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German Pages 338 [340] Year 2003
Beiträge zur Dialogforschung
Band 24
Herausgegeben von Franz Hundsnurscher und Edda Weigand
Young-Sook Yang
Aspekte des Fragens Frageäußeningen, Fragesequenzen, Frageverben
Max Niemeyer Verlag Tübingen 2003
Für Arpona
Bibliografísche Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese PubUkation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibhografische Daten sind im Internet über http://dnb.dclb.de abrufbar. ISBN 3-484-75024-3
ISSN 0940-5992
D6 © Max Niemeyer Verlag GmbH, Tübingen 2003 http://www.niemeyer.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Druck: Hanf Buch- und Mediendruck GmbH, Pfungstadt Buchbinder: Industriebuchbinderei Nädele, Nehren
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
XI
0. 0.1 0.2 0.3 0.4
Einleitung Gegenstandsbereiche Methode der Untersuchung Кофиз Überblick über die Arbeit
1. 1.1 1.1.1 1.1.2 1.1.3 1.2 1.2.1 1.2.2 1.2.3 1.3 1.3.1 1.3.1.1 1.3.1.2 1.3.1.3 1.3.1.4 1.3.2 1.3.3 1.3.4 1.3.5 1.3.5.1 1.3.5.2 1.3.6 1.3.6.1 1.3.6.2 1.3.6.3 1.3.6.4
Frageäußerungen Allgemeine Charakteristik der Frageäußerungen Fragesätze und ihre kommunikative Funktion Frageäußerungen mit Zusatzformeln und ihre kommunikative Funktion Frageäußerungen: Ein erster Überblick Konstruktionsmöglichkeiten von Fragesätzen Fragesätze mit Verberststellung Fragesätze mit w-Wörtern Sonderformen der Fragesätze Semantische Muster der Frageäußerungen mit Zusatzformeln Performative Äußerung mit dem Verb fragen >Explizit-performative< Äußerungen mit fragen >Modalisierte performative< Äußerungen mit fragen Sonderformen der performativen Formeln mit fragen Performative Äußerungen mit anderen Frageverben Hinweis auf den eigenen kognitiven Zustand von Sp 1 Fragen nach dem kognitiven Zustand von Sp2 Thematisierung des eigenen Handlungsmotivs von Spi Thematisierung des Antwortverhaltens von Sp2 Fragen, was Sp2 antworten wird Fragen, warum Sp2 nicht antwortet Aufforderung zu einer verbalen Reaktion Performative Äußerungen mit dem Verb bitten Handlungszuweisung Befolgungsfestlegung und Befolgungsfrage Präferenzhinweis und Präferenzfrage
1 1 3 5 7 10 10 11 13 15 20 21 22 23 28 29 30 35 38 41 42 45 46 48 48 49 49 50 51 52 53
VI 1.3.6.5
Kompetenzhinweis und Kompetenzfrage
54
1.3.6.6
Deontischer Hinweis
54
2.
FRAGE-Handlung und Sequenzmuster im FRAGE-ANTWORT-Dialog
55
2.1 2.2
Definition der FRAGE-Handlung Die FRAGE-Handlung im kommunikativen Prozeß
55 59
2.3
Dialoggrammatik als Grundlage der Untersuchung der FRAGEANTWORT-lnteraktion
61
2.3.1
Das Konzept der Dialoggrammatik
62
2.3.2 2.4
>Minimal-Dialog< Sequenzmuster im FRAGE-ANTWORT-Dialog
66 70
2.4.1
ANTWORT GEBEN
70
2.4.1.1 2.4.1.2
ANTWORT im kommunikativen Zusammenhang Exkurs: Die Antwort in ihrer logischen Relation zur Frageproposition
71 76
2.4.2
PASSEN
83
2.4.3 2.4.4
ANTWORT VERWEIGERN FRAGE ZURÜCKWEISEN
85 87
2.4.5 2.4.6 2.4.7
AUSWEICHEN GEGENFRAGEN Klärungs-FRAGEN (RÜCK-, NACH- und HINTERFRAGEN)
91 94 94
2.5
Aspekte der Typologisierung von FRAGE-Handlungen
96
2.5.1 2.5.1.1
Dialogtypkonstitutive FRAGEN Dialogtypkonstitutive FRAGEN und Untermuster des FRAGEANTWORT-Dialogs
98 98
2.5.1.1.1 AUSKUNFTSFRAGE im Auskunftsdialog und RATFRAGE im Beratungsdialog
99
2.5.1.1.2 VERHÖRFRAGE im Verhördialog und PRÜFUNGSFRAGE im Prüfungsdialog 2.5.1.1.3 INTERVIEWFRAGE in Interviews 2.5.1.1.4 ERKUNDIGUNGSFRAGE im >Small-talk-Gespräch
Frageäußerung< mit einer >Frageäußerung
sequenzbezeichnender< Frageverben zurückfragen
284 285
6.1.1
Z„+, ist eine FRAGE
286
6.1.1.1 6.1.1.2 6.1.2
Z„+i ist eine Klärungs-FRAGE Z„+i ist eine symmetrisierende FRAGE im Gegenzug Zn+i hat die Form von Frageäußerungen, ohne eine FRAGE-
286 287
Handlung zu sein
288
6.1.3 6.2
Sonstige Gebrauchsweisen von zunickfragen nachfragen
290 293
6.2.1 6.2.1.1 6.2.1.2
Gebrauch von nachfragen in bezug auf sprachliche Phänomene Gebrauch von nachfragen in bezug auf Sprechaktsequenzen Gebrauch von nachfragen in bezug auf die Eröffnung eines Auskunftsdialogs
293 293 297
6.2.2
Gebrauch von nachfragen in bezug auf Prozesse des kommerziellen Austausches
298
6.2.3
Gebrauch von nachfragen in bezug auf nichtsprachliche oder kognitive Prozesse und Phänomene
300
6.3
hinterfragen
303
6.3.1 6.3.2
Gebrauch von hinterfragen in bezug auf einzelne Sprechakte Gebrauch von hinterfragen in bezug auf Übeφrüíungen
304 305
6.3.3
Gebrauch von hinterfragen in bezug auf kognitive Prozesse
309
6.3.4
Gebrauch von hinterfragen in bezug auf Forschungstätigkeiten
310
6.4
Zusammenfassung
314
7.
Zusammenfassung und Ausblick
318
8.
Literaturverzeichnis
320
9.
Koφusgrundlage
327
Vorwort
Die vorliegende Arbeit ist eine leicht überarbeitete Version meiner Dissertation, die im Sommersemester 2002 von der Philosophischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms Universität angenommen wurde. Für langjährige Förderung danke ich ganz herzlich meinem Doktorvater Prof. Dr. Franz Hundsnurscher. Mein Dank gilt auch Prof. Dr. Jochen Splett, der das Zweitgutachten übernommen hat. Einen besonderen Dank möchte ich Prof Dr. Sung-Woo Hong aussprechen, der mich in die Linguistik eingeführt hat. Während der Arbeit war ich immer wieder auf die Urteile und Hinweise muttersprachlicher Sprecher des Deutschen angewiesen. Das betraf insbesondere Probleme der Akzeptabilität von Äußerungsformen sowie die Einschätzung einzelner Beispiele aus dem Korpus. Dafür habe ich allen zu danken, die mir in unterschiedlichen Phasen der Arbeit meine Fragen beantwortet haben. Besonders danke ich Dr. Götz Hindelang, der nicht nur verschiedene frahere Versionen des Textes mit stilistischen und sprachlichen Hinweisen begleitet, sondern mich auch immer wieder durch Diskussionen und Ermutigungen unterstützt hat. Münster, Januar 2003
Y.Y.
MAUERSCHAUER
Wir haben uns auf das Fragen eingelassen, und ohne Fragen kommen wir aus dem Fragen nie mehr heraus. SPIELVERDERBER
Mit Fragen aber wohl? [Peter Handke: Die Kunst des Fragens]
0.
Einleitung
0.1
Gegenstandsbereiche
Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit verschiedenen Aspekten des Fragens. Im einzelnen geht es dabei um folgende sprachwissenschaftliche Gegenstandsbereiche:' Frageäußerungen, d.h. sprachliche Äußerungsformen, die aufgrund ihrer syntaktischen oder lexikalischen Eigenschaften zur Realisierung von FRAGE-Handlungen verwendet werden können. Dazu zählen in erster Linie Fragesätze, aber auch Äußerungsformen wie >/cA frage dich, was ...Ich möchte wissen, was ...Sag' mir, wflí ...< usw. Fragehandlungen (FRAGEN), d.h. Sprechakte, die darauf abzielen, den Adressaten zu einer bestimmten im jeweiligen Kontext relevanten ANTWORT zu bewegen. Die vorliegende Arbeit konzentriert sich auf >sequenzabhängige FRAGENFrageäußerung< oder >Äußerung< wird verwendet, wenn von Äußerungsformen die Rede ist. Die Versalienschreibweise >FRAGE< oder >BITTE< steht für entsprechende Handlungsmuster. Die Kursivschrift z.B. yfragem oder >Frage< steht fllr entsprechende Lexeme des Deutschen. Die Normalschreibung >Frage< oder >Antwort< steht fllr einen vortheoretischen Gebrauch, der zwischen Äußerungsformen, Handlungsmustem und Lexembedeutungen nicht differenziert.
Frageverben, d.h. solche Verben, die in zentraler Bedeutungsposition dazu verwendet werden, um sich auf FRAGE-Handlungen zu beziehen. Exemplarisch wird dabei das Verb fragen und die auf sequentielle Fragehandlungen bezogenen Verben zurück/ragen, nachfragen und hinterfragen im Detail beschrieben. Das zentrale Problem, dem sich die Arbeit stellt, ist der Zusammenhang zwischen diesen Gegenstandsbereichen. Die Tatsache, daß Frageäußerungen (insbesondere Fragesätze) und FRAGE-Handlungen auseinander gehalten werden müssen, ist in der Forschung bekannt. Es ist auch ausführlich herausgearbeitet worden, daß nicht alle Sprechakte, die durch die Äußerungen von Fragesätzen (bzw. Frageäußerungen) vollzogen werden, FRAGE-Handlungen sind. So sind z.B. nicht alle Sprechakte, die durch sog. >Warum-Fragen< vollzogen werden, ein HINTERFRAGEN im Sinne einer systematischen Musteranalyse. Ebenso wird ein HINTERFRAGEN nicht nur durch yWarum-Fragem vollzogen, sondern dieses Sprechaktmuster kann auch durch zahlreiche andere Äußerungsformen realisiert werden. Insbesondere bei der Analyse der >sequenzabhängigen< FRAGEN, bei denen dieses Problem bisher noch kaum Aufinerksamkeit gefunden hat, zeigt sich, daß es besonders notwendig ist, die Unterscheidung zwischen Frageäußerung und FRAGE-Handlung zu beachten, um eine adäquate Beschreibung von Text-Beispielen sequenzabhängiger FRAGEN leisten zu können. Auch die Tatsache, daß Sprechaktverben und Sprechaktmuster nicht in einer l:l-Beziehung zueinander stehen, ist in der sprechakttheoretischen Literatur bekannt. Für den hier relevanten Gegenstandsbereich heißt das, nicht alle Sprechakte, auf die man sich alltagssprachlich mit fragen beziehen kann, sind FRAGE-Handlungen, nicht alle sprachliche Handlungen, auf die sich ein Sprecher z.B. mit hinterfragen bezieht, sind HINTERFRAGEN im Sinne einer systematischen Musteranalyse. Ebenso bezieht man sich auf das Sprechaktmuster des HINTERFRAGENS auch mit einer Reihe anderer Sprechaktverben (wie z.B. nachfragen oder zurückfragen). Darüber hinaus besitzt das Verb hinterfragen auch Lesarten außerhalb des Bereichs der Sprechaktverben (z.B. Die eigene Leistungsfähigkeit wird ungern hinterfragt.). Diese komplexe Beziehung zwischen den Gegenstandsbereichen läßt sich zur Vororientierung über den Gegenstandsbereich der vorliegenden Arbeit vereinfacht wie folgt [Schema O-I] darstellen:
[Schema O-I] Frageäußerungen
yWarum-frageiK
f
wird realisiert durch
Sprechaktmuster wird verwendet zur Realisierung von
\
Fragehandlungsmuster
\N HINTERFRAGEN
nichtsprachliche Phänomene
Ein zentrales Thema der vorliegenden Arbeit ist es, die im Einzelfall komplexen Beziehungen zwischen Sprechaktsequenzen und Sprechaktverben zu beschreiben. Es geht hier also um die Beziehung zwischen sprechakttheoretischen und lexikologisch-semantischen Fragestellungen. Die Beschreibung der sequenzabhängigen FRAGEN ist jedoch nicht einfach nur als Grundlage der entsprechenden lexikologischen Beschreibung konzipiert. Dieser Teil soll die bisher nicht ausreichend beschriebene Funktion von FRAGEN im 2. und 3. Zug klären und somit einen Beitrag zu dialoggrammatischen Problemen leisten.
0.2
Methode der Untersuchung
Hinsichtlich der sprachtheoretischen und bedeutungstheoretischen Ausrichtung schließt sich die Arbeit den Konzepten der dialoggrammatischen Analyse (Hundsnurscher (1980, 1986 und 1994) und Franke (1981 und 1990)) und der gebrauchstheoretischen Semantik (Hundsnurscher/Splett (1982) und Hundsnurscher (1988, 1993 und 1995)) an.
Methodologisch, d.h. in bezug auf das Vorgehen bei der Gewinnung von Daten und deren Auswertung, geht die vorliegende Arbeit insofern andere Wege, als sie sich konsequent auf ein umfangreiches Кофиз stützt. Konkret heißt das, daß alle Beispiele filr Äußerungsformen, FRAGE-ANTWORT-Sequenzen, sequenzabhängige FRAGEN und Frageverben durchgängig mit Beispielen aus dem Korpus belegt werden. Das Koφus hat aber nicht primär die Funktion eines großen Fundus von Belegbeispielen für vorher konzipierte Beschreibungsmodelle. Die ausführliche Auseinandersetzung mit dem umfangreichen Material zwang immer wieder dazu, vorgefaßte Hypothesen zu revidieren und angesichts des Materials neue Beschreibungsansätze zu entwickeln. Dies gilt sowohl für die Beschreibung der Sequenzmuster im FRAGE-ANTWORT-Dialog und der Muster RÜCKFRAGEN, NACHFRAGEN, HINTERFRAGEN, GEGENFRAGEN und NACHHAKEN als auch für die Gebrauchsanalyse der Verben fragen, zurückfragen, nachfragen und hinterfragen. Im einzelnen wurde bei der Beschreibung der Muster wie folgt verfahren: Zuerst wurden aufgrund dialoggrammatischer Überlegungen, sozusagen deduktiv, einzelne FRAGESequenzen erarbeitet. In einem zweiten Schritt wurde das Кофиз nach bestimmten Äußerungsformen hin untersucht, die für diese Sequenzen typisch sind (z.B. Warum ...? für HINTERFRAGEN; Was heißt das? für RÜCKFRAGE etc.). Das so erfaßte Material wurde dann zusammen mit Beispielen, die aus anderen Recherchen (z.B. Recherchen über die Verwendungen von Frageverben) vorlagen, neu bewertet und so konnten neue Hypothesen über die Sequenzeigenschaften aufgestellt werden. Die Arbeit mit dem Кофиз eröffnet dabei in vielen Fällen den Blick auf Phänomene und Zusammenhänge, die bei einer rein deduktiv orientierten Beschreibung nicht sichtbar geworden wären. Die Orientierung an Texten aus dem Кофиз brachte allerdings auch eine Reihe von Problemen mit sich. Die zentrale Schwierigkeit bestand darin, den aus einem größeren Text oder Dialog als Beleg herausgegriffenen Abschnitt schlüssig als Realisierung des entsprechenden Musters nachzuweisen. Da es sich bei den Beiegen immer um Text- bzw. Gesprächsverläufe, d.h. um unter höchst komplexen Bedingungen entstandene Realisierungen des zu beschreibenden Musters handelt, waren immer wieder ausführliche Inteφretationen der entsprechenden Belegstellen notwendig. Nur so konnte gezeigt werden, daß es sich bei jeweiligen Belegen tatsächlich um Realisierungen des entsprechenden Musters handelt. Die Komplexität wurde dadurch vergrößert, daß die Belegstellen in vielen Fällen aus literarischen Texten stammten und so möglicherweise noch durch einen besonderen ästhetischen Gestaltungswillen des Autors überformt sind. Bei der Inteφretation der Belegstellen wurden die Textabschnitte immer primär als Realisierungen des entsprechenden Sequenzmusters inteφretiert. Auf eine Deutung im größeren Zusammenhang des Textes, die möglicherweise ein zusätzliches Bedeutungspo-
tential der Stelle hätte erschließen können, wurde meistens verzichtet. Ein weiteres ähnlich gelagertes Problem bei der Deutung einzelner Züge innerhalb eines längeren Textabschnittes bestand darin, daß eine FRAGE oder FRAGE-Sequenz, im unmittelbaren Kontext betrachtet, sich leicht einem bestimmten Muster zuordnen ließ, daß im größeren Zusammenhang des Textverlaufes aber noch zusätzliche Funktionen der sprachlichen Handlungen sichtbar wurden. Um all diesen Besonderheiten Rechnung zu tragen, die durch die Einbeziehung authentischer, d.h. nicht-konstruierter Beispiele verursacht wurden, war in vielen Fällen eine Zug-um-Zug-Inteφretation der Belege notwendig. Während bei der Beschreibung der sprachlichen Muster die Arbeit mit dem Korpus die Interpretation der einzelnen Beispiele unter Berücksichtigung der komplexen Handlungszusammenhänge notwendig machte, bestand die Schwierigkeit bei der Gebrauchsanalyse der Verben fragen, zurüclφ'agen, nachfragen und hinterfragen hauptsächlich in der großen Zahl der Belege, die verarbeitet und systematisiert werden mußten. Darüber hinaus gab es immer wieder Belege, die zeigten, daß der Schreiber den Gebrauch des Wortes (z.B. hinterfragen) nicht genau beherrschte oder das Wort an einer bestimmten Stelle bewußt ungewöhnlich oder abweichend einsetzte. In diesen Fällen war immer zu entscheiden, ob es sich um eine weitere Gebrauchsweise des Verbs handelte, oder ob dieses Beispiel ausgeschieden werden mußte. Zur Gliederung der Verben dienten zunächst die zuvor beschriebenen Typen von Fragehandlungen, Fragesequenzmuster und, soweit entsprechende Beschreibungen vorlagen, andere sprechhandlungstheoretisch oder dialoggranmiatisch definierte Muster. Dadurch konnte jedoch nur ein Teil der Belege zugeordnet werden. Es blieben viele Belege übrig, mit denen der Sprecher auf eine sprachliche Handlung referierte, die in der bisherigen Forschung noch nicht oder nicht mit der notwendigen Präzision beschrieben ist. In diesen Fällen vrarden nur knappe Skizzen der Muster gegeben, die aber keinen Anspruch darauf erheben, sprechhandlungstheoretisch vollständig abgesichert zu sein. Sie dienen lediglich zur Explikation der Bedeutungspositionen der Verben. Für die Beschreibung der Lesarten, die ein Verb außerhalb des Bezugs auf sprachliche Phänomene besitzt, wurden Quasisynonymengruppen als Unterscheidungskriterien der Bedeutungsposition herangezogen.
0.3
Кофиз
Im folgenden sollen die Materialien aufgeführt und kommentiert werden, die nach Frageäußerungen, Äußerungselementen für FRAGE-ANTWORT-Sequenzen und sequenzabhängigen FRAGEN und Frageverben durchsucht wurden.
In erster Linie wurden folgende elektronische Texte zur Durchsuchung herangezogen: Das Mannheimer Кофиз (MK) des Instituts für deutsche Sprache, Mannheim (COSMAS I). Internet: http://coφora.ids-mannheim.de. Deutsche Literatur von Lessing bis Kafka. Digitale Bibliothek. CD-ROM. Berlin: Directmedia (1997). die tageszeitung (TAZ): 2.9.1986 bis 31.12.1992 und 2.1.1993 bis 27.2.1999. CDROM. Berlin: contrapress Media (1999). Neue Zürcher Zeitung (NZZ): 1995 und 1996. CD-ROM. Neue Zürcher Zeitung AG. Die Tatsache, daß solche großen Datenmengen als empirische Grundlagen sprachwissenschaftlicher Analysen ausgewertet werden können, bedeutet zweifellos eine wesentliche Erweiterung der Beschreibungsmöglichkeiten. Die Datenerhebung unterliegt allerdings auch deutlichen Einschränkungen. Sie betreffen sowohl die Art des zur Verftigung stehenden Materials als auch dessen Erschließung. Die Beschränkung des Materials ergibt sich daraus, daß fast ausschließlich geschriebene Sprache erfaßt ist. Das Mannheimer Кофиз bietet zwar Transkripte gesprochener Sprache an, die Menge und Vielfalt der dort dargebotenen Sprachdaten reicht aber nicht aus, um darauf eine Untersuchung wie die hier vorliegende aufbauen zu können. Es ist möglich, daß ein umfangreiches Кофиз gesprochener Sprache Aspekte der FRAGE-ANTWORTInteraktion zeigen könnte, die hier nicht erfaßt wurden. Weiterhin ist auch innerhalb der geschriebenen Sprache ein deutliches Übergewicht von journalistischen und literarischen Texten zu beobachten. Diese Tatsache dürfte aber ftlr das Ergebnis der Arbeit nicht so sehr ins Gewicht fallen, weil sowohl die Literatur als auch die Zeitungstexte andere Textsorten abbilden, wiedergeben und einschließen, und weil hier ohnehin keine textsortenmäßige Differenzierung der Analyse angestrebt wurde. Die zweite Form der Einschränkung betrifft die Suchtechnik, die von ihrer technischen Voraussetzung her nur erlaubt, Symbolketten abzufragen, d.h. die nur die Suche nach bestimmten Wortformen ermöglicht. Zwar bieten einzelne Кофога (z.B. das Mannheimer Кофиз und die Digitale Bibliothek) die Möglichkeit, nach einer Kombination von Wortformen zu suchen,^ die Erschließung bleibt aber immer rein formorientiert. Inhaltsbezogene bzw. textsortensensitive Suchkriterien wie z.B. >Berichtsthemen< (>RessortsInterviewen< oder >LeserbriefeOperatoren< wie z.B. >AbstandsoperatorenPlatzhalteroperatoren< oder >Grundformenoperatoren< kombinierte Wortformen oder bestimmte Suchmuster abrufen kann. Vgl. Beschreibung des Suchanfragesystems des Mannheimer Кофи5 (http://coφora.ids-mannheim.de).
Neben den elektronisch erfaßten Texten wurde folgendes Buch ausführlich ausgewertet: Gilmore, Robert: Alice im Quantenland. Eine Allegorie der modernen Physik. Übersetzt von Reiner Sengerling aus dem Englischen: Alice in Quantum Land (1994). Braunschweig/Wiesbaden: Vieweg. 1995. Es war besonders geeignet, da es viele Fragen, Fragesequenzen und Berichte über Fragen enthält. Darüber hinaus wurden auch Zufallsfunde aus literarischen Werken, Sachtexten und Zeitungen einbezogen, wenn sie ein bestimmtes Phänomen besonders deutlich oder übersichtlich dokumentieren konnten, oder wenn entsprechende Belege in den elektronischen Texten fehlten.^
0.4
Überblick über die Arbeit
Die Arbeit läßt sich in zwei Teile gliedern. Die Kapitel 1 bis 4 bilden den ersten Teil. Das Anliegen dieses ersten Teils besteht darin, verschiedene Aspekte des Fragens ins Blickfeld zu rücken und zentrale linguistische Probleme, die sich auf diese Aspekte beziehen, deutlich zu machen und exemplarisch vorzuführen. Im 1. Kapitel geht es um Frageäußerungen (Fragesätze und Frageäußerungen mit Zusatzformeln), die den formalen Aspekt des Fragens ausmachen. Dabei sollen verschiedene sprachliche Mittel und Strukturen vorgestellt werden, durch die funktional-äquivalente Äußerungsformen zum Vollzug von FRAGE-Handlungen formuliert werden können. In einzelnen Unterkapiteln werden dann diese sprachlichen Mittel und Konstruktionen der Frageäußerungen anhand zahlreicher Beispiele aus dem Korpus vorgeführt und hinsichtlich ihrer kommunikativen Funktionen und Gebrauchszusammenhänge kommentiert. Im 2. Kapitel wird der Handlungsaspekt des Fragens diskutiert. Dabei wird zunächst eine Definition des FRAGENS und des ANTWORTENS vorgelegt und anschließend eine theoretische Auseinandersetzung mit verschiedenen Auffassungen von FRAGEN und auch FRAGE-ANTWORT-Relationen gegeben. Danach werden verschiedene Sequenzmuster im FRAGE-ANTWORT-Dialog nach der Konzeption der Dialoggrammatik entwickelt und anschließend anhand typischer Beispiele aus dem Koφus im Detail vorgeführt. Abschließend werden verschiedene Aspekte einer Typologisierung von Fragehandlungen diskutiert. Zur Typologisierung werden dabei nicht nur initiale Typen des FRAGENS, sondern auch
Diese Texte sind im Literaturverzeichnis unter >Кофи8§гип(11а£е< aufgeführt.
8
sequenzabhängige und kommunikationsvorbereitende Typen des FRAGENS herangezogen. Die darauf folgenden zwei Kapitel 3 und 4 beschäftigen sich mit den Frageverben, die als sprachliches Referenzmittel zur Wiedergabe des Fragens verwendet werden. Im 3. Kapitel wird zunächst eine onomasiologische Vorgehensweise bei der Untersuchung der Frageverben gewählt. Dabei wird methodisch zunächst die ganze Breite der sprachlichen Mittel in den Blick genommen, die zur Wiedergabe von Fragehandlungen und Frageäußerungen gebraucht werden können. Erst im zweiten Schritt werden die spezifischen Frageverben als Teilausschnitt dieser sprachlichen Referenzmittel herausgegriffen. Die Frageverben werden dann durch jeweils ein typisches Gebrauchsbeispiel vorgestellt. Danach werden sie nach semantischen Eigenschaften gegliedert zusammengestellt. Anschließend wird die gebrauchstheoretische Semantik als theoretische Grundlage ftlr die semasiologische semantische Analyse der einzelnen Frageverben diskutiert. Abschließend werden verschiedene Aspekte herausgearbeitet, unter denen eine semantische Beschreibung der Gebrauchsweisen einzelner Frageverben erfolgen kann. Im 4. Kapitel wird eine exemplarische semantische Analyse des Verbs fragen als zentrales Frageverb gegeben. Zunächst werden die Gebrauchsweisen von fragen unter dem Aspekt des Gebrauchszusammenhangs untersucht, d.h. es wird herausgearbeitet, in welchen kommunikativen Zusammenhängen das Verb verwendet werden kann. In einem zweiten Schritt wird die Gebrauchsweise von fragen hinsichtlich seines Bezugs beschrieben, d.h. es wird aufgezeigt, auf welche Sprechakte man sich mit fragen beziehen kann. Abschließend werden die grammatischen Einbindungsmöglichkeiten von fragen dargestellt. Die Kapitel 5 und 6 bilden den zweiten Teil der Arbeit. Hier sollen detaillierte Beschreibungen der einzelnen sequenzabhängigen Fragehandlungsmuster RÜCKFRAGE, NACHFRAGE, HINTERFRAGEN, GEGENFRAGE und NACHHAKEN gegeben werden, sowie eine ausftlhrliche Analyse der sequenzbezeichnenden Frageverben zurüclfragen, nachfragen und hinterfragen vorgelegt werden. In den ersten drei Unterkapiteln 5.1, 5.2 und 5.3 sollen die Muster RÜCKFRAGE, NACHFRAGE und HINTERFRAGEN beschrieben werden, die prinzipiell in jeden beliebigen Dialogtyp und in jede beliebige Dialogphase eingeschoben werden können. In den Unterkapiteln 5.4 und 5.5 werden dann die Muster GEGENFRAGEN und NACHHAKEN beschrieben. Diese Muster kommen ausschließlich in FRAGE-ANTWORT-Dialogen vor. Sie initiieren eine neue Dialogphase des FRAGE-ANTWORT-Dialogs, mit der die Richtung des Dialogverlaufs neu bestimmt werden soll. Bei der Beschreibung einzelner Muster im Kapitel 5 werden zunächst ihre charakteristischen Eigenschaften und ihre verschiedenen Formen dargestellt. Darüber hinaus sollen an einzelnen Stellen auch solche Äußerungsformen behandelt werden, die ähnliche Eigen-
Schäften haben wie die Realisienmgsformen der zu beschreibenden Muster, die jedoch hinsichtlich ihrer illokutionären Handlungsqualität unterschiedlich interpretiert werden müssen. Im Kapitel 6 sollen schließlich die fragesequenzbezeichnenden Verben zurückfragen (in 6.1), nachfragen (in 6.2) und hinterfragen (in 6.3) beschrieben werden. Zur Beschreibung der semantischen Eigenschaften des einzelnen Verbs werden zunächst seine verschiedenen Bedeutungspositionen herausgearbeitet. Danach werden ftir jede Bedeutungsposition das entsprechende Bezugsphänomen und typische Gebrauchsbeispiele aus dem Кофиз angegeben. Die Ergebnisse werden am Ende der jeweiligen Kapitel durch Schaubilder zusammenfassend dargestellt.
1.
Frageäußerungen
1.1
Allgemeine Charakteristik der Frageäußerungen
Im folgenden Kapitel sollen als erster Schritt der Untersuchung die Frageäußerungen beschrieben werden. Als >Frageäußerungen< kommen folgende zwei Gruppen von Äußerungsformen in Betracht: Äußerungsformen, die traditionell als >Fragesätze< bzw. >Interrogativsätze< bezeichnet werden. Sie können aufgrund der grammatischen Merkmale wie z.B. Wortstellung, w-Wörter, Frageintonation (bzw. Fragezeichen) usw. als Frageäußerung angesehen werden. Äußerungsformen, die aufgrund der Semantik von zusätzlichen lexikalischen und grammatischen Mitteln (wie z.B. Frageverben und anderen Sprechaktverben) als Frageäußerung angesehen werden können. Sie sollen im folgenden als >Frageäußerungen mit Zusatzformeln< bezeichnet werden. In diesen Fällen spielen grammatische Merkmale wie Wortstellung oder w-Wörter keine entscheidende Rolle. Im folgenden sollen in 1.1.1 und 1.1.2 zunächst diese beiden Typen von Äußerungsformen anhand einiger Beispiele vorgestelU werden, um so einen ersten Eindruck von ihren verschiedenen Konstruktionsmöglichkeiten und auch von ihren unterschiedlichen kommunikativen Funktionen zu geben. Dabei soll insbesondere deutlich gemacht werden, daß die >Frageäußerungen< nicht nur zur Realisierung des Handlungsmusters FRAGE, sondern auch als Realisierungsmittel ganz anderer Handlungsmuster verwendet werden können. Anschließend soll in 1.1.3 ein erster Überblick über die formalen Eigenschaften der Frageäußerungen gegeben werden. In dem darauf folgenden Abschnitt 1.2 werden anhand zahlreicher Beispiele aus dem Koφus unterschiedliche Konstruktionsmöglichkeiten von Fragesätzen vorgeftlhrt und kommentiert. Danach sollen in 1.3 unterschiedliche semantische Muster der Frageäußerungen mit Zusatzformeln (einschließlich >performativer ÄußerungenFragesätze< bzw. >IntenOgativsätze< können als rein grammatischer Begriff durch verschiedene grammatische Merkmale charakterisiert werden. Unter kommunikativ-fimktionaler Perspektive betrachtet, können sie als typische Äußerungsformen für FRAGEHandlungen gelten wie in (l)-(5)· (1) (2) (3) (4) (5)
»Ist es der Major, der den Plan aufgebracht hat?« »Ja. [...]« [Fontane: Effi Briest, S. 231. Digitale Bibliothek] »Wann ist er gekommen?« [...] »Vor einem Augenblick. [...]« [Kafka: Amerika, S. 77. Digitale Bibliothek] »Was ist das, Geert?« [...] »Das ist ein Haifisch.« [Fontane: EfFi Briest, S. 72. Digitale Bibliothek] »Wie ist sie denn?« fragte die Paaschen. »Sehr jung ist sie.« [Fontane: Effi Briest, S. 109110. Digitale Bibliothek] WALLENSTEIN. Warum willst du ihn sprechen, meine Tochter? THEKLA. Ich bin pefaßter. wenn ich alles weiß. [..] [Schiller: Wallenstein, S. 383. Digitale Bibliothek]
In (1) ist die Äußerung durch die Verberststellung des fmiten Verbs ist als Fragesatz gekennzeichnet. Darüber hinaus markiert das graphemische Zeichen >?< (Fragezeichen) die Äußerung als Fragesatz. In (2)-(5) sind die Fragesätze durch w-Wörter (wann, was, wie und warum) konstruiert. Dabei stehen die fmiten Verben (ist in ( 2 H 4 ) und willst in (5)) an zweiter Stelle im Satz. Diese Verbzweitstellung des fmiten Verbs ist charakteristisch für den durch ein w-Wort eingeleiteten Fragesatz. In kommunikativ-funktionaler Hinsicht sind die Fragesätze in (l)-(5) Realisierungsformen von FRAGE-Handlungen. In (1) fordert Spi Sp2 mit dem Fragesatz zu einer ANTWORT auf,' die mit Ja (Bejahung) oder Nein (Verneinung) gegeben werden kann. In (1) wird die FRAGE mit Ja beantwortet. In (2) wird Sp2 mit der FRAGE Wann ist er gekommen? zu einer Zeitangabe aufgefordert. Die ANTWORT hat hier syntaktisch die Form einer Präpositionalphrase (Vor einem Augenblick). In (3) fordert Spi Sp2 dazu auf, eine Bezeichnung für den Gegenstand anzugeben, der im Blickfeld von beiden liegt. Als ANTWORT auf diese FRAGE identifiziert Sp2 den Gegenstand als >HaifischWhimperative Question< bezeichnet (vgl. Green (1975)). Zur Untersuchung der >rhetorischen Fragen< vgl. Meibauer (1986).
14 wird in der Grammatik als >indirekter Fragesatz< bezeichnet.' Neben den Formulienmgsmöglichkeiten (11H13) gibt es syntaktische Varianten wie in (14) und (15). (14) (15)
>Was meint ihr, soll ich öfter kommen?< Er hat's, scheint es, nicht ernst gemeint. [NZZ, 12.12.96, Malbun vermittelt Geborgenheit] HERR V. BIEDERLING: [...] Und wie sind Sie auf den Einfall gekommen, zu reisen, wenn ich fragen darf? [Lenz: Der neue Menoza, S. 4. Digitale Bibliothek]
In (14) und (15) haben die unterstrichenen Teile die Form von Interrogativsätzen, die syntaktisch ffir sich stehen können. In (14) wird der fett gedruckte Teil durch einen w-Fragesatz formuliert und in (15) durch einen Konditionalsatz. Der fett gedruckte Teil wird jeweils dem unterstrichenen Teil zugeordnet und soll als >Zusatzfonnel< bezeichnet werden. Der unterstrichene Teil ist dadurch zu charakterisieren, daß man damit den propositionalen Gehah der Äußerung zum Ausdruck bringt. In den Zusatzformeln werden verschiedene Aspekte der sprachlichen Handlung bzw. Handlungsumstände thematisiert. In (11) wird durch den Gebrauch des Verbs fragen der Handlungscharakter der Äußerung als FRAGE explizit gemacht; die Äußerung kann daher im Sinne von Austin (1962: 32) als >explizit-performativ< eingestuft werden. In (12) wird der Adressat (Sp2) explizit aufgefordert, eine verbale Reaktion zu geben. In (13) wird nach dem kognitiven Zustand von Sp2 gefragt. In (14) wird nach der Einstellung von Sp2 gefragt. In (15) wird die sprachliche Handlung - wie in (11) - als FRAGE markiert, indem man die Äußerung unter den Vorbehalt einer Erlaubnis zu einem solchen Sprechakt stellt. Illokutionär gesehen können die Frageäußerungen mit Zusatzformeln unterschiedlich gebraucht werden. Die Äußerungen (11), (13) und (15) können als FRAGE-Handlungen inteφretiert werden. Die Frageäußerung (12) ist dagegen nicht als FRAGE nach dem Befinden von Sp2 zu verstehen, sondern vielmehr als ANGEBOT in dem Sinne von (12a). ( 12a)
Ich möchte dafür sorgen, daß Sie bequem sitzen und daß Ihr Tee genug süß ist.
Auch die Äußerung (14) ist nicht als RATFRAGE, sondern als ANGEBOT zu interpretieren. Spi BIETET also Sp2 AN, öfter zu kommen.
'
Zu >indirekten Fragesätzen< vgl. Duden ('1998: 777-779), Wunderlich (1976: 185-189) und Eisenberg ( 1995).
15 1.1.3
Frageäußerungen : Ein erster Überblick
Im folgenden soll ein Überblick über die verschiedenen sprachlichen Mittel und Strukturen gegeben werden, durch die Frageäußerungen formuliert werden können.^ Zu Frageäußerungen gehören zunächst alle traditionell als Frage- bzw. Interrogativsätze bezeichneten syntaktischen Formen, das sind neben Sätzen mit Verberststellung (z.B. Ist hier etwas los?) und w-Fragesätzen mit Verbzweitstellung (z.B. IVas ist hier los?) auch syntaktische Strukturen (Sonderformen), die lediglich durch das syntaktische Mittel der Intonation (bzw. auf der graphemischen Ebene durch das Fragezeichen) als Interrogativsatz markiert sind (z.B. Was los?; Hier ist (wohl) etwas los?). Die zweite Großgruppe der Frageäußerungen bilden Äußerungsformen, die mit Zusatzformeln konstruiert werden. Zu dieser Gruppe zählen zunächst die performativen Äußerungen mit dem Verb fragen (z.B. Ich frage dich, was hier los ist.) und ähnliche fragebezeichnende Verben (z.B. Ich möchte mich erkundigen, was hier los ist.). Zweitens sollen Äußerungsformen hierher gerechnet werden, die durch andere Zusatzformeln formuliert werden.' Es handelt sich dabei um vier Untergruppen von Äußerungsformen. Erstens gehören dazu die Äußerungen, in denen die kognitiven Zustände von Sprechern (Spi) und Hörem (Sp2) thematisiert werden (z.B. Es würde mich interessieren, was hier los ist; Weißt du, was hier los ist?). Zweitens geht es um Äußerungen, in denen das Handlungsmotiv des Sprechers (Spi) formuliert wird (z.B. Ich möchte wissen, was hier los ist.). Drittens gehören Äußerungen dazu, in denen das Antwortverhalten von Sp2 thematisiert wird (z.B. Was sagst du dazu, was hier los ist?·. Warum sagst du mir nicht, was hier los ist?). Viertens sollen Äußerungen dazu gerechnet werden, in denen der Sprecher (Spi) den Hörer (Sp2) durch die Verwendung verschiedener Sprechaktverben (wie z.B. sagen, antworten oder sprechen) explizit auffordert, eine Antwort zu geben. Dabei ergeben sich folgende semantische Untermuster des FRAGENS, die an den semantischen Untermustem des AUFFORDERNS orientiert sind:' performativ auffordern zu antworten z.B. Ich bitte dich, mir zu sagen, was hier los ist. durch Äußerungen, die Imperativsatzform haben, auffordern zu antworten (Handlungszuweisung) z.B. Sag' mir, woi hier los ist!
Zur Untersuchung von unterschiedlichen >Frageausdrücken< vgl. auch Zaefferer (1984). Unter dem Begriff >Äußerungsformen mit Zusatzformein< können diese Äußerungen fallen, weil, wie bereits ausgeführt, der erste Teil (z.B. Ich möchte wissen Weiß du, ...? oder Sag" mir,...!) als Zusatzformel zu dem Nebensatz (z.B. was hier los ist) oder auch zu dem darauf folgenden syntaktisch selbständigen Fragesatz (z.B. was ist hier los?) aufgefaßt werden kann. Die Bezeichnungen der semantischen Muster folgen hier Hindelang (1978).
16 sagen, daß Sp2 antworten wird (Befolgungsfestlegung) z.B. Du sagst mir, was hier los ist. fragen, ob Sp2 antworten wird (Befolgungsfrage) z.B. Sagst du mir, was hier los ist? sagen, daß man will, daß Sp2 antwortet (Präferenzhinweis) z.B. Ich möchte, daß du mir sagst, was hier los ist. fragen, ob Sp2 antworten will (Präferenzfrage) z.B. Willst du mir sagen, was hier los ist? sagen, daß Sp2 antworten kann (Kompetenzhinweis) z.B. Du kannst mir sagen, was hier los ist. fi-agen, ob Sp2 antworten kann (Kompetenzfrage) z.B. Kannst du mir sagen, was hier los ist? sagen, daß Sp2 antworten muß (Deontischer Hinweis) z.B. Du mußt mir sagen, was hier los ist. Damit ergibt sich folgende Übersicht [Schema l-I] ilber Frageäußerungen.
17 [Schema l-I]
Fragesitze (FS)
FS mit Verberststellung z.B. Ist hier etwas los?
FragefluBerungen (FÄ) mit Zusatzformeln
FSmitH>Wtrtem z.B. Was ist hier los?
Sonderformen z.B. Was los? / Hier ist (wohl) etwas los?
Performative ÄuBerungen Performative mit fragen z.B. Ich frage dich, was hier los ist.
FÄ mit anderen Zusatzformeln
Performative mit anderen Frageverhen z.B. Ich möchte mich erkundigen. was hier los isl.
Thematisierung der icognitiven Zustinde
Hinweis auf den eigenen kognitiven ZusUnd von Spi z.B. Es würde mich interessieren, was hier los ist.
Performa tiv mit bitten z.B. Ich hüte dich, mir zu sagen, was hier los ist.
Handlungszuweisung z.B. Sag mir, was hier los ist!
Thematisierung des eigenen Handlungsmotivs von Spi z.B. Ich möchte wissen, was hier los ist?
Fragen nach dem kognitiven Zustand von Sp2 z.B. Weißt du, was hier tos ist?
Befolgungsfestlegung / -frage z.B. Du sagst mir, was hier los ist. /
Sog.« du mir, was hier los ist?
Priferenzhinweis/-frage z.B. Ich möchte, daß du mir sagst, was hier los ist. i Willst du mir sagen, was hier los ist?
Thematisierung des Antwortverhaltens von Sp2
Fragen, was Sp2 antworten wird z.B. Was sag.\t du dazu, was hier tos ist?
Auflbrderung zu einer Antwort
Fragen, warum Sp2 nicht antwortet z.B. Warum sagst du mir nicht. was hier los isl?
Kompetenzhinweis /-frage z.B. Du kannst mir sagen, was hier los ist. t Kannst du mir sagen, was hier los ist?
Deontischer Hinweis z.B. Du mußt mir sagen, was hier los ist.
18 Äußerungsformen wie Frageäußerungen mit Zusatzformeln wurden in der sprechakttheoretischen Literatur häufig als Realisierungsformen von sogenannten >indirelcten Sprechakten< behandelt.' Im Gegensatz zu den Vertretern der Theorie der >indirekten Sprechakte< (Searle 1975)'°, nach deren Theorie aus der >wörtlichen Bedeutung< die >primäre illokutionäre Rolle< der Äußerung erschlossen wird, geht hier die vorliegende Arbeit mit Fritz (1978) und Hindelang (1983: 95f.) davon aus, daß Frageäußerungen mit Zusatzformeln konventionellerweise zum Vollzug von FRAGEN gebraucht werden können. Die oben (in [Schema l-I]) genannten Frageäußerungen (Ist hier etwas los?; Ich frage dich, was hier los ist; Es würde mich interessieren, was hier los ist; Ich möchte wissen, was hier los ist etc.) sind funktional-äquivalent in dem Sinne, daß sie alle zur Realisierung des Handlungsmusters FRAGEN verwendet werden können." Wie schon gesagt, können Frageäußerungen auch zur Realisierung anderer Handlungsmuster verwendet werden. Interessanterweise können aber nicht alle Varianten in gleicher Weise als Realisierungsmittel für beliebige Sprechakte dienen. Das soll im folgenden am Beispiel des DROHENS exemplarisch veranschaulicht werden, indem untersucht wird, welche der in [Schema l-I] dargestellten Typen von Frageäußerungen zur Realisierungen von DROHUNGEN verwendet werden können. (1) Willst du eine Tracht Prügel? (Fragesatz mit Verberststellung) (2) (3)
Wie viel Prügel willst du noch bekommen? (Fragesatz mit w-Wörtern) Eine Tracht Prügel gefällig? Ob du wohl eine Tracht Prügel willst? (Sonderformen des Fragesatzes)
(4)
lieh frage dich, ob du eine Tracht Prügel willst (Performative Äußerung mit fragen)
(5)
*Ich will mich erkundigen, ob du eine Tracht Prügel willst. (Performative Äußerung mit ähnlichen Frageverben)
(6)
lEs würde mich interessieren, ob du eine Tracht Prügel willst. (Hinweis auf den eigenen kognitiven Zustand von Spi)
Vgl. Sökeland (1980: 89-110) und auch Zaefferer (1984: 93-99). Seit Searle (1975) gibt es eine intensive und kontrovers geführte Debatte um die sog. >indirekten SprechakteEntscheidungsfragesätze< bezeichnet.'^ Im folgenden werden Beispiele für diesen Konstitutionstyp aus dem Koφus ( I H l 1) aufgelistet. (1) (2) (3) (4) (5)
(6) (7) (8) (9) (10)
(11)
»Ist es eine große Stadt?« fragte Karl. [Kafka: Amerika, S. 192-3. Digitale Bibliothek] »Störe ich nicht?« fragte Karl. [Kafka: Amerika, S. 4. Digitale Bibliothek] [...] protestierende Bürger, die auf Spruchbändern unter anderem fi-agten: Schlafen Sie ruhig, Herr Wathelet? [NZZ, 20.08.96, Vorwürfe an Belgiens Justiz nach Kindsmorden] »Laden Sie mich ein oder Delamarche?« fragte Karl. [Kafka: Amerika, S. 224-5. Digitale Bibliothek] Soll man bei großer Kälte und startunwilligem Motor den Anlasser immer nur kurz betätigen, mit kleinen Pausen dazwischen, oder ist es besser, ihn länger, am Stück also, laufen zu lassen? [Mannheimer Morgen, 04.01.1989 (MK)] »Soll ich den Vorhang vielleicht hinaufziehen lassen?« fragte Delamarche. [Kafka: Amerika, S. 313. Digitale Bibliothek] Mit Absicht fragte er: »Wirst du meinen Koffer gleich packen und wegschicken?« [Kafka: Amerika, S. 269. Digitale Bibliothek] »Wollen Sie Noten haben?« fragte Klara. »Danke, [...]«, antwortete Karl [...]. [Kafka: Amerika, S. 122. Digitale Bibliothek] »Wollen Sie nicht Platz nehmen, Herr Klemm?« fragte Rabe. [Fontane: Vor dem Sturm, S. 522. Digitale Bibliothek] »Dürfen wir Ihre Einladung sehen?«, fragen hübsche Rosengarten-Hostessen und kräftige junge Männer aus den Reihen der CDU jeden, der an den Türen des Kongreßzentrums Einlaß begehrt. [Mannheimer Morgen, 27.01.1991, Lokales (MK)] [...] aber er zog jetzt die Hand zurück und fragte schüchtern: »Darf ich dir helfen, Philipp?« [Storm: Auf der Universität, S. 32. Digitale Bibliothek]
Es gibt im Deutschen noch zwei Typen von Sätzen, in denen das finite Verb auch an der ersten Stelle im Satz steht: Imperativsätze und Konditionalsätze ohne wenn. Imperativsätze haben - im Gegensatz zu Fragesätzen und Konditionalsätzen - kein Satzsubjekt und werden mit ImperativVerbmodus im Singular oder Plural markiert. Wenn ein Imperativsatz mit Sie konstruiert wird, ist ein Imperativsatz, was die Abfolge der Satzglieder angeht, mit einem Fragesatz identisch (Geben Sie mir das Salz!; Geben Sie mir das Salz?). In diesem Fall ist das Fragezeichen in der geschriebenen Sprache das einzige Merkmal zur Unterscheidung zwischen Imperativsatz und Fragesatz. Dazu vgl. Duden (®1998: 614-615) und Hentschel/Weydt (1990: I 1 5 i i Auch in Kondhionalsätzen ohne wenn, die in der Grammatik als >asyndetische (uneingeleitete) Konditionalsätze< bezeichnet wurden, steht das finite Verb an erster Stelle; hier folgt aber ein Hauptsatz. Auch intonatorisch unterscheiden sich diese Konstruktionen von Fragesätzen mit Verberststellung. Dazu vgl. Hentschel/Weydt (1990: 378Í). Vgl. Duden ('1998: 612-613).
22 Nur den Fragesätzen (1), (4) und ( 5 ) " kann die kommunikative Funktion der FRAGEHandlung zugeschrieben werden. Dagegen müssen die anderen Fragesätze in (2), (3) und (6)-(l · ) als Realisierungsformen flir folgende Handlungsmuster angesehen werden: (2):
ENTSCHULDIGUNG
(3):
VORWURF
(6):
ANGEBOT
(7):
BITTE
(8):
ANGEBOT
(9):
ANGEBOT
(10):
AUFFORDERUNG
(11):
ANGEBOT.
1.2.2
Fragesätze mit vf-Wörtern
Fragesätze können mit verschiedenen w-Wörtern formuliert werden. Solche Fragesätze werden in der Grammatik meistens als >Ergänzungsfragesätze< bezeichnet." Unter w-Wörtern fallen verschiedene grammatische Wörter, die traditionell als >Fragepronomen< oder >Frageadverb< bezeichnet sind. Beispiele dafür sind v/er, was, wie, wann, wo,
warum,
worum, wofür, wieviel usw.^° Das finite Verb steht an zweiter Stelle im Satz. Im folgenden sollen die verschiedenen Formen der w-Fragesätze durch die Beispiele (I2)-(28) vorgestellt, aber nicht im einzelnen analysiert werden. (12) (13) (14) (15) (16) (17)
»Wer sind Sie?« fragte der Diener [...]. [Kafka: Amerika, S. 101. Digitale Bibliothek] Als er fort war, fragte Effi: »Wer ist Mirambo?« [Fontane: Efïi Briest, S. 126. Digitale Bibliothek] »Wer hat dir denn das gesagt?« fragte Karl. [Kafka: Amerika, S. 337. Digitale Bibliothek] »Wem nützt eine Sparuni?« fragten die Verbände [...]. [NZZ, 23.05.96, Nicht nur Mitleid mit der »Sparuniversität«] »Es betrifft mich nicht«, sagte der Onkel, [...]. »Wen betrifft es denn?« fragte der Advokat [...]. [Kafka: Der Prozeß, S. 149. Digitale Bibliothek] »Was ist Ihre Meinung über die geplante Erhöhung des Wassertarifs?« fragt die Partei [...]. [NZZ, 24.01.95, Neuer Sturmlauf der SV? gegen eine Gebührenerhöhung]
" In (4) und (5) handeh es sich um sog. >disjunktive FragesätzeEntscheidungsfTagesätzen< unterschieden. Zu Präsuppositionen bei disjunktiven Fragen vgl. Grewendorf (1977). ' ' Vgl. Duden (®1998: 611-612). Solche w-Wörter können bekanntlicherweise nicht nur zur Konstruktion der Fragesätze verwendet werden, sondern auch andere grammatische Funktionen im Satz erfüllen wie z.B. als Relativpronomen oder Indefinitpronomen.
23 (18) (19) (20) (21) (22) (23) (24) (25) (26) (27) (28)
»Das ist zu allgemein«, sagte Fräulein Bürstner. »Was ist zu allgemein?« fragte K. [Kafka: Der Prozeß, S. 40. Digitale Bibliothek] [...], bemerkte Herr Green und fragte dann, offenbar aus privater Neugierde: »Was ist das eigentlich für ein merkwürdiger Koffer?« [Kafka: Amerika, S. 129. Digitale Bibliothek] Der Onkel, [...], fragte nicht mehr so dringend nach dem Prozeß, [...] »Wie ist es aber geschehen?« fragte endlich der Onkel, [...]. [Kafka: Der Prozeß, S. 140. Digitale Bibliothek] »Wie heißen Sie?« fragte Karl, [...]. [Kafka: Amerika, S. 33. Digitale Bibliothek] Caillois war derart begeistert von der Lektüre und ihrer Begegnung, dass er ihn fragte: »Wie machen Sie das nur, so zu schreiben?« [NZZ, 28.01.95, Diese Welt fast ohne Worte] >Welchen Mostrich wünschen Sie?< f i ^ e mich der Kellner. >Dijoner, welchen sonst?< als Fragesatz markiert. Darüber hinaus ist zu beobachten, daß bestimmte Abtönungspartikel wie z.B. also in (31) und (32), doch in (33) und wohl in (34) in solchen Fragesätzen besonders häufig vorkommen.^^ (31)
(33) (34)
»Sie kommen also vom Arbeitsamt«, fragte der Mathematik-Professor Semmelweis, »und sind an der von mir ausgeschriebenen Stelle als Putzfrau interessiert?« »So ist es«, sagte Frau Schmittke. [Mannheimer Morgen, 12.08.1989, Unterhaltung (MK)] »Du hast ihm also kein Geld versprochen?« fragte der Oberkellner. [Kafka: Amerika, S. 261. Digitale Bibliothek] »Ich kann mich doch setzen?« fragte er. [Kafka: Der Prozeß, S. 16. Digitale Bibliothek] »Da muß ich wohl lauter reden?«, fragte Karl. [Kafka: Amerika, S. 103. Digitale Bibliothek]
(ii)
Die Fragesätze, die mit der Verbzweitstellung ohne w-Wörter ausgedrückt sind,
(32)
können auch dadurch als Fragesatz markiert werden, daß zusätzliche lexikalische Mittel wie z.B. nicht wahr, nicht, oder, richtig, ja usw. am Satzende angehängt werden.^"* Solche
24
Zur Behandlung von Aufforderungen und Aufforderungsätze bzw. Fragen und Fragesätze unter dem Aspekt der prototypischen Formen und solcher Formen, die nur einige Eigenschaften der prototypischen Formen haben, vgl. Givón (1984). Was die Abfolge der Satzglieder angeht, unterscheiden sich solche Sonderformen der Fragesätze nicht von den )Aussage-< bzw. >DeklarativsätzenBestätigungsfragen< behandelt. Im Englischen bezeichnet man solche Phänomene als >tag-sentences< oder >tag-questionstag-sentences< oder >tag-questions< bezeichnet man gewöhnlich Konstruktionen, die aus einem Deklarativsatz und einem verkürzten Interrogativsatz bestehen. [...] a. Bill is coming, isn't he? b. Bill is coming, is he? c. Bill is coming, right? d. Bill is coming, eh?«
25 Fragesätze mit >Frageanhängseln< werden in der geschriebenen Sprache ebenfalls durch das Fragesatzzeichen >?< gekennzeichnet. Beispiele aus dem Кофиз sind (35)-(40). (35) (36)
(37)
(38) (39) (40)
(iii)
»Sie lieben das Schloß sehr, nicht wahr?« »Wundert Sie das?« fragte die Komteß zurück. [Bolten, Y.: Komteß Silvia von Schönthal. (MK)] Raubkopierer können zur Kasse gebeten werden. Dafür, daß einer, der etwas geleistet hat, auch seinen Lohn erhält, darf der Leitstern ruhig strahlen, oder? [Mannheimer Morgen, 12.0 LI 989 (MK)] Unter all den Wissenschaftlern, die sich am Bau der Atombombe in Europa und in den USA beteiligt haben, gibt es für Sie nur eine wirklich positive Figur, Szilard, der tragische Held, richtig? [Mannheimer Morgen, 06.04.1991, Unterhaltung (MK)] Also Sie wollen gar keine Aufklärung, entnehme ich daraus, ja? Dann sagen Sie das aber auch vorher, nicht? [Bundestagsprotokolle, 24. 10. 1990. S. 18199 (MK)] Pilot: Bitte wiederholen Sie. Lotse: Sie sehen das Gerät vor sich, ja? Bringen Sie den Schalter auf ON. [STERN, 15.10.87, Technik (MK)] »[...] Jedenfalls sollten Sie uns sofort anrufen, wenn Sie wieder etwas hören, ja? Also, dann gute Nacht einstweilen!« [Mannheimer Morgen, 04.05.1991, Unterhaltung (MK)] Als weitere Sonderform können Fragesätze gelten, die w-Wörter enthalten, die aber
nicht die Verbzweitstellung des finiten Verbs aufweisen, sondern die Verbendstellung.^' In der geschriebenen Sprache wird der Satz durch ein Fragesatzzeichen markiert. Beispiele aus dem Korpus sind (41) und (42). (41) (42)
Es muß ein Wandel überhaupt kommen, wie die Arbeit eingeschätzt wird. Wo der herkommen soll? Oh, da bin ich überfragt. [TAZ-BERLIN, 25.06.1998, Sind Sie beschäftigt?] Aber vielleicht kommt er ja zur Verleihung des Bloomaulordens am 20. Januar im Nationaltheater. Wer ihn in diesem Jahr kriegt? Das soll erst am kommenden Donnerstag verraten werden. [Mannheimer Morgen, 09.01.1989 (MK)]
Man könnte solche Fragesätze als uneingeleitete Nebensätze (sog. >indirekte FragesätzeIch frage mich .../cA möchte wissen, ...< oder >man kann sich fragem getilgt wurde. Demnach könnte man (41) wie in (41') umformulieren. (4 Г)
Hier könnte man sich fragen, wo der herkommen soll.
Anders als (41) sind für die Form (42) zwei Ergänzungsmöglichkeiten denkbar. (42a) (42b)
Man kann sich fragen, wer ihn in diesem Jahr kriegt. Wer ihn in diesem Jahr kriegt, soll erst am kommenden Donnerstag verraten werden.
In der deutschsprachigen Literatur wurde dieser Begriff meist übernommen. Manchmal spricht man aber auch von >Frageanhängsel< (vgl. Hang (1976: 204-219)). " Vgl. Meibauer( 1989).
26 Der Unterschied zwischen (42a) und (42b) besteht darin, daß in (42a) die Äußerungsform Wer ihn in diesem Jahr kriegt? als eine selbständige Äußerung aufgefaßt ist, die nicht der nachfolgenden Äußerung {Das soll erst am kommenden Donnerstag verraten werden) zugeordnet ist. (iv)
Ähnlich wie (41) und (42) sind auch oè-Sâtze wie in (43)-(45) zu beschreiben.
(43)
Ob er's geschafft hat? Danach hätte Hardy Krüger noch ein bißchen nachhaltiger fragen können. [Mannheimer Morgen, 04.01.1989 (MK)] »Das Schloß gefällt Euch nicht?« fragte der Lehrer schnell. »Wie?« fragte K. zurück, ein wenig verblüfft, und wiederholte in milderer Form die Frage: »Ob mir das Schloß gefSllt? Warum nehmet Ihr an, daß es mir nicht gefällt?« [Kafka: Das Schloß, S. 15. Digitale Bibliothek] [...]»lst das Ihr üblicher Ausdruck«, will der Richter von den Angeklagten wissen, »Kanakker?« »Wie meinen Sie das?« fragt der eine zurück. »Ja, ob Sie das immer sagen?« [Die ZEIT, 07.06.1985, Kultur (MK)]
(44)
(45)
In (43)-(45) sind oZ>-Sätze traditionell gesprochen als >Inhaltssatz< zu charakterisieren.^® In (43) läßt sich die Äußerungsform Ob er's geschafft hat? als Umformung von (43a) oder (43b) auffassen." (43 a) (43b)
Hardy Krüger hätte noch ein bißchen nachhaltiger fragen können, ob er's Qeschafft hat. Hier kann man sich fragen, ob er's eeschaffi hat.
In (43 a) ist der o6-Satz dem Hauptsatz {Danach hätte Hardy Krüger noch ein bißchen nachhaltiger fragen können) untergeordnet. Durch diese Paraphrase werden die beiden Äußerungen als näher zusammengehörig inteφretiert, als wenn man (43b) unterstellt. Anders als in (43) können für die οό-Sätze in (44) und (45) nur bestimmte Hauptsätze zugelassen werden wie in (44') und (45'). (44')
(45')
Fragen Sie mich, ob mir das Schloß gefällt? 'Ich wollte wissen, ob Sie das immer saeen. Ich habe Sie gefragt.
(v) Beispiele wie (46) sind in ähnlicher Weise als Nebensätze zu inteφretieren, in denen übergeordnete Hauptsätze wie (46a)-(46c) weggelassen sind.
Vgl. Duden (®1998: 768). " Vgl. Faucher (1995).
27 (46)
(46a) (46b) (46c)
»Und wenn man dir die Möglichlieit gäbe?« fragte die Interviewerin suggestiv. »Das wäre schön! Das Angebot würde icli in Anspruch nehmen«, lautete die Antwort. [NZZ, 07.01.95, Blick auf dem Bildschirm] iVas wäre, wem man dir die Möglichkeit gäbe? IVie wäre es, wenn man dir die Möglichkeit eäbe? Was würdest du tun, wenn man dir die Möglichkeit gäbe?
Allerdings scheint in (46) die Einleitung mit und notwendig, da entsprechende Äußerungsformen ohne und weniger gebräuchlich sind. Solche Fragesätze werden in der geschriebenen Sprache mit dem Fragezeichen markiert. (vi)
Eine besonders häufige Sonderform der Fragesätze bilden Äußerungen ohne finîtes
Verb; oft fehlen außerdem noch ein oder mehrere (obligatorische) Satzglieder. Solche Phänomene werden in der Grammatik traditionell als >Ellipsen< bezeichnet. Kommunikativ-funktional gesehen sind sie aber vollständige Äußerungsformen, mit denen man ohne weiteres einen Sprechakt vollziehen kann. Solche >elliptischen< Sonderformen der Fragesätze können mit einem w-Wort allein oder auch zusammen mit anderen dazu gehörigen Satzgliedern formuliert werden. Sie werden in der geschriebenen Sprache mit einem Fragezeichen markiert. Beispiele aus dem Koφus sind (47)452). (47)
(48) (49) (50) (51 ) (52)
DUCHESNE. [...] - Die Emigranten werden entschädigt. VITRY. Wofür? DUCHESNE. Dafìir, daß sie zur Zeit der Not wegliefen. [Grabber Napoleon oder die hundert Tage, S. 72. Digitale Bibliothek] »Ich kann die Photographie nicht finden«, sagte er bittend zu Delamarche. »Welche Photographie?« fragte dieser. [Kafka: Amerika, S. 176. Digitale Bibliothek] »Sie dürfen nicht weggehen, Sie sind ja verhaftet.« »Es sieht so aus«, sagte K. »Und warum denn?« fragte er dann. [Kafka: Der Prozeß, S. 4. Digitale Bibliothek] Wodurch kam ich auf Irrwege? Woher die Mißerfolge? Warum bin ich oft so mißmutig und unlustig? [Mannheimer Morgen, 14.01.1989, Weltwissen (MK)] Anfrage wegen Schiffplatz nach Europa, gleichgültig welche Linie, je rascher um so lieber. »Wieso Schiff?« fragte Ivy. [Frisch, Homo Faber, Roman. 1957, S. 72 (MK)] »155«, sagte ich, [...]» 155?« fragte sie. »Wieso gerade 155?« [Mannheimer Morgen, 27.05.1989, Unterhaltung (MK)]
Die >elliptischen< Sonderformen der Fragesätze können nicht nur mit w-Wörtern, sondern auch mit anderen Satzgliedern formuliert werden. Die Satzglieder können sowohl aus Einzelwörtern (Substantiven, Verben oder Adverbien) als auch aus einer längeren Phrase (Präpositional- oder Verbalphrase) bestehen. Solche Sonderformen werden in der geschriebenen Sprache allein durch ein Fragezeichen als Fragesatz markiert. Beispiele aus dem Koφus sind (53)-(59).
28 (53) (54) (55)
(56)
(57) (58) (59)
1.3
[...], und der Aufseher saß hinter ihm. [...] »Josef K.?« fragte der Aufseher, [...]. [Kafka: Der Prozeß, S. 16. Digitale Bibliothek] Sie forderte ihn auf, aufzustehen, er antwortete nicht und rtihrte sich nicht. [...] »Ausgetrotzt?« hörte man sie dann fragen. [Kafka: Amerika, S. 94. Digitale Bibliothek] »[...] Ich konnte doch nicht zuerst mit deinem Lift laufen und meine Gäste warten lassen, so bin ich also zuerst mit meinem Lift hinaufgefahren!« »Nun?« fragte Karl gespannt, da beide Jungen schwiegen. [Kafka: Amerika, S. 234. Digitale Bibliothek] »Du glaubst also wirklich, Roßmann, daß ich mich wieder erholen werde, wenn ich das Dienen hier aufgebe?« »Gewiß«, sagte Karl. »Gewiß?« fragte nochmals Robinson. »Ganz gewiß«, sagte Karl lächelnd. [Kafka: Amerika, S. 337. Digitale Bibliothek] »[...] Ja, es war eine Untersuchungskommission hier«, fügte K. hinzu, [...] »Ihretwegen?« fragte das Fräulein. [Kafka: Der Prozeß, S. 38. Digitale Bibliothek] »[...] Sie werden wohl jetzt in die Bank gehen wollen?« »In die Bank?« fragte K., [...] [Kafka: Der Prozeß, S. 21-22. Digitale Bibliothek] [...] schließlich aber nannte er doch wieder, da ihm nichts Passendes einfiel, nur Speck, Brot und Bier. »Nichts weiter?« fragte die Frau. »Nein danke«, sagte Karl, »aber für drei Personen.« [Kafka: Amerika, S. 164. Digitale Bibliothek]
Semantische Muster der Frageäußerungen mit Zusatzformeln
Im folgenden sollen sprachliche Mittel und Konstruktionsmöglichkeiten von semantischen Mustern der Frageäußerungen mit Zusatzformeln beschrieben werden. Hier soll die Gliederung, die schon im vorangegangenen Kapitel 1.1.3 in [Schema I - l ] vorgestellt wurde, in [Schema I-II] nochmals aufgenommen werden, um die Übersicht über diese Äußerungsformen zu erleichtern. Das Schaubild gibt auch Hinweise darauf, in welchem der folgenden Unterkapitel das einzelne semantische Muster behandelt wird.
29 [Schema l-II] Frageäußerungen
Fragesätze (in 1.2)
Frageäußerungen mit Zusatzformeln (in 1.3)
Performative Äußerungen (in 1.3.1) Performative mit fragen
Frageäußerungen mit anderen Zusatzformeln Thematisierung der kognitiven Zustände
Performative mit anderen Frageverben
Hinweis auf den eigenen kognitiven Zustand von Spl (in 1.3.2)
Performative
Handlungszuweisung
Thematisierang des eigenen Handlungsmotivs von Spi fin 1.3.4)
Fragen nach dem kognitiven Zustand von Sp2 (in 1.3.3)
Befolgungsfestlegung / -ftage
Thematisierung des Antwortverhaltens von Sp2 (in 1.3.5)
Fragen, wasSp2 antworten wird
Präferenzhinweis / -frage
Kompetenzhinweis / -frage
Aufforderung zu einer verbalen Reaktion (in 1.3.6)
Fragen, warum Sp2 nicht antwortet
Deontischer Hinweis
Im folgenden werden die syntaktischen und lexikalischen Konstruktionsmöglichkeiten der einzelnen semantischen Muster genauer dargestellt. Durch Beispiele aus dem Korpus werden die verschiedenen Varianten der Zusatzformeln illustriert. Gleichzeitig wird verdeutlicht, welche unterschiedliche kommunikative Funktion die Zusatzformeln erfüllen können.
1.3.1
Performative Äußerung mit dem Verb fragen
Im folgenden werden Frageäußerungen mit performativen Formeln, die mii fragen gebildet sind, genauer beschrieben werden.^* Dabei werden in 1.3.1.1 zunächst >explizit-performati-
Performative Äußerungen können nicht nur mit dem Verb fragen, sondern auch mit dem Substantiv Frage formuliert werden, wie die folgenden Beispiele (i)-(iii) zeigen: (i) Ich habe/hätte eine Frage (an Sie/dich):... (ii) Ich möchte/muß (Ihnen/dir) eine Frage stellen/vorlegen:... (Iii) Ich möchte (an Sie) eine Frage richten:...
30 ve< Äußerungen beschrieben. In 1.3.1.2 werden dann performative Äußerungen mit Modalverben (>modalisierte performative FormeInExplizit-performative< Äußerungen mit fragen
Die grammatische Konstruktion der explizit-performativen Formeln mit fragen kann wie folgt charakterisiert werden:^' das Subjekt ist das Personalpronomen in der 1. Person Singular; das Verb ist entsprechend in der Form 1. Person Singular Indikativ Präsens Aktiv, als Objekt steht das Personalpronomen in der 2. Person Singular, die Formeln werden mit einem deklarativen Satz ausgedrückt. Im folgenden sollen nun die explizit-performativen Formel mit fragen hinsichtlich folgender drei Gesichtspunkten beschrieben werden: (i) (ii) (iii)
Grammatische bzw. syntaktische Vielfalt der performativen Formel Illokutionäre Vielfalt der performativen Äußerungen mit fragen. Gebrauchszusammenhänge der performativen Äußerungen
Die typische Form der explizit-performativen Formel mit dem Verb fragen lautet: Ich frage Sie/Euch/dich,... Beispiele aus dem Korpus sind (l)-(4). (1) (2)
(3) (4)
»Ich frage Sie, Frau Blumenthal, was haben Sie zum Beispiel mit einer Hamburger HipHoperin gemeinsam?« [TAZ-HAMBURG, 21.01.1999, Deutschtümelei mit Doppelpaß] EIN BÜRGER {zum andern.) Was sagst du, Ammon? AMMON. Ich frage dich, Hosea, was besser ist, der Tod durchs Schwert, [...] oder dies langsame Verdorren, das uns bevorsteht? [Hebbel: Judith, S. 42. Digitale Bibliothek] Don Alonzo Onoreja, ich frage Euch auf Euer Gewissen, ist dieses Mädchen nicht Josephe Asteron? [Kleist: Erzählungen, S. 254. Digitale Bibliothek] In diesem Zusammenhang, Herr Minister Stoltenberg, frage ich Sie zu einem Bericht aus »Bundeswehr Aktuell«: Ist es richtig, [...]? [Bundestagsprotokolle, 09. 05. 1989 (MK)]
Der Gebrauch von nominalen Formen wie Frage, Anfrage, Nachfrage, Rückfrage usw. wird in der vorliegenden Arbeit jedoch generell nicht behandelt. Vgl. Austin (1962, insbesondere S. 67-82). Diese Form wurde in der Forschung am häufigsten beschrieben.
31 (i)
Grammatische bzw. syntaktische Vielfalt der performativen Formel
Explizit-performative Äußerungen werden häufig durch verschiedene Ausdrücke erweitert. Mit solchen zusätzlichen Ausdrücken werden einzelne kommunikative Umstände der Äußerung explizit genannt. In den Beispielen ( 1 H 4 ) wird die Anrede des Adressaten mit dem Eigennamen hinzugefügt. Dabei fügt Spi in (1) und (2) den Namen von Sp2 nach der performativen Formel ein; in (3) und (4) wird der Eigenname der performativen Formel vorangestellt. In (3) verwendet Spi die Präpositionalphrase auf Euer Gewissen dazu, um damit der Forderung nach wahrheitsgemäßer Antwort zusätzlichen Nachdruck zu verleihen. In (4) macht Spi im performativen Satz mit dem Ausdruck In diesem Zusammenhang den Kontext seiner Äußerung explizit und gibt mit der Präpositionalphrase zu einem Bericht aus »Bundeswehr Aktuell«, den Themenbereich seiner FRAGE an. Bei Hindelang (1983: 2 4 f ) wird zwischen >performativer Einstufung< und >performativem Satz< unterschieden. Wendet man diese Unterscheidung an, kann man die Beispiele (1), (3) und (4) als >performative Einstufung< und das Beispiel (2) als >performativen Satz< bezeichnen. In (2) wird der Äußerungsteil (was besser ist, ...), der die Proposition der Äußerung repräsentiert, durch einen Nebensatz ausgedrückt und dadurch syntaktisch der performativen Formel (Ich frage dich) untergeordnet. Im Unterschied dazu haben in (1), (3) und (4) die Äußerungsteile, in denen der propositionale Gehalt ausgedrückt wird, syntaktisch eine selbständige Struktur. Sie stehen also in selbständigen Fragesätzen. Im folgenden soll diese Unterscheidung nicht aufgenommen werden. Der Grund dafür liegt vor allem in der Vielfalt der Formen und Variation der performativen Formeln, die durch die Koφusuntersuchung deutlich geworden sind.^' Die performativen Formeln können syntaktisch so unterschiedlich konstruiert sein, daß es nicht berechtigt erscheint, ein einzelnes Merkmal, die syntaktisch selbständige Formulierung der Proposition, besonders terminologisch hervorzuheben.^^ Der Äußerungsteil, in dem die Proposition ausgedrückt wird, kann neben syntaktisch selbständigen Interrogativsätzen oder unselbständigen Nebensätzen (sog. > indirekten Fragesätzenexplizit-performativ< genannt (Austin 1962). Diese allgemeine Funktionszuschreibung der performativen Formeln trifft aber bei dem Verb fragen nicht immer zu. Die Beispiele (1), (3), (4), (7), (8) und (9) kann man als FRAGE-Handlung interpretieren. Dagegen sind bei den Äußerungen (2) und (5) zwei Inteφretationen möglich. (2) kann also nicht nur als FRAGE, sondern auch als ein Sprechakt des Sich-Beklagens verstanden werden. Ähnlich verhält es sich in (5). Hier bringt Spi mit der Äußerung Wenn nicht, was dann mit ihm? frage ich Dich! in erster Linie zum Ausdruck, daß er ratlos ist, was er tun soll, wenn der zu befürchtende Sachverhalt (Nicht-Bestehen des Examens der angesprochenen Person) eintreten sollte. Auch hier könnte man den Sprechakt wie bei (2) illokutionär im Sinne von Marten-Cleef (1991: 327-343) als ein >abreagierendes< Expressiv mit >Sprecher-Aversion< deuten. Man kann jedoch die Interpretation der Äußerung als FRAGE-Handlung nicht ausschließen. Es ist also durchaus möglich, daß Spi Sp2 mit der Äußerung dazu bewegen will, daß Sp2 dazu etwas sagt. Diese Inteφretationsmöglichkeit wird durch die performative Formel frage ich D/cA ja auch nahegelegt. Die performativen Äußerungen in (6), (10) und (11) können nicht als FRAGE gelten. In (6) vollzieht Sp2 (Baron) durch die performative Äußerung {Das frage ich Sie, Herr Schulmeister!), die er als Reaktion auf die FRAGE von Spi (Schulmeister) (fVas war das.
Vgl. Hindelang (1983: 23).
34 Herr Baron?) gibt, keine FRAGE (etwa GEGENFRAGE), sondern er drückt damit lediglich aus, daß er die FRAGE von Spi nicht beantworten kann.^'* Man könnte also die Äußerung von Spi im Sinne von (6') verstehen: (6')
Ich weiß auch nicht, was das war, und beabsichtigte, Sie zu fragen.
In (10) kann weder die performative Äußerung von Spi (Legendre) noch die von Sp2 (Collot D'Herbois) als FRAGE verstanden werden. Die Äußerungen sind vielmehr als eine VORWURF/VORWURF-ZURÜCKWEISUNGS-Sequenz zu inteφretieren. In (11) ist >Wer, so frage ich dich, entwendet einen Biedermeierschirm? < als BEHAUPTUNG im Sinne von (1Γ) zu inteφretieren. ( 11 ')
Es gibt eigentlich niemanden, der einen Biedermeierschirm
entwendet
Eine explizit-performative Formel mit fragen verwendet man auch oft dazu, um damit eine AUFFORDERUNG zu vollziehen wie in (12). (12)
Ja, du schönes Schiffermädchen, treibe den Kahn ans Land, das heißt, dich, alter Junge, lieber Freund, armer Hase, dich. Albin us, frage ich jetzt: wie lange gedenkt ihr noch dies Spiel weiter zu treiben? [Raabe: Im alten Eisen, S. 37-38. Digitale Bibliothek]
In (12) kann die Äußerung [...] dich, Albinus, frage ich jetzt: wie lange gedenkt ihr noch dies Spiel weiter zu treiben? nicht als FRAGE interpretiert werden, sondern muß als ein eindringlicher RAT gedeutet werden, d.h. Spi rät Sp2 {Albinus) mit der Äußerung dazu, das Spiel nicht mehr weiter zu treiben. (iii)
Gebrauchszusammenhänge der performativen Äußerungen
Betrachtet man die kommunikativen Gebrauchszusammenhänge der explizit-performativen Formeln, die im Korpus belegt sind, kann man feststellen, daß sie in den meisten Fällen sequenzabhängig verwendet werden. Aufgrund der Beispiele (1)-verständnissichernden< Zügen Verwendung bei insistierenden FRAGEN
Vgl. dazu Kap. 5.4.4 der vorliegenden Arbeit.
35 In (2) verwendet Spi (Ammorí) die performative Äußerung in einem >verständnissichemden Zugdie Herrschaftem zu sagen, indem er nach dem Wissenszustand von Sp2 bezüglich dieser Personen fragt. Dieser versteht die FRAGE wörtlich, d.h. er hört Kennen Sie die Herrschaften? als FRAGE nach seinem Informationsstand, statt als FRAGE nach der Identität der Personen. Im dritten Zug {Nun?) macht Spi deutlich, daß er mit der Antwort von Sp2 nicht zufrieden
46 ist und wissen will, wer die Personen sind. Die Frageäußerungen (fVas wissen Sie? Was ist geschehen?·, was wissen Sie von dem Baron Glimmern?) in (3) und (4), in denen auch nach dem Wissenszustand von Sp2 gefragt wird, können auch als INFORMATIONSFRAGEN gelten. Es gibt allerdings auch Frageäußerungen wie (5), in denen die Wissenszustände von Sp2 thematisiert werden, die aber nicht als FRAGE, sondern als ZURÜCKWEISUNG verstanden werden müssen. (5)
»Nicht trinken!« sagte sie leis, »die Lieb ist eine ernstliche Sach und will nicht betrunken sein, auch wenn sie nur Scherz ist!« »Was wissen Sie denn schon so viel von Liebe, schönstes Kind, das ja in der Tat fast noch ein Kind ist?« [Keller: Der grüne Heinrich [Zweite Fassung], S. 1012. Digitale Bibliothek]
Weiterhin gibt es auch Ausdrücke wie Kennen Sie schon?', Wissen Sie schon?'. Hast du schon gehört"! usw., die ausschließlich zur Einleitung von mitteilenden Sprechakten verwendet werden. Beispiele aus dem Korpus sind (6) und (7). (6)
Weißt Du, was ich getan hab? Drei Tag hab ich mich hingelegt und mich gestreckt und geruht, als wär ich einer schweren Arbeit los. [Arnim: Die Günderode, S. 668. Digitale Bibliothek] »Wissen Sie schon? die Ulanen marschieren«, fragte der Chef unter anderm. [Ebner-Eschenbach: Bozena, S. 70. Digitale Bibliothek]
(7)
Der Gebrauch dieser Formeln wie in (6) und (7) ist konventionell so verfestigt, daß man sie fast immer als Einleitung zu informierenden Sprechakten hört und es nur selten vorkommt, daß Sp2 die Äußerungen als FRAGEN versteht.'^
1.3.4
Thematisierung des eigenen Handlungsmotivs von Spi
Bei einem weiteren Typ von Frageäußerung mit Zusatzformel thematisiert Spi seine Handlungsmotive oder -ziele. Dazu werden Verben wie wissen, erfahren, hören, herausfinden, herausbekommen o.ä. zusammen mit den folgenden Modalverben verwendet. wollen im Indikativ Präsens mögen im Konjunktiv II müssen im Indikativ Präsens oder Konjunktiv II
Vgl. dazu Fritz (1982: 179).
47 dürfen im Indikativ Präsens können im Indikativ Präsens. Die Zusatzformeln werden in unterschiedlichen Satzformen konstruiert. Typische Formen solcher Zusatzformeln mit wissen sind etwa: Ich will
wissen,...
Ich möchte (gerne)
wissen,...
Ich muß wissen, ... Ich müßte
wissen,...
Darf ich wissen, ...? Kann ich
wissen,...?
Die Äußerungsteile, die die Proposition repräsentieren, können ebenfalls durch ganz verschiedene grammatische Formen ausgedrückt werden. In den folgenden Beispielen aus dem Кофив ( l ) - { 9 ) sollen diese Konstruktionsmöglichkeiten illustriert werden. Auf eine detaillierte grammatische Beschreibung der Beispiele wird hier verzichtet. (1)
(2) (3) (4) (5)
(6) (7) (8)
(9)
»P., was sagen Sie? was wollen Sie von mir wissen?« »Ich will wissen; ob die Hand meiner Schwester ein gewünschtes Glück flir Sie wäre?« [La Roche: Geschichte des Fräuleins von Stemheim, S. 31. Digitale Bibliothek] »Nun, dann also nicht über mich. Aber über wen? Das wenigstens will ich wissen. Von wem war die Rede?« [Fontane: Der Stechlin, S. 216. Digitale Bibliothek] »Deinen Namen will ich wissen, / Deine Heimat, deine Sippschaft!« [Heine: Romanzerò, S. 47. Digitale Bibliothek] Vater: Bester, liebster Herr Sohn! Wem sie angehört? Wer ihre Eltern sind, möchte ich wissen. [Nicolai: Sebaldus Nothanker, S. 558. Digitale Bibliothek] FAUST. Wo denn die Trennung zwischen Geist und / Кбфег? DER RITTER. Eh ich Euch Antwort gebe, muß ich wissen, / Wozu Ihr mich berieft? auf welcherlei Bedingungen? [Grabbe: Don Juan und Faust, S. 37. Digitale Bibliothek] »Ja, aber wenn ich Ratgeber sein soll, müßte ich wissen, worum es sich handelt«, sagte Fräulein Bürstner. [Kafka: Der Prozeß, S. 39. Digitale Bibliothek] »Was haben Sie denn mit Ihren Beinen gemacht, darf ich das wissen?« hörte er sie fragen. [Heym: Der Dieb, S. 53. Digitale Bibliothek] DAMIS ([...]) Aber darf ich nicht wissen, meine Schöne, was Ihnen begegnet ist? Sie waren ja am Vormittage nicht so traurig. [Geliert: Die zärtlichen Schwestern, S. 54. Digitale Bibliothek] KUNIGUNDE: [...] Nehmt dies von meiner Hand, Herr Graf vom Strahl. DER GRAF VOM STRAHL ([...]:) Mein Fräulein! Kann ich wissen, was es ist? [Kleist: Das Käthchen von Heilbronn, S. 80. Digitale Bibliothek]
48 1.3.5
Thematisierung des Antwortveriialtens von Sp2
In den Frageäußerungen mit Zusatzformeln kann das Antwortverhalten von Sp2 thematisiert werden. Folgende zwei Formen lassen sich dabei unterscheiden: Spi kann durch die Zusatzformel das Antwortverhalten von Sp2 thematisieren, indem er fragt, was Sp2 antworten wird (z.B. Was sagst du (dazu),.... ?), indem er fragt, warum Sp2 nicht antwortet (z.B. Warum sagst du mir nicht, ... ?).
1.3.5.1
Fragen, was Sp2 antworten wird
Eine besondere Variante der Frageäußerungen sind mit was eingeleitete Fragesätze wie (i), oder, wenn der Gegenstand, um den es geht, schon eingeführt ist wie (ii). (i)
Was
sagst du I zu X? sagen Sie J
(ii)
Was
sagst du sagen Sie
(dazu)?
Beispiele aus dem Koφus sind (1) und (2). (1) (2)
Was sagen Sie hiezu: Sie leben bei uns wie das Kind im Hause, ich setze Sie gerichtlich zu meinem Erben ein! [Keller: Die Leute von Seldwyla, S. 511. Digitale Bibliothek] »Was sagen Sie zu meinem Vater?« Lächelnd versetzte sie: »Mich deucht, daß Sie ihn wohl zum Muster nehmen könnten. [Goethe: Wilhelm Meisters Wanderjahre, S. 295. Digitale Bibliothek]
Solche Zusatzformeln können auch konjunktivisch oder ftiturisch (was würden/werden Sie sagen) ausgedrückt werden wie in (3) und (4). (3) (4)
Was werden Sie sagen, wenn ich Sie ersuche, Ihre Stunden nicht weiter fortzusetzen? [Goethe: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit, S. 630. Digitale Bibliothek] LULU ([...]:) Was würden Sie jetzt sagen, wenn Sie zwei Stunden Parade stehen müßten? [Wedekind: Erdgeist, S. 20. Digitale Bibliothek]
49 1.3.5.2
Fragen, warum Sp2 nicht antwortet
In den Zusatzformeln kann Spi das Antwortverhalten von Sp2 thematisieren, indem er Sp2 eine >Warum-FTage№'a/'Km-Fragen< vgl. Kapitel 5.3.4 der vorliegenden Arbeit.
50 Für Χ kommen folgende Verben in Frage: antworten, sagen, sprechen, reden, fragen, erzählen, erklären, erläutern,
beschreiben,
begründen, informieren, berichten, raten, ... Zur Formulierung der Aufforderung stehen im Prinzip alle semantischen Muster zur Verfügung, die für Aufforderungen üblich sind/® Sie sollen hier nochmals genannt werden; AufForderungsformulierung mit dem Gebrauch der performativen Formel mit dem Verb (1.3.6.1) Aufforderungsformulierung nach dem semantischen Muster >Handlungszuweisung< (1.3.6.2) Aufforderungsformulierung nach den semantischen Mustern >Befolgungsfestlegung< und >Befolgungsfrage< (1.3.6.3) Aufforderungsformulierung nach den semantischen Mustern >Präferenzhinweis< und >Präferenzfrage< (1.3.6.4) Aufforderungsformulierung nach den semantischen Mustern >Kompetenzhinweis< und >Kompetenzfrage< (1.3.6.5) Aufforderungsformulierung nach dem semantischen Muster >deontischer Hinweis< (1.3.6.6)
1.3.6.1
Performative Äußerungen mit dem Verb bitten
Typische performative Formeln mit bitten + Verb des Sagens können folgende syntaktische Formen haben: Ich bitte dich/Sie, mir zu sagen,... Ich möchte dich/Sie bitten, mir zu sagen,... Ich will dich/Sie bitten, mir zu sagen,... Ich muß dich/Sie bitten, mir zu sagen,... Darf ich dich/Sie bitten, mir zu sagen,... Kann ich dich/Sie bitten, mir zu sagen,... Die Zusatzformeln variieren im Hinblick darauf, wie die verbalen Reaktionen, zu denen dabei aufgefordert werden sollen, ausgedrückt sind bzw. wie die Propositionen syntaktisch formuliert sind. Neben dem Verb sagen können auch Sprechaktverben wie beantworten, erzählen oder informieren verwendet werden. Beispiele aus dem Кофиз sind (l)-(4).
Für die ausfflhriiche Darstellung von vielfältigen grammatischen und lexikalischen Möglichkeiten der semantischen Muster wird auf die Arbeiten von Hindelang (1978) hingewiesen.
51 (1)
Nun bitte ich aber Sie, Herr Sekretär, mir zu sagen, ob die Meinung der Frau Wirtin richtig ist, [...]. [Kafka: Das Schloß, S. 188. Digitale Bibliothek] FRAU VON ERBSENSTEIN ([...]) Darf ich jetzt bitten, mir in Kürze zu sagen, warum Sie mich hierher beschieden? [Nestroy: Das Mädl aus der Vorstadt, S. 116. Digitale Bibliothek] Ich bitte Sie, beantworten Sie mir eine einzige Frage, was lernen die Herren dort? [Lenz: Die Soldaten, S. 15. Digitale Bibliothek] AGATHON: Was sahst du geschehen? Ich bitte dich, erzähle mir mehr davon! [Trakl: Aus goldenem Kelch. Maria Magdalena, S. 3. Digitale Bibliothek]
(2) (3) (4)
In (1), (3) und (4) wird die explizit-performative Formel verwendet, in (2) eine modalisierte performative Formel. In (1) und (2) ist die verbale Reaktion, zu der Sp2 aufgefordert wird, mit sagen
in ZM-Infmitivform ausgedrückt. In (3) und (4) sind zur Benennung der
Antwort die Sprechaktverben beantworten
und erzählen
gebraucht; dabei sind die A u f f o r -
derungsinhalte in Imperativkonstruktionen ausgedrückt. Kommunikativ-fiinktional gesehen können die Äußerungen ( l ) - ( 4 ) alle als F R A G E verstanden werden. Die Frageinhaite sind in ( I ) und (2) mit Nebensatzformen ausgedrückt, in (3) und (4) mit selbständigen Fragesätzen.
1.3.6.2
Handlungszuweisung
Die Zusatzformeln werden häufig mit Imperativsätzen ausgedrückt. Sie variieren im Hinblick darauf, wie die Handlungsinhalte ausgedrückt werden. Einige Beispiele aus dem К о ф и з werden hier in ( l ) - ( 5 ) ohne weitere Kommentare vorgestellt. (1) (2) (3) (4) (5)
AL WA: [...] {Zu Lulu:) Sagen Sie mir bitte, was ich tun soll. [Wedekind: Erdgeist, S. 98. Digitale Bibliothek] Sagen Sie mir doch ihren deutschen Namen: [Lessing: Der junge Gelehrte, S. 136. Digitale Bibliothek] »Erklären Sie uns doch, was dieses ist, wie es heißt? woher es ist, wie es zugeht, warum es so ist!« [Wieland: Geschichte der Abderiten, S. 80-81. Digitale Bibliothek] »Die Angelegenheit eilt sehr. Bitte informiere mich über den Fortgang.« [TAZ, 18.09.1990, Unschuldskanzler in der Klemme] Und diese Situation will ich wissen, will ich kennenlemen. Schildre sie mir; [...] [Fontane: Cécile, S. 281. Digitale Bibliothek]
Die äußerungseinleitende Formel Sag' mal, ... ist idiomatisch verfestigt. Sie dient dazu, die Aufmerksamkeit des Adressaten (Sp2) zu gewinnen und zu signalisieren, daß man an einer verbalen Reaktion von Sp2 interessiert ist. Häufig wird die Formel zusammen mit dem als Anrede verwendeten Eigennamen des Adressaten gebraucht.
52 Die Formel Sag' mal kann nicht nur FRAGEN vorgeschaltet werden wie in (6). Sie kann auch vor anderen Sprechakten stehen wie in (7)."^ Hier muß der an Jesus gerichtete Sprechakt als TADEL oder KRITIK verstanden werden. (6)
Aber nein, diese kleine Vorwitznase konnte nicht warten: »Mama, sag' mal, wie funktioniert eine Dampfmaschine? [...]« [Frankfurter Rundschau, 28.09.1998, Dampfmaschinen: ein fast liebevoll gepflegtes Hobby (MK)] Jesus, sag mal, spinnst du? Was soll denn der Unsinn nun wieder - komm sofort da runter die beiden andern auch! [Frankfurter Rundschau, 03.02.1999, Andreas Erdmanns Einfraustück (MK)]
(7)
1.3.6.3
Befolgungsfestlegung und Befolgungsfrage
In den Zusatzformeln kann Spi die Aufforderung zu einer Sprechhandlung formulieren, indem er sagt, daß Sp2 die Handlung ausführen wird. Die Zusatzformel kann mit sagen formuliert werden wie in (1) und (2). (1) (2)
MELCHIOR. [...]; Sie sagen mir, wer Sie sind, oder ich reiche dem Humoristen die Hand! [Wedekind: Frühlings Erwachen, S. 109. Digitale Bibliothek] Auf den Abend hoffe ich Sie bei mir zu sehn, und Sie sagen mir dann mehr von Ihrem angefangenen Narziß.« [Mörike: Maler Nohen, S. 443. Digitale Bibliothek]
Spi kann die Aufforderung zu einer Sprechhandlung auch formulieren, indem er fragt, ob Sp2 die Sprechhandlung ausführen wird (Befolgungsfrage). Beispiele aus dem Korpus sind (3) und (4). (3) (4)
Was hast du? Was auch gibt's? - Und still wird es: Nun? Wirst du antworten? [Kleist: Der zerbrochne Krug, S. 93. Digitale Bibliothek] »Würden Sie mir bitte sagen, was sie unter >Komplimentarität< verstehen?« fragte Alice. [Gilmore: Alice im Quantenland. 1995, S. 52]
Bei Befolgungsfragen finden sich Beispiele, denen eine >Befolgungsbewertung< vorangestellt ist.·*® Beispiele aus dem K o φ u s sind (5) und (6). (5)
»Pardon mein Herr«, begann der Mechaniker, »wären Sie so freundlich und erzählten meiner kleinen Freundin hier etwas über Vielteilchensysteme?« [Gilmore: Alice im Quantenland. 1995, S. 87] Es ist aufïâllig, daß der Formel Sag' mal immer selbständige Fragesätze folgen müssen. Würde ein Nebensatz angeschlossen wie in (6'), würde der spezifische Charakter der Formel verloren gehen. (6') Mama, sag" mal, wie eine Dampfmaschine funktioniert. Vgl. Hindelang (1978: 523-524).
53 (6)
FLOTTWELL. Mein lieber Freund, wollt Ihr so gut sein, mir zu sagen, wie Euer gnädger Herr wohl heißt und wie lang er dieses Schloß besitzt? [Raimund: Der Verschwender, S. 106. Digitale Bibliothek]
1.3.6.4
Präferenzhinweis und Präferenzfrage
Bei der Thematisierung der Präferenzdimension haben sich im Кофиз keine eindeutigen Beispiele für Präferenzhinweise gefunden. Die Formulierung durch einen Präferenzhinweis wie im konstruierten Beispiel (1), die die Angabe des Frageinhalts enthält, (1)
Ich will, daß du mir sagst, was hier los ist.
dürfte deshalb nicht belegbar sein, weil >Ich will, daß du mir sagsH eine Form ist, die zum INSISTIEREN auf einer FRAGE gebraucht wird. Bei insistierenden FRAGEN (NACHHAKEN)"" ist der Frageinhalt aber schon im ersten Zug genannt worden. Als insistierender Sprechakt wie in (2) und (3) finden sich Äußerungsformen, mit denen Spi auf seine Präferenz hinweist. (2)
(3)
»Warum antworten Sie mir nicht? - Seh ich nicht, daß es Ihnen das Herz abdrücken will, Ihren Verdruß auszugießen? Und ich will haben, daß Sie reden. Sie dürften sonst wunder glauben, was für weise Dinge Sie verschweigen.« [Schiller: Der Geisterseher, S. 129. Digitale Bibliothek] Ich will, daß du mir von der Fee reden sollst, und du redst mir immer nur von ihrem Mädchen? [...] [Wieland: Die Abenteuer des Don Sylvio von Rosalva, S. 239. Digitale Bibliothek]
Häufiger belegt sind bei der Thematisierung der Präferenzdimension Beispiele für Präferenzfragen wie (4)-(6). (4) (5) (6)
49
AL WA: Wollen Sie mir bitte sagen, wovon Sie denn eigentlich sprechen? [Wedekind: Die Büchse der Pandora, S. 24. Digitale Bibliothek] MELCHIOR. Wollen Sie mir sagen, wer das Pulver erfunden hat? [Wedekind: Frühlings Erwachen, S. 109. Digitale Bibliothek] »Anscheinend bin ich die Ausnahme von der Regel. Wollen Sie mich nicht informieren?« [Pinkwart, Mord ist schlecht für hohen Blutdruck, Kriminalroman. München, 1963, S. 58 (MK)]
Zu NACHHAKEN vgl. Kap. 5.5 der vorliegenden Arbeit.
54 1.3.6.5
Kompetenzhimveis und Kompetenzfrage
In den Zusatzformeln kann Spi die Aufforderung zu einer Sprechhandlung formulieren, indem er auf die Kompetenz oder Möglichkeit von Sp2 zur Ausflihrung einer Informationshandlung hinweist, oder indem er Sp2 nach dieser Kompetenz oder Möglichkeit fragt. Beispiele aus dem K o φ u s sind (l)-(6)· (1)
»Sieh da«, sprach diese, »der Lehrer, das ist schön, da können Sie mir gleich sagen, was das für Bretter sind?« [Ebner-Eschenbach: Das Gemeindekind, S. 182. Digitale Bibliothek] »Können Sie uns sagen, wo wir uns gerade befinden?« »Im Auto«, [...]. [Mannheimer Morgen, 15.04.1989, Unterhaltung (MK)] »Kannst du sagen, warum du weinst?« [STERN, 03.12.1987, Medizin (MK)] »Guter Freund«, redete er ihn an, »könnt Ihr mir nicht sagen, wie der Herr heißt, dem dieses wunderschöne Haus gehört mit den Fenstern voll Tulipanen, Sternenblumen und Levkojen?« [Hebel: Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes, S. 192. Digitale Bibliothek] »Können Sie mir erklären, was Energie überhaupt wf?« [Gilmore: Alice im Quantenland. 1995, S.20] »Ruhe bitte«, sagte der Lehrer. »[...] Es mag jetzt so aussehen, als könne es überhaupt keine Veränderung geben. Kann mir irgendwer sagen, was sich ändern könnte?« [Gilmore: Alice im Quantenland. 1995, S.90]
(2) (3) (4)
(5) (6)
1.3.6.6
Deontischer Hinweis
Prinzipiell können deontische Hinweise durch die Modalverben müssen und sollen und durch den modalen Infinitiv {haben + zw-Infinitiv) ausgedrückt werden.'" Im K o φ u s haben sich aber keine Beispiele mit haben + zu-Infinitiv gefiinden. Beispiele mit müssen und sollen aus dem Кофиз sind unter ( l ) - ( 4 ) belegt. (1)
(2) (3)
(4)
50
ANTON. [...] - Aber in welcher Stadt sind die Leute? DAMIS. In welcher Stadt? ANTON. Ja; ich muß hin, sie kennen zu lernen. Sie mOssen mir sagen, wie sie es angefangen haben. - [Lessing: Der junge Gelehrte, S. 62. Digitale Bibliothek] »Kurz und gut, du sollst einmal sagen, was du gegen die Anna hast, daß du dich so gegen sie benimmst?« [Keller: Der grüne Heinrich [Erste Fassung], S. 520. Digitale Bibliothek] »Woher weißt du das?« fragte Sali. »Gelt, wenn ich es sagen wollte!« - »Du willst es nicht sagen?« - »Nein!« - »Gewiß nicht?« - »Nein, nein!« - »Du sollst es sagen!« - »Willst du mich etwa zwingen?« [Keller: Die Leute von Seldwyla, S. 147-148. Digitale Bibliothek] »1st das aber auch wahr?« fragte der Polizeimann schon schwächer. »Und wenn es wahr ist, warum gibt der Junge vor, entlassen zu sein?« »Du sollst antworten«, sagte Delamarche. [Kafka: Amerika, S. 303. Digitale Bibliothek]
Beispiele fur eine deontische Frage wie >M«jS/ du mir nicht sagen, was hier los ist?< haben sich im Korpus nicht gefunden.
2.
FRAGE-Handlung und Sequenzmuster im FRAGEANTWORT-Dialog
Im ersten Kapitel wurden die im Deutschen gebräuchlichen Frageäußerungen dargestellt. Im folgenden Kapitel soll nun das Handlungsmuster FRAGEN und seine Rolle in der FRAGE-ANTWORT-Interaktion beschrieben werden. Zunächst soll in 2.1 eine Definition der FRAGE-Handlung gegeben und anschließend diskutiert werden. Dabei wird die Abgrenzung der FRAGE von anderen verwandten Handlungsmustem vorgenommen. Im darauf folgenden Abschnitt 2.2 werden die Annahmen beschrieben, die der Sprecher (Spi) zum Vollzug einer FRAGE-Handlung macht, und es wird dargestellt, was kommunikativ passieren kann, wenn diese Annahmen nicht zutreffen. Danach wird in 2.3 die Dialoggrammatik als theoretische Grundlage der Untersuchung des FRAGENS im FRAGEANTWORT-Dialog kurz vorgestellt. Dabei werden sowohl dialoggrammatische Begriffe als auch einzelne Reaktionszüge im FRAGE-ANTWORT-Dialog eriäutert. In 2.4 werden dann einzelne Sequenzmuster des FRAGE-ANTWORT-Dialogs und ihre sprachlichen Realisierungsformen anhand typischer Beispiele aus dem Korpus vorgeführt. Abschließend werden in 2.5 verschiedene Aspekte diskutiert, die bei einer Typologisierung von FRAGE-Handlungen berücksichtigt werden können. Dabei werden nicht nur initiale FRAGE-Typen, sondern auch sequenzabhängige und kommunikationsvorbereitende FRAGE-Typen bei der Typologisierung berücksichtigt.
2.1
Definition der FRAGE-Handlung
Eine Äußerung, die Spi an Sp2 richtet, soll als FRAGE gelten, wenn folgende Bedingungen voriiegen: Bl:
Spi will, daß Sp2 X tut.
B2: B3 :
Spi beabsichtigt, Sp2 durch die Äußerung' dazu zu bewegen, daß Sp2 X tut. X ist die Ausführung einer sprachlichen Handlung (ANTWORTEN).
1
Hier ist mit >Äußerung< eine verbale Äußerung gemeint. Sp2 kann zwar auch aus einer non-verbalen Geste eine FRAGE herauslesen und darauf eine verbale ANTWORT geben (vgl. Goffinan (1976: 290)). Auf solche Fälle soll hier aber nicht eingegangen werden.
56 Durch B 1 - B 3 wird die FRAGE-Handlung als ein besonderer Typ des AUFFORDERNS^ definiert. Diese Definition schließt sich den Auffassungen von Searle, Hundsnurscher und Hindelang an, um nur einige Vertreter dieser Auffassung zu nennen. [...] asking questions is really a special case of requesting, viz., requesting information (real question) or requesting that the hearer display knowledge (exam question). (Searle 1969: 69) Nach Searle sind fragen als aufforderungen zu verstehen, eine bestimmte information zu liefern. Das würde bedeuten, daß fragen zu einem einheitlichen sprechakt auffordern, den man mit >informationsabgabe< umschreiben könnte. Ich möchte demgegenüber die these aufstellen, daß fragen aufforderungen zu unterschiedlichen sprechakten sind. (Hundsnurscher 1975:10) Eine wichtige Untergruppe der AUFFORDERUNGEN stellen die FRAGEN dar. Bei einer FRAGE ist X eine sprachliche Handlung. Spi fordert Sp2 dazu auf, durch eine sprachliche Handlung ein Wissensdefizit bei Spi zu beheben. (Hindelang 1983: 54) Die Bedingung BS muß noch näher spezifiziert werden. Als ANTWORT gilt hier ausschließlich der >positive BescheidAntwortAntworti bezeichnet werden können."* Aufgrund der Bedingungen B 1 - B 3 sind FRAGEN verwandt mit verschiedenen AUFFORDERUNGEN zu sprachlichen Handlungen wie z.B. BITTE-um-VERSPRECHEN oder BITTE-um-ERLAUBNIS. Die Unterscheidung zwischen solchen Sprechakten und den FRAGEN läßt sich dadurch treffen, daß man herausarbeitet, worauf sich Sp2 im reaktiven Zug festlegt.' Bei einer BITTE-um-VERSPRECHEN und einer BITTE-um-ERLAUBNIS soll sich Sp2 darauf
Zur Beschreibung des allgemeinen Handlungsmusters AUFFORDERN und dessen Untermuster vgl. Hindelang (1978). Vgl. dazu Poggi/Castelfranchi/Parisi (1981) und Heringer (1974: 160-174). Das Verb >antworten< und das Substantiv >Antwort< haben sehr unterschiedliche Lesarten, die systematisch untersucht werden müßten. Mit ihnen bezieht man sich nicht nur auf den positiven Bescheid (ANTWORT-GEBEN) im FRAGE-ANTWORT-Dialog, sondern allgemein auf eine verbale (oder auch non-verbale) Reaktion in ganz unterschiedlichen Kommunikationszusammenhängen. In dieser Lesart ist antworten dann gleichbedeutend mit entgegnen. Vgl. dazu z.B. Klinke (1976), Öhlschläger (1980) und Walther (1985: 47fî.). Unterschiedliche Festlegungen gehören zu Regeln bestimmter Interaktionsspiele (vgl. Fritz (1982: 229-241)).
57 festlegen, eine zukünftige Handlung auszuführen oder zu unterlassen.® In beiden Fällen zielt Spi also darauf ab, daß Sp2 im reaktiven Zug einen kommissiven Sprechakt^ äußert. Bei einer BITTE-um-VERSPRECHEN und einer BITTE-um-ERLAUBNIS wird der Befugnis- und Verantwortungsbereich von Sp2 thematisiert. Im Unterschied dazu wird bei FRAGEN der Kognitionsbereich von Sp2 angesprochen, insbesondere sein Wissen und seine Überzeugungen. Bei ANTWORTEN legt sich Sp2 darauf fest, daß die in der ANTWORT dargelegten Wissens- und Überzeugungsinhalte wahr sind, wie das auch bei anderen repräsentativen Sprechakten' der Fall ist. Im deutlichen Unterschied zu einer AUFFORDERUNG-KOMMISSIV-Interaktion wird also in einer FRAGE-ANTWORT-Interaktion immer nur ein Wissens- bzw. Überzeugungszustand von Sp2 thematisiert. Dieser Umstand hat dazu geführt, daß die FRAGEHandlung in der Forschung oft über den Begriff des >Wissensdefizits< definiert wurde. Spi (der Fragende) hat nach solchen Definitionen bei einer FRAGE-Handlung ein Wissensdefizit und beabsichtigt, durch die FRAGE dieses Defizit zu beheben. Einige Beispiele für solche Definitionen sind im folgenden aufgeführt: 5 does not know >the answen, i.e., does not know if the proposition is true, or, in the case of the prepositional function, does not know the information needed to complete the proposition truly. (Searle 1969: 66) Denn das Ziel des Fragens ist es, etwas herauszubekommen, etwas zu erfahren, was man noch nicht weiß. {Heringer 1974: 160) Der Wissensanspruch definiert Fragehandlungen, die ich EXPLORATIVE nenne. Fragehandlungen zielen auf einen perlokutiven Sprechakt des ANTWORTENs (RESPONSIVE), der den Wissensanspruch erfüllen soll. (Weigand 1989: 87) Eine erste allgemeine bedingung [für FRA (Y)], [...], ist i) PI weiß nicht Y. Außerdem gilt ii) PI will Y wissen. (Haefele 1974: 174) Fragen haben etwas mit Wissensprobiemen zu tun, die man klären möchte. (Frier 1981: 42) Unter Fragehandlungen sollen Sprechakte verstanden werden, deren Ziel darin besteht, den Adressaten zu einer Auskunft zu bewegen, die ein kognitives Defizit beim Sprecher behebt. (Hindelang 1981:215)
Bei bestimmten Typen von FRAGE-Handlungen geht Spi zweifellos von einem Wissensdefizit aus wie z.B. bei einer INFORMATIONSFRAGE. Es gibt jedoch auch andere Typen von FRAGE-Handlungen, bei denen es nicht relevant ist, ob Spi ein Wissensdefizit Diese Beschreibung impliziert, daß ERLAUBNISSE als kommissive Sprechakte zur Unterlassung von Sanktionshandlungen verstanden werden sollen. Diese Auffassung findet man bei Hindelang (1983: 110 und 1998: 314-316) und Graffe (1990: 66; 223-241). Zur Beschreibung von unterschiedlichen >kommissiven Sprechakten< vgl. Graffe (1990). Zur Beschreibung von unterschiedlichen >repräsentativen Sprechakten< vgl. Rolf (1983).
58
hat oder nicht. So kann es z.B. sein, daß in einem Interview Spi (der Interviewer) FRAGEN stellt, deren ANTWORTEN er bereits kennt.' Auch in Prüfimgsgesprächen muß man davon ausgehen, daß Spi (der Prüfer) die richtige ANTWORT auf seine FRAGE kennt. Man kann allerdings sagen, daß der Prüfer bei PRÜFUNGSFRAGEN eine andere Form von Wissensdefizit hat, nämlich, daß er nicht weiß, ob der Prüfling (Sp2) seine FRAGEN beantworten kann, d.h. ob er die Wissensinhalte, auf die sich die FRAGEN beziehen, zur Verfügung hat. Ein solches Wissensdefizit, das als Wissensdefizit zweiter Stufe bezeichnet werden könnte, unterscheidet sich aber deutlich von dem Wissensdefizit bei einer INFORMATIONSFRAGE. Das kommunikative Ziel von Spi in einem Informationsgespräch besteht ausschließlich darin, durch die FRAGE sein Wissensdefizit zu beheben. Im Unterschied dazu kann die Behebung eines >Wissensdefizits zweiter Stufe< nicht das alleinige kommunikative Ziel von Spi (Prüfer) in einem Prüfungsgespräch sein. Der Prüfer ist dabei vielmehr dazu veφflichtet, durch die FRAGEN eine Bewertungsgrundlage für den formalen Abschluß einer bestimmten Bildungsphase des Prüflings (Sp2) zu schaffen. Für eine genauere Beschreibung der PRÜFUNGSFRAGEN und anderer Untertypen von FRAGEN müssen daher weitere, über den unmittelbaren Zweck der einzelnen FRAGEN hinausgehende, kommunikative Zwecke berücksichtigt werden.'" Die Thematisierung von Wissens- bzw. Überzeugungszuständen von Sp2 bzw. die FRAGE danach ist zunächst unabhängig davon, ob ein Wissensdefizit bei Spi vorliegt oder nicht. Auf diesem Hintergrund kann man die FRAGE-Handlung definieren, ohne bei der Definition schon die einzelnen unterschiedlichen Typen berücksichtigen zu müssen, wie das z.B. bei Searle (1969: 66) der Fall ist, wenn er schreibt: There are two kinds of questions, (a) real questions, (b) exam questions. In real questions 5 wants to know (find out) the answer, in exam questions, S wants to know if H knows.
In institutionellen Kommunikationen, wie z.B. bei der Vernehmung in einer Gerichtsverhandlung oder beim Vorstellungsgespräch kommen auch >Befragungen< vor, bei denen Spi Fragen über Tatsachen stellt, die ihm schon aus anderen Informationsquellen (z.B. Polizeiakten und Bewerbungsschreiben) bekannt sind (vgl. Kranz (1995) und Hoffmann (1983)). 10 Vgl. dazu Kapitel 2.5.1 der vorliegenden Arbeit.
59
2.2
Die FRAGE-Handlung im kommunikativen Prozeß
Bei einer FRAGE-Handlung macht Spi gegenüber Sp2 verschiedene Annahmen: Al : Spi nimmt an, daß es (mindestens) eine ANTWORT auf die FRAGE gibt. A2: Spi nimmt an, daß
A3:
(i) (ii)
iceine akustisch bedingten Verständigungsschwierigkeiten bestehen, daß die Äußerung sowohl in syntaktischer Hinsicht als auch im Hinblick auf die lexikalische Auswahl ausreichend und zutreffend formuliert ist,
(iii)
daß der propositionale Inhalt verständlich ist,
(iv)
daß die illokutionäre Handlung erkennbar ist.
A4:
Spi nimmt an, daß Sp2 die vorausgesetzten Wissenszustände zur Verfugung hat, d.h. daß Sp2 die ANTWORT weiß." Spi nimmt an, daß Sp2 nicht ohnehin sagen wird, worauf er (Spi ) als ANTWORT
A5:
mit der FRAGE abzielt. Spi nimmt an, daß die FRAGE angemessen ist, d.h. daß
A6: A7:
(i)
Spi aufgrund der sozialen Beziehung zu Sp2 zu der Fragehandlung berechtigt ist,
(ii)
daß der Frageinhalt im kommunikativen Zusammenhang relevant ist,
(iii)
daß die Fragehandlung im kommunikativen Zusammenhang akzeptabel und
ίnteφretierbar ist. Spi nimmt an, daß Sp2 willens ist, ihm die ANTWORT zu geben. Spi nimmt an, daß Sp2 bereit ist, auf die (von ihm initiierte) Kommunikation einzugehen.
Die Aufstellung dieser Armahmen A1-A7 ist in mehreren Punkten mit dem Vorschlag zur Beschreibung einzelner Sprechakte von Searle (1969: 57-61) vergleichbar. Im Unterschied zu den von ihm aufgestellten Bedingungen, durch deren Angabe ein illokutionärer Akt wie z.B. >Versprechen< vollständig bestimmt werden soll, sind die oben genannten Annahmen A1-A7 im wesentlichen als kommunikative Bedingungen oder kommunikative Voraussetzungen zu verstehen, die je nachdem, wie weit sie erfüllt sind, verschiedene Verlaufsmöglichkeiten eines FRAGE-ANTWORT-Dialogs eröffnen. In der kommunikativen Performanz, d.h. bei konkreten Vollzügen von FRAGE-Handlungen, darf man nicht voraussetzen, daß sich der Sprecher diese Annahmen im einzelnen
" Diese Annahme gilt für alle FRAGE-Typen wie auch für PRÜFUNGSFRAGEN. Der Prüfer nimmt an, daß Frageinhalte zu den prüfungsrelevanten Lembereichen gehören, so daß der Prüfling die ANTWORTEN prinzipiell kennen muß.
60 ins Bewußtsein ruft oder darüber nachdenkt, ob sie vorliegen. Es ist allerdings nicht auszuschließen, daß der Sprecher solche Überlegungen anstellt, wenn er mit dem Adressaten oder der Kommunikationssituation nicht vertraut ist. Ist Spi unsicher, ob die für eine FRAGE notwendigen Bedingungen in der konkreten Situation vorliegen, kann er sich durch entsprechende VORFRAGEN Klarheit verschaffen.'^ Nicht selten werden diese VORFRAGEN auch in die Äußerungsform zum Vollzug der FRAGE integriert wie z.B. in (1ИЗ)." (1) (2)
(3)
Aber, о Himmel! sage mir, wenn du es weißt, was ist aus meiner armen Princessin worden? [Wieland: Die Abenteuer des Don Sylvio von Rosalva, S. 303. Digitale Bibliothek] (Vgl. A3) »Wenn du von jenen Zeiten sprechen willst: wer war denn schuld, daß wir die Kleider, die unsem Puppen angepaßt und auf den Leib festgenäht waren, heruntertrennen ließen und den Aufwand einer weitläufigen und unnützen Garderobe machten? [...]« [Goethe: Wilhelm Meisters Lehijahre, S. 51. Digitale Bibliothek] (Vgl. A6) CLAVIGO. Höre, Carlos, ich kann den Ton des Rückhalts an Freunden nicht ausstehen. Ich weiß, du bist nicht für diese Heirat; demungeachtet, wenn du etwas dagegen zu sagen hast, sagen willst: so sag's geradezu! Wie steht denn die Sache? wie verhält sie sich? [Goethe: Clavigo, S. 49. Digitale Bibliothek] (Vgl. A6)
Ansonsten werden die Annahmen bei den Kommunikationspartnem nur dann thematisiert oder ins Bewußtsein gerufen, wenn die Kommunikation fehlschlägt oder ein Mißerfolg droht. Insbesondere wenn Spi die Annahme A4 nicht macht, d.h. wenn er annimmt, daß Sp2 ohnehin die relevante Information mitteilt, wird er die FRAGE-Handlung unterlassen. In solchen Fällen kann es sein, daß Spi die Information nicht erhäU; die Annahme A4 wäre in diesem Fall dann doch richtig gewesen. Es kann daher vorkommen, daß die ausgebliebene FRAGE-Handlung in einem späteren kommunikativen Zusammenhang thematisiert wird wie z.B. in (4). (4)
»Warum hast du mir das nicht gesagt?« - »Du hast mich nicht gefragt. Herr«, [Kafka: Das Schloß, S. 50. Digitale Bibliothek]
Hier macht Sp2 durch die Äußerung Du hast mich nicht gefragt deutlich, daß eine FRAGE-Handlung die Voraussetzung für eine entsprechende Informationshandlung gewesen wäre. Wenn die Annahmen A1-A7 von Spi gegenüber Sp2 zutreffen, sind die notwendigen und hinreichenden Gelingensbedingungen für die Kommunikation zwischen Spi und Sp2
Eine Darstellung von VORFRAGEN wird im Kapitel 2.5.3.2 der vorliegenden Arbeit gegeben. " Zu Thematisierungsmöglichkeiten verschiedener Handlungsaspekte in Äußerungsformen vgl. Kapitel 1 der vorliegenden Arbeit.
61 gegeben. Wenn mindestens eine der Annahmen von Spi nicht zutrifft, kann die Kommunikation verzögert oder im schlimmsten Fall blockiert werden. Im einzelnen können folgende Formen von Behinderungen oder Verzögerungen einer erfolgreichen Kommunikation auftreten: (i)
Wenn A1 nicht zutrifft, kann Sp2 die FRAGE ZURÜCKWEISEN.
(ii)
Wenn A2 nicht zutrifft, kann Sp2 eine RÜCKFRAGE oder NACHFRAGE stellen.'^
(iii)
Wenn A3 nicht zutrifft, erreicht Spi sein kommunikatives Ziel nicht. Sp2 wird in diesem Fall sagen müssen, daß er die ANTWORT nicht weiß (PASSEN).
(iv)
Wenn A5 nicht zutrifft, kann Sp2 HrNTERFRAGEN'^ warum Spi das wissen will, oder er kann auch die FRAGE als unangemessen ZURÜCKWEISEN.
(v)
Wenn A6 nicht zutrifft, kann Sp2 die ANTWORT VERWEIGERN oder der FRAGE AUSWEICHEN.
(vi)
Wenn A7 nicht zutrifft, kann die sprachliche Handlung von Spi als ganze ÜBERGANGEN werden.'® Wenn Sp2 sich auf die von Spi angebotene Kommunikationssituation überhaupt nicht einläßt (sie übergeht oder ignoriert), ist das die stärkste Form der Verweigerung von Kommunikation. Sp2 läßt Spi allenfalls wissen, daß er nicht mit ihm kommunizieren will, d.h. Sp2 kommuniziert nur im minimalen Grade, daß er Spi wissen läßt, daß er mit ihm nicht sprechen will.''
2.3
Dialoggrammatik als Grundlage der Untersuchung der FRAGEANTWORT-Interaktion
Im folgenden sollen nun die FRAGEN im Interaktionszusammenhang von FRAGE und ANTWORT im Detail analysiert werden. Bevor diese Analyse im Rahmen der Dialoggrammatik vorgenommen werden soll, muß darauf hingewiesen werden, daß hier die FRAGE-ANTWORT-Beziehung in einer kommuniktiv-interaktionalen, d.h. in einer dialogischen Perspektive behandelt wird, und nicht im logisch-semantischen Zusammenhang, in
Zu den Fragemustem RÜCKFRAGE und NACHFRAGE vgl. Kap. 5.1 und 5.2 der vorliegenden Arbeit. Zum Fragemuster HINTERFRAGEN vgl. Kap. 5.3 der vorliegenden Arbeit. Zu ÜBERGEHEN im Dialogspiel vgl. Hundsnurscher (1997: 134). Vgl. Watzlawick/Beavin/Jackson (1969: 50-53), die in diesem Zusammenhang auf die »Unmöglichkeit, nicht zu kommunizieren«, nachdrücklich hingewiesen haben.
62 dem hauptsächlich die Beziehung von Propositionen von Bedeutung ist. Zahlreiche Arbeiten der Fragelogik (>InterrogativIogik< bzw. >erotetic logickonventionellen< und >nicht dialogspezifischen< Zügen und charakterisiert diese beiden Reaktionstypen wie folgt: In Abhängigkeit von dem initiativen Sprechakt eröffnen sich dem Dialogpartner konventionelle Reaktionsmöglichkeiten im Gegenzug: Vorschläge können übernommen oder verworfen werden, Bitten kann entsprochen werden oder sie können abgelehnt werden, auf Vorwürfe hin kann man sich entschuldigen oder sie zurückweisen, Behauptungen kann man zustimmen oder sie bestreiten usw. [...] Vorwürfe können auch übergangen oder bewußt mißverstanden werden, ähnliches gilt fur Warnungen, Angebote, Aufforderungen usw. Diese Möglichkeiten sind generell gegeben, sie sind nicht dialogspezifisch und können daher nicht als konstitutive Züge eines Dialogmusters angesehen werden. Franke trifft eine ähnliche Unterscheidung, wenn er von >spezifischen< und >nicht-spezifischen< reaktiven Sprechakten spricht. Franke (1981: 243) charakterisiert solche Reaktionshandlungen wie folgt: Reaktionshandlungen lassen sich grundsätzlich unterscheiden in solche, mit deren Vollzug sich ein Hörer Sp2 bereits im 2. Zug einer Sequenz definitiv und explizit zugunsten oder entgegen dem Handlungsziel eines Sprechers festlegt - ich habe solche reaktiven Sprechakte als >spezifische< bezeichnet - und diejenigen, mit deren Vollzug keine solche verbindliche Festlegung seitens des Hörers erfolgt. Es handelt sich hierbei um die >nichtspezifischen< reaktiven Züge, die zudem dadurch charakterisiert sind, daß sie als Reaktionshandlungen auf sehr unterschiedliche Initialsprechakte auftreten können. Die >konventionellen< bzw. >spezifischen< Reaktionsmöglichkeiten sind für einen bestimmten Dialogtyp charakteristisch bzw. konstitutiv, d.h. durch solche charakteristischen Züge wird ein Dialogtyp von anderen unterschieden. Zu den >nicht-spezifischen< reaktiven
^^ Weigand (1995: 391) spricht von der grundsätzlich »wechselseitigen Abhängigkeit der kommunikativen Einzelhandlungen«.
64 Sprechakten gehören nach Franke (1980, 1981 und 1990: 16-21) reaktive Sprechakte wie >NACHFRAGENZURÜCKWEISENHINTERFRAGEN< und >AUSWE1CHENspezifischen< und >nicht-spezifischen< Reaktionsmöglichkeiten berücksichtigen. In diesem Sinne analysiert Hindelang (1995: 181 und Anm. 1 auf S. 179) die reaktiven Züge im FRAGE-ANTWORT-Dialog wie folgt: Der Reaktionszug >ANTWORT GEBEN< gilt als >positiver Bescheid< und >ANTWORT VERWEIGERN< als >negativer Bescheidspezifische< Reaktionsmöglichkeiten von Sp2 im zweiten Zug. Als >nicht-spezifische< Reaktionstypen gelten reaktive Sprechakte wie >NACHFRAGENZURÜCKWEISEN< und >PASSENspezifischen< und >nicht-spezifischen< Reaktionstypen^^ - hier schon genannt werden. Wenn Spi durch eine FRAGE einen FRAGE-ANTWORT-Dialog eröffnet, hat Sp2 zunächst die Möglichkeiten, die FRAGE zu BEANTWORTEN oder zu PASSEN bzw. die ANTWORT zu VERWEIGERN. Er hat aber auch noch weitere Handlungsaltemativen. Er kann verschiedene Klärungs-FRAGEN (RÜCKFRAGEN, NACHFRAGEN oder HINTERFRAGEN) stellen. Er kann aber auch die FRAGE ZURÜCKWEISEN, der FRAGE AUSWEICHEN oder eine GEGENFRAGE stellen.'" Wenn Sp2 im zweiten Zug eine bestimmte dialogkonstitutive Reaktion gegeben hat, hat Spi im dritten Zug wieder verschiedene Reaktionsalternativen. Er kann die ANTWORT von Sp2 ohne weiteres AKZEPTIEREN^^ oder auch Klärungs-FRAGEN stellen. Wenn Sp2 im zweiten Zug eine Klärungs-FRAGE gestellt hat, kann Spi im dritten Zug KLÄRUNGEN oder BEGRÜNDUNGEN abgeben. Wenn Sp2 im zweiten Zug einen im Sinne von Spi negativen Bescheid gibt, d.h. wenn er PASST, die ANTWORT VERWEIGERT,
25
Im folgenden bleibt also die Begriffsunterscheidung zwischen >spezifischen< und >nichtspezifischen< Reaktionsmöglichkeiten unberücksichtigt. Der Grund dafür ist, daß sie für eine dialogtypinterne Beschreibung der zulässigen Reaktionsmöglichkeiten keine fundamentale Rolle spielt. Es ist anzumerken, daß nicht alle Äußerungen, die Sp2 auf eine FRAGE von Spi hin macht, im Rahmen der Beschreibungskonzeption der Dialoggrammatik als >dialogkonstitutiv< angesehen werden. Es gibt Äußerungen wie z.B. Schwierige Frage oder Lassen Sie mich überlegen, durch die lediglich »der Vollzug einer dialogkonstitutíven Sprechhandlung hinausgezögert« wird (Franke 1990: 121). Mit solchen Äußerungen signalisiert Sp2 zunächst, daß er weiß, daß er im Gespräch an der Reihe ist, etwas zu sagen. Eine solche Zugübemahme ist eine notwendige, aber noch keine hinreichende Bedingung für die Konstitution eines selbständigen Zugs, der zum Dialogverlauf beiträgt. Eine ausfuhrliche Beschreibung des Reaktionszuges AKZEPTIEREN sowohl auf einen positiven als auch auf einen negativen Bescheid wird im folgenden Abschnitt 2.3.2 gegeben.
65 die FRAGE ZURÜCKWEIST, der FRAGE AUSWEICHT oder eine GEGENFRAGE stellt, kann Spi entweder den negativen Bescheid einfach AKZEPTIEREN oder darauf INSISTIEREN, daß Sp2 doch noch eine A N T W O R T gibt (>NACHHAKEN bedeutet eine Weiterführung des Dialogs.
Spi im 3. Zug
66 2.3.2
>Minimal-Dialog
Minimal-Dialogs< zu erläutern, der für die Dialoggrammatik eine zentrale Rolle spielt. Dieser Begriff ist insbesondere für eine Beschreibung der Dialogeinheit und eine Klassifikation verschiedener Dialogtypen von Bedeutung. Hundsnurscher (1984: 80) definiert den >Minimaldialog< wie folgt: Er [der Minimaldialog] beschränkt sich auf Initialsprechakt und positiven oder negativen Bescheid im zweiten Zug.
Franke (1990) faßt den Begriff des >Minimal-Dialogs< etwas anders auf Für ihn ist eine Sprechaktsequenz dann ein Minimal-Dialog, wenn sie »durch eine spezifische Reaktionshandlung von S2 abgeschlossen worden ist, mit deren Vollzug eine definitive Entscheidung im Hinblick auf das Handlungsziel von S1 herbeigeführt wurde« (Franke 1990: 25). Damit sind nach Franke (1990: 41) sowohl zweizügige als auch drei- und vierzügige Minimal-Dialoge möglich. Im folgenden soll durchgängig ein dreizügiges Minimal-Dialog-Modell gewählt werden. Es soll in erster Linie dazu dienen, interne Sequenzverläufe von FRAGE-ANTWORT-Dialogen zu beschreiben. Es läßt sich wie folgt [Schema 2-II] darstellen: [Schema 2-II] Spi im I.Zug
Initialer Sprechakt (ISA)
/ \
Sp2 im 2. Zug
Spl im 3. Zug
Positiver reaktiver Sprechakt (PRSA)
Akzeptierender reaktiver Sprechakt (AKZEPTIEREN)
Negativer reaktiver Sprechakt (NRSA)
Akzeptierender reaktiver Sprechakt (AKZEPTIEREN)
In dieser Konzeption wird davon ausgegangen, daß Spl, der einen FRAGE-ANTWORTDialog eröffhet, ihn auch abschließt, d.h. Spl schließt im dritten Zug den von ihm eröffneten Minimal-Dialog dadurch ab, daß er den von Sp2 gegebenen positiven oder negativen Bescheid AKZEPTIERT.'®
Das AKZEPTIEREN eines positiven Bescheides blieb bei Sequenzbeschreibungen der Dialogstruktur bisher meistens unbeachtet. Das AKZEPTIEREN eines negativen Bescheides wird bei
67 Nach dem hier gewählten dreizügigen Modell endet ein Minimaldialog immer mit einem AKZEPTIEREN im 3. Zug. Das AKZEPTIEREN kann sowohl durch unterschiedlich ausgeprägte sprachliche Äußerungen als auch durch non-verbale Gesten realisiert werden. Die Reaktionsformulierungen für AKZEPTIEREN lassen sich grob wie folgt [Schema 2-III] darstellen: [Schema 2-III]
Positiver reaktiver Sprechakt
Negativer reaktiver Sprechakt
Ai) Spezifische Äußerungsformen -s (z.B. Ja, Aha, Ahja, Ach so, Gut, O.K.) (ii) Inhaltliches Zustimmen AKZEP- ^ (z.B. Das hab' ich mir schon TIEREN gedacht.) (iii) Non-verbale Reaktionen (z.B. Kopfnicken) 1(ίν)Φ J
Al) Spezifische Äußerungsformen > (z.B. O.K., Auch gut, Na dann halt nicht. ) (ii) Explizite Akzeptierensäußerung AKZEP- ^ (z.B. Mußt du mir ja auch nicht TIEREN unbedingt sagen.) (iii) Non-verbale Reaktionen (z.B. Achselzucken, Kopfnicken) 1(ίν)Φ J
Beim AKZEPTIEREN eines positiven Bescheids, d.h. wenn Sp2 die gewünschte ANTWORT gibt, hat Spi vier Möglichkeiten, das AKZEPTIEREN auszudrücken. Er kann mit spezifischen Äußerungen wie Ja, Aha, Ahja, Ach so, Gut, O.K. usw. reagieren. Er kann auch eine inhaltliche Zustimmung abgeben wie z.B. in (1). (1)
»Die Brüstung, an der man in diesem Gang vorüberkommt, geht also in eine Kapelle hinaus?« »Ja.« »Das habe ich mir gleich gedacht«, sagte Karl. [Kafka: Amerika, S. 103. Digitale Bibliothek]
Franke (1990) und Hundsnurscher (1994: 218) als RESIGNIEREN bezeichnet. Die Bezeichnung >RESIGNIEREN< deutet immer auf eine kompetitive oder konfliktäre Situation hin. Das AKZEPTIEREN eines negativen Bescheides muß von Spi aber nicht immer als Niederlage empfunden werden. Aus diesem Grund soll die neutrale Bezeichnung >AKZEPT1EREN< sowohl für die positive als auch für die negative Reaktion gewählt werden.
68 Eine häufige Realisierangsform des AKZEPTIERENS ist auch eine non-verbale Geste wie das Kopfnicken. >φ< steht in [Schema 2-III] für die Möglichkeit, das AKZEPTIEREN ohne sprachliche oder non-verbale Ausdrücke zu realisieren. Beim AKZEPTIEREN eines negativen Bescheides gibt es ebenfalls vier Reaktionsmöglichkeiten. Mit den spezifischen Äußerungsformen (z.B. O.K., Auch gut, Na dam halt nicht) bringt Spi zum Ausdruck, daß er auch die negative Reaktion von Sp2 ohne weiteres annehmen kann. Explizite Formulierungen dieses AKZEPTIERENS können wie folgt aussehen: (a)
Dann behalte das halt für dich.
(b) (c)
Mußt du mir ja auch nicht unbedingt sagen. Muß ich ja auch nicht unbedingt wissen.
(d)
OK, wenn du's mir nicht sagen willst.
(e)
Versteh ich auch, (daß du nicht antworten willst).
Im Koφus findet sich folgendes Beispiel (2) für ein explizit formuliertes AKZEPTIEREN. (2)
LULU: Was sind das fur Augenblicke, von denen du sprachst, wo man gewärtig ist, sein ganzes Innere zusammenstürzen zu sehen? AL WA: Ich wollte nicht davon sprechen. - Ich möchte nicht gern über einem Glas Champagner verscherzen, was mir während zehn Jahren mein höchstes Lebensglück gewesen. LULU: Ich habe dir weh getan. Ich will nicht wieder davon anfangen. [Wedekind: Erdgeist, S. 125. Digitale Bibliothek]
Beim AKZEPTIEREN eines negativen Bescheids können ebenfalls non-verbale Gesten wie Kopfnicken oder Achselzucken vorkommen. Wie schon gesagt, wurde das AKZEPTIEREN bisher nicht als konstitutiver Dialogzug gesehen. Die Gründe dafür könnten u.a. darin liegen: AKZEPTIEREN kann durch φ vollzogen werden, d.h. es kann, obwohl im System vorgesehen, unrealisiert bleiben. Die spezifischen Äußerungsformen {Ja, Aha, Ahja, Ach so, Gut, O.K.) wurden z.B. von Franke (1990: 121; 124-134) den >Rezeptionssignalen< gleichgestellt. Die Realisierungen des AKZEPTIERENS kommen häufig in enger Nachbarschaft mit Honorierungszügen (z.B. Danken oder Bedauem-Äußem) vor und wurden deshalb nicht in ihrem selbständigen Status erkannt. So ist z.B. eine Äußerungsform wie Ja, danke als zweizügig zu beschreiben: Ja (AKZEPTIEREN), danke (HONORIERUNG), nicht als zweigliedrige Äußerungsform für einen Honorierungszug. Eine HONORIERUNG (z.B. DANKEN oder BEDAUERN-ÄUSSERN) gehört im Sinne der Dialoggrammatik - zum Nachfeld des Dialogkerns (vgl. Franke
69 (1990: 108-120)). Sie kann erst im Anschluß an den akzeptierenden Sprechakt vorkommen " Der Vorteil einer solchen Auffassung liegt darin, daß es so möglich wird, AKZEPTIEREN systematisch zusammen mit den anderen Reaktionstypen, die Spi im dritten Zug hat, zu beschreiben. Spi kann also, je nachdem, um welchen Untertyp des FRAGE-ANTWORTDialogs es sich handelt, auf die gegebene ANTWORT reagieren, indem er z.B. die ANTWORT bestätigt, sie kritisiert bzw. problematisiert oder auch RÜCK- oder NACHFRAGEN stellt. Ein Minimal-Dialog kann in verschiedener Weise erweitert werden.^* Erstens wird der Minimal-Dialog expandiert, wenn Sp2 im zweiten Zug Klärungs-FRAGEN wie RÜCKFRAGEN, NACHFRAGEN oder HINTERFRAGEN stellt. Auf eine RÜCKFRAGE hin kann dann im dritten Zug die Äußerung wiederholt oder ausgedeutet werden. Auf eine NACHFRAGE hin kann der thematisierte Sachverhalt ergänzt oder detaillierter dargestellt werden. Auf ein HINTERFRAGEN hin kann eine Begründung oder auch ein Beweis für die Aussage geliefert werden.^' Eine Klärungs-FRAGE ist eine Erweiterung eines Minimal-Dialogs durch Sp2, die schon im zweiten Zug erfolgen kann. Meistens wird aber ein Minimal-Dialog erst im dritten Zug von Spi expandiert. Diese Expansion kommt am häufigsten bei einem negativen Bescheid von Sp2 im zweiten Zug vor. Wenn Spi also im dritten Zug den negativen Bescheid von Sp2 nicht AKZEPTIERT, wird der Minimal-Dialog durch eine INSISTIERENInteraktion erweitert.^" Die INSISTIEREN-Interaktion kann so lange weiterlaufen, bis Spi entweder sein Ziel aufgibt oder Sp2 nachgibt.
In dieser Hinsicht unterscheidet sich der hier vorgeschlagene Ansatz von der Basisstruktur des sog. >Genfer-ModellsEvaluierungFeedback< bzw. >Flow-Up< des ebenfalls grundsätzlich dreizügig konzipierten Dialogmodells bei Sinclair/Coulthard (1975) nicht klar. Im Hinblick auf ihre Analysebeispiele scheint es, daß diese Züge nur als poshiv-bewertende Reaktionen auf die Züge des >Answering< angenommen werden (vgl. auch Lörscher/Schulze (1994)). In der vorliegenden Arbeit wird ein bewertender Sprechakt (>EvaluationFrage< und >Antwort< als Schrifttyp zur Darstellung der referierten Auffassungen gewählt. Zur Gebrauchsweise der Schrifttypen in der vorliegenden Arbeit vgl. Fußnote 1 in 0.1. Vgl. auch Belnap/Steel (1976: 2): »Although we have a certain interest in explicating questions and answers in English, our primary aim here is rather to design a good formal notation for questions and answers and a good set of concepts for talking about them.«
78 Die Einschränkung, die Belnap/Steel (1976) hinsichtlich der Antworten vornehmen, wird durch die folgende Definition der >direlcten Antworten< deutlich, die einzig Gegenstand ihrer Analyse sind. Let US tum, thus, to questions for which what counts as an answer is well defined. To each such question there corresponds a set of statements which are directly responsive. A member of this set may, indeed, be either true or false, but in either case it is the sort of thing which tells the questioner exactly what he wants to know, neither more nor less. We follow Harrah in terming such a statement a direct answer. (Belnap/Steel (1976: 13), Hervorhebung von Belnap/Steel)
Im folgenden soll durch die Beispiele (2) und (3) Belnap/Steels Konzeption der >direkten Antwort< veranschaulicht werden (vgl. Belnap/Steel (1976: 13f )). (2) (3)
What is the freezing point of water, in degrees Fahrenheit, under standard conditions? (a) The freezing point of water under standard conditions is 32 °F. (b) The freezing point of water under standard conditions is 0 °F. (c) The freezing point of water under standard conditions is given in The Handbook of Chemistry and Physics. (d) The freezing point of water under standard conditions is 211 degrees Fahrenheit above the freezing point of alcohol. (e) The freezing point of water under standard conditions is (2^) °F. (f) The freezing point of water under standard conditions is 32 °F., and its boiling point is2I2°F
Von den Reaktionen (3a)-(3f) auf die Frage (2) gelten nur (За) und (3b) als >direkte Antworten< im Sinne von Belnap/Steel, wobei (3a) eine richtige und (3b) eine falsche Antwort ist. (3c)-(3e) gelten nicht als direkte Antwort, weil damit die in der Frage gestellte >Aufgabe< nicht endgültig gelöst ist. (3f) gilt auch nicht als >direkte Antwortdirekten Antworten< angeben zu können, gehen Belnap/Steel (1976) nun so vor, daß sie die Frage sowohl im Hinblick auf ihren Gegenstandsbereich als auch hinsichtlich zusätzlicher Antwortspezifikation exakt festlegen. Den Gegenstandsbereich nennen sie >the subject of a question< (kurz >subjectsubject< bezieht sich darauf, was eine direkte Antwort sein kann. Die zusätzlichen Antwortspezifikationen enthalten zusätzliche antworteinschränkende Vorgaben. Sie werden von Belnap/Steel (1976) als >the request of a question< (kurz >requestsubject< in >the subject of a question< und >request< in >the request of a question< in einer vom normalen Gebrauch dieser Wörter abweichenden Weise verwenden. >Subject< ist nicht als >Subjekt< im grammatischen Sinne zu verstehen. >Request< wird nicht im Sinne einer Sprechhandlung ver-
79 wendet. Insbesondere darf man >request< nicht mit dem direktiven Aspekt der Fragehandlung gleichsetzen. Belnap/Steel (1976: 17) erläutern die beiden Ausdrücke wie folgt: For erotetic logic, however, it is not enough to say that a statement is an answer to a question; one must also say how a statement answers its question. [...] A question, on our account, consists of two parts to which we attach the artificial names abstract subject and abstract request. [...] each question ist to be conceived as presenting a range of alternatives as its subject, from among which alternatives the respondent is to make a selection as from a tray of hous d'oeuvres. (Hervorhebung von Belnap/Steel)
Für die weitere Diskussion soll flir den Ausdruck >subject of a question< die Übersetzung >Gegenstandsbereich der Frage< gewählt werden; der Ausdruck >request of a question< wird als >Antwortspezifikation< wiedergegeben. Im folgenden sollen zunächst in (i) die beiden Grundtypen der Fragen (>Whether-questions< und >Which-questionssubjectWhehter-questions< und >Which-questionsWhether-questions< wie folgt: Some questions present as their abstract subject a finite set of alternatives, this set being explicitly contained in the questions. (Belnap/Steel (1976: 19))
Zu >Whether-questions< gehören Ja-Nein-Fragen wie (4), Altemativ-Fragen wie (5) und Frageformulierungen wie (6), in denen mehrere Antwortmöglichkeiten aufgezählt werden. (4) (5) (6)
Is glass a liquid at 70 Ψ. ? (Belnap/Steel ( 1976: 17)) Does brass contain more copper than thin or more tin than copper? (Belnap/Steel (1976: 18)) Tobacco smoking: a vice, a virtue, a vagary, an extravagance, a cure for all ills? (Belnap/ Steel (1976: 20))
Der zweite Typ von Fragen wird von Belnap/Steel als >Which-questions< bezeichnet und wie folgt definiert: [...], which-questions are those that present their alternatives by reference to a matrix and one or more category conditions. (Belnap/Steel (1976:22))
80 Solche Fragen können sowohl mit dem Fragewort >which< wie (7) als auch mit >whai< wie (2) formuliert werden: (7) (2)
Which positive integer is the smallest prime greater than 45? (Belnap/Steel ( 1976: 22))^' What is the freezing point of water, in degrees Fahrenheit, under standard conditions?
Der wesentliche Unterschied zwischen >Whether-questions< und >Which-questions< besteht darin, daß bei >Whether-Questions< die Antwortproposition in der Frage schon formuliert ist und der Antwortende somit nur den Wahrheitswert der Proposition anzugeben braucht bzw. eine Auswahl aus den angebotenen Alternativen treffen muß. In >Which-Questions< werden nur eine Matrix und die kategoriale Bedingung für die >direkte Antwort< vorgegeben. Der Antwortende muß hier also selbst herausarbeiten und spezifizieren, welche Elemente den in der Frageformulierung genannten Vorgaben entsprechen. (11)
Antwortspezifikationen bei Belnap/Steel (1976)
Nach Belnap/Steel (1976) soll in der Frage nicht nur der Gegenstandsbereich logisch exakt formuliert sein, sondern auch genau vorgegeben werden, wie die zulässigen Antworten eingeschränkt werden sollen. Diese antworteinschränkenden Vorgaben stellen weitere Spezifizierungen für mögliche Antworten dar. Im einzelnen unterscheiden Belnap/Steel (1976: 34ff·.) folgende drei Arten von Spezifizierungen: >Selection-size specification< (wie in (8)) >Completeness-claim specification< (wie in (9) und (10)) >Distinctness-claim specification< (wie in ( 11 ) und ( 12)) (8) (9) (10) 01) (12)
Whafs an example of a prime lying between 10 and 20? (Belnap/Steel (1976: 38)) Which prime lies between 10 and 20? (Belnap/Steel (1976: 32)) 11, 13, and 17. (Belnap/Steel (1976: 47)) What are at least five examples of primes? (Belnap/Steel (1976: 61)) 2, 3, 5, 7, and VII. (Belnap/Steel (1976: 61))
(8) ist ein Beispiel für die Spezifizierungsaufforderung zur >single alternative selectionsize specificationcategory condition< (x ist eine Primzahl) und der >matrix< (x liegt zwischenlO und 20) als Antwort möglichen Menge von Zahlen soll eine beliebige ausgewählt werden, d.h. jedes beliebige Element der Menge {11, 13, 17, 19} kann hier als richtige und vollständige >direkte Antwort< auf die Frage (8) gelten. Die
" Bei der Frage (7) ist >x is the smallest prime greater than 45< die >matrix< fur die Alternativen der >direkten Antwort< und >x is a positive integen die entsprechende >category condition< (vgl. Belnap/Steel (1976:22)).
81 Antwort (10) auf die Frage (9) ist dagegen aufgrund der >completeness-claim specification< falsch, weil auch 19 eine entsprechende Primzahl ist. Die Antwort (12) auf die Frage (11) ist aufgrund der >distinctness-claim specification< falsch, weil sich die Zeichen >7< und >V1I< auf eine und dieselbe Zahl beziehen. Eine solche logisch und mengentheoretisch fundierte Analyse der Frage-Antwort-Relation, bei der die mathematische bzw. logische Exaktheit der Frage- und Antwortformulienmg im Vordergrund steht, kann für bestimmte Anwendungszusammenhänge wichtige Grundlageneinsichten liefern. Wie aus den oben zitierten Beispielen (2)-(12) zu ersehen ist, kann eine solche Konzeption z.B. für die Erstellung von Prüfungsfragen insbesondere bei Mutiple-choice-Verfahren durchaus sinnvoll angewendet werden. Das von Belnap/ Steel selbst hervorgehobene Anwendungsgebiet ist vor allem der Bereich von Datenbanken (>data base management systemobjektiven< Informativität auch noch einen subjektiven Wert für den Hörer besitzen. Dies kann durch das folgende Beispiel (15) veranschaulicht werden: (15)
Sp 1 : Sp2:
Wie tief ist der Teich? (a) So tief, daß man nicht mehr darin stehen kann. (b) 5,92 m. (Vgl. Grewendorf (1981: 103))
Im Sinne von Grewendorf kann man (15) wie folgt erläutern: Die Information von (15b) ist, objektiv gesehen, viel präziser und genauer als die von (15a). Ist der Adressat der Antwort (Spi) aber z.B. ein fünfjähriger Junge, der gerne im Teich schwimmen möchte, ist (15a) als Antwort viel anschaulicher und passender als (15b). Ist der Adressat jedoch ein Landvermesser, wäre die Antwort (15b) von höherem subjektivem Wert. Antworten müssen nach Grewendorf (1981) also an ihrer Informativität in bezug auf die Wissenszustände und/oder Interesse des Hörers gemessen werden. Der subjektive Wert einer Antwort läßt sich nur auf diesem Hintergrund bemessen. Grewendorf (I98I) definiert eine pragmatisch sinnvolle Antwort wie folgt: Eine Antwort В auf eine von X zum Zeitpunkt t gestellte Frage F mit dem Zweck Zp ist pragmatisch sinnvoll, wenn sie einen positiven subjektiven Wert WX_,,ZF besitzt und außerdem informativ ist. (Grewendorf(1981: I I I ) )
Eine solche pragmatische Perspektive erweitert die enge Auffassung der propositionalen Relation zwischen Frage und Antwort erheblich. Nimmt man Grewendorfs Auffassung ernst, darf man die Entscheidung darüber, welche ANTWORT als adäquat gelten soll, nicht aus der Perspektive eines >allwissenden< Analytikers festsetzen. Was als subjektiv wertvolle Information gilt, können nur die Dialogteilnehmer feststellen. Grewendorf (1891) behandelt allerdings nur isolierte Fragen, die Teilsequenzen in einem Informationsgespräch bilden können. Bei seiner Analyse bleibt also der größere kommunikative Zusammenhang unberücksichtigt. Bei einer wirklich pragmatisch orientierten Analyse der FRAGE-ANTWORT-Relation muß man daher dialogische Zusammenhänge mit einbeziehen, d.h. man muß - wie oben im Kapitel 2.4.1.1 dargestellt - sowohl die dialogtypkonstitutiven Dialogzwecke als auch Sequenzabfolge in der Be-
83 Schreibung berücksichtigen. Nur so kann man systematisch beschreiben, wie eine kommunikativ relevante ANTWORT aussehen muß, die den entsprechenden Dialogzweck erflillt.
2.4.2
PASSEN
Als PASSEN soll eine Äußerung bezeichnet werden, bei der Sp2 zum Ausdruck bringt, daß er die ANTWORT nicht weiß. Er gesteht sein Wissensdefizit in dem angesprochenen kognitiven Bereich ein. Typische Äußerungsformen für das PASSEN sind: (Das) Weiß ich nicht. Ich kenne X nicht. Da bin ich überfragt. Da muß ich passen. Ich passe. Das kann ich dir nichtf beantworten. sagen. J Da kann ich nichts zu sagen. Da kenne ich mich nicht aus. Das ist mir selbst nicht klar. Da verstehe ich leider nichts von. Da hab' ich keine Ahnung von. Keine Ahnung. Keinen Schimmer. Das übersteigt meine Kenntnisse. Darüber habe ich keine Informationen. Das entzieht sich meiner Kenntnis. Im Anschluß an PASSEN macht Sp2 normalerweise eine weitere Sprechhandlung. Er kann z.B. eine relevante Information abgeben oder sich für seine Inkompetenz rechtfertigen. Ein Beispiel aus dem Koφus ist ( 1 ). (1)
[taz:] Ist das Haus der Kunst also das erste Museum, das Besucher mit einem Dancefloor lockt? [Christoph Vitali:] Da bin ich überfragt. Aber Musikinstallationen gab es schon bei den Dadaisten. [TAZ, 20.04.1996, »Alle reden von Orgien«]
In (1) gibt Sp2 {Christoph Vitali) im Anschluß an das PASSEN eine Auskunft Aber Musikinstallationen gab es schon bei den Dadaisten, die mit der von Spi erwünschten Information im engen Zusammenhang steht.
84 Wenn Sp2 sein Wissensdefizit offen gelegt hat, hat Spi keine weitere Möglichkeit, sein kommunikatives Ziel bei ihm zu erreichen. Er kann das PASSEN von Sp2 einfach AKZEPTIEREN und es aufgeben, bei Sp2 sein Ziel weiter zu verfolgen. Damit endet dann der Minimal-Dialog. Spi kann aber das PASSEN von Sp2 als ANTWORT-VERWEIGERUNG 1«ефге11еren und so darauf INSISTIEREN, daß dieser doch die ANTWORT gibt wie in (2). (2)
[...] SCHWARZ ([...]) Kannst du die Wahrheit sagen? LULU: Ich weiß es nicht. SCHWARZ: Glaubst du an einen Schöpfer? LULU: Ich weiß es nicht. SCHWARZ: Kannst du bei etwas schwören? LULU: Ich weiß es nicht. Lassen Sie mich! Sie sind verrückt! SCHWARZ: Woran glaubst du denn? LULU: Ich weiß es nicht. [...]. [Wedekind: Erdgeist, S. 39. Digitale Bibliothek]
In bestimmten Dialogen hat Spi im dritten Zug weitere Reaktionsmöglichkeiten. Er kann z.B. in einem Prüftings- bzw. Unterrichtsgespräch die FRAGE so MODIFIZIEREN, daß Sp2 leichter eine ANTWORT geben kann. Um die FRAGE zu MODIFIZIEREN, kann man sie einfach umformulieren oder auch den Frageinhalt verändern. So unterscheidet Hindelang (1995: 183) eine einfache Umformulierung des Frageinhaltes von einer Modifizierung, die er >EINHELFEN< nennt; er gibt dafür folgendes Beispiel (3): (3)
Spi Sp2 Spi
»fVas ist die chemische Formel für Kohlendioxyd?« »Weiß ich leider nicht.« »Na, was ist das Zeichen für Kohlenstoff? Und was ist das Zeichen für Oxigenium also för Sauerstoff?«
Nach Hindelang enthält ein EINHELFEN einen zusätzlichen Hinweis zur Beantwortung der FRAGE und ist somit eigentlich nur bei Prüfimgsfragen möglich. Als weitere Reaktionsmöglichkeit von Spi im dritten Zug kann es auch vorkommen, daß er selber die FRAGE BEANTWORTET wie in (4). (4)
RHODOPE. Er geht von selbst? Was treibt ihn denn von hinnen? KANDAULES. Ich weiß es nicht und hab ihn nicht gefragt. RHODOPE. Du weißt es nicht? So will ich dir es sagen: Er hat an dir gefrevelt, wie noch keiner. Und du mußt strafen, wie du nie gestraft! [Hebbel: Gyges und sein Ring, S. 59. Digitale Bibliothek]
Hier kann jedoch die Äußerung von Spi (Rhodope) im dritten Zug So will ich dir es sagen: Er hat an dir gefrevelt, wie noch keiner, Und du mußt strafen, wie du nie gestraft! eigent-
85 lieh nicht als ANTWORT auf die FRAGE im ersten Zug, sondern vielmehr als VORWURF oder VERURTEILEN des Verhaltens der angesprochenen Person verstanden werden. Beim PASSEN kann Sp2 sich, im Unterschied zu ANTWORT-VERWEIGERN, kooperativ verhalten und im weiteren auf Möglichkeiten hinweisen, die Spi dazu verhelfen könnten, sein kommunikatives Ziel zu erreichen. Sp2 kann also im anschließenden Zug Spi versprechen, zu einem späteren Zeitpunkt die Information zu geben, die er jetzt nicht hat, sich aber verschaffen kann."" Er kann auch Spi eine Informationsquelle nennen und ihn auffordern, dort zu fragen. Durch solche kommunikative Kooperation von Sp2 erhält Spi Informationen, wie er sein kommunikatives Ziel doch noch erreichen kann. Solch ein kooperatives Verhalten von Sp2 kann man insbesondere von öffentlichen Auskunfts- bzw. Beratungsstellen ohne weiteres erwarten. In solchen Fällen kann das PASSEN für Spi nur ein Aufschieben des kommunikativen Erfolges bedeuten. So kann der Dialog als >komplementärer< Minimaldialog angesehen werden, obwohl Spi bei Sp2 sein Ziel nicht erreicht hat."·^ Beispiele aus dem Koφus sind (5) und (6). (5)
Bedeutet das, wollte gestern der baupolitische Sprecher der SPD, Carlo Schreiber, wissen, daß bei der Wohnbauförderung das PVC-Verbot aufgehoben werden könnte? Senatorin Wischer war etwas überfragt in der Sache und will die konkrete Antwort nachholen. [TAZBREMEN, 08.09.1995, PVC-Verbot aufheben?] »Du, Tonie Häußler, weshalb will Frölen Trine nichts von dir wissen? Weshalb schimpft sie dich und fürchtet sich vor dir?« »Ich weiß nicht. Frage deinen guten Herm. den Herrn Ritter. Frag meine Pflegemutter, die alte Frau im Armenhause. [...]« [Raabe: Der Schüdderump, S. 132. Digitale Bibliothek]
(6)
2.4.3
ANTWORT VERWEIGERN
Auf eine FRAGE hin kann Sp2 die ANTWORT VERWEIGERN. Er kann dabei ausdrücklich sagen, daß er keine ANTWORT geben will. Er kann auch einfach schweigen.'*^ Typische Äußerungsformen für ANTWORT-VERWEIGERUNG sind:
42
Bei AUFFORDERN kann man die Handlung, zu der Sp2 aufgefordert ist, ohne mündliche Zusage unverzüglich ausführen oder auch zusagen bzw. versprechen, sie auszuführen. Die unverzügliche Ausführung sowie das ZUSAGEN bzw. VERSPRECHEN gelten dabei als positiver Bescheid (vgl. Graffe (1990: 184-209)). Im Unterschied dazu kann ein auf eine FRAGE hin gegebenes VERSPRECHEN, die ANTWORT zu geben, nicht direkt als ANTWORT, d.h. als ein positiver Bescheid gelten, sondern muß vielmehr als ein negativer Bescheid gewertet werden. Vgl. Franke (1990: 62-63). Vgl. Franke (1983: 104): »Die Weigerung, eine FRAGE zu beantworten, kann dabei vom Hörer entweder explizit gemacht werden, etwa indem er, je nach Inhalt der initialen FRAGE, äußert.
86 (Das) sage ich (dir) (doch) nicht. Dazu werde ich nichts sagen. • will Dazu will ich mich nicht äußern. Das bleibt mein Geheimnis. Das,muß mein Geheimnis bleiben, wird Das will ich lieber für mich behalten. Das bleibt geheim. Von mir erfährst du dazu nichts. Darüber bekommst du von mir nichts heraus. Dazu bekommst du von mir keine Antwort. Dazu können Sie von mir keine Antwort bekommen. Das will ich nicht beantworten. Das will ich nicht verraten. Darüber will ich nicht sprechen. Ich sage nichts (dazu). Dazu sage ich kein Wort. Darüber möchte ich (lieber) schweigen. Darüber möchte ich Schweigen bewahren. Da verweigere ich r die Antwort. ì j die Auskunft.r Kein Kommentar. Warum nicht 'mal WOÄ offen lassen? Im Unterschied zu PASSEN kann Spi von Sp2 keine kommunikative Kooperation erwarten. Es kann verschiedene Gründe geben, warum Sp2 nicht willens ist, die ANTWORT zu geben. Die ANTWORT kann Sp2 einfach unangenehm oder peinlich sein. Es könnte auch sein, daß es Sp2 schadet oder Nachteile bringt, wenn die betreffende Information bekannt wird. Bei ANTWORT-VERWEIGERN kann im Unterschied zu PASSEN eine deutliche Divergenz der Interessenkonstellation zwischen Spi und Sp2 vorliegen. ANTWORTVERWEIGERN bei FRAGEN ist dem ABLEHNEN bei AUFFORDERN gleichzusetzen. Spi hat im wesentlichen drei Möglichkeiten, wie er auf die ANTWORT-VERWEIGERUNG reagieren kann. Er kann erstens stillschweigend oder explizit AKZEPTIEREN, daß
daß er nicht antworten will, wird oder kann. Sie kann aber ebenso dadurch indiziert werden, daß der Hörer auf jegliche Stellungnahme zum vorhergehenden Sprechakt verzichtet, also schweigt.«
87 Sp2 die ANTWORT nicht geben will, und es dabei bewenden lassen. Damit ist der Minimal-Dialog beendet. Ein Beispiel aus dem Korpus ist (1). (1)
LULU: Was sind das für Augenblicke, von denen du sprachst, wo man gewärtig ist, sein ganzes Innere zusammenstürzen zu sehen? AL WA: Ich wollte nicht davon sprechen. - Ich möchte nicht gem über einem Glas Champagner verscherzen, was mir während zehn Jahren mein höchstes Lebensglück gewesen. LULU: Ich habe dir weh petan. Ich will nicht wieder davon anfangen. [Wedekind: Erdgeist, S. 125. Digitale Bibliothek]
Zweitens kann Spi als Reaktion auf eine ANTWORT-VERWEIGERUNG HINTERFRAGEN, warum Sp2 die ANTWORT nicht geben will. Er kann dabei z.B. die VERWEIGERUNG von Sp2 explizit benennen und ihm dieses Verhalten zum Vonvurf machen. Er kann auch eine Vermutung über den Grund für die VERWEIGERUNG anstellen. Ein Beispiel aus dem Koφus ist (2). (2)
»[...] Da ist ja der Bub. Wie er ausschaut! Ich kenn ihn: er hat mir Kirschen gestohlen. Hat Er nicht?« wandte sie sich an Pavel, der braunrot wurde und vor Unbehagen zu schielen begann. »Warum antwortet Er nicht? [...]« [Ebner-Eschenbach: Das Gemeindekind, S. 11. Digitale Bibliothek]
Als dritte Möglichkeit kann Spi auf eine VERWEIGERUNG der ANTWORT von Sp2 hin darauf INSISTIEREN, daß Sp2 ihm die ANTWORT gibt. Ein Beispiel aus dem Korpus ist
(3)
»Woher weißt du das?« fragte Sali. »Gelt, wenn ich es sagen wollte!« - »Du willst es nicht sagen?« - »Nein!« - »Gewiß nicht?« - »Nein, nein!« - »Du sollst es sagen!« - »Willst du mich etwa zwingen?« [Keller: Die Leute von Seldwyla, S. 147-148. Digitale Bibliothek]
2.4.4
FRAGE ZURÜCKWEISEN
Sp2 kann die FRAGE ZURÜCKWEISEN, wenn die Handlungsbedingungen bzw. die kommunikativen Voraussetzungen oder Annahmen für eine FRAGE nicht vorliegen (vgl. B1-B3 und A1-A7 im Kapitel 2.1 und 2.2). Beim ZURÜCKWEISEN können verschiedene Aspekte der FRAGE-Handlung wie z.B. der propositionale oder der illokutionäre Aspekt angesprochen werden.
Zur genaueren Analyse dieses Beispiels vgl. Kapitel 5.5.2 der vorliegenden Arbeit (Beispiel (1)).
88 In der Literatur gibt es vielfach Hinweise darauf, daß >Fragepräsuppositionen< zurückgewiesen werden können."*' Dabei wird meist wie folgt formuliert: (a)
·>Είηβ Frage präsupponiert,
(b)
>D/e Präsupposition
daß p.
entscheidung-umgehenden Sprechaktennicht-spezifischen reaktiven Sprechakten< zugeordnet werden. Sowohl beim ZURÜCKWEISEN als auch beim AUSWEICHEN kann es jedoch sein, daß Sp2 - genau wie beim ANTWORT-VERWEIGERN - für sich bereits entschieden hat, keine ANTWORT zu geben. Beim ZURÜCKWEISEN und bei der ANTWORT-VERWEIGERUNG formuliert er seine negative Entscheidung explizit. Beim ZURÜCKWEISEN kann Sp2 - im Unterschied zu der ANTWORT-VERWEIGERUNG - Spi dafür verantwortlich machen, daß Spi keine ANTWORT bekommt, indem Sp2 die FRAGE von Spi als nicht regelkonforme sprachliche Handlung behandelt.
2.4.5
AUSWEICHEN
Durch eine FRAGE bringt Spi eine starke Obligation für Sp2 ins Gespräch ein, etwas zu sagen. Auf eine FRAGE muß Sp2 - im Gegensatz z.B. zu einer BEHAUPTUNG - etwas entgegnen. AUSWEICHEN kann man als eine Reaktionsmöglichkeit verstehen, bei der Sp2 dieser Veφflichtung zur Reaktion entspricht, ohne den illokutionären Zweck der FRAGE zu erfüllen."' Bei AUSWEICHEN^" lassen sich zwei Untertypen unterscheiden: AUSWEICHEND ANTWORTEN und ABLENKENDE REAKTION.
Die Arbeit mit dem К о ф и 8 hat gezeigt, daß die ZURÜCKWEISUNG einer FRAGE sehr häufig vorkommt. Dies gilt insbesondere für die literarischen Belege. Vgl. Schwitalla(1979: 194). Vgl. Franke (1983: 104-105). Nach Franke kann das AUSWEICHEN realisiert werden, (i) indem man »mit einer BEGRÜNDUNGSFRAGE (>warum-Frageunvollständig< ANTWORTET«.
92 Bei AUSWEICHEND ANTWORTEN erfüllt Sp2 nur formal das FRAGE-ANTWORTSchema.^' Sp2 verweigert Spi aber die Information, auf die er abgezielt hat. Typische Beispiele für solche ANTWORTEN wären etwa ( i H ü i ) · (i) (ii) (iii)
Spi
fFo gehst du hin?
Sp2
Weg.
Spi
Wann kommst du wieder?
Sp2
Irgendwann.
Spi
Warst du in der Stadt?
Sp2
Kann schon sein.
Folgende Beispiele (1) und (2) aus dem Кофиз sind von dieser Art. (1)
(2)
PETER. [...] Ha, was bedeutet der Knopf im Schnupftuch? Kerl, was bedeutet der Knopf, an was wollte ich mich erinnern? ERSTER KAMMERDIENER. Als Eure Majestät diesen Knopf in Ihr Schnupftuch zu knüpfen geruhten, so wollten Sie KÖNIG. Nun? ERSTER KAMMERDIENER. Sich an etwas erinnern. PETER. Eine verwickelte Antwort! [Büchner: Leonce und Lena, S. 9. Digitale Bibliothek] CAMILLE. Wo gehst du hin? DANTON. Ja, wer das wUßte! CAMILLE. Im Emst, wohin? DANTON. Spazieren, mein Junge, spazieren. {Er geht.) [Büchner: Dantons Tod, S. 55. Digitale Bibliothek]
(1) ist ein typisches Beispiel für eine AUSWEICHENDE ANTWORT. Die FRAGE von Spi {Peter: [...] an was wollte ich mich erinnern?) beantwortet Sp2 {Erster
Kammerdie-
ner) mit so wollten Sie Sich an etwas erinnern. Diese Entgegnung von Sp2 erfüllt zwar formal die durch die FRAGE ins Gespräch eingebrachte Pflicht zur verbalen Reaktion. Sie liefert Spi aber nicht die gewünschte Information, sondern formuliert nur die Präsupposition der FRAGE von Spi. In (2) hat die Reaktion von Sp2 {Danton) Ja, wer das wüßte! eigentlich die Form des PASSENS. Da man aber in der Regel weiß, wohin man zu gehen beabsichtigt, kann Spi {Camille) diese Reaktion als nicht ernsthaft zurückweisen. Auch der nächste Zug Spazieren, mein Junge, spazieren dürfte als AUSWEICHENDE ANTWORT zu verstehen sein. Als weiteres Beispiel aus dem Korpus kann (3) ein AUSWEICHENDES ANTWORTEN illustrieren.
" Viele Fälle, die in der Fragelogik als abweichende Antworten beschrieben wurden, können im kommunikativen Zusammenhang als AUSWEICHEN interpretiert werden.
93 (3)
Auf die Immobilie in E 1 angesprochen ließen die cleveren Stuttgarter eine recht sibyllinische Antwort verlauten: »Uns werden viele Standorte angeboten«, formulierte Unternehmenssprecher Helmuth Bohnenstengel ausweichend, »das mit Mannheim« sei »nichts Konkretes«, man sei »nicht involviert im Moment«. Was nicht heißen solle, beeilte sich Bohnenstengel hinzuzufügen, daß sich »das nicht noch ändern kann«. Und um dann doch ein wenig Licht auf die nebulösen Sätze fallen zu lassen, bemühte der Mann aus Stuttgart schließlich noch den TV-Werbespot mit den singenden Affen: »Nichts ist unmöglich...«. [Mannheimer Morgen, 02.06.1995, Lokales (MK)]
Spi (Der Fragende) will eine definite Auskunft hinsichtlich eines Sachverhaltes (^Immobilie in El). Sp2 will aber keine klare Aussage machen und wählt >nebulöse Sätze< als Äußerungsformen fur die ANTWORT. Diese Unbestimmtheit in der Antwortformulierung ist charakteristisch ftr AUSWEICHEND ANTWORTEN. Als zweite Variante des AUSWEICHENS kann die ABLENKENDE REAKTION angesehen werden. Hier entspricht die Entgegnung von Sp2 zwar nicht direkt dem FRAGEANTWORT-Schema, Sp2 übernimmt aber den nächsten Zug und erfüllt so wenigstens teilweise die durch die FRAGE eingebrachte Obligation. In der Regel geschieht das, indem Sp2 dem von Spi ins Gespräch eingebrachte Handlungsziel HZ» sein eigenes kurzfristiges kommunikatives Ziel HZb entgegensetzt, in der Hoffnung, daß Spi auf HZb eingeht und sein HZ, aufgibt. Die FRAGE bleibt zwar unbeantwortet, die ABLENKENDE REAKTION ist für die Beziehung aber weniger belastend, da ein Eingehen auf HZb fìir Spi einen geringeren Imageverlust bedeutet als die Hinnahme einer ANTWORT-VERWEIGERUNG.^^ Im folgenden Beispiel (4) aus dem Korpus kann die Äußerung von Sp2 (v. Keith) Laß mich dir deine Krawatte in Ordnung bringen als ABLENKEN in diesem Sinne verstanden werden. (4)
SCHOLZ {zu V. Keitk.) Warum sagst du mir denn gar nicht, daß du verheiratet bist? v. KEITH: Laß mich dir deine Krawatte in Ordnung bringen. {Er tut es.) Du mußt etwas mehr Sorgfalt auf dein Äußeres verwenden. [Wedekind: Der Marquis von Keith, S. 48. Digitale Bibliothek]
Hier macht Sp2, statt auf die FRAGE von Spi {Scholz: Warum sagst du mir denn gar nicht, daß du verheiratet bist?) einzugehen, einen VORSCHLAG {Laß mich dir deine Krawatte in Ordnung bringen) und schließt eine Ermahnung an {Du mußt etwas mehr Sorgfalt auf dein Äußeres verwenden). (4) ist als Beispiel allerdings etwas problematisch, weil die Äußerung von Spi auch als VORWURF in Fragesatzform inteφretieгt werden kann. In beiden Fällen ist die Reaktion von Sp2 (v. Keith) jedoch als eine ABLENKENDE REAKTION zu verstehen.
Vgl. Holly (1979, insbesondere S. 81-93).
94 2.4.6
GEGENFRAGEN
Sp2 kann auf eine FRAGE von Spi auch dadurch reagieren, daß er selbst eine FRAGE (GEGENFRAGE) an Spi richtet. Damit erlegt er Spi seinerseits die Verpflichtung auf, eine ANTWORT zu geben. GEGENFRAGEN werden als ein sequenzabhängiger FRAGETyp im Kapitel 5.4 ausführlich behandelt.
2.4.7
Klärungs-FRAGEN (RÜCK-, N A C H - und HINTERFRAGEN)
Die sprachliche Handlung von Spi kann für Sp2 unter einem bestimmten Aspekt unverständlich sein. In diesem Fall kann Sp2 Spi auffordern, diese Unklarheiten zu beheben, bevor er auf die FRAGE eingeht. Durch solche FRAGEN, bei denen zwischen RÜCK-, NACH- und HINTERFRAGEN unterschieden werden soll, will Sp2 die Grundlage schaffen, die er braucht, um zu entscheiden, wie er auf die FRAGE reagieren will. Im Unterschied zu RÜCK- und NACHFRAGEN neigt Sp2 bei HINTERFRAGEN eher dazu, die FRAGE nicht zu beantworten. RÜCK-, NACH- und HINTERFRAGEN werden als sequenzabhängige FRAGE-Typen in den Kapiteln 5.1, 5.2 und 5.3 der vorliegenden Arbeit ausfuhrlicher behandelt. Die Sequenzmuster im FRAGE-ANTWORT-Dialog lassen sich im folgenden Schaubild [Schema 2-V] darstellen.
95 [Schema 2-V] Spi im 1. Zug
Sp2 im 2. Zug
Spi im 3. Zug
Das Zeichen # bedeutet die Beendigung des Dialogs." Die runde Klammer ( ) bedeutet, daß die Reaktionsmöglichkeit fakultativ, d.h. je nach Dialogtyp, zulässig ist. Das Zeichen => bedeutet, daß der Dialog weiter fortgesetzt wird.
96 2.5
Aspekte der Typologisienmg von FRAGE-Handlungen
In der Forschung gibt es verschiedene Vorschläge zur Typologisienmg von FRAGEHandlungen.'^ Wie oben schon mehrmals gesagt, sind die FRAGE-Handlungen eng auf die Sprechhandlungen bezogen, auf die sie als ANTWORTEN abzielen. Auf diese enge Beziehung zwischen den FRAGE-Handlungen und den ANTWORT-Handlungen hat Hundsnurscher (1975) im Hinblick auf die Erstellung einer Typologisienmg der FRAGE-Handlungen ausdrücklich hingewiesen. Hundsnurscher (1975: 13) schreibt: Die hier diskutierten beispiele deuten daraufhin, daß eine typologie der fragen zusammenailt mit einer typologie der Sprechakte, zu denen mit fragen aufgefordert werden kann.
Hindelang (1995: 177) folgt diesem methodologischen Vorschlag und entwickelt von daher folgende Unterscheidungen: »RAT-FRAGE« »AUSKUNFTS-FRAGE« »BEGRÜNDUNGS-FRAGE« »VORSCHLAGS-FRAGE« »EXPRESSIONS-FRAGE« »BESTÄTIGUNGS-FRAGE« »UNTERRICHTSBEITRAGS-FRAGE« »WISSENSNACHWEIS-FRAGE« Eine andere methodologische Herangehensweise besteht darin, FRAGE-Handlungen nach den Typen von Dialogen zu klassifizieren, die durch eine FRAGE-Handlung initiiert bzw. eröffnet werden. Hindelang (1995: 184) schreibt: Eine Typologie der Fragen fällt zusammen mit der Typologie der Dialoge bzw. der Dialogphasen, zu deren kommunikativem Zweck sie beitragen.
Im Zusammenhang mit diesem Zugriff unterscheidet Hindelang (1995: 186) drei verschiedene Dialogphasen, auf deren Hintergrund »eine dialogtypsensitive Subklassifikation« erstellt werden kann: »Selbständige Dialogphasen, die für sich allein einen Dialogtyp bilden können«; »unselbständige Dialogphasen, die direkt zum Zweck eines Dialogtyps beitragen«; »unselbständige Dialogphasen, die nicht unmittelbar und direkt zum Dialogzweck beitragen«.
'' Klassifikationsvorschläge wie z.B. >EntscheidungsÍTagenErgänzungsfragenRhetorische Fragen< usw., die in der traditionellen Grammatik gemacht wurden, bleiben hier unberücksichtigt.
97 Nach dieser Einteilung der Dialogphasentypen schlägt Hindelang (1995: 187-193) folgende Beispiele von FRAGE-Typen vor: »AUSKUNFTSFRAGE« »DEFIZITFRAGE« »PRÜFUNGSFRAGE« »LEHRERFRAGE«'" »ERKUNDIGUNGS-FRAGE« »RÜCKFRAGE« Im folgenden wird versucht, diese theoretische Überlegung zu vertiefen und daraus einen Vorschlag für eine Klassifikation der >sequenzabhängigen< FRAGE-Handlungen abzuleiten. Aus dialoganalytischer Perspektive'^ können zunächst drei Typen von FRAGEHandlungen unterschieden werden. Zum ersten Typ gehören FRAGE-Handlungen, die einen >selbständigen< Dialog initiieren. Solche FRAGEN eröffnen unabhängig von anderen Dialogen Dialogtypen, die mit einem charakteristischen positiven Bescheid beendet werden können (wie z.B. Beratungs-Dialog oder Auskunfts-Dialog). Sie konstituieren einen bestimmten Dialogtyp bzw. ein bestimmtes Dialogmuster und sollen deshalb als >dialogtypkonstitutive< FRAGEN bezeichnet werden. Zum zweiten Typ gehören FRAGE-Handlungen, mit denen eine neue Phase eines laufenden Dialogs initiiert wird. Solche FRAGEN können sequenzabhängig in einen Dialog eingeschoben oder angehängt werden und sollen deshalb als >sequenzabhängige< FRAGEN bezeichnet werden. Zum dritten Typ gehören FRAGE-Handlungen, mit denen ein bestimmter sozialer Interaktionsrahmen eröffnet oder abgeschlossen wird. Mit solchen FRAGEN erkundet man generelle oder spezifische Kommunikationsbedingungen wie z.B. die Kommunikationsbereitschaft des Gesprächspartners oder sein Einverständnis, sich einem bestimmten Thema zuzuwenden. Solche FRAGEN können im Vorfeld oder im Nachfeld des Dialogkems vorkommen; dabei soll zwischen >Vorfeld-FRAGENachfeld-FRAGE< und >VORFRAGE< unterschieden werden.
Zur Funktion und Deutung der >Lehrerfragen< vgl. Weigand (1989a: insbesondere 263ff.). '' Hundsnurscher (1994) gibt einen Überblick über verschiedene Ansätze zu Dialog-Typologie.
98 2.5.1
Dialogtypkonstitutive FRAGEN
Aus dialoganalytischer Perspektive bedeutet eine Klassifizierung von dialogtypkonstitutiven FRAGEN eine Klassifizierung der Dialogmuster, die von dialogtypkonstitutiven FRAGEN initiiert werden oder deren typische Züge aus solchen FRAGEN bestehen. Dementsprechend sollen hier nicht mehr einzelne FRAGE-Handlungen als isolierte Handlungstypen beschrieben werden; es sollen vielmehr unterschiedliche FRAGE-ANTWORTDialoge betrachtet werden. In diesem methodischen Rahmen wird dann z.B. eine AUSKUNFTSFRAGE im Zusammenhang mit dem Auskunftsdialog beschrieben, eine RATFRAGE als typischer Zug im Beratungsdialog, eine PRÜFUNGSFRAGE als Teil eines Prüftingsdialogs bzw. Unterrichtsdialogs, eine VERHÖRFRAGE in Bezug auf den Dialogtyp des Verhörs usw. Zur Klassifizierung und Beschreibung von Untermustem des FRAGE-ANTWORT-Dialogs müssen die Dialogzwecke und die dafür optimalen oder möglichen Sequenzmuster berücksichtigt werden. Dabei gilt der Dialogzweck als das oberste Kriterium fiir die Charakterisierung eines FRAGE-ANTWORT- Dialoguntermusters.'^ Im folgenden wird der Versuch unternommen, im Hinblick auf den Dialogzweck einige dialogtypkonstitutive FRAGEN exemplarisch vorzustellen.
2.5.1.1
Dialogtypkonstitutive FRAGEN und Untermuster des FRAGE-ANTWORTDialogs
Im folgenden soll nun das Verhälmis zwischen dem Handlungsziel von Spi und dem Dialogzweck des FRAGE-ANTWORT-Dialogs näher charakterisiert werden.'' Es lassen sich folgende Möglichkeiten unterscheiden: Der Dialogzweck fällt zusammen mit dem Handlungsziel von Spi bei der FRAGEHandlung wie z.B. bei AUSKUNFTSFRAGEN und RATFRAGEN (im Kapitel 2.5.1.1.1). 56
57
Vgl. Hundsnurscher (1994: 216): »Neben dem Handlungszweck als dem obersten Kriterium flir die Handlungscharakteristik kommen vor allem die Handlungsbedingungen (situative Umstände) und die Handlungsmittel (sprachliche Äußerungsformen) als die konstitutiven Komponenten sprachlicher Handlungen in Frage. Eine sprachliche Handlung ist dadurch charakterisiert, daß ein Sprecher mit einer spezifischen Äußerungsform unter bestimmten situativen Umständen einen kommunikativen Handlungszweck erreichen will. Eine Klassifikation sprachlicher Handlungsformen wird sich dieser konstitutiven Komponenten als grundlegender typologischer Kriterien bedienen mtlssen.« Vgl. Hundsnurscher (1986: 39): »Vom Zweckbegriff, der auf das Gespräch bezogen ist, ist der Begriff des Handlungsziels zu unterscheiden, der auf die Sprecher bezogen ist. Dialoge haben Zwecke, Sprecher haben Ziele.«
99 Der Dialog ist eingebunden in übergeordnete institutionelle Zwecke. Der Dialogzweck des FRAGE-ANTWORT-Dialogs geht deshalb über den Handlungszweck der einzelnen FRAGE hinaus wie z.B. bei VERHÖRFRAGEN und PRÜFUNGSFRAGEN (im Kapitel 2.5.1.1.2 und 2.5.1.1.3). Der Dialog ist nicht im engeren Sinne Teil einer Interaktionspraxis einer bestimmten Institution, sondern gehört vielmehr zu einer gesellschaftlich verankerten Kommunikationsform. Insofern eine FRAGE zum Zweck dieser Kommunikationsform beiträgt, geht der Zweck des Dialogtyps über den Handlungszweck der (einzelnen) FRAGE hinaus (im Kapitel 2.5.1.1.4).
2.5.1.1.1 AUSKUNFTSFRAGE im Auskunftsdialog und RATFRAGE im Beratungsdialog Hat Spi in einem FRAGE-ANTWORT-Dialog nur das Ziel, Sp2 zu einem bestimmten Typ von Sprechhandlungen zu veranlassen, die er bei einem positiven Bescheid erwartet, dann ist der Dialogzweck mit dem Handlungsziel identisch, das er bei einer einzelnen FRAGE hat. Wenn Spi also durch eine oder mehreren FRAGEN die erwartete ANTWORT bekommen hat, hat er sein Handlungsziel erreicht, und damit ist auch der Handlungszweck der FRAGEN und gleichzeitig der Dialogzweck des initiierten Dialogtyps erflillt. Typische Beispiele dafür sind Auskunftsdialoge oder Beratungsdialoge.^* Mit einer AUSKUNFTSFRAGE eröffnet Spi einen Auskunfts-Dialog. Dabei zielt er darauf ab, daß Sp2 ihm eine AUSKUNFT bzw. INFORMATION gibt. Sp2 soll bei einem positiven Bescheid einen Sachverhalt richtig und zutreffend darlegen. Indem Spi bei der AUSKUNFTSFRAGE das Handlungsziel >Auskunftseinholung< erreicht, ist auch der Dialogzweck des Auskunftsdialogs erftillt. In ähnlicher Weise verhält sich eine RATFRAGE zu einem Beratungsdialog. Mit einer RATFRAGE eröffnet Spi einen Beratungsdialog. Dabei zielt er darauf ab, daß Sp2 ihm einen RAT gibt. Ein positiver Bescheid ist also ein RATSCHLAG. Eine RATFRAGE und ein RATSCHLAG konstituieren den Dialogkern eines Beratungsdialogs. Im Unterschied zu einem Auskunftsdialog hat ein Beratungsdialog jedoch in der Regel eine komplexe interne Struktur." In einem Beratungsdialog konfrontiert Spi Sp2 mit einem >praktischen< Problem. Spi weiß nicht, was er tun soll. Neben den >praktischen< Problemen, die gelöst werden, indem man etwas tut, gibt es >theoretische< Probleme, die da-
" Zur Beschreibung von Auskunftsdialogen vgl. Wunderlich (1978) und Franke (1990: 123-134). Vgl. Hundsnurscher (1994: 228). Zur Beschreibung der Struktur komplexer Dialogtypen vgl. Kohl (1986).
100 durch gelöst werden, daß man etwas weiß.®" Nicht selten werden diese theoretischen Probleme als Teil von Beratungsgesprächen thematisiert. In manchen Beratungsgesprächen kommt es vor, daß das von Spi präsentierte Problem zunächst nicht klar definiert ist. Es ist auch möglich, daß verschiedene Lösungswege existieren, je nachdem, unter welcher Perspektive das Problem betrachtet wird, welche (situative) Umstände mit dem Problem verbunden sind, und welche Konsequenzen die einzelnen Lösungswege nach sich ziehen können, usw. In einem Beratungsdialog werden solche praktischen und theoretischen Probleme und deren Lösungswege diskutiert und überprüft. Der Dialogzweck eines Beratungsdialogs besteht also darin, durch solche Diskussionen und Übeφrüfungen den bestmöglichen RAT zu finden.
2.5.1.1.2 VERHÖRFRAGE im Verhördialog und PRÜFUNGSFRAGE im Prüfiingsdialog Es ist nicht immer der Fall, daß der Dialogzweck eines FRAGE-ANTWORT-Dialogs mit dem Handlungszweck einer FRAGE deckungsgleich ist. Typische Dialoge, bei denen es eine solche Identität nicht gibt, sind Verhör- und Prüfimgsdialoge. In einem Verhör zielt Spi mit einzelnen FRAGEN (VERHÖRFRAGEN) darauf ab, Tatsachen zu ermitteln. Sp2 soll bei einem positiven Bescheid wahre AUSSAGEN" machen. Der Zweck des Verhördialoges besteht jedoch nicht einfach darin, Tatsachen zu ermitteln bzw. wahre AUSSAGEN zu sammeln. Er geht darüber hinaus und besteht darin, stichhaltige Beweise für eventuelle gerichtliche Untersuchungen zu eruieren. Nur wenn man den größeren institutionellen Zusammenhang im Auge behält, können die verschiedenen Handlungsvarianten, die im Verhördialog vorkommen, erfaßt und beschrieben werden.®^
Geht man von einer Unterscheidung zwischen praktischen und theoretischen Problemen bzw. praktischem und theoretischem Wissen, kann man verschiedene verwandte Gesprächstypen wie folgt unterscheiden: Ausgangspunkt: Praktisches Problem Theoretisches Problem
φ Einseitige Problemlage: Beratungsgespräch oder oder gemeinsame Problemlage: Planungsgespr9ch
4 Auskunftsgespräch oder Diskussion (Argumentation)
Zielpunkt: Entscheidung, was man tun soll. Wissen, was der Fall ist. Vgl. Hindelang (1977) und (1981) und Fritz (1982: 226 und Anm. 2). Zum Sprechakttyp des AUSSAGENS vgl. Rolf (1983: 172-173). Vgl. Franke (1990: 89) zum Dialogmuster des Verhörs: Das Dialogmuster »[ist] als kompetitiver Dialogtyp mit kognitivem Interaktionsgegenstand zu klassifizieren. Zu den konstitutiven Elementen des Musters VERHÖR gehört nicht nur die Realisierung von Frage/Antwort-Sequenzen,
101 In gleicher Weise verhält sich eine PRÜFUNGSFRAGE zum Prüftmgsdialog. Das Handlungsziel von Spi bei einzelnen PRÜFUNGSFRAGEN besteht darin, den Wissensstand von Sp2 zu ermitteln, der Dialogzweck des Prüfungsdialogs geht aber darüber hinaus. Spi will oder muß in dem Dialog eine zuverlässige Bewertungsgrundlage für den Abschluß einer bestimmten Ausbildungsphase von Sp2 schaffen.
2.5.1.1.3 INTERVIEWFRAGE in Interviews Der Interview-Dialog ist ein weiteres Beispiel für ein FRAGE-ANTWORT-Dialoguntermuster, dessen Dialogzweck nicht durch das Handlungsziel von Spi bei einzelnen FRAGEN charakterisiert werden kann. In einem Interview-Dialog zielt Spi mit INTERVIEWFRAGEN (wie bei AUSKUNFTSFRAGEN in einem Auskunftsdialog) darauf ab, Sp2 AUSKÜNFTE bzw. INFORMATIONEN zu entlocken. Der Dialogzweck eines Interviewdialogs kann aber nicht allein durch dieses Handlungsziel charakterisiert werden. Der Dialogzweck besteht vielmehr darin, die von Sp2 gegebenen INFORMATIONEN zu veröffentlichen. So verfolgt Spi im Interview-Dialog nicht seine individuellen Handlungsziele, sondern agiert als Vertreter eines Massenmediums. Aus diesem Grund muß man davon ausgehen, daß der Adressat einer ANTWORT in einem Interviewdialog nicht der Interviewer, sondern der Rezipient des Massenmediums ist." Die Tatsache, daß die Information veröffentlicht wird, stellt kein sprachliches Phänomen dar. Sie soll als übergeordneter Kommunikationszweck in einer gesellschaftsspezifischen Lebenspraxis angesehen werden. Da sich ein Interviewdialog eben dadurch von anderen FRAGE-ANTWORT-Dialogtypen unterscheidet, muß er als ein eigenständiger Dialogtyp angesehen werden.
2.5.1.1.4 ERKUNDIGUNGSFRAGE im >Small-talk-Gespräch< Auch die sog. >ERKUNDIGUNGSFRAGE< soll in dem Zusammenhang einer bestimmten Lebenspraxis analysiert werden. Mit ERKUNDIGUNGSFRAGEN" kann man eine Form sondern ebenso der Vollzug von Sprechhandlungen, die aus der institutionellen Einbindung dieses Dialogtyps resultieren, etwa die Realisation des Musters RECHTSMITTELBELEHRUNG. Der Vollzug einer Handlung nach diesem Muster kann nicht als bloße Variation des zugrunde liegenden Dialogtyps auf der Realisationsebene angesehen werden, sondern ist als obligatorischer Zug, also als muster-konstitutives Element des komplexen Sprachspiels VERHÖR einzuschätzen.« Vgl. Völzing (1979:20): »In Interviews, die im Prinzip dazu dienen, prominenten Leuten brisante Informationen zu entlocken, um diese der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, [...].« Zu einer genaueren Charakterisierung von >ERKUNDIGUNGSFRAGEN< in einem Small-talkGespräch vgl. Hindelang (1995: 190-192).
102 des >Sman-talk-Gesprächs< initiieren. Der Dialogzweck dieser Gespräche liegt in der Etablierung bzw. Stabilisierung der sozialen Beziehung. Der Zweck dieser Kommunikationsform geht damit über das Ziel des Sprechers hinaus, durch eine FRAGE eine Information zu bekommen. Insofern unterscheiden sich ERKUNDIGUNGSFRAGEN
von AUS-
KUNFTSFRAGEN. Will man diese Unterschiede aufrecht erhalten, ist es notwendig, auch die Frageinhalte zu differenzieren. ERKUNDIGUNGSFRAGEN betreffen private Lebensumstände oder persönliche Angelegenheiten von Sp2.^' Ein Problem dieser Betrachtung liegt darin, daß Small-talk-Gespräche nicht ausschließlich durch FRAGEN initiiert werden; deshalb ist es nicht ohne weiteres möglich, ein Small-talk-Gespräch als einen FRAGE-ANTWORT-Dialog anzusehen. Die folgende Tabelle [Schema 2-VI] gibt eine Übersicht über die Teilklassifikation der dialogtypkonstitutiven FRAGEN und der von ihnen initiierten FRAGE-ANTWORT-Dialoguntermuster. [Schema 2-VI]
FRAGEN in einem
Ziel der FRAGE-Handlung
Zweck des FRAGE-
FRAGE-ANTWORT-
von Spi
ANTWORT-Dialogs
Einholung der AUSKUNFT
Einholung der AUSKUNFT
Einholung des RATES
Finden des >bestmöglichen
optimal< für den betreffenden Dialog angesehen werden? Als >optimal< kann der Verlauf mit einem positiven Bescheid (das ANTWORT-GEBEN) von Sp2 im zweiten Zug und das AKZEPTIEREN der ANTWORT von Spi im dritten Zug angesehen werden.®^ Bei diesem Verlauf ist die kommunikative Kooperation zwischen Spi und Sp2 >optimal< gelungen. Der Dialog kann aber auch einen anderen Verlauf nehmen. Im Kapitel 2.4 wurde dargestellt, welche Reaktionsmöglichkeiten Sp2 generell in einem FRAGE-ANTWORT-Dialog im zweiten Zug hat, und welche Optionen für Spi im dritten Zug bestehen (vgl. [Schema 2-V]). Je nachdem, um welchen Untertyp des Fragedialogs es sich nun handelt, und wie die kommunikative Situation beschaffen ist, sind einzelne dieser Reaktionsmöglichkeiten nicht zulässig, d.h. die Dialogteihiehmer können bestimmte Reaktionen nicht wählen, ohne damit gegen konventionalisierte Interaktionsregeln zu verstoßen.^^ So hat Sp2 z.B. bei einem Wegauskunftsdialog im zweiten Zug ziemlich eingeschränkte Reaktionsmöglichkeiten: ANTWORT-GEBEN (AUSKUNFTSERTEILUNG), PASSEN oder RÜCK- bzw. NACHFRAGEN.^' ANTWORT-VERWEIGERN, ZURÜCKWEISEN, HINTERFRAGEN, AUSWEICHEN oder GEGENFRAGE würden bei einer einfachen WEGAUSKUNFTSFRAGE als Verstoß gegen Kommunikations- bzw. Höflichkeitsregel
67
Vgl. Hundsnurscher (1980, insbesondere S. 92) zu >wohlgefomiten DialogenDialogen in Institutionen< vgl. Rolf (1994). " Vgl. Franke (1990: 82): Beratungsdialoge können »im Rahmen institutionalisierter Sprechsituationen realisiert werden (Studienberatung, Psychotherapeutische Beratung); sie können aber ebenso in informelle, alltägliche situative Kontexte eingebettet sein.«
105 Befragungsdialog in Rahmen eines Untersuchungsausschusses als Teil der parlamentarischen Praxis Befragungsdialog im Rahmen von Expertenanhörungen als Teil der parlamentarischen Praxis Befragungsdialog im Rahmen von Bewerbungs- und Vorstellungsgesprächen als Teil der Handlungs- und Kommunikationsstrukturen in der Wirtschaft Befragungsdialog im Rahmen von Quizveranstaltungen in den Medien als Produkt der Unterhaltungsindustrie usw.
2.5.2
Sequenzabhängige FRAGEN
Mit >dialogtypkonstitutiven< FRAGEN wird ein selbständiger Dialogtyp eröffriet. Durch >sequenzabhängige< FRAGEN beginnt eine neue Dialogphase innerhalb eines Dialogs. Je nachdem, welche Funktion die neue Phase hat, lassen sich bei sequenzabhängigen FRAGEN zwei Typen unterscheiden. Zum ersten Typ gehören FRAGEN, die eine neue Dialogphase initiieren, die zur Klärung eines Verständnisproblems führt. Sie sollen je nach Problemtypen RÜCK-, NACHund HINTERFRAGEN genannt werden. Diese neue Phase soll als ein >Sub-Dialogkompetitiven< Charakter." Die einzelnen Typen von sequenzabhängigen FRAGEN werden im Kapitel 5 der vorliegenden Arbeit ausführlich beschrieben.
Zum Begriff >Subdialog< vgl. Hindelang (1995: 192-193). " Zur Charakteristik der >kompetitiven Minimaldialoge< vgl. Franke (1990: 65-67; 76).
106 2.5.3
Kommunikationsvorbereitende bzw. -nacharbeitende FRAGEN
Es gibt verschiedene Sprechhandlungen, die dazu dienen, einen sozialen Interaktionsrahmen zu eröffnen oder abzuschließen. Zu solchen kommunikationsvorbereitenden bzw. kommunikationsnacharbeitenden Sprechhandlungen gehören neben Begrüßungen, Verabschiedungen, Entschuldigungen, Danksagungen insbesondere solche FRAGEN, durch die man erkundet, ob die Kommunikationsbedingungen zur Eröffiiung oder zur Beendigung eines Gesprächs oder einer Gesprächsphase gegeben sind. Dialoge sind in sozialen Interaktionen verschiedenster Art eingebettet; sie haben kommunikative Vor- und Nachfelder, die größtenteils nicht konstitutiv sind für das Dialogmuster (Begrüßungen, Verabschiedungen, Regieanweisungen usw.), die aber die Funktion haben, die Bedingungen fìlr den initiativen Sprechakt herzustellen, im Gesprächsverlauf auf das Gesprächsziel hin zu orientieren, das Gesprächsergebnis zu sichern und zu anderen Dialogtypen überzuleiten. Diese Umgrenzung und Abgrenzung ist ein analytisches Erfordernis für die Regelbeschreibung. (Hundsnurscher 1980: 93)
Solche FRAGEN kommen sowohl im kommunikativen Vorfeld als auch im kommunikativen Nachfeld vor und dienen zur Etablierung bzw. Auflösung von sozialen Interaktionsrahmen. Sie dienen »zur Sicherung der spezifischen Voraussetzungen für die erfolgreiche Realisierung eines Dialogs« (Franke 1990: 110). FRAGEN, die im Dialogvorfeld zur Gesprächseinleitung dienen, sollen Vorfeld-FRAGEN genannt werden. FRAGEN, die im Dialognachfeld zur Beendigung eines Dialogs oder einer Dialogphase dienen, sollen als Nachfeld-FRAGEN bezeichnet werden. Es gibt auch FRAGEN, durch die man im kommunikativen Vorfeld spezifische kommunikative Voraussetzungen erkundet. Sie sollen VORFRAGEN genannt werden.
2.5.3.1
Vorfeld-FRAGEN
Vorfeld-FRAGEN kommen im Gespräch meistens ritualisiert vor. Den höchsten Grad der Ritualisierung haben FRAGEN, die in einem konventionell bestimmten Kommunikationsrahmen wie z.B. in einer öffentlichen Beratungsstelle oder einem Verkaufsgespräch vorkommen. Mit ihnen signalisiert Spi, daß er bereit ist, ein entsprechendes Gespräch zu führen. Typische Äußerungsformen dafür sind: (i) IVas kann ich für Sie tun? Worum geht es? Was ist Ihr Anliegen? Was haben Sie auf dem Herzen? Was hat Sie zu mir geführt? Welches Problem führt Sie zu mir?
107 Womit kann ich dienen? fVas darf es sein? Was kann ich Ihnen zeigen? Was wünschen Sie? usw. Es gibt auch Äußerungen, die zur Erkundung der generellen kommunikativen Bedingungen dienen.^'' Beispiele dafür sind: (ii)
. Darf Kann
ich
eine Frage stellen?
Sie was fragen? Erlauben Sie mir, eine Frage zu stellen? Darf ich Sie um einen Gefallen bitten? usw.
Während die Beispiele unter (i) durchaus auf eine ANTWORT abzielen, die filr den weiteren Gesprächsverlauf relevant ist, können die Beispiele unter (ii) nicht unbedingt als FRAGEN gewertet werden. Die Äußerungen in (ii) können auch in die Äußerungsformen einer FRAGE oder einer BITTE integriert sein und fimktionieren ähnlich wie performative Formeln.^' Ein Beispiel dafür wäre: Darf ich die Frage stellen, wo Sie diesen schönen Mantel gekauft haben? Sie können jedoch in bestimmten kommunikativen Situationen auch als Erkundung der kommunikativen Bedingungen bzw. als eine BITTE-um-ERLAUBNIS verstanden werden. Wenn die entsprechende Voraussetzung nicht erfüllt ist, kann das Gespräch nicht stattfinden oder es verzögert sich. Ein Beispiel aus dem Korpus ist(l). (1)
»Nun werde ich«, sagte K., »wenn Sie erlauben, eine sehr grobe Frage stellen.« Die Wirtin schwieg. »Ich darf also nicht fragen«, sagte K., »auch das genügt mir.« [Kafka: Das Schloß, S. 13Φ-135. Digitale Bibliothek]
Die Vorfeld-FRAGEN können im engeren Sinne nicht als FRAGEN verstanden werden. Sie gehören vielmehr zu einer Klasse von ritualisierten Sprechhandlungen, die dazu dienen, ein Gespräch zu eröffhen.
Vgl. Schegloff (1980). ' ' Zu performativen Formeln vgl. Kapitel (1.3.1 und 1.3.2) der vorliegenden Arbeit.
108 2.5.3.2
VORFRAGEN
Im Unterschied zu den Vorfeld-FRAGEN sind VORFRAGEN als eine Form von FRAGEN anzusehen. Wenn die VORFRAGEN geklärt sind, soll zu einem späteren Zeitpunkt im Gespräch die eigentliche FRAGE oder das eigentliche Anliegen vorgetragen werden. Typische Beispiele dafür sind (i)-(vii): (i) (ii)
Hast du Ahnung von Computern? Kennen Sie sich hier in der Gegend aus?
(iii)
Hast du diesen Kuchen gebacken?
(iv)
Hast du mal einen Moment Zeit (für mich)?
(v)
Hast du heute abend Zeit?
(v') (vi)
Hast du heute abend (schon) etwas vor? Was hast du heute nachmittag vor?
(vii)
Was machst du morgen?
Die Äußerungen (i)-(vii) können als FRAGE-Handlungen gelten, haben jedoch, für sich allein betrachtet, keine kommunikative Pointe, d.h. bei diesen FRAGEN wird das kommunikative Ziel von Spi nicht deutlich.^® Aus diesem Grund kann man auf solche FRAGEN mit einer BEGRÜNDUNGSFRAGE wie Warum? reagieren. Mit VORFRAGEN nimmt Spi eine mögliche, nachträgliche Klärungssequenz vorweg. Er will herausfinden, ob einzelne Handlungsbedingungen für bestimmte Sprechakte oder Gespräche vorliegen.^^ VORFRAGEN sind daher nur dann sinnvoll, wenn Spi sich nicht sicher sein kann, ob die entsprechenden Handlungsbedingungen vorliegen. Die VORFRAGEN sind ebenso wie sequenzabhängige Klärungs-FRAGEN nicht gesprächstypspezifisch, d.h. es ist nicht festgelegt, für welchen Sprechakt die VORFRAGE die kommunikativen Voraussetzungen klären soll. In (i) und (ii) kann man noch sehr leicht erkennen, welche Sprechhandlung mit den VORFRAGEN verknüpft werden sollen. Die Äußerung (i) Hast du Ahnung von Computern? kann die Voraussetzungen für eine RATFRAGE oder eine BITTE abklären. Nach
Vgl. Goffman (1976: 291): »[...] the opening Statement: >Have you got a minute?< can anticipate, and receive, such a reply as: >0f coursePräsequenzen< bekannt. Zu einer zusammenfassenden Beschreibung von verschiedenen Präsequenzen vgl. Levinson (1990: 343-361). Vgl. auch Fritz (1982: 187) für eine Analyse der Zwecke solcher Präsequenzen.
109
einem positiven Bescheid^* kann Spi z.B. BITTEN, ihm bei einem Problem mit seinem Computer zu helfen, oder er kann eine RATFRAGE stellen. Erfolgt auf die Äußerung (ii) Kennen Sie sich hier in der Gegend aus? ein positiver Bescheid von Sp2, kann Spi eine AUSKUNFTSFRAGE über Besonderheiten der Gegend oder eine WEGAUSKUNFTSFRAGE anschließen. Bei der FRAGE (iii) Hast du diesen Kuchen gebacken? kann man erwarten, daß Spi auf einen positiven Bescheid hin ein KOMPLIMENT machen wird. Weniger gebräuchlich, durchaus möglich wäre jedoch auch eine Kritik: Dachte ich mir — schmeckt nach nichts. Die FRAGEN (iv) Hast du mal einen Moment Zeit (für mich)? und (v) Hast du heute abend Zeit? bzw. (v') Hast du heute abend schon etwas vor? sind die am höchsten konventionalisierten Formen von FRAGEN, mit denen man erkundet, ob man seinen Gesprächspartner eine gewisse Zeit in Anspruch nehmen darf. Für den Gesprächspartner ist es aber zunächst nicht ersichtlich, wie diese Zeit verbracht werden soll. Es ist also nicht leicht erkennbar, welchen Sprechakt Spi mit der VORFRAGE vorbereitet. Solche VORFRAGEN können so unterschiedlichen Sprechakten wie BITTE, VERABREDUNG, EMPFEHLUNG oder ähnlichen vorgeschaltet sein.™ Mit den Äußerungen (vi) fVas hast du heute nachmittag vor? und (vii) Was machst du morgen? zielt Spi darauf ab, daß Sp2 mit der ANTWORT mitteilt, was er zu tun beabsichtigt (ABSICHTSBEKUNDUNG^"). Solche FRAGEN müssen, ähnlich wie (iv) und (v), mit einem weiteren kommunikativen Zweck verbunden sein. Was dieser weitere Zweck aber im einzelnen ist, läßt sich für diese FRAGEN nicht allgemein festlegen.
2.5.3.3
Nachfeld-FRAGEN
Mit Nachfeld-FRAGEN signalisiert man den Abschluß eines Gesprächs oder eines Gesprächsthemas. Typische Äußerungsbeispiele dafür sind: Haben Sie (sonst) noch Fragen (dazu)? (Soweit) Alles klar? Haben wir alles geklärt? O.K.? Zufrieden? (Sonst) Noch Fragen? 78
Als positive Bescheide können u.a. folgende Äußerungen gelten wie Ja, ein wenig; Ein bißchen\ Ich beschäftige mich seit Jahren damit; Ich habe Grundkenntnisse, usw. Aus diesem Grund können solche VORFRAGEN strategisch ausgenutzt werden. Vgl. König (1989: 277). König stellt solche FRAGEN im Zusammenhang der Antizipation der Reaktionsmöglichkeiten des Gesprächspartners »als Realisation von Gesprächsstrategien« dar. Vgl. Graffe (1990: 113-126).
110 Sonst noch was? Gibt es (sonst noch) was zu kläre/besprechen? Haben Sie (sonst) noch einen Wunsch? Haben Sie (sonst) noch was auf dem Herzen? Wie Vorfeld-FRAGEN sind Nachfeld-FRAGEN im Gespräch ritualisiert. Sie dienen zur Abgrenzung der Gesprächsthemen oder der einzelnen Handlungsrahmen. In dieser Hinsicht sind sie von Sprechakten zu unterscheiden, die ausschließlich zur Verständniskontrolle eingesetzt werden wie z.B. Verstehst du?. Verstanden?, O.K.?, Kommst du mit? usw.*' Im Gegensatz zu den Nachfeld-FRAGEN können diese Rezeptionskontrollfragen jederzeit geäußert werden, wenn Spi Grund zu der Annahme hat, daß Sp2 seinen Äußerungen nicht folgen kann. Besonders häufig sind sie allerdings in Belehrungen und Erklärungen, bei denen Spi einen Informationsvorsprung vor Sp2 hat. Ein Beispiel aus dem Koφus für eine solche Rezeptionskontrolle ist (2). (2)
»[...] Je größer die Zeitdauer ist, die ich damit zubringe, desto kleiner sind die restlichen Schwankungen, du verstehst? [...]« [Gilmore: Alice im Quantenland. 1995, S. 30]
Vgl. Franke (1990: 134).
3.
Fragen wiedergeben und Frageverben
Bisher waren Frageäußerungen, FRAGE-Handlungen und FRAGE-Sequenzen Gegenstand der Untersuchung. Im folgenden 3. Kapitel soll eine erste Hinwendung zu den Frageverben erfolgen. Dies soll methodisch dadurch erreicht werden, daß zunächst in 3.1 untersucht wird, wie über FRAGE-Handlungen und FRAGE-Sequenzen gesprochen wird, d.h. insbesondere wie sie im Gespräch wiedergegeben werden. Dabei soll zunächst die ganze Breite der sprachlichen Mittel im Blick bleiben, die zur Wiedergabe von FRAGE-Handlungen und Frageäußerungen gebraucht werden. Erst in einem zweiten Schritt sollen dann die spezifischen Frage Verben herausgegriffen werden. Im Abschnitt 3.2 soll dann der deutsche Teilwortschatz der Frageverben analysiert werden.
3.1
Fragen wiedergeben
Betrachtet man das ganze Spektrum der Redewiedergabe- und Redebezugsmöglichkeiten (insbesondere in schriftlichen Texten), so lassen sich ganz unterschiedliche Dimensionen feststellen, hinsichtlich derer sich die Wiedergabeformen unterscheiden. Es sind dies: (i)
Unterschiede hinsichtlich der Explizitheit und Vollständigkeit der Wiedergabe des ursprünglichen Sprechaktes,
(ii)
Unterschiede hinsichtlich der graphemischen und syntaktischen Form, in der die Redewiedergabe realisiert wird,
(iii)
Unterschiede hinsichtlich der lexikalischen Mittel, die zur Formulierung der Redewiedergabe eingesetzt werden.
Im folgenden sollen die Variationen dieser Aspekte untersucht werden. Dabei hängen insbesondere die Form und die Explizitheit der Wiedergabe eng miteinander zusammen.
112 3.1.1
Die Variationen der Form und Explizitheit der Redewiedergabe
Die Beispiele (l)-(7) aus dem Кофиз können den Ausgangspunkt der Darstellung bilden: (1) (2) (3) (4)
(5) (6) (7)
»Sie sind allein? Ohne Begleitung?« »Ja, allein.« [Kafka: Amerika, S. 5-6. Digitale Bibliothek] Mit Absicht fragte er: »Wirst du meinen Koffer gleich packen und wegschicken?« [Kafka: Amerika, S. 269. Digitale Bibliothek] Die Musiker fragten ihn immer wieder, ob er ihnen nicht ein leises Übungsinstrument bauen könne, das gut spielbar sei. [NZZ, 05.11.96, Für lärmempfmdliche Ohren] Kohl bekannte sich zu einer »Gesamtverantwortung«, in der auch er als Parteivorsitzender stehe. Fragen nach seinem Rücktritt wies er zurück. [Mannheimer Morgen, 14.03.1989, Politik (MK)] Auf die Immobilie in E 1 angesprochen ließen die cleveren Stuttgarter eine recht sibyllinische Antwort verlauten: [...] [Mannheimer Morgen, 02.06.1995, Lokales (MK)] Immer fragten einige gleichzeitig, immer redeten außerdem einzelne untereinander. [Kafka: Amerika, S. 273-274. Digitale Bibliothek] Während der Weichenwärter bei Vernehmungen von Anfang an schwieg, verweigerte der Fahrdienstleiter erst die Aussage, als er als möglicher Urheber des Unglücks in Frage kam. [Mannheimer Morgen, 24.02.1999, Weltwissen (MK)]
In (1) wird die originale Äußerung ohne irgendeinen einleitenden Ausdruck wörtlich zitiert. Anführungszeichen markieren den Sprecherwechsei. Im Unterschied dazu werden die wiedergegebenen Äußerungen in (2)-{7) durch die mit Fettdruck hervorgehobenen Ausdrücke aufgenommen. Solche Ausdrücke sollen im folgenden als >Redeerwähnungsformel< bezeichnet werden. Diese Redeerwähnungsformeln sind syntaktisch unterschiedlich konstruiert. Sie können z.B. in Hauptsätzen wie in (2), (3) und (6), in einer Nominalphrase wie in (4), in einer Partizipialkonstruktion wie in (5) und in einer Präpositionalphrase wie in (7) ausgedrückt werden. Die Redeerwähnungsformeln enthalten Ausdrücke wie >fragte(. in (2) bzw. >fragtem in (3) und (6), >auf... angesprochem in (5), >Frageni in (4) und >Vernehmungen< in (7), mit denen man sich auf die ursprünglichen Äußerungen oder das Gespräch bezieht. Solche Ausdrücke sollen nach Hindelang (1983: 21) als »sprechhandlungsbezeichnende Ausdrücke (Abk. SB-Ausdrücke)«' bezeichnet werden. Die ursprünglichen Äußerungen, auf die man sich mit SB-Ausdrücken bezieht, sollen als >Bezugsäußerungen< bezeichnet werden. Hinsichtlich der syntaktischen und grammatischen Form können die Bezugsäußerungen höchst unterschiedlich wiedergegeben werden. In (2) wird die Bezugsäußerung durch die Redeerwähnungsformel Mit Absicht fragte er eingeleitet. Sie wird, in Anführungszeichen
'
Vgl. >Redeeinleitung< oder >Redekennzeichnung< (Wunderlich 1969: 101, Anm. 11) und >Einleitungslexeme< oder >Einleitungsausdrücke< (Jäger 1968).
113 gesetzt, wörtlich zitiert. Diese Wiedergabeform wird traditionell - zusammen mit der Wiedergabeform wie in (1) - als >direkte Redewiedergabe< bezeichnet. In (3) wird die Bezugsäußerung, ähnlich wie in (2), durch die Redeerwähnungsformel Die Musiker fragten ihn immer wieder eingeleitet, im Unterschiede zu (2) wird der Inhalt der Bezugsäußerung aber in Nebensatzform ausgedrückt. Diese Wiedergabeform wird in der Grammatik herkömmlicherweise als >indirekte Redewiedergabe< oder einfach als >indirekte Rede< bezeichnet.^ In der indirekten Rede wird die originale Äußerungsform syntaktisch verändert. Deiktische Ausdrücke wie z.B. Pronomen, Zeit- bzw. Lokaladverbien usw. werden an die Perspektive des Erzählenden bzw. Berichtenden angepaßt. Der Modus des fmiten Verbs kann im Konjunktiv 1 ausgedrückt werden. Wenn die Bezugsäußerung die Form des >Entscheidungsiragesatzes< hat, kann der Satz durch das Fragewort ob eingeleitet werden; andere Fragewörter wie z.B. wer, wen, was usw. werden unverändert aufgenommen.^ Im Unterschied zu direkten Redewiedergaben kommen bei indirekten Redewiedergaben nicht nur formale Änderungen vor, es können auch inhaltlich andere Akzente gesetzt werden. So muß der Nebensatz ob er ihnen nicht ein leises Übungsinstrument bauen könne, das gut spielbar sei in (3) als InhaUsangabe der Bezugsäußerung verstanden werden. Da mehrere Musiker als Agenten des Sprechaktes angegeben werden, ist es unwahrscheinlich, daß alle identische Äußerungsformen zum Vollzug des Sprechaktes gewählt haben. Die Inhalte der Bezugsäußerungen können bei der indirekten Redewiedergabe auch paraphrasiert, umschrieben, abstrahiert, komprimiert und zusammengefaßt werden.·* Wenn eine solche inhaltliche Abstraktion im Bericht- bzw. Erzähltext vorgenommen wird, geht es dem Berichterstatter nicht mehr um die sprachliche Form der wiedergegebenen Äußerungen, sondern um eine zusammenfassende Angabe des Inhalts. Auch die Formulierungen des Bezugs durch entsprechende Nominalphrasen wie in (4) {Fragen nach seinem Rücktritt) können Äußerungen inhaltlich komprimieren. Die Abstraktion der Äußerungsinhalte kann noch weitergehen wie in (5). Dort wird nur das Thema genannt, um das sich die Gesprächsbeiträge drehen: die Immobilie in E 1. Auf diese >Immobilie< wird in den Sprechakten, die mit (5) zusammenfassend wiedergegeben werden, vermutlich referiert. Was über diesen Referenzgegenstand prädiziert wurde und wel-
Vgl. Kaufmann (1976). Zu grammatischen Variationen der >indirekten Rede< vgl. Duden (®1998: 164-165; 779-784). Nach Austin (1962: 95) gibt man durch die direkte Redewiedergabe den >phatischen Akt< wieder, durch die indirekte den >rhetischen Akte »The phatic act is the uttering of certain vocables or words, i.e. noises of certain types, belonging to and as belonging to, a certain vocabulary, conforming to and as conforming to a certain grammar. The rhetic act is the performance of an act of using those vocables with a certain more-or-less definite sense and reference. Thus >He said »The cat is on the mat«He said that the cat was on the mat< reports a rhetic act.«
114 che illokutionären Rollen die Sprechakte hatten, bleibt unspezifiziert. Die Leser können nur aus dem weiteren Kontext und ihrem allgemeinen Weltwissen ableiten, auf welche Art von Sprechakten die ^cleveren Stuttgarten zu reagieren hatten. Schließlich ist es auch möglich, bei dem Bezug auf die ursprüngliche Äußerung Informationen über die konkreten propositionalen und thematischen Inhalte ganz wegzulassen wie in (6) und (7). Hier werden die Bezugsäußerungen in (6) lediglich als FRAGE-Handlungen charakterisiert bzw. in (7) einem bestimmten Gesprächstyp {Vernehmung) zugeordnet.^ Im folgenden soll noch kurz auf eine Reihe von Variationen eingegangen werden, die es hinsichtlich der graphemischen und syntaktischen Form der direkten Redewiedergabe gibt. In schriftlichen Texten können Äußerungen auch ohne Anführungszeichen wörtlich zitiert werden. Solche Berichtsformen kommen häufig bei der Wiedergabe von Interviews vor. Der Sprecherwechsel wird dann durch verschiedene Schriftarten und/oder durch Zeilenwechsel markiert. Ein Beispiel aus dem Korpus ist (8). (8)
Ist das Haus der Kunst also das erste Museum, das Besucher mit einem Dancefloor lockt? Da bin ich überfragt. Aber Musikinstallationen gab es schon bei den Dadaisten. [TAZ, 20. 04. 1996, »Alle reden von Orgien«]
Wenn wörtliche Wiedergaben durch Redeerwähnungsformeln eingeleitet werden, können die Redeerwähnungsformeln vorangestellt werden wie oben in (2). Sie können aber auch nachgestellt werden wie in (9). (9)
»1st es eine große Stadt?« fragte Karl. [Kafka: Amerika, S. 192-193. Digitale Bibliothek]
Es ist auch möglich, die Redeerwähnungsformel in der Mitte des Zitats einzuftigen. In diesem Fall wird die Bezugsäußerung in zwei Teile geteilt. Ein Beispiel aus dem Korpus ist (10). (10)
«Wie kann man», hat der Autor einmal gefragt, «die moderne Welt beschreiben, ohne zynisch zu werden?» [NZZ, 05.12.96, Lesezeichen]
In der Literatur wurden bisher meistens die Berichtstypen der direkten und der indirekten Rede behandelt. Nur selten wurden die Berichtstypen mit Inhaltsangaben behandeh, die in Nominalphrasen ausgedrückt werden. Kaum beachtet wurden bisher die Berichtstypen, die lediglich Angaben zum Thema oder zum Handlungs- und Gesprächstyp enthalten. Zu einer Analyse der Abstraktionsstufen der Äußerungen in indirekter Rede vgl. Wunderlich (1969) und (1972); zu einer Analyse verschiedener Berichtsaspekten der Äußerungen vgl. Zillig (1982; 2-11); zu einer Analyse der Berichtsformen insistierender Sprechakte vgl. Franke (1983); zu einer gesprächsverlaufsbezogenen Analyse der berichtenden Rede vgl. Fritz (1982: 149-204).
115 Auch bei der indirekten Redewiedergabe können die Redeerwähnungsformeln nicht nur vorangestellt wie oben in (3), sondern auch nachgestellt auftreten wie in (11). (11)
3.1.2
Ob das Publikum sie eigentlich höre, hatte sie zuvor frustriert in die Runde gefragt, [...] [NZZ, 24. Ol. 1995, Verhaltener Auftritt]
Lexikalische Mittel bei der Wiedergabe von Fragen
Eine besonders wichtige Dimension, in der sich die Redewiedergaben unterscheiden, ist die Wahl der lexikalischen Mittel. Bei der Wiedergabe von Fragen lassen sich zunächst drei Typen lexikalischer Ausdrücke unterscheiden: (i)
Redeerwähnungsformeln mit SB-Ausdrücken. Dabei lassen sich allgemeine Sprechaktverben, bei denen die lllokution unspezifiziert bleibt, von solchen Verben unterscheiden, bei denen der illokutionäre Akt des FRAGENS durch die Semantik des Verbs wiedergegeben wird.
(ii) (iii)
Redeerwähnungsformeln mit Verben, die sich auf kognitive Prozesse beziehen. Redeerwähnungsformeln mit komplexen Verbalphrasen oder nominalen Ausdrükken.
Zunächst soll die unter (iii) aufgeführte Gruppe kurz behandelt werden. Beispiele aus dem Koφus sind(12H15). (12) (13) (14) (15)
»Finde ich einen Job, wenn ich Sprachen studiere?«, wollte eine junge Frau von Dr. Regina Büscher, [..], wissen. [Mannheimer Morgen, 10.06.1995, Lokales (MK)] »Sind Sie ein Deutscher?« suchte sich Karl noch zu versichern, da er viel von den Gefahren gehört hatte, [...]. [Kafka: Amerika, S. 4. Digitale Bibliothek] »Wo sind all diese neuen Teilchenarten hergekommen?« bat sie um Aufschluß. [Gilmore: Alice im Quantenland. 1995, S.184] Aber zurück zur Abendakademie: Wie kommt sie dazu, derart Seltsames anzubieten? Gegenfrage: Warum eigentlich nicht? [Mannheimer Morgen, 07.01.1989, Lokales (MK)]
In (12) und (13) werden in den Redeerwähnungsformeln Handlungsabsichten bzw. -ziele des Sprechers der Bezugsäußerung mit den komplexen Verbalphrasen wollte wissen und suchte sich zu versichern thematisiert. In (14) enthält die Redeerwähnungsformel das Verb bitten. Die FRAGE wird so als Bitte um eine Information wiedergegeben. In (15) wird durch Aber zurück zur Abendakademie ein Themenwechsel angezeigt. Dadurch wird explizit gemacht, worauf sich die Bezugsäußerung, insbesondere der Ausdruck derart Seltsames bezieht. In dieser Redeerwähnungsformel wird kein SB-Ausdruck verwendet. Im Gegensatz dazu ist die nachfolgend wiedergegebene Äußerung Warum eigentlich nicht?
116 nur durch den nominalen SB-Ausdruck Gegenfrage
eingeleitet und charakterisiert. Hin-
sichtlich der kommunikativen Funktion müßte diese Äußerung allerdings als Zurückweisung einer kritischen Bemerkung verstanden werden. Im folgenden soll nun in (16)-(62) eine Sammlung von Belegen gegeben werden, in denen eine Frageäußenmg mit kognitiven Verben (wie z.B. denken) oder mit sprechaktbezeichnenden Verben (wie zB. fauchen, fragen) wiedergegeben wird. Die Verben aus diesen Beispielen sollen danach so gegliedert werden, daß die hier besonders interessierende Gruppe der Frageverben im Kontrast zu anderen Referenzmitteln herausgearbeitet werden kann. (16) (17)
(18)
(19)
(20)
(21)
(22) (23) (24)
(25)
(26)
(27) (28) (29)
»Was ist da >natürlich