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German Pages 136 Year 2014
Lucyna Darowska, Thomas Lüttenberg, Claudia Machold (Hg.) Hochschule als transkultureller Raum?
Lucyna Darowska, Thomas Lüttenberg, Claudia Machold (Hg.)
Hochschule als transkultureller Raum? Kultur, Bildung und Differenz in der Universität
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Inhalt
Einleitend Lucyna Darowska, Thomas Lüttenberg & Claudia Machold Hochschule als transkultureller Raum unter den Bedingungen von Internationalisierung und Migration – eine Annäherung Lucyna Darowska & Claudia Machold
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Was ist eigentlich Transkulturalität? Wolfgang Welsch
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Kultur als Beobachtungsweise Isabell Diehm
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Universität als transgressive Lebensform. Anmerkungen, die gesellschaftliche Differenz- und Ungleichheitsverhältnisse berücksichtigen Paul Mecheril & Birte Klingler
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Interkulturelles Training? Eine Problematisierung María do Mar Castro Varela
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Autorinnen und Autoren
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Einleitend LUCYNA DAROWSKA, THOMAS LÜTTENBERG & CLAUDIA MACHOLD
Ist die Hochschule ein transkultureller Raum? Sollte sie es werden? Mit diesen Fragen beschäftigen sich die Beiträge dieses Bandes. Vor allem aber gehen sie der Bedeutung der Begriffe Kultur, Transkultur und Bildung in der Hochschule nach, wobei verschiedenen Dimensionen von Differenz Aufmerksamkeit gilt. Ohne gleich ausführlich den Transkulturalitätsbegriff in seiner Semantik zu bestimmen, kann zunächst angenommen werden, dass Transkultur Kultur in einen Modus der Grenzüberschreitung versetzt. Transkulturalität kann aus verschiedenen Perspektiven gedacht werden; der Begriff kann insbesondere mit zwei Phänomenen in Verbindung gebracht werden, die gegenwärtig die Hochschulen und die Gesellschaft in Deutschland beschäftigen und die Begriffe Kultur und Differenz populär machen, nämlich mit Migration und mit Internationalisierung. Diese gesellschaftlichen bzw. hochschulpolitischen Veränderungen verheißen einerseits Grenzüberschreitungen, können aber ebenso Grenzziehungen verstärken. Die Frage nach der Hochschule als transkulturellem Raum stellte sich uns während der Vorbereitung einer Vortragsreihe an der Universität Bielefeld zum Sommersemester 2009. Sie schließt an die gegenwärtig beobachtbaren Prozesse an, in denen die Hochschulen – ebenso wie die Gesellschaft – dynamischen Veränderungen unterliegen und in deren Rahmen immer wieder der Kulturbegriff bemüht wird. In den letzten Jahren ist aus diesem Grund insbesondere Interkulturalität an der Hochschule zu einem
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Thema geworden. Während sich beispielsweise Tanaka in seinem Buch vor allem auf die amerikanische Hochschule konzentriert (vgl. Tanaka 2003), bezieht sich Otten in seiner 2006 erschienenen kultursoziologischen Studie auf die Situation in Deutschland und zeigt, wie Hochschulakteure und -akteurinnen in der „globalisierten Hochschulbildung“ kulturelle Grenzen setzen. Auch Jutta Berninghausen betrachtet gemeinsam mit ihren Mitherausgebern und -herausgeberinnen (vgl. Berninghausen et al. 2009) deutsche Hochschulen, wobei sie eine stark praxisbezogene Perspektive einnimmt. Ein 2009 erschienener Tagungsband des Europarats (Bergan/Restoueix 2009) schließlich versteht sich als aktuelle Standortbestimmung und fordert unter anderem die Etablierung einer „intercultural literacy“, bei deren Vermittlung die europäischen Hochschulen eine wichtige Rolle spielen sollen. Transkulturalität wird hingegen nur selten auf die Hochschule bezogen. Das Anliegen der Bielefelder Vortragsreihe war es deshalb einerseits darüber zu reflektieren, inwiefern der Transkulturalitätsbegriff auf der deskriptiven Ebene die Praxisrealität der Hochschulen adäquat erfasst. Andererseits ging es darum, über die Tauglichkeit des Konzepts als normative Vorstellung für den Alltag im Hochschulraum nachzudenken. Was müsste zum Beispiel auf hochschulpolitischer Ebene geschehen, damit die Hochschule zu einem transkulturellen Raum werden kann, wenn das denn ein erstrebenswertes Ziel ist? Die Anregung zu dieser eher begrifflich-theoretischen Auseinandersetzung mit der Fragestellung kam allerdings aus dem empirischen Bereich. Die alltägliche Praxis in der Bildungsinstitution Hochschule führt immer wieder Grenzziehungen vor Augen, u. a. diejenigen, die im Kontext von Migration und Internationalisierung mit der Auffassung von und in der Folge mit dem Umgang mit kultureller Differenz zusammenhängen. Das Ziel dieses Bandes, dessen Beiträge sich aus verschiedenen Blickwinkeln sowohl einzelne Aspekte des Themas als auch die Frage insgesamt anschauen, ist also, zu einer Diskussion über den sozio-kulturellen Raum Hochschule anzuregen. Ausgehend von der Anschauung der sozio-kulturellen Praxis in der Hochschule möchten wir aus der Perspektive derjenigen, die Internationalisierung beruflich betreiben und die Begriffe Kultur und Differenz im professionellen Kontext der Bildungsinstitution reflektieren, einige Probleme der gegenwärtigen ‚Kultur der Differenzsetzung‘ aufgreifen und sowohl auf mögliche Lösungspoten-
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tiale hinweisen als auch auf weitere methodologische Schwierigkeiten, mit denen beim Einsatz des Konzepts Transkulturalität zu rechnen ist. Den Herausgeberinnen und dem Herausgeber erscheint die Fragestellung, die den Begriff der Transkultur im Hochschulraum als eine zentrale Idee herausstellt, auch insofern attraktiv, als sie mehrere Aspekte zugleich aufgreift. Zum einen geht es um die Frage, welches Kulturkonzept heute als adäquat gelten kann, wenn man Individuen und Kollektive in ihren Interaktionen beschreibt. Zum anderen kann überlegt werden, wie sich kulturelle Praxen im Hochschulraum vollziehen, d. h. wie flexibel, durchlässig oder fest die Grenzen zwischen kollektiven kulturellen (Selbst-)Verständnissen sind. Dabei spielt auch die Frage nach Verbindungen zwischen ggf. erkennbaren kulturellen Bedeutungsbezügen der Gruppen und sozialen Ungleichheiten im Raum eine wichtige Rolle. Schließlich ist zu beachten, dass der Hochschulraum sich ständig verändert, dementsprechend ist auch der Aspekt des Temporären von Bedeutung. Die Beiträge dieses Bandes gehen der Titelfrage anhand unterschiedlicher Schwerpunkte im Hinblick auf die Bedeutung von Kultur, Transkultur, Bildung und Differenz im Hochschulraum nach. Sie befassen sich sowohl mit begriffsanalytischen Bestimmungen und Problematisierungen von Kultur und Transkultur als auch mit dem Potential und den Grenzen von Konzepten wie Diversity und Maßnahmen wie interkulturellen Trainings. Die beiden Herausgeberinnen Lucyna Darowska und Claudia Machold nehmen im ersten Beitrag eine vertiefende Annäherung vor, die an der Stelle einer ausführlichen Einleitung entstanden ist. Sie wenden die Titelfrage so, dass Transkulturalität als Perspektive fungiert, durch die sozio-kulturelle Grenzziehungen und Grenzüberschreitungen in den Blick kommen, die im Raum Hochschule im Zusammenhang mit Migration und Internationalisierung stehen. Nachdem sie die beiden Phänomene Migration und Internationalisierung in der Hochschule kurz umrissen haben, bearbeiten sie den Gegenstand sowohl anhand von Erörterungen zum Kultur- als auch zum Raumbegriff. Der Kulturbegriff wird dabei zunächst in seiner Entwicklung und dann im Hinblick auf die Diffundierung der mit ihm verbundenen Wissensbestände in die Praxis betrachtet. Ergänzt wird diese kulturtheoretische Perspektive anschließend durch die Raumdimension, die insbesonde-
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re über Bourdieus kultursoziologische Überlegungen ausgeführt wird, wodurch die Dimension sozialer Ungleichheit angesprochen wird. Im Verlauf ihrer Argumentation zeigt sich, dass über diese beiden Zugänge vor allem Prozesse von Grenzziehungen sichtbar werden. Die beiden Autorinnen wenden ihre Argumentation abschließend nochmals unter der Frage, inwiefern Identität immer schon als transkulturell oder hybrid zu verstehen ist und insofern Grenzüberschreitungen stärker beachtet werden können. Anhand der normativen Fokussierung plädieren Darowska und Machold für eine beide Dimensionen berücksichtigende Hochschulpraxis. Im Mittelpunkt von Wolfgang Welschs Beitrag steht die Bestimmung des Transkulturalitätsbegriffs. Welsch grenzt ihn zunächst von Herders klassischem Kugelmodell der Kultur und einer damit verbundenen historischen Homogenitätsfiktion ab, um anschließend sein Verhältnis zu den Begriffen Interkulturalität und Multikulturalität zu diskutieren. Im Zentrum steht dabei sowohl das Argument, dass die Verfasstheit von Kulturen sich gegenwärtig jenseits alter Vorstellungen von Abgeschlossenheit befinde, als auch dass sie durch Verflechtung gekennzeichnet sei. Nach innen hybridisiert, nach außen miteinander verflochten – für diese Beschaffenheit von Kulturen, die kennzeichnend für die Gegenwart sei, hat Welsch den Begriff Transkulturalität entwickelt. In einem weiteren Schritt bezieht der Autor den Begriff auf die Hochschule, und zwar in zweierlei Hinsicht. Zunächst merkt er an, dass Transkulturalität in der Hochschule auch als Multiethnizität oder Herkunftsvielfalt verstanden werden könne, weil zunehmend Studierende – wenngleich nicht unbedingt Lehrende – aus verschiedenen Ländern an die Universität kämen. Wichtiger erscheint ihm jedoch, Transkulturalität im Hochschulkontext auf Transdisziplinarität zu beziehen. Kreuzung, Verbindung und Durchdringung unterschiedlicher wissenschaftlicher Kulturen wären das Ergebnis, das womöglich zur Fortentwicklung von Forschung und Lehre beitragen könnte. Ausgehend von der Erziehungswissenschaft, die sich mit dem Phänomen der Einwanderung befasst, problematisiert Isabell Diehm in ihrem Beitrag den Kulturbegriff. Sie zeigt die mit seiner Verwendung im Kontext einer Einwanderungsgesellschaft verbundenen Risiken (Kulturalisierung, Curricularisierung, Fremdheitskonstruktionen) auf und vollzieht, was sie für den Umgang mit diesem Begriff fordert: Beobachtung. Diehm hält diese Per-
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spektive auch im Kontext der Universität für fruchtbar und plädiert in diesem Zusammenhang dafür, sie im Rahmen der Internationalisierung der Hochschulen als Lerngegenstand und als Reflexionsangebot in die Curricula einfließen zu lassen, zum Beispiel bei der Vorbereitung von Auslandsaufenthalten. Da jedoch selbst die Modifizierung des Kulturbegriffs durch die Präfixe „trans“ oder „inter“ nicht umhin kommt, diejenigen Vorstellungen zu transportieren, von denen sie sich eigentlich abgrenzt, spricht Diehm sich abschließend für eine grundsätzliche Verschiebung der Perspektive von Kultur auf Differenz aus. Paul Mecheril und Birte Klingler entwerfen Universität als Bildungsort und Lebensform der Grenzüberschreitung, für die das Streben nach einer transgressiven Lebensform konstitutiv sein sollte. Teilhabe an der auf eine transgressive Lebensform zielenden akademischen Kultur fassen sie als Bürgerrecht auf kulturelle Bildung, die in pluralen Gesellschaften prinzipiell transkulturell ist und kulturelle Zugehörigkeiten ebenso prinzipiell in Frage stellt. Sie problematisieren den demokratischen Anspruch der Teilhabe vor dem Hintergrund von empirischen Erkenntnissen über den Zusammenhang von sozialen, kulturellen, ethnischen oder geschlechtlichen Zugehörigkeiten und der Selektivität der Hochschulen, bezogen sowohl auf formale als auch auf informelle Teilhabemöglichkeiten. Abschließend befragen Mecheril und Klingler das Diversity-Konzept im Hinblick auf seinen Beitrag zu mehr Bildungsgerechtigkeit an den Hochschulen. María do Mar Castro Varela problematisiert in ihrem Beitrag die Prämissen interkultureller Trainings. Im Mittelpunkt stehen dabei Prozesse, in denen das „Fremde“ zum „Fremden“ gemacht wird. Über Saids Konzept des Othering fasst die Autorin sowohl historische Prozesse des „Fremd-machens“, in deren Zusammenhang bis heute wirksame Bilder über beispielsweise „den afrikanischen Kontinent“ oder „arabische Länder“ entstanden sind, als auch gegenwärtige Prozesse, in denen „kulturelle Zugehörigkeit“ zum alles erklärenden Prinzip wird. Weiter problematisiert sie Repräsentationspolitiken, die sich auch in interkulturellen Trainings zeigen. Prozesse des Othering und die Problematik von Repräsentationspolitiken müssten in interkulturellen Trainings stetig thematisiert werden, da sie sonst Gefahr laufen, bestehende Macht- und Herrschaftsverhältnisse zu reproduzieren.
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Über eine Didaktik von Lernen und Verlernen schlägt sie einen pädagogischen Zugang vor, der u. a. epistemische Gewalt transparent macht und nach wie vor dominante eurozentrische Perspektiven in Frage stellt. Abschließend plädiert sie für einen schmerzhaften, wenngleich lohnenswerten Lernprozess in der „Kunst, Regeln zu brechen“.
Literatur Bergan, Sjur/Restoueix, Jean-Philippe (Hg.) (2009): Intercultural dialogue on Campus, Straßburg: Council of Europe Publishing. Berninghausen, Jutta et al. (Hg.) (2009): Lost in Transnation. Towards an Intercultural Dimension on Campus. Intercultural Studies, Bd. 8, Bremen: Kellner. Otten, Matthias (2006): Interkulturelles Handeln in der globalisierten Hochschulbildung, Bielefeld: transcript. Tanaka, Greg (2003): The intercultural campus. Transcending culture and power in American higher education. Counterpoints, Vol. 97, New York: Peter Lang.
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Hochschule als transkultureller Raum unter den Bedingungen von Internationalisierung und Migration – eine Annäherung LUCYNA DAROWSKA & CLAUDIA MACHOLD
Transkulturalität verweist auf Kultur und damit auf einen umstrittenen Begriff, der in den letzten Jahren u. a. im Kontext von transnationalen Bewegungen, Migration und Globalisierung erneut zu einer großen Popularität gefunden hat. In diesen Zusammenhängen wird meist von Interkulturalität gesprochen, wobei der Begriff in Bildungseinrichtungen, aber nicht nur dort, zur Erfassung und Erklärung von kulturellen Differenzen eingesetzt wird. In unseren Überlegungen zur Hochschule1 rücken wir in den Mittelpunkt der Diskussion jedoch den Begriff der Transkulturalität. Auf diesen Begriff geht beispielsweise Lilo Schmitz (2006) in einem kurzen Beitrag ein und stellt einige Reflexionen zur Transkulturalität in der Hochschule an. In ihrem Plädoyer für die Abschaffung der Kategorie „Studierende mit Migrationshintergrund“ und für die Anerkennung der Transkulturalität aller Studierenden in der Sozialen Arbeit bezeichnet sie die gegenwärtige Lebensrealität von Studierenden als grundlegend transkulturell: Sie bewegen sich in vielen Sprachen, sie reisen und migrieren, sie sind zugehörig zu verschiedenen Szenen und Schichten – und 1
Im Folgenden stehen Studierende als Bildungsakteure und -akteurinnen im Vordergrund.
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dabei auch betroffen von Armut, Arbeitslosigkeit und Flucht – sie verfügen über mehrere Heimaten und sind insgesamt geprägt von Prozessen der Mobilität und „Entheimatung“ (vgl. Schmitz 2006: 64 f.). Lilo Schmitz malt hier in der Verwendung des Transkulturalitätsbegriffs ein „buntes“ Bild der Lebensrealität und der identitären Bezüge der Studierenden der Sozialen Arbeit und lädt damit u. E. dazu ein, genauer zu fragen, ob die Hochschule ein Raum ist, der durch den Begriff transkulturell erfassbar ist. Kann zum Beispiel das „Bunte“ – wenn man Armut, Arbeitslosigkeit und Flucht als Bestandteile des „bunten“ Bildes identifizieren kann – als Merkmal von Transkulturalität verstanden werden? Der Transkulturalitätsbegriff bietet uns als Perspektive die Anregung, über die Hochschule als einen Raum nachzudenken, in dem Grenzziehungen und Grenzüberschreitungen geschehen. Unser besonderes Interesse gilt denjenigen Praxen, die im Zusammenhang mit Migration und Internationalisierung stehen. Dabei haben wir uns hier gegen den Einsatz des Begriffs Interkulturalität entschieden, da dieser Kultur zum einen weiterhin als Einzelkultur fasst, die sich in einem Inter- lediglich mit einer anderen verschränkt und sie zum anderen meist ethnisch-national bestimmt. Wir verstehen die Idee der Transkulturalität als eine Idee, mit der im Gegensatz dazu räumliches, zeitliches und symbolisches Übergehen und Verschieben als ein Darüberhinaus- und Hindurchgehen (vgl. Zirfas/Göhlich/Liebau 2006: 185) in den Blick kommt, und fassen sie analytisch in der Frage nach den kulturellen Grenzüberschreitungen in der Hochschule. Weil der Begriff Transkulturalität im deutschsprachigen Kontext meist auf Wolfgang Welsch zurück geht, bleibt dezidierte Begriffsarbeit in diesem Band ihm selber vorbehalten. Uns erschien es interessant genug, die Idee des kulturellen Überschreitens in den Fragen nach (Grenz-)Überschreitung und Grenzziehung auf die Hochschule unter den Bedingungen von Migration und Internationalisierung zu beziehen.
Migration und Internationalisierung in der Hochschule Hochschulen sind Teil der Gesellschaft und sind sowohl von gesellschaftlichen Veränderungen als auch von Veränderungen im
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Verständnis der Gesellschaft betroffen. Im Falle Deutschlands ist der realen Veränderung hin zu einer Migrationsgesellschaft der entsprechende Wandel in der Gesellschaftskonzeption von einer geschlossenen Nation zur Vorstellung einer Einwanderungsgesellschaft nur mit großer Verzögerung gefolgt. Die gegenwärtig an vielen Orten verhandelten Entwürfe einer Migrationsgesellschaft in Deutschland haben zahlreiche Facetten. Unabhängig von dieser Mehrdeutigkeit ist jedoch klar, dass sich in einer Migrationsgesellschaft auch die Hochschulen verändern. Und wie sich die Gesamtgesellschaft nur langsam der Erkenntnis öffnete, dass Deutschland seit geraumer Zeit zum Einwanderungsland geworden ist, so haben auch die Hochschulen erst spät begonnen, ihr Augenmerk auf die Bedingungen für Studierende aus MigrantenFamilien an den Hochschulen zu richten. Von diesen Studierenden hat ein Teil noch die Staatsbürgerschaft des Herkunftslandes ihrer Familien inne. Sie werden von den Hochschulen dementsprechend unter die nichtdeutschen, internationalen Studierenden gezählt, obwohl sie u. U. ihr ganzes Leben bis zum Studienbeginn in Deutschland verbracht und den zur Aufnahme des Studiums berechtigenden Schulabschluss Abitur in Deutschland erworben haben. Die hochschulspezifische Unterscheidung zwischen der Staatsangehörigkeit einerseits und dem Erwerbsland der Hochschulzugangsberechtigung (HZB) andererseits belegt die Studierenden aus Migranten-Familien – und damit eine nennenswerte Zahl der Studierenden insgesamt – sowohl mit einem Etikett der Zugehörigkeit (HZB) als auch mit einem der Nichtzugehörigkeit (Staatsbürgerschaft) zur Mehrheitsgruppe. Diese doppelte Zuordnung führt zu eingeschränkten Teilhabemöglichkeiten. Bei unvoreingenommener Betrachtung des – so hoffen wir – in Zukunft wachsenden Anteils der Studierenden aus Migranten-Familien könnte man im Hinblick auf eine im Rahmen des BolognaProzesses ohnehin gewünschte größere Offenheit der Hochschulen gegenüber Europa und der Welt zum Beispiel darüber nachdenken, inwieweit die bemerkenswerte Zwitterstellung der Studierenden aus Migranten-Familien überhaupt angemessen ist, welche Auswirkungen sie auf die Subjekte hat und ob nicht am Beispiel dieser Studierenden über die Frage der Zugehörigkeitskriterien zur Hochschule insgesamt neu nachgedacht werden kann.
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Während Migration den Hochschulraum vorrangig als Folge der sich wandelnden bundesrepublikanischen Gesellschaft prägt, hat die Internationalisierung der Hochschulen vor allem mit der zunehmend globalen Dimension des Hochschulwesens zu tun. Seit den 1990er Jahren kann man eine „sich beschleunigende Internationalisierung und Europäisierung des Hochschulwesens [beobachten]“ (Teichler 2008: 82). Internationale Kooperation und Mobilität nehmen zu; die Situation der Hochschulen wird immer mehr auch von übernationalen Abkommen und Vereinbarungen reguliert, die wiederum weitergehende supranationale Abstimmungen erforderlich machen. In Europa verstärken sich nicht nur Bemühungen um Kooperation, sondern – zumindest in ausgewählten Bereichen – auch zur Angleichung im Sinne eines „Europäischen Hochschulraums“ (ebd.). Die Internationalisierung der Hochschulen soll internationale Bildungsakteure und -akteurinnen an die Hochschulen bringen. Sowohl die wachsende Präsenz internationaler Wissenschaftler/-innen als auch Studierender liegt dabei im Interesse der Hochschulen. Dafür ist es erforderlich, sowohl curriculare als auch sprachliche Anforderungen an die Voraussetzungen dieser Gruppen anzupassen. Zugleich werden die Steigerung der Zufriedenheit der Akteurinnen und Akteure mit den Bildungsaufenthalten an den Hochschulen und die stärkere Anbindung an den Hochschulort angestrebt. Hier ist zumindest in den Ländern außerhalb der angelsächsischen Welt noch vieles im Unklaren, weshalb Kokemohr zu Recht fragt, „was unter Internationalisierung und Effektivierung des Studiums zu verstehen ist, wie sie vollzogen werden sollen und welche Konsequenzen sie für Bildungsprozesse Studierender haben können“ (Kokemohr 2005: 101). Im Hinblick auf die Transkulturalität des Hochschulraums stellt sich entsprechend die Frage, welche Bedeutung beide Phänomene für den Abbau oder die Überwindung kulturell verstandener Grenzen haben (können), die übrigens immer noch vielerorts ethnisch definiert werden. Die Internationalisierung der Hochschulen setzt im Unterschied zu (anderen) Migrationsbewegungen2 zum Teil andere Bedingungen für Begegnungen von 2
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Hier meinen wir vorrangig folgende Migrationsbewegungen im europäischen Kontext der Nachkriegsgeschichte: Arbeitsmigration,
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Menschen aus verschiedenen Regionen der Welt. Gleichzeitig verstärken beide – Migration und Internationalisierung – ein sprachlich und unter dem Gesichtspunkt der Bildungsbiografie heterogenes akademisches Milieu, in dem die Akteurinnen und Akteure über unterschiedliche Anbindungen an geografische und soziale Räume in Deutschland und über Deutschland hinaus verfügen (zu virtuellen Netzwerken vgl. Bauschke-Urban 2008). Welche Auswirkungen diese vielfältigen, auch transnationalen3 Zugehörigkeiten auf den Hochschulraum haben, wird bereits diskutiert.4 Es ist u. E. lohnenswert, sich mit dieser Frage über Annäherungen sowohl an den Kultur- als auch Raumbegriff im Hinblick auf den durch Migration und Internationalisierung geprägten Hochschulraum zu befassen. Es kann also gefragt werden, wie sich der Hochschulraum als sozio-kultureller gegenwärtig strukturiert.
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Flucht, Dissidententum, die Rückführung von Kontingentflüchtlingen (überwiegend jüdischer Herkunft) sowie von Spätaussiedlern und Spätaussiedlerinnen. Unter transnationaler Wissenschaftsmigration versteht beispielsweise Bauschke-Urban (2008) organisatorische Prozesse und biografische Verläufe, die durch mehrfachen Wechsel der Bildungsorte im internationalen Raum gekennzeichnet sind. Auf der Zugehörigkeitsebene ist eine „Ortlosigkeit“ (ebd.: 284) in dem Sinne ein biografisches Merkmal dieser Bildungsakteurinnen (bei BauschkeUrban nur weibliche Subjekte), dass die dominante Zugehörigkeitskategorie die jeweilige wissenschaftliche community ist. Im Zusammenhang mit der Internationalisierung wird beispielsweise diskutiert, ob Seminare auf Englisch stattfinden sollten. Soll die Gruppe der internationalen Studierenden, die das Abitur in Deutschland absolviert haben, aber nicht die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen, anders betreut werden als internationale Studierende mit einem ausländischen „Abitur“? Hierzu gehören ebenso mehrere kürzlich in verschiedenen Zusammenhängen geäußerte Vorhaben, Migranten und Migrantinnen auch in der Hochschule (wie in vielen Debatten um Schule und Migration) unter einer defizitären Perspektive zu betrachten. Vielerorts wird wiederum überhaupt keine Unterscheidung zwischen diesen Gruppen gemacht. So scheinen einige Dozenten und Dozentinnen eher zwischen ‚deutsch‘ und ‚nicht-deutsch‘ zu unterscheiden, vorrangig aufgrund äußerer Merkmale, wie Aussehen, Akzent, Name etc.
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Da Transkultur schon mit ihrem Kernbestandteil ‚Kultur‘ semantisch eng zusammenhängt und von ihm zum Teil bestimmt wird, halten wir es für unumgänglich, sich zunächst mit dem Kulturbegriff zu befassen und seine Varianten zu beachten. Der im Folgenden kurz skizzierte Einblick in die geschichtliche Entwicklung diverser Verständnisse des Kulturbegriffs schließt mit der Fokussierung einer Variante, die uns im Hinblick auf die Vermeidung der Gefahr „natio-ethno-kulturell“ (vgl. Mecheril 2003) bestimmter Grenzziehungen bedenkenswert erscheint – Kultur als soziale Praxis.
Der Kulturbegriff in seinen Dimensionen Den Begriff Kultur bezeichnet Andreas Reckwitz (2008: 61) als einen „suggestiven“ und „problemgeladenen Terminus“. Reckwitz stellt sich damit in eine Reihe von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die den Begriff in seinen Transformationen zu erfassen suchen, und zeichnet den sozialwissenschaftlichen Kulturbegriff in seiner historischen Entwicklung nach (vgl. Reckwitz 2008). Er unterscheidet einen normativen, einen totalitätsorientierten, einen differenzierungstheoretischen sowie einen bedeutungs- und wissensorientierten Kulturbegriff. Nach dem normativen Verständnis bezeichnet Kultur in der Antike und in der Renaissance den „Intellekt eines Individuums“, seit der Aufklärung jedoch den jeweils spezifischen Zustand einer sozialen Gemeinschaft (vgl. ebd.: 66). Das normative Verständnis bezieht sich auf den Kulturbegriff im Singular. Die Sozialtheorien, für die das Erkenntnisinteresse im Sinne des Verstehens menschlichen Verhaltens leitend ist, haben sich vom normativen Kulturbegriff gelöst bzw. ihn entsprechend transformiert. Von diesem Punkt führen – so Reckwitz – zwei Wege zu modernen Kulturbegriffen. Auf dem einen bildet sich ein holistisch-ethnologischer Begriff heraus, der andere Weg mündet in der Entstehung eines differenzierungstheoretischen Kulturverständnisses. Während das letztere Konzept als gesellschaftliches Teilsystem, als „Produktion, Verteilung und Verwaltung von ‚Weltdeutungen‘ intellektueller, künstlerischer, religiöser oder massenmedialer Art“ (ebd.: 79) zu verstehen ist, identifiziert der totalitätsorientierte Kulturbegriff Kultur mit der „gesamten Lebensform eines Kollektivs“ (ebd.: 76). Dieser holistischen
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Kulturauffassung ist der von Johann Gottfried Herder geprägte Kulturbegriff zuzuordnen, der Kulturen „als sich geschichtlich ausbildende Lebensweisen einzelner Völker und Nationen“ (ebd.: 73) definiert. Abhängig vom jeweiligen Kulturverständnis werden unterschiedliche Grenzziehungen vorgenommen – wie etwa die zwischen verschiedenen Völkern und Nationen bei Herder. Da diese Grenzziehungen nicht ausschließlich in der Welt der Theorien verbleiben, sondern in die sozialen Wirklichkeiten diffundieren, ist es entscheidend zu überlegen, welche Bedeutung bestimmte Verständnisse haben und welche Folgen sie für soziale Wirklichkeiten zeitigen. Was bedeutet das für die Untersuchung der Hochschule als transkulturellem Raum? Die Wahl eines Kulturbegriffs, der eine angemessene Annäherung an aktuelle Lebenswelten sozialer Akteurinnen und Akteure ermöglicht, ist eben nicht nur für die wissenschaftliche Erschöpfung seiner Erkenntnispotentiale relevant, sondern auch für die Praxis in der Hochschule folgenreich. Dort wo die Konzepte von Kultur ihre Anwendung finden, wirken sie sich unmittelbar auf die Akteurinnen und Akteure in den Interaktionen aus. So beeinflussen die in den Fakultäten erarbeiteten theoretischen Zugänge zur Kultur die alltagsweltlichen (Sprech-) Handlungen. Isabell Diehm zeichnet in diesem Band die kritische Debatte um den Kulturbegriff innerhalb der Erziehungswissenschaft nach und legt dar, dass in den Debatten im Themenfeld Migration und Erziehung insbesondere ein ethnologischer Begriff am Werke war, der zu Kulturalisierung und Fremdheitskonstruktionen in der (pädagogischen) Praxis geführt hat. Im traditionell ethnologischen Verständnis des Kulturbegriffs steht – wie bereits dargelegt – Kultur für eine an Volks- bzw. ethnischer oder nationaler Zugehörigkeit ausgerichtete Prägung der Subjekte. Kultur wird als Kategorie bemüht, mit deren Hilfe man die als dominant verstandenen Unterschiede zwischen den Volks- bzw. nationalen Identitäten ausweisen kann. In diesem Sinn stellt auch Paul Mecheril fest: „Die kulturelle oder soziale Praktik des Sprechens über Kultur kommt nicht in den Blick und erst dieses Nicht-in-denBlick-Nehmen ermöglicht die Essentialisierung kultureller Gruppen. Diese werden nicht als Phänomene der Selbst- und Fremdkonstruktion, sondern als kollektive Wesen ersichtlich“ (Mecheril 2002: 20; H. i. O.). Hier fungiert Kultur als ein geschlossenes, a
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priori existierendes Gesamtsystem in einer historischen Zeit auf einem bestimmten Territorium. In Bezug auf die Hochschule wird diese Problematisierung des Kulturbegriffs zum Beispiel dort relevant, wo zum intendierten Abbau von Grenzziehungen auf Angebote – die weder der Forschung noch der Lehre im klassischen Sinn zuzuordnen sind – zurück gegriffen wird, wie Interkulturelle Trainings. Angebracht erscheint es vor diesem Hintergrund, die Konzepte dieser Workshops und ihre Effekte auf sozio-kulturelle Praxen in den Hochschulen unter verschiedenen Aspekten zu diskutieren. Nicht nur wird auch in einigen dieser Bildungsangebote der Begriff Kultur mit Nation, Ethnie bzw. geografischem Territorium gleichgesetzt, ohne dass hierfür eine plausible theoretische Begründung geleistet wird. Mehrere dieser Angebote führen darüber hinaus, basierend auf den Arbeiten von Alexander Thomas (vgl. Kalpaka/Mecheril 2010: 85 f.), Unterscheidungen zwischen ‚eigen‘ und ‚fremd‘ entlang eines so verstandenen homogenen Kulturbegriffs ein und bezeichnen Kulturen mit Hilfe einiger kontrastiv aufgestellter Begriffspaare. Eine üblich gewordene Begründung für die Ausrichtung der Auseinandersetzung mit Interkulturalität liefert – in diesen Dichotomien verbleibend – die Fokussierung auf konfliktive Situationen, die – so die Annahme – in der kulturellen Prägung der Akteurinnen und Akteure als den Repräsentanten und Repräsentantinnen von ‚Nationalkulturen‘ wurzeln, da sich diese Prägungen angeblich als besonders starke Hindernisse gelungener Kommunikation darstellen: „,Fremdheit‘ und ‚kulturelle Unterschiede‘ werden bei Thomas als an sich und immer schon gegebene Verhältnisse untersucht.“ Durch die Kontrastierung von ‚Eigenkultur‘ und ‚Fremdkultur‘ wird „zudem das im Alltagsverständnis verankerte Bild von abgeschlossenen Kulturen, als Blöcken, die sich gegenüberstehen und zu Konflikten führen (können) oder sogar miteinander unvereinbar seien“ (Kalpaka/Mecheril 2010: 86), bestätigt.
So scheinen diese Angebote das Alltagsverständnis von Interkultur zu befriedigen und ihre Aufgaben, einerseits Aufklärung über den Kulturschock, Fremdheit und kulturelles Konfliktpotential, andererseits Wissensvermittlung über bestimmte Kulturen zu leisten, gut zu erfüllen. Mehrere Forscher/-innen warnen jedoch vor
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Effekten der Konzepte, die einen derartigen holistischen Kulturbegriff einsetzen, wie dies beispielsweise das o. g. Handbuch für Bachelor- und Master-Studierende in einem Merksatz tut: „Sobald Kultur als unveränderliche, wesenhafte Eigenschaft von Menschen und im Zusammenhang größerer sozialer Einheiten, etwa als Nationalkultur und dadurch eher statisch gedacht wird, liegt der Rede und dem Gebrauch von ,Kultur‘ ein Verständnis zugrunde, das äquivalent zu Rassenkonstruktionen ist“ (Kalpaka/Mecheril 2010: 87).
Eines der Beispiele für die Effekte der traditionellen, in der alltagsweltlichen Praxis dominierenden, ethnisch-national bezogenen und statischen Konzepte von Kultur, Fremden, Zugehörigkeit und Identität ist die Erzählung des Publizisten und Migrationsforschers Mark Terkessidis von seiner Erfahrung als deutscher Bürger: „Wenn ich es recht bedenke, war ich eigentlich noch niemals nicht integriert. Mein Vater ist schon seit 40 Jahren in Deutschland und ist ebenfalls ‚integriert‘, meine Mutter ist eine Autochthone. Griechisch beherrsche ich nicht. Daher bin ich, um es mit dem britischen Autor Hanif Kureishi zu sagen, ein waschechter Deutscher, jedenfalls beinahe … Auf dieses ‚beinahe‘ machen mich meine ‚deutschen Mitbürger‘ beharrlich aufmerksam. >...@ Auch wenn ich mich ganz zweifelsohne für einen Deutschen halte – für was auch sonst? –, machen mich ‚echte‘ Deutsche ununterbrochen darauf aufmerksam, dass ich doch irgendwie komisch bin. Das fing schon in der Schule an. Obwohl jedem Lehrer vollkommen klar war, dass ich keine besonders intensive Beziehung zu meinem ‚Heimatland‘ unterhielt, schienen sie mich dennoch für eine Art Fachmann für Griechenlandfragen zu halten; >...@“ (TAZ v. 20.07.1998, zit. nach Hepp 2010: 56).
Emily Ngubia Kurias5 Erfahrung bestätigt diese Praxis der Befragung nach der Herkunft bzw. nach dem Herkunftsland, die der national-ethnischen Zuordnung dient:
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Emily Ngubia Kuria ist Doktorandin an der Charité – Humboldt Universität, Institut für Geschichte der Medizin.
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„Nirgendwo anders auf der Welt bin ich so oft dazu gezwungen worden, öffentlich meine Nationalität zu bekunden, mich geografisch zu verorten wie in Deutschland“ – schreibt sie. „Diese Frage wird von allen Deutschen – Dir bekannt oder nicht – frei und ohne Zögern gefragt. >...@ Ich bin durch Europa gereist und habe keine Nation gefunden, die so ein starkes Interesse an der individuellen nationalen Identität der ,Anderen‘ hat, die so ,offensichtlich‘ als nichtdeutsch gesehen werden, weil sie nicht weiß sind“ (Kuria 2010: 231 f., H. i. O.).
Terkessidis war Student und Kuria ist Studentin an einer Hochschule in Deutschland. Sie werden auch dort der Neugier bezüglich ihrer Herkunft ausgesetzt gewesen sein, weshalb man sich die Frage stellen kann, ob und wie interkulturelle Trainings mit dieser grundlegenden Form der Zuweisung von Fremdheit umgehen. Wenn interkulturelle Trainings an Wissensvermittlung interessiert sind, dann ist u. E. gerade das Wissen um die Ambivalenz der Frage nach der Herkunft, die mit Verortung, Fremdheitszuschreibung, Herstellung von „Wir-Nicht-Wir-Schemata“ (Mecheril 2009), Konstruktionen von kollektiven homogenen Räumen zusammenhängt – eine der wesentlichen. María do Mar Castro Varela entwirft in diesem Band den Rahmen interkultureller Trainings, der in einer kritischen Perspektive den o. g. Problematiken Rechnung trägt. Diese Auseinandersetzung kann als Ausgangspunkt dienen, weitere Zugänge zur Erfassung von Kultur im Hochschulraum zu diskutieren. Ausgehend von der Vorstellung, dass Transkultur auf die Überschreitung von kulturellen Grenzen hinweist, sollte also gefragt werden, auf welchen Kulturbegriff sie sich bezieht. Mit welchem Konzept und welcher Idee von Kultur und Zugehörigkeit sprechen wir über wen und welche Differenzen werden dadurch hergestellt, welche Unterschiede werden nicht thematisiert? Wird Kultur ethnisch-national verstanden, läuft Transkultur Gefahr, nichts weiter als eine Flexibilisierung der Grenzen kollektivistischer, einheitlich betrachteter Lebensweisen in einzelnen Staaten zu sein. Anhand der nachgezeichneten Effekte, die ebendiese Verwendungsweisen von Kultur produzieren können, haben wir damit bereits auf Grenzziehungen hingewiesen, die gegenwärtig auch Teil der Hochschulpraxen sind. Mehrere moderne sozialwissenschaftliche Theorien gründen in verschiedenen Ausprägungen eines bedeutungs- und wissensorientierten Kulturbegriffs, in dem
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von kollektiv geteiltem Wissen und kollektiv geteilter Bedeutungszuschreibung, die Handlungen strukturieren, ausgegangen wird (vgl. etwa Lévi-Strauss, Geertz, Foucault, Goffman, Bourdieu u. a.). Die kollektiven Sinninterpretationen und Bedeutungsschemata werden dabei nicht als Phänomene, die entlang territorialer Staatsgrenzen zu erfassen sind, betrachtet. Die aktuellen Kulturtheorien teilen darüber hinaus eine praxistheoretische Perspektive, die soziale Praktiken als sozial eingeübte Routinen versteht, die allerdings Spielräume für Kreativität und subjektive Sinnzuschreibung zulässt (vgl. Moebius 2009). Außerdem wird eine weitere Dichotomie, die eine Trennung zwischen materiellen und kulturellen Aspekten vollzieht, ebenso dekonstruiert (vgl. ebd.: 126). Kultur als Praxis wird u. a. von Bourdieu in seinem kulturtheoretischen Ansatz konzeptualisiert und ermöglicht uns einen weiteren Blick auf die Grenzziehungen und -überschreitungen im Hochschulraum. Um der Frage nach der empirischen Angemessenheit des Raums Hochschule als transkulturell nachzugehen, nähern wir uns mit dieser Perspektive dem Hochschulraum an.
Der Hochschulraum Die Erfassung der Hochschule als sozialem und kulturellem Raum kann sich der Zugänge der Raumsoziologie bedienen. Die zentralen Orte, die diese Spezialisierung erforscht, sind die Städte. Die Hochschule ist im Unterschied zu diesem klassischen Gegenstand der Raumsoziologie insofern ein besonderer Raum, als sie eine Ansammlung von ‚Gleichen’ und Privilegierten ist, die alle nach denselben Kriterien zu diesem gesellschaftlich hoch angesehenen Bildungsraum zugelassen wurden. Beziehen wir den für diesen Band zentralen Begriff der Differenz ein, nähern wir uns dem Hochschulraum von einem anderen Standpunkt aus, der eine andere Wahrnehmung zur Folge hat. Mit anderen Worten: Der jeweilige Standpunkt und die von ihm beeinflusste Wahrnehmung sind konstitutiv für die Raumbeschreibung: „Unter Wahrnehmung verstehen wir den Prozess, soziale Wirklichkeit zu erfahren und zu interpretieren. >...@“, schreiben Martina Löw et al. „Wahrnehmung ist kein unmittelbarer Vorgang, sondern aus der Viel-
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falt des möglich Wahrnehmbaren wird ausgewählt, so dass Wahrnehmung immer ein selektiver und konstruktiver Prozess ist (also eine Aktivität)“ (Löw/Steets/Stoetzer 2007: 13).
Auch wenn Hochschule ein besonderer Ort in der Gesellschaft ist, gilt für sie in gewissem Sinne eine territoriale Unabgeschlossenheit, da sie sich nicht nur selbstverständlich als zur Gesellschaft zugehörig organisiert, sondern sich zugleich mit der ganzen Welt direkt verbindet. Wenngleich dies sicherlich eine zu beachtende Dimension ist, konzentriert sich die Aufmerksamkeit in unserem Zusammenhang auf die soziale Wirklichkeit innerhalb des Raums. Dabei sind Relationen zwischen Menschen bzw. Menschengruppen oder zwischen sozialen Phänomenen zu untersuchen, lautet Löws Zusammenfassung der Grundlagen der Raumsoziologie (vgl. Löw 2002: 17). Die Differenzierungen im Raum können in ihren vertikalen und in ihren horizontalen Ordnungen untersucht werden. Löw merkt dazu an: „Räumliche Differenzierungen werden selten (oder nie) als neutrale Anordnungen begriffen, sondern als Institutionalisierung gesellschaftlicher Hierarchien interpretiert. Soziale Ungleichheit wird als soziale Projektion auf den Raum entworfen. In diesem Sinne ist räumliche Differenzierung mit vertikalen Formen der Differenzierung systematisch verquickt (Klasse, Geschlecht und Rasse/Ethnizität)“ (Löw 2002: 10).
Sie geht davon aus, dass sich der Raum unter der Prämisse analysieren lässt, dass er als „relationale Anordnung begriffen wird, in die sich geschlechtliche (oder ethnische bzw. klassenspezifische) Differenzierung einschreibt“ (Löw 2002: 11). Ein derart entterritorialisierter Raumbegriff lasse dann auch die Frage zu, „>…@ ob Raum nicht selbst produktiv und konstitutiv ist, d. h. ob Räume möglicherweise nicht nur soziale Ungleichheit abbilden, sondern ebenfalls raumspezifisch soziale Ungleichheit hervorbringen“ (ebd.). Für solch eine Untersuchung des ausdifferenzierten sozialen Raums bietet beispielsweise Pierre Bourdieu analytische Instrumente an, welche die sozialen Lagen der Akteurinnen und Akteure auf verschiedene Weise erfassen. Dabei spielen das ökonomische und das kulturelle Kapital als die zwei „zweifelsohne wirk-
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samsten“ Unterscheidungsprinzipien, die soziale Distanz erzeugen, eine wichtige Rolle (vgl. Bourdieu 1998: 18). In seiner Gesellschaftsanalyse gelangt Bourdieu zu klassenförmigen6 Ausdifferenzierungen des sozialen Raums. Wenden wir diese Überlegungen auf den Raum Hochschule an, können wir zum einen nach den individuellen, gruppen-, feldspezifischen7 und global geteilten Lebensstilen, den Dispositionen und den Habitusarten8 fragen, welche die Hochschulakteure und -akteurinnen mitbringen und welche in Wechselwirkung mit ihren sozialen Lagen stehen. Werden diese beim Eintritt in den Raum Hochschule – durch die räumliche Nähe einerseits und die strukturellen Bedingungen des Raums andererseits transformiert oder verbleiben sie immer dieselben? Sollten nicht diese Prozesse genauer untersucht werden? Mit anderen Worten – es könnte angenommen werden, dass im Raum Hochschule soziale und kulturelle Dispositionen entstehen, die sich auf die bis zum Eintritt in diesen Raum erworbenen identitären Strukturen lagern und sie transformieren. Diese Annahme erscheint berechtigt, wenn bedacht wird, dass Sozialisation ein lebenslanger Prozess ist (vgl. z. B. Dausien 1999), der im Alter und vor allem mit jedem neuen Milieu fortgesetzt wird. So ist auch der Habitus als System dauer6
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Den Begriff soziale Klasse fasst Bourdieu sehr breit. Neben diesen hier als Analysekategorien genannten Faktoren in ihren Interdependenzen sind als konstitutive Merkmale alle relevanten Kategorien in ihren Relationen zueinander zu berücksichtigen: „Eine soziale Klasse ist definiert weder durch ein Merkmal (nicht einmal das am stärksten determinierende wie Umfang und Struktur des Kapitals), noch durch eine Summe von Merkmalen (Geschlecht, Alter, soziale und ethnische Herkunft) >...@. Eine soziale Klasse ist vielmehr definiert durch die Struktur der Beziehungen zwischen allen relevanten Merkmalen >...@“ (Bourdieu 1987: 182; H. i. O.). Unter Feldspezifik könnten wir beispielsweise die sich gegenseitig beeinflussenden und dennoch voneinander unterschiedenen Fachkulturen (der Fakultäten und Studiengänge) verstehen. „,Habitusformen >sind@ Systeme dauerhafter Dispositionen, strukturierte Strukturen, die geeignet sind, als strukturierende Strukturen zu wirken >...@‘“ (Papilloud 2003: 41). Habitus ist „eine allgemeine Grundhaltung, eine Disposition gegenüber der Welt >...@“ (Bourdieu 1997: 31). „>...@ Der Habitus ist ein System von Grenzen“ (ebd.: 33).
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hafter Dispositionen nur so zu verstehen, dass er im „Unterschied zum Charakter, Produkt einer Geschichte >ist@ und deshalb, wie diese, ‚in unaufhörlichem Wandel begriffen‘ >...@. Die weitere soziale Laufbahn und die dabei sich vollziehende Sozialisation fügen den früheren Prägungen neue, den Habitus >...@ modifizierende Erfahrungen hinzu“ (Schwingel 2009: 66). Allerdings gilt auch hier, dass die Grenzen der Modifikationen durch Ressourcen und Bedingungen gezogen werden (vgl. ebd.). Betrachten wir den Hochschulraum, so fällt auf, dass in ihm strukturelle Ungleichheiten Grenzen ziehen und hierarchische Ordnungen herausbilden. Dabei können in diesem Zusammenhang strukturelle Ungleichheiten nachgezeichnet werden, die die Bildungsakteure mitbringen oder jene, die eher vom Raum bzw. von den ihm vorgegebenen Grenzen ausgehen und den Raum hierarchisch strukturieren bzw. in Sektoren teilen. Hier ist zum einen zuerst an die Ausgangssituation zu denken, also – im Sinne Bourdieus – an die ‚leiblichen‘ Ressourcen, wie u. a. das inkorporierte kulturelle Kapital9 der sozialen Akteurinnen und Akteure, worunter an vorderster Stelle die Bildung zählt; aber auch an Bildungsabschlüsse sowie an die im Körper eingelagerten sozialen Dispositionen, wie sie im Begriff des Habitus veranschaulicht werden. Einige quantitative Untersuchungen, die beispielsweise auf der Selbsteinschätzung der Subjekte bezüglich einiger ihrer Ressourcen am Beginn des Studiums basieren10 (vgl. z.B. Lewin/ Heublein/Sommer 2000) oder die Daten zu sozialen Lagen der Studierenden (bei Bourdieu: ökonomisches Kapital) auswerten (vgl. Sozialerhebungen des Studentenwerks; siehe dazu den Beitrag Mecheril/Klingler in diesem Band), können hier als Ausgangspunkt dienen. In ähnlicher Weise könnte das soziale Kapital (Bourdieu) der Einzelnen – vereinfacht gesagt, die sozialen Netzwerke, Beziehungen, Kontakte, das Umfeld – untersucht werden.
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Zu beachten ist, dass die Bedeutung des Begriffs kulturelles Kapital bei Bourdieu, insbesondere inkorporiertes bzw. verinnerlichtes Kulturkapital, dem deutschen Begriff ‚Bildung‘ am nächsten kommt (vgl. Bourdieu 1997: 55). 10 Die Studie erfasst die Selbsteinschätzung der Studierenden u. a. bezüglich der Fachqualifikationen und Schlüsselkompetenzen bei der Vorbereitung auf das Studium und zeigt ein heterogenes Bild.
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Zum anderen könnte im Weiteren die Analyse der Transformation dieser Ressourcen im Hochschulraum für unser Thema erkenntnisreich sein. Die Transformation der Ressourcen der Einzelnen und die Neubestimmung ihrer sozialen Lage im Hochschulraum stehen in enger Verbindung mit den Chancen, die der Raum mit seinen strukturellen Bedingungen bietet. Um diesen Gedanken zu veranschaulichen, könnte erneut Bourdieu bemüht werden, der einen für die akademische Kultur vieler Fächer zentralen Punkt aufgreift, wenn er auf die „Selbstsicherheit jener >…@, die immer auf ihre ‚Leichtigkeit‘ im sprachlichen Ausdruck und auf die ‚natürliche Vornehmheit‘ ihrer Rede rechnen können“ (Bourdieu 1997: 27 f.), hinweist. Wissenschaft ist, besonders in den so genannten ‚humanities‘, auf Sprache angewiesen. Sie ist vor allem in diesen Disziplinen zum großen Teil Sprache, weil der wissenschaftliche Gegenstand oft erst durch Sprache geschaffen wird. Die „natürliche Vornehmheit“ der Rede wird von Bourdieu als vorrangig durch die Klassenzugehörigkeit bestimmt, wobei der Begriff Klasse bei Bourdieu ein weit gefasster ist, der alle relevanten Merkmale berücksichtigt (vgl. Fußnote 7). Wenn man die bisher angestellten Überlegungen zur Transkulturalität des Hochschulraums unter den besonderen Bedingungen von Migration und Internationalisierung einbezieht, können wir hier Ungleichheitsordnungen feststellen, die nicht nur auf die sog. ‚Bildungsferne‘ zurückgeführt werden können. Die Verfügung über einen differenzierten und als korrekt geltenden sprachlichen Ausdruck in der Wissenschaftssprache Deutsch, übrigens ebenso wie die Verfügung über einen ‚coolen‘ Sprachstil im täglichen Umgang, steht internationalen Bildungsakteuren und -akteurinnen in der Regel in einem weit geringeren Umfang zu Gebote als den ‚native speakers‘ und führt nicht selten zu einer höheren Belastung im Studium, die eine Minderung der Chancen auf einen guten Hochschulabschluss nach sich zieht.11 Aus der Perspektive der Chancengleichheit
11 Die besonderen Unterschiede zwischen den sog. ‚Mutter-‘ und ‚Nicht-Muttersprachler/-innen‘ müssen nicht auftreten, und die Differenzordnungen können in allen Sprachbereichen ebenso unter den ‚native speakers‘ festgestellt werden. In den meisten Fällen kann jedoch davon ausgegangen werden, dass ein mehrjähriger Spracher-
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könnten hier – auf der Betreuungsebene – Begleitprogramme zur stetigen Weiterentwicklung der sprachlichen Kompetenzen internationaler Bildungsakteure und -akteurinnen eine wichtige Rolle spielen.12 Auf der Ebene struktureller Veränderungen wäre – immer noch im Hinblick auf Chancengleichheit – zu überlegen, ob nicht zum Beispiel eine wenigstens temporäre Einführung unterschiedlicher Benotungskriterien der sprachlichen Qualität von schriftlichen Arbeiten und mündlichen Beiträgen sowie Einräumen längerer Regelstudienzeiten konstruktiv sein könnte. Damit ist u. E. schließlich auch die Frage der Mehrsprachigkeit im Seminarraum aufgeworfen, zu der sich die Hochschule im Hinblick auf ihre Internationalisierungsstrategie ebenso verhalten sollte wie zum Problem der fast ausschließlichen Deutschsprachigkeit in Technik und Verwaltung. Die hier am Beispiel der unterschiedlichen Verfügbarkeit der Ressource Sprache deutlich gemachten strukturellen Grenzen im Hochschulraum sind natürlich nicht die einzigen. Hier kann nur kurz auf einige weitere Kategorien hingewiesen werden, an denen sich Grenzziehungen zwischen einzelnen Gruppen im Hochschulraum ausrichten. Auf der kommunikativen Ebene spielen die zur Geltung kommenden – oben anhand der Darstellung der Kulturwerb der internationalen Studierenden, der mit einer anspruchsvollen Prüfung abschließt, dennoch nicht mit einer etwa zwanzigjährigen schulischen, familiären sprachlichen Sozialisation im gesamten sprachlichen Umfeld gleichgesetzt werden kann. Damit ist alles andere als ein Beklagen der sprachlichen Defizite gemeint. Ganz im Gegenteil, wir können davon ausgehen, dass TestDaF und DSHAbschluss hervorragende Sprachleistungen bestätigen. Allerdings geht es hier um die exzellenten sprachlichen Leistungen in der sog. ‚Fremdsprache‘, die sich in den meisten Fällen von der Sprachkompetenz in der sog. ‚Muttersprache‘ unterscheidet. Auch wenn eine solche Unterscheidung der Gruppen der hier vertretenen Grundidee widerspricht, wird sie thematisiert, da bei einem straffen Studium kaum Spielraum bleibt, den Vorsprung der ‚native speakers‘ auszugleichen. Es wäre zu diskutieren – und hier könnte auf die Erkenntnisse der Gleichstellungsforschung zurückgegriffen werden –, inwiefern der Grundsatz der Gleichbehandlung in diesem Fall diskriminierende Effekte produziert. 12 Wie beispielsweise das Bielefelder ‚PunktUm‘-Programm.
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konzepte thematisierten – Vorstellungen von voneinander getrennten, national-kulturellen Räumen, denen man Subjekte eindeutig zuordnen kann, eine bedeutende Rolle. Name, Aussehen, ‚Sprachreinheit‘13 etc. gelten dann als Zuordnungsindikatoren und weisen den Einzelnen imaginierte Sets von Eigenschaften zu. Dabei ist allerdings die Kontingenz sozialer Praxis zu berücksichtigen: Das Interesse an den (Herkunfts-)Ländern einzelner Studierender und Wissenschaftler/-innen wird von bestimmten Akteurinnen und Akteuren14 als Ausdruck eines anerkennenden Verhältnisses gedeutet. Die beiden oben angeführten Beispiele von Terkessidis und Kuria verweisen auf das Gegenteil. Diese Kontingenz verdeutlicht die Herausforderung, der Professionelle im Bereich Inter- bzw. Transkultur begegnen. Die Festlegung der Akteurinnen und Akteure auf eine kollektive Zugehörigkeit im Sinne geteilter Normen, Werte und Denkformen setzt sich jedenfalls der Gefahr der Zuschreibung aus und geht oft mit der Markierung von Fremdheit und Nicht-Zugehörigkeit einher. Wie Zuschreibung und Fremdheitskonstruktionen in Interaktionen vollzogen werden, zeigt beispielsweise Santina Battaglia (1995) in der Analyse sogenannter „Herkunftsdialoge“, in die bilinguale junge Erwachsene aufgrund ihres als „ausländisch“ angenommenen Äußeren verwickelt werden. Hier zeigt sich, dass Markierungen kultureller Differenz Subjekte in einem Zugehörigkeitsverhältnis verorten, das selbstgewählt (Selbstdarstellung der Subjekte) oder von außen zugewiesen ist. „Das Fremde stellt man sich oft als ein vom Eigenen getrenntes vor. Es wird als etwas – örtlich und kulturell – weit Entferntes begriffen, d. h. die Menschen der ‚eigenen und der fremden Kultur‘ >...@ werden als Bewohner getrennter Welten gedacht“ (Bielefeld 1992: 9) – schreibt Uli Bielefeld und lädt zu Reflexionen ein, dass sich das Fremde immer nur im Verhältnis zum NichtFremden, also zur Konstruktion einer „Wir-Gruppe“ und eines „Wir-Ideals“ konstituiert (ebd.: 109). Hieraus könnte man als Anregung für Hochschulakteure und -akteurinnen ableiten, eine kritische Perspektive auf die Konstruktionen von Fremdheit bzw. auf 13 Zum Begriff der „Reinheit“ siehe Mecheril 2009. 14 Beispielsweise von denjenigen, die sich eher als Gäste und nicht als dazugehörige Einheimische im Land verstehen.
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die Annahmen ethnischer und kultureller Prägungen auf der Basis staatsbürgerschaftlicher Zugehörigkeit bzw. gar anhand von Salienzmerkmalen zu entwickeln. Über Fragen nach sprachlicher Verfügbarkeit und der Konstruktion von Fremdheit und Ethnizität im Hochschulraum hinaus, übrigens in der Praxis der Zuschreibung und Reproduktion von Ungleichheit vergleichbar der Konstruktion von Geschlecht, sollten weitere Faktoren erwähnt werden, die zu strukturellen klassenförmigen Ungleichheiten des Raums beitragen. Auswirkungen auf die Differenzierung des Hochschulraums haben dabei beispielsweise rechtliche Regelungen, mögen sie auch in einem anderen Feld begründet sein. Hierzu gehört der ungleiche Zugang zu materiellen und zeitlichen Ressourcen, dessen zum Teil dramatische Effekte für den Studienerfolg deutscher wie internationaler Studierender hinreichend bekannt sind. Sie spiegeln sich u. a. in den wiederholt durchgeführten statistischen Erhebungen der sozialen Lage der Studierenden durch das Deutsche Studentenwerk wider. Wird dabei die internationale Dimension berücksichtigt, kommt man nicht umhin, einen deutlichen Unterschied zwischen den Studienbedingungen von Nicht-Europäerinnen und NichtEuropäern einerseits und EU-Angehörigen andererseits festzustellen. Der Zugang zu ausreichenden materiellen Ressourcen ist – nicht immer, aber in den meisten Fällen – für Nicht-Europäerinnen und Nicht-Europäer wesentlich schwieriger15, und die Dauer des Studienaufenthalts wird vom Gesetz begrenzt. Im Kontext transnationaler Wissenschaftsmigration, so die qualitative Untersuchung Bauschke-Urbans, wird Exklusionserfahrung nicht auf kulturelle Barrieren zurückgeführt, sondern auf materielle Fragen, wie Finanzierung, Zugang zu Wohnraum, Einreisebe-
15 Beispielsweise aufgrund der meist sehr ungünstigen WährungsTransferbedingungen und bei der für alle internationalen Studierenden geltenden Arbeitszeitbegrenzung auf 90 Tage im Jahr. Der Anspruch auf BAföG entfällt in den meisten Fällen, Stipendien sind kaum vorhanden. Studierende aus den Nicht-EU-Ländern sind zum großen Teil sog. ,free mover‘, die einen Abschluss anstreben und ihr Studium individuell organisieren. Sie haben folglich keinen Anspruch auf die Mobilitätsbeihilfe, die das europäische ErasmusProgramm EU-Angehörigen bei Kurzaufenthalten gewährt.
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schränkungen sowie Einschränkungen innerhalb der Hochschulen (vgl. Bauschke-Urban 2008). Diese hier nur punktuell thematisierten Ungleichheitsordnungen, die zum einen in den beschriebenen strukturellen Bedingungen gründen, zum anderen aus der unterschiedlichen Ressourcenausstattung der Bildungsakteure und -akteurinnen resultieren, haben mit verschiedenen Dimensionen der Hochschulrealität zu tun. Wie oben gezeigt, spielt hier die trotz Internationalisierung starke Ausrichtung auf die Nationalsprache ebenso eine Rolle wie die Ethnisierungspraktiken und die mangelnde Geschlechtergerechtigkeit; weiterhin hat die ausschließlich europäische (und nicht globale) Orientierung bei der Angleichung von rechtlichen und ökonomischen Rahmenbedingungen des Studiums bedeutende Auswirkungen; die (inkorporierten) Kapitalsorten der Einzelnen – das kulturelle, soziale und ökonomische Kapital - so wie die habituelle Disposition sind ebenso differenzbildend und stehen in Abhängigkeit von Chancen, die der Raum zu ihrer Angleichung bzw. zu ihrer Transformation bietet. Inwiefern wirken sich diese hier punktuell angesprochenen Praktiken und strukturellen Raum-Bedingungen in einer Marginalisierung der Positionen bestimmter Akteurinnen und Akteure im Hochschulraum aus und anschließend in der Verfestigung und Naturalisierung dieser hierarchischen Ordnung, in der diese Akteurinnen und Akteure u. U. als eher hilflos und bedürftig denn als machtvoll da stehen? – wäre zu fragen. Grenzziehungen zwischen Gruppen im Hochschulraum werden seit langem im Bereich der Gleichstellungsforschung untersucht. Auf diesem Gebiet werden auch institutionelle Strategien entwickelt, die sich längerfristig gleichstellungsfördernd auswirken sollen. In diesem Sinne hat sich die hochschulbezogene Geschlechterforschung in den letzten zwanzig Jahren in Bezug auf Geschlecht damit befasst, „inwiefern hochschulische Strukturen und Mechanismen diskriminierende Auswirkungen auf die Geschlechter zur Folge haben“ (Metz-Göckel 2008: 53). Die Betrachtung von im universitären Raum hergestellten Ungleichheiten wird zwar theoretisch mittlerweile auch auf weitere Differenzkategorien übertragen, jedoch steht eine empirische Fundierung im Hinblick etwa auf kulturelle Praxen der Erzeugung von ethnischer Differenz weithin noch aus. Dabei ist die „grundlegende Annahme >...@, dass Ungleichheiten – ethnische, schicht- und geschlechts-
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bezogene – in Interaktionen ständig hervorgebracht und nicht einfach vorausgesetzt werden können“ (ebd.). Es wäre mithin wünschenswert, wenn im Zentrum des hochschulbezogenen Forschungsinteresses zu kulturellen Grenzziehungen und -überschreitungen zum einen die Prozesse sozio-kultureller (Selbst-) Verortung der Individuen im Hochschulraum, zum anderen die Analysen, wie in individuellen und kollektiven Praxen Unterschiede hergestellt und relevant für Ungleichheit gemacht werden, stünden. Interessant könnte in diesem Zusammenhang die Anwendung des aktuell diskutierten Ansatzes der Intersektionalitätsforschung auf die Hochschulforschung sein. Die Strukturkategorien race, gender, ethnicity, class wären dabei in ihrer Interdependenz in den Blick zu nehmen – wenngleich sich bei diesem Zugang wiederum eine Reihe methodologischer Fragen stellen, die diskutiert werden müssten.
Hochschule als transkultureller Raum? Im Zentrum unserer bisherigen Annäherung an den Gegenstand „Hochschule als transkultureller Raum“ stand die Frage nach soziokulturellen Grenzziehungen und -überschreitungen im Hochschulraum. Herausgestellt haben wir dabei insbesondere solche Praxen, die im Zusammenhang mit Internationalisierung und Migration vor allem zu Grenzziehungen beitragen. Wenn wir eine strukturierende Wirkung der Grenzziehungen auf das identitäre und Zugehörigkeitsverständnis der Bildungsakteure und -akteurinnen annehmen, können wir von prekären Verhältnissen sprechen. Ein wenig Ethnisierung und Fremdheitszuschreibung, ein wenig weniger Geld, ein wenig weniger Sprachkompetenz, ein wenig weniger Zeit, ein wenig weniger Rechte – können sich in ,20% weniger Erfolg‘16 und einem Gefühl der Nicht- bzw. der be-
16 Etwa diesen durchschnittlichen Abstand (bei fachspezifischen und örtlichen Unterschieden) zwischen dem Erfolg (dessen Kriterien nicht wirklich diskutiert wurden) der deutschen und internationalen Studierenden haben die bekannt gewordenen Studien zu Abbruchquoten an deutschen Hochschulen nachgewiesen (vgl. z. B. Heublein/Sommer/Weitz 2004).
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dingten Zugehörigkeit spiegeln. Angesichts dieser Grenzziehungen zwischen den ungleichen sozio-kulturellen Lagen scheint es vielleicht voreilig, vom universitären Raum als einem transkulturellen Raum zu sprechen. Wenn wir nun aber davon ausgehen, dass Bildungsakteure keine ein für allemal geprägte, starre kulturelle Identitäten aufweisen, sondern sich unter neuen Einflüssen immer weiter entwickeln, müssten wir folglich genauer untersuchen, wie sich Identitäten darstellen und wandeln. Darüber könnten möglicherweise dann auch Praxen der Grenzüberschreitung stärker in den Blick kommen. Wie sich diese Wechselwirkung zwischen Individuen, Kollektiven und Raum gestaltet, wäre die Frage, der in qualitativen Studien nachgegangen werden könnte. In den letzten Jahrzehnten ist der Begriff der hybriden Identität populär geworden, der auf verschiedene Weise ausgelegt wird. Oft wird eine hybride Identität angenommen, wenn ein Individuum aus zwei verschiedenen kulturellen ‚Modellen‘ (die auf der Basis ethnischer, nationaler, religiöser Zugehörigkeiten angenommen werden) so etwas wie eine ‚Mischstruktur‘ aufbaut. Diesem Begriff liegt oftmals eine Vorstellung von geschlossenen Kulturräumen zugrunde, deren Elemente sich in bestimmten Individuen, die eher als Ausnahmen gelten, vermischen. Im Kontext der Beschäftigung mit Transkulturalität ist Hybridität dennoch insofern ein interessantes Konzept, als hier auf der Ebene der Identitäten die Vorstellung von Konsistenz im Sinne des ‚mit sich selbst identisch Seins‘, also einer dauerhaften Einheitlichkeit und Einförmigkeit von Identifikationen, aufgebrochen wird. Es wäre u.E. allerdings zu diskutieren, ob nicht, streng genommen, jede Identität eine hybride ist, insbesondere wenn die Komplexität der modernen Welt und zugleich eine gewisse Vereinheitlichung bestimmter marktförmiger Konsumstrategien und medialer Kommunikationsflüsse berücksichtigt werden, an die Individuen und verschiedene Milieus in Gesellschaften der Welt eigendefinierte und u. U. völlig unterschiedliche Anschlüsse herausbilden (können). So versteht Andreas Hepp mit Stuart Hall hybride Identitäten als diejenigen, die sich „in einem artikulatorischen Prozess aus den Identifikationselementen verschiedenster Diskurse konstituieren“ und reflektiert: „Die Grundüberlegungen von Identität als Artikulation weiterdenkend, kann man jedoch jede Identität in unterschiedlichen Graden als hybrid charakterisieren“ (Hepp 2010: 55 f.). Im Hinblick auf Transkulturalität könnte somit über-
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legt werden, ob Hybridität als ein begriffliches deskriptives Instrumentarium genutzt werden könnte, das auf die Intensität der Aushandlungsprozesse bei kontinuierlicher identitärer Strukturierung hinweisen kann. Womöglich könnte eine stärkere Hybridisierung mit intensiverer Ausprägung einer spezifischen Ressource einhergehen, nämlich der Distanzierungspotentiale gegenüber kollektiven Praktiken, also einer Fähigkeit zur selbstständigen Auseinandersetzung mit kollektiven Selbstverständlichkeiten.17 So spricht auch Bauschke-Urban in Bezug auf Wissenschaftsmigrantinnen von „hybriden Identitäten“ und „Grenzgängerinnen“ (Bauschke-Urban 2008: 285 ff.). Allerdings wird zum einen auf gesellschaftliche Praxis der Nicht-Anerkennung hybrider Identitäten aufgrund dominanter Vorstellungen von „Reinheit“ (Mecheril 2009) der Zugehörigkeit und Identität hingewiesen (vgl. auch Hepp 2010), und zum anderen wird die hypeartige Verwertung des Begriffs in verschiedensten Kontexten nachgewiesen (vgl. Ha 2005). Uns scheint gleichwohl, dass der Begriff eine Chance für einen nicht fixierenden und einförmigen Blick auf Individuen bietet. Voraussetzung ist, dass Hybridität nicht als ein drittes Element zwischen zwei blockförmig verstandenen kulturellen Räumen bzw. Polen und nicht als ein exotisches Etikett für die ‚Nichtwirklich-Zugehörigen‘ konzipiert, sondern als multiple Zugehörigkeit und identitäre Vielschichtigkeit verstanden wird. Der Gegenstand unserer Annäherung „Hochschule als transkultureller Raum“ könnte nun auch als die Frage nach der normativen Angemessenheit von Transkulturalität für die Hochschule verstanden werden. Ob Transkultur ein normatives Kon-
17 Dieser Gedanke ist dann nahe liegend, wenn multiple synchrone und/oder diachrone Zugehörigkeiten das Individuum zu einer stärkeren als ,üblich‘ angenommenen Auseinandersetzung mit jeweiligen Milieus veranlassen, da im Streben nach identitärer Kohärenz der eigenen Identität die jeweiligen konstituierenden Elemente aus verschiedenen Kontexten miteinander korrelieren müssen. Im Feld transnationaler Bildungsräume erkennt beispielsweise Bauschke-Urban, anhand einer qualitativen Studie „Lebensstile, Selbstbilder und spezifische Interaktionsformen >...@, die sich sowohl quer zu den Herkunfts- als auch zu den jeweiligen Gesellschaften der Migrationspassagen verhalten“ (Bauschke-Urban 2008: 287).
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zept für die Hochschulen werden kann, wird dabei ebenfalls mit der Auffassung des Transkulturbegriffs zusammenhängen. Der hier diskutierte, bedeutungsorientierte und grenzüberschreitende Transkulturalitäts-Begriff, der die kulturelle Komplexität unter Einbeziehung sozialer Dimensionen in den Blick nimmt, bietet wahrscheinlich eine Möglichkeit, Transkulturalität als wünschenswertes Konzept für die Hochschule anzusehen. Die Erreichung einer transkulturellen Wirklichkeit würde dann über die Angleichung von Ressourcen, die Wahrnehmung und die Anerkennung struktureller Mehrschichtigkeit der Individuen sowie ihrer Mehrfachzugehörigkeit zu sozialen Welten führen. Das Streben nach Schaffung einer sozio-kulturellen Bildungs-, Arbeitsund Lebenswelt, die nach Grenzüberschreitung strebt, birgt vielleicht die Chance, eine effektivere Zugehörigkeit zu(r) soziokulturellen Welt(en) im Raum Hochschule zu entwickeln. Denn mit Tomatsu Shibutani und Anselm Strauss ist die soziale Welt ein Kulturraum, „in dem sich die Akteure wechselseitig aufeinander beziehen“ (Strübing 2007: 85). Dabei ist die Mitgliedschaft ein temporärer Prozess und wird interaktiv in Kommunikation und Aktivität/Handlung erworben (vgl. Strübing 2007). Ein umfassender raum- und identitätsbezogener Transkulturbegriff könnte eine Chance sein, sowohl den Raum als auch die Identität so zu entgrenzen, dass machtvolle Grenzziehungen im Sinne der Chancengleichheit minimiert und sowohl Kultur als auch identitäre Struktur als hybride Konstruktionen kontextspezifisch und temporär gedacht und gelebt werden.
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Was ist eigentlich Transkulturalität? WOLFGANG WELSCH
Wir Menschen sind wesentlich Kulturwesen. Das gilt individuell wie gesellschaftlich. Zum Heranwachsen der Individuen gehört die Hervorbildung kultureller Fähigkeiten und das Hineinwachsen in eine Kultur. Und diese Kultur fußt ihrerseits auf einer langen, im Verlauf der Menschheitsgeschichte erfolgten kulturellen Evolution, die von der Beherrschung des Feuers über die Gründung von Städten bis hin zur Erfindung des Internet reicht. Nun hat der Kulturbegriff mindestens zwei Dimensionen, und diese gilt es zu unterscheiden. Da ist zunächst die inhaltliche Bedeutung von Kultur, wo ‚Kultur‘ als Sammelbegriff für diejenigen Praktiken steht, durch welche die Menschen ein menschentypisches Leben herstellen. Diese inhaltliche Bedeutung umfasst Alltagsroutinen, Kompetenzen, Überzeugungen, Umgangsformen, Sozialregulationen, Weltbilder und dergleichen. Zweitens haben wir aber, von ‚Kultur‘ sprechend, in den meisten Fällen auch eine geographische oder nationale oder ethnische Extension dieser Praktiken im Sinn. ‚Kultur‘ bezieht sich hier auf die Ausdehnung derjenigen Gruppe (oder Gesellschaft oder Zivilisation), für welche die betreffenden kulturellen Inhalte bzw. Praktiken charakteristisch sind. Nun rate ich, die erste, die inhaltliche, und die zweite, die extensionale Bedeutung von ‚Kultur‘ nicht wie selbstverständlich zu amalgamieren, sondern unterschieden zu halten. Gemeinhin neigen wir zur Verschleifung: Wir denken bei ‚Kultur‘ sogleich einen nationalen oder ethnischen Geltungsbereich mit, ja die extensionale Bedeutung hat meistens sogar die Führung vor der inhaltlichen
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Bedeutung. Es gibt aber auch Gegenbeispiele: Wenn wir einen Menschen ‚kultiviert‘ nennen, dann meinen wir, dass er hochstehende Umgangs- und Kommunikationsformen hat, ganz gleich nach den Standards welcher Kultur er kultiviert ist, hier steht allein die inhaltliche Bedeutung von ‚Kultur‘ und deren Erfüllung im Blick. Die begriffliche Revision, die das Konzept der Transkulturalität vorschlägt, bezieht sich nun vor allem auf die zweite, auf die extensionale Bedeutungsdimension von ‚Kultur‘. Es rät, diese Extension anders zu verstehen als traditionell. Nämlich nicht mehr nach dem alten Modell klar gegeneinander abgegrenzter Kulturen, sondern nach dem Modell von Durchdringungen und Verflechtungen. Und zwar deshalb, weil Kultur heute – so die Behauptung – de facto derart permeativ und nicht separatistisch verfasst ist. Darauf will das Konzept der Transkulturalität das Augenmerk lenken, dieser Verfassung will es gerecht werden. Als ich vor bald 20 Jahren anfing, dieses Konzept zu entwickeln, trieb mich der Eindruck an, dass unser herkömmlicher Kulturbegriff auf seinen Gegenstand, die heutigen Kulturen, schlicht nicht mehr passt. Die zeitgenössischen Kulturen schienen mir eine andere Verfassung angenommen zu haben, als die althergebrachten Vorstellungen von Kultur noch immer behaupteten oder suggerierten. Insofern galt es, eine neue Konzeptualisierung von ‚Kultur‘ zu erarbeiten. ‚Transkulturalität‘ will den heutigen kulturellen Verhältnissen gerecht werden.1
Das traditionelle Kugelmodell der Kultur Am überkommenen Kulturverständnis – wie es gegen Ende des 18. Jahrhunderts maßgeblich durch Herder geprägt wurde (vgl.
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Erstmals habe ich das Konzept vorgestellt in Welsch 1992. Viele erweiterte Fassungen folgten, vgl. zuletzt Welsch 2005. Universalistische Aspekte berücksichtige ich in Welsch 2006. Hinsichtlich der hier vorgelegten Fassung bin ich den Heidelberger und Bielefelder Studierenden, Kollegen und Kolleginnen für viele Anregungen anlässlich der Vorträge und Diskussionen im Jahr 2009 dankbar.
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Herder 1774, Herder 1784-1791) – ist insbesondere die extensionale Bestimmung von Kultur zu kritisieren.2 Kulturen werden nach dem Modell von Kugeln verstanden. So erklärt Herder paradigmatisch: „Jede Nation hat ihren Mittelpunkt der Glückseligkeit in sich wie jede Kugel ihren Schwerpunkt!“ (Herder 1967: 44 f.). Zu diesem Kugelmodell gehören ein internes Homogenitätsgebot und ein externes Abgrenzungsgebot. Im Innenbezug soll die Kultur das Leben eines Volkes im ganzen wie im einzelnen prägen und jede Handlung und jedes Objekt zu einem unverwechselbaren Bestandteil gerade dieser Kultur machen,3 Fremdes ist in dieser Konzeption minimiert. Und im Außenbezug gilt strikte Abgrenzung: Jede Kultur soll, als Kultur eines Volkes, von den Kulturen anderer Völker spezifisch unterschieden und distanziert sein. Herder: „Alles was mit meiner Natur noch gleichartig ist, was in sie assimiliert werden kann, beneide ich, strebs an, mache mirs zu eigen; darüber hinaus hat mich die gütige Natur mit Fühllosigkeit, Kälte und Blindheit bewaffnet; sie kann gar Verachtung und Ekel werden“ (ebd.: 45). Das Kugelideal verfügt also im gleichen Zug inneren Homogenisierungsdruck und äußere Abgrenzung (bis hin zu expliziten Formen der Feindseligkeit). Diese beiden Züge sind vom Kugelmodell logisch nicht zu trennen, sondern notwendig mit ihm verbunden. Kulturen, die wie Kugeln aufgefasst sind, können nicht wirklich miteinander kommunizieren, etwa einander durchdringen, sondern können, 2
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Hinsichtlich der inhaltlichen Bedeutung von ,Kultur‘ hingegen war Herders Konzept zukunftsweisend, sofern es die ganze Breite kultureller Erscheinungen in den Blick nahm (sich also nicht etwa auf akademische Bildungsgüter oder museumsdienliche Kulturleistungen konzentrierte) und ob der Berücksichtigung auch von Alltagskultur und Technik beispielsweise gegen die muffige Gegenüberstellung von ,hoher Kultur‘ und ,niedriger Zivilisation‘, wie sie im deutschsprachigen Raum im 19. Jahrhundert aufkam, immun war. In diesem Sinn hat T. S. Eliot neo-herderisch noch 1948 erklärt, dass Kultur „die Gesamtform“ sei, „in der ein Volk lebt – von der Geburt bis zum Grabe, vom Morgen bis in die Nacht und selbst im Schlaf“ (Eliot 1967: 29). Anscheinend war Eliot der Auffassung, dass die Menschen jeweils nationalspezifisch auf die gleiche Weise atmen, schwitzen, schlafen etc.
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wie Herder das ganz treffend formuliert hat, einander nur „stoßen“ (ebd.: 46).4 Das ist die Crux des Kugelkonzepts der Kulturen: Kulturen, die im Stil von Kugeln verfasst oder verstanden sind, müssen einander abstoßen und bekämpfen. Wären die zeitgenössischen Kulturen also tatsächlich kugelartig verfasst, dann ließen sich die Schwierigkeiten ihrer Koexistenz und Kooperation – bei allen gut gemeinten Bemühungen – aus systematischen Gründen nicht loswerden oder lösen. Aber mein Punkt ist, dass die Beschreibung zumindest heutiger Kulturen als Kugeln deskriptiv falsch ist. Unsere Kulturen haben de facto längst nicht mehr die Form der Homogenität und Separiertheit, sondern sie durchdringen einander, sie sind weithin durch Mischungen gekennzeichnet. Diese neue Struktur suche ich durch das Konzept der ‚Transkulturalität‘ zu fassen. ‚Transkulturalität‘ will, dem Doppelsinn des lateinischen trans- entsprechend, darauf hinweisen, dass die heutige Verfassung der Kulturen jenseits der alten (der vermeintlich kugelhaften) Verfassung liegt und dass dies eben insofern der Fall ist, als die kulturellen Determinanten heute quer durch die Kulturen hindurchgehen, so dass diese nicht mehr durch klare Abgrenzung, sondern durch Verflechtungen und Gemeinsamkeiten gekennzeichnet sind. Es geht mir um ein Kulturkonzept, das auf die Verhältnisse des 21. Jahrhunderts zugeschnitten ist. Das neue Leitbild sollte nicht das von Kugeln, sondern das von Geflechten sein.
Tr a n s k u l t u r a l i t ä t Ich will nun einige Hauptaspekte dieses Konzepts umrisshaft darstellen. Ich beginne mit der gesellschaftlichen Makroebene. Was diesbezüglich festzustellen ist, forderte vor 20 Jahren noch massiven Widerspruch heraus, heute ist es (auch angesichts der Globalisierung) nahezu selbstverständlich geworden.
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Diese Stelle ist die Geburtsstätte des Theorems vom „clash of civilizations“.
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Makroebene: der veränderte Zuschnitt heutiger Kulturen a. Externe Vernetzung und interner Hybridcharakter der Kulturen Zeitgenössische Kulturen sind extern denkbar stark miteinander verbunden und verflochten. Die Lebensformen enden nicht mehr an den Grenzen der Einzelkulturen von einst (der vorgeblichen Nationalkulturen), sondern überschreiten diese, finden sich ebenso in anderen Kulturen. Die Lebensform von Ökonom/-inn/-en, Wissenschaftler/-inn/-en und Journalist/-inn/-en ist nicht mehr einfach deutsch oder französisch, sondern – wenn schon – europäisch oder global geprägt. Und intern sind zeitgenössische Kulturen weithin durch Hybridisierung gekennzeichnet. Für jedes Land sind die kulturellen Gehalte anderer Länder tendenziell zu Binnengehalten geworden. Das gilt auf der Ebene der Bevölkerung, der Waren und der Information: Weltweit leben in der Mehrzahl der Länder auch Angehörige aller anderen Länder dieser Erde; immer mehr werden die gleichen Artikel (wie exotisch sie einst auch gewesen sein mögen) allerorten verfügbar; zudem machen die elektronischen Kommunikationstechniken quasi alle Informationen von jedem Punkt aus identisch verfügbar. Derlei Veränderungen sind eine Folge von weltweiten Verkehrs- und Kommunikationssystemen sowie des globalen Kapitalismus. Die Neuerungen sind von den Menschen nicht aus freien Stücken erfunden, sondern sind ihnen in etlichen Fällen durch Macht, ökonomische Abhängigkeit, Ungleichverteilung, Migrationsprozesse usw. aufgezwungen worden. Deskriptiv aber muss man sie, auch wenn man die Ursachen für anstößig hält, zur Kenntnis nehmen. Im Übrigen werden wir sehen, dass die Veränderungen auch einige normativ positive Implikationen aufweisen.
b. Vieldimensionalität des Wandels Nun ist es wichtig zu sehen, dass die neuartigen Durchdringungen und Verflechtungen der Kulturen nicht nur – wie fälschlicherweise oft behauptet wird – die Konsumkultur (McDonald’s, Coke, etc.), sondern sämtliche kulturellen Dimensionen betreffen, dass sie von den täglichen Routinen bis hin zur Hochkultur reichen.
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Beispielsweise wird die Medizin zunehmend transkulturell: In den asiatischen Ländern dringt die westliche Medizin vor, und im Westen greift man zunehmend zu Akupunktur, Qui Gong und Ayurveda. Auch in der Popkultur ist eine nationale Zuordnung der Stars längst anachronistisch geworden. Die Spice Girls wurden in Deutschland nicht weniger frenetisch gefeiert als in Großbritannien, und nachdem David Bowie oder Michael Jackson berühmt geworden waren, konnte man ihren Zwillingen überall auf der Welt begegnen.5 (Damit verglichen ist der „Eurovision Song Contest“ mit seiner Anstachelung nationaler Emotionen hoffnungslos atavistisch.) Oder man denke an die großen europäischen Fußballclubs: Vor dreißig Jahren wäre es undenkbar gewesen, dass die Spieler überwiegend aus anderen Ländern, ja von anderen Kontinenten kommen; heute ist das an der Tagesordnung – und die Fans haben damit keine Schwierigkeiten mehr, sondern geraten in Euphorie, wenn es ihrem italienischen Heimatclub gelingt, den Welt-Topspieler aus Südamerika zu verpflichten. Selbst bei Nationalmannschaften ist die transkulturelle Mischung inzwischen unverkennbar. Wenn ein Nicht-Experte/eine Nicht-Expertin vor dem Aufeinandertreffen der deutschen und der italienischen U-21-Auswahl Spielernamen wie Dejagah, Castro, Boateng, Aogo, Khetira und Özil hört, dann wird er vermutlich tippen, dass es sich dabei um Spieler nicht der deutschen, sondern der gegnerischen Mannschaft handelt; auch bei einem Namen wie Marco Marin wird er sich darin bestätigt fühlen; aber wenn dann diese in der Tat deutsche Auswahl den Favoriten Italien mit 1:0 besiegt, dann wird er sich mit all diesen Jungs freuen und auf sie stolz sein. Viele Formen des Alltags sind heute international geprägt: Deutsche Studierende duzen einander, während früher das förmliche ‚Sie’ angezeigt war; nicht nur die Restaurantszene, auch die häuslichen Speisezettel sind inzwischen international geworden;
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Und Michael Jackson hat in seinem berühmten Video „Black or White“ von 1991 selbst transkulturelle Verwandlungen inszeniert: Er wandert dort durch verschiedene Kulturen (afrikanische, südostasiatische, indianische, indische, russische Kultur), und Individuen verwandeln sich durch Morphing ineinander (von Mann zu Frau, von Weiß zu Schwarz, von asiatisch zu afrikanisch usw.).
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und bei technischen Innovationen sind nationale Unterschiede schon lange irrelevant geworden. Ebenso ist in der ‚hohen’ Kultur die Mischung evident: Theaterpraktiken verbinden heute klassisch-europäisches Sprechtheater mit Kabuki und Ritualen der First Nation People. Die Entwicklung des Modern Dance war seit langem durch eine Kombination europäischer, amerikanischer und asiatischer Elemente gekennzeichnet. Und wer häufig Konzerte besucht, empfindet so unterschiedliche Musiken wie die von Mozart und Mahler, Ives und Bernstein oder Debussy und Takemitsu als Teil seiner Identität. Schließlich wirkt sich die zeitgenössische kulturelle Durchdringung – die Transkulturalisierung – auch auf Grundfragen des individuellen und gesellschaftlichen Selbstverständnisses aus. Identische Problem- und Bewusstseinslagen treten heute in den angeblich so verschiedenen Kulturen auf – man denke etwa an Menschenrechts-Diskussionen, an die feministische Bewegung oder das ökologische Bewusstsein. Sie stellen mächtige Wirkfaktoren quer durch die verschiedenen Kulturen dar.6 Dem alten Kulturmodell und seiner Differenz-Fiktion zufolge wäre dergleichen ganz unmöglich – was umgekehrt die Obsoletheit dieses Modells zeigt.
Mikroebene a. Transkulturelle Prägung der Individuen Transkulturalität dringt aber nicht nur auf der gesellschaftlichen Makroebene, sondern ebenso auf der individuellen Mikroebene vor. Dies ist im allgemeinen Bewusstsein unterbelichtet, mir aber besonders wichtig. Die meisten unter uns sind in ihrer kulturellen Formation durch mehrere kulturelle Herkünfte und Verbindungen
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Dabei handelt es sich nicht einfachhin um einen Export westlicher Vorstellungen, sondern es kommt ebenso rückwirkend zu Modifikationen: Die Bejahung des Eigentums beispielsweise, von der indische Frauenrechtlerinnen gesagt haben, dass sie eine unabdingbare Voraussetzung ihrer Emanzipation darstellt, hat manche westliche Kritiker/-innen des Privateigentums umzudenken veranlasst. – Ich verdanke diesen Hinweis Martha C. Nussbaum.
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bestimmt. Wir sind kulturelle Mischlinge. Die kulturelle Identität der heutigen Individuen ist eine patchwork-Identität. Da heutige Heranwachsende schon alltäglich mit einer weitaus größeren Anzahl kultureller Muster bekannt werden als dies in der Elterngeneration der Fall war – man trifft schlicht auf der Straße, im Beruf, in den Medien mehr Menschen mit unterschiedlichem kulturellem und ethnischem Hintergrund als zuvor –, können sie bei ihrer kulturellen Identitätsbildung eine Vielzahl von Elementen unterschiedlicher Herkunft aufgreifen und verbinden. Das betrifft nicht etwa nur Migranten und Migrantinnen, sondern alle Heranwachsenden. Die Alternativen zum Standard von einst liegen heute nicht mehr außer Reichweite, sondern sind Bestandteil des Alltags geworden. Heutige Menschen werden zunehmend in sich transkulturell.7 Innere Pluralität hat bei exquisiten Subjekten gewiss früher schon bestanden. Novalis erklärte, dass eine Person „mehrere Personen zugleich ist“ (Novalis 1983: 250), weil „Pluralism [...] unser innerstes Wesen“ (ebd.: 571) ist. Walt Whitman verkündete „I am large ... I contain multitudes“ (Whitman 1985: 84), und Ibsens Peer Gynt (Uraufführung 1876) entdeckt, als er seine Identität erforscht, eine ganze Reihe von Personen in sich: einen Passagier, einen Goldgräber, einen Archäologen, einen Propheten, einen Bonvivant usw. – so wie er auch äußerlich ein Wanderer zwischen unterschiedlichen Ländern und Kulturen ist: zwischen seiner norwegischen Heimat und Marokko, der Sahara und Ägypten, dem Atlantik und dem Mittelmeer und zahlreichen mythischen Orten. Peer Gynt ist eine geradezu paradigmatische Figur der Transkulturalität. Er repräsentiert den Übergang vom alten Ideal der Person als Monade (kugelartig, monolithisch wie das alte Konzept der Kulturen) zur neuen Seinsweise des Nomaden, des Wanderers zwischen verschiedenen Welten und Kulturen – ein kleiner Buchstabentausch, und alles ist anders. Was einst nur für
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So betont auch die US-amerikanische Politologin Amy Gutmann, dass heute „die Identität der meisten Menschen – und nicht bloß die von westlichen Intellektuellen oder von Eliten – [...] durch mehr als eine einzige Kultur geformt“ ist. „Nicht nur Gesellschaften, auch Menschen sind multikulturell“ (Gutmann 1995: 284).
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exquisite Subjekte gegolten haben mag, scheint heute zunehmend zur Wirklichkeit von jedermann zu werden.8 Die interne Transkulturalität der Individuen scheint mir der entscheidende Punkt zu sein. Man sollte nicht nur davon sprechen, dass heutige Gesellschaften unterschiedliche kulturelle Modelle in sich fassen („cultural diversity“), sondern das Augenmerk darauf richten, dass die Individuen heute durch mehrere kulturelle Muster geprägt sind, unterschiedliche kulturelle Elemente in sich tragen.
b. Interne Transkulturalität erleichtert den Umgang mit externer Transkulturalität Die innere Transkulturalität der Individuen befähigt diese nun zugleich, mit der äußeren Transkulturalität besser zurechtzukommen. Denn ein Individuum, in dessen Identität eine ganze Reihe kultureller Muster Eingang gefunden hat, besitzt bezüglich der Vielzahl kultureller Praktiken und Manifestationen, die sich in seiner gesellschaftlichen Umwelt finden, größere Anschlusschancen, als wenn die eigene Identität nur durch ein einziges Muster bestimmt wäre. Man kann an mehr Phänomenen Interesse finden, mit einer größeren Anzahl sich verbinden – die plug-in-Rate ist höher. Das betrifft natürlich auch die direkte Kommunikation von Individuum zu Individuum. Denn aus je mehr Elementen die kulturelle Identität eines Individuums zusammengesetzt ist, umso wahrscheinlicher ist es, dass eine Schnittmenge mit der Identität anderer Individuen besteht, und von daher können solche Individuen bei aller sonstigen Unterschiedlichkeit in weit höherem Maß als früher in Austausch und Kommunikation eintreten, sie können bestehende Gemeinsamkeiten entdecken und neue entwickeln, sie werden in der Begegnung mit „Fremdem“ eher in der Lage sein, statt einer Haltung der Abwehr Praktiken der Kommunikation zu entwickeln. Darin liegt einer der großen Vorteile des Übergangs zu Transkulturalität. Um ein Beispiel zu geben: Diane Ravitch, eine amerikanische Kritikerin des Multikulturalismus, berichtet von einer schwarzen Läuferin, die in einem Interview sagte, ihr Vorbild sei Michail Ba8
Vgl. zum Thema des pluralen Subjekts Welsch 1991: 347-365 und ferner Welsch Ą2007: 829-852.
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ryschnikov; sie bewundere ihn, weil er ein großartiger Athlet sei. Diane Ravitch kommentiert dies folgendermaßen: Michail Baryschnikov „ist nicht schwarz; er ist keine Frau; er ist kein gebürtiger Amerikaner; er ist nicht einmal ein Läufer. Aber er inspiriert sie durch die Art, wie er seinen Körper trainiert und eingesetzt hat.“ (Ravitch 1990: 354) – In der Tat: dem alten Kasten- und Gruppendenken zufolge wäre die Vorbildwahl dieser Läuferin gleich mehrfach unmöglich, denn sie hält sich nicht an die Vorgaben des Geschlechts, der Hautfarbe, der Nationalität und des Berufs. Aber wenn man die Scheuklappen dieses Abgrenzungsdenkens einmal hinter sich gelassen hat, dann wird eine solche Wahl ganz selbstverständlich möglich. Transkulturalität befreit zu eigenen Wahlen jenseits gesellschaftlich vorgegebener Schemata.9
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Man sollte sich übrigens darüber im klaren sein, dass Kulturbegriffe nie einfach neutrale oder unschuldige Begriffe sind, sondern dass sie (ebenso wie andere Selbstverständigungsbegriffe, etwa ,Identität‘ oder auch ,Person‘) Einfluss auf ihren Gegenstand haben, diesen verändern. Unser Kulturverständnis ist auch ein Wirkfaktor in unserem Kulturleben. Sagt man uns – wie der alte Kulturbegriff es tat –, dass Kultur eine Homogenitätsveranstaltung zu sein habe, so werden wir uns entsprechend verhalten und die gebotenen Zwänge und Ausschlüsse praktizieren. Wir suchen der gestellten Aufgabe Genüge zu tun – und haben Erfolg damit. Sagt man uns (oder den Heranwachsenden) hingegen, dass Kultur gerade auch Fremdes einbeziehen und transkulturellen Komponenten gerecht werden müsse, dann werden wir oder sie diese Aufgabe in Angriff nehmen; und dann werden entsprechende Integrationsleistungen künftig zur realen Struktur der Kultur gehören. Die ,Realität‘ von Kultur ist immer auch eine Folge unserer Konzepte von Kultur. Daher sollte man Kulturbegriffe nicht leichtfertig, sondern verantwortungsvoll verwenden.
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Ergänzungen Das Transkulturalitätskonzept im Verhältnis zu den Konzepten der Multikulturalität und der Interkulturalität Verschiedentlich wird das Transkulturalitätskonzept mit den Konzepten der Multikulturalität und der Interkulturalität in Verbindung gebracht. Oft werden die entsprechenden Ausdrücke geradezu synonym verwendet. Aus der Sicht meines Transkulturalitätskonzepts bestehen jedoch große Unterschiede. Die Konzepte der Multi- und der Interkulturalität halten noch immer am alten Kugelmodell fest. Der Unterschied zwischen beiden ist nur, dass die Multikulturalisten dies im Blick auf Verhältnisse innerhalb von Gesellschaften, die Interkulturalisten hingegen im Blick auf die Verhältnisse zwischen Gesellschaften tun. Das Kugelmodell ist dann aber auch für die Defizite beider Konzepte verantwortlich. Der Multikulturalismus sieht die Partialkulturen innerhalb einer Gesellschaft noch immer wie Kugeln oder Inseln an und befördert dadurch tendenziell Ghettoisierung. Darin schlägt die Erblast des antiquierten Kulturverständnisses durch – Kugelkulturen haben das Ghetto nicht zum Negativbild, sondern zum Ideal. Das Konzept der Interkulturalität geht ebenfalls weiterhin von der alten Kugelvorstellung aus und ist dann bemüht, einen interkulturellen Dialog in Gang zu bringen, der zu einem gegenseitigen Verstehen zwischen den im Ansatz als hochgradig verschieden, ja inkommensurabel angesehenen Kulturen führen soll (vgl. Wimmer 1990; Cesana 1999; Kimmerle 2002). Was dem Transkulturalitätskonzept zufolge durch die reale Entwicklung befördert wird, soll dem Interkulturalitätskonzept zufolge durch hermeneutische Bemühungen geleistet werden. In Wahrheit aber ist die heutige Hermeneutik dafür denkbar ungeeignet, denn ihr zufolge sind Verstehensmöglichkeiten prinzipiell auf die eigene Herkunft beschränkt, während jenseits derselben nur noch ein Missverstehen (ein Ummodeln des Anderen ins Eigene) möglich sein soll: Ein Deutscher/eine Deutsche könne, da er/sie dem Kontext des Abendlandes entstammt, zwar vielleicht noch einen Altgriechen/eine Altgriechin verstehen, niemals aber einen Japaner/eine Japanerin oder einen Inder/eine Inderin, weil diese aus prinzipiell anderen Kulturtraditionen kommen (und entsprechend umge-
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kehrt einen Abendländer/eine Abendländerin allenfalls apart missverstehen können. Angesichts der langen Misserfolgsgeschichte interkulturellen Dialogs könnte man zwar den Eindruck gewinnen, dass die Hermeneutik im Recht ist, es könnte aber auch die genau umgekehrte Erklärung zutreffen: Weil die Interkulturalisten die Kulturen von Grund auf wie Kugeln konzeptualisieren, kaprizieren sie sich auf das Verstehen eines ‚Anderen‘, von dem sie zugleich annehmen, dass es ob seiner Inkommensurabilität eigentlich nicht verstanden werden könne – so dass die Erfolglosigkeit des Unternehmens schlicht aus der Verfehltheit und Widersprüchlichkeit der Ausgangsvorstellung resultiert. Das Interkulturalitätskonzept verfügt durch seinen ersten Zug – die Unterstellung einer ganz anderen, eigenartigen und homogenen Verfasstheit der anderen Kulturen – die Erfolgsunmöglichkeit all seiner weiteren, auf interkulturellen Dialog zielenden Schritte. Die antiquierte Fiktion inkommensurabler Kulturen ruft den Wunsch nach interkulturellem Dialog hervor und verurteilt ihn zugleich zum Scheitern (vgl. Wang 1991).
Transkulturalität – schon in der Geschichte Transkulturalität ist historisch keineswegs völlig neu. Geschichtlich scheint sie eher die Regel gewesen zu sein. Viele Kulturen waren weitaus weniger rein, waren beträchtlich transkultureller, als die romantische und historistische Fiktion der Kulturkugeln das sehen mochte. ‚Griechenland‘ beispielsweise, einst zur ganz aus sich selbst sprudelnden Quelle des Abendlands stilisiert, war keinesfalls ‚rein‘: Ohne Ägypten und Asien, Babylonien und Phönizien ist die Entstehung der griechischen Kultur gar nicht zu verstehen.10 Auch das spätere Europa war jahrhundertelang durch transkulturellen Austausch bestimmt. Man denke nur an den Warenverkehr oder an die Kunstgeschichte. Die Stile waren länder- und nationenübergreifend, und viele Künstler/-innen haben ihre besten Werke fernab der Heimat geschaffen. Albrecht Dürer, der lange als der exemplarisch deutsche Künstler galt, ist erst in Italien er selbst 10 Ein schlagendes Indiz: Nahezu 40 % der griechischen Wörter sind semitischen Ursprungs.
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geworden, und er musste Venedig ein zweites Mal aufsuchen, um ganz er selber zu werden. Carl Zuckmayer hat in Des Teufels General die faktische geschichtliche Transkulturalität wundervoll beschrieben: General Harras sagt zum Fliegerleutnant Hartmann: „[...] stellen Sie sich doch mal Ihre Ahnenreihe vor – seit Christi Geburt. Da war ein römischer Feldhauptmann, ein schwarzer Kerl, braun wie ne reife Olive, der hat einem blonden Mädchen Latein beigebracht. Und dann kam ein jüdischer Gewürzhändler in die Familie, das war ein ernster Mensch, der ist noch vor der Heirat Christ geworden und hat die katholische Haustradition begründet. – Und dann kam ein griechischer Arzt dazu, oder ein keltischer Legionär, ein Graubündner Landsknecht, ein schwedischer Reiter, ein Soldat Napoleons, ein desertierter Kosak, ein Schwarzwälder Flözer, ein wandernder Müllerbursch vom Elsass, ein dicker Schiffer aus Holland, ein Magyar, ein Pandur, ein Offizier aus Wien, ein französischer Schauspieler, ein böhmischer Musikant – das hat alles am Rhein gelebt, gerauft, gesoffen und gesungen und Kinder gezeugt – und – und der Goethe, der kam aus demselben Topf und der Beethoven, und der Gutenberg, und der Matthias Grünewald, und – ach was, schau im Lexikon nach. Es waren die Besten, mein Lieber! Die Besten der Welt! Und warum? Weil sich die Völker dort vermischt haben. Vermischt – wie die Wasser aus Quellen und Bächen und Flüssen, damit sie zu einem großen, lebendigen Strom zusammenrinnen“ (Zuckmayer 1978: 149).
Dies ist eine realistische Beschreibung der historischen Genese von Mitgliedern eines „Volkes“. Sie löst die Homogenitätsfiktion auf. Ähnliches gilt für andere Kulturen. Beispielsweise wäre es unmöglich, die japanische Kultur ohne Berücksichtigung ihrer Verflechtungen mit der chinesischen, koreanischen, indischen, hellenistischen und der modernen europäischen Kultur zu rekonstruieren. Edward Said hat recht, wenn er sagt: „Alle Kulturen sind hybrid; keine ist rein; keine ist identisch mit einem ‚reinen‘ Volk; keine besteht aus einem homogenen Gewebe“ (Said 1996: 24).11
11 Man mag sich fragen, warum unter heutigen Bedingungen sich gleichwohl immer wieder ein Bedürfnis nach Nation, nach Einheit,
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Allerdings: Auch wenn ein genauer Blick lehrt, dass historisch seit langem Transkulturalität und nicht Reinheit die Regel war, so ist doch das Ausmaß der Transkulturalität in den letzten Jahren stark angestiegen. Eine wirklich globale lingua franca hatte die Welt zuvor nicht gekannt und ebenso wenig einen weltweiten Zusammenschluss durch Informations- und Transportwesen. Die kulturellen Durchdringungen sind heute weltweit stärker, als sie je zuvor waren.
nach vorgeblicher Reinheit unter Ausschluss des Fremden regt. Da muss wohl eine phylogenetisch alte Prägung im Spiel sein. Es muss in der Geschichte von Homo sapiens eine Phase gegeben haben, wo die Identifikation mit der Gruppe (Horde) überlebensnotwendig war. Von daher ist uns noch immer ein Druck zur Gruppenidentifikation genetisch inhärent (ähnlich wie andere inzwischen dysfunktional gewordene genetische Prägungen, z. B. die Neigung zu fettreicher Ernährung). Der evolutionäre Nutzen bestand in der Sicherung des Individuums innerhalb der Gruppe sowie der Gruppen gegeneinander. ,Kultur‘ hatte ursprünglich vermutlich genau diese Bedeutung: die Einheit der Gruppe zu festigen – Kultur war Gruppenkitt. Davon Abstand zu nehmen, wäre längst an der Zeit. Aber Kultur wird immer aufs Neue (oft ganz undurchschaut) auf diese Aufgabe hin bestimmt – so beispielsweise in der neueren Rede von ,Kulturnation‘. Ursprünglich waren die Gruppen Blutsgemeinschaften – andere Gruppen hatten anderes Blut. Nun lebt die Konnotation des Blutes im Begriff der Nation als einer Abstammungsgemeinschaft (von lat. ,nasci‘) nach. Die Rede von einer ,Kulturnation‘ substituiert nun den Gemeinschaftsnenner Blut durch Kultur. So wie einst durch Blut, so soll die Nation jetzt durch Kultur zusammengeschweißt werden. ,Kulturnation‘ ist Blutsgemeinschaft soft.
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Transkulturalisierung im Rahmen ökonomischpolitischer Machtprozesse Natürlich spielt sich der Übergang zu Transkulturalität nicht in einem machtfreien Raum ab. Ganz im Gegenteil: Die treibenden Kräfte der Makroebene, welche Transkulturalisierung bewirken, sind weithin Machtprozesse. Es ist in erster Linie die kapitalistische Ökonomie mit ihrer globalen Erschließung materieller und humaner Ressourcen, die zu drastischen Umstrukturierungen traditioneller Verhältnisse führt, Arm-Reich-Verteilungen verändert und Migrationsbewegungen auslöst. Der Druck politischer Herrschaft und Unterdrückung tut ein Übriges. Die Identitätsbildung der Individuen erfolgt also in einem Raum, der durch mannigfache Disparitäten und Beschränkungen und oft durch Zwang, Not und Armut gekennzeichnet ist. Es ist keineswegs so, dass die Individuen die Elemente ihres Identitätsfächers gleichsam frei wählen und zusammenstellen könnten. Sie unterliegen vielmehr mannigfachen Einschränkungen und äußerem Druck. Das ist teilweise im Globalisierungsdiskurs, vor allem jedoch im postkolonialen, postfeministischen und generell im Minoritätendiskurs vielfach untersucht und dargestellt worden. Aber all das ändert nichts daran, dass die Identitäten heutiger Menschen – der Armen wie der Reichen – zunehmend transkulturell werden. Schließlich erfolgt Identitätsbildung niemals im Modus freier Wahl. Sie hat auch beim Privilegiertesten nicht die Form einfachen Shoppings. Denn eine Begrenzung der Optionen besteht – so oder so – für jeden. Eher als einem Shopping gleicht die Identitätsbildung einer Nahrungssuche, wo man dieses oder jenes antrifft und probiert und dann jenes oder dieses behalten, mit anderem verbinden und vielleicht auch transformieren wird. Selbst drastischer Macht- und Beschränkungsdruck kann dabei nicht determinieren, wie Individuen sich entscheiden, welche Wege sie einschlagen – sonst müssten beispielsweise alle oder keiner den Weg des Widerstands gehen. Ein Spielraum besteht immer. Und einen Einbau transkultureller Elemente findet man heute in allen Populationen. Auch bei unterprivilegierten Schichten („Prekariat“) oder bei für gleichermaßen arm wie homogen angesehenen Populationen (Tibet) ist festzustellen, dass die Leute zumindest einige Elemente anderer kultureller Herkunft kennen und einige
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davon inkorporiert haben, also ein Stück weit transkulturell geworden sind. Insofern ist Transkulturalität zunehmend eine Realität und nicht bloß ein Wunsch. Im Unterschied dazu vertreten diejenigen ein Wunschdenken, die pauschal beklagen, dass nicht alle Menschen die gleichen Optionen haben (auch wenn dies eben wünschenswert wäre). Und vollends sophistisch verfahren diejenigen, die allenthalben böse und unterdrückende Machtstrukturen aufspüren und dabei völlig übersehen, dass ihre eigene Machtanalyse selbst ein Akt von Diskursmacht ist – dass sie selbst, während sie sich für neutrale und gutmeinende Beobachter halten, de facto Machtagenten und Machtprofiteure sind.12
Transkulturalität in der Hochschule Auf den ersten Blick scheint offenkundig, dass Transkulturalität auch in der Hochschule vordringt. Studierende aus immer mehr Ländern finden sich zusammen. In Deutschland ist die Mischung zwar noch immer weniger bunt als etwa in Norwegen oder in den USA, aber mit der gestiegenen Mobilität wächst auch hierzulande die Multiethnizität. Freilich, wenn ‚Universität‘ die Gemeinschaft der Lehrenden und Lernenden meint, dann ist dieser Fortschritt offenbar einseitig, nämlich auf die Studierenden beschränkt, während der Lehrkörper noch immer weithin homogen, nämlich deutsch ist. Und es steht zwar zu hoffen, aber kaum zu erwarten, dass sich das in absehbarer Zeit wesentlich ändern wird.13 Aber ‚Transkulturalität in der Hochschule‘ müsste ohnehin etwas anderes bedeuten als gesteigerte Herkunftsvielfalt. Diese ist 12 Das hat Michel Foucault schlagend aufgewiesen (vgl. Foucault 1975). Paradoxerweise haben die Human- und Kulturwissenschaftler/innen, die sich durch Foucault inspiriert glauben, just diese Grundthese nachhaltig verdrängt. 13 Als vor Jahren ein Philosophie-Lehrstuhl an einer deutschen Universität neu zu besetzen war, warb der Emeritus dafür, einen japanischen Kollegen zu berufen, das würde der internationalen Ausrichtung des Lehrstuhls sowie dem Geist der Zeit bestens Rechnung tragen. Die Kollegen und Kolleginnen schüttelten die Köpfe. Natürlich beriefen sie dann statt des international hochrenommierten Japaners einen deutschen Durchschnittskollegen.
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ein zwar interessanter und in vielem begrüßenswerter, aber letztlich doch nur vordergründiger Aspekt. Das ist in der Hochschule nicht anders als in den Künsten. Da weist man unter dem Stichwort ‚Transkulturalität‘ oft darauf hin, dass heutige Ensembles (etwa Orchester oder Tanzgruppen) auffallend interkulturell zusammengesetzt sind. Das ist schon richtig und auch erfreulich, aber wenn diese bunte Truppe dann einfach eine klassische Mozart-Symphonie spielt oder ein Stück aus dem bekannten TanzRepertoire aufführt, dann wird dadurch doch weniger Transkulturalität realisiert als möglich wäre. Es müsste vielmehr darum gehen, dass nicht nur die Akteure aus unterschiedlichen Kulturen stammen, sondern dass das Werk, das sie aufführen oder kreieren, in sich unterschiedliche kulturelle Muster verbindet, also nicht monokulturell, sondern transkulturell geprägt ist.14 Ebenso im Bereich der Hochschule, im Bereich der Wissenschaft. Es müsste unter dem Stichwort ‚Transkulturalität‘ um die Kreuzung, Verbindung und Durchdringung wissenschaftlicher Kulturen gehen. Im großen Maßstab wäre dabei an die vor fünfzig Jahren von Charles P. Snow diagnostizierte Opposition von literarischer und naturwissenschaftlicher Kultur und an seinen Vorschlag zu denken, dass diese beiden – humanities und sciences – sich aufeinander zu bewegen und einander austauschen sollten (vgl. Snow 1987). Oder man kann an die diversen wissenschaftlichen Paradigmen (zwischen den wie innerhalb der Wissenschaftsgruppen) denken und das Augenmerk auf deren Verbindungen oder Wechselimplikationen richten und für eine engagierte Vernetzungsarbeit plädieren (vgl. Welsch 42007: 461-610). Man kann dabei einen methodischen und/oder einen thematischen Akzent verfolgen. Einen methodischen, indem man versucht, typische Verfahrensweisen des einen Wissenschaftszweiges auch im
14 Ein eindrucksvolles Beispiel dafür sind die Produktionen des taiwanesischen Cloud Gate Dance Theater. Sie verbinden westliche Tanzformen (klassischer wie moderner Art) mit asiatischen Traditionen (Tai Chi, Qi Gong, Kampfsportarten, Kalligraphie), schaffen sozusagen „asiatischen Schwanensee“ mit einer ganz eigenen, durch fließende Bewegungen charakterisierten Physiognomie. Die Verbindung westlicher und östlicher Inspirationen führt zu etwas genuin Neuem.
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anderen anzuwenden, beispielsweise empirische Testverfahren für humanwissenschaftliche Thesen zu ersinnen und umgekehrt begriffsanalytische Instrumentarien in den Naturwissenschaften fruchtbar zu machen.15 Einen thematischen, indem man nicht von vornherein unterstellt, dass Themen im allgemeinen monodisziplinär zureichend zu verhandeln sind, sondern davon ausgeht, dass sie in die Schnittmenge unterschiedlicher Disziplinen fallen und daher konsequenterweise einer transdisziplinären Behandlung bedürfen. Damit ist das geläufige Stichwort für das genannt, was ‚Transkulturalität in der Hochschule‘ meines Erachtens zuallererst bedeuten müsste: Transdisziplinarität. Üblicherweise werden die einzelnen akademischen Disziplinen ganz ähnlich aufgefasst wie die einzelnen Kulturen im alten Kugelmodell. Die Disziplinen gelten als ebenso separiert, abgeschottet und kugelartig. Und sie sollen autonom sein; der Kollege von nebenan darf sich zwar für meine Disziplin interessieren, aber er darf nicht in sie hineinreden.
15 Zwei berühmte Beispiele, wie ein Transfer zwischen Disziplinen wissenschaftliche Revolutionen ermöglicht hat: Kant fand die Lösung für seine Frage, wie wir apriorisches Wissen besitzen können, das für Erfahrungsgegenstände gültig ist, durch Blick auf die Erfolgsstrategien der Mathematik und der neuzeitlichen Naturwissenschaft. Diese hatten erfasst, dass unser Wissen wesentlich konstruktiv ist, dass wir die Grundformen der Gegenstände unserem Geist entnehmen. Dies war dann nur noch auf alle möglichen Gegenstände auszuweiten: Wir geben die Grundformen aller Gegenstände vor und können daher bezüglich dieser Grundverfassung apriori gültige Aussagen über die Gegenstände machen – darin besteht Kants „veränderte Methode der Denkungsart“, der zufolge sich nicht „unsere Erkenntnis [...] nach den Gegenständen“ zu richten hat, sondern umgekehrt „die Gegenstände [...] sich nach unserer Erkenntnis richten“ müssen (Kant 1787: B XV-XIX). Und Darwin fand den fehlenden Baustein für seine Evolutionstheorie beim Ökonomen Malthus. Dieser hatte dargelegt, dass exponentielles Bevölkerungswachstum einerseits und bloß lineare Steigerungsmöglichkeiten der landwirtschaftlichen Produktivität andererseits auf Dauer Ressourcenknappheit (Armut) verfügen. Genau diese Ressourcenknappheit brachte Darwin dann, auf die Evolution übertragen, zu seiner Schlüsselidee der „natural selection“.
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Aber ebenso wie auf der gesellschaftlichen Ebene, so wäre auch auf der akademischen der Übergang zu Transkulturalität geboten. Die alten Kugeln müssen aufgebrochen, Verbindungen müssen wahrgenommen und hergestellt werden. Die neuzeitliche Ausdifferenzierung von Wissensformen war zwar mit Gewinnen verbunden, aber wo die Differenzierung in Trennung und Abschottung umschlug, begannen die Verluste zu überwiegen. Heute sieht man ein, dass die verschiedenen Rationalitätstypen nicht wasserdicht gegeneinander abgegrenzt sind, sondern bis in ihren Kern hinein Verflechtungen aufweisen. Beispielsweise ist kognitive Rationalität elementar von ästhetischen Bedingungen durchzogen, der ästhetischen Rationalität sind moralische Optionen inhärent, und moralische Rationalität ist weder ohne ästhetische Momente konzipierbar noch ohne kognitive Verfahren durchführbar. Das nötigt, das Trennungsdenken hinter sich zu lassen und Übergänge und Verflechtungen zu thematisieren. Dies wirkt sich auch auf die Disziplinen aus. Sie dürfen nicht mehr monaden- oder kugelartig aufgefasst und praktiziert werden. Die disziplinäre Aufteilung des Wissenschaftskosmos ist antiquiert. Veritables Wissen kann heute nicht mehr disziplinär organisiert werden, sondern muss transdisziplinär sein. Damit ist freilich mehr als Interdisziplinarität verlangt – jene Abendveranstaltungs-Kosmetik, die das tägliche Festhalten an der disziplinären Trennung verdeckt und beschönigt. Interdisziplinarität hält ja an der Vorstellung der Disziplinen als selbständiger Dominien fest – nur dass diese einander dann auch noch etwas zu sagen haben sollen. Aber so ist und bleibt Interdisziplinarität etwas Sekundäres und Aufgesetztes; sie kommt netterweise, aber immer zu spät zu den Disziplinen hinzu. Die ganze Organisationsweise der Interdisziplinarität zeigt dies: Vertreter unterschiedlicher Fächer kommen auf Zeit, durch guten Willen, im Sinn eines humanistischen Bildungsideals, wegen weitgespannter Interessen etc. zusammen, tauschen sich aus – und gehen dann wieder an ihre disziplinär getrennten Plätze zurück, als wäre nichts gewesen. Es war auch nichts. Dagegen wäre Transdisziplinarität zum Strukturprinzip zu erheben – aber nicht gegen die einzelnen Fächer, sondern in ihnen (vgl. Welsch 1998). Gewiss gibt es weiterhin Fragen, die in die genuine Kompetenz einer bestimmten Disziplin fallen. Aber viele – die wesentlichen – Fragen erfordern die Expertise auch anderer
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Fächer. Diesbezüglich sollte eine transdisziplinäre Ausrichtung zur selbstverständlichen Praxis der Fächer werden. Etliche Probleme sind Knoten, in denen verschiedene Stränge aus unterschiedlichen Richtungen und Disziplinen zusammenlaufen. Dann gilt es, diese Stränge durchzuarbeiten und gegebenenfalls auch neue Verbindungslinien zu erwägen. Zu diesem Zweck müssen die Fächer Transdisziplinarität in ihrem Veranstaltungsgebot verankern. Man wird eine Disziplin veritabel nicht anders als transdisziplinär betreiben können. Daher muss Transdisziplinarität schon in den einzelnen Fächern, nicht erst zwischen den Fächern praktiziert werden. Nur so kann man den thematischen Anforderungen und den Standards zeitgenössischen Wissens gerecht werden.16 Zudem ist offenkundig, dass wir heute in der Realität zunehmend mit Problemstellungen konfrontiert sind, die aus Verflechtungen resultieren. Selbst wenn Probleme regional entstehen, überschreiten ihre Wirkungen die Grenzen, werden global. Die alten, separatistischen Denkformen sind unfähig, darauf zu reagieren. Für sie sind solche Grenzüberschreitungen nur ‚unerwünschte Nebenfolgen‘ – die man achselzuckend hinnimmt und denen man hilflos gegenübersteht. Als ‚Nebenfolgen‘ erscheinen solche Vernetzungseffekte aber nur, solange man grundsätzlich separatistisch denkt. Die Kausalketten der Wirklichkeit jedoch halten sich an diese kleingeistigen Einteilungswünsche nicht. Wir sind daher gerade auch im Blick auf die Realität gehalten, von den alten Denkformen sauberer Trennung und unilinearer Analyse abzurücken und zu Denkformen überzugehen, die von vornherein mit Verflechtungen rechnen und deren Konsequenzen zu berücksichtigen vermögen. Die Gegenstände – das ist der springende Punkt – lassen sich nicht einfach disziplinär verrechnen, sondern
16 Vgl. dazu Jürgen Mittelstraß: „Was die Wissenschaft [...] braucht, sind daher auch disziplinäre Grenzgänger, d. h. Wissenschaftler, die die Grenzen ihrer Disziplin mehr lieben als die ausgetretenen disziplinären Pfade, die transdisziplinär denken und forschen“ (Mittelstraß 1992: 89). „Interdisziplinarität [...] ist in Wahrheit Transdisziplinarität. Man könnte auch sagen: Interdisziplinarität ist nicht das letzte Wort der Wissenschaft; dieses lautet vielmehr Transdisziplinarität“ (Mittelstraß 1989: 77).
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verlangen einen transdisziplinären Zugang. Heutige Bildung besteht in der Kenntnis und im Beherrschen von Querverbindungen zwischen den Wissensgebieten. – Transdisziplinarität ist also, das wollte ich herausstellen, im Rahmen der Hochschule das fällige Äquivalent zu Transkulturalität im Rahmen der Gesellschaft. So wie es gesellschaftlich um die Verbindung und Durchdringung unterschiedlicher kultureller Muster geht, so akademisch um die Vernetzung unterschiedlicher Wissenskulturen.
Uniformierung? Und damit zurück zu Transkulturalität im allgemein-gesellschaftlichen Sinn. Die vielleicht gängigste Befürchtung lautet, dass Transkulturalität auf Uniformierung hinauslaufe. Ich halte das jedoch für falsch und denke, dass Transkulturalität eher mit einem neuen Typus von Unterschiedlichkeit verbunden ist.
a. Neuartige Diversität Denn schon auf der Makroebene verhält es sich nicht so, dass die Gehalte anderer Kulturkreise oder des Haupttrends der Globalisierung immer eins zu eins übernommen würden. Im Gegenteil: Sie werden vielfach in regionale Kulturprofile eingebunden und können dabei eine beträchtliche Umwandlung erfahren, die manchmal sogar zur verwandelten Wiederbelebung lokaler Traditionen führt.17 ‚Globale Uniformierung’ ist also allenfalls eine oberflächliche Diagnose.18 17 Stephen Greenblatt hat auf derlei Ambiguitäten bei der „Assimilierung des Anderen“ hingewiesen. Er erläutert dies beispielsweise an der Art, wie die Einwohner Balis mit Videotechnik in rituellen Zusammenhängen umgehen: „Wenn Fernsehen und Video einerseits [...] für den überaus durchdringenden Charakter kapitalistischer Märkte und Technologien zu sprechen schienen, [...] so schien andererseits die balinesische Aneignung der jüngsten westlichen und japanischen Darstellungstechniken kulturell so eigenwillig und unverwüstlich zu sein, dass unklar war, wer hier eigentlich wen assimilierte“ (Greenblatt 1991: 4). Die Figur ist übrigens alt: Während christliche Missionare in Afrika und anderswo häufig dachten, sie hätten die einheimische Bevölkerung ,bekehrt‘, hatten sich manche der solcherart ,Bekehrten‘ die spirituellen Techniken des Christentums
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Warum die Uniformierungsbefürchtung zudem auf der Mikroebene unzutreffend ist, kann man sich auf einfache Weise klarmachen: Wenn zwei Individuen bei ihrer Identitätsbildung jeweils auf eine Reihe von kulturellen Mustern zurückgreifen, so werden sie oftmals zwar das eine oder andere Muster gemeinsam haben, aber in anderen Hinsichten immer noch reichlich verschieden sein. Und selbst wenn zwei Individuen auf genau die gleichen kulturellen Muster zurückgreifen, werden sie diese in den meisten Fällen in einer unterschiedlichen Anordnung verbinden oder ihnen eine unterschiedliche Gewichtung geben (was für den einen/ die eine an erster Stelle steht, mag für den anderen/die andere erst an dritter Stelle kommen) – so werden selbst diese Individuen deutlich verschieden sein. Unterschiede gibt es also weiterhin, nur haben sie jetzt eine andere Form als zuvor. Es handelt sich nicht mehr um Unterschiede zwischen nebeneinander stehenden Monokulturen, son-
nur angeeignet, um sie in ihr heimisches Religionssystem zu integrieren (vgl. Burke 1998: 268 f.). Ähnlich hat auch Ulf Hannerz darauf hingewiesen, dass die uniformen Trends einer „Weltkultur“ rasch in nationale oder regionale Kulturprofile eingebunden werden und dabei eine beträchtliche Diversifikation und Umwandlung erfahren (vgl. Hannerz 1992: 264 ff.). 18 Vgl. dazu auch den 1940 von Fernando Ortiz geprägten Begriff der „Transkulturation“ (transculturación). Ortiz beschrieb im Blick auf die kubanische Wirtschaft mit ihrem herkömmlichen Anbau von Tabak und dem neueren Anbau der Importpflanze Zuckerrohr, wie es im Zusammenhang mit den verschiedenen Bevölkerungsanteilen (afrikanische Sklaven und Sklavinnen, spanische Eroberer, asiatische Vertragsarbeiter/-innen) zur Bildung neuer sozialer und kultureller Formen kam, wobei nicht einfach ,Akkulturation‘ eintrat (so das seinerzeit dominierende Paradigma der US-amerikanischen Ethnologie: Alte Kulturen sind gezwungen, in eine neue, dominierende hineinzuwachsen bzw. werden von dieser aufgesogen), sondern ein wechselseitiges Geben und Nehmen stattfand, aus dem alle Seiten verändert hervorgingen. „Transculturación“ bezeichnet bei Ortiz also einen Veränderungsprozess, in dem sich kulturelle Muster herausbilden, die nicht bloß eine Agglomeration oder ein Mosaik von Elementen der Ausgangskulturen darstellen, sondern genuin neue Züge aufweisen (vgl. Ortiz 1987 [1940]).
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dern um Unterschiede von Individuum zu Individuum oder von Gruppe zu Gruppe bei insgesamt anwachsender Gemeinsamkeit. Und die neuen Unterschiede sind von den alten Problemen der separatistischen Differenz frei. Der nostalgische Lobpreis der alten kulturellen Diversität ist ja heuchlerisch: Er unterschlägt, dass das Insistieren auf ihr regelmäßig zu Ausschlüssen, Verfolgungen und Kriegen geführt hat. Dagegen arbeitet Transkulturalität der Bildung einer Weltinnengesellschaft und einer friedlicheren Weltgesellschaft zu. Und dafür, so meine ich, sollte man auch einige Verluste an kultureller Vielfalt in Kauf nehmen können. Gewiss sollte man (das wäre eine erste Korrektur am gegenwärtigen Bewusstsein) kulturellen Artenschutz höher stellen als biologischen, aber man muss auch sehen (das ist die zweite Korrektur), dass zur kulturellen Evolution stets auch der Untergang oder das nur veränderte Fortleben kultureller Gebilde gehörte, ja dass die kulturelle Evolution eben nicht von Idealen musealer Konservierung, sondern vom Druck geschichtlicher Überbietung und geschichtlichen Verschwindens lebte. Insofern verkennt die Beschwörung kultureller Diversität die Logik der kulturellen Evolution. Und die Überführung kultureller Differenz in eine Form, die der Gemeinsamkeit der Menschen nicht widerstreitet, sondern zuarbeitet, könnte durchaus als lohnende Aufgabe für Gegenwart und Zukunft begriffen werden.
b. Lokale Präferenzen – Versionen von Heimat Transkulturelle Identitäten schließen lokale (regionale, nationale) Präferenzen keineswegs aus. Erstens können diese natürlich zum kulturellen Mix gehören. Und zweitens können sie sogar einen Hauptakzent darstellen. Es wird bei den transkulturellen Identitäten ja in der Regel so sein, dass manche Elemente mehr, andere weniger Gewicht haben. Ein Hauptakzent kann von Zusatzakzenten begleitet oder umspielt sein. Man kann sich das nach dem Modell von Standbein und Spielbein vorstellen. Und der Hauptakzent (das Standbein) kann durchaus lokal oder regional oder national geprägt sein. Das ist sogar innerhalb der Transkulturalität weit verbreitet. Insofern kann die alte Kulturform auch unter den neuen Bedingungen abgeschwächt nachleben. Wünschenswert ist nur, dass der Hauptakzent ein Standbein darstellt, das auch etliche Bewegungen des Spielbeins ermöglicht und zulässt, oder anders gesagt: dass dieser Haltepunkt nicht von einem Standbein zu
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einem Klumpfuß wird, der alle weiterreichenden Bewegungen verhindert. Im Übrigen: Vielleicht brauchen wir eine Verortung, eine Heimat. Aber Heimat muss nicht die Gegend sein, in der man aufwuchs. Man kann seine wirkliche Heimat weitab von der ursprünglichen Heimat finden.19 Ubi bene, ibi patria, hieß dies im klassischen Latein.20 Oder, mit Horkheimer und Adorno: „Heimat ist das Entronnen sein“ (Horkheimer/Adorno 21984: 97). Ich sage nicht, dass dies so sein müsste, dass man Heimat nur fernab von der ersten Heimat, den anfänglichen Wurzeln finden könne. Aber ich betone, dass dies ein möglicher und anerkennenswerter Fall ist. In gewissem Sinn ist auch die erste Heimat immer nur als zweite Heimat wirkliche Heimat, erst dann nämlich, wenn man sich (angesichts auch anderer Möglichkeiten) bewusst zu ihr entschieden, sie nachträglich eigens gewählt und bejaht hat. Nur dann ist ‚Heimat‘ keine naturwüchsige, sondern eine kulturelle und humane Kategorie.
Transkulturalität im Gesamtgang der Menschheitsgeschichte Zum Schluss will ich von den Gegenwartsbetrachtungen einen Schritt zurücktreten und fragen, wie sich der Trend zu Transkulturalität im Gesamtgang der Menschheitsgeschichte ausnimmt. Üblicherweise glauben wir, dass wir Menschen sehr verschieden sind – die Leser und Leserinnen dieser Zeilen, die Leute in diesem Land, die Menschen auf der Welt insgesamt. Aber im Grunde sind wir alle – weltweit – erstaunlich ähnlich. Jedenfalls genetisch. Die genetischen Unterschiede zwischen den Menschen auf der ganzen Welt sind weitaus kleiner als die innerhalb einer beliebigen frei lebenden Schimpansenpopulation in Afrika, deren Verbreitung auf 40 km2 beschränkt sein mag.
19 Insofern ist die Kontaktaufnahmeformel „Where are you from?“ muffig. Sie will eine Person auf ihre Herkunft festlegen, sie nach dem Stereotyp, das man von dieser hat, rubrizieren. 20 Und bei Demokrit hieß es: „Einem weisen Mann steht jedes Land offen. Denn einer trefflichen Seele Vaterland ist das Weltall“ (Diels/ Kranz 61951: 190).
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Das hat zwei Ursachen: Erstens ist Homo sapiens eine relativ junge Spezies. Wir stammen alle von einer afrikanischen Eva ab, die vor ca. 150 000 Jahren lebte – insofern stand für genetische Variantenbildung nur wenig Zeit zur Verfügung. Und zweitens endete dieses Zeitfenster schon vor ca. 40 000 Jahren. Bis dorthin hatte sich die menschliche Natur herausgebildet, die noch heute so ist wie damals. Bis dorthin also erstreckte sich die Periode, welche die grundlegende (genetische) Gleichheit der Menschen bewirkt hat. Dann aber begann eine zweite Periode, die nun durch Differenzbildung gekennzeichnet war – freilich durch die Bildung nicht genetischer, sondern kultureller Differenzen. Vor ca. 40 000 Jahren ging die Menschheit von der biologischen zur kulturellen Evolution über. Fortan erfolgten Anpassungsfortschritte allein auf kulturellem, nicht mehr auf biologischem Weg (vgl. Welsch 2006: 132 ff.; daher das ‚Einfrieren‘ des menschlichen Genoms auf dem damaligen Stand). Die kulturelle Evolution aber war mit einer gigantischen Produktion von Differenzen verbunden. Distinktion innerhalb der Gruppen und zwischen den Gruppen war nun der Motor der Entwicklung. Deshalb hat sich die Menschheit in ihrer kulturellen Periode in immer größere kulturelle Differenzen hineinbegeben (bis hin zu den Nationalismen des 19. und 20. Jahrhunderts). In der Gegenwart aber scheinen wir in eine dritte Phase einzutreten, die durch eine Ermäßigung der kulturellen Differenzen gekennzeichnet ist. Die bisher auf dem kulturellen Weg entwickelten Unterschiede beginnen Verbindungen und Durchdringungen einzugehen. Infolge der Mischung der kulturellen Muster entwickeln die Menschen nun auch kulturell wieder mehr Gemeinsamkeit als in den differenzbetonten Jahrtausenden davor. Transkulturalität scheint zu einer neuartigen kulturellen (nicht mehr nur genetischen) Gemeinschaftlichkeit der Menschen zu führen. Prognostiziert hatten eine solche Entwicklung schon Scheler mit seiner Konzeption eines „Ausgleichs“ zwischen den Kulturen (vgl. Scheler 21995) und Jaspers mit seinem Gedanken einer „zweiten Achsenzeit“ (vgl. Jaspers 1949). Vielleicht kommen wir im Zeitalter der Transkulturalität tatsächlich dem alten Traum von einer „Family of Man“ ein Stück näher.
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Kultur ist ubiquitär, so scheint es. Im Klappentext einer literaturwissenschaftlichen Neuerscheinung von Özkan Ezli und Dorothee Kimmich unter dem Titel „Migration, Kulturalisierung und Weltliteratur“ ist zu lesen, es herrsche neuerdings ein „Zwang zur Kultur“. Schon vor mehr als zehn Jahren charakterisierte der Soziologe Armin Nassehi (1997) den Kulturbegriff als „Zauberwort“ und „catch-all-Konzept“, das innerhalb der ethnologischen wie der soziologischen Fachdiskussion hart umstritten sei und, wie einige Kritiker und Kritikerinnen (vgl. z. B. Wimmer 1996) radikalisieren und zugespitzt proklamieren, eigentlich abgeschafft gehöre, d. h. aus den wissenschaftlichen Diskussionen zu verschwinden habe. Kühleren Blutes durchschreitet Stephan Moebius (2009: 7) die kulturanalytischen Ansätze und Zugänge innerhalb der Soziologie in seinem gerade erst erschienenen Buch mit dem Titel „Kultur“. Auch er konstatiert, dass Kultur, spätestens seit dem so genannten Cultural Turn in den deutschen Sozialwissenschaften am Ende der 1970er Jahre, überall anzutreffen sei. Der Kulturbegriff diene kulturanalytischen Zugängen unterschiedlicher theoretischer Provenienz dazu, soziale Prozesse zu erklären – ganz gleich um welche Gegenstände es sich handele: um materielle, technische, soziale oder gar ökonomische, man denke nur an die Beschreibung: Managerkultur. In analytischer Perspektive spricht er gar von einer „Verkulturwissenschaftlichung“ der Soziologie. Was für die Sozialwissenschaften gilt – auf die Erziehungswissenschaft, die ich hier vertrete, komme ich im Folgenden geson-
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dert zu sprechen – gilt für politische, öffentliche und alltägliche Diskurse allemal. Der Begriff ‚Kultur‘ ist auch hier überall anzutreffen, in allen Komposita vom „Kulturkampf“ über den „Kulturkonflikt“ bis hin zum „Dialog der Kulturen“. Erklärungen, die etwa in Konfliktsituationen mit „Kulturdifferenz“ argumentieren und kulturalistische Interpretationsfolien für alle möglichen politischen und sozialen Vorkommnisse sind inzwischen gang und gäbe, sie irritieren niemanden mehr. Ereignisse des Alltags im Rückgriff auf beispielsweise eine wahrgenommene Kulturdifferenz zu erklären, gehört heutzutage selbstverständlich zum Alltag. Es lässt sich, so wäre festzuhalten, von der Hochkonjunktur eines Begriffs sprechen, der insbesondere durch die so genannte Multikulturalismusdebatte ab Ende der 1980er bis in die Mitte der 1990er Jahre befeuert wurde. Hier ist er allererst zu verorten als ein Begriff im Kontext von Einwanderung, weltweiten Migrationsund Fluchtbewegungen. Von diesem Kontext ausgehend und auf ihn bezogen werden die folgenden Überlegungen entfaltet – ich werde also nicht allgemein über den Begriff ,Kultur‘ nachdenken, sondern unter zwei Einschränkungen sprechen, erstens mit Blick auf Einwanderung und zweitens auf die Erziehungswissenschaft. Ich möchte mit den folgenden Darlegungen den Kulturbegriff im Zusammenhang von Erziehung, Pädagogik und Erziehungswissenschaft etwas genauer beleuchten und ableiten, weshalb ich eine Theorieperspektive auf Kultur als eine Beschreibungsweise favorisiere. Schließlich soll der Kulturbegriff vor dem bis dahin entfalteten Hintergrund auf seine Sinnhaftigkeit im Hochschulraum befragt werden. Wie weit kommen wir, wenn wir den Kulturbegriff derart zentral setzen wie bislang? Lässt sich der Hochschulraum anhand dieses Begriffes eigentlich adäquat vermessen? Dem möchte ich an dieser Stelle allerdings noch ganz allgemein einen Gedanken vorausschicken: Wie jeder Begriff, so ist auch der Kulturbegriff bis heute dem historischen Wandel unterworfen, d. h. er verändert sich zeit- und raumabhängig, er weist Differenzen zu anderen Begriffen, etwa dem Naturbegriff oder dem Begriff der Zivilisation auf (vgl. ebd.: 17). Im Durchgang durch die letzten dreihundert Jahre zeigt sich, dass Kultur immer wieder als ein Kampfbegriff fungierte – ob als Formel für jenen elitären Anspruch, den die bürgerlichen Schichten um 1900 für sich erhoben, oder in einem substantialistischen
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Verständnis im Sinne von Kompensation für vorenthaltene Partizipation während der Zwischenkriegszeit (vgl. ebd.: 21, 32). Kultur, als ein Begriff eingesetzt, der als Ressource zur Durchsetzung bestimmter Interessen mobilisiert wird, scheint immer unmittelbar an Krisenwahrnehmungen und -rhetoriken geknüpft zu sein. Krisengeschüttelte Zeiten beleben den Kulturbegriff dann offenbar gerade als eine Art Kampfbegriff. Einwanderung, globale Migrationsbewegungen und ethnische Pluralisierung werden in den europäischen Gesellschaften gegenwärtig ebenfalls häufig als politische und gesellschaftliche Krisen erlebt und wahrgenommen. Womöglich wird der Kulturbegriff gerade jetzt wieder in einem solchen Sinne stilisiert, womöglich werden wir in diesem Zusammenhang zu Zeugen und Zeuginnen einer Wiederauflage – es gibt Anzeichen, die dies vermuten lassen, ich werde darauf zurückkommen.
Der Kulturbegriff in der Erziehungswissenschaft im Kontext von Einwanderung, Migration und Integration Auch für die Pädagogik ist ein historisch-begrifflicher Wandel des Kulturbegriffs zu rekonstruieren: Die Debatte um Interkulturelle Pädagogik wird seit ihren Anfängen in den 1980er Jahren bis heute – zuvor in den 1970er Jahren ging es um die so genannte Ausländerpädagogik - von einem ethnologischen Kulturbegriff beherrscht, mehr noch: Interkulturelle Pädagogik gilt – dies ist inzwischen unumstritten – als die pädagogische Reaktion auf Einwanderung. Wenn der Begriff des Multikulturalismus, wie er aus dem anglophonen Raum eingewandert ist, die gesellschaftliche Koexistenz unterschiedlicher minority groups widerspiegelt, so markiert das Präfix „inter“ im Begriff der Interkulturellen Pädagogik das Pädagogische – so der Doyen der Interkulturellen Pädagogik Manfred Hohmann zu Beginn der 1980er Jahre (vgl. Hohmann 1983). Dem gegenüber ist der „einheimische” Kulturbegriff aus der Aufklärungs- und geisteswissenschaftlichen Pädagogik, der Kultur im Sinne von Kultivierung im Singular fasst, inzwischen vollkommen bedeutungslos geworden.
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Die Bevorzugung des ethnologischen Kulturbegriffs innerhalb der pädagogischen und erziehungswissenschaftlichen Diskussionen tritt im Plural auf, es ist von Kulturen die Rede, wie Ruhloff (1992) überzeugend darlegte. Dieser ethnologische Kulturbegriff der Ausländerpädagogik der 1970er Jahre suggerierte Vereinheitlichung und Homogenisierung, wenn er etwa auf Nationen und Sprachen abhob und wenn er auf diese Weise die beunruhigende Komplexität sozialer Wirklichkeit zu reduzieren half. Der neuere ethnologische Kulturbegriff im Plural kann indes nicht völlig losgelöst von jenem genuin pädagogischen Kulturverständnis gesehen werden, das mit der Singularform auskommt. Mögliche ideengeschichtliche und funktionale Zusammenhänge der beiden Dimensionen sind es wert, kurz beleuchtet zu werden. Die Idee von der Bildungsfähigkeit des Menschen und somit seinem Potential, sich zu kultivieren, erscheint in jedem der beiden Entwürfe aufgehoben. „Am Ursprungsort der modernen Wortbedeutungen, in den Reflexionen Ciceros, ist der Kulturbegriff mit der pädagogischen Fragestellung auf das Engste verknüpft, und in der Geschichte des Denkens in Europa ist ,Kultivierung‘ vielfach geradezu der Inbegriff der pädagogischen Aufgaben gewesen“ (ebd.: 346).
Die anfängliche Wortbedeutung von Kultur charakterisiert vorrangig die begrifflich enthaltene Dynamik. Kultur bezeichnet mithin nicht einen Zustand, sondern einen Vorgang und eine Aufgabe und zwar die, sich und andere durch Belehrung, Erziehung und Bildung zu menschlicher Tüchtigkeit zu erheben (vgl. ebd.: 347). Die Kultivierung, das heißt, die Unterrichtung, Erziehung und Bildung, zielt so gesehen auf die Entfaltung der Vernunft im Menschen und somit auf die Entfaltung seiner Menschlichkeit durch die Überwindung seiner ursprünglichen Unfertigkeit. „Was durch Kultivierung überwunden wird, lässt sich generell als Notoder Übelstand in einem außermoralischen Sinne begreifen. Als die allgemeine Aufgabe von Kultur kann dann der mit dem Menschen individuell und kollektiv anfänglich verbundene Übelstand der Rohheit, Unvollkommenheit, Unfertigkeit verstanden werden. Und der Grundvorgang der Kultivierung [...] lässt sich dahingehend umschreiben, dass Sachverhalte und Menschen in distanzierenden Urteilen als diese oder jene gedeutet werden, das heißt, als so oder so sinnvoll ausgelegt wer-
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den. Menschen werden kultiviert, indem sie Maße, Formen, Deutungsund Ordnungsgesichtspunkte lernen, denen gemäß sie sich und die Weltgegenstände und -verhältnisse variabel an Sinn binden“ (ebd.; H. i. O.).
In diesem Verständnis geht Kultivierung von einem dynamischen Prozess der Entfaltung von Sittlichkeit, von Vermenschlichung und der fundierten Herausbildung von Urteilsvermögen aus. Sie gleicht mithin einem Vermittlungsprozess zwischen innerer und äußerer Welt, der zugleich auch im Dienste der Verbesserung gesellschaftlicher Zukunft steht – und diese hat sich auch die Interkulturelle Pädagogik auf die Fahnen geschrieben, so dass an dieser Stelle die Gelenkstelle zum ethnologischen Kulturbegriff im Plural zu erkennen ist. Der ethnologische Kulturbegriff Interkultureller Pädagogik nun basiert auf einem Kulturbegriff im Plural und geht zurück auf die Ethnologie, die Ende des 19. Jahrhunderts – in der Spätphase des Kolonialismus – damit begann, die Welt nach „Kulturen" zu unterscheiden. Dies war ihr Versuch, die Unübersichtlichkeit der fremden Kontinente in Afrika, (Latein-)Amerika und Australien in Ordnung zu bringen. Sie unterschied mit „Kultur“ definitorisch „unverwechselbare Einheiten“, die „ein historisch dauerhaftes und integriertes Ganzes“ darstellten, das „von der Technik über die Sozialorganisation und die typischen Persönlichkeitsmerkmale bis zur Religion alle Aspekte der Lebensweisen einer Gruppe von Menschen“ umfasse, „welche nicht mit ihrer biologischen Natur in Zusammenhang stehen. Die verschiedenen Bereiche werden durch ein Ensemble von Werten und Normen integriert und dadurch zu einem zusammenhängenden, organischen Ganzen geformt. [...] Die soziale Welt nimmt sich aus dieser Perspektive wie ein Flickenteppich von Kulturen aus“ (Wimmer 1996: 402).
Auch Herders Konstruktionen des „Geistes“ eines Volkes und des „Wesens“ einer Kultur sowie des daraus ableitbaren „Nationalcharakters“ und der daraus ableitbaren „Mentalität“ ihrer Mitglieder beflügelte dieses Ordnungsschema. Für die ersten drei Jahrzehnte der Arbeitsimmigration in die Bundesrepublik – den fünfziger, sechziger und siebziger Jahren
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des 20. Jahrhunderts – lässt sich die Verwendung eines Kulturbegriffs im Bereich von Bildung und Erziehung ausmachen, dessen Wurzeln bis zu jenen Anfängen der Nationalstaatsbildung zurückreichen. Ingrid Gogolin hat diesen Zusammenhang nachgezeichnet: „Am Sprachgebrauch der regelnden und begründenden Texte ist leicht festzumachen, dass der Begriff Kultur im bildungspolitisch-administrativen Raum in jenen Jahren nicht als reflexionsbedürftig galt; der Konsens über seinen Bedeutungsgehalt war breit getragen und stabil. Die unmittelbare Verkoppelung von ,Kultur‘ mit ,Staatsbürgerschaft‘ und ,(National-)Sprache‘ durchzieht die Quellen; Kultur wurde unzweifelhaft als Nationalkultur aufgefasst, und zwar im Sinne eines homogenen, statischen Bestands an Tradition, Auffassungsweisen und Ausdrucksformen in dem gesellschaftlichen Ganzen eines Staates. Auch wird anhand der umstandslosen Zusammenführung der Begriffe Kultur im Sinn von Nationalkultur und Identität, wie sie etwa in der Phrase vom Erhalt der sprachlichen und kulturellen Identität qua Unterricht der sogenannten Muttersprachen vorgenommen wurde, klar, dass eine programmatisch-normative Komponente in den Vorstellungen mitschwingt – ein implizites Erziehungsziel, welches Ruhloff in einer kritischen Würdigung [...] als Ziel der ,Bindung an eine Nationalität im Sinne einer Lebensorientierung mit quasi konfessionellem Charakter‘ kennzeichnete“ (Gogolin 1998: 130).
Der einheimisch pädagogische Begriff der Kultur im Sinne einer Kultivierung hingegen spielte in den Debatten um Ausländerpädagogik und auch im Anschluss daran in den Debatten um Interkulturelle Pädagogik ab den achtziger Jahren eine – wenn überhaupt – nur nachrangige Rolle. Zwar heißt es in einem KMKBeschluss aus dem Jahr 1996, dass Interkulturelle Bildung und Erziehung den allgemeinen Zielen der Persönlichkeitsbildung in der Schule dienen solle, doch wird hier nicht etwa die Kultivierung gegenüber einem ethnisch codierten Kulturbegriff offensiv in Stellung gebracht. Die Formulierung hebt vielmehr nur auf eine Erweiterung des Adressatenkreises der Erziehungs- und Bildungsbemühungen ab: eingewanderte und einheimische Kinder sind nun gleichermaßen angesprochen. Ausgehend von der festgestellten Multikulturalität als einer empirischen, lebensweltlichen Tatsache ging es den Vertretern und Vertreterinnen einer als Begegnungsansatz verstandenen In-
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terkulturellen Pädagogik darum, einen Bildungsbegriff für Interkulturelle Pädagogik fruchtbar zu machen, der zwischen Individuum und Gesellschaft zu vermitteln suchte. Der Kulturbegriff bot sich hierfür als Medium an – im Blick ist dabei das gesellschaftliche Funktionieren der von Teilen der politischen Öffentlichkeit damals angestrebten multikulturellen Gesellschaft. Interkulturelle Erziehung und Pädagogik sollten die Heranwachsenden darauf vorbereiten und wollten so zu einer Verbesserung der Gesellschaft beitragen. Hier verweist dann die Verwendung des Kulturbegriffs im Plural doch auch in gewisser Weise auf jenen im Singular. Auch Interkulturelle Pädagogik enthält einen starken Kern, der auf Verbesserung des Menschen und mithin der Gesellschaft zielt. Nun vertrete ich innerhalb des interpretativ-phänomenologischen Paradigmas einen sozialkonstruktivistischen Ansatz. Das heißt, ich gehe davon aus, dass die Beschreibung von Kulturen auf Unterscheidungen beruht, die beobachterabhängig sind. So gesehen ist zu fragen, was die behauptete Realität oder Einheit der Kultur ausmacht, woher die Bezeichnung stammt und von wem sie mit welchem Ziel verwendet wird. Was wird eigentlich beobachtet, wenn von „Kultur“ oder „Kulturen“ die Rede ist? Die mit solchen Beschreibungen eingeführte Vorstellung eines einheitlichen Ganzen, das die Essenz einer Kultur zu erfassen sucht, erscheint in konstruktivistischer Perspektive selbst als beobachterabhängige Konstruktion, die zudem erhebliche soziale und politische Konsequenzen haben kann. „Kultur“ schafft Einheit, indem sie eine Unterscheidung und damit eine Grenzziehung in die soziale Realität einführt. Sie entfaltet sich zur Realität moderner Gesellschaften in dem Maße, in dem die Mitglieder einer Gesellschaft damit beginnen, „Kultur“ auch selbst im sozialen Prozess zu verwenden. So entstanden unter dem Einfluss der Ethnologen und Ethnologinnen in den Kolonien „Stämme“ und „Völker“ (ohne Staat); so entstand im 18. Jahrhundert aus der Französischen Revolution – vermittelt über die politischen Ideale der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit – das „französische Volk“, im 19. Jahrhundert als Reaktion darauf – vermittelt über die postulierte Gemeinsamkeit der Sprache – auf der anderen Rheinseite das „deutsche Volk“, so wurden aus den Resten des Osmanischen Reiches Anfang des 20. Jahrhunderts – vermittelt über historische Mythen – u. a. das „türkische“ und das
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„bulgarische“, das „rumänische“ sowie das „griechische“ Volk etc. konstruiert. Auf diesen Konstruktionen ruhen Modelle von Gesellschaft auf – etwa das einer Multikulturellen Gesellschaft – und entsprechend beziehen sich auch pädagogische Programme – etwa das einer Interkulturellen Pädagogik – auf die hier enthaltenen Kulturvorstellungen in ihren definierten Umrissen. Sie führen zu Einheitsannahmen, die Kulturen als geschlossene Gebilde, als Entitäten imaginieren, die der Abgrenzung nach außen und der Identitätsstiftung nach innen dienen. Sie liegen Fremd- und Selbstbeschreibungen von Individuen wie von Kollektiven zugrunde, sie verleiten – weil sie so sehr auf Einheitlichkeit bestehen – zu Essentialisierungen und ziehen mithin leicht Simplifizierungen und Stereotypisierungen nach sich. Diese Risiken wurden auch im pädagogischen Umgang mit ethnisch codierter, hier: kulturell codierter Differenz gesehen und ausgemacht, wenn Interkulturelle Pädagogik praktiziert wurde. Sie wurden weithin kritisiert und mit dem Begriff der Kulturalisierung belegt (vgl. Diehm/Radtke 1999). Vor diesem Hintergrund gab es seit Mitte der 1980er Jahre viele selbstkritische Auseinandersetzungen gerade mit dem Kulturalisierungsvorwurf an die Interkulturelle Pädagogik. Man weiß um die Risiken und Gefahren, die man selbst hervorgebracht hat durch einen allzu naiven Umgang mit Kulturdifferenz bzw. allzu naive Konstruktionen von Kulturdifferenz im Bereich von Erziehung und Pädagogik. Problematisiert etwa wurden die Schwierigkeiten und Dilemmata, die entstehen, wenn kulturelle Differenz im Kontext von Unterricht curricularisiert und mithin thematisiert wird (vgl. ebd.). Empirisch untersucht wurden die Darstellungen von Fremden im Schulbuch, die platte Kulturalismen nur mehr perpetuieren (vgl. Höhne/Kunz/Radtke 2006). Als ein anderes herausragendes Konstrukt der Migrationsforschung in der Erziehungswissenschaft muss die Konstruktion der Fremden Frau gelten; sie wurde seit Mitte der 1980er Jahre problematisiert und stellt bis heute einen Topos im Migrationsdiskurs dar (vgl. Diehm 1999; Diehm 2010; Beck-Gernsheim 2004: 52 ff.; Huth-Hildebrand 2002). M. E. verkörpert die Fremde Frau, die im hiesigen Kontext eine türkische Frau ist, die Fremdheitskonstruktion schlechthin. Sie entstand in der Wissenschaft bzw. der praxisorientierten Sozial-
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pädagogik und wanderte ins Alltags- und in das öffentliche Bewusstsein ein, wo sie sich festgesetzt hat und bis heute in immer neuen Ausprägungen aufzufinden ist. Im Augenblick kehrt diese Fremdheitskonstruktion wieder, indem sie von frauenbewegten Frauen mit Migrationshintergrund aufgegriffen wird und in ihrem frauenpolitischen und emanzipatorischen Kampf gegen patriarchalische Strukturen innerhalb der Minderheiten-Subkulturen eingesetzt wird. In quasi-autobiographischen Texten von Autorinnen wie Necla Kelec (2005), Seyran Ates (2006) und anderen werden die damals in den wiederum quasi-theoretischen Texten der Sozialpädagoginnen entfalteten Fremdheitskonstruktionen zur Weiblichkeit in den sogenannten Herkunftskulturen nun wiederbelebt. Elemente und Aufbau dieser Konstruktionen ähneln den vormaligen in verblüffender Weise, die Argumente weisen deutliche Homologien auf – allerdings: sollten die defizitbehafteten Fremdheitskonstruktionen zur Beschreibung differenter Weiblichkeit ursprünglich dazu dienen, die Sozialpädagoginnen für den Umgang mit eingewanderten Frauen, ihrer fremden Klientel, zu professionalisieren, so sind die aktuellen Texte der genannten Autorinnen mit eigenem Migrationshintergrund eindeutig als politische Kampfschriften zu sehen. Der überaus simplifizierende Umgang mit dem Kulturbegriff, andauernde Kurzschlüsse im Hinblick auf die Begriffe Nationalität und Kultur sowie stereotype Beschreibungen von Frauen und Männern innerhalb defizitbehafteter kultureller Bezüge machen aus diesen Schriften holzschnittartige politische Argumentationszusammenhänge. Die Autorinnen machen sich die innerhalb der sozialpädagogischen und wissenschaftlichen Diskussionen inzwischen verworfenen kulturalistischen Argumente zunutze und re-produzieren sie. Was in der Wissenschaft nicht erlaubt sein darf, funktioniert im Bereich der Politik offenbar ganz gut, jedenfalls wird es hier im Dienste der eigenen politischen Interessen und in willfähriger Unterstützung durch die Medien eingesetzt – offensichtlich auch auf die Gefahr hin, dass kulturalistische Vorurteile innerhalb der Mehrheitsgesellschaft gegenüber Minderheitengruppen weiter angeheizt werden. Die Figur der Fremden Frau erfährt darüber hinaus im Augenblick, so hat es Yasemin Karakoüoşlu (2009) mit Blick auf die Angehörigen der türkischen Einwanderergruppe formuliert, eine ‚Muslimisierung‘. Menschen mit Migrationshintergrund aus der
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Türkei oder dem arabischen Raum bekommen automatisch, d. h. ungefragt, so Karakaüoùlu, ein muslimisches Bekenntnis zugeschrieben. Dies wird angesichts der globalpolitischen Konfrontation zwischen islamischer und nicht-islamischer Welt dann zusätzlich als ein Bedrohungspotential wahrgenommen (vgl. Diehm 2010). In diesen Debatten wird Kultur, im Sinne von Kulturdifferenz und kurzgeschlossen mit Religion, zum Kampfbegriff. Diese knapp umrissenen Fremdheitskonstruktionen spielen, wenn sie nicht überhaupt aus pädagogischen Kontexten stammen, eine wirkmächtige Rolle in pädagogischen Kontexten. Empirische Analysen vermögen zu zeigen, dass auf vereinfachten Kulturvorstellungen – zumeist nationalkulturell verkürzt – beruhende Argumente – etwa von Lehrerinnen und Lehrern – deren Beurteilungen hinsichtlich der Schullaufbahnentscheidungen von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund leiten können. Entsprechend werden Mädchen und Jungen häufig entlang klischeehafter kulturalistischer Rollenzuweisungen wahrgenommen und behandelt (vgl. Gomolla/Radtke 22007).
Kultur als Beobachtungsweise Als eine meiner Hauptaufgaben als Hochschullehrerin und Migrationsforscherin in der Erziehungswissenschaft betrachte ich es, die zukünftigen Pädagoginnen und Pädagogen, die ich ausbilde, über solchermaßen fatale Zusammenhänge aufzuklären und in den Stand zu versetzen, diese analytisch aufbrechen zu können. Es muss bei der universitären Lehre meines Erachtens darum gehen, die komplexen und beobachterabhängigen Konstruktionen von Kultur sichtbar zu machen. Der Begriff Kultur beschreibt, wie Luhmann ausführt, eine „abgehobene Sphäre der Realität, auf der alle Zeugnisse menschlicher Tätigkeit ein zweites Mal registriert werden – nicht im Hinblick auf ihren Gebrauchssinn, sondern im Hinblick auf Vergleiche mit anderen Zeugnissen der Kultur“ (Luhmann 1995a: 341). Kultur, wie auch die Begriffe Religion, Rasse und Sprache, sind so gesehen neuartige „Phänomenzusammenfassungen“ – so ebenfalls Luhmann (1995b: 49) – , die durch wissenschaftliche Abstraktion zustande kommen. Sie stellen als tertium comparationis ein begriffliches Medium der Beobachtung bereit, in dem dann Kulturen bzw. Konfessionen, Rassen und Sprachen
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jeweils im Plural in der konkreten Form ihrer Erscheinung beobachtet, unterschieden, diachron und synchron verglichen, vor allem aber unter verschiedenen Gesichtspunkten bewertet werden können. Die Unterscheidung ist eine des Beobachters, die dem Beobachteten ganz äußerlich bleiben kann. Die Operation des Vergleichs stellt eine Voraussetzung wissenschaftlicher Betrachtung dar, sie erst erzeugt – für unseren Gegenstand gesprochen – Kulturen im Plural. Losgelöst davon erscheint der Kulturbegriff im Alltagsverständnis oder im politischen und sozialen Alltag. Zwar basiert auch er auf der erkenntnislogischen Operation des Vergleichens, entsprechende Zusammenhänge bleiben allerdings zumeist im Nicht-Bewussten und im Dunkeln. Das Operationen des Vergleichs inhärente Element der Kontingenz bleibt dann in der Regel unerkannt. Auf kontingente Zusammenhänge aufmerksam zu machen, erscheint mir im Kontext universitärer Lehre als große Chance. Kultur als eine Beobachtungsweise zu erkennen und zu markieren, die nicht von vornherein festgelegt ist, sondern theoretisch solche oder auch andere Beschreibungsmöglichkeiten eröffnet, halte ich bei der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Kultur und Kulturdifferenz für meine vorrangige Vermittlungsaufgabe. Deshalb halte ich diesen Zugang für die Beschäftigung mit Kultur, der sie im Sinne einer Beschreibungsweise erkennt, für relevant und weiterführend. Er vermag m. E. das nötige Handwerkszeug zu vermitteln, um sich nicht unmittelbar verwickeln zu lassen in Komplikationen, die der soziale, politische und pädagogische Umgang mit Kultur leicht mit sich bringt. Dann können kulturelle Fremd- und Selbstzuschreibungen als solche erkannt, analysiert und auch verortet werden – gerade innerhalb der wirkmächtigen Kräfte- und Machtverhältnisse, in die sie immer auch eingebettet sind. Für den Fall der universitären Vermittlung, des Lehrens, des Lernens und natürlich auch des Forschens erscheint mir der analytische Zugang zu Beobachtungsweisen von Kultur der überzeugendste zu sein. Doch was könnte uns dies mit Blick auf Lernprozesse lehren, die an der Hochschule im Zuge ihrer beförderten Internationalisierung gemacht werden sollen? Im Bereich des internationalen Studierens geht es um Begegnungen mit Menschen aus anderen, wenig vertrauten Kontexten; allererst in der Wissenschaft, dann aber auch in außeruniversitären sozialen und institutionellen Kontexten – etwa wenn Studie-
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rende aus Bielefeld ein Praktikum im Ausland machen. Hier stoßen sie auf andere fachliche Strukturen und Fachkulturen, andere Umgangsweisen mit der materiellen und sozialen Umwelt etc. Dass etwas anders ist als zu Hause, wird auch ihnen im Vergleich zugänglich. Dann wird das Andere oder Fremde dem Vertrauten (zu Hause) gegenüber gestellt. Gerade diese Erfahrung mit dem Anderen wird als interkulturelle Erfahrung bezeichnet, denn es ist der ethnologisch-vergleichende Blick, der das Andere in seinem Anderssein und das Vertraute in seinem Vertrauten aufspürt. So könnte jene ,Kultur‘ der breiten Angebotspalette an Nudelsorten in einem italienischen Supermarkt in ihrer ganzen Vielfalt und Differenziertheit bei einem solchen Aufenthalt als das Andere im Sinne einer Alltagserfahrung vor Augen treten, weil sie en passant – im Sinne von Sozialisation – erlebt wird. Bedacht werden muss, dass ein solcher Vergleich nicht vor verkürzenden Eindrücken und Schlussfolgerungen schützt. So kommen Reisende, ggf. auch unsere ERASMUS-Studierenden, von Auslandsaufenthalten zurück und fühlen sich in ihren vorab bereits vorhandenen Klischeevorstellungen über „die andere Kultur“, über „die italienischen Männer“ bestätigt, so dass gängige kulturalistische Stereotype durch den Auslandsaufenthalt noch Verstärkung finden. Deshalb erscheint mir die systematische Beschäftigung mit dem Kulturbegriff als einer Beobachtungsweise sowohl für die vorbereitende wie für die nachbereitende Arbeit mit ERASMUS-Studierenden notwendig. Abschließend will ich mein Unbehagen am bis heute gängigen, nationalhomogen-essentialistischen Kulturbegriff nochmals hervorheben. Seine Verwendung führt – trotz aller Versuche, ihn alternativ zu definieren, ihn anhand der Präfixe ‚Trans‘ oder ‚Inter‘ umzudeuten und mithin neu zu akzentuieren – doch immer wieder in das methodologische Dilemma von Bezeichnung und Festschreibung. Bei aller internen Stimmigkeit des Konzepts der Transkulturalität sensu Welsch, mit dem er ein (post-)modernes Kulturverständnis zu installieren versucht, das er von jenem Herders eindeutig abgrenzt (vgl. Welsch 1994; Gippert/Götte/Kleinau 2008), erweist sich das im 19. Jahrhundert entfaltete Kulturkonzept doch als hartnäckig und resistent gegenüber den allfälligen Dynamisierungsversuchen. Mehr noch: Auch die Wortschöpfungen ‚Interkultur‘ oder ‚Transkultur‘ basieren zunächst einmal auf einer Vorstellung von Kultur, die eine Entität, eine klar abge-
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grenzte Einheit beschreiben, um dann im nächsten (Lern-) Schritt per definitionem überwunden zu werden. Das zu überwindende Konzept muss mittransportiert werden, um das Neue zu markieren. Darüber hinaus sind begriffliche Verengungen, wie das Ineinssetzen von Nationalität und Kultur oder von Kultur und Religion dann trotz anderslautender Behauptungen und Intentionen offenbar doch nicht so einfach zu vermeiden – so als wären sie letztendlich nicht mehr aus den Köpfen zurückzuholen. Sie haben sich dort festgesetzt, eine Rückrufaktion erscheint unmöglich und eine echte Alternative zu ihnen scheint schließlich nicht in Sicht. Die Frage also, ob uns die begriffliche Umstellung auf Inter- oder Transkultur tatsächlich weiterbringt, wird von mir abschlägig beantwortet. Ich halte sie nicht für weiterführend, sondern plädiere dafür, die pädagogischen Bemühungen auf allen institutionellen Ebenen – dem Kindergarten, der Schule und der Hochschule – auf ein anderes programmatisches und konzeptuelles Gleis zu setzen. Sinnvoller und angemessener als der Fokus auf Kultur vermag die Perspektive auf Differenz in einem generellen Sinne den Horizont der Anforderungen zu umreißen, der den sozialen Umgang in modernen Gesellschaften ausmacht.
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Universität als transgressive Lebensform. Anmerkungen, die gesellschaftliche Differenz- und Ungleichheitsverhältnisse berücksichtigen PAUL MECHERIL & BIRTE KLINGLER
Die Idee der Universität und das kulturelle Bürgerrecht auf Transgression Was ist die Universität? Diese Frage scheint aktuell zu sein, wie immer einmal wieder, mindestens eine zeitgemäße Frage, die viele Bücher, Expertisen, Gespräche und Foren beschäftigt. Was ist die Universität? Die Konjunktur der Frage darf als Indiz einer Krise gewertet werden, einer Situation der Zuspitzung in mindestens zweierlei Hinsicht: Was können Universitäten unter den gegebenen Bedingungen sein, und was soll die Universität sein? Auch wenn diese Fragen nach Form, Wesen und Möglichkeit der Universität vorgeben, jenseits lokaler, historischer und kultureller Besonderheiten ein Allgemeines der Universität identifizieren zu können – übrigens auch ohne Relativierung an unterschiedlichen disziplinären Traditionen nicht nur zwischen Universitäten, sondern auch innerhalb jeder Universität – möchten wir diese Fragen zu Beginn in gewisser Weise weniger stellen und beantworten, als taktisch nutzen. Indem hier unter Absehung vom empirischen Geschehen an den Universitäten, das nicht selten von eitler Konkurrenz, verborgener Angst und dem Beharren auf das epistemisch und sozial Vertraute geprägt ist, die Frage behandelt
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wird, worin die Idee der Universität besteht, geht es um die Skizze eines Bezugspunkts, der der Kritik der Universitäten dient. Was also ist die Universität und was soll sie sein? Paradoxer Weise kann aufgrund dessen, was die Universität ihrer Idee nach ist, die Frage nicht endgültig beantwortet werden. Zugleich muss die Frage gestellt werden, um eine Idee der Universität kritisch im Hinblick auf Gegebenes wie Mögliches geltend machen zu können. Hierbei gehört die Frage nach sich selbst zum Wesen der Universität. Die Krise der Universitäten, von der oben die Rede war, ist mithin nicht wirklich erfasst, wird sie allein als empirisch gegebenes oder gar vor allem aktuelles und zeitgenössisches Phänomen verstanden. Sie ist in der Universität und den (universitären) Orten, die sich der Idee der Universität verpflichten, auf Dauer gestellt. Universität ist Krise. Auch deshalb kann die Idee der Universität weder präzise formuliert werden, noch sich der Wandlung verschließen. Ihr Sinn ist kritisch und zielt auf die Bewahrung eines Ortes, der sich entzieht, mithin nicht konservierbar ist. Als diese unmögliche Bewegung auf sich selbst zu, kann die Universität gedacht werden, dieser Bewegung entkommt sie. Die Universität ist ein Ort, an dem Begriffe und Einsichten beständig neu zu denken sind und neu gedacht werden können, in diesem Sinne ist sie ein privilegierter Ort. Mindestens in den so genannten Humanities steht hierbei nicht ausschließlich, aber unumgehbar der Begriff des Menschen in Frage (vgl. Derrida 2001: 19). Die Universität ist ein Ort, an dem nicht ein feststehender oder gar vorgegebener Begriff des Menschen seinen Vollzug erfährt, sondern Einsichten und Ideen erkundet und problematisiert werden. Die Auffassungen, Bilder und Darstellungen des Menschen, selbstverständlich nicht nur diese, aber diese prominent, stehen in Frage an dem Ort der Universität, der ein, vielleicht der Ort ist, „an dem nichts außer Frage steht“ (ebd.: 14). Die unbedingte Universität, die Derrida vorschwebt, dieser „Raum akademischen Typus“, der durch eine „Art absoluter Immunität symbolisch geschützt werden“ muss (ebd.: 45), wird zwar auch durch die Universitäten zur Geltung gebracht, findet aber nicht allein an den konkreten Universitäten ihren Ort. Sie, die Universitäten, bringen sie, die Idee der Universität, für sich und – insbesondere
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in Zeiten, da Universitäten durch einen doppelten Ökonomismus1 gefährdet zu sein scheinen – gegen sich ein. Das Einstehen für die Freiheit der Universität kann hierbei in der Verpflichtung auf eine Tradition verstanden werden, die den Sinn von Praxen des Infragestellens und Befragens in doppelter Weise als Bildungsprojekt erfasst: So, fragend, findet Bildung statt, und somit, mittels Befragung und Infragestellung, werden Voraussetzungen für Bildungsprozesse geschaffen. Die Universität ist ein Aufklärungsort, an dem in Praxen der Infragestellung Bildungsprozesse, damit meinen wir „irgendwie sinnvollere“ Weltund Selbstverhältnisse, für diejenigen möglich werden, die diese Praxen der Infragestellung betreiben oder an ihnen hörend, lesend und sprechend partizipieren. Durch die Infragestellung wird zugleich Wissen und Erkenntnis sowie der Glaube an Erkenntnis, mithin eine Grundlage geschaffen, auf der die Infragestellung eine Irritation möglich macht, die – um es in einer Referenz an Sprachspiel-Konzeptionen (vgl. etwa Koller 1999; Meder 2004) zu formulieren – „andere“ epistemische Sätze über die Welt, die Menschen und die Dinge nach sich zieht. Diese „anderen“ epistemischen Sätze sind nicht allein neue Sätze, sondern auch in dem Sinne andere Sätze, als sie die Grundlage von „irgendwie sinnvolleren“ Welt- und Selbstverhältnissen ausbilden. Die Universität kann insofern als Ort verstanden werden, an dem Sätze gesprochen und 1
Universitäten sind erstens vermehrt gehalten, in Forschung und Lehre ökonomisch „effizient“ zu sein, was der Universität dann zum Problem wird, wenn das Verhältnis von „Aufwand und Leistung“ das „Streben nach Erkenntnis“ als erste Leitlinie des Handelns an den Universitäten ersetzt und verdrängt. Universitäten sind zweitens vermehrt gehalten, ihre Gegenstandsfelder und Themenbereiche so zu wählen, dass sie nicht allein ökonomische Erkenntnisse, sondern letztlich auch einen ökonomistisch taxierbaren Nutzen erbringen, was der Universität zum Problem wird, da das die Universität konstituierende, produktive und spannungsreiche Verhältnis zwischen jener von unmittelbarem Nutzen für soziales Handeln und gesellschaftliche Re-Produktion relativ entlasteten Erkenntnis und der Zweckdienlichkeit/Nützlichkeit der Erkenntnis nicht nur zu Gunsten der letzteren verschoben wird, sondern Zweckdienlichkeit und Nützlichkeit zudem einseitig einer ökonomistischen Definition unterworfen werden.
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geschrieben werden, die zu „irgendwie sinnvolleren“ Welt- und Selbstverhältnissen beitragen. Das Wechselspiel zwischen Irritation und Gewissheit, Beunruhigung und sprachlicher Vertrautheit mit dem Geschehen, die zwischen auflösender Sorge und feststellender Sprache oszillierende Bewegung, die den Anspruch der Universität darstellt, ist die Form, die die Universität zur Universität macht. „Universität“, so schreibt Bernhard Waldenfels, „ist ein Grenzort, wo die Normalität des ordentlichen Lernens und Wissens überschritten wird durch ein Übermaß des Außerordentlichen und Anomalen“ (Waldenfels 2009: 24). Die Universität ist Bewegung auf der Grenze zum (Un-)Üblichen und über diese Grenze hinweg. Sie ist grundlegend transgressiv. Universität ist der Zwang, überschreiten zu müssen, mindestens zu wollen. Wer die Freiheit der Universität einfordert (vgl. Derrida 2001: 45), fordert den Raum der wissenden Überschreitung der Grenzen sprachlicher und symbolischer Ordnungen im Medium der Sprache ein. Darum geht es, und mithin um einen spezifischen, an die Universität geknüpften, regelgeleiteten Handlungszusammenhang der Produktion und Reproduktion kollektiver Sinnbestände und Praktiken, es geht um eine spezifische, an die Universität geknüpfte Lebensform, um eine Gesamtheit kollektiver Orientierungsmuster einer alltäglichen Praxis, die insofern eigentümlich ist, als es ihr explizit um die Transformation der Orientierungsmuster geht. „Keine Institution“, schreibt Bernhard Waldenfels (2009: 11), „ist unsterblich, aber es gibt Institutionen, die unentbehrlich sind, um eine bestimmte Lebensform aufrechtzuerhalten“. Die Universität ist unentbehrlich, um jene Lebensform aufrechtzuerhalten, für die das Vergnügen und das Leiden an der Erkundung, an der Befragung und schließlich der Überschreitung der Grenzen epistemischer Ordnungen unabkömmlich und entscheidend ist: Die Universität „verortet sich selbst, als Übergangsort, als lieu de passage, wo Grenzen gezogen und verschoben werden. Natürlich hat die Universität wie jede Institution ihre Außenbezüge, indem sie öffentliche Aufgaben übernimmt, und ihre interne Normalität, wozu auch ein Forschungs- und Lehralltag gehört; doch die entscheidenden Impulse verdankt sie der Infragstellung vorgegebener Wissensbestände, fertiger Methoden und Regeln, der Abweichung vom Bewährten, der Überschreitung vorhandener Grenzen. Sie ist ein Ort der Ungeduld und der Widerständigkeit“ (ebd.: 13).
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Wer die Universität in diesem Sinne als Ort einer transgressiven Lebensform versteht, folglich als Ort der Verletzung, des Verstoßes und der Übertretung, hier und da auch der Sünde, bindet die Universität in erster Linie nicht an bestimmte Inhalte und an bestimmte Wissensbestände, sondern vielmehr an eine spezifische Form der Thematisierung von Inhalten und Wissensbeständen. Nicht, was gelehrt wird, sondern die Art und Weise des Lehrens, dies kann etwa Henrik Steffens Ausführung zur Idee der Universität entnommen werden (1956: 320), kennzeichnet die Universität. Die spezifische Art und Weise universitärer Präsentation und Repräsentation von Wissen dient nicht allein einer Art Beschlagenheit im Wissen, sondern zielt auf „Weisheit“ als Übereinstimmung von Erkennen und Dasein (vgl. ebd.). In der Art und Weise des universitären Umgangs mit Wissen zeigt sich die (Lebens-)Form der Universität. Universitäre Lehrund Studienprozesse können somit als eine Art Einführung und sodann Einübung in diese Lebensform verstanden werden. Sie sind „interaktive Vergesellschaftungsprozesse, in denen Orientierungs- und Handlungswissen diskursiv aufgebaut“ werden (Kokemohr 2005: 108). Eine Lehrende, die die Idee der Universität ernst nimmt, kann einem Studierenden Wissensaussagen nicht schlicht beibringen, sondern nur offerieren, wobei dies „stets der Konkurrenz anderer Wissensquellen ausgesetzt bleibt“ (ebd.). Damit ist in erster Linie nicht gemeint, dass Studierende in Vorlesungen das von dem da vorne Gesagte mit Hilfe von Wikipedia „prüfen“ oder „ergänzen“. „Wissen wird thematisch, indem es in konkurrierenden Wissensdiskursen manifest und behandelbar wird und sich in praktischen oder theoretischen Handlungszusammenhängen bewährt oder nicht bewährt“ (ebd.: 109). Studierende eignen sich Wissen an, indem sie dieses vor dem Hintergrund ihrer Deutungsressourcen verstehen und nicht verstehen, auslegen und umformen.2 Mit Kokemohr geht es nicht um die
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Wenn im Umgang mit neuem Wissen die Deutungsgrundlagen einer Revision ausgesetzt sind, wir es also nicht schlicht mit der linearen Akkumulation von Wissen, sondern mit der Veränderung der Schemata, die Welt- und Selbstverhältnisse anleiten, zu tun haben, dann haben wir es im Sinne von Marotzki mit Bildungsprozessen zu tun.
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schlichte Vermittlung „richtigen Wissens“, sondern darum, Wissen so zu formulieren „dass widersprüchliche [Deutungs-] Kontexte sichtbar werden, zwischen denen es zu einem Streit kommen kann […]“ (ebd.: 113). Die Beschäftigung mit den politischen, historischen, kulturellen Voraussetzungen der Fraglosigkeit des individuell und kollektiv eigenen (alltagsweltlichen) Denkens und Tuns sowie die Aufforderung, sich mit der Kontingenz der Grundlagen eigenen Denkens und Handelns auseinanderzusetzen ist wohl genau jene Bürde, die Studierenden (mindestens der „Humanities“) zugemutet wird. Zugleich ist die Bezugnahme auf Kontingenz und Fraglosigkeit das in der Regel still gegebene Versprechen auf eine Form des Selbst- und Welterkennens, das verantwortbares Handeln grundlegt und begründet. Die Idee der Universität verheißt epistemische Ermächtigung und Zugewinn an verantwortbarer Handlungsmacht mittels Wissen und Nicht-Wissen und mittels der Auseinandersetzung mit Wissen und Nicht-Wissen.3 Die Idee der Universität hält eine bestimmte kulturelle Lebensform aufrecht und ermöglicht diese. Diese Lebensform kann deshalb als wertvolle Lebensform gelten, da mit ihr ein Zugewinn 3
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Mit dem hier entfalteten Ideal der Universität ist eine Präferenz für eine universitäre Kultur formuliert. Dabei kommt „Kultur“ in mindestens dreierlei Weise ins Spiel: als kulturelle Prägung des Wissens, das an der Universität offeriert wird, als differentielle Grundlage, auf der das universitäre (Nicht-)Wissen von Studierenden gedeutet, angeeignet, zurück gewiesen etc. wird und schließlich als Bereitschaft und Vermögen von Studierenden, sich auf die Modifikation und Transformation der eigenen Deutungsressourcen einzulassen. Das soziale Feld der Universität, das kulturell Praxen bevorzugt und deren Einhaltung von den Neueintretenden verlangt, formuliert nicht nur Spielregeln, sondern bestimmt auch, wer das Spiel leichter, gewandter und befriedigender spielen kann. Dies wären unter der empirischen Gegebenheit einer universitären Kultur der Transgressivität, der es um die Überschreitung epistemischer Grenzen geht, etwa diejenigen, die eine Disposition zur transgressiven Lebensform mitbringen. Doch zu dieser Dimension der differenziellen Ansprache, den damit verbundenen Delegitimierungen und Ausschlüssen sowie der Reproduktion sozialer Ungleichheit im und durch das Hochschulsystem sagen wir weiter unten mehr.
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von „irgendwie Sinnvollerem“ durch Erkenntnis und durch die Problematisierung von Erkenntnis verbunden ist. An der Universität werden Sätze gesprochen und geschrieben, die zu sinnvolleren und vielleicht sogar gelingenderen Welt- und Selbstverhältnissen beitragen. Wenn in diesem Sinne die Universität ein Ort der Erkundung, der Befragung und der Überschreitung der Grenzen epistemischer Ordnungen ist, an dem durch diese Praxis der Aufklärung andere, weniger einem äußeren Zwang verpflichtete, erstrebenswerte Welt- und Selbstverhältnisse möglich werden, dann stellt sich die Frage, wem die durch die Universität symbolisierte Lebensform dem Grundsatz nach offen stehen sollte. Die die Humboldtsche Universität radikalisierende demokratische Antwort auf diese Frage ist weitreichend und beunruhigend. Die Universität wird eine Universität der demokratischen Gesellschaft, wenn erstens der Zugang zu der in der Universität symbolisierten und aufgehobenen Lebensform nicht allein einer gesellschaftlichen Minderheit vorbehalten bleibt und zweitens der Zugang nicht über sozial-kulturelle Zugehörigkeiten reguliert wird. Dem Prinzip nach muss die Universität in der Demokratie damit allen offen stehen. Anders formuliert, hat jede und jeder ein grundlegendes Anrecht darauf, an der Lebensform, die an der Universität in Aussicht gestellt ist (und die man nicht erwirbt wie einen Besitz, sondern in die man gerät, in die man sich verstrickt und die man sich unmerklich aneignet), teilzuhaben. Universitäre Bildung ist in diesem Sinne ein Bürgerrecht. Die klassische Formulierung konkreter Bürgerrechte stammt von Thomas H. Marshall. Er hat, erstmals 1950 publiziert, den Prozess der historischen Profilierung von Bürgerschaft als aufeinander aufbauende sukzessive Konstitution von bürgerlichen oder zivilen, politischen und sozialen Rechten beschrieben. In dieser Entwicklung konkretisiert sich das für postkonventionelle Gemeinwesen charakteristische Auseinanderfallen von individuellen Rechtsansprüchen und sozialen Statuszuschreibungen, welche ein universelles Gleichheitsprinzip hervorbringt. Die Abfolge der Entwicklung der Rechtsordnung kann als Versuch gelesen werden, das Gleichheitsprinzip auf der Ebene der Bürgerrechte zu realisieren. Das bürgerliche Element des Staatsbürgerstatus, schreibt Marshall in einer häufig kommentierten Passage,
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„besteht aus jenen Rechten, die notwendig sind, die individuelle Freiheit zu sichern: Freiheit der Person, Redefreiheit, Gedanken- und Glaubensfreiheit, Freiheit des Eigentums, die Freiheit, gültige Verträge abzuschließen, und das Recht auf ein Gerichtsverfahren. [...] [Die] Institutionen, die unmittelbar mit den bürgerlichen Rechten verbunden sind, [sind] die Gerichtshöfe [...]. Mit dem politischen Element bezeichne ich das Recht auf die Teilnahme am Gebrauch politischer Macht, entweder als Mitglied einer mit politischer Autorität ausgestatteten Körperschaft, oder als Wähler der Mitglieder einer derartigen Körperschaft. Die entsprechenden Institutionen sind Parlament und Gemeinderat. Mit dem sozialen Element bezeichne ich eine ganze Reihe von Rechten, vom Recht auf ein Mindestmaß an wirtschaftlicher Wohlfahrt und Sicherheit, über das Recht an einem vollen Anteil am gesellschaftlichen Erbe, bis zum Recht auf ein Leben als zivilisiertes Wesen entsprechend der gesellschaftlich vorherrschenden Standards. Die am engsten mit ihm verbundenen Institutionen sind das Erziehungswesen und die sozialen Dienste“ (1992: 40).
Die schrittweise Erweiterung der Bürgerrechte hin zum umfassenden Bürgerstatus nimmt nach Marshall ihren Ausgangspunkt in den negativen zivilen Rechten, die der Person Schutz auf der Ebene leiblicher Unversehrtheit, Eigentum und Freiheit zusprechen, und entfaltet sich über positive Rechte der Teilnahme an den Prozessen politischer Entscheidungs- und Willensfindung, sowie schließlich über positive Rechte der Partizipation an der Verteilung sozialer, kultureller und ökonomischer Güter zum rechtlich vollen Bürgerstatus. Ideen des Guten oder des Gerechten, insbesondere dann, wenn sie konkret werden, sowie moralische und rechtliche Diskurse nehmen ausdrücklich (oder auch allein vom späteren Kommentar rekonstruiert) Bezug auf die jeweilige sozio-historische Realität. So schien es mit dem immensen qualitativen und quantitativen Wandel der Bildungsbestände und -systeme in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts erforderlich, die „kulturelle“ Dimension, die bei Marshall noch auf der Ebene sozialer Rechte thematisiert war, aus diesem Einbezug herauszulösen. Die ergänzende Differenzierung der Marshallschen Taxonomie in zivile, politische, soziale und kulturelle Rechte stammt von Talcott Parsons. Kulturelle Rechte bezieht Parsons (1985) auf die zentral durch Bildungsinstitutionen vermittelte und realisierte Möglichkeit der Partizipation an der gesellschaftlichen Kultur. Durch Bürgerrechte
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zugestandene kulturelle Teilhabe ist Teil umfassender Integration. Dieses Verständnis kultureller Bürgerrechte ist bei Parsons allerdings von dem Konzept eines kulturell homogenen Nationalstaates vermittelt. Die Inanspruchnahme kultureller Rechte, so wie sie Parsons versteht, setzt voraus, dass der und die Einzelne sich auf die dominante Kultur hin praktisch öffnet und identitätsbezogen einlässt, was erst durch ein Absehen von möglichen anderen (kulturellen) Bindungen leistbar ist. So beschränkt sich die Inanspruchnahme kultureller Rechte bei Parsons letztlich auf das Recht, an der dominanten Kultur teilzuhaben. Wer zu dieser aber in einem Verhältnis der Distanz, Ungebundenheit oder Kritik steht, bleibt gewissermaßen ohne kulturelle Rechte. Unter den Bedingungen eines postnationalen Verständnisses von „Kultur“ und „kultureller Bildung“ liegt es nahe, Parsons Verständnis kultureller Bürgerrechte aus der Engführung auf die Vorstellung eines kulturell homogenen Nationalstaates herauszuführen und zu erweitern. Das Bürgerrecht auf kulturelle Bildung hieße in diesem Sinne: Bürgerrecht auf Partizipation an einer oder mehreren kulturellen Lebensformen pluraler Gesellschaften. Hier ist nicht der Ort, eine präskriptive Idee kultureller Bildung unter Bedingungen kultureller Vielfalt zu diskutieren. Gleichwohl kann kulturelle Bildung in kultureller Vielfalt über das Markierte hinaus sinnvoll verstanden werden als Bildung, die um die Kontingenz und Relativität von kulturellen Ansprüchen weiß, die kulturelle Gewissheit und kulturelles Wissen einzuordnen und historisch wie systematisch auf ihre Grenzen zu befragen versteht. Kulturelle Bildung in pluralen Gesellschaften ist in diesem Sinne transkulturelle und kulturelle Zugehörigkeiten befragende Bildung. Auch weil die Befragung eindeutiger kultureller Zugehörigkeiten mehr denn je notwendig scheint, um der Freiheit der und des Einzelnen zu einem Recht zu verhelfen (vgl. etwa Sen 2006), kann von einem Bürgerrecht nicht nur auf kulturelle Bildung im Sinne Parsons, sondern auf transkulturelle Bildung gesprochen werden.4 Da die Idee der Universität auf Orte der Über4
In dem Verständnis von Transkulturalität, das auf Wolfgang Welsch (2000) zurückgeht, werden am klassisch genannten Kulturbegriff im Wesentlichen drei Aspekte kritisiert: die behauptete Homogenität und Einheitlichkeit der Kultur (diese gelte empirisch gerade heute
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schreitung verweist, zeigt sie das Transkulturelle bereits immer an und ist eine paradoxe Lebensform: eine Kultur des Transkulturellen. Der Zugang zu dieser Lebensform muss in der Demokratie prinzipiell allen offen stehen. Damit ist die sogenannte Massenuniversität nicht das Ende der Universität, sondern ihr demokratischer Beginn: „Erst mit Egalisierung der Einheit von Forschung und Lehre in der Massenuniversität des späten 20. Jahrhunderts, durch die sich die Wissenschaftsfreiheit mit dem Recht auf Bildung verschränkt, ist die Universität zur Universität der Demokratie geworden“ (Brunkhorst 2004: 88). Auch wenn die zeitgenössische Universität nicht nur ihrer Programmatik nach, sondern mindestens in den Geisteswissenschaften nicht zuletzt empirisch eine von keiner Vergangenheit erreichte Annäherung an die demokratische Idee der Universität darstellt,5 muss die Diskrepanz zwischen der Idee der Universität als Ort einer für jeden und jede dem Prinzip nach zugänglichen Le-
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unter Bedingungen von allseitiger und vielfältiger Grenzüberschreitung nicht), die „völkische“ Fundierung von Kultur und schließlich die begriffsarchitektonisch für den Erhalt der Einheit der (eigenen) Kultur erforderliche Imagination des Außen und des Fremden. „Zusammengefaßt: Das klassische Kulturmodell ist nicht nur deskriptiv falsch, sondern auch normativ gefährlich und unhaltbar. Der Abschied von diesem Konzept ist in jeder Hinsicht angezeigt. Heute gilt es, die Kulturen jenseits des Gegensatzes von Eigenkultur und Fremdkultur zu denken [...]“ (Welsch 2000: 332). Zur Kritik an Welschs Transkulturalitätsbegriff siehe Mecheril/Seukwa (2006). Darauf verweist Dieter Langewiesche: „Die verbreitete Klage, dass die sogenannte Massenuniversität die Einheit von Forschung und Lehre auflöse, ist für die Geisteswissenschaften falsch […]. Nie zuvor in der deutschen Geschichte waren Forschungs- und Ausbildungsuniversität so eng verbunden wie in der Gegenwart. Die geläufigen Klagen über den Auszug der Universität missverstehen die Vergangenheit. Wenn man die Einheit von Forschung und Lehre als den Kern der Humboldtschen Idee einer neuen Universität versteht, dann hat sich erst die Massenuniversität der Gegenwart diesem Ideal angenähert. Dies gilt zumindest für die Geisteswissenschaften, möglicherweise weniger in den Natur- und Ingenieurswissenschaften und in der Medizin“ (2004: 46).
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bensform der Überschreitung epistemischer Grenzen und der Wirklichkeit des Ausschlusses bestimmter Gruppen von der Universität beunruhigen – nach wie vor und angesichts der Selbstverständlichkeit, mit der in der Demokratie gelernt wurde, Bildung als Bürgerrecht (vgl. Dahrendorf 1965) zu verstehen: immer mehr.
Soziale Ungleichheit, Differenz und Hochschulbildung Soziale Zugehörigkeit als Prädiktor für Hochschulzugang und Fächerwahl Mit dem Bürgerrecht auf Bildung ist der die Demokratie programmatisch charakterisierende Vorbehalt verbunden, dass Bildung grundsätzlich nicht von sozialen, kulturellen, ethnischen oder geschlechtlichen Zugehörigkeiten vermittelt sein sollte. Die Idee, dass Bildung nicht nur partikular, sondern grundsätzlich allgemein zu ermöglichen sei, liegt demokratischen Bildungsinstitutionen, auch der Idee der Universität in demokratischen Gesellschaften, programmatisch zugrunde und legitimiert sie. Diese demokratische Programmatik steht jedoch in einem Spannungsverhältnis zur empirischen Praxis der Bildungssysteme. Diese befinden sich nicht außerhalb gesellschaftlicher (Macht-) Verhältnisse, sondern sind Teil gesellschaftlicher Unterscheidungsformen, Routinen und Prozeduren der Ermöglichung von Positionen. So werden unter der Maxime der Gleichberechtigung und Chancengleichheit zwar gleiche Ausgangsbedingungen im Bildungssystem zur Verfügung gestellt (für unseren Zusammenhang: niemand wird formell auf Grund seiner/ihrer Klassenzugehörigkeit oder ethnischen Zugehörigkeit davon ausgeschlossen, die Berechtigung zum Hochschulzugang zu erwerben, und wer diese erworben hat, darf nicht mit dem Hinweis auf soziale Zugehörigkeit und Herkunft von der Aufnahme eines Studiums abgehalten werden), diese führen aber häufig zu einer Reproduktion von Ungleichheit, weil soziale Herkunft und kulturelle Zugehörigkeit differentiell auf das „Passungsverhältnis“ zwischen den Strukturen der Bildungsräume und den von Einzelnen, hier: Studierenden, eingebrachten Vermögen, Kenntnissen und Routinen wirken.
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Dies zeigt der spätestens seit den 1960er Jahren wiederholt bestätigte Befund der sozialen Selektivität des (universitären) Bildungssystems (vgl. Dahrendorf 1965).6 Seit den 1960er Jahren lassen sich zwar einerseits erhebliche Veränderungen im Hinblick auf die Teilhabe an Hochschulbildung konstatieren – etwa der Anstieg der Studierendenzahlen insgesamt sowie die Erhöhung des Anteils von Studentinnen, der 1960 noch bei einem Viertel lag und inzwischen auf etwa die Hälfte gestiegen ist (vgl. Bargel/Ramm/Multrus 2008: 10). Gleichzeitig besteht im deutschen Bildungs- und Hochschulsystem weiterhin ein ausgeprägter Zusammenhang zwischen formellem Bildungserfolg und sozialer Zugehörigkeit. So ist vor allem der Zusammenhang zwischen dem Bildungsstatus der Eltern und der Aufnahme eines Studiums nach wie vor hoch. Da sich die Auswirkung der sozialen Herkunft an den im Deutschen Bildungssystem angelegten Übergängen praktisch „summiert“, zeigt sich die „soziale Filtrierung“ bis zum Hochschulzugang in drastischer Weise. Dies wird z. B. in folgender Gegenüberstellung aus der 18. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks deutlich, in welcher der Bildungsstatus des Vaters zum Ausgangspunkt genommen wird: „Im Jahr 2005 begannen von den jungen Erwachsenen zwischen 19 und unter 25 Jahren, deren Vater über eine Hochschulreife verfügte, insgesamt 71 % ein Hochschulstudium. Die Mehrzahl von ihnen immatrikulierte sich an einer Universität […]. Nahezu viermal niedriger (19 %) fällt dagegen die Bildungsbeteiligung von Kindern aus, deren Vater einen Hauptschulabschluss hat. Auf einem mittleren Niveau dazwischen lagen die Studienchancen derjenigen, deren Vater einen Realschul- oder gleichwertigen Abschluss erworben hatte (26 %). Verglichen mit der Sozialstruktur der Bevölkerung bedeutet dies, dass die in der altersglei6
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Die Figur des katholischen Arbeitermädchens vom Lande artikuliert jene Merkmale sozialer Benachteiligung, die für das Westdeutschland der 1960er Jahre charakteristisch sind. Die Situation hat sich gewandelt, zwar nicht der Umstand der Benachteiligung und Ungleichheit, wohl aber seine Ausprägungen: „Nicht mehr das ‚katholische Arbeitermädchen vom Lande‘, sondern der ‚italienische Gastarbeiterjunge aus dem Bayerischen Wald‘ vereinigt heute die Attribute, die einen geringen Bildungserfolg erwarten lassen“ (Hunger/Thränhardt 2001: 51).
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chen Bevölkerung kleinste soziale Gruppe – Eltern mit Hochschulreife – weitaus die meisten ihrer Kinder an die Hochschulen entsendet“ (Isserstedt et al. 2007: 96).
Dass die soziale Herkunft maßgeblich zum Bildungserfolg im deutschen Hochschulsystem beiträgt, bezeichnet der Präsident des Deutschen Studentenwerks vor dem Hintergrund dieser Daten als „beschämenden Befund“ (vgl. Dobischat 2007). Durch die Reglementierung des Hochschulzugangs, der nur auf dem Weg mehrerer „Hürden“ im Bildungssystem zu überwinden ist, hat es die Universität immer schon mit einer stark „vorausgewählten“ Studierendenschaft zu tun. Großen Teilen der Bevölkerung wird der Zugang zu Hochschulbildung schon verhältnismäßig früh verschlossen, weil entsprechende Hürden im Bildungssystem nicht genommen werden. So erlangen z. B. nur wenige Kinder von nach Deutschland eingewanderten Eltern überhaupt eine Hochschulzugangsberechtigung Somit ist die Selektivität des Hochschulsystems nicht isoliert, sondern immer auch im Zusammenhang mit der Selektivität des gesamten Bildungssystems zu sehen: Die Universitäten sind Teil eines Gesamtbildungssystems, das soziale Unterschiede in Bildungsunterschiede und damit in Chancen gesellschaftlicher Partizipation überführt. Diese Unterscheidungen, die relevante Unterschiede machen, setzten sich auch innerhalb der Universität fort. Interessanterweise fehlen zwar, wie Baumgart (2009: 314) feststellt, Studien zum Zusammenhang von sozialer Herkunft und Studienabschlüssen bzw. -abbrüchen, so dass Zusammenhänge zwischen unterschiedlich hohen Abbruchquoten der einzelnen Studienfächer und der sozialen Herkunft der Studierenden nur vermutet werden können. Auch wenn dieser direkte, formale Austritt und Ausschluss aus der Universität bisher nur unzureichend untersucht wurde, finden sich in quantifizierenden Studien Hinweise auf die soziale Selektivität des Hochschulsystems. Dass Studierende, deren soziale Herkunft als „hoch“ bezeichnet wird (allgemeine und berufliche Bildung sowie Berufstätigkeit der Eltern), im Verhältnis zu den Hochschulabsolventinnen und Hochschulabsolventen insgesamt überproportional in postgradualen Studiengängen vertreten sind (vgl. Isserstedt et al. 2007: 138 f.), zeigt, dass sich das Studium im Hinblick auf die Karriere als Akademiker/-in sozial differentiell darstellt.
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Selektiv ist jedoch nicht nur der Zugang zur Hochschule insgesamt sowie zu den dort möglichen Abschlüssen. Auch bei der Wahl der Fächer zeichnen sich die Unterschiede sozialer Zugehörigkeiten ab. Zum einen spielt hier wiederum die soziale Herkunft der Studierenden eine Rolle (vgl. Bargel/Ramm/Multrus 2008: 13 ff.). Das Fach Medizin beispielsweise weist nach wie vor die höchste Quote akademischer Reproduktion auf; hier hat ein weitaus größerer Anteil der Studierenden Eltern mit einem Hochschulabschluss als in den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Auffällig ist jedoch auch die geschlechterspezifisch differenzierte Studienwahl. Denn während inzwischen etwa gleich viele männliche und weibliche Studierende sich an der Universität einschreiben, zeigt ein Blick auf die Fächer ein anderes Bild. Die Wahl des Faches fällt bei Studentinnen und Studenten sehr unterschiedlich aus. Nach wie vor gibt es Fächer mit einem deutlich überwiegenden Anteil männlicher bzw. weiblicher Studierender. Z. B. finden sich in den Ingenieurwissenschaften überwiegend männliche Studierende; sozialwissenschaftliche Fächer, Pädagogik und Psychologie werden größtenteils von Studentinnen gewählt (vgl. Isserstedt et al. 2007: 153 f.). Geschlechterspezifische Unterschiede bezüglich Studierpraxen und daran geknüpfte Bildungsprozesse zeigen sich also nicht mehr darin, dass Frauen an Universitäten grundsätzlich unterrepräsentiert sind, sondern vielmehr darin, dass sich in der Fächerwahl traditionale Vorstellungen von männlichen und weiblichen Aufgabenbereichen spiegeln. Die „Zugänge“ zu bestimmten Fächern, wie etwa Erziehungswissenschaft oder Psychologie, sind nicht allein über formelle Kriterien (wie einen Numerus Clausus) geregelt. Die Regelung des Zugangs hat ihre Grundlagen vielmehr auch in den bildungsbiographisch entwickelten Präferenzen und Vorstellungen von den eigenen Fähigkeiten und dem für einen selbst angemessenen beruflichen Ort (vgl. Friebertshäuser/Kraul 2002; Apel 1992). Der Zugang zu bestimmten Fächern, scheinbar das Resultat einer „freien Wahlentscheidung“ der Studierenden, verweist somit auf Subjektbildungsprozesse, die Männern andere Vorlieben und Verpflichtungen, Kompetenzen und Selbstverständnisse nahe legen als Frauen und umgekehrt. Darüber hinaus bestätigt und verfestigt die Studienfachwahl diese Differenzen, weil in der Folge Studierende in (scheinbar) eher „männliche“ oder „weibliche“ Fach- bzw. disziplinäre Kulturen hineingeraten, Hochschule somit
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männliche Ingenieure und weibliche Sozialwissenschaftlerinnen produziert und auf diese Weise Stereotype eher verfestigt. Zugänge zu bestimmten Fächern und somit zu entsprechenden Fachkulturen sind insofern durchaus selektiv, auch wenn die Strukturen, die diese Zugänge ermöglichen oder verhindern, andere sind als diejenigen, die den Hochschulzugang insgesamt regeln. Durch Prozesse dieser Art werden systematisch Zugänge zu disziplinären Kulturen eröffnet oder verschlossen. Zudem ist mit den Fächern auch unterschiedliches Prestige verbunden, was ebenfalls in einem interessanten Zusammenhang zur im Hinblick auf soziale Herkunft differenzierbaren Fächerwahl steht (vgl. etwa Becker/Haunberger/Schubert 2009). Hier drängt sich die Vermutung auf, dass die gesellschaftliche Anerkennung eines Faches oder auch Klischees über Absolventinnen und Absolventen womöglich die Fächerwahl von Studierenden in Abhängigkeit von aus sozialen Zugehörigkeiten resultierenden Erfahrungen, SelbstZutrauen und Präferenz beeinflusst. Zugleich könnte gerade die Fächerwahl, so sich in ihr Differenzen der Herkunft aus privilegierten oder weniger privilegierten und diese Privilegien symbolisierenden Milieus spiegelt, wiederum die gesellschaftliche Anerkennung des Faches reproduzieren. Wie und aufgrund welcher Mechanismen sich die gegenwärtigen Prozesse der Umgestaltung der Hochschule (und der Umgestaltung der Umgestaltung) letztlich auf deren soziale Selektivität auswirken, kann bisher nur auf eher vager empirischer Grundlage vermutet werden. Insgesamt wurden für die Bachelor-Studiengänge bisher höhere Abbruchquoten registriert (vgl. Heublein et al. 2009: 10), die jedoch stark nach Fächern differieren: „Während vieles dafür spricht, dass die universitären Bachelor-Studiengänge in den Sozialwissenschaften, in den Sprach- und Kulturwissenschaften sowie in den Agrar-, Forst- und Ernährungswissenschaften zu einem deutlichen Rückgang des Studienabbruchs beigetragen haben, gibt es starke Indizien dafür, dass die Anzahl der Studienabbrecher in den Bachelor-Studiengängen der Ingenieur- und Wirtschaftswissenschaften an den Fachhochschulen überdurchschnittlich hoch ausfällt“ (Heublein/Schmelzer/Sommer 2008: 16).
Diese Ergebnisse lassen sich sicher zum jetzigen Zeitpunkt kaum als „Trend“ der Bachelor-Studiengänge verwenden. So verweisen
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auch die Autoren der zitierten Studie darauf, dass sich die Studiengänge zum Zeitpunkt der Erhebung in der Umstrukturierung befanden bzw. immer noch befinden, und dass ggf. diese Umbruchsituation bzw. der teils mehr, teils weniger gelungene Umbau der Studiengänge sich auf die Abbruchzahlen ausgewirkt haben mag (vgl. ebd.). Interessant sind jedoch auch die ersten Befunde, die unter Umständen auf eine veränderte Selektivität der neuen Studiengänge hinweisen: So ist nicht nur zu vermuten, dass Studierende der neuen Studiengänge früher, d. h. in niedrigeren Semestern, ihr Studium abbrechen (vgl. Heublein et al. 2009: 49). Auch sind – legt man die allgemeine und berufliche Bildung sowie die Berufstätigkeit der Eltern zugrunde – in den Studiengängen, in denen ein Bachelor-Abschluss möglich ist, anteilig weniger „sozial privilegierte“ Studierende zu finden (vgl. Isserstedt et al. 2007: 139). Insbesondere der letzte Aspekt könnte – wenn es sich dabei tatsächlich um eine Tendenz der Bachelor-Studiengänge handeln sollte – im Hinblick auf die Frage nach veränderter und verschobener sozialer Selektivität der Hochschule interessant sein. Insgesamt lässt sich resümieren, dass zwar durch die Verschränkung von Wissenschaftsfreiheit mit dem Recht auf Bildung die Universität zur Universität der Demokratie geworden ist (vgl. Brunkhorst 2004: 88), sie gleichwohl in einer Legitimationskrise verbleibt, da erstens der Zugang zur Universität, zweitens der Zugang zu Disziplinen und schließlich die formellen Resultate von Prozessen der Hochschulbildung systematisch auf Mechanismen sozialer Ungleichheit verweisen. Diese Ungleichheiten sind auch deshalb problematisch, weil bestimmten Gruppen der Zugang zu gesellschaftlich privilegierten Positionen erschwert wird. Damit trägt die Hochschule zur ungleichen Verteilung von Ressourcen – ökonomischen Ressourcen, aber auch solchen der Einflussnahme und öffentlichen Stellungnahme – bei und ist als zentrale gesellschaftliche Institution Teil der Reproduktion gesellschaftlicher Ungleichheit.
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Soziale Zugehörigkeit und das Hineinfinden in die universitär-fachdisziplinäre Kultur Die Auseinandersetzung mit Zugangsmöglichkeiten zur Universität kann nicht allein auf formale Aspekte wie die Einschreibung oder den Erwerb eines Abschlusses beschränkt werden. Der Einbezug in die Universität ist nicht schlicht auf die Frage formeller Studienberechtigung und Immatrikulation zu reduzieren. Er ereignet sich in und über die Teilhabe an der Universität und dem jeweiligen Fach. Studierende entwickeln ihre soziale und kulturelle Zugehörigkeit zur Universität im Laufe des Studiums, halten diese aufrecht, revidieren und festigen sie. Formalisierte Formen der Wissensaneignung und des Studierens sind nicht nur eingebettet in individuelle und überindividuelle Lernprozesse und Relevanzstrukturen, sondern grundlegend darauf angewiesen, dass es Studierenden gelingt, sich als aktive Teilnehmerinnen und Teilnehmer in die soziale Welt der Universität „hineinzufinden“. Dies gelingt nicht allen formal zugangsberechtigten Studierenden gleichermaßen. „So ist [nicht nur] bekannt, dass beispielsweise SchülerInnen aus bildungsfernen oder sozial schwachen Familien deutlich seltener ein Studium aufnehmen, [sondern auch, dass] Personen mit Migrationshintergrund mit deutlich höherer Wahrscheinlichkeit das Studium abbrechen und beide Personenkreise seltener eine wissenschaftliche Karriere anstreben als Kinder aus akademisch geprägten Haushalten“ (De Ridder/Leichsenring/Stuckrad 2008: 42).
Auch die deutliche Unterrepräsentation von Frauen, die mit der Höhe des Abschlusses (Promotion, Habilitation) sowie der Höhe der Berufsposition (wissenschaftliche Mitarbeiter/-innen, Professuren) deutlich zunimmt (vgl. etwa Mayer 2008: 626), weist darauf hin, dass das Zugehörig-Werden und sich selbst ZugehörigMachen im universitären Feld selbst nach dem Eintritt in dieses Feld in Abhängigkeit steht zu und vermittelt wird von sozialen Zugehörigkeiten. Akademische und akademisierende Bildungsprozesse sind an die praktische Teilhabe an akademischer Kultur geknüpft, die allein durch die Einschreibung, aber auch durch das Besuchen von Lehrveranstaltungen etc., nicht gewährleistet ist. Vielmehr scheint
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hierzu auch die Erfahrung des Zugehörigseins bedeutsam zu sein, das heißt die Erfahrung und das Wissen, nicht nur Mitglied eines universitären Kontextes zu sein, sondern in diesem Zusammenhang sinnvolle Erfahrungen zu machen. Sinnvoll werden für Studierende Erfahrungen an der Universität, so könnte eine analytische Unterscheidung aussehen, auf Grund der von ihnen vermuteten Funktionalität der Erfahrungen etwa für die eigene (berufliche) Zukunft, auf Grund sozialer Verbundenheiten und auf Grund des Sinns, der aus der intellektuellen Auseinandersetzung mit Erkenntnisinhalten und Erkenntnismethoden als solchen resultiert. Die Universität als Raum sinnvoller Erfahrungen – dies ist nicht nur für alle Studierende nicht in gleicher Weise gegeben, die Differenzen, die hier eine Rolle spielen (gender, class, ethnicity) schließen an gesellschaftliche Differenzverhältnisse der Über- und Unterordnung an und reproduzieren diese. Die Universität eröffnet oder versperrt unterschiedliche Bildungsmöglichkeiten, und diese Differenzen sind mit der sozialen und kulturellen Herkunft der Studierenden assoziiert. An der Universität wird nicht schlicht Wissen vermittelt, das Studierende entsprechend ihrer Fähigkeiten mehr oder weniger gut erlernen, sondern die Universität fächert sich in soziale und kulturelle Räume auf, in denen akademische Praxen stattfinden und in denen Studierende durch Mittun in diese Praxis eingeführt werden. Insofern ist das Verhältnis zwischen dem Habitus der Studierenden und der akademischen Kultur von Belang, denn wie gut Studierenden dieses Mittun gelingt, ist offenbar davon abhängig, wie vertraut oder fremd ihnen die akademische Kultur ist. Liebau und Huber sehen als „[f]ür den Studienerfolg entscheidend [...] die Entsprechung zwischen gewohntem alltäglichem Lebensstil und der durch die Fachkultur bestimmten und geforderten Lernform“ an (1985: 336; H. i. O.). Dies bedeutet freilich nicht, dass Studierende damit auf ihre „soziale Herkunft“ festgelegt wären. Mit Pierre Bourdieu können wir davon ausgehen, dass habituelle Dispositionen, die sich im alltäglichen Lebensstil zum Ausdruck bringen, nicht das Handeln und die als Lernen beschreibbare Modifikation des Handelns de-
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terminieren, vielmehr limitieren sie den Spielraum des Handelns unscharf.7 Der komplexe Zusammenhang zwischen Lebensgeschichte und Studienerfahrungen wird vor allem in biographischen Studien zu Hochschulbildung deutlich (für einen Überblick vgl. Friebertshäuser 2006). Bildungsprozesse an der Universität werden einerseits durch institutionelle und curriculare Vorgaben, an denen Studierende scheitern und nicht scheitern können, gebahnt. Zugleich ist die Universität ein sozialer Raum, in dem Interaktionspraktiken, Wissen und Erfahrungen lebensweltlich und lebensgeschichtlich verankert sind und in dem soziale und kulturelle Zugehörigkeit erworben wird. Auch im universitären Raum wird hierbei angesichts unterschiedlicher Bildungsmilieus und zunehmend entstandardisierter und pluralisierter Bildungsverläufe Zugehörigkeit verstärkt zu einer Frage, die der/die Einzelne praktisch zu beantworten, also herzustellen hat. Untersuchungen, die das Studium in einem biographischen Zusammenhang betrachten (vgl. etwa Kokemohr/Marotzki 1989; Marotzki/Kokemohr 1990), zeigen, wie Bildungsprozesse an der Universität lebensgeschichtlich situiert sind. Der Zusammenhang zwischen der differentielle Vergesellschaftung anzeigenden, von gesellschaftlichen Differenzverhältnissen vermittelten Lebensgeschichte des/der Einzelnen und den unterschiedlichen Erfahrungen, die Studierende an der Universität machen, verweist darauf, dass Biographien, Bildungsprozesse und Studienprobleme miteinander verknüpft sind. Strukturelle Probleme können zu biographisch zu bearbeitenden Problemen für Individuen werden, aus denen sie die Konsequenz ziehen können, etwa ein Studium abzubrechen. Überdies
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„Was der [in ein soziales Feld wie die Universität] neu Eintretende tatsächlich in dieses Spiel hineinbringen muss, ist nicht der Habitus, der hier stillschweigend oder explizit verlangt wird, sondern ein Habitus, der praktisch kompatibel sein oder eine genügende Nähe aufweisen und der vor allem formbar und geeignet sein muss, um sich in einen konformen Habitus konvertieren zu lassen, der kurz gesagt, kongruent und lernfähig [docile], das heißt offen für die Möglichkeit der Restrukturierung ist“ (Bourdieu 1997: 120; zit. n. und übersetzt von Krais/ Gebauer 2002: 61 f.).
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müssen sich die Einzelnen auch mit der Identifizierung von Differenzen und deren Fixierung biographisch auseinandersetzen. So ist es für „Arbeitertöchter“ an der Hochschule (vgl. Bublitz 1982; Theling 1986) möglicherweise nicht „nur“ aufgrund einer Sozialisation im „Arbeitermilieu“ schwierig, sich an der Hochschule zurechtzufinden, sondern auch, weil der wissenschaftliche Diskurs „Arbeitertöchter“ als solche identifiziert und problematisiert. Die in Studien zu Biographie und Hochschulsozialisation thematisierten Prozesse der Aneignung eines der universitären Lebensform korrespondierenden akademischen Habitus oder Schwierigkeiten dabei sowie – damit verbunden – die Erfahrung eher fragloser oder prekärer Zugehörigkeit können zum formalen „(Selbst-)Ausschluss“ von der Hochschule bzw. von der Fachkultur führen, indem das Studium abgebrochen, kein Abschluss erworben oder das Studienfach gewechselt wird. Auch dies unterliegt jedoch nicht einer Zwangsläufigkeit: Möglicherweise wird auch ein Abschluss erworben, obwohl kaum ein Hineinfinden in die akademische Kultur stattgefunden hat. Erfahrungen der Nicht-Zugehörigkeit können somit, müssen aber nicht unabwendbar zum formalen Ausschluss führen, indem Studierende etwa ihr Studium abbrechen. Zugleich bleibt Studierenden unter Umständen trotz formaler Bildungsteilhabe die Partizipation an der akademischen Kultur und somit auch akademische Bildungsteilhabe versagt. Nicht allein im Hinblick auf die Wahrscheinlichkeit formaler Zugehörigkeit und Bildungsabschlüsse, sondern auch im Hinblick auf die Teilhabe an bzw. den Ausschluss von akademischer Praxis spielen Privilegierungen und Deprivilegierungen somit eine Rolle.
Minderung sozialer Ungleichheit, demokratische Öffnung: Universität der Vielfalt Die angesprochenen Befunde und skizzierten Mechanismen der Herstellung ungleicher Zugangschancen zu Hochschulbildung bei gleichzeitiger Orientierung an einer „Universität der Demokratie“ werfen die Frage auf, welche Möglichkeiten bestehen und sinnvoll wären, um Universitäten so umzugestalten, dass die Reproduktion von sozialer Ungleichheit gemindert ist. Selbstverständlich ist
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hierbei die Ermöglichung der Teilhabe am akademischen Raum nicht allein von der Universität zu leisten und nicht in erster Linie Resultat der Umgestaltung der Universität. Insbesondere im deutschen Bildungssystem werden schon sehr früh Entscheidungen über die weitere Schullaufbahn getroffen, die die Möglichkeiten, einen Hochschulabschluss zu erwerben, differentiell beschränken. Die stärkere Orientierung an einer demokratischen Universität, zu der Zugänge nicht dermaßen von sozialen Zugehörigkeitsverhältnissen strukturiert sind und die in diesem Sinne sich weiter der Idee annähert, „grundsätzlich allen offen zu stehen“, setzt nicht nur bestimmte Strukturen innerhalb der Universität voraus, sondern ist ganz entscheidend von der Gestalt des gesamten Bildungssystems und dem Wert abhängig, der Bildung gesamtgesellschaftlich zukommt. Wer die Idee ernst nimmt, dass kulturelle und transkulturelle Bildung ein Bürgerrecht ist, wird für eine Gesellschaft eintreten, in der Bildung nicht allein rhetorisch, sondern faktisch geschätzt wird. Die Revision der Universität kann somit nur einen bescheidenen Beitrag zur Demokratisierung (der Universität) leisten, gleichwohl ist dieser Beitrag wichtig. Wie kann der Zugang zur Universität stärker von sozialer Zugehörigkeit entkoppelt und die Macht gesellschaftlicher Differenzverhältnisse reduziert werden? Etliche Ansätze, die dieser Frage nachgehen, plädieren dafür, die Aufmerksamkeit an den Universitäten für den Zusammenhang von sozialer Differenz und Hochschule zu erhöhen. Die Registrierung und Dokumentation sozialer Schieflagen (Hochschulzugang, Fächerwahl, DropoutQuoten, akademische Anschlüsse: Promotionen, Professuren) auf der Ebene beispielsweise von Geschlechterverhältnissen oder entlang ethnischer Unterschiede oder, was einer terminologischen Unterscheidungspraxis im deutschsprachigen Raum entspricht, entlang der Differenz „mit und ohne Migrationshintergrund“, die Etablierung also von Monitoringsystemen mit dem Ziel der Analyse sozialer Ungleichheit an der Universität und deren entsprechender Umgestaltung, sind Vorschläge, die diskutiert werden. Strategien, über den Umgang mit Differenz mehr Bildungsgerechtigkeit an den Universitäten zu ermöglichen, werden in den letzten Jahren hierbei auch im deutschsprachigen Raum mehr und mehr unter dem Label „Diversity“ oder „Diversity Management“ diskutiert. Wir wollen hier auf diese Vorschläge etwas genauer eingehen, da sie programmatisch versuchen, die Vielfalt gesell-
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schaftlicher Differenzverhältnisse analytisch und präskriptiv in den Blick zu nehmen. Inwiefern, dies ist die zentrale Frage des dritten Abschnitts des vorliegenden Texts, stellt „Diversity“ ein angemessenes regulatives Prinzip zur Schaffung von mehr Bildungsgerechtigkeit an Universitäten dar? Wenn die für den Begriff der Universität prägende Gemeinschaft von Lehrenden und Lernenden (universitas magistrorum et scholarium) in der Universität der Demokratie nicht mehr auf die Einheit von weißen Männern aus privilegierten Familien (magistrorum) und etwas jüngeren weißen Männern aus privilegierten Familien (scholarium) beschränkt werden soll, dann stellen sich Fragen, auf die „Diversity“-Ansätze als Antwort gelesen werden können. Auch wenn sich unter dem Begriff „Diversity“ eine Vielzahl von Ansätzen findet, die auf unterschiedliche diskursive Zusammenhänge in heterogener Weise verweisen (vgl. Knapp 2005),8
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„Diversity“ ist ein Ausdruck, der zuweilen lediglich ein anderes Wort für die Differenzverhältnisse bezeichnet, mit denen multikulturelle und interkulturelle Ansätze beschäftigt sind, zuweilen ist er lediglich ein anderes Wort für die Differenzverhältnisse, mit denen multikulturelle und interkulturelle Ansätze beschäftigt sind plus gender, zuweilen ist er lediglich ein anderes Wort für die Differenzverhältnisse, mit denen multikulturelle und interkulturelle Ansätze beschäftigt sind plus gender plus handicap usw., zuweilen bezieht sich Diversity auf unterschiedliche, als gegeben verstandene Unterschiedsformen von Menschen, zuweilen bezieht sich Diversity vorrangig auf situative und politische Bedingungen der Produktion von Unterschieden, zuweilen wird Diversity mit und ohne Bezug auf Macht- und Herrschaftsverhältnisse gedacht usw. Auch ist „Diversity“ recht unterschiedlichen paradigmatischen Ansätzen im Rahmen universitätspolitischer Argumentationen zuzuordnen. Es können hier drei strategische Paradigmen unterschieden werden: „Diversity“ als Rekrutierungsstrategie, die vor allem statistischdemographisch argumentiert; „Diversity“ als Effizienz- und Optimierungsstrategie, die vor allem managerial-ökonomi(sti)sche Argumente anführt; demokratisch argumentierende Positionen schließlich verstehen „Diversity“ als Gerechtigkeitskategorie und Strategie der Schaffung gerechterer Verhältnisse an den Universitäten.
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kann allgemein gesagt werden, dass das wissenschaftliche Interesse, das mit der Perspektive Diversity verbunden ist, empirisch und theoretisch auf die Analyse der Vielzahl von Identitäts- und Zugehörigkeitskategorien und ihrem Zusammenspiel bezogen ist; regulativ zielt Diversity auf den angemessenen Umgang mit dem Zusammenspiel vielfältiger Identitäts- und Zugehörigkeitskategorien. Diversity ist mithin eine analytisch-empirische Aussage über die Wirkmächtigkeit von Unterschieden, Identitäten und Zugehörigkeiten, und zugleich ist Diversity ein normativ-regulativer Ansatz, der nach Möglichkeiten der Anerkennung von Unterschieden, Identitäten und Zugehörigkeiten fragt und sucht (in ökonomischen Kontexten als Mittel der Nutzenmaximierung, in Bildungszusammenhängen eher als Selbstzweck). Seit Anfang des neuen Jahrtausends ist der Begriff „Diversity“ verstärkt auch im Kontext betrieblichen und verwalterischen Managements zu finden. „Managing Diversity“ bezeichnet ein Prinzip der Unternehmensführung, das Differenzen zwischen Menschen als Stärke und die Berücksichtigung von Unterschieden als Schlüssel zum unternehmerischen Erfolg betrachtet. Diversity Management impliziert die „produktive […] Vielfalt der Attribute der Mitglieder einer Organisation“ und will „diese Heterogenität zum individuellen und zum Vorteil der Organisation [nutzen]“ (De Ridder/Leichsenring/Stuckrad 2008: 41). Indem eine normative Orientierung an Bildungsgerechtigkeit mit Vorteilen für die Organisation verknüpft wird, versucht das Diversity Management, mindestens zwei Ziele gleichzeitig zu verfolgen. Mit dem Bestreben, Vielfalt nutzbar zu machen, wendet sich das Konzept auch gegen defizitorientierte Ansätze, die Heterogenität als Problem betrachten. Diversity Management wird inzwischen auch als Konzept für die Hochschule vorgeschlagen und an einigen Universitäten (etwa Duisburg-Essen, Lüneburg oder Wien) als wesentlicher Bestandteil der Hochschulentwicklung verstanden. Dabei wird Diversity Management als ein umfassendes Konzept für Universitäten aufgefasst, das prinzipiell auf allen Ebenen der Organisation verankert ist, die unterschiedlichen Phasen des Studiums sowie der wissenschaftlichen Laufbahnen betrifft und unterschiedliche Methoden umfasst. Im Hinblick auf das Studium schlägt z. B. die Prorektorin für Diversity Management der Universität Duisburg-
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Essen vor (vgl. Klammer 2009), alle Bildungsstufen zu berücksichtigen, die mit der Universität und dem Zugang zur Hochschule in Verbindung stehen. Entsprechende Aktivitäten sollen bereits vor dem Hochschulzugang beginnen („Kontakte zu Schulen, Förderprogramme, Schnupper-Uni/Infotage…“); Diversity Management soll bei der Werbung und Auswahl von Studierenden eine Rolle spielen; studienbegleitend sollen „übergreifende und spezifische Angebote“ für Studierende und Graduierte bereitgehalten werden; der Diversity-Ansatz soll in Rekrutierungsstrategien von Post-Docs und Professor/-inn/-en Einzug halten. Diversity Management an der Hochschule umfasst Monitoringsysteme, die durch die Schaffung einer Datengrundlage Benachteiligungen – im Sinne von Unterrepräsentation bestimmter Gruppen – in verschiedenen Zusammenhängen dokumentieren und Entwicklungen nachvollziehen können. Es umfasst darüber hinaus Weiterbildung für verschiedene Personalgruppen zu Diversity-Aspekten und die Bestimmung von Diversity-Verantwortlichen innerhalb der Universität (vgl. De Ridder/Leichsenring/Stuckrad 2008: 43). „Diversity Management an Hochschulen“, schreiben die beim CHE-Consult der Bertelsmann-Stiftung in Gütersloh tätigen De Ridder, Leichsenring und von Stuckrad, „ist sowohl mit Bezug auf den klassischen Anwendungsbereich des Personalmanagements als auch in Bezug auf verschiedene Zielgruppen (u. a. Studierende) von Relevanz. Instrumente des Diversity Management zielen entweder auf die Nivellierung von differenzbegründeten Schwellen oder auf die Akzentuierung von Vielfalt (z. B. in Forschungsgruppen) zur Nutzung von Leistungsreserven. Moderne, strategiegekoppelte Di[versity]M[anagement-]Ansätze fallen an Hochschulen auf fruchtbaren Boden, denn sie entsprechen dem im Hochschulsystem beobachtbaren Trend zur Stärkung strategiegeleiteter institutioneller Managementstrukturen und sind sowohl mit den politischen Anforderung einer möglichst weitgehenden Öffnung der Hochschulen („Bildungsgerechtigkeit“) als auch mit einer Exzellenzorientierung kompatibel“ (2008: 41).
Auch im Hochschulentwicklungsbereich stellt „Diversity“ ein Prinzip organisatorischer Führung und Lenkung dar, das mit empirischen Thesen kulturelle, normative und das heißt disziplinierende Kraft entfaltet. Ganz diesem Ansatz verpflichtet, schlagen die Auto-
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ren und Autorinnen eine operative Umsetzung des DiversityAnsatzes vor, die von der „Verankerung in der Hochschulleitung“, über ein „Monitoring-System als Datengrundlage über die derzeitige und die zukünftige Entwicklung der Vielfalt (Hochschulangehörige, BewerberInnen, im (inter-)nationalen Vergleich)“ bis hin zur „Implementierung [des Diversity-Ansatzes; die Verfasser] in bestehende Weiterbildungen und Trainings (für Auswahl- und Berufungskommissionen, Führungspersonal, didaktische Angebote...)“ (ebd.: 43) reicht. Was ist nun von „Diversity Management“ als einem Prinzip universitätsorganisatorischer und kultureller Orientierung, Organisierung und Lenkung von Menschen zu halten? Das Prinzip „Diversity“ fokussiert Differenzen zwischen Menschen und betrachtet die Berücksichtigung von Unterschieden als Schlüssel zu Erfolg und/oder Gerechtigkeit. „Diversity“ ist hierbei sowohl eine Praxis der Annexion von und durch Differenz als auch eine Praxis, die den Ausschluss marginalisierter Zugehörigkeiten, Positionen und Identitäten mindern kann. Wenn wir Differenzverhältnisse als Zusammenhänge verstehen, die machtvoll sind, reicht es nun aber nicht aus, sich auf diese Ordnungen affirmativ zu beziehen. Vielmehr müssen Differenzverhältnisse auch immer in mehrerer Hinsicht als Verhältnisse verstanden werden, die zuweilen als Dominanz und Herrschaft wirkende Macht über Menschen ausüben. Diversity ist erst dann als Veränderungsansatz überzeugend, wenn aus dem Wissen um die Verwobenheit von Differenzund Machtverhältnissen reflexive Konsequenzen gezogen werden. Mit „Diversity“ geht die Einsicht einher, dass die Vielfalt von Unterschieden konstitutiv für gesellschaftliche Wirklichkeit ist. Die programmatische Berücksichtigung der Vielzahl von Differenzverhältnissen ist das Grundanliegen der Praxis „Diversity“. Damit artikuliert „Diversity“ auch schon immer ein normatives Moment, das darauf zielt, Vielfalt als etwas Wertvolles anzuerkennen. Die grundlegende Logik von „Diversity“ umfasst somit zwei Dimensionen: Zum einen wird Vielfalt als relevant für etwa die Universität behauptet, und weiterhin wird die Anerkennung dieser Vielfalt als sinnvoll oder sogar erforderlich angesehen. Da aber das Zusammenspiel der unterschiedlichen Differenzverhältnisse weder theoretisch noch empirisch geklärt ist und DiversityAnsätze letztlich kaum einen Beitrag zur analytischen Klärung des Verhältnisses, des Zusammenspiels und der Relationen der Unter-
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schiede darstellen, tendieren sie zu einer Reproduktion alltagsweltlicher, essentialistischer Verständnisse von sozialer Differenz. Der Bezug auf gender, race, class, sexuality, handicap führt dadurch nicht zu einer Überwindung des festlegenden Identitätsdenkens, sondern zu seiner Pluralisierung. „Diversity“ schwächt das Identitätsdenken zwar einerseits dadurch, dass die Vielfalt relevanter Identitätspositionen und Zugehörigkeiten in den Blick kommt, zugleich stärkt „Diversity“ das Identitäts- und Identifizierungsdenken durch Identitäts-Vervielfältigung. Nicht nur die Hochglanzbroschüren, die Vielfalt und Diversität der Menschen darstellen, auch die Diversitäts-Präsentationen in Text und Bild etlicher Hochschulen können als performative Praxen der Wiederholung machtvoller Unterscheidungen, vor allem entlang der Achsen race und gender, gelesen werden. Dadurch werden nicht nur konventionelle race- und gender- Bilder bekräftigt, die Macht dieser Differenzordnungen wird in der Vorderhand Gerechtigkeitsnormen verpflichteten Darstellungen bestätigt. Den konventionellen Darstellungen von „Diversity“ gemäß sind wir alle entweder Männer oder Frauen, haben wir alle eine (und nur eine) ethnische Zugehörigkeit, sind entweder „mit“ oder „ohne“ (Migrationshintergrund) und sind wir weiterhin auf der Ebene von „mit und ohne Behinderung“ mehr oder weniger eindeutig positioniert. Bezieht man diese Differenzkonzeption auf die obigen Überlegungen zur Reproduktion sozialer Ungleichheit an Universitäten, so erscheint der Bezug auf diese Differenzen in einer statistischen Perspektive, in der es um Wahrscheinlichkeiten von Bildungsverläufen geht, sinnvoll, da dadurch übergeordnete Regelmäßigkeiten des Ausschlusses und der differentiellen Privilegierung sichtbar und benennbar werden. Problematisch wird der Bezug auf Differenzen und Identitäten jedoch dann, wenn Studierende, oder auch andere Mitglieder der Universität, auf diese Differenzen festgelegt und entsprechend „einsortiert“ werden. Denn dies kann sowohl dazu führen, Bedingungen, die im Hinblick auf den Zugang zu akademischer Bildung relevant sein können, zu übersehen als auch dazu, bestimmte Differenzlinien grundsätzlich relevant zu setzen, und diese somit etwa in der Ansprache bestimmter Gruppen, in reflexiven Angeboten (wie Fortbildungen und Workshops) zu verfestigen. Übersehen würde bei einer solchen Konzeptualisierung von Differenz gerade der Beitrag, den die
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Universitäten zur Produktion von eindeutigen Differenzen und Identitäten leisten. Es geht mithin bei der Thematisierung von differenzfreundlichen Ansätzen, etwa dem Diversity Management, nicht darum, den Bezug auf Differenz insgesamt abzulehnen. Genauso wenig geht es um eine pauschale Bejahung von Differenz-Ansätzen. Mit Bezug auf das Diversity-Konzept – und in der „Abarbeitung“ an ihm – lassen sich Hinweise darauf gewinnen, was eine differenzsensible Reflexion und Gestaltung von Universität, der es um die Ermöglichung von Bildungsgerechtigkeit geht, zu berücksichtigen hätte. Differenzsensible Ansätze sind in einem Spannungsverhältnis angesiedelt: Differenz muss zum einen „gesehen“ und beachtet werden, um Benachteiligungen überhaupt in den Blick nehmen zu können und beispielsweise der „Gleichbehandlung von Ungleichen“ entgegenwirken zu können. Andererseits stehen differenzsensible Ansätze damit in der Gefahr, Differenzen in unangemessener Weise zu thematisieren und zu bearbeiten: Indem sie bestimmte Differenzen relevant setzen oder andere übersehen und die Einzelnen aufgrund dieser Differenzen „verstehen“, verfehlen sie die Einzelnen auch immer; sie (re)produzieren darüber hinaus Differenzverhältnisse, indem bestimmte Unterscheidungen als die bedeutsamen eingeführt werden, und nehmen damit machtvolle Unterscheidungen vor, die auf ihre (ermächtigenden und verhindernden) Konsequenzen zu betrachten wären. Dieses Spannungsverhältnis macht unseres Erachtens eine reflexiv-kritische Perspektive auf Differenzverhältnisse und Praxen der Differenzbearbeitung (an Universitäten) nötig, die das Dilemma zwar nicht auflösen, wohl aber zu einem bedächtigeren und differenzierteren, darin angemesseneren Umgang mit Differenz beitragen könnte. Einem reflexiven Ansatz im Umgang mit Differenzen und sozialen Identitäten würde es vor dem Hintergrund des Wissens um die mit der naiven Affirmation von Zugehörigkeiten verbundenen Verkürzungen und unangemessenen Fixierung um Folgendes gehen: Erstens darum, sich systematisch mit der Frage auseinanderzusetzen, wo das Eintreten für Differenz und für die Pluralität von Differenz Machtverhältnisse als Dominanz- und Herrschaftsverhältnisse bestätigt und ermöglicht. Ein Kennzeichen des hier angesprochenen reflexiven Ansatzes besteht darin, sich des „Feierns der Differenz(en)“ zu enthalten und vielmehr genau zu registrie-
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ren, unter welcher Bedingung das Eintreten für Differenz(en) weniger machtvoll ist. Zugleich und zweitens heißt dies, dass Diversity als politische Praxis nur da überzeugend sein kann, wo sie selbstreflexiv ist. Diversity ist kein Königsweg (auch wenn so manche Hochglanzbroschüre dies zu versprechen scheint), sondern eine soziale und politische Praxis, die selbst auf ihre ausschließenden Effekte zu betrachten ist. Schließlich pflegt eine reflexive Praxis eine Aufmerksamkeit und auch eine bedingte Vorliebe für Phänomene, die aus dem Rahmen der üblichen Unterscheidungen, aus dem Rahmen dessen fallen, was mit oppositionell strukturierten Differenzordnungen ohne weiteres verstanden, klassifiziert, erkannt und eingeordnet ist. Es geht hier um ein Interesse an dem nicht schnell Verstehbaren, an dem Mehrfachen, dem Uneingeordneten, dem sich den Ordnungen Entziehenden. Erst wenn die Universität das gewöhnliche Wissen um Differenzen im universitären Wissen um Differenzen und Identitäten überschreitet und diese Überschreitung auf sich selbst anwendet, wird die Universität zu einem Ort, an dem „Bildungsgerechtigkeit“ als unmögliches, gleichwohl erstrebenswertes Phänomen eine konkret-praktische Dimension erhält. Die systematische Ermöglichung einer Teilhabe an der auf eine transgressive Lebensform zielenden akademischen Kultur kann sich nicht allein auf die Verbesserung des universitären Zugangs für Studierende zum Beispiel aus nicht-akademischen Milieus über beispielsweise eine Quoten-Regelung und darüber hinausgehend über alternative Einstiegsanforderungen an Universitäten und Anerkennung unterschiedlicher Bildungsvoraussetzungen beziehen,9 sondern muss auch alternative Strukturen in der Lehre und der Betreuung von Studierenden mit sich bringen, die die Maxime der Ermöglichung sinnvoller akademischer Erfahrungen unter Bedingungen der Vielfalt von Eingangsdispositionen von Studierenden ernst nimmt. Vervielfältigung von Lernformen, Vervielfältigung von Lernzeiten, Entgrenzung der Studienzeit durch Stipendien, die nicht allein nach der Maßgabe der bisherigen Leistung, 9
Eine „Mindestquote von Studenten aus bildungsfernen Schichten“ (Prußky 2007) hat Ralf Dahrendorf vor einiger Zeit auch mit Blick auf „Menschen mit Migrationshintergrund“ gefordert.
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sondern als Ermöglichung akademisierender Bildungsprozesse in der Zukunft vergeben werden, sind einige Beispiele für Ansätze konkreter Art. Kurse in „Deutsch als Wissenschaftssprache“, die sich grundsätzlich an alle Studierenden wenden (nicht nur an diejenigen, deren Erstsprache nicht Deutsch ist), und in denen nicht allein eine Einübung in wissenschaftliches Sprechen und Schreiben stattfindet, sondern vielmehr auch eine Reflexion des Zusammenhangs von Sprache und Macht, intensive Beachtung der Studieneingangsphase als womöglich kritische Phase des universitären Hineinfindens, institutionelles Monitoring als Selbstdeutungs- und Selbstreflexionsressource (im Hinblick auf die Angestelltenstruktur, im Hinblick auf Studierende: Anfänger/-innen, Abbruchquoten, Absolvent/-inn/-en, Noten etc., im Hinblick auf die Lehrpraxis sowie Förderstrukturen (BAföG, Stipendien, Studiengebühren etc.)), Anlaufstellen, um Diskriminierungserfahrungen an der Universität zu thematisieren, sind Beispiele für Ansätze einer differenzfreundlichen Universität, an der der Versuch der Öffnung nicht um den Preis der Festschreibung von Differenzen und Zugehörigkeiten erkauft wird. In Lehre und Studium geht es solchen Universitäten um die kritische Reflexion distributiver Verhältnisse (Verteilung von Noten, drop-out-Quoten etc. mit Blick auf Differenzlinien), um die Förderung „benachteiligter Gruppen“, um die Thematisierung der Auswahl Lehrender (wie viele Professor/-inn/-en „mit Migrationshintergrund“ lehren an der jeweiligen Fakultät? Welche symbolische Bedeutung haben diese Verhältnisse? Wie wirkt sich dies auf das Verständnis und die Erfahrungen der Zugehörigkeit von Studierenden aus, die als „Studierende mit Migrationshintergrund“ gelten?). In der Forschung ginge es darum, Interkulturalität und Interdisziplinarität von Forscher- und Forscherinnengruppen strukturell zu ermöglichen, Forschungen zu „Diversity“, „Differenz“ und „Dominanzverhältnissen“ zu befördern ebenso wie Studien zu Diskriminierungserfahrungen an der Hochschule; die Förderung von „Minderheitenangehörigen“ als Forscher/-innen wäre voranzutreiben; was es heißt, als Frau, Mensch mit Behinderung, Schwarze Forscherin in einer sich vornehmlich heterosexuell, männlich und weiß verstehenden und inszenierenden Universität zu arbeiten, wäre Bestandteil von Reflexions- und Weiterbildungsangeboten. In Verwaltung und Leitungsfunktionen würde die Besetzung von Leitungsebenen und Abteilungen mit Blick auf Differenz- und
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Zugehörigkeitsverhältnisse reflektiert, diskriminierungsreflexive Workshops für das Verwaltungspersonal wären Bestandteil beruflicher Praxis. Wenn es kein Zufall ist, dass seit den mit dem Namen „Bologna“ assoziierten Reformen (an) der Universität auch das Label „Diversity“ an Aktualität gewonnen hat, dann soll diese Koinzidenz hier als Hinweis auf die Problematik der mit den neuen Studiengängen insgesamt verbundenen Standardisierungen nicht nur von Inhalten, sondern auch von Lernformen und Lernzeiten verstanden werden. „Aufgegeben wird durch die Vereinheitlichung der Studienzeit und die Festlegung einer für alle geltenden Regel der Anspruch, an der Universität die Ungleichheit, die durch unterschiedliche Voraussetzungen des Elternhauses und der Sozialisation entstanden ist, auszugleichen“ (Müller-Schöll 2009: 143). Die Rückgewinnung dieses Anspruchs ist die Forderung, die aus einer differenzsensiblen und ungleichheitskritischen Perspektive auf die Universität zu formulieren wäre. Wenn die transgressive Lebensform der Universität einem breiten Spektrum habitueller Dispositionen von Studierenden grundsätzlich zugänglich sein soll, bedarf es einer Destandardisierung universitärer Formen und Zeiten, die zugleich dennoch weder zu einer Überforderung der Studierenden noch zu einem Niveauverlust im Studium beitragen darf. Dies kann nur durch übergeordnete Strukturen gewährleistet werden, die nicht, wie in vielen BA- und MA-Studiengängen, als buchhalterisch gängelnder Standard wirken, sondern übergeordnete Orientierungen im Hinblick auf das jeweilige Fach, die Organisation des Studiums sowie die Studierzeit anbieten. In dieser Doppelperspektive, der der rahmenden Orientierung im Hinblick auf Zeit, Studium und das Fach und der Pluralisierung von Lernformen, -inhalten und -zeiten, würde eine Universität Annäherungen daran finden, was es heißt, der Vielfalt von Studierenden so zu entsprechen, dass ein Vertrautwerden mit der Universität als transgressiver Lebensform sinnvoll wird – für viele.
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Interkulturelles Training? Eine Problematisierung MARÍA DO MAR CASTRO VARELA
Interkulturelle Trainings stehen wieder – oder immer noch – hoch im Kurs. Das kann kaum verwundern, denn ihre Versprechen sind sehr attraktiv: gute Kommunikation zwischen Menschen aus unterschiedlichen „Kulturen“, effiziente Arbeit in transnationalen Teams etc. Interkulturelle Trainings fügen sich sanft in einen Diskurs ein, der von Internationalisierung und Europäisierung spricht und Mobilität als das wichtigste Ziel pädagogischen Tuns zu setzen scheint. Der nachfolgende Text problematisiert einige Prämissen interkultureller Trainings und versucht, das Angebot, das so viel verspricht, kritisch zu beleuchten. So wird danach gefragt, wann das „Fremde“ zum „Fremden“ wurde und ob es bei einer Pädagogik, die das Kennen lernen so betont, nicht darum geht, das „Unverständliche“ und damit „Unheimliche“ unter Kontrolle zu bekommen. Karl Marx zufolge bedeutet Kritik die Selbstverständigung der Zeit über ihre Kämpfe und Wünsche. In diesem Sinne soll es hier darum gehen, die Implementierung Interkultureller Trainings und die damit transportierten Thesen zu „Kultur“ und „Interkulturalität“ als ein Kampf um Bedeutung zu analysieren, der nicht frei ist – auch nicht sein kann – von (neo-)kolonialem Begehren.
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MARÍA DO MAR CASTRO VARELA
Interkulturelle Trainings bedürfen der „Anderen“ Interkulturelle Expert/-inn/-en klären uns immer wieder darüber auf, warum das „Fremde“ den „Einheimischen“ Angst macht. Es wird gar behauptet, dass die Angst vor dem „Fremden“ eine „anthropologische Konstante“ darstellt, dass es in der Natur des Menschen liegt, sich vor dem „Fremden“ zu fürchten (vgl. Wierlacher 1993: 39). Zur Beweisführung für diese starke These wird zumeist das „fremdelnde“ Kleinkind angeführt. „Fremdes“ gemahnt an Trennung und ist „eine der Quellen von Angst- und Schuldgefühlen, deren Abwehr durch die Xenophobie, durch die Vermeidung des Fremden, ermöglicht werden soll“ (ebd., Anm. 15). Allerdings ist, wie so vieles, was über „Fremde“ und „Fremdheit“ geschrieben wurde und wird, auch die „Fremdeln-These“ umstritten. Zudem erscheint es im Kontext einer Einwanderungsgesellschaft wenig schlüssig zu behaupten – wie dies insbesondere im Integrationsdiskurs immer wieder getan wird –, dass ganz gleich, ob Menschen in Deutschland geboren sind, dort zur Schule gegangen sind und nie woanders als in Deutschland gelebt haben, sie zwangsläufig von den so genannten „Einheimischen“ als „Fremde“ wahrgenommen werden müssen, und dass die Vermeidung des Umgangs mit ihnen, ja, die Angst vor ihnen verständlich erscheint. Im Grunde wird mit solchen Aussagen Ausgrenzung und Marginalisierung als ein natürliches Verhalten festgeschrieben. Oder wie Birgit Rommelspacher (1995: 31) feststellt: „Damit wird einem Verhalten eine natürliche Basis zugesprochen, das Einwanderer/-innen politische Rechte vorenthält, sie mit Missgunst und Hass verfolgt und sie ökonomisch diskriminiert. Geschieht das alles aus Angst vor dem Fremden?“ Selten wird im Rahmen einer interkulturellen Professionalisierung hingegen darüber aufgeklärt, wie Menschen zu „Fremden“ gemacht werden, und warum sie „Fremde“ bleiben, selbst wenn sie jahrzehntelang denselben Ort mit den „Beheimateten“ bewohnen. Auch bleibt unklar, wie es gelingt, die These von der „Angst vor den Fremden“ mit einem aggressiven Marketing für Tourismus und der allgemeinen Behauptung, die Globalisierung habe die kulturellen Differenzen nivelliert, in Einklang zu bringen. Würden wir tatsächlich so viel verreisen, wenn uns die Begegnung mit den „Fremden“ Angst machen würde?
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Plausibler erscheint die mittlerweile 30 Jahre alte These von Edward Said, der in Anlehnung an Michel Foucault über ein „Fremd-machen“ (othering) geschrieben hat. In seiner nach wie vor bemerkenswerten Studie Orientalism (1978) hat Said dargelegt, wie der „Orient“ in Literatur, Kunst und Reisebeschreibungen geschaffen wurde. Die Darstellung des mysteriösen „Orient“ diente dabei, Said zufolge, unter anderem dem Zweck, die „zivilisierte“ und „rationale“ Welt des Westens herzustellen und zu bestätigen. Die Produktion des „Fremden“ vollzieht sich innerhalb einer Matrix der Über- und Unterordnung, wobei im Diskurs um die „Fremden“ immer gleichzeitig zwei Sub-Diskurse einfließen: Während der eine von der Exotik und dem Begehren spricht, redet der andere von dem gefährlichen „Orient“, den es zu fürchten gilt. So wird der „Orient“ zeitgleich assoziiert mit 1001 Nacht und (fundamentalistischem) Terror. Dagegen stellt sich der Okzident in Abgrenzung vom Orient als aufgeklärt, zivilisiert und emanzipiert dar und legitimiert damit gewaltvolle territoriale Annektierungen und Unterwerfung in Form von Kolonien oder Protektoraten. Orientalismus stellt ein komplexes Geflecht von zur Wahrheit geronnenen westlichen Aussagen über den „Orient“ und dessen bildliche, verbale und schriftliche Repräsentation in Kunst, Literatur und Wissenschaft dar. „Der Orient ist für den Okzident, das Abendland, Europa oder später allgemeiner den Westen, funktional. Er ist immer der Gegen-Okzident gewesen, also des Westens Alter Ego“ (Schulze 1991: 211). Said zufolge kann es keinen „wahren Orient“ geben, handelt es sich bei dem „Orient“ doch um eine Imagination des Westens (vgl. Said 1978: 322). Die Intellektuellen können, statt sich auf die Suche nach dem authentischen Ort zu machen, ihr kritisches Bewusstsein zum Einsatz bringen, indem sie die imperialen Diskurse nicht einfach zurückweisen oder umkehren, sondern stattdessen kritisch intervenieren und eine verantwortungsvolle, widersprechende Position einnehmen. „I hope to have shown my reader that the answer to Orientalism is not Occidentalism. […] If the knowledge of Orientalism has any meaning, it is in being a reminder of the seductive degradation of knowledge, of any knowledge, anywhere, at any time. Now perhaps more than before“ (ebd.: 328).
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Gespräche über gemachte Reisen – auch im Rahmen eines akademischen Austauschs – legen schnell die abgelagerten Bilder über die „Fremde(n)“ offen: So wird der afrikanische Kontinent bevorzugt mit Krankheiten und Gewalt assoziiert, während arabische Länder mit Gefahr für Leib und Leben – insbesondere für Frauen – in Verbindung gebracht werden und Indien sogleich Phantasien von Yoga, Meditation und Kamasutra hervorruft. In Folge erscheint es nicht nur gefährlich, ein arabisches Land zu betreten, sondern auch der Umgang mit „Arabern“ wird von der Dominanzbevölkerung als nicht ganz ungefährlich eingestuft. Verschärft wird diese Vorstellung durch den Sicherheitsdiskurs, der insbesondere „gut integrierte“ muslimische Männer als potentielle Schläfer diffamiert. Othering beschreibt darüber hinaus eine spezifische Beziehungsdynamik. Das „Fremd-machen“ erweist sich als kontinuierliche Stigmatisierung. Ein Prozess, an dessen Ende zivilisierte und bedrohliche Subjekte stehen. Eigentlich müsste es doch verwundern, dass Migrant/-inn/-en der dritten Einwanderungsgeneration in Deutschland immer noch als „Fremde“ betrachtet und bezeichnet werden. Tatsächlich werden sie als „Fremde“ immer wieder neu geschaffen, auch über Praxen der Kulturalisierung, die sich häufig als Bestandteil des Fremd-machens erweisen. Migrant/-inn/-en werden dabei zu verschiedenen Kulturen zugehörig erklärt und kategorisiert. In der Folge sprechen wir von Mentalitäten und dem Sosein von Schwarzen Menschen, Asiaten, Muslimen, Roma, Türken, etc. Ihre „kulturelle Zugehörigkeit“ wird für allerlei Mögliches und Unmögliches verantwortlich gemacht: Für das Zu-spät-kommen zu einem Termin, eine Nichtteilnahme an einer Veranstaltung, das Nichtverstehen einer Frage, für Konflikte im Team etc. „Kulturelle Zugehörigkeit“ wird zum alles erklärenden Prinzip. Wenn kulturelle Kategorien einmal etabliert sind, so nehmen sie unabwendbar Einfluss auf die Wahrnehmung von Gruppen. „Die andere Kultur“ wird gleichsam zur Master-Erklärung für jeglichen Dissens in (interkulturellen) Gruppen, während gleichzeitig Kulturalisierungen fortgeschrieben werden. So wird weiterhin über die Unterschiedlichkeit von Kulturen und die vermeintlichen Defizite diskutiert, die etwa Kinder von Migrant/-inn/-en in der Schule aufweisen. Kontinuierlich werden zwischenmenschliche Konflikte ethnisiert, indem die Ursache in so genannten kulturellen Differenzen gesucht wird.
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Generationskonflikte, Nachbarschaftsstreitigkeiten oder Konflikte zwischen Studierenden werden, ohne viel Zögern, zu einem ethnischen Problem deklariert. Für minorisierte Menschen bedeuten Kulturalisierungsprozesse vor allem Marginalisierung durch ein Festgelegt-werden auf ein vermeintliches Anderssein, dem nur schwer zu entkommen ist und das folglich das Alltagsleben entscheidend prägt. So wird der Ausschluss von zahlreichen Privilegien nicht selten mit der angeblichen Unvereinbarkeit der Kulturen und der damit einhergehenden Unmöglichkeit gelingender Integration begründet. Im stetigen Prozess des Fremd-machens werden dabei gleichzeitig diejenigen produziert, die als normal und dazugehörend gelten. Der Prozess des Othering zeigt sich dabei eingebettet in die Produktion oppositioneller Dualismen, d. h. diejenigen, die als nicht dazugehörig konstruiert werden, stehen immer denen gegenüber, die eben als zugehörig definiert werden – bzw. deren Zugehörigkeit keines Beweises und keiner Rechtfertigung bedarf. Halten wir also fest: Die „authentischen“ Anderen werden im pädagogischen Alltag immer wieder neu geschaffen und die Darstellung eines „Wir und die Anderen“ konstant (re-)stabilisiert. Die Konzepte der interkulturellen Kompetenz müssen auf diese Paradigmen hin befragt werden und es muss untersucht werden, wo es innerhalb interkultureller Theorie und Praxis zu Reifizierungen bestehender hegemonialer Verhältnisse kommt. Wenn zum Beispiel innerhalb von Trainings der Umgang mit dem „Fremden“, ohne dies zu hinterfragen – oder auch eine unkritische Idee von „Kultur“ – bei den Teilnehmenden bestätigt wird, so werden die bestehenden Machtverhältnisse gefestigt (vgl. Castro Varela 2007).
Kritik und Repräsentationspolitiken Eines der Ziele herrschaftskritischer Theoriebildung ist es, eine Sprache zu entwickeln, die in der Lage ist, soziale Gruppen adäquat zu repräsentieren. Doch die politische und linguistische Repräsentation determiniert irritierenderweise immer auch die Möglichkeiten der Subjektformation; die Anerkennung als Subjekt geht dabei der Repräsentation voraus. Wie Judith Butler (1990) zeigt, produziert die Macht die Subjekte, die analog repräsentiert
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werden. Wenn nun die Diskurse das produzieren, was sie lediglich zu repräsentieren vorgeben, so bedeutet dies auch, dass die entscheidende Frage nicht jene nach den Möglichkeiten einer adäquaten Repräsentation sein kann, sondern dass es vielmehr darum gehen muss, herauszuarbeiten, wie das Subjekt durch Machtstrukturen – auch jene innerhalb sozialer Widerstandsbewegungen – produziert und eingeschränkt wird (vgl. ebd.: 2). Westliche kritische Theorie legt häufig einen kolonisierenden Impetus an den Tag, indem sie geradezu erwartet, dass sich postkoloniale Subjekte ohne Widerrede ihren Bildern und ihren Vorstellungen von „Unterdrückung“ und „Emanzipation“ fügen. Dabei wird die so genannte ,Dritte Welt‘ als ein Raum konstruiert, für den etwa die Unterdrückung von Frauen aufgrund seines essentiellen nicht-westlichen ,Primitivismus‘ und ,Barbarismus‘ geradezu symptomatisch ist. Insbesondere Menschen aus Ländern mit muslimischen Mehrheiten in der Bevölkerung stehen gleichsam unter dem beständigen Verdacht, die Menschenrechte zu missachten. So werden Menschen aus postkolonialen Ländern nach wie vor als nicht-moderne Subjekte gekennzeichnet, die noch in die Moderne finden müssen. Repräsentationspolitiken, die sich auch in Interkulturellen Trainings aufzeigen lassen, spielen hier eine bestimmende Rolle. Interkulturelle Trainings funktionalisieren häufig stereotype Vorstellungen von den „Anderen“, die es zu verstehen gilt. Repräsentation stellt einen Vorgang dar, durch den die Repräsentantin den Repräsentierten vertritt, verkörpert und darstellt. Jede Repräsentation führt gewissermaßen zu einer Kluft zwischen Original und Kopie, denn eine perfekte Repräsentation bleibt eine Unmöglichkeit. Weder auf der Seite der Repräsentanten noch auf der der Repräsentierten können die Bedingungen einer vollkommenen Repräsentation je erlangt werden. Das liegt in der inhärenten Logik des Repräsentationsprozesses selbst begründet. Das Repräsentationsverhältnis bleibt immer Supplement, und es entsprechen ihm immer neue Hinzufügungen. Für eine sich als kritisch verstehende Theorie und Praxis bleibt es mithin Notwendigkeit, Repräsentation einer permanenten Problematisierung zuzuführen, da ansonsten bestehende Macht- und Herrschaftsverhältnisse reproduziert und stabilisiert werden. Dabei besitzen einige Repräsentationen die kognitive Autorität, hegemoniale Verhältnisse zu sichern (vgl. Beverley 2004). Die „Autorität“ wird ihnen aufgrund der hegemonialen Positionierung zuge-
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schrieben. Es ist der common sense, der immer wieder spiegelt, was „normal“ ist und was lediglich die Abweichung darstellt. Interkulturelle Trainings spielen nicht selten genau auf dieser Klaviatur. Sie bestätigen das „Exotische“ als „exotisch“ und das „Sonderbare“ als „sonderbar“. Innerhalb dieses Fragenkomplexes ist auch die Frage nach der „authentischen Stimme“ relevant, denn nicht selten wird das komplizierte Feld der Repräsentationspolitiken bereinigt, indem der Platz frei geräumt wird für die ,wahren Stimmen der Anderen‘, für diejenigen, die es wirklich wissen, ja wissen müssen. Es sind dies diejenigen, die aus dem Feld der eigenen Erfahrung sprechen. Doch auch hier ruht die Infragestellung der postkolonialen Theorie keinesfalls. So zeigt Spivak pointiert auf, wie innerhalb des Diskurses um postkoloniale Theoriebildung der/die „native informant“ als kulturelle/-r Übersetzer/-in, welche/-r in der ,Ersten Welt‘ verortet ist, den Akt des Übersetzens von einer Kultur in das Idiom der anderen übernimmt. Dem postkolonialen intellektuellen Subjekt, das im Namen der Differenz angerufen wird, wird hier die Rolle des kulturellen Repräsentanten/ der kulturellen Repräsentantin ungefragt zugewiesen. Es soll wertvolle Informationen für die westlichen Akademien bereitstellen, die die Politik der Ignoranz lange für unwichtig erachtet hat. Konkret: Wenn immer die ,Anderen‘ über ihre Kultur sprechen, wird nicht nur Wissen erzeugt, sondern Spivak zufolge auch Ignoranz hervorgebracht. Denn das Sprechen der ,Anderen‘ über ihre Kultur stabilisiert nicht nur die Idee statischer Kulturen als Container, sondern erzeugt auch eine Vorstellung von Wissen, welches sich quasi durch Geburt einstellt. Solcherlei Wissen, welches von den Mitgliedern der Dominanzkultur immer wieder gerne abgerufen wird, ist insofern problematisch, weil es die hegemonialen Strukturen stabilisiert. Zynisch bemerkt etwa Trinh Minh-Ha: „My audience expects and demands it; otherwise people would feel as if they have been cheated: We did not come here to hear a Third World member speak about the First World. We came to listen to that voice of difference likely to bring us what we can’t have, and to divert us from the monotony of sameness“ (Trinh 1989: 88).
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Bekannt sind interkulturelle Ansätze, in denen die ,Anderen‘ über ,ihre Kultur‘ Auskunft geben müssen, während das ,Wir‘ lauscht und Wissen akkumuliert. Spivak macht deutlich, dass Repräsentation als Sprechakt mit einem Sprecher/ einer Sprecherin auf der einen und einem Zuhörer/ einer Zuhörerin auf der anderen Seite zu lesen ist. Nicht selten versucht das marginalisierte Subjekt, sich selbst zu repräsentieren. Wenn jedoch diese Repräsentation außerhalb der offiziell vorgeschriebenen Strukturen stattfindet, so wird dieser Akt nicht gehört, die Repräsentation ist nicht intelligibel. Spivak (1996: 306) bezeichnet dies als die Unmöglichkeit zu sprechen. Die Zuhörenden erkennen den Akt der Repräsentation auch deswegen nicht (an), weil er nicht dem entspricht, was sie erwarten, was sie zu erkennen in der Lage sind. Aus diesen repräsentationspolitischen Fragen ergeben sich wichtige Problematisierungen bezüglich Interkultureller Trainings: Wer übernimmt beispielsweise die Aufgabe der Repräsentation? Welche Repräsentation wird anerkannt und als wahr und richtig bezeichnet? Wann wird geäußert, dass es sich doch nicht um „richtige Franzosen“ handelt? Und warum können Schwarze Menschen nicht wirklich Deutschland repräsentieren – auch wenn sie Deutsche sind und/oder in Deutschland aufgewachsen sind? Repräsentationen finden in interkulturellen Begegnungen zwangsläufig statt. Eine Nicht-Problematisierung führt zur klassischen Reifizierung von Stereotypen.
Postkolonial Denken Postkoloniale Diskurse versuchen aufzudecken, in welcher Weise (neo-)koloniale Repräsentationen hergestellt werden und funktionieren. Nicht zufällig bezeichnete der Begriff „Orientalist“ Universitätsgelehrte, die zwischen 1780-1830 in Indien tätig waren. Sie galten als Indienexperten, die indische Kulturen und Sprachen mit Begeisterung studierten und lehrten. Said ist dieser Enthusiasmus verdächtig. Für ihn handelte es sich dabei keineswegs um eine selbstlose Praxis, sondern um eine spezifische Herrschaftsstrategie. Europäische Ethnologen, Philologen und Historiker zeigten sich im 19. Jahrhundert geradezu besessen vom Orient und den indo-europäischen Sprachgruppen, die scheinbar Erklärungen zu den Wurzeln einer europäischen Zivilisation anboten
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(vgl. Said 1999: 29). Konsequenz war ein obsessives Studium des Orients. Die Strategie des ,Kennenlernens‘, die auch heute noch in Politik, Pädagogik, Wirtschaft etc. dominant ist, entlarvt Said dabei als Strategie der Weltbeherrschung (vgl. auch Castro Varela/Dhawan 2007). Anlehnend an die postkoloniale Theoretikerin Gayatri C. Spivak betrachte ich Bildungsprozesse – und in dieser Weise analysiere ich auch Interkulturelle Trainings – als eine Strategie zur zwangfreien Neuordnung von Begehren. Diese Sichtweise erfordert nicht nur ein Überdenken der Didaktiken, sondern auch ein Nachdenken über die in Bildungsprozesse eingebettete Gewalt. Es ist wichtig, dass die Lehrenden oder Anleitenden sich als Teil des Gesamtproblems begreifen und sich zudem auch als Lernende verstehen. Wenn etwa Interkulturelle Trainings entworfen werden, die den Teilnehmenden Auskunft darüber geben, wie die „Anderen“ tatsächlich sind – wie ein Deutscher eine Chinesin begrüßen soll und warum die Lateinamerikaner Probleme mit der Disziplin haben –, was sagt das im Grunde über diejenigen aus, die dieses Wissen verbreiten? Welche riskanten Sicherheiten werden erzeugt und welches arrogante „Wir“ konstruiert? Interkulturelle Trainings operieren häufig mit einem im kolonialen Kontext erworbenen Wissen und stellen dieses – wie auch die spezifische Wissensproduktion – selten in Frage. Das ist, wie ich finde, ein Problem pädagogischer und politischer Art. In diesem Zusammenhang ist es instruktiv, die andere Seite des Wissens zu betrachten: die Ignoranz. Spivak spricht von einer belohnten Ignoranz und beschreibt damit ein Nicht-Wissen, welches nicht blamiert, sondern im Gegenteil die eigene Position der Macht stabilisiert. Denn es gibt Dinge, die ich nicht wissen muss – vielleicht auch nicht wissen soll – und Wissen, welches keinen ,Wert‘ hat, das also nicht zu Geld gemacht werden kann. So ist es frappierend, wie selten Studierende die deutsche Kolonialgeschichte kennen oder die Migrationsprozesse nach dem Zweiten Weltkrieg beschreiben können. Lernen ist immer auch Vergessen und Verdrängen. Die Philosophin Lorraine Code (2004) spricht deswegen deutlicher von der Macht der Ignoranz. Eine Ignoranz, die im wissenschaftlichen Diskurs gerne als Objektivität beschrieben wird. 1817 schrieb James Mill etwa die „History of India“, von der er selbst sagte, dass nur seine vollkommene Ignoranz gegenüber dem indischen Kontext es ihm ermöglichte, dieses so wichti-
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ge Buch zu schreiben. Für Code veranschaulicht dieses Beispiel geradezu emblematisch eine Politik der Unwissenheit. In Anbetracht der vorherrschenden Ignoranz kann Lernen meines Erachtens nur in einer Dialektik von Lernen und Verlernen gedacht werden. Während klassische Pädagogikvorstellungen versuchen, Ignoranz zu bekämpfen, adressiert eine postkolonial denkende Pädagogik die belohnte, durch Bildung produzierte Ignoranz und stellt sie in einen Zusammenhang mit epistemischer Gewalt (vgl. Spivak 1999). Lehren und Vermitteln wird zu einer strategischen Frage. Anstatt den Lernenden Theorien über die differenten Kulturen zu geben, sollte es eher darum gehen, die epistemische Gewalt transparent zu machen, die „Andere“ zu „Anderen“ macht und ein imperialistisches Selbst produziert, welches immer noch der Annahme nachhängt, dass Europa der Mittelpunkt allen Wissens ist. Interkulturelles Arbeiten muss mithin eurozentrische Perspektiven in Frage stellen und herausfordern – wohlwissend, dass eine nicht-eurozentrische Perspektive eine Unmöglichkeit darstellt. Dabei ist jede pädagogische Situation gewissermaßen einzigartig. Spivak verdeutlicht dies, indem sie beschreibt, was passiert, wenn diejenigen, die auf die Ränder verwiesen werden, das Zentrum der Erziehungsinstitutionen betreten, wenn die Unterdrückten nicht mehr schweigen und der akademische Kanon durch dekonstruktive und feministische Lesarten irritiert wird. Die Institutionen, die sie auch als „Erziehungsmaschine“ (teaching machine) bezeichnet, werden durch das Einbrechen der Ränder in Bewegung gebracht, so Spivak, und es ist spannend, wie die einzelnen Teile des Erziehungskomplexes darauf reagieren und wie die Idee von Interkulturalität verschoben wird (vgl. Spivak 1993). Ziel kann Spivak zufolge keine interkulturelle Kompetenz sein, sondern das, was sie eine transnationale Bildung genannt hat. Transnationale Bildung fußt in erster Linie auf der Hinterfragung der eigenen Privilegien (vgl. Spivak 1995). Sie stellt keine bloße Informationsakkumulation dar, sondern wird erworben eben über den genannten dialektischen Prozess von Lernen und Verlernen. Verlernen beruht hierbei auf der Infragestellung und der ungenierten Kritik des Status quo, während Lernen auch die schmerzhafte Auseinandersetzung mit dem eigenen Gewaltpotential, der eigenen gewaltvollen Geschichte bedeutet. Es ist beispielsweise interessant, dass viele Studierende deutscher Hoch-
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schulen glauben, dass es höflich sei, Studierenden aus nichteuropäischen Ländern zu sagen, sie seien (fast) europäisch. Als sei es eine Nobilitierung europäisch zu sein. Die meisten Menschen auf dieser Welt assoziieren mit Europa zumindest auch Genozide, Plünderungen und Verbrechen, warum sollten sie sich also über eine solche Aussage freuen? Prinzipiell sollte auf dem Lehrplan die Frage stehen, wie von denen gelernt werden kann, von denen nicht geglaubt wird, dass wir von ihnen etwas lernen könnten. Anders gewendet: Die pädagogischen Hierarchien müssen ins Wanken gebracht werden. Um dies zu bewerkstelligen, bedarf es der „Kunst Regeln zu brechen“. Die Praxis des „Regelbrechens“ beschreibt Spivak als eine ethische Verpflichtung. Wobei nicht selten gerade die dominanten pädagogischen Vorstellungen die Auskunft darüber geben, was Lernen bedeutet, die kritischen Infragestellungen behindern. Wer die Regeln bricht, darf deswegen nicht hoffen, dass das Brechen der Regeln allen attraktiv erscheint. Nicht wenige sind zufrieden mit dem So-wie-es-ist. Die historisch gewachsene Struktur des „Wir und die Anderen“ ist durchaus attraktiv – ganz gleich auf welcher Seite wir stehen, wir profitieren auch davon. Ein Verlernen bei sich und anderen zu initiieren, erfordert deswegen Experimentierfreudigkeit und Räume, die Experimente zulassen. Dabei könnte es darum gehen, sich von generellen Konsenserwartungen ebenso frei zu machen wie von der Vorstellung, eine Zukunft ohne Dominanzverhältnisse könne „trainiert“ werden. Stattdessen käme es darauf an, im Elan der Experimentierfreude Funken „gewaltfreien Lernens“ überspringen zu lassen, die Dissens als konstruktiv wahrnehmbar machen. Ein schmerzhafter, aber lohnender Prozess.
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Literatur Beverley, John (2004): Subalternity and Representation. Arguments in Cultural Theory, Durham, London: Routledge. Butler, Judith (1990): Gender Trouble, Feminism and the Subversion of Identity, New York, London: Routledge. Castro Varela, María do Mar (2007): „Interkulturelle Kompetenz, Integration und Ausgrenzung“. In: Matthias Otten/Alexander Scheitza/Andrea Cnyrim (Hg.), Interkulturelle Kompetenz im Wandel, Bd. I: Grundlegungen, Konzepte und Diskurse, Frankfurt/Main, S. 155-172. Castro Varela, María do Mar/Dhawan, Nikita (2006): „Das Dilemma der Gerechtigkeit: Migration, Religion und Gender“. Das Argument, 266, 48. Jg., H. 3, S. 427-440. Castro Varela, María do Mar /Dhawan, Nikita (2007): „Orientalismus und postkoloniale Theorie“. In: Iman Attia (Hg.), Orient- und Islambilder. Interdisziplinäre Beiträge zu Orientalismus und antimuslimischen Rassismus, Münster: UnrastVerlag, S. 31-44. Code, Lorraine (2004): „The Power of Ignorance“. Unveröffentlichtes Manuskripts des Vortrags auf der Internationalen Philosophinnentagung des IAPh, 17./19. Juni 2004, Göteburg. Rommelspacher, Birgit (1995): Dominanzkultur. Texte zu Fremdheit und Macht, Berlin: Orlanda. Said, Edward (1978): Orientalism, Western Conceptions of the Orient, Oxford: Pantheon Books. Said, Edward (1999): „Die Konstruktion des ,Anderen‘“. In: Christoph Burgmer (Hg.), Rassismus in der Diskussion, Berlin: Elefanten Press, S. 27-44. Schulze, Reinhard (1991): „Vom Anti-Kommunismus zum AntiIslamismus“. In: Norbert Mattes (Hg.), „Wir sind die Herren und ihr unsere Schuhputzer!“ Der Nahe Osten vor und nach dem Golfkrieg, Frankfurt/Main: Dagyeli-Verlag S. 207-219. Spivak, Gayatri Chakravorty (1993): Outside in the Teaching Machine, New York, London: Routledge. Spivak, Gayatri Chakravorty (1995): „Teaching for the times“. In: Jan Nederveen Pieterse/Bhikhu Parekh (Hg.), The Decolonization of Imagination: Culture, Knowledge and Power, London: Zed Books, S. 177-202.
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Spivak, Gayatri Chakravorty (1996): The Spivak Reader. Selected Works of Gayatri Chakravorty Spivak. Hg. von Donna Landry/Gerald MacLean, New York, London: Routledge. Spivak, Gayatri Chakravorty (1999): A Critique of Postcolonial Reason: Towards a History of the Vanishing Present, Calcutta, New Delhi: Seagull. Trinh, Minh-ha (1989): Woman, Native, Other: Writing Postcoloniality and feminism, Bloomington: Indiana University Press. Wierlacher, Alois (1993): „Kulturwissenschaftliche Xenologie. Ausgangslage, Leitbegriffe und Problemfelder“. In: ders. (Hg.), Kulturthema Fremdheit. Leitbegriffe und Problemfelder kulturwissenschaftlicher Fremdheitsforschung, München: Iudicium.
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Autorinnen und Autoren
María do Mar Castro Varela (Prof. Dr. rer. soc.) ist Professorin für Allgemeine Pädagogik und Soziale Arbeit mit den Schwerpunkten Gender und Queer Studies, Postcolonial Studies und Kritischer Migrationsforschung an der Alice Salomon Hochschule Berlin. Lucyna Darowska (M.A.) ist Politikwissenschaftlerin und Mitarbeiterin im International Office der Universität Bielefeld. Isabell Diehm (Prof. Dr. phil.) ist Professorin für Migrationspädagogik und Kulturarbeit an der Fakultät für Erziehungswissenschaft der Universität Bielefeld. Birte Klingler (Dipl.-Päd.) ist wissenschaftlich beschäftigt im Projekt „Reflexivität im erziehungswissenschaftlichen Studium“ an der Fakultät für Erziehungswissenschaft der Universität Bielefeld. Thomas Lüttenberg (Dr. phil.) ist Leiter des International Office der Universität Bielefeld. Claudia Machold (Dipl.-Päd.) ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich Migrationspädagogik und Kulturarbeit an der Fakultät für Erziehungswissenschaft der Universität Bielefeld. Paul Mecheril (Prof. Dr. phil.) ist Professor für Interkulturelles Lernen und sozialen Wandel an der Fakultät für Bildungswissenschaften der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck.
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HOCHSCHULE ALS TRANSKULTURELLER RAUM?
Wolfgang Welsch (Prof. Dr. phil.) ist Professor für Theoretische Philosophie an der Philosophischen Fakultät der FriedrichSchiller-Universität Jena.
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Kultur und soziale Praxis Sylke Bartmann, Oliver Immel (Hg.) Das Vertraute und das Fremde Differenzerfahrung und Fremdverstehen im Interkulturalitätsdiskurs Dezember 2010, ca. 240 Seiten, kart., ca. 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1292-9
Gabriele Cappai, Shingo Shimada, Jürgen Straub (Hg.) Interpretative Sozialforschung und Kulturanalyse Hermeneutik und die komparative Analyse kulturellen Handelns Juni 2010, 304 Seiten, kart., 28,80 €, ISBN 978-3-89942-793-6
Özkan Ezli (Hg.) Kultur als Ereignis Fatih Akins Film »Auf der anderen Seite« als transkulturelle Narration November 2010, 164 Seiten, kart., 22,80 €, ISBN 978-3-8376-1386-5
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de
Kultur und soziale Praxis Claudia Schirrmeister Bratwurst oder Lachsmousse? Die Symbolik des Essens – Betrachtungen zur Esskultur November 2010, 230 Seiten, kart., 23,80 €, ISBN 978-3-8376-1563-0
Doris Weidemann, Jinfu Tan Fit für Studium und Praktikum in China Ein interkulturelles Trainingsprogramm August 2010, 188 Seiten, kart., 17,80 €, ISBN 978-3-8376-1465-7
Ayfer Yazgan Morde ohne Ehre Der Ehrenmord in der modernen Türkei. Erklärungsansätze und Gegenstrategien Dezember 2010, 350 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., ca. 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1562-3
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de
Kultur und soziale Praxis Aida Bosch Konsum und Exklusion Eine Kultursoziologie der Dinge Januar 2010, 504 Seiten, kart., zahlr. farb. Abb., 33,80 €, ISBN 978-3-8376-1326-1
Anne Broden, Paul Mecheril (Hg.) Rassismus bildet Bildungswissenschaftliche Beiträge zu Normalisierung und Subjektivierung in der Migrationsgesellschaft Mai 2010, 294 Seiten, kart., 28,80 €, ISBN 978-3-8376-1456-5
Nesrin Z. Calagan Türkische Presse in Deutschland Der deutsch-türkische Medienmarkt und seine Produzenten August 2010, 302 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1328-5
Kathrin Düsener Integration durch Engagement? Migrantinnen und Migranten auf der Suche nach Inklusion Januar 2010, 290 Seiten, kart., zahlr. Abb., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1188-5
Jörg Gertel Globalisierte Nahrungskrisen Bruchzone Kairo Juli 2010, 470 Seiten, kart., zahlr. Abb., 35,80 €, ISBN 978-3-8376-1114-4
Jörg Gertel, Ingo Breuer (Hg.) Alltags-Mobilitäten Aufbruch marokkanischer Lebenswelten Dezember 2010, ca. 350 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 29,80 €, ISBN 978-3-89942-928-2
Martina Grimmig Goldene Tropen Zur Koproduktion natürlicher Ressourcen und kultureller Differenz in Guayana Januar 2011, ca. 320 Seiten, kart., ca. 34,80 €, ISBN 978-3-89942-751-6
IPSE – Identités Politiques Sociétés Espaces (Hg.) Doing Identity in Luxemburg Subjektive Aneignungen – institutionelle Zuschreibungen – sozio-kulturelle Milieus Juli 2010, 304 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1448-0
Anne-Christin Schondelmayer Interkulturelle Handlungskompetenz Entwicklungshelfer und Auslandskorrespondenten in Afrika. Eine narrative Studie August 2010, 380 Seiten, kart., 34,80 €, ISBN 978-3-8376-1187-8
Tina Spies Migration und Männlichkeit Biographien junger Straffälliger im Diskurs November 2010, 438 Seiten, kart., 34,80 €, ISBN 978-3-8376-1519-7
Asta Vonderau Leben im »neuen Europa« Konsum, Lebensstile und Körpertechniken im Postsozialismus Juni 2010, 238 Seiten, kart., 26,80 €, ISBN 978-3-8376-1189-2
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de