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German Pages VII, 251 [245] Year 2020
Edition Centaurus – Perspektiven Sozialer Arbeit in Theorie und Praxis
Andreas Polutta Hrsg.
Kooperative Organisationsund Professionsentwicklung in Hochschule und Sozialwesen? Gleichstellungspolitik und Professionalisierung in geteilter Verantwortung
Edition Centaurus – Perspektiven Sozialer Arbeit in Theorie und Praxis Reihe herausgegeben von Jürgen Burmeister, Heidenheim, Deutschland Süleyman Gögercin, Villingen-Schwenningen, Deutschland Rene Gründer, Heidenheim, Deutschland Klaus Grunwald, Stuttgart, Deutschland Ute Koch, Stuttgart, Deutschland Karin E. Sauer, Villingen-Schwenningen, Deutschland
Soziale Arbeit als wissenschaftliche Disziplin hat die Aufgabe, für vielfältige Fra gen und Gegenstandsbereiche aus Disziplin, Profession und Praxis jeweils spezifische theoriegestützte Angebote zu machen und die je nach Feld, Fragestellung, Bezugswissenschaften usw. verschiedenen wissenschaftlichen Diskurse weiter zu entwickeln. Die vorliegende Schriftenreihe „Edition Centaurus – Perspektiven Sozialer Arbeit in Theorie und Praxis“ ist dieser Aufgabe verpflichtet. Sie entsteht vor dem Hintergrund eigener Lehr- und Praxiserfahrungen der Herausgeberinnen und Herausgeber insbesondere an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg und verfolgt das Ziel, Disziplin und Profession der Sozialen Arbeit mit unter schiedlichen Beiträgen zu befruchten. Die Herausgeberinnen und Herausgeber, Dezember 2015 Prof. Dr. Jürgen Burmeister, Heidenheim; Prof. Dr. Süleyman Gögercin, Villingen-Schwenningen; Prof. Dr. René Gründer, Heidenheim; Prof. Dr. Klaus Grunwald, Stuttgart; Prof. Dr. Ute Koch, Stuttgart und Prof. Dr. Karin E. Sauer, Villingen-Schwenningen Die Reihe ist zuvor unter dem Titel „Perspektiven Sozialer Arbeit in Theorie und Praxis“ im Centaurus Verlag erschienen.
Weitere Bände in der Reihe http://www.springer.com/series/15319
Andreas Polutta (Hrsg.)
Kooperative Organisations- und Professionsentwicklung in Hochschule und Sozialwesen? Gleichstellungspolitik und Professionalisierung in geteilter Verantwortung Festschrift für Professorin Brigitte Reinbold
Hrsg. Andreas Polutta Fakultät Sozialwesen Duale Hochschule Baden-Württemberg Villingen-Schwenningen, Deutschland Mit einem Vorwort der Reihenherausgeber und -herausgeberinnen Prof. Dr. Jürgen Burmeister, Prof. Dr. Süleyman Gögercin, Prof. Dr. René Gründer, Prof. Dr. Klaus Grunwald, Prof. Dr. Ute Koch und Prof. Dr. Karin E. Sauer
ISSN 2569-9601 (electronic) ISSN 2569-958X Edition Centaurus – Perspektiven Sozialer Arbeit in Theorie und Praxis ISBN 978-3-658-31602-0 ISBN 978-3-658-31603-7 (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-31603-7 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informa tionen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Springer VS ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany
Inhaltsverzeichnis
Vorwort der Herausgeberinnen und Herausgeber der Schriftenreihe .............. 1 Organisationen entwickeln, Gleichstellung erkämpfen, Schutz und Ermächtigung professionell gestalten - Eine einleitende Zusammenführung der Themenstränge Andreas Polutta ............................................................................................ 3
1 Organisations- und Professionsentwicklung in Wissenschaft und Praxis .................................................... 11 Professionalsierungspotentiale in dualen Studiengängen zur Sozialen Arbeit. Zu Voraussetzungen eines produktiven Wechselverhältnisses von Praxis und Theoriearbeit für die Kinder- und Jugendhilfe Andreas Polutta .......................................................................................... 13 Beiträge der Praxis für eine gemeinsame Professionalisierungsstrategie Michael Wollek........................................................................................... 33 Zur Bedeutung von Lehrenden aus der Praxis und Praxisanleitung als Brückenglied zwischen Theorie- und Praxisstudium Winfried Fritz ............................................................................................. 45 Governance-Strukturen, Welfare-Mix und organisationale Hybridisierung in der Kinder- und Jugendhilfe Paul-Stefan Roß.......................................................................................... 53 Organisationsentwicklung und Genderperspektive(n) - Plädoyer für eine kompetenzorientierte Verknüpfung Martina Hörmann....................................................................................... 77
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Inhaltverzeichnis
2 Diversität und Gleichstellungsarbeit in Hochschule und Sozialwesen ........................................................................ 93 Gleichstellung & Diversity in der ‚exzellenten, unternehmerischen Hochschule‘. Zur (Un-)Sichtbarkeit neuer Wissensordnungen auf visueller Ebene Ann-Kathrin Stoltenhoff .............................................................................. 95 Ein Blick aus der Gender-Perspektive: „Exklusion – die neue soziale Frage“ Irmgard Teske .......................................................................................... 109 Mediative Gleichstellungsarbeit an der Dualen Hochschule Beate Sieger-Hanus .................................................................................. 125 Gleichstellungsherausforderung Schülerinnen-Recruiting im MINT Bereich – der Schülerinnen-Infotag „Erlebe Technik“ als Best-PracticeBeispiel Anke Gärtner-Niemann, Ann-Kathrin Stoltenhoff, Gudrun Reichert ........... 135 „Alles Familie?!“ Die Vielfalt von Familienformen als Herausforderungen für eine gender- und diversitätsbewusste Soziale Arbeit Sandra Smykalla ....................................................................................... 149
3 Ermächtigung und Schutz von AdressatInnen Sozialer Arbeit in geteilter gesellschaftlicher Verantwortung ........ 163 Professionelle und organisatorische Anforderungen an die Wahrnehmung des Schutzauftrages im Kontext Früher Hilfen Reinhold Schone ....................................................................................... 165 Handlungsmächtigkeit unter widrigen Bedingungen: Perspektiven junger Geflüchteter auf Spielräume der Lebensgestaltung Gesa Köbberling & Barbara Schramkowski .............................................. 177 Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexualisierter Gewalt in pädagogischen Kontexten Anja Teubert............................................................................................. 193
Inhaltverzeichnis
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Kinderschutz bei Trennung und Scheidung als Handlungsfeld der öffentlichen Jugendhilfe Melanie Geiges und Steffen Kallenbach .................................................... 207 Fachliche Orientierungspunkte für die Arbeit in Jugend- und Sozialhilfe. Wider (vermeintliche) organisationale und institutionelle Begrenzungen der Sozialarbeit Georg Horcher ......................................................................................... 219
4 Zum Anlass der Publikation als Festschrift für Brigitte Reinbold ........................................................................... 229 Möglichkeiten kooperativer Organisations- und Professionsentwicklung in Hochschule und Sozialwesen - Ausblick im Lichte der Beiträge zur Festschrift Andreas Polutta ........................................................................................ 231 Sozial-ökologische Qualitätsentwicklung in Non-Profit-Organisationen revisited. Ein rück- und ausblickender Kommentar Bernd Maelicke ........................................................................................ 233 Lebendige Organisationsentwicklung – ein Essay Peter Greulich .......................................................................................... 235 Eine Gleichstellungsbeauftragte der DHBW auf zu neuen Ufern Gisela Meister-Scheufelen ........................................................................ 241 Statt eines Nachwortes: Laudatio zur Verleihung der Hochschulmedaille der DHBW an Brigitte Reinbold für ihre Verdienste als Zentrale Gleichstellungsbeauftragte Arnold van Zyl .......................................................................................... 247 Autor_innen ............................................................................................. 249
Vorwort der Herausgeberinnen und Herausgeber der Schriftenreihe
In der Schriftenreihe „Perspektiven Sozialer Arbeit in Theorie und Praxis“ werden Monographien und Sammelbände veröffentlicht, die im Kontext der Weiterentwicklung von Disziplin und Profession der Sozialen Arbeit stehen. Dabei soll durch die Auswahl der Fragestellungen, Themenfelder und Autorinnen und Autoren der Fachbereiche Sozialwesen der Dualen Hochschule Baden-Württemberg als Ort von Forschung und Theoriebildung sichtbar(er) gemacht werden. Die Soziale Arbeit als wissenschaftliche Disziplin ist heute durch vielfältige wissenschaftliche Diskurse gekennzeichnet, die in ihren Forschungsanstrengungen teils stärker theoretisch, teils stärker empirisch ausgerichtet sein können oder auch beide Perspektiven auf spezifische Weise miteinander verbinden. Soziale Arbeit als Disziplin differenziert sich dabei hinsichtlich ihrer Arbeitsfelder, methodischen Zugänge, bezugswissenschaftlichen Kontexte usw. ständig weiter aus. Soziale Arbeit als Profession bezeichnet eine besondere Form eines Berufs. Sie verfolgt insbesondere seit Ende der 60er Jahre das Ziel einer nachhaltigen Professionalisierung und ist durch die damit verbundenen Diskussionen über Berufsbilder, Kompetenzen und gesellschaftlichen Status von Sozialarbeiterinnen und Sozialpädagogen gekennzeichnet. Damit in Verbindung stehen Anstrengungen, die Ausbildung der Fachkräfte wissenschaftlich zu fundieren (vgl. Dewe/Otto 2015:1233). Disziplin und Profession der Sozialen Arbeit sind aufeinander bezogen und stehen in Wechselwirkung zueinander, auch wenn sie durch unterschiedliche Logiken geprägt sind. Pointiert gesagt: Die Profession benötigt einen Wissenschaftsbezug, um fundiert, kritisch und reflektiert agieren zu können, die Disziplin braucht einen Praxisbezug, will sie sich nicht im Elfenbeinturm der Wissenschaft an Prägekraft für die Praxis verlieren. Die Profession ‚Soziale Arbeit’ ist jedoch nicht gleich zu setzen mit der Praxis der Sozialen Arbeit, sondern steht zwischen der wissenschaftlichen Disziplin, die „wissenschaftliches Erklärungswissen“ liefert (Kriterium: „Wahrheit“) und der Praxis, die „praktisches Entscheidungswissen“ bereitstellt (Kriterium „Angemessenheit“) (Dewe/Otto 2005: 1966). Die Profession bedient sich sowohl © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 A. Polutta (Hrsg.), Kooperative Organisations- und Professionsentwicklung in Hochschule und Sozialwesen?, Edition Centaurus – Perspektiven Sozialer Arbeit in Theorie und Praxis, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31603-7_1
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Herausgeberinnen und Herausgeber der Schriftenreihe
des „wissenschaftlichen Erklärungswissens“ als auch des „praktischen Entscheidungswissens“ und verbindet die beiden Kriterien „Wahrheit“ und „Angemessenheit“ miteinander (ebd.). Ihr geht es – im Sinne eines permanenten Lernpro-zesses – darum, mit wissenschaftlichem Wissen fachliche Entscheidungen sorg-fältiger und stichhaltiger begründen zu können und gleichzeitig auf der Basis von praktischem Können die eigene Handlungskompetenz weiter zu verbessern. Die Erklärung oder Deutung von Situationen und Strukturen sowie die Bereitstellung einer Maßnahme oder eines Angebotes sind aus dieser Sicht aufeinander bezogen. Sie ergänzen und befruchten sich im besten Fall gegenseitig (vgl. ebd.). Soziale Arbeit als wissenschaftliche Disziplin – und damit auch diese Schriftenreihe – hat insofern die Aufgabe, für vielfältige Fragen und Gegenstandsbereiche aus Disziplin, Profession und Praxis jeweils spezifische theorie-gestützte Angebote zu machen und die je nach Feld, Fragestellung, Bezugswissenschaften usw. verschiedenen wissenschaftlichen Diskurse weiter zu entwickeln. Die Disziplin Soziale Arbeit stellt theoretische Rahmungen und Bezugs-punkte zur Verfügung, an denen sich die Profession teils orientieren, teils reiben kann und die Herausforderungen für professionelles Handeln in der Sozialen Arbeit darstellen können. Dies kann jedoch nur gelingen, wenn die Disziplin einerseits offen und sensibel ist für Themen- und Fragestellungen von Profession und Praxis Sozialer Arbeit und andererseits sich von diesen immer wieder selbst ‚verunsichern‘ bzw. in Frage stellen lässt. Die vorliegende Schriftenreihe „Perspektiven Sozialer Arbeit in Theorie und Praxis“ ist dieser Aufgabe verpflichtet. Sie entsteht vor dem Hintergrund eigener Lehr- und Praxiserfahrungen der Herausgeber und Herausgeberinnen insbesondere an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg und verfolgt das Ziel, Disziplin und Profession der Sozialen Arbeit mit unterschiedlichen Beiträgen zu befruchten. Die Herausgeberinnen und Herausgeber, Februar 2016 Prof. Dr. Jürgen Burmeister, Heidenheim; Prof. Dr. Süleyman Gögercin, VillingenSchwenningen; Prof. Dr. René Gründer, Heidenheim; Prof. Dr. Klaus Grunwald, Stuttgart; Prof. Dr. Ute Koch, Stuttgart und Prof. Dr. Karin E. Sauer, Villingen-Schwenningen
Literatur Dewe, B./Otto, H.-U. (2005): Wissenschaftstheorie, in: Otto, H.-U./Thiersch, H. (Hrsg.): Handbuch Sozialarbeit/Sozialpädagogik, 3. Aufl., München, S. 1966-1979 Dewe, B./Otto, H.-U. (2015): Profession, in: Otto, H.-U./Thiersch, H. (Hrsg.): Handbuch Soziale Arbeit, 5., erw. Aufl., München, S. 1233-1244
Organisationen entwickeln, Gleichstellung erkämpfen, Schutz und Ermächtigung professionell gestalten - Eine einleitende Zusammenführung der Themenstränge Andreas Polutta
Thematische und personelle Korrespondenzen Bei dieser Publikation handelt es sich um eine Festschrift zur Würdigung des akademischen, fachpolitischen und praktisch-pädagogischen Wirkens einer Person Brigitte Reinbold - was im Band an verschiedenen Stellen deutlich wird. Damit wäre eine erste Lesart des Buchs angeboten, denn die folgenden Beiträge haben einen personellen Bezugspunkt: Alle Autorinnen und Autoren waren in den vergangenen Jahrzehnten WeggefährtInnen, MitstreiterInnen, KollegInnen oder Kooperationspartner der Professorin Brigitte Reinbold, die im September 2018 an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg in den Ruhestand verabschiedet wurde. In der beruflichen und akademischen Biographie der Sozialpädagogin, Beraterin, wissenschaftlichen Mitarbeiterin und Abteilungsleiterin beim Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik in Frankfurt am Main, seit dem Jahr 2000 Professorin und Frauenbeauftragten der Berufsakademie Villingen-Schwenningen, später zentraler Gleichstellungsbeauftragten der dualen Hochschule Baden-Württemberg versammeln sich neben vielen weiteren Themen diese drei fachlichen Linien: Organisationsentwicklung - Gleichstellung - Kinderschutz Daher bietet sich für dieses Fachbuch auch jenseits der personalen Lesart ein zweiter, ein fachlicher Zugang an. Es scheint sogar besonders interessant, diese Themen, die biographisch zusammen fallen, gemeinsam ins Gespräch zu bringen – insbesondere wenn diese Biographie in eine Zeit maßgeblicher Entwicklungen im Hochschulwesen sowie Transformationen im Sozialwesen und in der Sozialen Arbeit fällt. Die Idee dieses Bandes ist es nun, die bislang miteinander vielleicht in den Fachdebatten zu wenig verbundenen Themenstränge in Korrespondenz zu bringen © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 A. Polutta (Hrsg.), Kooperative Organisations- und Professionsentwicklung in Hochschule und Sozialwesen?, Edition Centaurus – Perspektiven Sozialer Arbeit in Theorie und Praxis, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31603-7_2
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und an vielen Stellen (hoffentlich letztlich) in der Zusammenschau erkennbar werden zu lassen: Organisationsentwicklung und Professionalisierung, aber auch die Etablierung von Schutzkonzepten, Gleichstellungsstrukturen sowie einer Sensibilisierung für die gesellschaftlich relevanten Themen Diversity, Teilhabe und Exklusion hängen nicht nur theoretisch miteinander zusammen, sondern sie erfordern auch zeitgemäße Konzepte zur Kooperation von Wissenschaft und Praxis und geteilte gesellschaftliche Verantwortung verschiedener Akteure. So muss sich beispielsweise eine Hochschule mit den Fakultäten Wirtschaft, Technik und Sozialwesen nicht nur bei den curricularen Studieninhalten oder in den Forschungsschwerpunkten, sondern auch bei der internen Struktur der Hochschule mit Gleichstellungsfragen und Chancengerechtigkeit befassen. Unter Professionalisierung kann sowohl individuell das Erlangen beruflicher Handlungskompetenz im Sinne einer Verküpfung der vier Ebenen von ‚Wissen‘, ‚Können‘, ‚Haltungen‘ und ‚Befugnissen‘ verstanden werden, als auch strukturell der Kampf um die Grundlage beruflichen Handelns über die Orientierung an wissenschaftlich-disziplinärem Wissen und einer fallbezogenen Anwendung in gesellschaftlich zentralen Bereichen. Damit ist Professionalisierung schon immer mehr als die Einrichtung von Studiengängen oder die Etablierung von Forschungsgebieten. Vielmehr kann unter Professionalisierung, zumindest als Heuristik für diesen Band, verstanden werden, dass es dabei um die gesamte strukturelle Entwicklung eines gesellschaftlichen Handlungsfeldes geht, einschließlich politischer Rahmung, gesellschaftlicher Anerkennung, Ausbildungs- und Arbeits- und Forschungsbedingungen, rechtlicher und organisationaler Strukturen. In diesem Sinne verstanden, bewegt sich auch Gleichstellungsarbeit auf dem Feld der Professionalisierung von Individuen, Organisationen und Institutionen und betrifft dabei stets auch Fragen gesellschaftlicher Anerkennung. In den Kooperationsbeziehungen dualer Studienmodelle, wie dem der staatlichen Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW), der zahlreiche AutorInnen dieses Bandes nahe stehen, sind Professionalisierung und Gleichstellung nicht nur wissenschaftlich formatierte Themen und Forschungsgebiete, sondern die Inhalte sollen sich im Sinne einer ‚Anwendungsorientierung‘ als relevant erweisen; betriebliche und akademische Lernorte sollen miteinander verzahnt werden. Wobei das Bild der Verzahnung vielleicht schon zu technisch formuliert ist, ebenso wie die Anwendungsorientierung fälschlich suggeriert, dass der Prozess der Wissensproduktion nur in eine Richtung verlaufe. Vielmehr sind hier jedoch sehr unterschiedliche, teils spannungsreiche Logiken miteinander auszuhandeln. So müssen etwa die Wege der individuellen Professionalisierung Studierender und die Interessen von Personalentwicklung im Sozialwesen in Praxis und Studium
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zusammen geführt werden, so dass ein steter Wechsel der Perspektiven in das Studium hinein geholt wird. Theorie-Praxis-Transfer ist in diesem Sinne keine Einbahnstraße (vom Theoriewissen zum Handeln), sondern erfordert das Einüben von Perspektivwechseln – nicht nur bei Studierenden, sondern auch bei Lehrenden und Arbeitgebern. Nicht zuletzt in der Aktualität der Debatte um die besondere Leistungsfähigkeit und die kritischen Punkte dualer Studienkonzepte und verschiedener Lernorte - z.B. Praxis, Hochschule, (Zivil-)Gesellschaft) - kann der vorliegende Band manches Schlaglicht werfen. Denn die hier vorgestellten Perspektiven folgen keinem streng akademischen oder disziplinärem Schema, sprechen bewusst unterschiedliche Sprachen und adressieren verschiedene Ebenen. Dennoch, so die Hoffnung des Herausgebers, wird deutlich, dass aus verschiedenen Positionen Bedarfe und Perspektiven für die aktuelle Hochschulentwicklung und Entwicklung des Sozialwesens, insbesondere (aber nicht ausschließlich) mit Blick auf die Soziale Arbeit benannt werden. Zu den vier Kapiteln und den einzelnen Beiträgen Eine thematische Linie, die das erste Kapitel Organisations- und Professionsentwicklungen in Wissenschaft und Praxis des Bandes auslegt, dreht sich um die kontinuierliche Aufgabe, die Entwicklung von Organisationen fachlich zu gestalten. Dabei rücken zunächst Organisationen als Bildungsinstitutionen in den Blick. Hier in den Beiträgen des ersten Kapitels soll zum Ausdruck kommen, dass eine Hochschule zwar zentrale Bildungsinsitution ist, dabei jedoch Lernorte der Praxis Sozialer Arbeit nicht weniger relevant sind. Die strukturellen Rahmenbedingungen und fachlichen Erfordernisse von Hochschule und Ausbildungsorganisationen im Sozialwesen werden am Beispiel dualer Studienmodelle zur Sozialen Arbeit thematisiert (Andreas Polutta). Die Möglichkeiten und Stolpersteine eines dualen Studiums werden dabei im Lichte der aktuellen Debatten um so genannte ‚dienstherreneigene Studiengänge‘ in der Jugendhilfe und das demgegenüber abzugrenzende Modell der DHBW diskutiert. Zwei Beiträge aus jeweils unterschiedlichen Positionen der Praxis Sozialer Arbeit in Bezug auf die geteilte Verantwortung von Hochschule und Praxis erweitern diese Perspektiven. So spielen in Träger- und Verbandstrukturen Professionalsierungsstrategien ebenso eine strategische und wertbezogene Rolle (Michael Wollek) wie auch in der unmittelbaren Praxisanleitung und der Tätigkeit von Lehrbeauftragten aus dem Praxisfeld (Winfried Fritz). Dabei liegt die Betonung beider Autoren darauf, dass der gesellschaftliche,
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soziale und institutionelle Wandel im Sozialwesen Gegenstand und treibender Mechanismus kooperativer Strukturen ist. So sind es im Beitrag von Michael Wollek die Erfordernisse einer ‚Transformationsgesellschaft‘, welche zu von ihm so bezeichneten ‚Theorie-Praxis-Spiralen‘ im Studium überführt und im Modus wechselnder Lernorte aufgeschlossen werden können. Diesen Wechsel vollzieht Winfried Fritz sogleich an der eigenen Person mit seinen Rollen als Praktiker, Lehrbeauftragter und Praxisanleiter für Studierende in der Kinder- und Jugendhilfe nach. Er sieht sich selbst und die Hochschule dabei in der Pflicht, kritisch auch aktuelle (Fehl-)Entwicklungen im Arbeitsfeld gemeinsam aufzuarbeiten. Den Wandel des Handlungsfeldes der Kinder- und Jugendhilfe und die Herausbildung spezifischer Governance-Strukturen thematisiert Paul-Stefan Roß in seinem Beitrag. Dieser kann als exemplarischer Ausgangspunkt dafür genommen werden, dass aktuelle Kooperations-Modelle in analytischer und gestalterischer Hinsicht neue Dynamiken und Wechselverhältnisse in einem pluralen Wohlfahrts-Mix ‚mitdenken‘ sollten. Dieser Artikel führt das Argument, dass die Analyse neuer wohlfahtsstaatlicher Steuerungsformen bis hin zu Postulaten für die zeitgemäße Ausgestaltung des Handlungsfeldes überführt werden kann. So wird im Sinne des Autors also ein analytisches Konzept durchaus handlungsleitend. Fachpolitisch und nicht weniger handlungsorientiert in Bezug auf gendersensible Organisations- und Kompetenzentwicklung stellt Martina Hörmann am Ende des ersten Kapitels bereits deutlich eine notwendige Brücke zum zweiten thematischen Strang her. Diese Brücke trägt, auch wenn Hörmann Professionalisierung gerade mit Prozessen der Entpolitisierung von Frauenarbeit und gleichstellungspolitischen Initiativen in Verbindung bringt und damit zeigt, dass Gleichstellungsarbeit eben auch Profession und Organisation in Frage stellende Wurzeln hat. Die Autorin sie verknüpft die Handlungsebene in Organisationen hinsichtlich der Herstellungspraktiken (Doing/undoig Gender) und dem – nicht unabänderlichen, sondern kritisch zu befragenden – Alltag in Organisationen, auch mit Blick auf vermeintlich genderunspezifische Themen. Das zweite Kapitel Diversität und Gleichstellungsarbeit in Hochschule und Praxis fokussiert organisationale und institutionelle sowie personelle Kontexte - insbesondere unter den vielfältigen Aspekten von Bildungsgerechtigkeit. Damit wird zwar eine neue (im zweiten Kapitel übrigens nicht zufällig durchgängig von Forscherinnen vertretene) Perspektive eingenommen. Die fachlich gebotenen Bildungs-, Teilhabe- und Organisationsentwicklungsprozesse sind jedoch gerade nicht zu trennen, sondern in Korespondenz zu bringen.
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So befragt auch der erste Beitrag von Ann-Kathrin Stotenhoff hier die aktuelle Sensibilität im modernen wettbewerblichen Hochschulsystem für sichtbare und unsichtbare Wissensordnungen. Neben gleichstellungspolitischen Chancen werden insbesondere Bildsprachen und visuelle Konzepte des Hochschulmarketings bezüglich dort eingeschriebener Geschlechterzuordnungen kritisch analysiert. Über den Hochschulkontext hinaus öffnet der folgende Betrag von Irmgard Teske dann eine gesellschaftspolitische Perspektive: Der Umgang mit gesellschaftlichen Exklusionsprozessen und ihren aus- und einschließenden Kategorien, wie Geschlecht, sozialer und kultureller Herkunft und körperlicher Verfasstheit entscheidet darüber, wie diese ‚neue soziale Frage von Exklusion‘ (Irmgard Teske) bearbeitet werden kann. Am Beispiel der konkreten Gleichstellungsarbeit an Hochschulen in Baden-Württemberg, speziell mit Blick auf die DHBW werden Chancen, Handlungsaufträge, aber auch Konfliktpotentiale und Widerstände nachvollziehbar. Um angesichts dieser Widersprüche in der Gleichstellungsarbeit handlungsfähig zu bleiben, schlägt Beate Sieger-Hanus vor, diese Arbeit als mediative, vermittelnde und damit produktiv-konfliktbearbeitende Aufgabe zu begreifen. Ein interessanter interdisziplinärer Blick dreier in der Gleichstellungsarbeit tätiger Autorinnen (Anke Gärtner-Niemann, Ann-Kathrin Stoltenhoff, Gudrun Reichert) schließt sich an. Der Fokus auf technische Studiengänge im Kontext des Bandes mit überwiegendem Schwerpunkt auf das Sozialwesen ist dabei eine Bereicherung der Perspektiven. Während sich bei der Studienwahl „Soziale Arbeit“ nach wie vor vornehmlich quantiatitiv weit mehr weibliche Studierende finden, sind in den technischen und naturwissenschaftlichen Studiengängen bereits die Zugangswege und individuellen Entscheidungen bei der Studienwahl das entscheidende Thema. Dies zeigt aber, dass Gleichstellungsfragen nicht erst im weiteren biographischen Verlauf in Hochschule, Arbeitswelt und Familienkonstellationen beginnen, sondern hinsichtlich der Bildungsentscheidungen und -entscheidungsmöglichkeiten, einschließlich der Erfahrung von Selbstwirksamkeit und Beteiligungschancen verhandelt werden müssen. Den Bogen von gesellschaftlicher Normativität am Beispiel der aktuellen Thematisierung von „Familie“ hin zur Rolle der Sozialen Arbeit schlägt der letzte Beitrag des zweiten Kapitels. Hier zeigt Sandra Smykalla auf, dass Soziale Arbeit gender- und diversitätsbewusst agieren kann, um im Spannungsfeld von Pluralisierung und Re-Traditionalisierung familialer Muster nicht (bewusst oder unbewusst) selbst diskriminierend, beschädigend, normierend oder privilegierend zu wirken.
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Damit wären bereits zentrale Leitmotive benannt, die im dritten Kapitel Ermächtigung und Schutz von AdressatInnen Sozialer Arbeit in geteilter gesellschaftlicher Verantwortung wieder aufgegriffen werden: Hier stehen Teilhabe, Ermächtigung und Schutz von AdressatInnen Sozialer Arbeit als geteilte gesellschaftliche Aufgabe im Mittelpunkt. Insbesondere dort, wo Erziehung in öffentlicher Verantwortung geschieht, in der Kinder- und Jugendhilfe sind die Fragen um tragfähige Rahmenbedingungen für einen modernen Kinderschutz ebenso bedeutsam, wie eine Eröffnung von Teilhabe an Gesellschaft und die Befähigung von Bürgerinnen und Bürgern, ihre Verantwortung als Eltern ausüben zu können. Reinhold Schone nimmt zunächst eine Kontextualsierung von Profession – Organisation - Kinderschutz und Frühen Hilfen vor und plädiert dafür, wohlfahrtsstaatliche Leistungen nicht vorschnell unter der Risikoperspektive zu thematisieren, sondern Förderung und Unterstützung systematisch davon zu differenzieren. Seine Warnung vor einer zunehmenden Ausrichtung von Organisationen und dort handelnden professionellen Fachkräften auf ‚Rettung und Kontrolle‘ zeigt, dass Organisationsentwicklung und sozialpädagogische Handlungskontexte insbesondere mit Blick auf die AdressatInnenperspektive und das eigentliche (sozialpolitische, sozialpädagogische) Ziel in einem Wechselverhältnis stehen. Ein solches Spannungsfeld wird im folgenden Beitrag des dritten Kapitels von Gesa Köbberling und Barbara Schramkowski in Bezug auf die Arbeit mit geflüchteten jungen Menschen aufgegriffen. Sie stellen dabei die Subjektperspektiven junger Geflüchteter in den Mittelpunkt und leiten daraus Aufgaben und Aufträge Sozialer Arbeit ab, die in Richtung einer Erweiterung von Handlungsmöglichkeiten und -räumen gehen. Auf den Schutzgedanken und Risikofaktoren für sexualisierte Gewalt in sozialpädagogischen Kontexten stellt ein dritter Beitrag in diesem Kapitel von Anja Teubert ab, der am Beispiel kommunaler Schutzkonzepte zeigt, dass auch hier geteilte Verantwortungsebenen miteinander verbunden werden können. Kooperative Strukturen sind im Sinne Teuberts besonders in der Vernetzung von kommunaler Verwaltung, Fachberatungsstellen, Organisationen der Kinder- und Jugendhilfe und Schulen so unabdingbar wie entwicklungsbedürftig. Mit den Ambivalenzen von Rechtsnormen und Handlungsmöglichkeiten Sozialer Arbeit in der Kinder- und Jugendhilfe befasst sich der Beitrag von Melanie Geiges und Steffen Kallenbach, der am Beispiel der familialen Konflikt- und Krisensituation von Trennung und Scheidung die Orientierung am Kindeswohl diskutiert. Dass hier Kooperation im Spannungsfeld elterlicher, professioneller und rechtlicher Dimensionen keine triviale Aufgabe zur Zusammenarbeit darstellt, wird in diesem Beitrag deutlich.
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Fachliche Orientierungspunkte Sozialer Arbeit können als Verpflichtung auf das Initiieren von Arbeitsbündnissen und Ko-Produktionsmöglichkeiten verstanden werden. Dass dieses nicht konfliktfrei zu haben ist und nichts weniger als die Kompetenz zur Selbstkritik und ‚radikaler Reflexivität‘ (Georg Horcher) erfordert, zeigt der letzte Beitrag im Kapitel zu den adressatenbezogenen Perspektiven. Hier tritt Georg Horcher dafür ein, die Bedingungen des Hilfesettings- und der Organisation stets am Ziel des fortwährenden Kampfes um Teilhabechancen für BürgerInnen auszurichten, auch wenn diese ‚Positionierungsfähigkeit‘ Sozialer Arbeit nicht leicht zu erlangen ist. Das vierte Kapitel ist vor dem Hintergrund aller Fachbeiträge, die in diesem Band versammelt sind, noch einmal explizit dem Anlass der Publikation als Festschrift für Brigitte Reinbold gewidmet. Es enthält pointierte Beiträge, die in besonderer Weise fachliche Fragen und persönliche Würdigung des Wirkens von Brigitte Reinbold verbinden. Nach einem einleitenden Wort des Herausgebers kommentiert der ehemalige Direktor des Instituts für Sozialarbeit und Sozialpädagogik Bernd Maelicke rück- und ausblickend die Perspektive der Organisationsentwicklung in Non-Profit-Organisationen. Er greift die gemeinsam mit Brigitte Reinbold entwickeltenReformimpulse des sozial-ökologischen Ansatzes und der emanzipativen Qualitätsentwicklung auf und kommentiert, dass Ganzheitlichkeit und Sozialökologie als leitende Qualitätskriterien nach wie vor relevant, jedoch auch im Lichte aktueller sozialwirtschaftlicher und gesellschaftlicher Aufgaben noch uneingelöst sind. Peter Greulichs Essay zu lebendiger Organisationsentwicklung bringt die Perspektive von Praxis-Beratungsprozessen im Sozialwesen ein und plädiert für ein systemisches Verständnis bei allen Veränderungsprozessen im sozial- und förderrechtlichen Dreiecksverhältnis mit dem Ziel, die ‚Innovationsfähigkeit von Organisationen‘ zu stärken. Diese Innovationsfähigkeit, betont Gisela Meister-Scheufelen als ehemalige Kanzlerin der DHBW, sei eine Aufgabe von Hochschulen. Die Arbeit der Gleichstellungsbeauftragten sieht sie hier als treibende Kraft mit Blick auf Professorinnenprogramme, zentrale Funktionen in der akademischen Gremienarbeit sowie der Insitutionalisierung von Gleichstellungszielen. Statt eines Nachwortes schließt die Laudatio des Hochschulpräsidenten Arnold van Zyl anlässlich der Verleihung der Hochschulmedaille der DHBW an Brigitte Reinbold für ihre Verdienste als zentrale Gleichstellungsbeauftragte den Band.
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Dem Herausgeber ist es ein Anliegen, die engagierte Zusammenarbeit und dynamische Kooperation aller an diesem Band beteiligten Autorinnen und Autoren zu würdigen. Die Beteiligung vieler so unterschiedlicher Akteure aus Wissenschaft und Praxis kann als starker Hinweis auf die Leistung von Brigitte Reinbold angesehen werden, unterschiedliche gesellschaftlich und fachpolitisch relevante Gruppen miteinander ins Gespräch zu bringen. Der Band zu ‚Kooperativer Organisationsentwicklung‘ in dieser Form wäre dem Herausgeber allein nicht möglich gewesen, ebensowenig wie die Umsetzung des vorliegenden Buches in ausgesprochen kurzer Zeit ohne die Schriftenreihe „Perspektiven Sozialer Arbeit in Theorie und Praxis“ denkbar gewesen wäre. Unter den ReihenherausgeberInnen sei Süleyman Gögercin besonders hervor gehoben, der in dieser Buchproduktion wesentlich zum Gelingen des Projekts beigetragen hat.
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Professionalsierungspotentiale in dualen Studiengängen zur Sozialen Arbeit. Zu Voraussetzungen eines produktiven Wechselverhältnisses von Praxis und Theoriearbeit für die Kinder- und Jugendhilfe Andreas Polutta
In diesem Beitrag soll es um die Potentiale und fachlichen wie auch institutionellen Voraussetzungen gehen, die bei Studienmodellen mit einer besonderen Verschränkung von Theorie- und Praxisstudium von Bedeutung sind. Dies geschieht vor dem Erfahrungshintergrund praxisintegrierter dualer Studienmodelle zur Sozialen Arbeit an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW) und im Lichte aktueller professionspolitischer Herausforderungen. 1. Professionalisierung Sozialer Arbeit über duale Modelle? Das duale Studium insbesondere in der Sozialen Arbeit und hier speziell im Feld der Kinder- und Jugendhilfe steht in jüngster Zeit im Mittelpunkt professionspolitischer Auseinandersetzungen. Scheinbar aus der Zeit gefallene Begriffe polarisieren dabei: Das ‚Dienstherrenmodell‘ bzw. ‚dienstherreneigene‘ duale Studiengänge werden als Ideen verhandelt, dem Fachkräftemangel und der vorgeblichen Praxisferne klassischer Studiengänge eine Alternative gegenüber zu stellen. So überschattet die bundesweite Debatte um Dienstherrenmodelle die eigentlich nötige differenzierte Betrachtung dualer Studiengänge zur Sozialen Arbeit. Die Berliner Tageszeitung TAZ titelt pointiert: „Ausbildung nach Dienstherrenart. Sozialarbeiter auf Bestellung. Hamburg plant „dienstherreneigenen“ Studiengang für Soziale Arbeit bei Behörden.“ (TAZ 27.09.2017). Aber auch Berufsverbände wie der DBSH nehmen die Polemik auf: Sozialarbeitsstudium im Ausverkauf! Bald in Hamburg und München nur noch besserer Lehrberuf? (Nodes 2018, S. 24). Die in dieser Debatte viel beachtete Stellungnahme von WissenschaftlerInnen an Hochschulen, Gewerkschaften und Praxis kritisiert dienstherreneigene Studiengänge als nicht adäquate Lösung für ein konzidiertes strukturelles Problem: Den Fach© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 A. Polutta (Hrsg.), Kooperative Organisations- und Professionsentwicklung in Hochschule und Sozialwesen?, Edition Centaurus – Perspektiven Sozialer Arbeit in Theorie und Praxis, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31603-7_3
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kräftemangel, fehlende Studienplatzkapazitäten sowie die Abschaffung oder inhaltliche Entleerung des Berufsanerkennungsjahres (vgl. Lindenberg 2018). Was hier am Beispiel und aus Anlass bildungspolitischer Senatsbeschlüsse der Hansestadt thematisiert und kritisiert wird, hat freilich zunächst einmal mit punktuellen bildungspolitischen Weichenstellungen in Länderhoheit zu tun, aber eben nicht nur. So sind auch z.B. in Bremen neu aufgelegte duale Studienmodelle als Ergebnis bildungspolitischer Entscheidungen aufgebaut worden. Die Hamburger Hochschule für Angewandte Wissenschaften und die Evangelische Hochschule des Rauhen Hauses haben sich einstweilen, unter breiter kritischer fachöffentlicher Debatte, auch der organisierten Studierendenschaft Sozialer Arbeit dagegen zur Wehr gesetzt, ein solches Dienstherrenmodell für den Allgemeinen Sozialen Dienst im Auftrag des Senats aufzulegen. Dieses Modell ist jedoch kein norddeutsches Phänomen: Geplant wird auf Basis eines Münchener Stadtratsbeschlusses für die kommunale Sozialverwaltung ebenfalls ein Dienstherrenmodell in der bayrischen Landeshauptstadt in Form der Beauftragung einer privaten Hochschule (vgl. Nodes 2018). Schaut man in die wachsende Landschaft insbesondere privater bzw. verbandlicher Hochschulen – so sind es zumindest dem Namen nach duale Studienmodelle, die bundesweit Konjunktur haben. Die Mitgliedergruppe ‚Personal und Qualifikation‘ in der bundesweiten Arbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendhilfe (AGJ) fasst zusammen: „Der Mangel an Fachkräften für das Feld der Kinder - und Jugendhilfe ist Anlass, dass derzeit zahlreiche Akteure grundsätzliche Fragen an die bestehenden einschlägigen Ausbildungs- und Studiengänge formulieren und Veränderungsmöglichkeiten ins Spiel bringen, fordern oder umsetzen. Eine besondere Rolle spielt hierbei die Bezahlung: Die Forderung aus Politik und Praxis nach sogenannten „dualen“ Ausbildungswegen und dualen Studiengängen steht im Raum.“ (AGJ 2018,S. 1) Freilich liegen auch die Ursprünge des dualen Studiums an Berufsakademien der frühen 1970er Jahren in ähnlichen, wie heute wieder diskutierten Impulsen – dem Ruf nach ‚passgenauer‘ Personalgewinnung und -bindung sowie der Skepsis gegenüber generalistisch angelegten akademischen Studiengängen. Jedoch haben über 40 Jahre Entwicklungszeit des dualen Studienmodells gezeigt, dass auch in diesem Modus akademischer Bildung institutionelle Emanzipationsprozesse und akademische Eigenständigkeit möglich sind. Für die Studiengänge Sozialer Arbeit an der DHBW wird hier die These vertreten, dass diese hochschulischen Entwicklungsprozesse dabei ein partnerschaftliches kooperatives Modell weiter entwickelt haben, welches Praxis und Hochschule in einen gemeinsamen Diskussions- und Arbeitszusammenhang stellt. Als Kern dieses Zusammenhangs
Professionalsierungspotentiale in dualen Studiengängen zur Sozialen Arbeit
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könnte (zumindest idealtypisch) die geteilte fachliche und gesellschaftliche Verantwortung für eine nachhaltige Professionalisierung Sozialer Arbeit gelten. Für den derzeitig erreichten Stand gibt es – trotz manchen auch in diesem dualen Modell diskussionswürdigen Strukturen – zumindest starke Hinweise, dass in der Fakultät Sozialwesen Wissenschaft und Praxis in einem gegenseitigen kritischen Diskurs stehen können und heute weder eine Dominanz eines behördlichen oder privatwirtschaftlichen ‚Auftraggebers‘ noch ein einseitiges Auftragsverhältnis als strukturprägend gelten kann. Damit wären bereits erste Voraussetzungen benannt, die für ein produktives und legitimes Kooperationsgeschehen im akademischen Bildungsbereich zum Einen unabdingbar sind, zum Anderen aber auch in dualen Modellen fortwährende ‚Knackpunkte‘ darstellen können, die immer wieder von allen beteiligten Akteuren in den Blick genommen werden müssen. 2. Zur Sprecherposition dieses Beitrags Dem Verfasser dieses Beitrags, seit sechs Jahren Professor und gemeinsam mit Brigitte Reinbold Studiengangsleiter an der DHBW-VS, ist eine Tätigkeit an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg, nicht in die Wiege gelegt worden1. Nach eigenem Vollzeitstudium an der akademisch unabhängigen Evangelischen Hochschule Rheinland-Westfalen-Lippe, Bochum, sozialpädagogischer Praxis in Kinder- und Jugendhilfe sowie der Arbeitsförderung, späterem universitärem Studium der Erziehungswissenschaft/Sozialpädagogik, rund zehn Jahren Tätigkeit an den Universitäten Bielefeld und Duisburg-Essen inkl. einer Promotion im DFG-Graduiertenkolleg „Jugendhilfe im Wandel“ wäre eine Professur an einer ‚dienstherreneigenen Ausbildungseinrichtung‘ für den Verfasser undenkbar gewesen. Für ertragreich, ja, unabdingbar hält der Verfasser aber einen partnerschaftlichen Austausch von Akteuren aus den beiden Referenzsystemen ‚Praxisfeld‘ und ‚Wissenschaft‘, was nicht zuletzt die kontroverse gegenseitige Befragung und kritische Begleitung einschließt. Und ein besonders wichtiger unter vielen Anlässen des Austauschs zwischen Wissenschaft und Praxis ist die Begleitung Studierender auf dem Weg der Herausbildung ihrer eigenen professionellen Fachlichkeit. Ein anderer, zunehmend an Bedeutung gewinnender Anlass zum Austausch ist die Forschung zu Veränderungen im Handlungsfeld und deren Konsequenzen sowie die Interpretation von Forschungsergebnissen zu solchen Entwicklungen. In diesem Sinne arbeitet der Autor dieses Textes als Professor und Studiengangsleiter an der DHBW an der fortwährenden Transformation einer Hochschule mit, die sich dem Auch wenn die „Wiegenzeit“ der Gründung der DHBW und Geburt der Autors ins gleiche Jahr 1974 fallen. 1
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professionell so wichtigen wechselseitigen Bezug von Theorie und Praxis in besonderer Weise verschreibt. Ein solcher Bezug unterschiedlicher Rationalitäten von Theorie und Praxis benötigt aber einen Standpunkt, von dem aus die Dinge betrachtet, eingeordnet und bewertet werden. Dies gilt nicht nur für ProfessorInnen, sondern auch für Studierende. Und gerade hier setzt einer der Kritikpunkte aus der aktuellen Debatte um duales Studium an: Gelingt es, dass Studierende einen eigenen fachlichen Standpunkt erlangen, bevor sie mit dem Alltag und seinem zunehmendem Handlungsdruck, heiklen Entscheidungssituationen und spannungsvollen Alltagsroutinen konfrontiert werden, oder ‚kippt’ ein duales Studium bereits im ersten Semester in Richtung einer bloßen Übernahme der vorgefundenen Praxis2? Ist also die Gefahr real, ein duales Studium sei „für Studienanfänger ein Verführungsmodell, da es sowohl eine finanzielle als auch eine berufliche Absicherung gewährt“ (Otto 2018, o.S.) und damit das „Ende der wissenschaftlichsystematischen Grundlegung einer modernen Sozialarbeit“ (ebd.) droht? Dieser Skepsis sei in Bezug auf das oben genannte Dienstherrenmodell durchaus beigepflichtet, jedoch ist der Verfasser dieses Beitrags nicht der Ansicht, dass per se ein (‚gut gemachtes‘) duales Studium diese Konsequenz haben muss. Vielmehr zeigen eigene empirische Arbeiten zum Berufseinstieg außerhalb des dualen Studiums, dass auch ein grundständiges Vollzeit-Studium Sozialer Arbeit keineswegs davor schützt, im ersten Berufsjahr sehr beiläufig die Sprache eines Jugendamtes zu übernehmen und zugleich z.B. in Bezug auf ‚die Verwaltung‘ oder Widersprüche bei der Hilfegewährung eine nicht immer sehr reflexive Haltung anzunehmen (vgl. Bondarowicz-Kaesling/Polutta 2017). Vor diesem Hintergrund vertritt der Verfasser also die Position, dass erstens grundsätzlich der professionell ausgestaltete Theorie-Praxis-Bezug ein immer wieder neu zu bearbeitendes Problem darstellt, und zweitens, dass der Schlüssel zum Aufschließen dieses Grundsatzproblems nicht allein durch die wissenschaftliche Disziplin angefertigt werden kann. Vielmehr ist die Bearbeitung durch Disziplin, Profession und Praxis Sozialer Arbeit (plus Politik) im Austausch gegenseitiger Erwartungen von Nöten. Dass es offenbar derzeit keinen tragfähigen Konsens einer allen Akteuren gemeinsamen Vorstellung von Professionalität gibt, ist evident – sonst würden die eingangs beschriebenen Modelle nicht diskutiert. Aber es lohnt angesichts dessen umso mehr, in die laufende Debatte um die Herstellungsbedingungen sozialpädagogischer Fachlichkeit3 einzusteigen.
Ein Muster, das übrigens auch ASD- und JugendamtsleiterInnen nicht behagt (vgl. BondarowiczKaesling/Polutta 2017) 3 vgl. Themenheft Sozial Extra 6/2017: Mitarbeiter (sic) gesucht? Herstellung von Fachlichkeit. Springer VS 2
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3. Zu institutionellen Eckdaten des hier in Rede stehenden Modells am der DHBW Möglicherweise ist für außenstehende LeserInnen dieses Buches auch zunächst einmal begrifflich zu präzisieren, was die DHBW als staatlicher Hochschule ausmacht, die 2009 aus den Berufsakademien Baden Württembergs hervor gegangen ist. Das Ministerium für Wissenschaft und Kunst bezeichnet das Modell als Hochschule, die an ein „State University System angelehnt“ (Landtag Baden-Württemberg 2014, S. 3) sei und daher über eine zentrale Ebene (Präsidium, überörtliche Gremien) mit dezentralen Standorten verfüge. Von den landesweit neun dezentralen Studienakademien sind die Studienorte mit der Fakultät Sozialwesen Stuttgart, Heidenheim und Villingen-Schwenningen, an denen Soziale Arbeit als Studienfach im Bachelor angeboten wird. Das duale Studienmodell folgt dem Rhythmus eines geteilten Semesters, d.h. einem Wechsel Hochschul-und Praxisphase im 3monatigen Turnus. Die Hochschule wird nicht etwa durch die Praxis-Partner, sondern landesfinanziert. Die fortwährende tarifliche Bezahlung der Studierenden in Theorie- und Praxisstudium erfolgt nach TVAÖD, auch, wenn die Studierenden innerhalb des Studiums ggf. ein dreimonatiges Praktikum in einer anderen Dienststelle/Einrichtung oder im Ausland machen. Die Studierenden haben vor Aufnahme an der Hochschule ein Arbeitsverhältnis begonnen und einen Studienvertrag mit ihrem Arbeitgeber abgeschlossen. Auch wenn diese Verträge in der Regel von Einrichtungen als Investition in zukünftige Fachkräfte des eigenen Trägers gesehen werden4, enthalten diese Verträge keine Klauseln über die Zeit nach dem Studium. Die Beteiligung der Praxispartner erfolgt über die Gremien (z.B. Hochschulrat, Aufsichtsrat). Ebenfalls sind die Studiengänge in regulären Verfahren akkreditiert, ohne einen unmittelbaren Einfluss der Dualen Partner auf das wissenschaftliche Curriculum, wenngleich der Austausch mit der Praxis über Studieninhalte eine zentrale fortwährende Aufgabe, etwa in den akademischen Gremien oder den Qualitätsentwicklungs-Prozessen der Hochschule darstellt. Es erfolgt eine fortwährende Zusammenarbeit der Hochschule und Betriebe/Ämter hinsichtlich der Konzeption Praxisanleitung - Praxisbegleitung über gemeinsame Fortbildungen, Anleitungstage, Qualifizierungs- und Dialogveranstaltungen der Hochschule in und mit den Praxiseinrichtungen, die entsprechend der Grundordnung der DHBW Mitglieder der Hochschule sind. Mithin ist auch die hinsichtlich bestimmter Merkmale (z.B. Behinderung, Geschlecht, Herkunft, Motivation etc. - oft also zugleich Strukturkategorien Sozialer Ungleichheit) selektiv wirkende Auswahl der zukünftigen Studierenden durch die Praxis Gegenstand dieses dialogischen 4
zu Recht, mit Blick auf die hohen Übergangsquoten nach dem Studium.
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Prozesses. Auch die unterschiedlichen Intentionen hinsichtlich der Personalgewinnung und der wirtschaftliche Investitionsgedanke spielen in den Diskussionsund Entscheidungsprozessen eine Rolle. Während sichkonventionelle akademische Studienmodelle bildungsökonomisch und hochschulpolitisch mit der Nachfrage Studierender befassen müssen, kommt in der Konstruktion des Studiums an der DHBW unmittelbar die Nachfrage von Anstellungsträgern hinzu. Die in der Präambel der Grundordnung benannte „institutionalisierte Partnerschaft mit den Ausbildungsstätten“ führt zur sprachlichen Formel der Praxis als „Duale Partner“. Diese sind für die Kinder- und Jugendhilfe beispielsweise Träger der freien Jugendhilfe, kommunale Ämter, Verbände und (Sozial-)unternehmen. Um angesichts der Rede von dienstherreneigenen Studienmodellen ein Beispiel für die Vielfalt Dualer Partner am Standort Villingen-Schwenningen zu geben: Hier besteht im Bereich des Schwerpunkts Soziale Arbeit: Jugend-, Familien- und Sozialhilfe in den Jahren 2015-2017 ein Pool von über 70 beteiligten ‚Dualen Partnern‘ mit Praxisstudienplätzen. Im Wintersemester 2016 waren insgesamt 756 Studierende in den Studiengängen zur Sozialen Arbeit eingeschrieben. Diversity in diesem dualen Modell zeigt sich numerisch daran, dass diese Studierenden dabei während ihres Praxisstudiums in rund 260 verschiedenen Einrichtungen, Unternehmen und Ämtern tätig waren. Dabei ist die so genannte „Pflichtwahlstation“ des Curriculums, eine 3-monatigen Tätigkeit außerhalb der üblichen Dienststelle (teils auch optional im Ausland) noch nicht mitgerechnet. 4. Duales Studium als Ernstfall der Herausbildung von Professionalität Ein duales Modell kann keinen Ausschließlichkeitsanspruch geltend machen - im Gegenteil: Es ist zunächst einmal ein Modell unter vielen in einer pluralisierten Landschaft akademischer Zugangswege zur Sozialen Arbeit. Aber ist es gar ein professionspolitischer Irrweg, wenn „die Hälfte der Studienzeit von drei Jahren bei den dualen Studiengängen mit Praxisphasen belegt ist“, wie Wilfried Nodes (2018, S. 25) skeptisch fragt? Wären diese Praxisphasen bloßes Mitlaufen, einfaches „Einsozialisieren“ oder Praktikumstätigkeiten im Handlungsfeld, dann würde schon dieses formale Argument entlarven, dass das Studium in Wahrheit ein Halbiertes wäre. Einen professionspolitischen Ernstfall stellt dieses Studium jedoch dann dar, wenn diese Praxisphasen systematisch ins Studium integriert werden und über studentische Theorie-Praxis-Transferleistungen sowie flankierende Reflexionsrahmen in Praxis- und Hochschulphasen miteinander verbunden werden.
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Damit ist auch gesagt, dass der Ernstfall, also ein ernst zu nehmendes Studienprogramm zur Sozialen Arbeit, keine Ansammlung von abschnittsweise zu vermittelnden und sodann jeweils häppchenweise ‚anzuwendenden‘ Wissensbausteinen darstellen kann. Würden die handlungsmethodischen Inhalte im Sinne einer Ausbildung für die unmittelbare Einsetzbarkeit in der Praxis, das technische Anfüllen eines Methodenkoffers den Kern ausmachen, so träfe der Vorwurf der frühen Professionalisierungsdebatten der alten Bundesrepublik. Denn im Zuge der Etablierung Sozialer Arbeit als Wissenschaft wurde – zu Recht – kritisiert, dass ein wissenschaftliches Studium Sozialer Arbeit weit mehr als Handlungsmethoden vermitteln muss. So hat das Professionalisierungsprojekt der 1970er Jahre für die Soziale Arbeit aus guten Gründen auf eine sozialwissenschaftliche Fundierung und Akademisierung gesetzt. Denn nur ein „Mehr“ an Praxis bringt keinen Zuwachs an Erkenntnis, so das noch heute gültige Credo. C.W. Müller hat zu jener Zeit den „Teufelskreis, in dem schlechte oder naive Praxis immer wieder schlechte oder naive Praktiker produziert“ (Müller 1968, S. 239, zitiert nach Lüders 1989, S. ?) scharf kritisiert. Hans-Uwe Otto analysierte: „Die Verfeinerung der Methoden [der Sozialarbeit, A.P.] beschränkt sich im gegenwärtigen Stadium auf eine Verfeinerung der ‚extra-professionalen Fertigkeiten‘ („Techniken der Gesprächsführung, Verhandlungsgeschick, Erhebung von Hintergrunddaten über den Klienten, Abwicklung eines Hausbesuchs usw.)“ (Otto 1971, S. 90). Demgegenüber sei, so Otto weiter, nur mit systematisierendem reflexiv nutzbarem sozialwissenschaftlichem Wissen eine im Deutungsanspruch eigenständige, an sozialen Problemen und Lebenslagen von AdressatInnen orientierte professionelle Handlungskompetenz zu erlangen. Diesem Anspruch ist auch im 21. Jahrhundert zu folgen und ist professionstheoretisch und -politisch anzustreben, dass alle mittlerweile pluralisierten akademischen Studienmodelle zur Sozialen Arbeit dies als Referenzrahmen ansehen, nicht zuletzt um einer Spaltung Sozialer Arbeit entgegen zu treten. Tendenzen der Segmentierung und Spezialisierung, Zersplitterung von Studienmodellen ohne klaren Bezug zur Wissenschaft Sozialer Arbeit etc. zeigen, dass daran noch insgesamt zu arbeiten ist. Der disziplinäre Streit um Professionalisierung seit den 1970er Jahren und das damit verbundene, aus heutiger Sicht durchaus sehr erfolgreiche akademische Projekt der Akademisierung Sozialer Arbeit sind jedoch gerade nicht mit Blick auf ein duales Studienmodell thematisiert worden, sondern historisch stellte die Etablierung universitärer Lehrstühle für Sozialpädagogik bei gleichzeitiger Gründung von Berufsakademien gewissermaßen eine Gegenbewegung dar. Doch auch das duale Studium der DHBW ist in der Sozialen Arbeit als eine Erfolgsgeschichte zu
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lesen, und zwar nicht nur (wenn auch lange Zeit darauf festgenagelt) als akademische Ausbildungsstätte. Professionalisierung ist mit Blick auf die heutige Hochschullandschaft nicht zwingend über ein (universitäres, anwendungsbezogenes, duales…) Hochschulmodell definiert, sondern in unterschiedlichen Studienwegen müssen disziplinäre Kernelemente und Rahmungen des Kerncurriculums Sozialer Arbeit beachtet werden. Dies umfasst auch, dass nicht nur die wissenschaftlichen Inhalte aus Theorien, Empirie, Konzepten und Methoden den Standards akademischer Bildung entsprechen müssen, sondern dass auch Praxisphasen gemäß Studienkonzept nicht nur Praxistätigkeit sein können, sondern Praxisstudium, mit studienbezogenen analytischen oder konzeptionellen Aufgaben (z.B. interdisziplinäre Fallanalyse/Kasuistik, sozialpädagogisches Fallverstehen, Umgang mit Paradoxien professionellen Handelns etc.). In einem nach wie vor aktuellen Diskussionspapier der AGJ von 2009, welches die fachbezogenen Positionen zur BolognaReform der verschiedenen relevanten Fachgesellschaften Sozialer Arbeit (vom Fachbereichstag Soziale Arbeit, FBTS über den Deutschen Berufsverband für Soziale Arbeit, DBSH bis zur Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaften, DGfE) zum modernen Bachelorstudium Sozialer Arbeit in der Zusammenschau diskutiert, findet sich dieser Ausblick auf ein Desiderat: „Anknüpfend an die geforderte Eigenarbeit durch workload und ECTS ist aber auch die Einbeziehung praktischer Elemente in einzelne Module denkbar, wenn nicht sogar didaktisch sinnvoll. Es bieten sich also über die „normale“ Verankerung der Praxis mit theoriegeleiteten praktischen Studiensemestern oder aber Praktika von vier oder sechs Wochen innovative Möglichkeiten der Einbeziehung der Praxis. Allerdings warnt die DGfE ausdrücklich vor einer Verwischung der Differenz von Theorie und Praxis“ (AGJ 2009, S. 18). Die ‚Lücke‘ im sozialpädagogischen Studium wird also auch hier im Bereich eines nicht-trivialen Praxis-Theorie-Bezugs gesehen, der über die obligatorischen Praktika hinausgeht. Studienmodelle, insbesondere auch solche mit besonders betontem Praxisbezug, müssen sich, mit unterschiedlichen Akzenten dem Verhältnis, der Beziehung zwischen Theorien5 und Praxen (Plural!) der Sozialen Arbeit stellen. Dabei kann je nach Hochschultyp Verschiedenes im Vordergrund stehen: zum Einen Praxis der sozialpädagogischen und interdisziplinären Theoriebildung, zum Zweiten Praxis der qualitativen, quantitativen und auch historischen Sozialforschung und zum Dritten Praxis des Handelns und Reflektierens von Handlungsvollzügen und Handlungskontexten Sozialer Arbeit. Auch wenn für die ersten beiden Elemente (Empirie- und Theoriebildung) vorrangig die Universitäten die beste Zum Theoriebegriff in der Sozialen Arbeit und seiner Differenzierung wäre hier freilich noch Einiges auszuführen, was den Rahmen dieses Beitrags jedoch sprengen würde. 5
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‚Betriebstemperatur‘ erreichen können, so müssen doch alle drei Elemente immer in ausgewogener Weise Teil des Curriculums Sozialer Arbeit sein. Bereits hier sollte das irreführende binäre Schema „Theorie-Praxis“ aufgebrochen werden, da es sich in der Tat um verschiedenartige Praxen (Theoriearbeit, Forschungsarbeit, Arbeit am Fall/im Feld) mit je unterschiedlichen und jeweils berechtigten Handlungslogiken handelt. Nach diesen bildungspolitischen und begriffstheoretischen Vergewisserungen soll es exemplarisch mit Blick auf den Studienalltag um Anforderungen an das Verhältnis von Theorie- und Praxisstudium in der Kinder- und Jugendhilfe gehen. Einiges von dem, was im Folgenden berichtet wird, kann für die Studiengänge zur Sozialen Arbeit an der DHBW als Errungenschaft gelten, anderes sicher auch als fortwährende Aufgabe. Die erste Aufgabe wurde bereits benannt: duale Studienmodelle müssen sich hochschulisch und curricular emanzipieren, ohne dabei den immer existierenden Spagat zwischen erfahrbarer Praxis und denkbarer Theorie für Studierende (und Praxispartner) so groß werden zu lassen, dass keine Bezüge mehr hergestellt werden können. Ein typischer Nicht-Bezug wäre das Festhalten am Negativklischee einer beiderseitigen Gegenüberstellung von Hochschule als Elfenbeinturm und Praxis als defizitäres (Forschungs-)‘Feld‘, welches im dualen Studium längst keinen Platz hat. Insofern ist ein duales Studium immer auch ein Kristallisationspunkt von aktuellen praktischen Entwicklungen und der Theoriebildung oder der empirischen Forschungslandschaft und wird damit von zwei Seiten in Bewegung gehalten. Am Beispiel verdeutlicht: Auch der Studienschwerpunkt ‚Soziale Arbeit: Jugend-, Familien- und Sozialhilfe‘, den Brigitte Reinbold und der Verfasser im Jahr 2018 vertreten, trug dereinst den Titel „Soziale Arbeit in der Verwaltung/Soziale Dienste“ (war also bis in die 1990er Jahre auf Allgemeine/Kommunale Soziale Dienste zugeschnitten). Es war maßgeblich Brigitte Reinbold, die diesen Studienbereich fachwissenschaftlich und feldbezogen erweitert und in diesem Sinne ‚emanzipiert‘ und erweitert hat, was viele kommunikative Schleifen, auch mit der Praxis erforderte. Er bildet heute nicht nur hinsichtlich der Handlungsfelder und Themen die Einheit der Kinder- und Jugendhilfe ab, sondern ist Teil eines grundständigen Studiums Sozialer Arbeit, also korrekt gesagt, eine Studienrichtung innerhalb dieses generalistischen Studiums. Das war und ist auch ein weiter Weg sowie ein hochschulischer Transformationsprozess, der mit dem aktuellen Stand auch nicht beendet ist. Insofern müssen duale Studiengänge und Studienschwerpunkte ständig weiterentwickelt werden, bestehende Zuordnungen müssen immer wieder auf den Prüfstand – und damit ist nicht nur die Re-Akkreditierung gemeint.
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Ebenfalls muss für die professionstheoretisch ernst zu nehmenden Studienmodelle gelten, dass sie zwar in der Lehre Methoden der Fallarbeit, des Empowerments, der Erlebnispädagogik, Gruppenarbeit, Gemeinwesenarbeit, des Verwaltungshandelns oder Sozialmanagements thematisieren und Studierende auch konkret methodisch vorbereiten. Doch gerade auch im dualen Hochschulmodell bestätigt sich aus Sicht des Autors die eben benannte professionstheoretische Grundüberzeugung, wonach professionelle Identität, Fachlichkeit Sozialer Arbeit eben nicht über das Packen des Methodenkoffers oder lexikalisches, kanonisches Wissen (z.B. die vollständige Kenntnis aller SGBs) erlangt werden. Diese Methodenkenntnisse, die übrigens ja in Hochschule und Praxis vermittelt werden, sind stet einzubetten in eine theoretisch aufgeklärte und empirisch fundierte Wissens- und Reflexionskompetenz, die einen adäquaten Gebrauch der Methoden in der Praxis erst ermöglicht. Nur so kann dann eine sehr praxisrelevante Haltung grundgelegt werden: nämlich innovationsfähig zu werden, eben nicht mit dem Bestehenden zufrieden zu sein, eine „neue praxis“ denken zu können, Ambivalenzen hinsichtlich der Arbeit mit AdressatInnen einschätzen zu können, wohlfahrtsstaatliche Institutionen einordnen zu können, sich für die Wirksamkeit und Angemessenheit des Sozialarbeiterischen Handelns zu interessieren, diese Aspekte benennen und evaluieren zu können und vieles mehr. 5. Schlaglichter auf Perspektiven eines produktiven Wechselverhältnisses von Praxis und Theoriearbeit für die Kinder- und Jugendhilfe Für unterschiedliche Akteure (also Studierende, Lehrende an der Hochschule und Fach- und Führungskräfte in Jugendämtern oder Einrichtungen, VerbandsvertreterInnen oder PolitikerInnen) können die Potentiale eines produktiven Perspektivwechsels benannt werden. Betrachten wir hier einmal vorrangig die Wichtigsten im Studienbetrieb, nämlich Studierende, dann geht es um das Erlernen eines ‚InBeziehung-Setztens‘ von Wissen, Können, beruflichen Haltungen und Handlungskontexten. Im besten Fall ergeben sich so im Studienverlauf durch das Einüben der Wechselbewegung von Handlungsdruck und Handlungsentlastung sogar Aufklärungsprojekte durch wechselseitigen Bezug von Praxisproblemen und theoretischen Erkenntnispotentialen. Dies ist etwas völlig anderes als die auf in Marketingtexten der DHBW oft verheißenen Anwendung von Theoriewissen! Es ist die Zusammenführung und kritische Gegenüberstellung verschiedener Wissensformen. In den vermeintlichen ‚Niederungen‘ des dualen Studienalltags ergeben sich
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Lern-Situationen, die klein erscheinen, aber eben nicht trivial sind. Wenn die Sprache und alltägliche Begrifflichkeiten aus der Sozialen Arbeit z.B. im Seminar hinterfragt und auf ihre fachliche Angemessenheit überprüft werden, dann ist das im besten Sinne Aufklärungsarbeit. Aufgeklärt, also bewusst und diskutierbar gemacht, werden dann beispielsweise Fragen wie: Sind die Menschen, mit denen es die Jugendhilfe zu tun hat als KlientInnen, AdressatInnen, NutzerInnen, BürgerInnen zu nennen? Was wird transportiert und konstruiert, wenn im Feld der Jugendhilfe davon die Rede ist, dass ‚Hilfen installiert‘ oder wenn Menschen ‚therapeutisch angebunden‘ werden – und wie steht das zu theoretischen und methodischen Grundlagen Sozialer Arbeit?6 Über die (Fach-)Sprache hinaus ergeben sich im dualen Studienalltag weitere Bildungsanlässe: Wenn Studierende lernen, im Verlauf des Studiums eine eigene Haltung zum alltäglichen ‚Ritual‘ des Tischgebetes in einer konfessionellen Wohngruppe zu erlangen, dann ist das nichts weniger als die Basis für aufgeklärtes Handeln. Andere Studierende überwinden eigene Grenzen im Denken über die Normativität von Geschlechterzuordnungen oder Familie, wenn sie in ihrem Erfahrungsraum in der Arbeit Irritationen zulassen und lernen, dass es zu „Familie“ und „Geschlecht“ auch einen fachwissenschaftlichen Forschungsstand gibt. Wenn Studierende in einem Praxis-Reflexionsbericht in Form einer wissenschaftlichen Arbeit diese und andere unhinterfragte Alltagsroutinen hinsichtlich ihrer diskursiven und machtdynamischen Bedeutung einordnen können, ist viel Professionalität gewonnen. Wenn eine Studierende beispielsweise in einem Hilfesetting das Ziel der Arbeitsmarktintegration im ländlichen Raum mit einer Jugendlichen bearbeitet, und in der Reflektion ihres Tuns die Strukturprobleme und Sozialen Probleme jenseits des individuellen Problemfalles erkennt, dann ist erst ein fachliches sozialpädagogisches Fallverständnis möglich. Im besten Fall gelingt dies nicht nur punktuell im Studium (z.B. in einem Praktikumsbericht), sondern in einer institutionell unterstützten Wechselbewegung: Daher ist ein Hineinbringen von Fragestellungen, Ambivalenzen und Erfahrungen in die „Theoretisierung“ des Lehrbetriebs nicht nur erwünscht, sondern in einem dualen Studium sogar unerlässlich! Freilich, vielen Studierenden liegt zunächst die Fragestellung nahe: Wie kann ich mein eigenes Handeln optimieren, legitimieren, besser machen, besser absichern etc.. Diese Haltung ist dem Verfasser aber auch
Dieser Band kann hier exemplarische Beispiele für solchen Auseinandersetzungen zu Familie, Flucht, Kinderschutz, Geschlechterrepräsentation, Gewalt, Verwaltungshandeln etc. in den folgenden Kapiteln auflättern. In dem Moment, in dem die Themen des zweiten Kapitels diese Bandes (zu Diversity und Gleichstellung) sowie des dritten Kapitels (zu Ermächtigung von AdressatInnen) zu Studieninhalten Sozialer Arbeit im dualen Studium werden, vollziehen sich Aufklärungs- und Professionalisierungsprozesse für Studierende. 6
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von Studierenden in allen akademischen Formaten, auch an der Universität bekannt. Aber sie können im dualen Studium erlernen, dass gerade Fragestellungen, die alternative Lesarten oder Einordnungen der Handlungskontexte ermöglichen, eine wirkliche Erweiterung des professionellen Handlungsspektrums bereit halten. Für die Jugendhilfe gilt es dabei, auch im Studienverlauf zu bearbeiten, dass zur Sozialen Arbeit auch Verwaltung, Planung und Controlling gehören. Es ist ein studentischer Lernprozess, zu verstehen, nach welchen Kriterien und in welchem Handlungsmodus und mit welchen Wissensbezügen die wirtschaftliche Jugendhilfe, eine Fachkraft im ASD oder bei einem freien Erziehungshilfeträgers denkt und entscheidet. Nach dem Verstehen der lokalen Praxen kann und muss dann der nächste Schritt erfolgen, nämlich zu verstehen, wie solche Entscheidungsprozesse auch alternativ erfolgen könnten, weiterentwicklungsbedürftig sind und welche Handlungsspielräume darin liegen. Gelingt dieser Lernprozess, dann löst dies nicht nur individuelle Bildungsprozesse aus. Vielmehr kann auch in der Studierendengruppe (z.B. im Seminar) etwas Wichtiges ermöglicht werden: Zukünftige Fachkräfte setzen sich untereinander, im handlungsentlasteten Raum der Hochschule über ihre jeweiligen Rollen (z.B. beim Träger der freien Jugendhilfe und beim öffentlichen Träger ASD) auseinander. Sie können und müssen dabei ihre Sichtweisen formulieren und gegeneinander diskutieren. Solche, hier nur angedeuteten „Miniaturen“ aus dem Studienalltag sind bei Lichte betrachtet gewaltige Themen und Lernanlässe7. Sie sind auch keineswegs ausschließlich typisch für ein duales Studium. Sie spielen auch in anderen Studiengängen z.B. in der Praxisbegleitung oder Projektarbeit eine Rolle, aus den Zeiten des nicht nur formal zertifizierten, sondern seinerzeit noch supervisorisch begleiteten Berufsanerkennungsjahres sind auch Bearbeitungen ähnlicher Fragen bekannt. Aber durch den regelmäßigen Wechsel, also idealtypisch das Einüben eines festen Rhythmus von Handeln und Reflexion ist ein duales Studium besonders geeignet, solche Lernsituation produktiv aufzunehmen. Dafür – also für die Verzahnung oder den wechselseitigen Bezug verschiedener Lernorte – stehen im dualen Studium sechs Semester zur Verfügung. In diesem Sinne könnte man die eingangs zitierte Kritik von Nodes (2018) – es sei bedenklich, dass die halbe Studienzeit Praxis sei – gerade auch anders herum lesen: Es ist ein Intensivstudium, welches in drei Jahren zwei Lernorte und Bildungsebenen aufeinander bezieht und
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zu einer ausführlicheren Darstellung vgl. Polutta 2015
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damit eine erhebliche Studienleistung fordert8. Zudem werden typische Handlungsprobleme Studierender in dieser Zeit sichtbar und können auch zwischen Lehrenden, Hochschule und Leitungs- bzw. Praxisanleitungskräften im Handlungsfeld zum Thema gemacht werden. Studierende können in diesem Sinne als ‚Seismographen‘, ‚Katalysatoren‘ und Akteure des Wandels in der Praxis der Kinder- und Jugendhilfe begriffen werden. Gerade diese Aspekte der systematischen Herstellung von Kommunikationsanlässen im dualen Studium zeigen das Entwicklungspotential von Organisation und Profession ‚in geteilter Verantwortung‘. Wenn beispielsweise Studierende und Lehrende im Curriculum die Aufgabe bearbeiten, Lehrinhalte des Moduls „Soziale Arbeit und Politik“ und ein eigenes studentisches empirisches ‚Lehrforschungsprojekt‘ zusammen zu bringen, ergeben sich Blicke über den Tellerrand – und zuweilen fachlich spannende Impulse in die Praxis. Wenn unter einer solchen Perspektive nach einer MitarbeiterInnenbefragung beim eigenen Verband die Frage nach Frauen oder Menschen mit Behinderungen in Führungspositionen aufkommt, dann ist entscheidend, auf welches betriebliche Umfeld solche Fragen treffen – und wie offen diese aufgenommen werden. In diesem Sinne fordert duales Studium verbandliche und betriebliche Praxis immer auch heraus und trägt so zur kontinuierlichen Organisationsentwicklung bei. In diesem Lichte betrachtet geht es gar nicht vorrangig um die maßgenaue Integrierbarkeit in ein Amt oder einen Geschäftsbereich, sondern um die Entwicklung professioneller Organisation. Damit zeigt sich auch, dass Studierende keineswegs die einzigen Akteure sind, die von dem Perspektivwechsel des dualen Studiums profitieren, wenn er als Austauschprozess ‚gelebt‘ wird. Nicht zuletzt ist ein duales Studium Sozialer Arbeit als Anlass zur Forschungskooperation denkbar. Denkt man eine nachhaltige Personal- und Organisationsentwicklungsperspektive schlüssig zu Ende, dann ist hier (ähnlich wie im Studium) nicht ‚Auftragsforschung‘ die Leitidee, sondern die Nutzung der Kooperationsbeziehung für den sensiblen Bereich des gegenseitigen Fragens als Korrektiv. Ein solches kooperatives Forschungs- und Entwicklungsprojekt im Studiengang Soziale Arbeit: Jugend-, Familien- und Sozialhilfe an der DHBW-VillingenSchwenningen widmete sich in den vergangenen Jahren beispielsweise als ethnographisches Projekt der Praxis wirkungsorientierter Steuerung in zwei Landrats-
Das eigentliche Problem ist beim sechssemestrigen Bachelor, dass er nicht die berufliche ‚Eintrittskarte‘, sondern bei vielen Arbeitgebern auch die berufliche ‚Endstation‘ darstellt, weshalb ein Masterstudium von vielen Trägern Sozialer Arbeit nur unzulänglich (wenn überhaupt) gefördert wird und so der Übergang in die nächste akademische Qualifikationsstufe für zu viele Studierende in der Sozialen Arbeit unterbleibt. 8
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ämtern/Jugendämtern und bei einem freien Träger der Jugend, Alten- und Eingliederungshilfe (vgl. Eberlei/Polutta 2015). Hier waren das zur Sprache-bringen des Alltäglichen und der Perspektivwechsel von besonderer Bedeutung und die bereits aus dem Studium angelegte Kooperation von Hochschule und Trägern wurde dazu genutzt, in einem geschützten Projektkontext ernsthaft die bestehende Praxis zu analysieren und zu bewerten, dabei auch die kritischen Fragen nach wachsendem Druck und nicht-intendierten Effekten zu thematisieren. Gerade der praxisferne forschungsmethodische Zugang von Ethnographie und Dokumentarischer Methode ermöglichte es, eine Sprache für den Vollzug des Alltags zu finden und dies mit den Fach- und Leitungskräften zu erörtern. Beispielsweise konnten in Teams von Jugendhilfeträgern gerade die Besonderheiten der Dokumentations- und Controllingaufgaben im Spannungsfeld zur Fallarbeit im Zusammenhang zur Sprache gebracht werden. Zugleich ergaben sich neue Einsichten in die Praxis (z.B. zum Alltag ambulanter Erziehungshilfen oder Kinderschutzmaßnahmen) für die Forschenden über dieses empirische Projekt, die nicht zuletzt in die Thematisierung in der Lehre einfließen. Solche kooperativen Settings können und sollen nicht die verschiedenen Denk- und Handlungslogiken von Praxis und Forschung verwischen oder verdecken, im Gegenteil: Die unterschiedlichen Sichtweisen müssen einen geschützten Ort im Hochschulkontext bekommen, um dort zur Sprache gebracht und verhandelt zu werden. 6. Fortschritt durch Dialog und Kritik – und die Beachtung von Fallstricken Nun wurden im vorherigen Abschnitt bewusst gerade solche Punkte heraus gearbeitet, die in den marketingförmigen Dokumenten einer Hochschule noch durchaus zu kurz kommen, aber nach der Überzeugung des Verfassers gerade die eigentliche nachhaltige Stärke darstellen könnten. Auch die DHBW wirbt zuweilen mit überzogenem Fortschrittsglauben „Erfolg studieren in Theorie und Praxis“9 oder der eher ingenieurhaft-mathematisch anmutenden Formel „Theorie+Praxis=Erfolg“10. Sie verheißt entgegen ihrer eigentlichen Stärke – nämlich einen Ort des kooperativ-kritischen Dialogs bereit zu stellen – einen eher einseitigen (und wissenssoziologisch sogar fragwürdigen) Wissenstransfer, nämlich als lineare Vermittlung des Wissens von der Theorie zur Praxis. Damit nähern wir uns auch http://www.dhbw.de/fileadmin/user_upload/Dokumente/Broschueren_Handbuch_Betriebe/DHBW_Infobroschuere_2016.pdf 10 https://www.dhbw-stuttgart.de/fileadmin/dateien/Downloads/Imagebroschuere_DHBW_Stuttgart.pdf 9
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den Fallstricken dualer Studienmodelle, die es fortwährend kritisch zu reflektieren und zu bearbeiten gilt. Ein erster Fallstrick, der hier benannt werden soll, liegt darin, dass manchmal ein gewisser Verblendungsballast des Alltags stärker ist, als das Aufklärungsprojekt des Studiums. Anders formuliert: Es gibt so etwas wie die unbändige Identifikationskraft des Alltags in Ämtern und Betrieben, die für Studierende von Bedeutung ist. Wenn Studierende sich im Studienverlauf mit dem eigenen Team, mit der eigenen Einrichtung, dem Verband und ‚ihrer Praxis‘ identifizieren, dann ist das bis zu einem gewissen Maße professionell erwünscht. Schlägt es jedoch in eine hermetisch abgeschlossene Sichtweise um, dann zieht sich die Schlinge des Stricks so eng, dass der Sauerstoff zum Denken knapp wird. Soziale Arbeit in einem dualen Modell zu lehren und zu studieren, bedeutet auch, für diese ‚Unterversorgung‘ sensibel zu sein und darum zu wissen, dass die Identifikation mit der eigenen Praxis selbst Gegenstand der Reflexion sein muss (vgl. dazu auch den Beitrag von Georg Horcher in diesem Band), damit Soziale Arbeit nicht selbst den „Borniertheiten des Alltags“ (Grunwald/Thiersch 2011, S. 854) folgt. Hinsichtlich dieser Problematik ist in der Tat zunächst ein vollzeit-hochschulisches Studium im Vorteil, in wissenschaftliche Denkweisen und bestimmte Theorie-Schulen einzuführen. Hier muss auch ein duales Studium Sozialer Arbeit darauf achten, dass es in der Lehre zuweilen ein Mehr an Theorie, statt ein Mehr an weiteren Praxisbeispielen braucht – auch wenn dies für alle Beteiligten etwas mühsamer zu erarbeiten ist. Dazu gehört es auch, im dualen Studium Raum zu Schaffen, Theorien selbst kritisch diskutieren zu lernen (statt im Praxisbezug bloß ‚anzuwenden‘). Dass es z.B. um Lebenswelt-, Subjekt-, Bildungs-, Governance-, Capabilities-, Sozialraum-, Management- und Wohlfahrtstheorien etc. selbst wissenschaftliche Kritik, divergente Positionen und Theorieentwicklung in der Wissenschaft Sozialer Arbeit gibt, muss vermittelt werden, weil nur so ein „theoriesystematisches“ (Kessl 2013, S. 69 ff.) Orientierungswissen zukünftiger Fachkräfte grundgelegt werden kann, welches für die weitere professionelle Zukunft trägt11. Denn es sind vermutlich insbesondere theoretische Grundlagen (mehr als z.B. Organisatonszugehörigkeiten), die im schnellen Wandel der Handlungsfelder und gesellschaftlicher Transformationsprozesse sozusagen einen professionellen ‚Kompass‘ für Sozialarbeitende bieten. Ein weiterer, durchaus auch mit vorherigem verbundener Fallstrick liegt in Zeitnot und Rastlosigkeit des Studiums. Nun sei es dahin gestellt, ob dies vielleicht
Zu den Aspekten Governace und wohlfahrtsstaatlicher Transformation siehe den Beitrag von PaulStefan Roß in diesem Band. 11
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mehr mit einer bestimmten Umsetzung der ‚Bolongna-Reform‘ von Studiengängen zu tun hat, als mit dem dualen Studium. Aber ein duales Studium Sozialer Arbeit potenziert diese Gefahr, denn es ist ein Intensivstudium, welches gleichwertige curriculare Inhalte plus die Herausforderungen des integrierten Praxisstudiums in gleicher Zeit unterbringen muss. Die Freiheit im eigenen Denken zu entwickeln und das Aufklärungspotential, das Theoriearbeit erst ermöglicht, braucht aber Zeit. Bildungsprozesse, die auch hinsichtlich der Weiterentwicklung der eigenen Deutungsmuster (Helfermodell, normative Ideen von Familie, KlientInnen, wohlfahrtsstaatlicher Institutionen) potentiell immer auch krisenhaft sind, brauchen längere Schutz-Räume, die durch den zwischenzeitlichen Prüfungs- und Handlungsdruck immer wieder behindert werden12. Diese potentielle Krisenhaftigkeit wird auch in der Praxis(anleitung) gesehen (vgl. den Beitrag von Winfried Fritz in diesem Band). Doch es besteht die Gefahr, dass alle Beteiligten sich in einer unguten ‚Mühle‘ oder einem ‚Hamsterrad‘ befinden und die Zeit für diese Bildungsprozesse zu knapp gehalten wird. Weiter stellen widersprüchliche Erwartungen hinsichtlich des Innovationspotentials von Wissenschaft und Forschung mitunter einen Diskussionspunkt dar, der zu bearbeiten ist. Studierende, Lehrende und PraxisvertreterInnen können zuweilen den Theorie-Praxis-Dualismus sogar weiter verstärken, wenn gut gemeinte Aufgaben, Studienteilleistungen und Lernziele zu eng getaktet oder zu formalistisch (auch durch Lehrende) angeleitet oder (durch Studierende) bearbeitet werden. So ist die zuweilen auch aus der Praxis formulierte Erwartung, es möge doch bitte im Sozialarbeitsstudiengang zur Jugendhilfe bereits in der ersten Theoriephase und vor der Praxisphase ‚Hilfeplanung‘ oder ‚Kinderschutz‘ nach dem SGB VIII vermittelt werden, vordergründig plausibel, aber auch gefährlich. Denn vielleicht macht es doch studiendidaktisch Sinn, dass die Rechtsmodule zum SGB VIII erst dann studiert werden, wenn die Praxis der Rechtsanwendung und Verwaltungspraxis aus der Praxis bekannt sind – und eingeordnet werden können. Schließlich soll ein duales Studium die sukzessive Verantwortungsübernahme in der Praxis sicherstellen, weshalb es eigentlich nicht anzunehmen sein sollte, dass im ersten Semester bereits Kinderschutzverfahren oder Hilfeplanungsprozesse studentisch erledigt werden. Die Vermittlung der institutionellen Praxen, ‚wie Kinderschutz im eigenen Landkreis funktioniert‘, erfolgt übrigens nach Einschätzung des Verfassers ausgesprochen reibungslos und blitzschnell in den ersten Wochen der jeweiligen Praxisphase. Wollten duale Studiengänge hier immer genau Es ließe sich mit Blick auf die institutionellen Bedingungen des dualen Studienbetriebs mit „Studienquartalen“ übrigens auch etwas zur Rastlosigkeit und zum Fehlen von akademischen Zyklen von vorlesungs- und vorlesungsfreier Zeit, Forschungssemestern etc. auch auf Seiten der Lehrenden sagen. 12
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das lehren, was in der nächsten Praxisphase ansteht, dann müssten die Lerngruppen nicht nur noch kleiner und spezifischer werden, sondern es stellte sich auch – bezogen auf das Beispiel des Rechts – ein Missverhältnis der Vermittlung von Rechtsanwendung im Kontext öffentlicher Verwaltung, rechtswissenschaftlicher Einordnung und rechtssystematischer Studienmodule ein. Ähnliches ließe sich für Handlungsmethoden, wie z.B. Traumapädagogik, lösungsorientierte Interventionen, Gesprächsführung etc. formulieren. Im Folgenden Beitrag von Michael Wollek finden sich zu diesbezüglichen Lehr-Lern-Situationen weiterführende bildungsdidaktische und personalpolitische Überlegungen. Auch aus dem letzten Punkt wird deutlich, dass also ein bloßes Auftragsdenken für ein duales Studium, wie es im ‚Un-Wort‘ des eingangs genannten Dienstherrenmodells impliziert wird, denkbar ungeeignet für fachliche Organisations- und Professionsentwicklung Sozialer Arbeit in der Kinder- und Jugendhilfe ist. So wichtig und legitim Personalgewinnungs- und -entwicklungsstrategien sind, dürfen auch vertragliche Klauseln, die eine Bindung Studierender Sozialer Arbeit an den Arbeitgeber während und nach dem Studium implizieren, nicht Einzug erhalten. Abgesehen vom offensichtlichen Problem einer Dominanz weniger Träger als Arbeitgeber in einem Dienstherrenmodell, wären es gerade die beschriebenen Bildungssituationen, die unter die Räder gerieten. So gilt es für duale Studienmodelle auch, eine zu starke Spezialisierung auf Handlungsfelder zu Lasten generalisierter Studieninhalte zu vermeiden. Die Gleichsetzungen von Studiengängen mit Arbeitsfeldern weisen auf dieses Problem hin und sind bisweilen auch in der Systematik der DHBW kritisch zu diskutieren. Das duale Studium muss dazu befähigen, sich in allen Handlungsfeldern praktisch und theoretisch zu entwickeln und den Erwerb professioneller Handlungskompetenzen fördern. Dabei darf auch ein duales Studium den Bachelor-Abschluss nicht als Ende der Fahnenstange anlegen, sondern muss die weiteren akademischen Qualifikationsstufen M.A. und Ph.D. hochschultyp-übergreifend durch generalistische Qualifikation absichern und nicht bereits im Ansatz durch Segmentierung oder betriebliche (auch nicht hochschulische!) Bindung einschränken. 7. Vorläufiges Fazit Im Lichte all dieser Potentiale, Stärken und Fallstricke ergeben sich Bedarfe zu sorgfältigen Debatten, in denen genauer bestimmt wird, was der inhaltliche Kern dualer Studiengänge ist und zukünftig sein kann. Wenn duale Studiengänge, mit
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Wilfried Nodes gesprochen, nur „die drei ‚schlechtesten‘ Welten neuer hochschulischer Entwicklungen zusammen [führen] “ (2018, S. 26), also eine Kombination von 1. curricularer Verwertungsorientierung, 2. Fremdbestimmung durch Dienstherren und 3. Hochschulprivatisierung, dann liegt keine produktiv-professionelle Strategie vor. Vielmehr sind mit diesen drei Punkten wichtige Konfliktlinien und Probleme der Ausbildungslandschaft zur Sozialen Arbeit benannt. Hinzu kommt in der Konsequenz für Studierende eine „arbeitsfeldspezifische Verengung, die zudem die Flexibilität der Fachkräfte auf dem Arbeitsmarkt erheblich einschränken würde“ (Neuffer 2017, o.S.).Gewiss muss sich ein duales Studium immer darüber vergewissern, nicht unversehens Teil dieser Entwicklungen zu sein oder zu werden13. Der derzeit ungeniert vollzogene Versuch, politisch und verbandlich Einfluss auf Studienmodelle und -inhalte sowie Bildungsinstitutionen zu nehmen findet eben nicht zufällig bundesweit im Modus dualer Studiengänge statt. Mit diesem Beitrag sollten daher fachpolitische Aufgaben skizziert werden, die hier eine geteilte Verantwortung von Hochschule, Verbänden, Unternehmen, ‚Praxis‘ und Politik auf Augenhöhe, nicht in einem Prinzipal-Agent-Verhältnis erfordern. Wenn im Rahmen des Studiums Sozialer Arbeit verschiedene Lernorte systematisch im Lichte eines reflexiven Professionsmodells verbunden werden, dann kann dieses Studienmodell ein besonderes Potential entfalten. Im Sinne dieses Potentials müssen die Phasen akademischer Lehre eben mehr als Wissensvermittlung, sondern aufklärende und bildende Theorie-Arbeit sein. Und die Phasen der studienintegrierten Praxis sind ein Praxisstudium. Das ist etwas anderes als das von Hans-Uwe Otto (2018) kritisierte berufliche Studium „in Form einer funktionalistischen Zurichtung des Studienziels auf zweckgebundene Vorstellungen des Arbeitgebers“ (ebd.). Die entsprechende professionelle Ausgestaltung beider Lernorte kann nur gemeinsam durch Hochschule und Praxis gelingen. Gelingt diese kooperative Gestaltung nicht, dann wird die bundesweit zu beobachtende derzeitige Konjunktur dualer Studienmodelle auf Dauer keinen Impuls zu setzen vermögen, sich als Modeerscheinung am tertiären Bildungsmarkt erweisen oder den Fachkräftemangel in Jugendämtern, Sozialämtern oder bei Trägern der freien Jugend- und Familienhilfe nur kaschieren. Gelingt jedoch die Wahrnehmung sowie die strukturelle und institutionelle Absicherung dieser geteilten Verantwortung, dann sind die Perspektiven des dualen Studiums Sozialer
In diesem Prozess der Vergewisserung wird die Stimme Brigitte Reinbolds innerhalb der DHBW ab 2019 fehlen, doch wird sie sicher auch ‚von außen‘ weiter Teil der Fachdebatten um das (duale) Studium zur Sozialen Arbeit und ihrer Praxis bleiben. 13
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Arbeit für eine nachhaltige Professionalisierungsstrategie gegeben und als produktive Herausforderungen an Wissenschaft und Praxis in der Kinder- und Jugendhilfe bestens geeignet. Literatur Arbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendhilfe - AGJ (2009): Soziale Arbeit in Bachelor-/Master-Studiengängen: Kompetenzen von Fachkräften – Erwartungen von Anstellungsträgern. Verfügbar unter: https://www.agj.de/fileadmin/files/positionen/2009/BA_MA_Studiengaenge.pdf (Zugriff 20.07.2018) Arbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendhilfe - AGJ (2018): Zwischenruf. Zwischenruf zur Debatte um „duale“ Ausbildungs- und Studiengänge, die für das Feld der Kinder- und Jugendhilfe qualifizieren sollen. Verfasst von der Mitgliedergruppe Personal und Qualifizierung der AGJ. Verfügbar unter: https://www.agj.de/arbeitsfelder/qualifizierung-forschung-fachkraefte/news/artikel/news-artikel/keine-absenkung-fachlicher-standards-trotz-fachkraeftemangel.html (Zugriff: 20.07.2018) Bondarowicz-Kaesling, M./Polutta, A. (2017): ‚Professionsnovizen‘ im Jugendamt. Prozesse des Berufseinstiegs in die Soziale Arbeit. In: Sozial Extra. 6/2017, S. 33-29. Die Tageszeitung - TAZ (2017): Ausbildung nach Dienstherrenart: Sozialarbeiter auf Bestellung. Ausgabe vom 27.09.2017. verfügbar unter http://www.taz.de/!5448074/ (Zugriff: 20.07.2018) Grunwald, K./Thiersch, H. (2011): Lebensweltorientierung. In: H.-U. Otto & H. Thiersch (Hrsg.), Handbuch Soziale Arbeit. 4. Aufl. (S. 854-863). München: Ernst Reinhardt. Kessl, F. (2013): Soziale Arbeit in der Transformation des Sozialen. Eine Ortsbestimmung. Wiesbaden: Springer VS. Landtag von Baden-Württemberg (2014): Drucksache 15 5772. 15. Wahlperiode1. verfügbar unter: https://www.landtag-bw.de/files/live/sites/LTBW/files/dokumente/WP15/Drucksachen/5000/15_5772_D.pdf (Zugriff: 20.07.2018) Lindenberg, M. (V.i.S.d.P.) (2018): Stellungnahme zum Umgang mit dem aktuellen Fachkräftemangel in der Sozialen Arbeit in Hamburg und zur Planung eines dualen Studiengangs ‚Kommunale Soziale Arbeit‘ durch die Freie und Hansestadt Hamburg. Verfügbar unter https://bremerbuendnissozialearbeit.jimdo.com/. (Zugriff: 20.07.2018) Lüders, Ch. (1989): Der wissenschaftlich ausgebildete Praktiker. Weinheim: Beltz. Neuffer, M. (2017): Dienstherreneigener Studiengang. „Soziale Arbeit im öffentlichen Dienst“. In: FORUM für Kinder und Jugendarbeit 3/2017. Nodes, W. (2018): Sozialarbeitsstudium im Ausverkauf! Bald in Hamburg und München nur noch besserer Lehrberuf? In: Forum Sozial 4/2018, S. 24-26. Otto, H.-U. (2018): Dual – Ende oder Wende des Studiums einer modernen Sozialen Arbeit. In: neue praxis. Zeitschrift für Sozialarbeit, Sozialpädagogik und Sozialpolitik. Heft 3/2018, im Erscheinen. Otto, H-U. (1971): Zum Verhältnis von systematisiertem Wissen und praktischem Handeln in der Sozialarbeit. In: H.-U. Otto & K. Utermann (Hrsg.), Sozialarbeit als Beruf. Auf dem Weg zur Professionalisierung (S. 87-98). Weinheim/München: Juventa. Polutta, A. (2015): Das Studium Sozialer Arbeit als Beziehungsarbeit. Denn Praxis und Theorie haben eine Beziehung. In: S. Gögercin & A.Hochenbleicher-Schwarz (Hrsg.), 40 Jahre Duales Studium, Festschrift. (S. 225-244). Berlin: De Gruyter.
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Polutta, A./Eberlei, C. (2015): Konsequenzen wirkungsorientierter Steuerung in Sozialen Diensten – ein ethnographischer Zugang zur Praxis von Fachkräften in der Kinder- und Jugendhilfe. In: Soziale Passagen Journal für Empirie und Theorie Sozialer Arbeit, Jg. 7, Heft 2, S. 347-353.
Beiträge der Praxis für eine gemeinsame Professionalisierungsstrategie Michael Wollek
Die Beiträge der Praxis für eine gemeinsame Professionalisierungsstrategie müssen sich konsequent auf die Herausforderungen des Theorie-Praxis-Transfers beziehen. Dieser wird in diesem Beitrag zur Theorie-Praxis-Spirale erweitert, da im ständigen Austausch und im gegenseitigen Bezug theoretisches Wissen und praktische Erfahrungen immer wieder auf ein neues Niveau des Theorie- und Praxisverständnisses gehoben werden. Unter Bezug auf Ortfried Schäffters Überlegungen zum Lehren und Lernen in der Transformationsgesellschaft werden vier didaktische Lehr-Lern-Modelle sowie Überlegungen zum Lernen eingeführt, die sehr unterschiedliche Konsequenzen für das praktische Erlernen einer Profession haben. Auf dem Hintergrund eines selbstreflexiven und situationsadäquaten Verständnisses von Kompetenz und Performanz wird der Beitrag der Praxis schließlich darin gesehen, die reflektierte Theorie-Praxis-Spirale nicht nur in Schwung zu halten, sondern als Einstellung und Haltung - aus der Perspektive der Praxis - in den Studierenden zu verankern. 1. Professionalisierung Die Besonderheit des Dualen Studiums besteht darin, dass sich hier drei Partner die Studierenden, die Duale Hochschule und die Dualen Partner - zum Zweck einer theorie- und praxisrelevanten Hochschulausbildung vertraglich miteinander verbinden. Eine gemeinsame Professionalisierungsstrategie im Rahmen des Dualen Studiums ist deshalb nur dann möglich, wenn diese Eigentümlichkeit berücksichtigt wird und jeder seinen Beitrag einbringt. Wie bei jedem Dreiecksvertrag kommt es auch hier darauf an, dass die gegenseitigen Pflichten und Beiträge nicht nur im Ausbildungsvertrag niedergeschrieben sind, sondern im Hinblick auf „realistische Erwartungen“ und „Phantasieerwartungen“ (Schneider 2002, S. 81) auch miteinander klar besprochen und immer wieder überprüft werden. Die Duale Hochschule als Lernort der Theorie und die Ausbildungsunternehmen als Lernorte © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 A. Polutta (Hrsg.), Kooperative Organisations- und Professionsentwicklung in Hochschule und Sozialwesen?, Edition Centaurus – Perspektiven Sozialer Arbeit in Theorie und Praxis, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31603-7_4
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in der Praxis und für die Praxis nehmen dabei gemeinsam die Aufgabe wahr, die Studierenden theoretisch und praktisch zu qualifizieren. Diese verpflichten sich im Gegenzug, ihre Lern- und Praxisleistungen zu erbringen. Die Beschäftigung mit der Praxis ist allerdings nicht allein Aufgabe der Dualen Partner, so wie die Beschäftigung mit der Theorie nicht nur die Aufgabe der Dualen Hochschule ist. Im Studium an der Hochschule soll die Auseinandersetzung mit der Praxis daher nicht nur theoriehaltig, sondern wiederum praxisrelevant sein. Ebenso soll auch in der Praxis im Ausbildungsunternehmen die Auseinandersetzung mit der Theorie ihren Stellenwert haben. Ein erfolgreiches Studium bringt dann in den Studierenden Theorie und Praxis so zusammen, dass erlerntes Wissen und geübtes Können mit der Motivation zu handeln zusammenkommen. Mit diesem beschriebenen Lernweg wird zugleich der gelingende und sich stetig wiederholende Theorie-Praxis-Transfer angesprochen, in dem der Transfer „von der Theorie in die Praxis und von der Praxis in die Theorie stattfinden“ (Hochenbleicher-Schwarz 2015, S. 152) soll. Er ist nicht nur eine, sondern ‚die‘ wesentliche Grundlage der Professionalisierung im Dualen Studium. Da der Begriff ‚Transfer‘ ein inneres Bild von Richtung (und Gegenrichtung) hervorruft, könnte (in Anlehnung an den hermeneutischen Zirkel) vielleicht deutlicher von einem Theorie-Praxis-Zirkel bzw. einer Theorie-Praxis-Spirale gesprochen werden, in der das Theorie- und Praxiswissen nicht einfach von einer Seite zur anderen transferiert wird, sondern im wechselseitigen Austausch und Bezug immer wieder auf eine neue Ebene des Theorie- und Praxisverständnisses gehoben wird. Eine gemeinsam verantwortete Professionalisierungsstrategie wird sich deshalb auf diese Theorie-Praxis-Spirale beziehen, um die Ausbildung so zu gestalten, dass die Studierenden in der Praxis bestehen können. Das bedeutet, dass der ‚Lernort Theorie‘ immer auch den ‚Lernort Praxis‘ mit im Blick hat und umgekehrt. Damit wird die Notwendigkeit der engen und miteinander abgestimmten Kooperation beider Lernorte und daraus folgend eine gemeinsame Professionalisierungsstrategie deutlich. Gleichzeitig ist es für den Studienerfolg ebenso wichtig, die Ausbildung nicht nur als Ausbildung in Hinblick auf die Praxis zu sehen, sondern sie gleichzeitig auch als Ausbildung in und für die Theorie zu konzipieren. Eine gemeinsame Professionalisierungsstrategie von Dualer Hochschule und Dualen Partnern wird innerhalb der Theorie-Praxis-Spirale deshalb diesen wichtigen in die Theorie und in die Praxis führenden Aspekt des Lehrens und Lernens berücksichtigen. Es gilt aber noch eine weitere wesentliche Grundlage zu beachten: die notwendige Unterschiedlichkeit der Lehr-Lernformen und ihrer Anwendung in einer sich transformierenden Gesellschaft.
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2. Ausbildung in der Transformationsgesellschaft Das Duale Studium geschieht nicht im ‚luftleeren‘ Lehr-Lern-Raum, sondern wird von verschiedenen Rahmenbedingungen beeinflusst. Wesentliche Kontexte sind dabei das persönliche Lebensumfeld der Studierenden und die gesellschaftlichen Bedingungen und Zusammenhänge. Derzeit befinden sich Staat, Gesellschaft und Institutionen in einer Phase des tiefgreifenden Umbruchs. Vieles, was bisher für sicher und bewährt gehalten wurde, verändert sich. Das hat wiederum direkte und indirekte Auswirkungen auf die einzelnen Menschen. Es hat aber auch Auswirkungen auf das Lehren und Lernen. Der emeritierte Berliner Professor für Erwachsenenbildung Ortfried Schäffter veröffentlichte bereits 2001 erwachsenenpädagogische Überlegungen für eine „Weiterbildung in der Transformationsgesellschaft“ (Schäffter 2001). Darin geht er auf die Konsequenzen der Transformationsgesellschaft für die institutionelle Erwachsenenbildung und Weiterbildung ein. Schäffter beschreibt die Transformationsgesellschaft als vielschichtig und unübersichtlich, weil „in ihr sehr unterschiedliche Prozesse des Strukturwandels zusammentreffen, sich einander überlagern und dabei z.T. erheblich verstärken. Man bekommt es mit einer komplexen Gemengelage zu tun, in der sich bisher unabhängige Diskontinuitäten und soziale Bruchlinien ineinander verschränken (…)“ (Schäffter 2009b). Unter Transformation versteht Schäffter deshalb nicht nur „eine Kette von Veränderungsprozessen. Der Begriff zielt auf einen sehr grundlegenden Strukturwandel, und zwar in den jeweils konstitutiv vorausgesetzten Kontextbedingungen eines Ereignisses. Transformation bezieht sich (…) auf den Wandel in den bisherigen Formen möglicher Veränderungen, die sich dabei ebenfalls transformieren“ (Schäffter 2009, S. 24). In Hinblick auf die Veränderungen unterscheidet Schäffter daher zwischen Veränderungen erster und zweiter Ordnung. Veränderungen erster Ordnung sind für ihn Veränderungen „innerhalb eines trotz des Wandels gleichbleibenden Kontextes (…). Als Einzelveränderungen verbleiben sie innerhalb eines weiterhin übereinstimmenden Sinn- und Bedeutungshorizonts“ (Schäffter 2012, S. 120). Davon unterscheidet Schäffter die „Veränderungen 2. Ordnung (…), weil nun auch der Kontext einem strukturellen Wandel unterworfen ist (…).“ (ebd.) Zeiten des Umbruchs und der Transformation sind deshalb besonders durch diese zweite Art von Veränderungen gekennzeichnet. Das Lehren und Lernen muss sich darauf einstellen. Schäffter stellt auf diesem Hintergrund vier unterschiedliche didaktische Modelle bzw. Lehr-Lernformen vor, die je nach Situation eingesetzt werden können.
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Im „Qualifizierungs-Modell“ (Schäffter 2001b, S. 55) sind die Ausgangslage und das zu erreichende Lernziel bekannt. Die Studierenden kennen z.B. die Systemtheorie Luhmanns nicht und sollen die Grundidee sowie die dazu gehörenden Grundbegriffe kennenlernen. Oder sie sollen erfahren, welche Hilfemöglichkeiten das Kinder- und Jugendhilfegesetz vorsieht. Beides wird ihnen mit unterschiedlichen Vermittlungsformen beigebracht. Diese instruierende und qualifizierende Form des Lehrens und Lernens ist so eingeübt und bekannt, dass sie beinahe für die einzig wahre Lehr-Lernform angesehen wird. Auch Studierende erwarten oft, dass es auf die Mehrzahl der Situationen in der Praxis eine sie dafür qualifizierende Antwort aus der Theorie gibt und messen daran deren Praxistauglichkeit. Unzufriedenheit entsteht daher häufig, wenn es keine direkte Qualifizierungsantwort für eine bestimmte Praxissituation gibt. Das zweite didaktische Modell bezeichnet Schäffter als „Aufklärungs-Modell“ (Schäffter 2001b, S. 57). Hier ist die Ausgangslage unbekannt bzw. unterschiedlich, das Lernziel im Sinne eines Vorbilds jedoch bekannt. Ein Beispiel dafür ist eine Ausbildung in Mediation oder Moderation. Die Lernenden bringen sehr unterschiedliche Voraussetzungen und Vorerfahrungen mit. Erlernt werden nicht nur Wissen und Techniken, sondern es wird auch am Vorbild der Lehrenden und durch Üben und gegenseitiges Korrigieren gelernt. Es ist also ein Lernen mit der Theorie vor der Praxis, in der Praxis und mit der Praxis. Diese Lernform ist ebenfalls bekannt und wird auch geschätzt. Sie ermöglicht aber kein eindeutiges und schnelles Wissen und Handeln in der Praxis, sondern erfordert bereits Reflexion. Das dritte didaktische Modell ist das „Suchbewegungsmodell“ (Schäffter 2001b, S. 58). Hier ist die Ausgangslage zwar bekannt, der Lernzielraum ist aber ein noch unbekannter Möglichkeitsraum, der nur über Selbstentdeckung erkennbar wird. Nehmen wir an, dass die Studierenden der Sozialpädagogik z.B. auf eine Tätigkeit in der Sozialpädagogischen Familienhilfe mit Hilfe der ersten beiden didaktischen Modelle vorbereitet würden. Dann stellen sich zuerst zwei Fragen: Was habe ich gelernt (Qualifizierung) und von wem habe ich was abgeschaut (VorBild)? Eine Familie ist jedoch kein statisches System. Die Menschen innerhalb der Familie verändern sich ebenso wie sich ihre unterschiedlichen und gemeinsamen Rahmenbedingungen verändern. Zudem trifft das Wissen, die eigene Lebenswelt und der persönliche Bezugsrahmen (vgl. Kouwenhoven et al. 2002, S. 44f) der Studierenden auf die Lebenswelt, das Handlungswissen, die persönlichen Erfahrungen und den Bezugsrahmen der zu begleitenden Familie und ihrer Mitglieder. Neben dem Handlungswissen aus Studium und Praxisanleitung müssen sich die Studierenden hier in der Situation quasi selbst entdecken, um situationsangemes-
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sen handeln zu können. Eine eindeutige Vorbereitung auf die anzutreffenden Situationen ist durch die Theorie nur eingeschränkt möglich; die Reflexion in Theorie und Praxis ist für den Lernerfolg jedoch höchst sinnvoll. An dieser Stelle beginnt auch der Übergang zum vierten didaktischen Modell, dem Modell der „Reflexiven Transformation“ (Schäffter 2001b, S. 60). In diesem Modell gibt es keinen endgültigen Lernerfolg, da jedes erreichte Ziel wiederum Ausgangspunkt für den nächsten Schritt ist und jeweils nur durch permanente Selbstvergewisserung erreicht werden kann. Ein Beispiel dafür ist das sozialpädagogische Handeln im Gemeinwesen auf den Grundlagen sozialraumorientierten Arbeitens. Hier ist das theoretische Wissen zwar notwendig, um in die Praxis gehen zu können. Es genügt aber nicht, da es durch die Praxis bzw. durch die Anwendung in der Praxis bereits verändert wird und sich weiterentwickeln muss. Im Prozess ist eine Veränderung des angestrebten Ziels dabei durchaus (mehrfach) möglich.1 Den Studierenden sollte deshalb in Theorie und Praxis zum einen das Wissen um die unterschiedlichen Ordnungen von Veränderungen und die unterschiedlichen didaktischen Modelle beigebracht werden, um sich orientieren und Erfahrungen einordnen bzw. konfrontieren zu können. Sie können dadurch nachvollziehen, warum manchmal tatsächlich ein direkter Transfer von der Theorie in die Praxis möglich ist und weshalb in anderen Situationen nur der mühsame Weg über die Theorie-Praxis-Spirale, die eben auch persönliche Selbstentdeckung umfasst, sinnvoller ist. Damit dies gelingt, ist gleichzeitig eine Verständigung zwischen Theorie- und Praxisort notwendig, damit von beiden Seiten aus an diesem Ziel gearbeitet werden kann. Eine gemeinsame Professionalisierungstheorie wird diesen - mühsamen, aber lohnenswerten - Weg beschreiten. 3. Lernen in der Transformationsgesellschaft Schäffter stellt sich die Frage, wie das „Lernen in Übergangszeiten“ (Schäffter 2014, S. 48) aussehen könne. Dabei hat der Gedanke von der „Irritationsfähigkeit als Voraussetzung für Lernanlässe“ (Schäffter 2001, S. 172) für ihn eine zentrale Bedeutung. Hierin geht es ihm nicht nur um eine Erfahrung, die dem bisherigen Erleben und Denken entgegensteht, „sondern auch dem (bewusst oder unbewusst) bisher zugrunde gelegten normativen Erwartungsstil zuwider läuft“. (Wollek Schäffter hat inzwischen noch ein weiteres interessantes didaktisches Modell entwickelt, das Modell der „Korrelativen Übergangsstruktur“, auf das ich hier leider nicht eingehen kann. Vgl. O. Schäffter: Bildungsformate im gesellschaftlichen Strukturwandel. In: Schäffter 2014, S. 122ff. 1
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2016, S. 63) Studierende an der Dualen Hochschule erwarten oft, dass sich Theorie und Praxis problemlos miteinander verknüpfen lassen. Die Erfahrung, dass dem nicht so ist, gehört zu den großen Irritationen des Studiums, die so zu einem wichtigen Lernanlass werden können. Die Erfahrungen in der Praxisphase sind ebenfalls mit vielen Irritationen verknüpft. Diese gehören unbedingt dazu, sind ein unverzichtbarer Teil der Professionalisierung und müssen als Lernerfahrung bearbeitet werden. Aber wie? Schäffter spricht sich gegen ein sofortiges Reagieren und Handeln auf die Irritationen aus und plädiert für ein erstes Innehalten und Wahrnehmen, um sich über die irritierende Erfahrung erst einmal klar zu werden. (Schäffter 2001, S. 172 ff.). Eine entscheidende Voraussetzung für den Umgang mit Irritationen besteht für ihn auch darin, dass die Erwartungsstrukturen der beteiligten Personen wie auch des institutionalisierten Lehr-Lern-Systems „enttäuschungsfähig sind“. (Schäffter 2001, S. 175f.). Dies reflexiv aufzunehmen und in die Lehr-Lern-Spirale einzubringen, ist zwar eine große Herausforderung für Lernende, Lehrende und Praxisbegleitung, gehört aber m.E. zur gemeinsamen Professionalisierungsstrategie unbedingt dazu. Schäffter zieht auf den beschriebenen Hintergründen der Transformationsgesellschaft und des Umgangs mit Irritationen als Lernanlässen praktische Konsequenzen für das Lehren und Lernen. Dabei bezieht er sich besonders auf das dritte und vierte didaktische Modell, da hier auf die besonderen Herausforderungen des Lernens in Zeiten der Transformation eingegangen wird. Ein erster Blick richtet sich dabei auf das institutionalisierte und auf das selbstgesteuerte Lernen: „Statt Lernorganisation ausschließlich nach der ‚Instruktionslogik‘ von Qualifizierungsprozessen (…) zu arrangieren, geht es zunehmend mehr um ein Initiieren-Aufbauen-Ausgestalten und Unterstützen von Entwicklungsverläufen (…). Dies verlangt eine deutliche Abkehr von additiv zusammengestellten Einzelangeboten und ein konzeptionelles Denken in längerfristigen, meist offenen und z.T. selbstorganisierten Entwicklungsprozessen“. (Schäffter 2001, S. 30) Dies spricht für eine noch deutlichere Verbindung von Theorie und Praxis. Besonders der Bereich des selbstgesteuerten und -organisierten Lernens könnte in den Praxisphasen zum Tragen kommen. Ausbildung „in Zeiten der Transformation gelingt somit nicht mehr allein in der Aneinanderreihung von Lerninhalten (…), sondern baut die Offenheit und Unbestimmtheit der Welt in die Lernsituation und in den Lernprozess ein“ (Wollek 2016, S. 86f.). Schäffter unterscheidet im Weiteren zwischen einem Lernen „bei dem der zugrunde liegende Kontext des Lernens unverändert bleibt“ (Schäffter 2012, S. 121) und in dem es darum geht, dass „‚anerkanntes‘ Wissen, ‚notwendige‘
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Kompetenzen und ‚richtige‘ Einstellungen und Werte im Rahmen einer vorausgesetzten Ordnung“ (Schäffter 2001, S. 195) weitervermittelt werden, und einem „‚Lernen im Prozess der Übergangs‘ zwischen differenten Sinnhorizonten, das sich auf einen Wandel der Bedeutungskontexte bezieht“ (Schäffter 2012, S. 121). Statt um Lehre geht es hier um Selbstaufklärung. Der Lernprozess nimmt dabei die „Erwartungstäuschung zum Anlass, auf die bisherigen Erwartungen und die Bedingungen ihrer Enttäuschung zurückzufragen“ (Schäffter 2001, S. 197f.). Es werden vor allem die Erfahrungen in der Praxisphase sein, die bei den Studierenden Fragen und Enttäuschungen hervorrufen und somit zum Lernanlass werden. Dabei geht es dann nicht nur darum, Lösungswege zu finden, sondern auch der je eigenen expliziten wie impliziten Erwartungshaltung auf die Spur zu kommen. Auf diesem Hintergrund plädiert Schäffter für reflexives Lernen als die wesentliche Form des Lernens in Zeiten der Transformation (Schäffter 2001, S. 191). „Reflexives Lernen geschieht dadurch, dass Irritationen bewusst wahrgenommen, ausgehalten und auf Neues hin befragt werden.“ (Wollek 2016, S. 91) Schäffter postuliert deshalb: „Nur wenn diese beunruhigende, aber auch vitalisierende Erfahrung zur Kenntnis genommen, ausgehalten und als Überraschung, Erstaunen, Verblüffung oder Faszination bewahrt werden kann, lassen sich Prozesse der Wahrnehmungsöffnung für Neues anschließen“ (Schäffter 2001, S. 191), sodass die Möglichkeit entsteht, dass bisher bestehende Überzeugungen oder vielleicht sogar der Bezugsrahmen der Überzeugungen produktiv in Frage gestellt werden können. Die Theorie-Praxis-Spirale des Studiums bietet hierzu viele Möglichkeiten - wenn sich auch die Lehrenden und die Praxisbegleitenden als Personen zeigen, die bereit sind auch die eigenen Überzeugungen zumindest hin und wieder in Frage stellen zu lassen. Schäffters Anforderungen an das Lehren und Lernen in der Transformationsgesellschaft scheinen sehr hoch zu sein. Zu hoch? Er selbst gibt einen Hinweis, wie damit umgegangen werden kann, indem er auf die notwendigen „Kompetenzen des ‚Lassen-Könnens‘“ (Schäffter 2001, S. 8) hinweist, worunter er versteht, alte Sicherheiten loslassen zu können, gebahnte Wege verlassen zu können, ungewohnte Sichtweisen zulassen zu können und auf unübersehbare Entwicklungen sich einlassen zu können (vgl. ebd.). Schäffter plädiert damit für „Gelassenheit als Kompetenz des ‚Lassen-Könnens‘“ (ebd.). Eine gemeinsame Professionalisierungsstrategie könnte daher nicht nur die verschiedenen Lehr-Lernformen, sondern auch die Kompetenz der Gelassenheit und ihrer Implikationen als Inhalt und Voraussetzung des Lehrens und Lernens aufnehmen und damit vermutlich allen - Lehrenden, Praxisbegleitenden und Studierenden - gut tun.
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4. Von der Kompetenz zur Performanz Das Duale Studium will in Theorie und Praxis für die Praxis ausbilden. Ein wesentliches Ziel des Studiums besteht deshalb darin, dass die Studierenden am Ende ihres Studiums Kompetenzen erlangt haben, die es ihnen erlauben, in der Praxis bestehen und handeln zu können. Im Hinblick auf die berufliche Ausbildung schreibt der Schweizer Berufspädagoge Andreas Schubiger, dass erst mehrere Kompetenzen zusammen wie Fachkompetenzen, Sozialkompetenzen und Selbstkompetenzen das Potenzial bildeten, um eine Situation im Alltag oder Beruf bewältigen zu können (Schubiger 2013, S. 21). Diese Erwartung, Situationen im Beruf bewältigen zu können, haben nicht zuletzt die Studierenden selbst. Eine gemeinsame Professionalisierungsstrategie von Dualer Hochschule und Dualen Partnern sollte sich deshalb darüber verständigen, was unter Kompetenz verstanden wird und wie praxisrelevante Kompetenzen vermittelt werden können. Dies ist auch die gängige Praxis. Der französische Arbeitspsychologe Guy Le Boterf erklärt jedoch, dass eine Person erst dann als kompetent gelten könne, wenn sie eine Unternehmung nicht nur erfolgreich durchführen könne, sondern wenn sie auch verstanden habe, weshalb und wie sie handelt. Know-how oder erfolgreiches Handeln allein reichten deshalb nicht aus, um eine Kompetenz eindeutig festzustellen. Kompetenz beinhalte auch autonomes Handeln als die Fähigkeit, seine Handlungen eigenständig auszurichten und sich dabei nicht nur auf die eigenen Ressourcen zu verlassen, sondern auch ergänzende Ressourcen mit einzubeziehen. Dazu gehöre es auch, seine Kompetenzen in einen anderen Zusammenhang übertragen und unter veränderten Bedingungen einsetzen zu können2 (Le Boterf 42006, S. 95). Die Überlegungen von Le Boterf lassen sich daher problemlos mit den Gedanken Schäffters zum reflexiven Lernen verbinden. Kompetent zu sein bedeutet somit, die entwickelten Kompetenzen auch in neuen Situationen erfolgversprechend einsetzen zu können. Dies kann man als Performanz bezeichnen, wenn man darunter „die konkretisierte Aktualisierung eines Vermögens“ (Treptow 2013, S. 23) versteht. Eine gemeinsame Professionalisierungsstrategie wird daher ein gemeinsames Verständnis von Kompetenz bzw. Performanz entwickeln und seine Erarbeitung bzw. Entwicklung als Ziel des Dualen Studiums anstreben.3 Die vier oben genannten didaktischen Modelle und Den Hinweis auf Le Boterf und die Übersetzung aus dem Französischen verdanke ich Franz LiechtiGenge, dem ich dafür sehr herzlich danke. 3 Die komplexe Diskussion zu Kompetenz und Performanz im sozialpädagogischen und bildungstheoretischen Diskurs wird dabei zu berücksichtigen sein. Vgl. z.B. Faas et al. 2013. 2
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Schäffters Überlegungen zum Lehren und Lernen könnten dann in der praktischen Umsetzung helfen. 5. Beiträge der Praxis für eine gemeinsame Professionalisierungsstrategie Was bedeutet das bisher Beschriebene und Entwickelte nun für die Beiträge der Praxis für eine gemeinsame Professionalisierungsstrategie? Die erste Antwort ist fast banal: Es muss ein gemeinsames Verständnis von Professionalisierung, von Theorie und Praxis und vom anzustrebenden Lernziel bzw. Lernerfolg geben. Wenn die Auffassungen nicht geteilt werden, wenn nicht gemeinsam an dem berühmten ‚einen Strick‘ gezogen wird, dann ist keine gemeinsame Professionalisierungsstrategie und kein Beitrag aus der Praxis möglich. Die zweite Antwort scheint ebenfalls trivial zu sein, ist es aber nur auf den ersten Blick: Die Theorie, also die damit befassten Lehrenden an der Dualen Hochschule, muss sich für die (alltägliche und oft nicht direkt in die Theorie passende) Praxis interessieren und sich mit ihr auseinandersetzen. Ebenso muss sich die Praxis, also die für die praktische Ausbildung bei den Dualen Partnern Zuständigen (bzw. der dahinter stehende Ausbildungsbereich), für die Theorie (und ihre Anregungen und ‚Stachel‘ gegenüber der Praxis) interessieren und sich damit auseinandersetzen. Die Studierenden sollten also die positive Erfahrung machen können, dass die Lehre im Sinne der Theorie-Praxis-Spirale im kontinuierlichen, interessierten und engagierten Austausch von Theorie und Praxis steht, um diesem Beispiel nacheifern zu können. Mit Bezug auf die Arbeiten Schäffters wird es zudem sinnvoll sein - dritte Antwort - den Studierenden den Unterschied zwischen den Veränderungen erster und zweiter Ordnung in einer sich transformierenden Welt zu erklären, damit sie nicht einfache Methoden und Lösungen (der Theorie für die Praxis) dort suchen und erwarten, wo die Komplexität es gar nicht erlaubt, sondern von ihnen eigenständiges Denken und Handeln verlangt. Während im Studium dann die Theorien, die diese Komplexität erfassen und beschreiben, bearbeitet werden, können in der Praxis die konkreten Beispiele für diese Komplexität und bisherige Lösungswege (erfolgreiche wie gescheiterte) identifiziert und erlebt werden. (Übrigens kann dies am Beispiel der Lebensgeschichte, Lebenssituation und der Lebensperspektive der Studierenden ebenfalls erfolgen.) Das Beispiel der vier didaktischen Modelle - vierte Antwort - kann den Studierenden helfen zu verstehen, dass nicht jede Lernform für jede in der Praxis
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sich stellende Handlungsanforderung geeignet ist. Es geht eben nicht nur um erlerntes Wissen und eingeübtes Handeln, die passgenau eingesetzt werden können, sondern um Situationen, in denen Lernen in der Situation unter Rückgriff auf das Erlernte und Eingeübte notwendig ist (Performanz!) - und sogar darüber hinaus gehen kann. Wenn auch den Praxisanleitenden dies bewusst ist (siehe erste Antwort oben), dann können sie direkt in der Praxis zeigen, wo aus ihrer Erfahrung welche Situationen welche Lernformen erfordert haben, die dann zum Handeln führten. (Hier beginnt dann auch schon die Reflexion der Praxis, die wieder in die Theorie führt. Es dreht sich also die Theorie-Praxis-Spirale.) Schließlich werden genau aus diesem Grund, und das ist die fünfte Antwort, in der Praxis die Situationen, Problemlagen, Aufgabenstellungen oder beispielhaften Fälle vorgestellt, die die Studierenden dazu herausfordern, ihre Kompetenzen in Performanz umzusetzen, indem sie Lösungswege für genau diese eine Situation oder dieses eine Problem erarbeiten und daraus wieder Erkenntnisse für Lösungswege in einer ganz anderen Situation gewinnen. Diese Erkenntnisse und Erfahrungen sollten dann wiederum ihren Platz in der Studienphase finden, so dass sich Theorie und Praxis miteinander weiterentwickeln. Der Beitrag der Praxis für eine gemeinsame Professionalisierungsstrategie besteht also darin, die Praxis in der Theorie-Praxis-Spirale auf unterschiedlichen Wegen konsequent, selbstbewusst, theoriebezogen und reflektiert so zu stärken, dass die Praxis sich mit einem ‚Spiralschwung‘ in die Theorie einbringen und mit ihr auseinandersetzen kann. Die Studierenden erfahren und erlernen dann diese konstruktive Auseinandersetzung und nehmen sie im besten Fall nicht nur als Methode, sondern als Einstellung und Haltung in sich so auf, dass sie in ihrem professionellen Denken und Handeln die Theorie-Praxis-Spirale eigenständig und im Diskurs fortführen. Literatur English, F. (2016): Transaktionsanalyse. Gefühle und Ersatzgefühle in Beziehungen. 10. Aufl. Salzhausen: iskopress. Faas, S., Bauer, P. Treptow R. (Hrsg.) (2013): Kompetenz, Performanz, soziale Teilhabe. Sozialpädagogische Perspektiven auf ein bildungstheoretisches Konstrukt. Wiesbaden: Springer VS. Hochenbleicher-Schwarz, A. (2015): Das duale Prinzip im Studium der Sozialen Arbeit. In: S. Gögercin & A. Hochenbleicher-Schwarz (Hrsg.), 40 Jahre Duales Studium. Festschrift. Band 2: Beiträge aus der Fakultät Sozialwesen, Berlin, Boston: De Gruyter Oldenbourg, S. 137–156. Kouwenhoven, M., Kiltz, R. & Elbing, U. (2002): Schwere Persönlichkeitsstörungen. Transaktionsanalytische Behandlung nach dem Cathexis-Ansatz. Wien New York: Springer VS. Le Boterf G. (2006): Construire les compétences individuelles et collectives. 4. Aufl. Paris: Eyrolles.
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Schneider, J. (2002): Auf dem Weg zum Ziel. Der Vertragsprozess - ein Schlüsselkonzept erfolgreicher professioneller Begleitung. Paderborn: Junfermann. Schäffter, O. (2014): Navigieren durch vernetzte Bildungslandschaften. Zum impliziten Erwerb von Übergangskompetenz in Lernbiographien. In: H. von Felden et al. (Hrsg.), Denken in Übergängen. Weiterbildung in transitorischen Lebenslagen (S. 111-136). Wiesbaden: Springer VS. Schäffter, O. (2012): Lernen in Übergangszeiten. Zur Zukunftsorientierung von Weiterbildung in der Transformationsgesellschaft. In: S. Schmidt-Lauff (Hrsg.), Zeit und Bildung. Annäherungen an eine zeittheoretische Grundlegung. (S. 113–156). Münster: Waxmann Schäffter, O. (2009): Stichwort: Transformation. In: DIE - Zeitschrift für Erwachsenenbildung, (4). Bielefeld: Bertelsmann. S. 24-25. Schäffter, O. (2009b): Transformation und Weiterbildung. verfügbar unter: http://ebwb.hu-berlin.de/team/schaeffter/downloads/trans. (Zugriff: 08.07.2018). Schäffter, O. (2001): Weiterbildung in der Transformationsgesellschaft. Zur Grundlegung einer Theorie der Institutionalisierung. Hohengehren: Schneider. Schäffter, O. (2001b): Transformationsgesellschaft. Temporalisierung der Zukunft und die Positivierung des Unbestimmten im Lernarrangement. In: J. Wittpoth (Hrsg.) (2001), Erwachsenenbildung und Zeitdiagnose. Theoriebeobachtungen (S. 39-69). Bielefeld: wbv. Schubiger, A. (2013): Lehren und Lernen. Bern: hep-Verlag. Treptow, R. (2013): Kompetenz - das große Versprechen. In: Faas et al.(Hrsg.), Kompetenz, Performanz, soziale Teilhabe. Sozialpädagogische Perspektiven auf ein bildungstheoretisches Konstrukt. Wiesbaden: Springer VS, S. 21-40. Wollek, M. (2016): „Ich bin bereit.“ Die Ausbildung zum Diakon mit/im Zivilberuf in Zeiten gesellschaftlicher und kirchlicher Transformation. Berlin: LIT Verlag.
Zur Bedeutung von Lehrenden aus der Praxis und Praxisanleitung als Brückenglied zwischen Theorie- und Praxisstudium Winfried Fritz
1. Annäherung an die Praxis Als die Dualen Hochschulen Baden-Württembergs (DHBW) in 70 er Jahren des letzten Jahrhunderts, damals noch als Berufsakademien gegründet wurden, war die bildungspolitische Absicht, ein wissenschaftliches Studium mit der praktischen Anwendung am Arbeitsplatz zu verknüpfen. So zumindest hat dies der damalige Ministerpräsident Erwin Teufel in seinem Grußwort der Festschrift zum 25 jährigen Bestehen der Berufsakademie Villingen-Schwenningen im Jahre 2000 ausgedrückt (Ringwald 2000, S.7). In derselben Festschrift hat die Kollegin Hildegard Mantel fachlich fundiert das Rollenverständnis und die berufliche Identität der Lehrbeauftragten dargestellt (ebd., S.43-51). Dieser Beitrag will aus subjektiver Sicht eines Praktikers die Entwicklungen der letzten Jahre darstellen, aus der Perspektive eines Sozialpädagogen in dem Arbeitsfeld der Jugendhilfe, und zwar zunächst aus der Sicht als Lehrbeauftragter und anschließend aus Sicht eines Praxisanleiters. Hierbei steht bei Praktiker_innen vor allem der Transfer von wissenschaftlich geprägten Aussagen in den sozialpädagogischen Alltag im Vordergrund. Die wissenschaftlichen Theorien wiederum müssen ebenda ihre Umsetzbarkeit im sozialpädagogischen Alltag unter Beweis stellen. Die Erfahrungen aus dem Transfer von Theorie und Praxis stellen den wichtigsten Beitrag dar, welche Praktiker_innen den Studierenden an der DHBW zur Verfügung stellen können. Erfahrungen sind jedoch immer individuell und subjektiv geprägt und oftmals eben nicht wissenschaftlich überprüfbar. Und doch sind solche Erfahrungswerte im sozialpädagogischen Alltag unverzichtbar. Als Beispiel soll an dieser Stelle der vielzitierte Begriff des „sozialpädagogischen Bauchgefühls“ genannt werden. Ein Begriff, welcher in der Praxis insbesondere im Kinderschutz eine wichtige Rolle spielt, ob wir das wahrhaben wollen oder nicht. Interessanterweise scheint dieser Begriff wissenschaftstheoretisch irrelevant © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 A. Polutta (Hrsg.), Kooperative Organisations- und Professionsentwicklung in Hochschule und Sozialwesen?, Edition Centaurus – Perspektiven Sozialer Arbeit in Theorie und Praxis, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31603-7_5
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zu sein, zumindest gibt es kaum Fachartikel dazu. Wie wichtig dies wäre, sich diesem Begriff fachlich zu nähern, wurde dem Autor deutlich, als eine sozialpädagogische Familienhelferin in einem Kinderschutzfall äußerte, dass das Vorgehen des Jugendamtes für sie kognitiv logisch erscheine, sie aber unglücklich über das harte Vorgehen des Jugendamtes gegenüber einer von ihr betreuten Kindsmutter sei, da ihr Herz und ihr Bauch etwas anderes sagen würden. Was ist der Unterschied zwischen Herz und Bauch, und ist hiermit das sozialpädagogische Bauchgefühl gemeint. An dieser Stelle wird deutlich, dass in der Praxis der Jugendhilfe oftmals Faktoren unser Handeln mitentscheiden, welche wissenschaftstheoretisch nicht einfach zu definieren sind. Dieses Erfahrungswissen können nur Praktiker_innen an der Basis den Studierenden authentisch vermitteln. 2. Entwicklungen aus Sicht eines Lehrbeauftragten Seit der oben genannten Darstellung zu Lehrbeauftragten der Berufsakademie in der Festschrift sind fast 20 Jahre vergangen. In dieser Zeit hat sich die Berufsakademie zur DHBW weiterentwickelt mit all den damit verbundenen Privilegien und kontinuierlich steigenden Studierendenzahlen; viele sprechen von einer Erfolgsgeschichte der DHBW, sicherlich zu Recht. Doch diese Veränderung wirkt sich auch auf die Rolle und Identität von Lehrbeauftragen aus. Die Hochschulreform wirkt sich auf die Lehre aus und mit der Zahl der Studierenden steigt auch die Zahl der hauptberuflich Lehrenden ebenso wie die Zahl der Lehrbeauftragten. Hinzu kommt insbesondere im Bereich des Kinderschutzes eine dynamische Entwicklung, welche eine kontinuierliche Weiterentwicklung von Organisationsstrukturen, Vorgehensweise und fachlichen Standards fordert. Hier sollte die Lehre kontinuierlich mit der Praxis abgeglichen werden, so dass die Studierenden in der Theoriephase aktuelle Erkenntnisse erhalten, um diese dann in der Praxisphase mit dem Handeln in Bezug setzen zu können. Diese Praxisnähe und das damit verbundene vertiefte praxisorientierte Fachwissen in bestimmten Arbeitsfeldern, ist zumindest aus Sicht der Praktiker_innen, ein sehr wichtiges Alleinstellungsmerkmal der DHBW. Hier scheint ein intensiver Austausch zwischen hauptamtlich Lehrenden und Lehrbeauftragten wichtig und hilfreich. Damit sich Lehrbeauftragte mit der DHBW identifizieren können, ist es wichtig, dass sie in die Weiterentwicklung der Lehre einbezogen werden und in den sozialen Kontakt mit anderen Lehrenden kommen.
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Insbesondere mit Blick auf die sozialpädagogische Perspektive erscheint es interessant, die Lehrbeauftragten genau bei den Lehrveranstaltungen einzusetzen, bei welchen die Studierenden von der Grundqualifikation und der Praxiserfahrung der Lehrbeauftragten am meisten profitieren können. So sind für Grundlagenvorlesungen im Bereich Recht Jurist_innen sicherlich erste Wahl. Bei der SGB VIII Vorlesung wirkt es sich jedoch sicherlich auf Inhalte der Vorlesung aus, ob diese von Jurist_innen, Verwaltungsrechtler_innen oder aber Sozialpädagog_innen aus Reihen eines Jugendamtes gestaltet werden, da sich die unterschiedlichen fachlichen Sichtweisen zumindest unterbewusst auf die Vorlesung auswirken können. Die Wichtigkeit des Wissens um diese unterschiedlichen Perspektiven wird später nochmals aufgegriffen. Aber an dieser Stelle erscheint es aus Sicht von Sozialpädagog_innen relevant, dass die Studierenden im Bereich SGB VIII Vertiefungswissen aus sozialpädagogischer Perspektive erhalten. Es sollte eine sozialpädagogische Professionalität und ein damit verbundenes fachliches Selbstbewusstsein vermittelt werden, um in der Praxis die sozialpädagogischen Inhalte und Sichtweisen auf Augenhöhe mit Jurist_innen, Verwaltungsrechtler_innen, Mediziner_innen oder Psycholog_innen vertreten zu können. Im Sinne der Qualität der Lehre wäre es darüber hinaus wichtig, dass Inhalte und Schwerpunkte in Grundlagenvorlesungen zwischen den Lehrbeauftragten aufeinander abgestimmt, in allen Kursen identisch sind. Hierzu wäre ein weiteres Beispiel aus der Praxis der Umgang mit traumatisierten Menschen. Es ist sicherlich wichtig, dass Studierende der Sozialen Arbeit im Rahmen von Vorlesungen Informationen über Inhalte und Methoden von traumatherapeutischen Verfahren erhalten und erfahren, wie Traumatherapeut_innen im Rahmen einer therapeutischen Sitzung arbeiten. Viel wichtiger ist es aber aus Sicht der Sozialen Arbeit, dass die Studierenden im Rahmen des Studiums Handwerkszeug an die Hand bekommen, wie sie an den restlichen 23 Stunden am Tag pädagogisch mit traumatisierten Menschen arbeiten können. Um in verschiedenen Arbeitsfeldern unterschiedliche Perspektiven und die Bedeutung der Sozialen Arbeit im Zusammenspiel vertiefend darzustellen, wäre es wünschenswert, wenn interdisziplinäre Fallseminare, wie von Brigitte Reinbold an der DHBW Villingen-Schwenningen initiiert wurden, in größerem Umfang durchgeführt werden könnten. Genau an dieser Stelle ist bspw. im Kinderschutz das interdisziplinäre Zusammenspiel verschiedener Professionen von zentraler Bedeutung. Welchen Auftrag im Kinderschutz hat das Jugendamt, welchen Auftrag das Familiengericht, welchen Auftrag die Freien Träger und wie werden Schulen, Gesundheitswesen oder Polizei mit in den Kinderschutz integriert? Die unterschiedlichen Rollen, deren Auslegung und auch die Grenzen spielen aktuell
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in der Aufarbeitung von Kinderschutzfällen eine wichtige Rolle. Durch interdisziplinäre Fallseminare können sich Studierende intensiv mit diesen Fragestellungen auseinandersetzen. Aber dies ist mit einem hohen Verwaltungsaufwand und großer Flexibilität für Lehrbeauftragte verbunden. Diese große Flexibilität und der hohe Zeitaufwand dürften sicherlich auch ein Aspekt darstellen, dass es schwierig ist, gerade aus der Jugendhilfe mehr hochmotivierte und fachlich erfahrene Kolleg_innen als Lehrbeauftragte zu gewinnen. Dies ist bedauerlich, denn ein weiterer zentraler Aspekt, den Lehrbeauftragte in die DHBW einbringen können, ist das Feuer für den Beruf. Ja, es kann Spaß machen, im Sozialen Dienst eines Jugendamtes zu arbeiten ebenso, wie es Spaß machen kann, in einer Wohngruppe der Jugendhilfe zu arbeiten. Die Familien und die jungen Menschen sind es wert, ihnen Chancen zu eröffnen; der Alltag ist abwechslungsreich und immer interessant. Und genau dies können Lehrbeauftragte überzeugend vermitteln. Natürlich muss an dieser Stelle auch der Hinweis erlaubt sein, dass eines der wenigen Dinge, welche sich seit vielen Jahren an der DHBW nicht verändert hat, die Besoldung der Lehrbeauftragten darstellt. Verschiedene Politiker haben die Lehrbeauftragten auch schon als „Ehrenamtliche“ bezeichnet. Die Landespolitik wird sich perspektivisch entscheiden müssen, was ihr an dieser Stelle wichtiger erscheint, Ehrenamtlichkeit oder Professionalität. 3. Entwicklungen aus Sicht eines Praxisanleiters Die Praxisanleitung ist eine wunderschöne und verantwortungsvolle Aufgabe. Im engen Kontakt mit den Studierenden kann man diese während des gesamten Studiums fachlich und menschlich begleiten. Auch in dieser Funktion steht der Theorie-Praxis-Transfer im Mittelpunkt, wobei auch die Anleitenden profitieren können, da die Studierenden neue Erkenntnisse aus der Lehre an den Ausbildungsplatz bringen. Die Herausforderung für die Praxisanleitung besteht hierbei darin, ihr praktisches Handeln jederzeit selbstkritisch zu reflektieren und fachlich sowie menschlich eine Vorbildfunktion einzunehmen. Eine weitere wichtige Funktion besteht darin, die Studierenden innerhalb der drei Jahre sensibel wahrzunehmen. Das Duale Studium ist für sehr viele Studierende ein prägender Lebensabschnitt, sei es für die jüngeren Studierenden im Sinne des Autonomieprozesses und der Ablösung aus dem Elternhaus sowie dem Eintritt in die Arbeitswelt, oder aber bei älteren Studierenden als Übergang von
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einer beruflichen Perspektive in eine neue berufliche Herausforderung. Nicht selten kann es hierbei zu krisenhaften Entwicklungen kommen, wenn man im Alltagsstress in der Konfrontation mit anderen Lebenswelten und der Erwartung der Arbeitswelt konfrontiert wird. An dieser Stelle ist es wichtig und hilfreich für die Studierenden verständnisvolle Praxisanleitungen an ihrer Seite zu wissen. Wenn sich eine solche Situation zu einer schwereren Krise ausweitet, ist es in vielen Fällen darüber hinaus vonnöten, dass Praxisstelle und Duale Hochschule gemeinsam unterstützend und begleitend den Studierenden zur Seite stehen. Dieser Aspekt hat aufgrund verschiedener politischer Entwicklungen an Bedeutung und Brisanz gewonnen. Denn durch das G 8 zum Einen und zum Anderen dadurch, dass Institutionen und Organisationen zunehmend auf ein FSJ oder andere Form des Vorpraktikums verzichten, werden die Studierenden immer jünger. Die fehlende Lebenserfahrung wirkt sich insbesondere in der Praxis, oftmals belastend auf die Studierenden aus. Diesbezüglich sollten sich die Praxisanleitungen auch innerbetrieblich für Studierende einsetzen, insbesondere bei der Fragestellung, zu welchem Zeitpunkt im Studium Studierende mit entsprechend verantwortungsvollen und/oder belastenden Tätigkeiten vertraut werden bzw. diese eigenverantwortlich durchzuführen haben. Praxisanleitungen sollten frühzeitig und sachlich auf Kolleg_innen und Vorgesetzte zugehen, um Überforderungssituationen von Studierenden anzusprechen. Nicht zuletzt kann eine Praxisanleitung gemeinsam mit den Studierenden Kontakt zur DHBW aufnehmen und bei Problemen Praxisstelle und Hochschule betreffend ebenso sachlich vermittelnd tätig zu sein. Hierfür ist es jedoch unabdingbar, dass sich Praxisanleitung und Verantwortliche aus der Lehre kennen. Entsprechend den Kenntnissen des Krisenmanagements bedeutet dies zunächst, dass beide Seiten Kenntnis über das andere System besitzen, denn nicht selten sind systemische Aspekte verschärfend in Krisensituationen. In diesem Zusammenhang können bei der Begleitung von Studierenden Erkenntnisse genutzt werden, welche sich gegenwärtig im Katastrophenschutz bei Polizei, Feuerwehren und Rettungsdiensten durchsetzen, nämlich „Krisen kennen Gesichter“. Dies bedeutet, dass es sich in krisenhaften Situationen bewährt, wenn sich die Beteiligten bereits vor Eintreten eines Krisenfalles persönlich kennen. Dies kann aus Sicht des Autors anhand mehrerer gelungener Krisenbegleitungen gemeinsam mit Frau Reinbold nur unterstrichen werden. Es konnten nicht nur krisenhafte Entwicklungen von Studierenden frühzeitig erkannt, sondern ge-
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meinsame Lösungen mit den Studierenden entwickelt werden, sei es Veränderungen an der Ausbildungsstelle, am Lebensumfeld oder auch Einleitung von therapeutischen Angeboten. Voraussetzung um gemeinsam Studierende unterstützen zu können ist ein regelmäßiger persönlicher Austausch. Dies wird jedoch nicht nur dadurch erschwert, dass die Anzahl der Studierenden in den Studiengängen der verantwortlichen Lehrenden ebenso wie die Zahl der Kooperationspartner der DHBW kontinuierlich wachsen. Auch an den Institutionen und Praxisstellen der Jugendhilfe hat sich in den letzten Jahren vieles verändert. Vielerorts ist man im Zeitalter des Fachkräftemangels angekommen. Einerseits werden in den letzten Jahren, insbesondere durch den Kinderschutz und die Flüchtlingssituation initiiert, zusätzliche Stellen für Sozialpädagog_innen geschaffen, andererseits besteht vielerorts eine große Fluktuation. Diesem möchte man wiederum unter anderem mit einer intensiven Nachwuchsförderung entgegenwirken, was mit einer steigenden Anzahl von dual Studierenden vor Ort verbunden ist. Jedoch fehlen an dieser Stelle vor Ort oftmals erfahrene Praxisanleitungen. Die Studierenden müssen in vielen Bereichen frühzeitig eigenverantwortlich arbeiten. Die Nutzung der Arbeitskraft verdrängt das Ziel der Wissensvermittlung während des (Aus-)Bildungsprozessesleider immer öfter. Der Aspekt der Arbeitskraftnutzung wirkt sich auch darauf aus, dass immer mehr Institutionen und Einrichtungen die Studierenden im Fremdpraktikum innerhalb der eigenen Organisation in andere Arbeitsfelder versetzen und es den Studierenden dadurch nicht möglich ist, einen anderen Ausbildungsbetrieb kennen zu lernen oder Erfahrungen im Ausland zu machen. Insgesamt steigt durch diese Entwicklungen der Druck auf die Studierenden und andererseits stehen immer weniger erfahrene Praxisanleitungen zur Verfügung, um Studierende sensibel und verantwortungsbewusst zu begleiten und ihnen in schwierigen Situationen schützend zur Seite zu stehen. 4. Ausblick und Würdigung Aus Sicht der Praxis, steht die DHBW großen Herausforderungen gegenüber, um junge Menschen trotz der o.g. Veränderungen gelingend zu fachlich fundierten, professionellen Fachkräften heranreifen zu lassen.
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Neben den bisher genannten Faktoren zeigte vor allem die Flüchtlingsthematik in den letzten Jahren, wie schnell neue Handlungsfelder innerhalb der Jugendhilfe entstehen und die damit verbundenen Probleme sowohl in der Praxis als auch in der Lehre angegangen werden müssen. 2015 sahen sich viele Jugendämter mit der Betreuung einer Vielzahl von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen konfrontiert. Die unter politischem Druck ergriffenen Maßnahmen waren jedoch vielerorts fachlich und ethisch hoch fragwürdig. Die jugendlichen Flüchtlinge wurden in vielen Einrichtungen in Wohnformen untergebracht, welche nicht den jahrelang erkämpften Standards der Jugendhilfe entsprachen, so wurden bspw. in Wohngruppen, welche für 12 Jugendliche konzipiert waren, bis zu 18 Jugendliche untergebracht, und zwar über Monate. Die Freien Träger setzten vielerorts fachlich bedenkenswerte Unterbringungsmöglichkeiten um und die Jugendämter wussten davon und tolerierten dies, ebenso wie das Landesjugendamt als Aufsichtsbehörde. Gleichzeitig wurde für den Bereich der jugendlichen Flüchtlinge auf Landesebene das Fachkräftegebot gelockert und es wurden in diesen Wohngruppen eine Vielzahl von Mitarbeitenden beschäftigt, welche keinerlei Erfahrung mit der Jugendhilfe hatten. Es fehlten allerorts Kenntnisse über die Bedürfnisse dieser jungen Menschen aus anderen Ländern und verschiedenster Fluchterfahrung. Es gab kaum adäquate Betreuungsformen. Eine Vielzahl von Jugendhilfemaßnahmen scheiterten, viele jungen Menschen erhielten leider nicht die notwendige und geeignete Unterstützung. Ebenso fanden sich viele Mitarbeitende in Situationen wieder, auf welche sie nicht adäquat vorbereitet und in welchen sie überfordert waren, hiervon waren auch viele dual Studierende betroffen. Das Bemerkenswerteste an dieser Situation aus Sicht des Autors ist jedoch, dass im Jahr 2018 bei fallenden Fallzahlen und massivem Rückbau der speziellen Angebote für jugendliche Flüchtlinge, anscheinend niemand ein Bedürfnis oder ein Interesse daran hat, das kollektive Versagen der Jugendhilfe und die damit verbundene auf sich genommene Schuld zu analysieren. An dieser Stelle wäre es wünschenswert, wenn die DHBW einen fachlich fundierten, kritischen Blick auf Entwicklungen in der Jugendhilfe hat und die Verantwortlichen an der DHBW auch den Mut und das Engagement besitzen, um fragwürdige Entwicklungen in Fachtagen, wissenschaftlichen Foren oder anderen Formen der fachlichen Diskussion und Aufarbeitung aufzugreifen und auch Themen entgegen aktueller Entwicklungen zu beleuchten, welche für alle Praktiker_innen an der Basis wichtig sind. Solche Veranstaltungen, wie sie beispielsweise zum Thema ‚Flucht und Migration‘ in der Kinder- und Jugendhilfe von Bri-
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gitte Reinbold und Andreas Polutta, gemeinsam mit dem Kommunalverband Jugend und Soziales Baden-Württemberg von und mit Dualen Partnern und Verbänden durchgeführt wurden, sind kontinuierlich über „Krisenzeiten“ hinaus weiter zu führen. Des Weitern wäre es aus Sicht eines Praktikers wünschenswert, wenn es gelingen könnte, weiterhin engagierte Lehrbeauftragte für Lehrtätigkeiten an der DHBW zu gewinnen und diese aktiv an der Weiterentwicklung der Lehre einzubinden, insbesondere im Bereich der Arbeitsfeldseminare, in welchen der TheoriePraxis-Transfer am intensivsten und passgenau gestaltet werden kann. Gleichzeitig wäre es wünschenswert, wenn die DHBW weiterhin im kontinuierlichen Austausch mit Praxisanleitungen, deren Erfahrungen und Ideen bündeln und als Impulse von der Theorie an die Praxis an Einrichtungen und Organisationen rückspiegeln könnte, um dadurch flächendeckend Qualitätsstandards für die praktische Ausbildung von Studierenden festzulegen und kontinuierlich zu modifizieren. Abschließend soll an dieser Stelle das Engagement von Frau Brigitte Reinbold gewürdigt werden. Diese suchte jederzeit den Kontakt zu den Praktiker_innen an der Basis und nahm Impulse zeitnah auf. Sie war jederzeit für neue Ansätze, Methoden und Erfahrungen aus der Praxis offen und nahm wahr, was den Praktiker_innen unter den Nägeln brannte. Sie griff immer wieder kritisch fachliche Entwicklungen auf und diskutierte engagiert, um eine fachliche Weiterentwicklung der Sozialen Arbeit in Deutschland voranzutreiben. Literatur Ringwald, Rudolf (Hrsg.) (2000): 25 Jahre Lehre an der Berufsakademie Villingen-Schwenningen. Tuningen: Ulmerverlag.
Governance-Strukturen, Welfare-Mix und organisationale Hybridisierung in der Kinder- und Jugendhilfe Paul-Stefan Roß
Die Kinder- und Jugendhilfe (KJH) ist nicht nur ein quantitativ großes, sondern auch ein traditionell dynamisches und innovationsfreudiges Arbeitsfeld der Sozialen Arbeit. Nicht wenige Fachkonzepte wurden zuerst in der KJH diskutiert und umgesetzt, bevor sie später auch in anderen Hilfebereichen rezipiert wurden: Bspw. Lebensweltorientierung, Empowerment, Sozialraumorientierung oder partizipative Planung. Einen in vielerlei Hinsicht wichtigen Meilenstein markierte die Einführung des SGB VIII in 1990. Auf eine Phase fachlicher Aufbrüche folgte auch in der KJH die kritische Auseinandersetzung mit der neoliberal imprägnierten Tendenz zum Umbau sozial(stattlich)er Hilfesysteme im Sinne eines workfare state (vgl. Dahme und Wohlfahrt 2003, Wohlfahrt 2015), der auch die KJH tangierte und tangiert. Aktuell wird intensiv und kontrovers über die Novellierung des SGB VIII diskutiert (vgl. Röder 2016, Schrapper 2016, Smessaert 2018). Ein ursprünglich in der Politikwissenschaft verankerter, zunächst mit Blick auf die Altenhilfe und später auch in Bezug auf die Behindertenhilfe entfalteter Diskurszusammenhang wurde dagegen bislang in der KJH kaum aufgegriffen (vgl. Merchel 2017): Die Diskussionen zur Gewährleistung von Wohlfahrt im Welfare-Mix, zu (politischer) Steuerung im Sinne von Governance und zur Hybridisierung (sozialer) Organisationen. Die These des folgenden Beitrags lautet: Im Bereich der KJH finden sich - auf ganz unterschiedlichen Ebenen - vielfältige Phänomene von Governance, Welfaremix und organisationaler Hybridisierung. Sie im Kontext der genannten Theorien zu reflektieren ist hilfreich, um bestimmte Aspekte der Unterstützungsgestaltung, Organisationsentwicklung und (politischen) Steuerung in der KJH erstens präziser zu verstehen, zweitens angemessener zu konzipieren und drittens erfolgversprechender umzusetzen.1 1
Für analoge Überlegungen zu Versorgungsverbünden für ältere, pflegebedürftige und/oder dementiell erkrankte Menschen vgl. Roß 2016. Zur Bedeutung des Governance-Konzepts für die Soziale Arbeit insgesamt vgl. Nullmeier 2011, Grunwald/Roß 2014, Eyßell 2015. Das Rahmenkonzept „Governance Sozialer Arbeit“ ist an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg Grundlage für einen Masterstudiengang zu Leitungs-, Führungs- und Steuerungsaufgaben in sozial(wirtschaftlich)en Organisationen (vgl. https://www.cas.dhbw.de/gsa/) sowie für GovernanceAnalysen im Rahmen von Forschungsprojekten.
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 A. Polutta (Hrsg.), Kooperative Organisations- und Professionsentwicklung in Hochschule und Sozialwesen?, Edition Centaurus – Perspektiven Sozialer Arbeit in Theorie und Praxis, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31603-7_6
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1. Ausgangssituation Den Ausgangspunkt der Reflexion bilden folgende Beobachtungen, die sich insgesamt auf soziale Dienst- und Unterstützungsleistungen beziehen: − Soziale Dienstleistungen (zum Begriff vgl. Langer 2018) werden immer stärker in einem Mix erbracht aus: Eigeninitiative der primär Betroffenen, privaten Unterstützungsleistungen informeller Netze (Familie, Freundeskreis usw.), staatlichen Unterstützungsleistungen, beruflich erbrachten Dienstleistungen öffentlicher, freier oder privat-gewerblicher Träger sowie freiwilligem Engagement (Welfaremix). − Die politische Steuerung der Erbringung sozialer Dienstleitungen erfolgt immer stärker in Verhandlungsnetzwerken, in denen sich die Steuerungslogiken von Staat, Markt und Assoziationen mischen bzw. im Sinne von Kontextsteuerung (Governance). Damit einher geht ein sukzessiver Ausstieg aus dem für Deutschland über Jahrzehnte prägenden Modell des Korporatismus (vgl. Eyßell 2015, S. 32-36). − Insgesamt folgen sozialwirtschaftliche Organisationen in ihrem Agieren nach außen wie nach innen zunehmend einer Mischung staatlicher, ökonomischer und zivilgesellschaftlicher Logiken (Hybridisierung). Die Diskurse zur Gewährleistung von Wohlfahrt im Welfaremix, zur politischen Steuerung der Kontextbedingungen sozialer Dienstleistungen im Sinne von Governance sowie zur Hybridisierung von Organisationen Sozialer Arbeit werden im Folgenden in ihren Grundzügen erläutert. Dabei beschränke ich mich bewusst auf eine deutsche Perspektive. 2. Theoretischer Hintergrund: Governance Sozialer Arbeit 2.1 Governance: Politische Steuerung im mix of modes Governance hat als Begriff und Konzept Konjunktur in den Sozial- und Wirtschaftswissenschaften und findet zunehmend Eingang in die Praxis politischen und unternehmerischen Handelns (vgl. Benz u.a. 2007, Benz und Dose 2010a, Roß und Rieger 2018). Grundmotiv des Governance-Diskurses ist die Frage, wie unterschiedliche Steuerungsmechanismen bzw. -logiken ineinander greifen (müssen), um ein optimales Ergebnis zu erreichen. Insbesondere in der Politikwissenschaft, aber auch in der Verwaltungswissenschaft steht Governance zunächst für
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eine analytische Perspektive. Dabei werden erstens zunehmend komplexere gesellschaftliche Verflechtungen bzw. Interdependenzen in den Blick genommen. Zweitens und vor allem geht es um das Phänomen von Veränderungen bei der Steuerung solcher komplexen Interdependenzen. Zunächst sei das Modell skizziert, das der Beschreibung und Analyse dieser Veränderungen zugrunde liegt. Moderne ausdifferenzierte Gesellschaften lassen sich darstellen „als prekäres Gefüge aus verschiedenen Teilsystemen mit unterschiedlichen rivalisierenden und konkurrierenden Ordnungsprinzipien“ (Evers 2004, S. 5). Unterschieden werden können der Informelle Sektor, der Assoziative (Dritte) Sektor freier Vereinigungen, der Staat sowie der Markt (vgl. Evers 2011; Roß 2012, S. 317). Diese Sektoren stellen keine klar voneinander abgegrenzten ‚Territorien‘ dar, sondern sind vor allem gekennzeichnet durch je eigene Systemlogiken, Zugangsregeln und Zentralwerte.
Abb. 1: Gesellschaftliche Sektoren von gemischter Wohlfahrtsproduktion und Politiksteuerung (vgl. Roß 2012, S. 317)
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Die vier gesellschaftlichen Sektoren sind in sich keineswegs homogen. Zudem lassen sie sich nicht völlig trennscharf gegeneinander abgrenzen, sondern überlappen einander teilweise. Zwar sind in den einzelnen Sektoren jeweils bestimmte Grundformen der Steuerung dominant (Staat – Hierarchie; Markt – Wettbewerb; Assoziationen – Mitgliedschaft; Gemeinschaften – Reziprozität usw.), aber kein Teilbereich ist mithilfe einer einzigen der genannten Grundformen allein zu verstehen. Es finden sich vielmehr verschiedenste Kombinationen. Die Sektoren setzen sich wechselseitig Kontextbedingungen und sind zugleich auf – seitens der jeweils anderen Bereiche gesetzte – Rahmenbedingungen angewiesen, die sie selbst nicht schaffen können. In Bezug auf politische Steuerung hat jeder dieser Sektoren einerseits spezifische Leistungsfähigkeiten und andererseits spezifische systemimmanente Leistungsgrenzen. Daher kann keiner der Teilbereiche beanspruchen, allein mittels seiner ‚eigenen‘ Institutionen und Funktionslogiken Politik zu gestalten. Eine stetige latente Gefahr besteht darin, dass die spezifische Funktionslogik eines der Sektoren die anderen Bereiche dominiert. Galt Politiksteuerung in Deutschland lange Zeit als staatliche Domäne, so wird spätestens seit Ende der 1990er Jahre eine einseitige Dominanz der Marktlogik beklagt, die die anderen Bereiche zu kolonialisieren droht. Auf Basis dieses Modells lassen sich mehrere Aspekte jener Veränderungen bei der Steuerung komplexer Interdependenzen aufzeigen, die unter der Chiffre Governance thematisiert werden. − Politische Steuerung erfolgt immer weniger allein durch den (vermeintlich souveränen) Staat und seinen Steuerungsmodus ‚Hierarchie‘ bzw. ‚Legalität‘, also zunehmend weniger durch ‚government‘. Dies hängt damit zusammen, „…dass Problemzusammenhänge vielfach Kompetenzgrenzen der Regierungs- und Verwaltungseinheiten überschreiten, Formen der autoritativen Steuerung angesichts der Komplexität öffentlicher Aufgaben häufig versagen“ (Benz und Dose 2010b, S. 29). − Politische Steuerung kann offenbar auch nicht allein über den Markt und seinen zentralen Steuerungsmodus ‚Wettbewerb‘ bzw. ‚Konkurrenz‘ erfolgen. Insbesondere mit der in den 1990er Jahren auf allen föderalen Ebenen unter dem Leitbegriff der Neuen Steuerung bzw. des New Public Managements vorangetriebenen Verwaltungsreform hatte sich die Hoffnung verbunden, Steuerungs- und Effizienzprobleme staatlicher Lenkung durch die Übernahme (betriebs-) wirtschaftlicher Denkweisen und Instrumente zu lösen (vgl. Kegelmann 2007, Sigel 2018). Jedoch erwies sich bald, „dass…eine Verlagerung von Aufgaben auf den Markt nur für Teilaspekte der öffentlichen Leistungen möglich ist“ (Benz und Dose 2010b, S. 29).
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− Politische Steuerung erfolgt also nicht mehr exklusiv durch den Staat, lässt
sich aber auch nur sehr begrenzt durch Mechanismen des Marktes sicherstellen. Vielmehr erfolgt sie zunehmend in einem Mix verschiedener Steuerungsmechanismen, d.h. in komplexen „Kombinationen aus unterschiedlichen Regelsystemen (Vertragsregeln, Kompetenzregeln und Kontrollbefugnisse, Mehrheitsregeln, Verhandlungsregeln)“ (Benz und Dose 2010b, S. 25). Damit unterscheiden sich Governance-Strukturen sowohl von staatlichen (primär hierarchie-basierten) und marktförmigen (primär konkurrenz-basierten) Systemen.
Die damit skizzierten Veränderungen der politischen Steuerung werden in der Governance-Debatte überwiegend als (angemessene) Reaktion auf funktionale Erfordernisse komplexer Gesellschaften gedeutet. Damit wird die analytische Perspektive überschritten. In Teilen der Politik- und Verwaltungswissenschaft wird Governance auf Basis der gerade skizzierten Analysen explizit als Reformkonzept und „neuartiges Konzept des Regierens“ (Jann und Wegrich 2010, S. 175) verhandelt.2 Governance sei nicht nur ein faktisch gegebenes Phänomen, sondern scheine „unabdingbar für das Regieren moderner Gesellschaften zu sein“ (Papadopoulos 2010, S. 227; Hervorh. PStR) und stelle eine konzeptionelle Alternative „zu dem die 80er und 90er Jahre prägenden Reformmodell des New Public Management(s) (NPM)“ (Papadopoulos 2010, S. 176) dar. Mit Blick auf die wesentlichen Inhalte von ‚Governance als Reformkonzept‘ sind insbesondere folgende Aspekte zentral: − Governance als (normativ begründetes) strategisches Konzept fokussiert vor allem auf die inter-organisatorische Perspektive, also auf die Beziehungen und Prozesse zwischen Organisationen und Akteursgruppen (vgl. Jann und Wegrich 2010). Demgegenüber hat das Neue Steuerungsmodell einen starken Akzent auf die intra-organisatorische Perspektive (v.a. bezogen auf die öffentliche Verwaltung) gelegt. − Governance als strategisches Konzept setzt auf die gezielte Bildung und Pflege von sektorübergreifenden Politiknetzwerken als neuen Institutionalisierungsformen politischer Steuerung – im Unterschied zu einer primär staatlich-hierarchischen und einer primär ökonomisch-wettbewerblich orientierten Steuerung (vgl. Jann und Wegrich 2010).
2
Nicht eingegangen wird an dieser Stelle auf die Diskussion, die unter dem Stichwort ‚Corporate Governance‘ geführt wird und sich auf die konkrete Ausgestaltung einer angemessenen Steuerung privatwirtschaftlicher Unternehmen, aber auch gemeinnütziger und öffentlicher Organisationen bezieht (vgl. hierzu etwa den Deutschen Corporate Governance Kodex: Regierungskommission 2017).
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− Governance als normatives Konzept zielt damit explizit auf eine Kombination von Steuerungsformen (mix of modes) aus den verschiedenen gesellschaftlichen Teilbereichen Staat, Markt und Assoziationen. „Stichworte in diesem Zusammenhang sind Public-Private-Partnerships oder Koproduktion“ (Jann und Wegrich 2010, S. 188). Insbesondere die Bürger erscheinen explizit als Ko-Produzenten öffentlicher Güter. − Eine wichtige normative Begründung sowohl für die Forderung, Politiknetzwerke aufzubauen, als auch für die Forderung nach gemischter Steuerung ist das Stakeholder-Prinzip: „ausgehend von der einfachen Überlegung, dass soziale Probleme auch durch eine noch so effiziente Verwaltung nicht grundlegend zu lösen sind“ (Jann und Wegrich 2010, S. 184), gehe es darum, „gesellschaftliche Akteure in die Problembewältigung einzubinden, sie zu motivieren und zu aktivieren“ (ebd.). − Im Kontext eines strategisch eingesetzten Governance-Konzepts erfolgt Entscheidungsfindung wesentlich durch Verhandlung und Beratung, jedenfalls nicht allein auf dem Wege von an der Mehrheitsregel orientierten Abstimmungen. Insofern wird hier ein konsens-demokratisches Modell gegenüber einem konkurrenz-demokratischen in den Vordergrund gestellt. − Dienstleistungsorientierung und Effizienz – Kernziele des NPM – werden nicht aufgegeben, aber durch ein weiteres Zielbündel ergänzt und v.a. balanciert: „Die neuen Ziele lauten also … Stärkung von sozialer, politischer und administrativer Kohäsion, von politischer und gesellschaftlicher Beteiligung, von bürgerschaftlichem und politischem Engagement“ (ebd.). Die mit Governance-Strukturen tendenziell verbundene Exklusion bestimmter gesellschaftlicher Gruppen (im Übrigen ein zentraler Kritikpunkt – vgl. Rieger 2012) zu überwinden, wird damit zu einer wichtigen Herausforderung normativer Konzepte von Governance.3 2.2 Welfare-Mix: Gewährleistung von Wohlfahrt in gemischten Arrangements Unter dem Begriff Wohlfahrtsmix wird das Zusammenwirken verschiedener gesellschaftlicher Sektoren bei der Erbringung von Wohlfahrtsleistungen bzw. Veränderungen in diesem Zusammenwirken in analytischer und strategischer Absicht thematisiert. Begriff und Konzept des Wohlfahrtsmix (auch ‚Welfare Mix‘, ‚mixed economy of welfare‘ oder ‚Wohlfahrtspluralismus‘) wurden Anfang der 1990er Jahre v.a. durch Adalbert Evers und Thomas Olk in die bundesdeutsche Fachdiskussion eingeführt (vgl. Evers und Olk 1996a). 3
Zu kritischen Aspekten vgl. Roß und Rieger 2018, S. 597f.
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Diese Chiffren stehen zunächst für eine analytische Perspektive. Sie bauen auf einem sehr ähnlichen Grundmodell von gesellschaftlichen Sektoren und Funktionslogiken auf, wie das Governance-Konzept (s. Abb 1). Wie in Bezug auf politische Steuerung hat jeder der vier Sektoren (mit seiner spezifischen Logik) auch hinsichtlich der Erbringung von Wohlfahrt einerseits spezifische Leistungsfähigkeiten, andererseits spezifische systemimmanente Leistungsgrenzen (vgl. Roß 2016, S. 24). Daher ist keiner der gesellschaftlichen Teilbereiche in der Lage, allein mittels seiner ‚eigenen‘ Institutionen und Funktionslogiken Wohlfahrt zu gewährleisten. Eine stetige latente Gefahr besteht darin, dass die spezifische Funktionslogik eines der Sektoren die anderen Bereiche dominiert. Die strategische Ebene erreicht die Theorie des Wohlfahrtsmix dort, wo sie zu der Aussage gelangt, ein Mix in der Erbringung von Wohlfahrt sei nicht nur eine faktisch vorzufindende Tatsache, sondern ein anzustrebender Zustand: „In einer wohlfahrtspluralistischen Perspektive geht es … um den rechten `Mix´ verschiedener Logiken und Beiträge von Teilsystemen, in der Hoffnung, dabei `synergetische´ Effekte erzielen und die Nachteile der jeweiligen Teillogiken und systeme ausgleichen zu können“ (Evers 2004b, S. 3; vgl. auch Evers 2011, S. 275). Denn auf Grund der je spezifischen Systemschwächen der beteiligten Sektoren führe nur ein Zusammenwirken bzw. ein Mix von Handlungslogiken zu tragfähigen Lösungen in der Erbringung von Wohlfahrt bzw. Daseinsvorsorge. Wie eine solche gemischte Wohlfahrtsproduktion konkret aussehen kann und welchen ‚Mehrwert‘ sie erbringt, ist mittlerweile insbesondere für verschiedene Felder des sozialen Hilfesystems durchbuchstabiert worden (vgl. zusammenfassend Roß 2012, S. 335f.). Mit der Chiffre ‚Governance of Welfare‘ verbindet sich der Diskurs zum Welfaremix mit dem zu Governance. Dabei richtet sich das Interesse insbesondere auf den Wandel der Steuerung der Gewährleistung von Wohlfahrt. Hier wird die Entwicklung des bundesrepublikanischen Sozialstaats in der Fachdiskussion regelmäßig in drei Phasen gezeichnet. Bis in die 1980er Jahre dominiert die als „korporatisch bezeichnete Governance-Konstellation“ (Bode 2007, S. 404): „Von Sozialpartnern verwaltete Transfersysteme garantieren Unterstützungsansprüche […], und im Bereich sozialer Dienste trafen Politik und Verwaltung verbindliche Arrangements mit gemeinnützigen Anbietern. Kostenträger vergaben Ressourcen und Vertrauen, die Leistungserbringer lieferten Kostennachweise für die von ihnen unterhaltene Infrastruktur (Personal, Einrichtungen). Dies korrespondierte mit expandierender Sozialstaatlichkeit sowie […] einer vergleichsweise weitreichenden Regulierung der Marktwirtschaft durch Politik und Verbände“ (ebd., S. 404f.).
Dieses Arrangement gerät seit Mitte der 1970er Jahre zunehmend unter Druck. Individualisierung und Wertewandel, nationaler wie internationaler Wandel von Produktionsbedingungen und Marktökonomien fordern den Sozialstaat heraus. Die in diesem Zusammenhang konstatierte Krise und Überforderung des (Sozial-
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)Staates führt im Rahmen neoliberaler Reformkonzepte der Privatisierung, der Vermarktlichung und Dezentralisierung zu einer markorientierten GovernanceKonstellation. Schließlich erzeugen aber die mangelnde Umsetzung und offensichtliche Begrenzung ökonomischer Lösungsstrategien und betriebswirtschaftlich inspirierter Konzepte der ‚Neuen Steuerung‘ weiteren Reformdruck in Richtung einer als ‚new governance‘ bezeichneten „Herausbildung eines dritten Weges zwischen Top-down-Steuerung und Quasimarktherrschaft“ (Bode 2007, S. 406). Hier wird nun Governance in seiner Bedeutung als Konzept der Analyse und Reform für eine spezifische Konstellation des Regierens, Planens und Koordinierens im Wohlfahrtsstaat verwendet. 2.3 Hybridisierung und Ausbildung organisationaler Governance auf Ebene sozialwirtschaftlicher Organisationen Der oben skizzierte Wandel der Governance of Welfare bzw. das parallele Phänomen einer grundlegenden Pluralisierung der Erbringung von Wohlfahrt (Welfaremix) bleiben nicht ohne Auswirkungen auf sozialwirtschaftliche Organisationen. Innerhalb des deutschen Sozialstaatregimes ist es für soziale Dienste und Einrichtungen lange Zeit selbstverständlich gewesen, sich primär einem gesellschaftlichen Teilbereich, seiner Handlungslogik und seinen Leitzielen zuzuordnen. Die Organisationen haben sich also z.B. entweder als ‚öffentlicher‘ (= staatlicher) oder als ‚freie‘ Träger verstanden und sind dementsprechend im Wesentlichen entweder der Handlungslogik des Staates (Steuerung nach Legalität und durch Hierarchie) oder der des Bereichs der Assoziationen (Steuerung über Meinungsbildung der Mitglieder) gefolgt. Auch die Finanzierung von Wohlfahrtsdienstleistungen hat sich – abgesehen von Spenden – aus wenigen zumeist staatlichen Quellen gespeist (Leistungsentgelte, Zuschüsse). Spätestens seit Mitte der 1980er Jahre sehen sich sozialwirtschaftliche Einrichtungen und Dienste im Kontext des soeben beschriebenen Wandels des Wohlfahrtsregimes zunehmend mit der Anforderung konfrontiert, Ressourcen, Zielvorgaben und Entscheidungsmodi verschiedener gesellschaftlicher Teilbereiche in unterschiedlichsten Mixturen miteinander zu kombinieren. Dabei geht es erstens um die Forderung, sich verstärkt ökonomischen Denkweisen und Instrumentarien zu öffnen, zweitens um die (u.a. im Kontext sozialraum- und teilhabeorientierter Fachkonzepte forcierte) verstärkte Einbeziehung sozialräumlicher Ressourcen und insbesondere bürgerschaftlichen Engagements sowie drittens um eine verstärkte Orientierung an den sich immer stärker individualisierenden Bedarfen potentieller Adressat_innen (Personenzentrierung). Hinzu kommt, dass immer mehr privat-gewerbliche Anbieter sozialer
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Dienstleistungen entstehen. Die oben skizzierten Phänomene der Entwicklung hin zu Governance und Welfaremix bilden sich auf Ebene sozialwirtschaftlicher Organisationen ab in der Entstehung von „organisationaler Governance“ (vgl. Schubert 2010), „hybrider Organisation“ (vgl. Billis 2010; Evers 2013), der „organisationalen Hybridität“ (Glänzel und Schmitz 2012, S. 183) oder – prozesshaft – der „Hybridisierung“ (vgl. Evers et al. 2002; Heinze et al. 2011). Abgehoben wird auf „Verschränkungsmöglichkeiten“ von Einflussfaktoren, „die nicht nur die von außen einwirkenden Kräfte im Spannungsfeld von Staat, Markt und Gesellschaft/Gemeinschaft, sondern die internen Organisationsstrukturen selbst betreffen“ (Evers et al. 2002, S. 22 f.; Hervorh. im Orig.). Dabei geht es erstens um die Veränderung von bestehenden Organisationen, die ursprünglich klar dem staatlichen Sektor (Schule, Stadttheater, Bibliothek usw.) oder dem assoziativen Sektor (Diakoniestation, Nachbarschaftshilfeverein usw.) zuzuordnen sind und für die die spezifische Handlungsrationalität dieser Sektoren jeweils die ‚Stammlogik‘ darstellt (zu empirischen Studien vgl. Evers et al. 2002, S. 45ff. und Hämel 2011, zur Beschreibung von Hybridität vgl. Evers und Ewert 2010; Glänzel und Schmitz 2012; Roß 2016). Indem die Organisationen nun zusätzlich Logiken zu integrieren versuchen, die ursprünglich für andere Bereiche spezifisch sind, werden sie von ‚Ein-Sektor-Organisationen‘ zu ‚hybriden Organisationen‘. Zweitens wird auf die Entstehung eines neuen Typs von Organisation verwiesen: Soziale Unternehmungen, „Social enterprises“ (Evers 2013, S. 470) oder „social entrepreneurship organizations“ (Heinze et al. 2011, S. 90-94). Diese Organisationen sind sozusagen von vornherein in hohem Maße ‚hybrid‘ und kombinieren – bei relativer Dominanz der marktlichen Logik – verschiedene Handlungsrationalitäten transsektoral miteinander. Sowohl der Begriff der ‚Organizational Governance‘ als auch derjenige der ‚hybriden Organisation‘ steht also für den Versuch sozialwirtschaftlicher Organisationen, die verschiedenen – zunächst jeweils für unterschiedliche Teilbereiche von Gesellschaft charakteristischen – Handlungslogiken miteinander zu verschränken. ‚Hybride Organisationen‘ sind, kurz gesagt, Organisationen, „die in ihren Strategien und Dienstleistungen Merkmale kombinieren, die normalerweise eindeutig dem Staat, dem Markt oder dem dritten Sektor zugeschrieben werden“ (Wasel und Haas 2012, S. 588). Hybridisierung umfasst schließlich extra-organisationale und intra-organisationale Aspekte. In ihren Außenbeziehungen muss eine hybride sozialwirtschaftliche Organisation (gleichgültig welchem Sektor sie ursprünglich bzw. primär zugehört) in der Lage sein, mit ihren verschiedenen relevanten Stakeholdern – also denjenigen Akteuren, die in irgendeiner Weise eigene Interessen mit dem
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Handeln der jeweiligen Organisation verbinden – angemessen und entsprechend deren je spezifischer Funktionslogik zu interagieren (vgl. Schubert 2010, S. 215). Zugleich muss die Organisation in der Lage sein, in für sie relevanten GovernanceStrukturen – also in Verhandlungs- und/oder Dienstleistungsnetzwerken zwischen staatlichen, wirtschaftlichen, assoziativen und informellen Akteuren – agieren zu können. Auf diese Weise entstehen „Multi-Stakeholder-Organisationen“ (Evers et. al. 2002, S. 33), die nicht länger nur auf einen Interessenträger ausgerichtet sind, sondern sich in Netzwerkbeziehungen (vgl. Schubert 2017, Sagmeister 2018) orientieren. Intern müssen Aufbauorganisation, Ablauforganisation und Organisationskultur so gestaltet sein, dass eine sozialwirtschaftliche Organisation in dieser Weise als ‚Multi-Stakeholder-Organisation‘ handeln kann. Es gilt, intra-organisationale Governance-Strukturen herauszubilden, die geeignet sind, a) strukturelle Koppelungen zu den verschiedenen Stakeholdern der Organisation herzustellen (vgl. Schubert 2010, S. 215) und b) die spezifischen und komplexen Transaktionen zu bewältigen, die mit der ‚gemischten‘ Produktion sozialer Dienstleistungen unter gegenwärtigen gesellschaftlichen Bedingungen verbunden sind (vgl. ebd.). 3. Governance in der Kinder- und Jugendhilfe: Perspektiven Personenbezogene Arrangements, sozialräumliche Netzwerke oder Verbünde in der KJH sind bislang kaum als Strukturen gemischter Wohlfahrtsproduktion, als hybride Organisationsformen oder als Governance-Strukturen thematisiert worden4. Wenn im dritten Schritt dieses Beitrags von analytischen, normativen und operativen Perspektiven die Rede ist, die sich aus den entsprechenden Konzepten für die Gestaltung der KJH gewinnen lassen, so geht es (auch) darum, von eher zufälligen zu theoriebasierten, normativ begründeten, strategisch geplanten sowie professionell umgesetzten Unterstützungs-Mixes bzw. Governances-Strukturen zu gelangen.
Erste Hinweise finden sich im Kontext der Forschung zu wirkungsorientierter Steuerung der Jugendhilfe, vgl. Polutta 2010 4
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3.1 Governance-Strukturen in der Kinder- und Jugendhilfe identifizieren und verstehen: Analytische Perspektiven Betrachtet man die KHJ aus Perspektive der in Teil 2 skizzierten Konzepte, wird schnell deutlich, dass hier - wenn auch meist unter anderen Begriffen - auf verschiedenen Ebenen Arrangements im Welfaremix, Governancestrukturen und organisationale Hybridisierung eine erhebliche Rolle spielen. Einige Beispiele: − Eine traditionsreiche Governance-Struktur im kommunalpolitischen Kontext ist der Jugendhilfeausschuss (§ 71 SGB VIII), in dem Vertreter_innen des öffentlichen Trägers der Jugendhilfe und der freien Träger zusammenwirken. Allerdings ist der Jugendhilfeausschuss an vielen Orten noch stark von klassisch korporatistischen Arrangements (Kommune und große etablierte freie Träger) geprägt. − In der individuellen Hilfegestaltung wird oft auf einen (Welfare-)Mix aus Ressourcen der betroffenen Kinder/Jugendlichen, ihrer Familien, des sozialräumlichen Umfelds (Nachbarschaft, Vereine, Kirchengemeinden usw.), professioneller Angebote verschiedener Träger sowie des öffentlichen Leistungsträgers gesetzt. Die Erstellung und Überprüfung des Hilfeplans nach § 36 SGB VIII, bei der das jeweilige Kind bzw. der/die Jugendliche, die Personensorgeberechtigten und Fachkräfte zusammenwirken sollen, kann als eine personen-bezogene Mikro-Governance-Struktur interpretiert werden. Als Fachkonzept methodischen Handelns, das geeignet ist, diese personenbezogene Versorgungsregie auf der Individualebene umzusetzen, wird Case Management ins Spiel gebracht (vgl. Wendt 2014). − Wird Jugendhilfeplanung auf der lokalen bzw. regionalen Ebene (§§ 79, 80 SGB VIII) aushandlungsorientiert und partizipativ angelegt (vgl. Schubert 2013, Barleben et. al. 2015), indem bspw. Kommunen, freie und gewerbliche Träger der Jugendhilfe und (Ausbildungs)Betriebe, v.a. aber Kinder und Jugendliche selbst beteiligt werden, so handelt es sich auch hier um eine zumindest temporäre Governance-Struktur. − In den vergangenen zwei Jahrzehnten hat ‚Sozialraumorientierung‘ einen hohen Stellenwert in der KJH erlangt (vgl. u.a. Hinte und Treeß 2007, Fehren und Hinte 2013, Singer 2015) gewonnen. Induziert wurde diese Entwicklung im Wesentlichen durch zwei äußerst unterschiedliche und z.T. widerstreitende Konzepte: die Lebensweltorientierung (vgl. Grunwald und Thiersch 2016) auf der einen und das NPM in der Verwaltung (s.o. 2.1) auf der anderen Seite. Sozialräumlich ausgerichtete Netzwerke mit entsprechenden Lenkungsgremien (z.B. Sozialraumkonferenzen) und ggf. entsprechenden Finanzmitteln (z.B. Sozialraum-Budgets), folgen implizit ebenfalls dem Prinzip governentieller Steuerung im oben skizzierten Sinn.
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− Betrachtet man schließlich die Ebene der Organisationen der KHJ, so sind Hybridisierungstendenzen unübersehbar. Drei Beispiele: (1) Das Jugendamt, im Grundsatz eine klassische Behörde der öffentlichen Verwaltung, hat mit der (z.T. in Strategien des NPM eingebetteten) Einführung von Produktkatalogen, Kennzahlen, Zielvereinbarungen usw. Steuerungsinstrumente integriert, die im Ursprung der Marktlogik folgen. (2) Langjährig bestehende freie Träger versuchen (oft unter großen Spannungen), ihre traditionelle Mitgliederorientierung, die ebenfalls traditionsreiche Integration ins staatliche Hilfesystem sowie unternehmerisches Handeln zusammen zu bringen. (3) Neue Organisationen der KJH sind entstanden, die sich von vornherein als im Grundsatz gewinnorientierte sozialwirtschaftliche Unternehmen mit entsprechender Rechtsform (i.d.R. GmbH) definieren. Ein erstes Fazit: Der oben beschriebene Gesamttrend, Wohlfahrt zunehmend in Mixturen aus verschiedenen Komponenten zu erbringen, die sich jeweils primär an der Funktionslogik des Staates, des assoziativen Sektors, des Marktes oder des primären Sektors orientieren, findet sich auch in der KJH. Ebenso finden sich auf verschiedenen Ebenen der KJH Steuerungsstrukturen, die sich als GovernanceStrukturen im Sinne von Verhandlungsnetzwerken erweisen: Strukturen, in denen also Steuerungslogiken, die für verschiedene gesellschaftliche Sektoren charakteristisch sind, miteinander kombiniert werden. Organisationen der KJH zeigen erkennbar Charakteristika von Hybridisierung. Ohne dass dies so wahrgenommen wurde, war die KJH seit den 1990er Jahren insbesondere mit dem Konzept der Lebensweltorientierung - verbunden mit Ansätzen der Sozialraumorientierung vermutlich sogar Trendsetter und Motor der Etablierung von Welfare-Mixes und Governance-Strukturen im Bereich der Sozialen Arbeit. Die Implementierung von Elementen des NPM in die KJH hat (allerdings mit signifikant anderer Zielsetzung) diese Entwicklung zusätzlich vorangetrieben. Die gerade formulierten grundlegenden Einordnungen haben für die Praxis der KJH in mehrfacher Hinsicht einen analytischen Erklärungswert, aber auch einen ‚prognostischen‘ Wert. (1) Die Akteure, die in der KJH auf unterschiedlichen Ebenen (vom personenbezogenen Hilfe-Arrangement bis zum sozialräumlichen Netzwerk) aufeinander treffen, miteinander kooperieren und Formen gemeinsamer Steuerung zu entwickeln versuchen, entstammen unterschiedlichen gesellschaftlichen Sektoren; Sektoren, für die jeweils eigene Funktionslogiken charakteristisch sind: − Akteure, die ursprünglich in der staatlichen Logik verankert sind (z.B. Kommunen oder Landkreise und ihre Behörden, insbesondere den Jugendämtern);
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− Akteure, die zunächst der Logik des assoziativen Sektors verpflichtet sind; drunter stark formell strukturierte Organisationen (z.B. Jugendverbände, Jungendringe, Wohlfahrtsverbände oder kleinere Jugendhilfeträger), aber auch ehr informelle bürgerschaftliche Gruppen (wie Jugendbegleiter_innen, Familienpat_innen, Job- oder Ausbildungspat_innen usw.); − Akteure, die grundlegend marktorientiert sind (z.B. privat-gewerbliche Jugendhilfeträger, aber auch Unternehmen, bei denen Jugendliche in Ausbildung sind oder die Jugendhilfeaktivitäten als Sponsoren unterstützen); − Akteure, die vorrangig in der Rationalität primärer Netze denken und handeln (die Kinder und Jugendlichen selbst, ihre Familien, Freund_innen oder Nachbar_innen). Die angesprochenen Logiken sind verschieden, keineswegs immer kompatibel und z.T. widerstreitend. Dies bedeutet: Zwischen den Partnern, die ein personenbezogenes Hilfe-Arrangement aushandeln oder in einem sozial-räumlichen Netzwerk der KJH bzw. in einem Gremium zusammenarbeiten, sollte nüchtern mit potentiellen Spannungen, Missverständnissen und Irritationen gerechnet werden (wenn z.B. die Denk- und Handlungseisen von Jugendamt, Ausbildungsbetrieben und ehrenamtlichen Jobpat_innen aufeinandertreffen). Solche Spannungen bzw. Iritationen sind eher wahrscheinlich als überraschend. Sie sind weniger Folge persönlicher Befindlichkeiten als vielmehr grundlegend verschiedener Denk- und Handlungsrationalitäten. (2) Insbesondere in den Netzwerken und Gremien werden (und zwar unabhängig von den konkret beteiligten Personen) die jeweils charakteristischen Systemstärken und -schwächen sichtbar werden, die die beteiligten Akteure mit Blick auf das Ziel, individuelle Entwicklung und gesellschaftlichen Teilhabe5 von Kindern und Jugendlichen zu ermöglichen, aufweisen. Beispiele: − Der Staat kann Rechtsansprüche verbindlich definieren und entsprehcende finanzielle Mittel bereit stellen – aber er tritt den Adressat_innen der KJH in der Doppelrolle von Hilfe und Kontrolle gegenüber und kann auf Grund vorgegebener Entscheidungswege nicht sofort auf Innovationsanforderungen reagieren (insbesondere, wenn finanzielle Mittel erforderlich sind).
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Die Begriffe ‚Entwicklung‘ und ‚Teilhabe‘ werden an dieser Stelle vor dem Hintergrund einer breit verstandenen Leitidee von gesellschaftlicher Inklusion gewählt. Das Begriffspaar ‚Entwicklung‘ und ‚Teilhabe‘ spielt aktuell in den Entwürfen zur Novellierung des SGB VIII eine zentrale Rolle und scheint hier an die Stelle der bisherigen Kernbegriffe ‚Erziehung‘ und ‚Hilfe‘ zu treten; dies wird von einigen Autor_innen nachdrücklich kritisiert (vgl. Schrapper 2016). Wenn ich gleichwohl bei der gewählten Terminologie bleibe, stelle ich mich damit nicht auf eine bestimmte Seite in der Diskussion um die SGB VIII-Reform.
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− Freie Träger verfügen über fachliche Kompetenz und sind ggf. in der Lage, über Rückbindung in sozio-kulturelle Milieus zusätzliche Mittel (Spenden) oder freiwilliges Engagement zu generieren – aber sie sind in hohem Maße abhängig von öffentlichen Mitteln. − Bürgerschaftliche Gruppen können zusätzliche Angebote ermöglichen, lebensweltliche Ressourcen (‚Normalität‘, Alltagskontakte usw.) einbringen und anwaltschaftlich aktiv sein – sie sind aber nicht geeignet, um Unterstützung auf Dauer verlässlich zu gewährleisten oder gar Rechtsansprüche zu erfüllen. − Wenn Unternehmen Beiträge in Netzwerke einbringen wollen (Finanzmittel, man-/womenpower usw.), können sie darüber i.d.R. sehr schnell entscheiden – aber sie müssen immer im Blick behalten, wie sich ein solcher Zeit- und Geldaufwand mit der unternehmerischen Maxime der Gewinnerzielung in Einklang bringen lassen. (3) Mit Blick auf die in den sozialräumlich ausgerichteten Jugendhilfeverbünden oder -netzwerken miteinander verbundenen Akteure ist mit dem Auftreten des Phänomens der „Coopetion“ (vgl. Bouncken et al. 2015) bzw. „Koopkurrenz“ (vgl. Schönig 2015) zu rechnen: Die gleichen Organisationen (i.d.R. freie und privat-gewerbliche Träger), die im Versorgungsverbund eng und ausgerichtet auf ein gemeinsames Ziel kooperieren (sollen), treffen an anderer Stelle als Konkurrenten um Ressourcen, Kunden und öffentliche Aufmerksamkeit aufeinander. Treibender Akteur ist in diesem Zusammenhang in der Regel die öffentliche Hand, die über die ihr zu Gebote stehenden Steuerungsinstrumente hier marktförmiges und dort kooperatives Handeln einfordert; und zwar sowohl von Organisationen, die in der Solidarlogik des assoziativen Sektors beheimatet sind, als auch von Profit-Organisationen. Diese Widersprüchlichkeit der Koopkurrenz führt nicht selten zu einem höchst ambivalenten Agieren der betroffenen Organisationen, die sich wiederum irritierend auf die Netzwerkarbeit insgesamt auswirkt. (4) Aus der Welfaremix-Theorie lässt sich die Hypothese ableiten, dass mit Blick auf das Ziel, in einem bestimmten Sozialraum eine möglichst optimale Entwicklung und Teilhabe von Kindern und Jugendlichen zu gewährleisten, insbesondere diejenigen Netzwerke erfolgreich sind, in den Organisationen aus verschiedenen gesellschaftlichen Sektoren ‚koproduktiv‘ zusammenarbeiten, ihre jeweils spezifischen Stärken einbringen und sich in ihren Systemlogiken wechselseitig balancieren. Dieses Postulat ist freilich in der Praxis zu überprüfen (s.u. Teil 4). (5) Es ist davon auszugehen, dass die in der KJH etablierten Steuerungs- und Entscheidungsstrukturen die oben benannten, für Governance-Regime charakteristischen Stärken und Schwächen aufweisen. Dies gilt für die personenbezogene
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Ebene (z.B. Hilfeplangespräch) genauso wie für die sozialräumliche Ebene (z.B. Sozialraumkonferenz). Die zentrale Stärke besteht darin, dass alle Akteure, die einen ‚hilfreichen‘ Beitrag leisten können, auch an der Ausgestaltung aktiv beteiligt werden (Stakeholder-Prinzip). Entscheidende Schwächen sind die aufwändigere (und u.U. langwierigere) Entscheidungsfindung sowie die zwischen den beteiligten Stakeholdern höchst ungleich verteilte Chancen der Einflussnahme: So werden die Interessen mächtiger institutioneller Akteure (wie insbesondere die der Jugendämter, aber auch die von großen Leistungserbringern) deutlich stärker vertreten sein, als die i.d.R. nicht oder nur schwach organisierten Interessen von Kindern und Jugendlichen selbst, die von Familien oder die von bürgerschaftlich Engagierten. (6) Es ist damit zu rechnen, dass an die Verbünde bzw. Netzwerke die kritische Frage nach der (politischen) Legitimation ihres Zustandekommens, ihres Agierens und insbesondere ihrer Steuerung gerichtet wird: Welches Mandat haben sie, und von wem wurde es erteilt? Können sie ‚verbindliche‘ Entscheidungen treffen (und worüber), oder dienen sie lediglich dem Austausch? Sie werden sich der Kritik ausgesetzt sehen, selektiv zusammengesetzt und ‚nicht repräsentativ‘ zu sein. Erwartbar ist in diesem Zusammenhang schließlich, dass die verfassten politischen Organe repräsentativer Demokratie (Gemeinde-, Stadt- oder Kreisrat) in die Governance-Strukturen der Netzwerke hinein intervenieren, wenn sie bestimmte politische Interessen nicht berücksichtigt sehen. (7) Die Konzepte von Welfaremix und Governance bieten die Möglichkeit, das gerade in der KJH weit verbreitete, aber oft diffuse Unbehagen gegenüber der ‚Ökonomisierung Sozialer Arbeit‘ präzisier zu verstehen: Als Phänomen, das v.a. damit zu tun hat, dass Funktionslogiken, die für den Bereich des Marktes charakteristisch (und hier im Prinzip angemessen) sind, von den Akteuren des staatlichen und des assoziativen Sektors adaptiert und mit den eigenen ‚Stammlogiken‘ verknüpft werden – und zwar teilweise in einem Ausmaß, dass es zur Verdrängung der ursprünglichen Primärlogik kommt. Anders ausgedrückt: die Stammlogiken des staatlichen oder des assoziativen Sektors werden von der Marktlogik dominiert bzw. kolonialisiert. Dies ist etwa dann der Fall, wenn die öffentliche Hand über gedeckelte Budgets individuelle Rechtsansprüche auf Hilfen aufweicht; wenn der öffentliche Leistungsträger, aber auch die jeweiligen Leistungserbringer die Qualität von Hilfen einseitig an Kennzahlen zu messen versuchen; wenn Leistungserbringer aus einem unternehmerischen Selbstverständnis heraus nur noch solche Hilfeleistungen anbieten, die sich leicht refinanzieren lassen. Die hier skizzierten Versuche, personenbezogene Arrangements, Verbünde und Netzwerke der KJH bzw. deren Steuerungsmodus als Welfaremix-, Governance-
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und Hybridisierungs-Phänomene zu interpretieren, sind ohne Frage komplex und bewegen sich auf einem hohen Abstraktionsniveau. Meine Argumentation lautet jedoch: Für die Praxis der Initiierung und Gestaltung sowohl von personenbezogenen Netzwerken als auch von sozialräumlichen Verbünden und Netzwerken ist es von Vorteil, vor dem Hintergrund der herangezogenen Theorien a) klarer zu verstehen, was in solchen Formationen geschieht, und b) zu antizipieren, was mit hoher Wahrscheinlichkeit ablaufen kann. Bevor in Kapitel 3.3 daraus herzuleitende Handlungsperspektiven skizziert werden, ist ein Zwischenschritt zu gehen. 3.2 Governance-Strukturen in der Kinder- und Jugendhilfe konzipieren: Normative Perspektiven Die Diskurse zu Welfaremix, Governance und Hybridisierung liefern einen theoretischen Rahmen, innerhalb dessen es möglich ist, über Analysen hinaus einige normativ begründete Eckpunkte für die Ausgestaltung von personenbezogenen Hilfe-Arrangements, Verbünden, Netzwerken und Steuerungsstrukturen der KHJ zu gewinnen.6 Diese These impliziert verschiedene Aspekte. (1) Unter Rekurs auf die genannten Debatten kann argumentiert werden. Versorgungsverbünde und sozialräumlich ausgerichtete Netzwerke stellen auch in der KJH eine angemessene Antwort – wenn nicht die angemessene Antwort – auf aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen insgesamt bzw. auf Verschiebungen in der Tektonik des wohlfahrtsstaatlichen Regimes im Besonderen dar. Dies gilt sowohl für die Erbringung von Hilfs- oder Präventionsangeboten als auch für die Steuerung der Erbringung. Denn von Verbünden bzw. Netzwerken ist eine höhere Unterstützungsqualität für die Adressat_innen (hier: Kinder, Jugendliche und ihre Familien) zu erwarten, als von Strukturen, die auf der Funktionslogik nur eines Sektors beruhen. Damit kann die Argumentation noch einen Schritt weiter gehen: Die Bildung von Verbünden und Netzwerken sollte systematisch angestrebt werden. Sinnvoll ist dabei - so die insbesondere im Diskurs zum Welfaremix entfalteten Überlegungen zu den spezifischen Systemstärken und -schwächen der von den beteiligten Akteuren repräsentierten Sektoren - auf einen möglichst breiten und möglichst ausgewogenen Leistungsmix hinzuwirken. (2) Zu diesen eher affirmativen Aussagen mit dem Plädoyer, Netzwerke und Verbünde systematisch aufzubauen, tritt eine Reihe kritischer Hinweise, die sich aus dem Welfaremix- bzw. dem Governance-Konzept gewinnen lassen: 6
Dass diese Punkte für die normative Rahmung der KJH keineswegs hinreichen, ist evident. So thematisieren weder der Welfaremix- noch der Governance-Diskurs Gerechtigkeitsfragen.
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− Die Gewährleistung der Entwicklung und Teilhabe von Kindern und Jugendlichen ‚im Mix‘ basiert nicht auf einer harmonisierenden Angleichung der verschiedenen Logiken, sondern darauf, die Systemrationalitäten in ihrer Unterschiedlichkeit auszubalancieren und durchaus auch wechselseitig zu ‚bändigen‘. Dabei ist es wichtig, dass die beteiligten Organisationen (ungeachtet ihrer zwischenzeitlich erreichten Hybridität) ihre ursprünglichen Handlungslogiken nicht schlicht aufgeben, sondern diese im Sinne ihres Propriums in die Netzwerkstrukturen einbringen. − Wenn innerhalb des Gesamtgefüges eines Netzwerks einzelne Sektorlogiken derart an Übergewicht gewinnen, dass sie andere Logiken zu überformen drohen, ist konsequent gegenzusteuern. Klassischerweise war für die KJH die Dominanz des staatlichen Sektors (Leistungsträger) typisch. Unter den derzeit gegebenen Verhältnissen dürfte insbesondere darauf zu achten sein, dass nicht die Marktlogik zum zentralen Erbringungs- und Steuerungsparadigma wird und die reziproke Grundlogik der primären Netze bzw. die Solidarlogik der Assoziationen ‚kolonialisiert‘. Aus diesen Überlegungen ergibt sich im Übrigen auch eine dezidierte Kritik sowohl an einer manageralistischen Rezeption von New Public Managment in der KJH (öffentliche und freie Träger können und sollten Elemente unternehmerischen Handelns integrieren, aber sie sind grundsätzlich keine Unternehmen) als auch an einer unreflektierten Übernahme des Kunden-Begriffs (die Adressat_innen der KJH sind keine wirklichen Kund_innen im Sinne der MarktLogik). − Innerhalb der KJH haben ‚Gemischte Wohlfahrtsproduktion‘ und (damit zusammenhängend) Governance-Strukturen eine eindeutige Finalität: Im Mittelpunkt aller Erbringungs- und Steuerungsbemühungen haben i.S. von § 1 Abs. 1 SGB VIII der junge Mensch, seine Entwicklung und seine gesellschaftliche Teilhabe zu stehen, nicht aber das Netzwerk oder die in ihm kooperierenden Organisationen. Zugleich liegt hier der Maßstab für die Bewertung des ‚Erfolgs‘ eines Verbundes oder Netzwerks. Diese AdressatenOrientierung (vgl. Grunwald und Roß 2014, S. 54), die nach einer entsprechenden Institutionalisierung von Formen der Bedürfnis- und Interessenartikulation verlangt, lässt sich sowohl aus Sicht der Dienstleistungsorientierung (Konzept der ‚Nutzerorientierung‘ - vgl. Schaarschuch 2010) als auch aus Sicht der Lebensweltorientierten Sozialen Arbeit begründen (vgl. Grunwald und Thiersch 2016, Bitzan und Bolay 2018). − Verbünde und Netzwerke der KJH sollten Akteure aus möglichst allen gesellschaftlichen Sektoren umfassen. Sie sollten deren Logiken integrieren und balancieren, um so einen ‚intermediären‘ (also ‚in Mitten‘ der verschiedenen Logiken stehenden) Charakter und damit eine Eigenständigkeit
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gegenüber den einzelnen Teillogiken zu gewinnen. Gleichwohl sollten sie nicht von den verfassten repräsentativ-demokratischen Strukturen politischer Willensbildung abgekoppelt sein. Dafür, eine solche Entkoppelung zu vermeiden, sprechen pragmatische Gründe: Werden verfasste Gremien ‚außen vor‘ gehalten, tendieren sie zu abrupten, ‚Macht sichernden‘ Interventionen (s.o.). Ausschlaggebend sind aber v.a. grundsätzliche Überlegungen. Demokratietheoretisch stellen sich Governance-Regime – und damit auch die Steuerung von Netzwerken - als „legitimationsarm(e) Handlungszusammenhänge“ (Schmalz-Bruns 1994, S. 22; zitiert nach Klein 2001, S. 205) dar. D.h.: Solche Netzwerke verfügen über keine ‚starke‘ Legitimation, wie dies z.B. bei jenen Strukturen politischer Entscheidungsfindung der Fall ist, die zumindest dem Prinzip nach auf die freie und gleiche Wahl aller Bürger_innen zurückgehen (also Parlamente). Netzwerke sind dagegen zunächst durch nicht mehr (aber auch nicht weniger!) legitimiert, als durch die Interessen und das Engagement der beteiligten Netzwerkmitglieder, was eine ‚schwache‘ Legitimation darstellt. In Abwägung aller Vor- und Nachteile erscheinen insofern repräsentativ-demokratische Strukturen letztlich am ehesten geeignet zu sein, eine Letztverantwortung bezüglich der Einhaltung von demokratischen Spielregeln und der Orientierung am Gemeinwohl wahrzunehmen sowie insbesondere bindende Entscheidungen zu treffen (vgl. Roß 2012, S. 221-224; 391f). Daraus folgt jedoch nicht automatisch, Verbünde und Netzwerke sollten stets unter öffentlicher Regie oder Moderation (etwa durch die Jugendämter) stehen: Vertretbar sind ebenso egalitär ausgestaltete Governance-Strukturen, in denen die öffentliche Hand ein Partner unter anderen ist, es klare selbst-gesetzte Verfahrensregeln gibt und eine Koppelung mit den verfassten Gremien gewährleistet ist. − Dieser für Governance-Strukturen typischen Tendenz, schwache Interessen nicht oder nur wenig zu berücksichtigen, muss gerade aus Sicht einer emanzipatorischen Sozialen Arbeit konsequent entgegengewirkt werden. Es gilt, von vornherein strukturelle und prozedurale Vorkehrungen für eine systematische Stärkung dieser Interessen zu treffen. Im vorliegenden Kontext geht es dabei zuerst und v.a. um die Kinder und Jugendlichen selbst bzw. ihre Familien. Einem intersektionellen Blick folgend, sind dabei bestimmte sozio-kulturelle Gruppen nochmals verstärkt von Exklusionsrisiken betroffen: z.B. junge Menschen mit Migrationshintergrund oder aus bildungsbenachteiligten Familien.
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3.3 Governance-Strukturen in der Kinder- und Jugendhilfe realisieren: Strategische und operative Perspektiven Auf Grundlage der analytischen, insbesondere aber der normativen Überlegungen ergeben sich unmittelbar handlungsorientierte Perspektiven für die Praxis. (1) Sowohl ‚gemischte‘ personenbezogene Unterstützungs-Arrangements (fallbezogen) als auch sektorübergreifende Verbünde und Netzwerke (fallübergreifend) im Sinne der o.g. Beispiele sollten weiter forciert werden. Dabei ist es sinnvoll, in der Regie konsequent darauf zu achten und darauf hinzuwirken, dass sowohl in der Leistungserbringung als auch in der Leistungsteuerung alle Sektorlogiken – bei jeweils unterschiedlichen Akzentsetzungen – ausgewogen repräsentiert sind. Dies bedeutet zugleich, einer einseitigen Dominanz der Marktlogik (freilich auch der Staatslogik) entgegenzutreten und insbesondere die Orientierung an den Lebenswelten der Adressat_innen systematisch zu stärken. (2) Für die Arbeit in Verbünden bzw. Netzwerken (und insbesondere für deren Steuerung) sollten von Anfang an klare Spielregeln - also das ‚Governance-Regime‘ des jeweiligen Netzwerks - gemeinsam ausgehandelt und transparent definiert werden. Dabei geht es insbesondere um die angemessene Beteiligung aller betroffenen Stakeholder und um verlässliche Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozeduren. Auch die Rückkoppelung zwischen dem jeweiligen Netzwerk und den verfassten repräsentativ-demokratischen Gremien (s.u.) kann hier geregelt werden. (3) Bei der Konstituierung, aber auch in der laufenden Arbeit solcher Verbünde bzw. Netzwerke kommt es darauf an, zwischen den unterschiedlichen Sektorlogiken systematisch zu moderieren und (im übertragenen Sinn wie im Wortsinn) zu ‚dolmetschen‘. Auf diese Weise können Unterschiede transparent gemacht, Missverständnisse reduziert und wechselseitiges Verständnis für die jeweils anderen Handlungsrationalitäten geweckt werden. Damit ist zugleich angesprochen, dass eine Form der Netzwerkregie bzw. -moderation gefunden werden muss, die die strukturelle, die fachliche und die persönliche Kompetenz aufweist, diese intermediäre Aufgabe angemessen wahrzunehmen. Strukturell kann dies z.B. durch die Beauftragung einer externen, d.h. aus keiner der beteiligten Organisationen stammenden Regie bzw. Moderation gewährleistet werden. (4) Es ist unverzichtbar, innerhalb von personenbezogenen Arrangements, Verbünden oder Netzwerken ‚schwache Interessen‘ systematisch zu identifizieren und die jeweiligen Akteure konsequent in ihrer Mitwirkung zu stärken. − Bei der Aufstellung eines Hilfeplans bzw. in den Hilfeplangesprächen geht es um personen- bzw. familienbezogene Arrangements. Allen im SGB VIII
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und in Fachkonzepten verankerten Ansprüchen zum Trotz geraten hier die betroffenen Familien, v.a. aber die Kinder und Jugendlichen selbst immer wieder in eine Objektrolle. Dem ist mit entsprechenden Arbeitsansätzen (vgl. etwa Schwabe 2008) konsequent entgegen zu wirken. − In der Jugendhilfeplanung werden wichtige Weichen für die Versorgungsgestaltung in einem bestimmten Verwaltungsraum (Stadt, Landkreis) gestellt. ‚Fachplanungen‘, in die Expert_innen verschiedener (öffentlicher, freier oder gewerblicher) Träger einbezogen werden, sind ein notwendiger, aber kein hinreichender Schritt. Notwendig sind geeignete Verfahren der Kinder- und Jugendbeteiligung (vgl. Scherr und Sachs 2015), aber auch der Bürgerbeteiligung insgesamt, um mit einer Partizipation, die über ‚Information‘ und ‚Anhörung‘ hinausgeht (vgl. Straßburger und Rieger 2014), ernst zu machen. Auch hier sollte gelten: ‚Nichts über uns ohne uns‘. − In sozialräumlich orientierten Verbünden oder Netzwerken geht es um fallübergreifende Arrangements. Auch hier geht es darum, den Interessen von Kindern und Jugendlichen, Familien und bürgerschaftlich Engagierten wirkungsvoll Gehör zu verschaffen. Dabei kann auf professionelle Verfahren des Empowerment zurückgegriffen werden, aber auch auf geeignete Formen der Selbstvertretung (Beiräte usw.) bzw. der anwaltschaftlichen Vertretung (Fürsprecher_innen, Ombudspersonen usw.). (5) Die in 3.2 formulierte Forderung, Verbünde und Netzwerke sollten in geeigneter Weise mit den verfassten repräsentativ-demokratischen Strukturen politischer Willensbildung gekoppelt sein, kann in folgender Weise umgesetzt werden: − Die Konstituierung von Verbünden und Netzwerken sollte durch Beschluss des zuständigen politischen Gremiums (bspw. Gemeinde-, Stadt- oder Kreisrat) erfolgen. − Es ist sinnvoll, dass auch die o.g. Strukturen und Verfahren der ‚Selbstregierung‘, die das Netzwerk sich gibt (also sein ‚Governance-Regime‘), dem politischen Gremium zur Zustimmung vorgelegt werden. − In diesen Regelungen könnte u.a. vorgesehen werden, dass Mitglieder des politischen Gremiums in den Governance-Strukturen des Netzwerks bzw. Verbundes vertreten sind, und dass Konfliktfälle, die innerhalb der Selbstverwaltung des Verbundes nicht lösbar sind, dem repräsentativ-demokratischen Gremium zur Entscheidung vorgelegt werden. − Schließlich sollte regelmäßig im Gremium aus der Arbeit des Verbundes berichtet und eine Aussprache herbeigeführt werden. So besteht die Möglichkeit, bei problematischen Entwicklungen gegenzusteuern.
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4. Fazit und Ausblick Der vorliegende Beitrag vertritt eine doppelte These: 1. In der Fallarbeit sind solche personenbezogenen Unterstützungsarrangements am besten geeignet, die persönliche Entwicklung und gesellschaftliche Teilhabe von Kindern und Jugendlichen zu befördern, die einen Hilfe-Mix aufweisen. 2. Solche ‚gemischten‘ Arrangements können fallübergreifend insbesondere von denjenigen sozialräumlichen Netzwerken ermöglicht werden, die eine ‚gemischte Wohlfahrtsproduktion‘ gewährleisten und im Sinne von Governance gesteuert werden. Diese Postulate sind für die KJH keineswegs neu: Sie bilden einen zentralen Kern sowohl des Konzepts der Lebensweltorientierung als auch vieler Ansätze der Sozialraumorientierung. Die Diskurse zu Welfaremix, Governace und Hybridisierung sind, so hoffe ich gezeigt zu haben, geeignet, diese Annahmen weiter theoretisch zu stützen und zugleich analytisch und operativ zu differenzieren. Aber: So oder so handelt es sich um Postulate und Hypothesen. Sie sind immer wieder in Praxis und Praxisforschung zu überprüfen,7 und zwar gemessen am tatsächlichen Outcome, den die Arrangements, Verbünde und Netzwerke für ihre eigentliche Zielgruppe leisten: Die Kinder und Jugendlichen. Literatur Barleben, K.; Glaser, R. & Krawinkel, K. (2015): Zum Scheitern eines Ansatzes partizipativer, sozialraumorientierter Jugendhilfeplanung. In: M. Alisch (Hrsg.), Sozialraum und Governance. Handeln und Aushandeln in der Sozialraumentwicklung (S. 125-138). Barbara Budrich. Opladen, Berlin, Toronto. Benz, A. & Dose, N. (Hrsg.). (2010a): Governance – Regieren in komplexen Regelsystemen. Eine Einführung. 2., aktualisierte und veränderte Aufl. Wiesbaden: VS. Benz, A. & Dose, N. (2010b): Governance – Modebegriff oder nützliches sozialwissenschaftliches Konzept? In: A. Benz & N. Dose (Hrsg.), Governance – Regieren in komplexen Regelsystemen. Eine Einführung. 2., aktualisierte und veränderte Aufl. (S. 13-36). Wiesbaden: VS. Benz, A., Lütz, S., Schimank, U. & Simonis, G. (Hrsg.) (2007): Handbuch Governance. Theoretische Grundlagen und empirische Anwendungsfelder. Wiesbaden: VS. Billis, D. (Hrsg.). (2010): Hybrid organizations and the third sector. Challenges for practice, theory and policy. Basingstoke: Palgrave Macmillian. Bitzan, M. & Bolay, E. (2018): Adressatin und Adressat. In: H.-U. Otto, H. Thiersch, R. Treptow & R. Ziegler (Hrsg.), Handbuch Soziale Arbeit. 6., überarbeitete Aufl. (S. 42-48). München: Reinhardt. Bode, Ingo (2007): Wohlfahrt. In: A. Benz, S. Lütz, U. Schimank & G. Simonis (Hrsg.) (2007), Handbuch Governance. Theoretische Grundlagen und empirische Anwendungsfelder (S. 401-412). Wiesbaden: VS. Bouncken, R. B., Gast, J., Kraus, S. & Bogers, M. (2015): Coopetition: A systematic review, synthesis, and future research directions. Review of Managerial Science 9(3), S. 577-601. 7
Zur Wirkungsorientierung bzw. Wirkungsforschung in der KJH vgl. exemplarisch Polutta 2017.
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Organisationsentwicklung und Genderperspektive(n) - Plädoyer für eine kompetenzorientierte Verknüpfung Martina Hörmann
Der Beitrag skizziert eine mögliche Verknüpfung der Themenbereiche Gender/Gleichstellung und Organisationsentwicklung Am Beispiel eines Entwicklungsprozesses in einer Volkshochschule werden einige der relevanten Aspekte dieser Themenbereiche veranschaulicht. Die Chancen einer Verknüpfung sind aus Sicht der Autorin groß, sodass sie dafür plädiert dieses Potenzial zu nutzen. So könnten genderorientierte Veränderungsprozesse von Erfahrungen aus der (systemischen) Organisationsentwicklung (OE) profitieren, wohingegen eine genderorientierte OE ihren Blick weiten könnte für Themen des 21. Jahrhunderts. 1. Einleitung Dieser Beitrag thematisiert den Zusammenhang von Genderperspektive(n) und Organisationsentwicklung. Zunächst werden die beiden Themenbereiche Gender/Gleichstellung und Organisationsentwicklung einzeln betrachtet. Gender als umfassende Perspektive wird über verschiedene Schritte der politischen Entwicklung und organisationalen Verankerung beschrieben. Ausgehend von Frauenprojekten, als einer Form der Institutionalisierung von politischen Ideen, über gleichstellungspolitische Ansätze, dem Ansatz des Gender Mainstreaming bis hin zur Konkretisierung von Elementen einer geschlechtergerechten Organisation. Beim Blick auf den zweiten Themenbereich Organisationsentwicklung fällt zunächst auf, dass Genderthemen dort eine marginale Rolle spielen und im Mainstream des Diskurses nahezu keine Beachtung finden. Auch der Blick aus Sicht der Organisationsentwicklung auf Frauenprojekte als feministisch orientierte Organisationen ist letztendlich ein Nischenthema, das von beiden Seiten, den Frauenprojekten und dem Fachdiskurs zur Organisationsentwicklung, kaum rezipiert wird. Anschließend wird eine mögliche Verknüpfung von Organisationsentwicklung und Genderperspektiven skizziert und an einem Beispiel veranschaulicht. © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 A. Polutta (Hrsg.), Kooperative Organisations- und Professionsentwicklung in Hochschule und Sozialwesen?, Edition Centaurus – Perspektiven Sozialer Arbeit in Theorie und Praxis, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31603-7_7
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Dazu sei eine persönliche Vorbemerkung erlaubt: diese Betrachtung knüpft unmittelbar an zentrale Arbeitsthemen von Brigitte Reinbold an, mit der ich in den neunziger Jahren zusammen ein Buch herausgeben durfte und die mich, auch durch diese Zusammenarbeit und durch meine nachfolgende Weiterbildung im Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik (ISS), für den Zusammenhang dieser Themen sensibilisiert und somit auch ein Stückweit geprägt hat. „Das Beharren auf der Notwendigkeit eines spezifischen ‚weiblichen‘ Blicks“ auf die Soziale Arbeit, ihre organisationsspezifischen Gestaltungsbedingungen, die Thematisierung der Anforderungen an die Qualität der Sozialen Arbeit aus ‚Kundinnensicht‘ sowie die Thematisierung des Zusammenhangs von Macht und Leitungskonzepten in sozialen Organisationen waren und sind zentrale Ausgangspunkte für die Strukturierung und konzeptionelle Ausgestaltung mädchen- und frauenspezifischer Konzepte Sozialer Arbeit. (…) Mein beruflicher Handlungskontext der Organisationsberatung und Qualifizierung von Leitungskräften verfolgt kontinuierlich das Interesse, diese aus meiner Sicht immer noch unterbewerteten Aspekte in der Diskussion um Mädchen- und Frauenpolitik kontinuierlich einzubeziehen.“ (Reinbold 1996, S. 8).
Diese Aussage von Brigitte Reinbold ist über zwanzig Jahre alt und zeigt, dass sie bereits damals Themen miteinander verknüpfte, die häufig getrennt betrachtet wurden (und werden). Diese „Brücke“ zwischen frauenpolitischem Engagement und organisationalem Blick begleitet mich bis heute in meinem Verständnis von Gelingensfaktoren für genderorientierte Veränderungsprozesse. Die Integration von Prozesskompetenz und Organisationsentwicklungsknowhow in Gleichstellungsaktivitäten stellt aus meiner Sicht einen zentralen Erfolgsfaktor dar. Insofern freue ich mich, dass dieser Beitrag mit Blick auf seine Verortung im vorliegenden Band die Brücke zwischen den Kapiteln „Organisationsentwicklung in Wissenschaft und Sozialer Arbeit“ und „Diversität und Gleichstellungsarbeit in Hochschule und Sozialwesen“ bildet. 2. Von der Frauenbewegung zur gendergerechten Organisation Die Idee frauen- und geschlechterpolitische Anliegen organisational einzubinden und umzusetzen lässt sich von den Frauenprojekten der siebziger Jahre über Ansätze der Gleichstellungspolitik, die Idee des Gender Mainstreaming bis zu neueren Überlegungen im Hinblick auf Geschlechtergerechtigkeit in Gesellschaft und Organisationen nachzeichnen. Letztendlich sind dies verschiedene Genderperspektive(n), die sich alle auf die Frage beziehen, wie Emanzipation, Chancengleichheit oder Gendergerechtigkeit erreicht werden können. Allein die Vielzahl dieser Begrifflichkeit zeigt nicht nur die lange Geschichte von Genderfragen und ihrer organisationalen Kontextualisierung, sondern auch die Breite des Diskurses, der hier nur skizzenhaft beschrieben werden kann.
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2.1 Frauenprojekte als feministisch orientierte Organisationen In den ausgehenden siebziger und achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts waren es zumeist engagierte Frauen, die Anliegen der Frauenbewegung in Form von Frauen- und Mädchenprojekten institutionalisierten (Hörmann 2002) oder auch in Form neuer Angebote in herkömmliche Organisationen und deren Strukturen trugen (Hörmann & Reinbold 1996, Wagner 1996). Frauenprojekte waren – ähnlich wie andere Projekte im Kontext sozialer Bewegungen – mit der Idee angetreten neue, lebendige Organisationsformen zu entwickeln und umzusetzen, um dadurch den als starr und bürokratisch erlebten institutionellen Arbeitsformen etwas entgegenzusetzen. In der Verbindung von neuen Inhalten und selbstorganisierten Formen des Arbeitens sollten gesellschaftlich relevante Themen praktisch umgesetzt werden. Zentrales Kennzeichen für diese neue Form der Zusammenarbeit war die Ablehnung von Hierarchien und die Etablierung kollektiv-egalitärer Strukturen. Im Laufe der Jahre zeigten sich Weiterentwicklungen, die sich als Prozesse der Differenzierung, der Professionalisierung und der Individualisierung (und somit auch der Entpolitisierung) beschreiben lassen (Hörmann 2002). Im Rahmen dieser eigenen empirischen Untersuchung konnte aufgezeigt werden, dass einige Frauenprojekte, die Weiterentwicklung im Sinne einer Professionalisierung genutzt hatten: sie verfügten einerseits über eine klare Klientinnenorientierung, eine effiziente und effektive Arbeitsorganisation und ein erkennbares Profil, andererseits zeigte sich die feministische Orientierung nach wie vor an einer aus der gesellschaftlichen Situation von Frauen abgeleiteten Vision und daraus abgeleiteten Organisationszielen. Zugleich zeigte sich, dass die Themen und Angebote der Frauenprojekte auch von traditionellen Organisationen wie z.B. Wohlfahrtsverbänden aufgegriffen wurden und heute aus dem Feld sozialer Unterstützungsangebote nicht mehr wegzudenken sind. 2.2 Gleichstellungspolitik und Gender Mainstreaming: die Bearbeitung von Geschlechterfragen in Organisationen Ein weiterer Strang frauenpolitischen Engagements zeigte sich in der zunehmenden Verbreitung von gleichstellungspolitischen Initiativen, die Institutionen im Non-Profit-Bereich, auf die öffentliche Verwaltung und die Wirtschaft zielten.
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Dabei stand häufig die Frauenförderung im Fokus, wobei dies organisational gesehen oftmals vom Engagement einzelner abhängig war. Im Hinblick auf die Qualität von Gleichstellungsmaßnahmen beschreibt Löther (2009, S. 231) dies am Beispiel von Hochschulen als Prozess von der isolierten Frauenförderung zum Element der Strukturpolitik und begreift Gleichstellung als Qualitätskriterium, welches in die Qualitätssicherung eingebunden ist. Mit Gender Mainstreaming wurden dann etwas später die unterschiedlichsten Hoffnungen und Fragen verknüpft. Kann es ein „frischer Wind im politischen Feld der Geschlechterpolitik“ (Meuser 2009), ein „Instrument zur Innovation von Institutionen“ (Woodward 2004) oder gar ein „Ansatz zur Auflösung männerbündischer Arbeits- und Organisationskultur“ (Höyng & Lange 2004) sein? Neben der Hoffnung gab es auch Befürchtungen, insbesondere im Hinblick auf eine drohende Entpolitisierung und Ökonomisierung der Geschlechterfragen. Meuser (2009) sieht demzufolge Geschlechterpolitik in einem Spannungsfeld zwischen Ungleichheitssemantik und ökonomischer Logik. „Dass der Markt es richten wird, ist eine Erwartung, die in den Konzepten von Geschlecht als Humankapital und des Gender Marketing enthalten ist. Das Feld der Geschlechterpolitik ist gegenwärtig von einem nebeneinander sozialstaatlicher Regelungsmodelle und marktbezogenen Selbstregulierungserwartungen geprägt“ (Meuser 2009, S. 105f.).
Inwieweit sich diese unterschiedlichen Vorstellungen vereinbaren lassen, hängt auch von der gelingenden Verbindung von Gleichstellungspolitik und modernem Management ab. Am Beispiel von Hochschulen haben Roski und Schacherl (2014) die Integration von Gleichstellungsarbeit in die neuen Steuerungsprozesse untersucht. Basierend auf einem Verständnis von Hochschulen als lernender Organisation betonen sie die Chancen, wenn Gleichstellungsaufgaben in Managementaufgaben integriert werden. Anhand von 13 Fallstudien wurden Erkenntnisse über innovative Formen der Integration von Gleichstellungsaspekten in die Hochschulsteuerung und den Stand der Umsetzung gleichstellungsorientierter Steuerung gewonnen. In diesem Zusammenhang wurden fünf Typen gleichstellungsorientierter Steuerung entwickelt (ebd., S. 54). Um die formal-institutionelle Verankerung zu erfassen wurden die normative Verankerung von Gleichstellungszielen in Strategiepapieren, die jeweiligen Entscheidungsbefugnisse sowie die Kooperationsformen der Akteur_innen untersucht. Dabei war für die Durchsetzung von Gleichstellungsaufgaben „eine strukturell verankerte Kooperationsbeziehung zwischen Fachkompetenz (Genderexpertise) und Entscheidungskompetenz (Leitungsfunktion)“ entscheidend“ (ebd., S. 53).
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Neben aufschlussreichen Daten zu den verschiedenen Formen der strukturellen Verankerung zeigt sich an dieser Untersuchung leider auch die fehlende Verknüpfung mit wesentlichen Aspekten der Organisationsentwicklung. Wenngleich von organisationalen Lernprozessen und OE die Rede ist, so fällt die starke Wissenszentrierung auf: „Reformprozesse jeglicher Art stellen Organisationen vor die Aufgabe, neues Wissen in bestehende Strukturen aufzunehmen“ (Roski und Schacherl 2014, S. 48) oder „Diese Organisationseinheiten unterstützen den organisationalen Lernprozess, indem sie das nötige Gleichstellungswissen aufbauen, bündeln und in die Prozesse einbinden“ (ebd., S. 51). Zwar werden Gleichstellungsstellen als interne Wissen- und Beratungseinrichtungen für das Themengebiet verstanden, jedoch zeigt sich auch bei den Kompetenzbeschreibungen für Gleichstellungsakteur_innen ein Verständnis von Beratung, welches eher auf Wissensvermittlung fokussiert und die Bedeutung der Prozesskompetenz in der Beratung vernachlässigt. Insgesamt wird ein eher hierarchisch geprägtes Verständnis von Prozessbegleitung deutlich. Dies zeigt sich auch bei der Frage, wie den (potenziell) am Prozess Beteiligten begegnet wird: so wird problematisiert, dass Genderwissen „vielfach aus dem Alltag abgeleitet und nicht primär als wissenschaftliches Wissen wahrgenommen“ wird (Roski & Schacherl 2014, S. 55). Wie bedeutsam die „Verlinkung von Gender-Theorie und alltagsweltlichem Geschlechterwissen“ ist, betonen Kaschuba und Hösl-Kulike in ihrer Beschreibung eines Gender Mainstreaming Prozesses (2014, S. 21). Wenn dies hingegen als Gegensatz verstanden wird, besteht die Gefahr, dass die Beteiligten nicht mitgenommen werden. Darüber hinaus wird Widerstand im Veränderungsprozesse als Reaktion auf fachfremdes (Gender-)Wissen gedeutet (ebd., S. 56) und nicht als wesentliches Element von organisationalen Entwicklungsprozessen angesehen (vgl. dazu Punkt 3). Das Verdienst der beiden Autorinnen ist die detaillierte und systematische Beschreibung der gleichstellungpolitischen Möglichkeiten in Bezug auf die Veränderungen der Organisationsstrukturen. Es wäre zu wünschen, dass bei dem von ihnen erhofften „Kulturwandel im Wissenschaftssystem“ (ebd., S. 62) auch prozessuale und organisationskulturelle Aspekte stärker Berücksichtigung finden. 2.3 Doing Gender/Undoing Gender – der Blick auf die Handlungsebene in Organisationen Hirschauer (2016) reflektiert das Thema Gender insbesondere bezogen auf die Handlungsebene, eine Dimension, die in zahlreichen anderen Beiträgen zum
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Thema bedauerlicherweise nicht oder kaum betrachtet wird. Dabei verweist er auf die Idee des Doing Gender (und des Undoing Gender) um die „Aufmerksamkeit auf die Prozesshaftigkeit und praktische Vollzugsbedürftigkeit von sozialen Tatsachen zu lenken“ (ebd., S. 115). „Das Konzept des Doing gender (…) ist in seiner Reichweite auf kurzfristige akteursnahe Prozesse begrenzt und war immer schon um strukturtheoretische Überlegungen ergänzungsbedürftig. Deshalb habe ich zeitgleich und komplementär zur Einführung des Begriffs undoing gender auf die institutionellen Arrangements hingewiesen, die die Geschlechterdifferenzierung mit sozialem Gewicht und historischer Trägheit ausstatten“ (Hirschauer 1994 zit. in ders. 2016, S. 118).
Insofern geht es um den Zusammenhang von individuellem Verhalten einerseits und institutionellen Arrangements, in denen dieses Verhalten stattfindet, andererseits. «Die Heuristik des undoing gender verweist stattdessen auf die soziologische Aufgabe zu verstehen, wie die Geschlechterdifferenz als mächtige und doch limitierte Deutungsressource im Konzert von ein bis zwei Dutzend anderer Unterscheidungen (die auch ganz eigene Ungleichheiten mit sich bringen) in einer multikategorialen Gesellschaft in und außer Kraft gesetzt wird“ (Hirschauer 2016, S. 123)
Gerade weil im Zuge gesellschaftlicher Entwicklungen und gleichstellungspolitischer Erfolge „gesellschaftliche Strukturen beträchtlich an Geschlecht verloren“ haben (Heintz/Nadai 1998 zit. n. Hirschauer 2016, S. 122), gilt es den Blick verstärkt auf die Interaktionen zu richten, in denen Geschlecht reproduziert wird. Insofern gilt es „Geschlechter in der Perspektive ihrer Fragilität, Relativität und Temporalität“ zu sehen (ebd., S. 123). 2.4 Auf dem Weg zur gendergerechten Organisation? Irene Pimminger (2012) greift in ihrer Dissertation das Thema in der gesamten Breite aus normativer Perspektive auf und unterscheidet drei wesentliche Dimensionen der Gendergerechtigkeit (in Gesellschaft und Organisationen). Zugleich verweist sie auf die notwendige Verschränkung der drei Dimensionen. Im Fokus der strukturellen Dimension steht die Integration von Frauen in Wirtschaft und Politik mit dem Ziel der gleichen Beteiligung von Frauen und Männern im Erwerbssystem. Dabei dient das Adult worker Modell als Leitbild und verfolgt eine möglichst gleichwertige Arbeitsmarktintegration, idealerweise in der Verbindung mit der Aufteilung der familiären Reproduktionsarbeit und unterstützt durch öffentliche Betreuungs- und Pflegeinfrastruktur. Da jedoch die notwendige
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Reproduktionsarbeit weiterhin als Privatsache angesehen wird, bleibt die Ungleichheit zwischen denen, die hauptsächlich erwerbstätig sind und denen, die auch familiäre Reproduktionsarbeit leisten, unverändert. „Eine Umverteilung von Reproduktions- und Erwerbsarbeit zwischen Frauen und Männern alleine hebt noch nicht die dahinterliegende Ungleichheit zwischen produktiver und reproduktiver Arbeit auf“ (Pimminger 2012, S.129).
Aus ethischer Sicht wird Freiheit als Prinzip tangiert, da Einkommenschancen und soziale Absicherung weiterhin von Art und Ausmaß der Erwerbsbeteiligung abhängen, denn: „Tatsächliche Wahlfreiheit bemisst sich demgegenüber daran, wie gleich oder ungleich die Folgen einer Entscheidung für unterschiedliche Lebensformen, für verschiedene Kombinationen von Erwerbs- und Familienarbeit, jeweils sind“ (Pimminger 2012, S. 129f.).
Wenngleich sich Pimmingers Analyse hier auf die gesamtgesellschaftliche Ebene bezieht, so zeigt sie deutlich auf, wie komplex Fragen der Geschlechtergerechtigkeit sind: „Es sollte deutlich geworden sein, dass die Frage der Geschlechtergerechtigkeit sich nicht nur auf die Position von Frauen und Männern innerhalb einer bestimmten Verteilungsordnung richten kann, sondern auch den Modus der Verteilung selbst in den Blick nehmen muss. Gerechtigkeit kann nicht durch eine bloße Umverteilung der aus Ungleichheit resultierenden Benachteiligungen auf andere Schultern geschaffen werden“ (Pimminger 2012, S. 130).
Demzufolge könnten Gütekriterien für den Grad der Geschlechtergerechtigkeit von modernen Gesellschaften auf struktureller Ebene sein: ▪ „Gleichstellung von Frauen und Männern im Erwerbssystem vor allem hinsichtlich Erwerbsbeteiligung, Berufspositionen und Einkommen, insbesondere Einkommenshöhe, Professionalisierungsgrad und Arbeitsbedingungen in betreuenden, erziehenden und pflegenden Berufen. ▪ Eigenständige soziale Absicherung aller Personen, die familiäre Betreuungs- und Pflegearbeit leisten. ▪ Durchlässigkeit, was bedeutet, dass die Entscheidung zur Übernahme familiärer Betreuungs- und Pflegearbeit weder die Chancen einer gleichzeitigen noch einer künftigen Erwerbsarbeit nachhaltig beeinträchtigen sollte noch umgekehrt“ (Pimminger 2012, S. 131f.). Die symbolische Dimension von Gendergerechtigkeit lässt sich ungleich schwerer fassen, da sie sich auf die androzentrische Verfasstheit der Gesellschaft bezieht, die es zu hinterfragen gilt. „Geschlechtergerechtigkeit kann nicht daran bemessen werden, inwieweit Frauen die Angleichung an privilegierte, männlich konnotierte Eigenschaften, Verhaltensmuster und Lebenswege gelingt,
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Martina Hörmann sondern verlangt die kritische Reflexion der vorherrschenden Denk- und Wertordnung, der gängigen Vorstellungen davon, was relevante Arbeit, anerkannte Lebensziele und wünschenswerte Einstellungen und Verhaltensweisen sind“ (Pimminger 2012, S. 138).
Die subjektbezogene Dimension Geschlechtergerechtigkeit thematisiert Geschlecht als Identitätskategorie und stellt die Frage „nach den (symbolischen und strukturellen) Freiheitsräumen für verschiedene Seins- und Lebensweisen unabhängig von Geschlecht“ (ebd. S. 141). Hier zeigen sich – wenn auch auf gänzlich anderem theoretischen Fundament – Parallelen zur Idee des Undoing Gender (vgl. Punkt 2.3). Das Konzept der Geschlechtergerechtigkeit kann als Orientierung für gleichstellungspolitische Praxis verstanden werden, bedarf dafür allerdings einer „Übersetzung“. Beispielsweise gilt es zu prüfen, wie die „ungleichheitsgenerierende Wirkung der Kategorie Geschlecht durch Merkmale wie Bildung, Arbeitsmarktposition, Alter und Geschlecht überlagert und dabei aufgehoben oder verstärkt wird“ (Pimminger 2012, S. 146). 3. Grundlegende Aspekte der Organisationsentwicklung Gleichstellungspolitik und auch Gender Mainstreaming-Prozesse können als Entwicklungsprozesse von Institutionen verstanden werden. Insofern werden nun einige grundlegende Erkenntnisse aus dem Verständnis systemischer Organisationsentwicklung skizziert1. Unabhängig davon, ob ein organisationaler Entwicklungsprozess extern oder intern2 begleitet wird, gilt es zunächst den Auftrag zu klären und einen Kontrakt zu schließen. Dieser regelt die Ziele, die einzelnen Schritte und Maßnahmen und die sonstigen Rahmenbedingungen des Prozesses. In der diagnostischen Phase wird zunächst mit Hilfe einer Datensammlung die Aufnahme des IST-Zustandes durch entsprechende Methoden der Datenerhebung angestrebt. Das Datenfeedback umfasst die Rückgabe der aufbereiteten Daten an das Klientensystem zur Diskussion und Diagnose. Im Anschluss daran erfolgt die Diagnose, d.h. eine Beschreibung der derzeitigen inneren Verfassung der Organisation (Stärken, Defizite, Probleme) sowie die für geeignet erachteten Maßnahmen. Die Intervention umfasst die Durchführung der geplanten Maßnahmen Vgl. dazu ausführlich Hörmann 2002. Auf die zusätzlichen Herausforderungen bei interner Begleitung kann an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden. Kaschuba & Hösl-Kulike (2014) skizzieren wie eine gewinnbringende Zusammenarbeit von interner und externer Begleitung bei der Implementierung von Gender Mainstreaming aussehen kann. 1 2
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und endet mit einer Auswertung. Die Systemdiagnose im Rahmen einer Organisationsentwicklung beinhaltet das Deuten von Daten, die Gewichtung und Bewertung der Daten und daraus abgeleitet dann die Formulierung von konkreten Veränderungsmaßnahmen. In einer Organisation gibt es verschiedene Blickwinkel, verschiedene Interessen und insofern auch verschiedene Deutungen und Bewertungen von denselben Sachverhalten. Einher geht dies teilweise mit der Idee der „richtigen Beschreibung“, was suggeriert, es gäbe nur eine richtige Interpretation der Daten. Diese Position vernachlässigt die Tatsache, dass Deutungen immer abhängig vom jeweiligen Standort der Betrachtenden sind. Jedes Organisationsmitglied hat seine eigene Vorstellung von der Organisation und sieht nur einen bestimmten Ausschnitt. Aus diesen Gründen ist davon auszugehen, dass Widerstand auftritt, der sich in unterschiedlicher Form äußern kann. Wesentlicher Faktor bei einer systemischen Betrachtung ist die Frage, inwieweit die jeweiligen Sichtweisen der einzelnen Organisationsmitglieder übereinstimmen und wo Unterschiede sichtbar werden. Die Deutung der in der Organisation vorhandenen Wirklichkeit erfolgt über subjektiven Theorien, also Deutungen, die individuell (oder bereichsbezogen) vorgenommen werden. Sie stehen im Mittelpunkt der Diagnose und sollen eine fundierte Ist-Analyse ermöglichen. Subjektive Hypothesen sind weniger neutrale Beschreibungen, sondern enthalten zumeist bereits Bewertungen oder Einschätzungen in Bezug auf die Ursachen für einen bestimmten Ist-Zustand zum Ausdruck, damit werden beispielsweise Erfolge oder Misserfolge erklärt und erste Lösungsansätze entwickelt. Die Analyse subjektiver Konstrukte ist insofern bedeutsam, als sich dann Lösungsmöglichkeiten und Veränderungsansätze finden lassen, wenn zuvor der Referenzrahmen, d.h. die Deutung der zugrundeliegenden Konstrukte verändert wird. Systemische Organisationsberatung will demzufolge das organisationale System und seine Mitglieder dabei unterstützen den eigenen Referenzrahmen und dessen mögliche Veränderung in den Blick zu nehmen. 4. Genderorientierte Organisationsentwicklung – ein Beispiel Im Rahmen eines Veränderungsprozesses an einer Volkshochschule wurde der Versuch unternommen Elemente des vorhandenen Qualitätsmanagementsystems LQW3 genderorientiert zu konkretisieren und zu implementieren.
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Lernerorientierte Qualitätstestierung in der Aus-, Fort- und Weiterbildung.
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Martina Hörmann „Obwohl sich zahlreiche öffentliche Organisationen mit Fragen des Qualitätsmanagements befassen und zugleich Versuche unternommen werden, den Ansatz Gender Mainstreaming umzusetzen, werden diese beiden Entwicklungsstränge kaum zusammen betrachtet. Beide Entwicklungsprozesse zielen darauf ab, eine Vorgehensweise in der Organisation zu verankern, die Mitarbeitenden zu beteiligen und zu gewinnen, sowie Impulse in der Organisation wirksam werden zu lassen. In der Realität werden jedoch sowohl Qualitätsentwicklungsprozesse als auch GenderMainstreaming-Projekte häufig als wenig lebendig, theoretisch und von oben herab verordnet wahrgenommen, entsprechend groß ist der Widerstand bzw. entsprechend gering ist die freiwillige Beteiligung an solchen Vorhaben.“ (Hörmann 2010, S. 96)
Im Projekt wurde der Qualitätsbereich „Bedarfserschließung“ 4 fokussiert, da die Angebote der VHS von Frauen und Männern unterschiedlich stark in Anspruch genommen wurden. Die Auswertung der Daten zeigte, dass die Angebote der VHS zu ca. 70 % von Frauen und zu ca. 30 % von Männern genutzt werden. Eine zentrale Ausgangsfrage lautete deshalb, inwieweit die Unterrepräsentanz von Männern auf Faktoren zurückzuführen ist, auf die die VHS Einfluss nehmen kann. Hier zeigt sich, dass ein fundiertes Verständnis über die rein quantitative Betrachtung der Daten hinausgehen muss. Würde man lediglich eine (verkürzte) genderorientierte Zielstellung ableiten, zukünftig eine hälftige Nutzung der Angebote durch Frauen und Männer anzustreben, so würde dies der Komplexität der Sachlage nicht gerecht werden. Hier galt es mehr über die Motive für Nutzung oder NichtNutzung der Angebote herauszufinden, um darauf basierend mögliche Veränderungsansätze zu entwickeln. Die partizipative Entwicklung und Erprobung der Verbindung von Gender Mainstreaming und Qualitätsmanagement am Beispiel des Qualitätsbereichs „Bedarfserschließung“ umfasste die Systematisierung, genderorientierte Analyse und Weiterentwicklung der an der VHS vorliegenden Instrumente zur Bedarfserschließung, die anschließende Erprobung einzelner Instrumente. Zudem sollten weitere Verbesserungsvorschläge und Ideen für eine gendergerechte VHS systematisch erfasst und dokumentiert werden. Die Prozessgestaltung war partizipativ angelegt, sodass eine möglichst hohe Beteiligung sowie der Einbezug unterschiedlichster Sichtweisen gewährleistet werden sollte.
Im QM-System LQW umfasst der Qualitätsbereich Bedarfserschließung „die Anwendung geeigneter Instrumente zu systematischen Marktbeobachtungen hinsichtlich der Entwicklung gesellschaftlicher Bedarfe und der individuellen Entwicklungsbedürfnisse der Adressaten. Die darauf bezogenen Programmentwicklungen müssen diese Bedarfe und Bedürfnisse zum eigenen institutionellen Auftrag in Beziehung setzen.“ 4
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Tab. 1: Die Prozessgestaltung im Überblick Elemente im Prozess Vorüberlegungen zur Eingrenzung des Themas Konkretisierung des Vorhabens mit dem Führungskreis der VHS Gendertraining mit den Führungskräften Diagnoseworkshops in den Fachbereichen Anwendungsanalyse / Genderanalyse Interviews mit Nicht-Nutzer_innen Kleingruppe zur Weiterentwicklung der Instrumente Abschlussworkshop Parallel: 5 Sitzungen der Lenkungsgruppe in einem Zeitraum von 9 Monaten Exemplarisch wird nachfolgend der Schritt Interviews mit Nicht-Nutzer_innen etwas näher beschrieben, um die konkrete Herangehensweise zu veranschaulichen. Als eine Form der vertieften Bedarfserschließung wurden Personen interviewt die bisher keine Angebote der VHS nutzen5. Dazu wurden auf der Basis von zuvor organisationsintern geäußerten Vermutungen über das Image der VHS bei den Nicht-Nutzer_innen Leitfragen entwickelt und die Einschätzung zu einigen zentralen Aspekten der Angebotsgestaltung wie Angebotspalette, Zeitstruktur, und mögliche Motive für die Nicht-Nutzung des Angebotes erhoben. ▪ Wie ist das Image der VHS bei Nicht-Kund_innen? ▪ Wie schätzen diese zentrale Aspekte der Angebotsgestaltung ein? ▪ Aus welchen Gründen bleiben Menschen den VHS-Angeboten fern? ▪ Wie veränderbar sind diese Tatbestände bzw. wie wahrscheinlich ist es diese Person als Kundin oder als Kunden zu gewinnen? ▪ Lassen sich geschlechtsspezifische Unterschiede hinsichtlich der vorgenannten Fragen insbesondere aber hinsichtlich der Motive und Bedarfe feststellen?
Dazu wurden zwölf qualitative Interviews durchgeführt. Interviewt wurden 6 Frauen und 6 Männer im Alter zwischen 30 und 49 Jahren, die in dieser Stadt wohnten und noch keinen Kurs an der städtischen VHS besucht hatten. Insgesamt besaßen 10 von 12 Befragten die deutsche Staatsbürgerschaft, sieben der Befragten hatten einen Migrationshintergrund. Der Bildungshintergrund war heterogen: Abitur (6), Mittlerer Bildungsabschluss (4), ohne Abschluss (1), ohne Angabe (1). Vertretene Berufe waren: Rechtsanwalt, IT-Consultant, Architektin, Hausfrau, Gebäudereiniger, Referendar Lehramt Sonderschulen, Friseurin, Sachbearbeiterin, Eventberaterin, arbeitslos. Ansprache und Interviewdurchführung erfolgten in der Stadtbibliothek. 5
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▪ ▪ ▪
Wie stellen sich die Befragten zur Nutzung geschlechtsspezifischer Angebote? Welche Erklärungen werden für die geringere Nutzung der VHS-Angebote durch Männer genannt? Wie ist die Akzeptanz bzw. Ablehnung der vorgelegten Thesen zur Unterrepräsentanz von Männern? Sind hier geschlechtsspezifische Unterschiede feststellbar?
Als zentrale Motive der Nicht-Nutzung der Angebote wurden genannt: der Faktor Zeit, die Zeitstruktur der Angebote, der Preis, die Professionalität, der Faktor Flexibilität/Individualität sowie personbezogene und sonstige Faktoren. Die Einschätzungen der Befragten zu den vorgelegten Thesen bezüglich der Unterrepräsentanz von Männern an der VHS waren für die Prozessbeteiligten sehr aufschlussreich. These 1 (Die Angebote sind mehr auf die Bedürfnisse von Frauen abgestimmt) und 3 (Die Befürchtung, evt. der einzige Mann in einem Kurs zu sein, hält Männer von einem Besuch der VHS ab) wurden vom Großteil der Befragten verneint. Bezogen auf die These 2 (Männer haben zu wenig Zeit für Weiterbildung) wurde als wesentlicher Faktor weniger das Geschlecht als vielmehr der Erwerbsstatus angesehen. These 4 (Männer bilden sich in anderen Institutionen weiter, nicht aber in der VHS) fand überwiegend Zustimmung. Abschließend werden nun die wesentlichen Gelingensfaktoren für die Entwicklung und Implementierung eines genderorientierten Qualitätsmanagements skizziert (vgl. dazu ausführlich Hörmann 2010). Ein wesentliches Anliegen war es das Erarbeitete nachhaltig in der Organisation, ihren Strukturen und Abläufen zu verankern, um so zu ermöglichen, dass es im Alltagshandeln der Organisation wirksam werden kann. Zentraler Faktor bei der Gestaltung des Vorhabens war eine Prozessorientierung, die die Erkenntnisse aus dem Prozess im weiteren Verlauf konsequent berücksichtigte. Dies förderte die Motivation der Beteiligten und ermöglichte so erst einen partizipativen Prozess. Die Zusammensetzung der Lenkungsgruppe war ein weiterer Faktor. Der hohe Anteil von Führungskräften in der Lenkungsgruppe hatte ein Geschlechterverhältnis von 5 Männern zu 3 Frauen zur Folge, was kontrovers diskutiert wurde, denn häufig wird eine quantitativ ausgewogene Repräsentanz beider Geschlechter als wichtiger Standard in GM-Prozessen angesehen. Wesentlich ist es die Führungskräfte oder zumindest einen Großteil von ihnen für eine aktive Beteiligung am Prozess zu gewinnen, da sie wesentliche Multiplikator_innen sind und die Glaubwürdigkeit des Projektes in hohem Maß davon abhängt, inwieweit es den
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Führungskräften gelingt, ihre Motivation und ihr Interesse für das Vorhaben glaubhaft zu kommunizieren. Entscheidend war zudem eine konsequente Nutzenorientierung, was bedeutet, sowohl für Führungskräfte als auch für Mitarbeitende den potenziellen Nutzen und Mehrwert für ihren jeweiligen Arbeitskontext herauszuarbeiten. Menschen können insbesondere dann für eine aktive Mitarbeit in Veränderungsprozessen gewonnen werden, wenn sie einen potenziellen Nutzen bzw. einen voraussichtlich positiven Effekt für ihren Arbeitsbereich erkennen können. Die Berücksichtigung der bestehenden Organisationskultur ist ebenfalls bedeutsam. Im vorliegenden Fall war die Organisationskultur geprägt durch eher wenig verbindliche Standards bei eher großem individuellem Gestaltungsspielraum. Hier galt es sorgsam zu prüfen, an welcher Stelle es notwendig ist, individuelle Freiräume zugunsten verbindlicher Standards der Gesamtorganisation oder des Fachbereichs aufzugeben. Die Anwendung von Prinzipien des Gender Mainstreaming kann nicht ausschließlich im persönlichen Ermessensbereich liegen, sondern muss in Strukturen und Abläufen konsequent verankert werden. Es kann sinnvoll sein, wenn eine Organisation externe Unterstützung hinzuzieht, die thematische Inputs gibt, immer wieder den „roten Faden“ verdeutlicht, gezielt dabei unterstützt die Potenziale in der Organisation aufzuspüren und einzubinden und den Gesamtprozess moderiert. Der Blick von außen kann zudem blinde Flecken aufdecken. Ein systemisches Verständnis von Organisationsentwicklung beinhalt aber auch die Organisation in die Lage versetzen, zusehends mehr Verantwortung für den eigenen Prozess zu übernehmen, sodass die externe Unterstützung verzichtbar wird, denn für die Nachhaltigkeit des GM-Prozesses ist es wichtig, dass die Impulse zur Reflexion und Überprüfung nicht (ausschließlich) von außen kommen. 5. Zum Verhältnis von Gender und Organisationsentwicklung Meuser (2006) hat auf die Notwendigkeit hingewiesen das spezifische Wissen um Geschlechterverhältnisse mit genderunspezifischen Wissensbeständen zu verknüpfen. Dabei wird zumeist auf Wissensbestände aus Personalführung, Management sowie kontextbezogene organisationale Besonderheiten hingewiesen (vgl. dazu exemplarisch Vollmer, 2017; Roski & Schacherl 2016). Dass es daneben Organisationsentwicklungsknowhow, Prozesskompetenz und Beratungskompetenz im Sinne einer Prozessbegleitung benötigt um genderorientierte Veränderungsprozesse in Organisationen zum Erfolg zu führen, wollte dieser Beitrag aufzeigen.
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Last but not least erscheint die teilweise im Diskurs und in der Praxis vorfindbare Verkürzung von Genderkompetenz auf Genderwissen, als rein kognitives Element in Form von Wissensbeständen problematisch. Genderkompetenz umfasst vielmehr die Ebenen „Wollen, Wissen und Können“ (Nordt & Kugler 2012, S. 10) und geht somit deutlich über die Dimension des Wissens hinaus. Erst wenn genderrelevante Wissensbestände (Gender-Wissen) auf einem spezifischen Reflexionsvermögen (Gender-Reflexivität) basieren und mit spezifischen Methodenund Prozesskompetenzen verknüpft werden, entsteht daraus eine handlungsorientierte Genderkompetenz (vgl. dazu auch Kaschuba & Hösl-Kolike 2014). Die Haltung als Prozessbegleitung beinhaltet das Gegenüber nicht belehren und auf den „richtigen“ Weg bringen zu wollen, sondern ausgehend vom Alltagsverständnis der Mitarbeitenden zu Genderthemen, das sehr biografisch geprägt sein kann, gemeinsam den genderorientierten Veränderungsprozess zu gestalten. Auch Kaschuba und Hösl-Kulike betonen den Aspekt der Verknüpfung mit dem Alltagshandeln, wenn sie Genderkompetenz konkretisieren als «Herausforderung gendertheoretische Erkenntnisse und Alltagsabläufe in Organisationen zusammenzubringen» (2014, S. 10). Literatur Hirschauer, S. (2016): Judith, Niklas und das Dritte der Geschlechterdifferenz: undoing Gender und die Post-Gender-Studies. Gender. Zeitschrift für Geschlecht, Kultur und Gesellschaft. 8 (3), S. 114-129. Hörmann, M. (2010): Organisationaler Wandel durch genderorientiertes Qualitätsmanagement – Reflexionen über den Veränderungsprozess in einer Volkshochschule. Gender – Zeitschrift für Geschlecht, Kultur und Gesellschaft, 2 (2), S. 96-104. Hörmann, M. (2002): Vom kreativen Chaos zum professionellen Management. Organisationsentwicklung in Frauenprojekten. Opladen: Leske und Budrich. Hörmann, M. & Reinbold, B. (Hrsg.) (1996): Die kleine Schwester der Frauenbewegung. Mädchenarbeit gestern, heute, morgen. Frankfurt: ISS-Eigenverlag. Höyng, S. & Lange, R. (2004): Gender Mainstreaming – ein Ansatz zur Auflösung männerbündischer Arbeits- und Organisationskultur? In: M. Meuser & C. Neusüß (Hrsg.), Gender Mainstreaming. Konzepte – Handlungsfelder – Instrumente. (S. 103–119). Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung. Kaschuba, G. & Hösl-Kulike, C. (2014): Gender-Kompetenz in Koproduktion. Gender. Zeitschrift für Geschlecht, Kultur und Gesellschaft. 6 (1), S. 9-25. Löther, A. (2009): Die Qualität von Gleichstellungsmaßnahmen. In: S. Andresen, M. Koreuber & D. Lüdke (Hrsg.), Gender und Diversity: Albtraum oder Traumpaar? Interdisziplinärer Dialog zur „Modernisierung“ von Geschlechter- und Gleichstellungspolitik. (S. 231–251). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Meuser, M. (2009): Humankapital Gender: Geschlechterpolitik zwischen Ungleichheitssemantik und ökonomischer Logik. In: S. Andresen, M. Koreuber & D. Lüdke (Hrsg.), Gender und Diversity:
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Albtraum oder Traumpaar? Interdisziplinärer Dialog zur „Modernisierung“ von Geschlechterund Gleichstellungspolitik. (S. 95–109). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Meuser, M. (2006): Gender-Management. Zur Professionalisierung von Geschlechterpolitik. In: K.-S. Rehberg (Hrsg.), Soziale Ungleichheit, kulturelle Unterschiede. Verhandlungen des 32. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in München (S. 3202–3209). Frankfurt am Main: Campus. Nordt, S. & Kugler, T. (2012): Gendersensibilität weiter gedacht: Anregungen für eine inklusive gendersensible Didaktik in der Fort- und Weiterbildung. Berlin: SFBB-Eigenverlag. Pimminger, I. (2012): Was bedeutet Geschlechtergerechtigkeit? Normative Klärung und soziologische Konkretisierung. Opladen, Berlin & Toronto: Verlag Barbara Budrich. Reinbold, B. (1996): Vom Findelkind zum Wunschkind – Gedanken zur Einleitung. In: Hörmann, M. & Reinbold, B. (Hrsg.), Die kleine Schwester der Frauenbewegung. Mädchenarbeit gestern, heute, morgen. (S. 7–9). Frankfurt: ISS-Eigenverlag. Roski, M. & Schacherl, I. (2014): Die Professionalisierung der Gleichstellungsarbeit im Reformprozess – Ausbau von Gleichstellungswissen und Genderkompetenz in Hochschulen. Gender. Zeitschrift für Geschlecht, Kultur und Gesellschaft. 6 (1), S. 44-64. Vollmer L. (2017): Gleichstellung als Profession? Gleichstellungsarbeit an Hochschulen aus professionssoziologischer Sicht. Wiesbaden: Springer VS. Wagner, D. (1996): Die AWO – (K)ein Platz für Mädchenarbeit. In: M. Hörmann & B. Reinbold (Hrsg.), Die kleine Schwester der Frauenbewegung. Mädchenarbeit gestern, heute, morgen. (S. 13–23). Frankfurt: ISS-Eigenverlag. Woodward, A. (2004): Gender Mainstreaming als Instrument zur Innovation von Institutionen. In: M. Meuser & C. Neusüß (Hrsg.), Gender Mainstreaming. Konzepte – Handlungsfelder – Instrumente. (S. 86–102). Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung.
2 Diversität und Gleichstellungsarbeit in Hochschule und Sozialwesen
Gleichstellung & Diversity in der ‚exzellenten, unternehmerischen Hochschule‘. Zur (Un-)Sichtbarkeit neuer Wissensordnungen auf visueller Ebene Ann-Kathrin Stoltenhoff
Zusammenfassung Dieser Beitrag befasst sich vor dem Hintergrund der Debatten um Diversity im Bildungswesen (Fereidooni und Zeoli 2015) mit der visuellen Darstellung von Personen auf der Internetpräsenz einer großen deutschen Hochschule, der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW). Da die DHBW eigens produzierte, großformatige Fotos zur Vermittlung ihres Hochschulprofils – i.S. eines Corporate Image – einsetzt, wurde sie gewählt, um anhand ausgewählter Bildbeispiele den diskurstheoretischen Ansatz einer Analyse von Sichtbarkeiten im Anschluss an Foucault zu illustrieren. Ausgehend von der zunehmenden, nicht unumstrittenen Bedeutung von Diversity an deutschen Hochschulen, wird gefragt, ob und wie die DHBW die neue, von Diversity1 geprägte Sicht auf Studierende und Beschäftigte, auf ihrer zentralen Homepage visuell (re-)konstruiert. Welche Körper in welchen Settings auf welche Weise gezeigt bzw. nicht gezeigt werden, veranschaulicht am Merkmal Geschlecht, dass normative Konzeptionen von Weiblichkeit, Männlichkeit und Heterosexualität auch in der ‚unternehmerischen Hochschule‘ des 21. Jahrhunderts präsent sind.
Die Diskussion um Diversity verstehe ich wie Eickhoff und Schmitt (2015) als Fortführung der „Debatten um Differenz, Gleichheit, Ungleichheit – und Emanzipation (…), die sowohl von sozialen Bewegungen als auch in Forschung und Theorie (…) geführt wurden (und werden)“ (S. 201) und priorisiere damit die „Antidiskriminierungsperspektive von Diversity“ (ebd.) vor der humanressourcenorientierten. 1
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 A. Polutta (Hrsg.), Kooperative Organisations- und Professionsentwicklung in Hochschule und Sozialwesen?, Edition Centaurus – Perspektiven Sozialer Arbeit in Theorie und Praxis, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31603-7_8
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1. Einleitung „Normer och föreställningar om kön manifesteras både i språk och handlingar, men också i artefakter och miljöer.2“ (Marcus Jahnke 2015) Bilddiskursanalysen zielen darauf ab, Bilder als Diskurselemente zu verstehen, die genauso Macht ausüben, Wissen generieren und dadurch Organisationen steuern, wie diskursiv konstruierte Wissensbestände sprachlicher Art. Visuelle Zeichen bzw. das Visuelle an sich werden dabei als wichtige kulturelle Elemente verstanden (Maasen, Mayerhauser und Renggli 2006, S. 6). Die Rolle von Diskursen in organisationalen Steuerungsprozessen ist seit einigen Jahren Gegenstand einer an Foucault orientierten Art der Organisationsforschung (z.B. Bormann et al. 2016, Hartz und Rätzer 2014, Maeße 2010). Diese geht davon aus, dass Diskurse – also bestimmte Wissens(-an-)ordnungen – Macht ausüben, insofern sie die Regeln dafür bilden, was in einem bestimmten Rahmen sichtbar und sagbar ist. Konkrete Analysen rekonstruieren die historisch-soziale Gewordenheit institutionalisierter Macht- und Herrschaftsverhältnisse (Bührmann 2014, S. 43), um diese einer (kritischen) Betrachtung zugänglich zu machen. Das empirische Material besteht meist aus Textdokumenten. Seit dem iconic turn (Boehm 1995) werden gelegentlich auch nicht-sprachliche, visuelle Zeichensysteme Gegenstand von Diskursanalysen (z.B. Maasen et al. 2006). Diese untersuchen das Verhältnis von Sicht- und Sagbarem (Renggli 2007) oder analysieren Dispositive des Sehens. Um die Bilddiskursanalyse vornehmen zu können, beschreibe ich zunächst den hochschulpolitischen Kontext. 2. Die wettbewerbsorientierte Hochschule als Chance Die deutsche Hochschullandschaft hat sich im Zuge der „Ökonomisierung der Gesellschaft“ (Schimank und Volkmann 2016, Krönig 2007), für die insbesondere die Bologna-Reform (Lehre) und die Exzellenzinitiative (Forschung) stehen, in vergleichsweise kurzer Zeit verändert (Maeße 2009, Angermuller und Maeße 2014, S. 25ff). So wurden in Deutschland ab dem Jahr 2000 u.a. Studienstrukturen „Normen und Vorstellungen von Geschlecht manifestieren sich in Sprache und Handlungen, aber auch in Artefakten und Umgebungen“ (Übersetzung a. d. Schwedischen durch die Autorin). Der Begriff „miljö“ wird im Schwedischen ähnlich wie im Deutschen in verschiedenen Kontexten verwendet: Er bezeichnet z.B. ein spezifisches soziales Umfeld ebenso wie geografische/architektonische Räume. Im Kontext der Designforschung verdeutlicht Jahnke, dass auch öffentliche Räume – z.B. Plätze, Gebäude, Bibliotheken und Schulen, aber auch virtuelle Räume wie Webseiten und mobile Anwendungen – aktiv gestaltet sind und dass in Gestaltungs- und Konstruktionsprozesse normative Vorstellungen von Gesellschaft einfließen (vgl. dazu Stoltenhoff und Raudonat 2018 sowie Mareis 2013, S. 9-21). 2
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(Einführung von Bachelor- und Masterstudiengängen) so verändert, dass sie als „Umbau im Sinne managerialer Ansätze der Hochschulsteuerung verstanden werden“ können (Angermuller und Maeße 2014, S. 26). Ein wesentliches Merkmal der neuen, auf Exzellenz zielenden Hochschule ist die Möglichkeit – und Aufforderung – Studierende ebenso wie „(…) Finanzmittel in einem intensiven Wettbewerb einwerben (…)“ zu müssen (Maeße 2010, S. 10). Im Zuge des Bologna-Reformprozesses und der Exzellenzinitiative etablieren sich neben bestehenden „professionellen Standards“ und „bürokratischen Regeln“ (Simon 2017, S. 24) neue Logiken und Anforderungen im Governancebereich. Dazu gehört die Implementierung von new-public-management-Ansätzen zur Hochschulsteuerung, die Ausweitung von Entscheidungsbefugnissen (Stichwort ‚Hochschulautonomie‘) sowie eine verstärkte Output-Orientierung. Hochschulen sollen miteinander in Wettbewerb treten, sich als exzellent profilieren‚ ‚unternehmerische Hochschule‘ werden und durch nachweisbare, in Zahlen messbare Leistungen, einen möglichst guten Platz in internationalen Rankings eines immer homogeneren, standardisierten „transnationalen Bildungsraums“ (Ioannidou 2010, S. 37) erringen. Dieser Wandel birgt sowohl Risiken als auch Chancen. Eine berechtigte Sorge ist, dass die stärkere Quantifizierung von Leistungen und zunehmende Bedeutung von Rankings, die Vielfalt hochschulinterner Praktiken und Wissensordnungen auf einige wenige Zahlen reduziert und eine wettbewerbsgetriebene Wissenschaftskultur etabliert, in der Bildung und Forschung nurmehr ökonomischen, mathematisch berechenbaren Zielen unterworfen werden. Zugleich ist der Wettbewerb Anreiz für Hochschulen, sich weiterzuentwickeln und etablierte Praktiken, Wissensbestände und dominierende Kulturen selbstkritisch zu reflektieren. Das ist eine Chance für Gleichstellung und Diversity, denn beide gelten seit einigen Jahren als Exzellenzmerkmale und Kriterien in Akkreditierungsprozessen. Das sichert ihnen (derzeit) einen gewissen Status. Auf Chancengleichheit von Männern und Frauen zielende Konzepte und Maßnahmen z.B. zur Förderung von (Nachwuchs-)Wissenschaftler_innen aus nicht akademisch geprägten Familien, werden in der neuen, ‚unternehmerischen Hochschule‘ zu einem Wettbewerbsfaktor, der diesem Bereich und seinen Akteur_innen zu mehr Anerkennung verholfen hat (vgl. Binner et al. 2013, Riegraf und Löther 2017, S. 6 sowie Dahmen 2017, S. 12). Um Chancengleichheit und Bildungsgerechtigkeit aktiv herzustellen, machen einige Hochschulen die Entwicklung und Umsetzung von Gleichstellungsbzw. Diversitykonzepten zu einem Schwerpunkt ihrer Hochschulgovernance. So auch die Duale Hochschule Baden-Württemberg, die ihre Studierenden in Kooperation mit Partnern aus Wirtschaft und Sozialwesen ausbildet (zum Studienmodell
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siehe „Wir über uns“ unter www.dhbw.de). Für die 2009 gegründete, praxisintegrierende Hochschule, ist die Förderung wissenschaftlich tätiger Frauen „zentraler Bestandteil der Hochschulgovernance“3. Indem sie Potenziale von Frauen aktiv fördert, will die DHBW einem Fachkräftemangel in Wirtschaft und Wissenschaft entgegenwirken. Gleichstellung sei ein „wesentlicher Erfolgsfaktor in der Gestaltung der Wettbewerbs- und Zukunftsfähigkeit“ der Hochschule und ihrer Dualen Partner (ebd.). Damit sich jedoch mehr qualifizierte Frauen für eine Karriere entscheiden, müssen andere Rahmenbedingungen geschaffen werden. Dazu gehört nicht nur eine optimierte Vereinbarkeit von Familie und Studium bzw. Beruf durch die Flexibilisierung von Studiengängen und Arbeitszeiten. Notwendig sind ein grundsätzliches Umdenken aller Mitglieder der Gesellschaft sowie ein Hinterfragen tradierter Rollen-, Geschlechter- und Familienbilder. Wegweisend sind dabei jene Akteur_innen, die in Institutionen und Unternehmen bestimmen, welches Wissen und welche Einstellungen eine (erfolgreiche) Berufstätigkeit exzellent ausgebildeter Frauen erschweren oder fördern. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales stellt in einer Studie zur Fachkräftesicherung bereits im Jahr 2011 fest: „Die Maßnahmen und Unterstützungsleistungen müssen durch einen Wandel im Bewusstsein der Gesellschaft begleitet werden“ (2011, S. 38). Die Gleichstellungsarbeit der DHBW will mittels verschiedener Maßnahmen zu diesem Kulturund Bewusstseinswandel beitragen.4 Eine aktuelle Möglichkeit, Gleichstellung als Hochschulaufgabe nachhaltig prominent zu verankern, ist das Professorinnenprogramm des Bundes und der Länder zur Förderung der Gleichstellung von Frauen und Männern in Wissenschaft und Forschung an deutschen Hochschulen. Durch die Teilnahme am Programm erhalten Hochschulen eine mehrjährige Anschubfinanzierung für Professuren, die sie mit erstberufenen Frauen besetzen. Die durch die Förderung frei werdenden Mittel erlauben der Hochschule die Finanzierung zusätzlicher gleichstellungsfördernder Maßnahmen. Die bestehende Gleichstellungsarbeit kann und soll dadurch intensiviert und weiterentwickelt werden. Voraussetzung ist die erfolgreiche Bewerbung der Hochschule mit einem umfangreichen Gleichstellungskonzept. Die Duale Hochschule Baden-Württemberg nahm an der zweiten An-
www.dhbw.de/de/die-dhbw/einrichtungen-service/gleichstellung-und-chancengleichheit/tabs/7052/ 4.html#gleichstellung 4 In der Diversitäts- und Intersektionalitätsforschung ist das Geschlecht nur eines von vielen Merkmalen, aufgrund derer Personen ein- oder ausgeschlossen werden können. Gleichstellungsarbeit ist daher aufgerufen, die Heterogenität von Frauen ebenso wie andere unterrepräsentierte Gruppen stärker zu berücksichtigen. Bisher ist z.B. weitgehend unklar, ob und unter welchen Umständen, TTIQ-Personen in die Zuständig von Gleichstellungsbeauftragten (u.a. in Berufungsverfahren) fallen. 3
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tragsrunde des Professorinnenprogramms II teil und erhielt durch das gut 30-seitige Gleichstellungskonzept „Mit Gleichstellung zum Erfolg“ (2014) die Förderung von zwei Regelprofessuren und einer Vorgriffsprofessur (Pressemeldung der DHBW v. 15. April 2016). Gleichstellungspolitische Ziele werden im Konzept explizit als „Beitrag für die Profilbildung der Hochschule“ bezeichnet (S. 10). Genannt werden drei Ziele: (1) „die Erhöhung des Frauenanteils auf Professuren“, (2) „die Erhöhung des Anteils weiblicher Studierender in Fächern, in denen Frauen unterrepräsentiert sind“ sowie (3) „die Weiterentwicklung und Qualifizierung der Gleichstellungsarbeit“ insgesamt (ebd., S. 12).
Unter Punkt 3 wird ein Aspekt aufgeführt, der in der hochschulischen Gleichstellungsarbeit bisher wenig Beachtung fand und erst seit Kurzem als neues, wichtiges Handlungsfeld entdeckt wird: die Öffentlichkeitsarbeit bzw. die (multi-)mediale Selbstpräsentation der Hochschule. 3. Die mediale (Un-)Sichtbarkeit von Gleichstellung & Diversity Als Folge der Einführung unternehmerischer Praktiken in Hochschulen, wird auch von diesen, eine professionelle Öffentlichkeitsarbeit erwartet.5 Das Profil der ‚exzellenten unternehmerischen Hochschule‘ spiegelt sich nicht allein in ihrem Leitbild, in Studiengängen, namhaften Professor_innen, Kennzahlen und Zielvereinbarungen wieder, sondern ganz wesentlich auch in ihrem öffentlichen Image. Durch eine mediale Präsenz, die mittels gender- und diversitätssensibler Medienkommunikation alle – auch potenziellen – Studierenden und Beschäftigten in Text und Bild repräsentiert und in geschlechtergerechter, nicht-ausschließender Form adressiert, können sich Hochschulen nach außen und innen als institutionelle Räume profilieren, in denen Vielfalt und Chancengleichheit zumindest symbolisch verwirklicht sind.6 Ob eine Hochschule als modern und zukunftsfähig, als innovativ und transformationswillig, als offen und gerecht wahrgenommen wird, ist also auch abhängig von ihrer sichtbaren Erscheinung und somit von Entscheidungen im Bereich der Hochschulkommunikation.
Das nimmt teils obskure Formen der medialen Selbstdarstellung an, wie die Bilddiskursanalyse der „Zeppelin-University“-Homepage von Maasen und Böhler (2006, S. 199ff) zeigt. 6 Die „Unmöglichkeiten der Re-/Präsentation“ (Renggli 2013, S. 253) im Kontext der kritischen Debatte um Ausstellung u. Zurschaustellung kultureller, ethnischer, körperlicher u.a. Differenzen werden hier aus Platzgründen nicht berücksichtigt. Siehe dazu z.B. Kratzmann 2003, Renggli 2013. 5
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Nachdem die mangelnde Sichtbarkeit von Frauen in der Sprache seit den 1970er Jahren kontrovers diskutiert wird, ist gendergerechte Sprache in der deutschen Hochschullandschaft weitgehend etabliert.7 Es sei ein wichtiges Zeichen, „wenn für junge Leute sichtbar gemacht wird, dass Frauen auf Professuren sind. Außerdem sollte die Sprache so sein, dass sich auch Frauen von ihr angesprochen fühlen können“ (Simon nach Kühne 2013). Was in den Debatten um eine zeitgemäße, diskriminierungsfreie Sprache kaum beachtet wird, ist die visuelle Dimension des Symbolischen, dessen Bedeutung in einer zunehmend von Bildmedien geprägten Alltagskultur nicht unterschätzt werden darf. Wie Cultural Studies und eine gendertheoretisch reflektierte Design- und Medienforschung (z.B. Brandes u. Metz-Göckel 2017, Lünenborg u. Maier 2013, Ehrnberger et al. 2012, Jahnke 2007) gezeigt haben, tragen (digitale) visuelle Medien zur (Re-)Produktion von Geschlechterrollen und Stereotypen bei; Bildmedien etablieren bestimmte ‚Sichtbarkeitsregime‘ (Rancière 2008) und auch „das Internet ist kein geschlechtsneutraler Raum. In der virtuellen Welt werden Geschlechternormen dargestellt, hinterfragt oder auch verstärkt“ (Agentur für Gleichstellung im ESF 2013, S. 2). Deshalb verwundert es, dass Hochschulen im Kontext von Gender Mainstreaming und Diversity Management bisher wenig Mühe darauf verwendet haben, ihre Medienkommunikation nicht nur sprachlich, sondern auch in Bild und Gestaltung geschlechtergerechter und diversitätssensibler zu machen. Ein wirkmächtiges visuelles Leitbild könnte zur Identifikation der Beschäftigten und Studierenden mit den genannten hochschulischen Exzellenzkriterien beitragen und helfen, die vielgestaltigen Wissensordnungen und Praktiken einer „hybriden Organisation“ (im Anschluss an Hanft et al. 2008, S. 90) symbolisch-medial zu vereinen. Ein Blick auf die Webseiten vieler deutscher Hochschulen zeigt jedoch: Hinsichtlich der visuellen Präsenz von Diversität (z.B. in Bezug auf Behinderungen oder geschlechtliche Vielfalt) besteht derzeit noch eine weitgehende symbolische Unsichtbarkeit – eine Repräsentationslücke, obwohl Ansätze für ein genderund diversitätssensibles Medien- und Webdesign vor allem im skandinavischen und US-amerikanischen Sprachraum seit längerem diskutiert werden. Hierzulande wird die Debatte oft auf Barrierefreiheit verkürzt. Seit Inkrafttreten der EU-Richtlinie „über den barrierefreien Zugang zu den Websites und mobilen Anwendungen öffentlicher Stellen“ (Amtsblatt der EU 02.12.2016), die sich an den internationalen Richtlinien für barrierefreie Webinhalte (WCAG) orientiert, sind öffentliche
Wobei Diskrepanzen zwischen der Bekenntnis dazu – z.B. im Leitbild oder Gleichstellungskonzept – und praktischer Umsetzung – z.B. in öffentlich zugänglichen Medien und (Studien-)Materialien – bestehen. 7
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Stellen verpflichtet, ihre Angebote so zu gestalten, dass sie möglichst viele Menschen nutzen können. Das geschieht z.B. durch den Einsatz Leichter Sprache, Vorleseoptionen oder verbesserte Suchfunktionen. Projekte wie ›BIK für Alle‹ sollen öffentliche Träger und Unternehmen über „die Vorteile eines barrierefreien Webs in der Öffentlichkeit (…) und über Chancen und Umsetzungsmöglichkeiten des barrierefreien Webdesigns“ informieren (Projekthomepage, Unterseite „Über BIK für Alle“, o. J.). Das öffentlich geförderte Projekt betreibt intensiv PR und könnte dafür sorgen, dass die im Dezember 2016 in Kraft getretene EU-Richtlinie das Bewusstsein dafür schärft, dass auch die (technische) Gestaltung digitaler Umgebungen gesellschaftlichen Werten wie Zugänglichkeit verpflichtet sein sollte. Ein solcher, bloß nutzungsorientierter Ansatz, berücksichtigt allerdings nicht die mediale Sichtbarkeit bestimmter Personen bzw. Gruppen. Explizit darauf richten sich z.B. die Empfehlungen des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend für „Presse- und Öffentlichkeitsarbeit im Kontext von Gender Mainstreaming“ (2005), die Handreichung des Zentrums Frau in Beruf und Technik „Gender und Design. Leitfragen“ (2006) oder die Arbeitshilfe „Internetauftritte gendersensibel gestalten“ der Agentur für Gleichstellung im ESF (2013). Publikationen deutscher Hochschulen erwähnen Bildsprache oft nur am Rande in ihren Empfehlungen zu gendergerechter Sprache.8 Betrachtet man unter den darin genannten Kriterien Fotos, Grafiken oder Videos auf Hochschulhomepages, scheinen die Empfehlungen nur gelegentlich Beachtung zu finden. Es gibt zwar visuelle Inhalte mit männlichen und weiblichen Personen, diese werden aber häufig in mehr oder weniger stereotyper Weise und in konservativen Geschlechterhierarchien dargestellt wie z.B. in den großformatigen, dominant platzierten Bildern der Slideshow auf der zentralen DHBW-Homepage www.dhbw.de (im Jahr 2018). Den Bildmittelpunkt der drei Slideshow-Motive bilden zwei nah nebeneinander platzierte Personen: zu sehen sind jeweils eine junge, schlanke, attraktive, weiße Frau und ein junger, schlanker, attraktiver, weißer Mann derselben Altersgruppe. Den zurückhaltenden Hintergrund für die paarweise inszenierten Personen bilden schmucklose, klar konturierte, in Grautönen gehaltene Innenräume. Zwei der Fotos zeigen ein stehendes Paar, das in die Kamera lächelt und die Betrachter direkt ansieht. Auf dem dritten Bild zeigt ein junger Mann einer jungen Frau durch Fingerzeig etwas auf einem Laptop, der vor ihnen steht; Im Hintergrund, rechts von dem Paar, sind zwei weitere junge Männer zu sehen: der eine hält einen Stift in der Hand und schaut in ein Buch, das aufgeschlagen vor ihm Das ist deshalb bemerkenswert, weil in Bezug auf die Sprache häufig vom ”Sichtbarmachen“ des Geschlechts die Rede ist. Z.B. in Hochschule München (2015, S. 4) oder Universität Köln (2017, S. 6ff). 8
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auf einer weißen Tischplatte liegt; der andere, der in der hintersten Tischreihe sitzt, ist nur im Anschnitt zu sehen. Das räumliche Setting legt nahe, dass es sich um einen modernen Arbeits- oder Lernort handelt, der jedoch nicht explizit als Hochschule markiert ist (es könnte sich auch um eine moderne öffentliche Bibliothek oder um den Konferenzraum eines Unternehmens handeln9). Betrachtet man die Personen genauer, so fällt auf, dass Frauen in der DHBW-Bilderwelt stets hell gekleidet sind, lange Haare haben und kleiner sind als die Männer, die neben ihnen stehen. Männer haben maximal kinnlanges Haar, tragen dunkle, oft blaue Kleidung und sind stets größer als die weibliche Person, die neben ihnen sitzt oder steht. Körperliche Behinderungen oder physische Besonderheiten sind – so vorhanden – jedenfalls nicht sichtbar. Die Bildauswahl mag plakativ erscheinen, sie findet sich jedoch in abgeschwächter Form nicht selten auf Homepages vieler deutscher Hochschulen. Auch wenn die Gezeigten nicht alle so explizit als Paare und Vertreter_innen einer heterosexuell konnotierten Geschlechtsidentität inszeniert werden, tragen Männer i.d.R. klassische Anzüge oder Hosen aus groben Stoffen und T-Shirts bzw. Hemden in gedeckten Farben. Frauen tragen öfter als Männer bunte/gemusterte und/oder figurbetonte Kleidung oder solche aus zarten, hellen Materialien. Sie werden seltener als männliche Personen als aktiv Handelnde gezeigt, die etwas erklären, zeigen, untersuchen, präsentieren. Frauen, besonders ältere (55+), kommen insgesamt seltener vor als Männer – eine Ausnahme bilden Arbeitsfelder oder Studiengänge, die traditionell Frauen zugeschrieben werden wie z.B. Gleichstellung, Vereinbarkeit von Beruf und Familie, Kultur-, Erziehungs-, Sozial- oder Gesundheitswesen. Auffallend ist überdies die (vermeintliche) Eindeutigkeit der Geschlechtsidentität: Subjekte hochschulischer Bilderwelten entsprechen größtenteils dem Konzept binärer Geschlechtszugehörigkeit, sind also entweder eindeutig weiblich oder eindeutig männlich bzw. werden so gezeigt, dass sie im Allgemeinen als eindeutig weiblich oder männlich wahrgenommen werden. Die Sichtbarkeit nicht-stereotyper Männer- und Frauenbilder ist eine Ausnahme; Queerness oder Transsexualität bleiben weitgehend unsichtbar. Gleiches gilt für Körper, die von gängigen Schönheitsidealen abweichen oder solche mit (offensichtlicher) Behinderung (zur Sichtbarkeit v. Behinderung i.d. Öffentlichkeit siehe z.B. Renggli 2007). Das führt zu dem Schluss, dass Diversität auf der Homepage der DHBW wie auch auf vielen anderen Internetseiten deutscher Hochschulen derzeit nur eingeschränkt visualisiert wird. Eine Veränderung gängiger Bildwelten ließe sich umsetzen, wenn Hochschulen im Rahmen von Gleichstellungsarbeit und Diversity 9
Die Studierenden der DHBW sind zugleich Beschäftigte eines Unternehmens, weshalb dieser Ein-
druck durchaus gewollt sein könnte.
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Management das Aufbrechen veralteter Menschen- und Rollenbilder erreichen und dies bei der Gestaltung ihrer Homepages integrieren würden. Die Duale Hochschule Baden-Württemberg, deren zentrale Homepage (noch) von großformatigen Bildern vorwiegend junger, weißer, attraktiver Menschen dominiert wird, hat in den vergangenen Jahren erste Schritte im Prozess der Realisierung einer gendergerechten, diversitätssensiblen Bildsprache unternommen. Im Rahmen der durch das Professorinnenprogramm II finanzierten MINTRole-Model-Kampagne wurden in den Jahren 2016/17 Fotos und Videos produziert, die MINT-Studentinnen, -Absolventinnen und -Professorinnen in ihrem Arbeitsumfeld mit Maschinen und Apparaturen sowie in Interaktion mit Studienbzw. Arbeitskolleg_innen zeigen.10 Die Bilder wurden so konzipiert, dass sie positive Identifikationen ermöglichen und junge Frauen zum MINT-Studium ermutigen sollen. Sie werden für Flyer, Plakate, Broschüren und Webseiten einzelner DHBW-Standorte genutzt. Im Vergleich mit den clean und kommerziell wirkenden Fotos, die derzeit die zentrale Homepage dominieren, wirken die Role-ModelBilder bodenständig und redaktionell. Sie erzählen Geschichten und könnten einen Shift hin zu mehr visueller Authentizität11 und personeller Vielfalt initiieren. Um die Möglichkeiten eines solchen Shifts zu erörtern, veranstaltete das Team der Zentralen Gleichstellungsbeauftragten12 mit dem Fotografen der Role-ModelKampagne einen Workshop, in dem Kriterien für ein gendergerechtes, diversitätssensibles Bildkonzept diskutiert wurden, das für die Medienkommunikation der gesamten Hochschule eingesetzt werden könnte. Da eine wichtige Gruppe im Prozess der Vermittlung und Verbreitung neuer Vorstellungen von Hochschule die für Öffentlichkeitsarbeit zuständige DHBW-Hochschulkommunikation ist, galt es, den Beschäftigten dieses Bereichs Gelegenheit zu geben, Genderkompetenz im Umgang mit Bildmaterialien bzw. Text-Bild-Formationen zu erwerben. Deshalb entwickelte das Gleichstellungsteam in Kooperation mit der zentralen Hochschulkommunikation eine Fortbildung, die durch das Professorinnenprogramm II finanziert wurde. Die als Workshop konzipierte Veranstaltung sollte vermitteln, dass und wie Bilder (Geschlechter-)Stereotype bzw. Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern re-/produzieren. In praktischen Übungen wurden Möglichkeiten erprobt, traditionelle Darstellungen durch gendergerechte bzw. diversitätssen-
Eine Auswahl zeigt die zentrale DHBW-Homepage unter „Frauen in MINT“. Zur Debatte um Authentizität und deren Herstellung mit künstlerisch-medialen Mitteln siehe z.B. Dauer 2013. 12 Zur Struktur der Gleichstellungsarbeit an der DHBW und ihren Standorten siehe: www.dhbw.de/de /die-dhbw/einrichtungen-service/gleichstellung-und-chancengleichheit/tabs/7052/0.html#gleichstellung. 10 11
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sible zu ersetzen, die sich ins bestehende Bildkonzept fügen. Die Arbeit mit Materialien verschiedener Hochschulen erwies sich dabei als sehr produktiv. Als Referentin für den Workshop „Zeitgemäße Medienkommunikation an der DHBW“, der im Frühjahr 2018 das erste Mal stattfand, wurde eine Wissenschaftlerin aus dem Bereich Gender Media Studies beauftragt, die neben ausgewiesener geschlechtertheoretischer und medienwissenschaftlicher Expertise über Erfahrungen in der Medienkommunikation verfügt und somit in der Lage war, den Transfer zwischen Theorie und Praxis herzustellen. Die Herausforderung einer solchen Unternehmung besteht darin, Akteur_innen aus der Gleichstellung mit Akteur_innen aus der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit nicht nur kurzfristig, sondern dauerhaft in einen produktiven, dem Prinzip Chancengleichheit verpflichteten Austausch zu bringen, um neue Wissensordnungen nachhaltig zu verankern. Geht man davon aus, dass die gleichstellungspolitischen Reformen der vergangenen Jahre und die Einführung von Diversity Managament ohnehin zu einer „Zunahme von Akteurinnen und Akteuren im Feld der Gleichstellung“ geführt haben (Dahmen 2017, S. 19), dann können Ansätze wie dieser Gleichstellungsakteur_innen ganz neue Arbeitsfelder, Mitstreiter_innen und Wirkungskreise eröffnen. Die Chance der damit einhergehenden „Umverteilung von Macht und Verantwortung“ (ebd.) liegt darin, dass Gleichstellung tatsächlich von immer mehr Mitgliedern der Hochschule ebenen- und bereichsübergreifend verstanden, befürwortet und in der täglichen Arbeit praktiziert wird (ebd.). Das Erproben innovativer Verfahren zur Realisierung von Chancengleichheit bleibt jedoch angewiesen auf die Unterstützung der Gleichstellungsbeauftragten und anderer zentraler Akteur_innen. Ohne engagierte Persönlichkeiten, die willens und in der Lage sind, neue Mittel und Wege zu erkunden, läuft Gleichstellung gerade in Zeiten des new-public-Management Gefahr, bloß verwaltet zu werden. Das Professorinnenprogramm regt dazu an, neue Wege zu mehr Chancengleichheit zu gehen. Ob diese Anregung von denjenigen, die die Durchführung des Programms verantworten, aufgenommen und auch gegen interne Widerstände verteidigt wird, hängt ab von deren Einstellung und fachlicher wie methodischer Expertise. Um die Möglichkeiten des Programms voll auszuschöpfen, bedarf es neben Kenntnissen hochschulischer Strukturen, sich stetig verändernder Rechtsgrundlagen sowie einer Affinität zu Gleichstellungsarbeit und ihren Zielen, „zunehmend genderbezogene Expertise im konkreten verwaltungsbezogenen Handeln“ (Dahmen 2017, S. 16). Letzteres fordert von Gleichstellungsakteur_innen auch die Positionierung für oder gegen eine dekonstruktivistische Perspektive: Ist das Wissen um die Gewordenheit von Geschlecht nicht Basis institutioneller
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Ein Blick aus der Gender-Perspektive: „Exklusion – die neue soziale Frage“1 Irmgard Teske
Die Gender-Perspektive einzunehmen bedeutet, Benachteiligungen zu benennen, die auf der Zuordnung zum sozialen Geschlecht beruhen2. Diese Zuordnung ist bis heute eine der prägendsten und bedeutsamsten gesellschaftlichen Unterscheidungen. So weist das Leben von Frauen und Männern in den meisten Bereichen des öffentlichen und privaten Lebens auf das soziale Geschlecht basierende Unterschiede auf, ohne dass diese bewusst sind. Somit waren und sind mit der Zuordnung zum Geschlecht immer noch Benachteiligungen verbunden – rechtliche vor allem bis vor einigen Jahren für Frauen. Martin Kronauer sieht – wie auch Robert Castel – die Gefahr des Exklusionsbegriffs darin, dass Probleme, die faktisch im Zentrum einer Gesellschaft entstehen, an den Rändern der Gesellschaft verortet werden. Es stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, inwieweit die wohlfahrtsstaatlichen Institutionen mit ihren ambivalenten Rollen zu Prozessen sozialer Exklusion beitragen und wie der Staat auf diese „Kehrseite wohlfahrtsstaatlicher Inklusion“ (Mohr, 2007, S. 21) reagiert. Damit komme ich zur ersten Grundannahme von Kronauer: 1. Der Exklusionsbegriff ist eminent politisch Mit der Verabschiedung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland wurde im Jahre 1949 in Artikel 3, Abs. 2, formuliert: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“. Es war ein langer Weg, bis gesetzlich geregelt wurde, dass das Der vorliegende Text zur Exklusions- und Genderdebatte ist eine aus Anlass der Festschrift überarbeitete Fassung eines Artikels mit dem Titel „Exklusion, die neue soziale Frage“ – betrachtet aus der Gender-Perspektive“ in: Keupp, Heiner; Rudeck, Reinhard; Schröer, Hubertus; Seckinger, Mike; Straus, Florian (Hrsg)(2011): Armut und Exklusion. Gemeindepsychologische Analysen und Gegenstrategien. DGVT-Verlag Tübingen. S. 131-144. 2 Die Autorin ist sich bewusst, dass Exklusion nach Kronauer mehrdimensional und vielseitig zu denken ist. Dabei erfassen Ausgrenzungsprozesse die Situation eines Individuums im ökonomischen, sozialen und kulturellen System. 1
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 A. Polutta (Hrsg.), Kooperative Organisations- und Professionsentwicklung in Hochschule und Sozialwesen?, Edition Centaurus – Perspektiven Sozialer Arbeit in Theorie und Praxis, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31603-7_9
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Namensrecht, das Scheidungsrecht und zum Beispiel das Recht auf Berufsausübung von Frauen tatsächlich gleiche Rechte für Männer und Frauen wurden. So wurde erst mit dem Ehegesetz von 1977 der § 1356 (BGB) abgeändert, mit dem in der Fassung von 1957 festgeschrieben war, dass Männer ihren Frauen die Berufstätigkeit untersagen konnten, wenn die Haushaltsführung nicht gewährleistet war. In der jetzt geltenden Fassung des Gesetzes ist festgeschrieben „(...) beide Ehegatten sind berechtigt, erwerbstätig zu sein“. Weitere Meilensteine auf dem Weg zur rechtlichen Gleichstellung waren das Steuerbereinigungsgesetz von 1985, mit dem steuerliche Nachteile Alleinerziehender gegenüber Ehepaaren beseitigt wurden. Die Öffnung der Bundeswehr für Frauen erfolgte 1991, zunächst nur für den Sanitäts- und Militärmusikdienst, seit 2000 nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofes, auch für den freiwilligen Dienst an der Waffe. Unter dem Stichwort: „Gleichstellung bei Arbeitslosigkeit“ sollen seit 1993 Frauen entsprechend ihrem Anteil an den Arbeitslosen an den Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik teilhaben. Im Jahre 1994 wurde der Verfassungsgrundsatz „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ durch den Zusatz „der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin“, erweitert. Seit 1997 gibt es das Gesetz gegen Gewalt in der Ehe, das Vergewaltigung in der Ehe unter Strafe stellt, und 2001 wurde aus dem „Erziehungsurlaub“ Elternzeit. Mit den Neuregelungen zur Elternzeit, die zum 01. Januar 2007 im Rahmen des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes in Kraft getreten sind, sollen verstärkt Väter in den Erziehungsalltag eingebunden werden. So können Eltern Elternzeit auch gleichzeitig nehmen und Teilzeitarbeit während der Elternzeit ist zulässig. Es stehen jedem erwerbstätigen Elternteil drei Jahre Elternzeit zu – unabhängig davon, wie der Partner die Elternzeit nimmt. Die Elternzeit kann zeitlich flexibel, d. h. bis zum 8. Lebensjahr des Kindes, genutzt werden. Mit dem Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit sollen verstärkt Väter die Chance nutzen, sich an der Erziehung ihres Kindes zu beteiligen. Mit dem Elterngeld wurde ein Instrument geschaffen, Männer – wenn auch nur für einige Monate –für die Elternzeit zu gewinnen. Mit dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG)3 vom 14. August 2006 (BGBl. I S. 1897), das zuletzt durch Artikel 8 SEPA-Begleitgesetz vom 3. April 2013 (BGBl. I S. 610) geändert wurde, sollen Benachteiligungen aus Gründen der Rasse, wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausbeutung verhindert oder beseitigt werden (Antidiskriminierungsstelle des Bundes (2018).
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Umgangssprachlich „Antidiskriminierungsgesetz“
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Welche Auswirkungen haben nun die gesetzlichen Regelungen auf den Alltag von Männern und Frauen? Welche Auswirkungen haben sie insbesondere im Hinblick auf Exklusion? – Auf der Grundlage dieser rechtlichen Voraussetzungen könnte davon ausgegangen werden, dass rechtlich keine geschlechtsbedingten Benachteiligungen vorliegen. Kronauer (2006 und 2010) weist jedoch darauf hin, dass diese Rechte an den Bürgerstatus gebunden sind, der immer noch weitgehend als Staatsbürgerstatus definiert ist und Nicht-Bürger, beispielsweise ArbeitsmigrantInnen, teilweise oder völlig ausschließt. Die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen war und ist, auch bei einer festzustellenden Neuorientierung, in diesem Sozialmodell unvollständig, da der deutsche Sozialstaat durch positive und negative institutionelle Anreize ein Familienmodell unterstützt, das den Männern die Erwerbs-, den Frauen die Familien- und Pflegearbeit nahelegt. Ein weiterer Aspekt kommt hinzu: Mit der gesetzlichen Gleichstellung wird dem/der Einzelnen mehr Eigenverantwortung zugeschrieben. Denn: jeder Einzelne hat formal das Recht auf gleichen Zugang zu Institutionen der Bildung, des Gesundheitswesens und der sozialen Sicherung und scheint somit selbst über die Gestaltung seines Lebens entscheiden zu können. Hierbei wird vernachlässigt, dass Kompetenzen und Ressourcen zur Eigenverantwortung höchst ungleich nach Schichten, Milieus und Ethnie verteilt sind (Bednarz-Braun, Heß-Meining 2004). Der Exklusionsbegriff ist somit eminent politisch, denn trotz gesetzlicher Gleichstellung bestehen nicht gleiche Lebenschancen. Dieser Aspekt wird von Martin Kronauer ergänzt durch seine zweite Grundannahme: 2. Der Exklusionsbegriff ist normativ „Normativ“ bedeutet für Kronauer in diesem Zusammenhang, dass Exklusionserfahrungen über gesellschaftliche Zuschreibungen erfolgt, die historisch nachweisbar sind. So weist er nach, dass die „gleichberechtigte Teilhabe von Frauen abhängig ist von traditionellen Familienrollen, Erwerbsbeteiligung von Frauen, die erwerbstätig sein möchten, und einer gleichberechtigten Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern“ (2006, S. 7). Historisch betrachtet, trug neben den rechtlichen Bestimmungen vor allem die Reduzierung der Frauen auf die Mutterrolle (erweitert auf die „geistige Mütterlichkeit“) als soziale Norm dazu bei, Frauen von Bildung, vom öffentlichen Leben und damit vom öffentlichen Einfluss auszugrenzen. Für Männer dagegen bedeutete sie historisch bedingte Ausgrenzung, festgelegt zu sein auf bestimmte Funktionsrollen, beispielsweise auf die Ernährerrolle, die Rolle des Gewaltinhabers in der Familie (Gerhard 1990, Schenk 1980, Schmerl 1993).
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An gesellschaftlichen, gleichstellungsrelevanten Entwicklungen sind in Deutschland seit dem Zweiten Weltkrieg4 zu konstatieren: • 1960er Jahre: Bildungsreform (Koedukation) • 1970er Jahre: neue Frauenbewegung (feministische Mädchenarbeit) • 1980er Jahre: Gleichstellungspolitik (Ausdifferenzierung der Konzepte zur Mädchenarbeit) • 1990er Jahre: postmoderne Männerbewegung (von der Frauen- zur Geschlechterforschung) • seit Beginn des 21. Jahrhunderts: Gender-Mainstreaming (Dekonstruktion des kulturellen Systems der Zweigeschlechtlichkeit), des Weiteren unter anderem Debatten um Gen- und Reproduktionstechnologien (Hoffmann, 1999) sowie um Institutionalisierung von geschlechterbezogener Ungleichheit in der familialen Pflege (Gröning, Feldmann, Rink, von Spee 2017) etc. Im historischen Rückblick wird deutlich, wie sich in den letzten 50 Jahren gesellschaftliche Rollenerwartungen - von der Mutter (im Sinne „geistiger Mutterschaft“) zur Familienmanagerin, vom Ernährer und Alleinverdiener hin zum einfühlsamen, windelwechselnden Vater - im Hinblick auf Frauen und Männer verändert haben. Diese Ent-Traditionalisierung klassischer Rollenerwartungen geht einher mit parallel existierenden und oft inkompatiblen Rollen und Lebenssituationen. Für die Familie da sein und gleichzeitig berufliche Mobilität im Hinblick auf Zeiten und Orte zu gewährleisten ist für MÄNNER UND FRAUEN schwierig bis unmöglich. Mit Blick auf geschlechtsspezifische Zeitverwendungsmuster und Zeitknappheiten wird deutlich, dass zwar die traditionellen bürgerlichen Familienkonzeptionen an den Rändern aufweichen, sich jedoch nicht grundlegend geändert haben. Die Kerntätigkeiten der Hauswirtschaft werden nach wie vor von Frauen ausgeübt (Klünder und Meier-Gräwe 2017). Mehr Mütter als Väter geben an, dass die „Vereinbarkeitserfordernisse zwischen Familie und Beruf zu Lasten ihrer persönlichen Zeit gehen und der Spielraum für Familienzeit und Erholung eingeschränkt wird“ (ebd. S. 70). In einem besonderen Masse sind Trennungsfamilien von einer familialen Zeitknappheit betroffen (Lange 2014). Die Vereinbarkeit von Beruf (meist Erwerbsarbeit) und Familie ist somit immer noch ein zentrales privates und gesellschaftliches Anliegen. Dies zeigt sich auch aus der Gender-Perspektive bei den emotional sehr intensiv geführten Debatten um die Kindertagesbetreuung. Folgende Fragen wurden und werden im Rahmen dieser Diskussion aufgeworfen: Was bedeutet eine qualitativ gute Kinderbetreuung für das Kind? Für die Eltern? Ab wann können Kinder in eine Fremdbetreuung gegeben 4
Ich beziehe mich hier auf die Situation vor 1989 in Westdeutschland.
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werden? Stichworte, die immer noch diskutiert werden, sind in diesem Zusammenhang Bindung/Mutterdeprivation und stärkere Beteiligung von gut ausgebildeten Frauen auf dem Arbeitsmarkt. Mit dieser Debatte verbinden sich jedoch auch Fragen wie: Wo sind die Männer (männliche Bezugspersonen) im Kindergarten und in der Grundschule? Wie wirkt sich Vaterdeprivation auf die Identitätsentwicklung bei Jungen aus? Warum werden Jungen häufiger in Beratungsstellen vorgestellt? Ist die Diagnose ADHS bei Jungen häufiger? Besuchen Jungen häufiger die Sonderschulen? Müssen Jungen häufiger als Mädchen eine Klasse wiederholen? Sitzen mehr Männer als Frauen in Gefängnissen eine Strafe ab? Sind Männer weitaus häufiger als Opfer und als Täter von Gewalt betroffen als Frauen? Sind Männer die Emanzipationsverlierer? Auch Verunsicherungen im Hinblick auf Lebensentwürfe tragen zur EntTraditionalisierung der Geschlechteridentität bei: Der Berufsstatus, der mit hohen Erwartungen verbunden ist, ist nur noch in seltenen Fällen sicher und langfristig, d. h., es gibt keine Planungssicherheit mehr. In der Auseinandersetzung mit diesen Fragen und vor dem Hintergrund der gemachten Ausführungen kann von einer – historisch bedingten – Ent-Traditionalisierung bei der Identitätsentwicklung ausgegangen werden. Neben der Annahme, dass in der Jugend eine Basisstruktur (vgl. Hurrelmann et al., 1989) für den weiteren Lebenslauf gebildet wird, wird immer wieder (u. a. Keupp et al. 1999 & Keupp 2000) der dynamische Aspekt der Identität als relativ offenes, aber auch nicht beliebig wechselndes Konzept der Selbst- und Umweltinterpretation verstanden, das sich in der Auseinandersetzung mit der Umwelt weiterentwickelt. Somit wird die Verarbeitung der Lebensführung sowie verschiedener Rollen und Sinnelemente zu einem Sinnganzen dem Einzelnen als permanente Eigenleistung und Konstruktionsaufgabe zugemutet (vgl. Eickelpasch und Rademacher 2004). Auch in diesem Zusammenhang also kann auf eine vom Individuum erwartete Eigenverantwortung bzw. Eigenleistung hingewiesen werden. Menschen sollen die Fähigkeit entwickeln, sich gegenüber wechselnden und gegebenenfalls inkompatiblen Rollenerwartungen und Lebenssituationen als eine Person handlungs- und interaktionsfähig zu verhalten, welche dabei – wie Habermas schreibt –, den „Forderungen nach Konsistenz noch genügen kann“ (1976, S. 95). Aus der Genderperspektive kann gezeigt werden, dass sich im Wandel befindliche normative Zuschreibungen für Frauen und Männer – ungeachtet individueller Interessen und gelebter Realitäten – zu Verunsicherungen bei der Identitätsentwicklung beitragen. Die Bewältigung dieser Aufgabe ist abhängig von individuell vorhandenen Ressourcen und Möglichkeiten. Hier gilt es herauszufinden, welche gesellschaftlichen Gruppen und Entwicklungen Normalität definieren und dadurch Exklusionstendenzen verstärken.
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Die Überlegungen zur Frage, für welche Männer und Frauen das Exklusionsrisiko in besonderem Maße zutrifft und welche gesellschaftlichen Entwicklungen Exklusionstendenzen – unter Beachtung der Gender-Perspektive – beschleunigen, verweisen auf die Relevanz der dritten Grundannahme von Martin Kronauer: 3. Der Exklusionsbegriff ist analytisch Analytisch bedeutet in diesem Zusammenhang, dass der Exklusionsbegriff Erkenntnisse über aktuelle Gefährdungen des Sozialen vermitteln soll, d.h. die gesellschaftlichen Kräfte sollen herausgefunden werden, die zu einer Gefährdung des Sozialen beitragen. Damit werden Dimensionen hinterfragt, die sowohl Männer als auch Frauen in ihren Lebenswelten betreffen. Kronauer bezieht den Ausgrenzungsbegriff vor allem auf gesellschaftliche Veränderungen in den Bereichen: Erwerbsarbeit, soziale Beziehungen und Bürgerrechte sowie Partizipation (Kronauer 2007). Anmerkungen zur Erwerbsarbeit Kronauer betont die „Marginalisierung am Arbeitsmarkt bis hin zum gänzlichen Ausschluss von Erwerbsarbeit, Einschränkung der sozialen Beziehungen bis hin zur Vereinzelung und sozialen Isolation“ (2010, S. 145). Die Situation am Arbeitsmarkt hat sich in den letzten Jahren dramatisch verändert: Es existiert eine steigende Zahl von arbeitslosen Männern und Frauen, „Normalarbeitsverhältnisse“ kommen abhanden; von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern wird örtliche und zeitliche Flexibilität erwartet. Und nie zuvor gab es so viele gut ausgebildete und hoch qualifizierte Frauen, die auf den Arbeitsmarkt drängen. Der Wandel von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft reduzierte den Umfang der Männererwerbstätigkeit, während die Zahl der weiblichen Beschäftigten kontinuierlich zunahm (Cornelißen 2005). Jedoch sind Frauen weitaus häufiger als Männer in ungeschützten Beschäftigungsverhältnissen, häufiger scheinselbständig oder arbeiten als mithelfende Familienangehörige und sie erhalten demnach auch relativ geringere Renten als Männer (Stiegler 1999). Im Vergleich zu Männern sichert das Erwerbsarbeitssystem die materielle Existenz von Frauen schlechter. Legt man die durchschnittlichen Verdienste aller Vollzeitarbeitnehmer zugrunde, gehören Frauen weitaus häufiger zu den „working poor“, also den Personen, die selbst bei voller Erwerbsarbeit das durchschnittliche Einkommen nicht erzielen. Bereits mit der Berufswahl werden häufig Weichen für spätere „Armutskarrieren“ gelegt, denn die Art der Berufswahl hat Auswirkungen
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auf Beschäftigungsmöglichkeiten, Verdienst, berufliches Fortkommen und auf das gesellschaftliche Ansehen. Mädchen und Frauen begreifen ihre Berufstätigkeit oft als „Zuverdienst“ und sind eher bereit, ihren Beruf zugunsten der Familienarbeit einzuschränken, zu unterbrechen oder sogar ganz aufzugeben – mit entsprechenden Folgen für ihre Altersversorgung bzw. ihre Einkommensmöglichkeiten, wenn die Partnerschaft scheitern sollte. Gleichzeitig erhalten sie hierdurch die „Alleinkompetenz“ für Haushalt, Beziehungspflege und Kindererziehung, ohne dass dies aber ihr gesellschaftliches Ansehen steigern würde (Stürzer 2005, S. 51). Frauen verdienen im Laufe ihres Lebens nur 42% dessen, was Männer verdienen (Deutscher Bundestag 2001, 2017 steigerte es sich auf 50%), Frauen arbeiten dort, wo die Gehälter niedrig sind! Frauen sind seltener in gehobenen Positionen zu finden. Das geschlechtsspezifische Lohngefälle liegt zwischen 21 und 23% (Hinz & Gartner 2005; Statistisches Bundesamt 2006) und Frauen stellen 57% der Niedriglohn- und über 70% der Armutslohnbezieher dar (Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik 2006; Statistisches Bundesamt 2006). Ein Blick in die Statistiken zeigt, dass sich die genannten Daten in den letzten Jahren nicht wesentlich veränderten. Beispielhaft hierfür steht die Lohnentwicklung: so verdienten 2017 Frauen durchschnittlich immer noch 21 % weniger als Männer. Im Ost-West-Vergleich fällt auf, dass der Entgeldunterschied zwischen Männern und Frauen in den neuen Bundesländern mit 7 % deutlich geringer ausfällt (Statistisches Bundesamt 2018). Auch bei der Gestaltung von arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen erhalten Frauen mit unterbrochenen Erwerbsbiographien i.d.R. keine qualitativ hochwertige und quantitativ ausreichende Möglichkeiten zur Betreuung und Pflege von Familienangehörigen, damit ihnen der Schritt von unbezahlter, abhängiger Familienarbeit hin zu existenzsichernder Erwerbsarbeit erleichtert wird (Worschech 2012). In der beruflichen Bildung gehen junge Frauen und Männer unterschiedliche Wege, denn obwohl es in Deutschland ca. 400 Ausbildungsberufe gibt, entscheiden sich die meisten Mädchen gerade mal zwischen zehn Berufen, insbesondere Bürokauffrau, Kauffrau im Einzelhandel, Arzthelferin, Friseurin und Krankenschwester. Jungen wählen viel selbstverständlicher unter einem breiteren Berufsspektrum aus, bevorzugen aber gewerblich-technische Berufe (Stürzer 2005). Der Männeranteil in der Altenpflegeausbildung liegt bei nur 18%, bei der Kinderpflege gar bei nur 5%. Im Bereich der betrieblichen Ausbildung werden junge Frauen häufiger in Dienstleistungsberufen und junge Männer häufiger in industriellen Fertigungsberufen ausgebildet. Auch an den Universitäten erfolgt die Studienwahl geschlechtsspezifisch. 2014 war die Hälfte der Studienanfänger Frauen. Nach wie vor bevorzugen sie Fächer wie Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissen-
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schaften, Sprache- und Kulturwissenschaften, Humanmedizin und Gesundheitswissenschaften sowie Kunst und Kunstwissenschaften, während junge Männer eher naturwissenschaftliche und technische Fächer wählen (Bundeszentrale für politische Bildung 2016). Die Anteile von Frauen in den höheren Stadien der akademischen Laufbahn sind immer noch vergleichsweise gering, so steigerte sich zwar der Anteil der Promovendinnen von 38 % im Studienjahr 2003/2004 auf 45,5 % im Jahr 2014, der Anteil der besetzten Professuren stiegt von 13 % (2004) auf 22 % (2014) (Cornelißen 2005; Bundeszentrale für politische Bildung 2016). Lag der Anteil von Frauen bei den Vorständen von Großkonzernen und auf den oberen Führungsebenen 2005 noch bei ca. 5 % (Dressel 2005), so soll vor allem das 2015 vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und dem Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz gemeinsam auf den Weg gebrachte Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst den Anteil von Frauen in Führungsgremien von Wirtschaft und Verwaltung erhöhen. Seit 2016 gilt für Aufsichtsräte von Unternehmen, die börsennotiert sind, eine Geschlechterquote von 30 %. Wenn bis Ende 2017 in den Vorständen deutscher börsennotierter Konzerne mit 50 Frauen nur sieben mehr als im Vorjahr sitzen, wird es bei diesem Tempo bis zum Jahr 2038 dauern, bis ein Drittel der Top-Posten mit Managerinnen besetzt ist (Spiegel online 09.01.2018). Und zu guter Letzt: Während erwerbstätige Frauen bundesweit am häufigsten an Weiterbildungen teilnehmen, wenn sie keine Kinder haben, steigt die Beteiligung an Weiterbildungen bei Männern mit der Kinderzahl (Cornelißen, 2005). Aus der Genderperspektive kann also festgehalten werden: Eine Analyse der Kategorie „Erwerbsarbeit“ verdeutlicht, dass die Dimension Geschlecht auch heute noch in den Bereichen Berufswahl, Entlohnung und Sorgearbeit wirkt. Anmerkungen zur Lebensform Familie Die traditionelle Frauenrolle ist sehr instabil geworden, das Hausfrauenmodell findet kaum noch Anklang. Es sind aber auch widersprüchliche Eigen- und Fremderwartungen zu registrieren. Und: Es zeigen sich unterschiedliche Optionen bei Frauen, abhängig von Alter, Bildungsabschluss und Kinderzahl. Das Alter zwischen 35 und 44 Jahren ist die familienintensivste Phase in Deutschland. Etwas mehr als jede zweite Person in dieser Altersgruppe lebt in einer traditionellen Familienform (verheiratet mit mindestens einem Kind). Wird der Familienstand beachtet, so haben in diesem Alter gut 10% mehr, nämlich 67% familiale Verpflichtungen, d.h.: das Zusammenleben von Eltern und Kind(ern) ist trotz der Zunahme anderer Lebensformen zwischen dem 35. und 45. Lebensjahr für Erwachsene die
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dominierende Lebensform. Der Anteil der Frauen, die in diesem mittleren Lebensalter mit mindestens einem Kind zusammenleben, liegt um 16% über dem der Männer. Bei der ausländischen Bevölkerung ist dieser Anteil noch ausgeprägter (Corneließen 2005). Die Zuständigkeit für die Kinderbetreuung liegt meist bei den Müttern! An dieser Stelle sei auf das Phänomen des „mismatching“ verwiesen: Viele Frauen, die nach einer Familienphase wieder Interesse an einer Vollzeitstelle haben, finden sie nicht, während andere über eine volle Stelle verfügen und lieber in Teilzeit arbeiten würden (ebd.). Neben der Kinderbetreuung liegt die Pflege von Familienangehörigen in den meisten Fällen in weiblichen Händen (zu 73%). Viele zunächst erwerbstätige Pflegepersonen geben dafür ihren Beruf auf oder schränken ihre Erwerbsarbeit ein. Dies macht deutlich, dass die Pflege von Angehörigen mit Erwerbsarbeit schwer vereinbar ist (ebd.). Aber auch ein Anstieg der Scheidungsrate ist festzustellen – fast jede dritte Ehe wird geschieden. Meist beantragen Frauen die Scheidung. Mit einer Trennung sinkt der Lebensstandard der Geschiedenen, wobei Männer mit einer Scheidung oft auch die Haushaltsgemeinschaft mit ihren Kindern riskieren, Frauen dagegen deutlich stärkere finanzielle Einschränkungen als Männer hinnehmen müssen. Ein neues Phänomen der Ausgrenzung habe ich bei der Beschäftigung mit dem demografischen Wandel und den Diskussionen um eine Erhöhung der Kinderzahlen ausgemacht, nämlich den Rechtfertigungsdruck, dem Männer und Frauen unterliegen, die sich bewusst gegen Kinder entscheiden. Das berührt eines der heute zentralen Probleme im Leben von Frauen: den Druck, eine Entscheidung für oder gegen ein Kind zu treffen. Nie waren Frauen in Deutschland so gut ausgebildet wie heute. Ihnen steht der Zugang zu allen Bereichen des Lebens offen. Dennoch kommen ganz wenige Frauen „ganz oben an“. Immer wieder sehen sie sich in den Konflikt gedrängt, zwischen Partnerbindung, Familiengründung und beruflicher Karriere wählen zu müssen und im Grunde mit keiner dieser Entscheidungen eine „richtige“ Entscheidung treffen zu können. So begegnet die unverheiratete, allein lebende Frau dem Vorwurf, für die Karriere alles zu opfern, nicht weiblich genug zu sein; die verheiratete kinderlose Frau wird mit dem Vorwurf konfrontiert, aus purem Egoismus keine Kinder zu bekommen, die verheiratete Frau, die um ihrer Kinder willen nicht erwerbstätig ist, wird allzu oft als „Muttchen“ missachtet und die berufstätige Mutter mit Kindern wird in Deutschland noch immer als „Rabenmutter“ geächtet (Käßmann 2007). Anmerkungen zur Mobilität Frauen und Männer sind unterschiedlich mobil: Öffentliche Verkehrsmittel werden in erster Linie von Frauen genutzt, Frauen gehen auch häufiger zu Fuß als
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Männer und sind mehr mit kleinen Kindern unterwegs. Auch fühlen sie sich häufiger als Männer bei der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel in ihrer Sicherheit gefährdet. Frauen verfügen für den alltäglichen Gebrauch wesentlich seltener über ein Auto als Männer. Gleichzeitig tragen sie aufgrund der immer noch vorherrschenden geschlechtsspezifischen Rollenverteilung die Hauptverantwortung für die Koordinierung alltäglicher familiärer Angelegenheiten. Männer verkehren in der Regel hauptsächlich zwischen Arbeitsplatz und Wohnung, während Frauen vielerlei verschiedene Ziele ansteuern: Kindergarten, Schule, Geschäfte, Arztpraxen, Freizeiteinrichtungen, Wohnung und ggf. den eigenen Arbeitsplatz. Daraus ergeben sich geschlechtsspezifisch unterschiedliche Bedürfnisse und Anforderungen, z. B. an das Angebot des öffentlichen Nahverkehrs (Spitzner o. J.). Arbeitslose und arme Frauen sind es, die stärker als Erwerbstätige und gut Verdienende auf den Sozialraum ihres Wohnquartiers eingeschränkt und somit auch stärker von den Ressourcen des Quartiers abhängig sind. Diese Fakten betont auch Kronauer (2007), indem er auf die zentrale Rolle von Ressourcen, Umfang und Zusammensetzung sozialer Netze, institutionell verfügbaren Teilhabemöglichkeiten vor Ort sowie die Bedeutung von Wohnqualität und Wohnumfeld hinweist. Anmerkungen zu Bürgerrechten und Partizipation Das 2017 gewählte Parlament hat mehr Abgeordnete als in der Vergangenheit, der Frauenanteil ist mit knapp 31 % dabei so gering wie seit 1998 nicht mehr. Im Parlament werden über 50 % der weiblichen Wahlberechtigten von weniger als ein Drittel Parlamentarierinnen vertreten. Ein Grund wird im Abschneiden von FDP und AfD gesehen, da beide Parteien einen unterdurchschnittlichen Anteil an Parlamentarierinnen aufweisen (Bukov und Vos 2018). Eine Analyse auf Landesebene zeigt eine Spannbreite bei weiblichen Abgeordneten von 41 % in Thüringen bis hin zu 25 % in Baden-Württemberg (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2017). In allen Bevölkerungsgruppen ist ein Anstieg des freiwilligen Engagements zu beobachten, der Anstieg ist jedoch unterschiedlich stark. Frauen haben ihr freiwilliges Engagement zwischen 1999 und 2014 deutlicher ausgeweitet als Männer, somit nähern sich die Geschlechter im freiwilligen Engagement etwas an. Waren es Anfang 2000 noch 39 % Männer und 32 % Frauen, die sich engagierten, so waren dies 2014 41,5 % Frauen und 45,7 % Männer (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2016). Frauen engagieren sich mehr im sozialen Bereich – mit Nähe zur familialen Arbeit – Männer eher in Bereichen mit männlich geprägten Strukturen, Verfahren und Themenschwerpunkten, dies sind vor allem sportliche, politische bzw. politiknahe Felder. Interessant ist, dass sich
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auch heute noch Mädchen während der Schulzeit häufiger als Jungen engagieren (Picot 2001; Gensicke 2004 und Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 2016). Es kann vermutet werden, dass eine größere Distanz von Frauen gegenüber politischem Engagement in den (meist) traditionell männlich geprägten Strukturen und Verfahren zu finden ist. Zwar ist es in den letzten 30 Jahren selbstverständlicher geworden, dass Deutschland eine Bundeskanzlerin hat und Frauen vereinzelt Spitzenpositionen in politischen Ämtern einnehmen, dennoch werden nach wie vor zukunftsweisende Strukturen und Entscheidungen meist ohne bzw. mit einer geringen Beteiligung von Frauen geschaffen und getroffen. Aus der Gender-Perspektive ist festzuhalten, dass die relativ geringe Beteiligung von Frauen an politischen Entscheidungsprozessen (Frauen als Akteurinnen) auf ein Demokratiedefizit hinweist. Wenn Frauen in unserer Gesellschaft Veränderungen bewirken wollen, sollen sie ihr Recht auf Mitgestaltung auch öffentlich vertreten und wahrnehmen können. Wenn Teilhabe eine zentrale Dimension in Kronauers Konzept der Exklusion darstellt, müssen Strukturen analysiert werden, die eine gleiche Verteilung von gesellschaftlicher, politischer Macht verhindern bzw. begünstigen. 4. Ausblick und Fazit Martin Kronauers Grundannahme, der Exklusionsbegriff sei eminent politisch, normativ und analytisch, bestätigt sich auch aus der Genderperspektive. Dieser Begriff ist von zentraler Bedeutung, wenn es um die Erforschung sozialer Differenzen und Prozesse geht. Kronauer betont in diesem Zusammenhang, auch wenn Exklusion sich mit dem Thema Armut und Ausgrenzung auseinandersetzt, so „… zwingt der Exklusionsbegriff zugleich dazu, darüber hinaus zu gehen. Exklusion und Ausgrenzung sind bereits dem Wortsinn nach ebenso sehr Prozess- wie Zustandskategorien“ (Kronauer 2006). Es kann nachgewiesen werden, dass eine differente Verteilung von knappen gesellschaftlichen Gütern und Positionen sowohl zwischen den Geschlechtern als auch zwischen arm und reich, ein elementares Strukturmerkmal aller Gesellschaften, unabhängig von der rechtlichen Festschreibung der Gleichheit, ist. Daraus folgt, dass auch bei bestehender Rechtsgleichheit innerhalb eines Systems die geringe Ausstattung an gesellschaftlichen Gütern und eine niedrige Positionierung des Individuums dem System und nicht dem / der Einzelnen als persönliches Versagen unterstellt werden kann. Somit kann konstatiert werden, auch wenn die Kategorie Geschlecht sich auf fast alle gesellschaftlichen Bereiche auswirkt, darf das Merkmal Geschlecht
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nicht zum alleinigen und zentralen Merkmal von Interventionen gegen Ausgrenzung gemacht werden. Denn: eine „Dramatisierung von Geschlecht“ übersieht Gemeinsamkeiten zwischen den Geschlechtern sowie individuelle Ausprägungen bedingt durch Milieu und Ethnie (vgl. Faulstich-Wieland, 2007, S. 11). Vielmehr gilt es, den Blick auf Akteure und Bedingungen zu lenken, die ausgrenzen. Der Ausgrenzungsbegriff erweist sich somit als eine Kategorie von zentraler Bedeutung, da er auf das Verständnis grundlegender Veränderungen zielt, in denen sich die hoch entwickelten kapitalistischen Gesellschaften Europas und Nordamerikas gegenwärtig befinden (Giddens 1997). Nach der Auseinandersetzung mit dem Exklusionsbegriff lautet mein Fazit als Gemeindepsychologin und langjährige Gleichstellungsbeauftragte: In Organisationen müssen Exklusionsprozesse, beispielsweise in den Kategorien Geschlecht, soziale und kulturell-nationale Herkunft sowie körperliche Verfasstheit, erkannt und verhindert werden. Eigene Denk- und Handlungsmuster sowie zentrale Muster der Organisation, die Exklusionsprozesse befördern, müssen reflektiert und analysiert werden, damit ein gemeinsames Verständnis für die Notwendigkeit eines Wandels entwickelt wird. Silvia Staub-Bernasconi spricht von einem „normativen Rahmen für die Analyse, Bewertung und Bearbeitung sozialer Probleme“ (2012, S. 274ff). Empowerment-Prozesse und Partizipation sollen ermöglicht werden und damit Inklusionsprozesse für MÄNNER UND FRAUEN Lebenssouveränität und den „aufrechten Gang“ (Keupp 1998, S. 35) zulassen. Literatur Antidiskriminierungsstelle des Bundes (2018): Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG). 11. Aufl. Berlin. Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik (2006): Memorandum 2006: Mehr Beschäftigung braucht eine andere Verteilung. Kurzfassung. Verfügbar unter: http://www.memo.uni-bremen.de/docs/memo06-kurz.pdf. Zugriff: Mai 2007. Bednarz-Braun, I. & Heß-Meining, U. (2004): Migration, Ethnie und Geschlecht. Theorieansätze – Forschungsstand – Forschungsperspektiven. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Bukow, Sebastian & Voß, Fabian (2018): Frauen in der Politik: Der weite Weg zur geschlechtergerechten Repräsentation. Heinrich Böll Stiftung. Verfügbar unter: https://www.boell.de/de/2018/03/02/frauen-der-politik-der-weite-weg-zur-geschlechtergerechten-repraesentation, Zugriff: 23.07.2018. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2007): Wege zur Gleichstellung heute und morgen. Sozialwissenschaftliche Untersuchung vor dem Hintergrund der Sinus-Milieus. Berlin: Publikationsversand der Bundesregierung. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2016): Freiwilliges Engagement in Deutschland. Zusammenfassung zentraler Ergebnisse des Freiwilligensurveys, Berlin.
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Irmgard Teske
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Ein Blick aus der Gender-Perspektive: „Exklusion – die neue soziale Frage“
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Mediative Gleichstellungsarbeit an der Dualen Hochschule Beate Sieger-Hanus
1. Einleitung Mit der Umwandlung der in Baden-Württemberg verteilten Berufsakademien in die Duale Hochschule Baden-Württemberg (DHBW) und der Aufnahme dieser mit damals ca. 25.000 (inzwischen ca. 34.000) Studierenden großen und durch die Kooperation mit dualen Partnern besonderen Hochschulorganisation in das Landeshochschulgesetz Baden-Württemberg im Jahre 2009 haben die bis zu diesem Zeitpunkt eher rudimentären und nur regional an einzelnen Standorten vorhandenen Ansätze einer Gleichstellungsarbeit schlagartig Bedeutung erlangt. Die Koordination von einzelnen Aktivitäten und die Entwicklung einer gemeinsamen Strategie zur Gleichstellung wurde ab diesem Zeitpunkt sukzessive insbesondere durch die Ernennung einer zentralen Gleichstellungsbeauftragten und die Bildung einer Gleichstellungskommission auf den Weg gebracht. Nachfolgend sollen zunächst die rechtlichen Rahmenbedingungen, in denen sich die Gleichstellungsarbeit an deutschen Hochschulen bewegt, dargelegt sowie strategische Handlungsfelder aufgezeigt werden. Anschließend wird die Entwicklung der Gleichstellungsarbeit an der DHBW auszugsweise und in ihrem konflikthaften Kontext dargestellt, um abschließend die Idee, Mediation als unterstützenden Ansatz einzubringen, vorzustellen. 2. Rechtliche Grundlagen und Strategien der Gleichstellungsarbeit an Hochschulen Gleichstellungsarbeit als notwendige Aufgabe an und von Hochschulen ergibt sich als gesetzlich verankerter Auftrag aus den gegenwärtig vorzufindenden Geschlechterverhältnissen auf allen Ebenen des Hochschulbetriebes. Das Fundament dafür bildet das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland (GG) von 1949, in dem mit Artikel 3 die Benachteiligung aufgrund des Geschlechts untersagt und zugleich der Staat zur aktiven Förderung der Gleichberechtigung von Frauen und © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 A. Polutta (Hrsg.), Kooperative Organisations- und Professionsentwicklung in Hochschule und Sozialwesen?, Edition Centaurus – Perspektiven Sozialer Arbeit in Theorie und Praxis, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31603-7_10
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Beate Sieger-Hanus
Männern bis zur tatsächlichen Durchsetzung verpflichtet wird (Artikel 3 II, III GG). Mit dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) existiert seit 2006 eine bundesweit geltende gesetzliche Regelung, die das im Grundgesetz angelegte Benachteiligungsverbot1 mit Fokus auf die Arbeitswelt und das allgemeine Geschäftsleben konkretisiert (vgl. Blome et al. 2013, S. 99). Während das GG die Gleichstellungsarbeit verbindlich vorgibt, ohne dabei Durchführungshinweise zu liefern, lassen sich aus dem AGG Vorgaben zur Umsetzung für Hochschulen ableiten, wobei sich diese auf ihre Funktion als arbeitgebende Institutionen beziehen. So zählen die Ergreifung von Maßnahmen zum Schutz vor Benachteiligung, die Information des Personals über Rechte und Pflichten, die Einrichtung einer Beschwerdestelle und die Umsetzung von personalrechtlichen Instrumenten (wie z.B. Abmahnungen, Unterbindungen, Kündigungen) im Diskriminierungsfall zu den Pflichten von Hochschulen gemäß AGG (Antidiskriminierungsstelle des Bundes [ADS] 2013, S. 130). Studierende fallen nur dann in den Zuständigkeitsbereich des AGG, wenn sie im Rahmen eines zivilrechtlichen Vertrags an privaten Hochschulen studieren oder für sie im jeweiligen Landeshochschulgesetz (LHG) die Geltung des AGG verankert ist (vgl. Blome et al. 2013, S. 100). Die konkrete Ausgestaltung der Gleichstellungsarbeit an den Hochschulen ergibt sich im Wesentlichen durch Regelungen auf Landes- und Einrichtungsebene, resultierend aus der Kulturhoheit der Länder (Art. 30 GG). Hier sind neben den LHG die Landesgleichstellungsgesetze (LGG) zu nennen, die das Bundesgleichstellungsgesetz (BGleiG) auf Länderebene abbilden (Blome et al. 2013, S. 101). Sie legen analog zum AGG den Fokus auf Hochschulen als Arbeitgeberinnen, wobei explizit der Bezug zum öffentlichen Dienst hergestellt wird. LHG und LGG bestimmen die organisationale Einbindung, personelle Besetzung und Handlungsspielräume der Instanzen in der Gleichstellungsarbeit. Jedoch befinden sich die LHG aufgrund von Dezentralisierungsbestrebungen und zur Förderung der Autonomie von Hochschulen in einem dynamischen Prozess der Umgestaltung, infolgedessen gleichstellungsrelevante Regelungsgegenstände in den Hoheitsbereich der Hochschulen selbst verlagert werden. Dort werden sie in den Grundordnungen (GO) aufgegriffen, die wiederum durch hochschul- und bereichsinterne Rahmenpläne, Richtlinien und Leitfäden ergänzt werden (vgl. Blome et al. 2013, S. 101ff.). Sowohl das GG als auch das AGG beziehen sich bei dem Benachteiligungsverbot nicht allein auf das Merkmal des Geschlechts, sondern ebenso auf die Merkmale Abstammung, Rasse, Sprache, Heimat und Herkunft, Glauben, religiöse oder politische Anschauungen, Behinderung (GG und AGG) sowie das Alter und die sexuelle Identität (AGG). 1
Mediative Gleichstellungsarbeit an der Dualen Hochschule
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Dem auf Bundesebene angesiedelten Hochschulrahmengesetz (HRG) kommt eine richtungsweisende Funktion für die Gleichstellungsarbeit zu. Es bekräftigt den Gleichstellungsauftrag aus dem GG als Aufgabe der Hochschulen, die im Rahmen der staatlichen Finanzierung zu berücksichtigen ist und regelmäßig hinsichtlich des Gleichstellungsziels bewertet werden soll (§3, §5, §6 HRG). Auch im Kontext von Prüfungsverfahren und Personalauswahl festigt das HRG den Gleichstellungsauftrag (§16, §42 HRG). Mit dem Verweis auf die Finanzierung offenbart sich ein Spannungsfeld, in dem sich die Gleichstellungsarbeit an Hochschulen bewegt. Denn der Anteil der für diese Aufgabe anzusetzenden Haushaltsmittel ist nicht gesetzlich vorgegeben, sondern wird durch die Hochschulen selbst in den Grundordnungen festgelegt. Damit muss die Gleichstellungsarbeit hochschulintern unter anderem mit dem Bereich „der Verbesserung von Forschung und Lehre“ (Blome et al. 2013, S. 104) konkurrieren. Die Novellierungsbestrebungen um die LHG zeigen, dass die Gleichstellungsarbeit sich in einem dynamischen Feld bewegt und gesellschaftlichen wie strukturellen Veränderungsprozessen Rechnung tragen muss. Daher sind die Ausrichtung und das Verständnis kontinuierlich zu hinterfragen, weil sowohl die Ziele als auch die Strategien zur Zielerreichung unterschiedlich interpretiert und formuliert werden können. Bereits das übergeordnete Ziel, die Gleichstellung, bietet Interpretationsspielraum. Zu kurz greift dabei im heutigen Kontext eine rein quantitative Auslegung, nach der Gleichstellung bereits erreicht wäre, wenn Frauen und Männer sich in bislang mit Frauen unterbesetzen Bereichen in einer 50:50-Relation gegenüberstehen. Vielmehr muss in diesem Zusammenhang auch in Frage gestellt werden, welche Frauen in einer solchen Relation Berücksichtigung finden und welche Arbeitsbedingungen sich ihnen bieten würden, z.B. hinsichtlich der Vereinbarkeit von Familie und Beruf (vgl. Blome et al. 2013, S. 116ff.). Neben der machtkritischen Sichtweise, die auf den „Abbau bestehender Dominanzverhältnisse und Benachteiligungen“ (Blome et al. 2013, S. 118) abzielt, rückt vermehrt die ökonomische Perspektive in den Vordergrund, die „Gleichstellung als Wettbewerbsvorteil und als Qualitätsmerkmal“ (Blome et al. 2013, S. 96) betont. Nur eine umfassende Analyse der jeweils vorgefundenen Ausgangssituation an einer Hochschule ermöglicht eine erfolgsversprechende Positionierung der Gleichstellungsarbeit und Ableitung geeigneter Maßnahmen, die aufgrund der Vielzahl und Bandbreite an Gründen für die bestehenden Geschlechterverhältnisse konsequenterweise zumeist in einer mehrdimensionalen Strategie und entsprechenden Maßnahmenpaketen anzusiedeln sind (vgl. Blome et al. 2013, S. 118ff.). Hinsichtlich der Ausrichtung der Gleichstellungsarbeit kann es also nur hoch-
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Beate Sieger-Hanus
schulindividuelle Ansätze geben. Dennoch lassen sich sechs übergeordnete Handlungsfelder identifizieren, in denen sich diese gegenwärtig bewegen (vgl. Blome et al. 2013, S. 120) und denen verschiedene Programme sowie Instrumente zugeordnet werden können, wie in Tabelle 1 dargestellt. Tab. 1: Zentrale Handlungsfelder, Programme und Instrumente der Gleichstellungsarbeit an Hochschulen Handlungsfeld Programme bzw. Instrumente Strukturveränderung
Sensibilisierung
• • • • • • • •
Work-Life-Balance
• •
Frauenförderung
• •
Forschung zu Gleichstellung und Gender Professionalisierung der gleichstellungspolitischen Arbeit
• • • • • • • • •
Appelle Steuerungs- und Anreizsysteme Wettbewerbe & Auditierungsverfahren Gleichstellungspläne Quotierungsregelungen Statistiken, Gleichstellungsmonitoring und -controlling Zielgruppenbezogene Fort- und Weiterbildung, Genderund Diversity-Trainings Verankerung von Gender- und Diversity-Aspekten in der Lehre Abbau von Stereotypen Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Studium bzw. Erwerbs- und Privatleben Dual Career-Programme Angebote zur Steigerung des Frauenanteils in MINT-Fächern Monoedukative Studienangebote Mentoring, Coaching Informationsforen zur wissenschaftlichen Qualifikation Stipendien Strukturierte Promotionsprogramme Lehraufträge, Gastprofessuren Queer Studies, Frauen-, Geschlechter- und kritische Männlichkeitsforschung, Gender und Diversity Studies Weiterbildung und Kollegiale Beratung von Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten Entwicklung von Lösungsansätzen zum Umgang mit Rollenkonflikten sowie Widerständen und Abwehr gegen Gleichstellung
Quelle: in Anlehnung an Blome et al. 2013, S. 120, 187ff.
Mediative Gleichstellungsarbeit an der Dualen Hochschule
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Die DHBW hat von Beginn an versucht, Gleichstellung deutlich als Bestandteil der Hochschul-Governance zu positionieren und (ausgehend vom Handlungsfeld „Strukturveränderung“ aus Tab.1) in allen Handlungsfeldern möglichst gleichzeitig anzusetzen. Entwicklungslinien und Konfliktpotentiale dieses Weges werden im folgenden Abschnitt schwerpunktmäßig aus der Sicht der DHBW Stuttgart als dem ersten und (mit derzeit über 8.000 Studierenden) größten Standort der DHBW (mit weiteren Standorten in Mannheim, Karlsruhe, Mosbach, Ravensburg, Villingen-Schwenningen, Heidenheim, Lörrach und Heilbronn) ausschnittweise nachgezeichnet. 3. Entwicklungslinien und Konfliktpotentiale der Gleichstellungsarbeit an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg Sich auf das LHG Baden-Württemberg berufend wird an der DHBW seit 2009 von Gleichstellungsbeauftragten, die sich dieser hochschulpolitischen Funktion im wissenschaftlichen Bereich als Professorinnen zunächst zusätzlich und ganz nebenbei angenommen haben, sowohl dezentral an den einzelnen, im Land verteilten 9 DHBW Standorten (örtliche/ dezentrale Ebene der Studienakademien) sowie seit 2012 auch zentral für die DHBW insgesamt (zentrale Ebene des Präsidiums) eine angemessene Ausstattung für die Gleichstellungsarbeit eingefordert. Die Entwicklung eines ambitionierten Gleichstellungsplans als Bestandteil des Struktur- und Entwicklungsplans der DHBW bietet dafür eine wesentliche Voraussetzung, dem zunächst nur durch individuelle Verhandlungen mit örtlichen Rektoraten erste kleine Deputatsentlastungen für örtliche Gleichstellungsbeauftragte folgen. Der Wunsch einzelner örtlicher Rektorate von Studienakademien, sich als „familiengerechte Hochschule“ zertifizieren zu lassen und auch Bemühungen zur Vernetzung mit anderen Hochschulen, z.B. über das von der Universität Stuttgart initiierte „Dual Career Solutions“-Netzwerk (und damit das Handlungsfeld „WorkLife-Balance“ in Tab.1), bringen einen ersten ernstzunehmenden Schub für die Ausstattung der Gleichstellungsarbeit. Pioniermäßig wird in diesem Kontext 2011 das erste dezentrale Gleichstellungsbüro mit einer Personalstelle an der DHBW Stuttgart eingerichtet, schon bevor auf Präsidiumsebene der DHBW (und später auch am zweitgrößten DHBW-Standort Mannheim) erste Ressourcen bereitgestellt werden. Die dann 2013 geschaffene Position der zentralen Gleichstellungsbeauftragten (ZGB) mit einer (zunächst halben, seit 2015 vollen) Referatsstelle für Gleichstellungsfragen im Präsidium und die institutionelle Einbindung der ZGB
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Beate Sieger-Hanus
in die Prozesse der Personalentwicklung, des Controlling und Qualitätsmanagement der dualen Hochschule im zentralen Vorstandsgremium für Gleichstellungsangelegenheiten macht die standortübergreifende Koordination der Gleichstellungsarbeit möglich – dies letztlich auch in Verbindung mit der Etablierung einer Gleichstellungskommission und der standortübergreifenden Steuerungsgruppe zum Audit „familiengerechte Hochschule“. Die Entwicklung eines Gleichstellungskonzepts für die DHBW insgesamt schafft im Jahre 2014 die Basis für den Zugang zu zusätzlichen Ressourcen im Rahmen des Professorinnen-Programms II des Bundes und der Länder. Das Bewusstsein, dass nur über eine gewisse MindestAusstattung überhaupt erst die Möglichkeiten für eine kontinuierliche Gleichstellungsarbeit und die Bearbeitung aller (in Tab.1 aufgezeigten) Handlungsfelder innerhalb der besonderen Hochschulorganisation DHBW geschaffen werden können, ist erst sukzessiv über intensive, einen „langen Atem“ benötigende Verhandlungen der (zentralen und dezentralen) Gleichstellungsbeauftragten mit den wechselnden Köpfen in der (zentralen und dezentralen) Hochschulleitung gewachsen. Welche Konfliktpotentiale und Widerstände die Gleichstellungsarbeit an der DHBW zu überwinden vermag, soll exemplarisch anhand des Versuchs der Sensibilisierung der Mitglieder der DHBW Stuttgart für eine geschlechtergerechte Sprache aufgezeigt werden (Handlungsfeld „Sensibilisierung“ in Tab.1): 2012 entwickelt das Gleichstellungsbüro einen kurzen Leitfaden für eine gendergerechte Sprache, der mit einem entsprechenden Anschreiben des örtlichen Rektors – jedoch ohne Hinweis auf Verbindlichkeit – am Hochschulstandort kursiert und sowohl von den Professorinnen und Professoren als auch von der Belegschaft überwiegend belächelt und zunächst kaum umgesetzt wird. Nach Überarbeitung des eher fordernden Charakters des Leitfades zu einer „Handreichung für die sprachliche Gleichbehandlung von Männern und Frauen“, Verankerung geschlechtergerechter Sprache im Corporate Design der DHBW Stuttgart mit Konzentration auf die Außendarstellung sowie durch den expliziten Hinweis auf den modernen Sprachgebrauch und das Vorgehen der Bundesbehörden, wurde die Neuauflage von der Zustimmung und Unterstützung der örtlichen Hochschulleitung getragen. Vor dem Hintergrund, dass die Handreichung doch auch vermehrt den Studierenden als Orientierung beim Verfassen wissenschaftlicher Arbeiten zur Verfügung gestellt werden soll, wurde in 2017 ein Beschluss des Örtlichen Senats erwirkt, geschlechtergerechte Sprache beim Verfassen wissenschaftlicher Texte in den Richtlinien zum wissenschaftlichen Arbeiten der einzelnen Studiengänge aller Fakultäten zu verankern und damit verbindlich zu machen. Die DHBW Stuttgart ist damit eine der wenigen Hochschulen, die einen derartigen Beschluss vorweisen
Mediative Gleichstellungsarbeit an der Dualen Hochschule
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kann. Auf dieser Basis wird ein Kooperationsprojekt mit der Gleichstellungsbeauftragten der Universität Stuttgart angestrebt, ein bereits vorhandenes E-Learning-Tool am Sprachenzentrum der Universität zur gendergerechten Sprache zu überarbeiten und zusammen mit einer Seminarreihe zu „Neuerungen im wissenschaftlichen Arbeiten“ die geschlechtergerechte Sprache den Multiplikatoren an der DHBW und an der Universität zu vermitteln. Auch wenn sich durchaus ein paar Widerstände v.a. in der Professorenschaft regen, deren Angehörige eigentlich als Vorbilder in Bezug auf eine zeitgemäße Wissenschaftssprache fungieren sollen, zeigt sich in den einzelnen Studiengängen und -zentren doch inzwischen eine zunehmend breitere Zustimmung und echtes Bemühen um eine gendergerechte Sprache in allen Bereichen des DHBW Standortes Stuttgart. Bis dieser regional getroffene Beschluss jedoch auch auf die DHBW insgesamt, das Präsidium und die anderen 8 Standorte im Land Baden-Württemberg Wirkungskraft entfaltet, ist es noch ein langer Weg, der über die Organisationsentwicklung im Zuge eines hierarchischen Austarierens der Handlungs- und Entscheidungskompetenzen zwischen den dezentralen Studienakademien und dem zentralen Präsidium der „jungen“ dualen Hochschule erst gefunden werden muss. Eine weitere große Herausforderung für die Gleichstellungsarbeit stellt das Audit „familiengerechte Hochschule“ dar, vor allem wenn dieses als Chance für eine kompakte Organisationsentwicklung genutzt werden soll, um über Zielvereinbarungen Verbesserungen für Beschäftigte und Studierende mit Familienpflichten zu erreichen. Hier zeigt sich nochmals deutlich die Abhängigkeit von der Akzeptanz der (dezentralen und zentralen) Führungsebene der dualen Hochschule in Bezug auf die Anerkennung der Vielfalt an Lebenslagen bei den Beschäftigten und bei den Studierenden. Als wesentlicher Kern einer Strategie für eine familiengerechte DHBW kristallisiert sich nach zahlreichen Verhandlungen und Befragungen aller Statusgruppen v.a. der Auf- und Ausbau eines Beratungsangebots als erste Anlaufstelle (Clearing-Stelle) für Studierende und Beschäftigte heraus. Für die Etablierung einer festen Beratungsstelle an den einzelnen DHBW Standorten ist in diesem Kontext auch die Konzentration auf Beratungsleistungen aus diversen durch das Gesetz vorgegebenen Aufgaben wie AGG-Beschwerdestelle oder Ansprechpersonen bei sexueller Belästigung förderlich. Da seit einiger Zeit Hochschulen zur Etablierung von Diversity-Maßnahmen gedrängt werden, bietet es sich zudem an, Beratung – unter dem Verständnis von individueller Vielfalt – als diversitätssensible Beratung auszurichten. Die Clearing-Stelle kann sich daher von einer allgemeinen, neutralen Beratungsstelle, bei der z.B. eine Einzelfallberatung zu Fragen der Kinder- bzw. Pflegebetreuung gut aufgehoben ist, zunehmend zu einer Konfliktanlaufstelle weiterentwickeln, welche die richtigen Maßnahmen für
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schwierige Situationen auswählt, passende Ansprechpersonen z.B. für ein individuelles Coaching oder auch eine Mediation zur interessensbasierten Konfliktbearbeitung und Entscheidungsfindung vermitteln kann. Vor dem Hintergrund, dass Mediation einen zunehmenden Stellenwert auch in der Hochschullandschaft erhält (siehe z.B. Hochmuth 2014), soll im folgenden Abschnitt überlegt werden, wie eine mediative Haltung das Selbstverständnis der Gleichstellungsbeauftragten bereichern und wie das Thema Mediation die Gleichstellungsarbeit an der DHBW erfolgreich und zukunftsorientiert weiterentwickeln könnte. 4. Mediative Arbeitsweise zur Gleichstellung an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg Der Begriff der Mediation, abgeleitet aus dem Lateinischen „mediatio“ (Vermittlung) bzw. „medius“ (in der Mitte stehend), ist Ausdruck für vermittelndes Dazwischentreten. Schon seit Jahrhunderten haben Mediatoren und Mediatorinnen in vielen Kulturen bei Konflikten unter Menschen vermittelt und sich um Ausgleich, Versöhnung und Frieden bemüht. So wurde in Europa z.B. Alvise Contarini durch seine erfolgreiche Vermittlungstätigkeit im Zusammenhang mit dem Westfälischen Frieden 1648 namentlich als Mediator erwähnt (vgl. Dickmann 1998, S. 82ff.). Heute gilt Mediation als „freiwilliges, strukturiertes Verfahren der Konfliktbearbeitung und Entscheidungsfindung, in dem die Parteien mithilfe eines oder mehrerer unparteilicher Dritter ohne Entscheidungsbefugnis (Mediator/en) regelungsbedürftige Themen eigenverantwortlich einer konsensualen, interessensbasierten Lösung zuführen“ (Gläßer et al. 2014, S. 14). In den einzelnen Phasen der Mediation (siehe hierzu z.B. Faller & Faller 2014, S. 125ff. oder Schäfer 2017, S. 26ff.) werden unterschiedliche Instrumente eingesetzt, die auf verschiedenen theoretisch fundierten und praktisch erprobten Ansätzen beruhen. Die mediative Arbeitsweise basiert dabei zum einen auf dem Ansatz des kooperativen, sachgerechten Verhandelns, Harvard Konzept nach Fischer (vgl. Fischer et al. 2013), demzufolge Sach- und Beziehungsprobleme in einer effektiven Form des Verhandelns nicht vermischt werden sollen. Zum anderen gilt der Transformationsansatz nach Bush & Folger (2009) als wesentliche Grundlage einer mediativen Arbeitsweise. Demzufolge sollen die Parteien (ggf. mit Unterstützung eines Mediators/ einer Mediatorin) einerseits befähigt werden, ihre eigenen Konflikte selbstverantwortlich zu regeln (Empowerment) und andererseits sollen sie lernen, sich der je-
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weils anderen Seite zu öffnen und die Situation bzw. Einstellung der anderen Partei nachzuvollziehen und zu akzeptieren (Recognition) (vgl. hierzu genauer z.B. Fechler 2014, S. 30ff.). Eine mediativ bearbeitete Lösung basiert dabei auf den Sach- und Beziehungsinteressen bzw. den damit verknüpften emotionalen Bedürfnissen der Beteiligten, zu denen v.a. Anerkennung und Respekt gehören, aber auch das Gerechtigkeitsempfinden, dem in der Mediation auch ohne Rechtsprechung besondere Beachtung geschenkt wird (vgl. Kerntke 2009, S. 64). Die Art und Weise der Kommunikation im Verhandlungsprozess zwischen Parteien spielt dabei eine entscheidende Rolle für die Auflösung von Konflikten. Die Leistungsfähigkeit einer Organisationskultur wird daher wesentlich durch ihre Kommunikationskultur bestimmt. Dazu gehört, dass die Menschen, die in der Organisation arbeiten, positiven Werten folgen, sich gegenseitig Wertschätzung und Anerkennung geben und grundsätzlich (persönlich und organisational) Weiterentwicklung einräumen. Das bedeutet auch, dass die Organisationsmitglieder in ihren Rollen mit einer empathischen Grundhaltung dazu beitragen, ihre Beziehungen zufriedenstellend und fair zu gestalten. Für jede Gleichstellungsbeauftragte ist es wichtig, das persönliche Verständnis des komplexen und umkämpften Aufgabengebiets zu reflektieren, und Grenzen des Handelns durch strukturelle Vorgaben oder durch individuelle Begebenheiten auszuloten, auch um mögliche Diskrepanzen zwischen eigenen Überzeugungen und Erfordernissen der Amtsausübung zu erkennen und diesen proaktiv und professionell zu begegnen (vgl. Blome et al 2013, S. 122f.). Je nach politischem Selbstverständnis finden sich Gleichstellungsbeauftragte an der DHBW mehr oder weniger gleichzeitig in sehr verschiedenen spannungsreichen Rollen wieder: Als Lobbyistinnen verstehen sie sich als Interessensvertreterinnen für Frauen, die in wissenschaftlichen Bereichen unterrepräsentiert sind, als Beraterinnen unterstützen sie die Hochschulleitung innerhalb der patriarchalen Hochschulstrukturen, die es zu verändern gilt, und als Managerinnen koordinieren, gestalten und profilieren sie das hochschulpolitische Feld der Gleichstellung im Sinne von Gender Mainstreaming und Diversity Management (vgl. Blome et al 2013, S. 122). Die konfliktreiche Gleichstellungsarbeit im Zusammenhang mit der Organisationsentwicklung der DHBW zukunftsorientiert auszurichten, kann dabei über eine mediative Arbeitsweise und Grundhaltung vermittelt werden. Dieser Ansatz kann erfolgversprechend sein, wenn sich Gleichstellungsbeauftragte mehr als Beraterinnen und Koordinatorinnen für Gender Mainstreaming und Diversity Management verstehen und in diesem Kontext die Rolle der in spannungsreichen Situationen Vermittelnden für die an der Hochschule tätigen Entscheidungspersonen
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und -gremien einnehmen, da letztlich alle gemeinsam dem grundgesetzlichen Auftrag zur Förderung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern bis zur tatsächlichen Durchsetzung verpflichtet sind. Kooperatives, sachgerechtes Verhandeln mit einer empathischen Grundhaltung (Recognition) scheint auch im Kontext der zu treffenden gleichstellungspolitisch relevanten Entscheidungen, wie die Sensibilisierung für eine gendergerechte Sprache oder das Audit „familiengerechte Hochschule“ an der DHBW Stuttgart beispielhaft gezeigt haben, durchaus wirkungsvoll. Wird die Gleichstellungsarbeit wie Mediation als Konfliktbehandlungsintervention verstanden, kann die Gleichstellungsbeauftragte je nach empfundener Eskalationsstufe (vgl. hierzu Glasl 2013, S. 235ff.) überwiegend als Moderatorin oder als Conciliatorin, ggf. auch mal als Mediatorin handeln. Unbedingt auch für die DHBW notwendige Maßnahmen zur Kompetenzentwicklung für Gender Mainstreaming und Diversity (Empowerment) lassen sich auch vor dem Hintergrund einer mediativen Arbeitsweise zur Gleichstellung womöglich leichter etablieren. Literatur ADS (Hrsg.) (2013): Diskriminierung im Bildungsbereich und im Arbeitsleben. Zweiter Gemeinsamer Bericht der Antidiskriminierungsstelle des Bundes und der in ihrem Zuständigkeitsbereich betroffenen Beauftragten der Bundesregierung und des Deutschen Bundestages. Verfügbar unter: http://www.antidiskriminierungsstelle.de/SharedDocs/Downloads/DE/publikationen/BT_Bericht/Gemeinsamer_Bericht_zweiter_2013.pdf?__blob=publicationFile. Zugriff: 14.07.2018. Blome, E., Erfmeier, A., Gülcher, N. & Smykalla, S. (2013): Handbuch zur Gleichstellungspolitik an Hochschulen. Von der Frauenförderung zum Diversity Management? 2. Aufl., Wiesbaden: Springer VS. Bush, R.A.B. & Folger, J.P. (2009): Konflikt – Mediation und Transformation. Weinheim: WileyVCH. Dickmann, F. (1998): Der Westfälische Frieden. 7. Aufl., Münster: Aschendorff Verlag. Faller, D. & Faller, F. (2014): Innerbetriebliche Wirtschaftsmediation. Strategien und Methoden für eine bessere Kommunikation. Frankfurt a. M.: Wolfgang Metzner Verlag. Fisher, R., Ury, W. & Patton, B. (2013): Das Harvard-Konzept. 24. Aufl. Frankfurt a.M.: Campus. Glasl, F. (2013): Konfliktmanagement. Ein Handbuch für Führungskräfte, Beraterinnen und Berater. 11. Aufl., Stuttgart: Freies Geistesleben. Gläßer, U., Kirchhoff, L. & Wendenburg, F. (2014): Konfliktmanagement in der Wirtschaft: Bestandsaufnahme und Entwicklungen. In: U. Gläßer, L. Kirchhoff & F. Wendenburg (Hrsg.), Konfliktmanagement in der Wirtschaft. Ansätze, Modell, Systeme (S. 13-37). Baden-Baden: Nomos Verlag. Hochmuth, C. (2014): Eine Analyse des Konfliktumfeldes Hochschule. Das Hochschulwesen. Forum für Hochschulforschung, -praxis und -politik (HSW), 2014 (3), S. 93-101. Kerntke, W. (2009): Mediation als Organisationsentwicklung. Mit Konflikten arbeiten. Ein Leitfaden für Führungskräfte. Bern: Haupt Verlag. Schäfer, C.D. (2017): Einführung in die Mediation. Ein Leitfaden für die gelingende Konfliktbearbeitung. Wiesbaden: Springer VS.
Gleichstellungsherausforderung Schülerinnen-Recruiting im MINT Bereich – der Schülerinnen-Infotag „Erlebe Technik“ als Best-Practice-Beispiel Anke Gärtner-Niemann, Ann-Kathrin Stoltenhoff, Gudrun Reichert
1. Kontext Zurzeit ist in Deutschland mehr als die Hälfte aller Abiturient_innen weiblich. Betrachtet man alle derzeit in Baden-Württemberg eingeschriebenen Studierenden, so beträgt der Frauenanteil rund 48 Prozent; an der Dualen Hochschule BadenWürttemberg (DHBW) liegt er insgesamt immerhin bei 43 Prozent. Ein gänzlich anderes Bild zeigt sich in den Ingenieurswissenschaften und den Informatikstudiengängen: Bezogen auf alle Bildungseinrichtungen beträgt der Frauenanteil an den Studierenden hier in Baden-Württemberg weniger als 23 Prozent, an der DHBW sogar nur knapp 21 Prozent (Statistisches Jahrbuch 2017). Besonders wenige Frauen studieren an der DHBW Elektrotechnik, Mechatronik und Maschinenbau, während Bauingenieur- und Wirtschaftsingenieurwesen die bei Frauen etwas beliebteren technischen Studiengänge sind. Junge Frauen sind im Alltag genauso für digitale Medien zu begeistern wie junge Männer und nutzen Notebook, Tablet und Smartphone ähnlich intensiv; bei ihrer Berufswahl scheuen sie dennoch auch den Studiengang Informatik. Diese asymmetrische Verteilung ist nicht nur deshalb zu bedauern, weil sich für Absolventinnen der genannten Studiengänge vielfach bessere Karriereund Einkommenschancen ergeben als in den traditionell von Frauen bevorzugten „typisch weiblichen“ Berufsfeldern, beispielsweise in den Geisteswissenschaften oder im Gesundheits- und Sozialwesen. Angesichts der fortschreitenden Digitalisierung und der sich dadurch abzeichnenden enormen Herausforderungen und gesellschaftlichen Umwälzungen erscheint es auch äußerst bedenklich, dass nur wenige Frauen sich dafür entscheiden, die digitale Zukunft mitzugestalten. Die Erhöhung des Frauenanteils in den MINT-Studiengängen ist daher ein wichtiger Baustein im Gleichstellungskonzept der DHBW. Doch nicht nur aus gleichstellungspolitischen Gründen verfolgt die DBHW dieses Ziel. Die DHBW © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 A. Polutta (Hrsg.), Kooperative Organisations- und Professionsentwicklung in Hochschule und Sozialwesen?, Edition Centaurus – Perspektiven Sozialer Arbeit in Theorie und Praxis, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31603-7_11
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hat in Kooperation mit ihren Dualen Partnern die Aufgabe übernommen, den Wirtschaftsstandort Deutschland durch die Ausbildung exzellenter Fachkräfte zu sichern und weiterzuentwickeln. Auch wenn derzeit noch nicht von einem allgemeinen Fachkräftemangel gesprochen werden kann, prognostizieren zahlreihe Studien seit mehreren Jahren einen solchen Mangel gerade für Branchen im naturwissenschaftlichen und (informations-)technischen Bereich (beispielhaft Dietz 2009 und Lempp 2014). Viele Duale Partnerunternehmen der DHBW haben ihren Sitz in eher ländlich geprägten Regionen Baden-Württembergs, darunter befinden sich zahlreiche mittelständische Unternehmen, von denen einige als sog. Hidden Champions in ihrer Branche sogar Weltmarktführer sind. Auf die von diesen Unternehmen angebotenen Studienplätze – häufig in innovativen technischen Bereichen – bewerben sich schon heute zu wenige ausreichend qualifizierte junge Menschen beiderlei Geschlechts, so dass einige dieser Studienplätze nicht besetzt werden können. Auch um dieser Tendenz entgegenwirken zu können, ist es für die Dualen Partnerunternehmen und die DHBW insgesamt wichtig, vermehrt die Potenziale von jungen Frauen für die genannten Studien- und Berufsfelder zu erschließen. Die Ursachen für die geringe Zahl der MINT-Studentinnen sind nicht auf eine fehlende Begabung der jungen Frauen zurückzuführen. Ein Grund ist vielmehr, dass nur wenige Schülerinnen in ihrem persönlichen Umfeld jemals einer Ingenieurin oder Informatikerin begegnet sind; auch in den Medien – beispielsweise in den bei Mädchen und jungen Frauen beliebten Serien – üben Frauen meistens „typisch weibliche“ Berufe aus, sodass sich vorhandene Vorurteile und Stereotype eher verfestigen als dass sie abgebaut würden. Bei der Studienwahl spielen aber weibliche Rollenvorbilder („Role Models“) eine bedeutende Rolle. Als ein weiteres Hemmnis erweist sich das nicht der Realität entsprechende Image des Ingenieurberufs. Hier können Informationen über den Arbeitsalltag helfen, falsche Vorstellungen und Vorurteile gegenüber diesen Berufsfeldern abzubauen. Durch Erfahrungsberichte kann eventuell bestehenden Ängsten und Bedenken entgegengewirkt werden. Wenn Schülerinnen sich intensiver mit Technik und deren Einsatz beschäftigen, erkennen sie auch deren gesellschaftlichen Nutzen, was für sie die Attraktivität dieser Berufsfelder erhöht (Bargel 2007 und Steuer 2015). Zusammengefasst gesagt: Der persönliche Kontakt mit Technik und Vorbildern aus den MINT-Bereichen kann Mädchen und jungen Frauen zeigen, dass ein entsprechendes Studium für sie machbar ist und interessante und attraktive Berufsmöglichkeiten eröffnet.
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Aus diesen Gründen erprobt die Duale Hochschule Baden-Württemberg derzeit verschiedene Maßnahmen des Schülerinnen-Recruitings. Dazu zählen Veranstaltungen wie der im Folgenden detailliert evaluierte Infotag, die über Inhalt und Organisation dualer MINT-Studiengänge informieren. Die positive Bewertung der Veranstaltung durch die Teilnehmerinnen resultiert aus der durchdachten Konzeption, die allen gleichstellungsfördernden Maßnahmen zugrunde liegt. Wichtige Ergebnisse der Evaluation beziehen sich auf den Entscheidungsprozess für ein technisches Studium, die Begeisterung für persönliche Begegnungen mit Studentinnen und Absolventinnen sowie die Kommunikationswege der Angebote. 2. Evaluation der beiden Schülerinnen-Infotage „Erlebe Technik“ Zusammen mit mehreren Dualen Partnern hat die DHBW bereits zwei Schülerinnen-Infotage zum Schwerpunkt Technik durchgeführt, die auf dem gleichen Konzept basierten. Interne Beteiligte waren die Zentrale Gleichstellungsbeauftragte (ZGB), die zentrale Hochschulkommunikation sowie der Studiengang Wirtschaftsingenieurwesen des Standorts Stuttgart. Die Infotage richteten sich explizit an Schülerinnen mit dem Ziel, mehr Frauen für einen technischen Studiengang zu begeistern bzw. zu einem technischen Studium zu ermutigen. Um dies zu erreichen, wurde der Tag jeweils so konzipiert, dass den Teilnehmerinnen neben inhaltlichen und organisatorischen Informationen zum Studium auch übergeordnetes Fachwissen und praxisbezogenes Anwendungswissen vermittelt wurde. Die Schülerinnen konnten in vielfältigen praktischen Aufgaben und technischen Versuchen ihre Problemlösungskompetenz unter Beweis stellen und damit einen positiven und durchaus auch emotionalen Zugang zur Technik erhalten. Dieser Aspekt wurde auch im Motto „Erlebe Technik!“ zum Ausdruck gebracht. Außerdem bestand die Möglichkeit zur persönlichen Begegnung mit Studentinnen, Absolventinnen und Lehrenden verschiedener technischer Studiengänge, um individuelle Fragen im Gespräch zu erörtern. Den Teilnehmerinnen wurde überdies Gelegenheit gegeben, sich direkt bei potenziellen Arbeitgebern über Studien- und Karrieremöglichkeiten zu informieren. Besonders die beiden letztgenannten Angebote wurden von fast allen Teilnehmerinnen als positiv wahrgenommen, was aus der im Folgenden dargestellten ausführlichen Evaluation deutlich hervorgeht. Im April 2016 fand der erste Schülerinnen-Infotag für 44 Teilnehmerinnen im Ausbildungszentrum der Dr. Ing. h.c. Ferdinand Porsche AG in Kooperation
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mit den drei weiteren Dualen Partnern ElringKlinger AG, Erbe Elektromedizin GmbH und Klaus Raiser GmbH & Co. KG statt. Ein Jahr später, im April 2017, wurde das Veranstaltungskonzept in kleinerem Rahmen im Schulungs- und Ausbildungszentrum des Dualen Partners Festo AG & Co. KG umgesetzt. Weitere Kooperationspartner waren diesmal die Festool Group, die Würth Elektronik eiSos GmbH & Co. KG und die Lorch Schweißtechnik GmbH. Es nahmen 12 Schülerinnen teil. 3. Ergebnisse der Befragungen Die Ergebnisse der Evaluationen, die jeweils mittels eines zweiseitigen Fragebogen erhoben und ausgewertet wurden, werden im Folgenden dargestellt. Dabei liegt der Fokus auf dem ersten Schülerinnen-Infotag, an dem 44 Schülerinnen teilgenommen haben. Die Rücklaufquote der Fragebogen lag bei 100 Prozent. In wichtigen Punkten werden die Ergebnisse der zweiten Veranstaltung gegenüber gestellt. Auch hier haben alle 12 Teilnehmerinnen den Fragebogen ausgefüllt. 3.1 Informationsquelle Um zukünftige Aktionen dieser Art erfolgreich zu kommunizieren, war es wichtig zu erfahren, wie und durch wen das Interesse an der Veranstaltung geweckt wurde, bzw. wie die Teilnehmerinnen von ihr Kenntnis erhalten haben. Bei der Betrachtung des Evaluationsergebnisses der ersten Veranstaltung überrascht zunächst, dass ein Großteil der Teilnehmerinnen (63,7 Prozent) den Freundes- bzw. Bekanntenkreis oder Lehrkräfte als Quelle angeben, wobei es interessant wäre zu erfahren, über welche Wege diese Personen von der Veranstaltung erfahren haben und was sie dazu bewogen hat, sie weiterzuempfehlen. Zählt man diejenigen Teilnehmerinnen hinzu, die unter „Sonstiges“ weitere Personen als Quelle angeben, dann erhöht sich die absolute Zahl derjenigen, deren Interesse durch persönliche Kontakte geweckt wurde, auf 35. Das entspricht 79,5 Prozent. Klassische Maßnahmen der Medienkommunikation mittels Materialien wie Flyer und Plakate wurden demgegenüber vergleichsweise selten genannt (13,6 Prozent). Bei denjenigen, die das Internet als Quelle angeben (11,4 Prozent), ist aufgrund der Fragestellung nicht nachvollziehbar, um welche Art von Quelle es sich dabei handelt (Blog, Social Media-Plattform, Presseportal, Homepage oder anderes) und ob diese Quelle ein DHBW-Angebot ist (Homepage/Facebook-Seite).
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Betrachtet man die gleiche Frage im Fragenbogen der zweiten Veranstaltung, ergibt sich ein ähnliches Bild, aus dem sogar noch signifikanter als bei der ersten Veranstaltung die persönlichen Kontakte als Informationsquelle hervorgehen. 42 Prozent der Teilnehmerinnen wurden von Lehrkräften auf die Veranstaltung hingewiesen, 33 Prozent bekamen die Information von Freundinnen, Freunden oder Bekannten. Mit 25 Prozent spielten beim zweiten Schülerinnen-Infotag auch die Eltern als Hinweisgeber eine größere Rolle. Dies könnte damit zusammenhängen, dass in den kooperierenden Partnerfirmen die Veranstaltung intensiv unter den Angestellten kommuniziert wurde, um deren Töchter zu erreichen. Es ist allerdings anzumerken, dass bei der geringen Grundgesamtheit von 12 Teilnehmerinnen mit Prozentangaben vorsichtig umzugehen ist. Das bereits in der ersten Evaluationsrunde sichtbare Phänomen zeichnete sich auch hier ab: Die klassische Werbung mit Flyern und Plakaten hat nur einen geringen Anteil (17 Prozent) an der Motivation zur Teilnahme, das Internet liegt bei 8 Prozent. Beide Befragungen ergaben die wichtige Rolle der Lehrkräfte als Multiplikatorinnen und Multiplikatoren. Ein Ansatz für die künftige Kommunikation der DHBW-Angebote für Schülerinnen ist die Platzierung der Information in Medien, die von Lehrkräften regelmäßig genutzt werden, sowie die direkte Ansprache von Lehrerinnen und Lehrern in Partnerschulen. Die Kommunikationsstrategie könnte durch Kooperationen mit MINT-Förderprojekten im schulischen Bereich unterstützt werden. 3.2 Interesse für Technik Aufschlussreich sind auch die Ergebnisse der Frage nach dem Interesse für ein technisches Studium vor dem Besuch des Infotages. Hier ist besonders die Verknüpfung mit der Beurteilung der Informationsveranstaltung durch die Teilnehmerinnen im zweiten Abschnitt des Fragebogens interessant, insbesondere die Auswertung des Statements „Es konnte mein Interesse für die Technik / für ein Technik-Studium geweckt bzw. vergrößert werden“. So können wir erfahren, welche Wirkung die jeweilige Veranstaltung auf Personen mit unterschiedlich ausgeprägtem Vor-Interesse hat. Betrachten wir den ersten Infotag, ist zunächst festzuhalten, dass bei 70,5 Prozent aller 44 Teilnehmerinnen (31 Personen) bereits großes oder sehr großes Interesse an einem technischen Studium vorhanden war. Bei 90,3 Prozent dieser Teilgruppe konnte die Veranstaltung das Interesse sogar vergrößern. Das ist inso-
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fern positiv, als offenbar die Vorstellungen der bereits Interessierten mit dem übereinstimmten, was sie im Rahmen der Veranstaltung über technische Studiengänge erfahren haben. Bei immerhin 38,5 Prozent der Teilgruppe (5 Personen), deren Interesse vorher nicht sehr hoch oder sogar gering war, konnte das Interesse durch die Veranstaltung geweckt oder vergrößert werden. Bei genauerer Betrachtung dieser mit fünf Personen recht kleinen Teilgruppe fällt auf, dass alle als Gründe für den Besuch der Veranstaltung angeben, dass sie Informationen zu technischen Studiengängen/Berufsfeldern sammeln sowie testen wollten, ob ihr Interesse/ ihre Fähigkeiten für ein technisches Studium ausreichen. Alle fünf bewerten die verschiedenen Inhalte/Formate sowie das Konzept der Veranstaltung insgesamt als positiv und hilfreich. Diejenigen, deren Vor-Interesse mittelmäßig bis gering war und deren Interesse durch die Veranstaltung weder erhöht noch gesenkt wurde (8 Personen), bewerteten dennoch Inhalte, Format und Konzept der Veranstaltung als positiv und hilfreich. 87,5 Prozent von ihnen finden folgende weitere Angebote interessant: Online-Tests zur Eignungsfeststellung für technische DHBW-Studiengänge sowie Informationstage der DHBW. 75 Prozent von ihnen sehen in Vorbereitungskursen ein weiteres interessantes Angebot. 50 Prozent sind interessiert an Infotagen bei den anwesenden Firmen. Der Blick auf die entsprechenden Ergebnisse des zweiten SchülerinnenInfotages zeigt, dass hier im Vorfeld das Interesse für ein technisches Studium nicht bei einer so deutlichen Mehrheit ausgeprägt war. Zwar hatten sieben der zwölf Teilnehmerinnen sehr großes oder großes Interesse, die übrigen fünf Schülerinnen bescheinigten sich aber vor der Veranstaltung nur mittleres bis geringes Interesse an einem technischen Studium. Hervorzuheben ist hier, dass die Veranstaltung bei allen diesen fünf Schülerinnen das Interesse für die Technik bzw. für ein Technik-Studium vergrößern konnte. Auf die Frage, welche Schulfächer die Teilnehmerinnen am meisten interessieren (Mehrfachnennungen waren erlaubt), nannten in der Befragung zum ersten Infotag 72,7 Prozent eines der drei traditionell mit technischen Berufen assoziierten Fächer Mathe/Physik/Informatik. Bei der zweiten Veranstaltung wurde sogar von jeder Teilnehmerin mindestens eines dieser Fächer angegeben. Bei der offenen Frage, welche Studienrichtungen die Teilnehmerinnen am meisten interessieren (Mehrfachnennungen erlaubt), entfielen bei der im Jahr 2016 durchgeführten, ersten Veranstaltung 86,1 Prozent auf die ersten sieben in Tabelle 1 gelisteten technischen Studienrichtungen, wobei allein 38,9 Prozent das Fach Wirtschaftsingenieurwesen nannten. Von dieser an Wirtschaftsingenieurwesen interessierten Gruppe haben sich 42,9 Prozent schon entschieden, ein Technik-Studium aufzunehmen. Die anderen 57,1 Prozent haben die Veranstaltung besucht,
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um Informationen zu technischen Studiengängen und Berufsfeldern zu sammeln, was auch gelungen ist: Alle bestätigen, dass ihnen durch die Veranstaltung ein guter Einblick in technische Berufsfelder/Studiengänge ermöglicht wurde. 87,5 Prozent von ihnen interessieren sich für Vorbereitungskurse zu Grundlagen in Mathe/Physik und ebenso viel Prozent für Informationstage der anwesenden Dualen Partner. Die Hälfte von ihnen interessiert sich ebenfalls sowohl für DHBW-Infotage als auch für Online-Eignungstests zu DHBW-Studiengängen. Tabelle 1: Antworten auf die Fragen „Gibt es eine bestimmte Studienrichtung, die dich besonders interessiert? Wenn ja, welche?“ (Mehrfachnennungen möglich) bei der ersten Veranstaltung Genannte Studiengänge Wirtschaftsingenieurwesen Maschinenbau Elektrotechnik Mechatronik Informatik Medizintechnik Wirtschaftsinformatik Wirtschaft International Business Sprachwissenschaften Interkulturelle Kommunikationsberatung Richtung Design (**gestaltungs und medientechnik**)
Nennungen (Absolute Zahlen) 14 7 4 2 1 1 1 1 1 1 1 1
Grundsätzlich positiv zu bewerten ist, dass sich bereits 66 Prozent aller Teilnehmerinnen für einen/mehrere technische Studiengänge interessieren (29 von 44 Schülerinnen), 7 Prozent nennen andere, nichttechnische Studiengänge (3 von 44 Schülerinnen) und 27 Prozent interessieren sich (noch) nicht für eine spezielle Studienrichtung (bzw. geben keinen Studiengang an). Die oben genannten 66 Prozent (29 von 44 Schülerinnen), die sich bereits für einen oder mehrere technische Studienrichtungen interessieren, wurden daraufhin genauer untersucht, ob ihr Maß an Vor-Interesse für ein technisches Studium mit dem Grad von Entschiedenheit für ein Technik-Studium korreliert: Wenn das Interesse für ein technisches Studium sehr groß/groß ist, wie stark ausgeprägt ist dann die Entschiedenheit für ein Technik-Studium?
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86,2 Prozent dieser 29 Schülerinnen geben an, ihr Vor-Interesse sei bereits groß/sehr groß gewesen. Gut die Hälfte (52 Prozent) dieser 86,2 Prozent gibt an, sich schon für die Aufnahme eines technischen Studiums entschieden zu haben. Das bedeutet auch, dass sich die andere Hälfte (12 Personen) trotz ausgeprägten Vor-Interesses (noch) nicht für ein technisches Studium entschieden hat. Rückschlüsse auf den Einfluss der Veranstaltung auf eine (spätere) Entscheidung für ein Technik-Studium konnten durch die Umfrage naturgemäß noch nicht gezogen werden. Tabelle 2: Antworten auf die Fragen „Gibt es eine bestimmte Studienrichtung, die dich besonders interessiert? Wenn ja, welche?“ (Mehrfachnennungen möglich) bei der zweiten Veranstaltung Genannte Studiengänge Wirtschaftsingenieurwesen Maschinenbau Elektrotechnik Mechatronik Ingenieurwesen Technik Medizin Internationales technisches Projektmanagement
Nennungen (Absolute Zahlen) 2 1 2 1 1 1 1 1
Bei der Befragung nach der zweiten Veranstaltung ergab sich keine Präferenz für einen Studiengang. Die in Tabelle 2 aufgeführten Studiengänge wurden jeweils ein oder zweimal angegeben. Insgesamt gab es zehn Nennungen von acht Schülerinnen. Vier Schülerinnen machten keine Angabe. 58 Prozent (also sieben von 12 Teilnehmerinnen) interessieren sich für einen oder mehrere technische Studiengänge. Ein Viertel der Teilnehmerinnen gibt an, sich bereits für ein technisches Studium entschieden zu haben. Alle Schülerinnen bestätigen, dass sie teilgenommen haben, um Informationen zu technischen Studiengängen und Berufsfeldern zu sammeln. Für 83 Prozent der Teilnehmerinnen hat die Veranstaltung einen guten Einblick in technische Berufsfelder/Studiengänge ermöglicht. 58 Prozent der Schülerinnen hatten bereits vor der Veranstaltung sehr großes oder großes Interesse für ein technisches Studium. Eine Konsequenz aus den oben dargestellten Ergebnissen kann also sein, beim Grad an Entschiedenheit für ein Technik-Studium anzusetzen. Dies gelingt
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durch weitere Angebote, die technische Studiengänge/Berufe noch attraktiver machen (z.B. durch neue Gleichstellungsmaßnahmen im MINT-Bereich) sowie die Darstellung der sehr guten beruflichen Chancen für DHBW-Absolventinnen. Auch die gendergerechten und familienfreundlichen Arbeitsbedingungen der Dualen Partner sollten stärker kommuniziert werden. Eine zielgerichtete, planvolle Kooperation zwischen DHBW-Gleichstellung und den Diversity-Beauftragten der Dualen Partner erscheint überaus sinnvoll. 3.3 Beurteilung der Veranstaltung Insgesamt waren nach beiden Schülerinnen-Info-Tagen die Rückmeldungen aller Teilnehmerinnen zu den einzelnen Aspekten der Veranstaltung größtenteils positiv. 100 Prozent der Teilnehmerinnen beider Veranstaltungen stimmten zu, dass es hilfreich war, sich mit Studentinnen und Absolventinnen auszutauschen. Alle Teilnehmerinnen im Jahre 2016 und neun von 12 Teilnehmerinnen im Jahre 2017 bestätigten, dass ein guter Einblick in technische Berufsfelder/Studiengänge ermöglicht wurde. Die Möglichkeit, bei Technik-Projekten mitzumachen, bewerteten 95,5 Prozent bei der ersten Veranstaltung und sogar 100 Prozent bei der zweiten Veranstaltung positiv. Auch die Gelegenheit, sich direkt bei Firmen zu informieren, kam gut an: 95,5 Prozent der Teilnehmerinnen der Veranstaltung im PorscheAusbildungszentrum und 91,7 Prozent der Teilnehmerinnen im Festo Schulungsund Ausbildungszentrum bestätigten, dass Ihnen dieses Angebot gefallen hat. Dies deckt sich mit den Angaben zur Frage „Würdest du den Besuch der Veranstaltung deinen Freundinnen und Bekannten empfehlen?“: 97,7 Prozent aller Teilnehmerinnen des Jahres 2016 und 100 Prozent der Teilnehmerinnen des Jahres 2017 würden die Veranstaltung weiterempfehlen. Das Konzept sollte deshalb grundsätzlich beibehalten werden, wobei die von den Schülerinnen abgefragten Anregungen/Verbesserungsvorschläge problemlos integriert werden können. 3.4 Gründe für den Besuch Die Gründe, welche die Schülerinnen bewogen haben, die Infotage aufzusuchen, waren recht vielfältig, wurden aber mittels des gut konzipierten Angebots weitgehend befriedigt, wie durch die Angaben in den oben dargestellten Frageblöcken festgestellt werden konnte.
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Ein Großteil war gekommen, um „Informationen zu sammeln“ (88,6 Prozent im Jahr 2016 und 100 Prozent im Jahr 2017). 81,8 Prozent der Teilnehmerinnen des ersten Info-Tages und zwei Drittel der Teilnehmerinnen des zweiten InfoTages gaben an, die DHBW und anwesende Firmen näher kennenlernen zu wollen. Für die erste Veranstaltung, an der 44 Schülerinnen teilgenommen haben, wurden die Gründe derjenigen gesondert betrachtet, die sich bereits für eine technische Studienrichtung interessieren. Dies sind 66 Prozent der Teilnehmerinnen (n=29). Verteilung und Ausmaß der Gründe entsprechen im Wesentlichen denen aller 44 Teilnehmerinnen; In dieser Teilgruppe war mit 79,3 Prozent der Anteil derjenigen höher, die gekommen waren, um herauszufinden, welcher TechnikStudiengang besonders gut zu ihnen passen könnte. Die Gründe für den Veranstaltungsbesuch der 34,1 Prozent (n = 15 von 44), die sich schon für ein Technik-Studium entschieden haben, weichen nur um wenige Prozentpunkte von denjenigen ab, die sich noch nicht für ein Technik-Studium entschieden haben. 3.5 Anregungen zur Verbesserung Im letzten Frageblock konnten Teilnehmerinnen Verbesserungsvorschläge machen (Freitext-Option). Die Anregungen der Teilnehmerinnen beziehen sich bei beiden Veranstaltungen im Wesentlichen auf organisatorische Aspekte und die Kommunikation von Informationen über Verlauf und Rahmenbedingungen der Veranstaltung. So waren Vorschläge mit Mehrfachnennungen „Mehr Sitzmöglichkeiten“ und „Mehr Zeit für die Projekte“. Dies lässt sich mit einfachen Mitteln bei folgenden Veranstaltungen verbessern. Hilfreich könnte hier eine Vorlage sein, die je nach Veranstaltungsformat und Themenschwerpunkt angepasst werden kann, die jedoch immer Infos über Zeitrahmen, Abfolge der Abschnitte (inkl. Pausen) sowie Verpflegung enthält. Letzteres darf nicht unterschätzt werden: Pausen zum Essen und Trinken können auch gut mit Vernetzungseinheiten verbunden werden.
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3.6 Was hat besonders beeindruckt? Im Anschluss an die Anregungen wurde erfragt, was die Teilnehmerinnen besonders beeindruckt hat. Einen starken Eindruck hat offenbar der persönliche Austausch mit Studierenden/Absolventinnen im Rahmen eines „World Café“ hinterlassen. Dies deckt sich mit den oben unter 3.3 dargestellten Ergebnissen (alle Teilnehmerinnen fanden hilfreich, dass Absolventinnen und Studentinnen der DHBW für Fragen zur Verfügung standen). Der Peer-to-peer-Ansatz ist ein guter Weg und sollte ausgebaut werden (z.B. als Mentorinnen-Konzept in Studiengängen, in denen Frauen unterrepräsentiert sind. Eine Mentorin aus einem höheren Semester könnte hier als persönliches Role-Model und Ansprechpartnerin fungieren). 3.7 Wunsch nach weiteren Angeboten Den Abschluss der Evaluation bildete die Frage zum Interesse nach weiteren Angeboten. Die Schülerinnen konnten ihr Interesse bekunden für Vorbereitungskurse, für Online-Tests zur Eignungsfeststellung für technische Studiengänge an der DHBW, für ein Mentoring-Programm sowie für Informationstage sowohl an der DHBW als auch bei den beteiligten Firmen. Mehrfachnennungen waren möglich, und auch ein Freitextfeld für eigene Vorschläge konnte genutzt werden. Das bei weitem stärkste Interesse entfiel auf Online-Eignungstests: Gut ein Drittel der Teilnehmerinnen des ersten Infotages und sogar drei Viertel der Teilnehmerinnen des zweiten Info-Tages haben Interesse an einem solchen Verfahren. Besonders für die Gewinnung weiblicher Studierender ist es eine gute Möglichkeit, da Mädchen und Frauen ihre technikbezogenen Fähigkeiten bei gleicher Eignung oft schlechter einschätzen als ihre männlichen Mitschüler/Kommilitonen. Sich auf unbekanntem Terrain einer öffentlichen Bewertung zu unterziehen, wirkt unter Umständen abschreckend. Da hilft es, dass der Test anonym und online von Zuhause aus durchgeführt werden kann. Begabte Kandidatinnen für ein MINTStudium können auf diese Weise ihre Vorkenntnisse prüfen und dann ggf. weitere Veranstaltungen an einer Studienakademie vor Ort aufsuchen, zum Beispiel einen Vorbereitungskurs in Mathematik oder Physik. Ein solches Angebot finden 59,1 Prozent der Teilnehmerinnen des Jahres 2016 und 50 Prozent der Teilnehmerinnen des Jahres 2017 interessant. Auch das Interesse für Informationstage bei den anwesenden Firmen liegt in der Größenordnung von 58 Prozent. Knapp die Hälfte der Teilnehmerinnen der ersten Veranstaltung und ein Drittel der zweiten Veranstaltung interessieren sich für allgemeine DHBW-Informationstage. Interesse an
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einem Mentoring-Programm hat knapp ein Drittel der Teilnehmerinnen aus dem Jahr 2016 und die Hälfte der Teilnehmerinnen des Jahres 2017. Das eher geringe Interesse überrascht, da ja gerade die Peer-to-Peer-Begegnung alle Teilnehmerinnen sehr beeindruckt hat. Dies kann dem Umstand geschuldet sein, dass viele jüngere Personen noch keine Vorstellung davon haben, was sich hinter einem Coaching bzw. Mentoring genau verbirgt. Von der Freitext-Option machte nur eine Teilnehmerin des ersten Info-Tages Gebrauch. Sie wünscht sich ein Self-Assessment-Center. Diese Option könnte gemeinsam mit den Dualen Partnern geprüft und ausgearbeitet werden, die bereits ein Assessment-Center betreiben. 3.8 Fazit Die Veranstaltung war erfolgreich, insbesondere im Sinne des Schülerinnen-Recruitings, und in vieler Hinsicht aufschlussreich für Teilnehmerinnen und DHBWBeteiligte. Mit einigen kleinen organisatorischen Verbesserungen können und sollten Angebote dieser Art weitergeführt werden: Um eine Erhöhung der Anzahl weiblicher Studierender im MINT-Bereich zu erzielen, ist eine dauerhafte Einrichtung von Infotagen an allen Standorten mit MINT-Studiengängen sowie die nachhaltige Vernetzung mit Lehrkräften an Gymnasien und Gemeinschaftsschulen zu empfehlen. Schülerinnen mit prinzipiellem Technikinteresse, die sich noch nicht für ein technisches Studium entschieden haben, bieten ein großes Potential. Hier lohnt es sich, großen Aufwand zu investieren, der über die klassischen Formate der Schüler_inneninformation hinausgeht. Sehr vielversprechend sind die Begegnung der Schülerinnen mit Studentinnen und Absolventinnen technischer Studiengänge sowie die Möglichkeit, in praktischen Projekten Technik nicht nur zu erleben, sondern mitzugestalten. Nur so kann letztlich die gewünschte Erhöhung des Frauenanteils erreicht werden. Literatur Bargel, T., Multrus F. & Schreiber, N. (2007): Studienqualität und Attraktivität der Ingenieurwissenschaften. Eine Fachmonographie aus studentischer Sicht. Bundesministerium für Bildung und Forschung. Bonn, Berlin Dietz, M. & Walwei, U. (2007): Fachkräftebedarf in der Wirtschaft. Wissenschaftliche Befunde und Forschungsperspektiven, verfügbar unter: http://doku.iab.de/grauepap/2007/Fachkraeftebedarf_Wirtschaft.pdf. Zugriff: 02.07.2018
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Lempp, J. & Meyer, A. (Hg.) (2014): Fachkräftemangel und Fachkräftesicherung. Political Science Applied, Heft 4. Verfügbar unter: http://www.psca.eu/uploads/MleCMS/PSCA%20Heft%204_Fachkr%C3%A4ftemangel%20und%20Fachkr%C3%A4ftesicherung.pdf. Zugriff: 02.07.2018 Statistisches Bundesamt (2017): Statistisches Jahrbuch 2017, Kapitel 3 Bildung. Steuer, L. (2015): Gender und Diversity in MINT Fächern – Eine Analyse der Ursachen des Diversity Mangels. Wiesbaden. Springer
„Alles Familie?!“ Die Vielfalt von Familienformen als Herausforderungen für eine gender- und diversitätsbewusste Soziale Arbeit Sandra Smykalla
„Alles Familie?“ – der seit 2010 inzwischen in 9. Auflage erscheinende Kinderbuchklassiker von Alexandra Maxeiner und Anke Kuhl hinterfragt die sprichwörtliche „Bilderbuchfamilie“ bestehend aus Mama, Papa und Kind(ern) und zeigt vielfältige Formen des Zusammenlebens auf: von Alleinerziehenden, Stief-, Patchworkfamilien über Regenbogen- zu Pflege- und Adoptivfamilien finden sich Bilder und Geschichten, die Familie in ihrer Vielfalt heute beschreiben. Das Buch ist eines der ersten nicht-normativen Kinderbücher, die beabsichtigen, stereotype Darstellungen von Geschlechterarrangements, sexueller Orientierung, Generationenverhältnisse und Verwandtschaftsbeziehungen zu durchbrechen. Es ist inzwischen Teil einer wachsenden Anzahl von Kinder- und Jugendbüchern, die zu einer vorurteilsbewussten Erziehung und Bildung beitragen, indem sie einen bewusst diskriminierungskritischen Blick auf Andersheit werfen und einen wertschätzenden Umgang mit Vielfalt befördern wollen.1 So kommt das Buch auch zu dem Schluss: „Jede Familie ist einzigartig!“. Warum es solch nicht-normative Kinderbücher gibt, verweist auf zweierlei: einerseits darauf, dass die Thematisierung von vielfältigen Zusammenlebensformen und der bewusste Umgang mit Vorurteilen bereits relevant ist für die frühkindliche Bildung und Erziehung; andererseits darauf, dass vielfältige Lebensformen und deren gleichberechtigte Existenz auch heute noch keine Normalität sind und daher einer gezielten Sichtbarmachung zur Erhöhung ihrer Akzeptanz bedürfen. Dieser Aspekt erscheint insbesondere mit Blick auf die jüngsten politischen Entwicklungen hochaktuell, da z.B. die AfD im Rahmen ihrer völkisch-nationalistischen Familien- und Bevölkerungspolitik reaktionäre Familienbilder und Vorstellungen geschlechtshierarchischer Geschlechterverhältnisse wiederbelebt und Siehe Fachstelle Kinderwelten für Vorurteilsbewusste Bildung und Erziehung: Vorurteilsbewusste Kinderbücher: https://situationsansatz.de/vorurteilsbewusste-kinderbuecher.html, Bildungsinitiative Queerformat: Medienkoffer „Familien und vielfältige Lebensweisen“ für Kindertageseinrichtungen: https://www.queerformat.de/medienkoffer-familien-und-vielfaeltige-lebensweisen-fuer-kindertageseinrichtungen-maerz-2013/. 1
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 A. Polutta (Hrsg.), Kooperative Organisations- und Professionsentwicklung in Hochschule und Sozialwesen?, Edition Centaurus – Perspektiven Sozialer Arbeit in Theorie und Praxis, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31603-7_12
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‚untypische Familienformen‘ sowie Vertreter_innen emanzipatorischer Gleichstellungs- und Familienpolitik massiver Kritik und Angriffen aussetzt. Was hier kurz anhand von Kinderbüchern skizziert wurde, soll in diesem Beitrag in Bezug auf die Disziplin und Profession Soziale Arbeit mit Blick auf die Familien- und Jugendhilfe sowie die Hilfen zur Erziehung diskutiert werden.2 Beginnend mit einer Skizze der (umkämpften) Vielfalt von Familienformen heute, wird die Bedeutsamkeit von Gender- und Diversitätsperspektiven als Querschnittsaufgabe in sozialarbeiterischen Konzepten anhand des Lebensbewältigungskonzepts von Lothar Böhnisch und dem Anti-Bias-Ansatz, mitbegründet durch Louise Derman-Sparks, in den Blick genommen. Ausgangspunkt meiner Überlegungen ist, dass theoretische Auseinandersetzungen mit Entwicklungsaufgaben und Bewältigungsstrategien von Kindern, Jugendlichen, Erwachsenen und deren Familien häufig ohne die Berücksichtigung von Gender- und Diversitätsperspektiven auskommen bzw. wenn sie aufgegriffen werden, die Gefahr besteht, dass dies in verkürzter, dualistischer und (hetero)normativer Art und Weise geschieht. Andererseits stehen in den Gender und Diversity Studies Thematisierungen von sozialer Ungleichheit und Diskriminierung oft unverbunden neben Konzepten und Methoden, bzw. fehlt es mitunter an der konkreten Anbindung an ein professionelles Arbeitsfeld der Sozialen Arbeit. Ziel des Beitrags ist, die Wirkmächtigkeit von sexueller, geschlechtlicher, kultureller und sozialer Vielfalt als konstitutiv für die professionelle Arbeit mit Kindern, Jugendlichen, Erwachsenen und Familien darzulegen und für die Notwendigkeit eines normativitätskritischen Umgangs mit Differenz in Disziplin und Profession zu plädieren. 1. „doing family“ zwischen Pluralisierung und Retraditionalisierung Familie kann mit Schier und Jurczyk als „Herstellungsleistung“ (2007) begriffen werden. Vorstellungen, was eine Familie ist, wie sie zu funktionieren hat und wie sie politisch zu steuern ist, schwanken zwischen einem konstatierten Wandel und Beharrungstendenzen. Da es „die Familie“ auch in historischer Perspektive nie gegeben hat, differenziert die sozialwissenschaftliche Familienforschung sich wandelnde Lebensund Beziehungsformen aus und konstatiert, dass neben der bürgerlichen KleinfaDer Beitrag ist eine für den Anlass dieser Festschrift weiterentwickelte Fassung eines Vortrages, den ich auf einem Fachtag für Fachkräfte aus dem Pflegekinder- und Adoptivkinderwesen im Juni 2018 im Sozialpädagogischen Fortbildungsinstitut Berlin Brandenburg gehalten habe. Aus diesem Grund stammen die verwendeten Beispiele vermehrt aus diesem Handlungsfeld. 2
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milie, bestehend aus Mutter, Vater, Kind(ern), alternative Lebensweisen zunehmen (Notz 2016). Der Wandel von Familie ist nach Peuckert über den Lebensverlauf in den biografischen Phasen des Lebenszyklus unterschiedlich feststellbar und kommt im jungen Erwachsenenalter bis zum 3. Lebenszyklus am häufigsten vor. Einen Rückzug aus traditionellen Familienformen findet sich zudem bei Frauen und Männern aus höheren Bildungsschichten am häufigsten. Folgen des Wandelns sind binukleare Ehen, also Familiensysteme, die sich aus zwei Haushalten zusammensetzen, wobei sich beiden Elternteile mehr oder weniger intensiv um das Kind kümmern. Des Weiteren fallen biologische und soziale Elternschaft immer häufiger auseinander. Peuckert spricht hier von der „Erosion der biosozialen Doppelnatur der Familie“ (Peuckert 2012, S. 25) und beschreibt damit, dass immer mehr Minderjährige mit (sozialen) Eltern nur zur Hälfte oder überhaupt nicht mehr leiblich verwandt sind. Beschrieben werden „multiple Elternschaften“ (ebd.) im Fall von Stieffamilien, bei denen zu 90 % der Fälle ein sozialer Vater den biologischen Vater im Haushalt ersetzt (Wohnvater); Pflege- und Adoptivfamilien, in denen an die Stelle der biologischen Eltern soziale Eltern treten; Reproduktionsfamilien, die durch künstliche Befruchtung entstehen und Patchworkfamilien. Gerlach benennt zudem Regenbogenfamilien, in denen in ca. jeder 8. gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaft Kinder aufwachsen und Queerfamilies, in denen sich neben der lesbischen Kleinfamilie mit Mama, Mami und Kind(ern) Lesben und Schwule zusammentun, um gemeinsame Elternschaft zu zweit, zu dritt oder zu viert zu leben (Gerlach 2012). Kinder haben also in der heutigen Zeit immer häufiger mehrere biologische und soziale Mütter und Väter, sie haben verschiedene Arten von Geschwistern und Großeltern, Onkel und Tanten wechseln mehrfach. Bezeichnungen sind in der herkömmlichen Verwandtschaftsterminologie kaum mehr möglich. Wir haben es mit vielfältigen Familienformen, Subjektpositionen und Lebenslagen innerhalb der Familien zu tun – und diese sind ungleich verteilt und normativ geframt. Mit Engel wären daher Familien als Orte und Produktionsstätten asymmetrischer Beziehungen zu reflektieren und zu problematisieren: „Wie können asymmetrische Beziehungen, z.B. zwischen Erwachsenen und Kindern oder Care-Beziehungen unter Erwachsenen so organisiert werden, dass sie nicht in Abhängigkeiten oder Gewalt münden, sondern für alle Beteiligten ermächtigend sind? Wie können Hierarchien, die sich aus unbezahlter Reproduktionsarbeit, ökonomischer Abhängigkeit und mangelnder öffentlicher Kinderversorgung ergeben, angefochten werden? Wie sind Diskriminierungen abzubauen, die mit der Heterosexualisierung von Familien, dem Ausschluss von Lesben, Schwulen und Transgenders
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aus Adoptions- und Sorgerechten und der Entwertung sozialer Elternschaft einhergehen“ (Engel 2003, S. 36)? Der zunehmenden Forschungen, die mit Konzepten des „(un)doing family“ Alltagspraxen, Identitätsentwicklungsprozessen und Relevanzen von Familiarität in stationären Hilfen zur Erziehung untersuchen, stehen insbesondere politische, aber auch wissenschaftliche Beharrungs- und Retraditionalisierungstendenzen gegenüber. Diese zeichnen sich dadurch aus, dass sie den Wandel und die Pluralisierung von Familienformen als bedrohlich und moralisch verwerflich ansehen. Als „Familienfundamentalismus“ (Gesterkamp 2010) oder „Familienpopulismus“ (Lang 2015) bilden sie den Kern einer erstarkenden antifeministischen, rechtspopulistischen Bewegung. Diese Ideologie des „Familialismus“ (Notz 2016), die die bürgerliche Kleinfamilie als ‚naturgegebene‘ Leitform einer Sozialstruktur bezeichnet, ist von rechten und rechtsextremen Parteien politisch und von Kirchen religiös motiviert. Gemeinsam ist den verschiedenen Argumentationen, wie Scheele ausführt, das „diskursive Zentrum ‚VaterMutterKind‘ als Symbol von Heterosexualität und Geschlechterbinarität“ (Scheele 2016, S. 6): „Die bürgerliche heteronormative Kernfamilie steht in diesem Szenario in gefühlter Verteidigung gegenüber einer Unterdrückung durch (…) ‚Minderheiten‘, denen eine bedrohliche Sexualität oder Geschlechtsidentität zugeschrieben wird. Es geht um eine auf spezifische Weise rassistisch, nationalistisch, klassistisch, sexistisch, homophob aufgeladene Familien-Norm“ (ebd.). Vielfältige Formen von Familie gelten als Drohkulisse einer Verrohung der Gesellschaft. Die Hetze gegen die vermeintliche „Frühsexualisierung“, wie Programme zur Förderung geschlechtlicher und sexueller Vielfalt in Kindertagesstätten oder Schulen bezeichnet werden, unterstellt, dass mit den ‚Genderisten‘ ‚radikale Fanatiker‘ am Werk sind, die „traditionelle Familie“ mit ihren geschlechtshierarchischen Arbeitsteilung auflösen und abschaffen wollten. Grundlage der „traditionellen Familie“ sei eine angeblich ‚natürliche‘ Komplementarität der Geschlechter und eine spezifische Eltern-KindBindung: „Nur in der traditionellen Familie könnten Kinder ‚gesund‘ heranwachsen, andernfalls käme es vermeintlich zu einer schädlichen Eltern-Kind-Entfremdung („Parental-Alienation-Syndrome“ PAS), wie u.a. die antifeministische Fraktion der Väterrechtsbewegung behauptet, die biologischen Vätern unabhängig von ihrem realen Verhalten ein Sorgerecht zuschreiben will“ (Diskursatlas Antifeminismus 2018). Das Kind wird in neueren rechtspopulistischen Bewegungen zur „moralischen Waffe im Kampf um heteronormative Hegemonie“ und zur „Chiffre politischer Auseinandersetzungen“ (Schmincke 2016). Durch staatliche Eingriffe und das „Umerziehungsprogramm der Gender Mainstreaming Ideologie“ oder durch „Kita-Programme zur Gender-Umerziehung“, die einen „Angriff auf Kindheit
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und Elternrecht“ darstellten, seien – so die Diskurslinie – ‚unsere‘ Kinder in Gefahr (vgl. Diskursatlas Antifeminismus 2018). Deshalb muss „die Abschaffung der natürlichen Geschlechter durch das Gender Mainstreaming und die Zerstörung der Familie“ wie es in dem Aufruf der Organisator_innen der „Demo für Alle“ verlautet, verhindert werden (ebd.). Die aktuell zunehmenden Angriffe von Rechts finden zum Teil unmittelbar im Wirkungsbereich der professionellen Sozialen Arbeit statt. Sie verfügen über historische und konzeptionelle Schnittstellen zu genuinem sozialarbeiterischem Handeln. Deshalb besteht der Bedarf, ungerechtigkeitsgenerierende Potentiale professionellen Handelns zu reflektieren und professionelle Umgangsweisen mit aktuellen Phänomenen anzubieten, die Fachkräfte bezogen auf ihre organisationalen Funktionen handlungsfähig machen und halten. Die Reflexion von sozialer Ungleichheit und der Bedeutsamkeit von Dimensionen der Vielfalt ist dazu in einem ersten Schritt durch eine gender- und diversitätsbewusste Theoriebildung anzustoßen. Dafür sind sozialarbeitswissenschaftliche und sozialpädagogische Konzepte weiterzuentwickeln. 2. Lebensbewältigung diversitätsbewusst und normativitätskritisch gelesen Böhnisch geht in seinem Konzept der Lebensbewältigung angesichts seiner Gesellschaftsdiagnose einer entgrenzten Erwerbsarbeit und Bildung davon aus, dass Einzelne zum „Pfadsucher seiner Selbst im gesellschaftlichen Sozialisationsrahmen“ (Böhnisch 2012, S. 59 ff.) werden. Aufgrund pluralisierter Lebensformen ist es für die Einzelnen nicht mehr möglich, tradierte Rollen zu übernehmen, sondern sie sehen sich mit gesellschaftlichen Aufforderungen zur Selbstthematisierung konfrontiert. Das biografisch handelnde Subjekt kann und muss den eigenen Lebensverlauf individuell gestalten. Diese gesellschaftliche Bewältigungsaufforderung stellt in neoliberal ausgeformten, individualisierten, kapitalistischen Gesellschaftsverhältnissen einen Zwang und Ermöglichungsraum zugleich dar. Biografische Lebensbewältigungsstrategien sind daher in kritischen Lebenssituationen gleichzeitig Last und Ressource. Beispielsweise trifft dies auf die biografische Bewältigung von Pflege- und Adoptivkindern insofern zu, als diese Kinder stets zwei Familien haben. Insbesondere Pflegekinder, die Umgang mit ihren leiblichen Eltern haben, sind dabei Bindeglied zwischen mehreren Familiensystemen mit mehreren unterschiedlichen Beziehungs- und Bindungsangeboten (vgl. Kötter 2006 in Macke 2010, S. 11ff.). Nehmen wir nun an, die Kinder in Pflegefamilien haben eigene Migrationserfahrungen oder leben in Familien mit Migrationsgeschichte, sind unbegleitet geflüchtet oder wurden auf der Flucht von ihren leiblichen Eltern getrennt und leben nun in einem anderen Land in Pflegefamilien. Diese Kinder
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sind aufgrund ihrer Lebenslage wiederum besonders gefordert, da sie traumatische Lebensereignisse und ein Ankommen in einer neuen, für sie oft fremden Umgebung bewältigen müssen. Ebenso betrifft dies LGBT*I*Q, also lesbisch, schwule, bi-, trans*- und intersexuelle sowie queeren Menschen, die aufgrund ihrer Geschlechtsidentität oder sexuellen Orientierung diskriminiert und/oder verfolgt werden und deshalb Asyl in Deutschland suchen. Und auch Kinder und Jugendliche, die keine eigenen Migrationserfahrungen haben und in einer RegenbogenPflegefamilie aufwachsen, stehen unter einem starken Normalitätsdruck. Wie z.B. die Studie von Streib-Brzič und Quadflieg (2011) mit Kindern und Jugendlichen zwischen acht und 18 Jahren aus Regenbogenfamilien zeigt, müssen sich Kinder mit homosexuellen Eltern innerhalb heteronormativer Strukturen positionieren. Sie müssen sich Strategien zulegen, um sich entweder mit den Peers oder mit der Familie zu identifizieren, sich abzugrenzen oder die eine ‚Partei‘ gegenüber der anderen zu verteidigen. „Kinder und Jugendliche meistern diese Loyalitätskonflikte auf unterschiedliche Weise. Während ein Teil von ihnen eher keinen Bezug darauf nimmt, in einer ‚besonderen‘ Familie aufzuwachsen, auch wenn die Jugendlichen selbst ihr Aufwachsen positiv erleben, geht ein anderer Teil der interviewten Kinder und Jugendlichen durchaus offensiv mit der individuellen Familiengeschichte um und ist stolz darauf. Gerade z.B. in Bezug auf Geschlecht und die damit verbundenen Zuschreibungen berichten Töchter und Söhne aus Regenbogenfamilien von größeren Frei- und Spielräumen, um die sie auch teilweise von ihren Peers beneidet werden (vgl. Gerlach 2012, S. 141). Wie die Beispiele verdeutlichen, entstehen Spielräume der Lebensbewältigung nicht nur durch das individuelle Bewältigungsverhalten, das nach einem psychodynamischen Gleichgewicht strebt. Vielmehr sind die Bewältigungsmöglichkeiten durch die Lebenslagen der Einzelnen maßgeblich beeinflusst. Dabei sind Lebenslagen „Ausgangsbedingungen menschlichen Handelns ebenso wie sie Produkt dieses Handelns sind“ (Böhnisch 2012, S. 13). Ermöglichungen und Zwänge der Lebensbewältigung ergeben sich demnach aus Lebenslagen, wie Geschlecht, soziale Herkunft, Migrations- und Zugehörigkeitserfahrungen oder körperlich, geistige, psychische Verfasstheit. Wenn Lebenslagen nicht als isolierte, singuläre Kategorien sondern der Prozess der Kategorisierung als intersektionale Verwobenheit verschiedener Differenzen begriffen wird, ist zu fragen: Inwiefern beeinflusst die jeweilige Lebenslage die Lebensbewältigung von Menschen? Welche sozialen Probleme und kritischen Lebensereignisse entstehen womöglich erst durch die Verschränkung von Lebenslagen? Inwiefern trägt die Lebenslage zur Verstärkung von Problemen bei? Welche Machtquellen kann wer wie nutzen? Für die Lebensbewältigung im Lebensverlauf macht es zudem einen Unterschied „ob und wie die damit verbundenen Lebensverhältnisse sozialpolitisch anerkannt sind“
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(ebd., S. 53). So gibt z.B. Familienpolitik durch materielle Leistungen wie dem Erziehungsgeld und durch Rahmenbedingungen für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ebenso Richtungen vor, wie das deutsche Steuersystem, das die größten familienbezogenen Steuervorteile durch das Ehegattensplitting gewährt, bei dem nicht Elternschaft, sondern der Familienstand steuermindernd wirkt. Die Lebensbewältigung von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen in/mit ihren Familien aus einer parteilichen Perspektive zu betrachten, erfordert, wie beispielsweise Macke in Bezug auf Pflegekinder und subjektive Deutungsmuster der Pflegeeltern formulierte, neben einer hohen Reflexivität und einem „wertfreien Blick“ (Macke 2010, S. 21) auf das Kind auch eines „Konzepts des biografischen Verstehens“ (ebd.) für Pflegeeltern und Mitarbeiter_innen der unterbringenden Dienste. Dies reicht meines Erachtens allerdings jedoch noch nicht aus. Es bedarf, so meine These, eines gender- und diversitätsbewussten und diskriminierungskritischen Bewusstseins für biografische Lebensbewältigungsstrategien. Dieser Auftrag ergibt sich entsprechend der Global Definition der International Federation of Social Work (IFSW & IASSW 2014) aus dem Prinzip der „Achtung von Vielfalt“ („respect for diversities“), das neben den Prinzipien der sozialen Gerechtigkeit, den Menschenrechten und der gemeinsamen Verantwortung als eine Grundlage der Sozialen Arbeit als Profession und Disziplin definiert wurde. Die biografischen Lebensbewältigungsstrategien von Kindern und Jugendlichen wären in dieser Konsequenz neben der Berücksichtigung unterschiedlicher Bewältigungsaufgaben in den Lebensaltern von Kindheit, Jugend, Erwachsenenalter und hohes Alter gleichzeitig immer auch in Bezug auf vielfältige, sich durchkreuzenden Lebenslagen, die mit Privilegien und mit Benachteiligungen verbunden sind zu betrachten.3 Eine solche „verarbeitungsorientierte Perspektive“ (Eggers 2012, S. 16) auf die Entwicklung und Bewältigung von Kindern und Jugendlichen hat den Selbstwert, Selbstwirksamkeit und die soziale Anerkennung im Blick und zielt auf Selbstaktivierung und Empowerment, dem Ermöglichen von Handlungsmacht (ebd.). Ein gender- und diversitätsbewusster Umgang mit Diffe-
Böhnisch bezieht zwar eingangs in seinem Konzept der Lebensbewältigung und insbesondere bei der Ausarbeitung der Sozialpädagogik der Lebensalter programmatisch unterschiedliche Lebenslagen aus einer Diversitätsperspektive ein, buchstabiert diese dann aber in den jeweiligen Lebensaltern nur punktuell bzw. eher rudimentär aus. Die von ihm ausführlich behandelte Lebenslage „Geschlecht“ zieht sich als Querschnittsdimension zwar systematischer durch die Lebensalter, jedoch werden ‚typisch‘ weibliche und männliche Bewältigungsprinzipien konstruiert, die einer geschlechterpolarisierten Darstellung verhaftet bleiben (männliche Bewältigung sei nach außen gerichtet: auffälliges Verhalten, Delinquenz; weibliche Bewältigung richte sich nach innen: autoaggressives Verhalten, psychische Erkrankung). 3
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renzen in der Lebensbewältigung beinhaltet dabei die gleichberechtigte Anerkennung von Vielfalt. Er beinhaltet aber auch – und das ist entscheidend – die Reflexion über die normative Produktion von Differenz. Soziale Arbeit hat indes nicht nur die Aufgabe, Probleme sozialer Ungleichheiten zu bearbeiten, sondern sie ist als Profession zugleich an der Produktion entsprechender Differenzlinien beteiligt (Kessl/Plößer 2010). Fachkräfte sind in doppelter Weise mit Norma(alis)ierungsfolgen konfrontiert: bei der Unterstützung ihrer Adressat_innen zur Abschaffung oder Linderung ihres Leids und als Beteiligte an ihrer Konstruktion in Institutionen. Mit dem Fokus auf Abweichung und abweichendes Verhalten zielt Soziale Arbeit als Profession auf eine Normalisierung bzw. eine Normalitätsermöglichung entlang eines Normalitätsmodells. Damit wird ein handlungsrelevantes Dilemma der Integration erzeugt und Soziale Arbeit wird selbst zur „Normalisierungsmacht“ (ebd. 2010). Normalisierung bedeutet eine Anpassung der ‚Anderen‘ an bestehende Normen – und damit dies geschehen kann, produziert Soziale Arbeit durch eine Fallmarkierung zunächst erst Andere. Differenz wird damit zum Ausgangs- und Zielpunkt sozialpädagogischer Praxis und Konzepte (ebd., S. 9 ff.). Soziale Arbeit muss sich also die Frage nach einem „fachlich verantworteten Umgang mit Differenz und Andersheit“ (ebd., S. 7) stellen. Die Problematisierung von Differenz ist fachlich hochaktuell, weil damit eine Fokusverlagerung von der Abweichung (und dem Defizitären) auf die Norm(ierung), also dem Maßstab des Handelns gefragt wird. Durch die Infragestellung der Gegenüberstellung von Norm und Abweichung wird das Hinterfragen natürlich erscheinender, binärer Differenzordnungen ermöglicht. Bezogen auf die Arbeit mit den Adressat_innen bedeutet dies, es bedarf eines professionellen Umgangs von Seiten der Fachkräfte mit Vielfalt, Differenz und Macht gegenüber Einzelnen, in einer Gruppe, in einer Organisation und im Sozialraum. Ein solcher Umgang bedeutet, Ungleichheitsverhältnisse nicht nur zu problematisieren, sondern sie auch durch gezielte Gleichstellungsstrategien aufzuheben. Dafür bedarf es eines Diversitätsverständnisses, das gleichzeitig die Erzeugung von Normalität und die Prozesse des Unterschiedenwerdens nachvollzieht mit dem Ziel eben dieses Verhältnis in Richtung subjektorientierter Angebote zu gestalten (vgl. Eggers 2012, S. 12f.). Bisher gibt es jedoch keine Standards, wie mehrdimensionale Diskriminierungen in der Praxis der Einrichtungen der Sozialen Arbeit wahrgenommen und vermieden werden können.
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3. Anti-Bias-Ansatz: Vorurteilsbewusste Erziehung und Bildung Studien zeigen, dass bereits Kinder Verschiedenheit nicht „vorurteilsfrei“ wahrnehmen, sondern Kinder ab 2-3 Jahre übernehmen Stereotype und Vorurteile über sich und andere Menschen (Richter 2013, S. 20). Stereotype sind Assoziationen jedweder Art zu einer sozialen Kategorie, sozial übermitteltes (Pseudo-)Wissen, häufig innerhalb einer Kultur geteilt, verbunden mit Erwartungen, positiven oder negativen Assoziationen. Sie sind auch dann präsent, wenn man nicht davon überzeugt ist. Stereotype führen zu Urteilsfehlern, wenn sie auf Individuen angewandt werden (Förster 2009, S. 24). Beispielsweise trifft der Stereotyp der ‚Rabenmutter‘ vor allem Frauen, die ihre Kinder zur Adoption freigegeben haben.4 Insbesondere für die Mütter ist die Freigabe ihrer Kinder zur Adoption allerdings eine schwere seelische Belastung. Sie werden direkt nach der Geburt von ihrem Kind getrennt. Nach einer achtwöchigen Schutzfrist, in der sie ihre Entscheidung überdenken können, müssen sie – wie auch die Väter – ihr notarielles Einverständnis zur Adoption geben. Die Einwilligung ist unwiderruflich und ab diesem Moment erlischt das Sorgerecht und die leiblichen Eltern haben auch kein Umgangsrecht mehr mit dem Kind. Begrifflich ist ein Stereotyp abzugrenzen vom Vorurteil, das ein „Urteil über eine Person oder eine soziale Entität (Institution, Stadt, Marke) [ist], das aufgrund der Zuordnung zu einer sozialen Kategorie und nicht aufgrund der individuellen Details getroffen wird“ (Förster 2009, S. 23). Ein Vorurteil beinhaltet eine negative oder positive Bewertung, ein gutes oder schlechtes Gefühl oder eine spezifische Emotion (Hass, Ekel, Freude) und die Bevorzugung der ‚Eigengruppe‘: „Der Glaube an die Richtigkeit von stereotypen Assoziationen macht aus einem Stereotyp ein Vorurteil“ (ebd., S. 25). Die Vorurteilsforschung weist auf die Benachteiligung aufgrund von Vorurteilen hin. So schätzen laut einer Studie von Kaiser Grundschullehrkräfte Kinder mit Namen wie Kevin, Chantal, Mandy und Justin oder Angelina eher als verhaltensauffällig ein als Kinder mit Namen Charlotte, Sophie, Marie, Hannah, Alexander, Maximilian, Simon, Lukas und Jakob. Der Name offenbare nach Meinung der Lehrkräfte die soziale Herkunft eines Kindes. Eine Trennung von Name und Person bzw. von Name und Verhalten sei daher für Lehrer_innen schwierig (Kaiser 2015). Mit diesem Beispiel soll kein strafender
Schon seit längerer Zeit weisen Wissenschaftler darauf hin, dass dieser Begriff überholt ist und nicht den tatsächlichen Beobachtungen entspricht. Rabenvögel sind sehr fürsorgliche Eltern, die ihre Jungen einige Wochen lang füttern, warnen und vor ihren Feinden schützen (Heidenfelder & Aufmkolk 2017). 4
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Finger auf Pädagog_innen gerichtet werden, sondern vielmehr zeigen diese Studien, dass Kategorisierungen und damit verbundene Vorurteile im alltäglichen professionellen Handeln immer wirksam sein können. Auch Konzepte der Identitätsentwicklung von Kleinkindern gehen davon aus, dass Säuglinge von Geburt an geschlechterdifferente Erwartungen, Verhalten und Vorlieben für bestimmte Familienmitglieder signifikant nach Geschlecht unterscheiden. Säuglinge ab 6. Lebensmonat bemerken Charakteristika wie Hautfarbe und bilden am Ende ihres ersten Lebensjahres ihre soziale Identität aus. Mit zwei Jahren haben Kinder sozial vorherrschende Botschaften über Hautfarbe aufgenommen (helle Hautfarbe besser als dunkle Hautfarbe) und (können) sagen „Ich Junge“ oder „Ich Mädchen“. Zu Beginn des Vorschulalters haben Kinder ein grundsätzliches Bewusstsein für Geschlecht, „race“, Kultur und Fähigkeiten konstruiert. Nach Sparks bedeutet dies bezogen auf die Identitätsentwicklung, dass jeder Mensch mehrere soziale Identitäten ausbildet und diese Menschen mit größeren Gruppen verbinden, die über Familie hinausgehen (vgl. Sparks 2014). Soziale Identitäten sind dabei historisch, politisch und juristisch definiert und, jede soziale Gruppenidentität ist mit „gesellschaftlich verbreiteten und oft rechtlich gebilligten Stereotypen, Vorurteilen und Diskriminierungen verbunden“ (ebd.): „Insbesondere die institutionalisierten und interpersonellen Dynamiken von Rassismus, Klassendenken, Sexismus und heteronormativen Vorstellungen beeinträchtigen die gesunde Identitätsentwicklung von Kindern, die sie brauchen, um sich in der Schule und der Welt entfalten zu können. Diese Dynamiken behindern auch unsere Möglichkeiten Kinder professionell und optimal in ihrer Entwicklung und ihrem Lernen zu fördern. Und sie verletzen die Rechte der Kinder, wie sie in der UN-Kinderrechtskonvention definiert sind (UNICEF 1990)“ (ebd.).
Der Anti-Bias-Ansatz geht davon aus, dass alle Menschen Vorurteile haben und, dass dessen Konstruktionen nicht verhindert werden können. Daher gehe es darum, sich aktiv gegen Schieflagen und Voreingenommenheit (bias) einzusetzen und Stereotypisierung, Vorurteile und Diskriminierungen in Frage zu stellen. Die vier Ziele vorurteilsbewusster Bildung und Erziehung sind: • „Alle Kinder in ihren Identitäten stärken: Jedes Kind bei der Entwicklung seiner Ich-Identität und seiner Bezugsgruppen-Identität unterstützen, • Allen Kindern Erfahrungen mit Vielfalt ermöglichen: Ungezwungenen, einfühlsamen Umgang mit unterschiedlichsten Erfahrungshintergründen fördern, • Kritisches Denken über Gerechtigkeit und Fairness anregen: Nachdenken über Vorteile bei jedem Kind befördern, • Aktivwerden gegen Unrecht und Diskriminierung: Jedes Kind befähigen, für sich selbst und für andere eintreten zu können (Wagner 2012).“
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Die vier Schritte, die dafür erforderlich sind: 1. Vorurteile bewusst machen und neue Bewertungen ermöglichen, 2. Irritationen in eigener Haltung und Wertesystem zulassen und ernstnehmen, 3. explizit Stellung gegen Ungleichbehandlung beziehen und 4. inklusive Umgebungen (z.B. über Bücher, Spielsachen, Bilder usw.) und Abläufe schaffen und einfordern. Die Diversität unter Kindern ist immer aufzuzeigen, auch wenn es Kinder mit ähnlichen ethnischen, kulturellen, familiären oder Klassen-Hintergründen sind. 4. Ausblick Da die Anerkennung von Vielfalt und das Eintreten für soziale Gerechtigkeit genuine Anliegen der Sozialen Arbeit sind, gilt es insbesondere für die Disziplin Sozialer Arbeit hierfür systematisch sozialarbeitswissenschaftliche Theorien, Konzepte und Methoden bereitzustellen und weiterzuentwickeln, die diesem Selbstverständnis und Auftrag Sozialer Arbeit gerecht werden – nicht zuletzt auch angesichts normierender und kontrollierender, partikularistischer und sanktionierender Dimensionen der Profession, v.a. hinsichtlich des Trends ihres Wiedererstarkens. Das kritische Ausbuchstabieren dessen, was mit Vielfalt im Sinne einer Diversitätssensibilität, Machtkritik sowie gesellschaftlicher Verantwortung gemeint ist, ist sowohl für die wissenschaftliche Fortentwicklung und Anerkennung der Disziplin in der Fachwelt als auch für die Professionalisierung der Profession unabdingbar. Ziel einer zeitgemäßen Kinder‐, Jugend- und Familienhilfe ist weiterhin der Wahrung des Kindeswohls verpflichtet. Insbesondere geht es also darum, Rahmenbedingungen für einen Kinderschutz zu schaffen, der die Diversität der Kinder und Jugendlichen und der Familienformen nicht ignoriert, sondern einen Umgang mit komplexen, auch widersprüchlichen (Alltags-)Erfahrungen und Subjektpositionierungen ermöglicht. Verbinden wir dafür in einem ersten Schritt die Perspektive auf die Wirksamkeit von Stereotypen und Vorurteilen mit der Frage nach Differenz und Normativität, lässt sich schlussfolgern, dass ohne bewusste Reflexion und Steuerung des Zusammenseins von Menschen mit großer Wahrscheinlichkeit Herrschaftsverhältnisse reproduziert werden. Wagner hat dies für den frühkindlichen Bereich anhand dreier Aspekte aufgezeigt: 1. Ohne bewusstes Eingreifen erfolgt keine Veränderung von Ungleichheit, 2. Ein bloßer Kontakt zu Kindern, die sich in ihren Vielfaltsmerkmalen unterscheiden reicht nicht aus, um kooperativ zusammenzuwirken. Und 3. zu sozialer Ungleichheit tragen alle bei, die Dominanten wie die Unterdrückten – ohne sich dessen bewusst zu sein (Wagner 2012).
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Um ein gender- und diversitätsbewusstes Handeln von Fachkräften der Kinder-, Jugend- und Familienhilfe zu fördern, besteht einerseits die Anforderung, ein Bewusstsein für die eigene Verwobenheit in Privileg- und Benachteiligungsstrukturen zu entwickeln, also eine machtkritische Gender- und Diversitätskompetenz aufzubauen und andererseits gilt es in den Einrichtungen der Sozialen Arbeit Gleichstellungsstrukturen zu schaffen bzw. weiter zu entwickeln, die vor Diskriminierung schützen und gleiche Teilhabe fördern. Beides ist die Voraussetzung, um gleichstellungsfördernde Handlungsmethoden und sozialpädagogische Settings zu schaffen, die Benachteiligungen präventiv verhindern und alle Menschen handlungsfähig machen. Folgende Fragen zur (Selbst-)Reflexion von Fachkräften können dabei ein erster Schritt auf dem Weg zu einer weiteren Strukturveränderung sein: • Wo begegnet mir Andersheit und soziale Ungleichheit in meiner täglichen Arbeit (mit Adressat_innen, Familien, im Team)? • Welche Differenzen und Dimensionen von Vielfalt erlebe ich in meiner Arbeit als präsent und dominant, welche sind weniger oder kaum sichtbar oder werden tabuisiert? • Inwiefern hat für mich Andersheit und Vielfalt immer auch mit Macht zu tun? • Wo bin ich selbst privilegiert, wo habe ich Diskriminierung erfahren? • Wo habe ich Situationen in meinem Arbeitskontext oder im Alltag erlebt, in denen diskriminiert wurde? (individuell, zwischenmenschlich, institutionell, diskursiv) • Wie werden unterschiedliche Lebenslagen bei der Lebensbewältigung meiner Adressat_innen relevant – z.B. Geschlechterverhältnisse, Migrationserfahrungen, Alter, Behinderung, sexuelle Orientierung, religiöse, soziale oder ethnische Zugehörigkeiten? • Welche Diskriminierungserfahrungen machen meine Adressat_innen aufgrund ihrer Herkunft, Zugehörigkeit, Identität? (Rassismus, Klassismus, Sexismus, Homo-, Trans*- oder Behindertenfeindlichkeit) • Wo und wann erleben sich meine Adressat_innen als benachteiligt und unterdrückt, wo als stark und machtvoll? • Wie schaffe ich es, im beruflichen Alltag wachsam zu bleiben für Privilegien und für Diskriminierungen und wie kann ich mich für die Kontexte, die diese hervorbringen, sensibilisieren und diese versuchen zu verändern? • Wie kann ich offensiv das Schweigen über Diskriminierung brechen, Unterstützungsstrukturen und Netzwerke aufbauen?
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Eine „Gleichstellungskultur“ in Non-Profit-Organisationen wie Hochschulen und Einrichtungen der Sozialen Arbeit zu etablieren, bedeutet nicht nur zu sensibilisieren und Strukturen zu schaffen, sondern es beinhaltet auch, „Räume für widerständige Aneignungen zu ermöglichen, die organisationale Bedingungen, Regeln, Routinen und Leitbilder mit subjektiv artikulierten ‚Existenzweisen‘, Handlungsund Artikulationsmöglichkeiten verknüpfen“ (Smykalla 2013, S. 62). Die Herausforderung bei einer Kulturveränderung in Organisationen liegt also in einer kontextualisierten, flexiblen Sichtweise auf Ungleichheit, dynamischen Konzepten und einem strategisch geplanten Veränderungsprozess. Hier können Diversitätsund Antidiskriminierungsstrategien auf Erfahrungen aus Umsetzungsprozessen von Gender Mainstreaming aufbauen und diese weiter entwickeln. Literatur Böhnisch, L. (2012): Sozialpädagogik der Lebensalter. Eine Einführung. Weinheim/München: Beltz. Derman-Sparks, L. (2014): Soziale Bezugsgruppen in der kindlichen Identitätsentwicklung und ihre Bedeutung für eine Pädagogik der Inklusion. Verfügbar unter: https://baustelle2014.kinderwelten.net/content/vortraege/01/index.html. Zugriff: 16.07.2018. Diskursatlas Antifeminismus: Traditionelle Familie. Verfügbar unter: http://www.diskursatlas.de/index.php?title=Traditionelle_Familie. Zugriff: 23.06.2018. Eggers, M. (2012). Gleichheit und Differenz in der frühkindlichen Bildung – Was kann Diversität leisten? In: Dossier Diversität und Kindheit – Frühkindliche Bildung, Vielfalt und Inklusion der Heinrich-Böll-Stiftung, Berlin (S. 8-18). Verfügbar unter: https://www.boell.de/sites/default/files/2012-09-Diversitaet-Kindheit.pdf. Zugriff: 16.07.2018. Engel, A. (2003). Sandkastenträume – Queer/feministische Gedanken zu Verwandtschaft und Familie. In: femina politica. Zeitschrift für feministische Politikwissenschaft, Schwerpunkt: Familienpolitik = Frauenpolitik? 12 (1), 36-45. Förster, J. (2009): Die Sozialpsychologie des Schubladendenkens: Vorurteil, Stereotype und Diskriminierung. In: Baer, S., Smykalla, S., Hildebrandt, K. (Hrsg.), Schubladen, Schablonen, Schema F. Stereotype als Herausforderung für Gleichstellungspolitik. (S. 23-35). München: Klein. Gerlach, S. (2012): Regenbogenfamilien in Kitas: Ein Thema für Kinder, Eltern und Erzieherinnen und Erzieher. In: Dossier Diversität und Kindheit - Frühkindliche Bildung, Vielfalt und Inklusion der Heinrich-Böll-Stiftung, Berlin (S. 118-142). Verfügbar unter: https://www.boell.de/sites/default/files/2012-09-Diversitaet-Kindheit.pdf. Zugriff: 16.07.2018. Gesterkamp, T. (2010): Geschlechterkampf von rechts – Wie Männerrechtler und Familienfundamentalisten sich gegen das Feindbild Feminismus radikalisieren (WISO Diskurs – Expertisen und Dokumentationen zur Wirtschafts- und Sozialpolitik, Bonn: Friedrich-Ebert-Stiftung). Verfügbar unter: http://library.fes.de/pdffiles/wiso/07054.pdf. Zugriff: 16.07.2018. Heidenfelder, C. & Aufmkolk, T. (o.J.): Woher kommt der Ausdruck Rabeneltern? Verfügbar unter: http://www.planet-wissen.de/gesellschaft/lernen/geschichte_der_erziehung/pwiewissensfrage496.html. Zugriff: 16.07.2018. Kaiser, A. (2015): Vornamen: Nomen est omen? Vorerwartungen und Vorurteile in der Grundschule. In: Schulverwaltung Hessen/Rheinland-Pfalz. 20. Jg., H.3, 93-94 Kessl, F. & Plößer, M. (Hrsg.) (2010): Differenzierung, Normalisierung, Andersheit: Soziale Arbeit als Arbeit mit den Anderen. Wiesbaden: Springer VS.
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3 Ermächtigung und Schutz von AdressatInnen Sozialer Arbeit in geteilter gesellschaftlicher Verantwortung
Professionelle und organisatorische Anforderungen an die Wahrnehmung des Schutzauftrages im Kontext Früher Hilfen1 Reinhold Schone
1. Vorbemerkung Dieser Beitrag plädiert für eine klar getrennte Beschreibung und Wahrnehmung der Aufgaben Früher Hilfen und des Schutzauftrages bei Kindeswohlgefährdung. Es geht darum, die Differenz zwischen beiden Handlungsmodalitäten herauszuarbeiten und sie entsprechend in Theorie und Praxis zu konturieren. Auch in Fällen, in denen es darum geht, Kinder im Kontext Früher Hilfen vor Gefahren zu schützen, dürfen die sehr unterschiedlichen Aufgaben, Handlungsmodalitäten und Zielstellungen beider Aufgaben nicht verwischt werden. Eine solche Vermischung – so die zugrundeliegende Grundüberzeugung – würde beiden Konzepten nur zum Schaden gereichen (vgl. Schone 2014; 2018). 2. Kinderschutz - Was ist gemeint? Wenn man in den letzten Jahren an Diskussionen teilnimmt, in denen es um Fragen des Kinderschutzes geht, tut man gut daran, genau hinzuhören, welches Verständnis die jeweiligen Diskutierenden von diesem Begriff haben. Man wird oft sehr schnell feststellen, dass sich hinter den einzelnen Argumenten ganz unterschiedliche Vorstellungen von dem verbergen, was unter Kinderschutz verstanden werden kann und was im Kinderschutz getan werden muss. Argumente der Frühen Hilfen vermischen sich mit Strategien des Schutzauftrages bei Kindeswohlgefährdung zu beliebig konfigurierten Argumentationsmustern – und da gibt es kaum einen Unterschied, ob es sich um Laien/Ehrenamtliche handelt, die den Begriff aus ihrem Alltagsverständnis für sich füllen oder um Expertinnen bzw. Experten aus den verBei diesem Beitrag handelt es sich um eine aktualisierte Überarbeitung eines Beitrags mit dem Titel "Kindeswohlgefährdung Säuglingen und Kleinkindern - Anforderungen an die Wahrnehmung des Schutzauftrages im Kontext Früher Hilfen", erschienen in der Zeitschrift Frühe Kindheit, Heft 3/2015, S. 28-33 (vgl. Schone 2015b). 1
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 A. Polutta (Hrsg.), Kooperative Organisations- und Professionsentwicklung in Hochschule und Sozialwesen?, Edition Centaurus – Perspektiven Sozialer Arbeit in Theorie und Praxis, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31603-7_13
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schiedenen vom Bundeskinderschutzgesetz adressierten Professionen und Disziplinen. Der Begriff Kinderschutz ist zu einer „Universalformel für (fast) beliebige Inhalte“ (Schone 2014, S. 16) geworden. Befördert durch die Begrifflichkeiten des Bundeskinderschutzgesetzes und des Gesetzes zur Kooperation und Information im Kinderschutz (KKG) ist der Begriff des Kinderschutzes heute je nach praktischer und theoretischer Orientierung der jeweiligen Akteure entweder ein Oberbegriff für alle Aktivitäten der Gesellschaft, die darauf ausgerichtet sind, Kindern und Jugendlichen ein geschütztes Aufwachsen zu ermöglichen (breites Verständnis) oder ein spezieller Begriff für die Aufgabe der Abwendung unmittelbarer Gefahren für Kinder und Jugendliche (enges Verständnis) (vgl. Schone 2014; 2018; vgl. auch Merchel 2011). Im ersten Verständnis ist Jugendhilfe (z. B. Familienförderung, Kindertageseinrichtungen) nur ein Teil des Kinderschutzes, der neben anderen Professionen, Disziplinen und Handlungsfeldern (Gesundheitswesen, Schule, materielle Sicherung) ein geschütztes, gelingendes Aufwachsen gewährleisten soll. Im zweiten Verständnis ist Kinderschutz als hoheitliche Aufgabe ein kleiner – wenn auch zentraler – Teil der Jugendhilfe. Hier geht es um Gefährdungseinschätzung und ggf. entschlossenes Handeln, um Gefährdungssituationen zu beenden. In diese Aufgabe werden zwar auch – insbesondere seit dem KKG – andere Institutionen und Professionen eingebunden; der Gesetzgeber macht dabei aber immer deutlich (allein durch § 8a Abs.4 SGB VIII und durch die Befugnisnorm des § 4 KKG), dass im Zweifel jederzeit auf die Kernkompetenz des Jugendamtes zurückgegriffen werden kann bzw. soll. 3. Frühe Hilfen und Schutzauftrag - eine Differenzierung Beide oben skizzierten Verständnisse werden heute nebeneinander und zumeist durcheinander kommuniziert. Dabei werden insbesondere mit den Begriffen der Frühen Hilfen und des Schutzauftrages bei Kindeswohlgefährdung von ihren Nutzer_innen unterschiedlicher Professionen und Disziplinen je eigene – manchmal konträre – Inhalte verknüpft. Das Bundeskinderschutzgesetz schafft diesbezüglich nicht nur keine Klarheiten, sondern ist maßgeblich mitverantwortlich für die beobachtbare Sprachverwirrung. Solche begrifflichen Unklarheiten können nicht ohne Folgen für das Handeln und die wechselseitige Kooperation der dort tätigen unterschiedlichen Akteure bleiben.
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Idealtypisch lassen sich die beiden Begriffe als zwei Pole beschreiben, an denen sich staatliches Handeln zur Sicherung bzw. zum Schutz des Kindeswohls vollzieht. 3.1 Der Auftrag der Frühen Hilfen Das Nationale Zentrum Frühe Hilfen (NZFH) definiert Ziele und Aufgaben der Frühen Hilfen folgendermaßen: „Frühe Hilfen bilden lokale und regionale Unterstützungssysteme mit koordinierten Hilfeangeboten für Eltern und Kinder ab Beginn der Schwangerschaft und in den ersten Lebensjahren mit einem Schwerpunkt auf der Altersgruppe der 0- bis 3-Jährigen. Sie zielen darauf ab, Entwicklungsmöglichkeiten von Kindern und Eltern in Familie und Gesellschaft frühzeitig und nachhaltig zu verbessern. Neben alltagspraktischer Unterstützung wollen Frühe Hilfen insbesondere einen Beitrag zur Förderung der Beziehungs- und Erziehungskompetenz von (werdenden) Müttern und Vätern leisten. Damit tragen sie maßgeblich zum gesunden Aufwachsen von Kindern bei und sichern deren Rechte auf Schutz, Förderung und Teilhabe. (...) Frühe Hilfen umfassen vielfältige, sowohl allgemeine als auch spezifische, aufeinander bezogene und einander ergänzende Angebote und Maßnahmen. Grundlegend sind Angebote, die sich an alle (werdenden) Eltern mit ihren Kindern im Sinne der Gesundheitsförderung richten (universelle/primäre Prävention). Darüber hinaus wenden sich Frühe Hilfen insbesondere an Familien in Problemlagen (selektive/sekundäre Prävention).“ (NZFH 2009) Frühe Hilfen zeichnen sich aus durch leichte Zugänglichkeit für (werdende) Eltern, durch Achtsamkeit gegenüber Lebenslagen von Kindern und Eltern, frühes Erkennen schwieriger Lebensumstände, Ansprache von Eltern und Vermittlung früher Hilfen sowie offensives Werben für die Inanspruchnahme von Unterstützungs- und Förderangeboten im Sinne sozialer Dienstleistungen. Frühe Hilfen zielen auf den Erhalt bzw. die Eröffnung positiver Entwicklungsmöglichkeiten von Kindern. Sie sind auch auf das Wohlergehen der Eltern ausgerichtet (schlicht dem Gedanken folgend: „Wenn es Eltern nicht gut geht, sind Auswirkungen auf die Kinder wahrscheinlich“). Sie richten sich an alle Familien mit Kindern, insbesondere aber Familien mit Säuglingen und Kleinkindern. Sie gewährleisten dabei niedrigschwellige Zugangsmöglichkeiten auch und besonders für Familien in belastenden Lebenssituationen, um daraus ggf. resultierende negative Entwicklungen der Kinder zu verhindern.
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Auslöser für Frühe Hilfen ist ein Beratungsbedarf von Eltern schon während der Schwangerschaft und in den ersten drei Lebensjahren des Kindes. Dabei geht es um Unterstützung von Eltern bei der Wahrnehmung ihres Erziehungsrechts und ihrer Erziehungsverantwortung, proaktive Förderung von Bindung, Bildung, Gesundheit, Entwicklung und Erziehung in der Familie. Die Entwicklung von Netzwerken der Angebote Früher Hilfen soll dazu beitragen, Zugangshürden und Benachteiligungen zu vermeiden und abzubauen. Außerdem geht es um Förderung von Partizipation und Teilhabegerechtigkeit in Bezug auf Bindungs- und Bildungsangebote. Handlungsmaximen sind: (a) Vertrauen als Handlungsgrundlage, (b) Freiwilligkeit als Grundprinzip, (c) Jugend- und Gesundheitshilfe als Dienstleistung. Eltern wollen in aller Regel optimale Bedingungen des Aufwachsens für ihre Kinder realisieren. Sie wünschen sich vielfältige Förderangebote oder benötigen Unterstützung, um ihre Kinder angemessen und nach ihren Vorstellungen erziehen zu können. Dieser Bedarf an öffentlicher Unterstützung liegt (z. T. weit) unterhalb der Schwelle eines erzieherischen Bedarfes im Einzelfall (Anspruchsgrundlage einer Hilfe zur Erziehung nach § 27 SGB VIII). Solche Anforderungen zur Unterstützung von Eltern und von familiären Erziehungsprozessen stellen sich an erster Stelle der Jugendhilfe im Rahmen allgemein fördernder Angebote (Kindertageseinrichtungen, erzieherischer Kinder- und Jugendschutz, Familienbildung etc.), aber auch den Einrichtungen des Gesundheitswesens, so bspw. Kinder- und Jugendmedizin und (Familien-)Hebammen oder der Grundsicherung (z. B. Fallmanagement der Job-Center). Interdisziplinär verknüpft werden solche Angebote für Kinder unter drei Jahren seit einem Jahrzehnt durch eben den Begriff der Frühen Hilfen (vgl. NZFH 2009), welche im Bundeskinderschutzgesetz und hier im Artikel 1, dem Gesetz zur Kooperation und Information im Kinderschutz erstmalig gesetzlich normiert wurden (vgl. § 1, Abs.4 KKG). Die vom Gesetzgeber in diesem Kontext geforderten Netzwerke Früher Hilfen (vgl. § 3 KKG) sind die Aufforderung zur Gestaltung einer entsprechenden Infrastruktur, mithin eine Aufgabe der kommunalen Jugendhilfe- und Sozialplanung (vgl. Schone 2012; 2015c). 3.2 Der Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung Der Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung wird seit 2005 im seinerzeit ins SGB VIII eingefügten und seither mehrfach veränderten § 8a SGB VIII (Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung) geregelt. Der hier normierte Schutzauftrag
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richtet den Blick auf den Schutz von Minderjährigen vor Gefahren für ihr Wohl (hohe Wahrscheinlichkeit erheblicher Schädigungen; Abwehr konkret identifizierbarer Gefahren) und reagiert auf konkrete „gewichtige Anhaltspunkte“ für solche Gefährdungen im Einzelfall (§ 8a SGB VIII). Hier greift das staatliche Wächteramt zum Schutze der Kinder und Jugendlichen. Wenn sich kindeswohlgefährdende Konflikte in Familien im Rahmen der Hilfen zur Erziehung nicht lösen lassen, ist es erforderlich, gerichtliche Entscheidungen herbeizuführen. Die möglichen Eingriffe in das elterliche Sorgerecht können dabei eine ganz unterschiedliche Intensität und Qualität aufweisen (von der Auflage bis hin zum vollständigen Entzug der elterlichen Sorge). Handlungsmaximen sind: (a) Abwehr von Gefahren für das Kind als zentraler Handlungsmaßstab, (b) Kontrolle zum Schutz des Kindes und ggf. unfreiwillige Eingriffe und Ausübung von Zwang, (c) Umsetzung des staatlichen Wächteramtes (vgl. Schone 2014, S. 17). Ausgangspunkt aller Überlegungen zum Thema Kindeswohlgefährdung ist das in Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG verankerte (und in § 1 Abs. 2 SGB VIII sowie im § 1 Abs. 2 KKG wörtlich wiederholte) Elternrecht, welches den Eltern gegenüber dem Staat den Vorrang als Erziehungsträger garantiert: „Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.” Das Grundgesetz schützt damit das Elternrecht zur Pflege und Erziehung der Kinder als Grundrecht. Jedoch können Eltern sich der Verantwortung für Pflege und Erziehung ihrer Kinder entziehen. Das Kind hat als Grundrechtsträger Anspruch auf den Schutz des Staates, der Staat ist zum Schutze des Kindes verpflichtet (BVerfGE 24, 119, 144). Der § 1666 BGB konkretisiert das staatliche Wächteramt im Sinne von Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG. Danach hat das Gericht die zur Abwendung der Gefahr erforderlichen Maßnahmen zu treffen, wenn das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes gefährdet wird und wenn die Eltern nicht gewillt oder nicht in der Lage sind, die Gefahr abzuwenden (§ 1666 Abs. 1 Satz 1 BGB). Der § 8a SGB VIII regelt die hiermit verbundenen Handlungspflichten der Jugendhilfe. Die rechtlichen Regelungen zur Kindeswohlgefährdung sind damit überschaubar. Die Schwierigkeit dabei ist allerdings, dass es sich beim Begriff der „Kindeswohlgefährdung“ um einen unbestimmten Rechtsbegriff handelt. Der § 1666 BGB unterscheidet bei der Gefährdung des Kindeswohls eine körperliche, geistige und seelische Komponente. Diese Komponenten sind – auch wenn sich Schwerpunkte der Gefährdung durchaus festmachen lassen – in der Praxis oft vielfältig miteinander verbunden. Die Rechtsprechung versteht unter Gefährdung „eine gegenwärtige in einem solchen Maße vorhandene Gefahr, dass sich bei der
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weiteren Entwicklung eine erhebliche Schädigung mit ziemlicher Sicherheit voraussehen lässt“ (BGH FamRZ 1956, S. 350 = NJW 1956, S. 1434). Als gefährdet im Sinne von § 1666 Abs. 1 Satz 1 BGB ist das Kindeswohl also dann anzusehen, wenn sich bei Fortdauer einer identifizierbaren Gefährdungssituation für das Kind eine erhebliche Schädigung seines körperlichen, geistigen oder seelischen Wohls mit hoher Wahrscheinlichkeit annehmen und begründen lässt. Deutlich wird, dass Kindeswohlgefährdung kein beobachtbarer Sachverhalt ist, sondern ein rechtliches und normatives Konstrukt. Dieses Konstrukt basiert auf dem Bestehen objektiver Sachverhalte (Kind ist unterernährt, Kind hat blaue Flecken) und einer fachlichen (sozialpädagogischen und juristischen) Bewertung dieser Sachverhalte hinsichtlich der oben genannten Kategorien. Die einschlägigen Kommentierungen zu den gesetzlichen Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuches machen die Unbestimmtheit des Gefährdungsbegriffs deutlich: Es geht bei der Feststellung einer Kindeswohlgefährdung um die fachliche Bewertung beobachtbarer, für das Leben und die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen (und damit fachlich) relevanter Sachverhalte und Lebensumstände bezüglich möglicher Schädigungen, die die Kinder in ihrer weiteren Entwicklung aufgrund dieser Lebensumstände erfahren können, der Erheblichkeit der Gefährdungsmomente (Intensität, Häufigkeit und Dauer des schädigenden Einflusses) bzw. der Erheblichkeit des erwarteten Schadens und des Grades der Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts (es geht um die Beurteilung zukünftiger Einflüsse, vor denen das Kind zu schützen ist, zurückliegende Ereignisse sind allenfalls Indizien für diese Prognose). Dabei geht es also um eine Einschätzung und Bewertung der Lebenssituation des Kindes/Jugendlichen und um eine (zwangsläufig hypothetische) Prognose bezüglich angenommener bzw. befürchteter Entwicklungen des Minderjährigen. Die Hilfsangebote der Jugendhilfe haben sich (als Mindestanforderung) darauf auszurichten, durch Abwendung der Gefährdungssituation dazu beizutragen, dass negative Prognosen (hohe Wahrscheinlichkeit erheblicher Schädigungen) nicht eintreten. Darüber hinaus sind weitere entwicklungsfördernde Angebote in der Regel angeraten und notwendig (vgl. Schone 2015 a). Wenn die Situation eintritt, dass Eltern solchen Maßnahmen nicht zustimmen und auch nicht dafür gewonnen werden können, ist das Familiengericht einzuschalten, das ggf. Eingriffe ins elterliche Sorgerecht (Gebote, Verbote oder Sorgerechtsentzüge) vornehmen muss. Als zentrale Voraussetzung gerichtlicher Gefahrenabwehrmaßnahmen muss zur Gefährdung des Kindeswohls hinzukommen, dass die Eltern „nicht gewillt oder nicht in der Lage sind, die Gefahr abzuwenden”. Dieses grundsätzliche
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Eingriffskriterium soll gewährleisten, dass gerichtliche Gefahrenabwehrmaßnahmen nur dann und in dem Maße ergriffen werden, wie sie bei Gesamtwürdigung des Elternverhaltens vor und während des gerichtlichen Verfahrens und anlässlich der hierauf aufbauenden Prognose notwendig sind (Verhältnismäßigkeitsprinzip). Die Klausel ergänzt die vergangenheitsbezogene Betrachtung der Gefährdungsursachen um die notwendige zukunftsorientierte Einschätzung des Beitrages, der von den Eltern zur Abwendung der Gefährdung zu erwarten ist. Im Prinzip gilt zu berücksichtigen: Wer in der Vergangenheit nicht willens oder nicht in der Lage war, eine Gefahr für das Kindeswohl abzuwenden, hat sich deshalb noch nicht generell als unfähig erwiesen, in Zukunft zur Kindeswohlsicherung beizutragen. Auch hier geht es um zum Teil schwierige Beurteilungsfragen, insbesondere z. B. bei sich hochgradig ambivalent verhaltenden Eltern oder bei bestimmten psychisch kranken Eltern, deren Bereitschaft und Fähigkeit zur Gefährdungsabwehr mit episodenhaft verlaufenden Erkrankungen schwankt. Deutlich wird, dass der Schutzauftrag im Unterschied zu den Frühen Hilfen das Jugendamt (und die Gerichte) in ihrer Funktion als staatliches Wächteramt anspricht und von diesen entschlossene individuelle Schutz- und Hilfemaßnahmen verlangt. Hier geht es nicht um infrastrukturelle Jugendhilfeplanung, sondern konkret um Schutz- und Hilfeplanung im Einzelfall. 3.3 Zusammenfassung Frühe Hilfen und der Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung sind damit von den zugrunde liegenden Aufgaben und Handlungsmodalitäten eher an den jeweiligen Enden eines sehr breiten Handlungsspektrums anzusiedeln. Zwar können auch bei Kindern in den Frühen Hilfen Gefährdungssituationen auftreten, z. B. bei sehr kleinen Kindern, bei denen eine Mangelversorgung sehr schnell in eine konkrete Gefährdung umschlagen kann. Dies rechtfertigt aber in keiner Weise, die beiden mit den Begriffen verbundenen Handlungsaufträge zu vermischen. Im Gegenteil zwingt eine solche Situation sogar dazu, sich der Unterschiedlichkeit der beiden Handlungsansätze in besonderer Weise bewusst zu sein und diese auch immer wieder nach außen transparent zu machen. Die professionelle Herausforderung besteht darin, die beiden oben beschriebenen Handlungsmodalitäten differenziert und konturiert nach ihren je eigenen – sehr verschiedenen – Handlungslogiken und -anforderungen wahrnehmen zu können (vgl. Schone 2014, S. 17).
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4. Fazit – professionelle und organisatorische Anforderungen Die konzeptionelle Identität Früher Hilfen speist sich aus dem originären sozialpädagogischen und gesundheitlichen Förderungs-, Unterstützungs- und Befähigungsauftrag. Dieser muss für alle Beteiligte (Nutzer und Akteure der Frühen Hilfen) im Mittelpunkt stehen. Wenn sich – wie in der Praxis nicht selten zu beobachten – bei den Frühen Hilfen ein vorwiegend vom Schutzauftrag hergeleitetes Aufgabenverständnis herausbildet, erleiden genau die präventiv orientierten Förderund Unterstützungsleistungen Einschränkungen, die dem Ziel optimierten Kinderschutzes (im eingangs beschriebenen weiten Verständnis der Frühen Hilfen) eher entgegenstehen (z. B. durch ängstlichen Rückzug von Eltern, die der Unterstützung am ehesten bedürften) (vgl. Merchel/Schone 2006). Allerdings bedeutet der Einsatz Früher Hilfen nicht, dass damit automatisch Gefahren von kleinen Kindern abgewendet wären. Auch hier können selbstverständlich – zumal bei sehr unsicheren Eltern – immer wieder Situationen auftreten, die bei den Fachkräften ernsthafte Sorgen um das Wohl der Kinder entstehen lassen (Wahrnehmung „gewichtiger Anhaltspunkte“ für eine Gefährdung). Hier haben Fachkräfte Früher Hilfen natürlich – wie alle anderen Fachkräfte der Jugend- und Gesundheitshilfe auch – die Verpflichtung zur Thematisierung dieser Beobachtung gegenüber den Eltern und ggf. zur Abwehr bzw. Beendigung der Kindeswohlgefährdung durch Vermittlung geeignete Hilfsangebote oder durch Einleitung geeigneter Schutzmaßnahmen bzw. durch die Einschaltung des Jugendamtes. Ebenso wie Kindertageseinrichtungen, Familienbildungsstätten, Schulen oder Kinderärzte, die durch das KKG in die Pflicht zur Gefährdungsabwehr mit einbezogen werden, werden sie damit aber nicht zu Kinderschutzorganisationen (im engeren Sinne), sondern allenfalls zu Organisationen, die es verstehen, mit Fragen des Schutzauftrags bei Kindeswohlgefährdung kompetent und sensibel umzugehen. Wenn allerdings außerhalb des Organisationszusammenhangs und außerhalb der Tätigkeiten des ASD der Begriff „Kindeswohlgefährdung“ verwendet wird, kommt es immer wieder zu Unklarheiten und Missverständnissen. Dies hat insbesondere zwei Ursachen (vgl. Merchel/Schone 2006): • Der nicht so häufige Umgang mit Fällen von Kindeswohlgefährdung lässt kein einigermaßen einheitlich strukturiertes Bild entstehen. Je weniger eine Person mit einem Problemkomplex konfrontiert ist, desto weniger kann sie ihre einzelfallbezogenen Wahrnehmungen in einen Gesamtzusammenhang einordnen und dadurch zu einem konturierten Bild zusammenfügen. So muss jeder Fall immer wieder neu interpretiert und bewertet werden, was
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zu Unsicherheiten in der Bewertung von Wahrnehmungen führt. Dieses Problem, mit dem grundsätzlich auch jede ASD-Fachkraft konfrontiert ist, zeigt sich bei Fachkräften außerhalb der Erziehungshilfe noch deutlicher, weil bei ihrem Umgang mit Kindern und Jugendlichen die Vermutung einer Kindeswohlgefährdung im Vergleich zum ASD weitaus seltener vorkommt und daher bei solchen Fachkräften (z.B. in Kindergärten, Schulen oder Gesundheitswesen) das Bild von „Kindeswohlgefährdung“ nur sehr ungenaue Konturen erhalten kann. • Die in den Gesetzen verwendeten diesbezüglichen Begriffe geben Anlass zu Missverständnissen im alltäglichen Sprachgebrauch. So bindet § 27, Abs. 1 KJHG eine Hilfe zur Erziehung daran, dass eine „dem Wohl des Kindes oder des Jugendlichen entsprechende Erziehung nicht gewährleistet ist“. Das hier auftauchende Sprachbild vom „Wohl des Kindes“ wird aber nicht völlig identisch mit dem Begriff des Kindeswohls verwendet, wie er in den Bestimmungen des § 1666 BGB zur „Gefährdung des Kindeswohls“ oder in § 8a KJHG als „Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung“ Anwendung findet. Die Differenzierung zwischen den ähnlichen Begriffen "nicht gewährleistet" (§ 27 SGB VIII) einerseits und "gefährdet" (§ 8a SGB VIII und § 1666 BGB) andererseits sowie die Zuordnung von Situationen zu den jeweiligen Konstellationen ist bereits eine Herausforderung für alle ASDFachkräfte, die sie in der Regel auch nur in geübten kollegialen Beratungsprozessen fachlich angemessen bewältigen können. Dies trifft erst recht für Personen aus anderen Arbeitsfeldern der Jugendhilfe und aus angrenzenden Arbeitsfeldern, die beruflich mit Kindern zu tun haben, zu, da für sie diese Differenzierung in ihrem beruflichen Alltag eine relativ geringe oder gar keine Bedeutung hat. Diese Hinweise sprechen dafür, in den mit den Kinderschutzakteuren der freien Jugendhilfe und mit den Berufsgruppen nach § 4 KKG (Arzt_innen, Lehrer_innen, Therapeut_innen usw.) zu treffenden Vereinbarungen die Erwartungen an diese Fachkräfte nicht so weit zu fassen, dass der Eindruck entsteht, sie müssten analog der Arbeit des ASD handeln – eine Erwartung, der sie in der Regel auch nicht nachkommen und an der sie nur scheitern könnten. Auch der selbstverständliche Anspruch an die Dienste und Akteure der Frühen Hilfen, sensibel für mögliche Gefährdungen von Kindern zu sein, darf nicht dazu führen, dass der jeweilige spezifische (z.B. sozialpädagogische oder medizinische) Charakter der eigenen Aufgabe und der eigene jeweilige konzeptionelle Auftrag, durch eine weitgehende Orientierung am Schutzauftrag überlagert werden. Die konzeptionelle Identität eines Angebotes oder eines Dienstes der Frühen
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Hilfen darf nicht vorwiegend vom Schutzauftrag her definiert werden, sondern der originäre sozialpädagogische oder gesundheitliche Förderungs- oder Betreuungsauftrag muss für alle Beteiligte (Nutzer, Akteure in der Einrichtung, Kooperationspartner) im Mittelpunkt stehen. Auch das Jugendamt bzw. der ASD darf – im Sinne einer präventiven Jugendhilfe – die Frühen Hilfen nicht vorwiegend als Hilfspartner im Rahmen des Schutzauftrags begreifen. Ansonsten würden deren niedrigschwelligen Handlungsmöglichkeiten erhebliche Einschränkungen erleiden. Auf jeden Fall aber gilt es, die Aufgaben der Frühen Hilfen und des Schutzauftrages nicht unter der scheinbar harmlosen Formel der Prävention zu vermixen (wie dies zum Beispiel geschieht, wenn Hausbesuche bei nicht vorgenommenen U-Untersuchungen durch die Frühen Hilfen vorgenommen werden oder wenn die Fachkräfte der Frühen Hilfen – zumeist die Koordinator_innen der Netzwerke – neben ihrer Fachplanungs-Aufgabe auch noch als Kinderschutzfachkräfte mit einer Beratungsaufgabe als insoweit erfahrene Fachkräfte für die Beratung bei gewichtigen Anhaltspunkten für eine Kindeswohlgefährdung eingesetzt werden). Der durch das Bundeskinderschutzgesetz unternommene Versuch der gesetzlichen Normierung und Durchsetzung einer weiten Auslegung des Begriffs „Kinderschutz“ erweist sich in diesen – leider in der Praxis sehr häufig zu beobachtenden – Fällen der Verquickung beider Aufgaben in einem Dienst oder in einer Organisationseinheit als ausgesprochen disfunktional. Er trägt nur dazu bei, dass der "Rettungsgedanke" nun auch alle allgemein fördernden und unterstützenden Angebote durchzieht – um nicht zu sagen, sie mit Kontrollerwartungen (der Politik), Kontrollaktivitäten (der verschiedenen in Netzwerken zusammengeschlossenen professionellen Akteure) und Kontrollängsten (der betroffenen Familien) kontaminiert (vgl. Schone 2018, S. 42). Das erhebliche Erfolgspotential Früher Hilfen wäre hierdurch gefährdet. Der Idee des Kinderschutzes kann an einer solchen Entwicklung in keiner Weise gelegen sein. Literatur Merchel, J. & Schone, R. (2006): Vereinbarungen von Trägern von Einrichtungen und Diensten der Jugendhilfe gemäß § 8a SGB VIII. In: Forum Erziehungshilfe, 12.Jg., Heft 2/2006, S. 109-113. Merchel, J. (2011): Der „Kinderschutz“ und das rechtliche Steuerungskonzept: Anmerkungen anlässlich des Regierungsentwurfs zu einem „Bundeskinderschutzgesetz“. In: Recht der Jugend und des Bildungswesens, 59 Jg., Heft 2/2011, S. 189-203. Nationales Zentrum Frühe Hilfen (NZFH): Begriffsbestimmung Frühe Hilfen. Verfügbar unter: http://www.fruehehilfen.de/wissen/fruehe-hilfen-grundlagen/begriffsbestimmung/ (Zugriff: 30.04.2018).
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Schone, R. (2012): Vom Planen und Steuern einer kommunalen Infrastruktur für Familien: Beispiel Frühe Hilfen – eine neue Herausforderung für die Jugendhilfeplanung. In: Blätter der Wohlfahrtspflege, 5, S. 175-178. Schone, R. (2014): Frühe Hilfen – Versuch einer Standortbestimmung im Koordinatensystem des Kinderschutzes. In: Sozialmagazin, Heft 7-8, S. 14-21. Schone, R. (2015a): Kindeswohlgefährdung – Was ist das? In: Schone, R. & Tenhaken, W. (Hrsg.): Kinderschutz in Einrichtungen und Diensten der Jugendhilfe. Weinheim und Basel, 2. erweiterte Auflage, S. 13-52. Schone, R. (2015b): Kindeswohlgefährdung Säuglingen und Kleinkindern - Anforderungen an die Wahrnehmung des Schutzauftrages im Kontext Früher Hilfen. In: Frühe Kindheit, Heft 3/2015, S. 28-33. Schone, R. (2015c): Zur Einbindung von Netzwerken Frühe Hilfen in die Planung der kommunalen Infrastrukturentwicklung. In: Impulse zur Netzwerkarbeit, Heft 1, herausgegeben vom NZFH. Verfügbar unter: http://www.fruehehilfen.de/impulse-netzwerk-schone/) Schone, R. (2018): Kinderschutz als Trendbegriff - Zur Erosion eines Leitbegriffs in der Jugendhilfe. In: Böwer, M. & Kotthaus, J. (Hrsg.), Handbuch Kinderschutz. Weinheim, Beltz, S. 32-44
Handlungsmächtigkeit unter widrigen Bedingungen: Perspektiven junger Geflüchteter auf Spielräume der Lebensgestaltung Gesa Köbberling & Barbara Schramkowski
1. Subjektperspektiven in der Sozialen Arbeit1 Welche Vorstellungen von Menschen, die Angebote Sozialer Arbeit nutzen, bestimmen mehrheitlich sozialarbeiterische Interpretationen und Handlungen? Ist es eher der Blick auf Menschen als handlungsmächtige Akteur_innen, die Lebenslagen aktiv bewältigen und eigene Vorstellungen vom ‚guten Leben‘ sowie von Hilfebedarfen haben? Oder werden sie vor allem als Angehörige hilfsbedürftiger Zielgruppen (z.B. Behinderte, Flüchtlinge, Frauen) gesehen, über deren Unterstützungsbedarfe Professionelle urteilen? Die verbreitete Nutzung des Begriffes ‚Klient_in‘ scheint nahe zu legen, dass über Deutungen von Lebenslagen und hiermit verbundene Hilfebedarfe oft nicht ‚auf Augenhöhe‘ verhandelt wird. So impliziert der aus dem Lateinischen abgeleitete Begriff (cliens: Hörig_r, Halbfreie_r) „eine Abhängigkeitsbeziehung“ (Loewenstein 2016, S. 156), die nicht zur im internationalen Verständnis Sozialer Arbeit verankerten Zielvorstellungen der „Stärkung der Autonomie und Selbstbestimmung von Menschen“ (IFSW 2014) passt. Auch wenn die „Alternativbezeichnung ‚Adressatin‘ […] da schon weniger wertend [ist], reduziert sie Menschen, die Soziale Arbeit in Anspruch nehmen, aber weiterhin auf eben jene Rollen der Leistungsempfangenden oder der Hilfebedürftigen“ (Loewenstein 2016, S. 156). Dies zeigt sich deutlich in der Sozialen Arbeit im Kontext von Flucht, da häufig über Geflüchtete und ihr angebliches ‚So-Sein‘ gesprochen wird, womit sich in erster Linie negative Zuschreibungen sowie Assoziationen von Hilfsbedürftigkeit verknüpfen. So scheint es im sozialarbeiterischen Diskurs noch nicht selbstverständlich zu sein, Geflüchtete als Gestaltende ihrer Lebenspraxis zu sehen. Das fordert auf, beim professionellen Handeln in der Praxis sowie in der Forschung vermehrt Subjektperspektiven in den Vordergrund zu rücken. Der Beitrag basiert auf einem Vortrag, den die Autorinnen auf der Jahrestagung „Demokratie und Soziale Arbeit“ der Deutschen Gesellschaft für Soziale Arbeit (2018) hielten. 1
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 A. Polutta (Hrsg.), Kooperative Organisations- und Professionsentwicklung in Hochschule und Sozialwesen?, Edition Centaurus – Perspektiven Sozialer Arbeit in Theorie und Praxis, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31603-7_14
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Diese Beobachtungen waren Ausgangspunkt für ein empirisches Forschungsprojekt, das Perspektiven junger Geflüchteter auf Möglichkeiten und Begrenzungen der Lebensgestaltung aufzeigt. Diesem liegt die Frage zugrunde, wie sie nach ihrer Flucht Ankommen, Alltag und Zukunft in Deutschland beschreiben, bewerten und bewältigen. Eingegrenzt wurde die Zielgruppe auf junge Menschen aus Syrien, die einen Freiwilligendienst leisten, womit das Thema auch in einem Handlungsfeld Sozialer Arbeit verortet ist.2 Über fünf biografische Interviews wurden junge Männer3, die seit ein bis zwei Jahren in Deutschland leben und einen Freiwilligendienst im Sozial- und Gesundheitsbereich absolvieren, zu ihren Erfahrungen befragt. Konkret arbeiten sie beispielsweise in der Sozialberatung für Geflüchtete, einer Kindertageseinrichtung und einem Krankenhaus. Im Fokus dieses Beitrags stehen somit die Perspektiven von Karam (30 Jahre), Ahmad (27 Jahre), Mahmoud (24 Jahre), Yousev (24 Jahre) und Nidal (21 Jahre)4 auf Stationen des Ankommens, die Bewältigung von Rassismus, das Spannungsfeld von gestaltendem Engagement und erschöpfter Resignation sowie von mit Sozialbeziehungen verbundenen Ambivalenzen. Der Beitrag endet mit Überlegungen zu Implikationen für die Soziale Arbeit. 2. Theoretische Hintergründe Der Untersuchung liegt die Vorstellung zugrunde, dass Menschen Gestaltende ihrer Lebenspraxen und gleichzeitig in ihren Handlungen aber nicht gänzlich frei sind. Je nach sozialstruktureller Lage in gesellschaftlichen Verhältnissen sowie körperlicher Situiertheit sind sie mit unterschiedlichen Konstellationen von Möglichkeiten und Begrenzungen hinsichtlich sozialstruktureller Teilhabe und hiermit verbundenen Ressourcen, Anerkennung sowie Handlungs- und Bewältigungsspielräumen konfrontiert (vgl. Sauer, Schramkowski & Thiessen 2018; Markard 2015, S. 48ff.).
Das Projekt wurde von Prof. Dr. Gesa Köbberling, Evangelische Hochschule Freiburg, und Prof. Dr. Barbara Schramkowski, Duale Hochschule Baden-Württemberg Villingen-Schwenningen in Kooperation mit „Respekt! – Die Stiftung“ konzipiert, die sich zum Ziel gesetzt hatte mittels biografischer Interviews Schicksale und Erfahrungen junger Syrer_innen verstehbar zu machen. 3 Die Begrenzung des Samplings auf junge Männer war die Folge dessen, dass die kontaktierten Träger ausschließlich entsprechende Kontakte vermittelten, wobei eine gendersensible Interpretation im Beitrag nur angedeutet werden kann. 4 Mit Ausnahme von Ahmad, der zusammen mit Frau und Kind geflohen ist, sind die anderen jungen Männer ohne engere Familienangehörige nach Deutschland gekommen. 2
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Für das Verständnis von menschlichem Denken, Handeln und Fühlen im Spannungsfeld widersprüchlicher Konstellationen von Möglichkeiten und Begrenzungen, von Privilegierungen und Diskriminierungen in bestehenden Machtverhältnissen eignet sich das Konzept des Subjektiven Möglichkeitsraums (Holzkamp 1983, S. 367ff.). Mit ihm kann nachvollzogen werden, wie Menschen in ihrer jeweiligen Lage in sozialstrukturellen Machtverhältnissen Spielräume der Lebensgestaltung und -bewältigung für sich entdecken und nutzen. Dabei interpretieren sie ihre sozialstrukturelle Lage und mit ihr verknüpfte Spielräume und tragen durch ihr Handeln zur Gestaltung vorgefundener Bedingungen bei. Hier finden sich Anknüpfungspunkte an Agency-Theorien (Loewenstein 2016; Helfferich 2012), die danach fragen, inwiefern Menschen vor dem Hintergrund sozialstruktureller Lebenslagen handlungsmächtig sind bzw. sich als handlungsmächtig erleben. Mit Handlungsmächtigkeit ist das Wirkung hinterlassende Handeln von Individuen zu verstehen und somit die Fähigkeit bzw. die Wahrnehmung, die eigenen Lebensumstände gestalten zu können und somit Spielräume der Lebensgestaltung und -bewältigung nutzen zu können. Aufgabe Sozialer Arbeit dabei ist es Menschen im Prozess der „Stärkung von Autonomie und Selbstbestimmung“ (IFSW 2014) so zu begleiten, dass sie Handlungsspielräume (wieder) entdecken, erweitern und ihre Bedürfnisse (zumindest ein bisschen) besser befriedigen können. Im Fokus dieser Studie stehen von rassistischen Machtverhältnissen gerahmte Lebenslagen und der damit verbundene Umstand, dass Spielräume selbstbestimmter Lebensgestaltung von Geflüchteten infolge restriktiver asylrechtlicher Bedingungen oft sehr eingeschränkt sind. Demzufolge ist die Soziale Arbeit in diesem Handlungsfeld permanent vor die Frage gestellt, wie sie Menschen unter strukturell stark begrenzenden Rahmenbedingungen bezüglich Handlungsmächtigkeit und Teilhabe stärken kann (vgl. Initiative Hochschullehrender 2016). 3. Perspektiven der jungen Männer auf Ankommen, Alltag und Zukunft Zu den Perspektiven der Befragten kommend, ist hervorzuheben, dass sich die fünf jungen Männer aus unterschiedlichen lokalen und biografischen Situationen heraus auf die Flucht begaben und dass die Verschiedenheit ihrer Persönlichkeiten und Situationen die Interviews durchzieht. Gleichzeitig verbinden sie die Erfahrung des Ankommens und der zugewiesene Flüchtlingsstatus als machtvoller asylrechtlicher und in dominanten Diskursen verankerter Status, der mit starken Begrenzungen von Handlungsspielräumen und Teilhabechancen einhergeht. So wird
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ihr Leben maßgeblich durch asylrechtlich vorgeschriebene Stationen und Begrenzungen bestimmt, was zu großen Parallelen in den beschriebenen Erfahrungswelten führt, wobei unterschiedliche Akzente hinsichtlich Deutung und Bewältigung vorgenommen werden. Diese Parallelen werden mit Blick auf die Stationen des Ankommens deutlich. 3.1 Stationen des Ankommens: Landeserstaufnahmeeinrichtung, Gemeinschaftsunterkunft, Freiwilligendienst Für alle beginnt das Leben in Deutschland in einer Landeserstaufnahmeeinrichtung, was durchgehend als extrem belastende Erfahrung beschrieben wird. Zentrale Themen sind das enge Zusammenleben mit Menschen in sehr unterschiedlichen, gleichzeitig durch die Flucht besonders belasteten Lebenslagen auf engstem Raum ohne Privatsphäre, die erzwungene Wartesituation, die Unsicherheit hinsichtlich Asylverfahren und Anschlussperspektiven und der damit verbundene Stillstand im Leben. Die jungen Männer sehen keine Räume für selbstbestimmtes Handeln, auch weil sie weder über Deutschkenntnisse, gesellschaftliches Orientierungswissen noch über Geld und Aufenthaltsstatus verfügen. Ahmad beschreibt, dass ihn nach den Strapazen und Ängsten der langen Flucht mit seiner Frau und dem zweijährigen Kind die Situation am Sinn seiner Flucht zweifeln ließ: „Dort haben wir mit vielen Leuten gelebt. Das ist auch nicht einfach. Verschiedene Leute, und jeder hat eine andere Kultur, jeder hat Probleme. Und es gab dort auch Alkoholiker. Das war nicht einfach für mich. Es gab immer Streit, es war immer laut, immer, und jeden Tag kamen die Security und die Polizei. Es gab viel Streit. Ich habe einen Mann mit einem Messer gesehen, im Streit mit einem anderen Mann. Ich dachte damals auch: ich will wieder nach Syrien zurück […]. Wenn Deutschland so ist, brauche ich in Syrien keine Angst und keine Sorge mehr zu haben.“ 5 Ahmad hatte Glück, mit seiner Familie schnell verlegt zu werden. Mahmoud hebt Qual des Wartens, der erzwungenen Passivität und Isolation hervor sowie fehlende Kommunikationsmöglichkeiten mit der Familie in Syrien: „Das sind nicht nur meine Probleme, die Probleme gab‘s für alle, ja, und dann habe ich nur gewartet, zwei Monate: Essen, nur trinken, wie Tiere, nur schlafen und essen, essen und schlafen. […] Das tut mir weh und auch mit dem Kontakt. Zitate ohne Quellenangaben stammen aus den fünf Interviewtranskripten. Stottern, Füllwörter („Ähm“) und grammatikalische Fehler wurden dabei leicht geglättet. Diese genau abzubilden hätte die Lesbarkeit deutlich erschwert und die Interviewpartner, die nicht in ihrer Muttersprache interviewt wurden, unnötig bloßgestellt. 5
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Ich habe in dieser Zeit keinen guten Kontakt mit meiner Familie. Ich bin hier alleine in Deutschland. Ich bin hier nur mit einem Cousin da, und es gibt keine Internetverbindung. […] weil das Camp war so weit von der Stadt. […] ja, diese zwei Monate waren richtig schwer.“ Mit dem Umzug in die Gemeinschaftsunterkunft verbessert sich für alle die Wohnsituation, weil sie erste positiv bewertete Kontakte knüpfen und, wie Karam formuliert, etwas mehr Privatsphäre und Ruhe haben: „Hier wird mein Leben leichter, weil ich habe ein bisschen […] Platz [betont].“ Zugleich treten die Schwierigkeiten des Einlebens in den Vordergrund: Fehlende Verständigungsmöglichkeiten und nicht vorhandenes gesellschaftliches Orientierungswissen werden als sehr belastend, teilweise bedrohlich erlebt. Hinzu kommt eine massive Verunsicherung aufgrund wahrgenommener kultureller Differenzen, die teilweise als Kulturschock erlebt werden. Außerdem geht es weiterhin darum, das Warten zu bewältigen: auf den Asylbescheid, den Zugang zum Sprachkurs, einen Internetzugang. Zugleich nimmt infolge der Entlastung vom Stress der Erstaufnahmeeinrichtung die Trauer um das verlorene Leben in Syrien und die Trennung von Familienangehörigen mehr Raum ein. Mehrheitlich könnten die jungen Männer nur eingeschränkt kommunizieren, weil Internetzugänge in den Unterkünften und bei den Angehörigen in Syrien schlecht sind. Die Trennung von der Familie wird durchgängig als besondere Belastung dargestellt. So wiederholt beispielsweise Karam immer wieder: „Ohne meine Familie finde ich es immer schwierig, […] am schwierigsten [betont] und am schwierigsten ist, dass ich nicht fliegen darf [betont], total schlimm.“ Er sieht keinen Raum für selbstbestimmtes Handeln hinsichtlich eines Wiedersehens. Gleichzeitig geben die Gespräche mit den Familien, wenn sie möglich sind, Kraft, wie Mahmoud hervorhebt: „Wenn ich Freizeit habe, ich spreche so oft mit meiner Familie. […] Nicht immer, weil in Damaskus haben wir nicht immer Strom […], aber jeden Tag spreche ich ungefähr eine halbe Stunde und, ja [betont], das ist gut für mich.“ Eine bedeutende Ressource in dieser Phase sind für die jungen Männer Kontakte zu freiwillig Engagierten, die den Erwerb erster Deutschkenntnisse, von gesellschaftlichem Orientierungswissen sowie eine erste soziale Einbindung vor Ort ermöglichen und das Gefühl vermitteln willkommen zu sein. Auch bauen sie wichtige Brücken beispielsweise bei der Wohnungssuche und dem Zugang zum Freiwilligendienst. Einige der jungen Männer heben auch die Bedeutung der Unterstützung durch Sozialarbeitende in dieser Zeit hervor, die einen ersten beruflichen Einstieg unterstützen und sich um eine Verbesserung der Wohnbedingungen bemühen.
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Die dritte Station ist der Freiwilligendienst, den die Befragten zum Interviewzeitpunkt absolvieren und den sie mehrheitlich sehr positiv bewerten, weil sie ihre Lage hinsichtlich selbstbestimmter Handlungsmöglichkeiten und Teilhabechancen ausweiten können - innerhalb der mit dem Flüchtlingsstatus verbundenen Begrenzungen. Dabei hängt die positive Beurteilung mit folgenden Ermöglichungen zusammen: ▪ ▪ ▪ ▪
▪
Verbesserung der Deutschkenntnisse, Zugewinn von gesellschaftlichem Orientierungswissen und somit Sicherheit in der Alltagsbewältigung; Kontaktaufbau zu Kolleg_innen und über die begleitenden Bildungsseminare zu Gleichaltrigen mit und ohne Fluchtgeschichte; Erfahren von Anerkennung als Kollege ‚auf Augenhöhe‘ hinsichtlich mitgebrachter und neu entdeckter Kompetenzen; Ausüben einer sinnvollen, den Alltag strukturierenden und ausfüllenden Tätigkeit und somit dem zermürbenden Wartestatus entkommen zu können und das zu tun, was für das Lebensalter ‚junger Erwachsener‘ normal ist; Beratung und Unterstützung bei der beruflichen Orientierung, z.B. beim Verfassen von Bewerbungen oder durch das Angebot eines Ausbildungsplatzes in der Einrichtung.
Auch verdienen die jungen Männer etwas Geld, das allerdings nicht ausreicht, um die Familie in Syrien finanziell zu unterstützen. Zudem werden die eher assistierenden Tätigkeiten teilweise als degradierende Rückstufung erlebt: So übte Nidal in Syrien als Krankenpfleger bereits ähnliche Tätigkeiten aus, konnte dort aber viel mehr Verantwortung übernehmen. Und Karam arbeitete nach seinem Studium als Lehrer; hier hofft er nun, in einigen Monaten in dem Kinderhaus, in dem er seinen Freiwilligendienst absolviert, eine Erzieherausbildung beginnen zu können – sofern er die dafür nötige Sprachprüfung besteht und sein einjähriger Aufenthaltsstatus verlängert wird. Hier stellt sich für Träger von Freiwilligendiensten die Frage, wie ‚mitgebrachte‘ Qualifikationen stärker einbezogen werden können, was die Bewältigung beruflicher Rückstufungen erleichtern könnte bzw. die Frage, in welchen Fällen statt eines Freiwilligendienstes ein direkter Berufseinstieg zu verfolgen wäre.
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3.2 Erfahrungen mit und Bewältigung von (antimuslimischem) Rassismus Rassismuserfahrungen nehmen in den Interviews einen breiten Raum ein, und die allgemeine Zunahme von antimuslimischem Rassimus (Bröse 2018) spiegelt sich in Erfahrungswelten der Befragten wieder.6 In verschiedenen Lebensbereichen sind die jungen Männer als (männliche) Muslime und als Geflüchtete mit Auswirkungen rassistischer Machtverhältnisse konfrontiert, die ihre Spielräume selbstbestimmten Handelns und gesellschaftlicher Teilhabe begrenzen; beispielsweise bei der Wohnungssuche, im Kontakt mit der Polizei sowie mit Menschen, die Dienstleistungen der Einrichtungen nutzen, in denen sie arbeiten. Zur Bewältigung der Erfahrungen versuchen sie auf verschiedenen Wegen, die erlebten einseitigen Negativzuschreibungen hinsichtlich ihrer religiösen sowie national-kulturellen Zugehörigkeit zu entkräften und ein positiveres Bild zu vermitteln und somit handlungsfähig zu bleiben. Eine Bewältigungsstrategie ist die aktive Auseinandersetzung im Gespräch mit Menschen des direkten Umfelds und die Annahme einer rechtfertigenden Verteidigungsrolle. So stellt Karam fest: „Wenn ein Flüchtling etwas Schlimmes macht, sie sagen, Flüchtlinge sind schlimm. Aber ich bin nicht verantwortlich. Das ist nicht meine Aufgabe [zu verteidigen; BS].“ Gleichzeitig geraten die jungen Männer aber immer wieder in entsprechende Situationen und nehmen genau diese Rolle an, um sie verletzende Vorurteile abzuwehren. So entschuldigt sich Mahmoud nach einem IS-Anschlag bei Bürger_innen seines Wohnortes: „Nach diesem Problem habe ich dann […] für die Deutschen bei diesem Treffen erklärt. […]: Wir sind gegen das und sorry für das, […] und ich habe mich ein bisschen entschuldigt.“ Darüber hinaus organisiert er eine öffentliche Solidaritätskundgebung, die er aber nach einer anonymen Drohung, die vermutlich aus IS-Kreisen kommt, absagt. Schmerzhaft ist für ihn hier auch sein Erleben, dass seine Angst von der Polizei nicht ernst genommen wird. Nidal und Karam sind Mitglieder von Tanzgruppen, die über Youtube-Videos und Auftritte bemüht sind ein positives Bild über ihr Heimatland und Verständnis für Lebenswelten Geflüchteter zu fördern. Die Tanzdarbietungen wie
Rassismus bedeutet, dass Menschen aufgrund einer Logik von Herkunft in homogen gedachte Gruppen eingeteilt werden (z.B. ausländisch) und dass diesen Gruppen pauschal quasi ‚angeborene‘ Eigenschaften mit hierarchisierender Bewertung zugeschrieben werden (z.B. häufiger kriminell). Durchschlagskraft gewinnen diese Zuschreibungen durch Machtverhältnisse, infolge derer Unterscheidungen auf diskursiver, struktureller und individueller Ebenen bedeutsam werden und sich Zugehörigkeitsverhältnisse etablieren, die ungleiche Behandlungen und strukturelle Verhältnisse legitimieren (Scharathow 2018). 6
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auch die Vorträge über Syrien sind zudem ein Medium, um ihrer Liebe zum Heimatland Ausdruck zu geben, Heimweh zu bewältigen und sich einer positive Bewertung der eigenen Kultur und Religion zu versichern. Karam, der in seinem neuen Heimatort häufig für diese Vorträge angefragt wird, die ihm entsprechende Handlungsräume öffnen, hält diese vor allem, um negative Zuschreibungen zu entkräften: „Deswegen machen wir immer unsere Vorträge. Wir wollen die Meinung ändern. Wir sind Flüchtlinge, ja, aber wir sind total nett.“ Als sei der Umstand geflüchtet zu sein ein Hinweis darauf, wie ‚nett‘ ein Mensch ist. Traurig stimmt ihn, dass ein negatives Erlebnis mit einer geflüchteten Person auf alle der Gruppe zugeordneten Menschen übertragen wird, denen ein quasi angeborenes So-Sein zugeschrieben wird. Derartige Reaktionen verletzen die jungen Männer, wie eine Aussage von Nidal zeigt: „Ich war total traurig und sauer, weil … ich hab‘s gehört als Beleidigung.“ In diesen Momenten wird die machtvolle Verankerung von Rassismus spürbar, was zu Gefühlen von Resignation und Motivationsverlusten führt, da die jungen Männer ihr Handeln nicht als wirkungsvoll erleben: So meint Karam: „Ich kann nicht viele Sachen machen. […] Es [die Vorträge; BS] reicht nicht, weil viele haben eine schlechte Idee über die Flüchtlinge.“ Teilweise antizipieren sie infolge häufiger Rassismuserfahrungen bereits ablehnende Haltungen: So war Karam, der unmittelbar vor dem Interview seinen Freiwilligendienst in einem Kinderhaus beendet hatte, erstaunt über das Ausmaß an Anerkennung, das ihm ‚deutsche‘ Eltern entgegenbrachten: „[V]iele Eltern haben mir gesagt, oh schade, Karam, wir hätten gerne, dass du weiter gemacht hättest. Jemand hat mir sogar ein Geschenk gegeben, mit seinem Kind geschickt, war total nett, ja [betont], es hat mich sehr [betont] gefreut, […] ganz ehrlich, ich war überrascht. Ich habe gedacht, dass die Eltern meinen, dass ich nicht zu ihnen passe.“ 3.3 Schwanken zwischen Aktivität und Engagement sowie Erschöpfung und Resignation Deutlich zeigt sich, dass die jungen Männer bei der Lebensgestaltung und -bewältigung zwischen einer aktiven Alltagsgestaltung voller Selbstvertrauen und Momenten von Überforderung und Resignation schwanken. Dies zeigt Karams Aussage, die auf die kontinuierliche Konfrontation mit Vorurteilen Bezug nimmt: „Man hat keine Motivation weiter zu machen. Ja, ich habe mehrere Male die Motivation verloren. Auch wegen meinem Aufenthaltsstatus. Weil ich habe lange ge-
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wartet. Wir waren vierzig Syrer in unserer Unterkunft. Achtunddreißig haben einen Aufenthalt für drei Jahre bekommen. […] Und ich habe nur einen Aufenthalt für ein Jahr bekommen“. Deprimierend ist nicht nur die Konfrontation mit rassistischen Diskursen, sondern auch das Gefühl von Machtlosigkeit, das mit der ihm willkürlich erscheinenden Zuteilung des Aufenthaltsstatus durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge einhergeht. Die Folge ist eine noch stärkere Einschränkung seiner Möglichkeiten selbstbestimmten Agierens: Er muss eine erhöhte aufenthaltsrechtliche Unsicherheit aushalten, die infolge der mit dem Status verknüpften Residenzpflicht seine Teilhabechancen besonders einschränkt. Beispielsweise kann er eine Wohnung im Nachbarort nur unter großen Schwierigkeiten beziehen: „Ich habe eine Wohnung in U. gefunden. Es war auch schwierig für mich, weil ich nicht umziehen darf […] wegen meinem Status. Ich habe nur einen Aufenthalt für ein Jahr und darf nur in meiner Stadt bleiben. […] Danach habe ich geschafft, irgendwas, irgendwie.“ Nur durch die Aktivierung ‚deutscher‘ Unterstützer_innen, also unter Einsatz von viel persönlicher Energie, gelingt doch noch der Bezug der Wohnung. Auch Nidal beeindruckt durch sein Aktivitätspotential, mit dem er in kurzer Zeit sehr viel erreicht hat: So spricht er nach rund einem Jahr hervorragend Deutsch und steht kurz vor der Aufnahme eines Medizinstudiums. Er berichtet aber auch von wiederkehrenden Momenten der Erschöpfung und Mutlosigkeit. Die alltägliche Lebensführung und das Verfolgen seiner Ziele trotz zahlreicher Hürden erfordern ein extrem hohes Maß an Kraft: So absolviert er neben seiner Arbeit im Krankenhaus einen Deutsch- und einen Englischkurs, trainiert in einer Tanzgruppe, pflegt viele soziale Kontakte und kümmert sich um Möglichkeiten der Aufnahme des Studiums. Doch manchmal falle es ihm schwer, so Nidal, die hierfür notwendige Energie aufzubringen. Er schildert seine Angst, das Studium möglicherweise nicht zu schaffen, weil ihm die Ausdauer fehlen könnte, über mehrere Jahre mit so viel Kraftaufwand ‚dran zu bleiben‘. Hier zeigt sich, dass die sozialstrukturelle Lage der jungen Männer infolge der sehr begrenzenden Rahmenbedingungen, die Asylsuchende vorfinden, so strukturiert ist, dass ein hohes Maß an Engagement unabdingbar ist, um Handlungsspielräume selbstbestimmter Lebensführung zu erkämpfen. Unter einer intersektionalen Analyseperspektive ist hinzuzufügen, dass die Befragten infolge sehr guter Bildungs- und teilweise Berufsabschlüsse sowie ihrer Position als Männer eine vergleichsweise gute Ausgangslage haben. Auch innerhalb des restriktiven Asylsystems gehören sie als Syrer zu einer der verhältnismäßig privilegierten Gruppe, da ihnen als einer von insgesamt fünf Herkunftsgruppen, eine ‚gute Blei-
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beperspektive‘ attestiert wird (vgl. Meißner 2018).7 Gleichzeitig werden aber immer wieder die engen Grenzen deutlich, die durch ihr Handeln nicht verrückbar sind, wofür exemplarisch das Ausgeliefertsein gegenüber asylrechtlichen Entscheidungen steht. So besteht ein Spannungsfeld darin, dass einerseits in den durch rassistisch strukturierte Rahmenbedingungen gegebenen Möglichkeitsräumen der jungen Männer ein Mindestmaß an Gestaltungsräumen und Sicherheit nur durch hohes Engagement erhalten und graduell ausgebaut werden kann. Andererseits machen die jungen Männer hierbei aber die wiederkehrende Erfahrung der Vergeblichkeit des eigenen Handelns. 3.4 Ambivalenzen in Sozialbeziehungen Deutlich wird auch, dass die jungen Männer bei den vielen zu bewältigenden Hürden auf deutsche Unterstützer_innen angewiesen sind. Alle heben die große Bedeutung von ehrenamtlichen Helfer_innen hervor und beschreiben dabei deren Hilfe bei der Aneignung erster Deutschkenntnisse als besonders zentral. Diese beschreiben sie als Voraussetzung dafür, um im Alltag (etwas) selbständiger agieren zu können. Auch nutzen sie die Kontakte, um nach beruflichen Perspektiven zu fragen und dem zermürbenden Wartezustand zu entkommen. Ahmad beispielsweise wendet sich mit seinem Wunsch nach Arbeit an eine ehrenamtliche Helferin, die in Kooperation mit einer Sozialarbeiterin gute Vorschläge machen kann, und Mahmoud fragt eine junge Frau, die ihn seit seiner Ankunft in der Kommune unterstützt, woraufhin sie den Freiwilligendienst vorschlägt und ihm bei der Bewerbung hilft. Deutlich sichtbar ist die Relevanz freiwilliger Helfer_innen bei der Ermöglichung von Spielräumen sicherlich auch, weil alle Befragte sehr gut in der Lage sind, diese Unterstützung aktiv zu suchen. Gleichzeitig sind die eröffneten Wege oft mit großen Hürden verknüpft, die wieder ohne das Zutun von Unterstützer_innen nicht überwindbar sind, wie die Aussage von Karam illustriert: „Es gab viele Schwierigkeiten mit meinem Bundesfreiwilligendienst, weil ich keine Krankenversicherung, keine Steuernummer habe. Ich musste alle beschäftigen.“ Bei der Beschaffung des ebenfalls notwendigen polizeilichen Führungszeugnisses erhält
Auch Geflüchteten aus Eritrea, Irak, Iran und Somalia wird eine gute Bleibeperspektive attestiert (Stand 2016). Asylbewerber_innen aus anderen Ländern haben eine ‚schlechte oder gänzlich fehlende Bleibeperspektive‘ und sind nochmal deutlich weitreichender von gesellschaftlichen Teilhabemöglichkeiten (z.B. Zugang zu Deutschkursen, zum Arbeitsmarkt und freie Wohnortwahl) ausgeschlossen (vgl. Meißner 2018, S. 146ff.). 7
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er Unterstützung seitens der Kommune, in der er sehr gut vernetzt ist: „Ohne Unterstützung geht es überhaupt gar nichts […], ja, ich habe persönlich viele Leute hier kennen gelernt.“ So erleben die jungen Männer, die sehr bestrebt sind, ihren Alltag selbstständig zu bewältigen und die Zukunft aktiv zu gestalten, dass sie oft auf Hilfe angewiesen sind und unterstützende Beziehungen zu Menschen der aufnehmenden Gesellschaft existentiell notwendig sind. Dabei geraten sie immer wieder in eine von Hilfe abhängige Position. Diese Einschränkung der eigenen Handlungsmächtigkeit gilt es zu bewältigen, wofür unterschiedliche Strategien gefunden werden. Mahmoud ist beispielsweise nicht nur bei seiner Tätigkeit im Sozialdienst einer Gemeinschaftsunterkunft für Geflüchtete sehr bemüht überall zu helfen, denn Hilfsbereitschaft sieht er als Grundlage dafür, selbst die für die Alltagsbewältigung notwendige Unterstützung zu bekommen: „[W]enn ich jemandem helfe, egal wem, einem Freund von mir oder jemandem aus der Familie, die Hilfe kommt danach zu mir zurück. Ja, deswegen helfe ich vielen Leuten. Ich mache das nur für die Hilfe.“ Karam engagiert sich bei der Tafel8 seines Wohnortes, nachdem ‚deutsche‘ Bekannte ihn hierum gebeten hatten: „Kannst du uns bitte helfen beim Übersetzen, weil die Flüchtlinge verstehen überhaupt gar nichts. Du darfst zum Beispiel nur vier Äpfel nehmen. Ja, gerne, ich mache es. Jetzt arbeite ich freitags, wenn ich Zeit habe, es macht viel Spaß.“ Es scheint Karam gut zu tun, in der Rolle des handlungsmächtigen Experten Geflüchtete zu unterstützen – und somit nicht in der Rolle der von Hilfe abhängigen Person zu sein. So betonen die jungen Männer im Gespräch über Sozialbeziehungen den Aspekt der Gegenseitigkeit. Beispielsweise Nidal hebt hervor, dass er der Lehrerin, die ihn unterstützt, Arabisch beibringt und sie von ihm über arabische Kultur lernen kann und Mahmoud betont, dass er und die junge Frau, die ihn engagiert unterstützt, sich oft gegenseitig einladen. Als besonders positiv werden die Beziehungen zu Kolleg_innen des Freiwilligendienstes dargestellt, welche die Befragten ebenfalls beim beruflichen Fortkommen unterstützen, in schwierigen Situationen ermutigen und mit denen sie Freizeit gemeinsam gestalten. Karam hebt hervor, dass er von den Kolleg_innen im Kinderhaus vom ersten Moment an als gleichwertiger Kollege angesprochen und den Eltern entsprechend vorgestellt wurde: „Sie haben mich immer unterstützt und ermutigt […] weiterzugehen in der Sprache oder in der Arbeit, weil am Anfang hatte ich Angst, dass die Eltern im Kindergarten nicht akzeptieren, dass ein Tafel bezeichnet gemeinnützige Hilfsorganisationen, die Lebensmittel, welche im Wirtschaftskreislauf nicht mehr verwendet und ansonsten vernichtet werden würden, an Bedürftige verteilen oder gegen geringes Entgelt abgeben. 8
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Flüchtling mit den Kindern arbeitet. […] Meine Chefin war total nett und sie sagt immer, das ist unser neuer Kollege, sie hat überhaupt gar nichts gesagt, oh [betont], er ist ein Flüchtling.“ Vor dem Hintergrund von Rassismuserfahrungen erlebt er den Umstand, dass die Kolleg_innen ihn nicht (im abwertenden Sinn) als ‚Flüchtling‘ sehen als positive Besonderheit. Zudem scheint es, dass diese Beziehungen vergleichsweise stärker auf Augenhöhe stattfinden, denn im Freiwilligendienst sind die jungen Männer eben in erster Linie Kollegen und keine ‚Hilfsbedürftigen‘. So zeigt sich übergreifend, dass unterstützende Beziehungen zu Menschen der aufnehmenden Gesellschaft bedeutsam sind, um Spielräume der Lebensgestaltung zu eröffnen. Gleichzeitig sind diese infolge der asylrechtlich strukturierten Lage der jungen Männer und dem Angewiesen-Sein auf Hilfe prekär unterlegt und finden schnell nicht mehr ‚auf Augenhöhe‘ statt. Oft finden soziale Beziehungen unter Bedingungen statt, in denen der Zugang zu notwendigen Ressourcen verstellt ist. Dadurch sind die jungen Männer darauf angewiesen, Helfer_innen zu mobilisieren und ‚bei der Stange zu halten‘. Sie müssen viel Kraft in Beziehungsaufbau und -gestaltung stecken, damit Angehörige der Mehrheitsgesellschaft bereit sind, sich für sie einzusetzen. Infolge der unausgewogenen Abhängigkeit von Hilfe ist eine instrumentelle Beziehungsqualität (Holzkamp 1983, S. 370ff.) angelegt, mit der beide Seiten umgehen müssen, vor allem aber die sich in der abhängigen Position befindenden jungen Männer. 4. Implikationen für die Soziale Arbeit Die Perspektiven der jungen Männer geben Anregungen, wie Soziale Arbeit Geflüchtete unter Einbezug sozialstruktureller Lebenslagen und hiermit verbundener Begrenzungen bei der Ausweitung von subjektiven Möglichkeitsräumen und Handlungsmächtigkeit unterstützen kann. Deutlich zeigen ihre Erfahrungen, dass, wie Karam erzählt, Sozialarbeiter_innen wichtige Räume eröffnen können: „Sie [Sozialarbeiterin der Gemeinschaftsunterkunft; BS] war total nett, freundlich. Sie wollte den Flüchtlingen helfen […] Ich hatte einen guten Kontakt mit meiner Sozialarbeiterin“, die ihm über einen Ein-Euro-Job den Einstieg in die Arbeit im Kinderhaus vermittelte, indem er im Anschluss den Freiwilligendienst absolvierte. Seiner Ansicht nach leisten Sozialarbeitende wertvolle Unterstützung: „Ich glaube, sie haben viel Möglichkeiten. Wenn sie wollen, sie können helfen, ja, auch wenn ein Flüchtling will. […] ja, ich war immer motiviert“. Auch im Fall von
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Yousev und Ahmad entwickelten Sozialarbeitende mit den jungen Männern Strategien des Berufseinstiegs und eröffneten den Weg zum Freiwilligendienst. Mahmoud hingegen hatte keine Kontakte, da in der neu eröffneten Gemeinschaftsunterkunft noch kein Sozialdienst existierte, und seine Erzählungen zeigen, dass er vermehrt auf Unterstützung durch freiwillig Engagierte angewiesen war. Dabei agiert Soziale Arbeit in widersprüchlichen Konstellationen, in denen es gilt, gegebene Räume innerhalb enger struktureller Grenzen zu nutzen und potenziell zu erweitern (vgl. hierzu Spindler 2018). Mit Blick auf die Interviews sind dazu zwei Aspekte hervorzuheben: Erstens kann der Versuch, Handlungsräume auszunutzen auch dann wichtig sein, wenn er nicht von Erfolg gekrönt ist. So berichtet Karam, dass es in der Unterkunft, in welcher er lebte, keinen Internetzugang gab, was für die Bewohner_innen eine massive Einschränkung ihrer Lebensgestaltung darstellte (Kontakthalten mit der Familie; Teilhabe in Deutschland). Er hebt das Engagement der Sozialarbeiterin hervor, die die Bedürfnisse der Geflüchteten ernst nahm und sich anwaltschaftlich einsetzte: „Sie hat versucht Internet zu bekommen, aber sie haben gesagt, die Kabel in dem Haus sind sehr alt und das kostet zu viel, wenn wir neue Kabel bekommen.“ Bedeutsam scheint hier die klare Parteilichkeit zu sein. Zweitens zeigt sich die Bedeutung kommunaler Strukturen und Spielräume. Zwei der jungen Männer beziehen sich ausgesprochen positiv auf kleinstädtische bis dörfliche Zusammenhänge, in denen sie leben und in denen ihnen immer wieder Gestaltungsspielräume eröffnet werden: „Viele, viele Leute habe ich kennen gelernt, bis zum Oberbürgermeister. Es ist toll für mich, ich will immer dort bleiben.“ Das Gefühl des Wohlfühlens begründet Karam klar mit dem sozialen Umfeld, also weil er im Ort viele Menschen kennt und sich unterstützt und anerkannt fühlt. So wurde er beispielsweise eingeladen beim städtischen Neujahresempfang eine Rede zur Situation Geflüchteter zu halten: „Ich habe kurz ein paar Sätze gesagt, sieben, acht Minuten, es war auch toll, alles. […] deswegen möchte ich in F. bleiben. […] Wurzeln [betont] habe ich schon.“, auch wenn F. nicht seine Heimatstadt ist: „Meine Heimatstadt habe ich schon. […] Damaskus, die älteste Hauptstadt der Welt“. So zeigen sich Konstellationen, in denen kommunale Spielräume sehr gut genutzt und Handlungsräume für die jungen Männer hinsichtlich einer Einbindung in die soziale Infrastruktur eröffnet werden, vor allem in den Bereichen Arbeit und Wohnen, Sozialkontakte, Anerkennung und Repräsentationsmöglichkeiten. Somit sollte Soziale Arbeit stärker und systematischer kommunale Gestaltungsspielräume erkunden und nutzen. Zusammenfassend zeigt sich, dass die jungen Männer mit großem Engagement versuchen unter einschränkenden rassistischen Machtverhältnissen ihr Le-
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ben zu gestalten, Ziele zu verfolgen und dabei um Handlungsmächtigkeit und Teilhabechancen ringen. Für die Soziale Arbeit stellt sich somit die Frage, wie es gelingen kann, Menschen unter den begrenzenden Rahmenbedingungen so zu unterstützen, dass Handlungsräume erweitert werden, Betroffene aber nicht im Angewiesen-Sein auf Hilfe in der ‚Klient_innenrolle‘ stecken bleiben. Auch stellt sich die Frage, welche ‚Fälle‘ von Sozialarbeitenden eigentlich gesehen und unterstützt werden? Die interviewten jungen Männer, die besonders aktiv nach Unterstützung und Möglichkeiten suchen, gelten vielleicht als ‚förderungswürdiger‘ und andere, stillere Geflüchtete werden weniger gesehen? Gleichzeitig wird auch deutlich, dass Erfolge mit Blick auf einzelne ‚Fälle‘ strukturelle Begrenzungen nicht verändern, innerhalb derer sich ähnliche Problemlagen reproduzieren. Diese vielen Spannungsfelder sind in den Blick zu nehmen und setzen voraus, Geflüchtete und ihre subjektiven Möglichkeitsräume, ihr aktives Inbezug-Setzen zu vorgefundenen Bedingungen sowie in ihren Unterschiedlichkeiten wahrzunehmen, anstatt schematisch ‚Asylfälle‘ abzuarbeiten. Dies bedingt, wie mit Blick auf das Handlungsfeld nicht oft genug wiederholt werden kann, angemessene Personalschlüssel in den Sozialdiensten, die so momentan mehrheitlich nicht gegeben sind (vgl. Initiative Hochschullehrender 2016). Literatur Bröse, J. (2018): Antimuslimischer Rassismus. Funktionsweisen und aktuelle Entwicklungen. In: B. Blank, S. Gögercin, K. Sauer & B. Schramkowski (Hrsg.), Soziale Arbeit in der Migrationsgesellschaft. Grundlagen - Konzepte – Handlungsfelder (S. 303-314). Wiesbaden: Springer VS. Helfferich, C. (2012): Einleitung: Von roten Heringen, Gräber und Brücken. Versuch einer Kartierung von Agency-Konzepten. In: S. Bethmann, C. Helfferich, H. Hoffmann & D. Niermann (Hrsg.), Agency. Qualitative Rekonstruktion und gesellschaftstheoretische Bezüge von Handlungsmächtigkeit (S. 9-39). Weinheim & Basel: Beltz Juventa. Holzkamp, K. (1983): Grundlegung der Psychologie. Frankfurt a.M.: Campus Verlag. International Federation of Social Workers IFSW (2014): Internationale Definition Sozialer Arbeit. Übersetzung des Deutschen Berufsverbandes für Soziale Arbeit. Verfügbar unter: https://www.dbsh.de/beruf/definition-der-sozialen-arbeit/deutsche-fassung.html Zugriff: 01.04.2018. Initiative Hochschullehrender zu Sozialer Arbeit in Gemeinschaftsunterkünften (2016): Soziale Arbeit mit Geflüchteten in Gemeinschaftsunterkünften. Professionelle Standards und sozialpolitische Basis. Berlin. Verfügbar unter: http://www.fluechtlingssozialarbeit.de/ Zugriff: 09.05.18. Loewenstein, H. (2016): Agency: Handlungs- und Gestaltungsmacht. In: B. Kraus & W. Krieger (Hrsg.), Macht in der Sozialen Arbeit. Interaktionsverhältnisse zwischen Kontrolle, Partizipation und Freisetzung (S. 155-172). 4. Aufl. Lage: Jacobs-Verlag. Markard, M. (2015): Der subjektwissenschaftliche Ansatz der Kritischen Psychologie. In: M. Allespach & J. Held (Hrsg.), Handbuch Subjektwissenschaft. Frankfurt am Main: Bund-Verlag.
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Meißner, M. (2018): Das Integrationsgesetz. Herausforderung und Chance für die Soziale Arbeit. In: B. Blank, S. Gögercin, K. Sauer & B. Schramkowski (Hrsg.), Soziale Arbeit in der Migrationsgesellschaft. Grundlagen - Konzepte – Handlungsfelder (S. 145-158). Wiesbaden: Springer VS. Sauer, K., Schramkowski, B. & Thiessen, B. (2018): Migrationsforschung, Disability und Gender Studies als Bezugspunkte einer diversitätsbewussten und menschenrechtsbasierten Sozialen Arbeit. In: C. Spatscheck & C. Steckelberg (Hrsg.), Menschenrechte und Soziale Arbeit – Konzeptionelle Grundlagen, Gestaltungsfelder und Umsetzung einer Realutopie (S. 97-108). Opladen, Berlin & Toronto: Barbara Budrich. Scharathow, W. (2018): Rassismus. In: B. Blank, S. Gögercin, K. Sauer & B. Schramkowski (Hrsg.), Soziale Arbeit in der Migrationsgesellschaft. Grundlagen - Konzepte – Handlungsfelder (S. 267278). Wiesbaden: Springer VS. Spindler, S. (2018): Von Begrenzungen und Bewegungen: Konfliktfelder Sozialer Arbeit im Kontext Flucht. In: B. Blank, S. Gögercin, K. Sauer & B. Schramkowski (Hrsg.), Soziale Arbeit in der Migrationsgesellschaft. Grundlagen - Konzepte – Handlungsfelder (S. 575-583). Wiesbaden: Springer VS.
Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexualisierter Gewalt in pädagogischen Kontexten Anja Teubert
Zusammenfassung Kinder und Jugendliche mit Beeinträchtigungen bilden eine der sehr verletzlichen Gruppen unserer Gesellschaft (Sauer & Teubert, 2018; Kaveman & Helfferich 2013). Wie diese besser vor sexualisierter Gewalt geschützt werden können, wird derzeit im Bundesmodellprojekt „Beraten und Stärken“ (BeSt) mit Praktiker_innen, Kindern, Jugendlichen und Wissenschaftler_innen erprobt. Das Besondere an diesem Projekt ist, dass nicht nur Materialien für die Arbeit mit Kindern und Pädagog_innen entwickelt, sondern Organisationsentwicklungsprozesse eingeleitet und begleitet werden, um gewaltfördernde Faktoren zu beseitigen. Das ist ein guter Anfang in Richtung Gewaltschutz, reicht allerdings noch nicht aus, denn die Verantwortlichkeit liegt auch bei den Gesetzgebenden, Geldgebenden und damit dem Steuerungssystem sozialer Unterstützung, das meiner Beobachtung nach hier noch zu zurückhaltend ist: Sowohl in Bezug auf die Ausstattung von Einrichtungen für Kinder und Jugendliche, als auch im Fachcontrolling. Es werden in folgendem Artikel Überlegungen dazu angestellt, wie eine ganzheitliche Prävention in pädagogischen Kontexten auf kommunaler Ebene gesteuert werden könnte. Dabei wird neben der Darstellung der Risikofaktoren für sexualisierte Gewalt in pädagogischen Kontexten exemplarisch die Situation in einem Landkreis vorgestellt, um dann anhand der dortigen Situation im Unterstützungssystem zu verdeutlichen, welche Strukturen und Maßnahmen zu einem besseren Schutz der nächsten Generation implementiert werden können (und müssen). 1. Die Situation Sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Frauen ist seit vielen Jahren mehr oder weniger Thema in den Medien. Oft wird diese Form der Gewalt stark mit emanzi© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 A. Polutta (Hrsg.), Kooperative Organisations- und Professionsentwicklung in Hochschule und Sozialwesen?, Edition Centaurus – Perspektiven Sozialer Arbeit in Theorie und Praxis, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31603-7_15
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patorischen Bewegungen in Zusammenhang gebracht. Der Missbrauch des Missbrauchs ist in dem Zusammenhang sehr häufig Thema. Damit schweifen wir ab von den Taten, den Betroffenen, den Folgen und dem Auftrag, den die Kinderund Jugendhilfe im Zusammenhang mit dem Schutz der „Schwächsten einer Gesellschaft“ hat. Insbesondere die Kinder- und Jugendhilfe sieht sich mit entsprechenden Anforderungen verstärkt konfrontiert, seit der Gesetzgeber 2012 mit dem Bundeskinderschutzgesetz Konzepte zur Sicherung der Rechte von Kindern und Jugendlichen und damit zur Verhinderung von Gewalt zu einem Qualitätsmerkmal für Einrichtungen (§ 79a SGB VIII) sowie zu einem Kriterium zur Erteilung der Betriebserlaubnis (§ 45 SGB VIII) erhoben hat. Dies wird laut Pöter und Wazlawik (2018, S.1) nun verbindlich gefordert. Auch der Unabhängige Beauftragte in Fragen sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM) fordert in dem Zusammenhang die Einführung von Schutzkonzepten in pädagogischen Kontexten. Was leider in Schulen noch immer den einzelnen Bundesländern obliegt, also nicht verbindlich vom Bund gefordert wird1. Die Verantwortung liegt, das ist gut nachvollziehbar, bei allen Systemen rund um die Kinder. 1.1 Die Verletzlichkeit von Kindern und Jugendlichen in pädagogischen Kontexten „Nach dem Fußballtraining kommen ein elf- und ein zwölfjähriger Junge völlig verschwitzt in ihre Wohngruppe. Die Erzieherin fordert sie auf, vor dem Abendessen zu duschen. Der Zwölfjährige will nicht duschen. Energisch nimmt die Erzieherin den Jungen an die Hand und geht mit ihm ins Badezimmer, wo sie ihn gegen seinen Willen auszieht und unter die Dusche stellt. Der Junge setzt sich zur Wehr und versucht, die Erzieherin zu treten. Sie kann ihn beruhigen und spricht besänftigend auf ihn ein, streichelt über seinen Kopf. Sie erklärt ihm, dass sie den körperlichen Angriff gegen sie eigentlich dem Heimleiter melden müsste. Sie werde darauf verzichten, wenn er sich jetzt ganz ruhig von ihr abduschen ließe. Verschämt und unsicher lässt der Junge sich nun einseifen. Beim anschließenden gemeinsamen Abendessen verhält sich der Junge auffallend anders als gewohnt. Er wirkt verstockt und in sich gekehrt, während die Erzieherin versucht, zur Normalität des Alltags zurückzukehren. Ihre Kollegin nimmt die Situation als merkwürdig wahr und beschließt für sich: `Ich frage mal lieber nicht nach, das wird schon seine Richtigkeit haben!`“ (Fallbeispiel aus einer Broschüre der Stiftung Liebenau Teilhabe, 2014).
Dieses Beispiel verdeutlicht sehr gut die Macht, die Pädagog_innen / Erwachsene in pädagogischen (und familiären2) Kontexten haben und vor allem, die Ohnmacht, die Kinder in solchen Situationen spüren und konkret erleben. Kinder und Jugendliche sind also immer da verletzlich, wo sie nicht die Möglichkeit sehen, Näheres dazu: UBSKM 2017 Die familiären Kontexte denken wir mit, sie sind immer auch Gegenstand der Betrachtung, aber hier nicht explizit Thema. 1 2
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erhalten und nutzen, sich für ihre Bedürfnisse einzusetzen. Werden diese Chancen nicht eröffnet, bleiben die jungen Menschen in Abhängigkeit von Pädagog_innen und müssen darauf hoffen, dass diese ihre Macht nicht ausnutzen. Nicht selten bilden auch die vorgegebenen Regeln einen starren Rahmen, der dazu führt, dass die Bedürfnisse, Ängste und Gefühle der Beteiligten in der Struktur des Alltags verloren gehen. Es besteht die Gefahr, dass die Kinder sich dadurch als unbedeutend, möglicherweise sogar „falsch empfindend“ wahrnehmen und nicht zur Wehr setzen. Kinder und Jugendliche, die ein eher negatives Selbstwertgefühl, wenig Bewusstsein gegenüber der eigenen Person empfinden, sich stark an anderen orientieren, um dazu zu gehören, gemocht oder auch geliebt zu werden, sind besonders verletzlich. Sie trauen den eigenen Empfindungen nicht, gehen schneller über persönliche Grenzen, weil sie andere nicht enttäuschen wollen. Fehlt den Kindern/ Jugendlichen dazu auch noch eine Sprache, mit der sie mitteilen können, was sie erleben und/oder empfinden, werden und bleiben sie leicht Opfer sexualisierter und anderer Formen von Gewalt. Dass gerade Kinder/Jugendliche mit nach außen sichtbaren Beeinträchtigungen eher zu dieser leicht zu verletzenden Gruppe gehören, liegt auf der Hand: Durch das Anders – und damit auch oft Ausgegrenzt Sein ist gerade hier das Bedürfnis nach Zugehörigkeit sehr groß. Das Angewiesen Sein auf Unterstützung führt nicht selten dazu, dass unangenehme Berührungen und/oder Aussagen „ertragen“ werden, weil man ja nicht undankbar erscheinen möchte. 1.2 Formen und Folgen sexualisierter Gewalt Ob das Verhalten der Erzieherin im Beispiel bereits eine Form sexualisierter Gewalt war, lässt sich klären, indem man sich folgende Fragen stellt: „Was ist die Absicht der Handlung? Wem nützt die Handlung, wer zieht Gewinn daraus? Von wem geht die Handlung aus? Kann das Mädchen, der Junge ohne Mühe ablehnen, NEIN sagen? Welche Gefühle habe ich demgegenüber?“ (May, 1997, Arbeitsbogen 2) May macht mit diesen Kriterien deutlich, dass die Verantwortung für eine grenzverletzende Haltung bei den Erwachsenen liegt, sie Spielräume eröffnen und Kinder und Jugendliche befähigen müssen, ,Nein!‘ zu sagen. Entscheidend ist also immer die Absicht hinter einer Handlung. Hier könnte es beispielsweise die Erzieherin sein, die versucht, ihre eigenen „Bedürfnisse nach Macht, Autorität, Anerkennung, Körperkontakt, Intimität, sexueller Befriedigung gegen den Willen und auf Kosten der körperlichen und seelischen Integrität eines Opfers“ zu befriedigen (Teubert in Stiftung Liebenau Teilhabe, 2014, S. 7). Sexualisierte Gewalt kann dabei viele unterschiedliche Formen annehmen – von unerwünschtem Berühren,
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Betätscheln, Befingern über anzügliche Bemerkungen oder aufdringliche sexuelle Angebote bis hin zu konkreten sexuellen Aktivitäten (Gebrande & Clemenz, 2016). Bei sexuellen Handlungen zwischen Erwachsenen und Kindern handelt es sich immer um Missbrauch, weil der oder die Erwachsene das Machtungleichgewicht und Vertrauensverhältnis zwischen ihm/ihr und dem Kind ausnutzt. Die Folgen sexualisierter Gewalt im Kindesalter sind von gesamtgesellschaftlicher Bedeutung. Sie sind teilweise sehr gravierend, beeinflussen das Verhalten, Erleben, Erziehen sowie die Fähigkeit, am Leben in der Gemeinschaft teilzuhaben und dazu beizutragen, immens. Zu den Langzeitfolgen zählen Posttraumatische Verhaltens-, Angst-, Ess-, Beziehungs-, sexuelle und dissoziative Störungen, Depressionen, Sucht bis hin zu Suizid (Körner & Lenz, 2004). Die volkswirtschaftlichen Schäden häuslicher Gewalt, zu der die sexualisierte Gewalt gegen Kinder zählt, beziffern sich einer Studie der Universitäten Oxford und Stanford auf weltweit auf 6,1 Billionen Euro (Hoeffler & Fearon, 2014). „Gewalttätige Verbrechen, Kindesmissbrauch und häusliche Gewalt sind […] sehr viel verbreiteter und teurer für die Wohlfahrtssysteme“, so die Forschenden. Es ist also nicht nur in der Verantwortung der Kinder- und Jugendhilfe, die von Gesetzes wegen den Auftrag hat, Kinder und Jugendliche vor Gewalt und anderen das Kindeswohl gefährdenden Handlungen zu schützen, sondern schlicht gesamtgesellschaftlich klug, sich dem Thema anzunehmen. 1.3 Unterstützungssystem in einem Landkreis Der hier beschriebene Landkreis scheint aus meiner Sicht beispielhaft für den größten Teil des eher ländlichen Baden-Württembergs zu stehen. Die Darstellung ergibt sich aus einer Analyse der Unterstützungslandschaft im Zusammenhang mit der Erstellung eines Gutachtens für ein Gesamtkonzept zum Schutz vor sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche. Folgendes Bild hat sich ergeben: 1.3.1 Viele fühlen sich zuständig! Aus einem für die Öffentlichkeit zugänglichen „Einrichtungsführer“ wird ersichtlich, welche Einrichtungen welche Form der Unterstützung im Zusammenhang mit sexualisierter Gewalt anbieten. Es handelt sich um 15 unterschiedliche Einrichtungen, die angeben, sich in der Zuständigkeit für Betroffene von sexualisierter Gewalt zu sehen. Angeboten werden Begleitung und Beratung sowie die Abklärung der Situation.
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Betroffene können also aus einer Vielzahl von Ansprechpartner_innen auswählen. Das ist grundsätzlich positiv, wenn man nicht berücksichtigt, dass gerade die Beratung und Begleitung in Fällen sexualisierter Gewalt eines besonderen Wissens bedarf, das erfahrungsgemäß nicht überall ausreichend vorhanden ist. Bestätigt wird dies durch die zuständigen Personen beim Jugendamt. Diese konsternieren, dass es „eigentlich nur eine Stelle“ gibt, die über die notwendige Expertise verfügt und mit der das Jugendamt (zumindest die Leitung) in allen Fällen sexualisierter Gewalt zusammenarbeitet. Im Sozialen Dienst ist die hier benötigte Expertise ebenfalls nicht bei allen Fachkräften vorhanden. Das heißt: auch hier kann davon ausgegangen werden, dass Kinder/Jugendliche nicht immer ernst genommen und Zeichen nicht erkannt werden, so dass die adäquate Hilfe dann nicht erfolgt. Eine Zusammenarbeit in allen Fällen sexualisierter Gewalt ist nicht standardisiert vereinbart. Für (indirekt) Betroffene ist also davon auszugehen, dass die Möglichkeit besteht, an eine Stelle zu geraten, die nicht adäquat reagiert. 1.3.2 Vernetzung verläuft oft nur bilateral! Kooperationen existieren oft nur bilateral, wenn beispielsweise eine Lehrkraft die Fachkraft der Fachberatungsstelle kennt. Nicht selten werden mehrere Einrichtungen konsultiert. Daraus resultierend ist es wahrscheinlich, dass diese, ohne voneinander zu wissen, an einem Vorkommnis arbeiten. Unabgestimmte Arbeit mit Angehörigen und Betroffenen, unbesprochenes Intervenieren kann den Schutz der Kinder und Jugendlichen gefährden. Denn wenn mögliche Täter_innen zu früh informiert werden, passiert es oft, dass diese Druck auf die Kinder / Jugendlichen ausüben, um diese dazu zu bringen, ihre Aussagen zurück zu ziehen. 1.3.3 Standards sind nicht allen bekannt und nur einseitig aktivierbar Vereinbarungen, wer wann wozu eingeschaltet wird, gibt es im Landkreis standardisiert nur im Fall der Vermutung von Kindeswohlgefährdung nach Paragraf 8a SGB VIII und im so genannten „Moderationsverfahren“, das dann in Gang gesetzt wird, wenn es sich um unklare Fälle sexualisierter Gewalt bei Kindern und Jugendlichen handelt. Dieses Verfahren kann allerdings nur von Seiten des Jugendamts aktiviert werden. Die Fachberatungsstelle hat diese Kompetenz nicht. Die Beratungsstelle selbst moderiert und organisiert „Runde Tische“, an denen alle Beteiligten sich über das weitere Vorgehen absprechen. Dies kann nur geschehen, wenn die Fachberatungsstelle den Auftrag von den Beteiligten erhält. Verweigert beispielsweise eine Schulleitung den Runden Tisch, um eine Lehrkraft zu schützen, hat die Fachberatungsstelle keine Möglichkeit, von sich aus einzugreifen.
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1.3.4 Eine Fachstelle kennt sich richtig aus! Die mit einer halben Stelle besetzte Fachberatungsstelle ist, wie in vielen Landkreisen/Städten, bisher nicht komplett kommunal finanziert. Mitgliedsbeiträge und Spenden sowie Projektfinanzierungen werden von einem unbezahlt tätigen Vereinsvorstand akquiriert. Das Management obliegt dem Vorstand, die Fachkraft arbeitet mit Honorarkräften und deckt die Beratung und die Anfragen nach Präventionsveranstaltungen an Schulen und Kitas innerhalb der zur Verfügung stehenden knappen Arbeitszeit ab. Die Mitgliedschaft bei der Deutschen Gesellschaft für Prävention und Intervention bei Kindermisshandlung und -Vernachlässigung (DGfPI3) wird ebenfalls über Spenden finanziert. Sie unterstützt die notwendige fachliche Weiterentwicklung und Unterstützung durch die Bundeskoordinierung Spezialisierter Fachberatung gegen sexualisierte Gewalt in Kindheit und Jugend4 (BKSF). 1.3.5 Orte, an denen Kinder und Jugendliche sich aufhalten, sind nicht im notwendigen Umfang sensibilisiert Einrichtungen der offenen Kinder- und Jugendarbeit, der Hilfen zur Erziehung und auch Regeleinrichtungen (Schule und Kita) sind Orte, an denen Pädagog_innen arbeiten, die in der Lage sind oder sein sollten, Beziehung aufzubauen und Veränderungen der Kinder/Jugendlichen im Alltag wahrzunehmen, sowie deren Schutzfaktoren zu stärken. Inwieweit diese Fachlichkeit gewährleistet ist, ist nicht gesichert. Es gibt im Landkreis einige Regeleinrichtungen, die regelmäßig oder vereinzelt mit der Fachberatungsstelle zusammenarbeiten. Ein konfessioneller Träger hat alle Kitas mit den Basisinformationen zum Thema geschult. Die Arbeit der Fachberatungsstelle in den Regeleinrichtungen richtet sich hauptsächlich an die Kinder und Jugendlichen und zum Teil auch an das pädagogische Personal. Elternarbeit findet kaum statt. Schutzkonzepte wurden in keiner Einrichtung entwickelt, auch Vereinbarungen über die Zusammenarbeit in Fällen sexualisierter Gewalt im Sinne eines verbindlichen Verfahrens existieren, zumindest mit der einzigen Fachberatungsstelle im Landkreis, nicht. Pädagogische Einrichtungen sind zudem Orte, an denen Gewalthandeln aus unterschiedlichen Gründen begünstigt werden kann. Da es hier keine oder nur unzureichende Steuerung / Kontrolle gibt, kann davon ausgegangen werden, dass
https://www.dgfpi.de/startseite.html Seit 2016 arbeitet die BKSF daran, Fachberatungsstellen untereinander zu vernetzen, den fachlichen Austausch zu intensivieren und Qualitätsstandards zu entwickeln. https://www.dgfpi.de/kinderschutz/buko-bundeskoordinierungsstelle.html 3 4
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mindestens einer der im Folgenden genannten Risikofaktoren zutrifft und damit der Schutz der Kinder und Jugendlichen nicht angemessen gewährleistet ist. Zusammengefasst ist zu sagen, dass dieser – wie vermutlich alle Landkreise – über ein breit ausgestattetes, fachlich angemessen gutes Unterstützungssystem verfügt. Da sexualisierte Gewalt in unterschiedlichen Kontexten auftritt, sind alle Einrichtungen, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten, auf verschiedenen Arten mit dem Thema konfrontiert. Da aber das Thema der sexualisierten Gewalt (noch) nicht curricularer Inhalt von Ausbildung und Studium ist, kann die notwendige Expertise nicht automatisch vorhanden sein. Um diese zu gewährleisten, bedarf es einer Qualitäts-Steuerung durch die Kinder- und Jugendhilfe, die meines Erachtens in Form einer intensiven Vernetzungsarbeit realisiert werden kann. Gemeinsames Ziel muss das Entschärfen der empirisch belegten Risikofaktoren in pädagogischen Einrichtungen sein, um die Schutzfaktoren der Kinder und Jugendlichen angemessen stärken zu können. 2. Risikofaktoren für sexualisierte Gewalt in pädagogischen Kontexten Pöter und Wazlawik (2018) haben folgende Risikofaktoren in pädagogischen Kontexten als empirisch belegt identifiziert: „Abgrenzung zur Außenwelt“ (ebd., S. 35): Kinder und Jugendlichen bleibt die Möglichkeit verwehrt, mit außenstehenden Personen in intensiven Kontakt zu treten. Der Alltag spielt sich weitgehend in der Einrichtung ab, die Zusammenarbeit ist geprägt von Kontrolle. Lösungen für Konflikte werden stets innerhalb des Systems gesucht und gefunden. Die Mitarbeitenden regeln alles unter sich und nehmen wenig bis keine Außenperspektive in Anspruch. „Mangelhafte Ausstattung“ (ebd.): Beengte, überfüllte Räumlichkeiten und damit mangelnde Rückzugsmöglichkeiten führen zu großer (selbstverständlicher) und unausweichlicher Nähe, die von Täter_innen ausgenutzt werden kann. Fehlendes Personal führt zu Überforderung der Mitarbeitenden, die „potenziell gewaltförmige Erziehungspraktiken bzw. die Duldung von Übergriffen zur Konsequenz haben kann“ (ebd., S. 36). Eine durch Mangel entstandene Grundatmosphäre „emotionaler Entbehrung“ (Keupp et al., 2013, S. 46, zitiert in Pöter & Wazlawik, 2018), kann zudem einen Risikofaktor darstellen. „Fachliche Defizite“ (ebd.): Eine unzureichende professionelle Haltung und Qualifikation im Hinblick auf das Thema sexualisierte Gewalt ist nach Pöter und Wazlawik ein grundsätzliches Risiko für sexualisierte Gewalt in pädagogischen Kontexten. Fehlen die Ermöglichung von Selbstwirksamkeitsempfinden,
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der Aufbau eines positiven Selbstwertgefühls, das Nutzen von sozialräumlichen Ressourcen zum Schutz vor Gewalt und sind sie kein fester Bestandteil des sozialpädagogischen Handelns, stellt dies ein weiteres Risiko dar. Fehlen zudem noch das Wissen um Formen, Auswirkungen, Täter_innenstrategien und Schutzfaktoren, erhöht dies das Risiko von Gewalt in den Einrichtungen. „Strukturelle Defizite“ (ebd.): Das Fehlen externer Ansprechpersonen und vor allem „Unklarheiten und Inkonsequenzen in der Wahrnehmung von Aufsichtsverantwortungen (Einrichtungsleitung, Träger, Landesjugendamt)“ (ebd.) erleichtern das Verschleiern von Gewalt und stärken die Risikofaktoren insgesamt. Damit einhergehe, so die Forschenden, das Nicht-Dokumentieren und damit Verschleiern von Vorfällen. „Autoritär-hierarchische Machverhältnisse“ (ebd., S. 37): Gehorsam und damit Abhängigkeiten zwischen Mitarbeitenden und Leitungspersonen führen dazu, dass Leitungskräfte nicht kritisiert und damit ihr möglicherweise grenzüberschreitendes Verhalten nicht korrigiert werden kann. Zudem entstehen Machtstrukturen, die dazu führen, dass auch die Kinder- und Jugendlichen „dem Handeln von Erwachsenen weitgehend schutzlos ausgeliefert sind“ (ebd.). Es entstehen so genannte „Inseln der Macht“ (Zinsmeister et al., 2011, S. 198), auf denen Kinder / Jugendliche oft hilflos Täter_innen ausgesetzt sind. „Entwertung von Kindern und Jugendlichen“ (ebd.): Wenn Kinder und Jugendliche fachlich unzureichend (siehe zweiter Risikofaktor) auf ihre Defizite reduziert werden, besteht die Gefahr, dass rigide Erziehungspraktiken legitimiert werden, Kinder in ihrem negativen Selbstwertgefühl bestärkt und damit ihr Selbstwirksamkeitsempfinden nicht unterstützt, sondern noch mehr geschmälert wird – zu Gunsten der Macht der Pädagog_innen. Frings (2013) spricht vom Schaffen von „Menschen zweiter Klasse“ (S. 114), deren Glaubwürdigkeit und Rechte sehr eingeschränkt werden. „Allgegenwart von Gewalt“ (ebd.): Erleben Kinder und Jugendliche, dass Erwachsene Gewalt dulden oder gar verschleiern, wird für diese der Alltag durch ein „Klima der Gewalt“ (Bauer et al., 2013, S. 76) zur Normalität. „Fehlende Positivbeziehungen von Kindern und Jugendlichen“ (ebd.): Fühlen Menschen sich ungeliebt, erleichtert dies Täter_innen die Anbahnung einer sexualisierten Gewaltbeziehung. „Unterdrückung von Körperlichkeit und Sexualität“ (ebd.): Keinen Zugang zum eigenen Körper und zur eigenen Sexualität zu haben, erschwert die Einordnung von sexuellen Handlungen in positiv oder negativ. Die Worte fehlen und die Unsicherheit im Einordnen, ob das, was empfunden wird (nämlich Ekel, Schmerz, Scham), „richtig“ ist, kann durch Manipulation verstärkt werden. Was
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nicht sein kann, darf auch nicht angesprochen werden, findet keinen Raum und macht Täter_innen auch in dieser Beziehung leichtes Spiel. „Primat der Einrichtung“ (ebd.): Wenn das (wirtschaftliche) Interesse der Einrichtungen Vorrang hat, vor den pädagogischen Zielen – der Sicherung des Wohls der Kinder und Jugendlichen, werden viele der zuvor genannten Risikofaktoren verstärkt. Reibungslose Abläufe im Einrichtungsalltag beispielsweise führen zu Zeitersparnis, unterstützen aber nicht die Selbstbestimmung und das Erhöhen von Eigenverantwortung und Selbstwirksamkeitsempfinden bei den Kindern und Jugendlichen. Einrichtungen, die sich vor einem schlechten Ruf fürchten, wenn sie Verdachtsfälle offensiv angehen, bleiben geschlossen und somit Risikoeinrichtungen. 3. Aufbau eines kommunalen Schutz-Netzwerks Der Gesetzgeber hat 2012 mit dem Bundeskinderschutzgesetz explizit Konzepte zur Verhinderung von Gewalt gefordert. Also sollten alle pädagogischen Einrichtungen dabei unterstützt werden, sich entsprechend aufzustellen. Beispielsweise wird die 2016 bundesweit gestartete Initiative des Unabhängigen Beauftragten in Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs „Schule gegen sexuellen Missbrauch“ noch nicht in allen Bundesländern aufgegriffen. In einigen wird sie „nur“ in Form von Fortbildungen für die Lehrerschaft5 umgesetzt und sollte durch gezielte Kooperationen mit den Schulbehörden, Fachberatungsstellen und dem Jugendamt in den Landkreisen zu wirksamen Schutzkonzepten weiterentwickelt werden. Eine klare Regelung der Zuständigkeiten und Aufgaben im Zusammenhang mit Prävention und Intervention bei sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche kann die Risiken unkoordinierten und unprofessionellen Handelns minimieren. Zu empfehlen ist, auf kommunaler Ebene anzusetzen und die Steuerung der Qualitätssicherung dem Jugendamt in Kooperation mit einer Fachberatungsstelle zu übertragen. Der Fachberatungsstelle als Expertin zum Thema kommt die Rolle zu, möglichst nachhaltig wirkende Strategien der Prävention zu entwickeln und in enger Kooperation mit allen Beteiligten den Schutz von Kindern und Jugendlichen mit und ohne Beeinträchtigung kontinuierlich zu fokussieren und zu thematisieren. Das ist ein erster und wichtiger Schritt und soll auf alle Fälle gewürdigt werden. Allerdings greifen die Ergebnisse von Fortbildungen besser, wenn sie in allgemeine Akzeptanz und entsprechende Strukturen eingebettet sind. 5
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3.1 Die Rolle der Kommune Für eine deutliche Positionierung zum Kindesschutz ist es hilfreich, wenn auch die politisch Verantwortlichen sich intensiv mit dem Thema auseinandersetzen. Denn für den Schutz vor sexualisierter Gewalt bedarf es in den meisten Kommunen neben zusätzlichen finanziellen Mitteln auch einer Sensibilisierungsstrategie. Die Kommune und ihre politisch verantwortlichen Mitglieder solltenbeispielhaft vorangehen und sich deutlich zum Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexualisierter Gewalt positionieren. 3.2 Die Rolle der kommunalen Verwaltungen Jugendamt, Schulamt und die Eingliederungshilfe sollten ihre Möglichkeiten der Sensibilisierung und Einflussnahme auf die strukturellen Bedingungen in den mit ihnen kooperierenden Einrichtungen überprüfen. Organisiert werden könnte dies durch den Aufbau von Organisationsnetzwerken (Teubert & Gögercin 2018) in denen die Implementierung von Schutzkonzepten besprochen und koordiniert wird. Diese Netzwerke könnten langfristig zur Qualitätskontrolle dienen. Die Art der Einbindung und Sensibilisierung der Verwaltungsebene erscheint angesichts der Dynamik der Thematik sinnvoll: es sind Kooperationen erforderlich, die gemeinsam dafür sorgen, dass die notwendigen Qualitätsstandards in pädagogischen Kontexten angepasst und eingehalten werden. 3.3 Die Rolle des Jugendamtes Zu empfehlen ist in Zusammenhang mit dem Auftrag des Kinderschutzes gemeinsam mit der Fachberatungsstelle ein abgestimmtes Verfahren zur Sicherung der Qualität im eigenen Haus und in Kooperation mit den leistungserbringenden Trägern und den kommunalen Einrichtungen der Kinder- und Jugendarbeit zu entwickeln. Dazu gehören unbedingt auch die Träger, die Unterstützung für Kinder mit Beeinträchtigungen anbieten. Ziel muss sein, die in den Einrichtungen bestehenden Risikofaktoren zu minimieren und Disclosure-Prozesse6 besser zu ermöglichen. Handlungsleitend müssen dabei die von Pöter &Wazlawik (2018) identifizierten Risikofaktoren und die sich daraus ergebenden Empfehlungen für die 6
Prozesse der Aufdeckung sexueller Gewalterfahrungen
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Strukturebene (S. 40) sein. Diese betreffen die fachliche und räumliche Ausstattung, das Vorhandensein fachlich-reflexiver Handlungskonzeptionen auch in Bezug auf Verdachtsfälle und die verbindliche Zusammenarbeit mit der Fachberatungsstelle. Eine wichtige Bedeutung in dem Zusammenhang hat zudem die Einführung eines Handlungskonzepts und Dokumentationssystems in (Verdachts-) Fällen7. 3.4 Die Rolle der Fachberatungsstelle Aufgrund der speziellen Dynamiken in Fällen sexualisierter Gewalt ist es notwendig, eine Fachberatungsstelle als Expertin für universelle, selektive und indizierte Prävention in das Unterstützungssystem einzubinden und deren Rolle explizit und vor allem verbindlich zu klären. Folgende Aufgaben obliegen dieser Stelle: ▪ Ihr obliegt die Fachberatung aller in der Verantwortung für den Schutz der Personengruppe stehenden Personen /Organisationen. ▪ Sie entwickelt kooperativ Verfahrensabläufe, die bindend für alle (Regel)Einrichtungen im Landkreis gelten. ▪ Sie vertritt Kinder und Jugendliche, die von sexualisierter Gewalt betroffen sind und unterstützt die Erarbeitung passgenauer Unterstützungsmaßnahmen in Zusammenarbeit mit dem Jugendamt. ▪ Sie entwickelt und koordiniert ganzheitlich ansetzende Präventionsmaßen unter Einbezug bereits bestehender, fachlich passender Konzepte. Dabei liegt der Hauptschwerpunkt auf der Arbeit mit Multiplikator_innen, die aus dem Kreis der Fachkräfte, Eltern und auch der Jugendlichen gewonnen werden. ▪ Sie unterstützt bei der Entwicklung von Schutzkonzepten in pädagogischen Einrichtungen. ▪ Sie sorgt kontinuierlich für die Sensibilisierung und damit Enttabuisierung des Themas. Um die Niederschwelligkeit der Fachberatungsstellen zu erhalten, ist es sinnvoll, den Hauptschwerpunkt der Arbeit auf die Prävention zu legen und hier auch barrierefreie Materialien und Kommunikationsmöglichkeiten für Kinder und Jugendliche mit Beeinträchtigungen vorzuhalten (Sauer & Teubert 2018). 7
Ausführlich dazu Pöter & Wazlawik 2018, S. 40 ff
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Die Prozessbegleitung von betroffenen Kindern und Jugendlichen können in Baden-Württemberg eigens dafür ausgebildete Fachkräfte übernehmen. Die Begleitung der Betroffenen kann im Einzelfall, gerade bei Disclosure-Prozessen über einen längeren Zeitraum dauern. Für therapeutische und längerfristig begleitende Maßnahmen können andere Ressourcen (aus dem sozialen Umfeld, wenn möglich) kooperativ aktiviert werden. Möglichkeiten der Stabilisierung sind im Rahmen der indizierten Prävention oft unablässig. Hier gilt es, gesonderte oder zusätzliche Angebote für Kinder und Jugendliche vorzuhalten. Aufgrund der besonderen Dynamik in Gewaltsystemen (Mosser 2009) gilt es, die Unterstützungsvorbereitung unter Berücksichtigung dieser vorzunehmen. Daher ist der Einbezug der Fachberatungsstelle gerade zu diesem Zeitpunkt des Hilfeprozesses wichtig. 4. Schutz vor sexualisierter Gewalt in pädagogischen Kontexten Sexualisierte Gewalt gegenüber Kindern und Jugendlichen ist ein Querschnittsthema und sollte in allen pädagogischen Kontexten bearbeitet werden. Schutzkonzepte müssen in allen Einrichtungen vorhanden sein. Sie erhöhen nicht nur den Schutz vor sexualisierter Gewalt, sie verbessern auch die fachliche Qualität der Arbeit insgesamt. „Die Gewalt lebt davon, dass sie von Anständigen nicht für möglich gehalten wird.“ (Jean-Paul Sartre) – dieses Zitat drückt für mich aus, was ich seit Jahren im Zusammenhang mit sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche erlebe: Obwohl die Medien berichten, Statistiken und Studien belegen, dass Kinder und Jugendliche (auch) in pädagogischen Kontexten sexualisierte Gewalt erfahren, gibt es noch immer keine spezifischen Konzepte und Netzwerke zum Schutz der Kinder. Das Thema bleibt im Hintergrund. Vielleicht ist das so, weil Sartre Recht hatte und „die Anständigen“ einfach nicht glauben können oder wollen, dass sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Jugendliche überall möglich ist. Wir wissen es nicht. Aber wir wissen, dass wir etwas tun müssen und wir beobachten, dass durch die Arbeit des Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Missbrauchs und dem Betroffenenrat8 sowie vieler mutiger Menschen, die darüber sprechen, selbst als Kind sexualisierte Gewalt erlebt zu haben, das Thema präsent ist. Es ist gut, dass Menschen, wie der Landrat im dargestellten Landkreis, sich auf den Weg machen, ein Schutznetzwerk für ihre Region zu installieren. Einige Akteur_innen beginnen also, den Kinderschutz in unserer Gesellschaft ernsthaft zu 8
https://beauftragter-missbrauch.de/betroffenenrat/der-betroffenenrat/
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fokussieren. Dafür muss in vielen Einrichtungen nachjustiert und finanziell und fachlich investiert werden. Und um dies zu erreichen, brauchen wir eine gesellschaftliche und politische Positionierung hin zum Wohl unseres Nachwuches. Der sollte uns noch viel mehr wert sein! Literatur Deutsche Gesellschaft für Prävention und Intervention bei Kindesmisshandlung, -vernachlässigung und sexualisierter Gewalt e.V.. https://www.dgfpi.de/startseite.html. Zugriff: 21.06.2018 Deutsche Gesellschaft für Prävention und Intervention bei Kindesmisshandlung, -vernachlässigung und sexualisierter Gewalt e.V. Bundeskoordinierungsstelle. Verfügbar unter: https://www.dgfpi.de/kinderschutz/buko-bundeskoordinierungsstelle.html. Zugriff: 21.06.2018 Bauer, I. H. (2013): Abgestempelt und ausgeliefert. Fürsorgeerziehung und Fremdunterbringung in Salzburg nach 1945. Fearon, J. H. (2014): Benefits and Costs of the Conflict and Violence Targets for the Post-2015 Development Agenda. Copenhagen: Copenhagen Consensus Center . Frings, B. (2013): Behindertenhilfe und Heimerziehung. Das St. Vinzenzstift Aulhausen und das Jugendheim Marienhausen (1945-1970). Gebrande, J. (2016): Kinder mit sexualisierten Gewalterfahrungen unterstützen. Bedarfsanalyse von pädagogischen Fachkräften in Kindertageseinrichtungen. Opladen/Berlin/Toronto: Barbara Budrich. Kavemann, B. & Helfferich, C. (2013): Lebenssituation und Belastungen von Frauen mit Behinderungen und Beeinträchtigungen in Deutschland. Herausgegeben vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Bielefeld, Berlin, Freiburg. Verfügbar unter: http://www.bmfsfj.de/BMFSFJ/Service/publikationen,did=199822.html Zugriff: 22.06.18. Keupp, H., Straus, F., Mosser, P., Gmür, W. & Hackenschmied, G. (2013): Sexueller Missbrauch, psychische und körperliche Gewalt im Internat der Benediktinerabtei Ettal. Individuelle Folgen und organisatorisch-strukturelle Hintergründe. Körner, W. & Lenz, A. (2004): Sexueller Missbrauch. Grundlagen und Konzepte. Göttingen: Hofgrebe. May, A. (1979): Nein ist nicht genug. Prävention und Prophylaxe. Inhalte, Methoden und Materialien zum Fachgebiet Sexueller Missbrauch. Ruhnmark: Donna Vita. Mosser, P. (2009): Wege aus dem Dunkelfeld: Aufdeckung und Hilfesuche bei sexuellem Missbrauch. Wiesbaden: Springer VS. Pöter, J. & Wazlawik, M. (2018): Pädagogische Einrichtungen sicher(er) machen. Risikobedingungen sexualisierter Gewalt und Konsequenzen für die Gestaltung von Prävention. A. Teubert u. a. (Hrsg.), Interdisziplinäre Fachzeitschrift der Deutschen Gesellschaft für Prävention und Intervention bei Kindesvernachlässigung, S. 34-46. Sauer, K. & Teubert, A. (Juli 2018): Prävention von (sexualisierter) Gewalt gegenüber Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen. Interdisziplinäre Fachzeitschrift der DGfPI, S. 46-57. Stiftung Liebenau Teilhabe (2014): Leitlinien zum Umgang mit sexuellem Missbrauch und Behinderung. Meckenbeuren: Stiftung Liebenau Teilhabe. Teubert, A. (2014): sexuelle Gewalt. In: Leitlinien zum Umgang mit sexuellem Missbrauch und Behinderung. Meckenbeuren: Stiftung Liebenau Teilhabe. Teubert, A. & Gögercin, S. (2018): Professionelle "sozialarbeiterische Netzwerkarbeit" zur Steuerung sozialer Dienstleistungen für geflüchtete Menschen. In: B. Blank, S. Gögercin, K. E. Sauer & B.
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Kinderschutz bei Trennung und Scheidung als Handlungsfeld der öffentlichen Jugendhilfe Melanie Geiges und Steffen Kallenbach
1. Einleitung Der Schutz von Kindern ist aus sozialpädagogischer und juristischer Perspektive ein sensibler Bereich über den zwischen den Professionen trefflich disputiert wird. Dabei stellt sich die Frage, wie Kinderschutz definiert und inhaltlich gefüllt werden kann und vor allem, worauf sich Sozialarbeitende und Jurist*innen bei der Auslegung und Bewertung dessen, was Kindeswohlgefährdung konkret sein soll, einigen können. Problematisch ist in diesem Kontext auch die primäre Fokussierung im Bewusstsein der Bevölkerung, der Medien und der Politik auf Prävention und Intervention bei Kindesmisshandlung und Kindesmissbrauch. Bereits hier zeigt sich die Diskrepanz zwischen körperlicher und seelischer Kindeswohlgefährdung. Die Professionen sehen sich schon lange mit der Frage konfrontiert, wie seelische Misshandlungen frühzeitig erkannt werden und wie Kinder und Jugendliche unter der Berücksichtigung ihrer Lebenswelten und Lebenslagen unterstützt werden können. Ein zentraler Ursachenbereich bei seelischer Kindesmisshandlung ist die (Lebens)Situation bei Trennung und Scheidung der Eltern, in die Kinder ungefragt und ungewollt geraten. Sowohl in einem partnerschaftlichen Streit als auch bei Trennung und Scheidung werden Kinder häufig zerrieben, geraten zwischen die Fronten oder werden von den Eltern manipuliert und instrumentalisiert, um den anderen Elternteil zu diskreditieren. Konflikte werden demnach mit und über das Kind ausgetragen. Dieser Beitrag beschäftigt sich mit der Frage, inwiefern ausgewählte Akteure im Trennungs- und Scheidungsverfahren im Allgemeinen sowie das Jugendamt im Besonderen im Falle einer seelischen Gefährdung von Kindern und Jugendlichen durch Trennung und Scheidung durch organisatorische, personelle und fachliche Kompetenzen präventiv wirken können. Dabei ist auch von Interesse, welche Chancen eine intensive Kooperation aller Beteiligten in sich birgt, aber © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 A. Polutta (Hrsg.), Kooperative Organisations- und Professionsentwicklung in Hochschule und Sozialwesen?, Edition Centaurus – Perspektiven Sozialer Arbeit in Theorie und Praxis, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31603-7_16
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auch, welche Risiken diese aufweisen kann, z.B. durch einen differenten berufsbiografischen Hintergrund und damit einhergehende unterschiedliche Deutungsmuster. 2. Rechtliche Hintergründe Dem „Problemfall“ Kindeswohl und Kindeswohlgefährdung kann nicht nur auf sozialarbeiterisch-pädagogischer, sondern muss auch auf juristischer Ebene begegnet werden. Dabei sei vorweg genommen: die juristische Beschäftigung und Bearbeitung mit der Thematik erleichtert die pädagogische Arbeit jedoch keineswegs. Das Recht kann Sozialarbeitenden allenfalls einen Orientierungsrahmen, aber keine Lösungen, vor allem keine im effektiven Kinderschutz, bieten. Dieser rechtliche Orientierungsrahmen muss fallspezifisch konkretisiert und mit pädagogischen Inhalten gefüllt werden. Das Recht ist im Bereich des Kinderschutzes sowohl von streitenden Interessen als auch von Abgrenzungs- und Auslegungsproblemen geprägt. So stehen sich einerseits das grundgesetzlich geschützte natürliche Recht der Eltern auf Pflege und Erziehung ihrer Kinder nach Art. 6 Abs. 2 GG, welches sich in der einen oder anderen abgewandelten Form in unterschiedlichen Rechtsnormen des Zivil- und Öffentlichen Rechts wiederfindet, also der sog. elterliche „Erziehungsprimat“ und andererseits der sog. „Wächterstaat“ nach Art. 6 Abs. 3 GG, gegenüber. Darüber hinaus definiert das Recht, und das ist eine seiner originären Aufgaben, nur allgemein, was unter einer Kindeswohlgefährdung zu subsumieren ist, indem es die Kriterien der Kindeswohlgefährdung, nämlich die des körperlichen, geistigen, seelischen und das Vermögen betreffenden Kindeswohls, möglichst im Grundsätzlichen und daher konkretisierungsbedürftig aufstellt. Gerade im Bereich Trennung und Scheidung haben es die Beteiligten mit höchst individuellen und konflikthaften Problemlagen, die Einfluss auf das Kindeswohl haben, zu tun, die das Recht nicht vollumfänglich zu regeln und lösen vermag. Allenfalls die Gerichte haben, von erst- bis höchstinstanzlicher Ebene, so durch das bekannte Urteil des BGH 1956, Konkretisierungsversuche zu einer Definition des Kindeswohls unternommen. Dennoch sind gerade die höchstrichterlichen Entscheidungen des BGH und des BVerfG in Bezug auf die Auslegung der das Kindeswohl betreffenden unbestimmten Rechtbegriffe durchaus ambivalent und uneinheitlich. Das mag einerseits verwundern, andererseits sind die Gerichte unabhängig und haben die jeweiligen Umstände des Einzelfalles zu beachten. Besondere Brisanz im Trennungs- und Sorgerechtsverfahren bestand bis zur Entscheidung des EuGHMR zum
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Case of Zaunegger v. Germany aus dem Jahre 2009 und der Umsetzung in nationales Recht für Kinder, deren Väter nicht mit der Kindsmutter verheiratet waren und die eine gemeinsame Sorge ablehnten. Hier entschieden die deutschen Gerichte primär zu Gunsten der Kindsmutter, obwohl bereits damals wissenschaftlich erwiesen war, dass es für das Wohl des Kindes zuträglich ist, nicht nur Kontakt mit, sondern auch Aufenthalt bei beiden Elternteilen zu haben. Im Bereich des Kinderschutzes und somit der Kindeswohlgefährdung ist der § 1666 BGB auf zivilrechtlich-gerichtlicher Ebene eine einschlägige Rechtsnorm für den Umgang mit der Problematik Kindeswohlgefährdung. Diese Rechtnorm eröffnet den Familiengerichten u.a. Optionen in Bezug auf sekundäre Präventionsmöglichkeiten im Kinderschutz. Betrachtet man die Rechtnorm des § 1666 BGB genauer, so könnte man zunächst zu der Erkenntnis gelangen, dass dem Gericht ein breites Portfolio an präventiven Maßnahmen zur Verfügung stünde. Bei genauerer Betrachtung entpuppen sich diese, auch unter dem Lichte des Art. 6 II GG, „lediglich“ als Gebote an die Erziehungsberechtigten, öffentliche Hilfen in Form der Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe in Anspruch zu nehmen. Die i.S.d. § 1666 Abs. 3 Nr. 3-5 BGB enthaltenen Verbote beziehen sich primär auf Kontakte zwischen Erziehungsberechtigten und Kindern sowie die Aufnahme selbiger. Darüber hinaus ermöglichen und legitimieren die Regelungen des § 1666 BGB den Gerichten Eingriffe in die Grundrechte der Eltern „sofern die Erziehungsberechtigten nicht Willens oder nicht in der Lage sind, eine Gefahr abzuwenden“. Als Ultima Ratio im Falle des Versagens der Eltern, steht dem Familiengericht sodann der teilweise oder auch vollständige Entzug der elterlichen Sorge und somit der Eingriff in die Grundrechte der Eltern nach Art. 6 II GG zur Verfügung. Eine weitere einschlägige Rechtsnorm findet sich im § 8a SGB VIII. Primärer Adressat ist hier zunächst das Jugendamt, welches insofern handlungsverpflichtet wird, sofern diesem gewichtige Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung offenbar werden. Durch Vereinbarungen mit den freien Trägern der Jugendhilfe werden die Vorschriften des § 8a SGB VIII auf diese, auch i.S.e. Belehnung mit öffentlichen Aufgaben übertragen und somit der Schutzauftrag auf diese erweitert. Sofern die verpflichtende professionelle Gefährdungs- bzw. Risikoabschätzung positiv bewertet wird, demnach verpflichtendes Handeln in Gang setzt, müssen den Erziehungsberechtigten Hilfen zur Abwehr einer akuten oder auch potenziellen Gefahr für das Kindeswohl angeboten, erörtert und durchgeführt werden, wenn diese geeignet und notwendig sind. Aufgrund grundrechtlich beschränkender Normen wie die des Art. 6 II GG und des primären Leistungsantragscharakters durch die Leistungsberechtigten des SGB VIII besteht seitens der Eltern
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jedoch kein Zwang zur Annahme. Vielmehr stehen den Akteuren des Jugendamtes „nur“ die Instrumente der guten Argumentation und Überzeugung oder der Drohung eines „empfindlichen Übels“, nämlich der der gerichtlichen Auseinandersetzung, der Inobhutnahme nach § 42 SGB VIII oder gar der Anrufung des Familiengerichtes zum Zwecke des Entzuges der elterlichen Sorge zur Verfügung. Denn sind die Eltern nicht Willens oder nicht in der Lage, eine Gefahr für das Kind oder den Jugendlichen abzuwenden oder bei der Abschätzung des Gefährdungsrisikos mitzuwirken, so kann und muss das Jugendamt das zuständige Familiengericht anrufen. In Fällen rechtsanhängiger Scheidungssachen, bei denen minderjährige Kinder involviert sind, hat das Familiengericht nach § 17 Abs. 3 SGB VIII i.V. m. § 622 ZPO, das zuständige Jugendamt über ein laufendes Verfahren zu unterrichten und die damit verbundenen notwendigen Daten zu übermitteln, damit das Jugendamt die strittigen Eltern über die Leistungsangebote der Jugendhilfe in Form von Unterstützungsleistungen speziell für Eltern, informieren, diese bei der Entwicklung eines einvernehmlichen Konzeptes für die Wahrnehmung der elterlichen Sorge und der elterlichen Verantwortung begleiten und unterstützen kann. An diesen Verfahren sind die betroffenen Kinder und Jugendlichen der strittigen Elternteile angemessen zu beteiligen. § 17 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB VIII konkretisiert den Anspruch der Eltern auf Beratung im Falle von Trennung und Scheidung und verpflichtet zugleich das Jugendamt, die zu erbringenden Beratungen so zu gestalten, dass im Falle von Scheidung, Bedingungen für eine dem Wohl des Kindes oder des Jugendlichen förderliche Wahrnehmung der Elternverantwortung zu schaffen sind, die demnach als bereits frühzeitig präventive initiierte Maßnahmen anzusehen sind. Eltern im Scheidungsverfahren eröffnen sich so frühzeitig Möglichkeiten zur Einholung von Hilfen, bspw. um verhärtete Konflikte zu bearbeiten und einen für das Wohl des Kindes förderlichen Weg der Trennung einzuschlagen. Dem Jugendamt bietet sich auf diesem Weg die Möglichkeit der Informationsgewinnung über potentielle „Problemfälle“ und die frühe Einleitung von Präventionsmaßnahmen. Im Sinne einer Verpflichtung bindet das Scheidungsverfahren zwei Parteien gleichzeitig und weist ihnen Aufgaben zu, die umzusetzen sich schwierig gestalten können. Die Anforderungen des § 156 FamFG verpflichten das Familiengericht im Scheidungsverfahren, jederzeit- demnach auch möglichst frühzeitig, auf eine einvernehmliche Lösung im Sinne der Trennung der Erziehungsberechtigten und der Klärung von Sorgerechtsstreitigkeiten hinzuarbeiten. Im Allgemeinen ist das Jugendamt nach § 50 SGB VIII verpflichtet, als aktive Partei in familiengerichtlichen Verfahren mitzuwirken, sofern es sich um
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Kindschafts-, Abstammungs-, Adoptions-, Ehewohn- und Gewaltschutzsachen handelt. In der Regel setzt die Mitwirkungspflicht des Jugendamtes bereits ein, wenn von einem oder beiden Elternteilen Anträge beim Familiengericht zur Klärung von Sorgerechts- oder Umgangsstreitigkeiten gestellt wurden und das Familiengericht das zuständige Jugendamt hierüber im Rahmen seiner Informationspflicht unterrichtet. Aus pädagogischer und professionell-ethischer Perspektive ist die plurale Rolle des Jugendamtes nicht gänzlich unproblematisch: „Anwalt des Kindes“, Anbieter*in von Hilfeleistungen, Berater*in, Vertraute*r und Kontrolleur*in der Erziehungsberechtigten, Informant*in des Familiengerichtes i.S.v. § 50 Abs. 2 S.1 und 2 SGB VIII in einer Person. Um diese vielfältigen Aufgaben bewältigen zu können, bedarf es Raum, Zeit, Verständnis und neben ausreichendem Personal, klarer und trennscharfer Kompetenz- und Aufgabenverteilung. Die gesetzlichen Grundlagen für den Kinderschutz im Handlungsfeld der Trennungs- und Scheidungsberatung sind gegeben. Eine professionelle und präventive Arbeit in diesem Bereich des Allgemeinen Sozialen Dienst des Jugendamtes wird benötigt. Inwiefern die Beratung nach § 17 SGB VIII sowie die Mitwirkung nach § 50 SGB VIII mehr Anerkennung in Bezug auf notwendige Arbeitszeit, Fallverteilung und Personalausstattung in der öffentlichen Jugendhilfe im Hinblick auf Kinderschutz erhalten sollte, wird im weiteren Verlauf dieses Beitrages erörtert. Erkennbar sind jedoch auch verschiedene Kooperationen zwischen unterschiedlichen Akteuren: So existieren auf Jugendamtsebene unterschiedlich ausgeprägte und motivierte Kooperationen, beispielsweise mit den Eltern, den Gerichten, den freien Trägern der Wohlfahrtspflege oder Akteuren wie Polizei, Schulen oder Hebammen, die nur marginal originäre Schnittmengen bzw. Aufgaben im Kontext der Kinder- und Jugendhilfe aufweisen. Hier lassen sich zwei Typen der Kooperation, die rechtlich verbindliche und die rechtlich normierte, aber unverbindliche Kooperation identifizieren. Demnach sind eine verpflichtende bzw. zwingend vorgeschriebene und eine Form der freiwilligen Kooperation zu unterscheiden. Im Sinne einer zwingend vorgeschriebenen Kooperation seien hier exemplarisch die Regelungen des § 8a Abs. 3 ff. SGB VIII, genannt. Unverbindliche Kooperationen finden sich u.a. in Entscheidungen der Familiengerichte wieder. So können und sollen die Erziehungsberechtigten, im Falle eines drohenden Entzuges der elterlichen Sorge mit den für den Kinderschutz zuständigen Akteuren, hier das Jugendamt, zusammenarbeiten, ohne im Detail zu klären, wie diese zu erfolgen hat. Hier verlassen sich die Fachgerichte zu Recht auf die sozialpädagogisch-sozialarbeiterischen Fachkräfte. Nicht unbeachtlich ist auch die allgemeine Vorgabe des Gesetzes zur Kooperation und Information im Kinderschutz (KKG) in Bezug auf die Schaffung von Netzwerken im Kontext Frühe Hilfen.
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Immanent ist all diesen rechtlich vorgeschriebenen Kooperationen, die „gewollte Regelungslücke“, die den Akteuren einen gewissen Vertrauensvorschuss sowie (fachliche) Offen- und Selbstverantwortlichkeit zugesteht. 3. Formen von seelischer Misshandlung im Kontext Trennung und Scheidung Seelische Misshandlungen können im Rahmen einer Risikoabschätzung bei Kindeswohlgefährdung ausschlaggebend sein, um eine Gefährdung für das seelische Wohl eines Kindes positiv diagnostizieren zu können, und die Beantwortung der Frage, ob die Einleitung des Verfahren nach § 8a SGB VIII durch das Jugendamt oder die durch Vereinbarung verpflichteten Träger der Jugendhilfe, indiziert ist oder nicht. Strittig und fraglich dabei ist, welche Handlungen oder Unterlassungen notwendig sind, um erhebliche Verhaltens-, Persönlichkeits- und Entwicklungsstörungen an einem Kind auslösen zu können. Hierbei ist zunächst zwischen aktiver und passiver seelischer Misshandlung zu unterscheiden. Beispiele für aktive seelische Misshandlungen sind ständiges Kritisieren oder Beschimpfen, Verspotten, Erniedrigen, Verängstigen oder Einschüchtern von Kindern sowie elterliche Streitigkeiten und familiäre Gewalt. Durch bewusstes oder unbewusstes Einbeziehen in Streitigkeiten, die aktiv-passive Manipulation durch Elternteile, geraten Kinderund Jugendliche als schwächstes Glied in der Konfliktkette nicht nur in Loyalitätskonflikte, sondern sind zugleich Leidtragende und unschuldige Opfer der Trennung. Auch aus diesen Gründen sind konfliktbehaftete Trennungen und Scheidungen gerade für Kinder- und Jugendliche höchst problematisch und bergen für ihre weitere Entwicklung Risiken. Vor allem der Angriff auf die Bindung des Kindes oder Jugendlichen zum anderen Elternteil ist hier maßgeblich für die seelische Gefährdung des Kindes/ Jugendlichen verantwortlich. Beispiele für passive seelische Misshandlungen reichen von Ignorieren über Isolieren bis hin zu Einsperren des Kindes. 4. Statistische Erhebungen Das Statistische Bundesamt (2017a) hat für das Jahr 2016 insgesamt 81.936 Ehescheidungsverfahren, bei denen 131.955 minderjährige Kinder betroffen waren, festgestellt. Die meisten Fälle wiesen eine Trennungszeit von ca. einem Jahr auf.
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Diese Zahl macht deutlich, wie viele Kinder und Jugendliche jährlich von seelischer Gefährdung oder seelischer Misshandlung betroffen sein könnten. Im Vergleich mit den Angaben in der Statistik der Jugendämter zur Anzahl von Kindeswohlgefährdungen aus dem Jahr 2016 wird deutlich, dass von ca. 45.800 Fällen einer akuten und latenten Kindeswohlgefährdung, 28,4 % Anzeichen für psychische Misshandlung festgestellt wurden (Statistisches Bundesamt 2017b). Die Statistiken lassen zwar keine Rückschlüsse auf Ursachen der psychischen Misshandlungen im Einzelnen zu, aber es kann davon ausgegangen werden, dass die Gefährdungen für das seelische Wohl eines Kindes ‚sichtbarer‘ werden. In Bezug auf Trennung und Scheidung sollte daher auch im Hinblick auf ein Verfahren nach § 8a SGB VIII gut überprüft werden, ob die Kinder einer tiefgreifenden seelischen Gefährdung ausgesetzt sind oder bereits eine seelische Misshandlung stattgefunden hat. 5. Risiken und Folgen für Kinder bei Trennung und Scheidung Trennung und Scheidung der Eltern haben für alle Familienmitglieder Folgen, die deren weiteren Lebenslauf negativ beeinflussen können. Vor allem Kinder leiden in den meisten Fällen besonders unter der Trennung ihrer Eltern oder unter der belastenden Situation von Partnerschaftskonflikten innerhalb der Familie. So sind Kinder durch Trennung und Scheidung erhöhten psychosozialen Risiken, wie z.B. gesundheitlichen Problemen, die sich etwa in Kopfschmerzen oder Bauchschmerzen zeigen können, ausgesetzt. Weitere psychosoziale Risiken finden sich in schulischen und alltäglichen Situationen und Anforderungen wieder, in denen Kinder aufgrund der Belastung durch die Trennung der Eltern überfordert sind. Dies führt häufig zu schlechteren Bildungsergebnissen. Mit negativen Trennungserfahrungen belastete Kinder und Jugendliche entwickeln und zeigen später außerdem oft selbst schwierige Beziehungsmuster in eigenen Partnerschaften. Dabei sei aber darauf hingewiesen, dass nicht automatisch alle von Trennung und Scheidung betroffenen Kinder und Jugendliche einer seelischen Gefährdung oder Misshandlung ausgesetzt sind. Eine gelungene und gut aufgearbeitete Trennung oder Scheidung zwischen den Eltern unter Einbeziehung der Kinder kann für diese durchaus stabilisierend für deren Persönlichkeitsentwicklung sein. Dennoch ist die Beeinflussung von Kindern und die Entfremdung eines Elternteils bei Trennung und Scheidung ein nicht zu unterschätzendes Problem. Ein nicht geringer Anteil an psychischen Belastungen tritt dann auf, wenn nach einer Trennung eine neue Partner-
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schaft durch ein Elternteil eingegangen wird. Die Entfremdung des anderen Elternteils, welches nicht mit den Kindern zusammenlebt, tritt häufig auf, wenn durch neue Partnerschaften Fronten zwischen den getrenntlebenden Elternteilen und den Kindern geschaffen werden. Hier werden die Kinder systematisch gegenüber dem getrenntlebenden Elternteil beeinflusst. Dieses aktive Zerstören von zuvor meist guten Bindungen zum anderen Elternteil ist ebenfalls Bestandteil einer seelischen Misshandlung, da das Kind extrem manipuliert wird. Es bauen sich Haltungen gegenüber dem getrenntlebenden Elternteil auf, welche meist über Jahre nicht mehr korrigiert werden können und welche durch negative Instrumentalisierung die Kinder in ihrer Persönlichkeitsentwicklung stark negativ beeinflussen. Ebenso häufig gibt es aber auch die Konstellation, dass Kinder durch den Stiefelternteil seelisch misshandelt werden, in dem sie erniedrigt, verspottet, verängstigt oder unter Druck gesetzt werden. Der leibliche Elternteil ist oft nicht in der Lage, sich mit dieser Situation bewusst auseinanderzusetzen. Aus Angst davor, dass die neue Partnerschaft in die Brüche geht, werden Anzeichen der Gefährdung für die eigenen Kinder übersehen oder verdrängt. Hier kann, soll und muss das Jugendamt, als „Anwalt der Kinder“ tätig werden. 6. Aufgaben und Anforderungen an die öffentliche Jugendhilfe Da die Trennungs- und Scheidungsberatung im Jugendamt im Rahmen des SGB VIII gesetzlich verankert ist, hat die öffentliche Jugendhilfe die Aufgabe, sich mit den getrennt lebenden oder im Trennungsprozess befindlichen Eltern und deren Kindern auseinanderzusetzen. So könnte im Rahmen eines mediativen Vorgehens positiv auf die Situation der gemeinsamen Kinder eingewirkt werden. Die Empfehlungen des Jugendamtes oder ggf. Entscheidungen des Familiengerichtes sind nur dann wirksam und für das Kindeswohl förderlich, wenn die Eltern in der Lage sind, dies auch zu verinnerlichen und mitzutragen. Jahrelange Streitigkeiten vor dem Gericht, z.B. über das Sorge- und Umgangsrecht für die Kinder, ist nicht nur für die beteiligten Eltern zermürbend, sondern schadet vor allem einem unbelasteten und gesunden Aufwachsen des Kindes. Damit die Kinder auch bei Trennung und Scheidung zu beiden Elternteilen eine positive Beziehung und Bindung anhaltend erleben können, ist es von enormer Bedeutung, die Eltern davon zu überzeugen, dass einvernehmliche Regelungen hierfür die wichtigste Grundlage sind. Es ist wichtig, dass das Jugendamt frühzeitig von einer Trennung oder Scheidung erfährt, da nur so (verhärtete) Konflikte bearbeitet werden können. Die
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Unterstützung bei der Konfliktbewältigung sowie das Aufzeigen von Lösungsmöglichkeiten und das gemeinsame Erarbeiten von hilfreichen und konstruktiven Modellen spielen hier eine zentrale Rolle. Um Partnerschaftskonflikte bei Trennung und Scheidung thematisieren zu können, ist es notwendig, dass die zuständigen Mitarbeiter*innen des Allgemeinen Sozialen Dienstes sich die Zeit und den Raum nehmen, um die Elternteile anzuhören und eine Vertrauensbasis aufbauen zu können. Die Beratung von hochstrittigen Eltern benötigt kleinschrittige Ziele, um Teilerfolge erzielen und Vertrauen gewinnen zu können. Um erfolgreich auf die Bedürfnisse und die Situation der betroffenen Kinder verweisen zu können, muss der Fokus von der Paarebene auf die Elternebene gelenkt werden. Die Perspektive der Kinder in Trennungs- und Scheidungsprozessen ist eine sensible Angelegenheit und benötigt entsprechendes Feingefühl bei der fallführenden Fachkraft, um neutrale Wahlmöglichkeiten zu erarbeiten. Die Kinder befinden sich häufig in einer Situation, in der sie sich für einen Elternteil besonders verantwortlich fühlen und geben daher oft die Meinung dieses Elternteils wieder. Die Einbeziehung der Kinder in den Beratungsprozess sollte daher zum Ziel haben, den Kindern die Möglichkeit zu geben, sich frei darüber zu äußern, wie sie sich in der spannungsgeladenen Situation fühlen. Hierfür ist ein Gesprächsrahmen notwendig, der den Kindern Sicherheit in einer für sie instabilen und unsicheren Zeit gibt. So besteht insgesamt die Hauptaufgabe der Mitarbeitenden im Allgemeinen Sozialen Dienst, die Eltern trotz der partnerschaftlichen Trennung an die gemeinsame Elternverantwortung zu erinnern und sie darin zu stärken, dass der Fokus bei Trennung und Scheidung auf den Bedürfnissen der Kinder liegen sollte. Die Rolle und Verantwortung des Jugendamtes im Bereich der Trennungsund Scheidungsberatung wird meist unterschätzt und im Arbeitsaufwand und Stellenumfang oft nicht ausreichend berücksichtigt. Bei der Priorisierung der Aufgaben des Allgemeinen Sozialen Dienstes stehen die Verfahren und Verfahrensvorgaben nach § 8a SGB VIII und die Einleitung von Hilfen zur Erziehung gem. § 27ff SGB VIII sowie die damit verbundenen umfangreichen Dokumentationspflichten an oberster Stelle und nehmen verständlicherweise dadurch auch einen Hauptteil der Arbeitszeit und der Kapazitäten in Anspruch. Weitere Leistungen und Aufgaben des Allgemeinen Sozialen Dienstes werden entsprechend ihrer Priorität untergeordnet. Die Beratung bei Trennung und Scheidung gerät immer wieder aus dem Blick. Dies liegt u.a. darin begründet, dass eine seelische Kindeswohlgefährdung schwer zu diagnostizieren ist und erst bei sichtbaren Verhaltensänderungen des Kindes oder Jugendlichen an Aufmerksamkeit gewinnt. Sofern dieser Fall eintritt, ist es für ein präventiv geleitetes Handeln meist zu spät, sodass kostenintensivere therapeutische und pädagogische Hilfen
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notwendig werden. Um also ‚präventiv‘ und rechtzeitig tätig werden zu können, wäre es von zentraler Bedeutung, dass die personelle Ausstattung eines Allgemeinen Sozialen Dienstes das besondere Aufgabenfeld der Trennungs- und Scheidungsberatung und der Mitwirkung bei Verfahren vor dem Familiengericht berücksichtigt.Solange Eltern gesprächsbereit sind und eine außergerichtliche Beratung erfolgen kann, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass einvernehmliche Regelungen im Sinne der Kinder- und Jugendlichen getroffen werden können. Werden die Streitigkeiten vor Gericht ausgetragen, gibt es meist eine Verschärfung des Konflikts und die Gefahr für das Wohl des Kindes steigt. Die beratende und unterstützende Funktion des Jugendamtes ist daher von zentraler Bedeutung. Kommt es dennoch zum gerichtlichen Verfahren, so endet die Beratungsfunktion dadurch nicht. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass alle Konflikte zwischen den Eltern bei Trennung und Scheidung ein Risiko für die weitere Entwicklung der Kinder und Jugendlichen beinhalten. Sobald diese Konflikte eskalieren und dauerhaft vor den Kindern und Jugendlichen ausgeführt werden, können langfristige Schäden bei den Kindern und Jugendlichen entstehen. Diese liegen in der Regel im seelischen Bereich und können sich in psychosomatischen Symptomen oder allgemein in schwerwiegenden Problemen bei der Alltagsbewältigung zeigen. Bei (hoch-) strittigen Eltern bedarf es daher einer kontinuierlichen Schulung der Fachkräfte und zusätzlich gegebenenfalls Eltern-Beratungsgespräche, an denen zwei Fachkräfte beteiligt sind. Die Trennungs- und Scheidungsberatung sowie die Mitwirkung vor dem Familiengericht ist ein schwieriges, verantwortungsvolles und meist zeitaufwendiges Aufgabengebiet. Um bei den Eltern in (hoch-) strittigen Fällen eine einvernehmliche Regelung ermöglichen zu können, ist außerdem im Stellenumfang der Fachkräfte bei den Jugendämtern eine entsprechende zeitliche und personelle Ausstattung, ein kontinuierliches Supervisionsangebot sowie fortlaufende Weiterbildungs-möglichkeiten des Fachpersonals erforderlich. Im Hinblick auf den Kinderschutz im Trennungs- und Scheidungsverfahren muss daher genau beobachtet werden, wann die Dienstleistung in Form der Beratung und Vermittlung an ihre Grenzen kommt oder endet und ein Einschreiten aufgrund einer Kindeswohlgefährdung nach § 8a SGB VIII, auch in Bezug auf eine seelische Gefährdung/Misshandlung, notwendig wird und im weiteren Verlauf ein Verfahren nach § 1666 BGB als Rechtsgrundlage das Handeln bestimmt.
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7. Multiperspektivisches Fazit Kinderschutz ist nicht nur aus sozialarbeiterischer Perspektive kompliziert. Das Recht leistet seinen eigenen Beitrag dazu, indem es vielfach Rechtsnormen generiert, die zu allgemein gefasst, zu unverbindlich, sich widersprechend, sich gegenseitig überlagernd sind oder einfach nur zu kompliziert erscheinen. Gerade dadurch verursacht das Recht bei den im Kinderschutz Tätigen Unsicherheiten und Probleme, sich rechtskonform zu verhalten. Dem kann nur begegnet werden, wenn sich alle im Kinderschutz involvierten Akteure explizit mit dem Recht und seinem immanenten Systemlogiken auseinandersetzen und diese internalisieren. Das Recht kann nur eine Grundorientierung und einen Handlungsrahmen für die Soziale Arbeit im Kinderschutz geben. Ausfüllen und gegebenenfalls erweitern können diesen nur die darin Tätigen im Sinne ihrer Klient*innen. Helfen bedeutet daher nicht nur helfen im praktischen Sinne, sondern auch Wissen um das Recht und dessen Anwendung. Andernfalls „verkommt“ das Recht zu einem bloßen „Buffet der Möglichkeiten“ zu einem Angebot, welches beliebig wahrgenommen werden kann oder nicht und in der Folge zu wahrer Rechtsunsicherheit, eben nicht im Sinne derer, die es schützen soll. Darüber hinaus existieren Kooperationen im Kinderschutz auf unterschiedlichen und plural intendierten Ebenen. Sie gestalten sich sowohl zwischen den professionell Tätigen in der Sozialen Arbeit und den Gerichten als auch innerhalb der unterschiedlichen Institutionen und Organisationen und nicht zuletzt zwischen diesen allen und den Sorgeberechtigten. Zwingend vorgeschriebene Kooperationen, bspw. im Rahmen des 8a Abs. 4 SGB VIII, bergen aber auch immer die Gefahr der „Ausnutzung“ des Gegenüber. So plural diese Kooperationen auch sein mögen, ihnen allen ist eines immanent: Sie werden durch das (Sozial)Recht determiniert bzw. normiert. Bei all dem findet sich jedoch ein Problem: das Spannungsfeld zwischen Recht, Sozialer Arbeit und Eltern. Naturgemäß möchten sich weder die Soziale Arbeit noch die Eltern vorschreiben lassen, wie und mit wem kooperiert wird. Aus fachlicher und elterlicher Perspektive heraus gestalten sich daher vorgeschriebene Kooperationen als schwierig. „Erzwungene“ Zusammenarbeit ist daher meist problembehaftet und nicht zielführend. Gerade im Kontext der sozialen bzw. pädagogischen Arbeit ist ein Zwang der Eltern meist kontraproduktiv für eine Zusammenarbeit im Sinne des Wohls des Kindes oder Jugendlichen und sollte daher auf einer Form der Freiwilligkeit beruhen. Dem steht oftmals die Tatsache entgegen, dass die Organisationen der Jugendhilfe formalrechtlich zur Zusammenarbeit verpflichtet sind.
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Gelingende Kooperation ist nur wahrscheinlich, wenn alle Beteiligten Einsicht in die Notwendigkeit zur Zusammenarbeit besitzen, über ausreichend finanzielle und personelle Kapazitäten verfügen und die u.U. vorhandenen internen Regelungen eines Netzwerkes Verbindlichkeit generieren. Zwang zur Kooperation ist nur da wirklich zielführend, wo es für die Klient*innen notwendig und sinnvoll ist und Eingriffe in die pädagogische Arbeit weitestgehend unterbleiben. Freiwillige Kooperation ist nur dort angezeigt, wo Soziale Arbeit und Klient*innen in der Lage sind, verbindliche Regelungen auf konsensualer Ebene zu treffen. Die Akteure müssen den Sinn und Zweck der Kooperation nachvollziehen können. Um dem Thema Kindesschutz im Bereich der Trennung und Scheidung gerecht werden zu können, sind daher eine tragbare Kooperation zwischen den beteiligten Akteuren (Jugendamt, Familiengericht, Familienanwälten, Eltern, Freie Träger der Jugendhilfe…) mit entsprechenden Netzwerktreffen sowie eine regelmäßige fachliche Weiterqualifizierung und entsprechende Kapazitäten zwingend erforderlich. Literatur Heilmann, S. (2010): § 155 FamFG, in: W. Krüger & T. Rauscher (Hrsg.), MüKoZPO, München: C. H. Beck. Mörsberger, T. (2011): Kinderschutz per Betriebserlaubnis. Zur Novellierung der § 45 und 47 SGB VIII durch das Bundeskinderschutzgesetz, in: JAmt 2011, 84. Jg. H. 11, 561ff., Heidelberg: DIJuF. Maunz, T. & Dürig, G. (2018): Grundgesetz Kommentar, 82. Aufl., München: C. H. Beck. Münder, H. (Hrsg.) (2017): Kindeswohl zwischen Jugendhilfe und Justiz: Zur Entwicklung von Entscheidungsgrundlagen und Verfahren zur Sicherung des Kindeswohls zwischen Jugendämtern und Familiengerichten. Weinheim: Beltz. Meysen, T., Schönecker L. & Kindler, H. (2008): Frühe Hilfen im Kinderschutz – rechtliche Rahmenbedingungen und Risikodiagnostik in der Kooperation von Gesundheits- und Jugendhilfe, Weinheim: Beltz. Münder, H., Meysen, T. & Trenczek, T. (Hrsg.) (2012): Frankfurter Kommentar SGB VIII, Kinderund Jugendhilfe, 7. Aufl., Baden-Baden: Nomos. Olzen, D. (2008): § 1666 BGB, in: J. Säcker u.a. (Hrsg.), MüKoBGB, 5. Aufl., München: C. H. Beck. Statistisches Bundesamt (2017a): Verfügbar unter: https://www.destatis.de/DE/PresseService/Presse/Pressemitteilungen/2017/07/PD17_237_12631.html, Zugriff: 28.06.2018 Statistisches Bundesamt (2017b): https://www.destatis.de/DE/PresseService/Presse/Pressemitteilungen/2017/10/PD17_350_225.html, Zugriff: 28.06.2018 Thomas, H. & Putzo, H. (2018): Kommentar ZPO, 39. Aufl., München: C. H. Beck. Wiesner, R. (2018): SGB VIII, BKiSchG, Nachtragskommentierung zum SGB VIII, Baden-Baden: Nomos. Wiesner, R. (2018): SGB VIII, KKG, Nachtragskommentierung zum SGB VIII, Baden-Baden: Nomos.
Fachliche Orientierungspunkte für die Arbeit in Jugend- und Sozialhilfe. Wider (vermeintliche) organisationale und institutionelle Begrenzungen der Sozialarbeit Georg Horcher
1. Statt einer Einleitung Renegades (X Ambasssadors 2009, Songtext, Übersetzung) Lauf fort mit mir Verlorene Seelen und Träumerei Laufen wir, ungezähmt und frei Zwei Kinder, du und ich Und ich sage Hey, hey Leben wir wie Abtrünnige Hey hey hey Leben wir wie Abtrünnige Lang leben die Pioniere Rebellen und Meuterer Geh´ vorwärts und hab keine Angst Komm´ näher, hör´ zu! Und ich sage … Seid gegrüßt ihr Außenseiter Seid gegrüßt ihr Neuen Seid gegrüßt ihr Vogelfreien Spielbergs und Kubricks Unsere Zeit ist gekommen zum Handeln Unsere Zeit ist gekommen für Genugtuung Unsere Zeit ist gekommen, die Regeln zu brechen Lass uns beginnen … Und ich sage …
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 A. Polutta (Hrsg.), Kooperative Organisations- und Professionsentwicklung in Hochschule und Sozialwesen?, Edition Centaurus – Perspektiven Sozialer Arbeit in Theorie und Praxis, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31603-7_17
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2. Flüchten oder Standhalten Vor diese Frage sehen sich viele Sozialarbeiter_innen immer wieder gestellt, wenn sie in ihrem Arbeitsalltag mit den individuellen Folgen sozialer Probleme konfrontiert sind, aber keine Hoffnung haben, die verursachenden gesellschaftlichen Rahmenbedingungen zu verändern. Gesellschaftliche Konflikte bestimmen die Soziale Arbeit von Beginn an. Und von Beginn an ist die Soziale Arbeit gleichzeitig in die Problematisierung gesellschaftlich-struktureller Bedingungen von sozialer Ungleichheit und Ausschließung und in die Diagnose und „Behandlung“ individueller Verhaltensdispositionen als Ausdruck gesellschaftlicher Problemstellungen und Konflikte involviert. Im Fokus Sozialer Arbeit stehen sowohl die Machtund Herrschaftsverhältnisse, die Politik der Verhältnisse, die sozialen Probleme und die daraus resultierenden gesellschaftlichen Konfliktverhältnisse, als auch die individuellen (Verhaltens)Probleme und die zu deren Bearbeitung entwickelten personalisierenden Konzepte der Verhaltenskontrolle und -steuerung, die Politik des Verhaltens. Beide Politiken durchziehen mit wechselnder Schwerpunktsetzung die Geschichte der Soziale Arbeit. Unter den Bedingungen neoliberaler Politik sind die Bearbeitung individueller Probleme und soziale Problemgruppen (Arbeitslose, Arme, Drogenabhängige, Jugendgewalt, sog. Bildungsferne usw.) in den Vordergrund gerückt. Die Soziale Arbeit ist als Vermittlungsinstanz zwischen Gesellschaft und Individuum in die Widersprüche und Konflikte, die sich aus der Verschiebung gesellschaftlich-struktureller Probleme auf die individuelle Ebene der Subjekte ergeben, unlösbar eingebunden. Damit stellt sich in kritischer Perspektive die Frage nach der Verstrickung Sozialer Arbeit in die Verfestigung sozialer Probleme und Ungleichheitsverhältnisse. Sozialarbeiter_innen erleben diese Widersprüche in ihrem beruflichen Alltag. Nehmen sie ihre Aufgabe und ihren professionellen Anspruch ernst, die Gestaltung der Lebenswirklichkeit ihrer Adressaten_innen als Kampf um Teilhabe und menschliche Verwirklichung durch die Subjekte selbst zu ermöglichen und diesen in kritischer Haltung und Perspektive Emanzipationsmöglichkeiten zu eröffnen und zugänglich zu machen, müssen sie die gesellschaftlichen Widersprüche und Interessengegensätze zwischen dem Alltag der Adressaten_innen und den Institutionen Sozialer Arbeit, in denen die Sozialarbeiter_innen tätig sind, identifizieren und erkennbar werden lassen. Dem Professionsanspruch folgend bedarf die Soziale Arbeit fundierten wissenschaftlich-theoretischen Wissens, darauf basierenden Könnens und einer ethischen Orientierung sowie deren reflexiver Infragestellung. Erst dann werden
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die Fachkräfte der Sozialen Arbeit in der Lage sein, auf der Basis ihrer fallbezogenen Arbeit eine kritische Bewertung und Qualifizierung ihrer Tätigkeit und ein Verhalten zu und einen Umgang mit den gesellschaftlichen Widersprüchen und Konflikten zu entwickeln. In diesem Spannungsfeld der für die Soziale Arbeit konstituierenden widersprüchlichen Gleichzeitigkeit von Hilfe und Kontrolle (doppeltes Mandat), der Orientierung an Recht und institutionellen Vorgaben und des Eigensinns und Willen der Subjekte, des Widerspruchs zwischen den notwendigen aber knappen Ressourcen und des Widerspruchs zwischen Freiwilligkeit und Zwang hinsichtlich der Nutzung der vorgehaltenen und „notwendig“ erachteten Leistungsangebot durch die Adressate_innen, stellt sich Sozialarbeiter_innen immer wieder die Frage: Flüchten oder Standhalten? Flüchten oder Standhalten ist der Titel des Klassikers von Horst-Eberhard Richter aus den 1970er Jahren, in dem er der Frage nachgeht, wodurch der moderne Mensch eingeschüchtert wird und wie er sich dagegen wehren und wie den Mut aufbringen kann, seine Überzeugungen bis zum äußersten noch erträglichen Maß des Spielraums umsetzen kann, die die jeweiligen sozialen Umstände zulassen. „Wir wagen nicht, uns einzugestehen, wie isoliert und gefährdet wir wirklich sind, weil wir uns den damit verbundenen Befürchtungen nicht gewachsen fühlen. Somit verteidigen wir die Illusion unserer relativen Stärke und Selbständigkeit und erklären alle unsere Bemühungen um konformistische Anpassung, […] usw. als souveräne, aus der eigenen Identität heraus getroffene Entscheidungen.“ (Richter 1976, S. 20) Das trifft häufig auf Sozialarbeiter_innen zu, die obwohl in aller Regel in permanentem Fachaustausch mit Kollegen_innen stehen, sich nicht eingestehen, dass ihre Entscheidungen nicht alleine autonomer fachlicher Beurteilungen folgen, sondern häufig Resultat unhinterfragter Anpassungsleistungen an die Normen und Compliance der Institution sind. „Niemand sollte den ängstigenden Druck der materiellen und psychischen Zwänge unterschätzen, denen die vielen sich aussetzen, die […] einen Ausbruch aus ihren ursprünglichen eingeengten Arbeitssituationen wagen. Sie müssen erst ein Stück Isolation ertragen, ehe sie sich die Möglichkeit zu mehr Kooperation nach außen – und parallel dazu – zu vollständigerer Entfaltung ihrer eigenen Kräfte verschaffen können.“ (ebd.) Eine auch heute noch zutreffende Beschreibung der Arbeitssituation von vielen Sozialarbeiter_innen. In der Praxis der Sozialen Arbeit sind zwei gegenläufige Tendenzen zu beobachten: Auf der einen Seite angepasste Sozialarbeiter_innen und Träger/ Einrichtungen, die darauf achten mit ihren Geldgebern und politischen Entscheidungsträgern nicht in Konflikt zu geraten. Auf der anderen Seite aber auch Formen
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kollektiver, selbst organisierter, kritisch fachlicher Positionierung gegenüber Politik, Recht und Rechtsanwendung (aktuell z. B. in der Asylpolitik). Strittig ist in der Profession nach wie vor die Frage, ob politische Positionierungen durch das fachliche Mandat Sozialer Arbeit gedeckt sind oder ob politische Positionierungen von Sozialarbeiter_innen in ihrer Rolle als Bürger_innen erfolgen. Davon zu unterscheiden ist, dass das fachliche Handeln von Sozialarbeiter_innen implizit immer auch „politisches Handeln“ ist, nicht in der Rolle als Politiker_innen, sondern als Akteure_innen sozialpolitischer und sozialstaatlicher Beauftragung. Noch immer gilt, dass Kritik an den politischen Vorgaben und Rahmenbedingungen für die Kritiker_innen unangenehme Folgen haben kann, sie in Schranken verwiesen oder sanktioniert werden können (vgl. Benz 2018). Es reicht aber schon aus, wenn die Fachkräfte Sozialer Arbeit das befürchten, um ihren Widerstandswillen zu schwächen und ihre Anpassungsbereitschaft zu stärken. 3. Soziale Arbeit als „Hilfe unter Protest“ (Benz 2014, S. 122 – 140) Die International Federation of Social Workers (ISFW) und die International Association of Schools of Social Work (IASSW) haben 2004 in der “Ethik in der Sozialen Arbeit” in Hinblick auf das Prinzip „Soziale Gerechtigkeit“ formuliert: „Sozialarbeiter/-innen sind verpflichtet, soziale Gerechtigkeit zu fördern […]. Sozialarbeiter/-innen haben die Pflicht ihre Auftraggeber, Entscheidungsträger, Politiker und die Öffentlichkeit auf Situationen aufmerksam zu machen, in denen Ressourcen unangemessen sind oder in denen die Verteilung von Ressourcen, Maßnahmen und Praktiken unterdrückerisch, ungerecht oder schädlich ist. Sozialarbeiter/-innen haben die Pflicht, soziale Bedingungen zurückzuweisen, die soziale Exklusion oder Unterdrückung begünstigen, und auf eine inklusive Gesellschaft hinzuarbeiten.“ (ISWF/IASSW 2004, S. 4) In der „Global Definiton of Social Work“ von ISFW und IASSW heißt es: „Die zentralen Aufgaben der Sozialen Arbeit umfassen die Förderung des sozialen Wandels, der sozialen Entwicklung, des soziale Zusammenhalts und die Stärkung und Befreiung der Menschen. […] Strukturelle Hubdernisse tragen zur Verfestigung von Ungleichheit, Diskriminierung, Ausbeutung und Unterdrückung bei. Die Entwicklung eines kritischen Bewusstseins durch Betrachtung der strukturellen Quellen für Unterdrückung und/oder Privilegierung […] und die Entwicklung von Maßnahmen zur Beseitigung struktureller du persönlicher Hindernisse sind für eine emanzipatorische Praxis unverzichtbar, […]. In solidarischer Verbundenheit mit all jenen, die benachteiligt sind, zielt die Soziale Arbeit auf die Bekämpfung
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der Armut, die Befreiung der Schutzlosen und Unterdrückten und die Förderung der sozialen Eingliederung und des sozialen Zusammenhalts ab.“ (ebd., S. 1) Die Strategien der Sozialen Arbeit zielen darauf ab, „die Hoffnung, das Selbstwertgefühl und das kreative Potential der Menschen zu stärken, um repressiven Machtverhältnissen und strukturellen Quellen für Ungerechtigkeiten entgegenzutreten und diese zu bekämpfen und somit die Mikro-Makro-Dimension und die persönlich-politische Dimension der Intervention in einem kohärenten Ganzen zu vereinen.“ (ebd., S. 4) Dieser Anspruch, identifizierte Probleme in Koproduktion zu lösen, ist für eine einzelne Fachkraft zu hoch und unangemessen. Es geht in der Sozialen Arbeit um soziale Diagnosen und die Schaffung von Arbeitsbündnissen mit den Adressat_innen (vgl. Staub-Bernasconi 2007, S. 290), um über die Handlungsmöglichkeiten von Fachkräften hinaus Handlungsbedarf aufzuzeigen und Veränderungen einzufordern, auch wenn das in der Regel weder von den Auftraggebern, den Anstellungsträgern oder von den Adressat_innen gefordert wird. Voraussetzung für die Realisierung der Aufgaben ist fundiertes fachliches Wissen, professionelles Können und eine professionelle Haltung, die zu entwickeln Aufgabe der Ausbildung an der Hochschule, zu erhalten Aufgabe der Anstellungsträger ist, indem sie dafür einen institutionellen Rahmen schaffen (z. B. formalen Anspruch auf ausreichende und regelmäßige Supervision und Fortbildung). Unzulängliche Hilfeformen und -möglichkeiten zu erkennen, diese öffentlich zu machen und für eine, den ethischen und professionellen Ansprüchen genügende Soziale Arbeit einzutreten, ist das Eine. Im Einzelfall im Rahmen der vorgegebenen Möglichkeiten Unterstützung zu gewähren, ist das Andere. Sozielarbeiter_innen dürfen sich nicht mit der Kritik begnügen. Beides gehört für eine professionelle Soziale Arbeit zusammen, die Verpflichtung zur Hilfe im Einzelfall und die Beteiligung an und Einmischung in politische Diskurse und Meinungsbildung und die politische Einflussnahme auf gesellschaftliche Verhältnisse und Bedingungen. Auch das politische Agieren ist professionelles Handeln und eine Form der Hilfe, aber eben nicht die einzige. Es gibt für Sozialarbeiter_innen keine Wahl zwischen bejahender Hilfe und bloßem Protest. Hilfe und Protest sind dialektisch verbunden und bedürfen der dauernden kritischen Reflexion und Würdigung. Soziale Arbeit muss sich sowohl um strukturelle Veränderungen mühen, als auch um die Verbesserung der Lebenslagen der einzelnen Hilfebedürftigen. Hilfe im Einzelfall und politisches Eintreten für strukturelle und gesellschaftliche Veränderungen stellen keine Dichotomie dar, sondern sind Ausdruck der Gleichzeitigkeit von einer Politik der Verhältnisse und einer Politik des Verhaltens. Das
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Ausblenden einer dieser Politiken wird im Ergebnis dazu führen, bestehende Verhältnisse und existierende soziale Probleme zu verfestigen. „Einzelnen nicht zu helfen, wäre zynisch; gesellschaftliche Ursachen zu ignorieren wäre unpolitisch.“ (Mühlum, zit. n. Benz 2014, S. 134) „Hilfe unter Protest“ bedeutet das fachliche Handeln und die praktische Hilfe im Einzelfall, im Wissen um begrenzte Handlungsmöglichkeiten und politische Bemühungen um strukturelle gesellschaftliche Veränderungen zu verbinden. Das kann im Einzelfall z. B. bedeuten, die Handlungs-/Ermessensspielräume immer wieder auf das Neue auszuloten und „großzügig“ anzuwenden. Das setzt die Fähigkeit zur Einnahme einer selbstkritischen Perspektive zur radikaler Reflexivität voraus und die Fähigkeit, Theorien und Methoden der Sozialen Arbeit nicht den Charakter eines Dogmas zuzuschreiben, sondern diese im Spiegel eigener Praxiserfahrung immer wieder in Frage zu stellen. 4. Kritik und Reflexivität Wenn die Gestaltung der Lebensverhältnisse durch die Adressaten_innen Sozialer Arbeit selbst, verstanden als Kampf und Teilhabe und menschliche Verwirklichung, zentrale Aufgabe Sozialer Arbeit ist, benötigen die Fachkräfte der Sozialen Arbeit Fähigkeiten die gesellschaftlichen, politischen und institutionellen Widersprüche aufzudecken und für die Arbeit nutzbar zu machen. Das erfordert neben der Bereitschaft auch die Fähigkeit zum Aufbau einer kritischen und selbstkritischen Gegenmacht zu den Herrschenden, die Gesellschaft spaltenden, ausgrenzenden und Menschenrechte versagenden Politiken und gesellschaftlichen Kräften. Kritik bezieht sich dabei auf das Hinterfragen wirkmächtiger Begriffe (z. B. Gewaltbegriff, Flüchtlingsbegriff, Migrationshintergrund, Bildungsferne u. s. w.) und der Definitionsmacht bei der Durchsetzung solcher Begriffe. Reflexivität bezieht sich auf die Fähigkeit, die Voraussetzungen des eigenen Denkens zu hinterfragen. Beides, Kritikfähigkeit und Reflexivität, die Entwicklung eigener Urteilsund Positionierungsfähigkeit sind notwendig, um widerständig die organisationalen und institutionellen Begrenzungen des fachlichen Handelns im Alltag Zug um Zug auszudehnen. Dort wo Sozialarbeiter_innen ihre Arbeit weitgehend verstehen als Reaktion auf „schwierige“ Adressaten_innen und die Lösung der „Probleme, die sie machen“ , bleibt ihnen der Blick auf die strukturellen und gesellschaftlichen Ursachen der Probleme, die Adressaten_innen „haben“, verstellt. Eine kritisch-refle-
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xive Praxis braucht gegenseitiges Vertrauen und Respekt zwischen den Fachkräften und zwischen Fachkräften und ihren Adtressaten_innen und sie braucht solidarische Zusammenarbeit. Beides, der Aufbau von gegenseitigem Vertrauen und solidarischer Zusammenarbeit entsteht nicht von selbst, sondern muss entwickelt werden. Organisationen der Sozialen Arbeit, die stark von politischen Entscheidungen und Geldzuweisungen abhängen, sind in der Regel nur begrenzt in der Lage Kritik zu üben, auch wenn kritisches politisches Agieren in manchen Fällen durchaus wertgeschätzt wird, wenn dadurch das Handeln der politischen Akteure nicht grundsätzlich in Frage gestellt wird (was selten bis gar nicht geschieht). Gleiches gilt für Sozialarbeiter_innen, die in solchen Organisationen arbeiten. Die Entwicklung solidarischer Zusammenhänge außerhalb der beruflichen Praxis ist deshalb für den Aufbau von Plattformen der Kritik unverzichtbar. Die Überwindung des individualisierten Denkens und Handelns ist eine Grundlage für die Etablierung einer (selbst-)kritischen und radikalreflexiven sozialarbeiterischen Praxis. Das verlangt von den Fachkräften die permanente Reflexion der eigenen Positionierungen innerhalb ihrer alltäglichen Praxis. Eine Konsequenz liegt darin, die „Bemühungen in der Sozialen Arbeit zu ermutigen und zu unterstützen, die konsequent auf Anwaltschaft für und Solidarität mit den Adressaten_innen Sozialer Arbeit ausgereichtet sind“ (Krämer-Schäfer u. a. 2014, S. 45). Kritisch zu hinterfragen bleibt an dieser Stelle die Rolle der Hochschulen bei der Ausbildung von Sozialarbeiter_innen. Wann und wo, wenn nicht an den Hochschulen müssen die Grundlagen für eine (Selbst-)kritische und reflexive Praxis gelegt werden. Um es mit Konstantin Wecker aus seinem Song „Die weiße Rose“ zu sagen: „Es geht um Tun und nicht um Siegen.“ (Wecker, K. o. J., Songtext) Literatur Anhorn, R./ Schimpf, E./ Stehr, J./ Rathgeb, K./ Spindler, S./ Keim, R. (Hrsg.) (2018): Politik der Verhältnisse – Politik des Verhaltens. Widersprüche der Gestaltung Sozialer Arbeit. Wiesbaden: Springer VS Benz, B. (2014): Armenhilfepolitik. Soziale Arbeit als „Hilfe unter Protest“ am Beispiel der Tafeln. In: Benz, B./ Rieger, G./ Schönig, W./ Többe-Schukalla, M. (Hrsg.) (2014), Politik Sozialer Arbeit. Bd. 2. Akteure, Handlungsfelder und Methoden (S. 122-140), Weinheim/ Basel: Beltz Juventa Benz, B. (2018): Hilfe unter Protest – begrenzte Handlungsmöglichkeiten nutzen. unveröffentl. Manuskript Braches-Chyrek, R./ Sünker, H. (Hrsg.) (2017): Soziale Arbeit in gesellschaftlichen Konflikten und Kämpfen. Wiesbaden: Springer VS
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Cremer-Schäfer, H./ Kessl, F./ May, M./ Scherr, A. (2014): Über den Sinn der Streitbarkeit in Fragen von Kritik und Reflexivität. Eine virtuelle Diskussion. In: Widersprüche Heft 132, S. 11-48 ISWF/IASSW (2004): Ethik in der Sozialen Arbeit – Darstellung der Prinzipien. Verfügbar unter: https://www.ethikdiskurs.de/fileadmin/.../IASW_Kodex_Englisch_Deutsch2004.pdf, Zugriff: 10.07.2018 DBSH (2014): Übersetzung der „Global Definition of Social Work). Verfügbar unter: https://www.dbsh.de/profession/definition-der-sozialen-arbeit.htm, Zugriff: 10.07.2018 Richter, H.-E. (1976): Flüchten oder Standhalten. Gießen: Psychosozial Verlag Seithe, M. (2012): Schwarzbuch Soziale Arbeit. 2. Aufl., Wiesbaden: VS Verlag Staub-Bernasconi, S. (2007): Soziale Arbeit als Handlungswissenschaft. Bern/ Stuttgart/ Wien: Haupt Stehr, J./ Anhorn, R./ Rathgeb, K. (Hrsg.) (2018): Konflikt als Verhältnis – Konflikt als Verhalten – Konflikt als Widerstand. Widersprüche der Gestaltung Sozialer Arbeit zwischen Alltag und Institution. Wiesbaden: Springer VS Wecker, K. (o. J.): Die weiße Rose. Songtext. www.songtexte.com › w › Wecker, Konstantin, Zugriff: 10.07.2018 Xambassdors (o. J.): Renegades. Songtext. Verfügbar unter: http://www.songtexte.com/uebersetzung/x-ambassadors/renegades-deutsch-3d63dbf.html, Zugriff: 03.07.2018
4 Zum Anlass der Publikation als Festschrift für Brigitte Reinbold
Möglichkeiten kooperativer Organisations- und Professionsentwicklung in Hochschule und Sozialwesen Ausblick im Lichte der Beiträge zur Festschrift Andreas Polutta
Ein Mosaik hat aus der Nähe betrachtet meist unscharfe Konturen, Ecken und Kanten, Brüche und Zersplitterungen. Für das didaktische Konzept im Studium zum Arbeitsfeld der Sozialen Arbeit in der „Jugend-, Familien und Sozialhilfe“ bemühte Brigitte Reinbold gegenüber ihren Studierenden gern das Bild eines Mosaiks, welches sich dann aber aus der Zusammenschau der einzelnen Querschnittsthemen, Handlungsfelder, Forschungsergebnissen und Fachdiskursen für Studierende im gelingenden Fall zu einem stimmigen Bild ergeben sollte. Dieser hier vorliegende Band hat ein ganz eigenes Mosaik ergeben. Mit Bezug zu einzelnen der drei leitenden Themen, aber auch mit Querbezügen, wurde von den interdisziplinären und multiprofessionellen AutorInnen um am Ende ein Mosaik gelegt, das je nach Position der Betrachtenden, ein lebendiges und im besten Sinne spannungsreiches und vielfältiges Bild ergibt, zum Perspektivwechsel und Weiterdenken einladen soll. Es wird deutlich: Kooperative Entwicklungsprozesse sind einerseits in der Hochschullandschaft und im Sozialwesen keine Fiktion, sondern Realität. Jedoch dürfen kooperative Elemente nicht naiv verstanden werden, als dass dadurch schon alle Probleme gelöst werden. Im Gegenteil: Begibt man sich auf den Ebenen des Studiums oder der Entwicklung von Organisationen und Personal auf den Weg von Kooperationsbeziehungen fügt sich keineswegs einfach eins zum anderen. Vielmehr werden Arenen eröffnet, um Themen in den Blick zu nehmen und konzeptionell, forschend, diskursiv zu entwickeln. Bei allen Kooperationsformen, die in dualen Studienmodellen oder Theorie-Praxis-Transfer-Projekten, kooperativer Forschung etc. entwickelt werden, muss einerseits das Interesse der jeweiligen Akteure bedacht werden, andererseits ein gemeinsames Interesse im Sinne eines fachlichen Commitments tragfähig sein. Es muss an gemeinsamer Sprache, geteilter Achtsamkeit für Probleme und einem Raum gearbeitet werden, in dem Begegnungen und Auseinandersetzungen stattfinden können. Im Idealfall kann Hochschule solche Räume eröffnen - aber sie eben nicht eigenständig schaffen oder „bespielen“. Dazu benötigt es das Engagement von Akteuren in Hochschule und Praxis ebenso wie in Politik, Verbänden und zivilgesellschaftlichen Akteuren. © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 A. Polutta (Hrsg.), Kooperative Organisations- und Professionsentwicklung in Hochschule und Sozialwesen?, Edition Centaurus – Perspektiven Sozialer Arbeit in Theorie und Praxis, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31603-7_18
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Andreas Polutta
Wenn es stimmt, dass – nicht nur im Feld der Kinder- und Jugendhilfe (siehe den Beitrag von Paul-Stefan Roß) – auch neue Unübersichtlichkeiten im Sinne von Governance-Strukturen eine zunehmende Rolle bei der politischen Gestaltung von gesellschaftlich relevanten Themen spielen, dann muss auch diese Governance gerahmt und refllektiert werden, damit nicht bestimmte Themen dominieren oder schwache Interessensgruppen untergehen. Kooperative Organisations- und Personalentwicklung könnte in diesem Sinne ihr Augenmerk systematisch darauf legen, welche Themen erst im Zusammenspiel von Wissenschaft und Praxis, von Handlungsdruck und Handlungsentlastung produktiv bearbeitet werden können. Kooperative Organisations- und Personalentwicklung wäre dann ein Modus geteilter Verantwortung, um gerade die schwierigen und brisanten Themen in wechselseitigem Respekt der jeweiligen Akteure zu bearbeiten: Diversität und Gleichstellungfragen als Querschnittsthemen in Institutionen müssten ebenso verankert werden, wie die Vergewisserung über fachliche Handlungsbedarfe, um Diskriminierung, Exklusion oder einfach eine Orientierung am bestehenden, an Routinen und dem pragmatisch Machbaren zu überwinden – eine neue, vielleicht demokratischere, vielleicht emanzipativere oder teilhabegerechtere Praxis denken zu können und zu wollen. Wenn im Folgenden insbesondere die Themen Organisation, Profession und Gleichstellung aus den drei vorausgegangenen Kapiteln noch einmal in den Worten der Autorin und Autoren gewissermaßen ‚reflektieren’, dann schließt sich noch kein Kreis vollständig, ist es Fazit und Ausblick zugleich. So rahmen die hier folgenden persönlichen Beiträge das immer noch in Arbeit befindliche ‚diversitäre Projekt‘ kooperativer Professions- und Organisationsentwicklung in geteilter gesellschaftlicher Verantwortung mit dem Charakter einer Widmung an Brigitte Reinbold. Jene Kollegin, der dieser Band zugeeignet ist, kann sich bestätigt und ermutigt sehen, dass sie an den richtigen und wichtigen „Baustellen“ – und Schnittstellen – tätig war und hier zahlreiche Kolleginnen und Kollegen mitgestalten und weiterarbeiten.
Sozial-ökologische Qualitätsentwicklung in Non-ProfitOrganisationen revisited. Ein rück- und ausblickender Kommentar Bernd Maelicke
Es war im Jahr 1990, als in der Reihe der Broschüren der Bank für Sozialwirtschaft der Band „Ganzheitliche und sozialökologische Organisationsentwicklung in Non-Profit-Organisationen“ von Bernd Maelicke und Brigitte Reinbold vom Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik ( ISS ) veröffentlicht wurde. Die Bank informiert mit dieser Reihe ihre Kunden – überwiegend freie und gemeinnützige Anbieter sozialer Dienstleistungen – über aus ihrer Sicht wichtige fachliche und sozialpolitische Entwicklungslinien. Für das ISS war dies ein wichtiges Signal der Anerkennung als Beratungsinstitut für alle freien und öffentlichen Träger der Sozialwirtschaft, zugleich war diese Publikation eine Zwischenbilanz über 10 Jahre gemeinsamer Zusammenarbeit im Institut und in zahlreichen Innovationsprojekten vor Ort. Brigitte Reinbold kam 1980 als wissenschaftliche Mitarbeiterin zum ISS – qualifiziert vor allem durch die Konzeptionierung und den Aufbau eines BundesModellprojektes „Außerbetriebliche Ausbildung“ in Kooperation mit der AdamOpel-AG und der Konzeption und wissenschaftlichen Begleitung des „1. Mädchentreffs“ in der BRD. Zusammen mit ihrem Studium der Erziehungswissenschaften, Soziologie und Psychologie brachte sie so in die Institutsarbeit die Kompetenzen und Erfahrungen ein, die für Projekte der Jugendhilfe- und Sozialplanung, der Beratung sozialer Dienste und bei EU-Armutsprogrammen außerordentlich wertvoll waren. Im ISS entwickelte sich in den 1980er Jahren ein fachbereichsübergreifender Schwerpunkt zu den Themen Qualifizierung von Führungskräften, Sozialmanagement und Organisationsentwicklung – die Nachfrage nach entsprechender Weiterbildung, Beratung und wissenschaftlicher Begleitung stieg stark an und profilierte zugleich das Institut in der Branche der Sozialwirtschaft. An Universitäten und Hochschulen und in der Praxis begann eine „Zweite Phase der Professionalisierung“ – nach den Fachkräften standen nun die hauptund ehrenamtlichen Führungskräfte im Zentrum der Innovation. Ihre NPOs hatten sich über Jahre und Jahrzehnte zu etablierten Anbietern sozialer Dienstleistungen mit gesetzlicher Absicherung des Subsidiaritätsprinzips entwickelt, Monopol© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 A. Polutta (Hrsg.), Kooperative Organisations- und Professionsentwicklung in Hochschule und Sozialwesen?, Edition Centaurus – Perspektiven Sozialer Arbeit in Theorie und Praxis, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31603-7_19
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Strukturen wurden sichtbar, innerbetrieblich kam es immer wieder zu existentiell bedrohlichen Steuerungsproblemen. Qualifizierung der häufig fachfremden Führungskräfte und externe Beratung waren dringend erforderlich. Im ISS entstanden zahlreiche und bestens nachgefragte Fort- und Weiterbildungsangebote zum Themenkomplex Sozialmanagement und zugleich innovative Projekte der Organisationsentwicklung. Brigitte Reinbold und andere wissenschaftliche MitarbeiterInnen erforschten die entsprechenden Bedarfe in der Praxis und entwickelten neuartige Seminar-Curricula und themenspezifische Beratungsmodule – der Nachfrage geschuldet häufig unter großem Zeitdruck – es waren echte Gründerjahre mit einem intensiven Schub an Motivation, Engagement und zugleich Arbeitsdruck. „Ganzheitlichkeit“ und „Sozialökologie“ wurden zu leitenden Qualitätskriterien – begründet im Konzept Sozialer Arbeit mit dem Ziel der Verbesserung der Lebenslagen der Zielgruppen, der Veränderung ausgrenzender Rahmenbedingungen und der Förderung gesamtgesellschaftlicher Integrationsprozesse. Für Brigitte Reinbold war das Thema der Frauenförderung exemplarisch für diese Zielsetzungen – sie vertiefte in allen Curricula und Projekten diesen Ansatz als unverzichtbare Querschnittsaufgabe. Die BFS-Broschüre zog nach 10 Jahren eine erste Zwischenbilanz – aus heutiger Sicht eine wichtige Weichenstellung. Keines der dort aufgeführten Probleme wurde wirklich gelöst, weitere wie Globalisierung, weltweite Migration, Digitalisierung, Ressourcenverschwendung sind hinzugekommen, die eine kontinuierlich und strategisch gesteuerte Fortentwicklung des gesellschaftlichen Fortschritts dominieren und erschweren. Die Themen dieser Festschrift für Brigitte Reinbold zeigen die alten und neuen Herausforderungen; der Fortschritt ergibt sich nicht von allein, er muss in der Praxis, der Lehre, der Wissenschaft, in der Politik und in den Medien immer wieder neu erkämpft werden. Dazu braucht es Schlüsselpersonen, eine von ihnen war und wird Brigitte Reinbold bleiben. Mit Dank und Anerkennung. Literatur Maelicke, B. & Reinbold, B. (1990): Ganzheitliche und sozial-ökologische Organisationsentwicklung für Non-Profit-Organisationen. Berlin: Bank für Sozialwirtschaft.
Lebendige Organisationsentwicklung – ein Essay Peter Greulich
Was bringe ich zu Papier, das sowohl dem Anlass der Verabschiedung von Brigitte Reinbold angemessen ist, also persönliche Bezüge fokussiert, als auch dem Anspruch des Herausgebers gerecht wird, einen Beitrag zu einem Fachbuch zu leisten, also berufliche Lebensthemen so komprimiert reflektiert, dass der Umfang des Beitrages den Vorgaben entspricht? Und wie gliedere ich diese beiden Schwerpunkte jeweils in Teilbereiche, so dass diese verschiedenen Bausteine ein stimmiges Gesamtbild ergeben? Apropos Bausteine, aus Bausteinen können auch Mosaike hergestellt werden, ein Bild, das Brigitte Reinbold sehr gerne im beruflichen Zusammenhang verwendet, um Zusammenhänge zu differenzieren und um Vereinfachungen und simplen „Ursache – Wirkung“ Sichtweisen entgegen zu treten. Mir scheint der Essay als Stilform geeignet, die oben genannten Ansprüche am Gegenstand der „Lebendigen Organisationsentwicklung“ als unserem gemeinsamen beruflichen Erfahrungshintergrund zu einem Mosaik zusammen zu fügen. An einigen Stellen passt das Mosaik als Bild sehr gut, an anderen Stellen widerspricht der „tote“ Baustoff des Mosaiks der Vorstellung einer „lebendigen“ Organisationsentwicklung. In unserem gemeinsamen Verständnis der fachlich-konzeptionellen Bausteine einer lebendigen Organisationsentwicklung gibt es zentrale Schwerpunkte und Begriffe, die sich von einer „traditionellen“ Unternehmensberatung unterscheiden. Eine weit verbreitete Vorstellung von traditioneller Unternehmensberatung ist das Grundverständnis, dass ein Unternehmen alles unternimmt, um Profit zu erzielen und bestenfalls zu maximieren. Die Beratung eines Unternehmens hat das Ziel, die Strukturen und Abläufe so zu optimieren, dass Profite überhaupt erzielt werden bzw. maximiert werden. Oft sind die Probleme plus die dazu passenden Lösungen schon vorab definiert. Das Unternehmen bestellt, die Unternehmensberatung liefert die Mosaiksteine. Schwierig ist es manchmal, wenn die Mitarbeiter*innen bei der Umsetzung nicht mitarbeiten. Sie wurden weder bei der Problemdefinition noch bei der Lösung der ohne sie definierten Probleme ausreichend beteiligt. Sie kommen sich vor wie Mosaiksteinchen, die von außen durch die Un© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 A. Polutta (Hrsg.), Kooperative Organisations- und Professionsentwicklung in Hochschule und Sozialwesen?, Edition Centaurus – Perspektiven Sozialer Arbeit in Theorie und Praxis, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31603-7_20
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ternehmensberatung innerhalb des Unternehmens so verschoben oder gar herausgenommen werden, bis das bestellte Mosaik fertig ist. Oft lautet die Begründung der Verantwortlichen auf der Ebene der Unternehmensführung, „das haben die externen Experten so entschieden, das funktioniert in anderen Betrieben, also wird es auch bei uns so gemacht“. Meistens sind diese Externen bei der praktischen Umsetzung und Bewertung der von ihnen entwickelten Lösungen nicht mehr beteiligt. Sie sind im wahrsten Sinne des Wortes „fein raus“. Die Mitarbeitenden „baden die Chose aus“. So werden Unternehmen gesteuert. Wie sich unsere Konzeption und unsere Praxis von der oben beschriebenen unterscheiden, soll im Folgenden kurz dargelegt werden. Unter anderem die Argumentation mit dem Expertentum der Externen führt zu unserem Verständnis einer ganzheitlichen Organisationsentwicklung. Schon der Fokus auf den Begriff Organisation statt Unternehmen bringt die ersten Unterscheidungen zu Tage. Unternehmen sind lebendige Organisationen, in denen die Mitarbeiter*innen als Expert*innen Wert geschätzt werden. Die Beteiligung der Mitarbeiter*innen ist für die Zielerreichung unabdingbar. Die Rolle und Funktion der Organisationsberater*innen ist die der Expert*innen für fachliche Fragen, für die Prozesssteuerung und Moderation der Organisationsentwicklung, für die Beteiligung der Mitarbeiter*innen, bei Bedarf für die Einbeziehung von externen Spezialist*innen. Das Mosaik der ganzheitlichen Organisationsentwicklung mit externer Beratung hat also mehrere Architekt*innen. Welches Mosaik entsteht, ist nicht von vorneherein festgelegt. Die Externen sind demnach also nicht die größeren Expert*innen, die Expertise der Mitarbeitenden erhält ein großes Gewicht. Die Mitarbeitenden sind sowohl einzelne Bausteine, als auch Mitarchitekt*innen für die eigene Verortung im Mosaik. Nach unserem Verständnis von Organisationsentwicklung und -beratung gehört auch die zeitweise aktive Beteiligung der Externen bei der Umsetzung, Erprobung und gemeinsamen Bewertung der Veränderungsstrukturen und -prozesse zum professionellen Selbstverständnis. Voraussetzung für das Gelingen ist zum einen eine eindeutige und unmissverständliche Klärung des Auftrags und daraus abgeleitet die Formulierung des Kontrakts: Was ist Gegenstand der Organisationsentwicklung und was nicht? Wer hat auf welcher Ebene welche Rolle und Funktion und welche nicht? Weitere Inhalte des Kontrakts sind u.a. Ziele, Dauer und Kosten des Prozesses, Meilensteine und Kommunikation der Zwischenergebnisse etc.. Dies beugt zum einem einer Rollenverschiebung vor, indem z.B. Leitungsverantwortung und Leitungsaufgaben nicht an die Externen delegiert werden können. Zum anderen wird durch klare Kontrakte auch die Rolle der Mitarbeitenden transparent, indem festgelegt wird, wo sie Expertise einbringen und wie sie mitarbeiten. Des Weiteren müssen im Kontrakt die Wege und Verfahren der Entscheidungen eindeutig festgelegt werden.
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Von den externen Organisationsberater*innen verlangt dieses Rollenverständnis die Fähigkeit, die Funktionslogiken der beteiligten (Sub-)Systeme professionell zu reflektieren und sich nicht als Teil dieser Systeme zu verstehen. Die Interventionen sollen danach ausgewählt werden, dass die Wahrscheinlichkeit hoch ist, die gewünschten (Teil-)Ziele zu erreichen. Dies impliziert gleichzeitig, dass dies nicht oder nur zum Teil gelingt. Nach diesem Verständnis kann bei systemischen Organisationsberater*innen kein vorgefertigtes Mosaik bestellt werden, das dann auch genauso geliefert wird. In der Regel weicht das fertige Mosaik vom Ideal ab. Und von wegen fertig. Das Mosaik ist nie fertig. Die Anforderungen an die Innovationsfähigkeit von Organisationen erfordern es geradezu, dass das Mosaik nie fertig – also statisch – wird, sondern sich permanent verändern muss, eine teilweise frustrierende Erfahrung für Leitungen und Mitarbeiter*innen, manchmal sogar für die Berater*innen selbst. Der Kreislauf der Innovation geht weiter. Dieser Sachverhalt macht auch nochmal deutlich, dass die Vorstellung der punktgenauen Steuerung eines Unternehmens eine Illusion ist. Lebendige Systeme können zwar durch gezielte Interventionen beeinflusst werden, welches Eigenleben sie durch diese Interventionen entwickeln, kann aber nicht vorhergesagt werden. Wenn gewünschte Wirkungen nicht erreicht werden, müssen Berater*innen professionell damit umgehen und sich nicht darauf beschränken, die Schuldigen zu identifizieren. Weitere Interventionen folgen wieder der Logik, dass sie nach der Auswertung der bisherigen Erfahrungen mit bestimmten Interventionen die weiteren eine hohe Wahrscheinlichkeit zu einem hohen Grad der Zielerreichung führen. An dieser Stelle zeigt sich die Bedeutung von Erfahrungen der Berater*innen mit systemischer Beratung sowie von gegenseitigem Coaching unter Kolleg*innen. Denn auch die Berater*innen selbst sind nicht von blinden Flecken in ihrer Wahrnehmung und Deutung befreit. Jetzt fragen Sie sich wahrscheinlich, warum unterscheidet der Autor dieser Zeilen zwischen Unternehmen und Organisationen. Er argumentiert doch, dass Organisationen soziale Systeme seien, und Unternehmen sind doch nach dieser Argumentation auch soziale Systeme. Hier gebe ich Ihnen Recht. Bei dieser Unterscheidung hatte ich einen anderen Aspekt im Hinterkopf. Wenn ich vorne Unternehmen definiert habe als gewinnorientierte Anbieter von Produkten und Dienstleistungen, dann unterscheiden sich diese von Unternehmen, deren Dienstleistungen und Angebote nicht die Gewinnorientierung als oberstes Ziel verfolgen, also Non-Profit oder Not-for-Profit-Organisationen sind. Sie haben sich z.B. Teile der Grundversorgung der Bevölkerung als Ziel gesetzt oder sind hierzu von staatlichen Stellen beauftragt worden. Die Sicherstellung der Grundversorgung der Bevölkerung muss natürlich auch unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten erfolgen. Es zeigt sich an dieser Stelle auch ein weiterer Unterschied zu gewinnorientierten
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Unternehmen. Bei diesen finanziert in der Regel die Kundschaft die Leistungen, die sie selbst nutzt. Bei Non-Profit-Organisationen ist es vereinfacht ausgedrückt oft eine Dreiecksbeziehung: eine Leistung wird erbracht (Organisation), diese Leistung wird gebraucht (Nutzer*in, Klient*in), diese Leistung wird finanziert (Staat, Nutzer*in). Durch diesen dritten Akteur „Staat“ sind die Verantwortlichen in Non-Profit-Organisationen in einem besonderen Spannungsfeld von sich zum Teil widersprechenden Erwartungen. Die Nutzer*innen erwarten Leistungsangebote, die sowohl den individuellen Anforderungen an Passgenauigkeit als auch den finanziellen Beteiligungsmöglichkeiten entsprechen. Die Geld- und Zuschussgeber erwarten sowohl möglichst kostengünstige Angebote als auch eine wirtschaftliche Leistungserbringung. Die Mitarbeiter*innen in den Organisationen wollen sowohl fachlich gute Angebote nach den Bedürfnissen der Nutzer*innen erbringen als auch humane Arbeitsbedingungen und eine gerechte Bezahlung. Nicht zuletzt die „Öffentlichkeit“, also wir alle als Steuerzahler*innen erwarten Rechenschaft über die sinnvolle und wirtschaftliche Verwendung unserer (Steuer)Gelder. Ich gebe zu, dass auch in profitorientierten Unternehmen ein Spannungsfeld von Erwartungen besteht. Ich verweise auf die Erwartungen der „Stakeholder“. Dieses Spannungsfeld der Erwartungen als auch der besondere Charakter von Non-Profit-Organisationen in Unterscheidung zu gewinnorientierten Unternehmen lenkt die Aufmerksamkeit unweigerlich auf die Bedeutung eines stimmigen Leitbildes zu Beginn einer ganzheitlichen Organisationsentwicklung. Ein Leitbild hat jeder, vielleicht weil das modern ist oder auch ernsthaft betrieben als Orientierung für Mitarbeiter*innen, Leitungskräfte, Kund*innen und auch für die externen Berater*innen. Als externe Berater*innen ist es für uns schon bei der Kontaktaufnahme wichtig, zu wissen, wofür eine Organisation steht. Wir machen uns sprichwörtlich ein Bild dieser Organisation, das aus unterschiedlich großen und kleinen Bausteinen, wie ein Mosaik, besteht. Wir suchen Klarheit auf Fragen wie: was ist die Grundphilosophie, welche Werte sind leitend, was ist der Auftrag, wer sind Auftraggeber, gibt es Führungsgrundsätze, und wie sehen die aus, welche Bedeutung haben die Mitarbeiter*innen, welches sind Stärken und Kompetenzen, wie ist die Kommunikation nach innen, wer sind Kooperationspartner und wie ist die Kommunikation nach außen, wie sind die Strukturen und Abläufe geregelt, gibt es Evaluationen und Controlling? Weitere Aspekte kommen hinzu, um dieses (Leit-) Bild der Organisation zu vervollständigen. Erst wenn wir uns über diese Teilbereiche einer Organisation ein erstes unvollständiges Gesamtbild verschafft haben, können wir mit den Verantwortlichen über Probleme, mögliche Lösungen und unseren Auftrag verhandeln. Ein Teil dieser Verhandlungen besteht auch aus unseren
Lebendige Organisationsentwicklung – ein Essay
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Rückmeldungen, wie wir bestimmte Aspekte der Organisation aus unserer Außenperspektive wahrnehmen. Wir sind nicht Teil der Organisation und wir werden es auch nicht, wenn wir uns auf eine Beauftragung einigen. Nach dieser intensiven Clearingphase (Problemsicht, Lösungsmöglichkeiten, Verfahren und Beteiligungen, Abschluss) folgt dann der Kontrakt. Bei diesem Grundverständnis lebendiger Organisationen und ganzheitlicher Organisationsberatung kann es keine Lösungen von der Stange geben, keinen Online-Shop, der Bestellungen aus dem Baukasten entgegen nimmt, keine Raster, die immer wieder verwendet werden. Und was ist das Schönste an diesem Job? Während des Prozesses verändert sich vieles erwartet und unerwartet. Ist das nicht schön? Wer weiß, aber man muss es als immanent hinnehmen, ganz professionell. Wir sehen die Vorteile dieses konzeptionellen Ansatzes darin, dass es gelingt, die Innovationsfähigkeit der Organisationen zu stärken, auch durch das Sicht- und Nutzbarmachen der in den Organisationen vorhandenen Potenziale der Mitarbeiter*innen und der Führungskräfte. Wir sehen als externe Organisationsberater*innen unsere Aufgabe als Lotsen und Entwicklungsunterstützer*innen im Projektund Prozessmanagement. Von diesem Verständnis ganzheitlicher Organisationsentwicklung und Beratung sind gemeinsame Projekte von Brigitte Reinbold und mir geprägt. Doch dieser Schwerpunkt war nur ein Mosaikstein unserer gemeinsamen beruflichen Wegstrecken. Auch alle anderen beruflichen Mosaiksteine, größere und kleinere, prägen das Gesamtbild. Dieses Gesamtbild ist relativ stabil, oder doch nicht? Bei mehrfacher Betrachtung unterschiedlicher Mosaiksteine bekommen jeweils andere Bausteine ein neues Gewicht, eine neue Bedeutung, aber es ist doch das gleiche Mosaik?
Eine Gleichstellungsbeauftragte der DHBW auf zu neuen Ufern Gisela Meister-Scheufelen
Brigitte Reinbold wurde im September 2013 vom Senat zur neuen Zentralen Gleichstellungsbeauftragten der DHBW gewählt. Im Jahr zuvor war sie bereits mit der Funktion der Kommissarischen Zentralen Gleichstellungsbeauftragten betraut und seit mehreren Jahren als Gleichstellungsbeauftragte der Studienakademie Villingen-Schwenningen tätig. Brigitte Reinbold übernahm das Amt zu einem Zeitpunkt als das Präsidium ernüchternd feststellen musste, dass die hochgesteckten Gleichstellungsziele des Struktur- und Entwicklungsplans der DHBW 2010-2014 nicht erreichbar waren. Hinzu kam, dass die Gleichstellungsarbeit mit dem Ziel, den Professorinnenanteil an der DHBW zu erhöhen, stagnierte und auch innerhalb der Hochschule das Verständnis für die Notwendigkeit eines Umdenkens kaum verbreitet war. Das Verdienst von Brigitte Reinbold war, dass sie den Knoten löste und den Kulturwandel schaffte. Eine großartige konzeptionelle und menschliche Leistung! 1. Brigitte Reinbold als neue Gleichstellungsbeauftragte Für eine Hochschulleitung gehört es zu den schwierigen Aufgaben, Mitglieder der Professorenschaft für zentrale Funktionen zu gewinnen, wenn diese mit viel Arbeit verbunden sind und der Bereich gleichzeitig im Argen liegt. So war es 2012 in der DHBW auf dem Gebiet der Gleichstellungsarbeit für Professorinnen und Studentinnen. Brigitte Reinbold eilte ein sehr guter Ruf als Gleichstellungsbeauftragte am Standort Villingen-Schwenningen voraus. Die Entscheidung, diese Aufgabe standortübergreifend für die gesamte DHBW zu übernehmen und damit vor allem auch konzeptionell und strukturell nachhaltig zu wirken, fiel Brigitte Reinbold sichtlich schwer. Es stellte sich die Frage, ob sie diese Aufgabe neben ihrer Lehrtätigkeit und der Studiengangleitung überhaupt zeitlich bewältigen konnte. Vor dieses Zeitproblem sind die Mitglieder der Professorenschaft der DHBW regelmäßig gestellt, wenn es darum geht, zentrale Verantwortungsbereiche ehrenamtlich zu übernehmen. Im Gegensatz zu anderen Hochschulen kommt hier noch hinzu, dass die Entfernungen zwischen dem in Stuttgart gelegenen Sitz des Präsidiums und © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 A. Polutta (Hrsg.), Kooperative Organisations- und Professionsentwicklung in Hochschule und Sozialwesen?, Edition Centaurus – Perspektiven Sozialer Arbeit in Theorie und Praxis, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31603-7_21
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den einzelnen Standorten in der Regel so groß ist, dass ein Sitzungstermin in Stuttgart einen ganzen Arbeitstag in Anspruch nimmt. Der Bereich der Gleichstellungsarbeit litt noch in besonderem Maß darunter, dass praktisch keine Deputatsfreistellungen möglich waren und nur in geringem Maß personelle Unterstützung geleistet werden konnte. Für die Tatsache, dass sich Brigitte Reinbold dennoch gewinnen ließ, mag eine Rolle gespielt haben, dass sich das Präsidium eindeutig zu dem Gleichstellungsziel bekannte und jedwede Unterstützung, soweit irgend möglich, in Aussicht stellte. Tatsächlich gelang es auch mit der Zeit, die personelle Unterstützung für die DHBW – Gleichstellungsbeauftragte sowohl im Präsidium in der Person von Katharina Kemmer als auch am Standort selbst zu organisieren. Dies war vor allem ein Verdienst von Brigitte Reinbold, weil es für die zentralen Gremien der DHBW erkennbar wurde, dass sie die richtigen Prioritäten setzte und die Bereitstellung von personellen sowie finanziellen Ressourcen eine hervorragende Investition in die Zukunftsentwicklung der DHBW war. Hinzu kam, dass die erfolgreiche Bewerbung um Förderprogramme eine weitere notwendige personelle Unterstützung mit sich brachte. Wie so häufig zeigte sich auch hier, dass es in der Regel nicht an Ressourcen mangelt, sondern auf die Prioritätensetzung ankommt. Die Fortschritte bei der Deputatsermäßigung für die Gleichstellungsbeauftragten der DHBW hat Brigitte Reinbold in engagierten Verhandlungen mit dem Wissenschaftsministerium errungen. 2. Anstieg des Professorinnenanteils auf über 17 % Die DHBW wurde im März 2009 als Zusammenschluss der damals acht badenwürttembergischen Berufsakademien gegründet und mit Hochschulstatus ausgestattet. Nach dem Landeshochschulgesetz, das jetzt auch für die DHBW galt, sind die Hochschulen verpflichtet, bei der Wahrnehmung aller Aufgaben die tatsächliche Durchsetzung der Chancengleichheit von Frauen und Männern zu fördern und auf die Beseitigung bestehender Nachteile hinzuwirken. Ferner hat die Hochschule für die Dauer von fünf Jahren Gleichstellungspläne mit konkreten Ziel- und Zeitvorgaben für das hauptberuflich tätige Personal aufzustellen. Der neu gegründete zentrale Aufsichtsrat der DHBW beschloss 2009 im Rahmen des Struktur- und Entwicklungsplans 2010 – 2014 den ersten standortübergreifenden Gleichstellungsplan der DHBW. Darin wurde festgelegt, dass neben der Zentralen Gleichstellungsbeauftragten an allen Standorten zusätzlich lokale Gleichstellungsbeauftragte als Ansprechpartnerinnen für wissenschaftlich tätige Frauen und für Studentinnen eingesetzt werden. Zentrales Ziel des Gleichstellungsplans war, den Professorinnenanteil, der bei Gründung der DHBW im März 2009 bei 9 % lag, bis
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2014 auf 25 % zu erhöhen. Dies war ein zweifellos sehr ehrgeiziges Ziel, zumal auch die Fachhochschulen von dieser Zielmarke weit entfernt liegen. Anlass zum Optimismus gab, dass die DHBW als Hochschule ein weitaus größeres Bewerberinnenfeld ansprechen konnte als zu Zeiten der Berufsakademien. Hier bestand die wesentliche Recruitingform darin, Führungskräfte der Dualen Partner zunächst für einen Lehrauftrag zu gewinnen und anschließend ggf. als Professor. Die Führungskräfte der Dualen Partner waren aber in der Regel männlich, demzufolge betraf auch die Personalgewinnung der DHBW überwiegend männliche Bewerber. Erst mit den Jahren löste sich diese Automatik auf, wobei auch heute noch dieser Weg der Personalgewinnung eine große Rolle spielt. Der Professorinnenanteil hat sich inzwischen erfreulich entwickelt. Er stieg bis zum WS 2016/2017 auf immerhin 17,2 % und hat damit fast das Niveau der baden-württembergischen Fachhochschulen erreicht. Brigitte Reinbold trug wesentlich zu dieser Entwicklung bei, indem sie die Gleichstellungspolitik innerhalb der DHBW in den Gremien und in Zusammenarbeit mit dem Präsidium beharrlich, zielstrebig und hoher persönlicher Kompetenz vorantrieb. Sie wurde dabei von zwei Stellvertreterinnen, Anke Gärtner-Niemann und Claudia Winkelmann bzw. Gudrun Reichert, unterstützt. Zu dieser positiven Entwicklung mag auch das enorme Wachstum der DHBW beigetragen haben. Vom WS 2009/2010 bis WS 2013/2014 stieg der Studierendenanteil allein um 11.000 an und damit auch die Zahl der Professoren-Stellen. Die weitere Erhöhung des Professorinnenanteils bleibt ein wichtiges Ziel der DHBW über die Amtszeit von Brigitte Reinbold hinaus. Grund des vergleichsweise niedrigen Professorinnenanteils ist ferner der mit über 30 % nennenswerte Anteil an technischen Studienfächern. So setzt sich der Hochschulwert von 17,2 % aus sehr unterschiedlichen Werten der einzelnen Standorte zusammen. Zwischen den Standorten variiert der Anteil zwischen knapp 20 % bei Standorten mit sozialwissenschaftlichen Studiengängen und knapp 15 % bei Standorten mit überwiegend technischen Studiengängen. 3. Gleichstellungskommission Die Zentrale Gleichstellungsbeauftragte leitet die bei der DHBW 2010 vom Gründungssenat eingerichtete Gleichstellungskommission, der die lokalen Gleichstellungsbeauftragten der 9 Studienakademien angehören. Dieses Gremium soll eine Abstimmung bei Stellungnahmen der Zentralen Gleichstellungsbeauftragten zu standortübergreifenden Regelungen und Projekten herbeiführen, die Aktivitäten zwischen den lokalen und der zentralen Gleichstellungsarbeit vernetzen und für
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einen Erfahrungsaustausch sorgen. So befasst sich das Gremium z.B. mit Neufassungen der Grundordnung der DHBW, mit Evaluierungskonzepten für gleichstellungsfördernden Pilotprojekten im Rahmen der Projektbezogenen Zielvereinbarungen, mit einer Optimierung der Gleichstellungsarbeit auf zentraler und örtlicher Ebene sowie mit dem Entwurf der neuen Satzung zum Schutz vor sexueller Belästigung. 4. Institutionelle Kompetenzen der Zentralen Gleichstellungsbeauftragten Der erfolgreichen Arbeit der baden-württembergischen Gleichstellungsbeauftragten der Hochschulen, darunter insbesondere auch der von Brigitte Reinbold, sowie der landespolitischen Schwerpunktsetzung ist es zu verdanken, dass die Kompetenzen der Gleichstellungsbeauftragten nennenswert verbessert wurden. Für die DHBW bedeutete dies, dass sie mit Sitz und Stimme im Senat und mit Sitz im Aufsichtsrat vertreten ist. Aufgrund der Entscheidungen der DHBW ist die Zentrale Gleichstellungsbeauftragte seit 2015 in den Fachkommissionen, im CAS-Rat und der Forschungskommission mit Sitz und Stimme vertreten. Ihre Mitwirkung in den Findungskommissionen, seit der Novellierung des Landeshochschulgesetzes dort auch stimmberechtigt, ist für die Erhöhung des Professorinnenanteils von entscheidender Bedeutung. Brigitte Reinbold hat für die Zentrale Gleichstellungsbeauftragte der DHBW einen festen Platz in der Landeskonferenz der Gleichstellungsbeauftragten an HAW Baden-Württemberg erobert, deren Bezeichnung um die DHBW ergänzt wurde. 5. Professorinnenprogramm II Den Durchbruch für einen Kulturwandel in der Gleichstellung im wissenschaftlichen Bereich der DHBW gelang Brigitte Reinbold mit der erfolgreichen Teilnahme am Professorinnenprogramm II. Im August 2014 erhielt die DHBW die Mitteilung vom Bundesforschungsministerium, dass die Anträge angenommen wurden. Die DHBW setzte sich in der zweiten Tranche des Programms mit ihrem Gleichstellungskonzept durch. Die für Brigitte Reinbold überaus arbeitsintensive und unter hohem Zeitdruck stehende Bewerbung mit der damit verbundenen Erstellung eines umfassenden Gleichstellungskonzepts hatte sich gelohnt. Die DHBW erhielt die begehrte Förderung für Professuren, in der zweiten Antragsrunde sogar für zwei Regel- und eine Vorgriffsprofessur auf jeweils fünf Jahre.
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Dabei wurden die Schwerpunkte: Technik-Studiengänge sowie der Genderforschung und Diversity gewählt. Zum 1. Juni 2016 wurden die Professorinnen-Stellen besetzt. Dieses Programm wird flankiert von Gleichstellungmaßnahmen, zu denen sich die DHBW bei der Bewerbung verpflichten musste. Auf diese Weise trägt das Professorinnenprogramm nicht nur zur Erhöhung des Professorinnenanteils, sondern auch zu einer Intensivierung der Gleichstellungsarbeit auf der Ebene der Standorte bei und fördert den gleichstellungsintendierten Kulturwandel. Durch das Professorinnenprogramm II wurde ein Budget von 1,8 Mio. Euro generiert und damit auch ein besonderer finanzieller Schwerpunkt gesetzt. Das Maßnahmenpaket sieht insbesondere vor, die Gendersensibiliserung im Berufungsverfahren sowie bei Forschung und Lehre zu verbessern, die MINT-Orientierung von Schülerinnen und Studentinnen, Akademischen Mitarbeiterinnen und Professorinnen zu fördern, die Genderforschung zu stärken, die Arbeit der Gleichstellungsbeauftragten auf zentraler und örtlicher Ebene zu unterstützen und schließlich die Vereinbarkeit von Studium bzw. Beruf und Familie zu verbessern. Diese Auflistung zeigt, dass es Brigitte Reinbold gelungen ist, mithilfe der erfolgreichen Bewerbung beim Professorinnenprogramm nicht nur Fördermittel für die DHBW zu gewinnen, sondern vor allem eine umfassende gleichstellungspolitische Offensive einzuleiten. 6. Projektbezogene Zielvereinbarungen Dank des engagierten Einsatzes von Brigitte Reinbold gelang es, Gleichstellungsziele und dafür beantragte Pilotprojekte in die projektbezogene Zielvereinbarungen des Präsidiums mit den 9 Studienakademien aufzunehmen. Ab der Zielvereinbarung 2015 wurde dafür ein Budget von jährlich 100.000 Euro zur Verfügung gestellt. Hierdurch wurden wichtige Anreize für die Gleichstellungsarbeit an den Standorten geschaffen und die Ernsthaftigkeit unterstrichen, mit der die zentralen Gremien das Gleichstellungsziel verfolgten. Ein wesentliches Ziel bestand darin, mithilfe der Projektförderung Best-Practice-Maßnahmen der einzelnen Studienakademien zu identifizieren und allen anderen Studienakademien zur Verfügung zu stellen. 2016 wurden aus 16 Anträgen sieben Maßnahmen ausgewählt. Es hatten sich sechs der neun Studienakademien beteiligt. Es ging dabei u.a. um eine Erhöhung des Professorinnen- und Studentinnenanteils in Bereichen, in denen sie bislang unterrepräsentiert sind. Der Studentinnenanteil lag im März 2009 bei der Gründung der DHBW bei knapp 44%. Daran hat sich bis heute kaum etwas geändert, allerdings konnte der Anteil in den technischen Studienfächern leicht erhöht werden. Mit gezielten MINT-Aktionen sollen mehr Mädchen in Schulen dafür in-
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teressiert werden, technische Studienfächer zu wählen. Brigitte Reinbold ist es gelungen, als Zentrale Gleichstellungsbeauftragte der DHBW eine breite Spur zu legen und nachhaltige Wegmarken zu implementieren.
Statt eines Nachwortes: Laudatio zur Verleihung der Hochschulmedaille der DHBW an Brigitte Reinbold für ihre Verdienste als Zentrale Gleichstellungsbeauftragte Arnold van Zyl
Frau Prof. Reinbold wurde erstmals im Jahr 2012 zur Zentralen Gleichstellungsbeauftragten der DHBW gewählt. Sie hat nicht nur die damit verbundenen Aufgaben über mehrere Amtszeiten hinweg mit großem Engagement wahrgenommen, sondern hierbei auch Pionierarbeit im Auf- und Ausbau dieses umfassenden Themenspektrums an der DHBW geleistet. Dabei konnte Frau Prof. Reinbold ihre hohe fachliche Expertise in einem standortübergreifenden Arbeitsfeld, das an der DHBW von besonderer Komplexität gekennzeichnet ist, einbringen. Auch hat sie mit großem Erfolg die Interessen des weiblichen wissenschaftlichen Personals sowie der Studentinnen vertreten und die Gleichstellungsarbeit der Hochschule immer weiter professionalisiert. Zu den Meilensteinen ihrer Tätigkeit zählen insbesondere ▪ ▪ ▪
die Einführung der Projektbezogenen Zielvereinbarungen für Gleichstellungspilote und deren Evaluation die Roadshow «Vereinbarkeit von Beruf und Familie» die Fortbildung für neu berufene Gleichstellungsbeauftragte und Recruiting-Maßnahmen für MINT-Studentinnen.
Nicht zuletzt hat Frau Prof. Reinbold ihre Aufgaben in den zentralen Gremien der DHBW sowie in den vielen Findungskommissionen stets kritisch und mit großer Diskussionsfreude wahrgenommen. Zugleich war sie dabei in hohem Maße an konstruktiven Lösungen interessiert. Die Zusammenarbeit mit Frau Prof. Reinbold war dabei stets konstruktiv und durch gegenseitiges Vertrauen und Respekt geprägt. Im Namen des Aufsichtsrats, des Senats und im Namen aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der DHBW sprechen wir ihr unseren herzlichen Dank für die geleistete wertvolle Arbeit in den vergangenen Jahren aus.
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 A. Polutta (Hrsg.), Kooperative Organisations- und Professionsentwicklung in Hochschule und Sozialwesen?, Edition Centaurus – Perspektiven Sozialer Arbeit in Theorie und Praxis, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31603-7_22
Autor_innen
Fritz, Winfried, Dipl. Sozialpädagoge (BA), Systemischer Familientherapeut (DGSF), Fachberater Psychotraumatologie (DIPT), Trauerpädagoge (BVT). Referatsleiter ‚Intensive Hilfen und Krisenintervention‘, Erzbischöfliches Kinderheim Haus Nazareth, Sigmaringen Gärtner-Niemann, Anke, Prof. Dipl.-Ing., Professorin und Studiengangsleiterin im Studiengang Elektrotechnik, Duale Hochschule Baden-Württemberg (DHBW) Stuttgart, Zentrale Gleichstellungsbeauftragte der DHBW, örtliche Gleichstellungsbeauftragte der DHBW Stuttgart Geiges, Melanie, Dipl. Sozialpädagogin (BA), Assistenz der Studiengangsleitung Soziale Arbeit: Jugend-, Familien- und Sozialhilfe an der Fakultät Sozialwesen; Duale Hochschule Baden-Württemberg, Villingen-Schwenningen Greulich, Peter, Dipl. Pädagoge, freiberuflicher Berater für Organisations-, Personal- und Qualitätsentwicklung, ehemals wissenschaftlicher Mitarbeiter im Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik (ISS) in Frankfurt/M. und im Institut für Sozialpädagogische Forschung (ism) in Mainz Hörmann, Martina, Prof. Dr., Professur für Beratung in der Sozialen Arbeit, v.a. systemische Ansätze, Blended Counseling, gendersensible Beratung. Leitung MAS-Programm Systemisch-lösungsorientierte Beratung, Senior Consultant; Hochschule für Soziale Arbeit Fachhochschule Nordwestschweiz, Olten (CH) Horcher, Georg, Dipl. Päd., Lehrbeauftragter, u.a. an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg, Supervisor, Organisationsberater, Sozial- und Jugendamtsleiter i. R. Kallenbach, Steffen, staatl. anerk. Dipl.Soz.Päd./Soz.Arb., Master of Laws, akademischer Mitarbeiter an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg, Dozent für Soziale Arbeit, Sozialpolitik, Recht und Interkulturelle Kommunikation © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 A. Polutta (Hrsg.), Kooperative Organisations- und Professionsentwicklung in Hochschule und Sozialwesen?, Edition Centaurus – Perspektiven Sozialer Arbeit in Theorie und Praxis, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31603-7
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Autor_innen
Köbberling, Gesa, Prof. Dr., Dipl. Psychologin, Professorin für Soziale Arbeit, Schwerpunkt: Gestaltung des Zusammenlebens in der Migrationsgesellschaft, Beauftragte für Belange Geflüchteter, Evangelische Hochschule Freiburg Maelicke, Bernd, Prof. Dr., Ass., Dr. iur, Kriminologe, MDGT a.D., Universität Lüneburg, Gründungsdirektor Deutsches Institut für Sozialwirtschaft (DISW) Meister-Scheufelen, Gisela, Dr. jur., Vorsitzende des Normenkontrollrats BadenWürttemberg, ehem. Kanzlerin der Dualen Hochschule Baden-Württemberg Polutta, Andreas, Prof. Dr., Dipl. Pädagoge, Dipl. Sozialpädagoge (FH), Professor für sozialwissenschaftliche Grundlagen Sozialer Arbeit, Studiendekan und Leiter des Studiengangs Soziale Arbeit: Jugend-, Familien- und Sozialhilfe an der Fakultät Sozialwesen; Duale Hochschule Baden-Württemberg Villingen-Schwenningen Reichert, Gudrun, Prof., Steuerberaterin, Dipl.-Kauffrau, Dipl. ing. agr., Professorin für Lehraufgaben in Allgemeiner Betriebswirtschaftslehre; Duale Hochschule Baden-Württemberg Mosbach Roß, Paul-Stefan, Prof. Dr. rer. Soc., Dipl.-Theol., Dipl.-Sozialarb. (FH). Professor für Theorien und Methoden der Sozialen Arbeit an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg. Dekan Sozialwesen am Center for Advanced Studies der DHBW. Schone, Reinhold, Prof. Dr., Professor für Organisation und Management in der Sozialen Arbeit, Fachhochschule Münster Schramkowski, Barbara, Prof. Dr., Dipl.-Sozialpädagogin (FH); Professorin für Grundlagen und Methoden Sozialer Arbeit; Duale Hochschule Baden-Württemberg Villingen-Schwenningen Sieger-Hanus, Beate, Prof. Dr. rer. soc., Dipl. Handelslehrerin, Dipl. Betriebswirtin (BA), Studiendekanin und Leiterin des Studiengangs BWL-Dienstleistungsmanagement Fakultät Wirtschaft, örtliche Gleichstellungsbeauftragte; Duale Hochschule Baden-Württemberg Stuttgart
Autor_innen
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Smykalla, Sandra, Prof. Dr., Mag. Pädagogin, Professorin für Theorie Sozialer Arbeit, Alice Salomon Hochschule Berlin Stoltenhoff, Ann-Kathrin, M.A. Erziehungswissenschaft (Universität Hamburg), Doktorandin der Eberhard Karls Universität Tübingen und Lehrbeauftragte der Dualen Hochschule Baden-Württemberg Teske, Irmgard, Prof. Dipl.-Psych., Professorin i.R. der Hochschule RavensburgWeingarten und langjährige Gleichstellungsbeauftragte an dieser Hochschule. Mitglied in der Sektion Gemeinwesenarbeit der Deutschen Gesellschaft für Soziale Arbeit; Vorstandsmitglied der Gesellschaft für gemeindepsychologische Forschung und Praxis. Teubert, Anja, Prof. Dr., M.A., Leiterin des Studiengangs Soziale Arbeit mit Menschen mit Behinderung an der Fakultät Sozialwesen, Duale Hochschule BadenWürttemberg Villingen-Schwenningen Wollek, Michael, Dr. theol., Dipl. Pädagoge, ehem. Vorsitzender des Hochschulrats der Dualen Hochschule Baden-Württemberg Villingen-Schwenningen; ehem. Vorstand der Stiftung St. Franziskus Heiligenbronn van Zyl, Arnold, Prof. PhD/Univ. of Cape Town, Präsident der Dualen Hochschule Baden-Württemberg
Bislang sind in der Reihe „Edition Centaurus – Perspektiven Sozialer Arbeit in Theorie und Praxis“ folgende Titel erschienen:
Christine Dukek: Jugendämter im Spannungsfeld von Bürokratie und Profession. Eine empirische Untersuchung der Entscheidungsfindung bei Hilfen zur Erziehung Rainer Patjens: Förderrechtsverhältnisse im Kinder- und Jugendhilferecht Susanne Schäfer-Walkmann / Franziska Traub: Evolution durch Vernetzung. Beiträge zur interdisziplinären Versorgungsforschung Jonas Kabsch: Lebensweltorientierung und Autismus Süleyman Gögercin; Karin E. Sauer (Hrsg.): Neue Anstöße in der Sozialen Arbeit Matthias Moch: Kompetentes Handeln in stationären Erziehungshilfen Anne-Katrin Schührer: Migration und Engagement. Zwischen Anerkennung, Lebensbewältigung und sozialer Inklusion
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 A. Polutta (Hrsg.), Kooperative Organisations- und Professionsentwicklung in Hochschule und Sozialwesen?, Edition Centaurus – Perspektiven Sozialer Arbeit in Theorie und Praxis, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31603-7