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German Pages 140 Year 2015
Thomas Lemke Veranlagung und Verantwortung
2004-01-13 17-25-42 --- Projekt: T202.x-texte.lemke.genetische krankheiten / Dokument: FAX ID 016942159184538|(S.
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) T00_01 schmutztitel.p 42159184594
Thomas Lemke (Dr. phil.) ist Mitarbeiter des Instituts für Sozialforschung in Frankfurt am Main. Seine Arbeitsschwerpunkte sind: Gesellschaftstheorie, politische Theorie, Organisationssoziologie, Biopolitik, Gen- und Reproduktionstechnologien.
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) T00_02 autor.p 42159184642
Thomas Lemke
Veranlagung und Verantwortung. Genetische Diagnostik zwischen Selbstbestimmung und Schicksal
X T E X T E
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Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. © 2004 transcript Verlag, Bielefeld Umschlaggestaltung & Innenlayout: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Satz: digitron GmbH, Bielefeld Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 3-89942-202-3
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) T00_04 impressum.p 42159184770
Inhalt 1 Einleitung | 7 2 Die Relevanz des Risikos: Genetische Diagnostik als moralische Technologie | 15 3 »Die Büchse der Pandora«: Der prädiktive Test für die Huntington-Krankheit | 25 Die Selbsthilfebewegung: Die Organisation genetischer Interessen | 28 Der »Schicksalstest« | 31 Von Mäusen und Menschen: Die Hoffnung auf Heilung | 48 Molekulargenetische Subjekte | 53
4 Konturen einer Biosozialität | 59 »Basis eines alternativen Expertenwissens«: Die Politisierung der Wissenschaft | 61 Selbsthilfe zwischen Kompetenz und Kommerzialisierung | 64
5 Genetische Verantwortung | 69 »Aufgeklärte Ohnmacht« – Das Beispiel der Brustkrebsgene | 70 Individualisierung und Diskriminierung | 76
6 Schluss: Gen-Ethik | 87 Anmerkungen | 95 Internetadressen | 107 Glossar | 113 Literatur zum Thema | 119
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) T00_05 inhalt.p 42159184850
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Einleitung | 7
1 Einleitung
Mit den Ergebnissen des Humangenomprojekts und der darauf aufbauenden molekularbiologischen Forschung werden in Zukunft immer mehr und genauere Kenntnisse über die Struktur und Funktion des menschlichen Genoms verfügbar sein. Die Hoffnungen richten sich insbesondere auf die Entwicklung einer »Gen-Medizin« (Raem et al. 2001), die es erlauben soll, die molekularen »Ursachen« von Krankheiten ebenso zu entschlüsseln wie individuelle Differenzen in der Reaktion auf Therapien und Medikamente. Es ist jedoch absehbar, dass die Anwendung und Verwertung des neuen genomanalytischen Wissens sich nicht auf medizinische Nutzungsformen beschränken wird, sondern die individuelle Erfahrung von Schwangerschaft und Geburt ebenso verändert wie gesellschaftliche Institutionen (etwa das Gesundheitssystem, das Rechts- und das Versicherungswesen) und den kollektiven Umgang mit Behinderung, Krankheit und Tod. Eine Schlüsselrolle dürfte dabei der genetischen Diagnostik zukommen – ein Sammelbegriff, der sehr unterschiedliche Analyseformen zusammenfasst, die von individuellen Tests bis hin zu genetischen Massenuntersuchungen reichen. Ihnen ist gemeinsam, dass sie auf molekulargenetischer Grundlage arbeiten und prädiktive, d.h. voraussagende Informationen liefern. Sie konzentrieren sich auf die Analyse genetischen Materials (z.B. Chromosomen, DNA-Abschnitte etc.) mit dem Ziel, Erkenntnisse über zukünftige Krankheiten bzw. Krankheitsveranlagungen zu erhalten. Das Ziel prädiktiver Tests ist
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die Identifizierung von genetischen Veränderungen, die mit erhöhter (prädiktiv-probabilistisch) oder mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit (prädiktiv-deterministisch) zu einer Krankheit führen. Allerdings können mit Hilfe genetischer Tests grundsätzlich nicht nur krankheitsspezifische Genvarianten untersucht werden, sondern auch Genveränderungen, die zum Beispiel für eine stärkere Empfindlichkeit gegenüber bestimmten chemischen Substanzen, Impfstoffen oder auch Arzneimitteln verantwortlich sein sollen (Schmidtke 1997; Fesch 2000; Hennen et al. 2000). In den Sozial- und Geisteswissenschaften und in der medialen Öffentlichkeit nimmt die Auseinandersetzung mit den Ergebnissen der Genomforschung immer größeren Raum ein. Im Mittelpunkt der Diskussionen stehen die ethischen, rechtlich-politischen und sozialen Folgen von Genomanalyse und genetischer Diagnostik. Weit verbreitet ist eine kritische Einschätzung dieser wissenschaftlich-technologischen Entwicklung, die eine tendenzielle Biologisierung des Sozialen konstatiert (Koechlin 1996; C. Koch 1998). In der Regel wird dabei das gesellschaftspolitische Potential der Genomforschung »in der Ersetzung sozialer durch gentechnische Lösungen« (Beck 1988: 43) und einer »Genetifizierung« (Lippman 1991: 19) der Gesellschaft gesehen. Beklagt wird ein genetischer Determinismus oder ein »Genfatalismus« (Assheuer 2000; Petersen 1998), der das Prinzip der Selbstbestimmung durch das Schicksal der Gene ersetzt. Diese Kritikperspektive erfasst zweifellos wichtige Problemfelder und Entwicklungstrends der genetischen Diagnostik, sie vernachlässigt jedoch einen entscheidenden Aspekt. Die wissenschaftlichen Forschungsanstrengungen im Bereich der Genomforschung, die zunehmend Gen-Umwelt-Interaktionen in ihre Untersuchungen einbeziehen (Keller 2001), zeigen ebenso wie die medizinischen Diskussionen über potentielle Anwendungsfelder von Genanalysen, dass die »gesellschaftliche Sprengkraft genetischer Information« (Nelkin 1995) eher in der Konstruktion genetischer Risiken bzw. »Dispositionen« als in der Feststellung eines genetischen Determinismus liegt. Die häufig in der Kritik unterstellte Passivität der Subjekte ist daher ebenso zu hinterfragen wie das Postulat eindeutiger kausaler Bedingungsverhältnisse bzw. die Annahme eines unabwendbaren »genetischen Schicksals«. Im Gegenteil: Auch und gerade genetische Dispositionen
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Einleitung | 9
sind Gegenstand von Handlungsoptionen und Entscheidungszumutungen, sie sollen weniger passiv hingenommen, sondern über die Kontrolle von Lebensstil, Gesundheitsverhalten oder Ernährungsgewohnheiten aktiv gesteuert werden. Die vorliegende Untersuchung geht der Frage nach, welche Folgen Genomanalyse und genetische Diagnostik für die personale und soziale Identität der Subjekte und ihre Lebensführung haben. Inwieweit tragen prädiktive Gentests zur Konstitution eines »homo geneticus« (Gaudillière 1995: 35) bei, der sich den Techniken des Risikomanagements und den Praktiken der Selbstüberwachung des Körpers unterzieht? Wie schreibt sich der genetische Code als Bio-Grafie in das Leben der Subjekte ein? Dabei soll eine Untersuchungsperspektive vermieden werden, die allein auf den Zwangs- und Unterwerfungscharakter der genetischen Diagnostik abstellt, ohne diese unter dem Aspekt der Veränderung von Selbstkonzepten oder »Selbsttechnologien« (Foucault 1993) zu analysieren. Gezeigt wird, dass der Einsatz »genetischen Wissens« einerseits zu einer weiteren Individualisierung und Privatisierung gesellschaftlicher Risiken beiträgt, er andererseits aber auch neue Formen individueller und kollektiver Subjektivität und andere Körper-Erfahrungen ermöglicht, die sich nicht vollständig diesem Entwicklungstrend unterordnen und sich eventuell sogar als gegenläufiges Moment begreifen lassen. Im Mittelpunkt der Darstellung steht die Analyse von Publikationen aus Selbsthilfegruppen und Interessenvertretungen zu einer genetischen Krankheit: der Huntington-Krankheit. Anhand dieses konkreten Fallbeispiels soll untersucht werden, wie Betroffene die Möglichkeiten der prädiktiven genetischen Diagnostik einschätzen, welche sozialen Probleme und ethischen Konflikte thematisiert, welche Argumentationslinien konzipiert und welche Lösungsperspektiven entwickelt werden. Die Auswahl der Krankheit ergibt sich aus deren paradigmatischer Bedeutung. Die Huntington-Krankheit wird zu den klassischen Erbkrankheiten gezählt. Es handelt sich um eine monogenetische Krankheit, die von der Veränderung eines einzelnen Gens ausgelöst wird. Die molekulargenetische Untersuchung zeichnet sich in diesem Fall durch eine hohe Aussagekraft aus, da sie das Erkrankungsrisiko mit großer Sicherheit voraussagen kann. Wie kein anderer Gentest ruft das Nachweisverfahren für die Huntington-
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Krankheit daher Assoziationen von Unveränderbarkeit und Schicksalhaftigkeit hervor. Der Band verfolgt ein doppeltes Ziel. Erstens soll anhand dieses Fallbeispiels die soziale Bedeutung des Einsatzes von Gentests aus der Perspektive der unmittelbar Betroffenen rekonstruiert werden. Die Analyse wird zeigen, dass sich – neben der oft beklagten »Biologisierung des Sozialen« – Konturen einer »Biosozialität« (Rabinow 1996) abzeichnen, das heißt die Formierung von Selbsthilfegruppen und Patientenvereinigungen, in denen sich Individuen mit einer ähnlichen genetischen Ausstattung bzw. Anomalie kollektiv organisieren. Diese Gruppen sind gerade nicht passive Opfer der Krankheit; im Gegenteil bildet die Krankheitserfahrung den Ausgangspunkt für ein Feld vielfältiger sozialer Aktivitäten. Die in den Selbsthilfegruppen organisierten Kranken und deren Angehörige wirken an der Erarbeitung von Richtlinien für den Einsatz gendiagnostischer Verfahren mit, sie arbeiten eng mit spezialisierten medizinischen Experten zusammen und betreiben fundraising, um eine auf ihre Bedürfnisse abgestimmte Forschung voranzutreiben. Sie bauen Kommunikationsnetze auf, die von regelmäßigen Gruppentreffen zum gegenseitigen Erfahrungsaustausch, eigenen Publikationsorganen bis hin zu Informationsangeboten im Internet reichen. Zweitens zeigt die Untersuchung, dass der Einsatz prädiktiver Gentests nicht nur genetische Risiken für Krankheiten registriert, sondern selbst auch neue – medizinische, psychologische und soziale – Risiken produziert. Auch wenn das molekulargenetische Nachweisverfahren die Anlage für die Huntington-Krankheit meist sicher voraussagen mag, so liefert es doch keine für den Einzelfall brauchbaren Aussagen über Krankheitsbeginn und -verlauf. Hinzu kommt, dass es weder Präventionsmöglichkeiten noch Therapieangebote für die Krankheit gibt. Dies gilt auch für die anderen Tests auf molekulargenetischer Grundlage, die nur in seltenen Fällen im Kontext therapeutischer Optionen stehen und in der Regel lediglich ein statistisch erhöhtes Krankheitsrisiko feststellen können. Die Eintrittswahrscheinlichkeit der diagnostizierten Krankheiten ist hier wesentlich geringer als bei der Huntington-Krankheit, die sich durch eine im Vergleich zu anderen Krankheiten relativ hohe Penetranz auszeichnet. In dem wissenschaftlich-medizinischen Diskurs ist daher mehr von Risiken,
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Einleitung | 11
Dispositionen und Veranlagungen als von genetischen Determinationen die Rede. Gleichwohl erfolgen auf der Grundlage dieser Risikoindikationen häufig schwerwiegende medizinische Interventionen; ebenso kann die Diagnose von genetischen Risiken zu Formen von Diskriminierung durch gesellschaftliche Organisationen sowie zu Ängsten und Schuldgefühlen auf Seiten der betroffenen Individuen führen. Auch wenn der Gentest für die Huntington-Krankheit also keineswegs repräsentativ für das Untersuchungsfeld ist, so lassen sich hier in exemplarischer Weise und in extremer Form Probleme studieren, die der Einsatz der prädiktiven Diagnostik insgesamt aufwirft. Die Untersuchung gliedert sich in folgende Teile. Im nächsten Kapitel wird das Konzept des genetischen Risikos innerhalb umfassenderer gesellschaftlicher Entwicklungstendenzen analysiert. Prädiktive Gentests sind Teil einer breiteren Bewegung hin zum Management von Wahrscheinlichkeiten und Risiken, sie tauchen in einem bereits existierenden Ensemble von sozialen und kulturellen Trends auf, die eine Umstellung von einer reaktiven auf eine aktive Unsicherheitsorientierung aufzeigen. In diesem Kontext kommt es auch in der Medizin zu einer zunehmenden Konzentration auf die Steuerung und Minimierung gesundheitlicher Risiken und zur Entwicklung von entsprechenden Diagnose- und Präventionstechniken. Gentests verlängern die Risikorationalität auf die Ebene des Genoms. Sie sind daher nicht nur unter technisch-medizinischen Gesichtspunkten zu betrachten, sondern auch als eine moralische Technologie zu begreifen. Diese erlaubt es, Krankheitsursachen im individuellen Körper zu lokalisieren, um eine auf das Genprofil abgestimmte rationale Lebensführung vorzuschlagen, die sich an den subjektiven genetischen Risiken ausrichten soll. Im dritten Kapitel werden die psychologischen und sozialen Folgen prädiktiver Tests anhand eines konkreten Fallbeispiels illustriert. Das Nachweisverfahren für die Huntington-Krankheit dient als Modell, um individuelle Entscheidungskonflikte und ethische Dilemmata aufzuzeigen, welche die Verfügbarkeit eines direkten Tests begleiten. Der Schwerpunkt liegt auf der Darstellung von Problemen, die sich aus der Bereitstellung eines Tests ohne therapeutische Optionen ergeben. Eine besondere Bedeutung kommt der Veränderung von Selbstbildern und der Konstitution von Gruppenidentitäten zu, bei der die
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Aktivitäten von Huntington-Patientenvereinigungen und Selbsthilfegruppen eine zentrale Rolle spielen. Im Mittelpunkt des vierten Kapitels der Untersuchung stehen bislang unbekannte Vergemeinschaftungsmodi, die sich auf der Grundlage genetischen Wissens ausbilden. In den Selbsthilfegruppen und Patientenvereinigungen entstehen neue Formen organisierter Interessenartikulation. Die Arbeit dieser Gruppen führt zum einen zu einer stärkeren Berücksichtigung der Bedürfnisse von Kranken und Risikopersonen in der biomedizinischen Forschung; auf der anderen Seite besteht die Gefahr, dass Selbsthilfevereine für die Vermarktung von pharmazeutischen Produkten und die Interessen wissenschaftlicher Forschung instrumentalisiert werden. Die Probleme, die hier beispielhaft anhand des Gentests für die Huntington-Krankheit illustriert werden, dürften sich durch die Ausweitung des Testangebots auf so genannte Volkskrankheiten wie Krebs, Alzheimer, Diabetes etc. noch verschärfen. Im fünften Kapitel werden durch eine Analyse der prädiktiven Brustkrebsdiagnostik die medizinischen, psychologischen und sozialen Risiken des Einsatzes der Gendiagnostik aufgezeigt. Die medizinische Konzentration auf genetische Krankheitsursachen trägt zur Ausblendung sozialer Faktoren bei und konzipiert Krankheit als individuelle Angelegenheit. Im letzten Teil werden die Untersuchungsergebnisse kurz zusammengefasst. Sie lassen den Schluss zu, dass über eine notwendige rechtliche Regulierung des Problemfeldes der genetischen Diagnostik hinaus auch eine umfassende ethisch-politische Reflexion erforderlich sein wird, in der Möglichkeiten und Grenzen des Einsatzes von Gentests zu klären sind. Im Anhang finden sich ein Glossar, in dem wichtige naturwissenschaftliche und medizinische Fachbegriffe erläutert sind, sowie eine Übersicht über relevante Internetadressen. Die vorliegende Studie ist aus dem Forschungsprojekt »Genetische Diagnostik in der Risikogesellschaft« hervorgegangen, das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert und zur Zeit am Institut für Sozialforschung in Frankfurt am Main durchgeführt wird. Die konstruktiven Diskussionen mit den Kolleginnen und Kollegen am Institut haben die Arbeit an dem Buch begleitet und mir geholfen, meine Fragestellung zu präzisieren. Wertvolle Anregungen und nützliche Hinweise für die Untersuchung erhielt ich von Nikolas Rose,
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Einleitung | 13
Carlos Novas, Monica Greco, Dorothy Nelkin, Troy Duster und Emily Martin während meiner Forschungsaufenthalte am Goldsmiths College in London und der New York University. Für hilfreiche Kritik und wichtige Kommentare danke ich Joe Dumit, Klaus Türk, Michael Bruch, Jörg Balcke, Erika Feyerabend, Uta Wagenmann, Ulrich Bröckling, Susanne Krasmann, Sigrid Graumann, Regine Kollek, Anne Waldschmidt, Günter Feuerstein, Stefan Beck, Thomas Schulz, Wolfram Henn und Kathrin Braun. Danken möchte ich auch dem GenEthischen Netzwerk in Berlin, dessen Archiv ich im Verlauf meiner Recherchen mehrmals nutzen konnte und Jürgen Pertek von der Geschäftsstelle der Deutschen Huntington-Hilfe, der mir für die Arbeit unverzichtbare Materialien und Publikationen der Selbsthilfegruppe zur Verfügung gestellt hat. Ein besonderer Dank gilt der Vorsitzenden der Deutschen Huntington-Hilfe, Christiane Lohkamp, die mich auf eine Reihe von Problemen in der Ausgangsfassung hingewiesen hat. Ihre zahlreichen Anregungen habe ich gerne aufgegriffen. Kerstin Seydler, Andrea zur Nieden, Ingrid Schneider und Katrin Grüber danke ich für ihre sorgfältige Durchsicht und die kritische Kommentierung des überarbeiteten Textes. Ulrike Schöbel war eine unverzichtbare Hilfe bei der Herstellung eines druckfertigen Manuskripts.
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Die Relevanz des Riskos | 15
2 Die Relevanz des Risikos: Genetische Diagnostik als moralische Technologie
In seinem 1872 erschienenen Roman Erewhon schildert der britische Schriftsteller Samuel Butler eine verkehrte Welt. Der Protagonist und Ich-Erzähler entdeckt ein Land, das ein groteskes Spiegelbild all dessen ist, was vertraut und zivilisiert, ja selbstverständliche Grundlage menschlichen Zusammenlebens zu sein scheint. In Erewhon gelten Krankheit und Behinderung als eine Art Staatsverbrechen und werden gnadenlos verfolgt. Gleichzeitig wird Mördern, Dieben und Betrügern mit verständnisvoller Nachsicht begegnet. Sie sind keine kriminellen Rechtsbrecher, die für ihre Taten zur Verantwortung gezogen werden, sondern eher psychisch Kranke, die intensiver Betreuung und Fürsorge bedürfen. Ein Heer von Therapeuten, so genannte »Seelenstrecker«, nimmt sich ihrer an, um sie von ihrem Leiden zu befreien. Umgekehrt stellen körperliche Gebrechen ein strafrechtlich relevantes Delikt dar, und die von ihr Betroffenen werden aus Gründen der Abschreckung mit unnachgiebiger Härte verfolgt. Zur Illustration dieser ungewöhnlichen Praxis gibt der Erzähler das Urteil eines Gerichts wieder, das in Übereinstimmung mit den rechtlichen Gepflogenheiten Erewhons einen Schwindsüchtigen zu einer lebenslangen Zuchthausstrafe verurteilt. Die Begründung des Richters für dieses hohe Strafmaß lautet folgendermaßen:
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»Letztes Jahr mußten Sie wegen bedenklicher Bronchitis verurteilt werden, und obwohl Sie erst dreiundzwanzig Jahre alt sind, weist Ihr Vorstrafenregister nicht weniger als vierzehn Gefängnisstrafen auf, wegen mehr oder weniger verwerflicher Krankheiten; ich sage deshalb nicht zu viel, wenn ich feststelle, daß Sie den größeren Teil ihres Lebens im Gefängnis verbracht haben. Führen Sie bloß nicht zu Ihrer Entschuldigung an, daß Sie von kranken Eltern abstammen und in Ihrer Jugend einen schweren Unfall erlitten, der Ihre Gesundheit untergraben hat; das sind Ausflüchte, wie man sie von Verbrechern zur Genüge kennt; auf dergleichen kann das Gericht überhaupt nicht eintreten. Ich stehe nicht hier, um mich auf sonderbare metaphysische Spekulationen über den Ursprung dieses oder jenes Übels einzulassen. Wo kämen wir hin, wenn solche Fragen einmal zugelassen würden? Letzten Endes liefe es darauf hinaus, die Schuld für alles und jedes der Beschaffenheit der Urzelle aufzubürden oder den urzeitlichen Gasen. Es handelt sich nicht darum, herauszufinden, wie Sie zu dem wurden, was Sie sind; die Frage ist lediglich: Sind sie schlecht oder nicht? […] Ob die Tatsache, daß sie schwindsüchtig sind, Ihr Fehler ist oder nicht, jedenfalls ist es ein Fehler, und es ist meine Pflicht, dafür zu sorgen, daß die Allgemeinheit gegen solche Fehler abgeschirmt wird. Sie finden vielleicht, es sei Ihr Unglück, zum Verbrecher geworden zu sein; ich stelle fest, Ihr Verbrechen ist es, ins Unglück geraten zu sein.« (S. Butler 1872/1994: 129-132)
Nach anfänglichem Unverständnis und zunächst vorhandenen Bedenken lobt der Erzähler schließlich die tiefere Weisheit dieser Strafpraxis. Er respektiert eine konsequente Präventionspolitik, die sich nicht mit Kompromissen und Halbherzigkeiten aufhält und muss erkennen, dass das Rechtssystem Erewhons vor »schmerzhaften Eingriffen in das Leben des einzelnen nicht zurückschreckte, um so zu verhindern, daß dieser durch sein Beispiel ansteckend wirke und den erewhonischen Durchschnitt herabsetze; dagegen schien es mir beinahe kindisch, dem Angeklagten zu sagen, er hätte sich bester Gesundheit erfreuen können, wenn er nicht erblich veranlagt und in seiner Jugend mannigfachen Entbehrungen ausgesetzt gewesen sei. […] Was heißt denn Verantwortung? Sicher nichts anderes, als auf Verlangen Antwort geben zu müssen, und jedes Lebewesen ist verantwortlich für sein Tun und Lassen, wenn es von der Gesell-
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Die Relevanz des Riskos | 17
schaft durch deren Bevollmächtigte zur Rechenschaft gezogen wird.« (Ebd.: 136 f.)
Butlers Erewhon ist ein Anagramm aus »Nowhere« oder »Now here«. Der Roman spielt mit dieser Doppelbedeutung von unbestimmtem Nirgendwo und unmittelbarem Hier und Jetzt, er ist zugleich negative Utopie und positive Diagnostik. Obwohl der Text bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstand, finden sich in der satirischen Überzeichnung der Geschichte und ihrer visionären Projektion auf eine ferne und fremde Welt Elemente einer sozialen Rationalität, die unsere gegenwärtige Gesellschaft immer stärker prägt. Sind wir es gewohnt, für die Verurteilung von Straftätern auf eine rechtliche Verantwortung zu rekurrieren, auf die Fähigkeit also, auf bestimmte Kontexte und Konstellationen zu antworten, d.h. zu einem alternativen Handeln fähig zu sein – nichts anderes bedeutet im Englischen Verantwortung: response-ability –, so wird heute von den Individuen zunehmend erwartet, sich ihrer »körperlichen Verantwortung« (ebd.: 130) entsprechend auf Krankheitsrisiken einzustellen. Auch innerhalb der Medizin finden sich Forderungen nach Selbst- bzw. Eigenverantwortung, und immer deutlicher zeichnet sich die Konzeption eines »pursuit of healthiness« ab, in der Gesundheit ein sichtbares Zeichen von Initiative und Verantwortungsbereitschaft darstellt, während umgekehrt Krankheit auf einen mangelnden Willen oder eine unzureichende Selbstführung verweist (vgl. Greco 1993; Kühn 1993; Fülgraff 1994; Kühn 1998). Auf diese Weise kann zu dem individuellen Schicksal, behindert oder krank zu sein, noch das soziale Stigma hinzukommen, für dieses Unglück auch in irgendeiner Weise verantwortlich zu sein. Wie ist dies möglich? Wie sollte ein Individuum für seine Gesundheit verantwortlich sein können? Und wie kann Krankheit als Ausdruck eines fehlerhaften oder mangelnden Willens erscheinen? Meint Krankheit nicht per definitionem etwas, das dem eigenen Willen entzogen ist? Diese auf den ersten Blick irritierende, ja paradoxe Entwicklung hat ihren Grund in einer wichtigen Veränderung der Medizin im 20. Jahrhundert. Die naturwissenschaftlich ausgerichtete Medizin konzentrierte sich zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts auf die Be-
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18 | Veranlagung und Verantwortung
handlung von akuten Infektionskrankheiten, verlagerte dann aber kontinuierlich den Schwerpunkt ihrer Aktivitäten auf chronische Leiden wie Krebs oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen mit vielfältigen Entstehungsbedingungen. Im Rahmen dieser Akzentverschiebung auf multifaktorielle Erkrankungen – und der Ausdehnung medizinischer Interventionen in Bereiche, die vormals nicht als medizinisch relevant angesehen wurden, wie z.B. Schwangerschaft und Geburt – kam dem persönlichen Lebensstil, d.h. Ernährung, Bewegung, Alkohol- bzw. Tabakgenuss etc. eine erhöhte Bedeutung für Krankheitsentstehung und -verlauf zu. Der Übergang von der Behandlung akuter Krankheiten zu der Vermeidung von Gesundheitsgefahren und der Prävention chronischer Krankheiten führte dazu, dass im medizinischen Diskurs zunehmend von Risiken die Rede war. Es etablierte sich das Konzept der Risikofaktoren, welches zunächst soziale und ökologische Prozesse der Krankheitsgenese einbezog, aber immer häufiger das Auftreten der weit verbreiteten Krankheiten im Wesentlichen auf individuelles Fehlverhalten zurückführte. Im Kontext von Gesundheitsaufklärung und der Entwicklung entsprechender Diagnose- und Präventionstechniken scheint Krankheit heute prinzipiell vermeidbar zu sein. Sie wird tendenziell weniger als Folge sozialer Verhältnisse denn als Konsequenz individuellen Verhaltens gesehen, statt soziale Rechte zu begründen verweist sie in wachsendem Maße auf moralische Verpflichtungen: Hätten die Kranken nicht um die Risiken wissen müssen, die ein bestimmtes Verhalten wie Rauchen oder Trinken, fettreiches Essen oder zuwenig Bewegung mit sich bringt? (Baric 1969; Ogden 1995; Kenen 1996) In den letzten Jahren hat der medizinische Diskurs erneut eine Metamorphose durchgemacht. Im Zuge der Entschlüsselung des menschlichen Genoms kam es zu einer »Genetisierung« medizinischer Problemstellungen und zur Auflösung einer trennscharfen Unterscheidung zwischen Humangenetik und medizinischer Genetik (Kenen 1994; Höhn 1997). Dabei wurde dem Konzept des genetischen Risikos und den Mitteln der molekulargenetischen Diagnostik eine prominente Bedeutung für die Gesundheitspolitik und -aufklärung zuteil (Khoury et al. 2000; Forum Public Health 2001). Bei immer mehr Krankheiten wird inzwischen von genetischen Komponenten
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der Krankheitsentstehung ausgegangen. Gleichzeitig stehen in wachsendem Maße Untersuchungsverfahren auf molekulargenetischer Grundlage bereit: In der Bundesrepublik Deutschland, Österreich und der Schweiz können zur Zeit mehr als 400 genetische Dispositionen diagnostiziert werden.1 Prinzipiell gibt es zwei Anwendungsgebiete prädiktiver Gentests. Ihr Haupteinsatzgebiet liegt momentan im Bereich der vorgeburtlichen Voraussage, der Pränataldiagnostik. Dabei ist festzustellen, dass mit der Ausweitung des Testangebots auch die Mitwirkungspflicht der Schwangeren an pränataldiagnostischen Verfahren wächst. Nicht nur wird »Risikopaaren« eine genetische Beratung nahe gelegt, tendenziell wird jede Schwangerschaft zu einer »Risikoschwangerschaft« bzw. »Schwangerschaft auf Probe«, wobei die Entscheidung für das Austragen des Embryos zunehmend von dem Nachweis einer genetischen Schadensfreiheit abhängt (Weir 1996; Ruhl 1999; Rapp 2000). Daneben wird es in Zukunft zu einer Vervielfachung von genetischen Testverfahren an bereits geborenen Menschen kommen. Diese postnatale Diagnostik umfasst verschiedene Testformen mit unterschiedlicher Aussagekraft. Wichtig ist allerdings festzuhalten, dass mit den Mitteln der Gendiagnostik das Vorliegen der untersuchten Krankheitsveranlagungen oder die Ausprägung von Eigenschaften in den weitaus meisten Fällen nicht mit absoluter Sicherheit, sondern lediglich mit einer relativen Wahrscheinlichkeit vorausgesagt werden kann. Allein die Tests für monogenetische Krankheiten bieten einigermaßen Gewissheit hinsichtlich des Krankheitsausbruchs. Aber erstens sind sie empirisch gesehen nur Ausnahmefälle, da es sich hierbei um sehr seltene Krankheiten handelt, und zweitens lässt sich auch in diesem Fall weder die Schwere der Krankheit noch ihr Verlauf oder der Zeitpunkt ihres Auftretens exakt bestimmen. Bei den polygenetischen und multifaktoriell bedingten Krankheiten ist die Ungewissheit noch größer. Bei diesen Krankheiten, zu denen einige der häufigsten »Zivilisationskrankheiten« wie Krebs, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Alzheimer gerechnet werden, spielen andere Gene bzw. Alter und Entwicklungsstand der Person, aber auch soziale, ökologische und psychologische Faktoren eine wichtige Rolle (vgl. Kollek 1998; Fischer 1994; Kitcher 1998: 61-68). Da im Rahmen der genetischen Diagnostik in der Regel keine
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präzisen individuellen Voraussagen möglich sind, führt man statistische Bezugsgrößen ein und spricht von genetischen »Dispositionen« bzw. »Risiken«. Der Begriff des genetischen Risikos verweist also nicht auf eine klinische Tatsache, sondern allein auf statistische Kalkulationen, deren Basis epidemiologisches Wissen über die Verteilung von Fällen in einer größeren Gruppe oder der Bevölkerung insgesamt bildet. Es ist jedoch gerade dieses abstrakte Risikokalkül, das eine Neuorientierung medizinischer Interventionen ermöglicht. Indem die genetische Diagnostik vom konkreten Individuum absieht, eröffnet sie den Weg zu einer individualisierten Prävention. Sie erlaubt es, die Krankheitsursachen im individuellen Körper zu lokalisieren und Empfehlungen zum Lebensstil der Einzelnen zu geben – ohne soziale Faktoren der Krankheitsgenese zu berücksichtigen. Das Szenario zukünftiger klinischer Untersuchungen stellt sich Francis Collins, Direktor des Nationalen Genomforschungsinstituts der USA und ehemaliger Leiter des Humangenomprojekts, folgendermaßen vor: »John, ein 23jähriger College Student, wird zu seinem Arzt überwiesen, weil eine Einstellungsuntersuchung für einen Job ergeben hat, daß er einen Cholesterin-Spiegel von 233 mg/dl hat. […] Um genauere Informationen über sein Risiko zu bekommen, später an der Koronaren Herzkrankheit und anderen Leiden zu erkranken, ist John einverstanden, eine Reihe von genetischen Tests zu erwägen, die im Jahr 2010 verfügbar sind. Nachdem er ein interaktives Computerprogramm durchgearbeitet hat, das ihn über Risiko und Nutzen solcher Tests aufklärt, willigt er ein, […] 15 genetische Tests durchführen zu lassen, die Informationen zum Risiko von Krankheiten liefern, für die es präventive Strategien gibt. […]. Ein Zellabstrich der Wangenschleimhaut wird ans Testlabor geschickt; nach einer Woche kommen die Ergebnisse. Danach findet ein Beratungsgespräch statt, in dem es um die Krankheiten geht, für die sich Johns Risiko erheblich von dem der allgemeinen Bevölkerung unterscheidet (um den Faktor zwei oder mehr). […] John freut sich darüber, daß sein Risiko für Alzheimer und Prostatakrebs verringert ist, weil er Varianten von Genen trägt – im Jahr 2010 sind diese Gene bekannt –, die schützend wirken. Aber er wird nachdenklich angesichts der Evidenz für ein erhöhtes Risiko für die Koronare Herzkrankheit, Darmkrebs und Lungenkrebs. Durch die Konfrontation mit der Realität seiner eigenen genetischen Daten kommt bei ihm der entscheidende ›kritische Augenblick‹ (teachable moment), in dem lebens-
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lange gesundheitsbezogene Verhaltensänderungen […] möglich werden. […] Sein erhöhtes Darmkrebsrisiko kann mit regelmäßigen Darmspiegelungen ab dem Alter von 45 Jahren angegangen werden – in seiner Situation eine sehr kosteneffektive Methode, Darmkrebs zu vermeiden. Sein erhebliches Lungenkrebsrisiko motiviert John, sich einer Selbsthilfegruppe für Personen anzuschließen, die ein hohes Risiko für ernste Komplikationen des Rauchens haben, und er schafft es, die Angewohnheit aufzugeben.« (Collins 1999: 34 f., zit. nach Wolf 2000: 63 f.)
Das fiktive Beispiel deutet darauf hin, dass die Bedeutung der Gendiagnostik weniger in der Feststellung eines faktischen Determinationsverhältnisses oder dem Hinweis auf die Schicksalhaftigkeit der Gene als in der Herstellung eines »reflexiven« Verhältnisses von individuellem Risikoprofil und sozialen Anforderungen liegen könnte. Der permanente Verweis auf Eigenverantwortung und Selbstbestimmung in Biowissenschaften und Gesundheitspolitik ist in dieser Perspektive materialer Bestandteil eines Risikokonzepts, in dem die Individuen mehr sind als Opfer oder Gefangene ihrer Erbsubstanz. Die Konstruktion von Risikopersonen, Risikopaaren, Risikoschwangerschaften etc. erleichtert die Moralisierung abweichenden Verhaltens und die Zuweisung von Schuld und Verantwortung. Sie ermöglicht es, Präventionsformen auch in nichtmedizinischen Bereichen zu entwickeln, und erhebt die prädiktive Gendiagnostik zum Modell einer sozialen Medizin: »Präventive Medizin und statistische Berechnungen im Kontext der Epidemiologie sind Teil einer moralischen Technologie. Das Individuum wird auf Risiken hingewiesen und so dazu angehalten, Vorkehrungen und Vorsichtsmaßnahmen für die Zukunft zu treffen und zukünftige Handlungen und Verhaltensweisen zu planen.« (Adelswards/Sachs 1998: 201)2 Die weitreichenden Implikationen der genetischen Diagnostik haben in einigen Staaten bereits zu Maßnahmen rechtlicher Regulierung geführt (vgl. Hennen et al. 2000: 140-152; Bundeskanzleramt der Republik Österreich 1999; Deutscher Bundestag 2002: 278-281). In Deutschland gibt es hingegen immer noch kein Gendiagnostikgesetz, das den Einsatz von Gentests regelt. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt existieren lediglich Gesetzesentwürfe verschiedener Fraktionen sowie eine Reihe von Stellungnahmen gesellschaftlicher Akteure zum Um-
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gang mit der genetischen Diagnostik. Die Bundesärztekammer und die Gesellschaft für Humangenetik betonen in ihren Positionspapieren die medizinische Bedeutung der Gentests als Mittel von Diagnostik und Früherkennung. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft hat sich unter wissenschaftlichen und forschungspolitischen Gesichtspunkten zur genetischen Diagnostik geäußert. Darüber hinaus existiert auch eine Stellungnahme der Landesdatenschutzbeauftragten sowie eine Erklärung des AOK-Bundesverbandes zu den Auswirkungen von Gentests auf die gesetzlichen Krankenkassen.3 In den öffentlichen Debatten wie in der wissenschaftlichen Forschung fehlt jedoch bislang die systematische Berücksichtigung einer dezidierten Betroffenenperspektive, die im Mittelpunkt der folgenden Darstellung stehen soll.4 Damit ist das eigenständige Profil dieser Studie charakterisiert. Die meisten sozialwissenschaftlichen Untersuchungen in diesem Feld beschäftigen sich entweder mit dem ökonomischen Potential der Genomanalyse und der wachsenden Kommerzialisierung des Lebens, etwa durch die Patentierung von Lebensformen (vgl. Krimsky 1991; Dolata 1996; Shiva 1997) oder den (sozial-) psychologischen Implikationen der Tests (vgl. Van Zuuren et al. 1997; Marteau/Croyle 1998; Smith et al. 2000); andere Arbeiten richten ihre Aufmerksamkeit auf die kulturellen Repräsentationen der Genetik in Medien und Alltagswelt (vgl. Nelkin/Lindee 1995; Jäger et al. 1997; Kaschinski/Spehr 2001). Diese Akzentsetzung birgt jedoch die Gefahr, gesellschaftliche Verhältnisse als Folge biowissenschaftlicher Techniken bzw. deren Anwendung zu betrachten. Unterschlagen wird in dieser Perspektive die konstitutive Bedeutung des Sozialen für die Genese, Struktur und Aneignung von Technologien. Die Gentechnik erscheint so als etwas Ursprüngliches oder Gegebenes, an das sich Gesellschaft und Individuum anzupassen bzw. mit dem sie sich auseinander zu setzen haben. Das Verhältnis von Gesellschaft und Technik ist jedoch als Koproduktion zu begreifen und nicht auf einfache Ursache-Wirkungs-Beziehungen zu reduzieren (Haraway 1995; Singer 2003). Daher soll in dieser Studie gezeigt werden, wie eine bestimmte Technologie – die molekulargenetische Diagnostik – ihre Bedeutung erst innerhalb von sozialen Beziehungen entfaltet, in die sie eingebettet bleibt. Wie das Fallbeispiel des prädiktiven Tests für die Hunting-
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ton-Krankheit beweist, sind die betroffenen Patienten, Risikopersonen und Angehörigen nicht einfach Opfer dieser genetischen Krankheit oder passive Nutznießer technologischen Fortschritts, sondern aktiv an der Genese genetischer Tests, der Gestaltung ihres Einsatzes und der Entwicklung von Therapieangeboten beteiligt. In den folgenden Abschnitten wird zum einen der wachsenden Bedeutung von Patienten- und Selbsthilfeorganisationen für die Legitimierung, Koordinierung und Finanzierung biomedizinischer Forschung Rechnung getragen und zum anderen der Frage nachgegangen, wie die von einer genetischen Krankheit Betroffenen ihr jeweiliges genetisches Risiko gerade nicht individuell registrieren, sondern innerhalb von sozialen Kontexten (etwa Familien- oder Partnerschaftsbeziehungen) konstruieren.
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3 »Die Büchse der Pandora«: Der prädiktive Test für die Huntington-Krankheit
Die Huntington-Krankheit wurde erstmals im 19. Jahrhundert beschrieben.5 Es handelt sich um eine neurodegenerative Erkrankung, die meist erst im vierten oder fünften Lebensjahrzehnt zum Ausbruch kommt. Das Leiden ist durch schwerwiegende körperliche und geistige Veränderungen gekennzeichnet. Unwillkürliche, ruckartige Muskelzuckungen am ganzen Körper oder psychische Auffälligkeiten und Persönlichkeitsveränderungen markieren häufig den Beginn der Krankheit, die im weiteren Verlauf zum körperlichen und geistigen Verfall führt und schließlich mit dem Tod der Patienten endet. Obwohl sich die Huntington-Krankheit in der Regel spät manifestiert, können die Symptome bei einigen Betroffenen schon mit zwei Jahren oder erst jenseits des 60. Lebensjahres einsetzen. So ungewiss wie das Erkrankungsalter sind auch Verlauf und Dauer der Krankheit. Letztere beträgt durchschnittlich zwölf Jahre, währt aber bei fast der Hälfte der Patienten weniger als neun oder mehr als 16 Jahre (N. Wexler 1995: 232; Schmidtke 1997: 45-47; Lange 2002). Die Huntington-Krankheit wird durch eine erhöhte Wiederholung eines bestimmten Tripletts (Abfolge der drei Basen Cytosin, Adenin, Guanin: CAG) auf dem kurzen Arm von Chromosom 4 hervorgerufen. Huntington-Kranke und Anlageträger besitzen in der Regel mehr als 38 dieser CAG-Wiederholungen, Vergleichspersonen hingegen weniger als 30 (The Huntington’s Disease Collaborative Research
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Group 1993). Das Gen auf Chromosom 4 ist für die Herstellung von Huntingtin verantwortlich, einem lebenswichtigen Protein. Die Vielzahl von CAG-Einheiten produziert einen Glutaminstrang mit Überlänge, der offenbar die physikalisch-chemischen Eigenschaften des Huntingtins verändert. In den Gehirnzellen von Huntington-Kranken lassen sich glutaminreiche faserige Ablagerungen feststellen, die den Zellhaushalt offenbar so empfindlich stören, dass allmählich immer mehr Zellen absterben. Die genauen biochemischen Mechanismen sind jedoch bis heute weitgehend unbekannt. Es besteht ein – allerdings nur statistisch dokumentierter – Zusammenhang zwischen dem Manifestationsalter, der Schwere der Krankheit und der Anzahl der CAG-Wiederholungen. Auch wenn die Huntington-Krankheit nahezu vollständig penetrant ist und daher jeder Träger des mutierten Gens mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erkranken wird, bleibt also unklar, wann die Krankheit ausbricht und wie schwer sie verlaufen wird. So besitzt »eine Repeat-Zahl im Bereich zwischen 38 und 50 (für die Mehrzahl der Betroffenen treffen diese Werte zu) nur geringe Aussagekraft über Beginn, Schweregrad und Verlauf der Huntington-Krankheit […]. Erst ab Triplett-Zahlen über 60 ist ein früher Krankheitsbeginn und ein rasches Voranschreiten der Erkrankung zu erwarten.« (Dose 2001: 12; vgl. auch Lange 2002) Bei der Huntington-Krankheit handelt es sich um eine autosomal-dominante erbliche Erkrankung, d.h., dass jedes Kind eines Huntington-Anlageträgers das entsprechende Allel mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent empfängt. Für die Vererbung der Huntington-Krankheit kommt es darauf an, ob das Kind das mutierte Gen vom betroffenen Elternteil erhält, denn selbst Anlageträger und Kranke besitzen in der Regel je eine normale und eine mutierte Erbanlage. Da die Krankheit zumeist erst in der Lebensmitte ausbricht, bekommen Betroffene häufig Kinder, ohne dass sie zum Zeitpunkt der Zeugung wissen, ob sie selbst erkranken werden. Möglicherweise kennen sie das Risiko nicht einmal, etwa wenn der eigene Vater bzw. die Mutter noch nicht erkrankt ist, bei der betroffenen Person eine Fehldiagnose gestellt wurde oder sie noch vor dem Auftreten der ersten Symptome verstorben ist (Kitcher 1998: 42 f.).6 In Deutschland sind etwa sieben- bis achttausend Menschen direkt von der Huntington-Krankheit betroffen (die Störung tritt mit
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einer Häufigkeit von 1:10.000 bis 1:12.000 auf). Die Zahl der so genannten Risikopersonen, die als Angehörige von Patienten oder (möglichen) Anlageträgern später selbst zu erkranken drohen, liegt um ein Vielfaches darüber (Schmidtke 1997: 45). Bereits zu Beginn des letzten Jahrhunderts versuchten eugenische Bewegungen in vielen Ländern die Verbreitung der Krankheit zu verhindern (vgl. Kevles 1995). Der Umgang mit der Huntington-Krankheit stellt aber insbesondere eine »Erblast« der deutschen Geschichte dar. Während der NS-Zeit fiel die Krankheit unter das »Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses« und wurde unter dem Begriff der »Erb-Chorea« geführt. Die Folge waren systematische Erfassungen ganzer Familienzweige, ärztliche Meldeverfahren, Zwangssterilisationen und die spätere Ermordung von Patienten in Tötungsanstalten (vgl. Müller-Hill 1984). Obwohl die genetischen Grundlagen der Huntington-Krankheit bereits vor einiger Zeit identifiziert wurden7, ist es bis heute nicht gelungen, wirksame Therapien zu entwickeln. Pharmakologische Interventionen, physiologische Behandlungen, logopädische Maßnahmen, kognitive Trainingsverfahren und unterstützende psychotherapeutische Beratungen können zwar die Symptome der Krankheit im Einzelfall lindern, sie erlauben es aber nicht, Verfall und Tod wirksam vorzubeugen (Dose 1997). Die Huntington-Krankheit wirft viele Probleme bei den Erkrankten selbst, ihren Kindern und Angehörigen auf. Marianne Jarka, Burkhard Brosig und Horst-Eberhard Richter schildern ihre Erfahrungen mit 131 direkt und indirekt von Huntington betroffenen Personen im Rahmen eines fünfjährigen psychologischen Projekts, in dessen Verlauf Paar- und Familientherapien sowie Gruppengespräche mit so genannten Risikopersonen, Patienten und Angehörigen durchgeführt und wissenschaftlich ausgewertet wurden (Jarka et al. 1996; Brosig 1998). Da sich die Huntington-Krankheit durch eine auffällige Symptomatik auszeichnet (schwere Bewegungs- und Sprachstörungen), zogen sich die Betroffenen häufig zurück oder aber sie wurden mit dem Problem sozialer Stigmatisierung und Ausgrenzung konfrontiert. Viele Patienten und Risikopersonen zeigten aggressives oder depressives Verhalten. Von den 78 befragten Familien berichteten 18 über suizidale Äußerungen oder Suizidversuche der jeweiligen Patien-
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ten (insgesamt hatten sich fünf Erkrankte das Leben genommen). Zu den Krankheitssymptomen kamen häufig innerfamiliäre Konflikte zwischen den Generationen oder Schuldgefühle der Eltern gegenüber den Kindern. Erstaunlicherweise war zwar in ca. drei von vier Familien die Erkrankung als solche bekannt, über deren Erblichkeit waren jedoch nur wenige umfassend informiert. Häufig wurde dieser Aspekt auch gezielt von der Elterngeneration gegenüber den Kindern verschwiegen. Große Sorgen bereiteten auch finanzielle Belastungen, da die Huntington-Kranken häufig ihre Berufsfähigkeit verloren und pflegebedürftig wurden.8
Die Selbsthilfebewegung: Die Organisation genetischer Interessen Zahlreiche Huntington-Kranke, Risikopersonen und Angehörige sind in der Selbsthilfebewegung aktiv. Diese hat eine große Bedeutung für die gegenseitige Unterstützung der Betroffenen und hilft entscheidend bei der Vorbereitung auf die Krankheit und deren Verarbeitung. In Deutschland unterstützt und koordiniert die Deutsche HuntingtonHilfe e.V. (DHH) die Arbeit regionaler Selbsthilfegruppen. Die DHH ist die Nachfolgerin der Familienhilfe e.V., die von dem Marburger Humangenetiker Heinrich Oepen zusammen mit Angehörigen von Huntington-Patienten im Sommer 1970 gegründet worden war. In den 1980er Jahren führte das Angebot der indirekten DNA-Diagnostik mit Hilfe von gekoppelten Markern zu erheblichen Spannungen innerhalb der Selbsthilfegruppe. Besonders strittig war die so genannte aktive Beratung von Risikopersonen durch Ärzte. Im Kern ging es dabei um die Frage, ob es ein Recht auf Nicht-Wissen gibt: Sollten Ärzte ihre durch Kontakte zu Huntington-Familien gewonnenen Kenntnisse über Erkrankungsrisiken gegenüber möglichen Anlageträgern einsetzen, die über ihr Risiko nicht informiert sind und eventuell auch nicht informiert werden wollen? Während einige Mitglieder eine aktive medizinische Beratung nachdrücklich befürworteten, lehnten andere sie strikt ab. Die aus diesen unterschiedlichen Positionen entstandenen Konflikte führten schließlich zur Spaltung der Huntington-Selbsthilfebewegung in Deutschland. Aus der Familienhilfe gingen 1987 die Deutsche Huntington-Hilfe und die Huntington-Gesellschaft hervor. In
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den folgenden Jahren wurden die inhaltlichen Differenzen jedoch weitgehend überwunden. Inzwischen hat die Huntington-Gesellschaft ihre Vereinstätigkeit eingestellt und empfiehlt Ratsuchenden die Kontaktaufnahme zur Huntington-Hilfe (Krahnen 1989; Engel 2000).9 Die Deutsche Huntington-Hilfe zählt heute rund 1.400 Mitglieder (Huntington-Kurier 2003: 10) und hat jährlich Kontakt zu etwa 300 weiteren Familien – bei geschätzten 8.000 Kranken und ein Mehrfaches an Risikopersonen.10 Der Verein finanziert sich aus Mitgliedsbeiträgen, Zuschüssen der Krankenkassen, öffentlichen projektgebundenen Fördermitteln und Spenden (Lohkamp 2001: 10). Die Huntington-Hilfe gliedert sich organisatorisch in den Bundesverband, mehrere Landesverbände und zahlreiche regionale und lokale Selbsthilfegruppen, die sich regelmäßig zu Gesprächen, Erfahrungsaustausch und Veranstaltungen treffen. Darüber hinaus existiert als beratendes Gremium ein Wissenschaftlicher Beirat, dem Forscherinnen und Forscher auf dem Gebiet der Huntington-Krankheit angehören. Seine Funktion ist es, den Verein über die neuesten Erkenntnisse zur Huntington-Krankheit zu informieren (Deutsche Huntington-Hilfe 2001a: 57-59). Zu den Aufgabenfeldern und Zielen der Organisation gehört die Verbesserung der Versorgungs- und Pflegesituation von Kranken, die Teilhabe am wissenschaftlichen Fortschritt zur Erforschung und Behandlung der Huntington-Krankheit, die Durchsetzung gemeinsamer Interessen und die Sicherstellung »der ethisch verantwortlichen Anwendung der Möglichkeiten der Genforschung« (ebd.: 57). Ein wichtiges Anliegen des Vereins ist es, über eine intensive und gezielte Öffentlichkeitsarbeit »die persönliche und gesellschaftliche Situation derjenigen zu verbessern, die direkt oder indirekt von der Krankheit betroffen sind, sie über die Huntington-Krankheit, die Behandlungsmöglichkeiten und Hilfsangebote zu informieren« (Lohkamp 2001: 10). Die Huntington-Hilfe publiziert Informationsbroschüren und Bücher über die Huntington-Krankheit sowie den vierteljährlich erscheinenden Huntington-Kurier (bis 1994: DHH-Quartalszeitung), der umfassend über persönliche Erfahrungen mit der Krankheit berichtet. Einen weiteren Schwerpunkt der Zeitschrift bildet die allgemein verständliche Darstellung biomedizinischer Forschungsergebnisse und
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neuer Therapieansätze zur Huntington-Krankheit. Außerdem nimmt der Huntington-Kurier Stellung zu aktuellen gesundheitspolitischen Entwicklungen und rechtlichen Fragen sowie zu Versicherungsangelegenheiten. Zum Informationsangebot der Huntington-Hilfe gehört auch eine Homepage im Internet mit zahlreichen »Links« zu nationalen und internationalen Seiten, die sich aus wissenschaftlichem Interesse oder Betroffenenperspektive mit der Huntington-Krankheit befassen. Ein wichtiges Anliegen der Selbsthilfeorganisation ist es, gesellschaftliche Vorurteile gegenüber der Huntington-Krankheit (oder genetischen Erkrankungen insgesamt) und den Umgang mit der genetischen Diagnostik abzubauen. Daher hat die allgemeine Aufklärung über Fragen der Genetik und die Sensibilisierung für Probleme prädiktiver Testverfahren einen hohen Stellenwert innerhalb der organisatorischen Arbeit. Wie viele andere Selbsthilfegruppen im Bereich genetischer Erkrankungen zeichnet sich auch die Huntington-Selbsthilfe keineswegs durch eine prinzipiell gentechnologiekritische Einstellung aus. Eher sucht sie Kenntnisse über Möglichkeiten und Grenzen der Genomanalyse zu vermitteln und Wissensdefizite über Vererbungswege und die Symptomatik der Krankheit abzubauen, die auch in vielen Huntington-Familien vorliegen.11 Innerhalb der Huntington-Selbsthilfebewegung gab es schon früh Versuche, die Arbeit nationaler Huntington-Vereinigungen miteinander zu vernetzen. Diese Bestrebungen nahmen ihren Ausgang in den USA. 1967 starb der bekannte Folk-Sänger Woody Guthrie an den Folgen der Huntington-Krankheit. Gemeinsam mit anderen Betroffenen gründete seine Witwe Marjorie Guthrie ein Komitee zur Bekämpfung der Huntington-Krankheit, dessen Aktivitäten zur Einrichtung einer Forschungsgruppe zur Huntington-Krankheit im Rahmen des Weltverbandes für Neurologie (WFN) führten. Durch diese Initiative erfuhren sowohl die Huntington-Forschung als auch die HuntingtonSelbsthilfebewegung einen beträchtlichen Aufschwung. Das erste internationale Treffen von Selbsthilfegruppen fand bereits 1974 statt, als die Gründer der kanadischen und der britischen Gesellschaften an dem jährlichen Treffen der US-amerikanischen Organisation teilnahmen. Aus diesen anfänglichen Kontakten heraus entstand die Internationale Huntington-Assoziation (IHA), die 1979 in England gegründet
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wurde. Seitdem finden alle zwei Jahre gemeinsame Treffen der Huntington-Forschungsgruppe im WFN und der Delegierten der IHA statt. Die IHA ist heute in über 30 Ländern der Welt vertreten und unterhält Kontakte zu zwölf weiteren Staaten. Ihr Ziel ist es, die Arbeit der nationalen Gesellschaften zu koordinieren und Forschungsanstrengungen zu bündeln.
Der »Schicksalstest« Die Entdeckung eines Markers, der mit dem Huntington-Gen gekoppelt ist, ermöglichte 1983 die Entwicklung eines indirekten Gentests, der bereits mit hoher Wahrscheinlichkeit die Anlage bei Risikopersonen feststellen konnte (Gusella et al. 1983). Seitdem das Gen 1993 lokalisiert wurde, ist ein direkter DNA-Test verfügbar. Im Unterschied zum indirekten Verfahren bedarf es keiner weiteren untersuchungswilligen Verwandten aus unterschiedlichen Generationen mehr. Die Mutation kann nun direkt beim Einzelnen durch Blut- oder Gewebeproben nachgewiesen werden (The Huntington’s Disease Collaborative Group 1993). Die Richtlinien zur Anwendung des molekulargenetischen Tests Die Deutsche Huntington-Hilfe hat Richtlinien zum Einsatz des Gentests verabschiedet, die eine primär an kommerziellen Interessen orientierte Anwendung der Untersuchungsmethode ebenso ausschließen sollen wie eine unzureichende psychosoziale Betreuung der Ratsuchenden. Die Empfehlungen wurden von einem Komitee erarbeitet, das aus Vertretern der Internationalen Huntington-Assoziation und der Huntington-Forschungsgruppe des Weltverbandes für Neurologie bestand. Als Mitte der 1980er Jahre der indirekte Gentest bereitstand, bildeten die beiden Organisationen einen Ausschuss zur Vorbereitung von Richtlinien für dessen Einsatz. Die Empfehlungen des Komitees sind 1989 verabschiedet und anschließend in großen medizinischen Fachzeitschriften veröffentlicht worden. Dieses Regelwerk wurde nach der Entdeckung des Huntington-Gens im Jahr 1993 nochmals überarbeitet und in der heute gültigen Form 1994 beschlos-
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sen (Guidelines 1994). Damit wurde ein auch für andere molekulargenetisch diagnostizierbare Krankheiten richtungsweisendes Konzept der humangenetischen Beratung und psychosozialen Betreuung vorgelegt. Die in den Richtlinien enthalten Regelungen sind inzwischen von weiteren Selbsthilfegruppen aufgegriffen und ihren Bedürfnissen angepasst worden (Engel/Lohkamp 2003).12 Die Richtlinien bestehen aus Empfehlungen zur Beratung und Durchführung des Tests und erläuternden Bemerkungen. Als Grundvoraussetzungen für die Anwendung der prädiktiven DNA-Diagnostik gelten Volljährigkeit der Risikoperson, Freiwilligkeit der Entscheidung zur Untersuchung, humangenetische Beratung und psychotherapeutische Betreuung während der Untersuchungsphase und nach Mitteilung des Testergebnisses. Die Richtlinien führen neben allgemeinen Forderungen zur Verhinderung genetischer Diskriminierung auch konkrete Informationen auf, die jedes Beratungsgespräch enthalten sollte. Diese umfassen etwa Hinweise zum Einsatz des Tests im Rahmen der Pränataldiagnostik, aber auch mögliche Folgeprobleme, die sich aus dem Test ergeben könnten, wie z.B. der Nachweis von Nichtelternschaft. So kann sich im Rahmen einer genetischen Untersuchung herausstellen, dass der vermeintliche Vater nicht der biologische Vater ist (durch die Möglichkeiten der In-Vitro-Fertilisation können sogar Fälle von Nichtmutterschaft auftreten). Ebenso verlangen die Richtlinien, in den genetischen Beratungen auf die Grenzen der Aussagekraft der Untersuchungsergebnisse hinzuweisen. So besteht neben der Gefahr von fehlerhaften Ergebnissen bzw. einer falschen Beratung13 auch die Möglichkeit eines nichtinformativen Testergebnisses, da die CAG-Wiederholungen sich im »intermediären« Bereich befinden können (s. dazu die Ausführungen im nächsten Unterabschnitt). In die Beratung aufgenommen werden sollte auch der Hinweis auf alternative Nutzungsformen des Tests, wie z.B. die Möglichkeit, die eigene DNA der Forschung zur Verfügung zu stellen, ohne selbst vom Untersuchungsergebnis Kenntnis zu erhalten (Deutsche Huntington-Hilfe 2001b). Im Rahmen des Konsortiums für molekulargenetische Diagnostik bei der Huntington-Krankheit kann die Huntington-Hilfe auf die Einhaltung der internationalen Richtlinien Einfluss nehmen. In dem Konsortium sind humangenetische Institute, Laboratorien und Laborgemeinschaf-
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ten zusammengeschlossen, welche die DNA-Diagnostik für die Huntington-Krankheit auf der Grundlage des IHA-Regelkatalogs anbieten und sich freiwillig zu dessen Einhaltung verpflichtet haben. Sie unterziehen sich einer regelmäßigen Qualitätskontrolle ihrer Ergebnisse. Die Selbsthilfegruppen empfehlen Personen, die sich für eine Untersuchung entscheiden, diese nur in einem Labor vornehmen zu lassen, das die Einhaltung der Richtlinien zusichert (Dose 2001: 14-18; Konsortium zur molekulargenetischen Diagnostik bei der HuntingtonKrankheit 1996). Wiederholung und Wahrheit Der direkte Gentest für die Huntington-Krankheit galt lange Zeit als der sichere prädiktive Test für das Auftreten einer genetischen Krankheit. Dabei wurde davon ausgegangen, dass das Ergebnis der molekulargenetischen Diagnostik in diesem Fall absolute Gewissheit hinsichtlich der Krankheitsmanifestation ermöglicht. Nach dieser Vorstellung konnte bei einem negativen Untersuchungsergebnis die Gefahr der Erkrankung definitiv ausgeschlossen werden, während bei einem Nachweis der für die Huntington-Krankheit charakteristischen Mutation deren Träger in Zukunft notwendig erkrankten. Diese Annahme wird aber durch neuere Forschungsergebnisse zunehmend in Frage gestellt, die zeigen, dass zumindest in einigen Fällen das Testergebnis keinen eindeutigen Schluss hinsichtlich des Erkrankungsrisikos zulässt. Die Entdeckung des Huntington-Gens 1993 ermöglichte es erstmals, die Anzahl der CAG-Wiederholungen direkt nachzuweisen. Zunächst schien klar zu sein, dass Testergebnisse von 40 oder mehr CAG-Wiederholungen zur Erkrankung führen und mit einem Wert darunter ein Krankheitsrisiko ausgeschlossen werden konnte. Ausgedehnte Studien haben jedoch gezeigt, dass in einem Übergangsbereich inkomplette Penetranz zu beobachten ist (Rubinsztein et al. 1996; Brinkmann et al. 1997). Angesichts dieser neuen Erkenntnisse entstand eine schwierige Situation, als plötzlich klar wurde, dass auch Wiederholungen von 36 bis 39 manchmal krankheitsrelevant sein können. Allerdings gibt es auch einige Personen, welche diese Wiederholungsrate aufweisen, aber bis ins hohe Alter symptomfrei sind
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und keine Krankheitsmanifestation zeigen. Folglich ist es für Menschen mit dieser Anzahl von Wiederholungen alles andere als klar, ob sie an Huntington erkranken werden oder nicht. Betroffene, die Allele von 35 bis 41 CAG-Wiederholungen aufweisen, werden als »Intermediäre« bezeichnet, da in diesem Bereich von einer geringeren Penetranz der Krankheit ausgegangen wird und somit das Testergebnis keine eindeutige Antwort auf die Frage zulässt, ob die Risikopersonen erkranken werden (Epplen/Haupt 1999; Van den Boer-van den Berg/ Maat-Kievit 2001). Eine weitere Schwierigkeit besteht darin, dass die Allele offenbar manchmal mutieren. Zwar scheint der CAG-Block auf somatischer Ebene weitgehend stabil zu sein, bei Weitergabe zwischen den Generationen kommen dagegen sowohl Expansionen wie Kontraktionen vor. Mit anderen Worten: Ein Allel mit weniger als 36 Wiederholungen kann sich in der nächsten Generation in ein krankheitsrelevantes Allel verwandeln. Für einige Zeit galten dann 30 Wiederholungen als »sichere« Grenze, bis ein Allel mit 27 CAG-Einheiten bei dem Vater eines Huntington-Kranken gefunden wurde, der selbst 38 Wiederholungen aufwies (McGlennan et al. 1995). Damit war klar, dass auch eine Zahl unter 30 Wiederholungen für die Nachkommen krankheitsrelevant sein kann (Van den Boer-van den Berg/Maat-Kievit 2001; Lange 2002). In einer neuen Veröffentlichung zeigen die Mediziner Hanneke M. A. Van den Boer-van den Berg und Anneke A. Maat-Kievit, dass die Ungewissheiten, die mit dem Testergebnis einher gehen können, von großer praktischer Bedeutung für die genetische Beratung sind. Wissenschaftliche Erkenntnisse bilden die Grundlage jeder genetischen Beratung, deren Aufgabe darin besteht, sichere Informationen bzw. »wahres Wissen« bereitzustellen, das eine autonome Entscheidung der Ratsuchenden ermöglichen soll. Was aber meint »Wahrheit« angesichts der Tatsache, dass die bislang gültige Theorie, nach der 30 Wiederholungen eine sichere Grenze bilden, falsifiziert wurde? Sollten die Ratsuchenden darauf hingewiesen werden, dass auch eine Zahl unter 30 CAG-Wiederholungen krankheitsrelevant sein könnte? Was bedeutet diese Risiko-Information im Kontext anstehender Entscheidungen (etwa: Kinderwunsch oder Lebensplanung)? Welche neuen Risiken werden damit eventuell produziert (z.B. wachsende Unsi-
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cherheit für die Ratsuchenden, Schadensersatzansprüche gegen die Beratungsperson wegen fehlerhafter oder unzureichender Beratung)? Unklar ist also, wie auf der Grundlage dieser neu auftauchenden, durch den Test (der erst die technologische Möglichkeit bietet, die Wiederholungsrate festzustellen) produzierten Unsicherheit, beraten werden soll: »Die Entdeckung des Mechanismus der CAG-Wiederholungen, der für die Mutation des Huntington-Gens verantwortlich ist, produzierte zunächst mehr Gewissheit, da sie ›zuverlässige‹ präsymptomatische Tests ermöglichte. Allerdings traf bald auch das Gegenteil zu: Die dynamische Natur der Mutation schuf mehr und neue Unsicherheiten. Zum Beispiel wissen wir nicht, was im Fall der mutierten CAG-Wiederholungen ein sicherer Bereich ist. Ebenso wenig wissen wir, ob, wann, wie oder warum ein Allel instabil wird. […] Genetische Berater wollen den Betroffenen die Wahrheit sagen, aber leider wissen sie nicht immer, was wahr ist, wie die Mutationen von CAG-Wiederholungen deutlich machen. Wenn aber Berater nicht wissen, wie sie bestimmte Tatsachen interpretieren sollen, dann sind sie auch nicht in der Lage, den Ratsuchenden die richtige Interpretation zu liefern.« (Van den Boer-van den Berg/ Maat-Kievit 2001: 39, 42)
Festzuhalten ist also, dass der Test, der entwickelt wurde, um die Unsicherheit in Bezug auf den Risikostatus zu beseitigen und Klarheit zu schaffen, neue, bislang unbekannte Ungewissheiten produziert. Dazu gehört die Möglichkeit »intermediärer« Ergebnisse ebenso wie die durch ein positives Testresultat noch verschärfte Unsicherheit in Hinblick auf den Ausbruch der Krankheit und ihren Verlauf. Die folgende Darstellung der Ergebnisse medizinischer, psychologischer und soziologischer Studien zur Huntington-Krankheit soll einen Überblick darüber geben, welche Faktoren dazu beitragen, ob sich Huntington-Risikopersonen einem prädiktiven Test unterziehen und wie die Untersuchungsergebnisse von den Betroffenen aufgenommen werden. Die Übersicht soll es auch erlauben, verallgemeinerungsfähige Aussagen über die materialen Grundlagen und psychosozialen Folgen des Einsatzes genetischer Diagnostik für andere Krankheiten zu treffen.
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Materiale Voraussetzungen und psychosoziale Folgen des Tests Das Deutsche Konsortium für molekulargenetische Diagnostik bei der Huntington-Krankheit hat in einer Studie überprüft, wie die molekulare Diagnostik von Patienten und so genannten Risikopersonen eingesetzt wird (Laccone 1999). Erfasst wurden genetische Tests für die Huntington-Krankheit aus zwölf Laboratorien in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Im Untersuchungszeitraum (1993-1997) wurden die Daten von insgesamt 3.090 Patienten, 992 Risikopersonen sowie 24 pränatale Analysen ausgewertet. Die angewandten molekulargenetischen Verfahren lassen sich in drei Kategorien bzw. Einsatzgebiete untergliedern: –
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die Differenzialdiagnostik, die in der Regel an Patienten mit unklarem Krankheitsbild zur Abklärung der Diagnose auf Huntington durchgeführt wird; die präsymptomatische Diagnostik bei Risikopersonen, also Menschen, in deren Familie die Huntington-Krankheit bereits aufgetreten ist, bei denen aber unklar ist, ob sie selbst Anlageträger sind; die pränatale Diagnostik, bei der untersucht wird, ob Föten Anlageträger einer CAG-Expansion sind.
Bei der Differenzialdiagnostik konnte gezeigt werden, dass etwa zwei Drittel der Getesteten tatsächlich ein Allel mit mehr als 39 Wiederholungen besaßen. Das positive Testergebnis stützte also in diesen Fällen den vermuteten Befund, dass die Patienten an der HuntingtonKrankheit leiden. Von den 992 untersuchten Risikopersonen trugen 540 Personen nichtexpandierende Allele, während 370 als Anlageträger einer CAG-Expansion identifiziert wurden, unter ihnen 52 Personen mit einem Allel von 27-35 CAG-Wiederholungen und 30 Risikopersonen mit einem Allel von 36-39 CAG-Wiederholungen, d.h. mit reduzierter Penetranz. Etwa 50 Prozent der Risikopersonen nahmen die Diagnostik zwischen dem 23. und 33. Lebensjahr in Anspruch. Frauen sind bei der Gruppe der getesteten Personen deutlich überrepräsentiert.14 Die Studie kommt zu dem Fazit, dass die Nachfrage nach dem Test weit hinter den Erwartungen zurückbleibt: »Die Inan-
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spruchnahme der präsymptomatischen Diagnostik ist sehr begrenzt, wenn man schätzt, daß ca. 30.000 Risikopersonen in den drei Ländern leben und davon etwa 3 Prozent den Test in Anspruch genommen haben. Die Anzahl der pränatalen Diagnosen liegt deutlich unter der Erwartung.« (Laccone 1999: 8) Das Ergebnis der Studie ist durchaus repräsentativ.15 Bevor der direkte Test erhältlich war, haben die meisten Risikopersonen erklärt, sich testen lassen zu wollen, sobald ein valides Nachweisverfahren verfügbar sei (Craufurd et al. 1989; Quaid/Morris 1993). Das Gegenteil ist schließlich eingetreten. Schätzungen und Erhebungen aus unterschiedlichen Ländern zeigen, dass nur etwa zehn Prozent der Menschen, die als mögliche Anlageträger der Huntington-Krankheit in Betracht kommen, bislang den direkten Gentest in Anspruch nahmen. Obwohl der Test – anders als die meisten anderen molekulargenetischen Diagnoseverfahren – relativ zuverlässige Informationen darüber gibt, ob die Risikopersonen die Krankheit entwickeln werden, ist also das Interesse bei den Betroffenen gering. Entgegen der weit verbreiteten Sichtweise, mehr Wissen über Gesundheitsrisiken bzw. zukünftige Krankheiten sei nützlich und schaffe zusätzliche Optionen für die Lebensplanung, scheint diese Einschätzung von den Betroffenen in diesem Fall nicht geteilt zu werden. Die Gründe, die Risikopersonen dazu bewegen, sich einem genetischen Test zu unterziehen, sind weniger »sachlicher« Natur (etwa: wie sicher ist die Durchführung der Untersuchung, wie aussagekräftig deren Ergebnis?); entscheidend sind vielmehr medizinisch-therapeutische Perspektiven und soziokulturelle Bedingungen, in welche der Entscheidungsprozess eingebettet ist – dies gilt für mögliche Huntington-Anlageträger wie für andere Menschen mit genetischen Risiken. Zentral für die Motivation, sich einem Gentest zu unterziehen, ist zum einen die Aussicht, therapeutische bzw. präventive Optionen in Anspruch nehmen zu können. Je mehr Chancen es zur Behandlung einer Krankheit gibt, desto eher wird ein Test gewünscht (Marteau/ Croyle 1998: 2; Evans et al. 2001). Zum anderen hängt die Bereitschaft zu einem Gentest von wichtigen soziokulturellen Indikatoren ab. Dazu zählen der religiöse Glaube, moralische Überzeugungen, das familiäre Umfeld, die Partnerschaftsbeziehung und der eventuelle Kinderwunsch ebenso wie mögliche diskriminierende bzw. stigmati-
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sierende Implikatonen eines (positiven) Testergebnisses (etwa höhere Prämien bei Versicherungsabschluss oder gar Verlust des Versicherungsschutzes, Probleme bei Arbeitsplatzsuche etc.) (Davison 1996). Darüber hinaus sind für den Entscheidungsprozess auch Qualität und Umfang der genetischen Beratung von großer Bedeutung, die dem möglichen Test vorausgeht bzw. ihn begleitet, also die Art und Weise, wie die Einzelnen beraten und welche Personen (Angehörige, Partner) in den Beratungsprozess einbezogen werden (Quaid/Morris 1993). Susan M. Cox und William McKellin zeigen in ihrer Studie, dass für die Entscheidung zum Gentest für die Huntington-Krankheit weniger individuelle Beweggründe als vielmehr die soziale Bedeutung des Risikos relevant ist. Ihre These lautet, dass Testkandidaten und ihre Angehörigen gemeinsam die Bedeutung genetischer Risiken konstruieren und diese Konstruktion wiederum die individuelle Erfahrung des Tests bestimmt. Die kanadische Studie stützt sich auf Interviews mit möglichen Anlageträgern, die sich dafür entschieden haben, den direkten Gentest für die Huntington-Krankheit in Anspruch zu nehmen. Befragt wurden insgesamt 22 Risikopersonen und 41 Familienmitglieder vor und nach dem Test. Die Untersuchung zeigt, dass das 50-prozentige oder 25-prozentige Risiko16 für die Betroffenen keine objektive Tatsache darstellt. Die scheinbar neutrale Risikoinformation hat eine flexible Bedeutung, die je nach Familienstruktur und Partnerschaftsbeziehung oder den konkreten Lebensumständen stark variiert. Signalisiert für die einen ein 50-prozentiges Risiko eine sehr hohe Erkrankungswahrscheinlichkeit, so betonen andere mit derselben Risikozahl die Chance, die Krankheit nicht zu bekommen: »Unsere Untersuchungsergebnisse lassen den Schluss zu, dass die Relevanz des Risikos als abhängig und veränderlich erfahren wird: Der Risikoinformation wird in bestimmten kritischen Momenten eine große Wichtigkeit beigemessen, während sie zu anderen Zeiten weniger Bedeutung besitzt.« (Cox/McKellin 1999: 127) Ist also bereits die Entscheidung für oder gegen den Test weniger vom individuellen Befinden oder von medizinischen Befunden als von sozialen Faktoren abhängig, so gilt dies umso mehr für die Interpretation der Testergebnisse. Weder ist ein positives Testergebnis notwendig mit einer Erhöhung von Stress oder dem Anwachsen depressiver oder aggressiver Tendenzen verbunden, noch stellt ein negativer
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Befund automatisch und in jedem Fall eine Entlastung für die Betroffenen dar. Im Gegenteil: Viele bisherige Risikopersonen haben große Probleme, sich von der Vorstellung zu verabschieden, Anlageträger zu sein. Der Humangenetiker Claus R. Bartram schätzt, dass sich bei 30 bis 40 Prozent der negativ Getesteten eine schwere Depression einstellt, etwa aus Schuldgefühlen gegenüber den betroffenen Geschwistern. Umgekehrt seien Anlageträger, deren Status nach einem positiven Testergebnis verifiziert sei, oft froh, »dass sie jetzt Sicherheit haben und ihr weiteres Leben eindeutig planen können« (zit. nach Ärztezeitung 2001; Tibben et al. 1997).17 Diese Untersuchungsergebnisse mögen auf den ersten Blick verwundern. Anders als man vermuten könnte, hat das günstige Ergebnis bei den Betroffenen keine neuen Energien freisetzen bzw. alte Blockaden beseitigen können. Offenbar ist es wichtig, nicht nur das Testergebnis allein, sondern auch andere Faktoren zu berücksichtigen, wenn man die Antworten und Reaktionen auf genetische Tests voraussagen und verstehen will. Das Risiko, an Huntington zu erkranken, wird für die Betroffenen zu einem entscheidenden Teil ihrer sozialen Identität. Das Ergebnis, kein Anlageträger zu sein, ist daher nicht nur erleichternd, sondern stellt das eigene Selbstbild radikal in Frage. So erläutert ein Betroffener seine ambivalenten Gefühle, nachdem er zusammen mit seiner Frau erfährt, dass die genetische Mutation für die Huntington-Krankheit bei ihm nicht vorliegt: »Als ich die Untersuchungsergebnisse bekam, war ich noch nicht dazu bereit, es ging einfach über meinen Verstand. Es war einfach zuviel für mich … Wir waren davon überzeugt, dass ich das Gen besaß und wahrscheinlich schon erkrankt war … Vermutlich wollten wir sicher sein, nicht ungeheuer enttäuscht zu werden … Leider glaube ich, dass wir dann doch enttäuscht waren. Die Enttäuschung bestand darin, dass ich diese Last, die ich 24 Jahre lang auf meinem Rücken trug, indem ich mein Risiko kannte, nicht einfach über die Schulter werfen konnte, um rauszugehen und ein paar Radschläge zu machen.« (Colin, zit. nach Cox/McKellin 1999: 138; Konrad 2003: 351 f.)
Viele Menschen mit einem Elternteil, das an Huntington erkrankte, gehen davon aus, dass sie das Leiden geerbt haben. Sie richten ihr Leben häufig so ein, als würden sie in ihrer Lebensmitte sterben.
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Manchmal verfolgen sie keine berufliche Karriere oder vermeiden feste persönliche Bindungen, da sie erwarten, bald zu erkranken. Der Test bzw. die Information, dass sie die Krankheit nicht bekommen, ändert grundlegend ihr Selbstbild. Eine Frau drückte dies nach einem negativen Testergebnis folgendermaßen aus: »Wenn ich keine Risikoperson bin – wer bin ich dann?« (Zit. nach Huggins et al. 1992: 510; Williams et al. 2000)18 Die Probleme betreffen häufig nicht allein die Risikopersonen, sondern auch deren Angehörige und Lebenspartner. So entwickelte ein Ehemann eine klinische Depression als er erfuhr, dass seine Frau keine Anlageträgerin ist. Er hatte sein Arbeitsleben und seinen Ruhestand so eingerichtet, dass er sich später um seine Frau kümmern und sie pflegen könnte. Erfolgreich in seinem Beruf und ein workaholic, plante er eine »zweite Karriere« als Pfleger seiner Frau. Als sich herausstellte, dass sie die Mutation nicht besitzt, fühlte er sich, als hätte er seinen Job verloren (Huggins et al. 1992: 513 f.). Der Test im Spiegel von Selbsthilfepublikationen Mit der Entdeckung des »Huntington-Gens« verband sich auf Seiten der betroffenen Patienten, Risikopersonen und Angehörigen die Hoffnung auf die baldige Kenntnis der genauen Krankheitsursachen und die Bereitstellung entsprechender Heilmittel (N. Wexler 1994). Viele äußerten jedoch auch Bedenken angesichts eines Tests für eine Krankheit ohne Präventions- bzw. Therapiechancen. Hinzu kamen die Angst vor einem möglichen Missbrauch von Daten und die Gefahr genetischer Diskriminierung bei Arbeitsplatzsuche und Versicherungsschutz. Der »Schicksalstest« (Weidenbach 1993) wurde daher nach seiner Einführung in die medizinische Praxis innerhalb der Selbsthilfegruppen relativ kritisch beurteilt: »Die Skepsis der Betroffenen steht im Gegensatz zum lautstark verbreiteten Wissenschaftlerstolz bei der Genentdeckung. Schlimmer noch: Die Berichterstattung darüber verwendete Parolen wie die ›Suche nach dem Bösen‹ (so die Überschrift im Spiegel), von ›Fahndung‹ im Erbgut und ›Killer-Gen‹ war die Rede, so als ob es sich bei den Huntington-Kranken um genetisch veranlagte Kriminelle handelt.« (Weidenbach 1993: 6)
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Auch zehn Jahre nach der Entwicklung des direkten Nachweisverfahrens sind diese Ambivalenzen noch nicht ausgeräumt. Es ist daher nicht verwunderlich, dass der Frage, ob sich Risikopersonen überhaupt testen lassen sollten, eine herausragende Bedeutung in den Selbsthilfepublikationen zukommt. Viele Beiträge zu dieser Problematik finden sich im Huntington-Kurier, dem Publikationsorgan der Deutschen Huntington-Hilfe, wobei häufig Artikel aus den Selbsthilfezeitschriften anderer Länder übernommen wurden. Ein Beispiel dafür ist der Bericht einer Autorin mit dem Kürzel KBLF, der 1999 zuerst in Horizon, der Quartalszeitschrift der kanadischen Huntington-Gesellschaft, erschien und dann in deutscher Übersetzung im HuntingtonKurier abgedruckt wurde. Die Autorin schildert, wie sie mit dem Wissen aufwuchs, aus einer Huntington-Familie zu stammen. Letzte Zweifel wurden ausgeräumt, als der Vater schließlich 1996 an Huntington erkrankte. Die drei Töchter sahen sich nun vor die Frage gestellt, ob sie die Möglichkeit einer prädiktiven Diagnostik in Anspruch nehmen wollen. KBLF schildert anschaulich die schwierige Entscheidungssituation: »Man kann die Gefühle nicht in Worte fassen, die mit der Entscheidung einhergingen, die Büchse der Pandora zu öffnen. Manche Menschen schütteln die Büchse und versuchen, zu raten, was sich darin befindet. Andere wollen es wissen, um sich zu beruhigen. Und manche begraben die Büchse in den Tiefen ihrer Seele und geben vor, daß sie nicht existiert. Der Inhalt eröffnet ein unerwartetes, lebenslängliches Geschenk, oder aber bestätigt dir deine schlimmsten Befürchtungen. Wenn allerdings die Büchse einmal geöffnet ist, kann sie nie wieder versiegelt werden.« (KBLF 1999: 1)
Aus Angst, ihren Arbeitsplatz zu verlieren, entscheidet sich die älteste der Schwestern gegen eine Untersuchung, die beiden anderen wollen hingegen die Testoption nutzen. Während es bei ihrer Schwester zu einem negativen Ergebnis kommt, lässt sich bei der Autorin eine CAG-Expansion nachweisen. Sie schildert, wie schwer es ihr fiel, mit diesem Ergebnis zu leben. Anfangs zog sie sich zurück, schränkte den Kontakt zu Freunden und Verwandten ein, war oft niedergeschlagen und depressiv. Nach den »emotionalen Stürmen« (ebd.: 3), die sie
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nach dem Untersuchungsergebnis empfand, gelang es ihr nach einiger Zeit, ihre »innere Ruhe« (ebd.: 4) wieder zu finden. Entscheidend war dabei die Unterstützung durch ihre Familie und enge Freunde, die ihr eine »Lektion über Liebe und Freundschaft« (ebd.: 3) erteilten. Die Reaktion der Familie auf ihre Diagnose fällt für sie völlig unerwartet aus: »Meine Mutter hatte Schuldgefühle, weil sie drei Kinder geboren hat, obwohl sie von der Krankheit gewußt hatte. Meine Schwester fühlte sich schuldig, weil sie davongekommen war und ich nicht. […] Am schlimmsten fühlte sich mein Vater. Die Krankheit kam aus seiner Familie, und er allein fühlte sich verantwortlich für mein vorhergesagtes Schicksal.« (Ebd.: 3)19 Ihr wird klar, dass auch die negativ getestete Schwester der Krankheit »nicht entrinnen kann, auch wenn sie selbst das Gen nicht hat. Die Krankheit besteht um sie herum, und sie wird die Stellung halten müssen« (ebd.). Als Folge des Tests bzw. der mit dem Ergebnis einhergehenden großen Wahrscheinlichkeit, an Huntington zu erkranken, sieht sie die Chance, ihr Leben bewusster zu planen: »Getestet zu sein, gibt mir die Möglichkeit, Entscheidungen über vorhersehbare Probleme zu treffen. Ich kann eine Vollmacht ausstellen, ein Testament machen, meine Pflege planen und meine Wünsche jetzt äußern. Das Leben hier und jetzt bewußt zu leben, ist mir wichtig geworden. Ich werde es mir nicht erlauben, einen Berg aus Worten und Taten vor mir herzuschieben, die ich hätte aussprechen und tun sollen, solange ich noch dazu fähig bin. Jetzt muß ich es sagen und tun.« (Ebd.: 4)20
Auch David Strang betont in einem Text, der auf der Internetseite der Huntington-Hilfe publiziert ist, die Notwendigkeit der Zukunftsplanung für Menschen, die von der Huntington-Krankheit betroffen sind.21 Obwohl es gegenwärtig keine Heilungsmöglichkeit gibt, begreift er allein die Tatsache des Wissens über den Trägerstatus als Chance, bereits in der Gegenwart Vorkehrungen für das zukünftige Ausbrechen der Krankheit zu treffen. Strang sieht den Test als eine zusätzliche Option, die eigenen Präferenzen zu einem Zeitpunkt zur Geltung zu bringen, da es immer schwieriger wird, selbstbestimmte Entscheidungen zu treffen:
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»Der Vorteil der Zukunftsplanung liegt darin, daß Sie sich bewußt werden, eine Krankheit zu haben, bei der sich Ihre Kontrollmöglichkeiten und Selbständigkeit mit jedem Schritt verschlechtert. […] Warum wollen Sie nicht, daß andere für Sie diese Entscheidungen treffen? Menschen entscheiden sich unterschiedlich. Wenn andere für Sie eine Entscheidung treffen müssen, so könnte diese u.U. nicht in Ihrem Sinne sein. […] Eine Möglichkeit, Ihren Willen kundzutun, ist das Patiententestament. Es ist ein schriftliches Vermächtnis, das Ihre Wünsche enthält.« (Strang 1996)
Die Zukunftsplanung für Menschen, die von der Huntington-Krankheit betroffen sind, ist jedoch nicht erst im Fall eines positiven Testergebnisses erforderlich; sie ist auch nicht allein Gegenstand eines expliziten Entscheidungsprozesses, an dessen Ende die Einsicht steht, dass es nützlich oder sogar erforderlich sei, Vorkehrungen für die kommenden Lebensabschnitte zu treffen. Nicht erst die faktische Durchführung der Untersuchung bzw. deren Ergebnis, sondern bereits die Auseinandersetzung mit der Möglichkeit eines Tests, das Abwägen seiner potentiellen Vor- und Nachteile für die eigene Lebensund Familienplanung, stellt eine »Kolonisierung der Zukunft« (Giddens 1991: 125) dar, der Versuch, sie vorhersehbar und berechenbar zu machen. Dies zeigen weitere Texte aus den Selbsthilfezeitschriften, die den Wunsch nach »klaren Verhältnissen« (Anonym 1994: 5) betonen und die Angst vor dem Test als Chance der bewussten Lebensgestaltung auffassen: »Die Angst gibt mir die Möglichkeit, mich mit mir selbst zu beschäftigen. Häufig habe ich durch Beruf und viele diverse Aktivitäten keine Muße, um mein inneres Erleben wahrzunehmen. Hervorgerufen durch die Angst, ermögliche ich mir einen Blick in die Zukunft. Welche anderen Menschen haben diese Chance des Lebenseinblickes und daraus einer Lebensgestaltung? Ich habe von der Angst gelernt zu hoffen, denn die Hoffnung auf einen positiven Testausgang (kein HK) ist meine Motivation zu handeln.« (Anonym 1995: 7)
Ein besonders schwieriges Problem stellt der Einsatz des Tests im Rahmen der Pränataldiagnostik dar (vgl. Simpson/Harper 2001). Häufig werden Risikopersonen mit der Auffassung konfrontiert, sie
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sollten keine oder nur »genetisch geprüfte« Nachkommenschaft zeugen. Solange es keine Heilungschancen für die Krankheit gibt, besteht die Prävention der Krankheit in der Verhinderung der Geburt von potentiell Kranken, also von Anlageträgern, die später einmal die Huntington-Krankheit entwickeln könnten.22 Ein Beitrag, der die Auswirkungen der Huntington-Krankheit und des Tests auf Familie und Partnerschaft untersucht, stammt von Sue Watkin (1996). Sie weist darauf hin, dass viele betroffene Paare mit Kinderwunsch vor einem besonderen Dilemma stehen. Konfrontiert mit dem Angebot, sich einem Test zu unterziehen, bevor sie sich für eine Schwangerschaft entscheiden, müssen sie zwischen folgenden Möglichkeiten wählen: – – – –
Entscheidung gegen Kinder, prädiktive Diagnostik der Risikoperson, direkter Test des Fötus, alles offen lassen.
Watkin zeigt, dass jede dieser Entscheidungen schwerwiegende Konsequenzen hat und zahlreiche Probleme aufwirft. Sollte etwa ein Paar sich für Kinder entscheiden und auf den Einsatz der prädiktiven oder pränatalen Diagnostik verzichten, so setzt es sich damit eventuell der Kritik von Freunden und Familienmitgliedern aus. Diese sind häufig der Auffassung, es sei moralisch falsch eine Krankheitsanlage weiterzugeben, die so schwerwiegende Folgen hat. Möglicherweise treten bei dem Elternpaar später Schuldgefühle und Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung auf oder die Kinder selbst ziehen eines Tages den Entschluss in Zweifel: »Familien, die Kinder hatten, bevor sie von der Huntington-Krankheit in ihrer Familie wußten, haben trotzdem Schuldgefühle und die Schwierigkeit, ihren Kindern eines Tages deren Risikostatus klarzumachen. Einer meiner Neffen, dessen Vater bereits über fünfzig war, als er die Diagnose Huntington-Krankheit bekam, und bei dem es keine Familiengeschichte gab, sagte seinen Eltern: ›Ich möchte niemals ein Kind haben, dem ich das erzählen muß, was ich eben von euch erfahren habe.‹« (Watkin 1996: 5)
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Die Existenz eines direkten molekulargenetischen Nachweisverfahrens führt oft auch zu Spannungen innerhalb von betroffenen Familien bezüglich der Frage, ob die Testoption in Anspruch genommen werden sollte. Dieser Punkt ist besonders sensibel, da das individuelle Untersuchungsergebnis regelmäßig auch Schlüsse über den Trägerstatus von Familienangehörigen zulässt. Wird bei Sohn oder Tochter eine CAG-Expansion diagnostiziert, so erlaubt dies den fast sicheren Schluss, dass auch ein Elternteil Anlageträger ist. Mit dem direkten Test lässt sich also feststellen, ob sich in der Elterngeneration bzw. unter den Geschwistern und Kindern Huntington-Risikopersonen befinden – auch wenn diese eventuell gar nicht über ihren Risikostatus aufgeklärt werden wollen: »Eines unserer Mitglieder, eine Studentin, möchte unbedingte Sicherheit über ihren Status, aber ihr Vater, dem sie sich sehr entfremdet hat, will überhaupt nichts davon wissen. Die Genetiker haben ihr gesagt, sie könne den Test machen lassen. Sie jedoch fühlt sich der Aufgabe nicht gewachsen, ein Geheimnis in sich zu tragen, das nicht nur ihren Vater und ihre Schwester betrifft, sondern auch ihre vier Halbgeschwister aus der zweiten Ehe ihres Vaters.« (Ebd.)
Immer wieder weisen Vertreter der Selbsthilfegruppen darauf hin, dass der Test nicht nur alte Fragen beantwortet, sondern auch neue Probleme aufwirft, er nicht nur Gewissheit über das bevorstehende Schicksal vermittelt, sondern sich mit ihm auch unbekannte Unsicherheiten verbinden. Eine Informationsbroschüre der Deutschen Huntington-Hilfe versucht, die in den letzten Jahren gesammelten Erfahrungen mit dem Untersuchungsverfahren zusammenzufassen. Sie dient als Entscheidungshilfe für Betroffene, wobei sie die vielschichtigen Fragen um den Test in einzelne Problembereiche wie Partnerschaft, Kinderwunsch, die Beziehung zu Eltern und Verwandten sowie die Ausbildungs- und Berufsperspektiven gliedert. Unter dem Abschnitt, der das Verhältnis der Testperson zu sich selbst behandelt, findet sich folgender Fragenkatalog: »Brauche ich das Testergebnis einzig und allein für mich und warum? Wie wesentlich ist Gewißheit in meinem Leben? Kann ich mit der Gewißheit besser umgehen, als mit einem 25% oder 50%igen Risiko? Welche Entschei-
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dungen mache ich von einem Ergebnis abhängig? Auf welche Entscheidungen hat das Ergebnis keinen Einfluß? Stehen bei mir schwierige Entscheidungen an, denen ich durch den Test ausweichen zu können glaube, z.B. Partnerwechsel? Habe ich Probleme, die ich meine, durch das Testergebnis lösen zu können, wie z.B. Leistungsschwäche oder Alkoholmißbrauch? Könnte mir ein Untersuchungsergebnis bei meinen Problemen richtig helfen oder gibt es alternative Lösungsmöglichkeiten? Möchte ich die Untersuchung machen lassen, weil ich einen negativen Befund erwarte? Wie werde ich mit einem negativen Ergebnis fertig? Wie werde ich mit einem positiven Ergebnis fertig? Wer wird für mich sorgen, wenn ich krank werden sollte? Wird mein Partner mich noch lieben und zu mir stehen? Wie werde ich mich gegenüber meinen Eltern und Geschwistern verhalten? Will oder muß ich Eltern, Geschwister, ggf. Kinder von meinem Vorhaben informieren?« (Lohkamp 2001: 31)
Die Broschüre stellt aber nicht nur einen Leitfaden dar, der potentiellen Testpersonen hilft, sich über die eigenen Motive und Interessen Klarheit zu verschaffen, sie nimmt auch Stellung zu dem gesellschaftlichen Druck auf mögliche Anlageträger, sich dem Test zu unterziehen. In der Öffentlichkeit wird die Möglichkeit, mit Hilfe eines Gentests Klarheit über den eigenen Risikostatus zu erlangen, häufig ebenso positiv bewertet wie die Option, über den Einsatz pränataler Diagnostik »erbkranken« Nachwuchs auszuschließen. Gegenstand der Kritik der Huntington-Selbsthilfegruppen ist die mehr oder weniger implizite Annahme, Wissen bedeute mehr Information und weniger Unsicherheit hinsichtlich der eigenen Lebensplanung. Häufig werde diese Einschätzung auch von einem moralischen Urteil begleitet, demzufolge es »verantwortlicher« sei, den Test in Anspruch zu nehmen: »Wir leben in einem Zeitalter der Informationsfülle. Wissen gilt als gleichbedeutend mit Stärke. Aber bedeutet Nichtwissenwollen deshalb Schwäche? Es gibt Menschen mit einem starken Verlangen nach Gewißheit, und wieder andere mit einer großen Toleranz gegenüber Ungewißheit. Viele Risikopersonen haben jahrelang mit dieser Ungewißheit gelebt, eine Ausbildung gemacht, Lebenserfahrung und Kraft gesammelt und sich finanziell abgesichert. Die prädiktive molekulargenetische Diagnostik beendet diese Ungewißheit. Ein positives Ergebnis kann eine Herausforderung sein. Die Zweifel um Ihren
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Gen-Status gibt es nicht mehr, aber sie werden durch andere Fragen ersetzt.« (Ebd.: 38)
Ähnliche Bedenken haben Alice Wexler, die Autorin eines wichtigen Buches über persönliche Erfahrungen mit der Huntington-Krankheit (A. Wexler 1996), dazu bewogen, sich nicht testen zu lassen. Auch sie stellt ein gesellschaftliches Wertesystem in Frage, welches den Willen zum Wissen als moralisch höherrangig gegenüber dem bewussten Leben mit der Ungewissheit über den eigenen genetischen Status betrachtet: »[…] wenn es eine Behandlung der Huntington-Krankheit gäbe, dann würde ich sofort losziehen und den Test machen lassen. Solange aber eine Behandlung nicht möglich ist, fühle ich mich mit meiner Entscheidung wohl. Lieber arbeite ich daran zu lernen, wie ich mit einem gewissen Maß an Unsicherheit leben kann, als eine schlimme Zukunft beständig vor Augen zu haben, sogar bevor die Symptome begonnen haben. Allerdings mache ich mir Sorgen darüber, daß unterschwellig die Menschen unter Druck gesetzt werden, den Test zu machen. In den Medien beispielsweise wird das Dilemma einer Huntington-Risikoperson immer als eine Entscheidung zwischen ›Wissen‹ und ›Unwissen‹ dargestellt, was bereits eine subtile Form des Drucks darstellt. Denn wer möchte schon dabei ertappt werden ›unwissend‹ zu sein? […] Diejenigen, die sich testen lassen, werden als die Stärkeren und Mutigeren porträtiert, neben denjenigen, die es nicht tun. Warum kann man nicht sagen, daß eine solche Entscheidung Nachdenken erfordert über den Unterschied zwischen einem starken Verlangen nach Sicherheit und einer großen Toleranz gegenüber Unsicherheit, eine Eigenschaft, die als Stärke ausgelegt werden sollte.« (A. Wexler 1994: 3)23
Auch ihre Schwester Nancy Wexler, eine der bekanntesten Huntington-Forscherinnen, die mit ihrer Arbeit einen entscheidenden Beitrag zur Entwicklung des Gentests geleistet hat, steht der DNA-Diagnostik inzwischen immer kritischer gegenüber: »Manchmal frage ich mich, was für eine Kreatur wir da in die Welt gesetzt haben.« (Zit. nach R. U. Schneider 2000: 42) Sie kennt viele Beispielfälle, welche die negativen Folgen des Tests illustrieren:
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»Da gibt es die Frau, die ihre beiden Kinder testen lassen wollte: ›Ich habe nur Geld, um eines davon auf die Universität zu schicken. Ich will wissen, in welches ich investieren soll.‹ Eine Mutter möchte ihre zukünftige Schwiegertochter zum Test schicken, bevor sie zur Hochzeit einwilligt: ›Mein Sohn kümmert sich liebevoll um mich. Wenn sie Huntington bekäme, müsste er sich um sie kümmern‹.« (Ebd.: 42)
Von Mäusen und Menschen: Die Hoffnung auf Heilung Die Huntington-Krankheit gilt als klassischer Fall dafür, wie sehr menschliche Existenz von genetischen Faktoren bestimmt ist und dient häufig als privilegiertes Beispiel für deterministische Theorien, die den Glauben an die Autonomie und Allmacht der Gene zu befestigen suchen. Der Grund hierfür ist die fast vollständige Penetranz des mutierten Allels. Die Krankheit tritt offenbar bei allen Menschen auf, die eine überlange CAG-Sequenz an der Spitze des Chromosoms 4 aufweisen und scheint sich unabhängig von Umweltbedingungen und Lebensstil zu manifestieren. Diese Annahme beruht jedoch – ebenso wie der Glaube an die eindeutige und sichere Aussagekraft des Tests – auf einer fehlerhaften wissenschaftlichen Grundlage. Der Wissenschaftsphilosoph Philipp Kitcher hat darauf hingewiesen, dass die Aussage, bestimmte Krankheiten seien »genetisch determiniert«, eine Forschungshypothese darstellt, die eher ein Unwissen markiert als eine Feststellung über Tatsachen enthält oder Schicksalhaftigkeit impliziert: »Derzeit erscheint Chorea Huntington genetisch determiniert, denn wir wissen nicht, worin die Veränderungen der Umgebung bestehen müßten, damit die Krankheit nicht ausbricht. Doch die Forscher wollen zeigen, daß nicht die Krankheit genetisch determiniert ist, sondern etwas anderes, von dem sich die Krankheit durch sinnvolle Änderungen der Umwelt abgrenzen läßt. Wenn sie Glück haben, werden unsere Nachkommen die lange CAG-Sequenz neu benennen und sie als Ursache einer molekularen Gegebenheit sehen, die, sofern sie unbehandelt bleibt, zu neuralem Verfall führt. Unsere gegenwärtige Einstellung gegenüber PKU [eine genetische Krankheit, bei der ein Enzymdefekt verhindert, dass die Aminosäure Phenylalanin in Tyrosin umgebaut werden
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kann; T.L.] nimmt dieses optimistische Szenario vorweg. Vor der Entwicklung spezieller Diäten, die PKU-kranken Kindern heute eine normale Entwicklung erlaubt, hielt man diese Krankheit, die sich am auffälligsten in schwerer geistiger Retardierung äußert, für genetisch determiniert. Nach der inzwischen gewonnenen Erkenntnis, daß die unmittelbaren Ursachen der kognitiven Störung in der zu hohen Konzentration von Phenylalanin und dem zu niedrigen Tyrosinspiegel liegt, können wir jetzt die manifestierte Krankheit von den zugrundeliegenden Genen trennen. Genetisch ist nur die Unfähigkeit, Phenylalanin auf normalem Weg in Tyrosin umzuwandeln; diese Störung läßt sich jedoch zumindest weitgehend kompensieren, indem man eine Umgebung schafft, in der die Phenylalanin-Zufuhr drastisch gesenkt ist.« (Kitcher 1998: 272 f., Hervorheb. im Orig.)
Die Hoffnung auf Heilung der Huntington-Krankheit richtet sich also auf »derzeit unbekannte Umgebungen […], in denen die Träger der langen Sequenz nicht erkranken« (ebd.: 272). Die Diagnose einer CAG-Expansion auf Chromosom 4 bedeutet also nicht notwendigerweise, dass die Betroffenen auch die Huntington-Krankheit entwickeln werden. Wenn der genaue biochemische Prozess der Krankheitsentstehung einmal bekannt ist, könnten Umgebungen möglicherweise so gestaltet werden, dass sich die Huntington-Krankheit trotz der langen CAG-Sequenz nicht manifestiert, sondern die Betroffenen weiterhin gesund leben. Auch wenn die Huntington-Krankheit bislang unheilbar ist, so lassen sich doch hoffnungsvolle Forschungsansätze ausmachen, die es in Zukunft vielleicht erlauben werden, den Verfallsprozess wirksam zu bekämpfen oder ihm vorzubeugen. Große Erwartungen verbinden sich mit einer Reihe von Experimenten mit transgenen Mäusen, welche die für Huntington typische Mutation eingepflanzt bekamen.24 Diese so genannten HD-Mäuse (für Huntington’s Disease) dienen als experimentelle Modelle, die zwei forschungsstrategische Verschiebungen erlauben. Zum einen ermöglichen sie eine (räumliche) Verlagerung der Krankheit von Menschen auf Tiere, die von Geburt an intensiver Überwachung und Kontrolle unterzogen werden können; zweitens wird die zeitliche Dimension für die Manifestierung der Krankheit auf zwei Monate verkürzt. Die diversen Mäuse-Studien haben unterschiedliche Forschungsdesigns. So experimentiert das britische Biotech-Unterneh-
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men ReNeuron mit Mäuse-Stammzellen, um die Huntington-Krankheit zu behandeln. Dabei werden Hirnzellen von Mäusen in das Gehirn von Huntington-Patienten gespritzt. Auf diese Weise soll der Verfallsprozess gestoppt bzw. rückgängig gemacht werden (Cookson 2002). In einem anderen Experiment konnte gezeigt werden, dass stimulierende Reize im Umfeld der Huntington-Mäuse den Ausbruch der Krankheit signifikant verlangsamen. Obwohl die HuntingtonKrankheit fast vollständig penetrant zu sein scheint, spielen offenbar auch Umweltbedingungen für die Manifestation der Krankheit bzw. deren Verlauf eine Rolle (van Dellen et al. 2000; Nowak 2000).25 Besonderes Aufsehen erregte ein Bericht über Forschungen zur Verpflanzung fötalen Hirngewebes in das Gehirn von Huntington-Patienten, der im Dezember 2000 in der Fachzeitschrift The Lancet erschien (Bachoud-Levi et al. 2000). Ein Team französischer Mediziner hatte Hirnzellen aus abgetriebenen menschlichen Föten bei fünf Patienten eingepflanzt. Bei den Untersuchungspersonen wurden zunächst in das rechte, ein Jahr später auch in das linke Striatum vier bis fünf Transplantate eingebracht, die bei drei von fünf Patienten eingewachsen zu sein scheinen. Bei diesen zeigte sich ein verbesserter Stoffwechsel des Striatums und die Motorik der Patienten verschlechterte sich im Untersuchungszeitraum nicht weiter. Marc Peschanksi, einer der beteiligten Wissenschaftler, sah zumindest bei einigen Patienten positive Veränderungen: »Die praktische Relevanz zeigt sich daran, dass die Patienten bereits verloren gegangene Fähigkeiten wieder erlangten: Sie können zum Beispiel wieder Fahrrad fahren oder Gitarre spielen.« (Zit. nach Simm 2000) Dieser Forschungserfolg wurde von vielen Tages- und Wochenzeitungen aufgegriffen. Die Artikel waren oft so verfasst, als führe dieses Transplantationsverfahren zur Heilung der Huntington-Krankheit, was bei vielen Betroffenen und ihren Angehörigen neue Hoffnungen weckte. Demgegenüber findet sich im Huntington-Kurier eine eher nüchterne Einschätzung der Forschungsergebnisse. Bernhard Landwehrmeyer, Mitglied des Wissenschaftlichen Beirates der Deutschen Huntington-Hilfe, diskutiert in mehreren Artikeln das Forschungsdesign der Studie und macht die Grenzen der Transplantation fötaler Zellen für eine Heilung der Huntington-Krankheit deutlich. Er weist darauf hin, dass selbst die an der Studie beteiligten Ärzte nicht eine
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vollständige Therapie der Krankheit, sondern bestenfalls eine teilweise Rückbildung und vorübergehende Stabilisierung erwarten. Landwehrmeyer zufolge ist »es nicht wahrscheinlich, dass sich die Transplantation fötaler Zellen als Behandlung der Huntington-Krankheit durchsetzen wird. Gegen eine breite Anwendung der Transplantation fötaler Zellen spricht die begrenzte Verfügbarkeit von Spendergewebe und die Uneinigkeit in der Gesellschaft, ob es ethisch vertretbar ist, Gewebe von Föten zur Transplantation einzusetzen. Zudem ist noch nicht geklärt, welchen tatsächlichen Nutzen die striatale Transplantation fötaler Zellen bei einer Erkrankung hat, bei der ein Nervenzellverlust in vielen Hirnregionen, nicht nur im Striatum, beobachtet wird.« (Landwehrmeyer 2001a: 4; Landwehrmeyer 2003)
Im Huntington-Kurier wurden auch die Ergebnisse einer weiteren medizinischen Studie kommentiert. Die Huntington Study Group (HSG), ein Zusammenschluss von Ärzten in Nordamerika, der sich besonders um die Erprobung neuer Behandlungsmöglichkeiten für die Huntington-Krankheit bemüht, testete in einer Langzeitstudie, ob die Medikamente Remacemide und Coenzym Q10 (Ubiquinon) in der Lage sind, das Fortschreiten der Krankheit deutlich zu verlangsamen. Die Studienergebnisse wurden im August 2001 in der Zeitschrift Neurology veröffentlicht (The Huntington Study Group 2001). Leider entsprachen die Erfahrungen mit dem Medikamenteneinsatz nicht den hohen Erwartungen. Im Untersuchungszeitraum von 30 Monaten konnte keines der beiden Medikamente die Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Patienten deutlich verlangsamen. Der Huntington-Kurier wies daher darauf hin, dass die Selbsthilfeorganisationen aufgrund dieser Untersuchungsergebnisse keine Empfehlung für die Einnahme der Medikamente geben können (Landwehrmeyer 2001b: 13). Die Huntington-Selbsthilfe referiert jedoch nicht nur Forschungsergebnisse oder organisiert Studien, in denen die Wirksamkeit von Medikamenten überprüft wird. Die internationale Huntington-Bewegung initiiert und finanziert selbst Projekte zur Erforschung der Krankheit und gibt Untersuchungen zur Entwicklung möglicher Therapeutika in Auftrag. Die Hereditary Disease Foundation (HDF) ist
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eine der wichtigsten Stiftungen zur Koordinierung von Forschungen im Bereich genetischer Krankheiten. Gegründet wurde die Organisation von Milton Wexler, dessen Frau Ende der 1960er Jahre an Huntington erkrankte. Kurz nach der Diagnose begann Wexler, sich mit Fragen der Genetik zu beschäftigen. Er nahm Kontakt zu Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern auf, organisierte Fachkonferenzen und gründete 1973 die HDF, um die Erforschung der Huntington-Krankheit voranzutreiben. Gemeinsam mit seiner Tochter Nancy wollte er nach einem Suizidversuch seiner Frau etwas tun, »um das Gefühl zu bekommen, ein bisschen Herrschaft über das Elend zu gewinnen, das über uns hereingebrochen war« (zit. nach R.U. Schneider 2000: 41). Nancy Wexler, die ihre Doktorarbeit über das Leben mit dem Huntington-Risiko schrieb und dafür Patienten, Risikopersonen und Angehörige zu der Krankheit befragte, wird schließlich zu einer der renommiertesten Forscherinnen auf dem Gebiet der Huntington-Krankheit und leitet heute die HDF. Für die meisten Menschen, die sich in Selbsthilfegruppen engagieren, ist die Hoffnung, die sie auf die Wissenschaft richten, nicht einfach eine abstrakte Sehnsucht oder eine vage Spekulation, sondern ein Feld zielgerichteten Engagements und konkreter Aktivität. Sie versuchen, die gegenwärtigen wissenschaftlichen Möglichkeiten für ihre eigenen Zwecke und Interessen zu nutzen. Dazu bedarf es nicht nur großer finanzieller Anstrengungen, sondern auch der Mobilisierung von intellektuellen und politischen Ressourcen. Das Vokabular der Hoffnung zeigt die Entschlossenheit, Hindernisse zu überwinden und Grenzen zu überschreiten: »Das Feld der Hoffnung ist kein Bereich von Kalkulation oder Wahrscheinlichkeit, in dem Chancen und Risiken abgebildet und aufgerechnet werden. Es handelt sich eher um ein Feld von Möglichkeiten und Antizipationen, um einen Balanceakt zwischen dem Wissen um gegenwärtige Grenzen und der hoffnungsvollen Erwartung, was die Zukunft bringen könnte. […] Hoffnung hat nichts mit Passivität zu tun, sondern sie erfordert ein aktives Eintreten für zukünftige Möglichkeiten, einen gewissen Grad an Verbindlichkeit und die Bereitschaft zu scheitern, um die Gegenstände der Hoffnung Wirklichkeit werden zu lassen. […] Eine weitere Qualität der Hoffnung besteht in ihrem relationalen Charakter, der eine Untersuchung des politisch-ökonomischen
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Kontextes erfordert, in welchen sie eingebettet ist. Hoffnung ist zugleich individuell und kollektiv – sie verbindet persönliche Biografien, die Hoffnungen auf eine bessere Zukunft, die wir alle teilen, mit umfassenderen sozialen, ökonomischen und politischen Prozessen.« (Novas 2001: 10 f.)
Molekulargenetische Subjekte Die Arbeit der Deutschen Huntington-Hilfe und anderer HuntingtonSelbsthilfegruppen trägt entscheidend dazu bei, sozial akzeptable Bedingungen für die Anwendung des molekulargenetischen Untersuchungsverfahrens zu schaffen. Mit der Verabschiedung und der Implementierung von Richtlinien im genetischen Beratungsprozess stellen sie Freiwilligkeit und Selbstbestimmung bei der Wahrnehmung des Testangebotes durch die Betroffenen sicher und treten einer Ausrichtung der genetischen Beratung an ökonomischen oder wissenschaftlichen Interessen entgegen. In internen Publikationen und öffentlichen Stellungnahmen kritisieren die Selbsthilfegruppen den moralischen Druck, der auf die Betroffenen ausgeübt wird, um sie zur Nutzung von Diagnoseoptionen zu bewegen. Sie richten sich gegen Strategien der Exklusion und diskriminatorische Praktiken, die im Anschluss an ein positives Testergebnis erfolgen könnten. Ein weiterer und überaus wichtiger Punkt wird jedoch in den Publikationen der Selbsthilfegruppen meist nur am Rande erwähnt. Mit der technischen Verfügbarkeit eines direkten Gentests verändern sich nicht nur die Voraussetzungen oder Folgen des Wissens für die (potentiellen) Testpersonen, sondern auch die Betroffenen selbst: »In Wirklichkeit ändert sich also nicht ein abstraktes statistisches Datum, sondern die eigene Person erfährt eine Veränderung, betrachtet sich selbst anders und wird von anderen einer veränderten Betrachtung unterworfen.« (Krahnen 1989: 69) So wichtig es für die praktisch-politische Arbeit ist, auf das Prinzip der Selbstbestimmung zu rekurrieren, für die theoretische Analyse bleibt gerade dieses »Selbst« näher zu bestimmen. Zwei Punkte verdienen dabei besondere Aufmerksamkeit. Erstens ist es für eine Analyse der sozialen Implikationen von Gentests nur begrenzt hilfreich, Zwang und Freiwilligkeit abstrakt
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einander gegenüberzustellen, um die freie individuelle Entscheidung für den Test gegen soziale Restriktionen einzuklagen. Diese Dichotomisierung verdeckt, dass mit dem Auftreten von prädiktiven Tests eine neue strategische Situation geschaffen wurde, die Zwang und Freiwilligkeit miteinander verkoppelt. Das gendiagnostische Angebot ist nicht in quantitativen Begriffen zu messen. Es handelt sich weder um eine Abnahme von Schicksalhaftigkeit noch um einen Zugewinn an persönlichen Entscheidungsmöglichkeiten oder ein Anwachsen subjektiver Wahloptionen, sondern um eine qualitative Veränderung, die das gesamte Handlungsspektrum erfasst und ein aktives Verhalten erfordert. Die Verfügbarkeit eines Gentests impliziert eine Entscheidung, ja sie zwingt zu einer Entscheidung: Jede/r Betroffene ist mit der Existenz eines molekulargenetischen Nachweisverfahrens zwangsläufig vor die Entscheidung gestellt, sich testen zu lassen oder dies nicht zu tun. Damit ist auch die Entscheidung gegen den Test notwendig eine Entscheidung und nicht mit dem Unwissen vor der Bereitstellung des diagnostischen Mittels zu vergleichen. Es handelt sich um ein »gewußtes Nicht-Wissen« (Beck/May 2001), um ein aktives Verweigern: eine bewusste Option für das Nicht-Wissen. Ganz gleich, wie die Betroffenen dem Test gegenüberstehen mögen, seine bloße Existenz macht es erforderlich, eine Position zu entwickeln: Soll getestet werden? Was spricht dafür, was dagegen? Unter welchen Umständen ist eine Untersuchung sinnvoll? Allein die Verfügbarkeit des Tests erlaubt es also, die von einem Huntington-Risiko Betroffenen in zwei Subjekt-Gruppen zu unterteilen: in die Getesteten und die (noch) nicht Getesteten. Zweitens besteht die Besonderheit der prädiktiven Diagnostik darin, mit den Mitteln der medizinischen Genetik die Wahrheit über die Betroffenen zu sagen. Der Test verspricht Aufklärung über den gegenwärtigen Risikostatus der Untersuchungsperson und ihre zukünftigen Krankheiten. Wie eine moderne Form des Orakels oder eine neue Form der Wahrsagerei enthüllt der Test den Betroffenen, wer sie »eigentlich« oder »in Wirklichkeit« sind.26 Er bietet die Möglichkeit, den Risikostatus zu verifizieren oder ihn zu falsifizieren. Es gibt nun positiv und negativ Getestete. Im Falle eines positiven Ergebnisses offenbart der Test, dass es sich bei der Untersuchungsperson tatsächlich um einen Anlageträger handelt. Im negativen Fall wird das indi-
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viduelle Risiko auf Null reduziert, was häufig zu einer schmerzvollen Veränderung der eigenen Identität, ihrer »Anpassung« an die molekulargenetische Realität führt: Aus einer Risikoperson wird eine Person ohne Risiko. Schließlich kann der Test aber auch zu einem unklaren Ergebnis führen. Dies ist dann der Fall, wenn die Anzahl an CAG-Wiederholungen im Grenzbereich zwischen normal und pathologisch verläuft – eine Grenze, die weniger durch qualitative als durch quantitative Veränderungen gekennzeichnet ist: Ein paar CAG-Einheiten mehr oder weniger im Bereich zwischen 30 und 40 entscheiden über (längeres) Leben und (früheren) Tod. Für die Individuen, die in diesem Grenzbereich leben, liefert der Test keine eindeutige Aussage. Diese »intermediären« Risikopersonen, die in der Regel CAGWiederholungen im Bereich von 35 bis 40 besitzen, haben einen eigenen Subjekt-Status. Eine Betroffene mit einer Wiederholungsrate von 36 gibt die Worte ihres genetischen Beraters wieder, als dieser ihr das Testergebnis mitteilt: »Sie gehören zu dieser merkwürdigen Kategorie von Menschen.« (Gabriella, zit. nach Cox/McKellin 1999: 139; Novas/Rose 2000: 503 f.) Aus diesen Veränderungen von Selbstkonzepten und Identitätsmustern könnte der Schluss gezogen werden, dass die Risikopersonen im Fall des Huntington-Tests einem wissenschaftlich-technologischen Apparat ausgeliefert sind, der sie klassifiziert und nach Testergebnissen selegiert. Diese Interpretation lässt jedoch außer Acht, dass Risikopersonen, Patienten und Angehörige die medizinischen Definitionen nicht einfach übernehmen oder sich wissenschaftliche Deutungsmuster unmittelbar aneignen; vielmehr haben sie selbst entscheidenden Anteil an Wirklichkeitsdefinitionen und Subjektkonstitutionen. Die Auseinandersetzung mit naturwissenschaftlich-medizinischem Wissen ist Teil einer soziokulturellen Praxis, in welcher die Betroffenen ihre eigenen Werthaltungen und Erfahrungen artikulieren (vgl. Hill 1994; Davison et al. 1992). Die Austauschpraktiken zwischen Risikopersonen und die Formierung von Selbsthilfegruppen lassen neue kollektive Subjekte und spezialisierte Wissensformen entstehen, die neben und teilweise auch gegen die etablierten medizinisch-genetischen Autoritäten agieren. In den Gruppentreffen der Huntington-Selbsthilfe mit ihren persönlichen Kontakten und den vielfältigen informellen Kommunikations-
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möglichkeiten im Internet (E-Mail, Webforen und Chatrooms27) bildet sich eine Form von Laien-Expertise heraus, deren Autorität nicht auf Status, Titel oder Übung beruht, sondern auf Alltagserfahrung und praktischer Auseinandersetzung mit der Krankheit. Das komplexe Wissen um die Dynamik der Vererbungsvorgänge und die Kenntnis des medizinisch-genetischen Forschungsstandes bestimmt Entscheidungshandlungen, Reproduktionswünsche und Lebensentwürfe. Die Betroffenen kennen die Ergebnisse wissenschaftlicher Studien, sie sind über die Nebeneffekte von Medikationen und Hilfsmitteln zur Krankenpflege informiert und verfügen über wichtige Kontakte für die Lobbyarbeit. Das Beispiel der Huntington-Betroffenen zeigt, dass sie nicht nur Objekte medizinischer Fürsorge oder wissenschaftlicher Forschungsinteressen sind, sondern sich selbst als Subjekte wahr-nehmen, deren Existenz entscheidend von ihrer genetischen Ausstattung abhängt: »Im Fall der Huntington-Krankheit werden zentrale Aspekte der eigenen Identität im Hinblick auf eine Basensequenz an einem bestimmten Ort auf dem kurzen Arm von Chromosom 4 bestimmt. Durch die Analyse der Zahl von CAG-Wiederholungen auf dem betroffenen Chromosom findet beim genetischen Test für die Huntington-Krankheit ein Prozess molekularer Verkörperlichung [somaticization] statt. Die Wiederholungszahl ist nicht nur deshalb bedeutsam, weil sie die Anlage zur Krankheit aufzeigt; darüber hinaus wird davon ausgegangen, dass sie Aussagen über den Zeitpunkt der Krankheitsmanifestation und die Schwere der Symptome erlaubt. Dieses genetische Wissen beeinflusst ethische Entscheidungen bezüglich des Reproduktionsverhaltens und bestimmt neue Normen reproduktiver Gesundheit, die sich an der Sorge um das Wohl Dritter orientieren.« (Novas/Rose 2000: 504)
Das Wissen um die eigene genetische Ausstattung dient nicht nur als Grundlage für familiäre Planungen oder finanzielle Vorsorgestrategien, sondern bildet darüber hinaus den Hintergrund für ethische Problematisierungen. Im Kontext der genetischen Information werden Konflikte thematisiert und Fragen formuliert: Möchte ich eigene Kinder? Will ich heiraten? Soll die Krankheit anderen Familienmitgliedern, den Kindern oder dem Lebenspartner offenbart werden? Das genetische Wissen verändert das Selbstbild der Betroffenen, ihre Be-
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ziehungen zu Verwandten und Freunden, und es veranlasst sie, über Leben, Gesundheit und Verantwortung in einer neuen Weise nachzudenken. Selbst bei einer bislang unheilbaren und »hoffnungslosen« Krankheit wie Huntington folgen die Entscheidungsprozesse der Subjekte also gerade nicht der Logik eines genetischen Determinismus, der individuelle Wahlhandlungen für illusionär erklärt und die ethische Problematik obsolet erscheinen lässt. Eher sind neue Formen von Solidarität und Sozialität zu beobachten, welche ihren Ausgangspunkt in der genetischen Konstitution der Subjekte haben. Statt einer prinzipiellen Trennung zeigt die Analyse eine praktische Überlagerung oder Vermischung von sozialen und biologischen Faktoren, die eine wichtige Herausforderung für die traditionelle Grenzziehung zwischen Natur und Kultur, Erbanlage und Umwelt darstellt.
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4 Konturen einer Biosozialität
In wissenschaftlichen Diskussionen und der öffentlichen Auseinandersetzung um die sozialen Folgen von Genomanalyse und genetischer Diagnostik wird häufig davon ausgegangen, dass es sich bei diesen medizinisch-wissenschaftlichen Praktiken um eine Form der Biologisierung bzw. der Genetisierung des Sozialen handelt. So plausibel diese Beschreibung zunächst angesichts der wachsenden sozialen Bedeutung gentechnologischer Interventionen erscheinen mag, wirft sie doch ein grundsätzliches Problem auf, da sie weiter von einer unveränderten Polarisierung ausgeht: Das Feld der Kultur bleibt eindeutig abgegrenzt und prinzipiell unterschieden von dem Reich der Natur. Die Problemdiagnose einer »Biologisierung des Sozialen« unterstellt in der Regel eine quantitative Zunahme der einen gegenüber der anderen Sphäre, ein Anwachsen des Biologischen gegenüber dem Sozialen. Empirisch lässt sich jedoch eher eine qualitative Transformation konstatieren. Im Zeichen gentechnologischer Interventionen, welche direkte Eingriffe in die Erbsubstanz ermöglichen, hat sich die Debatte insgesamt verschoben – und mit ihr die beiden Pole, die sie einmal konstituierten. Die Natur ist nicht mehr auf der Seite des Unveränderlichen und Unverfügbaren anzusiedeln, die sich deutlich von der kulturellen Sphäre abgrenzen lässt, sondern bezeichnet ein privilegiertes gesellschaftliches Interventionsfeld. Die Biologie operiert heute als Informationswissenschaft, wobei die DNA als ein Code betrachtet wird, der gelesen und umgeschrieben werden kann. Durch die
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Genomforschung und ihre praktische Anwendung hat sich die Biologie selbst und die Relation zwischen Biologie und Gesellschaft verändert. Es reicht daher offenbar nicht aus, die »Biologisierung der Gesellschaft« zu konstatieren und/oder sie zu kritisieren; vielmehr zeigen die Ergebnisse wissenschaftshistorischer und -soziologischer Studien, dass die Dichotomie zwischen Natur auf der einen und Gesellschaft/Kultur auf der anderen Seite brüchig geworden ist (vgl. Keller 1995; Haraway 1995; Latour 1995; Rheinberger 1997). Eine der Folgen dieser Vermischung von Kultur und Natur, Gesellschaft und Biologie sieht der Anthropologe Paul Rabinow in der Entstehung von bislang unbekannten Formen einer »Biosozialität«. Rabinow zufolge ist es unzureichend, die »neue Genetik« in den Begriffen der Vergangenheit zu beschreiben. Zu beobachten sei heute keine Biologisierung des Sozialen, die Recodierung sozialer Projekte in biologische Termini (etwa nach den bekannten Modellen der Soziobiologie oder des Sozialdarwinismus), sondern eine Neukonfigurierung gesellschaftlicher Verhältnisse mittels biologischer Kategorien: »In Zukunft wird die neue Genetik aufhören, eine biologische Metapher für die moderne Gesellschaft zu sein, um stattdessen ein zirkulierendes Netzwerk von Identitätsbegriffen und Restriktionsorten zu bilden. Um dieses Netzwerk herum und vermittels dieses Netzwerks wird eine wirklich neue Form der Selbstproduktion auftauchen, die ich ›Biosozialität‹ nenne.« (Rabinow 1996: 99)
Die Genomforschung und die Möglichkeit, über genetische Analysen Risikoindividuen zu identifizieren, führen demnach zur Formierung eines heterogenen Ensembles von Selbsthilfegruppen, Patientenvereinigungen und Interessenvertretungen, in denen sich die von biomedizinischer Forschung Betroffenen organisieren. In dieser Perspektive wird den Betroffenen mittels komplexer Nachweisverfahren klar, dass sie gemeinsame genetische Veränderungen aufweisen. Die genetischen Tests bieten demnach die technologische Voraussetzung für neue Formen der Vergemeinschaftung: »[…] es ist nicht schwer, sich Gruppen vorzustellen, die sich um eine AllelVariante auf Chromosom 17, Genort 16.256, Position 654.376 formieren, bei
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der die Base Guanin ersetzt wird. Diese Gruppen werden medizinische Spezialisten und Forschungseinrichtungen besitzen und über Erfahrungen und Traditionen ebenso wie über eine Menge pastoraler Hüter verfügen, die ihnen helfen, ihr Schicksal zu erfahren, in es einzugreifen, es zu teilen und zu ›verstehen‹.« (Ebd.: 102)
Die von genetischen Krankheiten Betroffenen betreiben fundraising und lobbying, um eine auf ihre Bedürfnisse abgestimmte Forschung voranzutreiben; sie bilden ihre eigenen Traditionen und Lebensformen im Kontext der Krankheitserfahrung bzw. der Risikoexistenz aus.28 In der wachsenden Bedeutung von Patienten- und Selbsthilfeorganisationen für die Finanzierung und Koordinierung von biomedizinischen und biowissenschaftlichen Forschungen zeigt sich eine fundamentale Veränderung der Wissensordnung. Diese führt zum einen zu einer Politisierung der wissenschaftlichen Forschung durch ihre stärkere Ausrichtung am therapeutisch-medizinischen Nutzen bzw. den unmittelbaren Bedürfnissen betroffener Patienten; zum anderen verändern sich im Rahmen dieser neuen Forschungsorganisation auch die Selbsthilfegruppen, die ihre Unabhängigkeit und Handlungsautonomie zu verlieren drohen, indem sie sich wissenschaftlichen Interessen und kommerziellen Imperativen öffnen. Beide Aspekte sollen im Folgenden ausführlicher untersucht werden.
»Basis eines alternativen Expertenwissens«: Die Politisierung der Wissenschaft Seit etwa 20 Jahren ist ein zunehmender Distanzverlust zwischen Wissenschaft und Politik zu beobachten. Auf der einen Seite wird wissenschaftliche Forschung zunehmend abhängig von medialer Vermittlung, politischer Legitimation und ökonomischen Kalkülen. So gilt heute vor allem jenes Wissen als relevant, das unmittelbare Nutzungs- und Anwendungschancen bietet. Auf der anderen Seite wächst aber auch das Bedürfnis nach wissenschaftlicher Beratung bei politisch-administrativen Entscheidungen, die immer kompliziertere Fragen betreffen und hoch spezialisierte Kompetenzen voraussetzen. Im Kern handelt es sich also um einen wechselseitig dynamischen
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Prozess: Der Verwissenschaftlichung der Politik korrespondiert die Politisierung der Wissenschaft (Weingart 2001; vgl. Nowotny et al. 2001). Ein wichtiger Bestandteil dieses tiefgreifenden Transformationsprozesses besteht in der zunehmenden Einbeziehung von Selbsthilfegruppen und Angehörigenorganisationen in die Produktion und Legitimation wissenschaftlichen Wissens. Eine paradigmatische Rolle kommt dabei der AIDS-Bewegung zu, die insbesondere in den USA der 1980er Jahre zu einer signifikanten Verschiebung des Verhältnisses von Laien- und Expertenwissen beitrug. Zum ersten Mal in der Medizingeschichte hat eine Gruppe von Laien den Verlauf der biomedizinischen Forschung entscheidend geprägt und aktiv mitgestaltet. Der Einfluss der AIDS-Aktivisten erstreckte sich nicht nur auf die Kausalitätshypothesen des HIV-Modells, sie waren auch an der Entwicklung therapeutischer Behandlungsformen und der Rekrutierung klinischer Versuchsgruppen beteiligt. An den Versuchen nahm eine Vielzahl von Individuen teil, die sich aus der Schwulenbewegung, aber auch aus Frauengruppen und der Bewegung der Hämophilen rekrutierten. Diese Mobilisierung und Einbindung der betroffenen Gruppen verhalf der wissenschaftlich-institutionalisierten AIDS-Forschung zu großer moralischer Überzeugungskraft und sozialer Glaubwürdigkeit. Umgekehrt repräsentierten die AIDS-Selbsthilfegruppen die »Basis eines alternativen Expertenwissens« (Epstein 1996: 9), das nicht nur den Charakter der medizinischen Forschung, sondern auch das Wissenschaftsverständnis der Betroffenengruppen nachhaltig verändert hat: »Sie versuchen nicht nur Wissenschaft durch Druck von außen zu reformieren, sondern Wissenschaft zu praktizieren, indem sie sich hineinbegeben. Sie hinterfragen nicht bloß den Nutzen von Wissenschaft oder deren Kontrolle, sondern stellen manchmal sogar die Inhalte der wissenschaftlichen Forschung und die Verfahren in Frage, die sie produzieren.« (Ebd.: 13, Hervorheb. im Orig.; vgl. Lengwiler 2001)
Ein weiteres Beispiel für die wachsende soziale Bedeutung der Selbsthilfegruppen ist die Geschichte der Association française contre les myo-
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pathies (AFM), eine Interessenvertretung der Opfer degenerativer Muskelschwächen. Besondere Aufmerksamkeit hat diese Patientenorganisation erfahren, als sie in den 1980er Jahren ihr fundraising mit großem Erfolg auf das Fernsehen verlegte und mit ganztägigen Spezialsendungen, den Téléthons, Spenden in Millionenhöhe aufbrachte. Bereits zu Beginn der Kampagne wurden mit diesen Sendungen jährliche Einnahmen von durchschnittlich 250 Millionen Francs erreicht, danach ist das Spendenaufkommen sogar noch gestiegen: auf 450 Millionen Francs im Jahr 1998 (Rabeharisoa/Callon 1999; Cardon/ Heurtin 1999). Dieser finanzielle Erfolg gab der AFM eine ungewöhnliche Autonomie und Entscheidungsmacht und versetzte sie in die Lage, eine gewichtige Rolle in der medizinischen Forschung zu spielen. Von ihren Investitionen in die Genomforschung, die von zentraler Bedeutung für das französische Humangenomprojekt waren, erhoffte sich die AFM ein größeres Verständnis der Krankheitsursachen und die Entwicklung neuer Therapeutika. Mitte der 1980er Jahre beschloss die AFM eine Zusammenarbeit mit dem Centre d’Etude du Polymorphisme Humain (CEPH), einem staatlichen Gentechnologie-Labor. 1990 kam es zur gemeinsamen Gründung des Généthon, einer Forschungseinrichtung zur Genomanalyse am Rande von Paris. Das Forschungszentrum wurde weitgehend über die Mittel der AFM finanziert und hatte bereits nach wenigen Jahren erstaunliche wissenschaftliche Ergebnisse vorzuweisen.29 Der AFM gelang es, eine neue Form der Forschungsförderung zu etablieren, die von staatlichen Entscheidungsprozessen ebenso unabhängig war wie von privaten Profitinteressen: »Die AFM schuf ein neues Modell, das die bis dahin existierende Alternative überwand, bei welcher die staatlich geförderte Forschung (mit ihren etablierten Hierarchien, Prioritäten und Politikmustern) dem privaten Sektor gegenüberstand (vor allem pharmazeutische Unternehmen, für die es kaum interessant war, über Krankheiten zu forschen, die nur einen kleinen Kundenkreis betrafen). […] Das Modell der AFM vereinigte Spitzenforschung mit klinischer Praxis und dem Aktivismus von Patientengruppen.« (Rabinow 1999: 42; Rabeharisoa/Callon 1999; vgl. auch Palladino 2002)30
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Die AIDS-Selbsthilfegruppen und die AFM sind – ebenso wie die internationale Huntington-Bewegung und andere Patienten- und Angehörigenorganisationen – Beispiele für eine neue, reflexive Wissenschaftsorganisation. Die Zusammenarbeit zwischen Selbsthilfegruppen, wissenschaftlicher Forschung und klinischer Praxis verliert zunehmend ihren sporadischen Charakter, und der Integration von Selbsthilfegruppen in die Genese und Verwertung biomedizinischen Wissens kommt mittlerweile eine systematische Bedeutung zu (vgl. Zerres/Rüdel 1993; Petersen/Bunton 2002: 191-195).
Selbsthilfe zwischen Kompetenz und Kommerzialisierung In Deutschland haben diese reflexiven Kooperationsformen inzwischen Eingang in die staatliche Forschungsförderung gefunden. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) fördert seit 1999 zwölf Großforschungsprojekte, die Krankheiten mit hohen Erkrankungshäufigkeiten oder Sterblichkeitsraten untersuchen: chronischentzündliche Erkrankungen, Krebsleiden und neurologische Störungen wie Parkinson, Schizophrenie und Depression. Diese so genannten »Kompetenznetze in der Medizin« (BMBF 2002) sollen neue Kooperationsstrukturen schaffen, die den Wissenstransfer zwischen Grundlagenforschung, angewandter Forschung und medizinischer Versorgung beschleunigen. Das Ziel der Kompetenznetze besteht im Aufbau überregionaler medizinischer Verbünde zur »Initiierung und Evaluation von aus Forschungs- und Versorgungskompetenz zusammengesetzten Projektverbünden zur Bearbeitung von Fragestellungen aus der Versorgungspraxis an repräsentativen Patientenkollektiven« (vgl. www.kompetenznetz-schizophrenie.de; www.kompetenznetzemedizin.de). In vielen Kompetenznetzen spielen molekulargenetische Fragestellungen für die Forschungsorientierung eine zentrale Rolle. Gesucht wird nach genetischen Faktoren für Entstehung und Verlauf von Krankheiten.31 Im Rahmen ihrer Forschungsarbeit führen die Kompetenznetze Universitätskliniken, Fachkrankenhäuser, Psychiatrien, Arztpraxen, Forschungsabteilungen der pharmazeutischen Industrie, Fachgesellschaften und Patienten- und Angehörigenorganisationen als
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»Netzwerkpartner« zusammen. Diese Form der Zusammenarbeit ist für die Selbsthilfebewegung jedoch nicht ohne Ambivalenzen. In dem Maße, in dem Betroffenengruppen auf Forschungsinhalte und -ergebnisse Einfluss zu nehmen versuchen, werden sie stärker in die wissenschaftliche Arbeit und deren kommerzielle Verwertung integriert. Ein wichtiger Grund dafür liegt darin, dass die Patienten bzw. die Risikopersonen zugleich Forschungsobjekte und »Kunden«, d.h. primäre Nachfrager für gentechnologische Diagnostika oder Therapeutika sind. Das Beispiel der »Kompetenznetze in der Medizin« verweist auf ein übergreifendes Problem. Die Betroffenengruppen und ihre Mitglieder stellen nicht nur Geld und Glaubwürdigkeit für die medizinische Forschung bereit, sie verfügen selbst über ein einzigartiges wertvolles Gut: ihre (kranken) Körper. Diese Körper oder präziser: die in ihnen enthaltenen »Rohstoffe« wie Gewebe, Blut, Gensequenzen etc. bilden für Unternehmen und Forschungseinrichtungen in mehrfacher Hinsicht wichtige Ressourcen. Sie sind nicht nur in vielen wissenschaftlichen Bereichen unverzichtbare materielle Voraussetzungen der Forschungsarbeit, sondern auch Grundlage und Ausgangspunkt für kommerzielle Verwertungsstrategien – etwa durch die Patentierung von Gensequenzen. Eine an ökonomischen Motiven orientierte Nutzung des genetischen Wissens und der rechtliche Schutz geistigen Eigentums stehen jedoch häufig den Interessen der Betroffenen entgegen (I. Schneider 2002).32 Einen solchen Interessenskonflikt illustriert der Fall Greenberg vs. Miami Children’s Hospital et al., der seit einiger Zeit in den USA verhandelt wird. Debbie und Dan Greenberg verloren in den 1980er Jahren zwei Kinder durch die Canavan-Krankheit, eine bislang unheilbare genetische Krankheit. Das Leiden führt zu einem progressiven Verfall des Nervensystems, sodass die betroffenen Kinder selten das Erwachsenenalter erreichen. Die Greenbergs engagierten sich im Kampf gegen die Krankheit, für die es in den 1980er Jahren noch kein molekulargenetisches Nachweisverfahren gab. Ihr Ziel war es, das verantwortliche Gen zu finden, um dann einen einfachen und kostengünstigen Gentest für die Krankheitsanlage entwickeln zu können. Sie nahmen Kontakt zu Wissenschaftlern auf und überzeugten den Mediziner Reuben Matalon davon, seine Forschungsinteressen auf die
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Canavan-Krankheit zu konzentrieren. Die Greenbergs und viele andere Familien, in denen die Krankheit aufgetreten war, versorgten Matalon mit zahlreichen Blut- und Urinproben ihrer Kinder. Eine Reihe von Selbsthilfegruppen unterstützte Matalons wissenschaftliche Arbeit auch finanziell. Durch die Hilfe von Canavan-Familien und Selbsthilfegruppen gelang es Matalons Forschungsteam 1993 schließlich, das »Canavan-Gen« zu isolieren.33 Auf der Grundlage dieses Forschungserfolgs wurde dann ein Gentest entwickelt, der für Screening-Programme eingesetzt werden konnte. 1997 erhielt das Miami Children’s Hospital, an dem Matalon zu dieser Zeit arbeitete, ein Patent auf das Gen und verlangte ein Jahr später Lizenzgebühren für den Test. Daraufhin verklagten die Greenbergs zusammen mit anderen Familien und den betroffenen Selbsthilfegruppen das Krankenhaus und Matalon. Sie warfen ihnen u.a. ungerechtfertigte Bereicherung vor, da die Entdeckung des Gens allein auf der Grundlage der genetischen Informationen und der finanziellen Ressourcen der CanavanFamilien und ihrer Organisationen möglich gewesen sei. Die Kläger fürchten, dass die Patentierung des Gens bzw. die Lizenzgebühren den Zugang zum Test beschränken und die zukünftige wissenschaftliche Forschung behindern: »Das war für uns alle ein Schlag ins Gesicht […]. Wir dachten alle, dass wir das tun, um dem Gemeinwohl zu nützen«, erklärte Dan Greenberg zu Prozessbeginn. (Zit. nach Gillis 2000; www.canavanfoundation.org/news/miamihospital.html) Das Beispiel der Canavan-Krankheit zeigt, dass zwischen biomedizinischer Forschung und kommerzieller Verwertung auf der einen und den Interessen der Kranken und ihrer Angehörigen auf der anderen Seite tief greifende Konflikte auftreten können. Diese problematischen Dimensionen der Zusammenarbeit werden zunehmend von gentechnologiekritischen Vereinen und Initiativen, aber auch innerhalb der Selbsthilfebewegung thematisiert.34 Organisationen wie Health Action International oder das Gen-Ethische Netzwerk weisen darauf hin, dass Patienten- und Angehörigenorganisationen immer mehr eigene Handlungsspielräume verlieren, indem sie sich Forschungsinteressen und Vermarktungsimperativen öffnen.35 Der chronische Geldmangel der Selbsthilfegruppen und ihr Streben nach gesellschaftlicher Anerkennung machten sie anfällig für eine Dynamik, die mit dem ursprünglichen Gedanken der Selbstvertretung nur
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noch wenig gemein habe. Implizierte der Begriff der Selbsthilfe im medizinischen Bereich einmal die Vorstellung, dass sich Patienten zusammenschließen, um sich gegenseitig zu unterstützen und gemeinsam für ihre Anliegen, Bedürfnisse und Rechte zu kämpfen, so seien sie heute Teil eines biomedizinischen Netzwerkes, das von den Karriereinteressen der Forschenden und den Profitmotiven der pharmazeutischen Industrie bestimmt werde: »Jedes zehnte Unternehmen kooperiert hierzulande mit Selbsthilfeorganisationen. Der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) träumt von ›direktem Patientenmarketing mit geringsten Streuverlusten‹. So werden verschreibungspflichtige Medikamente beworben. Der BPI will Bedarf an neuen Medikamenten schaffen, bevor diese überhaupt auf dem Markt sind. ›Überzeugendes Prämarketing‹ heißt das im Jargon der WerbestrategInnen.« (Feyerabend 2002: 14; Health Action International 1999; Grüber/Wagenmann 2002)
Dieses Problem betrifft allerdings nicht nur die Selbsthilfebewegung, sondern ist von übergreifender Bedeutung. Weder die Formen der Integration in den Forschungsprozess noch die Veränderung von Selbstkonzepten auf der Grundlage genetischer Tests sind auf kleine Patienten- und Angehörigengruppen für relativ seltene Erbkrankheiten beschränkt; vielmehr lässt sich hier in zugespitzter Form eine gesellschaftliche Dynamik studieren, die bald über das enge Spektrum monogenetischer Erkrankungen hinaus alle Gesellschaftsmitglieder erreichen dürfte. Immer häufiger wird heute von einer »Ära der molekularen Medizin« (Ganten/Ruckpaul 2001: 3; vgl. Clark 1997; Childs 1999) gesprochen und genetischen Erklärungsmodellen eine große Bedeutung für Diagnose, Prävention und Therapie vieler Zivilisationskrankheiten zugebilligt. So erklärt etwa die derzeitige Bundesministerin für Bildung und Forschung, Edelgard Bulmahn, dass die »Anwendung moderner molekularbiologischer Methoden und Erkenntnisse die tägliche medizinische Praxis revolutionieren« werde (Bulmahn 2003: 6). Auch wenn diese Prognose vielleicht überzogen sein mag, so ist doch zu erwarten, dass mit der zunehmenden »Genetisierung« von Krankheiten und der Entwicklung immer neuer molekulargenetischer Testverfahren die genetische Diagnostik zu einem
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wichtigen Bestandteil von staatlicher Gesundheitspolitik und individueller Krankheitsvorsorge wird. Damit verändern sich nicht nur ätiologische Konzepte, sondern auch normative Orientierungen und Formen sozialer Diskriminierung. Einige Facetten dieser Ausweitung der »biosozialen Problematik« über den engen Kreis der so genannten Erbkrankheiten hinaus sollen im nächsten Kapitel dargestellt werden.
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Der Schwerpunkt genetischer Analysen liegt im Moment noch bei Tests für monogenetische Krankheiten wie die Huntington-Krankheit, bei denen die Veränderung eines einzigen Gens das Leiden auslöst. Diese Krankheiten sind selten und betreffen nur relativ wenige Menschen. Dennoch hat sich das Testangebot in den letzten Jahren stark ausgeweitet. Der Grund dafür liegt zum einen darin, das die Zahl der Erbkrankheiten zugenommen hat, für die ein molekulargenetisches Untersuchungsverfahren verfügbar ist. Zum anderen verschiebt sich der Schwerpunkt des Testangebots von monogenen zu multifaktoriellen Erkrankungen, bei denen Gen-Umwelt-Interaktionen die Krankheit auslösen sollen. Dass für immer mehr Krankheiten genetische Faktoren verantwortlich gemacht werden, zeigt ein Blick in den McKusick-Katalog, der seit dreißig Jahren Krankheiten erfasst, von deren Erblichkeit ausgegangen wird. Dieser Katalog, der Mendelian Inheritance in Man (MIM)36, ist die entscheidende medizinische Standarddatenbank, die Auskunft über die Anzahl erblicher Erkrankungen gibt. Sie wird jede Woche auf den neuesten Stand gebracht. Die Zahl der dort verzeichneten Krankheitsbilder, für die genetische Ursachen bekannt sind, betrug im Jahr 1992 5.000, stieg auf 10.000 Ende 1998 und liegt heute bei über 14.000 Einträgen (24. April 2003: 14.372; http://www.ncbi.nlm.nih.gov/Omim/Stats/mimstats.html). Inzwischen sind nicht nur für wenig verbreitete Erbkrankheiten, sondern auch für Krebs, Diabetes und Alzheimer genetische Nachweisverfahren verfügbar. Diese Bevölkerungskrankheiten betreffen
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wesentlich mehr Menschen als die vergleichsweise seltenen monogenetischen Krankheiten. Allerdings können prädiktive Tests für multifaktorielle Leiden lediglich ein mehr oder weniger erhöhtes Erkrankungsrisiko registrieren – anders als beispielweise der HuntingtonTest, der eine relativ zuverlässige Aussage im Hinblick auf die Krankheitsmanifestation ermöglicht. Die Gentests weisen in diesem Fall lediglich Dispositionen nach, die eine größere Anfälligkeit für Krankheiten signalisieren. Mit den Gentests für monogenetische Erkrankungen teilen sie darüber hinaus das Problem, dass sie keine individuelle Aussage über den Ausbruch und die Schwere der Erkrankung erlauben. Auch stehen in den meisten Fällen keine wirksamen Möglichkeiten der Prävention oder Therapie zur Verfügung. Trotz dieser offensichtlichen Mängel wird der prädiktive Wert dieser Tests von den Betroffenen sehr hoch eingeschätzt. Im Rahmen sozialwissenschaftlicher Untersuchungen wurde wiederholt festgestellt, dass sie Gentests oft als »Prognosemaschinen« (Dahinden 2000) für die individuelle Gesundheit auffassen und ihnen eine unrealistische Leistungsfähigkeit zuschreiben. In der Regel wird die fundamentale Unsicherheit medizinisch-genetischer Nachweisverfahren ignoriert, die gerade nicht mit deterministischen, sondern mit probabilistischen Kategorien operieren. Trotz der ihr inhärenten Ungewissheit hinsichtlich der Krankheitsmanifestation hat die genetische Risikoinformation wichtige und manchmal irreversible Folgen. Durch ein positives Testergebnis werden gesunde und symptomfreie Menschen als »Risikopersonen« klassifiziert. Sie unterziehen sich häufig intensiven Überwachungs- bzw. Vorsorgepraktiken und folgen in ihren Alltagsentscheidungen einer Logik des Risikomanagements. Im Folgenden sollen diese problematischen Folgen der prädiktiven Diagnostik anhand der Gentests für Brustkrebs illustriert werden.
»Aufgeklärte Ohnmacht« – Das Beispiel der Brustkrebsgene Brustkrebs ist in Industrieländern die häufigste Krebserkrankung bei Frauen.37 In Deutschland liegt die Zahl der Neuerkrankungen bei rund 46.000 pro Jahr (www.deutsche-krebshilfe.de). Seit Mitte der 1990er Jahre ist eine Reihe von Genen identifiziert worden, die an der
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Entstehung von Brustkrebs beteiligt sein sollen. Die beiden bekanntesten »Brustkrebsgene« sind BRCA1 und BRCA2 (BRCA steht für breast cancer). Das BRCA1-Gen wurde im Jahr 1994 auf Chromosom 17 entdeckt und sequenziert (Miki et al. 1994). Wenig später fand eine zweite Forschungsgruppe ein weiteres Gen – BRCA2 – auf Chromosom 13 (Wooster et al. 1994). Man schätzt, dass eine von 500 Frauen das BRCA1-Gen und eine von 500-2.000 Frauen das BRCA2-Gen tragen (Wolf 2000: 72 f.).38 Die BRCA-Gene sind Tumor-Supressor-Gene, deren Funktion darin besteht, die Krebsentstehung in der Zelle zu verhindern. Wenn sie mutiert sind, können sie diese Schutzfunktion nicht mehr ausüben. Ein normales Allel reicht zwar aus, um die Entstehung eines Karzinoms zu verhindern; wenn aber durch eine vererbte Mutation bereits ein »defektes Allel« vorliegt, besteht die Gefahr, dass im Laufe des Lebens in einzelnen Zellen auch das zweite Allel – etwa durch eine spontane Mutation – inaktiviert wird (Wiestler 2001). Dabei ist allerdings zu beachten, dass die durch die BRCA-Gene mitverursachte Form des Brustkrebses nur für etwa fünf bis zehn Prozent aller Brustkrebsfälle verantwortlich ist. Bei der überwiegenden Mehrzahl der Fälle lösen nach dem derzeitigen Erkenntnisstand Umweltfaktoren wie Schadstoffe in Lebensmitteln und Luft oder pathogene Arbeitsplätze die Krebsentstehung aus. Weitgehend unklar ist, wie groß das Risiko für Frauen mit den veränderten BRCA-Genen ist, Brustkrebs zu entwickeln. Nachdem man zunächst von einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit ausgegangen war, zeigen Forschungsergebnisse aus jüngerer Zeit, dass das Brustkrebsrisiko von Frauen mit Mutationen in den BRCA-Genen wesentlich geringer ist als bisher angenommen. Erste Untersuchungen Mitte der 1990er Jahre legten nahe, dass für Frauen mit einer nachgewiesenen Genmutation das Risiko, bis zum 70. Lebensjahr an Brustkrebs zu erkranken, 85 Prozent für das BRCA1-Gen und 70 Prozent für das BRCA2-Gen beträgt (Easton et al. 1995; Stratton 1996). Neuere Forschungsergebnisse weisen hingegen eine signifikant geringere Erkrankungswahrscheinlichkeit aus (Struewing et al. 1997; Thorlacius et al. 1998). Darüber hinaus haben weitere Untersuchungen die Bedeutung genetischer Faktoren für die Brustkrebsentstehung deutlich relativiert. Die bisher umfangreichste Studie, die vor drei Jahren veröffent-
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licht wurde, hat die Daten von insgesamt rund 160.000 Frauen ausgewertet, 58.209 Frauen mit Brustkrebs und in der Kontrollgruppe 101.986 Frauen ohne die Erkrankung. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass nur bei elf Prozent der an Brustkrebs erkrankten Frauen ein weiterer Fall unter den nächsten Angehörigen existiert, d.h. acht von neun Frauen haben keine Verwandten ersten Grades (Mutter, Tochter, Schwester), die selbst betroffen sind. Zwar steigt das Risiko mit der Zahl der betroffenen Verwandten an, die meisten Frauen aus so genannten Risikofamilien erkrankten jedoch nie an Brustkrebs (Collaborative Group on Hormonal Factors in Breast Cancer 2001; Lichtenstein et al. 2000). Obwohl also die Krankheit nur in wenigen Fällen durch genetische Mutationen entsteht, wird sie in der medizinischen Forschung und in der medialen Öffentlichkeit häufig als genetisch bedingt bzw. verursacht behandelt.39 Die Einführung des Tests für die »Brustkrebsgene« in die medizinische Praxis war daher von überzogenen Erwartungen begleitet, welche die technischen Grenzen und die systematischen Beschränkungen des Nachweisverfahrens nicht oder nicht zureichend berücksichtigten. Selbst wenn durch den Test eine Veränderung der Bausteinfolge festgestellt werden kann, so bedeutet dies nicht, dass die Krankheit tatsächlich ausgelöst wird. BRCA1 und BRCA2 weisen eine große Zahl an Mutationen auf (allein das BRCA1-Gen inzwischen mehr als 200; vgl. Ford et al. 1998). Bis heute ist nicht bekannt, welche Mutationen zur Krebsentstehung beitragen. Die Wissenschaftler können daher nicht sicher zwischen harmlosen Variationen in der Basenfolge von BRCA1 bzw. BRCA2 und krankheitsrelevanten Veränderungen unterscheiden. Hinzu kommt, dass die Tests nicht alle möglichen Mutationen erkennen können, sodass eine Frau mit einem negativen Untersuchungsergebnis immer noch die Krankheit entwickeln kann – oder es liegen auf anderen Genen krebsauslösende Mutationen, die mit den BRCA-Tests nicht erfasst werden können. Ein negatives Testergebnis ist also keine Garantie dafür, nicht an Brustkrebs zu erkranken. Aber auch für Frauen mit positivem Testergebnis für die bekannten Mutationen besteht große Unsicherheit. Der Test sagt nichts darüber aus, ob die Krankheit ausbrechen wird, wann dies der Fall ist und in welcher Schwere es zur Erkrankung kommt. Weiter ist zu
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beachten, dass selbst in so genannten Risikofamilien, in denen Brustkrebs gehäuft auftritt, Umweltfaktoren für die Krankheitsentstehung von zentraler Bedeutung sind. Selbst wenn eine mutierte Kopie vererbt wird, hängt in jedem Fall der Status der anderen entscheidend von Umweltbedingungen ab. Nur wenn auch das zweite Allel durch eine Mutation inaktiviert wird, kann sich ein Tumor ausbilden (Mc Gleenan 1999: 329). Festzuhalten ist, dass offenbar der prädiktive Wert des Brustkrebstests relativ gering ist. Ein positiver Befund bedeutet nicht notwendig, dass eine Frau die Krankheit entwickeln wird. Bei einem negativen Testergebnis kann sie dennoch an Brustkrebs erkranken. Hinzu kommt, dass die Untersuchungsverfahren angeboten werden, ohne dass adäquate Therapieoptionen vorhanden sind. Frauen, die eines der prädisponierenden Gene tragen, bleibt nur die Möglichkeit, Vorsorgeuntersuchungen intensiver wahrzunehmen. Wie bei den meisten anderen molekulargenetischen Tests ist auch bei den BRCA-Analysen ein Auseinanderfallen von diagnostischen Erkenntnissen und Interventionsmöglichkeiten zu konstatieren – ein Zustand, den Robert Proctor als »aufgeklärte Ohnmacht« bezeichnet hat (Proctor 1995: 247). Der unklare medizinische Nutzen und die mangelnde klinische Relevanz des genetischen Wissens um vorhandene Dispositionen bedeuten aber nicht, dass die genetische Information einfach irreführend oder irrelevant sei; im Gegenteil ist das Ergebnis des Tests für die betroffenen Frauen offensichtlich von großer Bedeutung. Die Risikoinformation dient als Grundlage für wichtige Entscheidungsprozesse, die selbst wiederum medizinische, psychologische und soziale Risiken produzieren.40 Die medizinischen Risiken ergeben sich aus den verfügbaren Überwachungs- bzw. Präventionsstrategien. Zwar wird Trägerinnen des mutierten Gens empfohlen, mit der Mammographie im Alter von 25 bis 35 Jahren zu beginnen, aber die Wirksamkeit dieser frühen Überwachung ist zweifelhaft. Erstens ist dieses Verfahren nicht ohne Risiko, weil die regelmäßigen Bestrahlungen selbst jene weitere Mutation hervorbringen können, die den Krebs auslöst (Dan Otter et al. 1996; Evans et al. 2001: 1054). Zweitens ist die Mammographie gerade für junge Frauen wenig effektiv, da aufgrund der größeren Dichte des Brustgewebes Karzinome auf diese Weise nur unzureichend
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festgestellt werden können (Bick 1997: 593). Drittens gibt es einen hohen Anteil an falschen positiven Diagnoseergebnissen, die zu überflüssigen medizinischen Eingriffen und Operationen führen (Jofesson 1998). Im Extremfall entscheiden sich manche Frauen zu einer »vorbeugenden« operativen Brustentfernung. Vor allem in den USA haben Mediziner diesen massiven Eingriff in den Jahren nach Entdeckung der BRCA-Gene empfohlen, wenn bei Frauen eine Mutation auf einem der beiden Gene nachgewiesen wurde (Schrag et al. 1997).41 Aber selbst bei diesem äußerst schwerwiegenden Eingriff ist nicht sicher, dass die Krebsentstehung verhindert werden kann, da es in Einzelfällen dennoch zu Tumorbildungen kommt (Ziegler/Kroll 1991). Auch die psychischen und sozialen Folgen der Gentests auf Brustkrebs sind erheblich.42 Ein positives Testergebnis kann bei gesunden Frauen die Angst erhöhen, Brustkrebs zu entwickeln – ein negativer Befund vermittelt hingegen eine trügerische Sicherheit, da Brustkrebs in den allermeisten Fällen durch Umweltfaktoren ausgelöst wird. Theoretisch haben Frauen bei einem positiven Testergebnis zwei Möglichkeiten: Sie können mit dem Risiko leben und auf weitere medizinische Interventionen verzichten oder Schritte unternehmen, um das Risiko zu kontrollieren. Eine Reihe von Studien (Freedman 1998; Hallowell 1999; Hallowell 2000) zeigt auf der Grundlage von Interviewmaterial, dass für die meisten Frauen aus dem Erhalt der Risikoinformation die Verpflichtung zum Risikomanagement folgte. Sie unterzogen sich weiteren medizinischen Interventionen und nahmen regelmäßig an Kontrolluntersuchungen teil. Obwohl sie all dies freiwillig taten, betrachteten sie es dennoch als eine zwingende Notwendigkeit. Die Möglichkeit, keine weiteren medizinischen Eingriffe in Anspruch zu nehmen, wurde von den betroffenen Frauen de facto ausgeschlossen. Dafür bezahlten sie einen hohen Preis: »[…] fast alle haben sich medizinischen Untersuchungen unterzogen (oder planten dies zu tun), die viele von ihnen als unangenehm, schmerzhaft oder peinlich ansahen. Diese Maßnahmen können nicht nur iatrogene Folgen haben, sondern auch ihre Fruchtbarkeit, ihre Sexualität, ihr Körpergefühl und ihre Geschlechtsidentität beeinträchtigen. Mit anderen Worten: Indem diese gesunden Frauen sich selbst als gefährdet begriffen und sie die Verantwortung
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für ihre genetischen Risiken übernahmen, setzten sie sich selbst freiwillig verschiedenen Risiken aus.« (Hallowell 1999: 114)
Zwei weitere Untersuchungsergebnisse verdienen festgehalten zu werden. Erstens wird in den Interviews deutlich, dass die betroffenen Frauen nicht nur glaubten, für sich selbst und ihre eigenen Risiken verantwortlich zu sein; einer der wichtigsten Vorzüge des prädiktiven Tests wurde vielmehr in der Bereitstellung von Informationen gesehen, die für andere relevant sind (s. Lerman et al. 1996, Watson et al. 1995). Die Verantwortung, die sich nach der Vorstellung der Frauen aus den genetischen Informationen ergibt, erstreckt sich zunächst auf die Familienmitglieder (Töchter, Schwestern, Nichten, Tanten und Mütter). Für viele der interviewten Frauen gab es jedoch nicht nur eine Verpflichtung gegenüber den Lebenden, sondern auch gegenüber den Toten: z.B. gegenüber der an Brustkrebs verstorbenen Mutter oder Schwester. Wiederum andere begriffen die Teilnahme an prädiktiven Tests auch als eine Verantwortung gegenüber zukünftigen Generationen. Sie sahen den Test weniger als eine private Angelegenheit, sondern wollten einen Beitrag für die Allgemeinheit leisten, indem sie genetisches Material für die Brustkrebs-Forschung bereitstellten. Auf diese Weise sollte die Krankheit besser begriffen werden, um schließlich Therapeutika entwickeln zu können (Hallowell 1999: 105-112; Freedman 1998; s.a. Chapple/May 1996). Zweitens zeigt das Interviewmaterial, dass viele der befragten Frauen ihre Angst über den diagnostizierten Risikostatus zu verringern suchten, indem sie ihre Körper einem Kontrollregime unterwarfen. Sie gingen zu Vorsorgeuntersuchungen und praktizierten einen Lebensstil, der das Krankheitsrisiko herabzusetzen versprach. Der Gentest bzw. das Testergebnis führte auf diese Weise zu einem Prozess der Selbstdistanzierung: Der eigene Körper wurde von den Frauen als etwas prinzipiell Fremdes und potentiell Gefährliches wahrgenommen, das überwacht werden muss. Auch wenn den Interviewten klar war, dass sie keine wirkliche Kontrolle über die Krankheit besaßen, betonten fast alle ihre individuelle Verantwortung für eine Risikoreduktion. Sie glaubten ein Risiko zu verkörpern und hielten es für ihre Pflicht, ihr Leben auf diese Risikoinformation ein- bzw. umzustel-
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len (Hallowell 2000: 160-169; Robertson 2000: 226 f.; vgl. Kavanagh/Broom 1998). Auch ein negatives Untersuchungsergebnis kann für die Betroffenen neue Probleme hervorrufen. Wie bei der Huntington-Krankheit sind auch beim Einsatz der prädiktiven Brustkrebsdiagnostik Fälle bekannt, bei denen eine »normale« Diagnose mit Schuldgefühlen, familiären Problemen und sogar mit Identitätskrisen der Frauen einhergeht. Insbesondere in so genannten »Hochrisiko«-Familien, in denen bereits mehrere Krebsfälle aufgetreten sind und die Auseinandersetzung mit der Krankheit zu einem wichtigen Bestandteil des Alltagslebens und der personalen und familialen Identität geworden ist, fühlen Frauen sich aus dem Familienverband ausgeschlossen, wenn bei ihnen die Mutation nicht nachgewiesen wird: »Eine Frau beschrieb dies sehr prägnant: Sie war nicht länger Teil des Klubs.« (Goldberg 2003)
Individualisierung und Diskriminierung Mit der Entdeckung genetischer Dispositionen für Brustkrebs ändert sich der Status von Frauen, bei denen sich die mutierten BRCA-Gene nachweisen lassen. Obwohl nicht klar ist, ob die Betroffenen jemals an Krebs erkranken, erfährt doch ihr eigenes Selbstverständnis, ihr Verhältnis zu anderen und ihre Lebensplanung eine »Mutation«. Durch die Konzeption von Krebs als einer genetisch diagnostizierbaren Krankheit wurde das, was zuvor ein unglückliches Schicksal außerhalb menschlicher Kontrolle war, zu einem vorhersagbaren Ereignis, das mit den Mitteln des genetischen Wissens beherrschbar zu werden verspricht (L. Koch 2002: 95-97). Auch wenn dieses Versprechen weitgehend illusionär bleibt, so verweist doch der Einsatz von Gentests in diesem Bereich auf eine individualisierte Form der Prävention. Im Mittelpunkt der Vorsorgestrategie stehen Krankheitsursachen, die im Körper der Einzelnen zu lokalisieren sind, während soziale und physische Bedingungen der Krebsentstehung ausgeklammert bleiben. Das medizinische Interesse gilt nicht den Umweltfaktoren, denen erwiesenermaßen eine entscheidende Bedeutung für die Krebsgenese zukommt, sondern der
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genetischen Ausstattung der Einzelnen. Statt Krebs durch eine Verringerung von Schadstoffen in Luft, Wasser und Ernährung oder die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen zu bekämpfen, wird er im Rahmen dieses genetischen Krankheitskonzepts zu einer individuellen Angelegenheit, deren Wurzel in persönlichen genetischen Anfälligkeiten (»Suszeptibilitäten«) und Dispositionen zu suchen sei und nur durch die Umstellung des eigenen Lebensstils bekämpft werden könne (Wolf 2000; Kühn 2000).43 Trotz ihres häufig geringen medizinisch-prognostischen Wertes und ihrer offenkundigen Fehleranfälligkeit hat der Einsatz von Gentests zur Produktion einer neuen Kategorie von Individuen beigetragen: Menschen, bei denen im Rahmen genetischer Untersuchungen Risiken für bestimmte Krankheiten diagnostiziert wurden, an denen sie vielleicht in der Zukunft, möglicherweise aber auch niemals erkranken werden: »Kranke ohne Symptom« bzw. »gesunde Kranke« (Nelkin 1995: 208; Scholz 1995: 48). Diese »virtuellen« Kranken sind allerdings oft mit realen Formen von Benachteiligung, Ausschluss und Stigmatisierung konfrontiert. Die meisten Fälle einer solchen »genetischen Diskriminierung« sind in den USA dokumentiert. Dies liegt zum einen daran, dass die technologische Entwicklung und der Einsatz von Gentests dort am weitesten fortgeschritten ist. Nach einer Umfrage der American Management Association aus dem Jahr 1997 sammeln sechs bis zehn Prozent der US-Unternehmen genetische Daten über ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (Dearing 2002: 8; vgl. Bredow von/Blumencron 2000: 90; Pagnatarro 2001). Zum andern fand aber auch die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Problem der genetischen Diskriminierung in den USA früher und intensiver als in anderen Ländern statt (Gostin 1991; Billings et al. 1992; Natowicz et al. 1992). Das Spektrum möglicher Diskriminierungen reicht beispielsweise im Fall der Huntington-Krankheit von Benachteiligungen im Adoptionsrecht bis zur Verweigerung des Versicherungsschutzes für Risikopersonen. Ein Ehepaar mit Kinderwunsch, bei dem der Mann Träger des Huntington-Gens ist, wurde von den Ärzten unter Druck gesetzt, einem vorgeburtlichen Test zuzustimmen. Außerdem drängten sie das Paar, eine Erklärung zu unterschreiben, in der es sich bereit erklären musste, im Falle eines positiven Testergebnisses den Fötus
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abzutreiben (Geller et al. 2002a: 253; Perzinger 1997: 42). In einem anderen Fall wurde es einer leiblichen Mutter, bei der ein Erkrankungsrisiko für die Huntington-Krankheit bestand, nicht gestattet, ihr Kind zur Adoption über eine staatliche Vermittlungsstelle freizugeben. »Wieder einem anderen Paar, bei dem ein Partner ein erhöhtes Huntington-Risiko hatte, wurde die Adoption eines normalen Kindes verweigert, wohl aber die Annahme eines Kindes gestattet, bei dem ebenfalls ein erhöhtes Risiko für diese Krankheit bestand.« (Rifkin 2000: 244; Billings et al. 1992: 480) Die Diskriminierung kann sich aber auch darin manifestieren, dass Risikopersonen mit dem Hinweis auf eine eventuelle spätere Krankheit die Qualifikation für einen Arbeitsplatz abgesprochen und die Einstellung verweigert bzw. das bestehende Arbeitsverhältnis aufgelöst wird (Andrews 2001: 136). Es kam auch vor, dass Krankenversicherungen Verwandten von Huntington-Kranken den Versicherungsschutz verweigerten (Andrews 2001: 134; Geller et al. 2002a, 2002b). Das Problem genetischer Diskriminierung ist aber nicht auf die USA zu beschränken.44 In Frankreich gab es mindestens zwei Versuche von Versicherungsgesellschaften, laufende Verträge aufgrund eines positiven Testergebnisses für Huntington zu kündigen (Browaeys/Kaplan 2000: 2). Auch in Deutschland traten – selbst nach der »Freiwilligen Selbstverpflichtung« der Versicherungswirtschaft, bis zu einer gesetzlichen Regelung keine Gentests für Vertragsabschlüsse heranzuziehen – Fälle genetischer Diskriminierung auf. So hat ein Versicherungsunternehmen einer Huntington-Risikoperson aufgrund des bekannten 50-prozentigen Risikos den Abschluss einer Erwerbsunfähigkeitsversicherung verweigert und eine Lebensversicherung nur mit einem Risikozuschlag von rund 3.600 Euro pro Jahr angeboten (Huntington-Kurier 2/2002: 15). Einem Polizisten in der Ausbildung, dessen Vater an der Huntington-Krankheit litt, wurde die Verbeamtung mit dem Hinweis auf seinen Risikostatus ebenso verweigert wie einer Lehrerin im hessischen Schuldienst (Zerres 2001 bzw. Burgermeister 2003).45 In einer Anhörung vor der Enquetekommission des Deutschen Bundestages schilderte Frau Erika Benderoth von der Huntington-Hilfe Berlin, dass innerhalb der Selbsthilfegruppe »Fälle von Mobbing, Entlassung bzw. Höherstufungen der Prämien bei Versicherten oder
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auch Nicht-Versicherten bekannt« seien. Sie wies aber darüber hinaus auf ein weiteres Problem hin: den Missbrauch von persönlichen Daten im Zusammenhang mit genetischen Untersuchungen. »Da es leider erfahrungsgemäß undichte Stellen in den Krankenkassen gibt, der Aspekt des Datenschutzes und der Geheimhaltung mitunter nicht so genau genommen wird, sind Risikopersonen, die den Test machen wollen, gezwungen, die kostenaufwendige Untersuchung aus eigener Tasche zu bezahlen. […] Ein Vorkommnis aus der Selbsthilfegruppe: Eine Frau, die vor vielen Jahren ein Kind adoptiert hatte, ist vor nicht so langer Zeit von der Jugendbehörde angeschrieben worden, dass der Vater dieses Kindes Chorea Huntington hätte.« (Enquete-Kommission 2000: 54)46
Nicht nur bei Huntington, auch bei vielen anderen genetischen Erkrankungen, die sich mit geringerer Wahrscheinlichkeit manifestieren, sind diskriminierende Praktiken zu beobachten. Obwohl die betroffenen Risikopersonen nicht krank sind und in vielen Fällen auch niemals erkranken, stellt der (erhöhte) Risiko-Status offenbar bereits eine Behinderung bzw. Krankheit dar. Dies zeigt sich ironischerweise gerade darin, dass Anlageträger und Risikopersonen genetischer Krankheiten in den USA unter den Schutz des »Americans with Disabilities Act« fallen, einem Antidiskriminierungsgesetz, das die Gleichstellung von Behinderten garantieren soll. Damit wird eine Stigmatisierung festgeschrieben, die durch die Einbeziehung von Anlageträgern und genetischen Risikopersonen gerade verhindert werden sollte: Diejenigen, die ein genetisches Risiko tragen, sind in gewisser Weise schon behindert, sonst gehörten sie nicht zum Kreis der Anspruchsberechtigten (Kenen 1996: 1550). Die Gefahr einer genetischen Diskriminierung hat nicht verhindern können, dass die Entwicklung und Einführung von Gentests weiterhin von hohen Erwartungen begleitet wird. Nach einer Studie des Marktforschungsinstituts Harris Interactive, bei der rund 1.000 erwachsene US-Bürger befragt wurden, waren über 80 Prozent der Teilnehmer der Meinung, dass ein Gentest für sie von medizinischem Nutzen sein könnte. Selbst wenn eine Behandlung nicht möglich ist, wären immer noch 26 Prozent »sehr« und 23 Prozent »etwas« an einem Gentest interessiert (Harris Interactive 2002). Repräsentative
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und nichtrepräsentative Erhebungen haben gezeigt, dass die Entwicklung und Bereitstellung von Gentests auch in Deutschland auf eine entsprechende Teilnahme- und Zahlungsbereitschaft zu treffen scheint (vgl. Schöffski 2000: 278-311; Berth et al. 2002). Angesichts des ungebrochenen Glaubens an die medizinische Bedeutung der genetischen Diagnostik dürfte es in Zukunft zu einer weiteren Verbreitung von Gentests durch neue Vertriebswege und technische Vereinfachungen kommen. Zur Zeit werden so genannte DNA-Chips für molekulargenetische Diagnosen entwickelt, die weniger fehleranfällig und leistungsfähiger sind als die bisherigen Labortechniken. Diese technologische Innovation erlaubt eine drastische Beschleunigung der Probenauswertung, da eine Genanalyse dann statt mehrerer Tage nur noch wenige Stunden dauert. Die DNA-Chips können viele Genabschnitte gleichzeitig analysieren und ermöglichen damit eine parallele Untersuchung einer sehr großen Zahl von Krankheitsdispositionen (von Schwerin 1999; Hennen et al. 2000: 56-58). Zu einer weiteren Expansion gendiagnostischer Leistungen trägt auch bei, dass immer mehr Gentests über das Internet vertrieben werden. Vor allem in den USA und in Großbritannien sind heute viele molekulargenetische Diagnoseverfahren frei erhältlich (vgl. Uhlemann 1999). Als Folge dieser Kommerzialisierung von Gentests ist zu erwarten, dass es zu einer Abkopplung von Labordiagnostik und genetischer Beratung kommt. Die Forderung nach einer genetischen Beratung vor einem Test – wie sie etwa in den Richtlinien für den Test auf die Huntington-Krankheit verbindlich formuliert wird – dürfte in Zukunft häufig unterlaufen werden. Die aktuellen Entwicklungstrends deuten auch darauf hin, dass sich der Einsatz von Gentests stärker von rein medizinischen Anwendungsformen löst.47 Inzwischen werden genetische Tests etwa für körperliche Merkmale und Verhaltensauffälligkeiten angeboten. So hat das britische Biotech-Unternehmen Cytocell einen Gentest entwickelt, der es erlauben soll, das genetische Risiko für niedrige Intelligenz zu bestimmen. Dieses Verfahren wurde bereits von US-amerikanischen und spanischen Ärzten eingesetzt, um bei der künstlichen Befruchtung Embryos zu selektieren, bei denen ein Verdacht auf mögliche Lernbehinderungen besteht (Rötzer 2000). Zu erwarten ist auch eine stärkere Integration von Gentests in den Wellness-Bereich. Einen
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ersten Schritt in diese Richtung hat kürzlich die Kosmetikkette Body Shop getan, die in einer Reihe von Filialen eine Gen-Analyse anbot. »You & Your Genes« hieß das Verfahren, das die Firma Sciona entwickelt hat und bei dem insgesamt neun Gene auf krankheitsrelevante Abweichungen hin untersucht wurden. Von der Markteinführung im Dezember 2001 bis März 2002 ließen rund 300 Menschen aus Großbritannien und anderen Ländern ihr Erbgut mittels des von Sciona angebotenen Verfahrens untersuchen. Das Testergebnis sollte Aufschluss über erhöhte Krankheitsrisiken geben, um Ernährungsgewohnheiten und Lebensstil entsprechend anzupassen. Für Rosalynn Gill-Garrison, die als Biologin für die Entwicklung des Tests verantwortlich war, hat die genetische Information über die eigenen Krankheitsrisiken nichts mit Schicksalhaftigkeit oder Unvermeidlichkeit zu tun. Im Gegenteil: »[Die Gene] können jedem Menschen verraten, welche Nahrung für ihn geeignet ist und was für einen Lebensstil er führen sollte. […] Die meisten Menschen haben schreckliche Angst vor ihren Genen […]. Das brauchen sie aber nicht. Wir geben den Leuten die Chance zu begreifen: Du kannst mit deinen Genen zusammenarbeiten.« (Zit. nach Blech 2002; vgl. auch Groß 2002)
Zwar musste Body Shop nach heftigen Protesten von GeneWatch UK und der deutlichen Kritik vieler Biowissenschaftler den Test wieder aus dem Angebot nehmen, da es nur einen außerordentlich vagen Zusammenhang zwischen den getesteten Genen und den gesuchten Krankheitsdispositionen gab; die (gescheiterte) Markteinführung verweist jedoch auf einen umfassenden Paradigmenwechsels, der sich durch zwei wichtige Aspekte auszeichnet. Zum einen werden Gene in der öffentlichen Diskussion wie in der wissenschaftlichen Forschung immer weniger als starr und unbeweglich, sondern als plastisch und modulierbar aufgefasst, sodass die traditionelle Grenzziehung zwischen einer als variabel vorgestellten Umwelt und einer als unveränderbar angesehenen Vererbung seit einiger Zeit deutliche Risse erfährt. Zum anderen wird immer seltener von einem menschlichen »Standardgenom« und immer häufiger von individuell verschiedenen genetischen Profilen ausgegangen, die für jeweils unterschiedliche Wirkungen von Medikamenten, Nahrungsmitteln oder die Entwick-
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lung des Krankheitsverlaufs verantwortlich sein sollen. Zu beobachten ist also eine Bewegung, die von der Annahme der genetischen Homogenität der Bevölkerung zur Heterogenität, von Einheitlichkeit zu Variabilität führt. In den letzten Jahren hat sich eine ganze Reihe neuer Forschungsfelder etabliert, die ausgehend von den Erfolgen der Genomforschung auf eine personalisierte und individualisierte Medizin abzielen. Großes wissenschaftliches und kommerzielles Interesse findet zur Zeit die Pharmakogenomik, welche die klassische Pharmaforschung mit der Genomanalyse verbindet. Diese Forschungsrichtung soll »maßgeschneiderte« Medikamente bereitstellen, die auf die individuelle genetische Ausstattung zugeschnitten sind, sodass Nebenund Wechselwirkungen besser kontrolliert werden können. Forschungserfolge in diesem Bereich könnten zu einer Verringerung von Allergien oder einer höheren Verträglichkeit von Medikamenten beitragen (Horrobin 2000; Kaplan/Junien 2000; Fletcher 2002). Zu befürchten ist jedoch auch eine Akzentverschiebung, welche bei der Suche nach den Ursachen für unerwünschte Neben- oder Wechselwirkungen nicht mehr bei Medikamenten oder Umweltschäden ansetzt, sondern bei den genetisch definierten »Empfindlichkeiten« der Individuen. Hatte man bisher schädigende bzw. unwirksame Medikamente oder Schadstoffe und toxische Substanzen verantwortlich gemacht, so in Zukunft vielleicht die »unpassende« genetische Ausstattung der Kranken.48 Diese Individualisierung der Krankheitsursachen durch ihre Reduktion auf genetische Anfälligkeiten zeigt die Vorherrschaft einer Risikorationalität, die inzwischen zentral für die Art und Weise geworden ist, wie Gesundheit und Krankheit erfahren werden. Wenn in dieser Perspektive der Körper primär als ein genetisches Programm begriffen wird, verweist Krankheit auf ein Kommunikationsproblem. Sie zeigt eine Funktionsstörung an, die prinzipiell vermeidbar ist, sofern man ein ausreichendes Informations- und Risikomanagement betreibt und einen adäquaten Lebensstil pflegt. In dieser Hinsicht stellt das genetische Wissen Informationen bereit, welche die Grundlage für ein »rationales« Gesundheitsverhalten der Individuen bilden sollen. In Zukunft könnten genetische Bedingungen zunehmend wie subjektive Risikofaktoren behandelt werden und sich neue individuel-
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le Entscheidungszwänge und moralische Verpflichtungen etablieren. Bereits heute zeichnen sich Konturen einer »genetischen Verantwortung« ab, die neoliberale Forderungen nach einer stärkeren gesellschaftlichen Akzentuierung von Eigenverantwortung und Selbstsorge im Gesundheitsbereich aufnimmt und reproduziert: »Diese Verlagerung der Verantwortung von der Gesellschaft zum Einzelnen passt in unser gegenwärtiges politisches Klima, das zunehmend eher Individuen als sozialen Bedingungen die Schuld für menschliche Probleme gibt. Daher könnte die Genetik Teil einer ideologischen Verschiebung werden, die sich von der Analyse von Umweltfaktoren und sozialen Problemen entfernt und die Tendenz zu einer abnehmenden öffentlichen Verantwortung für menschliches Unglück und Elend weiter verstärkt.« (Conrad 2002: 76)
Seit den 1970er Jahren ist eine kontinuierliche Ausweitung des Diskurses genetischer Verantwortung festzustellen. Stand zunächst im Kontext von Reihenuntersuchungen und der Einführung der Pränataldiagnostik die Reproduktionsverantwortung – also die Sorge um »gesunde« Nachkommen und die Verhinderung der Weitergabe »kranker« Gene – im Mittelpunkt des Interesses (Twiss 1974; Hardin 1974), so wird heute in der medizinischen und bioethischen Literatur (Wilcke et al. 1999; Weijer 2000) ebenso wie in juristischen Entscheidungen (vgl. Petrila 2001) angesichts der Verfügbarkeit prädiktiver Gentests immer häufiger eine Informationsverantwortung gegenüber Familienangehörigen vor möglichen genetischen Risiken bejaht. Diese sollten von Verwandten oder Ärzten über ihr Risikopotential informiert werden, um – wenn möglich – Vorsorge- und Therapieoptionen wahrnehmen zu können. Im Zentrum steht hier nicht mehr länger die Frage der Übertragung genetischer Risiken an die nächste Generation, sondern deren zukünftige gesundheitliche Effekte für bereits geborene Menschen. Ein zweiter Aspekt genetischer Verantwortung, der neu hinzugekommen ist, betrifft nicht das Verhältnis zu Dritten, sondern das individuelle Gesundheitsverhalten und die Pflichten gegenüber sich selbst. Nicht nur in Bezug auf andere, auf Nachkommen oder Familienangehörige, sondern auch im Umgang mit den eigenen diagnostizierten genetischen Risiken wird ein verantwortliches Verhalten, eine Eigenverantwortung, eingefordert. Genetische
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Verantwortung konkretisiert sich in diesem Fall als Nachfrage nach genetischen Diagnoseoptionen und medizinischen Vorsorgeleistungen. In dieser Perspektive erlaubt erst die Kenntnis der individuellen genetischen Risiken eine verantwortliche Lebensführung. In dem Maße, in dem Krankheiten als genetisch verursacht erscheinen, erfordert ein »mündiges« oder »risikokompetentes« Gesundheitsverhalten über die Kenntnis allgemeiner Risikofaktoren wie Rauchen, Alkohol und mangelnde Bewegung hinaus ein spezifisches Wissen um das eigene genetische Risikoprofil (Bause 2000; Rose 2001). Das Konzept des genetischen Risikos erlaubt es, den Krankheitsdiskurs mit der Vorstellung von medizinischer Steuerbarkeit und individueller Zurechnung zu verbinden. Im Zentrum der prädiktiven Gendiagnostik steht daher nicht die Feststellung einer faktischen Determinationsbeziehung, sondern die Eröffnung von praktischen Interventionsmöglichkeiten und der Einsatz von Techniken moralischer Regulation.49 Die genetische Risikorationalität führt auch zu einer wichtigen Verschiebung der Medizin, die tendenziell nicht mehr heilen und helfen, sondern identifizieren und prognostizieren soll. An die Stelle einer reaktiven Heilkunst tritt eine präventive Medizin, die sich auf die aktive Verhinderung von Krankheiten spezialisiert und auf die Diagnose von Anlageträgerschaften, Anfälligkeiten, Dispositionen und Suszeptibilitäten konzentriert. Im Mittelpunkt steht immer weniger die Behandlung akuter körperlicher oder psychischer Leiden als die Vermeidung möglicher Krankheiten. Die molekulargenetische Perspektive in der Medizin dehnt den Krankheitsbegriff auf Zustände und Normvariationen aus, die bislang nicht als »krank« angesehen wurden. Damit ist das Modell einer Medizin skizziert, die sich von einer konkret beschreibbaren oder empirisch feststellbaren Krankheitssymptomatik abzukoppeln vermag. Statt auf der optimalen Behandlung von Patienten liegt der Schwerpunkt ärztlicher Interventionen auf der Früherkennung und Prävention potentieller Krankheiten. Im Zentrum einer prädiktiven Medizin steht nicht das konkrete Patienten-Subjekt mit akuten Leiden, sondern isolierte und abstrakte Einzelne, die Elemente einer statistischen Vergleichspopulation darstellen, von der sich ihr individuelles Risiko ableiten lässt. Anders als das Wort suggerieren mag, meint »Individuum« bzw. »individuell« hier gerade nicht die Anerkennung der Einzigartigkeit und Besonder-
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heit des Einzelnen, sondern im Gegenteil dessen Einordnung in standardisierte Klassifikationsschemata und allgemeine Strategien zur Vermeidung oder Verminderung von Krankheitsrisiken.
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Die vorliegende Untersuchung der sozialen Folgen genetischer Diagnostik zeigt ein uneinheitliches Bild. Auf der einen Seite scheint die eingangs skizzierte Vision einer »körperlichen Verantwortung« für Gesundheit und Krankheit inzwischen ansatzweise Realität geworden zu sein. Heute von »Vererbung« oder »Genom« zu sprechen, signalisiert nicht mehr: unveränderbar, unverfügbar, schicksalhaft und individueller Kontrolle entzogen, sondern verweist im Gegenteil auf ein privilegiertes Interventionsfeld. Die Diagnose von genetischen Ursachen für Krankheiten und die Identifizierung von genetischen Risiken dienen nicht der Feststellung eines unabweislichen genetischen Schicksals, sondern ermöglichen im Gegenteil eine Reihe von Interventionen zur Risikovermeidung oder -minimierung. Diese umfassen so unterschiedliche Strategien wie die Einnahme von Arzneimitteln und Psychopharmaka, die Kontrolle von Lebensstil, Gesundheitsverhalten, Partnerwahl und Fortpflanzungsentscheidungen. Die Konzeption genetischer Risiken und die »Genetisierung« der Medizin führen zu einer individualisierten Präventionsstrategie, die sich an der genetischen Ausstattung der Einzelnen orientiert und umfassendere soziale Kontexte ausblendet. Die weitere Einführung und Verbreitung genetischer Tests dürfte den Umfang an Informationen dramatisch erhöhen, die für jene verfügbar sind, die ihre »Lebensqualität« darüber verbessern wollen, dass sie durch die Kenntnis ihres genetischen Risikoprofils Krankheiten und Normabweichungen vermeiden: »Zum Beispiel könnte jemand mit einer ererbten Anlage für Koronarthrom-
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bose und Problemen mit dem Bewegungsapparat sich entschließen, keine fettreiche Nahrung zu sich zu nehmen und bestimmte Sportarten zu meiden. Eine andere Person mit einer ganz anderen ›genetischen Vorlage‹ könnte sich vor vollgerauchten Räumen oder hellem Sonnenlicht hüten.« (Davison 1996: 321 f.; Gaudillière 1995; Rose 1999: 22-24) Auf der anderen Seite lässt sich aber auch ein entgegengesetzter Trend beobachten. Das Beispiel der Huntington-Krankheit und der Selbsthilfegruppen für genetische Krankheiten hat gezeigt, dass mit zunehmender Verfügbarkeit von molekulargenetischen Diagnoseverfahren und der Verbreitung genomanalytischen Wissens nicht nur eine Individualisierung von Krankheitsentstehung und -verlauf zu beobachten ist; vielmehr verwandelt sich eine Krankheit in dem Moment, in dem sie als genetisch bedingt definiert wird, in eine soziale Angelegenheit. Sie wird zu einer Sache, die das konkrete Individuum und seine Interessen übersteigt. Die Diagnose genetischer Krankheiten betrifft zunächst die direkten Verwandten: Geschwister, Eltern und Kinder, da die Testergebnisse regelmäßig auch Schlüsse über genetische Dispositionen und Krankheiten von Familienangehörigen erlauben; sie hat darüber hinaus aber auch spürbare Folgen für Ehepartner und Lebensgefährten, ja potentiell sogar für noch nicht Geborene. Infrage steht, ob das Risiko einer eventuellen Weitergabe »kranker« Gene in Kauf genommen, eine pränataldiagnostische Untersuchung durchgeführt oder gar mit den Mitteln der Präimplantationsdiagnostik ein Kind mit gewünschten Erbanlagen »selektiert« werden soll. Wir haben gesehen, dass die Bedeutung genetischer Informationen häufig überschätzt und die Komplexität von Krankheitsentstehung und -ausprägung auf genetische Kausalprozesse reduziert wird. Ironischerweise könnte sich aber auf der Basis dieses genetischen Reduktionismus ein komplexeres Verständnis sozialer Identität und menschlichen Seins entwickeln. Gerade die strenge Akzentuierung von Individualität bzw. einer individuellen Verantwortung für Krankheiten wird durch die umfassende Bereitstellung genetischer Informationen unterlaufen. Es ist daher denkbar, dass die Verfügbarkeit und der Einsatz von Gentests zu einer Veränderung des vorherrschenden
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Selbstbildes beitragen, wobei das Verhältnis zu anderen Menschen, zu Lebenspartnern, Familienangehörigen und »genetisch Verwandten«, eine zunehmend wichtigere Rolle spielt. An die Stelle eines individuellen – eines im Wortsinne un-teilbaren – Selbst würde dann ein »dividuelles« Subjekt treten, das sich als Teil einer umfassenderen Gemeinschaft versteht, in die es in vielfältiger Weise eingebunden ist. Auf diese Weise könnte möglicherweise auch jener Trend zu einer Individualisierung von Krankheit bzw. Krankheitsentstehung aufgehalten oder gar umgekehrt werden. Das genetische Wissen zeigt deutlich, wie eng die Beziehungen zu Familie und Verwandtschaft sind, die nicht als etwas betrachtet werden können, das unabhängig von den Einzelnen besteht; es ermöglicht darüber hinaus aber auch neue Formen von Solidarität und Sozialität auf der Grundlage von gemeinsamen Krankheitserfahrungen und der Kommunikation über medizinische Heilungschancen und ethische Konflikte: »Paradoxerweise könnte in westlichen Gesellschaften eine Verschiebung hin zum Konzept eines Selbst auftreten, das von anderen abhängig ist in Bezug auf das ›Eigentum‹ an genetischer Information. Dieses ethische Modell könnte zur selben Zeit auftauchen, in der die Gesellschaft zu einem reduktionistischen Modell der ›Menschheit‹ tendiert, das auf genetischer Identität beruht.« (Kenen 1994: 57 f.)
Der Einsatz prädiktiver Tests hat also nicht nur individualisierende, sondern auch »sozialisierende« Folgen. Damit ist ein wichtiges Arbeitsergebnis der vorliegenden Studie benannt. Die sozialwissenschaftliche Analyse der Folgen prädiktiver Tests konzentriert sich zumeist auf individual-psychologische Faktoren bzw. die subjektive Aneignung der Risikoprognosen. In der Regel wird somit eher eine Perspektive »von oben« eingenommen und die Problematik genetischer Tests aus der Sicht von kommerziellen Testanbietern oder medizinischen Experten, nicht jedoch von Risikopersonen bzw. Betroffenen dargestellt. Gegenläufige Tendenzen werden auf diese Weise ebenso ausgeblendet wie »unerwartete« Muster in der Rezeption der Testangebote bzw. der Interpretation der Testergebnisse. Demgegenüber wurde in dieser Untersuchung die Relevanz sozialer Erklärungs-
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faktoren aufgezeigt und deren Bedeutung für die Aneignung genetischer Tests und die Konstitution neuer Vergemeinschaftungsformen hervorgehoben. Zwar wurden diese »biosozialisierenden« Effekte hier vor allem am Beispiel der Huntington-Krankheit bzw. des Gentests für diese Krankheit dargestellt, sie beschränken sich jedoch nicht auf diese relativ kleine Gruppe von Betroffenen. Das Konzept der Biosozialität mag heute nur für eine begrenzte Zahl von Patienten und Risikopersonen oder seltene genetische Krankheiten empirische Relevanz beanspruchen können; mit der Ausdehnung des Angebots von Gentests auf einen größeren Kreis von Krankheiten und Verhaltensauffälligkeiten dürfte es in Zukunft zu einer Transformation von Identitätsmustern und Praxisformen kommen, die tendenziell alle Gesellschaftsmitglieder erfasst, da sich in jedem individuellen Genom »defekte« Gene befinden.50 »In Aussicht steht, daß sich die sozialen Beziehungen mehr und mehr über die biologische Beschaffenheit der Individuen herstellen und verdichten werden. Das heißt, daß über Gleichheit und Ungleichheit, über Wahlfreiheit und Autonomie ganz anders gehandelt werden muß als während der letzten zweihundertfünfzig Jahre – und mit anderen Konsequenzen. Biopolitik, eine noch immer konturenlose Metapher, wird sich mit harter Bedeutung füllen.« (C. Koch 1998: 199; vgl. Lemke 2003b)
Die zunehmende soziale Bedeutung genetisch-medizinischer Diagnoseverfahren wird sich wahrscheinlich auch in den Kommunikationsprozessen niederschlagen. Es ist zu erwarten, dass genetische Begrifflichkeiten und spezialisierte Fachtermini ihren Weg in die Alltagssprache finden werden, um die individuelle genetische Konstitution einschätzen und vergleichen zu können. Wie seit der Einführung der pränatalen Diagnostik in die allgemeine Schwangerenvorsorge viele Menschen wissen, was Ultraschalluntersuchungen und Fruchtwasseranalysen sind, so dürfte mit der Verbreitung von prädiktiven Tests bald die Bedeutung von Allele, Penetranz und dominantem Vererbungsgang einem größeren Kreis von Betroffenen bekannt sein (Kenen 1994: 57). Die technischen Begrifflichkeiten werden uns vielleicht in Kürze
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vertraut sein, was jedoch fehlt, ist das ethische und politische Vokabular, um diese tief greifende soziale Transformation angemessen bewerten und steuern zu können. Es gibt eine wachsende Kluft zwischen der Reichweite der gendiagnostischen Möglichkeiten und einer erst ansatzweise entwickelten gesellschaftlichen Diskussion und Regulierung dieser Technologie. Der Bestimmung von rechtlichen Grenzen des Einsatzes von Gentests kommt dabei eine besondere Bedeutung zu. Nur durch klare gesetzliche Vorgaben können Versuche von Datenmissbrauch und genetischer Diskriminierung ausgeschlossen oder zumindest begrenzt werden. Ebenso ist es wichtig, Freiwilligkeit und Selbstbestimmung bei der Wahrnehmung genetischer Diagnosen zu garantieren und ein Recht auf Nicht-Wissen zu institutionalisieren. Diese Formen rechtlicher Regulierung müssen jedoch durch eine umfassende ethisch-politische Reflexion ergänzt werden. Selbst wenn das Recht auf Nicht-Wissen im Hinblick auf den Einsatz prädiktiver Gentests rechtlich verankert würde, ist absehbar, dass seine Ausübung in der sozialen Praxis starken Einschränkungen unterliegen wird. In dem Maße, in dem nicht nur die staatliche Gesundheitspolitik und -aufklärung, sondern auch gesellschaftliche Akteure wie Versicherungen und Arbeitgeber sich für die Diagnose genetischer Risiken interessieren, dürfte dieses prinzipielle Recht immer mehr einer faktischen Verpflichtung zum Wissen weichen. Solange das moralische Urteil vorherrscht, es sei »verantwortlicher«, die gendiagnostischen Optionen zu nutzen, bedarf jede Entscheidung zum Nicht-Wissen plausibler Rechtfertigungsgründe. Im Rahmen eines weiteren Abbaus wohlfahrtsstaatlicher Sicherungssysteme und der institutionellen Einforderung von Eigenverantwortung und Selbstsorge ist zu erwarten, dass das Recht auf Nicht-Wissen mehr und mehr einem »Ethos der Pflicht« weicht: »[…] es gibt eine Pflicht zum Wissen um Risikofaktoren dort, wo ich durch verantwortungsvollen Umgang mit diesem Wissen etwas ändern kann. Wissen ist Macht, und aus der Macht ergibt sich Verantwortung. Verantwortlich mit Informationen umzugehen, das bin ich primär mir selbst und der Solidargemeinschaft schuldig, die gemeinsam Kosten für die Gesundheitspflege übernimmt. […] Das neue Wissen verlangt nicht nur vom Bürger in der Rolle des präsymptomatischen Patienten mehr Gesundheitsmündigkeit, sondern von potentiellen
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Eltern mehr Verantwortungskompetenz in verantwortlicher Elternschaft« (Sass 1994: 344 f.; Hervorheb. im Orig.; vgl. Fischer 1994: 155 f.; Irrgang 2001: 652).
Ebenso wenig wie die Garantie eines Rechts auf Nicht-Wissen reicht der Rekurs auf Selbstbestimmung und Freiwilligkeit aus, um sozialen Druck bei der Entscheidung über die Wahrnehmung von genetischen Testangeboten auszuschließen, da die Entscheidungsprozesse in einem bereits geregelten Feld sozialer Normen und moralischer Werte stattfinden. In diesem Kontext ist Selbstbestimmung ein ambivalenter Begriff. Er scheint zunächst rein formal bestimmt und individuelle Präferenzen sowie prinzipielle Ergebnisoffenheit auszudrücken, ist aber zugleich an materiale Zielbestimmungen rückgekoppelt, die einen bestimmten Gebrauch der Freiheit sicherstellen sollen. Selbstbestimmung ist nicht von einer permanenten Problematisierungsstrategie zu trennen, welche Entscheidungen daraufhin befragt, ob sie nicht doch »fremdbestimmt« seien, ob man sich also nicht von zweifelhaften Bedürfnissen, irrationalen Wünschen oder unmoralischen Überzeugungen habe leiten lassen. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, inwieweit der medizinische Diskurs mit Vorstellungen von Verantwortung und Mündigkeit operiert, die »Risikokompetenz« und »Kontingenzmanagement« im Umgang mit diagnostischen Techniken und genetischen Informationen einfordern. In dieser Hinsicht hätte Selbstbestimmung ihre normative Grundlage in einer »vernunftgemäßen« Existenz im Sinne einer risikominimierenden Lebensführung. Das Konzept der Selbstbestimmung verweist noch auf ein grundlegenderes Problem. Wir haben gesehen (S. 25 ff.), dass bereits das »Angebot« eines Tests, die Bereitstellung molekulargenetischer Nachweisverfahren für bestimmte Dispositionen und Krankheiten, alles andere als zwanglos ist. Die bloße Verfügbarkeit eines Gentests zwingt zur Entscheidung, sich testen zu lassen oder dies nicht zu tun, sie erfordert notwendig eine Wahl zwischen verschiedenen Optionen. Dabei handelt es sich weniger um die Alternative zwischen Selbstbestimmung und Schicksal, eher ist Selbstbestimmung unser Schicksal geworden. Mit dem gentechnologischen Fortschritt rückt das Leben selbst – ein Bereich, der vormals als unverfügbar angesehen wurde –
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in den gesellschaftlichen Kompetenz- und Verantwortungsbereich: Wo vorher Schicksal war, muss nun entschieden werden. Da im Rahmen der genetischen Diagnostik die Differenz zwischen normaler Variation und pathologischer Mutation mehr und mehr aufgelöst wird, ist es notwendig zu bestimmen, welche Abweichung von der Norm als krankheitsrelevant anzusehen ist. Selbst wenn in molekularbiologischen Lehrbüchern immer wieder über »Krankheitsgene« geschrieben wird (z.B. Strachan/Read 1996: 453), so ist dieser Ausdruck doch irreführend und letztlich falsch, denn krank sein können nur Menschen oder andere Lebewesen. Von kranken Genen lässt sich wissenschaftlich nicht reden. Die Charakterisierung von bestimmten Zuständen als »krank« oder »abnorm« ist eine soziale und moralische Definition, die »Handlungsbedarf« signalisiert und Interventionen initiieren und legitimieren soll. Da auf der molekulargenetischen Ebene nur »Unterschiede«, nicht aber Krankheiten zu diagnostizieren sind (vgl. Wiesing 1998; L. Koch 1999: 191 f.), ist es letztlich erforderlich, einen sozialen Konsens darüber herzustellen, welche Zustände als »krank« definiert werden sollen. Zwar etabliert die genetische Medizin einen produktiven Zirkel, der von genetischen Anomalien auf Krankheiten schließt und Krankheiten auf genetische Anomalien zurückführt, Krankheiten als Risiken konzipiert und Risiken als Krankheiten auffasst, sie kann sich jedoch dem entscheidenden Problem nicht entziehen: Die Identifikation von Krankheiten ist kein deskriptiv-wissenschaftlicher Vorgang, sondern impliziert immer ein normatives Urteil über die Veränderungsbedürftigkeit von Zuständen. Das genetische Wissen allein kann keinen Beitrag zu der Frage leisten, ob ein Zustand behandelt werden soll oder nicht. Es ist vielmehr mit expliziten Gründen zu urteilen, welche »Abweichungen« als pathologisch charakterisiert und vermieden bzw. behandelt werden sollen. In der gentechnischen Perspektive verliert die Krankheit ihren scheinbar »selbstverständlichen« und »natürlichen« Status, sie wird zu etwas Problematischem, das definitorischer Festlegungen und gesellschaftlicher Diskussionen bedarf. Der bekannte Molekularbiologe French Anderson hat dieses Problem folgendermaßen formuliert: »Was ist eine Krankheit? Wir können alle erkennen, was eine schwere Krankheit ist, weil sie schweres Leiden und vorzeitigen Tod verur-
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sacht. Wenn man aber diese Kategorie verläßt und auf geringfügige Krankheiten kommt, was wäre dann geringfügig? Was ist überhaupt eine Krankheit? Was ist normal?« (Anderson, zit. nach Lau/Keller 2001: 85)51 Paradoxerweise könnte gerade der Erfolg der Molekularbiologie und die Verbreitung genomanalytischer Techniken dazu beitragen, die Grenzen wissenschaftlichen Wissens aufzuzeigen und zu einer Vertiefung ethischer Fragestellungen führen. Steht im Mittelpunkt der genetischen Diagnostik die Suche nach der »wahren Identität«, so dürfte es im Kontext gentechnologischer Anwendungen immer mehr um die Frage nach dem »richtigen Leben« gehen. Wir müssen in Zukunft zunehmend entscheiden, was eine behandlungsbedürftige Krankheit und was ein normaler körperlicher Zustand ist. Die soziale Bedeutung und die medizinische Relevanz genetischer Informationen erschließt sich nicht in einer technikimmanenten Perspektive, sie erfordert soziale Aushandlungsverfahren und demokratisch legitimierte Regelungen, in denen nicht nur festzulegen ist, was als Krankheit betrachtet werden soll, sondern auch mit welchen Krankheiten wir leben können und schließlich: in welcher Gesellschaft mit welchen Grundwerten wir gemeinsam leben wollen. Damit – und dies markiert ein letztes Paradoxon – müssen wir nicht nur über das entscheiden, was entschieden werden kann, sondern auch über das, was nicht entschieden werden soll: was im Rahmen der Gesellschaft als »Natur«, als unverfügbar, nicht zurechenbar, außerhalb gesellschaftlicher Verantwortung zu behandeln ist.
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Siehe die Angebotsübersicht über molekulargenetische Leistungen des Bundesverbandes Medizinische Genetik: www.bvmedgen. de/qs/aktumole.html. Um die Lesbarkeit zu verbessern, habe ich alle Zitate in englischer Sprache ins Deutsche übertragen. Die Quellennachweise der einzelnen Stellungnahmen finden sich unter den Internetadressen im Anhang. Einen guten Überblick über den internationalen Diskussions- und Regulierungsstand zu postnatalen prädiktiven Gentests bietet eine Textsammlung, die das Deutsche Referenzzentrum für Ethik in den Biowissenschaften herausgegeben hat (2001). Für die Empfehlungen der Enquete-Kommission »Recht und Ethik in der modernen Medizin« zum geplanten Gendiagnostik-Gesetz s. Deutscher Bundestag 2002: 381-387. Eine Ausnahme bildet das Projekt »Betroffenenperspektiven zur Gendiagnostik«, das von Uta Wagenmann koordiniert und der Stiftung für Bildung und Behindertenförderung in Stuttgart gefördert wurde. Ziel des inzwischen abgeschlossen Projekts war es, Selbsthilfegruppen, Behindertenorganisationen und Patientenvereinigungen im Bereich genetischer Krankheiten zu vernetzen. Damit sollte die Grundlage für eine kompetente Auseinandersetzung mit gendiagnostischen Angeboten geschaffen werden, die sowohl von biowissenschaftlich-medizinischen wie
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von kommerziellen Interessen unabhängig ist (vgl. Grüber/ Wagenmann 2002). Der Name geht auf den Arzt George Huntington zurück, der die Krankheit als einer der Ersten erkannte und angemessen beschieb. Die Bezeichnungen Veitstanz bzw. Chorea Huntington (nach dem griechischen Wort choreia: Tanz) sind immer weniger gebräuchlich, da die Symptomatik des Leidens sich nicht auf Bewegungsstörungen beschränkt (Davies 2001: 110; Dose 1996: 107; Dose 2001: 9). Allerdings wird die Huntington-Krankheit nicht immer von der Elterngeneration vererbt. Bei etwa fünf bis zehn Prozent aller Huntington-Fälle handelt es sich um Neumutationen (Lange 2002: 480). Zur Geschichte der Kartierung und Isolierung des Huntington-Gens s. A. Wexler 1996: 165-239; N. Wexler 1995; Davies 2001: 110-113. Zur Schilderung der Krankheitserfahrung aus Betroffenenperspektive s. Delaney 1994; A. Wexler 1996. Eine eigenständige Selbsthilfegruppe ehemaliger Mitglieder der Huntington-Gesellschaft besteht heute lediglich in Frankfurt am Main (persönliche Mitteilung C. Lohkamp vom 27. Juni 2003). Jarka et al. berichten, dass von den 78 in ihrer Untersuchung befragten Familien, in denen die Krankheit aufgetreten war, 32 in einer Selbsthilfegruppe engagiert waren; 23 lehnten dies für sich ab, und dieselbe Zahl von Familien äußerte zwar Interesse, nahm jedoch nicht an Gruppentreffen teil (1996: 119). Sue Watkin, die Vorsitzende der britischen Huntington’s Disease Association und frühere Vorsitzende der Internationalen Huntington-Assoziation, begrüßte daher, dass »im Vereinigten Königreich Genetik als Unterrichtsfach in den nationalen Lehrplan aufgenommen worden ist. Bessere Kenntnisse in Genetik hilft Mißverständnisse aufklären und Ängste vor diesem Forschungszweig abbauen. Erziehung und Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit schafft Sicherheit vor möglichen Auswüchsen der Wissenschaft. Wichtig ist auch, daß die Öffentlichkeit sich an der Diskussion um die ethischen Fragen beteiligt, die der wis-
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senschaftliche Fortschritt aufwirft. […] Denn sonst könnte eine genetisch mindere Klasse entstehen – in Bezug auf Bildung, Beruf, Gesundheitsfürsorge, Versicherungen gebrandmarkte Familien – sozial Ausgestoßene des 21. Jahrhunderts« (Watkin 1996: 6 f.). In Deutschland hat etwa die Heredo-Ataxie-Gesellschaft Diagnose- und Beratungsrichtlinien erlassen, die mit denen der Huntington-Selbsthilfe fast identisch sind (s. www.ataxie.de). Regelmäßige Überprüfungen zeigen, dass es immer wieder zu Fehldiagnosen in der Bestimmung der CAG-Wiederholungsrate kommt (vgl. Konsortium 1998: 4). In einer Sachverständigenanhörung des Deutschen Bundestages wurde deutlich, dass auch die Qualität der genetischen Beratungen und der Kenntnisstand der Beratungspersonen zu Besorgnis Anlass gibt. So schilderte der Sachverständige Kruip, der an Mukoviszidose leidet, seine schlechten Erfahrungen mit der humangenetischen Beratung: »Ich bin mit meiner Frau mit diesem Anliegen dort hingegangen, und da war in der humangenetischen Beratung ein Arzt im Praktikum, der uns weismachen wollte, dass unser Risiko von fünf Prozent durch einen Gentest nicht reduziert würde, weil ja der Gentest auch eine Unsicherheit von 15% hat. Er wusste nicht einmal, dass die Risiken multipliziert werden, und erst auf mein drängendes Nachfragen hat er sich dann kurz verabschiedet, um etwas zu kopieren, und nach einer halben Stunde kam er mit rotem Kopf und kleinlaut wieder und hat sich entschuldigt.« (Enquete-Kommission 2000: 70). Gerd Gigerenzer zeigt in seinem neuen Buch anhand von zahlreichen Beispielen, dass Mediziner häufig selbst nicht in der Lage sind, die in der ärztlichen Praxis allgegenwärtigen Risikokalküle richtig zu interpretieren (Gigerenzer 2002). Internationalen Erhebungen zufolge machen Frauen 60 Prozent derjenigen aus, die sich dem molekulargenetischen Nachweisverfahren für die Huntington-Krankheit weltweit unterziehen (vgl. Hayden 2000; A. Wexler 1996: 268). Überhaupt lässt sich eine Geschlechterasymmetrie der genetischen Diagnostik feststellen. Eine Reihe von Studien zeigt, dass
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Frauen häufiger an postnatalen Tests interessiert sind und diese stärker nachfragen als Männer (vgl. Marteau/Croyle 1998; Richards 2001; Beeson/Duster 2002: 159 f.). Zweitens gibt es zumindest eine Untersuchung, deren Ergebnis darauf hindeutet, dass Frauen im Unterschied zu Männern mehr Menschen aus ihrer Verwandtschaft und dem Freundeskreis über das Resultat eines genetischen Tests und dessen mögliche gesundheitliche Relevanz informieren (D’Agincourt-Canning 2001). Vgl. etwa die Untersuchungsergebnisse einer ähnlichen Studie für Großbritannien (Harper et al. 2000). Diese Zahlen beziehen sich auf die Angehörigen der ersten bzw. zweiten Generation. Bei Kindern von Huntington-Kranken existiert statistisch ein 50-prozentiges Risiko, für die Kindeskinder ein 25-prozentiges Risiko. Da es sich um eine spät manifestierende Krankheit handelt, ist häufig zum Zeitpunkt der Familienplanung noch nicht sicher, ob potentielle Eltern betroffen sind. Lori Andrews führt eine Untersuchung aus Skandinavien an (Jakobsen et al. 1999) an, die zu ähnlichen Ergebnissen kommt: »In einer norwegischen Studie war die Hälfte derjenigen, die sich dem präsymptomatischen Test für die Huntington-Krankheit unterzogen, während des Untersuchungsprozesses in psychiatrischer Behandlung. Ein Viertel der Teilnehmer bat um eine intensive Nachbehandlung, nachdem die Betroffenen das Testergebnis erfahren haben. Bei der Mehrheit derjenigen, die eine weitere Behandlung wünschte, war der Test negativ ausgefallen.« (Andrews 2001: 37) Lori Andrews schildert den Fall von Monica Bradlee, die zwanzig Jahre lang mit der Angst lebte, eines Tages an Huntington zu erkranken und sich schließlich testen ließ: »Als Monica hörte, dass sie keine Anlageträgerin ist, war sie zunächst freudig erregt, wurde dann aber ›seltsam verwirrt, unsicher und nicht, wie man vermutet hätte, beruhigt‹. Monica sagte: ›Es brauchte eine lange Zeit, bis es mir möglich war, die gute Nachricht aufzunehmen. … Ich weiß nicht mehr, wer ich bin oder was meine Ziele sind. Die ganze Welt liegt nun offen vor mir‹.« (Zit. nach Andrews 2001: 35)
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Gerade weil der Status einer Risikoperson zu einem elementaren Bestandteil der eigenen Identität geworden ist, stellen sich im Falle eines negativen Testergebnisses häufig Schuldgefühle gegenüber bereits Erkrankten oder positiv Getesteten ein. Aus den Erfahrungen innerhalb der britischen Selbsthilfegruppe zur Huntington-Krankheit berichtet Sue Watkin: »Eines unserer Mitglieder – eine Frau – war von Glücksgefühlen über ein gutes Ergebnis überwältigt. Als sie nach einem Jahr ein Baby bekam, befielen sie Schuldgefühle, weil sie davongekommen war und ihre Schwester nicht. Ein anderes Mitglied schrieb uns: ›Wie kann ich glücklich werden, wenn so viele Menschen, die ich liebe, ein so schreckliches Schicksal erleben müssen?‹« (Watkin 1996: 5) Ähnlich schildert auch der Huntington-Patient Carlos Urrutia die Auswirkungen der positiven Diagnose auf sein weiteres Leben: »Ich glaube aufrichtig, dass die Tatsache, diese Krankheit zu haben, mich nicht nur zu dem Menschen gemacht hat, der ich bin, sondern mir auch geholfen hat, das Leben wirklich zu schätzen. […] Ich versuche jeden Tag bewusst zu leben und mir nicht den Kopf über Dinge zu zerbrechen, an denen ich nichts ändern kann. Ich habe gelernt, meine Emotionen auszudrücken. Ich lache oft und schäme mich meiner Tränen nicht, wenn mir nach Weinen ist.« (Urrutia 2002: 4) Dieser Text erschien ebenfalls zuerst in der kanadischen Zeitschrift Horizon (Nr. 83/1996). In Zukunft könnte die Präimplantationsdiagnostik (PID), die genetische Untersuchung der befruchteten Eizelle vor der Einpflanzung in die Gebärmutter im Rahmen einer künstlichen Befruchtung, als eine Option für Risikopersonen angesehen werden (vgl. Kollek 2000). Zur Diskussion der PID innerhalb der Selbsthilfebewegung s. Neuer-Miebach 2002. Die Untersuchungsergebnisse von Jarka et al. bestätigen einen mehr oder weniger deutlichen Druck auf die Betroffenen, die vorhandenen Diagnoseoptionen auch aktiv zu nutzen: »Der Wunsch, hier mehr bzw. früher etwas wissen zu wollen, taucht unserer Erfahrung nach selten spontan und von Seiten der betroffenen Familien selbst vorgetragen auf. Durch das genomana-
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lytisch Mögliche entsteht ein subtiler Druck auf die betroffenen Familien, das technisch ›Machbare‹ auch zu nutzen. Häufig wird ein Kompromiß gesucht, indem genomanalytische Verfahren erst dann eingesetzt werden, wenn erfahrene Kliniker bereits Minimalsymptome oder Prodromi der Erkrankung wahrnehmen können.« (Brosig 1998: 35; Jarka et al. 1996) Zu Mäusen als Versuchsobjekten und Modellorganismen für menschliche Krankheiten und humanbiologische Vorgänge s. Haraway 1997: 96-99; Eberle 2002. Carlos Novas weist darauf hin, dass die Huntington-Maus zugleich ein wissenschaftliches und ein symbolisches Objekt der Hoffnung ist: »Die Hoffnung, die sich auf diese Maus innerhalb eines Bereichs richtet, der von Tod und Verzweiflung beherrscht ist, kann anhand eines Bildes von Kelly Miller illustriert werden, die bereits als Kind an der Huntington-Krankheit litt und am 15. November 1998 verstarb. Ihre Mutter Jean Elizabeth Miller schuf eine Art Gedenkstätte für ihre Tochter im Internet. Eines der Photos, das sich dort findet, zeigt Kelly auf ihrem Sterbebett. Sie schmiegt sich an eine Spielzeugmaus, welche die transgene Huntington-Maus repräsentiert und ein T-Shirt mit der Aufschrift Cure HD trägt. Die Bildunterschrift lautet: ›Die Huntington-Maus ist ein lebendiges Symbol für die Hoffnung auf Heilung der Huntington-Krankheit. Kelly gab niemals die Hoffnung auf, dass ein Heilmittel rechtzeitig für sie bereitsteht.‹« (Novas 2001: 14; Hervorheb. im Orig.) Ein besonders interessantes Beispiel für eine solche »Wahrheitsmaschinerie« ist die so genannte gender verification bei sportlichen Wettbewerben. Gender verification wurde in den 1960er Jahren ein Thema, als Gerüchte kursierten, dass Männer sich als Frauen ausgeben und an Frauenwettkämpfen teilnehmen. 1968 wurde schließlich die Geschlechtskontrolle durch molekularbiologische Tests obligatorisch bei Olympischen Spielen. Nach der lang anhaltenden Kritik an dieser Testpraxis werden seit der Olympiade 2000 solche Nachweisverfahren nicht mehr eingesetzt (allerdings kann in Zweifelsfällen immer noch eine medizinische Untersuchung durchgeführt werden). Die Kritik konzentrierte sich vor allem auf zwei Punkte: Ein Problem
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bestand darin, dass auf der Grundlage dieser Tests eine Reihe von Frauen mit männlichen Geschlechtsmerkmalen (sog. männliche Pseudohermaphroditen) von den Sportveranstaltungen ausgeschlossen wurde. Gegenstand der Kritik war aber auch der stigmatisierende Effekt, der von dieser Testpraxis ausging: Nur Frauen, nicht aber Männer, mussten ihr Geschlecht überprüfen lassen und litten unter den möglichen Folgen eines »nicht bestandenen« Geschlechtstests. Trotz dieser Einwände werden auch heute noch in einigen Sportarten molekulargenetische Tests zur Geschlechtsbestimmung eingesetzt. So mussten sich etwa bei der Volleyball-Weltmeisterschaft 2002 in Deutschland alle Frauen einer Genanalyse unterziehen, für die noch kein Testergebnis aus einem vorangegangenen sportlichen Wettkampf vorlag (Simpson et al. 2000; Dickinson et al. 2002). Beispiele dafür sind etwa die Diskussionsforen der Huntington’s Disease Advocacy Coalition (www.hdac.org) und des Massachusettes General Hospital (http://neuro-mancer.mgh.harvard. edu/cgi-bin), in denen sich Betroffene, Angehörige, Ärzte und sonstige Interessierte über die Krankheit bzw. die mit ihr einhergehenden Probleme austauschen. Eine literarische Verarbeitung des Themas der Biosozialität findet sich in den Romanen der Science Fiction-Autorin Octavia Butler. Besonders in der Xenogenesis-Trilogie geht sie der Frage nach, wie Menschen angesichts verheerender Krankheiten, die sie ganz in Besitz genommen haben, ihre Konzeption des Selbst verändern und ein anderes Verständnis von menschlicher Gesellschaft in Auseinandersetzung mit nicht-menschlichen Sozialformen entwickeln (O. Butler 1999). In einer ihrer Kurzgeschichten greift sie die Erfahrung der Huntington-Krankheit auf (O. Butler 1995). Dazu zählte u.a. eine komplette physische Karte von Chromsom 21 (Chumakov et al. 1992). Eine Konkretisierung seiner These, dass sich bereits Formen einer »Biosozialität« abzeichnen, liefert Paul Rabinow in French DNA. Im Mittelpunkt des Buches steht die gescheiterte Zusammenarbeit zwischen dem CEPH und Millennium Pharmaceuticals, einem privaten Biotechnologie-Unternehmen in den USA.
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Der Kern der geplanten Kooperation bestand in einem Projekt zur Erforschung der genetischen Basis von nicht-insulinabhängigen Formen von Diabetes. Zur Identifizierung der betroffenen Gene bedurfte es eines möglichst breiten Pools genetischen Materials. Das CEPH besaß eine große DNA-Sammlung von Familien, in denen solche Formen von Diabetes auftraten. Von Millennium waren die notwendige Technologie sowie Kapital in Aussicht gestellt worden. Die französische Regierung untersagte jedoch schließlich die Kooperation, da sie befürchtete, das Wertvollste Frankreichs – »französische DNA« – den US-Amerikanern zu überlassen (Rabinow 1999). So lautet etwa die Ausgangsannahme, die den Forschungsaktivitäten des Netzwerks Schizophrenie zugrunde liegt: »Schizophrene Psychosen sind zu mindestens 50% genetisch bedingt, wobei nicht ein einzelnes kausales, sondern wahrscheinlich mehrere – derzeit nur teilweise bekannte – Gene in Interaktion mit Umweltfaktoren eine Rolle spielen.« (www.kompetenznetzschizophrenie.de; Lemke 2002: 416-421) Wie lukrativ Körpersubstanzen sein können, zeigt der inzwischen klassische Fall John Moore: »Als dem Geschäftsmann aus Seattle 1976 in der Universitätsklinik von Los Angeles eine Tricholeukozyten-Leukämie diagnostiziert wurde, kamen die behandelnden Ärzte darauf, daß Moores Körper eine einmalige Lagerstätte biologischer Rohstoffe darstellte. Ohne sein Wissen wurde der Patient sieben Jahre lang punktiert, die Entnahmen von Blut, Haut, Knochenmark, Sperma etc. wurden zwischen den Ärzten geteilt. […] Dieses Rohmaterial, wie es vom erkennenden Richter bezeichnet wurde, brachten die UCLA und ihre Ärzte in ein gemeinsames Forschungsprogramm mit den Firmen Genetic Institutes und Sandoz ein. […] Neun pharmazeutische Produkte wurden daraus entwickelt. Der Umsatz, der sich aus John Moores Genom herleitet, wird bis 1990 auf drei Milliarden Dollar geschätzt« (C. Koch 1990: 944 f.; Kimbrell 1997: 177-180). Die Isolierung krankheitsrelevanter Gene und die Entwicklung entsprechender Gentests wird nur durch das Studium einer Population möglich, in der die Krankheit gehäuft auftritt. Im Fall
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des Huntington-Gens waren dies mehrere Großfamilien in Venezuela (vgl. N. Wexler 1995; A. Wexler 1996: 182-209). So hat die Bundesarbeitsgemeinschaft Hilfe für Behinderte (BAGH), in der rund 80 bundesweit tätige Selbsthilfeverbände zusammengeschlossen sind, im Jahr 2002 »Leitsätze für die Zusammenarbeit mit Wirtschaftsunternehmen im Gesundheitswesen, insbesondere mit Unternehmen der pharmazeutischen Industrie« verabschiedet, welche die »Neutralität und Unabhängigkeit« der Vereinigung sicherstellen sollen (www.bagh.de). Die Einflussnahme auf Selbsthilfegruppen kann direkt erfolgen, indem etwa Forscherinnen und Forscher im wissenschaftlichen Beirat der Organisation über die Verwendung der Mitgliedsbeiträge bestimmen; sie kann aber auch indirekte Formen annehmen, etwa wenn ein Arzneimittelhersteller die Kosten für den Druck einer Verbandszeitschrift oder die Einrichtung einer Website übernimmt. Die Internet-Version Online Mendelian Inheritance in Man (OMIM) besitzt folgende Adresse: http://www.ncbi.nlm.nih.gov/ Omim. Die folgenden Ausführungen erschienen in einer gekürzten Fassung zuerst in den Mitteilungen des Instituts für Sozialforschung (Lemke 2003a). Zur Geschichte der Entdeckung der BRCA1- und BRCA2-Gene s. Davies 2001: 121-125 bzw. 189-190. Eine wichtige Rolle bei der »Genetisierung« von Brustkrebs kommt der Presse zu. In den einschlägigen Artikeln wird oft suggeriert, dass fast alle Brustkrebsfälle auf genetische Veränderungen zurückzuführen seien. So lautet etwa die Überschrift eines Artikels zum BRCA1-Gen in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 29. November 1995: »Brustkrebs meist durch Gendefekt bedingt.« Darin wird u.a. berichtet, dass bei »Frauen, die aus erblich belasteten Familien kommen und das entsprechende Brustkrebsgen tragen, […] mit 90 Prozent ebenfalls bösartige Tumoren in der Brust« auftreten (Hobom 1995; vgl. Bergelt et al. 2000 sowie die Presseübersicht in Bartens 1999: 46). Einen besonderen Schwerpunkt auf den Beitrag genetischer Faktoren für die Brustkrebsentstehung legte das Programm »Fami-
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liärer Brustkrebs«, das 1997 in zunächst zehn (ab 1999 zwölf) bundesdeutschen Großstädten startete und von der Deutschen Krebshilfe bis 2003 mit rund 11 Millionen Euro gefördert wurde. Ziel des Programms war es, den Zusammenhang zwischen familiärem Brustkrebs und Mutationen auf den BRCA-Genen zu erforschen. Dabei konnten Frauen aus Familien, in denen bereits Angehörige erkrankt sind, ihr statistisches Brustkrebs-Risiko mittels eines Gentests berechnen lassen. Bis März 2001 wurden insgesamt über 3.000 Familien beraten und etwa 1.000 von ihnen getestet (Pressemitteilung unter www.deutsche-krebshilfe. de; Wagenmann 2002). Für eine systematische Diskussion der verschiedenen Dimensionen dieses Risikospektrums s. Feuerstein/Kollek 2000. Auch in Deutschland erfolgten Brustamputationen nach diagnostizierten BRCA-Mutationen. Im Nachrichtenmagazin Focus wird der Fall einer Frau geschildert, die sich nach positivem Testergebnis beide Brüste entfernen ließ. Ihre Begründung für diesen radikalen Schritt: »Ich will möglichst lange leben und mir nicht vorwerfen lassen, daß ich eine Chance nicht genutzt hätte.« (Zit. nach Ritzert 1994: 127; vgl. Bundschuh 1997) Für einen Überblick zu den Forschungen über die psychosozialen Folgen des Testes s. Jordan et al. 2001; Helmes 2001. Oliver Tolmein sieht in diesem Punkt die zentrale Differenz zwischen prädiktiven Gentests und antiken Orakeln: »Die Katastrophen, die in Delphi vorausgesagt wurden, waren vor allem das Ergebnis wie auch immer gescheiterter sozialer Beziehungen. Die humangenetischen Orakel von heute verlegen den Grund für die angekündigten Gefahren in den Menschen selbst und versagen ihm damit die Möglichkeit, Zuflucht zu nehmen. Der Mensch, so wie ihn die prädiktive Medizin behandelt, wird sich selbst zum Feind: Gerettet werden kann er allenfalls, indem er gegen seinen eigenen Körper vorgeht.« (Tolmein 2000: 3) Für empirische Studien zum Problem genetischer Diskriminierung in Großbritannien und Australien s. Low et al. 1998 bzw. Otlowski et al. 2002. Im Bereich der privaten Krankenversicherung ist zu befürchten, dass in Zukunft genetische Tests bei Vertragsabschluss bzw.
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bei der Berechung der Risikoprämie eine wichtige Rolle spielen. Bei gesetzlichen Kassen könnte der Einsatz genetischer Diagnostik zu einem Ausschluss von Versicherungsleistungen oder anderen Nachteilen führen – etwa im Fall der Weigerung, an Präventionsprogrammen teilzunehmen. Zum Problemfeld Gentests und Versicherungswesen s. McGleenan et al. 1999; Schöffski 2000; Feuerstein et al. 2002. Ein französischer Mediziner erklärte, dass er bei genetischen Tests für die Huntington-Krankheit außerhalb des gesetzlichen Rahmens handele, um zu verhindern, dass Patienteninformationen zu den Krankenkassen gelangen: »Um keine verdächtigen Spuren zu hinterlassen, teilen wir das Untersuchungsergebnis mündlich mit und vermerken in unseren Unterlagen, dass der Arztbesuch nur durch kleinere funktionelle Störungen motiviert war. Wir müssen die Wahrheit verschweigen und also lügen, um dem legitimen Beratungswunsch unserer Patienten gerecht zu werden.« (Zit. nach Browaeys/Kaplan 2000: 12) Ein weiteres wichtiges Einsatzgebiet, das hier allerdings nicht behandelt werden kann, ist die Anwendung von Gentests im Straf- und Zivilrecht, etwa zur Täterfeststellung oder für einen Vaterschaftsnachweis (vgl. dazu Gössner 1999; Hofmann 1999; Tjaden 2001). Für eine differenzierte Einschätzung der Bedeutung von genetischen Untersuchungen für die Toxikologie sowie für die Arbeits- und Umweltmedizin s. Schulz et al. 2002. Ähnlich wie die Pharmakogenomik hat sich in den letzten Jahren die Nutrigenomik – die Verbindung von Ernährungs- und Genomforschung – als eigenständiges Forschungsfeld etabliert. Im Mittelpunkt des wissenschaftlichen Interesses steht die Untersuchung des Zusammenhangs zwischen Erbgut, Ernährungsgewohnheiten und Krankheiten sowie die Entwicklung von gesundheitsfördernden Nahrungsmitteln, die auf das individuelle genetische Profil abgestimmt sind (s. Lemke 2002: 412-416). Zur Analyse der Risikosemantik in genetischen Beratungen s. Duden/Samerski 1998; Samerski 2002. Anne Waldschmidt untersucht in ihrer Studie die Veränderung der genetischen Beratung von einem ärztlichen Gespräch hin zu einer Entschei-
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dungshilfe für »eigenverantwortliche Klienten« (Waldschmidt 1996: 229-266; vgl. auch Lösch 2001: 255-347). Hennen et al. weisen darauf hin, dass statistisch gesehen »jeder Mensch etwa 7 tödliche Genmutationen« in seinem Erbgut besitzt. Da jedoch die Mutation eines Gen sich erst dann auswirkt, wenn auch die zweite Kopie sich verändert oder zwei veränderte Gene bei der Fortpflanzung kombiniert werden, ist die Gefahr von schweren Gendefekten dennoch gering (Hennen et al. 1996: 66; vgl. auch Henn 2001). Christoph Lau und Reiner Keller führen zur Illustration dieses Problems folgendes Beispiel an: »Ist Altern […] eine Krankheit? Sind altersabhängige Krankheiten wie Krebs oder Alzheimer normal? Gäbe es die Möglichkeit, das Alter hinauszuzögern – wer wollte Eltern mit welchen Argumenten davon überzeugen, ihrem Kind diesen Vorteil nicht zukommen zu lassen? Selbst wenn sich ein gesellschaftlicher Konsens über eine Grenze ›normalen‹ Alterns herstellen ließe, wäre dies kein natürliches Altern mehr, sondern ein vergesellschaftetes, rechtfertigungsbedürftiges und hochumstrittenes Altern.« (Lau/Keller 2001: 85)
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Internetadressen | 107
Internetadressen *
1. Fachzeitschriften und Internetpublikationen Medizin – – – – – –
BMJ – British Medical Journal, http://bmj.com JAMA – Journal of the American Medical Association, http://jama.ama-assn.org NEJM – New England Journal of Medicine, http://nejm.org/content/index.asp The Lancet, http://the lancet.com CancerNet – Internetservice des National Cancer Institute, http://cancernet.nci.nih.gov/index.html Journal of Medical Screening, http://www.bmjpg.com/data/jmsb.htm
Genetik – – – – *
medgen – Medizinische Genetik, http://www.medgenetik.de European Journal of Human Genetics, http://www.eshg.org/EJHG.htm Genetics, http://www.genetics.org Nature Genetics, http://www.nature.com/ng/ Stand: 1. Dezember 2003
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2. Institutionen und Organisationen Fachverbände und Forschungsverbünde – – – –
GfH – Deutsche Gesellschaft für Humangenetik e.V., http://www.gfhev.de DHGP – Deutsches Humangenomprojekt, http://www.dhgp.de ESHG – European Society of Human Genetics, http://www.eshg.org ASHG – American Society of Human Genetics, http://www.faseb.org/genetics/ashg/ashgmenu.htm
Selbsthilfegruppen und Patientenvereinigungen – – – – – – – – –
Canavan Foundation, http://www.canavanfoundation.org Deutsche Heredo-Ataxie Gesellschaft, http://www.ataxie.de Deutsche Huntington-Hilfe, http://www.dhh-ev.de Schweizerische Huntington-Vereinigung, http://huntington.ch Österreichische Huntington-Hilfe, http://www.huntington.at Hereditary Disease Foundation, http://www.hdfoundation.org Huntington’s Disease Advocacy Coalition, http://www.hdac.org International Huntington Association, http://www.huntington-assoc.com Bundesarbeitsgemeinschaft Hilfe für Behinderte, http://www.bagh.de
Gendiagnostik-Firmen – – – – – – – – –
Affymetrix, http://www.affymetrix.com Nanogen, http://www.nanogen.com Gentest24, http://www.gentest24.de Zentrum für Individuelle Diagnostik, http://www.gen-untersuchung.com Ogham, http://www.ogham.de Adnagen, http://www.adnagen.com GENEKAM Biotechnology AG, http://www.genekam.de Humatrix AG, http://www.humatrix.de Medigenomix, http://www.medigenomics.de
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GeneLink, http://www.bankdna.com Sciona, http://www.sciona.com
Richtlinien und Stellungnahmen zur Gendiagnostik –
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–
–
Entschließung der 62. Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder vom 24. bis 26. Oktober 2001 in Münster: Gesetzliche Regelungen von genetischen Untersuchungen, http://www.brandenburg.de/land/lfdbbg/dsk/dsk62/dsk6203.htm AOK-Standpunkte zur Gentechnik in der Medizin, http://www.aok/bv.de/politik/standpunkte/ Stellungnahme der Senatskommission für Grundsatzfragen der Genforschung der Deutschen Forschungsgemeinschaft: Humangenomforschung und prädiktive genetische Diagnostik: Möglichkeiten – Grenzen – Konsequenzen http://www.dfg.de/aktuelles_presse/pressemitteilungen/2003/presse_ 2003_12.html Stellungnahme des Nationalen Ethikrates zur genetischen Diagnostik vor und während der Schwangerschaft, http://www.nationalerethikrat.de/stellungnahmen/diagnostik/Stellung nahme_ Genetische_Diagnostik.pdf Fraktion Bündnis 90/Die Grünen: Entwurf eines Gesetzes zur Regelung von Analysen des menschlichen Erbgutes (GentestGesetz), http://www.gruene-fraktion.de/rsvgn/rs_datei/0,,185,00.pdf Antrag der CDU/CSU zu Gentests in Medizin, Arbeitsleben und Versicherungen, http://www.cducsu.de/aktuelles/initiativen/2CB3FA02F3ACAB56FB 29EF78AC94690C11348-t40mbtah.pdf Kommission für Öffentlichkeitsarbeit und ethische Fragen der Gesellschaft für Humangenetik e.V.: Stellungnahme zur postnatalen prädiktiven Diagnostik, http://www.medgenetik.de/sonderdruck/2003-376a.PDF Richtlinien der Bundesärztekammer zur prädiktiven genetischen Diagnostik, http://www.uni-heidelberg.de/institute/fak5/igm/g47/baverprd.pdf
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Gentechnologiekritische Organisationen – – – – – – – –
Gen-Ethisches Netzwerk, http://www.gen-ethisches-netzwerk.de Bioskop, http://bioskop-forum.de InteressenGemeinschaften Kritische Bioethik Deutschland, http://www.kritische-bioethik.de Council for Responsible Genetics, http://www.gene-watch.org GeneWatch, http://www.genewatch.org Human Genetics Alert, http://www.hgalert.org Center for Genetics and Society, http://genetics-and-society.org Génétique et Liberté, http://www.genetique-et-liberte.asso.fr
Sozialwissenschaftliche und historische Forschung – – – –
– –
– –
– –
Forschungsschwerpunkt »Biotechnik, Gesellschaft und Umwelt«, http://www.biogum.uni-hamburg.de The Virtual Laboratory. Essays and Resources on the Experimentalization of Life, 1830-1930, http://vlp.mpiwg-berlin.mpg.de Research Project »Public Understanding of Genetics« (Manchester University), http://les1.man.ac.uk/sa/pug/index.htm Arbeitsschwerpunkte des Bereichs »Vergleichende Policy-Forschung« am Institut für Politikwissenschaft (Universität Wien), http://www.univie.ac.at/transformation/ HumGen (Université de Montréal), http://www.humgen.umontreal.ca/portal.htm BIOS Centre for the Study of Bioscience, Biomedicine, Biotechnology and Society (London School of Economics and Political Science), http://www.lse.ac.uk/collections/BIOS/Default.htm Institute for the Study of Genetics, Biorisks and Society (Nottingham University), http://www.nottingham.ac.uk/igbis Cesagen: ESRC Centre for Economic and Social Aspects of Genomics (Lancaster University), http://www.lancs.ac.uk/depts/facsocsci/genome Egenis: ESRC Centre for Genomics in Society (Exeter University), http://www.ex.ac.uk/egenis/index.php The Bioethics and Society Research Register, http://www.bioethicsandsociety.org
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Internetadressen | 111
Weitere Links – – – – – – – – – –
Panorama de Presse: éthique biomédicale, http://www.inserm.fr/ethique/Ethique.nsf The American Journal of Bioethics Online, http://bioethics.net The Public Health Genetics Network, http://www.phgu.org.uk/about_phgv/education.html Kompetenznetze in der Medizin, http://www.kompetenznetze-medizin.de Kompetenznetz Schizophrenie, http://www.kompetenznetz-schizophrenie.de Deutsche Krebshilfe, http://www.deutsche-krebshilfe.de Institut Mensch, Ethik und Wissenschaft (IMEW), http://www.imew.de Deutsches Referenzzentrum für Ethik in den Biowissenschaften (DRZE), http://www.drze.de Interfakultäres Zentrum für Ethik in den Wissenschaften (IZEW), http://www.izew.uni-tuebingen.de Bürgerkonferenz »Streitfall Gendiagnostik« http://www.buergerkonferenz.de
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Glossar
Allele
verschiedene Varianten ein und desselben Gens. Während es in der Bevölkerung viele hundert verschiedene Allele eines Gens geben kann, besitzt jeder Mensch höchstens zwei verschiedene Allele an jedem Genort (je eins von der Mutter und vom Vater).
Ätiologie
Lehre von den Krankheitsursachen.
Aminosäuren Bausteine der Proteine, deren Art und Abfolge durch die DNA-Sequenz der Gene bestimmt wird. Insgesamt gibt es mehr als 20 natürlich vorkommende Aminosäuren, welche die Eiweißstoffe aufbauen. Autosomen
alle Chromosomen außer den Geschlechtschromosomen X und Y.
Base
chemische Substanz, die das Bauelement der DNA bildet; die Abfolge der Basen (Adenin, Guanin, Cytosin und Thymin) auf der DNA bestimmt die Aminosäuresequenz der Proteine.
CanavanKrankheit
eine degenerative Krankheit, die in der frühen Kindheit ausbricht. Sie führt zum Verfall des Nervensystems und
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häufig zum Tod, bevor die Kinder das Teenageralter erreichen. Chromosomen
Strukturen innerhalb des Zellkerns, welche die Erbanlagen tragen. Autosomen heißen die Chromosomen, die bei beiden Geschlechtern in gleicher Zahl vorkommen. Daneben haben Frauen zwei X-Chromosomen, Männer ein X- und ein Y-Chromosom. X- und Y-Chromosomen bezeichnet man als Geschlechtschromosomen. Insgesamt hat der Mensch zweimal 23 Chromosomen, ein Chromosomensatz stammt von der Mutter, der andere vom Vater.
Direkter Gentest
molekulargenetische Untersuchung, bei der eine Veränderung (Mutation) in der Erbinformation unmittelbar nachgewiesen werden kann.
Disposition
Veranlagung oder Empfänglichkeit eines Menschen für bestimme Erkrankungen oder Veränderungen des Stoffwechsels.
DNA
die Abkürzung der englischen Bezeichnung desoxyribonnucleic acid, Desoxyribonnukleinsäure. Der Stoff, aus dem die Gene sind. Seine Grundbausteine bezeichnet man als Nukleotide. Ihre Reihenfolge stellt den »genetischen Code« dar, bestimmt also über die Zusammensetzung der vom Körper produzierten Eiweißstoffe (Proteine).
DNAAnalysen
molekulargenetische Methoden zur Feststellung von Veränderungen einzelner Gene.
DNA-Chip
Silicium- oder Glasträger, auf denen ganze Serien von Gensequenzen aufgebracht werden. Die DNA-Chips befinden sich noch in der Entwicklung. Mit ihrer Hilfe sollen sich in Zukunft beliebige Mutationen mit einer einzigen Reaktion nachweisen lassen.
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Dominant
Fähigkeit eines Allels, sich im heterozygoten Zustand auszuprägen. Das dominante Merkmal tritt bei einer Person auch auf, wenn die Information für dieses Merkmal nur auf einem Allel vorhanden ist.
Fötus
ungeborenes Kind (ab der neunten Woche nach der Befruchtung).
Gen
Die grundlegende physikalische und funktionelle Einheit der Vererbung. Ein Gen ist eine geordnete Abfolge von Nukleotiden, die sich an einer bestimmten Stelle eines Chromosoms befinden.
Genom
Gesamtheit aller Erbanlagen eines Organismus.
Heterozygot Ein Individuum ist heterozygot für eine Erbanlage, wenn das mütterlich und väterlich ererbte Allel verschieden sind. Huntington- eine neurodegenerative Erkrankung, die sich in der ReKrankheit gel erst zwischen dem dreißigsten und dem fünfzigsten Lebensjahr manifestiert. Die genetische Grundlage der Krankheit wurde zwar identifiziert, doch bislang gibt es keine wirksamen Maßnahmen, um Verfall und Tod vorzubeugen. Indirekter Gentest
Nachweis einer Erbanlage mit Hilfe gekoppelter Marker.
In-VitroFertilisation
künstliche Befruchtung einer Eizelle außerhalb des Organismus.
Kopplung
Gene oder DNA-Abschnitte sind miteinander gekoppelt, wenn sie auf einem Chromosom nah beieinander liegen und deshalb gemeinsam vererbt werden.
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116 | Veranlagung und Verantwortung
Kopplungsanalyse
indirekte Untersuchung eines mutierten Gens durch den Nachweis eines DNA-Abschnitts, der mit dem veränderten Gen gekoppelt ist.
Mammographie
Röntgenuntersuchung der weiblichen Brust zur Früherkennung von Brustkrebs.
Marker
eine DNA-Sequenz, die bei einem bestimmten Gen beim indirekten Gentest stellvertretend für das gesuchte Gen nachgewiesen, z.B. wenn das gesuchte Gen selbst noch nicht bekannt ist. Das Vorhandensein des Markers deutet darauf hin, dass auch das gesuchte Gen vorliegt.
Molekulargenetik
Erforschung der grundlegenden Prozesse der Vererbung auf der Ebene der Moleküle, welche die Erbinformation tragen.
Monogen
durch ein einzelnes Gen bedingt.
Multifaktoriell
durch das gemeinsame Zusammenwirken von Erbsubstanz und Umwelt bedingt.
Mutation
von außen herbeigeführte (etwa durch bestimmte Chemikalien oder energiereiche Strahlung) oder spontan auftretende Veränderung der Erbsubstanz auf der Ebene eines einzelnen Gens (Genmutation) oder eines einzelnen Chromosoms (Chromosomenmutation, strukturelle Chromosomenveränderung). Eine Mutation kann zu fehlerhafter Proteinsynthese führen und Erkrankungen auslösen. Nicht nur der Vorgang selbst, sondern auch das Ergebnis wird als Mutation bezeichnet.
Negatives Bei einem Test wird keine Mutation und damit keine Testergebnis Krankheit bzw. Krankheitsanlage festgestellt.
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Glossar | 117
Penetranz
Häufigkeit, mit der ein vorhandenes Gen oder eine Genmutation bei ihren Trägern tatsächlich die entsprechende Krankheit auslösen.
Pharmakogenetik
Die Verbindung von Pharmaforschung und Genomanalyse.
Polygen
durch das Zusammenwirken mehrerer Gene bedingt.
Positives Bei einem Test werden Hinweise gefunden, dass eine Testergebnis Mutation existiert und damit eine Krankheit bzw. Krankheitsanlage vorliegt. Prädiktiv
vorhersagend.
Präimplanta- Untersuchung eines Embryos vor dem Stadium der tionsdiagEinnistung in die Gebärmutter (im Rahmen der künstnostik lichen Befruchtung). Pränatal
vorgeburtlich.
Sequenz
Abfolge, Reihenfolge.
Screening
systematische Untersuchung von Bevölkerungsgruppen auf bestimmte Merkmale (Reihenuntersuchung).
Striatum
Bereich des Gehirns, der besonders vom Verlust von Nervenzellen durch die Huntington-Krankheit betroffen ist. Wegen seines schweifähnlichen Aussehens wird er auch als Schweifkern oder Striatum bezeichnet.
Transgen
aus einem anderen Genom stammend.
Triplett
Abfolge von drei Basen in der DNA, die den Schlüssel für den Aufbau einer Aminosäure bilden.
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118 | Veranlagung und Verantwortung
TumorSuppressorGen
Gen, das die Zellteilung aufhält. Durch eine Mutation dieses Gens kann die Hemmung der Zellteilung entfallen, sodass sich die Zellen unbeschränkt vermehren und aus normalen Zellen Tumorzellen werden können.
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Literatur zum Thema | 119
Literatur zum Thema
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Die Titel dieser Reihe:
Gunter Gebauer, Thomas
Volkhard Krech
Alkemeyer, Bernhard Boschert,
Götterdämmerung
Uwe Flick, Robert Schmidt
Auf der Suche nach Religion
Treue zum Stil
2003, 112 Seiten,
Die aufgeführte Gesellschaft
kart., 12,80 €,
Mai 2004, ca. 200 Seiten,
ISBN: 3-89942-100-0
kart., ca. 19,80 €,
Volker Heins
ISBN: 3-89942-205-8
Das Andere der Klaus E. Müller
Zivilgesellschaft
Der sechste Sinn
Zur Archäologie eines Begriffs
Ethnologische Studien zu
2002, 102 Seiten,
Phänomenen der
kart., 12,80 €,
außersinnlichen Wahrnehmung
ISBN: 3-933127-88-2
April 2004, ca. 200 Seiten, kart., ca. 19,80 €,
Stefan Weber
ISBN: 3-89942-203-1
Medien – Systeme – Netze Elemente einer Theorie der
Thomas Lemke
Cyber-Netzwerke
Veranlagung und
2001, 128 Seiten,
Verantwortung
kart., 13,80 €,
Genetische Diagnostik
ISBN: 3-933127-77-7
zwischen Selbstbestimmung und Schicksal Februar 2004, 144 Seiten, kart., mit Glossar, ca. 14,80 €, ISBN: 3-89942-202-3
Karl-Heinrich Bette X-treme Zur Soziologie des Abenteuerund Risikosports Februar 2004, 160 Seiten, kart., ca. 14,80 €, ISBN: 3-89942-204-X
Leseproben und weitere Informationen finden Sie unter: www.transcript-verlag.de
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