1200–1280) wieder die Rede. Vgl. Carruthers 1990, S. 145 u. 137, sowie den Titel ihrer Studie von 1998: »The craft of thought« und der Anthologie aus dem Jahr 2002: »The medieval craft of memory«. Zu den antiken Schriftquellen zur ars memorativa und ihrer Rezeption im Verlauf des Mittelalters die zusammenfassende Darstellung Carruthers/Ziolkowski 2002, S. 17–22. Von den zahlreichen Publikationen zur Mnemonik in Mittelalter und Früher Neuzeit, die seit der mittlerweile als ›Klassiker‹ geltenden Studie von Francis A. Yates – Yates 1990 [1966], hier S. 11–75 – erschienen sind, seien hier nur drei jüngere genannt: In seinem Nachwort zu einem Sammelband mit antiken und frühmittelalterlichen Schriftquellen, die in der Frühen Neuzeit noch oder wieder rezipiert wurden,
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der Auffassung, dass schon die natürlichen Erinnerungsvorgänge Prozesse der Wahrnehmung von geistigen Bildern sind, die auf dem visuell Wahrgenommenen basieren – diese Auffassung wurde hier für Wilhelm von Conches näher erläutert –, bemühte sich jegliche Art der Gedächtniskunst um eine Optimierung des inneren Visualisierungsakts. Die wichtigsten Prinzipien des systematisch ausgeweiteten Gedächtnisses bestanden darin, die Dinge (res), die man speichern wollte, bewusst in einzelnen Bildern (effigies, simulacrum, imago, pictura) festzuhalten und diese in eine einfach strukturierte Ordnung (ordo), in ein System von Orten (loci) einzusetzen.145 Diese Gedächtnisordnung konnte ein architektonisches, alphabetisches oder numerisches Gerüst für die Erinnerungsbilder bieten; wichtig war, dass man sich im Prozess des Erinnerns flexibel in ihr bewegen und von allen Seiten auf die an bestimmten Orten innerhalb des Gefüges gespeicherten Bilder zugreifen konnte.146 Letztere, so wurde in den antiken Traktaten zur Rhetorik hervorgehoben, sollten einen affektiven Charakter besitzen oder ungewöhnliche Elemente enthalten, da das, was starke Emotionen hervorrief oder verblüffend war, sich weniger gefährdet zeigte, im Strom der alltäglichen Wahrnehmungen zu verblassen.147 Da davon auszugehen war, dass die Empfindungen liefert Jörg Jochen Berns eine präzise metapherngeschichtliche Studie antiker und mittelalterlicher Äußerungen zu Gedächtniskunst und Gedächtnislehre: Berns 2003. Zu memoria und ars memorativa in den spätantiken und mittelalterlichen Enzyklopädien Ernst 2000, S. 112 (Plinius) bis 127 (Brunetto Latini). Eine bis ins 20. Jh. reichende Zusammenstellung von Quellen liefert Fleckner 1995. 145 Vgl. die Ausführungen von Berns zu der von Cicero und Quintilian überlieferten fabula des Dichters Simonides von Kos (etwa 557–467 v. Chr.), denen ich auch die lateinischen Begriffe entnehme: Berns 2003, S. 526–530, hier 528. Dank der Schilderung in Ciceros De oratore (55 v. Chr.) und Quintilians Institutio oratoria (um 95 n. Chr.) galt Simonides als Erfinder der Gedächtniskunst. Dem Mittelalter, in dem die beiden Traktate kaum rezipiert wurden, war die Episode, in der der Dichter einem Festmahl beiwohnte, dessen Sitzordnung er nach dem Einsturz der Festhalle aus dem Gedächtnis rekonstruieren konnte und dabei die Regeln der Mnemotechnik entdeckte, durch die knappen Erläuterungen bei Martianus Capella überliefert. Ders., De nuptiis 538 f., hg. Willis 1983, S. 189,12–190,17. Eine weitere Quelle des Mittelalters, in der die Simonides-Anekdote Erwähnung fand, ist das Traktat Ars rhetorica des Consultus Fortunatianus (4. Jh. n. Chr.). Berns 2003, S. 299–303, sowie Carruthers/Ziolkowski 2002, S. 295–297 (engl. Übersetzung). 146 Zu den verschiedenen Ordnungsmodellen Carruthers 1990, S. 20 f. u. 80–121 (»Elementary memory design«). 147 In der anonymen Rhetorica ad Herennium (um 85 n. Chr.), dem ältesten der überlieferten lateinischen Rhetorik-Traktate, heißt es zu den mnemotechnischen Bildern u. a.: Imagines igitur nos in eo genere constituere oportebit, quod genus in memoria diutissime potest haberi. Id accidet, si quam maxime notatas similitudines constituemus; si non mutas nec vagas, sed aliquid agentes imagines ponemus; si egregiam pulcritudinem aut unicam turpitudinem eis adtribuemus; si aliquas exornabimus, ut si coronis aut veste purpurea, quo nobis notatior sit similitudo […]. Rhetorica ad Herennium 3.22, hg. Nüßlein 1994, S. 176. Vgl. auch ebd. 3.23, S. 178, sowie Coleman 1992, S. 39–41. Die Beurteilung der frühmittelalterlichen Rezeption dieses Traktats ist nicht einheitlich. In der Quellensammlung von Berns heißt es, dass die Rhetorica im gesamten Mittelalter als Schulbuch gedient habe, von den insgesamt etwa 700 Handschriften die meisten aus dem 9.–11. Jh. stammen und für die Zeit ab dem Hochmittelal-
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und Reaktionen auf Bilder immer unterschiedlich ausfallen würden, wurde der Praktizierende dazu angeregt, sich seine individuelle Bilderwelt zu erschaffen. Kataloge, in denen z. B. Entsprechungen von Wörtern und bildhaft vorzustellenden Szenen oder Gegenständen vorgegeben wurden, waren deshalb in Abhandlungen zum Gedächtnistraining nicht zu finden.148 Aus dem 12. Jahrhundert jedoch datiert ein propädeutisches Werk, in dem ein mnemotechnisches Ordnungsschema nicht nur in Worten erläutert, sondern auch gezeigt wurde. Hugo von St. Viktor: De tribus maximus circumstantiis gestorum Hugo von St. Viktor (gest. 1141), der bedeutendste Lehrer der Kathedralschule von St. Viktor in Paris, systematisierte in der Chronica (um 1130) die Heilsgeschichte für seine Studienanfänger in Form von mehreren, zumeist chronologisch geordneten Listen von Zahlen und Namen, die er in einer tabellenähnlichen, in vertikalen Spalten organisierten Ordnungsstruktur unterbrachte (Abb. 41).149 Konzeption und Benutzung dieser ›tabellarischen‹ Faktensammlung erläuterte er in dem De tribus maximus circumstantiis gestorum, id est personis, locis, temporibus ter zudem eine ausgeprägte Kommentartradition zu verzeichnen sei. Berns 2003, S. 113. Carruthers und Ziolkowski hingegen schreiben, dass dieses Traktat vor dem 11. Jh. lediglich sporadisch bekannt gewesen sei und immer im Schatten von Ciceros De inventione [in dem sich allerdings keine Ausführungen zur Mnemotechnik finden] gestanden habe. Seit dem 11. Jh. sei eine Kommentierung des Texts zu verzeichnen; erst seit dem 14. Jh. jedoch sei die Rhetorica breit rezipiert worden. Carruthers/Ziolkowski 2002, S. 19 f. Zur Überlieferung, Glossierung und Kommentierung der Rhetorica ad Herennium sowie von Ciceros De inventione und zu der Verwendung dieser Texte im Unterricht in Mittelalter und Renaissance Ward 1978, der jedoch keine Angaben zum Inhalt der Glossen und Kommentare macht. Zur Rhetorica als Pflichtlektüre in den akademischen Lehrplänen des 13. u. 14. Jh.s Lafleur/Carrier 1997, S. 535 u. 540 f., sowie Lewry 1983. Zu den Erinnerungsbildern auch Berns 2003, S. 588 f., sowie Carruthers 1990, S. 59 f. 148 In der Rhetorica ad Herennium 3.23 f., hg. Nüßlein 1994, S. 176 f., heißt es zu Beginn: Scio plerosque Graecos, qui de memoria scripserunt, fecisse, ut multorum verborum imagines conscriberent, uti, qui ediscere vellent, paratas haberent, ne quid in quaerendo consumerent operae. Quorum rationem aliquot de causis inprobamus […]. Quare sibi quemque suo commodo convenit imagines conparare. 149 BnF, MS lat. 15009, fol. 3v. Die Abschrift datiert aus dem späten 12. Jh. und entstand in der Abtei St. Viktor. William M. Green vermutet, dass sie nahezu identisch mit der Urschrift ist. Green 1943, S. 487. Überblick zum Inhalt der Listen, die sich in der Handschrift BnF, MS lat. 15009 auf fols. 3v–40r befinden, ebd., S. 492 f. Bisher liegen sie nur in Teileditionen vor, die jedoch keinen Aufschluss über ihre Gestaltung geben. Mortensen 1992, hier S. 8–30, sowie Hugo von St. Viktor, Chronica, hg. Waitz 1879. Zur Überlieferung der Chronica Goy 1976, S. 36–43, wo dieser insgesamt 34 Handschriften auflistet, von denen die meisten aus dem 12. und 13. Jh. datieren, sowie Green 1943, S. 486–488, der die veränderte oder fehlende Überlieferung der Listen in den einzelnen Handschriften kurz kommentiert. Die Chronica finden sich nicht unter den Werken Hugos von St. Viktor, die die Klosterbibliothek in Pontigny besaß. Im Bibliothekskatalog ist Hugos Didascalicon vermerkt, in dem die Bedeutung des Gedächtnisses für den Lernprozess erläutert wird, wobei der Schwerpunkt allerdings auf der Fähigkeit des Zusammenfassens liegt. Peyrafort-Huin 2001, S. 270 u. 85. Hugo von St. Viktor, Didascalicon 3.11, hg. Offergeld 1997, S. 246–249.
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betitelten Vorwort, in dem er grundsätzlich für die Speicherung des Lehrstoffes in einem mentalen Ordnungssystem plädierte und drei Regeln für das effektive Memorieren nahelegte.150 Der Wortlaut eines umfangreichen Texts wie beispielsweise der Psalmen lässt sich demnach am besten als eine numerisch geordnete Folge von Sätzen einprägen.151 Wenn Hugo neben der Zahl auch den Ort als Ordnungskategorie anführte (discretio numeri und discretio loci), so empfahl er damit, beim Memorieren eines im Codex fixierten Stoffes das Seitenlayout als Erinnerungshilfe zu nutzen und hierfür, um Verwirrungen zu vermeiden, möglichst nur eine Abschrift heranzuziehen. Er zeigte sich davon überzeugt, dass nichts besser geeignet sei, das Gedächtnis anzuregen, als die Visualität des Geschriebenen bzw. der visuelle Akt des Lesens. Denn beim Lesen gewinne der zu memorierenden Inhalt eine Gestalt, die aus den Farben und Formen der Buchstaben sowie deren Anordnung auf der Buchseite gebildet werde. Wer las, um sich etwas zu merken, sollte diese Gestalt zur mentalen Visualisierung des Stoffes nutzen.152 Die dritte Empfehlung schließlich betraf die Ordnung des Stoffes nach zeitlicher Folge (discretio temporis), sodass etwa ein Schüler einen bestimmten Lerninhalt mit einem bestimmten Zeitpunkt in seinem Schülerdasein zu verknüpfen wusste und so diesen Unterrichtsgegenstand in zeitliche Relation zu anderen Gegenständen bringen konnte.153 Die Zeit konnte jedoch auch für eine weitere Binnenstrukturierung des gelernten Stoffes dienen. Für die Unterteilungen der Heilsgeschichte, die in den Listen folgen, war sie das wichtigste Kriterium. In der hier gezeigten Abschrift, die aus dem späten 12. Jahrhundert datiert, aus St. Viktor selbst stammt und sich heute noch in Paris befindet, beginnt die Aufstellung mit der Schöpfung (conditio) (Abb. 41). In die beiden mittleren der insgesamt vier Spalten sind untereinander die Schöpfungsgegenstände und -tage eingetragen. Von der anschließenden Aufgliederung der sechs Zeitalter in eine Abfolge von Männernamen (homo), die Patriarchen, Richter, Könige oder Pries150 Im Folgenden zitiert nach der Edition von Green 1943, S. 488–492, die auf der Handschrift BnF, MS lat. 15009, fols. 1r–3r (Abb. 41 dieser Arbeit), basiert. Übersetzung ins Englische von Carruthers in: Carruthers/Ziolkowski 2002, S. 33–40. 151 Hugo von St. Viktor, De tribus maximus circumstantiis gestorum, hg. Green 1943, S. 489,17 ff.: Primum de discretione numeri […].; S. 489,27 f.: Verbi gratia, psalterium ad verbum cordetenus affirmare volo. 152 Ebd., S. 490,11 ff.: Ecce vidisti quid valeat ad discendum discretio numeri. nunc vide et considera quid valeat in id ipsum discretio loci. […] Multum ergo valet ad memoriam confirmandam ut, cum libros legimus, non solum numerum et ordinem versuum vel sententiarum, sed etiam ipsum colorem et formam simul et situm positionemque litterarum per imaginationem memoriae imprimere studeamus, ubi illud et ubi illud scriptum vidimus, qua parte, quo loco (suppremo, medio, vel imo) constitutum aspeximus, quo colore tractum litterae vel faciem membranae ornatem[!] intuiti sumus. Ego puto ad memoriam excitandam etiam illud non nichil prodesse […]. Für Gegenstände mündlicher Unterweisung bedeutete eine Berücksichtigung des Ortes die Verknüpfung des Gelernten mit der Unterrichtssituation, etwa den Räumlichkeiten oder dem Aussehen des Lehrers. Ebd., S. 490,26 ff. 153 Ebd., S. 490,31 ff.
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ter benennen, ist auf dem gezeigten Folio der Abschnitt von Adam bis Terah zu sehen. In den übrigen drei Spalten wird in Zahlen angegeben, wie viele Jahre die neue Generation vom Beginn der Welt trennten (ab initio), in welchem Lebensalter der genannte Mann Vater wurde (genuit) und wie lange er lebte (vixit). Überschriften und vertikal verlaufende Buchstabenfolgen unterliegen einer alternierenden Farbgebung in den Farben Blau und Rot. Dass diese Listen sowie alle folgenden als konkrete Grundlage für das Memorieren eines heilsgeschichtlichen Grundgerüsts dienen sollten, wird im Vorwort explizit deutlich: »Wir werden dir dies auf der unten angefügten Seite präsentieren, die entworfen ist in dieser Ordnung, mit der wir wollen, dass dieses selbst in deiner Seele durch das Gedächtnis eingepflanzt wird, damit alles, was wir später darüber aufbauen werden, fest sein kann.« (Haec tibi in subiecta pagina eo ordine disposita praescribemus quo ipsa volumus animo tuo per memoriam inseri, ut quicquid postea superedificaverimus solidum esse possit.)154 Es kam Hugo somit mit diesem Text nicht darauf an, den Schüler zum Entwerfen eigener Auflistungen anzuregen. Es ging vielmehr darum, ihm die Heilsgeschichte unter Aufbringung sämtlicher Hilfsmittel der Gedächtnisarbeit, darunter auch desjenigen der Gestaltung der Buchseite, in einem sichtbaren mnemotechnischen Schema verfügbar zu machen. Abgesehen von den kreisförmigen Klammern rechts und links der Schöpfungsliste, fügen sich auf diesem Folio alle Eintragungen der rigiden Ordnung der linksbündigen Vertikalen und der Horizontalen.155 Das Ordnungsprinzip ist schnell ersichtlich und eröffnet verschiedene Optionen für den Zugriff auf das Material. So muss der Rezipient nicht stets bei Adam anfangen, sondern er kann an einer beliebigen Stelle in eine der Spalten einsteigen und sich dann z. B. auf die Abfolge in nur einer von ihnen konzentrieren, wobei es auch möglich ist, sich von unten nach oben zu bewegen. Die mnemotechnischen Kriterien der Übersichtlichkeit und Flexibilität sind somit erfüllt. Beide Kriterien gelten grundsätzlich auch für die Diagramme zu den Planetenhäusern (Farbabb. 11 u. Abb. 40) in Wilhelms von Conches Dragmaticon, die ebenfalls explizit als Gedächtnisbild dienen sollen. Zwar sind mit dem Kreisdiagramm und der Spaltenfolge zwei unterschiedliche Organisationsformen gewählt, doch handelt es sich in beiden Fällen um visuell erfahrbare Ordnungsgefüge, in denen ein komplexes Ganzes in eine übersichtlich strukturierte Verdichtung gebracht wird. Während das Verinnerlichen bei Hugo von St. Viktor als ein bewusster Akt, der Disziplin und Konzentration erfordert, erst noch vom Rezipienten zu leisten ist (ipsa uolumus animo tuo per memoriam inseri), scheint sich Wilhelms Diagramm allein über die Anschauung und ganz ohne 154 Ebd., S. 490,44–491,2. 155 Mit den Inschriften in den beidseitigen Bögen (creata, disposita, ornata bzw. in materia, in forma, celum aer aqua terra) werden weitere, im Vorwort erläuterte Schöpfungsordnungen eingefügt. Ebd., S. 491,34–45.
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Anstrengung im Gedächtnis des Betrachters einzuprägen (quae ut melius animo infigantur). Beide Autoren konzipieren ihre Werke, in denen es ihnen um die systematische Bewältigung von Unterrichtsgegenständen geht, so, dass die Gedächtnisfigur auf der Buchseite tatsächlich zu sehen ist und nicht durch eine wörtliche Beschreibung im Leser evoziert wird.156 Auch Hugo überlässt dabei seine visuelle Systematisierung der Heilsgeschichte den Schreibern ohne weitere Anweisungen und eröffnet ihnen damit die Möglichkeit, die Tabellen in der ›eigenen‹ Kopie als besonders effizient für mnemotechnische Zwecke zu gestalten. Der Schreiber des hier gezeigten Folios der Chronica aus St. Viktor entschied sich für eine klare Linierung, ein einheitliches Schriftbild, zwei weitere Farben und wenige Zierformen. Die Ordnung der Dinge wird durch nichts gestört, womit diese Tabelle dem Diagramm zu den Planetenhäusern im Florentiner Dragmaticon ähnelt. Zeigt dieser Vergleich nicht, dass eine Ordnungsfigur, die der Verinnerlichung eines bestimmten Lehrinhalts dienen sollte, gerade durch ihren Verzicht auf Elemente von affektiver Wirkung zweckdienlich war? Es stellt sich also weiterhin die Frage, wie die für Irritation sorgende Farb- und Formenpracht des Diagramms in der Handschrift aus Pontigny zu erklären sein könnte. Playfulness Den Ausführungen von Mary Carruthers zufolge forderte auch die mittelalterliche Mnemotechnik nicht allein eine bestimmte Ordnung des Materials, sondern zudem eine Intensität der Bilder. Die antike Empfehlung an den Rhetoriker, seinen inneren Bildraum als einen »Arkanraum der Idiosynkrasie«157 zu gestalten, da sich ihm die absonderlichen, die besonders schönen, übertrieben hässlichen oder lächerlichen Imaginationen während des Vortragens mühelos vor Augen stellen würden, war nach Carruthers auch für die mnemotechnischen Bildentwürfe des Mittelalters folgenreich. Schriften christlicher Autoren allerdings, in denen die Effizienz des Gedächtnisbildes mit dessen affektivem Charakter verbunden wurde, datieren erst aus der Zeit seit etwa der Mitte des 13. Jahrhunderts.158 Der eng156 Das äußerst komplexe Diagramm hingegen, das Hugo in seiner Schrift Libellus de formatione arche beschreibt, ist in keiner der 58 überlieferten Abschriften des Texts wiedergegeben. Anders als die Listen der Chronica ist dieses Diagramm exegetischen Inhalts und von spiritueller Bedeutung. Durch Imagination und Kontemplation sollte der Gläubige zu einer tiefen Erkenntnis der christlichen Heilsbotschaften gelangen, wobei er als letztes Ziel die Vereinigung mit Gott anstrebte. Dazu bes. Sicard 1993 sowie Carruthers 1990, bes. S. 231–239, wo sie das Werk auf S. 232 folgendermaßen charakterisiert: »De arca Noe mystica is a cosmography – a combination of mappa mundi and genealogia, together with mnemonics for the vices and virtues (including the monastic virtues), the books of the Bible, a calendar, and other assorted categories of information – all put together as an elaborate set of schematics imposed upon the Genesis description of Noah’s Ark.« Vgl. auch oben, Anm. 40 der Einleitung. 157 Berns 2003, S. 588. 158 In den 1130er-Jahren schrieb Thierry von Chartres einen Kommentar zur – vermeintlich von Cicero verfassten – Rhetorica ad Herennium, in dem die Bemerkungen zu den agentes imagines (vgl. Anm. 147) jedoch nur sehr knapp ausfallen. Thierry von Chartres, Commenta-
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lische Theologe und Mathematiker Thomas Bradwardine (ca. 1300–1349) etwa schrieb in seinem Traktat »Über den Erwerb eines künstlichen Gedächtnisses« (De memoria artificiali adquirenda) vom Nutzen einer drastischen Bilderwelt und entwarf beispielhaft die zwölf Zeichen des Tierkreises als eine Folge von Szenen, in denen Gewalt und Sexualität eine dominierende Rolle spielen.159 Die Problematik einer abstoßenden oder erregenden Bilderwelt war zuvor erstmals von Albertus Magnus (ca. 1200–1280) kommentiert worden. In De bono (1245), wo er die ars memorativa als Teil der christlichen Ethik verhandelte, hatte Albertus die Legitimation derartiger Bilder in ihrer Wirksamkeit für das Erinnern gesehen.160 Aus der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts sind zu der Art der inneren Bilder darüber hinaus entweder zurückhaltende Stimmen zu vernehmen oder aber solche, die – wie Hugo von St. Viktor ein Jahrhundert zuvor – ausschließlich die Lehrsituation und die Buchseite als bildhaften Zusammenhang für den Gedächtnisinhalt anraten.161 Es stellt sich offenkundig die Frage, wie die antike Empfehlung vor dem 13. Jahrhundert interpretiert wurde, d. h. ob der mittelalterliche Mnemotechniker in dieser Zeit seine imaginäre Ordnung überhaupt mit Bildern füllte, die starke Emotionen freisetzten, und welcher Art die Affekte dann waren rius super Rhetoricam ad Herennium 3.22.37–39, hg. Fredborg 1988, S. 309,15–311,84. Dieser Kommentar ist zudem nur in einer einzigen Handschrift (SBPK, MS lat. 8° 161 (Phillips 9672) (12. Jh.), fols. 36v–75v) überliefert und muss deshalb als wirkungslos gelten. Ebd., S. 36 u. 41, sowie Carruthers 1990, S. 150–152, hier S. 152. 159 Thomas Bradwardine, De memoria artificiali adquirenda, hg. Carruthers 1992, S. 36,50–38,135; Übersetzung ins Englische von Carruthers in: Carruthers/Ziolkowski 2002, S. 207–214. Vgl. auch die inhaltliche Analyse von Carruthers 1990, S. 130–135. 160 Albertus Magnus, De bono 4.2.2, hg. Kühle u. a. 1951, S. 246–252, hier 251,67–86. Dazu auch Carruthers 1990, S. 137–141, sowie 65 ff. Im Jahr 1235 schloss Boncompagno da Signa (ca. 1170 bis nach 1240), der als Rhetoriklehrer an der Universität Bologna tätig war, die Rhetorica novissima ab, in der er jedoch nur allgemein davon sprach, dass man Beleidigungen und Schmach sowie unerwartete Begebenheiten besser als alles Angenehme und Alltägliche im Gedächtnis behalte. Er koppelte diese Bemerkungen jedoch nicht an eine Empfehlung für die Qualität der imaginären Bilder. Vgl. die englische Übersetzung des achten Buches der Rhetorica novissima von Sean Gallagher in: Carruthers/Ziolkowski 2003, S. 105–117, hier S. 115. 161 Vgl. zum einen die Bemerkungen des Gottfried von Vinsauf in seiner vor 1202 vollendeten Poetria nova 5, übers. Nims 1967, S. 89,2019 ff., wo es zu Beginn heißt: »Cicero [i. e. the author of the Rhetorica ad Herennium] relies on unusual images as a technique for training the memory; but he is teaching himself; and let the subtle teacher, as it were in solitude, address his subtlety to himself alone. But my own subtlety may be pleasing to me and not to him. It is beneficial to one whom it suits, for enjoyment alone makes the power of memory strong.« Vgl. zum anderen die wenig systematische Parisiana poetria des Johannes de Garlandia (um 1195 bis nach 1272), der Grammatik und Literatur an der Universität Paris unterrichtete: ¢De arte memorandi² […] Si aliquid deciderit nobis a memoria, debemus recolere tempus clarum uel obscurum in quo didicimus, locum in quo, magistrum a quo, in quo habitu, in quo gestu, libros in quibus studuimus, paginam candidam uel nigram, disposiciones et colores litterarum; quia hec omnia introductiua erunt rerum memorandarum et nobis eligendarum. Johannes von Garlandia, Parisiana Poetria 2, hg. Lawler 1974, S. 36,87–38,115, hier 36,100–105, sowie die Anmerkungen auf den S. 237–239. Vgl. auch Carruthers 1990, S. 123–130.
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bzw. sein durften.162 Sie wird von Carruthers jedoch nicht gestellt. Zwischen der emotionalen Bindung an das imaginäre Bild und der Verwertung der sinnlich erfahrbaren Begleiterscheinungen des zu memorierenden Inhalts differenziert die Autorin nicht.163 Vielmehr nutzt sie zum einen die hoch- und spätmittelalterlichen Zeugnisse, die für die grundlegende Bedeutung der Buchseite für den Prozess der Verinnerlichung sprechen, retrospektiv auch für das Frühmittelalter und interpretiert beispielsweise das Kolumnenlayout der Evangelien-Konkordanz des Eusebius von Caesarea (um 260–339) als mnemotechnische Einrichtung.164 Ebenso könnten Listen mit Alphabeten sowie die Bilderfolge des Bestiarium, deren Funktion in Handschriften monastischer Herkunft generell nur schwer zu 162 Augustinus (354–430) lobte z. B. gerade den Zustand der Empfindungslosigkeit, in dem man sich mit seinem gespeicherten Wissen beschäftigen könne. Augustinus, Confessiones 10.22, übers. Flasch/Mojsisch 1989, S. 266 f.: »Und sieh: Das Gedächtnis ist es, aus dem ich die Aussagen hervorhole, es gebe vier Arten der Verwirrung des Geistes – die Begierde, die Freude, die Furcht und die Trauer […]. In meinem Gedächtnis finde ich alles, was ich sagen kann, von dort hole ich es hervor. Aber dabei verwirrt mich keine von diesen Verwirrungen, wenn ich mich ihrer erinnere und sie aufzähle. […] Denn wer würde gerne von solchen Stimmungen sprechen, wenn jedesmal, wenn wir Trauer oder Furcht erwähnen, wir trauern oder uns fürchten müßten?« Vgl. auch Coleman 1992, S. 94. Von zentraler Bedeutung war die Verbindung von Erinnerung und emotionaler Erfahrung während des gesamten Mittelalters unbestritten in der christlichen Andacht. Jedoch ist der innere Nachvollzug z. B. des Passionsgeschehens, der durch äußere memoria-Bilder unterstützt wurde, eine deutlich andere Gedächtnisleistung als die systematische Verinnerlichung eines umfangreichen chronologischen Gefüges wie desjenigen der Heilsgeschichte, zu der Hugo von St. Viktor den Studienanfänger anleitete. Zu den äußeren memoria-Bildern des Christentums, seiner »grotesken, auf imaginativem Wege peinigenden Bildnerei« und der Schmerzikonografie Berns 2003, S. 589 f., sowie ders. 2002. Vgl. auch die Kritik von Wolfgang Kemp an der zuerst von Yates entwickelten These, dass die antike Mnemonik maßgeblich für das Mittelalter gewesen sei: Kemp 1993, bes. S. 273–280, wo er auf S. 277 schreibt: »Daß Ordnung eine große Memorierhilfe sein kann, haben die mittelalterlichen Theoretiker ihren Vorlagen mit gutem Willen entnehmen können – mehr nicht […].« 163 Wie z. B. in den folgenden Sätzen festzustellen ist: »Successful memory schemes all acknowledge the importance of tagging material emotionally as well as schematically, making each memory as much as possible into a personal occasion by imprinting emotional associations like desire and fear, pleasure or discomfort, or the particular appearance of the source from which one is memorizing, whether oral (a teacher) or written (a manuscript page). Successful recollection requires that one recognize that every kind of mental representation, including those in memory, is in its composition sensory and emotional [Hervorhebungen K. M.].« Carruthers 1990, S. 60. 164 Dieser Rückschluss wird z. B. dort deutlich, wo Carruthers feststellt, dass die Gedächtnisorte bei Bradwardine – anders als bei den antiken Autoren – ohne räumliche Tiefe seien, und schreibt: »At most, he was drawing together in a single manual advice that had been practically, if not so systematically, available for centuries. And, as we will see, these same conventions are to be found not in a textual tradition but in manuscript painting traditions from the early Middle Ages. This suggests to me that the mnemonic role of book decoration was consciously assumed from the beginnings of the book in the West; we have seen other evidence of this close link in the lexography (if I may call it that) of memory as well.« Carruthers 1990, S. 131. Zu den Kanontafeln Carruthers 1990, S. 93, 129 u. 248. Ein weiteres Beispiel für ein »mnemonic layout« ist demnach der Glossenspiegel des 12. bis 14. Jh.s, ebd., S. 214 ff.
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erklären sei, als Visualisierungen mnemotechnischer Ordnungsgerüste verstanden werden.165 In Bildern wie denjenigen der fabelhaften Tierwesen des Bestiarium ließe sich zum anderen das Kriterium der Absonderlichkeit wiederfinden. Carruthers spricht verallgemeinernd von den »intensely pictorial and affective qualities«166 von Kunst und Literatur im Mittelalter und erkennt das Spielerische (»playfulness«167) in den Bildfindungen als Zeichen für deren mnemotechnische Beanspruchung. Auch wenn der Verdacht des argumentativen Zirkelschlusses bei Carruthers naheliegt, ist gerade diese letzte These für das Diagramm zu den Planetenhäusern in der Handschrift aus Pontigny (Farbabb. 11) interessant. Denn dieses passt mit seinen farb- und formreichen Verzierungen ohne Weiteres in eine ästhetische Kategorie des Spielerischen.168 Die Farbkreise, -punkte und -muster füllen das Diagramm ungeachtet seines spezifischen Inhalts aus und verwandeln es in ein detailreiches Schaustück. Der Rezipient, der den ersten Teil dieser Abschrift des Dragmaticon durchgeblättert hat, sieht sich hier nicht nur mit einem wiederum ganz anders gestalteten Diagramm, sondern auch mit einer Kleinteiligkeit und Variationsbreite im Diagrammschmuck konfrontiert, die ihn zum visuellen 165 Carruthers 1990, S. 109–111. Quellen, die für diese Funktion der Tierbeschreibungen des Bestiarium sprechen, datieren aus dem Hoch- (Philippe de Thaon) und Spätmittelalter (wiederum Bradwardine). Diese Schriften nutzen bildhafte Beschreibungen, ohne jedoch selbst mit Bildern der Tierwesen ausgestattet zu sein. Ebd., S. 126 f. Vgl. auch Carruthers Erklärung für die Aufteilung des Sternenhimmels in einzelne Bilder: Carruthers 1998, S. 24–27. 166 Carruthers/Ziolkowski 2002, S. 3. 167 Ebd., S. 13: »The results [i. e. the memory images in a 1470 blockbook] are deliberately grotesque and fanciful, in a manner we now consider characteristic of medieval aesthetic. Playfulness is basic to the memory work of creative composition.« 168 Vgl. auch das Diagramm zu den Mondphasen: Montpellier, Faculté de Médecine, MS H 145 (Pontigny, 1170–1175), fol. 29v. Diese Verknüpfung zwischen einem hochmittelalterlichen astronomischen Diagramm und den Thesen von Carruthers ist natürlich nicht nur oder erst an diesem Punkt herstellbar, denn die Autorin kommt in ihren Studien selbst auf Diagramme in mittelalterlichen Handschriften zu sprechen. Während dabei von dem mittelalterlichen Diagramm die Rede ist, handelt es sich bei den Diagrammen, denen sie sich genauer widmet, vor allem um Neuschöpfungen des 12. Jh.s bzw. solche Diagramme, die insbesondere seit dem Hochmittelalter zu einer breiten Verwendung kamen. Die Beispiele umfassen Hugos von St. Viktor Libellus de formatione arche (ein Traktat, das in keiner Abschrift tatsächlich mit einem Diagramm ausgestattet wurde; vgl. Anm. 156); das Diagramm in Hugos von Folieto (gest. um 1172) De columba et accipitre sowie das Baumdiagramm Compendium historiae in genealogia Christi des Petrus von Poitiers (ca. 1130–1205). Darüber hinaus erwähnt sie Kanontafeln, das Layout des Kalenders, »ladders, trees, circles, columns, maps, and genealogical charts« sowie diagrammatische Dispositionen von figurativen Szenen. Carruthers 1990, S. 239–242 u. 248–257. Vgl. auch Bogen 2006, S. 75–78, hier S. 75, zu der These, »[…] dass sich diagrammatische Bildformen der mittelalterlichen Handschriften in mnemotechnische und meditativ aufgeladene Praktiken einschreiben.« Bogen diskutiert sie mit Blick auf Schemata, die Teile des menschlichen Körpers verwenden und auf diese Weise den Rezipienten nicht allein zu einer Gedächtnisleistung, sondern auch zu einer Verwendung des eigenen Körpers als mnemotechnisches Medium anregen. Zu der Auffassung von spätmittelalterlichen Diagrammen als »images mnémotechniques« auch Friedman 1985, bes. S. 171 ff.
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Abtasten und Erforschen des prächtigen Gebildes auffordern.169 Können die Extravaganz und die gewollte Hinwendung zum Detail nicht als Hilfestellungen für eine Verinnerlichung des Diagramms verstanden werden? Wenn auch Carruthers’ Argumentation zur Allgegenwärtigkeit der Mnemonik in mittelalterlichen Codices insgesamt zu unpräzise und generalisierend erscheint, so bergen die Thesen der Autorin doch diese Möglichkeit, den inhaltslos erscheinenden Schmuck eines Diagramms nicht als Ausbruch einer naiven mittelalterlichen Dekorationslust zu verstehen, sondern in einen funktionalen Kontext zu betten. Während sich der Diagrammverweis sowie die Seh- und Gedächtnistheorie des Wilhelm von Conches bereits von der Visualität des Diagramms dessen Zweckerfüllung versprechen, lädt das Diagramm hier mit seinen Zierelementen demonstrativ zu seiner visuellen Ergründung ein. Es leistet somit einer Intensivierung des ohnehin beabsichtigten Rezeptionsvorgangs Vorschub: des Sehens.170 An diesem Punkt kann also auch verständlich werden, warum sich gerade die Diagramme in der Dragmaticon-Handschrift aus Pontigny von Diagrammen in anderen Codices aus dieser Bibliothek durch Polychromie und Reichtum an Ornament unterscheiden. Sie sind auf diese Weise sowohl inhaltlich als auch konzeptionell mit dem Text, für den sie entworfen wurden, in Übereinstimmung gebracht. Immer werden die Diagramme in dieser Handschrift durch Farbe und Ornament vom geschriebenen Text formalästhetisch unterschieden. Sie sind eindeutig an den Augensinn gerichtet, gerade weil sich der Mensch sein Wissen über die Welt visuell erschließt. Dabei ist auch denkbar, dass der Rezipient des 12. Jahrhunderts, der sich die Ordnung der Planetenhäuser bewusst einprägen wollte, z. B. die Musterbänder, die die Namen der Sternbilder in der äußersten Kreisbahn begleiten, zur Kennzeichnung der einzelnen Namen in seinem Gedächtnisbild zu nutzen wusste. Ob er das Diagramm mit all seinen Details zu memorieren versuchte, erscheint jedoch mehr als fraglich, da letztere eine Übersicht und einen schnellen Zugriff auf den dargestellten Inhalt auch innerhalb eines mentalen Bildes wohl kaum ermöglichten. Ebenso untauglich für mnemotechnische Bemühungen musste das Diagramm zu den Elementen- und Planetensphären in der Abschrift aus der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts in der Biblioteca Vaticana (Farbabb. 10) sein; von deutlich eingeschränkter Praktikabilität waren sicherlich diejenigen in Florenz und aus Pontigny (Abb. 39 u. Farbabb. 8). Denn jedes dieser drei Diagramme 169 Carruthers 1990, S. 150: »[…] [the medieval diagram] requires one to stay and ponder, to fill in missing connections, to add to the material which it presents. It is a meditational artifact, an ›imago rerum,‹ and not primarily informational in its usefulness.« Zur Frage, über welche Diagramme die Autorin hier spricht, vgl. Anm. 168. 170 Man könnte in Anlehnung an Aleida Assmann auch vom ›Starren‹ sprechen: »›Starren‹ ist anhaltende Aufmerksamkeit in dem Doppelsinne, daß hier der Blick zum Halten und Verweilen gebracht wird. Er haftet am Objekt und kehrt zu ihm mit unvermindertem Staunen zurück.« Assmann 1988, S. 242.
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erfordert auch bei wiederholter Betrachtung immer wieder eine bewusste Hinwendung zum Pergament, da das Lesen der Inschriften durch die Sperrschrift, die variierenden Positionen bzw. die enge Farbumhüllung erschwert wird. Die dargestellte Ordnung wird hier in dem Maße aufgelöst oder durch zusätzliche Inschriften verdichtet, dass sie selbst bei der wiederholten Betrachtung des auf dem Pergament fixierten Diagramms nur unter Zuhilfenahme eines Zeigeobjekts schnell und ohne Irrtum erschlossen werden kann. Es ist deshalb nicht davon auszugehen, dass diese Diagramme dezidiert als mnemotechnische Instrumente konzipiert wurden. Als solche würden sie ein transitorisches Dasein auf dem Folio führen und alles wäre auf ihre Loslösung vom Pergament und Implementierung in ein nicht-materielles Memorialgebäude durch den Rezipienten ausgerichtet. Gerade die extravagante Ausschmückung des Diagramms zu den Planetenhäusern in der Handschrift aus Pontigny jedoch ist insbesondere auch für die Benutzung des Codex von Funktionalität, da sie ein schnelles Wiedererkennen des Diagramms beim Blättern im Buch ermöglicht und somit bei der Orientierung innerhalb des Ganzen hilfreich ist. Die nicht immer derart extravagante, aber doch stets individuelle Gestaltung sämtlicher Diagramme in dieser Abschrift aus Pontigny, die bereits mit den hier bisher gezeigten Beispielen deutlich wird (Farbabb. 4, 5, 8, 9, 11), dient stets auch der Handhabung des Codex, seinem ZurHand-Nehmen und dem Nachschlagen, auch wenn in dem Text, den der Codex enthält, von einem anderen Ideal die Rede ist. Zwar erwähnte Wilhelm im Dragmaticon neben der Verankerung der Worte seiner Lehrer im Gedächtnis durch Erinnern und Nachdenken auch das Aufschreiben dieser Belehrungen als die zweite der beiden vom ihm praktizierten Techniken des Bewahrens von kostbarem Wissen.171 Im Rahmen seiner Kritik an den Zuständen in den Lehranstalten jedoch richtete er an die Adresse der Studenten den Vorwurf, dass diese ihr Wissen in Form von auffällig kostbar gestalteten Büchern lediglich vortäuschen würden. Die Klage des Philosophen traf die Leere in den Köpfen der Studenten, welche auf die Verfügbarkeit von Wissen in Büchern setzten: »Wie viel besser wäre es, die Seele, gerade weil sie unsterblich ist, weise zu machen! Besser wäre es, die Büchertasche sei ohne Philosophie als die Seele.« (Quanto satius esset animum, praesertim immortalem, sapientem reddere! Melius esset sacculum sine philosophia esse quam animum.)172 Haben wir es bei einer prächtigen Abschrift des Dragmaticon wie derjenigen aus Pontigny vielleicht auch mit einem Codex zu 171 Vgl. Anm. 119. 172 Wilhelm von Conches, Dragmaticon 3.1.3, hg. Ronca 1997, S. 56,24–26. Zuvor heißt es dort: Sed [nostri contemporanei] ne nichil fecisse cum repatriauerint uideantur, ex pellibus uitulinis bene pumicatis et leuigatis cum amplis interlineis libros componi faciunt eosque cooperturis rubeis et impressis uestiunt, sicque cum sapiente sacculo, sed cum insipiente animo, ad parentes suos recurrunt. […] O qualis sapientia, quam fur subripere, mus rodere, tinea demoliri, pluuia abluere, ignis consumere potest! (3.1.2 f., S. 55,16–56,23).
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tun, in dem die untypische und beklagenswerte, nämlich objektgebundene Wissensspeicherung formgebend wirkte? Sind dann Abschriften, die weniger auf ihrem Objektstatus beharren und Diagramme enthalten, die sich dem Memorieren leichter fügen, als ›gelungenere‹ oder ›authentischere‹ Kopien des Dragmaticon, dem es immerhin um Wissensvermittlung ging, zu bewerten? Eine derartige Klassifizierung der Handschriften würde eine Unterordnung der Objekte unter die Aussage Wilhelms bedeuten. Umgekehrt sind es jedoch gerade die Objekte selbst, die den Status dieser Aussage relativieren. Die Buchgestaltung zeigt die Grenzen der Wirkmacht eines Ideals und unterstreicht dessen topischen Charakter.173 Denn den Handschriften des Dragmaticon ist nicht zu entnehmen, dass alles Schreiben und Zeichnen auf der Buchseite letztendlich einer Überwindung der Objektgebundenheit und einer mentalen Autarkie dienen sollte. Es wird deutlich, dass für die formale und farbige Gestaltung der Diagramme sowie für ihre Platzierung auf dem Folio und im geschriebenen Text ganz unterschiedliche Lösungen gefunden wurden, die jeweils andere Rezeptionshaltungen erforderten oder begünstigten. Dies soll im Folgenden anhand der Diagramme zu den Schattenformen noch anschaulicher gemacht werden. Lesen und Sehen. Die Diagramme zu den Schattenformen Auch wenn sich Wilhelm nicht explizit auf den Timaeus-Kommentar des Calcidius bezog, ist es sehr wahrscheinlich, dass er sich diesen für seine Erörterung der Größe der Sonne im Dragmaticon zum Vorbild nahm. Denn ähnlich wie Calcidius nutzte auch Wilhelm den Schattenwurf der Erde für seine Argumentation.174 Auch hier läuft die Erkenntnisfindung im Ausschlussverfahren auf die Endlichkeit des Schattenkegels hinaus, denn nur mit ihr lasse sich die Tatsache in Übereinstimmung bringen, dass außer dem Mond kein weiterer Himmelskörper im Dunkeln verschwinde. Kegelförmig sei der Schatten über der Erde jedoch nur dann, wenn die Sonne größer als die Erde ist. Auch der Philosoph im Dragmaticon zeichnet drei Diagramme, und zwar – wie auch Calcidius – zunächst den zylindrischen (cylindroides), dann den becherförmigen (calathoides uel turboides) und schließlich den konischen Erdschatten (conoides). Die Diagramme im Dragmaticon zeigen immer Medaillons mit den Inschriften terra und sol; auch die jeweilige Schattenform über der Erde ist meistens mit ihrem Namen versehen (Abb. 42 u. Farbabb. 12). In der Handschrift in 173 Zum Topos des gedächtnismächtigen Gelehrten Carruthers 1990, S. 12 f. Bei Hugo von St. Viktor wird er zu einer Geringschätzung des Nachschlagens im Buch ausgedehnt. Vgl. Hugo von St. Viktor, De tribus maximus circumstantiis gestorum, hg. Green 1943, S. 485,41–46; ders., Didascalicon 3.3, hg. Offergeld 1997, S. 228,25–230,5. Vgl. dazu auch Carruthers 1990, S. 83. 174 Vgl. Kap. 2.2.3 sowie Wilhelm von Conches, Dragmaticon 5.13.6–10, hg. Ronca 1997, S. 119,39–122,86. Calcidius war es in diesem Zusammenhang allerdings um das Problem der Häufigkeit der Mondfinsternis gegangen.
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Florenz sind auch diese Diagramme in der braunen Tinte des Texts gezeichnet, wobei jedoch rote Linien hinzukommen, die die lichtspendende Sonne und ihre Strahlen hervorheben. Die Verschattung oberhalb der Erde wird mit der Inschrift umbra kenntlich gemacht; die Beischrift zur Benennung der Schattenform über dem Diagramm ist zusätzlich rubriziert. Die Größenverhältnisse von Sonne und Erde sind deutlich zu erkennen: In dem Diagramm am linken Rand des Schriftspiegels sind die Medaillons von identischer Größe, im folgenden rechts daneben ist das Medaillon der Sonne wesentlich kleiner, im dritten Diagramm am rechten Schriftspiegelrand schließlich ist es größer als dasjenige der Erde. Diese dritte Größenrelation fällt in der Handschrift aus Pontigny weniger eindeutig aus; der auffälligste Unterschied zu der Kopie in Florenz ist jedoch erneut der Einsatz von Farbe, durch den die Diagramme hier prägnant als visuelle Elemente aus dem Textfeld hervortreten. Nicht nur die Medaillons, sondern auch die übrigen Flächen sind Farbfelder. Die Schattenform füllt stets ein tiefes Braun aus, von dem sich die blaue Kreisfläche der Erde zusätzlich durch eine grüne Fassung absetzt. Der lichterfüllte Bereich ober- und unterhalb der Sonne, der durch einen roten Rahmen vom Textfeld abgegrenzt wird, ist ebenfalls grün. Die Sonne schließlich tritt als rote Kreisfläche in einer grünen bzw. blauen Fassung hervor.175 Beischriften, die entlang der Umrahmung verlaufen, benennen die Schattenform.176 Auf beiden Folios sind die Diagramme in unmittelbarer Nähe ihres Textverweises platziert. In der Handschrift in Florenz sind in dem Textfeld rechts neben der zylindrischen Schattenfläche die Sätze zu lesen: »Folglich ist die Sonne nicht von der gleichen Größe wie die Erde. Damit du das besser erkennst, will ich dir eine sichtbare Figur zeichnen.« (Non est igitur sol equalis terre quod ut melius cognoscas uisibilem figuram depingam.)177 Mit dem Wort depingam beginnt eine neue Zeile, sodass es möglichst dicht an das Diagramm herangerückt ist. Das nächste Diagramm, für das der Text keinen Verweis vorsieht, befindet sich unterhalb des Satzes »Folglich ist die Sonne nicht kleiner als die Erde.« (Non est igitur minor sol quam terra.)178 Auch dieses Diagramm ist somit im Textfeld eng an die entscheidende Aussage innerhalb der Argumentationskette gebunden. Auf das dritte Diagramm schließlich verweist der Philosoph mit den Worten »Aber zuerst wollen wir den konischen Schatten vor Augen stellen.« (Sed prius conoidem
175 Allein das Rot der Sonne stimmt mit den Farbzuordnungen in dem Diagramm zu den Elementen- und Planetenordnungen (Farbabb. 8) sowie in demjenigen zu den Elementenverbindungen (Farbabb. 5) überein. 176 Die Beischriften lauten, von links nach rechts: (1) calatoides uel turboides umbra terre; (2) umbra terre conoides uel pyramides; (3) umbra terre chylindroydes. 177 Vgl. Wilhelm von Conches, Dragmaticon 4.13.8, hg. Ronca 1997, S. 121,63 f. 178 Ebd., 4.13.9, S. 121,68.
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umbram oculis subiciemus.)179 Sie stehen in zwei Zeilen links neben der rubrizierten Beischrift conoydes und der Schattenspitze. Der demonstrative Gestus, den der geschriebene Text durch diese enge Zusammenführung von Verweis und Diagramm bekommt, wird auf dem Folio der Handschrift aus Pontigny noch deutlicher. Das erste Diagramm erstreckt sich am rechten Schriftspiegelrand unmittelbar unterhalb des Wortes depinguam[!]. Für das Diagramm zur becherförmigen Schattenform ist nicht nur ein Verweis eigens hinzugefügt: »[…] wie die unten angefügte Figur zeigt.« ([…] ut subiecta figura demonstrat.)180 Auch hier fügt sich das Diagramm zudem unmittelbar unterhalb dieser Worte, d. h. der letzten Buchstaben [demon]strat, in das Textfeld ein. Indem beide Diagramme den Worten des Philosophen präzise untergeordnet sind, wird nicht nur die zeitliche Ordnung des Gesprächs bewahrt, die zunächst die wörtliche Erklärung der Schattenform und dann ihre visuelle Darstellung vorsieht. In der Blattordnung ist auch der Fingerzeig des Philosophen aufgehoben, mit dem dieser die Aufmerksamkeit von seinen Worten auf das Zeichnen bzw. das bereits vorliegende Diagramm lenkt. Auf dem Folio leitet der geschriebene Text sowohl inhaltlich als auch gestisch zum Diagramm über, was insbesondere dort deutlich wird, wo er dem Leser die figura mit dem Wort demonstrat ankündigt und ihn im selben Augenblick zum Diagramm hinführt. Für das dritte Diagramm gelingt dies nur eingeschränkt, da der Leser auf dieses Diagramm nicht erst mit den Worten oculis subiciemus, sondern bereits während der Lektüre der vorausgehenden Sätze stößt. Mit der vorzeitigen Einbindung dieses Diagramms in den Text ist es gelungen, alle drei Diagramme auf demselben Folio unterzubringen. Die Seite liefert auf diese Weise einen Überblick über die möglichen Schattenformen, enthält jedoch gerade in diesem Punkt auch ein Moment der Irritation. Betrachtet man dieses Folio der Handschrift aus Pontigny, ohne dabei den Text zu lesen, so erhält man einerseits den genannten Überblick. Es ist dem Blatt aber andererseits nicht eindeutig zu entnehmen, welches der drei Diagramme das Fazit der Argumentation bildet. Von links nach rechts gesehen ergibt sich nämlich eine ganz andere Abfolge der Diagramme als im Text, da nun die becherförmige Schattenform an erster Stelle und die zylindrische Form am Ende steht. Zwar fällt auf, dass die beiden rechten Diagramme nicht auf einer Höhe platziert sind. Was dieser Befund jedoch für das argumentative Nacheinander bedeutet, kann allein die Textlektüre entscheiden. Wir haben somit kein Folio vor uns, dessen Layout mnemotechnischen Erfordernissen gehorcht. Folgte man den Empfehlungen Hugos von St. Viktor, die Präsentation des Lernstoffes auf der Buchseite für dessen Visualisierung im Gedächtnis zu nutzen, so hätte man hier ein unnötig kompliziertes Bild im Kopf, bei dessen Betrachtung man immer 179 Ebd., S. 121,74 f. 180 Montpellier, Faculté de Médecine, MS H 145 (Pontigny, 1170–1175), fol. 27v,17 f.
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mithilfe des ebenfalls memorierten Wortlauts navigieren müsste. Dieses Folio ist vielmehr eindeutig für denjenigen gestaltet, der den Codex vor sich liegen hat, dem Text aufmerksam folgt und sich von den Worten zu den Diagrammen führen lässt. Anders verhält es sich auf der entsprechenden Seite in der Handschrift in Florenz (Abb. 42). Hier ergibt auch die Betrachtung der Seite dieselbe Abfolge der Diagramme wie die Lektüre des Texts. Da zudem die Anordnung der Diagramme nahezu eine Diagonale von oben links nach unten rechts beschreibt, schreitet das Auge mühelos von der zylindrischen zur becherförmigen und schließlich zur konischen Schattenform.181 In anderen Handschriften wurde die Nähe zwischen diesen drei Diagrammen und den Verweisen im Text weniger verbindlich gestaltet. In einer frühen Abschrift, die im dritten Viertel des 12. Jahrhunderts in Bayern entstand und heute in München aufbewahrt wird, folgen die drei hier in Rot gezeichneten Diagramme gemeinsam am Ende der Ausführungen zum Entstehen der Schattenformen (Abb. 43). In der Zeile unmittelbar über ihnen ist das umbram oculis subiciemus des letzten Verweises zu lesen.182 In der Nebeneinanderstellung der Diagramme wird, von links nach rechts betrachtet, die vom Philosophen vorgesehene Ordnung gewahrt, wobei allerdings das Größenverhältnis zwischen Sonne und Erde im Diagramm zum becherförmigen Schatten kaum den Vorgaben entspricht. Umso deutlicher jedoch treten die Schattenformen selbst hervor. Eine Fläche mit einem Gittermuster stellt den Schattenzylinder dar, von dem der becherförmige Schatten als weit ausholende Fläche mit Streifenmuster schnell unterschieden werden kann. Allein die dreieckige Fläche, die dem letzten terra-Medaillon aufgesetzt ist und den Schattenkegel darstellt, fällt etwas klein aus und bleibt ohne Verzierung. Ähnlich sind Anordnung und Gestaltung dieser Diagramme in der hier bereits erwähnten, aus der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts datierenden Abschrift der Biblioteca Vaticana (Abb. 44, 45).183 Die auf dem Recto großzügig ausgesparte Fläche im Schriftspiegel – im näheren Textumfeld wird bereits über die Etymologie der Formbezeichnungen gesprochen – nehmen allein die ersten 181 Ähnliche Fragestellungen und Beobachtungen ergeben sich bei einem Vergleich der Diagramme zur Mondfinsternis und zur scheiternden Mondfinsternis in diesen beiden Handschriften: Montpellier, Faculté de Médecine, MS H 145 (Pontigny, 1170–1175), fol. 30r; BML, MS Ashburn 173 (98) (13. Jh.), fol. 20v. Vgl. auch BAV, MS Reg. lat. 1222 (12. Jh.), fol. 18v; BSB, clm 564 (Bayern, 3. V. 12. Jh.), fol. 76r u. 76v. 182 BSB, clm 564, fols. 32r–126v, hier fol. 73av. Der Verweis auf das erste Diagramm findet sich bereits auf fol. 73ra. Klemm 1988:1, Nr. 307, S. 204 f. u. dies. 1988:2, Abb. 657 u. 658; Ronca 1997, Nr. 28, S. xlviii f. Dem Dragmaticon geht Wilhelms Philosophia (2r–31v) voraus, die allerdings von einer anderen zeitgenössischen Hand stammt. 183 Zu dieser Handschrift Anm. 132 sowie Farbabb. 10. Ronca vermutet eine Verwandtschaft zwischen dieser Handschrift und der hier zuvor gezeigten in München (Anm. 182 u. Abb. 43). Ronca 1997, S. lxxii (Stemma). Vgl. auch Frankfurt/Main, UB, MS Barth. 134 (12. Jh.), fol. 21r.
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beiden Diagramme ein, wobei sich das Diagramm zum zylindrischen Schatten rechts neben demjenigen zur becherförmigen Ausdehnung befindet.184 Auch hier sind weniger die Größenverhältnisse zwischen den Medaillons als vielmehr die Schattenformen eindeutig zu erkennen, was insbesondere durch deren Gestaltung als Farbflächen gelingt. Die alternierende Farbgebung, die sämtliche Diagramme in dieser Handschrift charakterisiert, wurde für diese beiden Schattenformen in ein schachbrettartiges Muster überführt, das im ersten Diagramm von breiten roten Farbflanken gefasst wird. Im Wortsinn marginal fällt im Vergleich das Diagramm zum Schattenkegel auf dem Seiten- und Kopfsteg des Verso aus (Abb. 45). Die Schattenfläche ist auch in diesem dritten Diagramm mit Farbe ausgefüllt, allerdings fällt die achsensymmetrische Anlage mit einer rechten roten und einer linken blauen Fläche deutlich schlichter aus. Mehr Farbpigmente und ein größeres Maß an Zeit und Mühe investierte der Buchmaler somit gerade in die beiden Diagramme, die nur darstellen sollen, wie man sich das Größenverhältnis von Sonne und Erde und damit auch die Form des Erdschattens gerade nicht vorzustellen hat. Gerade diese Diagramme sind am auffälligsten und damit auch am einprägsamsten. So kann zwar zum einen festgehalten werden, dass auf diesen Folios der beiden Abschriften aus dem 12. Jahrhundert mit der Herauslösung der Diagramme aus dem Textzusammenhang und ihrer Bündelung am Ende der Erörterung ein vergleichendes Betrachten stärker begünstigt wurde. Es scheint, als sei das Betrachten der Seite neben dem Lesen ein alternativer Modus der Rezeption gewesen, sodass sich diese Folios auch als Gedächtnisbilder grundsätzlich geeignet haben können.185 Zum anderen jedoch wurden durch die Ungenauigkeit in der Darstellung der Größenverhältnisse sowie das Ungleichgewicht in der formalen Gestaltung der Diagramme die Einsicht, wie die unterschiedlichen Schattenformen entstehen, sowie die Erkenntnis, welche der gezeigten Konstellationen der Realität am ehesten entsprechen könnte, sicherlich verunklärt. Oder verweisen vielleicht gerade die Muster in den Schattenflächen auf deren artifiziellen, nicht der Wirklichkeit entsprechenden Charakter? Ist das Ornamentieren hier ein elaboriertes Verfahren der Negation? Man könnte es tatsächlich so deuten, wobei die Flächengestaltung weniger das Artifizielle der lediglich vorstellbaren Schattenwürfe, sondern vielmehr einen entscheidenden inhaltlichen Aspekt vermittelt. In der Argumentation des Philosophen spricht das stetige Wachsen dieser beiden Schatten bis zum Firmament eindeutig gegen ihre Existenz. Auf dem Folio sind zwar auch diese Schatten begrenzte Gebilde. Allerdings bleiben insbe184 Die beiden Verweise auf die Diagramme stehen in den Zeilen 9 u. 18. 185 In der Handschrift BAV, MS Reg. lat. 1222 (12. Jh.), wird zudem eine visuelle Verknüpfung der konischen Schattenfläche mit derjenigen in den beiden Diagrammen zur Mondfinsternis hergestellt, da letztere identisch bzw. ähnlich gestaltet sind. Diese Diagramme folgen erst auf fol. 18v; die Gültigkeit der konischen Schattenform wird auf visueller Ebene also gefestigt.
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sondere die schachbrettartigen Flächen nach oben ohne klaren Abschluss, ohne lineare Begrenzung. Dank seiner einfachen Struktur kann gerade dieses Muster gedanklich problemlos fortgeführt werden. Auf dem Pergament ist somit das potentiell ungehinderte Verschlucken und Verdunkeln des Raumes durch die Schatten als farb- und mustergestützte Usurpation der Fläche überzeugend zur Geltung gebracht. Vergleicht man die Diagramme zu den Schattenformen in den DragmaticonAbschriften mit denjenigen im Timaeus-Kommentar des Calcidius (Abb. 20, 25), so zeigen sich deutliche Unterschiede. War es in Wilhelms Diagrammen zu den kosmischen Vernunftwesen sowie zu den Elementenverbindungen die Arithmetik, so ist es in seinen Schattendiagrammen die Geometrie, die verblasst und nur noch implizit zur Anschauung kommt. Während die Diagramme bei Calcidius Liniengefüge sind, die Relationen zwischen verschiedenen Punkten herstellen, nur mithilfe von Buchstaben beschrieben werden und somit abstrakt-geometrisch bleiben, sind die Diagramme im Dragmaticon sogleich als Visualisierungen kosmischer Konstellationen zu erkennen. Anders als Calcidius führt Wilhelm die Argumentation nicht anhand der Diagramme. Auch an diesen Stellen fügt er vielmehr jedes Diagramm der verbalen Erklärung des Phänomens als visuelle Bestätigung der bereits getroffenen Aussage hinzu. Andernorts jedoch argumentiert auch Wilhelm mit dem Diagramm, was im Folgenden näher betrachtet werden soll.
3.2.6 Erkenntnisfiguren. Die Planetenbewegungen und die Form der Erde Nachdem sich Philosoph und Fürst am dritten Tag mit dem Firmament und den Fixsternen beschäftigt und dabei auch die bereits erläuterten Diagramme zu den Sphären des Kosmos und den Planetenhäusern betrachtet haben, nehmen sie sich für den vierten Tag die Planeten vor. Wie an keinem anderen Tag ist während dieses vierten Dialogabschnitts, zu dem auch die Diagramme zu den Schattenformen gehören, das zeichnerische Können des Philosophen gefordert. Denn nun wird es auch um die verschiedenen Arten der Planetenbewegung gehen, für deren Erklärung im Dragmaticon Diagramme nicht erst als Mittel der visuellen Fixierung des Beschriebenen, sondern – wie im Timaeus-Kommentar des Calcidius – häufig sogleich als Mittel der Beschreibung und Erkenntnisführung eingesetzt werden. Dem Gang der Erörterung von der Peripherie des Kosmos zu seinem Zentrum entsprechend wenden sich Philosoph und Fürst zunächst den äußeren Planeten Saturn, Jupiter und Mars zu.186 Nach einem kurzen Wortwechsel über die Eigenschaften, astrologischen Kräfte und Umlaufzeiten dieser Planeten kommt der Fürst auf eine ihm unerklärliche Behauptung zu sprechen. Wenn die natürli186 Wilhelm von Conches, Dragmaticon 4.2–4, hg. Ronca 1997, S. 83,1–91,70.
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che Bewegung der Planeten von West nach Ost gerichtet sei, wie, so fragt er, könne dann von den drei oberen behauptet werden, sie würden sich rückwärts bewegen oder stehen bleiben?187 Es wird also im Folgenden um die Anomalie in der Planetenbewegung gehen, die Calcidius in seinem Timaeus-Kommentar mithilfe von Diagrammen als Phänomen der Gleichförmigkeit erklärte.188 Letztere war für Calcidius die einzig denkbare Bewegungsart, da ihm die Himmelskörper als göttliche Wesen galten. In der Welterklärung im Dragmaticon stellt das vordergründig rätselhafte Verhalten der Planeten ein Problem dar, da die Planeten hier Körper des vom Feuer ausgefüllten Himmels und als solche selbst von feuriger Natur sind, welche sie in ein kontinuierliches Kreisen versetzt.189 Deformationen der Planetenbahnen Der Philosoph bietet dem Fürsten insgesamt drei Lösungsvorschläge an, wobei er selbst für keine Variante Partei ergreift.190 Er habe zum einen von der Ansicht gehört, dass die Sonne eine natürliche Anziehungskraft besitze, welche bewirke, dass sich die Planeten, denen sich die Sonne von hinten nähere, rückwärts bewegen. Dieser Kraft gelinge es gleichermaßen, die Planeten zum Stillstand zu bringen.191 Der Zustand des Verharrens werde hingegen von anderen negiert. Es sei dieser zweiten Meinung nach vielmehr so, dass sich die Planeten in ständiger Bewegung befinden, jedoch bisweilen auf ihrer Umlaufbahn nicht vorankommen, sondern in die Höhe oder Tiefe wandern: »Es gibt diejenigen, die sagen, dass dies [das Aufsteigen und Absenken der Planeten] durch die Beschaffenheit der Kreise entsteht, weil sie an einigen Orten abgesenkt werden, an anderen erhöht, dort, wo die Kreise erhöht und abgesenkt werden, manchmal senkrecht, manchmal schräg. Während sie folglich senkrecht erhöht oder abgesenkt werden, scheinen sie zu stehen, da sie die ganze Zeit unter demselben Abschnitt eines Sternzeichens gesehen werden; wenn sie sich aber schräg bewegen, scheinen sie sich rückwärts zu bewegen. Damit dies offensichtlicher sei, wollen wir gewisse Figuren entwerfen.« (Sunt qui dicunt hoc ex qualitate circulorum contingere, quia in quibusdam locis deprimuntur, in quibusdam exaltantur, ubi exaltantur et deprimuntur circuli, aliquando rec187 Cum naturalis motus planetarum sit ab occidente in orientem, quomodo retrogradi uel stare isti tres dicuntur? Ebd., 4.3.2, S. 86,19 f. 188 Vgl. Kap. 2.2.3. 189 Zur Bewegung des himmlischen Feuers hieß es am Tag zuvor: Naturalis uero motus ignis est a centro. Sed quia supra ipsum nullus est locus, a centro moueri non potest; contra naturam eius est stare; descendere uero non potest: ergo in quo potest et habet, in eodem loco manens circulariter mouetur. A centro igitur est naturalis motus ignis, circa centrum accidentalis. Wilhelm von Conches, Dragmaticon 3.6.2, hg. Ronca 1997, S. 72,18–23. 190 Der Philosoph beginnt seine Erläuterungen mit den Worten: Quae inde audiui expediam, nullum tamen de his affirmans. Ebd., 4.4.1, S. 87,1 f. 191 Mögliche Quellen hierfür sind Macrobius, Commentarii 1.20.5, hg. Willis 21970, S. 79,10–16, sowie Plinius, Naturalis historia 2.70, hg. Winkler/König 21997, S. 58 f. Zu letzterem Eastwood 1986, S. 212 f.
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te, aliquando oblique. Dum igitur recto modo exaltantur uel deprimuntur, quia semper sub eadem parte signi uidentur, stare creduntur; sin oblique, retrogradi. Quod ut melius pateat, quasdam figuras componemus.)192
In dieser zweiten Erklärung wird somit der Verlauf der Planetenbahn für die Phänomene des Stillstands und der Rückläufigkeit verantwortlich gemacht. Die Rätselhaftigkeit des Effekts, der für den Beobachter auf der Erde entsteht und hier nur knapp erläutert wird, liegt in demselben Umstand begründet wie bei der Epizykel-Theorie, die Calcidius für diese Phänomene anführte: Die Umlaufbahn des Planeten ist für den Beobachter unsichtbar. Könnte man den tatsächlichen Weg des Planeten entlang der Aus- und Einbuchtungen seiner Bahn sehen, wäre die Stetigkeit seiner Bewegung unstrittig, denn der vermeintliche Stillstand wäre als vertikales Auf- oder Absteigen, der Rücklauf als Abschreiten einer Diagonalen erkennbar. Gerade diese visuelle Offenbarung soll das Diagramm leisten. Entsprechend fügt es der Philosoph seinen Worten explizit zum besseren Verständnis (quod ut melius pateat) und nicht als der Gedächtnisleistung dienendes Speichermedium bei. Allerdings werden auch an dieser Stelle keine weiteren Angaben für Entwurf und Betrachtung des Diagramms gemacht. Dass eine Zeichenanweisung ausbleibt, scheint dabei im Kontext der durch den Text suggerierten Situation verständlich. Die aktivische Formulierung (componemus) vermittelt den Eindruck, dass die Diagramme in der Gesprächssituation unter den Augen des Fürsten durch die Hand des Philosophen Form annehmen. Da letzterer sich zu diesem Zeitpunkt des Gesprächs längst als herausragender Gelehrter erwiesen hat, ist auch an dieser Stelle davon auszugehen, dass er sein Wissen wohldurchdacht im Wort sowie im Diagramm preisgibt. Für die Schreiber und Buchmaler allerdings, die eine Kopie des Dragmaticon anfertigten, bedeutete dies, dass ihnen auch an dieser Stelle das Diagramm, das in ihrer Vorlage zu finden war, sowie die oben zitierten Textinformationen als Angaben für ihren Entwurf genügen mussten. In jeder Abschrift wird jede der vier Spielarten der Planetenbewegung – vertikales und schräges Aufsteigen und Absenken – in einem eigenen Kreisdiagramm gezeigt. Am häufigsten ist der Planetenbahn, die als Kreis um die Erde herumführt, zur Veranschaulichung des vertikalen Auf- und Absteigens im Scheitelpunkt ein gleichschenkliges Dreieck auf- bzw. eingesetzt (Farbabb. 13).193 Die Inschriften, die in der Handschrift aus Pontigny, in der auch dieses Diagramm durch Farbe und Ornament deutlich als text-differentes Objekt gestaltet ist, gleich dem Planeten an diesen dreieckigen Ausformungen entlanglaufen, lauten recta eleuatio bzw. recta depressio. Für die obliqua eleuatio und obliqua depressio 192 Wilhelm von Conches, Dragmaticon 4.4.3, hg. Ronca 1997, S. 87,21–88,27. 193 Vgl. z. B. auch BAV, MS Reg. lat. 1021 (12. Jh.), fol. 225r; BAV, MS Palat. lat. 1042 (Deutschland, 2. H. 12. Jh.), fol. 22v; BSB, clm 2595 (Alderspach?, Anfang 13. Jh.), fol. 15r; Cambridge, SJC, MS 171 (G. 3) (13. Jh.), fol. 32r.
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zeigen die Diagramme einen schrägen Zacken, der ins Äußere bzw. Innere ragt. Die Kreislinie, die die Umlaufbahn nachzieht, wird nicht für die Verlaufsänderungen unterbrochen und in die abweichende Form überführt. Es ist deshalb nicht unbedingt ersichtlich, dass der Planet notwendigerweise den Umweg abschreiten muss, sondern es scheint, als könne er auch auf der fortbestehenden Kreislinie weiterlaufen. In den Diagrammen der Abschrift in Florenz hingegen, in denen die Abweichungen eher die Form von Ausstülpungen mit einem runden Abschluss annehmen, führt kein Weg an letzteren vorbei (Abb. 46).194 Auffällig und schwer nachvollziehbar ist hier allerdings, dass keine dieser Ausstülpungen nach innen weist und der Planet also selbst dann nach außen wandern soll, wenn – wie die depressio-Inschriften es auch in ihrem Verlauf richtig anzeigen – von einer Absenkung die Rede ist.195 Schon bei der vergleichenden Betrachtung der Diagramme in diesen beiden Abschriften ergeben sich also Irritationen, die schwerlich damit erklärt werden können, dass Unachtsamkeit oder Fahrlässigkeit die Diagrammentwürfe bestimmt hat. Denn beide Handschriften zeichnen sich – das zeigte schon die bisherige Untersuchung – durch inhaltlich überzeugende Diagramme aus. Vielmehr ist für die Mängel in der Darstellung zum einen Wilhelms unterlassene Hilfestellung bei der Übertragung des zunächst in Worten erläuterten Gegenstands ins Visuelle verantwortlich. Wilhelm nutzte vermutlich ein Diagramm als Vorlage, welches die Planetenbahnen mit Ausbuchtungen zeigte. Während die gesonderte Darstellung jeder der vier Verlaufsformen eine Besonderheit im Dragmaticon zu sein scheint, findet sich schon in der um 820 wohl in der Abtei Murbach entstandenen Kopie der Aachener Enzyklopädie der Zeitenordnung von 809 ein Diagramm, das sechs Planetenbahnen mit jeweils zwei kurzen Zickzack-Formationen zeigt (Abb. 47).196 Es gehört zu einem Exzerpt aus Plinius’ Naturalis historia über die Apsiden der Planeten, also über die Punkte, an denen ein Planet auf seiner Bahn die größte Distanz oder die größte Nähe zur Erde ein-
194 Der Verweis auf das Diagramm lautet hier: Sin oblique retrogradi dicuntur ut monstrat hec figura. BML, MS Ashburn 173 (98) (13. Jh.), fol. 14v,16 f. Beide Varianten – zackig und rund – zeigt das Diagramm BL, MS Royal 12 F. X (13. Jh.), fol. 14r. Für eine weitere Variante, bei der die Einbuchtungen als Balken dargestellt sind, die die Erde berühren, vgl. z. B. BAV, MS Reg. lat. 1222 (12. Jh.), fol. 12r; BSB, clm 564 (Bayern, 3. V. 12. Jh.), fol. 62v; BML, MS Plut. 29. 47 (13. Jh.), fol. 16r. 195 Die Exzentrizität der Erde liegt möglicherweise in den im Text folgenden Angaben zur Epizykel-Theorie begründet. Vgl. Anm. 207. Gänzlich außerhalb der Planetenbahn befindet sich die Erde im Diagramm in der Handschrift Bodleian, MS e Musaeo 121 (13. Jh.), fol. 41v. 196 Madrid, Biblioteca Nacional, MS 3307, fols. 5r–80v, hier fol. 65v. Borst 21995, S. 163, dort als der »beste und am weitesten gewanderte Textzeuge« der Aachener Enzyklopädie bezeichnet. Zu dieser Handschrift auch Neuß 1940; Koehler 1960, 119–127; Munk Olsen 1985, Nr. B. 37.5, S. 258 f. Zu der Aachener Enzyklopädie bes. Borst 21995, S. 156–165 (mit weiterer Literatur), sowie ders. 2001, S. 41–43 u. xvi f.; ders. 1993.
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nimmt.197 Genau dieses Phänomen, dass die Planeten nicht immer den gleichen Abstand zur Erde einhalten, konnte nach Plinius erklärt werden, wenn man eine exzentrische Disposition der Planetenbahnen annahm.198 Deshalb birgt das Diagramm innerhalb des äußeren Tierkreises sechs Kreise, die jeweils einen eigenen Mittelpunkt besitzen, woraus sich für jeden Planeten eine ständig variierende Distanz zum Zentrum des Ganzen, der Erde, ergibt. Betrachtet man nun diese exzentrischen Kreise des Diagramms genauer, so fällt auf, dass jeder an den einander gegenüberliegenden Punkten der größten Erdferne und -nähe einen kurzen Zickzack-Abschnitt aufweist. Die Inschriften apsis mercurii, apsis veneri usw. am jeweiligen Punkt der Erdferne weisen darauf hin, dass auch die Funktion dieser Einschübe darin besteht, die Apsiden zu markieren. Sie als Hinweise auf die Planetenbewegung während eines vermeintlichen Stillstands oder Rücklaufs zu verstehen, ist problematisch. Zwar lokalisiert Plinius das rätselhafte Verhalten der Planeten insbesondere am Punkt der Erdferne, er erklärt es aber nicht mit der Beschaffenheit der Bahnen, sondern mit der Reaktion des Planeten auf das Feuer der Sonne.199 Dass Wilhelm ein ähnliches Diagramm, d. h. allein den visuellen Befund, für seinen eigenen Entwurf im Dragmaticon nutzte, ist aber in jedem Fall denkbar. Allerdings weist Bruce Eastwood darauf hin, dass schon in Apsiden-Diagrammen des 9. Jahrhunderts auch wieder auf die Zackeneinschübe verzichtet wurde, da sie die Darstellung verunklären konnten.200 Als Grund für die Mängel in den Diagrammen in den Dragmaticon-Kopien ist somit nicht nur
197 Plinius, Naturalis historia 2.62–65, hg. Winkler/König 21997, S. 52–55; Rück 1888, S. 37–40. Das Plinius-Exzerpt gehört zu einer Gruppe von insgesamt sechs Auszügen aus der Naturalis historia, die – nun erstmals um Diagramme ergänzt – für die Enzyklopädie von 809 zusammengestellt, schon 810 aber auch für eine astronomisch-komputistische Lehrschrift verwandt wurden. Noch im Verlauf des 9. Jh.s, vor allem jedoch seit dem 11. Jh., tauchten diese Exzerpte sowie ihre Diagramme in Handschriften außerhalb ihres ursprünglichen Kontexts auf. In einigen Fällen wurden die Diagramme ohne die dazugehörigen Texte kopiert. Eastwood 2007, S. 98 ff.; Borst 1993, S. 61 ff.; Eastwood 1993a, S. 162–168; Rück 1888. 198 Den zeitlichen Effekt der exzentrischen Planetenbewegung erläutert Calcidius im Timaeus-Kommentar. Vgl. Kap. 2.2.3 dieser Arbeit. 199 […] cuius rei ratio priuatim reddenda est. percussae in qua diximus parte et triangulo solis radio inhibentur rectum agere cursum et ignea ui leuantur in sublime. Hoc non protinus intellegi potest uisu nostro ideoque existimantur stare. unde et nomen accepit statio. praegreditur deinde eiusdem radii uiolentia et retroire cogit uapore percussas. Multo id magis in uespertino earum exortu toto sole aduerso cum in summas habsidas [apsidas] expelluntur minimaeque cernuntur. Quoniam altissimae absunt. et minimo feruntur motu. Tanto minore cum hoc in altissimis habsidum [apsidum] euenit signis. Plinius, Naturalis historia 2.70, zit. nach Rück 1888, S. 38,13–39,9. 200 Eastwood 2007, S. 109–119, hier S. 118 f. Als Beispiel für ein vereinfachtes Diagramm ist ebd., S. 119, Abb. 3.5, das Diagramm aus der Handschrift Bern, Burgerbibl., MS 347 (Auxerre, um 850), fol. 24r, zu sehen.
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die fehlende Zeichenanweisung, sondern zum anderen auch die Nutzung einer im Diagrammgedächtnis der Zeit wenig verankerten Vorlage anzuführen201 Bereits die wörtliche Erklärung des Philosophen im Dragmaticon zum Zusammenspiel von sichtbarer und tatsächlicher Planetenbewegung bei Deformationen der Umlaufbahn fällt knapp aus; ihre Visualisierung allerdings ist in noch stärkerem Maße reduktiv. Denn gerade der tatsächlich sichtbare Himmelskreis, der Tierkreis, der die räumliche Richtlinie für die Wahrnehmung eines Planeten bildet, ist nicht dargestellt. Eingehender hingegen widmet sich der Philosoph dem dritten Lösungsmodell, der Epizykel-Theorie. Das Epizykel-Modell Auch wenn die Epizykel-Theorie vom Philosophen lediglich auf die Astronomen des antiken Babylons (Chaldaei) zurückgeführt und ihre Quelle nicht genannt wird, ist es sehr wahrscheinlich, dass Wilhelm für die Erklärung dieser Theorie Calcidius’ Timaeus-Kommentar heranzog.202 Denn zum einen wurde die epizyklische Bewegung der drei oberen Planeten in einer vergleichbaren Ausführlichkeit nur bei Calcidius erläutert.203 Wie dieser bemühte sich Wilhelm zum anderen um eine Veranschaulichung der Theorie in Text und Diagramm. Während jedoch das Diagramm bei Calcidius (Abb. 35) kein zusätzlicher, sondern der wesentliche Darlegungsgegenstand ist und die Ausführungen im Text die Form des Diagramms herleiten sowie gleichzeitig eine Sehanweisung für die visuelle Figur bieten, erläutert der Philosoph im Dragmaticon die Epizykel-Theorie zunächst ohne Verweis auf eine visuelle Darstellung. Der Philosoph erwähnt als erstes den Kreis, der allen Planeten gemein sei und unterhalb dessen sie ihre Bewegung vollziehen, also den Tierkreis mit der Erde im Zentrum. Jeder der oberen Planeten besitze außerdem zwei weitere Kreise, 201 Auch die Hinzufügung einer den Inhalt des Diagramms erklärenden Glosse in der Handschrift BML, MS Ashburn 173 (98) (13. Jh.), fol. 14v (Abb. 46 dieser Arbeit), kann als Hinweis gedeutet werden, dass der Inhalt dieses Diagramms auch im 13. Jh. nicht sofort ersichtlich war: Quomodo stella patet in uno tempore eleuari in altero deprimi. Zur Frage der »stability and instability« einzelner Diagramme im Prozess ihrer handschriftlichen Überlieferung vgl. Eastwood 2007, S. 385 ff. 202 Nach Ronca ist es auch denkbar, dass Wilhelm hier mit den Chaldaei die arabischen Philosophen meinte, deren Schriften zu Astronomie und Astrologie erst kurz zuvor ins Lateinische übersetzt worden waren. Vgl. seine Anmerkung in der Edition Wilhelm von Conches, Dragmaticon, hg. Ronca 1997, S. 88, sowie Ronca/Curr, S. 192, Anm. 15, wo auf die »Einführung in die astrologische Wissenschaft« des Abū’Mašar (gest. 886) hingewiesen wird. Adelard von Bath hatte die kürzere Version dieses Texts im frühen 12. Jh. übersetzt. In dieser Übersetzung (Ysagoga minor) jedoch findet sich keine Erläuterung der Epizykel-Theorie. Abū’Mašar/ Adelard von Bath, Ysagoga minor, hg. Burnett/Yamamoto/Yano 1994. 203 Vgl. Kap. 2.2.3. Während der Philosoph im Dragmaticon nicht näher begründet, warum er die Epizykel-Theorie nur für die drei oberen Planeten erläutert, schreibt Calcidius, dass alle Planeten Rückläufe und Stillstände zeigen, diese jedoch bei den oberen drei Planeten am sichtbarsten seien. Calcidius, Commentarius 83, hg. Waszink 1962, S. 134,9–135,7.
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nämlich einen Exzenter sowie einen Epizykel. Letzterer hinge vollständig über der Erde und befinde sich im Exzenter; wie dieser bewege er sich entgegen der Rotation des Firmaments. Es wird außerdem erklärt, dass der Planet an dem Epizykel angebracht sei und durch dessen Bewegung fortgetragen werde, sich aber selbst nicht bewege.204 Hier wird ein weiterer Unterschied zu Calcidius’ Darlegung des Problems deutlich. Denn anders als Wilhelm erläuterte Calcidius Epizykel und Exzenter gesondert voneinander und lediglich die Exzentrizität der Sonnenbahn genauer. Seinem Kommentar ist zwar zu entnehmen, dass auch den übrigen Planeten jeweils eine exzentrische Bahn zugesprochen wird.205 In seiner Diskussion der Bewegung der oberen drei Planeten konzentrierte sich Calcidius jedoch auf eine Darlegung der Bewegung auf dem Epizykel, da es ihm insbesondere um eine Klärung der Phänomene der rückwärtigen Bewegung und der Stillstände ging. Um den Effekt anschaulicher zu machen, den das Kreisen des Planeten auf dem Epizykel bewirke, beschreibt der Philosoph im Dragmaticon das Modell ein zweites Mal, ersetzt den Epizykel nun aber durch ein sehr großes, herabhängendes und sich drehendes Rad, den Planeten durch eine brennende, unlöschbare Kerze, die an dem Rad befestigt ist. Mithilfe einer anschaulichen Beschreibung macht der Philosoph das deutlich, was Calcidius ausschließlich anhand des Diagramms herausstellt. Stelle man sich vor, zu dem Rad hinaufzublicken und die Kerze zunächst in der oberen Hälfte des Rades mit den Augen zu verfolgen, so nehme man diese Bewegung als eine Vorwärtsbewegung wahr. Wenn sich die Kerze dann auf dem Rad nach unten bewege, scheine sie stillzustehen. Im unteren Teil des Rades werde sie in die entgegengesetzte Richtung zurückgetragen, um kurz darauf, in der Aufwärtsbewegung, wieder zu verharren.206 Auffällig ist 204 Est unus circulus, qui aequaliter distat a terra, sub quo planetae discurrunt: hic est zodiacus. Praeter hunc communem circulum habet unusquisque trium superiorum planetarum duos circulos: unum eccentrum (in una enim parte sui est remotior a terra, in altera propinquior), qui circulus contra firmamentum nititur; alterum epicyclum, qui totus supra terram pendet. Hic, positus in ipso eccentro, quemadmodum et ipse, contra firmamentum nititur. In quo ipse planeta fixus, motu ipsius contra firmamentum rapitur: quia secundum ipsos [Chaldaeos, vgl. Anm. 202] planeta non mouetur, sed motu epicycli, in quo infixus est, uoluitur. Wilhelm von Conches, Dragmaticon 4.4.4, hg. Ronca 1997, S. 88,30–89,40. 205 Die Auffassung von der Exzentrizität der Planetenbahnen konnte Wilhelm auch bei anderen Autoren finden, so z. B. bei Martianus Capella, De nuptiis 8.855, hg. Willis 1983, S. 323,23–25: Licet generaliter sciendum cunctis orbibus planetarum eccentron esse tellurem, hoc est, non tenere medium circulorum, quod centron esse non dubium […]. Außerdem ebd. 8.849, S. 321,9–15 (zur Sonne); 8.884–886, S. 335,9–336,12 (zu den oberen drei Planeten). 206 Scimus autem quod, si maxima rota, in qua esset cereus inextinguibilis accensus, supra caput nostrum ab occidente in orientem moueretur, dum illa pars rotae, in qua esset cereus accensus, esset superior, uideretur cereus ad orientem moueri; cum eadem pars rotae descenderet, uideretur ille cereus nec ad orientem nec ad occidentem moueri, sed stare; cum eadem pars esset infima, ab oriente ad occidentem uideretur retrogradi praedictus cereus; cum uero eadem pars rotae ascenderet, uideretur stare. Simile contingit in quolibet istorum planetarum. Vnde geminus est locus stationis, unus retrogradationis. Wilhem von Conches, Dragmaticon. 4.4.5, hg.
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also, dass der Philosoph bei dieser Veranschaulichung alle weiteren Elemente, die er zuvor angeführt hat – den Tierkreis und den Exzenter – außer Acht lässt und lediglich die Epizykel-Bewegung in eine bildliche Vorstellung überträgt. Anders verhält es sich in dem Diagramm, das der Philosoph nun zum Einsatz bringt und an das der Anspruch der Vollständigkeit gerichtet wird. Die zweite Visualisierung, die im Unterschied zu dem Vergleich mit dem Rad auch auf dem Pergament visuell zu erfassen sein soll, wird mit den Worten eingeleitet: »Um diese Sache zu verstehen, wollen wir solch eine sichtbare Figur erstellen, in die wir in die Mitte die Erde platzieren und einen äußeren, in zwölf Zeichen unterteilten Tierkreis. Unterhalb des Tierkreises wollen wir einen exzentrischen Kreis um die Erde herum zeichnen; über der Erde den Epizykel, an dessen vier Stellen wollen wir Saturn eintragen: an der höchsten, an der tiefsten, an den beiden mittleren. Dann wollen wir Linien, die den Blick eines Menschen bezeichnen, zu den vier Orten führen.« (Ad huius rei intellectum quandam uisibilem figuram faciemus, in qua in medio terram ponemus; exterius zodiacum, duodecum signis diuisum. Infra hunc eccentrum circulum circa terram constituemus; supra terram epicyclum, in cuius quatuor partibus Saturnum ascribemus: in supremo, in imo, in duobus mediis. Deinde lineas intuitus hominis designatiuas ad quatuor loca dirigemus.)207
Während diese Anleitung zum Zeichnen eine klare Vorgabe für die zentrale Positionierung der Erde im Tierkreis gibt, ist sie insbesondere dort unpräzise, wo es um die Relation von exzentrischem Kreis und Epizykel geht. Da beide für die Bewegung eines Planeten wegweisend sind, müssen sie in einer räumlichen Verbindung zueinander stehen. Doch auch eine zusätzliche Berücksichtigung der anfänglichen Beschreibung des Philosophen, bei der es hieß, dass sich der Epizykel über der Erde und innerhalb des Exzenters befinde, sorgt nicht für Klarheit.208 Entsprechend ist auch das Diagramm, das in den meisten Handschriften unmittelbar auf diesen Verweis folgt, für die Frage der Lokalisierung wenig hilfreich. Sowohl in der Handschrift aus Pontigny als auch in derjenigen in Florenz (Farbabb. 14 u. Abb. 48) zeigt das Diagramm die Erde im Zentrum des äußeren Tierkreises, der in der Abschrift aus Pontigny wiederum als Ornamentband gestaltet ist. Entsprechend den Vorgaben des Texts wird die Erde außerdem von dem eigens als circulus ecentricus bezeichneten Kreis umschlossen, dessen Verlagerung in die obere Hälfte der Gesamtfigur in der Kopie in Florenz dank der eingezeichneten Horizontalen wesentlich einfacher zu erkennen ist. In beiden Diagrammen ist der Epizykel (circulus epiciclus) oberhalb der Erde und innerhalb des Exzenters untergebracht. An seinen Scheitel-, Fuß- und Seitenpunkten markiert jeweils ein Kreis den Planeten Saturn. Linien, die vom Zentrum bzw. Scheitelpunkt der
Ronca 1997, S. 89,41–50. Bisher ist unklar, ob Wilhelm diese Beschreibung aus einer Quelle entlehnte oder ob sie von ihm selbst stammt. 207 Ebd., 4.4.6, S. 89,51–90,57. 208 Vgl. Anm. 204.
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Erde ausgehen, zeichnen die Blickführung des irdischen Beobachters nach (uisualis radius). Das Diagramm integriert somit alle Elemente, die der Text nennt, und ordnet sie so an, wie der Text es vorgibt. Zusätzlich zu ihrer inhaltlichen Entsprechung ähneln sich Diagramm und Text in der Struktur der Darstellung. Vergleichbar mit dem unverbundenen Erwähnen der einzelnen Kreise, die für die Planetenbewegung relevant sind, zeigt insbesondere das Diagramm in der Handschrift in Florenz diese Kreise, ohne über ihren Zusammenhang, ihr räumliches Verhältnis zueinander Auskunft zu geben, sind sie doch deutlich voneinander getrennt dargestellt. Der Anspruch der möglichst vollständigen Auskunft über die Planetenbewegung überträgt sich vom Text auf das Diagramm, welches ebenfalls ausschließlich die Bewegung auf dem Epizykel genauer zu zeigen vermag. Dass darin die eigentliche darstellerische Absicht besteht, zeigt sich auch in der vergrößernden Fokussierung auf den Epizykel, der in beiden Diagrammen schwerlich ohne Kollisionen des Planeten mit der Erde um diese herumgeführt werden könnte. Die weiteren Inschriften im Diagramm ergeben sich erst aus dem nun folgenden Textabschnitt, in dem der Philosoph die Wahrnehmung der Saturnbewegung mit Blick auf das Diagramm erklärt. Da das Diagramm diese erst nachfolgenden Elemente aufnimmt, wird nun besonders deutlich, dass das Sprechen und das Zeichnen des Philosophen als komplementäre Handlungen zu verstehen sind. Erst an dieser Stelle also kommt es zu einer Instrumentalisierung des Diagramms zur Blickführung, die derjenigen bei Calcidius ähnlich ist. Im Scheitelpunkt des Epizykels, so heißt es, scheine sich der Planet im ersten Grad des Sternbildes des Widders (aries) zu befinden, welches er dann auf seinem Weg nach Osten durchschreite (saturnus rectigradus bzw. in recto cursu). Bei B komme es zum ersten Mal zum scheinbaren Stillstand (saturnus primo stationarius bzw. in prima statione) im Sternbild des Stieres (taurus), auf dem Weg nach C zur Rückwärtsbewegung (saturnus retrogradus bzw. retrogradatio), bei D zum zweiten Stillstand (saturnus secundo stationarius bzw. in secunda statione), nun im Sternbild der Fische (pisces).209 Im Diagramm in der Abschrift aus Pontigny fällt auf, dass für die Lokalisierung der Phänomene in den Sternzeichen der Verlauf der Sichtgeraden manipuliert wurde.
209 Quando igitur Saturnus superiorem epicycli, cui infixus est, partem obtinet, in primo gradu Arietis esse uidetur, cursuque recto uersus orientem insistit; sed cum ad B peruenerit, quia tunc descendit, stare creditur et in Tauro esse uidetur. Et haec est prima eius statio. Cum uero ad C peruenerit, ab oriente in occidentem moueri uidebitur, in primoque gradu Arietis aspicientibus de terra esse creditur. Haec est eius retrogradatio. Cum uero ad D ascendet, stare putabitur, in Piscibusque esse uidebitur, qui modo in Ariete uidebatur: inde est quod ad posterius signum putatur uenisse. Wilhelm von Conches, Dragmaticon 4.4.7, hg. Ronca 1997, S. 90,59–91,68. Die Punkte des Stillstands sind in den hier gezeigten Diagrammen falsch eingetragen. Sie müssten sich innerhalb des Winkels befinden, den die beiden Tangenten bilden. Vgl. Pedersen 1992, S. 62.
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Insgesamt wird also deutlich, dass es dort, wo es im Dragmaticon um die Erläuterung der Epizykel-Theorie geht, zu einer Häufung von Beschreibungsmodi kommt. Nach der wörtlichen Kurzerläuterung der Theorie sowie ihrer Übertragung in eine anschauliche Beschreibung folgt das Diagramm samt Anleitung. Auch Wilhelm nutzt letzteres nicht, um sinnenweltliche Gegenstände – das Rad samt der Kerze – zu reproduzieren, sondern um unsichtbare und sinnlich unerschließbare Gegenstände darzustellen. Im Vergleich zu Calcidius’ abstrakt-geometrischem Diagramm zur Bewegung des Planeten auf dem Epizykel (Abb. 35), das erst mithilfe des Texts auf die Erfahrungswelt bezogen und erkenntnisbringend genutzt werden kann, ist aber der astronomische Inhalt des Diagramms im Dragmaticon dank der Inschriften sehr viel offensichtlicher. Wie bereits in den Diagrammen zu den Elementen geht es auch in dieser Dialogsequenz nicht darum, die geometrische, letztlich mathematische Struktur der Welt zu erklären und zur Anschauung zu bringen.210 Auch dieses Diagramm zur Epizykel-Theorie verlangt vom Betrachter – und das heißt zunächst vom Fürsten – weniger Anstrengung, um verstanden zu werden. Venus und Merkur und die richtige Planetenordnung Mit den beiden folgenden Planeten, Venus und Merkur, ergibt sich für die beiden Gesprächspartner sogleich das Problem der richtigen Planetenordnung, schließlich, darauf wurde bereits hingewiesen, ließen sich diese Planeten nicht ohne weiteren Erklärungsbedarf in die geozentrische Planetenhierarchie einfügen.211 Der Fürst wird darauf aufmerksam, dass Venus und Merkur die Ränge vier und fünf nach den oberen Planeten nur nach der Ansicht Platons einnehmen, und erkundigt sich sogleich nach den Alternativen. Er erfährt, dass die Ägypter und mit ihnen Platon die Sonne unmittelbar oberhalb des Mondes verorteten, gefolgt von Merkur und Venus. Die Babylonier jedoch, denen Cicero folgte, sprachen sich für die Reihenfolge Mond, Merkur, Venus und Sonne aus.212 Prüft man das Kreisdiagramm zu den Planetenordnungen im Timaeus-Kommentar (Abb. 29), so wird deutlich, dass Wilhelm nicht der von Calcidius gezeigten platonischen Abfolge Mond, Sonne, Venus und Merkur, sondern mit der Reihenfolge Mond, Sonne, Merkur und Venus vielmehr den Angaben folgte, die Macrobius zur Planetenordnung Platons machte.213 Auf die Frage des Fürsten hin, warum sich die Geister 210 Nach Eastwood zeichnete sich der hier in den Diagrammen des Dragmaticon festzustellende »loss of spatial rationality« schon bei Martianus Capella ab. Er prägte das gesamte Frühmittelalter. Eastwood 1997, hier S. 237. 211 Vgl. Kap. 2, Anm. 177. 212 Wilhelm von Conches, Dragmaticon 4.5.1 f., hg. Ronca 1997, S. 91,2–92,16. 213 Macrobius, Commentarii 1.19.1 f., hg. Willis 21970, S. 73,17–20: Ciceroni Archimedes et Chaldaeorum ratio consentit, Plato Aegyptios omnium philosophiae disciplinarum parentes secutus est, qui ita solem inter lunam et Mercurium locatum volunt […]. Zu Macrobius’ Angaben Eastwood 2007, S. 37–43.
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gerade an der Positionierung der drei auf den Mond folgenden Planeten scheiden, erläutert der Philosoph, dass Venus und Merkur jeweils auf einem Epizykel, einem oberhalb der Erde befindlichen und letztere gänzlich ausschließenden Kreis, um die Sonne wandern. Während der Epizykel Merkurs die Sonne zum Zentrum habe, sei derjenige der Venus etwas nach oben verlagert.214 Anders als in dem diesem Wortwechsel unmittelbar vorausgehenden Abschnitt über die Epizykel-Bewegung der oberen drei Planeten ist nun von einem Exzenter keine Rede. Die Bewegung von Venus und Merkur wird – und hierin folgt Wilhelm der Darlegung von Martianus Capella – ausschließlich als eine heliozentrische Bewegung dargestellt.215 Der Philosoph belässt es auch hier nicht bei der wörtlichen Erklärung, sondern fügt ein Diagramm hinzu: »Damit du das besser verstehst, will ich eine Figur zeichnen, in der ich die Erde, die Sonne, die Epizykel von Venus und Merkur und jeden der beiden [Planeten] auf ihrem Epizykel an zwei Orten, nämlich an dem höchsten und dem tiefsten, zeichne.« (Quod ut melius intelligas, figuram depingam, in qua terram, solem, epicyclos Veneris et Mercurii, utrumque in suo epicyclo in duobus locis, scilicet in summo et imo, depingam.)216
Übereinstimmend zeigen die Diagramme in den Dragmaticon-Handschriften in Florenz und aus Pontigny (Abb. 48 u. Farbabb. 15), die diesem Verweis auf ihrem Folio dicht beigeordnet sind, die Sonne (sol) in der Schnittmenge zweier Kreise (circulus mercurii / circulus ueneris), die jeweils zweifach, am Scheitel- und am Fußpunkt, ihren Planeten tragen. Die ausführlichen Beischriften in der Handschrift aus Pontigny ergeben sich wiederum aus der im Text folgenden Erklärung des Phänomens anhand der visuellen Darstellung, die auf diesem Folio rechts neben dem Diagramm steht. Wenn sich beide Planeten im oberen Abschnitt ihrer Bahn befinden (uenus bzw. mercurius in superiori parte sui circuli), sei Merkur der Sonne näher, wenn sie im unteren Teil wandern (uenus in infima parte circuli bzw. mercurius in infimo sui circuli), rücke Venus dichter an die Sonne heran.217 214 Circuli igitur Veneris et Mercurii sunt epicycli, id est supra terram existentes, nichil de ea concludentes. Horum circulorum centrum est in sole, sed mercurialis in medio solis, uenerii supra medium. Wilhelm von Conches, Dragmaticon 4.5.3, hg. Ronca 1997, S. 92,21–24. 215 Martianus Capella, De nuptiis 8.857, hg. Willis 1983, S. 324,10–17: nam Venus Mercuriusque […] eorum circuli terras omnino non ambiunt, sed circa Solem laxiore ambitu circulantur. denique circulorum suorum centron in Sole constituunt, ita ut supra ipsum aliquando, infra plerumque propinquiores terris ferantur […] sed cum supra Solem sunt, propinquior est terris Mercurius, cum intra Solem, Venus […]. Vgl. auch ebd. 8.879, S. 333,11–13: huius [Mercurii] Venerisque circulos epicyclos esse superius memoravi, id est non intra ambitum proprium rotunditatem telluris includere, sed de latere quodammodo circumduci […]. 216 Wilhelm von Conches, Dragmaticon 4.5.3, hg. Ronca 1997, S. 92,24–27. 217 Cum igitur Venus et Mercurius in superioribus partibus suorum circulorum existunt, uere supra solem sunt, tuncque est Mercurius propinquior soli. Sed cum sunt in inferioribus partibus eorum circulorum, tunc est sol supra illos Venusque propinquior soli. Ebd., 4.5.4, S. 93,29–33.
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Dieses Diagramm, das sowohl die variierende Rangfolge der Planeten als auch die Erklärung für diese Variabilität schnell ersichtlich macht, war keine Neuschöpfung Wilhelms, sondern zum ersten Mal bereits in Handschriften des 9. Jahrhunderts als visuelle Glosse zu der entsprechenden Textstelle in Martianus Capellas De nuptiis Philologiae et Mercurii verwandt worden. Noch in dieser frühen Zeit hatte man das Diagramm auch in andere Texte exportiert, in denen es um dieses astronomische Problem ging.218 Wilhelm ergänzte es um ein weiteres Diagramm, das sich in der Abschrift in Florenz unmittelbar daneben auf dem Seitenrand erstreckt (Abb. 48). In vertikaler Anordnung folgen acht Kreise aufeinander, in denen die richtige, die platonische Abfolge der Planeten festgehalten wird. Der Schreiber dieser Handschrift ist den Vorgaben des Texts präzise gefolgt, kündigt doch der Philosoph nach seiner Erklärung der heliozentrischen Bewegung von Venus und Merkur an, die platonische Ordnung aller Planeten auf den Seitenrand zeichnen zu wollen: Platonicum igitur ordinem omnium planetarum in margine paginae depingam.219 Wiederum, ähnlich wie im Timaeus-Kommentar, werden Gültigkeit und Vorrang dieser Ordnung auf der Buchseite gerade durch die Umsetzung allein dieser Sortierung ins Visuelle hergestellt. Die Mehrdeutigkeit, die das Diagramm zu Venus und Merkur eröffnete, wird sogleich durch die Planetenfolge auf dem Seitenrand in ihre Grenzen verwiesen; Diagramm antwortet hier sozusagen auf Diagramm. Die Positionierung der autoritativen Ordnung auf dem Seitenrand stützt deren inhaltliche Verbindlichkeit, nimmt sie damit doch den Ort auf der Buchseite ein, der generell – so auch in dieser Handschrift – für Inhaltsangaben und -verwei-
218 Eastwood 2007, S. 238–259; ders. 2000; ders./Graßhoff 2000, S. 21 ff. Die früheste Handschrift, in der dieses Diagramm als visuelle Glosse zu Martianus erscheint, ist demnach Leiden, Bibliotheek van de Universiteit, MS Voss. F. 48 (vor 850), fols. 79v u. 92v. In wenigen Dragmaticon-Abschriften befindet sich an dieser Stelle ein Diagramm, dass nicht zwei, sondern drei sich überschneidende Kreise zeigt, wobei der dritte die Umlaufbahn der Sonne darstellt und letztere ebenfalls im Scheitel- und Fußpunkt trägt. Vgl. z. B. Cambridge, CCC, MS 385 (12./13. Jh.), S. 130; Bodleian, MS Auct. F. 5. 25 (fr. 13. Jh.), fol. 13r; BML, MS Plut. 29. 47 (13. Jh.), fol. 21v. Auch diese Diagrammform ist bereits in früheren Handschriften (Ende 11. Jh.) zu finden. Sie sollte nicht die bei Martianus zu findende Erklärung veranschaulichen, sondern diejenige des Macrobius verdeutlichen, nach der Venus und Merkur nicht um die Sonne, sondern in großer Nähe zur Sonne um die Erde kreisen. Die im Diagramm dargestellte und bei Macrobius nicht zu findende Exzentrizität der Planetenbahnen ist nach Eastwood dem Einfluss des ›Martianus-Diagramms‹ geschuldet. Wilhelm hatte es in seinen frühen Glossen zu Macrobius sowie in der Philosophia verwandt. Eastwood 1993b, S. 15 ff. Wilhelm von Conches, Philosophia 37–39, hg. Maurach 1980, S. 54 f. In einigen Philosophia-Handschriften ist dieses Diagramm um die übrigen Planetenbahnen erweitert, sodass klar ersichtlich wird, dass sich hier auch Venus und Merkur um die Erde bewegen. Vgl. z. B. BSB, clm 16103 (Italien, Anf. 13. Jh.), fol. 73v; BSB, clm 18961 (Tegernsee?, Anf. 13. Jh.), fol. 18r. Diese Handschriften gehören zu einer Gruppe von Philosophia-Abschriften, in denen dieses Traktat um Diagramme aus dem Dragmaticon ergänzt wurde. 219 Wilhelm von Conches, Dragmaticon 4.5.5, hg. Ronca 1997, S. 94,44–46.
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se diente.220 In der Handschrift aus Pontigny sind die beiden Diagramme nicht nebeneinander gestellt; das zweite erstreckt sich erst auf dem Rand der folgenden Seite (Farbabb. 16). An der Gültigkeit dieser Planetenfolge lässt hier zusätzlich die ornamentierte Rahmung, innerhalb derer die Medaillons – deren Farben in nahezu völliger Übereinstimmung mit denjenigen des Diagramms zur Kosmosordnung (Farbabb. 8) gewählt sind – unverrückbar erscheinen, keinen Zweifel.221 Breitenbewegung und Sonnenfinsternis Der platonischen Planetenordnung folgend, gelangen Philosoph und Fürst erst nach ihrem Gespräch über Venus und Merkur zu Sonne und Mond, deren Erörterung die meisten Stunden des vierten Tages einnimmt.222 Dabei geht es zunächst um die natürliche Bewegung der Planeten unter dem Sternenhimmel von West nach Ost, dann um die akzidentielle, entgegengesetzte Bewegung der Sonne, ihr Bewegt-Werden durch das Firmament, und damit auch um die Phänomene Nacht und Tag. Kreisdiagramme sollen hier den ostwärts gerichteten Weg der Planeten offenkundiger machen bzw. die durch den natürlichen Sonnenlauf bestimmte jahreszeitliche Ordnung des Mikrokosmos visuell bündeln.223 Auch zur Erläuterung der Sonnenfinsternis setzt der Philosoph Diagramme ein; er zeigt dabei aber nicht nur die vertikale Konstellation von Erde, Mond und Sonne. Da er zu präzisieren versucht, wann es überhaupt zu einer derartigen Konstellation 220 Vgl. z. B. Demarcq 1999, hier S. 71–77. 221 Wiederum ist es Merkur, der sich nicht in die Farbordnung einpassen lässt. Vgl. Anm. 128. Ungewöhnlich sind die umgekehrte Reihenfolge der beiden Diagramme und die Verteilung der acht Kreise mit den Planetennamen auf mehrere Buchseiten in den Handschriften Cambridge, SJC, MS 171 (G. 3) (13. Jh.), fols. 33r–34r, u. BL, MS Royal 4 A. XIII (13. Jh.), fols. 120v–121r. 222 Der Abschnitt über Venus und Merkur wird mit einem Kreisdiagramm zur heliozentrischen Bewegung der Venus und ihrer Sichtbarkeit im Verhältnis zur Sonne abgeschlossen. Wie schon im Fall des Diagramms zu den Ausformungen der Planetenbahnen (Abb. 46 u. Farbabb. 13) liefert Wilhelm auch hier keine Zeichenanweisung. Auch hier sind die Unterschiede in der Diagrammgestaltung in den einzelnen Handschriften darüber hinaus sicherlich auf eine nur schwache Formtradition zurückzuführen. Wilhelm von Conches, Dragmaticon 4.6.4, hg. Ronca 1997, S. 96,30–37; Montpellier, Faculté de Médecine, MS H 145 (Pontigny, 1170–1175), fol. 22r; BML, MS Ashburn 173 (98) (13. Jh.), fol. 15v, sowie, für Varianten, BL, MS Royal 4 A. XIII (13. Jh.), fol. 121v; BL, MS Royal 12 F. X (13. Jh.), fol. 16r. 223 Das erste Diagramm befindet sich gleich zu Beginn dieser Ausführungen. Es zeigt in einer Kreishälfte nur eine Sequenz von sechs Tierkreiszeichen (cancer bis capricornus) und soll vermitteln, dass allein die eine sichtbare Hälfte des Tierkreises die natürliche Bewegung der Planeten erkennen lasse, da diese die Zeichen ostwärts durchwandern. Wilhelms Diagramm ist eine vereinfachte Form eines Diagramms bei Macrobius. Wilhelm von Conches, Dragmaticon 4.7.1, hg. Ronca 1997, S. 97,43–50. Montpellier, Faculté de Médecine, MS H 145 (Pontigny, 1170–1175), fol. 22r; BML, MS Ashburn 173 (98) (13. Jh.), fol. 16r. Macrobius, Commentarii 1.21.3 f., hg. Willis 21970, S. 85,12–30. Das zweite Diagramm folgt auf die Beschreibung der vier Jahreszeiten und fungiert als Bestätigung und Zusammenfassung des Gesagten. Zu diesem Diagramm Anm. 85.
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kommen kann, erwähnt der Philosoph zunächst, in welchem Ausmaß Sonne und Mond die Breite des Tierkreises durchschreiten. Diesen Sternengürtel, der nicht nur der Länge nach in die zwölf Tierkreiszeichen, sondern auch in seiner Breite in zwölf Abschnitte unterteilt werde, durchquere der Mond in seiner gesamten Breitenerstreckung, während sich die Sonne lediglich entlang der Mitte des Sternenbandes bewege, wie es das beigefügte Diagramm zeigen solle.224 Dieses stellt in den meisten Handschriften eine in ihrer Länge nicht weiter spezifizierte Teilstrecke des Tierkreises dar, welche sich in der Breite über zwölf Linien erstreckt (Abb. 49). Den raumgreifenden Weg des Mondes zeichnen zwei Linien nach, die in der obersten bzw. untersten Zeile ansetzen, das Feld diagonal durchschreiten und von der roten Beischrift luna gesäumt werden. Die deutlich geringere Breitenbewegung der Sonne ist im Diagramm in der Handschrift in Florenz nicht als Linie dargestellt, sondern in der auf und ab führenden Anordnung der Beischrift ecliptica linea entlang der mittleren roten Waagerechten angedeutet. Die so bezeichnete Waagerechte ist schon eine Folgerung aus der Bewegung der beiden Planeten: Nur entlang der Mitte des Tierkreises, d. h. nur dann, wenn sich auch der Mond in dieser Mitte befinde, könne es überhaupt zu einer vertikalen Konstellation von Sonne und Mond und zu einer Verfinsterung der Sonne kommen. Gegenüber von dem folgenden Diagramm, das diese Planetenstellung bei einer Sonnenfinsternis zeigt, ist hier auf demselben Folio auch die Konstellation dargestellt, bei der einer der Planeten ausschert und es nicht zu einer Finsternis kommt, wobei es im Text nicht – wie im Diagramm – die Erde, sondern der Mond ist, der sich nicht auf der gemeinsamen Linie befindet, weil er den Tierkreis gerade an einem anderen Punkt durchwandert.225 Eine Abweichung dieses zweiten Diagramms vom Text ist in vielen Handschriften zu beobachten; tatsächlich sind die Planeten darin häufig ein zweites Mal auf einer Vertikalen angeordnet, wie z. B. in einer Handschrift aus dem 13. Jahrhundert, die sich heute in London befindet (Abb. 50).226 Dieses Beispiel macht die Schwierigkeiten des visuellen Befundes 224 Ad cuius [eclipsis solis] notitiam scias quod, quemadmodum longitudo zodiaci in duodecim aequas partes, quae dicuntur signa, est diuisa, ita et latitudo eiusdem diuisa est in duodecim aequas partes, quae dicuntur euagationes. Has omnes duodecim partes latitudinis tangit luna. Sol uero per medium latitudinis transit, quod monstrat subiecta descriptio. Wilhelm von Conches, Dragmaticon 4.13.1, hg. Ronca 1997, S. 116,1–7. 225 Cum igitur sol per medium latitudinis zodiaci semper currat, si in die coniunctionalis gradus luna sit in eadem medietate latitudinis eisdem, tunc est sic recto modo posita inter terram et solem, quod si linea a medio solaris corporis dirigeretur, iret per medium lunaris corporis et terreni, ut in hac figura. […] Si enim in die coitus luna non sit in medio latitudinis zodiaci, sed citra uel ultra, ut potes uidere in hac figura, not potest luna descensum radiorum solis impedire. Ebd., 4.13.2 f., S. 117,9–14 u. 118,20–22. Vgl. auch Martianus Capella, De nuptiis 8.869–871, hg. Willis 1983, S. 329,2–330,8. 226 BL, MS Add. 18210, fols. 55r–76v, hier fol. 76r. Sämtliche Diagramme sind mit brauner und roter Tinte gezeichnet und beschriftet. Catalogue of the Additions 1965 [1868], S. 88 (des Abschnitts 1848); Ronca 1997, Nr. 20, S. xlvi. Vgl. z. B. auch BSB, clm 564 (Bayern, 3. V. 12. Jh.),
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und der visuellen Kombination der Diagramme zur Breitenbewegung und zur Planetenkonstellation deutlich. Letztere sind hier sogleich unterhalb des rechteckigen Feldes platziert, um die Vertikale, auf der sich die Planeten befinden, in das obere Diagramm zu überführen. Auf diese Weise soll die Texterläuterung stärker ins Visuelle übertragen und gezeigt werden, dass die Stellung der Planeten bei einer Sonnenfinsternis aus dem oberen Diagramm gefolgert werden kann. Die Schwierigkeit besteht jedoch darin, in der oberen Darstellung eine Aufsicht zu erkennen – schließlich kreist der Mond unterhalb der Sonne –, deren Positionierung der Planeten auf der Fläche nicht unmittelbar in die Seitenansicht der unteren Diagramme übertragen werden kann. Genau das jedoch geschieht in der Verbindung der oberen und der unteren Darstellung. Beide Flächenordnungen werden als identisch verstanden. Möglicherweise dient gerade die vollkommen außergewöhnliche Ausschmückung des Tierkreissegments mit pflanzlichem Ornament in einer Abschrift aus dem 13. Jahrhundert dazu, dieses Missverständnis zu unterbinden (Farbabb. 17).227 Zwar zeichnen sich sämtliche Diagramme dieser Kopie durch ihre Farbenpracht aus (s. a. Farbabb. 7); bis auf dasjenige zur Breitenbewegung bleiben sie dabei aber alle ornamentfrei. Möglicherweise wurde hier versucht, mit der formalen Unterscheidung von Flächenpartien mit einem Pflanzenmotiv einerseits und solchen mit Kreissegmenten andererseits das Trügerische der Darstellung zu konterkarieren und auf die eigentliche Raumsituation hinzuweisen. Es ist denkbar, dass auf diese Weise erkennbar werden sollte, dass sich Sonne und Mond in der hier dargestellten Bewegung gerade nicht auf einer gemeinsamen, sondern jeweils auf einer eigenen Ebene befinden. Das Grundgerüst zur visuellen Darstellung der Breitenbewegung entlehnte Wilhelm wiederum einem Diagramm, das vermutlich erstmals, allerdings in Kreisform, für die bereits erwähnte Aachener Enzyklopädie der Zeitenordnung von 809 entworfen worden war und darin ein Exzerpt aus Plinius’ Naturalis historia begleitete.228 Die rechteckige Variante des Diagramms war vermutlich noch in der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts in Auxerre entstanden. Es hatte sich in der Folgezeit von seinem Begleittext emanzipiert und eine eigene Überlieferung ausgebildet.229 In dem Exzerpt jedoch ist die Beschreibung der Breitenbewegung fol. 73v; BSB, clm 2595 (Alderspach?, Anf. 13. Jh.), fol. 20v. In einigen Handschriften unterscheiden sich die Diagramme lediglich darin, dass die Inschrift luna im ersten Diagramm auf der einen, im zweiten auf der anderen Seiten der Vertikalen im Mond-Medaillon eingetragen ist. Vgl. z. B. Cambridge, CCC, MS 385 (12./13. Jh.), S. 142; Bodleian, MS Auct. F. 5. 25 (fr. 13. Jh.), fol. 16v; Ambrosiana, MS E. 12 Inf. (13./14. Jh.), fol. 457v. 227 Zu dieser Handschrift Anm. 91. Varianten, die auf ein Nicht-Verstehen des Inhalts und eine Unkenntnis des Diagrammtyps schließen lassen, sind selten. Vgl. aber Erfurt, MS Ampl. 8° 28 (13./14. Jh.), fol. 26r. 228 Vgl. Anm. 196 sowie Plinius, Naturalis historia 2.66 f., hg. Winkler/König 21997, S. 54– 57; Rück 1888, S. 40–43. 229 Eastwood 2007, S. 122–126 u. 134–137. Das früheste Beispiel findet sich in der Handschrift Bern, Burgerbibl., MS lat. 347 (Auxerre, um 850), fol. 24v. Dazu Borst 21995, S. 188.
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nicht auf Sonne und Mond reduziert und nicht auf die Erklärung der Sonnenfinsternis ausgerichtet. Vielmehr werden für jeden der sieben Planeten Angaben über sein Verhalten innerhalb des Tierkreises gemacht; entsprechend wird das rechteckige Feld des dazugehörigen Diagramms von sieben Zickzack-Linien durchzogen (Abb. 51).230 Wilhelms Diagramm ist somit eine Vereinfachung sowie, im Kontext der Erläuterungen, inhaltliche Neuausrichtung der Vorlage, die er sicherlich auf der Basis von Martianus Capellas Ausführungen zur Sonnenfinsternis vorgenommen hat.231 In den meisten Dragmaticon-Abschriften wurde das Diagramm ähnlich schlicht und inhaltlich funktional wie in der Handschrift in Florenz gestaltet, in derjenigen aus Pontigny hingegen ist es nicht nur zusätzlich der Länge nach in die zwölf Tierkreiszeichen unterteilt, sondern auch – wie die beiden folgenden Diagramme – mit erläuternden Beischriften ausgestattet (Farbabb. 18, 19).232 Die sorgfältig gerahmte Glosse neben dem Diagramm zur Breitenbewegung ist Martianus Capella entlehnt und gibt darüber Auskunft, dass die Sonne nur im Sternzeichen Waage (libra) von ihrem Weg entlang der Mitte abgelenkt werde, und zwar um jeweils einen halben Grad nach Norden und Süden. Diese zusätzliche Information ist hier auch ins Diagramm übertragen, wo die Sonnenbahn im Abbo von Fleury verwandte dieses Diagramm in seiner Abhandlung De cursu planetarum per zodiacum circulum und ergänzte es um Angaben zur musikalischen Sphärenharmonie. Eastwood 1997, S. 251; ders. 1986, S. 209 f. Vgl. z. B. die astronomische Sammelhandschrift Cambridge, Trinity College, MS R. 15. 32 (Winchester?, 10./11. Jh.), fol. 6v; außerdem Cambridge, SJC, MS 221 (I. 15) (12. Jh.), S. 287. Auch in der bereits in Anm. 93 erwähnten, um 1110 im Kloster Thorney entstandenen Sammelhandschrift Oxford, SJC, MS 17, fol. 38r, ist diese ergänzte Version des Diagramms zusammen mit der Sententia Abbonis zu finden. Allein das Diagramm integrierte Lambert von St. Omer in seinen 1121 vollendenten Liber floridus: Gent, Centrale Bibliotheek van de Rijksuniversiteit, MS 92, fol. 227r. Vgl. oben, Anm. 45 der Einleitung. 230 BSB, clm 14436 (Frankreich, um 1000), fol. 61r. Zu dieser Handschrift zuletzt Klemm 2004, Nr. 13, S. 38 f. Zu der Längseinteilung in 30 Einheiten Martianus Capella, De nuptiis 8.834, hg. Willis 1983, S. 314,22–315,4. 231 Martianus Capella, De nuptiis 8.867–871, hg. Willis 1983, S. 328,11–330,8. Möglicherweise gehen Form und inhaltliche Ausrichtung des Diagramms auf eine andere Entlehnung des ursprünglichen Diagramms zur Breitenbewegung zurück. Vgl. BL, MS Cotton Tiberius C. I (Peterborough, um 1122), fol. 10v (rechteckiges Schema mit zwei Zickzack-Linien und der Beischrift De ratione equinoctii). Auch diese Handschrift gehört zu der hier in Anm. 35 der Einleitung genannten Gruppe englischer Kompilationen zu Kosmologie, Astronomie und Komputistik. Zu frühen Vereinfachungen dieses Diagramms Eastwood 2000, S. 10 ff. 232 Die Beischriften lauten: (a) hec est longitudo zodiaci in .xii. secta portiones id est signa .xii.; (b) hec est latitudo zodiaci in .xii. secta partes. Trotz der horizontalen und vertikalen Einteilung des Tierkreissegments wurde in diesem Diagramm noch kein Koordinaten-Prinzip umgesetzt. Diese Frage ist bereits in Bezug auf die frühen Diagramme zum Plinius-Exzerpt diskutiert worden: Eastwood 1987, S. 159 f.; Funkhouser 1936, S. 260, sowie Günther 1877, S. 24. Die Beischriften zu den Diagrammen zur Sonnenfinsternis lauten: (1) hic positio lune recto diametro inter terram et solem, illum totum a nobis eclipticat; (2) hic positio lune ex parte id est non recto diametro inter terram et solem ex eadem parte ipsam nobis eclipticat.
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Visuelle Darbietungen bei Wilhelm von Conches
Sternzeichen Waage kräftiger ausschlägt und an dieser Stelle mit zwei zusätzlichen Sonnenmedaillons bestückt ist.233 Während der Philosoph seinen Zuhörer bei seinen Ausführungen zur Breitenbewegung von Sonne und Mond sowie zur Sonnenfinsternis nicht explizit zu einer Erkenntnisgewinnung aus der Betrachtung der Diagramme sowie deren visueller Verknüpfung anleitet, werden kurz darauf sowohl die zeichnende Feder als auch der Blick von Worten geführt. Exzentrizität der Sonne Das nun folgende Problem und seine Lösung waren dem Leser des Timaeus-Kommentars, aber auch von Martianus Capellas De nuptiis Philologiae et Mercurii vertraut. Während Calcidius die exzentrische Lage der Sonnenbahn als eine Erklärung für die unterschiedliche Dauer der Jahreszeiten anführte, wurde sie von Martianus Capella beschrieben, um zu erklären, warum die Sonne bei gleichförmiger Bewegung dennoch unterschiedlich lange in den einzelnen Tierkreiszeichen verweile.234 Dieses Phänomen macht im Dragmaticon auch den Fürsten stutzig; Wilhelms Ausführungen basieren also auf Martianus Capella. Anders als dieser, hingegen wie Calcidius, setzte auch Wilhelm ein Diagramm für diese Problematik und ihre Erhellung ein. Nachdem der Philosoph knapp erläutert hat, dass sich die Erde im Zentrum des Tierkreises befinde, das Zentrum der Sonnenbahn aber oberhalb der Erde liege, sodass ein Abschnitt dieser Bahn der Erde näher, der andere ferner sei, und dass sich die Sonnenbahn gleich dem Tierkreis in zwölf, jedoch in ihrem Fall ungleiche Abschnitte teilen lasse, zeichnet er ein Diagramm: »Damit du das besser verstehst, wollen wir eine Figur zeichnen, in der wir die Erde in die Mitte stellen werden, [dann] den Tierkreis, der von allen Teilen aus gleich weit von der Erde entfernt ist, und den exzentrischen Kreis der Sonne. Zwölf Linien werden wir vom Tierkreis, den sie selbst in gleiche Abschnitte unterteilen sollen, durch die Sonnenbahn zur Erde führen. Wenn du dir diese Figur genau anschauen wirst, wirst du den in zwölf ungleiche Teile unterteilten Kreis der Sonne sehen und denselben Kreis unterhalb der Zwillinge von der Erde am weitesten entfernt, unterhalb des Schützen der Erde am nächsten.« (Quod ut melius intelligas, figuram faciamus: in qua terram in medio ponemus, zodiacum ex omni parte aequaliter distantem a terra, circulum solis eccentricum. Duodecim uero lineas a zodiaco, quae ipsum aequaliter diuidant, per solarem circulum in terram dirigemus. 233 Die Beischrift lautet: Nota solem medio libramento ferri, sed sub libra in austrum aquilonemue deflecti ad dimidium fere momentum, idest ad octogesimam fere partem hore unius. Vgl. Martianus, De nuptiis 8.867, hg. Willis 1983, S. 328,14–16. Auch dieses Abweichen der Sonne wurde schon im 9. Jh. in einer sehr reduzierten Version des Diagramms zur Breitenbewegung gezeigt, erstmals vermutlich in Leiden, Bibliotheek van de Universiteit, MS Voss. F. 48 (vor 850), fols. 92v. Vgl. Anm. 218 u. Eastwood 2000, S. 10. 234 Vgl. Kap. 2.2.3 u. Martianus Capella, De nuptiis 8.848 f., hg. Willis 1983, S. 321,1– 322,5.
Die Diagramme
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Si subtiliter figuram istam inspexeris, circulum solis in xii partes inaequales diuisum uidebis, ipsumque circulum sub Geminis a terra remotissimum, sub Sagittario terrae proximum.)235
Mit der Anleitung für den Diagrammentwurf, welcher die Diagramme in den Handschriften in Florenz und aus Pontigny folgen (Abb. 52, 53), wiederholt der Philosoph seine erste Erklärung des Phänomens und ermutigt den Fürsten dann zur genauen Betrachtung des Gezeichneten.236 An dieser Stelle wird explizit deutlich, dass das Diagramm und seine Analyse wesentliche Instrumente der Erläuterung, also der Erkenntnisfindung, sind und dass somit das visuelle Medium hier nicht erst der Speicherung eines bereits verstandenen Gegenstands dient. In dieser Funktionsbestimmung gleicht das Diagramm demjenigen in Calcidius’ Timaeus-Kommentar (Abb. 30–32), wobei aber auch hier wiederum deutlich wird, dass Wilhelm seine Diagramme nicht als geometrische, durch Buchstaben beschreibbare Figuren entwarf. Dass die gesamte Welt und so auch der astronomische Himmel ein geometrisch definiertes Ganzes sind und demzufolge nach Gesetzmäßigkeiten der Geometrie beschrieben und verstanden werden können, ist auch diesem Diagramm nur indirekt ablesbar. Die Diagramme in den folgenden Dialogsequenzen stehen nicht im Dienst der Argumentation, sondern sind weitere Beispiele für jene andere Instrumentalisierung des Diagramms im Dragmaticon, d. h. seine Nutzung als Ordnungsfigur, die dem Text stets nachgeordnet wird und das Wissen visuell aufbereitet.237 235 Wilhelm von Conches, Dragmaticon 4.14.5 f., hg. Ronca 1997, S. 125,48–126,56. 236 Auch dieses Diagramm ist in der Handschrift aus Pontigny mit erläuternden Inschriften versehen, die hier allerdings den Worten des Philosophen entlehnt sind: (a) Sub geminis quod est latissimum in circulo solis xxxii diebus immoratur ipse sol; (b) Sub sagittario quod est breuissimum tamen xxviii diebus immoratur idem ipse sol; (c) Iste est circulus solis ecentricus ad terram. Ebd., S. 126,60–63. Der Tierkreis ist blau, die Sonnenbahn rot und der Erdkreis braun ausgefüllt. Die Inschrift im Diagramm der Abschrift in Florenz lautet: Solaris ascensus in geminis. Trotz der Zeichenanweisung im Text verläuft die Sonnenbahn in vielen Diagrammen konzentrisch. Vgl. z. B. BAV, MS Reg. lat. 1222 (12. Jh.), fol. 17v; BSB, clm 564 (Bayern, 3. V. 12. Jh.), fol. 74v; BSB, clm 2595 (Alderspach?, Anf. 13. Jh.), fol. 21v. Für frühmittelalterliche, in ihrer Form jedoch mit den Diagrammen des Dragmaticon weniger verwandte Diagramme zu diesem Phänomen Eastwood 2000, bes. S. 21 f., sowie ders. 1993b, S. 12. 237 Es handelt sich um die folgenden Diagramme: [a] Mondphasen. Montpellier, Faculté de Médecine, MS H 145 (Pontigny, 1170–1175), fol. 29v; BML, MS Ashburn 173 (98) (13. Jh.), fol. 20v. Ein frühes Beispiel für ein ganz ähnlich gestaltetes Diagramm ist Cambridge, Trinity College, MS R. 15. 32 (Winchester?, 10./11. Jh.) (vgl. Anm. 229), fol. 7v; [b u. c] Mondfinsternis. Ähnlich wie bei der Erörterung der Sonnenfinsternis wird hier in einem zweiten Diagramm auch eine scheiternde Mondfinsternis dargestellt. Montpellier, Faculté de Médecine, MS H 145, fol. 30r; BML, MS Ashburn 173 (98), fol. 20v; [d] Zwölf Winde. Montpellier, Faculté de Médecine, MS H 145, fol. 32r; BML, MS Ashburn 173 (98), fol. 22r. Zu Winddiagrammen Obrist 1997; [e] Weltkarte, die insbesondere die Ozeanströmungen veranschaulichen soll. Montpellier, Faculté de Médecine, MS H 145, fol. 38v; BML, MS Ashburn 173 (98), fol. 26r. Diese Karte steht in der Tradition der Macrobius-Karten. Dazu sowie zu den Karten in Texten Wilhelms von Conches insbes. Arentzen 1984, S. 67–88. Aus der Vielzahl der Publikationen
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Nur an einer Stelle kommt es zu einem weiteren Einsatz des Diagramms als Erkenntnisinstrument. Da es sich dort – anders als bei den übrigen Diagrammen – um Eigenentwürfe Wilhelms von Conches zu handeln scheint, soll dieser Passus hier abschließend betrachtet werden. Form der Erde Im sechsten und letzten Kapitel des Dragmaticon zeigt sich der Fürst unschlüssig über die Form der Erde, was erstaunen mag, gehörte das Wissen über ihre Kugelgestalt doch unbestritten zum Kanon der mittelalterlichen Weltkunde. So aber gibt der Fürst dem Philosophen Gelegenheit, seine Fähigkeit zum rationalen Denken ein weiteres Mal unter Beweis zu stellen und die Richtigkeit der Auffassung von der Kugelform mit nachvollziehbaren Argumenten (argumenta probabiles) darzulegen, wobei er auch einige der Argumente verwendet, die bei Calcidius, Martianus Capella und auch Pseudo-Beda zu finden sind.238 Zunächst diskreditiert er diejenigen, die in dieser Frage ihren Sinnen mehr vertrauen als ihrem Verstand, indem er sie den Tieren gleichstellt, worin – allerdings deutlich polemischer und vermutlich in Anlehnung an Adelard von Bath – sich äußert, was bereits bei Calcidius zu lesen war: Wer die Erde in ihrer Gesamtheit zu begreifen versucht, beruft sich nicht auf seine sinnlichen Erfahrungen, sondern lässt seinen Verstand arbeiten.239 Auch Wilhelm führte insbesondere die astronomischen Erwägungen ins Feld, konzentrierte sich aber auf den Lauf der Sonne. Auch er nutzte das Diagramm als Instrument der Verstandesarbeit, übernahm allerdings nicht dasjenige zum natürlichen Fließverhalten des Wassers aus dem Timaeus-Kommentar, das bei Calcidius innerhalb dieser Argumentation zu finden ist (Abb. 26). Wilhelm lässt den Philosophen zwei Diagramme zeichnen, von denen das erste der Falsifikation dienen soll und die Situation zu vermitteln versucht, die die Sonneneinstrahlung auf einer flachen Erde bewirken würde (Abb. 54, 55). Dann nämlich zu mittelalterlichen Karten ferner Edson/Savage-Smith/von den Brincken 2005; Edson 1999 [1997]; Reudenbach 1998b; Gautier Dalché 1994; [f] Entstehung der Winde aus dem Zusammenprall der Ozeanströme. Montpellier, Faculté de Médecine, MS H 145, fol. 39v; BML, MS Ashburn 173 (98), fol. 26v; [g] Klimazonen der Erde. Montpellier, Faculté de Médecine, MS H 145, fol. 43r; BML, MS Ashburn 173 (98), fol. 29r. [h] Weltkarte. Montpellier, Faculté de Médecine, MS H 145, fol. 44v; BML, MS Ashburn 173 (98), fol. 30r. Vgl. die Anmerkung zu [e]. 238 Wilhelm von Conches, Dragmaticon 6.2.2–9, hg. Ronca 1997, S. 182,12–186,79. Vgl. Kap. 2, Anm. 160, sowie Martianus Capella, De nuptiis 6.590–593, hg. Willis 1983, S. 207,1–23, u. Pseudo-Beda, De mundi celestis terrestrisque constitutione 21–31, hg. Burnett 1985, S. 20. Eine ganz ähnliche Funktion hatten Barbara Obrist zufolge die Beweisführungen für die Kugelform der Erde in antiken Handbüchern: »Si les manuels en [de la sphéricité de la terre] donnent souvent des preuves, celles-ci ne servent pas tant à démontrer des propositions encore incertaines qu’à munir l’homme cultivé d’arguments montrant qu’il est capable d’appréhender l’ordre de l’univers de façon rationelle.« Obrist 2004, S. 59. 239 Wilhelm von Conches, Dragmaticon 6.2.2, hg. Ronca 1997, S. 182,14 f.: Quidam bestiales, plus sensui quam rationi credentes, dixerunt terram esse palam. Vgl. ebd. 2.2.3, S. 36,28 f., samt den Anmerkungen des Herausgebers sowie Kap. 1, Anm. 167, dieser Arbeit.
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wäre es in einer östlich gelegenen Stadt Morgen und Mittag zugleich, während im Westen Mittag und Abend zusammenfallen würden. Auch wären an beiden Orten die Zeitspannen zwischen den Tageszeiten höchst ungleich.240 »Damit du das besser verstehst, werde ich eine sichtbare Figur zeichnen, in die ich eine Linie für die flache Erde setzen werde und an ihre beiden Enden zwei Städte und darüber werde ich den Kreis der Sonne spannen und über jeder der beiden [Städte] werde ich die Sonne zeichnen, und zwar auf diese Weise.« (Quod ut melius intelligas, uisibilem figuram depingam, in qua lineam pro plana terra ponam et in duobus eius capitibus duas ciuitates, supraque circulum solis curuabo, solemque super utramque depingam hoc modo.)241
Sowohl für diesen Entwurf als auch für den folgenden ist bisher kein Diagramm bekannt, das Wilhelm als Vorlage benutzt haben könnte. Es zeigt sich jedoch, dass eine etablierte Darstellungstradition in diesem Fall für eine übereinstimmende Komposition der Diagramme in den verschiedenen Handschriften nicht notwendig war, dass also dafür die zu kopierende Vorlage, die Zeichenanweisung sowie sicherlich auch die Vertrautheit mit dieser Argumentation für die Kugelgestalt der Erde ausreichten.242 Die Diagramme der verschiedenen Abschriften zeigen lediglich eine Variation in der Formgebung, die allerdings ohne inhaltliche Konsequenzen bleibt. Die Städte, die der Philosoph in dieses erste Diagramm sowie in das folgende einzeichnet, können – wie in der Abschrift aus Pontigny (Abb. 54) – lediglich inschriftlich (ciuitas orientalis bzw. occidentalis) in schlichten Kreisformen vermerkt und formal abstrakt sein oder aber – wie in der Kopie in Florenz (Abb. 55) – die Form von immer wieder anders gestalteten Architekturen annehmen.243 Eine Zwischenform, die z. B. in einer Handschrift aus dem 13. Jahrhundert zu finden ist, die heute in Oxford aufbewahrt wird, bildet die Darstellung der Stadt als schematisierte, hoch aufragende Häuserzeile (Abb. 56).244 In jedem Fall ist auf der halbkreisförmigen Sonnenbahn oberhalb der linken sowie der rechten Stadt 240 Si iterum plana esset, ciuitas in oriente posita mane et meridiem simul haberet; ex quo enim illi sol appareret, super ipsam esset; ciuitas uero in occidente posita meridiem et uespere simul haberet. Quantoque essent ciuitates orienti propinquiores, tanto minus spatii inter mane et meridiem haberent, sed plus inter meridiem et uespere; sed quanto essent occidenti propinquiores, e contrario. Wilhelm von Conches, Dragmaticon 6.2.3, hg. Ronca 1997, S. 182,20–183,26. 241 Ebd., S. 183,26–29. 242 Eine Ausnahme bildet BAV, MS Palat. lat. 1042 (Deutschland, 2. H. 12. Jh.), fol. 45v: Hier ist auch das zweite Diagramm halbkreisförmig. 243 Vgl. z. B. auch [Abstraktion] BAV, MS Reg. lat. 1021 (12. Jh.), fol. 236v; BAV, MS Reg. lat. 1222 (12. Jh.), fols. 25v, 26r; Ambrosiana, MS E. 12 Inf. (13./14. Jh.), fol. 463v; ungewöhnlich ist BL, MS Arundel 377 (12./13. Jh.), fol. 131v; [Architekturen] BSB, clm 564 (Bayern, 3. V. 12. Jh.), fols. 95r, 95v; BSB, clm 2595 (Alderspach?, Anf. 13. Jh.), fols. 31r, 31v; Bodleian, MS Auct. F. 5. 25 (fr. 13. Jh.), fol. 25v; Oxford, SJC, MS 178 (England, 2. V. 14. Jh.), fols. 325v, 326r. Beide Formen in Florenz, BNC, MS II. VI. 2 (13. Jh.), fol. 60v; Bodleian, MS e Musaeo 121 (13. Jh.), fols. 82v, 83r. 244 Bodleian, MS Auct. F. 5. 28 (England? 13. Jh.), fols. 187v–209r, hier fol. 202r. Madan/ Craster/Denholm-Young 1937, S. 706–708; Ronca 1997, Nr. 33, S. l. Die zusätzlichen, in vielen
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Visuelle Darbietungen bei Wilhelm von Conches
die Sonne als Kreis mit der Inschrift sol eingezeichnet. Dass es sich dabei um dieselbe Sonne handelt, die hier zwei Mal auftaucht, dass also im selben Diagramm zwei verschiedene Zeitpunkte dargestellt werden, kann ohne ein Wissen über den Textzusammenhang nicht erkannt werden. Das Diagramm enthält darüber hinaus keinen Hinweis, dass es der Falsifikation dient und inhaltlich von dem folgenden Diagramm abgelöst wird. Ähnlich wie bei den Diagrammen zu den Schattenformen (Abb. 42–44 u. Farbabb. 12) kommt es auch hier – insbesondere in den Handschriften, in denen Architekturen die Städte darstellen (Abb. 55) – vor, dass gerade das Diagramm, dessen Inhalt als unzutreffend erkannt werden soll, mit besonders vielen Details ausgestattet und häufig auch größer ist. Erneut wird deutlich, dass die Diagramme auch in den Abschriften nicht aus ihrem schriftlichen Kontext entlassen werden und die Hinwendung zum Text erfordern. Im folgenden Diagramm werden nun nicht mehr die Sonnenstände eingetragen, sondern allein vier Städte auf einem die Erdkugel darstellenden Kreis nach den vier Himmelsrichtungen verteilt, entsprechend ihrer Lage bezeichnet (ciuitas orientis, meridiei usw.) und mit den Buchstaben a bis d versehen.245 In dem Diagramm der Abschrift in Florenz (Abb. 55) ist die Kugelgestalt der Erde sogleich aus der Anbringung der turmähnlichen Stadtabbreviaturen auf der Erdoberfläche ersichtlich. Im Diagramm der Handschrift in Oxford (Abb. 56) entsteht im Zentrum eine quadratische Fläche, die in der Tradition mittelalterlicher Kartografie ebenfalls als Zeichen für die Erde gedeutet werden kann.246 Entscheidend ist allerdings die Kreisform, stiftet der Philosoph doch nun zu der Vorstellung an, die Sonne bewege sich entlang dieser Linie, was für jede der Städte im selben Moment einen unterschiedlichen Effekt habe. So falle der Sonnenuntergang für die östliche Stadt A mit dem Mittag der Stadt D sowie dem Sonnenaufgang in der westlichen Stadt C und der Nacht in der Stadt B zusammen. Da diese Gleichzeitigkeit unterschiedlicher, durch die Sonne hervorgerufener Tag- und Nachtzeiten in den verschiedenen Teilen der Welt der Wirklichkeit entspreche, sei damit das Argument für die Kugelgestalt der Erde erbracht.247 Anders als das vorhergehenDiagramme eingefügten Inschriften lauten: meridies urbis orientalis bzw. occidentalis. Vgl. auch die verwandte Handschrift Cambridge, GCC, MS 225 (13. Jh.), S. 91 f. 245 Der Verweis lautet: Depingam tibi quatuor ciuitates in uno circulo: unam in occidente, alteram oppositam sibi in oriente, et tertiam in medio orientis et occidentis super terram, quartam oppositam sibi sub terra; atque ciuitati orientali ascribam A, meridianae B, occidentali C, illi quae est in media nocte D. Wilhelm von Conches, Dragmaticon 6.2.4, hg. Ronca 1997, S. 183,34–184,39. 246 Zum Quadrat oder Rechteck als Zentrum in mittelalterlichen kosmologischen Diagrammen Obrist 1996, 140 ff., sowie dies. 1997, S. 57 ff. Vgl. auch BnF, MS lat. 16207 (vor 1282), fol. 84v. 247 Cum igitur sol ciuitati quae est A oritur, tunc occidit sibi oppositae quae est C, est meridies illi quae est D, media nox illi quae est B. Cum uero oritur illi quae est B […]. Nec te moueat si in praedicits locis terrae non sunt ciuitates: loca enim sunt in quibus sol oritur et occidit. Singulis igitur horis cuidam parti terrae oritur sol, cuidam occidit, cuidam est meridies, cuidam
Zusammenfassung
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de Diagramm ist dieses Diagramm nur mehr ein Gerüst für die Visualisierung. Es stellt zwar bereits dar, was als richtig erkannt werden soll, zeigt aber nicht, wie die Erkenntnis sich vollzieht. Das Diagramm muss um die Sonne ergänzt und vor dem geistigen Auge illuminiert, zur Stätte eines Zusammenspiels von Licht und Schatten werden.
3.3 Zusammenfassung Für sein Dragmaticon philosophiae, in dem er Gottfried von Plantagenet die Welt erklärte, schöpfte Wilhelm von Conches nicht allein aus der Fülle seiner Textkenntnisse, die auf dem Gebiet der Kosmologie und Astronomie sowohl auf den seit der Spätantike tradierten als auch erst jüngst ins Lateinische übersetzten Schriften beruhten. Als engagierter Didakt gab sich der herausragende Schriftgelehrte zudem als Zeichnender, wobei er sich für seine Diagramme der reichen Überlieferung bediente. Sowohl Form und Inhalt als auch Funktion des Diagramms sind im Dragmaticon von der Tradition bestimmt. In dem Gespräch zwischen Philosoph und Fürst, das der Text fingiert, werden die Diagramme als Gaben des Lehrers an seinen Schüler präsentiert. Ihnen wird dabei entweder die Funktion der affirmativen Zusammenfassung des Gesagten oder der Erkenntnisführung während der vernunftgeleiteten Argumentation zugesprochen. Beide Funktionsweisen sind hier schon aus dem Timaeus-Kommentar bekannt, wobei die Ähnlichkeit der Diagrammverweise im Dragmaticon zu denen in den Commentarii in Somnium Scipionis des Macrobius nahelegt, dass sich Wilhelm an Macrobius’ Formulierungen orientierte. Deutlicher wird in den Verweisen Wilhelms jedoch die Verknüpfung von Sehakt und Gedächtnisleistung, welche er im Dragmaticon im Kontext der Erkenntnisfähigkeiten des Menschen ausführlich erläuterte. Vor dem Hintergrund dieser Ausführungen zum Sehen, Erkennen und Erinnern wird das Diagramm – die Überführung eines unsichtbaren Gegenstands in Form und oft auch Farbe – als Verstandesleistung erkennbar, die wiederum an die aufnehmende Seele gerichtet ist. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Diagramme in den einzelnen Handschriften zwingend als mnemotechnische Instrumente zu verstehen sind. Eine derartige Interpretation müsste die Unübersichtlichkeit ignorieren, die häufig die Ordnungen einer Seite sowie innerhalb eines Diagramms charakterisiert. Gestaltung und Platzierung der Diagramme sind nicht nur oft für denjenigen konzipiert, der dem Text Zeile für Zeile folgt, sondern erfordern auch die wiederholte Hinwendung zur Buchseite.
nox media. Quod est argumentum rotunditatis terrae. Wilhelm von Conches, Dragmaticon 6.2.5, hg. Ronca 1997, S. 184,41–185,51.
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Visuelle Darbietungen bei Wilhelm von Conches
In der Handschrift aus Pontigny scheint die im Dragmaticon erläuterte Theorie der visuellen Erkenntnis in der resoluten Gestaltung des Diagramms als polychromes und ornamentiertes, damit visuelles und text-fremdes Objekt auch realisiert. Diese Interpretation der ästhetischen Fülle in den Diagrammen dieser Handschrift scheint nicht zuletzt deshalb möglich, weil sich hier immer wieder zeigt, dass die Diagramme nicht nur formal – durch die Platzierung in unmittelbarer Nähe zum Textverweis –, sondern auch inhaltlich als integraler Bestandteil des Texts konzipiert sind. Letzteres gelingt vor allem durch die Wiederverwendung bestimmter Farben sowie durch ausführliche In- und Beischriften. In dieser sorgfältigen Übereinstimmung von Diagrammen und Text äußert sich neben der genauen Textkenntnis auch eine besondere Wertschätzung des visuellen Mediums. Beides macht es plausibel, in den ästhetisierten Diagrammen auch das Konzept von visueller Wahrnehmung, Erkenntnis und Erinnerung umgesetzt zu sehen.248 Deutlich anders als im Fall des Timaeus-Kommentars kam es schon im Laufe der frühen Überlieferung des Dragmaticon zu zahlreichen Variationen in der Ausstattung eines Diagramms mit In- und Beischriften, in seiner farbigen Gestaltung sowie der Diagrammform selbst. Möglich war dies insbesondere durch das wiederholte Desinteresse des Texts an der Entstehung des Diagramms außerhalb des fingierten Gesprächskontexts. Nur dort, wo er vor den Augen des Fürsten mit dem Diagramm argumentierte, stattete Wilhelm seinen Text mit Zeichenanweisungen aus. An den meisten Stellen jedoch lieferte er lediglich authentisierende Formulierungen, die jedes auf der Buchseite erscheinende Diagramm das richtige sein ließen. Darüber hinaus verwandte er fast ausschließlich tradierte Diagrammformen, sodass die Variabilität bei mangelnder Textverbindlichkeit auch mit dem Rückgriff der Federführenden auf andere Vorlagen erklärt werden kann. Zwei neue Diagramme scheint Wilhelm dort eingeführt zu haben, wo er für die Kugelgestalt der Erde argumentierte. Auffällig ist dabei zum einen, dass er nicht mit den Regeln der geometrischen Figur ›Kreis‹ argumentierte, sondern mit der Sonnenbewegung. Wie sämtliche Diagramme des Dragmaticon geben dementsprechend auch diese beiden Diagramme keine geometrisch definierten Größen wieder. Anders als im Timaeus-Kommentar wird die Welt im Dragma248 Gerade in der aufwendigen Gestaltung der Diagramme als dezidiert visuelle Inhaltsträger zeigt sich, dass das Dragmaticon aufgrund seines naturphilosophischen Gehalts wertgeschätzt und abgeschrieben wurde. Damit ist besser verständlich, warum in Pontigny in dem einzigen Codex naturwissenschaftlichen Inhalts ausgerechnet ein Werk Wilhelms von Conches zu finden war, schließlich (a) war Wilhelm wenige Jahrzehnte zuvor unter Häresieverdacht geraten und hatte auch Pontingy das Denken Abaelards und Gilberts von Pontigny verurteilt sowie (b) war das Dragmaticon auch für den Sohn Gottfrieds von Plantagenet, Heinrich II. von England, geschrieben, den Widersacher Thomas Beckets, welcher wiederum in den Äbten von Pontigny, Guichard (1137–1165) und Garin (1165–1174), entschiedene Fürsprecher hatte. Pecafort-Huin 2001, S. 15 u. 25–27.
Zusammenfassung
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ticon nicht als mathematische Ordnung visualisiert. Zum anderen fand Wilhelm an dieser Stelle neue Diagrammformen für ein schon lange gelöstes Problem, denn die Kugelform der Erde war unstrittig. Was die Frage betrifft, für welche Denkformen und Theorien Wilhelm das Diagramm nutzte, so ist einerseits festzuhalten, dass sich die rationale Ausrichtung seines naturphilosophischen Denkens auf visueller Ebene in der Nutzung des Diagramms als Argumentationsfigur zeigt, wofür der Timaeus-Kommentar des Calcidius ein Vorbild war. Andererseits jedoch wurde das Diagramm nicht zum Träger neuartiger Theorien. Das Dragmaticon kann insgesamt als ein Werk betrachtet werden, in dem das seit der Spätantike im lateinischen Mittelalter etablierte Formen- und Gebrauchsspektrum des kosmologischen und astronomischen Diagramms kulminierte.
4 Formen des Anfangs. Das Sphärendiagramm zu Beginn von Robert Grossetestes De spera
4.1 Einführung Die kurze Abhandlung De spera Robert Grossetestes (ca. 1168–1253) liefert nicht nur eine Beschreibung der Kreise, Achsen und Punkte des Himmelsglobus, sondern erörtert auch die Bewegungen der Fix- und der Wandelsterne sowie verschiedene Phänomene, die diese Bewegungen verursachen.1 Sie entstand vermutlich bald nach 1215 und zählt damit zu den frühen Schriften des englischen Theologen, der eine Vielzahl von Werken über Natur und Naturphilosophie verfasste. Ob die Spera als Abhandlung für den Astronomieunterricht an der Universität Oxford entstand, kann – auch aufgrund der wenigen gesicherten Daten aus Grossetestes Biografie – nicht mit absoluter Sicherheit gesagt werden.2 Als bedeutender Denker des 13. Jahrhunderts tritt Grosseteste insbesondere durch seine Lichtmetaphysik hervor, welche jedoch in der Spera, in der die Weltwerdung nicht thematisiert wird, noch keine Erwähnung fand.3 Während aus den Werken, die ab den späten 1220er-Jahren entstanden, eine zunehmend intensive Auseinandersetzung mit den aristotelischen Schriften spricht, und zwar zunächst mit den naturphilosophischen und den wissenschaftstheoretischen, ist 1 Im Folgenden zitiert nach der Edition von Cecilia Panti: Robert Grosseteste, De spera, hg. Panti 2001. Die Edition von Ludwig Baur aus dem Jahr 1912 verunklärt den Text stellenweise. Für eine detaillierte Darlegung des Inhalts der Spera vgl. Panti 2001, S. 88–122. 2 Grosseteste nahm vermutlich in den Anfangsjahren der 1214 gegründeten Universität zu Oxford dort das Amt des Kanzlers ein und wurde im Jahr 1235 Bischof von Lincoln. Die übrigen Daten seiner Biografie sind umstritten. Dazu Panti 2001, S. 3–38; McEvoy 2000, S. 19–30; Southern 21992. Einen Überblick über die naturwissenschaftlichen und -philosophischen Schriften liefert McEvoy 1983, S. 614–655. Zur Datierung der Spera ebd., S. 618. Zu dieser Abhandlung schreibt Pedersen 1981, S. 113: »[…] [The Tractatus de sphaera] without doubt reflects the teaching of astronomy in the first half of the thirteenth century in the University of Oxford.« Bei Eastwood 1988, S. 236, heißt es (zu der Studie von Robert W. Southern von 1986): »The description of Grosseteste’s De sphaera as a brief outline for beginners is incorrect. No medieval text attempting to explain trepidation theory [vgl. unten Anm. 5] can be called a primer.« 3 Grundlegend ist dafür die vor 1228 verfasste Schrift: Robert Grosseteste, De luce seu de inchoatione formarum, hg. Baur 1912, S. 51–59. Dazu McEvoy 2000, S. 87–95; Speer 1998; ders. 1994, S. 51–76; McEvoy 1987, S. 97–110; ders. 1983, S. 648–654.
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Das Sphärendiagramm von Robert Grosseteste
der Spera lediglich Grossetestes Kenntnis von De caelo zu entnehmen.4 Bemerkenswert erscheint aus wissenschaftshistorischer Sicht, dass Grosseteste in der Spera das Problem der variablen Präzession der Äquinoktien diskutierte, d. h. der Richtungsänderungen in der Verschiebung der Punkte der Tag-und-NachtGleiche auf der Ekliptik, indem er die Theorie aus dem Almagest der Erklärung des arabischen Astronomen Thabit (Thābit ibn Qurra, 836–901) gegenüberstellte. Thabits Abhandlung zu dieser Problematik lag dank der Übersetzung Gerhards von Cremona (ca. 1114–1187) unter dem Titel De motu octaue spere (auch: De motu accessionis et recessionis) auf Latein vor.5 Grosseteste entlehnte diesem Text jedoch mehr als nur die Erklärungen bestimmter Phänomene. Wiederholt stellte Grosseteste seinen Erläuterungen in der Spera die Aufforderung »stellen wir uns vor« (imaginemur) voran, mit der er auf eine bildliche Vorstellung des beschriebenen Gegenstands – z. B. des Verlaufs der Koluren, des Äquators, der Ekliptik oder der Klimazonen – seitens des Lesers zielte.6 Diese Formulierung war nicht nur dem Vokabular der lateinischen Traktatliteratur zu Astronomie und Kosmologie aus der Zeit vor dem 13. Jahrhundert fremd, sondern auch um 1215 durchaus ungewöhnlich. So verwandte sie Johannes de Sacrobosco in seinem gleichnamigen Traktat nur an einer Stelle.7 Der Wissenschaftshistoriker Robert W. Southern sah in dieser unüblichen Aufforderung zur Visualisierung eines von mehreren Indizien dafür, dass Grosseteste eine ganz 4 Zu den Quellen der Spera Panti 2001, S. 67 ff., sowie McEvoy 1983, S. 617 f. Grossetestes Commentarius in Libros analyticorum posteriorum entstand McEvoy zufolge erst in den Jahren 1225–1230, der Commentarius in viii Libros physicorum in der Zeit 1228–1232. Ebd., S. 636–643. 5 Robert Grosseteste, De spera, hg. Panti 2001, S. 311,420 ff. Dort heißt es (S. 312,429 f.): Thebit vero, qui operatus est super operationes Ptolomei, invenit per certa experimenta motum stellarum fixarum esse alium. Vgl. auch Thabit/Gerhard von Cremona, De motu octaue spere, hg. Carmody 1960, S. 109–113. Diese Abhandlung ist nur auf Latein, nicht auf Arabisch überliefert. Vgl. auch Thabit, De motu octaue spere, übers. Neugebauer 1962, S. 291–299. Es gibt einen materiellen Beleg dafür, dass sich Grosseteste im Besitz von Thabits Traktat befand. In der Sammelhandschrift Savile 21 der Bodleian Library in Oxford, die u. a. von Grossetestes Hand geschriebene Texte und Tafeln enthält, findet sich Thabits Traktat auf fols. 153v–55v; hier stammt die Rubrik Tractatus patris Ascii Tebit filii Chore in motu accessionis et processionis von Grossetestes Hand. Thomson 1940, S. 30–33, sowie, etwas zögerlicher in der Zuschreibung, Hunt 1955, S. 128 u. 133 f. Für eine Beschreibung der Handschrift Madan/Craster/Denholm-Young 1937, Nr. 6567, S. 1106 f. Nach Ansicht Pierre Duhems war die Spera Grossetestes die erste lateinische Abhandlung, die das Problem der Präzession thematisierte. Sie überbiete zumindest in diesem Punkt die gleichnamige Abhandlung Johannes de Sacroboscos. Duhem 1915, S. 279 f. Vgl. auch Panti 2001, S. 75 ff. Für eine prägnante Erläuterung des astronomischen Phänomens (aus moderner Sicht) Zimmermann/Weigert 81995, S. 316 f. 6 Robert Grosseteste, De spera, hg. Panti 2001, S. 293,82–84; 294,87 f.; 296,122–126 u. 132 f.; 310,393: Distinctiones igitur horum [spatii] climatum sic possunt ymaginari. 7 Imaginetur/Imaginemur autem circulus/circulum quidam in superficie terre directe suppositus/suppositum equinoctiali. Johannes de Sacrobosco, De spera 3, hg. Thorndike 1949, S. 110. An anderer Stelle heißt es: In secundo [capitulo] de circulis ex quibus hec spera materialis componitur et illa supercelestis, que per istam imaginatur, componi intelligitur. Ebd. 1, S. 76.
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eigene, ›fortschrittliche‹ Auffassung von dem Erwerb von Erkenntnissen über die Natur gehabt habe. Grosseteste bringe zum Ausdruck, dass das Wissen über die Welt zwar einerseits auf den Lehrmeinungen beruhe, diese aber andererseits durch insbesondere die visuelle Erfahrung nicht nur bestätigt, sondern auch ergänzt und korrigiert werden können.8 Noch bevor man jedoch das imaginemur als Grossetestes eigene Formulierung verstehen könnte, legt bereits das Incipit einer seiner Quellen, nämlich Thabits De motu octaue spere, nahe, dass Grosseteste hier einem Vorbild gefolgt zu sein scheint: »Ich werde mir die Sphäre des Äquators vorstellen […].« (Imaginabor speram equatoris diei […].)9 In Gerhards von Cremona Übersetzung von Thabits Traktat zielt eine derartige Formulierung wiederholt auf eine mentale Visualisierung bestimmter Kreise des astronomischen Himmels, ihrer Lage zueinander und ihrer Bewegung samt der sich daraus ergebenden veränderten Positionen.10 Das komplexe Gebilde wird zunächst beschrieben, ohne dabei an einem im Text vorhandenen Diagramm anschaulich gemacht zu werden. Erst im zweiten Teil des Texts entwirft Thabit ein mit Buchstaben beschriftetes Diagramm, in dem das zuvor erläuterte Gefüge ersichtlich werden soll. Auch auf begrifflicher Ebene wird deutlich, dass es sich bei dem Sich-Vorstellen des himmlischen Raumgefüges und seiner Bewegung einerseits sowie dem Übertragen dieses Gefüges in eine zweidimensionale visuelle Figur andererseits um zwei voneinander verschiedene Modi der Visualisierung handelt. Dort, wo das Diagramm entsteht, ist nicht mehr von »sich vorstellen« (imaginari), sondern »zeichnen« (signare) die Rede: »Wir jedoch werden diese Be8 Southern 21992, hier S. 142–146, wo es auf S. 146 heißt: »There are sufficient indications in the De Sphera that Grosseteste was a man with a preference for clear visual experiences which confirmed, extended or corrected the general system of medieval doctrine.« Southern bezieht sich außerdem auf Stellen in der Spera wie: Experimento etiam scitur quod terra est rotunda. Si enim esset plana, cum visus recte procedat, visus omnium super superficiem terre existentium ad eundem locum in celo terminarentur. Sed notum est experimento quod illi qui sunt in terra Indie super Arim civitatem vident polum septemtrionalem, et ipse est finitor visus eorum. Et quanto homines magis recedunt ab illa civitate versus septemtrionem, tanto magis elevatur eis polus, et finitur visus eorum sub polo. Illud autem non posset accidere, nisi hac via terra esset rotunda. […] Quod autem celum sit sphericum patet per apparentiam nobis in visu. Robert Grosseteste, De spera, Panti 2001, S. 291,51–292,58 u. 292,66 f. Schon im spätantiken Timaeus-Kommentar des Calcidius jedoch wurde deutlich, dass die Argumentation für die Kugelform des Himmels und der Erde die visuelle Erfahrung des Menschen nutzte. Calcidius, Commentarius 59–61, hg. Waszink 1962, S. 106,17–109,2, u. Kap. 2, Anm. 159 u. 160, dieser Arbeit. Kritik an Southerns Sichtweise übte auch Eastwood 1988, S. 233–237, hier S. 236. Vgl. auch Alistair C. Crombies Position, dass sich in den Schriften Grossetestes die Wende zur neuzeitlichen experimentellen Naturwissenschaft vollziehe: Crombie 1971 [1953]. Dazu Speer 1998. 9 Thabit/Gerhard von Cremona, De motu octaue spere 1, hg. Carmody 1960, S. 102, sowie Thomson 1940, S. 31. Vgl. auch Panti 2001, S. 90 f. 10 Thabit/Gerhard von Cremona, De motu octaue spere 4, hg. Carmody 1960, S. 102: Postea imaginabor speram orbis signorum […]; ebd. 26, S. 104: Et imaginabor quod isti circuli sint signati in orbe signorum […]; ebd. 30, S. 105: Deinde imaginabor quasi caput Arietis iam sit reuolutum in circulo paruo […].
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wegung und ihre verschiedenen Positionen zeichnen entsprechend dem Segen Gottes. Ich werde also einen Kreis ab zeichnen, welcher der Horizont sein soll […].« (Nos autem signabimus hunc motum et situs eius diuersos secundum Dei benedictionem. Signabo igitur circulum .ab. qui sit circulus orizontis […].)11 Explizit wird, dass das Diagramm das Medium der Fixierung des zuvor vergegenwärtigten, sich in Bewegung befindenden und tatsächlich unsichtbaren Gegenstands ist.12 Eine derartige begriffliche Differenzierung zwischen der mentalen und der zeichnerischen Vergegenwärtigung erfolgt in Robert Grossetestes Spera nicht, wie gleich zu Beginn des Traktats deutlich wird. Im ersten Satz skizziert Grosseteste zunächst den Inhalt des Texts: »Unsere Absicht in dieser Abhandlung ist es, die Gestalt der machina mundana und die Lage und die Figuren der sie bildenden Körper und die Bewegungen der oberen Körper und die Figuren ihrer Kreise zu beschreiben.« (Intentio nostra in hoc tractatu est describere figuram machine mundane et situm et figuras corporum eam constituentium et motus corporum superiorum et figuras circulorum suorum.)13 Entsprechend dieser Absichtserklärung wendet er sich dann der Form der Welt zu, wobei er sich einer geometrischen Figur bedient, deren genauere Erläuterung dem Leser mit eben jener Aufforderung imaginemur nahegebracht wird: »Stellen wir uns wiederum vor, dass über dem Zentrum o der Halbkreis dfe gezeichnet wird.« (Ymaginemur iterum super .o. centrum .dfe. semicirculum describi.)14 Während Grosseteste – ähnlich wie der lateinische Thabit – im weiteren Verlauf seiner Erklärungen an die Vorstellungskraft seiner Leser appelliert, wenn es um die Visualisierung des durch Begriffe definierten astronomischen Himmels geht, überführt er das imaginemur nur an dieser Stelle in eine durch Buchstaben näher bestimmte geometrische Figur. Diese bestückt Grosseteste im Folgenden mit weiteren Elementen, ohne dabei jedoch auf ein seinen Worten tatsächlich beigefügtes Diagramm hinzuweisen. Letzteres wird damit nicht explizit als Teil der Abhandlung eingefordert und entsprechend wird dieser Textabschnitt in einigen Abschriften der Spera nicht von einem Diagramm begleitet. Bereits die frühen, einer Urschrift zeitlich am nächsten stehenden Kopien der Spera bilden gerade hinsichtlich ihrer Ausstattung mit Diagrammen eine heterogene Gruppe.15 Während in manchen 11 Thabit/Gerhard von Cremona, De motu octaue spere 23, hg. Carmody 1960, S. 104. 12 Das Diagramm wurde nicht allen Abschriften von De motu octaue spere beigefügt; es ist z. B. nicht Teil der Kopie in ›Grossetestes Handschrift‹ Bodleian, MS Savile 21 (vgl. Anm. 5). Es scheint in der Mehrzahl der Handschriften, in denen es vorhanden ist, seiner Herleitung im Text nachzufolgen. Zu Thabits Diagramm vgl. Neugebauer 1962, S. 290, sowie Carmody 1960, S. 88. 13 Robert Grosseteste, De spera, hg. Panti 2001, S. 289,2–4. Zur machina mundi Kap. 3, Anm. 76. 14 Robert Grosseteste, De spera, hg. Panti 2001, S. 289,12. 15 Cecilia Panti führt in ihrer Edition der Spera insgesamt 45 Handschriften auf, die aus dem 13. bis 15. Jh. datieren: Panti 2001, S. 211–213. Die folgende Aufstellung der frühen Hand-
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der noch aus dem 13. Jahrhundert datierenden Handschriften gänzlich auf visuelle Darstellungen verzichtet wurde, enthalten andere aus dieser Gruppe genau ein Diagramm, und zwar jenes, das der anfänglichen Vergegenwärtigung der sphärischen Form der Welt dient.16 Dieses eine und erste Diagramm in frühen Abschriften von Grossetestes Spera wird der zentrale Gegenstand der folgenden Untersuchung sein. Ihm kommt eine gesonderte Bedeutung zu, da es immer Teil des Textanfangs ist und bereits auf dem ersten Folio erscheint. Es soll zum einen deutlich werden, dass die unterschiedlich gestalteten Diagramme einerseits stets den gleichen Inhalt transportieren, dabei andererseits diesem Inhalt eigene Akzente verleihen. Die zentrale These jedoch lautet, dass das Diagramm auf diesem ersten Folio Teil eines größeren formalästhetischen Zusammenhangs ist, der über die Bedingtheit eines Verstehens der Welt Auskunft gibt. Das Diagramm generiert nicht nur innerhalb seiner eigenen Grenzen, sondern im Zusammenspiel mit Textschmuck und Schrift Bedeutung.
schriften ist ergänzt um Angaben aus: (a) Baur 1912, S. 60* f. u. 144*–153*; (b) die Auflistung von Thomson 1940, S. 116, sowie (c) die Eintragungen in der Datenbank »Jordanus: Internationaler Katalog naturwissenschaftlicher Handschriften des Mittelalters« (URL: ) (11. 11. 2007). Die Handschriften, die ich nicht im Original sehen konnte, sind kursiv gedruckt. Die zeitliche Einteilung folgt erneut dem Schema Duttons (vgl. Kap. 2, Anm. 20): – 13. Jh. (bis 1275): zehn Abschriften: Cambridge, GCC, MS 137; Florenz, Riccardiana, MS 885 (England?); BL, MS Add. 27589 (England); BL, MS Egerton 843 [Jordanus: MS Add. 843]; BL, MS Harley 3735 (Frankreich, 1253–1293); BL, MS Harley 4350 (Frankreich) [Baur: MS Harley 1350]; Bodleian, MS Laud Misc. 644 (No. 1487) (Bayeux?); BnF, MS lat. 7413, ii (Frankreich); BAV, MS Urbin. lat. 1428 (Flandern? Italien?, 1266); Verdun, BM, MS 25 item 4 (England). – 13./14. Jh. (1275–1325): elf Abschriften: CUL, MS Ff. VI. 13 (England); Erfurt, MS Ampl. 4° 351 (England); Erfurt, MS Ampl. 4° 355 (England); London, Goldsmith College, MS cat. 21, no. 5 (Süddeutschland?); Lüneburg, Ratsbücherei, MS Misc. D 4° 46; New Haven, Yale Medical Library, MS 11; Bodleian, MS Digby 191 (fragm.); Oxford, CCC, MS 41; Oxford, Merton College, MS 35; BnF, MS lat. 7195 (England); BAV, MS Palat. lat. 1414 (Paris). 16 In den Handschriften Cambridge, GCC, MS 137; Florenz, Riccardiana, MS 885 (England?), u. BL, MS Egerton 843, kommt der Text ohne Diagramme aus. Ein Diagramm enthalten: BL, MS Add. 27589 (England), fol. 69r; BL, MS Harley 4350 (Frankreich), fol. 4r, u. Bodleian, MS Laud Misc. 644 (No. 1487) (Bayeux?), fol. 143r. Die Handschrift BL, MS Harley 3735 (Frankreich, 1253–1293), nimmt eine Sonderstellung ein, da sie weitere sechs Diagramme in den Text integriert: fols. 74r, 78v, 79v, 80r, 80v, 81v, 82r. Diese Diagramme sind als Nachzeichnungen in Baurs Edition zu finden. Die Edition von Panti enthält keine Hinweise auf Diagramme und auch keine Nachzeichnungen im Text. Für ihre ausführliche Inhaltsangabe entwirft Panti eigene Diagramme. Was die Frage nach Diagrammen in anderen Werken Grossetestes betrifft, so kann hier auf den Beitrag von František Šmahel zu »Diagrammen zur Illustration biblischer Gleichnisse in Form verschiedener ›Schilde‹« verwiesen werden. Dort geht es u. a. um das »Schild des Glaubens« (scutum fidei) in Grossetestes Dicta (1218?–1231). Šmahel 2003, hier S. 190 f.
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Das Sphärendiagramm von Robert Grosseteste
4.2 Das Diagramm 4.2.1 Das Diagramm a priori und das Diagramm als Textfigur Robert Grossetestes Spera ist in einer mathematischen Sammelhandschrift enthalten, die vermutlich in dem Zeitraum 1268 bis 1274 in Bayeux entstanden ist, sich heute im Besitz der Bodleian Library in Oxford befindet und Staunenswertes zu bieten hat (Farbabb. 20 u. Abb. 57, 58).17 Die Handschrift ist für einen Codex naturwissenschaftlichen Inhalts sehr aufwendig mit einem äußerst fein gezeichneten Fleuronné ausgestattet, einer Form des Textschmucks, die im 12. Jahrhundert noch zaghaft, doch schon Ende des 13. Jahrhunderts äußerst virtuos ihre Fäden auf dem Pergament spann.18 Die von dem linearen Ornament umspielte Initiale dient in der gesamten Sammelhandschrift aus Bayeux als Schmuck und Zeichen des Anfangs. Keines der Traktate jedoch beginnt so spektakulär wie Grossetestes Spera auf Folio 143r. Nur auf diesem Folio geht aus dem filigranen Beiwerk der zweifarbigen, ornamental gespaltenen Initiale zusätzlich ein Diagramm hervor. Es nimmt die Fläche über der Initiale ein, sodass letztere in der unteren Hälfte der Spalte nur mehr den Beginn des Texts markiert. Das Traktat selbst beginnt nicht erst mit den Worten Intentio nostra in hoc tractatu, sondern mit dem Diagramm samt seinem Schmuckwerk. Der Anfang besteht aus Formen. Diese Gestaltung des Traktatbeginns bleibt nicht nur innerhalb dieser Sammelhandschrift singulär, sondern ist auch im Vergleich mit anderen frühen Abschriften von Grossetestes Spera vollkommen außergewöhnlich. Durch die Initialstellung von Diagramm und Ornament kommt der Form eine exklusive Aufmerksamkeit zu, denn das Lesen des Texts ist der Betrachtung des Anfangs nachgeordnet. Es stellt sich daher die Frage, ob diese anfängliche, äußerst differenziert ausgebildete Formsprache anderen als nur ästhetischen Ansprüchen genügen wollte. Wenn im Folgenden versucht werden soll, den möglichen inhalt17 Bodleian, MS Laud Misc. 644 (No. 1487). Der Kalender (fols. 2r–7v) weist nach Bayeux; Datierung aufgrund von Markierungen in der Tabula Gerlandi (fol. 14r). Grossetestes Spera befindet sich auf fols. 143r–147v. Die Vorlage ist bisher nicht bekannt. Alle Texte stammen von einer Hand; auch der Textschmuck und die Diagramme – beides stets in den Farben Rot und Blau – sind von einer Hand. Saxl/Meier 1953, S. 386–393, wo allerdings nicht die zahlreichen Diagramme der Handschrift, sondern lediglich die figürlichen Zeichnungen zu den Sternbildern (fols. 8r–10v) Erwähnung finden; Coxe 1973 [1858–1865], Sp. 465–468; Pächt/ Alexander 1966, Nr. 529, S. 41; Baur 1912, S. 147* f. Über die genaue Herkunft der Handschrift ist nichts bekannt. Das Domkapitel zu Bayeux besaß schon im 13. Jh. eine Buchsammlung. Das erste, jedoch nicht erhaltene Inventar entstand 1369. Überliefert ist das Inventar aus dem Jahr 1436, in dem die Sammelhandschrift aber nicht verzeichnet ist. Das Inventar wurde veröffentlicht von Deslandes 1889, S. 272–287; vgl. auch Neveux 1996, S. 288 f., sowie Deslandes 1917, S. 591–598. 18 Vgl. Kap. 3, Anm. 41, sowie hier vor allem Fleuronné 1996, bes. Sp. 1113–1181.
Das Diagramm
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lichen Implikationen des Formenaufgebots auf die Spur zu kommen, wird die Beschreibung der Form das zentrale Verfahren bilden und damit der im Layout angelegten Rezeptionsvorgabe gefolgt. Diagramm, Ornament und Schrift Das halbkreisförmige Diagramm, das sich aus fünf präzise gezeichneten konzentrischen Bögen zusammensetzt, spannt sich über die gesamte Breite der Textspalte (Abb. 57). Als vertikale Achse dient ihm ein Fleuronné-Stab, eine geschmückte Vertikale neben dem linken Spaltenrand, deren stabilstes Element eine blaue Linie ist, die an ihrem unteren Ende ausschwenkt und in den oberen Balken der IInitiale übergeht. Sie wird auf der linken Seite von alternierend roten und blauen Sägeblattformen gesäumt, zwischen denen kleine rote Spiralen züngelnd hervorstoßen (Abb. 58). Das Zentrum des Diagramms jedoch liegt nicht auf dem Fleuronné-Stab, sondern es ist rechts davon mit einem kleinen Kreis eigens gekennzeichnet. Dadurch wird nicht nur die konzentrische Anlage der Figur schnell ersichtlich. Die Hervorhebung des Zentrums lässt das Diagramm zudem von der Schmuckachse abrücken. Es kann sich auf diese Weise als eigenständige Form innerhalb des Ganzen behaupten. Durch die einheitlich rot-blaue Farbgebung gehören Diagramm, Schmuckform und Initiale jedoch trotz der Distanzierung des Diagramms unweigerlich zusammen. Mit den Buchstaben, die das Zentrum und die Scheitelpunkte benennen, taucht neben dem Rot auch das deckende Blau im Diagramm auf, das für die Sägeblattformen sowie für die Initiale verwandt wurde. Ein hellerer Blauton wurde für das Fleuronné benutzt, das das gesamte Gebilde umfängt. Auch das Fleuronné gehorcht dem Wechsel der beiden Farben Rot und Blau. Für die Beschreibung des Fleuronné hat sich in der Kunstgeschichte ein Vokabular etabliert, das einerseits der gleichsam textilen wie vegetabilen Erscheinung des Ornaments Rechnung trägt.19 Man spricht von Knospen und Früchten, Büscheln und Ähren, die sich aus dem filigranen Liniengefüge herausbilden, und das Grundelement des Fleuronné, die Linie selbst, wird als Faden bezeichnet. Die Terminologie bemüht sich, das größtenteils abstrakt versponnene Ornament mithilfe einer bildlichen Sprache figürlich zu ordnen und beschreibbar zu machen. Der Rückgriff auf Gegenstände aus Flora und Textilarbeit impliziert jedoch andererseits auch die potenzielle Eigenmacht und sprachliche Unzugänglichkeit des Fleuronné, seiner Wucherungen und Verfilzungen. Auch das Fadenwerk, das sich auf fol. 143r um die Initiale legt und an den Enden der Schmuckachse auf die Seitenränder hinausrankt, entbehrt in seinen Verdichtungen jeder Gesetzmäßigkeit. Während Diagramm, Schmuckvertikale und Initiale aus der sorgfältig ausgeführten Wiederholung einer geometrischen 19 Fleuronné 1996, Sp. 1116–1120, sowie Jakobi-Mirwald 1997, S. 89–94. Zum französischen und englischen Vokabular Stirnemann 1990, S. 58–73, bzw. Scott-Fleming 1989.
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Figur – des Halbkreises –, einer Besatzform – des Sägeblatts – oder einer Musterfolge entstehen, bleibt die Ordnung des linearen Ornaments regellos. Dies wird insbesondere in dem Fleuronné-Streifen entlang der Initiale deutlich. Denn hier hätte die verbindliche Folge der gebogten, gezackten, getreppten und wiederum gezackten Aussparungen im Buchstabenkörper auch für das Fleuronné als Ordnungsvorgabe dienen können. Das blaue Fadenwerk entlang der Initiale jedoch wird von Perlenreihen sowie kleinen Perlenpyramiden und Spiralfädchen gesäumt, die keinem Rhythmus folgen. Auch die gleichmäßigen Abstände zwischen den in roter Tinte gezeichneten Früchten, die als schraffierte Kreise am auffälligsten aus dem blauen Fadenwerk hervortreten, werden nur im unteren Teil des Streifens eingehalten. Durch die Ausfaserung des Fleuronné in roten und blauen Fädchen einerseits sowie die Kontrastierung mit der repetitiven Ordnung der Initiale andererseits entsteht der Eindruck einer flimmernden Kontingenz. Den Charakter des Verspielten und Bewegten gewinnt das Filigranwerk vor allem auch durch sein Auswuchern auf die Ränder der Buchseite. Das rote Fadenwerk am Fuße der Initiale hält sich zunächst noch dicht am Buchstabenkörper, nimmt jedoch mühelos auch den unteren sowie den inneren Seitenrand ein. In drei Bündeln aus roten und blauen Fäden, die in eigenwilligen Spiralformen auslaufen oder sich in Punkte auflösen, greift das Fleuronné auf das Pergament aus. Ganz ähnlich, doch keineswegs identisch verhält sich das rote Filigranwerk am Kopf der Initiale. Komplementär zu dem Arm unterhalb der Textspalte durchschreiten die geschmückten Fäden die Spaltenbreite oberhalb des Textbeginns, sodass sich die ersten Zeilen des Traktats in den Fängen des Fleuronné befinden. Auf der anderen Seite nistet es sich dort, wo der blaue Endstrich der I-Initiale in die Vertikale umschwenkt, als Ornament aus Knospen, Perlen und Früchten ein. An Impulsivität werden die beschriebenen Liniengefüge schließlich von dem Fleuronné-Strauß übertroffen, der aus dem oberen Ende der vertikalen Schmuckachse emporschießt. Da die Achse sowie vor allem das Diagramm vom Fleuronné unbehelligt bleiben, scheint es, als ströme dieses durch die Vertikale und als ginge es eruptiv aus ihr hervor. In dem lichten Strichwerk zeigen sich nahezu alle Ausformungen, die das Fleuronné auf diesem Blatt kennzeichnen. Rote Fäden streben in die Höhe und zu den Seiten, wobei sie auf der kleinen Fläche jedoch nicht weit ausgreifen können und ihren Schwung in feine Endspiralen überführen. Das rote Filigranwerk, das selbst noch einige Perlenreihen ausbildet, wird von blauen Elementen durchsetzt und umspielt: Kernen, weiteren Perlenreihen, Früchten, Spiralen und Staubfäden. Wenige blaue und rote Ausläufer schießen auf den oberen Seitenrand, sodass das Diagramm ähnlich wie der untere Textblock von einer oberen und unteren Rankenformation eingefasst wird. Von diesem Formenaufgebot zu Beginn des Traktats unterscheidet sich die Schrift des Texts durch ihren gleichmäßigen Duktus, ihr stetiges Ausmessen der Zeilen und ihren dunkelbraunen Farbton. Sie bildet die zweite formalästhetische Einheit auf diesem Folio und bleibt, abgesehen von einem roten Paragrafenzei-
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chen gegen Ende der rechten Spalte, von den Farben und Auswüchsen des Anfangs ungestört. In den geschriebenen Worten wird die Stimme Robert Grossetestes gegenwärtig, der zunächst die Kugelgestalt der Welt erläutert. Visualisierung der Sphäre Ausgangspunkt von Grossetestes Erläuterungen ist die allgemeingültige Auffassung, dass die Welt kugelförmig sei. Bevor der Autor die Richtigkeit dieser Feststellung mit dem Verweis auf bestimmte astronomische Phänomene untermauert, geht es ihm zunächst um eine Bestimmung dieser spezifischen Form.20 Die Argumentation verlässt dafür die Sinnenwelt und begibt sich in den abstrakten Bereich der Geometrie. Mit Euklid (um 300 v. Chr.), dessen »Elemente« (Elementa) erst im 12. Jahrhundert ins Lateinische übersetzt worden waren, aber bereits im 13. Jahrhundert einen festen Bestandteil des akademischen Lehrplans bildeten, definiert Grosseteste die Sphäre als dreidimensionale Figur, welche von einem Halbkreis beschrieben wird, der um seinen feststehenden Durchmesser eine axiale Drehung vollzieht, bis er seine Ausgangsposition wieder eingenommen hat.21 Im Folgenden zielt Grosseteste auf eine Visualisierung des so definierten dreidimensionalen Körpers, wobei er allerdings auf das auf dem Folio vorhandene Diagramm nicht explizit Bezug nimmt. Seinen Worten nach gewinnt das Diagramm seine Gestalt allein durch die Sprache, ohne ein materialgebundenes Zeichnen, Malen oder Schreiben. Im Text wird die Definition der Sphäre am Beispiel eines mit den Buchstaben abc bezeichneten Halbkreises nochmals aufgenommen, wobei jedoch dieser Halbkreis nicht erst eigens beschrieben, sondern sogleich in die Bewegung überführt wird: »Wenn also der Halbkreis acb über den feststehenden Durchmesser ab herumgeführt wird […].« (Si igitur semicirculus .acb. circumvolvatur super .ab. diametrum fixam […].)22 Entsprechend ist das auf dem Folio zu sehen20 Quia igitur huius mundi machina spherica est, dicendum est in primis quid sit sphera. Robert Grosseteste, De spera, hg. Panti 2001, S. 289,4 f. Zur machina mundi Kap. 3, Anm. 76. 21 Est autem sphera transitus semicirculi diametro eius fixa quousque ad locum suum unde incepit redeat. Robert Grosseteste, De spera, hg. Panti 2001, S. 289,6 f. Im 12. Jh. wurden Euklids Elementa sowohl aus dem Griechischen als auch aus dem Arabischen übersetzt. Zu der anonymen Übersetzung, die um 1160 auf Sizilien entstand, Busard 1987. Eine Übersicht über die Übersetzungen aus dem Arabischen von Adelard von Bath, Hermann von Kärnten, Gerhard von Cremona und Campanus von Novara liefert Busard 1984, S. ix–xii. Die am weitesten verbreitete und am häufigsten genutzte Übersetzung war die sog. Adelard II-Version, die Hubert L. Busard und Menso Folkerts jedoch Robert von Chester (aktiv 1140–1150) zugeschrieben haben. Auch Grosseteste scheint diese Übersetzung verwandt zu haben, denn seine knappe Definition der Sphäre ist ihrem Wortlaut am nächsten: Spera est transitus arcus circumferencie dimidii circuli, quociens sumpto semicirculo lineaque diametri fixa, donec ad locum suum redeat, arcus ipse circumducitur. Euklid/Robert von Chester(?), Elementa 11, Def. 8, hg. Busard/Folkerts 1992, S. 265,21. Zu Euklids Aufnahme in den Kanon der Prüfungsliteratur an den Universitäten Lafleur/Carrier 1997, bes. S. 530 (Oxford) u. 536 (Paris). 22 Robert Grosseteste, De spera, hg. Panti 2001, S. 289,7 f.
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de Diagramm mit diesen Buchstaben beschriftet. Es zeigt mit dem Halbkreis und seinem Durchmesser die für die Definition relevanten geometrischen Größen, nicht aber die aus der beschriebenen Drehung resultierende dreidimensionale Kugelgestalt. Das Diagramm ist ein visuelles Gerüst der Definition und als solches nicht Bild einer Kugel, sondern Hilfsmittel für das bildhafte Denken, das eine Kugel entwirft. Denn die vollständige Figur entsteht nur in der Vorstellung, und zwar durch die folgende Anleitung des Texts. Der Halbkreis acb soll sich demnach um seine Achse drehen, sodass ein Körper entsteht, der den mit dem Buchstaben o bezeichneten Punkt zum Zentrum hat, welches von allen Punkten der Peripherie gleich weit entfernt sei. Ein derart beschaffener Körper, so heißt es im Text, ist die gesamte Welt.23 Die Definitionsmacht der Geometrie über die Gestalt der Welt erfährt auch im Folgenden keine Abschwächung, wenn die Figur der Sphäre von kosmischen Entitäten infiltriert wird. Nun wird der Leser mit jener Formulierung imaginemur aufgefordert, den ersten von insgesamt vier, ebenfalls mit Buchstaben bezeichneten Halbkreisen, die in dem Diagramm bereits allesamt zu sehen sind, in das Grundgerüst einzufügen.24 Weitere Elemente enthält das Diagramm in der Abschrift aus Bayeux nicht. Es bleibt abstrakt-geometrisch und vermittelt, dass sich sämtliche Unterteilungen des Weltraums dem Prinzip des Sphärischen fügen. Im Unterschied zum Text gibt es keine Auskunft über die stoffliche Auffüllung der kosmischen Sphären mit den vier Elementen sowie dem Äther. Das Diagramm als Textfigur Anders verhält es sich in dem gleichen Diagramm in einer zweiten frühen, französischen Abschrift der Spera, die aus dem Zeitraum 1253 bis 1293 datiert und sich heute im Besitz der British Library in London befindet (Farbabb. 21).25 In den Kreisbahnen dieses Diagramms, das horizontal ausgerichtet ist und in das untere Viertel der Textspalten hineinragt, weisen Inschriften jede Fläche zwischen zwei Kreislinien als Sphäre eines Elements bzw. Himmelskörpers aus. Auf diese Weise wird das Diagramm ganz offensichtlich zu einer visuellen Abbreviatur des Kosmos. Es gibt seinen Inhalt ohne die Füllvorgaben des Texts preis und bündelt an dieser Stelle zudem mehr Informationen als dieser. Grosseteste schreibt, dass die inneren Sphären von der Erde, dem Wasser, der Luft und dem Feuer ausge23 Si igitur semicirculus .acb. circumvolvatur super .ab. diametrum fixam, manifestum est quod motu suo describet corpus a cuius medio, scilicet .o., omnes linee exeuntes ad eius circumferentiam sunt equales. Et erit, corpus illud, cuiusmodi corpus dicimus esse spheram. Tale autem corpus est tota mundi machina. Ebd., S. 289,7–11. Vgl. Euklid/Robert von Chester(?), Elementa 1, Def. 15 f., hg. Busard/Folkerts 1992, S. 114,23–29. Zur machina mundi Kap. 3, Anm. 76. 24 Vgl. Anm. 14 sowie Robert Grosseteste, De spera, hg. Panti 2001, S. 290. 25 BL, MS Harley 3735, fols. 74r–82v, hier fol. 74r. Nares 1808, S. 56; Baur 1912, S. 147*. Zu dieser Handschrift auch Anm. 16.
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füllt seien. Auf das Feuer folge die Sphäre des fünften Elements, des Äthers. Die horizontale Inschrift quinta escencia über der Basis verweist im Diagramm auf die himmlische Substanz, welche nach der aristotelischen Kosmologie die sieben Planeten und die Sterne birgt. Das Diagramm liefert in den Kreisbahnen jedoch auch die Namen der einzelnen Planeten sowie deren Ordnung. Auf die Umlaufbahn des äußeren Planeten Saturn folgt der Fixsternhimmel (celum stellarum), welcher im Unterschied zu allen anderen Sphären dank des Sternennetzes sichtbar ist, worauf die kurzen Federstriche in der Kreisbahn verweisen. Die Bahnen der sieben Planeten und den Fixsternhimmel umschließt eine neunte, äußerste Sphäre mit der Inschrift primum mobile siue nona spera. Wie schon das fünfte Element ist auch dieser erste und bewegliche Himmel aus der Kosmologie des Aristoteles entlehnt. Mit seiner ewigen Rotationsbewegung bewirkt er sämtliche Prozesse, die sich im Kosmos vollziehen.26 Das Diagramm fällt durch seine Inschriften deutlich ausführlicher aus als von Grosseteste im Text vorgesehen. Der Buchmaler speiste Daten aus einem anderen, zeitgenössischen und gleichnamigen Traktat über den Kosmos ein, nämlich Johannes de Sacroboscos De spera (um 1230). Anders als Grosseteste verwies Sacrobosco im ersten Kapitel seiner Abhandlung ganz explizit auf eine figuratio, welche die Aufteilung der Weltkugel in neun Sphären zeigen sollte, nämlich in den ersten, bewegten Himmel, die Fixsternsphäre sowie die sieben Sphären der sieben Planeten.27 Sacroboscos Spera wurde überaus häufig kopiert und war schon im 13. Jahrhundert vielerorts verbreitet; auch in dieser Sammelhandschrift in London ist das Traktat enthalten.28 Ob es erst der Schreiber dieser Handschrift war, der das Diagramm zu Grossetestes Spera mit weiteren Inschriften ausstattete, oder ob schon seine Vorlage ein derartiges Diagramm enthielt, kann an dieser Stelle nicht entschieden werden. Ungeachtet dessen wird aber deutlich, dass die Absicht bestand, die Sphärenordnung möglichst vollständig zu zeigen und ein Verständnis des Diagramms auch ohne Textlektüre zu ermöglichen, dabei jedoch die Textzugehörigkeit des Diagramms nicht aufzugeben. Denn das Dia-
26 Zu Aristoteles’ Argumentation für einen ›unbewegten Beweger‹ als koexistentes Prinzip dieser ewigen Bewegung des ersten Himmels Craemer-Ruegenberg 1980, S. 117 ff. Zum mittelalterlichen Verständnis sowie zur astronomischen Bedeutung einer neunten Sphäre Grant 1996 [1994], S. 514–568 bzw. 315–320. 27 Secundum substantiam enim in speram nonam, que primus motus sive primum mobile dicitur, et in speram stellarum fixarum, que firmamentum nuncupatur, et in septem speras septem planetarum, quarum quedam sunt maiores, quedam minores, secundum quod plus accedunt vel recedunt a firmamento. Unde inter illas spera Saturni maxima est, spera vero lune minima, prout in presenti figuratione continetur. Johannes de Sacrobosco, De spera 1, hg. Thorndike 1949, S. 77. Zum Vergleich zwischen Sacroboscos und Grossetestes Spera ebd., S. 10–14, sowie Panti 2001, S. 69 ff. Sacroboscos Spera ist Gegenstand des 5. Kapitels dieser Arbeit. Siehe hier Farbabb. 23 u. Abb. 60. 28 BL, MS Harley 3735 (Frankreich, 1253–1293), fols. 17r–27r.
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gramm zu Grossetestes Spera ist auch in dieser Handschrift nicht mit demjenigen in Sacroboscos Text identisch.29 Zwei rote Linien grenzen das Diagramm zu Beginn von Grossetestes Spera von dem dicht heranrückenden Text ab. Der zweifache Abschluss verschafft der visuellen Figur nicht nur eine größere Stabilität, sondern bringt zudem die Grundform noch deutlicher zur Geltung. Der doppelte Halbkreis markiert das Außen, die Grenze der Welt, und umfasst ihr innerstes Element, die Erde. Das Diagramm vermittelt die Vorstellung eines uniformen und geschlossenen Kosmos, wobei jedoch der Raum bzw. die Fläche außerhalb dieses Körpers nicht einfach leer bleibt. Abgesehen von den roten Buchstaben an den Scheitelpunkten der vier innersten Kreislinien sind die Buchstaben, derer sich der Text zum Beschreiben der visuellen Form bedient, unterhalb der Horizontalen und entlang des äußeren Halbkreises notiert. Die schriftlichen Beigaben zum Liniengefüge, mit deren Hilfe einerseits die geometrisch-abstrakte Figur hergeleitet werden kann und die andererseits aus dieser abstrakten Figur ein Diagramm zu Gestalt und Ordnung des Kosmos machen, werden somit auch über ihre Unterbringung im Außen oder Innen der Figur voneinander unterschieden. Auf differenzierende Weise gelingt es dem Diagramm, die geometrische Abstraktion einerseits und die Einspeisung kosmologischen Wissens andererseits als die beiden Denkbewegungen bei der Beschreibung des Kosmos aufzuzeigen, die im Text dargelegt werden. In der Handschrift in London ist das Diagramm auch in formaler Hinsicht eng mit dem Text verbunden. Zum einen sind es seine Platzierung in den Textspalten und das integrative Zurückweichen der Textzeilen, die das Diagramm als Bestandteil des Textkorpus erscheinen lassen. Darüber hinaus stellen insbesondere die braunen Inschriften eine starke visuelle Bindung zur Schrift des Texts her. Von derselben Hand in der gleichen braunen Tinte geschrieben, vermitteln sie den Eindruck, dass Inhalte des auf diesem Folio geschriebenen Texts Eingang in das Diagramm gefunden haben. Letzteres ist auf diesem Blatt deshalb nicht nur eindeutig als kosmologische Wissensfigur, sondern auch als Textfigur zu erkennen. Priorität der geometrischen Form Ganz anders hingegen ist das Verhältnis zwischen geschriebenem Text und Diagramm auf dem ersten Folio des Traktats in der Handschrift aus Bayeux (Farbabb. 20). Inschriften tauchen in dem Diagramm nicht auf und auch die blauen Buchstaben tragen nicht dazu bei, eine visuelle Bindung an den Text herzustellen.30 Das Diagramm ist ganz eindeutig Teil des anfänglichen Schmuckwerks, 29 Letzteres befindet sich auf fol. 17r. In Sacroboscos Spera ist das erste Diagramm stets vollkreis-, nie halbkreisförmig. 30 Auch das Diagramm der Abschrift BL, MS Add. 27589 (England, 13. Jh.), fol. 69r, ist allein mit Buchstaben beschriftet. Es befindet sich, anders als dasjenige aus Bayeux, auf dem unteren Rand der ersten Seite.
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nicht des Texts. Letzterer nimmt an der Leichtigkeit des Fleuronné, von dem auch die roten Kreislinien des Diagramms profitieren, keinen Anteil. Die Schriftzüge sind monoton und bewegen sich innerhalb klar gezogener Grenzen. Im Kontrast zu den spielerischen Zierformen, die aus sich selbst heraus zu sprießen scheinen, ist der Schrift die Disziplin, die das Aufschreiben erforderte, ablesbar. Über die formalästhetische Scheidung von Diagramm und Text sowie vor allem die Gestaltung des Anfangs, d. h. die Initialstellung von Diagramm und Ornament, entsteht auf diesem Folio ganz offenkundig der Eindruck, dass die Rede über die Sphäre die Erörterung einer Form ist, welche nicht erst aus dem Sprechen über sie Gestalt gewinnt. Während es in der Londoner Handschrift dem Text vorbehalten ist, das Traktat zu beginnen und zum Diagramm hinzuführen, geht das Diagramm auf dieser Seite dem Text voraus, ohne an ihn gebunden zu sein. Auf diese Weise scheint die vom Diagramm dargestellte Form sowohl im zeitlichen Sinn bereits vor sowie räumlich gesehen außerhalb und unabhängig von der im Text geleisteten Welterschließung zu bestehen. Der Leser, der die Welt begreifen will, wendet sich zunächst dieser Form zu. Letztere ist abstraktgeometrisch und nicht als Zeichen für den Kosmos zu erkennen. Deutlich wird, dass das Verstehen der Welt zunächst das Absehen von ihrer sinnenfälligen Erscheinung und die Hinwendung zu einem Gebilde der Geometrie erfordert. In dieser Konstellation von Diagramm und Text wird eine Priorität des mathematisch definierten Körpers aufgerufen, die, wie hier bereits erläutert, in Handschriften mit Calcidius’ Timaeus-Kommentar auf ähnliche Weise zur Anschauung gebracht wurde.31 Der Kommentar beginnt mit einer Erläuterung der mathematischen Prinzipien, denen der Weltbildner der Erzählung des Timaeus zufolge die chaotische Urmasse notwendig zu unterwerfen hatte, wollte er aus der ungeordneten Materie einen dreidimensionalen Weltkörper erschaffen. Die platonische Vorstellung vom unabhängigen und nicht-physikalischen Sein der mathematischen Objekte und von ihrer Vorbildfunktion für die Sinnenwelt hatte zur Folge, dass sich der göttliche Weltbildner – und in einer analogen Denkbewegung auch der Welterklärer am Beginn seines Kommentars – der Mathematik zuwandte. Dass das Verstehen der Welt das Verstehen eines mathematischen Gebildes ist, das unabhängig von diesem Denkprozess und nicht erst aus ihm heraus entsteht, wird in mittelalterlichen Abschriften des Timaeus-Kommentars in der Anordnung von Diagramm und Text auch anschaulich gemacht. Denn der Text, der das mathematische Objekt schrittweise nachzuvollziehen versucht, ist dem Diagramm, das dieses Objekt bereits vollständig zeigt, nahezu stets nachgeordnet (Abb. 1–10).32 31 Vgl. Kap. 2.2.1. 32 Mir ist jedoch keine Calcidius-Kopie bekannt, in der diese ersten Diagramme Teil eines ornamentalen Beziehungsgefüges sind, das demjenigen zu Beginn von Grossetestes De spera auf fol. 143r in der Handschrift Laud Misc. 644 (No. 1487) der Bodleian Library ähnelt.
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Dass auch Robert Grosseteste die Kosmologie Platons kannte und in seiner frühen Abhandlung De spera rezipierte, zeigt sich darin vor allem dort, wo er die Weltseele (anima mundi) als Ursache für die Bewegung des Himmels anführt.33 Anders als bei Aristoteles, der die Bewegung der Welt auf einen außernatürlichen unbewegten Beweger zurückführt, ist es bei Platon die Weltseele, die das Kreisen des Himmels bewirkt. Grosseteste verknüpfte die Weltseele mit einzelnen Elementen der ptolemäischen Astronomie und aristotelischen Kosmologie.34 Bei der Betrachtung der Diagramme in den beiden hier bisher gezeigten Abschriften fällt hingegen auf, dass im Diagramm bzw. durch die Anfangsgestaltung des Traktats nur ein kosmologisches Konzept zur Darstellung kommt. Während der Text inhaltlich gesehen aus Elementen verschiedener Welterklärungen zusammengesetzt ist, zeigt das Diagramm in der Handschrift in London keinen derart hybriden Kosmos, sondern eine aristotelische Ordnung. Es integriert nicht die im Text erwähnte anima mundi, sondern das primum mobile, welches, ebenso wie die quinta essentia, der aristotelischen Weltordnung zugehörig ist. In der Handschrift aus Bayeux hingegen scheint es, als habe sich der Gestalter von Textschmuck und Diagramm für die formalästhetische Umsetzung gerade des platonischen Paradigmas entschieden. In der Anordnung von Diagramm und Text auf 33 Super hos duos polos, ut diximus, circumvolvitur celum cum omnibus stellis et planetis, que sunt in eo motu equali et uniformi per diem et noctem semel, cuius motus causa efficiens est anima mundi. Robert Grosseteste, De spera, hg. Panti 2001, S. 293,78–81. Dazu McEvoy 1983, S. 617: »Grosseteste is still far from being the complete Aristotelian scholar […] for he states his view that the motion of the entire heavens, with all their stars and planets, is caused efficiently by that very non-Aristotelian agent, the World-Soul.« Vgl. auch ders. 1982, S. 373–378. Zur Weltseele auch Kap. 2.2.2 dieser Arbeit. Nach dem Inventar von 1436 besaß auch die Bibliothek des Domkapitels in Bayeux eine Handschrift mit dem Timaeus-Kommentar des Calcidius. Delandes 1889, Nr. 162, S. 285. 34 Im Zusammenhang mit seiner Lichtkosmogonie (vgl. Anm. 3) räumte Grosseteste in seinen späteren Schriften der Geometrie eine entscheidende Bedeutung für die Naturphilosophie ein. Er verstand die Entstehung der körperlichen Welt aus einer anfänglichen Lichtquelle als einen streng geometrisch zu bestimmenden Vorgang und vertrat die Ansicht, dass sämtliche Abläufe in der Körperwelt den Regeln der Geometrie unterliegen. Diese Vorstellung wird insbesondere zu Beginn seiner Abhandlung De lineis angulis et figuris seu de fractionibus et reflexionibus radiorum/De natura locorum (nach 1230) deutlich, welche ebenfalls in der Handschrift aus Bayeux auf fols. 207v–210r (keine Diagramme) enthalten ist: Utilitas considerationis linearum, angulorum et figurarum est maxima, quoniam impossibile est sciri naturalem philosophiam sine illis. […] Omnes enim causae effectuum naturalium habent dari per lineas, angulos et figuras. Aliter enim impossibile est sciri propter quid in illis. Robert Grosseteste, De lineis, hg. Baur 1912, S. 59–65, hier 59,1–60,1 u. 60,14–16. Vgl. McEvoy 1983, S. 631–635. Das propter quid macht deutlich, dass Grosseteste hier im Rahmen der aristotelischen Wissenschaftstheorie argumentierte: »What Grosseteste has in mind is clearly an application of mathematics within the Aristotelian scientific method aiming at demonstratio propter quid, that is, true deduction of natural effects from their causes […].« McEvoy 1983, S. 632. Die schwierige Frage, ob aber in der Vorstellung von der geometrisch determinierten Weltwerdung letztlich eine platonisch geprägte, aprioristische Auffassung der Mathematik zum Ausdruck kommt, kann hier nicht beantwortet werden. Vgl. z. B. Speer 1998 sowie McEvoy 1982, S. 167–222.
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dem Folio sowie ihrer farblichen Unterscheidung käme dann zur Anschauung, dass das Weltverstehen mit einer ausgelagerten abstrakten Figur beginnt, die vor jeder Äußerung schon existiert und, das zeigen die Buchstaben im Diagramm an, zum Gegenstand der im Text wiedergegebenen Überlegungen wird.35 Am Anfang von Grossetestes Spera steht in der Handschrift aus Bayeux jedoch mehr als nur das Diagramm. Letzteres zeigt sich in formaler Hinsicht nicht als Verbündeter der Verstandesarbeit des Texts, sondern als Teil eines kapriziösen Schmuckwerks. Jenseits des Diagramms, das den Weltkörper abzirkelt, erobert das Fleuronné das Pergament. Das eigenwillige, rankende Ornament als Zeichen für die chaotische Urmasse zu deuten, aus der Platon den Kosmos in den Händen des Weltbildners entstehen lässt, wäre nicht nur aufgrund des christlichen Dogmas einer Schöpfung aus dem Nichts problematisch. Weder im Bericht des Timaeus noch in der biblischen Erzählung ist zudem eine wuchernde Restmasse außerhalb des Kosmos vorgesehen. Vielmehr ließe sich vermuten, dass in der antithetischen Formensprache zu Beginn des Traktats gerade die allein durch den christlichen Gott garantierte Perfektion des Kosmos sichtbar werden soll. In der durch Augustinus (354–430) neuplatonisch geprägten Schöpfungslehre gingen die Ideen, nach deren Vorbild die Sinnenwelt bei Platon entstanden war, in die Gedankenwelt Gottes ein. Die schöpferische Tat wurde nach biblischer Maßgabe zum Sprechakt und die Welt entstand durch das Wort.36 Mit dem Diagramm und der I-Initiale können sich auf diesem Folio gerade die beiden Zeichen gegen die Verfilzungen behaupten, die mathematisches Denken und Wortmächtigkeit repräsentieren und göttliches Schöpfungsvermögen thematisieren.37 In der filigranen Nicht-Ordnung zeigt sich dann das Chaos, das bei einer Abwendung Gottes von der Welt, einem Ablassen seines schöpferischen Wirkens droht.
4.2.2 Diagramm und Instrument. Ornamentierte Oberfläche und mimetisches Bild In einer dritten französischen Spera-Abschrift des 13. Jahrhunderts, die wiederum Teil einer Sammelhandschrift mathematischen Inhalts ist, welche sich ebenfalls im Besitz der British Library befindet, ist das Ornament in das Sphä35 Schreiber und Buchmaler dieser Handschrift bleiben anonym; auch über Skriptorien und Geistesleben in Bayeux in der zweiten Hälfte des 13. Jh.s ist nichts bekannt. Vgl. Anm. 17. Für die Bildungsstätten des 14. und 15. Jh.s Neveux 1996, S. 287–290. 36 Augustinus, De Genesi ad litteram, Buch 4, 32, hg. Zycha 1970 [1894], S. 130,26 ff. Zum schöpferischen Sprechakt Gottes Kap. 2, Anm. 17. 37 Die I-Initiale kann darüber hinaus als die ›Schöpfungsinitiale‹ schlechthin begriffen werden, schließlich beginnen die beiden biblischen Erzählungen vom Weltbeginn mit den Worten: In principio creavit Deus caelum et terram (Gen 1, 1) bzw. In principio erat Verbum (Joh 1, 1). Vgl. Kap. 2, Anm. 142.
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rendiagramm eingegangen (Farbabb. 22).38 Allerdings handelt es sich hier nicht um ein Fleuronné-Fadenwerk, sondern um deutlich geometrischer angelegte, braun-gelbe Ornamentbänder, die in den Kreisbahnen des Diagramms die unbeschriftete Fläche ausfüllen. Jeder Kreisbahn ist ein eigenes Ornament zugewiesen. In der innersten Bahn erstreckt sich ein Band aus Rauten, in der folgenden ergeben Schrägbalken eine Zickzack-Linie, dann folgen Quadrate und Punkte sowie schließlich gelb ausgefüllte Vierecke.39 Die Inschriften sind mit denjenigen in dem Diagramm in der anderen Londoner Abschrift nicht identisch (Farbabb. 21). Denn während letzterem die Angaben spera aque, spera aeris usw. zu entnehmen sind, weist dieses Diagramm die Kreisbahnen nicht als Sphären der Elemente, sondern als corpus aque, corpus aeris, corpus ignis und quinta essentia aus. Der Begriff spera taucht hier nur im Außen auf und bezeichnet die geometrisch definierte Form des Weltkörpers, dessen äußerste Hülle unterschiedliche sphärische Körper umfasst. Mit den corpus-Inschriften gibt das Diagramm den Inhalt des Texts präzise wieder. Denn Grosseteste bezeichnet die Räume, die zwischen den Halbkreislinien innerhalb der Großfigur entstehen, als Körper, welche jeweils eines der Elemente vollständig in sich aufnehmen bzw. vollständig mit einem der Elemente ausgefüllt sind. Bevor sich Grosseteste in seinem Traktat Fragen der mathematischen Astronomie zuwendet, ruft er zunächst die Vorstellung des Kosmos als eines ganz und gar, eines lückenlos mit den vier Elementen ausgefüllten Körpers auf.40 Stoffliche Fülle und das Sich-Erstrecken einer Größe im Raum wurden in einigen Abschriften von Wilhelms von Conches Dragmaticon im Diagramm mit Farbe und Ornament dargestellt (Farbabb. 8, 9, 12 u. Abb. 43, 44). Vor diesem Hintergrund erscheint es plausibel, auch die Ornamentstreifen in dem Sphärendiagramm zu Beginn von Grossetestes Spera als eine Visualisierung der im Text betonten, jeweils unterschiedlichen körperhaften Beschaffenheit der Sphären zu verstehen. Sichtbar wird, dass die die Erde umgebenden Sphären von einer jeweils anderen Stofflichkeit sind. Das Diagramm veranschaulicht, dass der
38 BL, MS Harley 4350 (Frankreich, 13. Jh.), fols. 4r–15r, hier fol. 4r. Nares 1808, S. 137; Baur 1912, S. 61*. 39 In dieser Sammelhandschrift ist nur dieses Diagramm mit Ornamenten ausgefüllt. Es finden sich weitere Diagramme in zwei weiteren Traktaten, einer Planispherio descriptio (fols. 30r–36v, hier fol. 31r) sowie einem Liber de computo (fols. 68r–120v, hier fol. 69v u. 70v), die jedoch vollkommen schlicht bleiben. 40 Bei der Beschreibung der mit dem Äther ausgefüllten Sphäre heißt es z. B.: […] et corpus illud totum interius et exterius sphericum, nihil habens extra se, omnia corpora continens intra se. Consimilis figure et situs corpus huius mundi est; unum quod quintam essentiam nominant philosophi, sive ethera sive corpus celi, et preter elementares proprietates circulariter mobile […]. Robert Grosseteste, De spera, hg. Panti 2001, S. 290,16–20. Weiterhin: Superficies igitur contenta inter .def. semicircumferentiam et .ghi. semicircumferentiam corpus interius et exterius sphaericum describet, contiguum exterius quinte essentie et intra se continens reliqua corpora. Huius figure et situs est corpus ignis. Ebd., S. 290,22–25. Für die übrigen Elemente ebd., S. 290,25–35.
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Kosmos einerseits ein geometrisch zu denkender Körper ist, der andererseits erst durch die Auffüllung mit den Elementen zum Weltganzen wird. Nimmt man die Gesamtgestaltung der ersten Seite von Grossetestes Spera in dieser Handschrift in den Blick, so zeigt sich, dass auch hier dem Diagramm ein Platz innerhalb des Textganzen zugewiesen wurde. Sein gesonderter Status als visueller Gegenstand im Text wird durch seine Ornamentfülle deutlich, aber auch – wie schon in der anderen Handschrift in London (Farbabb. 21) – durch das Überschreiten des Textspiegels, die Platzierung im Textfeld sowie auf dem Seitenrand. Den Beginn des Traktats bildet auch hier nicht die geometrische Form, sondern der Textanfang. Besonders ist jedoch, dass der I-Initiale, die als kräftige blaue Ranke gestaltet ist und kaum als Buchstabe hervortritt, eine sorgfältig gerahmte, heute in Teilen abgeblätterte Miniatur beigestellt ist. Sie zeigt einen jungen Mann, der durch seine Tonsur als Kleriker zu erkennen ist. Mit dem Rücken an die Initiale gelehnt, wendet sich die sitzende Figur dem geschriebenen Text zu, wobei sie jedoch ihre Aufmerksamkeit auf den Gegenstand in ihrer linken Hand gerichtet hat. Bei diesem Gegenstand handelt es sich um eine Armillarsphäre, ein astronomisches Instrument, das den Himmelsglobus mit seinen wichtigsten Leitkreisen darstellt. Dieses Instrument war dem lateinischen Mittelalter seit dem späten 10. Jahrhundert bekannt, wofür in erster Linie bildliche Darstellungen sprechen, da aus der Zeit bis zum 15. Jahrhundert Objekte selbst nicht überliefert sind.41 Im Whipple Museum of the History of Science in Cambridge befindet sich eine Armillarsphäre, die womöglich im 15. Jahrhundert entstanden ist und damit eine der ältesten erhaltenen Sphären wäre (Abb. 59).42 Das Modell der Himmelskreise enthält im Zentrum die Erde und zeigt den Tierkreis, den Äquator, die Wendekreise, die Polarkreise sowie die Koluren. 41 Letzteres gilt auch für einen zweiten Typ dieses Instruments, der von Ptolemaeus im Almagest beschrieben wurde und nicht nur der dreidimensionalen Veranschaulichung des astronomischen Himmels diente, sondern zur Beobachtung und Bestimmung von Sternen und Planeten benutzt werden konnte. Kenntnis über diesen zweiten Typ erlangte das lateinische Europa jedoch vermutlich erst mit der Übersetzung des Almagest im späten 12. Jh. Zusammenfassend Genuth 1998, S. 28–31 (mit der einschlägigen Literatur). 42 Cambridge, Whipple Museum of the History of Science, Inv. Nr. 0336. Der Sockel ist eine spätere Ergänzung. Über die Herkunft des Objekts vor 1928, als es von Robert Whipple erstanden wurde, ist nichts bekannt. Derek J. Price datierte diese Armillarsphäre ins 15. Jh., wobei ihm die Inschriften und die Gesamterscheinung (»general appearance«) des Objekts als Anhaltspunkte dienten. Er beschrieb diese Sphäre als »earliest specimen known to me«. Price 1954, S. 176, Anm. 9. Diese Datierung findet sich, samt einer Nachzeichnung, auch bei Singer in History of technology 1957, S. 613. Sie ist jedoch mittlerweile strittig. Nach Auskunft von Boris Jardine vom Whipple Museum of the History of Science liegt eine jüngere, allerdings unpublizierte Studie des Objekts von Adam Mosley vor, in der dieser zu folgenden Ergebnissen komme: Der Stil der Inschriften deute auf das 14. Jh., was die Datierung ins 15. Jh. jedoch nicht völlig unplausibel mache. Andererseits sei es aber auch denkbar, dass es sich bei dieser Armillarsphäre um eine Nachbildung des 19. Jh.s handelt. Sie wäre dann ein Werk im Gothic Style. Vgl. auch Mosleys Eintrag auf der Homepage des Museums: URL: http://www.hps.cam. ac.uk/whipple/explore/astronomy/armillaryspheres/ (9. 12. 2007).
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Indem sich in der Miniatur zu Beginn von Grossetestes Spera der Blick des Mannes sowie der zeigende Gestus seiner rechten Hand auf eine Armillarsphäre richten, wird kenntlich gemacht, dass das auf dieser Seite beginnende Traktat die astronomische Ordnung der dreidimensionalen Welt thematisiert.43 Diesem ersten Folio zu Grossetestes Spera ist visuell zu entnehmen, dass der Inhalt des Texts der Disziplin der Astronomie angehört, die sich verschiedener Hilfsmittel bedient, um ihres Gegenstands habhaft zu werden. Während insbesondere die Abschrift aus Bayeux (Farbabb. 20) eine derartige visuelle Zuordnung des Traktats zu einem bestimmten Wissensgebiet nicht ermöglicht und zudem der geometrischen, abstrakten Form eine Priorität einräumt, zeigt sich hier, dass die Astronomie einen Gegenstand verhandelt, der nur durch verschiedene Repräsentationsformen substituiert werden kann, da es unmöglich ist, ihn in der Wirklichkeit in Gänze zu erblicken. Mit der Miniatur tritt eine mimetische Darstellungsform zur Schrift und zum Diagramm hinzu. Sie zeigt – darauf lässt die blaue Farbe des Hintergrunds schließen – einen Außenraum und suggeriert einen Blick aus dem Buch hinaus. Die Armillarsphäre in der Hand des Klerikers wird insbesondere durch ihre durchbrochene Form, durch die hindurch das Blau zu sehen ist, zum Bestandteil dieses Außenraums, den sie zugleich in Gänze repräsentiert. Der Blick des Mannes auf das Objekt in seiner Hand macht deutlich, dass der Mensch des ihn umgebenden Raums nur in einer dreidimensionalen Nachbildung ansichtig werden kann. Geleitet durch die Aufmerksamkeit des Klerikers im Bild erblickt der Betrachter der Buchseite das Instrument, das er jedoch lediglich in seiner Grundform erkennen kann. Für ihn kann die Armillarsphäre in der Miniatur nur als ein Zeichen für den Weltkörper fungieren und eine Erinnerung daran sein, dass er das, was er sich nun auf der Buchseite erschließen wird, ins Dreidimensionale übersetzen muss. Die Darstellungsform hingegen, die dem Leser des Texts tatsächlich als Erkenntnisfigur dient, ist das Diagramm. Dieses ist dem anderen visuellen Gegenstand auf dieser Buchseite, dem Bild, diagonal gegenübergestellt. Bild und Diagramm sind dem Textfeld etwas entrückt, doch anders als das Bild wird das 43 Diese bildliche Kennzeichnung des Traktatinhalts ist keineswegs als singulär zu betrachten. Zum einen gibt es in dieser Sammelhandschrift vier weitere Anfangsminiaturen dieser Art, in denen die dargestellte Tätigkeit jeweils auf den folgenden Textinhalt ausgerichtet ist. Zu Beginn einer Algorismus-Schrift hat sich der junge Mann z. B. an ein Pult gesetzt, auf dem arabische Zahlen geschrieben stehen. BL, MS Harley 4350 (Frankreich, 13. Jh.), fols. 15v–25v, hier 15v. Vgl. auch ebd., fols. 31r u. 68v. Zum anderen diente die Miniatur mit einer männlichen Figur, die eine Armillarsphäre hält, häufig zur Kennzeichnung eines Texts zu Kosmologie und Astronomie. Diese Miniatur zählt aber sicherlich zu den frühesten Beispielen. Vgl. auch die linke Figur mit der etwas verkümmerten Armillarsphäre auf dem Frontispiz von Bernhard Silvestris’ Commentarius in der Handschrift Bodleian, MS Ashmolean 304 (13. Jh.), fol. 2v; abgebildet bei Murdoch 1984, S. 178. Vgl. auch Bodleian, MS Digby 46 (England, 13. Jh.), fol. 8v: Miniatur im Experimentarius des Bernhard Silvestris; Farbabb. bei Edson/Savage-Smith/von den Brincken 2005, S. 39, Abb. 26. Für deutlich spätere Beispiele Krifka 2000.
Zusammenfassung
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Diagramm nicht zusätzlich durch einen Rahmen vom Text abgegrenzt. Anders als die Armillarsphäre im Bild, die nur der Kleriker eingehend studieren kann, ist das Diagramm der visuelle Gegenstand, der sich dem Blick des Lesers darbietet. Es ist Bestandteil des Texts und bleibt, anders die Armillarsphäre vor den Augen des Klerikers, unverrückbar und völlig opak. Durch die Linien hindurch ist nichts zu sehen als das Pergament. Das Diagramm, so zeigt sich auf diesem Folio, ist ein Medium der Buchseite. Gerade seine Zweidimensionalität und seine Opazität sind jedoch nicht als Hinderungen in der Darstellung von Erkenntnissen über einen dreidimensionalen Gegenstand zu begreifen. Dass gerade die Fläche für weitere Bedeutungsebenen genutzt wurde, zeigt ihre Ausfüllung mit Ornamenten. Das Diagramm konnte individualisiert und in seiner Bedeutung angereichert werden.
4.3 Zusammenfassung Mit jeweils eigenen gestalterischen Mitteln zeigen die Sphärendiagramme in den frühen Abschriften von Robert Grossetestes De spera eine Ordnung des Kosmos, die kaum als gänzlich neuartiges Wissen des 13. Jahrhunderts zu gelten hat, sondern vielmehr schon in Abhandlungen wie Wilhelms von Conches Dragmaticon seit der Mitte des 12. Jahrhunderts im Text wie im Diagramm verhandelt worden war. Grosseteste machte Ausführungen zu Gestalt und Ordnung der Welt zum Ausgangspunkt seiner Weltbetrachtung, um zu verdeutlichen, dass sich das astronomische Wissen auf eine kugelförmige, nach Planeten und Elementen intern strukturierte Welt bezieht. Den zeitgenössischen Nutzern des Texts dürfte diese Weltauffassung kaum überrascht, sondern vielmehr als lange tradiertes, kanonisches Wissensgut gegolten haben. Diese Vertrautheit mit dem Gegenstand mag einige Schreiber dazu bewogen haben, Grossetestes Aufforderung, sich die Weltsphäre samt ihrer Unterteilung als ein durch Buchstaben bestimmtes Liniengefüge zu vergegenwärtigen, nicht auch auf der Buchseite zu realisieren. Dort, wo ein Diagramm gezeichnet wurde, zeigt sich, dass seine vom Text verlangte Form zwar einerseits das schon lange bestehende Wissen unverändert in sich birgt. Andererseits ist aber die Form eine neue und von derjenigen des Diagramms zur Kosmosordnung in Calcidius’ Timaeus-Kommentar (Abb. 17) sowie in Wilhelms von Conches Dragmaticon durchaus verschieden (Farbabb. 8, 10 u. Abb. 39). Das Diagramm zu Beginn von Grossetestes Spera bildet keinen Vollkreis aus, sondern es ist auf eine halbkreisförmige Fläche reduziert und zudem – in einem der gezeigten Beispiele ausschließlich – mit Buchstaben beschriftet. Die visuelle Form wird verkürzt und insbesondere durch die Buchstaben als Denkfigur erkennbar. Der Gedankengang, der hier formgebend wirkte, ist Euklids Definition der Sphäre, über die lateinische Gelehrte erst seit dem 12. Jahrhundert verfügten. Mit
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Das Sphärendiagramm von Robert Grosseteste
Euklid konnte die Beschreibung des Weltkörpers weiter präzisiert werden. Noch bevor – wie bei Calcidius – die Kugelform der Welt im Text anhand von astronomischen Phänomenen hergeleitet und bestätigt wurde, lieferte Grosseteste eine Definition der Sphäre als geometrische Form. Das neue Wissen diente dem alten als Ergänzung, wobei es einerseits die diagrammatische Darstellung veränderte. Die Bestückung mit Ornamenten in einer der frühen Spera-Abschriften zeigt andererseits, dass das neue Sphärendiagramm sogleich der Darstellungstradition einverleibt wurde. Die frühen Abschriften unterscheiden sich nicht allein in der Gestaltung des Diagramms, sondern auch der ersten Seite des Traktats voneinander. Diagramm, Initiale und Text sind darauf in Beziehungsgefüge von unterschiedlicher Bedeutung gerückt. Während auf dem ersten Folio der Spera in der Handschrift aus Bayeux die Priorität der mathematischen Abstraktion für die Welterkenntnis zur Anschauung kommt, führt in den Abschriften in London die Schrift in die Welt des Wissens und zum Diagramm. Ist letzteres hier sogleich als Darstellung der kosmischen Sphärenordnung zu erkennen, so wird in der zuletzt betrachteten Handschrift mit der Armillarsphäre in der Miniatur auch sichtbar, dass Text samt Diagramm nicht die einzige, sondern vielmehr eine spezifische Art der wissenschaftlichen Weltaneignung sind.
5 Wissen auf den Rändern. Die Diagramme in Johannes de Sacroboscos De spera
5.1 Einführung Dem kurzen Traktat De spera, in dem Johannes de Sacrobosco um 1230 die Grundkenntnisse auf dem Gebiet der sphärischen Astronomie bündig in vier Kapiteln zusammenfasste, war ein außerordentlicher Erfolg beschienen.1 Es avancierte nicht nur umgehend zum Standardwerk für den Astronomieunterricht an den mittelalterlichen Universitäten, sondern sollte, in verschiedene Sprachen übersetzt, noch bis ins 17. Jahrhundert vielerorts immer wieder gedruckt, kommentiert und als Lehrschrift verwandt werden.2 Zwar zählte Sacroboscos Name dank der Spera über Jahrhunderte zum Kanon des Astronomieunterrichts, doch über den Autor selbst ist erstaunlich wenig bekannt.3 Allem Anschein nach unterrichtete Johannes de Sacrobosco an der Artistenfakultät der Universität in Paris.4 Von ihm stammen weitere drei Abhandlungen zum quadriuium – Algoris1 Johannes de Sacrobosco, De spera, hg. Thorndike 1949, S. 76–117 (engl. Übersetzung auf den S. 118–142). Zur Datierung Pedersen 1985, S. 192, u. Knorr 1997, S. 218, Anm. 19. 2 Sacroboscos Spera »[…] was the clearest, most elementary, and most used textbook in astronomy and cosmography from the thirteenth to the seventeenth century.« Thorndike 1949, S. 1. Demnach wurde die Spera auch in den späteren Jahrhunderten, als sie inhaltlich durch das vorhandene Wissen längst übertroffen wurde und eine nunmehr überholte Weltordnung beschrieb, nicht durch neue Standardwerke ersetzt, sondern durch Kommentare inhaltlich ergänzt und korrigiert. Die Kommentartradition begann noch in der ersten Hälfte des 13. Jh. s. Ebd., S. 21–42. Vgl. auch Sarnowsky 2007. Zur Verwendung an den Universitäten von Paris und Oxford Lafleur/Carrier 1997 sowie Weisheipl 1964, S. 161 u. 172. Zu den gedruckten Ausgaben – die erste erschien 1472 in Ferrara – Brévart 1979a, S. 9 f., sowie zusammenfassend Pedersen 1985, S. 185 f. 3 Den Fakten und Fiktionen zu Johannes de Sacrobosco ist Olaf Pedersen sehr gründlich nachgegangen. Das Namensattribut ›de Sacrobosco‹ erweist sich demnach für die Herkunftsbestimmung als wenig eindeutiges Indiz und ist gleichermaßen für eine Lokalisierung in England, Irland und Schottland in Anspruch genommen worden (zuletzt – für Holywood in Ulster plädierend – Drennan 1992). Allein Robertus Anglicus hatte 1271 in seinem Kommentar zur Spera einen Hinweis auf eine englische Abstammung Sacroboscos geliefert, indem er diesen als magister Iohannes de Sacrobosco Anglicus bezeichnete. Pedersen 1985, S. 175–182, Brévart 1979a, S. 1–4, sowie Thorndike 1949, S. 1 f. Zum Todesjahr 1256 (nach Pedersen das Jahr 1236) Knorr 1997, S. 197–199. 4 Den ersten Hinweis auf Sacroboscos Anwesenheit an der Universität in Paris gab 1297 Bartholomäus von Parma in seinem Kommentar zur Spera: Quapropter Iohannes de Sacro boscho dixit in suo tractatu quem composuit de spera existens in studio Parisiensi. Zitiert nach
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mus, Compotus (De anni ratione) (ca. 1235) und De quadrante (nach 1239) –, die vermutlich ebenfalls in unmittelbarem Zusammenhang mit seiner Lehrtätigkeit entstanden.5 Die Schriften zur Rechenkunst, zur Zeitrechnung und zur sphärischen Astronomie wurden häufig gemeinsam kopiert bzw. in einem Codex zusammengefasst und bildeten Olaf Pedersen zufolge den Kern eines im 13. Jahrhundert erstmals zusammengestellten corpus astronomicum, einer Sammlung von Traktaten für den Astronomieunterricht.6 Auf lange Sicht jedoch war keines dieser Traktate so erfolgreich wie die Spera. Die früh einsetzende und lange währende Popularität der kurzen Abhandlung zur sphärischen Astronomie lag sicherlich in der übersichtlichen Ordnung, problemorientierten Verknappung sowie der eingängigen Darlegung des Materials begründet. Noch im 20. Jahrhundert wurde die Spera als besonders gelungene Abhandlung gerühmt, wie es in Lynn Thorndikes Charakterisierung dieser Schrift als »highly finished production […], which from both literary and pedagogical viewpoints is a finely polished little gem«7 exemplarisch zum Ausdruck kommt.8 Sacrobosco lieferte Basiswissen und erläuterte die Kugelgestalt der Welt, die innerweltliche Sphärenordnung sowie die Bewegung der Sphären. Das zweite Kapitel ist eine Beschreibung der Kreise des Himmelsglobus. Mit dem dritten und zugleich umfangreichsten Kapitel folgt eine Erörterung der Auf- und Untergänge der Himmelszeichen, an die sich Ausführungen zur Dauer von Tag und Nacht sowie der Jahreszeiten in den verschiedenen Erdregionen anschließen. Sacrobosco erläuterte außerdem die Einteilung der bewohnten Erdregion in sieben Klimazonen. Dem bedeutend kürzeren vierten Kapitel sind knappe Angaben zu den Planetenbewegungen sowie den Finsternissen zu entnehmen.9 Die Darlegung ist in den letzten drei Kapiteln mit kurzen Einschüben aus Werken Vergils, Ovids und Lukans durchsetzt, die stets der Erläuterung eines bestimmten Phä-
Thorndike 1949, S. 2, Anm. 4. Vgl. auch Pedersen 1985, S. 183. Eine zweite Verbindung zwischen Sacrobosco und der Universität in Paris ergibt sich über die Grabstätte Sacroboscos. Diese befand sich aller Wahrscheinlichkeit nach in dem Kloster St. Mathurin in Paris, dessen Kapelle nach 1229 der Universität überlassen worden war. Pedersen 1985, S. 181 f. 5 Thorndike 1949, S. 3 f. Zum Compotus (De anni ratione) Moreton 1994, die allerdings stark bezweifelt, dass diese Schrift als Standardwerk für den Unterricht an der Universität geeignet war (S. 234 ff.). Zu De quadrante Knorr 1997. 6 Pedersen 1975, S. 73 ff. 7 Thorndike 1949, S. 10. 8 Für einen Lobpreis am Ende des 20. Jh.s Lipscombe 1998. 9 Das Vorwort kündigt den Inhalt des Traktats folgendermaßen an: Tractatum de spera quatuor capitulis distinguimus dicentes primo quid sit spera, quid eius centrum, quid axis spere, quid sit polus mundi, quot sint spere, et que sit forma mundi. In secundo de circulis ex quibus hec spera materialis componitur et illa supercelestis, que per istam imaginatur, componi intelligitur. In tertio de ortu et occasu signorum, et de diversitate noctium et dierum, que fit habitantibus in diversis locis, et de divisione climatum. In quarto de circulis et motibus planetarum et de causis eclipsium. Johannes de Sacrobosco, De spera (Proemium), hg. Thorndike 1949, S. 76. Für eine genauere Zusammenfassung des Inhalts Pedersen 1985, S. 201–204 u. 211 f.
Einführung
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nomens dienen sollen. Die Zitate nehmen häufig den Charakter von Merkversen an und machen das dargebrachte Wissen damit eingängiger.10 Die Leistung Sacroboscos bestand nicht allein darin, die Welt der sphärischen Astronomie in einem übersichtlichen Textvolumen durchdacht zu vermitteln. Die Kenntnisse waren zum einen lange tradierten Autoren entlehnt, wie beispielsweise Macrobius und Martianus Capella, fußten aber zum anderen insbesondere auf jüngeren Quellen. Sacrobosco führte seine Angaben vor allem auf die Autoren namentlich zurück, deren Werke erst seit einigen Jahrzehnten verfügbar waren. Indem er wiederholt Alfraganus (al-Farġānī, tätig zw. 813 und 833), außerdem Ptolemaeus und auch Aristoteles anführte, machte er deutlich, dass sein Text dem aktuellen Wissensstandard angehörte.11 Die Spera ebnete damit nicht nur einen Weg in die Welt der Astronomie, sondern auch in diejenige des neuen Wissens und der mit ihm verbundenen neuen Autoritäten. Diagramme? Dank der modernen Textedition der Spera von Lynn Thorndike aus dem Jahr 1949 und der Bündigkeit der Darlegung entsteht der Eindruck, dass die immer wieder betonte, Jahrhunderte währende Kenntnis der Spera uneingeschränkt auch im 21. Jahrhundert fortdauert.12 Während sein Autor ein großer Unbekann10 Sacrobosco zitiert aus den Georgica Vergils, den Metamorphoseon libri Ovids sowie Lukans Pharsalia. Pedersen 1985, S. 205. In Sacroboscos Vertrautheit mit der klassischen Dichtkunst und der Verwendung der Verse in seinem wissenschaftlichen Text sah Thorndike eine altmodische, auf das 12. Jh. verweisende Form der Gelehrsamkeit. Thorndike 1949, S. 5. 11 Zu den Quellen Pedersen 1985, S. 191, 196 u. 201 ff., sowie Thorndike 1949, S. 14–21. Zu dem auffälligen Missverhältnis zwischen der Häufigkeit, mit der Sacrobosco eine ›aktuelle‹ Autorität wie Alfraganus nannte, und dem Verschweigen eines altbekannten Autors wie Macrobius heißt es ebd., S. 21: »It may seem strange that Sacrobosco in the Sphere should cite Alfraganus a number of times by name and hardly mention Macrobius. But perhaps he, too, enjoyed smacking his lips over the name Alfraganus, as so many other Latins seem to have done. Perhaps his readers would not have been satisfied without it. Perhaps they were ›tired and sick‹ of Macrobius. He had gone out of fashion, along with the old-fashioned presentation of astronomy, such as we find in William of Conches. Alfraganus and Arabic astronomy had become the fad.« Meiner Meinung nach ist dieses Verfahren weniger Ausdruck einer modischen Präferenz als vielmehr Verweis auf eine der Leistungen der Spera. Nicht das alte, sondern das neu verfügbare Wissen bedurfte einer Auswertung und Domestizierung, was u. a. von einem Handbuch wie der Spera geleistet wurde. In diesem Sinne auch Lafleur/Carrier 1997, S. 542 f., sowie Pedersen 1985, S. 202. Alfraganus (al-Farġānī) wirkte zw. 813 und 833 als Ingenieur und Astronom in Bagdad und verfasste u. a. eine Zusammenfassung von Ptolemaeus’ Almagest. Diese wurde 1135 von Johannes von Sevilla sowie auch noch vor 1175 von Gerhard von Cremona ins Lateinische übersetzt und hatte verschiedene Titel, so z. B. Liber de aggregationibus scientie stellarum et principiis celestium motuum; Rudimenta astronomica oder auch Liber 30 differentiarum. Im Folgenden zitiert nach: Alfraganus/Johannes von Sevilla, Differentie scientie astrorum, hg. Carmody 1943. Zu Alfraganus zusammenfassend Samsó 1980. Der Almagest selbst war von Gerhard von Cremona aus dem Arabischen übersetzt worden. Gerhard war Ende der 1130eroder 1140er-Jahre auf der Suche nach diesem Werk aus Norditalien nach Spanien gekommen, wo er ein Exemplar in Toledo fand und blieb. Lindberg 2000 [1992], S. 213. 12 Für die Textedition Anm. 1.
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ter bleibt, scheint das Traktat selbst gänzlich habhaft zu sein. Die Spera, so könnte man meinen, ist die große Vertraute der Astronomiegeschichte seit dem 13. Jahrhundert. Dabei jedoch stößt man schon in den ersten Jahrzehnten der Überlieferung auf ungeklärte Fragen. In einer Anmerkung, die Edward Grant der englischen Übersetzung der Spera von Thorndike im 1974 erschienenen »Source book in medieval science« hinzufügte, ist zu lesen: »Although Sacrobosco mentions an accompanying figure, none appears here or elsewhere in Thorndike’s edition and translation. Perhaps Sacrobosco never supplied diagrams, or, if he did, they may have been omitted in the subsequent manuscript copies.«13 Diese Anmerkung bezieht sich auf die Stelle im ersten Kapitel der Spera, an der es zu den neun Himmelssphären abschließend heißt: »Daher ist unter jenen [Sphären] die Sphäre des Saturns die größte, die Sphäre des Mondes wahrlich die kleinste, so wie es in der vorhandenen Figur enthalten ist.« (Unde inter illas spera Saturni maxima est, spera vero lune minima, prout in presenti figuratione continetur.«)14 Zwar stimmt es, dass die Edition kein einziges Diagramm enthält. Grant muss jedoch zum einen der Hinweis in den Anmerkungen Thorndikes entgangen sein, dass in den meisten der insgesamt 13 Handschriften des 13. bis 15. Jahrhunderts, die letzterer für seine Edition heranziehen konnte, an dieser Stelle im Text ein Diagramm zu finden sei.15 Zum anderen lässt sich aus den knappen Bemerkungen, die Thorndike in seinen Beschreibungen der Handschriften zu deren Ausstattung mit Diagrammen machte, schließen, dass das Traktat in einigen Abschriften sogar mit mehreren Diagrammen ausgestattet ist, obwohl der Text nur an der oben zitierten Stelle explizit auf eine visuelle Darstellung Bezug nimmt.16 Da Thorndikes Angaben jedoch in dieser Hinsicht nicht systematisch sind und er in seiner Edition auf Nachzeichnungen verzichtete, ergibt sich kein klares Bild, welche Handschriften welche Diagramme enthalten. Außerdem bleiben der Inhalt und vor allem Form und Textanbindung der Diagramme nahezu gänzlich unkommentiert. Deshalb mag der Eindruck entstehen, die Handschriftenüberlieferung der Spera habe keine eigene Diagrammtradition ausgebildet. Isabelle Pantin und Owen Gingerich haben vor wenigen Jahren die Aufmerksamkeit auf ausgewählte Diagramme in den frühen Drucken des Traktats gelenkt, ohne dabei auf die Frage einzugehen, ob die Diagramme auf Vorbildern aus der Handschriftenüberlieferung basieren.17 Gingerich suggerierte vielmehr, dass einige Diagramme erst
13 Johannes de Sacrobosco, De spera, übers. Thorndike, Anm. Grant 1974, S. 442, Anm. 5. 14 Johannes de Sacrobosco, De spera, hg. Thorndike 1949, S. 77. 15 Ebd. sowie S. ix, 72 u. 74. 16 Ebd., S. 57–74. In Sacroboscos Compotus (De anni ratione) hingegen finden sich an mehreren Stellen explizite Verweise auf Diagramme. Entsprechend wurde diese Schrift immer mit Diagrammen ausgestattet. Moreton 1994, S. 237. 17 Pantin 2001, hier S. 9–18, u. Gingerich 1999.
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Ende des 15. Jahrhunderts zum Bestandteil der Spera wurden.18 Etwas präziser lässt sich die Diagrammausstattung bisher lediglich für eine der frühesten, aus der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts datierenden deutschen Übersetzung des Texts, das Puechlein von der Spera, sagen. Francis B. Brévart hat diesen Text im Jahr 1979 ediert und zwei Abschriften in der Edition vollständig abgebildet.19 Beide enthalten jeweils sechs Diagramme.20 Offen bleibt jedoch die Frage nach den Diagrammen in den lateinischen Handschriften. Die Zahl der überlieferten Abschriften ist nicht bekannt, bewegt sich aber, so Pedersen, zweifelsohne im Bereich von einigen hundert.21 Auch wenn man nur einen Bruchteil der frühen Überlieferung prüft, fällt sogleich auf, dass die Ausstattung des Traktats mit Diagrammen wenig einheitlich ist. Dabei ist bald festzustellen, dass sich die Handschriften in dieser Hinsicht in insgesamt vier Gruppen teilen lassen. Die Vermutung Grants, dass die Diagramme, die Sacrobosco möglicherweise in seinen Text integriert hatte, von den Schreibern und Buchmalern weggelassen wurden, findet sich nur in einigen Fällen bestätigt. Eine zweite Gruppe bilden die Handschriften, in denen allein an der oben zitierten Textstelle ein Diagramm eingefügt wurde, das die Ordnung der Sphären im Kosmos zeigt. Dazu gehört eine vermutlich um 1240 entstandene Abschrift der Spera, die in einer mathematischen Sammelhandschrift enthalten ist, welche heute in Kopenhagen aufbewahrt wird. Sie gilt als die früheste überlieferte Kopie.22 Es scheint deshalb, als habe der Text in seinem originären Zustand nur dieses eine Diagramm enthalten. Offenkundig ist jedoch, dass schon die frühe Überlieferung 18 Gingerich 1999, wo es auf S. 211 f. heißt: »The earliest printed editions had few illustrations. […] Not until the late 1480s or the 1490s did printers and editors begin to illustrate some of the technical points raised by Sacrobosco.« 19 Brévart 1979a u. ders. 1979b. Es handelt sich um die Handschriften SBPK, MS germ. fol. 479 (2. H. 14. Jh.), fols. 1r–15r; New York, The Pierpont Morgan Library, MS 722 (1. V. 15. Jh.), fols. 1r–18r. Zu den frühen Übersetzungen zählt weiterhin Konrad von Megenburgs Deutsche Sphaera (um 1350). Vgl. zu den Übersetzungen ins Deutsche auch Brévart 21983, Sp. 733–735. 20 Sie sind nicht ohne Weiteres in eine der unten in Anm. 24 genannten Gruppen der lateinischen Handschriften einzuordnen, da sie die folgenden Diagramme enthalten: (1) kosmische Sphärenordnung; (2) Planetenfinsternis (Die figur wie die planeten in dem zaichen sein oder sten); (3) Himmelskreise; (4) u. (5) Mond- und Sonnenfinsternis; (6) Rückläufigkeit und Stillstand in der Planetenbewegung. 21 Pedersen 1985, S. 183: »The number of extant MSS is unknown, but there is no doubt that it must be counted in hundreds.« 22 Kopenhagen, MS GKS 277 2°, fols. 169r–173v, hier fol. 169r. Das Diagramm ist auf dieser Seite allerdings in zweifacher Ausführung zu sehen. Zusätzlich zu demjenigen im Textfeld, das ausschließlich die Ordnung der Planetensphären und das Firmament zeigt, findet sich auf dieser Seite ein zweites, ganz ähnliches Diagramm auf dem unteren Seitenrand. Dieses enthält außerdem die Sphären der vier Elemente. Zu dieser Handschrift Leonardi 1960, S. 59; Jörgensen 1926, S. 417 f.; zur Datierung Pedersen 1985, S. 183 u. 217, Anm. 52; ferner Hoskin 1997, S. 69. In der Handschrift sind auch die Kompilationen Cosmographia (fols. 135r–145v) und Septima liberalium artium scientia sc. astrologia (fols. 145v–159r) zu finden, die zahlreiche Diagramme enthalten, die aus Wilhelms von Conches Dragmaticon zu stammen scheinen.
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Thorndikes Auffassung von der Vollkommenheit der Spera relativiert: »It was not easy to improve upon Sacrobosco’s presentation of the elements of the subject; and his text was so clear and rapid that it scarcely needed any further explanation, except perhaps by geometric and astronomical figures […].«23 Noch aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts datieren weitere Abschriften, in denen der Text mit fünf Diagrammen ausgestattet ist. Dabei handelt es sich zusätzlich zu dem Sphärendiagramm um Diagramme zu den Klimazonen, zu Rückläufigkeit und Stillstand in der Planetenbewegung sowie zur Mondund zur Sonnenfinsternis. Noch aus derselben Zeit sind Abschriften der vierten Gruppe überliefert, die zusätzlich zu diesen fünf ein Set von weiteren 15 Diagrammen vollständig oder nur in Teilen enthalten.24 23 Thorndike 1949, S. 47. 24 Ich führe die Handschriften des 13. u. 14. Jh.s auf, die ich im Original gesehen habe, und füge kursiv weitere nach den Beschreibungen, insbesondere denen von Thorndike, hinzu. Pedersen nannte in seinem Beitrag von 1975 einige Spera-Handschriften und stellte sie am Ende in einer Liste zusammen. Da daraus nichts über die Ausstattung mit Diagrammen zu erfahren ist, bleiben die bei Pedersen zusätzlich genannten Handschriften hier unberücksichtigt. Pedersen 1975, bes. S. 73–82 u. 96. Die folgende Aufteilung der Handschriften in vier Gruppen kann nur eine erste, grobe Orientierung geben und nichts über die Verwandtschaften unter den Abschriften aussagen. Zur zeitlichen Gliederung nach Dutton Kap. 2, Anm. 20. I. Abschriften ohne Diagramm: – 13. Jh. (1225–1275): eine Handschrift: BL, MS Add. 27589. – 13./14. Jh. (1275–1325): vier Handschriften: Erfurt, MS Ampl. 4° 23; Erfurt, MS Ampl. 4° 381; Erfurt, MS Ampl. 12° 19; Kopenhagen, MS Add. 447 2°. II. Abschriften mit nur einem Diagramm (der figuratio der in Anm. 14 zitierten Textstelle): – 13. Jh. (1225–1275): zwei Handschriften: Kopenhagen, MS GKS 277 2°; ÖNB, cod. 2445 (Frankreich?). – 13./14. Jh. (1275–1325): drei Handschriften: BSB, clm 16129 (Bistum Passau); Oxford, SJC, MS 188 (England); BnF, MS lat. 7392. – 14. Jh. (1325–1375): zwei Handschriften: Bodleian, MS Canon. Misc. 105 (Diagramm unvollständig); BnF, MS lat. 15121 (Diagramm fehlt). III. Abschriften mit fünf Diagrammen: (1) kosmische Sphärenordnung; (2) Klimazonen; (3) Rückläufigkeit und Stillstand in der Planetenbewegung; (4) und (5) Mond- und Sonnenfinsternis: – 13./14. Jh. (1275–1325): sieben Handschriften: Cambridge, Fitzwilliam, MS McClean 166; BL, MS Add. 26770; Ambrosiana, MS H. 75 Sup.; Montpellier, Faculté de Médecine, MS H 323; New York, Public Library, MS 69 (Frankreich); Oxford, SJC, MS 178 (England); BAV, MS Palat. lat. 1356 (Deutschland). – 14. Jh. (1325–1375): zwei Handschriften: Bodleian, MS Savile 17; BnF, MS lat. 7421. IV. Abschriften mit den genannten fünf sowie bis zu 15 weiteren Diagrammen: – 13./14. Jh. (1275–1325): elf Handschriften: CUL, MS Ii. III. 3; Kopenhagen, MS NKS 275a 4° (nur das erste Diagramm vollständig) (Frankreich); BL, MS Egerton 844; BL, MS Harley 3735 (Frankreich); BL, MS Royal 12 C. XVII (England?); BSB, clm 17703 (Strahov); Bodleian, MS Canon. Misc. 161; BnF, MS lat. 7195 (England); Paris, Sainte-Geneviève, MS 1043; BAV, MS Palat. lat. 1400 (bis auf das erste Diagramm alle Diagramme von der anmerkenden, etwa zeitgen. Hand); ÖNB, cod. Ser. N. 20268 (Böhmen). – 14. Jh. (1325–1375): fünf Handschriften: BML, MS Plut. 18 sin. 3; Florenz, BNC, MS II. III. 24; BnF, MS lat. 7298; BnF, MS Nouv. Acq. lat. 1893; Princeton, UL, MS Robert Garrett 99 (Frankreich?).
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Angesichts dieser disparaten Überlieferung stellen sich bei einer Untersuchung von Form, Inhalt und Funktion der Diagramme in Sacroboscos Spera unweigerlich auch die Fragen, durch wen und aus welchen Kontexten die zusätzlichen Diagramme dieses Traktat erreichten. Bei einer Suche nach dem Verantwortlichen wird man in den anonym bleibenden Handschriften allerdings nicht fündig. Sacroboscos Rolle bei der Visualisierung seiner Erläuterungen kann aber immerhin über den Text der Spera hinterfragt werden. Legte er darin die Hinzufügung weiterer Diagramme nahe, wenn er auch nicht direkt auf sie verwies? Da Sacrobosco aller Wahrscheinlichkeit nach selbst Astronomie unterrichtete und die Spera für den Unterricht konzipierte, stellt sich damit auch die Frage nach der Verwendung von visuellen Darstellungen im akademischen Unterricht. Mit dieser Frage begibt man sich allerdings auf ein nahezu unerforschtes Terrain.25 Grundsätzlich plausibel erscheint aber die Vermutung, dass sämtliche Diagramme in enger Anbindung an die akademische Wissensvermittlung konzipiert wurden. Denn ausreichend dokumentiert ist, dass die Spera früh auf dem Lehrplan der Universitäten stand. In Paris wurde sie schon in den 1230er-Jahren als Lehrwerk benutzt und bereits seit 1250 als alleinige Prüfungslektüre für das Fach Astronomie vorgeschrieben.26 Auch in den offiziellen Statuten der Universität Oxford, die aus dem frühen 15. Jahrhundert datieren, aber auf frühere Regelungen deuten, wird sie als Pflichtlektüre erwähnt.27 Fraglos erweisen sich damit Magister und Studenten als die ersten Adressaten und wichtigsten Nutzer einer Spera-Abschrift.28 Ähnlich den Diagrammen im Dragmaticon des Wilhelm von 25 Die bestehende Unkenntnis kommt in den Worten George Mollands zum Ausdruck: »Habits of commentary and disputation were naturally biased towards the spoken rather than the written word, while we naturally think of most branches of mathematics as relating to visual rather than to oral modes. But here we may be in danger of anachronism […]. But, even if we grant a greater medieval penchant for oral learning, was it really effective in university mathematical education?« Molland 1994, S. 75. Vgl. auch Weijers 1997, S. 343. Olga Weijers’ Buch »Le maniement du savoir« über die Handhabung des Wissens an den Universitäten des 13. und 14. Jh.s enthält auch ein Kapitel zu Bildern und Diagrammen in Handschriften aus dem universitären Bereich. Die Frage, in welcher Beziehung diese Buchausstattung zum Unterricht steht, wird jedoch nicht diskutiert. Weijers 1996, S. 203–227. 26 Das können Claude Lafleur und Joanne Carrier dank ihrer detaillierten Kenntnis verschiedener auf das Examen vorbereitender Studienbücher (»textes didascaliques«), die ungefähr in den Jahren 1230 bis 1290 an der Artistenfakultät in Paris verfasst wurden, überzeugend belegen. Hier Lafleur/Carrier 1997. 27 Ebd., S. 530 f. 28 Nach den bisherigen Forschungsergebnissen stelle man sich aber nicht unbedingt jeden Studenten einer Artistenfakultät auch als Bücherkäufer vor. So heißt es bei Graham Pollard 1978, S. 150: »In Arts the teaching was viva voce. The master read out the text sentence by sentence, and commented on it, so that the students did not need any books. But in the higher faculties at Oxford each student was required by statute either to possess or have legitimately lent to him a copy of the set books. The Law and Theology schools at Oxford had to be furnished with desks as well as benches, whereas in the Arts school only benches were required.« Eine Ausnahme jedoch bildete die Pariser Universität; dort war auch der Büchererwerb von
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Conches, die der Philosoph als Gabe an den Fürsten darbietet, sind diejenigen in der Spera, so wird hier vermutet, als Zugabe für das Studium und die Lehre zu begreifen. Unter den sicher zu datierenden Abschriften der vierten Gruppe ist diejenige in einer mathematisch-astronomischen Sammelhandschrift aus dem Jahr 1276 in der University Library in Cambridge eine der jüngsten.29 Aufgrund ihrer frühen Entstehung sowie ihres Reichtums an Diagrammen soll zum einen diese Handschrift im Zentrum der Untersuchung stehen. Sie enthält insgesamt 16 Diagramme, die mit brauner und roter Tinte gezeichnet und mit Rot beschriftet sind (Farbabb. 23 u. Abb. 63, 66, 67, 72, 74–77). Ein leichtes, durchscheinendes Grün oder Gelb füllt einzelne Diagrammflächen aus. Diese Farbgebung, insbesondere die Verwendung des wässrigen Grün- und Gelbtons, fällt in mehreren Handschriften auf und lässt eine frühe Standardisierung in der Diagrammgestaltung vermuten.30 Die Formen der Textgliederung hingegen sind häufig, so auch in der Abschrift in Cambridge, in Rot und in einem deckenden Blau ausgeführt: die Fleuronné-Initiale mit Stabwerk am Anfang des Traktats, kleinere Fleuronné-Initialen zu Beginn einzelner Abschnitte sowie Paragrafenzeichen im Text. Zusätzlich erleichtern rote Überschriften die Orientierung im Text. Neben den Ähnlichkeiten der Diagramme und des Textschmucks in Form und Farbe zeigen die Spera-Kopien in vier weiteren mathematisch-astronomischen Sammelhandschriften auch in ihrem Diagrammbestand größere Übereinstimmungen mit der Abschrift in Cambridge, wobei jedoch keine der Abschriften und keine der Sammelhandschriften mit einer anderen vollkommen identisch ist.31 Daneben ist eine kleinformatige, weniger umfangreiche und deutlich schlichtere Sammelhandschrift aus der Bodleian Library in Oxford besonders interesden Studenten der Künste vorgesehen. Ebd., S. 151. Vgl. auch Parkes 1991 [1987/1988], S. 299. Zur Professionalisierung des Pariser Buchhandels und seiner Zusammenarbeit mit der Universität zuletzt Rouse/Rouse 2000:1, S. 73–97. 29 CUL, MS Ii. III. 3, hier fols. 25r–35v. Alle Texte stammen von einer Hand. Die Spera ist zwischen Sacroboscos Traktate Algorismus und Compotus gebettet. Robinson 1988:1, Nr. 56, S. 34, u. 1988:2, Abb. 118; Catalogue of the manuscripts 1980 [1856–1867], Nr. 1767, S. 404–406 (Bd. 3, 1858); ferner Pedersen 1975, S. 81 u. 96 (der mit AD 1476 u. 1426 falsche Datierungen angibt); Carmody 1956, S. 119; Thorndike 1949, S. 63 f.; Gunther 1968 [1929], S. 137–231. Die Handschrift Ambrosiana, MS H. 75 Sup., die oben in der dritten Gruppe genannt ist, stammt aus dem Jahr 1284. Gabriel 1968, Nr. 575, S. 245. Von den in der vierten Gruppe aufgelisteten Handschriften ist allein die Entstehungszeit von BL, MS Harley 3735 (Frankreich, 1253–1293) (vgl. Kap. 4, Anm. 25) sowie BSB, clm 17703 (Strahov, vor 1278) näher einzugrenzen. Zu der Handschrift in München Klemm 1998, Nr. 110, S. 128 f. 30 Vgl. BL, MS Egerton 844 (2. H. 13. Jh.), fols. 7v–21r; BML, MS Plut. 18 sin. 3 (14. Jh.), fols. 8v–25r; BnF, MS Nouv. Acq. lat. 1893 (14. Jh.), fols. 13v–22v, sowie die in der folgenden Anm. genannten Abschriften. 31 BL, MS Harley 3735 (Frankreich, 1253–1293), fols. 17r–27r; Paris, Sainte-Geneviève, MS 1043 (Ende 13. Jh.), fols. 4v–12r; BL, MS Royal 12 C. XVII (England?, Anf. 14. Jh.), fols. 16v– 32v; Florenz, BNC, MS II. III. 24 (14. Jh.), fols. 153r–159v.
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sant.32 In dieser Abschrift sind aufgrund von Doppelungen insgesamt nicht nur 20, sondern 22 Diagramme zu finden, wobei die meisten ungewöhnlicherweise erst auf drei Seiten im Anschluss an den Text folgen (Farbabb. 24, 25 u. Abb. 78). Besonders an dieser Abschrift sind jedoch nicht allein die Zahl und die Platzierung der Diagramme. Eine zweite Hand fügte vermutlich schon wenig später ausführliche Glossen auf den Seitenrändern hinzu.33 Haupttext sowie Glossen wurden vor 1338, möglicherweise noch im 13. Jahrhundert, geschrieben.34 Bleiben die meisten Diagramme in den Spera-Abschriften üblicherweise ohne Textbezug, lässt sich ihr Inhalt hier über die Glossen erschließen. Es wird im Folgenden deutlich werden, dass die Diagramme als eine visuelle Form der Glossierung aufzufassen sind. Sie tragen zusätzliches Wissen an die Spera heran, das vermutlich im Unterricht zur Erläuterung von Sacroboscos knappen Darlegungen referiert wurde und einem tieferen Verständnis der astronomischen Sachverhalte dienen sollte. In der Handschrift in Oxford sind diese Exkurse nicht nur im Diagramm, sondern durch die zweite Hand auch wörtlich fixiert. Zunächst jedoch soll das Diagramm näher betrachtet werden, das ganz eindeutig Sacrobosco selbst in seinen Text integrierte und mit Inhalt ausstattete.
5.2 Die Diagramme 5.2.1 Eine neue anthropozentrische Ordnungsfigur. Das Sphärendiagramm Der systematische Aufbau und die konzise Darlegungsweise der Spera sind bereits am Anfang des ersten Kapitels erkennbar. Das Traktat beginnt mit der Definition seines Gegenstands, wobei die Sphäre – ähnlich wie in Robert Grossetestes De spera – von ihrer kosmischen Wirklichkeit abstrahiert und als rein geometrischer Körper vorgestellt wird.35 Sacrobosco beruft sich dafür auf zwei 32 Bodleian, MS Canon. Misc. 161, fols. 9r–20v. Coxe 1854, Sp. 533 f.; ferner Thorndike 1949, S. 58 f. Diese Handschrift enthält außerdem Sacroboscos Algorismus, nach der Spera dessen Compotus sowie – vermutlich von einer anderen Hand – einen Kalender und die Tafeln des Petrus Philomena de Dacia (2. H. 13. Jh.). 33 Die Händescheidung ist hier mitunter schwierig. Ich bin der Ansicht, dass sämtliche Diagramme von der Hand des Haupttexts stammen, die ausführlichen In- und Beischriften von der Hand der Glossen. Letztere werden im Folgenden zitiert nach der Ausgabe von Thorndike: Glosae super Speram, hg. Thorndike 1949, S. 412–444. Demzufolge sind sowohl die Diagramme als auch größtenteils die Glossen in der Handschrift in Oxford mit denen in der aus dem 14. Jh. datierenden und möglicherweise in Frankreich entstandenen Handschrift Princeton, UL, MS Robert Garrett 99, fols. 124r–136v, identisch. Thorndike 1949, S. 70 f. 34 Die Angabe 1338 20 Feb. auf fol. 20v (Abb. 78) stammt von einer im Vergleich zu Haupttext und Glossen wiederum späteren Hand. Thorndike 1949, S. 59. 35 Für Grosseteste vgl. Kap. 4, Anm. 14.
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Autoren, deren Werke erst im Verlauf des 12. Jahrhunderts ins Lateinische übersetzt worden waren. Zunächst gibt auch er die Definition Euklids wieder, in der die Sphäre aus einer Bewegung gefolgert wird. Sie ist demnach der runde, dreidimensionale Körper, den ein Halbkreis beschreibt, welcher um seinen unverrückbaren Durchmesser herumgeführt wird, bis er wieder seine Ausgangslage einnimmt.36 Theodosius hingegen bestimme die Sphäre als einen dreidimensionalen Körper, von dessen Mitte, dem Zentrum, alle Punkte der Körperoberfläche gleich weit entfernt seien.37 Eine ähnliche Definition war bereits im Timaeus-Kommentar des Calcidius zu finden, wo sie allerdings nicht isoliert, sondern inmitten von Himmelsphänomenen erwähnt wurde, welche auf die Kugelgestalt der Welt deuteten.38 In der Spera ist mit den beiden Definitionen gleich zu Beginn Wesentliches über den Weltkörper gesagt, dessen Form für die Himmelsphänomene, die in dem Traktat erläutert werden, von entscheidender Bedeutung ist. Sie schaffen einen von aktuellen Autoritäten gestützten Konsens und ermöglichen eine Vorstellung der Welt, in der alles Weitere verortet werden kann. Ähnlich wie der Timaeus-Kommentar des Calcidius beginnt also auch die Spera mit Mathematik. Hier jedoch geht es nicht um die Erzählung der Weltwerdung; auch wird das mathematische Wissen nicht als unbedingte Wahrheit dargestellt. Denn gerade in der Bindung der Definitionen des geometrischen Körpers an die Namen von Gelehrten kommt zum Ausdruck, dass das referierte Wissen Versuchen gleichkommt, einen mathematischen Körper adäquat zu beschreiben (ab Euclide/a Theodosio sic describitur).39
36 Spera igitur ab Euclide sic describitur: spera est transitus circumferentie dimidii circuli quotiens fixa diametro quousque ad locum suum redeat circumducitur. Id est, spera est tale corpus rotundum et solidum quod describitur ab arcu semicirculi circumducto. Johannes de Sacrobosco, De spera 1, hg. Thorndike 1949, S. 76 f. Wie Robert Grosseteste scheint auch Johannes de Sacrobosco die Euklid-Übersetzung Roberts von Chester verwandt zu haben, denn seine Definition der Sphäre ist ihrem Wortlaut am nächsten. Dazu sowie zu den lateinischen Euklid-Übersetzungen Kap. 4, Anm. 21. 37 Spera vero a Theodosio sic describitur: spera est corpus solidum una superficie contentum in cuius medio punctus est a quo omnes linee ducte ad circumferentiam sunt equales, et ille punctus dicitur centrum spere. Johannes de Sacrobosco, De spera 1, hg. Thorndike 1949, S. 77. Theodosius, Sphaerica 1, Def. 1, hg. Heiberg 1927, S. 1 f. Die Sperica des Mathematikers und Astronomen Theodosius von Bithynien (2. H. 2. Jh. v. Chr.), eine in drei Büchern verfasste Lehrschrift zur Geometrie der Sphäre, wurde im 12. Jh. sowohl von Gerhard von Cremona als auch Platon von Tivoli (tätig in Barcelona 1134–1145) ins Lateinische übersetzt. Zusammenfassend Bulmer-Thomas 1976. Zu der ›Gattung‹ der Abhandlungen über die Sphäre innerhalb der antiken Geometrie Vitrac 2001, S. 19, wo es u. a. heißt: »L’importance de ces questions [de la sphéricité de l’univers, de la terre et des astres et de la circularité des mouvements célestes] pour l’astronomie ancienne a été telle que la problématique géométrique sous-jacente a été l’objet d’une étude quasi autonome appelée sphérique.« 38 Vgl. Kap. 2, Anm. 159. 39 Zu Calcidius Kap. 2.2.1.
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Im nächsten Schritt folgt die Unterteilung der Sphäre40 nach Substanz und Akzidens, nach dem Wesenhaften und den ihrem Wesen nicht unveränderlich zugehörigen Eigenschaften.41 Anders als noch im Dragmaticon Wilhelms von Conches findet in der Spera ein Abwägen zwischen der kosmischen Ordnung Platons und derjenigen des Aristoteles nicht statt.42 Vielmehr wird der Himmel gemäß der aristotelischen Kosmologie von einer neunten Sphäre umschlossen, »[…] die erste Bewegung oder erster Beweger genannt wird […].« ([…] que primus motus sive primum mobile dicitur […].)43 Zu den neun wesenhaften Sphären zählen weiterhin das Firmament mit den Fixsternen sowie die sieben Sphären der sieben Planeten. An den Hinweis, dass diese Sphären je nach ihrem Abstand zum Firmament größer oder kleiner seien, schließt sich mit der Bemerkung, dass die Sphäre des Saturns die größte, die des Mondes aber die kleinste sei, der Verweis auf das Diagramm an: »[…] so wie es in der vorhandenen Figur enthalten ist.« ([…] prout in presenti figuratione continetur.)44 Dem Kreisdiagramm, das in der Handschrift in Oxford auf diese Stelle im Textfeld folgt und die vertraute, streng konzentrisch angelegte Ordnung des Himmels zeigt, sind dem Verweis entsprechend die Bezeichnungen sowie die Größenverhältnisse der neun Sphären zu entnehmen (Abb. 60).45 Ähnlich wie in den kosmologischen Diagrammen der Isidor-Tradition (Farbabb. 6) benennt im zentralen Kreis die Inschrift »die Sphären des fünften Elements« (spere quinte essentie) den Inhalt des Diagramms.46 Damit weist es über den unmittelbaren Kontext hinaus, da die aristotelische Aufteilung der Welt in die Region des Äthers, welche die neun Sphären enthält, und diejenige der vier Elemente unterhalb des Mondes im Text erst noch folgt.47 Während das Diagramm in einigen Handschriften um die konzentrischen Bahnen der Elemente Feuer, Luft und Wasser um die zentrale Erde herum ergänzt wurde, entspricht seine innere Zone in der Handschrift in Cambridge
40 Im Folgenden findet keine Differenzierung zwischen dem als spera bezeichneten Körper und der himmlischen Sphäre statt; mit spera ist nun immer die Himmelssphäre gemeint. 41 Johannes de Sacrobosco, De spera 1, hg. Thorndike 1949, S. 77. 42 Vgl. Kap. 3, Anm. 123. 43 Johannes de Sacrobosco, De spera 1, hg. Thorndike 1949, S. 77. Zum ›unbewegten Beweger‹ bei Aristoteles sowie zur neunten Sphäre Kap. 4, Anm. 26. 44 Johannes de Sacrobosco, De spera 1, hg. Thorndike 1949, S. 77. Zur Unterteilung der Sphäre secundum accidens in eine gerade und eine geneigte Sphäre (spera recta et spera obliqua) ebd., S. 77 f. 45 Die Inschriften lauten, von außen: primum mobile – cellum stellarum – spera saturni – spera iouis – spera martis – spera solis – spera ueneris – spera mercurii – spera lune. Die alternierende Farbgebung in Rot und Braun und farbige Paarbildung unter den Planeten dienen vermutlich allein der besseren Lesbarkeit und Übersichtlichkeit. 46 Zur Funktion des Zentrums auch Paris, Sainte-Geneviève, MS 1043 (Ende 13. Jh.), fol. 4v, sowie Farbabb. 23 dieser Arbeit. 47 Johannes de Sacrobosco, De spera 1, hg. Thorndike 1949, S. 78 f.
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nicht dem traditionellen Schema (Farbabb. 23).48 Von den vier Kreisen, welche die zentrale Fläche umgeben, verlaufen zwei exzentrisch. Die Folge der konzentrischen Planetenbahnen wird somit zum Zentrum hin durch sichelförmige Flächen abgelöst, welche nicht beschriftet, sondern mit gelber und grüner Tinte monochrom ausgefüllt sind.49 Anders als im Diagramm zur Kosmosordnung in der Dragmaticon-Handschrift aus Pontigny (Farbabb. 8), in dem alle Bahnen farbig ausgefüllt waren, sodass sich das Diagramm vornehmlich als Darstellung der platonischen Ordnung verstehen ließ, scheint hier die Aufteilung in einen Schrift- und einen Farbbereich mit der aristotelischen Unterscheidung des supra- und sublunaren Bereichs in Übereinstimmung gebracht. Warum sich allerdings die Sphären in diesem inneren Bereich anders lagern, bleibt im Diagramm, dessen Titelinschrift »Figur der neun Sphären« (figura .9. sperarum) lediglich auf die Darstellung im äußeren Ring verweist, ohne Erklärung. Ein Blick in die Handschrift in Oxford offenbart, dass es sich bei der zentralen Zone im Sphärendiagramm in Cambridge um ein Implantat handelt. Das in der Spera in Oxford folgende Diagramm zeigt allein die zwei konzentrischen und zwei exzentrischen Kreise, welche die zentrale Kreisfläche umgeben (Abb. 61, links). Dank der Inschriften ist ersichtlich, dass der innere Exzenter dem Element Wasser zugeordnet ist (orbis aque), während es sich bei dem äußeren um die Sonnenbahn (orbis solis) mit der Sonne als rot ausgefülltem Kreis im Scheitelpunkt handelt. Die Begriffe aux und oppositum augis werden von Sacrobosco im vierten Kapitel erläutert und bezeichnen die Punkte auf der exzentrischen Bahn, an denen ein Planet am weitesten von der Erde bzw. vom Firmament entfernt ist.50 Die Bezeichnungen, nicht aber die Punkte waren neu. Gegen die Apsiden (apsides) des Plinius hatte sich nun eine aus dem Arabischen entlehnte Terminologie durchgesetzt.51 Die übrigen Inschriften machen deutlich, dass die Darstellung nach Norden ausgerichtet ist (7trion; auster). Eine Aussparung in der letzten Zeile gewährt dem Diagramm Anschluss an das Textfeld und zeigt, dass es in enger Anbindung an den Haupttext entstand. 48 Für ein konzentrisches Diagramm inkl. der Elemente vgl. z. B. Ambrosiana, MS H. 75 Sup. (1284), fol. 6r. Vgl. auch New York, Public Library, MS 69 (Frankreich, ca. 1275), fol. 81r, unter URL: (10. 11. 2007). Das Kreisdiagramm ist hier mit einer quadratischen Rahmung versehen, deren Zwickel farbig gestaltet und mit Figuren – einem Mann, einem Hund und zwei Fabelwesen – ausgestattet sind. Sämtliche Diagramme scheinen in dieser Handschrift außergewöhnlich prächtig (gerahmt) zu sein. Ungewohnt vielfarbig ist die figura sperarum et elementorum in Bodleian, MS Savile 17 (14. Jh.), fol. 122v. 49 Sehr ähnlich: BL, MS Egerton 844 (2. H. 13. Jh.), fol. 8r. Vgl. auch BL, MS Harley 3735 (Frankreich, 1253–1293), fol. 17r u. 17v; BL, MS Royal 12 C. XVII (England?, Anf. 14. Jh.), fol. 17r; BnF, MS lat. 7298 (14. Jh.), fol. 20v. 50 Punctus autem in eccentrico qui maxime accedit ad firmamentum appellatur aux sive augis, quod interpretatur elevatio. Punctus vero oppositus, qui maxime remotus est a firmamento, dicitur oppositio augis. Johannes de Sacrobosco, De spera 4, hg. Thorndike 1949, S. 113. 51 Vgl. Pedersen 1975, S. 77, u. Kap. 3, Anm. 197.
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Darin ist der Passus über die sublunaren Elemente enthalten, in dem es auch heißt, dass »[…] von den dreien [Feuer, Luft, Wasser] jedes beliebige die Erde kreisförmig von allen Seiten umgibt, außer insoweit die Trockenheit der Erde der Feuchtigkeit des Wassers zum Schutz des Lebens der Lebewesen widersteht.« ([…] trium quorum quodlibet terram orbiculariter undique circumdat, nisi quantum siccitas terre humori aque obsistit ad vitam animantium tuendam.)52 Mit Blick auf das Diagramm lässt sich diese Textstelle so verstehen, dass sich das Wasser nicht gleichmäßig um die Erde verteilen kann, sondern in der nördlichen Region zurückweichen muss, wo durch die Trockenheit der Erde ein Schutzraum für die irdischen Lebewesen entsteht. Eine ausführliche Erklärung dieses Sachverhalts ist in einer Glosse zu finden, die allerdings schon auf dem vorhergehenden Verso notiert ist.53 Zunächst wird darin die Meinung einiger Philosophen referiert, der zufolge jedem einzelnen der vier Elemente bestimmte Lebewesen zu eigen sind, die aus dem jeweiligen Element bestehen und in ihm leben. Gleichermaßen gebe es eine Kreatur, die allen Elementen gemein sei, »[…] damit dem Universum nichts fehlt.« ([…] ut nihil deficiat universo.)54 »Dies jedoch konnte nicht sein, wenn die Gestalt der Elemente in ihren Kreisen konzentrisch blieb. Die Natur zog folglich, während die Kreise konzentrisch blieben, die Zentren der mittleren Elemente an der Erde vorbei in den südlichen Teil zurück und so blieb die nördliche Oberfläche der Erde unbedeckt, auf der jenes allen Elementen gemeinsame Lebewesen platziert wurde. Aber weil es durch die Planeten und vor allem die Sonne, die in ihren konzentrischen Bahnen über demselben Teil der Erde verweilten, bis hierher geschah, dass jenes Lebewesen verdarb durch die Nähe ihrer Bewegung und ihres Lichts, wurden nun auch ihr Zentrum und ihre Bewegung innerhalb ihrer konzentrischen Bahnen nach Norden zurückgezogen.« (Hec autem esse non poterat figura elementorum in suis orbibus concentrica remanente. Natura igitur orbibus remanentibus concentricis meditulliorum elementorum centra preter terre in partem australem retraxit et sic superficies terre septentrionalis remansit discooperta in qua animal illud commune omnibus elementis locaretur. Sed cum adhuc 52 Johannes de Sacrobosco, De spera 1, hg. Thorndike 1949, S. 78 f. 53 Bodleian, MS Canon. Misc. 161 (vor 1338), fol. 8v. Glosae super Speram, hg. Thorndike 1949, S. 416. Zur Anordnung der Glossen ebd., S. 412. 54 ¢Nisi quantum siccitas etc.² Ad hoc intelligendum nota quod quorundam philosophorum fuerit opinio quod unumquodque elementum sua propria habeat animalia, ex quo sunt et vivunt, et sicut uniuscuiusque elementi suum proprium est animal, sic omnium commune animal esse debet, ut nihil deficiat universo. Glosae super Speram, hg. Thorndike 1949, S. 416. Die Diskussion über die räumliche Disposition von Erde und Wasser seit dem 13. Jh. skizziert Grant 1996 [1994], S. 630–637. Auf S. 632 heißt es: »Where Buridan used natural explanations to account for the relationships between earth and water, Paul of Burgos (ca. 1350–1435) resorted to supernatural action. On the third day of creation, when the waters were gathered together upon divine command, Paul of Burgos imagined that God had lowered the sphere of water and thereby separated the latter’s center of gravity from the earth’s, an act that left all of the earth’s dry land in its Northern Hemisphere while its Southern Hemisphere was perpetually submerged.« Grant nennt jedoch keine weitere Quelle.
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planetis et maxime sole in orbibus suis concentrice manentibus super eandem partem terre contingeret illud animal corrumpi propinquitate motus et luminis eorum, iterum centrum et motus eorum intra suos concentricos in septentrionem sunt retracta.)55
Damit die Erde dem Menschen, jener aus allen vier Elementen gleichermaßen geschaffenen Kreatur, ein Lebensraum sein kann, weichen der Glosse zufolge sowohl die Luft als auch das Wasser nach Süden aus und lassen so den nördlichen Erdteil unbedeckt. Im Diagramm ist gemäß der Darlegung Sacroboscos die Verschiebung des orbis aque innerhalb einer konzentrischen Bahn dargestellt. Mithilfe der Glosse ist die Bedeutung des den Exzenter des Wassers umschließenden Kreises genauer zu bestimmen, schließlich heißt es, dass das Wasser innerhalb seiner konzentrischen Sphäre zurückweiche. Gleiches gilt für die Sonne und ihre exzentrische Bahn innerhalb des äußeren konzentrischen Kreises. Trotz der Umlenkung des Wassers und des Sonnenlaufs bleibt somit die konzentrische Sphärenordnung gewahrt. Diese Sachlage ist einem dritten Diagramm zur Sphärenordnung in der Handschrift in Oxford, das erst auf der dritten Seite im Anschluss an die Spera zu finden ist (Abb. 78, rechts), dank ausführlicherer Beschriftung direkt zu entnehmen. Hilfreich sind insbesondere die Hinweise auf das Zurückweichen des Wassers nach Süden (retractio aque in austrum) und die trocken gelegte Erde (discooperta terra). Die Begründung, dass sich die Sonne im Norden von der Erde distanziert (elongatio solis), um das Leben auf ihr nicht zu zerstören, ist dem Diagramm jedoch nicht zu entnehmen. Der Vergleich der drei Diagramme macht deutlich, dass dasjenige in der Handschrift in Cambridge (Farbabb. 23) in mehreren Hinsichten frappierend ist. Zunächst wird es mit der Darstellung von zwei ganz verschiedenen Inhalten betraut. Es zeigt zum einen die streng konzentrische Ordnung der Sphären, die dem fünften Element angehören. Die Vermutung, dass diese Darstellung der Kosmosordnung in der zentralen Fläche mit den Elementensphären bruchlos vervollständigt wird, führt in die Irre. Der Unterscheidung zwischen monochromen Flächen einerseits und mit Inschriften versehenen Kreisbahnen andererseits liegt nicht die Differenzierung zwischen den Stoffen des Kosmos zugrunde. Farbe ist hier kein Zeichen für die Sinnenhaftigkeit des Dargestellten. Ihre Funktion ist in diesem Diagramm inhaltlich ungebunden und rein formal. Sie dient der Unterscheidung des inneren Diagramms vom äußeren sowie der Hervorhebung, der besseren Erkennbarkeit bestimmter Formen, hier der exzentrischen Verschiebung (gelb) innerhalb der konzentrischen Bahnen (grün). Dieser der Form dienende Farbeinsatz wird im Vergleich mit dem außergewöhnlich prächtigen, polychromen und mit einem Goldrahmen versehenen Diagramm in einer Spera-Abschrift deutlich, die zwischen 1275 und 1300 in Frankreich ent-
55 Glosae super Speram, hg. Thorndike 1949, S. 416.
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stand und heute in Kopenhagen aufbewahrt wird (Abb. 62).56 Hier sind nur die Fixsternsphäre sowie die Sphären der Elemente monochrom gestaltet, wobei jedes Element eine eigene Farbe erhalten hat und die Flächen des Feuers (rot) und der Luft (dunkelblau) mit einem zweiten Farbton grafisch verziert wurden. Auffällig ist auch, dass in dieser inneren Zone allein die gräuliche Wassersphäre exzentrisch gelagert und die Sonnensphäre nicht zweifach, sondern nur innerhalb der übrigen Planetensphären vorkommt. In diesem Diagramm findet somit kein Bruch statt.57 In der Handschrift in Cambridge hingegen ist im inneren Farbdiagramm der Ausschnitt aus dem Kosmos neu gewählt. Die Sonnensphäre, die bereits in der äußeren Ordnung ihren festen Platz hat, wird nicht nur erneut verortet, sondern auch um eine exzentrische Sonnenbahn ergänzt. Die Glosse in der Handschrift in Oxford verdeutlicht, dass das Diagramm dazu dient, einen Sachverhalt zu präzisieren, den Sacrobosco lediglich in einem Nebensatz erwähnt. In der Handschrift in Cambridge ist diese Glosse auf das Visuelle reduziert. Ob der Rezipient die einzelnen Elemente des inneren Farbdiagramms erkannte und den Grund der Verlagerungen verstand, hing von seinem Wissen ab, schließlich wurde auf Inschriften verzichtet und auch in der Spera war keine Erklärung zu finden.58 Mit dem Diagramm wurde Wissen an den Haupttext herangetragen, welches einem externen Kontext entstammte. Sichtbar wird, dass die Spera nicht nur selbst verschiedene Wissensstränge zusammenführte, sondern auch in einem größeren Wissenskontext, unter Zuhilfenahme und mit der Kenntnis weiterer Quellen rezipiert wurde. Was den Inhalt des Kompositdiagramms betrifft, so ist schließlich noch festzuhalten, dass es nicht nur die Sphärenordnung im geozentrischen Kosmos sowie eine gesonderte exzentrische Verschiebung bestimmter Sphären veranschaulicht. Während in Isidors mundus-annus-homo-Kreisdiagramm (Farbabb. 6) die Zentralstellung des Menschen durch die Identität seines körperlichen Daseins mit den Qualitäten von Raum und Zeit begründet war und inschriftlich vermerkt wurde, ist der Mensch nun formal zwar nicht Bestandteil des Diagramms. Da die Abweichungen von der konzentrischen Ordnung des Ganzen mit der Überlebensfähigkeit des Menschen begründet werden, zeigt aber auch dieses 56 Kopenhagen, MS NKS 275a 4° (Frankreich, 1275–1300), fols. 11r–30v, hier fol. 11v. Nur dieses erste Diagramm ist vollständig. Jörgensen 1926, S. 419 f.; Ausstellungskat. Kopenhagen 1999, Nr. 67, S. 52; Pedersen 1975, S. 75 f. u. 96. 57 Ähnlich wie das Diagramm der Florentiner Abschrift des Dragmaticon (Abb. 39) vermittelte auch dieses Diagramm die Bewegung der Planeten durch die 90°-Stufung der Inschriften. Einem späteren Nutzer schien diese Rezeptionsvorgabe zu mühsam zu sein: Er vermerkte auch die ausgerückten Planeten im Scheitelpunkt ihrer Bahn. 58 Es ist nicht davon auszugehen, dass die Inschriften vergessen wurden. Schon die Tatsache, dass das Diagramm mit einer Titelinschrift versehen ist, weist darauf hin, dass es bei der Ausstattung mit Schriftelementen nicht einfach übergangen wurde. Zudem sind in dieser Handschrift alle Diagramme zur Spera vollständig sowie sorgfältig gezeichnet, koloriert und beschriftet. Das gilt gleichermaßen für BL, MS Egerton 844 (2. H. 13. Jh.), fols. 7v–21r, hier fol. 8r.
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Die Diagramme bei Johannes de Sacrobosco
Diagramm die anthropozentrische Disposition der Welt. Sie ist für den Menschen auf diese Weise beschaffen und geordnet, und zwar – so heißt es in der Spera kurz zuvor zu der Ordnung der Elemente im Kosmos – durch den »herrlichen und erhabenen Gott« (deus gloriosus et sublimis).59 In einigen der folgenden Diagramme wird die Erde wesentlich deutlicher als Ort des Menschen erkennbar sein. Dann jedoch geht es nicht mehr um die Vorstellung, dass die Welt für den Menschen eingerichtet ist, sondern dass dieser sich die Welt von der Erde aus erschließt.
5.2.2 Visuelle Welterfahrung und abstraktes Denken. Die Kugelgestalt des Himmels und Form, Lage und Größe der Erde Die folgenden Diagramme begleiten die Erläuterungen zur Form von Himmel und Erde, zur Größe der Erde und zu ihrem Ort innerhalb des Ganzen, welche den umfangreichsten Teil des ersten Kapitels der Spera ausmachen.60 Sacrobosco nutzte dafür vermutlich sowohl Ptolemaeus’ Almagest als auch Alfraganus’ Zusammenfassung dieses komplizierten Grundlagenwerks der mathematischen Astronomie und verhandelte zunächst die Kugelgestalt der Welt, dann die sphärische Form der Erde, deren Lage im Zentrum der Welt, ihre Größe im Verhältnis zum Firmament sowie ihre Unbeweglichkeit.61 Schon im Timaeus-Kommentar des Calcidius waren diese Fragestellungen diskutiert worden. Während dort jedoch nur im Anschluss ein einziges Diagramm – jenes zur Kugelgestalt des Wassers (Abb. 26) – für die Argumentation genutzt wurde, sind in den SperaAbschriften mehrere Gedankengänge und Beobachtungen auch ins Diagramm übertragen. Zwar bleiben einige der Diagramme ähnlich streng geometrisch-abstrakt wie jenes zur sphärischen Form des Wassers im Timaeus-Kommentar. Andere aber geben sich als Darstellungen, in denen Phänomene der sichtbaren Welt verhandelt werden, zu erkennen und nehmen figurative Elemente auf. 59 Johannes de Sacrobosco, De Spera 1, hg. Thorndike 1949, S. 78: Est enim terra tamquam centrum in medio omnium sita, circa quam aqua, circa aquam aer, circa aerem ignis est, illic purus et non turbidus, orbem lune attingens, ut ait Aristoteles in libro Metheororum. Sic enim disposuit deus gloriosus et sublimis. Zu der Quellenangabe Aristoteles/Gerhard von Cremona, Meteorologica 1.2, hg. Schoonheim 2000, S. 6. 60 Johannes de Sacrobosco, De Spera 1, hg. Thorndike 1949, S. 80–85. Im Anschluss an die Ausführungen zur Aufteilung der Welt in fünf Elemente nennt Sacrobosco kurz die beiden Bewegungen der Sphären – die Drehung des äußersten Himmels um die Pole von Ost nach West und die entgegengesetzte Drehung der Planetensphären um die Achse des Tierkreises – sowie Zeichen, an denen erstere abzulesen sei: die gleichförmige und stetige Bewegung der Sterne von ihrem Auf- zum Untergang und die Kreisbewegung der polnahen Sterne um den Pol. Ebd., S. 79 f. 61 Ptolemaeus, Almagest 1.2–7, übers. Manitius, bericht. Neugebauer 1963:1, S. 6,5–20,15. Alfraganus/Johannes von Sevilla, Differentie scientie astrorum 2–4, hg. Carmody 1943, S. 5–8. Vgl. auch Thorndike 1949, S. 15 f.
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Zweckmäßigkeit der Sphäre Sacrobosco führt drei Gründe für die Kugelgestalt des Himmels an – Ähnlichkeit (similitudo), Zweckmäßigkeit (commoditas) und Notwendigkeit (necessitas) – und hebt jeweils bestimmte Eigenschaften der runden Form hervor. Die Welt sei nach dem Urbild (archetypus) der Welt geschaffen und mit ihrer runden Form gleich diesem Urbild ohne Anfang und Ende.62 Das Kriterium der Zweckmäßigkeit werde von ihr am besten erfüllt, da sie – so entnahm es Sacrobosco vermutlich dem Almagest – unter den Körpern von gleicher räumlicher Erstreckung der größte sei und folglich das größte Fassungsvermögen besitze. »Daher, da die Welt alles beinhaltet, war solch eine Form ihr nützlich und zweckmäßig.« (Unde, cum mundus omnia contineat, talis forma fuit illi utilis et commoda.)63 Das dritte Argument betraf nicht das Innen, sondern das Außen der Welt. Nach der Kosmologie des Aristoteles, der Sacrobosco hier folgte, konnte es außerhalb des Kosmos weder Körper, Ort noch Leere geben. Der Körper musste folglich eine Sphäre sein, da allein die Sphäre bei ihrer Drehung immer denselben Raum einnehme.64 62 Quod celum sit rotundum triplex est ratio: similitudo, commoditas, necessitas. Similitudo enim quoniam mundus sensibilis factus est ad similitudinem mundi architipi, in quo non est finis neque principium, unde ad huius similitudinem mundus sensibilis habet formam rotundam, in qua non est assignare principium neque finem. Johannes de Sacrobosco, De spera 1, hg. Thorndike 1949, S. 80. Der Begriff archetypus war im gesamten Mittelalter geläufig und wurde in der Patristik sowie von Gelehrten wie Honorius Augustodunensis (1. H. 12. Jh.) oder Albertus Magnus im Sinn der platonischen Metaphysik verstanden und auf das im Geist Gottes erschaffene Urbild der Welt bezogen. Zusammenfassend Hüllen 1971. Der anonyme Autor der Glossen in der Handschrift Bodleian, MS Canon. Misc. 161 (vor 1338), schrieb dazu: Et nota quod architipus dicitur ab archos, quod est princeps, et thipos, figura que prius fiat. Et hic mundus architipus eternus, alter non, cum inceperit, mundus enim architipus est idea sive imago huius mundi sensibilis existens in mente conditoris que coeterna est ipsi conditori. Glosae super Speram, hg. Thorndike 1949, S. 418. Vgl. auch Compendium circa quadrivium, hg. Lafleur 1988, S. 366,136–143. 63 Johannes de Sacrobosco, De spera 1, hg. Thorndike 1949, S. 80, wo es zuvor heißt: Commoditas, quia omnium corporum isoperimetrorum spera maximum est, omnium etiam formarum rotunda capacissima est. Quoniam igitur maximum et rotundum, ideo capacissima. Vgl. Ptolemaeus, Almagest 1.3, übers. Manitius, bericht. Neugebauer 1963:1, S. 9,20–24: »Da ferner von den verschiedenen Figuren gleichen Kreisumfanges die Vielecke, welche mehr Ecken haben, die größeren sind, so hat von den ebenen Figuren der Kreis, von den Körpern die Kugel, und von allen übrigen Körpern die Himmelskugel an Größe den Vorrang.« 64 Necessitas, quia, si mundus esset alterius forme quam rotunde, scilicet trilatere vel quadrilatere vel multilatere, sequeretur quod locus aliquis esset vacuus et corpus sine loco, quorum utrumque falsum est, sicut patet in angulis elevatis et circumvolutis. Johannes de Sacrobosco, De spera 1, hg. Thorndike 1949, S. 80 f. Bei Aristoteles heißt es zur Form des Himmels: »Again, since the whole seems – and has been assumed – to revolve in a circle, and since it has been shown that outside the farthest circumference there is neither void nor place, from these grounds also it will follow necessarily that the heaven is spherical. For if it is to be rectilinear in shape, it will follow that there is place and body and void without it. For a rectilinear figure as it revolves never continues in the same room, but where formerly was body, is now none, and where now is none, body will be in a moment because of the changing positions of the corners. Similarly, if the world had some other figure with unequal radii, if, for instance, it
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In der Handschrift in Cambridge befindet sich auf dem Seitenrand neben dem Textabschnitt, in dem die Kugelgestalt der Welt aus diesen Überlegungen gefolgert wird, ein Diagramm, das aus einem Kreis mit einer inneren, gelb ausgefüllten, linsenförmigen Fläche gebildet und mit lateinischen Buchstaben beschriftet ist (Abb. 63, oben). Doch weder tauchen in den Erläuterungen im Haupttext die Buchstaben auf noch ist eine Erklärung auf dem Seitenrand zu finden. Anders verhält es sich wiederum in der Handschrift in Oxford, wo mithilfe einer Glosse, die sich direkt auf das dort ebenfalls vorhandene Diagramm bezieht (Abb. 61, rechts), zu erkennen ist, dass hier für die optimale Zweckmäßigkeit der Sphäre auch auf visueller Ebene argumentiert wird. Die nicht zu überbietende Kapazität der Kugelform zeige sich darin, dass der Kreis aebf die über demselben Durchmesser gezeichnete ›ovale‹ Form acbd um zwei Mondsicheln (in duabus lunulius) übertreffe.65 Ob dieses Diagramm aus einer Quelle entlehnt oder aber erst für die Erläuterung der commoditas in Sacroboscos Spera entworfen wurde, kann hier nicht geklärt werden; im Almagest zumindest wird der Gedankengang nicht in einem Diagramm anschaulich gemacht. Wiederum genügte in der Spera-Handschrift in Cambridge allein das Diagramm als Glosse. Das zeigt vor allem, dass der visuelle Befund das Entscheidende der Argumentation war: Auf seine Erläuterung, nicht aber auf das Diagramm konnte verzichtet werden. Durch die Farbgebung sollte die Ermangelung einer Erkenntnisführung durch einen Begleittext kompensiert werden. Es sind mit der kleinen Innenfläche und dem gemeinsamen Durchmesser zwei Details farbig hervorgehoben, die von zentraler Bedeutung für die visuelle Argumentation sind und ein allein visuelles Verstehen fördern sollten.66 Visuelle Erfahrung Der Text legt weiterhin nahe, dass die Kugelgestalt der Welt nicht nur aufgrund dieser Argumente aus Metaphysik, Stereometrie und Kosmologie als sicher gelten müsse, sondern auch aus der visuellen Wahrnehmung gefolgert werden könne. Sacrobosco beruft sich auf Alfraganus und hält fest, dass uns unter einem flachen Himmel der Ausschnitt direkt über uns mitsamt seinen Sternen näher sein würde. Da uns die Dinge aus der Nähe betrachtet größer erscheinen als in der Ferne, were lentiform, or oviform, in every case we should have to admit space and void outside the moving body, because the whole body would not always occupy the same room.« Aristoteles, De caelo 2.4.287a12–23, übers. Stocks 1984, S. 474. Vgl. auch ebd. 1.9.278a22–279a17, S. 462 f.; ferner Craemer-Ruegenberg 1980, S. 94–101. Zu dem gesamten Passus in der Spera auch Grant 1996 [1994], S. 115 f. 65 […] inter quas species [corpus mensurabiles circulari figura] sperica omnibus est capacior, quod patet si supra diametrum cuiuslibet earum sperica figuretur, ut hic ubi super eundem diametrum fit figura ovalis .acbd. et sperica .aebf. Manifestum est hanc excedere aliam in duabus lunulis. Glosae super Speram, hg. Thorndike 1949, S. 418 f. Die Glosse folgt erst auf dem oberen Seitenrand von fol. 10r. 66 Vgl. auch BL, MS Royal 12 C. XVII (England?, Anf. 14. Jh.), fol. 18r (innere Fläche ist grün ausgemalt).
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müsste für uns dann die Sonne im Scheitelpunkt größer sein als bei ihrem Aufoder Untergang. Das Gegenteil jedoch sei der Fall: Die Sterne scheinen im Osten und im Westen größer zu sein als in der Mitte des Himmels.67 Die Ursache dieses trügerischen Phänomens wird kurz erläutert: »Aber da der Sache Wahrheit so nicht ist, ist die Ursache dieser Erscheinung, weil ja in der winterlichen oder auch regnerischen Zeit Dämpfe aufsteigen zwischen unserem Blick und der Sonne oder auch einem anderen Stern. Und da jene Dämpfe einen lichtdurchlässigen Körper bilden, zerstreuen sie unsere Sehstrahlen, sodass sie [die Sehstrahlen] die Sache nicht in ihrer wahren Größe erfassen, wie es von einem auf den Grund klaren Wassers geworfenen Geldstück klar ersichtlich ist, das wegen der gleichen Zerstreuung der Strahlen größer erscheint, als es in Wahrheit ist.« (Sed cum rei veritas ita non sit, huius apparentie causa est quia in tempore hyemali vel pluviali vapores ascendunt inter aspectum nostrum et solem vel aliam stellam. Et cum illi vapores sint corpus diaphanum, disgregant radios nostros visuales quod non comprehendunt rem in sua vera quantitate, sicut patet de denario proiecto in fundo aque limpide, qui propter similem disgregationem radiorum apparet maioris quam sue vere quantitatis.)68
Sacrobosco macht also nicht nur deutlich, dass die Vorstellung, der Himmel sei flach, unserer Seherfahrung nicht standhält, sondern er erklärt auch, warum jener visuelle Befund, auf den er sich beruft, die Wahrnehmung täuscht. Die Sehstrahlen können das Objekt nicht ungehindert erreichen, sondern werden in einem feuchten und damit dichten Medium – Dämpfe oder, im Fall des Geldstücks, Wasser – zerstreut. Weder Sacrobosco noch Alfraganus, dessen Ausführungen Sacrobosco hier zusammenfasst, weisen in ihrer Darlegung auf ein Diagramm hin.69 Aber so67 Johannes de Sacrobosco, De spera 1, hg. Thorndike 1949, S. 81. Alfraganus/Johannes von Sevilla, Differentie scientie astrorum 2.9–12, hg. Carmody 1943, S. 5 f. Bei der Frage nach der Form der Welt untermauert Sacrobosco somit die wahre Ansicht zunächst mit drei Kriterien und argumentiert dann, warum die Vorstellung, der Himmel sei eine Scheibe, als Irrtum gelten muss. In diesem Vorgehen erkennt Max Lejbowicz eine Übernahme des Verfahrens der quaestio. Lejbowicz 1997, S. 199 f. 68 Johannes de Sacrobosco, De spera 1, hg. Thorndike 1949, S. 81. 69 Alfraganus/Johannes von Sevilla, Differentie scientie astrorum 2.13 f., hg. Carmody 1943, S. 6. Carmodys Edition enthält nur äußerst knappe Bemerkungen zu den Diagrammen in den benutzten Handschriften. Ebd., S.e. Romeo Campani stattete seine Ausgabe der Übersetzung Gerhards von Cremona in den Anmerkungen auch mit vereinfachten Nachzeichnungen von Diagrammen aus, die wiederum Johannes von Sevilla seiner Übersetzung hinzugefügt habe. An dieser Stelle jedoch findet sich in der Edition kein Diagramm. Alfraganus/Gerhard von Cremona, Liber de aggregationibus scientie stellarum 2, hg. Campani 1910, S. 66. Vgl. auch Ptolemaeus, Almagest 1.3, übers. Manitius, bericht. Neugebauer 1963:1, S. 9,5–11. Auch hier wird im Text nicht auf ein Diagramm verwiesen. Schon der englische Theologe Alexander Neckam (1157–1217), einer der frühesten Zeugen für die Rezeption der zeitgenössischen Übersetzungen aus dem Griechischen und Arabischen, erwähnte in seiner Schrift De naturis rerum die durch die Dämpfe manipulierte visuelle Wahrnehmung der Sonne. Auch er verwies an dieser Stelle jedoch nicht auf ein Diagramm. Alexander Neckam, De naturis rerum 2.153 ¢De visu², hg. Wright 1863, S. 234. Dazu Hunt 1984 [1936], bes. S. 67–83. Vgl. Aristoteles, Meteorologica
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wohl in der Spera-Handschrift in Cambridge als auch in derjenigen in Oxford – hier wiederum im Anschluss an den Haupttext – wird die beschriebene Situation in einem Diagramm gezeigt (Abb. 63 u. 78, links). Im Scheitelpunkt der zentral platzierten Erde (terra) ist das Auge (oculus) des Beobachters lokalisiert und unmittelbar darüber, im Scheitelpunkt des äußeren Kreises, befindet sich die Sonne (sol). Die ungehinderte visuelle Wahrnehmung der Sonne ist entweder durch eine Senkrechte zwischen Auge und Sonne oder durch zwei diagonale Linien dargestellt, die vom Augenpunkt ausgehen und die Sonne tangieren. Links von der Erde hingegen, wo die Sonne ein zweites Mal, nun auf der Horizontlinie, zu sehen ist, wird diese Verbindung zwischen Auge und Himmelskörper in insgesamt vier Linien aufgespalten. Sie umgeben und durchqueren eine grüne bzw. blaue Farbfläche, die eben jenen Dampf (vapor) darstellt, dessen Dichte dem Text nach die Zerstreuung und die Brechung der Sehstrahlen verursacht. Während dem Diagramm dieser Sachverhalt mithilfe des Texts zu entnehmen ist, bleibt unklar, warum die Sonne durch den Dampf hindurch größer erscheint, schließlich fassen in beiden Diagrammen die Linien den Sonnenkörper letztendlich genau am Scheitel- und Fußpunkt ein. Die visuelle Darstellung fordert zum vergleichenden Sehen auf und lässt Fragen entstehen, die einerseits auf eine präzisere Erkenntnis des Phänomens zielen, aber andererseits weder im Text noch in den beiden Diagrammen explizit beantwortet werden. Mit Kenntnissen aus den Lehrbüchern der geometrischen Optik hingegen, eines im Westen relativ neuen Wissensgebiets, dessen Grundlagenwerke erst seit der Mitte des 12. Jahrhunderts ins Lateinische übertragen worden waren, lassen sich die Diagramme besser verstehen. Sowohl in den Optica des Ptolemaeus als auch in dem umfangreichen Werk De aspectibus des Mathematikers Alhacen (Ibn al-Haitam, 965 bis ca. 1040) wurden unter den Phänomenen, die durch Strahlenbrechung verursacht werden, auch optische Vergrößerungen von Formen diskutiert, die durch ein dichteres Medium hindurch wahrgenommen werden.70 Beide Autoren sahen für die Erläuterung 373b12–14, übers. Strohm 31984, S. 80,21–23, sowie Seneca, Naturales quaestiones 1.5–6, hg. Schönberger/Schönberger 1998 [1990], S. 48. Das Phänomen, dass die Sonne im Horizont angehoben erscheint, weil sich die Lichtstrahlen in der Dämmerung, d. h. in den von der Erde aufsteigenden Dämpfen (vapores subtiles ascendentes ex terra) brechen, wurde auch in dem kurzen Traktat De crepusculis et nubium ascensionibus erläutert. In den Diagrammen, die zu diesem Text gehören, geht es aber darum, die räumliche Erstreckung der Dämpfe zu ermessen. Dieses Traktat wurde stets Alhacen (Ibn al-Haitam, 965 bis ca. 1040) zugeschrieben; der Verfasser ist jedoch der Mathematiker Abhomadi Malfegeyr (Ibn Mu’ādh). Übersetzt wurde es vermutlich von Gerhard von Cremona. Abhomadi Malfegeyr/Gerhard von Cremona(?), De crepusculis, hg. Risner 1972 [1572], S. 283–288. Zur Autorschaft Sabra 1967. 70 Ptolemaeus/Eugenius von Palermo, Optica 5.75–78, hg. Lejeune 1956, S. 263,24–265,12. Die Optica wurden um 1154 ins Lateinische übersetzt. Alhacen/Gerhard von Cremona(?), De aspectibus 7.38 ff., hg. Risner 1972 [1572], S. 271 ff. Die Fragen, wann und von wem Alhacens Kitáb al-Manázir ins Lateinische übertragen wurde, sind bis heute ungeklärt. Das früheste Zeugnis für die Rezeption von De aspectibus ist De proprietatibus rerum des Bartholomäus Anglicus, ein enzyklopädisches Werk der späten 1240er-Jahre. Zu diesen Fragen zuletzt Smith
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dieser trügerischen Erscheinungen abstrakt-geometrische, mit Buchstaben beschriftete Diagramme vor, die sie im Text herleiten. Eine der diagrammatischen Grundformen sowie der visuelle Befund sollen hier anhand eines Diagramms in der ersten Drucklegung von Alhacens De aspectibus aus dem Jahr 1572 veranschaulicht werden (Abb. 64).71 Ähnlich wie in dem Diagramm zur Wahrnehmung der Sonne im Horizont in der Spera beabsichtigt, kann auch hier die Erkenntnis durch ein vergleichendes Sehen gewonnen werden. Die ungehinderte visuelle Wahrnehmung eines Gegenstands, die erfolgt, wenn sich dieser Gegenstand und der Betrachter im selben Medium befinden, ist im Diagramm durch die direkte Verbindung des Blickpunkts a mit den Basispunkten b und c verdeutlicht. Das Dreieck abc stellt den Sichtkegel mit dem Sichtfeld bc dar. Der stärkste visuelle Eindruck entsteht durch den senkrechten Strahl72 az; zu den Rändern des Sichtfelds nimmt die Intensität des Sehens ab. Befindet sich nun allein der wahrgenommene Gegenstand (mit dem Durchmesser bc) in einem dichteren Medium – wie z. B. Wasser – (mit dem geraden Abschluss de), werden die Strahlen, die Auge und Objekt verbinden, an der Oberfläche des Mediums gebrochen (an den Punkten p und h). Für den Betrachter jedoch ist diese Brechung nicht wahrnehmbar; er sieht den Gegenstand dort, wo die Linie lk eingezeichnet ist. Der Gegenstand und seine visuelle Erscheinung trennen sich voneinander. Der Blick erfasst nur mehr das Bild des Objekts im dichteren Medium und nicht mehr das Objekt selbst. Dem Diagramm kann entnommen werden, dass das Bild größer als das Objekt selbst erscheint: Es ist dem Blickpunkt näher, und der Winkel, den die Linien ak und al beschreiben, ist größer als derjenige, der durch die Linien ab und ac gebildet 2001:1, S. xix–xxii. Für eine gleichermaßen konzise wie detaillierte Einführung in die verschiedenen Wissensfelder der Optik von der Antike bis in die Frühe Neuzeit Lindberg 1981 [1976]. 71 Alhacen/Gerhard von Cremona(?), De aspectibus 7.39, hg. Risner 1972 [1572], S. 271. Zu dieser Edition schreibt Smith 2001:1, S. xxii: »As with the text, so with the diagrams, Risner made significant clarifications and improvements […].« Für die lateinischen Handschriften (13.-15. Jh.) ebd., S. clv–clxi, wo sich jedoch keine präzisen Hinweise auf Diagramme finden. Ptolemaeus verwandte ein ganz ähnliches Diagramm. Vgl. die Nachzeichnung in der Textedition: Ptolemaeus/Eugenius von Palermo, Optica (5.75), hg. Lejeune 1956, S. 264, fig. 98a. Lejeune zufolge ist dieses Diagramm jedoch nur in zwei der zwölf Handschriften, auf denen seine Edition basiert, zu finden. Vgl. auch Lejeune 1957, S. 170. 72 Die ›Strahlen‹ wurden von Ptolemaeus und Alhacen jeweils anders aufgefasst. Die Optica des Euklid, die ebenfalls im 12. Jh. ins Lateinische übersetzt wurden, sowie die gleichnamige Schrift des Ptolemaeus lieferten erstmals eine systematische Darlegung der ›Emissionstheorie‹, die auf der Vorstellung basierte, dass das Auge einen Sehstrahl aussendet. Sie war von Platon im Timaeus beschrieben worden und das gesamte Mittelalter hindurch maßgebend gewesen. Vgl. dazu Kap. 3.2.4 dieser Arbeit. Alhacen hingegen machte die aristotelische ›Empfangstheorie‹ zur Grundlage seiner Theorie der visuellen Wahrnehmung. Ihr zufolge empfängt das Auge Lichtstrahlen, welche von den Punkten auf der Oberfläche eines lichterfüllten Gegenstands ausgehen. Smith 2001:1, S. xxvi–lxxx, sowie Lindberg 1981 [1976], S. 1–86. Da Sacrobosco in der Spera von ›unseren Sehstrahlen‹ spricht, die einen Gegenstand erfassen (radii nostri visuales […] comprehendunt rem), scheint er der ›Emissionstheorie‹ gefolgt zu sein. Vgl. Anm. 68.
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wird.73 Eine ähnliche Erkenntnis lässt sich aus der Betrachtung der Diagramme zur Wahrnehmung der Sonne im Horizont in den Spera-Handschriften gewinnen. Der orthogonal auf die Sonne treffende Sehstrahl bzw. der Sichtkegel wird in dem Dampf in mehrere Strahlen aufgespalten, die einen vergleichsweise größeren Winkel bilden als die Strahlen, die die Sonne ungehindert erreichen. In einigen Handschriften ist dem oben zitierten, mit den Worten Sed cum rei veritas ita non sit beginnenden Passus nicht nur dieses eine, sondern ein zweites Diagramm auf dem Seitenrand beigestellt (Abb. 65).74 Seine Grundform ähnelt derjenigen des Diagramms aus Alhacens De aspectibus, welches jedoch deutlich abstrakter bleibt. Inschriften und Farbgebung lassen erkennen, dass auf dem Seitenrand der Spera auch der Sehvorgang im Diagramm dargestellt ist, den Sacrobosco als anschauliches Beispiel im Text erwähnt: Das direkt über der rechteckigen Fläche befindliche Auge (oculus uidens) erblickt einen Gegenstand (res uisa), der sich auf dem Grund eines mit Wasser gefüllten Behälters (uas aqua repletum) befindet. Die rechteckige Fläche ist mit einem wässrigen Grün ausgefüllt. Wie in Alhacens Diagramm ist hier sowohl die Brechung der Strahlen als auch die direkte Verbindung zwischen Auge und Objekt, die sich nur bei einer Lokalisierung im selben Medium herstellen würde, durch die Linienführung dargestellt. Auch dem Diagramm in der Spera ist also zu entnehmen, dass die Strahlen einen jeweils anderen Winkel beschreiben. Dabei vermittelt es, dass das Auge den vergrößerten Gegenstand auf der Oberfläche des Wassers und nicht darunter im dichteren Medium erblickt. Wenn dieses Diagramm somit demjenigen in Alhacens De aspectibus auch nicht genau entspricht, so legen die Übereinstimmung des verhandelten Gegenstands und die Ähnlichkeit der Diagrammform nahe, dass es einem derartigen Diagramm aus einer Abhandlung zur geometrischen Optik entlehnt wurde. Es ist in der Spera nicht nur eine visuelle Glosse zu Sacroboscos knapper Erläuterung, sondern auch ein Diagramm zum Diagramm, schließlich kann es zum besseren Verständnis der Darstellung der visuellen Wahrnehmung der Sonne im Horizont genutzt werden. In beiden 73 Bei Alhacen heißt es: […] uisus comprehendit imaginem rei uisae secundum quantitatem anguli, respectu remotionis & positionis rei uisae apud uisum; & angulus k a l est maior angulo c a b [ex concluso,] & positio l k est sicut positio c b, & b c uidetur in l k, & l k comprehenditur in maiore quasi distantia, distantia b c, propter debilitatem formae. Alhacen/Gerhard von Cremona(?), De aspectibus 7.39, hg. Risner 1972 [1572], S. 272. Während nach Alhacen nicht nur die Größe des Sichtwinkels, sondern auch die Erstreckung des Objekts im Sichtfeld sowie die zwischen Auge und Objekt wahrgenommene Entfernung für die wahrgenommene Größe eines Objekts maßgeblich sind, behauptete Euklid dies allein für den Sichtwinkel: »[…] 4. and [let it be assumed] that those things seen within a larger angle appear larger, and those seen within a smaller angle appear smaller […].« Euklid, Optica Def. 4, übers. Burton 1945, S. 357. Vgl. auch Ptolemaeus/Eugenius von Palermo, Optica 2.63, hg. Lejeune 1956, S. 45 f.; Alhacen/ Gerhard von Cremona(?), De aspectibus 2.3.146, hg. Smith 2001:1, S. 170. 74 BL, MS Harley 3735 (Frankreich, 1253–1293), fols. 17r–27r, hier fol. 18r. Zu dieser Handschrift Kap. 4, Anm. 25. In der Handschrift in Cambridge kommt dieses Diagramm nicht vor. Zu dem Textabschnitt Anm. 68.
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Fällen wird ein Körper aufgrund des dichteren Mediums unter einem größeren Winkel wahrgenommen, weshalb der Körper selbst größer erscheint. Ähnlich wie im Fall des Kompositdiagramms zur Sphärenordnung (Farbabb. 23) sprach die ausschließlich auf der Ebene des Visuellen operierende Glossierung auch hier dem Rezipienten ein erhebliches Maß an ›Diagrammkompetenz‹ zu. Denn bezieht man die beiden Diagramme zur visuellen Wahrnehmung aufeinander, so ist man schnell dazu verleitet, formale Entsprechungen inhaltlich gleich zu deuten. Das Strahlenbündel beispielsweise, welches das ›sehende Auge‹ verlässt, ähnelt demjenigen, das sich zwischen dem Auge im Scheitelpunkt der Erde und der vernebelten Sonne erstreckt. Während aber im ersten Fall zwei ganz verschiedene Strahlenverläufe im selben Diagramm dargestellt sind, zeigt das Diagramm zur Wahrnehmung der Sonne allein die Zerstreuung der Strahlen im Morgendunst. Die visuelle Glossierung setzte Erfahrung mit der diagrammatischen Verschränkung von disparaten Raum- und Zeiteinheiten voraus. Allerdings kann das Diagramm zur Wahrnehmung des im Wasser befindlichen Gegenstands auch noch anders interpretiert werden, wie es wiederum explizit in einer Glosse in der Handschrift in Oxford deutlich wird. Sie bezieht sich ausdrücklich auf das Diagramm, welches allerdings nicht in direkter Anbindung an die Glosse, sondern erst unter den Diagrammen zu finden ist, die im Anschluss an die Spera folgen (Farbabb. 25, unten links). Das hier deutlich reduzierte Diagramm, in dem allerdings die Augen zusätzlich zu den Beischriften auch figurativ dargestellt sind, wird in der Glosse folgendermaßen kommentiert: »Merke, dass dazu, dass der gesehene Gegenstand richtig erfasst wird unter seiner Gestalt, das bedeutet seiner Gestalt und Farbe, drei Bedingungen gestellt werden: Zuerst, dass sich der Gegenstand in angemessener Entfernung befindet, zweitens, dass das Sinnesorgan gut platziert ist, drittens, dass es ein einziges Medium gibt. Wenn irgendeine dieser drei nicht erfüllt ist, wird der Gegenstand nicht richtig gesehen. Daher, wenn der Gegenstand unter einem einzigen Medium gesehen wird, geschehen die einfallenden und die reflektierten Strahlen unter denselben Winkeln. Wenn die Medien aber verschieden sind, sind die einfallenden Strahlen unter einem kleineren Winkel und die reflektierten unter einem größeren, sodass die äußeren und gleichsam schwachen einfallenden Strahlen von dem Zwischenmedium rechtwinklig gebrochen werden und äußerst gebrochen zum Blick zurückkehren unter einem größeren Winkel, wie es in der Figur klar zutage tritt.« (Nota quod ad hoc quod res visa debite comprehendatur sub sua figura, scilicet figura et colore, exiguntur tria: primum quod res sit in debita distantia, secundo quod organum bene sit dipositum, tertio quod medium sit unicum. Si aliquid istorum trium defuerit, res debite non videtur. Unde, si res sub unico medio videatur, radii incidentes et reflexi sub eisdem fiunt angulis. Si autem sint diversa, radii incidentes sunt sub minori angulo et reflexi sub maiori ita quod extremi incidentes rei refranguntur tamquam debiles ad medium interstitium orthogonaliter et extremi refracti redeunt ad visum sub maiori angulo sicut patet in figura.)75 75 Glosae super Speram, hg. Thorndike 1949, S. 419. Die Glosse befindet sich auf fol. 8v.
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Das Phänomen, dass ein Gegenstand in einem dichteren Medium größer erscheint, wird auch hier letztlich mit der Größe des Strahlenwinkels erklärt. Auffällig ist allerdings, dass der Kommentator nicht nur von der Strahlenbrechung, sondern auch von ihrer Reflexion spricht.76 Der Sehvorgang wird – möglicherweise in Anlehnung an Aristoteles’ Meteorologica77 – als ein zweistufiger Prozess aufgefasst, in dem zunächst Strahlen vom Auge ausgehen, dann vom Objekt reflektiert werden und – in einem einzigen Medium auf demselben Weg – zum Auge zurückkehren. Durchdringen die Strahlen ein dichteres Medium, so werden die äußeren, die von geringerer Intensität sind, gebrochen, und es kommt zu jenem größeren Sehwinkel. Diesem Verständnis nach stellt das Diagramm nicht zwei verschiedene Sehvorgänge simultan dar, sondern es zeigt allein den Blick ins Wasser, bei dem nur die ›starken‹ mittleren Strahlen das Medium ungebrochen überwinden, während die ›schwachen‹ äußeren gebrochen werden. Ob dies eine Lesart des Diagramms ist oder die dem Diagramm vorgegebene Theorie, muss hier jedoch offen bleiben. Folgt man dieser zweiten Sichtweise, so sind die Darstellungen der Sehstrahlen im Diagramm zur Wahrnehmung der Sonne im Horizont einerseits und des Gegenstands im Wasser andererseits als deckungsgleich zu begreifen. Noch bevor dieser Sehvorgang erläutert wird, nennt die Glosse drei Bedingungen für eine unverfälschte Sicht der Dinge. Die Bemerkung, dass das Sehen die Gestalt und Farbe eines Objekts erfasst, erinnert dabei an Wilhelms von Conches Theorie der visuellen Wahrnehmung.78 Die Bedingungen – die räumliche Trennung von Auge und Objekt, die Anordnung des Auges gegenüber vom Objekt und die Anwesenheit beider im selben Medium – sind möglicherweise Alhacen entnommen, welcher insgesamt acht Faktoren nennt, oder aber Aristoteles’ De anima entlehnt.79 Diese der Erläuterung des besonderen Sehvorgangs voran-
76 In den Schriften von Ptolemaeus und Alhacen werden Reflexion und Brechung von Strahlen gesondert behandelt: »[…] like Ptolemy, Alhacen divides the science of optics under three heads according to the three basic modes of vision: optics proper, which is the study of sight by unbroken rays; catoptrics, which is the study of sight by reflected rays; and dioptrics, which is the study of sight by refracted rays.« Smith 2001:1, S. lxxiii. 77 Aristoteles, Meteorologica 373a35–373b15, übers. Strohm 1984, S. 80,8–23. Dazu auch Seneca, Quaestiones naturales 1.7 f., hg. Schönberger/Schönberger 1998 [1990], S. 32, wo es u. a. heißt: Aristoteles idem iudicat: ›ab omni‹, inquit, ›levitate acies radios suos replicat; nihil autem est levius aqua et aëre: ergo etiam ab aëre spisso visus noster in nos redit. […]‹ longe autem magis visum nobis nostrum remittit aqua, quia crassior est et pervinci non potest, sed radios luminum nostrorum moratur et eo, unde exierunt, reflectit. 78 Vgl. Kap. 3.2.4. 79 Alhacen setzt voraus: (1) Trennung von Auge und Objekt; (2) Gegenüberstellung von beiden; (3) wahrnehmbare Größe des Objekts; (4) Zeit, die das Auge benötigt, um das Objekt zu erfassen; (5) Licht; (6) Mindestmaß an Opazität aufseiten des Objekts; (7) ein einziges
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gestellte Überlegung ist in gewisser Hinsicht für das Verständnis eines bisher unbeachteten Details des Diagramms mit dem Wassergefäß hilfreich. Teil des Diagramms ist immer auch ein zweites Auge, das allerdings nicht unmittelbar oberhalb der rechteckigen Fläche, sondern rechts davon gezeichnet ist. Entsprechend treffen seine Strahlen in deutlich spitzeren Winkeln auf die Wasseroberfläche. Eine Beischrift erklärt dieses Auge als das ›nicht sehende Auge‹ (oculus non uidens), was mithilfe der Glosse schnell verständlich erscheint. Dargestellt ist im Diagramm eine Anordnung, in der nicht nur die dritte, sondern auch die zweite der in der Glosse genannten Bedingungen nicht erfüllt ist und das Objekt gar nicht mehr wahrgenommen werden kann. Die Unterscheidung zwischen dem ›sehenden Auge‹ und dem ›nicht sehenden Auge‹ ist aber darüber hinaus möglicherweise ein Hinweis darauf, dass hier die Beschreibung eines weiteren Sehvorgangs aus der Wissensliteratur im Diagramm an die Spera herangetragen wurde. Sowohl in Euklids De speculis als auch in Ptolemaeus’ Optica wird folgendes Experiment geschildert: Legt man einen Gegenstand in ein Gefäß und entfernt man sich dann so weit von dem Gefäß, dass man den Gegenstand nicht mehr sehen kann, so wird man ihn von diesem entfernten Punkt aus sehen können, wenn das Gefäß mit Wasser gefüllt wird.80 Die Strahlenbrechung wird in diesem Zusammenhang nicht als Ursache für die Vergrößerung eines Objekts, sondern für dessen Sichtbarwerden im dichteren Medium diskutiert. Ptolemaeus sieht an dieser Stelle ein mit Buchstaben beschriftetes, abstrakt-geometrisches Diagramm vor, das jedoch – anders als das Diagramm zur Spera – das Gefäß als Kreisform darstellt und allein diesen einen
und transparentes Medium zwischen Auge und Objekt; (8) Gesundheit des Auges. Alhacen/ Gerhard von Cremona(?), De aspectibus 1.9 u. 3.3.1–3, hg. Smith 2001:1, S. 72–78 u. 285. Aristoteles’ De anima, das ebenfalls im 12. Jh. ins Lateinische übersetzt wurde, sind die von dem Kommentator der Spera an erster und dritter Stelle genannten Bedingungen nur indirekt zu entnehmen: »Wenn einer das Farbige [den dem Sehsinn eigenen ›Gegenstand‹] unmittelbar auf das Auge legt, so wird er es nicht sehen. Vielmehr erregt die Farbe das Durchsichtige, z. B. die Luft, von diesem aber als einem Zusammenhängenden wird das Sinneswerkzeug erregt. […] Denn das Sehen kommt zustande dadurch, daß das Wahrnehmungsvermögen etwas erleidet. Unmöglich aber direkt seitens der gesehenen Farbe: so bleibt also, daß es seitens des Mediums geschieht, und es muß ein Medium geben; ist dieses leer, so wird nicht nur nicht deutlich, sondern überhaupt nichts gesehen.« Aristoteles, De anima 419a12–22, übers. Theiler 7 1994, S. 37. Vgl. auch ders., De sensu 446b11–13, übers. Beare 1984, S. 708. 80 Ptolemaeus/Eugenius von Palermo, Optica 5.5–6, hg. Lejeune 1956, S. 225–226. Euklid, De speculis Prämisse 6, hg. Takahashi 1992, S. 114,14 f., wo der Vorgang in einem Satz zusammengefasst wird: Si in vas mittatur quid sumaturque distantia ut non iam videatur, eodem spatio existente si aqua infundatur, videbitur quod missum est. Vgl. auch Smith 2001:1, S. xxxvi, sowie Lejeune 1957, S. 153. Die lateinische Übersetzung von Euklids Catoptrica entstand im 12. Jh. und ist bis heute anonym geblieben. Schon bei Alexander Neckam (vgl. Anm. 69) war von diesem Experiment zu lesen. Alexander Neckam, De naturis rerum 2.153 ¢De visu², hg. Wright 1863, S. 235.
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Sehvorgang zum Gegenstand hat.81 Es ist möglich, dass im Diagramm in der Spera auch dieser Vorgang untergebracht ist, denn immerhin treffen die Strahlen des rechten Auges zumindest in der Handschrift in London (Abb. 65) genau dort auf die Wasseroberfläche, wo dem linken Auge – nach der ersten Lesart des Diagramms – das vergrößerte Bild des auf dem Grund liegenden Gegenstands erscheint. Dann würde auch das rechte Auge ein sehendes Auge werden. Durch die Beischrift non uidens kommt es diesem Verständnis nach erneut zu einer Verschränkung zweier unterschiedlicher Zeitmomente im selben Diagramm. Zudem wird das Diagramm dann auch dazu genutzt, zwei Themen der geometrischen Optik – die optische Vergrößerung sowie das Sichtbarwerden eines Objekts im dichteren Medium – zu bündeln, wobei zusätzlich die Grundbedingungen unverfälschten Sehens in die Darstellung eingehen. Die Zusammenführung der beiden Sehvorgänge in diesem Diagramm läge sicherlich in seiner Funktion als Kommentar zu dem anderen Diagramm, demjenigen zur visuellen Wahrnehmung der Sonne im Horizont, begründet. Vermutlich sollte auf diese Weise nicht nur ersichtlich werden, warum die Sonne größer erscheint, als sie ist. Es kann sein, dass so außerdem auf das Phänomen ihrer Sichtbarwerdung hingewiesen wurde, schließlich erfasst die Wahrnehmung die Sonne schon im Horizont als Ganzes, obwohl sich ihr Körper erst zur Hälfte über der Horizontlinie befindet. Mondfinsternis Auch der anschließenden Argumentation für die Kugelgestalt der Erde ist in den Spera-Handschriften, die mit einer Vielzahl von Diagrammen ausgestattet sind, ein Diagramm auf dem Seitenrand beigestellt (Abb. 66, oben), das in der Handschrift in Oxford wiederum erst auf einer der Seiten im Anschluss an den Haupttext zu finden ist (Farbabb. 24, unten links). Es ist konzentrisch aufgebaut und zeigt die Konstellation von Mond, Erde und Sonne bei einer Mondfinsternis. Die Sonne befindet sich im Fußpunkt ihrer Bahn, sodass sich oberhalb der Erde ein Schattenkegel (umbra terre) bildet, der den Mond (luna eclipta/ecliptica luna) einschließt und verdunkelt. Die weiteren Details des Diagramms sind Hinweise darauf, dass hier nicht allein das Zustandekommen einer Mondfinsternis veranschaulicht werden soll. Zum einen ist das Diagramm um zwei Diagonalen bzw. eine Horizontale und eine Diagonale ergänzt, zum anderen trägt der Erdkreis die Städte Rom und Paris in Form von Punkten oder aber Architekturen. Rom befindet sich innerhalb des Schattenkegels, der das weiter westlich gelegene Paris nur tangiert. Ersichtlich wird somit, dass nicht an allen Orten der Erde zur selben Zeit Nacht herrscht und dass eine Mondfinsternis nicht allerorts zur selben Tages- oder Nachtzeit beobachtet wird. Der Text, in dem das Phänomen, dass die Sterne nicht überall im selben Moment, sondern für die Menschen in den östli81 Vgl. die Nachzeichnung: Ptolemaeus/Eugenius von Palermo, Optica 5.6, hg. Lejeune 1956, S. 226, Abb. 79.
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chen Regionen früher aufgehen als für diejenigen im Westen, als erstes Argument für die Kugelform der Erde angeführt wird, präzisiert den Zeitunterschied in der Wahrnehmung der Mondfinsternis. Wenn diese für uns im Westen in der ersten Stunde der Nacht zu sehen sei, erscheine sie im selben Moment im Osten um die dritte Nachtstunde; im Osten sei also die Nacht früher angebrochen.82 Dieser Moment scheint ins Diagramm übertragen zu sein, schließlich wird Paris gerade erst vom Schattenkegel erfasst, während sich die östlicheren Regionen mit der Stadt Rom schon im Dunkel der Nacht befinden. Sacrobosco belässt es bei dieser Bemerkung zum Zeitunterschied und unterlässt – anders als Ptolemaeus und Alfraganus – den Hinweis, dass sich diese Differenz proportional zu der räumlichen Entfernung der Orte verhält.83 Genau dieser Aspekt aber kann – wenn auch nicht präzise, so doch im Grundsatz – dem Diagramm entnommen werden. In der Handschrift in Oxford sind die Horizontale und die Diagonale sowie der Schattenkegel mit den Buchstaben a, c und b beschriftet. Eine Beischrift nutzt diese Buchstaben, um die Relationen im Diagramm zu beschreiben: »ab die Stunden der Mondfinsternis in der östlichen Stadt, und das sind sechs Nachtstunden; cb die Stunden der Mondfinsternis der westlicheren Stadt, und das sind fünf Stunden, folglich beginnt die Nacht um eine Stunde früher in der östlicheren, und dessen Ursache ist die Wölbung der Erde.« (.ab. hore eclipsis lune apud civitatem orientalem, et sint sex hore noctis; .cb. hore eclipsis lune civitatis occidentalioris et sint 5 hore, ergo prius incipit nox per unam horam apud orientaliorem, et huius causa est tumor terre.)84
Die Fläche zwischen der Horizontlinie der Stadt Rom und dem Schattenkegel entspricht einer Dauer von sechs Stunden, diejenige zwischen der Diagonale, die die Horizontlinie von Paris darstellen soll, und dem Schatten einer Dauer von fünf Stunden. Die Differenz von einer Stunde wird nicht nur als ein Kreissegment, sondern auch als Streckenabschnitt auf dem Erdkreis lesbar. Das Diagramm legt auf diese Weise den von Ptolemaeus und Alfraganus erläuterten Zusammenhang zwischen räumlicher Entfernung zwischen zwei Orten einerseits und zeitlicher 82 Una enim et eadem eclipsis lune numero que apparet nobis in prima hora noctis apparet orientalibus circa horam noctis tertiam. Unde constat quod illis fuit prius nox […]. Johannes de Sacrobosco, De spera 1, hg. Thorndike 1949, S. 82. 83 Bei Ptolemaeus heißt es: »Da nun auch der Zeitunterschied in entsprechendem Verhältnis zu der räumlichen Entfernung der Orte gefunden wird, so dürfte man mit gutem Grunde annehmen, daß die Erdoberfläche kugelförmig sei, weil eben die hinsichtlich der Krümmung (der Oberfläche) im großen ganzen als gleichartig zu betrachtende Beschaffenheit (der Erde) die Bedeckungserscheinungen zu der Aufeinanderfolge der Beobachtungsorte stets in ein entsprechendes (Zeit-)Verhältnis setzt.« Ptolemaeus, Almagest 1.4, übers. Manitius, bericht. Neugebauer 1963:1, S. 10,27–11,4. Vgl. auch Alfraganus/Johannes von Sevilla, Differentie scientie astrorum 3, hg. Carmody 1943, S. 6 f. 84 Glosae super Speram, hg. Thorndike 1949, S. 420, Anm. 88.
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Differenz zwischen dem jeweiligen Beginn des Tages oder der Nacht andererseits nahe. Anders als dem Diagramm in der Handschrift in Oxford ist dies demjenigen in Cambridge jedoch nicht explizit zu entnehmen. Dort wurde die Spera ein weiteres Mal nicht um die erläuternde Wortglosse, sondern ausschließlich um das in seinem Inhalt über die Textinformation hinausgehende Diagramm ergänzt. In manchen Handschriften wurden die Buchstaben a, b und c hinzugefügt, ohne jedoch näher erläutert zu werden.85 Wenig erstaunlich ist die Wahl der beiden Städte im Diagramm. Neben dem zentralen Ort des christlichen Europas ist mit Paris gerade jene Stadt auf dem Globus hervorgehoben, in der die Spera entstanden war und erstmals der Vermittlung von Grundkenntnissen im Fach Astronomie diente. Die Entscheidung für die Universitätsstadt lässt sich sicherlich aus dem Unterrichtskontext verstehen, schließlich ist die Erklärung eines astronomischen Phänomens für die Lernenden dann am nachvollziehbarsten, wenn sie deren Betrachterstandpunkt berücksichtigt. Damit nimmt auch dieses Diagramm die Erfahrungswelt der Rezipienten auf, wenn auch auf andere Weise als die vorhergehenden Diagramme, in denen das Sehen selbst thematisiert wurde. Um die visuelle Wahrnehmung und ihr Erkenntnispotenzial für die Frage nach der Form der Erde geht es noch einmal in dem nun folgenden Diagramm. Sphärische Form des Wassers Für seine Argumentation, dass sich auch das Wasser auf der Erde der sphärischen Form füge, referiert Sacrobosco nicht jene Seherfahrung, die im Almagest erwähnt wird. Zwar beruft sich auch Sacrobosco auf eine Wahrnehmung, die sich von einem Schiff aus ergibt; er schildert aber nicht jenes stetige Anwachsen der Berge auf der Horizontlinie, das bei einem Kurs aufs Land zu beobachten sei.86 Stattdessen heißt es in der Spera: »Man stelle ein Zeichen auf den Strand des Meeres und ein Schiff verlasse den Hafen und werde so weit entfernt, bis das Auge einer Person, die sich am Fuß des Masts befindet, das Zeichen nicht sehen kann. Auf dem still stehenden Schiff aber wird das Auge derselben Person, die sich an der Spitze des Masts befindet, jenes Zeichen gut sehen. Aber das Auge der Person, die sich am Fuß des Masts befindet, müsste das Zeichen besser sehen als dasjenige in der Höhe, wie es durch die Linien, die von beiden zum Zeichen gezogen sind, klar zutage tritt. Und es gibt keinen anderen Grund für diese Sache als die Wölbung des Wassers.« (Ponatur signum in littore maris et exeat navis a portu et in tantum elongetur quod oculus existentis iuxta pedem mali non videat signum. Stante vero navi oculus eiusdem existentis in summitate mali bene videbit signum illud. Sed oculus existentis iuxta pedem
85 BL, MS Royal 12 C. XVII (England?, Anf. 14. Jh.), fol. 18r; Florenz, BNC, MS II. III. 24 (14. Jh.), fol. 154r. 86 Ptolemaeus, Almagest 1.4, übers. Manitius, bericht. Neugebauer 1963:1, S. 12,7–13.
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mali melius deberet videre signum quam qui est in sumitate, sicut patet per lineas ductas ab utroque ad signum. Et nulla alia huius rei causa est quam tumor aque.)87
Wie Calcidius im Timaeus-Kommentar verdeutlicht auch Sacrobosco mit diesem Vergleich des Sichtfelds an der Spitze eines Schiffsmasts mit demjenigen an einem tiefer gelegenen Punkt, dass die Krümmung der Wassermasse zwar nicht unmittelbar gesehen, aber aus der Seherfahrung gefolgert werden kann.88 Wenn Sacrobosco an dieser Stelle auf die Argumentation des Calcidius zurückgriff, so wich er gleichzeitig in einem entscheidenden Punkt von seiner Vorlage ab. Er übernahm nicht die bei Calcidius folgende Überlegung zum natürlichen Fließverhalten des Wassers, aus dem die Wölbung der Wasseroberfläche notwendig gefolgert werden müsse.89 Entsprechend kommt das abstrakt-geometrische Diagramm aus dem Timaeus-Kommentar (Abb. 26), das die Ausdehnung des Wassers veranschaulichen soll und dessen Herleitung Sacrobosco nicht allein bei Calcidius, sondern auch in Aristoteles’ De caelo hatte finden können, in der Spera nicht vor.90 Vielmehr ist auf den Rändern der Spera bzw. im Anschluss an das Traktat ein Diagramm zu finden, das eben jene Schiffsszene zeigt (Abb. 66 u. Farbabb. 25, oben rechts).91 Die im Text beschriebene Situation ist sowohl ins Abstrakt-Geometrische übertragen als auch mit figurativen Elementen dargestellt. Aus der halbkreisförmigen, grün bzw. blau ausgefüllten Wasserfläche ragt ein imposantes Schiff hervor, das in der Handschrift in Oxford auch mit einem aufgeblähten Segel, einem Ruder und dem Kopf eines Tieres am Bug ausgestattet ist. Die Position des Zeichens (signum) markiert ein roter Punkt am unteren Rand der Wasserfläche. Die von Sacrobosco erwähnten Linien, welche das Zeichen mit dem Auge an der Spitze (oculus uidens/oculus in summo mali) und mit demjenigen am Fuß des Masts (oculus/ oculus non uidens) verbinden, sind ebenfalls Teile des Diagramms. Sacroboscos Bemerkung zum Linienverlauf ist vermutlich so zu verstehen, dass diese Linien sichtbar machen, dass sich das untere Auge in größerer Nähe zum Zeichen befin-
87 Johannes de Sacrobosco, De spera 1, hg. Thorndike 1949, S. 83. 88 Vgl. Kap. 2, Anm. 161. Bisher wurde Sacroboscos Schiffsszene immer nur mit Ptolemaeus in Verbindung gebracht. Gingerich 1999, S. 212; Thorndike 1949, S. 16. 89 Sacrobosco beendet die Argumentation für die sphärische Form des Wassers, indem er schreibt, dass im homogenen Körper, den das Wasser bilde, alle Teile dem einen Formprinzip gehorchen. Dass dies der Fall sei, zeige die runde Form von Regen- und Tautropfen. Johannes de Sacrobosco, De spera 1, hg. Thorndike 1949, S. 121 f. 90 Aristoteles, De caelo 2.4.287b4–14, übers. Stocks 1984, S. 474 f. Siehe auch Pseudo-Avicenna/Dominicus Gundissalinus/Johannes Hispanus, Liber celi et mundi 9, hg. Gutman 2003, S. 174–177. (Leider werden in dieser Edition die Diagramme bei der Beschreibung der Handschriften gar nicht berücksichtigt und auch nicht in Form von Nachzeichnungen in den Text eingefügt.) Ausnahmen bilden die beiden eng miteinander verwandten Spera-Abschriften BSB, clm 17703 (Strahov, vor 1278), fol. 12v, u. ÖNB, cod. Ser. n. 20268 (Böhmen, Ende 13. Jh.), fol. 17v. Hier ist das Diagramm unfigürlich und, der Inschrift zufolge, dem Liber celi et mundi entlehnt: Hec est figura de forme aque in libro de celo et mundo. 91 Zu diesem Diagramm in den frühen Drucken der Spera Gingerich 1999, S. 212–214.
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det und dieses deshalb besser sehen könnte, gäbe es nicht die Sichtbehinderung durch das Wasser. Das »nicht sehende Auge« (oculus non uidens) wird in diesem Diagramm nicht zu einem »sehenden Auge«; nun bleibt ihm die Sicht tatsächlich verwehrt. Sacrobosco verweist an dieser Stelle nicht explizit auf ein Diagramm; seine Bemerkung jedoch verdeutlicht, dass ihm eine visuelle Darstellung zum besseren Verständnis des beschriebenen Sachverhalts geeignet erschien. Möglicherweise setzte er ein ähnliches Diagramm im Unterricht ein. Dann wäre die Spera als Lehrwerk zu verstehen, bei dessen Texterstellung seine Ergänzung um andere Unterrichtsmaterialien berücksichtigt wurde. Auf die Diagramme, die einerseits die visuelle Wahrnehmung zum Gegenstand haben und andererseits zeigen, dass das Wissen über die Welt aus der visuellen Wahrnehmung abgeleitet werden kann, folgen nun erneut abstrakt-geometrische Diagramme, in denen die Beweisführung für die Lage und Größe der Erde im Weltganzen fortgeführt wird. Lage und Größe der Erde Sacrobosco erläutert zunächst, dass sich die Erde in der Mitte des Fixsternhimmels (in medio firmamenti) befinde. Das Argument, dass von der Erde aus die Sterne an jedem Punkt des Himmels in derselben Größe zu sehen seien und die Erde folglich überall dieselbe Entfernung zum Firmament besitze, rekurriert auf einen Aspekt der Kreisgeometrie, den das erste Diagramm genauer darstellt (Abb. 66, dritte von oben, u. 68, Mitte). Es ist mit der Inschrift »dass die Erde in der Mitte ist durch diese Beweisführung« (quod terra sit in medio demonstratione) ausgestattet und wird von der Horizontalen bd und dem orthogonal dazu verlaufenden Radius ac unterteilt. Wiederum ist in einer Glosse in der Handschrift in Oxford zu erfahren, wie das Diagramm verstanden werden soll: Die gleichbleibende Distanz, die ein Stern an den Punkten b, c und d zur Erde einnehme, lasse auf die identische Länge der Strecken ab, ac und ad schließen, woraus sich nach Euklid ergebe, dass a das Zentrum des Kreises bilde.92 Das Prinzip der Kreisgeometrie, nach dem alle Punkte auf der Peripherie vom Zentrum gleich weit entfernt sind, wird im Diagramm unmittelbar ersichtlich. Auch das darunter folgende Diagramm, das einen Innenkreis zeigt, der nicht im Zentrum des äußeren Kreises liegt, sondern nach oben verschoben ist und dort an eine Horizontale stößt, dient noch der Argumentation für die Zentralität der Erde (Abb. 66, vierte von oben, u. 68, links). Es sei, so heißt es im Text, unmöglich, dass die Erde näher zu einer Hälfte des Firmaments gelegen sei, da dann 92 […] nota quod in perspectivis res eadem in distantiis inequalibus diversa, in equalibus equa apparet, quare si stella in tribus locis eiusdem apparet quantitatis, tres linee, scilicet .ab., .ac. et .ad., sunt equales, quare per consequens tertii Euclidis .a. centrum est circuli. Glosae super Speram, hg. Thorndike 1949, S. 420 f. Die Glosse befindet sich ebenfalls auf fol. 10v. Vgl. Euklid/Robert von Chester(?), Elementa 1, Def. 15 u. 16, hg. Busard/Folkerts 1992, S. 114,23–26. Dazu Kap. 4, Anm. 21.
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– das wird im Diagramm durch die Horizontale verdeutlicht – nicht von allen Punkten der Erde aus die Hälfte des Himmels zu sehen wäre.93 Entsprechend lautet die Inschrift des Diagramms »dass die Erde in der Mitte ist, erscheint durch das Unmögliche« (quod terra sit in medio patet ad impossibile/Idem per impossibile). Mit den gleichen Elementen, Innenkreis und Horizontale, wird im nächsten Diagramm (Abb. 66, unten Mitte, u. 68, rechts) veranschaulicht, dass die Erde im Zentrum nur als Punkt im Weltganzen aufgefasst werden könne. Wäre sie ein Körper größeren Ausmaßes, könnte man von ihr wiederum nicht die Hälfte des Himmels, sondern nur einen kleineren Ausschnitt erblicken.94 Bereits an dieser Stelle sei auf ein Diagramm hingewiesen, das zwar erst dem vierten Kapitel der Spera zugeordnet ist, aber die Wahrnehmbarkeit einer Sonnenfinsternis zum Gegenstand hat und dabei auch die Größe oder Erstreckung der Erde thematisiert (Abb. 75 u. Farbabb. 24, links oben).95 Die »Figur der Verschiedenheit des Blicks« (figura diuersitatis aspectus) veranschaulicht, dass der Betrachterstandpunkt bei einer Sonnenfinsternis nicht – wie bei einer Mondfinsternis – darüber entscheidet, zu welchem Zeitpunkt die Finsternis wahrgenommen wird, sondern vielmehr, ob sie überhaupt gesehen werden kann. Die Erde ist hier nicht, wie nach dem zuvor betrachteten Diagramm erwartet werden könnte, ein Punkt innerhalb des Ganzen, sondern wiederum ein Kreis. Nicht die Linien, die von ihrem Scheitelpunkt ausgehen, sondern nur diejenigen, die vom Erdzentrum zum Mond verlaufen, treffen auch auf die Sonne auf der äußeren Bahn. Nur von diesem Zentralpunkt aus könnte die Finsternis gesehen werden. Das Diagramm birgt eine Erklärung für die Exklusivität der Sonnenfinsternis, die im vierten Kapitel der Spera nicht zu finden ist, aber bei Ptolemaeus nachgelesen werden kann.96 Demnach befindet sich die Sphäre des Mondes in viel geringerer Entfernung zur Erde als die Fixsternsphäre, und folglich sei die Erde im Verhältnis zur Mondsphäre nicht von der Größe eines Punktes. Daher verändere sich die Perspektive mit der Wahl eines anderen Betrachterstandpunktes. Der Ort am Fixsternhimmel, vor dem der Mond gesehen werde, sei vom Standpunkt abhän93 Si enim terra magis accederet ad firmamentum in una parte quam in alia, aliquis existens in illa parte superficiei terre que magis accederet ad firmamentum non videret celi medietatem. Johannes de Sacrobosco, De spera 1, hg. Thorndike 1949, S. 84. 94 Die Inschrift des Diagramms der Handschrift in Oxford ist dem folgenden Satz der Spera entlehnt: Illud idem est signum quod terra sit tamquam centrum et punctus respectu firmamenti, quoniam, si terra esset alicuius quantitatis respectu firmamenti, non contingeret medietatem celi videri. Johannes de Sacrobosco, De spera 1, hg. Thorndike 1949, S. 84. Die Inschrift des Diagramms der Handschrift in Cambridge lautet: Idem aliter. 95 Dieses Diagramm enthalten nicht alle der aufwendiger ausgestatteten Handschriften. Vgl. aber BL, MS Harley 3735 (Frankreich, 1253–1293), fol. 27r, sowie BnF, MS lat. 7195 (England, um 1300), fol. 17v. 96 Bei Sacrobosco heißt es lediglich: Sed quando est eclipsis solis, nequaquam, immo in uno climate est eclipsis, in alio non, quod contingit propter diversitatem aspectus in diversis climatibus. Johannes de Sacrobosco, De spera 4, hg. Thorndike 1949, S. 116.
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gig.97 Auch dieses Diagramm geht über die in der Spera gebotene Behandlung des Phänomens hinaus und enthält ein Wissen, das aus anderen Kontexten stammt. Ein tief gehendes Verständnis der im Diagramm enthaltenen Theorie war aber in diesem Fall möglicherweise nicht erst durch die Kenntnis dieses zusätzlichen Wissens, sondern auch durch den visuellen Rückgriff auf die ganz ähnlich argumentierenden Diagramme zur Größe der Erde im Weltganzen möglich. Das in der Reihe der abstrakt-geometrischen Diagramme im ersten Kapitel der Spera folgende Diagramm ist in der Handschrift in Oxford erst auf einer der Seiten im Anschluss an den Text zu finden (Abb. 66 u. Farbabb. 24, jeweils unten rechts). Es zeigt einen kleinen Zentralkreis in einem nun größeren Außenkreis und ist mit den Buchstaben a bis g beschriftet, die im Haupttext nicht berücksichtigt werden und somit in der Handschrift in Cambridge wiederum ohne Kommentar bleiben. In derjenigen in Oxford gibt die Inschrift Aufschluss darüber, dass auch dieses Diagramm noch zu der Erörterung der minimalen Größe der Erde im Verhältnis zum Firmament gehört. Mit ihrer Hilfe wird schnell deutlich, dass hier erneut eine im Text kurz dargelegte Beobachtung ins Geometrische übertragen wurde. Die Hälfte des Himmels erfasse das Auge demnach sowohl vom Zentrum (a) der Erde als auch von deren Oberfläche (c) aus. Daraus ergebe sich zum einen, dass die Distanz vom Mittelpunkt der Erde zur Erdoberfläche unmerklich sei, und zum anderen, dass auch der Erdkreis (ecd) von unmerklicher Größe im Verhältnis zum Himmelskreis (fbg) sei.98 Die letzten beiden der abstrakt-geometrischen Diagramme (Abb. 67, 69) beziehen sich auf die im Text nun folgenden Angaben zu Umfang und Durchmesser der Erde. Die 252 000 Stadien, auf die der Erdumfang beziffert wird, waren eine kanonische Größe, die auf die Berechnungen des Eratosthenes von Kyrene zurückging und schon während des Frühmittelalters durch Macrobius’ Kommentar 97 Ptolemaeus, Almagest 4.1, übers. Manitius, bericht. Neugebauer 1963:1, S. 192,18–32: »Da die Entfernung, in welcher sich die Sphäre des Mondes von dem Mittelpunkte der Erde befindet, nicht, wie die zur Ekliptik, so bedeutend ist, daß die Größe der Erde zu ihr das Verhältnis eines Punktes hätte, so ist davon die notwendige Folge, daß die von dem Mittelpunkte der Erde, d. i. von dem Zentrum der Ekliptik durch das Zentrum des Mondes nach den Teilen der Ekliptik gezogene Gerade, welche für die Vorstellung von dem genauen Lauf aller Planeten maßgebend ist, durchaus nicht mehr in allen Fällen für die sinnliche Wahrnehmung mit der Geraden zusammenfällt, die von irgendeinem Punkte der Erdoberfläche, d. i. von dem (Standpunkt oder) Auge des Beobachters nach dem Zentrum des Mondes gezogen wird, nach welcher die Theorie den scheinbaren Lauf des Mondes feststellt.« Vgl. auch ebd., S. 193,11–22. 98 Igitur oculus existens in centro. Sicut semidyameter ad semidyametrum sic circulus ad circulum et spera ad speram. Sed .ac. linee ad .ab. non est sensibilis quantitatis ergo nec circulus .ecd. ad .fbg. circulum sensibilis erit quantitas. Vgl. auch Glosae super Speram, hg. Thorndike 1949, S. 421, Anm. 98, sowie Johannes de Sacrobosco, De spera 1, hg. Thorndike 1949, S. 84: Oculus igitur existentis in centro terre videret medietatem firmamenti. Idem existens in superficie terre videret eandem medietatem. Ex hiis colligitur quod insensibilis est quantitas terre que est superficiei ad centrum et per consequens quantitas totius terre insensibilis est respectu firmamenti.
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zu Ciceros Somnium Scipionis bekannt gewesen war.99 Anders als Macrobius erläutert Sacrobosco zusätzlich einen Rechenweg, der allerdings nicht demjenigen von Eratosthenes entspricht und sich nicht einer Sonnenuhr, sondern eines planisphärischen Astrolabiums (Abb. 87, 88) bedient.100 Anders als die Armillarsphäre (Abb. 59) bildet dieses astronomische Instrument den Himmelsglobus nicht dreidimensional nach.101 Vielmehr zeigt das in Form einer flachen, kreisrunden Scheibe und zumeist aus Messing gefertigte Astrolabium den Himmel in stereografischer Projektion.102 Geht das für diese Darstellungsform nötige mathematische Wissen auf die Griechen zurück, wurden das Instrument selbst und seine Nutzungsmöglichkeiten vermutlich erst seit dem 9. Jahrhundert im arabischen Kulturraum perfektioniert.103 Die lateinische Welt erreichte das Astrolabium erstmals im späten 10. Jahrhundert über Spanien; an den Kathedralschulen des 12. Jahrhunderts sowie dann im universitären Astronomieunterricht wurde es – wie auch die Armillarsphäre – zur Vermittlung von Basiswissen eingesetzt.104 Abgesehen von der Veranschaulichung der Himmelskonfiguration bezogen auf die geografische Breite des Beobachtungsortes bot das Astrolabium insbesondere die Möglichkeit, die Winkelhöhe eines Himmelskörpers über dem Horizont zu bestimmen. Diese Funktion ist auch für Sacrobosco im Zusammenhang mit der Berechnung des Erdumfangs von Bedeutung. Nach Sacrobosco könne der Umfang mithilfe des Astrolabiums ermittelt werden, wenn man damit zunächst in einer sternenklaren Nacht die Höhe des Nordpols über dem Horizont bestimme. Der Beobachter solle dann in einer anderen Nacht so weit nach Norden laufen, bis das Instrument eine um einen Grad größere Winkelhöhe angebe. Messe man die von dem Beobachter zurückgelegte, dem einen Grad entsprechende Distanz, komme man auf 700 Stadien. Der Erdumfang ergebe sich dann aus der Multiplikation dieses Werts mit 360 Gradeinheiten.105 Das erste Diagramm (Abb. 67, oben, u. 69, rechts) macht genau diesen Rechenweg anschaulich, was ein weiteres Mal in einer Glosse in der Handschrift in Oxford explizit deutlich wird. Demnach befindet sich an dem Punkt a Paris 99 Johannes de Sacrobosco, De spera 1, hg. Thorndike 1949, S. 85. Macrobius, Commentarii 1.20.20, hg. Willis 21970, S. 82,11–14. Zu Eratosthenes, Direktor der Bibliothek von Alexandria, Dicks 1971. Die exakte Länge von einem stadium ist nicht bekannt, wird jedoch bei 157,7 m vermutet, woraus sich ein Erdumfang von 39 370 km ergeben würde, der nur um ca. 20 % von den heutigen Werten abweicht. Ebd., S. 390, sowie Pedersen 1993 [1974], S. 45. 100 Zur Methode des Erastosthenes Dicks 1971, S. 390. Zu dem hier abgebildeten Astrolabium unten Kap. 6, Anm. 42. 101 Zur Armillarsphäre Kap. 4, Anm. 41. 102 Für eine technische Beschreibung North 1974. 103 Zusammenfassend King 1998. 104 Herausragend unter der Beiträgen zur Rezeption des Astrolabiums im lateinischen Europa ist Borst 1989; ferner McCluskey 1998, S. 171–187, sowie Poulle 1998, S. 77–83. Zur Verwendung des Astrolabiums im Universitätsunterricht Borst 1989, S. 95; Poulle 1972, S. 36. Dazu auch Lejbowicz 1997, S. 201 ff. 105 Johannes de Sacrobosco, De spera 1, hg. Thorndike 1949, S. 85.
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als südliche Stadt, nördlich davon, am Punkt b, Amiens (Ambigenes). Mit den Punkten f und g ist der einen Grad betragende Unterschied in der Winkelhöhe des Pols markiert, dem die Distanz von 700 Stadien zwischen den Punkten a und b entspricht, woraus die schon erwähnte Berechnung folgt.106 Auffällig ist, dass das Instrument, das die notwendige Höhenbestimmung ermöglicht, nicht zum Gegenstand der diagrammatischen Darstellung wird. Wie in dem vorhergehenden Diagramm zur unmerklichen Größe der Erde im Weltganzen (Abb. 66 u. Farbabb. 24, jeweils unten rechts) ist außerdem nicht ersichtlich, dass das Diagramm eine Erkenntnis vermittelt, die auf der visuellen Wahrnehmung des Sternenhimmels beruht. Da beide Diagramme formal überhaupt nicht von dem ersten in dieser Reihe, demjenigen zur Kreisgeometrie (Abb. 66, dritte von oben, u. 68, Mitte), unterschieden werden, könnte man meinen, auch sie verhandeln einen rein abstrakt-mathematischen Gegenstand. Somit finden sich auf den Rändern der Spera nicht nur jene Diagramme, welche die Erfahrungswelt figurativ integrieren, sondern auch solche ›strengen‹, abstrahierenden Visualisierungen. Dazu zählt auch das sechste und letzte Diagramm in dieser Diagrammfolge, das aus einem Kreis mit einer in sieben Abschnitte unterteilten Horizontale besteht und mit der Inschrift »Umfang der Erde 31 500 Tausend, Durchmesser der Erde 10 022 Tausend« (ambitus terre 31 500 miliariorum, diameter terre 10 022 miliariorum) ausgestattet sein kann (Abb. 67 unten, u. 69, links).107 Dieses Diagramm ist als visuelles Kürzel für die von Sacrobosco selbst nur kurz erwähnte, in den anonymen Glossen jedoch ausführlich kommentierte Berechnung des Erddurchmessers zu verstehen. Dort wird zunächst festgehalten, dass sich der Umfang eines Kreises mit dessen Durchmesser ermitteln lasse, woraufhin dann aus der Formel ¢Umfang = (Durchmesser + 1/7 Durchmesser)3² letzterer ermittelt wird.108 Im Diagramm wird mit der Unterteilung der Horizontalen in sieben Abschnitte darauf hingewiesen, dass ein Siebtel des Durchmessers für diesen Rechenvorgang erforderlich ist. 106 Sit .a. Parisius civitas australis, .b. Ambigenes septentrionalis. Accipiatur cum astrolabio in .a. altitudo poli que sit .cd., 49 gradus; in .b. eadem sic sit .ce., 50 graduum uno gradu plus. Tunc motui .ab. in terra correspondet .fg., unus gradus in celo. Mensuretur .ab. et erit 700 stadiorum. Et cum tota circumferentia terre circumferentie celi sit supposita, et pars parti, ita quod si .ab., 700 stadiorum in terra, supponitur .fg., uni gradui in celo, 360 gradibus celi necessario totiens 700 stadia terre supponuntur, et erunt 252,000 stadia. Glosae super Speram, hg. Thorndike 1949, S. 421. Die Glosse befindet sich ebenfalls auf fol. 11r. 107 Mit Inschrift z. B. in Florenz, BNC, MS II. III. 24 (14. Jh.), fol. 154v. Vgl. Glosae super Speram, hg. Thorndike 1949, S. 423, Anm. 25. 108 Johannes de Sacrobosco, De spera 1, hg. Thorndike 1949, S. 85. Glosae super Speram, hg. Thorndike 1949, S. 422 (in der Handschrift bereits auf fol. 10v): De quantitate diametri terre et licet curve linee ad rectam nulla sit comparatio seu proportio, Archimedes et Alfarabius et alii cosmimetre dixerunt quod diameter triplata cum sua septima parte constituunt circumferentiam. Der Begriff cosmimetra wird auch von Sacrobosco verwandt und in den Glossen – allerdings nur in der Handschrift Princeton, UL, MS Robert Garrett 99 (Frankreich?, 14. Jh.), fol. 126v – näher erläutert: Cosmimetra dicitur a cosmos, mundus et metros, mensura quasi mundi mensurator. Glosae super Speram, hg. Thorndike 1949, S. 421.
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Mit der kurzen Bemerkung zum Durchmesser der Erde beschließt Sacrobosco das erste Kapitel. Das zweite umfasst die Beschreibung der insgesamt zehn Himmelskreise sowie einen kurzen Abschnitt zu den fünf Klimazonen.109 Die beiden folgenden Diagramme jedoch, die jene Himmelskreise bzw. eine Ordnung der Klimazonen darstellen, sind erst Teil des dritten Kapitels.
5.2.3 Diagramm und Instrument. Die Himmelsordnung als Armillarsphäre In der Handschrift in Oxford befindet sich auch das Diagramm zu den Himmelskreisen erst auf einer der Diagrammseiten im Anschluss an die Spera (Farbabb. 25, unten rechts); in derjenigen in Cambridge wurde es ausgelassen, weshalb hier auf jene Handschrift in London zurückgegriffen wird, die auch Robert Grossetestes Spera enthält und zwischen 1253 und 1293 entstanden ist (Abb. 70).110 Vergleicht man diese Diagramme mit denjenigen, die im Timaeus-Kommentar (Abb. 27, 28) und in Wilhelms von Conches Dragmaticon (Farbabb. 9) die Ordnung der Himmelskreise zeigen, so fällt nicht nur auf, dass in ihnen mehr Elemente – Inschriften, Linien, Punkte – untergebracht sind. Zwar handelt es sich auch in der Spera um Kreisdiagramme, doch gerade in der Form liegt ein weiterer Unterschied. Zunächst einmal ist die Darstellung in der Spera in den meisten Handschriften so ausgerichtet, dass nicht der Äquator (circulus equatorialis), sondern der »geneigte Horizont« (orizon obliquus) ungefähr horizontal verläuft, wie es hier in der Londoner Handschrift zu sehen ist.111 Die Unterscheidung zwischen diesem »geneigten« und dem – im Diagramm allerdings schräg verlaufenden – »geraden Horizont« (orizon rectus), der mit der Weltachse (axis mundi) identisch ist, welche die beiden Pole (polus articus/polus antarticus) verbindet, wird im zweiten Kapitel näher erläutert. Geneigt verlaufe der Horizont für die Menschen, die oberhalb des Horizonts den Himmelspol erblicken. Für sie stehe die Sonne nicht auf dem Himmelsäquator im Zenit, sondern im Pol ihres Horizonts.112 An dieser Stelle heißt es jedoch auch: »Der Zenit aber für unseren Kopf ist immer der Pol des Horizonts.« (Zenith autem capitis nostri semper est polus orizontis.)113 Da 109 Johannes de Sacrobosco, De spera 2, hg. Thorndike 1949, S. 85–94. 110 BL, MS Harley 3735, fols. 17r–27r, hier 23r. Vgl. Kap. 4, Anm. 25, u. Farbabb. 21. 111 Vgl. Paris, Sainte-Geneviève, MS 1043 (Ende 13. Jh.), fol. 12r; BL, MS Royal 12 C. XVII (England?, Anf. 14. Jh.), fol. 25v; Florenz, BNC, MS II. III. 24 (14. Jh.), fol. 157r. Ferner BML, MS Plut. 18 sin. 3 (14. Jh.), fol. 18v; BnF, MS lat. 15121 (14. Jh.), fol. 23r; BnF, MS Nouv. Acq. lat. 1893 (14. Jh.), fol. 19r. 112 Obliquum orizontem sive declivem habent illi quibus polus mundi elevatur supra orizontem, quoniam illorum orizon intersecat equinoctialem ad angulos impares et obliquos, unde dicitur orizon obliquus et spera obliqua sive declivis. Johannes de Sacrobosco, De spera 2, hg. Thorndike 1949, S. 91. 113 Ebd.
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die Erläuterungen zum »geneigten Horizont« somit auf die Rezipienten der Spera bezogen werden, zeigt sich, dass dieser Horizont die natürliche Sichtlinie für ›uns‹ ist, die wir von Paris und Westeuropa aus in den Himmel schauen. Erneut wird auch im Diagramm die besondere Perspektive des Rezipientenkreises der Spera berücksichtigt. Es lässt den »geneigten Horizont« annähernd zur Horizontlinie der gesamten Darstellung werden, zeigt den vom Äquator abweichenden Zenit (cenit) und deutet folglich auch die Neigung der Himmelskreise über unseren Köpfen an. Auf diese Weise erfüllt das Diagramm gerade im dritten Kapitel der Spera eine besondere Funktion. Hätte es im Kapitel zuvor lediglich eine visuelle Zusammenfassung der im Text beschriebenen Ordnung sein können, ist es hier als Orientierungsfigur nutzbar. In diesem dritten Kapitel geht es um die verschiedenen Arten des Auf- und Untergangs der Tierkreiszeichen, ihr »gerades« (recte) und »schräges« (oblique) Erscheinen und Verschwindungen über bzw. unter der Horizontlinie.114 Der Tierkreis ist im Diagramm ein besonders auffälliges Element, da er als Doppelband schräg durch das Ganze verläuft. Dadurch, dass die Inschriften im unteren Band nach rechts gelesen werden, die oberen aber auf dem Kopf stehen und folglich nach links weisen, wird die Vorstellung erleichtert, dass die Diagonale einen umlaufenden Kreis darstellt. Da der Tierkreis der Sternengürtel ist, in dem sich die Sonne bewegt, erläutert Sacrobosco hier auch den Zusammenhang, der zwischen der Lage eines Ortes auf der Erde und der Dauer von Tag und Nacht besteht. Tierkreis und Horizontlinie sind somit die entscheidenden Richtgrößen in diesem Kapitel. Allein der »gerade Horizont« (orizon rectus) der Bewohner der Äquatorregion, so heißt es, teile sämtliche Himmelskreise in zwei gleich große Hälften, sodass der Tagbogen (arcus diei) über dem Horizont stets mit dem Nachtbogen (arcus noctis) unterhalb des Horizonts identisch sei. Folglich seien Tag und Nacht in dieser Region immer von gleicher Dauer. Durch die ungleiche Länge der Bögen bei einem »geneigten Horizont« hingegen hinge die Dauer von Tag und Nacht in den zwischen dem Äquator und dem Nordpol gelegenen Regionen davon ab, in welchem Teil des Tierkreises sich die Sonne bewege.115 Die114 Johannes de Sacrobosco, De spera 3, hg. Thorndike 1949, S. 95–112. Vgl. Alfraganus/ Johannes von Sevilla, Differentie scientie astrorum 10 f., hg. Carmody 1943, S. 20–22, sowie 6 f., S. 9–13. Campani zufolge waren in diesen Kapiteln keine Diagramme vorgesehen. Alfraganus/ Gerhard von Cremona, Liber de aggregationibus scientie stellarum 10 f., hg. Campani 1910, S. 103–108, sowie 6 f., S. 76–85. In deutlich vereinfachter Form bereits erläutert von Martianus Capella, De nuptiis 8.844–847, hg. Willis 1983, S. 319,3–321,9. 115 In spera igitur recta, cum orizon transeat per polos mundi, dividit omnes istos circulos in partes equales, unde tanti sunt arcus dierum quanti sunt arcus noctium apud existentes sub equinoctiali. Unde patet quod existentibus sub equinoctiali, in quacumque parte firmamenti sit sol, semper est equinoctium. In spera autem declivi orizon obliquus dividit solum equinoctialem in duas partes equales. Unde, quando sol est in alterutro punctorum equinoctialium, tunc arcus diei adequatur arcui noctis, et est equinoctium in universa terra. Omnes vero alios circulos dividit orizon obliquus in partes inequales, ita quod in omnibus circulis qui sunt ab equinocti-
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sem Textabschnitt ist das Diagramm in vielen Handschriften, so auch in dem Londoner Beispiel, zugeordnet.116 Insbesondere durch die Parallelen, die die Fläche zwischen dem Äquator (circulus equinoctialis) und den Wendekreisen (tropicus cancri/tropicus capricorni) ausfüllen, können die Textangaben zur ungleichen Länge der Tag- und Nachtbögen über bzw. unter dem »geneigten Horizont« nachvollzogen werden.117 Auch bei der Lektüre der folgenden Darlegungen, in denen es genauer um die einzelnen Erdregionen vom Äquator bis zum Nordpol geht, wobei jeweils die Zenitstände der Sonne kommentiert und weitere Besonderheiten, wie beispielsweise Polarnacht und -tag, erwähnt werden, kann das Diagramm der Orientierung und besseren Veranschaulichung dienen. Ein Detail der Diagrammform weist darauf hin, dass diese Darstellung der Himmelskreise tatsächlich als adjustierbar aufgefasst werden sollte. In nahezu jeder Handschrift wurde die Weltachse (axis mundi uel orizon rectus) an ihrem unteren Ende über die Kreisfläche hinaus- und bis zu einer schmalen rechteckigen Fläche fortgeführt. Insbesondere an diesem Formelement lässt sich erkennen, dass das Diagramm einer Armillarsphäre nachempfunden wurde, jenem astronomischen Instrument, das die Kreisordnung des Himmels im dreidimensionalen Modell zeigt. Das Diagramm entlehnt Eigenschaften von zwei verschiedenen Typen dieses Instruments. Vorbild war zum einen die mit einem Handgriff versehene Armillarsphäre, wie sie der Mönch in der Miniatur der Handschrift in London zu Beginn von Robert Grossetestes Spera in der Hand hält (Farbabb. 22).118 Im Diagramm zu Sacroboscos Spera sind der externe Abschnitt der Weltachse und die schmale Fläche im Außen als Stab und Griff zu deuten, die nicht senkrecht gehalten werden, sondern – auf der Buchseite – nach rechts verschoben sind, um den »geneigten Horizont« (orizon obliquus) der besseren Anschaulichkeit halber annähernd in die horizontale Lage zu bringen.119 Weitaus hilfreicher und präziser gelang diese Einstellung der Himmelskreise auf den Standpunkt des Betrachters mit einer Armillarsphäre, die auf einem Fuß innerhalb eines feststehenden Horizontrings angebracht war und darin entlang des Himmelsali usque ad tropicum Cancri et in ipso tropico Cancri maior est arcus diei quam noctis, id est, arcus supra orizontem quam sub orizonte. Johannes de Sacrobosco, De spera 2, hg. Thorndike 1949, S. 102. 116 Vgl. BL, MS Egerton 844 (2. H. 13. Jh.), fol. 16r (unvollständiges Diagramm); BML, MS Plut. 18 sin. 3 (14. Jh.), fol. 18v; Florenz, BNC, MS II. III. 24 (14. Jh.), fol. 157r; BnF, MS Nouv. Acq. Lat. 1893 (14. Jh.), fol. 19r. Ungewöhnlich ist die Platzierung dieses Diagramms ganz am Ende des Traktats in Paris, Sainte-Geneviève, MS 1043 (Ende 13. Jh.), fol. 12r. 117 In einigen Handschriften sind diese parallelen Bahnen durch eine flächige, alternierende Farbgebung besonders hervorgehoben. Vgl. Paris, Sainte-Geneviève, MS 1043 (Ende 13. Jh.), fol. 12r; BML, MS Plut. 18 sin. 3 (14. Jh.), fol. 18v, u. BnF, MS Nouv. Acq. lat. 1893 (14. Jh.), fol. 19r. 118 Zur Armillarsphäre Kap. 4, Anm. 41. 119 Auf ganz ähnliche Weise wird die Armillarsphäre im Jahr 1504 in Gregor Reischs Margarita philosophica als Attribut der Astronomie/des Ptolemaeus in der linken unteren Ecke der Seite dargestellt. Abb. bei Poulle 1981, S. 19.
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meridians bewegt werden konnte (Abb. 71).120 Zwar ahmt das Diagramm dieses Anpassungsvermögen des Instruments allein für das Adjustieren ›unseres‹ Horizonts nach. Indem es damit aber an die Eigenschaft des Instruments erinnerte, flexibel auf die Betrachtung der Leitkreise aus ganz verschiedenen Perspektiven eingestellt werden zu können, sollte der Betrachter möglicherweise darauf hingewiesen werden, dass er das Diagramm ganz ähnlich nutzen konnte. Er musste lediglich – sei es vor seinem geistigen Auge oder unter Zuhilfenahme eines linearen Gegenstands – den Verlauf der Horizontlinie variieren. Das Diagramm zu den Himmelskreisen in der Spera unterscheidet sich insbesondere durch seine formale Affinität zum Instrument von den Diagrammen gleichen Inhalts im Timaeus-Kommentar und in Wilhelms von Conches Dragmaticon. Auch in den frühen Abschriften von Robert Grossetestes Spera war nicht diese Form der Überblendung von Diagramm und Instrument zu beobachten, sondern vielmehr deren jeweils gesonderte Darstellung auf derselben Buchseite. Für Sacrobosco ist sicherlich erneut auf den Unterrichtskontext, in dem die Spera genutzt wurde, hinzuweisen. Das Diagramm übernimmt hier Form und Funktion der Armillarsphäre, da diese vermutlich im Unterricht eingesetzt wurde, um die in diesen Textpassagen erläuterten Ordnungen und Blickwinkel anschaulich zu machen. Außerdem ist festzuhalten, dass diese Diagrammform den Rezipienten der Handschrift nicht allein auf die Unterrichtsmethoden aufmerksam machte oder an diese erinnerte. Grundsätzlich zeigte sich in dieser Form des Diagramms ein weiteres Mal, doch nun auf andere Weise als dort, wo es um die visuelle Erfahrung der Welt ging, dass das Buch nicht der einzige Vermittler astronomischen Wissens war. Das inhaltlich an den Text gebundene und formal an das Instrument erinnernde Diagramm trat hier als Scharnier zwischen dem im Buch fixierten Text und der externen Welt des Wissens auf.
5.2.4 Die Ordnung der Klimazonen Auch das zweite Diagramm im dritten Kapitel der Spera veranschaulicht eine räumliche Ordnung (Abb. 72, 73). Es gehört nach dem Sphärendiagramm des ersten Kapitels zu jenen fünf Diagrammen, die in den Handschriften der zu Beginn genannten dritten Gruppe zu finden sind.121 Im Text geht es um die Einteilung 120 Oxford, Museum of the History of Science, Inv. Nr. 12765. Dieses Instrument ist italienischer Herkunft und entstand um 1500. Vgl. die Beschreibung von Jim Bennett in dem Katalogeintrag zu der Online-Ausstellung »Epact. Scientific Instruments of Medieval and Renaissance Europe«, URL: (10. 11. 2007). Bei Genuth 1998, S. 30, heißt es zusammenfassend: »Armillaries intended as teaching tools were sometimes mounted on handles, but often they were set like globes into cradles so that the rotating sphere could be adjusted to represent the heavens as seen from any latitude.« 121 Siehe Anm. 24.
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der Erde in Klimazonen, nun allerdings nicht mehr um die des gesamten Globus in fünf Zonen, die kurz im zweiten Kapitel abgehandelt wurde, sondern um die Unterscheidung von sieben Klimazonen (septem climata) innerhalb der Grenzen der Ökumene, der nordöstlichen gemäßigten Erdregion.122 Mit der Beschreibung dieser Ordnung, die aus der griechischen Antike datiert, dem lateinischen Mittelalter aber bis zum 10. Jahrhundert nur unzureichend überliefert war, werden die Angaben zur unterschiedlichen Dauer von Tag und Nacht für den bewohnten Teil der Erde weiter differenziert.123 Die parallel zum Äquator verlaufenden Klimazonen sind in erster Linie als Zeitzonen aufzufassen, zwischen denen der Unterschied jeweils eine halbe Stunde beträgt. Im Text leitet Sacrobosco die Aufmerksamkeit jedoch zunächst auf den gesamten Erdball und über dessen Unterteilung zu dem Teil der Erde, auf dem sich »unsere bewohnbare« (nostra habitabilis) Zone befinde, wofür er Passivformen der Verben »vorstellen« (imaginari) und »erkennen« (intellegere) einsetzt: »Es werde aber ein bestimmter Kreis vorgestellt, der auf der Erdoberfläche unmittelbar unter dem [Himmels-]Äquator verläuft. Es werde außerdem ein anderer Kreis erkannt, der auf der Erdoberfläche von Ost nach West verläuft und durch die Pole der Welt.« (Imaginetur autem circulus quidam in superficie terre directe suppositus equinoctiali. Intelligatur etiam alius circulus in superficie terre transiens per orientem et occidentem et per polos mundi.).124 Diese Darlegungsweise ist ungewöhnlich; an keiner anderen Stelle der Spera spricht Sacrobosco die Vorstellungskraft der Rezipienten an. Dieser Verzicht unterscheidet ihn von Robert Grosseteste, der in seinem gleichnamigen Traktat wiederholt und direkt zur visuellen Vergegenwärtigung der Weltbeschreibung aufforderte. Während dieses Verfahren bei Grosseteste leicht als eine Form der Quellenadaption zu erkennen ist, bleibt ungeklärt, was Sacrobosco an dieser Stelle zur anschaulichen Beschreibung motivierte.125 Das halbkreisförmige Diagramm vollzieht die im Text erläuterte gleichmäßige Vierteilung der Welt durch einen Äquatorialkreis und einen durch die Pole verlaufenden Kreis nicht nach, sondern zeigt ausschnitthaft lediglich das Viertel, 122 Johannes de Sacrobosco, De spera 3, hg. Thorndike 1949, S. 110–112. 123 Zu den sieben Klimazonen noch immer grundlegend Honigmann 1929, der vermutet, dass diese Ordnung auf Eratosthenes von Kyrene zurückgeht. Ebd., bes. S. 10–24. Obrist 2004, S. 65–70, gibt einen Überblick über die verschiedenen Entwürfe bis in die Spätantike. Zur Rezeption im Westen seit dem 10. Jh. Kunitzsch 2000, bes. S. 393–398. 124 Johannes de Sacrobosco, De spera 3, hg. Thorndike 1949, S. 110, wo es außerdem heißt: Isti duo circuli intersecant sese in duobus locis ad angulos rectos sperales et dividunt totam terram in quatuor quartas, quarum una est nostra habitabilis […]. Intelligatur igitur linea una eque distans ab equinoctiali […]. Intelligatur etiam linea alia eque distans a polo artico […]. Inter istas etiam duas lineas extremas intelligantur sex linee paralelle[!] equinoctiali […]. 125 Für Grosseteste vgl. Kap. 4.1. Es deutet nichts darauf hin, dass auch Sacrobosco die Schrift De motu octaue spere von Thabit, aus der Grosseteste das appellative Verfahren übernommen hatte, als Quelle verwandte.
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auf dem die bekannte Welt verortet wird.126 Die äußeren Grenzen bilden einerseits die aufgrund der unablässigen Hitze unbewohnbare Äquatorialzone (inhabitabile propter calorem/inhabitabile propter nimium calore[m] sub equinoctiali), andererseits das kalte Polargebiet, das allerdings im Diagramm der Handschrift in Oxford ins Außen verbannt ist (inhabitabile/inhabitabile propter nimium frigus). Das Binnenfeld ist in gleichmäßige Bahnen unterteilt, wobei deren Anzahl im Diagramm in der Handschrift in Cambridge mit derjenigen der Klimazonen übereinstimmt, während die zusätzlichen, unbeschrifteten Bahnen im Diagramm der Handschrift in Oxford inhaltlich nicht erklärt werden können. Die leeren Zwischenräume dienen vermutlich – ähnlich wie die alternierende Farbgebung im Sphärendiagramm (Abb. 60) – der besseren Lesbarkeit. In der übersichtlichen und verknappten Darreichung der Textangaben besteht die wichtigste Funktion des Diagramms. Es birgt in seiner Form eine Auflistung der sieben Klimazonen, welche von oben nach unten gezählt werden. In jeder Inschrift wird zuerst die Position (primum – septem clima) und dann der griechische Name der jeweiligen Klimazone genannt, der zugleich auf die geografische Lage der Zone verweist, da jede von ihnen nach einem Ort benannt ist, durch den sie verläuft: Meroe, Syene, Alexandria, Rhodos, Rom, Borysthenes, Ripheischen Berge (Diameroes, Diasyene, Dialexandrios, Diarhodos, Diaromes, Diaboristenes, Diaripheos). Im Text wird außerdem in wenigen Sätzen die räumliche Erstreckung jeder Klimazone mit Angaben zur Dauer des Tages, zu der Polhöhe und der Breitenerstreckung genauer bestimmt.127 Während es das Diagramm der Handschrift in Cambridge bei den Ortsangaben belässt, folgen in demjenigen in Ox126 Schon dem frühen Mittelalter war eine vergleichbare Vierteilung der Erde durch Macrobius bekannt gewesen, demzufolge zwei Ozeanströme – ein äquatorialer und ein meridionaler – den Globus umgürteln. Macrobius, Commentarii 2.9.2, hg. Willis 21970, S. 122,34–123,7. Außerdem Obrist 2004, S. 188–90. Zu einer frühen Diagrammform, dem ptolemäischen Kreisdiagramm zu den Klimata ebd., S. 161–165. Vgl. auch Kap. 3, Anm. 237 [e]. 127 Für das zweite Klima heißt es z. B.: Medium autem secundi climatis est ubi maior dies est 13 horarum et dimidie, et elevatio poli supra orizontem 24 graduum et quarte partis unius, et dicitur clima Diasyenes. Latitudo vero eius ex termino primi climatis usque ad locum ubi est dies prolixior 13 horarum et dimidie et quarte partis unius hore, et elevatur polus 27 gradibus et dimidio, quod spatium terre est 400 miliariorum. Johannes de Sacrobosco, De spera 3, hg. Thorndike 1949, S. 111. Sacrobosco übernahm die Ortsangaben vermutlich aus der darüber hinaus unzureichenden Beschreibung der Zonen bei Martianus Capella und orientierte sich für die übrigen Daten möglicherweise an Alfraganus. Martianus Capella, De nuptiis 8.876, hg. Willis 1983, S. 332,2–11. Alfraganus/Johannes von Sevilla, Differentie scientie astrorum 8, hg. Carmody 1943, S. 13–15. Die Frage, welche Quelle Sacrobsco hier nutzte, diskutiert Thorndike 1949, S. 16 f., Anm. 88. Für ein früheres Zeugnis dieser Klimaordnung im Westen Edson/Savage-Smith/von den Brincken 2005, S. 46 f. Die Autorinnen verweisen auf die Karte in den Dialogi Moyse Judaeo des Petrus Alfonsi (1062–1120), die als »[…] älteste bekannte europäische Karte die sieben Klimazonen oder Regionen der bewohnten Welt angibt, was sicher auf arabischen Einfluss zurückzuführen ist.« Das ebd., S. 47, Abb. 33, gezeigte Diagramm stammt aus der Handschrift Bodleian, MS Laud Misc. 356 (Frankreich, fr. 14. Jh.), fol. 120r. Seine Grundform ist ein Vollkreis, in dessen unterer Hälfte die sieben Klimazonen ohne wei-
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ford jeweils zwei Zahlenwerte mit arabischen Ziffern, von denen die erste die mittlere Winkelhöhe des Pols nennt.128 Weitere Werte sind in einer Tabelle neben dem Diagramm aufgeführt, darunter am rechten Rand die Breite (latitudo) jeder Zone. Das Diagramm wird hier als einfache Ordnungsfigur für eine Auflistung benutzt, wobei die Diagrammform eine grobe Lokalisierung der Klimazonen ermöglicht, die wiederum in den Inschriften präzisiert wird.
5.2.5 Aktualisierte Diagramme. Die Bewegung der Planeten und die Finsternisse Zu dem letzten Kapitel der Spera, in dem äußerst summarisch die Bewegung der Sonne und der übrigen Planeten sowie die Phänomene der Mond- und Sonnenfinsternis erläutert werden, gehören drei Diagramme, welche die Ungleichförmigkeiten im Lauf der Planeten sowie die beiden Finsternisse zeigen (Abb. 74, 76, 77 u. Farbabb. 25, oben links, sowie Farbabb. 24, rechts oben u. Mitte).129 Sie gehören zu jenen fünf Diagrammen, die in den Handschriften der dritten Gruppe zu finden sind. Da diese Diagramme denjenigen im Dragmaticon (Abb. 48 u. Farbabb. 14) und im Timaeus-Kommentar (z. B. Abb. 20) grundsätzlich in Form und Funktion ähnlich sind, dabei aber wesentliche Neuheiten der ptolemäischen Astronomie enthalten, sollen sie hier nur kurz kommentiert werden.130 Das Diagramm zu den Phänomenen der Rückläufigkeit und des Stillstands in der Bewegung der Planeten ist deutlich komplexer geworden, da es nicht mehr nur den Epizykel samt den vier entscheidenden Planetenpositionen (statio prima, retrogradatio, statio secunda, directio) sowie die Sichtlinien von der Erde aus, sondern zusätzlich zwei exzentrische Kreise zeigt (Abb. 74 u. Farbabb. 25, oben links).131 Dabei handelt es sich um den Deferenten (deferens), der den Epizykel trägt, und den Äquanten (equans). Neben diesen Bezeichnungen war insbesondere dieser letzte Kreis in der lateinischen Astronomie, die eine Vorstellung von der Epizykel- und Exzenter-Theorie bereits besessen hatte, zuvor unbekannt gewesen. Ptolemaeus hatte diesen beiden Theorien die Äquantentheorie hinzugefügt, um sämtliche von der Erde aus beobachteten Facetten der Planetentere Benennungen und Bezifferungen horizontal aufgelistet sind. Die Fläche darüber füllen Architekturen aus. 128 Die Bedeutung des zweiten Werts ist mir unklar. Vgl. auch (1) ohne Zahlenwerte: Montpellier, Faculté de Médecine, MS H 323 (13./14. Jh.), fol. 40r; BnF, MS lat. 7195 (England, um 1300), fol. 15v; BML, MS Plut. 18 sin. 3 (14. Jh.), fol. 22v; (2) mit Zahlenwerten: Ambrosiana, MS H. 75 Sup. (1284), fol. 14r; Paris, Sainte-Geneviève, MS 1043 (Ende 13. Jh.), fol. 10v; BnF, MS lat. 7298 (14. Jh.), fol. 28v; BnF, MS Nouv. Acq. lat. 1893 (14. Jh.), fol. 21v. 129 Johannes de Sacrobosco, De spera 4, hg. Thorndike 1949, S. 113–117. 130 Vgl. Kap. 2.2.3 u. 3.2.6. 131 Zu diesem Diagramm in den frühen Drucken der Spera Gingerich 1999, S. 214 f. Zu den Fehlern in der Darstellung Kap. 3, Anm. 209, dieser Arbeit.
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bewegung mit dem Postulat der gleich- und kreisförmigen Bewegung in Übereinstimmung bringen zu können. In dem exzentrisch zur Erde verlaufenden Äquanten wird ein sogenannter Ausgleichspunkt angenommen, der auf einer Achse mit der Erde über dem Zentrum des Äquanten liegt und von letzterem ebenso weit entfernt ist wie die Erde. Von diesem Ausgleichspunkt aus betrachtet vollzieht der Planet eine gleichförmige Bewegung.132 Im Diagramm in der Spera jedoch bleibt der Ausgleichspunkt unerwähnt; es werden ausschließlich die Zentren der Kreise benannt. In seiner Zusammenführung verschiedener Figuren, die für die Planetenbewegung relevant sind, und gleichzeitigen Fokussierung auf ein Element gleicht insbesondere das Diagramm in der Handschrift in Oxford (Farbabb. 25, oben links) den Diagrammen gleichen Inhalts in den Dragmaticon-Handschriften (Abb. 48 u. Farbabb. 14). Inhaltlich wie formal von größter Bedeutung ist auch hier der Epizykel mit den Planetenpositionen. Auch im Text, in dem von allen Kreisen nur der Epizykel definiert wird, liegt die Konzentration bei der Erläuterung der Rückläufigkeit und des Stillstands eines Planeten auf diesem Detail.133 Es scheint außerdem, als erkläre Sacrobosco das Phänomen am Diagramm: »Wenn folglich zwei Linien vom Zentrum der Erde auf die Weise gezogen werden, dass sie den Epizykel einschließen, die eine von der östlichen Seite, die andere von der westlichen Seite, wird der Kontaktpunkt von der östlichen Seite erster Stillstand genannt […].« (Si igitur due linee ducantur a centro terre ita quod includant epiciclum, una ex parte orientis, reliqua ex parte occidentis, punctus contactus ex parte orientis dicitur statio prima […].)134 Diese Formulierung legt nahe, dass auch dieses Diagramm die Buchseite über den Unterrichtskontext, für den die Spera geschrieben und in dem sie rezipiert wurde, erreichte. Seine Fähigkeit, die unsichtbaren Wege eines Planeten sichtbar zu machen und auf diese Weise ein Phänomen analytisch zu veranschaulichen, machte das Diagramm für die Erklärung der Epizykel-Theorie anscheinend unverzichtbar. Auffällig ist, dass hier im Text weniger die Bewegung des Planeten auf dem Epizykel nachvollzogen, 132 Lindberg 2000 [1992], S. 109–111. Der Planet durchmisst von diesem Punkt aus gesehen in gleichen Zeitabständen gleiche Winkel, wozu es ebd., S. 110, heißt: »Man muß es sich bewußt machen, daß Ptolemaios in diesem Äquantenmodell die Gleichförmigkeit der Winkelbewegung – wenn auch nicht um das Zentrum – beibehielt, die Gleichförmigkeit der linearen Bewegung am Umfang entlang jedoch endgültig aufgab. Ob ein so aufgeweichtes Konzept der Gleichförmigkeit noch ausreichte – diese Frage stellte Kopernikus im sechzehnten Jahrhundert.« 133 Quilibet autem planeta preter solem tres habet circulos: scilicet, equantem, deferentem et epiciclum. […] Deferens quidem et equans cuiuslibet planete sunt equales. Et sciendum quod tam deferens quam equans Saturni, Iovis, Martis, Veneris et Mercurii sunt eccentrici et extra superficiem ecliptice, et tamen illi duo sunt in eadem superficie. Quilibet etiam planeta preter solem habet epiciclum, et est epiciclus circulus parvus per cuius circumferentiam defertur corpus planete, et centrum epicicli semper defertur in circumferentia deferentis. Johannes de Sacrobosco, De spera 4, hg. Thorndike 1949, S. 114. 134 Ebd.
Die Diagramme
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sondern vielmehr die jeweilige Bezeichnung der vier Punkte bzw. Abschnitte auf dem Trägerkreis vermittelt wird. In seiner Verknappung der Ausführungen zu den Planetenbewegungen konzentrierte sich Sacrobosco an diesem Punkt auf die Terminologie, aus der der Betrachter des Diagramms die Bewegung folgern konnte. Dieses Diagramm sowie die beiden folgenden zu den Finsternissen (Abb. 76, 77 u. Farbabb. 24) enthalten ein weiteres Detail, das in den früheren Diagrammen zu diesen Phänomenen nicht zu finden war. Die beiden exzentrischen Kreise, Deferent und Äquant, schneiden sich in zwei Punkten, den sogenannten Drachenpunkten. Zum Mond heißt es: »Der Äquant des Mondes ist gewiss ein mit der Erde konzentrischer Kreis und in der Ebene der Ekliptik. Sein Deferent ist ein exzentrischer Kreis und ist nicht in der Ebene der Ekliptik, nein, in der Tat weicht die eine Hälfte nach Norden ab, die andere nach Süden. Und der Deferent überschneidet den Äquant an zwei Stellen, und die Figur der Überschneidung wird Drache genannt, da sie in der Mitte breit ist und schmaler gegen Ende. Jene Überschneidung aber, durch die der Mond von Süd nach Nord bewegt wird, wird Kopf des Drachens genannt; die übrige Überschneidung aber, durch die er von Nord nach Süd bewegt wird, wird Schwanz des Drachens genannt.« (Equans quidem lune est circulus concentricus cum terra et in superficie ecliptice. Eius vero deferens est circulus eccentricus nec est in superficie ecliptice, immo una eius medietas declinat versus septentrionem, alia versus austrum. Et intersecat deferens equantem in duobus locis, et figura intersectionis appellatur draco, quoniam lata est in medio et angustior versus finem. Intersectio autem illa per quam movetur luna ab austro in aquilonem appellatur caput draconis; reliqua vero intersectio per quam movetur a septentrione in austrum dicitur cauda draconis.)135
Die Figur des Drachens, die auch von Alfraganus beschrieben und in der Anordnung der beiden Kreise Deferent und Äquant erkannt wurde, ist im Diagramm nicht figurativ dargestellt, sondern immer nur an den Schnittpunkten, den Drachenpunkten oder, nach der heutigen Terminologie, Mondknoten, in ihren Einzelteilen (cauda draconis, caput draconis) benannt.136 An diesen Punkten schneidet sich der exzentrische Deferent des Mondes mit dem Äquant, der in der Ebene der Ekliptik liegt. Nur an diesen Punkten also befindet sich der Mond in der Ebene der Sonnenbahn. Die Diagramme zur Mond- und Sonnenfinster135 Ebd. 136 Vgl. Alfraganus/Johannes von Sevilla, Differentie scientie astrorum 12.15, hg. Carmody 1943, S. 24. Dieses Kapitel beschäftigt sich mit den Planetenbahnen und enthielt – den Nachzeichnungen in den Anmerkungen der Edition von Campani nach zu urteilen – Diagramme. Die Nachzeichnungen ähneln den Diagrammen der Spera jedoch nicht. Alfraganus/Gerhard von Cremona, Liber de aggregationibus scientie stellarum 12, hg. Campani 1910, S. 110. Bei Zimmermann/Weigert 81995, S. 103, heißt es: »In alten Mythologien findet sich die Vorstellung, daß bei einer Verfinsterung das Gestirn von einem Fabelwesen, z. B. einem Drachen, verschlungen wird; auf Grund dieser Vorstellungen werden die Mondknoten von alters her Drachenpunkte genannt.«
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nis zeigen entsprechend, dass es dann zu einer Finsternis kommt, wenn sich der Mond in einem der beiden Drachenpunkte befindet und in Opposition zu bzw. Konjunktion mit der Sonne steht. Unerklärlich bleibt vorerst, warum dem Mond in diesen Diagrammen zwei exzentrische Kreise zugeordnet wurden, obwohl es im Text heißt, der Äquant verlaufe konzentrisch.137 Deutlich zu erkennen ist hingegen der konische Schatten, den die Erde bzw. der Mond wirft. Anders als im Timaeus-Kommentar (Abb. 25) und im Dragmaticon (Abb. 42, 43 u. Farbabb. 12) wird der Schattenform in der Spera keine eigene Diagrammfolge mehr gewidmet. Die Frage, ob die Sonne größer als die Erde ist, wird nicht mehr als Gelegenheit für die Erprobung rationalen Denkens begriffen und nicht weiter diskutiert. Den Diagrammen können die für die entstehende Schattenform maßgeblichen Größenverhältnisse zwischen Sonne, Mond und Erde immer eindeutig entnommen werden. Diese Diagramme stehen in enger Anbindung an den Text und führen nicht in andere Wissensgefilde. Sacrobosco beendet die Spera mit einem Verweis auf die unnatürliche Sonnenfinsternis während der Passion Christi: »Aus den zuvor gesagten Dingen wird auch deutlich, dass, als es eine Sonnenfinsternis während der Passion des Herrn gab und dieselbe Passion sich bei Vollmond ereignete, jene Finsternis nicht natürlich war, vielmehr wundersam und wider die Natur, weil ja eine Sonnenfinsternis bei Neumond oder um diese Zeit herum eintreten muss. Wegen diesem soll Dionysius Areopagites während derselben Passion gesagt haben: Entweder leidet der Gott der Natur, oder das Gefüge der Welt löst sich auf.« (Ex predictis etiam manifestum est quod, cum eclipsis solis esset in passione domini et eadem passio esset in plenilunio, illa eclipsis non fuit naturalis, immo miraculosa et contraria nature, quoniam eclipsis solis in novilunio vel circa debet contingere. Propter hoc legitur Dionysius Ariopagita in eadem passione dixisse: Aut deus nature patitur, aut machina mundi dissolvetur.)138
Ein Blick auf die Diagramme macht sogleich ersichtlich, dass eine Sonnenfinsternis nicht eintreten kann, wenn sich der Mond in Opposition zur Sonne befindet, dort außerhalb des Erdschattens das Licht von ihr empfängt und als Vollmond sichtbar wird. Das widernatürliche Ereignis während der Passion Christi impliziert, dass sich die Allmacht Gottes auch über das in der Spera beschriebene Regelwerk der machina mundi erstreckt und dessen Funktionsweise außer Kraft setzen kann. Es wird hier jedoch vor allem als Ausdruck des Leidens des mitfühlenden Gottes interpretiert. Diese Erinnerung an die Passion Christi und die Of137 In der ungewöhnlichen figura eclipsis lunaris in Cambridge, Fitzwilliam, MS McClean 166 (ca. 1280), fol. 38r, ist allein der circulus lune exzentrisch. In der Handschrift Oxford, SJC, MS 188 (England, Anf. 14. Jh.), fol. 71v, wurde auf die exzentrischen Kreise und die Drachenpunkte verzichtet; hier kreist der Mond auf seinem Epizykel. 138 Johannes de Sacrobosco, De spera 4, hg. Thorndike 1949, S. 116 f. Welcher Schrift des Corpus Dionysiacum diese Textstelle entnommen ist, muss hier leider offen bleiben. Zum Corpus zusammenfassend O’Daly 1981.
Zusammenfassung
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fenbarung Gottes in der Natur kommt am Ende nahezu überraschend, schließlich wird der deus gloriosus et sublimis allein im ersten Kapitel kurz erwähnt.139 Dem Text ist durch diese Erwähnungen eine Art Rahmenwerk gegeben, da gegen Beginn auf die Einrichtung der Welt durch Gott, am Ende auf das Unwägbare des göttlichen Zugriffs auf die Welt Bezug genommen wird. Den Diagrammen hingegen sind Anwesenheit und Verfügungsgewalt Gottes nicht zu entnehmen. Sie bleiben, wie schon die Diagramme in den hier zuvor betrachteten Schriften, Erkenntnisinstrumente, die sich allein mit spezifischen Fragen der rationalen Weltergründung beschäftigen.
5.3 Zusammenfassung Schon die frühe Überlieferung des kurzen Traktats De spera, das Johannes de Sacrobosco um 1230 aller Wahrscheinlichkeit nach für den Astronomieunterricht an der Universität in Paris schrieb, weist einen uneinheitlichen Bestand an Diagrammen auf. Sacrobosco verwies in seinem Text nur an einer einzigen Stelle explizit auf eine figuratio, das Sphärendiagramm im ersten Kapitel. Während einige Handschriften überhaupt kein Diagramm oder aber nur dieses eine aufweisen, bildete sich noch im 13. Jahrhundert ein weiterer Überlieferungsstrang aus, dessen Handschriften eine Gruppe von fünf Diagrammen enthalten, zu der neben demjenigen zur Sphärenordnung des Kosmos auch die Diagramme zu den Klimazonen, zu Rückläufigkeit und Stillstand in der Planetenbewegung sowie den Konstellationen bei einer Sonnen- und einer Mondfinsternis zählen. Diese Diagramme zeichnen sich durch ihre inhaltliche Nähe zum Text aus und sind in erster Linie als Ordnungsfiguren zu verstehen. Sie stellen die im Text referierte räumliche Ordnung in der Fläche dar und integrieren dabei die Bestandteile, die auch im Text erwähnt werden. Von den Diagrammen im Timaeus-Kommentar des Calcidius und in Wilhelms von Conches Dragmaticon unterscheiden sie sich insbesondere inhaltlich, da sie der aristotelischen Kosmologie verpflichtet sind und außerdem zuvor unbekannte Ordnungen und Himmelsobjekte integrieren. Ihre Textzugehörigkeit zeigt sich auch formal, da diese Diagramme fast immer Teil des Schriftraums sind und der Text verkürzt und umgelenkt wurde, um das Diagramm zu integrieren. Da zum einen in dem Passus, in dem von der Aufteilung der Erde in Klimazonen die Rede ist, die Vorstellungskraft des Rezipienten angesprochen wird und Sacrobosco zum anderen dort, wo er die Anomalie der Planetenbewegung erläuterte, indirekt auf eine visuelle Darstellung verwies, hatte er möglicherweise nicht nur das erste Diagramm, sondern diese gesamte Gruppe der fünf Diagramme im Text vorge139 Siehe Anm. 59.
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sehen. Insbesondere der letzte, indirekte Verweis macht in jedem Fall deutlich, dass Diagramme im Unterricht zur Erläuterung von astronomischen Problemen herangezogen und innerhalb dieses Kontexts auf den Seitenrändern hinzugefügt wurden. Es liegt nahe, die didaktische Nutzung jedes der in den Text integrierten Diagramme zu vermuten. Noch im 13. Jahrhundert verästelte sich die Überlieferung weiter. In einigen Handschriften wurde der Text der Spera nicht allein mit den genannten fünf, sondern mit insgesamt bis zu 20 Diagrammen ausgestattet. Die zusätzlichen Diagramme waren inhaltlich wie formal als visuelle Glossen konzipiert, sodass sie zu den frühen Kommentierungen der Spera gezählt werden müssen, unter denen sie gleichwohl aufgrund ihrer Visualität eine Sonderstellung einnehmen. Sie begleiten den Text auf dem Seitenrand und nehmen einzelne inhaltliche Aspekte vertiefend auf. Das zusätzliche Wissen, das einem umfassenderen Verständnis der Spera dient, wird dabei generell allein durch das Diagramm transportiert und nicht zusätzlich in Worte gefasst. Die glossierte Handschrift in Oxford bildet mit ihren ausführlichen Erläuterungen in dieser Hinsicht eine Ausnahme. Deutlich wird, dass die Diagramme Argumente aufgreifen, die Sacrobosco für einzelne Aussagen anführt, aber nicht genauer erläutert. Sie zeigen, warum sich die Dinge so verhalten, wie im Text behauptet, und können auch als Diagramm zum Diagramm, als visuelles Hilfsmittel zum besseren Verständnis einer anderen visuellen Glosse, fungieren, dabei aber ganz andere Raum- und Zeitverschränkungen als das Bezugsdiagramm vornehmen. Waren Erfahrung in der Betrachtung und Entschlüsselung von Diagrammen aufseiten des Rezipienten, der die visuelle Glossierung zur Vertiefung seiner Erkenntnis über die Welt nutzen wollte, somit unverzichtbar, so ist doch zu bezweifeln, dass ihm allein diese Kompetenz ein Verständnis der Diagramme ermöglichte. Denn einige Diagramme bleiben vollkommen abstrakt und sind mit Buchstaben beschriftet, durch die in anderen Diagrammen nur einzelne Elemente hervorgehoben werden. An keiner Stelle jedoch greift der Text diese Buchstaben auf; ihre Bedeutung kann allein durch die Betrachtung der Diagramme nicht erschlossen werden. Außerdem gehen nahezu alle visuellen Glossen inhaltlich über die Spera hinaus, wobei sie weitere Aspekte aus der astronomischen Literatur, die Sacrobosco referiert, übernehmen oder aber in andere Wissensgebiete führen, zum einen in die der Astronomie eng verwandte Geometrie und zum anderen die entlegenere geometrische Optik. Diese Beobachtungen lassen zwei Vermutungen zu. Zum einen haben diese Diagramme, die zusätzliches Wissen an Sacroboscos Abhandlung herantragen, die Ränder der Spera sehr wahrscheinlich über den Unterrichtskontext erreicht. Besonders naheliegend erscheint dies angesichts des Diagramms zur Wölbung des Wassers, schließlich spricht Sacrobosco auch bei der Beschreibung der Schiffsszene von Linienzügen. Die frühe formale Standardisierung aller zu dieser Gruppe der 20 gehörenden Diagramme und ihre Übernahme beim Ko-
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pieren des Texts ließen sich damit erklären, dass ihre Verwendung in der Lehre ihre Nützlichkeit zeigte und sie zur sinnvollen Textbeigabe machte. Die Diagramme sind dann als ein Zeugnis dafür anzusehen, mit welchen inhaltlichen Ergänzungen und in welcher Form die Spera unterrichtet wurde, wofür auch die Adaption der Form einer tragbaren Armillarsphäre für das Diagramm zu den Himmelskreisen spricht. Zum anderen lässt sich folgern, dass die unkommentierten Diagramme als visuelle Abbreviaturen eines hintergründigen Wissens für den Rezipienten beigefügt wurden, der ihre Bedeutung bereits kannte. Einem Magister oder einem Studenten, dem die sphärische Astronomie anhand der Spera und mit Verweis auf ähnliche Diagramme erklärt wurde, konnten letztere als Erinnerung an die erläuternden Exkurse dienen und vor diesem Wissenshintergrund verständlich sein. Die visuellen Glossen stellen das Wissen auf dem Gebiet der Astronomie in mehrfacher Hinsicht in einen größeren Zusammenhang. Indem sie in ein anderes Gebiet wie die geometrische Optik führen, machen sie deutlich, dass verschiedene wissenschaftliche Perspektiven zu den Kenntnissen über die Welt beitragen. Darüber hinaus vermitteln die Diagramme auch, dass diese Kenntnisse einerseits durch Abstraktionsvermögen entstehen, andererseits aber auf visueller Wahrnehmung und Erfahrung basieren. Ganz anders als die Diagramme im Timaeus-Kommentar des Calcidius und weitaus deutlicher als diejenigen in Wilhelms von Conches Dragmaticon zeigen die visuellen Glossen durch figurative und ortsbezogene Elemente, dass Wissen über den Kosmos auch dann zu gewinnen war, wenn der Blick die Buchseite verließ und in die Welt gerichtet wurde. Sie verdeutlichen, dass das dargelegte Wissen aus einer Kombination von Beobachtung und Seherfahrung mit mathematisch-geometrischer Durchdringung des Raums resultiert. Die Buchseite ist hier die Fläche, auf der das auf diese Weise gewonnene Wissen zusammengestellt und fixiert wird, nicht aber der privilegierte Ort, an dem das Denken die Welt mithilfe der Sprache erst ergründet. Dort, wo das Diagramm die Form eines Instruments übernimmt und damit zwischen Text und buchfremder Welterschließung vermittelt, wird sichtbar daran erinnert, dass die Welt mitunter gerade nicht im Buch, sondern als dreidimensionales Ding angemessen nachgebildet werden kann. Während die Armillarsphäre und das ihr ähnliche Diagramm einen Blick von außen auf die Welt gewähren, vermitteln die meisten der übrigen Diagramme, dass der Mensch tatsächlich vom inneren Zentrum her und von bestimmten Standpunkten auf der Erde aus das Ganze visuell erschließt. Die Diagramme sind also nicht nur selbst Objekte einer visuellen Weltaneignung, indem sie dem Auge unsichtbare Strukturen und Gesetzmäßigkeiten der Sinnenwelt als Gegenstände der Erkenntnis im Buch unterbreiten. Zugleich zeigen sie, dass die Astronomie auf einer visuellen Aneignung der Sinnenwelt und deren Überführung in mathematische Ordnungen gründet. Diesen Aspekt hob auch Robert Kilwardby (ca. 1215–1279), der etwa von 1237 bis 1245 in Paris stu-
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Die Diagramme bei Johannes de Sacrobosco
dierte, dann nach Oxford ging, dem Dominikanerorden beitrat und später Erzbischof von Canterbury wurde, in seiner Schrift »Von der Entstehung der Wissenschaften« (De ortu scientiarum) (ca. 1250) hervor, die er möglicherweise als propädeutischen Text für die Dominikaner schrieb: »Die Astronomie ist die beobachtende Wissenschaft des menschlichen Gesichtskreises, durchgeführt hinsichtlich der Erkenntnis der Größen der Himmelskörper in sich und ihrer Entfernung untereinander und hinsichtlich derer, die mit ihren Größen und Entfernungen verbunden sind.« (Astronomia est scientia speculativa humani aspectus perfectiva quoad cognitionem magnitudinum caelestium corporum in se et distantiam eorum ad invicem et quoad ea quae magnitudinibus suis et distantiis annexa sunt.)140
Während Kilwardby die Astronomie auf das Sichtfeld des Menschen bezog, wurde sie in den Studienführern, die im 13. Jahrhundert an der Pariser Artistenfakultät für die Vorbereitung auf die Examina verfasst wurden, abstrakt mit der Wahrheit in Verbindung gebracht. Hier war es gerade nicht die Astronomie, sondern die Astrologie, deren Wissen auf bestimmte Perspektiven zurückgeführt wurde. Stellvertretend soll hier aus den Accessus philosophorum .vii. artium liberalium, die ein anonymer Magister ungefähr in den Jahren 1230 bis 1240 zusammenstellte, zitiert werden: »[…] die Astrologie handelt von den Bewegungen der oberen Körper ›gemäß der Lage der Erdteile und den Vermutungen der Menschen‹, die Astronomie freilich von den Bewegungen der oberen Körper gemäß der Wahrheit.« ([…] astrologia est de motibus superiorum corporum ›secundum situs terrarum et opiniones hominum‹, astronomia uero est de motibus superiorum corporum secundum ueritatem.)141
Die Aussagen der Astrologie, welche die Bewegung der Himmelskörper mit dem irdischen Geschehen und dem individuellen menschlichen Geschick zu verbinden suchte, waren demnach nicht von unbedingter Gültigkeit, sondern an Orte und Ansichten gebunden. Die Astronomie hingegen lieferte ein Wissen, das über Deutungen erhaben war, da es schlicht der Wahrheit entsprach. In den Diagrammen der Spera jedoch zeigte sich, dass auch für das Ergreifen dieser unbedingten Wahrheit die Verortung des Menschen auf der Erde und seine visuellen Wahrnehmungen bedeutsam waren. Äußert sich in dieser inhaltlichen wie formalen Aufladung der astronomischen Diagramme mit Sinneswahrnehmung und Sinnenwelt allein ein spezifisches Verständnis der Astronomie oder aber auch der Einfluss des verstärkten astrologischen Interesses unter den Gelehrten und Studenten des 13. Jahrhunderts? Mit den Übersetzungen aus dem Arabischen boten 140 Robert Kilwardby, De ortu scientiarum 7.72, hg. Judy 1976, S. 34,25–28. 141 Accessus philosophorum .VII. artium liberalium, hg. Lafleur 1988, S. 219,641–644, wo auch die entsprechenden Stellen in weiteren Studienführern zitiert werden.
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sich im lateinischen Europa erstmals Grundlagen für ein systematisches Studium der Bedeutungen von Konstellationen, für das astronomisches Wissen unweigerlich vonnöten war. John North zufolge sollte nicht darüber hinweggesehen werden, »[…] that the motivation of so many of those who studied the arts of the quadrivium was undoubtedly astrological.«142 Ob die Ausrichtung auf eine astrologische Nutzung der astronomischen Kenntnisse die Diagrammgestaltung tatsächlich beeinflusste, bleibt insbesondere deshalb vorerst ungeklärt, weil die Anwendung astronomischer Kenntnisse in Sacroboscos Spera selbst nicht zur Sprache kommt. Es kann darüber hinaus hier nur vermutet werden, dass diese Diagramme Zeugnisse einer neuartigen Konzeption der Wissensgebiete des quadriuium im 13. Jahrhundert sind. Mit der Rezeption der Schriften des Aristoteles, insbesondere der »Zweiten Analytik« (Analytica posteriora) und der »Physik« (Physica), entstand eine Diskussion über das Verhältnis von Mathematik und Physik in den einzelnen mathematischen Wissenschaften und über die Frage, welche der Disziplinen eher der Physik zuzurechnen seien.143 Neben Musik und Optik betraf diese Diskussion vor allem Astronomie und Astrologie, die sich zwar einerseits mit mathematischen Gegenständen beschäftigten, andererseits aber ein Studium der natürlichen Dinge betrieben. Infolgedessen bezeichnete Thomas von Aquin (ca. 1224–1274) vermutlich als Erster die Musik und die Astronomie als scientiae mediae (»dazwischenliegende Wissenschaften«).144 Möglicherweise zeichnet sich in den Diagrammen, welche sowohl die mathematisch-geometrischen Gesetzmäßigkeiten als auch Gegenstände der Sinnenwelt zeigen, diese Auffassung von der Astronomie als einer Zwischendisziplin ab.
142 North 1994 [1992], S. 342. Vgl. auch ebd., S. 352 ff., sowie Lemay 1977. 143 »Aristoteles teilt die Wissenschaften in metaphysica, mathematica und physica ein mit der näheren Bestimmung, daß die mathematica die Dinge abstrahiert von Materie und Bewegung behandelt.« Hirtler 1998, S. 22. Eva Hirtler untersucht die Stellung der muscia als scientia media im 13. Jh., kommt aber auch auf Astronomie und Optik zu sprechen. Für die Astronomie vgl. insbesondere Gagné 1969; Pedersen 1959. 144 »Mittlere Wissenschaften sind, Thomas zufolge, diejenigen, die mathematische Prinzipien auf materielle, sinnlich wahrnehmbare Gegenstände anwenden.« Hirtler 1998, S. 36. Vgl. auch Gagné 1969, S. 982 f.
6 Zwischen Text und Instrument. Die Diagramme in der Theorica planetarum
6.1 Einführung Bereits in den ersten Jahrzehnten der Überlieferung wurde Johannes de Sacroboscos De spera nicht nur um Diagramme ergänzt. Zum corpus astronomicum, der Sammlung von Traktaten für den Astronomieunterricht, deren Kern Sacroboscos Algorismus, De spera und Compotus (De anni ratione) bildeten, kam gegen Ende des 13. Jahrhunderts die anonyme, vermutlich schon zu Beginn desselben Jahrhunderts verfasste Abhandlung Theorica planetarum als fester Bestandteil hinzu. Sie lieferte eine Einführung in gerade jenes Gebiet, das Sacrobosco vernachlässigt hatte: die Theorie der Planetenbewegungen.1 Das kurze Traktat bot die Grundlagen für das Verständnis der planetarischen Astronomie, und hier insbesondere derjenigen des Ptolemaeus, dessen im Jahrhundert zuvor ins Lateinische übersetzter Almagest nun auch im Westen als kanonisches Werk auf dem Gebiet der Astronomie anerkannt wurde, für die Studenten an der Artistenfakultät aber sicherlich zu anspruchsvoll war.2 Bis ins 15. Jahrhundert wurde die
1 Inc.: Circulus ecentricus uel egresse cuspidis uel egredientis centri dicitur qui non habet centrum suum cum centro mundi. Größte Kennerschaft über die Theorica planetarum besitzt Olaf Pedersen, der seine Forschungsergebnisse in verschiedenen Aufsätzen veröffentlicht hat. Vgl. hier bes. Pedersen 1992, S. 55 (zur Datierung), sowie ders. 1981, S. 118–120 (zur Autorschaft). Zur Aufnahme der Theorica in das corpus astronomicum ders. 1975, S. 76 f. Es liegt bisher keine kritische Edition der Theorica vor. Für das »Source book in medieval science« übersetzte Pedersen den Text ins Englische: Theorica planetarum, übers. Pedersen, Anm. Grant 1974, S. 451–465. Diese Übersetzung basiert auf dem Textzeugen Kopenhagen, MS Add 447 2° (kurz vor 1300), fols. 49r–56r, einer der frühesten Abschriften, nach der die Theorica im Folgenden zitiert wird. Zu dieser Handschrift auch Pedersen 1975, S. 96. 2 Zur Rezeption schreibt Pedersen 1974, S. 17 f.: »[…] in spite of the high esteem in which the Almagest was held by Mediaeval astronomers it was but rarely studied from cover to cover. The small number of extant manuscripts points to the conclusion that the majority of astronomers never possessed a copy nor even had access to one in a library. The reason is not difficult to guess. The Almagest is a highly technical work which still to-day presents many difficulties and obscurities for a modern reader. It must have been much more difficult to a Mediaeval scholar equipped with less astronomical and mathematical knowledge. We have to remember that e. g. the Elements of Euclid were translated only a short time before the Almagest, and that it must have been an enormous task to assimilate such long and demanding treatises.« Vgl. auch Poulle 1998, S. 85 f.; Lafleur/Carrier 1997, S. 543, Anm. 50, sowie Weisheipl 1964, S. 172.
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Die Diagramme in der Theorica planetarum
Theorica als Grundlagentext im Astronomieunterricht an den Artistenfakultäten komplementär zu Sacroboscos Spera eingesetzt.3 Anders als die Spera auf poetische Einschübe gänzlich verzichtend, fasste die Theorica ihren Stoff noch prägnanter zusammen. Ihrem Autor gelang es, die Bewegungen der Sonne, des Mondes, der Knoten (Drachenpunkte) und der Planeten ober- und unterhalb der Sonne sowie die Phänomene der Rückläufigkeit und des Stillstands in sechs Kapiteln in ihren Grundzügen zu erläutern.4 Jedes dieser Kapitel ist am Ende mit einem Kreisdiagramm ausgestattet, auf das im Text zuvor an mindestens einer Stelle mit der Formulierung »wie es in dieser Figur klar zutage tritt« (sicut patet in hac figura) oder einer Variante dieses Verweises hingewiesen wird. Entsprechend sind die Diagramme in nahezu allen Abschriften vorhanden und in den Textkörper integriert. Die frühesten der erhaltenen Abschriften der Theorica, die insgesamt in ähnlich hoher Zahl wie Sacroboscos Spera überliefert ist, stammen aus dem letzten Viertel des 13. Jahrhunderts und dem frühen 14. Jahrhundert.5 Von den Handschriften, die ich im Original sehen konnte, lässt sich allein die Sammelhandschrift, die vermutlich aus Bayeux stammt und nicht auch Sacroboscos, sondern Robert Grossetestes Spera (Farbabb. 20) enthält, mit Sicherheit früher datieren.6 Wie schon unter den Abschriften von Grossetestes Spera nimmt diese Handschrift auch unter denjenigen der Theorica eine Sonderstellung ein (Abb. 79, 81, 84). Während der Textkörper häufig zweispaltig organisiert und auf visuel3 Zu den Kommentaren zur Theorica Pedersen 1992, S. 63–78; zu ihrem Schicksal im 15. Jh. ders. 1978. 4 Weniger konzis ist das siebte Kapitel De latitudinibus sex planetarum et declinatione solis. Auch das achte Kapitel unterscheidet sich von den vorhergehenden, da nur dieses Kapitel mit den Aspekten der Planeten eine für die Astrologie wichtige Lehre erläuterte: De planetarum aspectuum inuentione. Aufgrund dieser Abweichungen in Stil und Inhalt wird vermutet, dass es sich bei diesen letzten beiden Kapiteln um spätere Ergänzungen von anderer Hand handelt. Für diese These und eine ausführlichere Übersicht über den Inhalt der einzelnen Kapitel Pedersen 1992, S. 56–60, sowie ders. 1981, S. 115–117 u. 120. Einige aus dem 14. Jh. datierende Handschriften enthalten ein abstrakt-geometrisches Diagramm zu dem achten Kapitel, das jedoch in keiner der hier näher zu betrachtenden jüngeren Abschriften zu finden ist. Vgl. BML, MS Plut. 18 sin. 6, fol. 79v; BnF, MS lat. 7421, fol. 131v; BnF, MS Nouv. Acq. lat. 1893, fol. 71v. Zu den Aspekten Blume 2000, S. 7. 5 Nach Pedersen 1992, S. 54, enthält dessen unveröffentlichte Liste 220 Abschriften in europäischen Bibliotheken. Mir waren 15 frühe Abschriften im Original zugänglich: – 13. Jh. (1225–1275): zwei Handschriften: Bodleian, MS Laud Misc. 644 (No. 1487) (Bayeux?); Erfurt, MS Ampl. 8° 88. – 13./14. Jh. (1275–1325): 13 Handschriften: CUL, MS Ii. III. 3; Erfurt, MS Ampl. 2° 394; BML, MS Plut. 18 sin. 2; Kopenhagen, MS Add. 447 2°; BL, MS Egerton 844; BL, MS Royal 12 C. IX; BL, MS Royal 12 C. XVII (England?); BL, MS Royal 12 E. XXV; Ambrosiana, MS H. 75 Sup.; Montpellier, Faculté de Médecine, MS H 323; Bodleian, MS Auct. F. 3. 13 (England); Paris, Sainte-Geneviève, MS 1043; BAV, MS Palat. lat. 1414 (Paris). 6 Bodleian, MS Laud Misc. 644 (No. 1487) (Bayeux?, 1268–1273), fols. 115v–119v. Zu dieser Handschrift Kap. 4, Anm. 17.
Einführung
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ler Ebene mit Fleuronné-Initialen sowie Paragrafenzeichen in deckendem Rot und Blau gegliedert ist, wurden nur in dieser Handschrift auch die Kreisdiagramme mit diesen Farben gezeichnet und beschriftet.7 Üblicherweise verwandte man, ähnlich wie in Sacroboscos Spera, zusätzlich zu den braunen und roten Tinten, die auch in der Textgestaltung eingesetzt wurden, für die Diagramme ein durchscheinendes Gelb und Grün. In der kurz vor 1300 entstandenen Abschrift, die sich heute in Kopenhagen befindet und hier als Textzeuge verwandt wird, sind einzelne Diagrammelemente gelb ausgefüllt (Abb. 80, 82, 85).8 Einem frühen Standard entsprechend kommt in der im Jahr 1276 vollendeten Handschrift in Cambridge, deren Spera-Diagramme hier bereits genauer untersucht wurden (z. B. Farbabb. 23), zu dem Gelb das wässrige Grün hinzu (Farbabb. 26).9 Durch diesen Farbeinsatz werden die Diagramme deutlich vom Schmuckwerk des Texts unterschieden. Der Vergleich der drei genannten Handschriften untereinander zeigt außerdem, dass die rot-blauen Diagramme aus Bayeux in ihrer Begrenzung auf eine Spaltenbreite klein ausfallen. Häufig sind die Diagramme unterhalb des verkürzten Textfeldes platziert, wobei sie mindestens ein Drittel der Seite, die gesamte Breite des Schriftraums und oft auch den unteren Seitenrand beanspruchen (Farbabb. 26 u. Abb. 83). Sie können so das dominierende Element auf der Seite bilden (Abb. 82). Auch die bisweilen üppige Ausstattung mit In- und Beischriften der Diagramme in der Handschrift aus Bayeux ist als singulär zu betrachten. Allein durch dieses Formmerkmal sticht die Handschrift aus der frühen Überlieferung heraus.10 Ihre Diagramme entbehren außerdem eines üblicherweise auffälligen Elements, nämlich des äußeren Tierkreises samt der innen entlanglaufenden, schmaleren Bahn mit Gradunterteilungen. In den meisten Handschriften weisen die Diagramme diesen äußeren Abschluss auf; lediglich das letzte Diagramm 7 Vgl. aber BML, MS Plut. 18 sin. 2 (13./14. Jh.), fols. 4r–10v, wo die Diagramme Farben der polychromen Rankeninitiale übernehmen. 8 Kopenhagen, MS Add. 447 2° (kurz vor 1300), fols. 49r–56r. Es handelt sich um eine Sammelhandschrift mit Texten von verschiedenen Händen zu Astronomie, Komputistik und Astrologie. Zu dieser Handschrift Anm. 1. Ähnliche Farbgebung in Erfurt, MS Ampl., 8° 88 (13. Jh.), fols. 83r–88v; BL, MS Egerton 844 (2. H. 13. Jh.), fols. 77r–84v; BL, MS Royal 12 C. XVII (England?, Anf. 14. Jh.), fols. 118r–127v; Montpellier, Faculté de Médecine, MS H 323 (13./14. Jh.), fols. 98v–108r; Bodleian, MS Auct. F. 3. 13 (England, um 1300), fols. 105r–109v. 9 CUL, MS Ii. III. 3 (1276), fols. 79v–86r. Vgl. Kap. 5, Anm. 29. Vgl. außerdem Paris, Sainte-Geneviève, MS 1043 (Ende 13. Jh.), fols. 59r–64r, sowie die aus dem 14. Jh. datierenden Abschriften BML, MS Plut. 18 sin. 3, fols. 90r–99r; BML, MS Plut. 18 sin. 6, fols. 69r–79v; Florenz, BNC, MS II. III. 24, fols. 254v–258r; Bodleian, MS Savile 17, fols. 50r–60r (zusätzlich ein wässriges Rotbraun); BnF, MS lat. 7298, fols. 75v–81r; BnF, MS Nouv. Acq. lat. 1893, fols. 65r–71v. 10 Vgl. aber die letzten beiden Diagramme der Handschrift BAV, MS Palat. lat. 1414 (Paris, 13./14. Jh.), fols. 162v u. 164r, sowie die aus dem 14. Jh. datierende Abschrift BnF, MS Nouv. Acq. lat. 176, fols. 42r–47r.
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kommt immer ohne ihn aus (Abb. 84–86).11 Insbesondere dieses Element bewirkt eine große formale Ähnlichkeit der Diagramme einer Abschrift untereinander. Zwar weichen sie inhaltlich voneinander ab, da sie jeweils die Bewegung eines bestimmten Planeten oder einer Planetengruppe zeigen. Weil aber das Bewegungsmodell in jedem Fall auf die gleiche Weise ins Visuelle übertragen ist und auch der Text sich in immer der gleichen Art auf das Diagramm bezieht, sind die Diagramme nicht nur formal, sondern auch in ihrer Funktion einander grundsätzlich ähnlich. Deshalb sollen im Folgenden nicht alle sechs, sondern nur drei Diagramme der Theorica näher betrachtet werden. Da diese Arbeit insgesamt an den Visualisierungen astronomischen und kosmologischen Wissens aus der Zeit bis zum frühen 14. Jahrhundert interessiert ist, werden auch hier die frühen, oben genannten Abschriften im Mittelpunkt stehen.
6.2 Die Diagramme 6.2.1 Koordinaten und Bewegung im Diagramm Weder im Text der Theorica noch in ihren Diagrammen werden stoffliche Qualitäten oder Fragen nach der Ursache der Bewegung berücksichtigt. Konnte das erste Diagramm in den Traktaten Robert Grossetestes und Johannes de Sacroboscos die Elementensphären und diejenige des primum mobile aufnehmen (Farbabb. 21–23), bleibt der in den Diagrammen der Theorica jeweils gezeigte Ausschnitt des Himmels immer ein rein mathematisch-geometrisches Gebilde.12 Wie Ptolemaeus’ Almagest ist die Theorica eine Abhandlung der mathematischen Astronomie, die Fragen nach der physischen Beschaffenheit der Sphären und Himmelskörper ausschließt. Sie beginnt sogleich mit der Erörterung der Sonnenbewegung, worin sie den Ausführungen zur planetarischen Astronomie im Almagest gleicht. Die Vorrangstellung der Sonne erklärt sich insbesondere durch die Erkenntnisabsicht der ptolemäischen Astronomie. In den hier zuvor betrachteten Abhandlungen war es vor allem um ein prinzipielles Verstehen von Kons11 Ohne skalierten Tierkreis sind auch die schlichten Diagramme in: Erfurt, MS Ampl. 2° 394 (Anf. 14. Jh.), fols. 128v, 129r, 129v, 130r; BL, MS Royal 12 C. IX (fr. 14. Jh.), fols. 53r, 53v, 54r, 55r, 59v. 12 »A general feature of the Theorica is the strictly geometrical presentation of the theoretical models of the motions of the planets. In most manuscripts these models are illustrated by well-designed figures composed of circles and straight lines, but without reference to the celestial ›spheres‹ of Aristotelian cosmology […]. It seems that the author did not wish to trouble his students with the endless discussions on whether the ›mathematical‹ and the ›physical‹ account of the universe were compatible, at least not before they had been solidly grounded in its purely kinematical features.« Pedersen 1992, S. 59. Damit ist in der Sekundärliteratur auch schon alles zu den Diagrammen der Theorica gesagt.
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tellationen und Bewegungen gegangen, das eine Herleitung von Phänomenen wie den Finsternissen und eine Vorstellung von der Gleichförmigkeit des scheinbar ungleichförmigen Planetenlaufs ermöglichen sollte. Die weitaus präzisere mathematische Beschreibung der Planetenbewegungen bei Ptolemaeus hingegen zielte nicht nur auf eine Erklärung der Anomalien, sondern auch auf die genaue Berechnung zukünftiger Verläufe und Positionen sämtlicher Himmelskörper. Die Sonne war für diese Berechnung von entscheidender Bedeutung, da sich die Zeitrechnung nach ihrem Lauf richtete. Da das Sonnenjahr die Maßeinheit für jede zeitliche Vorausbestimmung war, wurde der Standort eines Gestirns in Relation zur Sonne wahrgenommen.13 Die Theorica kommt ohne einen Prolog oder eine anfängliche Zusammenfassung des Inhalts aus. Sie beginnt unvermittelt, schon der erste Satz ist eine Definition: »Exzentrisch wird eine Kreisbahn entweder mit verschobenem Scheitelpunkt oder mit nach außen weichendem Zentrum genannt, die kein gemeinsames Zentrum mit der Welt hat.« (Circulus ecentricus uel egresse cuspidis uel egredientis centri dicitur qui non habet centrum suum cum centro mundi.)14 Dem Exzenter zugehörig sind die Punkte der größten Entfernung vom und der größten Nähe zum Zentrum der Welt, die hier – wie auch bei Sacrobosco – nicht mehr als Apsiden, sondern als aux und oppositum augis bezeichnet werden.15 Im Folgenden wird die Bewegung der Sonne sogleich auf eine exzentrisch zur Erde verlaufende Bahn verlagert. Woraus die Notwendigkeit einer von der Lage des Tierkreises abweichenden Sonnenbahn gefolgert werden kann – sei es, wie im Timaeus-Kommentar des Calcidius erläutert, aus der unterschiedlichen Dauer der Jahreszeiten oder aber, wie von Martianus Capella und Wilhelm von Conches dargelegt, des Verweilens der Sonne in den einzelnen Tierkreiszeichen –, findet hier keine weitere Erläuterung. Unkommentiert bleibt auch, warum eine tatsächliche Ungleichförmigkeit in der Planetenbewegung überhaupt undenkbar war. Anders als Ptolemaeus im Almagest und – in deutlich vereinfachender Form – Calcidius im Timaeus-Kommentar verzichtete der Autor der Theorica 13 Zur Bedeutung der Sonne Pedersen 1974, S. 123: »It [the fact that the solar becomes the only numerical parameter common to all the planetary models] is easy to understand if we regard the solar system from a heliocentric (Copernican) point of view. Since the planets are observed from the Earth, their apparent positions will depend upon two factors, viz. where the planet itself is, and where the Earth is. The first is determined by the motion of the planet in its own orbit, but the second upon the motion of the Earth in its path around the Sun during the period of one year. The latter motion is reflected as the motion of the Sun around the Earth in exactly the same period if we look upon the system from a geocentric point of view. Thus we must in any case have a certain correlation between the motion of the Sun and the motion of any of the planets.« 14 Theorica planetarum, Kopenhagen, MS Add. 447 2° (kurz vor 1300), fol. 49ra. Vgl. Theorica planetarum 1.1, übers. Pedersen, Anm. Grant 1974, S. 452. 15 Ebd. Vgl. Kap. 5, Anm. 50, dieser Arbeit. Zu diesem ersten Kapitel der Theorica auch Pedersen 1992, S. 61 f.
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auf eine Herleitung des Problems sowie eine vergleichende Betrachtung von Epizykel- und Exzenter-Theorie für die Sonne.16 Entsprechend ist nur ein Diagramm für die Darstellung der Sonnenbewegung vorgesehen. Es folgt am Ende des kurzen ersten Kapitels, ist zumeist als »Figur der Sonnenbewegung« (figura motus solis) bezeichnet und führt die Exzentrizität der Sonnenbahn stets eindeutig vor Augen (Farbabb. 26 u. Abb. 79, 80). Anders als die übrigen Diagramme ist dasjenige in der Handschrift aus Bayeux, in welchem der äußere Tierkreis (orbis signorum) den Exzenter (ecentricus solis) als einfache Kreislinie umgibt, mit der Terminologie des Texts bestückt (Abb. 79). Neben den Kreiszentren (centrum ecentrici, centrum terre17), dem Punkt der größten Erdferne (aux) und den Himmelsrichtungen Ost und West (oriens, occidens) sind dem Diagramm Begriffe zu entnehmen, die im Text erläutert werden: argumentum, uerus cursus und equatio. Jeder dieser Begriffe bezeichnet einen bestimmten Abschnitt des Tierkreises, der jeweils durch Linien markiert wird, die vom Zentrum des Exzenters und der Erde ausgehen. Im Text wird jedoch an erster Stelle die »mittlere Bewegung der Sonne« (medius motus solis) definiert, die im Diagramm nicht verzeichnet ist. Bei dieser »mittleren Bewegung« handelt es sich um eine der Beobachtung widersprechende Größe, da sie vorgibt, die Sonne bewege sich mit konstanter Geschwindigkeit um die Erde. Hingegen scheint sie, von der Erde im Zentrum der Welt aus betrachtet, im Verlauf eines Jahres mal langsamer, mal schneller zu kreisen. Die »mittlere Bewegung« der Sonne ist rein rechnerisch zu ermitteln; sie kann zur Bestimmung der »wahren Bewegung« (uerus motus solis) dienen.18 Da Ptolemaeus die Planetenbewegung geometrisch konstruiert, sind den knappen Definitionen der Theorica zufolge sämtliche Größen als Erstreckungen im Raum aufzufassen: »Mittlere Bewegung der Sonne wird der Bogen des Tierkreises genannt, der abgeteilt ist zwischen der Linie, die vom Zentrum der Erde zum Standort des Widders ausgeht, und der Linie, die von demselben Zentrum zum Firmament verläuft, und ich sage, dass diese Linie gleich weit entfernt ist von einer Linie, die von dem Zentrum des Exzenters zum Zentrum der Sonne verläuft.«
16 Bei Ptolemaeus heißt es: »Wenn wir uns die Aufgabe gestellt haben, auch für die fünf Wandelsterne, wie für die Sonne und für den Mond, den Nachweis zu führen, dass ihre scheinbaren Anomalien alle vermöge gleichförmiger Bewegungen auf Kreisen zum Ausdruck gelangen, weil nur diese Bewegungen der Natur der göttlichen Wesen entsprechen, während Regellosigkeit und Ungleichförmigkeit ihnen fremd sind, so darf man wohl das glückliche Vollbringen eines solchen Vorhabens als eine Großtat bezeichnen, ja in Wahrheit als das Endziel der auf philosophischer Grundlage beruhenden mathematischen Wissenschaft.« Ptolemaeus, Almagest 9.2, übers. Manitius, bericht. Neugebauer 1963:2, S. 94,7–17, sowie 3.3–5, Bd. 1, S. 148–182, u. Kap. 2.2.3 dieser Arbeit. 17 Es heißt hier centrum terre und nicht etwa centrum mundi, da Ptolemaeus die Theorie der Sonnenbewegung (wie auch der Mondbewegung) auf das Erdzentrum bezog. Pedersen 1974, S. 203. 18 Für eine Darlegung der Rechenwege Pedersen 1974, S. 132–141.
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(Medius motus solis dicitur arcus zodiaci interceptus inter lineam exeuntem a centro terre ad locum arietis et lineam exeuntem ab eodem centro ad firmamentum lineam dico equidistantem linee exeunti a centro ecentrici per centrum solis.)19
Im Diagramm in der Handschrift aus Bayeux trifft diese Beschreibung auf die gesamte obere Hälfte des Tierkreises zu. Vom Erdzentrum (centrum terre) verläuft eine Linie horizontal gen Westen, wo der Beginn des Sternzeichens Widder (principium arietis) vermerkt ist. Diese Linie ist in die entgegengesetzte Richtung zur Horizontalen des Gesamtkreises verlängert und trifft erneut auf den Tierkreis: Dies ist die zweite Grenzmarkierung. Zwischen diesem Punkt und dem Widderpunkt erstreckt sich die »mittlere Bewegung« der Sonne. Denn diese linke Hälfte der Horizontalen verläuft, wie vom Text gefordert, parallel (equidistans) zu der Linie, die vom Zentrum des Exzenters durch das Zentrum der Sonne führt. Zwischen den beiden Parallelen erstreckt sich eine Diagonale von der Erde durch das Sonnenzentrum bis zum Tierkreis. Da die Sonne an diesem Punkt von der Erde aus tatsächlich erblickt wird, beschreibt der Bogen, der sich vom Widderpunkt bis dorthin erstreckt, die »wahre Bewegung« der Sonne.20 Das Bogenstück zwischen »mittlerer« und »wahrer« Bewegung wird, so zeigt es auch das Diagramm der Handschrift aus Bayeux, equatio genannt, was mit »Ausgleich« übersetzt werden kann.21 Der Punkt, an dem die vom Zentrum der Erde ausgehende Diagonale durch die Sonne hindurch auf den Tierkreis trifft, wird im Diagramm als uerus cursus bezeichnet. Diese Hervorhebung des Punktes und weniger des gesamten Bogens vermochte möglicherweise explizit darauf hinzuweisen, dass mit der »wahren« wie auch der »mittleren Bewegung« sowohl räumliche Erstreckungen als gleichzeitig auch punktuelle Koordinaten ermittelt wurden. Denn die ›Bewegungen‹ wurden in Grad gemessen, wobei der Widderpunkt (principium arietis) als Anfangs- und Leitpunkt diente. Die »wahre« oder »mittlere Bewegung« gab somit Aufschluss über die graduelle Distanz der Sonne zum Widderpunkt und damit auch über ihren tatsächlichen bzw. rein rechnerischen Standort. Obwohl in der gesamten Theorica keine Berechnungen angestellt werden und in diesem ersten Kapitel die Gradeinteilungen noch vollkommen unberücksichtigt bleiben, gewinnt das Messprinzip in den allermeisten Handschriften schon im ersten Diagramm Form. So ist auch in den Handschriften in Kopenhagen und Cambridge der Tierkreis um eine schmale innere Bahn ergänzt, die auf das Zentrum ausgerichtete Striche in Gradeinheiten unterteilen (Farbabb. 26 u.
19 Theorica planetarum, Kopenhagen, MS Add. 447 2° (kurz vor 1300), fol. 49ra. Vgl. Theorica planetarum 1.3, übers. Pedersen, Anm. Grant 1974, S. 452. 20 Verus motus solis dicitur arcus zodiaci interiacens inter caput arietis et lineam exeuntem a centro terre per centrum solis. Ebd. 21 Equacio solis dicitur arcus zodiaci cadens inter medium motum et uerum motum. Ebd. Vgl. Theorica planetarum 1.5, übers. Pedersen, Anm. Grant 1974, S. 452. Zum Begriff Pedersen 1974, S. 141.
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Abb. 80).22 Es wird dabei weder darauf hingewiesen, dass die Zählung am Widderpunkt beginnt, noch soll das Diagramm dazu dienen, die dargestellten Positionen der Sonne im Tierkreis präzise zu bestimmen.23 Die dem Diagramm vom Text explizit zugesprochene Funktion besteht allein darin, die geometrische Ermittlung der »mittleren Bewegung« der Sonne vor Augen zu führen. Am Ende des Kapitels heißt es: »Die mittlere Bewegung der Sonne zu finden aber bedeutet, einen bestimmten Bogen des Tierkreises zu finden, der sich zum Tierkreis auf die Weise verhält wie sich der von der Sonne durchschrittene Bogen des Exzenters zum Exzenter verhält, und dies wird durch eine Parallele gefunden, wie es in dieser Figur klar zutage tritt.« (Inuenire autem medium motum solis est inuenire quemdam arcum zodiaci qui se habeat ad zodiacum quemadmodum arcus ecentrici pertransitus a sole se habet ad ecentricum et hoc inuenitur per lineam equidistantem sicut patet in hac figura.)24
Diesem Verweis werden insbesondere die Diagramme gerecht, in denen die Sonne nicht nur – wie in der Handschrift aus Bayeux – am linken, sondern auch am rechten Endpunkt der Horizontalen des Exzenters eingezeichnet ist. Dies ist in den Abschriften in Kopenhagen und Cambridge der Fall. Die Horizontale teilt den Exzenter in zwei gleich große Hälften. Versteht man die obere Hälfte als die Strecke, welche die Sonne vom Zeichen Widder (aries) bis in das Zeichen Jungfrau (uirgo) durchwandert hat, so zeigt sich, dass die parallel gezogene Linie, die Horizontale des Tierkreises, diesen in zwei ebenfalls gleich große Hälften unterteilt. Beide Kreisabschnitte stehen somit im gleichen Verhältnis zu ihrem Kreisganzen, wie es im Diagrammverweis gefordert ist. Dem Diagramm der Handschrift aus Bayeux ist diese Entsprechung nur zu entnehmen, wenn man die durch die Parallelen bezeichneten Kreisabschnitte vom Punkt der größten Erdferne (aux) ins Auge fasst: Sowohl vom Exzenter als auch vom Tierkreis wird durch die Parallele jeweils ein Viertel des Gesamtumfangs abgeteilt.25 Jedes der Diagramme zeigt somit die geometrische Disposition von Planetenbahn und Tierkreis und ermöglicht es, die räumliche Erstreckung der im Text definierten Koordinaten im Gesamtgefüge nachzuvollziehen. Dabei unterscheiden sich auch die Diagramme, zwischen denen durch den äußeren Abschluss 22 In den Diagrammen der Handschriften in Cambridge und Kopenhagen sind es 15 Striche in jedem Tierkreiszeichen, sodass jeder Strich 2° markiert. 23 In der Handschrift BAV, MS Palat. lat. 1414 (Paris, 13./14. Jh.), fols. 160r–166r, ist das Sternzeichen aries stets als primum signum ausgewiesen. Die Diagramme haben hier jedoch keine Gradunterteilung. 24 Theorica planetarum, Kopenhagen, MS Add. 447 2° (kurz vor 1300), fol. 49rb. Vgl. Theorica planetarum 1.9, übers. Pedersen, Anm. Grant 1974, S. 452. 25 Der als argumentum bezeichnete Tierkreisabschnitt ist für diese Folgerung nicht relevant. Seine Definition lautet: Argumentum solis dicitur arcus zodiaci cadens inter augem et lineam terminantem medium motum. Theorica planetarum, Kopenhagen, MS Add. 447 2° (kurz vor 1300), fol. 49ra/b. Vgl. Theorica planetarum 1.6, übers. Pedersen, Anm. Grant 1974, S. 452.
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mit Tierkreis und innerem Gradring eine grundsätzliche Ähnlichkeit besteht, häufig in ihrer Gestaltung der Innenfläche voneinander. Nicht nur in diesem ersten Diagramm, sondern auch in den folgenden zu den Bewegungen der übrigen Planeten wurden in den verschiedenen Abschriften die Anzahl und Positionierung der eingezeichneten Planeten variiert. So sind in dem Diagramm der Handschrift in Cambridge insgesamt sechs Sonnen verzeichnet (Farbabb. 26), in Kopenhagen lediglich vier (Abb. 80). Grundsätzlich lässt sich sagen, dass mit der mehrfachen Verortung des Planeten im Diagramm Bewegung simuliert und somit veranschaulicht werden konnte, dass sich das Verhältnis der Koordinaten zueinander mit der Position des Planeten verändert.26 Insbesondere zwei Sachverhalte können den Diagrammen häufig entnommen werden. Zum einen ist die Sonne oft an den Punkten der größten Erdferne und der größten Erdnähe eingezeichnet, im Diagramm also dort, wo der Exzenter die Vertikale des Tierkreises schneidet. Ersichtlich wird dann, dass an diesen Punkten die »wahre« und die »mittlere Bewegung« der Sonne identisch sind, da hier die parallelen Linien, die vom Zentrum des Exzenters und des Tierkreises ausgehen, in der Vertikalen zusammenfallen. Im Text heißt es entsprechend, dass es an diesen Punkten keine equatio, keine Differenz zwischen »mittlerer« und »wahrer Bewegung« gebe.27 Zum anderen kann der im Text erwähnte Sachverhalt, dass die »wahre Bewegung« in der einen Hälfte des Himmels größer sei als die »mittlere«, in der anderen aber kleiner, auch dann im Diagramm nachvollzogen werden, wenn die Sonne darin sowohl in der linken als auch der rechten Hälfte des Exzenters eingezeichnet ist.28 In den Handschriften in Cambridge und Kopenhagen ist sie auf die Weise im Sternzeichen Widder lokalisiert, dass die vom Erdzentrum ausgehende Parallele zum Widderpunkt führt, die »mittlere Bewegung« somit null Grad beträgt. Die Diagonale jedoch, die durch die Sonne verläuft und die »wahre Bewegung« anzeigt, trifft weiter oberhalb auf den Grad26 In der Handschrift BML, MS Plut. 18 sin. 3 (14. Jh.), fol. 90v, ist für die Simulation von Bewegung im Zentrum des Diagramms ein Faden angebracht. Tatsächlich in Bewegung gesetzt und damit einfach nachvollziehbar findet man das Modell für die Sonnenbewegung unter URL: (9. 11. 2007). 27 Equacio solis nulla est sole existente in auge uel in oppositione augis. Theorica planetarum, Kopenhagen, MS Add. 447 2° (kurz vor 1300), fol. 49ra. Vgl. Theorica planetarum 1.5, übers. Pedersen, Anm. Grant 1974, S. 452. Warum hingegen die Sonne im Diagramm der Handschrift in Kopenhagen jeweils kurz vor diesen Punkten eingezeichnet ist, kann mithilfe des Texts nicht erklärt werden und muss hier offen bleiben. Ganz ähnliche Diagramme in Erfurt, MS Ampl. 8° 88 (13. Jh.), fol. 83r, u. Montpellier, Faculté de Médecine, MS H 323 (13./14. Jh.), fol. 99r. 28 In una autem medietate celi maior est medius motus qua uerus quare tunc equacio subtrahenda est. In alia minor quare tunc equacio est addenda. Kopenhagen, MS Add. 447 2° (kurz vor 1300), fol. 49rb. Vgl. Theorica planetarum 1.8, übers. Pedersen, Anm. Grant 1974, S. 452. Mit mindestens sechs Sonnen bestückt sind die Diagramme in BML, MS Plut. 18 sin. 2 (13./14. Jh.), fol. 4r; BL, MS Egerton 844 (2. H. 13. Jh.), fol. 77v; Ambrosiana, MS H. 75 Sup. (1284), fol. 59r, sowie Paris, Sainte-Geneviève, MS 1043 (Ende 13. Jh.), fol. 59r.
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ring. Die »wahre Bewegung« ist hier somit größer als die »mittlere«. Rechnerisch ist erstere zu ermitteln, wenn man die equatio und die »mittlere Bewegung« addiert. In der anderen Hälfte des Tierkreises (cancer bis sagittarius) verhält es sich genau andersherum. Hier ist stets die »mittlere Bewegung« größer, sodass die Subtraktion der equatio die »wahre« ergibt. Das Diagramm dient also nicht allein der Veranschaulichung der Geometrie der Sonnenbewegung samt den im Text definierten Größen. Es gibt nicht allein darüber Aufschluss, wie sich die einzelnen Koordinaten zu einer aus einzelnen Geraden bestehenden Flächenordnung fügen. Vielmehr besteht eine zweite wesentliche Funktion des Diagramms darin, die Vorstellung der Bewegung des Planeten entlang der gezeichneten Bahnen zu erleichtern und die visuelle Erkenntnis zu fördern, dass sich mit dem Ort des Planeten auch das Gefüge der Koordinaten verändert. Während dem Diagramm zur Sonnenbewegung ausschließlich die Funktion zugeschrieben wird, die Ermittlung einer Koordinate in der Fläche vor Augen zu führen, und Text und Diagramm darüber hinaus ohne die Hilfestellung eines direkten Verweises aufeinander bezogen werden müssen, kommt die zweite Funktion in den Verweisen in den anderen Kapiteln explizit zum Ausdruck, so beispielsweise in demjenigen zu den Bewegungen von Saturn, Jupiter und Mars.29 Darin wird an insgesamt drei Stellen auf die »Figur der drei oberen Planeten« (figura trium superiorum planetarum) (Abb. 81–83) hingewiesen, welche dem Diagramm zur Sonnenbewegung in ihren Grundzügen ähnelt. In den Handschriften in Kopenhagen und Cambridge umgibt wiederum der Tierkreis mitsamt dem inneren Gradring die Innenfläche, auf der nun mithilfe von Deferent, Epizykel und Äquant eine deutlich komplexere Bewegung als diejenige der Sonne entschlüsselt werden muss, schließlich weisen die oberen Planeten bei ihrem Lauf durch den Tierkreis nicht nur Ungleichförmigkeiten in der Geschwindigkeit, sondern auch die Phänomene des Stillstands und der Rückläufigkeit auf.30 Es soll hier jedoch nicht die Planetentheorie erläutert, sondern auf die Übereinstimmungen dieses Diagramms mit der figura motus solis in Form und Funktion hingewiesen werden. Grundsätzlich ähnlich sind neben den Außenkreisen auch die Linienzüge innerhalb des Diagramms, die immer von einem der Kreiszentren ausgehen und durch den Epizykel oder den Planeten hindurch verlaufen oder auch als Parallele auf den Tierkreis treffen. Auf diese Weise werden wiederum Abschnitte auf dem Außenkreis markiert, die der Text als Koordinaten benennt und definiert. Auf das Diagramm wird dort explizit verwiesen, wo erkannt werden soll, dass sich Koordinaten mit der Bewegung des Epizykels verändern und dass sich 29 Theorica planetarum, Kopenhagen, MS Add. 447 2° (kurz vor 1300), fols. 50vb–52rb ¢Theorica motuum trium superiorum². Vgl. Theorica planetarum 4, übers. Pedersen, Anm. Grant 1974, S. 455–458. 30 Für eine genaue Erläuterung der Mathematik zu den oberen drei Planeten Pedersen 1974, S. 261–294.
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das Größenverhältnis zwischen ihnen in der anderen Himmelshälfte umkehren kann. Dabei verdeutlicht die Formulierung »was für einen, der sich mit der Seele hinwendet, schnell leicht in der Figur ersichtlich wird« (que faciliter patebit anima aduertenti in figura), dass eine bewusste Hinwendung zum Diagramm eingefordert wurde.31 Die Erkenntnisse, die aus der sorgfältigen Diagrammbetrachtung gewonnen werden sollten, gingen über das prinzipielle Verstehen der Planetenbewegung hinaus und dienten letztlich der Berechnung von Planetenpositionen.32 Die Theorica begab sich nicht auf das Gebiet der präzisen Kalkulationen, lieferte aber im Text und eben auch im Diagramm das Grundwissen für die mathematische Astronomie des Almagest.33 Schon auf den ersten Blick ist ersichtlich, dass im Diagramm zu den Bewegungen der oberen drei Planeten versucht wurde, die Gesamtbewegung eines Planeten um die Erde herum in einer Figur unterzubringen, was in den hier zuvor untersuchten Abhandlungen allein für die Sonne der Fall gewesen war. Lediglich die Diagramme zu den Phänomenen des Stillstands und der Rückläufigkeit in Wilhelms von Conches Dragmaticon (Farbabb. 14 u. Abb. 48) und Johannes de Sacroboscos De spera (Farbabb. 25, oben links, u. Abb. 74) enthielten in etwa die Kreise, mit denen die gesamte Planetenbewegung konstruiert wurde. Der Fokus auf den Epizykel ließ jedoch dessen Bewegung um die Erde herum unmöglich werden. In der Theorica sind den Phänomenen des Stillstands und der Rückläufigkeit ein eigenes Kapitel sowie ein auf die Grundelemente – Zentrum der Welt, Sichtlinien, Planet, Epizykel, Deferent und Äquant – reduziertes Diagramm gewidmet (Abb. 84–86). Auch dieses Diagramm jedoch soll nicht nur die Bewegung und unsere Wahrnehmung des Planeten verdeutlichen, sondern einem Rechenvorgang dienen.34 31 [1] In una medietate celi subtrahitur equacio in zodiaco a centro medio et additur equacio centri in epiciclo argumento medio et hoc ut habeatur centrum uerum et argumentum uerum et in reliqua medietate fit econtrario quod faciliter patet in figura. [2] Quare autem diuersitates dyametri ad longitudinem longiorem subtrahantur uel ad longitudinem propriorem addantur equacioni argumenti que faciliter patebit anima aduertenti in figura. [3] Quanto enim ut dictum est centrum epicicli apropinquat plus maioratur equacio argumenti ut patet in prescripta figura. Theorica planetarum, Kopenhagen, MS Add. 447 2° (kurz vor 1300), fol. [1] 51vb; [2 u. 3] 52rb. Vgl. Theorica planetarum 4.49 u. 54 f., übers. Pedersen, Anm. Grant 1974, S. 457 f. 32 Entsprechendes gilt für Form und Funktion der übrigen Diagramme figura motuum lune, figura motus capitis [draconis] sowie figura ueneris et mercurii. Theorica planetarum, Kopenhagen, MS Add. 447 2° (kurz vor 1300), fols. 50r, 50v u. 53r. Für die Verweise ebd., 50va, 50vb, 53va, 54rb/54va. Vgl. Theorica planetarum 2.28, 3.31, 5.71, 6.86, übers. Pedersen, Anm. Grant 1974, S. 455, 459, 461. 33 John North schreibt dazu: »The real value of the Theorica was that it gave an understanding of what the student was about, when computing planetary positions […].« North 1994 [1992], S. 350. 34 Et si subtrahatur arcus prime stacionis a stacione .2. remanet arcus retrogradacionis et si subtrahatur prima stacio a toto circulo remanet stacio .2. Nam tantus est arcus .abc. quantus est arcus .abc. Theorica planetarum, Kopenhagen, MS Add. 447 2° (kurz vor 1300), fol. 54rb/54va. Vgl. Theorica planetarum 5.86, übers. Pedersen, Anm. Grant 1974, S. 461. Zu den Tücken die-
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6.2.2 Das Diagramm als terminologisches Gerüst Für eine mathematische Inanspruchnahme eignen sich die Diagramme in der Handschrift aus Bayeux nur bedingt, was insbesondere angesichts des Diagramms zu den drei oberen Planeten deutlich wird (Abb. 81). Einem Strahlenkranz gleich umgeben die Koordinatenbezeichnungen das innere Feld, sodass insgesamt ein dichtes Gebilde aus roten Linien und blauer Schrift entsteht. Die Linien sind hier weit ins Außen geführt, wo für jeden der vier Epizykel stets vier Koordinaten benannt sind. Diesem Diagramm ist förmlich ablesbar, dass sich mit der Bewegung des Epizykels sowie des Planeten auf dem Epizykel auch die Größenverhältnisse unter den Koordinaten verändern. So verschiebt sich die Folge medius motus, uerus locus, aux media und aux uera epicicli der Konstellation gleich oberhalb des Widderpunkts (principium arietis) mit der Fortbewegung von Planet und Epizykel zu aux uera, aux media, uerus locus und medius motus.35 In der linearen Verdichtung innerhalb des Diagramms sind die einzelnen Linien jedoch deutlich schwieriger zu erkennen als in den Diagrammen der Handschriften in Kopenhagen und Cambridge (Abb. 82, 83). Die im Text beschriebenen Linienverläufe und ihre Verschiebungen können nur mit Mühe ausgemacht werden. Darüber hinaus bewirkt eine Leerstelle im Diagramm dessen völlige Inkompatibilität mit dem Text. Es integriert nicht die üblicherweise mit minuta proportionalia ad longitudinem longiorem bzw. propinquiorem bezeichneten Maßeinheiten im oberen Abschnitt der Vertikalen, welche die Erdferne bzw. -nähe des Planeten bemessen und, einem der Verweise auf das Diagramm zufolge, letzterem zu entnehmen sein sollen.36 Übernimmt somit dieses Diagramm nicht alle der ihm vom Text zugesprochenen Inhalte und Funktionen, so ist es dennoch sowohl formal als auch in seiner Funktion als Textfigur konzipiert. Nicht nur bestimmt der Textinhalt ses vierten Kapitels Pedersen 1992, S. 62 f. So sind die Punkte des Stillstands zwar korrekt definiert, aber – wie in allen hier zuvor betrachteten Handschriften – in den Diagrammen falsch eingezeichnet. Sie müssten innerhalb des von den Tangenten gebildeten Winkels liegen. 35 Die Definitionen dieser Koordinaten lauten, in der Reihenfolge des Texts: Aux media epicicli dicitur punctus in inferiori parte epicicli quem terminat linea exiens a centro equantis per centrum epicicli et hoc aux non uariatur. Aux uera dicitur punctus quem terminat linea exiens a centro terre per centrum epicicli et hoc aux uariatur secundum que crescit et decrescit equacio centri in epiciclo. Equacio centri in epiciclo est arcus epicicli cadens inter augem mediam et ueram. […] Medius motus cuiuslibet istorum scilicet epyciclorum suorum est arcus zodiaci cadens inter lineam et arietem lineam dico exeuntem a centro terre equidistantem linee exeunti a centro equantis per centrum epicicli. […] Verum locum planete determinat linea exiens a centro terre per centrum planete. Theorica planetarum, Kopenhagen, MS Add. 447 2° (kurz vor 1300), fols. 51rb/51va. Vgl. Theorica planetarum 4.37–39, 41 u. 43, übers. Pedersen, Anm. Grant 1974, S. 456 f. 36 Vgl. Anm. 31, Verweis [2], sowie Theorica planetarum, Kopenhagen, MS Add. 447 2° (kurz vor 1300), fols. 52ra/b. Vgl. Theorica planetarum 4.54, übers. Pedersen, Anm. Grant 1974, S. 458.
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die Form des Diagramms, da darin die Koordinaten in ihrer Raumerstreckung definiert sind. Indem das Diagramm zusätzlich die Terminologie des Texts auch schriftlich integriert, übernimmt es die dem Text eigene Funktion. Denn die Leistung der Theorica war es nicht, den Studenten tatsächlich in die Kunst der Berechnung einzuführen, sondern ihn zuallererst mit den dafür notwendigen Begriffen auszustatten. Entsprechend schreibt John North: »In a sense, the Theorica did something for western astronomy that the translations of Ptolemy’s magnum opus could not easily do: it provided a fairly stable, unambiguous, astronomical vocabulary.«37 In der Handschrift aus Bayeux beteiligt sich auch das so überbordend mit Schrift ausgestattete Diagramm an der Vermittlung des Vokabulars. Es sei hier noch kurz darauf hingewiesen, dass die Text-Diagramm-Relation somit in dieser Sammelhandschrift in einzelnen Traktaten auf ganz unterschiedliche Weise aufgefasst wurde, was der Vergleich mit dem Sphärendiagramm zu Beginn von Robert Grossetestes De spera (Farbabb. 20) zeigt. Bildet das Diagramm dort einen textfremden Bestandteil des Schmuckwerks, das dem schriftlich Formulierten vorausgeht, so ist es in der Theorica zwar auch in den Schmuckfarben Rot und Blau gestaltet. Es folgt jedoch stets erst im Anschluss an sein jeweiliges Kapitel, durch dessen Äußerungen es nicht nur formal bestimmt, sondern mit denen es auch schriftlich bestückt ist. Der vorausgehende Text ist hier ganz offensichtlich inhaltlich wie formal Bestandteil des Diagramms. Letzteres gibt sich mit seinem Desinteresse an der Visualisierung numerischer Ordnungen und der Konzentration auf das Begriffliche als ein visuelles Gerüst zu erkennen, das seinen Inhalt aus dem mit Worten Formulierten, aus dem Text speist. An dem Diagramm zu den oberen drei Planeten wird besonders deutlich, dass die Diagramme der Theorica der Handschrift aus Bayeux als Flächenordnungen von Textelementen gestaltet sind. Ganz anders verhält es sich mit den Diagrammen in den anderen beiden Handschriften. In derjenigen in Kopenhagen sind im Diagramm zur Bewegung der oberen Planeten (Abb. 82) lediglich die unterschiedlichen Kreiszentren sowie die Maßeinheiten auf der Vertikalen benannt. Eine enge Textanbindung ergibt sich hier im Moment der Rezeption, da die Bedeutung der einzelnen Linien nur im Rückgriff auf das jeweilige Kapitel verstanden werden kann. Gleiches gilt für die Abschrift in Cambridge, in der allerdings – wie in einigen anderen Handschriften auch – das Diagramm zur Sonnenbewegung zusätzlich mit lateinischen Buchstaben beschriftet ist (Farbabb. 26).38 Ähnlich wie in Sacroboscos Spera werden diese Buchstaben jedoch von den Texterläuterungen vollkommen ignoriert und nicht etwa zur Herleitung und Beschreibung des Diagramms be37 North 1994 [1992], S. 349. 38 Vgl. z. B. auch BML, MS Plut. 18 sin. 2 (13./14. Jh.), fol. 4r; BL, MS Egerton 844 (2. H. 13. Jh.), fol. 77v; Ambrosiana, MS H. 75 Sup. (1284), fol. 59r, sowie sämtliche Diagramme in Montpellier, Faculté de Médecine, MS H 323 (13./14. Jh.), fols. 99r, 100r, 100v, 102r, 104v.
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nutzt. Eine Glosse, die ungewöhnlicherweise auf dem Seitenrand einer Londoner Handschrift des frühen 14. Jahrhunderts beigefügt ist, verdeutlicht, dass diese Buchstaben weniger der geometrischen Definition des Diagramms als vielmehr der Bezeichnung der entscheidenden Punkte und Elemente, also der Verortung des Textvokabulars im Diagramm, dienten.39 Anders als in den Diagrammen der Handschrift aus Bayeux ist hier also der Text im Diagramm auf seine minimale Erscheinungsform reduziert. Die Buchstaben bedeuten eine Aneignung des Diagramminhalts, mit welcher die Abhängigkeit vom Text nicht gelöst, aber ein neuer, vom Text nicht vorgesehener Modus der Benennung gewählt wird. Die Buchstaben machen deutlich, dass das Diagramm bei der Rezeption der Theorica nicht übergangen, sondern vielmehr genau betrachtet und auf seinen Inhalt hin befragt wurde. Ob sie die Zutat eines individuellen Nutzers waren oder aber dem Unterrichtskontext entstammen, kann hier nicht geklärt werden.
6.2.3 Diagramm und Instrument. Annäherungen an das Astrolabium Sind die Formelemente der nur zurückhaltend beschrifteten Diagramme auch in den Definitionen des Texts vorgegeben und ihrer im Text formulierten Funktion angemessen, weist schon der weitgehende Verzicht auf eine Benennung der Koordinaten im Diagramm darauf hin, dass letzteres in erster Linie in seiner Eigentümlichkeit als Form wahrgenommen werden sollte. Da die hier dargelegte Astronomie der Planetenbewegung geometrischer Natur ist, kommt sie im Diagramm getreuer zur Anschauung als durch die Textbeschreibung, welche jedoch für die präzise Darstellung der Koordinaten unerlässlich ist. Doch das Diagramm vermag nicht nur, das räumliche Gebilde in der Fläche zu zeigen, sondern es gleichzeitig auch in ein System von Skalen zu betten und auf diese Weise auf die Messbarkeit der Planetenbewegungen hinzuweisen. Mehr als einen Verweis auf die mögliche mathematische Bestimmung von Planetenpositionen erbringt das Diagramm allerdings nicht. Es liefert Grundwissen und kann weder zur genauen Berechnung noch zur Beobachtung von Himmelskörpern dienen. Der Verweischarakter des Diagramms ist jedoch vielschichtig. Mit der äußeren Gradunterteilung und dem Tierkreisring wird sowohl das Messprinzip als auch jenes Instrument aufgerufen, das zur Beobachtung von Planeten und Sternen sowie zur Bestimmung ihrer Winkelhöhe über dem Horizont genutzt werden kann: das Astrolabium (Abb. 87, 88), von dem die lateinischen Gelehrten erst seit dem späten 10. Jahrhundert Kenntnis erlangt hatten.40 Seit dieser Zeit waren aus dem Arabischen übersetzte Abhandlungen über das 39 BL, MS Royal 12 C. IX (fr. 14. Jh.), fol. 53r, sowie, in Listenform, auch auf fol. 53v (figura motus lune). 40 Zum Astrolabium auch Kap. 5, Anm. 102–104.
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Instrument in Umlauf geraten, wobei dessen Frühformen im Westen undeutlich bleiben, da Astrolabien in lateinischer Fassung aus der Zeit vor dem 14. Jahrhundert äußerst spärlich überliefert sind.41 Das hier gezeigte Beispiel aus der Sammlung des Museum of the History of Science in Oxford entstand vermutlich um 1400.42 Das flache und kreisrunde Instrument, das man an dem schlichten Ring greift und herabhängen lässt, zeigt auf seiner Vorderseite (Abb. 87) eine Zentralprojektion der über dem Horizont befindlichen Himmelskugel. Es birgt eine Scheibe mit der stereografischen Darstellung von Himmelskreisen und -kurven. Diese Einlegescheibe, die im Lateinischen als mater bezeichnet wurde, ist in einen in 360° unterteilten Außenring eingesetzt und austauschbar.43 Auf der Einlegescheibe liegt eine oberste, durchbrochene und drehbare Scheibe, das sogenannte Netz (rete), mit dem exzentrischen Tierkreis und züngelnden Fortsätzen, welche die Lage von insgesamt 16 Sternbildern anzeigen.44 Mit der Drehung des Netzes kann die Rotation des Fixsternhimmels um den Himmelspol imitiert und die Konfiguration des Himmels über einer bestimmten geografischen Breite eingestellt werden. Die Rückseite des Astrolabiums (Abb. 88) ist zum einen mit Gravierungen versehen, zum anderen mit einem drehbaren Diopterlineal, der Alhidade, ausgestattet. Das Lineal dient dazu, einen Himmelskörper anzuvisieren, dessen Winkelhöhe dann an dem äußeren Gradring der Rückseite abgelesen werden kann. Diese Seite zeigt darüber hinaus einen in Grad unterteilten äußeren Tierkreis, der einen exzentrischen, in 365 Abschnitte gegliederten Monatsring umschließt.45 Diese Kreise dienen nicht der Beobachtung, vielmehr kann an ihnen mithilfe des Lineals abgelesen werden, an welcher Position sich die Sonne an den einzelnen Tagen des Jahres im Tierkreis befindet. Die kalendarische Ordnung der Rückseite deutet auf die Indienstnahme der Astronomie für die Zeitbestimmung, für die das Astrolabium insbesondere Verwendung fand.46 41 King 1998, S. 34; Poulle 1981, S. 29 f. 42 Oxford, Museum of the History of Science, Inv. Nr. 54330. Eine genaue Objektbeschreibung von Ilaria Meliconi unter URL: (9. 11. 2007). 43 Zu dem gezeigten Astrolabium gehören insgesamt zwei derartige Scheiben, die beidseitig graviert sind und die Projektion der Himmelskreise für insgesamt vier verschiedene geografische Breiten zeigen. Da eine dieser Darstellungen explizit auf die Breite von Paris bezogen ist (49 PIS), ist es denkbar, dass dieses Astrolabium in Frankreich oder für einen französischen Auftraggeber entstand. Alternativ hält Meliconi (vgl. Anm. 42) eine italienische Herkunft für möglich. 44 Die Exzentrizität des Tierkreises folgt aus der Zentralprojektion. 45 Im Kreisinneren zeigt die Rückseite außerdem ein Schattenquadrat (unten) sowie Linien für die Bestimmung der Stunden (oben). North 1974, S. 105. 46 Hatte man beispielsweise die Höhe eines auf dem Netz der Vorderseite vermerkten Sterns mithilfe des Diopterlineals und der Gradangaben der Rückseite gemessen, konnte man diesen Stern durch Drehung des Netzes auf dem entsprechenden, auf der Einlegescheibe eingezeichneten Gradbogen lokalisieren. Damit brachte man gleichzeitig den gesamten Himmel in Position, und dem Instrument war nun die gesamte Himmelskonfiguration über dem eigenen Horizont abzulesen. Die genaue Tag- oder Nachtstunde ließ sich nun bestimmen, da sich
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Im Westen wurde das Astrolabium auf der Grundlage der Ende der 1040erJahre verfassten Schriften des Reichenauer Mönchs Hermanns des Lahmen zum Gegenstand des Unterrichts an den Kathedralschulen und in den Universitäten.47 Die Philosophica disciplina, ein um 1245 von einem Magister der Pariser Artistenfakultät verfasster Examensleitfaden, nennt das Astrolabium als das der Astronomie zugehörige Instrument und hält fest, dass es der Bestimmung der Tag- und Nachtzeiten sowie der Auf- und Untergänge der Planeten und Sternbilder diene.48 Mit Sacroboscos Spera wird jedoch auch deutlich, dass das Astrolabium als multifunktionales Instrument begriffen wurde. Es findet in der Spera dort Erwähnung, wo es um die Berechnung des Erdumfangs und damit um Fragen der Geometrie geht.49 Die Einführung in die Konzeption und die Nutzung des Astrolabiums geschah bald auf neuer Textbasis. An die Stelle der Abhandlungen Hermanns des Lahmen traten zwei anonyme, vermutlich in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts entstandene Kompilationen, »Über die Zusammensetzung des Astrolabiums« (De compositione astrolabii) und »Über die Funktionsweise des Astrolabiums« (De operatione astrolabii), die beide auch in der Sammelhandschrift in Cambridge aus dem Jahr 1276, die sowohl Sacroboscos Spera als auch die Theorica enthält, zu finden sind.50 Der Text zur Herstellung des Instruments ist mit 15 abstrakt-geometrischen Kreisdiagrammen ausgestattet, anhand derer die diversen Unterteilungen der vorderen Scheiben erläutert werden. Drei weitere Zeichnungen sind zugleich Diagramm und Bild des Instruments. Während eine von ihnen das Netz der Vorderseite zeigt, geben die beiden anderen die ›leere‹, noch nicht mit einer Einlegescheibe versehene Vorderseite (figura interioris partis matris) (Abb. 89) bzw. die Position der Sonne im Tierkreis der Rückseite entnehmen und auf den Tierkreis der Vorderseite übertragen ließ, wo dann anhand der Stundenkurven auf der Einlegescheibe die Zeit abgelesen werden konnte. Für eine detailliertere Erläuterung Borst 1989, S. 32 f. Für weitere Funktionen North 1974, S. 96 f. 47 Zu den Abhandlungen Hermanns des Lahmen Bergmann 1985, S. 66–174. 48 Philosophica disciplina, hg. Lafleur 1988, S. 272,288–290: Instrumentum eius [astronomiae] est ¢astrolabium² per quod comprehenditur certas horas diei et noctis, ascensum et descensum Solis et quod signum sit in ortu et quod in occasu. 49 Vgl. Kap. 5, Anm. 100. Zu der Interessenverschiebung Borst 1989, S. 95. 50 Inc.: Scito quod astrolabium est nomen grecum cuius interpretatio est acceptio stellarum und Inc.: Nomina instrumentorum sunt hec. Primum est armilla suspensoria. Irrtümlich und schon in den Abschriften des 13. Jh.s dem arabischen Astronomen und Astrologen Messahalla (Māšā’allāh, gest. um 815) zugeschrieben. Dazu Kunitzsch 1981. In der Handschrift CUL, MS Ii. III. 3 (1276) befinden sich die beiden Kompilationen auf fols. 61r–73r u. 73v–79r; sie sind also zwischen die Traktate Sacroboscos, an die noch ein kurzer Tractatus quadrantis anschließt, und die Theorica gebettet. Zu dieser Handschrift Kap. 5, Anm. 29. Basierend auf dieser Abschrift, die zu den frühesten zählt, in einer ersten Edition (u. englischen Übersetzung) von Robert T. Gunther: De compositione astrolabii, hg. Gunther 1968 [1929], S. 195–216; De operatione astrolabii, ebd., S. 217–231. Zu ihrer Verwendung im Unterricht Borst 1989, S. 95.
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die Rückseite (figura dorsi astrolabii) (Abb. 90), allerdings ohne Diopterlineal, wieder.51 Auf der Rückseite ist ganz außen jeder Quadrant in 90° untergliedert, dann folgt der Tierkreis mit 30° pro Zeichen. Innerhalb des Tierkreises liegt der exzentrische Jahresring mit der Tageseinteilung. Der Rand der Vorderseite ist in 360° unterteilt, und auf der Innenfläche sind der Wendekreis des Krebses (circulus cancri) und der Himmelsäquator (circulus arietis et libre) eingezeichnet. Als Darstellungen des Instruments sind diese beiden Zeichnungen an der Aufhängevorrichtung zu erkennen, um die keines der übrigen Diagramme ergänzt ist. Genau wie auf den übrigen Folios sind auch hier die Textfelder für die Zeichnungen stark verkürzt, wobei der Text bündig um die Kreisform herumführt. Da letztere mittig platziert ist und weit auf den unteren Seitenrand ragt, bildet die visuelle Darstellung das dominierende Element auf dem Folio. Bereits durch diesen Status der Kreisfigur auf der Seite stellt sich innerhalb der Handschrift in Cambridge eine Verwandtschaft zwischen den figurae der ersten Kompilation zum Astrolabium und den Diagrammen der Theorica her, da diese auf ganz ähnliche Weise auf dem Folio untergebracht sind (Farbabb. 26 u. Abb. 83). Diese Entsprechung fällt beim Blättern im Codex sofort auf, folgt doch auf die Kompendien zum Astrolabium unmittelbar die Theorica. Deren Diagramme können durchaus als Fortführung der Diagrammfolge des ersten Kompendiums wahrgenommen werden, da das reine Textwerk De operatione astrolabii lediglich sechs Folios umfasst. Auffällig ist zudem eine zweite Analogie, die über die Form der Diagramme und der Zeichnungen entsteht, womit hier nicht allein die Kreisfigur gemeint ist. Vielmehr sind sich die Kreisformen wegen ihrer äußeren Gradunterteilungen ähnlich. Beide Übereinstimmungen sind in weiteren Handschriften zu beobachten, die in dichter Abfolge die Kompendien zum Astrolabium und die Theorica enthalten.52 Während die Skalen insbesondere dem Astrolabium zugehörig, d. h. für dessen Form charakteristisch und für seine Funktionen entscheidend sind, können die Diagramme der Theorica ihrem Gegenstand sowie ihrer Zweckbestimmung auch ohne die äußere Gradeinteilung gerecht werden. Es scheint, als seien sie gerade in den Handschriften nicht mit Gradring und Tierkreis versehen, in denen die Traktate zum Astrolabium entweder nicht vorkommen oder von einer anderen Hand bzw. anderen Händen geschrieben und mit Diagrammen versehen worden sind.53 Deshalb lässt sich vermuten, dass die spezifische Form 51 Die Zeichnung des Netzes befindet sich auf fol. 66v. Alle Diagramme und Zeichnungen reproduziert bei Gunther 1968 [1929] innerhalb der englischen Übersetzung auf den S. 137–167. 52 Siehe z. B. BL, MS Egerton 844 (2. H. 13. Jh.), fols. 58r–77r (die beiden Kompendien) u. 77r–84v (Theorica); BL, MS Royal 12 C. XVII (England?, Anf. 14. Jh.), fols. 95r–118r (die beiden Kompendien) u. 118r–127v (Theorica). 53 Ersteres gilt für Bodleian, MS Laud Misc. 644 (No. 1487) (Bayeux?), letzteres für Erfurt, MS Ampl. 2° 394 (Anf. 14. Jh.), fols. 60r–67r, u. BL, MS Royal 12 C. IX (fr. 14. Jh.), fols. 38r–49v.
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des skalierten Diagramms auch durch die formale Affinität, die sie innerhalb des Codex zum Astrolabium herstellt, motiviert ist. Dass die Entlehnung von Formeigenschaften eines Instruments für das Diagramm von den Diagrammgestaltern im 13. Jahrhundert praktiziert wurde, zeigte sich hier bereits am Beispiel der Armillarsphäre in Sacroboscos Spera (Abb. 70).54 Während sich dort insbesondere die Handhabbarkeit des Instruments auf das Diagramm übertrug, vermochte die formale Nähe zwischen Diagramm und Instrument in der Theorica auf die grundsätzliche Übereinstimmung eines Erkenntnisziels der theoretischen Astronomie des Ptolemaeus und des Astrolabiums hinzuweisen. Beide ermöglichten die präzise Beschreibung und Vorausbestimmung von Konstellationen. Während sich Ptolemaeus aller Wahrscheinlichkeit nach allein auf seine Rechenkünste verlassen hatte, hatten sich schon die islamischen Astronomen auch des Astrolabiums bedient, um seine Angaben zu überprüfen und zu verbessern.55 Das komplementäre Verhältnis zwischen Theorie und Instrument wurde möglicherweise auch in den mittelalterlichen Handschriften in der partiellen Formidentität zwischen Instrument und Diagramm aufgerufen. Den Rezipienten des 13. Jahrhunderts, der die Kompendien zum Astrolabium im Codex studierte und dem darüber hinaus das Astrolabium als Unterrichtsgegenstand vertraut war, vermochten die Diagramme der Theorica sicherlich an das Beobachtungsgerät zu erinnern. Das visuelle Medium auf der Buchseite enthielt dann nicht nur erneut den Verweis, dass Erkenntnisse über die Bewegungen der Himmelskörper auf mehr als nur Buchgelehrsamkeit gründeten. Indem es in enger Anlehnung an den Text seinen eigenen Gegenstand, die auf Grundlage der Geometrie theoretisch formulierte Planetenbewegung, veranschaulichte und dabei an das mit den Händen zu greifende und sich vor Augen zu führende Instrument erinnerte, nahm es eine eigengesetzliche und gleichzeitig vermittelnde Position zwischen Text und Instrument ein.
6.3 Zusammenfassung Die Theorica planetarum, die als Ergänzung zu Johannes de Sacroboscos De spera in den Kanon der Unterrichtsliteratur aufgenommen wurde, bot den Studenten des späten 13. und frühen 14. Jahrhunderts nicht nur eine Einführung in eine astronomische Theorie, für die die bis in das 12. Jahrhundert reichende Wissenstradition des lateinischen Mittelalters bedeutungslos war. Nicht nur der Inhalt dieser konzisen Darlegung der ptolemäischen Astronomie war schwerlich mit dem vergleichbar, was zuvor Calcidius oder Wilhelm von Conches erläutert hatten. Auch 54 Vgl. Kap. 5.2.3. 55 Lindberg 2000 [1992], S. 274–277; Borst 1989, S. 16–18.
Zusammenfassung
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die Diagramme gewannen eine neue Form und eine neue Funktion, was gleichermaßen im Vergleich zu den Diagrammen in Sacroboscos Spera gilt. Entsprechend der Zweckbestimmung des kurzen Traktats, die wichtigsten Grundlagen der Planetentheorie des Almagest bündig zu vermitteln, wurde in der Theorica auf eine Argumentation für die Richtigkeit der ptolemäischen Theorie verzichtet und folglich auch das Diagramm nicht als Instrument zur Widerlegung oder Bestätigung einzelner Ansichten gebraucht. Die Diagramme sind jedoch nicht als Affirmation und Doppelung der Textäußerungen, somit nicht in erster Linie als visuelle Speichermedien zu verstehen. Vielmehr findet zwischen Text und Diagramm eine Art Arbeitsteilung statt, bei der es dem Text zukommt, das notwendige Vokabular zu liefern und die entscheidenden Begriffe der Modelle für die Planetenbewegung zu definieren. Da die ptolemäische Astronomie ein geometrisches Konstrukt ist, liefern die Begriffsdefinitionen die Beschreibung von Koordinaten in ihrer räumlicher Erstreckung. Eine zweite Aufgabe des Texts ist es, die veränderlichen Relationen der Koordinaten im Raum zu beschreiben. Das Diagramm stellt das räumliche Gefüge als Ganzes dar. Gibt der Text auch über die genaue Gestaltung des Diagramms keine Auskunft, so ist dessen Form doch eng an den Textinhalt, d. h. die Definition der Koordinaten, gebunden. Durch die mehrfache Einfügung der Sonne bzw. des Epizykels samt dem Planeten zeigt das Diagramm aber häufig mehr, als in den Definitionen des Texts enthalten ist. Auf diese Weise kann im Diagramm die Vorstellung von Bewegung erzeugt und dadurch auch die Veränderlichkeit des Koordinatengefüges veranschaulicht werden. Ist der Rückgriff auf den Text für das Verständnis des Diagramms allein wegen der erforderlichen präzisen Kenntnis der Koordinaten in jedem Fall notwendig, so kann doch gerade in der Form des Diagramms ein Hinweis auf einen textfernen Gegenstand enthalten sein. Während die Diagramme in der auch hier als außergewöhnlich zu betrachtenden Handschrift aus Bayeux durch die mitunter überaus dichte Ausstattung mit In- und Beischriften als allein dem Text zugehörige Ordnungsfiguren zu erkennen sind, wird in den Diagrammen weiterer früher Handschriften über die äußere Skalierung eine formale Affinität zum Instrument, zum Astrolabium, hergestellt. Das Astrolabium diente auch im Unterricht sowohl der Veranschaulichung als auch Bestätigung der sphärischen wie planetarischen Astronomie. In der Form des Diagramms spiegeln sich der Unterrichtskontext und die Multimedialität des Wissenserwerbs wieder. Wie schon im Fall des einer Armillarsphäre ähnlichen Diagramms in Sacroboscos Spera ergeht damit in den Diagrammen der Theorica auch der Verweis, dass astronomische Probleme nicht erschöpfend in Text und Diagramm behandelt werden können. Das geometrischabstrakte, mit einem Gradring versehene Diagramm führte nicht nur vor Augen, dass die hier erläuterte Astronomie eine präzise mathematische Durchdringung des Raums anstrebte. Es steht zwischen Text und Instrument und vermittelte auf diese Weise, dass Erläuterung, Darstellung und Anwendung der astronomischen Kenntnisse auf der Verwendung verschiedener Wissensträger beruhten.
7 Schluss
Mit der Rezeption der aristotelischen Kosmologie und der ptolemäischen Astronomie veränderten sich im 13. Jahrhundert die Diagramme, die die Erkenntnisse über das Weltganze und die Himmelskörper darstellten, wie es hier am Beispiel der Diagramme in den frühen Abschriften von Robert Grossetestes und Johannes de Sacroboscos De spera sowie der anonymen Theorica planetarum gezeigt werden konnte. Mit den neuen Inhalten nahmen die Diagramme auch neuartige Formen an. Vor allem die Kopien von Sacroboscos Spera führen zudem vor Augen, dass sich mit der Nutzung eines Texts im universitären Astronomieunterricht sowohl das Themen- als auch das Funktionsspektrum der Diagramme erweiterten. Die Diagramme in Wilhelms von Conches Dragmaticon philosophiae hingegen waren der Überlieferung verpflichtet und wurden weder von Wilhelm noch von den Schreibern und Buchmalern genutzt, um inhaltliche Aspekte zu vermitteln, welche das Spezifische der Welterklärung im Dragmaticon ausmachten. Da Wilhelm sie aber auch als Instrumente der nach rationalen Prinzipien geführten Argumentation verwandte, zeugen die Diagramme doch von dem besonderen Verfahren dieser Weltergründung. Allerdings war auch dieser Diagrammgebrauch der Überlieferung, insbesondere dem spätantiken Timaeus-Kommentar des Calcidius, entlehnt. Dass sich mit den Wissensinhalten auch die Diagramme inhaltlich wie formal veränderten, war schon am Beginn dieser Untersuchung zu vermuten gewesen und vermag daher als eines ihrer Teilergebnisse nicht zu überraschen. So zeigen die Diagramme in den Texten Grossetestes, Sacroboscos und in der Theorica nicht mehr die platonische, sondern die aristotelische Weltordnung sowie komplexere astronomische Modelle als noch die Diagramme bei Calcidius und Wilhelm von Conches. In den Diagrammen der im 13. Jahrhundert verfassten Schriften ist die Sphärenordnung um das primum mobile ergänzt, sind die Drachenpunkte, Exzenter, Epizykel sowie Koordinaten aus dem Almagest verzeichnet. Erst die genaue Betrachtung der Diagramme in den frühen Abschriften dieser Texte und ihr Vergleich mit denjenigen in Kopien des Timaeus-Kommentars und des Dragmaticon jedoch zeigen, dass es zu Formveränderungen kam, die nicht erschöpfend im engen Rahmen des spezifischen kosmologischen und astronomischen Wissens, das zur Anschauung kommen sollte, erklärt werden können. Auf der breiten, hier erschlossenen Materialgrundlage wird offenkundig, dass im Diagramm stets mehr enthalten ist als allein der im Text formulierte oder ein der Texterläuterung dienender Inhalt. Es wird nicht nur deut-
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lich, dass die Diagramme einen Gegenstand, auch bei enger Anbindung an den Text, immer eigengesetzlich darstellen und außerdem zur Einspeisung zusätzlicher Informationen genutzt wurden. Vielmehr kann am Ende dieser Studie auch festgehalten werden, dass die Form des Diagramms weitaus aussagekräftiger ist: In ihr haben nicht nur der inhaltliche, sondern auch der funktionale und erkenntnistheoretische Kontext Spuren hinterlassen. Denn allein die Aufgabe, die Struktur der Weltseele, die möglichen Formen des Erdschattens, die Wölbung der Meeresoberfläche oder das System der Koordinaten ins Diagramm zu übertragen, entschied noch nicht über dessen genaue Gestaltung. Der Vergleich von Diagrammen in Schriften des 11. bis frühen 14. Jahrhunderts führt vor Augen, dass insbesondere erkenntnistheoretische Aspekte in die Diagrammform eingingen, die somit auch Auskunft über die Beschaffenheit des verhandelten Wissens gab. Das Diagramm als Objekt sprachlicher Welterkenntnis In den Abschriften des Timaeus-Kommentars bilden die Diagramme und der Text auf formaler Ebene ein geschlossenes, intrareferentielles System, innerhalb dessen der Gebrauch der Diagramme und ihre Stellung zum Text äußerst differenziert gehandhabt werden. Die Diagramme stellen als Beigabe zum Text räumliche Ordnungen im Überblick dar, werden aber insbesondere genutzt, um zum einen außerhalb von Raum und Zeit existierende mathematische Gesetzmäßigkeiten noch vor der Texterläuterung zu veranschaulichen. Zum anderen sind in ihnen mathematisch-geometrische Strukturen der Sinnenwelt dargestellt, die aus der rationalen Welterschließung resultieren. Dabei bleibt die Form der in der Regel sehr schlichten, farb- und ornamentfreien Diagramme immer geometrischabstrakt, und es ist ihr allein dort, wo Inschriften beigefügt sind, ablesbar, dass Gegenstände und Phänomene der Sinnenwelt verhandelt werden. Kennzeichnend ist, dass die Form des Diagramms nicht auf die Außenwelt, sondern auf den Text verweist. Die Rückbindung an den Text ergibt sich nicht erst in dem Moment, in dem der Rezipient den Text notwendigerweise für den Inhalt des Diagramms, für die Führung und Gewinnung von Erkenntnis konsultiert. Nicht allein die Beschriftung der Diagramme mit Buchstaben und die Bevorzugung von Inschriften anstatt visueller Elemente im Diagramm verweisen darauf, dass letzteres hier nur ein anderer Modus einer Weltergründung ist, die vorrangig durch Sprache geführt wird. Vielmehr ist die Diagrammform selbst häufig durch ihre Serifenabschlüsse als Teil des schriftlich fixierten Sprachwerks gestaltet. Die vielschichtige Einbettung der Diagramme in den Text entspricht der darin zur Geltung kommenden Auffassung von gesicherter Welterkenntnis, welcher der Sehsinn zwar als wichtigster Zugang zur Sinnenwelt gilt, die aber erst entsteht, wenn das visuell Wahrgenommene von der Vernunft überblendet und die Wahrheit hinter der Erscheinung zum Vorschein gebracht wird. Der Ort der Vernunft ist das Denken, ihr wichtigstes Medium aber ist die Sprache. Mit ihren formalen Affinitäten zum
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Schriftzeichen weisen die Diagramme auf den Text und damit auf die sprachlich bestimmte Erkenntnisführung. Das Diagramm als visueller Wissenskörper In Wilhelms von Conches Dragmaticon philosophiae hingegen sind die Diagramme in größerem Maße als visuelle Objekte gestaltet, die ohne Textlektüre verstanden werden können. Wilhelm schöpfte zwar aus der gesamten Wissensüberlieferung des lateinischen Frühmittelalters und knüpfte an das spätantike Erbe an, doch der Grad der mathematisch-geometrischen Abstraktion ist bei ihm in der Theorie wie in ihrer Visualisierung deutlich geschmälert. Der eigene, textunabhängige Status der Diagramme wird besonders in den Handschriften deutlich, in denen sie sich durch Farbigkeit und Ornamentierung als Sehobjekte vom Text absondern. Die Herausstellung des visuellen Gegenstands steht im Einklang mit der von Wilhelm im Dragmaticon formulierten Theorie des Sehens, Erkennens und Erinnerns, in der die Wahrnehmung von Formen und Farben zu einer kognitiven Kompetenz von zentraler Bedeutung gerät. Die vernunftbegabte menschliche Seele gelangt erst auf der Grundlage der Körperbilder, die ihr durch das Auge zugeführt werden, zu ihrem Wissen über die natürlichen Dinge, welches sie wiederum bildhaft im Gedächtnis abspeichert. Unabhängig davon, ob die Diagramme im Dragmaticon der Texterläuterung als affirmativer Speicher nachfolgen oder als Instrumente in die Argumentation eingefügt sind, sind sie in den Handschriften als Objekte gestaltet, in denen Wissensinhalte aus dem Text gelöst und der aufnehmenden Seele als Körper, als Dinge, die sich durch ihre Form und auch ihre Farbe auszeichnen, dargeboten werden. Im Diagramm wird Wissen zum Teil der Körperwelt, welche für die Seele aus Form und Farbe besteht. Abgesehen von Architekturabbreviaturen integriert das Diagramm dabei jedoch keine figurativen Elemente, die zu erkennen geben, dass hier die buchexterne Wirklichkeit Gegenstand der Darstellung ist. Stattdessen zeigt sich gerade in den aufwendiger gestalteten Handschriften die Neigung, das Diagramm in eine ornamentale Opulenz zu überführen. Die bisher bekannten frühen Abschriften von Robert Grossetestes Spera führen einzelne der genannten Diagramminhalte und -auffassungen noch einmal in verschiedenen Ausprägungen vor Augen. Das Diagramm der Sphären des Kosmos, das bei Grosseteste aus einer geometrischen Definition Form gewinnt, kann als textfernes Element dem Traktatbeginn vorausgehen und so die platonische Vorstellung von dem a priori existierenden mathematischen Gegenstand vermitteln. Es kann als Folgerung aus dem Denken innerhalb des Texts erscheinen und sich daraus gleichzeitig durch Farbe und Ornament offenkundig als visuelles Objekt hervorheben. Ein Verweis, dass die Gesamtheit des Wissens über die Welt nicht erschöpfend in Text und Diagramm zur Darstellung kommt und dass das Buch nicht den einzigen Zugang zu diesem Wissen eröffnet, findet sich in einer Initiale, in der mit einer Armillarsphäre ein astronomisches Instrument zu sehen ist.
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Das Diagramm als Instrument zwischen Buch- und Welterfahrung Objekte und Erfahrungen, die außerhalb des Buches liegen und für Darstellung, Anwendung und Herleitung astronomischen und kosmologischen Wissens maßgeblich waren, gingen in Johannes de Sacroboscos Spera in die Form der Diagramme selbst ein. Zu einem frühen Zeitpunkt in der Überlieferung wurde die Spera im Zuge ihrer Verwendung im universitären Unterricht um Diagramme ergänzt, die als visuelle Glossen fungierten und zusätzliches Wissen an den Text herantrugen. Sie vermitteln allein durch ihre Form, dass Welterkenntnis auf abstraktem Denken sowie sinnenweltlicher Erfahrung beruht. Letzteres wird vor allem in den Diagrammen ersichtlich, die sich mit der visuellen Wahrnehmung bestimmter Phänomene beschäftigen und dabei auch figurative Elemente integrieren. Deutlicher als zuvor zeigt sich in den Diagrammen, dass die geozentrische Ordnung der Welt nicht allein bedeutet, dass der Mensch und sein Lebensraum den Mittelpunkt einnehmen, sondern auch, dass sich der Mensch die Welt erschließt, indem er seinen Blick vom Zentrum aus nach außen richtet. Das Diagramm, das einen Blick von außen auf das Weltganze suggeriert, nimmt Züge einer Armillarsphäre an und ist deshalb in erster Linie als Ersatz für und Erinnerung an das Instrument zu verstehen, das eben jenes Weltganze weit adäquater als dreidimensionales Gebilde darstellen kann. Die formale Nähe zum Instrument kennzeichnet insbesondere die Diagramme in der Theorica planetarum, und zwar in den Handschriften, in denen auch die Kompilation De compositione astrolabii aus dem 13. Jahrhundert enthalten ist. Der äußere Gradring des Tierkreises schafft nicht allein ein Rahmenwerk für das innere Diagrammfeld, mit dem auf die mathematische Durchdringung des Raums und die Messbarkeit der Planetenbewegung hingewiesen wird. Dieser äußere Abschluss ruft im Diagramm das Astrolabium auf, jenes Instrument, das für die Messung benutzt werden konnte und geeignet war, die Planetenpositionen präzise zu bestimmen. Die Diagramme, denen grundsätzlich die Funktion zukam, das Vokabular der ptolemäischen Astronomie in seiner räumlichen Erstreckung zu veranschaulichen und die Vorstellung von Bewegung zu erleichtern, sind auf den Text wie auf das Instrument bezogen. Sie fungieren als Scharnier zwischen dem Buch und den auf der Buchseite in Form eines Texts fixierten Kenntnissen einerseits sowie andererseits den Instrumenten, weiteren Verkörperungen des Wissens, die für die Beschäftigung mit astronomischen Fragen unerlässlich waren. Die Projektion formaler Kennzeichen von Armillarsphäre und Astrolabium auf das Diagramm ist sicherlich mit der Verwendung dieser Instrumente im Astronomieunterricht, der auf der Grundlage von Sacroboscos Spera sowie der Theorica planetarum stattfand, zu erklären. Auch die inhaltliche wie formale Übertragung visueller Erfahrung und sinnenweltlicher Gegenstände in die Diagramme der Spera mögen mit deren Nutzung im Unterricht zu begründen sein, schließlich ist ein Sachverhalt dann am nachvollziehbarsten zu vermitteln, wenn
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er auf die Erfahrungswelt bezogen erläutert wird. Darüber hinaus jedoch kann vermutet werden, dass diese Diagramme, die sich in ihrer Form kategorisch von denen im Timaeus-Kommentar und auch deutlich von den Diagrammen im Dragmaticon unterscheiden, eine veränderte Ausrichtung in der Beschäftigung mit der Astronomie dokumentieren. In der Rückführung der Kenntnisse auf die Sinneswahrnehmung und Verortung des Menschen innerhalb des Weltganzen zeigt sich möglicherweise das verstärkte Interesse, die astronomischen Grundkenntnisse vor allem für astrologische Studien zu nutzen, die per definitionem spezifische Standorte zu berücksichtigen hatten. Darüber hinaus bringen die Diagramme möglicherweise eine neuartige Auffassung von der Astronomie als einer gleichsam mathematischen wie auch den natürlichen Dingen nahen Wissenschaft zum Ausdruck. Das Diagramm als Form der Weltbeschreibung und Welterschließung Unabhängig davon, in welchen zeitgenössischen Diskurs man diese neuartigen Diagramminhalte und -formen einbettet, ist offensichtlich, dass das intrareferentielle System, das der Text und die Diagramme noch in den Handschriften des Timaeus-Kommentar bilden, aufgebrochen ist. Das Diagramm wird zu dem Objekt auf der Buchseite, das deren Status als Spiegel der Wahrheit relativiert, indem es dem Blick in die Außenwelt leitet und an die mit den Händen zu greifenden Instrumente erinnert. Im Diagramm, insbesondere in seiner Form, zeigt sich somit nicht nur das Wissen, das eine bestimmte Zeit über die Welt besaß, sondern auch der Zugang, den sie zur Welt wählte. Das Diagramm ist als epistemologische Figur in dem Sinn zu begreifen, dass es sowohl ein bestimmtes Wissen über die Welt als auch die Spezifik der Weltaneignung, die dieses Wissen als Erkenntnis etabliert, darzustellen vermag. Deutlich wird gleichermaßen, dass das Diagramm im Textganzen nicht erst für uns Zeugnis eines spezifischen Weltzugangs ist, sondern schon in der Zeit selbst als Bestandteil und Träger eines solchen aufgefasst und im Zuge dessen auch gestaltet wurde. Denn im Prozess der Überlieferung wurden inhaltliche, funktionale und insbesondere formale Eigenarten beibehalten, die die Diagramme in den einzelnen Abhandlungen kennzeichneten, obgleich ein variantenreiches Formenspektrum und mit der Zeit auch neue Wissensstandards zur Verfügung standen.1 Gemeinsam mit dem und genau wie der Text stand das Diagramm im Dienst der Fixierung und Überlieferung eines spezifischen Wissens über die Welt. Inwieweit das mittelalterliche Diagramm nicht
1 Seltenheitswert besitzt z. B. ein Diagramm zu den Phänomenen des Stillstands und der Rückläufigkeit in der Planetenbewegung in einer Abschrift von Wilhelms von Conches Philosophia aus dem Jahr 1277: Paris, Sainte-Geneviève, MS 2200, fol. 12v. Dieses Diagramm integriert auch die beiden exzentrischen Kreise, die als Drachenfigur bezeichnet (cauda und capud draconis), von Wilhelm im Text aber nicht erwähnt werden. URL: (9. 11. 2007).
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allein Zeugnis und Träger dieses Wissens ist, sondern letzteres selbst determinierte, oder, anders gesagt, in welche Abhängigkeit sich Argumentationsführungen in Kosmologie und Astronomie zum Diagramm wie auch zum Instrument begaben, bleibt noch zu erforschen.2 Löst man das mit dieser Arbeit erschlossene Material aus seinem historischen Kontext, lassen sich auf dieser Basis einige allgemeine Kriterien ableiten, die zu einer Präzisierung des Diagrammbegriffs beitragen können. Sämtliche der hier gezeigten Diagramme sind Instrumente des Denkens und in kognitive Prozesse eingebunden. Sie zeigen spezifische Relationsgefüge, binden die einzelnen Größen innerhalb des Ganzen jedoch nicht in einen narrativen Kontext ein. Die im Diagramm gestifteten Zusammenhänge entsprechen klar definierten Gesetzmäßigkeiten, die häufig mathematischer Art und von zeitloser Gültigkeit sind. Die darüber hinaus beobachtete Vielfalt der Inhalte, Formen und Funktionen deutet jedoch auf die Grenzen einer allgemeinen Begriffsbestimmung. Eine Unfertigkeit des Diagramms sowie die Implikation von Handlungsorientierung, die Steffen Bogen zufolge das Diagramm generell kennzeichnen, können hier nur schwer nachvollzogen werden.3 Bogen entwickelt diese Kriterien am Beispiel der Sonnenuhr, und auf dieses Instrument treffen sie unzweifelhaft zu. Gerade das Diagramm zur Weltseele, das im Hochmittelalter zum festen Bestandteil der Rezeption der mathematischen Weltordnung Platons wurde, zeigt weder das eine noch das andere Merkmal. Seine Leistung besteht gerade darin, die Weltseele in der Gesamtheit ihrer Fügung darzustellen. Es muss folglich in der Betrachtung um nichts ergänzt werden und wird nicht ausgewertet, um in eine Handlung umgesetzt zu werden. Calcidius vergleicht es mit einem Spiegelbild, bezeichnet es letztlich jedoch nicht als Abbild der Weltseele, sondern als descriptio und vor allem als forma triangularis. Das Diagramm ist weder Bild noch Schrift, der es sich in den Handschriften zwar annähert, ohne jedoch mit ihr identisch zu werden. Es ist Bogen daher durchaus zuzustimmen, dass das Diagramm eine dritte Kategorie bildet, die mit Kriterien gefüllt werden muss. Dafür jedoch ein Instrument heranzuziehen, scheint ein methodischer Umweg zu sein, der die Spezifik des Diagramms nicht zu erfassen vermag. Mit der vorliegenden Studie soll vor allem dafür plädiert werden, das Diagramm als eine ›offene Form‹ zu begreifen, die sich zu den sie umgebenden Zeichen und Repräsentationen in Beziehung setzt. So ist es nicht allein dem Diagramm wesenhaft, über Relationen zwischen diskreten Größen Auskunft zu 2 In dieser Hinsicht interessant ist z. B. ein Satz aus Albertus’ Magnus De caelo et mundo 2.4.8, hier zitiert nach Borst 1989, S. 96, wo dieser einleitend schreibt: »Die Erde, die eine Kugel ist, ruht wirklich in der Mitte des kreisenden Universums. Sonst ›wären alle Instrumente, wie das astrolabium und die Armillarsphäre der Astronomen, verkehrt, denn niemals könnte diese Bewegung durch Berechnung des Sternenlaufs so gefunden werden, wie Instrumente sie sichtbar machen‹.« 3 Vgl. Anm. 17 der Einleitung.
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geben. Es ist vielmehr selbst eine visuelle Figur, die zwar mit einem ihr eigenen Inhalt und einer ihr zugewiesenen Funktion bedacht ist, die aber gleichzeitig auf der Buchseite in inhaltliche wie auch formale Relation gestellt ist, erst innerhalb dieses Beziehungsgefüges ihr eigenes Potenzial entfaltet und dabei in verschiedene Richtungen weisen kann: auf die Schriftzeichen des Texts, auf sich selbst als visuellen Gegenstand auf der Buchseite, auf Dinge, die außerhalb des Buches liegen. In ihren Bezügen, ihren formalen Affinitäten und Abgrenzungen offenbart sich eine weitere semantische Dimension der Diagrammform, eben ihr Vermögen, einen Wissensgegenstand in seiner epistemologischen Fassung darzustellen. Die vorliegende Studie konnte zeigen, dass die astronomischen und kosmologischen Diagramme aus der Zeit des Übergangs vom Hoch- zum Spätmittelalter von dem Wissenswandel, den Ergänzungen und Umbrüchen zeugen. Das Diagramm blieb ein unverzichtbares Instrument der wissenschaftlichen Weltaneignung und nahm im Laufe dieser Zeit stärker eine zwischen Buch und Welt vermittelnde Position ein.
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– 1996: Olga Weijers, Le maniement du savoir. Pratiques intellectuelles à l’époque des premières universités (XIIIe–XIVe siècles), Turnhout 1996 (Studia Artistarum, Subsidia). Weisheipl 1964: James A. Weisheipl, Curriculum of the faculty of arts at Oxford in the early fourteenth century, in: Medieval Studies 26 (1964), S. 143–185. Werckmeister 1967: Otto-Karl Werckmeister, Irisch-northumbrische Buchmalerei des 8. Jahrhunderts und monastische Spiritualität, Berlin 1967. Wesche 1983: Markus Wesche, Artikel »Calcidius«, in: LexMA 2 (1983), Sp. 1391–1392. Wetherbee 1988: Winthrop Wetherbee, Philosophy, cosmology, and the twelfth-century renaissance, in: Dronke 1988, S. 21–53. Wieland 1995: Georg Wieland (Hg.), Aufbruch – Wandel – Erneuerung. Beiträge zur ›Renaissance‹ des 12. Jahrhunderts. 9. Blaubeurer Symposion vom 9. bis 11. Oktober 1992, Stuttgart-Bad Cannstatt 1995. – 1985: Georg Wieland, Plato oder Aristoteles? Überlegungen zur Aristoteles-Rezeption des lateinischen Mittelalters, in: Tidschrift voor Filosofie 47 (1985), S. 605–630. Yates 1990 [1966]: Francis A. Yates, Gedächtnis und Erinnern. Mnemonik von Aristoteles bis Shakespeare, aus d. Engl., Weinheim 1990 [engl. 1966] (Acta humaniora). Zahlten 1995: Johannes Zahlten, Weltbild und Sicht der Natur um 1200, in: Jochen Luckhardt, Franz Niehoff (Hg.), Heinrich der Löwe und seine Zeit. Herrschaft und Repräsentation der Welfen 1125–1235, Bd. 2, Ausstellungskatalog Herzog Anton Ulrich-Museum, Braunschweig, München 1995, S. 26–34. – 1979: Johannes Zahlten, Creatio mundi. Darstellungen der sechs Schöpfungstage und naturwissenschaftliches Weltbild im Mittelalter, Stuttgart 1979 (Stuttgarter Beiträge zur Geschichte und Politik, 13). Zekl 1992: Hans Günter Zekl (Hg.), Platon, Timaios, hg., übers., mit e. Einl. u. mit Anm. vers., Hamburg 1992 (Philosophische Bibliothek, 444). Zimmermann/Weigert 81995: Helmut Zimmermann, Alfred Weigert, ABC-Lexikon Astronomie, Heidelberg/Berlin/Oxford, 8., überarb. Aufl., 1995.
Abkürzungen
AfB AHDL AIHS Ambrosiana BAV BGPhMA BL BM BML BNC BnF Bodleian BSB BU CC CCC CCCM CCMéd CCSL Cod./cod. CSEL CUL DSB Erfurt Fitzwilliam FMSt fol. GCC HAB HWP JbAC JHA JHI JWarburg Kopenhagen LB LexMA Marciana MGH LM MGH SS
Archiv für Begriffsgeschichte Archives d’Histoire Doctrinale et Littéraire du Moyen Age Archives Internationales d’Histoire des Sciences Mailand, Biblioteca Ambrosiana Vatikanstadt, Biblioteca Apostolica Vaticana Beiträge zur Geschichte und Philosophie des Mittelalters London, British Library Bibliothèque municipale Florenz, Biblioteca Medicea Laurenziana Biblioteca Nazionale Centrale Paris, Bibliothèque nationale de France Oxford, Bodleian Library München, Bayerische Staatsbibliothek Biblioteca Universitaria Corpus Christianorum Corpus Christi College Corpus Christianorum Continuatio Mediaeualis Cahiers de Civilisation Médiévale Corpus Christianorum, Series Latina Codex Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum Cambridge, University Library Dictionnary of Scientific Biography Erfurt, Universitätsbibliothek, Biblioteca Amploniana Fitzwilliam Museum Frühmittelalterliche Studien Folio Gonville and Caius College Wolfenbüttel, Herzog-August-Bibliothek Historisches Wörterbuch der Philosophie Jahrbuch für Antike und Christentum Journal for the History of Astronomy Journal for the History of Ideas Journal of the Warburg and Courtauld Institutes Kopenhagen, Det Kongelige Bibliotek Landesbibliothek Lexikon des Mittelalters Biblioteca Marciana Monumenta Germaniae Historica Libri Memoriales Monumenta Germaniae Historica Scriptores
308 MS NLB N. F. ÖNB r RDK Riccardiana RUB Sainte-Geneviève SB SBPK SJC StM TRE UB UL ULB v ZK
Anhang
Manuskript Niedersächsische Landesbibliothek Neue Folge Wien, Österreichische Nationalbibliothek recto Reallexikon zur Deutschen Kunstgeschichte Biblioteca Riccardiana Reclams Universal-Bibliothek Bibliothèque Sainte-Geneviève Staatsbibliothek Berlin, Staatsbibliothek, Preußischer Kulturbesitz St. John’s College Studi medievali Theologische Realenzyklopädie Universitätsbibliothek University Library Universitäts- und Landesbibliothek verso Zeitschrift für Kunstgeschichte
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1
Abb. 2
Abb. 3
Abb. 4
Abb. 5 Abb. 6 Abb. 7
Abb. 8
Abb. 9
Abb. 10
Abb. 11 Abb. 12 Abb. 13
Abb. 14
Verbindung von zwei flächenhaften Größen durch eine dritte in Arithmetik (li) und Geometrie (re). Calcidius, Commentarius in Timaeum Platonis. BL, MS Add. 15293, fol. 8r. Frankreich, 11./12. Jh. Pergament, 4°. Verbindung von zwei flächenhaften Größen durch eine dritte in Arithmetik (oben und Mitte) und Geometrie (unten). Calcidius, Commentarius in Timaeum Platonis. BnF, MS lat. 6281, fol. 24r. Frankreich? Norditalien?, Anf. 12. Jh. Pergament, ca. 223 × 143 mm. Verbindung von zwei flächenhaften Größen durch eine dritte in Arithmetik (linke Spalte, oben und Mitte) und Geometrie (linke Spalte, unten, und mittlere Spalte). Verbindung von zwei körperhaften Größen durch zwei weitere in der Arithmetik (rechte Spalte), mit zusätzlicher Randzeichnung. Calcidius, Commentarius in Timaeum Platonis. ÖNB, cod. lat. 2269, fol. 175r. Erste Hälfte 11. Jh. Pergament, 515 × 320 mm. Verbindung von zwei flächenhaften Größen durch eine dritte in der Geometrie (auf dem Recto). Calcidius, Commentarius in Timaeum Platonis. BnF, MS lat. 7188, fols. 73v/74r. Normandie? England?, Anf. 12. Jh. Pergament, ca. 276 × 178 mm. Verbindung von zwei flächenhaften Größen durch eine dritte in der Geometrie. Vgl. Abb. 1, fol. 8v. Verbindung von zwei körperhaften Größen durch zwei weitere in der Arithmetik. Vgl. Abb. 1, fol. 9r. Verbindung von zwei flächenhaften Größen durch eine dritte in der Geometrie (auf dem Verso). Verbindung von zwei körperhaften Größen durch zwei weitere in der Arithmetik (auf dem Recto). Calcidius, Commentarius in Timaeum Platonis. BnF, MS lat. 6570, fols. 2v/3r. 12. Jh. Pergament, ca. 216 × 143 mm. Proportionale Fügungsreihen (li). Verbindung von zwei körperhaften Größen durch zwei weitere in der Geometrie (re), mit zusätzlicher Aufgliederung. Vgl. Abb. 1, fol. 9v. Proportionale Fügungsreihen (oben). Verbindung von zwei körperhaften Größen durch zwei weitere in der Geometrie (unten), mit zusätzlicher Aufgliederung. Vgl. Abb. 3, fol. 175v. Proportionale Fügungsreihe (auf dem Rand, oben). Verbindung von zwei körperhaften Größen durch zwei weitere in der Geometrie, mit zusätzlicher Randzeichnung. Vgl. Abb. 7, fol. 3v. Forma pertinens ad psichonian: Fügungsreihe der Weltseele / forma triangularis. Vgl. Abb. 1, fol. 12v. Forma pertinens ad psychogonian: Fügungsreihe der Weltseele / forma triangularis. Vgl. Abb. 3, fol. 176r. Forma pertinens ad psichoconiam: Fügungsreihe der Weltseele / forma triangularis. Calcidius, Commentarius in Timaeum Platonis. BAV, MS Reg. lat. 1861, fol. 18v. Deutschland?, 11. Jh. Pergament, 240 × 200 mm. Forma pertinens ad psychoniam: Fügungsreihe der Weltseele / forma triangularis. Calcidius, Commentarius in Timaeum Platonis. HAB, MS 116 Gud. lat. 2° (4420), fol. 17r. Deutschland, 11. Jh. Pergament, 270 × 202 mm.
310 Abb. 15
Abb. 16
Abb. 17 Abb. 18 Abb. 19
Abb. 20
Abb. 21
Abb. 22 Abb. 23 Abb. 24 Abb. 25 Abb. 26 Abb. 27 Abb. 28 Abb. 29 Abb. 30 Abb. 31 Abb. 32
Abb. 33 Abb. 34 Abb. 35 Abb. 36 Abb. 37
Anhang Fügungsreihe der Weltseele / forma triangularis (li). Formung der Weltseele (re). Opusculum de ratione spere (anonym). Bodleian, MS Digby 83, fol. 4r. England, Mitte 12. Jh. Pergament, 209 × 143 mm. Konstellation von Mond, Erde und Sonne bei einer Mondfinsternis (li). Weltseele, in einem Strang (rechte Spalte, li), gespalten in Form eines Χ (Mitte), inkorporiert in das Weltganze (re). Vgl. Abb. 1, fol. 25r. Kreisbahnen der sieben Planeten, entstanden aus einem Strang der Weltseele. Vgl. Abb. 1, fol. 26r. Kreisbahnen der sieben Planeten, entstanden aus einem Strang der Weltseele. Vgl. Abb. 4, fol. 87v. Konstellation von Mond, Erde und Sonne bei einer totalen (linke Spalte, li) und einer scheiternden (re) Mondfinsternis. Weltseele, inkorporiert in das Weltganze (rechte Spalte, li), in einem Strang und gespalten in Form eines Χ (re). Calcidius, Commentarius in Timaeum Platonis. BnF, MS lat. 10195, fol. 102r. Echternach, 10./11. Jh. Pergament, ca. 325 × 248 mm. Konstellation von Sonne, Mond und Erde bei einer Sonnenfinsternis (linke Spalte). Entstehung eines zylindrischen und eines becherförmigen Schattens (mittlere Spalte). Konstellation von Mond, Erde und Sonne bei einer Mondfinsternis (rechte Spalte, oben). Weltseele, inkorporiert in das Weltganze (rechte Spalte, unten li), in einem Strang (re), gespalten in Form eines Χ (ganz unten). Vgl. Abb. 3, fol. 180v. Konstellation von Mond, Erde und Sonne bei einer Mondfinsternis (auf dem Verso). Weltseele, inkorporiert in das Weltganze (auf dem Recto, li), in einem Strang (Mitte), gespalten in Form eines Χ (re). Vgl. Abb. 2, fols. 43v/44r. Weltseele, in einem Strang (li), gespalten in Form eines Χ (Mitte), inkorporiert in das Weltganze (re). Vgl. Abb. 14, fol. 35v. I-Initiale am Beginn des Kapitels De genitura mundi. Vgl. Abb. 1, fol. 7v. Konstellation von Sonne, Mond und Erde bei einer Sonnenfinsternis. Vgl. Abb. 1, fol. 24r. Entstehung eines zylindrischen (li) und eines becherförmigen (re) Schattens. Vgl. Abb. 1, fol. 24v. Krümmung der Meeresoberfläche. Vgl. Abb. 1, fol. 18v. Descriptio applanos: Himmelskreise. Vgl. Abb. 1, fol. 19v. Himmelskreise. Vgl. Abb. 2, fol. 37r. Indicium ordinationis et uelocitatis et magnitudinis planetarum: Planetenordnungen: Größe, Geschwindigkeit, räumliche Abfolge. Vgl. Abb. 1, fol. 20v. Konzentrische Bewegung der Sonne: Dauer der Jahreszeiten (Anomalie der Sonnenbewegung/Falsifikation). Vgl. Abb. 1, fol. 21v. Exzentrische Bewegung der Sonne: Dauer der Jahreszeiten (Anomalie der Sonnenbewegung). Vgl. Abb. 1, fol. 22r. Exzentrische Bewegung der Sonne: Dauer der Jahreszeiten (Anomalie der Sonnenbewegung). Calcidius, Commentarius in Timaeum Platonis. ÖNB, cod. lat. 443, fol. 174v. Erste Hälfte 11. Jh. Pergament. Epizykel der Sonne (Dauer der Jahreszeiten/Anomalie der Sonnenbewegung). Vgl. Abb. 1, fol. 23r. Epizykel der Sonne (Dauer der Jahreszeiten/Anomalie der Sonnenbewegung). Vgl. Abb. 32, fol. 175v. Epizykel (Phänomene des Stillstands und der Rückläufigkeit bei den oberen drei Planeten). Vgl. Abb. 1, fol. 23v. Sphärische Ordnung der vier Elemente. Wilhelm von Conches, Dragmaticon philosophiae. BML, MS Ashburn 173 (98), fol. 2v. 13. Jh. Pergament, 270 × 180 mm. Verknüpfung der Elemente durch vier (li) und sechs (re) Qualitäten. Sammelhandschrift (anonym) zu Kosmologie, Astronomie und Komputistik. Oxford, SJC, MS
Abbildungsverzeichnis
Abb. 38 Abb. 39 Abb. 40 Abb. 41 Abb. 42 Abb. 43
Abb. 44
Abb. 45 Abb. 46 Abb. 47
Abb. 48
Abb. 49
Abb. 50
Abb. 51
Abb. 52 Abb. 53
Abb. 54 Abb. 55 Abb. 56
Abb. 57 Abb. 58 Abb. 59
311
17, fol. 13r (Detail). Thorney, um 1110. Pergament, 340 × 250 mm (Maße des gesamten Blattes). Verbundenheit der Elemente: plana und solida sinzugia. Vgl. Abb. 36, fol. 7v. Platonische und aristotelische Ordnung des Kosmos: Elemente und Planetenbahnen. Vgl. Abb. 36, fol. 11v. Planetenhäuser. Vgl. Abb. 36, fol. 12v. Heilsgeschichte in chronologisch geordneten Listen. Hugo von St. Viktor, Chronica. BnF, MS lat. 15009, fol. 3v. Paris, St. Viktor, spätes 12. Jh. Pergament. Entstehung eines zylindrischen (li), becherförmigen (Mitte) und konischen (re) Schattens. Vgl. Abb. 36, fol. 19v. Entstehung eines zylindrischen (li), becherförmigen (Mitte) und konischen (re) Schattens. Wilhelm von Conches, Dragmaticon philosophiae. BSB, clm 564, fol. 73av. Bayern, drittes Viertel 12. Jh. Pergament, 200 × 140 mm. Konstellation von Sonne, Mond und Erde bei einer Sonnenfinsternis (oben, li). Entstehung eines becherförmigen (unten, li) und zylindrischen (re) Schattens. Wilhelm von Conches, Dragmaticon philosophiae. BAV, MS Reg. lat. 1222, fol. 17r. 12. Jh. Pergament, 202 × 151 mm. Entstehung eines konischen Schattens (oben). (Exzentrische) Bewegung der Sonne: Durchquerung der einzelnen Tierkreiszeichen (unten). Vgl. Abb. 44, fol. 17v. Deformationen einer Planetenbahn (Phänomene des Stillstands und der Rückläufigkeit). Vgl. Abb. 36, fol. 14v. Apsiden der Planeten. Aachener Enzyklopädie der Zeitenordnung von 809 (PliniusExzerpt). Madrid, Biblioteca Nacional, MS 3307, fol. 65v. Murbach?, um 820. Pergament, 238 × 300 mm. Bewegung des Saturns auf seinem Epizykel (Phänomene des Stillstands und der Rückläufigkeit) (oben). Heliozentrische Bewegung von Venus und Merkur (unten, li). Planetenordnung nach Platon (auf dem Rand). Vgl. Abb. 36, fol. 15r. Breitenbewegung von Mond und Sonne (oben). Konstellation von Sonne, Mond und Erde bei einer totalen (unten, li) und einer partiellen (re) Sonnenfinsternis. Vgl. Abb. 36, fol. 19r. Breitenbewegung von Mond und Sonne (oben). Konstellation von Sonne, Mond und Erde bei einer Sonnenfinsternis (zweifach). Wilhelm von Conches, Dragmaticon philosophiae. BL, MS Add. 18210, fol. 76r. 13. Jh. Pergament, 222 × 160 mm. Breitenbewegung der sieben Planeten. Sammelhandschrift (Plinius-Exzerpt aus dem fünften Buch der Aachener Enzyklopädie von 809). BSB, clm 14436, fol. 61r. Frankreich, um 1000. Pergament. Exzentrische Bewegung der Sonne: Durchquerung der einzelnen Tierkreiszeichen. Vgl. Abb. 36, fol. 20r. Exzentrische Bewegung der Sonne: Durchquerung der einzelnen Tierkreiszeichen. Wilhelm von Conches, Dragmaticon philosophiae. Montpellier, Faculté de Médecine, MS H 145, fol. 28v. Pontigny, 1170–1175. Pergament, 289 × 194 mm. Lauf der Sonne über einer flachen Erde (Falsifikation) (re). Vier Städte auf dem Erdglobus (li). Vgl. Abb. 53, fol. 42r. Lauf der Sonne über einer flachen Erde (Falsifikation) (oben). Vier Städte auf dem Erdglobus (unten). Vgl. Abb. 36, fol. 28v. Lauf der Sonne über einer flachen Erde (Falsifikation) (li). Vier Städte auf dem Erdglobus (re). Wilhelm von Conches, Dragmaticon philosophiae. Bodleian, MS Auct. F. 5. 28, fol. 202r. 13. Jh. Pergament, 235 × 160 mm. Detail aus Farbabb. 20. Detail aus Farbabb. 20. Armillarsphäre. 15. oder 19. Jh. Cambridge, Whipple Museum of the History of Science, Inv. Nr. 0336.
312 Abb. 60
Abb. 61 Abb. 62
Abb. 63
Abb. 64
Abb. 65
Abb. 66
Abb. 67 Abb. 68 Abb. 69 Abb. 70 Abb. 71 Abb. 72 Abb. 73 Abb. 74 Abb. 75 Abb. 76 Abb. 77 Abb. 78 Abb. 79
Abb. 80
Abb. 81 Abb. 82
Anhang Spere quinte essencie: Sphären der sieben Planeten, des Fixsternhimmels und des primum mobile. Johannes de Sacrobosco, De spera. Bodleian, MS Canon. Misc. 161, fol. 9r. Vor 1338. Pergament, ca. 180 × 140 mm. Exzentrische Verschiebung des Wassers und der Sonnenbahn (li). Zweckmäßigkeit der Sphäre (re). Vgl. Abb. 60, fol. 9v. Sphären der vier Elemente (mit exzentrischer Verschiebung des Wassers), der sieben Planeten, des Fixsternhimmels und der neunten Sphäre. Johannes de Sacrobosco, De spera. Kopenhagen, MS NKS 275a 4°, fol. 11v. Frankreich, 1275–1300. Pergament, 204 × 144 mm. Zweckmäßigkeit der Sphäre (oben). Wahrnehmung der Sonne im Horizont durch den Morgendunst (unten). Johannes de Sacrobosco, De spera. CUL, MS Ii. III. 3, fol. 26r. 1276. Pergament, 294 × 210 mm. Strahlenbrechung bei der Wahrnehmung eines Gegenstands durch ein dichteres Medium hindurch. Alhacen/Gerhard von Cremona(?), De aspectibus, hg. Risner 1572, S. 271. Papier, 4°. Strahlenbrechung bei der Wahrnehmung eines im Wasser liegenden Gegenstands. Johannes de Sacrobosco, De spera. BL, MS Harley 3735, fol. 18r (Detail). Frankreich, 1253–1293. Pergament, 300 × 205 mm (Maße des gesamten Blattes). Unterschiedliche Tag- und Nachtzeit bei einer Mondfinsternis (zu: sphärische Form der Erde) (oben). Wahrnehmung eines Zeichens von einem Schiff aus (zu: sphärische Form des Wassers). Vier Diagramme zu der Beweisführung, dass sich die Erde im Zentrum der Welt befindet und dort die Dimension eines Punktes einnimmt. Vgl. Abb. 63, fol. 26v. Diagramm zur Berechnung des Erdumfangs (oben). Diagramm zur Berechnung des Erddurchmessers (unten). Vgl. Abb. 63, fol. 27r. Drei Diagramme zu der Beweisführung, dass sich die Erde im Zentrum der Welt befindet und dort die Dimension eines Punktes einnimmt. Vgl. Abb. 60, fol. 10v. Diagramm zur Berechnung des Erddurchmessers (li). Diagramm zur Berechnung des Erdumfangs (re). Vgl. Abb. 60, fol. 11r. Himmelskreise und -punkte. Vgl. Abb. 65, fol. 23r. Armillarsphäre. Italien, um 1500. Oxford, Museum of the History of Science, Inv. Nr. 12765. Messing, Durchmesser 166 mm. Klimazonen. Vgl. Abb. 63, fol. 33v. Klimazonen. Vgl. Abb. 60, fol. 19r. Bewegung eines Planeten auf einem Epizykel (Phänomene des Stillstands und der Rückläufigkeit). Vgl. Abb. 63, fol. 34r. Figura diuersitatis aspectus: Sonnenfinsternis als ortsspezifisches Phänomen. Vgl. Abb. 63, fol. 34v. Figura eclipsis solis: Sonnenfinsternis. Vgl. Abb. 63, fol. 35r. Figura eclipsis lune: Mondfinsternis. Vgl. Abb. 63, fol. 35v. Wahrnehmung der Sonne im Horizont durch den Morgendunst (li). Exzentrische Verschiebung des Wassers und der Sonnenbahn (re). Vgl. Abb. 60, fol. 20v. Diagramm zur Bewegung der Sonne. Theorica planetarum (anonym). Bodleian, MS Laud Misc. 644 (No. 1487), fol. 116r. Bayeux?, 1268–1274. Pergament, 322 × 210 mm. Figura motus solis: Diagramm zur Bewegung der Sonne. Theorica planetarum (anonym). Kopenhagen, MS Add. 447 2°, fol. 49r. Kurz vor 1300. Pergament, 262 × 193 mm. Figura trium superiorum planetarum: Diagramm zur Bewegung der oberen drei Planeten. Vgl. Abb. 79, fol. 117v. Figura .3. superiorum: Diagramm zur Bewegung der oberen drei Planeten. Vgl. Abb. 80, fol. 51v.
Abbildungsverzeichnis Abb. 83 Abb. 84 Abb. 85 Abb. 86 Abb. 87 Abb. 88 Abb. 89 Abb. 90
313
Figura motus .3. superiorum: Diagramm zur Bewegung der oberen drei Planeten. Vgl. Abb. 63, fol. 82r. Punkte des Stillstands und Bogen der Rückläufigkeit auf dem Epizykel. Vgl. Abb. 79, fol. 119r. Punkte des Stillstands und Bogen der Rückläufigkeit auf dem Epizykel. Vgl. Abb. 80, fol. 54r. Figura retrogradationis planetarum: Punkte des Stillstands und Bogen der Rückläufigkeit auf dem Epizykel. Vgl. Abb. 63, fol. 84r. Astrolabium, Vorderseite. Frankreich? Italien?, um 1400. Oxford, Museum of the History of Science, Inv. Nr. 54330. Messing, Durchmesser 113 mm. Astrolabium, Rückseite. Vgl. Abb. 87. Figura interioris partis matris: Vorderseite eines Astrolabiums (ohne Einlegescheibe und Netz). De compositione astrolabii (anonym). Vgl. Abb. 63, fol. 61v. Figura dorsi astrolabii: Rückseite eines Astrolabiums (ohne Diopterlineal). De compositione astrolabii (anonym). Vgl. Abb. 63, fol. 62r.
Farbabb. 1
Farbabb. 2 Farbabb. 3
Farbabb. 4
Farbabb. 5 Farbabb. 6
Farbabb. 7
Farbabb. 8 Farbabb. 9 Farbabb. 10
Farbabb. 11 Farbabb. 12 Farbabb. 13 Farbabb. 14 Farbabb. 15 Farbabb. 16 Farbabb. 17
Verbindung von zwei flächenhaften Größen durch eine dritte in der Geometrie (oben und unten). Calcidius, Commentarius in Timaeum Platonis. BML, MS Plut. 89 sup. 51, fol. 7r. 11. Jh. Pergament, ca. 328 × 224 mm. Fügungsreihe der Weltseele / forma triangularis. Vgl. Farbabb. 1, fol. 9v. Konstellation von Mond, Erde und Sonne bei einer Mondfinsternis (auf dem Rand). Weltseele, inkorporiert in das Weltganze (li), in einem Strang und gespalten in Form eines Χ (re). Vgl. Farbabb. 1, fol. 18v. Ordnung der kosmischen Vernunftwesen. Wilhelm von Conches, Dragmaticon philosophiae. Montpellier, Faculté de Médecine, MS H 145, fol. 3r. Pontigny, 1170–1175. Pergament, 289 × 194 mm. Verbundenheit der Elemente: plana sinzugia (li) und solida sinzugia (re). Vgl. Farbabb. 4, fol. 9r. Einheit von Raum und Zeit, Makrokosmos und Mikrokosmos: mundus – annus – homo. Isidor von Sevilla, De natura rerum. BSB, clm 16128, fol. 16r. Salzburg, Ende 8. Jh. Pergament, 195 × 125 mm. Verbundenheit der Elemente: plana sinzugia (oben) und solida sinzugia (unten). Wilhelm von Conches, Dragmaticon philosophiae. BL, MS Royal 12 F. X, fol. 2r. 13. Jh. Pergament, 305 × 216 mm. Platonische und aristotelische Ordnung des Kosmos: Elemente und Planetenbahnen. Vgl. Farbabb. 4, fol. 15r. Himmelskreise und Klimazonen. Vgl. Farbabb. 4, fol. 17v. Platonische Ordnung des Kosmos: Elemente und Planetenbahnen. Wilhelm von Conches, Dragmaticon philosophiae. BAV, MS Reg. lat. 1222, fol. 9v. 12. Jh. Pergament, 202 × 151 mm. Planetenhäuser. Vgl. Farbabb. 4, fol. 17r. Entstehung eines becherförmigen (li), konischen (Mitte) und zylindrischen (re) Schattens. Vgl. Farbabb. 4, fol. 27v. Deformationen einer Planetenbahn (Phänomene des Stillstands und der Rückläufigkeit). Vgl. Farbabb. 4, fol. 20r. Bewegung des Saturns auf seinem Epizykel (Phänomene des Stillstands und der Rückläufigkeit). Vgl. Farbabb. 4, fol. 20v. Heliozentrische Bewegung von Merkur und Venus. Vgl. Farbabb. 4, fol. 21r. Planetenordnung nach Platon. Vgl. Farbabb. 4, fol. 21v. Breitenbewegung von Mond und Sonne (li). Konstellation von Sonne, Mond und Erde bei einer totalen (rechte Spalte, oben) und einer partiellen (unten) Sonnenfinsternis. Vgl. Abb. 7, fol. 20v.
314 Farbabb. 18 Farbabb. 19 Farbabb. 20
Farbabb. 21
Farbabb. 22
Farbabb. 23
Farbabb. 24
Farbabb. 25
Farbabb. 26
Anhang Breitenbewegung von Mond und Sonne. Vgl. Farbabb. 4, fol. 26v. Konstellation von Sonne, Mond und Erde bei einer totalen (li) und einer partiellen (re) Sonnenfinsternis. Vgl. Farbabb. 4, fol. 27r. Sphärendiagramm und I-Initiale mit Fleuronné-Schmuck am Beginn des Traktats. Robert Grosseteste, De spera. Bodleian, MS Laud Misc. 644 (No. 1487), fol. 143r. Bayeux?, 1268–1274. Pergament, 322 × 210 mm. Schmuckinitiale zu Beginn des Traktats. Sphärendiagramm innerhalb des ersten Kapitels. Robert Grosseteste, De spera. BL, MS Harley 3735, fol. 74r. Frankreich, 1253–1293. Pergament, ca. 300 × 205 mm. Historisierte Initiale zu Beginn des Traktats. Sphärendiagramm innerhalb des ersten Kapitels. Robert Grosseteste, De spera. BL, MS Harley 4350, fol. 4r. Frankreich, 13. Jh. Pergament, ca. 188 × 123 mm. Figura .9. sperarum: Sphären der sieben Planeten, des Fixsternhimmels und des primum mobile. Im Zentrum: exzentrische Verschiebung des Wassers und der Sonnenbahn. Johannes de Sacrobosco, De spera. CUL, MS Ii. III. 3, fol. 25v. 1276. Pergament, 294 × 210 mm. (Im Uhrzeigersinn, von oben links:) (1) figura diuersitatis aspectus: Sonnenfinsternis als ortsspezifisches Phänomen. (2) Unterschiedliche Tag- und Nachtzeit bei einer Mondfinsternis (zu: sphärische Form der Erde). (3) Sonnenfinsternis. (4) Mondfinsternis. (5) Erde nimmt im Weltganzen die Dimension eines Punktes ein. (6) Unterschiedliche Tag- und Nachtzeit bei einer Mondfinsternis (zu: sphärische Form der Erde). Johannes de Sacrobosco, De spera. Bodleian, MS Canon. Misc. 161, fol. 19v. Vor 1338. Pergament, ca. 180 × 140 mm. (Im Uhrzeigersinn, von oben links:) (1) Bewegung eines Planeten auf einem Epizykel (Phänomene des Stillstands und der Rückläufigkeit). (2) Wahrnehmung eines Zeichens von einem Schiff aus (zu: sphärische Form des Wassers). (3) Himmelskreise und -punkte. (4) Strahlenbrechung bei der Wahrnehmung eines im Wasser liegenden Gegenstands. Vgl. Farbabb. 24, fol. 20r. Figura motus solis: Diagramm zur Bewegung der Sonne. Theorica planetarum (anonym). Vgl. Farbabb. 23, fol. 79v.
Abbildungsnachweis
Abb. 63, 66, 67, 72, 74–77, 83, 86, 89, 90; Farbabb. 23, 26. With the permission of the Cambridge University Library. Abb. 59. With the permission of The Whipple Museum of the History of Science, Cambridge. Abb. 36, 38–40, 42, 46, 48, 49, 52, 55; Farbabb. 1–3. Firenze, Biblioteca Medicea Laurenziana. Su concessione del Ministero per i Beni e le Attività Culturali. È vietata ogni ulteriore riproduzione con qualsiasi mezzo. Abb. 62, 80, 82, 85. Det Kongelige Bibliotek, Kopenhagen. Abb. 1, 5, 6, 8, 11, 16, 17, 23–27, 29–31, 33, 35, 50, 65, 70; Farbabb. 7, 17, 21, 22. © The British Libray. All Rights Reserved. Abb. 47. Biblioteca Nacional, Madrid. Abb. 53, 54; Farbabb. 4, 5, 8, 9, 11–16, 18, 19. Bibliothèque Interuniversitaire, Section Médecine, Montpellier. Abb. 43, 51; Farbabb. 6. Bayerische Staatsbibliothek, München. Abb. 37. St. John’s College, Oxford. Abb. 71, 87, 88. By permission of the Museum of the History of Science, University of Oxford. Abb. 15, 56–58, 60, 61, 68, 69, 73, 78, 79, 81, 84; Farbabb. 20, 24, 25. Bodleian Library, University of Oxford. Abb. 2, 4, 7, 10, 18, 19, 21, 28, 41. Bibliothèque nationale de France, Paris. Abb. 13, 44, 45; Farbabb. 10. © Biblioteca Apostolica Vaticana (Vaticano). Abb. 3, 9, 12, 20, 32, 34. Österreichische Nationalbibliothek, Wien. Abb. 14, 22. Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel.
Personenregister
Abaelard 69, 95 f., 180n Abbo von Fleury 19 f., 58n, 121n, 173n Abhomadi Malfegeyr (Ibn Mu’ādh) 222n Abū’Mašar 163n Adelard von Bath 98n, 104, 105n, 163n, 176, 191n Adrastos von Aphrodisias 32n Albertus Magnus 142n, 148, 219n, 278n Alfraganus (al-Farġānī) 205, 218, 220 f., 229, 238n, 242n, 245 Alhacen (Ibn al-Haitam) 222–224, 226n f. Aristoteles 23n, 45n, 75, 76n, 84n, 97n, 112n f., 133 f., 193, 196, 205, 213, 218n, 219 f., 221n f., 226, 227n, 231, 251 Augustinus 132n, 149n, 197 Avicenna 23n Bartholomäus Anglicus 222n Beda Venerabilis 18, 20, 58n, 98n, 105n, 121n Bernhard Silvestris 93n f., 200n Bernhard von Chartres 93n Bernhard von Clairvaux 95 f., 106n Boethius 32n, 39n, 40, 49n, 54n, 57n, 93 f., 97n, 115n, 130n Boncompagno da Signa 148n Bradwardine, Thomas 148, 149n f. Byrhtferth 20n, 121n
Eratosthenes von Kyrene 79, 234 f., 241n Eudoxos von Knidos 77 f., 81n, 84n Euklid 23n, 39n, 191, 192n, 201 f., 212, 223n f., 227, 232 Eusebius von Caesarea 149 Galen 23n, 111n, 129n Geminus 84n Gerhard von Cremona 23n, 184 f., 186n, 205n, 212n, 218n, 221n-224n, 227n, 238n, 245n Gottfried von Plantagenet 99–101, 179, 180n Gottfried von Vinsauf 148n Grosseteste, Robert 24 f., 27, 183–188, 191–194, 195n, 196–202, 211n f., 239–241, 254, 256, 265, 273, 275 Hermann der Lahme 268 Hermann von Kärnten 94n, 112n, 191n Hildegard von Bingen 21 Hipparch von Nikaia 86n Honorius Augustodunensis 219n Hugo von Folieto 150n Hugo von St. Viktor 21, 144–148, 149n, 150n, 153n, 155 Irenäus von Lyon 68n Isidor von Sevilla 11n, 16 f., 20, 34n, 97n, 105n, 113n f., 116, 117n, 119, 123, 142n, 213, 217
Calcidius 16 f., 18n, 23–25, 29–44, 45n f., 47, 48n, 49, 50n, 51–64, 65n, 66–69, 71n, 73–76, 77n f., 79–85, 86n f., 88 f., 90n f., 92, 95n, 103, 107, 108n, 109, 113, 114n, 124n, 129, 133, 153, 158–160, 162n, 163 f., 166 f., 174, 176, 181, 185n, 195, 201 f., 212, 218, 231, 247, 249, 257, 270, 273, 278 Cicero 16, 29n, 35n, 139n, 143n f., 147n f., 167, 235 Constantinus Africanus 111, 129 Consultus Fortunatianus 143n
Joachim von Fiore 21n, 68 f. Johannes de Garlandia 148n Johannes de Sacrobosco 24 f., 27, 184, 193 f., 203–209, 210n, 211, 212n f., 214, 215n, 216–221, 223n, 224, 229–232, 233n f., 235–241, 242n f., 244–248, 251, 253–257, 263, 265, 268, 270 f., 273, 276 Justin 68n
Eberhard von Ypern 98n Empedokles von Agrigent 38, 112n
Kilwardby, Robert Krantor 57n
249 f.
318 Lambert von St. Omer
Anhang 22n, 173n
Macrobius 16, 18n, 24, 35n, 53n, 56n f., 59n, 77n f., 93, 128, 135, 139n f., 159n, 167, 169n f., 175n, 179, 205, 234 f., 242n Martianus Capella 16 f., 18n, 32n, 78n, 84n, 93, 104, 105n, 143n, 164n, 167n, 168 f., 171n, 173 f., 176, 205, 238n, 242n, 257 Messahalla (Māšā’allāh) 268n Neckam, Alexander 221n, 227n Opicinus de Canistris
21n
Peirce, Charles Sanders 14 Petrus Alfonsi 242n Petrus von Poitiers 150n Plinius der Ältere 15n, 16 f., 18n, 20, 58n, 136n, 143n, 159n, 161 f., 172, 173n, 214 Platon 16, 23 f., 29–31, 32n, 33 f., 36n, 38, 39n, 44, 46n, 49, 51n f., 54, 55n-57n, 59 f., 63, 66, 67n, 68 f., 73, 77, 79–81, 84n, 89, 90n, 92n, 93–95, 97n, 106n, 107, 108n, 111n f., 113, 115, 124n, 129, 132n, 134, 137, 140n, 167, 196 f., 213, 223n, 278 Platon von Tivoli 212n Plutarch 39n, 57n Pseudo-Avicenna 231n Pseudo-Beda 176 Ptolemaeus, Claudius 23, 73n, 84n, 199n, 205, 218, 219n, 222, 223n f., 226n, 227,
228n, 229, 230n f., 233, 234n, 239n, 243, 244n, 253, 256–258, 265, 270 Quintilian
143n
Robert von Chester 191n f., 212n, 232n Simonides von Kos
143n
Thabit (Thābit ibn Qurra) 184–186, 241n Theodosius von Bithynien 212 Theon von Smyrna 32n f., 56n f., 75n, 78n Thierry von Chartres 93n, 147n f. Thomas von Aquin 251 Uodalscalc von St. Ulrich und Afra Vinzenz von Beauvais Vitruv 15n
21n
103n
Warburg, Aby M. 11 f., 20 Wilhelm von Conches 16n, 24 f., 69, 93–102, 104n, 106 f., 108n, 109–111, 112n, 113, 114n, 115, 117n f., 122 f., 124n, 125 f., 127n, 128 f., 130n f., 132, 133n-135n, 137n-140n, 143, 146, 151–153, 154n, 156n, 158, 159n f., 161–165, 166n, 167–169, 170n f., 172–177, 178n, 179–181, 198, 201, 205n, 207n, 210, 213, 226, 237, 240, 247, 249, 257, 263, 270, 273, 275, 277n Wilhelm von St. Thierry 95–97, 99n, 100
Sachregister
Aachener Enzyklopädie der Zeitenordnung 161, 172 Accessus philosophorum .vii. artium liberalium 36n, 70n, 250 accidens/accidentia 106n, 213 Äquant (equans) 243–246, 262 f. Äther, als Feuerschicht von größerer Dichte (aethera) 107 – als fünftes Element (quinta essentia) 84n, 134–136, 192 f., 196, 198, 213 Analogie 39n, 66n – s. a. Proportionale angeli 108n, 110n – s. a. animalia animalia 65, 107–110, 134n, 215n Anthropozentrik, des Kosmos 109, 113 f., 215–218 Apsiden 161 f., 214, 257 – s. a. aux archetypus 219 Aristotelesrezeption 23, 36, 183 f., 196n, 205, 218n, 226 f., 231, 251, 273 Arithmetik 32, 39–50, 53, 54n, 72, 76, 105n, 113n, 115, 158 Armillarsphäre 81, 199–202, 235, 237, 239 f., 249, 270 f., 275 f., 278n artes liberales 16n, 32n Astrolabium 235 f., 266–271, 276, 278n Astrologie 11, 21, 158, 163n, 207n, 254n f. – Definition der 250 – Studium der 250 f., 277 Astronomie 9, 11, 13, 17–20, 22 f., 25, 29, 32, 45n, 90, 105n, 121, 163n, 173n, 179, 184, 200, 243, 248 f., 251, 253, 255n, 265, 267, 268n, 270 f., 273, 276–278 – Definition der 16n, 250 – mathematische 83 f., 88, 198, 218, 253n, 256 f., 258n, 263, 266, 271 Astronomieunterricht, universitärer 24 f., 183, 203 f., 209, 211, 230, 235, 240, 247, 253 f., 268, 270 f., 273, 276 – s. a. Buch, im Unterricht; Diagramm, im Unterricht
aux 214, 257 f., 260, 264 – s. a. Apsiden Beweger, erster (primum mobile) 70n, 193, 196, 213, 256, 273 Bewegung (motus), erste 118n – gleichförmige B. der Welt 31, 62, 78, 81, 88 – medius motus 258–262, 264 – uerus motus 258 f., 261 f., 264 – s. a. Planetenbewegung Bewegungsrichtung, natürliche 74–76, 112, 114n, 119 f., 176, 231 Bild (simulacrum) 54 – mimetisches 197, 199–201 – mnemotechnisches 143 f., 146–150, 157 – narratives 33 – s. a. imago; Spiegelbild Buch, als Wissensspeicher 70, 152 f. – im Unterricht 36n, 209n f. corpus astronomicum
204, 253
daemones 108n, 110n – s. a. animalia Dämpfe (uapores) 221 f., 224 f. De compositione astrolabii 268–270 De operatione astrolabii 268–270 Deferent (deferens) 243–245, 262 f. Diagramm 12–15 – als Instrument visueller Exegese 21n – als mnemotechnisches Hilfsmittel 15n, 150n, 151–153, 157, 179 – als visuelle Glosse 18, 169 f., 211, 217, 220, 224 f., 248 f., 276 – im Unterricht 209 f., 232, 244, 248 f., 266 – in der griechischen Mathematik 13, 34, 50n – zur Logik des Aristoteles 45n – s. a. Ornament, im Diagramm Diagrammbezeichnungen 13 – adumbratio 63 – descriptio 13, 44n, 46, 53, 56, 63, 78, 123– 125, 127, 128n, 171n, 278 – diagramma 13, 15
320
Anhang
– figura 13, 17n, 40, 42 f., 49, 56n, 64, 125– 128, 134, 140, 154 f., 160, 161n, 165, 168, 171n, 174 f., 177, 214, 226, 231n, 233, 246n, 254, 258, 260, 262 f., 266n, 268 f. – figuratio 193, 206, 208n, 213, 247 – forma 13, 53 f. – pictura 13, 128n Diagrammform, buchstabenhafte – $ und : 69 – I und X 62, 64, 67 f. – / 57 f., 60 f., 65–67, 69, 92 Diagrammtradition 180 f. – antike 33, 57, 117n – frühmittelalterliche 15, 20, 116 f., 119, 123, 213 f. Diagrammverweise 40, 42 f., 46, 49 f., 53 f., 63, 91, 110, 123–128, 134, 140, 151, 154– 156, 159 f., 161n, 165, 168, 171n, 174 f., 177, 180, 185 f., 192, 193n, 206, 213, 225 f., 231n, 254, 260, 262 f., 264 Dialog 98 f., 101, 107n, 125n Drache/Drachenpunkte 245 f., 254, 273, 277n Dreidimensionalität 53 f. – solidae formae 44–47, 91 – s. a. sinzugia, solida Elemente, Entsprechung der E. mit den fünf regulären Körpern 38n – Erwärmung und Verdichtung der 118, 133n f. – Qualitäten der 38, 58n, 112–122, 134– 136 – Relationen zwischen den 113 f., 116–120, 121n – Vierzahl der 38–40, 44, 49, 53, 58n, 113– 115 – s. a. Äther; Bewegungsrichtung, natürliche; particula; sinzugia Elementensphären 107, 120n, 134–138, 151, 192 f., 198 f., 207n, 213–217, 218n, 256 – s. a. Exzenter, innerhalb der Sphären des Wassers und der Sonne Elemententheorie 37 f., 110–115, 122 f. Epizykel 84n, 89, 160, 161n, 243 f., 246n, 271, 273 – Definition des E.s 86n – der oberen drei Planeten 87–89, 163–167, 262–264 – der Planeten Venus und Merkur 168 f. – der Sonne 86 f., 258 equatio 258 f., 261 f., 263n f.
Erde, Größe der 73, 77n, 218, 232–236, 268 – Ort der 73, 77n, 218, 232 f. – sphärische Form der 73 f., 176–178, 180 f., 185n, 218, 228–230 – s. a. Meeresoberfläche, Krümmung der Erkenntnis, wahre 30, 76 f., 94 f., 97 Exzenter 84n, 162, 164 f., 168, 169n, 243– 246, 273 – der oberen drei Planeten 164 f., 262 f. – der Sonne 83–86, 164, 174 f., 257–262 – innerhalb der Sphären des Wassers und der Sonne 214–218 Falsifikation 82 f., 176, 178 Farbe, als Bedeutungsträger 135 f., 170, 180, 198 f., 214, 216 f. – als Wahrgenommenes im Prozess des Sehens, Erkennens und Erinnerns 129 f., 131n, 133, 136, 179 f., 226, 227n Fixsternsphäre/Firmament 138 f., 193, 213, 217 – als äußerste Sphäre 16, 62, 78, 207n – Bewegung der 62, 80n, 88n, 133n, 137 f., 164, 170, 183, 204, 218n Fleuronné 103n, 188–190, 194 f., 197 f., 210, 255 Gedächtnis (memoria) 11, 127 f., 130–133, 141, 144n, 146, 149n, 153n, 160, 179, 275 – Definition des 131 – s. a. Mnemonik Gehirn, Physiologie des G.s 129 f., 131n Geometrie 32, 39n, 40, 42–50, 53, 73, 76, 105n, 113n, 158, 186, 191 f., 194 f., 196n, 199, 248, 251, 256, 258, 260, 262, 266, 268, 270, 274 f. – s. a. Kreisgeometrie; Optik, geometrische; Sphäre Glosse/Glossierung 18, 23n, 35 f., 45n, 47n, 93, 144n, 149n, 163n, 168–170, 173, 174n, 180, 211, 215–217, 219n, 220, 225–227, 229 f., 232, 234–236, 248, 266 – s. a. Diagramm, als visuelle Glosse Harmonielehre 61n, 66n, 173n Himmelsäquator 62, 78, 140, 184 f., 199, 237–239, 241, 269 Himmelskreise 78 f., 135, 136n, 139, 183– 185, 199, 204, 207n, 237–240, 249, 267 – s. a. Himmelsäquator; Kolur (colurus); Tierkreis
Sachregister imago 143, 151n – (Trugbild) 87 Initiale 36 f., 197n, 199, 202, 275 – figurative 103 f. – ornamentierte 36, 68, 103, 106, 255n – s. a. Fleuronné Instrument, s. Armillarsphäre; Astrolabium Jahreszeiten 17, 117n f., 121n, 170 – Dauer der 82–87, 174, 204, 257 Klimazonen, fünf 135 f., 237, 241 – sieben 184, 204, 208, 240–243, 247 Kolur (colurus) 78 f., 184, 199 Komputistik 18–20, 121, 173n, 204, 206n, 210n f., 253, 255n, 257 – s. a. Aachener Enzyklopädie der Zeitenordnung Kosmologie 9, 12n, 13, 16n, 18, 20, 22n f., 84n, 105n, 117n, 121, 179, 184, 196, 200n – aristotelische 23, 76n, 107n, 133–137, 173n, 193, 196, 213 f., 219 f., 247, 256n, 273 – s. a. Äther; Elemente, Qualitäten der Kreisgeometrie 74, 77, 180, 232 – s. a. Sphäre Kreuz 138 Lichtmetaphysik 183, 196n Logos (λóγος) 65–67, 89n machina mundi 113, 123, 186, 191n f., 246 Mathematik 13, 35, 38 f., 50n, 52, 57, 66, 80, 97n, 109, 113–115, 188, 197, 207, 209n, 210, 212, 235, 251, 275 – aprioristische Auffassung der 39n, 195, 196n, 202, 274 f. – Definition der 34n – s. a. Astronomie, mathematische; Quadrivium; Welt, als mathematische Ordnung Meeresoberfläche, Krümmung der 75–77, 90, 218, 230–232, 248, 274 memoria, s. Gedächtnis; Mnemonik Miniatur, s. Bild, mimetisches Mnemonik (ars memorativa, memoria) 132, 141–153, 155 – s. a. Bild, mnemotechnisches; Diagramm, als mnemotechnisches Hilfsmittel; Gedächtnis Mondfinsternis 70–74, 153, 156nf., 175n, 204, 207n, 208, 228–230, 233, 243, 245– 247, 257 Mondknoten, s. Drache/Drachenpunkte
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mundus 16n, 29n, 32n, 94, 116, 217, 219, 236n Muster, s. Ornament natura operans 95, 124n opinio 30, 67, 82, 84n, 88n, 107, 131 f., 159, 215n, 250 Optik, geometrische 222–224, 226n, 227 f., 248 f., 251 Opusculum de ratione spere 58–60, 121n Ornament 10, 13, 20, 26, 139n, 274 – als Bedeutungsträger 156–158, 172, 180, 197–199, 201, 275 – im Diagramm 47 f., 104–106, 117, 119n, 122, 141 f., 150–152, 160, 165, 170, 202 – s. a. Fleuronné; Initiale, ornamentierte particula 111 f., 122 Philosophia/philosophice/philosophus 88n, 94 f., 97 – Einteilung der 97n Philosophica disciplina 16n, 268 Physik/physicus/physice 84n, 88n, 94–97, 98n, 111n, 251, 256n Planeten (stellae errantes, planetes) 16, 73, 158, 199n, 201, 215 f. – als göttliche Wesen 81n, 83, 159, 258n – Aspekte der 254n – Materialität der 134 – Qualitäten der 134–136, 139, 158 f. Planetenbahnen 62 f., 79, 105n, 128, 135–141, 151, 193, 207n, 213 f., 245n – Deformationen der 159–163 – Größe der 79 f., 213 – Materialität der 84n – s. a. Exzenter, innerhalb der Sphären des Wassers und der Sonne Planetenbewegung 18, 23, 33, 62, 73, 79– 81, 90, 137 f., 158, 170, 183, 204, 217n f., 234n, 243, 253 f., 256, 261–263, 266, 270 f., 276 – Anomalien in der 78n, 81–89, 90n, 159– 167, 207n, 208, 243–245, 247, 254, 257 f., 262 f., 277n – durch die Breite des Tierkreises 170–174 – Geschwindigkeit der 79 f. – Umlaufzeiten der 136 f., 158 – s. a. Äquant; Apsiden; Bewegung, medius motus; Bewegung, uerus motus; Epizykel; Exzenter; Planetenordnung Planetenhäuser (domicilia) 139–141, 146 f., 150–152, 158
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Anhang
Planetenordnung 79 f., 167–170 Präzession 184 Proportionale (medietas) 38–48, 66, 76, 91, 109, 115 f., 121n – s. a. Zahlenverhältnisse Quadrivium 32, 49n, 94n, 203, 251 quaestio 98n, 221n ratio 16n, 30, 32n, 39n, 46, 47n, 48, 49n, 53, 54n, 56n, 58, 65, 76, 81n, 83n, 88n, 90n, 95n, 98, 108n, 113n, 121n, 128n, 130 f., 132n, 144n, 162n, 167n, 173n, 176n, 219n – s. a. Vernunft rationes euidentes 33, 73 Rede 30n, 31, 51, 64, 66 f., 90, 95 Repräsentationskritik 92n Rhetorica ad Herennium 143n f., 147n f. Rubrizierung 51, 64, 104, 154 f. Schattenformen 70–73, 76, 153–158, 178, 246, 274 Schöpfergott 16n, 22, 66n, 93–96, 98, 106, 108 f., 112 f., 133n, 138, 140n, 197, 218, 219n, 246 f. – s. a. Weltbildner; Welterschaffung, als Sprechakt Gottes; Welterschaffung, aus dem Nichts Schöpfungsbericht, biblischer/Genesis 22n, 33, 68, 95 f., 106n, 112, 197 – s. a. Welterschaffung Schrift 25 f., 50, 65n, 71, 92, 133, 136, 187, 189–191, 194 f., 200, 202, 265, 274, 278 f. – s. a. Diagrammform, buchstabenhafte Schrifttheorie 26n Schule von Chartres 22n, 24, 93n f. scientiae mediae 251 Seele, menschliche 55, 67, 90n, 98, 110n, 127, 129–131, 133, 136, 140 f., 146, 152, 179, 263, 275 – Definition der 130n Seelenkräfte 129n, 130 f., 133 Sehsinn 91, 128 f., 140, 151, 227n, 274 – Teleologie des S.s 89 f. – s. a. Wahrnehmung, visuelle Sehstrahlen 223n – Reflexion der 225 f. – Zerstreuung der 221–225, 226n, 227 Sehtheorie 37, 54 f., 129 f., 136, 151, 179 f., 223n, 226, 275 – s. a. Wahrnehmung, visuelle Serife 42, 48, 51, 58, 60, 62, 64, 70, 72, 92, 274
sinzugia – Definition der 115n – plana 114–119, 122 f., 133, 138n – solida 115, 118–123, 133 Sonnenbewegung 16, 73 f., 81–87, 139, 169n, 170–180, 215 f., 237–239, 243, 254, 256–262, 265 Sonnenfinsternis 70 f., 73, 170–174, 204, 207n, 208, 233, 243, 245–247, 257 – während der Passion Christi 246 Sphäre 81n, 191 f., 211 f. – Definition der 191, 202, 212 – Welt/Himmel als 16, 33n, 44, 58, 62, 73 f., 76, 185n, 187, 191 f., 198, 201 f., 204, 211 f., 218–220 – s. a. Erde, sphärische Form der; Meeresoberfläche, Krümmung der Spiegelbild 37, 54–56, 92 Sprachbegabung 65, 67, 69, 89 f. Sprache 43, 51, 70, 91 f., 128, 133, 191, 249, 274 f. – s. a. Rede Sprechen 49 f., 91, 124, 166, 195 – s. a. Welterschaffung, als Sprechakt Gottes substantia 39n, 51 f., 56n, 59, 60n, 65, 68, 69n f., 97 f., 110n, 118n, 129, 130n, 132n, 193n, 213 – Definition der 106 Tierkreis (zodiacus) 62, 74, 78 f., 139–141, 148, 162 f., 199, 238 – als Richtmaß bei der Beobachtung der Planetenbewegungen 82–88, 163, 165 f., 170n, 258–262 – skaliert 255, 256n, 259, 260n, 261 f., 266 f., 269–271, 276 – s. a. Planetenbewegung, durch die Breite des Tierkreises Trivium 32n Unterricht, s. Astronomieunterricht Ursache (causa) 32n, 81 f., 87, 115n, 196n, 221, 229, 231 – ursächliches Entstehen 30, 94, 97, 113n Vernunft (intellectum, intellegentia) 22, 24, 30 f., 34n, 39, 56, 65, 76, 92, 94 f., 128, 130, 131n, 274 – s. a. ratio Vernunftbegabung, menschliche 52, 64–67, 69 f., 92, 107 f., 275
Sachregister Wahrnehmung, sinnliche 10, 30, 39, 49, 75–77, 111, 130 f., 132n, 133, 176, 234n, 250 f., 276 f. – visuelle 9 f., 12, 14, 54 f., 67, 75, 80, 83, 86, 90, 128, 131, 151, 185, 220, 225, 228, 230– 232, 236, 240, 249, 276 – s. a. Sehsinn; Sehstrahlen; Sehtheorie Wasser, s. Exzenter, innerhalb der Sphären des Wassers und der Sonne; Meeresoberfläche, Krümmung der Welt, als Abbild des Intelligiblen 31, 33, 39 – als lebendiges, vernunftbegabtes Wesen 31, 62n, 64 – als mathematische Ordnung 32, 38 f., 49, 53n f., 54, 64, 89–91, 109, 167, 175, 181, 192, 195 f., 198 f., 249, 256, 271, 276, 278 – als perfekter Körper 38, 68 – s. a. Astronomie, mathematische; Sphäre Weltbildner (demiurgós, opifex) 31, 33, 38 f., 49, 51–53, 55–57, 61 f., 65, 73, 90, 195, 197 – s. a. Schöpfergott Welterschaffung 9, 31, 33, 37–39, 94 f., 113, 133n f., 140n, 183, 196n, 212
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– als Sprechakt Gottes 33, 112, 124 f., 197 – aus dem Nichts (ex nihilo) 31n, 112, 197 – s. a. Schöpfungsbericht, biblischer Weltseele (anima mundi) 31, 33, 37, 51–70, 73, 90n, 92, 129n, 133, 196, 274, 278 – als Modell der menschlichen Seele 67, 90n – christologische Interpretation der 68 – erkenntnistheoretische Bedeutung der 64 f. – Erschaffung der 51–54, 59 f. – Inkorporation der 61–63 – Verständnis im 12. Jh. 69 f. Zahl, Definition der 40 Zahlenverhältnisse 41, 45, 48, 52–54, 66 – s. a. Proportionale Zeichnen 50n, 63, 93, 102, 115, 125 f., 127n, 128, 140, 153–155, 158, 160, 165 f., 168 f., 174, 176 f., 179, 185 f., 191 Zweidimensionalität 53 f. – planae figurae 39–44, 91 – s. a. sinzugia, plana
Handschriftenregister
Auxerre, Bibliothèque municipale, MS 14 105n MS 21 105n MS 70 105n MS 76 105n, 142n MS 269(?) 105n, 142n Bamberg, Staatsbibliothek, MS Class. 18 (M. V. 15) 34n MS Patr. 77 35n Berlin, Staatsbibliothek, Preußischer Kulturbesitz, MS germ. fol. 479 207n MS lat. 8° 161 (Phillips 9672) 148n MS lat. 4° 39 103n, 109n Bern, Burgerbibliothek, MS 347 172n
162n,
Brüssel, Bibliothèque Royale Albert Ier, MS 9625–9626 45n–47n Cambridge, Corpus Christi College, MS 385 103n f., 123n, 139n, 169n, 172n – Fitzwilliam Museum, MS McClean 166 208n, 246n – Gonville and Caius College, MS 137 187n MS 225 103n, 123n, 137n, 178n – St. John’s College, MS 171 (G. 3) 103n, 139n, 160n, 170n MS 221 (I. 15) 20n, 173n – Trinity College, MS R. 15. 32 173n, 175n – University Library, MS 1132 (Ee. VI. 40) 61n MS Ff. VI. 13 187n MS Ii. III. 3 208n, 210, 213–249, 254n, 255–270 Cologny, Bibliotheca Bodmeriana, cod. Bodmer 188 99n, 103n
Edinburgh, University Library, MS 16 (D. b. IV. 6) 35n MS 115 (D. b. V.15) 103n Erfurt, Universitätsbibliothek, Biblioteca Amploniana, MS Ampl. 12° 19 208n MS Ampl. 8° 28 103n, 120n, 139n, 172n MS Ampl. 8° 85 103n f. MS Ampl. 8° 88 254n f., 261n MS Ampl. 4° 23 58n–60n, 208n MS Ampl. 4° 351 187n MS Ampl. 4° 355 187n MS Ampl. 4° 381 208n MS Ampl. 2° 394 254n, 256n, 269n Florenz, Biblioteca Medicea Laurenziana, MS Ashburn 173 (98) 103n, 104, 107, 117n, 123, 134, 137–140, 146 f., 151–156, 161, 163n, 165–171, 173, 175–178, 201, 217n, 243 f., 246, 263 MS Plut. 18 sin. 2 254n f., 261n, 265n MS Plut. 18 sin. 3 208n, 210n, 237n, 239n, 243n, 255n, 261n MS Plut. 18 sin. 6 254n f. MS Plut. 29. 47 103n, 139n, 161n, 169n MS Plut. 89 sup. 51 34n, 36n, 51, 60 f., 64, 70, 77n MS Strozzi 87 103n f., 120n, 139n – Biblioteca Nazionale Centrale, MS II. III. 24 208n, 210n, 230n, 236n f., 239n, 255n MS II. VI. 2 103n, 137n f., 177n MS C. S. J. IV. 28 34n MS C. S. J. IX. 40 35n – Biblioteca Riccardiana, MS 829 103n, 120n, 139n MS 885 187n Frankfurt/Main, Universitätsbibliothek, MS Barth. 134 103n, 120n, 156n Gent, Centrale Bibliotheek van de Rijksuniversiteit, MS 92 173n
Handschriftenregister Glasgow, University Library, MS Hunterian V.5.14 103n Halle, Universitäts- und Landesbibliothek, MS Yc 8° 8 103n Hannover, Niedersächsische Landesbibliothek, MS IV 394 58n-60n, 121n Köln, Dombibliothek, MS 192 (Darmst. 2167) 34n, 36n, 58n, 64n MS 185 40n MS 186 40n Kopenhagen, Det Kongelige Bibliotek, MS Add. 447 2° 208n, 253n f., 255–270 MS GKS 277 2° 207n f. MS NKS 275a 4° 208n, 216 f. Krakau, Uniwersytet Jagiellonski, MS 529 II 34n Leiden, Bibliotheek van de Universiteit, MS B. P. L. 64 34n MS Voss. F. 48 169n, 174n Leipzig, Universitätsbibliothek, MS Rep. I. 4, 84 35n London, British Library, MS Add. 15293 35n, 36 f., 40 f., 43–48, 52 f., 58, 60, 62 f., 68, 70–72, 75–80, 82 f., 85–88, 135, 158, 163, 167, 176, 201, 218, 231, 237, 246 MS Add. 18210 103n, 120n, 171 f. MS Add. 19968 34n MS Add. 26770 208n MS Add. 27589 187n, 194n, 208n MS Arundel 377 103n, 177n MS Cotton Nero C. VII 20n MS Cotton Tiberius C. I 20n, 173n MS Cotton Tiberius E. IV 20n MS Egerton 843 187n MS Egerton 844 208n, 210n, 214n, 217n, 239n, 254n f., 261n, 265n, 269n MS Egerton 2818 106n MS Egerton 3088 20n MS Harley 2652 35n MS Harley 3667 20n MS Harley 3735 187n, 192–194, 198 f., 202, 208n, 210n, 214n, 224–228, 233n, 237–240, 256
325
MS Harley 4350 187n, 197–202, 239, 256 MS Royal 4 A. XIII 103n, 123n, 139n, 170n MS Royal 12 B. XXII 35n MS Royal 12 C. IX 254n, 256n, 266n, 269n MS Royal 12 C. XVII 208n, 210n, 214n, 220n, 230n, 237n, 254n f., 269n MS Royal 12 E. XXV 254n MS Royal 12 F. X 103n f., 120, 161n, 170n, 172 – Goldsmith College, MS cat. 21, no. 5 187n Lüneburg, Ratsbücherei, MS Misc. D 4° 46 187n Madrid, Biblioteca Nacional, MS 3307 161f. Mailand, Biblioteca Ambrosiana, MS E. 12 In f. 103n, 120n, 139n, 172n, 177n MS H. 75 Sup. 208n, 210n, 214n, 243n, 254n, 261n, 265n MS I. 195 In f. 35n, 45n Montpellier, Faculté de Médecine, MS H 145 99n, 102n f., 104–109, 115– 120, 122, 124, 134–137, 139–142, 146 f., 150–156, 160 f., 165–170, 173–178, 180, 198, 201, 214, 237, 243 f., 246, 263 MS H 323 208n, 243n, 254n f., 261n, 265n München, Bayerische Staatsbibliothek, clm 564 103n, 123n, 139n, 156 f., 161n, 171n, 175n, 177n, 198, 246 clm 2595 103n, 137n, 160n, 172n, 175n, 177n clm 6365 34n, 58n clm 13021 35n clm 14436 172 f. clm 15407 103n clm 16103 169n clm 16128 116 f., 213, 217 clm 16129 208n clm 17703 208n, 210n, 231n clm 18961 169n Neapel, Biblioteca Nazionale Centrale, MS VIII. F. 11 35n f., 58n
326
Anhang
New Haven, Yale Medical Library, MS 11 187n New York, The Pierpont Morgan Library, MS 722 207n – Public Library, MS 69 208n, 214n Oxford, Bodleian Library, MS Ashmolean 304 200n MS Auct. F. 3. 13 254n f. MS Auct. F. 5. 25 103n f., 109n, 123n, 138n, 169n, 172n, 177n MS Auct. F. 5. 28 103n, 137n, 177 f. MS Canon. Misc. 105 208n MS Canon. Misc. 161 208n, 210-249, 263 MS Digby 46 200n MS Digby 83 58-60, 121n MS Digby 191 187n MS e Musaeo 121 103n, 123n, 161n, 177n MS Laud Misc. 356 242n f. MS Laud Misc. 644 (No. 1487) 187n, 188–192, 194–197, 200, 202, 254 f., 258– 266, 269n, 271 MS Savile 17 208n, 214n, 255n MS Savile 21 184n, 186n – Corpus Christi College, MS 41 187n MS 95 103n – Merton College, MS 35 187n – St. John’s College, MS 17 20n, 120–122, 173n MS 178 104n, 137n, 177n, 208n MS 188 208n, 246n Padua, Biblioteca Universitaria, MS 2171 103n Paris, Bibliothèque nationale de France, MS lat. 427 69n MS lat. 2389 60n MS lat. 6280 34n, 43n f., 53n, 60n MS lat. 6281 35n, 41, 64, 78 f. MS lat. 6282 34n, 45n MS lat. 6415 99n, 103n-105n, 119n f., 124n MS lat. 6570 35n f., 42n, 44 f., 48, 58n, 64n MS lat. 7188 35nf., 42f., 58n, 63f., 68n, 77n MS lat. 7195 187n, 208n, 233n, 243n MS lat. 7298 208n, 214n, 243n, 255n MS lat. 7392 208n MS lat. 7413, ii 187n MS lat. 7421 208n, 254n
MS lat. 10195 34n, 36n, 42n, 44n, 47n, 58n, 64, 71n, 77n MS lat. 15009 144-147 MS lat. 15121 208n, 237n MS lat. 16207 103n, 178n MS lat. 18104 35n MS Nouv. Acq. lat. 1893 208n, 210n, 237n, 239n, 243n, 254n f. – Bibliothèque Sainte-Geneviève MS 1043 208n, 210n, 213n, 237n, 239n, 243n, 254n f., 261n MS 2200 277n Prag, Státní knihovna, MS XIV H8 (2653) 103n – Ústrední knihovna, MS 398
35n
Princeton, University Library, MS Robert Garrett 99 208n, 211n, 236n Stuttgart, Landesbibliothek, MS HB VII 56 103n Tortosa, Biblioteca Capitular, MS 144
103n
Troyes, Bibliothèque municipale, MS 1342 103n MS 1861 103n Valenciennes, Bibliothèque municipale, MS 293 58n MS 321 103n Vatikanstadt, Biblioteca Apostolica Vaticana, MS Barb. lat. 21 34n, 42n, 64n MS Barb. lat. 22 34n, 36nf., 43n, 46n, 63nf. MS Ottob. lat. 1516 59n MS Palat. lat. 1042 103n, 139n, 160n, 177n MS Palat. lat. 1356 208n MS Palat. lat. 1400 208n MS Palat. lat. 1414 187n, 254n f., 260n MS Reg. lat. 72 103n MS Reg. lat. 109 105n MS Reg. lat. 123 34n, 36n MS Reg. lat. 1021 102n, 120n, 139n, 160n, 177n MS Reg. lat. 1222 102n, 110n, 120n, 138 f., 151 f., 156–158, 161n, 175n, 177n, 198, 201 MS Reg. lat. 1308 36n, 43n–45n, 58n, 77n, 82n
Handschriftenregister MS Reg. lat. 1861 34n, 57 f., 60 MS Urbin. lat. 1428 187n MS Vat. lat. 3815 60n Vendôme, Bibliothèque municipale, MS 189 103n Venedig, Biblioteca Marciana, MS lat. XI. 31 (4149) 104n Verdun, Bibliothèque municipale, MS 25 item 4 187n Wien, Österreichische Nationalbibliothek, cod. 176 35n cod. 278 61n cod. 443 34n, 58n, 80n, 85–87
327
cod. 507 59n cod. 2269 34n, 36n, 41 f., 44n, 45, 47, 57, 60, 64, 71n, 158 cod. 2445 208n cod. 2554 66n cod. Ser. N. 20268 208n, 231n Wolfenbüttel, Herzog-August-Bibliothek, MS 116 Gud. lat. 2° (4420) 34n, 45n, 47n, 58, 61n, 63f., 77n, 82n MS 303 Gud. lat. 8° 103n Wroclaw, Biblioteca Uniwersytecka, MS Ac. IV 8° 11 58n Zürich, Kantonsbibliothek, MS Car. C 125 103n