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German Pages 496 Year 2012
Sabine Koloch Kommunikation, Macht, Bildung
Sabine Koloch
Kommunikation, Macht, Bildung Frauen im Kulturprozess der Frühen Neuzeit
Akademie Verlag
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978-3-05-005183-3 978-3-05-005741-5
Inhalt
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1. Frauen im Zeitalter des Buchdrucks: Das Bildungsangebot des Buchmarktes
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1.1 Erschließung neuer Publikumsschichten: Die Verleger-Sortimenter Thomas Fritsch und August Martini . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Erwerb von Bücherkenntnissen durch Frauen . . . . . . . . . . . . . . . .
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2. Frauen im Bildungsdiskurs: Lerninhalte, Lehrautorität, literarische Öffentlichkeit
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2.1 Postulate von Mitgliedern der Fruchtbringenden Gesellschaft und Deutscher Gesellschaften zur höheren Bildung von Frauen . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Das kirchliche Lehr- und Ämterverbot für Frauen . . . . . . . . . . . . . .
77 110
3. Frauen lehren die Normen und Formen des Umgangs: Die Vorgeschichte der Anstandsbuchautorin – eine Befreiungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . .
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3.1 Impulse aus dem Protestantismus für die Genese von Anstandsautorinnen . 3.2 Frankophile Übersetzerinnen und Autorinnen . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Das Einzige-Tochter-Phänomen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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4. Männer lehren Frauen die Normen und Formen des Umgangs: Publizistische Kommunikationsstrategien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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4.1 Die internationale Dimension der frauenadressierten Literatur zum Geselligkeitsethos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Die Polarisierung der Bildungssphären . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Ein Beispiel für die psychologische Wirkung von Intertextualität auf Frauen
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5. Kommunikative Kompetenzen von Frauen: Positionen und Empfehlungen in der verhaltensmodellierenden Gebrauchsliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . .
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5.1 Unterschiedliche Standpunkte zur kommunikativen Bildung von Frauen . . 5.2 Variationen des Komplimentierens: Parameter Geschlecht . . . . . . . . . . 5.3 Von Frauen gewählte oder (nicht) zu wählende Gesprächsthemen . . . . . .
271 304 341
Inhalt
VI 6. Die Bildungsmacht adliger Frauen: Kommunikationssteuerung zwischen Elitebildung und Rangnivellierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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6.1 Damenorden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2 Akademien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3 Hofmeisterinnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Ergebnisse und Forschungsausblicke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
421
1. Ungedruckte Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gedruckte Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Forschungsliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Abbildungen
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Einleitung
1. Gegenstandsbestimmung Gegenstand der Darstellung ist die Relation von Kommunikation, Frauen und Macht, welche vorwiegend auf der Grundlage von verhaltensmodellierender Gebrauchsliteratur betrachtet wird.1 Auf Kommunikation wird von einem weiten, auch nonverbale Handlungskomponenten und optische Bilder einschließenden Sprachbegriff her zugegriffen. Die im Zentrum stehenden sprachlich geschulten, belesenen und strategisch denkenden Frauen agieren als Subjekte und Objekte in frühneuzeitlichen Kommunikationsabläufen. Der dritte Schlüsselbegriff ist Macht, von der kommunikatives Handeln im allgemeinen und das Verhältnis der Geschlechter im besonderen bestimmt werden, die entweder von Institutionen ausgeht oder in nichtinstitutionalisierter Form zum Tragen kommt. Da differenzierte kommunikative Fähigkeiten erst angeeignet werden müssen, bevor Sprache als Mittel der Machtausübung gezielt und wirkungsvoll eingesetzt werden kann, wird Bildung als weiterer Leitbegriff in die Untersuchung eingeführt. Bildung ist den Grundkategorien Kommunikation, Frauen und Macht entsprechend im Interferenzbereich von Literatur- und Sprachwissenschaft, Geschichtswissenschaft, historischer Sozialwissenschaft und Kunstwissenschaft anzusiedeln.
2. Konzeption, Erkenntnisziele, Anlage Um nicht durch die spärliche, disparate Quellenlage zum Aufgeben gezwungen zu werden, war die interdisziplinäre Konzeption einer sich über drei Jahrhunderte erstreckenden Langzeitstudie eine unverzichtbare Notwendigkeit, da nur so eine deutliche Aufstockung unserer Quellenkenntnisse zu erreichen war. 1
Das Manuskript wurde im April 2008 abgeschlossen. Später erschienene Forschungsliteratur fand nur in Ausnahmefällen Berücksichtigung. Wegen schwerer Erkrankung meines Betreuers und der Suche nach einem neuen Erstgutachter verschob sich der Disputationstermin um mehr als zwei Jahre. – Zu besonderem Dank bin ich Wolfgang Neuber, Claudia Ulbrich, Heide Wunder, Hanspeter Marti, Hermann Ehmer, Felicitas Marwinski, Horst Nieder, Eva Bender, Jürgen Gottschalk und Ralf Schuster verpflichtet.
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Einleitung
Einige zeitgebundene Kommunikationsmuster geben sich überhaupt erst deutlich zu erkennen und sind voneinander abgrenzbar, wenn das historisch gewachsene Regelwerk bekannt ist. An dieser Rekonstruktionsarbeit war in Ermangelung von profunden Vorarbeiten in erster Linie anzusetzen. Aus diesem Grund ist das der Studie zugrundeliegende Quellenkorpus von gedruckten normativen Texten geprägt. Zielsetzung der Studie ist die Klärung des Wechselverhältnisses zwischen Kommunikation, Frauen und Macht. Von den zuständigen historischen Einzelwissenschaften wurde die Aufhellung dieses auf Wechselwirkung beruhenden Verhältnisses für den deutschen Kulturraum der Frühen Neuzeit in einer Art und Weise vernachlässigt, die sich rationalen Erklärungen entzieht. Aufgrund der pragmatisch bedingten Konzentration auf verhaltensmodellierende Gebrauchsliteratur und hier wiederum auf Texte, die das Umgangsverhalten während geselliger Anlässe thematisieren, rückt informelle, das heißt nichtinstitutionalisierte Macht in den Vordergrund. Die Quellenanalysen zielen ganz besonders auch darauf ab, ursächliche Zusammenhänge aufzudecken. Indem die Handlungskompetenz von Frauen bewiesen wird, führt die Untersuchung über bisherige Arbeiten weit hinaus, welche verhaltensmodellierender Gebrauchsliteratur lediglich unter dem Blickwinkel der »Zivilisierung des weiblichen Ich« Aussagewert und Wirkungspotential zusprechen 2 und die idealen wie die realen Normenrezipientinnen wider alle quellenkritische und methodische Logik in eine Opferrolle drängen.3 Wer sich mit Kommunikation intensiv auseinandersetzt, erfährt viel über den Wissenshaushalt einer Gesellschaft, ist aber auch gefordert, exakte Orientierungszeichen zu erarbeiten, wann welches Wissen durch wen tradiert, produziert und verbreitet wird. Daher fragt die Arbeit nach wissensrelevanten Institutionen und Personen, nach dem auf Zielgruppen bezogenen Nutzen sowie nach Distributionsformen von Wissen. Namentlich bekannte Frauen werden sozialen Gruppen zugeordnet, die im Untersuchungszeitraum einen Bezug zum Problem der Wissenstradierung, der Verhaltensmodellierung oder der Diffusion von Verhaltensmodellen hatten. Somit wird ein Mittelweg zwischen Biographistik und Gesellschaftsanalyse beschritten. Zu den historisch erschlossenen weiblichen Gruppen zählen Anstandsautorinnen, Auftragsautorinnen, Kinderautorinnen, Herausgeberinnen, Übersetzerinnen, Adressatinnen von Widmungstexten, Erzieherinnen, Privatlehrerinnen, Mitglieder von Sozietäten und Amtsträgerinnen. Als Orientierungspunkte für die inhaltliche Anlage der Studie dienen folgende Leitfragen: Wer war an den Diskursen über die kommunikative Qualifizierung von Frauen beteiligt? Wie konnten die lern- und handlungsfähigen weiblichen Angehörigen aller Stände sich kommunikatives Wissen aneignen und was änderte sich, zeitlich und räumlich 2
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Gabriele Klein u .a. (Hg.): Zivilisierung des weiblichen Ich, Frankfurt/M. 1997. Karin Schrott: Das normative Korsett. Reglementierungen für Frauen in Gesellschaft und Öffentlichkeit in der deutschsprachigen Anstands- und Benimmliteratur zwischen 1871 und 1914 (Kulturtransfer; 2), Würzburg 2005. Elisabeth Mixa: Erröten Sie, Madame! Anstandsdiskurse der Moderne (Schnittpunkt Zivilisationsprozeß; 11), Pfaffenweiler 1994.
Einleitung
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betrachtet, für wen? Gibt es im Untersuchungszeitraum Anzeichen für einen Wandel des Kommunikationsverhaltens zwischen den Geschlechtern? Die einzelnen Kapitel der Studie ermöglichen ein neues Verständnis der Rolle von Frauen und Männern im frühneuzeitlichen Kulturprozeß. Hinzuweisen ist auf – Verlegerinteressen im Blick auf weibliche Zielgruppen – die Funktion von Sprachgesellschaften für ihre weiblichen Mitglieder wie auch für Außenstehende – beabsichtigte und nicht beabsichtigte Wirkungen des kirchlichen Lehrverbots für Frauen – die Genese von Autorinnenschaft – Männer als Machtträger bei der Produktion und Distribution von frauenadressierter Literatur – Distinktionscodes aus weiblicher Perspektive – Frauen als Machtträgerinnen bei der Tradierung, Produktion und Distribution von moralischem und habituellem Wissen 4
3. Faktorenanalyse als optionale Methode Die von mir eingeführte historische Methode 5 der Faktorenanalyse 6 wurde immer dort zur Anwendung gebracht, wo monokausale Erklärungen in der Vergangenheit zu unbefriedigenden Ergebnisse geführt haben und wo noch nicht gestellte Fragen nach den Ursachen eine solche Vorgehensweise nahelegten. Faktorenanalyse, wie ich sie definiere, geht von einer Beteiligung heterogener Ursachen (Institutionen, Gruppen, Personen, philosophische und literarische Strömungen, wissenschaftliche Entdeckungen, technische Erfindungen, politische, kulturelle und gesellschaftliche Wertsysteme, Bestrebungen und Äußerungsformen u. a.) in Hinsicht auf die Produktion von Wirkungen oder zu analysierenden Tatbeständen aus. Die kausalen Nexus bleiben meist im Dunkeln und können nicht positivistisch festgehalten und aufeinander bezogen werden. Mit der Gewichtung der jeweils aufgedeckten Faktoren ist das Verfahren abgeschlossen.
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6
Die Wortverbindung ›habituelles Wissen‹ bezeichnet ein auf das Aussehen und Verhalten und damit das Gesamterscheinungsbild von Personen zielendes Wissen. Eine Untersuchung wie die vorliegende setzt interdisziplinäre Methodenkompetenz voraus. In begründeten Fällen wird im Haupttext die optierte Forschungsmethode kenntlich gemacht oder auf methodische Probleme hingewiesen. Eine erkenntnistheoretisch fundierte Methodendiskussion findet in den von mir in Betracht gezogenen Teilgebieten der historischen Kommunikationsforschung nicht statt. Davon abzugrenzen ist die gleichnamige statistische Methode, die mit der Intention einhergeht, die Faktoren zu ermitteln, die einer großen Menge verschiedener Eigenschaften zugrundeliegen.
Einleitung
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4. Zusammensetzung des Quellenkorpus Eine Bibliographie der kommunikationsrelevanten gedruckten Texte von Frauen war bis zu diesem Zeitpunkt ein Desiderat der deutschsprachigen Frühneuzeitforschung. Meine Belegsammlung erhebt Anspruch darauf, diese Forschungslücke innerhalb des abgesteckten Rahmens zu schließen. Darüber hinaus sind in das Korpus eine Vielzahl anderer Quellen bis hin zu Handschriften und bildlichen Darstellungen eingegangen sowie Funde von über die Sprach- und Fächergrenzen hinausreichender Bedeutung, so etwa das Bestandsverzeichnis der sogenannten »Damenbibliothek«,7 eine größere Anzahl Übersetzungen von Personen, die einen besonderen Rang einnehmen, sowie unbekannte Dokumente zur Geschichte der Sozietätsbewegung. Wie oben erwähnt, setzt sich der schwerpunktmäßig herangezogene Bereich des Korpus aus gedruckter verhaltensmodellierender Gebrauchsliteratur zusammen. Hierunter fallen, um geläufige Beispiele zu nennen, Anstandsbücher, Briefsteller, Klugheitslehren, Komplimentierbücher und Verhaltenslehren.8 Um das Gesamtvolumen der zugänglichen verhaltensmodellierenden Gebrauchsliteratur auf ein zu bewältigendes Maß zu reduzieren, wurde eine am Kriterium »Umgangsverhalten während geselliger Anlässe« sich orientierende Auswahl getroffen. Verhaltensmodellierender Gebrauchsliteratur geht die Beobachtung, Bewertung und Versprachlichung von Verhaltensweisen in ihren jeweiligen Kontexten voraus, doch ist nicht die reine Deskription der ausgeübten Praxis das Ziel der Wissensvermittlung, sondern die Bestätigung bestehender und die Etablierung neuer Verhaltensstandards 9 mittels direktiver Aussagen oder modellgebender Beispiele. Obwohl von der Forschung manch7
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Das als Auskunftsmittel herbeigezogene Bestandsverzeichnis wird gelegentlich im Hauptteil dieser Arbeit erwähnt. Es umfaßt 1180 Nummern und stammt aus der Mitte des 18. Jahrhunderts. Als Initiatorin der »Damenbibliothek« konnte eine Adlige aus dem fränkischen Raum namhaft gemacht werden. Die Buchliebhaberin war von der Idee eingenommen, alles bis dahin erschienene und noch verfügbare gedruckte Schrifttum von, für und über Frauen käuflich zu erwerben. Sie sammelte Schriften in deutscher, englischer, französischer, italienischer, lateinischer, niederländischer, portugiesischer und spanischer Sprache. Die Anlage der Bibliothek, die an eine Gelehrtenbibliothek erinnert, hebt das Verzeichnis in den Rang eines Ausnahmefundes, der, wenn er publiziert ist, der Frühneuzeitforschung vor allem neue bibliographische Horizonte erschließen wird. Vgl. die unvollständige Übersicht mit »Genres gesellschaftsethischer Literatur« bei Manfred Beetz: Frühmoderne Höflichkeit. Komplimentierkunst und Gesellschaftsrituale im altdeutschen Sprachraum (Germanistische Abhandlungen; 67), Stuttgart 1990, S. 32–71. Der Terminus ›Verhaltensstandard‹ bezeichnet 1. ein durch Imitation oder bewußte Regelapplikation verstetigtes Handlungsmuster; 2. eine handlungsleitende Richtschnur. Der Begriff ist nicht, wie etwa der Pädagoge Karlheinz Valtl und in seiner Nachfolge der Soziologe Thomas Klein herausstreichen, eine Neuprägung von Norbert Elias (1897–1990). Die englische Bezeichnung ›standards of behaviour‹ kursierte schon vor Elias’ Der Prozeß der Zivilisation (1939) in der amerikanischen Anthropologie und Soziologie (Franklin Henry Giddings) (freundlicher Hinweis Hermann Korte). Karlheinz Valtl: Erziehung zur Höflichkeit. Höflichkeit als Wertkonzept der Alltagsinteraktion, als Gegenstand empirischer Forschung in den Humanwissenschaften und als Aufgabe der Erziehung, Regensburg 1986, S. 53. Thomas Klein: Verhaltensstandards in der Ehe: Kontinuität und Wandel. Eine Analyse von Anstandsbüchern der Jahre 1834 bis 1987, Hamburg 1993, S. 14–16.
Einleitung
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mal bezweifelt, können präskriptive Aussagen Rückschlüsse auf faktische Verhaltensstandards zulassen, vorausgesetzt die Überlieferungslage aus dem historischen Umfeld weist die erforderliche Informationsdichte auf.
5. Definitionen, Neuprägungen Die mit der Erschließung neuer, schwer zugänglicher oder nicht beachteter Quellen verbundene Neuformierung des Forschungsfeldes machte Begriffsbestimmungen und begriffliche Präzisierungen notwendig. Definiert werden Anstand, Galanterie, Kompliment, Verhaltensstandards, Zeremoniell sowie Damenorden, Damengesellschaft und Hofmeisterin. Darüber hinaus werden folgende neue Bezeichnungen in die wissenschaftliche Terminologie eingeführt: verhaltensmodellierende Gebrauchsliteratur, Konversationenband, erinnertes Gespräch, Regelgeberin, Anstandsautorin, publizistische Kommunikationsstrategien, Geselligkeitsethos, Bildungsmacht, habituelles Wissen, Bildungsosmose und weitschweifiges Kompliment.
6. »Irren ist menschlich« – die Forschung auf Abwegen Gestützt auf Quellenmaterial konnten einige schwerwiegende Irrtümer der bisherigen Forschung ausgeräumt werden: 1. In der Frühmoderne seien Formierung und Wandel der Interaktionsnormen mit dem Einfluß und der Macht von Männern hinreichend zu erklären.10 Diese wissenschaftlich nicht fundierte Annahme ist hier von zwei Seiten her zu korrigieren: Zum einen wird der Beweis erbracht, daß Frauen im Untersuchungszeitraum mehr Macht – auch im Bereich der Normenvermittlung – ausübten, als die von der Forschung bisher ausgewerteten Quellen erahnen lassen. Zum andern wird das unrühmliche Kapitel der Verdrängung und Verdunklung von weiblicher Macht innerhalb der Wissenschaftsgeschichte aufgeschlagen. 2. Die Anstandsthematik sei ihrer Tendenz nach mit reaktionärer Pädagogik gleichzusetzen. Nach Elizabeth A. Fay macht das Verfahren des »conduct-book thinking«, worunter sie die Kontrolle der Verhaltensweisen von Mädchen und Frauen versteht,11 es möglich, einseitig die Interessen der Privilegierten durchzusetzen. Meine Kritik an dieser Argumentation wie auch an jener von Adorno, der mit Blick auf die Psychologie der Unterdrücker und Unterdrückten feststellt, Herrschaft erbe sich durch die Beherrschten fort, setzt an der 10 Ein Beleg hierfür ist das von Gert Ueding herausgegebene Nachschlagewerk Historisches Wörterbuch der Rhetorik (9 Bde., Tübingen 1992–2009), das die quantitative und qualitative Bedeutung von Frauen nahezu durchgängig marginalisiert. 11 Diese wissenschaftliche Herangehensweise ist als »gesetzgeberisches Wunschdenken« zu bezeichnen. Elizabeth A. Fay: Eminent Rhetoric: Language, Gender, and Cultural Tropes, Westport/CT u. a. 1994, S. 42.
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Einleitung
unterstellten Eingleisigkeit bei der Durchsetzung von Interessen und der Einförmigkeit im Gebrauch von Macht an.12 Anstandsbücher und Benimmunterricht waren in der Frühen Neuzeit zwar Mittel der (Re-)Produktion von Statusdifferenzen (Kapitel 5, Abschnitt 6.3), doch erhöhte die Einübung in Distinktionscodes die Chancen, auf der gesellschaftlichen Stufenleiter emporzusteigen, um dergestalt an sozialer Macht, die nicht unterschiedslos gleichgesetzt werden darf mit Beherrschung anderer, zu partizipieren. Wie die Ausführungen in Abschnitt 2.1 deutlich machen, wurde Macht in der Frühen Neuzeit auch genutzt, um förderlich und beschützend mit anderen umzugehen. 3. Die Bedeutung der Sprachgesellschaften für Frauen lasse sich einzig an der Zahl der weiblichen Mitglieder und ihrer kanonisierten Dichtungen ermessen.13 In Abgrenzung dazu findet hier ein von ästhetischen und nationalsprachlichen Verengungen freigehaltener Literaturbegriff Anwendung.14 Zum Beispiel wird bei Frauen der Erwerb von intellektuellen und kommunikativen Fähigkeiten15 in Verbindung gebracht mit der Lektüre von fremdsprachiger Literatur und von Übersetzungen. Durch Einbeziehung der Förderungsthematik (Abschnitt 2.1) und von Publikationen, welche die Außenwirkung bestimmter Sprachgesellschaften mitprägten (Abschnitt 4.1), wird der frauengeschichtliche Stellenwert der in Betracht kommenden Institutionen einer Neubewertung unterzogen. 4. Es sei »durch die gesamte frühe Neuzeit hindurch zu keiner wirklichen Verbesserung der Frauenbildung gekommen«.16 Institutionalisierung ist nicht der einzige Indikator für Fortschritte im Bereich der Frauenbildung. Einer meiner gedanklichen Vorgriffe bei der Sondierung der Quellenlage fand seinen Niederschlag in der These, es habe im 18. Jahrhundert mehr Frauen als je zuvor gegeben, die über höhere Bildung verfügten. Die Richtigkeit meiner Mutmaßung bestätigen der Anstieg der Lesefähigkeit von Frauen (Abschnitt 1.1), das Bildungsangebot des Buchmarktes (unter anderem Kapitel 1), das Eindringen von schreibenden Frauen in den Bildungssektor (Abschnitt 1.2, Kapitel 2 und 3), die frauenbezogene Bildungsarbeit von Männern (besonders Kapitel 4) und die Aufnahme von gebildeten Frauen in Sozietäten (Abschnitt 2.1, Kapitel 6).
12 Theodor W. Adorno: Minima Moralia. Reflexionen aus dem beschädigten Leben, Frankfurt/M. 1970, S. 242. 13 Barbara Becker-Cantarino: Frauenzimmer Gesprächspiele. Geselligkeit, Frauen und Literatur im Barockzeitalter, in: Wolfgang Adam (Hg.), Geselligkeit und Gesellschaft im Barockzeitalter (Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung; 28), 2 Tle., Wiesbaden 1997, Tl. 1, S. 17–41, hier S. 36 f. 14 Meine Untersuchung steht für das Ideal einer kanonfreien Forschung, das heißt eines Wissenschaftsideals, welches die mit den Schlagwörtern »Höhenkammliteratur« und »Meisterdenker« assoziierten Relevanzkategorien relativiert und Texte in historische Erkenntnisprozesse einbezieht, die zum Teil bis heute als minderwertig, langweilig und reizlos gelten. 15 Wählt man als Grundlage einen weiten Sprachbegriff, lassen sich kommunikative Fähigkeiten in Sprech-, Sprach- und Interaktionskompetenzen unterteilen. 16 Claudia Opitz: Die Entdeckung der gelehrten Frau. Zur Debatte um die Frauenbildung in Deutschland zwischen 1500 und 1800, in: Rainer Ansorge (Hg.), Schlaglichter der Forschung. Zum 75. Jahrestag der Universität Hamburg 1994 (Hamburger Beiträge zur Wissenschaftsgeschichte; 15), Berlin u. a. 1994, S. 305–319, hier S. 305.
Einleitung
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7. Begrifflich-theoretische Selbstverortung Die begriffliche und theoretische Seite der eingangs ausgeführten Problemstellung betreffend, erlangte Michel Foucault mit seinen machttheoretischen Überlegungen eine näher zu bezeichnende Bedeutung, nicht jedoch, wie vielleicht zu erwarten gewesen wäre, Norbert Elias mit seinen prozeß- und figurationssoziologischen Studien. Die Unterscheidung zwischen formeller und informeller Macht stammt ursprünglich aus den Sozialwissenschaften. Michel Foucaults Erläuterungen zu seinem Machtbegriff gaben mir den Impuls, mich verstärkt informeller Macht zuzuwenden. Der politische Philosoph nimmt die Dynamik historischer Prozesse implizit in die nachstehende »Begriffsbestimmung« auf und berücksichtigt staatsferne und dennoch subjektkonstituierende Machttypen und -einflüsse: Ich will nicht die Bedeutung von Institutionen bei der Einrichtung von Machtverhältnissen verneinen, wohl aber empfehlen, eher die Institutionen von den Machtverhältnissen her zu analysieren und nicht umgekehrt; selbst wenn sie in einer Institution Gestalt annehmen und sich herauskristallisieren, haben sie doch ihren Haltepunkt außerhalb dieser.17
Bisher galt Foucaults Machtbegriff in Wissenschaftskreisen als nicht operationalisierbar. Mit der Unterscheidung formelle/informelle Macht sowie der deutenden Hinzufügung der Begriffe Dynamik und historische Prozesse werden erstmals analytische Werkzeuge bereitgestellt, die dieses Problem einer Lösung zuführen.18 Norbert Elias richtete schon in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts sein Augenmerk auf das Problem, »wie sich Verhalten und Affekthaushalt der abendländischen Menschen vom Mittelalter her langsam wandeln.«19 Bekanntermaßen basiert die inzwischen klassische Studie Über den Prozeß der Zivilisation (2 Bde., Basel 1939) nicht zuletzt auf verhaltensmodellierender Gebrauchsliteratur. Daher mag man sich fragen, wie sich eine Kommunikationshistorikerin zu diesem Werk und seinem Urheber positioniert. Ich teile mit dem soziologischen Pionier das Interesse an der Ausbildung von Verhaltensstandards und an sozialer Kontrolle. Elias’ Forschungen hierzu werden von mir fortgeführt und differenziert durch den Nachweis, daß Frauen verschiedener sozialer Herkunft in der Frühen Neuzeit Normierungszwängen ausgesetzt waren, die sowohl das äußere Verhalten 20 als auch Bewußtseinsinhalte und Gefühle betrafen. Demgegenüber fand der von mir in die 17 Michel Foucault: Das Subjekt und die Macht, in: Hubert L. Dreyfus u.a., Michel Foucault – Jenseits von Strukturalismus und Hermeneutik, 2. Aufl. Weinheim 1994, S. 243–261, hier S. 257 (Orig. Michel Foucault: Beyond Structuralism and Hermeneutics, 1982). 18 Meine Ausdeutung des Foucaultschen Machtbegriffs ist zugleich als posthume Würdigung eines genialen Forschers zu verstehen. 19 Norbert Elias: Über den Prozeß der Zivilisation. Soziogenetische und psychogenetische Untersuchungen, 2 Bde., Bern 1969, S. LXXII. 20 Auch Manfred Beetz (Anm. 8) stellt sich im Hinblick auf sein primäres Gegenstandsfeld nicht die Frage, welche Glaubenssätze und Normen das Verhalten der komplimentierenden und am Gespräch teilnehmenden Frau beeinflußten oder steuerten. Es war daher an mir, dieses Problem zu benennen und, soweit die Quellen es zuließen, Lösungsvorschläge zu erarbeiten.
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Einleitung
Betrachtung miteinbezogene Aspekt der Statuierung und Durchsetzung von Normen durch Frauen keinen Eingang in die Zivilisationstheorie des Soziologen. Dessen Vorstellung, es habe einen linearen Prozeß der Zivilisation gegeben, steht wegen Vereinfachungen und unzulässiger Verallgemeinerungen der Ergebnisse der Quellenauswertung seit längerem in der Kritik.21 Da meine eigenen konzeptionellen Überlegungen mit der Betonung der heuristischen Bedeutung des Gruppenbegriffs an einer mittleren Theorieebene ansetzen, war die Großtheorie von Elias für mich auch aus diesem Grund kein Referenzpunkt.
Vorbemerkung zum Zitierverfahren Bei der bibliographischen Verzeichnung und beim Zitieren von Quellen bleibt die Interpunktion mit Ausnahme der Virgeln, die durch Kommas ersetzt werden, unangetastet. Bei Titelaufnahmen von Quellen, nicht aber bei Quellenzitaten, wurde die Groß- und Kleinschreibung der heutigen Schreibweise angeglichen. Einfache Striche substituieren doppelte Mitte-Striche (Rede=Kunst) und doppelte Trenn-Striche an den Zeilenenden. Geminations- und Nasalstriche sowie die Kürzel für »etc.« und »et« wurden aufgelöst. Bei ungezählten Teilen von Drucken folge ich den von Christoph Weismann vorgeschlagenen Zitierregeln.22
21 Wolfgang Jäger: »Menschenwissenschaft« und historische Sozialwissenschaft. Möglichkeiten und Grenzen der Rezeption von Norbert Elias in der Geschichtswissenschaft, in: Archiv für Kulturgeschichte 77, 1995, S. 85–116, hier S. 112–114. Vgl. auch die kritische Würdigung des Soziologen durch Ulrike Döcker: Die Ordnung der Geschlechter bei Pierre Bourdieu und Norbert Elias, in: Gabriele Klein u.a. (Hg.), Zivilisierung des weiblichen Ich, Frankfurt/M. 1997, S. 337–364. 22 Christoph Weismann: Die Beschreibung und Verzeichnung alter Drucke. Ein Beitrag zur Bibliographie von Druckschriften des 16. bis 18. Jahrhunderts, in: Hans-Joachim Köhler (Hg.), Flugschriften als Massenmedium der Reformationszeit. Beiträge zum Tübinger Symposion 1980 (Spätmittelalter und Frühe Neuzeit. Tübinger Beiträge zur Geschichtsforschung; 13), Stuttgart 1981, S. 447–614, hier S. 536–538.
1. Frauen im Zeitalter des Buchdrucks: Das Bildungsangebot des Buchmarktes
1.1 Erschließung neuer Publikumsschichten: Die Verleger-Sortimenter Thomas Fritsch und August Martini 1780, wenige Wochen nach der alljährlich im Frühjahr veranstalteten Büchermesse in Leipzig, reichte der Direktor des Gymnasium Andreanum in Hildesheim, Karl Heinrich Frömmichen, bei der Redaktion der Zeitschrift Deutsches Museum ein Manuskript ein, welches ihm nachträglich den Ruf eines Pioniers der Biblio- und Szientometrie einbrachte.1 Frömmichen beschreibt in seinem Beitrag ihm bemerkenswert erscheinende Wandlungen im literarischen Leben der letzten 160 Jahre. Das Kernstück des Aufsatzes, die statistische Untersuchung der aktuellen Literaturproduktion mit Seitenblicken auf die ältere, gründet auf den Meßkatalogen der Jahre 1780, 1620 und 1619. In seiner Analyse der Zeitstufe 1780 kommt der Autor auch auf den Bücherkonsum von Frauen und die Situation des Buchgewerbes zu sprechen. Als das entscheidend Neue gelten ihm die schöngeistigen und eigens für Frauen in den Handel gebrachten Lesestoffe (»Bücher zur Frauenzimmerlektüre«). Der Anteil dieser Gruppe von Schriften an den Neuauflagen und anderen Neuerscheinungen des Jahres 1780 betrage 14 %. Die meisten Frauen, die über Elementarbildung und ein wenig höhere Bildung verfügen, seien nunmehr auch Leserinnen. Davon abgesehen gebe es weitere neue lesende Bevölkerungsschichten und -gruppen. Die gestiegene Nachfrage nach kurzlebigen Druckerzeugnissen (»Modeschriften«) führe zu strukturellen Veränderungen im Buchgewerbe, das neuerdings mehr Literatur für Laien (»Leser«) als für ein akademisch gebildetes Publikum (»Gelehrte«) produziere.
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[Karl Heinrich] Frömmichen: Einige Bemerkungen, welche sich über den deutschen Meßkatalogus machen lassen [mit Tabelle], in: Deutsches Museum 1780, 2, S. 176–187. Frömmichen realisierte, daß Meßkataloge statistisch verwertbares Datenmaterial liefern. Rudolf Jentzsch: Der deutsch-lateinische Büchermarkt nach den Leipziger Ostermeß-Katalogen von 1740, 1770 und 1800 in seiner Gliederung und Wandlung (Beiträge zur Kultur- und Universalgeschichte; 22), Leipzig 1912, S. 5. Anna Z˙bikowska-Migon´: Karl Heinrich Frömmichen (1736–1783) and Adrian Balbi (1782–1848) – The Pioneers of Biblio- and Scientometrics, in: Scientometrics 52, 2001, 2, S. 225–233.
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1. Frauen im Zeitalter des Buchdrucks: Das Bildungsangebot des Buchmarktes Nächst den theologischen Büchern sind heutiges Tages diejenigen, welche zur angenehmen Lektür gehören, als Romanen, Komödien, Bücher zur Frauenzimmerlektüre der gröste Theil: sie machen fast 1/7 des Ganzen aus. Diese Klasse von Büchern ist das Eigenthum unserer Zeiten geworden. Denn vor 160 Jahren findet man unter 200 Büchern kaum 8–10 dieser Art, und das waren lateinische. Noch vor 60 Jahren waren diejenigen, welche Bücher kauften, blos Gelehrte: heutiges Tages ist nicht leicht ein Frauenzimmer von einiger Erziehung, das nicht läse; der lesende Theil findet sich jezt unter allen Ständen, in Städten und auf dem Lande, sogar die Musketiere in grossen Städten lassen sich aus der Leihbibliothek Bücher auf die Hauptwache holen.2 […] Man könte alle neuere Bücher in 4 Klassen theilen. I. In Modeschriften; II. nüzliche Schriften; III. Bücher für Brodwissenschaften; IV. Bücher des guten Geschmacks. Unter die Modeschriften rechne ich zu unsern Zeiten die Bücher für Erziehung, Journale, Romanen, Komödien und alle Bücher zur angenehmen Lektüre, und endlich, – weil sie doch heutiges Tages noch immer am mehresten abgehen müssen, die theologischen. Diese zusammen machen schon die Hälfte aller Bücher aus. Der Zustand der Litteratur in Deutschland wäre also jezt, daß die Verleger nicht so eigentlich mehr für Gelehrte, sondern mehr für ihre Leser drucken lassen.3
Soviel wir heute über das literarische Leben der Spätaufklärung wissen, wurde um 1780 das Laienpublikum zu einem bestimmenden Faktor für die Literaturproduktion,4 die marktbeherrschende Stellung des Publikumsverlages zu einem Signum des Literaturbetriebs – beides Strukturmerkmale frühneuzeitlicher Wissensproduktion und -distribution, die Frömmichen hellsichtig erkannte. Hingegen ist er mit seinen Ausführungen über den »Zustand der Litteratur in Deutschland« in den Jahrzehnten vor 1780 kein verläßlicher Analytiker. Wie viele Spätaufklärer war er geneigt, die Fortschrittlichkeit seiner Epoche zu überschätzen. Anfechtbar ist beispielsweise die statistisch nicht untermauerte Aussage, 1720 seien Bücher ausschließlich an Gelehrte verkauft worden. Aber die Weichen für die Zurückdrängung des Lateinischen als Publikationssprache waren schon im 16. Jahrhundert gestellt worden. Aufgrund neuerer Berechnungen kann recht genau bestimmt werden, wann sich das zahlenmäßige Verhältnis zwischen lateinischen und deutschen Novitäten und Neuauflagen zugunsten deutschsprachiger Publikationen zu verschieben begann: Noch im Jahrzehnt vor dem Dreißigjährigen Krieg waren 58 % aller auf den Messen gehandelten Novitäten in lateinischer Sprache gedruckt worden, doch in den Folgejahrzehnten setzte sich das Deutsche stetig durch, auch wenn erst ab 1692 die deutschsprachigen Neuerscheinungen auf Dauer überwogen. Dann freilich beschleunigte sich die Tendenz: 1714 wurden doppelt soviele deutsche wie lateinische Schriften angezeigt, 1735 bereits dreimal soviele.5
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Ebd., S. 178 f. Ebd., S. 182. Paul Raabe: Buchproduktion und Lesepublikum in Deutschland 1770–1780, in: Philobiblon 21, 1977, S. 2–16, hier S. 13: »[…] die Hausfrau und die Dienstmagd, die Kinder und auch der Hausvater selbst fanden an der Lektüre neuer Bücher und Journale Gefallen […].« Vgl. ferner Werner Faulstich: Die Geschichte der Medien. Bd. 4: Die bürgerliche Mediengesellschaft (1700–1830), Göttingen 2002, S. 221–223. Reinhard Wittmann: Geschichte des deutschen Buchhandels im Überblick, 2., durchges. Aufl. München 1999, S. 84. Der Anstieg der deutschsprachigen Literaturproduktion vor 1692 steht nicht ursächlich in Verbindung mit der Ablösung der lateinischen durch die deutsche Wissenschaftssprache, ein Vorgang, der erst in den 1690er Jahren auf breiterer Front einsetzte.
1.1 Erschließung neuer Publikumsschichten
11
Seit Erfindung des Buchdrucks suchten Gewerbetreibende den Bedarf nach Lesestoffen für Laien zu befriedigen und diesen Anreize zu geben, bestimmte gedruckte Medien in ihren Besitz zu bringen.6 Infolge seiner mangelhaften Kenntnis der Literaturproduktion um 1720 sowie seiner pessimistischen Beurteilung der Lesefähigkeit in diesem Zeitraum7 blieb Frömmichen der Einfluß verborgen, den Laien beiderlei Geschlechts mit ihren Kaufentscheidungen auf den Buchmarkt ausübten. Noch war der Markt für »Bücher zur Frauenzimmerlektüre« weniger entfaltet und spezialisiert als zu Zeiten Klopstocks, Wielands und Schillers, doch konnte er von der Aufbruchstimmung profitieren, von der viele Verleger in dieser Phase geistigen Wandels erfaßt wurden. Überhaupt war der herstellende und verbreitende Buchhandel in der Frühaufklärung mehr denn je bestrebt, die Ware Buch für ein möglichst breites weibliches Publikum attraktiv zu machen.8 Übereinstimmend wird in der Zeitschriftenforschung die Meinung vertreten, der »weibliche Leser« (Wolfgang Martens) sei zu einem Massenpublikum geworden, nachdem und weil Publizisten wie Johann Mattheson (Der Vernünfftler, 1713–1714), Barthold Heinrich Brockes (Der Patriot, 3 Bde., 1724–1726) und Johann Christoph Gottsched (Die vernünftigen Tadlerinnen, 2 Tle., 1725–1726) den in England entstandenen Zeitschriftentypus der Moralischen Wochenschrift in Deutschland eingeführt hatten.9 Martens kommt zum Ergebnis, eine der folgenreichsten Leistungen der Gattung sei es gewesen, neue Leserschichten zu gewinnen.10 Andererseits wurde im 18. Jahrhundert auch das Bücherangebot für Frauen vergrößert und die Bedürfnisse und Vorlieben von Bücherleserinnen 6 Ludger Grenzmann u.a. (Hg.): Literatur und Laienbildung im Spätmittelalter und in der Reformationszeit (Germanistische Symposien-Berichtsbände; 5), Stuttgart 1984. Thomas Kock u. a. (Hg.): Laienlektüre und Buchmarkt im späten Mittelalter (Gesellschaft, Kultur und Schrift; 5), Frankfurt/M. u. a. 1997. 7 Eine das ganze Reichsgebiet erfassende, lückenlose statistische Untersuchung zur Lese- und Schreibfähigkeit von Mädchen und Frauen kann von der Forschung für die Zeit vor 1750 wegen der uneinheitlichen, spärlichen Quellenlage nicht erbracht werden. Grundlegend für die Zeit danach ist die Studie von Etienne François: Regionale Unterschiede der Lese- und Schreibfähigkeit in Deutschland im 18. und 19. Jahrhundert, in: Jahrbuch für Regionalgeschichte und Landeskunde 17, 1990, 2, S. 154–172. Vgl. auch Andrea Hofmeister: Von der Theorie zur Praxis? Französische und deutsche Mädchenschulbildung im »Zeitalter der Vernunft«, in: Hans Erich Bödeker u. a. (Hg.), Jenseits der Diskurse. Aufklärungspraxis und Institutionenwelt in europäisch komparativer Perspektive (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte; 224), Göttingen 2007, S. 193–219. 8 Die von Gisela Engelsing-Schick im Lexikon des gesamten Buchwesens, Bd. 3, 2., völlig neu bearb. Aufl. Stuttgart 1991, S. 42–43 (»Frauenlektüre«), hier S. 42, vertretene Ansicht, im Zeitraum der Frühaufklärung hätte sich Literatur nur an ein aus Männern bestehendes »Spezialpublikum der Sachkundigen« gewandt, entbehrt jeder Grundlage. 9 Fritz Rau: Zur Verbreitung und Nachahmung des Tatler und Spectator (Anglistische Forschungen; 145), Heidelberg 1980. 10 Wolfgang Martens: Die Botschaft der Tugend. Die Aufklärung im Spiegel der deutschen Moralischen Wochenschriften, Stuttgart 1968, S. 521, der diesen Gedanken ebd. weiter ausführt: »Wenn die Wochenschriften […] der weltlichen Literatur neue Leserschichten zugeführt haben, so trifft das vorzüglich auf das Frauenzimmer aus dem guten Bürgertum und dem ländlichen Adel zu. Unter der Anleitung der Wochenschriften wird der weibliche Leser in zuvor nicht gekannter Weise mobilisiert.«
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1. Frauen im Zeitalter des Buchdrucks: Das Bildungsangebot des Buchmarktes
ausgeforscht, Fakten, denen die Buchhandelsforschung bislang keine Aufmerksamkeit schenkt.11 Die relative Quellenarmut vor 1750, welche für die frauenfokussierte Forschung eine besonders große Herausforderung darstellt, versetzt die Leser(innen)forschung neueren Datums in eine intellektuelle Lethargie, die unbewußt zur Ausblendung der (gesamten Bandbreite der) für Frauen konzipierten und von Frauen gelesenen Lesestoffe dieses Zeitabschnitts12 und zur Unterdrückung von Positionen und Ergebnissen der Zeitschriftenforschung (einschließlich der in Wochenschriften abgedruckten »Frauenzimmerbibliotheken«) führt.13 11 Johann Goldfriedrich/Friedrich Kapp: Geschichte des deutschen Buchhandels, 4 Bde., Reg.-Bd., Leipzig 1886–1923. Helmut Hiller: Zur Sozialgeschichte von Buch und Buchhandel (Bonner Beiträge zur Bibliotheks- und Bücherkunde; 13), Bonn 1966. Hans Widmann: Der deutsche Buchhandel in Urkunden und Quellen, 2 Bde., Hamburg 1965. Karl Schottenloher: Bücher bewegten die Welt. Eine Kulturgeschichte des Buches, 2 Bde., 2., durchges. Aufl. Stuttgart 1968. Hans Widmann: Geschichte des Buchhandels. Vom Altertum bis zur Gegenwart. Tl. 1: Bis zur Erfindung des Buchdrucks sowie Geschichte des deutschen Buchhandels, 2., völlig neu bearb. Aufl. Wiesbaden 1975. Wittmann (Anm. 5). 12 Erich Schön: Geschichte des Lesens, in: Bodo Franzmann u. a. (Hg.), Handbuch Lesen, München 1999, S. 58–85 (Bibliographie), bes. S. 74 (»18. Jahrhundert: Frauen als Lesepublikum«). Neben der bei Schön verzeichneten Literatur ist noch auf folgende Titel hinzuweisen: Hugo Lachmanski: Die deutschen Frauenzeitschriften des achtzehnten Jahrhunderts, Berlin 1900. Josefine Trampler-Steiner: Die Frau als Publizistin und Leserin. Deutsche Zeitschriften von und für Frauen, Freiburg/Br. 1938. Martens (Anm. 10), S. 520–542 (»Das lesende Frauenzimmer«). Sabine Welke: Die Frau und die Anfänge des deutschen Zeitungswesens. Eine Studie zur Geschichte der Publizistik des 17. Jahrhunderts, Diss. Wien 1971, S. 87–104 (»Die Frau als Leserin der Zeitung im 17. Jahrhundert«). Rolf Engelsing: Der Bürger als Leser. Lesergeschichte in Deutschland 1500–1800, Stuttgart 1974, S. 296– 338 (»Die Bildung der Frau«). Sabine Schumann: Das »lesende Frauenzimmer«: Frauenzeitschriften im 18. Jahrhundert, in: Barbara Becker-Cantarino (Hg.), Die Frau von der Reformation zur Romantik. Die Situation der Frau vor dem Hintergrund der Literatur- und Sozialgeschichte (Modern German Studies; 7), Bonn 1980, S. 138–169. Helga Meise: Die Unschuld und die Schrift. Deutsche Frauenromane im 18. Jahrhundert (Reihe Métro; 14), Berlin u. a. 1983, S. 66–82 («Lesen als weibliche ›Wuth‹«). Barbara Becker-Cantarino: Der lange Weg zur Mündigkeit. Frau und Literatur (1500– 1800), Stuttgart 1987, S. 170 –177 («Lesen und »Lesewut«), 373f. Alfred Fickel: Frauen und ihre Bücher am Vorabend des Dreißigjährigen Krieges, in: Winfried Müller u. a. (Hg.), Universität und Bildung. Festschrift Laetitia Boehm zum 60. Geburtstag, München 1991, S. 157–165. Ildikó Szász: Chemie für die Dame. Fachbücher für das »Schöne Geschlecht« vom 16. bis 18. Jahrhundert, Königstein/Ts. 1997, S. 27–36 (»Die Frau als Leserin«). Ulrike Weckel: Zwischen Häuslichkeit und Öffentlichkeit. Die ersten deutschen Frauenzeitschriften im späten 18. Jahrhundert und ihr Publikum (Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur; 61), Tübingen 1998, S. 310–454 (»Das Publikum der Frauenzeitschriften«). 13 Ute Schneider: Forschungsgeschichte des Lesers, in: Joachim-Felix Leonhard u.a. (Hg.), Medienwissenschaft. Ein Handbuch zur Entwicklung der Medien und Kommunikationsformen (Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft; 15, 1–2), Tl.-Bd. 1, Berlin u. a. 1999, S. 583–591, hier S. 588: »Unbestritten in der Forschung ist jedoch der [in der zweiten (!) Hälfte des 18. Jahrhunderts, SK] steigende Anteil von Frauen als neue Lesegruppe. Das weibliche Lesepublikum fand seine Lektürestoffe vor allem in moralischen Tendenzromanen in der Nachfolge der Moralischen Wochenschriften […]. Außer den Frauen werden nun auch Kinder und Jugendliche als Leser entdeckt, die mit eigens für sie geschriebenen und gedruckten Büchern und Zeitschriften versorgt werden.«
1.1 Erschließung neuer Publikumsschichten
13
Im Zentrum der folgenden Ausführungen stehen zwei Vertreter des herstellenden und verbreitenden Buchhandels, beide in Leipzig ansässig und interessiert, die Zielgruppe der Frauen stärker in den Buchmarkt einzubinden.14 Der ältere der beiden, Thomas Fritsch, ist noch heute vielen Buchhistorikern ein Begriff,15 der jüngere, August Martini, ist dagegen weitgehend in Vergessenheit geraten, obgleich er der erste war, der den Schritt zum reinen Verlag vollzog.16 Die geschlechtsspezifischen Projekte beider Firmeninhaber bezeugen, daß seit dem ausgehenden 17. Jahrhundert nicht nur Bildungspioniere wie Christian Thomasius, Übersetzer wie August Bohse, Frauenapologeten wie Zacharias Porzig, Zeitschriftenherausgeber wie Johann Jakob Bodmer und Johann Jakob Breitinger, Publikumslieblinge wie Christian Fürchtegott Gellert und – nicht zuletzt – ausländische und deutsche Buchautorinnen wie Marie de Rabutin-Chantal de Sévigné und Christiana Mariana von Ziegler, Übersetzerinnen wie Louise Adelgunde Victorie Gottsched, Zeitschriftenbeiträgerinnen wie Sophia Elisabetha Thomasius, Herausgeberinnen wie Susanna Rosina Gryphius sowie Subskribentinnen, Käuferinnen, Sammlerinnen, (Vor-)Leserinnen und Zuhörerinnen den Buchmarkt im deutschen Sprachraum – direkt oder in der Langzeitwirkung – in eine frauenfreundlichere Landschaft verwandelten. Auch die Entscheidungsträger(innen) des Buchgewerbes trugen zu dieser Entwicklung bei.
1.
Innovative Programmgestaltung: Thomas Fritsch
Der gebürtige Leipziger Thomas Fritsch (1666–1726) ist als einer der führenden Verleger seiner Generation in die Buchhandelsgeschichte eingegangen.17 Ein Nachruf in den Annales Lipsienses bezeichnet ihn als einen »der klügsten und geschicktesten Buchhändler von
14 Es liegt in der Absicht dieser verlegerbezogenen Fallstudien, zu weiteren Forschungen auf diesem Gebiet anzuregen. 15 Josef Benzing: Die deutschen Verleger des 16. und 17. Jahrhunderts. Eine Neubearbeitung, in: Archiv für Geschichte des Buchwesens 18, 1977, Sp. 1077–1322, hier Sp. 1137. David L. Paisey: Deutsche Buchdrucker, Buchhändler und Verleger 1701–1750 (Beiträge zum Buch- und Bibliothekswesen; 26), Wiesbaden 1988, S. 68. 16 Goldfriedrich/Kapp (Anm. 11), Bd. 2, 1908, S. 447. Paisey (Anm. 15), S. 163. 17 Die von Fritsch verlegten Drucke sind noch nicht in einer bibliographischen Übersicht zugänglich. Grundlagenforschung zu Verlag und Verleger leistete Johann Goldfriedrich; sein Augenmerk galt insbesondere den Nachdruckstreitigkeiten, in die Fritsch hineingezogen wurde. Goldfriedrich/Kapp (Anm. 11), Bd. 2, 1908, S. 209–214, 230; Bd. 3, 1909, S. 9. Adalbert Brauer beschäftigte sich schwerpunktmäßig mit der Biographie, den verwandtschaftlichen Verbindungen und einigen verlegerisch herausragenden Leistungen von Thomas Fritsch. Adalbert Brauer: Vom mittelsächsischen Obergräfenhain zum Weimarer Musenhof. Aus der Geschichte der Buchhändlerfamilie Fritsch, in: Der junge Buchhandel. Beilage zum Börsenblatt für den deutschen Buchhandel – Frankfurter Ausgabe N.F. 21, 1965, S. J149–J157 (Porträt von Thomas Fritsch S. J153). Adalbert Brauer: Leipzig – die Stadt der großen Verlegerdynastien, in: Aus dem Antiquariat. Beilage zum Börsenblatt für den deutschen Buchhandel – Frankfurter Ausgabe N. F. 29, 1973, S. A433–A442, hier S. A439 f. (Porträt von Thomas Fritsch S. A441). Adalbert Brauer: Fritsch, Thomas, in: Severin Corsten u. a. (Hg.), Lexikon des gesamten Buchwesens, Bd. 3, 2., völlig neu bearb. Aufl. Stuttgart 1991, S. 62.
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1. Frauen im Zeitalter des Buchdrucks: Das Bildungsangebot des Buchmarktes
gantz Europa«, der »bey der Literatur ein großes beygetragen«.18 Adalbert Brauer, neben Johann Goldfriedrich der vorzüglichste Kenner des Leipziger Buchhandels des ausgehenden 17. und des 18. Jahrhunderts, faßt die historische Bedeutung Fritschs in die Worte: »Thomas Fritsch […] war Stiefsohn des prominentesten Buchverlegers der Barockzeit, Johann Friedrich Gleditsch, und Urenkel von Matthäus Merian; neben seinem Stiefvater und dem jüngeren Moritz Georg Weidmann galt er als der bedeutendste deutsche Verlagsund Sortimentsbuchhändler seiner Zeit.«19 Die äußeren Umstände waren dem jungen Fritsch günstig. Der Buchhändlersohn konnte sich im Glanz illustrer Ahnen und Familienangehöriger sonnen, und alles spricht dafür, sein familiäres Umfeld habe das in ihm schlummernde geschäftliche Talent vollends zur Entfaltung gebracht.20 Sein Vater Johann Fritsch (1635–1680) besaß seit 1675 alle Anteile der Verlagsbuchhandlung Schürers Erben und Götz. Als er 1680 zu Tode kam, heiratete seine Witwe Catharina Margaretha den begabten Prokuristen der Firma, Johann Friedrich Gleditsch (1653–1716).21 1693 wurde Thomas Fritsch Alleineigentümer der väterlichen Firma, im Jahr darauf gründete er seinen eigenen Verlag. Leipzig, das im Dreißigjährigen Krieg kaum Rückschläge erlitten hatte, überflügelte in den Folgejahrzehnten die Handelszentren Nürnberg und Frankfurt am Main. Mit Johann Friedrich
18 Christoph Ernst Sicul: […] Annalivm Lipsiensivm maxime academicorvm sectio XXVI. Oder des Leipziger Jahr-Buchs zu dessen vierten Bande erste Fortsetzung. Welche das jtzt-lebende Leipzig 1726. nebst etwas Alten u. etwas Neuen eröffnet, Leipzig 1727, S. 251f., hier S. 252. Fehlerhaft wiedergegeben ist das Sicul-Zitat bei Gerd Quedenbaum: Der Verleger und Buchhändler Johann Heinrich Zedler 1706–1751. Ein Buchunternehmer in den Zwängen seiner Zeit. Ein Beitrag zur Geschichte des deutschen Buchhandels im 18. Jahrhundert, Hildesheim u. a. 1977, S. 32. 19 Adalbert Brauer: Geschichte, Schicksal und Wert älterer und neuerer »Konversationslexika«, in: Aus dem Antiquariat. Beilage zum Börsenblatt für den deutschen Buchhandel – Frankfurter Ausgabe N. F. 39, 1983, S. A1–A11, hier S. A1. 20 Fritschs Stiefschwester heiratete den Historiker und Acta eruditorum-Herausgeber Johann Burkhard Mencke (1674–1732). Thomas Freiherr von Fritsch (1700–1775), Sohn des gleichnamigen Vaters, verkaufte 1741 die Firma an seinen Stiefvetter Johann Friedrich Gleditsch III. (die Firma Gleditsch bestand noch bis 1831). Der studierte Jurist und kursächsische Minister machte als Reorganisator Kursachsens nach dem Siebenjährigen Krieg Geschichte. Barbara Dölemeyer: Zwei Staatsreformprogramme des 18. Jahrhunderts: Thomas von Fritsch für Kursachsen, Friedrich Carl von Moser für Hessen-Darmstadt, in: Heiner Lück u.a. (Hg.), Recht, Idee, Geschichte. Beiträge zur Rechts- und Ideengeschichte für Rolf Lieberwirth anläßlich seines 80. Geburtstages, Köln u. a. 2000, S. 469–492. Thomas von Fritschs ältester Sohn Jakob Friedrich Freiherr von Fritsch (1731–1814) fand in Herzog Karl August von Sachsen-Weimar-Eisenach keinen Rückhalt, als er die Berufung des jungen Goethe in das Geheime Konsilium in Weimar zu verhindern suchte. 21 Rudolf Schmidt: Gleditsch, J. L. und J. F., in: ders., Deutsche Buchhändler, deutsche Buchdrucker. Beiträge zu einer Firmengeschichte des deutschen Buchgewerbes, Bd. 2, Berlin 1903, S. 322–324. Adalbert Brauer: Nachkommen des Leipziger Verlagsbuchhändlers Johann Friedrich Gleditsch. Vorfahren, Verwandtschaftskreis und soziologische Struktur, in: Archiv für Geschichte des Buchwesens 3, 1961, Sp. 77–96. Ders.: Gleditsch, Johann Friedrich, in: Severin Corsten u. a. (Hg.), Lexikon des gesamten Buchwesens, Bd. 3, 2., völlig neu bearb. Aufl. Stuttgart 1991, S. 186.
1.1 Erschließung neuer Publikumsschichten
15
Gleditsch, Thomas Fritsch und dem jüngeren Moritz Georg Weidmann (1686–1743) 22 konnten sich um die Jahrhundertwende drei Leipziger Großverleger etablieren, die es innerhalb kürzester Zeit zu großem Ansehen brachten: »Der bedeutende wissenschaftliche Verlag, der ausgedehnte Geschäftsbetrieb dieser Firmen, der Einfluß, den sie auf die Wiederbelebung einer angemessenen und würdigen Ausstattung der Bücher ausübten, genoß europäischen Ruf.« 23 Neben seinem Stammhaus in Leipzig besaß Fritsch Filialen in Frankfurt am Main und Prag.24 Nach Ausweis der Meßkataloge verlegte er zwischen 1694 und 1726 993 Werke.25 Das Titelblatt der Fritsch-Druckwerke ziert ein zumeist von rechts nach links springender Pegasus.26 Das einprägsame Verlagssignet versinnbildlicht den humanistischen Bildungsanspruch des Verlegers. Nach dem Urteil der Zeitgenossen galt dieser als überdurchschnittlich gebildet und mit einem scharfen Verstand ausgestattet. Beispielsweise trägt das Kupferstich-Porträt von Fritsch in Friedrich Roth-Scholtz’ Icones bibliopolarvum et typographorvm de repvblica litteraria bene meritorvm (3 Tle., 1726–1742) die Bildunterschrift: »Celeberrimus nostri aevi et Eruditissimus Bibliopola«27 (der berühmteste und gebildetste Buchhändler unseres Zeitalters). Und Christian Stieff, Prorektor des Magdalenen-Gymnasiums in Breslau und Mitarbeiter der Acta eruditorum (117 Bde., 1682–1782), der ersten wissenschaftlichen Zeitschrift Deutschlands, bescheinigte dem Verleger, »ein vollkommener Kenner guter Schrifften« 28 zu sein. Fritsch verlegte von Anfang an Werke, die auf den Beifall weiblicher Publikumsschichten hoffen durften. Eine nach Erscheinungsdaten geordnete Aufstellung der FritschDrucke für, über und von Frauen ergibt folgendes Bild: [Gautier de Coste de La Calprenède:] Die aller-durchlauchtigste Käyserin Statira oder Cassandra, […] ins Teutsche übersetzet von D. Christoff Kormarten, 5 Bde., Leipzig 1689– 1707. Marie Catherine LeJumel de Barneville d’Aulnoy: Reise durch Spanien, beschrieben von der Gräfin d’Aunoy [sic], 2 Tle., Leipzig 1695–1696. [François Hédelin, Abbé d’Aubignac:] Des galanten Frauenzimmers kluge Hofmeisterin, aus dem Französischen ins Teutsche übersezt, Leipzig 1696. 2. Aufl. 1711. 22 Adalbert Brauer: Weidmann, 1680–1980. 300 Jahre aus der Geschichte eines der ältesten Verlage der Welt, Leipzig 1980. Bei Weidmanns Erben und Reich erschien Sophie von La Roches bekannter Briefroman: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Von einer Freundin derselben aus OriginalPapieren und andern zuverläßigen Quellen gezogen […], Leipzig 1771. 23 Goldfriedrich/Kapp (Anm. 11), Bd. 2, 1908, S. 203. 24 Brauer (Anm. 17), 1991, S. 62. 25 Goldfriedrich/Kapp (Anm. 11), Bd. 2, 1908, S. 341. 26 Claudia Brink/Wilhelm Hornbostel: Pegasus und die Künste, Ausst.-Kat. München 1993, S. 225, Kat.-Nr. IV.54. 27 Zitiert nach Goldfriedrich/Kapp (Anm. 11), Bd. 2, 1908, S. 340. 28 Christian Gryphius: Christiani Gryphii kurtzer Entwurff der geist- und weltlichen Ritter-Orden, itzo nach des Hn. Autoris seel. Tode zum andernmahl weit verbesserter, und mit Einrückung vieler vorhin mit Stillschweigen übergangener Ritter-Orden und Gesellschafften vermehrter heraus gegeben, Leipzig u. a. 1709, Bl. a5a.
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1. Frauen im Zeitalter des Buchdrucks: Das Bildungsangebot des Buchmarktes
Talander [Pseud., August Bohse]: Des galanten Frauenzimmers Secretariat-Kunst; oder Liebes- und Freundschaffts-Briefe; nebst einem nöthigen Titular-Büchlein. Mit vielen neuen Exempeln anietzo verbessert von Talandern, Leipzig 1696. Weitere Aufl. 1703. [Bernard Le Bovier de Fontenelle:] Gespräche von mehr als einer Welt zwischen einem Frauen-Zimmer und einem Gelehrten [Übers. Ehrenfried Walther von Tschirnhaus], Leipzig 1698. Heinrich Anshelm von Ziegler und Kliphausen: […] Asiatische Banise, oder bluthiges doch muthiges Pegu, in historischer und mit dem Mantel einer Helden- und Liebes-Geschicht bedeckten Warheit beruhende. Diesem füget sich bey eine aus dem Italiänischen übersetzte theatralische Handlung, benennet: Der tapffere Heraclius, Leipzig 1700. 1716 zwei Auflagen, weitere Aufl. 1721. Marie Catherine LeJumel de Barneville d’Aulnoy: Spanische Staats-Geschichte beschrieben von der Gräfin d’Aunoy, benebenst einem Anhang, die nach absterben Königs Carln des II. erfolgte grosse Revolution in Spanien betreffend, Leipzig 1703. Weitere Aufl. 1704. Anonym: Neu-entdeckte Geheimnisse von der Schönheit der Damen, wie solche durch bewährte Mittel zu erlangen, beständig zu erhalten, und bey ereigneter Abnehmung wieder zu repariren sey. Aus denen besten frantzösischen und englischen Autoribus zusammen getragen, Leipzig 1704. Gertrude More: Confessiones amantis, oder heilige Liebes-Bekäntnisse, in englischer Sprache aus dem Überfluß des Herzens geschrieben von Gertraut More, des berühmten englischen Cantzlers Thomae Mori Enckelin, und anietzo ins Teutsche übersetzet mit einer Vorrede Gottfried Arnolds, Frankfurt/M. 1704. [Christian Stieff:] Leben der weltberühmten Königin Christina von Schweden, nach denen geheimesten Intrigven und merckwürdigsten Umständen mit möglichstem Fleiße entworffen, Leipzig 1705. John Locke/François de Salignac de la Motte Fénelon: Herrn Johann Locks Unterricht von Erziehung der Kinder, aus dem Englischen; nebst Herrn von Fenelon Ertz-Bischoffs von Cammerich Gedanken von Erziehung der Töchter, aus dem Frantzösischen übersetzet. Mit einigen Anmerckungen und einer Vorrede, Leipzig 1708. Eleonora Maria Rosalia von Eggenberg: Freywillig aufgesprungener Granat-Apffel des christlichen Samariters. Oder: Aus christlicher Liebe des nächsten eröffnete Geheimnisse vieler vortrefflicher bewährter Artzneyen […] von […] Frauen Eleonora Maria Rosalia, Hertzogin zu Troppau und Jägerndorff, gebohrner Fürstin zu Lichtenstein […]; wie auch einem neuen Koch-Buch […], Leipzig 1709. 2. Aufl. 1713. Gottfried Barth: […] Ausführlicher Bericht von der Gerade, so wohl insgemein, als auch insonderheit von Fürstlicher, Gräflicher, auch anderer Herren Standes, und derer von Ritters-Art Wittben Fräulichen Gerechtigkeiten; als nemlich von der Adelichen Gerade, Leibgedinge, Morgengabe, und Mußtheil; dann ferner noch von Heer-Geräthe […], Leipzig 1721. Es dürfte für Fritsch nichts Außergewöhnliches gewesen sein, Werke für, über und von Frauen zu verlegen. Vorbilder fanden sich zum Beispiel in der Verwandtschaft mütterlicherseits. Der Urgroßvater Matthäus Merian d. Ä. (1593–1650), ein hochangesehener
1.1 Erschließung neuer Publikumsschichten
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Graphiker und Verleger, ließ während des Krieges zwei Werke der französischen Hebamme Louise Bourgeois (1563–1636) drucken.29 Die deutsche Übertragung der Observations diuerses sur la stérilité, perte de fruict, foecondité, accouchements et maladies des femmes et entfants nouueaux naiz (1609), dem ersten von einer Frau verfaßten Buch über Obstetrik, erschien zuerst bei Merians Schwiegervater Johann Theodor de Bry in Oppenheim (Ein gantz new, nützlich vnd nothwendig Hebammen Buch, 1619). Nach de Brys Tod 1623 bekundete der in Frankfurt am Main ansässige Merian d. Ä. Interesse an einer Neuauflage des Fachbuches: Hebammen Buch […]. Erstmals durch Fraw Louyse Bourgeois, der alten Königin in Franckreich [Maria von Medici, SK], bestellten Amme, in frantzösischer Sprach beschrieben, hernach aber allen ehrliebenden Matronen, Haußmüttern, geschwornen vnd andern Ammen, zum besten in die teutsche Sprach, getrewlich vnd fleissig vbersetzt, vnd nach der Fraw Vrheberin corrigirtem vnd vermehrtem Exemplar wider von newem auffgelegt (4 Tle. in 1 Bd., 1626, weitere Aufl. 1628, 1644, 1652).30 Wenig später erfolgte die Drucklegung der Schutzrede oder Verantwortung (1629) von Bourgeois.31 Merians jüngstes Kind, die Naturforscherin, Zeichnerin, Malerin und Stecherin-Verlegerin Maria Sibylla Merian (1647– 1717), veröffentlichte die ersten beiden Teile ihres entomologischen Kupferstichwerkes Der Raupen wunderbare Verwandelung und sonderbare Blumennahrung (3 Tle., 1679–1717) wie auch ihr Opus magnum, De metamorphosibus insectorum Surinamensium (1705), im Selbstverlag; gleichfalls im Selbstverlag erschien der dritte Teil des Raupenbuchs, posthum von ihrer Tochter Dorothea Maria herausgegeben.32 Weit mehr noch als von den Merians konnte Fritsch von den Gleditschs lernen. Ermutigt durch den Erfolg des GleditschDruckwerks Reales Staats- und Zeitungslexicon (1704), dem acht Jahre später ein Curieuses Natur-, Kunst-, Berg-, Gewerck- und Handlungs-Lexicon (1712) an die Seite gestellt wurde, setzte Johann Friedrich Gleditsch zusammen mit seinem Sohn Johann Gottlieb den Plan zu einem »Frauenzimmer-Lexicon« in die Tat um.33 Vorgebildet war die Idee in The Ladies Dictionary (1694),34 dem ersten enzyklopädischen Nachschlagewerk, das sich ausdrücklich an Frauen wendet. Der mit der Ausarbeitung und Abfassung des Lexikons betraute Leip-
29 Paul Friedrich Carl Wille: Frühe Hebammenbücher, in: Archiv für Gynäkologie 176, 1948, S. 100– 108, hier S. 104 f. 30 Lucas Heinrich Wüthrich: Das druckgraphische Werk von Matthäus Merian d. Ä. Bd. 2: Die weniger bekannten Bücher und Buchillustrationen, Basel 1972, S. 24–28, Nr. 8. 31 Ebd., S. 28, Nr. 9. 32 Elisabeth Rücker: Maria Sibylla Merian als Verlegerin, in: De arte et libris. Festschrift Erasmus 1934–1984, Amsterdam 1984, S. 395–401. Dies.: Maria Sibylla Merian. Unternehmerin und Verlegerin, in: Kurt Wettengl (Hg.), Maria Sibylla Merian (1647–1717). Künstlerin und Naturforscherin, Ostfildern-Ruit 1997, S. 254–261. 33 Amaranthes [Pseud., Gottlieb Siegmund Corvinus]: Nutzbares, galantes und curiöses FrauenzimmerLexicon […], dem weiblichen Geschlechte insgesamt zu sonderbaren Nutzen, Nachricht und Ergötzlichkeit auff Begehren ausgestellet von Amaranthes, Leipzig 1715 (2. Aufl. 1739, 3. Aufl. [2 Tle.] 1773). 34 Gert A. Zischka: Index lexicorum. Bibliographie der lexikalischen Nachschlagewerke, Wien 1959, S. 5.
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1. Frauen im Zeitalter des Buchdrucks: Das Bildungsangebot des Buchmarktes
ziger Jurist und Dichter Gottlieb Siegmund Corvinus (1677–1746) unterrichtet die Leserin in seiner Vorrede, was die Verleger dazu bewogen hatte, ein solches Erstlingsprojekt für Deutschland ins Auge zu fassen: GLeichwie die Herren Verleger dieses Wercks durch ihre in der That sich selbst rühmenden deutschen Lexica dem männlichen Geschlechte bißher vortrefflich zu statten gekommen, und denenjenigen, so der Lateinischen Sprache und derer darinnen versteckten Wissenschafften nicht kundig seynd, kein geringes Licht aufzustecken gesuchet, der Nutzen auch, der dem gemeinen Wesen durch Aushändigung solcher compendiösen und Lobens-würdiger Bücher zugewachsen, sich durch den bekannten Abgang mehr als zu sehr verrathen, also ist zugleich auch Ihre rühmenswürdige Vorsorge dahin mitgegangen, wie sie mit Ihrem nützlichen Verlag auch dem weiblichen Geschlechte dienen, und selbigen dadurch einigen Vortheil gönnen möchten.35
Die Bildungskluft zwischen den Lateinkundigen und denjenigen, die die Lingua franca der Gelehrtenrepublik nicht beherrschen, zu verringern, den Verstand der weniger Gebildeten aufzuhellen, das Verlangen der breiten Masse nach »nützlicher« Literatur zu stillen, das den Männern in Form von Büchern zur Verfügung stehende Bildungsangebot auf weibliche Bevölkerungsschichten auszudehnen – dieses aus dem Geist der Aufklärung geborene buchhändlerische Credo verwirklichten die Gleditschs auf originelle Weise. Die Egalisierung der Bildungschancen unabhängig von Stand und Geschlecht war eine Forderung der Zeit. Sie unterstützten dieses Postulat, verdankten seiner Verwirklichung ihren verlegerischen Erfolg, und beides zusammen, die aufklärerische Leitidee und der Erfolg, beflügelten ihre schöpferische Phantasie. Damit hoben sie sich aus der Masse einfallsloser Verleger und Raubdrucker deutlich heraus. Corvinus, der in seiner Vorrede die Intentionen der Gleditschs wiedergibt, war aus verkaufstaktischen Gründen gehalten, die kaufmännischen Überlegungen seiner Verleger zu verschleiern. Deren wohlmeinende »Vorsorge« war nicht der einzige Grund, ein Frauenzimmerlexikon zu konzipieren. Die Gleditschs verfolgten auch ausgesprochen kommerzielle Interessen. So gesehen muß die Entstehungsgeschichte dieses Lexikons umgeschrieben werden: Einige Zeit nach Erscheinen des Zeitungslexikons war den Gleditschs zu Ohren gekommen, einzelne Vertreterinnen der alphabetisierten weiblichen Stadtbevölkerung würden das Nachschlagewerk gerne und gewinnbringend benutzen. Für diese Hypothese spricht, daß im »Verzeichnis einer teutschen Frauenzimmer-Bibliothec«, die im ersten Teil der Vernünftigen Tadlerinnen (2 Tle., 1725–1726) abgedruckt ist, sowohl das Zeitungs- wie das Frauenlexikon, und zwar in genau dieser Reihenfolge, aufgelistet werden.36 Die zugetragene Nachricht machte die 35 Amaranthes (Anm. 33), Bl. ):(2ab. 36 Johann Christoph Gottsched (Hg.): Die Vernünftigen Tadlerinnen 1725–1726. Im Anhang einige Stücke aus der 2. und 3. Auflage 1738 und 1748. Neu hg. und mit einem Nachwort, einer Themenübersicht und einem Inhaltsverzeichnis versehen von Helga Brandes, 2 Tle., Ndr. Hildesheim u. a. 1993, Tl. 1, S. 184. Daß besser gestellte Frauen in Leipzig Zeitungen lasen, belegt ein Zitat von Kaspar Stieler: »Was soll man von dem vornemen bürgerlichen Frauen-Zimmer in Städten sagen? Eine Jungfrau zu Leipzig und Halle weyß einem oft besser zusagen, wo die Armeen in Teutschland, in Ungarn, und Welschland stehen, und was sie beginnen, als mancher Staatsgelehrter, und können in ihren Gesprächen so artig fremde Wörter mit einwerfen, daß man schweren solte, sie verstünden es.«
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Gleditschs hellhörig und sie überlegten, wie sie das Konsumverhalten der Frauen ihrerseits gewinnbringend nutzen könnten. Der alte Gleditsch machte den Vorschlag zu einem Frauenzimmerlexikon, der Sohn stimmte zu, die äußere Aufmachung (Oktavformat, Zweispaltensatz, Rotschwarzdruck des Titelblatts, Graphikbeigaben) und die inhaltliche Anlage des Nachschlagewerks wurden durchgesprochen, dies alles ohne Beisein und Zutun des künftigen Autors. Der Name »Corvinus« wurde aus zweckrationalen Überlegungen erst ins Spiel gebracht, als wichtige Koordinaten des Buchprojekts feststanden.37 Während also die Lexikonidee im Kopf der Verleger entstand,38 figurierte der als Auftragsautor engagierte Corvinus vorwiegend als ausführendes Organ verlegerischer Ideen und Konzepte und erst in zweiter Linie als ein Mittelsmann, welcher sein Wissen und Können in den Dienst von Frauen stellte. – Das Nutzbare, galante und curiöse Frauenzimmer-Lexicon (1715) war bereits mehrfach Gegenstand der Forschung,39 ohne daß einmal Kaspar Stieler: Von der Zeitungen Notwendig- und Nutzbarkeit im Frauen-Zimmer, in: ders., Zeitungs Lust und Nutz. Vollständiger Neudruck der Originalausgabe von 1695. Hg. von Gert Hagelweide, Bremen 1969, S. 97–99, hier S. 99. 37 »Bey solcher Uberlegung sind Sie endlich auf ein Frauenzimmer-Lexicon gefallen, und weil es Ihnen beliebet mir die Abfassung und Ausarbeitung solches Wercks anzuvertrauen […].« Amaranthes (Anm. 33), Bl. ):(2b. 38 Ein Dreivierteljahrhundert später glossiert Schubart mit Blick auf die Verleger in den großen Buchhandelsmetropolen Wien, Berlin, Hamburg, Frankfurt am Main und Leipzig: »Die Herren Bücherlieferanten in den genannten Orten, besonders zu Leipzig, halten sich jezt ihre Autoren, wie Tauben unter dem Dache, füttern sie kärglich, wie Täublein – damit ja die Operationes mentis durch die Einflüsse des Magens nicht gedämpft werden, geben ihnen ihre Pensen zum Uebersetzen, Extrahiren, Compiliren, Recensiren, Corrigiren, Revidiren etc. in vollgerüttelten Maaßen auf, und deuten mit dem Kommandostab ihres allerseitigen Schutzpatrons des alten Heidengottes Plutus auf Tag und Stunde, wo das Meßkontingent fertig seyn muß.« Christian Friedrich Daniel Schubart: Vaterlandschronik von 1789. Erstes Halbjahr […], Stuttgart o. J., S. 342. Rosemarie Gläser: Kommunikative und ästhetische Funktionen des Sachbuchs der Gegenwart, in: Joachim-Felix Leonhard u. a. (Hg.), Medienwissenschaft. Ein Handbuch zur Entwicklung der Medien und Kommunikationsformen (Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft; 15, 2), Tl.-Bd. 2, Berlin u. a. 2001, S. 1594–1605, hier S. 1595. Aktuelles Beispiel: Inge Wolff, Vorsitzende des Arbeitskreises Umgangsformen International (Bielefeld), teilte mir mit, sie sei der Bitte des Falken-Verlages nachgekommen, als sie Werke wie Umgangsformen. Ein moderner Knigge (1998) in Angriff nahm. 39 Alwin Schultz: Alltagsleben einer deutschen Frau zu Anfang des achtzehnten Jahrhunderts, Leipzig 1890. Peter Nasse: Die Frauenzimmer-Bibliothek des Hamburger Patrioten von 1724. Zur Bildung in der Frühaufklärung (Stuttgarter Arbeiten zur Germanistik; 10), 2 Teilbde., Stuttgart 1976, Teilbd. 1, S. 349–354. Ekkehard Gühne: »Verzeichniss einer teutschen Frauenzimmer-Bibliothec«, in: ders., Gottscheds Literaturkritik in den Vernünfftigen Tadlerinnen (1725/26) (Stuttgarter Arbeiten zur Germanistik; 48), Stuttgart 1978, S. 334, 355, 379 f. Manfred Lemmer: Nachwort, in: Nutzbares, galantes und curiöses Frauenzimmer-Lexicon. Hg. und mit einem Nachwort versehen von Manfred Lemmer, Ndr. d. Ausg. 1715, Frankfurt/M. 1980, S. 1–32. Christiane Brokmann-Nooren: Amaranthes’ Nutzbares, galantes und curiöses Frauenzimmer-Lexicon (1715), in: dies., Weibliche Bildung im 18. Jahrhundert: »gelehrtes Frauenzimmer« und »gefällige Gattin« (Beiträge zur Sozialgeschichte der Erziehung; 2), Oldenburg 1994, S. 71–78. Helga Brandes: Das Frauenzimmer-Lexicon von Amaranthes, in: Carsten Zelle (Hg.), Enzyklopädien, Lexika und Wörterbücher im 18. Jahrhundert (Das achtzehnte Jahrhundert; 22, 1), Wolfenbüttel 1998, S. 22–30. Katherine R. Goodman: The Gallant Lawyer: Gottlieb
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danach gefragt worden wäre, ob Johann Friedrich Gleditsch noch weitere Erzeugnisse »dem weiblichen Geschlechte insgesamt zu sonderbaren Nutzen, Nachricht und Ergötzlichkeit« in seinem Verlagsprogramm führte. Geht man der Frage nach, kommt man zu folgendem Ergebnis. Der dreizehn Jahre ältere Gleditsch hatte seinem Stiefsohn vor der Firmenübergabe 1693 einige Erfolgsbücher überlassen,40 darunter den höfisch-historischen Titelheldinnen-Roman Asiatische Banise (1689) von Heinrich Anselm von Ziegler und Kliphausen 41 sowie die deutsche Übertragung des höfisch-historischen Romans Cassandre (10 Bde., 1642–1645) von Gautier de Coste de La Calprenède. Bei Gleditsch erschien 1687 der erste an Frauen adressierte Schönheitsratgeber deutscher Herkunft 42 und 1692 der erste wiederum an diese Zielgruppe adressierte Briefsteller deutscher Provenienz.43 Noch ganz den alten akademischen Normen verpflichtet ist das im gleichen Jahr erschienene Schediasma historicum Christian Junckers, in welchem gelehrte Frauen und deren Schriften katalogartig aufgelistet werden.44 Vier Jahre später folgte eine aus dem Englischen übertragene Biographie der englischen Königin Maria II. Stuart.45 Kurz vor dem Tod des alten Gleditsch häufte sich die Zahl der Neuerscheinungen, die es ganz bewußt darauf anlegten, die Schar der Lexikonliebhaberinnen zu vergrößern. Auf das Gelehrtenlexikon von Christian Gottlieb Jöcher 46 und das Frauenzimmerlexikon von Cor-
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Siegmund Corvinus and the Frauenzimmerlexikon (1715), in: dies., Amazons and Apprentices: Women and the German Parnassus in the Early Enlightment, Rochester/NY u. a. 1999, S. 11–39. Bärbel Cöppicus-Wex: Der Verlust der Alternative. Zur Disqualifizierung weiblicher Bildungsideale im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts am Beispiel zweier Ausgaben des Nutzbaren, galanten und curiösen Frauenzimmer-Lexicons, in: Claudia Opitz u. a. (Hg.), Tugend, Vernunft und Gefühl. Geschlechterdiskurse der Aufklärung und weibliche Lebenswelten, Münster u. a. 2000, S. 271–285. Brauer (Anm. 17), 1973, S. A439 f. Die Asiatische Banise, Grimmelshausens Pikaroroman Der abentheurliche Simplicissimus Teutsch (1668) und Johann Arndts Vier Bücher vom wahrem Christentum erzielten Auflagenzahlen, von denen andere Autoren des 17. Jahrhunderts nur träumen konnten. Vgl. Rolf Engelsing: Analphabetentum und Lektüre. Zur Sozialgeschichte des Lesens in Deutschland zwischen feudaler und industrieller Gesellschaft, Stuttgart 1973, S. 43. Tobias Vogel: Spiegel der Jungfer-Schönheit, aus welcher hervor leuchtet die Natur und Beschaffenheit derselben. Worbey auch angezeigt wird, wie solche durch gewisse Kunst-Stücklein und besondere gute Artzney-Mittel zu erhalten […], Leipzig 1687. Talander (Pseud., August Bohse): Des galanten Frauenzimmers Secretariat-Kunst oder Liebes- u. Freundschaffts-Briefe […], nebst einem nöthigen Titular-Büchlein […], Leipzig 1692. Christian Juncker: M. Christiani Junckeri, Dresdensis, Schediasma historicum, de ephemeridibus sive diariis eruditorum, in nobilioribus Europae partibus hactenus publicatis. In appendice exhibetur centuria foeminarum eruditione et scriptis illustrium […], Leipzig 1692. Immanuel Schade: Das EhrenGedächtnis des berühmten Polyhistoris Hn. Christian Junckers, Schleusingen 1715, S. 7. Den Hinweis auf das Schade-Zitat verdanke ich Andreas Herz. Gilbert Burnet: Des englischen Bischoffs von Salisbury Gilberti Burnets Historische und politische Betrachtungen, uber das Leben und Regierung der jüngst-verstorbenen Königin von Groß-Britannien Maria […], Leipzig 1696. [Christian Gottlieb Jöcher:] Compendiöses Gelehrten-Lexicon, darinnen die Gelehrten […] so wohl männ- als weiblichen Geschlechts […] beschrieben werden […]. Nebst einer Vorrede Hn. D. Joh. Burchard Menckens […], Leipzig 1715.
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vinus, beide 1715 erschienen, folgte 1716 das Helden- und Heldinnenlexikon des Genealogen Johann Friedrich Gauhe.47 Die genannten Lexika sind allesamt Gemeinschaftsproduktionen von Johann Friedrich Gleditsch und seinem Sohn Johann Gottlieb. Das vielleicht einzige Gleditsch-Druckwerk, das von einer Frau stammt, erschien 1716, allerdings wissen wir nicht, ob der alte Gleditsch, der im März desselben Jahres verstarb, die Auslieferung der Druckbögen noch erlebte.48 Während Thomas Fritsch durch die Familie Merian nicht zu konkreten Buchprojekten inspiriert wurde, war Stiefvater Gleditsch ein wichtiger Ideenlieferant für den ehrgeizigen Jungbuchhändler. Wie erwähnt, druckte Fritsch Werke des Stiefvaters nach, die dieser ihm überlassen hatte. Möglicherweise ließ Fritsch aber auch ihn interessierende GleditschPublikationen ohne Zustimmung des Stiefvaters nachdrucken. Des galanten Frauenzimmers Secretariat-Kunst (1692) erschien vier Jahre nach der Erstausgabe unter dem Firmennamen des Stiefsohnes.49 Wie man weiß, waren Nachdrucke damals an der Tagesordnung. Es existierte kein Urheberverwertungsrecht, und Druckprivilegien konnten, da die vom Kaiser bewilligten nur in Reichsstädten, die von den Landesherren vergebenen allein in deren Territorium galten, leicht umgangen werden.50 Den Akten der kaiserlichen Bücherkommission im Leipziger Stadtarchiv zufolge war Thomas Fritsch wiederholt in Nachdruckstreitigkeiten verwickelt.51 In das Bild des auf seinen Vorteil bedachten Verlegers paßt, wie Adalbert Brauer herausarbeitete, daß zwischen dem alten Gleditsch und seinem Stiefsohn »erbitterte Konkurrenz« herrschte.52 Fritsch scheute auch nicht davor zurück, Gleditsch47 Johann Friedrich Gauhe: Historisches Helden- und Heldinnenlexicon, in welchem das Leben und die Thaten derer Generalen, Admiralen, Feld-Marschalle, Obristen, Capitains, wie auch anderer Personen männlichen und weiblichen Geschlechts von allen Nationen, die sich von denen ältesten biß auf gegenwärtige Zeiten in den Kriegen zu Wasser und Lande, oder bey andern Gelegenheiten, durch ihre Tapfferkeit einen besondern Ruhm erworben […] vorgestellet werden […], Leipzig 1716. 48 [ Johanna Sophie von Schaumburg-Lippe-Bückeburg:] Einer hohen Reichs-Gräfin auserlesenes Gebet-Buch nebst Anhang hundert geistlicher Lieder […]. Alles, in einer Vorrede, erbaulich bemercket von Johann Heinrich Löder, Leipzig 1716. 49 Bekannter noch als der frauenadressierte Briefsteller von August Bohse ist die Brieflehre Benjamin Neukirchs. Das Fritsch-Druckwerk enthält ein Kapitel »Von dem geschlechte der personen, an welche man schreibet.« Benjamin Neukirch: […] Unterricht von teutschen Briefen, Leipzig 1707 (ab der 2. Aufl. unter dem Titel: Anweisung zu teutschen Briefen, 1709, 1721, 1727 u. ö.). Die ersten sechs Teile der berühmten Neukirchschen Sammlung sind gleichermaßen bei Fritsch erschienen. Benjamin Neukirch (Hg.): Herrn von Hoffmannswaldau und andrer Deutschen auserlesene und bißher ungedruckte Gedichte […], 7 Tle., Leipzig 1695–1727. 50 Martin Vogel: Deutsche Urheber- und Verlagsrechtsgeschichte zwischen 1450 und 1850. Sozial- und methodengeschichtliche Entwicklungsstufen der Rechte von Schriftstellern und Verlegern, in: Archiv für Geschichte des Buchwesens 19, 1978, S. 2–190. 51 Stadtarchiv der Stadt Leipzig, Akten der Bücherkommission Tit. XLVI, Nr. 281: Gegen Johann Theodor Boetio wegen des Arzneibuchs Der aufgesprungene Granatapfel der Herzogin Eleonora Maria Rosalia zu Troppau und Jägerndorff, 1709. 52 Brauer (Anm. 17), 1991, S. 62. Brauer (Anm. 17), 1965, S. J152: »Die von Gleditsch 1682–93 für Fritsch gewonnenen Autoren hielten [nach der Übergabe des Verlags Ende 1693 an den Stiefsohn; SK] nämlich ausnahmslos Gleditsch die Treue, d. h. alle ab 1694 von ihnen verfaßten Werke verlegte
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Publikationen nachzuahmen oder ausräubern zu lassen, wie das Beispiel des GleditschSchönheitsratgebers Curiöser Haut-Diener (1690) beweist,53 der ebenso wie Kenelm Digbys Nouveaux secrets […]. pour conserver la beauté des dames (2 Tle., 1700 ([angeblich sechs Auflagen]) dem möglicherweise von Fritsch in Auftrag gegebenen und von ihm verlegten Schönheitsratgeber Neu-entdeckte Geheimnisse von der Schönheit der Damen (1704) zum Vorbild gedient hatte: Weite Passagen des Fritsch-Drucks sind aus dem Curiösen HautDiener wortwörtlich übernommen.54 Ferner könnten die von Gleditsch populär gemachten Lexika in deutscher Sprache Fritsch zu ähnlichen Projekten angeregt haben. So erschienen in seinem Verlagshaus Johann Franz Buddeus’ Allgemeines historisches Lexicon (4 Tle., 1709, Forts. 1714) und Johann Theodor Jablonskys Allgemeines Lexicon der Künste und Wissenschafften (1721). Stiefvater Gleditsch war eine prägende Gestalt im Leben Thomas Fritschs. Der alte Gleditsch lebte seinem Stiefsohn vor, wie man als Verleger stets am Puls der Zeit sein, das geistige Leben mitgestalten, durch Einführung von Marktneuheiten neue Bedürfnisse wecken, einen frauenfreundlichen Kurs einschlagen und wie man bei all dem wohlhabend werden und als Verleger sogar eine gewisse Popularität erlangen konnte.55 Bevor ich an einem Einzelbeispiel aufzeige, wie der Fritsch-Verlag die Absatzmöglichkeiten seiner Handelsgüter zu verbessern suchte, werfe ich noch einige Schlaglichter auf das intellektuelle Ambiente, in dem Fritsch sich als Verleger bewegte. Wir erfahren auf diesem Wege mehr darüber, weshalb Fritsch bestimmte Werke in sein Verlagsprogramm aufnahm und wie der Alltag eines Verlegers der Frühaufklärung aussah. – Weder Johann Goldfriedrich noch Adalbert Brauer erwähnen die beträchtliche Anzahl von Schriften des streitbaren Theologen Gottfried Arnold (1666–1714), die Fritsch unter Vertrag nahm.56 In seinem Aufsatz Pietismus und Staatsreform 1762/63 in Kursachsen merkt der Historiker Horst Schlechte an, Thomas Fritschs gleichnamiger Sohn sei ein Rationalist und Aufklärer gewesen, der den Pietisten stets wohlwollende Beachtung schenkte. Der Verlag, den er 1726 von seinem Vater geerbt hatte, habe »eine Art Vorpostenstellung des Halleschen Pietismus in Leipzig« eingenommen.57 Gottfried Arnold gewann durch Philipp Jakob Spener
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hinfort Gleditsch. So kam es, daß Stiefvater und Stiefsohn, beide überdurchschnittlich tüchtig, schärfste Konkurrenten und Todfeinde wurden.« Tobias Vogel: Curiöser Haut-Diener, vorstellend der menschlichen Haut Schönheit und Heßligkeit: wobey zu deren Erhaltung und Verbesserung dienliche Mittel vorgeschlagen werden […], Leipzig 1690. Gabriele Simon: Kosmetische Präparate vom 16. bis 19. Jahrhundert (Braunschweiger Veröffentlichungen zur Geschichte der Pharmazie und der Naturwissenschaften; 27), Braunschweig 1983, S. 295, Anm. 46. Auch Goldfriedrich ist der Meinung, Johann Friedrich Gleditsch, der jüngere Moritz Georg Weidmann und Thomas Fritsch hätten eine »neuzeitliche Popularität genossen«. Goldfriedrich/Kapp (Anm. 11), Bd. 2, 1908, S. 204. Gerhard Dünnhaupt: Personalbibliographien zu den Drucken des Barock, 6 Tle., 2., verb. u. wesentl. verm. Aufl. Stuttgart 1990–1993, Tl. 1., S. 322–346. Horst Schlechte: Pietismus und Staatsreform 1762/63 in Kursachsen, in: Staatliche Archivverwaltung im Staatssekretariat für Innere Angelegenheiten (Hg.), Archivar und Historiker. Studien zur Archiv-
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(1635–1705), den »Vater des Pietismus«, Zugang zu dieser religiösen Erneuerungsbewegung. Als Buchautor, der von 1697 bis zu seinem Tod 1714 sehr eng mit Thomas Fritsch zusammenarbeitete, fühlte sich Arnold diesem Verleger wohl auch deshalb besonders verbunden, weil Fritsch dem Pietismus nahe stand oder ein erklärter Anhänger dieser Bewegung war.58 Um Arnolds Werke »vor den Angriffen der Leipziger Orthodoxie zu schützen«,59 ließ Fritsch dessen Schriften in Frankfurt erscheinen. Zur deutschen Übersetzung von The Holy Practises of a Divine Lover (1657) der Benediktinerin Gertrude More (1606– 1633),60 einem posthum veröffentlichten Werk »von hohem geistigem und künstlerischem Wert«,61 steuerte Gottfried Arnold die Vorrede bei. Möglicherweise war das gehaltvolle Werk auf Wunsch Arnolds ins Deutsche übersetzt worden. Nicht nur Fritschs Verlagstätigkeit, auch sein Briefwechsel mit dem Theologen und Pädagogen August Hermann Francke (1663–1727),62 der wie Arnold durch Spener für den Pietismus gewonnen wurde, zeigt, daß Fritsch zu Pietisten Kontakte unterhielt.63 Noch im alten Jahrhundert hatte August Hermann Francke die Übersetzung von Fénelons berühmtem Traité de l’éducation des filles (1687) in die Wege geleitet.64 Die Übertragung erschien 1698, dem Jahr also, in
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und Geschichtswissenschaft. Zum 65. Geburtstag von Heinrich Otto Meisner (Schriftenreihe der Staatliche Archivverwaltung; 7), Berlin 1956, S. 364–382, hier S. 371, 374. Vgl. auch die Einschätzung von Elger Blühm: »Den neuen Überlegungen des Westens über Staat, Gesellschaft und Wirtschaft ebenso aufgeschlossen wie den bekennermutigen Gedanken aus dem Lager der Puritaner, Hugenotten und Pietisten, öffnete dieser Verlag eines der Tore, durch das die kritischen Ideen der frühen Aufklärung eindringen konnten.« Elger Blühm: Eine Buchanzeige aus dem Jahre 1700. Bemerkungen zu Thomas Fritschs Allgemeinem Historischen Lexicon als Beitrag zur Geistesgeschichte der deutschen Aufklärung, in: Mitteilungen aus der Deutschen Presseforschung zu Bremen 1, 1960, S. 48–83, hier S. 74. Martin Gierl weist darauf hin, »in welch umfassendem Maße der Buchhandel an der Pietismuskontroverse partizipierte«. Martin Gierl: Pietismus und Aufklärung. Theologische Polemik und die Kommunikationsreform der Wissenschaft am Ende des 17. Jahrhunderts (Veröffentlichungen des MaxPlanck-Instituts für Geschichte; 129), Göttingen 1997, S. 345; vgl. ebd. zu Fritsch S. 358. Blühm (Anm. 57), S. 74, Anm. 42. 1690 zerschlug die kursächsische Regierung die Organisationsstrukturen des Leipziger Pietismus und verbot öffentliche Diskussionen über Für und Wider dieser Bewegung; das Verbot wurde 1693 aufgehoben. Hans Leube: Die Geschichte der pietistischen Bewegung in Leipzig. Ein Beitrag zur Geschichte und Charakteristik des deutschen Pietismus, in: ders., Orthodoxie und Pietismus. Gesammelte Studien. Mit einem Geleitwort von M. Schmidt und einer Bibliographie hg. von Dietrich Blaufuß (Arbeiten zur Geschichte des Pietismus; 13), Bielefeld 1975, S. 153–267 (zuerst erschienen Leipzig 1921), S. 201–206. Edgar C. McKenzie: A Catalog of British Devotional and Religious Books in German Translation from the Reformation to 1750 (Bibliographie zur Geschichte des Pietismus; 2), Berlin u. a. 1997, S. 296. Anonym: More, Helen [sic], in: Lexikon der Frau in zwei Bänden, Zürich 1953–1954, Bd. 2, Sp. 666– 667, hier Sp. 667. Brauer (Anm. 17), 1973, S. A440. Auch der Übersetzer des Fritsch-Drucks Reise durch Spanien, beschrieben von der Gräfin d’Aunoy (2 Tle., 1695–1696), Johann Job, stand unter Speners Einfluß. Der Nutzwert dieser Erziehungsschrift kann nach Francke gar nicht hoch genug veranschlagt werden: »Ich bin gewiß, daß in vielen Familien eine grosse Reformation vorgehen würde, wenn man nur diese wenigen Blätter erst in die Ubung bringen würde.« François de Salignac de la Mothe Fénelon: Von der
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dem Francke in Halle die erste höhere Mädchenschule Deutschlands einrichtete.65 Wie es zum Nachdruck der Francke-Ausgabe durch Thomas Fritsch kam, der das Werk 1708 zusammen mit der noch berühmteren Erziehungsschrift des englischen Philosophen John Locke herausbrachte – dessen pädagogische Doktrin gehörte zu den fortschrittlichsten in ganz Europa –, wissen wir nicht. Die Werke ergänzen einander insofern, als die Schrift von Locke ihrer ursprünglichen Bestimmung nach zur Erziehung der Söhne, diejenige Fénelons zur Erziehung der Töchter anleitet. Das Kapitel »Von erziehung eines vornehmen frauenzimmers« des Fritsch-Drucks Neu-eröffneten Academie der Wissenschafften (3 Tle., 1711–1714) endet mit der rhetorischen Frage: Hat man nicht einige bücher von erziehung des Frauenzimmers? Ich weiß kein bessers, als des Herrn von Fenelon gedancken von erziehung der töchter, 8. welche in Leipzig mit des Locks unterricht von erziehung der kinder, und in Halle mit einer vorrede des Hrn. Prof. Francken heraus gekommen. Doch können vielleicht auch nachfolgende zu diesem zweck dienen: Reglement donné par une Dame de haute Qualité à M. sa petite fille, pour sa conduite & pour celle de sa Maison &c. à Paris & à Brussel. 1706. 12. und les Devoirs des Dames en deux Parties, par l’Auteur de la Pratique des Vertus Chretiennes, traduit de l’Anglois. 12. welche man jungen Damen selbst kan zulesen recommendiren.66
Hieraus wird die Wertschätzung ersichtlich, die gelehrt-gebildete Kreise Fénelons Mädchenerziehungslehre entgegenbrachten.67 Fritsch wollte dieses Werk unbedingt der Erziehung der Töchter: Durch den Hn. Abt von Fénelon jetzo Ertz-Bischoff von Cammerich; Aus dem Französischen übersetzet; Mit einer Vorrede August Hermann Franckens […], Leipzig 1698, Bl. )(7b-)(8a. 65 Paul Raabe/Almut Pfeiffer: August Hermann Francke 1663–1727. Bibliographie seiner Schriften (Hallesche Quellenpublikationen und Repertorien; 5), Tübingen 2001, S. 611, K 6.1. Ulrike Witt: Das hallesche Gynäceum 1698–1740, in: Schulen machen Geschichte. 300 Jahre Erziehung in den Franckeschen Stiftungen zu Halle (Kataloge der Franckeschen Stiftungen; 4), Ausst.-Kat. Halle 1997, S. 85–103. 66 Dieterich Hermann Kemmerich: […] Neu-eröffnete Academie der Wissenschafften, zu welchen vornemlich Standes-Personen nützlich können angeführet, und zu einer vernünfftigen und wohlanständigen Conduite geschickt gemacht werden, Tl. 1, Leipzig 1711, S. 82. Das »Verzeichnis einer teutschen Frauenzimmer-Bibliothec« in den Vernünftigen Tadlerinnen (2 Tle., 1725–1726) enthält keine bibliographisch verifizierbaren Angaben zu den Erziehungslehren von Locke und Fénelon. Es fällt jedoch auf, daß die Titel in der auch von Fritsch gewählten Reihenfolge aufgelistet werden: »Locke von der Auferziehung der Kinder. | Fenelon von Auferziehung der Töchter.« Gottsched (Hg.) (Anm. 36), Tl. 1, S. 184. 67 Viele Fritsch-Drucke erfreuten sich der Gunst des Publikums. Über zwei von Thomas Fritsch verlegte Bücher des Leipziger Juristen Gottfried Barth (1650–1728) lesen wir bei Zedler: »Sein Hodegeta forensis, civilis & criminalis, und sein Tractat von der Gerade sind sehr beliebt.« Anonym: Barth, (Gottfried), in: [ Johann Heinrich Zedler (Hg.),] Grosses vollständiges Universal-Lexicon aller Wissenschafften und Künste […], Bd. 3, Halle u. a. 1733, Sp. 542–543, hier Sp. 542. Nach Fritschs Tod 1726 wurden etliche seiner Verlagsprodukte von Konkurrenten nachgedruckt. Die Locke/FénelonAusgabe von Fritsch etwa hatten sich Nicolaus Förster und sein Sohn angeeignet: Herrn Johann Locks Unterricht von Erziehung der Kinder, aus dem Englischen; nebst Herrn von Fenelon ErtzBischoffs von Cammerich Gedancken von Erziehung der Töchter, aus dem Frantzösischen übersetzt. Mit einigen Anmerckungen und einer Vorrede. Hannover 1729.
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Allgemeinheit zugänglich machen; so erklärt sich dessen Aufnahme in sein Verlagsprogramm. Noch eine weitere Fritsch-Publikation ist mit dem Namen eines pietistisch geprägten Theologen verbunden, Johann Franz Buddeus’ Allgemeines historisches Lexicon (4 Tle., 1709, Forts. 1714). Der Impuls zu diesem Lexikon ging von Fritsch aus, der Louis Moréris Enzyklopädie Grand dictionnaire historique ou le mélange curieux d’histoire sacrée et profane (1643), nach Adalbert Brauer »das erste Lexikon, das sich in seinem alphabetisch aufgebauten Inhalt an alle Allgemeingebildeten wandte«,68 zum Teil übersetzen, zum Teil von einem Autorenkollektiv neu bearbeiten ließ.69 Die Leitung des Unternehmens übergab er dem Ordinarius für Theologie an der Universität Jena, Johann Franz Buddeus (1667–1729), einem Vertreter der gemäßigten Orthodoxie mit Berührungspunkten zum Pietismus. Buddeus unterhielt mit August Hermann Francke eine lebhafte Korrespondenz. Die Theologen Buddeus, Francke und Joachim Justus Breithaupt sowie der aus Leipzig vertriebene »Vater der Aufklärung« (Christian Thomasius) waren in der Frühzeit der 1694 gegründeten Friedrichs-Universität Halle für einige Zeit Kollegen. Breithaupt, Francke und Paul Anton verliehen der halleschen Universität ihr pietistisches Gepräge.70 Christian Stieff (1675–1751), Autor des Fritsch-Drucks Leben der weltberühmten Königin Christina von Schweden (1705), schildert eine Begebenheit, die uns den Geschäftsmann Fritsch auf einer seiner Reisen zeigt. Wir werden Zeuge, wie Fritsch ein Werk akquiriert, das zum damaligen Zeitpunkt eine Marktneuheit darstellte: ein Ritterordensverzeichnis in deutscher Sprache.71 Der Rektor des Breslauer Magdalenen-Gymnasiums, Christian Gryphius (1649–1706), Sohn des großen Andreas Gryphius und ehemals Lehrer von Christian Stieff, hatte 1694 »auf Befehl eines hochgebietenden Maecenatis in Breßlau« ein solches Verzeichnis erstellt. Er war eben noch dabei gewesen, das Manuskript zu überarbeiten, als Thomas Fritsch ihm in Breslau einen Besuch abstattete. Nun fügte sichs, daß Anno 1696. Hr. Thomas Fritsch, vornehmer Buchhändler in Leipzig, in gewissen Angelegenheiten durch Breßlau paßirte, und aus tragender Zuneigung und guter Bekandtschafft, auch den Hn. Gryphium auf seinem Museo ersuchte; da dann unter viel andern Discursen auch die Materie von den Ritter-Orden aufs Tapet kommen: Bey welcher Gelegenheit ihm angeregtes ge68 Brauer (Anm. 19), S. A1. 69 Paul Raabe: Gelehrte Nachschlagewerke des 18. Jahrhunderts, in: Bernhard Fabian u. a. (Hg.), Gelehrte Bücher vom Humanismus bis zur Gegenwart (Wolfenbütteler Schriften zur Geschichte des Buchwesens; 9), Wiesbaden 1983, S. 97–117, hier S. 102. 70 Vier Thaler und sechzehn Groschen. August Hermann Francke, der Stifter und sein Werk (Kataloge der Franckeschen Stiftungen; 5), Ausst.-Kat. Halle 1998, S. 93, 196. 71 James Hardin: Christian-Gryphius-Bibliographie. Eine Bibliographie der Werke von und über Christian Gryphius (1649 –1706) (Berner Beiträge zur Barockgermanistik; 5), Bern u. a. 1985, S. 42 f., Nr. 24–25. [Christian Gryphius:] Kurtzer Entwurff der geist- und weltlichen Ritter-Orden, Leipzig 1697. Das Werk verzeichnet zwei habsburgische Damenorden, die in Abschnitt 6.1 dieser Arbeit behandelt werden. Die Österreicherin Eleonora Maria Rosalia, Fürstin von Eggenberg (1647–1703), Autorin des von Fritsch nachgedruckten Arznei- und Kochbuches Freywillig-auffgesprungener GranatApffel deß christlichen Samaritans (1696), gehörte dem älteren der beiden habsburgischen Damenorden an.
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1. Frauen im Zeitalter des Buchdrucks: Das Bildungsangebot des Buchmarktes schriebene[s] Concept gezeiget, und sein Gutachten darüber begehret wurde. Dieser, als ein vollkommener Kenner guter Schrifften, lobte es billiger massen, und verglich sich mit dem Herrn Auctore, daß ihm selbiger sein Manuscriptum mit allem hierzu habenden Recht völlig cedirte, ihm die Freyheit des Druckes verstattete, und sich diß eintzige vorbehielt, bey der ersten Auflage seinen Nahmen wegzulassen, und sich zu stellen, als wenn ihm solcher Entwurff von ungefehr in die Hände gerathen: der aber gleichwohl dem vortrefflichen Herrn Baron de Logau, einem, wie iedermann allhier bewust, ehmaligen Hertzens-Freunde und Höchstgütigen Patron des Herrn Gryphii, im Nahmen des Verlegers dediciret wurde.72
Im selben Jahr, in dem sich die geschilderte Begegnung zwischen Fritsch und Gryphius zutrug, brachte Fritsch die erste deutsche Übersetzung der Conseils d’Ariste à Célimène sur les moyens de conserver sa reputation. Pièce très curieuse (1665, weitere Aufl. u. Ausg. 1666, 1667, 1674, 1677, 1685, 1686, 1687, 1692) des Abbé d’Aubignac auf den Markt (Abb. 1).73 Bei dem Kleinoktavbändchen handelt es sich um eine Klugheits- und Anstandslehre für heiratswillige oder bereits verheiratete Frauen der oberen Schichten. Die Titelfigur Ariste wendet sich mit ihren verschriftlichten Vorträgen an Célimène, die von ihm in der dritten Person Singular angeredet wird. Der Name »Célimène« bedarf einer kurzen Erklärung: Früh schon wurde in der Forschung die Vermutung geäußert, Arthénice, der Name der Mutter von Célimène – Arthénice ist ein geläufiges Anagramm von Catherine –, könnte eine Anspielung auf Catherine de Vivonne, Marquise de Rambouillet (1588–1665), der Grande Dame der französischen Salons der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, sein.74 Folgt man dieser Deutung, dann wäre Célimène der Deckname von de Rambouillets kaum weniger berühmten Tochter Julie d’Angennes (1607–1671).75 72 Ebd., Bl. a4b–a5b. Paul Moser erwähnt einen Brief von Gryphius, in dem dieser Fritsch vorschlägt, das Nachschlagewerk anonym erscheinen zu lassen. Paul Moser: Christian Gryphius. Ein schlesischer Dichter des ausgehenden XVII. Jahrhunderts, Würzburg 1936, S. 21. 73 Antoine Laporte: Bibliographie clérico-galante. Ouvrages galants ou singuliers sur l’amour, les femmes, le mariage, le théâtre, etc. Écrits par des abbés, prêtres, chanoines, religieux, religieuses, évêques, archevêques, cardinaux et papes par l’apotre bibliographe, Paris 1879, S. 93–94. Raymond Toinet: Les écrivains moralistes au XVIIe siècle [1638–1715], in: Revue d’histoire de la littérature de la France 23, 1916, S. 570–610, hier S. 590, Nr. 101. Alexandre Cioranescu: Bibliographie de la littérature française du dix-septième siècle, 3 Bde., Paris 1965–1966, Bd. 2, S. 1035, Nr. 35135–35136. Alain Montandon (Hg.): Bibliographie des traités de savoir-vivre en Europe. Bd. 1: France, Angleterre, Allemagne, Clermont-Ferrand 1995, S. 57. 74 Charles Arnaud: Étude sur la vie et les œuvres de l’abbé d’Aubignac et sur les théories dramatiques au XVIIe siècle, Paris 1887, S. 79, Anm. 1. H. Gaston Hall: The Literary Context of Le Misanthrope, in: ders., Comedy in Context: Essays on Molière, Jackson 1984, S. 178–222, hier S. 216; der zweite Teil dieses Aufsatzes erschien zuerst unter dem Titel Molière’s Le Misanthrope in the Light of d’Aubignac’s Conseils d’Ariste à Célimène and Other Contemporary Texts, in: Kentucky Romance Quarterly 19, 1972, S. 347–363. 75 Esprit Fléchier: Trauer- und Klag-Rede, über den Tod der Durchleuchtigen Frau Juliae Lucinae d’Angennes von Rambouillet, Herzogin von Montausier, Staats-Dame bey der Königin, gehalten in Gegenwart ihrer beeden Schwestern, und Abbtißinin von St. Stephan und von Hiere, in der AbbteyKirchen zu Hiere, in: ders., Des hochwürdigsten in GOtt Herrns Spiritus Flechier, Bischoffens zu Nemaus […] Trauer- und Klag-Reden […], Konstanz 1747, S. 1–29. Meine Vermutung, die Titelfigur könne eine Hommage an die erfolgreiche Schriftstellerin Marie Catherine de Villedieu (Pseud., Cathe-
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Die vortragsähnliche Darstellungsform zeigt enge Verwandtschaft mit dem literarischen Brief, der im Grunde ein halbierter Dialog, ein an eine andere Person gerichteter Monolog ist. Der Autor problematisiert, in welchen Situationen verheiratete Frauen der vornehmen Gesellschaft (»beau monde«) sich zu bewähren haben, wenn sie ihren guten Ruf erhalten wollen. Die deutsche Erstübersetzung erschien, wie auch das französische Original, ohne Verfasserangabe. Die Leservorrede (»Vorbericht an den leser«) zu Des galanten Frauenzimmers kluge Hofmeisterin (1696) könnte von Fritsch stammen. D’Aubignac hatte auf eine solche – vielleicht um der Glaubwürdigkeit seiner Rahmenerzählung willen – verzichtet. Das unsignierte Geleitwort, die Geheimhaltung des Übersetzernamens und die fehlende Übersetzervorrede sind Indizien für eine Auftragsarbeit. Geht man von der Annahme aus, Fritsch habe die Übersetzung angeregt, stellt sich die Frage, wie das französische Original in seine Hände gelangt sein könnte. Johann Goldfriedrich verdanken wir den Hinweis, Fritsch sei stets darauf bedacht gewesen, mit seinesgleichen in Kontakt zu kommen: »Die Fritsch, Gleditsch, Weidmann versammelten eine reiche Zahl von Genossen aus nah und fern um ihren gastlichen Tisch.«76 Goldfriedrich wird hier auch an die Buchmessen gedacht haben, ein ideales Forum, um mit ausländischen Kollegen und Gästen ins Gespräch zu kommen. Gut vorstellbar, daß bei einer solchen Gelegenheit über d’Aubignacs erfolgreichstes Buch gesprochen wurde, ein Werk, das in Frankreich und Holland bis 1692 viermal neu aufgelegt wurde. Vielleicht hatte Fritsch eine französische Ausgabe der Conseils in der stiefväterlichen Buchhandlung aufgestöbert.77 Im anonymen »Vorbericht an den leser« der deutschen Ausgabe der Conseils wird der Eindruck vermittelt, es habe sich eine anerkannte Autorität für die Verbreitung des Buches und der darin enthaltenen Ratschläge ausgesprochen. ES ist wohl unnöthig dieses gegenwärtige werck mit vielem lob zu erheben, immassen dessen öfftere auflage zur gnüge zeigen kan, daß es nicht unglücklich und ohne nutzen gewesen. Nur ist mit wenigem hiebey zu erinnern, daß ob wohl der verfasser seine anleitung allein an das frauenzimmer gerichtet, dieselbe gleichwohl also beschaffen seye, daß die manns-personen solche eben so wohl in die übung bringen können. Dannenhero auch einer von den gelehrtesten männern unserer zeit darfür gehalten, es solte dieser kluge rath, der in gegenwärtigem buch enthalten, billig von allen ehrliebenden leuten des gantzen landes herine Desjardins) (1640–1683) sein, ließ sich nicht erhärten. Die Französin wurde wie Madeleine de Scudéry, Madeleine Patin, Charlotte Catherine Patin und Gabrielle Caroline Patin in die Accademia dei Ricovrati zu Padua aufgenommen. D’Aubignac, Lehrer und Protégé der Schriftstellerin, hatte sich vergeblich bemüht, de Villedieu in die von ihm errichtete (aber vom französischen König nicht autorisierte) Académie des belles-lettres aufnehmen zu lassen. Gédéon Tallemant des Réaux: Mademoiselle des Jardins, l’abbé d’Aubignac et Pierre Corneille, in: ders., Historiettes. Texte intégral établi et annoté par Antoine Adam, 2 Bde., Paris 1960–1961, Bd. 2, S. 900–909, bes. S. 904. Antoine Adam: L’école de 1650. Histoire ou légende?, in: Revue d’histoire de la philosophie et d’histoire générale de la civilisation 8, 1942, S. 23–53, 134–152. François Hédelin, Abbé d’Aubignac: Discours au Roy sur l’estabilissement d’une seconde académie dans la ville de Paris […], Paris 1664. Mary Elisabeth Storer: Mme de Villedieu and the Academy of the Ricoverati, in: Modern Language Notes 62, 1947, S. 418–420. 76 Goldfriedrich/Kapp (Anm. 11), Bd. 2, 1908, S. 266. 77 1721 gab Thomas Fritsch einen Lagerkatalog seiner französischen Bestände heraus. Catalogue des livres françois qui se trouvent à Leipzig chez Thomas Fritsch, [Leipzig] 1721.
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1. Frauen im Zeitalter des Buchdrucks: Das Bildungsangebot des Buchmarktes beobachtet, ja das buch selbst in so viel sprachen, als völcker in der welt sind, übersetzet werden, damit sich iederman eines so herrlichen vortheils bedienen, und in allem thun und wandel die wohlständige ehrbarkeit, welche die Frantzös. nation gleichsam von natur hat, an sich spühren lassen könne.78
Der Titel des Fritsch-Druckwerkes gab anfänglich einige Rätsel auf. Warum wurde der Originaltitel »Ratschläge des Ariste an Celimene« abgeändert in »Des galanten Frauenzimmers kluge Hofmeisterin«? Wieso wurde »Ariste« zu einer Frau gemacht?79 Was versprach man sich von der Neufassung des Titels?80 Unterlief dem mittelmäßigen Übersetzer der Conseils ein Fehler? Wäre dies der Fall gewesen, hätte dann nicht der gebildete Fritsch das Malheur erkennen müssen? Der gräzisierende Name Ariste (von griech. áristos »der Beste«) wurde in Frankreich wohl schon durch Charles Sorels La maison des jeux (1642) zu einem literarischen Modenamen.81 Zwiespältige Gefühle lösten in Deutschland die Entretiens d’Ariste et d’Eugène (1671) des Jesuitenpaters Dominique Bouhours, einem der Begründer der klassizistischen Ästhetik, aus. An dieser Schrift entzündete sich eine »deutsch-französische Literaturfehde«.82 Fritsch wird die Entretiens d’Ariste et d’Eugène gekannt haben, denn das Werk wurde in seiner Buchhandlung zum Kauf angeboten.83 Über Titeländerungen dachte der Fritsch-Verlag wohl erstmals nach, als der ConseilsÜbersetzer seine Arbeit zum Abschluß gebracht hatte. Im Haupttext der Conseils gibt es nämlich nur eine Stelle, die zu Irritationen führt, wenn Ariste zur Frau gemacht wird, und genau diese Stelle wurde in der deutschen Fassung nicht umgeschrieben.84 Die Umwand78 [François Hédelin, Abbé d’Aubignac:] Des galanten Frauenzimmers kluge Hofmeisterin, aus dem Französischen ins Teutsche übersezt, Leipzig 1696, Bl. ):(2a-):(6b, hier Bl. ):(2a-):(3a. 79 Das Wort ›Hofmeisterin‹ trägt hier die Bedeutung ›Privatlehrerin‹. Wäre auf die in höfischen Diensten stehende Hofmeisterin angespielt worden, hätte der Titel lauten müssen: »Des vornehmen (adeligen) Frauenzimmers kluge Hofmeisterin«. 80 Den Startschuß zu einer »historische[n] Typologie systematischer Uminterpretation von Texten durch Umbenennung« gab Fritz Nies: Erotischer Schnee. Übersetzte Bücher und ihre Titel, in: Volker Roloff (Hg.), Übersetzungen und ihre Geschichte. Beiträge der romanistischen Forschung (Transfer. Düsseldorfer Materialien zur Literaturübersetzung; 7), Tübingen 1994, S. 41–54, hier S. 54. 81 Vgl. auch Charles Sorel: Le chemin de la fortune ou les bonnes regles de la vie pour acquérir des richesses en toutes sortes de condition et pour acquérir les faveurs de la Cour, les honneurs et le crédit; Entretiens d’Ariste sur la vraie science du monde, Paris 1663. 82 Max Freiherr von Waldberg: Eine deutsch-französische Literaturfehde, in: Hans Teske (Hg.), Deutschkundliches. Friedrich Panzer zum 60. Geburtstag überreicht von Heidelberger Fachgenossen (Beiträge zur neueren Literaturgeschichte. N. F.; 16), Heidelberg 1930, S. 87–116. Erich Haase: Zur Frage, ob ein Deutscher ein »bel esprit« sein kann, in: Germanisch-romanische Monatsschrift N. F. 9, 1959, S. 360–375. Jörg-Ulrich Fechner: Deutsche Literatur des Barock in der Romania, in: Leonard Forster (Hg.), Studien zur europäischen Rezeption deutscher Barockliteratur (Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung; 11), Wiesbaden 1983, S. 299–322, hier S. 312 f., S. 319, Anm. 33. GonthierLouis Fink: Vom Alamodestreit zur Frühaufklärung. Das wechselseitige deutsch-französische Spiegelbild 1648–1750, in: Recherches germaniques 21, 1991, S. 3–47, hier S. 5–8. Wolfgang Leiner: Das Deutschlandbild in der französischen Literatur, 2., erw. Aufl. Darmstadt 1991, S. 49–56. 83 Catalogvs librorvm […] maximam partem exqvisitissimorvm, compactorvm et incompactorvm olim cvra B. Thomae Fritschii conqvisitorvm […], 2 Tle., Leipzig 1729, Tl. 2, S. 79, Nr. 1227. 84 Ariste erklärt im ersten Kapitel, er wolle »eurem [Hervorhebung, SK] geschlecht auch gar die ohn-
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lung von Ariste in eine Frau (Hofmeisterin) erklärt sich nur als verlegerische Vermarktungsstrategie. Offenbar glaubte der deutsche Verlag, die Figurenkonstellation des französischen Originals stoße im eigenen Land nicht auf Gegenliebe. Im französischen Original verkörpert Ariste den Typus des lebenserfahrenen Mentors, welcher die vor ihrer Heirat stehende Célimène, wie schon in den Jahren zuvor, mit den Regeln wohlanständigen Verhaltens vertraut macht. Darum sagte sie mir […] daß, weil ihre verehlichung endlich beschlossen und die veränderung ihres standts sehr nahe sey, sie meine gedancken und gute anweisungen zu vernehmen wünschete; welcher gestalt sie sich fernerhin zu verhalten und aufzuführen hätte, damit sie den bisher in ihren zarten Jahren erlangten ehren-ruhm erhalten mögte; sie versprach mir anbey, daß gleich wie sie meine vormahlige regierung ihrer geheimsten gedancken allezeit gehorsam beobachtet, also denen fernerweit nach meinem gutbefinden vorgelegten guten reguln aufs genaueste nachzuleben gesonnen wäre.85
Allerdings waren die Rezeptionsbedingungen in Deutschland für eine Figur wie Ariste denkbar ungünstig. Célimène ist von hoher Geburt 86 und wie ihre Mutter Arthénice zieht sie die Bewunderung des ganzen Hofes auf sich.87 Auf Reichsgebiet hätte man eine Frau in Célimènes Position und Alter nicht in die Obhut eines Mannes, der, wie Ariste, ein väterlicher Freund und Ratgeber sein wollte, gegeben. Die Rolle der mütterlichen Freundin, Ratgeberin und Weisheitslehrerin wurde an Höfen an Hofmeisterinnen oder Erzieherinnen, in der Stadt und auf dem Land an Privatlehrerinnen oder Erzieherinnen deutscher, manchmal auch französischer Herkunft 88 delegiert. Das deutsche Publikum wußte weder, wer der Verfasser der Conseils war,89 noch daß Ariste der Deckname des Abbé d’Aubignac ist. ›Abbé‹ ist aber das Schlüsselwort zum Verständnis der literarischen Figur Ariste. Abbé nennt man namentlich in Frankreich solche katholische Geistliche, welche noch keinen Amtstitel erlangt haben. Durch ihre Jugend, so wie durch gesellige und feine Bildung hatten sich die Abbé’s vor der Revolution einen bedeutenden Einfluß in Frankreich zu erwerben gewußt, und keine Dame von Range erschien in der öffentlichen Gesellschaft ohne den Abbé. Bei der Toilette war er zugegen, und wie der Italienerin der Cicisbeo […], so war der gebildeten Französin der Abbé unentbehrlich. Durch diesen Einfluß, der durch Jugend und Geist noch erhöht wurde, trugen sie ungemein Viel [sic] zur äußern Gestaltung des gesellschaftlichen Lebens bei.90
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möglichkeit in den weg legen«. Eine Frau, die sich an eine Frau wendet, hätte dagegen das Possessivpronomen »unsrem« benutzt. [Hédelin] (Anm. 78), S. 8. Ebd., S. 2 f. Ebd., S. 38 f. Ebd., S. 3 f. Von August Hermann Francke stammt die Bemerkung: »Wann ietziger Zeit fürnehme Leute ihren Kindern auffs beste rathen wollen, so suchen sie eine Frantzösische Mademoiselle.« Fénelon (Anm. 64), Bl.)(6ab. Die Initialen des Druckprivilegs der Conseils-Ausgabe von 1666 sind wie folgt zu dechiffrieren: A. S. A. D. A. C. A. E. P. O. D. S. M. = Au Sieur Abbé D’Aubignac Conseiller, Aumonier Et Predicateur Ordinaire De Sa Majesté. t [Sigle]: Abbé, in: Carl Herloßsohn (Hg.), Damen Conversations-Lexikon. Hg. im Verein mit Gelehrten und Schriftstellerinnen […], 10 Bde., Leipzig 1834–1838, Bd. 1, S. 8–9. Die literarische Produktivität der Abbés dokumentiert die Bibliographie von Laporte (Anm. 73).
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1. Frauen im Zeitalter des Buchdrucks: Das Bildungsangebot des Buchmarktes
Es kann damit ein erster Grund angegeben werden, warum der Fritsch-Verlag dafür optierte, Eingriffe in den Originaltitel vorzunehmen. Geschlecht und Identität des Ratgebers Ariste wurden um der Wahrung der Wahrheitsfiktion willen abgeändert. Dem gewöhnlichen deutschen Publikum mangelte es am interkulturellen Hintergrundwissen, das ihm erlaubt hätte, aus Aristes Sprechhandlungen auf dessen geistlichen Stand und bürgerliche Herkunft schließen zu können. Durch die Substituierung der Figur des männlichen Ratgebers durch eine Hofmeisterin,91 die für die Erteilung von Unterricht und die Bildung der Sitten zuständig ist, gab es keinen Grund mehr, zu denken, Célimène habe sich der Gefahr ausgesetzt, von ihrem an Jahren älteren Berater verführt zu werden. ›Hofmeisterin‹ in der angeführten Bedeutung war zum damaligen Zeitpunkt ein positiv konnotiertes Wort und eignete sich trefflich, den Inhalt des Buches aufzuwerten. Von der Gleichgeschlechtlichkeit der Titelfiguren kündet parallel zum Titelblatt das Frontispiz der Fritsch-Publikation (Abb. 2). Die Hofmeisterin und das galante Frauenzimmer spazieren eine geflieste Bogenhalle entlang, jede einen zusammengefalteten Fächer in Händen haltend, der die Expressivität ihrer Gebärden unterstreicht.92 Die Bogenhalle gibt den Blick frei auf ein zweistöckiges Gebäude in einer streng geometrischen Gartenanlage. Die anmutigen Frauengestalten sind nach der neuesten französischen Hofmode gekleidet: hohe Fontange (Kopfputz), dekolletiertes Kleid, spitzenbesetzte Schürze, geraffter Manteaurock. In Deutschland waren frei erfundene Vornamen im Titel einer Anweisungsschrift bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts unüblich.93 Bei erdichteten Modenamen, wie sie d’Aubignac verwendete, bestand die Gefahr der falschen Auslegung durch das Publikum. Giovanna Malquori Fondi vertritt die These, die Conseils seien ein maskierter Text: »[…] l’auteur des Conseils intervient dans un débat fort à la mode avec un ›discours‹ qu’il cache ou déguise sous l’allure sévère d’un traité de direction.«94 Ich kann Malquori Fondi in diesem Punkt nicht zustimmen. Die französische Titelfassung verbirgt den intellektuellen Anspruch des Autors nicht, der eine kritische Auseinandersetzung mit den Inhalten des Buches wünscht. Was dieses zur »Intellektuellenlektüre« macht, sind die Kunstnamen 91 Interessanterweise benannte auch der die deutsche Zweitübersetzung der Conseils produzierende Gsellius-Verlag den Männernamen Ariste in einen Frauennamen um (vgl. hierzu auch Abschnitt 4.2). 92 Das Titelkupfer illustriert den im ersten Kapitel (»Von der Gelegenheit zu dieser Unterredung«) erwähnten Aufenthaltsort des Paares: »SIe hat, unvergleichliche Celimene, allem ansehen nach daran noch kein völliges genügen, daß durch unsern letztern spaziergang [Hervorhebung SK] gelegenheit gegeben worden, zu einer so ernsthafften und wichtigen unterredung, sondern sie verlanget auch noch eine weitere unterrichtung, die ihr das gantze leben über dinlich [sic] seyn möge.« [Hédelin] (Anm. 78), S. 1. – Die französischen Ausgaben sind sämtlich ohne Titelgraphik erschienen. 93 Vgl. die Vornamen im Titel dieser anonymen Frauensatire: Köstlich und hoch-nothwendiger WeiberMeß-Krahm, das ist: Ein Gespräch von dem Weiber-Regiment, wie auch deren Regier-Zanck und Hadersucht, samt ihren bösen Sitten, zwischen Simon und Andrea [Hervorhebung SK]. Dabey auch viel schöne nützliche Mittel, Präservatien, und approbirte Artzneyen, wie solchen regiersüchtigen gifftigen Weibern zu begegnen. Allen und jeden durch die gantze Welt wohnenden Männern, so von ihren regimentssüchtigen bösen Weibern gepeiniget, und unter deroselben Regiments-Joch gespannet seyn, zu sonderm Trost: den zänckischen Weibern aber zum Meß-Krahm vorgestellet, o. O. [um 1670]. 94 [Hédelin] (Anm. 78), S. 297.
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Ariste und Célimène und der Untertitel »Pièce très curieuse«. Hätte d’Aubignac eine ganz gewöhnliche Verhaltensanweisung fingieren wollen, hätte er zu einem Titel vergleichbar dem des Chevalier Trotti de La Chétardie greifen müssen: Instruction pour une jeune princesse, ou l’idee d’une honneste femme (1684). Aus meiner Sicht nutzte d’Aubignac die Verhaltensanweisung als Plattform, um den Schönredner(inne)n unmoralischer Handlungen seine Position entgegenzuhalten. Freilich konnten d’Aubignacs Einmischungen in den Moraldiskurs95 die deutschen Verleger nicht zu Begeisterungsstürmen hinreißen. Es zeichnet sich damit ein weiterer Grund ab, den Buchtitel auf den deutschen Markt abzustimmen. Der Fritsch-Verlag entkleidete den Titel des französischen Originals seines intellektuellen Anstrichs, weil von denjenigen, die zu einem solchen Buch in deutscher Sprache greifen, nicht zu erwarten war, sich für die Vielstimmigkeit des französischen Moraldiskurses der sechziger Jahre zu interessieren. Stattdessen schuf man für die Leserin in Gestalt des »galanten Frauenzimmers« ein dem Zeitgeschmack geschuldetes Identifikationsangebot. Die ständisch nicht näher festgelegte Bezeichnung »galantes Frauenzimmer« – sowohl eine Frau von Adel wie eine aus dem Bürgertum konnte so bezeichnet werden – sollte die Aufmerksamkeit des anvisierten Publikums auf die Publikation ziehen. Vorbild für die Titelgebung in Wortwahl und Satzbau könnte der Gleditsch-Druck Des galanten Frauenzimmers Secretariat-Kunst (1692) gewesen sein, der vom Fritsch-Verlag 1696 neu aufgelegt wurde.96 Da die Attribute »galant« und »klug« sowie die Titelfigur der über Sitte und Tugend wachenden Hofmeisterin bereits hinreichend Aufschluß über den Inhalt des Buches geben, konnte auf die Wendung »sur les moyens de conserver sa reputation« (über die Mittel, ihren guten Ruf zu erhalten) verzichtet werden. Wer sich mit François Hédelin, Abbé d’Aubignac (1604–1676), näher befaßt,97 für den entbehrt die Aufnahme des kurz zuvor in Mode gekommenen Bildungsleitbildes des »galanten Frauenzimmers« in den Titel der Conseils-Übersetzung nicht einer gewissen Ironie. Für d’Aubignac, der in den Conseils das Ideal der »honnête femme«98 verficht, ist 95 Giovanna Malquori Fondi stellt einen Konnex her zwischen den Conseils und der Debatte über Liebe und Freundschaft, »qui opposait, sur un terrain si mouvant et si délicat, les Précieuses et leurs adversaires, les bien-pensants et les esprits libres«. Sorel wird von ihr jener Gruppe von Autoren zugezählt, gegen die d’Aubignac zu Felde zog. Charles Sorel: Les Discours pour et contre l’Amitié Tendre, hors le Mariage, in: ders., Œvvres diverses ou discours meslez […], Paris 1663, S. 127–206. Giovanna Malquori Fondi: »Les Conseils d’Ariste à Célimène« de l’abbé d’Aubignac: un »discours« masqué?, in: Ulrich Döring u. a. (Hg.), Ouverture et dialogue. Mélanges offerts à Wolfgang Leiner à l’occasion de son soixantième anniversaire, Tübingen 1988, S. 289–304, hier S. 294, 303, Anm. 35. 96 Bohse wollte seine Brieflehre ursprünglich »Der galante Mercur« betiteln, doch »weil indeß einige Frantzösische Tractate den Nahmen des galanten Mercurs mit an das Licht gebracht, habe ich des meinigen seine Uberschrifft auff Ersuchen des Herrn Verlegers geändert, und es die Secretariat-Kunst des galanten Frauenzimmers genennet.« Talander (Anm. 43), Bl. )(5b-)(6a. 97 Die einzige Monographie zum Abbé d’Aubignac stammt aus dem 19. Jahrhundert (siehe Anm. 74). Léon Beck: Aubignac (François Hédelin abbé d’), in: Georges Grentes (Hg.), Dictionnaire des lettres françaises. Le dix-septième siècle, Paris 1954, S. 109–111. 98 Bei dessen Roman Amelonde ist die »honnête femme« sogar Bestandteil des Titels: Amelonde, histoire de nostre temps où l’on voit qu’une honneste femme est heureuse quand elle suit un conseil sage et vertueux, Paris 1669.
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1. Frauen im Zeitalter des Buchdrucks: Das Bildungsangebot des Buchmarktes
Célimène der Inbegriff der »honnête femme«, des tugendsamen Frauenzimmers, nicht der »galante femme«, des galanten oder artigen Frauenzimmers. Auf diese Unterscheidung hätte der Franzose, der sich gegen jede Form der Galanterie verwehrte, die in sexuelle Libertinage ausartet, größten Wert gelegt. Die auf ein amouröses Abenteuer zielende Galanterie, auch die der Frauen, war für ihn gleichbedeutend mit Ehebruch:99 »la galanterie, ou pour mieux m’expliquer, sur toutes les intrigues de leur vie scandaleuse« (die Galanterie, oder um es deutlicher zu sagen, auf alle Kunstgriffe ihres schändlichen Lebens).100 Freilich scheint nicht jede Form von Galanterie den Moralisten d’Aubignac zum Einschreiten aufgefordert zu haben. Dort, wo die Zielsetzung des Buches expliziert wird, gebraucht d’Aubignac das Wort ›galant‹ in der Bedeutung ›manierlich‹: Sie suche demnach alhier keine nur allgemeine grund-lehren zu guten sitten, die allein anzeigen, was man nicht oder wie man etwas thun solle, sie hat ja diese stufen schon überschritten, und verlanget nur zu vernehmen, auf was für manier sie sich in den ungemeinen und selten vorkommenden begebnüßen wohl aufzuführen hätte, damit die tugenden mit dem Galanten und höflichen leben übereinstimmen, und sie sich in dem rühmlichen ansehen, welches sie zur verwunderung des gantzen hofs in ihren zarten jahren so rühmlich erworben hat erhalten möge.101
D’Aubignac rechnet in den Conseils mit den »esprits libres«102 der höfisch-mondänen Gesellschaft erbarmungslos ab. Als langjähriger Kenner der höfischen Gesellschaft nahm er Anstoß an den hinterhältigen Schlichen der Kavaliere, die die Frau ins Unglück stürzen.103 Die Männer, sagt Ariste, glauben, von einer Frau im (weniger behüteten) Zustand der Ehe alles hoffen zu dürfen.104 Der besondere Reiz der »pièce très curieuse« mag in den überzeichneten Detailschilderungen gelegen haben, in denen das Publikum sich wiedererkennen konnte. Mit der Entlarvung der verborgenen Motive der Freigeister war der Zweck verbunden, die verständig-fromme Leserin der vornehmen Gesellschaft davor zu bewahren, durch unsittliche männliche Verführungskünste vom Pfad der Tugend abgebracht zu werden. Andererseits wird die Leserin in standesgemäße Strategien (»moyens«) im Umgang mit Vertreterinnen ihres eigenen Geschlechts und mit Bediensteten eingeweiht. Alle Ratschläge zusammen sollten Schutz vor Nachstellung, Zudringlichkeit, übler Nachrede und selbstverschuldetem Verlust an gesellschaftlichem Ansehen bieten.
99 So argumentiert d’Aubignac auch in seinem allegorisch-satirischen Reisebericht Histoire du temps, ou relation du royaume de Coqueterie (1654). Wolfgang Zimmer: Die literarische Kritik am Preziösentum (Untersuchungen zur romanischen Philologie; 12), Meisenheim am Glan 1978, S. 71. 100 [François Hédelin, Abbé d’Aubignac:] Les conseils d’Ariste à Célimène, sur les moyens de conserver sa reputation. Pièce très curieuse, Paris 1677, S. 67. 101 [Hédelin] (Anm. 78), S. 10 f. 102 Anonym: Rez. o. T. [Conseils d’Ariste à Célimène (1666)], in: Journal des savants 1, 1665/66, S. 360–361, hier S. 361. 103 Léopold Lacour: Richelieu dramaturge et ses collaborateurs. Les imbroglios romanesques, les pièces politiques, Paris 1926, S. 17 f. 104 [Hédelin] (Anm. 78), S. 41.
1.1 Erschließung neuer Publikumsschichten
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Der Titel »Des galanten Frauenzimmers kluge Hofmeisterin«, so die Folgerung, die man aus der Analyse der Titelmodifikationen ziehen kann, ist ein eindrückliches Beispiel frühmoderner Werbepsychologie. Die zu bewältigende Aufgabe bei der Titelanpassung bestand darin, den Titelfiguren der Conseils ein neues, den deutschen Rezeptionsbedingungen angemesseneres Image zu verschaffen. Der raffinierte Etikettenschwindel »Ariste« = »kluge Hofmeisterin«, »Célimène« = »galantes Frauenzimmer« wurde als legitimes Täuschungsmanöver betrachtet, die Übersetzung am Markt durchzusetzen.105 Beim Publikum scheint die Titelmanipulation keine Irritationen hervorgerufen zu haben, denn auch die zweite Auflage von 1711 erschien unter dem Titel »Des galanten Frauenzimmers kluge Hofmeisterin«.106 Wie die Deutschen die Conseils beurteilten, erfahren wir, wenn wir das Kapitel »Von dem Hof-Staat einer Fürstin und Fürstlicher Kinder«107 sowie das Kapitel »Von Erziehung Fürstlicher Kinder in den ersten sieben Jahren, und ferner der Printzeßinnen bis zu den erwachsenen Jahren«108 im Oeconomvs prvdens et legalis continvatvs. Oder grosser Herren Stands und adelicher Haus-Vatter (1719, 2. Aufl. 1751)109 aufschlagen: Wie die Princessine, wann Sie groß werden, zu erziehen, ein solches ist bey dem Herrn von Seckendorff in seinen Fürsten-Staat P. 2. c. 7. p. 165. & 170. zu ersehen, welchem noch beygefüget werden kan, des galanten Frauenzimmers kluge Hofmeisterin, so aus dem Frantzösischen ins Teutsche übersetzet worden, und zu Leipzig 1696. in den Druck heraus gegeben worden.110 […] Wie behutsam übrigens ein Frauenzimmer in allen ihren Verrichtungen gehen muß, ihre Ehre, welche wann sie nicht so hoch steiget als der Männer, dannoch viel empfindlicher als deren Ehren ist, zu erhalten: wäre hier viel zu weitläufftig zu erinnern. Ich recommandire aber zu dem Ende ein Buch dessen Titul ist: Les Conseils d’Ariste a Celimene sur les moyens de conserver sa Reputation. a Paris 1692. in 12. Es ist dieses Buch in besagter Materie sehr wohl geschrieben, und sind dessen Lehren absonderlich in Teutschland sehr nützlich: dann weil man an allen Höfen die Frantzösische ungebundene Freyheit so sehr affectiret; so können unsere Teutschen sehen, wie sehr in Franckreich selbst die Sitten und Aufführung einer Dame critisiret und in Zaum gehalten wird; zumahlen diese Schrifft von einem ihrer treflichsten Hof-Leute, zum Unterricht einer vornehmen Standes-Person, verfasset worden.111
Was ging in den Köpfen von Verlegern vor sich, die Werke für Frauen produzierten oder vertrieben? Da im Falle des Verlegers Thomas Fritsch auf keine gesicherten schriftlichen
105 Über publizistische Kommunikationsstrategien informiert noch ausführlicher Abschnitt 4.1. 106 Die Auflage von 1711 differiert in der Seitenzählung und der Namensform des Verlegers. 107 Franz Philipp Florin [Hg.]: […] Oeconomvs prvdens et legalis continvatvs. Oder grosser Herren Stands und adelicher Haus-Vatter […], [Tl. 2], 2. Aufl. Nürnberg 1751, S. 105–106 (1. Aufl. 1719). 108 Ebd., S. 311–333. 109 Diese Oikonomik gab der Sulzbacher Pfarrer und Bibliothekar Franz Philipp Florin (gest. 1699) heraus. Heinz Haushofer: Das Problem des Florinus, in: Zeitschrift für Agrargeschichte und Agrarsoziologie 30, 1982, S. 168–175. Manfred Finke: Sulzbach im 17. Jahrhundert. Zur Kulturgeschichte einer süddeutschen Residenz, Regensburg 1998, S. 290, Anm. 710. Die begriffliche Unterscheidung Ökonomie/Oikonomik geht auf Volker Bauer zurück: Hofökonomie: Der Diskurs über den Fürstenhof in Zeremonialwissenschaft, Hausväterliteratur und Kameralismus (Frühneuzeitstudien. N. F.; 1), Wien 1997, S. 27, Anm. 11. 110 Florin [Hg.] (Anm. 107), S. 106. 111 Ebd. S. 328.
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1. Frauen im Zeitalter des Buchdrucks: Das Bildungsangebot des Buchmarktes
Äußerungen zurückgegriffen werden kann, bleibt nur der Umweg, von seinen Druckerzeugnissen Rückschlüsse auf sein Denken zu ziehen. Folgt man dem ungenannten Autor der Einleitung zum Fritsch-Druck Herrn Johann Locks Unterricht von Erziehung der Kinder, aus dem Englischen; nebst Herrn von Fenelon Ertz-Bischoffs von Cammerich Gedanken von Erziehung der Töchter (1708), so steht und fällt die Wohlfahrt eines Landes mit der Kindererziehung und Anweisung der Jugend. Nichts spreche dagegen, auch die Töchter »nach denen hier [in der Erziehungslehre John Lockes, SK] niedergeschriebenen principiis zu denen ihnen eignenden tugenden und geschicklichkeiten anzuführen.«112 Von Müttern, Wärterinnen und Gouvernanten mußten diese Worte als Aufforderung verstanden werden, höhere Maßstäbe an die Erziehung der Mädchen anzulegen. Thomas Fritsch hinwiederum konnte davon ausgehen, sich Verdienste zu erwerben, wenn er Literatur anbot, die Frauen anwies, die Wohlfahrt des Landes im Auge zu behalten. Immer wenn Fritsch aus freien Stücken entscheiden konnte, wählte er an Frauen adressierte Werke, die zwei oder drei der folgenden Eigenschaften besaßen: die in Frage kommenden Publikationen sollten praxisbezogenes Wissen vermitteln, inhaltlich und konzeptionell etwas Neues bieten und mit den Interessen weiblicher Publikumsschichten und dem Zeitgeschmack in Einklang stehen. Nicht ins Verlagsprogamm aufgenommen wurden Schriften zum Vergnügen und Zeitvertreib des Frauenzimmers, zum Geschlechterstreit und Frauensatiren. Vermutlich vertrugen sich diese Sorten von Literatur nicht mit dem (eventuell pietistisch geprägten) Frauenbild und der Unternehmensphilosophie dieses Verlegers. Die Frage, ob sich Verleger im Blick auf frauenadressierte Literatur als »Trendforscher« und »Trendsetter« betätigten, kann aufgrund der bisherigen Ausführungen mit einem klaren Ja beantwortet werden. Paradebeispiele für an Frauen adressierte Schriften, die ihre Entstehung dem Kenntnisreichtum, der Risikobereitschaft und dem Engagement von Verlegern zu verdanken haben, sind der Fritsch-Druck Des galanten Frauenzimmers kluge Hofmeisterin (1696) und das Gleditsch-Nachschlagewerk Nutzbares, galantes und curiöses Frauenzimmer-Lexicon (1715).
2.
Neue Absatzstrategien: August Martini
Der Leipziger Buchhandel des ausgehenden 17. und der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts ist vom Standpunkt der Frauenforschung her eines der interessantesten Kapitel der deutschen Buchhandelsgeschichte. In keiner Stadt Deutschlands wurde zu jener Zeit »Frauenlektüre« so groß geschrieben wie in Leipzig.113 Neben den Gleditschs und Thomas Fritsch 112 Anonym: Vorrede zu dieser übersetzung, in: John Locke/François de Salignac de la Motte Fénelon, Herrn Johann Locks Unterricht von Erziehung der Kinder, aus dem Englischen; nebst Herrn von Fenelon Ertz-Bischoffs von Cammerich Gedanken von Erziehung der Töchter, aus dem Frantzösischen übersetzet. Mit einigen Anmerckungen und einer Vorrede. Leipzig 1708, S. 3– 68, hier S. 62. 113 Der Befund deckt sich mit den Beobachtungen von Kerstin Merkel/Heide Wunder: »Das eröffnete Cabinet deß gelehrten Frauen-Zimmers«. Dichterinnen, Malerinnen und Mäzeninnen im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation, in: dies. (Hg.), Deutsche Frauen der Frühen Neuzeit. Dichterinnen, Malerinnen, Mäzeninnen, Darmstadt 2000, S. 7–17, hier S. 16 f.: »Am Anfang des 18. Jahr-
1.1 Erschließung neuer Publikumsschichten
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profilierte sich vor allem Bernhard Christoph Breitkopf (1695–1777) als ein Verleger, der das Niveau frauenadressierter Lesestoffe verbesserte. Seinen Namen hatten die beiden Gottscheds, deren Verleger Breitkopf war, weithin berühmt gemacht. Anne-Thérèse de Lamberts Gedancken von der Aufferziehung und einem tugendhafften Leben; in zweyen Schreiben an ihren Sohn und ihre Tochter entworffen (1729), übersetzt von Georg Christian Wolf, Der Frau Markgräfinn von Lambert neue Betrachtungen über das Frauenzimmer (1731), übersetzt von Louise Gottsched, Der Mad. Scudery scharfsinnige Unterredungen, von Dingen, die zu einer wohlanständigen Aufführung gehören (1735), übersetzt von Christiana Mariana von Ziegler, die von Jacob Friedrich Lamprecht herausgegebene Sammlung der Schriften und Gedichte welche auf die poetische Krönung der hochwohlgebohrnen Frauen, Frauen Christianen Marianen von Ziegler gebohrnen Romanus, verfertiget worden (1734), Laurent Angliviel de LaBeaumelles Nachrichten, die zum Leben der Frau von Maintenon und des vorigen Jahrhunderts gehörig sind (3 Bde., 1757), übersetzt von Louise Gottsched, Dorothee Henriette von Runckel und Johann Christoph Gottsched, das Trauergedicht Bey meiner Gottsched Todtengruft singt meine Muse Trauerlieder (1762) von Dorothee Henriette von Runckel, alle diese an Frauen (mit)adressierten Breitkopf-Publikationen zählen zu den Höhepunkten verlegerischer Kultur in Deutschland. Infolge der steigenden Zahl frauenadressierter Schriften, die in Leipzig produziert oder auf den Messen getauscht wurden (Mitte der dreißiger Jahre begann der Barverkehr den Tauschhandel abzulösen), begannen buchhändlerische Werbemittel zu zirkulieren, die Lesestoffe für Frauen in den Mittelpunkt rücken. Wie solche Werbemittel aussahen, soll anhand eines Druckwerkes des Leipziger Verlags- und Sortimentsbuchhändlers August Martini (1680–1743) demonstriert werden. Über Martini ist wenig bekannt. Von 1712 bis 1735 als Buchhändler und Verleger tätig, verauktionierte er 1735 sein Buchhandelssortiment, da er des Tauschhandels überdrüssig geworden war. Zwischen 1712 und 1743 verlegte er nach Johann Goldfriedrich 400 Drucke. Nach seinem Tod 1743 übernahm Johann Gottfried Dyck den Verlag.114 Den Namen seiner Söhne Johann Ehregott und Christian Leberecht nach zu urteilen, war August Martini Pietist.115 Die verlegerische Tätigkeit von Martini stellt erneut die oben referierte These in Frage, wonach in der Hauptsache die Verleger und Herausgeber von Zeitschriften sich dafür einsetzten, die Zahl der Leserinnen zu vergrößern. Die hier besprochenen Buchhändleranzeigen datieren in die Jahre 1722 und 1731.116 Produzent der Annoncen war August Martini. Er hatte seiner Druckerei den Auftrag hunderts stieg Leipzig zur neuen Wirtschaftsmetropole und zum literarischen Mittelpunkt Deutschlands auf. Hier wurden Traditionen der älteren Königsberger Dichterschule und der schlesischen DichterInnenschule unter neuen Vorzeichen fortgeführt – das literarische Leben wurde maßgeblich von Frauen bestimmt.« 114 Stadtarchiv der Stadt Leipzig, Ratsleichenbuch 1743–1755, Bl. 31: Begräbniseintrag des Verlegers August Martini. Goldfriedrich/Kapp (Anm. 11), Bd. 2, 1908, S. 342, 447. Paisey (Anm. 15), S. 163. 115 Stadtarchiv der Stadt Leipzig, Vormundschaftsstube, Rep. IV Nr. 1237, Bl. 1: Söhne von August Martini aus erster und zweiter Ehe. 116 Monika Estermann: Buchhändleranzeigen, in: Severin Corsten u. a. (Hg.), Lexikon des gesamten Buchwesens, Bd. 1, 2., völlig neu bearb. Aufl. Stuttgart 1987, S. 599–600. Peter Ukena ordnet in sei-
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1. Frauen im Zeitalter des Buchdrucks: Das Bildungsangebot des Buchmarktes
erteilt, die auf ein nicht beziffertes Blatt gedruckten Anzeigentexte der von ihm verlegten Galanten Frauenzimmer-Moral, oder: Die kluge Conduite des honnetten Frauenzimmers in einer Entrevue zwischen drey Demoiselles, über auserlesene und recht schöne frantzösische Maximen gezeiget (1722, 2. Aufl. 1723, 3. Auf. 1731) beizubinden.117 Die derzeit nicht in einem Exemplar nachweisbare zweite Auflage der Galanten Frauenzimmer-Moral (1723) war mit größter Wahrscheinlichkeit genauso wie die erste und dritte ein Werbeträger. Der Anzeigentext beginnt mit den Worten: »Folgende Bücher seynd bey dem Verleger August Martini auch zu haben.« Es folgt eine Liste mit 38 deutschsprachigen Buchtiteln (in der Anzeige von 1731 sind es nur noch 37), publiziert von diversen Verlegern, August Martini 118 und Thomas Fritsch miteingeschlossen. Zielgruppen der angegebenen Druckerzeugnisse sind Frauen des Bürgertums mit ihren Familien und Bediensteten. Die Anordnung der Titel läßt keinerlei Bemühen erkennen, den Fundus nach Sachgruppen zu ordnen. Der vollständige Anzeigentext aus dem Jahr 1722 lautet:119 Folgende Bücher seynd bey dem Verleger August Martini auch zu haben. Artemidori grosses und vollkommenes Traum-Buch, von Ursprung, Unterscheid und Bedeutung allerley Träume, so im Schlaff vorkommen mögen, nebst einer grossen Traum-Tafel. 8. Der angenehme Hauß-Friede, wie unter Christl. Ehe-Leuten wahre Liebe unverfälschte Treue, billiger Gehorsam und Christliche Einigkeit zu erhalten. 8. Auserlesene Frauenzimmer-Medicin die Schönheit der Damen zu erhalten und zu verbessern. 8. Gebeth-Buch vor Wittwen und Waysen nebst einem Wittwen-Gesang-Buch. 12. nem Aufsatz: Buchanzeigen in den deutschen Zeitungen des 17. Jahrhunderts, in: Albrecht Schöne (Hg.), Stadt, Schule, Universität, Buchwesen und die deutsche Literatur im 17. Jahrhundert, München 1976, S. 506–522, hier S. 510, das Schrifttum, für das mit Buchanzeigen in Zeitungen geworben wurde, Textsorten zu. 117 Auf die intertextuellen Bezüge zwischen der Galanten Frauenzimmer-Moral und den Conseils d’Ariste à Célimène ist in Abschnitt 4.3 einzugehen. Dort wird auch zu fragen sein, wer die Galante Frauenzimmer-Moral verfaßt haben könnte. 118 Die Anzeigen von 1722 und 1731 listen zwei von Martini verlegte Bücher auf sowie ein Werk, aus dessen Impressum hervorgeht, Martini habe es in Kommission genommen: D. F.: Angenehmer Hauß-Friede, das ist: Ursachen, Mittel und Einleitung warum, wie, und wodurch vom ersten Tage der Ehe an, durch das Mittel biß zum Ende, unter christlichen Eheleuten, wahre Liebe, unverfälschte Treue, billiger Gehorsam, und christliche Einigkeit zu erhalten […], Leipzig 1715. D. F.: Außerlesene Frauen-Zimmer-Medicin, das ist: viele und gewisse Mittel, welche die äusserlichen Gliedmassen und schöne Gestalt in seinem Stand erhalten, denen Gebrechen vorkommen und alle Ubelstände verbessern. Nebst etlichen andern dem Frauen-Zimmer nützlichen Kunst-Stückgen und Artzeneyen, zu bereiten, jn 35. Capiteln gelehret, und verfasset von D. F. Jn Verlegung des Autoris, und in Leipzig, zu finden bey Augusto Martini, o. O. 1715. Anonym: Compendieuses und stets-währendes Hand-Buch des galanten und curieusen Frauen-Zimmers […], 4. Aufl. Leipzig 1730 (1. Aufl. 1718). 119 Den Titelaufnahmen liegt folgendes Schema zugrunde: Name des Autors (zumeist ohne Angabe des Vornamens), Buchtitel (zum Teil gekürzt), Buchformat (nicht durchgängig). Die Schreibung stimmt mit den Originaltiteln nicht immer überein. Die Titelliste der Anzeige von 1731 wurde um vier neue Titel ergänzt, fünf vielleicht nicht mehr lieferbare Titel fielen dem Rotstift zum Opfer. Darüber hinaus sind kleinere orthographische Korrekturen vorgenommen worden.
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Hylleri holdseelig und liebreiches Mutter-Hertze GOttes. 24. Kießlings erste Buchstaben der göttlichen Worte vor Eltern und Kinder. Sieghaffte Liebe, oder glücklich erlangte Ehe in einem [einer] Liebes-Geschichte entworffen von Friederici. 8. Das auf Academien lebende galante, ehrliche und Tugendhaffte Frauenzimmer in einigen angenehmen Liebes-Geschichten entworffen. Partenophilo. Müllers das einige, so das Allernöthigste und Allerbeste wahrer Christen ist, oder Anweisung vor die Jugend aus dem Catechismo. 12 Palamedes redivivus, vom Stein- und Schach- Picquet- l’Hombre- und Ball-Spiel. 24. Scrivers Wittwen-Trost. 8. = = eines Christl. Hauß-Vaters oder Hauß-Mutter geistl. Haus-Opffer. 12. Svendedoerfferin (Anna Maria) andächtige Hertzens-Seuffzer. 18. Arlequins Hochzeit- und Kindtauffen-Schmauß, in einem Singespiel. 8. nebst Gryphii verliebtes Gespenst in einer lustigen Comoedie. 8. Der Gräffin von Limburg Geistl. Kleeblat, wie ein Christ recht glauben, Christl. leben, und seelig sterben solle. 8. Historia Anectota von dem Leben Fr. Claudia Procolla Hn. Pontii Pilati Frau Eheliebsten. 8. Puschens [Paschens, SK] Beschreibung wahrer Tantz-Kunst 8. Sinceri Kern vieler und außerlesener Künste 8. Leben und Wandel der heutigen Dienst-Mägde 8. Schau-Platz der bösen Weiber 12. Der lustige Weiber-Procurator 8. Sambelle Weiber-Hechel 12. Albertus Magnus von Geheimnissen der Weiber 12. Des galanten Frauenzimmers kluge Hof-Meisterin. Helwigs Heimlichkeiten des Frauenzimmers 8. = = = = Heimlichkeiten der Jungferschafft, 8. Kräutermanns Heimlichkeiten der Frauen, 8. Musitanus von Weiber-Kranckheiten 8. Meuertracks mitleidente Chymie vor das Frauenzimmer. 8. Paulini gelehrtes Frauenzimmer 8. Schützens Ehren-Preiß des Frauenzimmers 12. Talanter [sic] des galanten Frauenzimmers Secretariat-Kunst 8. Weber-Kunst und Bild-Buch 8. Reglement oder Anweisung einer Dame zu einem rechtschaffenen Leben 12. Schröters Weiber- Jungfern- u. Kinder-Apotheckgen. Glücks-Haven frommer und böser Weiber. Lob-Rede des Frauenzimmers, 8.
Die aufgelisteten Bücher hatte August Martini in seinem Laden und/oder in seinem Lager vorrätig. Unklar bleibt, ob auch schriftliche Bestellungen entgegengenommen wurden. Das Impressum der Galanten Frauenzimmer-Moral (1722) weist den Weg zur Buchhandlung: »Bey August Martini, Buchhändler auf der Grimmischen Gasse, in Herr Lieut. Mangolds Hause«. 1731 hatte sich die Adresse geändert: »August Martini, Buchhändler auf dem Neumarckt an der Ecke des Gewandgäßleins«. Damit sich die Interessentinnen und Interessenten eine Vorstellung vom Preis der feilgebotenen Bücher machen konnten, wurde bei fast allen in der Liste aufgeführten Titeln das Buchformat mit angegeben. Ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts gingen
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1. Frauen im Zeitalter des Buchdrucks: Das Bildungsangebot des Buchmarktes
manche Verlage bei Bücheranzeigen dazu über, die Ladenpreise hinzuzusetzen. Die im dritten Band von Carl Friedrich Pockels Versuch einer Charakteristik des weiblichen Geschlechts (5 Bde., 1797–1802) abgedruckte Annonce des hannoverschen Verlegers Christian Ritscher ist überschrieben: »In der Ritscherschen Buchhandlung sind folgende Frauenzimmerschriften verlegt und für beygesetzte Preise zu haben.« Der Ilmenauer Verleger Bernhard Friedrich Voigt bewirbt im Seelenspiegel für junge Damen aus den höhern Ständen (1830), einem Werk von Philippine von Reden, geb. Freifrau Knigge, drei von ihm produzierte frauenadressierte Werke, darunter Philippine von Redens Lebensregeln, Winke des guten Tons und der feinen Gesellschaft für Jungfrauen und Mädchen (1826). Der Anzeigentext informiert über das Buchformat, die Bindungsart, den Preis (in drei verschiedenen Währungen), über im Druck erschienene Besprechungen und über die Vorzüge der Autorin wie auch der Neuerscheinung: Beim Verleger dieser Schrift ist erschienen u. in allen Buchhandlungen zu haben: Lebensregeln, Winke des guten Tons u. der feinen Gesellschaft, für Jungfrauen und Mädchen, welche in die große Welt eintreten. Nebst einigen Erzählungen u. Anekdoten. Nach dem Französ. v. Philippine von Reden, geborne Freyin Knigge. 12. geheft. 9 gGr. oder 11 1/2 Slgr. oder 40 kr. (Sehr beifällig beurtheilt in Becks Repertor. 1826. II. 2. Leipz. Litztg. 1826. Nr. 200. Jen. Litztg. 1827. Nr. 4. p. 31. Leittg. f. Lehrer 1826. 2s Heft.) Aus den würdigen Händen der Tochter des genialen u. so lebensklugen Freiherrn von Knigge erhält hier die zarte Weiblichkeit eine Gabe voller goldenen Lehren u. eine Moral in den anziehendsten Beispielen, deren Werth bereits durch verdiente Belobung der kritischen Blätter anerkannt ist.
Ist es zutreffend, August Martini als Vater des »Frauenbuchladens« 120 zu bezeichnen? Angenommen, Anna Vandenhoeck (1709–1787)121 wäre die Inhaberin des Ladengeschäfts gewesen und hätte gesellschaftspolitische Ziele wie Gleichberechtigung von Frauen, Frauensolidarität, kritische Aneignung öffentlicher Räume, Erweiterung des Bildungsangebots für Mädchen und Frauen, Förderung von Frauen in der Verlagsbranche und im Literaturbetrieb befürwortet und aus dem Gesamtangebot an Druckerzeugnissen ein auf den Bedarf von Frauen abgestimmtes Sortiment ausgewählt, dann wäre »Frauenbuchladen« der passende Begriff für diese Art von Spezialbuchhandlung. Die Martini-Buchhandlung ist aber weit davon entfernt, ein Frauenbuchladen zu sein. Sie firmierte unter dem Namen eines Mannes, in Martinis Händen lag die Verfügungsgewalt über das erwirtschaftete Kapital, und die Zusammensetzung des Buchhandelssortiments war das Ergebnis seiner Richtlinien- und Entscheidungskompetenz. Selbst wenn eine von Martinis Ehefrauen oder eine seiner Stammkundinnen Martini zu den Werbeanzeigen überredet und ihn bei der Titelauswahl beraten hätte, wird daraus noch kein Frauenbuchladen. Zweifellos enthalten die Anzeigen einen kleinen Prozentsatz misogyner Schriften, dies bedeutet 120 H. Buske: Frauenbuchladen, in: Severin Corsten u. a. (Hg.), Lexikon des gesamten Buchwesens, Bd. 3, 2., völlig neu bearb. Aufl. Stuttgart 1991, S. 41–42. 121 Die gebürtige Engländerin Anna Vandenhoeck war Universitätsbuchhändlerin, Verlegerin und Besitzerin einer Buchdruckerei. Barbara Lösel: Die Frau als Persönlichkeit im Buchwesen. Dargestellt am Beispiel der Göttinger Verlegerin Anna Vandenhoeck (1709–1787) (Buchwissenschaftliche Beiträge aus dem Deutschen Bucharchiv München; 33), Wiesbaden 1991.
1.1 Erschließung neuer Publikumsschichten
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jedoch nicht, Martini sei diesen Schriften unkritisch gegenübergestanden. Seine verlegerische Arbeit zeigt keine Spuren von Misogynie, was auf die frauenfreundliche Haltung seiner Bücheranzeigen hinweist. Martini zum Vater des Frauenbuchladens stilisieren zu wollen, wäre ein Anachronismus.122 Gleichwohl könnte der Verleger als Gründerfigur in die deutsche Buchhandelsgeschichte eingehen. Martini ist der erste nachweisbare Verleger-Sortimenter123 im deutschsprachigen Raum, der in seiner Buchhandlung und/oder in seinem Lager einen repräsentativen Querschnitt aus dem lieferbaren Angebot von »Frauenzimmerschriften« ausliegen hatte und mit Anzeigen dafür warb. Wenn nicht noch frühere Belege gefunden werden, dann gehen die Anfänge der Frauenbuchabteilung, wie wir sie heute von vielen gutsortierten Buchhandlungen kennen, in das Jahr 1722 zurück.
3.
Frauen im Druck- und Verlagswesen
Obwohl es in der Frühen Neuzeit im deutschen Sprachraum eine beachtliche Zahl von Druckerinnen,124 Druckerinnen-Verlegerinnen,125 Verlegerinnen-Sortimenterinnen und Verlegerinnen126 gab, war kein von einer Frau geleiteter Betrieb zu ermitteln, der auf die
122 Als »das erste auf Frauenfragen spezialisierte buchhändlerische Unternehmen« Deutschlands gilt die 1924 von Marie Lesser in Berlin gegründete Versandbuchhandlung »Deutsche Frauenbuchhandlung«. Werner Adrian: Frauen im Buchhandel. Eine Dokumentation zur Geschichte einer fast lautlosen Emanzipation, in: Archiv für Geschichte des Buchwesens 50, 1998, S. 147–250, hier S. 224–226, 245. Die ersten deutschen Frauenbuchläden entstanden Mitte der siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts in Berlin und München. Herrad Schenk: Frauenprojekte: Ansätze zu einer feministischen Alternativkultur, in: dies., Die feministische Herausforderung. 150 Jahre Frauenbewegung in Deutschland, 5., unveränd. Aufl. München 1990, S. 94–104, hier S. 101. 123 Als Verleger-Sortimenter werden Verleger bezeichnet, die ein Ladengeschäft besitzen. 124 Albrecht Classen: Frauen als Buchdruckerinnen im deutschen Sprachraum des 16. und 17. Jahrhunderts, in: Gutenberg-Jahrbuch 2000, S. 181–195. Entgegen des Titels beschränkt sich die Studie auf das Gebiet des heutigen Deutschland. 125 Über die Druckerin-Verlegerin kann Albrecht Classen nicht mehr als Spekulationen anstellen: »Ob die Druckerin das Verlagsprogramm bestimmte, wenn ein Verlag überhaupt der Buchdruckerwerkstatt angeschlossen war, inwieweit sie die finanziellen Aspekte in der Hand hielt und wie sehr sie den Vertrieb beeinflußte oder organisierte, läßt sich bislang anhand der mageren Quellenaussagen noch nicht identifizieren.« Ebd., S. 182 f. 126 Lisa Tuttle: Publishing, in: dies., Encyclopedia of Feminism, Harlow 1986, S. 263–264. – Daten, Materialien und Forschungsergebnisse zu deutschen Verlegerinnen enthalten folgende Publikationen: Benzing (Anm. 15). Josef Benzing: Die Buchdrucker des 16. und 17. Jahrhunderts im deutschen Sprachgebiet (Beiträge zum Buch- und Bibliothekwesens; 12), 3., verb. u. erg. Aufl. Wiesbaden 1982. Paisey (Anm. 15). Werner Adrian: Frauen im Buchhandel, in: Severin Corsten u. a. (Hg.), Lexikon des gesamten Buchwesens, Bd. 3, 2., völlig neu bearb. Aufl. Stuttgart 1991, S. 39–40. Lösel (Anm. 121). Heide Wunder: »Er ist die Sonn’, sie ist der Mond«. Frauen in der Frühen Neuzeit, München 1992, S. 129 f. Mark Lehmstedt: »Ich bin nun vollends zur Kaufmannsfrau verdorben«. Zur Rolle der Frau in der Geschichte des Buchwesens am Beispiel von Friederike Helene Unger (1751–1813), in: Leipziger Jahrbuch zur Buchgeschichte 6, 1996, S. 81–154. Classen (Anm. 124), S. 182 f., 188, 192, 195 (mit weiterer Literatur). Kerstin Fischer: Auswertung der BücherFrauen-
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1. Frauen im Zeitalter des Buchdrucks: Das Bildungsangebot des Buchmarktes
Produktion von Lesestoffen für Frauen spezialisiert war.127 Allerdings ließ sich eine Druckerei in väterlichem Besitz ausfindig machen, in der für kurze Zeit ausschließlich (deutsche) Übersetzerinnenliteratur hergestellt wurde.128 Nun stellt sich die Frage, ob Frauenselbstverlage zu den Frauenverlagen zählen.129 Der arbeitsteilig organisierte Frauenverlag produziert ausschließlich oder überwiegend für eine weibliche Kundschaft, wogegen die im Eigenverlag veröffentlichende Frau ihre eigenen Werke – allein oder mit Unterstützung anderer – verlegt, bewirbt und ausliefert.130 Die Eigenverlegerin hat die Druck- und Werbekosten selber zu tragen, den Vertrieb selbst zu organisieren, und sie trägt das volle Absatzrisiko – ein aus Sicht der Akteurinnen alternativloses Vorgehen, durch das wohl nur Gebrauchs- und Fachliteratur an das Zielpublikum herangetragen wurde. Die über finanzielle Rücklagen verfügende Mystikerin und Prophetin Antoinette de Bourignon (1616– 1680) war für kurze Zeit Eigentümerin einer Druckerei auf einer nordfriesischen Insel. Bis zum Verbot der Druckerei wurden ihre in mehrere Sprachen übersetzten Werke auf Jahrmärkten vertrieben.131 Die kinderlos verheiratete Hofhebamme Justine Siegemund (1636– 1705) publizierte als erste Frau im deutschsprachigen Raum ein geburtshilfliches Lehrbuch. Laut den Anzeigen der Meßkataloge nahm Johann Friedrich Gleditsch das Hebammenbuch in Kommission.132 Über die verlegerischen Aktivitäten von Maria Sibylla Me-
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Befragung vom Herbst 1997, in: Newsletter BücherFrauen e.V. Nr. 14, 1999, S. 8–9. Gabriele Kalmbach (Hg.): Frauen machen Bücher, Königstein/Ts. 2000. Die Lemmatisierung von ›Frauenverlag‹, ›Frauenselbstverlag‹, ›Frauenbuchversand‹, ›Frauenliteraturvertrieb‹ steht aus, auch ist »The History of Female Book Production in Early Modern Period« noch nicht geschrieben. Schenk (Anm. 126), S. 101. Die Geschichte der Buchproduktion ist auch eine Geschichte der Frauenarbeit. Neben den bereits genannten Frauenberufen wäre zum Beispiel an die Tätigkeitsfelder der Reproduktionsstecherin, der Illuministin, der Setzerin und der Leiterin einer Schriftgießerei zu denken. Überprüft werden müßte, ob Frauen als Buchbinderinnen und Briefmalerinnen gearbeitet haben. Vgl. E. Geck: Frauen im Druckgewerbe, in: Severin Corsten u. a. (Hg.), Lexikon des gesamten Buchwesens, Bd. 3, 2., völlig neu bearb. Aufl. Stuttgart 1991, S. 40–41. Franz Anton, Graf von Sporck, ließ in Lissa eine Druckerei anlegen, die nur Schriften druckte, »welche der Graf durch seine Töchter aus dem Französischen ›in das Teutsche combiniren und transferiren‹ ließ, während keine fremde Arbeiten übernommen wurden.« Heinrich Benedikt: Franz Anton Graf von Sporck (1662–1738). Zur Kultur der Barockzeit in Böhmen, Wien 1923, S. 168. Einer der ersten Frauenverlage im Besitz einer Frau, der »Verlag der Frau«, wurde 1934 von Marion von Schröder (1886–1976) in Hamburg gegründet und kurze Zeit später unter dem Namen »Marion von Schröder-Verlag« weitergeführt. Wolfgang Ehrhardt Heinold: Frauen im Verlagswesen, in: ders., Bücher und Büchermacher. Verlage in der Informationsgesellschaft, 5., völlig überarb. Aufl. Heidelberg 2001, S. 259–260, hier S. 259. Benzing nahm in sein Verlegerverzeichnis keine Selbstverlage auf. Benzing (Anm. 15), Sp. 1078. Helmuth Kiesel/Paul Münch: Gesellschaft und Literatur im 18. Jahrhundert. Voraussetzungen und Entstehung des literarischen Markts in Deutschland, München 1977, S. 149–154 (»«Selbstverlag«). Marthe van der Does: Antoinette Bourignon (1616–1680). La vie et l’œuvre d’une mystique chrétienne précédée d’une bibliographie analytique des éditions de ses ouvrages et traductions et accompagnée de notes, d’une liste des ouvrages cités et d’un index, Amsterdam 1974. Justine Siegemund: Die Chur-Brandenburgische Hoff-Wehe-Mutter […], Cölln an der Spree 1690. Waltraud Pulz: »Nicht alles nach der Gelahrten Sinn geschrieben« – Das Hebammenanleitungsbuch von Justina Siegemund. Zur Rekonstruktion geburtshilflichen Überlieferungswissens frühneuzeit-
1.1 Erschließung neuer Publikumsschichten
41
rian (1647–1717) wurde bereits berichtet. Dem englischen Apotheker und Naturforscher James Petiver berichtete sie brieflich von dem Plan, die Herstellungskosten ihres aufwendigen Kupferstichwerkes De metamorphosibus insectorum Surinamensium (1705) durch Subskription sicherzustellen. Für keine der genannten Frauen waren die im Selbstverlag produzierten Handelsgüter die einzige Einnahmequelle. Hierin unterscheiden sie sich von den Witwen und (selten) Töchtern oder Enkelinnen, die den ererbten Verlag oder die ererbte Offizin des Ehemannes oder ihres Vaters, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, fortführten, sofern oder solange kein Sohn da war, der nach abgelegter Meisterprüfung den väterlichen Betrieb übernehmen konnte.133 Zumindest die Eigenverlegerinnen Siegemund und Merian hatten eines gemeinsam: Sie exponierten sich als Produzentinnen von Marktneuheiten. Nur in Ausnahmefällen stellten auch reguläre Druckerinnen und Verlegerinnen solche her. In Hessen, wo wie nirgendwo sonst im Reich der Dreißigjährige Krieg wütete, druckte die Kasseler Buchdrucker-Witwe Groß (tätig zwischen 1635 und 1637)134 ein Jahr nach dem Tod ihres Mannes im Auftrag des Kasseler Verlegers Johann Schütz die Übersetzung Die tugendsame Fraw (1636).135 Immerhin handelt es sich bei diesem Buch um die erste frauenadressierte Verhaltenslehre, die aus dem Französischen ins Deutsche übersetzt wurde. Es liegen noch keine Zahlen vor, wieviele Druckerinnen, Druckerinnen-Verlegerinnen oder Verlegerinnen im 17. und 18. Jahrhundert nur für Frauen oder für beide GenusGruppen136 bestimmte Lesestoffe fabrizierten. Zukünftig sollte stärker darauf geachtet werden, unter welchen rechtlichen Rahmenbedingungen und Lebensumständen die jeweilige Entscheidungsträgerin diese Art von Literatur verlegte oder druckte. Auf Merry Wiesner-Hanks geht die Beobachtung zurück, »that the many female printers of the sixteenth century, almost all of them widows of male printers, did not show any greater inclination to print the works of female authors than male printers did«.137 Im 17. und 18. Jahrhundert vergrößerte sich zwar im Alten Reich in bestimmten Sektoren des literarischen Marktes die Zahl der Autorinnen, dennoch blieb die (Drucker-)VerlegerAutorinnen-Beziehung weiterhin der Normalfall. Die von Albrecht Classen gestellte Frage, ob die bloße Existenz von Frauen im Druckgewerbe »eine Rolle spielte hinsichtlich
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licher Hebammen und seiner Bedeutung bei der Herausbildung der modernen Geburtshilfe (Münchner Beiträge zur Volkskunde; 15), München 1994, S. 62. Sabine Welke: Die Stellung der Druckerinnen und Verlegerinnen im Wirtschaftsleben (Anm. 12), S. 7. Gustav Könnecke: Hessisches Buchdruckerbuch enthaltend Nachweis aller bisher bekannt gewordenen Buchdruckereien des jetzigen Regierungsbezirks Cassel und des Kreises Biedenkopf, Marburg 1894, S. 18 f. Der Druckvermerk lautet: »Cassel, getruckt bey Blasii Grossens Wittib, in Verlegung Johann Schützens, im Jahr 1636.« Der von Regina Becker-Schmidt geprägte Terminus ›Genus-Gruppe‹ zielt auf »die Versämtlichung von Frauen und Männern in sozialen Gruppen« (freundliche Auskunft Regina Becker-Schmidt). Merry E. Wiesner-Hanks: Introduction, in: Axel Erdmann, My Gracious Silence. Women in the Mirror of the 16th Century Printing in Western Europe, Luzern 1999, S. VII–XX, hier S. VIII.
1. Frauen im Zeitalter des Buchdrucks: Das Bildungsangebot des Buchmarktes
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der Möglichkeiten für Frauen, mit ihren eigenen Werken an die Öffentlichkeit zu treten«,138 führt im genannten Zeitraum nicht weiter. Niemand verwehrte schreibenden Frauen den Zugang zur Presse.139 Deshalb waren es nicht die Entscheidungsträgerinnen des Buchhandels, die Autorinnen nachdrücklich förderten und zum Publizieren ermutigten. Die Zunahme der Publikationsbereitschaft von Frauen hatte andere Gründe.140
4.
Resümee
Das Bildungsangebot des Buchmarktes wurde in diesem Abschnitt aus der Perspektive der im herstellenden und verbreitenden Buchhandel tätigen Mittler zwischen Textproduzierenden und Lesepublikum in den Blick genommen. Das Hauptgewicht der Ausführungen lag auf den Programmgestaltungen und Vermarktungsstrategien der Verleger-Sortimenter Johann Friedrich Gleditsch und Thomas Fritsch. Beide besaßen die Gabe, internationale Literaturströmungen und die Lesebedürfnisse des deutschen Publikums zu analysieren, beide beherrschten die Kunst, neue inhaltliche Akzente zu setzen und ihre Drucke verkaufsfördernd einzukleiden. Das Marktsegment der Bücher zum Nutzen von Frauen erweiterten sie je um eine frauenfreundliche Produktlinie. Aus Buchanzeigen des MartiniVerlages ist zu ersehen, seit wann und wie die zum Verkauf anstehenden »Bücher zur Frauenzimmerlektüre« beworben wurden und ob potentielle Käuferinnen aus einer für damalige Verhältnisse komfortablen Palette von Schriften dieser Art auswählen konnten.141 Die vorgestellten Firmeninhaber folgten der sinnstiftenden Leitidee, Wissen allgemein zugänglich zu machen und das geistige Leben zu fördern. Davon versprach man sich geschäftliche Vorteile (Erhöhung der Rendite) und ein florierendes politisches Gemeinwesen. Verlegerisch tätige Frauen standen diesen Geschäftsideen weniger aufgeschlossen gegenüber, vielleicht weil sie risikoscheuer und aufklärungsfeindlicher waren, sieht man von der verschwindend geringen Zahl außerhalb des üblichen Geschäftsgebarens agierender Eigenverlegerinnen ab. An Frauen gerichtete oder an sie mitadressierte Literatur gab es zwar schon vor der Frühaufklärung, man denke nur an das massenhaft gedruckte Erbauungsschrifttum und den nahezu unüberschaubaren Bestand an erhaltenen
138 Albrecht Classen: Frauen im Buchdruckergewerbe des 17. Jahrhunderts. Fortsetzung einer spätmittelalterlichen Tradition und Widerlegung eines alten Mythos. Methodische Vorüberlegungen zur Erhellung der Rolle von Buchdruckerinnen, in: Gutenberg-Jahrbuch 2001, S. 220–236, hier S. 236. 139 Aber möglicherweise blockierten die Zensurbehörden oder einzelne Verlage und Druckereien die Publikation von konfliktträchtigen Frauentexten. 140 Auf diese Problematik wird in Kapitel 2 und Abschnitt 3.1 näher einzugehen sein. 141 In den Standardwerken zur Bedeutung und Verbreitung des Letterndrucks wird geschlechtsspezifischen Fragestellungen keine Relevanz zuerkannt. Elizabeth L. Eisenstein: The Printing Press as an Agent of Change. Communications and Cultural Transformations in Early-Modern Europe, 2 Bde., Cambridge u. a. 1979. Michael Giesecke: Der Buchdruck in der frühen Neuzeit. Eine historische Fallstudie über die Durchsetzung neuer Informations- und Kommunikationstechnologien, Frankfurt/M. 1991.
1.2 Erwerb von Bücherkenntnissen durch Frauen
43
Funeralschriften zu Ehren verstorbener Frauen.142 Neu und wegweisend war in der Epoche der Frühaufklärung das buchhändlerische Ziel, das genannte Marktsegment zu vergrößern und zusätzliche weibliche Publikumsschichten zu gewinnen. In den früheren Jahrhunderten kam der Anstoß hierzu aus den Reihen der Autor(inn)en oder ihrer Auftraggeber(innen). Ausnahmen mag es gegeben haben, doch fehlen bislang entsprechende Quellenbelege.
1.2 Erwerb von Bücherkenntnissen durch Frauen Mit der Einführung neuer Massenmedien im 20. Jahrhundert sahen sich zahllose Erwachsene vor die Aufgabe gestellt, ungewohnte Kommunikationsmittel in das eigene Handlungsrepertoire aufzunehmen. Die Frage, wie die neuen Medien das Leben und Lernen erwachsener Menschen verändern, ist gegenwärtig aktueller denn je. Das 18. Jahrhundert mit seiner jährlich wachsenden Menge an gedruckten Neuerscheinungen kannte Begriffe wie »Medienkompetenz« oder »Lesesozialisation in der Mediengesellschaft« nicht, es stand aber vor vergleichbaren Herausforderungen. Zwischen denjenigen Lesestoffen, die einem lesefähigen Menschen im Kindes- und denen, die ihm im Erwachsenenalter zur Verfügung standen, konnten Welten liegen. Da Leserinnen meist die Qualifikation fehlte, das Bücherangebot zu überblicken und eine sinnvolle Auswahl zu treffen, fanden sich Kenner des Buchmarktes, die speziell für diese Zielgruppe Hilfe zur Selbsthilfe in Form von Literaturführern, Studienanleitungen, Auswahllisten und Titelhinweisen anboten.143 142 Siehe Rudolf Lenz: Vorkommen, Aufkommen und Verteilung der Leichenpredigten. Untersuchungen zu ihrer regionalen Distribution, zur zeitlichen Häufigkeit und zu Geschlecht, Stand und Beruf der Verstorbenen, in: ders. (Hg.), Studien zur deutschsprachigen Leichenpredigt der frühen Neuzeit (Marburger Personalschriften-Forschungen; 4), Marburg 1981, S. 223–248, hier S. 241–243. 143 Wolfgang Martens: Leserezepte fürs Frauenzimmer. Die Frauenzimmerbibliotheken der deutschen Moralischen Wochenschriften, in: Archiv für Geschichte des Buchwesens 15, 1975, Sp. 1143–1200. Das vor der »Fräuliche[n] Bibliothek« des Vernünfftlers (1713–1714) in den Handel gelangte FrauenZimmer-Bibliotheckgen (1705) war Martens ebenso bekannt wie die Existenz von genus-gruppenübergreifenden Literaturführern und Bücherkunden. Was er allerdings nicht verwendet, ist die Textsortenbezeichnung ›Literaturführer‹. Vgl. zum Forschungsstand auch Georg Jäger: Historische Lese(r)forschung, in: Werner Arnold u. a. (Hg.), Die Erforschung der Buch- und Bibliotheksgeschichte in Deutschland, Wiesbaden 1987, S. 485–507, hier S. 504 f. Die Leseforschung führte Martens’ Hinweise zu frauenadressierten Literaturführern nur geringfügig, zu genus-gruppenübergreifenden Literaturführern und Bücherkunden überhaupt nicht weiter. Noch dürftiger nimmt sich die Forschungslage zum Thema Leseförderung und Leselenkung in zeitgenössischen Büchern, die für Frauen bestimmt waren, aus. Eine Ausnahme bildet der Aufsatz von Dagmar Grenz: Von der Nützlichkeit und der Schädlichkeit des Lesens. Lektüreempfehlungen in der Mädchenliteratur des 18. Jahrhunderts, in: Die Schiefertafel. Zeitschrift für historische Kinderbuchforschung 4, 1981, S. 74–92. Lektürebezogene Äußerungen humanistischer Autoren referiert Katharina Fietze: Frauenbildungskonzepte im Renaissance-Humanismus, in: Elke Kleinau u. a. (Hg.), Geschichte der Mädchen- und Frauenbildung. Bd. 1: Vom Mittelalter bis zur Aufklärung, Frankfurt/M. u. a. 1996, S. 121–134, 488–490, 551.
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1.
1. Frauen im Zeitalter des Buchdrucks: Das Bildungsangebot des Buchmarktes
Literaturführer in deutscher Sprache: Das Frauen-Zimmer-Bibliotheckgen (1705), die Literatur des Frauenzimmers (1794) und die Neue Damen-Bibliothek (1800) von Friedrich Erdmann Petri
Der erste frauenadressierte Literaturführer in deutscher Sprache, das Frauen-ZimmerBibliotheckgen (1705), wurde im südlich von Rostock gelegenen Güstrow gedruckt und von Johann Michael Rüdiger in seiner Berliner Buchhandlung vertrieben. Das Titelstichwort »Frauen-Zimmer-Bibliotheckgen« dürfte in literaturbewanderten Kreisen zu einem Déjàvue-Erlebnis geführt haben, kannte man doch François de Grenailles La bibliothèque des dames (1640), wenn nicht im Original, so doch in einer gekürzten Übersetzung, die Georg Philipp Harsdörffer (1607–1658) im Anhang des vorletzten Teils seiner Gesprächspiele (Tl. 7, 1647) hatte abdrucken lassen. Bis auf den Titel und die in ihnen vertretene christliche Lebensauffassung haben die beiden Werke nichts miteinander gemein: François de Grenaille (1616–1680) edierte ins Französische übersetzte frauenbezogene Schriften der Kirchenväter Tertullian, Paulinus von Nola und Hieronymus, der Autor des Frauen-Zimmer-Bibliotheckgens, ein nicht genannter Bürger der Residenzstadt Berlin, gab eine Textsammlung heraus, die neben dem erwähnten Literaturführer ein von einer Mutter verfaßtes Trauer- und Mahnschreiben an ihren zum katholischen Glauben konvertierten Sohn144 sowie eine Sammlung von Bibelsprüchen aus dem Alten und Neuen Testament enthält. Die Bibliothèque des dames des französischen Historiographen berücksichtigt der Autor des Frauen-Zimmer-Bibliotheckgens in keiner Weise, hingegen findet die Namensverwandtschaft seines Literaturführers mit Christoph Hellwigs fünf Jahre zuvor in Leipzig erschienenem Frauenzimmer-Apotheckgen Erwähnung, durch das der Autor zu einem Analogieschluß, den Nutzwert seines eigenen Buches betreffend, angeregt wurde: Aber doch vor wenigen Tagen, fügete es sich sonderlich, daß mir ein kleines Tractätgen in die Hände kam, welches war: L. Christoph Hellwigs, Stadt-Physici zu Tännstädt, Frauen-Zimmer-Apotheckgen; Dieses Frauen-Zimmer Apotheckgen denn, erinnerte mich des FrauenZimmerBibliotheckgen, wobey ich sofort gedachte, daß wie man so gar ernstlich Sorge trüge für den Leib und leiblichen Zustand eines Frauen-Zimmers, solche Vorsorge auch gut und löblich wäre, es allerdinge [sic] höchst nöthig auch sey, zu sorgen fürs Gemüth und die Seele, und was dessen erfreulichen Zustand in Zeit und Ewigkeit bringen und erhalten könne.145 144 Das Zwischentitelblatt enthält Hinweise zum »Copyright« des Textes: »Bewegliches Schreiben Einer Mutter, An Ihren zum abgöttischen Pabstthum übergegangenen Sohn! Gezogen aus dem ins Pabstthum reisenden, und darinnen wohnenden Lutheraner Hrn. D. Joh. Frid. Mayers.« Anonym: FrauenZimmer-Bibliotheckgen, oder thuelicher Vorschlag, wie und auff was Ahrt [sic], für ein deutsches Frauen-Zimmer, mässigen Vermögens, unterschiedene außerlesene, und recht nützliche Bücher, zu ihrem Vergnügen, zeitlichen und ewigen Wohlseyn, gar leicht und auff wenig Kosten, angeschaffet werden können. Mit einer kleinen Beylage: Als einem beweglichen Schreiben einer Mutter an ihren zum abgöttischen Pabstthum übergegangenen Sohn; und etlichen sonderbahren Denck-Sprüchen, dadurch das Hertz in dem Wandel für Gott zubefestigen, Güstrow 1705, S. 101. 145 Ebd., S. 3–8 (»Eingang«), hier S. 6 f. Das Diminutivum ›Bibliothecgen‹ taucht auch im Titel einer Bücherkunde für Studenten auf: Anonym: Curieuses Studenten-Bibliothecgen, worinnen gezeiget wird, was ein Studiosus Theologiae, Studiosus Juris, Studiosus Medicinae, Studiosus Philosophiae et
1.2 Erwerb von Bücherkenntnissen durch Frauen
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Bereits die den eigentlichen Text ergänzenden Literaturlisten des zweiten und vierten Teils von Harsdörffers Gesprächspielen (8 Tle., 1641–1649) weisen durch den empfehlenden Charakter, den der Autor ihnen beilegt, auf den Literaturführer im Frauen-Zimmer-Bibliotheckgen (1705) voraus.146 Doch trägt Harsdörffers länderübergreifender Ansatz elitäre Züge. Dies unterscheidet ihn vom Autor des Frauen-Zimmer-Bibliotheckgens, dessen Titelhinweise auch für die »Illiterati« (die Nicht-Gelehrten) von Nutzen sein sollen.147 Die Idee, »eine Bibliotheculam Muliebrem zu formiren«, war nicht im stillen Kämmerlein ausgebrütet worden. Einer regelmäßig in Berlin zusammentreffenden HonoratiorenGesprächsrunde war das Nichtvorhandensein einer solchen Handreichung zu Bewußtsein gekommen.148 Im ersten Kapitel (»Von der Person, die man zum Frauen-Zimmer-Bibliotheckgen anweiset«) legt der Autor dar, wie er sich die ideale Leserin vorstellt. Sie ist eine Deutsche mäßigen Vermögens, hat einen aufgeweckten Verstand, läßt sich durch die Begier, Gott und den Menschen zu gefallen, in ihrem Handeln leiten, und sie will durch Lektüre nützlicher, guter Bücher, diesen »stummen Führern«, diesem Ziel näher kommen.149 Weil von nicht zu vernachlässigender Bedeutung, werden die Vermögensverhältnisse der Leserinnen noch detaillierter umrissen: Ferner, es ist dieses Frauen-Zimmer mäßigen Vermögens, das ist, meinem Verständnis nach, die nicht zu reich, und die auch nicht gar bedürfftig ist. Denn wo man ja Bücher anschaffen sol, so muß man solche mit Geld erkauffen; ohne Geld, wird alles schlecht bestellt, hier in der Welt. Eine gar Reiche, mag füglich mehr Bücher, als hier anzutreffen, haben und besitzen: Eine, so wenig Geld anzulegen vermag, kan schon mit der lieben Bibel, dem Catechismo, einem Gebeht- und Gesang-Buch, und des sel. Herrn Arnds wahrem Christenthum, folglich also mit diesen vier Büchern, sich begnügen lassen. Sonsten mag die Person seyn hohen oder niedrigen Standes, es ist daran in diesem Stücke wenig gelegen.150
Im siebten (»Von Bücher-Kosten«) der insgesamt zehn Kapitel des Kleinoktavbändchens überschlägt der Autor die Kosten einer Handbibliothek. Grundlage seiner Berechnungen ist eine nach Formaten geordnete Aufstellung von 27 der wichtigsten Bücher, von denen schon im vierten, fünften und sechsten Kapitel (»Von Glaubens-Büchern«, »Von Geschichts-Büchern«, »Von Haushaltungs-Büchern«) die Rede war. Einschließlich Buchbin-
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Politices entweder von nöthigen und nützlichen Büchern sich anschaffen, oder von welchen er einige Nachricht haben solle und müsse, Leipzig 1707. Georg Philipp Harsdörffer: Frauenzimmer Gesprächspiele. Faks.-Ndr. d. Ausg. Nürnberg 1643– 1657, hg. von Irmgard Böttcher, 8 Tle. (Deutsche Nachdrucke. Reihe: Barock; 13–20), Tübingen 1968–1969, Tl. 2, 1657, Bl. Gg2a–Hh6b, Tl. 4, 1644, Bl. Yy2–Yy8b. Von der Frauenforschung sind die Literaturlisten noch nicht als Dokumente der Literaturvermittlung wahrgenommen worden. Frauen-Zimmer-Bibliotheckgen (Anm. 144), S. 11: »Ich stelle denn hier für in ein Bibliotheckgen einzulassen ein Frauen-Zimmer zu ihren offenbahren Nutzen, und also keine Manns-Person eigentlich; doch mögen auch diejenigen, so Männlichen Geschlechts sind, als etwa Kauffleute, Künstler, und insgemein alle Illiterati hier einen freyen Eingang nehmen, alles besehen, und daraus holen, was dienlich ist, und gefallen kan.« Ebd., S. 3 f. Ebd., S. 10. Ebd., S. 12 f.
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1. Frauen im Zeitalter des Buchdrucks: Das Bildungsangebot des Buchmarktes
derlohn von fünf Talern und einigen Groschen fallen für eine Bibliothek dieser Größenordnung Kosten in Höhe von 35 Talern und etlichen Groschen an. Manche Frau sei bereit, ereifert sich der Autor, für ein einziges Häubchen (»Kopff-Zeug«) 30, 40, 50 und mehr Taler auszugeben.151 Nun ist ein eigens an Frauen adressierter Literaturführer per definitionem dafür da, die Lesegewohnheiten dieser Zielgruppe in die richtigen Bahnen zu lenken und zu diesem Zweck ihre Bücherkenntnisse zu erweitern. Erstaunlicherweise mutete der Autor des beginnenden 18. Jahrhunderts seinem Publikum weitaus größere Bücherkenntnisse zu als die Editoren der Titelliste, die der Kostenrechnung zugrundegelegt wurde.152 Unserem Autor mangelte es nicht an visionärer Kraft, was auch das Frontispiz des Frauen-Zimmer-Bibliotheckgens veranschaulicht (Abb. 3). Eine modisch gekleidete Bücherbenutzerin kann hier aus 51 Büchern auswählen, die im Sichtbereich ihres Bücherregals aufgestellt sind. Rechnet man die von einem Vorhang verdeckten Publikationen hinzu, stehen ihr schätzungsweise 100 Bücher zur Verfügung. Die Forderung, lesefähige, bemittelte Frauen sollten mehr Geld für gute Bücher ausgeben und sich eine ordentliche Bibliothek anlegen, wurde im deutschen Sprachraum wohl niemals zuvor mit einer solchen Vehemenz und so volksnah vertreten wie vom Autor des Frauen-ZimmerBibliotheckgens.153
151 Ebd., S. 78 f., 80. Die Entwicklung der Bücherpreise ist dank der Studie von Walter Krieg: Materialien zu einer Entwicklungsgeschichte der Bücher-Preise und des Autoren-Honorars vom 15. bis zum 20. Jahrhundert, Wien u. a. 1953 verhältnismäßig gut erforscht. 152 Anonym: Zur Charakteristik der Frauenlektüre im Anfange des vorigen Jahrhunderts [Auszug aus: Frauen-Zimmer-Bibliotheckgen, 1705], in: Zeitschrift für deutsche Kulturgeschichte 1, 1856, S. 86– 87. Karl Biedermann: Deutschland im achtzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Deutschlands geistige, sittliche und gesellige Zustände im achtzehnten Jahrhundert. Tl. 1: Bis zur Thronbesteigung Friedrichs des Großen (1740), Leipzig 1858, S. 545 f. Ohne die Editionen seiner Vorgänger zu nennen, edierte Wolfgang Martens die Titelliste in seinem Aufsatz Leserezepte fürs Frauenzimmer (Anm. 143, Sp. 1196–1198), ergänzt um elf Titel, die er dem letzten Kapitel (»Von der Bücher-Sorge«) des Frauen-Zimmer-Bibliotheckgens entnahm. Der Anonymus, Biedermann und Martens edierten nur einen Bruchteil (die Titelhinweise im Kapitel »Von Glaubens-Büchern« [S. 27–59] gehen tendenziell ins Uferlose!) des im Literaturführer präsentierten Titelmaterials. Barbara Becker-Cantarino (Anm. 12, 1987, S. 173) stützt sich auf die Edition von Biedermann (den Leserezepte-Aufsatz von Martens erwähnt sie nicht). Von ihr wird die Zielgruppe der Handbibliothek auf Frauen der bürgerlichen Oberschicht eingegrenzt. 153 Die Büchersammlung einer gelehrten Frau einschließlich des Aufbewahrungsmöbels thematisierte im Untersuchungszeitraum bereits Erasmus von Rotterdam in seinen Colloquia familiaria (1518), allerdings ohne auf die Kosten einer solchen Sammlung einzugehen. »Antronius: Was für eine Einrichtung sehe ich hier? Magdalia: Ist sie nicht schön? Antronius: Ich weiß nicht, ob sie schön ist. Fest steht nur, daß sie weder zu einer jungen noch zu einer betagten Frau recht paßt. Magdalia: Wieso? Antronius: Weil alles voll von Büchern ist. […] Magdalia: […] Doch wieso mißfällt Euch diese Einrichtung? Antronius: Weil der Rocken und die Spindel die weiblichen Waffen sind.«
1.2 Erwerb von Bücherkenntnissen durch Frauen
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Die insgesamt 38 Titel der Bücheraufstellung samt Erweiterungsvorschlägen im Frauen-Zimmer-Bibliotheckgen unterscheiden sich von den 88 Titeln der für Frauen bestimmten Leseempfehlungsliste des Hamburger Patrioten (Bd. 1, 1724) in wesentlichen Punkten. Nicht vertreten sind Schriften philosophischen Inhalts, es fehlt die schöne Literatur und die verhaltensmodellierende Gebrauchsliteratur wie auch alles fremdsprachige Schrifttum. Dagegen nehmen geistliche Lektüren breiten Raum ein (circa zwei Drittel der Empfehlungen).154 Die Vermutung liegt nahe, es könnte sich bei dem Autor des Literaturführers um einen vom Pietismus beeinflußten Geistlichen handeln. Nicht nur die Bücherauswahl, die er traf, weist in diese Richtung,155 sondern auch seine Argumentation. Modische Kleidung, Schmuck, Schminke, Essen, Trinken, Einrichtungsgegenstände werden als nicht wertbeständige Zierden des Frauenzimmers betrachtet. Die Mahnung, die Frau solle ihre Sorge »auf die innerliche Zierde ihres Hertzens« richten, gehörte zum Standardrepertoire eines jeden aufrechten Kirchenmannes. Die Adressatin lasse sich angelegen sein, ihren Verstand zu vervollkommnen (»ihren Verstand poliren«) und in Einklang mit Gottes Willen zu leben (»ihren Willen heiligen«).156 Gute Bücher zu lesen, bringe sie dem Ziel näher, »fromm, klug und sittsam« zu werden, lesen wir im vorletzten Kapitel (»Vom Gebrauch der Bücher, und Bibel-Lesen«). Zwei oder mehrere Stunden am Tag solle sie ihre täglichen Verrichtungen im Haus aussetzen und sich durch Lektüre erbauen.157 Neben Büchern sammle sie Manuskripte, rät der Autor im siebten Kapitel (»Von geschriebenen Sachen, oder Manuscripten«). Er denkt dabei an Briefe, Erinnerungen und Nachrichten der Eltern und anderer Verwandten, eigenhändige Exzerpte aus geistlichen Schriften, Predigtnachschriften, Rezepte bewährter Hausmittel und tagebuchartige Aufzeichnungen.158 Der Vorschlag, denkwürdige Begebenheiten aufzuzeichnen, verrät vielleicht die Nähe des Autors zum Pietismus, gehören doch zu den »aufschlußkräftigsten Gattungen der pietistischen Literatur überhaupt die große Anzahl der individuellen Lebens- und Erfahrungsberichte: Biographien, Autobiographien, Tagebücher und Briefliteratur.«159 Bevor der Autor im vierten Kapitel in die Kategorie der lesenswerten Bücher einführt (»Von guten
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Erasmus von Rotterdam: Abbatis et eruditae/Der Abt und die gelehrte Frau, in: ders., Ausgewählte Schriften. Ausgabe in acht Bänden lateinisch und deutsch. Hg. von Werner Welzig. Bd. 6: Colloquia familiaria/Vertraute Gespräche. Übersetzt, eingeleitet und mit Anmerkungen versehen von Werner Welzig, Darmstadt 1967, S. 252–265, hier S. 252, 257. Martens (Anm. 143), Sp. 1177. Unter den aufgeführten pietistischen Autoren sind Philipp Jakob Spener, Gottfried Arnold und Philipp Balthasar Sinold, gen. von Schütz, besonders hervorzuheben. Martens übergeht die Frage nach der religiösen Ausrichtung des Autors. In seinen späteren Forschungen zum Pietismus bezog er sich auf andere Quellen. Wolfgang Martens: Literatur und Frömmigkeit in der Zeit der frühen Aufklärung (Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur; 25), Tübingen 1989. Frauen-Zimmer-Bibliotheckgen (Anm. 144), S. 80–82. Ebd., S. 83, 85. Ebd., S. 71 f. Hans-Jürgen Schrader: Pietismus, in: Walther Killy (Hg.), Literatur Lexikon. Bd. 14: Begriffe, Realien, Methoden, hg. von Volker Meid, Gütersloh u. a. 1993, S. 208–216, hier S. 212.
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1. Frauen im Zeitalter des Buchdrucks: Das Bildungsangebot des Buchmarktes
Büchern, die man haben kan und sol«), kommt er im Kapitel »Von bösen Büchern, die man nicht haben sol« auf Werke zu sprechen, die eine Frau unter keinen Umständen anschaffen soll, und das sind »Liebes-Bücher«, »Complimentir-Bücher«, »Wahrsager- und verbotene Kunst-Bücher«, »Lügen- und Zoten-Bücher« sowie »Traum-Bücher«.160 Obwohl die Pietisten die Anstands- und Rhetorikerziehung nicht generell verurteilen, ist der Autor kein Freund von »Complimentir-Büchern«. Hans-Jürgen Schrader wies darauf hin, daß infolge des »pietistischen Wahrheitsrigorismus […] alles Fiktionale als lügenhafte Verstellung«161 gebrandmarkt wurde. Da die Überzeugungs- und Strahlkraft des rhetorischen Formenschatzes nicht zuletzt auf Beschönigungen und Übertreibungen beruht, könnte die Ablehnung von Komplimentierbüchern die logische Konsequenz des unerbittlichen Wahrheitsanspruchs des Autors gewesen sein. Frauenadressierte Literaturführer wurden erst wieder nachgefragt, als die Bedeutung der Moralischen Wochenschriften nach 1770 schwand. Die Literatur des Frauenzimmers, oder Entwurf zu einer auserlesenen Frauenzimmerbibliothek (1794)162 basiert auf einem Aufsatz, der unter dem Titel Einleitung und Entwurf zu einer Damenbibliothek (1780, 2. Aufl. 1784) in den Feyerstunden der Grazien (6 Bde., 1780–1789) herauskam.163 Herausgeber dieser Textsammlung und Autor der Auswahlliste war der Buchhändler, Essayist und Journalist Johann Georg Heinzmann (1757–1802).164 Infolge seiner revolutionären Gesinnung sah sich der Einundzwanzigjährige gezwungen, von Ulm nach Bern überzusiedeln. Der noch nicht identifizierte Herausgeber der Neuausgabe von 1794 verfolgte die Absicht, »eine vernünftige Lectüre unter dem weiblichen Geschlechte […] zu verbreiten«.165 Die
160 Frauen-Zimmer-Bibliotheckgen (Anm. 144), S. 20 f. 161 Schrader (Anm. 159), S. 211. 162 Bibliographisch erschlossen wurde der Titel von Martens (Anm. 143, Sp. 1149, Anm. 10) und Ulrich Herrmann: Erziehung und Schulunterricht für Mädchen im 18. Jahrhundert, in: Wolfenbütteler Studien zur Aufklärung 3, 1976, S. 101–135, hier S. 115. Die Beweggründe des unbekannten Herausgebers paraphrasiert Szász (Anm. 12), S. 32. 163 [ Johann Georg Heinzmann]: Einleitung und Entwurf zu einer Damenbibliothek, in: Die Feyerstunden der Grazien. Ein Lesebuch [hg. von Johann Georg Heinzmann], Bern 1780, S. 401–412. Mit der Erstauflage der Einleitung und Entwurf zu einer Damenbibliothek machte Gerhard Sauder die Leseforschung 1977 bekannt; die zweite Auflage von 1784 und die erweiterte Neuausgabe von 1794 erwähnt er nicht. Gerhard Sauder: Gefahren empfindsamer Vollkommenheit für Leserinnen und die Furcht vor Romanen in einer Damenbibliothek. Erläuterungen zu Johann Georg Heinzmann, Vom Lesen der Romanen und Einleitung und Entwurf zu einer Damenbibliothek aus: J. G. H., Die Feyerstunden der Grazien. Ein Lesebuch, Bern 1780, in: Leser und Lesen im 18. Jahrhundert (Beiträge zur Geschichte der Literatur und Kunst des 18. Jahrhunderts; 1) Heidelberg 1977, S. 83–91, 148–152. 164 Derselbe Autor erregte sich über die falschen Lesegewohnheiten von Frauen: Johann Georg Heinzmann: Appel [sic] an meine Nation über Aufklärung und Aufklärer; über Büchermanufakturen, Rezensenten, Buchhändler; moderne Philosophen und Menschenerzieher; auch über mancherley anderes, was Menschenfreyheit und Menschenrechte betrifft […], Bern 1795, S. 337–340, hier S. 400 f. 165 Anonym: Literatur des Frauenzimmers, oder Entwurf zu einer auserlesenen Frauenzimmerbibliothek, Frankfurt u. a. 1794, S. 5–6 (»Vorbericht«).
1.2 Erwerb von Bücherkenntnissen durch Frauen
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sieben Abschnitte des Literaturführers tragen die Überschriften »Gottesverehrung«, »Tugendliebe«, »Allgemeine Kenntnisse«, »Schöne Lectüre«, »Musik«, »Oekonomie« und »Medicinische Vorschriften fürs andere Geschlecht in mancherley Lagen«.166 Im Abschnitt »Allgemeine Kenntnisse« wird der Adressatin unter der Rubrik »Zur Bildung im Schreiben und Denken« ein heute nicht mehr nachweisbarer frauenadressierter Ratgeber des Breslauer Predigers Gottlieb Steinberg empfohlen: »*Kurze Anweisung für Frauenzimmer regelmäßig zu schreiben und zu denken. Nebst einigen Frauenzimmer Briefen. Breßlau, bey Johann Friedrich Korn dem ältern. 1768. 76 Seiten in 8.«167 Die Rubriken »Bibliotheken, Journale und Magazine«, »Wochenschriften« und »Schriften von mancherley Art«168 im Abschnitt »Schöne Lectüre« enthalten Texte über Umgangsformen. In der Abteilung »Schriften von mancherley Art« werden neben deutschen französische Titel aufgeführt. Die Originale wurden den Übersetzungen vorgezogen, weil das Französische sich als erste Fremdsprache in bürgerlichen Kreisen weitgehend durchgesetzt hatte. Fünf der aufgelisteten französischen Werke erschienen in Deutschland: Schriften von mancherley Art. a) Französische Lettres de Madame Sevigne. Lettres de M. du Montier à sa fille. Oeuvres de Madame la Marquise de Lambert. A Lausanne 1751. in 8. et à Auguste 1764. in 12. *Les Loisirs d’une jeune Dame, (par Mde. de Montbart) A Berlin 1776. in 8. *Sophie, ou de l’Education des Filles, par Madame de Montbart. A Berlin 1777. in 8. (54 kr.) *Critique anonyme des deux premiers ouvrages de Madame Montbart: Loisirs d’une jeune Dame et Sophie, ou de l’education des filles. A Paris 1780. in 8. (12 kr.) *Magasin des Adolescentes ou Dialogues entre une sage Gouvernante et plusieurs de ses Eleves de la premiere distinction par Mde. Marie le Prince de Beaumont. IV. Tomes. A Berlin 1778. in 8. *Lettres Taitiennes par Madame de Montbart. A Breslau chez G. Th. Korn 1784. 22 Bogen in 8. (1 fl. 8 kr.) […] *Les Nuits champetres par M. de la Veaux, Prof. royal. Nouvelle Edition, avec figures en taille douce. A Berlin chez Chr. Fr. Himbourg 1784. 12 Bogen in 12. (1 fl. 30 kr.)169 166 Ebd., S. 6: »Was an Schriften neu hinzukam, ist mit einem Sternchen bezeichnet worden. Ich habe indessen auch den Plan mit zwey Abschnitten, nemlich mit dem fünften von der Musik, die doch ausser der Lektüre auch nicht selten eine Beschäftigung des schönen Geschlechts ausmacht, und mit dem siebenten, der medicinischen Vorschriften für das Frauenzimmer in mancherley Lagen enthält, vermehrt.« 167 Ebd., S. 33. Mit einem Asteriskus (*) kennzeichnete der Herausgeber seine Hinzufügungen zu Heinzmanns Liste. 168 Ebd., S. 34 f., 35, 36–44. 169 Ebd., S. 36 f. Marie Joséphine de Montbart (Monbart), geboren um 1750 in Paris, lebte nach ihrer Heirat in Preußen. Nach dem Ableben ihres Mannes heiratete sie einen Deutschen namens Sydow. In der deutschsprachigen Forschung finden die Werke der Autorin nur selten Berücksichtigung. Annette Mohr: Madame d’Epinays Konzeption der Mädchenerziehung im Umfeld von frauenspezifischen Erziehungstraktaten des 18. Jahrhunderts in Frankreich (Sofie. Saarländische Schriftenreihe zur Frauenforschung; 7), St. Ingbert 1997. Nur bibliographisch einbezogen wurde Montbarts Traité de l’education des filles (1777) von Martine Sonnet: L’éducation des filles au temps des Lumières, Paris 1987, S. 344. Ein Exemplar der deutschen Version dieser Erziehungsschrift ging in den Besitz der
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1. Frauen im Zeitalter des Buchdrucks: Das Bildungsangebot des Buchmarktes
In der »Vorerinnerung« zu seiner Neuen Damen-Bibliothek oder literärisches Wahlbuch über alle Gegenstände weiblicher Bestimmung und Bildung. Ein Hausbedarf für bildungsbeflissene Mädchen, ihre guten Mütter und Freunde, besonders aber für ihre Lehrer und Erzieher (1800), bekundet Friedrich Erdmann Petri (auch: Samuel Friedrich Erdmann Petri) (1776–1850) sein Befremden, »daß die polygraphische Industrie unsrer Schriftsteller-Welt (egoistisch genug,) noch kein besondres Repertorium der weiblichen Literatur lieferte.«170 Im zweiten Kapitel (»Schriften über die Erziehung des schönen Geschlechts«)171 werden eine ganze Reihe von Titeln aufgeführt, die sich mit Fragen der Anstandserziehung befassen: 1697. Introduction pour une jeune princesse, ou l’idée d’une honeste femme par Msr. de la Chetardye, à Paris. 8. – ist unbekannter und unwichtiger, als der berühmten Anne Therese de Marguenat des Courcelles Marquise de Lambert Lettres sur la veritable education des Filles, Amsterdam, (1692) 1729. 8. deutsch, Frankfurt, 1750. 8. schon vorher schrieb sie »Avis d’une mère à son fils et à sa fille.« 12. Paris. 1728. – In der freien mit Anmerkungen versehenen Bearbeitung ihrer sämtlichen Schriften zur Bildung junger Frauenzimmer von K. H. Heydenreich, Leipzig. 1798. 8. S. 278 mit 1 Titelk. (21 gr.) hat der Hg. zugleich in der Vorrede die ausgezeichneten Talente und Einsichten jener Schriftstellerin schön gewürdigt.172 […] Schon früher gab H… den Avis d’une mère à sa Fille besonders in Taschenformat unter der Aufschrift: Worte einer edlen Mutter an den Geist und das Herz ihrer Tochter (Leipzig, 1796. 10 gr. auf holländ. Papier 12 gr. gebunden in Futteral 16 gr. in einem hellgrünen Umschlage mit einem (schlechtgezeichneten) punctirten weiblichen Brustbilde) nebst einem Anhange einiger Ideen über Kleinheit und Größe im weiblichen Charakter, heraus.173 […] Die kluge Hofmeisterin des galanten Frauenzimmers. 1711. 12. Du Puy instruction d’un père à sa fille, deutsch, Halle 1719, und dann mehrmals, – so wie Hallifax Advice to a Daugther, or the Ladys new years gift, London, 1748. 8. und den Conseil instructiv d’une Dame à son Eleve avec la lettre d’une Mère à sa fille, Francof. 1750. 8. konnte ich noch nicht näher kennen lernen.174 […] The polite Lady, London, 1762. 8. ist wahrscheinlich das Original der sehr empfehlenswerthen Erziehungsschrift für das schöne Geschlecht, die unter der Aufschrift:
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Bibliothek des Kurfürstlichen Erziehungshauses in Frankenthal (1780–1799) über. Siehe Lenelotte Möller: Höhere Mädchenschulen in der Kurpfalz und im fränkischen Raum im 18. Jahrhundert (Mainzer Studien zur Neueren Geschichte; 5), Frankfurt/M. u. a. 2001, S. 367–370, hier S. 370. [Friedrich Erdmann Petri:] Neue Damen-Bibliothek oder literärisches Wahlbuch über alle Gegenstände weiblicher Bestimmung und Bildung. Ein Hausbedarf für bildungsbeflissene Mädchen, ihre guten Mütter und Freunde, besonders aber für ihre Lehrer und Erzieher, Leipzig 1800, S. IV. Fehlerhaft wiedergegeben wird das Petri-Zitat von Szász (Anm. 12), S. 32. Gustav Krusche: Litteratur der weiblichen Erziehung und Bildung in Deutschland von 1700–1886. Aufgesucht, in 3 Abteilungen nach der Zeitfolge geordnet und mit einem Register versehen, Langensalza 1887, S. 8. Das erste der insgesamt dreiundzwanzig Kapitel der Neuen Damen-Bibliothek ist überschrieben »Charakteristik und Geschichte des weiblichen Geschlechts«. Obwohl Petri studierter Theologe war, brach er mit der kirchlich geprägten Tradition, an die erste Stelle ein Kapitel zur religiös-erbaulichen Literatur zu setzen. [Petri] (Anm. 170), S. 42 f. Ebd., S. 44. Ebd., S. 47 f.
1.2 Erwerb von Bücherkenntnissen durch Frauen
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Das wohlgezogne Frauenzimmer oder vollständige Anweisung zur weiblichen Erziehung in einer Reihe von Briefen, aus dem Engl. zu Rostock 1767 8. 1 Alph. 4 1/2 B. (für 20. gr.) herauskam. Eine zärtliche, vernünftige Mutter ertheilt darin ihrer Tochter Belehrungen über alles, was zu ihrer Pflicht und Bestimmung sowohl als zum Wohlstande, zur Lebensart und den ihr nothwendigen Kenntnissen gehört. – Vertraulicher Briefton und zweckmäßig eingestreute Reflexionen und Beispiele erhöhen den Werth dieser Lehren. – Nur selten ist die Schreibart zu matt und weitschweifig.175
Petri hatte in Leipzig Theologie und Philosophie studiert. Zum Zeitpunkt des Erscheinens seines frauenadressierten Literaturführers war er Privatlehrer des Neffen vom Grafen Isaak Wolfgang von Riesch.
2.
Die Studienanleitung Les femmes sçavantes (1718) von N. C. und der Literaturführer Plan de lecture pour une jeune dame (1784) von Claude-François-Adrien de Lezay-Marnézia
Mit Sicherheit wurden im Alten Reich nicht nur deutschsprachige Schriften rezipiert, die Bücherkenntnisse vermitteln. Der reformierte Autor des Studienführers Les femmes sçavantes ou bibliothèque des dames (1718)176 reservierte sieben der insgesamt neunundzwanzig Kapitel seiner Anleitung der Frage, welche Bücher sich die Adressatin je nach ihren Interessenschwerpunkten beschaffen könnte: »Bibliothèque de Piété pour une femme Sçavante & Dévote«, »Bibliothèque d’une Sçavante Théologienne«, »Bibliothèque d’une Dame Philosophe«, »Bibliothèque d’une Dame Sçavante, pour la Rhetorique«, »Bibliothèque de Poësie pour une Dame Sçavante«, »Bibliothèque d’Histoire pour une Dame Sçavante«, »Bibliothèque curieuse des Beaux Arts, auxquels une Dame peut s’appliquer«. Der Autor des Frauen-Zimmer-Bibliotheckgens, der Herausgeber der Einleitung und Entwurf zu einer Damenbibliothek sowie Friedrich Erdmann Petri lehnten es ab, Empfehlungen für große Schriftsteller und Denker der Antike auszusprechen. Nicht so der Autor mit dem Kryptonym N. C. und Claude-François-Adrien de Lezay-Marnézia, die beide Textausgaben antiker Autoren anführen. Ersterer rät im dreiundzwanzigsten Kapitel (»Bibliothèque d’une Dame Sçavante, pour la Rhetorique«) ohne umständliche Begründungen zur Lektüre der Rhetoriken von Cicero und Quintilian,177 letzterer unter dem Stichwort »ouvrages 175 Eda., S. 49 f. 176 Max Wieser: Der sentimentale Mensch. Gesehen aus der Welt holländischer und deutscher Mystiker im 18. Jahrhundert, Gotha u. a. 1924, S. 288, Anm. 28, übersetzte den Originaltitel dieser Publikation ins Deutsche: »Frauenzimmer Bibliotheck, in welcher von denen Wissenschafften, so dem Frauenzimmer anständig sind, von der Einrichtung ihrer Studien und von denen Büchern, so sie lesen können, gehandelt wird, nebst einer historischen Nachricht von gelehrten Frauenzimmern. Amsterdam bey Michael Carl le Cene 1718. groß duodez 15. Bogen.« Martens (Anm. 143, Sp. 1149) ging fälschlich davon aus, eine deutsche Übersetzung des ganzen Werkes sei tatsächlich erschienen. 177 Auch Quintilian erzog zum Lesen (guter Bücher). M. Fabii Quintiliani Institutionis oratoriae libri XII/Marcus Fabius Quintilianus: Ausbildung des Redners. Zwölf Bücher. Hg. und übersetzt von Helmut Rahn (Texte zur Forschung; 2–3), 2 Tle., Darmstadt 1972–1975, Tl. 1, Buch 1, S. 116–125, Buch 2, S. 190–199, Tl. 2, Buch 10, S. 430–485.
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1. Frauen im Zeitalter des Buchdrucks: Das Bildungsangebot des Buchmarktes
de morale« zur Lektüre der »Offices de Cicéron«.178 Wie die Leserin ihre Studien einrichten soll, wird im elften Kapitel (»De la manière d’étudier«) der Studienanleitung Les femmes sçavantes ou bibliothèque des dames beschrieben. Dabei wird der Lernvorgang in Lesen, Nachdenken, Zuhören, Auswendiglernen, Schreiben und Reden zergliedert. Es geht also um Lernmethodik.
3.
Genus-gruppenübergreifende Literaturführer und Bücherkunden
Der Artikel »Bibliothek« im Nutzbaren, galanten und cürieusen Frauenzimmer-Lexicon (2 Tle., 1773) gibt Auskunft über genus-gruppenübergreifende Literaturführer und Bücherkunden179 als frauenadäquate Informationsmittel. Die Namen der drei Neubearbeiter der dritten Auflage von Corvinus’ Frauenzimmerlexikon konnten bislang nicht ermittelt werden.180 Zum öffentlichen Gebrauche gewidmete Bibliotheken findet man an den Höfen großer Herren, in Kirchen, Schulen, ansehnlichen Städten und auf Akademien; die andern heißen Privat-Bibliotheken. […] Eine Frauenzimmer-Bibliothek darf nicht zahlreich seyn, sondern nur die besten Schriften zur Bildung des Geistes und des Herzens enthalten, worinnen die nöthigen Kenntnisse in der Religion, Tugendlehre, Erziehungskunst junger Kinder, Wirthschafts- oder Haushaltungskunde, und den schönen Wissenschaften deutlich gelehret und eingeschärfet werden. In Ansehung der Religion können vernünftige Seelsorger zu einer guten Handbibliothek die beste Anweisung geben: über die übrigen Materien findet man theils in diesem Frauenzimmer-Lexico unter den davon handelnden Artikeln die nöthigsten Schriften angeführet, theils geben gute Anleitung dazu: Joh. Christoph Stockhausens kritischer Entwurf einer auserlesenen Bibliothek für die Liebhaber der Philosophie und schönen Wissenschaften, dritte Auflage, Berlin 1764. 8. D. Joh. Peter Millers Anleitung zur Kenntniß der besten Bücher in allen Wissenschaften für Anfänger, Leipzig 1768. 8. Conseils pour former une bibliotheque peu nombreuse, mais choisie, par Mr. Formey, troisieme ed. à Berlin 1755. 8. Jul. Bernh. von Rohr Haushaltungs-Bibliothek, dritte Auflage, Leipzig 1755. 8.181 178 [Claude-François-Adrien de Lezay-Marnézia:] Plan de lecture pour une jeune dame, Paris 1784, S. 15. Französischsprachige Ausgaben antiker Schriftsteller schätzte man auch in Deutschland. Georg Christian Wolf schlägt in einer Fußnote zu seiner Übersetzung des Avis d’une mère à son fils et à sa fille (1728) vor, die von Anne-Thérèse de Lambert in Vorschlag gebrachten Latein- durch Französischkenntnisse zu ersetzen, »welche man heut zu Tage nicht wohl entbehren kan. In dieser Sprache haben wir schöne Ubersetzungen der alten Scribenten, welche dem Frauenzimmer vor andern anzupreisen sind.« Anne-Thérèse de Lambert: Der Madame von Lambert Gedancken von der Aufferziehung und einem tugendhafften Leben […], Leipzig 1729, S. 98 f. 179 Im Unterschied zu Literaturführern wenden sich Bücherkunden an Personenkreise, die »Profession von den Studien machen«. 180 Zum bibliographischen Quellenwert der ersten Auflage des Frauenzimmerlexikons von Corvinus vgl. Lemmer: Nachwort, 1980, S. 26. Der einer Inhaltsangabe gleichende Titel des Lexikons schließt das Wort »Bücher-Vorrath« ein, ein Synonym für Büchersammlung. 181 Anonym: Nutzbares, galantes und cürieuses Frauenzimmer-Lexicon […], 2 Tle., 3., durchgehends umgearb. Aufl. Leipzig 1773, Sp. 412 f. Genaue bibliographische Angaben zu den zitierten Titeln bei Martens (Anm. 143), Sp. 1149, Anm. 10. Johann Christoph Stockhausens Critischer Entwurf einer auserlesenen Bibliothek für den Liebhaber der Philosophie und schönen Wissenschaften (2. Aufl. 1758) wurde von Gellert in einem Brief an Erdmuth von Schönfeld wie folgt kommentiert: »Der Einfall ist
1.2 Erwerb von Bücherkenntnissen durch Frauen
4.
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Titelhinweise in der Religions- und Sittenlehre Philotheens Frauenzimmer-Akademie (1783) von Paulin Erdt
In Philotheens Frauenzimmer-Akademie (1783) wird die Geschichte weiblicher Gelehrsamkeit rekapituliert und zur Bücherkenntnis angeleitet.182 Das als Übersetzung aus dem Französischen deklarierte Werk des Franziskaners und aufklärungskritischen Theologieprofessors in Freiburg im Breisgau wurde in Augsburg, einem Zentrum für katholische Drucke, verlegt.183 Paulin Erdt (1737–1800) verfaßte auch eine Bücherkunde 184 und pastoraltheologische und erbauliche Schriften. »Philothee«,185 der Name der fingierten Autorin der Frauenzimmer-Akademie, ruft Erinnerungen wach an »Philotée« (»die Gottliebende«), die weibliche Idealfigur der Introduction à la vie dévote (1608) von François de Sales (1567–1622). Die unter dem Titel Philothea bekannt gewordene Anleitung zur Frömmigkeit des Bischofs von Genf wurde auch in Deutschland ein Verkaufserfolg. Die Philotee der Frauenzimmer-Akademie gehört dem Hochadel an. Ihre Tochter war im bemerkenswert frühen Alter von fünfundzwanzig Jahren von einer großen Fürstin zur Oberhofmeisterin ernannt worden.186 Das Werk enthalte den von ihr erteilten Unterricht
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gut, aber die Ausführung leidet viele Verbesserungen. Seine Bücher sind nicht stets die besten und oft nicht richtig genug characterisiret, indessen kann dieses Werk von gewissen Lesern sehr gut genützet werden.« Christian Fürchtegott Gellert: Kleine deutsche Bibliotheck für das Fräulein v. Schönfeld, in: Gellerts Briefe an Fräulein Erdmuth von Schönfeld, nachmals Gräfin Bünau von Dahlen, aus den Jahren 1758–1768. Als Manuscript gedruckt, Leipzig 1861, S. 36–45 (Brief vom 26. 2. 1759), hier S. 42. Leseförderung ist das Schwerpunktthema des folgenden Aufsatzes von Wolfgang Martens: Lektüre bei Gellert, in: Herbert Singer u. a. (Hg.), Festschrift für Richard Alewyn, Köln u. a. 1967, S. 123–150. Philothee [Pseud., Paulin Erdt]: Philotheens Frauenzimmer-Akademie. Für Liebhaberinnen der Gelehrsamkeit. Aus dem Französischen übersetzt von der Frau von *** Mit Erlaubniß der Obern, Augsburg 1783. Krusche (Anm. 170), S. 4. Londa Schiebinger wählte für die (fingierte) Übersetzerin die Namensform »Pauline Erdt«. Sie räumt ein, nicht zu wissen, ob es sich beim »Bericht über eine Frauenakademie« um eine reale oder imaginäre Akademie handelt. Londa Schiebinger: Schöne Geister. Frauen in den Anfängen der modernen Wissenschaft, Stuttgart 1993 (Orig. The Mind Has No Sex? Women in the Origins of Modern Science, 1989), S. 61, 399, Anm. 76. Nur erwähnt wird die Schrift von Brita Rang: »Jus fasque esse in rempublicam litterariam foeminas adscribi«. Gelehrt(inn)en-Enzyklopädien des 17. und 18. Jahrhunderts, in: Paedagogica historica 28, 1992, S. 511–549, hier S. 527, Anm. 38, und Barbara Münch-Kienast: Philothea von Johannes Paullin. Das Jesuitendrama und die Geistlichen Übungen des Ignatius von Loyola (Studien zur Literatur und Kunst; 7), Aachen 2000, S. 346 f.; beide Autorinnen umgehen die Verfasserfrage. [Paulin Erdt:] Anleitung für angehende Bibliothekare und Liebhaber von Büchern, Augsburg 1786. Die von mir angeführten Schriften von Paulin Erdt sucht man im Repertorium von Manfred Brandl vergeblich: Die deutschen katholischen Theologen der Neuzeit. Ein Repertorium. Bd. 2: Aufklärung, Salzburg 1978, S. 55. Philothee ist auch die Titelfigur einer weiteren frauenadressierten Schrift des Autors: Philothee [Pseud., Paulin Erdt]: Philotheens Gedanken in ruhigen Stunden für Frauenzimmer, Augsburg 1782. [Erdt] (Anm. 182), Bl. *8b.
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1. Frauen im Zeitalter des Buchdrucks: Das Bildungsangebot des Buchmarktes
eines ganzen Jahres, erklärt Philotee (alias Paulin Erdt) ihrem Publikum in der Vorrede.187 Um den (angeblichen) »Sitz im Leben« der Aufzeichnungen zu unterstreichen, wurden die neunzehn Kapitel des Buches nicht in »Kapitel«, sondern in »Vorlesungen« unterteilt. An die Leserinnen wird der Appell gerichtet, auf der Grundlage des verschriftlichten Unterrichts Verstand und Herz ihrer Kinder zu bilden und sich um Anerziehung christlicher Werte zu bemühen. Während der lutherische Autor des Frauen-Zimmer-Bibliotheckgens die Selbstfürsorge der Frauen für Geist und Seele betont, stellt der katholische Autor klar, wie wichtig die Verantwortung der Frau für die Erziehung der Kinder, vornehmlich die der Söhne, ist.188 So wenig man die Töchter in einer rohen Unwissenheit stecken lassen dürfe,189 so wenig dürfe man adlige und bürgerliche Frauen von höherer Bildung ausschließen, daher müsse ihnen die Möglichkeit gegeben werden, die Vielzahl gebildeter und auf geistigem Gebiet produktiver Frauen, die es gab und noch immer gibt, kennenzulernen. In ihrem Widmungsbrief (»An das Hochgebohrne, Hochwohlgebohrne, Wohlgebohrne Frauenzimmer Deutschlands«) distanziert sich die Übersetzerin (alias Paulin Erdt) von den Spöttern, die Frauen für weniger vernunftbegabt und lernfähig halten als sich selbst und ihre Geschlechtsgenossen: Diese Frauenzimmer-Akademie bahnt unserm Geschlechte den Weg zur Gelehrsamkeit, Religion und Sittenlehre; sie führt uns ins [sic] Kenntniß der Gelehrten unsers Geschlechtes, und weiset das Gespött der gelehrten Mannspersonen zurücke, die uns weniger Licht zutrauen, als uns die Vorsehung verliehen hat. Und wer sollte glauben, daß bey dem aufgeklärten Jahrhundert, in welchem wir leben, uns keine Strahlen der Gelehrsamkeit anblicken werden, da uns oft in dickern Finsternissen ein helles Licht geleuchtet hat?190
Die Leserin wird im XIV. bis XVIII. Abschnitt191 der zweiundvierzigseitigen Einleitung in die Welt der Bücher über, von und für Frauen eingeführt.192 Die Ausführungen haben zum Ziel, das Publikum von der Fähigkeit der Frauen zu höherer Bildung und der Notwendigkeit zur Selbstbildung zu überzeugen. Einige der von Erdt genannten Titel werden die Forschung bereichern, sobald sie sich mit der Schrift bekannt gemacht hat. Konzeptionell trennt der Autor, welcher ein glänzender Kenner einschlägiger Literatur war, nicht immer sauber zwischen Litterärgeschichte und Anleitung zur Bücherkenntnis. Den Auftakt der bibliographischen Rundschau bilden frauenapologetische Werke (»Schriften zum Ruhme des Frauenzimmers«). Über Autor(inn)en, die für eine radikale Umgestaltung der Geschlechterordnung plädieren, wird die Leserin in diesem Abschnitt absichtlich in Unwissenheit gehalten. Es folgen im XV. Abschnitt »Noch andre allgemeine Schriften zum Ruhme desselben«. Hierunter fallen Nachschlagewerke und andere gelehrte Schriften 187 Ebd., Bl. **2a. 188 Ebd., S. IV–IX. Der Autor nimmt hier wohl auf die das ganze 18. Jahrhundert hindurch vorgetragene Kritik Bezug, adlige Mütter würden die Erziehung ihrer Kinder sträflich vernachlässigen. 189 Ebd., S. XVII. 190 Ebd., S. *2b. 191 Ebd., S. XXV–XLI. 192 In den bibliographischen Referenzen dieses Textes liegt eine der Wurzeln der modernen frauenfokussierten Literaturgeschichtsschreibung.
1.2 Erwerb von Bücherkenntnissen durch Frauen
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von Männern, die die Leistungen von Frauen der Nachwelt überliefern, zum Beispiel William Alexanders The history of women (2 Bde., 1779). Im XVI. Abschnitt (»Werke der Frauenzimmer«) rühmt der Autor die Schriften ausgewählter mittelalterlicher und neuerer Autorinnen: Hrotsvith von Gandersheim, Theresia von Ávila, Marie de Rabutin-Chantal de Sévigné, Marie Le Prince de Beaumont, Marie Catherine LeJumel de Barneville d’Aulnoy und Christiana Mariana von Ziegler. Über letztere heißt es: Auch verdient besonders angepriesen zu werden die schon oben gerühmte Frau von Ziegler, welche durch ihr schönes Gedicht auf des Königs von Pohlen Tod: und durch den Preis, den sie durch die ungebundene Rede: In wie weit die Liebe seiner Feinde aus dem Lichte der Natur erkannt werden möge? in gebundener Rede aber: Das Lob des weiblichen Regiments, davon in alten und neuern Zeiten so viele Exempel vorhanden sind, davon getragen, sich berühmt gemacht hat.193
Im XVII. Abschnitt (»Neuere Werke der Frauenzimmer«) kann sich das Publikum über Schriften zeitgenössischer Autorinnen einen Überblick verschaffen, zum Beispiel die »Poetische[n] Versuche eines adelichen Frauenzimmers an ihre Freunde. Breslau 1776. 8vo. […] Der Frau de la Roche Rosaliens Briefe, 2. Theile. Altenburg. 1778.–1780., wovon die Handschrift des ersten Bandes dem Verleger hundert Louisd’or gekostet hat«. Im XVIII. Abschnitt schließlich (»Schriften der Frauenzimmer«) werden an Frauen adressierte Publikationen von Männern aufgezählt, darunter »Richard Steelens FrauenzimmerBibliothek, worinn nützliche Betrachtungen über wichtige Stücke der Sittenlehre, besonders zum Gebrauche des Frauenzimmers enthalten sind. 4. Theile. Leipzig. 1771. 8vo« und die »Rhetorique françoise à l’usage des jeunes Demoiselles. Avignon. 1773. 12mo.« Am Ende des Abschnitts gibt Philothee den Hinweis, nicht alle aufgezählten Schriften seien zu empfehlen.194 Die Empfehlungen im Kapitel »Von den Büchern, die den Frauenzimmer [sic] nützlich sind; besonders von einer Bibliothek für dasselbe«195 sind konventionell gehalten (die einzigen in diesem Kapitel erwähnten Autorinnen sind Antoinette Deshoulières und Johanne Charlotte Unzer). Dies läßt sich auch an der Sachgruppeneinteilung des Kapitels ablesen: »Von der heiligen Schrift«, »Von den heiligen Vätern«, »Von Büchern wider den Unglauben«, »Von Geschicht-Büchern«, »Von Büchern verschiedener Wissenschaften«, »Von den Büchern zur Ergötzung«. Wie zuvor schon Louis Antoine Marquis de Caraccioli in Les derniers adieux de la maréchale de*** à ses enfans (1769),196 wendet sich auch Erdt gegen religionsfeindliche Tendenzen der Aufklärung. Um diesen entgegenzutreten, wird im Kapitel »Von den Pflichten des Menschen gegen sich selbst nach dem natürlichen
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[Erdt] (Anm. 182), S. XXXV. Ebd., S. XLI. Ebd., S. 430–462. Das Werk wurde sofort nach seinem Erscheinen ins Deutsche übersetzt. Louis Antoine Marquis de Caraccioli: Der Frau Marschallinn von *** letzte Reden und Unterrichte an ihre Kinder von den Pflichten der Religion, des Vaterlandes und der Gesellschaft. Aus dem Französischen des Herrn Marquis Caraccioli königlich pohlnisch und churfürstlich sächsischen Obersten übersetzt, Augsburg 1770.
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1. Frauen im Zeitalter des Buchdrucks: Das Bildungsangebot des Buchmarktes
Gesätze: insbesondere von Bildung des Verstandes durch das Lesen der Bücher« vor religionsschädlichen und gottlosen Büchern gewarnt.197
5.
Auswahllisten in Moralischen Wochenschriften
Zu den ausreichend erforschten Quellen der Leseforschung gehören Auswahllisten in Moralischen Wochenschriften.198 Es besteht daher keine Notwendigkeit, auf diese stark selektiven Titelsammlungen näher einzugehen. Wichtiger ist es, auf ein methodisches Problem aufmerksam zu machen, welches von der Forschung bisher nicht geleistete Recherchearbeit abverlangt. Moralische Wochenschriften gelten nicht ohne Grund als bürgerliches Artikulationsmedium. Der Zeitschriftentypus entstand als Gegenreaktion zu den Bildungsidealen des Adels und der Gelehrten, die bis weit über die Mitte des 18. Jahrhunderts das kulturelle und gesellschaftliche Leben prägten. Die an der Entstehung und Verbreitung von Moralischen Wochenschriften beteiligten Personen waren bestrebt, mehr Bevölkerungsgruppen an Bildung partizipieren zu lassen. In der Ablehnung ständischer Exklusivität ist der Grund zu suchen, warum zum Beispiel die zwei deutschen Übersetzungen der Conseils d’Ariste à Célimène (1665) – Des galanten Frauenzimmers kluge Hofmeisterin (1696, 2. Aufl. 1711) und Der Charakter eines vollkommenen Frauenzimmers, in den klugen Regeln welche die Herzogin von C*** unter den [sic] Nahmen Ariste der Princeßin Celimene gegeben (1749, 1763, angeblich 7. Aufl. 1764) – in den Leseempfehlungslisten von Moralischen Wochenschriften nicht auftauchen. Nichtsdestotrotz fanden die zwei Conseils-Übersetzungen mehr Zuspruch bei der Leserschaft als viele andere Texte ähnlichen Inhalts.199 Daraus ergibt sich die methodische Prämisse, künftig mehr auf das Lese- und Kaufverhalten des Publikums zu achten, das in Bücherfragen nicht blindlings den Selektionskriterien der Autoren von Auswahllisten folgte.200 Die Herausgeber von Wochenschriften und ihre Mitarbeiter(innen) haben ein beachtliches Innovationspotential freigesetzt; so gesehen ist die rege Forschungstätigkeit auf diesem Gebiet mehr als gerechtfertigt. Beabsichtigt man, das literarische Leben der Früh- und Hochaufklärung in seiner Gesamtheit zu rekonstruieren, sollte allerdings nicht aus den Augen verloren werden, daß dieser Zeitschriftentypus nur eine Konstituente der Medienlandschaft und diese nur eine Konstituente des literarischen Lebens darstellte. Als Zwischenergebnis ist festzuhalten: Es haben mehr männliche Autoren das Wort ergriffen, um Frauen mit empfehlenswerten Büchern bekannt zu machen, als die bisherige Forschungsliteratur erwarten ließ. Wie aber verhält es sich mit Autorinnen? Haben auch sie ihre Bücherkenntnisse und Leseerfahrungen weitergegeben? 197 [Erdt] (Anm. 182), S. 397–429. 198 Völlig unbefriedigend erforscht sind im Gegensatz zu den Leseempfehlungslisten in Moralischen Wochenschriften die Lektürevorschläge in anderen Periodika und den dort zur Anwendung gelangten Selektionskriterien. 199 Vgl. die Forschungsergebnisse in den Abschnitten 1.1 und 4.1. 200 Ähnlich argumentiert Michel de Certeau: Kunst des Handelns, Berlin 1988 (Orig. Arts de faire, 1980).
1.2 Erwerb von Bücherkenntnissen durch Frauen
1.
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Christiana Mariana von Zieglers Übersetzung des ersten Konversationenbandes von Madeleine de Scudéry und ihre Briefausgabe Moralische und vermischte Send-Schreiben (1731)
Die Modellautorin Madeleine de Scudéry (1607–1701)201 verfaßte kein Kapitel »De la lecture«, wohl weil sie detaillierte Lektürevorschläge nicht befürwortete. Zu ihren Bewunderinnen zählte die Leipzigerin Christiana Mariana von Ziegler (1695–1760), zwar keine Berufsschriftstellerin wie de Scudéry, aber zu ihrer Zeit durchaus eine sehr bekannte und einflußreiche, wenngleich nicht unumstrittene Schriftstellerin, Salonnière und Aufklärerin.202 Die Vorrede zu Der Mad. Scudery scharfsinnige Unterredungen, von Dingen, die zu einer wohlanständigen Aufführung gehören (1735) schließt mit dem Appell: »Meine Leserinnen ersuche ich hierbey, alle unnütze und leichtsinnige Bücher bey Seite zu legen, ihre [der Autorin, SK] erbaulichen heilsamen Lehren, an statt der Romanen, zu lesen, und alle ihre Handlungen nach dieser Vorschrift einzurichten.«203 Von Ziegler empfahl auch an anderer Stelle weltliche Literatur weiter.204 Romane, die im obigen Textbeleg schlecht wegkommen, bewertete sie in einer ihrer früheren Publikationen weit positiver. In den Moralischen und vermischten Send-Schreiben, an einige ihrer vertrauten und guten Freunde gestellet (1731) äußert sie sich zur Frage, welche Romane etwas taugen und welche nicht. Eine »Hoch-Edelgebohrne Frau« hatte ihr geschrieben, sie hätte alle von ihrer Tochter gesammelten Romane den Flammen übergeben. Wie überall, so seien auch hier Unterschiede angebracht, lautet die Erwiderung. »Viele sind gut, manche hingegen böse.« 205 Sollte man, nur weil es die bösen Romane gibt, die guten gleich mit »ausrotten«? Hierauf nennt von Ziegler drei empfehlenswerte höfisch-historische Romane, deren Titel offenbar so bekannt waren, daß die Briefautorin die Namen der Verfasser, sie lauten Daniel Caspar von Lohenstein (1635–1683), Anton Ulrich von Braunschweig-Lüneburg (1633–1714) und Anshelm von Ziegler und Kliphausen (1663–1696), gar nicht erst zu erwähnen brauchte:
201 Madeleine de Scudéry war bis zur Frühaufklärung die erfolgreichste Schriftstellerin im deutschen Sprachraum. Vgl. Sabine Koloch: Madeleine de Scudéry in Deutschland. Zur Genese eines literarischen Selbstbewußtseins bürgerlicher Autorinnen, in: Renate Kroll u. a. (Hg.), Gender Studies in den romanischen Literaturen: Revisionen, Subversionen (Siegener Frauenforschungsreihe; 6–7), 2 Bde., Frankfurt/M. 1999, Bd. 1, S. 213–255, hier S. 227. 202 Sie übte beißende Kritik am Prärogativdenken der Männer, was ihr viel Verdruß einbrachte. Heide Wunder: »Das andere Geschlecht«. Geschlechterperspektiven in der Frühen Neuzeit, in: Gerhard Henke-Bockschatz (Hg.), Geschichte und historisches Lernen. Jochen Huhn zum 65. Geburtstag, Kassel 1995, S. 229–245. 203 Madeleine de Scudéry: Der Mad. Scudery scharfsinnige Unterredungen, von Dingen, die zu einer wohlanständigen Aufführung gehören […], Leipzig 1735, Bl. *5b. 204 In ihren Sendschreiben äußert sich die Autorin auch über den Nutzen von Journalen. Christiana Mariana von Ziegler: […] Moralische und vermischte Send-Schreiben, an einige ihrer vertrauten und guten Freunde gestellet, Leipzig 1731, S. 44–48. 205 Ebd., S. 201–204, hier S. 202.
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1. Frauen im Zeitalter des Buchdrucks: Das Bildungsangebot des Buchmarktes Wer tadelt wohl den Arminius? wen vergnügt nicht die Octavia? und wessen Augen gefällt nicht die Asiatische Banise, und andere mehr? Sind sie nicht alle Sitten-Spiegel der Liebe, in welchen sich ein jeder vernünfftiger Mensch beschauen kan? Diejenigen so selbige lesen, haben sich mehr Nutzen und Vortheil als Schaden darvon zu versprechen; sie thun denen Tugenden ihr Recht, und mahlen hingegen die Laster in häßlicher Larve ab. Ein Frauenzimmer, das solchen Schrifften ihr Auge weyhet, bringet sich nicht nur ein und anderes Stück der Historie spielend bey, sondern es stärcket sich auch zugleich in der Hoch-Teutschen Sprache. Die Sinnen werden dadurch ermuntert, der Verstand geschärffet, und die Beurtheilungs-Krafft erlanget dadurch den gehörigen Grad.206
2.
Die Maximensammlung Maximes adressées (1753) von Luise von Buchwald
Die Maximensammlung Maximes adressées à Mademoiselle de B*** par une Demoiselle de 13. ans (1753, Neuausg. 1786)207 ist aus Gründen, die in Abschnitt 3.3 dazulegen sind, anonym erschienen. Im Titel wird auf die adlige Mitautorin Luise von Buchwald (1740– 1764) angespielt, die tatsächlich dreizehn Jahre alt war, als das schmale Bändchen der Öffentlichkeit übergeben wurde. Der Gothaer Mevius-Verlag ließ das Werk in drei Sprachen (französisch, deutsch, italienisch) drucken. Wahrscheinlich entstanden die zwei von Frauen ausgeführten Übersetzungen im Auftrag des Verlages.208 Dieser bezweckte durch die Parallelveröffentlichung – alle drei Ausgaben erschienen im gleichen Jahr –, das Publikum mit Lehrmaterial für den Fremdsprachenunterricht auszustatten. Zwei der insgesamt 47 Maximen befassen sich mit dem Thema Literatur. Den Leser(inne)n wird der Ratschlag gegeben, möglichst viel und möglichst französische Literatur zu lesen: »Lisés beaucoup & surtout Rollin, la Sevigné, les œuvres de Voltaire &c.«209 Vor Romanen wird eindringlich gewarnt: »Ne lisés point de Roman; ils gâtent l’esprit & le rendent romanesque.«210 Louise Gottsched verfaßte 1753 ohne Nennung ihres Namens eine Besprechung des Oktavbändchens für die von ihrem Mann herausgegebene Zeitschrift Das Neueste aus der anmuthigen Gelehrsamkeit (12 Bde., 1751–1762). Auszüge der Neuerscheinung, darun206 Ebd., S. 203 f. 207 Die erste Auflage des Maximenbändchen war der Forschung bisher unbekannt. [Luise von Buchwald:] Maximes adressées à Mademoiselle de B*** par une Demoiselle de 13. ans, Gotha 1753. [Luise von Buchwald:] Maximes adressées à Mademoiselle de B… par une Demoiselle de treize ans. Kopenhagen 1786. 208 [Luise von Buchwald:] Sittliche Grundsätze zum Unterricht der Fräulein von B… geschrieben von einer Fräulein von 13 Jahren und übersetzt von einer Fräulein von 39 Jahren, Gotha 1753. [Luise von Buchwald:] Massime morali dirette alla Damigella di B… Composte da una Damigella di anni 13. e tradotte dal Francese da El… Gal…, Gotha 1753. 209 [von Buchwald] (Anm. 207), S. 8. (Ebd., S. 9: »Lesen sie viel, besonders den Rollin, die Sevigne, des Voltaire Schriften, u. a. m.«) Zu Rollin vgl. Julius Richter: Charles Rollins Traité des études und seine Stellung in der Geschichte der zeitgenössischen französischen Pädagogik, Diss. Leipzig 1893. 210 Ebd., S. 7. (Ebd. S. 8: »Lesen sie keine Romanen; sonst werden sie sich damit das richtige Urtheil ihres Geistes verderben, und den Verstand mit abentheuerlichen Begriffen anfüllen.«) Vor dem Lesen von Romanen warnte auch schon Anne-Thérèse de Lambert (Anm. 178), S. 99 f.
1.2 Erwerb von Bücherkenntnissen durch Frauen
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ter die zitierten Maximen, gelangten auf diesem Wege in die Hände eines überregionalen gemischtgeschlechtlichen Publikums.211 Wie zu zeigen ist, war Louise Gottsched nicht die einzige Multiplikatorin dieses in vielerlei Hinsicht außergewöhnlichen Werkes.
3.
Die Sittenlehre Moral für Frauenzimmer (1774) von Dorothee Henriette von Runckel
Einer der imposantesten Versuche, die eigenen Geschlechtsgenossinnen zum Lesen anzuhalten und an den Gedanken einer privaten Büchersammlung und einer autorisierten Leseliste zu gewöhnen, stammt von Dorothee Henriette von Runckel (Runkel) (1724– 1800), einer engen Freundin Louise Gottscheds. Ganze vierzehn Oktavseiten ihrer in zweiundzwanzig Abhandlungen unterteilten Moral für Frauenzimmer nach Anleitung der moralischen Vorlesungen des sel. Prof. Gellerts und anderer Sittenlehrer (1774, 2., verb. Neuausg. 1784, 3. Aufl. 1785, 4. Aufl. 1796) sind diesem Thema gewidmet.212 Die letzte der insgesamt neun Regeln der fünften Abhandlung (»Allgemeine Mittel zur Tugend zu gelangen und sie zu vermehren«) lautet: »Zu dem Umgange mit rechtschaffenen und tugendhafften Personen gehöret auch der Umgang mit guten Schriftstellern, für den Verstand und für das Herz, in welchen Einsicht und Beredsamkeit sich vereinigen, und uns zur Weisheit und Tugend führen.« 213 Mit der Formulierung »Umgang mit guten Schriftstellern« wird nicht auf das reale Gespräch Bezug genommen, sondern »die stille Unterhaltung, mit Weltweisen oder Geschichtschreibern, Rednern oder Dichtern«.214 Das Oxymoron »stille Unterhaltung« rückt das Buch als gleichwertigen Ersatz für den »Umgange mit rechtschaffenen und tugendhafften Personen« ins Blickfeld. Im weiteren Verlauf spricht von Runckel dem Bücherlesen sogar Eigenschaften zu, die ihrer Meinung nach dem gesprochenen Wort abgehen: »Bücher reden ohne Zwang, erklären mit mehr Freyheit und machen mehr Eindruck als ein mündlicher Unterricht.« 215 Das Bücherlesen solle in dem Ziel aufgehen, »ein gutes Herz, einen richtigen Verstand und untadelhafte Sitten zu erlangen«.216 Wir kennen diese Argumentation vom Autor des Frauen-Zimmer-Biblio211 [Louise Gottsched:] Rez. o.T. [Maximes adressées à Mademoiselle de B*** par une Demoiselle de 13. ans (1753)], in: Das Neueste aus der anmuthigen Gelehrsamkeit 3, 1753, S. 878–880. Die Besprechung fehlt bei Jean M. Woods/Maria Fürstenwald: Schriftstellerinnen, Künstlerinnen und gelehrte Frauen des deutschen Barock. Ein Lexikon (Repertorien zur deutschen Literaturgeschichte; 10), Stuttgart 1984, S. 36–41. 212 Eine dänische Übersetzung erschien 1775 in Kopenhagen. Die deutsche Ausgabe wird in der Forschungsliteratur gelegentlich erwähnt. Was von Runckels Anteil an diesem Werk ist und was sie von Gellert und anderen Sittenlehrern übernahm, ist ungeklärt. 213 Dorothee Henriette von Runckel: Moral für Frauenzimmer nach Anleitung der moralischen Vorlesungen des sel. Prof. Gellerts und anderer Sittenlehrer, mit Zusätzen von Dorothee Henriette von Runckel […], Dresden 1774, S. 105–118, hier S. 105. 214 Ebd., S. 117. 215 Ebd. 216 Ebd., S. 118.
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1. Frauen im Zeitalter des Buchdrucks: Das Bildungsangebot des Buchmarktes
theckgens (1705). Wie dieser redet auch von Runckel ihren Adressatinnen ins Gewissen, sich »eine wohlgewählte Büchersammlung« anzulegen. Die Autorin ist sowohl Apologetin des Büchersammelns wie des Bücherlesens. Ihr Argument, eine Frau, die lese, finde keine Zeit zur Zeitverschwendung,217 ähnelt der Argumentation Harsdörffers, der darauf gedrungen hatte, das kostbare Gut der Zeit wirklich gewinnbringend zu nutzen (siehe die Belege weiter unten). Wie Harsdörffer ist auch von Runckel der Auffassung, ein gut ausgebildeter Intellekt bewahre vor den negativen Folgen eines unreflektierten Umgangs mit den eigenen Gefühlen. Als hätte sie d’Aubignacs Conseils gelesen, mahnt von Runckel an, verstandesmäßige Einsicht sei der beste Schutz vor eigener Torheit und den Verführungskünsten der Männer.218 Die kommentierte Titelsammlung wurde von der Autorin in vier Gruppen eingeteilt. Den Auftakt bilden die Weisheitslehren der Antike, allen voran die Biographien berühmter Männer von Plutarch219 (eine französische Übersetzung dieses Werkes hatte im Bücherschrank von Louise Gottsched gestanden). Die Leserinnen werden ermutigt, dem Beispiel von Frauen zu folgen, deren Erkenntnisdurst auch vor den Schriften antiker Autoren nicht halt machte. Nichts hat auf unsere Einbildungskraft mehr Gewalt, als die Sitten großer und vortrefflicher Menschen und die Lebensbeschreibungen des Socrates, Examinondas [recte: Epaminondas], Epictet und andrer großen Männer, die Plutarch gesammlet, sind voller Vorschriften für unsere Nachahmung. Wie oft habe ich in den Händen wißbegieriger Frauenzimmer die Schriften eines Plato, Seneca, Demosthenes und Cicero gefunden, die sich durch diese vortrefflichen Lehrer von der Würde der menschlichen Vernunft, von den Vortheilen der Mäßigkeit, der Menschenliebe, der Großmuth und vieler andern Tugenden unterrichten liessen.220
Die zweite Gruppe besteht aus Schriften, die der religiösen Erbauung dienen. Neben der Heiligen Schrift werden religiöse Werke von zehn zeitgenössischen (protestantischen) Autoren kommentiert, darunter die »Briefe, über die wichtigsten Wahrheiten der Offen217 Ebd., S. 117. 218 Ebd., S. 105 f. 219 1729 lernte Johann Christoph Gottsched seine spätere Frau Louise Kulmus in deren Elternhaus in Danzig kennen. Die folgenden Zitate sind den Brautbriefen von Kulmus an Gottsched entnommen: »Jetzt lese ich Les hommes illustres de Plutarque. Ich bin begierig zu wissen, welches Ihr Held ist, und ob wir in unserer Wahl gleichförmig sind?« Zwei Jahre später zum selben Thema: »In der Wahl der Plutarchschen Helden sind wir doch unterschieden. Ich lasse dem Alexander alle Gerechtigkeit wiederfahren, er war ein großer Feldherr und bewieß ein gutes Herz an der Gemahlin und den Kindern des Darius. Ich lasse Ihnen Ihren Julius Cäsar, er hatte erhabene Tugenden, und begieng wichtige Fehler. Ihren Cicero, er war ein großer Redner wie Sie, Ihren Demosthenes, und alle die Sie belieben. Ich wähle den Aristides, Seneca, Epaminondas, Cäsar Augustus, Marcus Cato, Phocion und Plutarch. Dieses sind meine Helden. Alle Handlungen dieser großen Männer haben aus der besten Quelle ihren Ursprung, und werden von der Tugend und Gerechtigkeit immer geleitet.« Briefe der Frau Louise Adelgunde Victorie Gottsched gebohrne Kulmus. [Hg. von Dorothee Henriette von Runckel], 3 Tle., Dresden 1771–1772, Tl. 1, Brief Nr. 3 vom 27. 10. 1730, S. 5–7, hier S. 7, Brief Nr. 11 vom 28.6.1732, S. 23–25, hier S. 24 f. 220 von Runckel (Anm. 213), S. 106.
1.2 Erwerb von Bücherkenntnissen durch Frauen
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barung, die er an seine Tochter geschrieben hat« des reformierten Mediziner-Dichters Albrecht von Haller und das »erhabene Gedicht, die Messiade von Klopstock«.221 Eine halbe Stunde des Morgens und eine halbe in der stillen Nacht solle die Leserin mit erbaulichen Handbüchern zubringen.222 Die dritte Gruppe setzt sich aus moralischen Schriften (neun Autoren und zwei Autorinnen) zusammen, die letzte Gruppe (zwölf Autoren) aus Texten, die »das Nützliche mit dem Anmuthsvollen« zu verbinden suchen, darunter die »Charactere de la Brüyere«, Moralische Wochenschriften und Romane. Über die zwei Autorinnen (Anne-Thérèse de Lambert, Marie Le Prince de Beaumont) in der Gruppe der moralischen Schriften heißt es: Die Frau von Lambert hat sich um unser Geschlecht so verdient gemacht, daß es unbilig [sic] wäre, ihre Schriften nicht allen jungen Personen zu empfehlen. Sie werden viel gewinnen, wenn Sie den Lehren dieser weisen Mutter, an ihre Tochter, folgen. Die sinnreiche Beaumont, die die Kunst besitzt, die Aufmerksamkeit der Kinder an sich zu ziehen, und den Flatterhaftesten die Lust zum Lesen beyzubringen, die sich bemüht, Frauenzimmer von zwölf Jahren zu tugendhaften Gattinnen und weisen Müttern zu bilden, verdient gewiß alle Ihre Achtung, und ihre Werke sollen in Ihrer Sammlung nicht fehlen.223
Dorothee Henriette von Runckel 224 war die Tochter eines bekannten juristischen Schriftstellers, des Kommissions- und Hofrats Johann Heinrich Rother (1685–1756).225 In der Bücherstadt Leipzig geboren und aufgewachsen, konnte von Runckel sich durch Heirat standesmäßig verbessern. Die Ehe mit dem Offizier Ferdinand Eduard von Runckel (ca. 1690–1762) wurde 1746 geschlossen. Danach lebte sie mit ihrem Mann und den zwei Kindern in Dresden, vorübergehend auch in Görlitz. Zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung der Moral für Frauenzimmer (1774) hatte von Runckel eine Tochter (dieser ist die erste Auflage der Sittenlehre gewidmet) und eine Enkelin.226 Ihre Verwitwung war für sie der Anlaß, sich verstärkt im außerfamiliären Bereich Betätigungsfelder zu suchen. Sie übersetzte Schriften aus dem Französischen und Italienischen, darunter Voltaires Précis du siècle de Louis XV (2 Bde., 1769), widmete sich der Herausgabe der Briefe ihrer im Jahr 1762 verstorbenen Freundin Louise Gottsched (die 219 Frauenbriefe druckte Johann Wilhelm Harpeters Witwe) sowie einer Sammlung von Frauenbriefen, und sie veröffentlichte Gelegenheitsgedichte. Weil ihr der Ruf einer gebildeten Frau vorauseilte, wurde sie in 221 222 223 224
Ebd., S. 107 f. Ebd., S. 109 f. Ebd., S. 112. Elisabeth Friedrichs: Die deutschsprachigen Schriftstellerinnen des 18. und 19. Jahrhunderts. Ein Lexikon (Repertorien zur deutschen Literaturgeschichte; 9), Stuttgart 1981, S. 260. Einer der ersten wissenschaftlichen Rezipienten der Sittenlehre war Lachmanski (Anm. 12), S. 72. 225 [ Johann Heinrich Rother:] Rother ( Johann Heinrich), in: [ Johann Heinrich Zedler (Hg.),] Grosses vollständiges Universal-Lexicon aller Wissenschafften und Künste […], Bd. 32, Leipzig u. a. 1742, Sp. 1178–1187. 226 Nach Inka Kording hatte von Runckel auch einen Sohn. Ob dieser 1774 noch lebte, ist ungewiß. Louise Gottsched – »mit der Feder in der Hand«. Briefe aus den Jahren 1730–1762. Hg. von Inka Kording, Darmstadt 1999, S. 348.
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1. Frauen im Zeitalter des Buchdrucks: Das Bildungsangebot des Buchmarktes
Dresden mit der Erziehung adliger Töchter beauftragt.227 Im Vorbericht zur Moral für Frauenzimmer wählte sie die Anredeform »Meine Freundinnen«, Ausdruck ihrer Verbundenheit mit den »wirklichen oder zukünftigen Müttern«,228 von denen sie sich erhoffte, sie würden wie sie die hohen Grundsätze des Lehrbuches an die nachfolgende Generation weitergeben. Die Moral für Frauenzimmer wurde in Briefform veröffentlicht.229 Diese Darstellungsform sollte jenen Leserinnen, die meinten, die Moralischen Vorlesungen (2 Bde., 1770) von Christian Fürchtegott Gellert (1715–1769) seien schwer zu verstehen und ohne Verbindung zu ihrem Leben, den Zugang zur Materie erleichtern.230 Schließlich ist die Frage aufzuwerfen, ob in Texten, die Bücherkenntnisse vermitteln, mit dem Argument zu Belesenheit angeraten wird, diese verbessere die Konversationsfähigkeit von Frauen.
1.
Die Verhaltenslehre L’honneste femme (1633) von Jacques Du Bosc
Die deutsche Teilübersetzung der L’honneste femme (3 Tle., 1632–1636) des Franziskaners und François de Sales-Schülers Jacques Du Bosc (?–1660) war bisher nicht Gegenstand einer wissenschaftlichen Untersuchung. Als Vorlage diente dem Übersetzer die zweite Auflage des ersten Teils der L’honneste femme (1633). Die deutsche Version trägt den Titel: Die tugendsame Fraw, das ist: außführlicher Wegweiser, wie sich eine tugendsame Fraw verhalten solle: daß sie neben denen Tugenden, mit welchen sie begabet ist Gott zu dienen, zugleich auch
227 Friedrich August Weiz: Das gelehrte Sachsen […], Leipzig 1780, S. 207: »Frau von Runkel […] lebt zu Dresden, und beschäftigt sich mit Erziehung adelicher Fräulein«. Von Runckels Unterrichtsplan für adlige Mädchen im Alter von zehn Jahren und älter ist bereits mehrfach ediert worden. Briefe der Frau Louise Adelgunde Victorie Gottsched gebohrne Kulmus (Anm. 220), Tl. 3, 1772, Brief Nr. 195 vom Oktober 1757, S. 62–91. Ebd., Brief Nr. 195 vom Oktober 1757, S. 274–284. Dorothee Henriette von Runckel: Über die Erziehung eines jungen Fräuleins [Auszug], in: 18. Jahrhundert. Texte und Zeugnisse. Hg. von Walther Killy in Verbindung mit Christoph Perels (Die deutsche Literatur; 4,2), München 1983, Bd. 2, S. 1017–1020. Dorothea Henriette von Runckel: Erziehungsplan für eine Fürstentochter [Auszüge], in: Elke Kleinau u. a. (Hg.), Erziehung und Bildung des weiblichen Geschlechts. Eine kommentierte Quellensammlung zur Bildungs- und Berufsbildungsgeschichte von Mädchen und Frauen (Einführung in die pädagogische Frauenforschung; 1,1), Bd. 1, Weinheim 1996, S. 39–42. 228 Von Runckel (Anm. 213), Bl. *5a 229 Verfasser einer frauenadressierten Sittenlehre in Briefform ist auch Johann Friedrich Scholz: Die vernünftige Sittenlehre in Briefen an ein Frauenzimmer […], 2 Tle., Halle u. a. 1756–1758. 230 Von Ruckels Leben und Werk ist noch nicht in allen Einzelheiten erforscht. Magdalene Heuser: »Das die Sprache meines Geschlechts niemals reicher als im Widersprechen ist«. Dorothea Henriette von Runckels Briefe an Johann Christoph Gottsched 1753–1756, in: Lichtenberg-Jahrbuch 1996, S. 51–89, hier S. 51 mit dem Resümee: »Ihre kulturgeschichtliche Bedeutung liegt im Bereich der Vermittlungsfunktion. Sie hat zur Verbreitung von Gottscheds Literaturreform und von Gellerts Morallehre beigetragen und sich vor allem für die Erziehung und Bildung von Frauen, insbesondere derjenigen eingesetzt, die nicht in der Nähe von Universitätsstädten lebten.«
1.2 Erwerb von Bücherkenntnissen durch Frauen
63
bey den Menschen angenehm vnd nützlich seyn möge (1636).231 Der Übersetzer gab seine Arbeit als deutsches Originalwerk aus. Die Vorrede signierte er mit dem Pseudonym Pantagruel, wohl eine Anspielung auf den Riesensohn Pantagruel, einen der Protagonisten in Rabelais’ Pentalogie Gargantua et Pantagruel (1532–1564), dessen »uneingeschränkte Freude […] am Leben […] als Pantagruelismus sprichwörtlich geworden« ist.232 Daß der frühverstorbene Landgraf Wilhelm V. von Hessen-Kassel (1602–1637), Sohn Moritz’ des Gelehrten und seit 1623 unter dem Namen »Der Kitzliche« Mitglied der Fruchtbringende Gesellschaft, das Werk in die deutsche Sprache übertragen hatte, bezeugt Carl Gustav von Hille in seiner 1647 erschienenen Geschichte der Fruchtbringenden Gesellschaft: »Der Kitzliche hat des H. Du Boscq tugendsame Frau geteutschet.«233 Der Landgraf legte, wie erwähnt, seiner Übersetzung der L’honneste femme die zweite Auflage des Werkes aus dem Jahr 1633 zugrunde, die Du Bosc um das Kapitel »De la lecture« erweitert hatte.234 Nachstehend gebe ich das Inhaltsverzeichnis der L’honneste femme (Tl. 1, 1639) in französischer Sprache wieder (das Inhaltsverzeichnis der deutschen Übersetzung von 1636 konnte mir aus konservatorischen Gründen nicht zugänglich gemacht werden). Wie die Kapitelfolge erkennen läßt, stellte Du Bosc die Lektüre und die Konversation an den Anfang seiner Ausführungen:
231 Für die Existenz einer von Klaus Conermann angegebenen zweiten Auflage der Du Bosc-Übersetzung aus dem Jahr 1660 liegen mir keine Belege vor. Klaus Conermann: Die Mitglieder der Fruchtbringenden Gesellschaft 1617–1650. 527 Biographien, Transkription aller handschriftlichen Eintragungen und Kommentare zu den Abbildungen und Texten im Köthener Gesellschaftsbuch (Fruchtbringende Gesellschaft. Der Fruchtbringenden Gesellschaft geöffneter Erzschrein. Das Köthener Gesellschaftsbuch Fürst Ludwigs I. von Anhalt-Köthen 1617–1650; 3), Weinheim u. a. 1985, S. 70–71, Nr. 65. Schon vor Conermann ermittelten Hugo Hayn und Ernst Heimeran die Übersetzung. Hugo Hayn/Alfred N. Gotendorf (Hg.): Bibliotheca Germanorum erotica et curiosa. Verzeichnis der gesamten deutschen erotischen Literatur mit Einschluß der Übersetzungen, nebst Beifügung der Originale, 8 Bde., 3., ungemein verm. Aufl. München 1912–1914, Bd. 2, S. 407. Ernst Heimeran: Anstandsbuch für Anständige. Vom Gestern und Heute des guten Tons. Enthaltend: Freimütige Betrachtungen über den Anstand von heute. Viele wohlgeordnete Zitate und Bilder aus Anstandsbüchern des 15.–20. Jahrhunderts. Verzeichnis von 200 Quellenwerken zur Anstandsgeschichte, München 1937, S. 176. Das derzeit einzige nachweisbare Exemplar der Übersetzung ist im Besitz der British Library. Aus konservatorischen Gründen genehmigte man mir nur die Verfilmung der Übersetzervorrede und der ersten dreizehn Seiten des Kapitels »Von Bücher lesen, Vnd sonderlich Etlichen Dingen, so bey lesung dieses Buchs in acht zu nehmen seynd«. 232 Annemarie van Rinsum/Wolfgang van Rinsum: Lexikon literarischer Gestalten. 2. Fremdsprachige Literatur, Stuttgart 1990, S. 453. Jan-Dirk Müller schließt nicht aus, »daß der Name Pantagruel, vielleicht unabhängig von Rabelais, einen bestimmten Typus von enzyklopädischen Schriften bezeichnete« (freundliche Auskunft Jan-Dirk Müller). 233 Carl Gustav von Hille: Der teutsche Palmbaum (Die Fruchtbringende Gesellschaft. Quellen und Dokumente in vier Bänden; 2), Ndr. d. Ausg. 1647, München 1970, S. 193. 234 Linda Timmermans: L’accès des femmes à la culture (1598–1715). Un débat d’idées de Saint François de Sales à la Marquise de Lambert (Bibliothèque littéraire de la Renaissance. Série 3; 26), Paris 1993, S. 294. Montandon (Hg.) (Anm. 73), S. 49.
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1. Frauen im Zeitalter des Buchdrucks: Das Bildungsangebot des Buchmarktes DE la Lecture. folio 1 De la Conuersation. fol. 50 De l’Humeur gaye, & de la Melancolique. fol. 81 De la Reputation. fol. 112 De l’Inclination à la Vertu, & de la Deuotion. fol. 132 De la Chasteté, & de la Complaisance. f. [sic] 146 Du Courage. fol. 163 De la Constance, & de la Fidelité. fol. 179 De la Prudence, & de la Discretion. fol. 195 Des Dames sçauantes. fol. 209 Des habits ou des Ornemens. fol. 224 De la Beauté. fol. 235 De la Curiosité, de la Médisance fol. 247 Des Cruelles, & des Pitoyables. fol. 257 De la Bonne Grace. fol. 267 La Desbauchée. fol. 278 De la Ialousie. fol. 290 De l’Amitié, & de l’Amour d’Inclination, & d’Election. fol. 311
So manche Frau dürfte sich hierüber gewundert haben: Wäre von einem Mönch nicht zu erwarten gewesen, die Tugend der Frömmigkeit an den Beginn der Ausführungen zu stellen, wie es das Beispiel der Instruction pour une jeune princesse, ou l’idee d’une honneste femme (1684) (»QVe la Pieté est une vertu essentiellement nécessaire aux Dames«) zeigt? 235 Das erste Kapitel der deutschen Übersetzung ist überschrieben »Von Bücher lesen, Vnd sonderlich Etlichen Dingen, so bey lesung dieses Buchs in acht zu nehmen seynd«. Der Autor eröffnet seine Ausführungen mit der Feststellung, »das lesen, das gespräch, vnnd die abwartungen der gedancken« seien »die drey schönste vnd nützlichste dinge von der Welt«.236 Die vornehmste und nötigste dieser drei edlen »bemühungen des gemüts«, das Lesen, stütze die beiden anderen Formen geistiger Tätigkeit.237 Nötig sei das Lesen allen Frauen, denn denjenigen unter ihnen, die schon Geist besitzen, verleihe es »einen trefflichern glantz vnd ansehen, vnd denen, die eben nicht so weit begabet seynd, mindert es sehr ihre mängel vnd vnvollkommenheiten«.238 Das Lesen, das uns viele Dinge zeigt, die wir mit dem bloßen Verstand niemals entdeckten würden, »macht, daß wir völliger in verstand, vnd anmuthiger im gespräch werden. Es vollführet das jenige, was die natur nur erst an235 [ Joachim Trotti de La Chétardie:] Instruction pour une jeune princesse, ou l’idee d’une honneste femme, Paris 1684, S. 1. Du Bosc behandelt die Tugend der Frömmigkeit im letzten Kapitel des dritten Teils der L’honneste femme (»De la Vertu Chrestienne: qu’elle est absolument necessaire à l’honneste Femme«). 236 [ Jacques Du Bosc:] Die tugendsame Fraw, das ist: außführlicher Wegweiser, wie sich eine tugendsame Fraw verhalten solle […], Kassel 1636, S. 1. Das Zitat lautet im französischen Original: »IL n’y a rien de si vray que la Lecture, la Conuersation, & la Resuerie sont les trois choses du monde les plus belles & les plus vtiles.« [ Jacques Du Bosc:] L’honneste femme, Tl. 1, 2. durchges., verb. u. erw. Aufl. Rouen 1639, S. 1 (1. Aufl. 1632). Aus dem Impressum geht hervor, daß »la Vefue [sic] BV BOSC« den Druck des Werkes beaufsichtigte. 237 Ebd., S. 2. 238 Ebd.
1.2 Erwerb von Bücherkenntnissen durch Frauen
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gefangen.« 239 Diejenigen, welche die Bücher nicht lieb haben, können nichts als Verdrießliches und Überlästiges reden, ihr Gespräch ist zu nichts nütze und (zer)stört die gute Unterhaltung.240 Die L’honneste femme versteht sich als eine Schule der Konversation, die das »löbliche Frauenzimmer« lehrt, gehaltvolle und zugleich anmutigere Gespräche zu führen: So ist demnach diß die vnvergleichliche stattliche schule, darinnen man lernen kan, was gute gesellschafften zu vnterhalten, vnd die schlimmern zu bessern pfleget, vnd darinnen das löbliche Frawenzimmer, wann sie von dem thörichten gespräch etzlicher vnverschämter, die von nichts alß von Hasen auß Holland reden, ermüdet, ein recht gifftpulver finden, gegen solch gifft, das sie verfolget. Das lesen ist es, dadurch das gespräch anmutiger, vnd die einsamkeit weniger verdrießlich gemacht wird.241
Du Bosc wiederholt den immer wieder geäußerten Einwand, besser als aus Büchern lerne man durch Vorbilder. Der Autor räumt zwar ein, das Gespräch mit ehrliebenden Leuten sei eine Schule des Lebens. Wer sich aber mit gescheiten Leuten unterhält, wird mehr davon haben, wenn er ihre Schriften gelesen hat (Du Bosc denkt hier wohl an das Pariser Salonpublikum). Es ist der durch das Lesen erworbene Reichtum, der das Gespräch reicher macht. Die Autoren reden bisweilen ungereimtes Zeug, was beim Schreiben nicht geschieht, weil die erforderliche Mühe sie daran hindert.242 Die Rede kann verführen, nicht hingegen der gedruckte Text, in dem Fehler nicht so leicht verborgen bleiben. In den Büchern findet der Geist, was ihn ziert, Bücher sind aber auch untrügliche Spiegel, die den Lesern die eigenen Mängel vor Augen halten. Vier Schriftenkomplexe soll die Frau sich zu Gemüte führen: Philosophie- und Geschichtsbücher, Rhetoriken und Gedichtbände: Diß ist vornemblich die vrsache, warumb das bücher lesen dem Frawenzimmer sehr nöthig ist, dann weil sie nicht weniger, alß die grosse Fürsten vnd Gewaltige, der stummen lehrmeister von nöthen haben, vnd die schönheit so wol, alß die Herrschafft, nicht so leicht einen straffmeister alß fuchßschwentzer findet, so ist höchstnöthig, daß sie bißweiln von den todten das jenige lernen, was die lebendigen ihnen nicht sagen dörffen, damit sie ihre mängel erkennen lernen. In den büchern allein können sie die mängel ihres geistes, alß wie in den spiegeln, die gebrechen ihres gesichts, entdecken vnd ersehen.243 Man findet allerhand lehren darinn [in den Büchern, SK]: man sihet die tugend vnder allerhand gestalt leuchten: man entdecket darinnen die warheit, auff was weise man sie auch begeren mag: man findet sie mit aller ihrer macht in den büchern der Weltweisen, gantz rein vnd vnverfälschet in den Geschichtsschreibern: mit aller ihrer schönheit, schmuck vnd schmincke in denen Redners: vnd Gedichtsbüchern. Diese anmüthige verenderung ist es, in welcher allerley arten vnd gattung gemüter das jenige finden, was sie begnüget, vnd darauß sie was lernen können, die ist es, darinnen die warheit sich nicht von den bewegungen deß gemüts verdunckeln lässet […].244 239 Ebd., S. 3. Linda Timmermans (Anm. 234, S. 294) glaubt, Du Bosc empfehle die Lektüre vor allem des moralischen Nutzens wegen. Doch regt er zum Lesen guter Bücher an, weil er die Anmut des Gesprächs steigern will, das heißt Literatur besitzt für ihn ästhetische Qualität. 240 Ebd., S. 3. 241 Ebd., S. 4 f. 242 Ebd., S. 5–7. 243 Ebd., S. 9 f. 244 Ebd., S. 8 f.
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1. Frauen im Zeitalter des Buchdrucks: Das Bildungsangebot des Buchmarktes
Nicht alle Bücher sind gut, und es kostet einige Mühe, die Spreu vom Weizen zu trennen. Wer sich die Wahl nicht zutraut, sollte wenigstens dem Rat der Klügsten und Tugendhaftesten folgen.245 Nur hier und da läßt Du Bosc Namen fallen, zum Beispiel erwähnt er Seneca und Plutarch im Zusammenhang mit der Moral römisch-antiker Autoren.246 Das einzige Buch, dessen Titel genannt wird, ist die Introduction à la vie dévote (1608) von François de Sales.247 Als erklärter Feind von Romanen schreibt Du Bosc über viele Seiten hinweg gegen die Romanliebhaberinnen an. Aus seiner Sicht sind viele Romane mit Schlechtem angefüllt,248 und alles, was Romane bieten, enthalten auch Geschichtsbücher.249 Du Bosc kannte wohl Castigliones Cortegiano (1528). Im Kapitel »De la Bonne Grace« greift der Franzose den Begriff ›sprezzatura‹ (Unangestrengtheit, Nachlässigkeit) auf, den er ähnlich faßt wie Castiglione, der Schöpfer dieses Neologismus.250 Für die Abendgesellschaft, die im Cortegiano das Idealbild eines Hofmanns und einer hochstehenden Dame bei Hof entwirft, ist Belesenheit fraglos eine den Hofmann zierende Eigenschaft. Sie und sein vielfältig geschultes Ausdrucksvermögen sind Trumpfkarten, mit denen er zu seinem und zum Vergnügen der Frauen im Gespräch glänzen kann. Du Bosc überträgt das Hofmannsideal auf die Adressatin der L’honneste femme, die er sich, wie Castiglione die »donna di palazzo«, als eine Dame vorstellt, die adlige Standeszugehörigkeit und Schönheit vereinigt. Eine Passage aus dem ersten Buch der deutschen Übersetzung des Cortegiano von 1684 weist im Hinblick auf die empfohlenen Schriftenkomplexe erstaunliche Parallelen zu Du Boscs Lesekanon auf. Wie gelehrt soll der Hofmann sein? Diese Frage beantwortet der Hauptredner des ersten Abends, Ludovico da Canossa: Derselbe soll, meinem Willen nach, mehr als mittelmässig gelährt seyn, zum wenigsten in denen studiis, welche man die humaniora nennet, und nicht allein die Lateinische sondern auch Griegische [sic] Sprach verstehen, wegen der vielen und unterschiedlichen, in denenselben übermenschlich geschriebenen Sachen. Er soll belesen seyn in denen Poeten so wohl, als Oratoribus und Historicis; Er soll geübet seyn in Versen und ohne Vers in prosa, sonderlich aber in dieser unserer gemeinen Landsprach, wohl zu schreiben; Dann über das daher empfindende Selbst-Vergnügen, wird ihm hierdurch aller Vorschub zu anmuthigen Unterhalt- und Unterredungen mit dem Frauenzimmer zu wachsen, welches gemeiniglich solche Sachen liebet.251
245 Ebd., S. 11. 246 Ebd., S. 50. 247 Dieselbe Beobachtung machte auch schon Jean-Paul Desaive: Ambivalenzen des literarischen Diskurses, in: Georges Duby u. a. (Hg.), Geschichte der Frauen. Bd. 3: Frühe Neuzeit, hg. von Arlette Farge u. a., Frankfurt/M. u. a. 1994, S. 279–310, hier S. 283. 248 [Du Bosc] (Anm. 236), S. 21. 249 Ebd., S. 22. 250 Peter Burke: Die Geschicke des Hofmann. Zur Wirkung eines Renaissance-Breviers über angemessenes Verhalten, Berlin 1996 (Orig. The Fortunes of the Courtier: The European Reception of Castiglione’s Cortegiano, 1995), S. 147. 251 Baldassare Castiglione: Der vollkommene Hofmann und Hof-Dame […], Frankfurt/M. 1684, S. 143 f.
1.2 Erwerb von Bücherkenntnissen durch Frauen
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Der Hauptredner des dritten Abends vertritt den Standpunkt, die »Hof-Dame« müsse von all dem Kenntnis haben, was in den zwei Abenden zuvor vom Hofmann verlangt wurde. Danach gefragt, welches denn genau die Fähigkeiten seien, die eine ideale Hof-Dame besitzen müsse, antwortet Giuliano de’ Medici: Und damit ich eines theils das, was schon gesagt worden, mit wenig Worten wiederhohle, so will ich, daß die Hof-Dame von denen freyen Künsten, von der Music und Mahlerey einige Wissenschafft habe, und daß sie wohl tantzen, auch bey denen Gastmahlen und Festivitäten sich fröhlich erzeigen könne, anbey alle andere, dem Hofmann vorgeschriebene Anmerckungen, mit einer bescheidenen Sittsamkeit und von sich erweckten guten Wahn, begleite. Und solcher gestalt soll sie im Conversiren, im Lachen, im Schertzen, im Vexiren, in Summa in allen Sachen geschickt seyn, und alle ihr vorkommende Leute, manierlich mit Schertzen, und ihr nicht unanständigen kurtzweiligen Reden unterhalten. Ob schon auch die Keuschheit, Großmüthigkeit, Mässigkeit, Klugheit und andere Tugenden mehr, dem Ansehen nach, zu dem gesprächlichen Unterhalten nichts beytragen; So will ich doch, daß sie mit allen diesen versehen und gezieret sey, nicht so wohl wegen der Entretiens und Unterredungen, (wiewohl sie auch in diesen ihren Nutzen haben können) als wegen des Tugendhafft seyns, und damit diese Tugenden Sie aller Belob- und Beehrung würdig machen, und alle ihre Verrichtungen von denenselben herriehren.252
Im Cortegiano wird von der am Hof verkehrenden Dame nicht explizit gefordert, sie müsse Belesenheit nutzbringend in die Konversation einfließen lassen. Daher stellt sich die Frage, ob Du Bosc der erste war, der diesen Anspruch formulierte.
2.
Der Briefsteller Teutscher Secretarius (1655–1659) und die Gesprächspiele (1641–1649) von Georg Philipp Harsdörffer
Eine weitere Station der Rezeption von Du Boscs L’honneste femme (3 Tle., 1632–1636) in Deutschland führt zum Nürnberger Patrizier Harsdörffer. Dieser kannte die deutsche Teilübersetzung von 1636253 und damit auch das dort enthaltene Lektüre-Kapitel. Ausschnitte daraus gibt Harsdörffer in seinem Teutschen Secretarius (2 Tle., 1655–1659) teils sinngemäß, teils in seinem Sinne abgeändert wieder, ohne seine Vorlage zu nennen: DRey Dinge sind welche unsrem Verstand, so gering er auch seyn mag, erheben, und zu mehrerer Vollkommenheit erhöhen, als 1. das Gedencken und Nachsinnen. 2. Das Lesen in guten Büchern. 3. Das Reden, oder welches demselbigen gleichständig ist, das Schreiben. […] Besagte stumme Lehrmeister, die Bücher, sind dem Frauenvolck absonderlich vonnöhten; Massen die Schönheit so wol, als die Herrschafft mehr Fuchsschwäntzer, als Straffmeister findet; deswegen ihnen dann die verstorbenen Lehrer viel sichrer sagen können, was die Lebendigen nicht sagen wollen; 252 Ebd., S. 439 f. 253 In der Literaturliste des zweiten Teils seiner Gesprächspiele führt Harsdörffer die deutsche Übersetzung des ersten Teils der L’honneste femme und den zweiten Teil des französischen Originals von 1639 an. Harsdörffer (Anm. 146), Tl. 2, 1657, Bl. Hh5b, Gg4a. Eine bibliographisch nicht näher identifizierbare französische Ausgabe der L’honneste femme besaß Sibylla Ursula von Braunschweig-Lüneburg. Blake Lee Spahr: Sibylla Ursula and Her Books, in: ders., Problems and Perspectives. A Collection of Essays on German Baroque Literature (Arbeiten zur mittleren deutschen Literatur und Sprache; 9), Frankfurt/M. u. a. 1981, S. 85–110, hier S. 109.
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1. Frauen im Zeitalter des Buchdrucks: Das Bildungsangebot des Buchmarktes damit sie ihre Fehler erlernen und solche vermeiden mögen. Allein in den Büchern können sie ihres Geistes Mängel, so wol als die Flecken deß Angesichts, ihren Spiegeln ersehen. Darinnen finden sie keine ungerechte Richter, die von Liebe oder Haß verblendet, den Schönen und Heßlichen, ein ungleiches Urtheil aussprechen.254
Auch in den Gesprächspielen (8 Tle., 1641–1649) fordert Harsdörffer Belesenheit. In der Vorrede zum siebten Teil belehrt er sein Publikum: »Es ist nicht wenig daran gelegen, daß man sich von Jugend auf zu guten Büchern, und guter Gesellschaft angewöhne, damit die edle Zeit nicht verlohren gehe«. Schändliche und närrische, lasterhafte und nichtswissende Bücher, fügt er hinzu, meide man, »massen mit den ersten das Gewissen nicht versichert, mit den andern aber kan unser Verstand nicht vergnüget werden.« 255 In der Vorrede zum dritten Teil der Gesprächspiel liefert er den »Beweiß daß sie [die Frauenzimmmer, SK] sollen belesen seyn«:256 Im Gegensatz zu Du Bosc argumentiert Harsdörffer strikt moralisch. Der Weg des Verstandes leite die Frauen zum Guten hin. Dies ist der Grund, warum Frauen nicht in Unwissenheit gehalten und von lehrreichen Zusammenkünften ausgeschlossen werden dürfen. Die ihrem Verstand vertrauende Frau stellt Harsdörffer dem Mann moralisch-geistig gleich (der Gedanke der rechtlichen Gleichstellung lag ihm fern). Für ihn belegen dies die Schriften einer Anna Maria van Schurman und anderer zeitgenössischer Autorinnen. Bücher und Konversation vermitteln der Frau jenes Maß an Wissen und Verstand, dessen sie bedarf, um sich über das Böse zu erheben – Intuition, in deren Besitz auch völlig Ungebildete sein können, ist für Harsdörffer kein Mittel der Wahrheitserkenntnis. Er schreibt: Das Frauenzimmer ist bey diesen Gesprächspielen eingeführet, zu Folg, der offt angezogenen Italiänischen Scribenten, welcher Erfindungen sonderlich dahin zielen, wie in dergleichen Zusammenkunfften mit nützlicher Kurtzweil zugebracht werden möge. Was für wichtige Vrsachen aber können so holdselige Geselschafterin, von der Verstand- und Sprachübung ausschliesen? Solte deren Gegenwart ärgerlich seyn, welcher der erste Mensch im Stand seiner Vnschuld nicht ermanglen können? dörffen sie ihre angearte Freundlichkeit, und behende Klugheit niemals hören lassen? Fürwar es ist ihnen den Weg deß Verstands zu gehen nicht verbotten, man wolle sie dann von der Gemeinschaft anderer Menschen absondern, und sie für Sinn- und Redlose Bilder halten, Wie der Ruhm Weibliches Geschlechts Anna Maria Schurmanns in einem besonderlichen Büchlein Kunstrichtig erwiesen, und mit ihren Exempeln Anna Römers, Dorothea Eleonora von Rosenthal, Maria Elisabeth von Hohendorff in offentlichen Schriften wircklich bewäret haben. […] Welche die Vnwissenheit für deß Frauenvolcks sicherste Tugend achten, stehen in irrigem Wahn. Die Geschickligkeit ist ein sondere Gnade, so GOTT den Menschen ertheilet […]; sie leitet von dem Bösen, zu dem Guten; mässiget die befindliche Schwachheiten, und beherrschet die Begierden: Gestalt auß allen Geschichten erhellet, daß gelehrte Frauen und Jungfrauen, benebens Erweisung hohes Verstands auch waares Tugendlob erhalten.257
254 Georg Philipp Harsdörffer: Vorrede Von höflichen Schreiben, an das hochlöbliche Frauenzimmer, in: ders., Der teutsche Secretarius […], Tl. 1, 3., verm. Aufl., Nürnberg 1656, S. 365–368, hier S. 365, 366 f. 255 Harsdörffer (Anm. 146), Tl. 7, 1647, Bl. Ava. 256 Ebd., Tl. 3, 1643, Bl. ):(7a. 257 Ebd., Tl. 3, 1643, Bl. B2a–B3a.
1.2 Erwerb von Bücherkenntnissen durch Frauen
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Die Frage nach den Qualifikationen, die Frauen durch Lektüre erlangen, beantwortete Du Bosc mit der verbesserten Fähigkeit zur Konversation. Er übertrug das Hofmannsideal des 16. Jahrhunderts auf ständisch privilegierte Frauen und hielt sie dazu an, mehr und Besseres zu lesen und so zu Schrittmacherinnen auf dem Gebiet von Moral und Sitte zu werden. Harsdörffer schloß sich Du Boscs Argumentation nicht an. Er befürwortete weibliche Belesenheit allein mit dem Argument, gute Bücher befähigten zur Erkenntnis des Guten. In der Folgezeit wurde die Frage, ob Belesenheit das Gespräch gehaltreicher mache, durch die andere überlagert, ob man aus Büchern reden lernen könne.
Exkurs: Buchbranche und Wissenserwerb schreibender Frauen Fast immer sind Mädchen mit Büchern großgeworden und haben eine sorgfältige Erziehung genossen, bevor sie zur Feder griffen.258 Nehmen wir das Beispiel Sophia Frömmichens (1767–nach 1835). Den Vater, von 1772–1782 Direktor am Gymnasium Andreanum in Hildesheim, haben wir bereits kennengelernt.259 Über Sophiens Erziehung berichtet ihr erster Biograph, Carl Wilhelm Otto August von Schindel: Sie erhielt von ihren Aeltern eine sehr sorgfältige Erziehung, und ihr Vater widmete jede ihm von Geschäften seines Amts freie Stunde dazu, den Geist seiner Tochter schon in frühester Kindheit zu wecken und auszubilden.260
Durch den Tod Karl Heinrich Frömmichens 1782 rückte die Frage, wer die Stelle des die Tochter unterrichtenden Vaters ersetzen könnte, für mehrere Jahre völlig in den Hintergrund. Die Mutter wünschte sich, der einzige Sohn möge eine Hochschulausbildung absolvieren.261 Die Beschäftigungen Sophias mußten »bei der hülflosen Lage der Familie, blos auf Handarbeiten eingeschränkt bleiben, um, da sie schon 15 Jahre alt war, ihre Mut258 Ausnahmen wie die in ärmlichen Verhältnissen groß gewordene schlesische Lyrikerin Anna Louisa Karsch (1722–1791) (Abb. 5), die, wie sie selbst von sich behauptete, »gleich einer wilden unbeschnittenen Weinrebe« aufwuchs, bestätigen diese Regel. Während eines Polenaufenthaltes unterrichtete der Onkel das von der Mutter abgelehnte Kind im Lesen und Schreiben. Im Alter von zehn oder elf Jahren begegnete Anna Louisa beim Hüten der Rinder einem Hirtenjungen, der dem lesehungrigen Mädchen und später der verheirateten jungen Frau Bücher zukommen ließ: »Meine einzige Erquickung fand ich in Büchern, mit welchen der Hirtenknabe mich noch immer versorgte; […]. Jmmer lag ein Buch unter dem Kopfkissen meines Kindes; ich holte es hervor, so oft ich die Pflichten einer mütterlichen Amme erfüllte oder die Stelle der Wärterin vertrat. Jch las die »Asiatische Banise«, die arabische Geschichte: »Tausend und eine Nacht«, und einen syrischen Roman: »Aramena«.« Leben der A. L. Karschin, geb. Dürbach. Von ihr selbst, in Briefen an Sulzer. Mit Ergänzungen von Wilhelm Körte, in: Zeitgenossen. Ein biographisches Magazin für die Geschichte unserer Zeit. Dritte Reihe 3, 1831, Nr. 18, S. 3–42, hier S. 7, 8 f. 259 Vgl. zu Frömmichen auch die Ausführungen in den Abschnitten 2.1 und 3.3. 260 Carl Wilhelm Otto August von Schindel: Die deutschen Schriftstellerinnen des neunzehnten Jahrhunderts. Drei Teile in einem Band, Ndr. d. Ausg. Leipzig 1823–1825, Hildesheim u. a. 1978, Tl. 1, S. 142–146, Tl. 3, S. 94, hier Tl. 1, S. 142. Weitere Literatur zu Sophia Frömmichen verzeichnet Friedrichs (Anm. 224), S. 90. 261 Der Sohn Christian Gottlob Heinrich Frömmichen (1774–1794) wurde zwanzigjährig während des Studiums an der Universität Göttingen aus dem Leben gerissen. von Schindel (Anm. 260), S. 144.
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1. Frauen im Zeitalter des Buchdrucks: Das Bildungsangebot des Buchmarktes
ter zu unterstützen.« 262 Viel Zeit zum Lesen blieb unter den neuen Lebensverhältnissen nicht mehr. Sophias besonderes Interesse galt Erziehungsschriften, allen voran den Schriften von Marie Le Prince de Beaumont 263 und Joachim Heinrich Campe.264 Bemerkenswerterweise standen die Lesevorlieben der Fünfzehnjährigen schon ganz im Zeichen des in spe ausgeübten Berufes. Gegen das Jahr 1787 überredeten Freundinnen der Familie Mutter und Tochter Frömmichen, Mädchen aus wohlhabenden Familien zu unterrichten. Bald darauf eröffneten die Frömmichens eine höhere Privatschule.265 Während ihrer langjährigen Tätigkeit als Privatlehrerin (1787 bis etwa 1805), welche sie bis nach Estland führte,266 ergriff Sophia Frömmichen jede Gelegenheit, um sich beruflich weiterzubilden. Wie sie dabei vorging, wirft ein bezeichnendes Licht auf die damalige »Ausbildungssituation« von Lehrerinnen267 und auf die Tragweite berufsvorbereitender und -begleitender Lektüre im Leben von Frauen. Dies Unternehmen hatte den erwünschten Fortgang, theils weil es damals in dortiger Gegend an einer guten Mädchenerziehungsanstalt ganz fehlte, theils weil ein treuer Freund, der Nachfolger des Directors Frömmichen, der berühmte Köppen, Sophien nicht nur mit den nöthigen Büchern, sondern vorzüglich durch eigne Anweisung in der Methode des Unterrichts unterstützte. Vier Jahre lang war er unermüdet ihr Rathgeber und lehrender Freund, bis er 1791 nach Hannover ging. Indeß hatte sie eine 262 Ebd., S. 142. 263 Die nach England ausgewanderte Pädagogin und Schriftstellerin Marie Le Prince de Beaumont war Mitte des 18. Jahrhunderts als Gouvernante und Lehrerin tätig. Irene Hardach-Pinke: Die Gouvernante. Geschichte eines Frauenberufs, Frankfurt/M. u. a. 1993, S. 54–59. Uta Janssens-Knorsch: Praktische Aufklärung oder die »verbesserte Erziehung«. Ein illustres Vorbild: Marie Leprince de Beaumont, in: Frank Grunert u. a. (Hg.), Aufklärung als praktische Philosophie. Werner Schneiders zum 65. Geburtstag (Frühe Neuzeit; 45), Tübingen 1998, S. 241–252, hier S. 251 f.: »Man hat Marie Leprince de Beaumonts aufgeklärte Erziehungsmethode und ihre inspirierenden pädagogischen Bücher in ganz Europa benutzt, übersetzt, angepaßt, umgeschrieben und nachgeahmt, aber ihren Namen hat man dabei nicht sehr in Ehren gehalten.« 264 von Schindel (Anm. 260), S. 142. 265 Noch Gustav Krusche (Anm. 170, S. 7) hatte Zugang zu der Information, Sophia Frömmichen habe 1787 in Hildesheim »eine Bildungsanstalt für Töchter gebildeter Stände« errichtet. Nach 1887 fand die Lehrtätigkeit der Frömmichens keinen Niederschlag mehr in der Forschungsliteratur. Zum Thema allgemein vgl. Martina Käthner/Elke Kleinau: Höhere Töchterschulen um 1800, in: Elke Kleinau u. a. (Hg.), Geschichte der Mädchen- und Frauenbildung, Bd. 1: Vom Mittelalter bis zur Aufklärung, Frankfurt/M. u. a. 1996, S. 393–408, 529–537, 565–566. Privatwirtschaftlich betriebene Schulen bewegten sich im 19. Jahrhundert nicht selten am Rande des Existenzminimums. Vgl. hierzu Jürgen Zinnecker: Sozialgeschichte der Mädchenbildung. Zur Kritik der Schulerziehung von Mädchen im bürgerlichen Patriarchalismus, Weinheim u. a. 1973, S. 39. 266 Es war die Ehefrau von Joachim Heinrich Campe (»Frau Räthin Campe«), die Sophia Frömmichen 1797 den Kontakt zu einer estländischen Familie vermittelte. von Schindel (Anm. 260), S. 144. 267 Das Civil-Mädchen-Pensionat in Wien (gegründet 1786) war die erste staatliche Einrichtung zur Ausbildung von Erzieherinnen und Lehrerinnen. Gertrude Langer-Ostrawsky: Die Bildung, der Beruf und das Leben. Lebenszusammenhänge der Absolventinnen des Civil-Mädchen-Pensionates zwischen Staatsräson und Bildungspolitik 1786–1803, in: Michaela Hohkamp u. a. (Hg.), Nonne, Königin, Kurtisane. Wissen, Bildung und Gelehrsamkeit von Frauen in der Frühen Neuzeit, Königstein/Ts. 2004, S. 39–59.
1.2 Erwerb von Bücherkenntnissen durch Frauen
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nähere Bekanntschaft mit dem gleichfalls als Schriftsteller verdienten Superintend. D. Cludius angeknüpft, der Köppen’s Unterricht bei ihr fortsetzte und über mehrere Wissenschaften ausdehnte. Zugleich lernte sie durch Hülfe einer Freundin die französische Sprache und suchte sich durch Unterhaltung mit den in Hildesheim sich damals in großer Anzahl aufhaltenden Emigranten darin zu vervollkommenen.268
Nach dem Tod der Mutter 269 wandte sich Sophia Frömmichen 1805 hilfesuchend an einen nahen Verwandten in Sankt Petersburg. In der russischen Hauptstadt fand sie eine Anstellung als Erzieherin am Waisenhaus der Töchter aus dem Militärstande. 1810 übertrug man ihr die Leitung der höheren Töchterschule im thüringischen Heiligenstadt; nach Auflösung dieser Einrichtung 1820 bestritt sie ihren Lebensunterhalt als Oberlehrerin an der dortigen Bürgerschule (an dieser Stelle bricht der biographische Teil des von Schindelschen Artikels ab). Die im Beruf stehende Tochter Karl Heinrich Frömmichens bildete auch Lehrerinnen aus, wie aus einem Nachruf auf den Hildesheimer Superintendenten Hermann Heimart Cludius (1754–1835) hervorgeht. Eine von Cludius’ Enkelinnen trat, nachdem sie durch Sophia Frömmichen darauf vorbereitet worden war, »in einem dem ihrigen ähnlichen Wirkungskreise würdig« auf: 270 So rühmt noch jetzt mit dankbarster Anerkennung die Tochter eines seiner frühern Lehrer, Frömmichen – die zuerst mit großem Nutzen eine höhere weibliche Bildungsanstalt in Hildesheim gründete, darauf in Petersburg, jetzt in Heiligenstadt öffentlichen Instituten dieser Art erfolgreich sich widmet, selbst treffliche Lehrerinnen bildete und auch in der pädagogischen Welt einige geschätzte Schriften (anonym) verfaßte – sie habe die Hauptgrundlage ihrer Bildung dem trefflichen Rath und vielfacher Belehrung unsres C.’s zu verdanken.271 268 von Schindel (Anm. 260), S. 143. Johann Heinrich Justus Köppen (1755–1791) war sowohl mit Karl Heinrich Frömmichen als auch mit Hermann Heimart Cludius befreundet. 1783 trat er die Nachfolge Frömmichens am Gymnasium Andreanum an. Georg Otto Fischer hebt hervor, Köppen sei der erste Direktor am Andreanum gewesen, »welcher die Philologie und Pädagogik von vorn herein als seine Lebensaufgabe ansah.« Georg Otto Fischer: Geschichte des Gymnasium Andreanum von 1546 bis 1815, Hildesheim 1862, S. 63–65, hier S. 63. 269 Auf die Mutter, die als Tochter des Helmstedter Universitätsbuchdruckers und Buchhändlers Paul Dietrich Schnorr mit Büchern großgeworden war, kann hier nicht näher eingegangen werden, auch wenn deren schicksalsbestimmender Einfluß auf ihre Tochter außer Frage steht. Vermutlich war es der freie Wille beider Frauen, nicht respektive kein weiteres Mal zu heiraten. 270 Anonym: Herrmann Heimart Cludius, in: Neuer Nekrolog der Deutschen 13, 1835, Tl. 1, S. 559– 573, hier S. 570 f. 271 Ebd., S. 566. Als Andreaner war Cludius Schüler von Frömmichen. Er wurde 1777 zum Pastor der Stadt Hildesheim gewählt und verfaßte seither für das Hildesheimische Wochenblatt (1778–1782) Beiträge. Aloys Barth: Das Zeitungswesen von Hildesheim. Ein Beitrag zur Geschichte und Soziologie der deutschen Presse, Hildesheim 1929, S. 56–59, hier S. 58: »Den inhaltlichen Höhepunkt erreichte das Wochenblatt im Jahre 1780, als sich eine kleine Gesellschaft hiesiger Gelehrter unter der Leitung von Direktor Frömmichen seiner angenommen hatte, die dem Publikum viel Nützliches und Interessantes darbot.« Bernd Feige: Philanthropische Reformpraxis in Niedersachsen. Johann Peter Hundeikers pädagogisches Wirken um 1800 (Beiträge zur historischen Bildungsforschung; 19), Köln u. a. 1997, S. 140 f. Im Alter ist dem Superintendenten die Ehrenmitgliedschaft in der seit 1827 bestehenden Leipziger Deutschen Gesellschaft zur Erforschung vaterländischer Sprache und Altertümer angetragen worden.
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1. Frauen im Zeitalter des Buchdrucks: Das Bildungsangebot des Buchmarktes
1803 legte Superintendent Cludius den Plan für eine höhere Mädchenschule mit Sitz in seiner Heimatstadt Hildesheim vor. Zwei Jahre später konnte der Plan realisiert werden. Vermutlich war Cludius’ bildungspolitisches Engagement von der Absicht bestimmt, die Bildungsarbeit der Frömmichens unter neuer Trägerschaft fortzuführen.272 Zum Warum und Wozu der geplanten Bildungseinrichtung heißt es im Cludiusschen Konzeptpapier: Es geht nicht wohl an, daß Adeliche, Gelehrte und Vornehme, sie mögen Staats- oder Kriegsämter bekleiden oder als Gutsbesitzer, Kaufleute und Rentner leben, ihre Töchter in die Gemeinschule schicken. Sie würden auch das nicht lernen können, was für ihren Stand gehört und noch weniger die ihnen nötige Bildung erhalten.273
Noch vor der Auswanderung der Frömmichens nach Estland im Jahre 1801 trat Sophia Frömmichen als Kinder- und Jugendbuchautorin an die Öffentlichkeit. Beim Übersetzen der Contes moraux (3 Bde., 1765) des französischen Aufklärers Jean-François Marmontel, einem ihrer Ansicht nach stilbildenden Werk, war der Funke übergesprungen, und es dauerte nicht mehr lange, und das erste Geisteswerk der Hildesheimerin lag in den Buchläden aus. Als Schriftstellerin, die Einflüsse von Mitgliedern von Sprachgesellschaften (eines der berühmtesten war Joachim Heinrich Campe) assimiliert hatte, gab sie die erworbenen Fähigkeiten weiter, indem sie die Jugend im Briefstil und in Lebenskunde unterwies.274 Um sich dabei auch im deutschen Styl zu üben, wählte sie Marmontel’s moralische Erzählungen zum Uebersetzen. Das schöne Muster einer verdienten Frau, die ihren ausschweifenden Gatten zur Tugend zurückführt und ihre Kinder mit sorgfältiger Treue erzieht, das Marmontel in der la Femme comme il y en a peu aufstellt, zog sie besonders an und war Veranlassung zu dem ersten ihrer Geisteswerke: die 272 Bis 1858 wurde die Friderikenschule von Pastoren geleitet. Danach ging die protestantische Privatschule in städtische Trägerschaft über; die Schule hieß fortan Städtische höhere Töchterschule. 1856 gab es in Hildesheim drei Privatschulen für Mädchen, die Friderikenschule mit 120 Schülerinnen, die katholische Schule der Ursulinerinnen mit 80 Schülerinnen und das Steinhardtsche Institut mit 50 Schülerinnen jüdischen Glaubens. Wilhelm Tesdorpf: Geschichte der Städtischen höheren Töchterschule zu Hildesheim, in: ders. (Hg.), Festschrift zur Feier des 50jährigen Bestehens der Städtischen höheren Töchterschule zu Hildesheim. 1858–1908, Hildesheim 1908, S. 1–33, hier S. 4, 7. 273 Klaus Alphei: Hermann Heimart Cludius als Schulreformer in Hildesheim am Beginn des 19. Jahrhunderts, in: Alt-Hildesheim. Jahrbuch für Stadt und Stift Hildesheim 60, 1989, S. 69–75, hier S. 70. »Das Prinzip der ›allgemeinen Menschenbildung‹, schreibt Alphei, wobei er den von Cludius entworfenen Lehrplan für eine höhere Mädchenschule paraphrasiert, »sollte allen Fächern zugrunde liegen, davon zu unterscheiden sei die Vermittlung von Kenntnissen, Kunstfertigkeiten und ›feinen Sitten‹.« 274 Sophia Frömmichen gehört heute zu den vergessenen Kinder- und Jugendschriftstellerinnen. Als erster erstellte von Schindel (Anm. 260) ein Verzeichnis ihrer Schriften. Mehr als eine kurze Inhaltsangabe zum Fortsetzungsband des von Bernheim-Romans hat die Kinder- und Jugendliteraturforschung zu Sophia Frömmichen nicht aufzuweisen. [Sophia Frömmichen:] Briefwechsel der Familie von Bernheim. Eine Fortsetzung der Geschichte derselben. Zur Bildung der Jugend im Briefstyl, Braunschweig 1799. Der Roman erzählt vom »Leben miteinander befreundeter und durch Heirat verwandter Familien; die Briefe und Unterredungen enthalten Ausführungen zur Empfindsamkeit, zur Erziehung, zur Vorbereitung auf den Ehestand, zu den Pflichten der Eheleute und zur Frage einer standesgemäßen Lebensführung.« Theodor Brüggemann u. a. (Hg.): Handbuch zur Kinderund Jugendliteratur. Von 1750 bis 1800, Stuttgart 1982, Sp. 1356.
1.2 Erwerb von Bücherkenntnissen durch Frauen
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Familie Bernheim, die sie im J. 1795 jedoch, so wie die folgenden, die von ihr, durch den Beifall, womit man sie aufnahm, aufgemuntert, erschienen, ohne Nennung ihres Namens herausgab. Sie fand hierdurch einen Nebenzweig des Unterhalts, indem sich auch die Zahl ihrer Schülerinnen vielmehr vergrößerte.275
Sophia Frömmichen hatte innerhalb von acht Jahren insgesamt fünf Werke von der Braunschweigischen Schulbuchhandlung, einer Gründung des Reformpädagogen, Schriftstellers, Verlegers und Sprachforschers Joachim Heinrich Campe (1746–1818), verlegen lassen. Das war für sie ein Glücksfall. Denn der, dessen Schriften sie als Heranwachsende mit besonderer Begeisterung gelesen hatte, war nun ihr Verleger!276 Die frauenfreundlichen Aktivitäten der Buchbranche begünstigten das schrittweise Vordringen schreibender Frauen in den Bildungssektor, eine These, welche die Bildungsbiographie von Sophia Frömmichen bestätigt.
6.
Resümee
Der Schwerpunkt dieses Abschnitts lag auf Kennern und Kennerinnen des Buchmarktes, die für (mehr) Buchbesitz und die Lektüre bestimmter Schriftenkomplexe, Werke oder Autor(inn)en plädierten, ohne dabei kommerzielle Interessen zu verfolgen. Sie alle leisteten aus tiefster Überzeugung Bildungs- und Aufklärungsarbeit, und auch weil ihnen »seichte, überflüssige« oder schädliche Literatur ein Dorn im Auge war.277 Nicht von Ungefähr meldeten sich so viele zu Wort. Die verbesserte Versorgung mit Büchern und 275 von Schindel (Anm. 260), S. 143 f. [Sophia Frömmichen:] Die Familie von Bernheim, ein angenehmes und lehrreiches Lesebüchlein, Braunschweig 1795. 276 Durch Campes Schulbuchverlag stieg Braunschweig-Wolfenbüttel »zum wichtigsten publizistischen Zentrum der spätphilanthropischen Erziehungsbewegung« auf. Hanno Schmitt: Visionäre Lebensklugheit: Zur Biographie Joachim Heinrich Campes, in: Visionäre Lebensklugheit. Joachim Heinrich Campe in seiner Zeit (1746–1818) (Ausstellungskataloge der Herzog August Bibliothek; 74), Ausst.-Kat. Wiesbaden 1996, S. 13–32, hier S. 25. Campe eröffnete die Braunschweigische Schulbuchhandlung 1787 (nach anderer Quelle 1786) und übergab sie 1799 seinem Schwiegersohn Friedrich Viehweg. Rudolf Schmidt: Campe, Joachim Heinrich, in: ders., Deutsche Buchhändler, deutsche Buchdrucker. Beiträge zu einer Firmengeschichte des deutschen Buchgewerbes, Bd. 1, Berlin 1902, S. 129–134. Er ist der Verfasser des Väterlichen Raths für meine Tochter (1789), eines Druckwerks der Braunschweigischen Schulbuchhandlung, dem ein durchschlagender Erfolg beschieden war. Die Erziehungsschrift war und ist eines der meistzitierten Werke zur Mädchen- und Frauenbildung des ausgehenden 18. Jahrhunderts. Friedrich Erdmann Petri formulierte den Wunsch, die Erziehungsschrift möchte »doch ja in keiner, auch noch so kleinen Handbibliothek eines auf Bildung Anspruch machenden Mädchens fehlen«. [Petri] (Anm. 170), S. 59. Michaela Jonach: Väterliche Ratschläge für bürgerliche Töchter. Mädchenerziehung und Weiblichkeitsideologie bei Joachim Heinrich Campe und Jean-Jacques Rousseau (Aspekte pädagogischer Innovation; 22), Frankfurt/M. u. a. 1997, S. 118. 277 Friedrich Erdmann Petri, der von sich behauptete, das erste »Repertorium der weiblichen Literatur« vorgelegt zu haben, erläutert die Wichtigkeit eines solchen Unternehmens: »Hätten wir schon früher ein dieses Namens nicht ganz unwürdiges Buch erhalten; so dürfte wohl manche seichte, überflüssige Schrift ›für gebildete Mädchen‹ u. s. w. ungedruckt, manches schätzbare, schöne Werkchen dagegen allgemeiner unter deutschen Mädchen bekannt und öfter aufgelegt worden seyn.« [Petri] (Anm. 170), S. IV.
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1. Frauen im Zeitalter des Buchdrucks: Das Bildungsangebot des Buchmarktes
Zeitschriften, der Transfer von Bildungsidealen aus anderssprachigen Regionen, die Bildungsoffensive aufgeklärter Kreise, die Professionalisierung der Arbeitswelt, die Aufwertung von Bildungskapital 278 und Buchbesitz – dies und anderes mehr stachelten zwar den Wissensdurst und die Leselust der Frauen an, doch fanden diese sich in der Bücherflut nur zurecht und trafen die richtige Wahl, wenn sie über die erforderlichen Kenntnisse verfügten.279 Wer das Angebot des Buchmarktes überblicken wollte, konnte Einsicht in Meß-, Buchhändler-, Buchauktions- oder Bibliothekskataloge nehmen, eine Buchhandlung aufsuchen, eine kommerzielle Leihbibliothek nutzen,280 einer (auch Frauen offenstehenden) Lesegesellschaft beitreten, Bücherplakate oder Bücheranzeigen studieren, den Büchervorrat anderer Leute inspizieren, sich von kundigen Personen Empfehlungen geben lassen oder aber die hier vorgestellten Handreichungen zu Rate ziehen. Wollte man diese unter dem Begriff ›Bevormundung‹ abhandeln,281 setzte dies ein Kontrollsystem voraus, das es in diesem Falle nicht gab.282 Schon der Autor des Frauen-Zimmer-Bibliotheckgens (1705) stellte es den Nicht-Gelehrten anheim, aus seinem Büchlein das auszuwählen, »was dien278 Von Bildungskapital sprechen Pierre Bourdieu/Luc Boltanski: Titel und Stelle. Zum Verhältnis von Bildung und Beschäftigung, in: Pierre Bourdieu u. a., Titel und Stelle. Über die Reproduktion sozialer Macht, Frankfurt/M. 1981, S. 89–115, hier S. 96. Im Zusammenhang mit dem Prestigewert von Buchbesitz verstrickt sich der Autor des Frauen-Zimmer-Bibliotheckgens (1705) in unauflösbare Widersprüche. Auf der einen Seite sucht er seine Adressatinnen davon zu überzeugen, nichts mache auf andere mehr Eindruck als eine kleine Bibliothek, auf der anderen Seite wendet er sich gegen solche Frauen, die Bibliotheken zu Renommierzwecken mißbrauchen: »Kan ein Frauen-Zimmer grosse Spünde, Spiegel, Nacht-Tische, Geridons, Bilder und Schildereyen, kostbare Gläser auf Tabeletten setzen, ihre Stube damit auszuputzen? so kan der Stuben Schmuck weit ansehnlicher werden, durch so ein klein Bibliotheckgen; dieses sol man denn thun, und jenes lassen, zum wenigsten sich darinnen mäßigen.« »Welches Frauen-Zimmer denn […] bloß mit ihrem Bibliotheckgen stutzen, pruncken, prahlen, praschen und groß thun wil, die handelt thöricht und sündiget sehr.« FrauenZimmer-Bibliotheckgen (Anm. 144), S. 81 f., 83 f. 279 [Petri] (Anm. 170), S. III: »Je schneller und unaufhaltsamer sich die Literatur jedes einzelnen Gegenstandes unsrer Forschungen, Bestimmung und Einsicht, gleich einem von den Alpen herabrollenden Schneeballe alljährlich vergrößert; desto nothwendiger werden gewiß immermehr genaue Uebersichten und Verzeichnisse der vorhandenen literärischen Gemeingüter.« 280 Kurt Habitzel/Günter Mühlberger: Die Leihbibliotheksforschung in Deutschland, Österreich und der Schweiz: Ergebnisse und Perspektiven, in: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur 22, 1997, 2, S. 66–108, hier S. 69: »Angesichts der Tatsache, daß Bücher teuer bleiben und die Anschaffung eines Buches, das nur zur einmaligen Lektüre bestimmt ist, eine hohe Ausgabe weder ratsam noch erschwinglich erscheinen ließ, umgekehrt aber weder öffentliche noch private Bibliotheken die Flut an neuer Literatur aufzunehmen bereit waren, entstanden [nach der Mitte des 18. Jahrhunderts, SK] zwei bedeutende Vermittlungs- und Distributionsinstanzen, die das literarische Leben nachhaltig beeinflussen und mitgestalten sollten: Die Lesegesellschaften und die Leihbibliotheken.« 281 Becker-Cantarino (Anm. 12), 1987, S. 173: »Die ›Frauenzimmerbibliotheken‹ spiegeln bei aller Bevormundung der Leserin die neuen Interessen seit der Aufklärung: Neben der religiösen Literatur nehmen unterhaltende Sachbücher und Belletristik einen immer breiter werdenden Raum ein.« 282 Büchervisitationen stellten ein Mittel kirchlicher Bevormundung dar. Fickel (Anm. 12). Zur prohibitiven Steuerung des Lesens vgl. Jäger (Anm. 143), S. 506 und Abschnitt 6.3 dieser Arbeit.
1.2 Erwerb von Bücherkenntnissen durch Frauen
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lich ist, und gefallen kan.« 283 Mit dem Begriff der ›Bevormundung‹ ist die Bedeutung nicht zu erfassen, die Literaturführern, Studienanleitungen, Auswahllisten und Titelhinweisen in der damaligen Zeit zukam. Diese liegt in ihrer Funktion als Orientierungs- und Qualifizierungsinstrument für ein nichtakademisches Publikum. Bekamen intelligente, disziplinierte Frauen die bibliographischen Referenzen in die Hände, wurden sie zu besser informierten Marktteilnehmerinnen,284 planmäßigeren Büchersammlerinnen, professionelleren Leserinnen, verantwortungsbewußteren (Lese-)Pädagoginnen und machtvolleren Trägerinnen von Bildung. War die Titelauswahl kommentiert oder wurde sie begründet, eigneten sich die Benutzerinnen neben bestimmten Bildungsidealen und Kenntnissen rund ums Buch285 auch Bewertungskriterien an. Außerschulische Leseförderung, das große Projekt des 18. Jahrhunderts, war, wie gezeigt, ein gemeinschaftliches Unterfangen bildungsbeflissener Männer und Frauen. Damit dürfte die These von der unaufhaltsamen Zerstörung genuin weiblicher Kultur und der Isolierung der Frauen untereinander als Folge der Auflösung des »ganzen Hauses« 286 – das »ganze Haus« als autarke Wirtschaftsform gab es seit dem Spätmittelalter nicht mehr – und der Trennung in Wohn- und Arbeitsbereich (diese gab es schon im 15. und 16. Jahrhundert) an Plausibilität verloren haben.287 Was bringt es, gute Bücher zu lesen? Bei allem, was die angeführten Autoren und Autorinnen im einzelnen voneinander unterschied, stimmten diese doch darin überein, daß jede Lektüre, auch die von unterhaltender Literatur, keinen Selbstzweck darstellt. Das Lesen guter Bücher:
283 Frauen-Zimmer-Bibliotheckgen (Anm. 144), S. 11. 284 Sich als Frau Bücher schenken zu lassen, davon ist in den von mir ausgewerteten Quellentexten nicht die Rede. Auf Anraten des Autors des Frauen-Zimmer-Bibliotheckgens verleiht die Adressatin die von ihr gekauften Bücher auch dann auf Begehren an ihren Nächsten, wenn Gefühle von Neid und Mißgunst in ihr aufsteigen. Frauen-Zimmer-Bibliotheckgen (Anm. 144), S. 96 f. 285 Beispielsweise wurde die Adressatin mit der Textsortenvielfalt und den verschiedenen Arten des Buchgebrauchs vertraut gemacht: »Man muß auch wissen, daß wie die Bücher unterschieden; also solche nicht auf einerley Art und zu einer Zeit man gebrauche. Einiger bedienet man sich allezeit und zum beständigen lesen; anderer wiederum nur dann und wann, etwa auch bloß zum Nachschlagen.« Frauen-Zimmer-Bibliotheckgen (Anm. 144), S. 85. 286 Otto Brunner: Das »ganze Haus« und die alteuropäische »Oekonomik«, in: ders., Neue Wege der Sozialgeschichte. Vorträge und Aufsätze, Göttingen 1956, S. 33–61, 225–230. 287 Christine Garbe behauptet irrig: »Die Zerstörung weiblicher Bindungen, Werte, Wissens- und Lebensformen schuf die Voraussetzung für jene Orientierungslosigkeit, jene Bereitschaft zur ›Sanftmut‹, Bescheidenheit und Unterordnung, die wir an den (bürgerlichen) Frauen des 18. Jahrhunderts so häufig studieren können: Sie blickten auf zu ›großen Männern‹, ließen sich durch Bücher und Zeitschriften, in Korrespondenzen oder im Ehealltag von ihnen belehren, wurden zu Rezipientinnen der neuen (männlichen) Kultur: eben zu idealen Leserinnen.« Christine Garbe: Frauen – das lesende Geschlecht? Perspektiven einer geschlechtsdifferenzierten Leseforschung, in: dies. (Hg.), Frauen lesen. Untersuchungen und Fallgeschichten zur »weiblichen Lektürepraxis« und zur literarischen Sozialisation von Studentinnen (Literatur und Erfahrung; 26/27), Berlin u. a. 1993, S. 7–33, hier S. 14.
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1. Frauen im Zeitalter des Buchdrucks: Das Bildungsangebot des Buchmarktes
dient der moralischen Vervollkommnung bildet Verstand und Herz (Seele) fördert die Reflexionsfähigkeit, Grundlage der Selbstbeherrschung verbessert die Sprachkenntnisse und das Stilgefühl erweitert das Repertoire an Gesprächsstoffen ermöglicht gehaltvolle und anmutige Gespräche verschafft Bildung und erhöht das weibliche Prestige
Ferner eignen sich gute Bücher als Lehrmaterial für den häuslichen Unterricht und sie ersetzen fehlende schulische Bildungsangebote.
2. Frauen im Bildungsdiskurs: Lerninhalte, Lehrautorität, literarische Öffentlichkeit
2.1 Postulate von Mitgliedern der Fruchtbringenden Gesellschaft und Deutscher Gesellschaften zur höheren Bildung von Frauen Die folgenden Darlegungen zu den zeitgenössischen Rahmenbedingungen weiblichen Scheibens und Veröffentlichens bilden die notwendige Grundlage zum Verständnis der anschließenden Kapitel. Im ersten Abschnitt wird an den Beispielen Sprachgesellschaften und Dichterinnenkrönungen aufgezeigt, durch wen und in welcher Weise schriftstellerisch begabte Frauen gefördert wurden. Im zweiten Abschnitt steht das kirchliche Lehr- und Ämterverbot für Frauen als Haupthemmnis weiblicher Talententfaltung im Vordergrund. Mit den Ausführungen ergeben sich – wie schon im vorangegangenen Kapitel – empirisch abgesicherte Einblicke in die Strukturen frühneuzeitlicher Wissensproduktion und -distribution. Stringent angelegt, wird auf ausufernde Quellendarstellung verzichtet. Die auf sprachlich talentierte Frauen einwirkende förderliche und beschützende Macht wird erst dann offenkundig, wenn die Bildungssituation von (schreibenden) Frauen vergegenwärtigt wird. Von höherer Bildung kann dann die Rede sein, wenn Mädchen und Frauen mehr oder minder systematisch in Wissensfelder, die über Elementarbildung (Glaubenslehre, Lesen, Schreiben und Rechnen) hinausgehen, eingeführt waren. Im Adel, auch im verarmten, war ein Mindestmaß an höherer Bildung für Mädchen ein dringendes Erfordernis, zum einen weil Bildung die Funktion eines Distinktionscodes erfüllte, zum andern weil mit einem Regenten verheiratete Frauen ihren abwesenden oder verstorbenen Gemahl sowie den unmündigen, zur Regierung bestimmten Sohn bisweilen vertreten mußten. In Adelskreisen wünschte man keine Töchter, die nach Art der Söhne für einen Beruf oder ein Amt qualifiziert wurden, außer die Einsetzung in das hohe politische Amt der Regentin oder Statthalterin stand von vornherein fest oder wider Erwarten bevor. Die Lehrpläne von Damenstiften und von solchen Lehrorden, die sich der Erziehung der weiblichen Jugend annahmen, waren ebenfalls auf die Wünsche der Eltern abgestimmt. Wenn in den bürgerlichen Schichten die Töchter nicht durch die Eltern, Großeltern oder entferntere Verwandte unterwiesen wurden und keine geeignete Schule1 vorhanden war, 1
Für Mädchen nichtadliger Herkunft war es ein seltenes Privileg, eine der im 18. Jahrhundert gegründeten höheren Mädchenschulen besuchen zu dürfen.
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2. Frauen im Bildungsdiskurs: Lerninhalte, Lehrautorität, literarische Öffentlichkeit
übernahmen Hauslehrer(innen) den Unterricht. Wie aus der Biographie Sophia Frömmichens zu ersehen ist,2 wurde an der Bildung der Mädchen gespart, wenn die Familie in Geldnöten steckte. Die begabte Tochter des Hildesheimer Gymnasialdirektors konnte nur dank der tatkräftigen Unterstützung, die Freunde ihres Vaters ihren autodidaktischen Bemühungen angedeihen ließen, beruflich vorankommen. Da »Ritter-Akademien, Gymnasien, lateinische, Real- und Kriegsschulen« 3 dem männlichen Geschlecht vorbehalten waren und Frauen frühestens an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert allgemein zum Hochschulstudium zugelassen wurden, war an diese Optionen überhaupt nicht zu denken.4 So gut wie immer entstammten schriftstellerisch tätige Frauen den gehobenen Schichten. Erst als Wissenschaft und Technik im späten 19. Jahrhundert die Zahl der professionellen Arbeitsplätze sprunghaft vermehrten, wurde Frauen der Zugang zu akademischer Bildung erleichtert – und noch mehr nach den Männerverlusten der Weltkriege.5 Höhere Bildung war für weibliche Schreibtalente ebenso eine Grundvoraussetzung für die Entfaltung ihrer schöpferischen Anlagen wie für talentierte Männer, ihre Chancen, diese zu erwerben, waren allerdings, wie angedeutet, ungleich geringer. Generell fehlte es den meisten Frauen an allem, was gegeben sein mußte, um Bücher schreiben zu können: freie Zeit, Rückzugs- und Fortbildungsmöglichkeiten, Unterstützung, (weibliche) Vorbilder im unmittelbaren Lebensumfeld, Anreize wie Lob und Anerkennung oder die Aussicht auf eine Stelle, auf Beförderung oder auf soziale Nobilitierung. Zuweilen geht aus den Texten von Frauen hervor, gegen welche Ressentiments und feindseligen Äußerungen Autorinnen anzukämpfen hatten. Eine schriftstellerisch begabte Frau hatte daher ausgesprochen Glück, wenn ihr ein Mentor den Rücken stärkte, Kontakte vermittelte, sein 2 3 4
5
Vgl. den Exkurs in Abschnitt 1.2. Michael Konrad Curtius: […] von der Erziehung des weiblichen Geschlechts […], Marburg [1777], S. 4. Claudia Huerkamp: Bildungsbürgerinnen. Frauen im Studium und in akademischen Berufen 1900– 1945 (Bürgertum; 10), Göttingen 1996. Der erste Band der Geschichte der Mädchen- und Frauenbildung enthält eine umfangreiche Bibliographie zur weiblichen Bildung in Theorie und Praxis mit Schwerpunkt auf der deutschsprachigen Forschung: Elke Kleinau u. a. (Hg.): Geschichte der Mädchen- und Frauenbildung, 2 Bde., Frankfurt/M. u. a. 1996, Bd. 1, S. 544–570. Vgl. auch: Angelika Ebrecht u. a. (Hg.): Gelehrsamkeit und kulturelle Emanzipation (Querelles. Jahrbuch für Frauenforschung; 1), Stuttgart u. a. 1996 (Auswahlbibliographie S. 255–261). Elke Kleinau u. a. (Hg.): Erziehung und Bildung des weiblichen Geschlechts. Eine kommentierte Quellensammlung zur Bildungs- und Berufsbildungsgeschichte von Mädchen und Frauen (Einführung in die pädagogische Frauenforschung; 1–2), 2 Bde., Weinheim 1996. Sabine Toppe: Von »beglückenden Gattinnen« und »bildenden Müttern«, »Frauenzimmern« und »Schöngeistern«. Frauen- und Geschlechterforschung in der historischen Bildungsforschung, in: Friedrich W. Busch (Hg.), Aspekte der Bildungsforschung. Studien und Projekte der Arbeitsstelle Bildungsforschung im Fachbereich 1 Pädagogik, Institut für Erziehungswissenschaft, Oldenburg 1996, S. 115–136. Ilse Brehmer u. a. (Hg.): Geschichte der Frauenbildung und Mädchenerziehung in Österreich. Ein Überblick, Graz 1997. Barbara J. Whitehead (Hg.): Women’s Education in Early Modern Europe: A History, 1500–1800 (Studies in the History of Education; 7), New York u. a. 1999. Michaela Hohkamp u. a. (Hg.): Nonne, Königin, Kurtisane. Wissen, Bildung und Gelehrsamkeit von Frauen in der Frühen Neuzeit, Königstein/Ts. 2004. Auf diesen Zusammenhang machte mich Wolfgang Schibel aufmerksam.
2.1 Postulate von Mitgliedern der Fruchtbringenden Gesellschaft
79
Wissen preisgab, Bücher verlieh, Rede und Antwort stand und in der Öffentlichkeit höheren Bildungsstandards und erweiterten Handlungsspielräumen für Mädchen und Frauen aus wohlhabenden Familien das Wort redete. Dieser Aufgabe waren jedoch nur wenige Männer gewachsen.6 Die Zahl der Frauen, deren schriftstellerische Begabung oder deren Interesse an der deutschen Sprache, Literatur und Beredsamkeit durch eine Sprachgesellschaft7 (an)erkannt und gefördert wurde, war gering.8 Fragt man, welche Sprachgesellschaften eine oder mehrere Frauen zu (Ehren-)Mitgliedern ernannt haben, kommt man zu folgenden Ergebnissen: – Die Deutschgesinnte Genossenschaft (gegründet circa 1642 von Philipp von Zesen, erloschen 1705, Sitz in Hamburg) ernannte zwei Frauen zu Mitgliedern.9 Eines der zwei weiblichen Mitglieder, Catharina Regina von Greiffenberg (1633–1694), ist heute die bekannteste Autorin des 17. Jahrhunderts im deutschsprachigen Raum. – Bis 1800 sind in den Pegnesischen Blumenorden (gegründet 1644 von Georg Philipp Harsdörffer und Johann Klaj, in abgewandelter Form bis heute bestehend, Sitz in Nürnberg) 28 Frauen aufgenommen worden (einem weiblichen Mitglied wurde zusammen mit seinem Ehemann nachträglich die Mitgliedschaft aberkannt).10 Nicht alle diese in 6 Karin Tebben: Soziokulturelle Bedingungen weiblicher Schriftkultur im 18. und 19. Jahrhundert, in: dies. (Hg.), Beruf: Schriftstellerin. Schreibende Frauen im 18. und 19. Jahrhundert, Göttingen 1998, S. 10–46, hier S. 28: »In jedem Fall aber waren schriftstellerisch tätige Frauen auf die Gunst emanzipationsfreudiger und vor allem nicht dem Brotneid verfallender Männer angewiesen, die als Verleger, Mentoren und Berater den Weg in die Öffentlichkeit ebneten.« 7 Herbert Jaumann: Sprachgesellschaft, in: Jan-Dirk Müller (Hg.), Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Neubearbeitung des Reallexikons der deutschen Literaturgeschichte, Bd. 3, Berlin u. a. 2003, S. 476–479. Sprachgesellschaften waren keine reinen Sprachvereine, darauf hat die Forschung wiederholt hingewiesen. Richard van Dülmen: Die Gesellschaft der Aufklärer. Zur bürgerlichen Emanzipation und aufklärerischen Kultur in Deutschland, Frankfurt/M. 1986, S. 20: »Der Begriff ›Sprachgesellschaften‹ ist etwas irritierend: Zum einen umfaßt er sowohl Gesellschaften mit hohem Organisationsgrad wie auch Literatengruppierungen mit lockerer Bindung, zum anderen ging es zwar um die deutsche Sprache und Literatur, doch bildeten diese nur ein, wenn auch wichtiges Moment zur Stärkung von tugendhaftem und national-patriotischem Verhalten.« 8 Tebben (Anm. 6), S. 13: »[…] Sprachgesellschaften, Brut- und Pflegestätten deutscher Sprache und Poesie, blieben, von wenigen Ausnahmen abgesehen, den Frauen verschlossen.« Vgl. auch Barbara Becker-Cantarino: Frauenzimmer Gesprächspiele. Geselligkeit, Frauen und Literatur im Barockzeitalter, in: Wolfgang Adam (Hg.), Geselligkeit und Gesellschaft im Barockzeitalter (Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung; 28), 2 Tle., Wiesbaden 1997, Tl. 1, S. 17–41, hier S. 36 f. 9 Karl F. Otto: Die Sprachgesellschaften des 17. Jahrhunderts, Stuttgart 1972, S. 36, 39. Christoph Stoll: Sprachgesellschaften im Deutschland des 17. Jahrhunderts. Fruchtbringende Gesellschaft, Aufrichtige Gesellschaft von der Tannen, Deutschgesinnte Genossenschaft, Hirten- und Blumenorden an der Pegnitz, Elbschwanenorden, München 1973, S. 11. 10 Friedrich August Pischon: Ueber den Antheil der Frauen an der Dichtkunst des 17. Jahrhunderts. Vorlesung am 13. Jan. 1848 bei der Stiftungsfeier der Berliner deutschen Gesellschaft, in: Germania. Neues Jahrbuch der Berlinischen Gesellschaft für Deutsche Sprache und Alterthumskunde 8, 1848, S. 104–137, hier S. 109–120. Karl F. Otto: Die Frauen der Sprachgesellschaften, in: August Buck u. a.
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2. Frauen im Bildungsdiskurs: Lerninhalte, Lehrautorität, literarische Öffentlichkeit
der Mehrzahl dem Bürgertum angehörenden Frauen waren literarisch produktiv. Unter den literarisch tätigen weiblichen Mitgliedern erlangten in den Folgejahrhunderten Maria Katharina Stockfleth (1634–1692), Gertrud Möller (1641–1705) und Johanna Eleonora Petersen (1644–1724) den größten Bekanntheitsgrad – Von den ungefähr fünfzig Deutschen Gesellschaften des 18. Jahrhunderts, die sich speziell als Sprachgesellschaften verstanden,11 wählten die Deutschen Gesellschaften in Altdorf, Göttingen, Helmstedt, Jena, Königsberg, Leipzig und Straßburg (damals französisch) Frauen zu Mitgliedern. Aufgenommen wurden vor allem Frauen aus dem Bürgertum, seltener aus dem Adel. Das mit Abstand bekannteste weibliche Mitglied einer Deutschen Gesellschaft, Christiana Mariana von Ziegler (1695–1760),12 war durch Heirat in den niederen Adel aufgestiegen. Am 17. Oktober 1733 verlieh ihr die philosophische Fakultät zu Wittenberg die Würde einer kaiserlich gekrönten Poetin (Abb. 4a und 4b). Louise Gottsched (1713–1762), deren Ehemann Johann Christoph 1727 in Leipzig die erste Deutsche Gesellschaft gegründet hatte, wies den Gedanken von sich, um Aufnahme in die Sozietätsgründung ihres Mannes zu ersuchen. Mit theoretischen Äußerungen von Mitgliedern von Sprachgesellschaften zur höheren Bildung von Frauen befassen sich die nachstehenden Ausführungen.13 Um die Art und Weise der Förderung schriftstellerisch begabter Frauen sichtbar zu machen, wird die wechselseitige Befruchtung von Theorie und literarischer (Auszeichnungs-)Praxis herausgearbeitet.14 Weil die Forschung der Tragweite des Themas Frauen und Sprachgesellschaf-
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(Hg.), Europäische Hofkultur im 16. und 17. Jahrhundert (Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung; 10), Bd. 3, Hamburg 1981, S. 497–503, hier S. 498 f. Beatrix Adolphi-Gralke: Der Pegnesische Blumenorden – eine Sprachgesellschaft des 17. Jahrhunderts. Studien zur Geschichte, zur Spracharbeit und zur Rolle der Frau, 2 Tle., Magisterarbeit Bonn 1988 (Anhang mit Verzeichnis der Frauen des Pegnesischen Blumenordens). Renate Jürgensen: Utile cum dulci. Mit Nutzen erfreulich. Die Blütezeit des Pegnesischen Blumenordens in Nürnberg 1644 bis 1744, Wiesbaden 1994. Corinna Fricke: Die Deutschen Gesellschaften des 18. Jahrhunderts – ein Forschungsdesiderat, in: Klaus D. Dutz (Hg.), Sprachwissenschaft im 18. Jahrhundert. Fallstudien und Überblicke, Münster 1993, S. 77–98. Von Ziegler war Mitglied der Deutschen Gesellschaft in Leipzig. Es gelang ihr nicht, das Vertrauen der Mitglieder der Deutschen Gesellschaft in Jena, eine Gesellschaft, in die aufgenommen zu werden sie als Ehre empfunden hätte, zu gewinnen. Karl von Weber: o. T. [Die unter dem 17. October 1733 von der philosophischen Fakultät zu Wittenberg gekrönte Dichterin Christiane Mariane von Ziegler, geb. Romanus], in: Archiv für die sächsische Geschichte 5, 1867, S. 430–432. Felicitas Marwinski: Die Deutsche Gesellschaft zu Jena und die gelehrten Frauenzimmer, in: Palmbaum. Literarisches Journal aus Thüringen 8, 2000, 3/4, S. 16–31, hier S. 11. Getrennt davon zu behandeln sind Postulate zur Mädchenerziehung und zum Mädchenschulwesen. Der Forschung sind die theoretischen Äußerungen von Mitgliedern von Sprachgesellschaften zur Frauen- und Mädchenbildung bislang nicht als Desiderat bekannt. Hemmend könnte sich das Diktum von Barbara Becker-Cantarino: Der lange Weg zur Mündigkeit. Frau und Literatur (1500–1800), Stuttgart 1987, S. 152, ausgewirkt haben, die Diskussion über weibliche Bildung im 17. und frühen 18. Jahrhundert sei »theorielos und desinteressiert« verlaufen. Mit Ausnahme der Fruchtbringenden Gesellschaft wurden aus Platzgründen alle anderen Sprachgesellschaften des 17. Jahrhunderts zurückgestellt (zur Pegnitzschäferin Barbara Helena Kopsch und
2.1 Postulate von Mitgliedern der Fruchtbringenden Gesellschaft
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ten nicht Rechnung trug, wurde in der Vergangenheit oft nicht beachtet, ob die referierten bildungstheoretischen Positionen von Mitgliedern von Sprachgesellschaften vertreten wurden.15 Wenig Interesse fand auch die Frage, warum vermehrt Mitglieder von Sprachgesellschaften eine betont säkulare Ausweitung der Frauenbildung befürworteten und auf wen diese Befürworter und Befürworterinnen sich stützten oder beriefen. Die Hauptpersonen dieses Abschnitts treten in den anschließenden Ausführungen paarweise auf: Paar 1: Johann Wilhelm von Stubenberg (1619–1663): Mitglied der Fruchtbringenden Gesellschaft
Margareta Maria Bouwinghausen von Wallmerode (1629–nach 1679): Gesprächs- und Korrespondenzpartnerin von Mitgliedern von Sprachgesellschaften
Paar 2: Johann Friedrich May (1697–1762): Christiana Mariana von Ziegler (1695–1760): Mitglied der Deutschen Gesellschaft Mitglied der Deutschen Gesellschaft in in Leipzig Leipzig, Gesprächs- und Korrespondenzpartnerin von Mitgliedern von Sprachgesellschaften Paar 3: Johann Gottlob Krüger (1715–1759): Mitglied der Deutschen Gesellschaften in Göttingen und Helmstedt
Johanne Charlotte Unzer (1725–1782): Nichte und Gesprächspartnerin eines Mitglieds einer Sprachgesellschaft, Ehrenmitglied der Deutschen Gesellschaften in Göttingen und Helmstedt
Paar 4: Karl Heinrich Frömmichen (1736–1782): Mitglied der Deutschen Gesellschaft in Helmstedt
Sophia Frömmichen (1767–nach 1835): Tochter eines Mitglieds einer Sprachgesellschaft, Gesprächspartnerin von Mitgliedern von Sprachgesellschaften
ihrem Umfeld vgl. Abschnitt 3.2). Stattdessen wurde den Deutschen Gesellschaften der Vorrang eingeräumt, da es mir gelang, die Namen der weiblichen Mitglieder der Deutschen Gesellschaft in Helmstedt zu rekonstruieren. 15 Diese Feststellung trifft zum Beispiel auf Veit Ludwig von Seckendorff zu, 615. Mitglied der Fruchtbringenden Gesellschaft. Aus dessen frühpietistischem Christen-Stat (1685) (eine Gleditsch-Publikation, die 1706 von Thomas Fritsch nachgedruckt wurde) zitierte schon Gertrud Bäumer ausführlich, ohne von der Mitgliedschaft des Autors in der Fruchtbringenden Gesellschaft Notiz zu nehmen. Gertrud Bäumer: Geschichte und Stand der Frauenbildung in Deutschland, in: Helene Lange u. a. (Hg.), Handbuch der Frauenbewegung. Tl. 3: Der Stand der Frauenbildung in den Kulturländern, Berlin 1902, S. 1–128, hier S. 30–32. Im Handbuch zur Geschichte der Mädchen- und Frauenbildung (Anm. 4) fehlt zwar nicht der Name Christian Franz Paullini, über dessen Zugehörigkeit zur Fruchtbringenden Gesellschaft bleiben wir jedoch uninformiert. Andere bekannte Fruchtbringer wie Herzog Ernst der Fromme von Sachsen-Gotha-Altenburg finden in dem Sammelwerk überhaupt keine Berücksichtigung.
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2. Frauen im Bildungsdiskurs: Lerninhalte, Lehrautorität, literarische Öffentlichkeit
Berühmter als die Hauptpersonen sind die in der Reihenfolge ihres Geburtsjahres aufgelisteten Nebenpersonen: Marie de Jars de Gournay galt einigen Zeitgenossen als Spiritus rector der Académie Française, Johann Valentin Andreae und Georg Philipp Harsdörffer waren Mitglieder der Fruchtbringenden Gesellschaft, letzterer auch der Deutschgesinnten Genossenschaft sowie Mitbegründer und erster Präses des Pegnesischen Blumenordens. Anna Maria van Schurman wurde von Martin Opitz (Mitglied der Fruchtbringenden Gesellschaft) und Justus Georg Schottelius (Mitglied der Fruchtbringenden Gesellschaft und des Pegnesischen Blumenordens) besucht. Sigmund von Birken gehörte als Mitglied und zweiter Präses dem Pegnesischen Blumenorden an, außerdem war er Mitglied der Deutschgesinnten Genossenschaft, der Fruchtbringenden Gesellschaft und der Accademia dei Ricoverati. François Poullain de la Barre erlangte als Vertreter des »cartesianischen Feminismus« Nachruhm.
1.
Johann Wilhelm von Stubenberg und seine Freundin Margareta Maria Bouwinghausen von Wallmerode
Der österreichische Landadlige Johann Wilhelm von Stubenberg, eines der gebildetsten Mitglieder der Fruchtbringenden Gesellschaft (sein Gesellschaftsname lautete »Der Unglückselige«) und einer ihrer passioniertesten Übersetzer,16 berichtet in der Zuschrift zu seiner Übersetzung der Scherzi geniali (1632) von Giovanni Francesco Loredano (der Venezianer war Gründer der Accademia degli Incogniti), wie es unmittelbar nach dem Dreißigjährigen Krieg um die Bildung der Frauen stand. Die Zuschrift zu den Geschichtreden (1652, 2. Aufl. 1661) wendet sich an die ebenso gebildete wie schöne Widmungsempfängerin Freifräulein Margareta Maria Bouwinghausen von Wallmerode. Mit ihr verband den protestantischen Adligen bis an sein Lebensende eine innige Freundschaft. ES ist unter denen Gelehrten keine neue, sonderen Uhralte Streitfrage: Ob das Weiber-volck zur Erlernung der Sprachen, Freyerkünste [freier Künste, SK], und hocher Wissenschafften zuzulassen seye oder nicht? Wie nun das Unrecht vor dem Rechte, die Waar-scheinlichkeit vor der Warheit leider in aller Welt den meisten Beyfall jederzeit gefunden; also bezeugt die augenscheinliche Erfahrung, daß auch hierinnen, das letztere, nicht nur durchgehends beliebt, sondern auf heutigen Tag in solchem stäten Schwunge aller Orten erhalten worden, daß die wenigsten Weibsbilder, ihren Tauf-namen leslich, und Schreib-richtig schreiben oder stellen können, will geschweigen in Göttlich- und weltlichen Wissenschafften etwas löblich- und nothwendiges Wissen.17
16 Martin Bircher: Johann Wilhelm von Stubenberg (1619–1663) und sein Freundeskreis. Studien zur österreichischen Barockliteratur protestantischer Edelleute (Quellen und Forschungen zur Sprachund Kulturgeschichte der germanischen Völker N. F.; 25), Berlin 1968. Vgl. auch Martin Bircher: Im Garten der Palme. Katalog einer Sammlung von Dokumenten zur Wirksamkeit der Fruchtbringenden Gesellschaft mit Beigabe eines Ausstellungskataloges (1991) (Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung; 32), Wiesbaden 1998, S. 466–486. 17 Giovanni Francesco Loredano: Geschicht-reden: Das ist, freywillige Gemüths-Schertze Herrn Johann Frantz Loredano hochgelehrten vornehmen venetischen Edelmannes. Zu löblichen Tugenden und Sitten, auch zierlicher Wohl-redenheit aus Italienischer in unsere geehrte hoch-deutsche Mutter-
2.1 Postulate von Mitgliedern der Fruchtbringenden Gesellschaft
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An anderer Stelle im Text ist von der kleinen Minderheit die Rede, die dieser »unvernünftigen Barbarey zuwider, ihrer Töchter Gemüther, in allen menschlicher Vernunfft wolanständig- und nöthigen Künsten und Wissenschafften fleissig haben unterweisen lassen«.18 Diese Worte stammen aus dem Mund eines Mannes, der aus eigener Erfahrung wußte, wie lehrreich, ja erhebend der Umgang mit geistig hochstehenden Frauen sein konnte.19 Als Protestant leitet von Stubenberg die Pflicht der Frauen zu höherer Bildung aus dem göttlichen Schöpfungsplan ab. Warum hätte Gott die Frau »der bästen Hülffsmittel der Vernunfft, nemlich der Weißheit und Wissenschafften« beraubt sehen wollen, da er sie doch zum »Gehülffen« des Mannes »vermeint und verordnet« hat?20 Das »holdselige Geschlechte« sei von Gott wie das männliche mit der vernünftigsten Seele »ausgesteuert«, damit es Gott lobe und preise, sich in den Wissenschaften übe und ausschmücke und dem Mann durch guten, getreuen Rat Hilfe leiste. Wie sollten Frauen die für die Wechselfälle des Lebens unentbehrlichen Tugenden erlernen »ohne die nöthige Beyhülffe und getreue Anleitung (nechst Göttlicher Schrifft,) der Vernunfftlehre, Sittenlehre, Schrifften und Rathschläge der Gelehrten, Alter und jetziger Zeit: Deren wir Mannsbilder selbst, bey aller unserer vermeinten mehrern Witz und Stärcke, keines wegs entperen können?« 21 Aufgrund ihrer natürlichen »Mitgift« sind Frauen weder fähiger noch unfähiger als Männer, die Künste und Wissenschaften zu erlernen und anderen ratgebend zur Seite zu stehen,22 doch verpflichtet sie ihre »Leibs-zärte, und Gliederschwachheit«, sich Lebensklug-
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sprache übersetzt durch ein Mitglied der hochlöblichen Fruchtbringenden Gesellschafft den Unglückseligen, Nürnberg 1652, Bl. (*)2a. Bircher (Anm. 16, 1968, S. 95 f.) wertete die Zuschrift als Beweis für die Zuneigung des adligen Übersetzers zu dem Freifräulein. Johann Wilhelm von Stubenberg: (Zuschrifft.) Wolgebornes Fräulein, in: Giovanni Francesco Loredano, Geschicht-reden […], Nürnberg 1652, Bl. (*)2a–7b, hier Bl. (*)3b. Der reformations- und kriegsbedingte Niedergang des Schulwesens lag wohl außerhalb des Wissenshorizonts des Autors. Vgl. hierzu Helmut Engelbrecht: Beginn der Diskriminierung der Frauen im Bildungsbereich, in: ders., Geschichte des österreichischen Bildungswesens. Erziehung und Unterricht auf dem Boden Österreichs. Bd. 2: Das 16. und 17. Jahrhundert, Wien 1983, S. 226–231. Von Stubenberg wies wenige Monate vor seinem Tod Sigmund von Birkens Lob von sich, er habe Bouwinghausen und Catharina Regina von Greiffenberg gefördert und unterrichtet: »Betreffend die Nekker Nektargenossinn und Jster-Clio, ist die erste, ohne all meine beywürkung in der Edlen Musenkunst vollkommen, die letztere, bereit eine gute Anfängerinn gewesen, allso daß Jch an beyder Ruhme, keinen u. wenigen Anteihl haben kann, ausser der Ehre beyder gonstgewogenheit«. Bircher (Anm. 16), 1968, S. 211. Zur Ister-Gesellschaft, an deren Zusammenkünften von Greiffenberg und von Stubenberg teilnahmen, vgl. Abschnitt 6.2. von Stubenberg (Anm. 18), Bl. (*)2b. Ebd., Bl. (*)3ab. Vgl. auch Cyriacus Spangenberg: Adels Spiegel […], Tl. 1, Schmalkalden 1591, S. 427: »ES saget fürwar der weise Mann Salomo nicht vergebens, Prouerb. 19. Haus vnd Güter erben die Eltern, Aber ein vernünffftiges Weib kömpt vom Herrn. Denn es bezeugen solchs die Historien, vnd auch die erfarung, das offtmals durch weiser, verstendiger vnd vernünfftiger Weiber guten rhat vnd trewe wolgemeinte erinnerung, derselben Ehegemahel vnd Menner jhre sachen vnd hendel nützlich, glücklich vnd fruchtbarlich angestellet, etliche auch dardurch aus wunderlichen Köpffen andere Leut, vnd verbessert worden. Daher auch Chrysostomus sagt in Iohannem homel. 10. Es ist nichts so krefftig, einen Mann auff einen guten weg zu bringen, als ein vernünfftigs Weib, also leichtlich lesset er jhm weder von Freun-
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heit anzueignen, damit in der Ehe Geben und Nehmen ins Gleichgewicht kommen. Der Zweck der empfohlenen höheren Bildung ist also ein dreifacher: Sie dient der Verherrlichung Gottes, erhöht das weibliche Prestige und erhält den Ehefrieden. Harsdörffer spricht Frauen die Fähigkeit zu, die Gesprächsspiele auszuüben, zu denen er Anleitung gibt und welche ein hohes Maß an geistiger Beweglichkeit voraussetzen, weil der weibliche Verstand »vielmals geschwinder, tiefsinniger und reiffer« ist als mancher männliche.23 Jacques Du Bosc macht im Kapitel »Des Dames Sçauantes« des ersten Teils seiner L’honneste femme (2. Aufl. 1633) 24 die feinere Gemütsart (»temperament«) der Frauen für ihre Fähigkeit verantwortlich, die Künste und Wissenschaften leichter zu erlernen als Männer.25 Wer schlüssig beweist, wie vernunftbegabt, lernfähig und bildungsbedürftig Frauen sind, dem eröffnet sich ein Freiraum, bisherige geschlechtsspezifische Bildungsziele zu hinterfragen und einschlägige Konzepte zu entwickeln. Hierin unterscheiden sich die genannten Fruchtbringer von den vielen Zeitgenossen, die unhinterfragt Aristoteles folgten, der bei Frauen eine geringere Geisteskraft diagnostiziert hatte.26
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den noch Lehrmeister, noch Obern, einreden, als von seinem lieben Weibe, wenn jm die mit freundligkeit zum besten rhätt vnd vermanet, Denn eines Weibes wolmeinende erinnerung hat seine sonderliche erlüstende art, dieweil sie vber alles liebet den, dem sie trewen rhat mitteilet.« Mit diesen Worten wird das achte Kapitel (»Von vernünfftiger geschickligkeit, fürsichtigkeit, vnd gutem rhat etlicher Weibsbilder«) des dreizehnten Buches (»Vom Weiber Adel«) eingeleitet. Georg Philipp Harsdörffer: Frauenzimmer Gesprächspiele. Faks.-Ndr. d. Ausg. Nürnberg 1643–1657, hg. von Irmgard Böttcher, 8 Tle. (Deutsche Nachdrucke. Reihe: Barock; 13–20), Tübingen 1968– 1969, Tl. 1, 1644, [Anhang] S. 47. An dieser Stelle im Text ließ Harsdörffer am Seitenrand die Namen von Autorinnen und einem Autor abdrucken, die den weiblichen Verstand für lern- und aufnahmefähig halten: »Lud. Viv. de institut. Femin. Marinella, Schurrmana, Isabella Andrini, Anna Römers, aliarum scripta.« Gemeint sind folgende Werke: Juan Luis Vives: De institutione feminae christianae […], Antwerpen 1524. Lucretia Marinella: Le nobiltà et eccellenze delle donne: et i diffetti, e mancamenti de gli hvomini […], Venedig 1600. Anna Maria van Schurman: […] Dissertatio de ingenii muliebris ad doctrinam, & meliores litteras aptitudine […], Leiden 1641. Anna Roemer Visscher: Sinnepoppen […], Amsterdam 1614. Vielleicht hatte Harsdörffer die Briefe der Schauspielerin und Schriftstellerin Isabella Andreini (1562–1604) im Sinn, von denen François de Grenaille einige in seine Briefsammlung Nouveau recueil de lettres des dames tant anciennes que modernes (2 Bde., 1642) aufnahm. In Abschnitt 1.2 wird der Beweis erbracht, daß Harsdörffer die deutsche Teilübersetzung der L’honneste femme (3 Tle., 1632–1636) von 1636 kannte. [ Jacques Du Bosc:] L’honneste femme, Tl. 1, 2. durchges., verb. u. erw. Aufl. Rouen 1639, S. 219 (1. Aufl. 1632). Nach Linda Timmermans trägt die korrigierte Fassung des Kapitels »De la Sience, & de l’Ignorance« ab der zweiten Auflage die Überschrift »Des Dames Sçauantes«. Linda Timmermans: L’accès des femmes à la culture (1598–1715). Un débat d’idées de Saint François de Sales à la Marquise de Lambert (Bibliothèque littéraire de la Renaissance. Série 3; 26), Paris 1993, S. 294. Zu Du Boscs Bildungstheorie vgl. auch Colleen Fitzgerald: To Educate or Instruct? Du Bosc and Fénelon on Women, in: Barbara J. Whitehead (Hg.), Women’s Education in Early Modern Europe: A History, 1500–1800 (Studies in the History of Education; 7), New York u. a. 1999, S. 159–191. Elisabeth Gössmann: Männliche Begründungen des Herrschaftsanspruchs über Frauen und der seltene Verzicht auf Androkratie. Cundisius/Bergmannus, 1629, Gisbert Voetius, 1669, Einert/Pritius, 1684, Lückerus/Manckelius, 1673, Pritius/Herrmann, 1695, in: dies. (Hg.), Das wohlgelahrte Frauenzimmer (Archiv für philosophie- und theologiegschichtliche Frauenforschung; 1), 2., überarb. u. erw.
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Würde man, nach von Stubenberg, die vielen hochgebildeten Frauen in der Geschichte erwähnen wollen, angefangen bei Debora, über Cornelia, die Mutter der Gracchen, bis hin zu den Schülerinnen des Platon, Lasthenia und Axiothea, würde das »eine gantze Druckerpresse füllen [...], wie hiervon Plutarchus, Bokazius [Boccaccio, SK], und der Edle Anton von Guevara in seiner Fürstenuhre und andere ausführlich zulesen seye.« 27 Auch fehle es gegenwärtig nicht an dergleichen »Tugend-heldinnen-spiegeln«, obenan stehen die römisch-deutsche Kaiserin Eleonora Gonzaga-Nevers, Königin Christina von Schweden, Herzogin Sophie Elisabeth von Braunschweig-Lüneburg und die gelehrte holländische Jungfrau Anna Maria van Schurman.28 Nach Abschluß der Beweisführung, wonach Bildung jeder Frau zum Nutzen und zur Ehre gereichen könne, wird nochmals »oben erwähnter bekläglicher Barbarey« gedacht. Das Fräulein Bouwinghausen habe sich von den schädlichen Auswirkungen dieser Barbarei frei gemacht. Sie ahme die wenigen ihres Geschlechts nach, die kein böses Exempel abgeben und ihr Lob nicht in »Ausschminckung und Schmückung der vergänglichen Leibs-schönheit [...], sondern, in Bereicherung der beständigen waaren menschlichen Schönheit des Gemüthes und Verstandes suchen; dero meiste Zeit, in durchlesung guter Schrifften zu bringen, und absonderlich an unserer hochgeliebter Muttersprache Reinlich- und Grund-richtigkeit, eine sondere Beliebung tragen«.29 Die Liebe zur »Reinlich- und Grund-richtigkeit« der Muttersprache zeichnete auch die Mitglieder der Fruchtbringenden Gesellschaft aus, der ältesten, größten, angesehenAufl. München 1998, S. 54–75, hier S. 65 f.: »In der Schulphilosophie macht sich kaum weniger als im Mittelalter die Autorität des Aristoteles bemerkbar, wobei die aristotelische Geschlechter-Anthropologie als Bestätigung der patriarchalen Bibeldeutung gelesen wird. Die in der aristotelischen Politik und Ethik behauptete geringere Geisteskraft der Frau wird weiterhin als durch seine Autorität bezeugt für bare Münze genommen, und die weibliche Urteilskraft wird als ein consilium invalidum et instabile (eine schwache und veränderliche Ratgeberin) bestimmt. Nur der Mann verfügt (nach seinem Dafürhalten) über eine verläßliche Urteilskraft.« 27 von Stubenberg (Anm. 18), Bl. (*)5a. Von Stubenberg bezieht sich im zitierten Passus auf folgende Texte: Gynaikon aretai (Über die Tugenden der Frauen) von Plutarch (kurz nach 45–nach 120 n. Chr.), De claris mulieribus (Von berühmten Frauen) (Texterstellung zwischen 1361 und 1375, Druck 1439) von Giovanni Boccaccio und Lustgarten vnd Weckvhr (1599 u. ö.) von Antonio de Guevara in der Übersetzung von Aegidius Albertinus. Vgl. folgende Textausgaben: Plutarch: Oeuvres morales. Bd. 4: Conduites méritoires de femmes – Étiologies romaines, étiologies grecques – Parallèles mineurs. Texte établie et traduit par Jacques Boulogne (Collection des universités de France. Série grecque; 417), Paris 2002, S. 40–87. [Giovanni] Boccaccio: De claris mulieribus. Deutsch übersetzt von [Heinrich] Stainhöwel. Hg. von Karl Drescher (Bibliothek des Litterarischen Vereins in Stuttgart; 205), Tübingen 1895. Antonio de Guevara: Horologium principum, das ist: Fürstliche Weckvhr vnd Lust garten […] durch Herrn Egidium Albertinum […] in die hochteutsche Sprach versetzt, […], Frankfurt/M. 1644 (vgl. darin S. 190–191: »Daß die Weiber von Naturen eben so verständig, geschickt, weiß vnd gelehrt seyn können, als die Männer.«). Zu den verschiedenen Ausgaben von de Guevaras Lustgarten und Weckvhr vgl. Gerhard Dünnhaupt: Personalbibliographien zu den Drucken des Barock, 6 Tle., 2., verb. u. wesentl. verm. Aufl. Stuttgart 1990–1993, Tl. 1., S. 199–201, Nr. 4.1–4.7. 28 von Stubenberg (Anm. 18), Bl. (*)5b. 29 Ebd., Bl. (*)6ab.
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sten und einflußreichsten Sprachgesellschaft des Barockzeitalters, auch Palmenorden genannt (gegründet 1617, erloschen nach 1680, Geschäftsstelle Köthen, später Weimar).30 Wenngleich die reguläre Erteilung der Mitgliedschaft an Frauen nicht vorgesehen war, machte man im Laufe der Zeit doch Zugeständnisse. Einige wenige Frauen erhielten die Erlaubnis, den Gesellschaftsnamen ihres Ehemanns oder Vaters zu führen. Mit Namen erwähnt werden in den Quellen unter anderen Eleonore Sophie, Fürstin von AnhaltBernburg (1603–1675) (»Die Unveränderliche«) und Frau von Fürst Christian II.,31 sowie Sophie Elisabeth, Herzogin von Braunschweig-Lüneburg (1613–1676) (»Die Befreiende«) 32 und dritte Frau von Herzog August d. J.33 Über den Zweck und die Verhaltensnormen des Palmenordens heißt es im Gesellschaftsbuch (Ausgabe 1646): Erstlich, daß sich ein iedweder in dieser Geselschaft erbar- nütz- und ergetzlich bezeigen, und also überal handeln solle, bey Zusammenkunften gütig, frölich, lustig und verträglich in worten und wercken seyn, auch wie dabey keiner dem andern ein ergetzlich wort für übel aufzunemen, also sol man sich aller groben verdrieslichen reden und schertzes darbey enthalten.
30 In den vierziger Jahren des 17. Jahrhunderts zählte die Fruchtbringende Gesellschaft alle zu ihren Mitgliedern, die in der Literatur einen Namen hatten: Johann Valentin Andreae, Georg Philipp Harsdörffer, Johann Michael Moscherosch, Martin Opitz, Johann Rist, Justus Georg Schottelius, Kaspar Stieler, Philipp von Zesen. Ein Mitgliederverzeichnis der Fruchtbringenden Gesellschaft ist enthalten im Katalog: Im Garten der Palme. Kleinodien aus dem unbekannten Barock: die Fruchtbringende Gesellschaft und ihre Zeit (Ausstellungskataloge der Herzog August Bibliothek; 68), Ausst.-Kat. [Redaktion: Martin Bircher] Berlin 1992, S. 130–151. 31 Einem Brief Christians II. von Anhalt-Bernburg vom 3. 11. 1647 an Fürst Ludwig von AnhaltKöthen ist zu entnehmen, daß »Die Unveränderliche« eine an sie gerichtete Bitte wegen Aufnahme in die Fruchtbringende Gesellschaft mit einer Kurzcharakterisierung der betreffenden Person an ihren Mann weiterleitete: »Die Vnveränderliche schreibet auß Pommerlandt, das ein rechter redlicher, frommer, aufrichtiger, ehrlicher, kluger Calvinist, Lorentz Christof von Sommitz, Hauptmann Zu Neuen Stettin, große beliebung Zur Fruchtbringenden Gesellschafft hette, bittet, ich möchte ihn einnehmen […].« Aus nicht näher zu erläuternden Gründen wurde dem Bittsteller eine Absage erteilt. Gottlieb Krause (Hg.): Der Fruchtbringenden Gesellschaft ältester Ertzschrein. Briefe, Devisen und anderweitige Schriftstücke […], Leipzig 1855, S. 89 f., Brief Nr. 28, hier S. 90. Wilhelm Begemann: Die Fruchtbringende Gesellschaft und Johann Valentin Andreä. Entgegnung auf Ludwig Kellers Ausführungen im Maiheft der Comenius-Gesellschaft, Berlin 1911, S. 31. 32 Der fünfte Teil der Gesprächspiele (1645) ist »Der Befreyendinn« gewidmet. Karl Wilhelm Geck: Hofmeister von Hille und »Die Befreiende«, in: ders., Sophie Elisabeth Herzogin zu Braunschweig und Lüneburg (1613–1676) als Musikerin (Saarbrücker Studien zur Musikwissenschaft N.F.; 6), Saarbrücken 1992, S. 65–70. 33 Carl Gustav von Hille: Der teutsche Palmbaum (Die Fruchtbringende Gesellschaft. Quellen und Dokumente in vier Bänden; 2), Ndr. d. Ausg. 1647, München 1970, S. 189. Georg Neumark: Der neu-sprossende teutsche Palmbaum. Ndr. d. Ausg. 1668 (Die Fruchtbringende Gesellschaft. Quellen und Dokumente in vier Bänden; 3), München 1970, S. 179 f. Christian Franz Paullini: Vom hoch- und wohl-gelahrten teutschen Frauen-Zimmer, in: ders., Philosophischer Feyerabend […], Frankfurt/M. 1700, S. 140–219, hier S. 147 f. Klaus Conermann: Die Fruchtbringende Gesellschaft und ihr Köthener Gesellschaftsbuch. Eine Einleitung (Fruchtbringende Gesellschaft. Der Fruchtbringenden Gesellschaft eröffneter Erzschrein. Das Köthener Gesellschaftsbuch Fürst Ludwigs I. von Anhalt-Köthen 1617–1650; 2), Weinheim u. a. 1985, S. 57–60 (mit weiteren Quellenbelegen).
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Für andere, das man die Hochdeütsche Sprache in ihrem rechten wesen und stande, ohne einmischung frembder außländischer Wort, aufs möglichste und thunlichste erhalte, und sich so wol der besten aussprache im reden, als der reinesten art im schreiben und Reime-dichten befleissige.34
Wahrscheinlich lernte von Stubenberg die bis Anfang der sechziger Jahre in Stuttgart lebende Margareta Maria Bouwinghausen 1651 kennen.35 Quellenmäßig belegt ist der Kontakt seit 1652, dem Erscheinungsjahr der ersten der zwei gedruckten Übersetzungen Margareta Marias: Waarer und großmütiger Christen Krieg- Sieg- und Frieden-Spiegel (Tübingen 1652).36 Neben von Stubenberg übersandten zwei weitere Mitglieder der Fruchtbringenden Gesellschaft zur Hall-Übersetzung der Dreiundzwanzigjährigen Widmungsgedichte: Georg Philipp Harsdörffer und Johann Valentin Andreae. Harsdörffer erwähnt Margareta Maria Bouwinghausen darüber hinaus in der letzten der insgesamt hundert denkwürdigen Begebenheiten seines Geschichtspiegels von 1654.37 Der Titel der hundert-
34 [Fürst Ludwig von Anhalt-Köthen:] Kurtzer Bericht Von der Fruchtbringenden Geselschaft Zwecke und Vorhaben, in: ders., Der Fruchtbringenden Gesellschaft Nahmen, Vorhaben, Gemählde und Wörter: Nach jedes Einnahme ordentlich in Kupfer gestochen, und jn achtzeilige Reimgesetze verfasset […], Frankfurt/M. 1646, Bl. 2a–3a, hier Bl. 3b. Der unbekannte Autor des Fritsch-Schönheitsratgebers von 1704 rügt im Rahmen seiner sittenmäßigen Betrachtungen der Schönheit die vielen, die »ihre Reden mit fremden Sprachen anzuschmincken« suchen und eben dadurch einen »multifleccum oder Bettlers-Mantel« aus der deutschen Sprache machen. Die »heutigen Worte und Complimenten, sind nicht beyde fein liederlich, betrüglich und falsch? Hierwider hat sich nun die löbliche Fruchtbringende Gesellschafft mit aller Macht geleget, aber, dem Ansehen nach, vergeblich«. Anonym: Neu-entdeckte Geheimnisse von der Schönheit der Damen […], Leipzig 1704, S. 303, 305. 35 Maßgebend zum Lebenslauf von Margareta Maria Bouwinghausen sind die Forschungen von Bircher (Anm. 16), 1968, bes. S. 87–97. Vgl. weiterhin: Die Tagebücher des Sigmund von Birken. Bearb. von Joachim Kröll (Quellen und Darstellungen zur fränkischen Kunstgeschichte; 5–6), 2 Tle., Würzburg 1971–1974, Tl. 1, S. 278, Anm. 52, 375, 416, Tl. 2, S. 69, 70, 173. Klaus Conermann: Die Mitglieder der Fruchtbringenden Gesellschaft 1617–1650. 527 Biographien, Transkription aller handschriftlichen Eintragungen und Kommentare zu den Abbildungen und Texten im Köthener Gesellschaftsbuch (Fruchtbringende Gesellschaft. Der Fruchtbringenden Gesellschaft geöffneter Erzschrein. Das Köthener Gesellschaftsbuch Fürst Ludwigs I. von Anhalt-Köthen 1617–1650; 3), Weinheim u. a. 1985, S. 562–564. Sigmund von Birken. Der Briefwechsel zwischen Sigmund von Birken und Catharina Regina von Greiffenberg. Hg. von Hartmut Laufhütte. In Zusammenarbeit mit Dietrich Jöns und Ralf Schuster (Sigmund von Birken. Werke und Korrespondenz; 12, 1–2) (Neudrucke deutscher Literaturwerke N.F.; 49–50), 2 Tle., Tübingen 2005, bes. Tl. 2, Text 109, 1–3. Hermann Ehmer/Sabine Koloch: Bouwinghausen von Wallmerode, Margareta Maria, in: Killy Literaturlexikon. Autoren und Werke des deutschsprachigen Kulturraums. Begründet von Walther Killy, hg. von Wilhelm Kühlmann, Bd. 2, 2. Aufl. Berlin 2007, S. 112–113. 36 Bircher (Anm. 16), 1968, S. 91 f. Das Original trägt den Titel: Heaven vpon Earth, or of True Peace, and Tranquillitie of Minde. By Ios. Hall, London 1606. Edgar C. McKenzie: A Catalog of British Devotional and Religious Books in German Translation from the Reformation to 1750 (Bibliographie zur Geschichte des Pietismus; 2), Berlin u. a. 1997, S. 238, Nr. 999. 37 Theodor Bischoff: Georg Philipp Harsdörffer. Ein Zeitbild aus dem 17. Jahrhundert, in: Theodor Bischoff u. a. (Hg.), Festschrift zur 250jährigen Jubelfeier des Pegnesischen Blumenordens, gegründet in Nürnberg am 16. Oktober 1644, Nürnberg 1894, S. 1–474, hier S. 245. Bircher (Anm. 16), 1968, S. 79, 83, 208, Anm. 49.
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sten Begebenheit, »Die Jungfräulichen Wundertugenden«, spielt auf die von ihren Zeitgenossen auch »die zehende Musam, die vierdte Huldgöttin, die Niederländische Minervam, das heutige Wunderwerck«38 genannte Anna Maria van Schurman (1607–1678) an. Zu Beginn schildert Harsdörffer eine Episode aus dem Leben dieses Jahrhunderttalents, welche die Bandbreite des Wissens und der Kunstfertigkeiten der in Köln geborenen Utrechterin veranschaulicht. Die anschließende Frage lautet: »Ob die Weiber studiren sollen, oder nicht?« 39 Es fänden sich viele, vor allem Italiener, so Harsdörffer, die den Frauen Bücher vorenthalten wollen. Dagegen habe Anna Maria van Schurman in ihrer »Erklärung, von deß Weiblichen Geschlechtes Fähigkeit zu dem Studiren« 40 das (Privat-)Studium von Frauen verteidigt. Die Postulate der großen Bildungstheoretikerin konnten seit den dreißiger Jahren in gedruckter Form nachgelesen werden. Der über Neuerscheinungen stets gut informierte Harsdörffer stützte sich in seinen Gesprächspielen (Tl. 2, 1642, Tl. 3, 1643) und wohl auch in seinem Geschichtspiegel auf die 1641 von Johan van Beverwijck herausgegebene Dissertatio de ingenii muliebris ad doctrinam & meliores litteras aptitudine (2., verm. Aufl. 1641) (Dissertation über das Talent des weiblichen Geistes für die Wissenschaften und schönen Künste) von Anna Maria van Schurman.41 Unter den von Harsdörffer in Kurzform wiedergegebenen Bildungspostulaten van Schurmans42 verdient der nachfolgend zitierte Passus Beachtung. Nach dem Willen der Autorin darf höhere Bildung wenigstens in einem Punkt nicht heteronomen Zwecken dienstbar gemacht werden, nämlich dort, wo es um das weibliche Seelenheil geht: Unter dem Wort Studiren wird verstanden nicht nur das, was sie als Christinnen zu ihrer Seligkeit wissen sollen, sondern die Kündigung der Sprachen, der Geschichte, der Verstand- und Sittenlehre, der Naturkündigung, etc. Hierzu wird zum wenigsten ein mittelmässiger Geist erfordert, wie auch behörige Mittel, daß man ihnen von Jugend auf gelehrte Lehrmeister halte, die sie mit Verstand und Sanfftmut anweisen, und so weit bringen, daß sie durch Bücher lesen, ihnen mit zuwachsenden Jah38 [Georg Philipp Harsdörffer:] Die Jungfräulichen Wundertugenden, in: [ders.,] Der Geschichtspiegel: Vorweisend hundert denckwürdige Begebenheiten, mit seltnen Sinnbildern, nutzlichen Lehren, zierlichen Gleichnissen, und nachsinnigen Fragen aus der Sitten-Lehre und der Naturkündigung […]. An das Liecht gesetzt, durch ein Mitglied der hochlöblichen Fruchtbringenden Gesellschafft, Nürnberg 1654, S. 734–741, hier S. 737. Der Text war der Anna-Maria-van-Schurman-Forschung bislang unbekannt. 39 Ebd., S. 737. 40 Ebd., S. 738. 41 Harsdörffer (Anm. 23), Tl. 2, 1642, S. 183 (»Anna Maria von Schurmann, Beweiß der Geschicklichkeit weiblichen Verstands zu den Wissenschafften«), Bl. Dd6b (Anna á SCHURMANN: Dissertatio de ingenii muliebris aptitudine ad literas 8. Lugdun. Badav. 1641.«), Tl. 3, 1643, Bl. B2b: »Wie der Ruhm Weibliches Geschlechts Anna Maria Schurmanns * [Randglosse, SK] (in Dissertatione de Ingenii muliebris aptitudine ad Doctrinam.) in einem besonderlichen Büchlein Kunstrichtig erwiesen«. 42 Auch in den Vernünftigen Tadlerinnen wird dieses Werk auszugsweise wiedergegeben: Phyllis: o. T. [Wie es mit dem Studiren des Frauenzimmers eigentlich gemeynet sey, und aus was vor Ursachen man daßelbe dazu aufmuntern könne], in: Johann Christoph Gottsched (Hg.), Die Vernünftigen Tadlerinnen 1725–1726. Im Anhang einige Stücke aus der 2. und 3. Auflage 1738 und 1748. Neu hg. und mit einem Nachwort, einer Themenübersicht und einem Inhaltsverzeichnis versehen von Helga Brandes, 2 Tle., Ndr. Hildesheim u. a. 1993, Tl. 2, St. 37, S. 289–296.
2.1 Postulate von Mitgliedern der Fruchtbringenden Gesellschaft
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ren, selbsten helffen können. Dem Studiren sollen sie nicht aus eitler Ruhmsucht obliegen; sondern dardurch Gottes Ehre, ihrer Seelen Seligkeit, und ihres hauswesens Nutzen suchen, wann sie solches zu verwalten haben.43
Im Anschluß an diesen »Lehrsatz« werden sechs Gründe der Autorin paraphrasiert, die das Verlangen der Frauen nach akademischem Wissen bekräftigen. Es folgen erneut gegnerische Einwürfe, doch diesmal ist es Harsdörffer, dieser große Visionär eines bildungsund geselligkeitsfreundlicheren Zeitalters, der die Kritiker ins Unrecht setzt: Welche wiederiger Meinung sind, irren in dem, daß sie vermeinen, man wolle allen Weibspersonen, welches Standes und Verstandes sie seyn mögen, das Studieren aufdringen, das dieses Orts nicht behauptet wird. Zum andern irren sie in dem Wahn, daß die Endursache deß Studirens der Gewinn, oder die eitle Ehrsucht seyn müsse, als ob solche sonsten zu keinem viel edlern Zwecke abzielen könten, wie berühret worden. Oder sie befürchten, daß ihnen die Weiber zu klug werden, und es vielen Männern bevor thun, wie jetzt regierende Königliche Majestät in Schweden, die Pfältzische ChurPrincessin Elisabetha, die Hertzogin zu Braunschweig und Lüneburg, Sophia Elisabetha la Princesse de Rhoan, das Fräulein Margareta Maria von Bubinckhausen und Walmerod, Madamoiselle de Gournay, Maria Crinitia, Anna Ovena [Hoyer, SK], Laura Cereta, Salome Schimpferin, und viel andre hochgestirnte Geister, welcher Lob zu erzehlen, man ein Buch schreiben musste, ohne ENDE.44
Anna Maria van Schurman wurde auch von anderen Mitgliedern von Sprachgesellschaften gelobt. Eines der Kapitel der Kurtzen doch grundrichtigen Anleitung zur Höfligkeit (1649) von Hans Adolf Freiherr von Alewein, Mitglied der Deutschgesinnten Genossenschaft, lehrt die Gesetze der Höflichkeit, die im Umgang mit Frauen zu beachten sind. Nach Alewein soll der Mann die Frau ehren und ihre hohen Tugenden und die edle Abkunft rühmen.45 Er nennt fünf Kronzeuginnen für Tugenden, die dem weiblichen Geschlecht anhaften: Olympia Fulvia Morata, Marie de Jars de Gournay, Margherita Costa, Anna Maria van Schurman und eine (historisch nicht belegbare) »Anna Margreta von Schurman«: Ja, was wil ich von disen sagen, das einige Wunder des ganzen Weiblichen Geschlechts, di hochgeehrte keusche Jungfrau, Jungfrau Anna Maria von Schurman, und ihre nächste Bluhtsfreundin, Frau Anna Margreta von Schurman, haben ihres Geschlechtes Namen über alles berühmt gemacht: Jene durch Erlernung der 20. fohrnehmsten Welt-sprachen, der Mahlerei, des Reissens, des Kupferstechens, des Wachs-bildens, des Aetzens, des künstlichen Glas-schneidens und viler andern Künste, darinnen si gahr leichtlich Meisterin sein kan [...]. Man lese nuhr di wohlgedachte Jungfrau Anna Maria von Schurman in ihrer Verteidigung deß Weiblichen Geschlechts, man lese den Hansen von 43 [Harsdörffer] (Anm. 38), S. 738 f. 44 Ebd., S. 740 f. »ENDE« ist das letzte Wort des Buches, daher wurde es in Versalien gesetzt. 45 Hans Adolf von Alewein: Wie man sich bei Frauen-Zimmer verhalten sol, in: ders., Kurtze doch grundrichtige Anleitung zur Höfligkeit […], Hamburg 1649, S. 55–72, hier S. 57 f.: »Auch ist es billich, daß man si ehret, und ihre hohe Tugenden, herliches Geschlechte und Ankunft rühmet; wi nähmlich das Wort Eva (unserer ehrsten Mutter Nahme) das Leben bedeute, ja daß der Schöpfer aller Dinge das Weib, als das allerfolkomneste und schöneste Werckzeug zu allerletst im Paradise geschaffen und aus einer Manns-rippen so schöhn gestaltet habe, da doch di andern Tiher [Tiere, SK] sämtlich, Ja der Man selbst, aus einem groben Erden-Klosse herführ gebracht sein; Wi das Weib gleichsam als eine Sonne deß Hauses sei, als eine Herscherin und Fürstin deß Gesindes eine Erziherin der Kinder, eine Erhalterin deß Hauswesens.« Von Alewein widmete sein Buch dem Mitgenossen Philipp von Zesen.
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2. Frauen im Bildungsdiskurs: Lerninhalte, Lehrautorität, literarische Öffentlichkeit Beverwick, von der Fohrträfligkeit der Frauen, so würd man sehen, wi hoch das Weibliche Geschlecht zu erhöben sei.46
Auch die aus verarmtem Landadel stammende Autorin, Übersetzerin und Editorin Marie de Jars de Gournay (1566–1645) wird von Harsdörffer zu den hochgestirnten Geistern gezählt. In den Augen der »fille d’alliance« (Wahltochter), wie Michel de Montaigne Marie de Jars de Gournay zu nennen pflegte (Leibniz spricht von der »Pflegetochter« Montaignes),47 hat die Seele des Menschen kein Geschlecht.48 In ihrer Abhandlung Égalité des hommes et des femmes (1622) schreibt die Autorin es dem Fehlen guter Unterweisung zu, wenn Frauen weniger oft als Männer den Gipfel ihres Könnens erreichen.49 Der württembergische Theologe, Kirchenmann und neulateinische Schriftsteller Johann Valentin Andreae (1586–1654), ein weiterer Gratulant zur Hall-Übersetzung aus dem Jahr 1652, pflegte zu Benjamin Bouwinghausen und Wallmerode (1571–1635), dem 46 Ebd., S. 59. Der zweite Lektürehinweis bezieht sich auf Johan van Beverwijck: Van de wtnementheyt des vrovwelicken geslachts […], Dordrecht 1639. Zu van Schurman vgl. auch [Tobias Schroedter:] Von Bezeugung [gegen] das Hochgeborne Frauen-Zimmer, in: ders., Gantz neu-allmodische SittenSchule […], o. O. 1694, S. 117–168, hier S. 119. Entweder schöpften von Alewein und Schroedter (auch: Schrötter) aus derselben Quelle oder der Jüngere der beiden schrieb vom Älteren ab. 47 Gottfried Wilhelm Leibniz: Unvorgreifliche Gedanken, betreffend die Ausübung und Verbesserung der deutschen Sprache. Zwei Aufsätze. Hg. von Uwe Pörksen, Stuttgart 1995, S. 11. Vgl. auch Maryanne Cline Horowitz: Marie de Gournay, Editor of the Essais of Michel de Montaigne: A CaseStudy in Mentor-Protégée Friendship, in: The Sixteenth Century Journal 17, 1986, S. 271–284. Zu der Schriftstellerin und Philosophin Marie de Gournay liegt für den deutschsprachigen Raum noch keine Rezeptionsstudie vor. 48 Der Lehre von der Seelengleichheit der Geschlechter schloß sich auch der Jesuit Nicolas Caussin an (sein Sprachrohr im folgenden Zitat ist die Kaiserin Euphrosyna), was ihn aber nicht daran hinderte, Frauen als das seelisch labilere Geschlecht zu kennzeichnen (Zitat nach der deutschen Teilübersetzung des zweiten Teils von La cour sainte [1629]): »Jst also vor gewiß vnd vngezweiffelt zu halten, weil Gott alle Seelen gleich erschaffen, vnnd vnder denselben keinen vnderscheidt deß Geschlechts, wie zwischen Männern vnd Weibern gemacht, daß wir Weiber alles das jenige was zu erlangung der gnade Gottes, der Tugendt vnd der Glori von nöthen, eben so gut vnd vollkommentlich als die Männer erkennen können. Eines laugne ich nicht, daß nemblich auß der weiblichen Complexion der Seelen weiß nicht was vor eine vnbeständigkeit vnd schwachheit beygebracht wird, welche sich zweiffels ohne vnendtlicher weise vermehren würden, wann derselben nit alsobalt durch die Gottesforcht, vnd durch die vernunfft kräfftig begegnet würde.« Nicolas Caussin: Daß die Weiber ansehnlicher erleuchtung vnnd rechtschaffener vnterweisungen fähig seind, in: ders., Spiegel deß hochadelichen christlichen FrawenZimmers […], Köln 1642, S. 35–47, bes. S. 43 f., hier S. 45. 49 Marie de Gournay: Égalité des hommes et des femmes, Grief des dames suivis du Proumenoir de Monsieur de Montaigne. Texte établi, annoté et commenté par Constant Venesoen (Textes littéraires français; 433), Genf 1993, S. 43 f., 49. Anna Maria van Schurman verweist in ihren Opuscula (1648) auf die Gleichheitsschrift von Marie de Jars de Gournay; beide Vordenkerinnen korrespondierten miteinander. Barbara Becker-Cantarino: Die »gelehrte Frau« und die Institutionen und Organisationsformen der Gelehrsamkeit am Beispiel der Anna Maria van Schurman (1607–1678), in: Sebastian Neumeister u. a. (Hg.), Res publica litteraria. Die Institutionen der Gelehrsamkeit in der frühen Neuzeit (Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung; 14), 2 Tle., Wiesbaden 1987, Tl. 2, S. 559–576, hier S. 569, 571.
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Vater Margareta Marias, freundschaftliche Kontakte.50 Andreae wurde 1646 auf Betreiben des »Bücherfürsten« Herzog August d. J. von Braunschweig-Lüneburg zum Mitglied der Fruchtbringenden Gesellschaft ernannt. Seines Alters wegen wünschte sich das 464. Mitglied den Gesellschaftsnamen »Der Müde«, welcher in »Der Mürbe« abgeändert wurde. Andreaes Pflanzensymbol war das Moos, sein Denkspruch lautete »Bleibet doch frisch«. In seiner Autobiographie gedachte Andreae auch seiner begabten Schülerin Margareta Maria:51 Auch muß ich des Fräuleins, Margaretha Maria von Bouwinghausen, unserer Sappho, erwähnen, die öffentlich mit Männern, in gebundener und ungebundener Rede in der Muttersprache, um den Preiß streitet, und mich, den Freund ihres Vaters, als einen zweiten Vater anzunehmen nicht verschmäht. [...] Einen Schreibzeug von seltener Kunst und grossem Werthe erhielt ich von Fräulein Bouwinghausen, auch ein Kästchen von kleinerer Form, weil ich ihre schöne Uebersetzung des Buchs von der Geistesruhe zu Tage gefördert hatte.52
Bouwinghausen hatte Andreae zwei Jahre vor Veröffentlichung ihrer Übersetzung von Joseph Halls Heaven vpon Earth (1606) brieflich gebeten, die ersten sechs Kapitel ihres Manuskripts zu redigieren, weil, wie sie erklärte, »ich nit allein in der reinen schreib-richtigkeit, noch eine a. b. c. schulerin, sond[ern] auch und fürnemlich, weilen dz büchlein eines Calvinisten erfindung, als darf ich meiner einfalt nit trauen«.53 Klaus Conermann, der diesen und weitere Briefe Bouwinghausens auffand, charakterisiert Andreaes Verhältnis zu Margareta Maria Bouwinghausen wie folgt: Wenn Andreä auch [seit seiner Aufnahme in die Fruchtbringende Gesellschaft 1646, SK] kein deutsches, dem Zweck der Akademie gemäßes Werk mehr verfaßte, hat er ihren Zielen doch in merkwürdiger Weise gedient. [...] Diesen Anfang [gemeint sind die sechs Kapitel der Hall-Übersetzung, SK] 50 Johann Valentin Andreä 1586–1654. Leben, Werk und Wirkung eines universalen Geistes, Ausst.Kat. [Redaktion: Eberhard Gutekunst] Bad Liebenzell 1986, S. 79. In Andreaes 1619 erschienener Beschreibung einer Christenstadt (Christianopolis) werden Frauen höherer Bildung teilhaftig und Mädchen zu geistig ebenbürtigen Gefährtinnen des Mannes erzogen. Der württembergische Diplomat Benjamin Bouwinghausen von Wallmerode erschien vielen als treibende Kraft der evangelischen Union. Für den Historiker Axel Gotthard ist Bouwinghausen neben und nach Christian I., Fürst von Anhalt-Bernburg, die profilierteste Persönlichkeit der evangelischen »Aktionspartei«, jener Gruppierung innerhalb der Union, die für einen ausgreifenden, risikobereiten Politikstil einstand. Axel Gotthard: »Bey der Union ain directorium« – Benjamin Bouwinghausen und die protestantische Aktionspartei, in: Friedrich Beiderbeck u. a. (Hg.), Dimensionen der europäischen Außenpolitik zur Zeit der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert (Innovationen; 10), Berlin 2003, S. 161–186. 51 Es ist durchaus denkbar, daß Bouwinghausen Marie de Jars de Gournay dem Namen nach kannte. De la sagesse (3 Bde., 1601), die bekannteste Schrift von Pierre Charron, eines Autors, der Michel de Montaigne als seinen philosophischen Lehrer betrachtete und sich ihm gegenüber dem Plagiatsvorwurf ausgesetzt sah, übersetze sie ins Deutsche. Harsdörffer (Anm. 38, S. 741) erwähnt »Madamoiselle de Gournay« im Todesjahr Andreaes. 52 Johann Valentin Andreae: Selbstbiographie Joh. Valentin Andreä’s aus dem Manuscripte übersezt und mit Anmerkungen und Beilagen begleitet von Prof. [David Christoph] Seybold (Selbstbiographien berühmter Männer; 2), Winterthur 1799, S. 335, 337. 53 Conermann (Anm. 35), S. 560–564, hier S. 562.
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2. Frauen im Bildungsdiskurs: Lerninhalte, Lehrautorität, literarische Öffentlichkeit oder ein anderes Stück der Übersetzung schickte Andreä, der schon vorher erste dichterische Versuche Margaretha Marias überwacht hatte und auch bei der Zensur und Drucklegung des Büchleins wertvolle Hilfe leistete, seiner inzwischen nach Wien abgereisten Schülerin etwa im Herbst 1651 »gantz Volendet« [...] zurück. Im weiteren Verlauf ihrer Arbeit verwickelte Buwinghausen den Mürben ganz im Sinne der Fruchtbringenden Gesellschaft in eine Diskussion über orthographische und syntaktische Probleme, wobei sie auch Arbeiten von Harsdörffer und Schottelius heranzog. Auch stellte Buwinghausen den ersten Kontakt Andreäs zu Stubenberg her.54 Hier [in Wien, SK] begeisterte sie Stubenberg, der auch noch Buwinghausens Streben nach grammatischer und orthographischer »richtigkeit« ihrer Übersetzung unterstützt haben dürfte, für die Ziele der Fruchtbringenden Gesellschaft [von Stubenberg war 1646 in die Fruchtbringende Gesellschaft aufgenommen worden, SK]. Das »buch d[er] Fruchtbringend[en] geselschafft« [...] lieh ihr allerdings auch (schon vorher?) nach Auskunft eines Briefs Buwinghausens an Andreä [...] der Mürbe.55
Die von Andreae protegierte Übersetzerin und Lyrikerin war eine geistige Verbündete der Fruchtbringenden Gesellschaft. Sie vertrat in der Öffentlichkeit die sprachpflegerischen und kulturpatriotischen Ziele des Palmenordens und ahmte bis in Details hinein die gemeinschaftsstiftenden Rituale der Sozietät nach. Unmittelbar nach dem Tod von Andreae im Juni 1654 verfaßte Bouwinghausen die »Betrachtungs-Gedancken Deß Todes, Vber den seeligen Hintritt Herrn Johann Valentin Andreae under der Hochlöbl. Fruchtbringenden Gesellschafft deß Mürben«, die zusammen mit der wenig früher verfaßten Todesbetrachtung von Johann Wilhelm von Stubenberg den Anhang zur Gedenkschrift für Andreae bildet. Das Denkmal in Versen, das die Autorin ihrem väterlichen Freund am Ende ihrer Todesbetrachtung setzt, unterscheidet sich nicht von den Trauergedichten, wie wir sie von Mitgliedern der Fruchtbringenden Gesellschaft kennen.56 Ligt schon dein schwacher Leib mein Vatter! hier erstorben, Bleibt doch waarhafftig waar: die Tugend stirbet nicht! Dein Lehr-Ammt, Deine Kunst hat solchen Preiß erworben! Daß dein Gedenckmaal bleibt Welt-Ewig auffgericht! Dein Namens Palmen grünt im Stamm-Feld unverdorben, Mit Mürbem Müß belegt, weil Deütschland Deütsch noch sprich! Also lebet nach dem Tod, der im Glauben sagt auff Erden: HErr! Jch traw allein auff dich, laß mich nicht zu Schanden werden. Dieses setzet dem seelig entschlaffnen Herrn zu sonderer Ehrn-Gedächtnus Margreta Maria Fräwlen von Buwinghausen vnd Walmerot. in Stuttgart den 3. Weinmonats Tag, im Jahr 1654.57 54 Ebd., S. 562 f. 55 Ebd., S. 564, Anm. 10. 56 Zu Lyrikerinnen, die Gedichte auf ihre Mentoren verfaßten, vgl. Helen Watanabe-O’Kelly: »Sei mir dreimal mehr mit Licht bekleidet.« German Poems by Women to their Mentors in the Seventeenth Century, in: Colloquia Germanica 28, 1995, S. 255–264. 57 Die Todesbetrachtung stellt gleichzeitig ein Monument der Freundschaft zwischen Bouwinghausen und von Stubenberg dar: Er antwortete auf ihren Text mit einer Todesbetrachtung für dieselbe
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1652 oder früher übermittelte Bouwinghausen ein »Lob-Gedichte an den Unglükkseligen«, in dem sie von Stubenberg Lob und Anerkennung zollt für seine Bereitschaft, durch Übersetzungen dem sogenannten schwachen Volk zu mehr Klugheit zu verhelfen. Mit dem »schwache[n] Volck« war der weibliche Teil der Bevölkerung gemeint, denn das Gedicht entstand anläßlich der Fertigstellung von Stubenbergs Übersetzung des Erbauungsbuches Plaisirs des dames (1641) von François de Grenaille (die deutsche Übersetzung trägt den Titel Frauenzimmer Belustigung (1653) und erschien bei Michael Endter in Nürnberg). Hocherfreut über die Nachricht, Margareta Maria wolle seine »jüngstgedeutschte Frauenzimmer Belustigung mit einem überzierlichen Ehrgedichte beglückseligend würdigen«,58 revanchierte sich von Stubenberg, indem er seinem »in Ehrengebühr hochgeliebt- und geehrten Fräulein«59 seine Loredano-Übersetzung von 1652 widmete. WJe kan sich der mit Recht, für unglükkselig nennen? den sein berühmter Fleiß, höchst glükklig selbst erhebt, der mit so hohem Geist, die todte Welt belebt: daß auch das schwache Volck, die Klugheit lernen kennen: es muß der Tugend Stral, den Unglück-nebel trennen: Wann stets der leichte Kiel, hoch an den Wolcken schwebt? Wann mit belebtem Ernst, man so nach Ehren strebt? Daß die Begierden nur, nach Nechstens Nutzen brennen. Das heist der Ewigkeit, den Namen einverleibt: wann die gelehrte Hand, so schöne Sachen schreibt. Verfolgt dann, edler Geist die Schickung zubekriegen, die euch so viel Verdruß bißher hat lassen sehn der Ancker wird gewiß, nach vesten Grund bestehn: den Lorbeer trägt man nicht, als nach vollbrachtem Siegen. Margareta Maria, Fräulein von Buwighausen und Wallmeroda.60 Gedenkschrift. Weder bei Dünnhaupt (Anm. 27) noch bei Jean M. Woods/Maria Fürstenwald: Schriftstellerinnen, Künstlerinnen und gelehrte Frauen des deutschen Barock. Ein Lexikon (Repertorien zur deutschen Literaturgeschichte; 10), Stuttgart 1984, S. 20, sind die zwei Todesbetrachtungen verzeichnet. Vgl. Sabine Koloch/Frank Böhling/Hermann Ehmer: Akkumulation von Ansehenskapital. Die Gedenkschrift für Johann Valentin Andreae – Edition mit einer Bibliographie der gedruckten Werke von Gottlieb Andreae, in: Daphnis 35, 2006, 1, S. 51–132. 58 von Stubenberg (Anm. 18), Bl. (*)7a. 59 Johann Wilhelm von Stubenberg: [Widmung] Dem Wolgebornen Fräulein, in: Giovanni Francesco Loredano, Geschicht-reden […], Nürnberg 1652, Bl. (*)1b. 60 Margareta Maria Bouwinghausen von Wallmerode: Lob-Gedichte an den Unglükkseligen, in: François de Grenaille, Frauenzimmer Belustigung. Ein sowohl zu geistlicher Sittenlehre als zierlicher Wohlredenheit nutz- und ergötzliches Wercklein. Ursprünglich in frantzösischer Sprache durch Herrn von Grenaille auf Chatounieres, beschrieben, und der Königin in Groß-Brittanien zugeeignet, anjetzo aber in hochdeutsch übersetzt durch ein Mitglied der hochlöbl. Fruchtbringenden Gesellschafft Den Unglückseligen, 2. Aufl. Nürnberg 1657, Bl. a6a. Zu den Widmungsgedichten Bouwinghausens vgl. auch Bircher (Anm. 16), 1968, S. 207 f.
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2. Frauen im Bildungsdiskurs: Lerninhalte, Lehrautorität, literarische Öffentlichkeit
Von Stubenberg bekennt in der Vorrede (»Der Dolmetscher An das gesammte Hoch-Adeliche Hoch-deutsche Frauenzimmer«) zu seiner Grenaille-Übersetzung, seine Biondi- und seine zwei Marini-Übersetzungen hätte er dazu auserkoren, die vorliegende Übersetzung den Widmungsempfängerinnen annehmlicher zu machen.61 Die Werke, auf die er sich bezieht, sind das »Liebs- und Heldengedicht« Eromena (4 Tle., 1650–1652) von Giovanni Francesco Bondi, die »Liebs-Geschicht« der Wettstreit der Verzweifelten (1651) von Giovanni Ambrogio Marini sowie Marinis Roman über den Narzißmus, Printz Kalloandro (2 Tle., 1656). Seine letzte und zugleich umfangreichste Übersetzung fertigte er auf Wunsch »etliche[r] Freundinnen« 62 an: Clelja: Eine römische Geschichte (5 Tle., 1664) von Madeleine de Scudéry.
2.
Zwei Mitglieder der Deutschen Gesellschaft in Leipzig: Johann Friedrich May und Christiana Mariana von Ziegler
Neben Johann Gottlob Krüger äußerten sich weitere Mitglieder Deutscher Gesellschaften zur Frauen- und Mädchenbildung; den größten Bekanntheitsgrad erlangte Johann Christoph Gottsched.63 Gottscheds Freund und Nachfolger als Senior der Deutschen Gesellschaft in Leipzig, Johann Friedrich May, seit 1741 außerordentlicher Professor für Ethik und Politik an der Universität Leipzig, veröffentlichte kurz vor seinem Tod die Erziehungsschrift Vorschläge zum glücklichen Unterricht eines jungen Frauenzimmers bis in das sechzehende Jahr (1761). Darin erklärt er, Töchter, die »in das Feld der Gelehrten« treten, könne man unmöglich tadeln. Die Begründung lautet: Kann nicht ein gelehrtes Frauenzimmer der Gesellschaft der Menschen durch ihre Wissenschaften eben so viel nutzen als ein gelehrter Mann? Kann sie nicht auch Bücher schreiben? Die gelehrte Historie ist nicht leer von dergleichen Beyspielen. Und die Erfahrung bestätiget es auch. Ich erkühne mich kaum, den grossen Nahmen einer gelehrten Gottschedin zu nennen, die Sachsen und Leipzig Ehre macht. Wem sind ihre Schriften unbekannt? Sie nützet und belustiget durch ihre Wissenschaften in gleichem Grad.64 61 Johann Wilhelm von Stubenberg: Der Dolmetscher An das gesammte Hoch-Adeliche Hoch-deutsche Frauenzimmer, in: François de Grenaille, Frauenzimmer Belustigung […], 2. Aufl. Nürnberg 1657, Bl. a3a–a5b, hier Bl. a4ab. 62 Bircher (Anm. 16), 1968, S. 216. 63 Eugen Wolff: Gottscheds Beziehungen zu Frauen und sein Einfluß auf ihr Bildungsleben, in: ders., Gottscheds Stellung im deutschen Bildungsleben, 2 Bde., Kiel u. a. 1895–1897, Bd. 2, S. 111–208, bes. S. 119–124. Helga Brandes: Nachwort, in: Johann Christoph Gottsched (Hg.), Die Vernünftigen Tadlerinnen 1725–1726. Im Anhang einige Stücke aus der 2. und 3. Auflage 1738 und 1748. Neu hg. und mit einem Nachwort, einer Themenübersicht und einem Inhaltsverzeichnis versehen von Helga Brandes, 2 Tle., Ndr. Hildesheim u. a. 1993, Tl. 2, S. 2*–47* (mit weiteren Literaturangaben). 64 Johann Friedrich May: Vorschläge zum glücklichen Unterricht eines jungen Frauenzimmers bis in das sechzehende Jahr, als der andere Theil der Vorschläge zum glücklichen Unterricht eines Knabens bis in das sechzehende Jahr: wobey zugleich die Pflichten eines Schülers gegen seinen Lehrer ausgeführet werden […], Leipzig 1761, S. 70 f. Die Erziehungsschrift Mays war bis dato in der historisch-pädagogischen Frauenforschung unbekannt. Zu Johann Friedrich Mays Die Kunst der vernünftigen Kinder-
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Fast könnte man meinen, die in der 1727 gegründeten Leipziger Deutschen Gesellschaft verlesene Abhandlung, ob es dem Frauenzimmer erlaubet sey, sich nach Wissenschaften zu bestreben? (1739) von Christiana Mariana von Ziegler habe in May nachgewirkt. Der junge May war Gast im Salon der zweifachen Witwe und hatte 1730 für die Aufnahme der vielseitig Begabten in die Leipziger Deutsche Gesellschaft votiert. Die in der Abhandlung von 1739 zur Diskussion gestellte Frage galt schon Mitte des 17. Jahrhunderts als uralt. Dies sollte zu denken geben. Konnte eine so kluge und mutige Frau wie von Ziegler, die mit Ausnahme ihrer Beiträge in den Vernünftigen Tadlerinnen (2 Tle., 1725–1726) jedes ihrer Werke mit ihrem Namen gekennzeichnet hatte, es ernstlich zulassen wollen, daß das Streben von Frauen nach höherer Bildung von der Gunst der Mitglieder der Deutschen Gesellschaft abhängig gemacht würde? Mir scheint die Annahme stichhaltiger, von Ziegler habe ihr Publikum vorsätzlich getäuscht. Denn sie wußte genau, daß der Eklat vorprogrammiert gewesen wäre, hätte sie ihre Abhandlung wahrheitsgemäß betitelt. Die implizite Frage der Abhandlung lautet nämlich: Wie lernen Frauen, die sich zu vernünftigen, weisen und gelehrten Autorinnen heranbilden, die geistlose Kritik von Gelehrten an ihrem Tun zu widerlegen? Doch ist zu beklagen, daß so bald sich nur ein edler Trieb zu der und jener Wissenschaft, bey einem oder dem andern Frauenzimmer äussert; so bald es die Feder ergreifet, in gebundener oder ungebundener Schreibart seine Fähigkeit zu zeigen, es sich harten Urtheilen, Lästern, Schmähen, und den empfindlichsten Begegnungen ausgesetzet sehen muß. So gar angesehene und gelehrte Männer scheuen sich nicht, ihren blinden Eifer oft lächerlicher Weise darüber auszulassen. Sie tadeln das niederträchtige Gewäsche der Weiber, und verfallen doch selbst darein, weil es ihnen an gründlichen Einwürfen fehlet. [...] Dergleichen Verfahren hat mich oft auf die Gedanken gebracht, mein Geschlechte mehr zu warnen als zu ermahnen, mit Schriften ans Licht zu treten. [...] Ich rathe euch, meine Schwestern, euch mit unerschrocknem Muthe und aufrichtigen Herzen auf den Weg der wahren Weisheit leiten zu lassen. Stimmen eure Absichten mit den meinigen überein, so könnt ihr getrost lernen und schreiben. [...] Können aber meine Ermahnungen euch nicht auf andere Gedanken bringen, so wende ich mich um eures Besten willen zu ihnen, meine Herren. Sie werden alle Furcht meiner Mitschwestern verjagen, wenn sie dieselben belehren wollen, wie sie die Meynungen einiger Gelehrten widerlegen können, welche behaupten, daß es dem Frauenzimmer nicht erlaubet sey, sich wie das männliche Geschlechte in Wissenschaften zu üben, ob es gleich vielen an der Fähigkeit dazu nicht fehlet.65
1728 hatte sich Johann Friedrich May anläßlich einer Hochzeit schon einmal die Frage gestellt, inwieweit eine Frau gelehrt sein könne.66 Zur Zeit der Abfassung seines an das Brautpaar gerichteten philosophischen Sendschreibens war May bereits Mitglied der zucht (2 Tle., 1753–1754) vgl. Christiane Brokmann-Nooren: Weibliche Bildung im 18. Jahrhundert: »gelehrtes Frauenzimmer« und »gefällige Gattin« (Beiträge zur Sozialgeschichte der Erziehung; 2), Oldenburg 1994, S. 202–207. 65 Christiana Mariana von Ziegler: Abhandlung, ob es dem Frauenzimmer erlaubet sey, sich nach Wissenschaften zu bestreben? in der Deutschen Gesellschaft abgelesen, in: dies., […] Vermischte Schriften in gebundener und ungebundener Rede, Göttingen 1739, S. 394–399, hier S. 396 f. 66 Johann Friedrich May: Philosophisches Sendschreiben, In wie weit eine Frau gelehrt seyn könne?, in: Der Deutschen Gesellschaft in Leipzig eigene Schriften und Uebersetzungen in gebundener und ungebundener Schreibart, Tl. 3, Leipzig 1739, S. 179–187.
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Deutschen Gesellschaft in Leipzig.67 Der Autor führt in seinem Sendschreiben aus, gelehrte Frauen vom Typ einer Anna Maria van Schurman und einer Anne Dacier bewundere man mit Recht. Durch Frauen wie diese erfahre die Mit- und Nachwelt, »daß der Verstand des Frauenzimmers auch zu der größten Erkenntniß in den höchsten Wissenschaften, so wohl, als der Verstand der Mannspersonen fähig sey.« 68 Dem alten May schien es völlig legitim, wenn Töchter aus Familien, die sich Bildung leisten konnten, den Grad und Zweck ihrer Bildung selber bestimmten. Früher hatte er befürchtet, Frauen, die gelehrt seien und die ihre Gelehrsamkeit nicht mit einer »thätigen Vernunft« verknüpften, würden das Hauswesen schlecht bestellen. Um diese für das männliche Geschlecht nachteilige Möglichkeit nicht Realität werden zu lassen, empfiehlt der Autor, »daß alle Frauenzimmer sich mehr bestrebten, vernünftig, als gelehrt, zu werden.« 69 Wer eine vernünftige Ehefrau zur »Gehülfinn« haben wolle, der müsse die Töchter praktisch verwertbares Wissen lehren, rät May den zukünftigen Eltern. An der ersten Stelle der Unterrichtsfächer steht die Vernunftlehre, getreu dem Grundsatz der Aufklärungsphilosophie: »Seine [des Menschen, SK] Führerinn durch dieses Leben ist die Vernunft«.70 Die Umschreibung »die nöthigsten Begriffe von der Welt [...] beyzubringen« weist auf Fächer wie Geschichte, Geographie und Naturlehre hin. Religionskunde, Moral-, Verhaltens- und Hauswirtschaftslehre vervollständigen den Bildungsplan des Leipziger Magisters, der zum damaligen Zeitpunkt seinen Lebensunterhalt als Privatlehrer verdiente. Es fehle nicht an geeigneten Lehrbüchern in deutscher Sprache, fügt May hinzu, allein das Angebot ließe sich durch Eindeutschung französischer Werke leicht erweitern: Wie wenig Mühe würde es kosten, den jungen Töchtern, an statt so vieler eitlen Dinge, in den zarten Jahren die leichtesten Sätze der Vernunftlehre, die nöthigsten Begriffe von der Welt und der natür67 Ausführliche Biographie bei Detlef Döring: Die Geschichte der Deutschen Gesellschaft in Leipzig. Von der Gründung bis in die ersten Jahre des Seniorats Johann Christoph Gottscheds (Frühe Neuzeit; 70), Tübingen 2002, bes. S. 144–155, 246, 304. Der Zeit seines Lebens unverheiratet gebliebene May zählte zu den führenden Köpfen der Deutschen Gesellschaft in Leipzig. Neben Gottsched waren May und Johann Georg Hamann für kurze Zeit Herausgeber der später nur noch mit dem Namen Gottscheds verbundenen ersten deutschen frauenadressierten Zeitschrift Die vernünftigen Tadlerinnen (2 Tle., 1725–1726). 68 May (Anm. 66), S. 181 f. 69 Für von Ziegler (Anm. 65, S. 397 f.) stellte diese Argumentation keinen hinreichenden Grund dar, Mädchen und Frauen das Trachten nach höherer Bildung zu untersagen: »Ich weis wohl, daß man zu sagen pfleget, das Frauenzimmer sollte die Fähigkeit ihres Verstandes auf die kluge Einrichtung ihrer Haushaltung anwenden, die Kinder tugendhaft erziehen, sich im Backen, Nähen, Kochen und anderer Frauenzimmerarbeit geschickt machen, damit die Republik mit wohl erzogenen und wirthlichen Weibern angefüllet würde, und sich die Männer auf dieselben völlig verlassen könnten. Alle diese Regeln haben ihren Grund; ich weis aber auch, daß sie gegen die nichts ausrichten, welche das Frauenzimmer zu Wissenschaften angeführet wissen wollen. Eine vernünftige Frau kann ihrer Haushaltung und Kinderzucht wohl vorstehen, und dennoch dabey einige Stunden auf Lesung guter Bücher wenden. Vor mein Theil glaube ich, daß ihre erlangte Erkenntniß sie noch geschickter machen werde, den Pflichten einer vernünftigen Frau nach zu leben.« 70 [ Johann Christoph Adelung:] Geschichte der Philosophie für Liebhaber, 3 Bde., Leipzig 1786–1787, Bd. 3, S. 458.
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lichen Gottesgelahrtheit, die nützlichsten Regeln der Moral, einer wohlanständigen Aufführung, und wahren Haushaltungskunst deutlich und gründlich beyzubringen. Es fehlt heute zu Tage an deutschen Büchern von diesen Wissenschaften im geringsten nicht; und wenn ja die Anzahl derselben noch vermehret werden sollte, so könnte es durch Uebersetzung gewisser französischer Bücher geschehen, die zum Unterrichte des Frauenzimmers geschrieben sind, worunter des Herrn du Bosc l’honnete femme, und la Bibliotheque des Dames gewiß nicht den letzten Platz verdienen.71
May sah sich aber nicht dazu berufen, das Angebot an Übersetzungen zu vergrößern, das den Frauen und Mädchen die Ausbildung der praktischen Vernunft ermöglicht hätte.
3.
Johann Gottlob Krüger und seine Nichte Johanne Charlotte Unzer – Karl Heinrich Frömmichen72 und seine Tochter Sophia
Karl Heinrich Frömmichen setzte sich im Laufe seines Lebens für die Ziele der Aufklärung und des Philanthropismus ein.73 Die von Johann Bernhard Basedow begründete, für die Spätaufklärung oft als exemplarisch betrachtete philanthropische Pädagogik strebte eine natur- und vernunftmäßige Erziehung an.74 Georg Otto Fischer schildert den Hil71 May (Anm. 66), S. 182 f. Beim Titel »la Bibliotheque des Dames« handelt es sich um die französische Übersetzung der englischen Sittenlehre The Ladies Library (3 Bde., 1714) von Mary Wray (vgl. hierzu Abschnitt 4.3). Der erste Teil der L’honneste femme war, wie wir wissen, vom Landgrafen Wilhelm V. von Hessen-Kassel kurz nach seinem Erscheinen ins Deutsche übersetzt und unter dem Pseudonym Pantagruel veröffentlicht worden. Zumindest dem Namen nach kannte Johann Friedrich May die Fruchtbringende Gesellschaft, was ein Blick in die Festschrift Nachricht von der erneuerten Deutschen Gesellschafft in Leipzig und ihrer ietzigen Verfassung (1727) bestätigt. Dietmar Debes: Vorwort, in: Bibliotheca Societatis Teutonicae saeculi XVI–XVIII. Katalog der Büchersammlung der Deutschen Gesellschaft in Leipzig. Nach dem von Ernst Kroker bearbeiteten handschriftlichen Bestandsverzeichnis der Universitätsbibliothek Leipzig herausgegeben vom Zentralantiquariat der DDR in Leipzig. Mit Vorwort von Dietmar Debes, 2 Bde., Leipzig 1971, Bd. 1, S. VII–XIV, hier S. VIIf. Gottsched, der 1738 aus der Deutschen Gesellschaft in Leipzig austrat, hielt über die Geschichte der Fruchtbringenden Gesellschaft im Jahr 1755 zwei Vorträge. Ulrich Seelbach: Sprachgesellschaften, in: Hans-Gert Roloff u. a. (Hg.), Die Deutsche Literatur. Biographisches und bibliographisches Lexikon. Reihe III: Die Deutsche Literatur zwischen 1620 und 1720, Abt. B: Forschungsliteratur I, Lfg. 3, Bern u. a. 1991, S. 212–238, hier S. 220, Nr. 2903–2904. 72 Frömmichen war Mitglied der Deutschen Gesellschaft zu Helmstedt. Diese Tatsache lenkte meine Aufmerksamkeit zunächst auf ihn, dann auf seine Tochter, deren Vita mir bald interessanter erschien als die des Vaters, weil sich das Bild einer Persönlichkeit abzeichnete, die aus Leidenschaft für ihren Beruf Pionierarbeit leistete. Zur detaillierten Bildungsbiographie Sophia Frömmichens siehe den Exkurs in Abschnitt 1.2. Gemäß von Schindels biographischem Abriß legte der Vater den Grundstein für Sophia Frömmichens Karriere als Schulgründerin, Schulleiterin, Lehrerin, Ausbilderin von Lehrerinnen, Erzieherin und Schriftstellerin. Was wir über den Vater wissen, reicht nicht aus, um dessen Bedeutung im Leben seiner einzigen Tochter in vollem Umfang zu ermessen. Auf ihn als wichtigsten Förderer in Sophiens Kindheit ist daher näher einzugehen. 73 Bernd Feige: Philanthropische Reformpraxis in Niedersachsen. Johann Peter Hundeikers pädagogisches Wirken um 1800 (Beiträge zur historischen Bildungsforschung; 19), Köln u. a. 1997, S. 141. 74 Dieter Lenzen (Hg.): Pädagogische Grundbegriffe, 2 Bde., Reinbek 1989, Bd. 1, S. 97, 99. Aus den Reihen der Anhänger(innen) dieser Erziehungsbewegung gingen Schul- und Elternbücher, Kinderund Jugendliteratur hervor.
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desheimer Gymnasialdirektor als einen »sehr kenntnißreichen, vielseitig gebildeten Mann; gleiches Interesse hegte er für alte Sprachen, wie für Mathematik [...], für Naturwissenschaften und neue, zumal deutsche Literatur«.75 Wie es Frömmichen mit der Erziehung seiner Tochter hielt, beschreibt von Schindel, welcher ihn als einen Mann charakterisiert, der jede »ihm von Geschäften seines Amts freie Stunde« damit verbrachte, »den Geist seiner Tochter schon in frühester Kindheit zu wecken und auszubilden«.76 Hier wie in den von ihm herausgegebenen Regeln der Klugheit für junge Frauenzimmer und Mannspersonen, in Briefen (1766, 2., verm. Aufl. 1769) und in seinem richtungsweisenden Aufsatz Einige Bemerkungen, welche sich über den deutschen Meßkatalogus machen lassen (1780) tritt die Überzeugung zutage, auch Mädchen und Frauen stünden höhere Bildung und Bücherkonsum zu.77 Die in der Textsammlung von 1766 abgedruckten Maximen für junge Frauenzimmer sind einer genaueren Betrachtung zu unterziehen, weil hierin ausgeführt wird, welche Bildung Bürgerinnen mit in die Ehe bringen sollen. Der in der Verhaltenslehre niedergelegte Bildungsplan wird mit dem Hinweis auf die dem »andern Geschlechte« zufallende Aufgabe, an das sogenannte stärkere Geschlecht freiwillig Macht abzugeben, legitimiert. Dieses Legitimationsmuster nimmt die Frau in die Pflicht, ihr Leben von dem des ihr a priori überlegenen Mannes her zu denken und zu gestalten. Es konkurrierte mit dem sehr viel älteren Mythos, wonach den Frauen aufgrund der Verfehlung Evas im Paradies das Los zufiel, dem Mann untertänig zu sein, um die Kollektivschuld des weiblichen Geschlechts abzutragen.78 Zusätzliche Berechtigung bezieht der Bildungsentwurf aus dem Naturell der Frauen, das sie in einem andauernden Zustand der Aufgeschlossenheit und 75 Georg Otto Fischer: Geschichte des Gymnasium Andreanum von 1546 bis 1815, Hildesheim 1862, S. 59–62, 120, hier S. 59 f. 76 Carl Wilhelm Otto August von Schindel: Die deutschen Schriftstellerinnen des neunzehnten Jahrhunderts. Drei Teile in einem Band, Ndr. d. Ausg. Leipzig 1823–1825, Hildesheim u. a. 1978, Tl. 1, S. 142. 77 Man könnte hier noch das Hildesheimische Wochenblatt (1778–1782) anführen, für das Frömmichen Artikel schrieb. Laut einer Verlagsanzeige aus dem Jahr 1777, die für das neue Periodikum warb, besteht das vordringliche Ziel Moralischer Wochenschriften in der Bildung des Volkes: »Der Wert oder Nutzen periodischer Schriften, welche den Titel Wochenblatt führen, ist durch die Erfahrung von dem Einflusse, den sie aufs Volk haben, von vielen Ländern und von vielen Jahren her entschieden; und seit dem hamburgischen Patrioten scheint man darüber einig zu sein, daß dergleichen Schriften zur Verfeinerung der Sitten, zur Aufklärung und zur Bildung des Volkes zu seiner Glückseligkeit, und für den guten Ton in einer Stadt ein ebenso zuverlässiges, als leichtes und am wenigsten kostbares Mittel sind.« Zu den Inhalten der Wochenschrift äußerte sich Aloys Barth: Das Zeitungswesen von Hildesheim. Ein Beitrag zur Geschichte und Soziologie der deutschen Presse, Hildesheim 1929, S. 56, 57 f.: »Heftig geißelte man die schlechte Erziehung der Jugend, und ein kräftiges Mahnwort zur sorgfältigeren Beobachtung ihrer heranwachsenden Söhne und Töchter richtete sich an die vielfach nachlässige Elternschaft.« Unter der Rubrik »Nützliche Schriften« »führte man alte und neue […] gemeinnützige Bücher ›nach ihrem Inhalte und Gebrauche‹ auf und brachte das ›Lesenswürdigste für das schöne Geschlecht, das Nützlichere für Männer‹.« 78 Vgl. zur biologisch begründeten »Bestimmung des weiblichen Geschlechts« Claudia Honegger: Die Ordnung der Geschlechter. Die Wissenschaft vom Menschen und das Weib 1750–1850, Frankfurt/M. u. a. 1991.
2.1 Postulate von Mitgliedern der Fruchtbringenden Gesellschaft
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Lernbereitschaft erhält. Der Zweck des von den Ehekandidatinnen anzueignenden Wissens und einzuübenden Könnens bestehe darin, aus ihnen angenehme Gesprächspartnerinnen und verläßliche Zuarbeiterinnen zu machen. Nicht die Religions- und Sittenlehre werden an den Beginn des Bildungskanons gestellt, sondern eine Art und Weise zu denken, die der Autor mit »schöne Denkungsart« umschreibt: Eine solche war nach damaligem Verständnis der Belesenheit in Philosophie und in den schönen Wissenschaften (Poesie, Beredsamkeit, Kunst, Musik) geschuldet. Zu den Pflichtlektionen zählt der Autor zudem muttersprachliche Kompetenz, Herzensbildung, Rechenlehre sowie in das Gebiet der Hauswirtschaft und der Kindererziehung fallende Kenntnisse, Eigenschaften und Fertigkeiten. Französisch sprechen, gut tanzen und den Leib wohl tragen, sind Verzierungen und Verbesserungen des schönen Baues der Natur an einem Frauenzimmer. Aber gleichwie GOtt dem andern Geschlechte dieses Colorit nur gegeben, um die nützlichen Dienste werther zu machen, welche dasselbe dem stärkern Geschlechte leisten soll: so sind eine schöne Denkungsart, die angenehme Leichtigkeit, sich in der Muttersprache wohl auszudrucken, vortrefliche Neigungen des Herzens, die Rechenkunst, die Wissenschaft dessen, was zur Haushaltung gehört, die Arbeitsamkeit, die Liebe zur Ordnung, die Kunst, die Kinder und das Gesinde wohl zu regieren, weit wichtigere Lectionen. Glücklicherweise hat das Frauenzimmer eine gute Fähigkeit schnell zu begreifen, eine stets rege Neubegierde und einen besondern Hang zur Nachahmung.79
1734 wurde der Altphilologe und Pädagoge Johann Matthias Gesner (1691–1761) an die im selben Jahr gegründete Universität Göttingen berufen. Aus dem von ihm eingerichteten philologischen Seminar ging die 1738 gegründete Deutsche Gesellschaft in Göttingen hervor.80 Ohne stichhaltige Beweise anzuführen, nimmt Georg Otto Fischer an, Frömmichen sei ein Schüler Gesners und Mitglied der Deutschen Gesellschaft in Göttingen gewesen.81 Verbürgt ist aber nur Frömmichens Mitgliedschaft in der seit 1748 bestehenden Deutschen Gesellschaft in Helmstedt.82 Es fragt sich, ob Frömmichen durch diese Mitgliedschaft zur Überzeugung gelangte oder in seinem Glauben bestärkt wurde, auch 79 [Karl Heinrich Frömmichen?]: Maximen für junge Frauenzimmer, in: [Karl Heinrich Frömmichen (Hg.),] Regeln der Klugheit für junge Frauenzimmer und Mannespersonen in Briefen, 2., verm. Aufl. Halle 1769, S. 71–82, hier S. 73 f. Vgl. zu der Verhaltenslehre auch Abschnitt 3.3. 80 Dieter Cherubim/Ariane Walsdorf: Sprachkritik als Aufklärung. Die Deutsche Gesellschaft in Göttingen im 18. Jahrhundert, 2., verb. u. verm. Aufl., Göttingen 2005. 81 Fischer (Anm. 75), S. 60. Die Matrikel der Deutschen Gesellschaft in Göttingen bricht mit dem Jahr 1755 ab. 1736 in Erfurt geboren, absolvierte Frömmichen sein Studium an der Universität Helmstedt. 1769 verlegte er seinen Lebensmittelpunkt nach Göttingen und hielt dort bis 1772 als Privatdozent Lehrstunden. Er verließ Göttingen, noch ehe Gesner an der dortigen Universität zu unterrichten begann. Johann Stephan Pütter: Versuch einer academischen Gelehrten-Geschichte von der GeorgAugustus-Universität zu Göttingen […], Tl. 2, Göttingen 1788, S. 69. 82 Karl Heinrich Frömmichen: Den Unterricht auf dem Gymnasium zu Hildesheim zeiget im Namen der sämtlichen Lehrer an Karl Heinrich Frömmichen, Doktor der Weltweisheit und der schönen Wissenschaften, des Gymnasium Direktor, der herzöglichen deutschen Gesellschaft auf der Julius Carls Universität Mitglied, Hildesheim 1773. Frömmichens Mitgliedschaft in der Deutschen Gesellschaft in Helmstedt scheint sich auch im Schulplan des Gymnasium Andreanum niedergeschlagen zu haben. Vgl. hierzu Fischer (Anm. 75), S. 60.
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Frauen sollten ihr intellektuelles Potential zur Entfaltung bringen. Eugen Wolff gab in seinem Aufsatz Die Deutschen Gesellschaften des achtzehnten Jahrhunderts (1901) einige der zur Diskussion gestellten Themen wieder, auf die er in den Gesellschaftsschriften der Helmstedter Deutschen Gesellschaft stieß, darunter zwei frauenbezogene: »Ob die Lesung der Romane einem Frauenzimmer zuträglich sei« – »Daß die schönen Wissenschaften den Reiz des Frauenzimmers vermehren«.83 Letztere Themenstellung läßt vermuten, die Gesellschaftsmitglieder hätten Frauen höhere Bildung zuerkannt, wodurch Eigenschaften entwickelt werden konnten, die den Vorstellungen bürgerlicher Männer von idealer Weiblichkeit entsprachen. Nach Wolffs Urteil bestand das Verdienst der Deutschen Gesellschaften in Bezug auf Frauen darin, »die Theilnahme am geistigen Leben nicht auf solche Ausnahmen [gemeint sind Frauen wie Anna Maria van Schurman, Gertrud Möller und Anne Dacier, SK] beschränken, sondern auf die gesammte Frauenwelt ausdehnen zu wollen.«84 Zu einer ähnlichen Ansicht gelangte Wolfram Suchier, der mit Nachdruck betont, daß die Interessen der Deutschen Gesellschaften »sich nicht auf das sprachliche und literarische Gebiet beschränkten, so haben sie zur Hebung des geistigen und literarischen Lebens zum Teil erheblich beigetragen, auch nachhaltigen Einfluß auf die ganzen Bildungs- und Aufklärungsbestrebungen des 18. Jahrhunderts ausgeübt.« 85 Die Ehren- und seltenen regulären Mitgliedschaften von Frauen in Deutschen Gesellschaften werden von der Forschung – sofern sie überhaupt registriert werden – zumeist recht oberflächlich behandelt.86 Stellvertretend angeführt sei Gustav Roethe, der Dichterinnenkrönungen ins Triviale zog, indem er den weiblichen Mitgliedern der Göttinger Deutschen Gesellschaft rundweg die Fähigkeit absprach, Texte von literarischem Wert zu verfassen.87 Unzulänglich ist auch der Forschungsstand zu Dichterinnenkrönungen des 83 Eugen Wolff: Die Deutschen Gesellschaften des achtzehnten Jahrhunderts, in: Nord und Süd 99, 1901, S. 225–241, 336–354, hier S. 236. Die von Wolff ohne Angabe von Titel und Erscheinungsjahr zitierte Gesellschaftsschrift könnte aus den 50er Jahren des 18. Jahrhunderts stammen. 84 Ebd., S. 347–351, hier S. 350 f. 85 Wolfram Suchier: Die Mitglieder der Deutschen Gesellschaft zu Göttingen von 1738 bis Anfang 1755, Hildesheim 1916, S. 10. 86 Unerwähnt bleiben Frauen bei Fricke (Anm. 11). Die Göttinger Deutsche Gesellschaft zählte zwischen 1738 und 1755 elf Frauen zu ihren Ehrenmitgliedern, darunter die kaiserlich gekrönten Poetinnen Polyxena Christiana Auguste Dilthey, Charlotte Wilhelmine Amalie von Donop, Traugott Christiane Dorothee Löber, Magdalene Sibylle Rieger und Johanne Charlotte Unzer. 87 Gustav Roethe: Waltherin, Sophie Eleonore, in: Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 41, Leipzig 1896, S. 124–125, hier S. 125: »Sie erhebt sich ebenso, wie alle die andern Dichterinnen, die man damals in Göttingen so bereitwillig feierte, in Nichts über das Maaß des naivsten Dilettantenthums.« Vgl. auch Paul Otto: Die deutsche Gesellschaft in Göttingen (1738–1758) (Forschungen zur neueren Litteraturgeschichte; 7), München 1898, S. 41 f. Der Verfasser ließ sich zu der unbedachten Äußerung hinreißen: »Eine besondere Vorliebe hatte die Gesellschaft dafür, mit schriftstellernden Frauenzimmern in nähere Verbindung zu treten. Es war ja damals modern, für die Gelehrsamkeit der Frauen zu plädieren; man erinnere sich an die Bemühungen Gottscheds und seiner »Freundin« sowie der moralischen Wochenschriften. Die Göttinger deutsche Gesellschaft liess es sich aber besonders angelegen sein, weibliches Verdienst zu würdigen und zu lohnen, ja das Bestreben wurde hier geradezu zur Sucht.«
2.1 Postulate von Mitgliedern der Fruchtbringenden Gesellschaft
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17. und 18. Jahrhunderts,88 durch die öffentlich die Erfüllung poetischer Normen und das Tugendstreben einer Frau bekundet wurden und die verdienstvolle, graduierungswürdige89 und zur Nachahmung empfohlene Leistungen darstellten. Die in Halle geborene Johanne Charlotte Unzer, geb. Ziegler (Abb. 5),90 war bereits seit zwei Jahren mit dem große Berühmtheit erlangenden Arzt Johann August Unzer91 verheiratet, als der Siebenundzwanzigjährigen die Ehrenmitgliedschaft in den Deutschen Gesellschaften in Helmstedt und Göttingen angetragen wurde. Im gleichen Jahr, am 2. Mai 1753, verlieh die Universität Helmstedt der Lyrikerin und Lehrbuchautorin den Titel »poeta laureta«. Die Durchführung der Dichterinnenkrönung lag in den Händen des Prorektors der Universität 88 Eine gründliche Untersuchung zu diesem Thema steht noch aus. Die neulateinische Lyrikerin Elizabeth Jane Weston (auch: Elisabeth Johanna von Weston, Elisabeth Westonia) (1582–1612), Engländerin von Geburt, führte als erste Frau den Titel »poeta laureata«. Der Heidelberger Hofpfalzgraf Paul Schede hatte der in Böhmen lebenden Lyrikerin 1601 den poetischen Lorbeerkranz zustellen lassen. In das Jahr 1733 fällt die erste von einer Universität durchgeführte Dichterinnenkrönung; damals erklärte die philosophische Fakultät der Universität Wittenberg Christiana Mariana von Ziegler zur kaiserlich gekrönten Dichterin (Abb. 4a und 4b). Mit dem Aufkommen der Genieästhetik geriet diese Form der öffentlichen Ehrung in die Kritik. Die letzte Dichterkrönung fand im Jahr 1804 statt. Barbara Becker-Cantarino (Anm. 13, S. 272) vertritt die These, »aufstrebende, der Aufklärung nahestehende Universitäten« hätten Dichterinnenkrönungen initiiert, »um ihren Ruf der Fortschrittlichkeit zu verbreiten«. 89 Susanne Schneider: Lebensgeschichte und literarisches Werk als Wechselbeziehung. Zur Frage der Geschlechter in den Texten der Dichterin Christiana Mariana von Ziegler (1695–1760), Magistraarbeit Kassel 1997, S. 107: »Bei der Würde des poeta laureatus handelte es sich um die Verleihung eines akademischen Grades, der dem Doktor der Freien Künste gleichgestellt war und mit dem ehemals das Recht, an allen Universitäten des Reiches zu lesen und zu lehren, verbunden gewesen war. Seit dem frühen 16. Jahrhundert setzte das Lehramt in der Artistenfakultät jedoch den staatlichen Lehrauftrag […] voraus.« (S. 107) 90 Gustav Roethe: Johanne Charlotte Unzerin, in: Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 39, Leipzig 1895, S. 331–334. Adalbert von Hanstein: Die Frauen in der Geschichte des deutschen Geisteslebens des 18. und 19. Jahrhunderts. Buch 1: Die Frauen in der Zeit des Aufschwunges des deutschen Geisteslebens, Leipzig 1899, S. 172. Thomas Gehring: Johanne Charlotte Unzer-Ziegler 1725–1782. Ein Ausschnitt aus dem literarischen Leben in Halle, Göttingen und Altona (Europäische Hochschulschriften. Reihe 1: Deutsche Literatur und Germanistik; 78), Bern u. a. 1973. Thomas Gehring: Unzer, Johanne Charlotte, in: Biographisches Lexikon für Schleswig-Holstein und Lübeck, Bd. 6, Neumünster 1982, S. 291–293. Heidemarie Bennent-Vahle: Ein Philosophiebuch für Frauen – Zum Leben und Werk der Johanna Charlotte Unzer, in: Johanna Charlotte Unzer, Grundriß einer Weltweisheit für das Frauenzimmer, hg. von Heidemarie Bennent-Vahle (Philosophinnen; 3), Neudr. der 2., verb. u. verm. Aufl. Halle 1767, Aachen 1995, S. 9–24. Thurid Langer: Johanna Charlotte Unzerin – Die erste deutsche Weltweise, in: Über die Gelehrsamkeit eines Frauenzimmers. Texte von und über Frauenzimmer von Johanna Charlotte Unzerin, Johann Gottlob Krüger, Georg Friedrich Meier, Johann Joachim Lange. Textauswahl und -bearbeitung nebst Einleitung von Thurid Langer, Halle 1996, S. 8–23. Elke Stolze: Dorothea und ihre Schwestern. Zur Entwicklung des Frauenstudiums an der Universität Halle, in: Courage e.V. (Hg.), Leben und Gestalt. Studien zur Frauengeschichte in Halle, Halle 1996, S. 160–196, hier 167–170. 91 Matthias Reiber: Anatomie eines Bestsellers. Johann August Unzers Wochenschrift Der Arzt (1759–1764) (Das achtzehnte Jahrhundert. Supplementa; 8), Göttingen 1999.
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Helmstedt, Johann Gottlob Krüger, dem Onkel und Förderer Johanne Charlottes. Wohl unter Krügers Einfluß wurde seine Anverwandte zum Ehrenmitglied zweier Deutscher Gesellschaften gewählt, denen er selbst als Mitglied angehörte.92 Johanne Charlotte Unzer ist die dritte quellenmäßig greifbare Autorin, der von der Universität Helmstedt der poetische Lorbeerkranz überreicht wurde (die Universität Helmstedt, seit 1575 mit Palatinatsbefugnissen ausgestattet, vergab den Titel »poeta laureatus/laureata« zwischen 1704 und 1758 sieben Mal):93 – Polyxena Christiana Auguste Dilthey (seit 1755 verh. Büsching) (1728–1777), Ernennung zur poeta laureata am 11. Oktober 1751, Ehrenmitglied der Deutschen Gesellschaft in Göttingen (Aufnahme am 25. August 1751) – Johanne Charlotte Unzer, geb. Ziegler (1725–1782), Ernennung zur poeta laureata am 2. Mai 1753, Ehrenmitglied der Deutschen Gesellschaft in Helmstedt (Aufnahme vor dem 2. Mai 1753) und der Deutschen Gesellschaft in Göttingen (Aufnahme am 5. Mai 1753) – Margarete Barbara Birkmann (seit 1765 verh. Schultze) (1734–1801), Ernennung zur poeta laureata am 22. November 1758, Ehrenmitglied der Deutschen Gesellschaft in Helmstedt (Aufnahmejahr 1753, Monat und Tag unbekannt)94 In seiner mit angehängtem Diplom gedruckten Lobrede95 auf die Laureatin beteuert Krüger, die Deutschen Gesellschaften in Göttingen und Helmstedt hätten Unzer »aus eigener 92 Johann Gottlob Krüger: […] Dichterkranz ertheilet Frauen Johanne Charlotte Unzerin gebohrne Zieglerin nebst einer Ode von eben derselben, Halle 1753, Bl.):(6b. Gehring (Anm. 90), 1982, S. 292. 93 In allen drei Fällen scheint der Wahl zum Ehrenmitglied einer Deutschen Gesellschaft die Dichterinnenkrönung vorausgegangen zu sein. Bei der württembergische Pietistin Magdalena Sibylle Rieger war die Reihenfolge gerade andersherum: Zuerst wurde ihr von der Universität Göttingen der Dichterlorbeer überreicht, dann wählte man sie zum Ehrenmitglied der Deutschen Gesellschaft in Göttingen. 94 Paul Zimmermann: Dichterkrönungen auf der Universität Helmstedt, in: Braunschweigisches Magazin 20, 1914, S. 133–140. Jürgen Arndt: Hofpfalzgrafen-Register, hg. vom Herold, Verein für Heraldik, Genealogie und verwandte Wissenschaften zu Berlin, Bd. 1, Neustadt a. d. Aisch 1964, S. 240. 95 Krüger (Anm. 92), Bl.): (6b–):(7a: »Dahero ernenne und erkläre ich Johann Gottlob Krüger […] Vicerector der Julius Carls Universität und also aus allerhöchsten Käyserl. Gnaden COMES PALATINVS CAESAREVS Kraft der dieser hohen Würde anklebenden Macht, Gewalt und Freyheit obbemeldete Hochedelgebohrne Frau, FRAU Johanne Charlotte Untzerin […] wegen aller Jhrer oben angeführten Verdienste, zur Käyserlichen gekrönten Poetin, und ertheile Derselben alle Ehren, Gerechtsame, Vorrechte und Freyheiten, welche alle Käyserliche gekrönte Poeten und Poetinnen ie genossen haben, und noch geniessen, es sey durch Recht oder Gewohnheit, und mache Sie dadurch allen gekrönten Poeten und Poetinnen im H. R. R. völlig gleich, daß Sie dadurch aufgemuntert werde, Jhre schöne Gaben ferner, wie Sie bisher rühmlichst gethan, zur Ausbreitung der Gelehrsamkeit und Tugend anzuwenden, auch daß andre durch ein so nachahmungswürdiges Exempel gereitzet werden.« Wie Jürgen Arndt (Anm. 94, S. 83, Anm. 14) herausgestellte, wurde den von Sigmund von Birken zwischen 1667 und 1671 mit dem Dichterinnenlorbeer ausgezeichneten weiblichen Mitglieder des Pegnesischen Blumenordens kein Diplom ausgehändigt. Im einzelnen sind dies Katharina Margaretha Dobenecker, Regina Magdalena Limburger, Barbara Juliana Penzel, Maria Katharina Stockfleth und
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Bewegung [...] in die Zahl ihrer Mitglieder aufgenommen«. Nach Krüger ist Unzer der lebende Beweis für die Befähigung von Frauen, die Anfangsgründe der Philosophie sowohl zu erlernen und zu beurteilen als auch in schriftlicher Form zu lehren. Krüger vertritt die Meinung, Frauen müsse es freistehen, sich gemäß den Zwecken, die sie sich gesetzt haben, höhere Bildung anzueignen. Er sah es als seine Pflicht und Schuldigkeit an, Frauen in ihrem Bildungsbemühen, ihrer Suche nach neuen, in die breite Öffentlichkeit wirkenden Aufgabenfeldern und ihrer literarischen Tätigkeit zu unterstützen: Ihre Scherzgedichte, wovon in diesem Jahre die zweyte und vermehrte Auflage herausgekommen, nebst den vortrefflichen Gedichten, welche sich von Jhr in den Hamburgischen Beyträgen zu den Wercken des Witzes, und dem Wochenblatte der Christ bey den Gräbern befinden, bezeigen, daß sie eben so sinnreich und scherzhaft, als feurig, edel und erhaben zu dichten vermögend sey. Diese Gedichte wären allein hinreichend gewesen Jhr den Lorberkranz zu erwerben, wie sie denn auch um derselben willen aus eigener Bewegung von der Königl. Grosbrittannischen Deutschen Gesellschaft zu Göttingen, und der Herzoglich Braunschweig-Lüneburgischen zu Helmstädt in die Zahl ihrer Mitglieder aufgenommen worden. Allein Sie wollte auch zeigen, daß ein Frauenzimmer die ernsthaftesten Lehren der Weltweisheit zu begreiffen und zu beurtheilen fähig sey; Sie wolte zeigen, daß es in Deutschland nicht nur Philosophen sondern auch Philosophinnen gebe; Sie schrieb also auf mein Anrathen eine Weltweisheit für das Frauenzimmer, welche in zwey Theilen die Vernunftlehre, Methaphysik [sic], Historie der Natur und Naturlehre mit eben so viel Gründlichkeit als Annehmlichkeit vorträgt.96
Der rührige Prorektor hatte an der Universität Halle – sie war vor der Gründung der Georgia Augusta die modernste Universität im Reich97 – Medizin und Philosophie studiert. 1751 erhielt er, der 1742 zum Doktor der »Artzneygelahrheit und Weltweisheit« promoviert wurde, einen Ruf an die medizinische Fakultät der Universität Helmstedt.98 Zum Zeitpunkt des Erscheinens des Dichterkranzes (1753) war der Medizinprofessor Mitglied der Deutschen Gesellschaft in Helmstedt, und Johanne Charlotte lebte seit zwei Jah-
Gertrud Möller. Auf geschlechtervergleichende Analysen ließ sich Theodor Verweyen nicht ein: Dichterkrönung. Rechts- und sozialgeschichtliche Aspekte literarischen Lebens in Deutschland, in: Literatur und Gesellschaft im deutschen Barock. Aufsätze (Germanisch-romanische MonatsschriftBeiheft; 1), Heidelberg 1979, S. 7–29. 96 Krüger (Anm. 92), Bl.): (5a. Genaue bibliographische Nachweise der im Zitat genannten Schriften erbrachte Gehring (Anm. 90), 1973, S. 126, 128 f. Die Vorrede wie auch die Anmerkungen zu Unzers Grundriß einer Weltweißheit für das Frauenzimmer (1751) steuerte Johann Gottlob Krüger bei. 97 1754 wurde Dorothea Christiana Erxleben, geb. Leporin (1715–1762), als erster Frau Deutschlands von der medizinischen Fakultät der Universität Halle die Doktorwürde verliehen. Friedrich Georg Christian Erxleben: Nachricht von einigen Lebensumständen der Fr. Dorothee Christiane Erxleben geb. Leporin, betreffend vornämlich deren auf der Friedrichs-Universität zu Halle im Jahre 1754 erhaltene medicinische Doctor-Würde, in: Journal von und für Deutschland 6, 1789, S. 350–358. 98 Wolfram Mauser: Krüger, Johann Gottlob, in: Walther Killy (Hg.), Literaturlexikon. Autoren und Werke deutscher Sprache, Bd. 7, Gütersloh u. a. 1990, S. 45–46, hier S. 45: »Von den pietistischen Traditionen Halles geprägt, in der philosophischen Schule Christian Wolffs geistig diszipliniert und erfüllt vom Gedanken der Volksaufklärung, verfaßte Krüger neben Fachschriften zur Medizin und Naturwissenschaft zahlreiche populärwissenschaftliche Werke.«
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ren mit ihrem Ehemann (Unzer war ein Schüler Krügers) in Altona.99 Es gibt Indizien für die Annahme, Krüger habe die Lettres curieuses de littérature et de morale (1702) des Cartesianers Jean-Baptiste Morvan de Bellegarde (1648–1734) gekannt. Die deutsche Übersetzung des Werkes von 1715 ist in der Forschung nie auf Resonanz gestoßen, obwohl Helmut Anton diese 1935 bibliographisch erfaßte.100 Georges Ascoli hatte schon 1906 darauf hingewiesen, daß die Lettres curieuses Gedanken aus der Gleichheitsschrift De l’égalité des deux sexes (1673) von François Poullain de la Barre aufgreifen.101 Krüger machte mit großer Wahrscheinlichkeit die Lettres curieuses für seinen Dichterkranz fruchtbar. Lesen wir zunächst, wie der Hofpfalzgraf die Abwesenheit der Frauen auf dem Gebiet der Philosophie begründet: Eine rauhe Gemüthsart unserer Väter hat ihnen [den Frauen, SK] lauter Beschäftigungen mit Kleinigkeiten angewiesen; und die Grausamkeit gegen die Hälfte des menschlichen Geschlechts so weit getrieben, daß sie dem Frauenzimmer so gar das Vermögen abgesprochen es den Männern in Wercken des Verstandes und Witzes gleich zu thun. Unbilliges Urtheil, da man Richter und Parthey ist! Ungegründete Beschuldigung, die durch so viele Beyspiele gelehrter Frauenzimmer widerlegt wird! Jndessen muß man es gestehen, daß sich die meisten gelehrten Frauenzimmer mehr durch Proben des Witzes bekannt gemacht haben, als daß sie die ihnen von der Natur verliehene männliche Stärcke der Urtheilungskraft in der Weltweisheit hätten an den Tag legen sollen.102
Drei Textstellen der deutschen Fassung der Lettres curieuses stützen die Vermutung, Krüger könnte aus diesem Werk geschöpft haben. Nach Morvan de Bellegarde entlastet die Her99 Zwei Jahre früher hatte Krüger seine auf John Lockes Erziehungslehre basierenden Gedanken von der Erziehung der Kinder (2 Tle., 1751) veröffentlicht, worin er Postulate Rousseaus und der Philanthropisten vorwegnahm. 1759 gab er »für große Kinder von beyderley Geschlecht« seine bekannte Naturlehre (3 Tle., 1740–1748) dem Hauptinhalt nach wieder. Unzer wiederum gab dessen Naturlehre in ihrem Grundriss einer natürlichen Historie und eigentlichen Naturlehre für das Frauenzimmer (1751) in Auszügen wieder. 100 Helmut Anton: Gesellschaftsideal und Gesellschaftsmoral im ausgehenden 17. Jahrhundert. Studien zur französischen Moralliteratur im Anschluß an J.-B. Morvan de Bellegarde (Sprache und Kultur der germanischen und romanischen Völker. C. Romanische Reihe; 12), Breslau 1935, S. 125. 101 Georges Ascoli: Essai sur l’histoire des idées féministes en France du XVIe siècle à la Révolution, in: Revue de synthèse historique 13, 1906, S. 25–57, 161–184, hier S. 166, Anm. 4. Renate Baader: Die verlorene weibliche Aufklärung – Die französische Salonkultur des 17. Jahrhunderts und ihre Autorinnen, in: Hiltrud Gnüg u. a. (Hg.), Frauen Literatur Geschichte. Schreibende Frauen vom Mittelalter bis zur Gegenwart, 2., vollst. neu bearb. u. erw. Aufl. Stuttgart u. a. 1999, S. 52–71, hier S. 57 (»Die Revision der weiblichen Leitwerte und das neue Ideal der Bildung« S. 54–60): »Auf männlicher Seite hat allein Poullain de La Barre, der die cartesianische Kritik des Vorurteils auf die Frauenfrage anwandte und die Vertreibung der Frauen aus der natürlichen Gleichheit unter den Menschen anprangerte, ihren fortwährenden Ausschluß aus Würden und Wissenschaften damit begründet, daß ihnen, mit dem Recht des Stärkeren und im Namen der ›bienséance‹, die intellektuelle Erziehung versagt worden sei (1673).« Vgl. auch Valeria Ferrari Schiefer: La belle question. Die Frage nach der Gleichheit der Geschlechter bei François Poullain de la Barre (1647–1723) vor dem Hintergrund der (früh-)neuzeitlichen Querelle des Femmes (Theologie in Geschichte und Gesellschaft; 8), Luzern 1998. Zu Poullain de la Barre existiert für den deutschen Sprachraum keine Rezeptionsstudie. 102 Krüger (Anm. 92), Bl. ): (3b–): (4a.
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zogin von Maine, welche Sceaux in eine Freistatt der Wissenschaften und Künste verwandelt hatte, die Frauen vom Vorwurf, sie seien »zu nichts als Kleinigkeiten gebohren«.103 Auf die von der Herzogin gestellte Frage, wie man seinen Verstand verbessern könne, gibt der Abbé zu bedenken, nur der durch die Vernunft in Ordnung gebrachte Verstand sei zu richtigem Urteilen fähig.104 Die Frage, »ob die Weibes-Personen denen Männern am Verstande nachzusetzen«, nimmt der Autor zum Anlaß, das Verhalten der Frauenverächter kritisch zu kommentieren: Also sagen diejenigen, so da sprechen, daß die Weibes-Personen nicht so vollkommen wären als die Mannes-Personen, es nur so hin, und beweisen ihren Vortrag nicht; zu geschweigen, daß der Ausspruch derer Manns-Personen sehr verdächtig in diesem Stücke ist, weil sie Richter und Parthey zugleich sind, und sie zu aller Zeit gesuchet die Weibes Personen, so viel als sie gekonnt verächtlich zu machen; Alleine die Erfahrung stöst alle falsche Schlüsse über den Hauffen, die man zu ihrem Nachtheile machet; weil unzehlich viel Weibes-Personen, bey allen Gelegenheiten Zeichen eines gesetzten Verstandes, einer hohen Weißheit, und einer vortrefflichen Tugend vor sich blicken lassen [...].105
Ob nun Krüger – und sei es auf indirektem Wege – die Gleichheitsschrift François Poullain de la Barres rezipierte oder nicht, entscheidend ist, daß er vermöge seiner Autorität als Hofpfalzgraf 106 und Universitätsprofessor und unter Aufbietung traditionsfeindlicher Argumente darauf drang, die Produktion von Laienlektüre, mittels derer ausreichend gebildete Frauen sich abstrakte Kenntnisse und Urteilsvermögen aneignen können, voranzutreiben und die Dichterrepublik vorbildlichen, an der Ausbreitung von Gelehrsamkeit und Tugendliebe mitwirkenden Schriftstellerinnen zugänglich zu machen. Karl Heinrich Frömmichen, 25 Jahre jünger als Krüger und elf Jahre jünger als Johanne Charlotte Unzer,
103 Jean Baptiste Morvan de Bellegarde: Des Herrn Abts von Bellgarde Einige auserlesenste Briefe, so er mit einer Hof-Dame über unterschiedlichen moralischen und zur galanten Gelehrsamkeit dienlichen Dingen gewechselt. Aus dem Frantzösischen übersetzet, Leipzig 1715, Bl. )(3b. Morvan de Bellegarde widmete seine Publikation der Herzogin von Maine, auf die auch in der deutschen Titelfassung (»Hof-Dame«) angespielt wird. Der Briefwechsel muß fingiert sein – ein Schachzug von ungewöhnlicher Dreistigkeit, der sich bei genauerer Betrachtung als Absatzstrategie erweist. Vgl. zur Biographie der literarisch und politisch ambitionierten Herzogin die Darstellung von Jean-Luc Gourdin: La duchesse du Maine. Louise-Bénédicte de Bourbon, princesse de Condé, Paris 1999. 104 Morvan de Bellegarde signalisiert der Herzogin, von ihrer philosophischen Bildung Kenntnis zu haben, so auch, wenn er ausführt, sie kenne schon lange die philosophischen Lehren von René Descartes und Pierre Gassendi: »Gnädige Frau, das ist eine Philosophie, welche denenselben schon bestens lange wird bekandt seyn; Sie seynd lange schon in diesen Geheimnissen unterrichtet; weil nichts Anmerckenswürdiges in des Cartesius noch Gassendus, noch andern heutigen Philosophen Schrifften ist, so denenselben solte verborgen seyn.« Ebd., S. 6–74, hier S. 27. Vgl. Francisque Bouillier: Histoire de la philosophie cartésienne, 2 Bde., 3. Aufl. Paris 1868, Bd. 1, S. 441–442 (»La duchesse du Maine cartésienne«). 105 Ebd., S. 245 f. 106 Das Amt des Hofpfalzgrafen hatte Krüger in den Jahren 1753 und 1757 inne. Arndt (Anm. 94), S. 175. Zum Zeitpunkt der Dichterinnenkrönung war er nicht nur Mitglied der Deutschen Gesellschaften in Göttingen und Helmstedt, sondern auch der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina und der Preußischen Akademie der Wissenschaften. Krüger (Anm. 92), Bl. ): (6b.
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kannte zumindest die Namen und die Titel der bekanntesten Publikationen dieser beiden Gesellschaftsmitglieder. Vom Jahr 1740 an kamen beim hallischen Verleger Carl Hermann Hemmerde (1708–1788)107 29 Werke Johann Gottlob Krügers heraus.108 Bei ihm erschienen auch drei von vier Buchveröffentlichungen Johanne Charlotte Unzers, der Grundriß einer Weltweißheit für das Frauenzimmer (1751, 2. Aufl. 1767), dessen Fortsetzungsband Grundriß einer natürlichen Historie und eigentlichen Naturlehre für das Frauenzimmer (1751) sowie der Versuch in Scherzgedichten (1751, 2. Aufl. 1753, 3. Aufl. 1766). Vielleicht bestärkt durch den Erfolg, den Klopstocks Messias bei Frauen hatte109 – Hemmerde verlegte das Epos, das 1773 vollendet wurde, zwischen 1749 und 1773 (die ersten drei Gesänge waren schon 1748 erschienen) –, brachte der hallische Verleger noch zwei weitere frauenadressierte Schriften auf den Markt: Die vernünftige Sittenlehre in Briefen an ein Frauenzimmer (2 Tle., 1756–1758) des Philosophen und Helmstedter Privatdozenten Johann Friedrich Scholz und die zweite Auflage der von Karl Heinrich Frömmichen herausgegebenen Regeln der Klugheit für junge Frauenzimmer und Mannespersonen, in Briefen (1769). Nach Hermann Grußendorf bekleidete Johann Friedrich Scholz von 1755–1758 das Amt des Sekretärs der Deutschen Gesellschaft in Helmstedt.110 Wieviele Frauen mit der Ehrenmitgliedschaft in der Deutschen Gesellschaft in Helmstedt gewürdigt wurden, läßt sich derzeit nicht genau bestimmen. Es konnten fünf Namen ermittelt werden: – Sophia Eleonora Walther (seit 1752 verh. Achenwall) (1723–1754), Ehrenmitglied der Deutschen Gesellschaften in Göttingen (Aufnahme am 2. August 1749), Helmstedt (nach 1749, Aufnahmedatum unbekannt) und Jena (nach 1749, Aufnahmedatum unbekannt) – Traugott Christiane Dorothee Löber (verh. Lilien) (1725–1788), Ehrenmitglied der Deutschen Gesellschaften in Göttingen (1. Juni 1743), Helmstedt (nach 1749) und Jena (Aufnahmedatum unbekannt) – Magdalena Sibylle Rieger, geb. Weissensee (1707–1786), Ehrenmitglied der Deutschen Gesellschaften in Göttingen (Aufnahme am 1. Juni 1743) und Helmstedt (Aufnahme am 17. Januar 1750) 107 Hans-Joachim Kertscher (Hg.): Hallesche Verlagsanstalten der Aufklärungsepoche: Die Verleger Carl Hermann Hemmerde und Carl August Schwetschke, Halle 2004. 108 Erich Neuß: Gebauer-Schwetschke. Geschichte eines deutschen Druck- und Verlagshauses 1733– 1933, Halle 1933, S. 89. 109 Ludwig Sickmann: Klopstock und seine Verleger Hemmerde und Bode. Ein Beitrag zur Druckgeschichte von Klopstocks Werken mit Einschluß der Kopenhagener Ausgabe des Messias, in: Archiv für Geschichte des Buchwesens 3, 1961, Sp. 1473–1610. 110 Hermann Grußendorf: Die Helmstedter Deutsche Gesellschaft, in: Braunschweigisches Jahrbuch 1916, S. 42–48, 56–60, hier S. 59; die in dem Aufsatz abgedruckte Liste der Vorsteher, Aufseher, Sekretäre und Mitglieder dieser Gesellschaft erhebt weder den Anspruch auf Vollständigkeit, noch wurden die Ehrenmitglieder in das Verzeichnis mit einbezogen. Der erste Aufseher (1748–1750) der Deutschen Gesellschaft in Helmstedt überhaupt war Johann Christoph Stockhausen (1725–1784) (vgl. zu ihm Abschnitt 1.2).
2.1 Postulate von Mitgliedern der Fruchtbringenden Gesellschaft
107
– Margarete Barbara Birkmann (auch: Bürkmann) (seit 1765 verh. Schultze) (1734–1801), Ehrenmitglied der Deutschen Gesellschaft in Helmstedt (Aufnahmejahr 1753, Monat und Tag unbekannt) – Johanne Charlotte Unzer, geb. Ziegler (1725–1782), Ehrenmitglied der Deutschen Gesellschaft in Helmstedt (Aufnahme vor dem 2.Mai 1753, Monat und Tag unbekannt) und der Deutschen Gesellschaft in Göttingen (Aufnahme am 5. Mai 1753) Unter den Genannten verdient besondere Beachtung Traugott Christiane Dorothee Löber, verh. Lilien (1724–nach 1784).111 Die Lyrikerin, Editorin und Zeitschriftenherausgeberin wurde am 25. Dezember 1741 von der seit ihrer Gründung mit Palatinatsbefugnissen ausgestatteten Universität Göttingen zur poeta laureata kreiert. 1749 gab Löber unter ihrem Namen die von Friedrich Spanheim besorgte Edition der Opuscula (1648) von Anna Maria van Schurman neu heraus.112 Die Opuscula enthalten die berühmte Abhandlung über die Frage »NVM Foeminae Christianae conveniat studium Litterarum?«113 (Ob der christlichen Frau das Studium der Wissenschaften zukommt?) »Man kann«, wie Ulrike Weckel es tut, darüber »spekulieren, ob Dorothea Löber wohl auf diesem Weg der Forderung der Schurman nach besserer Frauenbildung Aufmerksamkeit verschaffen wollte.«114 Ihre Gedanken von der allgemeinen Sprache (1750) widmete Löber der Deutschen Gesellschaft in Helmstedt. Ob Karl Heinrich Frömmichen Gelegenheit zum Gedankenaustausch mit weiblichen Ehrenmitgliedern der Deutschen Gesellschaft hatte, ist nicht bekannt. Mit Sicherheit lernte er ein Mitglied der Deutschen Gesellschaft in Helmstedt persönlich kennen, den 1809 von der Universität Helmstedt mit der Ehrendoktorwürde der Theologie ausgezeichneten Joachim Heinrich Campe, den Verleger und einen der Lieblingsautoren Sophia 111 Adalbert von Hanstein: Die Frauen in der Geschichte des deutschen Geisteslebens des 18. und 19. Jahrhunderts. Buch 1: Die Frauen in der Zeit des Aufschwunges des deutschen Geisteslebens, Leipzig 1899, S. 171. Sophia Eleonora Walther wurde von der Deutschen Gesellschaft in Helmstedt mit dem Auftrag betraut, für dieses Ehrenmitglied anläßlich seiner Aufnahme in die Sozietät ein Begrüßungsgedicht zu verfassen. Traudel Weber-Reich: Sophia Eleonora Achenwall, in: dies. (Hg.), »Des Kennenlernens werth«. Bedeutende Frauen Göttingens, Göttingen 1993, S. 334–337, hier S. 335. 112 Anna Maria van Schurman: […] Opuscula Hebraea, Latina, Graeca, Gallica: prosaica et metrica, recensuit, animadversionibvs instruxit, additaque praefatione denuo emisit Traugott Christ. Dorothea Loeberia p[oeta] l[aureata] c[aesarea] Reginae Societati Teutonicae, quae Göttingae floret, adscripta, Leipzig 1749. Becker-Cantarino (Anm. 49), S. 570, 575, Anm. 24. 113 Anna Maria van Schurman: […] Opuscula Hebraea, Graeca, Latina, Gallica, prosaica et metrica, Leiden 1648, S. 28–56, hier S. 28. Zu den verschiedenen Textausgaben vgl. Elisabeth Gössmann/ Maria Huber: Anna Maria van Schurman (1607–1678). Ihre frauenspezifischen und ihre theologisch-anthropologischen Schriften, in: Elisabeth Gössmann (Hg.), Das wohlgelahrte Frauenzimmer (Archiv für philosophie- und theologiegschichtliche Frauenforschung; 1), 2., überarb. u. erw. Aufl. München 1998, S. 77–142, hier S. 86. 114 Ulrike Weckel: Zwischen Häuslichkeit und Öffentlichkeit. Die ersten deutschen Frauenzeitschriften im späten 18. Jahrhundert und ihr Publikum (Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur; 61), Tübingen 1998, S. 171.
108
2. Frauen im Bildungsdiskurs: Lerninhalte, Lehrautorität, literarische Öffentlichkeit
Frömmichens. Campe hatte von 1765–1768 an der Universität Helmstedt Theologie studiert. Im Juli 1766 konnte er seinem ältesten Bruder Friedrich Heinrich die freudige Nachricht übermitteln: »Man hat mir unvermuthet die Ehre erwiesen, mich zum Mitglied der Herzogl. deutschen Gesellschaft zu machen«.115 Die Wege von Frömmichen und Campe kreuzten sich in Helmstedt. Der von 1761–1769 als Privatdozent in Helmstedt lehrende Frömmichen war von 1766–1770 Sekretär der dortigen Deutschen Gesellschaft.116
4.
Resümee
Die vorgestellten Quellenbefunde erweisen die Wichtigkeit der individuellen Förderung von schriftstellerisch tätigen Frauen.117 Wurde ihnen eine solche zuteil,118 fiel es leichter, mit publikationsreifen Werken den Schritt an die Öffentlichkeit zu wagen.119 Die Liste der Namen von schreibenden Frauen, deren Väter, Brüder, Ehemänner, sonstige Verwandte und Freunde einer Sprachgesellschaft und/oder einer ähnlich ausgerichteten inund ausländischen Sozietät als (Ehren-)Mitglied angehörten,120 dürfte länger sein, als wir derzeit erahnen können. Solange Frauen gegen Argwohn und Feindschaft zu kämpfen 115 Joachim Leyser: Joachim Heinrich Campe. Ein Lebensbild aus dem Zeitalter der Aufklärung, 2 Bde., Braunschweig 1877, Bd. 1, S. 14. 116 Grußendorf (Anm. 110), S. 59. Die Vielzahl der Indizien weisen darauf hin, daß der Schmelztiegel »Deutsche Gesellschaft« Frömmichens Einstellung zur Mädchen- und Frauenbildung prägte – in welche Richtung und wie stark, wäre tiefergehender zu untersuchen. Darüber hinaus sind bei ihm pietistische Einflüsse nicht auszuschließen, da einer seiner Verleger, Carl Hermann Hemmerde, Pietist war. 117 Nimmt man die zeitgenössischen Rahmenbedingungen weiblichen Schreibens und die Vorgeschichte des Berufsschriftstellerinnentums in den Blick, darf die Sozietätsbewegung nicht, wie bei Tebben (Anm. 6, S. 13) geschehen, zum Randphänomen erklärt werden. 118 Keineswegs rede ich einem eingleisigen Prozeß von Geben und Nehmen zwischen männlichen Mitgliedern von Sprachgesellschaften einerseits und weiblichen (Nicht-)Mitgliedern andererseits das Wort. Am Beispiel von Margareta Maria Bouwinghausen wird die Fähigkeit von schöpferischen Frauen, männliche Mitglieder von Sprachgesellschaften zu ermutigen und zu inspirieren, hinlänglich deutlich. 119 Auch eine in verwandtschaftlicher oder freundschaftlicher Beziehung zu einer Gelehrten- oder Verlegerfamilie stehende Frau hatte es in dieser Hinsicht einfacher. 120 In die Accademia dei Ricovrati zu Padua (gegründet 1599 von Federico Cornaro) wurden nicht nur hochbegabte Männer und Frauen des eigenen Landes wie Galileo Galilei berufen, sondern auch Ausnahmetalente aus anderen Ländern wie die gefeierte Madeleine de Scudéry. Die Akademie war Vorbild für die Aufnahme von Frauen in den Pegnesischen Blumenorden (freundlicher Hinweis Andreas Herz). Johann Christoph Wagenseils Akademieaufnahme erfolgte 1678 auf Vorschlag von Charles Patin. Seine von den Zeitgenossen als außerordentlich gebildet gepriesene Tochter Helena Sibylla, verh. Moller (1669–1735), konnte sich ebenfalls beglückwünschen, Mitglied der berühmten italienischen Akademie zu sein (Aufnahmedatum unbekannt). Dasselbe gilt für Sigmund von Birken, Christian Franz Paullini und den Regensburger Bürgermeister und Schriftsteller Johann Ludwig Prasch, nicht aber für Praschs Ehefrau Susanna Elisabeth, deren Réflexions sur les romans 1684 publiziert wurden. Julius Pirson: Die Beziehungen des Pariser Arztes Charles Patin zu Nürnberger Freunden und Gönnern 1633–1693, in: Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg 49, 1959, S. 274–338, hier S. 290–293. Die Mitglieder der paduanischen Akademie diskutierten 1723
2.1 Postulate von Mitgliedern der Fruchtbringenden Gesellschaft
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hatten, wenn ihre Texte in den Druck gelangten, war Ermutigung und Lob eines bekannten Fürsprechers oder Förderers für sie nicht nur ein Seelenlabsal, sondern oft genug auch ein Schutz gegen böse Zungen. Viele dieser Männer konnten mit der Frau, der sie Hilfe und Rückhalt boten, rangmäßig nicht mithalten, was sie vielleicht umso mehr zur Unterstützung anspornte. So schrieb der 1655 in den Adelsstand erhobene Sigmund von Birken in seiner Eigenschaft als Mitglied der Fruchtbringenden Gesellschaft (»Der Erwachsene«) in seinem »Ehren-Zuruff« zur ersten deutschen Übersetzung von Pierre Charrons De la sagesse (3 Tle., 1601):121 Daß wir lernen Klüger werden, wandert heimlich jetzt auf Erden Pallas [Phraseonym für Margareta Maria Bouwinghausen, SK] selbst, der Weißheit Quell. Charron öffnte zwar den Brunnen: Uns kommt er von Jhr gerunnen Silber-klar, Kristallen-hell. [...] Ehrt mir diese Erd-Göttinne, der Kunst-Göttinnen Fürstinne, die ihr Musen-Söhne seyd. Krönt mit Ruhm die Himmelinne: stikt von [vom, SK] Gold der Sternen-Zinne, Jhr ein schönes Ehren-Kleid. Küsset die gelehrte Hände mit der Bitte, daß sie sende noch mehr Bäche in die Welt, Bäche, die mit Weißheit fliessen. [...] Der Hoch-Wohlgebornen Fräulin, als hochfürtreffliche Ubersezerin, opfert dieses mit tieffschönster Gnad-Empfehlung, Der Erwachsene.122
Bouwinghausen hatte, wie sie bekennt, ein umstrittenes Werk vorgelegt. Charron wurde wegen seiner freiheitlichen Gesinnung vornehmlich von Gelehrten hart angegriffen. unter Leitung des bekannten Anatomen Antonio Vallisneri die Frage, ob Frauen die Erlaubnis erhalten sollten, die Wissenschaften und schönen Künste zu studieren. Die Stellungnahmen kamen 1729 in gedruckter Form heraus (freundlicher Hinweis Beate Ceranski). G. Battista Marchesi: Le polemiche sul sesso femminile ne’secoli XVI e XVII, in: Giornale storico della letteratura italiana 25, 1895, S. 362–369, hier S. 368. 121 Sabine Koloch/Martin Mulsow: Die erste deutsche Übersetzung von Pierre Charrons De la sagesse: Ein unbekanntes Werk der intellektuellen Außenseiterin Margareta Maria Bouwinghausen von Wallmerode (1629–nach 1679), in: Wolfenbütteler Barock-Nachrichten 33, 2006, 2, S. 119–150. 122 Der Erwachsene [i. e. Sigmund von Birken]: Ehren-Zuruff, Mit Erklärung deß Kupfer-Titels, in: Pierre Charron, Das Liecht der Weißheit, zu Erforschung deß Ursprungs und wahrer Eigenschafften aller Dinge den Weg zeigend. Angezündet durch den Herrn von Charron, in französischer Sprache. Und nun übersezt, durch eine teutschliebende Feder, [2 Tle.], Ulm 1668, [Tl. 1], Bl. (a4b)–(a6), hier Bl. (a5b), (a6a). Die Übersetzung ist weder bei Woods/Fürstenwald (Anm. 57, S. 20) noch bei Linda Ogden-Wolgemuth: Visions of Women in the Life and Works of Sigmund von Birken, Ann Arbor/ MI 1998 verzeichnet.
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2. Frauen im Bildungsdiskurs: Lerninhalte, Lehrautorität, literarische Öffentlichkeit
2.2 Das kirchliche Lehr- und Ämterverbot für Frauen Die auf die Kernproblematik dieses Abschnitts zielende Frage, ob Frauen befähigt, berechtigt und verpflichtet sind, öffentlich zu lehren oder nicht, ist Teil der Debatte um Beschaffenheit, Wert und Vorrang der Geschlechter, welche seit 1904 unter dem Fachbegriff ›Querelle des Femmes‹ abgehandelt wird. Der erst in den letzten Jahren eingeführte Terminus ›Querelle des Sexes‹ beansprucht, den vorgenannten Begriff zu ergänzen.123 Ich selbst substituiere ›Querelle des Femmes‹ und ›Querelle des Sexes‹ durch das eine deutsche Wort ›Geschlechterstreit‹. Primär Machtanalyse betreibend, wird von einem Bild des Geschlechterstreits abgerückt, das seelisches Leid von Frauen verharmlost.
1.
Das Lehrverbot für Frauen und seine Folgen
Weibliche Schreibtalente wurden in der Frühen Neuzeit ausgesprochen selten einzeln oder in ihrer Gesamtheit in Wort und Schrift aufgefordert, (weiterhin) Bücher zu schreiben oder zu übersetzen. Entsprechende Appelle formulierten Sigmund von Birken, Christiana Mariana von Ziegler und Johann Friedrich May, wie die Ausführungen in Abschnitt 2.1 bezeugen. Geht man ins 16. Jahrhundert zurück, stößt man auch hier auf Stimmen, die Frauen zum Bücherschreiben ermutigten. Über den Autor des Frawen Biechlins (1523) wissen wir nur, daß er sich zu einer Zeit, als die Reformation eine Massenbewegung geworden war, zu den Lehren Luthers bekannte und seinen Frauenspiegel vom Augsburger Verleger Heinrich Steiner124 in »offenen
123 Gisela Bock/Margarete Zimmermann: Die Querelle des Femmes in Europa. Eine begriffs- und forschungsgeschichtliche Einführung, in: dies. (Hg.), Die europäische Querelle des Femmes. Geschlechterdebatten seit dem 15. Jahrhundert (Querelles. Jahrbuch für Frauenforschung 1997; 2), Stuttgart u. a. 1997, S. 1–38, hier S. 16: »›Querelle des Femmes/des Sexes‹ knüpft an die Terminologie der Quellen an, ist aber, als umfassender Begriff und eine Art Terminus technicus, eine Schöpfung des 20. Jahrhunderts und bezeichnet als solcher ein weitaus komplexeres Phänomen: einen umfassenden Geschlechterstreit, in dem es nicht nur um Frauen geht, sondern auch – und das wurde bisher noch zu wenig beachtet – um Männer. Es handelt sich um einen Streit in Wort und Bild, aber auch um Wort und Bild […]. Gestritten wird um die Besetzung eines ›imaginaire‹, eines ›Vorstellungsraums‹ von Männlich und Weiblich, von Geschlechterhierarchien, und um Positionen in den entsprechenden Domänen der jeweils aktuellen Diskussion. […] Die Debatten manifestieren, daß und wie in den hier in Rede stehenden Jahrhunderten die Geschlechter und ihre Beziehungen umstritten und Gegenstand von immer wieder erneuerten Verhandlungen waren.« Stellvertretend für die umfangreiche Forschungsliteratur zum Geschlechterstreit siehe: Gisela Engel u. a. (Hg.): Geschlechterstreit am Beginn der europäischen Moderne. Die Querelle des Femmes (Kulturwissenschaftliche Gender Studies; 7), Königstein/Ts. 2004. Friederike Hassauer (Hg.): Heißer Streit und kalte Ordnung. Epochen der Querelle des femmes zwischen Mittelalter und Gegenwart, Göttingen 2008. 124 Bereits ein Jahr später erschien bei Steiner die erste deutsche Übersetzung von Erasmus von Rotterdams Coniugium (1523): Wie ain Weib iren man ir freundtlich soll machen, Augsburg 1524. Vgl. Sabrina Ebbersmeyer: Lateinische Werke über Frauen in deutschen Übersetzungen der Renaissance, in: Eckhard Keßler u. a. (Hg.), Germania latina – Latinitas teutonica. Politik, Wissenschaft, huma-
2.2 Das kirchliche Lehr- und Ämterverbot für Frauen
111
Truck« bringen ließ: Frawen Biechlin zu° ru°m vnd breyse allen tugentsamen auch erberen weybern ist dises Tractetlin auß vor schrifft des hayligen wortt gotes zusamen gebracht vnd verfasset. Ain weybliches bilde hat vnns den säligmacher geboren vnn durch jne leben wir alle. Actn. 17 [Acta Apostolorum, SK]. Da entgegen auch zu straff etlicher halßstärriger vnn boßhafftiger weyber etwz auß der hayligen geschrifft gezogen. Eccl. 25. Von ainem weyb ist der anfanng der sünd, vnnd durch sie sterben wir alle. Genn. 3.125 Optimistisch, wie er war, glaubte der Autor, es würde sich eine Frau finden, die nach dem Vorbild seines Frauenspiegels die Männer zu einem ehrbaren, frommen Lebenswandel anführt: »man wird etwan auch noch ain bider weybe befinden, die vns mannen zudienst auch etwas, wie wir vns halten sollen, schreyben werde.« Doch dürfe dieses Weib nicht zu frech sein, sonst folge auf dem Fuß die Mahnung: »Ainem weyb gebürt nittt [sic] zuleren, sonder sie solle in der Kirchen, das ist gemayne, stille schweygen.«126 Die Äußerung zielt auf Frauen, die, würden sie den Rahmen sprengen und Männer über Gebühr tadeln, sich darauf einzustellen hätten, mit dem Verweis auf das kirchliche Lehrverbot (1 Tim 2,12) und Schweigegebot (1 Kor 14,34) zur Ordnung gerufen zu werden. Der Aufruf an im Geiste Luthers lebende Frauen, einen Männerspiegel zu verfassen, verhallte ergebnislos. Kirchgläubige hatten die theologische Lehrmeinung verinnerlicht, Frauen dürften bloß in Familie und Haus Lehrfunktionen ausüben. Vor allem fürstlichen Frauen wurde es zur Pflicht gemacht, religiöse Vorschriften zu befolgen und einen standesgemäßen Lebenswandel zu führen, was sie davon abhielt, mit Publikationen auf die Mitchristen einzuwirken, andererseits eröffnete ihnen ihre überaus privilegierte Stellung die Möglichkeit, sich über die von den Kirchen127 vertretene Doktrin, Frauen sollten nicht öffentlich lehren, ohne Furcht vor negativen Sanktionen hinwegzusetzen. Eine Sonderstellung erfuhren im Stand der Ehelosigkeit und der Verwitwung lebende Frauen, da man es hier je nach Wertskala für eine Tugend, eine religiöse Pflicht, ein gottgefälliges Werk, ein nistische Kultur vom späten Mittelalter bis in unsere Zeit (Humanistische Bibliothek. Reihe I: Abhandlungen; 54), 2 Bde., München 2003, Bd. 1, S. 387–410, hier S. 401. 125 Eine vergleichbare Zielstellung verfolgte die anonyme Verfasserin der folgenden Spiegelschrift: Frawen Pflicht: zu lernen Gott vnd ihre Männer zu gehorsamen, vnd nach Gottes Willen zu leben, ein christliche Ermahnung an sie gelanget, wie auch ein Versicherung vnnd Offenbahrung des Worts vnd Willen des allmächtigen Gotts, vnd seines Sohns JEsu Christi. Durch eine tugendreiche Fraw, Liebhaberin Christi, an all ehrliebende Frawen vnd Jungfrawen die ererben wollen die Seligkeit, Amsterdam 1636. Der Druck wurde fälschlich Anna Ovena Hoyer zugeschrieben. Nach Dünnhaupt (Anm. 27, Tl. 3, S. 2172) stammt die Frawen Pflicht von einer Hamburgerin, die ihrem eigenen Bekunden nach ihrer Publikation den Namen Hoyers voranstellte, »daß durch ihren Nahmen […] diß Büchlein besser bekand möchte seyn«. 126 Anonym: Frawen Biechlin zu rum vnd breyse allen tugentsamen auch erberen weybern ist dises Tractetlin auß vor schrifft des hayligen wortt gotes zusamen gebracht vnd verfasset […], [Augsburg] [1523], Bl. B2b, B3a. Erika Kartschoke (Hg.): Repertorium deutschsprachiger Ehelehren der Frühen Neuzeit. Erarbeitet von Walter Behrendt u. a. Bd. 1/1: Handschriften und Drucke der Staatsbibliothek zu Berlin/Preußischer Kulturbesitz (Haus 2), Berlin 1996, S. 64 f., Nr. 26. 127 Als Kirchen werden die drei Konfessionen (katholisch, lutherisch, reformiert) angesehen, die durch den Westfälischen Frieden gleichgestellt wurden.
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2. Frauen im Bildungsdiskurs: Lerninhalte, Lehrautorität, literarische Öffentlichkeit
Gebot der Vernunft oder eine ökonomische Notwendigkeit hielt, wenn einzelne, seien sie bedürftig, ohne Nachkommen, kinderlieb, Ordensfrau oder Mitglied einer Kongregation, ihren Geschlechtsgenossinnen Unterricht erteilten – ein Recht, das auch manche kinderlose Ehefrau für sich in Anspruch nahm. Frauen, die als Folge des Umstands, einen Schullehrer geheiratet zu haben, schulischen Unterricht erteilten, waren ebenso wie Wissenschaftlerinnen und Gelehrte, die an Publikationen ihres Vaters, Ehemanns oder Bruders mitarbeiteten, durch die kirchliche Doktrin von der »getreuen Gehülffin« in ihrem Tun gerechtfertigt. Natürlich versuchten auch katholische Autoren ihrer Leserschaft das Lehrverbot für Frauen einzuschärfen, wie ein weiteres Produkt des Verlagshauses Heinrich Steiner, Von vnderweysung ayner christlichen Frauwen, drey Bücher (1544), veranschaulicht. Das von dem bekannten spanischen Humanisten und Philosophen Juan Luis Vives (1492–1540) stammende, von Christoph Bruno ins Deutsche übersetzte Werk trägt im Original den Titel De institutione feminae christianae (1524). Vives, der die christliche Offenbarung »mehr als Quelle eines Sittenkodex denn als Glaubenslehre« betrachtete,128 umreißt in seiner Erziehungs- und Verhaltenslehre für das weibliche Geschlecht im Kapitel über den Unterricht der Mädchen, innerhalb welcher Grenzen Frauen unterrichtlich tätig sein dürfen. Es sei ihnen gestattet, kleine Kinder beiderlei Geschlechts sowie weibliche Erwachsene (»jre Schwesteren inn dem herren«) zu unterrichten, nicht jedoch größere Knaben und erwachsene Männer. In Schulen eingesetzte oder anderswo mit Männern interagierende Frauen zögen unwillkürlich unzüchtige Blicke auf sich. Addiere man zu diesem fehlgeleiteten Verhalten ihre (sexuelle) Verführbarkeit, büßten sie früher oder später ihren guten Ruf ein. Weil von Natur aus schwach und von geringer Erkenntnisfähigkeit, könne ihnen nicht erlaubt werden, öffentlich zu lehren. Zu groß wäre die Gefahr, Schüler kraft ihrer Lehrautorität in die Irre zu führen. [...] darzu soll sie nur für sich allayn lernen, oder zum höchsten für jhre kinder, so sye noch jung seind, oder für jre Schwesteren inn dem herren, dann es füget sich nitt, das ain weyb vber ain schul gesetzet werde, oder vnder den mennern handel oder rede, vnnd das sy jhr zucht vnnd scham, dieweil sye ander leret, aintweders gar oder mehrerthayls, inn solcher offnen versamlung, erstlich minderer, darnach allgemachest gar hinleg, vnnd vonn jhr treybe. [...] Der Apostel Paulus [...], da er die Kirch zu Corinthen, mitt hailigen gebotten vnderweißt, Spricht, Ewere weiber sollen inn der Christlichen versamlung stillschweygen, dann es würdt ihnen nit zugelassen, das sie reden, sondern vnderthenig seyen, wie das gesetz gebeüt. So sie aber etwas begeren zulernen, sollen sye dahaim jhre aignen menner fragen. Es stehet den weybern vbel an, vnder der gemaind zureden. Vnnd Timotheo seinem junger schreibt er also. Ein weib soll lernen inn der stille, mit aller vnderthenigkait, aber leeren, laß ich aim weib nicht zu, auch nit das sie gewalt vber den mann habe, sonnder das sye still schweyge. Dann Adam ist am ersten geschaffen, darnach Eua, vnnd Adam ist nicht verfürt worden, aber das weib, welchs verfürt ward, ist inn der vbertrettung gewesen, derhalben, dieweil das weib ain krafftlose natur ist, vnnd aines schwachen verstands, welche leichtlich mag betrogen werden (solches bezeiget vnnser erste mütter Eua, welche der Teüffel, mit aim liederlichen gegenwurff gefangenn hatt) so soll sie nit leerenn, Auff 128 Fernando Domínguez: Vives, Juan Luis, in: Walter Kasper (Hg.), Lexikon für Theologie und Kirche. Begründet von Michael Buchberger, Bd. 10, 3., völlig neu bearb. Aufl. Freiburg/Br. u. a. 2001, Sp. 834–835, hier Sp. 834.
2.2 Das kirchliche Lehr- und Ämterverbot für Frauen
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das sie nit, wo sye jhr etwann ainer sach halb, ain faolscher wohn [Wahn, SK] fürgenommen, den selben durch die ansehnlich achtung der leerenden, jhren zuhörern fürbringe, vnnd sye also inn gleich jrthumb füre, dieweil doch sunst die junger jhren leerern von jhn selbst geren nachfolgen.129
Der erste der zwei Pastoralbriefe an Timotheus,130 aus dem Vives in der angeführten Textstelle zitiert, wirkte sich nachhaltig auf das Selbstverständnis von Frauen und die öffentliche Meinung über Autorinnen aus, denn zum einen regelt 1 Tim 2,12, wer (öffentlich) lehren darf, zum andern verstärkten die zwei nachfolgenden Verse den Glauben an die Inferiorität und Kollektivschuld des weiblichen Geschlechts, da hier Gen 3 in abgewandelter Form erzählt wird: »Ein weib lerne in der stille, mit aller vnterthenigkeit. Einem weibe aber gestatte ich nicht das sie lere, auch nicht das sie des mans herre sey, ßondern stille sey, Denn Adam ist am ersten gemacht, darnach Heua, vnd Adam wart nicht verfuret, das weyb aber wart verfuret, vnd hat die vbertrettung eyngefuret« (1 Tim 2,11-14).131 Bekanntlich ist es die Schlange, die in Gen 3 als Verführerin auftritt, worauf Adam und Eva gemeinsam das Verbot übertreten. Im Gegensatz dazu schiebt 1 Tim 2,13-14 die Schuld am Sündenfall Eva zu. Stellte sich das hierarchische Verhältnis zwischen den Geschlechtern auf dieser Folie wesentlich einleuchtender und gerechter dar, bürgt die in die Waagschale geworfene Ersterschaffung Adams für die Rechtmäßigkeit von 1 Tim 2,12 inklusive des darauf fußenden kirchlichen Lehrverbots für Frauen.132 Wohl erst in nachkonstantinischer Zeit meldeten sich Theologen, Moralpädagogen und Frauenfeinde zu Wort, die in 1 Tim 2,13-14 den pauschalisierenden Erklärungsansatz hineindeuteten, Frauen seien der Ursprung allen Übels. Auf solche Art nahm das paulinische Bibelwort die Qualität einer alptraumartigen psychologischen Waffe an, welche das Selbstwertgefühl und die Lebensfreude von Mädchen und Frauen jahrhundertelang stark beeinträchtigte. Wie sehr sie auch von der Erfindung Gutenbergs fasziniert waren, nur selten nutzten Frauen im Alten Reich den Letterndruck als Multiplikator ihres Wissens, ihrer Erfahrungen, Phantasien und Visionen. Bis ins Zeitalter der Aufklärung hinein galt die Machtausübung durch das gedruckte Wort als besonderes Recht des Mannes, weshalb In-
129 Die im Text zitierten Bibelstellen 1 Kor 14, 1 Tim 2, Gen 1, Gen 2 wurden an den Seitenrand gedruckt. Juan Luis Vives: Von vnderweysung ayner christlichen Frauwen, drey Bücher […], Augsburg 1544, Bl. IXab. Juan Luis Vives: Selected works, hg. von Constantinus Matheeussen. Bd. 6: De institutione feminae christianae. Liber primus. Introduction, Critical Edition, Translation and Notes, hg. von Charles Fantazzi u. a., Leiden u. a. 1996, S. 40, 42. 130 Für diese Episteln muß die Autorschaft des Apostels Paulus nach dem gegenwärtigen Stand der neutestamentarischen Forschung als nahezu ausgeschlossen gelten. Jürgen Roloff: Pastoralbriefe, in: Theologische Realenzyklopädie, Bd. 26, Berlin u. a. 1996, S. 50–68, hier S. 54. 131 D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe. Die Deutsche Bibel, Bd. 7, Weimar 1931, S. 263 f. Biblia sacra vulgatae editionis, Bd. 3, 3. Aufl. Regensburg u. a. 1914, S. 771: »Mulier in silentio discat cum omni subjectione. Docere autem mulieri non permitto, neque dominari in virum: sed esse in silentio. Adam enim primus formatus est: deinde Heva: Et Adam non est seductus: mulier autem seducta in praevaricatione fuit.« 132 Katharina Fietze: Spiegel der Vernunft. Theorien zum Menschsein der Frau in der Anthropologie des 15. Jahrhunderts, Paderborn u. a. 1991, S. 52, 59.
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anspruchnahmen der Autorinnenrolle vielfach als Bedrohung der Gesellschaftsordnung empfunden wurden. In eine Frage eingekleidet hieß das über Autorinnen schwebende Damoklesschwert: Ist es nicht ein und dasselbe, ob eine Frau in der Gemeinde das Wort ergreift oder ob sie zum Gebrauch der Allgemeinheit bestimmte Lehrschriften publiziert und sich damit verdächtig macht, das kirchliche Lehrverbot für Frauen gröblich zu mißachten? Die Publikumsreaktionen auf Autorinnen und ihre Werke waren in der Frühen Neuzeit höchst unterschiedlich. Zum Beispiel wurde der »Stern von Utrecht« (Anna Maria van Schurman) trotz kirchlichen Lehrverbots in ganz Europa als Bildungswunder bestaunt und verehrt. Ob sich überhaupt Widerstand gegen Autorinnen regte, in welcher Form und mit welcher Heftigkeit sich abwehrende Haltungen äußerten, war in starkem Maße von der Geschlechtszugehörigkeit und vom Wertesystem der anvisierten Zielgruppe abhängig. Richtete sich eine Autorin alleinig oder vorwiegend an ihre Geschlechtsgenossinnen, wurde dies lieber gesehen oder eher toleriert, als wenn der umgekehrte Fall zu beurteilen war. Adelsprädikate steigerten zwar die Autorität von Autorinnen, boten aber – noch lebende Frauen aus dem Fürstenadel ausgenommen – keinen absoluten Schutz vor Kritik. Zu den Gegnern von Autorinnen gehörten notorische Frauenfeinde beiderlei Geschlechts, Bibelkundige und theologisch beschlagene Leser, die sich in Glaubensfragen brüskiert fühlten, Akademiker, die um das Renommee der Königsdisziplinen Theologie, Jurisprudenz und Medizin fürchteten, Moralpädagoginnen und -pädagogen, die Jagd nach »falschen Vorbilder« machten. Ihre Waffen waren das Gerücht, die Intrige, die vernichtende Kritik, die soziale Ausgrenzung. Die genannten Beispiele machen erklärlicher, warum die eine Autorin mit ihrem anklagenden Flugblatt oder ihrer kämpferischen Verteidigungsschrift unter Umständen ihres Lebens nicht mehr froh wurde, während die andere mit ihrem konfessionstreuen Gebetbuch oder unpolitischen Gedichtband Bewunderung und Lob erntete.133 1 Tim 2,12 war von den tatsächlichen Erfahrungen und oft auch von den Bedürfnissen und Vorlieben der Frauen weit entfernt. Sie und andere Menschen in ihrer Umgebung kannten, wenn nicht persönlich, so aus der Bibel,134 Erzählungen oder sonstigen Lektüren, öffentlich lehrende Frauen.135 Autorinnen, welche die Bibel als Quelle der Wahrheit 133 Diese zwei Extreme verkörpern paradigmatisch Argula von Grumbach (um 1492–1563) und die deutsche Kaiserin-Witwe Eleonora Gonzaga-Nevers (1628–1686). 134 »Jm Alten Testament finden sich gleichwol Exempla, daß Weiber öffentlich gelehret, Prophetisch vnnd Richter-Ampt geführet«, bemerkt der Rechtsgelehrte und Staatsmann Dietrich Reinkingk. »Es seynd aber«, fügt er relativierende hinzu, »diese Exempla sonderbahr vnd irregular, vnd derowegen nicht zur Nachfolge zuziehen, vnnd sonst bey der Regul zu bleiben.« Dietrich Reinkingk: Weibern und Jungfrawen stehet nicht zu den öffentlichen Gottesdienst in der Kirche, mit Lehren, Predigen vnd Administration der Heiligen Sacramenten zu üben, in: ders., Biblische Policey, das ist: gewisse, auß Heiliger Göttlicher Schrifft zusammen gebrachte, auff die drey Haupt-Stände: Als geistlichen, weltlichen, vnd häußlichen, gerichtete Axiomata, oder Schlußreden […], Frankfurt/M. 1656, S. 83– 85, hier S. 84. 135 »Jn dem vorigen Jahrhunderte sind […] sonderlich die Quäcker auf diese Meynung sehr erpicht gewesen [daß Äbtissinnen Priestern die Hände auflegen oder sie ordinieren, SK], als bey welchen
2.2 Das kirchliche Lehr- und Ämterverbot für Frauen
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betrachteten, gerieten aufgrund der Kluft zwischen kodifizierter Norm und Lebenswirklichkeit entweder in Gewissenskonflikt oder unter Rechtfertigungsdruck. Nicht so außerkirchliche religiöse Gruppierungen und Verfechterinnen aufklärerischer Ideen, für die das Lehrverbot häufig keine bindende Kraft mehr besaß.
2.
Wie sich Benigna von Solms-Laubach, Johanna Eleonora Petersen, Hortensia von Salis und Rosina Dorothea Schilling zum kirchlichen Lehrverbot für Frauen verhielten136
Über die mit Philipp Jakob Spener befreundete Gräfin Benigna von Solms-Laubach, geb. von Promnitz-Sorau (1648–1702),137 weiß Pfarrer Johann Philipp Marquard aus der Residenzstadt Laubach zu berichten, die Bibel habe einen hohen Stellenwert in ihrem Leben eingenommen.138 Die Gräfin sei »denen verschiedenen heut zu Tage umgehenden Meinungen nicht so schlechter Dings beygefallen«, so der pietistische Geistliche in seiner Leichenpredigt auf die Verstorbene, sondern habe »alles nach der Heiligen Schrifft zu prüfen sich angelegen seyn lassen«.139 Ihren sieben Kindern, von denen zwei früh verstarben, habe sie eine vorbildliche Erziehung zukommen lassen, »so gar auch durch verschiedene, an dieselbe schrifftlich ausgefertigte Anweisungen und Erinnerungen nach Göttlichem
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nichts gemeiners ist, als dieses, daß Weiber gantze Gemeinden öffentlich zu lehren sich unterstehen. Solchen haben es endlich, wie Jedermann bekannt ist, viel andre nachgethan.« Anonym: Weib, Weibs-Bild, Weibs-Person. Ob die Weiber öffentlich lehren dürffen?, in: [ Johann Heinrich Zedler (Hg.),] Grosses vollständiges Universal-Lexicon aller Wissenschafften und Künste […], Bd. 54, Halle u. a. 1747, Sp. 38–39, hier Sp. 39. Die vier Beispiele ergänzen die Ausführungen von Gerda Lerner, zumal diese sich dem 17. und 18. Jahrhundert bevorzugt auf der Grundlage englischsprachiger Quellentexte nähert: Eintausend Jahre feministische Bibelkritik, in: dies., Die Entstehung des feministischen Bewußtseins. Vom Mittelalter bis zur Frauenbewegung, Frankfurt/M. u. a. 1993 (Orig. The Creation of Feminist Consciousness, 1993), S. 170–201. Vgl. auch Klara Butting: Bibel. Hermeneutik, in: Elisabeth Gössmann u. a. (Hg.), Wörterbuch der Feministischen Theologie, 2., vollst. überarb. u. grundl. erw. Aufl. Gütersloh 2002, S. 64–66. Die Forschung setzt den Beginn des Pietismus gemeinhin mit dem Erscheinen der Pia desideria oder hertzliches Verlangen nach gottgefälliger Besserung der wahren evangelischen Kirchen (1675) an. In seinen »Frommen Wünschen« unterbreitete Spener seine Vorschläge für eine Kirchenreform. Zur geistigen Freundschaft zwischen ihm und der solms-laubachischen Gräfin vgl. Rüdiger Mack: Forschungsbericht: Pietismus in Hessen, in: Pietismus und Neuzeit 13, 1987, S. 181–226, hier S. 203. In der Frühen Neuzeit glaubten viele, die Bibel sei, »allen Menschen, in allen Ständen, nicht allein in Glaubenssachen, die einige bewehrte Grundveste […], sondern auch einem jeden weß Stands oder Wesens er seye, die beste Norm vnd Richtschnur […], seinen Beruff vnnd alle Actiones weißlich, glücklich, ordentlich, nach GOttes Willen, mit gutem von Gottes gesegnetem Succeß vnd Nachtruck zuführen«. Reinkingk (Anm. 134), Bl. ¶4a. Vgl. auch Anm. 194. Johann Philipp Marquard: Todt und Leben: Das ist, Solms-Laubachisches Denckmahl […], Frankfurt/M. 1703, S. 51. Der Leichenpredigt wurden ein Kondolenzschreiben von Philipp Jakob Spener (S. 60 f.) sowie ein Epicedium von August Hermann Francke (S. 61 f.) hinzugegeben.
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2. Frauen im Bildungsdiskurs: Lerninhalte, Lehrautorität, literarische Öffentlichkeit
Worte«.140 Wohl nur der Form wegen sich dagegen verwahrend, waren posthum ohne Nennung ihres Namens vier erbauliche Erziehungsschriften der seit 1696 verwitweten Gräfin – ein Wegweiser für den studierenden Sohn, ein Regenten-, ein Soldaten- und ein Frauenspiegel – zum Druck befördert worden.141 Die Ermahnungen erschienen unter dem Titel Jmmer grünendes Klee-Blat mütterlicher Vermahnungen, von einer gräfflichen Person, an einige ihrer in verschiedenem Stand und Beruff sich befindende Kinder gerichtet, darinnen vornehmlich eines Regenten, Soldaten, Ehe-Gattens Pflichten und Obliegenheiten vorgestellet, und noch eine von eben derselben verfassete mütterliche Vermahnung an einen ihrer sich damahls auf der Universität befindenden Söhne vorgesetzt worden (1717).142 Dem ersten Text des Bandes143 stellte der anonyme Herausgeber ein Begleitschreiben der Gräfin an ihren studierenden Sohn Friedrich Ernst voran, welches diesen auffordert, das Manuskript nicht in die Öffentlichkeit gelangen zu lassen.144 Die hierfür geltend gemachten Gründe zeugen von 140 Ebd., S. 50. In pietistischen Kreisen wurden Frauen ermutigt, erbauliche Aufzeichnungen zu sammeln und das Gesammelte den Nachfahren zu vermachen: »Ein Christliches und kluges FrauenZimmer pfleget nicht alleine ihrer lieben Eltern, und anderer hohen Freunde und Anverwanten geschriebene Briefe, Erinnerungen, Nachrichten, ernstlich aufzuheben, sondern auch selbst viel gutes auffzeichnen, und das verwahren.« Anonym: Frauen-Zimmer-Bibliotheckgen […], Güstrow 1705, S. 71 f. 141 Der Band erschien im Verlag Friedrich Knoch und Sohn in Frankfurt am Main, wo auch Christian Franz Paullinis Philosophischer Feyerabend (1700) herausgekommen war. Ein von der Gräfin verfaßtes Erbauungsbuch erschien ebenfalls posthum: [Benigna von Solms-Laubach:] Ein und zwantzig vortreffliche Betrachtungen über die schmerzlichste Leyden unsers theuersten Erlösers und Heylandes JESU Christi: von einer gräflichen Wittib aus geistlich-lebendiger Verständniß und Erfahrung schrifftlich verfasset, und nach jhrem seligen Hintritt andern zur Erbauung durch den Druck mitgetheilet, o. O. 1710. Karl Bohn: Beiträge zu der Geschichte des alten Pietismus im Solms-Laubacher Land, in: Hans von der Au u. a. (Hg.), Ich dien. Festgabe zum 60. Geburtstage von Wilhelm Diehl, Darmstadt 1931, S. 148–178, hier S. 150, Anm. 1 (Erschließung des Verfasserinnennamens aus den auf dem Titelkupferporträt abgebildeten Initialen B. G. Z. S. = Benigna Gräfin Zu Solms). 142 Cornelia Niekus Moore: Die adelige Mutter als Erzieherin: Erbauungsliteratur adeliger Mütter für ihre Kinder, in: August Buck u. a. (Hg.), Europäische Hofkultur im 16. und 17. Jahrhundert (Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung; 8–10), 3 Bde., Hamburg 1981, Bd. 3, S. 505–510, hier S. 508. Jutta Taege-Bizer: Pietistische Herrscherkritik und dynastische Herrschaftssicherung. Die »mütterlichen Vermahnungen« der Gräfin Benigna von Solms-Laubach, in: Heide Wunder (Hg.), Dynastie und Herrschaftssicherung in der Frühen Neuzeit. Geschlechter und Geschlecht (Zeitschrift für Historische Forschung. Beiheft; 28), Berlin 2002, S. 93–112, hier S. 98–104. 143 [Benigna von Solms-Laubach:] Richtigster Weg-Weiser eines jungen Pilgrims durch die Welt in seine Heymat, vorgestellet von einer gräfflichen Mutter ihrem studirenden Sohne, jn einer Betrachtung über den 9. Vers des CXIX. Psalms, in: dies., Jmmer grünendes Klee-Blat mütterlicher Vermahnungen […], Frankfurt/M. 1717, S. 1–32. 144 Die erbaulichen Erziehungsschriften scheinen als »Erbbücher« konzipiert worden zu sein, diesen Schluß legen die Zwischentitelblätter nahe, die laut Herausgeber von der Gräfin selbst ausformuliert worden waren. Jill Bepler zufolge trugen nicht gedruckte erbauliche Schriften, einmal dem Familienarchiv übergeben, wo sie jederzeit von den noch lebenden Familienmitgliedern und zukünftigen Generationen eingesehen werden konnten, halböffentlichen Charakter. Präziser ist es, Adelsarchive als einem Ort zu bestimmen, durch den eine generationsübergreifende Familienöffentlichkeit hergestellt wurde (freundlicher Hinweis Jürgen Gottschalk). Jill Bepler: Die Fürstin als Betsäule –
2.2 Das kirchliche Lehr- und Ämterverbot für Frauen
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dem Bemühen, als ehrbare, bescheidene Dame wahrgenommen zu werden. Das Überschickte, heißt es in dem Brief, bleibet nur vor dich und mich geschrieben, die spöttische Welt muß es nicht sehen, denn sie würde gnug finden zu verlachen, auch ists vor andere nicht, die wegen eigener hohen Gaben meiner einfältigen Aufmunterung nicht nöthig haben, ich auch selbst nicht approbire, wann Weiber schreiben wollen, andere zu lehren, an ihr eigen Hauß und Kinder aber solches zu thun ist nicht allein vergönnt, sondern ein Stück der Schuldigkeit; [...].145
Warum die Gräfin Publikationen von Frauen nicht gut heißen konnte, geht indirekt aus dem Frauenspiegel hervor, den sie ihren Töchtern Magdalena Wilhelmine und Erdmuthe Benigna hinterließ.146 Es sei »wider die Ordnung Gottes«,147 sich gegen den Ehemann nicht untertänig zu bezeigen: »Die Art und Weise der Unterthänigkeit bestehet im Gehorsam, und die Ursach dieser Unterthänigkeit ist, daß der Mann des Weibes Herr ist, sagt Paulus«.148 Sich in Ergebenheit zu üben, falle der Frau leicht, »denn die Liebe kan nicht anders, als gerne thun, was dem Geliebten angenehm ist«.149 Gott habe den Mann mit Autorität ausgestattet und dazu bestimmt, außerhalb des Hauses seine Macht zu gebrauchen und Verantwortung zu tragen.150 Die Frau sei für die »kleinen Hauß-Geschäffte« verantwortlich.151 Die nächste Bemerkung, »daß denen Weibern keine Herrschafft zukömmt, und folglich keine Regiments-Sachen vor sie gehören«,152 weicht insofern auf-
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Anleitung und Praxis der Erbauung am Hof, in: Morgen-Glantz. Zeitschrift der Christian Knorr von Rosenroth-Gesellschaft 12, 2002, S. 249–264, hier S. 253, 256 f. [von Solms-Laubach] (Anm. 143), S. 2 f. In ihrer Zuschrift zum Regentenspiegel vermerkt die Gräfin, sie habe diesen nicht in der Absicht geschrieben, »mich darmit vor der Welt, und ihrem Gespötte, noch auch vor den Frommen, die meiner einfältigen Erinnerung nicht bedürffen, auffzustellen«. [Benigna von Solms-Laubach:] Regenten-Spiegel, oder, das rechte Muster, wornach ein Regent seine Regierung einrichten soll, vorgestellet von einer gräfflichen Mutter ihrem ältesten Sohn, jn einer geistreichen Betrachtung des CI. Psalms, in: dies., Jmmer grünendes Klee-Blat mütterlicher Vermahnungen […], Franckfurt/M. 1717, S. 33–130, hier S. 36 f. [Benigna von Solms-Laubach:] Der vortreffliche und allein lobens-würdige Weiber-Schmuck, oder nach den vornehmsten Lineamenten herrlich entworffene Abbildung einer tugendsam-gottsfürchtigen Frau, darinnen vorgestellet wird, wessen sich eine tugendhaffte Frau vornehmlich befleissigen solle, wann sie denen in der Welt so hochbelobten Schönen den Preiß nehmen, und das wahre Lob davon tragen wolle? Von einer gräfflichen Mutter an ihre Tochter gerichtet, nach den Sprüchwörtern Salomonis XXXI, 30. I Petri III, 1–6., in: dies., Jmmer grünendes Klee-Blat mütterlicher Vermahnungen […], Franckfurt/M. 1717, S. 179–272. Ebd., S. 197. Ebd. Ebd., S. 200. Ebd., S. 214. Ebd., S. 211. Ebd. Schreibt hier eine naiv-devote Moralistin wirklich nur für ihren Stand, den Hochadel, oder bezieht sie aus herrschaftssicherndem Kalkül heraus die unteren Stände als Zielgruppe bewußt mit ein? Fest steht: Bezogen auf die angeführte Textstelle ging die Gräfin mit den führenden Staatsdenkern ihrer Zeit reibungslos konform: »Dann GOTt hat das Weib gemeinem Lauff nach vnnd per Regulam nicht zur Herrscherin, sondern dem Mann zur Gehülffin vnnd Kinderzucht erschaffen, vnnd nicht dem Weibe sondern dem Manne auch in dem Hauswesen die Herrschafft über das Weib
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2. Frauen im Bildungsdiskurs: Lerninhalte, Lehrautorität, literarische Öffentlichkeit
fallend von der Lebensrealität der gräflichen Witwe ab, als diese in Abwesenheit ihres ältesten Sohnes Friedrich Ernst die Regierungsgeschäfte übernahm.153 Der Passus zur Weiberherrschaft wirft die Frage auf, ob die gräflichen Ermahnungen wirklich nur für den engsten Familienkreis bestimmt waren, zumal die für den Druck geeignete Form der Texte für weitergehende Absichten spricht. Folgt man dem Wortlaut des Frauenspiegels, so distanzierte sich die Gräfin mit dem Argument, eine solche Ambition verstoße gegen die göttliche Ordnung, von schreibenden Frauen, die die Reichweite ihrer Belehrungen über den Sozialraum der Familie und des Hauses hinaus auf die Allgemeinheit ausweiteten.154 Zwar registrierte die adlige Schreiberin den Druck, den die »spöttische Welt« auf Autorinnen ausübte, doch wäre sie überfordert gewesen, dergleichen Personen die Stirn zu bieten.155 In der Sache durchsetzungsfähiger war ihre adlige Mitstreiterin im Glauben Johanna Eleonora von und zu Merlau (1644–1724, seit 1680 mit dem Theologen Johann Wilhelm Petersen verheiratet).156 Als die bekannte Pietistin 1696 unter ihrem Ehenamen eine Auslegung der Johannesapokalypse vorlegte,157 wußte sie aufgrund ihrer Erfahrungen
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vnd alle Creaturen beygelegt […]. Zu dem hat GOtt vnnd die Natur auch das männliche Geschlecht ins gemein mit grösserer Weißheit, Verstand, Leibes-Stärcke vnnd Tapfferkeit versehen vnnd dasselbe zum Regiment vor den Weibern qualificiret vnnd bequem gemacht, den Weibern aber die verecundiam vnd pudorem, Zucht und Schamhafftigkeit gebotten.« Reinkingk (Anm. 134), S. 153–161 (»Frawen Regiment ist ins gemein nicht bequem«), hier S. 153 f. Christoph Link: Dietrich Reinkingk, in: Michael Stolleis (Hg.), Staatsdenker im 17. und 18. Jahrhundert. Reichspublizistik, Politik, Naturrecht, 2., erw. Aufl. Frankfurt/M. 1987, S. 78–99. Die Reichsgrafschaft Solms-Laubach wurde nicht gefürstet. Irina Modrow: Frauen im Pietismus. Das Beispiel der Benigna von Solms-Laubach, Hedwig Sophie von Sayn-Wittgenstein-Berleburg und der Erdmuthe Benigna von Reuß-Ebersdorf als Vertreterinnen des frommen hohen Adels im frühen 18. Jahrhundert, in: Michael Weinzierl (Hg.), Individualisierung, Rationalisierung, Säkularisierung. Neue Wege der Religionsgeschichte (Wiener Beiträge zur Geschichte der Neuzeit; 22), Wien u. a. 1997, S. 186–199, hier S. 187 f. Zu den weltlichen Regierungsbefugnissen von Reichsgräfinnen vgl. Johannes Arndt: Möglichkeiten und Grenzen weiblicher Selbstbehauptung gegenüber männlicher Dominanz im Reichsgrafenstand des 17. und 18. Jahrhunderts, in: Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 77, 1990, S. 153–174, hier S. 164–168. Offenbar erschienen ihr die privaten pietistischen Versammlungen, die sie abhielt (Mack [Anm. 137], S. 203), unter dem Gesichtspunkt weiblicher Machtentfaltung unbedenklich und daher nicht des Erwähnens wert. Auf der Seele des gräflichen Kindes lag ein dunkler Schatten, seit es im Alter von sechs Jahren Vollwaise geworden war. Das in Benignas Lebenslauf aus dem Jahr 1697 subjektiv gezeichnete Bild ihrer Wesensart als Heranwachsende ist in dieser Hinsicht sehr aufschlußreich: »Mein Naturell war still, furchtsam, zur Ehrbar- und Sittsamkeit geneigt: insonderheit liebte ich die Sanft- und Demuth; und alle die Personen, an welchen ich davon etwas gewahr ward, die achtete ich in meinem Sinne vor anderen ehrenwerth, und befliß mich ihnen nachzufolgen.« Zitiert nach Rudolph von Solms-Laubach: Geschichte des Grafen- und Fürstenhauses Solms, Frankfurt/M. 1865, S. 343. An den erbaulichen Diskursen im Frankfurter Saalhof, die zu Merlau ab 1676 organisierte, nahm auch Benigna von Solms-Laubach teil. Markus Matthias: Johann Wilhelm und Johanna Eleonora Petersen. Eine Biographie bis zur Amtsenthebung Petersens im Jahre 1692 (Arbeiten zur Geschichte des Pietismus; 30), Göttingen 1993, S. 89–95, hier S. 93. Modrow (Anm. 153), S. 187. Johanna Eleonora Petersen: Anleitung zu gründlicher Verständniß der Heiligen Offenbarung Jesu Christi, welche Er seinem Knecht und Apostel Johanni durch seinen Engel gesandt und gedeutet
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mit früheren Publikationen158 sehr genau, welche Vorwürfe gegen sie erhoben werden könnten. In der Vorrede ihres Buchs geht sie die möglichen Kritikpunkte der Reihe nach durch. Sie lauten: Ettliche werden in Zweiffel ziehen, daß von mir als einer Weibes-Person dergleichen herkommen sollte. [...] Ettliche werden mir die Worte Pauli 1 Corinth. 14, v. 34, und 1 Timoth. 2, v. 12., vorwerffen, daß einem Weibe unter der Gemeine GOttes zu lehren nicht gezieret. [...] Ettliche werden sagen, Es hätte sich ja besser geschickt, daß mein lieber Ehe-Mann dieses Werck unter seinem Namen herausgegeben. [...]159 Ettliche werden mich beurtheilen, als wenn ich mit Versäumung meines weiblichen häußlichen Beruffs mich einer Sache anmassete, die mir nicht gebührete. [...] Und so mich auch endlich Jemand einer Hochmuth und Ehrsucht hierunter beschuldigen wollte, so muß ich zwar auch dieses Urtheil über mich ergehen lassen; [...].160
In ihrer Stellungnahme zum zweiten Kritikpunkt nimmt Petersen zwischen Lehrverbot und Schweigegebot eine Differenzierung vor. Auf den Vorwurf, sie übertrete 1 Tim 2,12, entgegnet sie, diese Worte könnten sie nicht treffen, da sie die weibliche Pflicht zur Untertänigkeit respektiere. Was sie nur eingeschränkt akzeptieren könne, sei 1 Kor 14,34. Wie die weitere Beweisführung zeigt, opponierte Petersen gegen die von der lutherischen Orthodoxie vertretene Interpretation, die Prophetie 161 von Frauen falle unter das Schweigegebot. Gal 3,28, 1 Thess 5,19 und 1 Kor 12,7 verinnerlichend, weist sie darauf hin, die ohne Ansehen der Person ausgeteilten Gnaden und Gaben Gottes dürften bei Frauen nicht unterdrückt werden; als geisterfülltes Wesen sei die Frau ebenso wie der Mann würdig, die Offenbarungen des Geistes zum allgemeinen Besten anzuwenden.162 Nicht ohne Grund stehe in der Bibel geschrieben, Frauen sollten weissagen. Selbst Paulus, der den Frauen das Lehren in der Gemeinde untersagt, habe beiden, Männern und Frauen, die Gabe der Weissagung beigelegt (1 Kor 2,4-5). Sie selbst wisse sich »zwar bil-
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hat, sofern sie in ihrem eigentlichsten letzten prophetischen Sinn und Zweck betrachtet wird, und in ihrer völligen Erfüllung in den allerletzten Zeiten, denen wir nahe kommen sind, grössten Theils noch bevorstehet […], Frankfurt/M. 1696, Bl. a1a–b5b. Ruth Albrecht: Johanna Eleonora Petersen. Theologische Schriftstellerin des frühen Pietismus (Arbeiten zur Geschichte des Pietismus; 46), Göttingen 2005. Diese Kritik hat ihren Ursprung in dem Grundgedanken, zumindest Frauen, die der männlichen Autorität unterstehen, seien dazu verpflichtet, ihre geistige Urheberschaft in einen männlichen Deckmantel einzukleiden. Vgl. auch Anm. 176. Petersen (Anm. 157), Bl. b4b–b5b. Petersen steht hier in der Tradition einer kleinen Gruppe mittelalterlicher Mystikerinnen, die gestützt auf und legitimiert durch ihre Visionen prophetische Gedanken in eine für die zeitgenössische Rezeption erreichbare Schriftform transformierten. Petersen (Anm. 157), Bl. b4b. Bereits Spener hatte in Das geistliche Priesterthum (1677) Argumente zusammengestellt, »die das Recht und die Pflicht der Laien auf selbständige Auslegung der Bibel und auf gegenseitige Erbauung biblisch begründen sollten«. Jutta Taege-Bizer: »Christliche Weibspersonen«. Spener und der Aufbruch der Frauen im frühen Pietismus, in: Wolfgang Bromme u. a., Nicht nur fromme Wünsche. Philipp Jakob Spener neu entdeckt, Frankfurt/M. 2000, S. 111–131, 155–156, hier S. 129.
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lich der geziemenden Unterthänigkeit in der Gemeine GOttes zu bescheiden«, da ihr aber Gott die Gabe der Erkenntnis gnadenhalber mitgeteilt habe, wisse sie auch, daß sie »die Gnade des HErrn nicht empfangen habe, sie unter den Scheffel zu stecken, sondern damit zu wuchern, und dieselbe zu seiner Ehre und zu Nutz des Nechsten anzuwenden«.163 Petersens Stellungnahme endet mit der Beteuerung, sie unterstehe sich nicht, zu lehren, vielmehr unterwerfe sie die erhaltene Gabe »dem Urtheil der Gemeine GOttes zur Prüfung«.164 Dem möglichen Vorwurf, sie verletze das Lehrverbot, begegnet sie, indem sie ihre Bestrebung offenlegt: Sie will die empfangene Gabe der Erkenntnis dem gläubigen Publikum zur Prüfung darreichen, keinesfalls jedoch liegt es in ihrer Intention, Kenntnisse zu vermitteln. Das Vorbringen ihrer Absicht und die wiederholte Beteuerung, sie halte sich an die ihrem Geschlecht vorgegebene Untertänigkeitsnorm, verschleiern das zugrunde liegende Bestreben, selbstbestimmt mit ihren Fähigkeiten umzugehen und das Denken und Handeln von Gläubigen, die offenen Herzens ihre Worte rezipieren, zum Positiven zu verändern.165 Die Art und Weise, wie die einem alten hessischen Adelsgeschlecht entstammende theologische Schriftstellerin sich ins Recht setzt, ist bezeichnend sowohl für ihre eigentliche Absicht wie für ihre familiären Wurzeln und geistige Disziplin. Sie geht die möglichen Vorwürfe Punkt für Punkt durch, schweift an keiner Stelle vom Thema ab, polemisiert und polarisiert nicht, argumentiert auf der Grundlage der Heiligen Schrift, zweckrationaler Überlegungen sowie ihrer theologischen Logik, kurzum: Sie tritt wie ein ausgebildeter Theologe auf und nimmt sich die Freiheit, ihre Kritiker mit ihren eigenen Waffen zu schlagen. Im Jahr zuvor war in Zürich die anonyme Glaubens-Rechenschafft einer hochadenlichen, reformiert-evangelischen Dame, vor einem fürnemen geistlichen Herren, römisch-catholischer Religion, auf vorgehende freundliche Forderung, abgeleget; darinn beyläuffig das neulich außgekommene Büchlein, Meßblum genennt, in 8. Haubtstucken erforschet, und widerleget wird (1695, 2. Aufl. 1695, 3. Aufl. 1696) herausgebracht worden. In den zurückliegenden Monaten hatte ein katholischer Geistlicher die angesehene Adlige Hortensia von Salis (1659–1715, verwitwet seit 1692) 166 nachdrücklich ersucht, zu den acht Punkten der 163 Ebd., Bl. b5a. 164 Ebd. 165 Nach Erscheinen ihres Buches hielt man Petersen vor, so Ruth Albrecht, »dass einer Frau die Kommentierung eines biblischen Buches grundsätzlich nicht zustehe. Zudem galt die Offenbarung als das am schwersten verständliche biblische Buch und damit als für Laien völlig ungeeignet. Ferner habe sie ihr Werk auf Deutsch publiziert und damit einem weiten Leserkreis zugänglich gemacht, bei dem sie nur Verwirrung stifte. Außerdem rief die chiliastische Ausrichtung ihrer theologischen Interpretation auch innerhalb des Pietismus massiven Widerstand hervor.« Ruth Albrecht: Theologinnen. Reformation und Frühe Neuzeit. c) Frühe Neuzeit, in: Elisabeth Gössmann u. a. (Hg.), Wörterbuch der Feministischen Theologie, 2., vollst. überarb. u. grundl. erw. Aufl. Gütersloh 2002, S. 548–551, hier S. 551. 166 [Hortensia von Salis:] Glaubens-Rechenschafft einer hochadenlichen, reformiert-evangelischen Dame, vor einem fürnemen geistlichen Herren, römisch-catholischer Religion, auf vorgehende freundliche Forderung, abgeleget; darinn beyläuffig das neulich außgekommene Büchlein, Meßblum genennt, in 8. Haubtstucken erforschet, und widerleget wird. Jes. XXVII. 1. XL. 8. Die herrliche
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Streitschrift Wohlriechende, hertz- und seel-stärckende Meß-Blum (Zug 1694) des glarnerischen Pfarrers Johann Jakob Gartner Stellung zu nehmen.167 Dieser verfolgte mit seiner Publikation das Ziel, die Anhänger Calvins und Zwinglis zum Glaubenswechsel zu bewegen. Den geschickt in die Wege geleiteten Bekehrungsversuch abwehrend, sandte die Briefschreiberin ihre Replik unter anderem dem reformierten Zürcher Theologen Johann Heinrich Schweizer, der das Manuskript gründlich überarbeitet und mit einem Vorwort versehen zum Druck beförderte.168 Trotz der im Buch vermerkten Herausgebertätigkeit Schweizers hagelte es Vorwürfe. Beispielsweise hieß es, einer Frau stehe es nicht zu, katholische Glaubenswahrheiten, Riten und Standespflichten der Geistlichen zu widerlegen. Von Salis konterte, die briefliche Entgegnung einer vornehmen Person als äußeren Beweggrund anführend, mit einer Schutzschrift in Briefform, die der rasch folgenden zweiten Auflage ihrer Verteidigungsschrift angehängt wurde: Copia Antwort-Schreibens deren hochadenlichen, reformiert-evangelischen Dame, an einen fürnemmen Herren N. N. bey Anlaas deren neulich außgegebnen Glaubens-Rechenschafft abgelassen, darinn zu des Frauenzimmers, und zu eigner Beschirmung erscheint wird, daß dem weiblichen Geschlecht auch wol anstehe, wann dasselbige die Lehr der Wahrheit fleissig ergründet, und davon offentliche abgeforderte Rechenschafft gibet. Der Titel der unselbständigen Publikation bringt zum Ausdruck, welche Haltung die in einer Republik lebende Autorin gegenüber dem Lehrverbot und Schweigegebot einnahm. Der Frau steht es zu, auf der Grundlage der Heiligen Schrift die Wahrheit zu erforschen und die gewonnenen Erkenntnisse öffentlich zu verteidigen, wenn seriöse Gläubige sie dazu herausfordern. Abweichend zu Petersen vertritt von Salis die unprätentiöse Position, es sei kein spezielles Talent vonnöten, um die Wahrheit zu erkennen, auf der anderen Seite spricht sie Frauen die Fähigkeit zu, ihren Glauben standhaft zu verteidigen. Um ihre Bereitschaft zur Untertänigkeit erkennen zu lassen, wird die Möglichkeit zur Glaubensrechtfertigung von Autoritäten abhängig gemacht, die zweifellos männlich sind. Demonstrativ bestätigt von Salis dem Adressaten ihres offenen Briefes, sich an das Lehrverbot zu halten: »Sonst bin ich mit meinem Hoch. Herren eins / und gäntzlich der Meinung / was die Schuldigkeit der Weiberen gegen ihre Männern / und
zierd Ephraims (Venerabile) ist einer abreisenden Blume gleich. Die Blume fallet ab, aber das Wort unsers Gottes bleibet in die Ewigkeit [hg. von Johann Heinrich Schweizer], o. O. 1695. Binnen kurzem drang in die Öffentlichkeit, wer die geistige Urheberin dieser Schrift ist. Selbst das in der »Damenbibliothek« verzeichnete Exemplar der dritten Auflage wurde mit dem Zusatz versehen: »Die Verfasserin ist Fr. Hortensia von Salis, verwittibte Guggelbergin von Moos.« 167 Lili Frey: Hortensia von Salis, Zürich 1920, S. 24. 168 Maya Widmer führt das Engagement Schweizers mithin auf die Herkunft der adligen Verfasserin aus einer der einflußreichsten Familien Graubündens zurück. Die Frage, ob von Salis vielleicht doch ihre Zustimmung zur Drucklegung der Glaubens-Rechenschafft gab, bestätigt sie: »Das im Vorwort explizit erwähnte Nichtwissen der Verfasserin über die Drucklegung soll […] ihre Bescheidenheit und Zurückhaltung hervorheben, Tugenden, die unabdingbar zum Weiblichkeitsideal sowohl des 17. wie des 18. Jahrhunderts gehörten.« Maya Widmer: Einleitung, in: Hortensia von Salis, verw. Gugelberg von Moos, Glaubens-Rechenschafft – Conversations-Gespräche – Gebät. Hg. von Maya Widmer (Schweizer Texte N. F.; 19), Bern u. a. 2003, S. 9–39, hier S. 22, 23 f.
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sonst betrifft / absonderlich der Witfrauen 1. Tim. V:5. Luc. II:37. daß sie nicht lehren sollen in der Gemeind / 1. Cor. XIV:34. 1. Tim. II:11. 12. Und bin bereit und entschlossen / nach der Gnade / die mir Gott darreichen wird / in meinem Leben und Wandel / ohne Wort zu lehren.« 169 Zur gleichen Zeit arbeitete sie an einem Manuskript, das sein Publikum mit lehrreichen Gesprächen sowohl zu unterhalten und zu trösten als auch zu bilden sucht.170 Da für sie Streit und Streitkultur eine Einheit bilden und das weibliche Tabuthema Religion deshalb in den Band eingeschlossen wird, fanden ihre Bibelinterpretationen und theologischen Kenntnisse ein weiteres Mal mit Hilfe des Buchdrucks Verbreitung. Gegen die vorherrschende Denkungsart aufbegehrend, provozierte sie hierdurch die theologische Männerwelt. Steiflichtartig noch ein Wort zu der moralpädagogischen Schriftstellerin Rosina Dorothea Schilling-Ruckteschel (1670–1744, verheiratet von 1703–1722).171 Im Rückblick auf ihre Publikationstätigkeit behauptet die Pietistin, sie habe »keine Lehrschriften [...] verfassen wollen, es sei ihr immer nur um Verteidigungsschriften und Richtigstellungen gegangen.«172 Die vorgeschobenen Behauptungen weisen auf den Anpassungsdruck hin, dem vor allem nonkonformistische Autorinnen ausgesetzt waren. Das stereotype Wiederholen von dem, was allgemein als geziemend anerkannt wurde,173 zeigt die Nähe des Lehrverbots zum gesellschaftlichen Anstand; die enge Beziehung war durch die Untertänigkeitsnorm gegeben, die sich in ihm ausdrückt.174 Die Beachtung von Schicklichkeitsnormen war ein Gebot der Klugheit, wollte man unkonventionelle Publikationen vor (Vor-)Verurteilung und seine eigene Person vor Angriffen und Anfeindungen schützen. Dem Zweck des
169 Ebd., S. 119. 170 Vgl. zu den Geist- und lehr-reichen Conversations Gesprächen (1696) Abschnitt 3.2 sowie Sabine Koloch: Salis, Hortensia von, in: Wilhelm Kühlmann (Hg.), Killy Literaturlexikon. Autoren und Werke des deutschsprachigen Kulturraums. Begründet von Walther Killy, 2. Aufl. Berlin u. a. (im Druck). 171 Sabine Koloch: Schilling, Rosina Dorothea, in: Wilhelm Kühlmann (Hg.), Killy Literaturlexikon. Autoren und Werke des deutschsprachigen Kulturraums. Begründet von Walther Killy, 2. Aufl. Berlin u. a. 2011 (im Druck). 2004 konnte von mir der ungenau überlieferte Titel der Verteidigungsschrift von Schilling bibliographisch verifiziert werden: Rosina Dorothea Schilling: Das Weib auch ein wahrer Mensch gegen die unmenschlichen Lästerer weibl. Geschlechts, einfältigst vorgestellet von einer jungfräulichen Weibs-Person R[osina] D[orothea] S[chilling] aus ihren Zellen, [Hof ] 1697. 172 Friedrich Wilhelm Kantzenbach: Die Schriften der Pfarrfrau Rosina Dorothea Ruckteschel als Quelle für die Geschichte des Pietismus, in: Archiv für Geschichte von Oberfranken 57/58, 1978, S. 283. 173 Rosemarie Nürnberg: »Non decet neque necessarium est, ut mulieres doceant«. Überlegungen zum altkirchlichen Lehrverbot für Frauen, in: Jahrbuch für Antike und Christentum 31, 1988, S. 57–73, hier S. 72. 174 Daher vollführten frühneuzeitliche Autorinnen immer eine Gratwanderung zwischen den Blicken anderer ausgesetztem Selbstbewußtsein und Anpassung an die Frauen vorgegebenen Verhaltensnormen.
2.2 Das kirchliche Lehr- und Ämterverbot für Frauen
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Schutzes und der Beschwichtigung dienten ferner die Hinzuziehung eines Herausgebers oder sonstigen Fürsprechers, die anonyme Publikation,175 das Pseudonym,176 die Verheimlichung, die Tiefstapelei und die Vortäuschung falscher Tatsachen. Die adlige Römerin Marcella, Schülerin des Hieronymus, gab allen zu verstehen, sie habe das, was sie wisse und weitergebe, von anderen gelernt. In den Augen des Hieronymus stellten deren Höflichkeitslügen die ideale Antwort auf die Situation dar, in die sie sich hineinmanövriert hatte: [...] da sie ausgesprochen klug war und um das wußte, was die Philosophen [...] das Schickliche nennen, antwortete sie so [...], daß sie das Ihre nicht als ihres ausgab, sondern entweder als meine Meinung oder die eines anderen, und bei dem, was sie lehrte, sich selber als Schülerin bekannte – sie kannte nämlich das Wort des Apostels: ›Zu lehren gestatte ich der Frau nicht!‹ –, damit dem männlichen Geschlecht, zuweilen waren auch Priester darunter, [...] kein Unrecht zugefügt wurde [...].177
3.
Die Exklusion von kirchlichen und weltlichen Ämtern
Die kirchlichen Akteure leiteten aus 1 Tim 2,12 und 1 Kor 14,34 den Ausschluß der Frauen von Kirchenämtern ab. Die gleichen Bibelstellen wurden auch manipulatorisch benutzt, um Frauen von weltlichen Ämtern fernzuhalten.178 Einer der Beiträger zum Oeconomvs prvdens et legalis (1702) behandelt das Ämterverbot im Rahmen der Frage, »Ob dem weiblichen Geschlechte die Studia anstehen?«. Im Vorfeld positioniert er sich zur Frage des Menschseins der Frau und zur Rangfolge der Geschlechter: Es ist aber erstlich so gewiß, daß das weibliche Geschlecht, weil es von der Menschheit keines Weges auszuschliessen, seine Fähigkeit, Verstand und Gedächtnis habe, daß wir auch diejenigen Spötter, die doch von Weibern herkommen, sie aber für keine Menschen halten wollen, nicht besser als unvernünfftige Thiere, keiner Antwort, sondern nur Auslachens, werth halten. Wir erkennen aber doch gleichwol dabey zum andern, daß der allweiseste Schöpffer in der Natur unter dem männ- und weiblichen Geschlechte, so wol an Kräften des Gemüths und Verstands, als des Leibes selbst einen mercklichen Unterschied gemacht, und insgemein davon zu reden jenes vor diesem zu wichtigern Dingen und Verrichtungen tüchtiger geschaffen habe. Wir wissen auch drittens, daß es Göttlicher Ordnung
175 Susanne Kord geht in ihrer Untersuchung zum Problem der Anonymität nicht auf das kirchliche Lehrverbot für Frauen ein. Susanne Kord: Sich einen Namen machen. Anonymität und weibliche Autorschaft 1700–1900 (Ergebnisse der Frauenforschung; 41), Stuttgart u. a. 1996. 176 Elisabeth Gössmann: Die Selbstverfremdung weiblichen Schreibens im Mittelalter. Bescheidenheitstopik und Erwählungsbewußtsein. Hrotsvith v. Gandersheim, Frau Ava, Hildegard v. Bingen, in: Eijiro Iwasaki (Hg.), Begegnung mit dem »Fremden«: Grenzen – Traditionen – Vergleiche, Tokyo 1990, Bd. 10, hg. von Yoshinori Shichiji, München 1991, S. 193–200, hier S. 194: »Diese Angewiesenheit des weiblichen Schreibens auf männliche Autorität zeigt sich mehrfach auch in einer allegorischen Deutung des Schleiergebotes (1 Kor 7) für die Frauen, das besagt, daß schreibende Frauen einen männlichen Namen als ›Schleier‹, also als Pseudonym, benutzen sollten.« 177 Nürnberg (Anm. 173), S. 71. 178 Heide Wunder: Herrschaft und öffentliches Handeln von Frauen in der Gesellschaft der Frühen Neuzeit, in: Ute Gerhard (Hg.), Frauen in der Geschichte des Rechts. Von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart, München 1997, S. 27–54, hier S. 32–34.
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2. Frauen im Bildungsdiskurs: Lerninhalte, Lehrautorität, literarische Öffentlichkeit
gemäs, daß allein das männliche Geschlecht mit Ausschliessung des weiblichen offentlicher Aemter fähig, wie denn namentlich dem weiblichen Geschlecht das offentliche Lehren und Predigen in Heil. Schrift 1. Cor. 14. 34. und 1. Tim. 2. 12. nachdrücklich verboten.179
In traditionsgeleiteten Kreisen bestand Einmütigkeit darüber, die Erziehung und Bildung der Mädchen mit der christlichen Anthropologie in Einklang zu bringen. Diesem Anspruch verpflichtet und daher von der prinzipiellen Ungleichheit von Mann und Frau ausgehend, warnt der katholische Theologe und Schriftsteller François de Salignac de la Mothe Fénelon (1651–1715) in seinem Traité de l’éducation des filles (1687) davor, in guten wirtschaftlichen Verhältnissen lebende Mädchen hohe Stufen der Bildung erklimmen zu lassen. Zu viel Wissen im Kopf bestärke sie in dem Glauben, zu mehr bestimmt zu sein, als ihre natürlichen Anlagen ihnen aufdiktieren: Es ist an dem, daß man sich fürzusehen hat, gelehrte thörinnen zu machen. Die weiber haben einen schwächern und vorwitzigern geist, als die männer, so ist es auch nicht nöthig, sie zu dingen anzuführen, die ihnen die köpffe einnehmen können; sie haben weder den staat zu regieren, noch krieg zu führen, noch sich zu dienste in heiligen dingen brauchen zu lassen. Auch können sie weitläufftiger wissenschafften, der staats- und kriegs-kunst, der rechts- und GOttes-gelehrsamkeit, oder welt-weisheit entrathen. Es gehören die meisten handwercks-künste nicht für sie. Sie sind nur zu mäßigen übungen geschaffen. Jhr leib und geist ist viel schwächer, als der männer ihrer. Davor aber hat ihnen die natur den fleiß, die zierlichkeit, und die hauß-wirthschafft zugetheilet, um sie in ihren häusern ruhig zu beschäfftigen.180
Anders als Fénelon verneinte Morvan de Bellegarde nicht jeglichen Entwicklungsgedanken. Die Gleichheit der Verstandeskräfte von Mann und Frau sah der Vernunftoptimist als erwiesen an.181 Die Ämterfrage blieb ihm eine hypothetische, solange Frauen nicht zugestanden wurde, die für aufstiegsorientierte Männer obligatorischen Bildungswege in gleicher Weise beschreiten zu können:
179 Franz Philipp Florin [Hg.]: […] Oeconomvs prvdens et legalis. Oder allgemeiner kluger und rechtsverständiger Hauß-Vatter […], [Tl. 1], 3. Aufl. Nürnberg u. a. 1750 (1. Aufl. 1702), S. 55. Die 1701 posthum erschienene vierte Auflage der Oikonomik Georgica curiosa (1682) des Fruchtbringers Wolf Helmhard von Hohberg (1612–1688) wurde um ein Kapitel zur Frage, »Ob einem Weibs-Bild das Studiren wol anstehe?«, erweitert, aus dem der oben zitierte Florin-Beiträger teils wörtlich abschrieb, teils abweichende Positionen dagegenhielt. [Wolfgang Helmhard von Hohberg:] Georgica curiosa aucta. Das ist: Umständlicher Bericht und klarer Unterricht von dem vermehrten und verbesserten adelichen Land- und Feld-Leben […], 3 Tle., 5. Aufl. Nürnberg 1715, Tl. 1, S. 280f. (1. Aufl. [2 Tle.] 1682). 180 John Locke/François de Salignac de la Motte Fénelon: Herrn Johann Locks Unterricht von Erziehung der Kinder, aus dem Englischen; nebst Herrn von Fenelon Ertz-Bischoffs von Cammerich Gedancken von Erziehung der Töchter, aus dem Frantzösischen übersetzt. Mit einigen Anmerckungen und einer Vorrede. Hannover 1729, S. 480. 181 Jean Baptiste Morvan de Bellegarde: Schreiben Des Abts von Bellegarde an eine Hof-Dame, welche von ihm Nachricht verlanget, ob die Weibes-Personen denen Männern am Verstande nachzusetzen, in: ders., Des Herrn Abts von Bellgarde Einige auserlesenste Briefe, so er mit einer Hof-Dame über unterschiedlichen [sic] moralischen und zur galanten Gelehrsamkeit dienlichen Dingen gewechselt. Aus dem Frantzösischen übersetzet, Leipzig 1715, S. 237–304.
2.2 Das kirchliche Lehr- und Ämterverbot für Frauen
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Solte es ihnen nicht sowohl anstehen, eine Armée anzuführen, als auf dem Königlichen Throne zu sitzen? Solten sie nicht so wohl die unterschiedenen Gutdüncken in einem Kriegs- als Staats-Rath anhören können? Sind sie noch glücklich in Erfindungen, als die Mannes Personen ausfündige Mittel auszufinden? Mit einem Worte, es ist nichts so grosses und vortreffliches, dazu die Weibes-Personen nicht sollen fähig seyn; Es ist kein Amt, dem sie nicht könten genug thun, wenn man sie in denen Wissenschafften feste setzen liesse, die da nöthig sind solchem wohl vorzustehen.182
Nicht um seine Leserinnen aufzuwiegeln, würdigte Morvan de Bellegarde en passant die unentwickelt in ihnen verborgenen Fähigkeiten, sondern um sie argumentativ zu ertüchtigen, die Aussagen von Männern, welche herabwürdigend über Frauen denken, zu widerlegen. Vergleichbares intendierte der italienische Historiker und Schriftsteller Vincenzo Nolfi (1594–1665) mit dem letzten Kapitel »Von etlichen berühmten Frauens-Personen« seines Anstandsbuchs, das er mit den Sätzen beschließt: Die würdigsten und schwerste Thaten, so die Mannspersonen in diesem Leben verrichten ist das herrschen und Krieg führen, hernach, daß man in H. Schrifft, denen Gesetzen und weltlichen Wissenschafften versiret seye, und endlich daß man eine edle und verwunderliche Kunst begreiffe. Jn allen diesen besagten Tugenden sind Weibspersonen, so beschlagen gewesen, daß sie die ganze Welt verwunderend gemacht haben. Alles dieses hab ich Euch nicht darum erzehlet, daß ich hoffe, Euch diesen so ruhmwürdigen Frauens-Personen nachahmen zu sehen, denn bey Euch weder die Geschicklichkeit noch die Zeit mehr hierzu zulänglich ist; sondern nur allein, daß ihr sie bewundrend [sic] und derselben löbliche Thaten erzehlende, bey Gelegenheit denjenigen zu widerlegen wissen möget, welcher mit gemeinen Gründen Euer Geschlecht zu unterdrucken und gering zu halten suchen wolte.183
Das Erkennen des großen Zusammenhangs setzt über den Zeitgeist hinausgehende umfassende Intelligenz wie auch Mut voraus. Aus diesem Grund gab es nur wenige Männer, die offen zugaben, was klar und deutlich zutage trat: Die offensichtlichen Bemühungen von Kirche und Gesellschaft, Mädchen und Frauen durch Benachteiligung im Bildungssystem, Vorenthaltung von Wissen und Fehlinformation zu manipulieren, dienten zu nichts anderem als dem Machterhalt herrschbegieriger Männer: Nachdem die Männer einmahl das Regiment und die Oberhand erlanget, und solches Recht, als erstgeschaffene praetendiren, so bemühen sie sich, in dieser Praerogativ auff diese Weise sich zu mainteniren, daß sie das Weibliche Geschlecht mit allem Fleiß in Unwissenheit erhalten: Und um diesen Zweck desto eher zu erhalten, wendet man allen Fleiß an, sie zu bereden, daß sie zu hohen Sachen unfähig seyn, nur damit sie nicht darnach greiffen, und im Ergreiffen die Weite und Tüchtigkeit ihrer Seelen erkennen mögen.184 182 Ebd., S. 254 f. 183 Vincenzo Nolfi [ehemals Galassi]: Von etlichen berühmten Frauens-Personen, in: ders., Unterweisung des Frauenzimmers oder Lehr-Sätze der Höflichkeit für eine adeliche Dam, geschrieben von Vincentio Nolfi von Fano an Frauen Hippolyten Uffreducci seine Gemahlin. Aus dem Italienischen in das Teutsche getreulich übersetzet, Nürnberg 1690, S. 818–842, hier S. 841 f. Mit seiner Ginipedia, ò vero Auuertimenti ciuili per donna nobile (1631) wollte der Autor seine im Kloster erzogene zukünftige Ehefrau Hippolyta Uffreducci auf ein standesgemäßes Leben außerhalb der klösterlichen Mauern vorbereiten. 184 Anonym: Lebendige Abbildung der jnnerlichen Schönheiten des weiblichen Geschlechts, aus dem Englischen ins Teutsche übersetzet, Frankfurt/M. u. a. 1721, S. 191 f. Im Gegensatz dazu entlarvt
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2. Frauen im Bildungsdiskurs: Lerninhalte, Lehrautorität, literarische Öffentlichkeit
Da Frauen in der Geschichte hohe und niedere Ämter bekleideten – die Äbtissinnen der zahlreichen Frauenklöster und stiftischen Kommunitäten sind hierfür ein eindrückliches Beispiel –, wurden die wunderlichsten Erklärungen ins Feld geführt, wann es Gottes Wille sei, Frauen dennoch zu weltlichen und kirchlichen Ämtern zuzulassen: Sind den Weibern die Empter verbotten, wo und wenn Männer vorhanden, die darzu tüchtig, wann es aber daran fehlen solt, bezeugen die Exempla, daß alsdann den Weibern der Zutritt zu den Emptern bevorab den Weltlichen, nit versaget, ja daß alsdann Gott offtermahls mehr sonderlich durch die Weiber, dan durch die Männer selbsten könne ausrichten.185
Die akademische Männerwelt sah in der Regel keine Veranlassung, auf Distanz zum selbstinaugurierten kirchlichen Lehr- und Ämterverbot zu gehen. Nur vereinzelt wurde die Forderung nach mehr wissenschaftlicher oder praktisch-schöngeistiger Bildung für Frauen, die aus bürgerlichen Familien stammen, laut. Damit zusammenhängend die Lehrfähigkeit des weiblichen Geschlechts anzuerkennen, hatte nicht zwangsläufig die Überlegung zur Folge, wie diesem der Zugang zu den Ämtern der Macht ermöglicht werden könnte. Der in den Auserlesenen Anmerckungen über allerhand wichtige Materien und Schriften (5 Tle., 1704–1707) abgedruckte Vorschlag einer Jungfer-Academie (Tl. 4, 1707)186 führt diese Doppelmoral und die sich dahinter verbergende Inkonsequenz beispielhaft vor Augen. Das im Curriculum der skizzierten Bildungseinrichtung verankerte Bibelstudium sollte Ehekandidatinnen und zukünftige Hauslehrerinnen bei der Zielerreichung unterstützen. Nicht gewollt war für auszubildende Frauen das Lernziel, mit studierten Männern auf Augenhöhe zu kommunzieren und/oder mit ihnen beruflich in Konkurrenz zu treten. Vielweniger hat man zugeben wollen, daß das Weibliche Geschlecht ex professo studiren solle. Und zwar was (1) Theologiam anlanget, hat man aus recht Päbstlichen principiis nicht vor gut erkant, daß die Töchter gleich den Söhnen zum studio Theologico gehalten würden. Ursach: Sie wären ein schwaches Werckzeug, und gleich wie die Schlange Evam verführet, würden die Töchter durch viel studiren in der Schrifft auch verführet, und zu Ketzerinnen werden. Wenn wir aber versichert sind, daß nicht die Bibel, sondern der eigene verderbte Wille den Menschen verführet, und seinen Verstand verdunckelt, so können wir die Weiber nicht von Lesen und Studiren in H. Schrifft abweisen, sondern ist vielmehr zu wündschen, daß nach des Propheten Joel Weissagung (Cap. 2. v. 18. 29) Söhne und Töchter weissagen, und Gott über Knechte und Mägde seinen Geist ausgiesse. Wer wolte denn verwehren, daß ein Frauenzimmer nicht ja so wohl als eine Mannsperson die heiligen Sprachen lernen, die Schrifft erforschen und sich darinnen üben möge, ungeachtet sie nicht predigen, noch Priesterinnen Morvan de Bellegarde (Anm. 181, S. 242) den Obskurantismus männlicher Prägung als bequemen Mitnahmeeffekt: »Allein man suchet sie mit Fleiß in ihrer Unwissenheit stecken zu lassen, daß sie desto weniger sich bemühen, und sich desto weniger die geringen Verrichtungen zu ergreifen weigern, wodurch sonst die Mannes-Personen von ihren Bedienungen abgehalten würden.« 185 Anonym: Gründ- und probierliche Beschreibung […] Belangend die Frag, Ob die Weiber Menschen seyn, oder nicht? 1618. 1660 u. ö., in: Elisabeth Gössmann (Hg.), Ob die Weiber Menschen seyn, oder nicht? (Archiv für philosophie- und theologiegeschichtliche Frauenforschung; 4), 2., überarb. u. erw. Aufl. München 1996, S. 101–124, hier S. 107. 186 Elmar Lechner: Ex femina lux. Frauenbildung als aufgeklärte Alternative um 1700, in: Paedagogica historica 27, 1991, S. 423–439, hier S. 425. Lechner äußert die Vermutung, die anonyme Abhandlung stamme von einem Schüler oder Mitarbeiter von Christian Thomasius.
2.2 Das kirchliche Lehr- und Ämterverbot für Frauen
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seyn könten. Es wird ihnen ja nicht schaden, wenn sie nur die Bibel gantz, und nicht Stück- und Spruchweise studiren, sich nicht an Formulas credendi noch Systema binden, mit der Theologia terminiloqua, homiletica und Oratoria Ecclesiastica, wie auch unnötigen Controversien die Zeit verderben, und den Verstand verwirren. Denn weil die Weiber eingezogener als die Männer insgemein leben, und mehr zu Hause bleiben, geben sie gute Haußlehrerinnen ab, ja wer will es ihnen wehren, wenn sie dazu geschickt seyn, mit schönen Geistreichen Schrifften die Christenheit zu erbauen, wie wir dessen zu unserer Zeit ein löbliches Exempel an der Frau Petersen, und vormals an der Olympia Fulvia Morata und an der Antoinette Bourignon, & c. haben. Wenn eine Jungfer Griechisch und Hebreisch gelernet, und eine gute Außlegerin der H. Schrifft ist, wird sie coeteris paribus an einen Theologum oder Prediger weit füglicher zu verheyrathen seyn, als eine andere welche man erst den Anfang Christlicher Unterweisung, oder den Catechismum lehren muß.187
Wie unsicher die Rechtslage im Bereich der Vergabe von akademischen Titeln an Frauen war, demonstriert der Aufsatz Ob das Frauen-Zimmer der Academischen Ehren-Graden auch fähig sey? (1706)188 des Mediziners und Polyhistors Christian Franz Paullini (1643–1712). Paullini war seit 1671 Mitglied des Pegnesischen Blumenordens. Der Erwerb des akademischen Grads einer Doktorin der Theologie war nach dessen Ansicht mit dem kirchlichen Lehrverbot in gleichem Maße vereinbar wie das Veröffentlichen von theologischen Lehrschriften. Als Beispiel nennt er Johanna Eleonora Petersen, der 1705 zusammen mit ihrem Ehemann Aufnahme in den Pegnesischen Blumenorden gewährt worden war. Weder die Civil-Gesetze, noch der Völcker Gewohnheiten, schliessen die Weibs-Personen von sothanen Academischen Ehren-Graden aus, die göttliche Gesetze aber haben hierin nichts beschlossen, wohl aber der Disposition der Menschen anheim gestellt. Ob schon das öffentliche Lehr-Amt in der Kirchen Weibern verboten ist, können sie deßhalben doch wohl Doctorinnen werden, und durch 187 Anonym: Vorschlag einer Jungfer-Academie [1707], in: Elmar Lechner (Hg.), Der Anfang vom Ende der »Herrschafft Der Männer über die Weiber«. Eine politische und eine pädagogische Schrift aus der Zeit um 1700 (Retrospektiven in Sachen Bildung. Reihe 10: Übersehene Quellen; 1), Klagenfurt 1993, S. 23–31, hier S. 24.Von einer »übersehenen Quelle« kann keine Rede sein: Vor Lechner erwähnten den Vorschlag einer Jungfer-Academie bereits Georg Steinhausen: »Das gelehrte Frauenzimmer«. Ein Essai über das Frauenstudium in Deutschland zur Rococo- und Zopfzeit, in: Nord und Süd. Eine deutsche Monatsschrift 75, 1895, S. 46–55, hier S. 52 f., Gertrud Schubart-Fikentscher: Christian Thomasius. Seine Bedeutung als Hochschullehrer am Beginn der Aufklärung (Sitzungsberichte der sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig. Philologisch-historische Klasse; 119, 4), Berlin 1977, S. 35, und Peter Nasse: Die Frauenzimmer-Bibliothek des Hamburger Patrioten von 1724. Zur Bildung in der Frühaufklärung (Stuttgarter Arbeiten zur Germanistik; 10), 2 Teilbde., Stuttgart 1976, Teilbd. 1, S. 12. 188 Christian Franz Paullini: Ob das Frauen-Zimmer der Academischen Ehren-Graden auch fähig sey?, in: ders., Philosophische Lust-Stunden, oder allerhand schöne, anmutige, rare, so nützlich- als erbauliche, politische, physicalische, historische, u. d. geist- und weltliche Curiositäten, männiglich zur beliebigen Ergetzung wohlmeinend mitgetheilt […], Frankfurt/M. u. a. 1706, S. 517–524. Von Paullini abgeschrieben hat der anonyme Verfasser des Zedler-Artikels: Weib, Weibs-Bild, Weibs-Person. Ob die Weiber der Academischen Ehren-Grade fähig seyn?, in: [ Johann Heinrich Zedler (Hg.),] Grosses vollständiges Universal-Lexicon aller Wissenschafften und Künste […], Bd. 54, Halle u. a. 1747, Sp. 39–42. Vgl. zur Vergabe von akademischen Titeln an Frauen auch Bruno Neveu: Doctrix et magistra, in: Colette Nativel (Hg.), Femmes savantes, savoirs des femmes. Du crépuscule de la Renaissance à l’aube des Lumières (Travaux du Grand Siècle; 11), Genf 1999, S. 27–37.
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2. Frauen im Bildungsdiskurs: Lerninhalte, Lehrautorität, literarische Öffentlichkeit
öffentliche Schrifften andere lehren, und also ihren Nahmen verthädigen, wie denn die Edle Joanna Eleonora von Merlau, D. Johann Wilhelm Petersens Hauß-Frau, in ihrer gelarten und sinnreichen Anleitung zu gründlicher Verständniß der Offenbarung JEsu Christi [...] ein schön Specimen gegeben hat.189
Dorothea Christiana Erxleben, geb. Leporin (1715–1762), war nicht nur die erste an einer deutschen Universität promovierte Frau sowie Verfasserin einer Abhandlung über die Vorurteile, die das weibliche Geschlecht vom Studieren abhalten, sondern sie zog als in deutscher Sprache schreibende Autorin auch erstmals in Zweifel, ob sich triftige Gründe anführen lassen, Frauen ohne Ausnahme von Ämtern auszuschließen, die ein akademisches Studium erfordern. Und von diesem Vorurtheil sind die Menschen dermaßen eingenommen, daß sie das studiren des weiblichen Geschlechts zu verwerffen genung berechtiget zu seyn vermeynen, nur weil dasselbe diejenigen Aemter, die sonst denen Gelehrten aufgetragen werden, nicht führen, oder, damit ich nach der Mund-Arth dieser Menschen rede, weil ein Frauenzimmer weder ein Prediger, noch Doctor, noch Advocate werden kan. [...] Doch was wollen wir hierüber streiten, da das weibliche Geschlecht von denen bereits angeführten Aemtern derer Gelehrten keines weges schlechterdings auszuschliessen.190
Je mehr aufgrund der einsetzenden Aufklärung die üblichen kirchenoffiziösen Verdikte angezweifelt und hinterfragt wurden, umso häufiger berief man sich auf das decorum (das Angemessene, das Schickliche) als Ursache und Rechtfertigungsgrund für den Ausschluß der Frauen von öffentlichen Ämtern, was auf einen heftiger werdenden gesellschaftlichen Diskurs hinweist. In seiner Introductio in philosophiam moralem (1712) behandelt Friedrich Gentzke (1678–1757), Professor für Philosophie an der Universität Kiel, die Ämterfrage 189 Ebd., S. 521 f. 190 Dorothea Christiana Leporin: Gründliche Untersuchung der Ursachen, die das weibliche Geschlecht vom Studiren abhalten. Mit einem Nachwort von Gerda Rechenberg, Ndr. der Ausg. Berlin 1742, 3. Aufl. Hildesheim u. a. 1977, S. 131, 132. Leporin konnte auf der denkerischen Pionierarbeit von Poullain de la Barre aufbauen: »Der einfachste und natürlichste Gebrauch, den man in der Öffentlichkeit vom erworbenen Wissensschatz machen kann, besteht darin, ihn andern mitzutheilen; und wenn die Frauen entweder zusammen mit den Männern oder an eigens für sie gegründeten Universitäten studiert hätten, dann könnten sie auch akademische Titel wie den Doktor oder Magister der Philosophie, der Medizin oder der Rechte erwerben. Und ihre Begabung, die sie so hervorragend zum Lernen prädestiniert, würde sie genauso zum erfolgreichen Lehren geeignet machen. […] Der dem Lehrer am nächsten stehende Beruf ist der des Priesters oder Pfarrers in der Kirche. Man kann nur darauf hinweisen, daß nichts als langjährige Gewohnheit die Frauen davon fernhält.« Irmgard Hierdeis: Die Gleichheit der Geschlechter und Die Erziehung der Frauen bei Poullain de la Barre (1647– 1723). Zur Modernität eines Vergessenen (Europäische Hochschulschriften. Reihe III: Geschichte und Hilfswissenschaften; 537), Frankfurt/M. u. a. 1993, S. 140 f. Die Revolutionärin Olympe de Gouges erhob den freien Zugang zu öffentlichen Ämtern zum Menschenrecht: »Alle Bürgerinnen und Bürger, die gleich sind vor den Augen des Gesetzes, müssen gleichermaßen nach ihren Fähigkeiten, ohne andere Unterschiede als die ihrer Tugend und Talente, zu allen Würden, Ämtern und Stellungen im öffentlichen Leben zugelassen werden.« Olympe de Gouges: Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin (7. September 1791), in: Ute Gerhard, Gleichheit ohne Angleichung. Frauen im Recht, München 1990, S. 263–269, hier S. 266.
2.2 Das kirchliche Lehr- und Ämterverbot für Frauen
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unter der Überschrift »De Decoro maris & mulieris« (Vom Anstand des Mannes und der Frau). Aufgabe der Frau sei es, sich bescheiden zu geben, das Nachahmen männertypischer Verhaltensweisen zu unterlassen und nichts zu tun, was Männern erlaubt ist. Gewährsmann für die Rechtmäßigkeit des Ausschlusses der Frauen von öffentlichen Ämtern ist wiederum Paulus: Et per hanc regulam decori etiam mulieres excluduntur a publicis muneribus obeundis; natura enim eas aeque capaces reddit quam viros, sed mollis educatio, quae secundum mores nostos ei adhibetur; efficit, ut non solum ad negotia seria expedienda plerumque sint inneptissimae; sed etiam secundum communem, summum pudoris gradum in iis exigentem opinionem, non minus indecorum sit feminae, jus dicere vel exercitum ducere, quam viro lanam & colum tractare. Quandoquidem & ex hoc fundamento Paulus noluit permittere mulieribus, ut in conventu fidelium verba facerent, etenim 1.Cor. XIV. 35. turpe inquit, est mulieri in Ecclesia loqui.191 (Ebenfalls nach dieser Anstandsregel werden Frauen auch stets von der Wahrnehmung öffentlicher Ämter ausgeschlossen. Denn die Natur hat sie ebenso fähig geschaffen wie die Männer, aber eine verzärtelnde Erziehung, wie wir sie gewöhnlich anwenden, bewirkt, daß sie nicht nur zumeist zu ernsthaften Aufgaben völlig ungeeignet sind, sondern daß es auch nach allgemeiner Ansicht, die von ihnen ein äußerstes Maß an Zurückhaltung verlangt, für eine Frau ebenso wenig statthaft ist, Recht zu sprechen oder ein Heer zu führen, wie für einen Mann, Wolle zu spinnen oder ein Sieb zu handhaben. Schließlich hat auf eben dieser Grundlage einst auch Paulus es Frauen nicht erlaubt, bei der Zusammenkunft der Gläubigen das Wort zu ergreifen, denn er sagt 1. Kor. 14, 35 [recte: 34, SK], es sei unschicklich für eine Frau in der Kirche zu sprechen.)
Gentzke kennzeichnet das so folgenreich postulierte Verbot des Apostels als reine decorum-Forderung und spricht ihm damit eine genuin theologische Legitimität ab.
4.
Das kirchliche Lehr- und Ämterverbot als Instrument autoritärer Herrschaft von Männern über Frauen
Das kirchliche Lehr- und Ämterverbot ist untrennbar mit dem Aufstieg des Frühchristentums zur Staatsreligion im Jahr 380 verbunden. Margarita Pintos erklärt die geschlechtsspezifischen Folgen dieses Weltereignisses: »In dem Maße, in dem sich die christliche Gemeinde zur politisch in das Römische Reich integrierten Kirche entwickelt, kommt eine Kampagne in Gang, die die Frauen von ihren bisherigen Leitungsposten entfernen und sie ihrer kirchlichen Bürgerschaft entkleiden will, mit der Begründung, damit verletzten sie die jeder Frau anstehenden Tugenden wie Schweigen, Keuschheit und Gehorsam, ja es mangle ihnen mithin an Scham.«192 All jene Kräfte, die die Entmachtung von Frauen
191 Friedrich Gentzke: Introductio in philosophiam moralem ubi principia justi, honesti, et decori, observatis eorundem justis limitibus, et additis praecognitis generalioribus, ita proponuntur, ut, praemissa singulis historica tractatione, regulae justi, honesti et decori e fundamentali propositione singulis conveniente deducantur, nexuque perpetuo succincte sistantur […], Kiel 1712, S. 207–208, hier S. 208. 192 Margarita Pintos: Das Recht von Frauen auf volle Bürgerinnenschaft und auf Entscheidungsbefugnis in der Kirche, in: Concilium. Internationale Zeitschrift für Theologie 38, 2002, S. 555–563, hier
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2. Frauen im Bildungsdiskurs: Lerninhalte, Lehrautorität, literarische Öffentlichkeit
innerhalb der Kirche herbeiwünschten und heuchlerisch betrieben, beriefen sich nun auf 1 Tim 2,11-14 und andere Paulus untergeschobene und trotzdem kanonisierte Äußerungen, um die weibliche Verstandestätigkeit als minderwertig abzuqualifizieren – ein klassischer Fall externalisierter Schuldgefühle. Nachdem es opportun erschien, das angestrebte Ziel mit der Herabstufung und Bevormundung der Frau in der Ehe zu verwirklichen, bildete sich das Lehr- und Ämterverbot endgültig zu einem keinerlei Widerspruch duldenden Instrument männlicher Vorherrschaft heraus. Die permanente Wiederholung beider Verbote war Garant für deren Fortbestand. Konkret hieß das, dem gemeinen Kirchenvolk im Katechismusunterricht und mit Hilfe von furchteinflößenden Mahn- und Strafpredigten sowie eines breiten Spektrums religiös fundierter Textsorten das Untersagte unauslöschlich ins Gedächtnis einzubrennen. Der so gesteuerte Prozeß des Sicheingewöhnens in das christliche Welt- und Menschenbild nur konnte Morvan de Bellegarde, der mehr als ein Jahrzehnt unter den Jesuiten zugebracht hatte, vor Augen gestanden haben, als er im Hinblick auf Frauen feststellte: »Jn diese Unterthänigkeit hat sie mehr die Gewohnheit als die Natur gesetzet«.193 Zwar waren Frauen bibelkundig – im Protestantismus legte man sogar besonderen Wert auf regelmäßige Bibellektüre194 –, sie besaßen aber infolge der Ausschließung von höheren Bildungseinrichtungen in den seltensten Fällen die für das historisch-kritische Studium der Originaltexte nötigen fremdsprachlichen und fachwissenschaftlichen Kenntnisse.195 All dieses hinderte sie daran, Kontrolle über die Übersetzungs- und Deutungsarbeit auszuüben, die Theologen leisteten. Als eine der ersten problematisierte die englische Philosophin Mary Astell (1666–1731) diesen unheilvollen Teufelskreis. So schreibt sie in Some Reflections upon Marriage (1730): Die Heilige Schrift ist nicht immer auf der Seite derer, die sie für sich in Anspruch nehmen und sich mit ihr brüsten und denen es wegen ihrer Geschicklichkeit im Umgang mit der Sprache und unter Anwendung scholastischer Winkelzüge gelingt, sie nach eigenem Gutdünken ihres ursprünglichen Sinnes zu berauben [...]. Weil Frauen, denen ohne eigene Schuld die Kenntnis des Originals der
S. 559. Vgl. auch Ute E. Eisen: Amtsträgerinnen im frühen Christentum. Epigraphische und literarische Studien (Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte; 61), Göttingen 1996. 193 Morvan de Bellegarde (Anm. 181), S. 246 f. 194 Vgl. Andreas Hyperius: Ein treuer und christlicher Raht, wie man die Heilige Schrifft täglich lesen und betrachten solle. Allen Ständen der Christen-Menschen sehr nützlich und nohtwendig […], Ulm 1672. Zur Bibellektüre und ihrer Bedeutung im Leben der Menschen der Frühen Neuzeit vgl. auch Petra Bohnsack: Gutenberg und die Bibel. Verbreitung und kulturelle Bedeutung, in: dies. u. a. (Hg.), Lesekultur. Populäre Lesestoffe von Gutenberg bis zum Internet (Schriften der Universitätsbibliothek Marburg; 93), Marburg 1999. S. 7–28, hier S. 22–24. 195 Die mexikanische Nonne Sor Juana Inés de la Cruz (1648–1695) beschwerte sich über Männer, die ungeachtet ihrer oberflächlichen Bildung den Glauben hegten, sie verstünden den rechten Sinn der Bibelworte: »Es werden mehr Kenntnisse verlangt, als die glauben, die mit mageren Lateinkenntnissen oder vier Begriffen aus der Logik die Bibel auslegen wollen und sich an das Lasset die Frauen schweigen in der Gemeinde klammern, ohne zu wissen, wie man den Satz zu verstehen hat.« Sor Juana Inés de la Cruz: Die Antwort an Schwester Philothea. Mit einem Essay von Angelo Morino, Frankfurt/M. 1991, S. 62.
2.2 Das kirchliche Lehr- und Ämterverbot für Frauen
131
Schriften vorenthalten wird, die erforderlichen Sprachkenntnisse und andere Voraussetzungen einer kritischen Deutung der Heiligen Schrift fehlen, wissen sie daher nur das, was Männer in ihre Übersetzungen aufnehmen.196
5.
Resümee
Die entmündigenden und entwicklungshemmenden Aspekte des kirchlichen Lehr- und Ämterverbots trafen Autorinnen, die an den Wortlaut der Bibel glaubten, nicht nur besonders hart, sondern ließen sie fast daran verzweifeln. Händeringend nach Alternativen suchend, hielten sie danach Ausschau, wie das kirchliche Lehrverbot unterlaufen, wahrheitsgemäßer ausgelegt oder seine Reichweite unter Verweis auf im Widerspruch zueinander stehenden Bibelstellen eingeschränkt werden könnte. Die Überwindung des Lehrund Ämterverbots bedeutete letztendlich die Rückkehr zum Urchristentum. Die theologische Forschung hat dieses sensible Thema – ob bewußt oder unbewußt – von Anbeginn an völlig unzureichend behandelt. Die historische Kommunikationsforschung hinwiederum erkannte nicht den Zusammenhang zwischen trickreich erlangtem männlichem Machtzuwachs und dagegen haltendem weiblichem Kommunikationsverhalten.
196 Zitiert nach Lerner (Anm. 136), S. 191 f.
3. Frauen lehren die Normen und Formen des Umgangs: Die Vorgeschichte der Anstandsbuchautorin – eine Befreiungsgeschichte 3.1 Impulse aus dem Protestantismus für die Genese von Anstandsautorinnen In diesem Kapitel wird eine weibliche Gruppe in den Mittelpunkt gerückt, für die es bisher in der Forschung keinen Namen gab: Anstandsautorinnen. Die Anstandsautorin war die Vorläuferin der Anstandsbuchautorin. Die Materialbasis bilden gedruckte Texte von Frauen, nicht jedoch Handschriften. Einem anonymen Publikum Geschriebenes zugänglich zu machen, setzt die Forderung, es beanspruche allgemeine Geltung, voraus. Dieser allgemeine Geltungsanspruch fehlt bei Handschriften für gewöhnlich. Die wenigsten schreibenden Frauen erlangten vor 1750 den Status einer Autorin, da kaum je Texte von ihnen in vervielfältigter Form in Umlauf gebracht wurden. Trotz der außerordentlich großen Zahl von Frauen, die ganz offiziell mit der Vermittlung von Anstandsregeln befaßt waren und daher als Anstandslehrerinnen zu bezeichnen sind, waren Anstandsautorinnen in der Frühen Neuzeit nur in geringer Zahl vorhanden. Der literarische Markt versetzte entsprechend aufgeschlossene Mädchen und Frauen, Jungen und Männer in die Lage, über die Beschränkungen ihrer sozialen Herkunft und über räumliche Grenzen hinaus Wissen zu erwerben. Andererseits nährte er bei angehenden und etablierten Autor(inn)en die unter Umständen trügerische Hoffnung, für die »Früchte« ihrer Arbeit ein interessiertes Publikum zu finden. Anstandsautorinnen waren Teil eines gesellschaftlichen Kräftefeldes, das die Säkularisierung des Wissens förderte und sich des medialen Verbreitungseffekts bediente. Allerdings hatte die Inanspruchnahme der Autorinnenrolle im Alten Reich in aller Regel zur Vorbedingung, sich von kirchlichen Dogmen und zeitgenössischen Stimmen abzugrenzen, die diesem Streben Einhalt zu gebieten suchten. Das Zentralthema der nachfolgenden drei Abschnitte, das Herausbilden der Anstandsautorin in den deutschsprachigen Ländern des 17. und 18. Jahrhunderts, wird einer Faktorenanalyse unterzogen, um die tieferliegenden Zusammenhänge einsichtig zu machen. Welche Rolle der Protestantismus bei der Loslösung vom kirchlichen Lehrverbot für Frauen spielte, ist Gegenstand des ersten Abschnitts. Einige deutsche Autorinnen wurden durch anerkannte französische Vorbilder zum Nachdenken und Schreiben über Themen des Anstands angeregt. Davon handelt der zweite Abschnitt. Der dritte setzt sich mit zwei
134
3. Frauen lehren die Normen des Umgangs: Die Vorgeschichte der Anstandsbuchautorin
geschwisterlosen Kinderautorinnen des 18. Jahrhunderts auseinander: Luise von Buchwald und Philippine von Reden, geb. Freifrau Knigge. Der jeweils dominantere Elternteil hatte die Mädchen stark geprägt und deren Entwicklung zur Autorin forciert. In allen drei Abschnitten stehen nicht die durch die Quellentexte vermittelten Handlungsnormen, sondern die Akteurinnen – ihr soziokulturelles Umfeld, ihre Schreibmotivation, ihre Strategien – im Vordergrund.
1.
›Anstandsautorin‹ und ›Anstand‹ – ein neuer Begriff und eine neue Definition
Will man herausfinden, ob es vor dem 19. Jahrhundert Anstandsautorinnen gegeben hat, hängt die Antwort einesteils von der prospektiven Bewertung der Quellenlage und dem eigenen bibliographischen Können ab, andernteils von definitorischen Grenzziehungen. Als ›Anstandsautorinnen‹ werden Frauen bezeichnet, für die mindestens ein publizierter Text belegt ist, worin die Anstandsthematik als alleiniges oder gleichrangiges Thema unter mehreren behandelt wird.1 Diese weite Bestimmung ist einer engen vorzuziehen, aus der Autorinnen herausfallen, die ihre Gedanken zu Aspekten und Problemen des Anstands in eine Textsorte inkludierten, deren Merkmale mit denen der Textsorte ›Anstandsbuch‹ 2 oder denen jener Textsorten, die im Sammelbegriff ›Anstandsliteratur‹ 3 mitenthalten sind, nicht kongruent sind.4 1
2
3 4
Thomas Schürmann verwendet zur Bezeichnung von Anstandsbuchautorinnen das generische Maskulinum »Anstands-Autoren« (»Frauenanteil an den Anstands-Autoren 1850–1990«). Thomas Schürmann: Tisch- und Grußsitten im Zivilisationsprozeß (Beiträge zur Volkskultur in Nordwestdeutschland; 82), Münster u. a. 1994, S. 19. Die konzeptionelle Unlogik der ansonsten materialreichen und innovativen Dissertation kritisiert Werner Unseld: Rez. o. T., in: Soziologische Revue 19, 1996, S. 243–244. Die von Manfred Beetz eingeführte Benennung »gesellschaftsethischer Autor« ist deshalb problematisch, weil Umgangsformen nicht immer auf moralischen Normen gegründet sind. Manfred Beetz: Frühmoderne Höflichkeit. Komplimentierkunst und Gesellschaftsrituale im altdeutschen Sprachraum (Germanistische Abhandlungen; 67), Stuttgart 1990, S. 72. Den im Titel seiner Habilitationsschrift formulierten Anspruch, frühneuzeitliche Höflichkeit umfassend zu untersuchen, löst der Autor nicht ein, ja kann er nicht einlösen, weil im Untertitel eine genuin historische Fragestellung formuliert wird, für deren Bearbeitung dem Germanisten das Rüstzeug des Historikers fehlt. Diane Bornstein: Courtesy Books, in: Joseph Reese Strayer (Hg.), Dictionary of the Middle Ages, Bd. 4, New York 1983, Sp. 660–667. Luisa Tasca: Anstandsbuch, in: Friedrich Jaeger (Hg.), Enzyklopädie der Neuzeit, Bd. 1, Stuttgart u. a. 2005, Sp. 410–412. In der Forschung wird die Textsorte ›Anstandsbuch‹ nicht einheitlich bezeichnet. Gängige Synonyme sind ›Benimmbuch‹, ›EtiketteBuch‹, ›Knigge‹, ›Manierenbuch‹ und ›Umgangsbuch‹. Beetz (Anm. 1), S. 44–54 (»Genres der Anstandsliteratur«). Dietmar Till: Anstandsliteratur, in: Friedrich Jaeger (Hg.), Enzyklopädie der Neuzeit, Bd. 1, Stuttgart u. a. 2005, Sp. 413–420. Thomas Pittrof: Umgangsliteratur in neuerer Sicht. Zum Aufriß eines Forschungsfeldes, in: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur. 3. Sonderheft: Forschungsreferate, 2. Folge 1993, S. 63–112 (mit einer Bibliographie der Forschungsliteratur bis einschließlich 1990; Aspekte der Frauengeschichte und Probleme der Frauenforschung bleiben unberücksichtigt). Seit Beetz (Anm. 1) erschlossen lediglich Elisabeth Mixa (Anm. 53) und Thomas Schürmann (Anm. 1)
3.1 Impulse aus dem Protestantismus für die Genese von Anstandsautorinnen
135
Was wir heute ›Anstandslehrerinnen‹ oder von nun an ›Anstandsautorinnen‹ nennen, waren in ihrer Zeit »Zuchtmeisterinnen«, »Hofmeisterinnen« oder »Sittenlehrerinnen«. Eine Anstandslehrerin der Frühen Neuzeit war immer Moralistin, kommunikatives Naturtalent und Normenvermittlerin in einer Person. Ihr Wirkungsfeld indizieren zeitgenössische Wörter und Wendungen wie (wohlanständige) Aufführung, Anstand 5/anständig, Artigkeit/artig, Bescheidenheit/bescheiden, (gute, rare, rechte, reine) Conduite, Galanterie/galant, gebühren, Höflichkeit/höflich, (gute) Lebensart, Manieren/manierlich, Modestie/modeste, Schicklichkeit/schicklich, (gute) Sitten, Sittsamkeit/sittsam, Tugend(haftigkeit)/tugendhaft, tugendsam, Wohlgezogenheit/wohlgezogen, Wohlstand, Wohl(an)ständigkeit/wohl(an)ständig, Zucht/züchtig. Die zugrunde gelegte Definition von ›Anstand‹ lautet: 6 Anstand ist der Wille und die Fähigkeit so zu handeln, daß das Verhalten sowohl der moralischen Norm, der es entspringt, als auch gleichzeitig den Normen entspricht, die in einer Gesellschaft vorherrschen. Bei der Höflichkeit als nicht zwingend an moralische Normen gebundener Umgangsnorm und -form treten ästhetische und strategische Aspekte, die sich auch gegen moralische Normen richten können (simulatio-Thematik), stärker in den Mittelpunkt.7 Den Unterschied zwischen ›Anstand‹ und ›Umgang‹ verdeutlicht die Definition von Thomas Pittrof: »Umgang (lat. conversatio) umfaßt die gesellschaftliche Verbindung von Individuen miteinander und damit das gesamte Verhalten und Betragen des Individuums unter wirkungsästhetischen, ethischen und agonalen Aspekten.« 8
2.
Defizite der Forschung
Zwei einschlägige germanistische Publikationen führen beispielhaft vor Augen, warum es für den deutschsprachigen Raum zur Vorgeschichte der Anstandsbuchautorin nur unzureichende Vorarbeiten gibt. Günter Häntzschel erwarb sich Verdienste um die bibliographische Erschließung von bildungsrelevanten Quellenschriften der zweiten Hälfte des 19. und des beginnenden
5
6 7
8
der Frauen- und Genderforschung für die Neuzeit neue deutschsprachige Quellentexte zum Themenkomplex Anstand/Umgang. Ältere Bezeichnungen für ›Anstand‹ sind ›Wohlstand‹ bzw. ›Wohlanständigkeit‹. Weitere Wörter von gleicher oder ähnlicher Bedeutung verzeichnet Bernhard Asmuth: Angemessenheit, in: Gert Ueding (Hg.), Historisches Wörterbuch der Rhetorik, Bd. 1, Tübingen 1992, Sp. 579–604, hier Sp. 582. Hanspeter Marti habe ich für seine Bereitschaft, mit mir an dieser (moralisierenden) Definition von Anstand zu arbeiten, außerordentlich zu danken. Freundlicher Hinweis Hanspeter Marti. Vgl. auch Manfred Beetz: Höflichkeit, in: Gert Ueding (Hg.), Historisches Wörterbuch der Rhetorik, Bd. 3, Tübingen 1993, Sp. 1476–1486, hier Sp. 1476 f.: »Somit bezeichnet Höflichkeit einen gesellschaftsethischen Maßstab für eine Verhaltensdisposition und die Modalität interaktiver Handlungen.« Beetz nimmt in seinem Artikel keine begriffliche Differenzierung zwischen Anstand und Höflichkeit vor. Thomas Pittrof: Umgang, in: Joachim Ritter u. a. (Hg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 11, Darmstadt 2001, Sp. 85–86, hier Sp. 85.
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3. Frauen lehren die Normen des Umgangs: Die Vorgeschichte der Anstandsbuchautorin
20. Jahrhunderts, die sich an weibliche Zielgruppen richten. Wie erfahren von ihm, vor dem letzten Drittel des 18. Jahrhunderts seien noch keine Bücher in den Handel gelangt, die unter die fünf Schriftenkomplexe subsumiert werden können, für die er sich zuständig erklärt: Eine verläßliche und bisher noch kaum beachtete Quelle zur Erforschung von Lebens- und Verhaltensweise, Bildung, Beschäftigung, Tätigkeit, Erfahrungswelt, Wertesystem, geistigem und gesellschaftlichen Horizont der Mädchen und Frauen dieser Schicht [des Bildungsbürgertums, SK] bietet der an sie adressierte Fundus von weiblichen Anstandsbüchern, Lebenshilfen, Lektüreführern, Ratgebern und Bildungsorientierungen. Bücher dieser Art erscheinen seit dem letzten Drittel des 18. Jahrhunderts, sie kommen verstärkt seit etwa 1840 auf den Markt, erreichen ihre größte Ausbreitung in der Gründerzeit und halten sich bis zum Ersten Weltkrieg am Leben.9
Häntzschel vernebelt die eigentliche Quellenlage durch die Verwendung von nicht schlüssig durchdachten Fachtermini und durch spekulative, unzureichend auf Quellen gegründete Aussagen. Indem er den Terminus ›Anstandsbuch‹ mit Sammelbegriffen wie ›Lebenshilfe‹ und ›Ratgeber‹ auf die gleiche logische Ebene hebt, sind fehlerhafte Ausdeutungen unvermeidlich. Textsortenklassifikationen nimmt er nicht vor. Folgerichtig fehlen für die Weiterarbeit fachspezifisch gültige Begriffsklärungen und der Differenzierung und Präzisierung dienende Bezeichnungen für Textsorten wie ›Anstandsbuch‹ – das Dilemma, aus dem der Autor sich nicht befreien kann. Zwei Richtigstellungen sind zwingend erforderlich, da sie Inhalte der vorliegenden Arbeit berühren: 1. Jedes Anstandsbuch ist ein Ratgeber. 2. Ratgeber für Frauen in Buchform waren vor dem letzten Drittel des 18. Jahrhunderts eine handelsübliche Ware, immer vorausgesetzt, man versteht unter Ratgebern gemeinverständliche Anleitungen für die Praxis. Manfred Beetz, der doch im Rahmen seiner wegweisenden Forschungen zur Komplimentierkunst und den Gesellschaftsritualen im Spiegel der deutschsprachigen rhetorischen und philosophischen Literatur der Frühen Neuzeit stupende Quellenkenntnisse unter Beweis stellte, handelt das Thema »Frauenerzieherinnen« in einem Satz ab: »Sieht man von den hochadligen Regentinneninstruktionen und ›Testamenten‹ ab, so durchbrechen die Phalanx der Männer, die Frauen erziehen, nur zwei Autorinnen: Clara Hätzlerin im 15. und Madeleine de Scudéry im 17. Jahrhundert.« 10 Beetz gibt den Forschungs9 Günter Häntzschel (Hg.): Bildung und Kultur bürgerlicher Frauen 1850–1918. Eine Quellendokumentation aus Anstandsbüchern und Lebenshilfen für Mädchen und Frauen als Beitrag zur weiblichen literarischen Sozialisation (Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur; 15), Tübingen 1986, S. 4 f.; vgl. darin die »Bibliographie der Anstandsbücher und Lebenshilfen (mit Standortnachweis)« S. 484–505. Vgl. in Ergänzung dazu die Bibliographien von Horst-Volker Krumrey: Entwicklungsstrukturen von Verhaltensstandarden. Eine soziologische Prozeßanalyse auf der Grundlage deutscher Anstands- und Manierenbücher von 1870 bis 1970, Frankfurt/M. 1984, darin im Anhang: »Nach Auflagenhöhe und Auflagenzahl differenziertes Verzeichnis der zwischen 1870 und 1970 im deutschsprachigen Raum nachweislich erschienenen Anstands- und Etikettebücher« (S. 669–707), und Alain Montandon (Hg.): Bibliographie des traités de savoir-vivre en Europe. Bd. 1: France, Angleterre, Allemagne, Clermont-Ferrand 1995. 10 Beetz (Anm. 1), S. 101. Auffällig: Beetz unterscheidet nicht zwischen religiösem und säkularem Wissen.
3.1 Impulse aus dem Protestantismus für die Genese von Anstandsautorinnen
137
stand unter Vernachlässigung eigener Recherchen unvollständig wieder, was den wissenschaftlichen Wert seiner Aussagen schmälert. Die in Augsburg tätige Berufsschreiberin Clara Hätzlerin (ca. 1430–1476) hat nicht als Verfasserin einer Tischzucht Aufmerksamkeit erregt. Ihre Tätigkeit bestand darin, auf Bestellung Bücher zu kopieren,11 mit anderen Worten, sie war keine Autorin. Die Zweitgenannte, Madeleine de Scudéry, war nicht die einzige französische Autorin des 17. Jahrhunderts, die insbesondere die säkulare Frauenbildung auf einen besseren Stand bringen wollte.12 Die recht oft als Lesestoffe für Frauen dienenden, für die Verbreitung und kulturelle Adaption von Wissen so wichtigen Übersetzungen ins Deutsche fallen wie viele andere »Einflußquellen, Personen und Institutionen, die auch als Vermittler des Höflichkeitswissens zu gelten haben«,13 aus dem Wahrnehmungsraster von Beetz heraus. Seit 1645 machten es sich gleich mehrere Übersetzer und Übersetzerinnen zur Aufgabe, den Schriften von Madeleine de Scudéry wie auch denen ihres Bruders 14 zu noch größerer Wirkung in ihrem eigenen Land zu verhelfen, darunter so bekannte Mitglieder der Fruchtbringen Gesellschaft wie Philipp von Zesen, Johann Wilhelm von Stubenberg, Paris von dem Werder und Ferdinand Adam Pernauer von Perney. Im Hinblick auf Übersetzungen ist eine weitere Aussage des Verfassers auf den Prüfstand zu stellen: »Die Autoren des deutschsprachigen Höflichkeitsdiskurses halten im 17. Jahrhundert, von vereinzelten Ausnahmen wie Harsdörffer abgesehen, die Frau im Bannkreis des Herdes und der Familie fest.«15 Unberücksichtigt bleibt durch Beetz, daß Egon Cohn bereits 1921 auf eine der zwei deutschen Übersetzungen der Conversations sur divers sujets (1680) von Madeleine de Scudéry aufmerksam machte. Cohns Aussagen zu den gesellschaftlichen Veränderungen, die er an dem ungewöhnlichen Werk festmachen
11 Lotte Traeger: Das Frauenschrifttum in Deutschland von 1500 –1650, Diss. Prag [1943], S. 20. Derselbe Irrtum unterlief Johanna Gloria Neuer: The Historical Development of ›Tischzuchtliteratur‹ in Germany, Ann Arbor/MI 1976, S. 112–116. 12 Erinnert sei an Marie de Jars de Gournay, Jacqueline Pascale, Elisabeth Marie Clément, Madeleine de Sablé, Jeanne-Michelle de Pringy, la Présidente de Noinville, Jeanne de Liancourt, Gabrielle Suchon, Anne-Thérèse de Lambert und Madeleine d’Arsant de Puisieux. Vgl. Linda Timmermans: L’accès des femmes à la culture (1598–1715). Un débat d’idées de Saint François de Sales à la Marquise de Lambert (Bibliothèque littéraire de la Renaissance. Série 3; 26), Paris 1993, S. 208–210. Auch im England des 17. Jahrhunderts vergrößerte sich die Zahl der schreibenden Frauen, die als Lehrerinnen und Kritikerinnen ihrer Geschlechtsgenossinnen hervortraten. Vgl. Patricia Crawford: Women’s Published Writings 1600–1700, in: Mary Prior (Hg.), Women in English Society, 1500–1800, London u. a. 1985, S. 211–282. Die vorliegende Veröffentlichung berücksichtigt insbesondere Normenvermittlerinnen. 13 Hanspeter Marti: Rez. o. T., in: Klaus Gerteis (Hg.), Zum Wandel von Zeremoniell und Gesellschaftsritualen in der Zeit der Aufklärung (Aufklärung; 6,2), Hamburg 1992, S. 108–115, hier S. 110. 14 1645 erschien Philipp von Zesens deutsche Neufassung von Madeleine de Scudérys Erstlingsroman Ibrahim ou l’illustre Bassa (2 Tle. in 4 Bdn., Paris 1641): Jbrahim oder des durchleuchtigen Bassa und der beständigen Jsabellen Wunder-Geschichte, 4 Tle. in 2 Bdn., Amsterdam 1645. Die Schriftstellerin veröffentlichte ihre frühen Romane unter dem Namen ihres Bruders Georges de Scudéry. Die Tarnung durch Adelphonym blieb Kennern und Kennerinnen der Literaturszene nicht lange verborgen. 15 Beetz (Anm. 1), S. 101.
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3. Frauen lehren die Normen des Umgangs: Die Vorgeschichte der Anstandsbuchautorin
zu können glaubte, sind freilich zu holzschnittartig, um heute noch volle Zustimmung zu finden. Er beweist aber Spürsinn für unbeachtete Quellen und benennt aufkeimende Entwicklungen: Daß eine Frau zu dieser ganzen Literatur [Komplimentier- und Gesprächsbücher, SK] schließlich selbst einen Beitrag lieferte, ist verständlich, war doch schon in all diesen Schriften mehr oder weniger bestimmt die Frau als der Mittelpunkt aller edlen Geselligkeit, als die Vermittlerin aller weltfrohen Geistigkeit anerkannt worden. Die Klugen Unterredungen des berühmten Fräulein Scudery übersetzte die bey den Blumen-Hirten an der Pegnitz so genannte Erone [d.i. Barbara Helena Kopsch, SK]. So hatte sich die Stellung der Frau auch in Deutschland gründlich geändert. Die Frau tritt aus den engen Bezirken des Heims, der Familie heraus, sie soll an dem geistigen Leben der Nation Anteil nehmen. Sie soll sich auf ihre Stellung als Weltdame vorbereiten. Die Frau gilt nicht mehr bloß als ein Anhängsel des Mannes, sondern als ein selbständiges, gleichgeachtetes Wesen.16
3.
Anstandsautorinnen fallen primär in den Zuständigkeitsbereich von Philosophie- und Literaturgeschichtsschreibung
Es lag nicht in der Absicht von Anstandsautorinnen, durch theoretische und/oder historische Texte ausnahmslos erkenntnisfördernd zu wirken. Sie wollten aus ihrer subjektiven Sicht heraus praktische Hilfestellung bei der Lösung und Bewältigung von Aufgaben und Problemen geben, in die Schicklichkeitsnormen hineinspielten. Das theoretische Interesse an der Anstandsthematik trat bei Frauen so stark in den Hintergrund, weil ihnen verwehrt wurde, an philosophischen oder juristischen Fakultäten Vorlesungen zu hören und in den akademischen Lehrstand aufzusteigen. Zur Theorie- und Geschichtsferne von Anstandsautorinnen trug auch die in der Gesellschaft vorwaltende Meinung bei, Frauen sollten ihre Wißbegier auf praktisch verwertbare Wissensbestände richten. Ein anonymer Rezensent ließ sich durch bewährte Rollenaufteilungen zwischen den Geschlechtern und die üblichen Vorstellungen, wie eine Frau zu sein hat, nicht davon abhalten, den Kreis der Männer, die vom allgemeinen Nutzen der theoretischen und praktischen Philosophie überzeugt waren und daher für die Abfassung von philosophischen Lehrbüchern eintraten, um weibliche Gelehrte zu erweitern. Im Erscheinungsjahr von Johanne Charlotte Unzers Grundriß einer natürlichen Historie und eigentlichen Naturlehre für das Frauenzimmer (1751) unterbreitet derselbe den Vorschlag, dieses populärwissenschaftliche Lehrbuch zur theoretischen Philosophie um einen Band zu ergänzen, der Frauen wiederum durch eine Autorin Kenntnisse in praktischer Philosophie vermittelt. Hätte Unzer oder eine andere Gelehrte den Vorschlag aufgegriffen und das Lehrwerk komplettiert, wäre die Verfasserin des Folgebandes als Theoretikerin des Anstands in die Annalen der Philosophiegeschichtsschreibung eingegangen, denn noch war die Lehre vom Dekorum ein Teilgebiet der praktischen Philosophie.17 16 Egon Cohn: Gesellschaftsideale und Gesellschaftsroman des 17. Jahrhunderts. Studien zur deutschen Bildungsgeschichte (Germanische Studien; 13), Berlin 1921, S. 20 f. 17 Anonym: Rez. o. T. [Unzer: Grundriß einer natürlichen Historie (1751)], in: Neue Zeitungen von gelehrten Sachen auf das Jahr 1751, Tl. 1, Nr. 51, S. 462– 463, hier S. 463. Die Besprechung ist ab-
3.1 Impulse aus dem Protestantismus für die Genese von Anstandsautorinnen
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Da es der Verfasserinn gefallen hat, den theoretischen Theil der Weltweisheit ihrem Geschlechte auf eine so angenehme Art vorzutragen; so wollen wir sie hiermit auch um den praktischen Theil ersuchet haben. Nicht, als wenn wir zweifelten, der meiste Theil des schönen Geschlechts habe einen ziemlich guten Willen; sondern lediglich, damit eine ganze Weltweisheit für das Frauenzimmer, von einem Frauenzimmer vorhanden seyn möge. Von Philosophen hat sich noch keiner unterfangen, dieses Geschlechte zu lehren, was zu tun, oder zu lassen sey, glückselig zu werden: vielleicht ist es einem Frauenzimmer selbst, vielleicht der gelehrten Zieglerinn [Ziegler ist der Mädchenname von Unzer, SK], vorbehalten.
Bis zum Erscheinen von Unzers Grundriß lag bis dahin kein an Frauen adressiertes deutschsprachiges Philosophielehrbuch einer anderen Autorin vor. Die Idee an sich wurde in Deutschland schon früher realisiert. 1720 hatte der Leipziger Verleger Johann Christoph Coerner das erste Lehrwerk dieser Art in deutscher Sprache herausgebracht und vielleicht sogar in Auftrag gegeben, die Einleitung zu der Welt-Weißheit oder Philosophie eines galanten Frauenzimmers.18 Eines der Kapitel des über tausend Seiten starken Oktavbuches ist überschrieben: »Von der Klugheit in Ansehung der gemeinen Anständigkeit oder des so genannten Decori«. Auf den bürgerlichen Namen des Autors spielt das gräzisierende Pseudonym Clisander an. Der Verlag könnte diese modische Verschleierungstechnik den Gleditschs abgesehen haben; auch sonst sind die Übereinstimmungen zwischen Clisanders Einleitung und dem Nutzbaren, galanten und curiösen FrauenzimmerLexicon (1715) von Amaranthes (griech. amarantos [amarantinos] »unverwelklich, unvergänglich«, auch »tausendschön«) frappant.19 In einem waren sich Verlag und Autor sichtlich einig: Der »Wälzer« würde Abnehmerinnen finden. In der Vorrede wird eigens erwähnt, das galante Frauenzimmer sei in heutiger Zeit der Philosophie in hohem Grade zugeneigt, eine Werbeaussage mit beschränkter Gültigkeit: Allein da des weisen Schöpffers hohe Intention durch die dem Menschen mitgetheilte Vernunfft gewesen ist, daß sich iedermann ohn Unterschied um die Wahrheiten bekümmern, und zu der Weißheit in diesem Leben zu gelangen sich bemühen solte, so erhellet auch hieraus, daß es niemanden untersaget und verboten sey, sich nach denen ihm noch unbekannten Sachen um zu sehen, und dasjenige erkennen zu lernen, was so wohl die Wohlfarth seines Landes als auch seiner Seele befördern, und die Erkäntnis der hohen und unermeßlichen Allmacht und Weißheit GOttes vermehren kan. Und dieweil nun in dem heutigen Seculo, ausser dem Mannes-Volcke, auch bey dem galanten
gedruckt in: Über die Gelehrsamkeit eines Frauenzimmers. Texte von und über Frauenzimmer von Johanna Charlotte Unzerin, Johann Gottlob Krüger, Georg Friedrich Meier, Johann Joachim Lange. Textauswahl und -bearbeitung nebst Einleitung von Thurid Langer, Halle 1996, S. 106–107. 18 Das Lehrbuch war bisher in der Forschung unbekannt. Weitere deutschsprachige frauenadressierte Werke philosophischen Inhalts verzeichnen Wolfgang Martens: Die Botschaft der Tugend. Die Aufklärung im Spiegel der deutschen Moralischen Wochenschriften, Stuttgart 1968, S. 523, Anm. 257, und Werner Schneiders: Das philosophische Frauenzimmer. Ein Essay, in: Claude Weber u. a., Tradition & émancipation/Tradition & Emanzipation, Ausst.-Kat. Luxemburg 1991, S. 50–94. 19 Hinzuweisen ist auf den jeweiligen Erstlingsstatus und das in beiden Fällen vorhandene, die Zielgruppe kennzeichnende Titelstichwort »galant«. Auch hinsichtlich des Seitenumfangs und der äußeren Aufmachung ähneln sich der Gleditsch- und der Coerner-Druck (in Abschnitt 1.1 wird die Entstehung des Gleditsch-Lexikons nachgezeichnet).
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Frauenzimmer, eine gantz besondere und eyfrige Begierde zu der Philosophie oder Weltweißheit, iederzeit vermercket worden ist, so daß es gleichsam scheinet, als wolte sich dasselbe des gelehrten Ordens völlig theilhafftig machen, und ihre Kräffte des Verstandes der Welt immerzu zuerkennen geben, auch eben hierdurch noch weit deutlicher zeigen und darlegen, daß sie von denen Mannes-Personen in keinem andern Stücke als dem Geschlechte nach unterschieden wären; Als habe mich dahin bemühet, wie ihnen durch dieses geringe Buch einige Gelegenheit zu ihrem höchstlöblichen Zweck zu gelangen, an die Hand geben möchte. Und um dieser Ursache willen habe mich auch der teutschen Sprache bedienen müssen, immassen das Frauenzimmer nicht gewohnet ist, lateinische Schulmeister in der Jugend zu hören, und die denen Gelehrten sonst eigene Sprache einzusaugen.20
Das Herausnehmen der Bildung für das gesellschaftliche Leben aus den Lehrplänen der meisten philosophischen Fakultäten 21 infolge der Universitätsreformen im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts hatte unvorhersehbare Folgen für die Anstandsbuchproduktion. Gerade in den zwanziger Jahren des 19. Jahrhunderts verließ jene Generation von Akademikern die Bühne des Lebens, die noch philosophische Vorlesungen gehört hatte, die für sie insofern subjektiv prägend waren, als sie bei der Sinn- und Orientierungsfindung und der Wahl der Mittel zur Erreichung von praktischen und politischen Zielen Unterstützung gaben. Das dadurch entstehende Vakuum schlossen nun vermehrt Nichtakademiker. In einigen Fällen waren es Schriftstellerinnen, die im Literaturbetrieb bereits anderweitig Fuß gefaßt hatten, die sich zu irgendeinem Zeitpunkt dazu entschlossen, ein Anstandsbuch zu schreiben, wie zum Beispiel Caroline de la Motte Fouqué (1755–1831).22 Um wenigstens anzudeuten, welche Pionierarbeit die weiter unten aufgelisteten Autorinnen allein oder in Zusammenarbeit mit ihrem Verlag leisteten, seien in Übersicht die wichtigsten Unterschiede zwischen Anstandsautorinnen und ihren männlichen Entsprechungen herausgearbeitet. Aufgrund der prädominierenden Geringschätzung von Autorinnen innerhalb der Germanistik und der mangelnden Bereitschaft zu quellenfundierten Langzeitstudien fehlen bis heute in den meisten Bereichen solche epochenübergreifenden Gegenüberstellungen: – Allein Männer schrieben ganze Bücher zur Anstandsthematik, darunter auch Dissertationen.23 Die Textsorte Anstandsbuch war in der Frühen Neuzeit ein »männliches Genre«. Ein schwunghafter Handel mit Anstandsbüchern von Frauen setzte erst nach 1800 ein. 20 Clisander: Einleitung zu der Welt-Weißheit oder Philosophie eines galanten Frauenzimmers […], Leipzig 1720, Bl. *6b –*7a. 21 Werner Schneiders: Der Verlust der guten Sitte. Auch ein Beitrag zur Geschichtlichkeit der Moral, in: Helmut Holzhey u. a. (Hg.), Die Herausforderung des Rechts durch die Moral/Le droit positif et les exigences de la morale (Studia philosophica; 44), Bern u. a. 1985, S. 61–77. Hans Erich Bödeker: Von der »Magd der Theologie« zur »Leitwissenschaft«. Vorüberlegungen zu einer Geschichte der Philosophie des 18. Jahrhunderts, in: Das Achtzehnte Jahrhundert 14, 1990, S. 19–57. 22 Caroline de la Motte Fouqué: Die Frauen in der großen Welt. Bildungsbuch beim Eintritt in das gesellige Leben, Berlin 1826. Häntzschel (Hg.) (Anm. 9), S. 38 f. 23 Vgl. das Stichwort ›decorum‹ im Sachregister der Bibliographie von Hanspeter Marti/Karin Marti (Mitarb.): Philosophische Dissertationen deutscher Universitäten 1660–1750. Eine Auswahlbibliographie, München u. a. 1982.
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– Keine der nichtfiktionalen Buchveröffentlichungen von Frauen, die das Thema Anstand mehr als nur marginal aufgreifen, erreichte annähernd so hohe Auflagenzahlen wie diejenigen von Männern zur gleichen Thematik.24 Nur bei den Frauentexten lagen die Erscheinungsjahre zeitlich meist weit auseinander. – Gewöhnlich teilten sich Anstandsautorinnen ihrem Publikum in der deutschen Sprache mit. Im Rahmen der gedruckten Textproduktion von Männern erlangte das lateinsprachige Anstandsbuch im 16. Jahrhundert seine größte Bedeutung.25 Im 17. und 18. Jahrhundert wurden gelegentlich polyglotte Verhaltensratgeber angeboten. – Nach 1700 verringerte sich die Zahl der Anstandsautoren adliger Herkunft deutlich (Knigge hatte seinen Adelstitel demonstrativ abgelegt). Ein solch augenfälliger Rückgang läßt sich bei den adligen Anstandsautorinnen nicht beobachten. Im Gegenteil: Auch heute noch behaupten sich adlige Anstandsbuchautorinnen erfolgreich auf dem Buchmarkt.26 Dabei ist zu erinnern: Bis zum Zusammenbruch des Alten Reiches lag der prozentuale Anteil der von Frauen (mit)verfaßten und dem Markt zugeführten Texte weit unter dem von Männern. Nach vorläufigen Schätzungen von Elisabeth Gössmann beteiligten sich Frauen zu 20 % am europäischen Geschlechterstreit.27 Vorausgesetzt, die humanistische Gelehrtenkultur war nicht zu ihrer geistigen Heimat geworden, was selten vorkam, und sofern sie nicht gerade ein Opernlibretto oder ein Sprachlehrbuch projektierten, auch dieser Fall trat selten ein, wählten Frauen die Landessprache als Schrift- und Publikationssprache. Das Französische spielte in den deutschsprachigen Ländern an einigen norddeutschen Höfen und am Wiener Hof, das Italienische vor allem am Wiener Hof und in dessen Umkreis zeitweise eine gewisse Rolle. Eine Frau wie die in Böhmen lebende, Latein als Schriftsprache wählende Lyrikerin Elizabeth Jane Weston (1582–1612) 28 war im Literaturbetrieb eine singuläre Erscheinung. Der allergrößte Teil der publizierten Texte von Frauen war für den Gebrauch von Laien bestimmt. In der Frühen Neuzeit war eine Frau mit dem Status einer Autorin weder für die Aktiven im Literaturbetrieb noch für das Publikum eine Selbstverständlichkeit. Manchmal dauerte es Jahre, wenn nicht Jahrzehnte, bis zu einem bestimmten Thema wieder einmal eine Veröffentlichung von einer Frau auf den Markt kam. Meines Wissens gab es in der Frühen Neuzeit kein Genre, das nicht von
24 Beetz (Anm. 1), S. 106–107 (»Auflagenzahlen populärer deutschsprachiger Komplimentier- und Anstandsbücher im 17./18. Jahrhundert«). 25 Aloys Bömer: Anstand und Etikette nach den Theorien der Humanisten, in: Neue Jahrbücher für Pädagogik 7, 1904, S. 223–242, 249–285, 330–355, 361–390. 26 Montandon (Hg.) (Anm. 9). 27 Elisabeth Gössmann: Für und wider die Frauengelehrsamkeit. Eine europäische Diskussion im 17. Jahrhundert, in: Gisela Brinker-Gabler (Hg.), Deutsche Literatur von Frauen. Bd. 1: Vom Mittelalter bis zum Ende des 18. Jahrhunderts, München 1988, S. 185–197, 525, hier S. 525, Anm. 1. 28 Wolfgang Schibel: »Westonia poetria laureata«: Rolle, Schicksal, Text, in: Beate Czapla u. a. (Hg.), Lateinische Lyrik der Frühen Neuzeit. Poetische Kleinformen und ihre Funktionen zwischen Renaissance und Aufklärung (Frühe Neuzeit; 77), Tübingen 2003, S. 278–303.
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Männern dominiert wurde. Auch die Genres, die man im deutschsprachigen Raum als »weibliche Paradegattungen« 29 bezeichnen kann – das Erbauungsbuch, die Erziehungsschrift, das geistliche Lied, das Haushaltsbuch, die Kasualschrift, das Kochbuch, der Roman – waren Genres, deren Bestand und Geltung in erster Linie durch männliche Autoren garantiert wurden.
4.
Frauen in Zeiten der Massenproduktion von verhaltensmodellierender Gebrauchsliteratur
Die Anstandserziehung der Kleinkinder und heranwachsenden Mädchen wurde in der Frühen Neuzeit zum Zuständigkeitsbereich von Frauen erklärt. Je herausragender die Stellung der Familie in der Ständegesellschaft, umso mehr Sorgfalt verwandten die Eltern oder sonstige Verwandte und, wenn diese herbeigezogen wurden, bezahlte Kräfte – Erzieherinnen, Hofmeisterinnen, vereinzelt auch Tanzlehrer 30 – auf die Erziehung der Kinder. Bis zum sechsten, siebten Lebensjahr wurden Mädchen und Jungen gleich erzogen, danach legte man an die Anstandserziehung der Mädchen strengere Maßstäbe an.31 Im Oeconomvs prvdens et legalis continvatvs (2. Aufl. 1751) heißt es über die Erziehung der fürstlichen Kinder: Es ist schon gesaget worden, daß ein Kind, weiblichen oder männlichen Geschlechts, in denen ersten Jahren auf gleiche Art erzogen werde; doch so bald als sich reden und lauffen findet, muß man dahin trachten, daß ein Frauenzimmer noch mehr zur warhafften Bescheidenheit und Sittsamkeit gehalten werde: theils weil diese Tugend ihrem Geschlechte mehr zu eigen, theils auch, damit man sie vor denen Fehlern bewahre, in welche sie sonst natürlicher Weise am meisten zu fallen pflegen.32
Die das Reich tiefgreifend verändernde politische Neuordnung nach dem Westfälischen Frieden hatte das zum Teil beträchtliche Anschwellen der Verwaltungsapparate und der Hofstaate zur Folge. Bürgerliche und adlige Funktionseliten ergriffen die sich aus dieser Konstellation ergebenden Aufstiegschancen. Die »Reputation«, wie es in der Sprache der Zeit hieß, also das äußere Ansehen, war für diese Eliten ein Ausweis ihrer politischen Ver-
29 Fritz Nies: Gipfelpunkt einer weiblichen Paradegattung: die Sévigné-Briefe, in: Renate Baader u. a. (Hg.), Die französische Autorin vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Wiesbaden 1979, S. 89–95. 30 »Einem Tantzmeister, Sprachmeister, Lautenisten, Mahler u. s. w. verstatten wir, daß er täglich gantze Stunden mit unsern Weibern und Töchtern alleine ist […].« Christian Thomasius: […] Von der Kunst vernünfftig und tugendhafft zu lieben, als dem eintzigen Mittel zu einem glückseeligen, galanten und vergnügten Leben zugelangen; oder Einleitung zur SittenLehre […], 4., verb. u. korr. Aufl., Halle 1706, S. 265 (1. Aufl. 1692). 31 Gernot Heiss: Habitus, Bildung und Familie – Strategien des Adels zur Statussicherung. Kommentar zu den Beiträgen von Katrin Keller, Kerstin Wolff und Josef Matzerath, in: Katrin Keller u. a. (Hg.), Geschichte des sächsischen Adels, Köln u. a. 1997, S. 321–326, hier S. 323 f. 32 Franz Philipp Florin [Hg.]: […] Oeconomvs prvdens et legalis continvatvs. Oder grosser Herren Stands und adelicher Haus-Vatter […], [Tl. 2], 2. Aufl. Nürnberg 1751, S. 326 (1. Aufl. 1719).
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trauenswürdigkeit.33 Da Selbstdarstellung und Nuancenkompetenz 34 für im Wettbewerb miteinander Stehende an Gewicht zunahmen, empfingen junge, an ihrem beruflichen Fortkommen interessierte Männer immer öfter den Rat, sich an vornehme Frauen zu halten, weil diese früh schon sensibilisiert wurden, Verstöße gegen die Konvenienz wahrzunehmen.35 Doch obschon es eine Vielzahl mit habituellem Wissen ausgestattete Frauen gab, wurde der Markt nicht mit Ratgebern von weiblicher Hand überschwemmt.
5.
Stärkung der Urteilskraft bei Frauen
Im Untersuchungszeitraum war moralische Urteilskraft die Bedingung schlechthin, um eine gute Ratgeberin auf dem Gebiet der Verhaltensmodellierung sein zu können. Demgegenüber verschlossen sich die Definitionsmächtigen in den Amtskirchen vor dem Eingeständnis, auch Frauen die Fähigkeit zusprechen zu müssen, sich ein fundiertes moralisches Urteil bilden zu können. Erst als immer mehr Frauen mit den Ideen der Aufklärung in Berührung kamen und mit der literarischen Strömung der Empfindsamkeit ihr Gefühl als moralische Instanz aufgewertet wurde,36 geriet der normative Glaubenssatz von der moralischen Schwäche der Frau zusehends ins gesellschaftliche Abseits. Solange Männer Frauen in ihrem Stellenwert bewußt niederhielten, trugen Autorinnen, die Urteilsvermögen für sich in Anspruch nahmen und anderen diese Fähigkeit zusprachen, zur Emanzipation ihrer Geschlechtsgenossinnen bei.
6.
Die Herausbildung der Anstandsautorin aus dem Geist des Protestantismus – eine These
Obige These zielt thematisch in eine völlig andere Richtung als Max Webers Aufsatz Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus (1904–1905). Dort wird das protestantische Berufsethos mit seiner innerweltlichen Askese als Motor eines neuen Wirtschaftssystems in den Mittelpunkt gerückt, hier interessiert der Protestantismus als gesellschaftliche und geistige Einflußgröße. Es wird ein kausaler Zusammenhang zwischen der Sozialisation von protestantischen Mädchen und Frauen und dem Aufkommen von Anstandsautorinnen behauptet. Diese Kausalität wird mit einer aus den Quellen erschlossenen Feststellung gestützt: Die in protestantischen Regionen vollzogene Abkehr von Traditionen der katholischen Kirche schuf ein geistiges Klima, das die Hinwendung zu neuen Ideen, alternativen Lebensformen und fremden Kulturen begünstigte. 33 Friedrich Zunkel: Ehre, Reputation, in: Otto Brunner u. a. (Hg.), Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Bd. 2, Stuttgart 1975, S. 1–63, hier S. 52 f. 34 Den Begriff ›Nuancenkompetenz‹ übernehme ich von Harald Weinrich: Lügt man im Deutschen, wenn man höflich ist? (Dudenbeiträge; 48), Mannheim u. a. 1986, S. 19. 35 Vgl. die hierzu einschlägigen Quellenbelege in den Abschnitten 5.1 und 5.2. 36 Silvia Bovenschen: Die imaginierte Weiblichkeit. Exemplarische Untersuchungen zu kulturgeschichtlichen und literarischen Präsentationsformen des Weiblichen, Frankfurt/M. 1979, S. 159.
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Einige Indizien: Kurz nach 1600 erschien in Lauingen an der Donau das Erbauungsbuch »Der Seelen Lustgärtlin, zusammen getragen von vielen tröstlichen Sprüchlen und Herzsterckungen, wie die gottsförchtige Matronen und zarte Jungfräwlein und alle Christen-Menschen sicher und gewiß zum ewigen Leben wandeln sollen, getheilt in sieben Stück durch Helenam Zeillnerin, geborne Stecklerin, Bürgerin und Jnwonerin zu Augspurg. Laugingen [sic] 601.« 37 In Lotte Traegers Dissertation Das Frauenschrifttum in Deutschland von 1500–1650 (1943) findet sich zu dem mehr als 700 Seiten umfassenden Werk die Bemerkung: »Die Anweisungen über den Umgang mit Menschen nehmen einen breiten Raum ein.« 38 Ich konnte diesem Hinweis nicht nachgehen, weil mir Zeillners Der Seelen Lustgärtlin nicht im Original zugänglich gemacht werden konnte,39 gleichwohl führt es in der Sache weiter, Traegers inhaltliche Charakterisierung des Lustgartens genauer zu durchleuchten. In ihrer Vorrede verteidigt Zeillner, warum sie ein solches Buchprojekt, mit dem sie sich expressis verbis an ihre »Mitschwestern« wendet, in Angriff nahm. Die Argumentation, die nun folgt, ist typisch für protestantische Autorinnen des 17. Jahrhunderts. Traeger faßt die Argumente, mit der die Augsburgerin ihr gemeindebezogenes Engagement rechtfertigt, folgendermaßen zusammen: »Die Argumente dafür sind immer dieselben: Nach der Bibel und den Worten des Psalms steht es allen frei, sich an Gottes Wort zu erquicken und alle sind gefordert, Christus zu verkündigen.« 40 Demnach leitet Zeillner aus der Bibel die Legitimität für ihr volksverbundenes Engagement als Seelsorgerin, Moralistin und Normenvermittlerin ab. Laienengagement einschließlich der Verkündigung von Gottes Wort durch weibliche Gemeindemitglieder wurde vom Protestantismus einerseits gefördert, andererseits schränkte das kirchliche Lehrverbot für Frauen deren Handlungsspielraum und Machtrahmen sehr weitgehend ein. Es zeugt von Wagemut und Kampfgeist, ohne Rücksicht auf das Lehrverbot,41 welches Frauen untersagte, größere männliche Kinder und erwachsene Männer im öffentlichen Raum zu belehren, der Frage, wie die Ehe-
37 Ich zitiere den Titel nach den Angaben der »Damenbibliothek«. Das in Dillingen gedruckte Erbauungsbuch Der Seelen Lustgärtlin (1575) stammt nicht von Helena Zeillner. Der Text besteht bis auf die letzten Seiten ausschließlich aus Gartenblumen-Allegorien, die laut Vorrede »von einer Klosterfrawen zusamen getragen und beschriben« wurden (freundliche Auskunft Thomas Jahn, Bayerische Staatsbibliothek München, der mir auch das Zitat übermittelte). Zu Helena Zeillner (auch: Zeilner), geb. Steckler, vgl. Jean M. Woods/Maria Fürstenwald: Schriftstellerinnen, Künstlerinnen und gelehrte Frauen des deutschen Barock. Ein Lexikon (Repertorien zur deutschen Literaturgeschichte; 10), Stuttgart 1984, S. 136. 38 Traeger (Anm. 11), S. 35. 39 Das von Traeger benutzte Exemplar der Staatsbibliothek zu Berlin wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört, das Exemplar der Herzogin Anna Amalia Bibliothek Weimar zählt vermutlich zu den Brandverlusten des Jahres 2004. 40 Traeger (Anm. 11), S. 34. 41 Vom kirchlichen Lehr- und Ämterverbot sowie vom Schweigegebot für Frauen ging eine heute kaum mehr vorstellbare angsterregende und demoralisierende Wirkung auf schreibtalentierte Frauen aus (vgl. hierzu Abschnitt 2.2).
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männer beschaffen sein sollen, ein ganzes Kapitel zu widmen.42 Genau das tat Zeillner, wobei sie ihrem Publikum in paränetischer Absicht die Gefahr vor Augen hielt, Ehemänner könnten durch den Teufel 43 zu unmoralischen Handlungen verleitet werden. Durch das so entthronte starke Geschlecht erfährt die Definition von Frauen als das moralisch schwache eine merkliche Relativierung. Zum Inhalt des Lustgartens schreibt Traeger: An den Beginn stellt sie ein paar eigene Lieder »Ein schöne Vorbereitung von guter Wandlung« und ein zweites »wider die Ertzfeind diser Welt«. […] Sie schrieb genau so ungeschminkt wie sie sprach. »Ich wils frey dapfer wagen«, damit trat sie unerschrocken mit ihrem Werk vor die Öffentlichkeit. Darin stellt sie neben den irdischen Lustgarten, in dem alle Arten von Sünde in Gestalt von 5 weltlichen Frauen herrschen, den der Seele, in dem 5 kluge Jungfrauen als Gärtnerinnen walten. Sie alle verkörpern eine Sünde oder Tugend. Am Anfang jedes Kapitels führt ein Holzschnitt das noch deutlicher vor Augen. Die Sitten der Zeit waren derb und das Übermass herrscht auf manchem Gebiet. So ereifert sie sich gegen alle die Untugenden ihrer Mitbürger, wozu sich in den reichen Städten Süddeutschlands reichlich Gelegenheit fand. Die Moralprediger [recte: die Weisheitsliteratur, SK] der Bibel werden häufig zitiert, so Sirach, Tobias und die Sprüche Salomons. Ebenso flicht sie volkstümliche Sprichwörter ein. In ihrer Prosa ist sie schlicht und verständlich, mit klar gegliederten Sätzen. Die Stände hat Gott eingesetzt, so den geistlichen Stand, die frommen Regenten und die christliche Haushaltung. Sehr am Herzen liegt ihr »wie die ehmänner beschaffen sein sollen«. Sie spricht ihnen scharf in das Gewissen, daß sie die schwächere Frau achten und ehren sollen, denn »zween harte stein malen selten klein«. Der Ehteufel zerstört jedes gute Zusammenleben, »wann der Satan in des manns hertzen einen lust zu sauffen, fressen, spielen vnd zu böser geselschafft, auch ein lose neigung zu leichtfertigen weibern erweckt«, so daß er »das scham vdn ehrenhütlein absetzt«. Es folgt aber auch ein Kapitel »von einer frommen Frauen«, die sich im Leben oft genug als böses Weib entpuppt und ein weiteres »Wie sich die junge Gesellen vnd die Junckfrawen verhalten sollen, ehe sie zu der Ehe greiffen«. Ihnen allen wird mit vielfältigen Bibelstellen, die sie zu Erquickung und Trost überall zusammengetragen hat, der richtige Weg gewiesen. Die Anweisungen über den Umgang mit Menschen nehmen einen breiten Raum ein.44
Die von mir so vollständig wie möglich ermittelten Anstandsautorinnen führt die nachstehende Liste auf.45 Alle aufgelisteten Autorinnen und Herausgeberinnen46 lebten im 42 Die Augsburger Autorin kam damit recht nahe an die Forderung des Autors des Frawen Biechlins (Augsburg 1523) heran (vgl. Abschnitt 2.2). Der Lustgarten von Zeillner ist aber weder ein Männernoch ein reiner Frauenspiegel; am Original wäre zu prüfen, ob das Werk als ein an beide Genus-Gruppen adressierter Ständespiegel zu gelten hat. – Seit dem Frühmittelalter wurde Frauen in Ehepredigten das Recht zugestanden, den eigenen Ehemann zu kritisieren, das heißt deren Erziehungsfunktion beschränkte sich auf den familiär-häuslichen Bereich. Vgl. auch Rüdiger Schnell: Geschlechterbeziehungen und Textfunktionen. Probleme und Perspektiven eines Forschungsansatzes, in: ders. (Hg.), Geschlechterbeziehungen und Textfunktionen. Studien zu Eheschriften der Frühen Neuzeit (Frühe Neuzeit; 40), Tübingen 1998, S. 1–58, hier S. 16. 43 Der Teufel war für Zeillner sicherlich nicht nur eine Metapher für das Böse im Menschen, sondern eine reale Macht außerhalb desselben. 44 Traeger (Anm. 11), S. 34 f. 45 Die Liste enthält keine Zeitschriftenbeiträge, keine fiktionalen Buchveröffentlichungen, keine Übersetzungen und keine Folgeauflagen. 46 Die zwei in die Liste aufgenommenen Herausgeberinnen fungierten in den angegebenen Texten auch als Autorinnen.
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deutschen Kulturraum. Mit Ausnahme von Herzogin Juliana von Giovane, geb. Freifrau von Mudersbach (1766–1805), gehörten alle einer protestantischen Kirche an. Die Liste endet mit der ersten mir bekannten Anstandsbuchautorin im deutschen Sprachgebiet.47 [Hortensia von Salis:] Geist- und lehr-reiche Conversations Gespräche, welche in ansehenlicher Gesellschafft, bey unterschidlichem Anlaaß, von göttlichen, sittlichen und natürlichen Sachen geführet; jezund aber durch eine hoch-adenliche Dame, alß fürnemstes Glid derselbigen, zu gemeiner und eigener Belustigung; absönderlich dem Frauenzimmer zu Ehren, in Form eines Romans, zu Papeir [sic] gebracht worden, Zürich 1696. Christiana Mariana von Ziegler: Moralische und vermischte Send-Schreiben, an einige ihrer vertrauten und guten Freunde gestellet, Leipzig 1731. [Luise von Buchwald:] Maximes adressées à Mademoiselle de B*** par une Demoiselle de 13. ans, Gotha 1753. [Catharina Helena Dörrien:] Versuch eines Beytrages zur Bildung eines edlen Hertzens in der ersten Jugend. Entworfen und mitgetheilt von einer Freundin lehrbegieriger Kinder, 2 Tle., Herborn 1756.48 Marie de Rabutin-Chantal Sévigné/Catharina Helena Dörrien [Hg.]: L’esprit de la Marquise de Sévigné ouvrage addressé aux jeunes Demoiselles. Oder schöne Gedanken curieuse Nachrichten und artige Erzehlungen aus den Briefen der Marquisin von Sevigne an ihre Tochter, die Gräfin von Grignan für junges Frauenzimmer, unter auserlesene Sätze gebracht, mittelst der Verfasserin eigenen Worten vorgetragen und mit diensamen Anmerkungen begleitet. Nebst gedachter Marquisin kurzen Lebenslaufe ausgefertiget von Catharina Helena Dörrien, Frankfurt/M. 1761. Dorothee Henriette von Runckel: Moral für Frauenzimmer nach Anleitung der moralischen Vorlesungen des sel. Prof. Gellerts und anderer Sittenlehrer, mit Zusätzen von Dorothee Henriette von Runckel. Mit Churfürstl. Sächsischem gnädigsten Privilegio. Dresden, auf Kosten der Herausgeberinn, Dresden 1774.49 [ Johanna Katharina Schulze:] Lehren und Erfahrungen für junges Frauenzimmer von der Verfasserin der Abendbetrachtungen und Abendgedanken eines Frauenzimmers, auch des Unterrichts in der Küche und Haushaltung, 3 Tle., Halle 1786.50
47 Der folgende Ratgeber wurde in der Bibliographie von Montandon (Anm. 9, S. 370) irrtümlicherweise Luise Ebersberg zugeschrieben: Josef S. Ebersberg: Der junge Mann in der Welt. Eine freundliche Anleitung, leicht, glücklich und angenehm mit Menschen aus allen Ständen zu leben, Wien 1824. 48 Die dritte Auflage wendet sich an junge Frauenzimmer, daher fand die Erziehungslehre Eingang in die Liste. 49 Die zwölfte Abhandlung trägt die Überschrift »Von der Wohlanständigkeit und Sittsamkeit« (S. 180–188). 50 Die von Johann Gottfried Trampens Witwe verlegte Ratgebertrilogie von Johanna Katharina Schulze, geb. Brönner (1748–1796), gliedert sich in eine Verhaltens-, eine Erziehungs- und eine Haushaltslehre. Die Verhaltenslehre enthält einen Lehrbrief zum Thema »Höflichkeit und gute Sitten sind, so wie jedem Menschen, auch einem jungen Frauenzimmer unumgänglich nothwendig« (S. 26–30).
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Juliana von Giovane: Lettres sur l’éducation des princesses. Par Julie, duchesse de Giovane née de Mudersbach. Conscientiae potius quam famae attenderis, Wien 1791.51 Philippine von Reden [Hg.]: Lebensregeln aus den besten ältern und neueren Schriftstellern gesammlet von Philippine Eregine Knigge, 2 Bde., Leipzig 1799–1800. Karoline von Woltmann: Spiegel der grossen Welt und ihrer Forderungen. Allen die in jene treten und diesen entsprechen wollen, insbesondere jungen Frauenzimmern gewidmet von Karoline v. Woltmann. Erlaubt ist, was gefällt! Erlaubt ist, was sich ziemt!, Pest und Leipzig 1824.52 Unser Kenntnisstand über Anstandsbuchautorinnen des 19. Jahrhunderts kann aufgrund der Lückenhaftigkeit der Bibliographien von Günter Häntzschel und Elisabeth Mixa 53 sowie wegen unauffindbarer Drucke nicht als mustergültig bezeichnet werden. Ob mein »Erstnachweis« einer Anstandsbuchautorin dieses Wort wirklich verdient, muß sich erst noch erweisen. Die »deutsche Genlis«, wie Karoline von Woltmann, geb. Stosch (1782–1847), in einem zeitgenössischen Lexikon vereinseitigend apostrophiert wird, erweiterte 1824 ihr vielseitiges literarisches Repertoire um einen Spiegel der grossen Welt und ihrer Forderungen, der »insbesondere jungen Frauenzimmern gewidmet« ist.54 Die aus einer Berliner Arztfamilie stammende protestantische 55 Schriftstellerin, Historikerin, Herausgeberin und
51 Die deutsche Übersetzung dieser zum Thema Anstand wenig aussagekräftigen Prinzessinnen-Erziehungslehre erschien unter dem Titel: [ Juliana von Giovane:] Ueber die Erziehung der Fürstentöchter. Von einer Fürstinn. Aus dem Französischen, in: Marianne Ehrmann [Hg.], Die Einsiedlerinn aus den Alpen. Eine Monatsschrift zur Unterhaltung und Belehrung für Teutschlands und Helvetiens Töchter, Bd. 1, 1793, S. 37–45, 140–152, 251–263, Bd. 2, 1793, S. 38–48, 151–159. Vgl. auch Abschnitt 6.3, Anm. 194. 52 Die Abhandlung Ueber Natur, Bestimmung, Tugend und Bildung der Frauen (1826) von Karoline von Woltmann wurde von Eda Sagarra fälschlicherweise als Anstandsbuch klassifiziert. Eda Sagarra: Woltmann, Karoline von, in: Walther Killy (Hg.), Literaturlexikon. Autoren und Werke deutscher Sprache, Bd. 12, Gütersloh u. a. 1992, S. 441. 53 Häntzschel (Hg.) (Anm. 9), S. 484–505. Elisabeth Mixa: Erröten Sie, Madame! Anstandsdiskurse der Moderne (Schnittpunkt Zivilisationsprozeß; 11), Pfaffenweiler 1994, S. 175–177 (»Quellenverzeichnis«) (37 Titel, darunter Anstandsbücher von Frauen aus Deutschland und Österreich, Schwerpunkt 19. Jahrhundert). Ohne Kenntnis des Forschungsstands zur deutschsprachigen Anstandsliteratur und ohne klar vorgetragenen Anstandsbegriff erhebt Mixa zum Kristallisationspunkt ihres insgesamt epigonalen Vorgehens Foucault mit seinen Forschungen zur Disziplinarmacht und den Technologien des Selbst. Die Verfasserin entwickelt keine Methodik, um ihre Aussagen über das Rezeptionsverhalten von anstandsbücherlesenden Frauen auf eine wissenschaftliche Grundlage zu stellen. Daher verwundert es nicht, daß die von ihr ausgewerteten Quellenschriften mehr oder minder kontextlos präsentiert werden und die wissenschaftlichen Aussagen der Verfasserin Glaubenssatzcharakter tragen. 54 Karoline von Woltmann: Spiegel der grossen Welt und ihrer Forderungen […], Pest u. a. 1824. Bibliographisch nachgewiesen bei Häntzschel (Hg.) (Anm. 9), S. 503, und Montandon (Anm. 9), 370 f. Das Anstandsbuch war noch nicht Gegenstand einer wissenschaftlichen Untersuchung. 55 Von Woltmann war die Enkelin des reformierten Hofpredigers Samuel Johann Ernst Stosch (1714–1796).
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Übersetzerin lebte zum damaligen Zeitpunkt in Prag. Sie war seit 1817 verwitwet und zog eine angenommene Pflegetochter groß.56 Von Woltmann agierte, was damals für eine durch Heirat in den Adelsstand aufgestiegene Frau noch absolut ungewöhnlich war, im Auftrag des in Pest (Ungarn) und Leipzig tätigen Verlegers Konrad Adolf Hartleben. In dessen Verlag war 1821 eine Neuausgabe des bekannten Anstandsbuches Mann von Welt oder dessen Grundsätze und Regeln des Anstandes, der Grazie, der feinen Lebensart, und der wahren Höflichkeit, für die verschiedenen Verhältnisse der Gesellschaft (1801, 13. Aufl. 1872) 57 des österreichischen Pädagogen, Schriftstellers und Philosophen Gottfried Immanuel Wenzel (1754–1809) erschienen. Wenzel lehrte in bewußter Abgrenzung und Gegnerschaft zu Immanuel Kant am Lyzeum in Linz eine Moralphilosophie, die auch praktische Lebenshilfe sein wollte.58 Freimütig legt von Woltmann offen, der Verlag habe in nur zwei Punkten von seinem Mitspracherecht Gebrauch gemacht: »Übrigens hat die Veranlassung dieser Blätter [nämlich, daß es sich hierbei um eine Auftragsarbeit handelt, SK] keinen Einfluß auf dieselben gehabt, als daß ich die Briefform, in der ich eine angenehmere Haltung gefunden hätte, mit der Form der Abhandlung vertauscht habe, die mir zu schwer für die Leichtigkeit des Stoffes scheint, und daß ich keinen Theil an der Wahl des Titels habe.« 59 Die im 18. Jahrhundert auf dem Kontinent zu beobachtende rasche Zunahme von Publikationen in Briefform stand eng in Verbindung mit der Popularität des englischen Briefromans. Dem Verlag schwebte jedoch eine Art Doppelgängerin vor, daher präferierte er die systematisch gegliederte, fiktionslose und damit trockenere, unlebendigere Darstellungs- und Vermittlungsform, die durch Wenzels Buch vorgegeben war, und die bis heute das gängige Muster im Bereich der Ratgeberliteratur geblieben ist. Die ermüdende Akribie, die schon aus Wenzels fünfseitigem Inhaltsverzeichnis spricht, stieß bei von Woltmann auf gefühlsmäßige Ablehnung. Dies illustriert das Inhaltsverzeichnis des Spiegels der grossen Welt und ihrer Forderungen: I. Was ist die große Welt? 1 II. Der gute Ton 8 III. Das Äußere 18 1. Von der Reinlichkeit 2. Der gesellschaftliche Anzug 28 3. Von der Geziemlichkeit des Anzugs 30 56 Brigitte Leuschner: Einführung: Ein Diskurs über Schreiben und Leben in paralleler Lebenssituation, in: dies. (Hg.), Der Briefwechsel zwischen Therese Huber (1764–1829) und Karoline von Woltmann (1782–1847). Ein Diskurs über Schreiben und Leben, München 1999, S. 5–18. Sabine Koloch: Woltmann, Karoline von, in: Wilhelm Kühlmann (Hg.), Killy Literaturlexikon. Autoren und Werke des deutschsprachigen Kulturraums. Begründet von Walther Killy, 2. Aufl. Berlin u. a. 2011 (im Druck). 57 Zur Auflagenrekonstruktion vgl. Montandon (Hg.) (Anm. 9), S. 362. 58 Constant von Wurzbach: Wenzel, Gottfried Immanuel, in: ders., Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich, enthaltend die Lebensskizzen der denkwürdigen Personen, welche seit 1750 in den österreichischen Kronländern geboren wurden oder darin gelebt und gewirkt haben, Tl. 55, Wien 1887, S. 13–16, hier S. 13. 59 von Woltmann (Anm. 54), S. XII.
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4. Von der Bescheidenheit des Anzugs 44 5. Von der Schönheit des Anzuges 48 6. Über das Mitmachen der Mode 68 7. Von der gesellschaftlichen Haltung 75 IV. Von dem gesellschaftlichen Benehmen, und von den gesellschaftlichen Bräuchen 80 1. Die förmlichen Ehrenbezeigungen 81 2. Vom Benehmen der Vornehmeren gegen Geringere und der Geringeren gegen Vornehmere in der Gesellschaft 88 3. Vom gesellschaftlichen Benehmen in Hinsicht der Auszeichnungen, mit denen kein bestimmter gesellschaftlicher Vorzug verbunden ist 94 4. Vom gegenseitigen Benehmen des weiblichen Alters und der weiblichen Jugend in der Gesellschaft 102 5. Vom Benehmen des weiblichen Geschlechtes gegen das männliche in der Gesellschaft 107 6. Vom gegenseitigen Benehmen vertrauter Freunde und Liebender in der Gesellschaft 115 7. Vom gegenseitigen Benehmen Unbekannter in der Gesellschaft 120 8. Vom gegenseitigen Benehmen feindlich gegen einander Gesinnter in der Gesellschaft 121 9. Von der gesellschaftlichen Unterredung 122 10. Das Spiel 135 11. Vom Benehmen der Frau eines Hauses als Wirthinn 137 12. Von der Bewirthung 144 13. Vom Hergang der Gesellschaften 149 14. Von den gesellschaftlichen Zeiten, Besuchen, Botschaften 159
Besonderen Wert legte sie auf die Beschreibung der Kleidung, aber auch er dekliniert, bevor er im zweiten Teil seines Ratgebers das Benehmen in Gesellschaft erörtert, im ersten Teil in aller Ausführlichkeit das äußere Erscheinungsbild des Mannes von Welt durch. Von Woltmann hatte offenbar keine Zweifel, der ihr übertragenen Aufgabe nicht gewachsen zu sein. In der Vorrede zu ihrem Buch gibt sie zum Beweis dafür, im Laufe ihres Lebens ständeübergreifende Erfahrungen gesammelt zu haben, Einblicke in ihre Biographie: »Wenige Menschen mögen durch ihre Lebensverhältnisse Anlaß gehabt haben, das gesellschaftliche Treiben so vielseitig kennen zu lernen, als ich.« 60 Und sie macht deutlich, worin für sie der spezifische Reiz der Anstandsthematik liegt. Es sei die Französische Revolution gewesen, die in positivem Sinn mehr Gleichheit unter die Menschen gebracht, aber auch den Verfall der Geselligkeit verursacht habe: »Durch die politischen Verhältnisse in Europa seit der französischen Revolution sind wir ein Geschlecht der Leidenschaft, der Noth, der Anstrengung, und dieß hat unsre Geselligkeit von Grund aus verderbt.« 61 Damit die höhere Vergnügung der Geselligkeit im Leben der Menschen aller Stände wieder den Stellenwert, den sie einnehmen soll, erlangen kann, müsse das Bestehende reflektiert und handelnd veredelt werden. Die richtige Form von Geselligkeit gelte es so lange zu praktizieren, bis ein »Zustand allgemeiner, geistiger und sittlicher Cultur« eintrete.62 Sich an Schleiermachers Versuch einer Theorie des geselligen Betragens 60 Ebd., S. VI. 61 Ebd., S. VIII f. 62 Ebd., S. XI.
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3. Frauen lehren die Normen des Umgangs: Die Vorgeschichte der Anstandsbuchautorin
(1799)63 reibend, leitet von Woltmann zu einer Geselligkeitskultur an, in der sich politische Gleichheitsidee, ethischer Hedonismus und idealistisches Menschenbild miteinander verbinden. In Verkennung ihrer eigenen Bedeutung definierte von Woltmann den von ihr praktizierten Kulturauftrag nicht als Frauendomäne.64 Ohne sich den inneren Widerspruch zu verdeutlichen, trat sie als Regelgeberin auf und wies den Frauen der gehobenen Schichten die Rolle der Repräsentantin der Form zu. Mit dieser Rollenzuweisung war die Funktion verknüpft, das zerbrechliche Gut der weiblichen Ehre zu schützen und Frauen einen ihrem Bildungsstand und Können gemäßen Einflußbereich im gesellschaftlichen Leben zu sichern: »Überhaupt wird alles Förmliche in der Gesellschaft strenger in Bezug auf die Frauen als auf den Mann genommen; das weibliche Geschlecht ist hier gleichsam Repräsentant der Förmlichkeit.« 65 Die Autorin vertrat unausgesprochen die männlich fundamentalistische Auffassung, es sei, um einen »Zustand allgemeiner, geistiger und sittlicher Cultur« zu erreichen, nicht nötig, an den bestehenden Geschlechterabhängigkeiten zu rütteln. Dieser rückwärtsgewandte Zug in ihrem Schaffen wurzelt in der Überzeugung der denkerischen Überlegenheit des männlichen Geschlechts. Er steht im Gegensatz zu ihrer sonstigen Haltung als Autorin, die durch ein Loslösen vom christlichen Weltbild und von frauenfeindlichen kirchlichen Äußerungen geprägt ist, um ihren Leser(inne)n neue Denkhorizonte aufzuzeigen. Im Unterschied zu Zeillners Der Seelen Lustgärtlin werden im Spiegel der grossen Welt nicht mehr Gott und Teufel herbeizitiert, um das Publikum zu Rechtgläubigkeit und Veränderungen auf der Verhaltensebene zu bewegen, was als ein Zeichen dafür zu werten ist, daß von Woltmann sinnliche Erkenntnis und Vernunftgründe über theologische Ansichten und Aussagen stellte. Von ähnlichen Prämissen ging der Beiträger zu Carl Herloßsohns Damen Conversations-Lexikon (Bd. 10, 1838) aus, der noch zu Lebzeiten der Autorin deren wissenschaftliche Bildung und Urteilskraft hervorhob: Frau von W., die sich jetzt in Berlin aufhält, zeichnet sich unter unseren Schriftstellerinnen durch eine gründliche wissenschaftliche Bildung, praktisch gereiftes Urtheil, eine fließende Diction und gewandte Darstellung aus. Wir möchten sie unsere deutsche Genlis nennen.66
Die These dieses Abschnitts, daß vom Protestantismus die entscheidenden Impulse ausgingen, damit sich eine Tradition weiblichen Schreibens über Themen des Anstands aus-
63 [Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher:] Versuch einer Theorie des geselligen Betragens, in: Berlinisches Archiv der Zeit und ihres Geschmacks 1, 1799, S. 48–66, 111–123. 64 von Woltmann (Anm. 54), S. XI. 65 Ebd., S. 84 f.; vgl. ähnlich auch S. 137 f. 66 M. [Sigle]: Woltmann, Karoline von, in: Carl Herloßsohn (Hg.), Damen Conversations-Lexikon. Herausgegeben im Verein mit Gelehrten und Schriftstellerinnen […], Bd. 10, Leipzig 1838, S. 464 – 465, hier S. 464 f. Die französische Erzieherin und Schriftstellerin Caroline Stéphanie Félicité du Crest de Saint-Aubin Comtesse de Genlis (1746–1830) erwarb sich in Deutschland rasch den Ruf, eine Autorität auf dem Gebiet der Erziehung zu sein. Wie sehr deren Schriften in Deutschland gefragt waren, veranschaulicht die schon 1780 erschienene deutsche Übersetzung des Théâtre d’éducation (4 Bde., 1779–1780).
3.2 Frankophile Übersetzerinnen und Autorinnen
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bilden konnte, wird durch eine Schriftstellerin wie Karoline von Woltmann, deren Arbeit als Anstandsbuchautorin nicht religiös motiviert war, nicht in Frage gestellt, sondern bestätigt. Die Weltzugewandtheit, der Mut, als Frau in gesellschaftlicher Perspektive radikal Neues zu wagen, und die geistige Eigenständigkeit der Autorin sind Ausdruck und Folge ihrer vom Protestantismus geprägten Sozialisation. Helena Zeillner führte noch Begründungen an, warum sie sich aufgefordert und berechtigt fühlte, alle Christ(inn)en zu belehren und damit das kirchliche Lehrverbot für Frauen zu unterhöhlen, Karoline von Woltmann sah dagegen keinen Grund mehr, ihre Belehrungsabsicht zu rechtfertigen.
3.2 Frankophile Übersetzerinnen und Autorinnen Die frauenspezifischen Aspekte der internationalen Dimension der Literatur der Frühen Neuzeit sind für den deutschsprachigen Raum kaum erforscht.67 Die im Blickpunkt der folgenden Ausführungen stehende Übersetzerinnenthematik bildet hier keine Ausnahme. Da nie der Versuch unternommen wurde, die bis 1800 erschienenen Übersetzungen von Frauen so vollständig wie möglich bibliographisch zu erfassen, war auch nicht daran zu denken, die forschungsrelevanten Aspekte dieses Texttyps und seiner Urheberinnen in seiner Gesamtheit auszuloten. Die Verschiedenartigkeit der zu befragenden Quellen und die methodische Komplexität, die sich daraus ergibt, mögen abschreckend gewirkt haben.
1.
Barbara Helena Kopsch
Barbara Helena Kopsch war nach meinem Kenntnisstand die erste Frau im deutschen Kulturraum, die sich zum Sprachrohr einer anderssprachigen Autorin machte. Ihre Wahl fiel auf den Band Conversations sur divers sujets (1680) von Madeleine de Scudéry (1607– 1701). Das zwar wortgetreu, aber leicht gekürzt übertragende Opus enthält zur Anstandsthematik einschlägige Passagen. Wie die bibliographische Übersicht weiter unten zeigt, war der deutschen Erstübersetzung der Conversations eine englische Fassung vorausgegangen. Ein halbes Jahrhundert nach Kopsch machte sich ein weiteres Mal eine Frau – die berühmte von Ziegler – daran, den ersten Konversationenband der Französin im Gewand der deutschen Sprache zu präsentieren: Conversations sur divers sujets, 2 Bde., Paris 1680.68 Les conversations sur divers sujets, par Mademoiselle de Scudéry, 2 Tle., Amsterdam 1682. 67 Die feministische Komparatistik steht erst am Beginn einer wünschenswerten Entwicklung. Vgl. Margaret R. Higonnet (Hg.): Borderwork: Feminist Engagements with Comparative Literature, Ithaca/NY u. a. 1994. Sabine Koloch: Madeleine de Scudéry in Deutschland. Zur Genese eines literarischen Selbstbewußtseins bürgerlicher Autorinnen, in: Renate Kroll u. a. (Hg.), Gender Studies in den romanischen Literaturen: Revisionen, Subversionen (Siegener Frauenforschungsreihe; 6–7), 2 Bde., Frankfurt/M. 1999, Bd. 1, S. 213–255, hier S. 215 f. 68 Die Erstausgabe erschien anonym.
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3. Frauen lehren die Normen des Umgangs: Die Vorgeschichte der Anstandsbuchautorin
Conversations upon several subjects. Written in French by Mademoiselle de Scudéry. And done into English by Mr. Ferrand Spence, 2 Bde., London 1683. Kluge Unterredungen der in Frankreich berühmten Mademoiselle de Scudery, worinnen uber unterschiedliche Sachen sehr nachdenkliche Gedanken, und lehrrichtige Gespräche enthalten. Erster Theil [von zwei Teilen]. Aus dem Französischen in das Teutsche gebracht, und mit beygesetzten Figuren und Gedichten erweitert durch die bey den Blumen-Hirten an der Pegnitz so genannte Erone [i.e. Barbara Helena Kopsch], 2 Tle., Nürnberg 1685. Der Mad. Scudery scharfsinnige Unterredungen, von Dingen, die zu einer wohlanständigen Aufführung gehören, übersetzet von Christiana Mariana von Ziegler, gebohrnen Romanus, Leipzig 1735. Der Nürnberger Verleger Johann Zieger 69 und der Drucker Johann Michael Spörlin produzierten mit der Übersetzung von Kopsch ein veritables Gesamtkunstwerk: Die Blumenhirtin entwarf die Illustrationen zu ihrer Übersetzung selbst, gravierte die Bildentwürfe mit dem Stichel in die Metallplatten und verfaßte darüber hinaus gereimte Erläuterungen zu den Kupferstichen.70 Seit 1679 war die noch ledige Kaufmannstochter Barbara Helena Lang (1656?–nach 1705) Mitglied des Pegnesischen Blumenordens.71 Die Aufnahme erfolgte durch Sigmund von Birken (1662–1681), der für das neue weibliche Mitglied den Gesellschaftsnamen Erone 72 prägte. 1686 ging Barbara Helena die Ehe mit Nicolaus Kopsch ein. Gemeinsam ließen sich die Eheleute in Berlin nieder. Einige Zeit war Amsterdam ihr Aufenthaltsort, nach 1705 verlieren sich die Spuren.73 69 Josef Benzing: Die deutschen Verleger des 16. und 17. Jahrhunderts. Eine Neubearbeitung, in: Archiv für Geschichte des Buchwesens 18, 1977, Sp. 1077–1322, hier Sp. 1308. Zieger-Druckerzeugnisse sind auch das Anstandsbuch Unterweisung des Frauenzimmers (1690) von Vincenzo Nolfi und der dritte Teil des Romans Almahide, oder leibeigene Königin (3 Tle., 1682–1696) von Madeleine de Scudéry. 70 Das Werk geriet aus noch nicht geklärter Ursache schnell in Vergessenheit. Cohn (Anm. 16), S. 20 f. Hans Fromm: Bibliographie deutscher Übersetzungen aus dem Französischen 1700–1948, 6 Bde., Baden-Baden 1950–1953, Bd. 5, S. 485, Nr. 24072. Koloch (Anm. 67), S. 233, Anm. 59. 71 Der Blumenorden war eine beiden Geschlechtern offenstehende ritterordensähnliche Vereinigung mit religiöser und moralisch-verhaltensmodellierender Zielstellung und eine akademieähnliche Sprachgesellschaft. Die Sozietät wird in der Forschung gelegentlich als Dichterorden bezeichnet, da die Zahl der Mitglieder, die dichtend hervortraten, hoch war. 72 »Sigmund von Birken mag an den Stamm ›ero-‹ (›lieb-‹) gedacht haben, vielleicht auch an ›eroméne‹, ›Geliebte‹, und in absichtlicher Verfremdung ein in weiblichen Eigennamen nicht gerade seltenes Element ›-one‹ (vgl. z. B. Chióne, Antigóne) angefügt haben« (freundliche Auskunft Gerhard Fink). 73 Amarantes [i. e. Johann Herdegen]: Historische Nachricht von deß löblichen Hirten- und BlumenOrdens an der Pegnitz Anfang und Fortgang, biß auf das durch Göttl. Güte erreichte Hunderste Jahr, mit Kupfern geziert, und verfasset von dem Mitglied dieser Gesellschafft Amarantes, Nürnberg 1744, S. 491–505. Andreas Andresen: Kopschen, Barbara Helene, in: Hans Vollmer (Hg.), Allgemeines Lexikon der bildenden Künstler von der Antike bis zur Gegenwart. Begründet von Ulrich Thieme u. a., Bd. 21, Leipzig 1927, S. 305. Karl F. Otto: Die Frauen der Sprachgesellschaften, in: August Buck u. a. (Hg.), Europäische Hofkultur im 16. und 17. Jahrhundert (Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung; 10), Bd. 3, Hamburg 1981, S. 497–503, hier S. 501 f. Koloch (Anm. 67), S. 232–240, 247. Renate Jürgensen: Melos conspirant singuli in unum. Repertorium bio-bibliographicum zur Geschichte des Pegnesischen Blumenordens in Nürnberg (1644–1744) (Beiträge zum Buch- und Bibliotheks-
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Dem engeren Freundeskreis der Pegnitzschäferin gehörte der Altdorfer Professor für Rhetorik, Moral und Poesie, Magnus Daniel Omeis (1646–1708), an.74 Unter dessen Anleitung war die Dissertatio de ervditis Germaniae mvlieribvs (1688) entstanden. Dort wird die Frage, ob das weibliche Geschlecht zu den höheren Studien zugelassen werden solle, positiv beantwortet und mit einem Katalog von Frauen, die sich im Studieren hervortaten, untermauert. Die Biographiensammlung ist in Hinblick auf Kopsch von erheblicher Relevanz, weil hierin Informationen aus erster Hand über die Lyrikerin, Übersetzerin und bildende Künstlerin enthalten sind: »LANGIA (Barbara Helena), Norimbergensis, in Florigera ad Pegnesum Societate Erone nuncupata. Scribit concinna carmina Teutonica, etiam Gallica: & Gallica quaedam scripta vertit jam Latinè. Sculpit praeterea, pingit, fingit ex ebore, cera, alabastro, tam affabrè, ut admirationem pariter ac delectationem excitet in oculis animisq; spectatorum.« 75 Auch der Pegnitzschäfer Christian Franz Paullini intervenierte mit Frauenkatalogen in den Bildungswettstreit der Länder.76 Die Angaben zu seiner Mitgenossin basieren weitgehend auf der Dissertation von Omeis/ Haendel: Langin (Barbara Helena) von Nürnberg im Edelgekrönten Blum-Orden Erone genennt, eine nette Poetin so wohl im Teutschen als Frantzösischen. Aus welcher letztern Sprach sie auch unterschiede[ne] nützliche Wercke in unsre übersetzet hat. Giebt darneben eine gute Mahlerin, und kan sonst mit allerhand künstlichen Sachen aus Wachß, Helfenbein, Alabaster, u. d. m. wohl ümgehen, so, daß wer ihrer Hände Arbeit sieht, sich billich darüber verwundern muß. Wer aber eine Probe ihrer wohlklingenden Poësie verlangt, dem wil ich vor dißmahl nur dieß Hochzeit-Gedichte vorlegen: […].77
Berücksichtigt man den Pegnitzschäfer Johann Herdegen (1692–1750), der in der Festschrift zum hundertjährigen Bestehen des Blumenordens sehr viel mehr über Kopsch berichtet als Omeis/Haendel und Paullini (gleichwohl entging ihm die Übersetzung des ersten Konversationenbandes von Madeleine de Scudéry), und lenkt man die Aufmerk-
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wesen; 50), Wiesbaden 2006, S. 241, 471 f., 529, 532 f., 535–538. Sabine Koloch: Kopsch, Barbara Helena, in: Wilhelm Kühlmann (Hg.), Killy Literaturlexikon. Autoren und Werke des deutschsprachigen Kulturraums. Begründet von Walther Killy, Bd. 5, 2. Aufl. Berlin u. a. 2009, S. 644–645. Meine Recherchen nach handschriftlichen Dokumenten von Kopsch blieben ergebnislos. Seit 1667 Mitglied des Pegnesischen Blumenordens übte Omeis von 1697 bis 1705 das Amt des Ordenspräses aus. Magnus Daniel Omeis (Präses)/Christoph Christian Haendel (Resp.): Dissertatio de ervditis Germaniae mvlieribvs […], Altdorf 1688, S. 13. Christian Franz Paullini: Zeit=kürtzende Erbauliche Lust. 1695. Philosophischer Feyerabend. 1700. Das Hoch= und Wohl=gelahrte Teutsche Frauen=Zimmer. 1705 (1712), in: Elisabeth Gössmann (Hg.), Eva – Gottes Meisterwerk (Archiv für philosophie- und theologiegeschichtliche Frauenforschung; 2), München 1985, S. 150–186, darin zu Kopsch S. 170. – Paullini (1643–1712) war seit 1671 Mitglied des Pegnesischen Blumenordens. Zum Mitglied der Fruchtbringenden Gesellschaft war er 1672, zum Mitglied der Accademia dei Ricoverati 1688 (vgl. Anm. 120 in Abschnitt 2.1) erklärt worden. Christian Franz Paullini: Vom Hoch- und Wohl-gelahrten Teutschen Frauen-Zimmer, in: ders., Philosophischer Feyerabend […], Frankfurt/M. 1700, S. 140–219, 179–180, hier S. 179.
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samkeit auf seinen Mitgenossen Georg Andreas Will (1727–1798), der Kopsch mit einem Eintrag in sein Nürnbergisches Gelehrten-Lexicon (4 Tle., 1755–1758) ehrte,78 so wird deutlich, daß gleich mehrere männliche Gelehrte aus dem Kreis der Pegnitzschäfer darauf hinwirkten, die Erinnerung an verdiente weibliche Mitglieder wachzuhalten, was zu dieser Zeit keineswegs eine Selbstverständlichkeit war. Von alters her Bastionen patriarchalischen Denkens, betrieben die Universitäten eine Erinnerungskultur, die in erster wie auch in zweiter und dritter Linie die Taten und (Fehl-)Leistungen von Männern dem Vergessen entriß. Frauenspezifische Aspekte waren selten Gegenstand von akademischen Pflichtübungen,79 und in frühneuzeitlichen wissenschaftlichen Abhandlungen sowie in Litterärgeschichten tauchen Frauen allenfalls am Rande auf. Hinzu kommt, daß es nirgendwo frei zugängliche Bibliotheken gab, zu deren Aufgaben es gehörte, das gedruckte Schrifttum von Frauen systematisch zu sammeln, in den Bestand einzupflegen und konservatorisch zu betreuen. Es ist das Verdienst von Omeis/Haendel, Paullini, Herdegen und Will, als Korrektiv zur in starkem Maße androzentrischen zeitgenössischen Geschichts- und Literaturgeschichtsschreibung gewirkt zu haben. Für Frauen, die anderes wußten, konnten und erreicht hatten als die »breite Masse«, und entweder ihre Neugier befriedigen wollten oder auf der Suche nach Vorbildern und Anregungen waren oder die unter Rechtfertigungsdruck standen, stellten die in Rede stehenden Pegnitzschäfer-Publikationen eine Fundgrube dar. Als Christiana Mariana von Ziegler im Vorfeld der Ernennung zum Mitglied der Deutschen Gesellschaft in Leipzig im Jahr 1730 eine Antrittsrede ausarbeitete, ließ sie den Blick auf weibliche Sozietätsmitglieder in der Vergangenheit schweifen. Was sie im nachfolgend zitierten Textausschnitt wohl gerne gesagt hätte, es aus Gründen der Bescheidenheit aber nicht aussprechen durfte, ist dieses: »Ja, Ihr tut gut daran, eine Tradition wiederzubeleben, die so viele glanzvolle Frauen hervorbrachte!« Aus welchen Quellen sich ihr Wissen speiste, teilt die Autorin nicht mit, ihr wird aber – so die (vorläufige) Annahme – eine der erwähnten Pegnitzschäfer-Arbeiten vorgelegen haben: Doch ich merke gar wohl, was sie auf solchen Entschluß gebracht, und ihnen allen entstandenen Zweifel auf einmal benommen. Sie werden sich allerseits auf die Erfahrung berufen, und mir ein und anderes Exempel so wohl ausländischer, als Deutscher Damen, so wirkliche Mitglieder gelehrter Gesellschaften abgegeben, unfehlbar vorstellen, um meine schüchterne Seele zu befriedigen, und mir einen kräftigen Trost dadurch zuzusprechen. Mir ist auch selbiges gar wohl bekannt. Ich weis, daß die gelehrte Cornelia Piscopia in die Gesellschaften zu Rom, Siena, Padua und Venedig aufgenommen worden. Noch mehr bewundere ich die vortreffliche Scudery, welche zwar nicht ein Mitglied der Fran-
78 Georg Andreas Will: Kopschen (Barbara Helena), in: ders., Nürnbergisches Gelehrten-Lexicon oder Beschreibung aller nürnbergischen Gelehrten beyderley Geschlechtes nach Ihrem Leben, Verdiensten und Schrifften zur Erweiterung der gelehrten Geschichtskunde und Verbesserung vieler darinnen vorgefallenen Fehler aus den besten Quellen in alphabetischer Ordnung verfasset von Georg Andreas Will der freyen Künste Magister, der Weltweisheit Doctor in Altdorf, und der deutschen Gesellschafft in Jena Ehren-Mitgliede, Tl. 2, Nürnberg u. a. 1756, S. 346. 79 Ein häufiger behandeltes Thema war zum Beispiel das Rechtsinstitut der Vormundschaft. Vgl. Pauline Puppel: Die Regentin. Vormundschaftliche Herrschaft in Hessen 1500 –1700 (Geschichte und Geschlechter; 43), Frankfurt/M. u. a. 2004.
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zösischen Academie geheissen, doch (erstaunen sie nicht hierüber?) den Königlichen Preis der Beredsamkeit darinnen an dem Tage St. Ludwig erhalten. Wie viele Deutsche Frauenzimmer, so gelehrten Zusammenkünften, als Mitgliedern, bey gewohnet, stellen sich nicht meinen Augen dar? Hier erinnere ich mich einer gelehrten und edelmüthigen Baronesse von Greiffenberg, die ihr kluges Urtheil nicht nur in der Deutschen Genossenschaft wohl zu fällen weis, sondern sich auch gar zur Obervorsteherin und Zunftmeisterin der Lilienzunft aufwirft. Dort sehe ich eine geschickte Möllerin von Königsberg in Preussen mitten unter gelehrten Männern sitzen. Bald ertheilet eine tiefsinnige Limburgerin ihre Stimme und Meynung in der löblichen Blumengenossenschaft; bald aber erhebet eine in gelehrten Künsten und Wissenschaften wohlerfahrene Langin von Nürnberg [= Barbara Helena Kopsch, SK] die Stimme in ihrer Gesellschaft. Ja die so genannte Pegnitzische Blumenzunft winket mir zugleich, und will, daß ich mich an ihrer sinnreichen Müllerin von Nürnberg bespiegeln soll.80
Wohlsituierte Frauen, die im 17. Jahrhundert in Deutschland danach trachteten, mehr zu wissen und zu können, als der überwiegende Teil der aus vergleichbaren Verhältnissen stammenden weiblichen Bevölkerung, waren auf Weiterbildungs- und Förderungsmöglichkeiten der folgenden Art angewiesen: Privatunterricht, die Lektüre im privaten Rahmen (allein oder in Gemeinschaft), die epistolare Kommunikation, das vertrauliche oder das gesellige Gespräch, Freundschaftsbünde, salonartige Zirkel, Damenorden, Akademien, Sprachgesellschaften und eventuell auch Geheimgesellschaften. Die weiblichen Mitglieder des Pegnesischen Blumenordens befanden sich insofern in einer privilegierten Situation, als sie kompetenter Unterstützung seitens männlicher Mitglieder sicher sein konnten, wenn es sie danach verlangte. Kopschs herausragendster Fürsprecher, Sigmund von Birken, verstarb bereits 1681.81 Wie schon erwähnt, hatte von Birken die von ihm geförderte intellektuelle Außenseiterin Margareta Maria Bouwinghausen82 unter seine Fittiche genommen, als sich die Suche nach einem Verlag für deren dem Streit der Meinungen unterliegende Charron-Übersetzung komplizierter gestaltete als erwartet. Wie seinerzeit das übersetzende und dichtende Freifräulein zuerst durch die Fruchtbringer Johann Valentin Andreae, Johann Wilhelm von Stubenberg und später auch durch Sigmund von Birken protegiert wurde, so auch unser Multitalent im Blumenorden.83 Dies geht aus dem Wid80 Christiana Mariana von Ziegler: Antrittsrede in der Deutschen Gesellschaft zu Leipzig, abgelesen, in: dies., […] Vermischte Schriften in gebundener und ungebundener Rede, Göttingen 1739, S. 381–289, hier S. 386 f. Wahrscheinlich handelt es sich bei der zuletzt genannten Müllerin um Barbara Juliana Penzel, geb. Müller, die ebenso wie Gertrud Möller und Regina Magdalena Limburger von Sigmund von Birken mit dem Titel »poeta laureata« ausgezeichnet worden war. 81 Kopsch verfaßte auf Sigmund von Birken ein Trauergedicht. Vgl. Jürgensen (Anm. 73), S. 533. 82 Bouwinghausen gehörte jener Frauenelite zu, die in der Neuzeit ganz entscheidend die intellektuelle Emanzipation von Frauen anstieß und vorantrieb. Hermann Ehmer/Sabine Koloch: Bouwinghausen von Wallmerode, Margareta Maria, in: Wilhelm Kühlmann (Hg.), Killy Literaturlexikon. Autoren und Werke des deutschsprachigen Kulturraums. Begründet von Walther Killy, Bd. 2, 2. Aufl. Berlin 2007, S. 112–113. 83 Es ist zu vermuten, daß Kopsch durch Magnus Daniel Omeis besonders gefördert wurde. Dem Publikum seiner Poetik rief dieser ins Gedächtnis, daß der Blumenorden »sich auch nicht zuwider seyn laßen, edle, keusche und gelehrte Dames und Weibs-Personen einzunehmen: indeme ja die Natur dieses Geschlecht von der Tugend- und Kunst-Fähigkeit mit nichten ausschließet«. Magnus Daniel
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mungsgedicht zu Kopschs erster Übersetzung hervor, die sie allen, die mit ihr im »HirtenBündnus« waren, zueignete: 84 Weil aber doch darauf sich diese Kühnheit gründet, daß Eure Ehren-Huld mir Muth und Geist erweckt, und eine Dichter-Glut in kaltem Eys entzündet, die ohne diesen Wind die Asche hätt ersteckt [erstickt, SK]: […].85
Wußten Nürnbergs Gebildete der achtziger Jahre des 17. Jahrhunderts, wer Madeleine de Scudéry war und was ihren Erfolg als Autorin begründete? Sigmund von Birken, der als Präses des Blumenordens bestrebt war, »die überregionale Kommunikation zu fördern, Anregungen von außen aufzunehmen und die Nürnberger Literatur auswärts bekannt zu machen«,86 unterbreitete Margareta Maria Bouwinghausen, die gerade ihre CharronÜbersetzung abgeschlossen hatte, in einem Brief vom 25. Februar 1665 Vorschläge für weitere übersetzenswerte Bücher: »Jch weiß, daß dero Geistfeuer nicht feyret, würde es auch mit Sünde thun. der [sic] Mademoiselle Scuderi Grand Cyrus, oder Cleopatra [Cléopâtre von Gautier de Coste de La Calprenède, SK], oder Almahide [unter Adelphonym erschienener Roman von Madeleine de Scudéry; SK], wären Sachen, daran Euer Gnaden die Zeit rühmlich anlegen und dero UbersetzungsFeder schärfen, auch hierinn des theursten Clelia-Ubersetzers [ Johann Wilhelm von Stubenberg, SK] Nachfolgerinn würden.« 87 Das Schickal hatte von Birken dazu ausersehen, sechs Jahre vor Madeleine de Scudéry und zwei Jahre vor seinem Tod, zum Mitglied der Accademia dei Ricoverati in Padua erwählt worden zu sein. Wie ich an anderem Ort darlegte, sahen es gleich mehrere Mitglieder der Fruchtbringenden Gesellschaft als lohnende Aufgabe an, Werke von Georges oder Madeleine de Scudéry in vorbildliches Deutsch zu übertragen.88 Noch als Kopsch in Nürnberg lebte, erblickten hier zwei einschlägige Fruchtbringer-Übersetzungen das Licht: Johann Wilhelm von Stubenbergs Clelja: Eine römische Geschichte (5 Tle., 1664) erschien posthum bei Michael und Johann Friedrich Endter, Ferdinand Adam Pernauer von Perneys Almahide, oder leibeigene Königin (3 Tle., 1682–1696) kam bei Johann Hofmann (Tl. 1–2, 1682)
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Omeis: Gründliche Anleitung zur teutschen accuraten Reim- und Dicht-Kunst […], 2. Aufl. Nürnberg 1712, S. 48 (1. Aufl. 1704). Barbara Helena Kopsch: Denen Edlen und Fürtrefflichen bey der Pegnizweidenden Blumgenossen, in: Anonym, Vernünfftige GemüthsBeruhigung oder kurze Lehr-Sätze, wie die Begierden bey allen Begebenheiten vernünftig und wol zu regieren, und die wahre Zufriedenheit zu befördern; aus dem Französischen in das Teutsche übersetzt, auch mit Sinnbildern und Gedichten vermehret durch die Blumen-Hirtin an der Pegnitz Erone, Nürnberg u. a. 1684, Bl. ):(2a–):(3a, hier Bl. ):(2a. Ebd., Bl. ):(2b –):(3a. Jürgensen (Anm. 73), S. 41. Briefkonzept vom 25. 2. 1665, Archiv des Pegnesischen Blumenordens B.5.0.41, Bl. 74r. Die Briefkonzept-Transkription stellte mir großzügigerweise die Forschungsstelle Frühe Neuzeit an der Universität Passau unter Leitung von Hartmut Laufhütte zur Verfügung. Die Richtigkeit der Transkription überprüfte Ralf Schuster (Forschungsstelle Frühe Neuzeit, Universität Passau), wofür ich herzlich danke. Koloch (Anm. 67), S. 219–228.
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und Johann Zieger (Tl. 3, 1696) heraus. Vermutlich hatte sich herumgesprochen, daß ein weiteres Mitglied der berühmten paduanischen Akademie, der Altdorfer Polyhistor Johann Christoph Wagenseil, die französische Schriftstellerin 1665 mit seinem Besuch beehrte.89 Als Kopsch den Plan ins Auge faßte, den ersten Konversationenband zu verdeutschen (de Scudéry ließ bis 1692 noch vier weitere Konversationenbände folgen90), hatte die in ganz Europa bekannte Französin in ihrem eigenen Land den Zenit ihres Erfolgs bereits überschritten. Nicht so in Deutschland, wo sie noch immer die beliebteste, meistgelesene und am häufigsten übersetzte Schriftstellerin war.91 Im Wissen um die Verdienste der Autorin ließ der Zieger-Verlag den Namen der Französin auf dem Titelblatt der Klugen Unterredungen in Großbuchstaben setzen. Möglich auch, daß von dieser Seite Einfluß auf die Ikonographie des Frontispizes (Abb. 6) genommen wurde: Zu Ehren der Autorin wählte man als Bildmotiv einen Obelisk mit den Schmuckelementen Feuerflamme, Krone, Zierornament und Siegeskranz; das Postament, auf dem das Monument aufruht, trägt die Inschrift: »Die Unterredungen der Madelle de Scuderÿ in Teutsch.«92 Ein Mitspracherecht wird der Zieger-Verlag sich wahrscheinlich auch bei der Titelfassung der Conversations-Übersetzung ausbedungen haben. Die deutsche Titelversion ist etwas auskunftsfreudiger als die französische, die an Unkonkretheit schwer zu überbieten ist. Titelamplifikationen in Verbindung mit Übersetzungen ins Deutsche waren in der Frühen Neuzeit gang und gäbe. Schließlich fiel dem Übersetzungstitel die Aufgabe zu, eine Brücke zwischen zwei Kulturen zu schlagen.93 Kopsch setzte mit ihrer Erstlingsübersetzung die Pionierarbeit fort, die Bouwinghausen geleistet hatte. Die Vernünfftige GemüthsBeruhigung (1684) erschien bei Christian Sig89 Wanda G. Klee/Sabine Koloch: Peut-on écrire en allemand? Madeleine de Scudéry et J. C. Wagenseil, un entretien sur la langue allemande, in: Delphine Denis u. a. (Hg.), Madeleine de Scudéry: une femme de lettres au XVIIe siècle, Arras 2002, S. 105–120. Erweiterte deutsche Fassung: Kann man auf Deutsch schreiben? Ein Gespräch zwischen Madeleine de Scudéry und Johann Christoph Wagenseil über deutsche Sprache, Dicht- und Übersetzungskunst, in: Morgen-Glantz. Zeitschrift der Christian Knorr von Rosenroth-Gesellschaft 12, 2002, S. 377–402. 90 Die Titel der vier Bände lauten: Conversations nouvelles sur divers sujets (2 Bde., 1684, Neuausg. 1710), Conversations morales (2 Bde., 1686), Nouvelles conversations de morales (2 Bde., 1688), Entretiens de morale (2 Bde., 1692). 91 Koloch (Anm. 67), S. 227. Als die Conversations sur divers sujets (1680) herauskamen, war de Scudéry bereits 73 Jahre alt. 92 Einen ähnlichen Bildaufbau – obeliskförmige Ehrensäule, flankiert von einer Allee – weist eine Graphik in Georg Neumarks Der neu-sprossende teutsche Palmbaum (1668) zu Ehren von Herzog Wilhelm IV. von Sachsen-Weimar auf. Georg Neumark: Der neu-sprossende teutsche Palmbaum. Ndr. d. Ausg. 1668 (Die Fruchtbringende Gesellschaft. Quellen und Dokumente in vier Bänden; 3), München 1970, Abb. nach S. 332. Neumark war nicht nur Sekretär und Erzschreinhalter der Fruchtbringenden Gesellschaft, sondern seit 1673 auch Mitglied des Pegnesischen Blumenordens. 93 Zwei grundlegende Arbeiten zur Kulturtransfer-Forschung: Michel Espagne/Michael Werner: Deutsch-französischer Kulturtransfer im 18. und 19. Jahrhundert. Zu einem neuen interdisziplinären Forschungsprogramm des C. N. R. S., in: Francia 13, 1985, S. 502–510. Matthias Middell: Kulturtransfer und Historische Komparatistik – Thesen zu ihrem Verhältnis, in: Comparativ 10, 2000, 1, S. 7–41.
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mund Froberg, dem Verleger der Betrübten Pegnesis (1684). Der nicht ermittelbare Verfasser des philosophischen Ratgebers, wohl ein Engländer, war wie Joseph Hall, dessen Heaven vpon Earth Bouwinghausen verdeutscht hatte, ein Vertreter des Neostoizismus.94 Als Kopsch an der Vorrede zu ihrem übersetzerischen Erstlingsversuch saß, war sie noch von dem Glauben ausgefüllt, als »Abweichlerin« müsse sie sich für ihr Handeln rechtfertigen. Wie andere vor ihr antizipierte sie mögliche Publikumsreaktionen. Mit augenzwinkerndem Verstand führt sie aus, es könne nicht darum gehen, die pflichtvergessen den Worten Jesu lauschende Maria gegen die geschäftige Martha auszuspielen.95 Nicht einmal die allergrößten Weltweisen Platon und Aristoteles seien zu einem übereinstimmenden Urteil gelangt, was die »Federfrage« betrifft. Kopfarbeit, Handarbeit – beides habe seine Berechtigung und stehe daher »wol beysammen«.96 Als nach schon einem Jahr ihre zweite Übersetzung fertiggestellt war,97 hielt Kopsch sich nicht mehr damit auf, ihr Werk in Schutz zu nehmen. Sie werde wegen eines Tadelsüchtigen »weder Stirne noch Verrichtung ändern«, verkündet sie kurz und bündig im Schlußsatz ihrer Vorrede zu den Klugen Unterredungen.98 War Kopsch gegen Kritik gleichgültiger geworden, weil auch Madeleine de Scudéry an keiner Stelle im übersetzten Text Anstalten macht, mögliche »Kritikaster« zu besänftigen? Anmerkungen zum übersetzten Text und einen Kommentar im heutigen Wortsinn konnte und wollte Kopsch ihrer Übersetzung nicht mitgeben, in der Leservorrede werden aber Angaben gemacht, die auch in einem modernen Kommentar nicht fehlen dürften. 94 Audrey Chew: Joseph Hall and Neo-Stoicism, in: Publications of the Modern Language Association of America 65, 1950, S. 1130–1145. Zum Neostoizismus bei Pierre Charron vgl. Sabine Koloch/ Martin Mulsow: Die erste deutsche Übersetzung von Pierre Charrons De la sagesse: Ein unbekanntes Werk der intellektuellen Außenseiterin Margareta Maria Bouwinghausen von Wallmerode (1629 – nach 1679), in: Wolfenbütteler Barock-Nachrichten 33, 2006, 2, S. 119–150, hier S. 121. Zum Neostoizismus allgemein vgl. Günter Abel: Stoizismus und frühe Neuzeit. Zur Entstehungsgeschichte modernen Denkens im Felde von Ethik und Politik, Berlin 1978. 95 Zu einem früheren Zeitpunkt hatte Anna Ovena Hoyer (1584–1655) sich aus Selbstrechtfertigungsgründen auf die Seite Marias geschlagen. Traeger (Anm. 11), S. 96. 96 »Zwar bey etlichen, welche einig und allein, das Weibliche Geschlechte zu Verwaltung der Rockenund Kuchen-Künste bestimmen, werde ich wenig Ehre einlegen; jedoch, weil ich glaube, daß Maria und Martha wol beysammen stehen, und ein Plato um so viel ehender einer Weiblichen Hand die Feder erlaube, als ihr ein Aristoteles mißgönnet, gilt mir solches Urtheil gleich. Denen jenigen aber, so dieses Vornehmen aus Feind-Begierde tadeln, sage ich, daß ich ihres Eyfers lache: denn ein Kämpffer kan nicht siegen ohne Feinde, und die Tugend-Liebe muß den Neid zur Seiten haben.« Barbara Helena Kopsch: Geneigter Leser, in: Anonym, Vernünfftige GemüthsBeruhigung […], Nürnberg u. a. 1684, Bl. ):(3b–5b, hier Bl. ):(5ab. 97 Kopsch widmete die Klugen Unterredungen ihrer Landesmutter, der Markgräfin von BrandenburgAnsbach. Jahre später nahm Christian Franz Paullini (Anm. 77, S. 159) die von ihm »wegen ihrer schönen Wissenschafften und hohen Verstandes« gepriesene Markgräfin Eleonore Erdmuthe Luise, geb. Herzogin von Sachsen-Eisenach (1662–1696), in die Reihe der hoch- und wohlgelehrten Frauenzimmer Deutschlands auf. 98 Barbara Helena Kopsch: An den geneigten Leser!, in: Madeleine de Scudéry, Kluge Unterredungen der in Frankreich berühmten Mademoiselle de Scudery […], Tl. 1, Nürnberg 1685, Bl. )(3b –)(4b, hier Bl. )(4b.
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Bevor ich diesen erstaunlich informationsreichen Text mit Blick auf Madeleine de Scudéry analysiere und erläutere, möchte ich ihn ungekürzt wiedergeben: An den geneigten Leser! ES bekräfftiget die allgemeine Erfahrung, und ist auch aus denen Historien bekant, daß fast zu aller und jeder Zeit, in denen Menschen unterschiedliche Gemüths-Arten, aus ihren Verrichtungen hervor geleuchtet; also, daß ein jeder seine Vergnügung in etwas seiner Neigung ähnlichem gesuchet, um darinnen einige Ruhe-Stunden ergötzlich anzuwenden, worunter dann nicht Wenige sich eine anmuthige und erbauliche Unterredung, vor andern belieben lassen. Und wissen wir aus den alten und klugen Heyden hievon viel herrlicher Beyspiele, daraus wir zur Nachahmung vorträgliche Ubung machen können, damit man mit hinfallender Zeit, in dem aufgrünenden Frühling unsrer Jahre, nicht auch zugleich verwelkende Eitelkeits-Blumen in das Gedächtnüß sammle, und dermalseins dürre Stiele vergeblicher Händel zu Vergeltung haben möge. So ist auch heut zu Tage, eine freundliche Unterhaltung, und nachsinnendes Gespräche hohen und erleuchteten Personen eine nicht geringe Gemüths Erlabung, weil denen ermüdeten Kräfften der beunruhigten Geister daher eine angenehme Beschäfftigung, samt tausendfältigen Tugend-Früchten entsprosset. Ferner werden von ihrer edeln Würkung, sowol die natürlich angebohrne, als auch von selbsten gewohnte rauhe und unanständige LebensArten, als von der Zuchtmeisterin, in löblichste Wohlanständigkeit verwandelt: mehrern Nutzen, und wieviel daraus herrliches entspringe, will ich allzuseichter Feder nicht berühren, indeme tugendliebende Gemüther dessen überausreiche Früchte selbsten in täglicher Erfahrung finden. Wie aber nun die rechte Bahn gebrochen, und die Unanständigkeit vermieden werden solle, hat Mademoiselle de Scudery eine weltkluge Erfahrerin in Französischer Sprache, kunst-artig vorgestellet, und was in dem Leben ehrlicher Leute zu beobachten, gleichsam den Safft, als eine emsige Biene, aus vielen anmuthsvollen Gesellschafts-Blumen, in hiesige Honig-Beute getragen, um uns die Würkung derselben desto merksamer vorzuzeigen. Verhoffe also, es werde der günstige Leser den Zweck dieses Werkleins, wo nicht mir zu liebe, jedoch in Betrachtung es den Namen dieses berühmten Frauenzimmers führet, anzuschauen, und mit geneigtem Willen zu lesen belieben; findet er die Abzielung dieses Büchleins mit keinen prächtigen Worten vorgestellet, so wird dannoch eine befliessene Ausdruckung der beliebten Tugenden und verhasten Laster nicht ermangeln. Wiewolen ich mich in Ubersetzung desselbigen nicht so eifrig bemühet haben würde, wann ich des geneigten Lesers guten Gunsten nicht allbereit wegen gutigen Gefallens meines erstmals in Teutsche Sprache verwandelten Büchleins verbunden wäre, aus welcher Ursache ich dann auch beykommende Figuren und Gedichte desto kühner mit angefüget. Ich gestehe zwar ganz gerne, daß ich der Höhe des Geistes, welchen dieses gelehrte Frauenzimmer in ihrer Sprache erwiesen, sehr wenig folgen können, versichre mich aber nichts destoweniger sowol deßwegen, als auch der durch die Eile mit eingelauffenen Fehler sanfftmüthiger Augen und eines geneigten Urtheils, damit ich durch solche wol Neigung kühne gemacht werde, mich künfftig mehr nutzbarer Sachen zu unterfangen. Welchem aber hierüber seinen Gifft zu spinnen gelüstet, dem stelle ich dieses Belieben frey, ihme zugleich versichrende, daß ich um eines Tadelsüchtigen willen weder Stirne noch Verrichtung ändern werde.99
Durch den häufigen Gebrauch von Naturmetaphern (»verwelkende Eitelkeits-Blumen«, »dürre Stiele«, »tausendfältigen Tugend-Früchten«, »überausreiche Früchte«, »emsige Biene«, »anmuthsvollen Gesellschafts-Blumen«, »hiesige Honig-Beute«) wird kundgetan, daß hier ein Mitglied des Blumenordens seine Sprachkunst an den Tag legt.100 Was die 99 Ebd., Bl. )(3b –)(4b. 100 Auch andere Blumenhirten pflegten einen metaphernreichen Stil. Zur Lyrik der Pegnitzschäfer vgl. die einschlägigen Beiträge in dem Sammelband von John Roger Paas (Hg.): »Der Franken Rom«. Nürnbergs Blütezeit in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, Wiesbaden 1995.
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Stilmittel anbelangt, trifft insofern in der Vorrede Nürnberg auf Paris, wohingegen im übersetzten Text – um im Bild zu bleiben – Paris auf Nürnberg trifft. Die Eigentümlichkeiten des Sprachstils von Madeleine de Scudéry charakterisiert Renate Kroll in einem Gedenkartikel auf die Französin: Ihre moralphilosophischen Lehrgespräche […], ihre Gedichte und selbst die Lobgedichte auf das Königshaus, ihre Abhandlung über Gloire (für die sie 1671 den Preis der Académie française erhielt) oder über die Poesie françoises (1684) schreibt Madeleine de Scudéry in einem leichten, geschliffenen, zuweilen aphoristischen, immer aber dialogischen Stil.101
Da die Klugen Unterredungen bereits fünf Jahre nach der Erstveröffentlichung des ursprünglichen fremdsprachigen Textes auf dem Markt verfügbar waren, konnte Kopsch beim Publikum manches als bekannt voraussetzen, was wir uns erst wieder mühevoll erschließen müssen, so etwa, daß die Conversations sur divers sujets zum Spätwerk der Autorin zählen. Lediglich mit der Bezeichnung »weltkluge Erfahrerin« wird das Alter der Autorin und damit die Schaffensperiode angedeutet. Die »vielen anmuthsvollen Gesellschafts-Blumen« und die »Honig-Beute« sind als Anspielung auf die Entstehung des Werkes aufzufassen, wobei mit den in diesem Kontext erwähnten ehrlichen Leute jene »honnêtes gens« gemeint sein dürften, deren Verhalten und Psychologie Madeleine de Scudéry in ihrem Salon und andernorts studierte. Mit dem Vermögen begabt, andere richtig zu beurteilen,102 verarbeitete die Autorin die Summe dieses ihres geistigen Kapitals in ihren Romanen, Novellen, Frauenporträts, Gedichten und Konversationenbänden. Renate Baader ging im Rahmen ihrer eindrucksvollen Untersuchung zu den französischen Salonautorinnen der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts der Frage nach, wieviele Originalbeiträge im ersten Konversationenband enthalten sind. Sie kam nur auf eine geringe Anzahl. Mehrheitlich erwiesen sich die Lehrgespräche als teils wortwörtlich nachgedruckte, teils redigierte, überarbeitete oder kontaminierte Auszüge aus früheren Werken der Verfasserin: den Schlüsselromanen Artamène ou le Grand Cyrus (10 Tle., 1649–1653) und Clélie, histoire romaine (5 Tle. in 10 Bdn., 1654–1660) sowie den Novellen Mathilde (1667) und La promenade de Versailles (1669).103 Gab es einen zwingenden Grund für die ältere Dame, »alten Wein in neue Schläuche zu füllen«? Hier ein Erklärungsversuch: Kopsch scheint die 101 Der Artikel erschien in der Neuen Zürcher Zeitung Online. Renate Kroll: Im Reich des Feingeists. Zum 300. Todestag von Madeleine de Scudéry, in: www.nzz.ch/2001/06/02/fe/page-article7DJPC, S. 1–3, hier S. 3. 102 Carl Friedrich Pockels: Versuch einer Charakteristik des weiblichen Geschlechts. Ein Sittengemählde des Menschen, des Zeitalters und des geselligen Lebens, 5 Bde., Hannover 1797–1802, Bd. 3, S. 417 f.: »Die Werke der Madem. de Scudery habe ich nicht ungenutzt gelassen. Diese alte gelehrte Dame schrieb zwar mit einiger Erbitterung gegen die Liebe, und hält dem Amor in ihrer fragmentarischen Abhandlung de l’amour eine wahre Schandrede; allein sie giebt Stoff zum Nachdenken, und ihre Gewissensfragen über die Liebe, so pedantisch sie auch hier und da scheinen mögen, verrathen die genaue Menschenkennerinn.« 103 Renate Baader: Dames de lettres. Autorinnen des preziösen, hocharistokratischen und »modernen« Salons (1649–1698): Mlle de Scudéry - Mlle de Montpensier - Mme d’Aulnoy (Romanistische Abhandlungen; 5), Stuttgart 1986, S. 314, Anm. 38.
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konzentrierte Form der Wissensvermittlung, wie sie der erste Konversationenband aufweist, weitaus mehr geschätzt zu haben als umfängliche, weniger der Erbauung, denn der Zerstreuung und Vergnügung dienende Romane. Rosmarie Zeller entdeckte in den Beständen der Zentralbibliothek Zürich ein Exemplar der Entretiens de morale (2 Bde., 1692), ebenfalls ein Konversationenband von Madeleine de Scudéry. Darin findet sich der wohl aus dem 18. Jahrhundert stammende handschriftliche Eintrag eines Benutzers/einer Benutzerin, welche sich der in Frankreich lauter werdenden Kritik an den Romanen der Erfolgsautorin anschloß: Les conversations et Entretiens de Mlle de Scudéry sont ce qu’elle a fait de meilleur, quoiqu’on ne puisse s’empêcher de renonnâitre a travers les romans un esprit aimable et cultivé par beaucoup de Lecture, poli par le commerce qu’elle avoit avec les plus honnestes gens de son siecle, mais malheureusement dirigé par le fort mauvais gout – car elle n’a été heureuse ni dans le choix ni dans l’Execution de ses enormes Romans.104 (Die Unterhaltungen und Gespräche der Mademoiselle de Scudéry sind das Beste, was sie geschaffen hat, obwohl man nicht umhin kann, den liebenswürdigen und durch vieles Lesen gebildeten Geist anzuerkennen, der ihre Romane durchzieht, geschliffen durch den Umgang mit den ehrenwertesten Vertretern ihrer Zeit, aber unglücklicherweise gelenkt von einem sehr schlechten Geschmack, denn sie bewies weder bei in der Wahl noch der Ausführung ihrer umfangreichen Romane eine wirklich glückliche Hand.)
Die Literaturwissenschaft unterscheidet heute zwischen dem Dialog als eigenständigem »Text in Gesprächsform«105 und dem Dialog als »Wechselrede, Unterredung, Gespräch innerhalb von dramatischen, epischen oder lyrischen Texten«.106 Kopsch hatte mit Sicherheit den Text in Gesprächsform vor Augen, als sie im zweiten Satz der Leservorrede an die Traditionslinie erinnerte, in die sich der erste Konversationenband einreiht.107 De Scudéry vertrat die Meinung, auf der Grundlage von Büchern könne nicht erlernt werden, wie man in Gesellschaft reden solle. Diese Auffassung determinierte ihre Wahl der Lehrart. Kopsch beschreibt diese mit dem Verb »vorgestellet«. Wir würden den Tatbestand, den Kopsch mit diesem Wort einzufangen suchte, folgendermaßen ausdrücken: Die Autorin wollte nicht Regeln vorschreiben, sie war dazu angetreten, deren Anwendung an themenzentriert diskutierenden Figuren modellhaft vorzuführen. Dem Wort »kunst-artig« ist in diesem 104 Rosmarie Zeller: Spiel und Konversation im Barock. Untersuchungen zu Harsdörffers Gesprächspielen (Quellen und Forschungen zur Sprach- und Kulturgeschichte der germanischen Völker N. F.; 58), Berlin u. a. 1974, S. 100, Anm. 197. Für Hilfestellung bei der Übersetzung des handschriftlichen Eintrages danke ich Helga Meise. 105 Thomas Fries/Klaus Weimar: Dialog2, in: Klaus Weimar (Hg.), Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Neubearbeitung des Reallexikons der deutschen Literaturgeschichte, Bd. 1, Berlin u. a. 1997, S. 354–356, hier S. 354. 106 Ernst W. B. Hess-Lüttich: Dialog1, in: Klaus Weimar (Hg.), Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Neubearbeitung des Reallexikons der deutschen Literaturgeschichte, Bd. 1, Berlin u. a. 1997, S. 350 –353, hier S. 350. 107 Kopsch (Anm. 98), Bl. )(3b. Konzentriert man sich auf den genetischen Aspekt der Lehrgespräche, ist es folgerichtig, den ersten Konversationenband als Anthologie zu bezeichnen. Kopschs Augenmerk lag jedoch auf der Form der Wissensvermittlung.
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Zusammenhang die Funktion zugedacht, die ambitionierte Sprachgestaltung der Pariserin hervorzuheben. Nach Kopsch war de Scudéry eine Autorität auf dem Gebiet des Anstands – ein Umstand, der das Werk für das deutsche Publikum zur Pflichtlektüre machte (»Wie aber nun die rechte Bahn gebrochen, und die Unanständigkeit vermieden werden solle, hat Mademoiselle de Scudery […] kunst-artig vorgestellet«). Da Kopsch davon absah, sich auf weitere Respektspersonen zu berufen, um die Wahl ihrer Vorlage zu rechtfertigen, erfahren wir auch nicht, wie andere über den ersten Konversationenband urteilten. Die Frage, wie das Werk in und außerhalb von Frankreich aufgenommen wurde, scheint von Kopsch als zweitrangig bewertet worden zu sein. Für sie stand die Aufgabenstellung im Vordergund, wie die Aufmerksamkeit des deutschen Publikums so auf den Band gelenkt werden konnte, daß dieser seinen Nutzen erfüllte und in die Breite wirkte. Als mitteilenswert erachtete sie die Klugheit und Erfahrenheit (»eine weltkluge Erfahrerin«), die Gelehrsamkeit (»dieses gelehrte Frauenzimmer«), die souveräne Formbeherrschung und die inhaltliche Sachkompetenz (»die Höhe des Geistes, welchen dieses gelehrte Frauenzimmer in ihrer Sprache erwiesen«), den Sachverstand in moralischen Fragen (»so wird dannoch eine befliessene Ausdruckung der beliebten Tugenden und verhasten Laster nicht ermangeln«) sowie den unermüdlichen Fleiß (»als eine emsige Biene«) einer Schriftstellerin, die mehr gedruckte Seiten vorweisen konnte als jede andere Autorin vor ihr. Um Kopschs Leistung als Übersetzerin angemessen würdigen zu können, hat man sich zu vergegenwärtigen, auf welchen Traditionen sie aufbaute. Von frühen literarischen Zwitterbildungen, die angeblich von Frauen stammen, ist bei Lotte Traeger die Rede: Als Übersetzerin der französischen Chansons de geste wurde Elisabeth von Nassau-Saarbrücken (1397– 1456) bekannt. Eng hielt sie sich dabei an die bestehende Vorlage, nur sittlich bedenkliche Stellen änderte sie um. Diese Romane wurden später zu Volksbüchern, es ist die erste Form des Prosaromans. Die gleiche Aufgabe, französische Romane zu übertragen, hatte sich auch Eleonore von Österreich [um 1433–1480, SK] gestellt.108
Diese Zuschreibungen gelten heute nicht mehr als gesichert,109 daher tauchen die von Traeger genannten hochadligen Übersetzerinnen in der nachfolgenden bibliographischen Übersicht, welche die von mir ermittelten gedruckten deutschen Übersetzungen von Frauen bis einschließlich 1685 aufführt, nicht auf. Marie Fabry/Übers. Marie Fabry: Trewhertziger Wegweiser, zu einem christenlichen gottseligen Leben, vnd Absterben, auß heiliger Schrifft zusammen gezogen. Durch Maria Fabry, jetzund aber auß dem Frantzösischen corrigierten Original teutsch vbersetzt, Basel 1626.110
108 Traeger (Anm. 11), S. 20. Vgl. auch Reinhard Hahn: »Von frantzosischer zungen in teütsch«. Das literarische Leben am Innsbrucker Hof des späteren 15. Jahrhunderts und der Prosaroman Pontus und Sidonia (A) (Mikrokosmos. Beiträge zur Literaturwissenschaft und Bedeutungsforschung; 27), Frankfurt/M. u. a. 1990. 109 Freundliche Auskunft Ute von Bloh. 110 Die Muttersprache der Berner Bürgerin Maria Fabry war Französisch. Woods/Fürstenwald (Anm. 37), S. 31.
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Joseph Hall/Übers. Margareta Maria Bouwinghausen und Wallmerode: Waarer und großmütiger Christen Krieg- Sieg- und Frieden-Spiegel erstlich in englischer Sprach herauß gegeben, durch Msr. Joseph Hall hernach von Monsr. Cheureau, in Frantzösisch übersetzet: vnd auß disem; zu sonderbarer Bezeugung, der Treu und Wolgewogenheit, gegen ihrem geehrten Geburts-Land’ in rein Hoch-Teutsch gebracht. Durch eine tugend-begierige Liebhaberin der hochberühmten teutschen Völckerschafft. 2. Tim. 2. v. 5. Niemand wird gekrönet, er kämpffe dann recht, Tübingen 1652. [Luca Assarino]/Übers. Johanna Lorentz von Adlershelm: Verteutschte Stratonica, Amsterdam 1666. Neuaufl. 1668, weitere Aufl. 1675.111 Pierre Charron/Übers. Margareta Maria Bouwinghausen und Wallmerode: Das Liecht der Weißheit, zu Erforschung deß Ursprungs und wahrer Eigenschafften aller Dinge den Weg zeigend. Angezündet durch den Herrn von Charron, in französischer Sprache. Und nun übersezt, durch eine teutschliebende Feder, [2 Tle.], Ulm 1668. Titelausg. 1669. [Dominique Bouhours]/Übers. Eleonora Magdalena Theresia, geb. Pfalzgräfin bei Rhein: Christliche Gedancken auff alle Tag deß Monats. Auß dem Frantzösischen in das Teutsche übersetzt, München 1673.112 (Weitere Aufl. 1673, 1677, 1682, 1685, Neuausg. 1686, Neuausg. 1700, Neuausg. 1701) Louis Du May/Übers. Antonia Sophia Du May: Würtembergische Thränen-Quell oder Traur-Rede über die hohe Geburth, das glorwürdige Leben, und den betraureten Hinfall deß durchlechtigen, hochgebohrnen Fürsten und Herrn, Hrn. Eberhard deß dritten dises Namens, von Gottes Gnaden. Hertzogen zu Würtemberg und Teck, Graffen zu Mömpelgard, und Herrn zu Heidenheim. Auff Frantzösisch gemacht und abgeleget in dem Illustri Collegio. Durch Ludwig DuMay, Ritter, etc. und jn das Teutsche übersetzet, von Antonia Sophia DuMay, von Saletes, Tübingen 1674. Guillaume de Salluste Du Bartas/Übers. Catharina Regina von Greiffenberg: Sieges-Seule der Buße und Glaubens, wider den Erbfeind Christliches Namens: aufgestellet, und mit des Herrn von Bartas geteuschtem [geteutschtem, SK] Glaubens-Triumf gekrönet, durch Catharina Regina, Frau von Greiffenberg, Freyherrin auf Seissenegg, Nürnberg 1675, S. 251– 328. Anonym/Übers. Barbara Helena Kopsch: Vernünfftige GemüthsBeruhigung oder kurze LehrSätze, wie die Begierden bey allen Begebenheiten vernünftig und wol zu regieren, und die wahre Zufriedenheit zu befördern; aus dem Französischen in das Teutsche übersetzt, auch mit
111 In der »Damenbibliothek« findet sich nach der Titelaufnahme folgender Zusatz: »*Von einem Jtaliäner, aus welcher es in Französische, aus beydem aber ins Hochteutsche ist gebracht worden von einem von Leipzigk gebürtigen Frauenzimmer, die sich in der Zuschrifft J. L. V. A. unterschreibet. * Johanna von Adlershelm, Wenceslai Weichards Grafen von Oppersdorff Wittib, eine Tochter Chr. Lorenzens von Adlershelm Burgermeisters in Leipzig.« 112 Bei der Ermittlung der Übersetzerin gewährte mir Christian Büchele von der Universitätsbibliothek Eichstädt-Ingolstadt wertvolle Unterstützung. Die Übersetzung stellt ein Jugendwerk der späteren deutschen Kaiserin Eleonore Magdalena Theresia (1655–1720) dar. Bislang wurde das Werk dem Jesuitenschriftsteller Theodor Smackers zugeschrieben.
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Sinnbildern und Gedichten vermehret durch die Blumen-Hirtin an der Pegnitz Erone, Nürnberg, Frankfurt am Main und Leipzig 1684. Anonym/Übers. Elisabeth von Baden-Durlach: Tausend merckwürdige Gedenck-Sprüch auß unterschiedlichen Autoren zusammengezogen und in teutsche Verse übersetzt, Durlach 1685. 2. Aufl. 1696. Neuausg. 1834. Madeleine de Scudéry/Übers. Barbara Helena Kopsch: Kluge Unterredungen der in Frankreich berühmten Mademoiselle de Scudery, worinnen uber unterschiedliche Sachen sehr nachdenkliche Gedanken, und lehrrichtige Gespräche enthalten. […] Aus dem Französischen in das Teutsche gebracht, und mit beygesetzten Figuren und Gedichten erweitert durch die bey den Blumen-Hirten an der Pegnitz so genannte Erone, 2 Tle., Nürnberg 1685. Keines der weiblichen Mitglieder des Blumenordens wies Kopsch den Weg zur Übersetzungskunst. Mit ihren Übersetzungen führte sie die Arbeit punktuell weiter, die Georg Philipp Harsdörffer, Mitstifter und von 1644 bis 1658 erster Präses des Hirtenordens, begonnen hatte. Dieser setzte sich in den vierziger Jahren – in diesem Jahrzehnt erschienen seine Gesprächspiele (8 Tle., 1641–1649) – vehement für den Einbezug von gebildeten Frauen in die von ihm favorisierte Geselligkeitskultur nach romanischen Vorbildern ein. In den fünfziger Jahren übertrug er drei Schriften des anglikanischen Erbauungsschriftstellers Joseph Hall (1574–1656) ganz oder auszugsweise ins Deutsche. Hall gehörte zu einer Gruppe von Autoren des 17. Jahrhunderts, die stoische Ideale rezipierten und zielgruppenorientiert weitervermittelten. Zur Hall-Rezeption in Deutschland bemerkt Udo Sträter: »Zwischen 1650 und 1660 entdeckten Mitglieder und Freunde der ›Fruchtbringenden Gesellschaft‹, unter ihnen vor allem der Nürnberger Kreis um Georg Philipp Harsdörffer und Johann Michael Dilherr, die Schriften Joseph Halls, in dessen Werk Erbauungsliteratur zugleich literarische Avantgarde ist.« 113 Noch kurz vor seinem Tod veröffentlichte Harsdörffer einen ganz in belehrendem Stil abgefaßten, auf die Bedürfnisse von Männern ausgerichteten »Discursus von der Höflichkeit«.114 Harsdörffer und Madeleine de Scudéry, beide Jahrgang 1607 (keiner der beiden zitiert Schriften des andern in seinen Werken), wären sich in zwei Punkten einig gewesen: Die Klugheit gemahnt auch Frauen, die »Hoftugend« 115 der Höflichkeit zu erlernen, und wie Männer sind sie fähig, auf diesem Gebiet Vorbild für andere zu sein. Nur hätte Harsdörffer, dessen Denken noch mehr in patriarchalischen Vorstellungen verwurzelt war, nicht gewollt, daß Frauen eine den Lebensunterhalt sichernde Profession aus der Schriftstellerei, welcher Art auch immer sie sei, machen. Madeleine de Scudéry, bürgerlich, unverheiratet, kinderlos, trotz vereinzelt geäußerter 113 Udo Sträter: Sonthom, Bayly, Dyke und Hall. Studien zur Rezeption der englischen Erbauungsliteratur in Deutschland im 17. Jahrhundert (Beiträge zur historischen Theologie; 71), Tübingen 1987, S. 10; vgl. zu den Hall-Übersetzungen von Harsdörffer die Quellenbibliographie (S. 140) dieser Monographie. 114 Octavianus Chiliades [Pseud., Georg Philipp Harsdörffer]: Mercurius historicus. Der historische Mercurius. Das ist: Hundert neue und denckwürdige Erzehlungen […]. Mit Anfügung eines umbständigen [sic] Discursus von der Höflichkeit […], Hamburg 1657, S. 315–367. 115 Ebd., S. 318.
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Kritik hochgeachtet, vom Verkaufserlös ihrer Bücher und von Pensionen lebend 116 – nirgendwo jenseits der Grenzen Frankreichs stieß man zu deren Lebzeiten auf eine auch nur entfernt vergleichbare Autorin. Was diese frühe Berufsschriftstellerin verkörperte, war kaum weniger eindrucksvoll und wirkmächtig als ihr umfangreiches literarisches Œuvre.117 Die Suche nach Rezeptionsbelegen förderte den Befund zutage, daß die Konversationenbände der Französin jahrzehntelang wertgeschätzt wurden. Das Wirkungspotential der Lehrgespräche ergab sich aus der Tatsache, daß die interagierenden Figuren und die Konversationen Modellcharakter trugen und vom Publikum praktizierend in das wahre Leben eingebracht werden konnten. Das Moment der Inklusion von zweckdienlichem Wissen in die Bände sowie der Aspekt der emanzipationsfördernden Befähigung zu kritischer (Selbst-)Reflexion wurde bereits von Baader im Kontext ihrer Auseinandersetzung mit der erzieherischen Funktion der Lehrgespräche herausgestellt, wohingegen sie die Gebrauchsfunktion der Konversationenbände als Fibeln der guten Sitten und der Höflichkeit mit keinem Wort erwähnt: Im Unterschied zu den übrigen Dialogautoren, die, um dem Pedantentum zu begegnen, das in der Lektüre erworbene Bildungsgut des Traktats in das mehrstimmige Unisono zu retten versuchten, machte Mlle de Scudéry Ernst mit der Scheidung von Gelehrsamkeit und Konversation, (männlichem) Buchwissen und einer (frauenorientierten) geselligen Mitteilsamkeit. Die »Entretiens« hatten für die Leserinnen eine zweifache erzieherische Funktion. Neben der unaufwendigen Wissensvermittlung lehrten sie diese, die Leitbilder und die Lebenspraxis ihres Geschlechts auf ihre Gültigkeit hin zu prüfen.118
In einem neueren Aufsatz hebt die Romanistin, wiederum mit Blick auf die Intentionen der französischen Autorin, hervor, Madeleine de Scudéry habe in der Figur der Sapho »den selbstgegebenen Auftrag zu einer – preziösen – Aufklärung und Erziehung beider Geschlechter« 119 illustriert. Daß Anstandserziehung ein integraler Bestandteil des Bildungsprogramms der französischen Autorin ist,120 diesen Gedanken ließ Baader nicht zu, als zu reaktionär gilt diese Thematik der feministischen Literaturwissenschaft in der Romanistik.121 Am Beispiel der Conversations-Übersetzung von Kopsch und den nachfol116 Zur Herkunft und Höhe der Geldmittel, über die die Autorin verfügte, vgl. Renate Baader: Mademoiselle de Scudéry (1607–1701), in: Margarete Zimmermann u. a. (Hg.), Französische Frauen der Frühen Neuzeit. Dichterinnen, Malerinnen, Mäzeninnen, Darmstadt 1999, S. 157–171, 275–276, hier S. 161. 117 Chantal Morlet Chantalat: Madeleine de Scudéry (Bibliographie des écrivains français; 10), Paris u. a. 1997. 118 Baader (Anm. 103), S. 217. 119 Baader (Anm. 116), S. 161. 120 Vgl. Maurice Magendie: Les romans de Mlle de Scudéry. Le Grand Cyrus et la Clélie. Importance des conversations, in: ders., La politesse mondaine et les théories de l’honnêteté en France, au XVIIe siècle, de 1600 à 1660, 2 Bde., Paris [1926], Bd. 1, S. 629–692. 121 Baader (Anm. 116), S. 163. Man kann, um beim Beispiel Madeleine de Scudéry zu bleiben, der Französin nicht den Vorwurf machen, sie habe das Inventar an Schicklichkeitsnormen nicht daraufhin examiniert, welche Regeln sich »positiv« auf die Sanktionierung und Verfestigung von patriarchalischen Strukturen auswirken. Aus diesem gesellschaftlichen Funktionsmechanismus entspringende
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3. Frauen lehren die Normen des Umgangs: Die Vorgeschichte der Anstandsbuchautorin
genden Textdokumenten soll nachgezeichnet werden, wie die dem Rationalismus nahestehende französische Autorin sich über die Grenzen ihres Landes hinaus als Moralistin und Anstandslehrerin einen Namen machte. Zu betonen gilt es, daß die Wirkungsgeschichte der Autorin und ihres Werkes im deutschsprachigen Raum nicht mit dem 18. Jahrhundert abbricht, wie – sachbedingt – in diesem Abschnitt, und sie endet auch nicht mit der berühmten Novelle Das Fräulein von Scuderi (1819) von E. T. A. Hoffmann.122 Drei Jahrzehnte nach den Klugen Unterredungen erschien im ersten Jahrgang der Summarischen Nachrichten (1715), einer von dem Frühaufklärer Christian Thomasius gegründeten Rezensionszeitschrift, eine deutsche Inhaltszusammenfassung von Madeleine de Scudérys zweitem Konversationenband, den Conversations nouvelles sur diverses sujets (2 Bde., 1684). Alles spricht für die Zuschreibung der Autorschaft an Sophia Elisabetha Thomasius, der jüngsten Tochter von Christian Thomasius.123 Unter der Überschrift »Conversations nouvelles sur diverses [sic] sujets. Oder: Neue Unterredungen über allerhand Dinge, gedruckt zu Amsterdam anno 1685. in 12mo. 420. pag. 18. Bogen« wird im elften Stück der Zeitschrift das Lehrgespräch »De la Politesse« zusammenfassend wiedergegeben. Die zweyte Unterredung stellet (p. 53.) die Politesse, Artigkeit oder Manierligkeit dar, und von derselben wird gesagt: daß sie von der so genanten galanten Air in der Welt zu leben unterschieden sey, (p. 55.) weil man wohl ohne diese, nicht aber ohne jene, sich der Wohlanständigkeit gemäß aufführen könte. Es sey ihr aber (p. 56. ad 59.) die Grobheit entgegen gesetzt, und sie bestehe darinnen, daß man wohl und ordentlich zu leben, zu conversiren und zu reden, sich vernünfftig in die Zeit zu schicken, und jedermann freundlich, höflich und gebührend zu begegnen wüste. Zu dem Ende nun müsse man die morale wohl verstehen, seine Gedancken nicht über alles so gleich eröffnen, oder allzufrey reden, und sich wohl hüten, daß man nicht von irgend einem Fehler spräche, in Gegenwart solcher Personen, die denselben an sich hätten, oder auch jemand, der es verdienet, ins Gesicht lobe. Weiter wird (p. 60. 61.) gewiesen, daß die Politesse zwar allenthalben könne angetroffen, aber nirgend als am Hoffe erlernet werden, und also müste man diejenigen entschuldigen, welche nicht an solchen Oertern gewesen wären, da sie sie hätten lernen können, und daher wieder dieselbe handelten, und schicke es sich nicht, an einem Fremden etwas zu tadeln, das er nicht wissen könte, oder von fremden Ländern und Oertern in Gegenwart derjenigen, die daher wären, übel zu sprechen. (p. 62.) Hierauff wird noch ferner gezeiget, daß sie allenthalben statt finden könne, nur müsse man sie bey denenjenigen nicht suchen, (p. 67.) derer einige Freude im Wohlleben bestünde, und die da nur geneigt wären,
Fehlentwicklungen wie die Hervorbringung und Legitimierung von leidbringenden Handlungen hinderten die Autorin jedoch nicht daran, gegen Grobheit und Rohheit zu Felde zu ziehen. 122 Das gegenwärtige Interesse an der Autorin und ihrem Werk spiegelt das folgende Beispiel: Sabine Koloch: Der Carte de Tendre eine Erzählung einschreiben. Dialog mit der Medienkünstlerin Susanne Weirich über die Dia-Installation Elle ne perd pas le nord, in: Frauen, Kunst, Wissenschaft. Rundbrief 14, 2001, 32, S. 46–57. Der Text wurde von Wanda G. Klee ins Französische übersetzt (im Anmerkungsapparat gekürzt): Conversation avec Susanne Weirich: »Elle ne perd pas le nord« – inscrire un conte dans la Carte de Tendre, in: Delphine Denis u. a. (Hg.), Madeleine de Scudéry: une femme de lettres au XVIIe siècle, Arras 2002, S. 307–315. Wiederabdruck des Interviews und Teilabdruck der Einleitung zum Interview (ohne Anmerkungsapparat) in: Susanne Weirich/Robert Bramkamp, Der Schleier zwischen den Bildern [2001], www.kunst-als-wissenschaft.de/mulitmedia/Schleier-Text.pdf. 123 Koloch (Anm. 67), S. 230.
3.2 Frankophile Übersetzerinnen und Autorinnen
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was Gutes zu essen und zu trincken; weil solche Leute insgemein Feinde der Tugend und aller Wohlanständigkeit wären, und wohl nicht leicht ein Laster seyn würde, darauff sie sich nicht wohl verstehen solten. Zum Beschluß ist (p. 70.) noch angeführet, daß eine genaue und vorsichtige, doch aber ungezwungene Beobachtung aller Dinge ein nothwendiges Stück der Politesse sey, und daß weil man sich in Ansehung derselben meistentheils nach dem Hoffe richtete, und auch richten müste, (p. 77. seqq.) ein Regent sehr wohl thäte, wenn er an seinem Hoffe, und unter seinen Unterthanen gute Sitten, und eine vernünfftige Aufführung einzuführen, und also zu regieren suchte, daß ein jeder auf ihn sehen könte.124
Etwa zur gleichen Zeit veröffentlichte August Bohse, ein Autor, der für das aufsteigene Bürgertum schrieb, das in die höfische Hierarchie drängte, bei Adam Jonathan Felsecker in Nürnberg unter dem Titel Die Manier, wie man sich in der Conversation, sowol mit hohen, vornehmen Personen, seines Gleichen und Frauenzimmer, bescheiden und klüglich verhalten, und zu einer galanten Conduite gelangen möge, so unlängst, von einem hochgelehrten Mann, auf einer berühmten Universität, einigen Herren Studiosis in einem collegio conversatorio fürgetragen, und zu gemeinem besten [sic] anjetzt zum Druck befördert worden (1713, weitere Aufl. 1714, 1715, 1717, 1724) 125 die überarbeitete Mitschrift einer Vorlesung von Christian Thomasius, der durch diese und verschiedene andere veröffentliche Mitschriften »nicht nur als Decorumsystematiker, sondern auch als Lehrer konkreter Conduite und Soziabilität in Sicht« kommt.126 Im Kapitel »Von der Conduite insgemein« gibt Bohse den Ratschlag, durch Bücherstudium seine Gebarung zu vervollkommnen. Mit dem nachfolgend zitierten Textausschnitt aus Bohses Konversations- und Anstandslehre soll dem denkbaren Vorurteil begegnet werden, die Konversationenbände von Madeleine de Scudéry wären nur von Frauen unter dem Gesichtspunkt gesellschaftlichen Wohlverhaltens rezipiert worden (Bohse übersetzt in der zitierten Passage die ersten zwei Titel ins Deutsche). § 25. Hingegen sind zu erster Einführung der Conduité [sic] folgende gut, Instructions Politiques pour un Gentilhomme [von einem Anonymus, SK], oder politische Unterweisung vor einen Edelmann, welcher zu Pariß A. 1695. in 12. heraus kommen. Jt. Discours sur la bienseance avec des maximes [von Abbé Jean Pic, SK], oder Discours von dem wol Anstande, das ist was wol anstehet, mit Maximen und nöthigen Reflexionen über dasjenige, was da in der Conversation gefallen oder mißfallen kan, heraus gegeben, in Amsterdam 1691. Man hat auch les Conversationes der Madame Scuderi
124 [Sophia Elisabetha Thomasius:] Rez. o. T. [Conversations nouvelles sur divers sujets (1685)], in: Summarischer [sic] Nachrichten von auserlesenen, mehrentheils alten, in der Thomasischen Bibliotheque vorhandenen Büchern 1, 1715, St. 11, S. 964–989, hier S. 967–969. Madeleine de Scudéry war für Christian Thomasius mitnichten eine Unbekannte. Vgl. Koloch (Anm. 67), S. 230, Anm. 53. 125 Man darf die Zeitangabe »unlängst« sicherlich wörtlich nehmen: Thomasius hielt sein Kollegium über Konversation wahrscheinlich 1712 oder 1713. – Ich halte es für möglich, daß nicht mehr alle Auflagen dieses Werkes nachweisbar sind. Beetz erwähnt nur die Auflage von 1724. Manfred Beetz: Ein neuentdeckter Lehrer der Conduite. Thomasius in der Geschichte der Gesellschaftsethik, in: Werner Schneiders (Hg.), Christian Thomasius (1655–1728). Interpretationen zu Werk und Wirkung (Studien zum achtzehnten Jahrhundert; 11), Hamburg 1989, S. 199–222, hier S. 199, Anm. 1. 126 Beetz (Anm. 1), S. 91–93, hier S. 93.
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auch den von mir aus dem Frantzösischen übersetzten Gemüths-Spiegel [von François de La Rochefoucauld, SK], so in 12. in Leipzig heraus kommen, und Herrn Professor Francken in Halle in Druck gegebene Lebens-Reguln.127
Der Litterärhistoriker Gottlieb Stolle (1673–1744) entdeckte unter den Neuerscheinungen des Jahres 1735 die Neuübersetzung des ersten Konversationenbandes von de Scudéry, die er ohne Wenn und Aber für gut befand. Die Sprachmittlerin hatte sich das Recht genommen, die zwei Titelworte »divers sujets« mit »Dingen, die zu einer wohlanständigen Aufführung gehören« zu übersetzten: Convers. der Mad. de Scudery. Ich habe vor mehr als dreyßig Jahren eine teutsche Ubersetzung davon gelesen, die mir aber nicht gefallen wollte, folgende aber macht: daß man nun diese Gespräche mit eben so viel Vergnügen teutsch als französisch lesen kan: Der Mad. Scudery Scharffsinnige Unterredungen von Dingen, die zu einer wohlanständigen Aufführung gehören, übersetzte von Christiana Mariana von Ziegler gebohrne Romanus. Leipzig 1735.128
Schon zu einem früheren Zeitpunkt129 wies ich darauf hin, daß dieser 1732 und 1734 mit dem Preis der Poesie der Deutschen Gesellschaft in Leipzig ausgezeichneten Schriftstellerin und Übersetzerin nach Erscheinen zweier Gedichtbände sowie der Moralischen und vermischten Send-Schreiben (1731), einem das Thema Anstand berührenden Werk, zwischen 1733 und 1736 das Prädikat »deutsche Scudéry« zugesprochen wurde. 1735 hatte die Leipzigerin gegenüber ihrer Freundin Eleonore von Damnitz, geb. von Felshardt, der Hoffnung Ausdruck verliehen, diese werde dereinst für dasjenige verehrt werden, »was Frankreich an seiner Scudery bewundert hat«: 130 Daher entstehen alle die scharfsinnigen Unterredungen, theils aus der Historie und Geographie, theils von Staatsangelegenheiten, theils aus der Sittenlehre, wovon Sie [gemeint ist Eleonore von Damnitz, SK] uns so vortheilhaft unterhalten können. Die letztern haben es auch gleichsam von mir gefordert, Ihnen gegenwärtige Unterredungen der Mademoiselle Scudery zuzueignen, welche ich mir, wegen ihrer besondern Annehmlichkeit und des allgemeinen Nutzens, aus der französischen in unsere Muttersprache zu übersetzen erwählet habe. Sie werden darinn eine rechte Abbildung von Ihrem eigenen Geiste antreffen: Und ich bin versichert, wenn Sie unsere Landsleute der Ehre würdigen wollten, Ihre Gedanken von allem, was zu einer vernünfftigen Aufführung gehöret, der Welt selbst mitzutheilen, so würden sie dasjenige an Ihnen verehren, was Frankreich an seiner Scudery bewundert hat.131 127 [August Bohse:] Die Manier, wie man sich in der Conversation […] zu einer galanten Conduite gelangen möge […], Nürnberg u. a. [1714], S. 12 f. 128 Gottlieb Stolle: […] Gantz neue Zusätze und Ausbesserungen der Historie der philosophischen Gelahrheit, Jena 1736, S. 54 f. 129 Koloch (Anm. 67), S. 244–247, hier S. 246. 130 Von Ziegler war voll des Lobes über de Scudéry: »Denn sie ist die erste in ihrer Nation gewesen, welche sich bemühet hat, eine gründliche Einsicht in aller Menschen Handlungen zu zeigen; und dadurch hat sie sich auch ins besondere um den Namen einer Sittenlehrerin verdient gemachet.« Christiana Mariana von Ziegler: Mein Leser, in: Madeleine de Scudéry, Der Mad. Scudery scharfsinnige Unterredungen […], Leipzig 1735, Bl. *5a–**4b, hier Bl. *5b. 131 Christiana Mariana von Ziegler: [Widmungsvorrede] Hochwohlgebohrne Frau, in: Madeleine de Scudéry: Der Mad. Scudery scharfsinnige Unterredungen […], Leipzig 1735, Bl. *2b–*4b, hier Bl. *4ab.
3.2 Frankophile Übersetzerinnen und Autorinnen
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Die Sichtweise von Nicolas Charles Joseph Trublet (1697–1770) auf die Konversationenbände legt einmal mehr in aller Deutlichkeit die Gebrauchsfunktion offen, die die Bände zum Zeitpunkt ihres Erscheinens und in den Jahrzehnten danach in Frankreich und – mit zum Teil erheblicher Verzögerung – in anderen Ländern hatten. Der Name der Übersetzerin des nachstehenden Textausschnitts aus den Essais sur divers sujets de littérature et de morale (2 Bde., 1735) lautet wiederum Christiana Mariana von Ziegler: Wir haben noch einige Bände abgetheilter Unterredungen von der Mademoiselle Scudery, über unterschiedene Dinge aus der Sittenlehre; eine so feine und leichte Feder, als die ihrige, war zu dieser Schreibart sehr geschickt; so wurden auch diese Gespräche, als sie zum Vorscheine kamen, sehr hochgehalten. Jndessen liest man sie heut zutage nicht mehr, und die vornehmste Ursache der Vergessenheit, worein sie gerathen sind, ist, daß sie eine Sache nachahmen, welche nicht mehr besteht, und daran wir den Geschmack verlohren haben. Vor diesem las man sie, sich zu guten Sitten und zur Höflichkeit zu gewöhnen; die Sitten und die Höflichkeit unsrer Zeit aber sind von den Sitten und der Höflichkeit der vergangenen Zeit sehr unterschieden, und man würde sich nur lächerlich machen, wenn man sie lernen wollte.132
Ich möchte die Reihe mit Quellenbelegen zu de Scudéry in speziellem Hinblick auf ihre Rolle und Bedeutung als Anstandsautorin an dieser Stelle abbrechen, um nochmals auf Barbara Helena Kopsch und deren kulturelle Leistung zurückzukommen. Eine »zweite Kopsch«, das heißt eine Sprachmittlerin, die zugleich als Graphikerin und Lyrikerin in eigener Sache tätig war, scheint es in der Frühen Neuzeit nicht gegeben zu haben.133 Es lassen sich jedoch viele weibliche Mehrfachbegabungen nachweisen, angefangen von Anna Maria van Schurman, über die Pegnitzschäferin Catharina Margaretha Dobenecker (gest. 1683) bis hin zu Elisabeth Sophie Chéron (1648–1711), Malerin, Zeichnerin, Graphikerin, Schriftstellerin, Lyrikerin, Übersetzerin und seit 1699 Mitglied der Accademia dei Ricovrati zu Padua. Durch ihre Lyrik und die Schriftbänder in den Graphiken profilierte Kopsch sich im ersten Konversationenband von de Scudéry gleichsam als »Mitautorin«, und nicht nur das. Sie setzte die Aufklärungs- und Erziehungsarbeit de Scudérys mit ihren Mitteln fort: Als Literaturvermittlerin setzte sie dort ein, wo schreibende Frauen ihres Landes zuvor innegehalten und geschwiegen hatten, denn was de Scudéry an Themen aufgriff, galt hier entweder als für Frauen »zu hoch« oder als zu weltlich. Christiana Mariana von Ziegler, im Gegensatz zu Kopsch eine begnadete Übersetzerin (sie kannte die Klugen Unterredungen nicht), verband mit ihrer Scudéry-Übersetzung ebenfalls eigenständige erzieherische Ziele: Sie hielt ihre Geschlechtsgenossinnen dazu an, sich das Formbewußtsein und die moralische Kompetenz der großen Französin zu eigen zu machen. Diesen Appell richtete sie an die (gebildeten) Frauen aller Stände:134 132 Nicolas Charles Joseph Trublet: Von der Art seine Gedanken in kurzen und nicht verbundenen Sätzen abzufassen, in: ders., Des Abtes Trublet Gedanken über verschiedene Sachen, welche zur Gelehrsamkeit und Sittenlehre gehören. Aus dem Französischen übersetzet von Christianen Marianen von Steinwehr, gebohrnen Romanus […], 2 Tle., Greifswald u. a. 1744, Tl. 1, S. 1–43, hier S. 42. 133 Ähnlich vielseitig wie Kopsch war Maria Sibylla Merian (1647–1717) (vgl. Abschnitt 1.1). Da Merian in sehr engem Kontakt zu Mitgliedern des Pegnesischen Blumenordens stand, könnte sie Kopsch gekannt haben. 134 Koloch (Anm. 67), S. 247.
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Da ich nun aus der Erfahrung überzeuget bin, daß nach dem Geschmacke heutiger Zeiten, die Lehren zur Tugend und einer wohlanständigen Aufführung, aus dem Munde einer Französin weit kräftiger in den meisten Seelen wirken, als die Ermahungen eines deutschen Frauenzimmers, so soll dieselbe itzo durch meine deutsche Feder reden. Meine Leserinnen ersuche ich hierbey, alle unnütze und leichtsinnige Bücher bey Seite zu legen, ihre erbaulichen heilsamen Lehren an statt der Romanen, zu lesen, und alle ihre Handlungen nach dieser Vorschrift einzurichten. Es wird ihnen unvermerkt ein Licht aufgehen, und sie werden dadurch zu einer wohlanständigen Aufführung gelangen. Meine Absicht ist gut, und hat nichts anders zum Grunde, als unter meinem Geschlechte eine Begierde zu erwecken, das Wahre von dem Falschen zu unterscheiden.135
Kopsch und von Ziegler setzten bei den Rezipient(inn)en die Erfahrung oder die Erkenntnis voraus, daß alle Frauen über Vernunft, Weisheit und Willensstärke verfügen, sofern sie nur richtig erzogen und ausgebildet werden. Aufgrund ihrer in religiösen Fragen liberalen Haltung stürzte es die beiden Übersetzerinnen nicht in einen Gewissenskonflikt, als Protestantinnen die Schrift einer Katholikin zu übersetzen, zumal in Deutschland mit dem Wechsel zum 18. Jahrhundert der konfessionelle Aspekt mehr und mehr in den Hintergrund trat. Kopsch war, wie aus ihren hochartifiziellen Gedichten und emblematischen Kupferstichen zu ersehen ist, die elitärere der beiden Conversations-Übersetzerinnen. Die Nürnbergerin stellte jedem der insgesamt fünfzehn Kapitel einen die jeweilige Thematik aufgreifenden Kupferstich voran, dessen Sinngehalt durch ein Gedicht erläutert wird. Genau genommen illustrieren die von Kopsch entworfenen Graphiken den übersetzten Text nicht, sie interpretieren ihn frei und selbständig. Dem ersten Kapitel »Unterredung von denen Unterredungen, und wie eine Unterredung seyn soll« (»De parler trop ou trop peu, et comment il faut parler«) wurde eine Graphik vorangestellt (Abb. 7), die Chronos zeigt, wie er Früchte ausstreut, unter denen Sapientia die passenden auswählt und in die Schale Hermes’, des Gottes der Beredsamkeit, legt.136 Der geistige Gehalt des Dargestellten entspricht dem rhetorischen Grundsatz: Alles will zu seiner Zeit und zu seinem Zweck gesagt werden. Auf der Banderole im Bild sind die Worte zu lesen: »So wird die Rede richtig.« Das erläuternde Gedicht voll schwerer Metaphern, Antithesen und Katachresen handelt vom Lohn, der dem Menschen winkt, der richtig reden gelernt hat. Als Versmaß wählte Kopsch den Alexandriner. DIe Unruh, welche sich an diesem Ufer reget, worauf der Zucker-West des süßen Odems schwebt, und durch des Hertzens-Drat mit Regung wird belebt, soll nicht lebendig todt mit Muße seyn beleget. Nichts gleichet dem Rubin der rothen Necktar-Klippen, woraus die Cyprie die Niedlichkeit ergeust, wann sie ihr loses Kind in ihre Arme schleust, 135 von Ziegler (Anm. 130), Bl. *5b –*6a. 136 Koloch (Anm. 67), S. 237, Abb. 2. Nach meinen Recherchen war Kopsch eine ebenso ingeniöse Zeichnerin wie Stecherin. Vorlagen scheinen von ihr nur herangezogen worden zu sein, um sich mit den themen- und motivspezifischen Darstellungskonventionen vertraut zu machen, nicht aber um detailgetreue Nachbildungen anzufertigen. Formale oder inhaltliche Bezüge zu den Buchillustrationen der Frawen-Zimmer Gespräch-Spiel (8 Tle., 1641–1649) sind nicht nachweisbar.
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und seine Rosen rührt mit ihren Honig-Lippen; jedoch wo dieses Hauß stets Wörter, öde stehet, so achtet man die Lust auf seinen Schwellen nicht, dieweil der Reitzungs-Krafft ein Gegensatz gebricht, der sonst auf ihre Frag als reiner Echo gehet; das ists, was der Vernunfft als Gleitsmann zugesellet, und beede sind ein Glanz, der Menschen menschlich macht; die Schönheit wird auch wol im todten Stein betracht, allein das Göttliche ist Menschen nur bestellet. Die Rede hat den Werth, dem schönste Schönheit weichet, Sie ist ein Ambrosin, so Göttern köstlich schmeckt, durch sie wird Held und That mit lauterm Ruhm entdeckt, was Zeit und Weißheit gibt, wird durch sie vorgezeiget. […]137
Die Klugen Unterredungen gingen ohne Gratulationsgedichte von »Blumgenossen« in den Druck, während bei Kopschs übersetzerischem Erstlingswerk zwei Mitgenossen, Martin Limburger, der Ordenspräses, und Christoph Adam Negelein die Vorzüge der Blumenhirtin dichterisch rühmen. Ist dieses Schweigen so zu interpretieren, daß die ConversationsÜbersetzung bei den Mitgenossen auf wenig oder gar kein Verständnis stieß? Schlüssiger erscheint mir die Antwort, daß für das Verfassen von Gratulationsgedichten die Zeit fehlte.138 Übrig bleibt die Frage, warum ein so unabhängiger Geist wie Kopsch nicht als Buchautorin aktiv wurde. Noch bis weit ins 18. Jahrhundert hinein war die Wertigkeit, die Übersetzungen ins Deutsche beigemessen wurde, für gewöhnlich eine ganz andere als heute, weil das Übertragen eines fremdsprachigen Textes in die Muttersprache als besonders geeignet erschien, die Entwicklung des Deutschen zur Literatursprache zu begünstigen. Übersetzen mit dieser Zielorientierung brachte Prestigegewinn mit sich, vorausgesetzt die Vorlage und die Übersetzung erfüllten die allgemein gültigen Qualitätsmaßstäbe. Vielleicht fühlte Kopsch sich noch nicht reif genug für ein Buchprojekt oder scheute das damit verbundene Risiko. Durch die Wahl ihrer Vorlagen und ihre staunenerregenden Graphikbeigaben war ihre Tätigkeit als Übersetzerin von vornherein mit einem gewissen Risiko behaftet, das lediglich dadurch gemindert wurde, daß sie sich dank ihres Gesellschaftsnamens Erone als Mitglied des Blumenordens ausweisen konnte. Man konnte der Blumenhirtin nämlich mit Fug und Recht vorwerfen, zu religionsferne Texte übersetzt und sich als Frau mit ihrer Gelehrsamkeit und Erfindungsgabe zu sehr in den Vordergrund geschoben zu haben. Hierin geistig mit Bouwinghausen verwandt, interessierte auch Kopsch sich für Werke, die als Frau zu übersetzen bedeutete, in Gattungstraditionen einzubrechen, die zwar schon dem Buchdruck zugeführt, im eigenen Land aber noch ganz in den Händen männlicher Autoren lagen. Der wagemutige Bruch mit überkommenen 137 Barbara Helena Kopsch: Die Unruh, welche sich an diesem Ufer reget, in: Madeleine de Scudéry, Kluge Unterredungen der in Frankreich berühmten Mademoiselle de Scudery […], Tl. 1, Nürnberg 1685, S. 1–3, hier S. 1 f. 138 Die Kürze der Übersetzungsvorrede – drei Seiten im Duodezformat – könnte ein Indiz für Zeitnot sein. Jedenfalls bittet die Autorin gegen Ende der Vorrede ihr Publikum für die »durch die Eile mit eingelauffenen Fehler« (Anm. 98, Bl. )(4b.) um Nachsicht.
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Glaubenssätzen, ihre Liebe zur deutschen Sprache, ihr unerschöpflicher Erfindungsreichtum sowie ihre Suche nach neuen Ausdrucksformen gehörten zu den hervorstechendsten Merkmalen dieser vielseitigen Persönlichkeit. Obwohl Kopsch mit ihrer ConversationsÜbersetzung den Moraldiskurs ihrer Zeit um zwei bemerkenswert emanzipierte weibliche Stimmen bereicherte, blieb diese Leistung der große Unbekannten des Pegnesischen Blumenordens der Forschung bis zum Jahr 1999 verborgen. Das letzte Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts war, was die Literaturversorgung von Frauen betrifft, eine Phase des Umbruchs. In diesem Dezennium stieg die Zahl der Drucke für, über und von Frauen überproportional an. Auf die Neunziger-Jahre-Produktion der Leipziger Verlagshäuser Fritsch und Gleditsch wurde in Abschnitt 1.1, auf drei Werke des Nürnberger Verlagshauses Zieger sowie auf den ersten Frauenkatalog von Christian Franz Paullini wird in diesem Abschnitt hingewiesen.139 Fernerhin liegen mir aus dieser Zeit die Titel von drei Buchübersetzungen von Frauen (Neuauflagen älterer Werke nicht miteinbezogen) vor. Die in Abschnitt 2.2 genannten Arbeiten von Johanna Eleonora Petersen, Hortensia von Salis und Rosina Dorothea Schilling sind ebenfalls in den neunziger Jahren entstanden.
2.
Hortensia von Salis
Eine weitere Anstands- und Konversationslehrerin des 17. Jahrhunderts war die in der Republik Graubünden lebende Schriftstellerin, Gelehrte und Heilkundige Hortensia von Salis, seit 1682 verh. Gugelberg von Moos (1659–1715).140 Die Bündnerin legte mit ihren Geist- und lehr-reichen Conversations Gesprächen, welche in ansehenlicher Gesellschafft, bey unterschidlichem Anlaaß, von göttlichen, sittlichen und natürlichen Sachen geführet; jezund aber durch eine hoch-adenliche Dame, alß fürnemstes Glid derselbigen, zu gemeiner und eigener Belustigung; absönderlich dem Frauenzimmer zu Ehren, in Form eines Romans, zu Papeir [sic] gebracht worden (1696) ein ambitioniertes Werk vor.141 Bei der Lektüre des Titels dieser Publikation fühlt man sich unweigerlich an die ersten zwei Konversationenbände von Madeleine de Scudéry erinnert: Die Worte »conversations« (»Conversations«) und »sujets« (»Sachen«) tauchen im Titel der Conversations sur divers sujets (2 Bde., 1680) und der Con139 Paullinis Zeit-kürtzende erbauliche Lust (3 Tle., 1695–1697) erschien beim Frankfurter Verleger Friedrich Knoch. 140 Sabine Koloch: Salis, Hortensia von, in: Wilhelm Kühlmann (Hg.), Killy Literaturlexikon. Autoren und Werke des deutschsprachigen Kulturraums. Begründet von Walther Killy, 2. Aufl. Berlin u. a. 2011 (im Druck). Ein Desiderat der biographieorientierten Hortensia-von-Salis-Forschung bilden werkanalytische Untersuchungen. 141 Schnell drang der Name der Autorin in die Öffentlichkeit, wie auch der in Klammern gesetzte Einschub in die Titelaufnahme der »Damenbibliothek« bestätigt: »Geist- und Lehr-reiche Conversations-Gespräche, welche in ansehnlicher Gesellschafft, bey unterschiedlichen Anlaß von göttlichen, sittlichen und natürlichen Sachen geführet; jetzund aber durch eine Hoch-Adeliche Dame etc. (Fr. Hortensia von Salis, verwittibte Guggelbergin von Mors [sic]) in Form eines Romans zu Papier gebracht worden. Zürich 696.«
3.2 Frankophile Übersetzerinnen und Autorinnen
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versations nouvelles sur divers sujets (2 Bde., 1684) auf.142 Von Salis und ihr an der Titelgestaltung mitwirkender Beraterkreis legten Wert darauf, die Gesprächsart, die dem Buch formal sein charakteristisches Gepräge verleiht und inhaltlich für ein bestimmtes Umgangsideal und Bildungsprogramm steht, auf der Titelseite aufs genaueste zu explizieren. Im Falle der Geist- und lehr-reichen Conversations Gespräche kam eine Lösung zustande, die so neu nicht war, denn schon der Hamburger Notar und Publizist Albert Sommer hatte für sein für beide Geschlechter konzipiertes Konversations- und Komplimentierbuch Der teutsche Anführer zu anmuthigen und zierlichen Conversations-Gesprächen (1662) die Wortfügung »Conversations-Gesprächen« verwendet.143 Für den Züricher Verlag, in dem das Konversationenbändchen von Hortensia von Salis erschien, könnte unter Vermarktungsgesichtspunkten gedeihlich gewesen sein, daß das mehrfach neu aufgelegte Buch von Sommer im Anhang von Johann Kaspar Suters Briefsteller Neu auffgerichtete Schreibkunst (Schaffhausen 1664) wiederabgedruckt wurde.144 Der Anhang trägt die Überschrift »Kurzer Anhang | Bestehend | Jn anmuthigen und zierlichen | CONVERSATIONS- | Gesprächen«. Der Vergleich der Titelblätter legt die Vermutung nahe, der Züricher Verlag könne sich bei der typographischen Gestaltung des Titels an Sommers Erfolgsbuch angelehnt haben, denn auch bei dem Züricher Druck wurde bei den Worten »CONVERSATIONS | Gespräche« mit Zeilenfall und Wechsel von Groß- zu Kleinschreibung sowie von Antiqua- zu Frakturschrift gearbeitet. Bei dem Versuch, dieser tautologisch anmutenden Wortfügung einen Sinn abzugewinnen, kam Rosmarie Zeller zu dem Ergebnis: »Man kann […] ›Conversations‹ als eine nähere Spezifizierung zu ›Gesprächen‹ lesen, es sind Gespräche, wie sie im geselligen Umgang gepflegt werden, denn nicht alle Gespräche sind auch ›Conversations‹.« 145 Nicht in der Schreibweise, wohl aber der Aussprache wurde das
142 Walter E. Schäfer: Deutsche Literatur zur Zeit des Barock, in: Werner Wunderlich (Hg.), St. Gallen. Geschichte einer literarischen Kultur. Kloster – Stadt – Kanton – Region, 2 Bde., St. Gallen 1999, Bd. 1, S. 329–370, darin: »Eine Dame des Landadels: Hortensia von Salis« (S. 349–356), hier S. 355. 143 Albert Sommer: Der teutsche Anführer zu anmuthigen und zierlichen Conversations-Gesprächen. Bestehende in 70 freundlichen Bespräch- und Beantwortungen, sowol für Frauens- als Mannes-Persohnen; auff vielerhand Begebnussen bey Freudens- und Traurzeiten gerichtet […], [Hamburg] 1662 (weitere Aufl. 1667, 1673, 1687, 1693). Vgl. Beetz (Anm. 1), S. 69. Manfred Beetz: Anstandsbücher und Kommunikationslehren der Frühmoderne als gesellschaftsethische Wegweiser, in: Hans-Gert Roloff (Hg.)/Renate Meincke (Mitarb.), Editionsdesiderate zur Frühen Neuzeit. Beiträge zur Tagung der Kommission der Edition von Texten der Frühen Neuzeit (Chloe. Beihefte zum Daphnis; 25), 2 Tle., Amsterdam u. a. 1997, Tl. 2, S. 729–738, hier S. 733. 144 Albert Sommer: Kurzer Anhang Bestehend Jn anmuthigen und zierlichen ConversationsGesprächen. Welche So wol für Frauens- als Manns-Persohnen, bej allerhand Begebnussen, in Freud und Traurens-Zeiten zugebrauchen. Zusammengetragen Von Albert Sommern, N. P. Burgern zu Hamburg, in: Johann Kaspar Suter, Neu auffgerichtete Schreibkunst […], Schaffhausen 1664, [Anhang] S. 1–54. 145 Rosmarie Zeller: Konversation und Freundschaft. Die Conversations Gespräche der Hortensia von Salis, in: Ferdinand von Ingen u. a. (Hg.), Ars et amicitia. Beiträge zum Thema Freundschaft in Geschichte, Kunst und Literatur. Festschrift für Martin Bircher zum 60. Geburtstag am 3. Juni 1998 (Chloe. Beihefte zum Daphnis; 28), Amsterdam u. a. 1998, S. 331–342, hier S. 334.
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französische Wort ›conversations‹ an die deutsche Sprache angeglichen.146 Der geringe Grad der Adaption ist für die Soziolinguistik ein Indiz für die Anerkennung der kulturellen Führungsrolle Frankreichs auf dem Gebiet von Bildung und Umgangsformen. In die heutige Sprache übersetzt, transportiert die Titelformulierung »Geist- und lehr-reiche Conversations Gespräche« die Botschaft: »Die Gesprächsart, die unter Frankreichs Gebildeten en vogue ist, sollte unser Land sich zum Vorbild nehmen.« Der Blick nach Deutschland zeigt, daß die meisten Rhetoriklehrer und Stiltheoretiker des 17. Jahrhunderts nicht jeden Fremdwortgebrauch zu einer Frage der nationalen Ehre hochstilisierten. Christian Friedrich Hunold, einer der Wortführer der sogenannten Galanten, rechtfertigt den Gebrauch von Fremdwörtern mit der Begründung: »In Discoursen, Briefen und Politischen Schrifften lassen sich einige Frantzösische Wörter, die einen abstractivum und genericum conceptum haben, Z. E. pedant, conduite, galant, conversation und dergleichen, wohl gebrauchen, weil man sie im Teutschen nicht allezeit oder nach dem Geschmacke des hofes recht ausdrücken kan.« 147 Formal unterscheiden sich die Conversations Gespräche von den Konversationenbänden Madeleine de Scudérys durch die Einbettung der Lehrgespräche in eine fortlaufende Erzählung. Deshalb sind auch nicht alle »Szenen« Lehrgespräche. Die Hauptfigur, Zenobia, benannt nach der Königin von Palmyra, trägt Züge von Hortensia von Salis.148 Die thematischen Schwerpunkte des nicht durch Überschriften gegliederten Haupttextes werden am Ende des Buches in Form eines Inhaltsverzeichnisses transparent gemacht.149 Nach heutigem Verständnis verfaßte die Autorin keinen Roman, auch wenn die Titelgebung anderes beansprucht. Die Conversations Gespräche umfassen einschließlich der »Ansprach, Des Außgebers diser Schrift, an den Gönstigen Leser« 150 und des Inhaltsverzeichnisses 64 Seiten im Kleinoktavformat. Emma Graf bezweifelte bereits 1929, ob »man 146 Rudolf Telling: Französisch im deutschen Wortschatz. Lehn- und Fremdwörter aus acht Jahrhunderten, Berlin 1987, S. 10 f. Das Wort ›conversation‹ wurde Telling zufolge (S. 98) im 15./16. Jahrhundert in den deutschen Wortschatz übernommen. 147 Zitiert nach William Jervis Jones: Sprachhelden und Sprachverderber. Dokumente zur Erforschung des Fremdwortpurismus im Deutschen (1478–1750) (Studia linguistica Germanica; 38), Berlin u. a. 1995, S. 607. 148 [Hortensia von Salis:] Glaubens-Rechenschafft einer hochadenlichen, reformiert-evangelischen Dame, vor einem fürnemen geistlichen Herren, römisch-catholischer Religion, auf vorgehende freundliche Forderung, abgeleget; darinn beyläuffig das neulich außgekommene Büchlein, Meßblum genennt, in 8. Haubtstucken erforschet, und widerleget wird. Jes. XXVII. 1. XL. 8. Die herrliche zierd Ephraims (Venerabile) ist einer abreisenden Blume gleich. Die Blume fallet ab, aber das Wort unsers Gottes bleibet in die Ewigkeit [hg. von Johann Heinrich Schweizer], o. O. 1695, S. 5 f. 149 [Hortensia von Salis:] Geist- und lehr-reiche Conversations Gespräche, welche in ansehenlicher Gesellschafft, bey unterschidlichem Anlaaß [sic], von göttlichen, sittlichen und natürlichen Sachen geführet; jezund aber durch eine hoch-adenliche Dame, alß fürnemstes Glid derselbigen, zu gemeiner und eigener Belustigung; absönderlich dem Frauenzimmer zu Ehren, in Form eines Romans, zu Papeir [sic] gebracht worden [hg. von Johann Heinrich Schweizer], Zürich 1696, S. 63. 150 Herausgeber des Konversationenbändchens war der Schweizer Theologe Johann Heinrich Schweizer (1646–1705). Die Autorin versah das Werk nicht mit einer Vorrede.
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die handlungsarme und ohne Konflikte verlaufende Erzählung« 151 als Roman bezeichnen könne. Wie eigenwillig von Salis bei anderen Gelegenheiten mit literaturtheoretischen Begrifflichkeiten umging, veranschaulicht ihre Verwendung des Wortes ›Comoedia‹: »Nach dem sie hineingetretten, und sich auf die daselbst stehende Stüle niderzusetzen angemahnet worden, wurde unvermerkt zufälliger Weise, eine Wundersame Comoedia, ohne Intention der anwesenden Personen gespilet. Da waren die spielenden Personen, das Frauenzimmer; Jhre angesichter waren die Schaubüne; und die unterschidtliche GemüthsRegungen das spiele selbst.« 152 Da dem Gesprächstyp, den von Salis in ihrem Büchlein modellhaft vorführt, der Spielcharakter fehlt, kann das Werk weder in die Nähe des Gesprächsspiels 153 noch in die Nähe des Schäferromans gerückt werden.154 Zu den Schäfergesprächen bemerkt Ursula Hitzig: »Hortensias Conversationsgespräche unterscheiden sich von den üblichen Schäfereien durch das Fehlen der schäferlichen Maske und durch einen gewissen Ernst in der Behandlung des Gesprächsstoffes; der vornehm-höfische Ton der Nürnberger fällt sowohl bei Hortensia als auch bei Heidegger weg. Man interessiert sich wirklich für die aufgegriffenen Probleme, es wird nicht nur der Geselligkeit halber ›conversiert‹.«155 Der in diesem Zitat erwähnte Gotthard Heidegger (1666–1711) war von 1688 bis 1697 Pfarrer im ostschweizerischen St. Margrethen. Neben kontroverstheologischen Schriften verfaßte der reformierte Theologe auch satirische und literaturtheoretische Werke, darunter die Mythoscopia romantica: oder Discours von den so benanten Romans (1698), eine Schrift, die sich gegen die »höchstschädliche, kein-nützige Lugen-Bücher« richtet.156 Heidegger und Hortensia von Salis gehörten vorübergehend demselben salonartigen Zirkel (mir scheint, es handelte sich um einen Freundschaftsbund) in St. Gallen an – so die Vermutung von Ursula Hitzig. Wir müssen uns für das damalige St. Gallen einen Kreis schöngeistig interessierter Menschen nach Art der Pariser Salons (auch Frauen beteiligten sich ja aktiv) […] vorstellen, deren unerschöpflichen Hauptgesprächsstoff die Erzeugnisse der modernen deutschen Literatur bildeten, wobei sich der Wortstreit besonders heiss bei der Frage nach Wert und Ansehen des Arminius von Lohenstein entfachte. (Die heroisch-galanten Romane wurden auch in der Schweiz mit grosser Begeisterung aufgenommen, zugleich aber von erzieherischer und geistlicher Seite aufs heftigste angegriffen). Im Mittelpunkt der St. Galler »Sprachgesellschaft« standen die Kaufleute Edmund Witz und Paul Schlumpf. Beide, vor allem Witz, stellten ihre reichhaltige Bibliothek zur Verfügung (»Zuschrift« zur Mythoscopia). Um sie sammelten sich Heidegger, Hortensia von Salis, Camilla und ganz sicher auch
151 Emma Graf: Hortensia Gugelberg, in: Schweizer Frauen der Tat 1659–1827, Zürich u. a. 1929, S. 1–15, hier S. 9. 152 [von Salis] (Anm. 149), S. 7; vgl. auch S. 11. 153 Dahingehend änderte in späteren Jahren auch Rosmarie Zeller (Anm. 145, S. 335, Anm. 14) ihre Auffassung. 154 Ursula Hitzig: Gotthard Heidegger – 1666–1711, Winterthur 1954, S. 13 f. 155 Ebd., S. 13 f. 156 Gotthard Heidegger: Mythoscopia romantica: oder Discours von den so benanten Romans, das ist, erdichteten Liebes- Helden- und Hirten-Geschichten: Von dero Uhrsprung, Einrisse, Verschidenheit, Nütz- oder Schädlichkeit […], Zürich 1698, Bl. *3a.
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der Toggenburger Dichter Johannes Grob. Mit diesen zusammen griff Heidegger die verhassten Romane an; die anderen übernahmen notgedrungen die Verteidigung.157
Die Rezeption der französischen Literatur in der Schweiz des 17. Jahrhunderts war wegen der militärischen und politischen Beziehungen zu Frankreich ziemlich rege.158 Viele Schweizer, darunter auch Hortensia von Salis’ Ehemann, dienten im Heer des französischen Königs. Der weitgereiste Hauptmann Rudolf Gugelberg von Moos (1658–1692)159 brachte fremdes Gedankengut, vielleicht sogar zwischen zwei Buchdeckel gepreßt, mit nach Maienfeld (unweit von Chur), wo seine junge Frau ihre Kinder aufzog und kurz hintereinander den frühen Tod der Kleinen betrauerte. Mit großer Wahrscheinlichkeit besaß Hortensia von Salis ein Exemplar des ersten Konversationenbandes von Madeleine de Scudéry.160 Die Titelworte »Conversations« und »Sachen« wurden weiter oben als Beweis dafür angeführt, daß die Schweizerin mit den Konversationenbänden der französischen Schriftstellerin vertraut war. Unstrittig ist, daß innerhalb des St. Galler Freundschaftsbundes Bücher und Gedanken über Literatur ausgetauscht wurden.161 Ganz sicher hatte Gotthard Heidegger eine Ausgabe der Conversations sur divers sujets (1680) zur Hand, denn er zitiert (mit Quellenangabe) eine längere Passage aus dem Lehrgespräch »De la maniere d’inventer une Fable« 162 in der Zuschrift zu seiner Mythoscopia romantica.163 Nicht fehlen darf in diesem Zusammenhang Pfarrer Johann Rudolff Tschudi aus Teuffen, der die Verstorbene aufgrund ihrer Gelehrsamkeit rühmt: 157 Hitzig (Anm. 154), S. 19 f. Hitzig geht von der Annahme aus, die Lehrgespräche von Hortensia von Salis seien zum Teil wirklichen Gesprächen einer Gesellschaft entsprungen (S. 18). 158 Die Schweizerinnen galten Anfang des 18. Jahrhunderts als Liebhaberinnen der französischen Sprache: »Das Schweitzerische Frauenzimmer ist starck von Leibe, abeitsam [sic], offenhertzig, doch manchmahl ein wenig simpel, es liebet die frantzösische Sprache, und träget kein Gold und Silber auf den Kleidern.« Amaranthes [Pseud., Gottlieb Siegmund Corvinus]: Nutzbares, galantes und curiöses Frauenzimmer-Lexicon […], Leipzig 1715, Sp. 576 f. Zur Frage, ob und wie das Werk von Madeleine de Scudéry in der Schweiz aufgenommen wurde, übermittelte mir Rosmarie Zeller wertvolle weiterführende Hinweise, wofür ich an dieser Stelle sehr herzlich danken möchte. 159 J. Jürgen Seidel: Salis, Hortensia von, in: Traugott Bautz (Hg.), Biographisch-bibliographisches Kirchenlexikon, begründet und hg. von Friedrich Wilhelm Bautz, Bd. 8, Herzberg 1994, Sp. 1230–1231, hier Sp. 1231. 160 Wohin der Buchbesitz der Witwe nach ihrem Ableben gelangte, war nicht zu ermitteln. Regula Wyss: Heilkundige, Gelehrte, Autorin. Hortensia Gugelberg von Moos, in: Elisabeth Ryter u. a. (Hg.), Und schrieb und schrieb wie ein Tiger aus dem Busch. Über Schriftstellerinnen in der deutschsprachigen Schweiz, Zürich 1994, S. 13–28, hier S. 22. 161 Gotthard Heidegger: Zuschrifft, in: ders., Mythoscopia romantica: oder Discours von den so benanten Romans […], Zürich 1698, Bl. *2b –**1b. 162 [Madeleine de Scudéry:] La maniere [sic] d’inventer une fable, in: Georges de Scudéry [Pseud., Madeleine de Scudéry], Clélie, histoire romaine, 5 Tle. in 10 Bdn., Paris 1654–1660, Bd. 8, S. 1120–1148. 163 Heidegger (Anm. 161), Bl. ***1ab. Im Vorbericht lobt Heidegger die »trefflich gelehrte hochberühmte Pündtnerische Zenobia, an deren letst außgegebnen Dramatischen Conversations-Gesprächen die Gelehrte nichts anders desiderieren, als daß sie nicht zehnfach so lang sein, welches Wunsches sie villeicht mit folgender Zeit wol werden gewährt werden.« (Bl. ***6b)
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Mit hochem Adels-Hauß, nun trauret jedermann Darum daß diese Frau gegangen diese Bahn: Gewißlich nicht umsonst, Sie zeigte hoche Gaben, Sie zeigte Hoch-Geschlecht, eine Dame hoch-erhaben, Ein hell- und strahlend Liecht, voll Treu und Tugend-glantz War Sie in Raetia, Ein schöner Ehren-Krantz, Ein Außzug unß’rer Zeit, der Glehrtheit der Matronen Dann wenig, wenig sind under den Weibs-Personen, Die ihro gleich geweßt, Schurmann, Scuderin, Sind freylich in aestim’, Bourignon, Petersin, Sie manche dennoch kont’ in praxi überweisen [übertreffen, SK] […].164
Ganz offensichtlich von Madeleine de Scudéry inspiriert ist das von Hortensia von Salis verfaßte Lehrgespräch »Von der falschheit der Cavallieren in der Conversation mit dem Frauenzimmer«.165 Bei de Scudéry lesen wir im Kapitel »De la difference du Flateur & du Complaisant« in der Übersetzung von Christiana Mariana von Ziegler: »[…] und das ist das wichtigste in der Sittenlehre der Frauenzimmer, daß sie an allem zweifeln müssen, was man ihnen schönes vorsaget.«166 Auch in den Conversations Gesprächen hält eine der Sprecherinnen es für ein Zeichen der Weisheit und Klugheit, wenn Frauen sich ihres Verstandes bedienen, um die Komplimente der Kavaliere auf ihren Wahrheitsgehalt hin zu prüfen: »Sind wir weiß und klug, so wüssen wir vorher wofür solche compliment zuhalten seyen. Sind wir aber so leichtgläubig und thöricht, daß wir uns nemmen, was uns nicht zugehöret, und auß schertz wahrheit machen wollen, so sind wir mehr der falschheit zubeschuldigen, alß sie [die Cavalliers, SK], in dem wir, durch frömdes lob, uns einbilden, und glauben zuseyn, was wir wol wüssen, daß wir nicht seyen.« 167 Und auch das Motiv des Thermalbades (»Faliscer Bad«) dürfte eine Übernahme aus dem ersten Konversationenband der Französin sein (»Les Bains des Thermopiles«). Von Epigonenhaftigkeit kann jedoch nicht die Rede sein. Sowohl die Schrift als Ganzens wie auch die Lehrgespräche tragen die sehr persönliche Handschrift der Bündnerin. Diese bemühte sich mit Erfolg darum, den Genius Loci einschließlich der Probleme ihres Landes einzufangen. Eine intensive Sprachförderung hatte Hortensia von Salis nicht erhalten. Hier ist auch der Grund zu suchen, warum ihre Texte vor der Veröffentlichung gründlich überarbeitet werden mußten.168 Zum Schreiben kam die Witwe, weil ihr scharfer Verstand und ihr religiös-pädagogischer Eifer sie dazu antrieben. Mehr als andere Autorinnen ihrer Generation 164 Johann Rudolff Tschudi: BEtrübte Zeitung ach!, in: Hortensia von Salis, verw. Gugelberg von Moos: Glaubens-Rechenschafft - Conversations-Gespräche - Gebät. Hg. von Maya Widmer (Schweizer Texte N. F.; 19), Bern u. a. 2003, S. 245–246, hier S. 245 f. 165 »Artemisia brachte alßbald eine andere materi auf das Tapit [Tapet, SK], namlich die falschheit der Cavallieren in dem umgang, und Conversation mit dem Frauenzimmer.« [von Salis] (Anm. 149), S. 29. 166 Madeleine de Scudéry: Von dem Unterscheide zwischen einem Schmeichler und einem Höflichen, in: dies., Der Mad. Scudery scharfsinnige Unterredungen […], Leipzig 1735, S. 193–203, hier S. 198. 167 [von Salis] (Anm. 149), S. 29–33, hier S. 30. 168 Wyss (Anm. 160), S. 19 f.
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eignete Hortensia von Salis sich ein breites Spektrum von Fachwissen (Geologie, Balneologie, Diätetik, Physiologie, Medizin, Philosophie, Theologie) an. Welche Gegenstände von ihr in den Conversations Gesprächen zum Thema gemacht werden, offenbart ein Blick in das Inhaltsverzeichnis des Bändchens: 1. Von dem Faliscer Bad, dessen gelegenheit, und würkung. blat 3.4. 2. Von der gezwungenen Lebens-art, welche mehr Schein, alß wahrheit der Tugend, zeiget. bl. 7.8. 3. Von dem Mangel der Liebe, Aufrichtigkeit, und vertraulichkeit in denen Gesellschafften. bl. 9. 10. 11. 4. Von vier Haubtstucken, deren man sich zubefleissen, damit die Tugenden nicht von den Untugenden überwunden werden. bl. 12. 13. 14. 15. 5. Von der Dienstbarkeit des Frauenzimmers, darinn dasselbige, durch eigne schuld, kommet. bl. 16. 17. 6. Von der Unbeständigkeit der Menschlichen Sachen, des Glücks und Unglücks, ja des Lebens selber bl. 20. 7. Von denen rechten Mittlen die Todesforcht zuvertreiben. bl. 21. 22. 8. Wie der Geist Gottes von dem Saul gewichen seye. bl. 23. 24. 9. Ob einer, der den Geist der Widergeburt, und der Kindschafft Gottes empfangen, denselbigen nicht könne verlieren, und wann ein solcher in schwere Sünden fallt, ob bey ihm auch bleibe die versicherung des heils? [sic] bl. 25. 26. 10. Von dem Afterreden, und übler deutung dessen, so man von seines Nächsten thun und lassen siehet. bl. 27. 28. 11. Von der falschheit der Cavallieren in der Conversation mit dem Frauenzimmer. bl. 29.–33. 12. Von der wahren Beschaffenheit der gefahrlichen krankheiten, sonderlich der hitzigen. bl. 34.–38. 13. Von der rechten Manier die kinder wol zuauferzeuhen [sic]. bl. 40.–42. 14. Von Gottes Follkommenheit [sic], und der Menschen Nichtigkeit. bl. 43.44. 15. Von Theé, Coffeé und Chocolaten. bl. 45.–51. 16. Von der Pflicht der Liebe gegen Geschwüsterten [sic] und Nächstverwandten, wann sie in ansteckende krankheiten fallen. bl. 53. 54. 17. Ein schönes Trostlied in solchen Gefahren. bl. 55. 56. 18. Was für praeservativ mittel in anstekenden krankheiten zugebrauchen? bl. 57. 19. Ob die Felsen-stein haben ihre Nahrung und wachßthum? bl. 58.–63.
Wenn wir das Inhaltsverzeichnis der Geist- und lehr-reichen Conversations Gespräche mit dem Inhaltsverzeichnis der Conversations sur divers sujets von Madeleine de Scudéry vergleichen, springt sofort ein signifikanter Unterschied ins Auge: Die Schweizer Autorin breitet auf sehr viel knapperem Raum eine sehr viel breitere Palette an Themen aus als ihr Vorbild: DE la Conversation, page 1 Des Plaisirs. 46 De la Connoissance d’autruy, & de soy-mesme. 83 Contre ceux qui parlent peu respectueusement de la Religion. 173 De parler trop, ou trop peu. 200 Contre ceux qui décrient le Gouvernement, quel qu’il soit. 251 Des Passions que les Hommes ont inventées. 271 De la Complaisance. 311 De la difference du Flateur & du Complaisant. 339 De la Dissimulation & de la Sincerité. 359
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De l’oisiveté. 385 De la maniere d’inventer une Fable. 451 De l’Indifference. 491 De la Raillerie. 523 Les Bains des Thermopiles, ou Conversations de la Crainte. 615
In den Conversations Gesprächen werden »in ansehenlicher Gesellschafft« – »ansehenlich« bedeutet in diesem Zusammenhang, daß die Kommunikationsgemeinschaft aus lauter geachteten Leuten besteht – »bey unterschidlichem Anlaaß« Gespräche geführt, die formal und inhaltlich nicht so festgelegt sind wie bei einem Komplimentiergespräch, nicht so formlos, oberflächlich und sprunghaft wie bei einer Plauderei, aber auch nicht so ermüdend-eintönig wie bei einem Fachgespräch. Die Titelformulierung »bey unterschidlichem Anlaaß« verweist auf eine Maxime, die das Kernstück der Lehre vom Anstand bildet: die Kommunizierenden haben ihr Verhalten der Zeit, dem Ort und dem Anlaß entsprechend einzurichten (Anlaß umfaßte nach damaligem Verständnis auch die am Kommunikationsakt beteiligten Personen, die wiederum nach Stand, Beruf, Alter, Geschlecht und anderen Kriterien differenziert wurden). Diese Maxime wird dem Publikum der Conversations Gespräche auf dreierlei Arten vermittelt: 1. das nach Zeit, Ort und Anlaß variierende Verhalten wird an den (non)verbalen Handlungen der Sprecherinnen und Sprecher des Textes zur Anschauung gebracht, 2. die Sprecherinnen und Sprecher machen den Anstand zum Gesprächsgegenstand und/oder formulieren diesbezüglich Regeln, 3. das nach Zeit, Ort und Anlaß variierende Verhalten wird in den narrativen Passagen des Bandes beschrieben. Um deutlich zu machen, wie Hortensia von Salis diese verschiedenen Lehrarten miteinander kombiniert, greife ich zuerst das Lehrgespräch »Von dem Mangel der Liebe, Aufrichtigkeit, und vertraulichkeit in denen Gesellschafften« heraus. Damit ein problemorientiert-gesellschaftskritisches Gespräch einen für die Beteiligten zufriedenstellenden Verlauf nehmen kann, müssen bestimmte Regeln beachtet werden: »Nach dem die schöne Panthea ihren Discurs also zu End gebracht, wolte die kluge Pharisate auch nicht schweigen, sonder sprach. Es ist dem also, wie Panthea erzehlet, und was noch das beklagwürdigste ist, so ist keine Liebe, keine Aufrichtigkeit, noch Vertraulichkeit mehr in unseren Gesellschafften selbst.« 169 Pharisate leistet in dem Augenblick einen Beitrag zur Diskussionsrunde, da Panthea ausgesprochen hat. Weder unterbricht sie die redende Panthea gewaltsam, um einen Sprecherinnenwechsel herbeizuführen, noch hält sie sich so lange zurück, bis sie zum Reden aufgefordert wird. Damit ein gutes Gesprächsklima aufgebaut wird, signalisiert sie ihrer Vorrednerin Zustimmung, erst dann führt sie einen Gesichtspunkt in die Diskussion ein, der an den Problemkreis anschließt, zu dem auch schon Panthea ihre Gedanken eröffnete. Auf Pharisate folgt Zenobia. Auch diese wendet sich ihrer Vorrednerin beipflichtend zu, um anschließend unaufgefordert einen organischen Themenwechsel einzuleiten: Zenobia, welche schon lang still geschwiegen, und deren Hertz wie ein feur bey anhörung dises Discurses aufgegangen, name das Wort, sprechende. Es ist wahrhafftig allem wie Pharisate sagt. Wir 169 [von Salis] (Anm. 149), S. 9–11, hier S. 9.
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sehen und erfahren es ja täglich, und derhalben bedunckt mich höchstnothwendig zuseyn, daß wir lehrnen, wie in solchen Comoedi, ja vilmehr Tragoedi Spil der Welt, uns schicken sollen, damit die Tugenden nicht von den Untugenden so leicht überwunden, alß gewaltthätig sie bestritten werden. Davon wil reden, nicht eine Regel jemandem vorzuschreiben, sonder wie ich die Sachen ansihe, empfinde und übe. Hat jemand unter diser Liebwürdigen Gesellschafft eine andere und bessere Meinung, so wil solche von Hertzen gern, mit schönstem Danck annemmen.170
Zenobia bedeutet den Teilnehmerinnen mit ihrer letzten Äußerung, wie sie nicht verstanden werden möchte, und zwar als keinen Widerspruch duldende Regelgeberin, und wie sie sich die Anwesenden wünscht: als aufmerksam-kritische Mitdenker(innen), die ehrlich ihre Meinung kundtun. Damit die Mitanwesenden nicht befürchten müssen, es könne wegen Rechthaberei zu unproduktivem Streit kommen, sichert sie ihnen zu, jede Meinungsäußerung mit Dank zu quittieren. Der letzte Punkt der von Zenobia vorgetragenen vier »Haubtstucken, deren man sich zubefleissen, damit die Tugenden nicht von den Untugenden überwunden werden«, lautet: »Endlich wird dienlich seyn eine fürsichtige Behutsamkeit, daß man niemand wüssentlich und vorsetzlich Anlaaß zu bösem Urtheil, Widerwillen, Zorn und Raachgirrigkeit [sic] gebe, sonder[n] unanstössig, aufrichtig, liebreich, dienstbar, gutthätig, und freündlich, ohne Farb und Schminckwerck sich gegen jederman erzeige, auch gegen denen selbst, die uns böses nachreden und thun.«171 Die Sprecherin nennt hier die wichtigsten Tugenden beim Namen, die ihrer Meinung nach das Fundament jeglicher Kommunikation bilden sollten. Dieser das Lehrgespräch beschließende Redebeitrag liefert somit in direkt-belehrender Weise die »Philosophie« zu der zuvor beschriebenen und an Modellen zur Anschauung gebrachten Praxis. Im Lehrgespräch »Von der rechten Manier die kinder wol zuauferzeuhen« treffen Panthea, Zenobia und Sophia zusammen. Da Sophia ihre zwei Kinder mitbringt, wird simultan beschrieben, wie diese – vor den Augen von Panthea und Zenobia – ihren Nachwuchs erzieht. Gegen Ende der Ausführungen ergreift Zenobia das Wort: »Gewüßlich, dises sind die wahrhaffte, und keiner veränderung unterworffene güter, welche ihr eueren Kindern samlet, wann ihr sie lehrnet, zuerst Gott förchten; hernach anmutiger sitten und geberden sich befleissen; Drittens mit jedermann freundlich, ohne stoltz und verachtung, umgehen; und endlich alle Selbstliebe und Eigenwilligkeit verläugnen.«172 Die Sprecherin bekräftigt in Form von abstrakten Merksätzen die vier wichtigsten Inhalte der Kindererziehung, die zuvor am Verhalten der Mutter gegenüber ihren Kindern demonstriert worden waren. Einer religiös motivierten Anstandsregel wird man im Lehrgespräch »Von Gottes Follkommenheit, und der Menschen Nichtigkeit« teilhaftig. Die streng-fromme Christin Zenobia fühlt sich gestört, wenn andere in der Zeit, die sie für Gott reserviert hat, mit ihr Kontakt aufzunehmen versuchen: »Hernach schlosse [Zenobia, SK] sich, wie sie gewohnt, in ihr Cabinett ein, mit befehl, niemand zu ihren zulassen. biß daß [sie, SK] ihre devotion, 170 Ebd., S. 11 f. 171 Ebd., S. 12–15, hier S. 15. 172 Ebd., S. 40 –42, hier S. 41 f.
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mit betten und lesen, werde verrichtet haben. Dann sie haltet dafür, es gezimme sich nicht, anderen Menschen gehör zugeben zu der zeit, wann man der Göttlichen Audientz zugelassen wird, und mit seinem Gott gespräch haltet. Vermeinet auch alle verständige solten dannzumal für sich selbst, aller gesuchten ansprach sich müssigen, ohne daß man durch die Dienste sie davon abhalten müßte. Weil sie aber, auß erfahrung weißt, daß vil so unbesonnen, ja etwann gar so ungestüm sind, daß sie keiner zeit, ob die bequem, oder unbequem seye achten, sonder ihre angelegenheit allem anderen vorzeuhen, so wird sie genöthiget, durch abschlag, ihnen die unanständigkeit ihres beginnens zuerkennen zugeben«.173 Hier bringt die Beschreibung von Zenobias Verhalten und ihrer Ansichten die Anstandsregel sowie die Forderung, diese zu beachten, zum Vorschein, das heißt Belehrung findet auf indirekte Weise statt. Im Titel der Conversations Gespräche lesen wir, »eine hoch-adenliche Dame«, gemeint ist Zenobia, habe die Schrift »zu gemeiner und eigener Belustigung« verfaßt. Diese Angaben zur Zweckbestimmung des Buches sind höchst unvollständig, denn natürlich sollte der Band auch Nutzen stiften. Die Bandbreite der Themen sowie die ausgeklügelte Kombination verschiedener Textsorten und Lehrarten,174 die dem Publikum dargeboten werden, enthüllen die Absicht der Verfasserin, bei halbwegs gebildeten Textrezipient(inn)en komplexe Lernprozesse auszulösen. Davon überzeugt, nicht nur der Intellekt des Menschen bedürfe der Ansprache und Pflege, suchte von Salis den ganzen Menschen zu erfassen und – bezogen auf das Publikum – zu erreichen: seinen Körper, seinen Intellekt, sein Gefühlsleben und seine unsterbliche Seele. In diesem hochgesteckten Ziel spiegelt sich der vielschichtige Charakter von Hortensia von Salis, einer Frau, die viel wußte und konnte, freigebig mit ihrem Wissen und Können umging, als Adlige keinen Standesdünkel besaß und sich zur Heilerin und Geistlichen berufen fühlte. Beim Durcharbeiten der Geist- und lehr-reichen Conversations Gespräche wird sichtbar, daß die Autorin keine Maßnahmen ergreift, um potentielle Kritiker zur Mäßigung aufzufordern. Seit den wegbereitenden Arbeiten von französischen Autorinnen vom Range einer de Scudéry bedurfte die Aneignung der Textsorten Lehrgespräch und »Roman« durch schreibende Frauen nicht mehr in jedem Fall der Rechtfertigung. Wie schon in ihrer Glaubens-Rechenschafft (1695, 2. Aufl. 1695, 3. Auf. 1696),175 so setzte von Salis sich auch in ihrer neuen Schrift für die Interessen der Frauen aller Stände ein, blieb also sowohl ihrer emanzipationsfreundlichen wie rangnivellierenden Linie treu (man beachte die Titelformulierung »absönderlich dem Frauenzimmer zu Ehren«). In geballter Form übte sie Kritik an der Frau im Lehrgespräch »Von der Dienstbarkeit des Frauenzimmers, darinn dasselbige, durch eigne schuld, kommet«, Kritik am Mann im Lehrgespräch »Von der falschheit der Cavallieren in der Conversation mit dem Frauenzimmer«. Das Thema Anstand durchzieht den ganzen Text, diesbezügliches Regelwissen wird allerdings nur an zwei Stellen (siehe obige Zitate) expli173 Ebd., S. 43–44, hier S. 44. 174 Sogar eine durch Reim, Verse und Rhythmus gebundene Form der Sprache verwendete die Autorin an einer Stelle (S. 54–56), damals eine beliebte Gedächtnisstütze. 175 Vgl. zur Glaubens-Rechenschafft (1695) auch Abschnitt 2.2.
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3. Frauen lehren die Normen des Umgangs: Die Vorgeschichte der Anstandsbuchautorin
ziert. Wohl nicht zufällig beugt Zenobia dem Mißverständnis vor, sie wolle die Rolle einer Regelgeberin einnehmen: »Davon wil reden, nicht eine Regel jemandem vorzuschreiben, sonder wie ich die Sachen ansihe, empfinde und übe.« Fürchtete von Salis, insbesondere beim männlichen Publikum unangenehm aufzufallen, wenn sie sich die Autorität einer Regelgeberin anmaßte? Trug sie Bedenken, das Publikum mit einer ausführlichen Auseinandersetzung mit der Regelthematik zu langweilen? Oder hatte sie ein begründetes Interesse daran, das Publikum zum Nachdenken über, statt zum Nachbeten von Regeln anzuleiten? Vermutlich hätte die Autorin jede Frage mit Ja beantwortet. Hortensia von Salis steht dem moralischen Rigorismus jansenistischer Prägung nahe, geht aber nicht so weit, die »Theaterarbeit«, die der höfliche Mensch auf sich nimmt, um als aufmerksam und rücksichtsvoll zu gelten, als unmoralisch entlarven zu wollen. Was unter »Theaterarbeit« zu verstehen ist, führt das folgende Beispiel vor: Da es heikel ist, in einer geselligen Runde ein Fachgespräch anzustoßen, wird im Lehrgespräch »Ob die Felsen-stein haben ihre Nahrung und wachßthum?« der berühmte Naturgelehrte Epimenides erst in die Kommunikation einbezogen, nachdem Philander, der sich gleichermaßen für dessen Fachgebiet interessiert, ihn gebeten hat, seine Meinung zu diesem Thema kundzutun. Im Gegenzug entschuldigt sich der Fachgelehrte für seine Unwissenheit, und zwar »nach höflicher Manier«, eine Formulierung, die das Aufdiktieren dieses Verhaltens durch die gesellschaftliche Konvention beschönigend beschreibt. Philander, der die Fachkenntnisse von Epimenides richtig einzuschätzen weiß, will die Entschuldigung nicht annehmen, so daß dieser der Aufforderung schließlich (aus Höflichkeit) nachkommt.176 Epimenides zögert die Übernahme des Rederechts hinaus, indem er den Unwissenden mimt, weil ein Gelehrter sich mit seinem Fachwissen nicht aufdrängen darf, wenn Nichtgelehrte an der Kommunikation teilnehmen.177 Wenn das Nicht-Dürfen sein Wille ist, handelt der Fachgelehrte »ohne Farb und Schminckwerck« (ohne Heuchelei),178 ist dies nicht der Fall, etwa weil er sich gern am Gefühl der Überlegenheit berauscht oder für seine Kenntnisse bewundern läßt, besteht zwischen dem richtigen Benehmen und dem inneren Beweggrund, der im moralisch Guten wurzeln sollte, keine Koinzidenz. Die vierte Regel zur Kinderziehung gibt Aufschluß darüber, was die Moral, nach dem Verständnis von Hortensia von Salis, dem Menschen gebietet: Von Kindesbeinen an muß der Mensch »alle Selbstliebe und Eigenwilligkeit verläugnen« lernen.179 Die maßgebliche Rolle des Hofes in Fragen der Umgangsformen, die Madeleine de Scudéry eigens hervorgestrichen hatte, wird in den Conversations Gesprächen nicht zum Thema gemacht. Hortensia von Salis entstammte zwar dem Adel, sie persönlich scheint
176 [von Salis] (Anm. 149), S. 58–63, hier S. 58. 177 Auf die kontaktstabilisierende Funktion von Höflichkeitslügen nimmt Klaus Vorderwülbecke ausdrücklich Bezug: Sprecher-Hörer-Relation, personale Bezugnahme und Beziehungskonstitution, in: Gisela Zifonun u. a., Grammatik der deutschen Sprache (Schriften des Instituts für deutsche Sprache; 7,1), Bd. 1, Berlin u. a. 1997, S. 911–952, hier S. 952. 178 [von Salis] (Anm. 149), S. 15. 179 Ebd., S. 41.
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aber auf höfisch geprägtes Umgangsverhalten, dessen wichtigste Funktion darin bestand, Rangabstufungen sichtbar zu machen, keinen großen Wert gelegt zu haben. Wie bei fast allen Adligen, die in Republiken lebten, war ihre Einstellung zur Höflichkeit eher eine bürgerliche.180 Da die Autorin von der Umgangskultur, wie sie an großen Höfen praktiziert wurde, keine hohe Meinung hatte, legte sie die wahren Absichten der komplimentierenden Kavaliere schonungslos offen. Das Lehrgespräch »Von der falschheit der Cavallieren in der Conversation mit dem Frauenzimmer« ist ein seltenes Beispiel für weibliche Kritik am Höflichkeitsgebaren der Männer. Weit mehr als an höfischen Manieren fand die Autorin am höfischen Bildungsideal Gefallen. Eine breitgefächerte Bildung für alle, die Zeit dafür erübrigen können – dieses Ideal suchte sie zu verwirklichen, allerdings nicht, indem sie zur Einrichtung von kostspieligen höheren Bildungsanstalten aufrief, sondern indem sie zur Konversation nach französischem Vorbild anleitete. Selbst Liebhaberin des Gesprächs war es ihr – hierin ihrem Vorbild Madeleine de Scudéry nacheifernd – ein (wohl nicht uneigennütziges) Bedürfnis, Frauen zu weltoffeneren, kenntnisreicheren, mündigeren, höflicheren und gewandteren Gesprächsteilnehmerinnen auszubilden, was sich wiederum positiv auf die Kommunikation zwischen den Geschlechtern und die Lebensqualität des Einzelnen auswirken sollte. Wohl konnte die auf das Wort fixierte reformierte Autorin181 mit ihrem Bändchen keine Wende in der Frauenbildung ihres Landes herbeiführen, aber sie sorgte, unterstützt durch den Herausgeber des Buches, den Theologen Johann Heinrich Schweizer, für eine generelle Aufwertung der Bildungsarbeit von und für Frauen. Weil die Schweiz kein Musterland für gutes Benehmen und ehrbare, geistreiche und an Bildungs- und Wissenschaftsinhalte gebundene Gespräche war, befaßte die Autorin sich auch mit Anstands- und Konversationspädagogik. Daß Hortensia von Salis auf diesem Gebiet Kühnes, Originelles und Wegweisendes leistete, steht außer Frage: Man muß die Conversations Gespräche nur mit ähnlichen Arbeiten männlicher Autoren vergleichen.182 Hortensia von Salis war für den deutschsprachigen Raum das, was die gebürtige Venezianerin Christine de Pizan für das Frankreich vor dem Anbruch des Buchdruckzeitalters und was Gabrielle de Bourbon, Anne de France und die Dames des Roches für das Frankreich des 16. Jahrhunderts waren.
180 Zu den Eigentümlichkeiten des Schweizer Adels in der Frühen Neuzeit vgl. Peter Hersche: Adel. Neuzeit, in: Stiftung Historisches Lexikon der Schweiz (HLS) (Hg.), Historisches Lexikon der Schweiz, Bd. 1, Basel 2002, S. 96–97. 181 Das Buch schmücken lediglich nichtfigürliche Zierstücke, Zierbuchstaben und Zierstriche. 182 Von Salis nahm mit ihren Conversations Gesprächen Darstellungsprinzipien, Inhalte und Funktionen der Moralischen Wochenschriften vorweg, wie bereits Hitzig (Anm. 154, S. 14) richtig erkannte: »Alle diese Gesprächsspiele [die Gesprächspiele (8 Tle., 1641–1649) von Georg Philipp Harsdörffer, die sechs Monatsgespräche (1663–1668) von Johann Rist und die Geist- und lehr-reichen Conversations Gespräche (1696) von Hortensia von Salis, SK] nehmen eigentlich das vorweg, was im 18. Jahrhundert die Moralischen Wochenschriften vermitteln wollen, und zwar bei Rist wie bei Hortensia schon ausgeprägter als bei Harsdörffer: die Pflege angeregt-heiterer Geselligkeit, doch bereits gebunden an die Vermittlung allgemein-interessierenden Wissens.« Auf den Wandel der laienbezogenen Lehrkultur wird in Abschnitt 4.3 eingegangen.
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3. Frauen lehren die Normen des Umgangs: Die Vorgeschichte der Anstandsbuchautorin
Die zum Thema Anstand aussagekräftigen deutschsprachigen Publikationen von frankophilen Übersetzerinnen des 18. Jahrhunderts wurden von mir nicht weiter als bis zur Jahrhundertmitte mit dem Anspruch auf Vollständigkeit bibliographiert, auch können die im folgenden vorgestellten Schriften von frankophilen Übersetzerinnen, Autorinnen und Herausgeberinnen nicht intensiver behandelt werden.
3.
Christiana Mariana von Ziegler
Das Leipziger Verlagshaus Johann Friedrich Brauns Erben nahm mit Christiana Mariana von Ziegler (1695–1760)183 eine Autorin mit einem ausgeprägten Sinn für gesellschaftliche Normen und Formen unter Vertrag.184 Sechs Jahre zuvor waren dort Die vernünftigen Tadlerinnen (2 Tle., 1725–1726) erschienen, die erste Moralische Wochenschrift, die sich als reine »Frauenzeitschrift« (Frauen schreiben für Frauen) präsentiert, es aber nicht war, da die Zeitschrift von Männern herausgegeben wurde. Das Eigentümliche an den Moralischen und vermischten Send-Schreiben (1731) besteht darin, daß hier ausschließlich deutsche Briefe einer Briefschreiberin, die zugleich die Bearbeiterin und Herausgeberin ihrer Briefe war, zum Abdruck kamen. Die Briefkonzepte lägen für den Druck in einer überarbeiteten Version vor, teilt die Autorin im Vorbericht der Send-Schreiben mit.185 Das Wort ›SendSchreiben‹ macht allgemein bekannt, die Briefinhalte beanspruchten öffentliches Interesse. Zum Schutz der Briefempfänger(innen) wurden die Briefe anonymisiert zum Druck gegeben. Von den insgesamt 101 Briefen sind 54 an Frauen, 46 an Männer gerichtet. Die durchnumerierten Schriftstücke – sie umfassen im Durchschnitt drei bis fünf Druckseiten – sind weder durch Überschriften noch durch ein Inhaltsverzeichnis oder ein Sachregister erschlossen.186 Die Briefausgabe wurde kein zweites Mal aufgelegt, wohl weil es 183 Als Tochter des aufgrund von gefälschten Stadtschuldscheinen seit 1706 inhaftierten Leipziger Bürgermeisters Franz Conrad Romanus entstammte von Ziegler aus dem gehobenen Bürgertum. Wohl nicht zufällig wandte sie sich seit ihrem sechzehnten Lebensjahr nur Ehekandidaten zu, die ihr ein dauerhaftes Aufrücken in der gesellschaftlichen Rangordnung ermöglichten: Nach dem frühen Tod ihres ersten Ehemanns, des Rittergutsbesitzers Heinrich Levin von Könitz, ging sie im Alter von zwanzig Jahren mit dem Hauptmann Georg Friedrich von Ziegler eine Ehe ein. Nach dessen frühem Tod verband die Sechsundvierzigjährige sich ehelich mit dem bekannten Göttinger Philosophieprofessor Wolf Balthasar Adolph von Steinwehr. Vgl. Christian Geltinger: Ziegler, Christiane Mariane von, in: Traugott Bautz (Hg.), Biographisch-bibliographisches Kirchenlexikon, begründet und hg. von Friedrich Wilhelm Bautz. Bd. 17: Ergänzungen 4, Herzberg 2000, Sp. 1584–1588, hier Sp. 1584 f. 184 David L Paisey: Deutsche Buchdrucker, Buchhändler und Verleger 1701–1750 (Beiträge zum Buchund Bibliothekswesen; 26), Wiesbaden 1988, S. 27. Bei Johann Friedrich Brauns Erben hatte von Ziegler zuvor schon zwei Gedichtbände verlegen lassen. 185 Christiana Mariana von Ziegler: Vorbericht, in: dies., […] Moralische und vermischte Send-Schreiben, an einige ihrer vertrauten und guten Freunde gestellet, Leipzig 1731, Bl. a6a–b4b, hier Bl. a7b, b2b. 186 Ob der Leipziger Braun-Verlag gut daran tat, auf ein Sachregister zu verzichten, muß bezweifelt werden. Mit einer Themenübersicht zu den einzelnen Sendschreiben dient der Forschung Susanne Schneider: Lebensgeschichte und literarisches Werk als Wechselbeziehung. Zur Frage der Ge-
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nicht gern hingenommen wurde, wenn Vertreterinnen der Aufklärung sich mit der herrschenden Moral von Männern und Frauen kritisch auseinandersetzten. Wichtig scheint mir, mit welcher Argumentation die Drucklegung der Send-Schreiben begründet wird. Den Mut zu Neuem schöpft von Ziegler über den Blick nach Frankreich.187 Als Exempel dient Anne-Thérèse de Lambert (1647–1733), deren Briefe, so die Leipzigerin, auch dem männlichen Geschlecht als Ratgeber dienen könnten: »Andern Theils aber erinnerte ich mich darbey, daß viele von denen Frantzösischen Damen in ihrer Mund-Art allerhand nette und sinnreiche Briefe bereits an das Tage-Licht gestellet, wie denn nur noch vor einiger Zeit zwey gantz ungemein schöne und mit der herrlichsten Moral angefüllte Briefe von der Madame Lambert zum Vorschein gekommen, welche auch das männliche Geschlechte zu verbessern nicht unfähig scheinen.«188 Die Formulierung »an das Tage-Licht gestellet« erweckt den mit der Wirklichkeit nicht übereinstimmenden Eindruck, als hätten französische Autorinnen das In-Druck-Gehen eigenhändiger Briefe stets selber veranlaßt. Einer der französischen Herausgeber von de Lamberts Briefen an Sohn und Tochter schildert das Zustandekommen der Buchausgabe folgendermaßen: »Die Verfasserin selbst ist zu bescheiden gewesen, diese Schrifften ans Licht zu stellen, hat auch keinem andern, weil sie gelebet, erlauben wollen, sie heraus zu geben. Endlich sind sie zuerst in einem Franz. Journale, durch Veranlassung einer hohen Person, zum Vorschein gekommen, und nachgehends wieder besonders aufgelegt worden.«189 Vermutlich übernahm oder konstruierte von Ziegler den Mythos der nur ihrem freien Willen gehorchenden Französin, weil sie sich mit Nachdruck gegen einengende Vorurteile und das Ergreifen von Repressalien aussprach, die sich gegen (schreibende) Frauen richteten. Von Ziegler vermied es in der Vorrede zu den Send-Schreiben, sich einen gelehrten Anstrich zu geben und die wahre Absicht, die sie mit der Veröffentlichung ihrer Briefausgabe verband, unumwunden auszusprechen. Da die Autorin auch geradeheraus sein konnte, muß davon ausgegangen werden, daß sie sich der Strategie der Überanpassung an die ihrem Geschlecht vorgegebenen Regeln, die Selbstpräsentation in der Öffentlichkeit betreffend, bediente, damit ihr Werk bei der Literaturkritik und dem übrigen Publikum gnädig aufgenommen wurde. Nur einmal kommt die Autorin kurz auf den Inhalt und den Zweck ihrer Publikation zu sprechen: »Tugenden und Laster kommen darinnen zum Vorschein; beyde sind von mir und denenjenigen, mit welchen ich öffters Briefe zu wechseln das Glück gehabt, nach ihren Umständen beurtheilet worden, weil einem jeden Menschen schlechter in den Texten der Dichterin Christiana Mariana von Ziegler (1695–1760), Magistraarbeit Kassel 1997, [Anhang] S. II–V. Schneider vermutet, Martin Zeillers Episteln oder Sendschreiben (6 Bde., 1640–1647) könnten der Briefautorin als Vorbild gedient haben (S. 25 f.). 187 von Ziegler (Anm. 185), Bl. b1a. 188 Ebd., Bl. a8b –b1a. Vgl. auch die Erwähnung französischer Briefautorinnen im Widmungsbrief an Graf Conrad Siegfried von Hoym. Christiana Mariana von Ziegler: Zuschrift, in: dies., […] Moralische und vermischte Send-Schreiben, an einige ihrer vertrauten und guten Freunde gestellet, Leipzig 1731, Bl. a3a–a4b, hier Bl. a4a. 189 Anonym: Vorrede, in: Anne-Thérèse de Lambert, Der Madame von Lambert Gedancken von der Aufferziehung und einem tugendhafften Leben […], Bl. *6a–*8b, hier Bl. *8b.
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3. Frauen lehren die Normen des Umgangs: Die Vorgeschichte der Anstandsbuchautorin
frey stehet, seine Gedancken darüber zu eröffnen, und sie beyderseits auf der gehörigen Seite anzusehen.«190 Wirkliche Klarheit über die Intention der Autorin fördert alleinig die Lektüre des Buches zutage. Danach setzte sie sich zum Ziel, das moralische Urteilsvermögen wie auch die soziale Kompetenz und die sprachliche Ausdrucksfähigkeit ihres gemischtgeschlechtlichen Wunschpublikums zu heben. Sehr klar drückt die Autorin sich dort aus, wo sie dem Mißverständnis vorzubeugen versucht, die Sendschreiben wollten »die Stelle eines Briefstellers vertreten, und andern, die sich in dergleichen Schreib-Art üben, eine Vorschrifft abgeben«.191 Nichtsdestotrotz befand ein anonymer Rezensent in den Deutschen acta eruditorum (Tl. 156, 1730), Frau von Zieglers Briefausgabe eigne sich auch als Briefsteller und Formularbuch. Der Anonymus hieß die Regelgeberin im Kreis der Rhetorik- und Sittenlehrer willkommen und anerkannte deren Leistung, aus einer inhaltsleeren Formsache ein geistsprühendes Medium moralisch-sittlicher Belehrung gemacht zu haben. Zwar es mangelt uns an Briefstellern und Formular-Büchern nicht. Aber dieselben sind meistentheils so mager und so wenig Regel-mäßig gerathen, daß wir mit denenselben gar nicht groß zu thun haben. Anitzo beschämt ein Frauenzimmer unsere Lehrer: und wir sind schuldig, ihr den Ruhm beyzulegen, daß sie unter uns die erste sey, welche sich an sinnreiche und die Sitten-Lehre betreffende Briefe gewagt. Dieselben sind so wohl gerathen, daß wir Ursache haben, einer so guten Führerin zu folgen, und auch diesen Theil der Deutschen Rede-Kunst mehr und mehr auszuputzen. Es bestehen aber die gegenwärtigen Ausarbeitungen nicht etwan aus leeren Grüssen und Ubungen der Höflichkeit: sondern man findet hier die auserlesensten Stücke aus der Sitten-Lehre, oder der Kunst zu leben, abgehandelt: und zwar dergestalt, daß die Frau von Ziegler nicht mit alten verlegenen Gedancken zufrieden gewest, sondern viel neue und artige Einfälle zu Papier gebracht.192
Von Zieglers Briefausgabe erschien zu einer Zeit, als die deutschsprachige Zeitschrift sich zu einem Publikumsmagneten entwickelte und nicht zuletzt deshalb für schreibende Frauen zunehmend an Attraktivität gewann.193 Langsam wurde es alltäglicher, deutschoder fremdsprachige Publikationen aus der Feder von Frauen in Zeitschriften anzukündigen oder zu besprechen. Die oben erwähnte Sophia Elisabetha Thomasius war eine der ersten, wenn nicht die erste deutschen Beiträgerin zu einer Rezensionszeitschrift. Dank der Besprechung von Autorinnenliteratur wurde der Kreis der Titelkenner(innen) und Leser(innen) von Frauentexten stark ausgeweitet, ganz abgesehen davon, daß lobende Worte deren Verkaufszahlen steigern halfen. Wie aus den bisherigen Ausführungen hervorgeht, kam der Prozeß des Herausbildens der Anstandsautorin nur schleppend in Gang. Dieser zähe Start hängt sicherlich auch damit zusammen, daß das kommunikations- und absatzfördernde Medium der Zeitschrift erst im 18. Jahrhundert seinen Siegeszug antrat. 190 von Ziegler (Anm. 185), Bl. b2b, b3a. 191 Ebd., Bl. b4a. 192 Anonym: Rez. o. T. [von Ziegler: Moralische und vermischte Send-Schreiben (1731)], in: Deutsche Acta eruditorum, oder Geschichte der Gelehrten, welche den gegenwärtigen Zustand der Literatur in Europa begreiffen 156, 1730, S. 872–878, hier S. 873. 193 Ulrike Weckel: Zwischen Häuslichkeit und Öffentlichkeit. Die ersten deutschen Frauenzeitschriften im späten 18. Jahrhundert und ihr Publikum (Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur; 61), Tübingen 1998.
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Louise Gottsched
Ein Jahr vor ihrer Heirat 1735 hatte Louise Gottsched damit begonnen, Les Bains des Thermopyles (1732) von Madeleine de Scudéry ins Deutsche zu übertragen. Dabei handelt es sich um einen um historische und geographische Anmerkungen erweiterten Separatdruck des in den Conversations sur divers sujets (1680) abgedruckten Lehrgesprächs »Les Bains des Thermopiles, ou Conversations de la Crainte«, das auf einer Episode des Romans Artamène ou le Grand Cyrus beruht. Das von der Gottschedin widerstrebend in Angriff genommene Übersetzungsvorhaben kam nie zum Abschluß.194 Ihrem Mann vertraute die Übersetzerin in einem Brief an, was ihr die übersetzerische Arbeit verleidete: »Sie nennen mich hartnäckig, daß ich nicht die Geschichte der Thermopylischen Bäder übersetzen will, und Sie thun mir Unrecht. Der Anfang ist schon gemacht, weil es Ihr Wille ist, ich habe nur nicht Lust es zu vollenden. Ich liebe keinen Roman, und ich finde so viel in diesem kleinen Werke, was dem ähnlich sieht, daß ich ohne Geschmack an der Uebersetzung gearbeitet habe.«195 Wie Louise Gottsched die Diktion von Madeleine de Scudéry beurteilte, wissen wir nicht. Von ihrer Freundin Dorothee Henriette von Runckel wurde die Briefschreiberin Gottsched aufgrund ihres Schreibstils posthum mit dem Lob bedacht, es mit Anne Dacier, Madeleine de Scudéry, Antoinette Deshoulières und Marie Le Prince de Beaumont aufnehmen zu können: Sie schrieb reines Deutsch, ehe sie von dem Meister der deutschen Sprache [ihrem Verlobten und Ehemann Johann Christoph Gottsched, SK] unterrichtet wurde. Religion, Tugend, Wissenschaft, Belesenheit, alles was man von einem Frauenzimmer verlangen kann, findet man in ihren Briefen. Es herrschet mehr ein philosophischer Ernst darinnen, als der Scherz, und das tändelhafte, welches den Franzosen eigen ist, und nur selten den Deutschen in der Nachahmung gelingen wird. Nie würde unsere Kulmus eine muthwillige Babet geworden seyn, aber in allen Stücken kann dieselbe einer Dacier, einer Scüderi, einer Deshoulieres und einer Beaumont an die Seite gesetzet werden.196
Louise Kulmus’ Einstieg in den Literaturbetrieb trägt, was die Wahl der Vorlage betrifft, programmatische Züge. Der Breitkopf-Verlag hatte sich auf Anraten von Johann Christoph Gottsched dazu bereit erklärt, Kulmus’ deutsche Übersetzung des philosophischpädagogischen Essays Réflexions nouvelles sur les femmes, par une dame de la cour de France (1727) von Anne-Thérèse de Lambert herauszubringen, allerdings ist diese Übersetzung, die 1731 erschien, heute nicht mehr in einem Exemplar greifbar.197 Mit der achtzehnjäh-
194 Ein Exemplar von »Les Bains des Thermopyles à la Princesse de Milet, par feue Madem. Scudery. à Paris, 1732. 8.« stand im Bücherschrank von Louise Gottsched. Catalogvs bibliothecae, qvam Jo. Ch. Gottschedivs […] collegit atqve reliqvit […], Leipzig 1767, [Anhang] S. 3–48, hier S. 41, Nr. 873. Woods/Fürstenwald (Anm. 37), S. 39. 195 Louise Gottsched – »mit der Feder in der Hand«. Briefe aus den Jahren 1730–1762. Hg. von Inka Kording, Darmstadt 1999, Brief Nr. 54, 1. 12. 1734, S. 81. 196 Ebd., S. 19. 197 »Der Frau Markgräfinn von Lambert neue Betrachtungen über das Frauenzimmer, aus dem Französischen von Luis. Adelg. Vict. Kulmus. Leipzig, 1731. 8.« Catalogvs bibliothecae (Anm. 194), S. 39, Nr. 812.
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rigen Danzigerin lernen wir eine weitere deutsche Übersetzerin kennen – nach meinen bibliographischen Recherchen handelt es sich um die zweite deutsche Übersetzerin überhaupt –, die ihren Geist am Werk einer französischen Autorin, die wie Madeleine de Scudéry eine berühmte Salonnière war, schulte und das Resultat der Öffentlichkeit übergab; in ihrem Falle sollte es bei dieser einen Übersetzung einer französischen Autorin nicht bleiben.198 Das bekannteste Werk von Anne-Thérèse de Lambert, Avis d’une mère à son fils et à sa fille (1728), von Mario Wandruszka ein »Katechismus des vornehmen Lebens« genannt,199 war zwei Jahre vor Kulmus’ Lambert-Übersetzung ebenfalls bei Breitkopf in Leipzig erschienen: Der Madame von Lambert Gedancken von der Aufferziehung und einem tugendhafften Leben; in zweyen Schreiben an ihren Sohn und ihre Tochter entworffen (1729).200 Louise Kulmus wandte sich de Lambert zu, nicht weil sie hofmäßiges Betragen in breite Kreise der Bevölkerung tragen wollte,201 dies war nur ein willkommener Nebeneffekt ihrer Sprachmittlungsarbeit, nein, sie hoffte, den in diesem Buch entworfenen Typus der Frau, die »ungemeine Kenntnisse, weitläufige Belesenheit, reife Einsicht, kurz, alles besitzt, was einen erhabnen Geist bezeichnet«,202 für noch mehr Frauen der gebildeten Stände ihres eigenen Landes anziehend zu machen. Daher war Louise Gottsched auch so sehr von dem Maximenbändchen Maximes adressées à Mademoiselle de B*** par une Demoiselle de 13. ans (1753, Neuausg. 1786) angetan, denn die in dem Zitat genannten Eigenschaften verkörperte aus ihrer Sicht die am Gothaer Hof dienende Oberhofmeisterin Juliane Franziska von Buchwald, und die Gottschedin hatte sofort erkannt, daß deren Tochter Luise ganz nach ihrer in Paris geborenen Mutter geriet: »Wie diese [ Juliane Franziska von Buchwald, geb. von Neuenstein, SK] eine der vornehmsten Zierden des hochfürstlichen Hofes zu Gotha ist, und des vollkommensten Vertrauens ihrer durchlauchtigsten Herzoginn genießt; also ist auch jene mit den schönsten natürlichen Gaben in Ansehung eines frühzeitigen Verstandes versehen; und verspricht dereinst sehr viel, nachdem schon diese Blüthen desselben so ausbündig ausgeschlagen sind.«203 Noch im Erscheinungsjahr des Maximenbändchens ließ Louise Gottsched eine Besprechung des Werkes in den Druck gehen. Um dem Publikum einen Eindruck von dem Talent der jugendlichen Regelgeberin zu vermitteln, übersetzte Gottsched 21 von annähernd 50 Maximen ins Deutsche: 198 Louise Gottsched übersetzte Texte von Marie Anne Barbier, Gabrielle-Émilie Le Tonnelier de Breteuil Du Châtelet, Antoinette Deshoulières, Madeleine Angélique Gomez und Françoise de Grafigny. 199 Mario Wandruszka: Politesse, in: ders., Der Geist der französischen Sprache, Hamburg 1959, S. 81–89, hier S. 84. 200 Georg Christian Wolf, der das Werk übersetzte, war Mitglied der Deutschen Gesellschaft in Leipzig. 201 Wie gut Louise Gottsched die Hofmanieren beherrschte, erschließt sich aus der Schilderung ihrer Audienz bei Kaiserin Maria Theresia. Louise Gottsched – »mit der Feder in der Hand« (Anm. 195), Brief Nr. 95 vom Oktober 1749, S. 147–150, hier S. 148 f. 202 Ebd., Brief Nr. 123 vom 16. 07. 1753, S. 187–188, hier S. 187. 203 [Louise Gottsched:] Rez. o. T. [Maximes adressées à Mademoiselle de B*** par une Demoiselle de 13. ans (1753)], in: Das Neueste aus der anmuthigen Gelehrsamkeit 3, 1753, S. 878–880, hier S. 878.
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2. Die erste von euren Pflichten ist, wie ihr wisset, Gott zu lieben. Wenn ihr das thut, so werdet ihr glücklich seyn. 3. Seyd gefällig und nachgebend: dieß ist ein Mittel beliebt, und gesuchet zu werden. 4. Seyd keine Buhlschwester. Wofern ihrs seyd, so werden die Männer selbst, denen ihr zu gefallen suchet, euch verachten. 5. Meidet böse Gesellschaften. Sie verderben die Sitten. 6. Seyd nicht eitel und stolz. Der Stolz ist ein abscheuliches Laster. 7. Seyd niemals müßig. Der Müßiggang ist die Mutter aller Laster. 8. Leset keine Romane. Sie verderben den Verstand, und machen ihn abentheuerlich. 9. Redet von jedermann Gutes. Verberget eures Nächsten Fehler; entschuldiget sie, so weit es sich thun läßt. Geht es nicht an, so redet gar nicht davon. 10. Machet euch mit euren Bedienten nicht gemein; seyd aber gütig gegen sie, und seht sie als unglückliche Freunde an. 12. Vergebet Beleidigungen. Nur große Seelen sind fähig dazu. 13. Spottet keines Menschen: das ist häßlich. Gleichwohl wimmelt die Welt von Leuten, die ihr Hauptwerk daraus machen. 14. Leset viel; sonderlich Rollin; die Sevigne, und den Voltaire, etc. 17. Wählet zu euren Freunden Leute von bekannter Redlichkeit. 18. Seyd gegen jeden höflich; aber ehe ihr ihn kennet, so öffnet ihm euer Herz nicht. 19. Euer Wort haltet unverbrüchlich. 20. Eure Verschwiegenheit halte alle Proben aus. 21. Eure Kleidung sey reinlich, aber niemals prächtig. 22. Seyd nicht jachzornig [sic], oder ungeduldig. Dämpfet eure Leidenschaften. Es ist schön, sich zu besiegen, u.d.m.204
5.
Catharina Helena Dörrien
Die adlige Übersetzerin der Maximes von Luise von Buchwald erwähnt in ihrer Vorrede zur deutschen Fassung des Werkes, sie habe aus den Sittenlehren der Verfasserin dieser Blätter Nutzen gezogen und tue dies weiterhin, da sie jetzt auf Anraten ihrer »jungen Lehrmeisterin« die »Briefe der Sevigne« lese.205 Diese Briefe, die Marie de Rabutin-Chantal de Sévigné (1627–1696) an ihre Tochter schrieb, und von denen eine Auswahl im Todesjahr der Briefschreiberin veröffentlicht wurde (danach folgten ungezählte weitere Ausgaben in verschiedenen Sprachen), gelten im Rückblick als die meistrezipierten Frauenbriefe des 18. Jahrhunderts. In seiner Sévigné-Studie erwähnt Fritz Nies eine Zitatensammlung, die entfernt an das Maximenbändchen von Luise von Buchwald erinnert (man beachte die Ähnlichkeit der Titelformulierungen »addressés à Mademoiselle« und »addressé aux jeunes Demoiselles«): L’esprit de la Marquise de Sévigné ouvrage addressé aux jeunes Demoiselles. Oder schöne Gedanken curieuse Nachrichten und artige Erzehlungen aus den Briefen der Marquisin von Sevigne an ihre Tochter, die Gräfin von Grignan für junges Frauenzimmer, unter auserlesene Sätze gebracht, mittelst der Verfasserin eigenen Worten vorgetragen 204 Ebd., S. 879 f. 205 Anonym: Zuschrift an die Fräulein von ***, in: [Luise von Buchwald,] Sittliche Grundsätze zum Unterricht der Fräulein von B… geschrieben von einer Fräulein von 13 Jahren und übersetzt von einer Fräulein von 39 Jahren, Gotha 1753, S. 3–4, hier S. 4.
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3. Frauen lehren die Normen des Umgangs: Die Vorgeschichte der Anstandsbuchautorin
und mit diensamen Anmerkungen begleitet. Nebst gedachter Marquisin kurzen Lebenslaufe ausgefertiget von Catharina Helena Dörrien (1761).206 Das Werk erschien bei Reinhard Eustachius Möllers Witwe in Frankfurt am Main.207 Die im nassauischen Dillenburg tätige Erzieherin, Kinder- und Jugendbuchautorin, Zeitschriftenbeiträgerin, Übersetzerin, Editorin, Botanikerin und bildende Künstlerin Catharina Helena Dörrien (1717–1795) 208 gab ihre Sammlung von Briefzitaten in der Originalsprache heraus. Die weibliche Jugend sollte die Gelegenheit erhalten, »die zärtlichste Mutter und zugleich die vernünftigste Dame, die Zierde unsers Geschlechtes, mit ihren selbsteigenen Worten reden« zu hören.209 Offenbar sollte das Buch als Sprachschule genutzt werden. Was aber besagt der Titelzusatz »unter auserlesene Sätze gebracht«? Die Zitate wurden mit Überschriften und Erläuterungen in deutscher Sprache versehen. Diese Hinzufügungen ermöglichen zum einen ein leichteres Erfassen und tieferes Verständnis der originalsprachlichen Zitate, zum andern kehrt die Herausgeberin damit ihre Rolle als Erzieherin heraus, was insbesondere dadurch zum Ausdruck kommt, daß viele der Überschriften in Form von lehrreichen Gedanken (Maximen) abgefaßt sind. Der weiblichen Jugend wurde auf diese Weise die eine und die andere Grundregel des Anstands mit auf den Weg gegeben. Hier einige Beispiele: Wer in der Welt durchkommen will, der richtet sich nach der Weise, die an jedem Ort hergebracht ist.210 Allzuviele Ceremonien kommen vernünftigen Leuten abgeschmackt vor.211 Wenn man jemanden [sic] ein Compliment machet, hat man sich vorzusehen, daß man dadurch, in Ansehung eines dritten, keine Grobheit begehe.212 Wenn man die Gnade hat mit solchen Personen zu reden, die weit über unsern Stand erhoben sind, so muß man weder zu dreiste, noch zu blöde [schüchtern, SK] seyn.213
206 Fritz Nies: Gattungspoetik und Publikumsstruktur. Zur Geschichte der Sévigné-Briefe (Theorie und Geschichte der Literatur und der schönen Künste; 21), München 1972, S. 263. 207 Bei der gleichen Verlegerin war 1760 eine an beide Genus-Gruppen adressierte (alphabetisch nach Themen geordnete) Zitatensammlung erschienen, die von Anton Ulrich von Erath, Dörriens Arbeitgeber und Mentor, zusammengestellt wurde. [Anton Ulrich von Erath (Hg.)]: Unterricht für junge Personen beyderley Geschlechts, so dasjenige, was zu einer vernünftigen Aufführung gehöret, kennen zu lernen begierig, und zugleich fähig sind, darüber schon selbst etwas nachzudenken. Aus dem Französischen übersetzet, und durchgehends vermehret, Frankfurt/M. 1760. Die französische Fassung dieser Zitatensammlung stammt ebenfalls von Anton Ulrich von Erath. 208 Regina Viereck: »Zwar sind es weibliche Hände«. Die Botanikerin und Pädagogin Catharina Helena Dörrien (1717–1795), Frankfurt/M. u. a. 2000. 209 Catharina Helena Dörrien: Vorbericht, in: Marie de Rabutin-Chantal Sévigné, L’esprit de la Marquise de Sévigné ouvrage addressé aux jeunes Demoiselles. Oder schöne Gedanken curieuse Nachrichten und artige Erzehlungen aus den Briefen der Marquisin von Sevigne an ihre Tochter, die Gräfin von Grignan für junges Frauenzimmer […], Frankfurt/M. 1761, Bl. )(5a–)(7b, hier Bl. )(6b. 210 Marie de Rabutin-Chantal Sévigné: L’esprit de la Marquise de Sévigné […], Frankfurt/M. 1761, S. 7. 211 Ebd., S. 15. 212 Ebd., S. 186. 213 Ebd., S. 309.
3.2 Frankophile Übersetzerinnen und Autorinnen
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Die zuletzt angeführte Maxime hat die gleiche Materie zum Gegenstand wie die 22. Maxime der Maximes et pensées diverses von Madeleine de Sablé (1599–1678), einer »Meisterin der Analyse«,214 deren Maximensammlung im Todesjahr der hochadligen Autorin von einem gewissen Abbé d’Ailly herausgegeben wurden (die 81 Maximen der Französin lagen seit 1734 auch in deutscher Sprache vor):215 Il y a une certaine médiocrité difficile à trouver avec ceux qui sont audessus de nous, pour prendre la liberté qui sert à leurs plaisirs et à leurs divertissements, sans blesser l’honneur et le respect qu’on leur doit. (Im Umgang mit Höhergestellten ist es schwer, den Mittelweg zu finden: einerseits brauchen wir genügend Freiheit, um ihnen Vergnügen und Zerstreuung zu bieten, andererseits dürfen wir nicht ihre Ehre verletzen und den schuldigen Respekt vermissen lassen.) 216
Was die Autorinnen der angeführten Maximen verbindet, ist der Wunsch, die in ihrem Fortbestand stets bedrohten gesellschaftstragenden Tugenden in die Herzen der Menschen zu pflanzen. Mit diesem pädagogischen Impetus korreliert der Stil der Maximen, die sich zwar durch Kürze und Prägnanz, nicht aber durch Sprachwitz, Hintersinn und Originalität auszeichnen. Es ist bekannt, daß Madeleine de Sablé und ihre Freundinnen an den Maximen von François de La Rochefoucauld Kritik übten.217 In abgeschwächter Form finden wir diese Kritik bei Christian Fürchtegott Gellert wieder, der in seinen Moralischen Vorlesungen (1770) über den bis heute bekanntesten Vertreter der literarischen Mode des Maximenschreibens im Frankreich des 17. Jahrhunderts218 das Urteil fällt: Die Maximen des Herrn von Rochefoucault und der Marqvisinn de la Sable. So sinnreich die ersten sind, so würden sie doch nützlicher seyn, wenn der Witz des Verfassers weniger arbeitete, die menschliche Tugend bloß zu Ehrgeiz und Eigennutz zu erniedrigen. Die Madame de la Sable denkt wahrer, wenn sie auch nicht so sinnreich denkt, als ein Rochefoucault.219 214 Hans Burkhardt: Die Beziehungen der Geschlechter bei den französischen Moralisten im 16. und 17. Jahrhundert, München 1965, S. 24. 215 Madeleine de Sablé: Der Marquisin von Sablé hundert vernünfftige Maximen, mit 366. moralischen Bildnüßen erläutert; jhrer Fürtreffligkeit wegen aus dem Frantzösischen übersetzet, und mit einer Zuschrifft an Jhro Hochwohlgebohren, die Frau von Ziegler, käyserl. gekrönte Poetin, und der Deutschen Gesellschaft zu Leipzig Mitglied, begleitet von D. Johann Ernst Philippi, der deutschen Wohlredenh. oeffentl. Lehrer zu Halle, Leipzig 1734. Nur 81 der 100 Maximen sind tatsächlich Hervorbringungen von Madeleine de Sablé, die restlichen 19 Maximen gehen auf den Abbé d’Ailly zurück. 1749 erschien in Zürich eine weitere deutsche Übersetzung der Sabléschen Maximensammlung. 216 Madeleine de Sablé: Maximes/Maximen, hg. von Harald Wentzlaff-Eggebert, eingeleitet von ElkeAlida Homm-Vogel (Bamberger Editionen; 3), Bamberg 1989, S. 50 f. 217 Baader (Anm. 103), S. 209. 218 Sein Name wurde späterhin sogar zum Synonym für die Gattung Maximensammlung. Vgl. Le La Rochefoucauld des dames. Recueil de pensées de Mmes de Stael, Necker, de Tencin, Riccoboni, Cottin, de Sévigné, de Graffigny, Rolland, de Genlis, de Flahaut, Simons-Candeille, DesbordesValmore, Lafite, de Renneville, de Montolieu, de L’Epinasse, etc., etc., etc. On se plait à les lire autant qu’à les aimer, Paris [1823]. 219 Christian Fürchtegott Gellert: Moralische Vorlesungen. Moralische Charaktere. Hg. von Sibylle Späth (Gesammelte Schriften; 6), Berlin u. a. 1992, S. 123.
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3. Frauen lehren die Normen des Umgangs: Die Vorgeschichte der Anstandsbuchautorin
Welch große Popularität nach der Jahrhundertmitte Maximensammlungen erlangten, zeigt unter anderem die im Auftrag des Verlegers Tobias Göbhardt 220 von Karl Friedrich Troeltsch (1729–1804) ohne Nennung seines Namens herausgegebene (und teilweise von ihm mitverfaßte) Maximenanthologie 221 Die Frauenzimmerschule oder sittliche Grundsätze zum Unterricht des schönen Geschlechts wie sich selbiges bey allen Vorfallenheiten in der Welt auf eine bescheidene Art zu betragen habe. Zur Bildung eines edlen Herzens und Führung eines klugen Wandels (1766, 1767, 1775, 1776, 1804, Neuausg. 1785, 1789). Das Göbhardt-Druckwerk enthält folgende Maximensammlungen: Die Sittlichen Grundsätze zum Unterricht der Fräulein von B… (1753) von Luise von Buchwald (Buchtitel und Autorin bleiben ungenannt),222 die Maximes de conduite pour une demoiselle qui entre dans le monde (1700) von La Présidente de Noinville (ins Deutsche übersetzt nach der Colmarer Ausgabe), Maximen anonymischer Verfasser und vom Herausgeber Troeltsch zum Thema »Von der Ehre und dem guten Namen«, Maximen zum Thema »Christliche Lehrsprüche aus dem Französischen« (ein Auszug aus den Réflexions ou sentences et maximes morales (1665) von François de La Rochefoucauld, übersetzt nach der Lausanner Ausgabe 1760) sowie Maximen zum Thema »Vermischte Lehren« vom Herausgeber Troeltsch und von de La Rochefoucauld. Der Anthologie war ein beachtlicher Erfolg beschieden. Nach meinen Recherchen erlebte das Buch bis 1804 sieben Auflagen. Der Titel der Publikation ist ein gutes Beispiel dafür, mit welcher Skrupellosigkeit zum damaligen Zeitpunkt mit fremdem geistigem Eigentum umgegangen wurde. Im Titel der Frauenzimmerschule werden nicht nur die Sittlichen Grundsätze zum Unterricht der Fräulein von B… (1753) von Luise von Buchwald, sondern auch der Titel der ersten Buchveröffentlichung von Catharina Helena Dörrien zitiert. Diese hatte 1756 auf eigene Kosten ihren Versuch eines Beytrages zur Bildung eines edlen Hertzens in der ersten Jugend (2 Tle.) für den Privatgebrauch drucken lassen. Das Werk gefiel, wurde in Wien 1759 nachgedruckt und 1761 von der Verlegerwitwe Möller in Frankfurt am Main in erweiterter Form neu aufgelegt. Nachdem wir nach einem kleinen Exkurs zum Thema Maximensammlungen wieder zu Dörrien zurückgekehrt sind, beende ich meine Ausführungen mit dem Hinweis auf ein langes Kapitel zur Konversation – enthalten im Versuch eines Beytrages zur Bildung eines edlen Hertzens in der ersten Jugend. Meines Wissens ist Dörrien die erste deutschsprachige Autorin, die zu diesem Thema in
220 Vgl. auch das folgende frauenadressierte Göbhardt-Druckwerk: Christoph Ludwig Pfeiffer: Briefe für das Frauenzimmer, zur Nachahmung einer natürlichen reinen und aufgeweckten Schreibart wie auch zur Verbesserung der Sitten und des Wohlstandes […], Bamberg u. a. 1758. 221 Nach Jeannine Blackwell trugen die Initiatoren von Anthologien dazu bei, Autorinnenliteratur zu kanonisieren. Jeannine Blackwell: Anonym, verschollen, trivial: Methodolocial Hindrances in Researching German Women’s Literature, in: Women in German Yearbook 1, 1985, S. 39–59, hier S. 50. 222 In Verkennung der Tatsachen assoziierte Ursula Pia Jauch diese anonyme Maximensammlung mit männlicher Autorschaft. Ursula Pia Jauch: Damenphilosophie und Männermoral. Von Abbé de Gérard bis Marquis de Sade. Ein Versuch über die lächelnde Vernunft, 2., durchges. u. korr. Aufl. Wien 1991, S. 111.
3.3 Das Einzige-Tochter-Phänomen
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direkt-belehrender Form ein ganzes Kapitel verfaßte. Die von ihr herangezogenen Quellentexte sind noch aufzudecken. Aber wen würde es jetzt noch verwundern, wenn wieder französische Vorbilder zu benennen wären? 223
3.3 Das Einzige-Tochter-Phänomen Eine der bekanntesten weiblichen Gelehrten der Frühen Neuzeit, Anna Maria van Schurman (1607–1678), war kein Einzelkind, wohl aber eine »einzige Tochter«. Ihre Mutter war deutscher Abkunft und hatte vier Kinder zur Welt gebracht. Ihr Vater, Frederik van Schurman (gest. 1623), Kaufmann in Antwerpen, war der größte Förderer seiner hochbegabten Tochter. Diese zog das Unverheiratetsein dem Leben in der Ehe vor.224 Auch die heute fast vollständig in Vergessenheit geratene »einzige Tochter« Helena Sibylla Wagenseil (1669–1735) trug sich mit dem Gedanken, unverheiratet zu bleiben, vollzog dann aber einen Sinneswandel und heiratete Daniel Wilhelm Moller (die Ehe blieb kinderlos), einen Kollegen ihres Vaters, des Altdorfer Professors Johann Christoph Wagenseil. Was die Wagenseil-Tochter auszeichnete, formuliert Georg Andreas Will in seinem Gelehrtenlexikon so: »Sie machte auch in der That einen netten lateinischen Vers, las den Homer, unterhielte einen gelehrten Briefwechsel, wurde von Freunden mit vieler Achtung besuchet und gesprochen und ist von freyen Stücken in die berühmte Academiam Recuperatorum zu Padua als ein würdiges Mitglied aufgenommen worden.« 225 Früh war das gelehrige Mädchen sehr planmäßig an höhere Bildung herangeführt worden: In schneller Folge kamen jetzt die vier Kinder des Ehepaares zur Welt, von denen zwei […] noch im Kleinkindalter starben. Die Geburt eigener Kinder war für Wagenseil der Anlaß, an eine Systematisierung seiner bisherigen pädagogisch-didaktischen Erfahrungen zu denken, wie er Boecler Mitte Mai 1668 mitteilte. Wagenseil hat für seinen überlebenden Sohn Gabriel (1. September 1670 bis 1735) einen sorgfältigen Erziehungsplan mit Lehrstoff aus den unterschiedlichsten Wissensgebieten zusammengestellt, dessen Aufbau sich in der Kapiteleinteilung der Pera librorum juvenilium von 1695 getreulich widerspiegelt. Doch kann kein Zweifel bestehen, daß die nur wenig ältere Tochter Helene Sibylle
223 Dörrien bezieht sich in ihrer Erziehungslehre häufiger auf die von ihr sehr geschätzte Kinder- und Jugendschriftstellerin Marie Le Prince de Beaumont. Catharina Helena Dörrien: Versuch eines Beytrages zur Bildung eines edlen Herzens in der Jugend. Für junges Frauenzimmer entworfen und mitgetheilet von Catharina Helena Dörrien, 2 Tle., 3., verm. u. verb. Aufl., Frankfurt/M. 1761, Tl. 2, S. 16, 125. 224 Elisabeth Gössmann/Maria Huber: Anna Maria van Schurman (1607–1678). Ihre frauenspezifischen und ihre theologisch-anthropologischen Schriften, in: Elisabeth Gössmann (Hg.), Das wohlgelahrte Frauenzimmer (Archiv für philosophie- und theologiegschichtliche Frauenforschung; 1), 2., überarb. u. erw. Aufl. München 1998, S. 77–142, hier S. 77 f., 80. 225 Georg Andreas Will: Mollerin (Helena Sybilla), in: ders., Nürnbergisches Gelehrten-Lexicon […], Tl. 2, Nürnberg 1756, S. 649–651, hier S. 650. Gelegenheitsgedichte der Autorin verzeichnen Woods/Fürstenwald (Anm. 37), S. 71.
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3. Frauen lehren die Normen des Umgangs: Die Vorgeschichte der Anstandsbuchautorin
[…] auch in den Genuß einer sorgfältigen Ausbildung durch ihren gelehrten Vater kam, sicher wohl nach dem selben Erziehungsplan.226
1.
Luise von Buchwald
Luise von Buchwald kam 1740 zur Welt. Das von Mevius in Gotha verlegte Maximenbändchen der Autorin beschäftigte uns bereits in den Abschnitten 1.2 und 3.2 unter dem Gesichtspunkt des Erwerbs von Bücherkenntnissen und der Verbreitung von Verhaltensnormen durch frankophile Autorinnen. In diesem Abschnitt liegt der Schwerpunkt auf der Biographie der geistig regen Mutter von Luise von Buchwald, die von prägendem Einfluß auf die intellektuelle Entwicklung ihrer Tochter war. Als das Ehepaar Gottsched in den ersten Julitagen 1753 zu einer Reise nach Gotha aufbrach, war der Druck des Maximenbändchen von Luise von Buchwald in Vorbereitung oder schon abgeschlossen. Mitte des Monats konnte Louise Gottsched ihrer Freundin Dorothee Henriette von Runckel freudig berichten, die Herzogin habe sie in Audienz empfangen: »Ich hatte die Ehre, eine lange und sehr gnädige Audienz bey dieser Fürstin zu erhalten. Sie sprach viel vom Hrn. von Voltaire und schien, so wie die Frau von B. ganz eingenommen für ihn zu seyn. Wie schmeichelhaft ist dieser Beyfall nicht für den Hrn. von Voltaire. Von der Frau von Buchwald muß ich Ihnen noch sagen, daß sie ihrem Geschlechte und ihren Zeiten wahre Ehre macht, und ungemeine Kenntnisse, weitläufige Belesenheit, reife Einsicht, kurz, alles besitzt, was einen erhabnen Geist bezeichnet. Ich zähle die Bekanntschaft mit dieser Dame unter die glücklichsten Begebenheiten meiner Reise.« 227 Die in dem Brief erwähnte Frau von Buchwald war schon über ein Jahrzehnt, seit 1739, Oberhofmeisterin am Gothaer Hof. Dieses hohe Amt war die letzte Station einer vom Glück begünstigten Karriere, die im Alter von siebzehn Jahren begonnen hatte. Zu jener Zeit reiste Freifräulein Juliane Franziska von Neuenstein (1707–1789) – das Mädchen wurde in Paris geboren, lebte aber seit ihrem vierten Lebensjahr in Stuttgart – an den Coburger Hof, wo eine Stelle als Hofdame zu besetzen war.228 Auch deren Eltern standen am Hof in Lohn und Brot.229 In Coburg lernte Juliane Franziska ihre spätere 226 Peter Blastenbrei: Johann Christoph Wagenseil und seine Stellung zum Judentum, Erlangen 2004, S. 24 f. 227 Louise Gottsched – »mit der Feder in der Hand« (Anm. 195), Brief Nr. 123 vom 16. 07. 1753, S. 187–188, hier S. 187. 228 Meine vitabezogenen Ausführungen beruhen größtenteils auf den Angaben von August Beck: Buchwald: Juliane Franziska v. B., in: Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 3, Leipzig 1876, S. 494, und Adalbert von Hanstein: Die Frauen in der Geschichte des deutschen Geisteslebens des 18. und 19. Jahrhunderts. Buch 1: Die Frauen in der Zeit des Aufschwunges des deutschen Geisteslebens, Leipzig 1899, S. 287 f., 290, 292, 295, 299. Vgl. auch Woods/Fürstenwald (Anm. 37), S. 20. Welcher Glaubensrichtung Juliane Franziska von Buchwald angehörte, daüber schweigen sich die mir zugänglichen Informationsquellen aus, sie muß aber Protestantin gewesen sein. 229 Ihr einem elsässischen Adelsgeschlecht entstammender Vater Philipp Jakob von Neuenstein (gest. 1723) war bis zum Parforce-Oberjägermeister im Hofstaat von Herzog Eberhard Ludwig von Württemberg aufgestiegen. Ihre im Witwenstand lebende Mutter nahm 1734 das Amt der Hof-
3.3 Das Einzige-Tochter-Phänomen
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Dienstherrin, Luise Dorothea von Sachsen-Meiningen (1710-1767), kennen. Zwischen den zwei geistesverwandten Frauen entwickelte sich eine bis zum Tod der Herzogin 1767 währende Freundschaft. 1741, also sechs Jahre nach der Eheschließung von Luise Dorothea mit Herzog Friedrich III. von Sachsen-Gotha und Altenburg, wechselte Juliane Franziska an den Gothaer Hof. 1739 ging die Zweiunddreißigjährige mit dem Gothaer Oberhofmeister Schack Hermann von Buchwald eine Ehe ein. Im selben Jahr stieg die treu ergebene Hofdame zur Oberhofmeisterin auf. Über die geistigen Interessen und die Kontaktkreise der Gothaer Oberhofmeisterin berichtet der Hofhistoriker Carl Eduard Vehse: Schon vor dem Siebenjährigen Kriege, seit den vierziger Jahren, galt der gothaische Hof als einer der gebildetsten Höfe im In- und Ausland. Er erhielt diesen Glanz durch die Herzogin und ihre Freundin, die Oberhofmeisterin Frau von Buchwald. Die Herzogin Luise Dorothea, geborene von Meiningen, war eine der ausgezeichnetsten Fürstinnen damaliger Zeit, nicht bloß eine Beschützerin, sondern auch Kennerin der Wissenschaften, eine Freundin Voltaires und Friedrichs des Großen […].230 Außerdem gab es literarische Zirkel im Hause der Oberhofmeisterin von Buchwald. Es versammelten sich hier nachmittags die herzogliche Familie und die Hof- und Stadtnotabilitäten. Auch ausgezeichnete Fremde erschienen hier. Wieland las hier zuerst seinen Oberon aus dem Manuskript vor. Frau von Buchwald erhielt sich 60 Jahre lang bis zu ihrem Tode 1789 durch ihre Geschmeidigkeit und Geistesstärke im höchsten Ansehen am gothaischen Hofe. Man gebrauchte sie sogar als Ambassadrice und nannte sie nur »die alte Mama«, »die Mutter des Hofes«.231
Aus der Ehe der zwei Gothaer Hofstaatsangehörigen ging eine Tochter hervor, die auf den Vornamen »Luise« getauft wurde. Mit der Wahl des Vornamens wurde für alle sichtbar dokumentiert, wie nahe Juliane Franziska von Buchwald der Herzogin »Luise« Dorothea stand. Luise von Buchwald (1740–1764) heiratete im Alter von zweiundzwanzig Jahren den Grafen Johann Georg Heinrich Werther, doch währte die Ehe nicht lange, da die junge Gräfin – für alle schockierend früh – im Alter von vierundzwanzig Jahren verstarb.232 Juliane Franziska von Buchwalds Mutter hatte vor ihrer Ehe im Hofstaat von Elisabeth Charlotte, Herzogin von Orléans (1652–1722) (»Liselotte von der Pfalz«), als Hofdame gedient. Das Maximenschreiben war in Frankreich in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts noch immer groß in Mode. Die am literarischen Leben mit regem Interesse teilnehmende Juliane Franziska scheint bei ihrer Tochter die Freude am Maximenschreiben geweckt zu haben. Als die drei Ausgaben – die französische, deutsche und italienische – der Maximes adressées à Mademoiselle de B*** par une Demoiselle de 13. ans (1753) in
meisterin im Hofstaat der Prinzessin Louise Friederike an; vor der Eheschließung war sie am französischen Königshof Hofdame. Walther Pfeilsticker (Bearb.): Neues Württembergisches Dienerbuch. Bd. 1: Hof, Regierung, Verwaltung, Stuttgart 1957, § 385, 401. 230 Carl Eduard Vehse: Die Höfe zu Thüringen. Hg. von Wolfgang Schneider. Ausgewählt und bearbeitet von Annerose Reinhardt, Leipzig 1994, S. 30 f. 231 Ebd., S. 36. Vgl. ferner August Beck (Anm. 228, S. 494): »Auch Voltaire gehörte zu ihren Freunden, wie Wieland, Herder und Goethe. Bei ihr wurden Oberon, Egmont und andere Meisterwerke vor dem Druck vorgelesen und besprochen.« 232 Nach Beck (ebd., S. 494) starb Luise von Buchwald 1766.
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Gotha herauskamen, konnte wohl niemand die spätere Aufnahme des Werkes in die Maximenanthologie Die Frauenzimmerschule oder sittliche Grundsätze zum Unterricht des schönen Geschlechts wie sich selbiges bey allen Vorfallenheiten in der Welt auf eine bescheidene Art zu betragen habe. Zur Bildung eines edlen Herzens und Führung eines klugen Wandels (1766, 1767, 1775, 1776, 1804, Neuausg. 1785, 1789) voraussehen.233 Luise von Buchwald verfaßte zu den Maximes ein kleines Vorwort. Diesem ist zu entnehmen, die Maximen seien vor Jahren auf Bitten einer Nichte, die dabei war, sich auf den Eintritt in die große Welt vorzubereiten, entstanden: »IL y a quelques années, que Mademoiselle de * * * ma niece me demanda mes conseils pour se conduire dans le monde ou elle entroit; & c’est pour elle, que j’ai composé ces maximes. C’étoit une jeune personne de 17. ans, jolie, d’une vivacité extréme, & qui joignoit beaucoup de genie a un bon caractére. Aussi a-t-elle suivi mes avis trés exactement & elle s’en est bien trouvée.« 234 Was an diesen Worten Wahrheit und was Dichtung ist, klärt sich, wenn man Louise Gottscheds Besprechung des Maximenbändchens in der Zeitschrift Das Neueste aus der anmuthigen Gelehrsamkeit (Bd. 3, 1753) hinzuzieht. Das Fräulein, schreibt Gottsched, stelle sich in der Vorrede älter als es in Wirklichkeit sei. Das wahre Alter habe der Herausgeber, der Verleger Mevius, gegen den Willen der Autorin publik gemacht.235 Das jugendliche Alter der Maximenautorin wirft die Frage auf, ob die Maximes ganz ohne fremde Hilfe entstanden sein können. Bringt eine Dreizehnjährige die Lebenserfahrung und die Kenntnisse mit, die vonnöten sind, um ein solch erfahrungsgesättigtes Werk in einer für einen Verlag akzeptablen Form zu Papier zu bringen? Die Indizien sprechen gegen einen Alleingang der Tochter. Eingangs wurde ein von Louise Gottsched an ihre Freundin von Runckel gerichteter Brief zitiert, der die Mitteilung erhält, die Herzogin von Gotha und ihre Oberhofmeisterin seien von dem französischen Schriftsteller und Philosophen Voltaire (1694–1778) ganz eingenommen (Abb. 8) – Luise von Buchwald wird in diesem Zusammenhang nicht erwähnt. Der berühmte Aufklärer war 1750 für drei Jahre der Einladung Friedrichs des Großen nach Potsdam gefolgt. Schon in seinen frühen Schriften setzte Voltaire sich mit der konstitutionellen Monarchie auseinander und faßte die Vorstellungen der Aufklärung über politische Gleichheit, religiöse Toleranz und Gewissensfreiheit zu-
233 Die französische Ausgabe wurde 1786 in Kopenhagen nachgedruckt. 234 [Luise von Buchwald:] Maximes adressées à Mademoiselle de B*** par une Demoiselle de 13. ans, Gotha 1753, S. 3 f. [Luise von Buchwald:] Vorrede der Verfaßerin, in: [dies.,] Sittliche Grundsätze zum Unterricht der Fräulein von B… geschrieben von einer Fräulein von 13 Jahren und übersetzt von einer Fräulein von 39 Jahren, Gotha 1753, S. 5–6, hier S. 5 f.: »Die Fräulein von ***, meine Nichte, verlangte vor einigen Jahren, als sie in die gesellschaftliche Welt eintrat; ich möchte ihr meinen Rath ertheilen, wie sie sich aufzuführen hätte; und vor sie habe ich diese Grundsätze abgefasset. Es war eine junge Person von 17 Jahren, voller Reiz, so lebhaft als immer möglich, und verband die Menge Gaben mit einer guten Gemüthsart: wie sie sich denn auch meine Erinnerungen aufs sorgfältigste zu Nutzen gemacht, und sich wohl dabey befunden hat.« 235 [Gottsched] (Anm. 203), S. 878 f. Dank der exakten Altersangabe war es mir in Zusammenarbeit mit Annette Gerlach von der Forschungs- und Landesbibliothek Gotha möglich, das Anonymat zu lüften.
3.3 Das Einzige-Tochter-Phänomen
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sammen. Vom 22. April bis 25. Mai 1753 hielt er sich am Gothaer Hof auf.236 Nummer 14 der Maximes spiegelt die Voltaire-Begeisterung der Herzogin und ihrer Oberhofmeisterin wider: »Lisés beaucoup & surtout Rollin, la Sevigné, les œuvres de Voltaire & c.« 237 Nummer 31 fordert dazu auf, durch Umgang mit aufgeklärten Geistern den eigenen Verstand aufzuhellen: »Tâchés d’étre toujours en compagnie avec des gens d’esprit & de probité & éclairés votre esprit de leur lumieres.« 238 Neben der Voltaire-Rezeption kann auch die geschliffene Sprache der Maximes als Indiz für eine Beteiligung der Mutter an der Entstehung des Werkes angeführt werden, schließlich war Französisch Franziska von Buchwalds Muttersprache. Aufgrund ihrer Stellung am Hof, die sie zu absoluter Loyalität gegenüber ihrer Herrschaft verpflichtete, waren der Mutter in mancherlei Hinsichten die Hände gebunden, zum Beispiel war sie gezwungen, mit ihren Erfahrungen am Hof diskret umzugehen und nichts zu tun, das in negativer Weise hätte Aufsehen erregen können.239 Wenn die Mutter auch nicht als Autorin tätig werden konnte und wollte, so erlaubte sie es doch ihrer sich in kindlicher Naivität die lebenskluge Mutter zum Vorbild nehmenden Tochter, diesen Weg zu beschreiten. Damit jedoch kein falsches Licht auf die Mutter – und vielleicht auch die Tochter – fiel, mußten die Maximes anonym erscheinen. Fernerhin stellt sich die Frage, ob Mutter und Tochter von Buchwald ältere Maximensammlungen in ihrem Werk verarbeiteten. Dafür, daß es sich hier um eine Kompilation handelt, gibt es keine Hinweiszeichen, es läßt sich aber ein Plagiieren aus der Maximensammlung nachweisen. Ich denke hier nicht an die oben erwähnte Maximenanthologie Die Frauenzimmerschule oder sittliche Grundsätze zum Unterricht des schönen Geschlechts (1766), da hier die deutsche Fassung der Maximes unverändert zum Abdruck kam, sondern an die Textsammlung Regeln der Klugheit für junge Frauenzimmer und Mannespersonen in Briefen (2., verm. Aufl. 1769, 1. Aufl. 1766), die Karl Heinrich Frömmichen herausgab. Die darin enthaltene anonyme Verhaltenslehre Maximen für junge Frauenzimmer, die auf den Lebensentwurf von jungen Frauen aus dem Bürgertum abstellt, gibt auf den letzten vier Seiten die Maximen der von Buchwalds (die Vorlage wird nicht genannt) in stark überarbeiteter Form wieder. Stark überarbeitet heißt in diesem Falle: Die von Buchwaldschen Maximen wurden entweder abgeändert und sprachlich in eine andere Form ge-
236 von Hanstein (Anm. 228), S. 294 f. Bärbel Raschke: Französische Aufklärung bei Hofe: Luise Dorothea von Sachsen-Gotha (1710 –1767), in: Michel Espagne u. a. (Hg.), Frankreichfreunde. Mittler des französisch-deutschen Kulturtransfers (1750–1850) (Deutsch-französische Kulturbibliothek; 7), Leipzig 1996, S. 23–37, hier S. 36 f. Auf Wunsch der Gothaer Herzogin verfaßte Voltaire eine Geschichte des Deutschen Reiches. Im Mevius-Verlag kam folgendes Werk von Voltaire heraus: Eines Unbekannten Tempel der Liebe zu Gnidus und des Herrn von Voltaire Tempel des guten Geschmacks und der Freundschaft, aus dem Französischen übersezt, Gotha 1750. 237 [von Buchwald] (Anm. 234), S. 8. 238 Ebd., S. 11 f. 239 Die Tagebücher von Gräfin Sophie Marie von Voss, geb. von Pannwitz (1729–1814), welche im Hofstaat von Königin Luise von Preußen gedient hatte, wurden erst sechs Jahrzehnte nach ihrem Tod veröffentlicht. Sophie Marie von Voss: Neunundsechzig Jahre am Preußischen Hofe. Aus den Erinnerungen der Oberhofmeisterin Sophie Marie Gräfin von Voss, Leipzig 1876.
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bracht, oder einzelne Maximen wurden eliminiert und durch andere ersetzt.240 Gerade die ein aufgeklärtes Bildungsideal propagierenden Maximen wurden ausgelassen oder leicht abgeändert. So taucht etwa der Name Voltaire nicht mehr auf. Die oben zitierte Maxime, die dazu auffordert, mit aufgeklärten Geistern in Austausch zu treten, wurde an das bürgerliche Leistungsideal angepaßt: »Machet euch des Glücks, mit weisen, tugendhaften und vortreflichen Personen umzugehen, durch eure persönliche Vollkommenheiten würdig.«241 Außerdem wird in der späteren Sammlung Gott in mehr als einer Maxime erwähnt und die Natur (der Körper) erhält ein gewisses Eigenrecht. Die erste und die letzte Maxime der beiden Sammlungen lauten wie folgt: Le premier de vos devoirs, vous le savés, est d’aimer Dieu; si vous le faites, vous ferés heureuse. (Die erste ihrer Pflichten ist, sie wissen es, GOtt zu lieben; wofern sie diese erfüllen, so werden sie glücklich seyn.)
Führet euch, mein liebstes Kind, so auf, damit ihr immer von den [dem, SK] Wohlgefallen GOttes an euch, versichert seyn könnet. Ausser der Gnade GOttes aber muß euch nichts unschätzbarer seyn, als ein guter Name, und die Achtung weiser und verdienstvoller Personen.
Ne vous abandonnés point a vos passions & tachés de les reprimer. Plus vous passions seront vives, moins vous serés aimable. (Ueberlassen sie sich nie ihren Leidenschaften; vielmehr bemühen sie sich, selbige zu dämpfen: ie lebhafter ihre Leidenschaften sich zeigen werden, desto weniger werden sie liebenswürdig seyn.)242
Seyd, was euren Körper betrift, nicht zu weichlich und zärtlich. Gewöhnet ihn durch eine gewisse Härte dauerhaft. Traget euren Leib ungezwungen. Kommet der Natur durch eine wohlgewählte Aus zierung zu Hülfe: aber suchet sie nicht wider ihren Willen durch Künsteln zu übertreffen.243
Von der Bildungsbiographie und dem beruflichen Werdegang der Tochter von Karl Heinrich Frömmichen, einer heute vergessenen »einzigen Tochter«, die im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts geboren wurde, handelten die Abschnitte 1.2 und 2.1. Im folgenden wird eine »einzige Tochter« genauer betrachtet, die fünfzehn Jahre älter war als Sophia Frömmichen (1767–nach 1835), und deren Biographie erstaunliche Parallelen zu derjenigen von Luise von Buchwald aufweist.
2.
Philippine von Reden, geb. Freifrau Knigge
Im Schatten ihres berühmten Vaters Freiherr Adolph Knigge (1752–1796) stehend – Knigges bekanntestes Werk, Ueber den Umgang mit Menschen (1788), zugleich eines der erfolgreichsten männerzentrierten Anstandsbücher überhaupt, löste in den Jahrzehnten 240 [Karl Heinrich Frömmichen (Hg.):] Regeln der Klugheit für junge Frauenzimmer und Mannespersonen in Briefen, 2., verm. Aufl. Halle 1769, S. 79–82 (1. Aufl. 1766). 241 Ebd., S. 81. 242 [von Buchwald] (Anm. 234), S. 5, 16 (französisches Original); S. 7, 15 (deutsche Übersetzung). 243 [Karl Heinrich Frömmichen?]: Maximen für junge Frauenzimmer, in: [Karl Heinrich Frömmichen (Hg.),] Regeln der Klugheit für junge Frauenzimmer und Mannespersonen in Briefen, 2., verm. Aufl. Halle 1769, S. 71–82, hier S. 79, 82.
3.3 Das Einzige-Tochter-Phänomen
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nach seinem Erscheinen eine Welle ähnlich konzipierter und betitelter Buchproduktionen aus 244 –, trat Philippine von Reden, geb. Freifrau Knigge (1775–1841), in unregelmäßigen Abständen als Autorin, Übersetzerin und Editorin ins Rampenlicht der Öffentlichkeit. Philippine war, wovon die Forschung bisher keine Notiz nahm, die bekannteste Kinderautorin des 18. Jahrhunderts. Wie Birgit Nübel in ihrem grundlegenden Aufsatz zu Vater und Tochter Knigge herausarbeitete,245 beschäftigte sich der »Aufklärungsschriftsteller« nicht nur in seiner Rolle als Erzieher, sondern auch in seiner Eigenschaft als Zeitschriftenbeiträger und Buchautor mit dem Thema Mädchenerziehung. So polemisierte er beispielsweise in verschiedenen Zeitschriften gegen die Erziehungsmethoden von Joachim Heinrich Campe und Ernst Christian Trapp.246 Auch in seinen Büchern stellte sich der Erziehungsfachmann als volksnaher Ratgeber dar.247 Die Erziehungsrealität im Hause Knigge wich insofern von der Doktrin des Freiherrn, die Erziehung der Mädchen müsse im wesentlichen von den Müttern geleistet werden, ab, als Knigge sich, sobald sein Töchterchen nicht mehr permanent körperlich umsorgt werden mußte, hingebungsvoll und warmherzig, aber auch fordernd und besitzergreifend, um die Erziehung und das Wohlergehen seiner Tochter kümmerte. Philippine wuchs nicht wie ein klassisches Einzelkind auf. Der Hausherr nahm Pflegekinder bei sich auf, die er erzog und unterrichtete. 1787 schrieb Knigge an Friedrich Nicolai, er habe sechs Kinder angenommen, die er zusammen mit seiner Tochter, die ihm jede Bitterkeit des Lebens versüße, täglich acht Stunden unterrichte.248 Philippine scheint ihrem Vater Adolph näher gestanden zu haben als ihrer Mutter Henriette, geb. von Baumbach. Diese diente vor ihrer 244 Der Eigenname »Knigge« wurde erst im 20. Jahrhundert zum Appelativnamen. Katherina Mitralexi: Über den Umgang mit Knigge. Zu Knigges Umgang mit Menschen und dessen Rezeption und Veränderung im 19. und 20. Jahrhundert (Hochschulsammlung Philosophie Literaturwissenschaft; 10), Freiburg/Br. 1984, S. 150. In den USA wurde der Name der Anstandsautorin Emily Post (1873–1960) zum Synonym für korrektes Benehmen. Vgl. Angelika Storrer/Sandra Waldenberger: Zwischen Grice und Knigge: Die Netiketten im Internet, in: Hans Strohner u. a. (Hg.), Medium Sprache (Forum Angewandte Linguistik; 34), Frankfurt/M. u. a. 1998, S. 63–77, hier S. 63. 245 Birgit Nübel: Knigge und seine Tochter Philippine oder Über den Umgang mit Frauenzimmern, in: Harro Zimmermann (Hg.), Adolph Freiherr Knigge. Neue Studien, Bremen 1998, S. 58–65, 137– 140. 246 Ebd., S. 60. 247 Nübel (ebd., S. 60) faßt die wichtigsten Ratschläge des Autors zur Mädchenerziehung wie folgt zusammen: »Dem klugen Hausvater aber, der ›mit dem Zeitalter in Cultur und Aufkläruug [!]‹ fortrückt, bleibt nur dafür zu sorgen, daß er seine Tochter ›mit weiser Auswahl, mit Vernunft und Ueberlegung‹ zur Lektüre anhalte und daß diese ›über diesem Kram die häuslichen Geschäfte und Handarbeiten‹ nicht vernachlässige. Die ›erste Regel‹ der Mädchenerziehung aber lautet: ›Gewöhnt sie an Nachgiebigkeit, Sanftmuth, Unterwürfigkeit, ja! bis auf die Geberden und den Ton der Stimme, müsse alles an ihnen den weiblichen Charakter verrathen‹. Knigge wendet sich damit unmißverständlich gegen jegliche Form des Geschlechtertausches. […] Auch in seinen Briefen über Erziehung hatte sich Knigge gegen die Übernahme der Mädchenerziehung durch das männliche Geschlecht, sei es nun in Theorie oder Praxis, ausgesprochen.« Nach Nübel entwarf Knigge einen Unterrichtsplan für Mädchen (S. 63). 248 Ebd., S. 139, Anm. 50.
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3. Frauen lehren die Normen des Umgangs: Die Vorgeschichte der Anstandsbuchautorin
Heirat am Kasseler Hof als Hofdame; ihr späterer Mann diente am selben Hof als Hofjunker und Kammerassessor.249 Von der Nähe der Tochter zum Vater legt das »Lied eines zehnjährigen Mädchens« Zeugnis ab, ein Werk der kleinen Philippine, das im ersten Stück des ersten Bands des Magazins für Frauenzimmer (1785) abgedruckt wurde.250 Das Gedicht, eine Hymne an die Unbeschwertheit des Seins im Stand der Kindheit, dokumentiert die Liebe des kleinen Mädchens zum Vater, aber auch zur Mutter sowie die Liebe der Eltern zueinander (die Ehe war nicht glücklich). Aus jeder Zeile spricht der Einfluß des Vaters, der will, daß sein Kind so fühlt und denkt, wie er meint, daß es fühlen und denken sollte. Die Früchte des eigenen Denkens können auch bei fremden Menschen Interesse finden – an diesen Gedanken wurde das Mädchen früh gewöhnt. David Christoph Seybold, der Herausgeber des Magazins für Frauenzimmer, ließ unter das Gedicht folgende Anmerkung setzen: »Mit dem größten Vergnügen theilen wir dieses Gedichte unsern 1. Leserinnen mit. Sie werden sich mit uns der aufkeimenden Dichterin freuen, die uns dieses niedliche Geschenke mittheilet.« 251 Ein solches Lob nährte den Vaterstolz des Freiherrn. Die Teilnahme des Knigge-Töchterchens am literarischen Leben fand seine Fortsetzung im Versuch einer Logic für Frauenzimmer, herausgegeben von Philippine, Freyinn Knigge,252 einem philosophischen Lehrbuch, genauer noch einer Vernunftlehre,253 welche 1789 in Hannover bei Christian Ritscher erschien.254 Wieder war es der Vater, der seiner aufgeweckten Tochter den Weg in die Öffentlichkeit bahnte. Philippine war inzwischen fünfzehn Jahre alt. Der die Knigge-Tochter im Profil porträtierende Silhouettenriß auf dem Titelblatt der Vernunftlehre lenkt den Blick auf die wie ein Wunderkind agierende Herausgeberin, was von den Zeitgenoss(inn)en als Wink interpretiert werden konnte, für wen das Buch gedacht war, nämlich für junge Frauen, die sich auf das Leben außerhalb
249 Ebd., S. 58, 62. Auf den interessanten Briefwechsel, den der Freiherr 1789 ein ganzes Jahr lang mit seiner Tochter führte (lediglich die Briefe von ihm sind erhalten geblieben), kann hier nicht näher eingegangen werden. 250 Ernst August Freiherr Knigge: Knigges Werke. Eine Bibliographie der gedruckten Schriften, Kompositionen und Briefe Adolphs, Freyherrn Knigge und seiner Tochter Philippine von Reden, geb. Freiin Knigge. Mit einem Anhang: Sekundärliteratur, Göttingen 1996, S. 475, Nr. 87.01. 251 Ebd., S. 475. 252 Christian Thiel: Philippine Knigges Versuch einer Logic für Frauenzimmer, in: Birgit Nübel (Hg.), Adolph Freiherr Knigge in Kassel, Kassel 1996, S. 98–106. 1724 war bereits ein philosophisches Lehrbuch erschienen, das im Untertitel einen »Versuch einer Logic« ankündigt: M. F. C. B.: Erste und vornehmste Gründe der Welt-Weißheit, oder deutliche Anleitung wie so wohl die studirende Jugend vor denen academischen Jahren, als auch ein denen Studien ergebenes Frauenzimmer, gedachte Gründe auf eine leichte Arth fassen und erlernen kan. Nach der sehr nützlichen und beliebten Methode des berühmten Hn. Joh. Hübners, in Fragen und Antworten aus Liebe zum Wachsthum der Wissenschaffften mitgetheilet von M. F. C. B. Erster Versuch einer Logic oder Vernunfft-Lehre, o. O. 1724. 253 Eine Vernunftlehre aus der Feder einer deutschen Frau – allerdings keine selbständige Publikation – existierte zum damaligen Zeitpunkt bereits: Johanne Charlotte Unzer berücksichtigt die Vernunftlehre gebührend in ihrem Grundriss einer Weltweißheit für das Frauenzimmer (1751, 2. Aufl. 1767). 254 Der Ritscher-Verlag legte ab 1796 Knigges Ueber den Umgang mit Menschen (1788) neu auf.
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der Herkunftsfamilie vorbereiteten. In der Vorrede geht die Herausgeberin, die laut eigener Aussage hauptsächlich Mitschriften des ihr vom Vater erteilten Unterrichts veröffentlichte, auf die nicht unbegründete Skepsis potentieller Interessent(inn)en des Buches ein: Weder war sie unter die wirklich begabten Schriftstellerinnen zu zählen, noch konnte man von einer Fünfzehnjähigen die Bewältigung eines so abstraktes, schwieriges Themas erwarten.255 Die Seriosität des Werkes konnte allein der Vater durch sein Fachwissen und die Unterrichtserfahrung, die er gesammelt hatte, garantieren: Ich weiß wohl, daß Wenige meines Geschlechts wahren Beruf haben können, eine gelehrte Laufbahn zu betreten, und daß am wenigsten ein Mädchen von funfzehn jahren sich sollte einfallen lassen, ein philosophisches Buch zu schreiben. Allein das Geringste von dem, was in diesen Blättern steht, gehört mir eigen. Es ist größtentheils nachgeschrieben, nach dem mündlichen Vortrage meines lieben Vaters, in den Stunden des Unterrichts, den er mir widmete.256
Aus der Formulierung, daß nur wenige Frauen »wahren Beruf haben können, eine gelehrte Laufbahn zu betreten«, hört man den Vater heraus, der in Ueber den Umgang mit Menschen (1788) die Zahl der Frauen, die wirklich zum Schreiben berufen sind, als äußerst gering veranschlagte. Im Kapitel »Ueber den Umgang mit Frauenzimmern« heißt es: »Unter den vierzig bis funfzig Damen, die man jetzt in Teutschland als Schriftstellerinnen zählt […] sind vielleicht kaum ein halbes Dutzend, die, als privilegirte Genies höherer Art, wahren Beruf haben, sich in das Fach der Wissenschaften zu werfen«.257 Philippine schloß sich der Meinung des Vaters an, der im Frauenzimmer-Kapitel seiner Anstandslehre hatte durchblicken lassen, daß er schreibtalentierte Frauen, die nicht gleichzeitig auch »liebenswürdige, edle Weiber« sind und über dem Schreiben ihre übrigen Pflichten nicht vernachlässigen, mitnichten unter die besten deutschen Schriftstellerinnen zählen könne.258 Wieviele Aufklärer bemühten sich nicht um Hebung des Bildungsniveaus von Mädchen und Frauen, sprachen sich aber im gleichen Atemzug gegen die Berufstätigkeit von Frauen aus den Mittel- und Oberschichten und das Eindringen von Frauen in Männerberufe aus? Ein
255 1738 erklärt eine pseudonyme Phyllis ihrem Publikum, warum viele Frauen eine ambivalente Haltung zu dergleichen Büchern aufbauen: »Die Schrifften, so zu Verbesserung des Verstandes und Willens etwas beytragen könten, düncken uns zu schwer, zu unverständlich, zu trocken, zu ernsthafft und zu verdrüßlich. Und da man unsere Seele niemahls zum Nachdencken gewöhnt hat, so wird uns das Verstehen solcher Bücher zu sauer, welche mit Uberlegung gelesen seyn wollen, so daß wir sie wieder von uns werffen, wenn wir sie kaum in die Hände genommen haben.« Phyllis: o. T. [Verbesserung von Verstand und Willen des Frauenzimmers], in: Johann Christoph Gottsched (Hg.), Die Vernünftigen Tadlerinnen 1725–1726. Im Anhang einige Stücke aus der 2. und 3. Auflage 1738 und 1748. Neu hg. und mit einem Nachwort, einer Themenübersicht und einem Inhaltsverzeichnis versehen von Helga Brandes, 2 Tle., Ndr. Hildesheim u. a. 1993, Tl. 1, St. 6, S. 41–48, hier S. 43. 256 Philippine Knigge: Einleitung, in: dies., Versuch einer Logic für Frauenzimmer, herausgegeben von Philippine, Freyinn Knigge, Hannover 1789, S. V–X, hier S. V f. 257 Adolph Knigge: Über den Umgang mit Menschen (Sämtliche Werke [in 24 Bdn.], hg. von Paul Raabe. Abt. II: Moralische Schriften in 3 Bänden; 10), Ndr. d. 5. Aufl. 1796, München u. a. 1992, S. 122 f. 258 Ebd., S. 123.
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Aufklärer dieses Typs war »der freie Herr Knigge«, wie der »Freiherr« seinen Adelstitel ausdeutete.259 Frauen durften und sollten mehr wissen, der Zugewinn an Wissen sollte aber nicht auf ein Mehr an Mündigkeit und Macht hinauslaufen.260 Die Wirklichkeit sah allerdings, was die Mündigkeit und den Machtzuwachs schreibender Frauen anbetrifft, anders aus. In seinem Anstandsbuch behauptet Knigge, Frauen handelten wider »die Bestimmung der Natur«, wenn sie mit Männern – intellektuell oder beruflich – in Wettstreit treten: »Jch tadle nicht, daß ein Frauenzimmer ihre Schreib-Art und ihre mündliche Unterredung durch einiges Studium und durch keusch gewählte Lectur zu verfeinern suche, daß sie sich bemühe, nicht ganz ohne wissenschaftliche Kenntnisse zu seyn; aber sie soll kein Handwerk aus der Literatur machen; sie soll nicht umherschweifen in allen Theilen der Gelehrsamkeit.«261 Zu viel »männliche« Gelehrsamkeit bei einer Frau hatte bei Knigge, wie er selbst bekennt, die Wirkung, daß ihn, »eine Art von Fieberfrost« überfiel.262 Knigge sprach den Männern, die sich danach sehnten, freie Bürger zu sein, aus der Seele – und das war sicherlich ein Geheimnis seines Erfolges. In der Zeit zwischen dem Erscheinen des Versuchs einer Logic für Frauenzimmer und Knigges Tod 1796 lassen sich gemeinschaftliche Unternehmungen zwischen Vater und Tochter Knigge nachweisen. Ob Philippine zu diesen Aktivitäten überredet, ja vielleicht sogar gedrängt wurde, ob sie die fehlende Nähe zur Ehefrau ersetzen sollte, wie ähnlich sich Vater und Tochter wirklich waren, bedarf weiterer Untersuchung. Nübel skizziert die Zusammenarbeit von Vater und Tochter: Knigge fragt seine Tochter, ob sie in ihr Tagebuch notiert habe, daß sie in Hannover für ihn abgeschrieben und aus dem Englischen übersetzt habe; er berichtet von der Arbeit am Miltenburg und am Benjamin Noldmann. Knigge komponiert ein Andante mit Varianten für Cembalo für Philippine und er bittet die Tochter, für Großmann die Übersetzung einer italienischen Oper anzufertigen – es handelt sich um Mozarts Hochzeit des Figaro. Es folgt die gemeinsame Übersetzung von Salieris Oper Der Talisman. Wir wissen, daß Vater und Tochter bei Konzerten – Knigge spielte Fagott und Philippine Flöte – und am Bremer Liebhabertheater mitgewirkt haben. 1795 erscheint bei Ritscher in Han259 Gert Ueding: Die Kunst der gesellschaftlichen Beredsamkeit – Nachwort zu Knigges Diskurs »Über den Umgang mit Menschen«, in: Adolph Freiherr von Knigge, Über den Umgang mit Menschen. Hg. von Gert Ueding mit Illustrationen von Chodowiecki und anderen, Frankfurt/M. u. a. 2001, S. 423–454, hier S. 423. Knigge (Anm. 257, S. 83) räumte selbst ein, daß Aufklärung ein relativer Begriff ist: »Man vergesse nicht, daß das, was wir Aufklärung nennen, Andern vielleicht Verfinsterung scheint!« 260 Nübel (Anm. 245), S. 58. Vgl. auch Ursula Pia Jauch: Geschlechtsvormundschaft und bürgerliche Minorennität der Frau: blinder Fleck in der Konzeption der Aufklärung als Selbstaufklärung, in: dies., Immanuel Kant zur Geschlechterdifferenz. Aufklärerische Vorurteilskritik und bürgerliche Geschlechtsvormundschaft, Wien 1988, S. 120–143. 261 Knigge (Anm. 257), S. 119, 120 f. 262 Ebd., S. 119: »Jch muß gestehn, daß mich immer eine Art von Fieberfrost befällt, wenn man mich in Gesellschaft einer Dame gegenüber oder an die Seite setzt, die große Ansprüche auf Schöngeisterey, oder gar auf Gelehrsamkeit macht.« Dieser Satz wird von der Forschung gerne so mißverstanden, als habe Knigge jegliche Art von höherer Bildung bei Frauen als persönliche Zumutung empfunden und vor entsprechenden Bildungskonzeptionen gewarnt. Vgl. zum Gelehrsamkeitsbegriff der Frühen Neuzeit Anm. 3 in Abschnitt 6.1.
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nover Philippines Übersetzung von Jonathan Swifts Leben von Thomas Sheridan. Im »Vorbericht des Herausgebers«, Vater Knigge, ist zu lesen: »So viel ich darüber zu urtheilen im Stande bin, ist die Arbeit der Verteutschung meiner Tochter nicht mißrathen. Ich kann dies unpartheyisch sagen, denn ich habe nicht den geringsten Antheil daran.263
Es war dem Vater nicht vergönnt, die Heirat seiner Tochter mit Claus Friedrich von Reden zu erleben. Aus der 1798 geschlossenen Ehe gingen sechs Kinder hervor. Philippine, die gelernt hatte, daß der Name ihres »genialen u[nd] lebensklugen« 264 Vaters das Interesse an ihren Werken erhöhte, veröffentlichte ihr erstes Buch als verheiratete Frau unter ihrem Mädchennamen: Lebensregeln aus den besten ältern und neueren Schriftstellern gesammlet von Philippine Eregine Knigge (2 Bde., 1799–1800). Für die bis dahin bei Ritscher in Hannover erschienenen Publikationen von Philippine warb der Verlag unter dem Namen des Vaters 265 – mit wenig Erfolg, weshalb keines der Werke der Knigge-Tochter von Ritscher neu aufgelegt wurde. Von Reden mußte sich, als der Vater nicht mehr unter den Lebenden war, nach einem neuen Verlag umsehen. Es war der Leipziger Verleger Friedrich Gotthelf Baumgärtner, der sich zur Veröffentlichung der Lebensregeln aus den besten ältern und neueren Schriftstellern entschloß. 1803 wurde das Baumgärtner-Druckwerk von einem in Grätz ansässigen Verleger nachgedruckt.266 Eine zweite, um Maximen von François de La Rochefoucauld erweiterte Auflage kam ohne Angabe des Erscheinungsjahres in Wien und Prag heraus.267 In den Lebensregeln wirken die Bildungsmaximen und die Erwartungen des Vaters nach, der das Buchprojekt vielleicht sogar angeregt und um eigene Lesefrüchte bereichert hatte. Da die zwei Bändchen im Kleinoktavformat keine Vorreden enthalten, bleiben die Entstehungsumstände des Werkes im Dunkeln. Die aus 263 Nübel (Anm. 245), S. 64. Knigges Vorbericht zur Sheridan-Übersetzung endet mit dem Satz: »Und die jetzige Stimmung des lesenden Publicums ist ja auch allen Schriften günstig, die sich mit politischen Gegenständen beschäftigen.« Thomas Sheridan: Jonathan Swifts Leben, von Thomas Sheridan geschrieben; abgekürzt und aus den [sic] Englischen übersetzt von Philippine, Freyinn Knigge, herausgegeben von ihrem Vater, Hannover 1795, o. Sign. 264 Das Zitat entstammt einer Verlagsanzeige des Ilmenauer Verlegers Bernhard Friedrich Voigt. Der zu Philippine von Reden einschlägige Textteil dieser Anzeige wird in Abschnitt 1.1 zitiert. 265 Der Verleger Ritscher hatte dem ersten Teil von Ueber den Umgang mit Menschen (5. Aufl. 1796) eine Anzeige mit weiteren Werken Knigges und den zwei Ritscher-Druckwerken der Tochter (»Versuch einer Logik für Frauenzimmer. 10 Ggr.« »Leben Jonathan Swifts, nach Sheridan, aus dem Englischen übersetzt, und abgekürzt. 1 Thlr. 4 Ggr.«) beidrucken lassen. Dem dritten Band des RitscherDrucks Versuch einer Charakteristik des weiblichen Geschlechts (5 Bde., 1797–1802) von Carl Friedrich Pockels wurde eine Bücheranzeige beigebunden (siehe Abschnitt 1.1), die den »Versuch einer Logik für junge Frauenzimmer 10 Gr.« unter dem Namen »Knigge, des Freyherrn« verzeichnet. 266 Diese Ausgabe weicht hinsichtlich des Formats, der Ausstattung und des Titels vom BaumgärtnerDruckwerk ab. Philippine von Reden: Anleitung klug und weise zu leben; oder Lebensregeln. Gesammelt von Philippine Eregine Knigge, 2 Bde., Grätz 1803. Freiherr Knigge (Anm. 250), S. 479 f., Nr. 87.07. 267 Philippine von Reden: Ph. E. Knigge’s Lebensweisheit. Ein Taschenbuch für Deutschlands Söhne und Töchter. Aus den besten alten und neuen Schriftstellern gezogen. Zweyte aus Rochefoucaults Sätzen für die höhere Welt- und Menschenkunde vermehrte Auflage, Wien u. a. [um 1800]. Freiherr Knigge (Anm. 250), S. 482, Nr. 87.11.
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Zitaten zusammengesetzte Weisheits- und Klugheitslehre will dem nicht näher spezifizierten Publikum Denkanstöße vermitteln. Die einzelnen Themenblöcke tragen Überschriften wie »Über Erziehung, Genie, Unterricht und Beyspiel«, »Über Gesetz, Gerechtigkeit, Beleidigung und Unterdrückung«, »Über Eitelkeit, Thorheit und Affectation«, »Über Gesellschaft, Conversation und äusseres Betragen«. Die Intention der Autorin kommt in der auf dem Titelblatt abgedruckten Losung »Erkenne dich selbst« (nach der Inschrift des Apollotempels in Delphi) zum Ausdruck. Obwohl von Reden ausschließlich männlichen Denkern das Wort erteilte, war sie auch darum bemüht, Fraueninteressen zu bedienen. Im Abschnitt »Über Weiber, Liebe und Ehe« lesen wir: »Ein kluges Weib behauptet einen eben so hohen Rang, als ein weiser Mann.« 268 Im selben Abschnitt wird der mit der Natur der Frauen am besten harmonierende Wirkungskreis näher bestimmt: »Der weibliche Character zeigt sich am glänzendsten im häuslichen Leben; in Frömmigkeit gegen Gott; und demnächst [danach, SK] in den Pflichten der Tochter, der Gattin, der Mutter und der Schwester.« 269 Demgemäß haben die Lebensaufgabe und der Glücksanspruch der Frau darin zu bestehen, für die Familie da zu sein. Von Reden selbst lebte dem Publikum ein Rollenmodell vor, das die Frau durch Publikationstätigkeit aus dem Kreis der Familie heraustreten ließ. Hier wird der innere Zwiespalt sichtbar, in dem sich die mehrfache Mutter aus adligem Hause befand: Die Anpassung an die Realität und die geltenden Normen konnte nur durch strenge Selbstkontrolle und Selbstverzicht gelingen, die Veränderung einer als unzulänglich empfundenen Realität ließ nichts anderes zu, als sich rücksichtslos über Konventionen hinwegzusetzen. Als ihre Kinder etwas größer waren, erwachte in Philippine von Reden erneut der Wunsch, zur Bildung ihrer Zeitgenoss(inn)en beizutragen. 1821 legte sie eine Übersetzung aus dem Englischen vor: Männerliebe, Frauenherz. Eine Geschichte nach dem Englischen der Mrs. Opie frei bearbeitet. Amalia Alderson Opie war eine Anhängerin von Mary Wollstonecraft (1759–1797), deren Schrift Vindication of the Rights of Woman (1792) schnell über die Grenzen Englands hinaus bekannt wurde. Zwei Jahre später kam von Reden ihrer Pflicht als Tochter eines berühmten Vaters nach und veröffentlichte, wohl im Auftrag der Hahn’schen Hofbuchhandlung in Hannover, die Kurze Biographie des Freyherrn Adolph Knigge (1823). Mit ihren zwei letzten, in den dreißiger Jahren realisierten Buchprojekten – beide unter dem Namen »Philippine von Reden, geborene Freyin Knigge« im Verlag von Bernhard Friedrich Voigt (Ilmenau) veröffentlicht – wandte die Autorin sich primär an ihre Geschlechtsgenossinnen. Wieder ist nicht auszuschließen, daß wir es hier mit Auftragsarbeiten zu tun haben. Zwei Jahre nach Karoline von Woltmanns Spiegel der grossen Welt und ihrer Forderungen (1824) kamen die Lebensregeln, Winke des guten Tons und der feinen Gesellschaft für Jungfrauen und Mädchen, welche in die große Welt eintreten. Nebst einigen Erzählungen und Anecdoten. Nach dem Französischen frey bearbeitet von Philippine von Reden,
268 Philippine von Reden [Hg.]: Lebensregeln aus den besten ältern und neueren Schriftstellern gesammlet von Philippine Eregine Knigge, 2 Bde., Leipzig 1799–1800, Bd. 2, S. 120. 269 Ebd.
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geborne Freyinn Knigge (1826) heraus. Nachdem wir Philippine Knigge bereits als Übersetzerin von englischen und italienischen Werken kennengelernt haben, gewinnen wir nun Einblick in ihre Tätigkeit als Übersetzerin aus dem Französischen ins Deutsche.270 Der Titel der Textsammlung macht Anleihen bei folgender in Form von Maximen abgefaßten Verhaltenslehre: Maximes de conduite pour une jeune personne qui entre dans le monde. A l’usage des Demoiselles pensionnaires et externes, que l’on instruit chez les religieuses de la Congrégation de Notre-Dame (Straßburg 1751, weitere Aufl. 1781, 1791, 1813).271 Auf die deutsche Teilübersetzung der Maximes de conduite läßt die Übersetzerin »Auszüge aus Mme de Maintenons Schrift«,272 sodann sechs Erzählungen und zuletzt »Anecdoten und Charakterzüge« folgen. Von Reden grenzt in der Einleitung zu ihrer Teilübersetzung der Maximes de conduite (der französische Titel bleibt unerwähnt) den Kreis der Adressatinnen auf Leserinnen ein, die an der Besserung ihres Charakters interessiert sind.273 Die »Lehren der Moral«, die der übersetzte Text enthält, werden mit einer bitteren Medizin verglichen.274 Die Alternativen,
270 Der Bibliograph der Werke von Philippine von Reden, ein Nachfahre des Freiherrn, konnte keine der französischen Vorlagen der Lebensregeln, Winke des guten Tons und der feinen Gesellschaft für Jungfrauen und Mädchen eruieren. Freiherr Knigge (Anm. 250), S. 480, Nr. 87.08. Vgl. auch Häntzschel (Hg.) (Anm. 9), S. 497, Nr. 103. Nübel (Anm. 245, S. 64) übergeht die Frage, ob es sich bei dem Werk um eine eigenständige Arbeit handelt oder nicht. 271 1912 wurde die erste Auflage der Essener Ausgabe der Maximes de conduite (1791) von Kurt Hüsgen ins Deutsche übersetzt (die Teilübersetzung aus der Feder von Philippine von Reden war Hüsgens nicht bekannt). Kurt Hüsgen: Maximes de Conduite. Ein Beitrag zur Geschichte der höheren Mädchenbildung in Stadt und Stift Essen im 18. Jahrhundert, in: Beiträge zur Geschichte von Stadt und Stift Essen 34, 1912, S. 285–308. Die Essener Ausgabe von 1813 liegt den Ausführungen von Waltraud Albrecht zugrunde, die zu der Vermutung neigt, an dem Werk könnten mehrere Verfasser(innen) gearbeitet haben. Waltraud Albrecht: Die B. M. V.-Schule in Essen 1652–1997, Essen 1997, S. 69–73. Albrecht erwähnt eine für den internen Gebrauch von Kloster und Schule bestimmte Übersetzung der Maximes de conduite (1813), die eine Frau, Ursula Buchholz, anfertigte (S. 243). 272 Welche von der Marquise verfaßte Schrift der Übersetzerin vorlag, ist noch ungeklärt. In der Einleitung zu den Auszügen »aus Mme de Maintenons Schrift« schreibt von Reden: »Frau von Maintenon führte selbst die Aufsicht über die Anstalt und leitete die Erziehung ihrer Zöglinge, für welche sie moralische Betrachtungen schrieb, von denen ich in den folgenden Blättern einzelne Auszüge mittheile.« Philippine von Reden: Lebensregeln, Winke des guten Tons und der feinen Gesellschaft für Jungfrauen und Mädchen, welche in die große Welt eintreten. Nebst einigen Erzählungen und Anecdoten. Nach dem Französischen frey bearbeitet von Philippine von Reden, geborne Freyinn Knigge, Ilmenau 1826, S. 40. Françoise d’Aubigné Marquise de Maintenon (1635–1719), Witwe des Schriftstellers Paul Scarron und Erzieherin der Kinder Ludwigs XIV., gründete, nachdem sie die Mätresse des Königs geworden war, mit diesem zusammen das Mädchenpensionat Maison royale de Saint-Cyr, dessen Leitung ihr übertragen wurde. Die pädagogischen Schriften von Mme de Maintenon erschienen erst nach ihren Tode (vgl. Timmermans [Anm. 12], S. 210). 273 Ebd., S. 1–2, hier S. 1. Der Einleitung wurde das Motto vorangestellt: »Eine gute Erziehung kann Fehler des Charakters verbessern.« 274 Ebd.
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die der Leserin vor Augen gehalten werden, sind entweder der Sturz in den Abgrund »hinunter in des Lasters bodenlose Tiefe« oder das anstrengende Erklimmen eines Hügels, hinter dem ein reizvolles blumen- und früchteübersätes Tal winkt.275 Merkwürdig muß heute erscheinen, daß von Reden sich in der Einleitung als Person völlig zurücknimmt, man erfährt nicht einmal, daß sie in ihrer Rolle als Mutter reichlich Erfahrungen im Umgang mit Kindern und jungen Erwachsenen gesammelt hatte. Wieviel mitteilsamer und offenherziger trat da ihr Vater vor das Publikum. Zehn der insgesamt zwanzig numerierten Maximen des Abschnitts »Ueber Höflichkeit und feine Lebensart« (»De la Politesse«) der deutschen Fassung der Maximes de conduite sind dem Thema Kommunikation in Gesellschaft gewidmet. Was die inhaltlichen Akzentuierungen des Abschnitts betrifft, sind diese mit dem Konversationskapitel von Catharina Helena Dörrien vergleichbar. Jenes Werk spiegelt jedoch im Gegensatz zu diesem die Lebenswelt des niederen Adels wider, dem auch die Übersetzerin angehörte. Da viele Minderprivilegierte den Wunsch hegten, in die große Welt einzutreten, war die gekürzte deutsche Fassung der Maximes de conduite auch oder vielleicht sogar primär ein Vademekum für Mädchen und Frauen von bürgerlicher Herkunft, die durch Heirat einen sozialen Aufstieg vollziehen wollten: 10. Unterbrich Niemand, suche nicht immer allein das Wort zu führen, sprich überhaupt lieber zu wenig als zu viel. 11. Wenn ein Gespräch dir Langeweile verursacht, so bemühe dich, es zu verbergen; du kannst ja indeß an andre Dinge denken und wäre das auch nicht, ey nun! es geht im menschlichen Leben so manche Stunde verloren, und ist man denn nicht einige Aufopferung der Gesellschaft schuldig, mit welcher man lebt? 12. Wenn du etwas Neues oder Jnteressantes weist und Jemand in der Gesellschaft ist, der es gern erzählte, so gönne ihm diese Freude, unterbrich ihn auch nicht, im Fall er irgend einen Umstand auslassen oder unrecht vortragen sollte. Hat Jener [sic] dann ausgesprochen, so ist es ja noch immer Zeit, mit Bescheidenheit und ohne Anmaßung das Fehlende zu ergänzen oder zu verbessern. Redest du besser als dein Vorgänger, so werden die Zuhörer insgeheim denken: Schade, daß dieser uns nicht das Ganze erzählt hat! 13. Sey stets bereit, Andern Gelegenheiten zu geben, durch ihren Verstand und ihre Talente zu glänzen; sie werden gern Gleiches mit Gleichem vergelten. 14. Belästige Niemand mit unnützen Fragen; es ist theils unbescheiden und könnte auch leicht die Leute in Verlegenheit setzen. 15. Mache einigen Unterschied in deinem äussern Betragen gegen die Menschen, mit denen du umgehst. Bezeige nicht Jedem den nämlichen Grad von Achtung, reiche nicht Jedem deine Hand, umarme nicht Jeden. Was bewahrst du deinen vertrauten Bekannten auf, wenn du so verschwenderisch mit deinen Freundschaftsbezeugungen umgehst? 16. Sey stets aufmerksam auf die Unterhaltung, welche geführt wird, verliere wenigstens den Faden derselben nicht ganz, damit du, wenn es erforderlich ist, ein Paar passende Floskeln einschalten kannst; es ist der Höflichkeit zuwider, in Gesellschaft zerstreut zu seyn. 17. Hüte dich, mit deinen Nachbarn leise zu reden oder ihnen Zeichen zu geben; man könnte leicht auf den Verdacht gerathen, daß du dich über Jemand aus der Gesellschaft lustig machtest, auch ist es überhaupt unanständig.
275 Ebd., S. 2.
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18. Hüte dich, wenn Jemand etwas Albernes oder Zweideutiges sagt, darüber zu lachen oder es bemerklich zu machen, daß du es verstanden hast. Am sichersten ist es, zu thun, als habest du nichts gehört. 19. Sprich weder zu laut noch zu leise; das erste verräth Anmaßung, das andere Blödigkeit. 20. Mische dich nie in ein Gespräch über Gegenstände, die dir fremd sind, wovon du nichts verstehst; du könntest leicht, ohne es zu wissen, etwas Albernes sagen.276
Elf Jahre vor ihrem Tod veröffentlichte Philippine von Reden den Seelenspiegel für junge Damen aus den höhern Ständen, welche Bildung des Verstandes, Vernunft und Herzensgüte mit Lebensklugheit, Anstand und feiner Sitte zu vereinigen wünschen (1830).277 Wer annimmt, die Autorin habe nun endlich ein völlig selbständiges Werk vorgelegt, der irrt. Gerade die weitgehend in Form von Maximen und Sentenzen abgefaßte Tugend- und Klugheitslehre,278 die an den Anfang des Buches gestellt wurde, ist wenig originär, ganz zu schweigen von den Erzählungen und Novellen am Textende, die Bearbeitungen aus dem Englischen und Französischen darstellen. Ganz sicher schrieb die Autorin aus den Maximes de conduite ab, ihre Bemühungen, die Maximen in noch kürzerer Form darzubieten, sind jedoch auffallend.279 Ein Beispiel: Neunter Abschnitt. Höflichkeit, feine Lebensart. Sei gegen Jedermann höflich und gehe nicht an Bekannten vorüber, ohne sie zu grüssen; versäume auch nie es zu erwiedern [sic], wenn dich Jemand grüsst, solltest du ihn auch nicht kennen. Lass Personen von höhern Stande stets den Vorrang und setze dich nicht, so lange sie stehen. Falle den Leuten nicht in die Rede, suche nicht immer allein das Wort zu führen, rede überhaupt nicht zu viel, sondern höre zu, wenn Andere sprechen. Dränge dich nicht an einen Platz, der dir nicht zukommt und nimm überhaupt nicht immer die beste Stelle ein. Suche nicht Andere lächerlich zu machen, indem du ihre Mienen und Geberden nachahmst; spotte nicht über körperliche Fehler und Gebrechen. Hüte dich, in Gesellschaft durch weitläufige Erzählungen oder Gespräche über deine häuslichen Angelegenheiten und Familienverhältnisse Langeweile zu erregen. Dagegen aber erfordert die Höflichkeit, dass du es dir nicht merken lassest, wenn Andere dir Langeweile verursachen und musst du ihrer Unterhaltung, wenigstens dem Anschein nach, ein aufmerksames Ohr leihen. Rede in Gesellschaft nicht leise oder durch Zeichen mit deinen Nachbarn. Sei nicht zerstreut, suche den Faden des Gesprächs, welches geführt wird, nie ganz zu verlieren. Lache nicht, wenn Jemand etwas Albernes sagt und hüte dich, es Andern bemerklich zu machen. 276 Ebd., S. 15–18. 277 Freiherr Knigge (Anm. 250), S. 482, Nr. 87.12. Häntzschel (Hg.) (Anm. 9), S. 497, Nr. 104. Susanne Pellatz: Körperbilder in Mädchenratgebern. Pubertätslektüre zur Zeit der Formierung bürgerlicher Kultur, Weinheim u. a. 1999, S. 183–187. 278 Von Gudrun Kühne-Bertram werden lediglich Sittenlehren in Form von Denksprüchen angeführt. Gudrun Kühne-Bertram: Aus dem Leben – zum Leben. Entstehung, Wesen und Bedeutung populärer Lebensphilosophien in der Geistesgeschichte des 19. Jahrhunderts (Europäische Hochschulschriften. Reihe XX: Philosophie; 215), Frankfurt/M. u. a. 1987, S. 80. Nübel (Anm. 245, S. 64) ordnet das Werk der Schriftengruppe der »moralischen Sittenbücher und Lebenshilfen« zu. 279 Möglicherweise ist die Tatsache, daß Übernahmen aus anderen Werken nachweisbar sind, ein Indiz dafür, daß das Werk im Auftrag des Voigt-Verlages entstanden ist.
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Disputire nie, trage deine Meinung mit Bescheidenheit vor und werde nicht heftig, wenn Andere sie bestreiten. Wenn Jemand etwas fallen lässt, so versäume nicht, dich darnach zu bücken. Sei auch gegen Geringere stets höflich und verleugne nicht ihre Bekanntschaft in Gegenwart vornehmerer Personen. Verbeuge dich anständig und nicke nicht blos mit dem Kopf, wenn dich jemand grüsst. Sprich weder zu laut, noch zu leise, lache nicht zu laut.280
Von Reden überließ es anderen, genialische Werke hervorzubringen, sie war dazu – wahrscheinlich erziehungsbedingt – viel zu vernünftig und »selbstlos«. Als Autorin war sie primär Menschenverbesserin, nicht politische Reformerin. Sie wollte in die Köpfe und Herzen der weiblichen Jugend und von jungen Frauen die richtigen, das heißt dauerhaftes Glück verheißenden Tugenden und Verhaltenregeln einpflanzen, dies sah sie, die einen so berühmten (adligen) Mann zum Vater hatte und einen Adligen geheiratet hatte, als Verpflichtung an. Unter die Titelgraphik des Buches, die eine in ihrem Schreibkabinett stehende junge Frau zeigt, wurden die Worte gesetzt: »Sie ist vollkommen durch ihre Kenntnisse, ihre Sittsamkeit, Bescheidenheit und durch ihren Verstand.« Diesem Bildungsprogramm hätte der Vater vorbehaltlos zustimmen können. Die Tugend- und Klugheitslehre, die den Anfang der Textsammlung bildet, ist in zwanzig Abschnitte unterteilt. Die Anstands- und Konversationsthematik, dies sei ausdrücklich betont, nimmt keine dominierende Stellung ein. Folgende Themen werden auf neununddreißig Seiten abgehandelt: »Wohlthätigkeit«, »Dankbarkeit«, »Wahrheit und Lüge«, »Arbeitsamkeit, Fleiss«, »Vernunft«, »Gefühl, Empfindung«, »Klugheit, Vorsicht«, »Höflichkeit, feine Lebensart«, »Geiz und Sparsamkeit«, »Gute und böse Laune«, »Stolz, Ehrgeiz«, »Verstand und Witz«, »Anmuth, Grazie«, »Sanftmuth und Bescheidenheit«, »Ordnung«, »Wahl des Umgangs«, »Muth, Standhaftigkeit, Abhärtung«, »Nützliche Anwendung der Zeit«, »Das Mädchen als Gattin«. Im Aufbau mit den Lebensregeln verwandt, bei welchem Werk es sich ebenfalls um eine Akkumulation verschiedener Textsorten handelt, läßt die Autorin auf die Tugend- und Klugheitslehre »Hingeworfene Gedanken« und neun »nach ältern französischen und englischen Originalen bearbeitete Erzählungen und Novellen« folgen. Dieses Prinzip des Zusammenwürfelns sollte dazu dienen, die Leserinnen, nachdem sie sich durch die unbequemen moralisch-sittlichen Belehrungen der ersten neununddreißig Seiten des Buches hindurchgearbeitet hatten, mittels »leichter Kost«, die der Phantasie Raum gab, mit dem Anfangsteil des Buches auszusöhnen.281 In der aus einem Satz bestehenden Einleitung zum Buch schreibt die Autorin: 280 Philippine von Reden: Seelenspiegel für junge Damen aus den höhern Ständen, welche Bildung des Verstandes, Vernunft und Herzensgüte mit Lebensklugheit, Anstand und feiner Sitte zu vereinigen wünschen, Ilmenau 1830, S. 16–18. 281 Susanne Pellatz (Anm. 277, S. 187) betont den emanzipatorischen Gehalt der Geschichten: »Sie erzählen vorzugsweise von außerordentlich starken und leidenschaftlichen Frauen, die sich durch ihre Willenskraft auszeichnen und – zumindest in den meisten Fällen – ihre mitunter eigenwilligen Lebensziele verwirklichen. Darin liegt auch die emanzipatorische Stärke dieser Schrift. Aber auch die krasse Aufspaltung in ratgebende und literarische Formen führt in gewisser Weise zu einer (emanzipatorischen) Leerstelle.«
3.3 Das Einzige-Tochter-Phänomen
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In der Absicht den Nutzen mit dem Vergnügen zu verbinden und dadurch den ernsten Betrachtungen, welche dies kleine Werk enthält, mehr Eingang zu verschaffen, habe ich einige nach ältern französischen und englischen Originalen bearbeitete Erzählungen und Novellen, welche mir zu einem unschädlichen Zeitvertreib für junge Damen geeignet schienen, hinzugefügt und hoffe meinen doppelten Zweck erreicht zu haben.282
Hinsichtlich der gewählten Lehrarten unterscheidet sich Philippine von Reden von ihrem Vater erheblich. Vor allem deren Liebe zur Maxime teilte der Vater nicht oder nicht in gleichem Maße. Eine der Vorlieben und Stärken der Tochter lag in der adaptierenden Bearbeitung von fremdsprachigen Texten. Auch im Auftreten und im Ton unterschieden Vater und Tochter sich erheblich. Er gab sich in der Öffentlichkeit gesprächig und leutselig, sie distinguiert und – wo es um ihre Person ging – verschlossen. Den Innovationsdrang und Reformgeist ihres Vaters besaß sie nicht oder fühlte keine Notwendigkeit, diese Seiten in sich auszuleben. Die Anstandsthematik nahm in ihren Werken – obwohl die zwei letzten Buchtitel aus werbepsychologischen Gründen einen anderen Eindruck vermitteln – nie eine dominierende Stellung ein. Deshalb kann Philippine von Reden nicht als Anstandsbuchautorin, wohl aber als Anstandsautorin bezeichnet werden.283 Zwar läßt sich nicht nachweisen, daß Philippine Knigge ihre jüngere Kollegin Luise von Buchwald kannte, die Parallelen sind aber unübersehbar: Beide waren Einzelkinder adliger Abstammung, die Eltern dienten am Hof oder hatten dort gedient, das Vernunftprinzip waltete in der Erziehung vor, die Mädchen standen unter dem Einfluß der Aufklärung, fühlten sich aber weiterhin dem aristokratischen Verhaltenskodex verpflichtet, sie nutzten ihre privilegierte Stellung, um sich als Sittenlehrerin hervorzutun und waren beide Maximenliebhaberinnen. Luise von Buchwald übte schon als Dreizehnjährige die Funktion einer »professionellen Ratgeberin« aus. An der Entstehung der von ihr verfaßten Maximensammlung war die Mutter maßgeblich beteiligt. Philippine Knigge trat im Alter von fünfzehn Jahren als Herausgeberin und Autorin einer Vernunftlehre vor die Öffentlichkeit, wobei sie sich bei der Abfassung des Werkes größtenteils auf die Angaben des Vaters stützte. Aufgrund der bruchstückhaften Überlieferung läßt sich heute kaum mehr abklären, was den Freiherrn dazu motiviert haben könnte, bei seiner Tochter Philippine schon als Kind die Lust am Schreiben und Veröffentlichen zu wecken, und warum diese auch noch Jahrzehnte nach dem Tod des Vaters zur Feder griff. Heute steht uns als Problemlösung die Methode der Befragung zur Verfügung. Ich möchte an einer weiteren geschwisterlosen »einzigen Tochter« aufzeigen, zu welch überraschenden Ergebnissen man dabei gelangen 282 von Reden (Anm. 280), S. III–IV. Ähnlich äußert sich von Reden auch in den Lebensregeln (Anm. 272, S. 40): »Um daher diesen Vorschriften zur Bildung des weiblichen Geschlechts Eingang in das Gemüth der Jugend zu verschaffen, ist es nothwendig, die trockne Moral in ein liebliches Gewand zu kleiden. Hierin können uns die Schriften der geistreichen Frau von Maintenon zum Vorbild dienen.« 283 Nübel (Anm. 245, S. 64) kann daher nur bedingt zugestimmt werden, wenn sie konstatiert: »Philippine von Reden, geborene Freiin Knigge, hat das Werk ihres Vaters weitergeschrieben: nicht nur dessen Umgangsbuch, sondern auch das Programm der Mädchenerziehung.«
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3. Frauen lehren die Normen des Umgangs: Die Vorgeschichte der Anstandsbuchautorin
kann. Inge Wolff, Jahrgang 1945, protestantisch, ist einem breiteren Publikum als Ratgeberautorin und durch zahlreiche Auftritte in Funk und Fernsehen bekannt.284 Die ungewöhnliche Karriere der Bielefelderin, die nicht geplant war, sondern sich aus den Umständen ergab, begann mit einer Ausbildung zur Tanzlehrerin beim »Allgemeinen Deutschen Tanzlehrerverband«. 1989 übernahm Inge Wolff – Sohn und Tochter waren inzwischen groß – den vakanten Vorsitz des »Arbeitskreises Umgangsformen International«.285 Der Vater von Inge Wolff, Tino Schneider, von Beruf Tanzlehrer, hatte 1956 zusammen mit dem Journalisten Hans-Georg Schnitzer und in Kooperation mit dem »Allgemeinen Deutschen Tanzlehrerverband« den »Fachausschuß für Umgangsformen« begründet. Als die Arbeit des Ausschusses aus Krankheitsgründen ab 1984 ins Stocken geriet, kam es auf Wunsch der Medien und von Presseleuten 1989 unter dem Namen »Arbeitskreis Umgangsformen International« zur Neugründung des Gremiums. Darum gebeten, den Vorsitz des Arbeitskreises zu übernehmen, erklärte sich Inge Wolff zur Übernahme bereit, weil es ihr, wie sie selber sagt, ein Bedürfnis war, das Lebenswerk ihres verstorbenen Vaters fortzusetzen.286 Seitdem traten immer wieder Verlage an die Autorin heran. Einige der über zwanzig Bücher, die Inge Wolff seit ihrem Debüt als Buchautorin 1991 verfaßte, sind Bestseller geworden, wie zum Beispiel das Anstandsbuch Umgangsformen. Ein moderner Knigge (1998). Der unmittelbare Impuls zum Schreiben kam bei der Autorin nicht vom Vater, und doch wäre die berufliche Laufbahn der Tanzlehrerin und Tanz- und Ausdrucktherapeutin ganz anders verlaufen, wenn es dem Vater nicht geglückt wäre, seine Tochter von der Sinnhaftigkeit und gesellschaftlichen Relevanz seiner beruflichen Visionen zu überzeugen. Wenn im Falle von Inge Wolff auch nicht der unmittelbare Impuls zum Schreiben vom Vater kam, so doch der ausschlaggebende. Es kann gar nicht oft genug betont werden: In den ersten Jahrhunderten des Buchdrucks mußte fortwährend Überzeugungs- und Provokationsarbeit geleistet werden, um bestehende Ressentiments gegenüber schreibenden Frauen zu verringern und den prozentualen Anteil von Frauentexten am Gesamtaufkommen der Literaturproduktion zu vergrößern. Die Erhöhung dieses Anteils hat noch immer bedeutende Rückwirkungen auf das gesellschaftliche Bewußtsein, insbesondere dasjenige von Frauen. Der Autorinnenliteratur kann – gänzlich unabhängig vom konkreten Textinhalt – folgender Subtext unterstellt werden: Die geistige Produktivität von Frauen beansprucht öffentliches Interesse. Das Wirkungsfeld von Frauen umfaßt auch die öffentliche Sphäre. Frauen besitzen die Autorität, das Denken, Fühlen und Handeln einer Vielzahl von Menschen kurz- oder langfristig zu beeinflussen.
284 Wer ist wer? Das deutsche Who’s Who, Ausgabe 42, 2003/04, Lübeck 2003, S. 1560. 285 Die Mitarbeiter(innen) des »Arbeitskreises Umgangsformen International« stammen aus dem europäischen Ausland, den USA und Deutschland; alle 21 Mitglieder des Gremiums (Stand 2004) arbeiten ehrenamtlich. 286 Ich beziehe mich hier auf ein Gespräch, das ich dankenswerterweise mit Inge Wolff führen durfte.
3.3 Das Einzige-Tochter-Phänomen
3.
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Resümee
Die These von der Herausbildung der Anstandsautorin aus dem Geist des Protestantismus reflektiert die grundsätzlich »protestantinnenlastige« Quellenlage. Mit Ausnahme von Philippine von Reden waren alle in diesem Kapitel behandelten weiblichen Schreibtalente, Gelehrte und Denkerinnen entweder unverheiratet, verwitwet oder kinderlos verheiratet.287 Wenn Autorinnen im 17. und 18. Jahrhundert ihre Gedanken zum Thema Anstand ausformulierten, dann primär in pädagogischer Absicht und in anderen Textsorten als dem Anstandsbuch. Zu diesen anderen Textsorten gehören die Briefausgabe, das Erbauungsbuch, die Erziehungslehre, der Konversationenband, die Maximensammlung, die Sittenlehre, die Tugend- und Klugheitslehre, die Verhaltenslehre, die Weisheits- und Klugheitslehre sowie die Zitatensammlung. Die Produktion von Anstandsbüchern, die von Frauen verfaßt wurden, fällt nicht zufällig in die Zeit, als jene Männergeneration auszusterben begann, die während ihrer akademischen Ausbildung noch Unterricht in Anstandslehre erhalten hatte. Nur ein geringer Prozentsatz der im Bestandsverzeichnis der »Damenbibliothek«288 verzeichneten Publikationen stammt von Katholikinnen. Katholische Autorinnen scheinen sehr viel seltener und sehr viel später danach getrachtet zu haben, die »Berufung und Seinsbestimmung der Frau« 289 neu zu definieren und sich gattungsmäßig von Altem abzulösen. Vermutlich war der auf Frauen ausgeübte Anpassungsdruck im Katholizismus stärker als im Protestantismus. Mit dieser These und obiger Feststellung von der »Protestantinnenlastigkeit« harmoniert die Beobachtung, daß die literarischen Aktivitäten französischer Jansenistinnen (der Jansenismus war eine sich auf den Kirchenvater Augustin berufende katholische Bewegung, die vor allem gebildete Kreise erfaßte und sich gegen die Jesuiten richtete) in protestantischen Kreisen auf größeres Interesse stießen als in katholischen.290
287 Renate Büff gelangte im Hinblick auf den Familienstand französischer Autorinnen des 17. Jahrhunderts zu dem Ergebnis, daß die großen Schriftstellerinnen und Theoretikerinnen des 17. Jahrhunderts »nicht unter der unmittelbaren Autorität eines Mannes standen«. Renate Büff: Ruelle und Realität. Preziöse Liebes- und Ehekonzeptionen und ihre Hintergründe (Studia Romanica; 35), Heidelberg 1979, S. 306 f., hier S. 307. 288 Siehe meine diesbezüglichen Bemerkungen in der Einleitung. 289 Josef Mörsdorf: Gestaltwandel des Frauenbildes und des Frauenberufs in der Neuzeit (Münchener theologische Studien. II. Systematische Abteilung; 16), München 1958, S. VII. 290 In den reformatorischen Kirchen lieferten die Befürworter(innen) einer kirchlichen Erneuerungsbewegung den Zündstoff, daß »eine heftige Debatte über die Frage [entbrannte, SK], ob Frauen theologische Bücher verfassen dürften. Diese höchst kontroverse Diskussion reflektiert die Tatsache, dass die pietistische Reformbewegung seit Ende des 17. Jahrhunderts insbesondere Laien zu verstärktem Engagement aufforderte und dass dieser Reformimpuls von vielen Frauen aufgenommen wurde.« Ruth Albrecht: Theologinnen. Reformation und Frühe Neuzeit. c) Frühe Neuzeit, in: Elisabeth Gössmann u. a. (Hg.), Wörterbuch der Feministischen Theologie, 2., vollst. überarb. u. grundl. erw. Aufl. Gütersloh 2002, S. 548–551, hier S. 549.
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3. Frauen lehren die Normen des Umgangs: Die Vorgeschichte der Anstandsbuchautorin
Die Pluralisierung der Moralvorstellungen und die explosionsartige Vermehrung des profanen Wissens 291 waren für die Entstehung und Ausbreitung eines feministischen Bewußtseins von entscheidender Bedeutung. Indem sich deutlich sichtbar mehr (schreibende) Frauen an der Weitergabe und Aneignung von profanem Wissen beteiligten und, daraus resultierend, sich zu moralisch mündigeren Personen entwickelten, verringerte sich der Einfluß der Kirchen, der auch Normbilder der Frau umfaßte, zusehends. Nicht zuletzt weil auch die Kirchen selbst sich änderten, gerieten das misogyne kirchliche Lehrverbot und das Schweigegebot für Frauen zuerst mehr und mehr in den Hintergrund, dann zusehends in Vergessenheit. Sofern Autorinnen, Herausgeberinnen und Übersetzerinnen an der Produktion und Distribution von weltlichem Wissen und der Zurückdrängung frauenfeindlicher Doktrinen Anteil hatten, sind sie modern zu nennen, auch wenn sie die patriarchalische Geschlechterordnung noch als gottgewollt akzeptierten. Eine Frau wie Hortensia von Salis ist der beste Beweis dafür, daß es kurzsichtig wäre, Anstandsautorinnen unterschiedslos als »Agentinnen der Anpassung und der Repression« zu etikettieren. Die engagierte Schweizerin beabsichtigte mit ihrem Konversationenbändchen, Frauen (und auch Männer) aus ihrem geistigen Provinzialismus und ihrer Unwissenheit herauszuholen und die Lebensqualität des Einzelnen sowie die Qualität der (Geschlechter-)Beziehungen zu verbessern.292 Der Restaurationsvorwurf, der verschiedentlich gegen Autor(innen) von Anstandsbüchern erhoben wurde, ist nur dann berechtigt, wenn die vermittelten Distinktionsformen und Leitwerte hinter dem als fortschrittlich bewerteten Stand der gesellschaftlich-politischen Entwicklung zurückbleiben.
291 August Buck: Die Ethik im humanistischen Bildungsprogramm, in: ders., Studia humanitatis. Gesammelte Aufsätze 1973–1980. Festgabe zum 70. Geburtstag. Hg. im Namen der Schüler, Freunde und Kollegen von Bodo Guthmüller u. a., Wiesbaden 1981, S. 253–262, hier S. 254. Karl Heinrich Frömmichen konnte 1780 gerade noch 20 % der durch die deutschen Meßkataloge registrierten Neuerscheinungen und Neuauflagen dem Segment der theologisch-erbaulichen Literatur zuordnen. [Karl Heinrich] Frömmichen: Einige Bemerkungen, welche sich über den deutschen Meßkatalogus machen lassen, in: Deutsches Museum 1780, 2, S. 176–187, hier S. 178. 292 Wenig später lebte Christian Thomasius, der »Vater der Aufklärung«, seinen Zeitgenoss(inn)en vor, wie ein bürgerlicher Aufklärer sich gegen verordnetes Denken, Autoritätsgläubigkeit und Vorurteile wenden und zu gleicher Zeit seinem männlichen Publikum gesellschaftstragende Werte und Regeln vermitteln kann.
4. Männer lehren Frauen die Normen und Formen des Umgangs: Publizistische Kommunikationsstrategien 4.1 Die internationale Dimension der frauenadressierten Literatur zum Geselligkeitsethos Die Bücher, die Männer nicht zuletzt in der Absicht übersetzten, verfaßten oder verlegten, um Frauen auf ein Geselligkeitsethos 1 und auf bestimmte Umgangsformen zu verpflichten,2 werden in diesem Kapitel unter dem Aspekt der immer wieder in Anspruch genommenen publizistischen Kommunikationsstrategien durchleuchtet.3 Der Fachausdruck ›publizistische Kommunikationsstrategien‹ bezieht sich auf die sprachlichen und visuellen Mittel, die in gedruckten Texten in der Absicht wie auch der Hoffnung zur Anwendung gelangen, hiermit beim anvisierten Publikum bestimmte emotionale, kognitive oder aktionale Reaktionen auszulösen. Auf die methodisch diffizile Frage, ob die eruierten Strategien bewirkten, was man sich von ihnen versprach, kann im zur Verfügung stehenden Rahmen nicht genauer eingegangen werden. Im ersten Abschnitt werden absatzfördernde Text- und Bildstrategien im schwer überschaubaren Bereich der Literatur in deutscher Übersetzung ins Bewußtsein gebracht. Im nachfolgenden Abschnitt steht die Frage, von welchen Kommunikationsstrategien allein Männer Gebrauch machten und was mit diesen Strategien bezweckt wurde, im Vordergrund. Der Themenschwerpunkt des dritten Abschnitts – die psychologische Wirkung von Intertextualität auf Frauen – verdankt sich der Erkenntnis, daß dem Textproduktionsverfahren der Intertextualität die Funktion zugedacht sein kann, Frauen zum Kauf und 1 2
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Den Begriff ›Geselligkeitsethos‹ führte Hanspeter Marti im gemeinsamen fachlichen Austausch in die wissenschaftliche Terminologie ein. Zur Einführung in die genannten Themenfelder eignen sich mit Einschränkungen die folgenden Publikationen: Margaret A. DuFon/Gabriele Kasper/Satomi Takahashi u. a.: Bibliography on Linguistic Politeness, in: Journal of Pragmatics 21, 1994, S. 527–578. Alain Montandon (Hg.): Pour une histoire des traités de savoir-vivre en Europe, Clermont-Ferrand 1994. Alain Montandon (Hg.): Dictionnaire raisonné de la politesse et du savoir-vivre. Du Moyen Âge à nos jours, Paris 1995. Wolfgang Adam (Hg.): Geselligkeit und Gesellschaft im Barockzeitalter (Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung; 28), 2 Tle., Wiesbaden 1997. Brigitte Felderer u. a. (Hg.): Höflichkeit. Aktualität und Genese von Umgangsformen, München 2002. Durch den Einbezug der intellektuellen Arbeit von Verlegern schließt das vorliegende Kapitel eng an die Untersuchungen in Abschnitt 1.1 an.
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4. Männer lehren Frauen die Normen und Formen des Umgangs
Lesen von Büchern und zur Umsetzung von moralisch fundierten Denk- und Verhaltensweisen zu überreden. In allen drei Abschnitten kommen Interessenlagen und Strategien in Sicht, die zur Erweiterung und Vertiefung unseres Verständnisses beitragen, wie in der Frühen Neuzeit die Machtasymmetrie zwischen den Geschlechtern hergestellt und wie sie aufgebrochen werden konnte. Frauenadressierte Übersetzungen waren im deutschsprachigen Kulturraum von großer Wichtigkeit für die Hebung des Bildungsniveaus von Frauen und für die Stärkung von schreibenden Frauen im Literaturbetrieb. Die Übersetzungsthematik soll daher am Beginn dieser Ausführungen stehen. Hauptsächlich aufgrund der Autorität, die dem männlichen Geschlecht in Bildungsfragen eingeräumt wurde, brachten bücherinteressierte Frauen der Arbeit von Übersetzern Vertrauen, ja sogar Hochschätzung entgegen.4 Georg Philipp Harsdörffer sah es als erwiesen an, daß unter den deutschen Frauen mit differenziertem Bildungshintergrund viele sind, »die ihre Freude einig und allein aus andern Sprachen übersetzten Büchern suchen und finden«.5 Während des Dreißigjährigen Krieges, als Harsdörffer dies schrieb, kauften und lasen Frauen fast ausnahmslos Druckerzeugnissse, die Männer übersetzt hatten.6 Für Übersetzerinnen der Frühen Neuzeit war ihr Frausein in den meisten Fällen kein sehr vorteilhafter Wettbewerbsfaktor, vor allem wenn die übersetzerischen Aktivitäten darauf ausgerichtet waren, auch ein männliches Massenpublikum zu belehren.7 Man traute Übersetzerinnen weniger zu als Übersetzern (nur Fürstinnen genossen eine Sonderstellung), zum Beispiel glaubte man, Frauen wären mehr als Männer anfällig für Fehler und Irrtümer.8 Nicht ohne Grund zitierte Margareta Maria Bouwinghausen im Titel ihrer 4
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Allerdings durften die übersetzten Texte nicht im Gegensatz zur herrschenden Moral von Frauen stehen. Diese Bedingung war bei blasphemischen, obszönen, freigeistigen und extrem misogynen Werken nicht gegeben. Georg Philipp Harsdörffer: Frauenzimmer Gesprächspiele. Faks.-Ndr. d. Ausg. Nürnberg 1643–1657, hg. von Irmgard Böttcher, 8 Tle. (Deutsche Nachdrucke. Reihe: Barock; 13–20), Tübingen 1968–1969, Tl. 1, 1644, Bl. B3b: »Sprichst du, solche Kurtzweil [nach Art der Gesprächspiele geführte Unterhaltungen in Gesellschaft, SK] ist Teutschem Frauenzimmer zu schwer, ungewont und verdrieslich: So bitte Jch, du wollest von derselben hohen Verstand nicht urtheilen: sondern bedenken, was jederzeit für übertreffliches und Tugendberühmtes Frauenvolk in allen Historien belobet, und noch heut zu Tag aller Orten befindet: […] welche in allen Sprachen und freyen Künsten wol erfahren […]; auch wieviel deren bey uns, die ihre Freude einig und allein aus andern Sprachen übersetzten Büchern suchen und finden.« Vgl. die in Abschnitt 3.2 enthaltene Liste mit Übersetzerinnen des 17. Jahrhunderts. Für den deutschen Kulturraum des 16. Jahrhunderts konnte ich auf bibliographischem Wege keine Belege für die Existenz von Übersetzerinnen im heutigen Wortsinn finden. Das 17. Jahrhundert war das Jahrhundert der adligen Übersetzerinnen; lediglich Maria Fabry und Barbara Helena Kopsch durchbrachen dieses Schema. Im 18. Jahrhunderts erhöhte sich die Zahl der bürgerlichen Übersetzerinnen signifikant. In diesem Zeitraum wurde das Frausein für diese soziale Gruppe allmählich zu einem positiven Wettbewerbsfaktor. Eine Folge davon war die Entstehung der Auftragsübersetzerin. Frauen, die in der Kindheit und Jugend regelmäßig in Fremdsprachen unterrichtet wurden, erlangten weit seltener die gleiche professionelle Routine im Übersetzen wie Männer mit vergleichbarem Bildungshintergrund. Einerseits war es gegen die Konvention, heranwachsenden Mädchen und jungen
4.1 Die internationale Dimension der frauenadressierten Literatur zum Geselligkeitsethos
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1652 erschienenen Joseph-Hall-Übersetzung den Bibelvers »Niemand wird gekrönet, er kämpffe dann recht« (2 Tim 2,5).9 Die Übersetzerin nahm den Kampf mit Zeitgenoss(inn)en auf, die glaubten, Frauen könnten mit ihren geistigen Fähigkeiten für ihr Geburtsland keine fruchtbringende Arbeit leisten. Wie groß die emotionale Barriere für Männer war, die vor der Wahl standen, von einer Frau belehrt zu werden, geht aus der Vorrede zur Hall-Übersetzung hervor. An den Leser. TVgend-Liebender Teutscher; So dir jrgend, gegenwärtiges Büchlein under Augen kommet, schäme dich nicht, solches zu durchlesen, weil es durch die Feder, eines schwachen Frauen-Bildes, in deine herrlich- und prächtige Spraach’ übersetzet worden, sondern lasse dir vil mehr, die Neigung zu deinem und jhrem geehrten Vatter-Lande, günstig belieben; in deme du dich gewiß zu jhr versehen [von ihr erwarten, SK] sollest, daß sie alles vermögen jhrer wenigen Wissenschafft, dahin anwenden wird, desselben Ehr’ und Hochheit helffen zu vermehren; Wie sie dann auch jhren geliebten Landes-Verwanten, dißen köstlichen Seelen-Schatz, nicht vneröffnet lassen wollen: Findestu etwan, in der Wort-Reinigheit welche Fehl, entschuldige solche nach wolständiger Tugend-Art; Jn betrachtung, daß in der Welt, nichts vollkommenes gefunden wird; zu dem’ auch unsere gelehrtesten Männer, in Vnderweisung der Schreib-Richtigheit, noch nicht Einerley Meinung; derhalben in vilem, nur jedes Gutachten, den Schluß machen muß; welcher dann bey denen, denen jhr Stand nicht gestattet, ander’ als stumme Lehr-Meister zu suchen, gar leicht jrrig seyn kan. Wird dises Erste Wercklein, von dir unverschmähet beliebet werden; erkühnet sie sich villeicht, künfftig etwas grössers, auß dem grauen Zeit-Buch, an den Tag zu geben.10
Wie sich als Folgerung aus dem zitierten Passus ergibt, war es in der Frühen Neuzeit für die Verlage und das Publikum nicht ein- und dasselbe, ob ein Mann oder eine Frau eine deutsche Version von einem fremdsprachigen Werk herstellte. In der Regel wurden Übersetzungsaufträge an Männer vergeben und Auftragsarbeiten erschienen meist anonym.11 Frauen Bildungsreisen in fremde Länder zu gestatten, andererseits wurde ihnen eingeredet, das Erlernen von Fremdsprachen übersteige ihre Kapazitäten. Die folgenden Zeilen reimte Marianna von Bressler, eine Freundin Christiana Mariana von Zieglers: »Die Ubersetzungen aus fremder Völcker Büchern, | Erfordern, wie Jhr wißt, auch fremder Sprachen Kern: | Das ist zu schwer für uns; so will man uns versichern, | Darum bemüht sich hier kein Frauenzimmer gern.« Johann Christoph Gottsched (Hg.): Die Vernünftigen Tadlerinnen 1725–1726. Im Anhang einige Stücke aus der 2. und 3. Auflage 1738 und 1748. Neu hg. und mit einem Nachwort, einer Themenübersicht und einem Inhaltsverzeichnis versehen von Helga Brandes, 2 Tle., Ndr. Hildesheim u. a. 1993, Tl. 1, S. 215. Vgl. auch Miroslawa Czarnecka: »Ob auch das Frauenvolck zum tichten fähig sey?« Zur Poesie Marianna von Bresslers (1693–1726), einer unbekannten Dichterin aus Breslau, in: Norbert Honsza (Hg.), Literatur und Linguistik (Acta Universitatis Wratislaviensis; 1713) (Germanica Wratislavisensia; 107), Breslau 1996, S. 37–47. 9 Vgl. zum Lebensgang von Margareta Maria Bouwinghausen sowie zu ihrer Hall-Übersetzung Abschnitt 2.1. 10 Margareta Maria Bouwinghausen und Wallmerode: An den Leser, in: Joseph Hall, Waarer und großmütiger Christen Krieg- Sieg- und Frieden-Spiegel […], Tübingen 1652, o. Sign. 11 Die Forschung konzentriert sich in der Regel auf das »Fehlen bzw. die Unterdrückung des Autornamens«. Jan-Dirk Müller: Anonymität, in: Klaus Weimar (Hg.), Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Neubearbeitung des Reallexikons der deutschen Literaturgeschichte, Bd. 1, Berlin u. a. 1997, S. 89–92, hier S. 89. /
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4. Männer lehren Frauen die Normen und Formen des Umgangs
War ein unabhängig agierender Übersetzer in Amt und Würden, hätte es seinem Ruf abträglich sein können, wenn sein Name auf dem Titelblatt eines nichtdienstlichen Werkes geprangt hätte. Eine Antwort auf die Frage, wann und warum im deutschsprachigen Bereich damit begonnen wurde, Bücher ins Deutsche zu übersetzen oder übersetzen zu lassen, die von Männern eigens in der Absicht verfaßt worden waren, ein weibliches Erwachsenenpublikum mit Bildung für das Leben zu versorgen, versucht die nachfolgende bibliographische Übersicht zu geben. Aufgenommen wurden Übersetzungen, die auch oder ausschließlich in der Absicht angefertigt wurden, bildungsbeflissenen Frauen ein Geselligkeitsethos und bestimmte Umgangsformen näher zu bringen.12 Die Übersicht enthält keine fiktionale Literatur und keine unselbständigen Veröffentlichungen. Sie ist nach Ländern geordnet (Frankreich, Italien, Spanien, Holland, England) und bezieht gedruckte Werke ein, die im Zeitraum 1600 bis 1750 erstmals erschienen sind (auf noch ältere Literatur wird verwiesen). Der Übersicht ist zu entnehmen, welche ins Deutsche übersetzten Bücher das germanophone Publikum in diesem Zeitabschnitt bevorzugte, unzweifelsfrei solche französischer Herkunft. Der Grund hierfür ist hinlänglich bekannt. Zwischen dem Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges und der sozialgeschichtlichen Umbruchphase Mitte des 18. Jahrhunderts nahm die zentralistisch regierte katholische Bildungsmacht Frankreich auf dem Gebiet der Normen und Formen des Umgangs wie auf vielen anderen Gebieten auch die Führungsrolle innerhalb Europas ein. Während der Phase der kulturellen Hegemonie Frankreichs nahmen die Vornehmen und Gebildeten des Reichs regen Anteil am literarischen Leben des Nachbarlandes. Zeitweilige Verfeindungen auf staatspolitischer Ebene zwischen Frankreich und Deutschland konnten dieses grundsätzliche Interesse nie ernsthaft erschüttern.13 Man zeigte sich weltzugewandt und auf der Höhe der Zeit, wenn man Schriften über französische Lebensart, Moral und Erziehungskunst las und sich eine eigene Meinung über diese Gegenstände bildete. Wer des Französischen mächtig war, besorgte sich die einschlägigen Schriften in der Originalsprache,14 wer keinen soliden Fremdsprachenunterricht genossen hatte, konnte auf eine wachsende Zahl von Übersetzungen zurückgreifen. Folgende Übersetzungen aus dem Französischen erfüllen die oben genannten Kriterien:
12 Ob die bibliographische Übersicht dem angestrebten Vollständigkeitsideal genügt, muß sich erst noch erweisen. 13 Gerhard Schormann: Der Dreißigjährige Krieg, 2., durchges. Aufl. Göttingen 1993. Karl Otmar von Aretin: Das Alte Reich 1648–1806. Bd. 2: Kaisertradition und österreichische Großmachtpolitik (1684–1745), Stuttgart 1997. Klaus Malettke: Frankreich, Deutschland und Europa im 17. und 18. Jahrhundert. Beiträge zum Einfluß französischer politischer Theorie, Verfassung und Außenpolitik in der Frühen Neuzeit (Marburger Studien zur Neueren Geschichte; 4), Marburg 1994. 14 Eine eifrige Leserin von französischer Gebrauchsliteratur war Christine Charlotte von Ostfriesland. Vgl. Sabine Heißler: Christine Charlotte von Ostfriesland (1645–1699) und ihre Bücher oder lesen Frauen Anderes?, in: Daphnis 27, 1998, S. 335–418.
4.1 Die internationale Dimension der frauenadressierten Literatur zum Geselligkeitsethos
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[ Jacques Du Bosc:] Die tugendsame Fraw, das ist: Außführlicher Wegweiser, wie sich eine tugendsame Fraw verhalten solle: daß sie neben denen Tugenden, mit welchen sie begabet ist Gott zu dienen, zugleich auch bey den Menschen angenehm vnd nützlich seyn möge, Kassel 1636. Nicolas Caussin: Spiegel deß hochadelichen christlichen FrawenZimmers, das ist: Clotildis erste christliche Königin in Franckreich, welche durch jhren inbrünstigen eyffer im catholischen Glauben, Clodouaeum einen häydnischen König in Franckreich jhren Gemahl, sampt dem gantzen Königreich durch sich selbsten: durch jhre Mönib Indegundam aber, das spanische Königreich zum Christenthumb bekehrt. Vnnd ist das vierdte Buch deß andern theils Aulae sanctae R.P. Nicolai Caussini Societ. Iesu in frantzösischer Sprach außgangen. Jetzt aber von P. Henrico Lamormaini, gemelter Societet Priester, auß frantzösischer Sprach in die lateinische, und nachmal von zween andern derselben Soc. in die teutsche Sprach versetzt: vnd durch Mühverwaltung besagtes Patris Henrici Lamormaini in Truck verfertiget, Köln 1642. 2. Aufl. 1648. [François Hédelin, Abbé d’Aubignac:] Des galanten Frauenzimmers kluge Hofmeisterin, aus dem Französischen ins Teutsche übersezt, Leipzig 1696. 2. Aufl. 1711. [Madame de Pringy?:] Character deß heutigen Frauenzimmers, auß welchem gar leicht zuersehen, ob eine adeliche Dame oder Fräulein wohlerzogen, oder aber von ihren Fehlern zu corrigiren seye! Auß dem Frantzösischen in das Hochteutsche übersetzet, Augsburg 1699.15 Jacques Goussault: Abbildung einer tugendsam- vernünfftig- und recht christlichen Frauen, in französischer Sprach ehemals heraus gegeben von Monsieur Goussault, Parlaments-Rath zu Paris. Nun aber in das Hoch-Teutsche übersetzet, Heilbronn 1713. Jean Baptiste Morvan de Bellegarde: Des Herrn Abts von Bellgarde Einige auserlesenste Briefe, so er mit einer Hof-Dame über unterschiedlichen [sic] moralischen und zur galanten Gelehrsamkeit dienlichen Dingen gewechselt. Aus dem Frantzösischen übersetzet, Leipzig 1715.
15 Constant Venesoen erklärt Jeanne-Michelle de Pringy zur Urheberin von Les différens caractères des femmes du siècle (1694) (erste Heirat 1684). Diese Zuschreibung erscheint mir höchst zweifelhaft. Man prüfe folgenden Textausschnitt: »La beauté nous arrête, l’esprit nous fixe et les défauts nous chassent. Mille agrémens les font chercher, mille raisons les font fuyr. La volupté fait qu’on y retourne, et la sagesse fait qu’on n’y reste pas et qu’on leur parle toujours avec plus de flaterie que d’attachement.« Madame de Pringy: Les differens caracteres des femmes du siecle avec la description de l’amour propre (édition de 1694). Texte établi, annoté et commenté par Constant Venesoen (Textes de la Renaissance; 58), Paris 2002, S. 72. August Bohse, der eine auszugsweise Übersetzung des Werkes anfertigte, geht ebenfalls von einem männlichen Autor aus. [Madame de Pringy?:] Les differens Caracteres des Femmes du Siecle […]. Die unterschiedlichen Kennzeichen des Frauenvolcks dieser Zeit […], in: Talander [Pseud., August Bohse] [Hg.], Des franzöischen [sic] Helicons Monat-Früchte, oder getreue Ubersetzungen und Auszüge allerhand curiöser und auserlesener franzöischen Schrifften, von Staats- Welt- und Liebes-Händeln, wie auch andern moralischen, geographischen und dergleichen lesenswürdigen Materien […], [Leipzig] 1696, S. 281–305. Zur Rezeption des französischen Charakterspiegels in England vgl. Rae Blanchard: The French Source of Two Early English Feminist Tracts, in: Modern Language Notes 44, 1929, S. 381–383.
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Nicolas Dupuy La Chapelle: Herrn Du-Puy vormahlichen Secretarii bey der Friedens-Handlung zu Ryßwick Christliche Sitten-Lehre zur Unterweisung seiner Tochter jn denen wichtigsten Puncten des Glaubens, der Sitten und der Aufführung in der Welt Aus der Heil. Schrifft gezogen. Wegen ihrer Fürtrefflichkeit aus dem Frantzösischen ins Teutsche übersetzt. Mit Königl. Preuß. allergn. Privilegio, Halle 1720. 2. Auf l. 1751. [François Hédelin, Abbé d’Aubignac:] Der Charakter eines vollkommenen Frauenzimmers, in den klugen Regeln welche die Herzogin von C*** unter den [sic] Nahmen Ariste der Princeßin Celimene gegeben, wegen der Mittel ihr Ansehen und guten Nahmen zu erhalten, Celle 1749. Der in dieser Ära fortdauernde Einfluß italienischer Sprache und Kultur auf das Reich hinterließ vor allem in den katholischen Städten des Reichsverbandes tiefe Spuren. Die Handelsbeziehungen der protestantischen Reichsstadt Nürnberg zu Italien mögen es begünstigt haben, daß in der fränkischen Metropole das Anstandsbuch des heute nur noch als Librettist bekannten Historikers und Poeten Vincenzo Nolfi in deutscher Sprache herauskam:16 Vincenzo Nolfi [ehemals Galassi]: Unterweisung des Frauenzimmers oder Lehr-Sätze der Höflichkeit für eine adeliche Dam, geschrieben von Vincentio Nolfi von Fano an Frauen Hippolyten Uffreducci seine Gemahlin. Aus dem Italienischen in das Teutsche getreulich übersetzet, Nürnberg 1690. Obgleich das auf das praktische Handeln bezogene Schrifttum eines Fray Antonio de Guevara, Hofprediger Kaiser Karls V., und eines Baltasar Gracián in ganz Europa nachgefragt wurde,17 ist das habsburgisch-bourbonische Spanien in unserer ländervergleichenden Übersicht nicht vertreten. Zwei scheinbar in Betracht kommende Werke hielten einer Prüfung nicht stand. Die erste deutsche Fassung der Erziehungsschrift De institutione feminae christianae (1524) des spanischen Humanisten Juan Luis Vives ist unter dem Titel Von Underweysung ayner christlichen Frauwen (1544) in Augsburg erschienen. Das erste und zweite Buch widmen den Weltmanieren einzelne Kapitel, darunter auch dem Thema Tanz. Nach 1600 fand sich kein Verleger mehr für das zum Zeitpunkt seiner Veröffentlichung umfassendste Unterrichtswerk Westeuropas für die drei weiblichen Stände ( Jungfrauen, Ehefrauen, Witwen);18 weiterhin rezipiert wurde das Werk des spanischen Katho16 Thomas Frederick Crane: Italian Social Customs of the Sixteenth Century and Their Influence on the Literatures of Europe (Cornell Studies in English; 5), New Haven 1920, S. 396, Anm. 62. Adolfo Mabellini: Fanestria uomini e cose di Fano, Fano 1937. Alberto Martino: Die italienische Literatur im deutschen Sprachraum. Ergänzungen und Berichtigungen zu Frank-Rutger Hausmanns Bibliographie (Chloe; 17), Amsterdam u. a. 1994, S. 195. 17 Karl Borinski: Baltasar Gracian und die Hoflitteratur in Deutschland, Halle 1894. Anne E. Wiltrout: Women in the Works of Antonio de Guevara, in: Neophilologus 60, 1976, S. 525–533. Emilio Bonfatti: Verhaltenslehrbücher und Verhaltensideale, in: Horst Albert Glaser (Hg.), Deutsche Literatur. Eine Sozialgeschichte. Bd. 3: Zwischen Gegenreformation und Frühaufklärung: Späthumanismus, Barock 1572–1740, hg. von Harald Steinhagen, Reinbek 1985, S. 74–87, bes. S. 77–79. 18 Die deutschen Ausgaben bibliographierte Aloys Bömer: Anstand und Etikette nach den Theorien der Humanisten, in: Neue Jahrbücher für Pädagogik 7, 1904, S. 223–242, 249–285, 330–355, 361–390,
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liken vor allem in lateinischer Sprache.19 Einzelne Teile des Libro intitvlado, Vida política de todos los estados de mujeres (1599) des Franziskanermönches Juan de La Cerda gelangten, unter dem Titel Weiblicher Lustgarten von dem enzyklopädisch gelehrten Barockhumanisten Aegidius Albertinus (1560–1620) verdeutscht, 1605 in München in den Druck. Wieder aufgelegt wurde die zuvor von allen Katholizismen gereinigte Albertinus-Übersetzung im protestantischen Leipzig (1620, weitere Auflage 1630/31).20 Dem Themenkomplex der Bildung der Frau für die Welt außerhalb des Hauses und der Ehe standen de la Cerda/ Albertinus gänzlich ablehnend gegenüber. Das bürgerliche Holland bot mit dem calvinistischen Staatsmann Jacob Cats einen Schriftsteller auf, dessen Werke sich über einen verhältnismäßig langen Zeitraum auf dem deutschen Buchmarkt behaupten konnten.21 Cats’ auf den Stand der Ehe vorbereitende holländisch-lateinische Klugheitslehre Maechden-plicht (1618) hatte bereits einen komplizierten Rezeptionsprozeß durchlaufen, als das Werk beinahe ein Jahrhundert später nach der holländischen Erstausgabe ins Deutsche übertragen wurde.22 Das revolutionsgeschüt-
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hier S. 259 f., Anm. 1. Jakob Wychgram: Juan Luiz Vives’ Schriften über weibliche Bildung. Ein Beitrag zur Geschichte der Pädagogik, Wien 1883. Wilhelm Ruhmer: Pädagogische Theorien über Frauenbildung im Zeitalter der Renaissance, nebst einer kritischen Würdigung der Leistungen mittelalterlicher Theoretiker, Bonn 1915, S. 55–77. Gloria Kaufmann: Juan Luis Vives on the Education of Women, in: Signs. Journal of Women in Culture and Society 3, 1978, S. 891–896. Katharina Fietze: Frauenbildungskonzepte im Renaissance-Humanismus, in: Elke Kleinau u. a. (Hg.), Geschichte der Mädchen- und Frauenbildung. Bd. 1: Vom Mittelalter bis zur Aufklärung, Frankfurt/M. u. a. 1996, S. 121–134, 488–490, hier S. 129–133. Die lateinische Fassung zitiert der Theologe und Kieler Universitätsprofessor Christian Kortholt: Weiblicher Tugend-Spiegel […], Kiel 1682, S. 53. Nikolaus Paulus: Aegidius Albertinus über die Frau und die Ehe, in: Historisch-politische Blätter für das katholische Deutschland 133, 1904, S. 589–604, 646–655, bes. S. 651–654. Guillaume van Gemert: Die Werke des Aegidius Albertinus (1560–1620). Ein Beitrag zur Erforschung des deutschsprachigen Schrifttums der katholischen Reformbewegung in Bayern um 1600 und seiner Quellen (Geistliche Literatur der Barockzeit. Sonderband; 1), Amsterdam 1979, S. 104–106, 442–449. Ulrike Hörauf-Erfle: Wesen und Rolle der Frau in der moralisch-didaktischen Literatur des 16. und 17. Jahrhunderts im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation (Europäische Hochschulschriften. Reihe III: Geschichte und ihre Hilfswissenschaften; 482), Frankfurt/M. u. a. 1991, S. 50–58, 100–102. Gerhard Dünnhaupt: Personalbibliographien zu den Drucken des Barock, 6 Tle., 2., verb. u. wesentl. verm. Aufl. Stuttgart 1990–1993, Tl. 1, S. 215 f., Nr. 28.1–28.3. Erika Kartschoke (Hg.): Repertorium deutschsprachiger Ehelehren der Frühen Neuzeit. Erarbeitet von Walter Behrendt u. a. Bd. 1/1: Handschriften und Drucke der Staatsbibliothek zu Berlin/Preußischer Kulturbesitz (Haus 2), Berlin 1996, S. 11–17. Johannes Bolte: Verdeutschungen von Jakob Cats’ Werken, in: Tijdschrift voor Nederlandsche Taal-en Letterkunde 16, 1897, S. 241–251. Sophie Schroeter: Jacob Cats’ Beziehungen zur deutschen Literatur. Tl. 1: Die deutschen Uebertragungen seiner Werke [Tl. 2 nicht erschienen], Heidelberg 1905. Peter Nasse: Die Frauenzimmer-Bibliothek des Hamburger Patrioten von 1724. Zur Bildung in der Frühaufklärung (Stuttgarter Arbeiten zur Germanistik; 10), 2 Teilbde., Stuttgart 1976, Teilbd. 2, S. 439 f. Die Aufnahme der Maechden-plicht in Deutschland kann nur richtig nachverfolgt und bewertet werden, wenn man weiß, daß Cats das Werk in sein berühmtes Heiratsbuch Houwelyck (1625) einarbeitete. Für die Hamburger Gesamtausgabe der Catsschen Schriften, welche zwischen 1710 und
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telte England war in Deutschland erst im ersten Viertel des 18. Jahrhunderts mit einer derzeit nicht in öffentlichen Bibliotheken nachweisbaren Sittenlehre (sie wird dem anglikanischen Theologen Richard Allestree zugeschrieben) vertreten: The Ladies Calling. By the Author of The Whole Duty of Man (1667).23 Des Grafen von Halifax Neujahrsgeschenk an seine Tochter (1750) ist zunächst unselbständig erschienen, daher fehlt der väterliche Rat in unserer Liste; mit fünfzehn Auflagen zwischen 1688 und 1765 war A Lady’s New Year’s Gift, or Advice to a Daughter (1688) in seinem Heimatland ein Bestseller.24 Jacob Cats: Desz hochberühmten Herrn Doctor Jacob Cats Jungfern Pf licht oder Amt der Jungfrauen in erbarer Liebe, angewiesen durch vier und viertzig Sinn-Bilder. Aus dem Holländischen ins Teutsche übersetzt, durch Cosmus Conrad Cuno, Augsburg 1707.25 Titelausg. 1717 in acht Teilen herauskam, wurde absichtlich die lateinische Fassung der Maechden-plicht gewählt (Monita amoris virginei, sive officium puellarum, Tl. 1, 1710, S. 129–160), um eine Doppelausgabe der deutschen Version des Textes zu vermeiden (Die Jungfer [in: Die Heurath, oder gantzer Begriff des Ehe-Standes], Tl. 2, 1711, S. 13–39). Jacob Cats: Des unvergleichlichen holländischen Poëten, Jacob Cats […] sinnreiche Wercke und Gedichte […], 8 Tle., Hamburg 1710–1717. Vorlage der Maechden-plicht-Übersetzung Jacob Schwiegers, Mitglied der Deutschgesinnten Genossenschaft und des Elbschwanenordens, war ebenfalls Houwelyck. Jacob Cats: Jungfern-Markt. Das ist: Eine Beschreibung wie und welcher gestalt eine reiffe und mannbahre Jungfer verheirahtet, […] in die hoch-ädle teutsche Heldensprache versetzet von Jacob Schwieger […], o. O. 1659. Die Titelaufnahme der deutschen Übertragung folgt den Angaben von Wendelin von Maltzahn: Deutscher Bücherschatz des sechzehnten, siebenzehnten und achtzehnten bis um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts, Jena 1875, S. 350, Nr. 1009. 23 Gertrud Noyes rekonstruierte zwölf zwischen 1667 und 1727 erschienene Auflagen dieser auch in Nordamerika vielgelesenen Sittenlehre, die in die Werkausgabe des Author of The whole duty of man aufgenommen wurde (1684 u. ö.). Gertrude E. Noyes: Bibliography of Courtesy and Conduct Books in Seventeenth-Century England, New Haven/CT 1937, S. 22, Nr. 16. Wolfgang Martens: Leserezepte fürs Frauenzimmer. Die Frauenzimmerbibliotheken der deutschen Moralischen Wochenschriften, in: Archiv für Geschichte des Buchwesens 15, 1975, Sp. 1143–1200, hier Sp. 1150. Nasse (Anm. 21), Teilbd. 2, S. 536–542. Susanne Roeder: The Age of Conduct and Courtesy. An Investigation of 18th-Century Conduct and Courtesy Literature Analysed under the Aspect of Orality, Freiburg/Br. 1991, S. 218. Robert Cornwall: Allestree, Richard, in: Hans Dieter Betz u. a. (Hg.), Religion in Geschichte und Gegenwart. Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaft, Bd. 1, 4., völlig neu bearb. Aufl. Tübingen 1998, Sp. 313–314. In Deutschland wurde auch die französische Fassung von The Ladies Calling rezipiert: Les devoirs des dames. En 2 parties. Par l’auteur de la Pratique des vertus chrétiennes (1709). 24 Thomas Seccombe: Savile, George, in: Sidney Lee (Hg.), Dictionary of National Biography, Bd. 50, London 1897, S. 356–364, hier S. 363. George Savile of Halifax: Des Grafen von Halifax Neujahrsgeschenk an seine Tochter, aus dem Englischen übersetzt, in: Sammlung vermischter Schriften von den Verfassern der bremischen neuen Beyträge zum Vergnügen des Verstandes und des Witzes, Bd. 2, 1750, St. 3, S. 163–248. Eine 1752 in Berlin erschienene zweisprachige Ausgabe (englisch/französisch) verzeichnet Dagmar Grenz: Mädchenliteratur. Von den moralisch-belehrenden Schriften im 18. Jahrhundert bis zur Herausbildung der Backfischliteratur im 19. Jahrhundert (Germanistische Abhandlungen; 52), Stuttgart 1981, S. 233. 25 Die Titelangaben dieser und der nachfolgenden Ausgabe entnahm ich der Dissertation von Sophie Schroeter (Anm. 21), S. 50 f.
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u. d. T. Neu-eröffnete Schule vor das noch ledige Frauenzimmer, welches darinnen durch fünfundvierzig erfundenen schönen Sinn-Bildern von dem hochgelehrten Herrn Doctor Jacob Cats aufs beste unterrichtet wird, wie sie sich in ehrbarer Liebe zu verhalten, und hingegen alle ungebührliche Neigungen zu meiden haben […], Augsburg 1723. Weitere Titelausg. u. d. T. Neu-eröffnete Schule, vor das noch ledige Frauenzimmer; worinnen, durch 45. schönerfundene Sinn-Bilder, aufs Beste angewiesen wird: Wie sich selbe in ehrbarer Liebe zu verhalten, und auch alle ungebührliche Neigungen zu meiden haben. Zu finden: Auf denen Franckfurter und Leipziger Messen, o. O. u. J. [um 1723]. [Richard Allestree?:] Beruff des vornehmen Frauenzimmers, aus dem Englischen des unbekannten Authoris, von der gantzen Schuldigkeit des Menschen, ins Teutsche übersetzt, Hamburg 1724.26 Um einen Vergleich zu ermöglichen, füge ich die bis 1750 erschienenen Texte von Frauen in deutscher Übersetzung an. Auffallenderweise handelt es sich dabei ausschließlich um Werke französischer Herkunft:27 Madeleine de Scudéry: Kluge Unterredungen der in Frankreich berühmten Mademoiselle de Scudery, worinnen uber unterschiedliche Sachen sehr nachdenkliche Gedanken, und lehrrichtige Gespräche enthalten. […] Aus dem Französischen in das Teutsche gebracht, und mit beygesetzten Figuren und Gedichten erweitert durch die bey den Blumen-Hirten an der Pegnitz so genannte Erone, 2 Tle., Nürnberg 1685. [ Jeanne de Liancourt:] Reglement donné par une dame de haute qualite [sic], oder Anweisung zum rechtschaffnen Leben von einer sehr vornehmen Standes Dame für Mde. – Ihre[s] Sohns Tochter, damit selbe so wol für sich selbst, als gegen die Ihrige sich möge heilig und wol aufführen gestellet, nebst andern Lebens-Regeln, so diese Dame sich selbst zum besten verfaßt. Jedweden absonderlich vornehmen Personen und gantz sonderlich vornehmen Frauenzimmer zu sehr weiser und heiliger Vorstellung, wie zu leben. Erstlich zu Paris hernach zu Brüssel gedruckt, nun aber aus dem Frantzösischen ins Teutsche übersetzt, Leipzig und Stendal 1713. Anne-Thérèse de Lambert: Der Madame von Lambert Gedancken von der Aufferziehung und einem tugendhafften Leben; in zweyen Schreiben an ihren Sohn und ihre Tochter entworffen. Aus dem Französischen übersetzt von einem Mitgliede der Deutschen Gesellschafft zu Leipzig, Leipzig 1729. 26 Zitiert nach: Catalogvs librorvm […] maximam partem exqvisitissimorvm, compactorvm et incompactorvm olim cvra B. Thomae Fritschii conqvisitorvm […], 2 Tle., Leipzig 1729, Tl. 2, S. 14, Nr. 216. 27 Eine chronologisch geordnete Liste mit französischer verhaltensmodellierender Gebrauchsliteratur für Frauen stellte Colette H. Winn zusammen: Ouvrages éducatifs à l’usage des femmes et avis parentaux sous l’ancien régime, in: Règlement donné par une dame de haute qualité à M*** sa petite-fille pour sa conduite, & pour celle de sa maison: avec un autre règlement que cette dame avoit dressé pour ellemesme. Édition critique par Colette H. Winn (Textes de la Renaissance. Série: L’education féminine, de la Renaissance à l’âge classique; 15), Paris 1997, S. 191–198. Der Quellenbibliographie von Winn liegt unter anderem das Standardwerk von Paul Rousselot zugrunde: Histoire de l’éducation des femmes en France, 2 Bde., Paris 1883.
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Anne-Thérèse de Lambert: Der Frau Markgräfinn von Lambert neue Betrachtungen über das Frauenzimmer, aus dem Französischen von Luis. Adelg. Vict. Kulmus, Leipzig 1731.28 Madeleine de Sablé: Der Marquisin von Sablé Hundert vernünfftige Maximen, mit 366. moralischen Bildnüßen erläutert; Ihrer Fürtreffligkeit wegen aus dem Frantzösischen übersetzet, und mit einer Zuschrifft an Ihro Hochwohlgebohren, die Frau von Ziegler, käyserl. gekrönte Poetin, und der Deutschen Gesellschaft zu Leipzig Mitglied, begleitet von D. Johann Ernst Philippi, der deutschen Wohlredenh. oeffentl. Lehrer zu Halle, Leipzig 1734. Madeleine de Scudéry: Der Mad. Scudery scharfsinnige Unterredungen, von Dingen, die zu einer wohlanständigen Aufführung gehören, übersetzet von Christiana Mariana von Ziegler, gebohrnen Romanus, Leipzig 1735. Anne-Thérèse de Lambert: Sämtliche Schriften der Frau Marquisin v. Lambert, nebst beygefügten [sic] Lebens-Lauf, aus dem Französischen in das Teutsche übersetzet, Frankfurt/M. und Leipzig 1750.29 Die deutschsprachige Textproduktion von Männern nimmt sich im Vergleich zur Übersetzungsliteratur eher bescheiden aus.30 Den fulminanten Auftakt bildeten gegen Ende des Dreißigjährigen Krieges die auf acht voluminöse Oktavbände angewachsenen Gesprächsspiele Georg Philipp Harsdörffers. Georg Philipp Harsdörffer: Frawen-Zimmer Gespräch-Spiel. So bey ehrliebenden Gesellschafften zu nützlicher Ergetzlichkeit beliebet werden mögen. […] Auß Spanischen, Frantzösischen vnd Italianischen Scribenten angewiesen durch Georg Philip Harsdörffern, 2 Tle., Nürnberg 1641–1642. 2. Aufl. Tl. 1 1644, Tl. 2 1657. Fortsetzung u. d. T. Gesprachspjele, so bey ehrn- und tugendliebenden Geselschaften außzuüben […]. Verfasset durch einen Mitgenossen der hochlöblichen Frvchtbringenden Geselschaft, 6 Tle., Nürnberg 1643–1649. Martin Caselius: Zvcht-Spiegel, das ist, nothwendige und sehr wolgemeinte Erinnerung an das christ- und ehrliebende Frawenzimmer in Deutschland, aus Gottes Wort und der heiligen Väter, wie auch anderer vornehmer Lehrer Schrifften verfertiget, und auff frommer Christen Begehren, mit einer Vorrede der löblichen Theologischen Facultet zu Jehna, in den Druck gegeben von Martino Caselio, der H. Schrifft Doctorn, fürstl. sächs. General-Superintendenten, Hoff-Predigern, und Assessorn des Consistorii zu Altenburg, Altenburg 1646, 2. Aufl. 1661. Titelausg. u. d. T. Der züchtige Schauplatz des teutschen Frauenzimmers, Magdeburg 1666.31 28 Von dieser Übersetzung von Louise Gottsched ist derzeit kein Exemplar nachweisbar. 29 Unter den hier aufgeführten Werken wurden bis 1800 diejenigen von Jeanne de Liancourt (1754) und Anne-Thérèse de Lambert (1798) neu aufgelegt. Die erste deutsche Übersetzung von Christine de Pizans Livre des trois vertus (1405) erschien 1996. 30 Zur frauenadressierten Literatur vor dem Dreißigjährigen Krieg vgl. Susanne Barth: Jungfrauenzucht. Literaturwissenschaftliche und pädagogische Studien zur Mädchenerziehungsliteratur zwischen 1200 und 1600, Stuttgart 1994. Axel Erdmann: My Gracious Silence. Women in the Mirror of the 16th Century Printing in Western Europe, Luzern 1999. 31 Der Theologe und sächsische General-Superintendent Martin Caselius wägt in seinem Zuchtspiegel das Für und Wider des Nichtbedeckens von Hals, Schultern und Dekolleté ab und plädiert für eine
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Talander [Pseud., August Bohse]: Des galanten Frauenzimmers Secretariat-Kunst oder Liebes- und Freundschaffts-Brieffe in neun Abtheilungen, deren iede hundert Brieffe in sich hält, nebst einem nöthigen Titular-Büchlein und vollständigen Register, der curieusen Welt zur Ergötzung und belieblicher Nachahmung an das Licht gegeben von Talandern, Leipzig 1692. Neuausg. 1696, 3. Aufl. 1703. [David Faßmann?:] Galante Frauenzimmer-Moral, oder: Die kluge Conduite des honnetten Frauenzimmers in einer Entrevue zwischen drey Demoiselles, über auserlesene und recht schöne frantzösische Maximen gezeiget. Von * * *, Leipzig 1722. 2. Aufl. 1723, 3. Aufl. 1731. Um in der Frühen Neuzeit als Verlag erfolgreich am Markt agieren zu können, genügte es nicht, zum richtigen Zeitpunkt die richtigen Produkte anbieten zu können, man mußte auch ein Gespür dafür besitzen, welche Kommunikationsstrategien geeignet sind, beim anvisierten Publikum die gewünschten Reaktionen hervorzurufen. Letzterer Punkt fiel besonders ins Gewicht, wenn Bücher produziert wurden, die auf die Bedürfnisse und den Geschmack von Laien abstellten, da sich der Absatz solcher Werke leichter mittels werbepsychologischer Kniffe steuern ließ als der von Gelehrtenliteratur. Im folgenden möchte ich drei Problemkreise vorstellen, die die Gewerbetreibenden und zum Teil auch die Übersetzer gedanklich durchspielen mußten, wenn sie Übersetzungen, die auf ein breites (Frauen-)Publikum ausgerichtet waren, gewinnbringend absetzen wollten.32
Problemkreis 1: Wie kann der Inhalt und wie der Nutzen des übersetzten Werkes zielgruppenorientiert kommuniziert werden? Damit sich ein Buch in der Frühen Neuzeit für längere Zeit am Markt behaupten konnte, war es nicht unbedingt erforderlich, den Inhalt des Werkes auf dem Titelblatt wortreich anzukündigen. L’honneste femme (3 Tle., 1632–1636) – dies ist der vollständige Titel der Verhaltenslehre von Jacques Du Bosc – ist ein Beispiel für ein Werk, dem trotz seines extem kurzen Titels eine lange Lebendauer beschieden war; 1766 wurde der zweite Teil von L’honneste femme zum letzten Mal neu aufgelegt.33 Wenn dennoch vielfach wortreiche »konzertierte Aktion« wider die einreißende Mode des »Hautzeigens«. In einer ganzen Reihe späterer (polemischer) Schriften zur gleichen Thematik wird die argumentative Differenziertheit Caselius’ nicht mehr erreicht. 32 Nicht an Verlagsprodukte gebundene Werbestrategien finden in diesem Abschnitt keine Berücksichtigung. 33 Zu den französischen und englischen (Teil-)Ausgaben der L’honneste femme vgl. Alain Montandon (Hg.): Bibliographie des traités de savoir-vivre en Europe. Bd. 1: France, Angleterre, Allemagne, Clermont-Ferrand 1995, S. 49 f., 199, 232. In Deutschland galt die L’honneste femme noch 1739 als übersetzenswertes Werk. Johann Friedrich May: Philosophisches Sendschreiben, In wie weit eine Frau gelehrt seyn könne?, in: Der Deutschen Gesellschaft in Leipzig eigene Schriften und Uebersetzungen in gebundener und ungebundener Schreibart, Tl. 3, Leipzig 1739, S. 179–187, hier S. 182 f. In Italien wurde die L’honneste femme von einer Frau (Contessa Maria Basadonna Manin) übersetzt; die Übersetzung erschien 1742 in Padua. Ruth Kelso: Doctrine for the Lady of the Renaissance, Urbana 1956, S. 360, Nr. 307.
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Titelfassungen gewählt wurden, dann deshalb, weil man glaubte, sich verbal von ähnlichen Produkten anderer Verlage abgrenzen zu müssen, oft unter Zuhilfenahme von rhetorischen Kunstgriffen, oder weil man meinte, dem Zielpublikum eine präzise und anschauliche Vorstellung geben zu müssen, worum es in dem Werk geht und welcher Nutzen bei rechtem Gebrauch daraus zu ziehen ist.34 Bei der Abfassung des Titels »Die Tugendsame Fraw, Das ist: Außführlicher Wegweiser, wie sich eine Tugendsame Fraw verhalten solle: Daß sie neben denen Tugenden, mit welchen sie begabet ist GOTT zu dienen, Zugleich auch bey den Menschen angenehm vnd nützlich seyn möge« (1636) 35 arbeitete der phantasiebegabte Übersetzer, Landgraf Wilhelm V. von Hessen-Kassel, darauf hin, die Tatsache zu verschleiern, eine Übersetzung vorgelegt zu haben.36 Man sucht im Titel vergeblich nach dem Zusatz »auß dem Frantzösischen ins Teutsche versetzet«, und auch die Vorrede wurde an keiner Stelle als ein Begleittext zu einer Übersetzung aus dem Französischen kenntlich gemacht. Einzig der Name Pantagruel, der Deckname, mit dem Wilhelm V. seine Vorrede signierte, könnte Eingeweihte auf die richtige Spur geführt haben. Pantagruel ist der Name einer von Rabelais erschaffenen Romanfigur. Der hessische Landgraf übersetzte ein Buch, das Bildungsgeschichte schrieb: Du Bosc stellte als Bildungstheoretiker ganz neue Maßstäbe auf, und, kaum weniger hervorhebenswert, er wandte sich mit seiner Publikation gerade nicht an die Mädchen und deren Erzieherinnen, sondern an die Frauen der vornehmen Gesellschaft. Was im deutschen Sprachraum vor 1636 in gedruckter Form erhältlich war, waren aus dem Französischen ins Deutsche übersetzte Mädchenerziehungslehren. Die unterhaltende Exempelsammlung Livre pour l’enseignement de ses f illes (1371–1372) von Geoffroy de La Tour Landry ist das früheste und eines der bekanntesten Beispiele einer ins Deutsche übersetzten Mädchenerziehungslehre.37 Kaum weniger bekannt wie das Werk selbst – es kam 1493 in Basel zum Abdruck – ist sein Übersetzer: Marquart von Stein.38 Bei den 1597 in Mömpelgard (Montbéliar) erschienenen Schönen Lehren handelt es sich um eine freie Übersetzung der Enseignemens (verfaßt 1504–1505, erschienen 1521) von Anne de France, Tochter Lud34 Zu den Eigentümlichkeiten der Titelfassungen im 17. Jahrhundert vgl. Karl Klaus Walther: Die Drucke des 17. Jahrhunderts – Betrachtungen zu ihren Bestandteilen, in: Wolfenbütteler BarockNachrichten 24, 1997, S. 373–387, hier S. 377 f. 35 Das erste Kapitel der Verhaltenslehre (»Von Bücher lesen, Vnd sonderlich Etlichen Dingen, so bey lesung dieses Buchs in acht zu nehmen seynd«) ist Gegenstand von Abschnitt 1.2. 36 Für den umgekehrten Fall ist Paulin Erdt ein gutes Beispiel. Dieser verschleierte bei Philotheens Frauenzimmer-Akademie (1783), ein Originalwerk verfaßt zu haben. 37 Cornelia Niekus Moore: Einleitung. VI. Literatur für Mädchen, in: Theodor Brüggemann u. a. (Hg.), Handbuch zur Kinder- und Jugendliteratur. Vom Beginn des Buchdrucks bis 1570, Stuttgart 1987, Sp. 110–117, hier Sp. 110. 38 Die letzte deutsche Ausgabe dieses mehrfach aufgelegten Werkes erschien 1682. Hans Joachim Kreutzer: Marquart von Stein, in: Kurt Ruth (Hg.), Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon, Bd. 6, 2., völlig überarb. Aufl. Berlin u. a. 1987, Sp. 129–135. Theodor Brüggemann (Hg.): Handbuch zur Kinder- und Jugendliteratur. Vom Beginn des Buchdrucks bis 1570, Stuttgart 1987, Sp. 739–778, 1095 f., Nr. 278, 1096 f., Nr. 278.
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wigs XI. Der Übersetzungstitel der französisch-deutschen Ausgabe von La guirlande des jeunes f illes (1. Aufl. vermutl. 1571, 2. Aufl. 1587) lautet Kräntzlein der jungen Töchter (Köln 1597); die französisch-flämische Erstausgabe dieses Werkes stammt von dem Niederländer Gabriel Meurier.39 Nach Jean Mesnard schuf Du Bosc mit seiner L’honneste femme (3 Tle., 1632–1636) das Gegenstück zum L’honneste homme ou l’art de plaire à la court (1630) von Nicolas Faret.40 Dessen Titelfassung lehnt sich an Il libro del cortegiano (Das Buch vom Hofmann) (1528) von Castiglione an. Im Untertitel der deutschen Zweitübersetzung des Cortegiano ist in auffälliger Weise von der »tugentlichen« Hoffrau die Rede. Dieser sprachliche Befund ist deshalb bemerkenswert, weil Wilhelm das französische Wort »honneste« nicht etwa mit »ehrliebend«, »honnette« oder »rechtschaffen« übersetzte, sondern mit »tugendsam«, also einer Wortvariante von »tugentlich«. Als Mitglied der Fruchtbringenden Gesellschaft mußte Wilhelm sich verpflichtet fühlen, das französische Lehnwort »honnette« aus seinem Wortschatz zu streichen. Hätte er Du Boscs »L’honneste femme« wie Caspar Bierling den »Honneste homme« von Faret übersetzt, dann trüge seine Übersetzung den zukunftsweisenden Titel »Die ehrliebende Welt-Fraw«. Doch wäre dem deutschen Publikum um 1636 ein solcher Titel suspekt gewesen. Bezeichnenderweise wurde in der deutschen Titelfassung von Le portrait d’une femme honneste, raisonnable et véritablement chrestienne (1693) das französische Wort »honneste« ebenfalls mit »tugendsam« übersetzt, obwohl die Sprachmittlerin in ihrer Vorrede offen zugibt, in den verdeutschten Text »viele Frantzösische Worte mit eingemenget« 41 zu haben.42 Baldassare Castiglione: Il libro del cortegiano del conte Baldesar Castiglione, Venedig 1528. Baldassare Castiglione: Der Hofmann, deß wolgebornen Graven, Herren Balthasars von Castiglion. […] Item ein gantz zierliche und eygentliche Beschreibung, einer adelichen tugentlichen HofFrawen […], Dillingen 1593. Nicolas Faret: L’honneste homme ou l’art de plaire à la court, Paris 1630. [ Jacques Du Bosc:] L’honneste femme, Tl. 1, 2. Aufl. Paris 1633. [ Jacques Du Bosc:] Die tugendsame Fraw, das ist: Außführlicher Wegweiser, wie sich eine tugendsame Fraw verhalten solle: daß sie neben denen Tugenden, mit welchen sie begabet ist Gott zu dienen, zugleich auch bey den Menschen angenehm vnd nützlich seyn möge, Kassel 1636. 39 Theodor Brüggemann u. a. (Hg.): Handbuch zur Kinder- und Jugendliteratur. Von 1570 bis 1750, Stuttgart 1991, Sp. 1515 f., Nr. 533, 1588 f., Nr. 609. Susanne Barth (Anm. 30, S. 311 f., 313 f.) geht auf die zwei Übersetzungen ins Deutsche in ihrer Dissertation nicht näher ein. 40 Jean Mesnard: »Honnête homme« et »honnête femme« dans la culture du XVIIe siècle, in: ders., La culture du XVIIe siècle. Enquêtes et synthèses, Paris 1992, S. 142–159, bes. S. 143 f. (Erstdruck 1987). 41 Anonym: Zuschrifft an den Leser, in: Abbé Jacques Goussault, Abbildung einer tugendsam- vernünfftig- und recht christlichen Frauen […], Heilbronn 1713, o. Sign. 42 Dagegen wird im Haupttext von dem französischen Lehnwort »honnette« Gebrauch gemacht: »Jch glaube, daß die Sorge, welche die Frauen vor ihre Reputation haben müssen, manche tugendsam erhält. Bin auch versichert, daß die Furcht in Verdrüßlichkeit zu kommen viele honnette Frauen mache.« Abbé Jacques Goussault: Abbildung einer tugendsam- vernünfftig- und recht christlichen Frauen […], Heilbronn 1713, S. 12.
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Nicolas Faret: L’honneste homme, das ist: Der ehrliebende Welt-Mann, oder die von vielen Leuten gesuchte schöne Kunst, wie einer an grosser Herren Höfen durch besondere Tugenden, und geschicktes Wolverhalten gegen männiglichen sich beliebet und belobet machen könne. Erstlichen und zwar vor wenig Jahren in frantzösischer Sprache zu Paris durch einen grossen Hoff-Mann den Herrn Faret heraus gegeben, vnd stracks darauff durch einen Leipzigschen Patricium C. B. so Studierens, und selbige königliche Hoffhaltung wol zu besehen sich zu selbiger Zeit viel Jahr daselbst auffgehalten, ins Teutsche mit Fleiß übergesetzt und zierlichen verdolmetscht, Leipzig 1647. Jacques Goussault: Le portrait d’une femme honneste, raisonnable et véritablement chrestienne, par Mr l’abbé Goussault, conseiller au Parlement, Paris 1693. Jacques Goussault: Abbildung einer tugendsam- vernünfftig- und recht christlichen Frauen, jn französischer Sprach ehemals heraus gegeben von Monsieur Goussault, Parlaments-Rath zu Paris. Nun aber jn das Hoch-Teutsche übersetzet, Heilbronn 1713.43 Der Rekurs auf literarisches Traditionsgut ist ein Textproduktionsverfahren, das beim Formulieren von Buchtiteln gerne genutzt wurde, da durch Verknüpfung mit Bekanntem Eindrücklichkeit geschaffen wurde. Das Bezugnehmen auf andere Texte wird im aktuellen wissenschaftlichen Diskurs als Intertextualität bezeichnet.44 Auf der Titelebene lassen sich Bezugnahmen zwischen Originalwerk und Originalwerk, Originalwerk und Übersetzung, Übersetzung und Originalwerk und zwischen Übersetzung und Übersetzung nachweisen. Der Titel der deutschen Übersetzung der Enseignemens von Anne de France macht beispielsweise bei dem deutschen Originalwerk Ein sehr nutzliches vnd züchtiges gesprech von junckfrewlichen guten Sitten vnnd Tugendten (1577) Anleihen (der Text stammt von einem Mann). Aus der deutschen Verhaltenslehre wird die Wendung »guten Sitten vnnd Tugendten« fast wörtlich in den Übersetzungstitel übernommen: [Anne de France:] Enseignemens – A la requeste de tres haulte et puissante dame ma dame Suzanne de Bourbon, Lyon 1521. Anonym: Ein sehr nutzliches vnd züchtiges gesprech von junckfrewlichen guten Sitten vnnd Tugendten, zwischen zweyen Gespilen, mit einnander redend, Tübingen 1577. [Anne de France:] Schöne Lehren, wie hoch vnd nidern Standts Jungfrauwen adelichen Tugenden vnd guten sitten nachfolgen sollen, auß Frantzösischem transferiert, Mömpelgard 1597. Der geringe Aussagewert des kurzen Originaltitels der L’honneste femme brachte Wilhelm vermutlich auf die Idee, einen Untertitel anzufügen. Der Titelzusatz erlaubte ihm, in Übereinstimmung mit seinen Interessen Aussagen über den Inhalt und den Nutzen des Buches zu machen. Nach der Überleitungsformel »das ist« wird zuerst mit Hilfe des Wor-
43 Dieses Werk wurde von einer Frau übersetzt. 44 Vgl. Wilfried Floeck u. a. (Hg.): Formen innerliterarischer Rezeption (Wolfenbütteler Forschungen; 34), Wiesbaden 1987. Wilhelm Kühlmann u. a. (Hg.): Intertextualität in der Frühen Neuzeit. Studien zu ihren theoretischen und praktischen Perspektiven (Frühneuzeit-Studien; 2), Frankfurt/M. u. a. 1994.
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tes »Wegweiser« das Zielpublikum definiert. Das Titelstichwort »Wegweiser« führten im 17. Jahrhundert Buchpublikationen, die für ein Laienpublikum bestimmt waren.45 Wilhelms Wegweiser umfaßt ohne Vorrede 426 Seiten im Oktavformat. Die nähere Bestimmung »Außführlicher Wegweiser« ist angesichts des Seitenumfangs des Buches nicht übertrieben. Für die Passage, die nun folgt und in der wiederholt wird, an wen die Publikation sich wendet (»wie sich eine tugendsame Fraw verhalten solle«), ist das Fehlen von statusmarkierenden Substantiven (»Hof Frawen«) und Adjektiven (»adelich«) kennzeichnend. Der Landgraf wollte Tugendbegabtheit nicht als Standestugend des Adels verstanden wissen. Daher schränkte er die soziale Zusammensetzung des Adressatinnenkreises nicht ein, sondern hielt sie so offen wie möglich. Laut Untertitel lehrt die gedruckte Wegweisung die Frau, was ihr Seinszweck ist und wie sie diesen am besten erfüllt. Das Buch hilft der tugendsamen Frau, sich zum Ruhme Gottes und zum Nutzen der Menschen weiterzubilden. ›Tugend‹ meint hier die Verbindung von Seelenbildung, Charakterfestigkeit und sozialer Kompetenz. Das Amt, das dem löblichen Frauenzimmer übertragen wird, zielt darauf hin, den Mann, insbesondere den Mann von Adel, fortan zu kritisieren, wenn sein Verhalten den Normen einer standesgemäßen Aufführung zuwiderläuft. Das beschriebene Amt ist das der Anstandslehrerin: Es soll aber allhier die sage eben nicht seyn, von groben vnd grossen sünden, oder solchen thaten, die da auß der Bibel oder Rechtsbüchern müssen erkleret vnd erörtert weren, sondern von gemeinen, vnd vornehmlich den Rittersleuten vbel anstehenden sachen, welche entweder der zeit darinn die leben, oder jhrem stande, gestalt vnd wesen nicht wohl anstehen vnd geziemen, alß welche jhre geberden, behutsamkeit im reden, gedult im anhören, willfährigkeit im schweigen, vnd im gebrauch der gedancken die man zu treffen, angehen. Alldieweil das genugsam bekandt, daß anderer mängel vnd gebrechen, so da erzehlter massen beschaffen, zu tadeln vnnd herauß streichen, das löbliche Frawenzimmer vor andern sehr geneigt ist, so finde ich demnach kein besser mittel, alß daß man denselbigen dieses ampt aufftrage vnd vberlasse […].46
Weit konkreter noch als aus der Titelfassung geht aus der Vorrede zur Tugendsamen Fraw hervor, zu wessen Nutzen die Adressatin sich die Lehren des Buches aneignen soll. Was aber hat die Adressatin davon, die Verhaltenslehre von Pantagruel zu lesen und die darin enthaltenen Lehren zur Leitschnur ihres Denkens und Handelns zu machen? Wird sie beliebter, wenn sie ihren Charakter und das Verhalten anderer vervollkommnet? Wird sie
45 Maria Fabry: Trewhertziger Wegweiser, zu einem christenlichen gottseligen Leben, vnd Absterben, auß heiliger Schrifft zusammen gezogen […], Basel 1626. Arnold Müller: Jugendt-Wegweiser und nützlich Vorschrifften-Büchlein. Mit welchem gruntlich Schreiben, kurtz Brieffstellen, und viel gutes gelehret wird, hat Arnold Müller […] mit eigner Handt geschrieben, und vorgestellt, Lübeck 1629. [Georg Engelsuess:] Wegweiser zur Höffligkeit in geist- u [sic] weltlichem Standt mit der Hauß Regel wie ein ieder Standt sein Hauß wesen an stellen soll, Frankfurt/M. 1648. [August Bohse:] Getreuer Wegweiser zur teutschen Rede-Kunst und Brieffverfassung, Leipzig 1692. 46 Pantagruel [Pseud., Landgraf Wilhelm V. von Hessen-Kassel]: Vorrede, in: [ Jacques Du Bosc,] Die tugendsame Fraw, das ist: Außführlicher Wegweiser, wie sich eine tugendsame Fraw verhalten solle: daß sie neben denen Tugenden, mit welchen sie begabet ist Gott zu dienen, zugleich auch bey den Menschen angenehm vnd nützlich seyn möge, Kassel 1636, Bl. a2a–a4b, hier Bl. a3b.
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durch die erlangte Bildung für Männer anziehender, so daß sie durch Heirat in eine höhere Schicht aufsteigen kann? Oder kann sie sich bei richtiger Umsetzung des Gelernten auf himmlichen Lohn freuen? 47 Die Vorrede gibt auf Fragen nach dem persönlichen Nutzen des Wegweisers für die Adressatin keine Antwort. Dies ist insofern nicht überraschend, als die Vorstellung, der Mann dürfe die Frau für »höhere« Zwecke in Anspruch nehmen, sowohl durch die Kirche, die bei diesem Geschlecht Eigennützigkeit und Selbstliebe verurteilte, wie durch die Normativität des Faktischen gerechtfertigt wurde.48 Allerdings prallte die Doktrin von der Untertänigkeit der Frau mit den Interessen von Verlegern zusammen. Die Ausgefuchsten unter ihnen wußten, wie wirkungsvoll es war, an die egoistischen Motive im Menschen zu appellieren, wenn man mehr Bücher absetzen wollte. Zum Beispiel lockte der Verleger Georg Conrad Gsellius Frauen mit der Ankündigung, die Regeln der Herzogin von C. würden der Adressatin dazu verhelfen, »ihr Ansehen und guten Nahmen zu erhalten«. Aus dieser Titelphrase geht der persönliche Nutzen, den eine Frau aus der Lektüre des Buches ziehen kann, in nicht mißzuverstehender Deutlichkeit hervor. In gleicher Weise hatten auch schon die Verleger des französischen Originals die Leserinnen umworben. Es mag daher kein Zufall sein, daß die Conseils d’Ariste à Célimène (1665) zweimal ins Deutsche und vom Deutschen ins Russische übersetzt wurden.49 [François Hédelin, Abbé d’Aubignac:] Les Conseils d’Ariste à Célimène sur les moyens de conserver sa reputation. Pièce très curieuse, Paris 1665. Weitere Aufl. u. Ausg. 1666, 1667, 1674, 1677, 1685, 1686, 1687, 1692.50 [François Hédelin, Abbé d’Aubignac:] Des galanten Frauenzimmers kluge Hofmeisterin, aus dem Französischen ins Teutsche übersezt, Leipzig 1696. 2. Aufl. 1711. [François Hédelin, Abbé d’Aubignac:] Der Charakter eines vollkommenen Frauenzimmers, in den klugen Regeln welche die Herzogin von C*** unter den [sic] Nahmen Ariste der Princeßin Celimene gegeben, wegen der Mittel ihr Ansehen und guten Nahmen zu erhalten, Celle 1749. Weitere Aufl. 1763. Angeblich 7. Aufl. 1764. 47 Die ausfaltbare Titelgraphik zu Vincenzo Nolfis Unterweisung des Frauenzimmers oder Lehr-Sätze der Höflichkeit für eine adeliche Dam (1690) arbeitet mit der suggestiven Vorstellung, daß Frauen, die die Lehrsätze des Buches beherzigen, von Athena, der Göttin der Weisheit, ein Lorbeerkranz überreicht wird. 48 Die kirchliche Doktrin von der Untertänigkeit der Frau stand zwar im Widerspruch zur Gottebenbildlichkeit des weiblichen Geschlechts, daran störte sich in der Frühen Neuzeit aber kaum jemand (vgl. zu diesem Problemkomplex Abschnitt 2.2). 49 Der Haupttitel der deutschen Zweitübersetzung ähnelt in Aufbau und Aussage den nachfolgend aufgeführten Titeln der englischen (Teil-)Ausgaben von Du Boscs L’honneste femme: The Compleat Woman (1639), The Excellent Woman Described by her True Characters and their Opposites (1695) und The Accomplish’d Woman (1753). 50 Malquori Fondi ermittelte nur die Auflagen von 1665, 1667, 1685, 1686 und 1692. Giovanna Malquori Fondi: »Les Conseils d’Ariste à Célimène« de l’abbé d’Aubignac: un »discours« masqué?, in: Ulrich Döring u. a. (Hg.), Ouverture et dialogue. Mélanges offerts à Wolfgang Leiner à l’occasion de son soixantième anniversaire, Tübingen 1988, S. 289–304, hier S. 298, Anm. 3.
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[François Hédelin, Abbé d’ Aubignac:] Svoístvo sovershennoí zhenshchiny […] [Eigenschaften des vollkommenen Frauenzimmers, SK], St. Petersburg 1764. Die Titelfassung der Tugendsamen Fraw spiegelt mit Sicherheit nicht das verlegerische Kalkül von Johann Schütz. Der hessische Landgraf hatte alle Freiheit und nahm sie sich. Selbst wenn der Landgraf es nicht ausschlug, sich vom Verleger Schütz beraten zu lassen – letztlich war es ihm überlassen, welche Titelfassung gedruckt wurde. Nicht um eine rhetorische Norm zu erfüllen 51 oder die L’honneste femme ihres Nimbus’ des Fremdartigen zu berauben,52 nahm der Landgraf Eingriffe in das Original vor (Erweiterung der originalen Titelfassung, Hinzufügung einer fingierten Autorvorrede), sondern um die moralisch-sittliche Verwahrlosung der Rittersleute in Deutschland zu stoppen. Mit seiner in der Vorrede erhobenen Forderung, die Frau solle den Mann, gleichgültig ob mit ihm verheiratet oder nicht, tadeln und belehren, um ihn anständiger zu machen, stellte er die traditionelle Rollenverteilung zwischen Mann und Frau ansatzweise auf den Kopf.53 Indem er Frauen auf einen neuen gesellschaftlichen Handlungsbereich verpflichtete, hat er nach mehr Macht und Freiheiten strebenden Frauen einen möglicherweise folgenreichen Gefallen erwiesen, freilich ohne dies in bewußter Absicht zu tun. Seine erklärte Intention bestand darin, die Fehler der Männer mit Hilfe einer Schwäche der Frau, ihrer angeblichen Rachbegierde, auszutreiben: Auff daß aber das löbliche frawenzimmer desto leichter dieses ampt anzutretten bewogen, vnd desto eifferiger darinnen befunden werden möge, so habe ich nichts bessers zu seyn erachtet, alß diß Buch, welches von all ihrem thun ziemlich deutlich, doch mit aller ehrerbietung vnd bescheidenheit handelt, demselben ins gesampt zuzuschreiben, der gäntzlichen hoffnung vnd zuversicht, es werde, seinem löblichem [sic] gebrauch nach, vnd wie es von natur zur rache geneigt ist, sich sehr bald zu rechnen, vnd 51 Frederick M. Rener: Zur Übersetzungskunst im 17. Jahrhundert, in: Acta neophilologica 7, 1974, S. 3–23, hier S. 23: »Von der Rhetorik übernahm die Übersetzung das unbedingte Streben nach Klarheit, d. h. die Tendenz, Unklarheiten im Text durch erklärende Zusätze zu entfernen. Zum Bemühen, die Aufmerksamkeit des Lesers zu jeder Zeit zu fesseln, traten weitreichende, von unserem modernen Standpunkt aus unannehmbare Freiheiten (veniae), durch Erweiterungen oder Auslassungen und sogar Änderungen der Figuren aktiv in den Text des Originals einzugreifen, wenn dadurch die Durchsichtigkeit des Textes gefördert wurde.« 52 Mit Hilfe von Einbürgerungsstrategien konnte dem Eindruck entgegengearbeitet werden, das Buch wende sich primär an Frauen des Auslandes: »Höre denn, o Tochter Deutschlandes!« Ein Rezensent schrieb über die deutsche Übersetzung von The Polite Lady or a Course of Female Education, in a Series of Letters from a Mother to her Daughter (1760): »Ich wünschte, daß der Uebersetzer dieses Buch noch brauchbarer für Deutsche Leserinnen eingerichtet, und um ein Exempel anzuführen, wo Englische Autoren stehn, unsere Schriftsteller angeführt hätte (z. E. 429) denn es ist nicht zu verlangen, daß sie selbst dieses thun sollen.« Anonym: Rez. o. T. [Das wohlgezogene Frauenzimmer (1767)], in: Deutsche Bibliothek der schönen Wissenschaften 1, 1768, St. 4, S. 154–155. 53 Das Innovative an der Vorgehensweise von Wilhelm V. fördert der Vergleich seiner Titelfassung mit der eines ebenfalls 1636 erschienenen Originalwerkes zutage: Anonym: Frawen Pflicht: zu lernen Gott vnd ihre Männer zu gehorsamen, vnd nach Gottes Willen zu leben, ein christliche Ermahnung an sie gelanget, wie auch ein Versicherung vnnd Offenbahrung des Worts vnd Willen des allmächtigen Gotts, vnd seines Sohns JEsu Christi. Durch eine tugendreiche Fraw, Liebhaberin Christi, an all ehrliebende Frawen vnd Jungfrawen die ererben wollen die Seligkeit, Amsterdam 1636.
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den Rittersleuten ihr wesen vnd handel hinwiederumb vorzulegen vnd zu beschreiben nicht vnterlassen, dabey aber, weil sie vielleicht, alß ohne das empfindlich, etwas mögen gerühret seyn, desto weniger höflichkeit vnd stillschweigen gebrauchen, nichts verbeissen, sondern die klare, reine, nackende warheit herauß zu sagen: Vnnd ob auch gleich einiger eyffer vorgehen, vnd dasselbe vbertragen möchte, so weit, daß es etwas stärcker alß sonsten herauß gehen dörffte, wird doch solches die schwachheit jhres geschlechts, vnnd höflichkeit der jenigen, denen es zu ehren vnd besten vielmehr, alß schimpff angesehen, entschüldigen, vnd die arbeit nicht weniger fruchtbar vnd dienlich machen, den gewünschten zweck zu erlangen, alß ich begierig dasselbe zu sehen vnd zu erleben, ja auch zu beweisen, wie geflissen ich sey dessen gutes [sic] lehren, straffen vnd vermahnungen zu folgen, alß der ich ohne das, Deß löblichen Frawenzimmer gehorsamer Diener sterbe, Pantagruel 54
Problemkreis 2: Wie kann die Kompetenz des Autors/der Autorin der Ausgangskultur sowie des Übersetzers zielgruppenorientiert kommuniziert werden? Ein nichtakademisches Publikum von der Kompetenz des Autors der Ausgangskultur sowie des Übersetzers zu überzeugen, stellte für Verlage selten eine größere Herausforderung dar, schwieriger wurde die Angelegenheit erst, wenn der Name des Autors nicht bekannt war oder nicht zur Veröffentlichung freigegeben wurde. Meist wurde bereits im Buchtitel kräftig Reklame gemacht. Die folgende vornehmlich auf der Basis der obigen bibliographischen Übersicht erstellte Liste zeigt, welche in die Titelfassung integrierten Personal- und sonstigen Angaben als geeignet empfunden wurden, das Publikum von der Kompetenz der an der Textproduktion Beteiligten zu überzeugen: – Epitheta wie »berühmt«, »hochgelehrt«, »ruhm-bekannt«, »tiefsinnig« (»Desz hochberühmten Herrn Doctor Jacob Cats Jungfern Pflicht«) – akademische Titel und Würden (»Herrn Doctor Jacob Cats«) – der ehrenvolle Beruf oder ein beruflicher Höhepunkt (»Monsieur Goussault, Parlaments-Rath zu Paris«, »Herrn Du-Puy vormahlichen Secretarii bey der Friedens-Handlung zu Ryßwick«) – die vornehme Abkunft (»Herzogin von C***«) – die Mitgliedschaft in einer angesehenen Sozietät (»Verfasset durch einen Mitgenossen der hochlöblichen Frvchtbringenden Gesellschaft«) – Lob, das sich auf den Inhalt des übersetzten Werkes bezieht, denn ein solches Lob ehrte zugleich denjenigen, der das Werk verfaßte (»Wegen ihrer Fürtrefflichkeit aus dem Frantzösischen ins Teutsche übersetzt«) – Widmung der Publikation an eine fürstliche Person55 54 Pantagruel (Anm. 46), Bl. a4ab. 55 Einzig und allein Widmungsempfänger(innen), die den Rang eines Fürsten/einer Fürstin bekleideten, durften auf Titelblättern als solche ausgewiesen werden. Einen schweren Fauxpas beging daher der geistig verwirrte Johann Ernst Philippi mit seiner Titelgebung: Der Marquisin von Sablé Hundert ver-
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– Erwähnung, daß das Werk zur Entstehungszeit für eine vornehme Person verfaßt wurde, weil hierdurch der Eindruck erweckt wurde, der Autor habe seine Befähigung bereits unter Beweis gestellt (»Lehr-Sätze der Höflichkeit für eine adeliche Dam [das ist: Hippolyta Uffreducci, SK]«) Als in dieser Hinsicht geeignet empfand man auch Autor(inn)enporträts oder ein den Autor/die Autorin ehrendes Denkmal auf dem Frontispiz, seltener auf dem Haupttitelblatt. Auch die Seiten nach den Titelblättern wurden genutzt, um das Publikum von der Kompetenz der für die Textinhalte Verantwortlichen zu überzeugen. Als Beispiel diene der Widmungsbrief zum Frauenspiegel von Nicolas Caussin (1583–1651). Nicolas Caussin: La cour sainte. Tome second. Le prelat. L’homme d’estat. Le cavalier. La dame. Par le R.P. Nicolas Caussin de la Compagnie de Jesus, 4. Aufl. Paris 1629. 1. Auf l. 1629. Nicolas Caussin: Spiegel deß hochadelichen christlichen FrawenZimmers, das ist: Clotildis erste christliche Königin in Franckreich, welche durch jhren inbrünstigen eyffer im catholischen Glauben, Clodouaeum einen häydnischen König in Franckreich jhren Gemahl, sampt dem gantzen Königreich durch sich selbsten: durch jhre Mönib Indegundam aber, das spanische Königreich zum Christenthumb bekehrt. Vnnd ist das vierdte Buch deß andern theils Aulae sanctae R. P. Nicolai Caussini Societ. Iesu in frantzösischer Sprach außgangen. Jetzt aber von P. Henrico Lamormaini, gemelter Societet Priester, auß frantzösischer Sprach in die lateinische, und nachmal von zween andern derselben Soc. in die teutsche Sprach versetzt: vnd durch Mühverwaltung besagtes Patris Henrici Lamormaini in Truck verfertiget, Köln 1642. 2. Aufl. 1648. Über die Entstehung der deutschen Übersetzung des zehnten Buches (»La Dame«) von Caussins La cour sainte (5 Bde., 1624–1645) berichtet der Jesuit und Theologe Henri Lamormain (1575–1647) 56 in der »Epistola Dedicatoria«, er habe, nachdem er selbst die »aulam sanctam« des Jesuiten Nicolas Caussin ins Lateinische übersetzt habe,57 einen Priester (laut Buchtitel waren es zwei) seines Ordens damit betraut, seine lateinische Fassung ins Deutsche zu bringen. Henri Lamormain war – dies ist ein nicht unwesentliches Detail – der Bruder des Jesuiten Guillaume Germé de Lamormain (1570–1648), der als Beichtvater (seit 1624), Politikberater, Vertrauter und Biograph von Kaiser Ferdinand II. eine einflußreiche Stellung am Kaiserhof innehatte.58 Was Henri Lamormain schrieb, erhielt durch den bekannten Bruder zusätzliches Gewicht. In Bezug auf Caussins »La nünfftige Maximen, mit 366. moralischen Bildnüßen erläutert; Ihrer Fürtreffligkeit wegen aus dem Frantzösischen übersetzet, und mit einer Zuschrifft an Ihro Hochwohlgebohren, die Frau von Ziegler, käyserl. gekrönte Poetin, und der Deutschen Gesellschaft zu Leipzig Mitglied, begleitet von D. Johann Ernst Philippi, der deutschen Wohlredenh. oeffentl. Lehrer zu Halle (1734). 56 Carlos Sommervogel: Lamormaini, Henri de, in: ders., Bibliothèque de la Compagnie de Jésus. Bibliographie, Bd. 4, 2. Aufl. Brüssel u. a. 1891, Sp. 1431–1434. 57 Nicolas Caussin: Avla sancta complectens […], 2 Bde. in 4 Tln., Wien 1635–1638. 58 Elisabeth Kovács: Einflüsse geistlicher Ratgeber und höfischer Beichtväter auf das fürstliche Selbstverständnis, auf Machtbegriffe und politische Entscheidungen österreichischer Habsburger während des 17. und 18. Jahrhunderts, in: Cristianesimo nella storia 4, 1983, S. 79–102, hier S. 99.
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Dame« war der Theologe der Meinung, dem weiblichen Geschlecht wäre es dienlich, sich mit den Lehren eines so vortrefflichen, heilsamen und nützlichen Buches bekannt zu machen. Mit diesen Worten wurden alle Zweifel an Caussins Autorität als Autor zerstreut. DEmnach ich AVLAM SANCTAM P. Nicolai Caussini vnserer Societet Priester, das Buch, die Heylige Hoffhaltung genant, so in zehen Bücher beschrieben, auß der Frantzösischen in die Lateinische sprach versetzt hatte: mich aber das letzte auß denen zehen Büchern (so deß andächtigen Weiblichen Geschlechts halber vom gemelten Auctorn beschrieben) in die Teusche sprach als deren gar zu wenig erfahren, zuuersetzen nicht wohl vnderstehen vnd trawen dörffte, gleichwohl aber solches zuuerrichten höchstes verlangen hatte; hab ich bey mir selbst gedacht vnd berathschlaget, was dißfals zu thun rathsamb were, damit dannoch meinem verlangen ein genügen geschehe, vnd auch dem andächtigen Weiblichen geschlecht (so der Lateinischen sprach meistens vnerfahren) wilfahren vnd dienstlich sein kündte, so viel dardurch zurichten, auff daß sie eines so fürtrefflichen, auch denen so heilsamen, vnd nutzbarn Buchs vollkommene wissenschaft haben kündten: hat mir auß allen andern vilen vnd vnderschidtlichen weiß vnd manier, so mir vorkomme, dise für die beste vnnd gelegneste zu sein gedünckt vnd angesehen: als nemblich etwan einen Patrem vnserer Societet der Teutschen sprach wol erfahren, anzusprechen, welcher der frucht vnnd nutz halber, so auß versetzung der Teutschen sprach zweyfels ohne nicht gering zu hoffen, solches verrichten, vnnd als dan in seinem namen in Truck verfassen künte.59
Die beiden Ordensbrüder, die auf Lamormains Wunsch hin das Buch verdeutscht hatten, ließen sich nicht überreden, einen Begleittext zur Übersetzung zu verfassen (gedacht war an eine Widmungsvorrede).60 Diese Aufgabe fiel daher an Lamormain, der das Buch der Freifrau Catharina Leonora von Paar, geb. Freifrau Herberstorff,61 widmete, die seiner Ansicht nach fast alle Tugenden verkörperte, die auch Kaiserin Euphrosyna, eine der Hauptpersonen des Frauenspiegels, zu eigen waren. Auf die Tugendhaftigkeit von Catharina Leonora von Paar aufmerksam geworden, hatte die erste Frau von Ferdinand III., Kaiserin Maria Anna von Spanien (1606–1646), die Freifrau zur Oberhofmeisterin angenommen. Lamormain hielt dafür, die dem weiblichen Geschlecht anstehenden Tugenden – »die andacht, Gottesforcht, keuschheit, bescheidenheit, verständigkeit, zucht, vnd ehrsamkeit, Ehliche trew, vnnd letzlich sorgfeltigkeit, wohl vnd lobwürdig kinder zu erziehen« 62 – seien bei der Freifrau von Paar sämtlich anzutreffen: Vermein vnd halt gentzlich dafür, daß dise vnnd dergleichen andere tugendten mehr in einem so hohen gradt der vollkommenheit sich in E. G. [Euer Gnaden, SK] befinden, daß fast einem Weibs59 Henri Lamormain: Epistola Dedicatoria, in: Nicolas Caussin, Spiegel deß hochadelichen christlichen FrawenZimmers […], Köln 1642, Bl. (?)3a–(?)7a, hier Bl. (?) 3ab. 60 Ebd., Bl. (?)3b–(?)4a: »Disem nach seind zwar mit meinem grossen trost gefunden worden, welche dises Buch zuuerteutschen auff sich genommen, solches aber in teutsch zuuerfassen, von sich geschoben, vnnd mir vberlassen.« 61 Der Widmungsbrief ist überschrieben: »Der wolgebornen Frawen Fr. CATHARINAE LEONORAE, Freyin Herberstorff, der Römischen Käys. Mayest. hoch Adelichen Teutschen Frawen-Zimmer Obristen Hoffmaisterin.« In der Zuschrift findet sich die Zusatzinformation: »Catharina Eleonora ihr Gnaden H. Christophori, Freyherrn von Paar, löblichster gedechtnuß hinderlassene Wittib«. 62 Die Aufzählung übernimmt die Funktion einer Inhaltsangabe des Buches. Lamormain (Anm. 59), Bl. (?) 5a.
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bildt höher gnugsamb auß disem allein abzunehmen, vnnd zu erkennen, daß auß so grosser meng, vnd anzahl viler hochansehlichen Wittiben, Ihr Mayestet die Regierende Käyserin Maria Ferdinandi deß drittens Gemahl vnser allergnädigste Fraw, als ein so hoch vernünfftige, aller andacht vnd Gottesforcht ergebene Käyserin vnnd Fraw, E. G. allein außerkohren vnd erwöhlet, auff daß auch E. G. nit allein mit dem wort, sondern auch vnnd viel mehr mit dem Exempel vnd Gottseeligen wandel, die von grossen hohem Geschlecht vnd herkommen gebürtige Hofffrewle, so der zeit ihr May: [Mayestet, SK] auffwarten, bald aber entweder villeicht zur Gespons vnnd Braut CHristi, oder aber grosser Herren vnd Potentaten Gemahle werden, die jenige tugenten lehren mögen, welche den Gesponsten CHristi, oder solcher ansehnlicher Männer Gemahel zu haben wol anstehen vnnd vonnöthen.63
Die Heilige Hofhaltung, so wird der adligen Widmungsempfängerin geraten, solle sie mit Fleiß lesen und es auch den ihr Anvertrauten – den in Ausbildung stehenden Hofdamen der Kaiserin sowie deren zwei Töchtern – zum Lesen geben. Wie dem Widmungsbrief weiter zu entnehmen ist, wurde die Oberhofmeisterin ihrem Amt und Ansehen auch in der Form gerecht, daß sie den Jesuiten Wohltaten zukommen ließ, zum Beispiel hatte sie in der Vergangenheit Übersetzungsprojekte Lamormains finanziell unterstützt (möglicherweise durch Druckkostenzuschüsse). Lamormain hatte also allen Grund, sich der Oberhofmeisterin erkenntlich zu zeigen und das übersetzte Buch ihr zu widmen. Weilen aber niemand in disem sterblichen Leben gefunden wird, der also beschaffen vnnd so vollkommen were, daß er nit etwan zu zeiten eines vnnd deß andern Rath vnnd hülff bedürfftig, vnnd von nöthen habe. Dahero hab ich auß schuldiger danckbarkeit, wegen der so wol vnserm Profeß Hauß, als auch mir ein Particular (da mir E. G. in versetzung etlicher Frantzösischer Büchlein in die Lateinische sprach gantz freygebig den vnkonsten daran gestreckt) von E. G. erwisenen wolthaten, diß zehende Buch der H. Hoffhaltung, so vor disem von Auctorn [von Caussin, SK] zufleiß denen Hochansehnlichen Matronen, der Frantzösischen nation dediciert worden, an jetzo aber in die Teutsche sprach verfast E.G. in aller gebührenden demut zu offeriren, vnd zu zueignen für billich erkennet. Dises buch wolle E. G. mit fleiß lesen, auch denen E. G. anuertrawt, beforderst aber ihren hochgeliebten Fräwlein Töchtern, als Perpetuae vnd Veronicae, zu lesen vbergeben vnnd zukommen lassen. In disem, glaube mir E. G. wird sie in denen sachen, so ihr ampt betreffen, ein gewisse hülff erfahren, auch in allen zustehenden trübsal vnd widerwertigkeit, trost vnnd linderung empfinden; die jenigen hoch Adelichen vnd Wohlgebornen Fräwlein aber, so E. G. direction vbergeben, wan sie es mit auffmercksambkeit Lesen, in was standt sie sich befinden, werden sie nit geringen nutz vnnd trost darauß schöpffen, mit welcher alles das jenige, was etwan in einem Jedwedern stande schwer fürkombt, leichtlich zu tragen, vnnd zu erdulden sey.64
Es ist nicht überliefert, ob Lamormain von dem im katholischen Köln ansässigen Kinckius-Verlag aufgefordert wurde, einen Widmungsbrief zur Caussin-Übersetzung zu verfassen, daß er es tat, gereichte dem Verlag aber zum Vorteil, denn Theologen waren, was die Bestätigung der Qualität von geistiger Arbeit anbetrifft, so gut wie immer glaubwürdige Personen. Aber auch Lamormains Bekanntschaft mit Catharina Leonora von Paar, die ein so hohes Amt bekleidete, als Tugendexempel gerühmt wurde und seine Gönnerin war, erhöhte die Glaubwürdigkeit der Aussagen des Widmungsbriefes.65 63 Ebd., Bl. (?) 5ab. 64 Ebd., Bl. (?) 6ab. 65 Eine vergleichende Betrachtung läßt einmal mehr den kreativen Grundzug im Denken von Wilhelm V. von Hessen-Kassel hervortreten. Während der Jesuit die traditionelle Rollenverteilung fortschrieb,
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Für Verlage und das Publikum war es nicht ein- und dasselbe, ob die deutsche Fassung eines fremdsprachigen Werkes von einer Frau oder einem Mann stammte. Eine Möglichkeit, um zu verhindern, daß gefühlsmäßige Abneigungen sich negativ auf den Absatz von Autorinnenliteratur auswirkten, bestand darin, die Veröffentlichung einer hochstehenden Dame zu widmen und Vorworte abzudrucken, die weit über das übliche Maß hinausgehend die Leistungen und Verdienste der Autorin würdigten. Wie dies konkret aussehen konnte, läßt sich an den Übersetzungen der Verhaltenslehre von Jeanne de Liancourt veranschaulichen. [ Jeanne de Liancourt:] Règlement donné par une dame de haute qualité à M*** sa petite-fille pour sa conduite, et pour celle de sa maison: avec un autre règlement que cette dame avoit dressé pour elle-mesme, Paris 1698. [ Jeanne de Liancourt:] Reglement donné par une dame de haute qualite [sic], oder Anweisung zum rechtschaffnen Leben von einer sehr vornehmen Standes Dame für Mde. - Ihre[s] Sohns Tochter, damit selbe so wol für sich selbst, als gegen die Ihrige sich möge heilig und wol aufführen gestellet, nebst andern Lebens-Regeln, so diese Dame sich selbst zum besten verfaßt. Jedweden absonderlich vornehmen Personen und gantz sonderlich vornehmen Frauenzimmer zu sehr weiser und heiliger Vorstellung, wie zu leben. Erstlich zu Paris hernach zu Brüssel gedruckt, nun aber aus dem Frantzösischen ins Teutsche übersetzt, Leipzig und Stendal 1713. [ Jeanne de Liancourt:] Einer Hertzogin aus Franckreich Regeln für das Frauenzimmer hohen Herkommens, wie auch wie die Kinder hohen und niedern Standes zu erziehen, aus dem Französischen übersetzt. Nebst einer Vorrede des Editoris von der schönen Schreibart aus Vergleichung mit der Music. Ans Licht gegeben von M. Fridr. Christoph Oetinger, SpecialSuperintendenten zu Weinsperg im Würtembergischen, Heilbronn 1754. Weitere Ausg. Tübingen 1754. Bei den Reglement donné par une dame de haute qualite, oder Anweisung zum rechtschaffnen Leben (1713) von Jeanne de Liancourt konnte der Campe-Verlag auf werbewirksame Vorarbeiten des Pariser Verlagshauses Leguerrier aufbauen. Das Manuskript der schon vor Jahren verstorbenen Jansenistin Jeanne de Liancourt, geb. de Schomberg (1600–1674), einer Freundin der fast gleichaltrigen Madeleine de Sablé, ebenfalls Jansenistin, hatte der Abbé Jean-Jacques Boileau (1649–1735) 66 dem Verlag offeriert. Boileau erklärte sich unter der Bedingung, ungenannt zu bleiben, bereit, einen einleitenden Text zum nachgelassenen
ermächtigte der Landgraf in seiner »Autorvorrede« (Erscheinungsjahr 1636) die Frauen, in eine neue Rolle zu schlüpfen, damit seine Landsleute unter den harten, geistfeindlichen Bedingungen des Krieges umgängliche, aufgeschlossene Menschen bleiben oder werden können. 66 Er war der ältere Bruder des berühmten Poeten und Kritikers Nicolas Boileau-Despréaux. Émile Magne: Bibliographie générale des œuvres de Nicolas Boileau-Despréaux et de Gilles et Jacques Boileau suivie des luttes de Boileau. Essai bibliographique et littéraire, 2 Bde., Paris 1929, Bd. 2, S. 335–365. J[aques] Boileau: De l’abus des nudités de gorge attribué à l’abbé J. Boileau, Paris 1858 (Erstausgabe 1675).
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Werk zu verfassen. Trotz ihrer außergewöhnlichen Länge 67 wollten die deutschen Verleger auf die Boileausche Vorrede nicht verzichten, da die darin enthaltene Lebensbeschreibung der Autorin deren fromme Gesinnung und zugleich die Praxistauglichkeit der Verhaltensregeln, die Jeanne de Liancourt für sich und ihre Enkelin Jeanne-Charlotte du Plessis (1645–1669) 68 aufgezeichnet hatte, bestätigte. Die deutschen Verleger wollten es aber beim Abdruck der überlangen Vorrede von Boileau nicht bewenden lassen. Der Verleger Ernst Heinrich Campe widmete die Règlement-Übersetzung Theodora Adriana von Knesebeck, geb. von Müllendonck. Er hatte Kenntnis davon erhalten, daß die Widmungsempfängerin das posthum veröffentlichte Werk kannte und schätzte, weshalb sie es ins Deutsche hatte übersetzen lassen. Als Frau hohen Herkommens – aber bei weitem nicht so hohen Herkommens wie Jeanne de Liancourt, Tochter eines Herzogs, Pairs und Marechals von Frankreich – war sie »am würdigsten, alles, so in dieser Anweisung fürkommt, zu beurtheilen«. Deutlicher hätte man nicht ausdrücken können, daß das Werk in Deutschland die Feuertaufe bereits bestanden hatte. ERkühne mich mit tifesten respect zu offerieren ein Buch daß von einer Dame de Haute Qualite weißlich verfertiget und als eine kluge Unterweisung ihrer Petite Fille fürgeschrieben worden; Wie nun Jhre Gnaden Selbst ein vollenkommen Fürbild einer solchen Dame in ihren Hohen Stande und gantzen Wandel (ohne flatterie) vorstellen; Also sind sie am würdigsten, alles, so in dieser Anweisung fürkommt, zu beurtheilen, und werden demnach destoweniger ungnädig deuten, daß ich mich unternommen Jhren Hohen Nahmen diesem Wercke vorzusetzen, zumahlen von gewisser Hand versichert worden, daß Jhre Gnaden dieses Werck aus sonderbahrer estim ohnlängst schon ins Teutsche übersetzen lassen, welches mich denn destomehr kühne gemacht daßjenige, so ich ohnedem mit submisser Zueignung dieses Tractats vorhatte, ohne ferneres Bedencken ins Werck zu setzen; Nachdeme ich von langer Zeit her gewünschet Jhrer Gnaden mit Zuschrifft eines angenehmen Buchs mich gehorsamst zu empfehlen, auch dero erwünschte Gnade näher zu suchen und auszubitten, welches Jhre Gnaden, indem es hier durch verrichte, gantz gnädig aufzunehmen geruhen.69
Der namentlich nicht genannte Übersetzer des Werkes war laut Titelaufnahme der »Damenbibliothek« Ernst Heinrich Lange; womöglich ist er mit Ernst Heinrich Campe identisch.70 Er scheint Theologe gewesen zu sein, jedenfalls läßt die Vorrede, die er für das Werk verfaßte, auf eine tiefere innere Anteilnahme und theologische Sachkundigkeit, die Inhalte des Buches betreffend, schließen:
67 [ Jean-Jacques Boileau:] AVERTISSEMENT, in: [ Jeanne de Liancourt,] Règlement donné par une dame de haute qualité à M*** sa petite-fille […], Paris 1706, S. 3–55. 68 Jeanne-Charlotte du Plessis heiratete den Sohn von François de La Rochefoucauld. Jean Lesaulnier: Les Liancourt, leur hôtel et leur hôtes (1631–1714), in: Jean Lafond u. a. (Hg.), Images de La Rochefoucauld. Actes du tricentenaire 1680 –1980, Paris 1984, S. 161–200, hier S. 188. 69 Ernst Heinrich Campe: […] Meiner Gnädigen Frauen, in: [ Jeanne de Liancourt,] Reglement donné par une dame de haute qualite, oder Anweisung zum rechtschaffnen Leben […], Leipzig u. a. 1713, Bl. )(1b–)(2b, hier Bl. )(1b–)(2a. 70 »Anweisung zu einem rechtschaffenen Leben von einer sehr vornehmen Standes-Dame für Mde. Jhre Sohns Tochter etc. gestellet etc. aus dem Französischen ins Teutsche übersetzt (von Ernst Heinr. Lange.) Leipz. [1]713.«
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ES hat mich bewogen dieses Buch zu übersetzen (1) weil es so gar weise und heilig lehret, wie jeder rechtschaffen göttlich soll gesinnet seyn, und es anstellen, daß er gegen GOtt, sich selbst und andre Menschen heilig wandele. (2) Weil über dem vornehmen Personen, und absonderlich vornehmen Frauens-Personen, von einer so hohen Dame, derer Stand und Würde wenig erreichen, solche H. Regeln rechtschaffen zu leben, in so angenehmer Kürtze, an die Hand gegeben werden.71
Die Wortwahl des Übersetzers legt die Vermutung nahe, er könnte Pietist gewesen sein. An einer Stelle spricht er vom »viehischen Wesen« des gemeinen Mannes. Er gibt der Hoffnung Ausdruck, man möge es ihm nicht ungleich auslegen, daß er die Lebensregeln einer »Papistischen Person« in unserer Sprache vor Augen lege. Obwohl die »Päbstischen Kirchen« in einigen Dingen gefehlt habe, sei es richtig, den Nutzen, den die fremden Religionsverwandten zu bieten hätten, öffentlich bekannt zu machen.72 Anstößige Stellen im Text habe er mit Anmerkungen versehen.73 Es sei die »Duchesse de Schomberg, welche an Roger de Plessis Duc de Rochegvion, Marquis de Liancourt vermählet gewesen«, die die Anweisungen niedergeschrieben habe.74 Das deutsche Publikum wurde sonach ins Bild gesetzt, wer das Werk verfaßte, wogegen Boileau es vorgezogen hatte, aus dem Namen der bekannten Französin ein Geheimnis zu machen. Unter dem Titel Einer Hertzogin aus Franckreich Regeln für das Frauenzimmer hohen Herkommens (1754) kamen beim Heilbronner Verleger Franz Joseph Eckebrecht, nicht aber beim Tübinger Verleger Johann Christoph Löffler, mehrere Texte verschiedener Autor(inn)en zum Abdruck.75 Gewidmet ist die Sammelschrift der Kanonissin des Reichsstiftes Gandersheim, Prinzessin Friderica von Württemberg-Neuenstadt und Teck. Laut Widmungsbrief (anonym) wurde das Werk auf Veranlassung und Befehl der Widmungsempfängerin dem Druck übergeben. Da eine Übersetzervorrede fehlt, ist davon auszugehen, daß die Übersetzungsarbeit aufgrund eines Auftrags (eventuell der Widmungs71 [Ernst Heinrich Lange?:] Vorrede Des Ubersetzers, in: [ Jeanne de Liancourt,] Reglement donné par une dame de haute qualite, oder Anweisung zum rechtschaffnen Leben […], Leipzig u. a. 1713, Bl. ):(2a–):( 10b, hier Bl. ):(2a. 72 Ebd., Bl. ):(4a. 73 Ebd., Bl. ):(6b. 74 Ebd., Bl. ):(9a. 75 Im von mir eingesehenen Exemplar der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart (Heilbronner Ausgabe) schließen sich an die zwei Schriften von Jeanne de Liancourt (S. 1–34, 35–136) folgende drei Texte an: 1. »Ein rares Büchlein von Auferziehung der Kinder, insonderheit aber Junger Herren, und anderer sowohl hoher als niederer Standes-Personen etc. aus dem Französischen übersetzt.« (S. 137–312) Bei dem Text handelt es sich um die erste deutsche Übersetzung von Frédéric Rivets De l’education des enfans, et particulièrement de celle des princes, où il est monstré de quelle importance sont les sept premières années de la vie (1679) (Erstausgabe 1654! Siehe meine diesbezüglichen Bemerkungen in Abschnitt 5.1). 2. »Augustini Erzehlung von dem Verhalten seiner Mutter Monicae gegen ihrem [sic] Ehmann, seinem Vater Patricio, im 9. Cap. des 9ten Buchs seiner Bekänntnisse.« (S. 313–315) 3. »Kurtzer Auszug aus der weitläuftigen Beschreibung von den ersten Jugend-Jahren des Joh. Phil. Baratiers, gebohren den 19. Jenner 1721, welche sein Vater selbst, Franciscus Baratier, Französischer Pfarrer zu Schwabach im Anspachischen, ans Licht gestellet.« (315–320)
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empfängerin) ausgeführt wurde. Der Herausgeber des Werkes wird im Untertitel des Buches genannt. Es ist der bekannte württembergische Pietist Friedrich Christoph Oetinger (1702–1782). Die gelehrte Vorrede Oetingers nimmt auf die spezifischen Interessen der Adressatinnen kaum Rücksicht, gleichwohl findet auch er einige anerkennende Worte für die französische Autorin, die er nicht beim Namen nennt. Oetingers innerer Bezug zu den veröffentlichten Texten war gering. Der Verlag scheint ihn als Herausgeber angeworben zu haben, um durch seinen Namen das Werk absatzfähiger zu machen. Jn diesem Buch fließt die Schreibart gantz aus der Sache, und die Sache selbs [sic] ist auserlesen. Neu ist sie nicht. Augustin hat in seinen Confessionen dem Frauenzimmer die schönste Regeln gegeben; deßwegen man sie auch zulezt dem Werck angehängt. Wenn sie aber gleich nichts neues sind, so hat man doch Ursache, sie dem heutigen Geschlecht neu zu machen. Ein Geschlecht kommt, ein Geschlecht vergeht, die Wahrheit muß allezeit bleiben und jedem Geschlecht ihren Spiegel vorhalten. Mir gefällt aber die simple, den Verstand augenblicklich vergnügende Schreibart, dergleichen in den zwey Büchlein dieser Ausgabe anzutreffen, am meisten. Es hat die meiste Aehnlichkeit mit den leichtfliessenden Reden JEsu.76
Problemkreis 3: Wie kann die Aktualität und wie die Zeitlosigkeit der Inhalte des übersetzten Werkes zielgruppenorientiert kommuniziert werden? Der hohe sächsische Verwaltungsbeamte, Kameralist und Wolffianer Julius Bernhard von Rohr, bekannt aufgrund seiner kameralistischen und philosophisch-propädeutischen Schriften, definiert in der Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der Privat-Personen (1728) das seit dem 17. Jahrhundert inflationär in Gebrauch kommende Wort ›Mode‹77 wie folgt: DJe Mode ist eine veränderliche Weise, die bey allerhand Sachen in so weit sie in die äußerlichen Sinne fallen, eingeführt, und auf eine gewisse Zeit, so lange es denen Willen einiger Leute gefällig ist, 76 Friedrich Christoph Oetinger: Vorrede, in: [ Jeanne de Liancourt,] Einer Hertzogin aus Franckreich Regeln für das Frauenzimmer hohen Herkommens […], Heilbronn 1754, Bl. )(4a–)( )(4b, hier Bl. )(4a, )( )(4b. Ein Fehler unterlief Gottfried Mälzer, der diese Liancourt-Übersetzung Friedrich Oetinger zuschreibt. Gottfried Mälzer: Die Werke der württembergischen Pietisten des 17. und 18. Jahrhunderts. Verzeichnis der bis 1968 erschienenen Literatur (Bibliographie zur Geschichte des Pietismus; 1), Berlin u. a. 1972, S. 278, Nr. 2124. Vgl. auch Friedrich Christoph Oetinger : Die Lehrtafel der Prinzessin Antonia. Hg. von Reinhard Breymayer u. a. (Texte zur Geschichte des Pietismus. Abt. 7: Friedrich Christoph Oetinger; 1), 2 Tle., Berlin u. a. 1977. Reinhard Breymayer: Zwischen Prinzessin Antonia von Württemberg und Kleists Käthchen von Heilbronn. Neues zum Magnet- und Spannungsfeld des Prälanten Friedrich Christoph Oetinger, Dußlingen 2010. 77 Erich Schmidt: Der Kampf gegen die Mode in der deutschen Literatur des siebzehnten Jahrhunderts, in: Charakteristiken [Erste Reihe], Berlin 1886, S. 63–84, hier S. 66: »Man spricht von der ›seltzamen Monier‹, der ›newen Art und monir‹; das Wort ›Mode‹ aber kommt erst in der Zeit des großen Krieges zur Herrschaft. Damals wird es Schlagwort und gilt den Satirikern als Signatur der Epoche. Französisch à la mode ergibt das neue Beiwort ›alamode‹ (allamode, allemode) und ›alamodisch‹. Man sagt auch personificirend im Gedanken an den Modeteufel: der Alamode. ›Modo‹ und ›allamodo‹ begegnet uns, in Oesterreich namentlich auch ›Modi‹.«
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vor wohl anständig und rühmlich geachtet wird, bis sie wieder von einer andern Weise verdrungen [verdrängt, SK] wird. Sie ist von der Gewohnheit, dem Gebrauch und den Observanzen in manchen Stücken unterschieden. Diese sind viel dauerhaffter als jene.78
Auf welche Dinge und Handlungen sich der Begriff ›Mode‹ erstreckte, erhellt ein polemischer Kommentar in der Allgemeinen Schau-Bühne der Welt (5 Tle., 1699–1731). Die 1681 erfolgte Besetzung Straßburgs durch die französischen Truppen wird in dem Kommentar rückblickend so dargestellt, als ob die Frauen Straßburgs durch ihre Liebe zu »Franckreichs Moden« in vorauseilendem Gehorsam das Jawort zu dieser Besetzung gegeben hätten: Das Frauenzimmer war dieser Nation [der französischen, SK] ohnedeme nicht abhold; Jhre freye, und doch höffliche Manieren, ihre Artigkeit im Sprechen, ihr bunder Auffbutz in Kleydungen, ihr Schertzen, ihr Tantzen, ihr Singen und insonderheit die Geschicklichkeit [der französischen Galans, SK] einer verliebten Cloris etwas zärtliches vorzusagen, alles dieses hatte ihnen schon längst den Beyfall des andern Geschlechts erworben; also, daß bey demselben nichts artig, nichts galant, nichts liebenswürdig mehr schiene, als was Franckreichs Moden erdachten, und entweder mit ihrem bon air, oder mit ihrer Sprache auffgezogen kam. Wer nun das Frauenzimmer auff seiner Seiten hat, der hat auch insgemein schon die meiste Stimmen weg.79
Der im 17. Jahrhundert sich beschleunigende Wettlauf der Moden machte, wie der obige polemische Kommentar verdeutlicht, auch vor der Handlungs- und Ausdrucksform des Kompliments nicht halt. Von August Bohse erfahren wir um 1713: Zu viele Complimenten und Weitschweiffigkeiten gebrauchen, ist gantz ausser der Mode. Man kan mit kurtzen Worten auch die Höfflichkeit erweisen, und offt […] mit einer Mine oder Reverenz seiner Schuldigkeit ein Genügen thun.80
Das Buch war in der Frühen Neuzeit nicht in so starkem Maße wie die Kleidung der gehobenen Schichten dem Zeitgeschmack unterworfen,81 doch gab es auch hier Modeerscheinungen, die bereits den Zeitgenossen eine Notiz Wert waren, beispielshalber hält Karl Heinrich Frömmichen 1780 Modetitel für analysierenswert: Die Titel der Bücher ändern sich fast mit dem Modebande derselben: und die Veränderung von beiden ist merklich. So wie der Einband jezt mehr französisch oder englisch ist, so sind es auch die Titel. Heutiges Tages sind Beiträge, Bibliothek, Litteratur, Magazin, Entwurf, Grundriß, Journal, Einleitung, etc. besonders aber Beitrag ein herrschender Modetitel. […] 78 Julius Bernhard von Rohr: Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der Privat-Personen […], 2., verm. Aufl. Berlin 1730, S. 33 (1. Aufl. 1728). 79 Christian Juncker: […] Allgemeine Schau-Bühne der Welt, oder: Beschreibung der vornehmsten Welt-Geschichte des siebenzehenden Jahr-Hunderts […], Tl. 5, Frankfurt/M. 1731, Sp. 648. 80 [August Bohse:] Die Manier, wie man sich in der Conversation, sowol mit hohen, vornehmen Personen, seines Gleichen und Frauenzimmer, bescheiden und klüglich verhalten, und zu einer galanten Conduite gelangen möge […], Nürnberg u. a. [1714], S. 23 (1. Aufl. 1713). 81 Vincenzo Nolfi [ehemals Galassi]: Von der Nett- und Saubrigkeit der Kleider, in: ders., Unterweisung des Frauenzimmers oder Lehr-Sätze der Höflichkeit für eine adeliche Dam […], Nürnberg 1690, S. 124–143, hier S. 126: »Gehen sechs oder sieben Jahr vorbey, so komt uns die Tracht, die wir jetzt für so manierlich und klug ausgesonnen rühmen, wiederum gantz lächerlich und unformlich für.«
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Einige Beispiele von den Modetiteln vor 160 Jahren: Manuale, Florilegium, Tractat, Thesaurus, Synopsis, Manuductio etc. Jnsonderheit von dem Schlage, flagellum melancholicum, das ist, wider den melancholischen Trauergeist und Herzensfresser. – Geistliche Wasserquelle. – Christliche Kreuzschule. – Accipe, redde, fuge, Osterblümlein recht geistlichen Geruchs. – Kalvinische Heuschrecken; Kalvinischer Alkoran etc. Auch die Aerzte machten damals solche Titel: z. B. Antidotarium pestilentiale, das ist. … Consilium antipodagrium, das ist. … Daher auch noch der Titel auf unserer Bibel kommt, Biblia, das ist. …82
Die im 17. Jahrhundert aufkommende Tendenz, sprachliche Konstruktionen zu verwenden, die »die Einmaligkeit und Unübertrefflichkeit von Sachen, Personen oder Empfindungen ausdrücken sollen und sie deshalb zueinander ins Verhältnis setzen«,83 läßt sich auch im Bereich der Betitelung von Übersetzungen beobachten. Es gab viele verschiedene Möglichkeiten, die (faktisch nicht immer gegebene) Aktualität der Inhalte von Übersetzungen auf dem Titelblatt werbewirksam mitzuteilen. Eine der einfachsten Methoden bestand darin, in die Titelei das Adjektiv »neu« oder die Steigerungsformen »neueste«, »allerneueste« aufzunehmen.84 Die Titelphrase »Neu-eröffneten Schule vor das noch ledige Frauenzimmer« (1723) suggeriert dem Publikum, ein Werk, das so benannt ist, müsse sich im Gegensatz zu anderen Werken vergleichbaren Inhalts durch einen hohen Grad an Aktualität auszeichnen. Aber weder war die Titelausgabe gegenüber der deutschen Erstauflage von 1707 verändert worden, noch waren diese beiden Ausgaben, abgesehen von der Titelgraphik der Titelausgabe, gegenüber der holländischen Erstausgabe von 1618 aktualisiert worden. Der vorgebliche Pluspunkt »Aktualität« war also nur ein billiger Trick (»billig« im doppelten Sinne des Wortes), um Restbestände der ersten Auflage marktfähig zu machen. Jacob Cats: Maechden-plicht ofte ampt der ionck-vrouwen, in eerbaer liefde, aenghewesen door sinne-beelden. Officium puellarum in castis amoribus, emblemate expressum, Middelburg 1618. Jacob Cats: Desz hochberühmten Herrn Doctor Jacob Cats Jungfern Pflicht oder Amt der Jungfrauen in erbarer Liebe, angewiesen durch vier und viertzig Sinn-Bilder. Aus dem Holländischen ins Teutsche übersetzt, durch Cosmus Conrad Cuno, Augsburg 1707. Jacob Cats: Neu-eröffnete Schule vor das noch ledige Frauenzimmer, welches darinnen durch fünfundvierzig erfundenen schönen Sinn-Bildern von dem hochgelehrten Herrn Doctor Jacob 82 [Karl Heinrich] Frömmichen: Einige Bemerkungen, welche sich über den deutschen Meßkatalogus machen lassen, in: Deutsches Museum 1780, 2, S. 176–187, hier S. 184. 83 Kathrin Gützlaff: Oberaffentittengeil und allerdurchleuchtigst – Beobachtungen zur Beschreibung von Mehrfachintensivierungen und ihrer Entwertung, in: Britt-Marie Schuster u. a. (Hg.), Kommunikationspraxis und ihre Reflexion in frühneuhochdeutscher und neuhochdeutscher Zeit. Festschrift für Monika Rössing-Hager zum 65. Geburtstag (Germanistische Linguistik. Monographien; 2), Hildesheim u. a. 1998, S. 125–134, hier S. 125. 84 Bei der originär deutschsprachigen Buchproduktion kam diese Kommunikationsstrategie ebenfalls zur Anwendung. Vgl. [Christian Friedrich Hunold:] Die allerneueste Art höflich und galant zu schreiben, oder auserlesene Briefe in allen vorfallenden, auch curieusen Angelegenheiten nützlich zu gebrauchen, nebst einem zulänglichen Titulatur- und Wörter-Buch, Hamburg 1702.
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4. Männer lehren Frauen die Normen und Formen des Umgangs
Cats aufs beste unterrichtet wird, wie sie sich in ehrbarer Liebe zu verhalten, und hingegen alle ungebührliche Neigungen zu meiden haben […], Augsburg 1723. Der Neuheitswert von Buchinhalten konnte auch mittels Temporalbestimmungen wie »heutig«, »jetzig«, »jetzt« angezeigt werden.85 Zum Beispiel wird im Übersetzungstitel von Les différens caractères des femmes du siècle (1694) der Gegenwartsbezug stärker betont als im Originaltitel (»femmes du siècle« = »Frauen unseres Zeitalters«): [Madame de Pringy?:] Les différens caractères des femmes du siècle avec la description de l’amour propre, contenant six caractères et six perfections, Paris 1694. [Madame de Pringy?:] Character deß heutigen Frauenzimmers, auß welchem gar leicht zuersehen, ob eine adeliche Dame oder Fräulein wohlerzogen, oder aber von ihren Fehlern zu corrigiren seye! Auß dem Frantzösischen in das Hochteutsche übersetzet, Augsburg 1699. Um die Aktualität von übersetzten Werken zu betonen, konnte man Worte zum Bestandteil des Übersetzungstitels wählen, die in Einklang mit dem herrschenden Zeitgeschmack standen oder Reflexe auf innovative Strömungen innerhalb der bestehenden Kultur darstellten. Im Zeitalter der kulturellen Hegemonie Frankreichs stieg, um ein Beispiel anführen, »galant« rechts des Rheins schnell zu einem die Neugier weckenden Modewort auf.86 Für viele Frauen war »galant« ein anderes Wort für französische Lebensart in ihrer vollkommensten Ausprägung: Das galante Frauenzimmer weiß, wie man sich kleidet, frisiert, schminkt, bewegt und benimmt, und es erhebt Anspruch auf eine Bildung, die in den zeitgenössischen Texten manchmal als »galante Gelehrsamkeit« bezeichnet wird. Was darunter zu verstehen ist, erklärt Julius Bernhard von Rohr: Es bestehet aber die galante Gelehrsamkeit darinnen, daß man sich vornehmlich diejenigen Wissenschafften bekandt mache, die zu der Zeit bey den Hof- und Welt-Leuten in besondern Credit stehen, und aus mancherley andern Wissenschafften das artigste heraus lese, dadurch das Gemüthe mehr belustiget, in angenehme Verwendung gesetzt, als mit allzusauern und mühsamen Nachsinnen beschwehret werde, und dasselbe zu rechter Zeit und an rechten Ort anbringen lerne.87
Jean Baptiste Morvan de Bellegarde: Lettres curieuses de littérature et de morale. Par M. l’abbé de Bellegarde, Paris 1702. Jean Baptiste Morvan de Bellegarde: Des Herrn Abts von Bellgarde Einige auserlesenste Briefe, so er mit einer Hof-Dame über unterschiedlichen [sic] moralischen und zur galanten Gelehrsamkeit dienlichen Dingen gewechselt. Aus dem Frantzösischen übersetzet, Leipzig 1715. Nicht selten gingen die Konzessionen an den Massengeschmack so weit, daß bewußt verfälschend übersetzt wurde. Den Einsatz des Wortes »galant« in der Titelfassung von Des 85 Im 17. Jahrhundert wurde auch mit dem Wort »alamodisch« auf die Aktualität eines Werkes aufmerksam gemacht. [ Jean Puget de la Serre:] Politischer alamodischer Hof-Stylus. Hiebevor in frantzösischer Sprach beschrieben: Jetzt aber jedermänniglich zum besten in unsere Mutter-sprach, als teutsche Manier verkleidet, Lübeck 1653. 86 Zum weiten Bedeutungsspektrum des Wortes ›Galanterie‹ vgl. Anm. 269 in Abschnitt 5.2. 87 von Rohr (Anm. 78), S. 6.
4.1 Die internationale Dimension der frauenadressierten Literatur zum Geselligkeitsethos
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galanten Frauenzimmers kluge Hofmeisterin (1696) hätte der Buchautor niemals gebilligt (siehe hierzu Abschnitt 1.1). D’Aubignac lehrt in den Conseils d’Ariste à Célimène (1665), was eine verheiratete Frau zu tun und zu lassen hat, um eine »honnête femme«, ein tugendsames Frauenzimmer, zu sein und dafür gehalten zu werden. [François Hédelin, Abbé d’Aubignac:] Conseils d’Ariste à Célimène sur les moyens de conserver sa reputation. Pièce très curieuse, Paris 1665. [François Hédelin, Abbé d’Aubignac:] Des galanten Frauenzimmers kluge Hofmeisterin, aus dem Französischen ins Teutsche übersezt, Leipzig 1696. Es gibt kaum ein wirkungsvolleres Instrument der Aufmerksamkeitslenkung als Bildgraphiken auf der dem Titelblatt gegenüberliegenden Seite (Frontispiz) oder auf dem ersten oder zweiten Blatt eines Buches, das die bibliographischen Angaben enthält. Mittels Bildern konnte auch die Gültigkeit und die Aktualität der Inhalte einer Übersetzung beglaubigt werden. Für das Titelblatt der Neu-eröffneten Schule vor das noch ledige Frauenzimmer (1723) wählte man eine querformatige Graphik, auf der ein »modebewußter« Kavalier, gekleidet im Stile Ludwigs XIV. (1638–1715), zu sehen ist. Formvollendet grüßend betritt er ein Zimmer, in dem vier in bürgerlicher Tracht gekleidete Frauen sich um einen Tisch versammelt haben. Den handarbeitenden Frauen wird aus einem Buch vorgelesen. Die Bildunterschrift ermahnt die Leserin, jenen aufs gründlichste zu prüfen, der ihr einen Heiratsantrag macht: »Siehe dich inn und auf; es ist ein langer Kauff«.88 Die hochmodische Kleidung, die der Kavalier trägt – Allongeperücke, Spitzenhalstuch, Justaucorps, Seidenstrümpfe, Schnallenschuhe mit Absatz, Dreispitz – ließ beim Publikum nicht einen Gedanken an das weit zurückliegende Erscheinungsjahr der Erstausgabe der Maechdenplicht (1618) aufkommen. Nicht jeder Verlag und Übersetzer wollte mit Modeworten experimentieren, denn es gab auch Publika, die Kritik am Modewesen übten und eine Rückbesinnung auf christlich-zeitlose Werte oder auf altdeutsche Tugenden forderten. Das Titelvokabular der folgenden zwei Werke exemplifiziert, wie eine wertkonservative Haltung kommuniziert werden konnte. Vincenzo Nolfi [ehemals Galassi]: Ginipedia, ò vero Auuertimenti ciuili per donna nobile, Venedig 1631, Neuausg. 1662, weitere Aufl. 1683, 1689. Vincenzo Nolfi [ehemals Galassi]: Unterweisung des Frauenzimmers oder Lehr-Sätze der Höf lichkeit für eine adeliche Dam, geschrieben von Vincentio Nolfi von Fano an Frauen Hippolyten Uffreducci seine Gemahlin. Aus dem Italienischen in das Teutsche getreulich übersetzet, Nürnberg 1690. Nicolas Dupuy La Chapelle: Instruction d’un père à sa f ille, tirée de l’Écriture sainte, sur les plus importans sujets concernant la religion, les moeurs & la manière de se conduire dans le monde. Dediée à S. A.S. Madame la Duchesse du Maine. Par le sieur Dupuy, cy-devant secrétaire au Traité de la paix de Riswik, Paris 1708. 1. Aufl. 1707. 88 Daß auch in Vorreden und auf der Ebene des Übersetzungstextes Aktualisierungen vorgenommen wurden, muß hier nicht näher interessieren.
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4. Männer lehren Frauen die Normen und Formen des Umgangs
Nicolas Dupuy La Chapelle: Herrn Du-Puy vormahlichen Secretarii bey der Friedens-Handlung zu Ryßwick Christliche Sitten-Lehre zur Unterweisung seiner Tochter jn denen wichtigsten Puncten des Glaubens, der Sitten und der Aufführung in der Welt Aus der Heil. Schrifft gezogen. Wegen ihrer Fürtreff lichkeit aus dem Frantzösischen ins Teutsche übersetzt. Mit Königl. Preuß. allergn. Privilegio, Halle 1720. Nicolas Dupuy La Chapelle: Die Pflichten eines jungen Frauenzimmers wie es sich fromm und wohlanständig in der Welt aufführen solle vorgetragen von einem zärtlichen Vater. Aus dem Französischen des Herrn Dü Puy, Ausgburg 1769.
4.2 Die Polarisierung der Bildungssphären In diesem Abschnitt werden drei von Männern in Gebrauch genommene publizistische Kommunikationsstrategien fokussiert. Untersucht wird, was die jeweilige Methode über das Verhältnis von Genre und Geschlecht aussagt. Folgende Strategien wurden ausgewählt: die Verkleidung von Männertexten als Frauentexte, die Bildung von Pendantwerken, denen das Prinzip der geschlechtsspezifischen Zielgruppenaufspaltung zugrunde liegt, sowie die Deklaration von Werken, die ganz unterschiedlichen Gattungstraditionen angehören, als »Frauenzimmerbibliothek« oder »Damenbibliothek«. Die ausgewählten Kommunikationsstrategien sind Ausdruck männlicher Interessen.
Strategie 1: Männertexte als Frauentexte verkleiden Damit das Täuschungsmanöver, Autorinnenschaft zu fingieren, gelingt, bedarf es nicht unbedingt eines Pseudogynyms, das heißt eines weiblichen Decknamens, unter dem ein Autor sein Werk veröffentlicht. Es genügt, wenn zwei weibliche Figuren – eine erwachsene oder zumindest an Jahren ältere, die eine jüngere belehrt – im Titel Erwähnung finden oder im Text eine tragende Rolle spielen, und schon meint das Publikum, wenn das Werk anonym der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird, die erfahrenere Person müsse die Autorin des Textes sein. Ein bekanntes Beispiel für diese Verschleierungsstrategie ist das Mutter-Tochter-Gespräch der Winsbeckin (mhd., 13. Jahrhundert), zu dem ein Pendant, das Vater-Sohn-Gespräch des Winsbecke, existiert.89 Auch die zwei deutschen Übersetzungen der Conseils d’Ariste à Célimène sur les moyens de conserver sa reputation (1665) des Abbé d’Aubignac dürften von Unbedarften als Frauentexte rezipiert worden sein. Um das Werk in Deutschland für den Absatz geeignet zu machen – in Abschnitt 1.1 wurde dieser Aspekt ausführlich beleuchtet –, unterzogen die deutschen Verleger den Männernamen Ariste einer »Geschlechtsumwandlung«: »Der« Ariste wurde in der deutschen Erstübersetzung in »die kluge Hofmeisterin« umgewandelt, in der Zweitüberset89 Ingrid Bennewitz: Moraldidaktische Literatur, in: Horst Albert Glaser (Hg.), Deutsche Literatur. Eine Sozialgeschichte. Bd. 1: Aus der Mündlichkeit in die Schriftlichkeit: Höfische und andere Literatur 750–1320, hg. von Ursula Liebertz-Grün, Reinbek 1988, S. 333–243, hier S. 338 f.
4.2 Die Polarisierung der Bildungssphären
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zung in »die Herzogin von C***«, welche unter dem Namen »Ariste«, nun also ein Frauenname, Celimene Regeln gab. Das gutgläubige germanophone Publikum mußte annehmen, die kluge Hofmeisterin und die Herzogin von C. seien die Autorin des jeweiligen Buches. Indem eine Realität vorgegaukelt wurde, die es nicht gab, gewöhnte das Publikum sich unmerklich an den Gedanken, es stehe qualifizierten Frauen zu, zum Wohle anderer Klugheits- und Anstandslehren zu verfassen. Wer hätte schon gegen eine Autorin rufschädigend zu Felde ziehen wollen, die Hofmeisterin oder Herzogin war? Wie schwer durchschaubar diese Fiktionalisierungsstrategie ist, erweist sich daran, daß noch vor gar nicht allzulanger Zeit Der Charakter eines vollkommenen Frauenzimmers des Abbé d’Aubignac einer Frau zugeschrieben wurde.90 Mit der Methode, Männertexte als Frauentexte zu verkleiden, könnte von Fall zu Fall auf Stimmen in der Gesellschaft reagiert worden sein, die forderten, Frauen sollten mit ihren Stärken mehr nach außen gehen. Ohne Zweifel wurde die Frau durch diese Taktik als Ratgeberin und Autorität, die in die literarisch-publizistische Öffentlichkeit wirkte, aufgewertet. Ich gebe vier weitere Beispiele: Philothee [Pseud., Paulin Erdt]: Philotheens Gedanken in ruhigen Stunden für Frauenzimmer, Augsburg 1782. Philothee [Pseud., Paulin Erdt]: Philotheens Frauenzimmer-Akademie. Für Liebhaberinnen der Gelehrsamkeit. Aus dem Französischen übersetzt von der Frau von *** Mit Erlaubniß der Obern, Augsburg 1783. [Konrad Heinrich Frise:] Die erfahrene Rathgeberin in einer Reihe von Briefen einer Mutter an ihre Töchter, Flensburg 1792. [Heinrich August Müller]: Anstandslehre für das weibliche Geschlecht. Oder mütterlicher Rath für meine Julie über den sittlichen und körperlichen Anstand […], Linz 1824.91 Beim Beantworteten Jungfraw-Schreiben oder weiszlich Bedencken den Frauenzimmer zur Nachrichtung gestellet ob sie lieber Juristen und weltlichen oder geistlichen Personen verheyrathen sollen (1631) ist es nicht der Titel, der vorgibt, das Werk entstamme der Feder einer Autorin, sondern der Haupttext, der diese Illusion nährt. Zur (Mit-)Autorin des Heiratsratgebers92 (Druckort unbekannt) erklärte die Forschung die verwitwete »Christine Sorgin«, die mit der Jungfrau »Agnise Huldreich« als weiterer in Frage kommender Autorin Briefe gewechselt haben soll, die im Druck verbreitet wurden.93 Meines Erachtens weisen die
90 Helga Meise: »Der Charakter eines vollkommenen Frauenzimmers«, in: dies., Die Unschuld und die Schrift. Deutsche Frauenromane im 18. Jahrhundert (Reihe Métro; 14), Berlin u. a. 1983, S. 12–34. 91 Das Anstandsbuch wurde von Elisabeth Mixa gedanklich mit weiblicher Autorschaft verbunden. Elisabeth Mixa: Erröten Sie, Madame! Anstandsdiskurse der Moderne (Schnittpunkt Zivilisationsprozeß; 11), Pfaffenweiler 1994, S. 176. 92 Möglicherweise stand Jacob Cats’ in Form eines Gesprächs zwischen zwei Jungfrauen abgefaßte Maechden-plicht (1618) dem Werk Pate. 93 Jean M. Woods/Maria Fürstenwald: Schriftstellerinnen, Künstlerinnen und gelehrte Frauen des deutschen Barock. Ein Lexikon (Repertorien zur deutschen Literaturgeschichte; 10), Stuttgart 1984,
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sprechenden Namen zur Genüge auf einen fingierten Briefwechsel hin: Eine »Christin« macht sich »Sorgen« wegen der Heiratspläne ihrer hochnäsigen Nichte »Agnise« (griech. hagnós »keusch«) »Huldreich«, die keinen angehenden Pfarrer heiraten möchte. Bei dem Autor des Buches handelt es sich höchstwahrscheinlich um einen protestantischen Geistlichen, so oder so aber um eine Person männlichen Geschlechts. Hier wie beim vorigen Textbeispiel wird dem Publikum suggeriert, der Rat einer lebensklugen Frau verdiene Wertschätzung und beanspruche öffentliches Interesse.
Strategie 2: Die Bildung von Pendantwerken, denen das Prinzip der geschlechtsspezifischen Zielgruppenaufspaltung zugrunde liegt Diese Kommunikationsstrategie ist an Werke geknüpft, die derselben Gattungstradition angehören und oft – aber nicht immer – von derselben Person stammen. Die Splittingstrategie war keine Erfindung der Frühen Neuzeit,94 erfreute sich während dieser Periode aber zunehmender Beliebtheit. Ihre größte Verbreitung fand sie im 18. Jahrhundert.95 Heutzutage spielt das Phänomen kaum noch eine Rolle.96 Die Andersartigkeit der männlichen und weiblichen Handlungssphären und -anforderungen betonen folgende Pendantwerke: [Richard Allestree?:] The Gentleman’s Calling, Written by the Author of The Whole Duty of Man, London 1660. Weitere Ausg. u. Aufl. 1660, 1662, 1664, 1667, 1668, 1670, 1672, 1673, 1674, 1676, 1682, 1683, 1687, 1696, 1705. [Richard Allestree?:] The Ladies Calling in Two Parts. By the Author of The Whole Duty of Man […], 2 Tle. Oxford 1673. 1. Aufl. 1667, weitere Ausg. u. Aufl. 1675, 1676, 1677, 1693, 1700, 1720, 1727. S. 143. Cornelia Niekus Moore: Mädchenlektüre im 17. Jahrhundert, in: Wolfgang Brückner u. a. (Hg.), Literatur und Volk im 17. Jahrhundert. Probleme populärer Kultur in Deutschland, 2 Tle., Wiesbaden 1985, Tl. 2, S. 489–497, hier S. 493. 94 Geoffroy de La Tour Landry verfaßte sowohl eine Erziehungsschrift für seine Töchter als auch eine für seine Söhne, erhalten hat sich aber nur die für die Töchter. Giovanni Boccaccio ließ auf De casibus virorum illustrium (entstanden zwischen ca. 1355 und 1360, gedruckt 1483) De claris mulieribus (entstanden zwischen 1361 und 1375, gedruckt 1439) folgen. 95 Vgl. auch die Beobachtung der Zeitschriftenhistorikerin Edith Krull: »Bezeichnend dafür [daß Frauen als selbständiger Teil des lesenden Publikums in Erscheinung traten, SK] ist, daß häufig neben eine Zeitschrift mit ›männlichem‹ Titel – wenn sie Erfolg hatte – sofort eine andere trat, die denselben Titel ins Weibliche übertragen führte. Der Patriot (Hamburg, 5. Januar 1724 bis 28. Dezember 1726) bekam eine Patriotin (Hamburg, 13. März bis 17. April 1724) an die Seite, der Hofmeister (Leipzig, 1751–1755) eine Hofmeisterin (Bernburg, 1755), Der Mann (Leipzig, 1756–1758) Die Frau (Leipzig 1756 bis 1760) und der Berlinische Zuschauer (Berlin, 1769–1772) eine Berlinische Zuschauerin (Berlin, 1770–1772).« Edith Krull: Das Wirken der Frau im frühen deutschen Zeitschriftenwesen (Beiträge zur Erforschung der deutschen Zeitschrift; 5), Berlin-Charlottenburg 1939, S. 15. 96 Daß das Phänomen noch nicht ausgestorben ist, beweist das folgende Beispiel: Aldo Busi: Manuale del perfetto gentiluomo, Mailand 1992. Aldo Busi: Manuale della perfetta gentildonna, 7. Aufl. Mailand 1994.
4.2 Die Polarisierung der Bildungssphären
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[Richard Allestree?:] Das Muster eines rechtschaffenen Edelmanns in den Pflichten gegen Gott, gegen den Nächsten und gegen sich selbst; in englischer Sprache beschreiben, durch den Auctoren von der Gantzen Pflicht deß Menschen, und nunmehro in das Teutsche übersetzet, Nürnberg 1721.97 [Richard Allestree?:] Beruff des vornehmen Frauenzimmers, aus dem Englischen des unbekannten Authoris, von der gantzen Schuldigkeit des Menschen, ins Teutsche übersetzt, Hamburg 1724. Nicolas Dupuy La Chapelle: Instruction d’un père à sa f ille, tirée de l’Écriture sainte, sur les plus importans sujets concernant la religion, les moeurs & la manière de se conduire dans le monde. Dediée à S.A.S. Madame la Duchesse du Maine. Par le sieur Dupuy, cy-devant secrétaire au traité de la paix de Riswik, Paris 1708. 1. Aufl. 1707. Weitere Ausg. u. Auf l. 1717, 1722, 1730, 1731, 1752, 1766. Nicolas Dupuy La Chapelle: Instruction d’un père à son f ils, sur la manière de se conduire dans le monde; dédié à la Reyne, par M. Du Puy, ci-devant secrétaire au traité de la paix de Riswik, Paris 1730. Weitere Ausg. u. Aufl. 1731, 1750, 1759, 1762, 1812. Nicolas Dupuy La Chapelle: Die Pflichten eines in die Welt tretenden Jünglings vorgetragen von einem zärtlichen Vater. Aus dem Französischen des Herrn Dü Puy, Augsburg 1760. 2. Aufl. 1768. 3. Aufl. 1774. Nicolas Dupuy La Chapelle: Die Pflichten eines jungen Frauenzimmers wie es sich fromm und wohlanständig in der Welt aufführen solle vorgetragen von einem zärtlichen Vater. Aus dem Französischen des Herrn Dü Puy, Augsburg 1769. 2. Aufl. 1771. 3. Aufl. 1773. Christoph Ludwig Pfeiffer: Briefe für das Frauenzimmer, zur Nachahmung einer natürlichen reinen und aufgeweckten Schreibart wie auch zur Verbesserung der Sitten und des Wohlstandes; zwey Theile von Christoph Ludwig Pfeiffern, Bamberg, Frankfurt/M. und Leipzig 1758. Christoph Ludwig Pfeiffer: Versuch einer natürlichen Anleitung zu teutschen Briefen, für junge Manns-Persohnen; nebst einer Abhandlung von denen Titteln und dem äusern Wohlstande in Briefen, Bamberg 1758. [ Johann Christoph Rasche:] Praktische Anweisung zu Briefen an Frauenzimmer, nebst beygefügten Mustern, Nürnberg 1775. [ Johann Christoph Rasche:] Anleitung zum Briefwechsel des Frauenzimmers mit Mannspersonen, Nürnberg 1777. [ Johann Christoph Rasche:] Anweisung zum Briefwechsel des Frauenzimmers mit Frauenzimmern, Nürnberg 1777. Geschlechtsspezifische Zielgruppenaufspaltung in Form von Pendantwerken behauptete sich als eine Praxis des Akzentuierens von typisch männlichen und typisch weiblichen Buchinhalten neben anderen Formen geschlechtsspezifischer Adressierung, die hier kurz 97 Die Titelaufnahme folgt den Angaben von Ernst Heimeran: Anstandsbuch für Anständige. Vom Gestern und Heute des guten Tons. Enthaltend: Freimütige Betrachtungen über den Anstand von heute. Viele wohlgeordnete Zitate und Bilder aus Anstandsbüchern des 15.–20. Jahrhunderts. Verzeichnis von 200 Quellenwerken zur Anstandsgeschichte, München 1937, S. 179.
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4. Männer lehren Frauen die Normen und Formen des Umgangs
vorgestellt werden sollen.98 Auf die Frage, für welche der beiden Genus-Gruppen ein Text konzipiert ist, geben Publikationen in der Frühen Neuzeit normalerweise eine recht präzise Antwort (Buchformat, Publikationssprache, Textsorte, männliche/weibliche Anredeformen oder Berufsbezeichnungen, der Arbeitswelt von Männer/Frauen entstammende Titelstichworte). Aber auch in Vorreden können aufschlußreiche Informationen über die Adressierungsfrage enthalten sein. Hier als Beispiel die Klugheitslehre von Christian Liesner (1675–1731): Fortunander [Pseud., Christian Liesner]: Der galante und in dieses Welt-Leben recht sich schickende Mensch, vormahls aus der jtaliänischen Sprache seiner Güte wegen in die teutsche übersetzet von Arione; jetzo aber was die Methode und den Stylum betrifft, mercklich gebessert, und in Frag- und Antwort gestellet von Fortunander, Leipzig 1706. Eine geschlechtsspezifische Zielgruppenpriorität kann aus dem Titel nicht herausgelesen werden. Schlägt man das Inhaltsverzeichnis des Buches auf, wird die Konzentration auf Männerbelange offenkundig. Erst in der Vorrede ist eine Bezugnahme auf Frauen zu erkennen. Der Autor fordert politische Bildung für Frauen – dieser Wunsch kommt einer Mitadressierung von Frauen gleich: Jch könte mir zwar selber widersprechen, daß sich der Töchter Sitten nicht so wohl nach Büchern, als nach kluger moderation einer verständigen Mutter einrichten liessen; Jch kan mir aber auch den Scrupel selber leichte heben und sagen: quod perfecta perfectis addere liceat. Jst das Hauß von Grund aus wohl gebauet, und kommt noch eine schöne Farbe dazu, so wird ihm die Ehre der Vollkommenheit niemand absprechen können, da sonst der passagier mancherley desideriren möchte. Doch was hat das Frauenzimmer davon, möchte iemand sagen, daß es weiß, wie ein Fürst zu conservirung sein- und seines Landes so viel Klugheit anzuwenden habe? zumahl da ihnen weder bey denen Eltern, noch bey dem zukünfftigen Eh-Gemahl, gar zu viel zu beherrschen eingeräumet wird? Jch gebe aber zur Antwort: Dieß Volck in ihrem Geschlechte ist durchgehends so gesinnet, daß es bey seinen jungen Jahren, wenn es anders darzu gelangen kan, auch nach derer Fürsten Mode in der Klei-
98 Die frühneuzeitliche Genderforschung sieht im Regelfall davon ab, Quellenmaterial unter dem Gesichtspunkt der genus-spezifischen Adressierung zu systematisieren. Eine Ausnahme bildet der Aufsatz von Rüdiger Schnell: Die Frau als Gefährtin (socia) des Mannes. Eine Studie zur Interdependenz von Textsorte, Adressat und Aussage, in: ders. (Hg.), Geschlechterbeziehungen und Textfunktionen. Studien zu Eheschriften der Frühen Neuzeit (Frühe Neuzeit; 40), Tübingen 1998, S. 119–170. Gérard Genette scheidet das Publikum von Druckerzeugnissen in die mehr Titelinteressierten und die mehr Textinteressierten: »Der Titel richtet sich an weitaus mehr Menschen, die ihn auf dem einen oder anderen Weg rezipieren und weitergeben und dadurch an seiner Zirkulation teilhaben. Denn der Text ist Gegenstand einer Lektüre, der Titel aber, wie übrigens auch der Autorenname, ist Gegenstand einer Zirkulation oder, wenn man das vorzieht, eines Gesprächs.« Gérard Genette: Paratexte. Das Buch vom Beiwerk des Buches, Frankfurt/M. u. a. 1989 (Orig. Seuils, 1987), S. 77. Fritz Nies stellt die Überlegung an, ob dem Buch- oder Zeitschriftentitel der »Status eines relativ autonomen Gebildes« im System der Gattungen zuerkannt werden sollte. Fritz Nies: Für die stärkere Ausdifferenzierung eines pragmatisch konzipierten Gattungssystems, in: Christian Wagenknecht (Hg.), Zur Terminologie der Literaturwissenschaft. Akten des IX. Germanistischen Symposions der Deutschen Forschungsgemeinschaft Würzburg 1986 (Germanistische Symposien-Berichtsbände; 9), Stuttgart 1988, S. 326– 336, hier S. 329.
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dung siehet, und selbige zu imitiren sucht: Also meynte ich, es solte ihnen auch nicht übel anstehen, wenn sie bey honetter Compagnie von der Schuldigkeit eines Fürsten zu raisoniren wüsten, um so viel desto weniger würde es schaden, wenn sie sich selbst vor ihre Person die Regeln der Klugheit bey gegebenen Fällen, zuzueignen gelernet hätten. Und wie würde Nabals Hauß manchmahl bestehen können, wenn nicht eine kluge Abigail durch einen weisen Anschlag das bevorstehende Unglück verhüten hülffe; zu geschweigen, daß vielen, so wohl unter Fürstl. und Gräfl. als Adelichen Dames, nach Ableben ihrer Häupter, die gröste Sorge in der Vormundschafft überlassen wird, da alsdenn eine zulängliche Klugheit, auch bey Regierung der elendesten Dorffschafft, vor kein Gold zu verkauffen ist, weil aus Unbedachtsamkeit gar leicht das Privat Interesse verringert, das Recht geschwächet, und das Gewissen selbst violiret werden kan.99
Eine andere Form der geschlechtsspezifischen Adressierung ist die Doppeladressierung, das heißt die Adressierung beider Genus-Gruppen. Diese Adressierungsform kam unter normalen Umständen dann zum Einsatz, wenn Publikationen die Lebensverhältnisse, den Bildungshorizont und die Erfordernisse von Männern und Frauen reflektieren. Drei Beispiele: Anonym: Die nach denen galanten Wissenschafften wohl eingerichtete Jungfern- und Junggesellen-Schule. Aus dem Französischen übersetzt: Von M. F. v. S., Leipzig und Liegnitz 1749.100 [Karl Heinrich Frömmichen (Hg.)]: Regeln der Klugheit für junge Frauenzimmer und Mannespersonen in Briefen, 2., verm. Aufl. Halle 1769. [ Johann David Hartmann:] Anweisung zum Briefschreiben. Für die adliche Jugend beiderlei Geschlechts, Berlin 1789. 2. Aufl. 1792. Bei der Doppeladressierung als geschlechtsspezifischer Form der Adressierung kann unklar bleiben, ob die weibliche Personenbezeichnung im Titel verrät, daß Frauen in gleichem Maße wie Männer angesprochen, belehrt und unterhalten werden, oder aber ob damit angezeigt wird, daß Männer in dem Werk auch etwas über Frauen, über deren Eigenschaften und wie sie mit ihnen umgehen sollen, erfahren. Vergleichsweise präzise ist die Titelei des folgenden Beispiels. Christian Friedrich Hunold nahm in sein Komplimentier- und Anstandsbuch ein Kapitel auf (es bildet das Schlußkapitel des Werkes), welches Frauen lehrt, wie sie sich Männern gegenüber aufführen sollen. Mit der Titelwendung »gegen uns« wird dem Publikum eindeutig zu verstehen gegeben, wer der Hauptadressat des Buches ist. Menantes [Pseud., Christian Friedrich Hunold]: Die Manier höflich und wohl zu reden und leben, so wohl mit hohen, vornehmen Personen, seines gleiche und Frauenzimmer, als auch, wie das Frauenzimmer eine geschickte Aufführung gegen uns gebrauchen könne, ans Licht gestellet von Menantes, Hamburg 1738. 1. Aufl. 1710, Weitere Ausg. u. Aufl. 1714, 1716, 1724, 1730, 1738, 1752, 1769.
99 Fortunander [Pseud., Christian Liesner]: An den Leser!, in: ders., Der galante und in dieses WeltLeben recht sich schickende Mensch […], Leipzig 1706, Bl.)(2r –A6b, hier Bl. A5b–A6b. 100 Möglicherweise liegt hier eine fingierte Übersetzung vor.
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Die Adressierung einer der zwei Genus-Gruppen war Auswahlkriterium der Quellen für den ersten Abschnitt dieses Kapitels. Das Publikum erwartete von einer frauenadressierten101/männeradressierten Publikation, daß die Genus-Gruppe, die im Vordergrund steht, aus dem Werk Gewinn ziehen kann. Nicht selten wurde bei späteren Ausgaben eines Werkes die geschlechtsspezifische Zielgruppenpriorität im Titel abgeändert oder überhaupt erst sichtbar gemacht. René Bary wählte für seine in Form von Mustergesprächen abgefaßte Konversationslehre einen Titel, der keine geschlechtsspezifische Zielgruppenpriorität erkennen läßt, das Konzept des Buches erlaubte gleichwohl die Verwendung als Arbeitsbuch seitens beider Genus-Gruppen. Wie der Titelvergleich der zwei deutschen Übersetzungen des Werkes zeigt, hielt sich der unter dem Kryptonym P. A. K. arbeitende Übersetzer an die Vorlage, wogegen der sich hinter dem Pseudonym Philogynus Dulciloquus (griech./lat. »der angenehm sprechende Freund der Frauen«) verbergende Übersetzer – entgegen der Vorlage – den Mann als primären Adressaten definierte. [René Bary:] L’esprit de cour ou les conversations galantes divisées en cent dialogues, Paris 1662. Weitere Ausg. u. Aufl. 1664, 1665, 1673, 1681. René Bary: Der Hoff-Geist oder Anweisung zu höfflichen Conversationen. In hundert Gespräch abgetheilet, und anfangs von dem königl. frantzösischen Consiliario Herrn R. de Barii, frantzösisch beschrieben, anjetzo aber jederman zu gut ins deutsche gebracht; von P. A. K., Frankfurt/M. 1668. [René Bary:] Esprit de cour, das ißt: Politische Hof-gespräche und höfliche Unterredungen von allerley nüzlichen und angenehmen Sachen bey vornehmen Leuten, insonderheit aber bey vornehmen Frauenzimmer zu discouriren und bey demselben sich beliebt zu machen, wobey auch andere nützliche politische Fragen erörtert werden. Allen denen, welche bey ermelten Personen sich angenehme und beliebt zu machen trächten zur angenehmen Erfindung und nützlichen Belustigung auß dem Frantzösischen ins Teutsche übersetzet, und jetzo zum erstenmahl zum Druck befodert durch Philogynum Dulciloquum. Wer mich mit Lust und Liebe liest, dem wird es wol gelingen: wann er bey seinen Leuten ist, was gutes fürzubringen, Zell 1687. Die Qualität von mädchen- und frauenadressierten Publikationen wurde, nachdem sie nach der Mitte des 18. Jahrhunderts zum Massenphänomen geworden waren, nicht selten als unzureichend empfunden. Mancher Geschäftemacher glaubte, mit dieser Zielgruppe ein leichtes Spiel zu haben. Die Pensionatsgründerin und Erzieherin Charlotte Luther (1786–1822) tadelte 1809 Ehemänner und Väter, die zu wenig auf die Qualität der Bücher achteten, die sie für ihre weiblichen Familienangehörigen anschafften: Die Uebrigen [die übrigen Bücher des Pakets, SK] werde ich meistens wieder zurück schicken, es sind Schriften besonders unserm Geschlechte, und der Kinderwelt zugeeignet, es wird jetzt so viel erbärmliches in diesem Fache geschrieben, daß man sich darüber ärgern könnte; jeder arme Thor, der sich nicht fähig fühlt den Männern etwas vernünftiges zu sagen, glaubt sein bischen Verstand hinreichend, für Weiber und Kinder zu schreiben, und so fühlt sich jeder Ehemann und Vater gedrungen, die in 101 Auch Werke von Autorinnen, deren Name auf dem Titelblatt erscheint, bezeichne ich als »frauenadressiert«. Es bietet sich hier an, von indirekter genus-spezifischer Adressierung zu sprechen.
4.2 Die Polarisierung der Bildungssphären
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allen Journalen gepriesenen Werkchen so eilig als möglich in die Hände zu geben, für die es geschrieben ist!«102
Auf Kritik stieß auch fremdsprachiges Schrifttum für Frauen in deutscher Übersetzung. Der Übersetzer des ersten Rhetoriklehrbuches für Frauen in deutscher Sprache erntete 1768 in der Deutschen Bibliothek der schönen Wissenschaften nicht minder Spott und Hohn für seine Arbeit wie der Autor des verdeutschten Werkes:103 Die Redekunst fürs Frauenzimmer: aus dem Französischen übersetzt. Regensburg, 1768. 222 Seit. 8. Ein neues Beyspiel, daß wir Deutsche alles übersetzen, es mag auch noch so schlecht seyn! Der Uebersetzer hätte wenigstens doch nachdenken können: Was heißt eine Redekunst fürs Frauenzimmer? braucht dieses eine Redekunst? muß es von den Arten der Redekunst, der gerichtlichen, rathschlagenden, verweisenden unterrichtet seyn? Und bey sehr geringer Wissenschaft, hätte er doch dieses einsehen können, daß ein Buch, in welchem von Prosopöie, Anapher, und andern Figuren geredet wird, überhaupt ein sehr entbehrliches Buch sey. Der Verfasser steht mit den schlechten Redekünstlern unter uns im gleichen Range. Ordnung und Deutlichkeit im Vortrage kennt er gar nicht: Begriffe zu entwickeln ist ihm ohnstreitig zu mühsam vorgekommen. Er sucht diese Mängel durch Beyspiele zu ersetzen. Aber auch hier fehlt die gute Wahl: alles, was ihm einfällt, oder was er in andern Rhetoriken fand, nimmt er auf gut Glück an: und was hilft denn endlich die Menge dieser Beyspiele, wenn sie nicht zergliedert, nicht auf die Regeln, die sie erläutern sollen, zurückgeführt werden? Was den Verfasser noch unerträglicher macht, ist die süsse Mine, die er sich überall giebt, und der Zwang den er sich anthut, zu scherzen und witzig zu seyn – Die Uebersetzung ist so gerathen, wie es das Original verdient, bey welchem niemand etwas verliehrt, es mag gut oder schlecht verdollmetscht seyn – weil es niemand ließt.104
Die negativen Seiten dürfen für die positiven, die mit dem Anstieg frauenadressierter Publikationen einhergingen, nicht blind machen. Positive Auswirkungen hatte die Botschaft, die mit solchen Werken einherging: Frauen müssen als Zielgruppe ernstgenommen werden; Bildung ist auch Frauensache. Zudem konnten schreibende Frauen die von Männern eingeführte geschlechtsspezifische Aufspaltung bestimmter Textsorten als Einladung verstehen, die frauenadressierte Traditionslinie selbständig fortzuführen. Das Abfassen von Anstandsbüchern war spätestens dann keine ausschließlich männliche Obliegenheit mehr, als Karoline von Woltmann den Auftrag des Hartleben-Verlages annahm und den frauenadressierten Gegenpart zu Gottfried Immanuel Wenzels Mann von Welt (7. Aufl. 1821) verfaßte. Johanna Katharina Schulze, geb. Brönner (1748–1796), verfaßte eine (nie veröffentlichte) »Hausmutter« (ob es sich um eine Oikonomik oder ein Haushaltsbuch handelte, würde man gerne wissen). Das Werk ist, wenn man dem nachstehenden Zitat 102 Charlotte Luther: Briefe über die Erziehung junger Töchter aus den gebildeten Ständen, von Charlotte Luther, Vorsteherin einer Erziehungsanstalt, vormals zu Goslar, izt zu Hannover, 2 Tle., Rostock u. a. 1809–1811, Tl. 2, S. 104. 103 Weniger kritisch fiel das Urteil eines Rezensenten der Allgemeinen deutschen Bibliothek aus: »Eine Redekunst fürs Frauenzimmer müßte noch wohl besser eingerichtet, und mit größerer Wahl und Rücksicht auf dasjenige, was diesem Geschlechte in der That nüzlich seyn kann, ausgearbeitet werden.« Anonym: Rez. o. T. [Die Redekunst fürs Frauenzimmer (1768)], in: Allgemeine deutsche Bibliothek 7, 1768, St. 2, S. 274–275, hier S. 274. 104 Anonym: Rez. o. T. [Die Redekunst fürs Frauenzimmer (1768)], in: Deutsche Bibliothek der schönen Wissenschaften 2, 1768, St. 6, S. 360–361. Vgl. zum Verfasser dieser Rhetorik Abschnitt 5.1.
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4. Männer lehren Frauen die Normen und Formen des Umgangs
Glauben schenken darf, titelmäßig eng an die »Hausmutter« von Christian Friedrich von Germershausen angelehnt. Unter ihren Handschriften befand sich noch folgendes Werk: Die Hausmutter in allen ihren häuslichen Geschäfften, zwey Theile; dieses sollte für Hausmütter in der Stadt ungefähr das werden, was Germershausens bekanntes Werk vorzüglich für Hausmütter auf dem Lande ist.105
Von Germershausen war der erste Autor im deutschsprachigen Raum, der eine frauenadressierte Oikonomik verfaßte. Die vollständigen Titel seiner Oikonomiken lauten: [Christian Friedrich von Germershausen:] Die Hausmutter in allen ihren Geschäfften, 5 Bde., Leipzig 1778–1781. 4. Aufl. 1809–1811.106 [Christian Friedrich von Germershausen:] Der Hausvater. In systematischer Ordnung von dem Verfasser der Hausmutter, 5 Bde., Leipzig 1783–1786.
Strategie 3: Das Subsumieren von Werken unterschiedlicher Gattungstraditionen unter den Titel »Frauenzimmerbibliothek« oder »Damenbibliothek« Die Forschung versteht unter dem Kompositum »Frauenzimmerbibliotheken« im allgemeinen frauenadressierte Leseempfehlungslisten, die seit Anfang des 18. Jahrhunderts in Moralischen Wochenschriften veröffentlicht wurden: »In den ›Frauenzimmerbibliotheken‹ sammelte sich der Lesestoff des später so genannten ›Bildungsbürgertums‹ an.«107 Neben »Frauenzimmerbibliotheken« in Moralischen Wochenschriften wurden auch Zeitschriften und Bücher so betitelt. Musterbeispiel für eine Zeitschrift ist die Frauenzimmerbibliotheck (1785), deren drei Stücke Georg Carl Claudius (1757–1815) verfaßte.108 Beispiele für buchförmige »Frauenzimmerbibliotheken« sind die Literaturführer Frauen-Zimmer-Bibliotheckgen (1705) und Neue Damen-Bibliothek (1800), zwei Werke, die in Abschnitt 2.1 vorgestellt wurden. Aber auch Sittenlehren (siehe das Beispiel unten), Bücher vermischten Inhalts,109 schöngeistige Textsammlungen110 und Enzyklopädien111 wurden unter den Titel 105 Friedrich Carl Gottlob Hirsching/Johann Heinrich Martin Ernesti (Forts./Hg.): Historisch-litterarisches Handbuch berühmter und denkwürdiger Personen, welche in dem achtzehnten Jahrhundert gelebt haben, Bd. 11, Abt. 2, Leipzig 1808, S. 339–341, hier S. 340. 106 Hier sowie beim nachfolgenden Titel konnte ich nicht auf Vorarbeiten zurückgreifen, die mich in die Lage versetzt hätten, die Zahl der Auflagen verläßlich zu rekonstruieren. 107 Helmuth Kiesel/Paul Münch: Gesellschaft und Literatur im 18. Jahrhundert. Voraussetzungen und Entstehung des literarischen Markts in Deutschland, München 1977, S. 168. 108 Vgl. auch den Titel der Zeitschrift La bibliothèque des femmes, ouvrage moral, critique et philosophique (1759) (von dem Periodikum kamen nur zwei Nummern heraus). 109 [Karl Friedrich Kretschmann?:] Bibliothek der Damen; oder Sammlung lehrreicher und angenehmer Abhandlungen zur [sic] Bildung, Nutzen und Vergnügen des schönen Geschlechts. Aus dem Französischen übersetzt, Zittau u. a. 1766. 110 [Karl Friedrich Kretschmann?:] Neue Bibliothek der Damen zum Zeitvertreibe in der Einsamkeit, in lehrreichen und angenehmen Erzehlungen, Zittau u. a. 1769. [Carl Friedrich Müchler (Hg.)]: Kleine Frauenzimmerbibliothek. Herausgegeben von M…..r, 3 Bde., Hamburg 1781–1783. 111 Allgemeine Damenbibliothek. Eine freye Uebersetzung des französischen Werkes dieses Namens mit
4.2 Die Polarisierung der Bildungssphären
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»Damenbibliothek« subsumiert.112 Das Nichtkenntlichmachen der spezifischen Inhalte erschwerte damals und erschwert heute die Textsortenklassifikation vieler unter dem Label »Frauenzimmerbibliothek« oder »Damenbibliothek« firmierender Bücher. Man muß die jeweilige »Frauenzimmerbibliothek« wirklich autopsiert oder Nachrichten über sie eingeholt haben, um zu wissen, was sie zum Inhalt hat. Das Verfahren, Bücher unterschiedlichsten Inhalts mit dem Titeletikett »Frauenzimmerbibliothek« oder »Damenbibliothek« auszustatten, war adressatinnenexklusiv. Ein gehäuftes Vorkommen von Titeln wie »Männerbibliothek« oder »Herrenbibliothek« läßt sich im Zeitalter des Buchdrucks zu keinem Zeitpunkt nachweisen. In Verbindung mit »Frauenzimmer« suggeriert das Wort »Bibliothek«, ein solches Buch biete alles, was eine Frau wissen solle. Weil die unterschiedlichsten Werke unter dem Begriff »Frauenzimmerbibliothek« zusammengefaßt wurden, ging von diesem »Einheitsetikett« das Signal aus: Gegenüber dem Buch an sich und der Bibliothek als (An-)Sammlung von Büchern ist der aufgeklärte Umgang mit Druckerzeugnissen und damit die Kenntnis von Gattungstraditionen von sekundärer Bedeutung. Gab es schon vor dem 18. Jahrhundert »Frauenzimmerbibliotheken«? 113 Und welches war die erfolgreichste »Frauenzimmerbibliothek« des 18. Jahrhunderts? Paulin Erdt gibt in Philotheens Frauenzimmer-Akademie (1783) Nachricht über folgendes Projekt: »Von der Bibliotheque de Femmes savantes schreibt Aegidius Menagius. Der gelehrte Ludovicus Jacobus, ein Carmelit, hat in derselben die Namen und Schriften des gelehrten Frauenzimmers entworfen; diese Bibliotheque ist aber eine Handschrift verblieben.« 114 Die Rolle des Vaters aller gedruckten »Frauenzimmerbibliotheken« übernimmt der Historiograph François de Grenaille (1616–1680), der sich nebenbei auch als freier Schriftsteller betätigte. La bibliothèque des dames (1640) enthält Schriften religiös-erbaulichen Inhalts von Kirchenvätern. Im deutschsprachigen Raum legte erstmals Harsdörffer einen »Frauenzimmer Bücherschrein« vor;115 dabei handelt es sich um die gekürzte deutsche Version von La Bibliothèque des dames. Die genauen Titel beider Texte lauten: François de Grenaille: La bibliothèque des dames. Par Mr de Grenaille sieur de Chatounieres, Paris 1640. Georg Philipp Harsdörffer: Gesprächspiele siebender Theil: handlend von vielen Künsten, Fragen, Geschichten, Gedichten, und absonderlich von der noch unbekanten Bildkunst: Benebens
112 113 114 115
zweckmäßigen Veränderungen und Zusätzen und einer Vorrede von Herrn Hofrath Wieland, 6 Bde., Leipzig 1786–1789. Ab circa 1880 erschien bei dem Wolfenbütteler Verleger Julius Zwißler die Reihe »Deutsche Frauenbibliothek«. Ich beziehe mich hier ausschließlich auf Fragen der Titelgebung, nicht auf reale oder imaginierte Bibliotheken von Frauen. Aegidius Menagius = Gilles Ménage (1613–1692). Philothee [Pseud., Paulin Erdt]: Philotheens Frauenzimmer-Akademie. Für Liebhaberinnen der Gelehrsamkeit […], Augsburg 1783, S. XXVII. Aus meiner Sicht sollte der Anhang als Konzession eines Neuerers an konservative Publikumsschichten interpretiert werden. Vgl. dagegen Karin A. Wurst: Die Frau als Mitspielerin und Leserin in Georg Philipp Harsdörffers Frauenzimmer Gesprächspielen, in: Daphnis 21, 1992, S. 615–639, hier S. 630.
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4. Männer lehren Frauen die Normen und Formen des Umgangs
einem Anhang benamt Frauenzimmer Bücherschrein. Gefertiget durch ein Mitglied der Hochlöblichen Fruchtbringenden Gesellschaft, Nürnberg 1647. 1717 wurde im Leipziger Ostermeßkatalog unter der Überschrift »Libri Miscellanei Fut[uris] Nund[inis] prodituri« eine »Frauenzimmer Bibliothec« angezeigt, bei der es sich um eine englische Sittenlehre in deutscher Sprache handelt: »Curieuse Frauenzimmer Bibliothec, worinnen allgemeine Regeln, wie so wohl ein lediges als verheyrath. Frauenzimmer bey allen vorfall[enden] Begebenh[eiten] Zeit ihres Lebens ihre Auffuhrung einrichten soll, durch eine Dame geschrieben, und von Ritter Richard Steele der Welt bekandt gemacht«.116 Wie der Vergleich mit der französischen Übersetzung dieses Werkes zeigt, wurde für die angekündigte Übersetzung nicht das englische Original, sondern die französische Version als Vorlage herangezogen. Die angezeigte »Frauenzimmer-Bibliothek«, die im englischen Original drei Bände umfaßt, sollte bei dem renommierten Leipziger Verleger Moritz Georg Weidmann erscheinen, doch läßt sich kein Druck nachweisen. Die von Richard Steele herausgegebene Sittenlehre 117 The Ladies Library (3 Bde., 1714) war nicht nur in seinem Herkunftsland die erfolgreichste buchförmige »Frauenzimmerbibliothek« des 18. Jahrhunderts, sondern auch in Deutschland, wo das gediegene Werk in französischer, englischer und deutscher Sprache rezipiert wurde. [Mary Wray:] The Ladies Library. Written by a Lady. Published by Richard Steele, 3 Bde., 3. Aufl. London 1722. 1. Aufl. 1714. 4. Aufl. 1732, 5. Aufl. 1739, 6. Aufl. 1751, 7. Aufl. 1772, 8. Aufl. 1772. [Mary Wray:] Bibliothèque des dames, contenant des règles générales pour leur conduite dans toutes les circonstances de la vie. Écrite par une dame, et publiée par M. le Chev. R. Steele. Traduite de l’anglois, 2 Bde., Amsterdam 1716. Bd. 3, 1724. Weitere Aufl. 1719, 1724, 1727. 1765. [Mary Wray:] Bibliothèque des dames, 3 Tle. [hg. von Richard Steele], Jena 1766–1767.118 [Mary Wray:] Frauenzimmer-Bibliothek worinn nützliche Betrachtungen über wichtige Stücke der Sittenlehre fürnemlich zum Gebrauch des Frauenzimmers enthalten sind. Geschrieben von einem Frauenzimmer und herausgegeben von dem Herrn Ritter R. Steele. Nach der dritten französischen Ausgabe in vier Theilen übersetzet, 4 Tle., Hamburg 1756–1761. Weitere Aufl. 1771. Frauenadressierte Publikationen im Titel durch das Wort »Frauenzimmerbibliothek« kenntlich zu machen, war eine von Männern eingeführte und angewandte Simplifizierungsstrategie. Ich kenne keine Autorin, die aus freien Stücken ein Buch entsprechend 116 Catalogus universalis […]. Das ist: Verzeichniß derer Bücher, so in der Franckfurther und Leipziger Oster-Messe des jetzigen 1717ten Jahres […] heraus kommen sollen […], Leipzig [1717], Bl. K2b. 117 Die Publikation wird zumeist als Zeitschrift klassifiziert, dagegen sprechen die Verteilung des Stoffs auf vier Bände, die systematische Gliederung der Einzelbände und die Länge der Kapitel. 118 Anonym: o. T. [Bibliothèque des dames (1766–1767)], in: Deutsche Bibliothek der schönen Wissenschaften 1, 1767, St. 1, S. 184: »Ein fehlerhafter Nachdruck eines bekannten Buches. Der Verleger [ Johann Christian Fischer, SK] hat das Leben des Richard Steele vorgesetzt, welches aus seiner eigenen Manufactur ist und folglich nicht viel bedeutet.«
4.3 Ein Beispiel für die psychologische Wirkung von Intertextualität auf Frauen
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betitelte. Die Urheberin119 von The Ladies Library folgte bei der Titelwahl dem Vorschlag oder den Vorgaben des Verlages, dies geht indirekt aus der Vorrede des Werkes hervor. Wohlgemerkt ohne das dreibändige Werk gelesen zu haben,120 ließ sich der weithin bekannte Publizist Richard Steele (1672–1729) dazu überreden, als Herausgeber von The Ladies Library zu fungieren. In der Vorrede äußert sich Steele auch über die Herkunft und die Angemessenheit des Titels »The Ladies Library« (ich zitiere im folgenden die deutsche Ausgabe in vier Teilen mit einer in eckige Klammern gesetzten Anmerkung des Übersetzers): In dem Zuschauer [Die schöne Wochenschrift, an der der Ritter R. Steele mit arbeitete, und die durch eine wohlgerathne deutsche Uebersetzung unter uns bekannt ist.] ist so oft von einer Bibliothek für das Frauenzimmer geredet worden, daß man daher Anlaß genommen hat, mir die Betrachtungen, die den Inhalt dieses Buches ausmachen, einzuhändigen. […] Ich glaube nicht, daß man einen bequemern Titel, als den einer Bibliothek fürs Frauenzimmer finden kann, wenn man sowol die Verschiedenheit der Schriftsteller, deren sich diese Person bedienet hat, als auch die Verschiedenheit der Gegenstände, die von ihr sind abgehandelt worden, ansiehet.121
Alle in diesem Abschnitt vorgestellten Kommunikationsstrategien bezweckten die Ausbildung von geschlechtsspezifischen Bildungssphären. Frauen sollten in dem Glauben bestärkt werden, ihre gesellschaftliche Rolle, die oft als »göttliche (natürliche) Bestimmung der Frau« verbrämt wurde,122 besser ausfüllen können, wenn sie dieser Bestimmung gemäße Literatur konsumieren.
4.3 Ein Beispiel für die psychologische Wirkung von Intertextualität auf Frauen Die Frage, welche publizistischen Kommunikationsstrategien Verlage, Übersetzer und Autoren immer wieder in Anspruch nahmen, wurde bisher hauptsächlich auf der Grundlage von Texten angegangen, die französischen, englischen, holländischen und italieni119 George A. Aitken: The Life of Richard Steele, 2 Bde., Ndr. d. Ausg. London 1889, New York/NY 1968, Bd. 2, S. 39–42. 120 Sich mit Hilfe von frauenadressierten Publikationen fortzubilden, hielten Männer unter ihrer Würde, außer sie beabsichtigten, die Welt der Frauen zu erkunden. 121 Die »wohlgerathne deutsche Uebersetzung« von The Spectator (1711–1712, 1714) fertigte Louise Gottsched: Der Zuschauer (9 Tle., 1739–1743). Richard Steele: Vorrede des Herrn Ritters Steele, in: [Mary Wray,] Frauenzimmer-Bibliothek worinn nützliche Betrachtungen über wichtige Stücke der Sittenlehre fürnemlich zum Gebrauch des Frauenzimmers enthalten sind. Geschrieben von einem Frauenzimmer und herausgegeben von dem Herrn Ritter R. Steele. Nach der dritten französischen Ausgabe […], 4 Tle., Hamburg 1756–1761, Tl. 1, Bl. *2a–*4a, hier Bl. *2a, *4a. 122 Dieses Ideologem, auf das Karin Hausen mit ihrer These von der »Polarisierung der ›Geschlechtscharaktere‹« rekurriert, tritt nicht erst mit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in Erscheinung. Karin Hausen: Die Polarisierung der »Geschlechtscharaktere«. Eine Spiegelung der Dissoziation von Erwerbs- und Familienleben, in: Werner Conze (Hg.), Sozialgeschichte der Familie in der Neuzeit Europas. Neue Forschungen (Industrielle Welt; 21) Stuttgart 1976, S. 363–393.
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4. Männer lehren Frauen die Normen und Formen des Umgangs
schen Ursprungs sind. In diesem Abschnitt steht ein Werk im Mittelpunkt, bei dem es sich zweifelsfrei um ein deutsches Originalwerk handelt, auch wenn die französisierende Titelfassung anderes vermuten läßt: Anonym: Galante Frauenzimmer-Moral, oder: Die kluge Conduite des honnetten Frauenzimmers in einer Entrevue zwischen drey Demoiselles, über auserlesene und recht schöne frantzösische Maximen gezeiget. Von ***, Leipzig 1722. 2. Aufl. 1723, 3. Aufl. 1731.123
1.
Die Galante Frauenzimmer-Moral – eine Markneuheit
Bei der Galanten Frauenzimmer-Moral handelt es sich um die erste frauenadressierte Klugheits- und Anstandslehre deutscher Herkunft.124 Geboten wird ein Lern- und Lehrgespräch. Die Erzählhandlung folgt einem relativ simplen Muster: Drei junge, miteinander befreundete Städterinnen – alle drei unverheiratet – reisen aufs Land, wo ihnen der Gedanke kommt, zu ihrer Lebenssituation passende Handlungsmaximen, die bereits in gedruckter Form vorliegen, im Wechsel zu kommentieren. Die Dreiergruppe illustriert alters-, geschlechts- und standesspezifische Denk- und Handlungsmodelle, Modelle, bei denen es sich nicht um getreue Abbilder der empirischen Wirklichkeit handelt, sondern um aus den unterschiedlichsten Quellen herausdestillierte Idealfälle. Vorgeführt wird, wie und worüber Freundinnen aus dem höheren Bürgertum reden sollen, was sie verbinden kann und wovor sie sich zu hüten haben, wenn sie bei geselligen Anlässen mit anderen, besonders aber mit Männern, zusammentreffen. Konzeptionell läßt sich die Galante Frauenzimmer-Moral mit Harsdörffers Gesprächspielen (8 Tle., 1641–1649) und den Geist- und lehr-reichen Conversations Gesprächen (1696) von Hortensia von Salis vergleichen, das Werk steht aber in einer anderen Gattungstradition, der der Klugheits- und Anstandslehren. Harsdörffers vielbändiges Hauptwerk stellt gattungstypologisch eine Mischform dar aus Gesprächsspiel, Konversationenband und
123 Einzig Hugo Hayn verzeichnet die dritte Auflage des Werkes (die Erstauflage wird von ihm lediglich erwähnt): Die deutsche Räthsel-Litteratur. Versuch einer bibliographischen Uebersicht bis zur Neuzeit. Nebst einem Verzeichnisse deutscher Loos-, Tranchir- und Complimentir-Bücher, in: Centralblatt für Bibliothekswesen 7, 1890, S. 516–556, hier S. 555, Nr. 47. Die zweite Auflage ist nur bibliographisch nachweisbar. Auf Hayn stützen sich: Manfred Beetz: Frühmoderne Höflichkeit. Komplimentierkunst und Gesellschaftsrituale im altdeutschen Sprachraum (Germanistische Abhandlungen; 67), Stuttgart 1990, S. 326. Montandon (Hg.) (Anm. 33), S. 333. Sabine Koloch: Zeremoniellbücher als Forschungsaufgabe kulturhistorischer Frauenforschung, in: Kritische Berichte. Zeitschrift für Kunst- und Kulturwissenschaften 24, 1996, 4, S. 43–60, hier S. 55, Anm. 26. 124 Die Forschung ging bisher davon aus, es gäbe keine explizit an Frauen gerichteten Klugheitslehren. Die Existenz von frauenadressierten Klugheitslehren ist ein Beweis für die Vermittlung von strategischem Wissen an diese Zielgruppe. Man vergleiche diese Befunde mit der Kurzcharakterisierung des 110 Seiten umfassenden Oktavbändchen durch Manfred Beetz (ebd., S. 102, Anm. 286): »Als Anstandsbuch für Frauen und Mädchen achtet die ›Galante Frauenzimmer-Moral‹ von 1722 vor allem auf die inneren Qualitäten und den guten Ruf seiner Adressatinnen.«
4.3 Ein Beispiel für die psychologische Wirkung von Intertextualität auf Frauen
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Wissensenzyklopädie.125 In den Gesprächspielen interagieren drei weibliche und drei männliche Figuren, zu Paaren gefügt, miteinander. Mit Ausnahme von Reymund Discretin, Repräsentant des Gelehrtenstandes, setzt sich die Spielgesellschaft aus Adligen zusammen. Im Konversationenband der Schweizerin fluktuiert die Zusammensetzung der Figuren von Szene zu Szene. Frauen bilden fast immer die Mehrheit. Die Standeszugehörigkeit wird weitgehend verschleiert. Um 1700 scheint sich ein von der Forschung nicht ausreichend untersuchter Paradigmenwechsel auf dem Gebiet der laienbezogenen Lehrkultur vollzogen zu haben, wobei der Konversationenband von Hortensia von Salis als charakteristisches Beispiel gelten kann. Diesen Paradigmenwechsel spiegelt die Konzeption der Galanten Frauenzimmer-Moral wider:126 – Paternale/maternale Strenge und Ratiobetontheit weichen einem empathischeren Lehrund Umgangsstil, dessen wertemäßige Bezugspunkte nun nicht mehr oder nicht mehr primär Verstandesbildung, Gottesfurcht und Gehorsam darstellen, sondern Herzensbildung, Freundschaft sowie Geselligkeits- und Ausdrucksideale wie Toleranz, Kritikenthaltung, Weltoffenheit, Natürlichkeit, Überschwenglichkeit und Zartgefühl (die Propagierung und Ausbreitung der genannten Ideale ist eng verwoben mit dem Pietismus, der Naturrechtslehre und der literarischen Strömung der Empfindsamkeit [ca. 1740 bis 1780]127). – Die Textproduzierenden schlüpfen in die Rolle des väterlichen Freundes/der mütterlichen Freundin oder imaginieren Figuren, die diesen Typus verkörpern. – Als Darstellungs- und Vermittlungsform wird häufiger der Dialog/Multilog oder der Brief gewählt. Das mechanische Eintrichtern von Lernstoff mit Hilfe des Frage-Antwort-Schemas – auch katechetische Methode genannt – und papageienhaftes Wiederholen der vorgetra-
125 Mit Blick auf die Gesprächspiele hob Herbert Jaumann die »enzyklopädische Seite des Unterhaltenden« hervor. Herbert Jaumann: Die Kommunikation findet in den Büchern statt. Zu Harsdörffers Literaturprogramm in den Gesprächspielen, in: Italo Michele Battafarano (Hg.), Georg Philipp Harsdörffer. Ein deutscher Dichter und europäischer Gelehrter (IRIS. Ricerche di cultura europea/Forschungen zur europäischen Kultur; 1), Bern u. a. 1991, S. 163–179, hier S. 175. 126 Wegen der Eingrenzung auf Wochenschriften sind die Forschungsergebnisse von Gertrud Keiner wenig repräsentativ. Gertrud Keiner: Die Stilmittel der Moralischen Wochenschrift, unter besonderer Berücksichtigung der Ansprache der Frau, in: dies., Die Ansprache der Frau in der Moralischen Wochenschrift des 18. Jahrhunderts, [2 Tle.], Diss. Münster 1942, [Tl. 2], S. 1–185. 127 Nikolaus Wegmann: Diskurse der Empfindsamkeit. Zur Geschichte eines Gefühls in der Literatur des 18. Jahrhunderts, Stuttgart 1988. Rüdiger Campe: Affekt und Ausdruck. Zur Umwandlung der literarischen Rede im 17. und 18. Jahrhundert (Studien zur deutschen Literatur; 107), Tübingen 1990. Friedrich Vollhardt: Selbstliebe und Geselligkeit. Untersuchungen zum Verhältnis von naturrechtlichem Denken und moraldidaktischer Literatur im 17. und 18. Jahrhundert (Communicatio; 26), Tübingen 2001.
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genen Belehrungen sind Beispiele für Lehrformen,128 die von dem neuen Paradigma allmählich an den Rand gedrängt werden.129 Die von dem Leipziger Verleger August Martini produzierte Galante FrauenzimmerMoral (1722)130 fand beim Publikum so viel Anklang, daß das Buch zwei weitere Auflagen erfuhr (2. Aufl. 1723, 3. Aufl. 1731). Der Autor bediente sich einer in der Frühen Neuzeit typisch männlichen Kommunikationsstrategie, um sein Buch für Frauen attraktiver zu machen. Er versuchte glaubhaft zu machen, die Gespräche seien von einer weiblichen Person schriftlich festgehalten worden. Am Ende der Gespräche auf dem Lande, die Sophronie, Rosalie und Chloris führten, äußert Chloris, die Jüngste und Wißbegierigste der drei, den Wunsch: Und ich wolte nur wünschen, ließ sich Chloris verlauten, daß ich diesen Discours könnte schrifftlich haben! Jch werde auch solchen, so bald ich nach Hause komme, zu Papier bringen, weil mir doch das meiste noch beyfallen wird; Vielleicht kan ich noch mancher guten Freundin damit dienen: Und wenn sie ihn meinem Bruder, der als Factor in einer ansehnlichen Buchhandlung steht, zuschicken wolte, so weiß ich gewiß, daß er so curieus wäre, und solchen, jedoch uns dabey zu menagiren, in die Welt ausfliegen liesse.131
Auch mittels sprachlicher Befunde kann »die Autorin« der Galanten Frauenzimmer-Moral als Mann überführt werden. Sowohl die Titelfassung wie der Text des Buches künden von der Absicht, ein mit der Zeit gehendes Werk zu produzieren. Der galante Autor 132 schmeichelt den Frauen, indem er das Werk »Allen Honnetten und Tugendliebenden DEMOISELLEN« widmet und ein Sonett an die »Leserinnen« verfaßt, das mit dem Nutzen lockt, den die »Schönen« (»IHR Schönen, die ihr nach der wahren Tugend strebt«) aus dem Werk ziehen können.133 Die auf das Äußere und das Innere der Angesprochenen anspielende Anrede »IHR Schönen« ist ebenso wie die seit dem 17. Jahr128 Zur Anwendung gelangen diese Lehrformen in folgender Schrift: Anonym: Ein sehr nutzliches vnd züchtiges gesprech von junckfrewlichen guten Sitten vnnd Tugendten, zwischen zweyen Gespilen, mit einnander redend, Tübingen 1577. 129 Ein gereimtes Anstandsbuch liegt für das 17. Jahrhundert in der folgenden Publikation vor: Anonym: Ein Anstandsbüchlein für Mädchen vom Jahre 1616, hg. von Thomas Stettner, in: Das Bayerland 15, 1904, S. 447–449, 463–466 (gedruckt in Lindau am Bodensee). Reim, Vers und Strophe waren und sind immer noch mnemotechnische Hilfsmittel. Vgl. Jan-Dirk Müller: Gebrauchsliteratur, in: Gert Ueding (Hg.), Historisches Wörterbuch der Rhetorik, Bd. 3, Tübingen 1996, Sp. 587–604, hier Sp. 596. 130 Über weitere frauenspezifische Aktivitäten des Martini-Verlages unterrichtet Abschnitt 1.1. 131 [David Faßmann?:] Galante Frauenzimmer-Moral […], Leipzig 1722, S. 107. 132 Conrad Wiedemann (Hg.): Der galante Stil 1680–1730 (Deutsche Texte; 11), Tübingen 1969. Thomas Borgstedt u. a. (Hg.): Der galante Diskurs – Kommunikationsideal und Epochenschwelle (Arbeiten zur neueren deutschen Literatur; 6), Dresden 2001. 133 Das Lob der Leserin nahm gelegentlich exaltierte Formen an: »Ihnen, meine witzigen Schönen! Ihnen und keinem fürchterlichen Kunstrichter, muß ich Rechenschaft von gegenwärtiger Arbeit geben, die ich blos aus Liebe und Hochachtung für das schöne Geschlecht, und zum Nutzen und Vergnügen aller jungen Frauenzimmer unternommen habe.« Christoph Ludwig Pfeiffer: Briefe für das Frauenzimmer […], Bamberg u. a. 1758, Bl. )(5a.
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hundert zur Differenzierung der Geschlechter herangezogene Redewendung »le beau sexe« (das schöne Geschlecht) 134 ein Spezifikum männlicher Sprachbenutzer.135 Wie im vorangestellten Paratext, so wird auch im Haupttext das Geschlecht des Autors nicht in bewußter Absicht preisgegeben. Einer der Ratschläge Sophronies auf die Frage, wie eine Frau sich eines Mannes auf geschickte Weise entledigt, der sie vor den Augen anderer zu betören versucht, lautet: »so mag sie sich doch sicher mit einer ihres Geschlechts in Discours engagiren«.136 Eine Autorin hätte mit Sicherheit die Formulierung gewählt: »so mag sie sich doch sicher mit einem andern Frauenzimmer im Discours engagiren«. Mein Verdacht, David Faßmann (1683–1744) könnte der Autor der Galanten Frauenzimmer-Moral sein, erwies sich bei näherer Prüfung als nicht ganz unbegründet. Faßmann lebte mit Unterbrechungen zwischen 1717 und 1725 in Leipzig, wo er sich, geplagt von Geldnöten, unter anderem als Sprachlehrer verdingte. In diese Zeit fallen auch seine ersten Publikationen.137 Neben dem Aufenthaltsort Leipzig besitzen Übereinstimmungen in der Wortwahl Beweiskraft: Im Untertitel der den Nachruhm Faßmanns begründenden historisch-politische Zeitschrift Gespräche jn dem Reiche derer Todten (15 Bde., 1 Suppl.Bd., 1718–1740) taucht das im Deutschen eher ungebräuchliche Fremdwort »Entrevuë« (Unterredung) auf: »Gespräche Jn Dem Reiche derer Todten, Vierte ENTREVUË, Zwischen ELISABETHA, Königin in Engelland, Und CHRISTINA, Königin in Schweden« (1720). Das Wort »Entrevue« ist auch Bestandteil des Titels der Galanten FrauenzimmerMoral. Eines seiner Fortsetzungswerke betitelte Faßmann Angenehmes Passe-Tems (6 Tle., 1734–1743); im Haupttext der Galanten Frauenzimmer-Moral taucht die französische 134 Vgl. folgende Buchtitel: [William Walsh:] Defense du beau sexe addressée à Eugenie, dialogue. Écrit en Anglois par une personne de qualité, et traduit en François par une dame angloise, London 1691. [François Bruys:] Les vertus du beau-sexe. Par Mr. F***D***C***. Ouvrage posthume, Den Haag 1733. Henri Lasarraz: L’apothéose du beau-sexe, London 1741. [Dorothea Christiana Leporin:] Vernünftige Gedanken vom Studiren des schönen Geschlechts, Frankfurt/M. 1749 (Raubdruck der Ausgabe 1742; Leporin selbst betitelte ihre Schrift »Gründliche Untersuchung der Ursachen, die das weibliche Geschlecht vom Studiren abhalten«). Gottlieb Siegmund Corvinus definierte ›Frauenzimmer‹ wie folgt: »Frauenzimmer, Heisset überhaupt dasjenige schöne und edle Geschlechte, so dem Männlichen entgegen gesetzet wird.« Amaranthes [Pseud., Gottlieb Siegmund Corvinus]: Nutzbares, galantes und curiöses Frauenzimmer-Lexicon […], Leipzig 1715, Sp. 573; vgl. auch Bl. ):(6a). 135 Die Genus-Gruppen-Bezeichnung »das schöne Geschlecht« war in der Zeit vor 1700 ungebräuchlich. Wenn sie heutzutage von der Forschung auf die Zeit vor 1700 rückprojiziert wird oder in die Titelgebung wissenschaftlicher Werke Eingang findet, dann entweder aus Unwissenheit oder aus Marketinggründen. Ein Beispiel: Bettina Wahrig (Hg.): Arzneien für das »schöne Geschlecht«. Geschlechterverhältnisse in Phytotherapie und Pharmazie vom Mittelalter bis zum 19. Jahrhundert (Braunschweiger Veröffentlichungen zur Geschichte der Pharmazie und der Naturwissenschaften; 44), Stuttgart 2004. 136 [Faßmann?:] (Anm. 131), S. 47. 137 Ludwig Lindenberg: Leben und Schriften David Faßmanns (1683–1744), Berlin 1937, S. 15–21. Ulrich Schmid: Gespräche in dem Reiche derer Todten (1718–1739), in: Heinz-Dietrich Fischer (Hg.), Deutsche Zeitschriften des 17. bis 20. Jahrhunderts (Publizistik-historische Beiträge; 3), München 1973, S. 49–59.
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Wendung »passer le Tems« auf. Der Sprachstil Faßmanns zeichnet sich in den Totengesprächen durch unprätentiöse Einfachheit, Flüssigkeit und den häufigen Gebrauch von Gallizismen aus, die dem Werk einen modischen Charakter verleihen. Der Sprachstil des Autors der Galanten Frauenzimmer-Moral weist dieselben Eigenschaften auf: Da werden die größten Flatterien, die ersinnlichsten Caressen, ja auch wohl die obligeantesten Versprechungen gebraucht, oder wenn das Reden verbothen, die beweglichsten Minen gemacht, selbst die Hände müssen bißweilen reden; alles in der Absicht: Das Frauenzimmer entweder zu was unanständigen zu verleiten, oder sie sonsten pour passer le Tems zum besten zu haben, und endlich, wie man sagt, auf Narren-Seil zu setzen.138
Wurde die Galante Frauenzimmer-Moral vom Verlag in Auftrag gegeben? Welche Aufschlüsse erhält man in dieser Hinsicht von zu einem früheren Zeitpunkt publizierten Texten, auf die der Autor zugriff?
2.
Innerliterarische Textbeziehungen
Wenn man den Doppeltitel der Galanten Frauenzimmer-Moral nach Bezugstexten absucht, kommt man zu folgenden Ergebnissen: Der erste Prätext, der sich identifizieren läßt, ist der Buchtitel Des galanten Frauenzimmers kluge Hofmeisterin. In den vorderen Teil des Titels der Neuerscheinung wurde das Kompositum »Frauenzimmer« in Verbindung mit der adjektivischen Beifügung »galant« eingearbeitet. Ein Grund für die Bezugnahme auf die erste deutsche Übersetzung der Conseils d’Ariste à Célimène (1665) dürfte die Textsorte, die in beiden Fällen die gleiche ist, gewesen sein. Beim zweiten identifizierbaren Bezugstext handelt es sich wiederum um einen Buchtitel: Die beste Manier jn honnêter Conversation, sich höf lich und behutsam aufzuführen und in kluger Conduite zu leben. Aus recht schönen frantzösischen Maximen. Aufgegriffen wurden das Fremdwort »honnête« (in der abgewandelten Form »honett«), die Wortfügung »kluge Conduite« und die Phrase »recht schöne frantzösische Maximen«. Diese Übernahmen spekulieren mit dem Bekanntheitsgrad eines Werkes, das ebenfalls französische Verhaltensideale propagiert. Zur Erleichterung der vergleichenden Titelbetrachtung führe ich die erwähnten Texte in der Reihenfolge ihres Erscheinens an: [François Hédelin, Abbé d’Aubignac:] Des galanten Frauenzimmers kluge Hofmeisterin, aus dem Französischen ins Teutsche übersezt, Leipzig 1696. 2. Aufl. 1711. Menantes [Pseud., Christian Friedrich Hunold]: Die beste Manier jn honnêter Conversation, sich höflich und behutsam aufzuführen und in kluger Conduite zu leben. Aus recht schönen frantzösischen Maximen, und eigenen Einfällen verfertiget von Menantes, Hamburg 1707. 10. Aufl. 1742. [David Faßmann?:] Galante Frauenzimmer-Moral, oder: Die kluge Conduite des honnetten Frauenzimmers in einer Entrevue zwischen drey Demoiselles, über auserlesene und recht
138 [Faßmann?:] (Anm. 131), S. 45 f.
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schöne frantzösische Maximen gezeiget. Von ***, Leipzig 1722. 2. Aufl. 1723, 3. Aufl. 1731. Der wortbezogene Gleichklang auf der Titelebene zwischen der Galanten FrauenzimmerMoral und Hunolds Die beste Manier jn honnêter Conversation, sich höflich und behutsam aufzuführen gibt zur Frage Anlaß, ob Hunold beide Werke verfaßt haben könnte. Dies ist auszuschließen, nicht nur weil Hunold 1721 verstarb, sondern auch wegen der von ihm vertretenen Meinung, Frauen, die die Kunst des Komplimentierens erlernen wollen, könnten zu diesem Zwecke ja Romane durchblättern.139 Der Autor der Galanten Frauenzimmer-Moral rät dagegen entschieden vom Erlernen von Komplimenten aus Büchern ab.140 War der Verlag an der Ausformulierung des Titels der Galanten Frauenzimmer-Moral beteiligt? Schließt man vom Titel der Galanten Frauenzimmer-Moral auf den Buchinhalt, so scheint es, man habe es mit drei wortgewandten Freundinnen, einander vertraut durch gleiche Erfahrung und Bildung, sich ähnlich in Charakter, Neigung und Tugendliebe und daher einander völlig gleichgestellt, auch was das Lehren und Belehrtwerden betrifft, zu tun. Beim Lesen der Galanten Frauenzimmer-Moral stellt sich dann aber rasch heraus, daß Sophronie, älter, erfahrener und besonnener als Chloris und auch der in etwa gleichaltrigen Rosalie überlegen, insbesondere in der Konversation,141 der führende Kopf der Dreiergruppe ist. Die Diskrepanz zwischen Titel- und Haupttextsemantik könnte das Ergebnis der Einwirkung des Verlages sein, der beim titellesenden Publikum den Eindruck vermeiden wollte, in dem Buch erziehe eine »Hofmeisterin« in autoritativem Stil jüngere Frauen
139 Menantes [Pseud., Christian Friedrich Hunold]: Die beste Manier jn honnêter Conversation, sich höflich und behutsam aufzuführen […], Hamburg 1707, S. 548: »Nun hätte hier gute Gelegenheit, die Frauenzimmers Complimenten abzuhandeln; allein eines Theils beliebt es mir nicht, und andern Theils ist es auch nicht nöthig, daß ein Frauenzimmer viel complimentirt. Die Lust darzu haben, können gute Romanen durchblättern; ich will sie aber aufrichtig versichern, daß sie sich noch lange nicht werden so beliebt machen, wenn sie viel ohne Ursach, als wenn sie wenig mit guter Manier sagen.« 140 [Faßmann?:] (Anm. 131), S. 39 f.: »Könte man sich denn nicht allenfalls, fragte Chloris, mit Büchern helffen, wenn man solche fleißig läse, und Complimenten auswendig lernte? Das glaubt ja nicht, antwortete Sophronie, es wird euch offt am besten fehlen, oder ihr werdet diß und jenes recht mal à propos anbringen, daß man entweder darüber lachen, oder vielmehr Mitleyden haben wird, daß ihr euch mit allzugrosser Eingezogenheit so sehr im Lichte gestanden.« 141 Ebd., S. 5 f.: »Sophronie hatte sich durch ihren guten Verstand und kluge Conduite bereits das Lob erworben, daß sie eine der qualificirtesten Demoisellen sey, daher sich jedes von ihrer Conversation gratulirte, und den grösten Estim von sie [sic] machte. […] Rosalie aber hatte sich durch ihre artige, douce und ungezwungene Aufführung bey Sophronien so insinuiret, daß diese fast keinen Tag ohne dieselbe zubringen konte, und jene wiederum sich das gröste Plaisir davon machte, wenn sie nur um Sophronien seyn solte, weil sie befand, daß sie jedesmahl aus solcher Conversation etwas profitirte.«
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im heiratsfähigen Alter.142 Zur Erhellung der Frage, ob der Verlag an der Ausformulierung des Titels beteiligt war, könnte auch der folgende Befund beitragen. Das frauenadressierte Martini-Druckwerk Compendieuses und stets-währendes Hand-Buchs des galanten und cuieusen Frauen-Zimmers und die Galante Frauenzimmer-Moral enthalten die Worte »auserlesen« und »galant«. Für diese Wortübereinstimmungen gibt es zwei mögliche Erklärungen: Entweder der Verlag wollte auf der Titelebene seinen Gestaltungswillen geltend machen, weil er von Werbepsychologie mehr verstand als seine Autoren. Oder August Martini wurde durch die Außerlesene Frauen-Zimmer-Medicin auf den Gedanken gebracht, eine Produktlinie aus der Taufe zu heben, die durch Auftragsautoren ausgeführt werden sollte. Für letztere Erklärung spricht, daß der Martini-Verlag der Galanten FrauenzimmerMoral eine adressatinnenspezifische Bücheranzeige beibinden ließ und die angezeigten Bücher in seinem Laden zum Verkauf anbot. Zudem haben die mir bekannten frauenadressierten Martini-Druckwerke alle in etwa denselben Seitenumfang. D. F.: Außerlesene Frauen-Zimmer-Medicin, das ist: viele und gewisse Mittel, welche die äusserlichen Gliedmassen und schöne Gestalt in seinem Stand erhalten, denen Gebrechen vorkommen und alle Ubelstände verbessern. Nebst etlichen andern dem Frauen-Zimmer nützlichen Kunst-Stückgen und Artzeneyen, zu bereiten, jn 35. Capiteln gelehret, und verfasset von D. F. Jn Verlegung des Autoris, und in Leipzig, zu finden bey Augusto Martini, o. O. 1715. 2. Aufl. 1742. Anonym: Compendieuses und stets-währendes Hand-Buch des galanten und cuieusen FrauenZimmers (enthaltend ein kurtzgefaßtes) Wäsch- und Küchen-Inventarium, darinnen I. Alles Wäsch-Geräthe […]. II. Ein compendieuses Küchen-Inventarium […]. III. Gute […] Dinten zu bereiten. IV. Einer unmaßgeblichen Vorschrifft nach welcher angehende Hauß-Hälterinnen die gantze Woche über, ihre Küche […] bestellen lassen können. V. Ein Kern vortreflicher Künste, die Wäsche von allerhand Eisen- und Dinten-Flecken zu reinigen […]. VI. Wie nach heutiger Art die Caffe-Tische, Breter, Schräncke, Kästgen, und andere zur Galanterie gehörige Sachen, mit dem [sic] auserlesensten Firnissen zu laquiren […]. Jedermänniglich, sonderlich aber dem galanten Frauen-Zimmer zum Nutzen in dieser Kürtze zusammen gefasset, 4. Aufl. Leipzig 1730. 1. Aufl. 1718, 2. Aufl. 1728. [David Faßmann?]: Galante Frauenzimmer-Moral, oder: Die kluge Conduite des honnetten Frauenzimmers in einer Entrevue zwischen drey Demoiselles, über auserlesene und recht schöne frantzösische Maximen gezeiget. Von ***, Leipzig 1722. 2. Aufl. 1723, 3. Aufl. 1731. Die Vermutung, der Autor der Galanten Frauenzimmer-Moral könnte im Auftrag des Martini-Verlages gehandelt haben, kann durch weitere Verdachtsmomente erhärtet werden. Nirgendwo im Text wird der Autor als Persönlichkeit greifbar. Auffällig ist auch die fehlende Vorrede. Die bloße Existenz einer Vorrede muß aber nicht gegen eingreifendes 142 Ein Beispiel für ein Werk mit einem autoritativen Lehrstil: [Sarah Fielding:] Die Hofmeisterinn; oder die kleine Akademie für das Frauenzimmer, zum Vergnügen und Unterrichte junger Personen dieses Geschlechtes bey ihrer Erziehung. Aus dem Engländischen, Leipzig 1761.
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Handeln seitens des Verlages sprechen. Die Vorrede zum Compendieusen und stets-währenden Hand-Buch des galanten und curieusen Frauen-Zimmers (4. Aufl. 1730, 1. Aufl. 1718) endet mit den Worten: Mit ehesten soll auch eine auserlesene Frauenzimmer Medicin sich wieder zeigen. Nachdem die galante Frauenzimmer-Moral geneigt aufgenommen worden. Der Leser nehme mit diesen [diesem?, SK] kleinen Werckgen vor willen, bis zu dessen Ergötzung ein besseres zu seinen Diensten stellen wird Dessen und Deroselben Dienstfertiger Autor.143
Gewöhnlich warben frühneuzeitliche Buchautoren in ihren Vorreden nicht für Druckwerke desselben Verlages, wenn diese von anderen Autoren stammten. Es kann deshalb relativ sicher angenommen werden, daß der Martini-Verlag dem Autor des Compendieusen und stets-währenden Hand-Buchs des galanten und curieusen Frauen-Zimmers die Direktive erteilte, Verlagsinformationen in seine Vorrede aufzunehmen. Doch kehren wir zur Intertextualitätsthematik zurück, wo uns die Frage zu beschäftigen hat, welche Bezugstexte sich im Haupttext der Galanten Frauenzimmer-Moral nachweisen lassen. Die lehrhafte Erzählung folgt einem Schema, das in Jean-Baptiste Morvan de Bellegardes Modèles de conversations pour les personnes polies (1697),144 aber auch in anderen Werken, als Muster angelegt war. Drei in der Stadt Simenien lebende Frauenzimmer beschließen, »der Lust des edlen Land-Lebens zu geniessen, und sich auf einem plaisanten Land-Gute, so nicht allzuweit von der Stadt entlegen, und der Sophronie Eltern zuständig war, zu divertiren.« 145 Sophronie geht der Ruf voraus, mehr Verstand als andere und eine kluge Conduite zu besitzen, weshalb sie von Chloris’ Mama, einer nahen Anverwandten, beauftragt wird, der Tochter »per Discours diese und jene gute Lehre beyzubringen, und ihr die Welt ein wenig bekannt zu machen«.146 Nach ihrer Ankunft auf dem Land erkunden die Freundinnen zuerst die Gegend. Als der Abend naht, finden sie sich im Zimmer Sophronies ein, das »ein compendieuses Bibliothecgen von allerhand guten und meist moralischen Büchern« 147 beherbergt; das Diminutivum »Bibliothecgen« setzt meines 143 Anonym: Vorrede. Hoch-Werther Leser und Leserin, in: Anonym, Compendieuses und stetswährendes Hand-Buch des galanten und curieusen Frauen-Zimmers […], 4. Aufl. Leipzig 1730, Bl. A1a–A2b, hier Bl. A2b. 144 Nasse (Anm. 21), Teilbd. 2, S. 518: »Den Rahmen für den eigentlichen Text […] bildet diesmal das Gespräch zwischen drei Freunden (Arsenne, Ariste und Timante) […]. Die Wohnung des Ariste ist der Treffpunkt, an dem die drei in zwangloser Form über die verschiedensten Themen ihre Meinungen austauschen. Die Lektüre Senecas, in die Ariste zufällig vertieft ist, gibt Anlaß zu der ersten Unterhaltung ›Sur les Desordres des Passions‹ […]. Für das zweite Gespräch (›Sur la Morale‹, S. 33–63) zieht man sich auf das Landhaus des Arsennes in der Nähe von Paris zurück […].« 145 [Faßmann?:] (Anm. 131), S. 5. 146 Ebd., S. 6. 147 Ebd., S. 7.
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Erachtens die Kenntnis des Frauen-Zimmer-Bibliotheckgens (1705) voraus (mehr dazu in Abschnitt 1.2). Chloris war bey dessen Erblickung gleich curieus, und sagte: Ey hier werden wir sonderzweiffel allerhand schöne Romans zum Zeitvertreib finden! Jhr irret euch Chloris, erwiederte Sophronie, ihr werdet deren wenig oder keine bey mir antreffen, doch habt ihr die Freyheit, euch umzusehen. Chloris ließ sich hiezu nicht lange nöthigen, und indem Sophronie indeß mit Rosalien sprach, durchblätterte sie dieses und jenes Buch. Unter andern fiel ihr in die Hand: Carolo Bisani Schlüssel zum Geheimnis der weis- und klugen Welt, darinnen schon seit An. 1708. jemand unter verdecktem Nahmen Leuten von allen Ständen ein recht schön Portrait gemacht und mit wenigen überaus viel gesagt hat. Sie fand so gleich beym Aufschlagen am 115. Blat: Die artige, geschickte und kluge Demoiselle, überlase die wohl ersonnenen Maximen, und da sie nach diesem aus der Vorrede ersahe, daß der Autor versprochen, solche in einem aparten Werck zu illustriren, so wünschte sie solches zu sehen. Wertheste Sophronie, waren ihre Worte, indem sie zugleich das Buch überreichte, hier finde ich bey sie [sic] was recht artiges; Das sind vortreffliche Reguln vor ein Frauenzimmer, nur schade, daß man die Ausführung nicht dabey haben soll. Jst der Herr Bisani nicht seinem Versprechen nachgekommen? Das kan ich euch nicht sagen, liebste Chloris, antwortete Sophronie, welcher heimlich recht lieb war, daß jene eben diese Passage finden müssen, weil sie auf solche Art Gelegenheit hatte, der instruction von der Chloris Mama nachzukommen, ich habe es zu erfahren niemahls Gelegenheit gehabt, ob mir es wohl zu sehen selbst offt gewünschet.148
Sophronie erklärt den Freundinnen, sie habe sich schon Gedanken über die Maximen des Kapitels, das Chloris aufschlug, gemacht. Daraufhin bittet Chloris die geistig überlegene Freundin darum, ihren Gedanken Worte zu verleihen. Dies entspricht auch dem Wunsch von Rosalie. Dem Gebot der Höflichkeit folgend willigt Sophronie erst nach kurzem Zögern ein. Am nächsten Morgen beginnt Chloris damit, den Freundinnen die Maximen des Kapitels vorzulesen. Jede einzelne der sechzehn Maximen wird durchgesprochen. Häufig kommentiert Sophronie die jeweilige Maxime, aber auch Rosalie und Chloris übernehmen die Rolle der Kommentatorin. Man ist geneigt, das damals schon zehn Jahre alte Buch von Carolus Bisani für ein Produkt der Phantasie zu halten, so frei erfunden wie der Schauplatz Simenien und andere Erzählelemente des Textes. Die Prüfung der Sachlage führt aber zu einem anderen Ergebnis. Das erwähnte Buch einschließlich des Kapitels »Die Artige, Geschickte, und Kluge Demoiselle« existiert wirklich.149 Demnach steht unwiderleglich fest: Der Autor der Galanten Frauenzimmer-Moral verwendete Bisanis Klugheitslehre als Vorlage für sein eigenes Buch, vielleicht sogar auf Anregung des Verlages. Fest steht somit auch: Die im Titel der Galanten Frauenzimmer-Moral angekündigten französischen Maximen sind bei Lichte betrachtet nicht das, was sie zu sein vorgeben, nämlich französischen Ursprungs. Dieses Beispiel zeigt einmal mehr, welche Blüten die Kulturdominanz Frankreichs in Deutschland trieb. Meine Nachforschungen zu Carolus Bisani verliefen ergebnislos.150 Wenn die Behauptung des Autors der Galanten Frauenzimmer-Moral, jemand habe unter verdecktem 148 Ebd., S. 7–9. 149 Carolus Bisani: Der Schlüssel zum Geheimnüß der weis- und klugen Welt […], Görlitz 1708, S. 115–121. 150 Für Auskünfte habe ich Roland Otto (Stadtarchiv Görlitz) und Matthias Wenzel (Oberlausitzsche Bibliothek der Wissenschaften zu Görlitz) zu danken.
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Namen das Werk veröffentlicht, der Wahrheit entspricht, wird vielleicht nur etwas über seine Biographie in Erfahrung zu bringen sein, wenn das italianisierende Pseudonym gelüftet ist.151 Da Bisani kein flüssig und galant schreibender Autor war, kann ausgeschlossen werden, daß Bisani und der Autor der Galanten Frauenzimmer-Moral ein und dieselbe Person waren. Von den drei geplanten Teilen, die Der Schlüssel zum Geheimnüß der weisund klugen Welt, oder die Ausübung der besten Moral, Prudenz und Politiqve, wie solche in itzigem Seculo, durch alle Stände und Conditiones der Menschen insgeheim practiciret wird; kürtzlich entworffen umfassen sollte, wurde einzig der erste realisiert. Der zweite Teil sollte eine Auswahlbibliographie, der dritte den oben erwähnten Kommentar (»Ausführung«) enthalten.152 Neben Carolus Bisani bezieht sich der Autor der Galanten Frauenzimmer-Moral im Haupttext auf noch mindestens zwei weitere Autoren. In Des galanten Frauenzimmers kluge Hofmeisterin (1696) heißt es im Kapitel »Ob es wohl stehe, daß man einander heimlich ins ohr rede«: »Warum soll aber auch eine gantze gesellschafft in der zeit still schweigen, da ihr einer allein ins ohr redet? Denn dergleichen begebnüsse schliessen allen andern den mund, und unterbrechen das gantze gespräch«.153 Mit demselben Argument wird das InsOhr-Flüstern in der Galanten Frauenzimmer-Moral (Maxime VI.) kritisiert:154 »Und überhaupt macht es doch die Anwesenden a l’ordinair curieux wenn nichts als Heimlichkeiten gespeiset werden, wird auch dadurch gleichsam allen andern der Mund geschlossen.« 155 Dies ist eine Textstelle unter mehreren, die die d’Aubignac-Rezeption durch den Autor der Galanten Frauenzimmer-Moral belegen. Das Sich-Abkapseln in der Gruppe mittels Flüsterkommunikation ließ auch Julius Berhard von Rohr nicht ungerührt. Dieser bezieht sich in seinem Anstandsbuch Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der Privat-Personen (1728, 2. Aufl. 1730) auf die Galante Frauenzimmer-Moral: Es ist gar sehr dem Wohlstand zuwider, wenn einige in den Gesellschafften stets mit ihrem Nachbarn alleine reden, und ihm etwas heimlich ins Ohr sagen, das die andern aus der Gesellschafft nicht vernehmen sollen. Chloris bekennet mit Wahrheit, in der galanten Frauenzimmer-Morale p. 81. daß es 151 Auffallenderweise stattete der Autor der Galanten Frauenzimmer-Moral drei seiner Figuren mit italienisch klingenden Namen aus: Garrula, Filardo, Sciola. Zudem ließ er auf die Widmung ein Sonett, eine in Italien entstandende Gedichtform, folgen. 152 Bisani (Anm. 149), o. Sign.: »Stellet für Die völlige Illustration aller Maximen durch Rationes, 1. Naturales, Morales und Politicas. 2. Durch außerlesene Exempel der Alt- und Neuen Historie. 3. Durch Politische und Moralische Reflexiones. 4. Durch allegirung der hin und wieder fürtreflichsten Bücher. 5. Durch Sinnreiche Betrachtungen.« 153 [François Hédelin:] Des galanten Frauenzimmers kluge Hofmeisterin […], Leipzig 1696, S. 96. 154 Vgl. zum Ins-Ohr-Flüstern die autobiographischen Aufzeichnungen der Fürstin Gisela Agnes zu Anhalt-Köthen (1669–1740): »So balt die Dafel aufgehoben, kam der First [Fürst, SK] und nahm bei allen abschit, bei mir zuletzte, sagte mir heimlich ins ohr, Metgen [Mädchen, SK], wen ich nicht wietter kom, bistu einzig und allin schult daran, drickte mich darbei die hant recht veste, ich wurtte zimlich roht – | Der First fur fort – | die princeßin und alle wollten wißen, waß der First doch zu mir gesagt, daß ich were So roht gewortten«. Paul Ehrhardt: Gisela Anges – [ Johann Sebastian] Bach. Bilder aus Köthens Vergangenheit, Köthen 1935, S. 51. 155 [Faßmann?:] (Anm. 131), S. 52.
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die beste Mode nicht wäre, die viele von ihrem Geschlecht an sich hätten, daß, wenn zumahl Bekandte zusammen kämen, sie einander beständig nach den Ohren führen, und bald jene dieser, bald diese jener etwas zuzischelten, auch wohl sodann ein heimlich Gelächter darüber aufschlügen. Noch unanständiger ists, wenn Manns-Personen dem Frauenzimmer etwas ins Ohr zischeln; denn, wer will denen, so dabey sitzen, verwehren, daß sie das nicht vor eine Marque grosser Vertraulichkeit ansehen, die sie ihnen nicht zum besten sprechen werden.156
Beim letzten Satz des zitierten Textausschnitts handelt es sich um ein fast wörtlich wiedergegebenes Zitat aus der Galanten Frauenzimmer-Moral, das von Rohr nicht als Übernahme kennzeichnet. Der Originaltext lautet folgendermaßen: Und was halten sie, werthe Sophronie, vom heimlich Reden? Fragte Chloris weiter. Dadurch, antwortete diese, kan sich ein Frauenzimmer in Compagnie höchst verdrüßlich und verdächtig machen. Denn ich muß bekennen, daß es die beste Mode nicht ist, die viele von unserm Geschlecht an sich haben, daß wenn zumahl bekannte zusammen kommen, sie einander beständig nach den Ohren fahren, und bald jene dieser, bald diese jener etwas zuzischelt, auch wohl sodann ein heimlich Gelächter darüber aufschlagen. […] Und noch curieuser, sagte Rosalie, macht es die Anwesenden wohl, wenn Manns-Personen dem Frauenzimmer was ins Ohr zischeln. Denn wer will denen, so dabey sitzen, verwehren, daß sie das nicht vor eine Marque grosser Vertraulichkeit, die sie ihr nicht zum besten sprechen werden, ansehen? 157
Sophronie kommentiert Maxime VI. mit der Bemerkung: »Endlich eines andern Mängel und Gebrechen verlachen, zeiget wenig Verstand an, weil ja fast jeglicher Mensch seine eignen Auslachens-Würdigkeiten besitzt, und nicht weiß, was ihn über lang oder kurtz noch selbst treffen kan.«158 Die ausgefallene Wortverbindung »Auslachens-Würdigkeiten« spielt auf die deutsche Übersetzung der Réf lexions sur le ridicule (1696) von Jean Baptiste Morvan de Bellegarde an. Es ließen sich somit insgesamt fünf Bezugstexte identifizieren: [François Hédelin, Abbé d’Aubignac:] Des galanten Frauenzimmers kluge Hofmeisterin, aus dem Französischen ins Teutsche übersezt, Leipzig 1696. 2. Aufl. 1711. Anonym: Frauen-Zimmer-Bibliotheckgen, oder thuelicher Vorschlag, wie und auff was Ahrt, für ein deutsches Frauen-Zimmer, mässigen Vermögens, unterschiedene außerlesene, und recht nützliche Bücher, zu ihrem Vergnügen, zeitlichen und ewigen Wohlseyn, gar leicht und auff wenig Kosten, angeschaffet werden können […], Güstrow 1705. Menantes [Pseud., Christian Friedrich Hunold]: Die beste Manier jn honnêter Conversation, sich höf lich und behutsam aufzuführen und in kluger Conduite zu leben. Aus recht schönen frantzösischen Maximen, und eigenen Einfällen verfertiget von Menantes, Hamburg 1707. 10. Aufl. 1742. 156 von Rohr (Anm. 78), S. 294. Beim Abschreiben oder Setzen der Seitenzahl schlich sich im zitierten Quellentext ein Fehler: Es muß heißen S. 51. Außerdem spricht nicht Chloris, sondern Sophronie. Von Rohr zitiert die Galante Frauenzimmer-Moral in seinem Anstandsbuch mehrmalig (S. 188, 267, 294, 499 f., 567). 157 [Faßmann?:] (Anm. 31), S. 51, 52 f. 158 Ebd., S. 49.
4.3 Ein Beispiel für die psychologische Wirkung von Intertextualität auf Frauen
265
Carolus Bisani [Pseud.?]: Der Schlüssel zum Geheimnüß der weis- und klugen Welt, oder die Ausübung der besten Moral, Prudenz und Politiqve, wie solche in itzigem Seculo, durch alle Stände und Conditiones der Menschen insgeheim practiciret wird; kürtzlich entworffen, von Carolo Bisani, Görlitz 1708. Jean Baptiste Morvan de Bellegarde: Des Herrn Abts von Bellegarde Betrachtungen über die Auslachens-würdigkeiten, und über die Mittel, selbige zu vermeiden […]. Nach der siebenden frantzösischen Edition in die deutsche Sprache übersetzt, und mit einigen Anmerckungen vermehret, durch den Verfasser der Europäischen Fama [Pseud., Philipp Balthasar Sinold, gen. von Schütz], 2 Tle., Leipzig 1708. Das Ausblenden von Autorinnentexten ist symptomatisch für männliche Autoren.
3.
Zur psychologischen Wirkung der textlichen Bezugnahmen
Das vorläufige Ende der intertextuellen Spurensuche führt zur Frage, welche Wirkung die textlichen Bezugnahmen auf das zeitgenössische Publikum hatten. Um diese Frage klären zu können, ist es wichtig, sich den Unterschied zwischen Intertextualität, die auf Wiedererkennen setzt, und Intertextualität, die auf der halb- oder unbewußten Ebene operiert, bewußt zu machen. Ein Beispiel für ersteres ist das Zitat am Ende des Titels des Anstandsbuches von Karoline von Woltmann: Karoline von Woltmann: Spiegel der grossen Welt und ihrer Forderungen. Allen die in jene treten und diesen entsprechen wollen, insbesondere jungen Frauenzimmern gewidmet von Karoline v. Woltmann. Erlaubt ist, was gefällt! Erlaubt ist, was sich ziemt!, Pest und Leipzig 1824. Das ohne Quellenangabe zitierte Titelmotto »Erlaubt ist, was gefällt! Erlaubt ist, was sich ziemt!«159 ist Goethes Schauspiel Torquato Tasso (1790) entnommen. Goethes Zitate erzeugen einen Antagonismus (Freiheit vs. gesellschaftlicher Zwang), der auf einen Geschlechterantagonismus hinzielt, da der erste Satz von einem Mann (Tasso), der zweite von einer Frau (Prinzessin) gesprochen wird. Durch die Aufnahme der Tasso-Zitate in ein Anstandsbuch werden ursprünglich subjektive Äußerungen in überpersönliche Handlungsmaximen umgewandelt. Die Fähigkeit zum guten Ton, so die Autorin im zweiten Kapitel des Buches, ist in der Natur der Frau in starkem Maße angelegt. Aber eine »fade und läppische Harmonie« würde sich einstellen ohne die »Selbstliebe, die Selbstbestimmung, die Stärke der männlichen Art«.160 Weil nach Meinung der Autorin bei Anwen159 Johann Wolfgang von Goethe: Torquato Tasso. Ein Schauspiel, in: Goethes Werke. Hg. im Auftrage der Großherzogin Sophie von Sachsen, Bd. 10, Weimar 1889, S. 103–244, hier S. 144 f. Zur Torquato Tasso-Rezeption in Anstandsbüchern des 19. Jahrhunderts vgl. Wolfgang Martens: Der gute Ton und die Lektüre. Anstandsbücher als Quelle der Leserforschung, in: Herbert G. Göpfert (Hg.), Buch und Leser (Schriften des Wolfenbütteler Arbeitskreises für Geschichte des Buchwesens; 1), Hamburg 1977, S. 203–229, S. 224 f. 160 Karoline von Woltmann: Spiegel der grossen Welt und ihrer Forderungen […], Pest u. a. 1824, S. 9.
266
4. Männer lehren Frauen die Normen und Formen des Umgangs
dung der zweiten Regel ohne Berücksichtigung der ersten keine rechte Harmonie entsteht, werden von ihr die »zwey Regeln«, gemeint sind die zwei Tasso-Zitate, zu der einen Grundregel des guten Tons zusammengefaßt,161 mit der Folge, daß das ursprünglich männlich konnotierte Tasso-Zitat »Erlaubt ist, was gefällt!« mit der feministisch anmutenden Botschaft aufgeladen wird: »Frauen dürfen und sollen sich mehr Freiheiten nehmen, denn nur dadurch kann im gesellschaftlichen Verkehr Harmonie entstehen.« Da nun beide Tasso-Zitate die Leserin dazu anregen sollen, nach diesen Maximen zu handeln, ist der von Goethe in Szene gesetzte traditionale Geschlechterantagonismus aufgehoben. Die Funktion von Intertextualität besteht in dem angeführten Beispiel darin, ein wichtiges Anliegen der Autorin mit Nachdruck im Bewußtsein des Publikums zu verankern. Nachdrücklichkeit kommt durch schlagartiges Wiedererkennen der übernommenen Sätze und des Werkes, in dem diese enthalten sind, sozusagen durch ein Aha-Erlebnis, zustande. Wie aber muß man sich die Wirkung der Prätexte in der Galanten FrauenzimmerMoral auf das zeitgenössische Publikum vorstellen? Die auf einzelne Worte beschränkten Bezugnahmen auf ältere Texte, die im Titel der Galanten Frauenzimmer-Moral aufscheinen, übernehmen einerseits die Funktion, die Gattungstradition aufzurufen, in der das Werk steht (traditionsstabilisierende Funktion), andererseits sorgen sie dafür, die Galante Frauenzimmer-Moral als ein Werk auszuweisen, das durch Assimilation französischer Einf lüsse neuen Verhaltensmustern zum Durchbruch verhelfen möchte (traditionsbrechende bzw. traditionsbildende Funktion). Die Botschaft, die vom Titel der Galanten Frauenzimmer-Moral ausgeht, ist die: Deutschlands frankophile Frauen sollen durch dieses Buch in die moralischen Prinzipien, an denen Frankreichs Frauen der gehobenen Schichten gegenwärtig ihr Denken und Verhalten ausrichten, eingeführt werden. Ob die Texte, auf die im Titel referiert wird, vom Publikum bewußt wiedererkannt wurden, wage ich zu bezweifeln. Die intendierte Wirkung von Intertextualität bestand auf der Titelebene darin, das Publikum für den Buchinhalt zu erwärmen, indem ihm suggeriert wird, daß »Frau von Welt« sich für diese Themen interessiert respektive zu interessieren hat. Carolus Bisanis Buch, das im Haupttext wie ein geheimnisvolles Schatzkästchen präsentiert wird und dessen reale Existenz wohl kaum jemand in Zweifel zog, dürfte 1722 so gut wie niemandem mehr bekannt gewesen sein. Die unterschwellige Botschaft hinsichtlich dieses Buches läuft auf den Appell hinaus, Frauen sollen Männer als Autorität anerkennen, weil diese so viel Klugheit und Weisheit besitzen und bessere Ratgeber sind. Diese Kunde spricht aus der Rollenaufteilung: Der gelehrte Mann (Carolus Bisani) formuliert und veröffentlicht gültiges Wissen, die drei Freundinnen kommentieren das in Sophronies Besitz befindliche Buch Bisanis und Chloris, die Jüngste, übernimmt die Aufgabe, die besprochenen Maximen und die verschriftlichten Kommentare mit Hilfe ihres Bruders herauszugeben. Die restlichen Bezugnahmen auf ältere Texte, die sich im Haupttext der Galanten Frauenzimmer-Moral nachweisen lassen, haben, so meine Annahme, mit bewußter psychologischer Beeinflussung nichts zu tun. Sie lassen sich auf die Geschlechtszugehörigkeit und die
161 Ebd., S. 10.
4.3 Ein Beispiel für die psychologische Wirkung von Intertextualität auf Frauen
267
finanzielle Situation des Autors zurückführen: Dieser war keine Frau, wodurch er gezwungen war, sich in die Thematik einzulesen, was, weil er ein Mann war, unter Ausblendung der weiblichen Textproduktion geschah, und weil es mit der Manuskripterstellung gar nicht schnell genug gehen konnte, gab der Vielschreiber die in den Text eingearbeiteten Lesefrüchte als eigene Gedanken aus.162
4.
Vor- und Nachteile der geschlechtsspezifischen Bildungsarbeit von männlichen Autoren aus heutiger Sicht
Im Untersuchungszeitraum wurde Gebrauchsliteratur für weibliche Zielgruppen – Jungfrauen, Ehefrauen, Witwen, Bürgerinnen, Adlige, Hausmütter, Dienstmägde – produziert, ein Tatbestand, der dubios erscheinen mag. Warum mußten allgemein menschliche Themen für lese- und handlungsfähige Frauen besonders aufbereitet werden? 163 War es nicht eine Degradierung, wenn man diesen Frauen sagte, was sie denken und wie sie handeln sollen? Wurde ihnen nicht zu Unrecht Unbildung unterstellt? Bei solchen Fragen werden gleich mehrere wichtige Punkte durcheinandergeworfen oder übersehen. Die Aufrechterhaltung der Vorherrschaft des Mannes setzte geschlechtsspezifische Rollenzuweisungen und Wissenskulturen voraus, und außerdem wurde Bildung in der Frühen Neuzeit fast immer in hierarchischen Strukturen vermittelt, es traf also Mädchen wie Jungen, Frauen wie Männer. Um die Bildung der allermeisten Frauen war es in der Tat sehr schlecht bestellt, aber auch die meisten Männer konnten erwiesenermaßen nicht lesen und schreiben. Kaum jemand unter den publizierenden Männern zeigte das Engagement, Frauen darin zu unterrichten, wie man denken lernt.164 Die Anleitung zum Selbst-Denken barg das Risiko in sich, dieses Wissen zu nutzen, um gegen die Privilegien und Machtinteressen der Männer aufzubegehren. Wie der Verlauf der Geschichte zeigt, war dies auch der Fall – verstärkt seit dem 19. Jahrhundert. Vor diesem Hintergrund wird klar, warum in den in diesem Kapitel vorgestellten Texten so häufig mit den Mitteln der Suggestion und Täu162 Dieser bedenkenlose Umgang mit fremdem Gedankengut ist wiederum ein Indiz für eine Auftragsarbeit. 163 Richard Steele (Anm. 121, Bl. *2b) scheint sich diese Frage auch schon gestellt zu haben: »Man bedienet sich bey Dingen, an denen beide Geschlechter gleichen Antheil nehmen, insgemein des Wortes Mensch; aber diese Dinge gehen deswegen das Frauenzimmer nicht minder an, und es bleibt darum doch nicht weniger wahr, daß der Unterricht fürs Frauenzimmer der Hauptzweck dieses Werkes sey.« 164 Eine sehr wichtige Rolle spielte in diesem Zusammenhang der Wissensimport aus dem Ausland, insbesondere die Literatur französischer und englischer Autorinnen: »Was die Art und Weise zu denken anbetrift, so dürfet ihr selbige nirgend anders suchen, als in euch selbst; euer Verstand wird euch die natürliche Vernunftlehre lehren. Ihr könnet zwar, wenn ihr wollet, die Lesung einiger ausgesuchter Werke bey der Natur zu Hülfe nehmen, aber überhaupt ist die Vernunft der beste Lehrmeister unter allen. Ohne sie werden die besten Bücher, die grösten Lehrer, euch niemals diese Richtigkeit, die Genauigkeit geben, die ihr durch ihren Beystand allein leicht erlangen könnet.« [Mary Wray:] Frauenzimmer-Bibliothek […], 4 Tle., Hamburg 1756–1761, Tl. 2, S. 605.
4. Männer lehren Frauen die Normen und Formen des Umgangs
268
schung gearbeitet wurde. Man versuchte, am (kritischen) Verstand der Bücherrezipientinnen vorbei ihre Zustimmung für die vermittelten Inhalte einzuholen. Die geschlechtsspezifische Bildungsarbeit von männlichen Autoren hatte jedoch nicht nur Nachteile. Die Vorteile werden von der (Frauen-)Forschung noch weitestgehend ignoriert, vielleicht weil man vorgefaßte Meinungen unhinterfragt akzeptiert oder weil man sich der Arbeit entzieht, neue Quellen zu erschießen: – Durch frauenadressierte Gebrauchs- und Fachliteratur wurde der Glaube an die Bildbarkeit und Lernfähigkeit von Frauen gestärkt. – Je mehr Schriften auf den Markt kamen, die Frauen und Mädchen als eigenständige Zielgruppen ansprachen, je mehr Publikationen dem Anspruch von Mädchen und Frauen auf Bildung Nachdruck verliehen, desto mehr stieg der Druck auf die Familien und die Sachverständigen für Bildungsfragen, sich um den geregelten Wissenserwerb der Mädchen zu kümmern. – Fingierte Autorinnenschaft führte Frauen plastisch vor Augen, was »schriftstellerisch begabte Frauen« für »ihre Geschlechtsgenossinnen« tun können und sollen. – Das Können und Wissen, das Frauen mit Hilfe der verhaltensmodellierenden Gebrauchsliteratur erwarben, machte sie selbständiger, handlungssicherer, weitblickender, manchmal auch flexibler und intellektuell unabhängiger. – Verhaltensmodellierende Gebrauchsliteratur ermöglichte es den Rezipientinnen, reflexive Distanz zu gewinnen – Distanz zu ihrem eigenen Denken und Verhalten, zu dem ihrer Mitmenschen und zum Rollenverhalten der Geschlechter. – Durch die Beschäftigung mit verhaltensmodellierender Gebrauchsliteratur wurde bei Frauen die Ausbildung eines Geschichtsbewußtseins gefördert, da Normen so gut wie immer als veränderlich dargestellt werden. Dennoch: Die Chance, als Frau ein größeres Selbstbewußtsein und einen erweiterten Handlungsspielraum zu erlangen, vielleicht sogar mehr Macht an sich zu bringen (auch gegen den Willen von Männern) und sich über die eigene gesellschaftliche Lage aufzuklären, wurde weit weniger durch die geschlechtsspezifische Auffächerung des Bildungsangebots des Buchmarktes erhöht, als durch den Umstand, daß dieses für nichtprivilegierte Bevölkerungsgruppen seit der Frühaufklärung in bislang kaum vorstellbarem Maße ausgeweitet wurde. Die Lektüre von Literatur, die primär für Männer produziert wurde, hatte für bücherrezipierende Frauen unter dem Gesichtspunkt der Bildungs- und Machterweiterung einen unstrittigen Vorteil, denn diese Literatur konfrontierte sie nicht oder höchstens in indirekter Form mit dem Leitsatz »Frauen verdienen Lob und gesellschaftliche Anerkennung, sofern sie tun, was Männer bestimmen«.
5.
Resümee
In den herangezogenen Texten ließen sich eine ganze Reihe männertypischer publizistischer Kommunikationsstrategien nachweisen: die Verschleierungsstrategie, besonders raffiniert durchgeführt im Falle von frauenadressierten Männertexten, die als Werke von
4.3 Ein Beispiel für die psychologische Wirkung von Intertextualität auf Frauen
269
Autorinnen ausgegeben werden,165 die Splittingstrategie, das heißt die Methode, Pendantwerke, auf den Markt zu bringen, denen das Prinzip der geschlechtsspezifischen Zielgruppenaufspaltung zugrunde liegt, die Simplifizierungsstrategie, zum Beispiel die Praxis, Werke, die ganz unterschiedlichen Gattungstraditionen angehören, als »Frauenzimmerbibliothek« oder »Damenbibliothek« zu deklarieren, die Antichambrierstrategie, das heißt die Methode, der Leserin in typisch männlicher Manier zu schmeicheln, sowie die Verdunkungsstrategie, die es darauf abgesehen hat, Frauentexte und ihre Urheberinnen auszublenden. Demgegenüber unterscheiden sich die Lehrarten in den herangezogenen Texten nicht von vergleichbaren Texten von Autorinnen. Die in den untersuchten Texten nachweisbaren publizistischen Kommunikationsstrategien hatten teils beabsichtigte, teils unbeabsichtigte Effekte. August Martini wollte seine frauenadressierte Klugheits- und Anstandslehre erfolgreich absetzen, was ihm, wenn man die Folgeauflagen in Betracht zieht, gelungen ist. Ein Autor, der sich als Autorin ausgab, beabsichtigte damit nicht, Frauen zum Schreiben und zum Veröffentlichen zu ermutigen, es traten aber (paradoxe) Nebeneffekte ein. Auf der einen Seite gewöhnten Frauen sich an den Gedanken, daß ihnen ebenso wie Männern das Recht zum Schreiben und Veröffentlichen von Büchern zustehe, auf der anderen Seite trug fingierte Autorinnenschaft zur Stärkung der Position von schreibenden Frauen im Literaturbetrieb bei; der Anstieg der Autorinnenliteratur wiederum stand mit der Verringerung der sich in Gedanken, Worten und Taten manifestierenden Frauenverachtung in ursächlichem Zusammenhang.166 Ungeplante Effekte traten auch dann ein, wenn Frauen die in der Literatur unterbreiteten Angebote, ihre Handlungsspielräume zu nutzen und zu erweitern, auf dem Gebiet emanzipatorischer Selbstverwirklichung umsetzten oder sich als Autorin in diese Richtung weiterentwickelten.
165 Ein anderer Fall von Verschleierungsstrategie: Landgraf Wilhelm V. von Hessen-Kassel gab seine frauenadressierte Du Bosc-Übersetzung als Originalwerk aus. 166 Eberhard Berent: Frauenverehrung und Frauenverachtung in der Dichtung des frühen Barock, in: Robert A. Fowkes u. a. (Hg.), Studies in Germanic Languages and Literatures, Reutlingen 1967, S. 21–34.
5. Kommunikative Kompetenzen von Frauen: Positionen und Empfehlungen in der verhaltensmodellierenden Gebrauchsliteratur 5.1 Unterschiedliche Standpunkte zur kommunikativen Bildung von Frauen Die in den herangezogenen Quellenschriften gespiegelten und vermittelten Normen und Formen des Umgangs wurden in den vorstehenden Kapiteln nur am Rande behandelt. Zielsetzung der anschließenden Ausführungen ist es, diesen vielschichtigen Gegenstandsbereich, an dessen Erforschung die verschiedensten (Teil-)Disziplinen Anteil haben,1 schärfer zu konturieren. Nicht umsonst gelten bestimmte Zweige und Verästelungen der historischen Kommunikationsforschung als schwer bis unmöglich zu erforschen. Aus Sicht der Frauenforschung sind bezogen auf den deutschen Kulturraum der Frühen Neuzeit fünf zentrale Problemfelder zu benennen: 1. Im Kontext mündlicher Überlieferung entgleitet weibliche Kommunikation der Faßlichkeit. 2. Die nonverbalen Komponenten des Kompliments waren bisher nicht Gegenstand systematischer Forschung. 3. Das Gesprächsverhalten von Frauen wird einseitig mit Schwatzhaftigkeit in Verbindung gebracht oder in anderer Weise klischeehaft dargestellt. 4. Der Begriffsapparat der historischen Kommunikationsforschung ist in einigen Fällen uneinheitlich und verschwommen. 5. Die Klärung des Wechselverhältnisses zwischen Kommunikation, Frauen und Macht ist extrem vernachlässigt worden. Weibliche Kommunikation verlief im deutschen Kulturraum der Frühen Neuzeit bei weitem mehr in mündlichen Bahnen als männliche, was zu einer kaum schriftlich faßbaren Überlieferung führte. Trotzdem ist die Quellenlage nicht so hoffnungslos, wie es den Anschein hat, wenn man die Forschungsliteratur zu den vielzitierten Gesprächspielen (8 Tle., 1641–1649) von Georg Philipp Harsdörffer daraufhin durchgeht.2 Kärglich 1
2
Vgl. hierzu Manfred Beetz: Höflichkeit, in: Gert Ueding (Hg.), Historisches Wörterbuch der Rhetorik, Bd. 3, Tübingen 1993, Sp. 1476–1486, hier Sp. 1477: »Aufgrund seiner Komplexität beschäftigt das Phänomen der Höflichkeit die unterschiedlichsten Disziplinen: Zivilisations-, Mentalitäts- und Sozialgeschichte; Soziologie, Sozialpsychologie und Linguistik, Rhetorik, Literaturwissenschaft, Pädagogik, Volkskunde, Anthropologie, Philosophie.« Erwähnt werden müssen auch die Disziplinen Ethologie, Rechtswissenschaft und Theologie. Vgl. zuletzt Christina Frei: Gender, Pedagogy, and Literary Societies: The Education of Women in Georg Philipp Harsdörffer’s Frauenzimmer Gesprächspiele, Diss. Davis/CA 2002 (mit der wichtigsten
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5. Kommunikative Kompetenzen von Frauen: Positionen und Empfehlungen
nimmt sich dagegen der nur aus verstreuten Hinweisen bestehende Forschungsstand aus.3 Das bisher größte Forschungsprojekt zur Geschichte der »traités de savoir-vivre« vom Mittelalter bis in die Neuzeit enttäuscht aufgrund seiner Konzeptlosigkeit und terminologischen Unausgegorenheit, ist aber wenigstens bibliographisch ersprießlich.4 Aus dieser Unternehmung ging 1991 der Sammelband Über die deutsche Höflichkeit. Entwicklung der Kommunikationsvorstellungen in den Schriften über Umgangsformen in den deutschsprachigen Ländern hervor, der einseitig Licht ins Dunkel männlicher Bilder von frühneuzeitlicher Kommunikation wirft.5 Die Quelleninterpretationen im ersten Abschnitt dieses Kapitels6 verdeutlichen die wichtigsten Standpunkte hinsichtlich der Frage, ob und wie Mädchen und Frauen sich kommunikativ bilden sollen. In Anbetracht der Macht, die das gedruckte Wort auf Teile der weiblichen Bevölkerung ausübte, wird der Fokus darüber hinaus auf das Problem gerichtet, welche Einflußfaktoren die Produktion von Schriften für Frauen, die ihre kommunikativen Fähigkeiten aufbessern wollten, ursächlich bestimmten. Im zweiten Abschnitt wird eine Kommunikationsform von verschiedenen Seiten her beleuchtet, der man in der Frühen Neuzeit im Rahmen geselliger, repräsentativer und ritueller Anlässe eine kaum zu unterschätzende Bedeutung beimaß: das Kompliment in seinen verschiedenen Ausformungen. Aufgrund der Marginalisierung von Frauen und Mädchen in der historischen Komplimentforschung werden anhand von Thesen zum Themenkomplex Frauen und Kompliment unausgesprochene Vorannahmen in der Forschungsliteratur einer kriti-
3 4
5
6
Sekundärliteratur zu den Gesprächspielen). Den folgenden Arbeiten konnte ich entweder gar keine deutschsprachigen Quellentexte zur Geschichte weiblicher Kommunikation entnehmen oder nur solche, die in der Frühneuzeitforschung schon bekannt sind: Alain Montandon (Hg.): Du goût, de la conversation et des femmes, Clermont-Ferrand 1994. Karin Ehler: Konversation. Höfische Gesprächskultur als Modell für den Fremdsprachenunterricht (Studien Deutsch; 21), München 1996 (die Autorin untersucht einesteils Werke französischer Autoren, andernteils Harsdörffer). Gabriele Klein u. a. (Hg.), Zivilisierung des weiblichen Ich, Frankfurt/M. 1997. Henriette Burmann: Die kalkulierte Emotion der Geschlechterinszenierung. Galanterierituale nach deutschen Etikette-Büchern in soziohistorischer Perspektive, Konstanz 2000 (die Verfasserin stützt sich auf die Quellenbibliographie von Manfred Beetz; sie kämpft beim Quellenstudium unbewußt mit der Schwierigkeit, normative von nichtnormativen Aussagen zu trennen). Rüdiger Schnell (Hg.): Konversationskultur in der Vormoderne. Geschlechter im geselligen Gespräch, Köln u. a. 2008. Eine alle Teilaspekte frühneuzeitlicher Kommunikation erfassende, systematisch strukturierte Bibliographie der Forschungsliteratur liegt für den deutschsprachigen Raum nicht vor. Das Projekt initiierte und leitete der französische Komparatist Alain Montandon, der auch die Erstellung der folgenden zwei, auf Kompilation beruhenden Bibliographien in die Wege leitete: Bibliographie des traités de savoir-vivre en Europe. Bd. 1: France, Angleterre, Allemagne, Clermont-Ferrand 1995. Bibliographie des traités de savoir-vivre en Europe. Bd. 2: Italie, Espagne, Portugal, Roumanie, Norvège, Pays tchèque et slovaque, Pologne, Clermont-Ferrand 1995. Der Band enthält lediglich einen frauenspezifischen Beitrag: Günter Häntzschel: Zur Bildung und Kultur bürgerlicher Frauen im 19. Jahrhundert, in: Alain Montandon (Hg.), Über die deutsche Höflichkeit. Entwicklung der Kommunikationsvorstellungen in den Schriften über Umgangsformen in den deutschsprachigen Ländern, Bern u. a. 1991, S. 197–214. Für kritische Hinweise und großzügige Unterstützung danke ich Thomas Gloning und Wolfgang Schibel.
5.1 Unterschiedliche Standpunkte zur kommunikativen Bildung von Frauen
273
schen Revision unterzogen. Dabei wird auf ein nahezu authentisches erinnertes Gespräch (ein äußerst seltener Texttyp) Bezug benommen, das zeittypische formale Eigenheiten dieser Kommunikationsform exemplarisch vor Augen stellt. Mit Blick auf das Gespräch ist im dritten Abschnitt auf zwei Fragen näher einzugehen: Warum läßt sich die Auffassung nicht aufrechterhalten, Harsdörffer sei mit seinen Gesprächspielen unter dem Aspekt der geschlechterübergreifenden Gesprächspädagogik im deutschen Sprachgebiet des 17. Jahrhunderts die große Ausnahmeerscheinung gewesen? Von welchen Intentionen und Verwertungsinteressen wurden Autoren geleitet, die frauenperspektiviert über Gesprächsthemen schrieben?7 Einige hinführende Bemerkungen sind unerläßlich,8 bevor wir uns der Frage zuwenden, welche Standpunkte in Bezug auf die kommunikative Qualifizierung von Mädchen und Frauen eingenommen wurden. Wie sah die Realität der Vermittlung und Aneignung von kommunikativen9 Kompetenzen (Sprech-, Sprach- und Interaktionskompetenzen) aus? 10 Und bekamen auch Mädchen Rhetorikunterricht? 11 7 Im dritten Abschnitt wird zwar auf die Frage eingegangen, worüber Frauen (nicht) reden sollen, nicht jedoch wie sie (nicht) reden sollen. Einschlägige Quellenbelege zur letztgenannten Fragestellung sind den Abschnitten 3.2, 3.3 und 5.2 zu entnehmen. 8 Provoziert durch die unbefriedigende Forschungslage (siehe Anm. 10 und 11) mußten auch hier eigene Quellenstudien und Überlegungen angestellt werden. 9 ›Kommunikation‹ setzt im Gegensatz zu ›Interaktion‹ nicht zwingend physische Anwesenheit voraus. 10 Die Frage nach der Vermittlung und Aneignung von kommunikativen Fähigkeiten zielt auf die Praxis. Eine Geschichte der Rede liegt für die Frühe Neuzeit nicht vor. Vgl. Irmgard Weithase: Zur Geschichte der gesprochenen deutschen Sprache, 2 Bde., Tübingen 1961 (die Verfasserin verarbeitet nur Quellentexte von Männern). Zur frühneuzeitlichen kommunikativen Praxis (ohne dezidiert frauenspezifischen Ansatz) vgl. Britt-Marie Schuster u. a. (Hg.): Kommunikationspraxis und ihre Reflexion in frühneuhochdeutscher und neuhochdeutscher Zeit. Festschrift für Monika RössingHager zum 65. Geburtstag (Germanistische Linguistik. Monographien; 2), Hildesheim u. a. 1998. Dmitri Zakharine: Von Angesicht zu Angesicht. Der Wandel direkter Kommunikation in der ost- und westeuropäischen Neuzeit (Historische Kulturwissenschaft; 7), Konstanz 2005 (unter Einbezug der historischen Bildkunde). Zur Konversationstheorie der Frühen Neuzeit aus Männersicht vgl. KarlHeinz Göttert: Kommunikationsideale. Untersuchungen zur europäischen Konversationstheorie, München 1988 (siehe meine Kritik an der Konzeption dieser Arbeit in Abschnitt 6.1, Anm. 118). Vgl. auch Karl-Heinz Göttert: Konversation, in: Gert Ueding (Hg.), Historisches Wörterbuch der Rhetorik, Bd. 4, Tübingen 1998, Sp. 1322–1333. 11 Dem Artikel »Feministische Rhetorik« im Historischen Wörterbuch der Rhetorik (9 Bde., 1992–2009) ist die Aufgabe zugedacht, die ansonsten androzentrische Anlage dieses Nachschlagewerks durch ein Gegengewicht auszugleichen. Leider war die Bearbeiterin des Artikels mit der Ausgestaltung der historischen Perspektive des weitgreifenden Problemkomplexes Frauen und Rhetorik überfordert: Gisela Schoenthal: Feministische Rhetorik, in: Gert Ueding (Hg.), Historisches Wörterbuch der Rhetorik, Bd. 3, Tübingen 1996, Sp. 238–243. Zur rhetorischen Bildung von Frauen im 16. Jahrhundert vgl. die Bemerkungen von Wolfgang Schibel: »Geziemt es dem weiblichen Geschlecht, heidnische Autoren zu lesen?« Humanismus und Frauenbildung in der frühen Neuzeit, in: Der altsprachliche Unterricht 35, 1992, 6, S. 37–59. Vgl. auch Molly Meijer Wertheimer: Listening to their Voices: The Rhetorical Activities of Historical Women, Columbia/SC 1997 (ohne Bezug zum deutschsprachigen Raum). Doerte Bischoff u. a. (Hg.): Weibliche Rede – Rhetorik der Weiblichkeit. Studien zum Ver-
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5. Kommunikative Kompetenzen von Frauen: Positionen und Empfehlungen
In den allerersten Jahren der Kinder standen Sprech- und Spracherziehung im weiblichen Kompetenzbereich und diese Norm war gängige Praxis. Nach dem sechsten, siebten Lebensjahr kamen zum Lernen am Vorbild (erwachsene Personen oder ältere, gewandtere Kinder) mündliche Unterweisung und, je nach Rang, Bildungsgrad und Vermögenslage der Eltern sowie je nach Intelligenz und vorherbestimmtem »Beruf« des großzuziehenden Kindes, systematischer Unterricht und freiwilliges oder auferlegtes Selbststudium auf der Grundlage von handschriftlichen oder gedruckten Materialien hinzu: Neben Rhetoriken, Titularbüchern, Briefstellern und Komplimentierbüchern sind hier vor allem von bekannten Personen eigenhändig geschriebene Schriftstücke, Fürstenspiegel, Klugheitslehren, Tanzanleitungen, Tischzuchten, Romane und (grobianische) Satiren zu nennen. Der erfolgreiche Eintritt in die höfische Gesellschaft hing von einer sorgfältigen Erziehung und Ausbildung ab. Daher unternahmen im Adel vermögende Eltern mit Hilfe von Informatoren, Hofmeistern, Sprach- und Tanzlehrern große Anstrengungen bei dem Versuch, dem männlichen Nachwuchs kommunikative Kompetenzen einschließlich des Kanons körpersprachlicher Konventionen anzutrainieren. Zum Bildungsweg männlicher Adliger konnte neben der Kavalierstour (Lebensbildung, die hohe Schule des Benehmens) der Besuch einer Ritterakademie (Sprach- und Tanzunterricht) oder Universität (Rhetorik, Homiletik, Poetik, praktische Philosophie) gehören. Die pädagogischen Anstrengungen gingen in Bezug auf adlige Mädchen ebenfalls dahin, diese auf den Eintritt in die höfische Gesellschaft vorzubereiten, doch beinhaltete deren Ausbildung bezeichnenderweise weder eine längere Bildungsreise nach Art der Kavalierstour noch klassischen Rhetorikunterricht. Auch in Damenstiften waren Übungen in Redekunst kein fester Bestandteil der Lehrpläne. In den bürgerlichen Schichten schickten Eltern ihre Söhne, sofern beide Seiten ambitionierte berufliche Ziele anvisierten und jene über das nötige Geld verfügten, in die (Latein-)Schule (Benimmregeln, Sprach- und Rhetorikunterricht12), danach auf die Universität. Angesehene Frauen sollten dem aufstiegsorientierten Studenten als Quelle des Ansporns dienen, gesellschaftlich erwünschtes Verhalten einzuüben: »Mit den FrauenZimmer soll man aus bloser Complaisance, umb hierdurch beredt, munter und höfflich zu werden, umbgehen, nicht aber stracks frühzeitig heyrathen, oder umb brünstiger Liebe Willen seine Wohlfarth und Studien changiren, das Geld liederlich debouchiren, und nichts als Reue mit sich nach Hause bringen.« 13 In wohlhabenden bürgerlichen Familien, hältnis von Rhetorik und Geschlechterdifferenz (Litterae; 93), Freiburg/Br. 2003, darin ein Beitrag zur Frühen Neuzeit: Barbara Krug-Richter: »Weibergeschwätz«? Zur Geschlechtsspezifik des Geredes in der Frühen Neuzeit (S. 301–319). 12 Vgl. Pierre Rayot: L’École de bonne grace […]. Die Schul der Höffligkeit, welche in sich begreifft eines rechtschaffenen Schülers vnd frommen Kindes Schuldigkeit, so wol gegen Gott als gegen seine Eltern, etc. Es wird auch allda weitläufftig vorgehalten, wie ein Schüler sich in allerley Höffligkeit oder Civilität üben soll. Durch Petrum Rayotum, frantzösischen Sprachmeister, in der weitberühmdten […] Kauff- vnd Handel-Stadt […] Hamburg, Hamburg 1638. 13 Bellarmino Coccyge: Der lustige politische Guckguck, worinnen die sonderbahre Super-Klugheit, Simulation, Undanckbarkeit und arglistige Thorheiten der heutigen Weit allen Liebhabern ohne ärgerlichen Nachtheil des Nechsten, zum kurtzweiligen Zeitvertreib vorgestellet werden […], Frank-
5.1 Unterschiedliche Standpunkte zur kommunikativen Bildung von Frauen
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die Bildung als Standesprivileg oder als einen Weg nach oben ansahen, erhielten die Mädchen Sprach- und Anstandsunterricht durch einheimische, mitunter auch ausländische Hauslehrer(innen).14 Gegen Tanzunterricht gab es ab und an moralische Vorbehalte (»Schule der Coquetterie«). In allen gebildeten Schichten konnten Töchter, die zusammen mit ihren Brüdern unterrichtet wurden, die sich Zugang zu umfangreichen Privatbibliotheken verschaffen konnten oder die von einem humanistisch gebildeten Mentor gefördert wurden, klassische rhetorische Bildung erwerben. Manchmal beteiligten sich so Qualifizierte an der gelehrten Arbeit des Vaters, Bruders oder Ehemanns. In Schulen lehrte man die Kinder das Einmaleins des richtigen Benehmens. Der Katechismusunterricht der verschiedenen Konfessionen sowie das Anhören und Nachschreiben von Predigten förderten in begrenztem Umfang die Sprech- und Memorierfähigkeit und erweiterten bei dafür Empfänglichen den aktiven und passiven Wortschatz. Aber nur dort, wo Kinder und Erwachsene sich über einen längeren Zeitraum gesprächsweise einbringen oder schreibenderweise artikulieren konnten, wurden rhetorische Fähigkeiten wirksam eingeübt.15 Das Fernhalten der Mädchen vom Rhetorikunterricht wurde ideologisch begründet, wie auch nachstehende Ausführungen belegen. Die wahren Motive für die Ungleichbehandlung von Jungen und Mädchen blieben den meisten verborgen und konnten daher nicht kritisch analysiert werden, zumal das patriarchalische Gesellschaftssystem als naturgegeben dargestellt und empfunden wurde. Die (Selbst-)Inszenierung unter Einsatz von Worten und Gesten, der Einsatz von Sprache zu Repräsentationszwecken, die Sprache als Instrument zur Durchsetzung von Machtinteressen,16 all diese Lerninhalte sollten Gegenstand männlicher Unterweisung sein, hinzu kam Spracherziehung, die für einen Brotberuf oder ein repräsentatives Amt qualifizierte. Die bürgerlichen Ideologen patriarchalischer Herrschaft definierten den im Vergleich zur Frau höheren Wert des Mannes über dessen
furt/M. u. a. 1684, S. 390 f. Die normierende Funktion, die Frauen in gesellschaftlichen Bereichen ausübten, die ihnen zugänglich waren, wird in Abschnitt 5.2 nochmals an Beispielen vorgeführt. 14 Irene Hardach-Pinke: Die Gouverante. Geschichte eines Frauenberufs, Frankfurt/M. u. a. 1993. 15 Solche Übungsorte waren zum Beispiel pietistische Versammlungen. Rosina Dorothea Schilling spendete ihrem geistlichen Lehrer Johann Heinrich Hassel mit folgenden Worten Lob: »Was? waren nicht die so vortrefflichsten Frauenzimmer in seinen Collegiis Pietatis, so alle Abend in der Schloß-Capell [in Coburg, SK] gehalten worden, da sowol ein Frauenzimmer, als ein Mann, hat auftreten und fragen dürffen.« Rosina Dorothea Schilling: Eröffnete Correspondenz derer Send-Schreiben […], [Frankfurt u. a.] 1730, S. 57. Vgl. auch Reinhard Breymayer: Die Erbauungsstunde als Forum pietistischer Rhetorik, in: Helmut Schanze (Hg.), Rhetorik. Beiträge zu ihrer Geschichte in Deutschland vom 16.–20. Jahrhundert, Frankfurt/M. 1974, S. 87–104, hier S. 102 f. Ein anderes Beispiel sind Schreibkalender. Vgl. hierzu Helga Meise: Das archivierte Ich. Schreibkalender und höfische Repräsentation in Hessen-Darmstadt 1624–1790 (Arbeiten der Hessischen Historischen Kommission. N. F.; 21), Darmstadt 2002. 16 Hans-Jürgen Gabler: Machtinstrument statt Repräsentationsmittel: Rhetorik im Dienste der ›Privatpolitik‹, in: Rhetorik 1, 1980, S. 9–25. Elizabeth A. Fay: Eminent Rhetoric: Language, Gender, and Cultural Tropes, Westport/CT u. a. 1994. Levin Sullivan u. a. (Hg.): Political Rhetoric, Power, and Renaissance Woman, Albany/NY 1995.
276
5. Kommunikative Kompetenzen von Frauen: Positionen und Empfehlungen
Integration in das bestehende gesellschaftliche Machtgefüge.17 Dabei wurde die soziale Macht vorsätzlich ignoriert, an der Regentinnen und die bedeutende Zahl von Hausmüttern 18 partizipierten, wie auch nichtregierende Fürstinnen, Hofmeisterinnen, die Inspirierten (Frauen mit göttlichen Eingebungen) und Schauspielerinnen, die wegen ihrer Wortgewandtheit oder aufgrund ihres diplomatischen Geschicks gerühmt wurden und erwiesenermaßen Vorbildfunktionen ausübten. Trotz Restriktionen im Bereich der Sprach- und Gesprächserziehung nahm die Zahl der Frauen zu, die sich für kommunikative Bildung, welche immer auch strategisches Wissen (in der Frühen Neuzeit oft als »politische Klugheit«, »Privatklugheit« oder »Staatsklugheit« bezeichnet) beinhaltet, interessierten. Mit der weit verbreiteten Abwehrhaltung gegenüber Rhetorikunterricht für Mädchen und Frauen – eine Ausnahme bildeten auf institutioneller Ebene einige Sprachgesellschaften – stimmt überein, was sich über die Rezeption der ersten frauenadressierten Rhetorik in deutscher Sprache ermitteln ließ. Diese Publikation, eine Übersetzung aus dem Französischen, wurde in deutschen Zeitschriften abwertend beurteilt, die Idee eines an Frauen adressierten Lehrbuchs der Redekunst von deutschen Autoren nicht aufgegriffen. Ein Exemplar des Lehrwerks von Joseph Leven de Templery (?–1706), Mitglied der Académie Française, stand im Bücherschrank von Louise Gottsched (»L’Eloquence du Tems, enseignée à une Dame de qualité. à Paris, 1701«).19 Die Gottschedin stellte mit ihrer an der französischen Literatur der Klassik geschulten rhetorischen Begabung so oft wie keine andere Frau im Untersuchungszeitraum den Kontakt zur literarischen Öffentlichkeit her. Zur Frage, ob und wie Mädchen und Frauen sich kommunikativ bilden sollen, gab es verschiedene Standpunkte.
17 Ein Fallbeispiel: Annalisa Belloni: Die Rolle der Frau in der Iurisprudenz der Renaissance, in: Paul Gerhardt Schmidt (Hg.), Die Frau in der Renaissance (Wolfenbütteler Abhandlungen zur Renaissanceforschung; 14), Wiesbaden 1994, S. 55–80. 18 Vgl. die in Oikonomiken geforderten Frauenqualifikationen. Magdalene Humpert: Bibliographie der Kameralwissenschaften (Kölner bibliographische Arbeiten; 1), Köln 1937, S. 147–157. 19 Catalogvs bibliothecae, qvam Jo. Ch. Gottschedivs […] collegit atqve reliqvit […], Leipzig 1767, [Anhang] S. 47, Nr. 988. Ich bezweifle, daß von de Templerys Rhetorik irgendwelche Impuse auf die Gottschedin ausgingen. Die deutsche Ausgabe des Werkes ist in der Forschung unbekannt: [ Joseph Leven de Templery:] Die Redekunst fürs Frauenzimmer. Aus dem Französischen übersetzt, Regensburg 1768. Die Erstausgabe trägt den Titel: [ Joseph Leven de Templery:] La rhétorique françoise, très-propre aux gens qui veulent apprendre à parler, et écrire avec politesse, Paris 1696. Die Publikation wurde in Frankreich mehrfach neu aufgelegt: L’éloquence du tems ensigée à une dame de qualité: Très-propre aux gens qui veulent aprendre à parler et à écrire avec politesse, et acompagnée de quantité de bons monts et de pensées ingénieuses, Brüssel 1699. L’éloquence du temps. Nouvelle édition, revue et augmentée de maximes choisies, Paris 1707 (2. Aufl. 1721). Linda Timmermans: L’accès des femmes à la culture (1598–1715). Un débat d’idées de Saint François de Sales à la Marquise de Lambert (Bibliothèque littéraire de la Renaissance. Série 3; 26), Paris 1993, S. 376. Vgl. auch Abschnitt 1.2 mit weiteren Quellentexten zum Thema Frauen und Rhetorik(en).
5.1 Unterschiedliche Standpunkte zur kommunikativen Bildung von Frauen
1.
277
Der Diskurs über die Konstitution der Geschlechter
Der von Aristoteles hergestellte Kausalnexus zwischen der intellektuell-moralischen Inferiorität der Frau und ihrer kälteren, feuchteren Natur 20 wirkte bis in die Neuzeit nach. Zwei Beispiele zur Illustration. Im Cortegiano (1528) wendet sich der Humanist Gasparo Pallavicino mit dem Einwurf an den Frauenverteidiger Giuliano de’ Medici, die Ursache für die Kleinmütigkeit (»Geringschäzigkeit«) und Furchtsamkeit der Frauen sei ihre kalte Natur: Jch kan nicht wissen, Mein Herr Magnifico, (sagte hierauf der S. Gasp.) wie ihr das leugnen könt, daß der Mann durch seine natürliche Qualitäten nicht vollkommener sey, als das Weib, welche von einer kalten complexion, der Mann aber hitziger und warmer Natur ist. Nun ist nicht zu leugnen, daß die Wärme weit edeler und vollkommener, als die Kälte, massen dieselbe alles würcket und hervorbringet; Die Himmel giessen auch nur allein (wie euch bewust) die Wärme über uns, und nicht die Kälte, welche in keiner Würckung der Natur etwas zu thun hat. Und weil die Weibspersonen kalter Natur oder Complexion seynd, so glaub ich solches sey Ursach an ihrer Geringschäzig- und Furchtsamkeit.21
Am Beispiel der 1675 erschienenen Dissertation De praejudiciis (Von den Vorurteilen) läßt sich die Auswirkung der aristotelischen Temperamentenlehre auf die Beurteilung der Rede von Frauen veranschaulichen. Der Defendent Johann Henricus Mylius macht das kältere Temperament der Frauen für ihre geistige Unterlegenheit verantwortlich, um gleich im Anschluß daran die gesellschaftlichen Zwänge anzudeuten, die der Entfaltung der intellektuellen und künstlerischen Begabungen von Mädchen und Frauen im Wege stehen. Trotz prinzipieller Anerkennung der Lernfähigkeit der Frauen bemängelt der Autor im weiteren Verlauf seiner Argumentation, viele dieses Geschlechts redeten ungezügelt. Damit wird das Vorurteil bestätigt, Frauen seien aufgrund ihrer physischen Ausstattung zu keinen vernünftigen Gesprächen in der Lage, da es ihnen an Urteilskraft mangele (ich zitiere nach der Übersetzung von Elisabeth Gössmann): Es kann allerdings nicht bestritten werden, daß ein kälteres Temperament, wie es den Frauen eignet, die Erfindungs- und Urteilskraft (ingenium et iudicium) gewissenmaßen abstumpft. Zudem fehlt bei demjenigen gewöhnlich die Pflege und Ausbildung der Begabung, der meistens durch häusliche Sorge, Spinnkörbchen, Spinnrocken und Töpfe okkupiert und selten zu schönen Künsten und Wissenschaften bestimmt ist. Daher verrät dieses Geschlecht häufig durch die Dreistigkeit einer zügellosen Zunge den Mangel an Urteilskraft, da es schnell und voreilig, vom Wort und Urteil anderer abhängend, unbeständig und seinen Affekten ergeben ist.22 20 Sabine Föllinger: Die Geschlechterdifferenz bei Aristoteles, in: dies., Differenz und Gleichheit. Das Geschlechterverhältnis in der Sicht griechischer Philosophen des 4. bis 1. Jahrhunderts v. Chr. (Hermes. Einzelschriften; 74), Stuttgart 1996, S. 118–227 (vgl. darin auch: »Die Konstituenten des Geschlechts: Wärme und Kälte« S. 133–136). Zur Aristoteles-Rezeption im 16. Jahrhundert vgl. Ian Maclean: The Renaissance Notion of Woman. A Study in the Fortunes of Scholasticism and Medical Science in European Intellectual Life, Cambridge u. a. 1980. 21 Baldassare Castiglione: Der vollkommene Hofmann und Hof-Dame […], Frankfurt/M. 1684, S. 455 f. 22 Elisabeth Gössmann: Drechsler/Mylius, De praejudiciis, 1675. Lange/Schneider, De praejudiciis seu praeconceptis opinionibus, 1689, in: dies. (Hg.), Das wohlgelahrte Frauenzimmer (Archiv für philo-
278
2.
5. Kommunikative Kompetenzen von Frauen: Positionen und Empfehlungen
Der Diskurs über die Bezähmung der Zunge
Neben der Naturlehre konnte auch die Religion schwer zu widerlegende Beweisgründe anführen, die es ratsam erscheinen ließen, Frauen keine Anreize zu geben, sich mehr als nötig in den Wortkünsten zu üben. Wenn vom Klerus der verschiedenen Konfessionen Bezähmung der Zunge gepredigt wurde, dann mit der Absicht, beide Geschlechter vor übermäßigem Reden zu warnen.23 Zuvielredende liefen Gefahr, sich übler Nachrede verdächtig zu machen 24 oder gegen die Regeln christlicher Höflichkeit zu verstoßen.25 Richtete sich der Appell, die Zunge zu bezähmen, nur an Frauen, dann deshalb, weil das kirchliche Schweigegebot es so verlangte.26 Oft schwang im Predigttext der Vorwurf mit, Frauen als das per definitionem schwächere Geschlecht seien geschwätziger und deshalb noch ermahnungsbedürftiger als Männer.27 Da in der Bibel hunderte von Stellen zum Thema Reden/Nicht(mehr)Reden enthalten sind, konnte man sich auf Gottes Wort als höchste Instanz beziehen. Wie Frauen unter Berufung auf ein Bibelzitat dazu gebracht
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sophie- und theologiegschichtliche Frauenforschung; 1), 2., überarb. u. erw. Aufl. München 1998, S. 236–240, hier S. 237. Die Bezähmung der Zunge war auch Gegenstand von monographischen Werken. Eine der bekanntesten, The Government of the Tongue (1667), stammt von dem Engländer Richard Allestree. Die deutsche Erstübersetzung der Schrift trägt den Titel: Die Regierung der Zunge das ist: Von dem rechten Gebrauch derselben, von einer hochgelahrten Person in Engeland in englischer Sprache beschrieben, und nunmehr zum erstenmahl in die hochdeutsche Sprache übersetzet von J[ohann] L[ange] M[edicinae] C[andidatus] Proverb. XVIII. 21. Tod und Leben stehet in der Zungen Gewalt, Hamburg 1679. Weitere Quellen verzeichnet Ralf Georg Bogner: Die Bezähmung der Zunge. Literatur und Disziplinierung der Alltagskommunikation in der frühen Neuzeit (Frühe Neuzeit; 31), Tübingen 1997. Forschungsliteratur zum Problem der Sozialdisziplinierung verzeichnet Markus Reisenleitner: Frühe Neuzeit, Reformation und Gegenreformation. Darstellung, Forschungsüberblick, Quellen und Literatur (Handbuch zur neueren Geschichte Österreichs; 1), Innsbruck u. a. 2000, S. 312–316. François de Sales: Philothea. Anleitung zum religiösen Leben. Übersetzt und hg. von Otto Karrer, Freiburg/Schweiz u. a. 1988, S. 161–168 (»Von dem vermessenen Urteil und bösen Klatsch«). Das französische Original erschien unter dem Titel Introduction à la vie dévote (Lyon 1608). Was im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts unter »christlicher Höflichkeit« verstanden wurde, veranschaulicht das folgende Lehrgespräch: »Fr[age] Wie nennt man dieses sorgfältige Achtgeben, auf daß wir nicht reden oder thun, was Gott und die Menschen beleidigen würde? | A[ntwort] Höflichkeit, Wohlgezogenheit. | Fr[age] Was lehret uns die Höflichkeit? | A[ntwort] Wie wir uns im Umgange mit unsern Mitmenschen, in Reden, Geberden und Handlungen benehmen sollen, um die Gesetze der Religion, der Liebe, des Anstandes und der guten Sitten in keinem Stücke zu verletzen.« Bernhard Galura: Lehrbuch der christlichen Wohlgezogenheit. Ein Beytrag zur Volksbildung, Wien 1832, S. 28. Alois Hahn: Rede- und Schweigeverbote, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 43, 1991, S. 86–105. Peter Burke: Reden und Schweigen. Zur Geschichte sprachlicher Identität (Kleine kulturwissenschaftliche Bibliothek; 46), Berlin 1994, S. 63–81. Pia Holenstein/Norbert Schindler: Geschwätzgeschichte(n). Ein kulturhistorisches Plädoyer für die Rehabilitierung der unkontrollierten Rede, in: Richard van Dülmen (Hg.), Dynamik der Tradition. Studien zur historischen Kulturforschung IV, Frankfurt/M. 1992, S. 41–108. Krug-Richter (Anm. 11). Claudia Benthien: Barockes Schweigen. Rhetorik und Performativität des Sprachlosen im 17. Jahrhundert, Paderborn u. a. 2006, darin: Mulierem ornat silentium. Disziplinierung der weiblichen Zunge (S. 196–239).
5.1 Unterschiedliche Standpunkte zur kommunikativen Bildung von Frauen
279
werden sollten, grundlegende Regeln der christlichen Höflichkeit im Gespräch zu befolgen, erläutert das folgende Beispiel. Die Verhaltenslehre Le portrait d’une femme honneste, raisonnable et véritablement chrestienne (1693) des Abbé Jacques Goussault erschien 1713 in deutscher Sprache. Dem Autor steht es fern, den Nutzen von Frauenbildung in Zweifel zu ziehen, doch spricht er sich gegen Frauen aus, die im Beisein anderer ihre Bildung in den Vordergrund stellen. Das 12. Kapitel des Buches trägt die Überschrift: »Ein verständiges Weib bezäumet ihre Zunge, und spricht wenig.« Diese Regel stellt die sehr freie Paraphrase eines Spruches Salomons (17,27) dar. Luther übersetzt die Stelle so aus dem Griechischen: »Ein Vernünfftiger messiget seine rede, Und ein verstendiger Man ist ein thewre Seele.«28 Goussault paraphrasiert: DEr jenige ist am meisten zu loben, der seinen Wandel nach dem Rath des Weisen Pro. 17. v. 27. führet, wo nicht der einer Eloge gewürdiget wird, der grose Wissenschafft hat, und viel redet: sondern er behauptet, daß der jenige gelehrt und verständig seye, welcher seine Rede mäsige und wol zu schweigen wisse. Allein den, der bescheidentlich redet, und sein Gespräch so führet, daß er bey Niemanden [sic] Verdruß erwecket, hält der Weise vor gelehrt und den jenigen vor klug, der sich seiner Wissenschafft und Geschicklichkeit nicht überhebet; sondern sich solcher anderst nicht als eines Schatzes gebrauchet, der verborgen lieget, bis man zu gelegener Zeit sich dessen bedienen kan. Auf gleiche Weise verhält es sich auch mit einer rechtschaffenen Frauen; die ist vernünfftig genug, und mangelt nicht an Wissenschafften, so sie nur bey Compagnien ihre Zunge wol zu mäsigen weiß, und nicht zur Unzeit spricht.29
Die Autorität der Heiligen Schrift wurde auch geltend gemacht, um gegen unzüchtige Gespräche zwischen Personen ungleichen Geschlechts anzugehen. Die Radikalität, mit der ein pietistischer Prediger wie Johann Porst seine Position vorträgt, ist typisch.30 Porst 28 D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe. Die Deutsche Bibel, Bd. 10/2, Weimar 1957, S. 59. 29 Jacques Goussault: Abbildung einer tugendsam- vernünfftig- und recht christlichen Frauen […], Heilbronn 1713, S. 148–159, hier S. 148. 30 [August Bohse:] Conversations-Unterricht, bestehend in einer kurtzen und accuraten Manier, wie man sich so wol bey hohen als niedrigen Stands-Personen, bey vornehmen Frauen-Zimmer, und andern Gesellschafften, eine gute Conduite und Aufführung erwerben soll. Neu wieder übersehen, verbessert und vermehret. Der lieben Jugend zum Besten, nebst einem Trenchier-Büchlein mit Kupffern heraus gegeben, Nürnberg 1727, S. 108 f.: »Von dieser Materie [Von Aufführung mit Frauenzimmer, SK] Anleitung und Unterricht zu geben, halten diejenigen Gelehrten, die bey ihrer Erudition grob und ungeschliffen, oder Pietistische Grübler sind, so gar wenig, daß sie lieber denen Menschen wolten weiß machen, die Conversation mit Frauenzimmer anzuweisen, wäre eben soviel, als junge Leuthe zur Unzucht und allerhand Uppigkeit anzuführen.« Diese von Beetz übersehene Neuausgabe der Konversations- und Komplimentierlehre von Bohse erschien erstmals 1713. Wie Manfred Beetz aufdeckte, beruht dieses Buch und eine ganze Anzahl analoger Werke auf Mitschriften einer Dekorum-Vorlesung von Christian Thomasius. Manfred Beetz: Ein neuentdeckter Lehrer der Conduite. Thomasius in der Geschichte der Gesellschaftsethik, in: Werner Schneiders (Hg.), Christian Thomasius (1655–1728). Interpretationen zu Werk und Wirkung (Studien zum achtzehnten Jahrhundert; 11), Hamburg 1989, S. 199–222. Ders.: Frühmoderne Höflichkeit. Komplimentierkunst und Gesellschaftsrituale im altdeutschen Sprachraum (Germanistische Abhandlungen; 67), Stuttgart 1990, S. 91–93.
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5. Kommunikative Kompetenzen von Frauen: Positionen und Empfehlungen
stellt in seiner Predigt die Frage, was die Israeliten zu Unkeuschheit und Hurerei verleitet habe (4 Mose, 25,1). Eine Gelegenheit sei die »sündliche Conversation, und der üppige Umgang mit geilen Personen« gewesen: Wären die Jsraeliten nicht mit den Töchtern der Moabiter in vielfältige Conversation kommen, so wären sie auch nicht in die Sünde der Unkeuschheit und Unreinigkeit verfallen. So weit hat der Satan heut zu Tage die Menschen verblendet, daß man üppige Conversation vor ein nothwendiges Stück der Erziehung der Jugend hält; Der Sohn muß lernen mit galanten Frauenzimmer [sic] umbgehen, und die Tochter muß nicht so plump bleiben, sondern wissen, wie sie einem galant begegnen soll. Aber solche Conversation und üppiger Umbgang, hat schon offtmahls Eltern und Kindern grosses Hertzeleid verursachet, wenn sie in Unzucht und Hurerey nach und nach (denn es darff eben nicht auf einmahl und im ersten Jahr geschehen) verfallen.31
3.
Der Diskurs über die Frage, ob man aus Büchern reden lernen könne
Viele Autoren des 17. und 18. Jahrhunderts nahmen zu diesem Problem eher beiläufig Stellung.32 Manchmal wurde die Frage auf das Lesen von Romanen,33 das Erlernen von Komplimenten aus Büchern oder das Auswendiglernen von Komplimenten reduziert.34 Die meisten stimmten darin überein, Lesen stelle zwar eine gute Vorbereitung auf Gespräche dar, eine scientia practica könne aber unmöglich habituell aus Büchern erlernt werden. Auch die Grande Dame unter den Konversationslehrerinnen des 17. Jahrhunderts, Madeleine de Scudéry, teilte diese Überzeugung,35 gleichzeitig war sie eine anerkannte
31 Johann Porst: Der entbrannte Zorn GOttes über die Unkeuschheit, wurde am IX. Trinitatis 1707. aus der ordentlichen Epistel 1. Cor. 10. v. 8. in der Dorotheen-Städtischen Kirchen, in einer Predigt, der christlichen Gemeinde fürgestellt, und aus erheblichen Ursachen, und vielen Verlangen zum Druck übergeben, von Johann Porst, Predigern daselbst und aufm Friedrichs-Werder in Berlin, Berlin 1715, S. 16 f. Zum Sexualdiskurs allgemein vgl. Tilmann Walter: Unkeuschheit und Werk der Liebe. Diskurse über Sexualität am Beginn der Neuzeit in Deutschland (Studia linguistica Germanica; 48), Berlin u. a. 1998. 32 Vgl. auch die Quellenzitate in den Abschnitten 1.2 und 4.3. 33 So etwa Christian Thomasius: »Es ist auch nicht zu meynen, als könnte man sich mit hohen Redensarten und oratorischen Zierlichkeiten bey Frauenzimmer vor andern recommendiren, und irren daher diejenigen sehr, welche sich zumal aus verliebten Romainen allerhand Phrases zusammen tragen, und gedenken, solche wieder in Conversation mit Frauenzimmer anzubringen. Wenn die Redensart nicht naturell, und wie man sie sonst gewöhnlich im Discuriren oder Briefen brauchet, so wird solche beym weiblichen Geschlecht eben so wenig, als bey dem verständigsten Mannsvolk beliebt machen.« Christian Thomasius: Christian Thomasii, weyl. berühmten Rechtsgelehrten kurtze Anleitung zu einer guten Conduite […], in: Chrysostomus Erdmann Schröter, […] Vollständiges Briefbuch […], Tl. 2, Leipzig 1745, S. 561–656, hier S. 634. 34 Christoph Strosetzki: Konversation. Ein Kapitel gesellschaftlicher und literarischer Pragmatik im Frankreich des 17. Jahrhunderts (Studia Romanica et linguistica; 7), Frankfurt/M. u. a. 1978, S. 131. Dietmar Till: Komplimentierkunst, in: Gert Ueding (Hg.), Historisches Wörterbuch der Rhetorik, Bd. 4, Tübingen 1998, Sp. 1211–1232, hier Sp. 1221. 35 Georges de Scudéry [Pseud., Madeleine de Scudéry]: Clélie, histoire romaine, 5 Tle. in 10 Bdn., Paris 1654–1660, Bd. 8, S. 640–675. Das Lehrgespräch »De parler trop ou trop peu, et comment il faut
5.1 Unterschiedliche Standpunkte zur kommunikativen Bildung von Frauen
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Rhetoriklehrerin und konnte sich rühmen, viele auf der Grundlage ihrer Bücher zu eloquenteren und feinsinnigeren Menschen herangebildet zu haben. In der deutschen Version ihres Romans Clélie (5 Tle. in 10 Bdn., 1654–1660) lautet die einschlägige Passage folgendermaßen (»Gesellschafts-ansprache« ist wie »Zusammen-sprache«, eine Wortschöpfung von Philipp von Zesen,36 ein deutsches Wort für »conversation«): Dann endlich steht es nicht den Büchern zu, reden zulehren; und diejenigen, so sich am Lesen begnügen, zur Gesellschafts-ansprache täuglich zuseyn, betrügen sich sehr, und wissen nicht, worzu das Lesen gut ist. Es ist ohne zweifel nötig, den Geist zuschmücken, die Sitten in Ordnung zusetzen, und das Urtheil zuformen; es kan auch dienen, eine Sprache zuerlernen. Aber die Sprach-annehmlichkeit, die kan allein die Ansprache geben, und dazu gehören noch Weltleute, deren die Weibsbilder den grösten Theil sollen machen: sonst würde es etwas Allzuerhabenes, Gelehrtes, Mageres, Rauhes oder Gezwungenes vor diejenigen abgeben, die ihre Redens-art nach deme, was sie lesen, richten wolten. Dann weil die Bücher gemeiniglich nicht reden, wie die Leute in Ansprach-gesellschaften zureden pflegen, als muß man auch in solchen nicht wie die Bücher reden.37
Die Frage, ob man aus Büchern reden lernen könne, hatte aber wohl nur in pietistischen Kreisen Folgen für den Buchmarkt, das Kaufverhalten und die Lesesozialisation von Mädchen und Frauen. Das Ethos des Pietismus verlangte nach einer aus dem Herzen fließenden einfachen Sprache, die auf die Seele der Mitchristen erbauend wirkt.38 Man glaubte, rhetorischer Zierrat sei ein Ausdruck von Stolz und Eitelkeit, weshalb man mit scharfen Worten und moralisierenden Drohgebärden gegen die »Galanterie-
parler« wurde wiederabgedruckt in: [Madeleine de Scudéry,] Conversations sur divers sujets, 2 Bde., Paris 1680, Bd. 1, S. 200–250. Zu den deutschen Übersetzungen dieses Konversationenbandes vgl. Abschnitt 3.2. Barbara Zaehle: Knigges Umgang mit Menschen und seine Vorläufer. Ein Beitrag zur Geschichte der Gesellschaftsethik (Beiträge zur neueren Literaturgeschichte. N. F.; 22) Heidelberg 1933, S. 132. Renate Baader: Dames de lettres. Autorinnen des preziösen, hocharistokratischen und »modernen« Salons (1649–1698): Mlle de Scudéry - Mlle de Montpensier - Mme d’Aulnoy (Romanistische Abhandlungen; 5), Stuttgart 1986, S. 217. 36 Heinrich Reinacher: Studien zur Übersetzungstechnik im deutschen Literaturbarock: Madeleine de Scudéry – Philipp von Zesen, Freiburg/Schweiz 1937, S. 62. 37 Georges de Scudéry [Pseud., Madeleine de Scudéry]: Clelja: Eine römische Geschichte, durch Herrn von Scuderi […] in französischer Sprache beschrieben; anitzt aber ins Hochdeutsche übersetzet durch ein Mitglied der hochlöb. Fruchtbringenden Gesellschaft, den Unglückseeligen, 5 Tle., Nürnberg 1664, Tl. 4, S. 416–443, hier S. 439. Vgl. Madeleine de Scudéry: Konversation über die Konversation, in: Claudia Schmölders (Hg.), Die Kunst des Gesprächs. Texte zur Geschichte der europäischen Konversationstheorie, 2. Aufl. München 1986, S. 166–177 (die Übersetzung folgt der 5. Auflage der Conversations sur divers sujets von 1686). 38 Der Autor der Handleitung vertritt die Ansicht, ein Kompliment müsse »aus aufrichtigem Hertzen herfliessen und kurtz seyn, daß es fast mehr mit ehrerbietigen Geberden, als vielen Worten abgelegt werde«. Anonym: Nützliche und nöthige Handleitung zu wohlanständigen Sitten,wie man sich in der Conversation, auf Reisen, im Brief-Schreiben und Einrichtung der Geschäfte sittig, bescheiden, ordentlich und klüglich verhalten soll: Zum Gebrauch des Pädagogii Regii zu Glaucha an Halle abgefasset […], 6. Aufl. Halle 1727, S. 73 (1. Aufl. 1706).
282
5. Kommunikative Kompetenzen von Frauen: Positionen und Empfehlungen
Seuche«,39 zu der eben manchmal auch »Complimentir-Bücher« gezählt wurden, anging: 40 Böse Bücher, und einem Frauen-Zimmer schädlich, sind alle Complimentir-Bücher. Dergleichen hab ich in Buchladen [sic] offt gesehen, und sind die Complimenten darinn so krauß, thöricht, und lächerlich, daß ichs nicht sagen kan. Es ist wol wahr, daß ein Frauen-Zimmer zu gewissen Zeiten nöthig hat zu reden, als etwa zu gratuliren, zu condoliren, und so mehr; aber solches darff man nicht aus Büchern lernen; es findet sich solches schon von sich selbst, und etwa auch aus dem Umgang mit guten Leuten.41
Es mußten viele Faktoren gleichzeitig Wirklichkeit werden und ineinander greifen, damit der Markt sich für Publikationen aufschließen konnte, die auch oder insbesondere Frauen mit Wissen vertraut machten, das die Erweiterung und Verbesserung ihrer kommunikativen Fähigkeiten zum Ziel hatte. Die nachfolgend zu charakterisierenden Personenkreise, geistigen Strömungen und kulturellen Bestrebungen machten diese Entwicklung möglich: 1. Das Beispiel der feminae doctae des Humanismus 2. Das Frauenlob der Renaissance und ihr Ideal der kultivierten (Hof-)Dame 3. Die geistige Kommunikation und literarische Zusammenarbeit von Frauen und Männern in den Kulturen des Humanismus, der Höfe und der Sprachgesellschaften 4. Die wachsende Bedeutung der Nationalsprachen, die den Frauen den Zugang zu Literatur und Wissen erleichterte 5. Die rationalistische Pädagogik und ihr Ideal der belesenen, »politischen« und nach den Prinzipien der Vernunft handelnden Frau 6. Die für ein restriktionsfreieres Miteinander der Geschlechter votierende Vorurteilsund Gesellschaftskritik der Aufklärung 7. Das Interesse von Verlegern an der kommunikativen Selbstbildung von Frauen 8. Die Bildungsarbeit von norm- und formbewußten Autorinnen
1.
Das Beispiel der feminae doctae des Humanismus
Der Texttyp der Kataloge berühmter Frauen42 ist das Resultat männlicher Dominanz. Er stellt gewissermaßen einen Appendix (des Außergewöhnlichen, Kuriosen) zur Haupterzählung, die »natürlich« von Männern handelt, dar. Die Anzahl gelehrter Frauen in einer 39 Friedrich Christoph Oetinger: Vorrede, in: [ Jeanne de Liancourt,] Einer Hertzogin aus Franckreich Regeln für das Frauenzimmer hohen Herkommens […], Heilbronn 1754, Bl. )(4a–)( )(4b, hier Bl. )(6b. 40 Da im Pietismus die schriftliche Darstellungsform von persönlichen Glaubenserfahrungen eine wichtige Rolle spielte, wurde in diesen Zirkeln bei Mädchen und Frauen sprachliche Artikulationsfähigkeit nicht nur bejaht, sondern auch gefördert. 41 Anonym: Frauen-Zimmer-Bibliotheckgen […], Güstrow 1705, S. 20 f. 42 In der Renaissance wurde diese von Plutarch begründete Texttradition durch Giovanni Boccaccio (1313–1375) wiederbelebt. Giovanni Boccaccio: De claris mulieribus/Die großen Frauen. Ausgewählt, übersetzt und kommentiert von Irene Erfen und Peter Schmitt, Stuttgart 1995. Zu den Katalogen gelehrter Frauen vgl. Brita Rang: »Jus fasque esse in rempublicam litterariam foeminas adscribi«.
5.1 Unterschiedliche Standpunkte zur kommunikativen Bildung von Frauen
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Nation oder Epoche diente zunehmend als Indiktor (Evaluationsparameter) im kulturellen Wettstreit der Neuzeit mit der Antike und dann auch der neuzeitlichen Nationen untereinander. Als Ausnahmeerscheinungen wurden die feminae doctae einzeln aufgezählt, nicht etwa bloß zusammenfassend registriert. Die um 1500 in Italien entwickelte Philosophie des Schönen, etwa die des Ficino, und die dem Beispiel Petrarcas folgende lyrische Verherrlichung der angebeteten Dame fanden zunächst an den Höfen, später auch im niederen Adel und dem Patriziat, ein starkes Echo in Literatur und Verhaltensformen. Die europäischen Eliten erlagen dem Charme und der rhetorischen Meisterschaft zweier Autoren: »Mit dem von Pietro Bembo und Baldessare Castiglione gezeichneten Bild der hochgebildeten, verehrungswürdigen Hofdame oder Fürstin verbreitete sich die ästhetische und erotische Wahrnehmung der erudita im humanistischen und höfischen Europa.«43
2.
Das Frauenlob der Renaissance und ihr Ideal der kultivierten (Hof-)Dame
Die Humanisten waren als eine neue, institutionell nicht abgesicherte Berufsgruppe auf den Hochadel als Arbeitgeber und Mäzen angewiesen. Durch das Lob einer Fürstin oder allgemeiner durch einen literarischen Beitrag zur Hochkultur konnten sie ihre Chancen verbessern. Die adligen Damen ihrerseits dokumentierten durch eine Teilnahme an Literatur und Wissenschaft den Rang ihres Geblüts, da den Zeitgenossen geistige Leistung als »heroisch«, mithin dem Blutsadel wesensverwandt, galt. Die Fürstin, die männliche Eigenschaften und Fähigkeiten zur Geltung brachte, wurde als »femme forte«, als Androgyne, virago oder Mannweib, die von einem männlichen Geist (Mut) beseelt ist, begriffen. Der allgemein sehr hohe Bildungsgrad von Frauen, die in der griechischen und römischen Antike der Oberschicht angehörten, forderte die Gebildeten der Renaissance zum Vergleich mit der eigenen Kultur – auch der misogynen Rede über Frauen in dieser Kultur – auf.44 Antike Exempel wurden von humanistischen oder im humanistischen Geist stehenden Autor(inn)en angeführt, um zur Nachahmung anzuregen und Frauen und Männern die Augen zu öffnen für die spezifische Würde des weiblichen Geschlechts. Man Gelehrt(inn)en-Enzyklopädien des 17. und 18. Jahrhunderts, in: Paedagogica historica 28, 1992, S. 511–549. Vgl. auch den von Wolfgang Schibel erarbeiteten Ausstellungskatalog: Die Rolle der Frau in der literarischen Welt der frühen Neuzeit (Ausstellungsführer der Universitätsbibliothek der Freien Universität Berlin; 27), Berlin 1993. 43 Wolfgang Schibel: »Westonia poetria laureata«: Rolle, Schicksal, Text, in: Beate Czapla u. a. (Hg.), Lateinische Lyrik der Frühen Neuzeit. Poetische Kleinformen und ihre Funktionen zwischen Renaissance und Aufklärung (Frühe Neuzeit; 77), Tübingen 2003, S. 278–303, hier S. 285. Zur Epoche allgemein vgl. Margaret L. King: Women in the Renaissance, Chicago/IL 1991. 44 Zur Misogynie in der Frühen Neuzeit vgl. Ulrike Gaebel u. a. (Hg.): Böse Frauen – gute Frauen. Darstellungskonventionen in Texten und Bildern des Mittelalters und der Frühen Neuzeit (Literatur, Imagination, Realität; 28), Trier 2001. Andrea Geier u. a. (Hg.): Wider die Frau. Zu Geschichte und Funktion misogyner Rede (Literatur, Kultur, Geschlecht; 33), Köln 2006.
284
5. Kommunikative Kompetenzen von Frauen: Positionen und Empfehlungen
wollte hinter den Errungenschaften der Antike nicht zurückstehen. Der Autor des Frauenspiegels Lebendige Abbildung der jnnerlichen Schönheiten des weiblichen Geschlechts (1721), eine Übersetzung aus dem Englischen, führt zum Beweis, »daß die Weibes-Persohnen auch zur Beredsamkeit nicht ungeschickt seyn«,45 zwei von Frauen gehaltene Reden an, die vor einer großen Menschenmenge gehaltene Verteidigungsrede der Römerin Amesia und die Rede der Hortensia vor dem Triumvirat in Rom: »Als die Amasia [recte: Amesia, SK], eine vortreffliche Römische Matron einer gewissen Mißhandlung beschuldiget wurde, und nun eben das Urtheil von dem Praetore empfangen, trat sie in gegenwart einer grossen Menge Volcks auff, und vertheidigte sich in einer wohlgesetzten Rede mit solcher Modestie und Beredtsamkeit, daß sie nicht alleine mit allgemeiner Beystimmung loßgesprochen, sondern ihr auch der Zunahme Androgyne, das ist, ein männlich Weib, beygeleget wurde. | Als denen Römischen Matronen von denen Tribunis eine grosse GeldStraffe aufferleget war, und kein ein[z]iger Advocat ihre Sache führen wolte, nahm es die Hortensia der Königin Hortensiae Tochter auff sich, brachte es auch durch ihre Beredtsamkeit vor denen Triumviris so weit, daß der gröste Theil von der aufferlegten Straffe nachgelassen wurde.« 46 Wer solche Texte rezipierte, immunisierte sich gegen Stimmen, die Frauen geistig-seelisch abqualifizierten. Die Zeit für radikale, maßnahmenorientierte Kritik am Bildungs- und Machtgefälle zwischen den Geschlechtern war in der Renaissance noch nicht gekommen.47 Zum Zeichen der Affirmation der bestehenden Ordnung wurden frauenspezifische Tugendkanons konstruiert. In Schriften zum Lobe ehrbarer Frauen werden weibliche Tugenden und Fähigkeiten mehrheitlich als Naturgabe gepriesen, wodurch der Eindruck entsteht, diesem Geschlecht werde das Lobwürdige ohne eigene oder fremde Bemühung zuteil. Folgt man Agrippa von Nettesheim (1488–1535/36), so ist die angeborene Geschicklichkeit im Reden beim weiblichen Geschlecht größer als beim Mann: »Jst nit daz weib mit der red vil freundlicher/ weit bescheidner/ vmb groß vberflüßiger [überströmender, SK]/ dann der mann? Als viel vnser der menschen sind/ werden wir nit am aller ersten/ entweders von den müttern/ oder aber von den seugammen reden gelert? Sintemal so hat die natur/ die da ist ein bawmeysterin aller ding/ in dem/ dem menschlichen geschlecht gar hohen nutz bewiesen/ vnnd
45 Anonym: Lebendige Abbildung der jnnerlichen Schönheiten des weiblichen Geschlechts […], Frankfurt/M. u. a. 1721, S. 135. 46 Ebd. Der Autor zieht daraus das Fazit (S. 136): »Dahero es falsch ist, was einige aus Verläumbdung dem weiblichen Geschlechte nachreden, daß die Zunge bey ihnen am meisten zum schelten fertig und geschickt seye.« 47 Zu den Bildungsidealen in der Renaissance vgl. Wilhelm Ruhmer: Pädagogische Theorien über Frauenbildung im Zeitalter der Renaissance, nebst einer kritischen Würdigung der Leistungen mittelalterlicher Theoretiker, Bonn 1915. Ursula Hess: Lateinischer Dialog und gelehrte Partnerschaft. Frauen als humanistische Leitbilder in Deutschland (1500–1550), in: Gisela Brinker-Gabler (Hg.), Deutsche Literatur von Frauen. Bd. 1: Vom Mittelalter bis zum Ende des 18. Jahrhunderts, München 1988, S. 113–148. Christiane Reitz/Wolfgang Schibel: Die gelehrte Frau der Renaissance: Fiktion und Lebenswirklichkeit – damals und heute, in: Barbara Feichtinger u. a. (Hg.), Gender Studies in den Altertumswissenschaften (Iphis; 1), Trier 2002, S. 109–122.
5.1 Unterschiedliche Standpunkte zur kommunikativen Bildung von Frauen
285
solche gut that dem weibßbildt begabt/ das man schier niender kein stumm weib erfindet.« 48 Frauen seinen dafür geschaffen, den Kindern die Muttersprache (das Sprechen) beizubringen: »Leren wir nit vil basser reden von vnsern müttern vnd seugammen/ dann von den schulmeistern? Hat nit die Mutter Cornelia/ die aller trefflichste red/ jrer Sön Grachorum am ersten formiert vnnd angericht. […] Vmb diser vnd anderer keiner vrsache willen/ haben Plato vnd Quintilian so fleißig von ersuchung einer seugammen zu den Kindern geschrieben/ damit der Kinder zunge/ recht vnderscheidtlich vnd wol angericht würde zu der rede.« 49 Die in Texttypen wie dem Enkomium,50 dem Frauenkatalog oder der Verteidigungsschrift bekundete Wertschätzung der Redegabe von Mädchen und Frauen mündete im 15. und 16. Jahrhundert nicht in die Forderung nach Grammatik-, Rhetorik- oder Poetikunterricht für »Fortgeschrittene« (fast erwachsene Mädchen und junge Frauen).51 Wohl wurden Frauen aufgefordert, bestimmte Bücher zu lesen,52 es wurde aber noch nicht die Forderung erhoben, das Bildungsgut »Belesenheit« zum Nutzen und zur Freude anderer in die Unterhaltung zu investieren.53 Daraus kann freilich nicht abgeleitet werden, die höfischen Frauen der Renaissance seien weniger belesen und beredt gewesen als ihre Vorgängerinnen im Spätmittelalter. Erasmus von Rotterdam (1466/1469– 1536) stellt in den Colloquia familiaria (1518), einer Sammlung moralischer Gespräche,
48 Henricus Cornelius Agrippa von Nettesheim: Vom Adel vnd Fürtreffen Weibliches geschlechts, 1540, Übersetzung von: Declamatio de nobilitate et praecellentia Foeminei sexus, 1529. Ediert u. kommentiert von Jörg Jungmayr, in: Elisabeth Gössmann (Hg.), Ob die Weiber Menschen seyn, oder nicht? (Archiv für philosophie- und theologiegeschichtliche Frauenforschung; 4), 2., überarb. u. erw. Aufl. München 1996, S. 63–100, hier S. 79 f. 49 Ebd., S. 91 f. 50 Das paradoxe Enkomium (Lobrede), ein im Humanismus beliebter Texttyp, war eine didaktische und rhetorische Übung von besonderem Witz. Ihre Aufgabe bestand darin, eine allgemein wenig geachtete Sache als in Wahrheit überaus wertvoll zu erweisen. Die Frage von Wert oder Unwert der Frau war ein zugkräftiges Thema, das mit großer literarischer Erudition, Zitaten von der griechischen Lyrik und Tragödie bis hin zur scholastischen Theologie und der aktuell gelehrten Medizin traktiert werden konnte. 51 In seltenen Fällen wurden auch im deutschen Humanismus sprachkundige, redegewandte Mädchen und Frauen gefördert und gefeiert, eines der bekanntesten Exempel ist Olympia Fulvia Morata (1525–1555). Christian Franz Paullini erinnert daran, daß es der wegen ihrer Religion Vertriebenen erlaubt worden war, »im 29ten Jahr ihres Alters, den öffentlichen Lehr-Stuhl in Heidelberg zubesteigen, und Griechisch zulehren«. Christian Franz Paullini: Ob das Frauen-Zimmer der Academischen Ehren-Graden auch fähig sey?, in: ders., Philosophische Lust-Stunden […], Frankfurt/M. u. a. 1706, S. 517–524, hier S. 523. Von 1547 bis 1558 hatte Jacobus Micyllus den Lehrstuhl für griechische Philologie an der Universität Heidelberg inne; so konnte er Morata 1555 nicht mehr als einen Lehrauftrag anbieten. Paullini verwendet ›Lehrstuhl‹ wohl im Sinne von Lehrauftrag bzw. Dozentur. 52 Der Humanismus setzte der im Spätmittelalter intensivierten religiösen Lektüre und Bildung der Frauen seine moralistische Literatur und die Disziplin geistiger Arbeit entgegen – nicht als konträres, sondern als paralleles Programm, das auch zu einer frommen Lebensführung beitragen konnte. 53 Vgl. die Cortegiano-Zitate in Abschnitt 1.2, wo Quellen zur Belesenheitsthematik ausgebreitet werden.
286
5. Kommunikative Kompetenzen von Frauen: Positionen und Empfehlungen
mit der gesprächigen Magdalia dem an theologischer Bildung nicht interessierten Abt eine lektürebeflissene Frau gegenüber, welches ihn doppelt beschämen sollte: Antronius: Was verstehst du unter Weisheit? Magdalia: Die Einsicht, daß der Mensch nur in geistigen Gütern sein Glück findet: Reichtum, Würden, Geburtsadel machen weder glücklicher noch besser. Antronius: Bleib mir vom Hals mit deiner Weisheit. Magdalia: Wenn für mich die Beschäftigung mit einem guten Schriftsteller ebenso angenehm ist, wie für dich die Jagd, das Trinken und das Würfeln, meinst du dann nicht, daß ich auch angenehm lebe? Antronius: Mir läge nichts an einem solchen Leben. Magdalia: Ich frage nicht, was dir am angenehmsten ist, sondern angenehm sein sollte. Antronius: Mir liegt nicht daran, daß meine Mönche ihre Köpfe übermäßig in die Bücher stecken. Magdalia: Mein Mann schätzt das aber ganz besonders. Warum paßt dir das denn bei deinen Mönchen so wenig? Antronius: Weil ich die Erfahrung gemacht habe, daß sie dann weniger gut parieren; sie kommen mir mit Antworten aus den Dekreten, den Dekretalien, aus Petrus und Paulus.54
3.
Die geistige Kommunikation und literarische Zusammenarbeit von Frauen und Männern in den Kulturen des Humanismus, der Höfe und der Sprachgesellschaften55
Der Humanismus förderte die Brief- und Konversationskultur, die sich in antiken Mustern vorgebildet fand. Da diese rhetorisch fundierte Kultur ins Alltagsleben integriert war, überschritt sie leicht die Grenzen der lateinischen Erudition, die männlich geprägt war. Diese Ausweitung der Konversationskultur, schon um 1500 in Italien propagiert, wurde um 1550 in Frankreich aufgenommen, wo sie im 17. Jahrhundert weiter zunahm, so daß deren Blüte auch auf andere Länder – wie Deutschland – ausstrahlte. Castigliones frauenintegratives Gesprächsideal fand wohl erst im 17. Jahrhundert in Deutschland im wirklichen Leben Resonanz.56 Als einer der bedeutendsten Literaturvermittler des Barock und Mitglied zweier Sprachgesellschaften (Fruchtbringende Gesellschaft, Pegnesischer Blumenorden) war Georg Philipp Harsdörffer der eifrigste Verbreiter
54 Erasmus von Rotterdam: Abbatis et eruditae/Der Abt und die gelehrte Frau, in: ders., Ausgewählte Schriften. Ausgabe in acht Bänden lateinisch und deutsch. Hg. von Werner Welzig. Bd. 6: Colloquia familiaria/Vertraute Gespräche. Übersetzt, eingeleitet und mit Anmerkungen versehen von Werner Welzig, Darmstadt 1967, S. 252–265, hier S. 253 f. (Erstausg. 1518). 55 Einige Aspekte dieser Thematik erfahren in Abschnitt 2.1 und Kapitel 6 eine eingehendere Betrachtung. 56 Klaus Ley: Castiglione und die Höflichkeit. Zur Rezeption des Cortegiano im deutschen Sprachraum vom 16. bis zum 18. Jahrhundert (im Anhang: H. Turler: De perfecto aulico B. Castilionii, deque eius in latinam linguam versione narratio [1561]), in: Alberto Martino (Hg.), Beiträge zur Aufnahme der italienischen und spanischen Literatur in Deutschland im 16. und 17. Jahrhundert (Chloe; 9), Amsterdam u. a. 1990, S. 3–108.
5.1 Unterschiedliche Standpunkte zur kommunikativen Bildung von Frauen
287
italienischer und französischer Konversationsideale. Die italienischen Quellen, die der Nürnberger Patrizier kannte und zum Teil in den Frawen-Zimmer Gespräch-Spiel (8 Tle., 1641–1649) verarbeitete, darunter auch der Cortegiano,57 standen bereits im Blickpunkt der Studie von Thomas Frederick Crane.58 In Süddeutschland und Österreich orientierten sich die katholischen Frauen der höheren Stände vorzugsweise am Kaiserhaus (mehr dazu in Kapitel 6). Die im 17. Jahrhundert zeitweilig sehr ausgeprägte Italophilie einzelner Mitglieder der habsburgischen Dynastie blieb nicht ohne Rückwirkungen auf das Geselligkeitsethos am Wiener Hof und in dessen Umkreis. Allerdings bremste der Katholizismus im Süden des Reiches durch seinen Wertekonservatismus den Innovationsgeist von Verlegern in der Hinsicht ab, daß im Süden in der Regel sehr viel später als in den protestantischen Regionen im Norden volkssprachige Anstandsliteratur und Kommunikationslehren in die Verlagsprogamme aufgenommen wurden. Ein Paradebeispiel für den Bildungseinfluß Frankreichs im 17. Jahrhundert ist die aus dem Bürgertum stammende Schriftstellerin, Frühfeministin und Salonnière Madeleine de Scudéry. Ihre frühen Romane entstanden in Zusammenarbeit mit ihrem Bruder Georges, der Salon, den sie führte, war weitberühmt. Nicht zuletzt weil man »Mademoiselle de Scudéry« in Deutschland aus edlem, vornehmem Hause wähnte,59 und weil Mitglieder von angesehenen Sprachgesellschaften die kluge Französin bewunderten und für die Bekannt-
57 Peter Burke nahm zwar den Cortegiano-Leser Harsdörffer zur Kenntnis (dieser las den italienischen Klassiker zusammen mit seinem Freund Johann Heinrich Boeckler), nicht aber den Cortegiano-Multiplikator und Frauenfreund Harsdörffer. Peter Burke: Die Geschicke des Hofmann. Zur Wirkung eines Renaissance-Breviers über angemessenes Verhalten, Berlin 1996 (Orig. The Fortunes of the Courtier: The European Reception of Castiglione’s Cortegiano, 1995), S. 174 (mit einer chronologische Übersicht der Cortegiano-Ausgaben bis zum Jahr 1850 [S. 203–207]). 58 Georg Philipp Harsdörffer: Frauenzimmer Gesprächspiele. Faks.-Ndr. d. Ausg. Nürnberg 1643–1657, hg. von Irmgard Böttcher, 8 Tle. (Deutsche Nachdrucke. Reihe: Barock; 13–20), Tübingen 1968–1969, Tl. 2, 1657, Bl. Gg5a (Nachweis der von Harsdörffer benutzten Cortegiano-Ausgabe von 1573). Thomas Frederick Crane: Italian Social Customs of the Sixteenth Century and Their Influence on the Literatures of Europe (Cornell Studies in English; 5), New Haven 1920, S. 559–564. Eine Fortsetzerin der Vermittlungsarbeit von Harsdörffer war die Pegnitzschäferin Barbara Helena Kopsch (vgl. Abschnitt 3.2). 59 Johann Christoph Wagenseil stellt seine französische Gesprächspartnerin dem Lesepublikum mit folgenden Worten vor (der Autor assoziierte mit der Familie de Scudéry adlige Abkunft, was nicht den Tatsachen entspricht): »Als ich erstes mal die Ehre hatte, die wegen Tugend, hohen Verstandes, vieler Sprachen Wissenschafft, in der Welt so berühmte, und auch den Herkommen nach, von einem fürnehmen Edlen Haus entsprossene Fräulein MAGDALENA DE SCVDERY zu Paris zu besuchen, fragte sie mich […].« Das Gespräch bildet die Einleitung zum Anhang von Wagenseils Geschichte der Reichsstadt Nürnberg. Johann Christoph Wagenseil: […] de Sacri Rom. Imperii libera civitate Noribergensi commentatio […], Altdorf 1697, S. 452–464, hier S. 452 f. Wanda G. Klee/Sabine Koloch: Kann man auf Deutsch schreiben? Ein Gespräch zwischen Madeleine de Scudéry und Johann Christoph Wagenseil über deutsche Sprache, Dicht- und Übersetzungskunst, in: Morgen-Glantz. Zeitschrift der Christian Knorr von Rosenroth-Gesellschaft 12, 2002, S. 377–402, hier S. 387.
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5. Kommunikative Kompetenzen von Frauen: Positionen und Empfehlungen
machung ihrer Werke eintraten, war sie bis ins erste Drittel des 18. Jahrhunderts im deutschen Sprachraum die einflußreichste, da die am meisten übersetzte, gelesene und zum Muster genommene Autorin.60
4.
Die wachsende Bedeutung der Nationalsprachen, die den Frauen den Zugang zu Literatur und Wissen erleichterte
Der Bedeutungszuwachs der Volkssprache ist ein Effekt des Vordringens bestimmter Arbeits- und Produktionszusammenhänge. Harsdörffer spendet in den Gesprächspielen der deutschen Sprache Lob, indem er sie als »unsere volkommene, herrliche, deutliche, wollautende, vernemliche, Kraft- und Saftreiche, wunderschikliche, Teutsche Sprache« bezeichnet. Der Grund für ihre Vernachlässigung sei eine »unbedachtsame Frem[d]gierigkeit«. Die Jugend plage sich mit der griechischen, lateinischen und andern Sprachen, anstatt sich die deutsche gründlich anzueignen.61 Für Frauen sei die Erlernung der deutschen Sprache aus zweierlei Gründen wichtig. Einesteils spiele die Muttersprache im Rahmen der Kindererziehung eine wichtige Rolle, andernteils sei die deutsche Sprache dem weiblichen Geschlecht eine Zierde, denn nur kraft einer gewählten Sprache könne die Schönheit der eigenen Gedanken ausgedrückt werden: »Dem Frauenzimmer ist auch diese Wissenschaft wol Teutsch zu reden, und recht zu schreiben so nöthig als zierlich: nöthig in Auferziehung jhrer Ehepflantzen […]; zierlich aber, weil sie jhre schöne Gedanken, mit unartigen Worten nicht außreden mögen.« 62 Die zunehmende Akzeptanz muttersprachlicher Fach- und Gebrauchsliteratur brachte dem weiblichen Geschlecht immer mehr Wissen näher, auch solches, das ihre kommunikative Qualifizierung förderte. Zwei Beispiele: Stanislaus Mink von Weinsheun [Pseud., Hans Just Winkelmann]: Proteus. Das ist: Eine unglaubliche lustnützliche Lehrart, in kurzer Zeit ohne Müh deutsch- und lateinische Vers zumachen, auch einen französischen und lateinischen Brief zuschreiben, dem hochloeblichen Frauenzimmer und der anwachsenden Jugend zu nutzlicher Ergötzligkeit, fürgestellet durch Stanislaus Mink von Weinsheun, Oldenburg 1657. E[rasmus] F[rancisci]: Die neu-auffgerichtete Liebs-Cammer, darinnen, allerhand höff lichverliebete Send-Schreiben, an das löbliche und anmuhtige Frauenzimmer, auch andere Personen abgefasset, und beantwortet sind: Voll mancherley Erfindungen, so wol zierlicher Schreib-Grüsse und anderer Formularn, als vieler seltener Liebs-Fälle, und mehrer Sachen, so
60 Sabine Koloch: Madeleine de Scudéry in Deutschland. Zur Genese eines literarischen Selbstbewußtseins bürgerlicher Autorinnen, in: Renate Kroll u. a. (Hg.), Gender Studies in den romanischen Literaturen: Revisionen, Subversionen (Siegener Frauenforschungsreihe; 6–7), 2 Bde., Frankfurt/M. 1999, Bd. 1, S. 213–255, hier S. 227. 61 Harsdörffer (Anm. 58), Tl. 3, 1643, [Anhang] S. 288–295 (»Von der Teutschen Sprache Vortrefflichkeit«), hier S. 289. 62 Ebd., S. 289 f.
5.1 Unterschiedliche Standpunkte zur kommunikativen Bildung von Frauen
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der Jugend nicht nur lustig, sondern auch guten Theils nützlich zu lesen. Samt einer Zugabe etlicher Schertz-und Lust-Schreiben. Erbauet durch E.F., [Nürnberg] 1662. Weitere Aufl. 1679 u. 1694.
5.
Die rationalistische Pädagogik und ihr Ideal der belesenen, »politischen« und nach den Prinzipien der Vernunft handelnden Frau
Der Rationalismus war Ausdruck und Abstraktionsmodus eines bestimmten gesellschaftlichen Interesses, in dessen Rahmen die Qualifikation von Frauen in vorgegebene Richtungen gelenkt werden sollte. Die von Rationalisten wie Frédéric Rivet (tätig um 1654) 63 und John Locke (1632–1704) in eine systematische Form gebrachte 64 und in ganz Europa verbreitete Pädagogik 65 räumte der (gesunden) Vernunft mehr Macht ein als der Natur und der Gewohnheit,66 nicht selten verwickelten sich aber die Protagonisten dieser Richtung in offenkundige Widersprüche, vor allem die Rollenfragen der Geschlechter betreffend. So distanzierte man sich überwiegend stillschweigend von Theorien, die das weibliche Geschlecht als unzulänglich und geistig unschöpferisch beschrieben, ja man mußte sich von solchen Theorien distanzieren, um neue, an die veränderte gesellschaftliche Wirklichkeit angepaßte Bildungsideale durchsetzen zu können, auf der anderen Seite hielt man am Ziel der Anpassung an die soziostrukturellen Gegebenheiten fest und lehrte zu diesem Zweck das weibliche Geschlecht Unterordnung und Selbstverleugnung, so daß es zu Recht das »schwache Geschlecht« genannt werden konnte, zu dem es erzogen wurde. Ein weiterer offenkundiger Widerspruch sei hier genannt, weil er das Problem der kommunikativen Qualifizierung berührt: Wieder und wieder wurde betont, das weibliche Geschlecht besitze »natürliche Beredsamkeit« (ins Negative gekehrt sprach man von Geschwätzigkeit),67 aus dieser Feststellung heraus wurde aber nicht konsequent geschluß63 [Frédéric Rivet:] La première éducation d’un prince depuis la naissance jusqu’à l’âge de sept ans, Rotterdam 1654. In Deutschland wurde Rivets Erziehungslehre nachweislich angehenden Hofmeistern empfohlen. Siehe Martin Schmeizel: […] Rechtschaffener Academicus, oder Gründliche Anleitung, wie ein academischer Student seine Studien und Leben gehörig einzurichten habe […], Halle 1738, S. 435, Anm. 143. 64 [ John Locke:] Some Thoughts Concerning Education, London 1693. V. L. Lembcke: A Consideration of Locke’s Educational Theories with Respect to the Woman Question, in: Locke Newsletter 21, 1990, 141–164. 65 Zu Geschichte der Frauenbildung in Frankreich immer noch grundlegend: Ernst von Sallwürk: Fénelon und die Litteratur der weiblichen Bildung in Frankreich von Claude Fleury bis Frau Necker de Saussure (Bibliothek pädagogischer Klassiker; 25), Langensalza 1886. 66 Vgl. dagegen Harsdörffer (Anm. 58, Tl. 1, 1644, S. 5), der die Vernunft der Gewohnheit unterordnet: »Die Gewonheit ist ein ungeschriebenes Gesetz, und ist deroselben Knecht die Vernunft, in dem sie selbe ins gemein beherrschet, ja auch oft stärker ist; als die Natur selbst: Daher man dann zu sagen pflegt, Man solle der Zeit die Schand nicht aufthun, daß man ihr Mäß [sic] verändern wolle.« 67 Johann Christoph Mayer: Vernünftige Gedancken von den Gerechtsamen des Frauenzimmers, philosophische Wissenschaften zu erlernen. Aus Liebe zur Wahrheit mitgetheilet von Johann Christoph Mayer, des Gymnasii poëtici zu Regensburg, öffentlichen Lehrer der Weltweisheit, Regensburg 1758,
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5. Kommunikative Kompetenzen von Frauen: Positionen und Empfehlungen
folgert, weibliche Zungenfertigkeit müsse durch Unterricht zu einer hohen Kunst ausgebaut oder in professionelle Kontexte überführt werden. Rationalistischen Pädagog(inn)en war es dagegen ein Herzensbedürfnis, breite Kreise zur Erkenntnis zu bringen, auch Mädchen und Frauen müßten in die Prinzipien der Vernunftlehre eingeführt werden, da davon ausgegangen wurde, nur dann könnten sie rechten Gebrauch von ihrem Verstand machen.68 Der Konversation widmete die am Nützlichkeitsprinzip orientierte rationalistische Pädagogik manchen Bogen Papier, weil man der Meinung war, diese Kommunikationsform biete dem weiblichen Geschlecht einen idealen Rahmen (Lernen ohne große Mühe, Schutz und Kontrolle durch die Mitanwesenden), um sich Bildung, Beredsamkeit, Lebensklugheit, »politische Klugheit«,69 weltläufige Manieren, Menschenkenntnis, Witz und anderes mehr anzueignen. Das Lesen »tüchtiger« Bücher sollte das weibliche Geschlecht befähigen, Gespräche zu führen, die mit der Vernunft und der herrschenden Moral in Einklang stehen.70 Gleichwohl standen viele Konversationsregeln der intellektuS. 33 f.: »Denn ob sie zwar dem ohngedacht eine natürliche Beredsamkeit besizen, so ist doch die Anwendung davon, nicht in der besten Ordnung angebracht.« Vgl. Markus Fauser: Schweigen und Schwatzhaftigkeit, in: ders., Das Gespräch im 18. Jahrhundert. Rhetorik und Geselligkeit in Deutschland, Stuttgart 1991, S. 339–357. 68 Die Erziehungslehre De l’éducation des filles (1687) von François de Salignac de la Motte Fénelon (1651–1715) wirkte in der zweiteiligen, von Franz Philipp Florin 1702/1719 herausgegebenen Oikonomik nach. Über die logische Abfolge der Gedanken beim Reden heißt es bei Fénelon in der deutschen Ausgabe von 1729: »So muß man sie auch anhalten, daß sie sich befleißigen, kurtz und deutlich zu reden. Ein guter verstand bestehet darinnen, daß er alle unnöthige reden meidet, und mit wenig worten viel saget, da hingegen der meiste theil der weiber wenig mit vielen worten saget. Sie halten die fertigkeit zu reden, und die lebhafftigkeit der einbildung für den rechten verstand, und bedencken nicht, was sie reden wollen: Sie halten keine ordnung in dem, was sich zu denen dingen schicke, die sie vorzubringen haben, sie sind fast auf alles, was sie reden, begierig, und diese leidenschafft machet sie viel reden: Jmmittelst aber kan man nicht viel gutes von einer frauen hoffen, wo man sie nicht dahin bringet, daß sie auff die folge dencket, und ihre gedancken prüfet, um sie auff eine kurtze art vorzubringen, und endlich wieder zu schweigen weiß.« John Locke/François de Salignac de la Motte Fénelon: Herrn Johann Locks Unterricht von Erziehung der Kinder, aus dem Englischen; nebst Herrn von Fenelon Ertz-Bischoffs von Cammerich Gedancken von Erziehung der Töchter, aus dem Frantzösischen übersetzt. Mit einigen Anmerckungen und einer Vorrede. Hannover 1729, S. 568 f. Franz Philipp Florin [Hg.]: […] Oeconomvs prvdens et legalis continvatvs. Oder grosser Herren Stands und adelicher Haus-Vatter […], [Tl. 2], 2. Aufl. Nürnberg 1751, S. 626. 69 Politische Klugheit wurde umso mehr dem Interesse des weiblichen Geschlechts anempfohlen, je mehr Männer und Frauen in ihrem Denken und Handeln von materialistischen Glückskonzepten bestimmt wurden. Ein im Sinne der politischen Klugheit agierender Mensch, welcher christliche Werte hoch hielt (Gegenströmung: Machiavellismus und Tacitismus), verwirklichte eigene (Macht-) Interessen bei gleichzeitiger Beachtung von Pflicht und Schuldigkeit dem Nächsten gegenüber. Knigge warnt in der Vorrede zu seinem bekannten Anstandsbuch vor der »gefährlichen Politik«: »Wenn die Regeln des Umgangs nicht bloß Vorschriften einer conventionellen Höflichkeit, oder gar einer gefährlichen Politik seyn sollen; so müssen sie auf die Lehren von den Pflichten gegründet seyn, die wir allen Arten von Menschen schuldig sind, und wiederum von ihnen fordern können […].« Adolph Knigge: Ueber den Umgang mit Menschen, 3., verm. u. verb. Ausg. Frankfurt/M. u. a. 1794, S. VI f. 70 [Mary Wray:] Frauenzimmer-Bibliothek worinn nützliche Betrachtungen über wichtige Stücke der Sittenlehre fürnemlich zum Gebrauch des Frauenzimmers enthalten sind. Geschrieben von einem
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ellen Emanzipation von Frauen mehr im Wege, als daß sie diese förderten, denn auch die rationalistische Pädagogik setzte der offenen Meinungsäußerung, dem Aufgreifen von Tabuthemen und dem Freien-Lauf-Lassen von Emotionen Grenzen durch Höflichkeitsnormen, die hitzigen Kontroversen einen Riegel vorschoben. Im Hamburger Patrioten (3 Bde., 1724–1726), einer Wochenschrift für das aufgeklärte Bürgertum, werden der Adressatin von Barthold Heinrich Brockes in jenem Stück, das auch eine frauenadressierte Leseempfehlungsliste enthält (Bd. 1, St. 8, 1724), die »Regeln zur vernünfftigen Conversation« (für Frauenzimmer) mitgeteilt. Diese »Regeln« sind unter gesprächsanalytischen Gesichtspunkten aufschlußreich, weil neben Aspekten der Höflichkeit auch Strategien der Themensteuerung angesprochen werden:71 1. Die Absicht und der Endzweck einer vernünftigen Conversation soll billig seyn die Erhaltung und Vermehrung guter Freunde, die Verminderung der Feinde, und eine nützliche Gemüths-Erquickung. 2. Bist du jung, oder weisst noch nicht, mit Leuten umzugehen, woltest es doch gern lernen; so wisse, daß es eben keiner grossen Kunst oder Gelehrsamkeit gebrauche. Lerne nur zu Anfang, wenn du in grosser Gesellschafft bist, vernüftig schweigen! Zu dieser Schweige-Kunst wird anders nichts erfordert, als daß man mit Aufmercksamkeit höre, was geredet wird, und etwa dem, der gesprochen hat, durch eine freundliche Mine, einen Beyfall gebe. Dieses ist nicht schwehr, und wird ihn mehr vergnügen, als der klügste Widerspruch. 3. Gespräche mit verständigen Leuten siehe als eine angenehme Schule an, worin du dasjenige mit spielen lernen kanst, was jenen zu fassen bisweilen sauer genug geworden. 4. Habe acht auf deine Minen, absonderlich aber auf den Ton, womit du deine Rede begleitest, so wol als auf deine Rede selbst. Denn die beyden Umstände können dein Gespräch zu Gifft und zu Zucker machen. 5. Vertheidige dein Recht nicht zu hitzig! denn zänckische Leute machen aus der annehmlichsten Conversation einen Krieg. Die Sanfftmuht hingegen dienet einer Wahrheit zur Zierde, und einem Fehler zur Entschuldigung. 6. Man ist der Gesellschafft zur Last, wenn man lange Zeit bestehet auch auf einer gerechten Sache. Der Wahrheit zu Ehren soll man 1. oder 2 mahl widersprechen, und hernach schweigen! Ein solches Schweigen stillet den Zorn, beschämet den Beleidiger, und entschuldiget den Beleidigten, hemmet die Gewalt, offenbahret die Unschuld, erhält den Frieden des Gemühts, bemercket die Herrschafft über uns selbst. 7. Zeiget es nicht eine Schwachheit des Gemühts an, wenn ich jemand vertragen kan, der andes denckt, als ich, und wenn ich von andern ein Nachgeben verlange, welches ich ihnen nicht will zukommen lassen? 8. Ein Frauenzimmer muß mehr durch Sittsamkeit, als durch Eigensinn, ihr Recht behaupten. 9. Das leichteste und bequemste Mittel, der Menschen Hochachtung zu erhalten, ist, das Ansehn eines sittsamen Menschen zu haben, der nicht in sich selbst vernarret ist. Frauenzimmer und herausgegeben von dem Herrn Ritter R. Steele. Nach der dritten französischen Ausgabe […], 4 Tle., Hamburg 1756–1761, Tl. 1, S. 31: »Mit dem Lesen muß der Umgang und die Unterredung mit anderen verbunden werden. Diese beiden Stücke sind schlechterdings nothwendig, eine gründliche Beurtheilungskraft und eine gefällige und einnehmende Gemüthsart zu zeugen.« 71 Der Patriot, nach der Originalausgabe Hamburg 1724–26 in drei Textbänden und einem Kommentarband kritisch hg. von Wolfgang Martens, Berlin 1969–1983, Bd. 1, St. 8, S. 60–68, hier S. 63 f. Der Patriot, erschienen in Hamburg bei Johann Christoph Kißner, gilt als die bedeutendste Moralische Wochenschrift im deutschen Sprachraum.
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5. Kommunikative Kompetenzen von Frauen: Positionen und Empfehlungen
10. Wer die Menschen nur einiger massen kennet; wird nicht in Abrede seyn, daß alles dasjenige, was man nennet Widerspruch, Vorwurff, Tadel, dem Geist eben so unerträglich sey, als der Gifft dem Cörper. 11. Soll jemand deines Umgangs halber mit dir zu frieden seyn; so darffst du nicht ängstlich sorgen, deine Klugheit sehen zu lassen! Bemühe dich nur, daß er Gelegenheit überkomme, sich zu zeigen! Seine Gewogenheit wird ein weit gewisserer Lohn seyn deiner Höflichkeit, als deiner Wissenschafft. Die Menschen haben keine Lust zu bewundern: sie wollen gefallen. 12. Suche solche Materien auf die Bahn zu bringen, die nützlich sind, und von nichtswürdigen Reden oder Durchhechelungen anderer die Gesellschafft ableiten. 13. Rede von Dingen, welche du weisst, daß sie dem andern angenehm und bekandt sind. Ist er ein Liebhaber von Gärten, von Pferden, von Versen, von Kaufmannschafft; sprich von Gärten, von Pferden, von Versen, von Kaufmannschafft. Von bekannten Dingen will nicht zu viel, von zweiffelhafften bedencklich, von unbekannten gar nicht geredet seyn. 14. Gehe mit einem jeden ehrerbietig um, als wenn er grösser sey, denn du. 15. Die Vollkommenheit eines Menschen bestehet nicht darin, daß er andern die Wahrheiten sagen, sondern wenn er vertragen kan, daß ihm die seinigen gesaget werden. 16. Railliren muß man nicht länger, als es derjenige, mit dem man schertzet, nicht übel empfindet. 17. Bemühe dich, mehr ein gutes Hertz, als einen grossen Verstand, zu zeigen!
Auffällig fortschrittlich ist an den »Regeln«, daß die Adressatin den Redebeiträgen anderer nicht nur zustimmen, sondern – bei gleichzeitiger Toleranz gegenüber Andersdenkenden (Maxime 7) – widerstreitende Gesinnungen und Meinungen äußern darf (Maxime 5, 6). Vom europaweiten Erfolg des Rationalismus profitierte der Buchmarkt ebenso wie bildungshungrige Frauen. Der Altdorfer Polyhistor Johann Christoph Wagenseil (1633– 1705) wies während seines Parisaufenthaltes 1665 Madeleine de Scudéry im Gespräch darauf hin, Frankreich habe vor Deutschland den Vorzug, daß man hier »gar leicht, und mit Lust, auch in gar kurtzer Zeit, zu Erlernung der freyen Künste, und schönen Wissenschafften gelangen kan, und daß in Paris durchgehends, die über den Stand der gemeinen Leute erhabene, so wol Manns- als Frauens-Personen selbiger nicht unerfahren seyn. Wenigst kan, wer nur wil, zimlich gelehrt werden, wann er anderst die Mühe nehmen mag, die in seiner Sprach zu voller Genüge verhandene Bücher zu lesen, ohne daß er gezwungen ist, sich um eine fremde im geringsten zu bekümmern«.72 Und er führt weiter aus, »daß unsere junge Cavalliers die hieher kommen, in discursen es dem aufwachsenden Französischen Adel nicht gleich thun können; item, daß bey uns, gleich wie der Verstand, also auch das Gespräch des mehrern Frauenvolcks, sich meistens in den häuslichen Sachen einschrencken.«73 Der deutsche Gelehrte dachte in bemerkenswerter Art und Weise schon vor Anbruch der deutschen Aufklärung über zwei Themen der rationalistischen Pädagogik nach, zum einen die Lesung »tüchtiger« Bücher (in der Landessprache), zum andern das vernünftige Konversieren, und bezog in seine Überlegungen die Perspektive der Frauen mit ein. Weit mehr noch ein eigenständiger, origineller Denker als der galante Hofmeister aus Nürnberg, der im Gespräch mit Madeleine de Scudéry die Absicht verfolgte, die Lite72 Wagenseil (Anm. 59), S. 454 f. Ähnliches äußerte später Gottfried Wilhelm Leibniz: Unvorgreifliche Gedanken, betreffend die Ausübung und Verbesserung der deutschen Sprache. Zwei Aufsätze. Hg. von Uwe Pörksen, Stuttgart 1995, S. 71 f. 73 Ebd., S. 456.
5.1 Unterschiedliche Standpunkte zur kommunikativen Bildung von Frauen
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raturfähigkeit der deutschen Sprache zu verteidigen, ging Christian Thomasius (1655– 1728) eine Generation später an die Bildungsproblematik der Deutschen im gemeinen Leben und Wandel sehr viel pragmatischer heran. Thomasius versuchte in seiner Funktion als Hochschullehrer für seine Landsleute das Recht auf »galante« Bildung zu erstreiten, um es diesen zu ermöglichen, im gesellschaftlichen Leben zu bestehen und sich beruflich zu entwickeln. Dem Auditorium seiner Gracian-Vorlesung eröffnete der Leipziger Juraprofessor 1687 die These, mit einem guten Verstand Begabte – »es möge ein Frauenzimmer oder Mannsperson seyn« – brächten es in kürzerer Zeit zu mehr Gelehrsamkeit, wenn sie lateinische und griechische Texte statt in der Originalsprache in deutscher oder französischer Übersetzung läsen.74 Welch großen Wert Thomasius auf den Erwerb galanter Bildung legte, zeigt sich an seiner Bereitschaft, in weiteren Vorlesungen seine Leipziger und Hallenser Studenten zu einer »guten Conduite« anzuleiten. Die Studierenden trugen seine Lehren in die Welt hinaus.75 Dem Hamburger Kaufmannssohn und Thomasius-Schüler Barthold Heinrich Brockes (1680–1747) wird die Autorschaft des achten Stücks des Patrioten (Bd. 1, 1724) zugeschrieben.76 Die dort ausgebreiteten Bildungsziele sind allein auf Frauen bezogen: »Eine angenehme Unterredung ist das gröste Vorrecht der menschlichen Natur. Der Geist, als das edelste Theil des Menschen, wird dadurch erleuchtet, verbessert und gleichsam genähret. Wer aber ein solches Gut, ohne vernünfftigen Umgang mit tugendhafften Leuten, und sonder Lesung tüchtiger Schrifften, zu erlangen verhofft; scheint […] thöricht«.77 Die »Regeln zur vernünfftigen Conversation« werden, wie oben bereits angedeutet wurde, durch eine Leseempfehlungsliste vervollständigt (88 Titel), die auch solche Schriften enthält, die Frauen darüber unterrichten, wie sie in Gesellschaft einen guten Eindruck machen und unter Beachtung der Regeln des Anstands ihre Ziele erreichen können. Zu den bekannteren Werken gehören die Modèles de conversations pour les personnes polies (1697) von Jean-Baptiste Morvan de Bellegarde und die Bibliothèque des dames (3 Bde., 1716–1724) von Mary Wary (das englische Original erschien unter dem Titel The Ladies Library).78 74 Christian Thomasius: Christian Thomas eröffnet Der Studirenden Jugend zu Leipzig in einem Discours Welcher Gestalt man denen Frantzosen in gemeinem Leben und Wandel nachahmen solle? ein Collegium über des Gratians Grund-Reguln/ Vernünfftig/ klug und artig zu leben, in: ders., Deutsche Schriften. Ausgewählt und hg. von Peter von Düffel, Stuttgart 1970, S. 3–49, hier S. 29, 35. Zum rationalistischen Bildungsideal des »galant homme« vgl. Peter Hess: Galante Rhetorik, in: Gert Ueding (Hg.), Historisches Wörterbuch der Rhetorik, Bd. 3, Tübingen 1996, Sp. 507–523. 75 Beetz (Anm. 30), 1989. 76 Brockes studierte 1700–1702 Jura und Philosophie in Halle/Saale, der wichtigsten Reformuniversität der Frühaufklärung. Thomasius lehrte dort vom Gründungsjahr an (1694) bis 1728. Christian Friedrich Hunold (Pseud., Menantes) wurde 1680 in Wandersleben geboren. Auch er war ein Verehrer von Christian Thomasius und erteilte Frauen Ratschläge, wie sie sich Männern gegenüber benehmen sollen (vgl. Abschnitt 5.2). 1698 immatrikulierte sich Hunold an der Universität Jena, 1708 Privatdozent in Halle, 1714 Promotion zum Dr. jur. Er verstarb in Halle 1721. 77 Der Patriot (Anm. 71), Bd. 1, S. 64. 78 Ebd., S. 67 f. The Ladies Library (3 Bde., 1714) war die erfolgreichste buchförmige »Frauenzimmerbibliothek« des 18. Jahrhunderts.
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5. Kommunikative Kompetenzen von Frauen: Positionen und Empfehlungen
Der Nachfolger von Gottsched als Senior der Deutschen Gesellschaft zu Leipzig, Johann Friedrich May, führt 1739 in einem philosophischen Sendschreiben aus, durch Übersetzung ausgewählter französischer Bücher könne die Zahl der für Frauen geeigneten Schriften vermehrt werden. Er kapriziert sich beispielhaft auf zwei Bücher, die es verdient hätten, übersetzt zu werden, zum einen auf die dickleibige Verhaltenslehre L’honneste femme (3 Tle., 1632–1636) von Jacques Du Bosc, zum andern auf die ebenfalls umfängliche Sittenlehre Bibliothèque des dames (3 Bde., 1716–1724) von Mary Wray.79 Von diesen zwei Büchern wurde vollständig nur The Ladies Library (3 Bde., 1714) ins Deutsche übersetzt (nach der dritten französischen Ausgabe).80 Die Übersetzung erschien signifikanterweise – denn Mary Wray ist von der rationalistischen Philosophie beeinflußt – in Hamburg im Verlag von Christian Wilhelm Brandt. Sie belegt, daß die Appelle auf Seiten der rationalistischen Pädagogik, auch Frauen müßten sich intellektuelle Bildung aneignen, nicht ohne Wirkung auf den Buchmarkt blieben.
6.
Die für ein restriktionsfreieres Miteinander der Geschlechter votierende Vorurteils- und Gesellschaftskritik der Aufklärung
Die Vorurteilskritik der Aufklärung 81 war bei der Bekämpfung der alltäglichen Vorurteile gegen das »andere Geschlecht« (sexus sequior) 82 ähnlich erfolgreich wie bei der Aberglaubenbekämpfung.83 Je mehr das empirische Denken der Aufklärung sich ausbreitete, desto
79 Johann Friedrich May: Philosophisches Sendschreiben, In wie weit eine Frau gelehrt seyn könne?, in: Der Deutschen Gesellschaft in Leipzig eigene Schriften und Uebersetzungen in gebundener und ungebundener Schreibart, Tl. 3, Leipzig 1739, S. 179–187, hier S. 182 f.: »Wie wenig Mühe würde es kosten, den jungen Töchtern, an statt so vieler eitlen Dinge, in den zarten Jahren die leichtesten Sätze der Vernunftlehre, die nöthigsten Begriffe von der Welt und der natürlichen Gottesgelahrtheit, die nützlichsten Regeln der Moral, einer wohlanständigen Aufführung, und wahren Haushaltungskunst deutlich und gründlich beyzubringen. Es fehlt heute zu Tage an deutschen Büchern von diesen Wissenschaften im geringsten nicht; und wenn ja die Anzahl derselben noch vermehret werden sollte, so könnte es durch Uebersetzung gewisser französischer Bücher geschehen, die zum Unterrichte des Frauenzimmers geschrieben sind, worunter des Herrn du Bosc l’honnete femme, und la Bibliotheque des Dames gewiß nicht den letzten Platz verdienen.« 80 Vgl. zu The Ladies Library Abschnitt 4.1. Die Übersetzung des ersten Teils der L’honneste femme durch Wilhelm V. von Hessen-Kassel war 1739 bereits in Vergessenheit geraten. 81 Werner Schneiders: Aufklärung und Vorurteilskritik. Studien zur Geschichte der Vorurteilstheorie (Forschungen und Materialien zur deutschen Aufklärung. Abt. 2: Monographien; 2), StuttgartBad Cannstatt 1983. 82 Johann Andreas Fabricius: […] Abriß einer allgemeinen Historie der Gelehrsamkeit, Bd. 1, Leipzig 1752, S. 709 f.: »Eine mehrere Achtung verdienet das gelehrte Frauenzimmer, denn daß diesem ihr Geschlechte nicht im Wege stehe, habe ich schon im §. XV erinnert, es wird aus Schmeicheley das schöne, und aus Verachtung das andere Geschlecht, sexus sequior, genennet […].« 83 Allerdings konnte die Aufklärung gegen frauenfeindliche Strukturen, die die allermeisten Frauen in den Stand der Unmündigkeit und politischen Machtlosigkeit versetzten, nichts ausrichten. Die Forderung, Frauen rechtlich gleichzustellen, wurde erst 1792 von Theodor Gottlieb von Hippel
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mehr verloren heilsgeschichtlich und biologistisch fundamentierte Theorien von der Vorbestimmtheit weiblichen Handelns an Überzeugungskraft. Man verwies auf »Befunde« aus Geschichte und Gegenwart, die die Beweisgrundlage für die Richtigkeit der eigenen Argumentation bildeten: Wie ließen sich, fragt Morvan de Bellegarde, die großartigen Leistungen von Frauen auf künstlerischem und wissenschaftlichem Gebiet erklären, wenn es denn so wäre, daß dieses Geschlecht an Willen und Verstand dem Mann nachzusetzen ist? 84 Der unbekannte englische Autor der Lebendigen Abbildung der jnnerlichen Schönheiten des weiblichen Geschlechts (1721) bringt im Abschnitt »Beweiß-Gründe Der Fähigkeit der Weiblichen Seelen« gegen die deterministische Sichtweise der Frau in der aristotelischen Temperamentenlehre das Argument ein, man habe fähige Männer mit einer noch kälteren Natur als Frauen gefunden, die auf dem Gebiet der Künste und Wissenschaften Vortreffliches zu leisten imstande gewesen seien. Damit wurde in Zweifel gezogen, daß die Körpersäfte (heiß, kalt) Einfluß auf die Verstandestätigkeit haben. Auf gleiche Weise bestritt der Autor den Einfluß der Leibesbildung (schön, häßlich) auf die weibliche Verstandestätigkeit.85 Ein weiterer Kritikpunkt der Aufklärung richtete sich gegen zu große Sittenstrenge und damit gegen (sexualphobische) Vertreter des Klerus der verschiedenen Konfessionen, die in der Konversation zwischen unverheirateten Personen ungleichen Geschlechts eine Gefahr für den Erhalt der guten Sitten witterten. Das Erlernen von Benehmen und Gesittung ermöglichte selbst Minderrangigen den Aufstieg und die Integration in eine bestimmte soziale Formation wie zum Beispiel die höfische Gesellschaft; insofern enthält jede Einübung in einen Distinktionscode ein rangnivellierendes Moment. Deswegen und weil das Urteil von einflußreichen Frauen Türen öffnen oder für immer verschließen konnte,86 war der Umgang mit Protektorinnen für karrierebedachte Männer wichtig, in seltenen Fällen sogar existentiell notwendig.87 Vor potentiellen Ehefrauen, die nicht genügend Verstand und Redegewandtheit besäßen, wurden junge Männer tunlichst gewarnt.
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(1741–1796) erhoben. Vgl. Theodor Gottlieb von Hippel: Über die bürgerliche Verbesserung der Weiber, Berlin 1792. Jean Baptiste Morvan de Bellegarde: Des Herrn Abts von Bellgarde Einige auserlesenste Briefe, so er mit einer Hof-Dame über unterschiedlichen moralischen und zur galanten Gelehrsamkeit dienlichen Dingen gewechselt. Aus dem Frantzösischen übersetzet, Leipzig 1715, S. 233. Lebendige Abbildung (Anm. 45), S. 185–196, hier S. 190 f. Thomasius (Anm. 33), S. 633: »Es ist bekannt, wie viel Damen, sowol jetziger, als in voriger Zeit, an Höfen gelten […]. Wer nun was suchet, und führet sich unhöflich gegen Damen und andere Frauenzimmer auf, der mache sich nur die Rechnung, daß er mit der langen Nase abziehen müsse; oder, wenn er auch gleich schon befördert, dennoch bald durch ihre Empfindlichkeit könne hinab gebracht werden.« Für den aufstiegsorientierten Mann waren Frauen, die zu seinen Gunsten informelle Macht ausübten, »Sozialkapital«. Zum Begriff des sozialen Kapitals (»capital sociale«) vgl. Gerhard Fröhlich: Kapital, Habitus, Feld, Symbol. Grundbegriff der Kulturtheorie bei Pierre Bourdieu, in: Ingo Mörth u. a. (Hg.), Das symbolische Kapital der Lebensstile. Zur Kultursoziologie der Moderne nach Pierre Bourdieu, Frankfurt/M. u. a. 1994, S. 31–49, hier S. 36.
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5. Kommunikative Kompetenzen von Frauen: Positionen und Empfehlungen
Gingen der Erwählten diese Eigenschaften ab, wäre sie weder in der Lage, ihren Mann glücklich zu machen noch das Ansehen der Familie zu erhalten noch die gemeinsamen Kinder in der richtigen Weise aufzuziehen. Daher der Rat: »Was die Gemüths-Qualitäten [der zu wählenden Braut, SK] anlanget, so muß sie erstlich von feinem Verstande seyn, daß sie vernünftig reden, und mit jederman geschickt conversiren kan.« 88 Vorurteilskritiker(innen) fügten noch weitere Gründe hinzu, die auch die größten Skeptiker(innen) davon überzeugen sollten, wie segensreich mit Tugend gepaarte Gespräche für die bürgerliche Jugend sein können. Der Aufsatz Von der Herrschafft der Männer über die Weiber (1705) muß als ein Beleg für diesen Programmpunkt der Aufklärung gelten. Die Schrift erschien als Anhang zum dritten Teil (1705) der von Christian Thomasius herausgegeben Zeitschrift Auserlesene Anmerckungen über allerhand wichtige Materien und Schriften (5 Tle., 1704–1707). Es ist vielmehr eine schädliche Gewohnheit, daß man nicht von Jugend auf Personen unterschiedliches Geschlechts miteinander vernünftig umzugehen angewehnt [sic], denn hieraus kommen nicht nur hernach so viel ungerathene Ehen, indem man keine Gelegenheit hat, durch vertrauliche Conversation ausser den Ehestand das Gemüthe derjenigen Weibes-Person, so ich zu heyrathen gedencke, recht zu exploriren, sondern daraus entstehen hernach so viel unnöthige jalousien, indem man die Conversation beyderley Geschlechts gleich für verdächtig hält, und meint, wenn unsere Frau einmahl mit einen [sic] Manne redet, daß sie denn gleich verbotene Dinge trieben. Man will durch Abschneidung aller Conversation die unordentliche Liebe hindern, und siehet nicht, daß dieses destomehr zu Geilheit und verbotene Lüste antreibet. Denn wie es heist nitimus in vetitum semper cupimusque negata, und daß das verstohlne Wasser am süssesten schmecke, also siehet man, daß die Italiänischen und Spanischen Weiber am ärgsten huren, jemehr sie der Mann mit Schlössern zuverschliessen bemühet ist, da hingegen die freye Conversation der Franzosen verhindert, daß man bey ihnen so viele excesse in der Geilheit nicht höret, quia quotidiana vilescunt, und es auch eine mit von den grösten Künsten der Coquetten ist, ihre Gliedmassen wenig sehen zu lassen, damit man darnach destomehr Appetit kriegen möge. Die Conversation unter Personen beyderley Geschlechts ist höchstnothwendig, indem alle Historien bezeugen, daß der Haß derselben die größte Unordung anrichte. Und muß man sonderlich am Hofe in denen wichtigsten negotiis mehr die Conversation mit den Dames als mit denen Ministris suchen. Will man hingegen wegen des Mißbrauchs diese Conversation gar zu verhindern suchen, weil Gelegenheit Diebe macht, so handelt man sehr unvernünfftig. Man schreyet ja sonst so offt abusus non tollit usum, und so müste man fast alles abschaffen, weil alles in diesen schweren Zeiten dem grösten Mißbrauch unterworffen ist. Besiehe hievon Thomasii Sittenlehre c. 6. Mit einem Wort, die Conversation mit Frauen-Zimmer ist an sich innocent, und kan junge Leute zu guten Dingen und einen geschickten muntern Wesen anführen, wird sie aber gemißbraucht, und degeneriret in verliebte Narrenpossen, so kan man dieselbe so wenig überhaupt verwerffen, so wenig die Conversationes an sich zu tadeln sind, welche das Manns-Volck unter sich selbst anzustellen pflegt, massen auch da nicht selten die grösten Laster begangen werden, und es aber schon längst ausgepeitschet ist, daß die Excesse der Wollust ein grösser Laster als die Excesse anderer passionen importiren.89 88 C[hristoph] A[ugust] H[eumann]: Der politische Philosophvs. Das ist, vernunfftmäßige Anweisung zur Klugheit jm gemeinen Leben […], 3., verb. u. verm. Aufl. Frankfurt/M. u. a. 1724, S. 87 f. 89 Anonym: Von der Herrschafft Der Männer über die Weiber [1705], in: Elmar Lechner (Hg.), Der Anfang vom Ende der »Herrschafft Der Männer über die Weiber«. Eine politische und eine pädagogische Schrift aus der Zeit um 1700 (Retrospektiven in Sachen Bildung. Reihe 10: Übersehene Quellen; 1), Klagenfurt 1993, S. 3–21, hier S. 7.
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Die Fähigkeit der Jugend beiderlei Geschlechts, »miteinander vernünftig umzugehen«, ist für den Autor das Ergebnis einer vernünftigen Erziehung. Die anderes praktizieren, sehen nicht, daß die Jugend, wenn ihr die Erlaubnis für die Konversation mit dem anderen Geschlecht verweigert wird, in eben das hineingetrieben wird, was sie nicht tun sollte. Unter Berücksichtigung von Beispielen aus dem Nachbarland Frankreich wird eine Erziehung in Frage gestellt, die mit »Abschneidung aller Conversation« gegen die »unordentliche Liebe« anzugehen sucht. Widersprochen wird auch der Auffassung, man könne in der Jugend auf die Konversation mit dem anderen Geschlecht verzichten, ohne Nachteile davonzutragen. Diese und ähnliche vorurteilskritische Ansätze änderten die Lage von Frauen nur insofern, als der Schulung der Redefähigkeit von Mädchen und Frauen mehr Aufmerksamkeit geschenkt wurde und man mehr anerkannte, daß weibliche Rede mit Weisheit, Klugheit und Vernunft erfüllt sein könne,90 da aber die Vorherrschaft des Mannes weiterhin als ehernes Gesetz galt, war es auch jetzt noch üblich, den Redespielraum von Frauen einzuschränken, um die Machtprivilegien und die daraus abgeleitete Reputation des Mannes zu wahren. Christian Wolff (1679–1754) schreibt in seinen Vernünfftigen Gedanken. Von dem gesellschaftlichen Leben der Menschen (1721): »Wer [von den Eheleuten, SK] demnach in einer Sache mehr Verstand hat, als der andere, der soll sagen, was zu thun ist, und der andere ist verbunden zu gehorsamen.« Diese Aussage impliziert volle Gleichberechtigung der Frau. Aber gleich im nächsten Absatz, in dem die Frage gestellt wird, wer in der Ehe die Herrschaft haben solle, wird die Entscheidungsgewalt als Pflicht des Mannes, die Gehorsamsbereitschaft als Schuldigkeit der Frau definiert, und damit die althergebrachte Geschlechterordnung bestätigt: »Da es bey den meisten Eheleuten, wo nicht bey allen, schweer [sic] würde auszumachen seyn, wer von ihnen die Sache am besten verstünde, und daher bey ihnen ein steter Streit und Zanck darüber entstehen; hingegen der Mann in den meisten Fällen die Sache am besten verstehen soll; so ist es vernünfftig, daß dem Manne eingeräumet werde zu sagen, was zu tun ist.«91 Die Forderung nach einem freieren Miteinander der Geschlechter blieb nicht ohne Folgen für die Zeitschriften- und Buchproduktion, weil diejenigen, die solche Forderungen erhoben, ein vernunftbetontes Konversationsideal propagierten, das eine breitgefächerte, an geschlechtsspezifischen Tugendidealen ausgerichtete Bildung voraussetzt. Ihres Spielcharakters entkleidet, lebten die Konversationsideale Harsdörffers in der Aufklärung fort,92 man wandte sich nun aber sehr viel dezidierter bürgerlichen Frauen zu, vor 90 In der Bibel sind viele Stellen enthalten, die solches bestätigen oder einfordern. Ein bekanntes Beispiel ist das »Lob der tüchtigen Hausfrau« in den Sprüchen Salomos: »Sie thut jren mund auff mit Weisheit, Und auff jrer zungen ist holdselige Lere.« (Spr. 31,26) D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe. Die Deutsche Bibel, Bd. 10/2, Weimar 1957, S. 103. 91 Christian Wolff: Von dem Ehestande, in: ders., Vernünfftige Gedancken von dem gesellschafftlichen Leben der Menschen und insonderheit dem gemeinen Wesen zu Beförderung der Glückseeligkeit des menschlichen Geschlechtes […], Halle 1721, S. 9–54, hier S. 40 f. 92 Die Gesprächspiele standen in der Bibliothek von Johann Christoph Gottsched. Catalogvs bibliothecae (Anm. 19), S. 94, Nr. 2077, S. 105, Nr. 2350–2356.
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5. Kommunikative Kompetenzen von Frauen: Positionen und Empfehlungen
allem innerhalb von Moralischen Wochenschriften. Erst als im Zuge des Aufkommens naturphilosophischer Konzepte ausgehend von Rousseau Männer sich darin überboten, in die »Gefühle« und die »Schönheit« der Frau überzeitliche Werte und Ideale hineinzudeuten, distanzierte man sich – mal mehr, mal weniger – von den vernunftbetonten Konversationsidealen der Aufklärung: »Aber auf treuerem Pfad der Gefühle | Wandelt die Frau zu dem göttlichen Ziele | Das sie still [Hervorhebung SK], doch gewisser erringt, | Strebt, auf der Schönheit geflügeltem Wagen | Zu den Sternen die Menschheit zu tragen, | Die der Mann nur ertötend bezwingt.« 93 Dies die Worte Schillers.
7.
Das Interesse von Verlegern an der kommunikativen Selbstbildung von Frauen
Innovationsfreudige Verleger setzten durch Druckwerke, die Frauen mit den zu ihrem Geschlecht passenden Regeln der interpersonalen Kommunikation bekannt machen wollen, Trends, die weiterwirkten. Je mehr das 18. Jahrhundert sich dem Ende zuneigte, desto mehr Verlage schlossen sich den säkularen Strömungen an. Noch vor dem Erscheinen des Patrioten (3 Bde., 1724–1726) und der Vernünftigen Tadlerinnen (2 Tle., 1725–1726) brachte der Leipziger Verleger-Sortimenter August Martini die Galante FrauenzimmerMoral (1722) auf den Markt.94 Die Klugheits- und Anstandslehre vervollständigte Martinis übriges frauenadressiertes Verlagsprogramm wie auch sein Buchladensortiment und schloß außerdem eine Marktlücke.95 Das sich frankophil gebärdende Werk bietet dem Frauenpublikum neben Modellkonversationen metakommunikative Passagen zum Thema Reden/Konversieren. Das Buch steht unverkennbar in der Tradition der rationalistischen Pädagogik: Das habe ich, redete hierauf Sophronie, aus der Erfahrung gelernt, daß Conversation mit gescheiden Leuten unter die vornehmsten Mittel zu einer anständigen Conduite zu gelangen mit gehöret. Man nimmt doch unvermerckt die Reden, Minen und Gebehrden derjenigen Personen an sich, mit denen man offt umgeht, man siehet, was hie und da passiret, man regardirt diß und jenes, und hat den Vortheil, vor sich selbst daraus allerhand gute Reguln zu ziehn. Kurtz: Man lernet die Welt kennen, und in derselben vernünfftig leben.96
Leipzig war – wie Hamburg – eine weltoffene Handelsstadt mit einem selbstbewußten Bürgertum, darüber hinaus Universitätsstadt und Buchhandelszentrum. Schon 1695 93 Friedrich von Schiller: Die Würde der Frauen (1796), in: Schillers Werke. Nationalausgabe. Bd. 1: Gedichte in der Reihenfolge ihres Erscheinens 1776–1799, hg. von Julius Petersen und Friedrich Beißner, Weimar 1943, S. 240–243, hier S. 243. 94 Es wäre zu untersuchen, ob zwischen der Galanten Frauenzimmer-Moral (1722) und den Vernünftigen Tadlerinnen sowie späteren Moralischen Wochenschriften Bezüge nachzuweisen sind. 95 Zur mutmaßlichen Autorschaft von David Faßmann vgl. Abschnitt 4.3. 96 [David Faßmann?:] Galante Frauenzimmer-Moral […], Leipzig 1722, S. 39. Diese Argumentation ähnelt in Teilen jener von Harsdörffer (Anm. 59, Tl. 1, 1644, S. 279): »Wir nemen [sic] die Sitten durch mündliche Vnterweisung, und unvermerkter Nachahmung derer, mit welchen wir ümgehen, in- und an uns«. Diesen Satz spricht Julia. Vgl. auch Beetz (Anm. 30), 1990, S. 68.
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konnte Kaspar Stieler über Leipzigs Frauen berichten: »Nachdem es iezo nicht mehr um die Zeit der alten Welt ist, da das Weibes-Volck, gleich den Schnecken Jahr aus Jahr ein, im Hause bleibet und arbeitet, sondern eine mehrere Freyheit erlanget hat, in Gesellschaften zu kommen und Politische, oder Tugend Gespräche zu halten; so ist je besser, sie reden von auswertigen Sachen, und erzehlen, was von ihres gleichen in den Zeitungen erschollen, als daß sie etwan eine Nachtbarin [sic] hernemen, ihren Haushalt tadeln, oder von Hoffart und neuen Moden, Sprache halten.« 97 Auch wenn Stieler im Kapitel »Von der Zeitungen Notwendig- und Nutzbarkeit im Frauen-Zimmer« seiner zeitungstheoretischen Publikation etwas zur Übertreibung neigte, da nur Frauen des gehobenen Bürgertums die beschriebene Freiheit erlangt haben dürften, so war Leipzig doch unbestritten der Ort, um ein Druckwerk wie die Galante Frauenzimmer-Moral an die »freiheitsliebende« Frau zu bringen.98 Obwohl Frauen nun Werke dieses Typs angeboten bekamen, blieben geschlechtsspezifische Unterschiede in der Art und Weise des Kommunizierens weiterhin bestehen. Die kulturell tradierten und gesellschaftlich sanktionierten geschlechtsdifferenzierenden Rollenleitbilder besaßen auch im aufgeklärten 18. Jahrhundert noch immer normative Kraft und polarisierten die Bildungssphären. Auf welche Lesestoffe konnten Frauen zurückgreifen, die sich kommunikativ weiterbilden wollten? Hier ein kleiner Ausschnitt aus dem Angebot des Buchmarkts:99 – Eine Reihe von Textsorten und -typen, die zur interpersonalen Kommunikation anleiten, sind weitgehend auf die beruflichen Anforderungen von Männern abgestimmt: Schreibmeisterbücher,100 Kanzleibücher, Formular- und Titularbücher, Hoflehren, Hofmeisterlehren,101 Zeremoniellbücher.102 Die Rezepienten dieser Art von Literatur waren 97 Kaspar Stieler: Zeitungs Lust und Nutz. Vollständiger Neudruck der Originalausgabe von 1695. Hg. von Gert Hagelweide, Bremen 1969, S. 97–99, hier S. 99 f. Vgl. auch den Fingerzeig von Christian Thomasius (Anm. 33, S. 643), was die Herren Studiosi mit verheirateten Frauen reden sollen: »Man redet auch […] von Zeitungen, nachdem eine Frau politisch ist, und vor eine Dame will gehalten seyn, die sich um Staatshändel bekümmert.« 98 Einem der innovationsfreudigsten Verleger der Frühen Neuzeit, Thomas Fritsch (1666–1726), wendet sich Abschnitt 1.1 zu. Vgl. dort die Hinweise zu Druckwerken von, für und über Frauen aus den Verlagshäusern August Martini und Bernhard Christoph Breitkopf. 99 Vgl. auch Abschnitt 3.2 und 4.1 dieser Arbeit. Einen Überblick über »metakommunikative Texte, die Verhalten bei Hofe in literarischer und diskursiver Form vorführen und dabei implizit oder explizit auch normieren wollen«, gibt Dietmar Till: Höfische Verhaltenslehre, in: Jan-Dirk Müller (Hg.), Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Neubearbeitung des Reallexikons der deutschen Literaturgeschichte, Bd. 3, Berlin u. a. 2003, S. 67–69, hier S. 67 f. An Frauen adressierte Periodika des 18. Jahrhunderts verzeichnet York-Gothart Mix: Medien für Frauen, in: Ernst Fischer u. a. (Hg.), Von Almanach bis Zeitung. Ein Handbuch der Medien in Deutschland 1700–1800, München 1999, S. 45–61. 100 Werner Doede: Bibliographie deutscher Schreibmeisterbücher von Neudörffer bis 1800, Hamburg 1958. 101 Vgl. zu diesen Textsorten die Bibliographie von Montandon (Hg.) (Anm. 4), Bd. 1. 102 Eine Ausnahme bildet zum Beispiel die Zeremoniell-Dokumentation von Johann Christian Lünig. Der Autor edierte auch Texte von und über Frauen wie Briefe (darüber informiert der Buchtitel), Ordensstatuten und Beschreibungen feierlicher Akte. Johann Christian Lünig: Theatrum ceremoniale
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5. Kommunikative Kompetenzen von Frauen: Positionen und Empfehlungen
Berufsschreiber und Handelsleute, der höfische und administrative Apparat, Adelige, Gelehrte und Studenten, eher selten Frauen.103 Letztere publizierten meines Wissens in der Frühen Neuzeit keine Bücher der genannten Art. – Lese- und Schreibanleitungen, Rechtschreib-, Grammatik- und Fremdsprachenlehrbücher,104 Stilistiken und Poetiken wurden vom 16. bis 18. Jahrhundert in großer Zahl hergestellt. Viele dieser Bücher sollten und konnten von Frauen mitbenutzt werden, vor allem, wenn sie auf Deutsch abgefaßt waren.105 Ab dem 18. Jahrhundert kamen vermehrt Werke auf den Markt, die im Titel auch oder auschließlich Frauen ansprechen.106 Die bekannteste frauenadressierte Grammatik deutscher Provenienz erschien 1782,107 die erste von einer Frau in deutscher Sprache niedergeschriebene Grammatik 1810.108
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historico-politicum, oder historisch-politischer Schau-Platz aller Ceremonien […], [2 Tle.], Leipzig 1719–1720. Im Besitz von Christine von Waldeck (1725–1816) waren gleich mehrere Werke von Friderich Carl von Moser, darunter auch dessen Teutsches Hofrecht (2 Bde., Frankfurt am Main und Leipzig 1754–1755), eine Zeremoniell-Dokumentation. Vgl. Verzeichniß der Bücher, Gemälde und Kupferstiche, welche aus dem Nachlasse der wail. Frau Fürstin Christiane zu Waldeck geb. Pfalzgräfin bei Rhein etc. etc. etc. den 1ten May 1820 und folgende Tage öffentlich versteigert werden sollen, Arolsen 1819, S. 203, Nr. 2546. (Auf den Auktionskatalog wies mich dankenswerterweise Heide Wunder hin.) Vgl. Claudine Moulin-Fankhänel/Ursula Götz (Mitarb.): Bibliographie der deutschen Grammatiken und Orthographielehren. I. Von den Anfängen der Überlieferung bis zum Ende des 16. Jahrhunderts (Germanische Bibliothek N. F., 6. Reihe: Bibliographien und Dokumentationen; 4), Heidelberg 1994. Claudine Moulin-Fankhänel: Bibliographie der deutschen Grammatiken und Orthographielehren. II. Das 17. Jahrhundert (Germanische Bibliothek N. F., 6. Reihe: Bibliographien und Dokumentationen; 4), Heidelberg 1997. So erhoffte sich zum Beispiel Johann Christoph Gottsched, daß seine Stilistik Grundlegung einer deutschen Sprachkunst (Leipzig 1748) von den eigenen Landsleuten, vor allem der Jugend, aber auch von jungen Frauen aus dem Bürgertum gelesen werde: »Es war aber dabey auch das junge Frauenzimmer in Betrachtung zu ziehen: welches ja nicht unwürdig ist, seine Muttersprache etwas besser und richtiger schreiben zu lernen, als seine Mägde.« Johann Christoph Gottsched: Grundlegung einer deutschen Sprachkunst, nach den Mustern der besten Schriftsteller des vorigen und jetzigen Jahrhunderts […], 2., verb. u. verm. Aufl. Leipzig 1749, Bl. *6a. Edeltraud Dobnig-Jülch/Susanne Staudinger: Frauen + (viel) Grammatik = viel Frauengrammatik? Zur Verbreitung und Typologie spezieller Grammatiken im 18. Jahrhundert, in: Histoire, épistémologie, langage 16, 1994, 2, S. 143–168. Gabriele Beck-Busse: La »grammaire française dédiée à mes jeunes amies«: bibliographie raisonnée de manuels de la langue française à l’usage de la jeunesse féminine (1564–1850), in: Histoire, épistémologie, langage 16, 1994, 2, S. 9–33. Karin Ehler/Martin Mulsow: Vom galanten Umgang mit der Sprache. Sprachdidaktische Dialoge des 17. Jahrhunderts als Konversationsliteratur, in: Wolfgang Adam (Hg.), Geselligkeit und Gesellschaft im Barockzeitalter (Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung; 28), 2 Tle., Wiesbaden 1997, Tl. 2, S. 581–595. Carl Philipp Moritz: Deutsche Sprachlehre für die Damen. In Briefen von Carl Philipp Moritz, Berlin 1782. Betty Gleim: Fundamentallehre oder Terminologie der Grammatik, mit besonderer Hinsicht und Anwendung auf die Grammatik der deutschen Sprache. Nach den Grundsätzen der Pestalozzischen Methode bearbeitet, Bremen 1810.
5.1 Unterschiedliche Standpunkte zur kommunikativen Bildung von Frauen
301
– Rhetoriklehrbücher gehören ebenfalls zu jenen Textsorten, die in der Frühen Neuzeit in großer Zahl für Männer produziert wurden. Auf das erste Rhetoriklehrbuch für Frauen in deutscher Sprache wurde oben bereits hingewiesen.109 Autorinnen schrieben in der Frühen Neuzeit keine Rhetoriklehrbücher. Mit einem Komplimentierbuch kombinierte Rhetoriken110 und Sammlungen von Reden konnten unter der Voraussetzung von Frauen verwendet werden, daß diese authentische weibliche Reden111 oder Musterantworten enthielten.112 – Partiell oder ganz auf Deutsch abgefaßte Komplimentierbücher 113 sind seit 1630 nachweisbar. Dieses Genre wurde im 17. und 18. Jahrhundert nicht speziell für Frauen produziert, trotzdem gab es darunter Werke, die frauenadressierte Textpassagen enthalten.114 Wenn Mädchen und Frauen wissen wollten, was sie von Männern zu erwarten haben, konnten sie männeradressierte Komplimentierbücher mit Nutzen befragen. Frauen publizierten in der Frühen Neuzeit keine reinen Komplimentierbücher.115 – Das korrekte Abfassen von Briefen wurde in Briefstellern gelehrt, aber auch in verwandten Texttypen, in die kurzgefaßte Anleitungen zum Briefschreiben integiert worden waren.116 Der erste frauenadressierte Briefsteller deutscher Provenienz erschien 1696.117 An Frauen gerichtete Briefsteller waren in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts sehr
109 Rhetorisches Wissen fand auch Eingang in Lehrbücher vermischen Inhalts: [André J. Panckoucke:] Les études convenables aux demoiselles contenant la grammaire, la poésie, la rhétorique, le commerce des lettres, la chronologie, la géographie, l’histoire, la fable héroïque, les règles de la bienséance, et un court traité d’arithmétique, 2 Bde., überarb., korr. und verm. Aufl. Dresden 1775. 110 So war etwa Christine Charlotte von Ostfriesland im Besitz von La rhétorique de l’honnête homme, ou la manière de bien écrire des lettres, et de faire toutes sortes de discours (Amsterdam 1699). Sabine Heißler: Christine Charlotte von Ostfriesland (1645–1699) und ihre Bücher oder lesen Frauen Anderes?, in: Daphnis 27, 1998, S. 335–418, hier S. 406, Nr. 406. 111 Johan Arckenholz: Mémoires concernant Christine reine de Suède […], 4 Tle., Amsterdam u. a. 1751–1760. Johan Arckenholz: Historische Merkwürdigkeiten, die Königinn Christina von Schweden betreffend […], 4 Tle., Leipzig u. a. 1751–1760. 112 A. P. von Abschatz führt in seiner Musterredensammlung, um ein Beispiel zu geben, die »Antwort einer Adelichen Dame auff den Neuen Jahres-Wunsch eines von Adel« auf. A. P. von Abschatz: Hoff- und bürgerliche Reden gantz neues Styli […], Jena 1685, S. 38. 113 Beetz (Anm. 30), 1990, S. 56. Vgl. ferner Till (Anm. 34), Sp. 1212. 114 Das folgende Komplimentierbuch richtet sich an beide Geschlechter: Anonym: Ceremoniel im Reden bey Geburth, Hochzeiten und Absterben, Leipzig 1705. 115 Carolina Reinhold [Pseud.?]: Wie soll sich die Jugend würdig bilden? Complimentir- und AnstandsRegeln für die Jugend in unterhaltenden Erzählungen von Carolina Reinhold. Mit 4 Kupfern, Nürnberg 1832. 116 Reinhard M. G. Nickisch: Chronologisches Verzeichnis der deutschen Briefsteller und verwandter Werke des 15., 16., 17. und 18. Jahrhunderts, in: ders., Die Stilprinzipien in den deutschen Briefstellern des 17. Jahrhunderts (Palaestra; 254), Göttingen 1969, S. 245–308. 117 Talander [Pseud., August Bohse]: Des galanten Frauenzimmers Secretariat-Kunst; oder Liebes- und Freundschaffts-Briefe; nebst einem nöthigen Titular-Büchlein. Mit vielen neuen Exempeln anietzo verbessert von Talandern, Leipzig 1696. Vgl. dazu Beetz (Anm. 30), 1990, S. 58 f.
302
5. Kommunikative Kompetenzen von Frauen: Positionen und Empfehlungen
im Schwange.118 Der erste mir bekannte Briefsteller in deutscher Sprache von einer Frau erschien 1831.119 Ausgaben von Frauenbriefen waren nützliche Ratgeber vor allem für diejenigen, die sich für anspruchsvolle Briefinhalte und Gesprächsthemen interessierten. Die erste von einer deutschen Frau edierte Ausgabe eigener Briefe erschien wohl 1730.120 Nur wenige von Männern verfaßte Werke, die kommunikative Kompetenzen vermitteln, wenden sich an beide Geschlechter, und selbst ausdrücklich an Frauen adressierte Werke behalten oft noch einen androzentrischen Blick bei.121 Deswegen und weil Druckerzeugnisse teuer waren, waren lernwillige Mädchen und Frauen stärker als Männer auf positive (weibliche) Rollenvorbilder und auf mündliche Unterweisung angewiesen. Deshalb auch waren Leserinnen gut beraten, wenn sie Texte aus der Feder von Frauen lasen. Es wäre jedoch ein Fehler, die Macht des gedruckten Wortes zu unterschätzen. Das Angebot an gedruckten Schriften war in der Frühen Neuzeit zu keinem Zeitpunkt so groß, daß es gerechtfertigt wäre, von einem Überangebot zu sprechen. Das Buch war ein Wertgegenstand. Es hatte die Macht, Frauen zum Agieren herauszufordern, was auch im Konkreten bedeuten konnte, ihnen im positiven Sinne passive Aktivitäten wie das Zuhören, das Stillschweigen, das Pausieren, das Zuschauen, das Beobachten oder das Nachdenken ins Gedächtnis zu rufen.
8.
Die Bildungsarbeit von norm- und formbewußten Autorinnen
In Abschnitt 3.2 wurde bereits auf die Moralischen und vermischten Send-Schreiben (1731) von Christiana Mariana von Ziegler, die ihre eigene Briefausgabe in die Tradition der Briefeditionen adliger Französinnen stellte, hingewiesen. Insbesondere schätzte sie AnneThérèse de Lambert (1647–1733).122 Der Avis d’une mère à son fils et à sa fille (Paris 1728) ist in vielem den Grundsätzen der rationalistischen Pädagogik verpflichtet. So darf die 118 Joachim Dyck/Jutta Sandstede: Quellenbibliographie zur Rhetorik, Homiletik und Epistolographie des 18. Jahrhunderts im deutschsprachigen Raum, 3 Bde., Stuttgart – Bad Cannstatt 1996. 119 [Carolina Reinhold:] Der kleine Briefsteller oder unterhaltende Anweisung zu kunstlosen Briefen für die Jugend, Nürnberg 1831. 120 Gemeint ist Rosina Dorothea Schilling (Anm. 15). Vgl. Sabine Koloch: Schilling, Rosina Dorothea, in: Wilhelm Kühlmann (Hg.), Killy Literaturlexikon. Autoren und Werke des deutschsprachigen Kulturraums. Begründet von Walther Killy, 2. Aufl. Berlin u. a. 2011 (im Erscheinen). 121 Mit einem Fragezeichen ist daher die Aussage des Linguisten Albrecht Greule zu versehen, das 18. und 19. Jahrhundert habe vor allem Werke zur Kommunikation der Geschlechter untereinander gekannt. Albrecht Greule: Deutsche »Sprachratgeber« vom 15. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Zu einer neu entstehenden Bibliographie, in: Der Sprachdienst 37, 1993, S. 147–149. Albrecht Greule: Die »Buchsorte« Sprachratgeber. Definition, Subsorten, Forschungsaufgaben, in: Franz Simmler (Hg.), Textsorten und Textsortentraditionen (Berliner Studien zur Germanistik; 5), Bern u. a. 1997, S. 239–269. 122 Christiana Mariana von Ziegler: Vorbericht, in: dies., […] Moralische und vermischte Send-Schreiben, an einige ihrer vertrauten und guten Freunde gestellet, Leipzig 1731, Bl. a6a–b4b, hier Bl. b1a.
5.1 Unterschiedliche Standpunkte zur kommunikativen Bildung von Frauen
303
Tochter der Marquise auch Werke der Redekunst lesen (ich zitiere die deutsche Fassung von 1729): »Jch wolte ihnen auch, jedoch mit grosser vorsicht, gestatten, wercke der redekunst und poesie zu lesen, wenn ich sähe, daß sie lust dazu hätten, und ihr verstand kräfftig gnug wäre, sich in den schrancken des wahren gebrauches dieser dinge zu halten.«123 Die Briefausgabe einer anderen französischen Dame erlangte in Deutschland nach der Jahrhundertmitte den Status eines Bestsellers: Marie de Rabutin-Chantal de Sévigné (1627–1696) hatte an ihre Tochter Françoise Marguerite de Grignan geschrieben. In einer kleinen Auswahl erschienen die Briefe noch im Todesjahr 1696 im Rahmen der Mémoires ihres Vetters Roger de Bussi-Rabutin (eine größere zweibändige Auswahl kam 1723 heraus). Ein um das andere Mal wurden der natürliche Schreibstil und die mütterliche Zärtlichkeit, die in den Schriftstücken zum Ausdruck kommen, gerühmt. Das Briefwerk prägte den Briefstil von Generationen bildungsbeflissener Frauen.124 Es wurde in Deutschland verstärkt seit den 1750er und 60er Jahren zur Lektüre empfohlen, weil in dieser Phase der Formierung einer bürgerlichen Gesellschaft das Bürgertum dem Kommunikationsideal des Adels, das schon länger wegen seiner Gekünsteltheit in die Kritik geraten war, noch entschiedener die Anerkennung verweigerte und alternativ ein antirhetorisches, naturgemäßes Kommunikationsideal propagierte.125 Aus der nie dagewesenen Wertschätzung des Frauenbriefs suchten tüchtige Verleger und Autoren Profit zu ziehen. Zum Beispiel gab Johann Gottfried Gellius (1732–1781) bei Weidmann in Leipzig ein neues Periodikum mit dem Titel Gesammelte Frauenzimmer-Briefe zum Unterrichte und Vergnügen. Aus verschiednen Sprachen (12 Tle., 1759–1764) heraus. Johann Peter Miller nahm dieses Periodikum in das Kapitel »Die berühmtesten Redner« seines Lektüreführers Anleitung zur Kentnis [sic] der besten Bücher in allen Wissenschaften für Anfänger (1768) auf. Eine Unterabteilung der »berühmtesten Redner« bilden die Briefstellerautoren und die lateinischen, französischen und deutschen Epistolograph(inn)en: Briefe. Regeln davon: Gellert, Stockhausen. Muster: Lat. Cicero, Linius, Politian, Bembus, Muretus. Gall. Voiture, Balzac, Fontenelle, de Bussy, de Sevigne, N[inon] de l’Enclos, [Rémond] de S[aint-]Mard, de Montesquieu, de Montaigne, Bielefeld, les plus belles lettres des meill[eurs] Aut[eurs] Fr[ançois] par Richelet. Germ. Gellerts, Stockh[ausens,] Duschens, die Frauenzimmerbriefe.126
123 Anne-Thérèse de Lambert: Der Madame von Lambert Gedancken von der Aufferziehung und einem tugendhafften Leben; in zweyen Schreiben an ihren Sohn und ihre Tochter entworffen. Aus dem Französischen übersetzt von einem Mitgliede der Deutschen Gesellschafft zu Leipzig, Leipzig 1729, S. 599. 124 Fritz Nies: Gattungspoetik und Publikumsstruktur. Zur Geschichte der Sévigné-Briefe (Theorie und Geschichte der Literatur und der schönen Künste; 21), München 1972. 125 Einer der bekanntesten Verkünder eines natürlichen Schreibstils war Christian Fürchtegott Gellert: Briefe, nebst einer pratischen Abhandlung von dem guten Geschmacke in Briefen […], Leipzig 1751 (1. Aufl. 1750). Beispiele für Gellert-Nachahmungen birgt Abschnitt 5.2 in sich. 126 [ Johann Peter Miller]: […] Anleitung zur Kentnis [sic] der besten Bücher in allen Wissenschaften für Anfänger, Halle u. a. 1768, S. 50–51, hier S. 51.
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5. Kommunikative Kompetenzen von Frauen: Positionen und Empfehlungen
5.2 Variationen des Komplimentierens: Parameter Geschlecht 127 Ehre und Ehrbezeugungen spielten in der ständisch organisierten Gesellschaft der Frühen Neuzeit eine wichtige Rolle und bestimmten die Umgangsformen sehr eindrücklich. Seit dem 17. Jahrhundert kam es zu einer Ausweitung des Begriffs ›Ceremoniel‹. Dieser konnte streng geregelte Umgangsformen ganz allgemein bezeichnen und unterstrich dann die gesamtgesellschaftliche Bedeutung von normierten Handlungen, zu denen auch Komplimente zählten. Ein Gewährsmann für die erweiterte Bedeutung des Begriffs ›Ceremoniel‹ ist Julius Bernhard von Rohr. Dieser ließ seinem Zeremoniellbuch Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der Grossen Herren (1729) ein Anstandsbuch, die Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der Privat-Personen (1728), vorausgehen. Das erste Kapitel handelt »Von der Ceremoniel-Wissenschafft überhaupt«, das zweite »Von der Mode«, das dritte »Von dem Titul-Wesen und Praedicaten«, das vierte »Vom Range«, das fünfte »Von Complimens«. Während eingliedrige Definitionen von Zeremoniell in der Forschung derzeit noch die Norm bilden, liegt diesen Ausführungen eine dem erweiteren Zeremoniell-Begriff Rechnung tragende viergliedrige Definition zugrunde: Zeremoniell, 1. ein Komplex von Regeln für 2. öffentlichkeitswirksam inszenierte Handlungen im Rahmen repräsentativer Anlässe; 3. (seit dem 17. Jahrhundert) streng normierte gesellschaftliche Umgangsformen; 4. (seit dem 17. Jahrhundert) die Gesamtheit der Regeln, die in Bezug auf den gesellschaftlichen Umgang Geltung haben.128 127 Das lange Zeit dominierende Forschungskonzept, wonach zwischen ›sex‹ und ›gender‹ zu differenzieren sei, wird mehr und mehr überwunden durch die Erkenntnis von der gesellschaftlichen Herstellung des biologischen Geschlechts. 128 Vgl. die eingliedrige Zeremoniell-Definition von Gerd Althoff: Zeremoniell, in: Adalbert Erler u. a. (Hg.), Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Bd. 5, Berlin 1998, Sp. 1678–1680. Barbara Stollberg-Rillinger geht davon aus, das »Herrschaftszeremoniell« sei eine »symbolische Interaktion«. Barbara Stollberg-Rillinger: Herrschaftszeremoniell, in: Friedrich Jaeger (Hg.), Enzyklopädie der Neuzeit, Bd. 5, Stuttgart u. a. 2007, Sp. 416–424, hier Sp. 416. Ich selbst bin zu folgendem Ergebnis gelangt: Symbolische Interaktionen kennzeichnen Rituale, nicht hingegen Zeremonielle. Aus meiner Sicht ist der Terminus ›Herrschaftszeremoniell‹ ein Pleonasmus, weshalb ich die Bezeichnung ›Herrscherzeremoniell‹ vorziehe: Da repräsentative Anlässe immer die Macht derjenigen »präsent« machen, die nach den zeremoniellen Vorschriften handeln, umschreibt der Begriff ›Herrschaft‹ das, worauf sich Zeremonielle, die im engeren Wortsinn immer institutionalisierte Macht(verhältnisse) abbilden, ihrem Wesen nach beziehen. Zur Differenz von Höflichkeit und Zeremoniell vgl. Beetz (Anm. 30), 1990, S. 121–125. Vgl. dagegen die Definition des Begriffs ›Anstand‹ von Hanspeter Marti und mir in Abschnitt 3.1 (hier auch zur Differenz von Anstand und Höflichkeit). Vgl. den wenig überzeugenden Versuch von Georg Braungart, Ritual und Zeremoniell gegeneinander abgrenzen: Die höfische Rede im zeremoniellen Ablauf: Fremdkörper oder Kern?, in: Jörg Jochen Berns u. a. (Hg.), Zeremoniell als höfische Ästhetik in Spätmittelalter und Früher Neuzeit (Frühe Neuzeit; 25), Tübingen 1995, S. 198–208, hier S. 199, 206 (nicht ›Zeremoniell‹, sondern ›Galanterie‹ ist ein anderes Wort für höfische Ästhetik [siehe Anm. 269] – was also wird in dem Band wirklich untersucht?). Unter einem Ritual im engeren Sinn verstehe ich eine gleichbleibende religiöse Symbolhandlung. Eine säkulare Spielform des Rituals ist das Interaktionsritual (freundlicher Hinweis
5.2 Variationen des Komplimentierens: Parameter Geschlecht
305
Das fein abgestufte System der Ehr- und Höflichkeitsbezeugungen des Barock ist genauso wie das Sichtbarmachen des eigenen Status durch aufwendige Ausstattung, auch »Pracht« oder »Prunk« genannt,129 – beide Ausdrucksformen werden in den Quellen auch ›Gepräng(e)‹130 genannt – ein Merkmal dieser Epoche. Dem Prinzip der gesellschaftlichen Ungleichheit entsprach ein hochdifferenziertes System der Ehre.131 Je höher die Stellung in der Hierarchie, je unbescholtener der Ruf (vor allem bei Frauen), je mehr Verdienste, desto größer war das Ansehen und desto mehr Ehrerweise durfte man erwarten und entgegennehmen. So lehrt von Rohr: Wer sich in der Welt, entweder durch seine Verdienste, oder durch das Glück in solche Umstände gesetzt, daß er von andern mehr Ehrerbietung zu erwarten, als auszutheilen hat, kan es hernach mit den Complimens halten wie er will, und bleibt deswegen doch wohl wer er ist; ein junger Cavalier aber, der noch erst sein Glück in der Welt machen soll, muß sich in den Stand setzen, bey mancherley vorfallenden Gelegenheiten, kurtze und weitläufftige, gemeine und solenne Complimens ablegen zu können, wie es die Leute haben wollen, oder wie es sich nach den Umständen der Oerter und Zeiten eignet und gebühret.132
Im folgenden wird zu erörtern sein, wie das historische Phänomen des Kompliments133 von anderen Formen sprachgestützter Partneraufwertung abzugrenzen ist. Weiterhin gilt
129
130
131
132 133
Dietmar Till). Vgl. Erving Goffman: Interaktionsrituale. Über Verhalten in direkter Kommunikation, Frankfurt/M. 1971 (Orig. Interaction Ritual, 1967). Nichtrituelle Wiederholungshandlungen werden in der Linguistik als Routinehandlungen bezeichnet. Florian Coulmas (Hg.): Conversational Routine: Explorations in Standardized Communication Situations and Prepatterned Speech (Ianua linguarum. Series Major; 96) (Rasmus Rask Studies in Pragmatic Linguistics; 2), Den Haag u. a. 1981. Man achte auf die Titelsemantik der folgenden zwei zeitgenössischen Publikationen: Anonym: Beyträge zu einer deutschen Aufwands- und Prachtsgeschichte des Mittels des vorigen Jahrhunderts: aus Originalrechnungen eines deutschen Fürsten, in: Olla Potrida 1783, Nr. 4, S. 131–134. Anonym: Ordnung wider den Pracht und Uberfluß in Kleideren, wie auch andere Excessen und Uppigkeiten jn der Statt Bern, Bern 1708. Anonym: Ceremonie, in: [ Johann Heinrich Zedler (Hg.),] Grosses vollständiges Universal-Lexicon aller Wissenschafften und Künste […], Bd. 5, Halle u. a. 1733, Sp. 1873–1874, hier Sp. 1874: »Es werden aber auch durch das Wort Ceremonie offt nur blosse Complimente und Gepränge verstanden.« Paul Münch: Von der »höfischen Conduite« zur »Höflichkeit des Herzens«. Umgang und Kommunikation im 18. Jahrhundert, in: Jahrbuch des Staatlichen Instituts für Musikforschung Preußischer Kulturbesitz 1996, S. 65–88, hier S. 72. Julius Bernhard von Rohr: Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der Privat-Personen […], 2., verm. Aufl. Berlin 1730, S. 149 f. (1. Aufl. 1728). Manfred Beetz: Komplimentierverhalten im Barock. Aspekte linguistischer Pragmatik an einem literarhistorischen Gegenstandsbereich, in: Wolfgang Frier (Hg.), Pragmatik – Theorie und Praxis (Amsterdamer Beiträge zur neueren Germanistik; 13), Amsterdam 1981, S. 135–181. Ders. (Anm. 30), 1990, bes. S. 109–115. Karl-Heinz Göttert: Legitimationen für das Kompliment. Zu den Aufgaben einer historischen Kommunikationsbetrachtung, in: Deutsche Vierteljahrschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 61, 1987, S. 189–205. Georg Braungart: Hofberedsamkeit. Studien zur Praxis höfisch-politischer Rede im deutschen Territorialabsolutismus (Studien zur deutschen Literatur; 96), Tübingen 1988, S. 225–236. Markus Fauser: Das Gespräch im 18. Jahrhundert. Rhetorik und Geselligkeit in Deutschland, Stuttgart 1991. Till (Anm. 34). Claudia Duttlinger:
306
5. Kommunikative Kompetenzen von Frauen: Positionen und Empfehlungen
es zu fragen: Wie kam es zur Entstehung einer »Complimentirkunst«134? Wer komplimentierte? Welches waren die Bedingungsfaktoren geschlechtsspezifischen Komplimentierens? Wie manifestierten sich Ehrvorstellungen im Gespräch135 zwischen Personen ungleichen Geschlechts?
1.
Definitorisches: Kompliment, Lob, Schmeichelei
Bis zum Ende des Ancien Régime kann die Wirkungsweise und das Funktionsspektrum der Handlungs- und Ausdrucksform des Kompliments vollständig nur durch Zusammenschau der verbalen und nonverbalen Handlungskomponenten erfaßt werden.136 Wie wichtig es ist, die nonverbalen Handlungskomponenten zu berücksichtigen, wird daran ersichtlich, daß in der Frühen Neuzeit sprachliche Ehr- und Höflichkeitsbekundungen im Schriftverkehr mit gestalterischen Ausdrucksmitteln kombiniert und in der direkten Kommunikation Komplimente unter bestimmten Umständen rein körpersprachlich abgelegt wurden. Die parasprachlich übermittelten Handlungskomponenten des Kompliments sind Aussprache, Tonfall und Vortragsweise, die körpersprachlich übermittelten sind Gesichtsausdruck, Blick, Körperhaltung und Körperbewegungen. Letztere lassen sich unterteilen in das Vorneigen von Kopf und Oberkörper, das Kopfnicken, die Kniebeuge, das Küssen der Hand, das Reichen der Hand, das Überreichen eines Objektes, das Hochhalten des Trinkgefäßes und das Abnehmen des Hutes (ausgeführt nur durch Männer).137 Das entweder simultan oder zeitversetzt sich vollziehende Zusammenspiel von sprech- und körpersprachlich kommunizierten Komplimenten veranschaulicht ein Zitat aus Georg Greflingers Komplimentierbuch:
134
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Kanon und Kanonbildung in der Höflichkeits- und Komplimentforschung, in: Wolfgang Dahmen u. a. (Hg.), Kanonbildung in der Romanistik und in den Nachbardisziplinen. Romanistisches Kolloquium XIV (Tübinger Beiträge zur Linguistik; 449), Tübingen 2000, S. 363–383. Gottfried Immanuel Wenzel: Pädagogische Encyclopädie, worinn (in alphabetischer Ordnung) das Nöthigste, was Väter, Mütter, Erzieher, Hebammen, Ammen und Wärterinnen, sowohl in Ansehung der körperlichen Erziehung, als in Rücksicht der moralischen Bildung der Kinder, von der Geburtsstunde an bis zum erwachsenen Alter, wissen und beobachten sollen, kurz und deutlich erklärt wird […], Wien 1797, S. 92. Zum frühesten Beleg des Wortes ›Komplimentierkunst‹ vgl. Beetz (Anm. 30), 1990, S. 200. Zur Wortgeschichte vgl. Dietmar Till: Unterhaltung2, in: Jan-Dirk Müller (Hg.), Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Neubearbeitung des Reallexikons der deutschen Literaturgeschichte, Bd. 3, Berlin u. a. 2003, S. 730–733, hier S. 731. Zur Begriffsgeschichte vgl. Fauser (Anm. 133), S. 23–29. Vgl. auch Richard Auernheimer: Gemeinschaft und Gespräch. Stefano Guazzos Begriff der »conversatione civile« (Humanistische Bibliothek. Reihe 3: Skripten; 2), München 1973. Mit seiner Entscheidung, die nonverbalen Komponenten des Kompliments aus seiner Studie aus dem Jahr 1990 mit der Begründung auszuschließen, er wolle diesen Aspekt in einer separaten Studie bearbeiten, gerät Beetz (Anm. 30, 1990, S. 323) die Einheit seines Forschungsgegenstandes aus dem Blick. Darunter leidet die Gültigkeit seiner wissenschaftlichen Aussagen empfindlich. Penelope J. Corfield: Ehrerbietung und Dissens in der Kleidung. Zum Wandel des Hutes und des Hutziehens, in: Klaus Gerteis (Hg.), Zum Wandel von Zeremoniell und Gesellschaftsritualen in der Zeit der Aufklärung (Aufklärung; 6,2), Hamburg 1992, S. 5–19.
5.2 Variationen des Komplimentierens: Parameter Geschlecht
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Jnsonderheit muß diese Klugheit bey Hohen Fürstlichen Persohnen wol in acht genommen werden, vnd ist zu Hofe nichts angenehmers, als höfliches Complimentiren vnd Gespräch, absonderlich wenn es mit lieblichen anmuthigen Geberden, Reverenzen, basiis manuum, Baselmanus zugehet, davon der Poet redet: | Ipso cum manibus gesticulante pede, | Zu Hoff mit Händen vnd Füssen auch | Sich neigen, beugen, ist Gebrauch.138
Worin der Sinn von Komplimenten bestand, tritt drastisch zutage, wenn man den Blick auf die semantische Dimension fehlerhaft ausgeführter Komplimente richtet. Ein mit hämischen Blicken übermitteltes Kompliment mußte im Normalfall als ein Zeichen der Verachtung aufgefaßt werden, ein mit geistesabwesendem Gesichtsausdruck abgelegtes Kompliment als ein Zeichen der Mißachtung, ein im Tenor der Belustigung vorgetragenes Kompliment als Verhöhnung, ein unüberlegt hervorgebrachtes Anti-Kompliment als Beleidigung oder Bosheit. Durch grobe Fehler in der Ausführung wurde das dem Kompliment inhärente Sinnpotential, das darauf zielt, den Partner/die Partnerin aufzuwerten, nicht oder allenfalls fragmentarisch eingelöst. In zeitgenössischen Begriffsbestimmungen von ›Compliment‹ wird der Aspekt der Aufwertung des anderen in unterschiedliche Worte gefaßt. Hier nochmals Julius Bernhard von Rohr: Ein »Compliment ist eine mit einer wohlanständigen Mine oder Reverence verknüpfte Rede, dadurch ich meine Ehrerbietung und Hochachtung gegen dem andern an Tag lege.« 139 In Ansehung der drei Grundformen des Kompliments ist diese Begriffsbestimmung nicht vollständig. Die drei Grundformen des Kompliments sind: 1. Ehr- und Höflichkeitsbezeugungen, die durch Sprechhandeln in Kombination mit nonverbalen Handlungskomponenten kommuniziert werden. 2. Ehr- und Höflichkeitsbezeugungen, die ausschließlich körpersprachlich kommuniziert werden.140 3. Ehr- und Höflichkeitsbezeugungen, die in Verbindung mit sichtbaren Ausdrucksmitteln schriftsprachlich kommuniziert werden. Eine wissenschaftliche Definition von ›Kompliment‹ muß einen weiteren Aspekt berücksichtigen, welcher in die zitierte zeitgenössische Begriffsbestimmung nicht eingegangen ist, präzise gesagt der Begleitumstand, daß die höfisch-adlige Gesellschaft, landes-, ortsund zeitübliche Moden sowie die Rhetorik auf die formelhafte Struktur des Kompliments 138 [Georg Greflinger:] Höfliches vnd vermehrtes Complementier Büchlein, oder richtige Art vnd grundformliche Weise; wie man mit hohen fürstlichen: so wohl auch niedrigen vnd gemeinen Stands Personen, vnd sonsten bey Gesellschafften, Jungfrawen vnd Frawen, zierlich vnd höflich conversiren, reden vnd vmbgehen möge, Rinteln 1648, S. 15. 139 von Rohr (Anm. 132), S. 140. Vgl. auch die folgende Begriffsbestimmung: »Compliment, Complimente, Beweise von Achtung, Theilnahme, die in gewissen, äußerlichen Formen bestehen«. R. [Sigle]: Compliment, in: Carl Herloßsohn (Hg.), Damen Conversations-Lexikon. Herausgegeben im Verein mit Gelehrten und Schriftstellerinnen […], Bd. 2, Leipzig 1834, S. 459. 140 Den Beweis für diese Aussage liefert das folgende Quellenzitat: »Verbeugungen, bescheidene Miene, ehrerbietige Stellung, sind die schicklichsten Complimente für die Jugend.« Wenzel (Anm. 134), S. 93.
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5. Kommunikative Kompetenzen von Frauen: Positionen und Empfehlungen
einwirkten. Meine Definition:141 Komplimente waren bis zum Ende des Ancien Régime konventionell geregelte Ehr- und Höflichkeitsbezeugungen in Wort und Tat.142 Was aber unterschied das Lob und die Schmeichelei vom Kompliment? Beide Formen sprachgestützter Partneraufwertung wurden entweder gar nicht oder nur schwach durch gesellschaftliche Vereinbarungen (Konventionen) geregelt. Nur Schmeicheleien konnten nicht wortlos kommuniziert werden.143
2.
Das weitschweifige Kompliment als Distinktionscode
Das deutsche Wort ›Compliment‹ (auch ›Complement‹ oder weiblich: ›Complimente‹, im Plural auch ›Complimenten‹, ›Compliments‹, ›Complimens‹, ›Complimenta‹) 144 ist ein französisches Lehnwort und als solches ab 1595 nachweisbar.145 Die Entstehung des Phänomens (gemäß der obigen Definition) reicht zeitlich weiter zurück, wie weit genau, ist offen. Das erste teilweise auf Deutsch abgefaßte Komplimentierbuch entstand 1630, nachdem das religiöse Ringen während des Dreißigjährigen Krieges sich zunehmend in einen weltlichen Machtkampf verwandelt hatte. Das Tauziehen um die Macht hatte politische Allianzen zur Folge, durch die sich die Beziehungen protestantischer Fürstenhäuser, Diplomaten und Militärs zum Nachbarland Frankreich intensivierten.146 Der französische Teil des 1630 in Paris gedruckten ersten französisch-deutschen Komplimentierbuches kam 141 In Abgrenzung zu den komplimentbezogenen Forschungen von Manfred Beetz und Dietmar Till schlage ich für den Zeitraum bis zum Ende des Ancien Régime eine Definition des Begriffes ›Kompliment‹ vor, die der Rhetorik keine Vorrangstellung bei der Ausformung der verschiedenen Komplimentetypen einräumt. 142 Till (Anm. 34), Sp. 1212: »Mit dem Ausdruck ›Kompliment‹ bezeichnet man die im Barock entstandenen unterschiedlichen Formen ritualisierter, verbaler wie non-verbaler, nach den Regeln des aptum und decorum ausgerichteter schriftlicher und mündlicher Höflichkeitsbezeugungen wie Gratulationen, Empfehlungen, Reverenzen, Beglückwünschungen, Beleidsbezeugungen etc.« Vgl. auch Andrea Redecker: Zur Bedeutungsgeschichte von Kompliment, in: Estudis de lingüística i filologia oferts a Antoni M. Badia i Margarit 2 (Biblioteca »Abat Oliba«; 156), Barcelona 1995, S. 215–233. 143 Die von Vorderwülbecke vorgenommene Unterscheidung von Lob und Kompliment basiert auf dem allgemeinen Sprachgebrauch der Gegenwart. Klaus Vorderwülbecke: Sprecher-Hörer-Relation, personale Bezugnahme und Beziehungskonstitution, in: Gisela Zifonun/Ludger Hoffmann/Bruno Strecker u.a., Grammatik der deutschen Sprache (Schriften des Instituts für deutsche Sprache; 7,1), Bd. 1, Berlin u. a. 1997, S. 911–952. S. 944 f. 144 Jacob Grimm/Wilhelm Grimm: Deutsches Wörterbuch, Bd. 2, Leipzig 1860, Sp. 632 f. 145 William Jervis Jones: A Lexicon of French Borrowings in the German Vocabulary (1575–1648) (Studia linguistica Germanica; 12), Berlin u. a. 1976, S. 219. Vgl. auch: Fritz Schramm: Compliment, in: ders., Schlagworte der Alamodezeit (Zeitschrift für deutsche Wortforschung. Beiheft; 15), Straßburg 1914, S. 71–82, hier S. 71 (der Linguist leistete in kleinem Maßstab Pionierarbeit; Beetz hat diesen wichtigen Beitrag zur historischen Komplimentforschung übersehen). Till (Anm. 34), Sp. 1214 (mit weiterer Literatur). 146 Heinz Schilling: Höfe und Allianzen. Deutschland 1648–1763, 2., durchges. Aufl. Berlin 1994, S. 32–41.
5.2 Variationen des Komplimentierens: Parameter Geschlecht
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im Anhang des berühmten Briefstellers Le secrétaire à la mode, ou méthode facile d’éscrire selon le temps diverses lettres de compliment, amoureuses et morales (1641) von Jean Puget de La Serre erneut zum Abdruck.147 Im gleichen Jahr erschien in Paris ein siebensprachiges Komplimentierbuch: [Claude Jaunin/Anger Nicole:] Les complimens de la langve françoise. […] Höffliche Reden in Frantzösischer Sprachen Ein ganz nützliches werck vor diejenigen so an großer Herren Höfen sind, vnd so sich in Geselschafften [sic] pf legen finden zu lassen, Paris 1630. Claude Jaunin: L’introdvction av complimens des sept principales langves, tant orientales, qu’occidentales, contenant les principes et fondemens de toutes icelles: Fort vtile et nécessaire à tous ceux qui désirent dans peu de temps, et auec peu de despens, d’auoir la cognoissance des langues hébraïque, greque, latine, françoise, allemande, italienne, et espagnole, par le sieur Claude Jaunin […], Lyon 1630. Auf 272 Kleinoktav-Seiten konnten Deutsche, »so an großer Herren Höfen sind, vnd so sich in Geselschafften pflegen finden zu lassen«, mit Hilfe des ersten französisch-deutschen Komplimentierbuches ihre Sprachfertigkeiten aufbessern. Gerade Diplomaten benötigten in Zeiten des Krieges Sprachratgeber, um ihre Missionen erfolgreich erfüllen zu können. Unter dem Einfluß der frühbarocken höfischen Kultur Frankreichs 148 und im darauf folgenden Zeitalter der zunehmenden Territorialherrschaft entwickelte sich das Komplimentieren in Deutschland zu einem peinlichst genau zu befolgenden Regelwerk. Die Kunst beim Ablegen eines weitschweifigen Kompliments bestand darin, die nonverbalbeziehungsbezogene, die verbal-beziehungsbezogene und die verbal-sachbezogene Ebene der Kommunikation jeweils so auszugestalten, daß das Gesamtresultat sich positiv auf den Verlauf des Kontaktes auswirkte. Die Bedeutung des »Ceremoniels«149 (hier im Sinne streng normierter gesellschaftlicher Umgangsformen), nahm erst ab, als im 18. Jahrhundert mit dem Erstarken des Bürgertums eine Verschiebung der kulturellen Leitwerte hin zu mehr Subjektautonomie, Rationalität und Informalität einsetzte.150 147 Montandon (Hg.) (Anm. 4), Bd. 1, S. 51, 308, 310. Heinrich Heckendorn: Wandel des Anstands im französischen und im deutschen Sprachgebiet (Europäische Hochschulschriften. Reihe XIX: Ethnologie. Volkskunde. Sitte. Brauchtum. Volksleben; 1), Bern 1970, S. 68. Vgl. auch Beetz (Anm. 30), 1990, S. 55, 335. 148 Curt Gebauer: Die Anfänge des Komplimentierwesens, in: ders., Geschichte des französischen Kultureinflusses auf Deutschland von der Reformation bis zum Dreißigjährigen Kriege, Straßburg 1911, S. 121–130 (mit wichtigen Bemerkungen zur Amadis- und Astrée-Rezeption, die von Beetz nicht aufgegriffen wurden). 149 Carl Friedrich Pockels: Sclaven des Ceremoniels, in: ders., Versuch einer Charakteristik des weiblichen Geschlechts. Ein Sittengemählde des Menschen, des Zeitalters und des geselligen Lebens, 5 Bde., Hannover 1797–1802, Bd. 4, S. 395–411, hier S. 395: »Die Sclaven des Ceremoniels und der Etiquette findet man am häufigsten unter bejahrten Leuten beyderley Geschlechts«. 150 Gotthardt Frühsorge: Vom Hof des Kaisers zum »Kaiserhof«. Über das Ende des Ceremoniells als gesellschaftliches Ordnungsmuster, in: Euphorion 78, 1984, S. 237–265. Reto Luzius Fetz u. a. (Hg.): Geschichte und Vorgeschichte der modernen Subjektivität (European Cultures. Studies in Literature and the Arts; 11,1–2), 2 Bde., Berlin u. a. 1998.
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5. Kommunikative Kompetenzen von Frauen: Positionen und Empfehlungen
Es war die Pflicht eines jeden, der komplimentierte, exakt das Maß an Ehre und Höflichkeit, das sich aus dem rangmäßigen Verhältnis der miteinander Kommunizierenden ergab, zu entrichten. »Die Titul«, schreibt ein Beiträger zum Oeconomvs prvdens et legalis continvatvs (2. Aufl. Nürnberg 1751), »sind das erste so man beobachten muß, deren Subtilität aber nicht ohne Schwürigkeit zu erlernen.«151 Christian Weise (1668–1708) erläutert in seinem Politischen Redner (1677), worauf es beim Titulieren ankommt: »Mit kurtzem die Sache zu beschreiben, welche sonst in den Titular- und Formular-Büchern sehr weitläufftig ausgeführet wird, und dahin sich der curieuse Leser mag verweisen laßen; so hat man in Titeln dreyerley zu bedencken. Erstlich, wie man die Person Anfangs anredet. Zum andern, was vor Abstracta und Epitheta mitten in der Rede gebraucht werden. Zum dritten, wie man sich selbst secundum stylum curiae gegen den andern extenuiren sol«.152 Diese Erläuterungen sind hilfreich, wenn man die formelhafte Struktur des weitschweifigen Kompliments verstehen will. Der Adel ließ sich schon vor dem Dreißigjährigen Krieg mündlich mit Ehrentiteln anreden, die seinem Status huldigten:153 »[Königliche] Hoheit«, »[Königliche] Majestät«, »[Chur-Fürstliche] Durchlaucht«, »[Euer] Gnaden«. Ehrentitel verweisen auf eine abstrakte Eigenschaft, weshalb sie in den Quellen und in der Forschung auch Abstrakta genannt werden.154 Aus der Perspektive der Genderforschung ist der Wegfall der sprachlichen Markierung der Geschlechtszugehörigkeit beim Gebrauch von Ehrentiteln in der mündlichen Anrede auffällig. Rangniedrigere erinnerte der Ehrentitel an die Pflicht, dem Ranghöheren je nach Funktion und Anlaß zivile oder militärische Zeichen der Ehrerbietung (»Ceremonien«) zu entrichten und ihm mit Ehrfurcht zu begegnen. Den Zeichencharakter von Ehrentiteln macht der Parlamentsrat Goussault in einem wohl nur dem Anschein nach erinnerten Gespräch zum Thema: Anfangs glaubete ich, daß sie nur schertzen wollte, sie name aber eine gantz ernsthaffte Miene an sich, mich bittend ihr zu sagen, ob ich dann in der Welt etwas vor gröser als die Päbste, Könige, Cardinaele und Fürsten erkennete? welche man, um ihnen zu flatiren und mehr zu erhöhen Altesse, Eminence, Maiesté et Saintenté nennen, welche schöne Worte, so wol ihr Hoheit zu erkennen geben, als auch mehreren Respect gegen uns erweckten.155 151 Florin [Hg.] (Anm. 68), S. 160. 152 Christian Weise: […] Politischer Redner, das ist: Kurtze und eigentliche Nachricht wie ein sorgfältiger Hofemeister seine Untergebene zu der Wohlredenheit anführen soll […], Leipzig 1679, S. 193. Weises Neu-erleuterten politischen Redner (1684) verlegte Sabina Gerdes (Gerdesin, Gerdesius), geb. Ritzsch. 153 Die im folgenden in Klammern gesetzten Anredefloskeln wurden von den Zeitgenossen »Courtoisien« (Höflichkeiten) genannt. 154 Friederike Braun/Armin Kohz/Klaus Schubert: Anredeforschung. Kommentierte Bibliographie zur Soziolinguistik der Anrede (Ars linguistica; 16), Tübingen 1986, S. XX. 155 Goussault (Anm. 155), S. 314. Unter ebenbürtigen Personen drücken Titel Gleichheit aus. Vgl. auch Christian Gotthelf Ahnert: Lehrbegriff der Wissenschaften, Erfordernisse und Rechte der Gesandten, 2 Tle., Dresden 1784, Tl. 2, S. 313: »Da nun in Worten zugleich Zeichen der Hoheit, Gleichheit, Ehrerbietigkeit und Unterwürfigkeit liegen: so ist das Kanzleyceremoniel auch hier in einem Lehrbegriff der Gesandtschaftsrechte nothwendig, wo die Schreiben der Souverainen, oder der Gesandten, zugleich zum Beweise des Ranges dienen.«
5.2 Variationen des Komplimentierens: Parameter Geschlecht
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Die primär durch außersprachliche Ausdrucksmittel (zur Schau gestellte Standesinsignien, ostensible Pracht, respektgebietende Positionierung im Raum, Ästhetisierung des äußeren Erscheinungsbildes, theatralisches Auftreten, personal- und ausstattungsintensive Glorifizierung respektive Allegorisierung) erzeugte Aura der Erhabenheit und Solennität, mit der Fürstlichkeiten und ihre Entourage, aber auch andere Adlige sich umgaben, wenn Rangniedrigere förmlich mit ihnen Kontakt aufnahmen, fand im verbalen Kompliment seine Entsprechung und Fortführung in der Praktik der sprachlichen Distanznahme 156 als Ausdruck des sozialen Abstands zwischen Personen von ungleicher Ranghöhe. Was hiermit gemeint ist, demonstriert das folgende Bitt-Kompliment. Sucht einer Dienst bei Hofe und wird er zur Audienz bei seiner Landesherrin vorgelassen, ist es nach August Bohse dem Anliegen förderlich, wenn dieses nach dem Eintreten ins Audienzzimmer wie folgt vorgetragen wird (man beachte: die Anrede einer Herzogin im Brief lautete »Durchlauchtigste Herzogin, | Gnädigste Fürstin und Frau«): Jhro Hoch-Fürstliche Durchläucht bin zu unterthänigsten Danck verpflichtet, daß dieselbe derer Hoch-Fürstl. Audience mich gnädigst würdigen. Es wird vielleicht der Herr Hoffmeister von N. Jhro Durchläucht schon unterthänigst eröffnet haben, wie ich die Gnade suche, bey Jhro Hoch-Fürstlichen Durchläucht meinem gnädigsten Herren in Dienste zu kommen. Wollten nun Euer Hoch-Fürstliche Durchläucht gnädigst geruhen, durch Dero hohen Vorspruch meine Wolfahrt zu befördern, so würde ich, in unterthänigster Treue, davor Zeit lebens verbunden seyn.157
Die sprachlichen Mittel, die bei diesem Muster-Kompliment sozialen Abstand ausdrücken, sind: Wahl der richtigen Anrede,158 Gebrauch von Abstrakta und Steigerungsformen, hohe Stillage, Aufwertung der Adressatin, Selbstverkleinerung, fortgesetzte Untertänigkeits- und Ehrfurchtsbekundungen, Eliminierung des Personalpronomens der ersten Person, Pluralformen für eine Einzelperson, Verzicht auf geschlechtsidentifizierende Ausdrücke und persönlich gefärbte Gefühlsäußerungen sowie Abstreifung individueller sprachlicher Eigenheiten. Damit kein Mißverständnis entsteht: Nur das weitschweifige Kompliment war ein Kennzeichen des Umgangsverhaltens von Angehörigen höherer Gesellschaftsschichten. Zu undifferenziert ist daher die Aussage von Heinrich Heckendorn: »Ein anderes Phänomen, das im 17. Jahrhundert und weit darüber hinaus die höhere Konversation kennzeichnet, ist das Kompliment.« 159 156 Heinz-Helmut Lüger: Sprachliche Routinen und Rituale (Werkstattreihe Deutsch als Fremdsprache; 36), Frankfurt/M. u. a. 1992, S. 91 f. 157 Die Audienz verläuft für den Supplikanten erfolgreich, sofern es ihm gelingt, sich die Herzogin durch sein hofmäßiges Auftreten gewogen zu machen und, als Folge davon, die Gunst (»Gnade«) des Herzogs zu erlangen. [August Bohse:] Die Manier, wie man sich in der Conversation, sowol mit hohen, vornehmen Personen, seines Gleichen und Frauenzimmer, bescheiden und klüglich verhalten, und zu einer galanten Conduite gelangen möge […], Nürnberg u. a. [1714], S. 37 f. (1. Aufl. 1713). 158 Gerhard Augst: Zur Syntax der Höflichkeit (Du - Ihr - Sie), in: ders., Sprachnorm und Sprachwandel. Vier Projekte diachroner Sprachbetrachtung (Studienbücher zur Linguistik und Literaturwissenschaft; 7), Wiesbaden 1977, S. 13–61. Werner Besch: Duzen, Siezen, Titulieren. Zur Anrede im Deutschen heute und gestern, 2., erg. Aufl. Göttingen 1998. 159 Heckendorn (Anm. 147), S. 65.
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5. Kommunikative Kompetenzen von Frauen: Positionen und Empfehlungen
In den Jahrzehnten nach dem Dreißigjährigen Krieg kam es zu einer beachtenswerten Ausweitung des Kreises derer, die die Kunst des weitschweifigen Komplimentierens perfektionierten. Das hatte seine Gründe.
3.
Die Ausweitung des Kreises derer, die das weitschweifige Kompliment verwendeten
Bekanntlich kam dem Rangreglement und den Titulaturen nach dem Westfälischen Frieden, in einer Zeit nicht abreißender ständischer und zwischenstaatlicher Konflikte, eine pazifizierende Funktion zu. Titel steigern das Sozialprestige und sie wirken »identitätsstiftend, integrierend und politisch stabilisierend«.160 Allerdings war das sich differenzierter ausbildende Titulaturwesen nicht der alleinige und auch nicht der entscheidende Faktor dafür, daß sich in diesem Zeitraum ein so elaborierter Kommunikationsstil auf breiterer Ebene durchsetzen konnte. Nach dem Dreißigjährigen Krieg löste das System der absolutistischen Staaten das herkömmliche System der Ständestaaten ganz oder teilweise ab. Diese Umbildungen im politischen System erhöhten den Druck, die »absolute«161 Souveränität zu legitimieren. 160 Die pazifizierende Wirkung von sozialen Distinktionscodes macht diese auch für die historische Friedens- und Konfliktforschung zu einem lohnenden Forschungfeld. Beetz (Anm. 30), 1990, S. 253. Ferner: Eckart Henning: Titulaturenkunde. Prolegomena zu einer »neuen« Hilfswissenschaft für den Historiker, in: Bernhart Jähnig u. a. (Hg.), Festschrift zum 125jährigen Bestehen des Herold zu Berlin 1869–1994 (Herold-Studien; 4), Berlin 1994, S. 293–310, hier S. 295. Es muß aber auch auf die negativen Seiten solcher Distinktionscodes hingewiesen werden. Diese sind: Rangstreitigkeiten (bis hin zu Unmenschlichkeit) sowie Rang- und Prestigekonkurrenzen mit Folgeerscheinungen wie Verschwendung, Ehrsucht, Verleumdung sowie Täuschungsmanövern aller Art. (Damit ist nicht ausgesagt, es hätte in früheren Epochen keine Präzedenzstreitigkeiten und Rang- und Prestigekonkurrenzen gegeben.) 161 Der historiographische Begriff ›Absolutismus‹ und die Adjektive ›absolut‹ und ›absolutistisch‹ bezeichnen Prozesse der »Herrschaftsverdichtung und Fürstenbezogenheit« (Heinz Durchhardt), denen auf territorialer Ebene Grenzen gesetzt waren, weil der Kaiser über dem Reich stand. Gleichzeitig standen dem vom Kaiser geltend gemachten Absolutheitsanspruch Versuche entgegen, Bündnisrechte von ihm zu lösen. Nachdem die Absolutismusforschung in den sechziger und mehr noch Anfang der neunziger Jahre vor allem wegen ihrer etatistisch-evolutionistischen Sehweise und der praxisfernen Betrachtung aus der Blickrichtung der Mächtigen kritisiert wurde, konnte die einstige »Paradedisziplin der deutschen Geschichtswissenschaft« (Reinhard Blänkner) ihre frühere Position nicht wiedererlangen. Ein gänzliches Verschwinden der Epochenbezeichnung oder gar ein genereller Bedeutungsverlust des Forschungsparadigmas zeichnet sich aber nicht ab. Ronald G. Asch/Heinz Duchhardt: Einleitung: Die Geburt des »Absolutismus« im 17. Jahrhundert: Epochenwende der europäischen Geschichte oder optische Täuschung?, in: dies. (Hg.), Der Absolutismus – ein Mythos? Strukturwandel monarchischer Herrschaft in West- und Mitteleuropa (ca. 1550–1700) (Münstersche historische Forschungen; 9), Köln u. a. 1996, S. 3–24, hier S. 24. Reinhard Blänkner: »Absolutismus« und »frühmoderner Staat«. Probleme und Perspektiven der Forschung, in: Rudolf Vierhaus (Hg.), Frühe Neuzeit – Frühe Moderne? Forschungen zur Vielschichtigkeit von Übergangsprozessen (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instututs für Geschichte; 104), Göttingen 1992, S. 48–74, hier
5.2 Variationen des Komplimentierens: Parameter Geschlecht
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Hierfür bemühte man die Lehre von der göttlichen Legitimität des Herrschers. Das im Gottesgnadentum verankerte fürstliche Selbstverständnis162 generierte Formen der Inszenierung, die je nach Anlaß und fürstlichem Willen sehr verschieden sein konnten. Das Zeremoniell in der älteren Bedeutung des Wortes ist ein Inszenierungs- und Ausdrucksmodus, der an repräsentative Anlässe gebunden ist.163 Die nach Anlässen164 abgeteilten Gattungen von Zeremoniellen hatten die Funktion, faktische und prätendierte Macht und die Stellung in der Rangfolge sichtbar zu machen und hierdurch zu legitimieren.165 Weil Komplimente auch am Hof und in einzelnen Fällen im Rahmen außerhöfischer Zeremonielle zur Ausführung gebracht wurden, waren sie von den wirkungsästhetischen Mitteln, die sich in Zeremoniellen verbindlich festgelegt fanden, geprägt, was die Anziehungskraft des weitschweifigen Kompliments für breite Kreise erhöhte, Komplimente erfüllten aber eine andere Funktion als Zeremonielle: Komplimente signalisierten jeder/jedem das Maß an Ehre, das ihr/ihm zustand. Das Frontispiz der Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der grossen Herren (Berlin 1729) (Abb. 9) drückt diesen Gedanken so aus: In freier Landschaft ragt zwischen den weiblichen Personifikationen Geometrie (mit den Attributen Meßinstrument und Zirkel) und Gerechtigkeit (mit den Attributen Schwert und Waage) ein von einer Kugel bekrönter Obelisk auf. Am Monolith ist eine Meßlatte angebracht. Parallel zu den Maßeinheiten der Latte sind in den Schaft des Pfeilers die Worte »Titulaturen, Courtoisien, Reverences, Compliments, Ceremonien« eingeritzt. Aufgabe der Geometrie ist es, nach Maßgabe des von der Gerechtigkeit ausgewogenen »Suum Cuique« ( Jedem das Seine), das Quantum an »Titulaturen, Courtoisien, Reverences, Compliments, Ceremonien« auszumessen, das dem Empfänger/der Empfängerin dieser Ehr- und Höflichkeitsbezeugungen zusteht.166 Was sich hier dem Betrachter/der Betrachterin darbietet, ist eine Allegorie auf die sozialharmonisierende Funktion von Distinktionscodes in einer
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S. 57. Ernst Hinrichs: Absolutismus – was ist das?, in: ders., Fürsten und Mächte. Zum Problem des europäischen Absolutismus, Göttingen 2000, S. 19–36. Das Gottesgnadentum wurde von den fürstlichen Personen verinnerlicht und formte deren Selbstverständnis. Darum war bei der Erziehung der Aspekt der wahren Konfession so wichtig. Ein regierender Fürst/eine regierende Fürstin war nur sich selbst und Gott gegenüber verantwortlich (freundlicher Hinweis Eva Bender). Zum Begriff der Repräsentation vgl. Niels Werber: Repräsentation/repräsentativ, in: Karlheinz Barck u. a. (Hg.), Ästhetische Grundbegriffe, Bd. 5, Stuttgart u. a. 2003, Sp. 264–290, bes. S. 267–270. Am Hof war sowohl der Fest- wie der Alltag von repräsentativen Anlässen durchzogen. Das Hofzeremoniell ist keine Herrschaftstechnik, es kann aber für politische Zwecke genutzt werden. Vgl. Andreas Pecˇar: Das Hofzeremoniell als Herrschaftstechnik? Kritische Einwände und methodische Überlegungen am Beispiel des Kaiserhofes (1600–1740), in: Ronald G. Asch u. a. (Hg.), Staatsbildung als kultureller Prozeß. Strukturwandel und Legitimation von Herrschaft in der Frühen Neuzeit, Köln u. a. 2005, S. 381–404. Vgl. zum Titelkupfer auch Karl Möseneder: Zeremoniell und monumentale Poesie. Die »Entrée solennelle« Ludwigs XIV. 1660 in Paris, Berlin 1983, S. 71. Das Ranke-Zitat, welches der Verfasser seiner Deutung des Titelkupfers vorwegstellte, belegt die männerzentrierte Sicht der älteren Zeremoniellforschung: »Der Sinn der monarchischen Formen ist, daß der rechte Mann an die rechte Stelle kommt.« Ebd., S. 70.
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5. Kommunikative Kompetenzen von Frauen: Positionen und Empfehlungen
vom ordo-Denken der Antike und des Mittelalters,167 von politischen Umbildungsprozessen und von Rang- und Prestigekonkurrenzen168 geprägten Epoche. Sofern, wie dargelegt, das weitschweifige Kompliment wesentlich von den in Zeremoniellen verbindlich festgelegten wirkungsästhetischen Mitteln geprägt ist, ist es nicht angängig, einzig die Rhetorik als die den Komplimenten ihr charakteristisches Gepräge verleihende norm- und formgebende Kraft zu bezeichnen.169 Unter Zeremoniell in seiner gebräuchlichsten Bedeutung versteht man einen Komplex von Regeln für öffentlichkeitswirksam inszenierte Handlungen im Rahmen repräsentativer Anlässe. Die nähere Bestimmung »im Rahmen repräsentativer Anlässe« ist von heuristischem Wert, weil sich hieran der Unterschied zwischen zeremoniell regulierten und auf der Theaterbühne gespielten Handlungen zeigt. Auch in Theaterstücken werden Handlungen öffentlichkeitswirksam inszeniert, aber nur im Rahmen repräsentativer Anlässe macht es Sinn, die Macht, die die Handelnden innehaben – oder die sie gerne innehätten oder die auf sie übertragen wurde – und das Machtgefälle, das zwischen ihnen besteht, im Medium von Handlungen zu codieren. Die Wirkung auf das Publikum wird beim Zeremoniell durch zeichenhafte Handlungen, gesteigerten Aufwand, Herrschafts- und andere Symbole, auszeichnende Gegenstände und Lichtregie erzielt.170 An das Publikum gerichtete Sprechhandlungen, die sich auf den Anlaß des Zeremoniells beziehen oder durch Einbindung in Zeremonielle (Rechts-)Verbindlichkeit erlangen, bilden einen Programmpunkt im Rahmen repräsentativer Anlässe. Wer in einem zeremoniell regulierten Kontext Komplimente ablegte, mußte sich einer Sprache bedienen, die sich der Wirkungsästhetik der zeremoniell regulierten Handlungen anverwandelte, wohl wissend, daß der Code der Macht dem Code der Ehre übergeordnet ist.171
167 Otto Gerhard Oexle: Ordo (Ordines) I., in: Lexikon des Mittelalters, München u. a. 1993, Sp. 1436–1437. 168 Vgl. hierzu, auf den Reichsadel bezogen, Andreas Pecˇar: Gab es eine höfische Gesellschaft des Reiches? Rang- und Statuskonkurrenz innerhalb des Reichsadels in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, in: Harm Klueting u. a. (Hg.), Das Reich und seine Territorialstaaten im 17. und 18. Jahrhundert. Aspekte des Mit-, Neben- und Gegeneinander (Historia profana et ecclesiastica. Geschichte und Kirchengeschichte zwischen Mittelalter und Moderne; 10), Münster 2004, S. 183–205. 169 Wilfried Barner: Barockrhetorik. Untersuchungen zu ihren geschichtlichen Grundlagen, Tübingen 1970, S. 166. 170 Die simultan oder zeitversetzt mit Zeremoniellen stattfindenden musikalischen Darbietungen, Feuerwerke, Ballettaufführungen und ähnliche Veranstaltungen mehr sind funktional mit dem Zeremoniell verwandt, da auch sie eine die Stimmung des Publikums positiv beeinflussende Wirkung zu entfalten suchen. 171 Vgl. weiter oben meine Ausführungen zur Praktik der sprachlichen Distanznahme als Ausdruck des sozialen Abstands zwischen Bittsteller und Fürstin. Die Grade der sozialen Distanz oder Nähe zwischen Anwesenden und Fürst/Fürstin bzw. fürstlicher Familie wurden im Zeremoniell mittels räumlicher Ordnungsmuster zur Veranschaulichung gebracht. Vgl. hierzu Henning Eichberg: Geometrie als barocke Verhaltensnorm. Fortifikation und Exerzitien, in: Zeitschrift für historische Forschung 4, 1977, S. 17–50. Werner Paravicini (Hg.): Zeremoniell und Raum (Residenzenforschung; 6), Sigmaringen 1997.
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Der Themenkomplex Frauen und Kompliment wird von der historischen Kommunikations- und Höflichkeitsforschung meist auf den Aspekt des passiveren (Antwort-)Parts von Frauen in Mann/Frau-Konstellationen reduziert.172 Die Themen Lob, Schmeichelei (»Flatterie«) und Einschmeichelung (»Insinuation«) werden mit Blick auf Frauen, wenn überhaupt, nur insoweit berührt, wie diese Empfängerinnen von Lob und Schmeicheleien von Seiten der Männer sind. Diese einseitige Betrachtungsweise wird zum Teil durch die Quellen gefördert. So schreibt beispielsweise August Bohse in Der getreue Hoffmeister adelicher und bürgerlicher Jugend (1692): »Hingegen muss einer die Schmeicheleyen und das offtere Lob, wenn er sich bey Frauen-Zimmer insinuieren will, nicht vergessen. Die meisten unter ihnen seynd dieser Schwachheit unterworffen, daß sie sich gerne loben hören, und wenn sie nur das zehende Theil von solchen Lob-Sprüchen verdienen, so glaubet sie dieselben gerne gantz und gar.«173 Und in der Bibliothek der Damen (1766) wird das Schmeicheln, Loben und Komplimentieren der Männer mit der kritischen Bemerkung kommentiert: »Es ist heut zu Tage ausgemacht, niemals einem jungen Frauenzimmer sich zu nahen, ohne sie zu complimentiren, ohne ihr zu schmeicheln, und ohne ihr abgeschmacktes Zeug zu sagen.«174 Mit den im folgenden vorgestellten sieben Thesen zum Themenkomplex »Frauen und Kompliment« werden Gesichtspunkte ins Spiel gebracht und mit Quellen untermauert, die bisher nicht auf der Agenda der historischen Kommunikations- und Zivilisationsforschung standen. 1. Auch Frauen komplimentierten in der Frühen Neuzeit. Ihr Verhaltensrepertoire umfaßte sowohl verbal wie nonverbal kommunizierte Komplimente. Drei Beispiele: (1) Der katholische Hofsekretär Aegidius Albertinus beklagt in seiner Haußpolicey ([2 Bde.], 1602), daß verheiratete Adlige einander besuchen, um Komplimente zu entrichten175: »warumb bewilligen dann die Herren, das jhre Weiber den gantzen Tag lang in den Gutschen allenthalben herumb fahren unnd dann hie dann dort, und weis nicht wo jhre visitationes unnd vermeinte complimenten verrichten?«176
172 Vgl. dagegen Beetz (Anm. 30), 1990, S. 102, Anm. 287: »In der Epoche der Galanten wird von dreien ihrer profiliertesten Vertreter, Bohse, Hunold und B. Neukirch, der komplimentierenden Frau nach französischem Vorbild ausgiebig das Wort erteilt.« Für die Frühe Neuzeit liegt noch keine frauenspezifische Studie zur Komplimentierkultur vor. Zur weiblichen Praxis des Komplimentierens in der Gegenwart vgl. unter anderem Janet Holmes: Paying Compliments: A Sex-Preferential Positive Politeness Strategy, in: Journal of Pragmatics 12, 1988, S. 445–465. Robert K. Herbert: SexBased Differences in Compliment Behavior, in: Language in Society 19, 1990, S. 201–224. 173 Talander [Pseud., August Bohse]: Der getreue Hoffmeister adelicher und bürgerlicher Jugend […], Leipzig 1706, S. 297. 174 [Karl Friedrich Kretschmann?:] Bibliothek der Damen […], Zittau u. a. 1766, S. 12 f. 175 Da Komplimente von Albertinus in ihrem Wahrheitsgehalt angezweifelt werden, nennt er sie »vermeinte« Komplimente. 176 Aegidius Albertinus: Haußpolicey […], [2 Bde.], München 1602, [Bd. 1], S. 204.
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5. Kommunikative Kompetenzen von Frauen: Positionen und Empfehlungen
(2) Die Schriftstellerin und Briefschreiberin Herzogin Sibylla Ursula von Braunschweig-Lüneburg (1629–1671), Tochter des »Bücherfürsten« Herzog August, übermittelte in einem Brief vom 22. Februar 1654 ihrem verehrten Lehrer Johann Valentin Andreae dieses originelle Dankeskompliment: Literas quas, ut ais eremo et ab omni propemodum humanâ societate remotus scripsisti, ego autem vario elegantiae, civilitatis et synceri affectus flore refertas animadverti, rectè equidem accepi; magis etiam inde increscit illud meum bebitum, quo addicto et devoto tuo animo omne gratiosae benevolentiae genus reponere teneor. Gratias insuper ago transmissâ strenula, quae et accepta fuit, et memoriam tui in memoriam mihi subindè revocat.177 (Ich habe den Brief richtig erhalten, den Du, wie Du sagst, in der Einsamkeit und fern von fast aller menschlichen Gesellschaft geschrieben hast, der aber, wie ich festgestellt habe, voll Formvollendung, Höflichkeit und aufrichtigem Gefühl ist und mich daher noch mehr verpflichtet, Deinem ergebenen und frommen Geist alle Art freundlichen Wohlwollens zu vergelten. Dank auch für das übersandte Geschenklein, das willkommen war und immer wieder die Erinnerung an dich in das Gedächtnis zurückruft.)
(3) Der unter dem Einfluß Gellerts stehende Christoph Ludwig Pfeiffer (publizistisch tätig seit 1752) erwähnt in seinen Briefen für das Frauenzimmer, zur Nachahmung einer natürlichen reinen und aufgeweckten Schreibart wie auch zur Verbesserung der Sitten und des Wohlstandes (1758) mit ironisch-tadelndem Beiklang, manche Kirchgängerin erscheine aus keinem anderen Grund zum Gottesdienst, als an diesem heiligen Ort ihre Komplimentierkünste zu vervollkommnen: »Endlich haben mich die vielen Verbeugungen anderer Schönheiten noch diejenige Art von Kirchgängerinnen kennen lernen lassen, welche den öffentlichen Gottesdienst blos für ein Gesellschafts-Hauß ansehen müssen, wo man nur aus der Absicht zusammen kommt, um die Verschiedenheit der Complimente daselbst ausüben zu lernen, und durch deren Erlernung, sich zu einer galannten [sic] Gesellschaft vollkommener zu machen; denn ich habe diese Schönen bey nahe alle Arten von Complimenten, in ihrer Kirche durchmachen sehen, und sie haben ihren Bekandten, bald mit Ehrfurchtsvollen, bald mit gleichgültigen, freundlichen; stolzen; verliebten, und bald mit andächtigen Blicken und Verbeugungen ihre Geschicklichkeit zu bezeigen gesucht.«178 2. Daß Frauen in der Frühen Neuzeit komplimentierten, dokumentieren nicht nur Zeugnisse aus männlicher Hand.179 Frauen verfaßten, wenngleich recht selten, Texte, die die korrekte Form ausgewählter Komplimentetypen an Modellen vorführen, handlungsleitende Normen abstrakt benennen, regelkonformes bzw. regelwidriges Verhalten anschaulich beschreiben oder an Beispielen illustrieren (auch in Gedichtform), und sie kritisierten
177 Sabine Koloch/Frank Böhling/Hermann Ehmer: Akkumulation von Ansehenskapital. Die Gedenkschrift für Johann Valentin Andreae – Edition mit einer Bibliographie der gedruckten Werke von Gottlieb Andreae, in: Daphnis 35, 2006, 1, S. 51–132, hier S. 108 f. 178 Christoph Ludwig Pfeiffer: Briefe für das Frauenzimmer […], Bamberg u. a. 1758, S. 166 f. Vgl. auch von Rohr (Anm. 132), S. 164 f. 179 Siehe auch die Quellenbelege in Kapitel 3.
5.2 Variationen des Komplimentierens: Parameter Geschlecht
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das Komplimentieren oder ahmten es in satirischer Weise nach. Zur Illustration dieser These nochmals drei Beispiele: (1) Im Kapitel über die Haushaltung in der Erziehungslehre Versuch eines Beytrages zur Bildung eines edlen Hertzens in der ersten Jugend (2 Tle., 3. Aufl. 1761), einem Werk der ebenfalls unter Gellert-Einfluß stehenden Catharina Helena Dörrien, gibt die Tante an ihre Nichte Antonette die wenigen Regeln zum Briefschreiben weiter, die man ihr in ihrer Jugend ans Herz legte: »Sie dürfen aber nicht anders schreiben, als wie sie reden. Denn sonst wäre der Brief nicht natürlich. Der natürliche Vortrag führet die Deutlichkeit mit sich. Was Ordnung sey, ist Ihnen sonsten schon überhaupt bekannt, und findet auch bey dem Briefschreiben statt. […] Da nun ferner die Respects- und Höflichkeits-Bezeigungen, ob es zwar niemals daran ermangeln darf, dennoch jetzo keine solche Weitläufigkeit mehr erfordern, als der ehemalige schwülstige Complimenten-Styl in verwichenen Zeiten mit sich brachte, so deucht mich, daß das Briefschreiben nur denjenigen schwer vorkommen kann, so die unrechten Begriffe davon hegen.« 180 (2) Johanna Katharina Schulze (1748–1796) verurteilt in ihrer Ratgebertrilogie Lehren und Erfahrungen für junges Frauenzimmer (3 Tle., 1786) das übermäßige Komplimentieren: »Auch giebt es eine übertriebene, sich aufdringende Höflichkeit, da man einem durch unaufhörliche Complimente zur Last fällt: das kann man aber gewiß nicht Höflichkeit, sondern eine Plage der menschlichen Gesellschaft nennen.«181 (3) Herzogin Sibylla Ursula von Braunschweig-Lüneburg verfaßte eine Satire auf Gespräche, die fast nur aus inhaltsleeren Komplimenten bestehen. Das handschriftliche Dokument ist mit dem Titel versehen: »Complement Einem Freund zu grüßen, welcher newlich von der reise kommen ist. SANTOVRIN und FREMECOURT«. Hier ein Auszug: S. Mein herr, sobald ich vernommen ewere hochbegehrte wiederkunfft, habe ich an mir nicht fehlen lassen nach meiner schuldigkeit zukommen euch zubegrüßen, vortzusetzen die darbietung meiner demutigen dienste. F. Mein herr, ich bin ewer gantzergebener diener, aber unseglich betrübt, daß ihr die ehre nicht habt wollen gestatten, euch zum ersten zubesuchen wie meine meinung war, zu euch zugehen sobald ich würde ein wenig aus geruht haben. S. Mein herr, ich wäre sehr trawrig geworden, so ihr die mühe hettet auff euch genommen, zu uns zukommen, derowegen habe ich euch wollen vorkommen, und mich hieher zustellen, so bald alß ich nur wind gehabt von ewer wiederkunfft. F. Mein herr, ihr verbindet euch gar zu hoch gegen mich, und ich bedancke mich gegen euch der ehre welche ihr mich anthut.
180 Catharina Helena Dörrien: Versuch eines Beytrages zur Bildung eines edlen Herzens in der Jugend […], 2 Tle., 3., verm. u. verb. Aufl., Frankfurt/M. 1761, Tl. 1, S. 145 f. Der »Complimenten-Styl« zeichnet sich durch Weitschweifigkeit aus. 181 [ Johanna Katharina Schulze:] Lehren und Erfahrungen für junges Frauenzimmer von der Verfasserin der Abendbetrachtungen und Abendgedanken eines Frauenzimmers, auch des Unterrichts in der Küche und Haushaltung, 3 Tle., Halle 1786, Tl. 1, S. 29.
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5. Kommunikative Kompetenzen von Frauen: Positionen und Empfehlungen
S. Ihr sollet euch sölcher reden nicht gebrauchen gegen dem geringsten unter ewren dienern, und welcher nicht mehr hat, als die schuldigkeit und gehorsahm, sich gegen euch darzustellen. F. Ich bin derselbe welcher liggen [liegen, SK] wird, allezeit unter dem gesetze ewerer befehle, und ihr thut mich hunderttaußendtmahl mehr ehre an als ich niemals verdienet.182
3. Frauen erlernten das Komplimentieren. Es gehörte zu ihren Aufgaben, den Kindern die Kunst, sich angenehm und beliebt zu machen, zu vermitteln. Komplimentieren war ein ständeübergreifendes Phänomen – bis hinunter in die untersten Schichten wurde bei rituellen Anlässen wie Hochzeiten, Kindtaufen oder Sterbefällen komplimentiert –, aber zwischen den verschiedenen Gesellschaftsschichten gab es in Bezug auf die Realisation große Unterschiede. Je nach (Bildungs-)Stand, Situation, Region und Hof wurden Komplimente teilweise oder ganz auf Deutsch, Lateinisch, Italienisch (dies verstärkt im 17. Jahrhundert) oder auf Französisch (dies verstärkt im 18. Jahrhundert) abgelegt: »Gemeiniglich glaubt man, das sey ein wohlerzogenes Frauenzimmer, das nähen, sticken und andere weibliche Arbeiten verfertigen, tanzen, ein französisches Compliment machen, oft auch nur stammlen kan.«183 Die von den Ungebildeten an ihresgleichen gerichteten Komplimente waren »kunstlos« in dem Sinne, daß sie keine rhetorische Ausbildung voraussetzten. Von Rohr schreibt über die Differenz von kurzen und weitschweifigen Komplimenten: »Die kurtzen lernt man ex usu von sich selbst; zu denen weitläufftigen aber braucht man einige Anleitung aus der Oratorie.«184 An anderer Stelle thematisiert der Autor das Verhältnis von Komplimentierfähigkeit und sozialem Milieu: »So muß man auch mit einigen Leuten, die entweder in Ansehung ihrer schlechten [schlichten, SK] Auferziehung, die sie gehabt, oder der Gesellschafften, unter denen sie sich bißher befunden, keine Anleitung bekommen, wie ein förmlich Compliment einzurichten, Gedult haben, und ihrer nicht spotten, sondern vielmehr gedencken, daß die andern, wenn sie sich in unsern Umständen befinden, und den Unterricht bekommen hätten, als wir, uns an Politesse gleichen, oder noch wohl gar übertreffen würden. Sie können deswegen doch wohl ihre besondern Verdienste haben. Manch tugendhafft Mädgen wird in grosse Confusion gesetzt, wenn sie auf ein Compliment ein Gegen-Compliment machen soll, und hingegen sind viele von denen, die sich hierbey treflich unter die Leute zu schicken wissen, und denen die Zunge ziemlich gelöst ist, die ärgsten Coquetten.«185 Komplimente, die im Rahmen ritueller oder vom Prinzip der Repräsentation bestimmten Anlässe ausgeführt wurden, konnten entweder auswendig gelernt oder aus verschiedenen Floskeln ad hoc frei variiert werden. Bei den übrigen Anlässen, bei denen routinemäßig komplimentiert wurde, war ein gewisser Freiraum vorhanden, der für Formen der Originalität genutzt werden 182 Blake Lee Spahr: Anton Ulrich and Aramena: The Genesis and Development of a Baroque Novel (University of California Publications in Modern Philology; 76), Berkeley/CA u. a. 1966, S. 178– 180, hier S. 179. 183 Michael Konrad Curtius: […] von der Erziehung des weiblichen Geschlechts […], Marburg [1777], S. 5. 184 von Rohr (Anm. 132), S. 141. 185 Ebd., S. 151.
5.2 Variationen des Komplimentierens: Parameter Geschlecht
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konnte. In den gehobenen Schichten wurde das Komplimentieren in Erwartung materieller oder immaterieller Vorteile eingeübt. Im Rahmen der Erziehung der Kinder war es die Aufgabe der Mütter oder, wenn diese Aufgabe delegiert wurde, der Erzieher(innen) und Hofmeister(innen), darauf zu achten, daß die Kinder andere richtig »becomplimentirten«. Dem Pfarrer und Dichter Johann Rist (1607–1667) behagt es gar nicht, auf »geistliche Jungfrawen« (gemeint sind wohl Äbtissinnen und Stiftsdamen) verweisen zu müssen, die sich im Alamode-Schreiben »üben«: »Es üben sich nicht allein in solcher a la mod Ahrt zu schreiben die Weltliche, besondern auch wol Geistliche Jungfrawen, gestalt sie denn in ihren Brieffen von nichts anders als von Complementen, Courtosien [sic], recommendiren, obligiren, perfection, amoureux, Favor, Cavallier, Serviteur und Damen wissen zu sagen«.186 Ähnlich wie Johann Rist, seit 1647 Mitglied der Fruchtbringenden Gesellschaft und selbst Gründer des Elbschwanenordens, äußerten sich auch andere Mitglieder von Sprachgesellschaften zur mit französischen Lehnwörtern durchsetzten Komplimentiersprache. In der eng mit dem Namen von Johann Christoph Gottsched, des Gründers der Deutschen Gesellschaft in Leipzig (1727–1827), verbundenenen Wochenschrift Die Vernünftigen Tadlerinnen (2 Tle., 1725–1726) heißt es: »DJe unnützen und gezwungenen Höfflichkeiten, die man einander im gemeinen Leben zu bezeigen gewohnt ist, scheinen dem Naturelle unsers Teutschlandes so wenig gemäß zu seyn, daß man auch kein rechtes teutsches Wort hat, womit man das Frantzösische Compliment gebührend ausdrucken könte. […] Unsere Sprache selbst ist nicht mehr natürlich, oder rein, wie vor Zeiten, sondern entweder voller gekünstelten und schwülstigen Redens-Arten, oder voller lateinischen, jtalienischen und frantzösischen vermeineten Zierlichkeiten.« Bereits im zweiten Stück des ersten Teils der Zeitschrift setzt sich eine – fiktive – »Gesellschafft der teutschen Musen« dafür ein, daß die »Mitschwestern« (mit anderen Worten: die Leserinnen) sich wieder ein reines Deutsch angewöhnen.187 »So dann ergötzen wir uns mit einer vertraulichen Unterredung, geben aber genau acht, daß kein fremdes Wort noch eine unverständliche Redens-Art in unsere Gespräche gemischt werden.«188 Den sprachpuristischen 186 Baptistae Armati, Vatis Thalosi [Pseud., Johann Rist]: Rettung der edlen teütschen Hauptsprache, wider alle deroselben muhtwillige Verderber und alamodesirende Auffschneider, jn unterschiedenen Briefen, allen dieser prächtigen und vollenkommensten Sprache auffrichtigen teütschen Liebhaberen für die Augen gestellet, Hamburg 1642, S. 146. 187 Die angeführten Klagen sind Ausdruck einer grundsätzlichen Alamodekritik. Aus der reichen Forschungsliteratur zu diesem Streitpunkt vgl. den Aufsatz von Gonthier-Louis Fink: Vom Alamodestreit zur Frühaufklärung. Das wechselseitige deutsch-französische Spiegelbild 1648–1750, in: Recherches germaniques 21, 1991, S. 3–47. 188 Phyllis: o. T. [Über die Sprachvermischung beim Komplimentieren], in: Johann Christoph Gottsched (Hg.), Die Vernünftigen Tadlerinnen 1725–1726. Im Anhang einige Stücke aus der 2. und 3. Auflage 1738 und 1748. Neu hg. und mit einem Nachwort, einer Themenübersicht und einem Inhaltsverzeichnis versehen von Helga Brandes, 2 Tle., Ndr. Hildesheim u. a. 1993, Tl. 1, St. 2, S. 9–16, hier S. 9, 15 f. Von einem ähnlichen Vorschlag ist in der Wochenschrift Matrone (St. 27, 1728) die Rede: »Um diesem Übel [dem Fehlen von Unterhaltungsstoffen, SK] abzuhelfen, wird ein fingiertes Buch mit dem Titel ›Frauenzimmerübungsgeschäfte‹ angekündigt, dessen Endzweck auf die ›Aufheiterung des Verstandes bey dem Frauenzimmer‹ hinausgeht. Das erste Kapitel handelt von einer ›Redner-
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5. Kommunikative Kompetenzen von Frauen: Positionen und Empfehlungen
Bestrebungen des 17. und 18. Jahrhunderts war nicht nur deswegen wenig Erfolg beschieden, weil der Habitus und die Bildungsideale des alteuropäischen Adels der Ausbreitung solcher Reformideen im Wege standen,189 ein Scheitern der vielen bissigen Angriffe gegen die affektierte, überladene Komplimentiersprache (weniger gegen das Kompliment an sich)190 und gegen die typisch deutsche Titelsucht stand auch darum von vornherein fest, weil unter den Bedingungen des Alten Reiches von der erfolgreich praktizierten Ehrerbietung gegenüber Höherstehenden in vielen Fällen derart viel abhing, »daß wider besseres Wissen alte, längst verstaubte Formen weiter benutzt wurden, Formen, die den neuen, als richtig und wirkungsvoll erkannten gegenüber zumindest einen Vorteil voraus hatten: Sie ließen keinen Zweifel an der notwendigen Ehrerbietung aufkommen.« 191 4. Es gab Frauen, die das Komplimentieren ebenso virtuos beherrschten wie Männer, und unter jenen wiederum solche, die deren Redeverhalten und Äußeres beurteilten und sich das Feinschleifen ihrer Manieren zur Aufgabe machten. Julius Bernhard von Rohr bringt in seinem Anstandsbuch von 1728 mit dem Wort »Complimentir-Schwester« – dem Antonym zu »Complimentist« – zum Ausdruck, ihm seien Frauen bekannt, die gut und viel, ja zuviel komplimentierten: »Viele von denen Dames, zumahl die selbst gute Complimentir-Schwestern, können es […] sehr wohl vertragen, wenn man sie mit großen Complimens beehret«.192 (Bei dem Wort »ComplimentirSchwester« könnte es sich um eine satirische Analogiebildung zu »Betschwester« handeln.) Und an anderer Stelle bemerkt er: »Es daucht nicht, wenn einige junge Leute, theils von Manns-Personen, theils von Frauenzimmer, fast alle ihre Discourse in lauter Complimens verwandeln, und wenn sie dieselben auch noch so manierlich vorbrächten, so fehlen sie doch wider den Wohlstand. Durch diese Methode möchte sich einer wohl bey den Com-
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gesellschaft, worinnen sich das Frauenzimmer in allen Theilen der Beredsamkeit üben soll.‹ Vor allen Dingen soll sich die Frau die üblichen Höflichkeitsphrasen bei Besuchen, Geburtstagen, Kindtaufen und Sterbefällen abgewöhnen. Sie soll nicht immer die gleiche stereotype Redensart für jeden Fall zur Hand haben, sondern frei und natürlich nach dem Empfinden ihres Herzens reden.« Gertrud Keiner: Die Ansprache der Frau in der Moralischen Wochenschrift des 18. Jahrhunderts, [2 Tle.], Diss. Münster 1942, [Tl. 2], S. 175. Vgl. Johanna Katharina Schulze (Anm. 181, Tl. 1, S. 123 f.), die Gesprächsteilnehmerinnen kritisiert, die Worte aus fremden Sprachen einmischen und sich im Beisein von Deutschsprechenden in fremden Sprachen unterhalten. Vgl. Dieter Kimpel (Hg.): Mehrsprachigkeit in der deutschen Aufklärung (Studien zum achtzehnten Jahrhundert; 5), Hamburg 1985. Manfred Beetz: Negative Kontinuität. Vorbehalte gegenüber barocker Komplimentierkultur unter Altdeutschen und Aufklärern, in: Klaus Garber (Hg.), Europäische Barock-Rezeption (Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung; 20), 2 Tle., Wiesbaden 1991, Tl. 1, S. 281–301. Christa Kopplow: Anleitung zu kommunikativem Handeln durch Konversationsbücher – Die Complimentierbücher der Sondersammlung der Universitätsbibliothek Rostock, in: Gisela Brandt (Hg.), Historische Soziolinguistik des Deutschen II. Sprachgebrauch in soziofunktionalen Gruppen und in Textsorten (Stuttgarter Arbeiten zur Germanistik; 324), Stuttgart 1995, S. 199–214, hier S. 207. von Rohr (Anm. 132), S. 164.
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plimentir-Schwestern, die selbst von dergleichen Profession machen, in Gunst setzen, in der großen Welt hingegen, und an Höfen gewißlich nicht.«193 In seiner Ethica complementoria, das ist: Complementir-Büchlein (Hamburg 1645, bis 1727 34 Auflagen) warnt der Schriftsteller und Zeitungsmacher Georg Greflinger (nach 1618–1677) vor den musterenden Blicken vornehmer Frauen und Jungfrauen. Vor dieser Kategorie tonangebender Frauen könne man sich blamieren, weil ihr Urteil etwas gelte: »WEnn man bey vornehmen Frawen und Jungfrawen zu discuriren vnd conversiren hat, muß man sich wol vorsehen, daß keine vnbesonnene Reden vnd Sachen eingeführet werden, denn diese Persohnen geben genaw achtung auff Reden vnd Kleidungen, derhalben man leichtlich anlauffen kan«.194 Der vom Fürstabt von Fulda in Dienst genommene Rat und Kanzler Wilhelm Ignatius Schütz (um 1625–1692), welcher zugleich den Titel eines kaiserlichen Reichshofrats führte, gibt eine ungefähre Vorstellung, wie selbst routinierte Politici bei wichtigen Angelegenheiten, die sie in Gegenwart einer Prinzessin vorzubringen haben, sich auf diese gefürchtete Situation vorbereiten: »Und dieses zwar gestehn wir Männer in der That selbsten, in dem wir uns in gegenwart deß Frauenzimmers mehrer Höfflichkeit, und löblichen Sitten, als bey unsers gleichen gebrauchen, ich weiß daß geschehen ist, geschicht auch noch heutiges Tags, daß wann ein sonst beredter, kecker, und experimentirter Mann, etwan bey einer Käyserl. Königl. oder Fürstlichen Princessin eine werbung zu thun, Legation abzulegen, oder sonsten was vorzubringen hat, jhme ordinari angst und bang, ja wol gar der schweiß außgetrieben werde, da müssen dann nicht allein die Kleider, und weisse Gezeug besser faconnirt, die Haar poudresirt, der Bart wol auffgesetzt, und der gantze Leib auffs best adjoustirt seyn, sondern er exercirt sich auch vorhero in seinem Zimmer, und probirt sich wie Er die Reverentz machen, was vor eine Mine und Gesicht er halten, was vor ein Art der Wolredenheit er brauchen, und dann mit was guten Gratien Er den Abschied nehmen wolle.«195 Was passiert, wenn Kavaliere in die Schule hoher Damen gehen? Wer profitiert in welcher Hinsicht von wem? Nach Wolfgang Bernhard von Tschirnhaus (publizistisch tätig 1700–1717) lernt der Kavalier, sein Verhalten nach den Hofsitten und den Wünschen einflußreicher Damen einzurichten, weil diese Frauen für ihn beruflich und persönlich von größtem Nutzen sein können, umgekehrt nimmt die Dame sich des Kavaliers an, vorausgesetzt er legt bei ihr Ehre ein, wenn sie ihn kritisch in Augenschein nimmt und dahin bringt, mit ihr so umzugehen, wie sie und ihresgleichen es sich wünschen und wie es ihnen zusteht.
193 Ebd., S. 147 f. 194 [Georg Greflinger:] Höfliches vnd vermehrtes Complementier Büchlein, oder richtige Art vnd grundformliche Weise; wie man mit hohen fürstlichen: so wohl auch niedrigen vnd gemeinen Stands Personen, vnd sonsten bey Gesellschafften, Jungfrawen vnd Frawen, zierlich vnd höflich conversiren, reden vnd vmbgehen möge, Rinteln 1648, S. 65. 195 Wilhelm Ignatius Schütz: Ehren-Preiß deß hochlöblichen Frauen-Zimmers […], Frankfurt/M. 1663, S. 83–85.
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5. Kommunikative Kompetenzen von Frauen: Positionen und Empfehlungen
Da nun in allen wohlmoralisirten Ländern, die vornehmen Damen, in denen dem weiblichen Geschlechte wohlanständigen Qualitäten, von Jugend auf, wohl erzogen werden: So müssen sie nothwendig sich bey Hofe, und andern vornehmen Gesellschafften, wohl zu conduisiren gelernet, und also Verstand, Klugheit und Geschicklichkeit genung haben, Manns-Personen, die manchmahl in anständigen Sitten und einem angenehmen Exterieur nicht weit gekommen, und wenig in vornehmer, kluger und qualificirter Damen Compagnie gewesen sind, theils durch Minen, theils durch Gebehrden, und wenn diese nicht helffen wollen, durch nachdrückliche Worte, eine höchst heylsame Lection zu geben. […] Hiernechst ist auch gewiß, daß junge Cavaliers, durch die Dames, und derselben Lehren und Reprochen, weit empfindlicher gerühret, und nachdrücklicher zur anständigen Veränderung der Sitten gebracht werden, als durch die besten Regeln des Gracian, Bellegarde, le Noble, Socrate moderne, oder durch der geschicktesten Hofmeister ihre Lehren und Remonstrationes. Denn so bald eine Dame siehet, daß ein junger Mensch wohlgestaltet ist, sich zu façonniren Lust hat, und mit geziemender Modestie und Geduld, das, was ihm auf eine manierliche Art gesagt wird, annimmt und seine vorige complaisante Assiduité gegen dieselbe gleichwohl auf alle Weise zu continuiren, und sich dero Gnade ferner zu conserviren sucht: So wird sie überzeuget, daß sie demselben gefallen müsse, und daher sucht sie ihn ohnvermerckt in der Lebens-Wohlanständigkeit zu poussiren, und darzu bey allen Gelegenheiten, iedoch ohne sich selbst zu vergeben, durch wohl assaisonirte Reprochen im Schertz und Ernst zu corrigiren. Ein Cavalier, der eine solche vornehme, tugendhaffte und qualificirte Dame zur Hofmeisterin hat, ist sehr glücklich. Denn wo er einigen erlaubten Estim vor sie heget, so wird er alle dero Minen, Geberden und Worte, welche dessen Verbesserung zum Zweck haben, mit grosser Gelassenheit sehen und anhören, solche Lehren zu practiciren sich bemühen, und in kurtzer Zeit mit vornehmen Damen wohl umzugehen, sich bey ihnen zu insinuiren, und wie er seinen eigenen Willen accomodiren, und dadurch zu einer anständigen Aufführung gelangen solle, zu seinem grösten Vortheil und Nutzen lernen.196
Die hier beschriebene informelle Macht (das Feinschleifen der Manieren von lernbereiten Männern), die Frauen des Adels und seit dem 18. Jahrhundert auch immer mehr Frauen des Bürgertums entweder mit großem Ernst oder eher beiläufig ausübten, wird in der Frühen Neuzeit durch viele weitere Autoren belegt, zu den bekanntesten zählen Castiglione und Knigge.197 Viele Damen mögen persönliche Motive angetrieben haben,198 diese 196 Wolfgang Bernhard von Tschirnhaus: Getreuer Hofmeister auf Academien und Reisen […], Hannover 1727, S. 90, 93. 197 Zeitlich Jacques Du Bosc und Wilhelm V. von Hessen-Kassel vorausgehend, schrieb Benedikt Bernhard Hebenstreyt: »Derohalben […] wirdt doch der ehrenreichen, tugendhafften vnd lobsamen Conuersation [mit Frawen, SK], ohn einig Bedencken, zugelassen, dardurch die mannlichen Helden vil mehr zu allen Tugenden, ritterlichen Thaten, Freundtlichkeit, Höflichkeit inn Reden, Geberden, Handlen vnnd Wandlen angemuhtet, die bäwrische Weyß vnd Grobheit hinwegk genommen wirdt, solche auch geschickt macht, den vnerfahrnen hertzhafft, den Zaghafften vnd Wanckelmütigen beständig, auch vil andere löbliche Effect vnnd Wirckungen mit sich bringt«. Benedikt Bernhard Hebenstreyt: Tractätein, wie sich die Personen allerley Standts […] inn jhrem Conuiersieren, Handlen vnd Wandlen, dem gemeynen approbierten Weltlauff, auch der hochuerständigen Lehr nach, verhalten sollen: Auff das kürtzest verfasset, inn vnser gemeyne teutsche Sprach tranßferiert […], Ingolstadt 1591, S. 114. Castiglione (Anm. 21), S. 556. [Georg Engelsüß:] Wegweiser zur Höffligkeit in geist- u. weltlichem Standt mit der Hauß Regel wie ein ieder Standt sein Hauß wesen an stellen soll, [Frankfurt/M.] 1648 (1. Aufl. 1646, 3. Aufl. 1665), S. 273–475. von Rohr (Anm. 132), S. 361 f. Anonym: Die nach denen galanten Wissenschafften wohl eingerichtete Jungfern- und JunggesellenSchule. Aus dem Französischen übersetzt: Von M. F. v. S., Leipzig u. a. 1749, S. 49 f. F. [Sigle f. Georg Friedrich Meier:] Von der Geselligkeit der Schönen, in: Der Gesellige, eine moralische
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normierende Funktion bewußt auszuüben, dies schließt jedoch nicht aus, daß adlige Frauen sich ebenso wie nichtadlige für überindividuelle Ziele öffneten. Welches waren die überindividuellen Ziele dieser adligen Lehrmeisterinnen? Angestrebt wurde zum einen die »Reproduktion der Rangdifferenz unter Anwesenden«,199 zum andern die Reproduktion des Standesethos, letzteres eine Notwendigkeit, welche adligen Frauen Vorrechte 200 und Statussymbole 201 zusicherte und sie auf geschlechtsspezifische Tugenden und elitäre Verhaltensnormen einschwor, die ihre Herausgehobenheit202 dokumentierten. Aber auch Unzufriedenheit mit der bestehenden Umgangskultur und Moral konnte ein Beweggrund für derartiges Engagement sein.203 5. Das Erlernen der Normen und Formen des Umgangs konnte auch bei Mädchen und Frauen ein Mittel zur Erlangung von gesellschaftlichem Erfolg, von Anerkennung und von Wohlbefinden sein. In der Theorie wurden Fähigkeiten wie Selbst- und Menschenkenntnis, sorgsames Beobachten, strategisches (Antizipations-)Handeln,204 kluges Mißtrauen, taktische Verstellung (simulatio), Verbergen der wahren Gefühle (dissimulatio),205 dramaturgisch geschickte Selbstinszenierung und sublime Insinuationstechniken gelehrt, weil, wie man erkannt hatte, der Weg zu gesellschaftlichem Erfolg – nicht immer, aber oft – über die Psyche des
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Wochenschrift 1, 1748, Tl. 1, St. 16, S. 129–136, hier S. 129. Adolph Knigge: Über den Umgang mit Menschen (Sämtliche Werke [in 24 Bdn.], hg. von Paul Raabe. Abt. II: Moralische Schriften in 3 Bänden; 10), Ndr. d. 5. Aufl. 1796, München u. a. 1992, Tl. 2, S. 97. Zu diesen persönlichen Motive zählen: Erotik, Eitelkeit, Erziehungsdrang, Gefallsucht, Langeweile sowie das Spiel mit der Macht und dem Verbotenen. Niklas Luhmann: Die Gesellschaft der Gesellschaft, Frankfurt/M. 1997, S. 679 f. Julius Bernhard von Rohr: Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der großen Herren […], 2. Aufl. Berlin 1733, S. 365 (1. Aufl. 1729): »Die Hoch-Fürstlichen Dames geniessen, aus honneur vor ihr Geschlecht, bey diesen [Empfangszeremoniellen bei Visiten, SK] und andern dergleichen Ceremoniellen besondere Praerogativen.« Gottfried Stieve: Europäisches Hoff-Ceremoniel […], Leipzig 1723, S. 773 (1. Aufl. 1715): »Es waren in übrigen die Carossen der Herren Ambassadeurs meistens und a l’ordinair mit sechsen [sechs Pferden, SK] bespannet […]: niemahlen aber mit achten; jedoch erschien einstens die Fr. Gemahlin eines sehr hohen Ambassadeurs in ihrer Carosse mit 8. bespannet: welches, als es die Frantzösischen sahen, so gleich imitireten, aber mit schlechtem Success und Approbation der Spectateurs.« Aloys Winterling: »Hof« – Versuch einer idealtypologischen Bestimmung anhand der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Tradition, in: Mitteilungen der Residenzen-Kommission der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen 5, 1995, Nr. 1, S. 16–21, hier S. 17 f. In Abschnitt 6.1 wird dieser Gesichtspunkt an einem Fallbeispiel demonstriert. Klaus Zimmermann: Die Antizipation möglicher Rezipientenreaktionen als Prinzip der Kommunikation, in: Inger Rosengren (Hg.), Sprache und Pragmatik (Lunder germanistische Forschungen; 53), Stockholm 1984, S. 131–159. Beetz (Anm. 30), 1990, S. 156–158. Ursula Geitner: Die Sprache der Verstellung. Studien zum rhetorischen und anthropologischen Wissen im 17. und 18. Jahrhundert (Communicatio; 1), Tübingen 1992. Achim Geisenhanslüke: Masken des Selbst. Aufrichigkeit und Verstellung in der europäischen Literatur, Darmstadt 2006.
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5. Kommunikative Kompetenzen von Frauen: Positionen und Empfehlungen
Menschen führt.206 Carolus Bisani nahm adlige Frauen in seiner Klugheitslehre Der Schlüssel zum Geheimnüß der weis- und klugen Welt (1708) in die Pflicht, sich konsequent zu verstellen: 207 »UMb niemahls von andern erforscht oder eigentlich erkennt zu werden, simulirt Sie gegen andre 1. Im Reden, 2. In ihrem Thun, und 3. In Gestalt.« 208 Damit wird das Recht angesprochen, durch Sichverstellen die eigene Person zu schützen. Wie etwas kommuniziert und inszeniert wurde, war in Adelskreisen, die sich stark über ästhetische Normen definierten – nicht ohne Grund geht das Wort ›Höflichkeit‹ auf ›Hof‹ zurück –, für Selbstdarstellung und Eindruckssteuerung besonders entscheidend.209 Den für die Erziehung Verantwortlichen mußte deshalb daran gelegen sein, bei den Schutzbefohlenen keine Fehler im Reden, in der Körpersprache (Augen-, Gesichts- und Körperbewegungen, Körperhaltung) und der Bekleidung durchgehen zu lassen.210 Die Fähigkeit, sich richtig zu benehmen, setzte auf beiden Seiten Normenreflexion, aufmerksames Beobachten und einen hohen Grad an Selbstkontrolle voraus.211 Diesen Gedanken illustriert eine Passage in der Klugheitslehre von Bisani: Max. VII. UMb nicht verführt zu werden von Teufel, Welt und Fleisch, lehrt Sie [die Hofmeisterin (Privatlehrerin), SK] die Untergebene, wie zu bewahren 1. Augen, 2. Ohr, und 3. Hertz.212 Max. X. IN öffentlicher Assemblée giebt Sie genaue Achtung, damit ihre Untergebene 1. nicht zu viel, 2. nicht zu wenig, oder 3. Unzeitig rede.
206 Mit Begriffen wie »Gemüth« und »Hertz« werden in der Frühen Neuzeit durchaus auch unbewußte seelische Regungen erfaßt. Vgl. als ein Beispiel unter vielen: [Georg Leopold Pomatus]: Eine kleine Anleitung zu der höchstnützlichen Kunst die Hertzen der Menschen einzusehen, und ihre Gemüther kennen zu lernen. An die Hand gegeben von einem, der Gute Leute Preiset, Wolfenbüttel 1712. 207 August Buck: Die Kunst der Verstellung im Zeitalter des Barock, in: Festschrift der Wissenschaftlichen Gesellschaft an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt am Main, Wiesbaden 1961, S. 85–103. 208 Carolus Bisani [Pseud.?]: Der Schlüssel zum Geheimnüß der weis- und klugen Welt, oder die Ausübung der besten Moral, Prudenz und Politiqve, wie solche in itzigem Seculo, durch alle Stände und Conditiones der Menschen insgeheim practiciret wird; kürtzlich entworffen, von Carolo Bisani, Görlitz 1708, S. 114. 209 Werner Holly: Imagearbeit in Gesprächen. Zur linguistischen Beschreibung des Beziehungsaspekts (Reihe germanistische Linguistik; 18), Tübingen 1979. Zum Imageschutz vgl. auch die Darlegungen in Abschnitt 6.1. 210 Über die 1679 in ihr Geburtsland Spanien (dem Land, mit dem strengsten Hofzeremoniell in ganz Europa) reisende französische Königin Maria Theresia (1638–1683), Gemahlin Ludwigs XIV., wird berichtet: »Sie kam von einem Hof, woselbst die Grosheit mit der Lust, und der Pracht mit der Freyheit vereiniget war; hier fanden sie nichts als Crimassen, Ceremonien, und Complimenten; sie sahe lauter fremde Leute um sich herum, die alle ihre Blicke und Gebehrden beobachteten«. Christian Juncker: […] Allgemeine Schau-Bühne der Welt, oder: Beschreibung der vornehmsten WeltGeschichte des siebenzehenden Jahr-Hunderts […], Tl. 5, Frankfurt/M. 1731, Sp. 586. 211 Zur Selbstbeherrschung als Grundprinzip der Affektkontrolle vgl. Norbert Elias: Über den Prozeß der Zivilisation. Soziogenetische und psychogenetische Untersuchungen, 2 Bde., Bern 1969. 212 Bisani (Anm. 208), S. 125 f.
5.2 Variationen des Komplimentierens: Parameter Geschlecht
325
Max. XI. DIe Augen der Untergebenen, nimmt sie in Obsicht ihrer Augen, daß nicht sie herum fliegen aller Orten, oder sie sich vergaffen in anderer 1. Aeuserliches Thun, 2. Gebehrden, oder 3. Gestalt.213
Gesellschaftlicher Erfolg manifestierte sich im Leben von Mädchen und Frauen auf mannigfache Weise: Für die Mehrheit war das wichtigste Kennzeichen von gesellschaftlichem Erfolg Geburtsadel 214 oder eine funktionsfähige eheliche Verbindung, die sie vielleicht sogar in der gesellschaftlichen Hierarchie aufsteigen ließ. Weitere Indikatoren waren gut erzogene Kinder, viele Nachkommen, die Erhaltung und Mehrung des Wohlstands und des guten Rufes der Familie, (verwandtschaftliche) Beziehungen zu hochgestellten oder einflußreichen Personen, schließlich auch noch Ehrbezeugungen von Seiten eben solcher Personen, darunter Übernahmen von Patenschaften, Abstattung von Besuchen, Gewährung von Audienzen, Aufnahme in angesehene Sozietäten und Vergabe von Ehrenstellen oder Auszeichnungen. Auch der durch bezahlte Arbeit oder durch Ehrendienste erlangte Aufstieg in eine höhere Position konnte bei Frauen ein Indikator für gesellschaftlichen Erfolg sein. Der Autor der Galanten Frauenzimmer-Moral (1722) empfiehlt unverheirateten bürgerlichen Frauen einen kooperativen, freundlichen, maßvollen Redestil: »Ein lebloses Bild darff sie nicht repraesentiren, welches dessen Anschauer bedauren, daß ihm die Rede mangelt, vielweniger erröthen oder erblassen, wenn sie von jemand ohngefehr angeredet wird, so daß sie vor Scham und Schröcken kein Wort aufbringen vermögend ist; Sondern es ist ein grosses Stück der Vollkommenheit einer qualificirten Demoiselle, wenn sie zu rechter Zeit geschickt und klug zu reden weiß, und darinne der Sache nicht zu viel noch zu wenig thut. Weiß sie nun ihre Worte mit besonderer Freundlichkeit zu begleiten und sie recht zusetzen, so kan sie sich viel damit zu wege bringen.« 215 Das heißt, für bürgerliche Mädchen zahlte sich die Perfektionierung ihrer kommunikativen Fähigkeiten aus. Dies besagt auch eine weitere Passage in der Galanten Frauenzimmer-Moral: »Sophronie hatte sich durch ihren guten Verstand und kluge Conduite bereits das Lob erworben, daß sie eine der qualificirtesten Demoisellen sey, daher sich jedes von ihrer Conversation gratulirte, und den grösten Estim von sie machte.« 216 Insbesondere für Frauen der Hof- und Adelsgesellschaft war es wichtig, durch Geselligkeitstugenden wie Wohlredenheit und gute Manieren und durch eine reizvolle äußere 213 Ebd., S. 126. 214 »Wo hat mehr als in Teutschland die Jdee von sechszehn Ahnen des Adels wesentlichen moralischen und politischen Einfluß auf Denkungsart und Bildung?«, fragt Knigge und verweist dabei auf die »Mannigfaltigkeit des Conversationstons, der Erziehungsart, der Religions- und anderer Meinungen« in seinem Land. Knigge (Anm. 197), Tl. 2, S. 10 f. Bei Mätressen, die sich bisweilen eine einflußreiche Stellung am Hof erarbeiteten, kompensierte die Nähe zum Herrscher den Makel des Ehebruchs. Vgl. die Fallstudie von Sybille Oßwald-Bargende: Die Mätresse, der Fürst und die Macht: Christina Wilhelmina von Grävenitz und die höfische Gesellschaft (Geschichte und Geschlechter; 32), Frankfurt/M. u. a. 2000. 215 [Faßmann?] (Anm. 96), S. 35 f. 216 Ebd., S. 5.
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5. Kommunikative Kompetenzen von Frauen: Positionen und Empfehlungen
Erscheinung eine angenehme Atmosphäre zu schaffen.217 Von diesen Fähigkeiten profitierten auch die Frauen selbst, nicht nur, weil dies ihrer Eitelkeit schmeichelte, sondern auch, weil nur in einer solchen Umgebung geistreiche Gespräche geführt werden konnten. Schmeicheleien waren dabei nicht verpönt. Der anonyme Beiträger zum Oeconomvs prvdens et legalis continvatvs behauptet, das weibliche Geschlecht sei zur Schmeichelei geboren: »Ihr gantzes Temperament ist zarter und weicher, als des männlichen Geschlechtes: daher kommt es auch, daß ihre Höflichkeit, ihre Schmeicheleyen und Geschäfftigkeit, viel grösser, als die so bey denen Männern anzutreffen.« 218 Allerdings riefen schmeichelnde Frauen auch Moralisten auf den Plan. So schreibt der Abbé und Parlamentsrat Jacques Goussault (publizistisch tätig seit 1679): »Dann die, so zu allem ja sagen, und alles loben, sind solche Schmeichlerinnen, die auch mit Nachtheil der Warheit sich zu insinuiren suchen, und auf solche Weise Freunde erwerben wollen; nichts ist schändlicher als diese Art, doch sind solche Leute sehr gemein. Sie reden mehrentheils anderst, als sie gedencken, und ihre Gedancken werden sie niemahls entdecken. Jhr Mund und Hertz wiedersprechen sich allezeit, und der Vorsatz sich gefällig zu machen, und bey denen sich in Gunst zu setzen, von welchen, oder mit welchen sie sprechen, machet, daß ihnen Unwarheiten zusagen, so angenehm und süsser als Zucker.« 219 Im gleichen Tenor äußerte sich auch Johanna Katharina Schulze: »Es ist ein wahres Sprichwort, daß Höflichkeit viel vermag, und wenig kostet. Jedoch versteh ich nur jene gerade, ungezwungene Höflichkeit, die von aller niedern Schmeichelei und kriechenden Gefälligkeit weit entfernt ist, für welcher ich einen jeden von ganzem Herzen warne.« 220 6. Die Komplimente, die Frauen als Ausdrucks- und Kommunkationsmittel benutzten, wurden fast nie in schriftlicher Form tradiert.221 Beim Komplimentieren und Entgegennehmen von Komplimenten benötigten Mädchen und Frauen soziolinguistische Kompetenz, also die Fähigkeit zu wissen, wer wann welches 217 Nicolas Faret: L’honneste homme, das ist: Der ehrliebende Welt-Mann […], Leipzig 1647, S. 134. 218 Florin [Hg.] (Anm. 68), S. 326. Der Autor schrieb, was bei solchen Sammelwerken relativ häufig vorkommt, fast wörtlich aus Fénelons Erziehungslehre ab: »Auch muß man die allzu innigen oder zarten freundschafften, kleine eyfersüchtigkeiten, überflüßige höffligkeiten, schmeicheleyen, und geschäftigkeiten, an ihnen tadeln: alles dieses verderbet, und gewöhnet sie, daß sie was ernstlich und ansehnlich ist, vor schwer und verdrießlich halten.« Locke/de Salignac de la Motte Fénelon (Anm. 68), S. 568. 219 Goussault (Anm. 29), S. 150 f. Das Buch enthält ein Kapitel »Ein vernünfftiges Weib flatiret nicht, um nicht vor eine Schmeichlerin gehalten zu werden.« (S. 174–189). Vgl. auch die Ausführungen zur Schmeichelei in: Anonym: Die Pflichten des Frauenzimmers. Auf Verlangen eines vornehmen Herrn beschrieben von einer Dame. Aus dem Englischen übersetzet von Nicolaus von Bickern, Bremen 1753, S. 40–43. Philippine von Reden [Hg.]: Lebensregeln aus den besten ältern und neueren Schriftstellern gesammlet von Philippine Eregine Knigge, 2 Bde., Leipzig 1799–1800, Bd. 1, S. 73–89. 220 [Schulze] (Anm. 181), Tl. 1, S. 28 f. 221 Aufgrund dessen steht die historische Frauenforschung bei der Untersuchung der Komplimentierkultur von Frauen gleichsam vor der Quadratur des Kreises.
5.2 Variationen des Komplimentierens: Parameter Geschlecht
327
Kompliment und Gegenkompliment machen darf. Immer wieder wurde angemahnt, beim Entgegennehmen von Komplimenten den Verstand walten zu lassen.222 Wer wenig psychologisches Geschick besaß, konnte weder als »artige, geschickte und kluge Demoiselle« noch gar als »verständig- und wohlerfahrne Ober-Hofmeisterin« oder »kluge, galante und politische Dame« gelten.223 Für das Komplimentieren gut gerüstet waren diejenigen, die gelernt hatten, in das »Herz« der Menschen zu blicken: »Wir mögen uns in ansehnliche Aemter zu setzen, und in denselben zu erhalten; wir mögen andern eine Glückseligkeit zu wege zu bringen suchen, wozu sie fähig sind, und ihren Fall zu vermeiden trachten; wir mögen den Fallstricken einer heuchlerischen Höflichkeit, dabey man unser Verderben zum Endzwecke hat, entgehen, oder durch beständiges Anhalten an der Tugend unsere heimlichen Feinde, wo noch Hoffnung an ihnen ist, entwaffenen, und selbst auf den Weg des Guten führen wollen; so wird jedem gleich in die Augen fallen, daß es unumgänglich nöthig sey das Herze der Menschen zu erkennen. So lange unser Glücke und Unglücke in der bürgerlichen Gesellschaft zu suchen und abzuwenden ist, so lange wird es nöthig bleiben andere nicht weniger als sich selbst zu kennen«, schrieb Christiana Mariana von Ziegler in ihrem Aufsatz Von der Nothwendigkeit in das Herze des Menschen zu sehen, und von denen Mitteln, wie man dazu gelangen könne (1739).224 Die Beobachtung innerseelischer Vorgänge – bei sich und bei anderen – ist für die Autorin die notwendige Bedingung dafür, in der Gesellschaft sein Glück zu finden. Was in Frauen vor sich ging, denen durch Komplimente Ehre erwiesen wurde,225 läßt sich kaum mehr über die hier ausgewerteten Quellen rekonstruieren, wohl aber aus handschriftlichen und gedruckten Erinnerungstexten, Erzählungen, Romanen, Dramen und Opernlibretti erschließen. Weil in vielen Fällen ein Gegenkompliment die höflichste Reaktion auf ein Kompliment darstellte, waren diejenigen in einer guten Ausgangslage, die auf ein Arsenal von schlagfertigen Antworten und kleinen Täuschungsmanövern zurückgreifen konnten, mit deren Hilfe sie die Oberhand
222 [Salis, Hortensia von:] Geist- und lehrreiche Conversations Gespräche […], Zürich 1696, S. 30. [Wray] (Anm. 70), Tl. 1, S. 247 f. 223 Ich zitiere hier drei Kapitelüberschriften aus Bisanis Klugheitslehre (Anm. 208), S. 109, 115, 122. 224 Christiana Mariana von Ziegler: […] Vermischte Schriften in gebundener und ungebundener Rede, Göttingen 1739, 426–437, hier S. 427 f. 225 Wer nicht böse getäuscht werden wollte, dürfte sich diese oder ähnliche Fragen gestellt haben: Wie ist der Leumund der Person, die mich anspricht? Mit welchen anderen Personen pflegt dieselbige Umgang? Sind die übermittelten Komplimente doppelbödig, maßlos übertrieben, völlig irreal? Beschränkt sich der Sprecher darauf, mir Ehre und Höflichkeit zu erweisen oder will er mehr? Trägt er ein vernünftiges Anliegen vor? Benutzt er seine Komplimente als Vehikel, um eine ernstgemeinte Beziehung zu mir anzubahnen? Oder will er mich hinters Licht führen und aushorchen? Ist er an einem erotischen Abenteuer interessiert? Die Rhetorik des Unmaßes, der Verklärung und Verbrämung, die verbalen Komplimenten häufig inhärent ist, wurde von übersteigerten Wahrheitsfreunden und Rationalisten als lügenhafte Verstellung gebrandmarkt. In der Moralischen Wochenschrift Der Gesellige wird die Norm aufgestellt, ein gutes Kompliment dürfe nicht unwahrscheinlich und übertrieben sein. Anonym: Von Complimenten, in: Der Gesellige, eine moralische Wochenschrift 1, 1748, Tl. 1, St. 45, S. 375–368, hier S. 374. Beetz (Anm. 30), 1990, S. 147–155.
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5. Kommunikative Kompetenzen von Frauen: Positionen und Empfehlungen
behielten, wenn der Sprecher sich in ihrer Gegenwart nicht in der gewünschten Weise verhielt. Im folgenden Zitat wird mit dem Wort ›attrapieren‹ (erwischen, ertappen) zu verstehen gegeben, daß eine Frau, die es mit einem unaufrichtigen, aufdringlichen »Complimentisten« zu tun hat, diesen merken lassen darf, daß sie seine Absichten durchschaut: »Wenn diejenigen, die andere mit so vielen Complimenten zu sich nöthigen, es nicht in Ernst so meynen, so verdienen sie, daß sie attrapiret werden.« 226 Da die Sittengesetze und die Regeln des Anstands den Frauen engere Grenzen setzten als den Männern,227 bildeten sich unter Frauen sprachliche Muster heraus, darunter solche, die sie vor Rufschädigung schützen sollten. Die Entstehung von geschlechtsspezifischen Kommunikationsmustern war deshalb unproblematisch, weil gleichgeschlechtliche Kommunikation ein anerkanntes Sozialisationsprinzip war. In seiner Abhandlung Von der Erziehung des weiblichen Geschlechts (1777) wirbt Michael Konrad Curtius (1724–1802) dafür, dieses Sozialisationsprinzip zu nutzen, um bei jungen Frauen durch systematisches Üben – bei gleichzeitiger Kontrolle durch eine (weibliche) Aufsichtsperson – ein Talent zur Entfaltung zu bringen: »Von Natur scheint das weibliche Geschlecht grösere Talente zum guten Briefstyl zu haben, als das männliche. Ein Frauenzimmer von mittelmäsiger Erziehung schreibt gemeiniglich natürlicher und ungezwungener, als mancher grose Gelehrte: diese natürliche Anlage muß aber entwickelt und genutzt werden. Um in irgend einer Sprache gut zu schreiben, und den gesellschaftlichen Ton zu treffen, muß man einen Theil des Lebens in guter und lehrreichter Gesellschaft mit Aufmerksamkeit und Fähigkeit zugebracht, oder die Schriftsteller gelesen haben, welche in der natürlichen und leichten Schreibart Meister sind. Die Gelegenheit, sich nach solchen Mustern zeitig zu bilden, giebt ein Briefwechsel am besten, welchen das junge Frauenzimmer mit seinen Freundinnen unter Aufsicht unterhalten müste.« 228 Im Oeconomvs prvdens et legalis continvatvs wird zur Konversation der Prinzessinnen mit etwa gleichaltrigen Mädchen angeraten, um ersteren die Scheu vor schwierigen Wissensgebieten zu nehmen: »Bey der Lehr-Art muß ich noch eines eintzigen Vortheils erwehnen. Nemlich, daß man sich befleissige, anderer Leute wohl gezogene Kinder, die alle Wissenschafften, welche wir denen Prinzessinnen beybringen wollen, besitzen, öffters zu ihrer Conversation und Gesellschafft zu ziehen. Es wird dergleichen Conversation, sowohl in der Gottesfurcht, als andern Wissenschafften, grossen Vorheil bringen. Dann ein lebendiges Exempel hebet erstlich das Praejudicium
226 Diese aus den Briefen von Marie de Sévigné herausgelöste Lebensweisheit wurde von Catharina Helena Dörrien ins Deutsche übersetzt. Marie de Rabutin-Chantal Sévigné: L’esprit de la Marquise de Sévigné ouvrage addressé aux jeunes Demoiselles […], Frankfurt/M. 1761, S. 227. 227 F. [Sigle f. Georg Friedrich Meier:] Von der Gelehrsamkeit des Frauenzimmers, in: Der Gesellige, eine moralische Wochenschrift 1, 1748, Tl. 1, St. 43, S. 353–358, hier S. 358: »Endlich muß die Gelehrsamkeit eines Frauenzimmers auch den feinern Sitten desselben gemäß seyn. Die anständigen Sitten einer Mannsperson sind nicht in so enge Grenzen eingeschlossen, als die Sitten eines Frauenzimmers. Wir Mannsleute können, ohne Verletzung der guten Sitten, unter uns von tausend Sachen reden, die einem Frauenzimmer eine Schamröthe abjagen.« 228 Curtius (Anm. 183), S. 7.
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auf, als wann eine Sache schwer wäre, daß man sie nicht erlernen könnte, und so dann machet die Liebe, die man allezeit zu seines Gleichen hat, daß man von sich selbst ein Verlangen trägt, dergleichen auch zu wissen.« 229 Die Mädchen, die zusammen mit einer Prinzessin erzogen wurden, waren keine Verwandten, sondern – altersmäßig passend – Kinder des Landadels. 7. Die Komplimente, mit denen Frauen bedacht wurden, waren ein Spiegel ihrer politischen Leitwerte und Bildungsideale. Frauen hörten gerne Komplimente, die französische Wörter enthielten, wie der Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der Privat-Personen (1728) zu entnehmen ist: »Die Frantzösische Sprache ist fast durchgängig beliebt, und also hören es viele theils von den Hof-Leuten theils auch von andern, insonderheit vom adelichen oder bürgerlichen Frauenzimmer gar gerne, wenn ein Compliment mit viel Frantzösischen Wörtern ausstaffirt, man findet aber auch viele andere, die dieser Meynung nicht beypflichten, und in den Gedancken stehen, wenn man Teutsch rede, solte man die Frantzösische Sprache weglassen.« 230 Die Beliebtheit der französischen Sprache erklärt sich nicht nur aus ihrem Wohllaut, sondern auch daraus, daß sie die Funktion eines Distinktionscodes erfüllte. Die Wertschätzung des Französischen durch Frauen spiegelt sich auch in bestimmten Titulaturen. Eine von August Bohse vorgelegte Serie von Muster-Komplimenten belegt den Gebrauch von französischen Frau-Wörtern unter Bürgerlichen in der mündlichen Anrede: »Mademoiselle vergeben, daß mich erkühne, meine Aufwartung zu machen. Oder: Sie Pardonniren, Madame, daß die Freyheit nehme, sie anzureden: Jch habe längstens die Ehre gewünscht, mich zu dero Befehlen zu recommendiren, aber niemals so glücklich seyn können, Mademoiselle zu sprechen: Oder: Es ist gar was Rares Madame zu sehen, daß man gewiß, vor das gröste Glück zu rechnen hat, wenn man in ihre werthe Compagnie gelangen kan. Oder: Darff ich so kühne seyn, Madame in ihren Gedancken zu stören, so werde um die Permission bitten, aufzuwarten.« 231 Ethophilus verweist auf die vormals geläufigen deutschen Titulaturen: »Zwar die französischen Titul Madame und Mademoiselle sind heut zu Tagen in Teutschland so gemein worden, daß keine Krämers oder Künstlers Tochter oder Frau mehr wollen Jungfer und Frau NN… gescholten sein, aber die Anrede an Männer lautet stets ›Mein Herr‹.« 232 Nach dem Dreißigjährigen Krieg wurde es üblich, verheiratete und unverheiratete bürgerliche Frauen französisch zu titulieren. Normalerweise fühlten sich Frauen jeden Alters durch französische Titulaturen geschmeichelt und aufgewertet, zumal in Frankreich fürstliche Personen, wenn sie auch unverheiratet waren, »Madame«
229 230 231 232
Florin [Hg.] (Anm. 68), S. 330. von Rohr (Anm. 132), S. 172 f. [Bohse] (Anm. 157), S. 170 f. Ethophilus: Neues und wohl eingerichtetes Complimentir- und Sitten-Buch […], 4., verm. Aufl. Nordhausen 1745, S. 109 f. (1. Aufl. 1728).
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5. Kommunikative Kompetenzen von Frauen: Positionen und Empfehlungen
tituliert wurden. Erst im Zuge der Ausbildung von Nationalstaaten nach der Französischen Revolution setzten sich wieder deutsche Titulaturen durch. Mit geschlechtsspezifischen Ausprägungen des Komplimentierens konnte von Sprachbenutzer(inne)n nicht nach Belieben umgegangen werden, da Gefühle der Irritation die Folge hätten sein können. Genau das macht geschlechtsspezifische Ausprägungen des Komplimentierens für die Frauen- und Genderforschung so interessant. Es ist anzunehmen, daß mit einer ganzen Reihe von Bedingungsfaktoren gerechnet werden muß, die zu geschlechtsspezifischen Ausprägungen des Kompliments führten. Ich möchte auf zwei Bedingungsfaktoren näher eingehen.
1.
Das Moralsystem als Bedingungsfaktor geschlechtsspezifischen Komplimentierens
Regina Becker-Schmidt stellt mit Blick auf die gegenwärtige Zeit fest: »Das ›doing gender‹-Syndrom ist so eingeschliffen, weil die Konnotationen von ›weiblich‹ und ›männlich‹ in ein Normen- und Wertesystem eingeschrieben sind, das unser Verhalten steuert. Auch unsere Diskurse orientieren sich an dieser kulturell-symbolischen Ordnung, die mit der Macht unbefragter Faktizität Konformität erzeugt.« 233 Diese Feststellung gilt auch für frühere Epochen. Eine besonders wichtige Diskussion der Frühen Neuzeit galt dem Ehrbegriff. Nicht zufällig enthält der Konversationenband von Stefano Guazzo ein Gespräch über die Ehre von Frauen und Jungfrauen.234 Ehre ist nach Ludgera Vogt ein Zuschreibungsmuster von sozialer Anerkennung.235 Ehre verwies in der Frühen Neuzeit auf zwei grundlegende Aspekte von Identität: die Position innerhalb der gesellschaftlichen Hierarchie und die moralisch-sittliche Integrität von Männern und Frauen.236 Letzterer Aspekt
233 Regina Becker-Schmidt: Relationalität zwischen den Geschlechtern, Konnexionen im Geschlechterverhältnis, in: Zeitschrift für Frauenforschung 16, 1998, 3, S. 5–21, hier S. 10 f. Das Konzept des doing gender geht zurück auf Candace West und Don H. Zimmermann: Doing Gender, in: Gender and Society 1, 1987, 2, S. 125–151. Vgl. auch Judith Lober u. a. (Hg.): The Social Construction of Gender, Newbury Park/CA u. a. 1991. Hiltrud Bontrup (Hg.): Doing gender. Das Konzept der sozialen Konstruktion von Geschlecht: Eine Bibliographie mit Einführung (Materialien zur Frauenforschung; 11), Münster 1999. Anja Gottburgsen: Stereotype Muster des sprachlichen doing gender. Eine empirische Untersuchung, Wiesbaden 2000. 234 Stefano Guazzo: Gespräch, von der Frawen vnd Jungfrawen Ehre, in: ders., Sieben außerlesene vnnd lustige politische Dialogi oder Gespräche, Herrn Stephani Gvazzi, Patritii Casal. di Monferrato. Allen vnd jeden hohen vnnd nidrigen Standes vnd Würdens, Mannes und Weibes Personen, mit lust vnd nutz zu lesen, wie auch in freundlichen Conversationen gantz bequemlich zu gebrauchen […], Breslau 1625, S. 269–329. Die italienische Originalausgabe erschien 1586 unter dem Titel Dialoghi piacevoli. 235 Ludgera Vogt: Zur Logik der Ehre in der Gegenwartsgesellschaft. Differenzierung, Macht, Integration, Frankfurt/M. 1997, S. 23. 236 Sibylle Backmann u. a. (Hg.): Ehrkonzepte in der Frühen Neuzeit: Identitäten und Abgrenzungen (Colloquia Augustana; 8), Berlin 1998.
5.2 Variationen des Komplimentierens: Parameter Geschlecht
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wurde in der Frühen Neuzeit unter dem Begriff der ›Ehrbarkeit‹ gefaßt.237 Dieser Begriff war je nach Kontext von gleicher oder ähnlicher Bedeutung wie ›Zucht‹ und ›Anstand‹. Bei Frauen war die moralisch-sittliche Integrität, wie noch darzulegen sein wird, sehr eng an die Einhaltung des die Geschlechterordnung stabilisierenden Scham- und Keuschheitsgebots gekoppelt: »Ein Weib, das sich nicht ehrlich hält, | Gilt wenig vor der erbarn Welt. | Dann einem Weibe erzeiget man so viel Ehre, als sie ihr selbst anthut, das ist, so viel sie sich eingezogen, fromm und keusch hält, wird sie von GOtt und Menschen werth gehalten: Tritt sie einsmals aus den Schrancken der Ehrbarkeit, so ist es um ihre Ehre geschehen,« 238 heißt es bei Hieronymus Oertl, und Karl Friedrich Troeltsch instruiert seine Leserinnen: »Die vorzüglichste Ehre eines Frauenzimmers bestehet in der Erbarkeit, Artigkeit, Keuschheit, Frömmigkeit, Bescheidenheit und Haußhaltungskunst.« 239 Aufforderungen, sich in Keuschheit zu üben, ergingen auch an Männer, die moralische Entrüstung, welche Frauen entgegenschlug, die ausschweifend lebten oder sich auf eine Liebesbeziehung einließen, aus der ein uneheliches Kind hervorging, war aber ungleich größer als die, die Männer auszuhalten hatten. Allein schon durch Gerüchte konnte die Ehrbarkeit einer Frau beschädigt werden. Auf die daraus erwachsenden Folgen hinzuweisen, war ein zentrales Anliegen des Libertinage-Gegners d’Aubignac. Ein Franzose, der Frauen in die Schranken der christlichen Moral wies, war in Deutschland immer willkommen: Verschiedenes von dem jungen verheyrahteten Frauenzimmer stehet in dem Wahn, daß es durch solchen neuen Stand die Vorrechte erhalte alles zu thun und zu sagen dadurch auch mannichmahl die Ehrbarkeit verletzet wird: Wie gefährlich es aber sey sich solcher Freyheiten anzumassen und wie leicht ihre Ehre und Ansehen dabey Gefahr lauffen könne, wenn sie es auch schon ihrer Entschuldigung nach in der grösten Unschuld gethan, solches werden sie aus diesen wenigen Bogen mit mehrern ersehen, auch daß es leichter sey dem einmahl verlohrnen guten Gerüchte nachzulauffen als solches wieder zu erjagen.240
Wenn ein Mann und eine Frau – beide nicht miteinander verheiratet – sich unter den Blicken anderer unterhielten, galt dies als besonders heikel. Daher konzentrierten sich die meisten Anstandsautor(inn)en auf diese Konstellation und ließen andere, unverfänglichere Konstellationen, etwa wenn Frauen unter sich oder wenn Eheleute in Gesellschaft sind, beiseite. Wie sollte eine Frau, die von einem Mann in Gesellschaft mit Lob, Schmeichelei 237 »Jn allen diesen Fällen wird gar bald zu finden seyn, daß die Menschen die Vorschrift der Weltweisheit mit Füssen tretten, und als geschwohrne Feinde der Vernunft alles Nachdenken, Zucht und Ehrbarkeit, aus den Augen lassen.« Mayer (Anm. 67), S. 71. 238 Hieronymus Oertl: […] Geistlicher Frauenzimmer-Spiegel aus dem alten und neuen Testament, an viertzig erlauchteten Frauen, jn schönen Geschichten, andächtigen Gebeten, und himmel-aufsteigenden Hertzens-Seuftzern, dem gebet-liebenden Frauenzimmer zum Schatz der Gottseligkeit vorgestellet […], Wolfenbüttel 1740, S. 636 (1. Aufl. 1610). 239 [Troeltsch, Karl Friedrich (Hg.):] Die Frauenzimmerschule oder sittliche Grundsätze zum Unterricht des schönen Geschlechts […], Frankfurt/M. u. a. 1766, S. 71. 240 [François Hédelin, Abbé d’Aubignac:] Des galanten Frauenzimmers kluge Hofmeisterin, aus dem Französischen ins Teutsche übersezt, Leipzig 1696, Bl. )(3v.
332
5. Kommunikative Kompetenzen von Frauen: Positionen und Empfehlungen
oder Komplimenten bedacht wurde, darauf reagieren? Christian Friedrich Hunold vertritt die Auffassung, daß Frauen das richtige Maß treffen, wenn sie Lob mit einem stillschweigenden Kompliment beantworten: »Auch ist ein Frauenzimmer überflüßig höflich, wenn sie ein jedes Lob von ihrer Person widerlegen will; denn wenn es ihr mit Recht zukommt, so scheint es affectirt und ist uns nicht angenehm, daß sie immer widerspricht; solches aber mündlich anzunehmen, und zu bekennen, daß sie es meritire, würde auch nicht stehen; und also ist am besten, mit einer verbündlichen Mine und einem stillschweigenden Compliment mit Neigung des Hauptes zu antworten.« 241 Ein Dokument mit einem hohen Grad an Authentizität ist das erinnerte Gespräch von Fürstin Gisela Agnes zu Anhalt-Köthen, geb. von Rath (1669–1740). In der Zeit ihrer Witwenschaft zeichnete die Fürstin für die Nachwelt auf, wie sie ihren geliebten Mann, Emanuel Leberecht von Anhalt-Köthen (1671–1704), kennengelernt hatte. Die Rangdifferenz zwischen Emanuel Leberecht und seiner Gesprächspartnerin, aber auch seine Eroberungsabsicht zwangen den anhaltinischen Fürsten, die Unterhaltung in Gang in bringen. Gisela Agnes erinnert sich an diese Situation: […] als ich nun min Compliment bei der damalgen prinzesin Elisabeth abgeleget [Prinzessin Elisabeth von Anhalt-Köthen, SK] / wertte es nicht lange / drat der First ins zimmer / alls er Etliche wort mit der princesin gesprochen / kam er zu mir / his mich in anhalt wietter wilkomen / rehte [redete, SK] wohl eine stun mit mihr von Carnaval von hanover / ob ich die hersafden [Herrschaften] noch alle wiste / So dar geweßen – als ich Sie nun bericht / So vil ich wust / machten Sie einen reverentz / gingen nach ihren zimer – alls wir abens im 8 uhr von der Tafel wahren / kamen Sie wietter in der princeßin ihr zimer/ sprachen mit der ambthubtmanin / von der ich 3 schrit entfernt stunt / kamen balt zu mihr / sagt mich allerhant duser [Douceurs d. i. Liebenswürdigkeiten, Schmeicheleien, SK] / welche ich mit aller höflichkeit beantwortte / daß ich mich dießen allen nichtes anmaßete – […].242
Gisela Agnes weist die ihr zugeschriebenen Eigenschaften höflich von sich. Wirkte ihr Verhalten nicht unhöflich? Handelte sie, die dem Fürsten doch zugetan war, nicht wider ihre Interessen? Wenn hier ein Konflikt vorlag, dann der zwischen Höflichkeitsnorm und Ehrvorstellungen. Gisela Agnes wird sich im Klaren darüber gewesen sein, daß die »süßen Worte« des Fürsten bei den umstehenden Personen so aufgenommen werden konnten, als wäre sie leicht zu betören (ein Verstoß gegen das Keuschheitsgebot) oder von eitel-selbstgefälligem Wesen (ein Verstoß gegen das kirchliche Selbstlobverbot, das für beide Geschlechter gleichermaßen Gültigkeit besaß).243 Ihre Antwort war so gewählt, daß man ihr 241 Menantes [Pseud., Christian Friedrich Hunold]: Die Manier höflich und wohl zu reden und leben, so wohl mit hohen, vornehmen Personen, seines gleiche und Frauenzimmer, als auch, wie das Frauenzimmer eine geschickte Aufführung gegen uns gebrauchen könne, ans Licht gestellet von Menantes, Hamburg 1738, S. 550 (1. Aufl. 1710). 242 Der Text ist überschrieben: »Wie es sich begeben mit miner ver-Mehlunge G. A. F. z. Anhalt Witwe«. Paul Ehrhardt: Gisela Anges – [ Johann Sebastian] Bach. Bilder aus Köthens Vergangenheit, Köthen 1935, S. 48. 243 [Engelsüß] (Anm. 197), S. 33: »Keiner wolerzogenen Person zimet oder stehet an, von eignen thaten, von seinem hohen verstand, von Tugenden, vnd dergleichen dingen ruhmsüchtig zu reden Ja von keinem Adel, Adelichen herkommen, reichthum, vnd Hoheit, seiner Freunden vnd vorfahren, soll niemand prängisch reden, vnd sich kützlen.«
5.2 Variationen des Komplimentierens: Parameter Geschlecht
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solche »Schwachheiten« nicht nachsagen konnte. Doch nur zum Schein erfüllte Gisela Agnes die an sie gestellten moralisch-sittlichen Erwartungen. Irgendwie muß es ihr gelungen sein, heimlich durchblicken zu lassen, was sie für den Fürsten empfand.244 Dieser sah jedenfalls keinen Grund zur Annahme, seine Gesprächspartnerin habe ihm eine Abfuhr erteilt. Die Antwort von Gisela Agnes zeigte ihm wohl nur, welch gute Erziehung sie genossen hatte. Antworten wie die von Gisela Agnes konnten – in rhetorisch sehr viel geschliffenerer Form – in Konversationsanleitungen wie der von Albert Sommer nachgelesen werden: Gesell) Mein Hertzen-Jungfrawen; Ich schätze mich billig für einen glückseligen, indeme ich heutiges Tages die unverdiente Ehre geniesse, in dieser löblichen Zusammenkunfft so tugendreicher schönen Jungfrawen, und Ehren Lust-liebender Gesellen mit gegenwertig zu seyn; dessen ich doch nicht meiner Würdigkeit, sondern vielmehr deß Haußherrn Gütigkeit, und anwesender vertrauten Freunde Gonstgewogenheit zu dancken habe, daß sie mich zu solcher angenehmen Gesellschafft mit einladen und verstatten wollen. Jungfrauen) Mons. Weiln dieses Gastmahl angestellet zu Unterhaltunge eines freundlichen Gesprächs, und Ehrenfröligkeit; So ist uns lieb, seiner Ehrenfreundlichen Gesellschafft mit theilhafftig zu seyn: befinden aber bey uns keine einige Beschaffenheiten, so ihme unsere Gegenwart angenehm machen köndten. Gesell) Tugendsame Jungfern; Ich bitte, sie thuu [sic] ihnen doch nicht selbsten unrecht. Es kan ja keine ergetzlichere Ehrenlust auff dieser Welt zugeniessen seyn, als die holdselige Gesellschafft solcher liebreichen und Sittenahrtigen Jungfrawen. Jungfrawen) Mons. Wir möchten hertzlich wünschen, daß er bey unserer geringen Gesellschafft eine solche Holdseligkeit antreffen könte, die sein so grosses Lob verdiente: weiln wir aber deren keine an uns befinden, bitten wir er wolle solche Höfligkeit für andere Jungfrawen bespahren, die dessen besser würdig seyn.245
Wie Ehrvorstellungen sich im geselligen Gespräch zwischen Personen ungleichen Geschlechts auf das Verhalten von Frauen auswirken konnten, illustriert auch eine Passage in der Galanten Frauenzimmer-Moral (1722). Rosalie kommt auf »Discourse« zu sprechen, »so nicht allemahl die erbarsten sind«. Um ihr zu helfen, fächert Sophronie einen ganzen Katalog möglicher Reaktionsweisen auf, durch die ein Frauenzimmer sich klug aus einer mißlichen Situation herauswinden könnte: Auch das, sagte Sophronie, trägt sich gar offt zu. Aber wie kan man sich da helffen? fragte Chloris. Lässet es sich thun, gab Sophronie zur Antwort, so absentirt man sich so gleich, und thut, als ob man nichts gehört, oder als ob einem doch die Sache gantz fremde, massen es besser die Ohren von der244 In etwa so könnte sich die heimliche Entdeckung der wahren Empfindungen zugetragen haben: »Charmiren, Jst eine heimliche Entdeckung der Liebe, wenn ein Frauenzimmer einer Manns-Person durch allerhand liebreiche Blicke und verliebte Minen zu verstehen giebet, daß sie ihm nicht ungeneiget sey.« Amaranthes [Pseud., Gottlieb Siegmund Corvinus]: Nutzbares, galantes und curiöses Frauenzimmer-Lexicon […], Leipzig 1715, Sp. 343 f. Zur Flüsterkommunikation vgl. Abschnitt 4.3. Gefühle konnten auch mit dem Fächer und sonstigen Assecoires heimlich kommuniziert werden. 245 Albert Sommer: Der teutsche Anführer zu anmuthigen und zierlichen Conversations-Gesprächen. Bestehende in 70 freundlichen Bespräch- und Beantwortungen, sowol für Frauens- als Mannes-Persohnen; auff vielerhand Begebnussen bey Freudens- und Traurzeiten gerichtet […], [Hamburg] 1662, S. 77 f.
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gleichen verfänglichen Discoursen gar weg zuwenden, als sich damit allerhand unnütze Ideen in Kopff bringen. Will das nicht seyn, so behält man doch die vorige Mine; Also, daß wenn verblümter weise etwas, so eben das beste nicht ist, vorgebracht wird, und man gleich mercket, wohin es damit gemeinet; man sich es doch gäntzlich nicht mercken lasse. Denn wer lacht, sagt man insgemein der verstehts: Wenigstens würde es das Ansehen gewinnen, als ob uns dergleichen Discourse so unangenehm nicht; Oder liederliche Gemüther würden nach Beschaffenheit der Umstände darüber raisonniren, als ob man vielleicht mehr wisse, als man in seinem dermahligen Zustande wissen solle. Dieses nun zu vermeiden, so bleibt, wenn euch dergleichen arriviren solte, gantz indifferent; Jst aber der Discours auf euch gerichtet, und man legt wohl euch selbst allerhand unnütze Fragen für, so lasset euch darauf nicht ein, sondern changirt vielmehr, wie Herr Bisani räth, den Discours ohngefehr, fragt nach etwas, oder fallt sonst auf eine andere Materie, daß jederman mercken kan, wie euch die vorige so angenehm nicht gewesen. Das wird auch vor den Uhrheber von dergleichen Discoursen eine höffliche Reprimande seyn, daß er nichts geschickters vorzubringen, oder wenigstens nicht manierlicher zu schertzen gewust.246
Ja sogar Anzüglichkeiten und Obszönitäten enthalten Hinweise auf Redeinhalte, die dem Moralsystem zuwiderliefen. Auf den verschiedenen sozialen Ebenen wurde das Redeverhalten natürlich an unterschiedlichen Maßstäben gemessen.247 Julius Bernhard von Rohr beruft sich in seiner Anstandslehre auf Curiosus Aletophilos (lat./griech. »wißbegieriger Wahrheitsfreund«, Pseudonym von Johann Christoph Wagenseil), der in seinem Tractatus politico historicus, de moribus, ritibus ac ceremoniis in aulis regum (1687) eine Anekdote überliefert, bei der das anstößige Wort – aus Höflichkeit – gar nicht erst ausgesprochen wird: »Curiosus Alethophilus erzehlt in seinem Ceremoniali aulico, pag. 65. daß er zu seiner Zeit an dem Käyserlichen Hofe einen Cavalier gekandt, der sich eine gewisse abscoene Jtaliänische Benennung so angewöhnt, daß er sich derselben öffters vernehmen lassen. Als ihm nun die Römische Käyserin ein wohlgemacht neu Kleid gezeiget, habe er nach erwehnten heßlichem Wort gesagt, das ist ein schön Kleid. Die Käyserin hätte ihn hierauf gefragt, ob er sonst Jtaliänisch könte, wie ers nun verneinte, hätte die Käyserin angefangen: Ey so laßt das auch bleiben. Es ist eine gute Erinnerung, die mancher ebenfalls nöthig hätte, der alle Augenblicke entweder mit einem Frantzösischen Fluche, oder mit seinem enfin, oder mit einem andern Worte um sich herum wirfft.« 248 Die Kaiserin konnte es sich aufgrund ihrer gesellschaftlichen Stellung erlauben, ihr Nichtgefallen an der Wortwahl des Kavaliers in Form eines Tadels zum Ausdruck zu bringen. Aber auch Frauen wurden vor dem Gebrauch anzüglicher Worte gewarnt. In der Maximensammlung Die Frauenzimmerschule oder sittliche Grundsätze zum Unterricht des schönen Geschlechts heißt es lakonisch: »Weisen Sie diejenigen mit einem höflichen Ernst ab, welche Jhnen schmeicheln, und von der Liebe reden; aber hüten Sie sich vor beissenden Scherzen, und noch mehr vor anzüglichen Worten.« 249 Es läßt sich soziologisch begründen, warum solche Handlungsmaxi246 [Faßmann?] (Anm. 96), S. 43 f. Vgl. auch de Sales (Anm. 24), S. 157. 247 Siehe die Quellennachweise bei Arthur Denecke: Beiträge zur Entwicklungsgeschichte des gesellschaftlichen Anstandsgefühls in Deutschland, in: Zeitschrift für deutsche Kulturgeschichte N. F. 2, 1892, S. 145–205, hier S. 192. 248 von Rohr (Anm. 132), S. 280 f. 249 [Troeltsch (Hg.)]: (Anm. 239), S. 76.
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men in Umlauf gesetzt wurden. Weil der gute Ruf, der gute Name einer Frau dem Urteil der Mitmenschen unterworfen war,250 erinnerte man an die sittlichen Maßstäbe, nach denen das Verhalten von Gleichrangigen vom Standpunkt des/der generalisierten Anderen (»generalized other«)251 beurteilt wurde.
2.
Verhaltensregulative als Bedingungsfaktoren geschlechtsspezifischen Komplimentierens
Frauen durften von Männern, sofern der soziale Abstand nicht zu groß war, mehr Ehre und Zuvorkommenheit erwarten als diese von ihnen.252 Nach Ethophilus (griech. »der Sittenfreund«) lassen sich zwei Gründe anführen, die diese Verhaltensnorm rechtfertigen: »Gegen das Frauenzimmer muß man überall einen grossen Respect bezeigen, denn es verdienet solchen, theils wegen seiner Annehmlichkeit, theils auch, weil es von alten Zeiten also hergebracht, daß diesem Geschlecht eine grössere Ehre erzeiget werde als dem Männlichen: Man gehet also einem Frauenzimmer zur Lincken, und lässet ihm bey Tisch und sonst allenthalben die Oberstelle, und wenn es auch dem Stande nach etwas geringer als wir, wäre, denn die Hochachtung gegen dieses Geschlecht ersetzet das, was der Stand und das Glücke versaget.« 253 Die von Ethophilus angeführten Begründungen verweisen auf ein Verhaltensregulativ, das in der Frühen Neuzeit eine die Geschlechterordnung stabilisierende Funktion übernahm: die symbolische Höherstellung von Frauen, die über Ansehenskapital verfügten.254 Der Mann, der einer Frau versicherte, ihr Sklave zu sein, trieb die symbolische Höherstellung bis zum Äußersten.255 Durch solche Förmlichkeit sollte kompensiert werden, was Männer Frauen an Rechten, Freiheiten und Würden vorenthiel-
250 Friedrich Zunkel: Ehre, Reputation, in: Otto Brunner u. a. (Hg.), Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Bd. 2, Stuttgart 1975, S. 1–63, hier S. 29. Zur Soziologie und Geschichte der Ehre vgl. Arnold Zingerle (Hg.): Sociologia dell’onore/ Soziologie der Ehre (Annali di sociologia/Soziologisches Jahrbuch; 7,2), Mailand 1992. Dagmar Burkhardt: Eine Geschichte der Ehre, Darmstadt 2006. 251 George Herbert Mead: Mind, Self and Society. From the Standpoint of a Social Behaviorist, hg. von Charles William Morris, Chicago/IL 1934, S. 156. 252 Anonym: Warum bezeigen die Männer dem Frauenzimmer so viel Achtung? Aus dem Französischen [von Klaußner], in: Neue Litteratur und Völkerkunde 3, 1789, 2, S. 298–306, hier S. 299. 253 Ethophilus (Anm. 232), S. 15. 254 Den Terminus ›Ansehenskapital‹ schöpfte Hermann Ehmer. Koloch/Böhling/Ehmer (Anm. 177), S. 82. 255 [Wray] (Anm. 70), Tl. 1, S. 251 f.: »Ein Frauenzimmer, das sich mit einer Mannsperson, die sie angreift, in Traktaten einläßt, kann versichert seyn, daß ohngeachtet aller seiner Versicherungen, daß er ihr Sklave sey, er doch das nur zu einzigen Absicht habe, ihr seine Fesseln anzulegen. Er stellet sich, als wenn er ihr ganz ergeben sey, zu der Zeit, da er an ihrem Verderben arbeitet. Die Knechtschaft eines Frauenzimmers, das ihre Ehre aufopfert, ist die härteste Sklaverey, die auf der Welt seyn kan«. Die Sklaven-Metapher drückt inhaltlich dasselbe aus wie die Rede von der Herzensbeherrscherin.
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ten. Dieser Ausgleich war freilich nur scheinbar ein gerechter.256 Die vorgebliche Dienstwilligkeit des Mannes schürte lediglich die Illusion der Freiheit. In Wahrheit bemäntelte die Förmlichkeit eine Schwachstelle im politischen System. Sie förderte den Frieden zwischen den Geschlechtern, indem sie einen zirkularen Prozeß der Verstärkung prosozialer Eigenschaften in Gang setzte.257 Die symbolische Höherstellung war ein Verhaltensregulativ, das die Emanzipation von Frauen entweder wirkungsvoll abblocken oder aber in gewissen Grenzen vorantreiben konnte: Je mehr Frauen mit Lob bedacht wurden, desto berechtiger konnten sie sich fühlen, Forderungen zu stellen, die auf die Aufhebung von Benachteiligungen im öffentlichen und privaten Leben zielten. Im Zeichen der Aufklärung konnte Kritik an den äußeren Formen, die die symbolische Höherstellung achtbarer Frauen hervorgetrieben hatte, nicht ausbleiben. Für Misophiletes (griech. »Feind des Liebens«) ist 1782 die Verhaltensweise, »dem Frauenzimmer ohne Einschränkung die Hand zu küssen«, ein Brauch, der »Unterthänigkeit, Gehorsam und Abhängigkeit« auf Seiten der Männer voraussetzt. »Ist dies etwan auch das Verhältniß, in dem das männliche Geschlecht gegen das weibliche steht?« Weil es Misophiletes – ganz im Sinne der Geisteshaltung des Humanismus der Renaissance – um die Wahrung der Würde der Geschlechter geht (»ich ehre den Mann, der das Weib als ein Geschöpf von Würde behandelte«), soll diese Gewohnheit abgeschafft werden: »Beiderlei Geschlechter haben von der merkwürdigen Aufklärung unsers Zeitalters so viel gewonnen, um schon seit geraumer Zeit einzusehn, daß die Gewohnheit, dem Frauenzimmer ohne Einschränkung die Hand zu küssen, nicht nur ohne allen Grund in der Natur, ohne alle politische und moralische Absicht und folglich thörigt; sondern auch lästig, beschwerlich, vielen Misbräuchen unterworfen, und dem wahren Jnteresse beider Theile entgegen sey.« 258 Es
256 Ich kann Thomas Schürmann nicht beistimmen, der von der scheinbaren Höherstellung der Frau durch das Kavalierstum spricht. Das Prinzip des vorgeblich gerechten Ausgleichs durch symbolische Höherstellung war in der Frühen Neuzeit kein »Tauschgeschäft«, sondern eine einseitig von Männern erbrachte Kompensationsleistung gegenüber Frauen, die über Ansehenskapital verfügten. Hiervon zu unterscheiden sind Formen der Anbetung und Bewunderung, die sich nur auf eine Einzelperson (z. B. in der Panegyrik) oder auf das gesamte weibliche Geschlecht (z. B. in der frauenapologetischen Literatur) beziehen. Thomas Schürmann: Tisch- und Grußsitten im Zivilisationsprozeß (Beiträge zur Volkskultur in Nordwestdeutschland; 82), Münster u. a. 1994, S. 179: »Die scheinbare Höherstellung der Frau durch das Kavalierstum ist vielmehr Gegenstand eines Tauschgeschäftes, in dem Damen zu geschlechtsrollengemäßem Verhalten ermuntert werden.« Vgl. auch Christiane Schmerl/Dieter Steinbach: Ritterlichkeit – eine indirekte Form von Misogynie?, in: Hans Dieter Schmidt/Christiane Schmerl/Astrid Krameyer u. a., Frauenfeindlichkeit. Sozialpsychologische Aspekte der Misogynie, München 1973, S. 56–79. 257 Man kann dies am Beispiel der Höflichkeit verdeutlichen: Je höflicher Männer Frauen begegneten, desto höflicher begegneten diese jenen und desto höflicher begegneten wiederum jene diesen. 258 Misophiletes: Der Handkuß, in: Schiller [Pseud.?], Philosophie für Damen angenehmen und unterhaltenden Innhalts, Frankfurt/M. 1803, S. 49–77, hier S. 55, 74. Der Text wurde zuerst in unselbständiger Form veröffentlicht: Misophiletes: Ueber die Gewonheit, dem Frauenzimmer die Hand zu küssen, in: Deutsches Museum 1782, 1, S. 419–434. Zum Weiterleben des Handkusses vgl. Franz Rittler: Der Handkuß nach seinen verschiedenen Abstufungen. Eine kritische Beleuchtung des dabey
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darf nicht vergessen werden, daß im alteuropäischen Kulturkreis im Rahmen zeremonieller Akte Ehrenküsse keine Seltenheit waren. Aus Empfangszeremoniell-Beschreibungen geht hervor, daß Frauen zum Handkuß, Ringkuß oder Rockkuß vorgelassen wurden, um damit hohen weltlichen oder geistlichen Würdenträger(inne)n ein Zeichen der Ergebenheit zu entrichten.259 Während aber bei den unterschiedlichen Formen der Huldigung die Legitimation der Machtfülle der zu ehrenden Person im Vordergrund stand,260 erfüllte das mit einem Handkuß verbundene Begrüßungs- oder Abschiedskompliment des Mannes gegenüber der Frau primär eine kompensatorische Funktion. Mit dieser Geste wurde in der Regel Ehrerbietung ausgedrückt, da aber der Handkuß bestens geeignet war, doppelte Botschaften auszusenden, drückte er je nach Kontext und Ausführung auch Distanz, Unterwerfung (etwa beim Handkuß auf die Handinnenfläche), Verachtung, Verbundenheit, Verehrung, Zärtlichkeit, Zuneigung und ähnliches mehr aus.261 Die Tugend der Ehrbarkeit war bei Mädchen und Frauen sehr eng an die Bedingung geknüpft, das in religiösen Reinheitsvorstellungen wurzelnde Scham- und Keuschheitsgebot zu beachten. Die Funktion dieser Gebote bestand einerseits darin, ungewollte Schwangerschaften, nichteheliche Sexualbeziehungen und Mesalliancen zu verhindern, andererseits Frauen zu entsexualisieren, indem um alles, was mit ihrer Sexualität zu tun hat, ein Tabu errichtet wurde. Dieses zur Sitte verfestigte Verhaltensregulativ, das wie ein omnipotentes Kontrollinstrument funktionierte, verlor ebenso wie das kirchliche Schweigegebot für Frauen drastisch an Bedeutung, als die Autorität der Kirche – als Folgeerscheinung der Pluralisierung der Moralvorstellungen und der Säkularisierung des Wissens – immer mehr ins Wanken geriet. So erklärt sich auch, warum die Worte ›Zucht‹ und ›züchtig‹, zwei Wörter, die in Verbindung mit Mädchen und Frauen stets das Scham- und Keuschheitsgebot vergegenwärtigten, seit dem 18. Jahrhundert allmählich aus der Umgangssprache verschwanden.262 Daß der Zucht-Begriff mit religiösen Ordnungsvorstellungen aufgeladen war, beweist ein Zitat im anonymen Charakterspiegel Les différens caractères des femmes du siècle (1694) (ich zitiere aus der deutschen Fassung von 1699): »GLeich wie es unter der Religions-Pflicht begriffen, also will auch die Erbarkeit haben, daß wir uns der Zucht und Bescheidenheit befleissen sollen: Es erfordert aber solche insonderheit bey dem Frauen-Zimmer, daß sie sich in all ihrem Thun und Wandel geziemend und tugendhafft aufführen, in Zucht und Scham ihre Jugend zubringen, auch folgends in gebührender
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erforderlichen Benehmens für Männer von gutem Ton. Auf psychologische Erfahrungen gestützt und als Pendant zu des Frhn. Ad. Knigge Schrift »Ueber den Umgang mit Menschen« und Prof. Wenzels »Mann von Welt«, Wien u. a. 1829. Thomas Schürmann (Anm. 256, S. 169–180) hat die wissenschaftliche Aufarbeitung des Kulturems Handkuß auf breiter Quellenbasis weiterentwickelt. Zur Erb- und Landeshuldigung vgl. André Holenstein: Die Huldigung der Untertanen. Rechtskultur und Herrschaftsordnung (800–1800) (Quellen und Forschungen zur Agrargeschichte; 36), Stuttgart 1991. [Faßmann?] (Anm. 96), S. 37 f. Otto F. Best/Wolfgang M. Schleidt (Mitarb.): Der Kuß. Eine Biographie, Frankfurt/M. 1998, S. 386. Burmann (Anm. 2), S. 171 f. Auf Nachweise muß aus Raumgründen verzichtet werden.
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Furcht leben, und endlich ein vernünfftig End nehmen: Also, daß ihr erstes Alter seye unschuldig; das Andere rein und unbefleckt; ihr Wandel aber letstens sich in geziemender Einfalt lobwürdig ende.«263 Die Worte »Zucht« und »Unzucht« wiesen nicht nur im Zusammenhang mit eindeutig sexuellen Handlungen auf die geltende Sexualmoral hin, sondern auch im Zusammenhang mit sexuell aufreizenden Worten, Gesten und Kleidungsstücken. Im Lehrbuch der christlichen Wohlgezogenheit (1832) werden unsittliche Handlungen, die in Bezug auf das Heil erheblich sind, folgendermaßen zur Sprache gebracht: Fr[age] Legt dem Menschen auch der Unterschied des Geschlechtes besondere Pflichten der Wohlgezogenheit auf? | A[ntwort] Ja, denn Gott hat den Unterschied der Geschlechter gemacht, und hat jedem seine besondere Bestimmung angeordnet. 1. B. Moses 2. K. 18.–25. V. 3. K. 13.–20. V. | Fr[age] Wann ehret der Christ sein und das andere Geschlecht? | A[ntwort] Wenn ein jedes Geschlecht seinen Beruf vor Augen hat, und nach desselben Pflichten handelt; wenn es nichts thut, was Schande für sein Geschlecht ist; denn was dem männlichen Geschlechte übel anstehet, ist weit unanständiger dem weiblichen Geschlechte, z. B. sich berauschen, Fluchen, Nachtschwärmen, Besuche der Wirthshäuser etc.; ferner wenn ein Geschlecht das andere unterstützt, wie es Gott angeordnet hat; wenn kein Geschlecht das andere zum Bösen verleitet, sondern durch Reden und Beyspiele auferbauet; wenn ein Geschlecht das andere christlich behandelt, demselben die gebührende Achtung erweiset, sich von Frechheiten enthält, welche das Ehrgefühl beleidigen; wenn in der Art sich zu kleiden auf Zucht und Anstand gewissenhafte Rücksicht genommen wird; wenn man mehr Gott als den Menschen zu gefallen suchet, und seine Schönheit nicht in Dinge der Eitelkeit, sondern in Gottesfurcht und Tugend setzt.264
Auch wenn die dramatisierten Berichte der zeitgenössischen Skandalliteratur und der älteren Kulturgeschichtsschreibung uns manchmal vom Gegenteil überzeugen wollen: Im Adel wurde im allgemeinen sorgfältig darauf geachtet, nicht gegen das Keuschheitsgebot zu verstoßen, nicht nur, um einem Schwinden des dynastischen Ansehens oder der Familienehre aufgrund von Ehebruch-Vorwürfen entgegenzuwirken, sondern auch, um das Weiterbestehen ererbter Besitztümer und Privilegien durch illegitime Nachkommen nicht zu gefährden. Der Wille zur Keuschheit sollte durch die Konversation mit dem männlichen Geschlecht nicht geschwächt werden.265 Der Kaiserin Euphrosina, Sprachrohr des Jesuiten Nicolas Caussin, gilt die Keuschheit als »der allerköstlichste vnd vornembste schmuck vnsers Geschlechts«.266 Um diese Tugend vor »Anfeindungen« zu schützen, sollen junge Mädchen aus dem Adel vor allem geschützt werden, was sinnliches Begehren erwecken könnte: »Last vns derowegen bey jhnen außreutten [entspricht dem Wort ›ausrotten‹, SK], alle geile lieder, alle gefährliche Bücher, alle schadtliche Bilder, all zu grosses Geschwätz, offteres tantzen, vnd fast stetes Pancketieren.« 267 Zu einer Zeit, als Frankreich wegen seiner freizügigen Geistes- und Geschmacksentwicklung genauso viele neugierig-
263 [Madame de Pringy?:] Character deß heutigen Frauenzimmers […], Augsburg 1699, S. 17 f. 264 Galura (Anm. 25), S. 100 f. 265 Nicolas Caussin: Spiegel deß hochadelichen christlichen FrawenZimmers […], Köln 1642, S. 34, 93–100. 266 Ebd., S. 93. 267 Ebd., S. 96.
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bewundernde wie skeptisch-mißbilligende Blicke auf sich zog, rät Ariste, Sprachrohr des Abbé d’Aubignac, seiner Schülerin Celimene davon ab, nach der Verehelichung Freundschaften mit jungen Hofmännern zu unterhalten: »Nein, Celimene, sie dencke ja nicht, daß sie jemals eine warhafftige freundschafft mit unsern jungen Cavalieren werde machen können. Das aufwallen des hitzigen bluts, welches ihnen die ungestümigkeit ihrer hefftigen begierden verursachet, die verblendung des verstands, in deren [sic] sie allen sündlichen wohllüsten nachlaufen, und die algemeine verderbnüß unserer sitten, von denen sie in einer natürlichen anfeindung der ehrbarkeit und eines tugendhafften lebens unterhalten werden, die lassen ihnen solches nimmermehr zu.« 268 Ein solches Modell des männlichen Sexualtriebes läßt der Frau, die diesen Text liest, keine andere Wahl, als sich vor der Bedrohung, die von jungen Männern ausgeht, mit allen erlaubten Mitteln zu schützen. Während Frauen, die es zu etwas bringen wollten, sich in gemischtgeschlechtlichen Konstellationen darauf zu konzentrieren hatten, nicht an Männer zu geraten, die sich die Zeit damit vertrieben, Frauen zu umgarnen und zu verführen, denn diese Form der Galanterie (das amouröse Verhalten des Mannes gegenüber der Frau)269 konnte ihren Ruf nachhaltig schädigen, mußten Männer, die es zu etwas bringen wollten, in gemischtgeschlechtlichen Konstellationen viel Energie darauf verwenden, ihre Komplimente nach den Wünschen der Frauen einzurichten – um sich bei ihnen beliebt zu machen, um sich die Gunst von Frauen zu sichern, die für ihr berufliches Fortkommen wichtig waren (etwa weil sie auf die höfische Personalpolitik Einfluß nehmen konnten) oder um Konkurrenten auszustechen. Auf die Frage »Wie soll demnach ein Frauenzimmer zu dem ersten zweck,
268 [Hédelin] (Anm. 240), S. 203. Über den 22jährigen Ehemann von Jeanne de Liancourt berichtet Boileau: »Allein er hatte das Wesen, so die meisten Hoffleute, wenn sie in solchem Alter sind, an sich genommen, nemlich zu spielen, zu schwelgen, böse Zeitvertreiben, und das Frauen-Zimmer zu lieben.« [ Jean-Jacques Boileau:] Vor-Bericht, in: [ Jeanne de Liancourt,] Reglement donné par une dame de haute qualite [sic], oder Anweisung zum rechtschaffnen Leben von einer sehr vornehmen Standes Dame für Mde. – Ihre[s] Sohns Tochter […], Leipzig u. a. 1713, S. 1–68, hier S. 6. 269 Im weiteren Sinn bezeichnet das Wort ›Galanterie‹ die höfische Ästhetik und Lebensweise sowie das darauf abgestimmte Bildungs-, Umgangs- und Stilideal, im engeren Sinn den Frauendienst seit dem Mittelalter. Während bürgerliche Adaptionen des höfischen Bildungsideals direkt übernommen werden konnten, war gleiches mit der aufwendigen Lebensweise und dem Umgangs- und Stilideal aus Standesgründen nur modifiziert möglich. Vgl. Christian Ernst Weisse: Ueber die Einführung der Galanterie in dem Mittelalter von Christian Ernst Weisse beyder Rechte und Weltweisheit Doktor, Leipzig 1793. Alain Viala: D’une politique des formes: la galanterie, in: XVIIe Siècle 182, 1994, S. 143–151. Das Wort ›Galanterie‹ dient auch zur Bezeichnung von Luxusgütern und Verschönerungsmaßnahmen, die zu einem vornehmen Lebensstil notwendig dazugehörten: »ES wird unnöthig seyn, in diesem Capitul [»Von Kindtauffen«, SK] von demjenigen, was bey dieser Materie zum Galanterie-Ceremoniel erfordert wird, zu reden; als, von der Propreté und dem Aufputz der Wochen-Stube, oder des Zimmers, darinnen das Kind getaufft werden soll, von der Parade des Wochen-Bettes, von dem kostbahren Geräthe des Kindes, von der Standes-mäßigen Bewirthung des Gevattern, und andern dergleichen Eitelkeiten, weil die Dames mehr als zu sinnreich, von dergleichen neuen Moden etwas zu erfinden, und mehr als zu mühsam, einander hierinnen zu unterrichten; […].« von Rohr (Anm. 132), S. 621.
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5. Kommunikative Kompetenzen von Frauen: Positionen und Empfehlungen
nehmlich zu einem vernünfftigen und christlichen leben angeführet werden?« gibt Dieterich Hermann Kemmerich (1677–1745) die Antwort: »Vornehmlich muß man sie vor denjenigen schwachheiten und lastern, wozu das weibliche geschlecht am meisten geneigt zu seyn, oder die meisten anreitzungen, und nachstellungen zu haben pfleget, sorgfältig zu verwahren suchen: dergleichen sind, falsche einbildungen von der schönheit, kleiderpracht, stoltz, zärtigkeit, furchtsamkeit, klätschery, insonderheit unkeuschheit. […] Ferner daß die weibs-bilder vielen schwachheiten unterworffen seyn; daher sie denen lobeserhebungen der manns-bilder nicht dürffen glauben beymessen, noch viel weniger sich dadurch hochmüthig machen lassen: weil solche öffters nur lockspeisen sind, sie ins netze zuziehen.«270 Für Kemmerich ist die Neigung der Frauen zu Unkeuschheit eine Naturtatsache. Weil Männer diese Schwäche auszunutzen versuchen, und weil sich daran nichts ändern wird, muß die Frau lernen, jene Männer, deren Reden aus »lobeserhebungen« bestehen, unter Generalverdacht zu stellen. Verdacht hat sie deshalb zu schöpfen, weil sie durch die Macht des Wortes zu Unkeuschheit verführt werden kann. Auch das Scham- und Keuschheitsgebot war ein Verhaltensregulativ, das die Ausbildung geschlechtsspezifischer Formen des Komplimentierens begünstigte. Hier nochmals August Bohse: »Das Glück hätte diesen Tag nicht vermuthet, so angenehmes Frauenzimmer allhier zu finden.« 271 Die Angeredete ein »angenehmes Frauenzimmer« oder – wie Faust das Gretchen – »Mein schönes Fräulein« 272 zu titulieren, war eine Kommunikationsstrategie bürgerlicher Männer, die sich bei Frauen ihres Standes oder bei Rangniedrigeren empfehlen oder einschmeicheln wollten.273 Einer Frau, die nicht als unverschämt oder lüstern gelten wollte, war gleiches nicht möglich. Man hätte es als Schamlosigkeit ausgelegt, wenn Frauen ihr Gefallen an der körperlichen Schönheit oder erotischen Anziehungskraft von Männern in Form von lobenden Worten zum Ausdruck gebracht hätten. Sie durften sich aber in ihrem Abschiedskompliment für die »angenehme Gesellschafft« bedanken. Albert Sommer legte 1662 folgendes Abschiedskompliment in den Mund einer Jungfer: »Wir bedancken uns gantz freundlich für seine angenehme Gesellschaffts-Leistunge, und weiln es nunmehr fast spät ist, und Zeit heimbzugehen: So wünschen wir demselben eine geruhesame gute Nacht.« 274 Wenn ein Mann die Anrede »angenehme (schöne) Mannsperson« gewählt hätte, wäre dies als scherzhafte, gar ironische Äußerung ausgelegt worden oder – nun nicht mehr nur eine Frage des guten Geschmacks und des Taktgefühls, sondern der Moral – der Sprecher hätte sich verdächtig gemacht, ein ero-
270 Dieterich Hermann Kemmerich: […] Neu-eröffnete Academie der Wissenschafften […], 3 Tle., Leipzig 1711–1714, Tl. 1, S. 71 f. 271 [Bohse] (Anm. 157), S. 173 f. 272 »FAUST Mein schönes Fräulein, darf ich wagen, | Meinen Arm und Geleit Ihr anzutragen? | MARGARETE Bin weder Fräulein, weder schön, | Kann ungeleitet nach Hause gehn.« Johann Wolfgang von Goethe: Faust. Texte. Hg. von Albrecht Schöne ( Johann Wolfgang Goethe. Sämtliche Werke; 7, 1), Frankfurt/M. 1994, S. 112. 273 Vgl. auch meine Anmerkungen zur Publikumsanrede »Ihr Schönen« in Abschnitt 4.3. 274 Sommer (Anm. 245), S. 85.
5.3 Von Frauen gewählte oder (nicht) zu wählende Gesprächsthemen
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tisches Empfinden für das eigene Geschlecht zu haben. Doch für die angenehme Gesellschaft oder Konversation durften auch Männer sich bei ihren Geschlechtsgenossen bedanken.275
5.3 Von Frauen gewählte oder (nicht) zu wählende Gesprächsthemen Im Gegensatz zur heute üblichen Praxis sind in frühneuzeitliche gesprächspädagogische Konzeptionen religiöse Aussagen mit dem Anspruch der Allgemeingültigkeit eingeflossen.276 Zu einem graduellen Abrücken von religiösen Bezugssystemen kam es in der Renaissance und unter dem Einfluß der Machtentfaltung der Höfe im Zeitalter des Absolutismus. Nehmen wir zur Veranschaulichung einer frühneuzeitlichen gesprächspädagogischen Konzeption die Konversationslehre von René Bary (publizistisch tätig seit 1633).277 275 Beispielsweise hofft der Briefschreiber Graf Wolfgang Georg von Castell (1610–1679), noch öfters in den Genuß der »angenehmen conversation« von Johann Valentin Andreae kommen zu dürfen: »Dero thue zu vorhabender anhero reyse von dem Allerhöchsten viel glück und heyl, und darbeneben von hertzen wünschen, daß dieselbe wohl anlangen, und noch viele Jahre mit gesundheit, und allen selbst desiderierenden Wohlstand bey unß allhier verbleiben, und ich in particulari so glücklich seyn möge, Ihrer angenehmen conversation öffters zugenießen, und mich darinnen zuergötzen.« Zitiert nach Koloch/Böhling/Ehmer (Anm. 177), S. 112. 276 Von den kommunikativen Grundfähigkeiten Sprech-Denken und Hör-Verstehen einmal abgesehen, umschließt gesprächsrhetorisches Handeln nach Hellmut Geißner soziale und kognitive Fähigkeiten, die es gestatten, »sich an verschiedenen – regel(losen) und geregelten – Gesprächen zu beteiligen (zu beginnen, zu beenden, auch: abzubrechen); zuzuhören, nachzufragen, eigene Meinungen klar und situationsangemessen zu formulieren; sich gruppendienlich zu verhalten, ohne eigene Meinungen einfach preiszugeben; wenn es strittig ist oder wird, konfliktfähig zu sein oder werden, an der Konfliktlösung mitzuarbeiten, aber auch zur Konfliktvermeidung fähig zu sein; sachangemessen und hörverständlich zu begründen, die eigene Meinung argumentativ zu vertreten sowie verantwortungsund kritikfähig zu werden.« Das oberste Lernziel von Gesprächserziehung sei in heutiger Zeit kritische Mündigkeit. Hellmut Geißner: Gesprächserziehung, in: Gert Ueding (Hg.), Historisches Wörterbuch der Rhetorik, Bd. 3, Tübingen 1996, Sp. 947–953, hier Sp. 948. Vgl. auch ders.: Sprecherziehung. Didaktik und Methodik der mündlichen Kommunikation, 2. Aufl. Frankfurt/M. 1986. Ders.: Gesprächsrhetorik, in: Gert Ueding (Hg.), Historisches Wörterbuch der Rhetorik, Bd. 3, Tübingen 1996, Sp. 953–964. Wilhelm Kühlmann: Pädagogische Konzeptionen, in: Christa Berg u. a. (Hg.), Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte. Bd. 1: 15. bis 17. Jahrhundert. Von der Renaissance und der Reformation bis zum Ende der Glaubenskämpfe, hg. von Notker Hammerstein, München 1996, S. 153–196. 277 Zu L’esprit de cour ou les conversations galantes vgl. Wilhelm Knörich: Litterarisch-gesellige Bestrebungen, besonders der Damen, und ihr Vorbild, sowie die Frauen-Emancipation in Frankreich während der ersten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts. Eine litterar- und kulturhistorische Studie, in: Zeitschrift für Kulturgeschichte 3, 1896, S. 385–416, hier S. 398–402. Maurice Magendie: La politesse mondaine et les théories de l’honnêteté en France, au XVIIe siècle, de 1600 à 1660, 2 Bde., Paris [1926], Bd. 2, S. 830. Zaehle (Anm. 35), S. 132 f., 228, Anm. 323. Strosetzki (Anm. 34), S. 8, 50, 54, 71, 84, 102, 131, 145. Timmermans (Anm. 19), S. 263 f.
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5. Kommunikative Kompetenzen von Frauen: Positionen und Empfehlungen
Das umfangreiche französische Original (633 Seiten) im Kleinoktavformat erschien ein Jahr nach dem Beginn der Alleinregierung Ludwigs XIV. Es wurde zweimal ins Deutsche übersetzt: [René Bary:] L’esprit de cour ou les conversations galantes divisées en cent dialogues, Paris 1662. Weitere Ausg. u. Aufl. 1664, 1665, 1673, 1681. René Bary: Der Hoff-Geist oder Anweisung zu höff lichen Conversationen. In hundert Gespräch abgetheilet, und anfangs von dem königl. frantzösischen Consiliario Herrn R. de Barii, frantzösisch beschrieben, anjetzo aber jederman zu gut ins deutsche gebracht; von P. A. K., Frankfurt/M. 1668. [René Bary:] Esprit de cour, das ißt: Politische Hof-gespräche und höfliche Unterredungen von allerley nüzlichen und angenehmen Sachen bey vornehmen Leuten, insonderheit aber bey vornehmen Frauenzimmer zu discouriren und bey demselben sich beliebt zu machen, wobey auch andere nützliche politische Fragen erörtert werden. Allen denen, welche bey ermelten Personen sich angenehme und beliebt zu machen trächten zur angenehmen Erfindung und nützlichen Belustigung auß dem Frantzösischen ins Teutsche übersetzet, und jetzo zum erstenmahl zum Druck befodert durch Philogynum Dulciloquum. Wer mich mit Lust und Liebe liest, dem wird es wol gelingen: wann er bey seinen Leuten ist, was gutes fürzubringen, Zell 1687. Der Vorrede ist zu entnehmen, was in dem Buch gelehrt wird (ich zitiere nach der deutschen Ausgabe von 1668). »Jch habe mich beflissen zu lehren«, schreibt Bary, »wie man einen discurs eröfnen, wie man die materien vorbringen, wie man den Zwispalt vereinigen, und auff was weise man sich beliebt machen solle. Vnd damit ich alle particularitäten, die es in sich begreift, gäntzlich erkläre, habe ich gesucht zu entdecken, mit was vor einer Artigkeit man einige Meinung behaupten, und wie frisch man einige derselben bestreiten könne.« 278 Heute würde man die gleichen Inhalte in etwa so ausdrücken: Der Autor lehrt, wie Gesprächseröffnungen zu gestalten sind, worauf es beim Führen eines Gespräches ankommt, wie man gegensätzliche Positionen vereinigen, die Selbstdarstellung optimieren und eine das Gespräch belebende Rhetorik des Insistierens und des Widersprechens einsetzen und dabei auch noch galant und höflich auftreten kann. Über Barys Biographie ist fast nichts bekannt. Er war als Historiograph im Dienst des französischen Königs tätig und verfaßte schon 1653 mit La rhétorique françoise ein »Handbuch für Konversation und Stil«, das »die Lektionen der Astrée systematisiert«.279 Wahrscheinlich war der Autor selbst einer jener »bel esprit«, die er in L’esprit de cour ou les
278 René Bary: Der Hoff-Geist […], Frankfurt/M. 1668, S. 2. Diese deutsche Erstübersetzung registrierte bereits Egon Cohn: Gesellschaftsideale und Gesellschaftsroman des 17. Jahrhunderts. Studien zur deutschen Bildungsgeschichte (Germanische Studien; 13), Berlin 1921, S. 20. Vgl. auch Beetz (Anm. 30), 1990, S. 102. Dagegen ist die deutsche Zweitübersetzung von L’esprit de cour in der Forschung nicht auf Widerhall gestoßen. 279 Baader (Anm. 35), S. 62. Zu den deutschen Astrée-Übersetzungen vgl. Renate Jürgensen: Die deutschen Übersetzungen der Astrée des Honoré d’Urfé (Frühe Neuzeit; 2), Tübingen 1990.
5.3 Von Frauen gewählte oder (nicht) zu wählende Gesprächsthemen
343
conversations galantes an wechselnden Figurenkonstellationen darbietet. Mit seiner Konversationslehre stellte er unterhaltsam-galante Themen und artige Einfälle bereit, die an der höfischen Lebenswelt und den Moden der »mondaines« (der Weltleute) ausgerichtet sind. Erotische Anspielungen fließen ihm leicht aus der Feder. Seine Freizügigkeit rechtfertigt er mit dem Argument, Frauen müßten mit sexuell manipulativen Angriffen auf ihre Keuschheit umgehen lernen.280 Derartiges erotisches Antichambrieren trifft man bei Barys bedeutendem deutschem Vorgänger Georg Philipp Harsdörffer nicht an.281 Dies bringt auch dessen gesprächspädagogische Konzeption zum Ausdruck. Harsdörffer konstruierte ehrbare, unterhaltsame, an Bildungs- und Wissenschaftsinhalte gekoppelte Gespräche,282 wogegen Bray geistreiche, unterhaltsame, galante Plaudereien imitierte und kreierte. Damit ist das Trennende in der gesprächspädagogischen Konzeption beider Werke benannt. Gemeinsamkeiten sind reichlicher vorhanden. Beide Autoren verfaßten Modellgespräche, an denen sich auch weibliche Figuren beteiligen, und beide bekannten sich zum Ziel, dem Laster durch Stärkung der Tugend den Boden zu entziehen.283 Ganz in diesem Sinne weist Bary in der Vorrede den antizipierten Vorwurf, er vernachlässige die Sittenlehre, entschieden von sich.284 Interessanterweise erinnert der Titel der deutschen Zweitübersetzung von Barys Konversationslehre an ein Erfolgsrezept, das eine weitere Gemeinsamkeit aufdecken hilft: »Wer mich mit Lust und Liebe liest, dem wird es wol gelingen: wann er bey seinen Leuten ist, was gutes fürzubringen«, spricht suggestiv das zur Person gewordene Buch. Da de facto beide Autoren die Meinung vertraten, Lesen sei eine ideale Vorbereitung auf Gruppengepräche,285 steht definitiv fest: Die gesprächspädagogischen Konzeptio-
280 Bary (Anm. 278), S. 7. 281 Jean-Daniel Krebs: Georg Philipp Harsdörffers Frauenzimmer-Gesprächspiele: Konversation als Erziehung zur »honnêteté«, in: Alain Montandon (Hg.), Über die deutsche Höflichkeit. Entwicklung der Kommunikationsvorstellungen in den Schriften über Umgangsformen in den deutschsprachigen Ländern, Bern u. a. 1991, S. 43–60. Bary konnte schon allein deshalb nicht dem Vorbild von Harsdörffer folgen, weil er dessen Gesprächspiele (8 Tle., 1641–1649) nicht kannte. Harsdörffers Zeitgenossen waren über das Werk geteilter Meinung, vgl. Abschnitt 6.2, Anm. 146. 282 Harsdörffer kombiniert die Modellgespräche mit anderen Bildungs- und Unterhaltungselementen wie zum Beispiel Notentexten. 283 Harsdörffer (Anm. 58), Tl. 1, 1644, Bl. B3ab. Bary (Anm. 278), S. 4. Bary verfaßte ein frauenadressiertes Philosophielehrbuch: René Bary: La fine philosophie accommodée à l’intelligence des dames, Paris 1660. 284 Bary (Anm. 278), S. 8: »[…] so kann ich aufs wenigst sagen, daß ich die Bestreiter der falschen Grund-Regeln kräftiglich bestreite, und daß ich in eben diesen Gesprächen, in welchen ich die Zierlichkeit der Redkunst schimmern lasse, auch die Wichtigkeit der Sittenkunst mit einmenge.« Vgl. auch ebd. S. 4. 285 Die diesbezügliche Position von Harsdörffer wird in Abschnitt 1.2 referiert. Ebd., S. 176 f.: »Man lernt auß ihnen [den Romanen, SK] Brieffe und Erzehlungen zu machen, von dem Ansprechen und von dem Außgang desselben; man lernt auß ihnen wie man mit Fürsten reden, auf was Manier man mit den Damen umbgehen sol; Man lernt auß ihnen wie die conditiones exprimirt und wie die Geschlechter regulirt werden.«
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5. Kommunikative Kompetenzen von Frauen: Positionen und Empfehlungen
nen beider Autoren bauen sowohl auf den kommunikativen Grundfähigkeiten SprechDenken und Hör-Verstehen als auch auf Text-Verstehen auf.286 Was in der Frühen Neuzeit über Gesprächsthemen geschrieben wurde, läßt sich unter dem Gesichtspunkt der Intentionen in drei Gruppen einteilen: Die einen richteten den Blick auf die Praxis und hielten nur die Mißstände fest. Die Maßstäbe, mit denen die Redepraxis von Frauen beurteilt wurde, entstammten der Männerwelt und waren die üblichen. Das Ziel bestand darin, die Fehlerbehafteten zu bessern, indem ihnen ein Spiegel vorgehalten wurde. Andere verfolgten mit Blick auf die Praxis das Ziel, Änderungen herbeizuführen, indem sie erklärten, was ihnen aus welchen Gründen mißfiel. Wieder andere hielten sich nicht lange mit Beschreibungen und Erklärungen auf, sondern gingen direkt auf ihr Ziel zu. Sie legten fest, worüber Frauen reden sollen und dürfen und worüber nicht. Gerade solche leichter konsumierbaren Anweisungen fanden dankbare Abnehmer(innen). Schauen wir die drei Gruppen an ausgewählten Texten näher an.
1.
Gespächsthemen im Zerrspiegel maskuliner Kritik
1630 erschien ein schmales Oktavbändchen (85 Seiten), das neben einer an den Werten der »altdeutschen Opposition« 287 orientierten Satire auf das Alamodewesen auch noch Verhaltensregeln für die adlige Jugend und die Dienstboten offeriert. Die dritte Auflage des Werkes – Eine Renovirte und mercklich vermehrte alamodische Hobel-Banck (ca. 1670/ 1680) – erschien unter dem sprechenden Pseudonym »Expertus Waarmund«.288 Anonym: Alamodische Hobelbanck. Daß ist: Ein sehr lustiger vnnd artlicher Discurs, zweyer Adelspersonen, welche sie von den Alamodischen, ja vilmehr von den jetzigen im schwung gehenden vnhöfflichen Sitten, närrischen Gebräuch vnd Mißbräuchen, als da ist in Klaidern, Gebärden, gehen, vnd Basolaßmanos machen, so sie bey etlichen Völckern im Durchraisen, sonderlichen aber bey den vngewanderten Teutschen wargenommen, halten, Augsburg 1630. Weitere Ausg. und Aufl. 1668, ca. 1670/1680, 1701, 1710, 1713.289 Rudolph fällt im Dialog mit Adolph die undankbare Aufgabe zu, wahrheitsgemäß über »Frauen-Zimmer Mißbräuche« 290 zu berichten. Er befürchtet, die Frauen könnten ihm zur 286 Bei Harsdörffer kommt als kommunikative Grundfähigkeit noch die Text-Produktion hinzu, da er in seinen Gesprächspielen auch kreatives Schreiben lehrt. 287 Manfred Beetz: Anstandsbücher und Kommunikationslehren der Frühmoderne als gesellschaftsethische Wegweiser, in: Hans-Gert Roloff (Hg.)/Renate Meincke (Mitarb.), Editionsdesiderate zur Frühen Neuzeit. Beiträge zur Tagung der Kommission der Edition von Texten der Frühen Neuzeit (Chloe. Beihefte zum Daphnis; 25), 2 Tle., Amsterdam u. a. 1997, Tl. 2, S. 729–738, hier S. 733 (nicht erwähnt werden vom Verfasser die Erstauflage von 1630 und die letzte Auflage aus dem Jahr 1713). 288 Zu den Auflagen von 1701 und 1713 vgl. Eva Nienholdt/Gretel Wagner-Neumann (Bearb.): Katalog der Lipperheideschen Kostümbibliothek, 2 Bde., 2., völlig neubearb. u. verm. Aufl. Berlin 1965, Bd. 2, S. 866. 289 »Basolaßmanos« leitet sich ab von span. »beso las manos« = »ich küsse die Hände«. 290 Anonym: Alamodische Hobel-Banck […], o. O. 1668, S. 31–48.
5.3 Von Frauen gewählte oder (nicht) zu wählende Gesprächsthemen
345
Strafe »mit ihren scharffen und schneidenden Zünglein eins setzen«.291 Sein Gesprächspartner hilft ihm auf die Sprünge, indem er eine Reihe von Fragen stellt, die das Thema griffiger machen sollen: »WAs hält dann der Herr auf des Frauen-Zimmers Procedere, wie gefallen dem Herrn ihre Ceremoni? wie ihr Reverentz? wie ihr Discurs? wie ihr Verträuligkeit miteinander? wie ihr Zucht und Erbarkeit? wie ihr Tracht? wie ihr Häusligkeit? und wie ihr grosse Gemeinschafft und Sauffschwesterschafft, so in diesen Landen gar starck im Schwang gehen?« 292 Das erste, was Rudolph hierzu einfällt, ist dies: Herr, ich sage dem Herrn die gantze Warheit, daß ich nirgends an keinem Ort, keine abgeschmacktere, stoltzere, noch ärmere, hochtrabende Frauenbilder nie gesehen, die den Leuten so wacker Kläyerle anhencken, und sie bei der Nasen umbführen können, als allhie bey uns, dann wann sie zusammen kommen, ist ihr Discurs nichts anders, als von dieser und jener Frauen, von dieser und jener Jungfrauen, von diesem und jenem jungen Gesellen, Mann, oder wer er ist, da ist er, oder sie, nicht Edel genug, seine Mutter ist nur die und die gewesen, er ist ein schlechter Potentat gewesen, das jenige, was er hat, erheyrathet, hat keinen Dienst, oder hat einen schlechten Dienst, ist nirgend gewest, hat nicht viel zum Besten, hat viel Schulden, ist gar nicht beredt, ist ein Zechbruder, ist kein Haußhalter, hat keinen beym Brett, der ihm helffe, ist gar stoltz, und ist nichts darhinter, ist nicht schön, hat gar krumme Füß, ist gar blocket und ungeschickt, kan sich nicht accommodiren: ist ein Fuchtler, er zeucht die Leute gewaltig hindurch, ist ein Vogel, ist ein rechter kahler Schufft, ein rechter Schindhals, ist nur ein Pfeffersack, ist ein neugebachner Edelmann, kan nichts, hat nichts gestudirt, ist gar eine kleine unansehnliche Person, ist gar zu dick, lang oder dünn, ist ein Bettbruder, spielt Tag und Nacht, ist ein prächtiger Esel, was dergleichen descriptiones mehr seyn, die sie gar spitzfindig und meisterlich fürbringen können.293
Rudolph prangert drei angebliche weibliche Untugenden an: Verschlagenheit, neidvolle Verachtung und die Gewohnheit, sich über andere in spöttisch-boshafter Weise zu verbreiten (üble Nachrede).294 Die Verurteilung der geschilderten Verhaltensweisen als Frauenzimmer-Mißbräuche wirft aus heutiger Sicht viele Fragen auf. Waren die beschriebenen Überstände nicht auch Verhaltensweisen, aufgrund derer eine Männersatire hätte verfaßt werden können? 295 Bestand die Angst von Rudolph, Frauen könnten ihn verbal attackieren, zu Recht? Eine Textstelle im Wegweiser zur Höff ligkeit (1646) verbannt die Befürchtung von Rudolph gewiß nicht ins Reich des Unwahrscheinlichen: »Und wie man das Frawenzimmer durch schelten, Tadeln, vnd vbel nachreden, zum Zorn bewegen kan: Also wird man leicht ermessen, daß kein Mittel oder Werckzeug sey, dadurch man sie zur Liebe, Gunst vnd Wolgewogenheit anbringen, oder entzünden möge, als wenn man jhre Qualiteten, Wort, Wercke, Sitten vnd Thaten mit Lobe herauß streichet.« 296 Warum 291 292 293 294
Ebd., S. 31. Ebd. Ebd., S. 32 f. Die Kritik an Frauen, die über andere reden, thematisiert Barbara Correll im Hinblick auf Friedrich Dedekinds Grobianus (1549): Grobiana in Grobianus: The Subject at Work in the »laborinth« of Simplicity, in: dies., The End of Conduct: Grobianus and the Renaissance Text of the Subject, Ithaca/NY u. a. 1996, S. 77–133, hier S. 122 f. 295 Zu den »Zungensünden« vgl. meine Bemerkungen in Abschnitt 5.1. 296 [Engelsüß] (Anm. 197), S. 291.
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5. Kommunikative Kompetenzen von Frauen: Positionen und Empfehlungen
mußte Adolph die »grosse Gemeinschafft« der Frauen als »Sauffschwesterschafft« diskreditieren? 297 Etwa weil diese große Gemeinschaft eine unkontrollierbare Dynamik entfalten könnte? 298 Befürchteten Männer, Frauen würden, wenn sie unter sich sind, manches hinterfragen, was unhinterfragt bleiben sollte? Kehrte sich die von der Kirche geschürte Frauenfeindlichkeit unter bestimmten Umständen gegen die eigenen Geschlechtsgenossinnen? Hatte die vielbeklagte Tendenz zur Verrohung während des Dreißigjährigen Krieges auch auf Frauen übergegriffen? Waren infolge des Krieges auf sich gestellte Frauen in ihrem Selbstbewußtsein gestärkt worden, und glaubten Männer, gegen dieses Selbstbewußtsein angehen zu müssen? Eines ist in jedem Fall sicher: Die politisch-sozialen Rahmenbedingungen leisteten den aufgezählten »Mißbräuchen« Vorschub. Sie zementierten den rechtlichen Abhängigkeitsstatus von Frauen und drosselten deren Selbstwertgefühl. Der gesellschaftliche Zwang zu Unterordnung, Fremdbestimmung und zurückgezogener Lebensweise wurde von den weiblichen Betroffenen je nach Charakter und Erziehung als gottgegeben hingenommen oder hemmungslos unterlaufen.299 Der zitierte Textauszug stellt einen Beleg dafür dar, wie »negative« Gefühle verarbeitet werden können, nämlich in Form von ausagierter Verachtung. Die Frauenzimmer-Mißbräuche, die in der Alamodischen Hobelbanck beschrieben werden, stehen in der Tradition volkstümlicher Frauenschelten 300 und frauenkritischer Satiren.301 In der Regel stammten solche Schriften von Autoren, die im Gegensatz zu den Ideologen des Hexenwahns Frauen keinen Pakt mit dem Teufel unterstellten.302 Dennoch 297 Diese aus den Zeitumständen erklärliche Vorhaltung hatte auch die Fruchtbringende Gesellschaft abzuwehren. Während des Dreißigjährigen Krieges wurde Wasser aus hygienischen Gründen mit Wein gemischt, was bei genetisch anfälligen Menschen die Suchtgefahr erhöhte. 298 Joy Wiltenburg: Disorderly Women and Female Power in the Street Literature of Early Modern England and Germany, Charlottesville/VA u. a. 1992. Sylvia Wallinger/Monika Jonas: Der Widerspenstigen Zähmung. Studien zur bezwungenen Weiblichkeit in der Literatur vom Mittelalter bis zur Gegenwart (Innsbrucker Beiträge zur Kulturwissenschaft. Germanistische Reihe; 31), Innsbruck 1986. 299 Zum in der Psyche ruhenden Aggressionspotential als Möglichkeit einer analytischen Neudefinition der Subjektkonstituierung vgl. Judith Butler: Psyche der Macht. Das Subjekt der Unterwerfung, Frankfurt/M. 2001 (Orig. The Psychic Life of Power. 1997), S. 157–184, 196–198. 300 Heinrich Klenz: Die Quellen von Joachim Rachel’s erster Satire: Das Poetische Frauenzimmer oder Böse Sieben [1664], Freiburg/Br. 1899. Otto Ladendorf: Böse Sieben, in: ders., Historisches Schlagwörterbuch. Mit einer Einleitung von Hans-Gerd Schumann, Ndr. d. Ausg. 1906, Hildesheim 1968, S. 31–33. 301 Zur literarisch-satirischen Kritik an der Frau in deutscher Sprache existiert noch keine Einzeluntersuchung. Vgl. die vorbildliche Untersuchung von Erhard Hobert: Die französische Frauensatire 1600–1800. Unter Berücksichtigung der antiken Tradition, Diss. Marburg 1967. 302 Der Frühaufklärer Christian Thomasius wandte sich gegen die abergläubische Vorstellung, man könne mit dem Teufel einen Pakt schließen. Vgl. Christian Thomasius: Vom Laster der Zauberei. Über die Hexenprozesse/De crimine magiae. Processus inquisitorii contra sagas. Hg., überarbeitet und mit einer Einleitung versehen von Rolf Lieberwirth, Ndr. d. Ausg. Weimar 1967, München 1986. Gerhild Scholz Williams: Hexen und Herrschaft. Die Diskurse der Magie und Hexerei im frühneuzeitlichen Frankreich und Deutschland (Forschungen zur Geschichte der älteren deutschen Literatur; 22), überarb. Ausg. München 1998 (Orig. Defining Domination, 1995).
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müssen auch diese Autoren als mehr oder minder misogyn bezeichnet werden.303 So auch Ethophilus. Seine Kritik ist kaum vernehmbar, zumal seine sanfte Ironie versöhnlich wirkt: »Frauenzimmer redet untereinander gemeiniglich von Flachse, ob dieser wohl gerathen, ob er theuer sey oder nicht, wie viel Garn man aus einem Schocke spinnen könne, wie viel man Tuch mache lassen, was der Mann vor ein Feind vom Spinnen sey, und dergleichen tröstliche Materien: Manchmal kommet auch wohl gar ein Gänse-Discurs darzu, ob diese dieses Jahr wohl gestanden, und so ferner. Vornehmes Frauenzimmer redet vom Putze und Moden, welches die besten, und bey den Ledigen werden die Erzählungen der Liebsten auch schwerlich vergessen, das Manns-Volck aber, dem man nicht gut, kann hier seine Censur vom Haupte biß zum Füssen rechtschaffen finden. Ich weiß nicht, ob man nicht eben über andere Dinge reden könnte. Doch das liebe Frauenzimmer muß inzwischen auch eine Materie zum Reden haben.« 304 Mit seiner Unterscheidung in gewöhnliche und vornehme, verheiratete und ledige Frauen erweckt Ethophilus zunächst den falschen Eindruck, er wolle nicht pauschal sein. Aber mit der Frage, ob Frauen nicht auch über andere Dinge reden könnten, werden alle aufgezählten Gesprächsstoffe, auch die, deren Nutzen unbestritten war und zu deren Profiteuren im Alltag auch Männer zählten, entwertet. Ein Autor, der nicht als misogyn klassifiziert werden darf, war der Abbé Goussault. Er kritisiert Frauen, die andere vorschnell verurteilen und über Dinge reden, von denen sie nichts verstehen: »Diejenigen aber, die alles nach der Strenge durchziehen, ohne Unterschied der Personen, noch Ansehen des Standes oder Alters, oder ohne Betrachtung der Sachen Beschaffenheit alles bereden und verurtheilen, sind so gefährliche Sinne, die auch andere verderben können.« 305 Diese Kritik bezieht sich nicht auf Frauen in toto, sondern nur auf diejenigen, die den Fehler begehen, über eine Sache zu reden, ohne die Sache selbst und die Umstände richtig zu kennen. Das Publikum erfährt auf diese Weise, was genau der Fehler dieser Frauen ist und warum man im Umgang mit ihnen Vorsicht walten lassen soll. – Die Alamodische Hobelbanck erschien zum letzten Mal in dem Jahr, in dem die deutsche Übersetzung von Goussaults Le portrait d’une femme honneste, raisonnable et véritablement chrestienne (1693) herauskam. Die beachtliche Langlebigkeit der Hobelbanck läßt sich darauf zurückführen, daß der Autor weltläufig war, seine Kritik originell zu verpacken wußte und mit seiner Schrift die gut gemeinte Absicht verfolgte, den Adel vor Modetorheiten des In- und Auslandes zu bewahren.
2.
Kritik an Gesprächsthemen im Verbund mit Ursachenanalyse
Nicht ohne einen Unterton von Ironie kritisiert der Jesuit Nicolas Caussin in seinem Spiegel deß hochadelichen christlichen FrawenZimmers (1642) die Eintönigkeit und Einfältigkeit der Themen, über die Frauen reden, wenn sie sich in gemischtgeschlechtlicher Gesellschaft exponieren: »Was ist es nur immer vor ein lust, oder viel mehr vor ein Specktackel 303 Zu den Unterarten der Misogynie vgl. Hobert (Anm. 301), S. 18–20. 304 Ethophilus (Anm. 232), S. 20 (1. Aufl. 1728). 305 Goussault (Anm. 29), S. 155.
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5. Kommunikative Kompetenzen von Frauen: Positionen und Empfehlungen
ein Weib sehen, welche, nachdem sie etliche wenige vnd schlechte Hoff ceremonien erwiesen, von nichts anders als nur einig vnd allein von ihren Krägen vnd anderen dergleichen Kinderwerck zureden weiß?« 306 Mit dem Begriff »Kinderwerck« ist die Ursache für das »Specktackel« bereits benannt: Frauen sind nicht universell genug gebildet. Damit sie dem Ideal nachkommen können, erbauliche, abwechslungsreiche Gespräche zu führen, sollen sie »gottselige Bücher« durchblättern.307 Diese und ähnliche Kritikpunkte äußerten Autor(inn)en auch gegenüber Männern. Ein Autor, der früh schon die Prämissen des pädagogischen Rationalismus übernommen hatte, ist Johann Christoph Wagenseil. Er beklagt im Gespräch mit Madeleine de Scudéry, die durch falsche Lehrmethoden (zu viel Lateinunterricht, zu wenig Bücher in der Landessprache) bewirkte Unlust am Lernen erzeuge einen Wissensrückstand der jungen Leute in seinem Land, so »daß unsere Cavalliers die hieher kommen, in discursen es dem aufwachsenden Französischen Adel nicht gleich thun können«.308 Die im Vergleich zu Frankreich schlechteren Bildungsmöglichkeiten für die Mehrzahl der deutschen Frauen erkläre, warum die Gespräche von Frauen sich thematisch meist auf die »häuslichen Sachen« einschränken.309 Mehr Literatur in der Landessprache statt in der Gelehrtensprache Latein würde zur Angleichung der deutschen an die französischen Bildungsstandards führen. Einiges Gewicht besaß in Deutschland die Stimme von Jean Baptiste Morvan de Bellegarde (1648–1734), eines neu zu entdeckenden Popularisators der radikalen Gleichheitspostulate Poullain de la Barres. An seinen Lettres curieuses de littérature et de morale (1702) läßt sich exemplarisch aufzeigen, wie ein an Descartes geschulter Geist Ursachenanalyse betrieb. Nachfolgend eine Übersicht über die Ausgaben und Auflagen der Lettres curieuses, deren stattliche Zahl vom Erfolg dieses Buches Zeugnis ablegt: Lettres curieuses de littérature et de morale, Paris 1702. Weitere Ausg. u. Aufl. 1702, 1705, 1707, 1720, 1729, 1730, 1734. Lettres curieuses de littérature et de morale, in: René Milleran, Nouvelles lettres familières et autres sur toutes sortes de sujets avec leurs réponses: choisies de Messieurs de Bussi Rabutin, de Furetière, de Bourseau, de l’Académie Françoise, et des plus celebres auteurs du tems. Nouvelle édition augmentée des Lettres curieuses de littérature et de morale par l’abbé de Bellegarde, Amsterdam 1705, S. 261–407. Weitere Ausg. u. Aufl. 1707, 1708, 1709, 1730. Lettres curieuses de littérature et morale, Leipzig 1760. 2. Auf. 1762.310 306 307 308 309
Caussin (Anm. 265), S. 101. Ebd., S. 102. Wagenseil (Anm. 59), S. 456. Ebd., S. 455. Diese Aussage erklärt – zumindest partiell – das Fehlen einer Salonskultur in Deutschland. Zur Frage, warum es in Deutschland im 17. Jahrhundert keine Salons gab, vgl. Abschnitt 6.2. 310 Die von Helmut Anton verzeichnete Leipziger Ausgabe aus dem Jahr 1759 konnte von mir nicht nachgewiesen werden. Helmut Anton: Gesellschaftsideal und Gesellschaftsmoral im ausgehenden 17. Jahrhundert. Studien zur französischen Moralliteratur im Anschluß an J.-B. Morvan de Bellegarde (Sprache und Kultur der germanischen und romanischen Völker. C. Romanische Reihe; 12), Breslau 1935, S. 125.
5.3 Von Frauen gewählte oder (nicht) zu wählende Gesprächsthemen
349
Des Herrn Abts von Bellgarde Einige auserlesenste Briefe, so er mit einer Hof-Dame über unterschiedlichen [sic] moralischen und zur galanten Gelehrsamkeit dienlichen Dingen gewechselt. Aus dem Frantzösischen übersetzet, Leipzig 1715. Das Übel, daß Frauen über nichts anderes als Bagatellen reden können,311 verzeiht Morvan de Bellegarde mit der Begründung, die Männer hielten ihre Artgenossinnen vorsätzlich in Unwissenheit.312 Er lokalisiert den Fehler nicht ursächlich im weiblichen Geschlecht, etwa in dessen verderbter Natur oder verzärteltem Charakter,313 sondern im männlich geprägten Bildungssystem. Seine in Briefform abgefaßte moralphilosophische Schrift verhandelt Themen der anspruchsvolleren Art, über die Frauen sich untereinander austauschen können: Wenn die Weibes-Personen andere Wissenschafften erlernet hätten, und nicht nur das, was zum Haußwesen gehöret, so würden ihre Gespräche dadurch viel annehmlicher und tugendhaffter seyn; Denn wovon sollen sie reden, da sie nichts wissen? Sie empfinden bey sich nichts, und dencken auch nichts nach, als was ihnen äusserlich in die Sinne fället, und vor Augen ist; damit sind sie eintzig beschäfftiget, und haben von nichts anderen mit einem der ein Gespräche [führet?, SK] anzufangen; was sie sehen, was sie hören, worüber sie sich erfreuen, ihre häußl. Verrichtungen ihre Rechts- und andere Händel, ihre Klagen, ihre Röcke, ihre Mäntel, ihr Schmuck, sind bey ihnen Brunnen die nicht versiegen; ja man würde noch sehr glücklich seyn, wenn sie noch bey diesen Kleinigkeiten blieben; Alleine wenn diese Quellen der Gespräche erschöpffet sind, so fangen sie an von denen Leuten schimpfflich zu reden, da sie denn wieder Materie gnug haben. Es geschiehet aber solches nicht allezeit, daß sie mit Vorsatze denen Leuten schaden wolten, dergleichen grausame Verleumderinnen; Es ist solches nur die Ursache, daß sie gerne reden wollen, und doch nichts anders zu sagen wissen: Solten sie nicht etwas anders zu reden finden können, dabey sie die menschliche Pflicht besser beobachten?314 Woferne man also nur von nichts-würdigen Dingen redet, so haben sie noch allezeit was, so sie in Umgange vorbringen können. Hingegen Personen von grosser Wissenschafft, und die den Verstand mit allerhand Thaten, Begebenheiten, Historien, und vielen andern merckwürdigen, und mit grossem Fleisse untersuchten Sachen erfüllet haben, unterstehen sich nicht so leichte zu reden; Das was ihnen bald einfället, halten sie nicht vor würdig, in einer Versammlung von gescheuten Leuten vorzubringen; sie wolllen viel lieber gar schweigen, als von gar zu gemeinen Sachen reden. Das Frauenzimmer wird also in diesen Briefen finden können, wovon sie untereinander mit einer Artigkeit reden sollen; daß sie nicht allemal von ihrer Kleidung, vom Regen, vom schönen Wetter, und vielen andern geringen Dingen, welche weder geredet, noch angehöret zu werden verdienen, ein Gespräche anfangen müssen.315 311 Zu diesem Monitum vgl. auch Jean Baptiste Morvan de Bellegarde: Réflexions sur le ridicule et sur les moyens de l’éviter, où sont représentéz les moeurs et les différens caractères des personnes de ce siècle, Paris 1696, S. 123. Goussault (Anm. 29), S. 35. 312 Morvan de Bellegarde (Anm. 84), S. 255. 313 Wenig früher war ein Charakterspiegel erschienen, in dem die Schuld an Mißständen allein den Frauen, insbesondere ihrer Selbstliebe, angelastet wurde: [Madame de Pringy?:] Les différens caractères des femmes du siècle. Avec la description de l’amour propre. Contenant six caractéres et six perfections, Paris 1694. Es wäre zu untersuchen, ob diese auch ins Deutsche übersetzte Schrift einen Einfluß auf die Wochenschriften ausübte. Vgl. Ute Schneider: Der moralische Charakter. Ein Mittel aufklärerischer Menschendarstellung in den frühen deutschen Wochenschriften (Stuttgarter Arbeiten zur Germanistik; 19), Stuttgart 1976. 314 Morvan de Bellegarde (Anm. 84), S. 256 f. 315 Ebd., Bl. )( )(1a–)( )(2a.
350
3.
5. Kommunikative Kompetenzen von Frauen: Positionen und Empfehlungen
Festlegung von Normen: Von Frauen zu wählende und nicht zu wählende Gesprächsthemen
Bary veröffentlichte mit L’esprit de cour ou les conversations galantes (1662) und mit dem Journal de conversation ([2 Bde.], 1673–1675), Morvan de Bellegarde mit den Réflexions sur la politesse des moeurs avec des maximes pour la société civile, suite des réflexions sur le ridicule (1696) und den Modèles de conversations pour les personnes polies (1697) – darauf wies Christoph Strosetzki völlig zu Recht hin – Sammlungen modellhafter Konversationen, »in denen man nachschlagen kann, welche Konversationsbeiträge zu einzelnen Themen, die besonders beliebt sind, möglich wären. Man kann diese Bücher aber auch lesen, ohne die Absicht zu haben, sie für die eigene Konversation zu verwerten. Dann interessieren sie durch das breite Spektrum ihrer unterschiedlichen Themen, die alle zur Zeit des Erscheinens der Bücher aktuell und interessant waren.« 316 Was Strosetzki nicht wissen konnte: Im 17. Jahrhundert besaßen die genannte Doppelfunktion auch Werke wie die Schatzkammer schöner zierlicher Orationen, Sendbriefen, Gesprächen, Vorträgen, Vermahnungen und dergleichen auss den vier vnd zwentzig Büchern deß Amadis von Franckreich zusamen gezogen (3. Aufl. Straßburg 1600),317 die Sieben außerlesenen vnnd lustigen politischen Dialogi oder Gespräche (Leipzig 1625) von Stefano Guazzo, die Gesprächspiele (8 Tle., Nürnberg 1641– 1649) von Georg Philipp Harsdörffer, die Christlichen Unter-redungen (2 Tle., Dresden 1659–1660) von Christian Brehme, die Klugen Unterredungen der in Frankreich berühmten Mademoiselle de Scudery (2 Tle., Nürnberg 1685) 318 und die Geist- und lehr-reichen Conversations-Gespräche (Zürich 1696) 319 von Hortensia von Salis.320 Bary stellte in L’esprit de cour ou les conversations galantes jedes der hundert Modellgespräche unter eine Überschrift. Ein Ausschnitt aus dem Inhaltsverzeichnis der deutschen Erstübersetzung von 1668 macht die bunte Abfolge der Gesprächsthemen sichtbar: Das 31. Gespräch von dem Roman. 175 Das 32. Gespräch von den Ceremonien 180 Das 33. Gespräch von dem Dissimuliren 183 Das 34. Gespräch von dem Exilio 187 Das 35. Gespräch von der Verliebten Besuchung 196 316 Strosetzki (Anm. 34), S. 71. 317 Die heute noch nachweisbaren Auflagen der bei Lazarus Zetzner in Straßburg verlegten Schatzkammer (1596, 1597, 1600, 1608, 1612, 1624) verzeichnet Hilkert Weddige: Die »Historien vom Amadis auss Franckreich«. Dokumentarische Grundlegung zur Entstehung und Rezeption (Beiträge zur Literatur des XV. bis XVIII. Jahrhunderts; 2), Wiesbaden 1975, S. 371–373. Zur soziokulturellen Bedeutung der Schatzkammer vgl. Gebauer (Anm. 148), S. 122–125. Zur stilprägenden Bedeutung vgl. Barner (Anm. 169), S. 373. 318 Das Inhaltsverzeichnis des französischen Originals wird in Abschnitt 3.2 wiedergegeben. 319 Das Inhaltsverzeichnis dieser Schrift wird in Abschnitt 3.2 angeführt. 320 Die genannten Werke wurden auch als rhetorisch-stilistische »Lehrbücher« herangezogen. Vgl. Eugen Bader: Rhetorische Erziehung, in: ders., Rede-Rhetorik, Schreib-Rhetorik, Konversationsrhetorik. Eine historisch-systematische Analyse (ScriptOralia; 69), Tübingen 1994, S. 31–34, hier S. 33.
5.3 Von Frauen gewählte oder (nicht) zu wählende Gesprächsthemen
351
Das 36. Gespräch von den Blumen 201 Das 37. Gespräch von der Kunst die Liebe zu gewinnen. 203 Das 38. Gespräch von der Politischen Zusammenkunfft 219 Das 39. Gespräch von dem Process 226 Das 40. Gespräch von der Verzeihung 229
Der Auslöser für jedes Gespräch wird mit wenigen Worten angedeutet. Beispielsweise eröffnet der Satz »Man beklagt sich über ein Jungfer, daß sie sich so falsch anstellen kan« das Gespräch über das Dissimulieren.321 Die Klage, die man zufällig vernahm, wird zum Anlaß des Gesprächs genommen. Es sprechen zwei Frauen (Belise, Arimene) und ein Mann (Terovanes). Ihre gräzisierenden Kunstnamen stehen für Figuren, die kein hohes Amt und keinen hohen Rang bekleiden. Das Gespräch setzt sich aus fünfzehn Gesprächssequenzen zusammen. Im nachstehenden Gesprächsausschnitt stehen die Normen zur Debatte, die die Inhalte von Gesprächen bestimmen: BELISE. WAnn es lächerlich wäre einen jeden, der einem begegnet, zu seinem Beichtvatter zu machen, so sol man es billich einer Jungfer nicht vor übel halten, daß sie oftermals ihre Gedancken zu verbergen pflegt. TEROVANES. Gleichwie die Gedancken die Dinge vor Augen stellen, also sollen die Wort die Gedancken zu verstehen geben. BELISE. Man fraget uns unterweilen, ob wir die junge Gesellen lieben, solte es uns da wol anstehen, wann wir sagten, sie gefallen uns? Man fragt uns unterweilen, ob wir keine Stacheln der Jugend empfinden, würde es uns wol anstehen, wann wir sagten, sie quälen uns? Jhr sehet wol, mein Herr, daß eben die jenige geziemende Wolständigkeit, welche wil, daß man etwas sage, nicht wil, daß man alzeit die Warheit sage, und daß das dissimuliren, welches oftmals auß der Forcht komt, unterweilen ein Würckung der Schamhaftigkeit ist.322
Die Position von Belise steht in diametralem Gegensatz zu der von Terovanes. Dieser duldet keine Abweichung von der Wahrheit. Männer und Frauen sollen über alles reden, was sie beschäftigt. Belise nimmt dagegen die dissimulierende Jungfer in Schutz. Der gesellschaftliche Zwang, sich als Frau moralisch einwandfrei zu verhalten, verschließe ihr den Mund. Belise spricht in ihrem Redebetrag offen aus, worüber Frauen nicht reden dürfen. Mit ihr, der weiblichen Figur, sollte sich die Leserin identifizieren. Dieterich Hermann Kemmerich stellt in der Neu-eröffneten Academie der Wissenschafften (Tl. 1, 1711) die rhetorische Frage: »Wie sollen Dames zur conversation angeführet werden?« Dem Publikum, das er belehrt, fällt es nicht schwer, sich Wissen jedweder Art zu beschaffen. Kemmerich warnt vor Schweigsamkeit, ein versteckter Appell, durch Bildung kommunikative Defizite auszugleichen. Betont wird die Wichtigkeit von Zeitungen, deren Meldungen in aller Munde seien. Um Zeitungen verstehen und über das Gelesene spre-
321 Bary (Anm. 278), S. 183–187. 322 Ebd., S. 183 f.
5. Kommunikative Kompetenzen von Frauen: Positionen und Empfehlungen
352
chen zu können, müsse man sich dafür qualifizieren. Einige Wissensgebiete sollen andere dürfen Damen sich aneignen: Wie sollen Dames zur conversation angeführet werden? Das vornehmste kommt hier, nächst der morale und privat-politique auff die wissenschafft von Decoro an, welche man ihnen von jugend auff beybringen muß, damit sie nicht wieder [wider, SK] die regeln der höffligkeit und des wohlstandes anstossen. Weil aber in conversation auch zum öfftern aus den zeitungen von den heutigen welt-sachen discouriret wird, so solte einem frauenzimmer vom stande auch billig, damit sie nicht gäntzlich stille schweigen dürffte, das vornehmste von der Geographie, Genealogie, und der neuesten Historie, absonderlich aber der staats-wissenschaft der heutigen welt, und der staats-klugheit bekant gemacht werden. Mit den schweren und ungewissen principiis physicis darff man sie nicht auffhalten: man kan ihnen aber die vornehmsten würckungen der natürlichen dinge historicè bekant machen. Doch gehöret dieses alles nicht zu den nöthigen, sondern zu den nützlichen, zum theil auch nur zu denen curieusen sachen, die ein frauenzimmer lernen muß. Im übrigen ist das beste mittel sie zur conversation geschickt zumachen, daß man sie zum öfftern die conversation honêter leute frequentiren läst.323
Rationalistische Pädagogen wollten auch bei Frauen das Bildungsprinzip durchsetzen, der Eifer fand jedoch beim Scham- und Keuschheitsgebot regelmäßig ein jähes Ende.324 Redende und schreibende Frauen sollten nach Ansicht dieser Autoren zum Beispiel keine Themen aufgreifen, die sich mit den biologischen Grundlagen der menschlichen Fortpflanzung befassen: Wir Mannsleute können, ohne Verletzung der guten Sitten, unter uns von tausend Sachen reden, die einem Frauenzimmer eine Schamröthe abjagen. Nun kommen in der Gelehrsamkeit viele solche Untersuchungen vor, die hieher gehören. Die muß ein gelehrtes Frauenzimmer gar nicht wissen. Wer würde es vertragen, wenn ein Frauenzimmer ein sehr gründliches Buch von der Erzeugung der Menschen schreiben wolte? Wer könte dieses aber einer Mannsperson verdenken? 325
5.
Resümee
Die drei Abschnitte dieses Kapitels stehen unter der Überschrift »Kommunikative Kompetenzen von Frauen«. Bekanntermaßen setzt die Fähigkeit, eine die Kommunikation betreffende Aufgabe zu bewältigen oder ein diesbezügliches Problem zu lösen, die Kenntnis von zielführenden Mitteln voraus. Wenn Frauen im frühneuzeitlichen Europa kommunikative Kompetenzen wie Konfliktvermeidung und Vieldeutigkeit des Ausdrucks tatsäch323 Kemmerich (Anm. 270), Tl. 1, 1711, S. 78 f. 324 Bei der Quellenkritik geht es um die Bewertung der historischen Aussagekraft einer Quelle. Was dies anbelangt, ist gegenüber den Gesprächsstoffanalysen von Manfred Beetz Zurückhaltung geboten. Der Verfasser trennt nicht systematisch zwischen deskriptiven, normativen und ironisch-satirisch gebrochenen Textaussagen, und er fragt nicht, ob Frauen untereinander sich über anderes austauschten als wenn sie sich gemeinsam mit Männern am Gespräch beteiligten. Hinzu kommt, daß das omnipräsente Verhaltensregulativ des Scham- und Keuschheitsgebots außer Betracht gelassen wird. Manfred Beetz: Leitlinien und Regeln der Höflichkeit für Konversationen, in: Wolfgang Adam (Hg.), Geselligkeit und Gesellschaft im Barockzeitalter (Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung; 28), 2 Tle., Wiesbaden 1997, Tl. 2, S. 563–579, hier S. 573 f. 325 F. [Meier] (Anm. 227), S. 358.
5.3 Von Frauen gewählte oder (nicht) zu wählende Gesprächsthemen
353
lich praktizierten – und die von mir gesammelten Indizien unterstützen eine solche Annahme –, dann konnten die kommunizierenden Frauen selbst dem vorherrschenden Ideologem, sie handelten reaktiv und seien unvernünftig, verführbar und geschwätzig, ihr Sein und ihre Wesensbestimmung entgegensetzen. Vor einer ähnlichen Aufgabe wie die Frauen damals stehen die Kommunikationswissenschaftler(innen) von heute. Sie müßten sich allmählich vom Sender-Empfänger(innen)-Modell, das nicht einmal mit Menschen, sondern mit seelenlosen Apparaten rechnet, distanzieren. Die Historiker und Historikerinnen unter ihnen negierten es, gedruckte und handschriftliche Texte von Frauen mit heranzuziehen und von einem Bild der Frau abzurücken, das dieser die Fähigkeit abspricht, selbständig zu denken und zu handeln. Die paulinischen Verbote für Frauen unwissentlich fortschreibend,326 führt dies zu historiographischen Plattitüden wie dem Aberkennen von Macht, dem Absprechen von persönlicher Entwicklungs- und Lernfähigkeit sowie dem Ausblenden von strategischem Geschick, von Originalität des Ausdrucks und von innovatorischen Leistungen.
326 Vgl. hierzu Abschnitt 2.2.
6. Die Bildungsmacht adliger Frauen: Kommunikationssteuerung zwischen Elitebildung und Rangnivellierung 6.1 Damenorden Dieses letzte Kapitel 1 handelt von der Macht, die Aristokratinnen auf dem Gebiet der Bildung ausübten: Wie nutzten sie ihre Machtmöglichkeiten im Kontext der Steuerung von interpersonaler Kommunikation? Elitäre Verhaltensstandards sind ein Kennzeichen des Adelstandes. Folgerichtig ändert sich die Zusammensetzung des Quellenkorpus. Zur verhaltensmodellierenden Gebrauchsliteratur treten archivalische Quellen hinzu sowie Druckwerke, deren Nähe zur Herrschaftselite unschwer erkennbar ist, etwa durch die exzellente Ausstattung, den engen Geltungsbereich der Textinhalte oder die Auskopplung einiger weniger oder aller gedruckten Exemplare aus den üblichen Vertriebswegen des Buchhandels (Privatdrucke). In der Frühneuzeitforschung verfestigte sich das Bild von der gelehrten Frau als singulärer Erscheinung.2 Diese Betrachtungsweise deckt sich aus zweierlei Gründen nicht mit der historischen Wirklichkeit. Weder eine mit höherer Bildung versehene Frau noch ein gleichermaßen gebildeter Mann hatten an der Produktion neuen Wissens mitzuwirken, um in der Frühen Neuzeit als »gelehrt« zu gelten.3 Und: Die Lebensgeschichten weiblicher Angehöriger des Adels zeigen, wie verbreitet höhere Bildung hier war. Es gab somit wesentlich mehr gelehrte Frauen, als gemeinhin angenommen wird. Durch seinen Bildungsgrad wurde der Adelsstand in die Lage versetzt, die Sozietätsbewegung mitzu-
1 2 3
Für sachdienliche Hinweise und konstruktive Kritik danke ich Eva Bender und Gerd Scharfenberg (Deutsche Gesellschaft für Ordenskunde e.V.). Christiane Coester: Gelehrte Frauen, in: Friedrich Jaeger (Hg.), Enzyklopädie der Neuzeit, Bd. 4, Stuttgart u. a. 2006, Sp. 373–376. Lateinische Sprachkompetenz war bis ins 18. Jahrhundert hinein ein idealtypisches Merkmal von Gelehrten. Im Zeitalter der Aufklärung änderte sich dies, wobei die Pedantismuskritik zu diesem Wandel nicht wenig beitrug. Der längerfristige Besuch einer Hohen Schule kennzeichnete im Alten Reich den frühneuzeitlichen Gelehrten, nicht aber die gelehrte Frau, bei der diese institutionelle Bindung nicht gegeben war. Ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts kam der Begriff ›Bildung‹ auf. Wann und wo er den allmählich altmodisch werdenden Begriff ›Gelehrsamkeit‹ ersetzte, müßte genauer untersucht werden. (Für klärende Gespräche und Anregungen danke ich Hanspeter Marti.)
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6. Die Bildungsmacht adliger Frauen: Kommunikationssteuerung zwischen Elitebildung
tragen, andererseits führte die Vernetzung weiblicher Mitglieder untereinander zur Bündelung und Potenzierung der ohnehin schon vorhandenen Bildungsmacht adliger Frauen.4 Bildungsmacht manifestiert sich in dreifacher Weise: in Form von politischen Entscheidungen, von Belehrung und von dem, was ich als »Bildungsosmose« bezeichnen möchte. Die Bildungsmacht adliger Frauen formte die Moral und den Habitus der höfischadligen Gesellschaft im Alten Reich in nicht unerheblichem Maße mit. Dieses letzte Kapitel trägt dazu bei, unseren Blick besonders für diesen Wirkungsbereich von Frauen zu schärfen.5 Die im ersten Abschnitt behandelten Sozietäten – die Damenorden – waren sämtlich mit Statuten ausgestattet, weshalb sie als »regulierte Frauennetzwerke« zu bezeichnen sind. Unter den im zweiten Abschnitt schwerpunktmäßig behandelten Vereinigungen, den Akademien, setzte nur eine sich aus Frauen zusammen und einzig bei dieser lassen sich Statuten nachweisen. Noch viel zu wenig bekannt ist, daß Hofmeisterinnen – ihnen ist der dritte Abschnitt gewidmet – durch ihr Amt mit institutionalisierter Macht und Autorität ausgestattet waren und an der Ausbreitung elitärer Verhaltensstandards mitwirkten. Eine das Spektrum der Bildungsmacht adliger Frauen in seiner ganzen Breite erfassende Darstellung liegt für die Frühe Neuzeit noch nicht vor.6 Den Auftakt dieses Kapitels bildet daher eine überblickshafte Skizze der Realisationsformen dieses Machtbereichs adliger Frauen.
1.
Adelsschichtung
Den Adel im Reich kennzeichnete seit der Stauferzeit mit der Ausbildung einer ritterlichhöfischen Kultur zwar ein gemeinsames Standesbewußtsein, doch darf daneben nicht außer Acht gelassen werden, daß innerhalb des Adels deutlich abgegrenzte Schichten zu unterscheiden sind. Nicht wenige Beispiele belegen zwar die Durchlässigkeit dieser Schichtung, in ihrer Beispielhaftigkeit markieren sie aber auch die Grenzen zwischen den einzelnen Schichten. Auch für die Frühe Neuzeit gilt, daß die oberste Gruppe des Adels 4 5
6
Nicht zuletzt deshalb konnten misogyne Zeitgenossen den Verstand und die Tugendfähigkeit von Frauen immer weniger anzweifeln oder wegdiskutieren. An einem entsprechenden Problembewußtsein mangelt es auch der heutigen Forscher(innen)generation, wie der folgende Sammelband dokumentiert: Claudia Opitz (Hg.): Höfische Gesellschaft und Zivilisationsprozess. Norbert Elias’ Werk in kulturwissenschaftlicher Perspektive, Köln 2005. Die Bildungsmacht adliger Frauen findet in den »geschlechtsneutral« konzipierten Publikationen zu den Wissenskulturen der Frühen Neuzeit keine Beachtung. Vgl. zum Beispiel: Richard van Dülmen u. a. (Hg.): Macht des Wissens. Die Entstehung der modernen Wissensgesellschaft, Köln u. a. 2004. Für das Mittelalter siehe unter anderem die Monographien von Katrinette Bodarwé: Sanctimoniales litteratae. Schriftlichkeit und Bildung in den ottonischen Frauenkommunitäten Gandersheim, Essen und Quedlinburg (Quellen und Studien. Institut für Kirchengeschichtliche Forschung des Bistums Essen; 10), Münster 2004 und Christina Lutter: Geschlecht und Wissen, Norm und Praxis, Lesen und Schreiben. Monastische Reformgemeinschaften im 12. Jahrhundert (Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung; 43), München 2005. Vgl. weiter unten vor anderem Anm. 8, 15 und 16 mit Einzelstudien zur Frühen Neuzeit.
6.1 Damenorden
357
von den Fürsten/Fürstinnen (Reichsfürsten) gebildet wurde, die mittlere von Grafen/Gräfinnen und Herren/Herrinnen, die unterste vom niederen Adel (Ritteradel). Gerade beim Niederadel waren die landschaftlichen Unterschiede innerhalb des Reichs am größten. Sie reichten vom landsässigen Adel, der in Abhängigkeit von einem Lehens- oder Dienstherren stand, bis zum reichsritterschaftlichen Adel, der auf seinen Besitzungen hohe und niedere Herrschaftsrechte ausübte und sich im Verband der Reichsritterschaft nur dem Kaiser unterstellt wußte.7
2.
Realisationsformen der Bildungsmacht adliger Frauen8
Wissen ist auch für Frauen eine Quelle von Macht und Einfluß.9 Dieser Tatsache waren die Menschen im frühneuzeitlichen Europa sich sehr wohl bewußt. Wilhelm Ignatius Schütz lenkt unseren Blick auf Ehefrauen bürgerlichen und bäuerlichen Standes, die sich ihre Männer mit ihrem Rat, Wissen und Willen »untergeben« machen: Welcher Bürger und Handelsmann thut leichtlich etwas ohn seiner Frauen Rath, Wissen, und Willen? Welcher Baur kaufft, oder verkaufft, seet auß oder schneidet ein, als mit und durch direction seines Weibes? Warlich wird man auß 1000. nicht 10. finden, die sich ihren Weibern dißfalls (und zwar mit gutem Fortgang) nicht untergeben thun. Der dieses nicht weiß, oder nicht glaubt, der kan sich ein Zeitweil zu einem Bürger, oder Bauern in Kost oder Dienst verdingen, und mich alsdann eines anderen berichten […].10 7 Die Literatur zum Adel ist in den letzten Jahrzehnten unüberschaubar geworden. Es muß daher genügen, auf ausgewählte Nachschlagewerke zu verweisen: Karl F. Werner: Adel, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 1, München u. a. 1980, Sp. 118–128, bes. A.IV, Sp. 123 f. Jörn Eckert: Adel, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Lfg. 1, 2004, Sp. 69–76. 8 Neben der in Abschnitt 2.1 aufgeführten Literatur sind zu nennen: Beatrix Bastl: Tugend, Liebe, Ehre. Die adelige Frau in der Frühen Neuzeit, Wien 2000. Anke Hufschmidt: Adlige Frauen im Weserraum zwischen 1570 und 1700: Status, Rollen, Lebenspraxis (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Westfalen; 22, A, 15) (Geschichtliche Arbeiten zur westfälischen Landesforschung. Wirtschafts- und sozialgeschichtliche Gruppe; 15), Münster 2001. Jill Bepler: Die Fürstin als Betsäule – Anleitung und Praxis der Erbauung am Hof, in: Morgen-Glantz. Zeitschrift der Christian Knorr von Rosenroth-Gesellschaft 12, 2002, S. 249–264. Ute Küppers-Braun: Macht in Frauenhand. 1000 Jahre Herrschaft adliger Frauen in Essen, Essen 2002. Heide Wunder: Geschlechterverhältnisse und dynastische Herrschaft in der Frühen Neuzeit, in: Gabriele Baumbach u. a. (Hg.), Frau und Bildnis 1600 –1750. Barocke Repräsentationskultur an europäischen Fürstenhöfen (Kasseler Semesterbücher, Studia Cassellana; 12), Kassel 2003, S. 15–37. 9 Vgl. die von Horst-Volker Krumrey erstellte, sehr hilfreiche Typologie menschlicher Machtquellen: 1. physische Machtquellen, 2. ökonomische Machtquellen, 3. psychische Machtquellen, 4. positionale Machtquellen, 5. wissensmäßige Machtquellen, 6. relationale Machtquellen. Horst-Volker Krumrey: Entwicklungsstrukturen von Verhaltensstandarden. Eine soziologische Prozeßanalyse auf der Grundlage deutscher Anstands- und Manierenbücher von 1870 bis 1970, Frankfurt/M. 1984, S. 608 f. 10 Wilhelm Ignatius Schütz: Ehren-Preiß deß hochlöblichen Frauen-Zimmers, das ist, unpartheyische Erörterung der ohne Fug in Zweiffel gezogenen Frag: Ob nemlich das weibliche Geschlecht am Verstand dem männlichen von Natur gleich, auch zu Verrichtung tugendsamer Werck und Thaten, ebenmässig qualificirt und geschickt sey? […], Frankfurt/M. 1663, S. 30 f. Vgl. Marion Kintzinger: Ein »Weiber-Freund?«. Entstehung und Rezeption von Wilhelm Ignatius Schütz’ Ehren=Preiß des hoch-
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6. Die Bildungsmacht adliger Frauen: Kommunikationssteuerung zwischen Elitebildung
Obwohl die Bildungspolitik (Lehrplanung, Berufungen, Zensur etc.) in allen Fürstentümern von Gremien dirigiert wurde, konnten auch Regentinnen am Aufbau dauerhafter Strukturen im Bereich des Bildungswesens mitwirken. Bei Frauen aus dem Hochadel kam es häufiger als bei Frauen aus dem mittleren und niederen Adel vor, daß Bildungsmacht, sei sie durch ein Amt gestützt oder nicht, und institutionalisierte politische Macht in ein dynamisches Wechselverhältnis traten. Offensichtlich wird dies an den folgenden Beispielen: – Die Bildung, die nichtregierende Fürstinnen durch Erziehung,11 Unterricht, Gespräche, Predigten, Vorträge, private Lektüre und auf Reisen erwarben, qualifizierte sie, Einfluß auf Entscheidungen zu nehmen, die die Bildung der Landeskinder betrafen.12 – Von Fürstinnen ins Leben gerufene und frequentierte Gesprächszirkel gaben diesen die Möglichkeit, auf Personen, die bildungspolitisch relevante Ämter bekleideten oder als entsprechende Berater tätig waren, Einfluß zu nehmen. – In ihrer Eigenschaft als Stifterin einer Sozietät gaben einige wenige Fürstinnen religiöse und weltliche Bildungsideale an Personen aus für sie maßgeblichen Kreisen weiter. Diese Stiftungen sind üblicherweise entweder mit Einwilligung des Souveräns entstanden13 oder beim Stiftungsakt anwesende Fürsten gaben ihre Zustimmung. Daß bei diesen Stiftungen die Möglichkeit einer politischen Vereinnahmung bestand, belegen die untenstehenden Ausführungen zu den Ordensstiftungen der verwitweten Kaiserin Eleonora Gonzaga-Nevers. Die meisten adligen Mütter wirkten durch Vorbildhandeln und mündliche Unterweisung charakterbildend, verhaltensmodellierend und richtunggebend auf ihre Kinder ein und überwachten die Lernfortschritte der Kinder im Unterricht, vornehmlich aber die der Mädchen. Im Brandenburgischen Ceder-Hein (1682) von Johann Wolfgang Rentsch wird über die Erziehung von Christiane Eberhardine (1671–1727), der Tochter von Markgräfin Sophie Louise von Brandenburg-Bayreuth und späterer Ehefrau von August dem Starken, ausgesagt: »Dise Princessin hat unter sorgfalter Erzihung, welche die Durchleuchtigste
löblichen Frauen=Zimmers (1663), einem Beitrag zur Querelle des femmes, in: L’homme 13, 2002, S. 175–204. 11 Zur Erziehung von Mädchen und Frauen am Hof vgl. Jan Hirschbiegel u. a. (Hg.): Das Frauenzimmer. Die Frau bei Hofe in Spätmittelalter und Früher Neuzeit (Residenzenforschung; 11), Stuttgart 2000. Olwen Hufton: Reflections on the Role of Women in the Early Modern Court, in: The Court Historian 5, 2000, 1, S. 1–13. Werner Paravicini u. a. (Hg.): Erziehung und Bildung bei Hofe (Residenzenforschung; 13), Stuttgart 2002. 12 Gelegentlich initiierten oder förderten nichtregierende Fürstinnen Bildungsprojekte. Zum Beispiel gründete Herzogin Elisabeth von Mecklenburg-Güstrow (1524–1586) im Jahr 1581 im Kloster Rühn ein Internat für adlige Mädchen und Eleonora Gonzaga-Nevers stiftete 1663 ein Ursulinenkloster in Wien. 13 Nach Klüber konnte die Gemahlin oder Witwe eines Souveräns nur mit dessen Bewilligung Damenorden stiften oder erteilen. Johann Ludwig Klüber: Öffentliches Recht des teutschen Bundes und der Bundesstaaten, Frankfurt/M. 1817, S. 284 f. (mit Literaturangaben).
6.1 Damenorden
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Frau Mutter möglichst selbsten beobachtet, dergestalt zugenommen, daß Sie nicht nur den Grund ihres Christentums und aller Tugenden wohl geleget, sondern auch die Französische Sprach gefasset, die Biblische Historien aus Merians Bilder-Bibel nebenst vilen Davidischen Psalmen geschiklich begriffen, dann in der Politica und Jure Publico sich geübet, im Tanzen aber sich ganz incomparabel gewisen, daß man Sie vor die schönste und qualificirteste Princessin diser Zeit schätzen darf.«14 Die Bildungsmacht adliger Mütter erstreckte sich auch auf die Lehrpläne der Kinder und die Instruktionen, an die sich die ernannten Lehrkräfte zu halten hatten. Nur selten ermahnten adlige Mütter ihre Nachkommenschaft in schriftlicher Form, bestimmte Werte und Regeln heilig zu halten und danach zu leben.15 Die Nutzung des Buchdrucks, um eigene Bildungsvorstellungen über den Kreis der Familie oder Dynastie hinaus zu verbreiten, war Thema von Abschnitt 2.2 und Kapitel 3 dieser Arbeit. Wie sich gezeigt hat, nutzten fast nur niederadlige sowie bürgerliche Frauen den Buchdruck für diese Zwecke. Damenstifte waren aufgrund ihres Ausbildungsauftrages Orte des Lernens. Der jeweils gültige Werte- und Verhaltenskodex wurde hier sowie in Frauenklöstern durch die Kapitel durchgesetzt.16 Äbtissinnen und Pröbstinnen von Damenstiften war es aufgegeben, nicht 14 Johann Wolfgang Rentsch: Brandenburgischer Ceder-Hein, worinnen des Durchleuchtigsten Hauses Brandenburg Aufwachs- und Abstammung, auch Helden-Geschichte und Gros-Thaten, aus denen Archiven und Ur-Brifschafften, auch andern bewerten Documenten mit Fleiß zusammen getragen […], Bayreuth 1682, S. 803. 15 Eduard Bodemann (Hg.): Höhere Töchtererziehung im 17. Jahrhundert. Ein Testament oder Verordnung der Frau von Quitzau [Quitzow], ihren beiden Töchtern hinterlassen, in: Zeitschrift des historischen Vereins für Niedersachen 1890, S. 309–313. Die Zuschreibung dieser Erziehungsinstruktion an von Quitzow wird übernommen von: Cornelia Niekus Moore: Die adelige Mutter als Erzieherin: Erbauungsliteratur adeliger Mütter für ihre Kinder, in: August Buck u. a. (Hg.), Europäische Hofkultur im 16. und 17. Jahrhundert (Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung; 8–10), 3 Bde., Hamburg 1981, Bd. 3, S. 505–510, hier S. 507. Heide Wunder: »Er ist die Sonn’, sie ist der Mond«. Frauen in der Frühen Neuzeit, München 1992, S. 40, 85. Renate Dürr: Von der Ausbildung zur Bildung. Erziehung zur Ehefrau und Hausmutter in der Frühen Neuzeit, in: Elke Kleinau u. a. (Hg.), Geschichte der Mädchen- und Frauenbildung. Bd. 1: Vom Mittelalter bis zur Aufklärung, Frankfurt/M. u. a. 1996, S. 189–206, 498–501, hier S. 202. Anke Hufschmidt geht bei der Instruktion der Frau von Quitzow von einer Fehlzuschreibung aus: »Education und Auferziehung« adliger Mädchen, in: Vera Lüpkes u. a. (Hg.), Adel im Weserraum um 1600 (Schriften des Weserrenaissance-Museums Schloß Brake; 9), Ausst.-Kat. München u. a. 1996, S. 55–72, 276–278, hier S. 55 f. Weitere Literatur zu diesem Themenkreis: Elisabeth Kovács: Die ideale Erzherzogin. Maria Theresias Forderungen an ihre Töchter, in: Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 94, 1986, S. 49–80. Rita Multer: Pädagogische Perspektiven in deutschen Fürstenspiegeln und Erziehungsinstruktionen von Fürstinnen und für Fürstinnen in der Frühen Neuzeit, Eichstätt 1998. Siehe auch die Ausführungen zu den erbaulichen Erziehungsschriften von Benigna von Solms-Laubach in Abschnitt 2.2. 16 Zu hochadligen Damenstiften vgl. Ute Küppers-Braun: Frauen des hohen Adels im kaiserlich-freiweltlichen Damenstift Essen (1605–1803). Eine verfassungs- und sozialgeschichtliche Studie. Zugleich ein Beitrag zur Geschichte der Stifte Thorn, Elten, Vreden und St. Ursula in Köln (Quellen und Studien. Veröffentlichungen des Instituts für kirchengeschichtliche Forschung des Bistums Essen; 8), Münster 1997. Christa Diemel: Adelige Frauen im bürgerlichen Jahrhundert. Hofdamen, Stifts-
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6. Die Bildungsmacht adliger Frauen: Kommunikationssteuerung zwischen Elitebildung
nur in puncto Glaubensstärke, sondern allumfassend Vorbild zu sein. Je nach Stellenwert der Künste und Wissenschaften im Leben von Äbtissinnen konnten aus Damenstiften – hierin adligen Witwenresidenzen vergleichbar – Orte der Musen und der gebildeten Unterhaltung werden. Fürstinnen und andere dem Herrscher nahe stehende Frauen – man denke hier nicht nur an Mätressen – galten auf dem Gebiet der Lebensführung, des Verhaltens- und Wertekodex, der Mode und der Fest- und Raumgestaltung als nachahmungswürdige Vorbilder. Von »Bildungsosmose« kann dann gesprochen werden, wenn sich Einzelpersonen oder soziale Gruppen in den Schranken des Erlaubten an die Bildungsvorstellungen von tonangebenden Frauen oder Männern akkomodierten.17 Die Bildungsmacht von adligen Auftraggeberinnen und Mäzeninnen umfaßte Aktivitäten wie die Vergabe von Aufträgen an Maler, Bildhauer, Graphiker und Komponisten, die finanzielle Förderung von Buchprojekten, Opern, Singspielen und Balletten oder die Auswahl, Neuschöpfung und Umdeutung von Motiven und Themen, die der Sparte der Bild- und Tonkünste zugehören.18 Zum Beispiel wirkte Herzogin Antonia von Württemberg (1613–1679) am Entwurf der kabbalistischen Lehrtafel in Bad Teinach mit. Ein weiteres Beispiel sind hochgebildete »Dilettantinnen«, die, wenn sie ihre Werke einem exklusiven Publikum vorführten, diesem die Möglichkeit boten, sich auf der Grundlage der präsentierten Bildinhalte und -bedeutungen weiterzubilden, ja eventuell sogar ihr Frauenbild zu überdenken. Sofern die bildungsbezogenen Ideen und Ideale adliger Frauen von Männern aufgegriffen und in Projekte überführt wurden, tritt auch hier die Bildungsmacht von Aristokratinnen zum Vorschein. Posthume Bildungsmacht entfalteten all jene Vertreterinnen des Adels, deren Autographen, Bücher-, Kunst-, Münz-, Naturalien- und sonstige Sammlungen nach dem Ableben in öffentlichen Besitz übergingen oder deren Gelehrsamkeit und erzieherisches oder bildungspolitisches Engagement in Schriftdokumenten (Lobreden, Funeralschriften, Epicedien, Totengespräche, Biographien, historiographische Werke etc.)
damen, Salondamen 1800 –1870, Frankfurt/M. 1998. Zu niederadligen Damenstiften vgl. Hermann Ehmer: Zwischen geistlicher Anstalt und sozialer Fürsorge – Adlige Damenstifte in der Neuzeit, in: Kurt Andermann u. a. (Hg.), Zwischen Stagnation und Innovation. Landsässiger Adel und Reichsritterschaft im 17. und 18. Jahrhundert (Schriften zur südwestdeutschen Landeskunde; 56), Sigmaringen 2005, S. 105–118. 17 Anders verhält es sich mit dem Feinschleifen der Manieren von Kavalieren (vgl. Abschnitt 5.2). Hierbei handelte es sich nicht um Bildungsosmose, sondern um Verhaltensmodellierung durch adlige Frauen, die nicht dem engeren Kreis des Hofes angehörten. Die sich in dieser Weise Engagierenden arbeiteten darauf hin, die Privilegien ihres Standes abzusichern und das Image adliger Frauen aufzuwerten. 18 Das Wirken von Fürstinnen als Anregerinnen oder Auftraggeberinnen von Werken der Literatur und Kunst dokumentieren unter anderem Dedikationen, in mittelalterlichen Handschriften bildlich dargestellt: Der kniende Autor überreicht sein Werk der Höherstehenden, der er sein Werk widmet. In der Frühen Neuzeit sind es dann Widmungsbriefe oder inschriftartige Dedikationen nach dem Titelblatt, die die Bildungsmacht fürstlicher Frauen auf diesem Sektor belegen.
6.1 Damenorden
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und Bildwerken (Porträts oder szenische Darstellungen mit auf diese Qualifikationen hinweisenden Bildelementen oder Textbotschaften) gerühmt und so der Nachwelt zur Kenntnisnahme anempfohlen wurden.
3.
Die Ordensstiftungen von Eleonora Gonzaga-Nevers
An der Italianisierung des Wiener Kaiserhofs im 17. Jahrhundert hatten zwei GonzagaKaiserinnen großen Anteil: Eleonora Anna Maria Gonzaga (1598–1655) und Eleonora Gonzaga-Nevers (1628–1686) (Abb. 10).19 Eleonora Gonzaga-Nevers konnte, als sie 1651 Mantua verließ, um mit dem verwitweten Kaiser Ferdinand III. (1608–1657) vermählt zu werden, an das von der älteren Eleonora Gonzaga (beide Frauen waren, obwohl aus gleichem Hause stammend, nicht miteinander verwandt 20) auf dem Gebiet der Kulturvermittlung Geleistete anschließen. Hinsichtlich ihrer Tätigkeit als Kulturvermittlerin dürfte für Eleonora ermutigend und hilfreich gewesen sein, daß Ferdinand III. und ihr Stiefsohn, Kaiser Leopold I. (1640–1705), sich eng mit der italienischen Kultur verbunden fühlten und ähnliche kulturelle Ziele verfolgten wie die charismatische, willensstarke Mantuanerin.21 Im Gegensatz zu ihrer Rolle als Kulturvermittlerin liegt Eleonoras Tätigkeit als Sit-
19 Insgesamt wurden drei italienische Prinzessinnen mit einem römisch-deutschen Kaiser vermählt: Bianca Maria Sforza (1493–1510) sowie die zwei genannten Gonzaga-Kaiserinnen. Vgl. Oreste Ferdinando Tencajoli: Principesse italiane nella storia di altri paesi, Rom 1933, S. 179–187, 281–291, 329–335. Heidemarie Hochrinner: Bianca Maria Sforza. Versuch einer Biographie, Diss. Graz 1966. Herbert Seifert: Die Musiker der beiden Kaiserinnen Eleonora Gonzaga, in: Manfred Angerer u. a. (Hg.), Festschrift Othmar Wessely zum 60. Geburtstag, Tutzing 1982, S. 527–554. Almut Bues: Eleonora Gonzaga, in: Dizionario biografico degli italiani, Bd. 42, Rom 1993, S. 425–428. Almut Bues: Das Testament der Eleonora Gonzaga aus dem Jahre 1651. Leben und Umfeld einer Kaiserin-Witwe, in: Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 102, 1994, S. 316–358. Anna Coreth: Kaiserin Maria Eleonore, Witwe Ferdinands III., und die Karmeliterinnen, in: Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 14, 1961, S. 42–63. Katharina Fidler: Eleonora von Gonzaga. Leben und Wirken einer Italienerin am Wiener Hof des 17. Jahrhunderts, Diplomarbeit Innsbruck 1986. Dies.: Mäzenatentum und Politik am Wiener Hof: Das Beispiel der Kaiserin Eleonora Gonzaga-Nevers, in: Innsbrucker historische Studien 12/13, 1990, S. 41–68. Rotraud Becker: Eleonora Gonzaga Nevers, imperatrice, in: Dizionario biografico degli italiani, Bd. 42, Rom 1993, S. 428–434. 20 Eleonora Gonzaga-Nevers entstammte einer anderen Linie des Hauses Gonzaga als ihre Vorgängerin. Sie war weder – wie in der Forschung verschiedentlich behauptet – die (Groß-)Tante noch die Cousine von Eleonora Anna Maria Gonzaga. 21 Marcus Landau: Die italienische Literatur am österreichischen Hofe, Wien 1879. Umberto de Bin: Leopoldo I. imperatore e la sua corte nella letteratura italiana, Triest 1910. Silvio Furlani/Adam Wandruszka: Österreich und Italien. Ein bilaterales Geschichtsbuch, Wien u. a. 1973, S. 15–24, hier S. 19. Herbert Seifert: Die Oper am Wiener Kaiserhof im 17. Jahrhundert (Wiener Veröffentlichungen zur Musikgeschichte; 25), Tutzing 1985. Theophil Antonicek: Musik und italienische Poesie am Hofe Kaiser Ferdinands III., in: Anzeiger der österreichischen Akademie der Wissenschaften 126, 1989, S. 1–22. Rouven Pons: »Wo der gekrönte Löw hat seinen Kayser-Sitz«. Herrschaftsrepräsentation am Wiener Kaiserhof zur Zeit Leopolds I. (Deutsche Hochschulschriften; 1195), Egelsbach u. a. 2001.
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6. Die Bildungsmacht adliger Frauen: Kommunikationssteuerung zwischen Elitebildung
tenlehrerin – das eine ist mit dem anderen untrennbar verwoben – weitestgehend im Dunkeln, was umso mehr erstaunen muß, als die Kaiserin-Witwe eine Sittenlehrerin von europäischer Ausstrahlung war. Klar erkennbar wird ihr Wirken als kulturreglementierende Autoritätsperson vor allem an ihren Ordensstiftungen. Die Gründungen fallen in den Lebensabschnitt ihrer fast dreißigjährigen Witwenzeit, welche sie am Kaiserhof verbrachte: 1662 stiftete Eleonora den eher kurzlebigen Orden Sklavinnen der Tugend (erloschen wohl 1686, spätestens aber 1720),22 1668 den bis heute in veränderter Form existierenden Sternkreuzorden. In beiden Fällen handelt es sich um frauenexklusive Standesorden, kurz um Damenorden,23 doch unterscheiden die beiden Zusammenschlüsse sich inhaltlich beträchtlich. Während der Orden Sklavinnen der Tugend mit seiner moralischverhaltensmodellierenden Zielsetzung nicht so recht in das Bild passen will, das wir von den Frauen des Hauses Habsburg unter den Bedingungen massiver Rekatholisierung haben,24 entspricht der Sternkreuzorden mit seiner religiösen Zielsetzung exakt diesem Bild: Er war ein weithin sichtbares, beständiges Monument der Pietas Austriaca.25 Die hierin aufgenommenen Frauen hatten strenge Regeln zu befolgen und galten als ein Muster an Frömmigkeit.26 Im Mittelpunkt standen die Verehrung des Heiligen Kreuzes und die Erlösung der eigenen Seele wie auch der Seelen ihrer Mitgenossinnen – von Sünden. Dem Ordenshandbuch, das an neue Mitglieder ausgegeben wurde, kam die Funktion
22 Die ältere Literatur geht meist vom Erlöschen des Ordens mit dem Tod von Eleonora GonzagaNevers aus, es finden sich aber auch Quellenbelege, die das Todesjahr von Kaiserin Eleonora Magdalena Theresia von Pfalz-Neuburg (1655–1720) als Endpunkt angeben. Vgl. Sabine Koloch: Neue Befunde zum habsburgischen Damenorden Sklavinnen der Tugend, in: BDOS-Jahrbuch [= Bund deutscher Ordenssammler e.V.] 1999 (Orden und Ehrenzeichen), S. 29–31, hier S. 30. 23 ›Dame‹ bezeichnet nach Amaranthes »eine Frau von Condition, oder vornehmen Standes und Ranges«. Amaranthes [Pseud., Gottlieb Siegmund Corvinus]: Nutzbares, galantes und curiöses Frauenzimmer-Lexicon […], Leipzig 1715, Sp. 403. ›Damenorden‹ als Terminus bedeutet: 1. ein durch Statuten geregelter weltlicher Zusammenschluß von adligen Frauen, denen bei ihrer Aufnahme in den Orden ein sichtbar zu tragendes Zeichen (gelegentlich in zwei verschiedenen Ausführungen) überreicht wird; 2. das bei der Aufnahme in einen Damenorden ausgehändigte sichtbar zu tragende Zeichen; 3. das sichtbar zu tragende Zeichen, welches Pensionärinnen von Damenstiften bei ihrer Aufnahme übergeben wird. 24 Robert J. W. Evans: Das Werden der Habsburgermonarchie 1550 –1700. Gesellschaft, Kultur, Institutionen, Wien u. a. 1986. Arno Herzig: Der Zwang zum wahren Glauben. Rekatholisierung vom 16. bis zum 18. Jahrhundert, Göttingen 2000. 25 Anna Coreth: Pietas Austriaca. Österreichische Frömmigkeit im Barock, 2., erw. Aufl., München 1982, S. 42–44. 26 Der Sternkreuzorden nahm bis zum Ende des Alten Reiches 1806 und zum Teil auch noch bis zum Ende der Österreichisch-Ungarischen Monarchie (1867–1918) vielfältigere Funktionen wahr, als es die meist ohne Anspruch auf Innovation zu diesem Orden schreibenden Autor(inn)en für möglich halten. Viele schriftliche Quellen zum Sternkreuzorden sind völlig unbekannt. Dort, wo in der Sekundärliteratur im Zusammenhang mit dem Orden Frauenaspekte berührt werden, spiegeln die Aussagen nicht den neuesten Stand der Frauen- und Genderforschung. Die Literatur zu diesem und zu anderen Orden verzeichnen C. Peter Mulder/Alec Arthur Purves: Bibliography of Orders and Decorations. Kopenhagen 1999 und Jörg Nimmergut: Bibliographie zur deutschen Phaleristik, Regenstrauf 2010.
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zu, die Damen für die Ewigkeit zu bilden.27 Nachfolgender Auszug aus den in dieser Handreichung abgedruckten Statuten (insgesamt 19 Punkte, hier Punkt 16) vermittelt einen Eindruck davon, wie Eleonora ihre Rolle als Ordensstifterin und Sittenlehrerin ausfüllte und welche hochgespannten Erwartungen sie hegte, was das Verhalten der Ordensdamen in der Welt und deren Religionsausübung betrifft: Alle die sich in dieser Versammlung befinden, sollen sich oft deren Heil. Sacramenten gebrauchen; auch der Ehrbarkeit in Kleydern, und auferbäulichen Wandels in allem ihren Thun und Lassen befleissen, forderist aber ein anmüthige Zuneigung gegen dem H. Creutz, und inbrünstige Lieb gegen dem gecreutzigten Erlöser tragen, und alle Tag wenigst ein Blat auß denen vier Haupt-Lehren Christlicher Weißheit, so auß vielerley Betrachtungen der Ewigkeit gezogen, und zu End dieses Buchs beygebracht werden, mit fruchtbarer Aufmercksamkeit lesen.28
Dem Sternkreuzorden gehörten die ranghöchsten und vornehmsten Frauen des katholischen Adels 29 nördlich und südlich der Alpen (im Reich und in Italien) an.30 Kein Damenorden davor und danach nahm so viele Frauen auf wie dieser. Die Zahl geht in die tausende.31 Anlaß der Stiftung war eine beim Brand des neuen Trakts der Hofburg 1668 unversehrt gebliebene Kreuzreliquie, die schon von Kaiser Maximilian I. (1459–1519)
27 Am Ordenshandbuch läßt sich nicht nur die Bildungsfunktion des Sternkreuzordens aufzeigen, es kann daran auch die Doppelseitigkeit des von Eleonora Gonzaga-Nevers angestoßenen Wissens- und Kulturtransfers festgemacht werden: Unter ihrem Einfluß wanderten Wissen und Kulturgüter nicht nur von Italien ins Reich, sondern auch vom Reich nach Italien. 28 Giovanni Battista Manni: Hoch-adeliche und gottseelige Versammlung vom Stern-Creutz genannt […], Wien [1740], S. 88. Das Werk wurde von dem Jesuiten Joachim Häring (1630–1695) um 1670 aus dem Italienischen ins Deutsche übersetzt. Die italienische und deutsche Ausgabe des Handbuches sind wiederholt neu aufgelegt worden. 1760 erschien eine polnische Übersetzung, 1761 eine französische, die ebenfalls mehrere Auflagen erlebte. 29 Eine Ausnahme bildete die Kreuzträgerin Maria Eleonora von Windischgrätz (1649 –1681), die, obschon Protestantin, sich in den Sternkreuzorden aufnehmen ließ. Von Windischgrätz war auch Tugendsklavin. Koloch (Anm. 22), S. 30. 30 Ein Verzeichnis der Mitgliedernamen des Zeitraums 1668 bis 1834 liegt noch nicht vor. Neuaufnahmen seit 1834 dokumentiert Else Kastner-Michalitschke: Verzeichnis der dermaligen Sternkreuzordens-Damen nach dem Stande mit Ende des Jahres 1895 und nach der Zeitfolge der Verleihung, in: dies., Der Sternkreuzorden. Eine Monographie, 2. Aufl. Wien 1896, S. 37–62. Meine Angaben stützen sich auf die ersten 30 Namen der Matrikel des Sternkreuzordens und auf publizierte Namen in gedruckten Quellen, die aus dem ersten Drittel des 18. Jahrhunderts stammen. Der Orden wurde im Laufe der Zeit mehr und mehr exklusiv habsburgisch. Von der Verbundenheit der KaiserinWitwe mit ihrer Heimat legt das während ihrer Zeit als Großmeisterin ausgegebene Modell des Ordenszeichens Zeugnis ab (dessen Ikonographie wurde seither mehrfach abgeändert): In den Winkeln des lateinischen Kreuzes sind vier mantuanische Adler angebracht. 31 Nach Wippel nahm die zweite Großmeisterin des Sternkreuzordens, Kaiserin Eleonora Magdalena Theresia, in 34 Jahren 1050 Damen in den Orden auf. Wilhelm Jakob Wippel: Die Ritterorden. Ein tabellarisch-chronologisch-literarisch-historisches Verzeichniß, über alle weltliche Ritterorden, auch über diejenigen geistlichen Orden, welche, außer ihrer Ordenskleidung, noch ein besonderes Zeichen getragen haben, 2 Tle., 2. Aufl. Berlin 1824, Tl. 1, S. 111.
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hochgehalten wurde.32 Zum Zeitpunkt der Ordensstiftung suchte Leopold I. der drohenden Türkengefahr 33 durch Intensivierung des Monokonfessionalismus zu begegnen.34 Damit stellt sich die Frage, ob dieser Aspekt der Religionspolitik Leopolds I. und die Tatsache, daß der Sternkreuzorden – im Gegensatz zum Orden Sklavinnen der Tugend – eine monokonfessionalistische Linie vertrat,35 etwas miteinander zu tun haben. Trug der Sternkreuzorden gar die Handschrift von Kaiser Leopold I.? Diese These hat nicht nur deshalb einen hohen Grad an Plausibilität, weil der Kaiser die Rolle des Schutzherrn des Sternkreuzordens übernahm,36 sondern auch aus dem Grund, weil die Werte, Normen und Ziele, die das Denken, Fühlen und Handeln der Ordensdamen homogenisieren sollten, sich nahtlos in die Religionspolitik der Habsburger einfügten. Diese sind: Identifizierung mit dem Katholizismus und der besonderen Frömmigkeit der Habsburger,37 Sorge und Verantwortung der adligen Frau für das Seelenheil ihrer selbst, ihrer Mitgenossinnen und derjenigen, die Gott nicht in einen höheren Stand setzte, Familiensinn 38 sowie standesgemäßes Verhalten einschließlich karitativer Betätigung. In der Vergangenheit wurde wiederholt behauptet, das Sternkreuzordenszeichen sei »für besonders tugendhaftes Leben sowie Taten der Barmherzigkeit vergeben« worden.39 32 Manni (Anm. 28), S. 1–15. Die auf den 18. September 1668 ausgestellte Stiftungsurkunde der Kaiserin ist abgedruckt in: Hermann Schulze: Chronik sämmtlicher bekannten Ritter-Orden und Ehrenzeichen, welche von Souverainen und Regierungen verliehen werden, nebst Abbildungen der Decorationen. Aus authentischen Quellen zusammengestellt, 2 Bde., Berlin 1853, Bd. 2, S. 716 f. Das Reliquienkreuz hat sich erhalten: Hermann Fillitz: Katalog der weltlichen und der geistlichen Schatzkammer (Führer durch das Kunsthistorische Museum; 2), Wien 1954, S. 70 f., Nr. 104. 33 1683 wurde Wien erfolglos von den Türken belagert. Vgl. Walter Sturminger: Bibliographie und Ikonographie der Türkenbelagerungen Wiens 1529 und 1683 (Veröffentlichungen der Kommission für Neuere Geschichte Österreichs; 41), Graz u. a. 1955. 34 Neben der Bannung der Türkengefahr diente die Stärkung des Monokonfessionalismus auch der Festigung der sakral legitimierten Herrschaft der Habsburger. 35 Es gibt keinen Abschnitt in den Statuten, worin explizit ausgesagt wird, die Ordensdamen müßten katholisch getauft sein, doch geht aus dem Ordenshandbuch hervor, daß Papst Clemens IX. (1667–1669) die Stiftung bestätigte und den Ordensdamen, geborenen oder eingeheirateten Prinzessinnen des Hauses Habsburg sowie Besuchern einer Kirche mit Kreuzreliquie unter bestimmten Bedingungen Nachlaß der zeitlichen Sündenstrafen gewährte. Manni (Anm. 28), S. 19 f., 78, 90–92. 36 Ebd., S. 30–34. 37 Arno Herzig (Anm. 24, S. 13, 176 f.) stellte die Behauptung auf, der Barockkatholizismus habe im Rahmen der Pietas Austriaca »eine starke kollektive Identität mit dem Herrscher« geschaffen. Richtiger ist es, von der kollektiven Identifizierung mit dem Herrscher und seiner Familie zu sprechen. 38 Zur Schutzfrau des Ordens bestimmte Kaiserin Eleonora die Jungfrau Maria, zum Schutzpatron den heiligen Joseph (Punkt 1). Auch bei der Namengebung ihrer Töchter Eleonora Maria Josepha und Maria Anna Josepha nahm das Kaiserpaar Rücksicht auf den habsburgischen Heiligenkult. Keine Berücksichtigung findet der Sternkreuzorden in den Studie von Hildegard Erlemann: Habsburger Loreto- und Hl. Familie-Verehrung, in: dies., Die heilige Familie. Ein Tugendvorbild der Gegenreformation im Wandel der Zeit. Kult und Ideologie (Schriftenreihe zur religiösen Kultur; 1), Münster 1993, S. 122–124. 39 Sabine Weiß: Die Österreicherin. Die Rolle der Frau in 1000 Jahren Geschichte, Graz u. a. 1996, S. 175.
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Zwar wurde in der Tat geprüft, ob bei den um Aufnahme ersuchenden Damen nichts Nachteiliges vorlag (Punkt 9), der Zweck des Ordens erschöpfte sich aber nicht darin, Frömmigkeit und Wohltätigkeit zu belohnen. Vielmehr lag es in der Absicht der Stifterin, die Damen zu encouragieren, das in den Statuten fixierte Regelwerk zu befolgen (Punkt 1). Für diejenigen, die in den Orden eintraten, bedeutete Mitgliedsein in erster Linie Disziplin und Verzicht. Den Lohn für ein gottgefälliges Leben hielt das Jenseits bereit (Punkt 10, 19). Inhaltlich besteht demzufolge eine Verwandtschaft zu geistlichen Ordensgemeinschaften und Sodalitäten, keinesfalls jedoch zu Verdienstorden. In organisatorischer Hinsicht – die Oberin benannte zwei weibliche Verordnete, vier Ratsfrauen, zwei Sakristaninnen und einen Kapellan (Punkt 4–8) – sind ein weiteres Mal Parallelen zu geistlichen Ordensgemeinschaften erkennbar, jedoch mit dem Unterschied, daß die Kreuzträgerinnen das durch sie gebildete Netzwerk nicht nur in religiöser,40 sondern auch in nicht-religiöser Hinsicht, also losgelöst vom Stiftungszweck des Ordens, genutzt haben dürften; zu denken wäre an das Interesse von Müttern, ihre Töchter und Söhne standesgemäß zu verheiraten.41 Der Prestigegewinn für die Ordensmitglieder war exorbitant, umgekehrt profitierte auch das Kaiserhaus vom hohen Ansehen des Ordens in der Öffentlichkeit. Der Sternkreuzorden war für die Damen das, was der seit 1477 in der Verantwortung der Habsburger in Österreich und Spanien liegende Orden vom Goldenen Vlies (gestiftet in Burgund 1429) für Männer war: das höchste Zeichen der Anerkennung, das man als Person von adliger Geburt von einer Fürstin/einem Fürsten empfangen konnte.42 Oder um es anders auszudrücken: Adligen Frauen katholischer Konfession eröffnete sich mit der Ordensstiftung von Kaiserin-Witwe Eleonora die Perspektive, eine Spielart von Ehre, die sie weit über andere Frauen erhob, in ihr Leben »hineinzutragen«.43 Die Historischen Hilfswissenschaften haben sich mit dem Problem zu befassen, ob der Sternkreuzorden als Ritterorden bezeichnet werden kann. Viele zeitgenössische Autoren scheuten sich nicht, die Ordensstiftungen von Eleonora Gonzaga-Nevers unter diesem Begriff abzuhandeln,44 auch wenn in den Statuten beider Damenorden dieses Wort nicht auftaucht und die Mitglieder sich auch sicherlich nicht als Ordensritterinnen verstanden haben. Geistliche Ritterorden kamen im Mittelalter zur Zeit der Kreuzzüge auf ( Johanni40 Hier spielte vor allem das Totengedenken eine wichtige Rolle. 41 Folgt man Joseph A. Schumpeter (Die sozialen Klassen im ethnisch homogenen Milieu, in: Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik 57, 1927, S. 1–67, hier S. 6 f.), so zeigt sich Homogenisierung innerhalb der Klassengrenzen am deutlichsten am Heiratsverhalten. 42 Pons (Anm. 21, S. 62) vermutet fälschlich, der Orden Sklavinnen der Tugend sei »so etwas wie das Pendant für weibliche Adlige zum Orden des Goldenen Vlieses« gewesen, »der ebenfalls eine adeligreligiöse Bindung an das Haus Habsburg darstellte.« Zwischen dem Desinteresse der Geschichtswissenschaften an der Damenorden-Thematik und dem Umstand, daß das Wissen um die historische Bedeutung des Sternkreuzordens verloren gegangen ist, besteht ein direkter Zusammenhang. 43 Die Damen, die in den Orden aufgenommen werden wollten, hatten ein Bittschreiben an das Ordensoberhaupt zu richten (Punkt 3). 44 Dies ist zum Beispiel der Fall bei dem Verzeichnis Kurtzer Entwurff der geist- und weltlichen RitterOrden (1697) von Christian Gryphius (zu dessen Entstehungsumständen vgl. Abschnitt 1.1). Weitere Quellenbelege bei Koloch (Anm. 22), S. 31, Anm. 2.
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terorden, Templerorden, Deutscher Orden u. a.). Sie beruhten auf der Idee, geistliche Krieger müßten sich im Kampf gegen den Unglauben in Gesellschaften zusammenschließen. Nach dem Muster der geistlichen wurden seit dem 14. Jahrhundert weltliche Ritterorden und danach, oft nur die äußeren Formen dieser Ordensgemeinschaften imitierend, immer mehr »Orden« mit den unterschiedlichsten, in ihren Statuten dargestellten Zielsetzungen gestiftet.45 Die klassifizierende Bezeichnung »(weiblicher) Ritterorden« 46 rechtfertigten in der Frühen Neuzeit drei Eigenschaften: Tugendübung, fürstlich autorisierte Statuten, Zugehörigkeit signalisierendes sichtbar getragenes Zeichen. Losgelöst davon ist die Frage zu stellen, warum so viele frühneuzeitliche Autoren Wissen über »weibliche Ritterorden« verbreiteten. Die Antwort lautet: Fürstliche Stiftungen galten als Insignien der Macht.47 Neben der Literaturwissenschaft hat vor allem die Phaleristik 48 (auch: Faleristik) wesentlichen Anteil an der Erforschung europäischer Damenorden.49 Traditionell gilt das Hauptaugenmerk der Phaleristik »der Symbolik und Gestaltung (Quellensprache) der Auszeichnungen sowie der Fertigung der Dekorationen (Kreuze, 45 Gemäß dem Grimmschen Wörterbuch ging die Bezeichnung ›Orden‹ frühestens dann auf die Ordensdekoration über, mit der die individuellen Verdienste ziviler und militärischer Personen anerkannt wurden, als weltliche Ritterorden aufhörten, wirkliche Vereine zu sein und nur ein Mittel zur Auszeichnung erworbener Verdienste geworden waren. Jacob Grimm/Wilhelm Grimm: Deutsches Wörterbuch, Bd. 7, Leipzig 1889, Sp. 1319. Vgl. auch Alain Demurger: Die Ritter des Herrn. Geschichte der geistlichen Ritterorden, München 2003 (Orig. Chevaliers du Christ, 2002). Bernhard Heydenreich: Ritterorden und Rittergesellschaften. Ihre Entwicklung vom späten Mittelalter bis zur Neuzeit. Ein Beitrag zur Phaleristik, Würzburg 1961. Holger Kruse u. a. (Hg.): Ritterorden und Adelsgesellschaften im spätmittelalterlichen Deutschland. Ein systematisches Verzeichnis (Kieler Werkstücke Reihe D: Beiträge zur europäischen Geschichte des späten Mittelalters; 1), Frankfurt/M. u. a. 1991. Andreas Ranft: Adelsgesellschaften. Gruppenbildung und Genossenschaft im spätmittelalterlichen Reich (Kieler historische Studien; 38), Sigmaringen 1994. 46 Johann Friedemann Schneiders (Präses)/Christian Samuel von Ludwiger (Resp.): Dissertatio politicohistorica, de ordine foeminarum equestri, Vom weiblichen Ritter-Orden […], Halle u. a. 1701. 47 Bereits im Hoch- und Spätmittelalter wurden in Europa von Fürsten für Frauen ritterordensähnliche Sozietäten gestiftet. In der Frühen Neuzeit gründeten oder erneuerten auch Fürstinnen Damenorden und gemischtgeschlechtliche oder männerexklusive Orden. In für Männer bestimmte Ritterorden wurden gelegentlich auch Frauen aufgenommen, ein Beispiel ist der älteste weltliche Ritterorden, der englische Orden vom Hosenband (gestiftet 1348). 48 Die Phaleristik (= Lehre von den tragbaren Auszeichnungen) ringt noch um Anerkennung als Historische Hilfswissenschaft. Vgl. Dietrich Herfurth: Orden und Ehrenzeichen, in: Friedrich Beck u. a. (Hg.), Die archivalischen Quellen. Mit einer Einführung in die Historischen Hilfswissenschaften, 3., überarb. u. erw. Aufl. Köln u. a. 2003, S. 319–331. 49 Dieser Forschungszweig weist noch erhebliche Lücken auf. Hermann Dikowitsch: Die europäischen Damenorden des 17. und 18. Jahrhunderts, in: Barock – Blütezeit der europäischen Ritterorden (Katalog des Niederösterreichischen Landesmuseums N. F.; 430), Ausst.-Kat. St. Pölten 2000, S. 53–62. Sabine Koloch: Phaleristik – Geschlecht – Kunstwissenschaft. Umrisse und Perspektiven eines Forschungsprojekts zu Damenorden des 17. Jahrhunderts, in: Christiane Keim u. a. (Hg.), Visuelle Repräsentanz und soziale Wirklichkeit. Bild, Geschlecht und Raum in der Kunstgeschichte. Festschrift für Ellen Spickernagel (Kunstgeschichte; 6), Herbolzheim 2001, S. 22–36 (mit Abbildungen und weiterführender Literatur).
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Sterne, Medaillen, Abzeichen u. a.)«,50 die Tendenz geht aber dahin, die sozial- und kulturhistorischen Kontexte der Artefakte mit der gleichen Akribie zu erforschen wie die Realien selbst. Ins Detail gehende Normierungen der interpersonalen Kommunikation stehen in den Statuten des Sternkreuzordens wegen des Vorherrschens der religiös-erbaulichen Absicht an keiner Stelle im Vordergrund, auch da nicht, wo die Anlässe benannt werden, die mit Schriftverkehr verbunden sind. Im Gegensatz dazu wird in den Statuten des Ordens Sklavinnen der Tugend dort, wo es um das von den Damen zu realisierende Sittigungsprogramm geht, auch die Formung der interpersonalen Kommunikation zum Thema gemacht. Folglich konzentrieren sich die weiteren Ausführungen verstärkt auf diesen Orden. Am 22. November 1659 berichtete der am Wiener Hof weilende Gesandte des Herzogs Alfonso IV. von Modena, Giovanni Perellio, in einem Brief an den Herzog (ich übersetze hier Luigi Olivi, der diesen Brief paraphrasiert),51 die Kaiserin habe sich mit der Kurfürstin von Bayern auf die Gründung eines Ordens für dreißig Damen, genannt »Esclaves de la Vertu«, verständigt.52 Die Damen wurden verpflichtet, jeden Mittwoch vor Ihrer Majestät zu erscheinen und irgendeine Komposition in Versen (Versdichtung) vorzutragen. Die abwesenden Damen sollten zweimal im Monat mit der Kaiserin, die zugleich die Großmeisterin des Ordens war, brieflich korrespondieren. Die zu beachtenden Regeln waren zahlreich und seltsam, und es war an Perellio, dem diese Ehre zuteil wurde, eine Revision der Statuten vorzunehmen und ihnen eine bessere Form zu geben.53 Soweit Luigi Olivi. Wir werden auf diese nicht realisierte Konzeption des Ordens im nächsten Abschnitt zurückkommen. Von der italienischen Urschrift der Statuten, die
50 BDOS – Deutsche Gesellschaft für Ordenskunde e.V., Wissenschaftlicher Beirat: Definition des Phaleristik-Begriffs bestätigt, in: Orden und Ehrenzeichen. Das Magazin für Sammler und Forscher 3, 2001, 11, S. 49. 51 Luigi Olivi: Correspondence d’un représentant du duc de Modène à la cour de Vienne (1659–1660), in: Revue d’histoire diplomatique 2, 1888, S. 386–401, 567–587, hier S. 582 f.: »Pour terminer la description des occupations de la cour impériale en dehors des affaires d’État, nous mentionnerons le fait que l’Impératrice s’était entendue avec l’électrice de Bavière pour instituer un ordre de trente dames appelées les Esclaves de la Vertu. Leur mission était de se présenter, chaque mercredi, devant Sa Majesté et de réciter quelque composition en vers. Les dames absentes devaient correspondre par lettre deux fois par mois avec l’Impératrice qui était la grande maîtresse. Les règles à observer étaient nombreuses et bizarres, et ce fut à notre Perellio que revint l’honneur d’en faire une révision et de leur donner une meilleure forme.« 52 Pons (Anm. 21, S. 62) schließt aus dieser Aussage, Eleonora Gonzaga-Nevers und die bayerische Kurfürstin Adelaide von Savoyen (1636–1676) hätten 1659 den Orden gemeinsam gegründet. Da der Orden nachweislich drei Jahre später von der Kaiserin (und nur von dieser!) gestiftet wurde, wird die Information entweder so zu verstehen sein, daß die Kaiserin sich mit Adelaide von Savoyen wegen des in Planung befindlichen Projekts beraten hat oder daß zumindest die anfängliche Grundidee das Resultat gemeinsamer Überlegungen war. Die bayerische Kurfürstin gehörte zu den ersten Mitgliedern des Ordens. 53 Nach Perellio nahmen möglicherweise noch weitere Personen Änderungen am Statutentext vor.
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Eleonora zusammen mit ihren Beratern ausarbeitete, fehlt jede Spur. Im Geheimen Hausarchiv München erhielt sich das einstige persönliche Exemplar der von Perellio erwähnten bayerischen Kurfürstin Adelaide von Savoyen (Abb. 11). Genau genommen verwahrt das Hausarchiv zwei Exemplare, denn die Kurfürstin besaß neben dem italienischen Original auch eine deutsche Übersetzung der Statuten.54 Diese handschriftlichen Exemplare des Statutentextes beweisen, daß die Kaiserin keine Privatdrucke dieser Schriftstücke herstellen ließ. In deutscher Sprache sind die Statuten des Ordens Sklavinnen der Tugend bis dato insgesamt viermal vollständig ediert und einmal neu abgedruckt worden: Ferdinand Albrecht von Braunschweig-Lüneburg: Wunderliche Begebnüssen und wunderlicher Zustand jn dieser wunderlichen verkehrten Welt […], Tl. 1, Bevern 1678, S. 273– 280. Jacob Bernhard Multz: Repraesentatio majestatis imperatoriae […], Oettingen 1690, S. 728– 731. Johann David Köhler: Das goldene Schaustück des von der verwittibten Röm. Kayserin Eleonora A. 1662 gestiffteten Damenordens der Sclavinnen der Tugend, in: Wöchentliche historische Münz-Belustigung 21, 1749, S. 169–176, hier S. 171–174. Johann Gottfried Hoche: Der Orden der Sklavinnen der Tugend, in: Deutsche Monatsschrift 3, 1792, S. 163–176, hier S. 168–174. Ferdinand Albrecht von Braunschweig-Lüneburg: Wunderliche Begebnüssen und wunderlicher Zustand in dieser wunderlichen verkehrten Welt. Faksimiliedruck der Ausgaben von 1678 (Teil I) und 1680 (Teil II) [richtig: nur Teil I]. Hg. und eingeleitet von Jill Bepler (Nachdrucke deutscher Literatur des 17. Jahrhunderts; 65), Bern u. a. 1988, S. 273–280. Herzog Ferdinand Albrecht von Braunschweig-Lüneburg (1636–1687) ließ im ersten Teil seiner Autobiographie das Exemplar der Statuten seiner Frau Christina, welche anläßlich einer Wienreise 1675 Ordensmitglied geworden war, abdrucken. Seine Edition weicht nur in der Orthographie und einigen äußerlichen Kleinigkeiten von der handschriftlichen Version der Statuten im Geheimen Hausarchiv ab. Neben den Statuten enthält die Autobiographie eine Liste mit »Nahmen der Sklavinnen der Tugend«,55 70 an der Zahl (die 54 Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Geheimes Hausarchiv, Handschriften 91: Zwei Exemplare der Statuten des Ordens Sklavinnen der Tugend aus dem Besitz von Kurfürstin Adelaide von Savoyen – italienische und deutsche Ausfertigung. Von der Existenz dieser Schriftstücke wußte bereits Roswitha von Bary: Henriette Adelaide Kurfürstin von Bayern, Ndr. d. Ausg. 1980, Regensburg 2004, S. 352, Anm. 258. Die zwei Abschriften sind jeweils mit einem handkolorierten Titelblatt versehen (Abb. 11). Das Schriftfeld wird von der Ordenskette in Form einer Sklavenfessel umrahmt. Das an der Kette angebrachte Medaillon mit figurierter Sonne befindet sich über dem Schriftfeld. 55 Ferdinand Albrecht von Braunschweig-Lüneburg: Wunderliche Begebnüssen und wunderlicher Zustand jn dieser wunderlichen verkehrten Welt […], Tl. 1, Bevern 1678, S. 266–271. Der Herzog stellte den Statuten ein auf die Ordensaufnahme seiner Frau bezogenes Gedicht (S. 264–266) voran: »NJchts Edlers als die Freyheit ist auff diesen Rund der Erden!« Mit wenigen Worten geht Martin Bircher auf die Namenliste ein: Der »Wunderliche« in der Fruchtbringenden Gesellschaft. Ferdinand Albrecht und die Literatur seiner Zeit, in: Barocke Sammellust. Die Bibliothek und Kunstkammer des
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Stifterin nicht mitgerechnet), aus den Jahren 1662 bis 1675. Diese Liste ist nicht ganz vollständig und enthält kleinere Fehler. Die zweite Edition der Statuten geht auf den Kanzleirat Jacob Bernhard Multz (1637–1711) zurück. Multz macht über die Herkunft seiner Vorlage keine Angaben. Sein Mitstreiter im Geiste, der Historiker und Numismatiker Johann David Köhler (1684–1755), legte seiner Edition diejenige von Herzog Ferdinand Albrecht zugrunde. Er führt aus, er habe die schriftlich verfaßte Einrichtung und Satzung dieses Damenordens »in einer eben nicht zum besten gerathenen Teutschen Uebersetzung aus der Italiänischen Sprache, sonst nirgends angetroffen […], als in dem [sic] sehr selten auch vorkommenden wunderlichen Begebnüssen und Reise-Beschreibung des in der fruchtbringenden Gesellschafft sogenannten Wunderlichen, oder Herzog Ferdinand Albrechts zu Braunschweig und Lüneburg, in der Linie zu Bevern p. 274.« 56 Die Edition von Multz wird nicht erwähnt. Köhler nahm stillschweigend orthographische, stilistische und andere Besserungen vor und ließ im Anschluß an die Statuten eine nicht ganz identische Fassung der Namenliste, die Herzog Ferdinand Albrecht veröffentlicht hatte, abdrucken. Diese Liste wurde von ihm um genealogische Daten ergänzt und korrigiert. Ganz am Ende der Liste fügte er den Namen der Markgräfin Sophie Louise von Brandenburg-Bayreuth (1642–1702) hinzu,57 deren Tochter weiter oben vorgestellt wurde. Im Zusammenhang mit ihrer Wienreise 1677 war die Markgräfin Ordensmitglied geworden. Die vierte Edition stammt von dem Theologen und Historiker Johann Gottfried Hoche (1762–1836).58 Auch Hoche stützte sich bei seiner Edition auf die Autobiographie des Herzogs, entfernte sich aber bei seinem Bemühen, den Text für seine Zeitgenoss(inn)en eingängiger zu machen, noch weiter vom Original als Köhler. Die in der Autobiographie von Herzog Ferdinand Albrecht abgedruckte Version der Statuten wird nachfolgend erneut ediert. Ich habe mich für diese Textfassung entschieden, weil durch die Edition des Herzogs zum ersten Mal eine breitere Öffentlichkeit Genaueres über den in voller Blüte stehenden Orden erfuhr und weil diese Edition in der Folgezeit den Nachruhm des Ordens in bürgerlichen Kreisen begründete.59
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Herzogs Ferdinand Albrecht zu Braunschweig-Lüneburg (1636–1687) (Ausstellungskataloge der Herzog August Bibliothek; 57), Ausst.-Kat. [Redaktion: Jill Bepler] Weinheim 1988, S. 186–223, hier S. 198. Johann David Köhler: Das goldene Schaustück des von der verwittibten Röm. Kayserin Eleonora A. 1662 gestiffteten Damenordens der Sclavinnen der Tugend, in: Wöchentliche historische Münz-Belustigung 21, 1749, S. 169–176, hier S. 171. Die Markgräfin war Widmungsempfängerin von Rosina Dorothea Schillings aufsehenerregender Verteidigungsschrift Das Weib auch ein wahrer Mensch gegen die unmenschlichen Lästerer weibl. Geschlecht (1697). Hoche ist in der Frauenforschung kein Unbekannter. Vgl. Johann Gottfried Hoche: Vertraute Briefe über die jetzige abentheuerliche Lesesucht und über den Einfluß derselben auf die Verminderung des häuslichen und öffentlichen Glücks, Hannover 1794. Zur Edition: Die Adjektivformen werden entsprechend der Vorlage wiedergegeben. Ich vermag nicht zu entscheiden, ob diese dem Gebrauch der Zeit oder einer Sprachlandschaft entsprechen. Virgeln werden – wie auch sonst in dieser Arbeit – durch Kommas ersetzt. Die Überschriften erscheinen im Original in größerem Schriftgrad. In der gleichen Weise hervorgehoben wurden: »Sclavinnen der
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6. Die Bildungsmacht adliger Frauen: Kommunikationssteuerung zwischen Elitebildung ORDEN Der Sclavinnen der Tugend, unter Jhrer Keyserlichen Majestät des Allerdurchläuchtigsten Römischen Keysers LEOPOLDS Hochmächtigsten Schutz eingericht und gestifftet Von Jhro Keyserl. Majestät der Keyserin ELEONORA Jm Jahr 1662.
Erstens. Die Grund- und Vrsach dieser Stifftung. JE von höhern und Edlern Stamme Einer entsprossen, je höher und Ruhmwürdiger ist auch desselben Geblüt, und dannenhero muß auch das Gemüth so auß demselben erzeugt, sich mit allen seinen Würckungen darumb der Tugend desto mehr verpflichtet machen, weil der wahre Adel allein in der Tugend seiner rechten Eigenschafft nach, bestehet, ohne welchen die Ehren und Würden selbst nichts als Unehren, die hohe Tittul nur Verachtungen seynd, Ja der Eltern und Vorfahren erworbener Ruhm zu nichts anderst dienet, alß dadurch die eigene Schmach einem desto besser vor Augen zustellen. Jm Betrachtung nun so grosser Pflicht, und umb die Welt zu belehren, wie Tugendbegierig auch die Damens seynd, ist dieser Orden der Sclavinnen der Tugend auffgerichtet worden. Andern. Der Nahmen. DEr hohe Adel, und die Leibeigenschafft können gar wol beysammen stehen, weil eben diese selbst erwehlte Leibeigenschafft die gröste Beherrschung seiner selbsten ist, Ja so gar, das ein Leibeigener der Ehrbarkeit zu seyn, ist eine Ehrensvolle Freyheit besitzen; Sinthemahl der Mensch umb so viel mehr freyer wird, je mehr er sich der ersten und vollkommenen Freyheit nähert, welche GOtt selbsten ist. Dieser ist ja gantz frey von allen: Je so dennoch aber in allem seinen Würckungen der Ehrbarkeit zum höchsten verpflicht, dannenhero wer recht begierig seyn wird, nach der allererlaubtesten und ehrlichsten Freyheit, wird den Nahmen eines Sclaven der Tugend nie zu fliehen suchen. Drittens. Das Absehen und Vorsatz dieses Ordens. DAs Absehen und einiger Zierath dieses Ordens, wird eine genaue und unauffhörliche Bezäumung der angebohrnen Bewegungen 60 und äusserlichen Würckungen seyn, nach Tugend« (Punkt 1), die deutsche Übersetzung der Ordensdevise »Diese allein Siegpranget allenthalben« und die kurze Wendung »welche allein überall Siegpranget« (Punkt 4) sowie das Wort »DamenSclavinnen« (Punkt 6). 60 Köhler (Anm. 56, S. 172) ersetzte »Bewegungen« durch »Gemüths-Bewegungen«.
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dem Gesetz und Antrieb der Sitten-Tugend, die da sich warhafftig in allen thätig erzeiget, welche entspringen muß auß einem Edl. hochgesinneten Gemüth, und auß einen recht starcken geistreichen Antrieb, die Tugend durch die Wercke selbsten an Tag zu geben, und ob es schon zu wünschen were, das diese äusserliche Würckungen sich über das natürliche Vermögen erschwüngen, Je so dennoch wird das vorgesetzte Ziel ein jedes erreichen, welches sich in den Schrancken der wahren Sitten-Lehr und Tugendübung wird thätig erweisen. Vierdtens. Das Sinnbild, oder des Ordens-Zeichen. DJe Tugend ist nicht von der Erden, oder einer andern irrdischen Vermischung erzeuget, sie hat viel Göttliches in sich, und sie scheinet ein Wunder in dem Jenigen, in dem sie sich aufhält, dannenhero GOtes Fürbildung ist eben auch die Fürbildung der Tugend, das ist, eine hellgläntzende Sonne,61 Diese darümb, weil, in deme man sie anschauet, sie ihre Anschauer verblendet, gleich wie jene lauter Wunder würckt, bey einen jeden scharfschauent durchdringenden Augapfel, der sie anzuschauen suchet. Jn deme sich nun auf einen so hohen Staffen 62 des Tugend glantzes das edle Gemüth einer großmütig Damen zu schwingen verlanget, so nimt sie zum Kennzeichen die Sonne auf Gold geschmeltzt, in Form eines güldenen Pfenniges,63 mit diesen Beywort: Diese allein Siegpranget allenthalben: 64 Dardurch zu verstehen zu geben, das gleich wie die Sonne in der tieffesten Erden das Gold schöner und feiner, und entlich eine so edle und hochgeschätzte Sach darauß macht, eben also macht die Tugend den innerlichen Menschen geschickter, und theilt einem gleichsam was göttliches mit. Es wird auch diesen Kennzeichen eine güldene Ketten zugefüget, welche ein Zeichen der Leibeigenschaft ist, mit welcher dahin gezielet wird, das eine jede Dame des Ordens der Tugend verbunden sey, welche allein überall Siegpranget.
61 ›Fürbildung‹ ist hier im Sinne von ›Sinnbild‹ zu verstehen: Die Sonne ist sowohl Sinnbild für Gott wie für die Tugend. Eine Sonne mit Antlitz schmückt das Medaillon des Ordenszeichens. 62 Lies: Staffel. 63 Ich bringe den Wahlspruch von Eleonora Gonzaga-Nevers – er lautet »Unum sequor« (Ich folge nur ihr [= der Sonne]) – mit dem Sonnensymbol der großen und der kleinen Ausführung des Ordenszeichens, das den Tugendsklavinnen in einem schwarzen, mit Samt ausgekleideten Kästchen übergeben wurde, in Verbindung. Sabine Koloch: Figurierte Sonne und Lorbeerkranz. Zur Ikonographie des Ordenszeichens der Sklavinnen der Tugend, in: BDOS-Jahrbuch [= Bund deutscher Ordenssammler – Deutsche Gesellschaft für Ordenskunde e. V.] 2001 (Orden und Ehrenzeichen), S. 75–80. 64 In lateinischer Sprache ist die Ordensdevise auf dem Medaillon der großen Ausführung des Ordenszeichens festgehalten: »Sola ubique triumphat« (Sie [= die Tugend] allein triumphiert überall). Sola ubique triumphat ist ein Wortspiel. Zunächst ist mit ›sola‹ die virtus, die Tugend, gemeint, dann ist ›sola‹ eine Anspielung auf die Sonne des Ordenszeichens. ›Sol‹ ist im Lateinischen maskulin, erscheint aber in ›sola‹ als feminin. Dieser Bezug geht auch deutlich aus Punkt 4 der Statuten hervor: »simbolo della Virtù, ciòle il Sole splendente.«
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Fünfftens. Wie groß die Anzahl, und wie die Jenigen Damen beschaffen seyn müssen, die in diesen Orden aufgenommen werden. 1. WJl man keine diesen Orden einverleiben, welche nicht von hoher Geburth und vornehmsten Hause ist. 2. Das sie ihres edlen Geistes und ehrbahren Wandels, von der gantzen Welt offenbahre Zeugnis habe, oder das solches durch allgemeines Gerücht gnugsamb bekand sey. 3. Die Anzahl der leibeigenen Damen solle über dreissig nicht seyn können, doch unbegriffen die Jenigen, so den Fürstlichen Titul tragen, als welchen noch keine gewisse Zahl bestimbt und außgesetzt ist. Sechstens. Die Arth und Weiß, wie man Eine dem Orden einverleibt/ und Jhre Gegenverpflichtungen. 1. SOlle die jenige Dame, welche verlanget angenommen zu werden, zu diesem Ende voller Unterthänigkeit mit einer geziemden Bittschrifft bey den höchsten Haupt des Ordens einkommen, von welcher, wann sie an- und auffgenommen wird, wird sie öffentlich mit Gepräng in Gegenwarth aller der andern DamenSclavinnen oder zum wenigsten deren, so sich dazumahlen von den Orden in der Stadt befinden, das obbedeutete güldene Kennzeichen sambt der Ketten zum Zeichen der Leibeigenschafft empfangen, und wird entgegen die Beobachtung der vorgeschriebener Reguln, wie auch dem höchsten Haupt des Ordens getrew zu seyn versprechen. 2. Dasselbige auff einen gewissen Tag im Jahr (welchen zuerwehlen allein bey den höchsten Haupt des Ordens stehet) zu Hoff in Jhrer vollkommenen Ordens bekläidung zuerscheinen verbunden sein sollen, umb den Vortrag zu vernehmen, welchen das höchste Haupt des Ordens anthun vor nothwendig, oder sonst Tauglich erachten wird. 3. Wann sie auch zu anderer Zeit nach Hoff kommen, sollen sie allezeit das Kennzeichen der geschmeltzten güldenen Sonnen mit der Ketten, zuforderst an denen jenigen Tagen, da etwas sonderbahres, oder ein hoher Geburthstag zufeyren, einfiele, tragen, auser auff dem Landt nicht, da es denn genug sein wird wann sie das Kenzeichen allein tragen, und die Jenige so ausser Landts seind, sollen gleichwoll auch an hohen Festtagen den gantzen Orden zu tragen verbunden sein.65 65 Eleonora Gonzaga-Nevers ist mit der großen Ausführung des Ordenszeichens (Festtagsdekoration) in der Kapuzinergruft in Wien bestattet worden. Rudolf Distelberger: Ein vergessener hoher Damenorden in der Kapuzinergruft wiederentdeckt, in: Zeitschrift der Österreichischen Gesellschaft für Ordenskunde 5, 1992, S. 2–3, Taf. 1, Abb. 1. Dank des von Klaus H. Feder aufgefundenen Porträts
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4. Das sie gehalten seyn sollen überall, zu aller Zeit und bey aller Gelegenheit so viel mehr immer an Jhnen seyn wird, die Tugend, und die tugendhaffte Leute zu verthädigen. 5. Und da sie sich auch von ungefehr bey einen nicht allerdings Edlen und großmächtigen Gespräche befünden, so sollen sie gleicher gestalt verbunden seyn, die Jenige, so in Reden oder sonsten, die Gräntzen der Sitten-Tugend überschritten, mit einer großmüthigen Freyheit dessen zuerinnern, oder doch ja mit gleich grossem Gemüth sich von dergleichen Gespräche zu beurlauben. 6. Solle jede Ordens Dame allzeit verbunden seyn, das güldene Kennzeichen mit einen schwartzen Band am lincken Arm zutragen, und sollen ohne dieses sich weder in der Stadt noch auff den Land finden lassen, und auff den Fall da sie dergleichen unterliessen, oder selbiges zu tragen verseumen, sollen sie ein hundert Reichsthaler zu bezahlen schuldig seyn, und dann selbige einen armen Tugendsahmen Menschen zum besten angewendet werden. 7. Jm Fall auch da eine oder die andere mit Todt abgienge, solle der Orden an das höchste Haupt zurück gesendet werden, umb solche wieder einer anderen, so sie erwehlen und angenommen wird, nach Jhrem gnädigsten Gefallen zu geben, das kleinere Kennzeichen aber, kan so dann bey der verstorbenen Hause zum Gedächtnüs verbleiben. Siebendtens. Worin die Tugend-Sclaverey bestehe. JN der Bezäumung der Gemüthsbewegungen. Jn den äusserlichen Würckungen. Und Jn den jenigen Wercken, so man gegen dem Nechsten übet. 1. SOlle man in Unglück nie das Hertz sincken lassen, noch sich im Glück allzu übermessig erfrewen, sich in keinem Zufall verliehren, und nach der Anweisung der Vernunfft sich allzeit bequämen. 2. Aüsserlich in Gebährden, solle man sich allezeit, wie es einem edlen Gemüth wol anstehet, und seinen Stand gemäß ist, verhalten. 3. Jm Gespräche solle man Achtung haben auff den Jnhalt worvon man redet auff den Ort, auff die Zeit, und auff die Persohn. *** von Magdalena Sibylle von Sachsen (1617–1668) im Schloßmuseum Frederiksborg in Kopenhagen – die dargestellte Tugendsklavin trägt die Festtags- und die Alltagsdekoration des Ordens – liegt neuerdings eine Quelle vor, die eine relativ gültige Antwort auf die Frage zuläßt, wie die kleine Ausführung des Ordenszeichens beschaffen war. Klaus H. Feder: Neue Erkenntnisse zu den Insignien des habsburgischen Damenordens »Sklavinnen der Tugend«, in: Orden-Militaria-Magazin 20, 2001, 98, S. 38–41.
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Der Orden Sklavinnen der Tugend 66 (ital. Ordine delle schiave della virtù, frz. L’ordre des dames esclaves de la vertu, lat. Mancipia virtutis) wird in der Forschungsliteratur verschiedentlich als erster österreichischer Damenorden angesehen.67 Um verstehen zu können, warum die an der Nationalstaatsidee des 19. Jahrhunderts orientierte Einordnung »österreichisch« (Erzherzogtum Österreich) nicht zutreffend sein kann, bedarf es der Kenntnis der tatsächlich umgesetzten und in die Gesellschaft wirkenden Konzeption des Ordens. Nur unter Beiziehung der Statuten ist der konzeptionelle Aspekt nicht vollständig rekonstruierbar, da in dem Textdokument das Einzugsgebiet der Mitglieder nicht festgeschrieben ist. Bezieht man die derzeit bekannten Namen der Ordensmitglieder 68 in die Problemlösung ein, kommt man zu folgendem Ergebnis: Im Orden vertreten waren Frauen aus den habsburgischen Erblanden sowie aus verschiedenen Reichsterritorien und aus Italien,69 das heißt die Ordensdamen hielten sich im Macht- und Einflußbereich der Habsburger auf, gehörten aber verschiedenen Sprachgemeinschaften an.70 Damit stellt sich die Frage, warum die Kaiserin-Witwe und ihre Berater den Orden so und nicht anders entworfen haben. Geplant war kein politischer Orden, wohl aber wurde die Stiftung dem politischen Ziel der Durchsetzung des Hegemonieanspruchs der Habsburger dienstbar gemacht.71 Um noch präziser zu werden: Die habsburgische Dynastie suchte das Reich und Italien zu einen und dieses Ziel durch die Bildung eines Tugendbundes hochstehender Frauen zu fördern und zu bestätigen. Weil als Unionssymbol sich anbietend, wurden in den Orden neben katholischen auch evangelische Damen aufgenommen. Dieser 66 Zur Namengebung und ihren Wurzeln: Es gibt Indizien dafür, daß Eleonora Gonzaga-Nevers sich bei der Namengebung nicht die Servitinnen, die sich auch Dienerinnen Marias nannten, zum Vorbild nahm, sondern sogenannte Sklaven-Bruderschaften in Italien und Spanien. Der Begriff »Sklavin« war in der Frühen Neuzeit als Selbst- oder Fremdbezeichnung üblicher als heute. 67 Roman Freiherr von Procházka: Alt-österreichische Damen-Orden, in: Orden-Journal 2, 1976, Nr. 9/10, S. 10–14. Attila Pandula: Damenorden und Auszeichnungen für Frauen im Reich der Habsburger (eine Grundlegung), in: Annales universitatis scientiarum Budapestinensis de Rolando Eötvös nominatae. Sectio historica 23, 1983, S. 271–290, hier S. 276. 68 Die Mitgliederlisten von Ferdinand Albrecht und Johann David Köhler weichen minimal voneinander ab und sind bis zum Erfassungsjahr 1675 auch nicht vollständig, wie das Beispiel der 1668 verstorbenen Tugendsklavin Magdalena Sibylle von Sachsen zeigt (vgl. Anm. 65). 69 Die von Anbeginn an dem Orden angehörende zweite Tochter der Kaiserin-Witwe, Eleonora Maria (1653–1697), war von 1670–1673 Königin von Polen, allerdings sind gebürtige polnische Adlige bis 1675 nicht in den Orden aufgenommen worden. Fünf Jahre nach dem Tod von Michael Wisniowiecki (1638–1673) heiratete Eleonora Maria Herzog Karl V. von Lothringen (1643–1690). 70 Seit den Friedensschlüssen von Nizza (1538) und Chateau Cambrésis (1559) stand Italien unter habsburgischer Herrschaft, was die italienischen Staaten so gut wie aller Möglichkeiten beraubte, eine selbständige Außenpolitik zu betreiben. 71 Den Beweis hierfür liefert die Tugendsklavin Sophie Louise von Brandenburg-Bayreuth. Zu den Umständen ihrer Ordensaufnahme vgl. Karl Müssel: Markgräfin Sophie Luise von Brandenburg-Bayreuth (1642 –1702). Zur 300. Wiederkehr ihres Todestages, in: Archiv für Geschichte von Oberfranken 82, 2002, 187–212, hier S. 194, 196. Vor dem Hintergrund der politischen Funktion des Ordens wird verständlich, warum auch weniger tugendsame Frauen zu Mitgliedern erwählt wurden (Sophie Louise machte sich der Spielsucht verdächtig).
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Akt der politischen Instrumentalisierung ist bis heute unbemerkt geblieben ist. Dahingehende Behauptungen, die Zusammengehörigkeit der Tugendsklavinnen sei durch deren Wohnsitz in den habsburgischen Erblanden bestimmt worden, können von jetzt an endgültig ins Reich der Fabel verwiesen werden. Zweifelsohne ist der Orden in Österreich (Wien) ins Leben gerufen worden,72 doch stiftete Eleonora ihn nicht als Erzherzogin von Österreich, sondern als römisch-deutsche Kaiserin.73 Aus all dem resultiert, daß es zutreffender ist, den Orden als ›habsburgischen Damenorden‹ zu bezeichnen. Es gibt keine Anzeichen dafür, daß Eleonora Gonzaga-Nevers sich bei ihrer ersten Ordensstiftung an der Noble Académie des Loyales (1617–1636) und der Tugendlichen Gesellschaft (1619–1652), zwei frauenexklusiven Sozietäten, die der ihrigen in gewissen Punkten ähnelten, ein Beispiel nahm.74 Gleichwohl darf ein Vergleich mit diesen Frauenvereinigungen nicht ausbleiben, wenn das Erkenntnisinteresse auf die spezifische Leistung der Stifterin des Ordens Sklavinnen der Tugend gerichtet ist. Die Noble Académie des Loyales wurde am 21. Oktober 1617 von Fürstin Anna von Anhalt-Bernburg (1579–1624) in Amberg gestiftet. Die »Gesetze« der Loyales (18 Punkte, hier Punkt 1)75 schreiben vor, nur Personen zuzulassen, »alß die aus Fürstl. Gräfl. und Adelichen Stande und Geschlechte sein«.76 Aus Punkt 2 geht hervor, die aufzunehmenden
72 Hermann Dikowitsch: Die österreichischen Damenorden, in: Johann Stolzer u. a. (Hg.), Österreichs Orden vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Im Auftrag der Österreichischen Gesellschaft für Ordenskunde, Graz 1996, S. 183–196, hier S. 183. 73 Dagegen wird in den Statuten des Sternkreuzordens (Punkt 2) ausdrücklich vermerkt, das Haupt des Ordens (die Oberin) solle »eine Durchleuchtigste Frau auß dem Allerdurchleuchtigsten Ertz-Hauß von Oesterreich seyn«. Manni (Anm. 28), S. 80. So gesehen ist es richtig, den Sternkreuzorden als österreichischen Damenorden zu bezeichnen, vor allem wenn die Nationalität der Stifterin hervorgehoben werden soll. Korrekt ist aber auch die Bezeichnung habsburgischer Damenorden, da die Ordensdamen sich im habsburgischen Macht- und Einflußbereich aufhielten. 74 Aus Raumgründen mußte ich die Vergleichsbasis auf diese zwei Sozietäten einschränken. Vergleiche mit anderen institutionalisierten Zusammenschlüssen müssen zukünftigen Untersuchungen vorbehalten bleiben. 75 Nach Ausweis von Beckmann trägt die erste Fassung der Statuten das Datum 20. Dezember 1618. Weiterhin teilt er mit: »Die Gesetze davon sein anfangs in Frantzösischer Sprache abgefasset, hernach etwas vermehret, und in das Deutsche gebracht worden, auch wie nachmahls die Fr. Hertzogin zu Mechlenburg [sic] Patronin dieses Ordens worden. A. 1633. den 10. Octobr. von allen damahls lebenden und zugegen seinden Mitgliedern eigenhändig unterschrieben worden«. Johann Christoph Beckmann: Historie des Fürstenthums Anhalt […], Zerbst 1710, S. 335–337. Die »Gesetze« sind neu ediert worden in: Briefe der Fruchtbringenden Gesellschaft und Beilagen. Die Zeit Fürst Ludwigs von Anhalt-Köthen 1617–1650. Bd. 3: 1630–1636. Unter Mitarbeit von Gabriele Ball und Andreas Herz hg. von Klaus Conermann (Die Deutsche Akademie des 17. Jahrhunderts. Fruchtbringende Gesellschaft: Reihe I: Kritische Ausgabe der Briefe, Beilagen und Akademiearbeiten. Abt. A: Köthen; 3), Tübingen 2003, S. 330 –332. 76 Ebd., S. 335. Der Noble Académie des Loyales gehörten Frauen aus den Häusern Anhalt, Bentheim, Braunschweig-Lüneburg, Dohna, Mecklenburg-Güstrow, Solms und Waldeck an. Zur Zusammensetzung vgl. Klaus Conermann: Die Mitglieder der Fruchtbringenden Gesellschaft 1617–1650. 527 Biographien, Transkription aller handschriftlichen Eintragungen und Kommentare zu den Abbildun-
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Frauen müßten der reformierten Religion zugetan sein. Die Stifterin war durch ihren Ehemann, den kurfürstlichen Statthalter in der Oberpfalz, Christian I. von Anhalt-Bernburg, mit Fürst Ludwig I. von Anhalt-Köthen, dem Mitbegründer und Oberhaupt der Fruchtbringenden Gesellschaft, verwandt. Zwei Zielstellungen faßte Anna von AnhaltBernburg ins Auge: die Erhaltung adliger Tugenden und die Förderung standesgemäßer Wissenschaften und Künste. War die Noble Académie des Loyales, wie Gerhard Dünnhaupt annimmt,77 eine Akademie? Oder sollte man wie Friedrich August Eckstein von einem Damenorden sprechen? 78 Ich vertrete die Meinung, die Noble Académie des Loyales war beides: ein Damenorden und eine Akademie. (Daher ist die Sozietät auch Gegenstand von Abschnitt 6.2.) In Punkt 5 der »Gesetze« der Loyales wird das höchste Ziel benannt, das die aufgenommenen Damen verbinden soll: »Alle Glieder dieser Löblichen Gesellschaft sein schuldig ihr lebelang GOtt für allen Dingen, dann auch der Patronin, und Jhnen selbst unter einander getreu zu sein und zu bleiben.« 79 Diese Treue-Verpflichtung gab der Sozietät, die auch die »Getreue Gesellschaft« genannt wurde, ihren Namen.80 Sich aus religiösen oder moralischen Gründen zusammenzuschließen, kennzeichnet Damenorden, nicht hingegen Akademien. Ein weiteres Kriterium für die Klassifizierung einer Sozietät als Ritter- oder Damenorden ist die Existenz eines sichtbar getragenen Zeichens. Auch diese Bedingung erfüllte die Noble Académie des Loyales. Als Symbol wählte die Stifterin einen goldenen Palmbaum mit der Devise »Sans varier«.81 In Anspielung an
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gen und Texten im Köthener Gesellschaftsbuch (Fruchtbringende Gesellschaft. Der Fruchtbringenden Gesellschaft geöffneter Erzschrein. Das Köthener Gesellschaftsbuch Fürst Ludwigs I. von AnhaltKöthen 1617–1650; 3), Weinheim u. a. 1985, S. 58, Anm. 54. Eine Liste mit 26 Mitgliedernamen publizierte Beckmann (Anm. 75), S. 337 f. Dieselbe Liste wurde neu ediert in: Briefe der Fruchtbringenden Gesellschaft und Beilagen (Anm. 75), S. 332–334. Von Beckmann übernommen wurden die Mitgliederangaben vom anonymen Verfasser des folgenden Artikels: L’Ordre de la Palme d’or. Ein Damen-Orden aus dem 17. Jahrhundert, in: Wochenblatt der Johanniter-Ordens-Balley Brandenburg 14, 1873, Nr. 8 (19. Februar), S. 47–48, hier S. 48. Ebenfalls von Beckmann stammen die Mitgliederangaben bei: Gerhard Dünnhaupt: Merkur am Scheideweg. Eine unbekannte Schwesterakademie der Fruchtbringenden Gesellschaft, in: Joseph P. Strelka u. a. (Hg.), Virtus et Fortuna. Festschrift für Hans-Gert Roloff, Bern u. a. 1983, S. 384–392, hier S. 387 f. Dünnhaupt (Anm. 76). Friedrich August Eckstein: Die tugendliche Gesellschaft, in: Neue Mittheilungen [des ThüringischSächsischen Vereins] aus dem Gebiet historisch-antiquarischer Forschungen 6, 1841–1843, 1, 39–47, hier S. 39. Vgl. auch Klaus Conermann: Die Tugendliche Gesellschaft und ihr Verhältnis zur Fruchtbringenden Gesellschaft. Sittenzucht, Gesellschaftsidee und Akademiegedanke zwischen Renaissance und Aufklärung, in: Daphnis 17, 1989, S. 513–626, hier S. 545. Beckmann (Anm. 75), S. 336. Laut Beckmann (ebd., S. 335) nannte man sie auch die »Edle Academie der Aufrichtigen«. Wie dieses Ordenszeichen gebildet war und wie es getragen wurde, ist noch nicht bekannt. Vgl. RolfDieter Krischer: Von Palmen, Blumen und Schwänen. Gesellschaftsorden als Randgebiet der Phaleristik, in: BDOS-Jahrbuch [= Bund deutscher Ordenssammler – Deutsche Gesellschaft für Ordenskunde e.V.] 2005 (Orden und Ehrenzeichen), S. 19–26, hier S. 22. Von der Palme heißt es, daß sie nur unter Belastung wachsen kann. Die Palme wurde auch von der Fruchtbringenden Gesellschaft als Gesellschaftsemblem geführt. Deren Devise lautete »Alles zu Nutzen«. Das Gesellschaftsemblem,
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dieses Symbol wurde die Sozietät auch Goldener Palm-Orden (L’Ordre de la Palme d’Or) genannt. Schließlich kommt noch hinzu, daß sich fürstlich autorisierte Statuten nachweisen lassen, auch dies ein Rechtfertigungsgrund für die Bezeichnung Damenorden.82 Zum Vergleich: Die Tugendliche Gesellschaft, die aus meiner Sicht nicht als Damenorden klassifiziert werden kann, besaß keine Statuten (wohl aber ein Gesellschaftsbuch). Der Akademie-Begriff im Namen der Noble Académie des Loyales weist auf italienische Vorbilder, ohne daß man annehmen müßte, die Stifterin – sie war der italienischen Sprache mächtig – habe sich eine konkrete Akademie zum Vorbild genommen. Was im ersten Drittel des 17. Jahrhunderts in Italien unter einer Akademie verstanden wurde, erläutert Vincenzo Nolfi (1594–1665), selbst Mitglied der Accademia degli Scomposti in Fano. Sein frauenadressiertes Anstandsbuch Ginipedia, ò vero Auuertimenti ciuili per donna nobile (1631) enthält ein Kapitel »Dell’Accademie e loro spettacoli«. Darin heißt es (ich zitiere die anonyme deutsche Übersetzung von 1690): »Wisset demnach, daß diese Academien ihren ersten Ursprung aus der Welt berühmten Stadt Athen herholen, als aus welcher, wie Celius schreibet, die Wissenschafften und freyen Künste, gleich als aus einer Brunquelle herfürgequollen, und ihre heilsame Ströme durch die ganze Welt ausgebreitet haben. […] Und eben daher werden heutiges Tags die Versamlungen der Virtuosen, oder Kunst- und Sinnreicher Leute wegen Ubung der Künste und Wissenschafften Academien genennet.« 83 Auf die Noble Académie des Loyales trifft die Bezeichnung Akademie zweifelsohne zu, denn in Punkt 8 der Statuten wird die Übung verschiedener Künste (Arbeiten aus Textilen und anderen Werkstoffen, Musizieren, Texte in Versform verfassen und eventuell auch rezitieren) und Wissenschaften (gemeint ist hier wohl die Kenntnis der Sprachen Französisch und Italienisch) gefordert: »Wann die Glieder zusammen kommen, es sei sämptlich oder absonderlich, so sollen Sie ihre Zeit, wie auch sonsten, mit Ehrlichen, Jhnen und ihrem Stande wohl anstehenden auch frölichen Ubungen und Gesprächen zubringen, unter welchen auch diese sein sollen, daß Sie sich befleißigen, unterschiedlicher Sprachen, allerhand schöner Hand-Arbeit, auch anderer feiner künstlicher Sachen, darunter auch die Musick, Gedichte, und ingemein in allen dem, was ihnen und ihres gleichen rühmlich ist, und wohl anstehet, nach einer jeden Fähigkeit.« 84 Nun könnte der Einwand erhoben werden, der Sozietät fehle der Anspruch, die Öffentlichkeit am Können und Wirken der Mitglieder partizipieren zu lassen. Dem steht entgegen, daß auch in anderen Akademien Privatleute ohne Öffentlichkeitsanspruch zusammentraten. Weiterhin könnte eingewendet werden, die Künste und Wissenschaften, die im Rahmen der Arbeits- und welches Anna von Anhalt-Bernburg für ihre Stiftung wählte, war nicht identisch mit dem Sinnbild und der Devise des Ordenszeichens. Vgl. hierzu Beckmann (Anm. 75), S. 337. 82 Beckmann (ebd., S. 337) berichtet, die Mitgliedernamen seien in einem »besondern Buche […] bewahret« worden, es muß also Statuten und ein Gesellschaftsbuch gegeben haben. 83 Vincenzo Nolfi [ehemals Galassi]: Von denen so genanten Academien, und wie selbigen beyzuwohnen sey, in: ders., Unterweisung des Frauenzimmers oder Lehr-Sätze der Höflichkeit für eine adeliche Dam, geschrieben von Vincentio Nolfi von Fano an Frauen Hippolyten Uffreducci seine Gemahlin. Aus dem Italienischen in das Teutsche getreulich übersetzet, Nürnberg 1690, S. 793–802, hier S. 795 f. 84 Beckmann (Anm. 75), S. 336; vgl. auch die Punkte 15 und 16 (ebd. S. 336).
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6. Die Bildungsmacht adliger Frauen: Kommunikationssteuerung zwischen Elitebildung
Unterhaltungstreffen der Damen der Noble Académie des Loyales geübt oder vorgetragen werden sollten, seien an das für adlige Frauen verbindliche Rollenschema und die daraus resultierenden Bildungsvorgaben angepaßt worden. Dies zum Anlaß zu nehmen, der Sozietät das Merkmal Akademie abzusprechen, hieße, einen Maßstab anlegen, den männerexklusive Akademien aufstellten, da hier ein anderes Rollenschema die inhaltlichen Schwerpunktbildungen und Verwendungszwecke determinierte. Seit dem 19. Jahrhundert wird in der Forschung die These vertreten, die Noble Académie des Loyales bilde gleichsam ein Gegengewicht zur Fruchtbringenden Gesellschaft: »Den deutschgerichteten Bestrebungen der Fruchtbringenden Gesellschaft setzte sie [die Stifterin, SK] ihre französische Kultur und Sprache entgegen, um die Prinzessinnen der ›deutschen Vergröberung‹ zu entziehen.« 85 Anna von Anhalt-Bernburg scheint die französische Sprache bevorzugt zu haben, weil diese Gedanken und Werte wachrief, die weiterzugeben ihr vor dem Hintergrund ihrer Religion (reformierte Konfession) und sonstigen Interessen ein wichtiges Anliegen war, gerade auch gegenüber ihren zahlreichen Töchtern, die der Akademie als Mitglied angehörten (ihre älteste Tochter Eleonora Maria von Mecklenburg-Güstrow wurde ihre Nachfolgerin im Amt der Akademiepatronin).86 Allerdings wirkte dieser Wunsch den kulturpatriotischen Absichten der Fruchtbringenden Gesellschaft entgegen, so daß man sich fragen muß, ob die Andersartigkeit der Konzeption der Noble Académie des Loyales von den Mitgliedern der Fruchtbringenden Gesellschaft als Provokation empfunden wurde. Dafür gibt es keine Anzeichen. Vielleicht sah man in der Noble Académie des Loyales eine Einrichtung, die den aufgenommenen Frauen die Möglichkeit bot, ihre Fremdsprachenkompetenz auszubauen. Fremdsprachenkenntnisse waren jedenfalls nicht das, was die Fruchtbringende Gesellschaft bekämpfte. Ändert sich unsere Sicht auf die Noble Académie des Loyales, wenn wir wissen, daß sie ein Damenorden und eine Akademie war? Und was verbindet diese Sozietät mit dem Tugendorden von Kaiserin-Witwe Eleonora? Obwohl die Noble Académie des Loyales im Vergleich zu den anderen hier behandelten Sozietäten den kleinsten Rekrutierungsradius, die kleinste Mitgliederzahl und die geringste Beständigkeit aufwies, nimmt sie dennoch in der europäischen Sozietäts- und Bildungslandschaft des 17. Jahrhunderts eine Sonderstellung ein.87 Es handelt sich hierbei 85 Lotte Traeger: Das Frauenschrifttum in Deutschland von 1500–1650, Diss. Prag [1943], S. 115. Vgl. auch Friedrich Wilhelm Barthold: Geschichte der Fruchtbringenden Gesellschaft. Sitten, Geschmacksbildung und schöne Redekünste deutscher Vornehmen vom Ende des XVI bis über die Mitte des XVII Jahrhunderts, Berlin 1848, S. 27 f. 86 Zur Erziehungsfunktion der Stiftung vgl. Niekus Moore (Anm. 15), S. 507. Gemäß den Statuten sollten in die Akademie keine Mädchen unter zwölf Jahren aufgenommen werden (Punkt 4). 87 Zu dieser Bewegung allgemein, ohne Bezug zur Noble Académie des Loyales: Klaus Garber u. a. (Hg.): Europäische Sozietätsbewegung und demokratische Tradition. Die europäischen Akademien der Frühen Neuzeit zwischen Frührenaissance und Spätaufklärung (Frühe Neuzeit; 26/27), 2 Bde., Tübingen 1996. Zur deutschen Akademiebewegung, mit Bezug zur Noble Académie des Loyales: Jörg Jochen Berns: Die deutsche Akademiebewegung im 17. Jahrhundert. Ein Überblick, in: Beiträge zur musikalischen Quellenforschung (Protokollbände der Kolloquien »Quellenforschung zur Musik in
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um den ersten deutschen Damenorden und die erste deutsche Akademie, die nur Mädchen und Frauen offenstand. Die Stiftung ist in bildungsgeschichtlicher Hinsicht auch insofern bedeutungsvoll, als sie Züge eines salonartigen Zirkels trägt. Nach meinem Kenntnisstand haben wir die erste Sozietät vor uns, die den Geist der französischen Salonkultur vorwegnimmt (der Salon von Mme de Rambouillet wurde 1618 eröffnete), wobei sich diese Beobachtung nicht auf die Wahl der französischen Sprache als Verkehrssprache stützt, sondern auf Inhalte, die in den Statuten verankert sind. Die Tatsache, daß wir es bei der Noble Académie des Loyales und beim Orden Sklavinnen der Tugend mit Damenorden zu tun haben, die beide von einer Fürstin gestiftet wurden, daß auf dem Papier ein Numerus clausus festgesetzt wurde und neben verheirateten und unverheirateten Frauen auch Mädchen Eingang fanden, verbindet die Stiftungen in formaler Hinsicht. Inhaltliche Klammer ist die Idee der Tugendübung, die im Leben der Mitglieder von zentraler Bedeutung sein sollte. In beiden Fällen erging an die Damen die Aufforderung, sich in der Bindung an das Oberhaupt beständig zu erweisen und Worte und Gebärden einem strengen Sittenkodex zu unterwerfen. So heißt es in den Statuten der Noble Académie des Loyales: Wann auch etliche unter Jhnen Lust haben, Ehrliche Kurtzweile oder Zusammenkünften anzufangen und zu halten, sollen Sich die, so in der Nähe, ohne Ursach nicht davon absondern, sondern nach ihrer Gelegenheit und gutem Willen dazu helfen, und sollten sich in allem ihrem Thun und Fürnehmen hüten für leichtfertige Worte, Gebehrden, und allem dem, was Ursache und Anlaß zu böser Nachrede geben kann, hergegen sich befleißigen in Worten, Gebehrden und Wercken, Ehrbarlich, Züchtig, Sittsam und demühtig zu leben, also daß Sie andern ein Exempel sein mögen.88
Die Tugendliche Gesellschaft konstituierte sich am 5. September 1619 in Rudolstadt. Gegründet wurde die Gesellschaft von Gräfin Anna Sophia von Schwarzburg-Rudolstadt (1584–1652),89 der Schwester Fürst Ludwigs I. von Anhalt-Köthen, und weiteren acht fürstlichen und gräflichen Frauen. Anna Sophia von Schwarzburg-Rudolstadt sowie Amoena Amalia von Anhalt-Köthen (1586–1625), die Ehefrau von Fürst Ludwig, erhielten die Vollmacht, weitere »Chur- Fürst- und Gräfflichen standes Persohnen« 90 der Gesellschaft beitreten zu lassen. Ein tragbares Ordenszeichen ist nicht nachweisbar,91 des-
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Mitteldeutschland« im Rahmen der Köstritzer Schütz-Tage; 4), Bad Köstritz 1998, S. 9–14, hier S. 10. Beckmann (Anm. 75), S. 336. Fürstin Anna Sophia von Schwarzburg-Rudolstadt (1584–1652) vermachte der von ihr zwischen 1622 und 1626 in Rudolstadt gegründeten Mädchenschule unter der Bedingung, dort müsse die Ratkesche Methode geübt werden, 2000 Gulden. Vgl. Gisela Schlüter: Anna Sophia von Schwarzburg-Rudolstadt, in: Felicitas Marwinski (Hg.), Lebenswege in Thüringen. Zweite Sammlung (Zeitschrift des Vereins für Thüringische Geschichte. Beiheft; 33), Weimar 2002, Nr. 104, S. 15–18, hier S. 16. Franz Dix: Die tugendliche Gesellschaft, in: Mittheilungen der Deutschen Gesellschaft zur Erforschung Vaterländischer Sprache und Alterthümer in Leipzig 6, 1877, S. 42–146, hier S. 50. Obwohl sich in den verschiedenen Fassungen des Gesellschaftsbuches der Tugendlichen Gesellschaft keine Hinweise über die Vergabe eines tragbaren Zeichens finden, schließt Gerd Scharfenberg (Die Orden und Ehrenzeichen der Anhaltischen Staaten 1811–1935, Offenbach 1998, S. 46) die Existenz eines solchen nicht völlig aus.
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6. Die Bildungsmacht adliger Frauen: Kommunikationssteuerung zwischen Elitebildung
halb sollte von einer Damengesellschaft mit moralischer Zielsetzung gesprochen werden.92 Die Stifterinnen der Tugendlichen Gesellschaft nahmen sich in einigen Punkten die kurz zuvor gegründete Fruchtbringende Gesellschaft zum Vorbild, beispielsweise erhielten die Mitglieder bei ihrer Aufnahme einen Gesellschaftsnamen, der zu einem Teil ihres persönlichen Emblems (auch Imprese genannt) wurde. Die Unterschiede scheinen mir aber sehr viel schwerer zu wiegen als die Ähnlichkeiten.93 Die am 4. August 1617 gegründete Fruchtbringende Gesellschaft war eine männerexklusive ritterordensähnliche Vereinigung 94 mit moralisch-verhaltensmodellierender Zielstellung und eine akademieähnliche Sprachgesellschaft.95 Angesichts der Tatsache, daß die Noble Académie des Loyales und die Tugendliche Gesellschaft die Erhaltung der Muttersprache nicht zu ihrem Ziel erklärten96 und die Noble Académie des Loyales eine frankophile Ausrichtung hatte, ist es problematisch, diese beiden Vereinigungen als »Schwestersozietäten«97 der Fruchtbringenden Gesellschaft zu bezeichnen. Auch ist nicht einzusehen, daß die Stifterinnen der Tugendlichen Gesellschaft sich ausschließlich am Modell einer Sozietät orientiert haben sollen, die obendrein eine »Männergesellschaft« war. Vielmehr wäre zu prüfen, ob bei den frauenexklusiven Sozietäten weibliche Traditionen eine Rolle spielten. Als Besonderheit hat zu gelten, daß eine ganze Reihe von Mitgliedern der genannten drei Sozietäten eng miteinander verwandt waren und einige von ihnen (sechs Frauen, zwei Männer) die italienische Novellensammlung Cento novelle antiche (1525), auch bekannt unter dem Titel Il Novellino, übersetzten,98 gleichzeitig ist in Erinnerung zu rufen, daß Sozietätsgründungen schon 92 Diesen Begriff verwendete bereits Lotte Traeger (Anm. 85, S. 121) zur Bezeichnung der hier behandelten Personengruppen, sie unterschied aber nicht zwischen ›Damengesellschaft‹ und ›Damenorden‹. Abzulehnen ist die von Detlef Ignasiak (Bemerkungen zur Tugendlichen Gesellschaft zu Rudolstadt, in: Rudolstädter Heimathefte 35, 1989, 7/8, S. 159–164, hier S. 159) gewählte Bezeichnung ›Frauenorden‹. 93 Auf die Ähnlichkeit der äußeren Formen beider Sozietäten bei ungleicher Programmatik wies bereits Theodor Stenzel hin: Zwei Damen-Orden Anhaltischer Fürstinnen. Ein Beitrag zur Kultur- und Sittengeschichte des 17. Jahrhunderts, Dessau [1870], S. 1. 94 Es gab fürstliche Oberhäupter, ein Ordenszeichen (die Fruchtbringende Gesellschaft wurde daher auch Palmen-Orden genannt), keine gesonderten Statuten, aber ein Gesellschaftsbuch. 95 Die Gesellschaft für Frauen zu öffnen, war nicht von vornherein beabsichtigt. Dennoch erlangten Jahrzehnte nach der Gründung einige wenige Frauen den Status von Assoziierten (= nicht vollwertige Mitglieder, die die weibliche Form des Fruchtbringer-Gesellschaftsnamens des Ehemannes oder Vaters führen durften), nachdem sie diesen Wunsch geäußert hatten. 96 Beide Sozietäten sollten zukünftig nicht mehr als Sprachgesellschaften bezeichnet oder unter diesem Stichwort abgehandelt werden. Zu weiblichen Mitgliedern in Sprachgesellschaften des 17. Jahrhunderts vgl. Karl F. Otto: Die Frauen der Sprachgesellschaften, in: August Buck u. a. (Hg.), Europäische Hofkultur im 16. und 17. Jahrhundert (Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung; 10), Bd. 3, Hamburg 1981, S. 497–503. 97 Briefe der Fruchtbringenden Gesellschaft und Beilagen (Anm. 75), S. 14. 98 Ulrich Seelbach: Erzehungen aus den mittlern Zeiten. Eine Übersetzung der Cento Novelle antiche aus dem Jahre 1624, in: Daphnis10, 1981, S. 345–347, hier S. 345 f. Ders. (Hg.): Die Erzehlungen aus den mittlern Zeiten. Die erste deutsche Übersetzung des Novellino aus den Kreisen der Fruchtbringenden Gesellschaft und der Tugentlichen Gesellschaft. Mit einem reprographischen Abdruck der italienischen Vorlage (Bibliothek des Literarischen Vereins in Stuttgart; 311), Stuttgart 1985. Der größte Teil
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vor Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges 1618 zu einer Modeerscheinung geworden waren, weshalb es richtig ist, von einer europäischen Sozietätslandschaft zu sprechen. Die Suche nach Vorbildern ist wichtig, doch scheint es mir lohnend, in gleichem Maße danach zu fragen, worin bei der Noble Académie des Loyales und der Tugendlichen Gesellschaft – sowohl in der Theorie wie in der Praxis – das Eigenständige und in die Zukunft Wirkende bestand. Mit der Tugendlichen Gesellschaft verbindet den Orden Sklavinnen der Tugend die Tatsache, daß auf dem Papier ein Numerus clausus bestimmt wurde,99 daß neben verheirateten und unverheirateten Frauen auch Mädchen aufgenommen wurden und die Stifterinnen der Auffassung waren, fürstliche, gräfliche und dem Grafenstand gleichgeachtete Frauen seien aufgrund ihrer hohen Geburt verpflichtet, anderen ein Tugendexempel zu sein. Beide Orden waren strikt exklusiv. Von den 70 aufgeführten Tugendsklavinnen waren elf mit einem Mitglied der Fruchtbringenden Gesellschaft verheiratet – dies förderte die Analyse der Mitgliederliste von Ferdinand Albrecht zutage.100 Auch viele Mitglieder der Noble Académie des Loyales und der Tugendlichen Gesellschaft waren mit Fruchtbringern verheiratet. Doch ging es bei den Damensozietäten um etwas anderes, nämlich die Demonstration der besonderen Tugendfähigkeit von Frauen. In den Statuten des Ordens Sklavinnen der Tugend heißt es in Punkt 1: »Jm Betrachtung nun so grosser Pflicht, und umb die Welt zu belehren, wie Tugendbegierig auch die Damens seynd, ist dieser Orden der Sclavinnen der Tugend auffgerichtet worden.« Die Unterschiede zwischen der Tugendlichen Gesellschaft und dem Orden Sklavinnen der Tugend stellen sich folgendermaßen dar. Die Mitglieder der Tugendlichen Gesellschaft rekrutierten sich aus dem gesamten Reichsgebiet, nur zwei Damen stammten aus Dänemark.101 Der Schwerpunkt lag auf dem evangelischen Hochadel und dem Grafender unveröffentlichten Übersetzungen stammt von Fürst Ludwig II. von Anhalt-Köthen, Mitbegründer der Fruchtbringenden Gesellschaft, sowie von Fürstin Amoena Amalia von Anhalt-Köthen, Mitgründerin der Tugendlichen Gesellschaft und Mitglied der Noble Académie des Loyales. 99 In Punkt 5.3. der Statuten der Sklavinnen der Tugend wird die Zahl der Mitglieder aus dem Grafenstand auf 30 beschränkt. Von einem Numerus clausus für Fürstinnen ist nicht die Rede. Nachdem 73 Damen die Mitgliedschaft in der Tugendlichen Gesellschaft gewährt worden war, wurde genau diese Zahl als Obergrenze festgesetzt. In Punkt 1 der Statuten der Noble Académie des Loyales wird das Zahlenverhältnis »10. Fürstliche, 7. Gräfliche und 3. Adeliche« genannt, die überlieferte Mitgliederliste enthält jedoch 26 Namen. 100 Für Unterstützung bei der Klärung dieser Frage danke ich Andreas Herz. Im 17. Jahrhundert stellten, wie Klaus Conermann in vielen seiner Publikationen zur Fruchtbringenden Gesellschaft betont, weibliche Mehrfachmitgliedschaften in Sozietäten keine Seltenheit dar. So war zum Beispiel Sophie Elisabeth, Herzogin von Braunschweig-Lüneburg (1613–1676) und dritte Frau von Herzog August d. J., Mitglied der Noble Académie des Loyales und der Tugendlichen Gesellschaft, außerdem war sie Assoziierte der Fruchtbringenden Gesellschaft (ihr Gesellschaftsname lautete »die Befreiende«). 101 Man beachte: Die Gründerinnen der Tugendlichen Gesellschaft werden in allen nachstehend angeführten listenmäßigen Zusammenstellungen durchgehend den Mitgliedern zugezählt. 30 Mitglieder verzeichnete bis zum Jahr 1624 in der Reihenfolge ihrer Aufnahme: Gottfried Rühlmann: Historische Nachricht von einer im Jahr 1619. gestiffteten Tugendlichen Frauenzimmer-Gesellschafft […],
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6. Die Bildungsmacht adliger Frauen: Kommunikationssteuerung zwischen Elitebildung
stand, daneben wurde auch Frauen aus Adelsgeschlechtern Aufnahme gewährt, die den Grafenhäusern gleichgeachtet wurden.102 Vom Rekrutierungsbereich und der Überkonfessionalität der Tugendsklavinnen war bereits weiter oben die Rede. Aus Punkt 5.1. der Statuten geht nicht eindeutig hervor, ob Frauen aus dem niederen Adel zur Mitgliedschaft zugelassen wurden, doch sprechen die Mitgliederlisten eine eindeutigere Sprache. Auf den niederen Adel wurde bewußt verzichtet. Zum Vergleich: Die Fruchtbringende Gesellschaft besaß keine Ständeklausel, denn ihr Ziel, die deutsche Sprache zu erhalten, war nur realisierbar, wenn bürgerliche Gelehrte mitarbeiteten. Weil die Stifterin des Ordens Sklavinnen der Tugend ranghöher war als die neun Gründerinnen der Tugendlichen Gesellschaft, war ihre Stiftung prestigeträchtiger. Vermutlich nutzten einzelne Damen der Tugendlichen Gesellschaft das durch sie gebildete Netzwerk, um standesgemäße Heiraten anzubahnen. Der Orden Sklavinnen der Tugend bot dagegen wegen seiner Überkonfessionalität wenig Anlaß, ihn so zu nutzen. Die Mitglieder der Tugendlichen Gesellschaft wurden darauf verpflichtet, durch vorbildliches Handeln in der Gesellschaft christliche Moralvorstellungen zu festigen und den Impuls zu geben, nach dem Vorbild der Tugendlichen Gesellschaft »in allen Ständen solche Friedes [sic] Verbündnüssen vnd göttliche Gesellschafften« aufzurichten.103 In dieser Zielstellung spiegelt sich die Sorge, der 1618 ausgebrochene Krieg könne zu einem Zerfall der christlichen Moral führen. Anna Sophia von Schwarzburg-Rudolstadt arbeitete – eventuell mit fremder Hilfe – eine mehrseitige »Erklärung der Tugendlichenn gesellschafft« aus, die in der von Franz Dix edierten Fassung des Gesellschaftsbuches erstmalig veröffentlicht wurde.104 Gemäß dieser Erklärung kann eine Gesellschaft, das heißt eine Verbindung gleichgesinnter Personen,105 eine »Tugentliche« oder eine »Vntugentliche« genannt werden, je nachdem, von welchen Gesinnungen das Handeln geleitet wird. Die »Tugentliche« Gesellschaft wird unterteilt in die »Geistliche« Gesellschaft im Lehren und Lernen und in die »weltliche«, bei der es darum geht, den Frieden zu erhalten und vor Gefahren zu beschützen. Der Gedanke des Friedenserhalts bezieht sich auf die gute Freundschaft und Nachbarschaft, die Rede vom Schutz vor Gefahren richtet sich auf die wahre Religion und auf Land und Leute. Mit ihren ständigen Bezügen auf Bibelstellen und biblische Exempel erweist sich die Tugend-
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Arnstadt 1726, S. 4–19. Eine Mitgliederliste mit 73 Namen edierte Dix (Anm. 90), S. 52–62. Mit einem nach Häusern und Geschlechtern geordneten, vollständigen Mitgliederverzeichnis (103 Damen) dient der Forschung Conermann (Anm. 78), S. 550–553. Eine Mitgliederliste mit 72 Namen aus dem Jahr 1630 wurde ediert in: Briefe der Fruchtbringenden Gesellschaft und Beilagen (Anm. 75), S. 150–152. Koldau traf die fragwürdige Entscheidung, die Tugendliche Gesellschaft unter die Rubrik »Gräfliche Familien und Angehörige des niederen Adels« zu subsumieren. Linda Maria Koldau: Frauen – Musik – Kultur. Ein Handbuch zum deutschen Sprachgebiet der Frühen Neuzeit, Köln u. a. 2005, S. 270, 301–307. Dix (Anm. 90), S. 70. Zur Idee der Aufrichtung von Friedensbündnissen vgl. Conermann (Anm. 78), S. 550–553. Ebd., S. 65–70. Ebd., S. 65.
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liche Gesellschaft als genuin evangelisch. Auf katholischer Seite ist gleiches in dieser Zeit nicht möglich. Beim Sternkreuzorden drückte sich Frömmigkeit in der Verehrung des Heiligen Kreuzes und von bestimmten Heiligen (Pietas Austriaca) sowie pauschal in der Erlösung von Sünden aus. Intensive Bibelkenntnis gehörte zum protestantischen Bildungskanon, auch und gerade in der Adelsgesellschaft. Mit der Devise der Tugendlichen Gesellschaft, »Thugend bringt Ehre«, sollte angezeigt werden, daß »ieglichem Weibsbilde, nechst rechter erkenntniß Christi nichts höheres anliegen soll, alß sich der Thugend zu befleißigen vnd gebührlich nach Ehre zu streben.« 106 Aufgrund ihres Anspruchs, auf lange Sicht Frauen aller Stände für die Idee, Tugendgesellschaften zu errichten, zu gewinnen, ist die Tugendliche Gesellschaft weniger stark elitärem Denken verpflichtet als der habsburgische Tugendorden, gleichzeitig verhinderten die Skrupel von Anna Sophia die Veröffentlichung des Gesellschaftsbuches – sehr zum Nachteil der Verbreitung ihrer Ideen in weiten Kreisen der Bevölkerung. Sowohl die eine wie die andere Stiftung klärten über den Auftrag auf, der tugendübenden Frauen zuwächst. Diese sollten über die Familie oder Dynastie hinausgehende gesellschaftliche Verantwortung übernehmen. Aber nur bei der Tugendlichen Gesellschaft wurden die Frauen aller Stände zu gesellschaftlicher Verantwortung im genannten Sinn ermutigt. Die Tugendsklavinnen hatten die von der KaiserinWitwe Eleonora auferlegte Aufgabe auszuführen, eine moralisch fundierte Umgangskultur zu etablieren. Offenbar war man in Gesprächen zur Einsicht gelangt, die Ernennung hochstehender Frauen zu Botschafterinnen der Tugend stärke die kulturelle Führungsrolle des Adels. Diese Prätention wurde in die Konzeption des Ordens eingeflochten und bildete zusammen mit dem Loyalitätsgebot gegenüber dem Haupt des Ordens (Punkt 6.1.) einen Ansatzpunkt für die Realisierung politischer Zwecke. Die Devise des Ordens Sklavinnen der Tugend, »Sola ubique triumphat« (Sie [= die Tugend] allein triumphiert überall), weist auf die Macht und Größe der Tugend hin, indirekt hebt sie die Macht und Größe derer hervor, die diese Eigenschaft sowie tugendhafte Leute verteidigen (Punkt 6.4.). In Punkt 4 der Statuten wird die Devise religiös ausgedeutet, wodurch die Tugend eine mystische Dimension erhält: »die Tugend [macht, SK] den innerlichen Menschen geschickter, und theilt einem gleichsam was göttliches mit.« In dieser religiösen Ausdeutung des Tugendbegriffs, die als subtile Aufforderung verstanden werden kann, sich für das Göttliche zu öffnen, liegt der entscheidende Unterschied zur Devise der Tugendlichen Gesellschaft. »Thugend bringt Ehre« macht eine Aussage darüber, welcher Lohn von Gott und den Menschen zu erwarten ist, wenn die Tugend durch Werke an den Tag gelegt wird. Die gedankliche Verkettung von Tugend und Ehre war in dieser Zeit ein Gemeinplatz, hier schwingt allerdings die eher ungewöhnliche Assoziation mit: Starke Frauen können zu hohen Ehren gelangen, wenn sie sich in Tugendlichen Gesellschaften zusammenschließen und mit Eifer für eine gerechte Sache kämpfen. Gemäß dem Gesellschaftsbuch stellt ein Sieg der Tugend sich ein, wenn die Frauen »Regiren vnd Triumphiren vber Sünde, Todt Teuffel vnd Helle«.107 Die Tugendgesellschafterinnen werden daher 106 Ebd., S. 49. 107 Ebd.
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auch »Christliche Kämpferinnen vnd vberwinderinnen« genannt.108 Im Umgang mit den Mitgliedern findet man bei der Tugendlichen Gesellschaft einen Ansatz, den der Orden Sklavinnen der Tugend nicht verfolgt: Jedes Mitglied wurde auf eine persönliche Tugend verpflichtet. Um zwei Beispiele zu nennen: Die Stifterin selbst gab sich den Namen »Die Getreue«, die eingangs erwähnte Herzogin Antonia von Württemberg erhielt den Namen »Die Ehrerbietige«. Dieselbe Praktik läßt sich bei der Noble Académie des Loyales nachweisen (»La Pourvoyante«, »La Constante«, »La Paisible etc.). Auf diese Weise wurde die Individualität eines jeden Mitgliedes hervorgehoben und allegorisiert. In diesem Kontext wäre die Frage anzugehen, welche Rolle die verschiedenen Konfessionen im Rahmen der weiblichen Subjektkonstituierung spielten – was hier nicht geschehen kann. Mit den Statuten des Ordens Sklavinnen der Tugend verwobene theoretische Reflexionen lassen auf eine tiefergehende Beschäftigung Eleonoras mit der Tugendthematik schließen. Das Persönlichkeitsbild, das Johann David Köhler entwirft, geht in die gleiche Richtung: »In ihrem Wittwenstande beschäfftigte sie sich stets mit allerhand löblichen Anstalten, mit Lesen der besten Sittenlehren in verschiedenen Sprachen, und mit Nachdenken auf bequeme Hülffsmittel die unordentlichen Gemüthsneigungen, und tadelhafften sinnlichen Regungen bey hohen Standespersonen weiblichen Geschlechts, zu bezähmen«.109 Die Tugendtheorie in den Statuten orientiert sich am zeitgenössischen Diskurs, doch ist die Argumentation auf die von der Kaiserin-Witwe und ihren Beratern angestrebten lebenspraktischen Ziele zugespitzt. Das Theoriegebäude wird nicht durch Bibelzitatverweise abgesichert (diese Argumentationstechnik wurde im Gesellschaftsbuch der Tugendlichen Gesellschaft angewandt). Den Anfang der Argumentation bilden zwei Topoi: Adlige Herkunft verpflichtet zur Tugend und in der Tugend besteht der wahre Adel. Dieser in vielen zeitgenössischen Adelstheorien anzutreffende Aussagenkomplex 110 wird in eine enge Verbindung gebracht mit dem Gedanken, das Geblüt (»sangue«) habe Wirkung auf das Gemüt (»animo«) (Punkt 1). Dahinter steht der Gedanke, die Natur des Adligen stelle diesen auch geistig auf eine höhere Stufe. Was unter Gemüt zu verstehen ist, wird nicht näher ausgeführt.111 Punkt 2 bringt die Tugend mit dem Begriff der Freiheit (hier gleichbedeutend mit Willensfreiheit), Punkt 2 und 4 mit Gott in Verbindung. Die Leibeigene der Ehrbarkeit (»Honestà«) besitzt jene ehrenvolle Freiheit (»Libertà hono108 Ebd. 109 Köhler (Anm. 56), S. 171. 110 Michael Praun: Das adeliche Europa und das noch viel edlere Teutschland samt dessen sieben HeerSchilden, Reichs-Landsassen, und Stadt-Adel, wie auch einen vor ausgestellten Discurs von dem Adel ins gemein […], Speyer 1685, S. 12. Über den Tugendadel informierten auch frauenadressierte Schriften: [ Jacques Du Bosc:] DE LA NOBLESSE DV SANG ET DE CELLE de la Vertu, in: [ders.,] L’honneste femme, Tl. 2, durchges., korr. u. erw. Aufl. Rouen 1640, S. 205–216. Zu Adelstheorien allgemein vgl. Klaus Bleeck/Jörn Garber: Nobilitas. Standes- und Privilegienlegitimation in deutschen Adelstheorien des 16. und 17. Jahrhunderts, in: Daphnis 11, 1982, S. 49–114. Claudio Donati: L’idea di nobiltà in Italia. Secoli XIV–XVIII, Rom u. a. 1988. 111 Gemäß Schottelius setzt sich das Gemüt aus Verstand und Willen zusammen. Justus Georg Schottelius: Ethica. Die Sittenkunst oder Wollebenskunst. Hg. von Jörg Jochen Berns, Bern u. a. 1980, S. 313.
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rata«), die auch Gott besitzt (Punkt 2). In Punkt 4 erfahren wir, was die Tugend im Menschen zu bewirken vermag, und worin ihr höherer Sinn besteht, nämlich darin, einem etwas Göttliches mitzuteilen. Nach Punkt 3 muß Tugendübung aus einem edel-hochgesinnten Gemüt (»animo nobile«)112 und aus einem starken geistreichen Antrieb (»spiritosos cacciatore«), die Tugend zu verwirklichen, entspringen. Ihre sinnlichen Regungen, Worte und Gebärden sollen die Damen nach dem Gesetz und Antrieb der »SittenTugend« (»Virtù morale«) in Zaum halten (Punkt 3). Als Gegenleistung für ihre Aufnahme in den Orden haben die Damen die Tugend und tugendhafte Leute zu verteidigen (Punkt 6.4.). Die tugendtheoretischen Ausführungen im engeren Sinn enthalten keine Aussage darüber, wie die »Sitten-Tugend« von ihrem Gegenteil, der Ausübung des Lasters, unterschieden werden kann. Indirekt geht aber aus Punkt 7.2. hervor, daß die »Vernunfft« (»Raggione«) die Regie des Handelns übernehmen soll. Wörtlich heißt es, man solle »nach der Anweisung der Vernunfft sich allzeit bequämen.« Interessanterweise unterdrückte schon Johann David Köhler in seinem knappen Porträt von Eleonora Gonzaga-Nevers im Witwenstand ein in den Statuten verankertes wichtiges Detail ihres öffentlichen Wirkens, was wohl nur mit seiner bürgerlichen Herkunft zu erklären ist. Die Ordensdamen hatten, so der Wille der Stifterin, nicht nur die eigenen »unordentlichen Gemüthsneigungen, und tadelhafften sinnlichen Regungen« zu bändigen, sondern auch auf andere sittigend einzuwirken. Ungewöhnlicher und folgenreicher als Eleonoras Eintreten für mehr Moralität und Affektkontrolle unter den Ordensdamen erscheint mir die Tatsache, daß sie hochrangige Frauen auch darauf verpflichtete, Tugendvorbild und Tugendlehrerin gegenüber nicht zur Familie gehörigen Männern zu sein, was nur durch partielles Abrücken vom kirchlichen Lehrverbot zu bewerkstelligen war. Es wird zwar in den Statuten – möglicherweise aus diplomatischen Gründen – nicht explizit ausgesagt, das Sittigungsprogramm solle auch Männern eine Lehre sein, es gibt aber zwingende Gründe, davon auszugehen. Die kriegsbedingte Abspaltung der Moral vom männlichen (Sexual-)Verhalten wurde nach den Wirren des Dreißigjährigen Krieges von vielen beklagt und gab zu Initiativen Anlaß, gezielt gegen diese für die Frauen nachteilige Entwicklung anzugehen. Nach Franz Carl Theodor Piderit verabscheute Wilhelm V. von Hessen-Kassel (1602–1637) die »Ungebundenheit und Zügellosigkeit der damaligen Krieger« so sehr, daß er noch während des Krieges, am 1. Mai 1630, ein Sittengesetz für die Untertanen erließ, um der Verrohung der Sitten Einhalt zu gebieten.113 Sechs Jahre später veröffentlichte der Landgraf den von ihm übersetzten ersten Teil der L’honneste femme (1633) von Jacques Du Bosc. In seiner Vorrede bot er dem löblichen Frauenzimmer das »Amt« an, offen Kritik am Mann (von Adel) zu üben, wenn dessen Verhalten gegen die Normen des Schicklichen verstößt.114 Ein stichhaltiger Beleg für die Notwendigkeit, 112 Die im Statutentext wiederholt auftauchende Formulierung »edles Gemüt« beinhaltet die Aussage, das Gemüt werde durch Erziehung veredelt. 113 Franz Carl Theodor Piderit: Geschichte der Haupt- und Residenz-Stadt Cassel, 2., erw. Aufl. hg. von Jacob Christoph Carl Hoffmeister, Kassel 1882, S. 160. 114 Vgl. hierzu ausführlicher Abschnitt 4.1.
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Männern Grenzen zu setzen, ist auch das folgende historische Zeugnis: Unmittelbar nach dem Ende des Krieges, am 11. Juni 1649, stiftete Karl Gustav, Pfalzgraf von Pfalz-Zweibrücken (1622–1660), der spätere König Karl X. Gustav von Schweden, den Sonnenorden, einen männerexklusiven Geheimorden115 mit moralisch-verhaltensmodellierender Zielsetzung. Bislang sind von dem Orden nur die Statuten (6 Punkte) und eine Mitgliederliste aufgetaucht. Dem Stifter lag daran, in seinem Umfeld die christliche Moral zu festigen und eine in kultivierten Formen verlaufende Geselligkeit der Männer unter sich wie auch in Gegenwart von Frauen zu fördern. In Punkt 2 wird den Ordensgenossen folgende Regel überantwortet: »Sollen dahin trachten, alle ehrliche Cavallier, nach Gelegenheit zu obligiren und aller wackern Damen guten renommée immer größer zu machen.« 116 Der Appell, den guten Ruf tüchtiger Frauen zu vergrößern, wäre nicht an die Mitglieder gerichtet worden, wenn in der Praxis alles in bester Ordnung gewesen wäre. In den Statuten des Ordens Sklavinnen der Tugend wird nur andeutungsweise ausgeführt wird, welches »Kapital« die Damen vor Übernahme ihrer Mitgliedschaft erworben haben müssen: »Das sie ihres edlen Geistes und ehrbahren Wandels, von der gantzen Welt offenbahre Zeugnis habe, oder das solches durch allgemeines Gerücht gnugsamb bekand sey.« Der Textausschnitt vermittelt wertvolle Einblicke in die soziale Wirklichkeit, die die Statuten abbilden und die von den tugendübenden Ordensangehörigen mitgestaltet werden sollte. Nur weil diese sich vor Antritt ihrer Mitgliedschaft moralische und habituelle Bildung angeeignet hatten, konnte die Kaiserin-Witwe den Damen – im Vertrauen auf deren Wissen und Können – die Aufgabe, eine moralisch fundierte Umgangskultur zu etablieren, übertragen. Moralisch fundiert heißt im vorliegenden Fall: auf den Regeln der Ehrbarkeit und des Anstands basierend. Nach der Aufnahme in den Orden stand im Idealfall nur noch zur Debatte, das eigene Verhalten gemäß den vorgegebenen Zielen weiter zu perfektionieren, um an andere die Gesetze der Moral durch Beispiel und Intervention (Punkt 6.5.) weitergeben zu können. Nicht alles, was in den Statuten einen Bezug zum Thema Kommunikation hat, fällt unter die Kategorie interpersonale Kommunikation, zum Beispiel waren Ordenszeichen ein Teil der visuellen Kommunikationskultur. Für unsere Fragestellung ist von Interesse, wie die Kaiserin-Witwe über interpersonale Kommunikation dachte und welche Vor115 Das »Ordens Emblema« sollte nicht sichtbar unter dem Wams getragen werden. Geheimorden sind terminologisch von Geheimgesellschaften (u. a. Rosenkreuzer) zu trennen, da bei letzteren ein sichtbar zu tragendes Zeichen fehlt, das die Sozietätszugehörigkeit anzeigt. 116 L. H. Riskamp (Hg.): Sonnen-Orden gestiftet von dem Durchlauchtigsten Hochgebornen Fürsten und Herrn Herrn Carl Gustav, Pfaltz Graven bey Rhein, in Bayern, zu Gülich, Cleve und Berge Herzogen, Graven zu Veldentz vnd Sponheim zu der Marck und Ravensburg, Herrn zu Ravenstein; Der Königl. Majest. in Schweden Generalissimo über Dero Kriegs Staat und Armeen in Teutschland, in: Journal von und für Deutschland 6, 1789, St. 2, S. 132–133, hier S. 133. Sabine Koloch: Der Sonnenorden, gestiftet von Karl Gustav, Pfalzgraf von Pfalz-Zweibrücken – ein Dokument fruchtbringerischer Wirksamkeit, in: Wolfenbütteler Barock-Nachrichten 30, 2003, S. 23–38. Mindestens fünf – nimmt man den Urheber hinzu – der 14 Mitglieder, die im Gründungsdokument des Sonnenordens aufgeführt sind, waren zu Mitgliedern der Fruchtbringenden Gesellschaft ernannt worden.
6.1 Damenorden
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schriften sie aus welchen Gründen schriftlich fixieren ließ. Gespräche galten der KaiserinWitwe als eine Bewährungsprobe des Adels. Wer die besten Qualitäten repräsentierte, durfte sich in der Kunst der Konversation keine Fehltritte leisten: Damen durften nicht in unehrbare Gespräche verwickelt werden, es verbot sich, ihnen unsittliche Angebote zu machen. Die Damen selbst mußten Gegenmaßnahmen ergreifen, wenn ihre Tugend und das daraus abgeleitete Ansehen Angriffen ausgesetzt war. Punkt 6.5. fordert sie auf, steuernd in das Gespräch einzugreifen oder sich daraus zurückzuziehen, wenn die Kommunikation mit den Gesetzen der Moral kollidierte: »Und da sie sich auch von ungefehr bey einen nicht allerdings Edlen und großmächtigen Gespräche befünden, so sollen sie gleicher gestalt verbunden seyn, die Jenige, so in Reden oder sonsten, die Gräntzen der Sitten-Tugend überschritten, mit einer großmüthigen Freyheit dessen zuerinnern, oder doch ja mit gleich grossem Gemüth sich von dergleichen Gespräche zu beurlauben.« Affektkontrolle und Körperbeherrschung waren für die Kaiserin-Witwe nicht minder wichtige Mittel der Eindruckssteuerung und des Imageschutzes adliger Personen wie die Bändigung der Zunge. Daher durften die inneren und äußeren Bewegungen ihrer Körper nicht gegen die Regeln der Ehrbarkeit und des Anstands verstoßen. An zwei Stellen in den Statuten (Punkt 3 und 7.2.) werden die Damen aufgefordert, ihre »proprie paßioni« und »affetti d’animo«, das heißt ihre Leidenschaften und Zuneigungen, genau und unaufhörlich zu bezähmen und sich nach außen hin (»Esteriormente«) ihrem Stand gemäß zu verhalten. Vielleicht dachte die Kaiserin-Witwe bei der Ausarbeitung dieser Leitlinien auch an Damen, die in gewissen Absichten mittels (geheimer) Zeichen mit Männern kommunizierten. Bei den letzten zwei Festlegungen im Statutentext handelt es sich um klassische Anstandsregeln: 117 »Aüsserlich in Gebährden, solle man sich allezeit, wie es einem edlen Gemüth wol anstehet, und seinen Stand gemäß ist, verhalten.« (Punkt 7.2.) »Jm Gespräche solle man Achtung haben auff den Jnhalt worvon man redet auff den Ort, auff die Zeit, und auff die Persohn.« (Punkt 7.3.) Weit entfernt von erotischen Anbiederungen bahnte Eleonora mit dem von ihr zum Leitbild erhobenen Umgangsideal den Weg für einen gesitteteren Umgang der Geschlechter miteinander. Aus den Statuten ergeben sich Hinweise, welche Anlässe und Personenkonstellationen die Kaiserin-Witwe vor ihrem inneren Auge Revue passieren ließ, als sie mit ihren Beratern über Normen für die interpersonale Kommunikation nachdachte. Repräsentative und rituelle Anlässe können in Punkt 7.3. nicht gemeint sein, weil solche Anlässe nicht für Gespräche genutzt wurden. Insofern bleiben nur gesellige Anlässe übrig. Führten die Ordensdamen im engsten Kreis der Familie oder mit sehr vertrauten Freundinnen Gespräche, konnten sie sich ein freieres Benehmen erlauben, weil unter diesen Vorzeichen die Notwendigkeit nicht bestand, sich durch ein entsprechendes Auftreten als Angehörige der gesellschaftlichen Elite auszuweisen. Etwas anderes war es, wenn Ordensmitglieder im 117 Diesen Aspekt beleuchtet (ohne Bezug zum Orden Sklavinnen der Tugend) Ferdinand Brunot: Les femmes allemandes forment des sociétés de bonnes manières, in: ders., Histoire de la langue française des origines à nos jours. Bd. 5: Le français en France et hors de France au XVIIe siècle, Ndr. d. Ausgabe 1917, Paris 1966, S. 304–307.
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Rahmen geselliger Anlässe mit geladenen Gästen zusammentrafen. Dann waren sie Personen von öffentlichem Interesse und hatten sich ihrem Stand gemäß zu benehmen (Punkt 7.2.), um zu signalisieren, wer der gesellschaftlichen Elite angehörte oder dieser als Funktionsträgerin zur Verfügung stand oder stehen wollte. Der Göttinger Historiker und Numismatiker Johann David Köhler zeigte sich nicht aufgeschlossen genug, uns den Blick für die Tatsache zu öffnen, daß Eleonora GonzagaNevers den Damen ganz besonders auch den Auftrag erteilte, ihre Bildung und Autorität zu nutzen, um sittigend auf ihre Interaktionspartner(innen) einzuwirken. Nach der Befundlage, die sich aus der analytischen Betrachtung und fachwissenschaftlichen Einordnung und Bewertung des unerwartet aussagekräftigen Quellenmaterials ergibt, belegt der Orden auf imposante Weise, wie die Bildungsmacht adliger Frauen unmittelbar in die Umgebung weitergeleitet werden konnte – durch Belehrung und durch Bildungsosmose. Eleonora favorisierte das von Karl-Heinz Göttert nicht wahrgenommene Kommunikationsideal der ehrbaren Konversation.118 In ihm drückt sich das Bedürfnis aus, von den Männern Respekt vor den Frauen einzufordern und eine gesellschaftliche Elite zu schmieden, die willens und in der Lage ist, formgewandtes Auftreten, ihrem Stand entsprechende moralische Maßstäbe und eine intellektuell gesteuerte Gesprächsführung vorzuleben, um auf solche Art zum Erhalt des Privilegienstatus des hohen und mittleren Adels beizutragen. Daher auch die elitäre Grundstimmung, die aus jedem Satz der Statuten spricht. Weil der Orden als Insignie der Macht wahrgenommen wurde, blieb er über die Zeiten hinweg in Erinnerung. Im Gedenken an die Ordensstifterin unterschlugen die zu sehr realienfixierten Phaleristen die weltlichen Aspekte von Eleonoras konzeptueller Arbeit und damit eine ihrer größten Leistungen. So versank die Pluralität dessen, was die Kaiserin-Witwe als Ordensstifterin initiierte, leistete und bewirkte, schnell im Dunkel der Geschichte.
6.2 Akademien Als auf die wohl erste neuzeitliche Akademie, die 1427 gegründete Accademia Valdarnina, weitere derartige Gründungen folgten, wuchsen sich mit dem ersten Drittel des 16. Jahrhunderts Akademien in Italien zu wahren Modeerscheinungen aus. Andere Länder versuchten im 17. Jahrhundert aufzuschließen, doch kein Land konnte quantitativ mit Italien, das im 17. Jahrhundert über 800 Akademien aufwies, gleichziehen.119 »Academien«, 118 Karl-Heinz Göttert: Kommunikationsideale. Untersuchungen zur europäischen Konversationstheorie, München 1988. Der Germanist konzipierte seine Untersuchungen zur frühneuzeitlichen Konversationstheorie als Abfolge von Ideen: Auf das Ideal der Anmut in der Renaissance folgt das Ideal der Klugheit im Barock, auf das Ideal der Höflichkeit in der französischen Klassik folgt das Ideal der Offenheit in der Aufklärung. Natürlich sind in den jeweiligen Epochen auch andere handlungsleitende Kategorien über die Quellen erschließbar, bei Montaigne zum Beispiel das Ideal der Kritikfähigkeit. Nicht zuletzt aus diesem Grund ist Götterts Ablösungsmodell konzeptionell fragwürdig. 119 Michele Maylender: Storia delle accademie d’Italia, 5 Bde., Bologna 1926–1930. Statistische Angaben enthält der Artikel von Martin Gierl: Akademie, in: Friedrich Jaeger (Hg.), Enzyklopädie der
6.2 Akademien
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schreibt Dieterich Hermann Kemmerich 1711, »sind solche örter oder gesellschafften, da man in allerhand wissenschafften, künsten und sprachen sich zu üben gelegenheit findet.«120 Nach Jörg Jochen Berns richteten Akademien des 17. Jahrhunderts ihr Augenmerk auf Wissenschaften, Künste und Gegenstände, die in den Lehrkanon einzubeziehen den Universitäten Mühe bereitete: »Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß die europäischen Universitäten als Anstalten, die von der Kirche oder vom Kaiser (und in Deutschland nach Möglichkeit von beiden) zu bestätigen waren, vielen neuen Aufgaben nicht mehr genügten. Sie vermochten zum einen die neuen Naturwissenschaften (vor allem Chemie und Physik) und das Technikwissen, die die Spezialhandwerker, die Architekten und Ingenieure entwickelten, nicht in ihr Fakultäten- und artes-System zu integrieren; und sie vermochten zum andern die kulturpatriotisch-ästhetischen Impulse nicht aufzugreifen und in ihren Lehrkanon zu integrieren. Zwar konnte man sich an den Universitäten mit Rhetorik, Poetik und Grammatik befassen, man konnte und durfte sich aber nicht mit deutscher Sprache, deutscher Poesie, deutscher Philosophie befassen.« 121 Oberflächlich betrachtet wirken die Akademien dieses Jahrhunderts, auf deren Vielgestaltigkeit hier nicht näher eingegangen werden muß, mit ihren im Vergleich zu Universitäten weniger starren Organisationsformen,122 ihrem meist größeren Aktualitätsbezug und ihrer Absicht, wissenschaftliche Erkenntnis und bestimmte Formen der Kultur und des künstlerischen Ausdrucks zu fördern, wie treibende Kräfte des gesellschaftlichen Fortschritts, doch lag eine Umformung der Gesellschaft in kritischer Perspektive außerhalb des Denkhorizonts ihrer Mitglieder. Die Systemkonformität der Akademien äußerte sich unter anderem darin, daß sie weder offen in Konkurrenz zu Universitäten und Ritterakademien traten, noch den Abbau von Adelsprivilegien forderten, noch Interesse an der Aushöhlung der etablierten Geschlechterordnung zeigten. Nur so läßt sich erklären, warum im 17. Jahrhundert von Akademien eine gewisse Anziehungskraft auf adlige Frauen ausging.123 Zu den Funk-
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123
Neuzeit, Bd. 1, Stuttgart u. a. 2005, Sp. 150–156, hier Sp. 151, 153 f. (ohne Berücksichtigung von Frauen und frauenspezifischen Aspekten). Dieterich Hermann Kemmerich: […] Neu-eröffnete Academie der Wissenschafften […], 3 Tle., Leipzig 1711–1714, Tl. 1, Bl. a6a. Berns (Anm. 87), S. 12. Klaus Garber: Akademie, in: Klaus Weimar (Hg.), Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Neubearbeitung des Reallexikons der deutschen Literaturgeschichte, Bd. 1, Berlin u. a. 1997, S. 26–30, hier S. 27 (keine Einbeziehung von Frauen und frauenspezifischen Aspekten, weiterführende Literatur S. 30): »Im Gegensatz zur öffentlich-rechtlichen Institution der Universität beruht die Akademie auf dem privaten Zusammenschluß gelehrter und künstlerischer Eliten, ohne daß eine staatliche Anerkennung erfolgen müßte. Entwicklungsgeschichtlich jünger ist die staatlich ins Leben gerufene, rechtlich fixierte Akademie mit nationalem Anspruch, der gegenüber sich die ältere Akademie durch die von den Mitgliedern selbstentworfenen Statuten und programmatischen Ziele auszeichnet, wobei der Zusammenschluß gleichgesinnter Personen zum Zwecke gelehrter oder künstlerischer Tätigkeit auch ohne fixierte Satzung erfolgen kann.« Zur Geschichte von Frauen in Akademien (ohne Bezug zum altdeutschen Sprachraum) vgl. Christian Gury: Les Académiciennes, Paris 1996. Eine Übersicht über Akademien, die von Frauen gegründet wurden oder an deren Sitzungen Frauen sich aktiv beteiligten, erstellte für den deutschen Sprachraum Berns (Anm. 87), S. 10. Der dort aufgeführte Belorbeerte Tauben-Orden (1693) – eine wahr-
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6. Die Bildungsmacht adliger Frauen: Kommunikationssteuerung zwischen Elitebildung
tionen, die von Akademien wahrgenommen wurden, gehörte die Kontrolle über diskursfähige Themen. Es soll untersucht werden, ob Akademien des 17. Jahrhunderts von Aristokratinnen genutzt wurden, um Themensteuerung zu betreiben.124
1.
Die Noble Académie des Loyales
Gleich bei der ersten Akademie im deutschen Sprachgebiet, die sich selbst als solche bezeichnete, werden wir mit einem Grundproblem der frauenfokussierten historischen Kommunikationsforschung konfrontiert: Den Erkenntnisdrang behindert die geringe Mitteilsamkeit der Quellen, denn nur in den seltensten Fällen wird überliefert, was genau sich während und außerhalb der Zusammenkünfte zwischen den Akademiemitgliedern abspielte. Punkt 8 der ursprünglich in französischer Sprache abgefaßten Statuten der Noble Académie des Loyales (erste Fassung 1618, vermehrt und ins Deutsche übersetzt 1633) gibt nur eine vage Vorstellung davon, was der Inhalt der Mitgliedertreffen sein sollte: »Wann die Glieder zusammen kommen, es sei sämptlich oder absonderlich, so sollen Sie ihre Zeit, wie auch sonsten, mit Ehrlichen, Jhnen und ihrem Stande wohl anstehenden auch frölichen Ubungen und Gesprächen zubringen«.125 Die Forderung, ehrliche, fröhliche Gespräche zu führen, enthält lediglich eine Aussage darüber, wie Unterhaltungen geführt werden sollen. Von dem Bemühen, das Themenspektrum der Gespräche einzuschränken, zeugt die Formulierung »ihrem Stande wohl anstehenden«. Desgleichen kann die Aufforderung in Punkt 13, sich zu »hüten für leichtfertige Worte«, als Versuch, die Wort- und Themenwahl einem Selbstkontrollmechanismus zu unterwerfen, gewertet werden: »Wann auch etliche unter Jhnen Lust haben, Ehrliche Kurtzweile oder Zusammenkünften anzufangen und zu halten, sollen sich die, so in der Nähe, ohne Ursach nicht davon absondern, sondern nach ihrer Gelegenheit und gutem Willen dazu helfen, und sollten sich in allem ihrem Thun und Fürnehmen hüten für leichtfertige Worte, Gebehrden, und allem dem, was Ursache und Anlaß zu böser Nachrede geben kann, hergegen sich befleißigen in Worten, Gebehrden und Wercken, Ehrbarlich, Züchtig, Sittsam und demühtig zu leben, also daß Sie andern ein Exempel sein mögen.« 126 Zwar erfährt man nicht, wie sich verbale Leichtfertigkeit äußert, doch immerhin läßt sich aus dem Kontext die Funktion erschließen, die dem anvisierten Typus des ehrbar-unterhaltsamen Gesprächs zugeschrieben wird. Die Unterhaltungen sollen der Gruppenkohäsion und der Fortdauer des guten Rufes der Mitglieder dienen. An denselben Zielen haben die Korrespondenzen der Mitglieder sich auszurichten: »Wann etliche der Glieder zusammen kommen, sollen Sie allezeit der Abwesenden im Besten gedencken, und Jhnen alle Wohlfahrt wünschen,
scheinlich männerexklusive akademieartige Sprachgesellschaft – blieb im Planungsstadium stecken. Karl F. Otto: Die Sprachgesellschaften des 17. Jahrhunderts, Stuttgart 1972, S. 62. 124 Diese Frage stellt eine Ergänzung zu Abschnitt 5.3 dar, wo die Normierung von Gesprächsthemen durch Männer zum Thema gemacht wird. 125 Beckmann (Anm. 75), S. 336. 126 Ebd.
6.2 Akademien
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auch Correspondence und gute Vertrauligkeit abwesend im Schreiben mit einander halten, damit nicht Ursache zur Vergessenheit oder Mißtrauen gegeben werde, da auch einem oder dem andern Glied sollte übel nachgeredet werden, sollen Sie einander vertheidigen, und derselben Mängel verbergen helfen, so viel sich schicken will.« 127 (Punkt 12) Fürst Ludwig verfuhr bei der Reglementierung der Kommunikation zwischen den Mitgliedern der Fruchtbringenden Gesellschaft ähnlich, doch ist seine Ausdrucksweise weniger respekteinflößend als die der Patroninnen der Noble Académie des Loyales. Möglicherweise meinte der Fürst, durch eine schlichtere Diktion bestehende Standesunterschiede nivellieren zu können: Erstlich, daß sich ein iedweder in dieser Geselschaft erbar- nütz- und ergetzlich bezeigen, und also überal handeln solle, bey Zusammenkunften gütig, frölich, lustig und verträglich in worten und wercken seyn, auch wie dabey keiner dem andern ein ergetzlich wort für übel aufzunemen, also sol man sich aller groben verdrieslichen reden und schertzes darbey enthalten.128
Die Statuten der Noble Académie des Loyales geben klar zu erkennen, daß die Patroninnen in der Theorie Themenlenkung im Dienste der Gruppenkohäsion und der Erhaltung des Ansehens ihrer Mitglieder betrieben. Wie stark sie selbst und die Mitglieder in der Praxis auf die Einhaltung der Verhaltensrichtlinien achteten, wäre an erhaltenen Korrespondenzen und anderen Quellen zu prüfen. Es ist nicht bekannt, ob beim Zusammentreten der Mitglieder der Noble Académie des Loyales ein literarisch oder philosophisch akzentuierter Ideenaustausch nach Art der französischen Salons des 17. Jahrhunderts stattfand, dennoch ist die Möglichkeit, die Akademie habe salonartige Züge getragen, nicht ganz von der Hand weisen.129 Die erste Patronin der Loyales, Anna von Anhalt-Bernburg (1579–1624), ließ, obwohl seit 1595 mit Fürst Ludwig verschwägert, nicht von ihrem Plan ab, die französische Bildung zur Grundlage ihrer eigenen Stiftung zu machen. Seitens des deutschnational gesinnten Historikers Friedrich Wilhelm Barthold brachte ihr dies die wenig schmeichelhaft gemeinte Etikettierung »Patronin alles Fremden« ein.130 Die Erwähnung von Gedichten in Punkt 8 der Statuten dieser Akademie weist auf literarische Neigungen seitens der Patroninnen hin. An zwei anderen Frauen fürstlichen Standes kann demonstriert werden, daß unter den Mitgliedern der Noble Académie des Loyales das Verlangen bestand, sich literarisch zu bilden und dabei den experimentellen, erfahrungsbetonten Aspekt nicht zu kurz kommen zu lassen.
127 Ebd. 128 [Fürst Ludwig von Anhalt-Köthen:] Kurtzer Bericht Von der Fruchtbringenden Geselschaft Zwecke und Vorhaben, in: ders., Der Fruchtbringenden Gesellschaft Nahmen, Vorhaben, Gemählde und Wörter: Nach jeder Einnahme ordentlich in Kupfer gestochen, und jn achtzeilige Reimgesetze verfasset […], Frankfurt/M. 1646, Bl. 2a–3a, hier Bl. 3b. 129 Zu einer ähnlichen Einschätzung gelangte auch schon Conermann (Anm. 78), S. 547: »Wüßten wir mehr über die Art solcher Übungen und Gespräche, ergäben sich vielleicht Gründe, um diesen oder andere Orden der Vorgeschichte des Salons oder sogar der Lesegesellschaft zuzurechnen.« 130 Barthold (Anm. 85), S. 143.
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2.
6. Die Bildungsmacht adliger Frauen: Kommunikationssteuerung zwischen Elitebildung
Die Académie des Parfaits Amants
Amoena Amalia von Anhalt-Köthen und Anna Sophia von Anhalt-Bernburg (1604– 1640), die eine die Schwester, die andere die Tochter von Anna von Anhalt-Bernburg, waren Mitglieder der Académie des Loyales,131 und sie gehörten zu den 48 adligen Unterzeichner(inne)n eines auf den 1. März 1624 ausgestellten Briefes an Honoré d’Urfé (1567–1625), Autor des berühmten Schäferromans L’Astrée (Tl. 1–5, 1607–1627).132 Die Fabel des Romans und sein Autor, dessen literarisches Talent in dem Schreiben mit dem überschwenglichen Lob »rare & divin« 133 (selten und göttlich) bedacht wird, hatte die Unterzeichnenden heftig und nachhaltig in ihren Bann gezogen. Sie fingen an, sich nach den Figuren im Roman zu benennen und in maßgeschneiderte Kostüme zu schlüpfen, um schäferliche Rollenspiele aufzuführen. Aus den in Szene gesetzten d’Urféschen »theatres de beauté & de chasteté«134 (Theater der Schönheit und der Keuschheit) entstand die Idee, an den vielbewunderten Inspirator heranzutreten. Selbstgewiß suchte man den Autor zur Vollendung und Übersendung des letzten Teils seines Romans und zur Mitwirkung an den Schäferakademien – kein anderer als der Inventor selbst war würdig, Celadon, die Hauptfigur des Romans, zu verkörpern – zu bewegen. Alle 48 Akademiemitglieder unterzeichneten den Brief an d’Urfé mit ihrem schäferlichen Namen.135 Aufgrund dieses Schriftdokuments kann es als gesichert gelten, daß d’Urfés Roman Amoena Amalia, Anna Sophia und wohl auch anderen Mitgliedern der Noble Académie des Loyales bekannt war. Mit großer Wahrscheinlichkeit regten auch die in L’Astrée enthaltenen modellhaften Gespräche die Mitglieder der Académie des Parfaits Amants zur Nachahmung an. Ein Beweis für das Interesse an den dort anzutreffenden »Discursen und Gesprechen« ist der eingedeutschte Titel des ersten Teils der Astrée.136 Was Amoena Amalia und Anna Sophia 131 Der Tugendlichen Gesellschaft waren Anna und Anna Sophia von Anhalt-Bernburg als ihre Mitglieder verbunden. Amoena Amalia von Anhalt-Köthen gehörte zu den Mitgründerinnen der Tugendlichen Gesellschaft. 132 Dieser Brief sowie das Begleitschreiben von Adolph von Börstel und das Antwortschreiben von Honoré d’Urfé vom 10. März 1625 sind im fünften Teil der Astrée (1625) in Form von Vorstücken veröffentlicht worden. Einen Wiederabdruck der edierten Dokumente veranstaltete Heinrich Welti: Die Astrée des Honoré d’Urfé und ihre deutschen Verehrer, in: Zeitschrift für neufranzösische Sprache und Litteratur 5, 1883, S. 107–119, hier S. 114–119. 133 Briefe der Fruchtbringenden Gesellschaft und Beilagen. Die Zeit Fürst Ludwigs von Anhalt-Köthen 1617–1650. Bd. 1: 1617–1650. Unter Mitarbeit von Dieter Merzbacher hg. von Klaus Conermann (Die Deutsche Akademie des 17. Jahrhunderts. Fruchtbringende Gesellschaft: Reihe I: Kritische Ausgabe der Briefe, Beilagen und Akademiearbeiten. Abt. A: Köthen; 1), Tübingen 1992, Nr. 240301, S. 250–256, hier S. 251. 134 Ebd. 135 Ebd., S. 253, 255. Amoena Amalia und Anna Sophia hatten die schäferlichen Namen Celidée und Methine angenommen. 136 Honoré d’Urfé: Von der Lieb. Astreae vnd Celadonis einer Schäfferin vnd Schäffers. Darinn jhr wunderbarer Zustandt, Mühe, Arbeit vnnd Unglück, neben einführung anderer vieler mit dergleichen Lieb behafften glücklicher und vnglücklicher Zuständt vnd Außgäng: Sampt allerhandt lieblichen, auch eyverigen, vnd in Lieb verzweiffelten, Discursen vnd Gesprechen, erzehlet vnd beschrieben
6.2 Akademien
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bei den Zusammenkünften der Mitglieder der Parfaits Amants lernten, praktizierten und erfuhren, könnten sie auch für die Noble Académie des Loyales nutzbar gemacht haben (was auch umgekehrt gilt), dann allerdings in anderer Form und von mehr Ernsthaftigkeit durchdrungen. Nimmt man die Indizien und Fakten zusammen, so besteht berechtigter Grund zur Annahme, die Noble Académie des Loyales habe salonartige Züge getragen. Das Potential für Ideenaustausch war jedenfalls vorhanden, wie die Astrée-Kenntnisse von Anna Sophia und ihrer Tante Amoena Amalia, welche in den Jahren 1624–1625 an der Übersetzung der bereits erwähnten Novellensammlung Cento novelle antiche (1525) beteiligt war, hinreichend beweisen. Klaus Conermann läßt die literarisch inspirierten Rollenspiele der Parfaits Amants137 mit dem Ende des Jahres 1623 beginnen.138 Ein festgelegtes Reglement wurde für die auch Unterhaltungsbedürfnisse bedienende Akademie nicht ausgearbeitet.139 Auf die Verwandtschaft der erwähnten schäferlichen Spiele mit höfischen Maskeraden machte Conermann schon 1985 aufmerksam.140 Aus dem Brief an d’Urfé geht zwar das Hingezogensein der Mitglieder zu den »agreable discours« 141 des Romans hervor, es sind aber noch keine Quellen aufgetaucht, die Auskunft geben, welche praktischen Konsequenzen die Mitglieder aus ihrer Liebe zu den angenehmen Gesprächen in der Astrée zogen. Es können daher keine Aussagen darüber gemacht werden, ob es im Rahmen der Treffen der Parfaits Amants Ansätze zur Themenlenkung gab, etwa in der Weise, daß ein Thema, zum Beispiel eines aus dem Bereich der Liebe, von einer ausgelosten oder einer besonders klugen Person aufgegeben wurde, zu dem die Mitanwesenden sich reihum oder paarweise im Dialog äußern sollten. Dies heißt jedoch nicht, daß es keine themenzentrierten Gespräche gab. Unterstellt man den Akademiemitgliedern ein Interesse an dem, was »honnête amour«142 ist und wie sie sich artikuliert, kann man sich nicht vorstellen, wie anders als durch Gespräche eine inhaltliche Auseinandersetzung und Verständigung über dieses Konzept hätte stattfinden können. Die Verflochtenheit zwischen den Loyales und den Parfaits Amants rechtfertigt es nicht, die Schäferakademie ebenfalls den salonartigen Zirkeln zuzurechnen. Bei den Par-
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werden. Allen mit Lieb beschwehrten, gefangenen vnd gebundenen: Zu sonderer auffmerckung, warnung und vnterricht, durch den Herrn von Vrfee in Frantzösischer Sprach an Tag gegeben, vnd vmb gemelter vrsach wegen auch den Teutschen Liebleydenten in Teutsche Sprach versetzt […], Mömpelgard 1619. Conermann (Anm. 76), S. 39–42 (mit der älteren Forschungsliteratur). Renate Jürgensen: L’Academie des parfaits Amants, in: dies., Die deutschen Übersetzungen der »Astrée« des Honoré d’Urfé (Frühe Neuzeit; 2), Tübingen 1990, S. 361–364. Conermann (Anm. 78), S. 593. Die Forschung hat teilweise Schwierigkeiten damit, die Unterhaltungsfunktion von Akademien wahrzunehmen und daraus Erkenntnisse zu ziehen. Conermann (Anm. 76), S. 40, Anm. 21. Vgl. zu dieser höfischen Unterhaltungs- und Kunstform Claudia Schnitzer: Höfische Maskeraden. Funktion und Ausstattung von Verkleidungsdivertissements an deutschen Höfen der Frühen Neuzeit (Frühe Neuzeit; 53), Tübingen 1999. Briefe der Fruchtbringenden Gesellschaft und Beilagen (Anm. 75), S. 252. Maurice Magendie: Du nouveau sur l’Astrée, Paris 1927, S. 52 f.
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6. Die Bildungsmacht adliger Frauen: Kommunikationssteuerung zwischen Elitebildung
faits Amants war durch die Romanvorlage Themenbindung gegeben, eine flexible Handhabung der Themenwahl, wie sie bei Salons auftrat, ist hier eher unwahrscheinlich. Erst Jahrzehnte später, mit der Formierung der Ister-Gesellschaft (»Ister« war eine in der Antike verbreitete Bezeichnung für den Unterlauf der Donau) in den 1650er Jahren, wird eine weitere salonartige Vereinigung wahrscheinlich. Erste vorläufige Forschungsergebnisse zu diesem muttersprachlich orientierten Kreis von Personen, dessen Existenz quellenmäßig noch nicht genügend gesichert ist, stammen von Horst-Joachim Frank und Martin Bircher. Verweise auf die Ister-Gesellschaft begegnen in den Quellen im Zusammenhang mit literarischen Größen wie Johann Wilhelm von Stubenberg, Catharina Regina von Greiffenberg und Wolf Helmhard von Hohberg, aber auch in Verbindung mit Personen, die nicht mit Publikationen in Erscheinung getreten sind oder die bürgerlicher Herkunft waren. Zur Organisation und zu den Inhalten der Ister-Gesellschaft bemerkt Frank: Weiter reichende Zusammenhänge lassen sich nur sehr vage nachzeichnen; dennoch darf die Vermutung ausgesprochen werden, daß eine Reihe jener literarisch Interessierten in Niederösterreich sich zu einer losen »Ister-Gesellschaft« zusammengeschlossen hatten. In dem offenbar zwang- und statutenlosen Bunde waren auch zahlreiche Frauen vertreten. Im Mittelpunkt dieser adeligen Gesellschaftlichkeit stand die Pflege der literarischen Schäfermode; daher kostümierten sich ihre Mitglieder als »Isterschäfer« oder fungierten als »Ister-Nymphen« am Parnaß. Als neue »genossinn« erhielt die wegen ihrer wissenschaftlichen Studien bekannt werdende Catharina durch Stubenberg den Namen »IsterClio«. […] Am ehesten faßbar wird uns ihr Geist aus einem kleinen Werk Catharinas, das sie wohl für den Kreis ihr nahestehender Frauen verfaßte: Die Tugend-Übung Sieben Lustwehlender Schäferinnen [1662].143
Das Interesse an Literatur sowie an Gesprächen über Neuerscheinungen und wohl auch über philosophische Themen scheint bei der Ister-Gesellschaft das verbindende Element gewesen zu sein. Hierzu würde passen, daß Johann Wilhelm von Stubenberg Sigmund von Birken am 6. April 1660 mitteilte, er habe sich durch »etliche Freündinnen bereden lassen, und die Clélie Zu deutschen unterfangen«.144 Frank vermutet hinter den brieflich erwähnten Freundinnen Mitglieder der Ister-Gesellschaft. Die Lese- und wohl auch die Gesprächsinteressen der Clélie-Freundinnen rücken die Ister-Gesellschaft in die Nähe des von Madeleine de Scudéry unterhaltenen Salons.145 In der Clélie (5 Tle. in 10 Bdn., 1654– 143 Horst-Joachim Frank: Catharina Regina von Greiffenberg. Leben und Welt der barocken Dichterin (Schriften zur Literatur; 8), Göttingen 1967, S. 102, 166, hier S. 30. Vgl. auch Martin Bircher: Johann Wilhelm von Stubenberg (1619–1663) und sein Freundeskreis. Studien zur österreichischen Barockliteratur protestantischer Edelleute (Quellen und Forschungen zur Sprach- und Kulturgeschichte der germanischen Völker N. F.; 25), Berlin 1968, S. 75–97. 144 Frank (Anm. 143), S. 147, Anm. 114. 145 Catherine de Vivonne, Marquise de Rambouillet (1588–1665), unterhielt ab 1600 in ihrem Pariser Stadtpalais einen literarischen Salon, der als der erste französische Salon überhaupt gilt. Zwischen 1624 und 1648 kam hier der oppositionelle Hochadel zusammen. Renate Baader: Die verlorene weibliche Aufklärung – Die französische Salonkultur des 17. Jahrhunderts und ihre Autorinnen, in: Hiltrud Gnüg u. a. (Hg.), Frauen Literatur Geschichte. Schreibende Frauen vom Mittelalter bis zur Gegenwart, 2., vollst. neu bearb. u. erw. Aufl. Stuttgart u. a. 1999, S. 52–71, hier S. 60.
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1660), dem dritten Roman der Französin, verarbeitete diese Gespräche, die in ihrem seit 1653 geöffneten Salon geführt wurden.146 Es muß davon ausgegangen werden, daß die Clélie auch deutschen Leser(inne)n als Quelle für Gesprächsthemen diente.147 Seine Clelja (5 Tle., 1664) widmete der Übersetzer der Kaiserin-Witwe Eleonora Gonzaga-Nevers, die, wie weiter unten zu zeigen sein wird, am Kaiserhof eine Akademie gegründete und über eine weitere zusammen mit ihrem Gemahl den Vorsitz führte. Ob in salonartigen Zirkeln das Ideal einer Kommunikation unter Gleichberechtigten eingelöst wurde, hing wohl stark von der jeweiligen Zusammensetzung ab. Derartige Zirkel waren, wie das Wort »salonartig« schon ausdrückt, keine richtigen Salons. Diese gingen im 17. Jahrhundert auf die Initiative einer (weiblichen) Privatperson zurück, die ihr Haus zu bestimmten Zeiten für Gäste öffnete, die sich zum Zwecke des Ideenaustauschs einfanden. Das Fehlen von Salons im deutschsprachigen Kulturraum des 17. Jahrhunderts ist auffällig, läßt sich aber nicht allein aus den schlechteren Bildungsmöglichkeiten von Frauen erklären, ein Argument, das ohnehin nur in Bezug auf nichtadlige Personen zuträfe. Die europäische Verflechtung des Adels wirkte sich vereinheitlichend auf die Erwartungen aus, die man an die Bildung von Aristokratinnen herantrug. Schwerer scheint mir das Argument zu wiegen, daß in Deutschland adlige Frauen ein intellektuelles und künstlerisches Kräftemessen mit Bürgerlichen nicht suchten und bürgerliche Frauen noch nicht das Selbstbewußtsein besaßen, sich nach Art der französischen Salonnièren gesellschaftlich zu exponieren. Salons benötigten zentrale Hauptstädte, wo sich alles, was Rang und Namen hatte, versammelte (im deutschsprachigen Raum erfüllten im 17. Jahrhundert zum Beispiel Hamburg, Leipzig, München, Nürnberg und Wien diese Bedingung), sie benötigten aber auch weltaufgeschlossene, talentierte, eloquente Frauen, die ständische Durchlässigkeit und damit Gleichberechtigung von Bürgerlichen im Gespräch zuließen oder zumindest dann nicht ausschlossen, wenn ohne sie Kommunikation in der gewünschten Form nicht realisierbar gewesen wäre. Diese historische Konstellation konnte sich in Deutschland erst im 18. Jahrhundert herausbilden. Im 17. Jahrhundert boten – neben Akademien – Freundschaftsbünde und sehr vereinzelt auch Sprachgesellschaften Frauen die Möglichkeit, Ideen nichtalltäglicher Art im Kreis von Gleichgesinnten auszutauschen.148 146 Barbara Krajewska: Du coeur à l’esprit. Mademoiselle de Scudéry et ses Samedis, Paris 1993. 147 Dies gilt auch für andere Werke wie etwa die Astrée (siehe Abschnitt 5.3). Der wegen seiner bildungsmäßig überfrachteten und dennoch frauenintegrativen Gesprächspiele vielgescholtene Harsdörffer rechtfertigte seinen Bildungsanspruch, indem er der zweiten Auflage des ersten Teils eine Schutzschrift anhängte. Die dort beschriebene Reaktion hochadliger Frauen und Mädchen dokumentiert den Umgang mit dem aus deren Sicht nützlichen Werk: »Es beruhet nicht die geringste Ehre der Gesprächspiele darinnen, daß selbe von etlichen hochgebornen Fürstinnen und Fräulein mit gnädiger Gewogenheit beliebet und geübet werden, deren gnädiges Gutsprechen aller niderverständigen Boßheit beharrlich entgegen stehet.« Georg Philipp Harsdörffer: Frauenzimmer Gesprächspiele. Faks.-Ndr. d. Ausg. Nürnberg 1643–1657, hg. von Irmgard Böttcher, 8 Tle. (Deutsche Nachdrucke. Reihe: Barock; 13–20), Tübingen 1968–1969, Tl. 1, 1644, [Schutzschrift im Anhang] S. 48. 148 Man vermißt solche Überlegungen in der Monographie von Peter Seibert: Der literarische Salon. Literatur und Geselligkeit zwischen Aufklärung und Vormärz, Stuttgart u. a. 1993.
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3.
6. Die Bildungsmacht adliger Frauen: Kommunikationssteuerung zwischen Elitebildung
Akademien am Kaiserhof
Am Hof der Kaiserin-Witwe Eleonora-Gonzaga-Nevers gab es, wie Rotraud Becker mit Bedacht und Weitsicht herausstellt, angeregte Gespräche, an denen Eleonora sich freimütig, klug und gut unterrichtet beteiligte.149 Ihr besonderes Vertrauen genoß der weltgewandte und sprachenkundige Feldherr, Diplomat und Staatsmann Raimondo Montecúccoli (1609–1680). Dieser stand, als er Königin Christina von Schweden (1626–1689) nach ihrer Abdankung 1655 nach Rom begleitete, am Anfang einer steilen Karriere, die mit der Erhebung in den Reichsfürstenstand 1679 endete. Er gilt als bekanntester Militärtheoretiker und -schriftsteller seiner Generation. Montecúccoli war Ritter des Amaranthen-Ordens (gestiftet 1653 von Königin Christina von Schweden), Ritter vom Goldenen Vlies, Präsident der Academia naturae curiosorum (gegründet 1652) und Mitglied der ersten am Kaiserhof gegründeten Akademie (Accademia de Crescenti, 1656–1657). Auch seine junge Ehefrau, die Gräfin Margaretha von Dietrichstein, erfuhr hohe Ehren.150 Ein weiterer Besucher, der sich von der intellektuellen Atmosphäre des Hofes der KaiserinWitwe angezogen fühlte, war der toskanische Gesandte Graf Lorenzo Magalotti (1637– 1712).151 Der Naturforscher, Linguist, Philosoph und Staatsmann war Mitglied der Accademia della Crusca (gegründet 1583), und er leitete die Florentiner Accademia del Cimento (1657–1667), deren Mitglieder naturwissenschaftliche Experimente betrieben. In den Jahren 1675 bis 1678 hielt sich Magalotti in Wien auf. Sein schriftstellerisches Œuvre umfaßte naturwissenschaftliche Aufsätze, eine Streitschrift gegen die Atheisten, Novellen und das Lehrgedicht La donna immaginaria (gedruckt 1762). Mit besonderem Vergnügen dürfte die Kaiserin zusammen mit Leopold I., ihrem Stiefsohn, und Erzherzog Leopold Wilhelm (1614–1662), dem Bruder Kaiser Ferdinands III., italienische Sonette improvisiert haben. Dabei war die Regel die, daß einer der drei eine Strophe vorzutragen hatte, zu der die anderen zwei Teilnehmenden eine Fortsetzung finden mußten.152 Die erste Akademiegründung am Kaiserhof, die Accademia de Crescenti,153 geht auf die Initiative des kunstsinnigen Erzherzogs Leopold Wilhelm zurück.154 Den Vorsitz der 149 Becker (Anm. 19), S. 430: »Vi si svolgevano conversazioni, in cui E. interveniva in modo franco, acuto et informato.« 150 Sie war in den Orden Sklavinnen der Tugend aufgenommen worden. Ihre Bedeutung spiegelt auch die Biographie von Filippo Maria Bonini: Vita della Contessa Margarita di Montecuccoli, nata de’ Principi di Dietreichstain [sic], Wien 1677. 151 Fidler (Anm. 19), 1986, S. 85 f. Becker (Anm. 19), S. 430. 152 Dorothy Gies McGuigan: Familie Habsburg 1273 bis 1918, Wien 1966, S. 192. Die Österreichische Nationalbibliothek ist im Besitz von italienischen Gedichten, die Eleonora Gonzaga-Nevers als dichtende Kaiserin ausweisen. Österreichische Nationalbibliothek, CVP 9401, Bl. 6: Ungedruckte italienische Gedichte der römisch-deutschen Kaiserin Eleonora Gonzaga-Nevers. Vgl. auch Landau (Anm. 21), S. 10. 153 Maylender (Anm. 119), Bd. 2, 1927, S. 119. 154 Ich stützte mich hier und weiter unten auf die aus den Akten erarbeiteten Ausführungen des Musikologen Herbert Seifert zu den Akademien am Wiener Kaiserhof im 17. Jahrhundert (Anm. 21, S. 195–204). Auf Italienisch ausgegebene Akademiethemen übertrug Seifert stets ins Deutsche, ohne die italienische Originalfassung zu zitieren.
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Akademie führte das Kaiserpaar (Ferdinand III. und Eleonora Gonzaga-Nevers).155 Ab Dezember 1656 fanden die ersten Sitzungen statt,156 der erste Bericht datiert in das Jahr 1657. Am 7. Januar 1657 versammelten sich zehn am Hof anwesende italienische Adlige vor der kaiserlichen Familie und der Hofgesellschaft. Die Akademiesitzung wurde in der kaiserlichen Kammer abgehalten. Alle anwesenden Mitglieder mußten in der durch das Los bestimmten Reihenfolge zu dem Thema, ob die Schönheit der Seele über die des Körpers die Oberhand behalte, Stellung beziehen. Danach spielten Musiker Instrumentalstücke und es wurden Gedichte rezitiert: zwei Madrigale von Leopold Wilhelm und ein Sonett des spanischen Botschafters Don Gaspar de Teves y Guzman marqués de la Fuente.157 Eleonora, Ferdinand III. und Leopold Wilhelm hatten nach dem Vorbild italienischer Akademien die Namen »L’Immutabile« (Die Unveränderliche), »L’Occupato« (Der Beschäftigte) und »Il Crescente« (Der Wachsende) angenommen.158 In der Sitzung eine Woche später wurde das Thema gegeben, ob die Eifersucht eine Qual oder die Würze der Liebe sei. Herbert Seifert vermutet, daß die Sitzungen während des ganzen Faschings einmal in der Woche fortgesetzt wurden.159 Die Erkrankung und der Tod Ferdinands III. am 3. April 1657 brachte das Erlöschen der Akademie mit sich. Verlässliche Nachrichten über eine neue Akademie stammen erst wieder aus dem Jahr 1668. In diesem Jahr berichtete der toskanische Resident Giovanni Chiaromanni von einer von der Kaiserin-Witwe gegründeten Akademie namens Accademia degl’Illustrati.160 Im selben Jahr, am 18. September 1668, war nach dem Brand des neuen Trakts der Hofburg der Sternkreuzorden gestiftet worden. Wir vernahmen bereits, wie der modenesische Gesandte Giovanni Perellio 1659 seinem Dienstherrn von dem Orden berichtete, den die Kaiserin-Witwe 1662 ins Leben rief.161 Perellio ist ein wichtiger Zeuge, weil sein Bericht Eleonora Gonzaga-Nevers’ Nachdenken über ein Akademiekonzept in der Zeit vor 1668 enthüllt.162 Der Italiener 155 Landau (Anm. 21), S. 10. 156 Der Thronfolger Leopold I. trug sich 1656 mit dem Gedanken, eine deutsche Akademie am Kaiserhof zu installieren. Der in das Planungsgeschehen eingeweihte Gottlieb von Windischgrätz bat Sigmund von Birken in einem Brief vom 18. Januar 1657 darum, für ihn zwei Akademiereden in deutscher Sprache abzufassen, wobei dieser strengstes Stillschweigen bewahren sollte. In diesem Zusammenhang wird erwähnt, die Italiener hielten seit einem Monat alle Sonntage eine Akademie in ihrer Muttersprache ab. Sigmund von Birken: Der Briefwechsel zwischen Sigmund von Birken und Georg Philipp Harsdörffer, Johann Rist, Justus Georg Schottelius, Johann Wilhelm von Stubenberg und Gottlieb von Windischgrätz. Hg. von Hartmut Laufhütte u.a. (Sigmund von Birken. Werke und Korrespondenz; 9, 1–2) (Neudrucke deutscher Literaturwerke N. F.; 53), 2 Tle., Tübingen 2007, Tl. 1, Text 84, S. 383 f. 157 Seifert (Anm. 21), S. 195. 158 Ebd., S. 196. 159 Ebd., S. 195. 160 Ebd., S. 196. 161 Vermutlich schwebte der Kaiserin schon 1659 ein Orden von überregionaler Bedeutung vor – weshalb sonst hätte sie die bayerische Kurfürstin ins Vertrauen ziehen sollen? 162 Es bleibt unklar, wer dem am Kaiserhof weilenden Gesandten den Auftrag zur Überarbeitung der Statuten des Ordens Sklavinnen der Tugend erteilte. Ist diese in die Öffentlichkeit wirkende Unter-
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urteilt über die Ordensstatuten wenig freundlich. Luigi Olivi paraphrasiert dessen Worte wie folgt: »Les règles à observer étaient nombreuses et bizarres«.163 Wollte die KaiserinWitwe zuviel auf einmal? Waren ihre Pläne zu hochfliegend, so daß die aufgenommenen Damen intellektuell überfordert oder der Last der vielfältigen Verpflichtungen nicht gewachsen gewesen wären? Fragen, die offen bleiben müssen. Um auf den Gedanken einer frauenexklusiven Akademie zu kommen, mußte Eleonora sich nicht erst im Reich umsehen. In Italien hatte diese Idee bereits konkrete Formen angenommen. Von einer entsprechenden Akademie mit Sitz in Siena kann der italienische Literaturhistoriker Girolamo Tiraboschi berichten (Vittoria della Rovere [1622–1694] war im Alter von zwölf Jahren verheiratet worden): So übergehe ich denn einige andere, weniger bekannte Akademien, die es in Siena gab. Aber man sollte eine neue Art von Akademie nicht unerwähnt lassen, von der in diesem Jahrhundert diese Stadt das einzige Beispiel lieferte. Einige gelehrte Frauen, welche sich dichterisch betätigten, wollten an bestimmten Tagen zusammenkommen und unter der Protektion der Fürstin Vittoria della Rovere, der Gattin des Großherzogs Ferdinand II., einer Liebhaberin der Gelehrsamkeit, die sich nach dem Vorbild ihres Gatten großherzig zu jenen bezeigte, die in ihrer Gunst standen, begannen sie, an den vereinbarten Tagen zusammenzukommen und ihre dichterischen Schöpfungen (Kompositionen) vorzutragen. Und jeder kann sich leicht vorstellen, was für einen riesigen Andrang es gab, sie zu hören.164
Perellio informierte Herzog Alfonso IV. darüber, worin nach den Intentionen der Kaiserin-Witwe die Tätigkeit der Akademie bestehen sollte. Die Damen hatten jeden Mittwoch vor der Kaiserin-Witwe zu erscheinen und irgendeine Komposition in Versen vorzutragen. An improvisierte Dichtungen in der oben beschriebenen Manier ist hier wohl nicht zu denken. Wahrscheinlicher scheint mir, daß die Kaiserin-Witwe vor jeder Sitzung das Dichtungsthema bekannt geben wollte, so daß die Mitglieder genügend Zeit zur Vorbereitung gehabt hätten.165 Weiterhin führt Perellio gegenüber dem Herzog aus, die abwesenden Damen seien aufgefordert, zweimal im Monat mit der Kaiserin brieflich zu korrespondieren. Es wird nicht mitgeteilt, worüber der Austausch stattfinden sollte, doch hätten höchstwahrscheinlich philosophische Themen den von der Kaiserin gelenkten Austausch beherrscht. Wäre es nicht ausdrücklich untersagt worden, hätten die Briefe der Kaiserin unter den Verwandten, Freundinnen und Bekannten der Empfängerinnen die
nehmung von Kaiser Leopold I. und seinen Beratern begutachtet worden? Perellio hüllt sich in Schweigen, doch ist anzunehmen, daß der Kaiser in dieser Sache das letzte Wort haben wollte, was Zensuren nicht ausschließt. 163 Olivi (Anm. 52), S. 582 f. 164 Girolamo Tiraboschi: Storia della letteratura italiana, 9 Bde., Rom 1772–1782, Bd. 8, S. 50. Die zitierte Passage wurde dankenswerterweise von Hanspeter Marti und Rainer Stillers aus dem Italienischen übersetzt. Den Hinweis auf Tiraboschi verdanke ich dem Aufsatz von Italo Michele Battafarano: Harsdörffers Beitrag zur Entprovinzialisierung deutscher Kultur, in: Volker Kapp u. a. (Hg.), Nürnberg und Italien. Begegnungen, Einflüsse und Ideen (Erlanger romanistische Dokumente und Arbeiten; 5), Tübingen 1991, S. 213–226, hier S. 221. 165 Freilich bestand auch die Möglichkeit, das ausgegebene Thema von einem Geisterschreiber ausarbeiten zu lassen.
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Runde gemacht, so daß die von der Kaiserin in ihren Briefen berührten Problemhorizonte auch bei Personen nachgewirkt hätten, die nicht zu deren auserwählten Korrespondentinnen gehörten. Wie wir wissen, kam die geplante Verbindung von Damenorden und Akademie – eine Konzeption, die nicht neu war, wie die 1617 gegründete Noble Académie des Loyales beweist – nicht zustande. Was an dem ins Leben gerufenen Tugendorden noch entfernt an eine Akademie erinnert, ist eine Vorschrift in Punkt 6 der Statuten. Danach mußten die Ordensdamen an einem gewissen Tag des Jahres am Hof erscheinen, »umb den Vortrag zu vernehmen, welchen das höchste Haupt des Ordens anthun vor nothwendig, oder sonst Tauglich erachten wird.« Aus der Vorschrift geht unzweideutig hervor, daß die Wahl des jeweiligen Vortragsthemas, mit dessen Ausarbeitung wahrscheinlich ein Hofgeistlicher betraut wurde, in der Verantwortung der Großmeisterin des Ordens lag. Den 1659 formulierten Anspruch einer frauenexklusiven Akademie griff die KaiserinWitwe bei der Gründung der Accademia degl’Illustrati (Akademie der Erlauchten) nicht wieder auf, obwohl viele Aristokratinnen in Wien und am Kaiserhof fließend italienisch sprachen und es durchaus Damen gab, die in der Lage gewesen wären, eine Rede vorzubereiten und zu halten (hierfür liefert Herbert Seifert, wie wir weiter unten sehen werden, einen eindrucksvollen Beleg). Stattdessen folgte die Kaiserin-Witwe der vorgezeichneten Linie der Akademie von 1656, nur daß den Vorsitz nunmehr sie allein führte. Keine Geringere als Christina von Schweden bekundete ihr Interesse, als sie von der Neugründung in Wien erfuhr (sie hatte 1656 in Rom die Accademia degli Stravaganti gegründet166). Aus einem an die Königin gerichteten Brief des Hofhistoriographen Graf Galeazzo Gualdo Priorato wird ersichtlich, »daß die Kaiserin-Witwe die Themen stellte, wobei sie politische vermied.« 167 Bei den Sitzungen im Gründungsjahr bildeten die Reden der Mitglieder das Herzstück der durch die Darbietung neu komponierter Gesangsstücke umrahmten Veranstaltung.168 Das Zeremoniell blieb auf das Nötigste – die Sitzordnung und die Ehrenbezeugung der Mitglieder gegenüber der Kaiserin – beschränkt. Die Stühle neben der Kaiserin-Witwe nahmen ihre Töchter Eleonora Maria Josepha (1653–1697) und Maria Anna Josepha (1654–1691) ein, dahinter saßen die Damen und etwa acht Kavaliere auf Bänken. Die anderen Personen im Saal mußten ohne Rücksicht auf ihren Rang stehen. An den geöffneten Türen konnten interessierte Zuhörer(innen) die Geschehnisse mitverfolgen. Die Mitglieder hatten vor ihrer Majestät einen tiefen Kniefall zu machen. Der Tisch, an dem die Vortragenden Aufstellung zu nehmen hatten, war gegenüber der Kaiserin-Witwe plaziert.169 Das intellektuell Anspruchsvollste an den Sitzungen 166 Maylender (Anm. 119), Bd. 5, 1930, S. 274. Seifert (Anm. 21), S. 196. 167 Seifert (Anm. 21), S. 197. In der Nichteinmischung in politische Geschäfte lag ein Grund für Eleonoras Beliebtheit, wie Berichte auswärtiger Gesandter bestätigen. Politisch aktiv wurde die Kaiserin nur in Angelegenheiten, die ihre Herkunftsfamilie in Mantua und die zukünftigen Ehemänner ihrer Töchter betrafen. Becker (Anm. 19), S. 431 f. 168 Seifert (Anm. 21), S. 197. 169 Ebd. Vgl. auch Maylender (Anm. 119), Bd. 3, 1929, S. 147–149. Ulrike Hofmann: Die Accademia am Wiener Kaiserhof unter der Regierung Kaiser Leopolds I., in: Musicologica Austriaca 2, 1979, S. 76–84, hier S. 79 f.
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waren die gestellten Themen170 und ihre Behandlung. Die Vortragenden waren aufgefordert, vor Verkündung der getroffenen Entscheidung den gewählten Standpunkt stützende Argumente aus der Erfahrung, aus der Historie oder der Philosophie in Anschlag zu bringen. Die erste Sitzung ging über das Thema Einsamkeit (»sopra la solitudine«). In der zweiten war darüber zu beschließen, wer größere Beständigkeit gehabt habe, die Männer oder die Frauen der Antike (»in chi fosse maggiore costanza, o negli uomini o nelle donne del tempo antico«). Die dritte Sitzung handelte davon (es war gerade Karnevalszeit), wem der Fasching besser gefallen habe (»a chi piaceva più il carnovale«), und in der vierten Sitzung hätte die Frage, ob man den Tod lieben oder hassen solle (»se devesi amare o odiare la morte«), auf dem Programm stehen sollen, allein die Brandkatastrophe in der Hofburg zwang die kaiserliche Familie, sich in Wiener Neustadt einzuquartieren.171 Das überlieferte Thema, das im selben Jahr oder im Jahr darauf die Sitzung füllen sollte – ob eine Dame die Zeit besser auf dem Lande als in der Stadt verbringen könne –, spielt auf die Jahreszeit und die Favorita als Sitzungsort an. Vier Themen, die während der Faschingszeit 1677 für Unterhaltung sorgen sollten, lauteten: Ob es für einen Liebhaber besser sei, Rivalen zu haben oder allein zu sein. Ob der Gesang einer schönen Frau eher einen Mann dazu bringe, sich in sie zu verlieben, als ihr Weinen ihn dazu bewege, mit ihrem Unglück Mitleid zu haben. Ob eine geliebte Dame schweigen oder reden solle. Ob es einer geliebten Dame größeren Schmerz verursache, wenn ihr geliebter Cavalier sie durch plötzliche Abreise verlasse oder wenn sie mitansehen müsse, wie er eine andere Braut wähle.172 In der Faschingszeit 1685 wurden wieder Liebesthemen gegeben und zwischendurch zwei nachdenklichere Fragen: Was das wahrste Zeichen der Freundschaft sei. Ob die Veranlagung oder die Erziehung für ein rechtschaffenes Leben wichtiger sei.173 Eine genauere Untersuchung der Themen und ihrer jeweiligen Bearbeitung steht noch aus, die Accademia degl’Illustrati darf aber vor allem als Ausdruck gehobener höfischer Unterhaltungskultur in der Tradition der Minnehöfe des Mittelalters angesehen werden.174 In ihrem Ablauf sind die erwähnten Sitzungen stark an die Form der an den Hohen Schulen gebräuchlichen disputationes angelehnt, auch wenn das dort gängige logifizierte Prozedere nicht so genau wie bei den hier beschriebenen Versammlungen eingehalten wurde. Gemeinsam ist den Akademiesitzungen und der Disputation die kontroverse Behandlung einer bestimmten Frage und deren Beantwortung respektive Entscheidung (determinatio). Sicher müssen die Unterschiede trotz allem hervorgehoben werden, etwa die Bedeutung des 170 Vereinzelt könnten die von Eleonora gestellten Themen als Vehikel für hintergründige Botschaften verwendet worden sein. 171 Seifert (Anm. 21), S. 197. Vgl. auch Bin (Anm. 21), S. 50 f. 172 Ebd., S. 198. 173 Ebd., S. 199. 174 Joachim Bumke: Höfische Kultur. Literatur und Gesellschaft im hohen Mittelalter, 7. Aufl. München 1994, S. 574–576. Es wäre zu prüfen, ob die Kaiserin-Witwe sich beim Themenstellen von Werken wie den Questions d’amours (1661) von Marie Linage inspirieren ließ. Vgl. Liane Ansmann: Die Maximen von La Rochefoucauld. Anhang: Marie Linage »Questions d’Amours« (Münchener romanistische Arbeiten; 39), München 1972, S. 107.
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delectare am Hof im Gegensatz zum an den Hohen Schulen im Vordergrund stehenden docere.175 War die Accademia de Crescenti mit italienischen Feldherrn, Diplomaten und ranghohen Mitgliedern des Hofstaates besetzt, so wurden zu Mitgliedern der Accademia degl’Illustrati »Männer des Worts wie der Prior Francesco Ximenes und Pietro Guadagni, beide aus Florenz, Francesco Sbarra und Girolamo Branchi, die alle mit Dichtungen, auch Libretti, hervortraten, und der Historiker Gualdo Priorato« 176 erwählt. Die KaiserinWitwe war also auch bereit, bürgerliche Männer als Akademiemitglieder anzunehmen, wenn deren Person für intellektuelles Anspruchsniveau und Rednergabe stand. Wie der Name »Accademia degl’Illustrati« schon andeutet und wie aus den Themen der Akademiesitzungen des Jahres 1668 zu ersehen ist, waren für die Kaiserin-Witwe nur intellektuell-schöngeistige Übungen in italienischer Sprache ein vollkommenes Vergnügen. Als die Kriegsvorbereitungen 1685 nichts anderes mehr zuließen, durften erstmals auch Gedichte in deutscher Sprache vorgetragen werden.177 Für die anwesenden Damen barg die Akademie ein gewisses Emanzipationspotential in sich, da sie in intellektuelle Gedankenspiele eingebunden wurden. Nicht die 1686 verstorbene Kaiserin-Witwe, die durch ihre Akademie die Zuhörerinnen an den Regeln der Ehrbarkeit gehorchende Kasuistik gewöhnt hatte, wohl aber Kaiser Leopold I. ließ eine Sitzung seiner Akademie (gegründet 1674) durch Damen abhalten. Dies war so außergewöhnlich, daß eine der Vortragenden diese Besonderheit in ihrer Rede thematisierte: Die erste Sprecherin, die Gräfin Ringsmaul, stellte auch fest, daß sie Frauen zwar schon mit großem Erfolg bei künstlerischen Veranstaltungen sprechen und sogar in der Kirche singen gehört habe, doch seien sie nie so kühn gewesen, vor einem Kaiser in einer Akademie Reden zu halten. Das gegebene Problem war, ob das Glück oder das Verdienst nützlicher sei; vier Hofdamen hielten italienische Reden, und die siebzehnjährige Erzherzogin Maria Elisabeth verkündete die Entscheidung zugunsten des Verdienstes. […] Ein Intermezzo und ein Schlußensemble wurden von den vier Damen gesungen.178
An Vorbildern für ihre Akademiegründung fehlte es Eleonora Gonzaga-Nevers nicht. Neben den Akademien von Großherzogin Vittoria della Rovere, von Königin Christina von Schweden und von Kaiser Ferdinand III. könnte auch Stefano Guazzo (1530–1593), Autor des Anstandsbuches Civil conversatione (1574),179 mit seiner Akademiegründung in Casale Monferrato Vorbildcharakter gehabt haben. Ein Indiz hierfür ist die Namens175 176 177 178
Für wertvolle Hinweise danke ich Hanspeter Marti. Seifert (Anm. 21), S. 197. Ebd., S. 199. Ebd., S. 203. Galeazzo Gualdo Priorati gibt als Zweck der Akademie von Leopold I. an: »Den Verstand zu schärfen, den Witz zu üben, Neues zu lernen und angenehme Erholung zu gewähren.« Landau (Anm. 21), S. 12. 179 Volker Kapp: Urbanes Ethos als höfischer Gesprächsstoff in den Hoftraktaten und die Anstandsliteratur des Cinquecento, in: ders. (Hg.), Italienische Literaturgeschichte, 2., verb. Aufl. Stuttgart u. a.1994, S. 139–145, hier S. 144: » ›Civile‹ ist für ihn [Guazzo, SK] ein Ausdruck für das Urbane und die Zivilisierung ein anthropologisches Konzept, das als geistiger Habitus (›qualità dell’animo‹) das Leben in Gemeinschaft anständig, angenehm und gut (›honesta, lodevole et virtuosa‹) macht.«
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gleichheit: Auch Guazzo hatte seine Akademie Accademia degli Illustrati getauft.180 Ferner gab es Vorbilder im Hause Gonzaga. Es soll hier nur eines Namens gedacht werden: Elisabetta Gonzaga (1488–1526). Baldassare Castiglione (1478–1529) porträtiert in seinem epochalen Hauptwerk Il libro del Cortegiano (begonnen 1508, erschienen 1528) vier aufeinanderfolgende Gesprächsabende am Herzogshof zu Urbino. In der Fiktion zusammengeführte Persönlichkeiten der humanistischen und aristokratischen Elite beteiligen sich an einem Konversationsspiel, an dessen Beginn eine kontroverse Diskussion über den Hofmann in seiner idealsten Ausprägung steht. Daran schließt sich eine Unterredung über die vollkommene Frau am Hof (»la donna di palazzo«) sowie eine Reihe weiterer Gesprächsthemen von allgemeinbildendem Charakter an. Seit 1504 stand Castiglione im Dienst der Herzöge von Urbino und so kommt es, daß Castiglione im Cortegiano in seiner Zuschrift an den portugiesischen Bischof von Viseu von dem Vergnügen berichten kann, das er »während jener Jahre in der angenehmen Gesellschaft so vortrefflicher Personen verspürte, wie sie sich damals am Hofe von Urbino befanden«.181 Elisabetta Gonzaga, die Frau des Herzogs Guidobaldo di Montefeltro, die im Cortegiano den Abendunterhaltungen vorsitzt, war über Castigliones Mutter Aloisa Gonzaga mit diesem verwandt.182 Das aus der Realhistorie geschöpfte anspielungsreiche Datengerüst im Cortegiano verdankt sich der Absicht, dem urbinatischen Hof und einigen von Castiglione hochgeschätzten Persönlichkeiten ein lobwürdiges Denkmal zu setzen. Warum die historisch verbürgten Personen wie Schauspieler auftreten, denen die Worte eines anderen eingegeben werden, dafür gibt es verschiedene Erklärungen, etwa die, daß der Spielcharakter der faktischen geselligen Zusammenkünfte183 auf der Textebene verdoppelt werden sollte oder daß aus Gründen wunschbildartiger Verklärung der Vergangenheit oder vereinheitlichender Reformbestrebungen auf eine veristische Darstellung verzichtet wurde; gewiß wollte Castiglione auch sein rhetorisches Talent unter Beweis stellen. In den vier Büchern des Cortegiano werden die »verifizierbaren historischen Details, bewußten Auslassungen und idealisierenden Fiktionen, die im Rahmen der nachprüfbaren historischen Daten und Fakten als authentisch erscheinen«184 auf so virtuose Weise zu einer Einheit verschmolzen, daß sich die For180 Maylender (Anm. 119), Bd. 3, 1929, S. 144–146. 181 Baldesar Castiglione: Das Buch vom Hofmann. Übersetzt, eingeleitet und erläutert von Fritz Baumgart, Bremen 1960, S. 1. 182 Vittorio Cian: Un illustre nunzio pontificio del Rinascimento, Baldassar Castiglione (Studi e testi; 156), Vatikanstadt 1951, S. 6, Anm. 1. Aloisa ist die ältere Namensform von Luigia, daher auch die Namensansetzung Luigia Gonzaga. 183 Rosmarie Zeller geht in ihrer vergleichenden Analyse italienischer Gesprächsspielautoren davon aus, »daß solche Gespräche tatsächlich stattgefunden haben. Sie sind uns aber nicht genau überliefert, sondern sie sind literarisch geformt worden.« Rosmarie Zeller: Spiel und Konversation im Barock. Untersuchungen zu Harsdörffers Gesprächspielen (Quellen und Forschungen zur Sprach- und Kulturgeschichte der germanischen Völker N. F.; 58), Berlin u. a. 1974, S. 88. 184 Lothar Fietz: Baldassare Castigliones Il Cortegiano (1528) und das Menschenbild der Renaissance, in: Joachim-Felix Leonhard u. a. (Hg.), Medienwissenschaft. Ein Handbuch zur Entwicklung der Medien und Kommunikationsformen (Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft; 15, 1), Tl.-Bd. 1, Berlin u. a. 1999, S. 695–710, hier S. 697.
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schung seit geraumer Zeit vor die Aufgabe gestellt sieht, Realitätszitat, Wahrheitsfiktion und gesellschaftliche Realität analytisch voneinander zu trennen.185 Weil das Buch inhaltlich und ästhetisch fasziniert, wurde der Cortegiano als Leitfaden für höfisches Benehmen über drei Jahrhunderte von Generation zu Generation weitergereicht und in alle führenden europäischen Sprachen übersetzt.186 Wir lernten Eleonora Gonzaga-Nevers in den obigen Ausführungen als dem Wort zugewandte Erneuerin und Impulsgeberin kennen, die im Alten Reich mit ihrer Akademiegründung wie auch mit dem von ihr gestifteten Orden Sklavinnen der Tugend zum Wandel des Kommunikationsverhaltens zwischen den Geschlechtern beitrug. Die formal und inhaltlich kulturreglementierend in Erscheinung tretende Kaiserin-Witwe ließ die Damen, die an den Akademiesitzungen am Kaiserhof entweder als Zuhörerinnen teilnahmen oder sich davon berichten ließen, an der Freude partizipieren, die sie selbst am Stellen von philosophischen Themen, an der spitzfindigen Argumentation und an der ehrbaren Rede hatte. Mit großer Wahrscheinlichkeit wurde diese Art von Gesellschaftsspiel von enthusiasmierten Anwesenden im persönlichen Umfeld imitiert. Das von Eleonora propagierte und durch die Tugendsklavinnen verbreitete Kommunikationsideal der ehrbaren Konversation wurde später von Vertreter(innen) der Frühaufklärung, dann allerdings verbunden mit dem Anspruch auf größere Breitenwirkung, reformuliert.187
6.3 Hofmeisterinnen In diesem Abschnitt wird eine genau umrissene Gruppe von Hofmeisterinnen zur Kommunikationsthematik befragt: Frauen, die in leitender Position im Hofstaat einer Fürstin oder Prinzessin tätig waren. Das Wort ›Hofmeisterin‹ hatte in der Frühen Neuzeit eine Vielzahl von Bedeutungen, wie das Beispiel des in Nürnberg verlegten Gebetbuchs von Christian Zeise belegt: Deß tugend-liebenden Frauen-Zimmers Jesu gewidmetes Gebets- und Andachts-Cabinet, eröffnet von dreyen, in heiliger Schrifft höchst-berühmten Hofmeisterinnen (1684). Die Zwischentitelblätter des Buches referieren auf die drei biblischen Frauengestalten Maria, Elisabeth und Hanna. Maria, die Mutter Jesu, wurde zur Hofmeisterin des jungfräulichen Standes stilisiert, Elisabeth, die Mutter von Johannes dem Täufer, zur Hofmeisterin des ehelichen Standes, und die Prophetin Hanna zur Hofmeisterin des Witwenstandes. Das in übertragener Bedeutung verwendete Wort ›Hofmeisterin‹ meint hier so viel wie »sittlich vorbildliche Person«. Eine weitere nicht wörtlich zu verstehende 185 Wayne A. Rebhorn: Courtly Performances: Masking and Festivity in Castiglione’s Book of the Courtier, Detroit/MI 1978. Robert W. Hanning u. a. (Hg.): Castiglione: The Ideal and the Real in the Renaissance Culture, New Haven/CT u. a. 1983. Valeria Finucci: La donna di corte: discorso istituzionale e realità nell Libro del Cortegiano di B. Castiglione, in: Annali d’italianistica 7, 1989, S. 88–103. 186 John Carter u. a. (Hg.): Bücher, die die Welt verändern, [München] [1968], S. 136–138 (Orig. Printing and the Mind of Man, 1967). 187 Zu dieser aufklärerischen Forderung vgl. Abschnitt 5.1.
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Bedeutung verzeichnet Johann Georg Krünitz in seiner Oeconomischen Encycopädie (242 Tle., 1773–1835). Im Hofmeister-Artikel (ein Artikel ›Hof-Meisterin‹ ist in dem Nachschlagewerk nicht enthalten) werden fünf begriffliche Inhalte, die auf die Ausgangsbedeutung des Wortes ›Hof-Meister‹ (»Hof-Meister, der Meister, d. i. erste und vornehmste Vorgesetzte eines Hofes«) zurückzuführen sind, mit Erläuterungen versehen vorgestellt. Die an letzter Stelle genannte Wortbedeutung wird wie folgt expliziert: »Ueberdieß wird dieses Wort auch zuweilen im figürlichen Verstande von einem jeden Sittenrichter gebraucht; daher hofmeistern, tadeln, besonders im Tone eines Vorgesetzten tadeln. Jemanden hofmeistern. Jemandes Betragen hofmeistern.« 188 Auf der Grundlage des Hofmeister-Artikels in Krünitz’ Enzyklopädie und weiterer gedruckter Quellen ließen sich für den Zeitraum der Frühen Neuzeit folgende Bedeutungen des Wortes ›Hofmeisterin‹ ermitteln: 1. Amtstitel einer am Hof bestallten ranghohen Bediensteten,189 2. Anredetitel der Ehefrau eines am Hof bestallten ranghohen Bediensteten, 3. Erzieherin der fürstlichen Kinder, 4. Bezeichnung für eine Privatlehrerin, der neben der Erteilung von Unterricht auch die Bildung der Sitten übertragen wurde,190 5. Vorsteherin der Mägde eines Gutshofes, 6. Anredetitel der Ehefrau des Vorstehers eines Gutshofes, 7. eine sehr tugendhafte (Sitten-, Anstands-)Lehrerin 8. eine Sittenrichterin. Während seit dem 18. Jahrhundert speziell für Hausmütter konzipierte gedruckte Handweiser in Umlauf waren,191 führte meine Suche nach Publikationen, die Ratschläge zu bieten haben, wie am Hof bestallte Hofmeisterinnen ihre Geschäfte verrichten sollen, zu keinem Ergebnis.192 Einblicke in die beruflichen Rahmenbedingungen und Pflichten, den Arbeitsalltag und das Selbstverständnis dieser Berufsgruppe gewähren unter anderem Besoldungslisten, Hofordnungen, Oikonomiken, Rangreglements, Porträts und Selbstzeugnisse. Auch Veröffentlichungen dokumentarischen Charakters wie Festbeschreibungen, Funeralschriften, Hofkalender, Zeremoniellbücher sowie ausgewählte Werke der kameralistischen Fachliteratur sind als Informationsquellen in Betracht zu ziehen. Die im 188 Johann Georg Krünitz: Hof-Meister, in: ders., Oeconomische Encycopädie oder allgemeines System der Land-, Haus- und Staatswirtschaft in alphabetischer Ordnung, Tl. 24, Berlin 1781, S. 168–208, hier S. 168, 170. 189 Eine vorgegebene Laufbahn und Pensionsberechtigung war mit dem Amt der Hofmeisterin in der Frühen Neuzeit nicht verbunden, es würde daher den Sachverhalt nicht zutreffend beschreiben, am Hof bestallte Hofmeisterinnen als Hofbeamtinnen zu bezeichnen. Vgl. dagegen: Deutsches Rechtswörterbuch. Wörterbuch der älteren deutschen Rechtssprache. Unter Mitwirkung von Hans Blesken bearbeitet von Otto Gönnenwein u. a. Bd. 5: Handanlegen bis Hufenweizen, Weimar 1960, Sp. 1301: »Hof ’meisterin. I. Hofbeamtin, bes. bei vornehmer (fürstl.) Dame.« 190 Mit dem Eindringen französischer Kultur und Sprache in Deutschland wurde zur Bezeichnung der unter Punkt 3 und 4 genannten Gruppen von Hofmeisterinnen auch das Wort ›Gouvernante‹ üblich. 191 Der Titel der ersten gedruckten Anweisung dieser Art wird in Abschnitt 4.2 erwähnt. 192 Nur Hinweise zur Hausmutter enthält das folgende Werk: Johann Wilhelm Wündsch: Memoriale oeconomicum politico-practicum, das ist Kurtze doch nützliche und außführliche Unterrichtung eines haushaltischen Beambten und Hoffbedienten, wie er sich in seinem Ambte dem Stylo Churund Fürstl. Aembter gemäß, in allen Puncten und Clausuln verhalten, das Ambt wol dirigiren und anordnen soll […], Leipzig 1669.
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großen und ganzen sehr gute Quellenlage zu den Hofmeisterinnen wirft die Frage auf, warum dieser Berufsstand noch nicht in einer übergreifenden Studie aufgearbeitet worden ist.193 An großen Höfen wurde die Hofmeisterin seit dem 18. Jahrhundert durch eine in der Hierarchie der Hofämter unter ihr stehende zweite Hofmeisterin, die die Hofdamen zu beaufsichtigen und auf ihre repräsentativen Aufgaben vorzubereiten hatte (»Fräulein Hofmeisterin«, »Hofdamen Hofmeisterin«) sowie durch eine Erzieherin (»Gouvernante«, »Aya« [span. »Amme«, »Erzieherin«]),194 die im Hofstaat der fürstlichen Mädchen ihren Dienst ableistete, entlastet.195 Die in der Stufenleiter der weiblichen Hofämter höherstehende Hofmeisterin führte den Titel ›Oberhofmeisterin‹. Die Oberhofmeisterin – oder wenn es diesen Dienstrang nicht gab, die Hofmeisterin – war Inhaberin des höchsten nichtpolitischen Amts, das man als Frau am Hof erlangen konnte. Die »per capita« (nach 193 Zur Einführung in diese Thematik eignen sich folgende Quelleneditionen und Darstellungen: Friedrich Schmidt: Geschichte der Erziehung der bayerischen Wittelsbacher von den frühesten Zeiten bis 1750 (Monumenta Germaniae paedagogica. Schulordnungen, Schulbücher und pädagogische Miscellaneen aus den Landen deutscher Zunge; 14), Berlin 1892, S. 185–193, 439–443. Arthur Kern (Hg.): Deutsche Hofordnungen des 16. und 17. Jahrhunderts (Denkmäler der deutschen Kulturgeschichte. II. Abteilung: Ordnungen; 1–2), 2 Bde., Berlin, 1905–1907. Karin Plodeck: Hofstruktur und Hofzeremoniell in Brandenburg-Ansbach vom 16. bis zum 18. Jahrhundert. Zur Rolle des Herrschaftskultes im absolutistischen Gesellschafts- und Herrschaftssystem, Ansbach 1972, S. 107 f. (mit älterer Literatur und Hinweisen zum Amt des Frauenhofmeisters). Ines Kloke: Kollektivbiographische Auswertungen von Leichenpredigten für Frauen im deutschen Raum in der frühen Neuzeit. Wissenschaftliche Hausarbeit im Rahmen der Ersten (Wissenschaftlichen) Staatsprüfung für das Amt des Studienrats, Berlin 1982 [Masch.-Schr.], S. 70–73. Peter Többicke: Höfische Erziehung – Grundsätze und Struktur einer pädagogischen Doktrin des Umgangsverhaltens, nach den fürstlichen Erziehungsinstruktionen des 16. bis zum 18. Jahrhunderts, Diss. Darmstadt 1983. Irene HardachPinke: Die Gouverante. Geschichte eines Frauenberufs, Frankfurt/M. u. a. 1993, S. 80–89, 271 f. Anne-Katrin Henkel: Vom Leben und Sterben der fürstlichen Hofapothekerin Anna Erbe ([1560]– 1616). Überlegungen zur Funktion des Hofes für die Erwerbstätigkeit von Frauen in der Frühen Neuzeit, in: Wolfenbütteler Barock-Nachrichten 20, 1993, 1, S. 35–45. Katrin Keller: Hofdamen. Amtsträgerinnen im Wiener Hofstaat des 17. Jahrhunderts, Wien u. a. 2005, bes. S. 52–55, 185–198. 194 Mit der Veröffentlichung ihrer Lettres sur l’éducation des princesses (1791) (vgl. Abschnitt 3.1) verfolgte Juliana von Giovane augenscheinlich die Absicht, für das Amt einer Erzieherin am Kaiserhof vorgeschlagen zu werden: »Durch ihr Werk über die Prinzessinnen-Erziehung erwarb sie sich das Zutrauen der kaiserl. österreich. Familie in dem Grade, daß man ihr die Ehre zudachte, Erzieherin der kaiserl. Jugend zu werden; aber ihre Kränklichkeit und Umstände von Außen zerstörten diese Aussicht.« Carl Wilhelm Otto August von Schindel: Die deutschen Schriftstellerinnen des neunzehnten Jahrhunderts. Drei Teile in einem Band, Ndr. d. Ausg. Leipzig 1823–1825, Hildesheim u. a. 1978, Tl. 1, S. 126. 195 Gustav Emminghaus: Hofämter, in: Johann Samuel Ersch u. a. (Hg.), Allgemeine Encyklopädie der Wissenschaften und Künste […], Tl. 9, Leipzig 1832, S. 228–239, hier S. 232. Auch im Hofstaat männlicher Kinder wurde eine Erzieherin angestellt, jedoch nur bis zu des jeweiligen Prinzen siebtem Lebensjahr. Ob diese Frauen offiziell den Titel Hofmeisterin führen durften, ist mir nicht bekannt, inoffiziell war dies durchaus üblich. Franz Philipp Florin [Hg.]: […] Oeconomvs prvdens et legalis continvatvs. Oder grosser Herren Stands und adelicher Haus-Vatter […], [Tl. 2], 2. Aufl. Nürnberg 1751, S. 311 f., 325 f. (1. Aufl. 1719).
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Köpfen), das heißt pro Person zu entrichtende »Capitationssteuer« betrug in Sachsen zwischen 1747 und Ende 1755 bei einer Oberhofmeisterin 50 Taler, bei einer Aja ebenfalls 50 Taler, bei einer Hofmeisterin 30 Taler, bei einem königlichen Kammerfräulein 20 Taler und bei einer königlichen Hofdame 10 Taler.196 Die Gesamtleitung der vom Hofstaat des Souveräns abgetrennten Hofstaate der Fürstin und der fürstlichen Kinder fiel in den Zuständigkeitsbereich des auch Frauenhofmeister genannten Hofmeisters: »Der Hofmeister ist gesetzet über der Fürstin Ihre Diener, solche zu guberniren, und wann die Fürstin reiset, oder sonsten allein wohin gehet, die gewöhnliche Ceremonien mit Vorangehen, führen und begleiten, zu verrichten.« 197 Worin die »Hauptgeschäfte« einer Hofmeisterin bestanden, hing von verschiedenen Faktoren ab. Hier die wichtigsten in Form eines Fragenkatalogs: Diente die Hofmeisterin an einem großen oder einem kleinen Hof? In welchem Hofstaat diente sie, dem der Regentin, Statthalterin, fürstlichen Gemahlin, Erzherzogin,198 fürstlichen Witwe oder dem der Prinzessin bzw. Prinzessinnen? Wieviele Personen umfaßte dieser Hofstaat? Wie wirkten sich die am Hof eingeführten Organisationsstrukturen und Gepflogenheiten, wie politische Veränderungen, wie die Persönlichkeitsmerkmale und Interessen der Herrschaft auf die Arbeitssituation und das Aufgabenprofil der jeweiligen Hofmeisterin aus? Was die Höfe im Reich anbetrifft, so gilt für das 17. Jahrhundert, daß die größte politische Bedeutung die Höfe von Berlin, Dresden, Hannover, München und Wien erlangten. Generell ist für die Frühe Neuzeit festzuhalten, daß der Kaiserhof in Wien an Bedeutung alle anderen Höfe übertraf, gefolgt von den kurfürstlichen Höfen, da man hier bestrebt war, angefangen mit der Kurpfalz (man denke an den Winterkönig), zu Königen aufzurücken. Deshalb wird man im 16. Jahrhundert Heidelberg zu den bedeutenden Höfen dazunehmen müssen, das nach der Katastrophe im Dreißigjährigen Krieg von München abgelöst wurde. Prag ist im 16. und Anfang des 17. Jahrhunderts als Residenz des Kaisers bzw. Königs von Böhmen von Gewicht. Berlins Bedeutung nimmt im 18. Jahrhundert mit dem Aufstieg Preußens zum Königreich zu. Hannover war, seit das Haus Hannover die englischen Könige stellte, eher Nebenresidenz.199 Hofmeisterinnen zählten, was heute nicht mehr als allgemein bekannt vorausgesetzt werden kann, zu den angesehensten Frauen im Alten Reich. An den meisten frühneuzeitlichen Höfen waren Abstammung aus alteingesessenem Adel, die richtige Konfession, ein gottesfürchtiger Lebenswandel und bereits bestehende Verbindungen zum dienstgebenden 196 Anonym: Ihrer Königln. Majest. in Pohlen, etc. und Churfürstln. Durchl. zu Sachßen, etc. Ausschreiben über die von E. getreuen Landschafft, bey dem Anno 1746. gehaltenen Land-Tage, auf neun Jahr, und zwar von Anno 1747. bis mit dem Schluß des 1755sten Jahres, verwilligte Allgemeine Kopff-Steuer, und was solcher anhängig, Dresden [1747], Bl. Ga. 197 Florin [Hg.] (Anm. 195), S. 105. 198 Für die Erzherzoginnen machte es unter dem Gesichtspunkt der relativen Selbständigkeit einen Unterschied, ob sie mit ihrem Hofstaat am Kaiserhof lebten oder ob sie außerhalb Wiens, in Innsbruck, Brüssel oder anderswo, ihren Wohnsitz hatten. 199 Rainer A. Müller: Der Fürstenhof der frühen Neuzeit (Enzyklopädie deutscher Geschichte; 33), München 1995, S. 6 f., 112–114.
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Hof die wichtigsten Empfehlungen, wollte man für das Ehrenamt der Hofmeisterin vorgeschlagen werden. Nur Frauen, die sich aus familiären Verpflichtungen freistellen konnten, kamen dafür in Frage. Eine Hofmeisterin war in der Regel verwitwet oder doch wenigstens kinderlos verheiratet, von gutem Wuchs 200 und schon etwas bei Jahren,201 da die zukünftige Amtsinhaberin Erfahrungen im Umgang mit Untergebenen, Menschenkenntnis und Lebensklugheit mitbringen sollte. Niemand wurde zur Hofmeisterin »verordnet«, der nicht wußte, wie man eine Haushaltung organisiert und wie man sich in hohen und höchsten Kreisen benimmt. Im Personalteil der Leichenpredigt auf die kinderlos verstorbene Witwe Catharina von Lamersheim, geb. Creutzen (1549–1613), Hofmeisterin im Hofstaat der Herzogin Sibylla von Württemberg, werden einige der Voraussetzungen und Tugenden ausgesprochen, die Frauen für das Amt der Hofmeisterin qualifizierten: Wir haben jetzmahls zu ihrem Ruhbethlein begleitet, eine Adeliche WeibsPerson, Nämlich die Edle vnnd viel Tugentsame Fraw Catharina von Lamersheim, Geborne von Creutzen, Deß auch Edlen vnd Gestrengen Hans Philipsen von Lamersheim Weylundt Ehliche geliebte Haußfraw: Welche wie sie von Adelichen Christlichen Eltern, in diese Welt geborn: Eben also ist sie von denselbigen zu allerley Adelichen, wolständigen Tugenden angehalten, vnnd nach S. Pauli Lehr, in der Zucht vnnd Vermahnung zu dem HERREN, erzogen worden. Welches sie dann nachmahln in ihrem eusserlichen Leben gnugsam an den Tag gegeben: Dann sie in demselbigen Christlich, still, züchtig, keusch, vnsträfflich, wie wol gebührt, sich verhalten, vnnd als eine rechte Catharina durch die Heiligung des Geists erwiesen. Deßwegen Hohen Fürstlichen Personen sonders angenehm gewesen. Ihres anbevohlnen Ampts, hat sie sich allwegen mit Trew vnd Fleiß angenommen: Wie dann deßwegen, von der Durchläuchtigen Hochgebornen Fürsten vnd Frawen: Frawen Sibilla, Hertzogen zu Würtemberg vunnd Deck, etc. Geborner Fürsten zu Anhalt vnserer gnädigen Fürsten vnnd Frawen LandtsMutter, zu einer Hoffmeisterin gnädig angenommen vnnd verordnet worden ist, Welcher Verrichtung dann sie biß an ihr seeliges End fürgestanden.202
In nicht wenigen Fällen dienten Frauen sich zum Hofmeisterinnenamt hoch. Juliane Franziska von Buchwald (1707–1789), die Mutter der Maximenautorin Luise von Buch200 Über die Körperbeschaffenheit eines Informators oder Hofmeisters heißt es bei Krünitz: »Wer ein Zwerg, oder häßlich, ungestaltet und sehr gebrechlich, oder harthörig, oder sehr blödsichtig, oder ein starker Stammler, oder sehr schwächlich, und insonderheit sehr hypochondrisch ist, muß nicht Informator werden.« Krünitz (Anm. 188), S. 181 f. 201 Was das Alter der Hofmeisterin eines Prinzen betrifft, »so ist zu wünschen, daß sie nicht unter dreyssig, und nicht über funffzig, seyn möchte; weilen zu befürchten ist, daß derselben vor dem dreyßigsten Jahre noch etwas von den Fehlern der Jugend anhangen, und nach dem funfftzigsten, die Gebrechen des Alters sich spühren zu lassen beginnen möchten […].« Florin [Hg.] (Anm. 195), S. 325 f. 202 Den Hinweis auf diese Leichenpredigt verdanke ich Rudolf Lenz und Eva Maria Dickhaut (Forschungsstelle für Personalschriften Marburg). Christoph Binder: Christliche Predigt, uber der Leich der edlen vnnd tugendtsamen Frawen, Catharina von Lamersheim, geborner von Creutzen […], Stuttgart 1613, S. 17 f. Walther Pfeilsticker (Bearb.): Neues Württembergisches Dienerbuch. Bd. 1: Hof, Regierung, Verwaltung, Stuttgart 1957, § 384. Ein Epitaph mit dem Bildnis der Hofmeisterin befindet sich in der Stuttgarter Stiftskirche.
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wald, war 17 Jahre lang Hofdame – zuerst am Coburger, später am Gothaer Hof –, bevor sie zur Oberhofmeisterin ernannt wurde (vgl. Abschnitt 3.3). Die Karriere von Gräfin Maria Karolina (auch: Carolina) von Fuchs, geb. von Mollart (1681–1754), deren Vater zum kaiserlichen Kammerherrn und Hofkammer-Vizepräsidenten erhoben wurde, zog sich ebenfalls über viele Jahre hin. Als die zwei überlebenden Töchter aus der 1710 geschlossenen Ehe mit dem Grafen von Fuchs (gest. 1719) dem Kindesalter entwachsen waren, nahm deren Mutter das Anerbieten an, als Hofdame im Hofstaat der Erzherzogin Maria Anna zu dienen. 1728 bot Kaiserin Elisabeth (vermählt mit Kaiser Karl VI.) der Gräfin zum Zeichen der Anerkennung das Amt der Aja im Hofstaat der Erzherzoginnen Anna und Maria Theresia an.203 Den krönenden Abschluß der Karriere von Maria Karolina von Fuchs bildete die Ernennung zur »Obersthofmeisterin« durch Kaiserin Maria Theresia (sie war seit 1740 regierende Erzherzogin von Österreich und Königin von Böhmen und Ungarn) (Abb. 12).204 Die Kaiserin bezeigte damit öffentlich, wieviel Vertrauen sie ihrer einstigen Erzieherin entgegenbrachte. Nach ihrer Bestallung zur Oberhofmeisterin ließ sich die Gräfin in den Sternkreuzorden aufnehmen. Zum Ansehen von Hofmeisterinnen trug ihre verantwortungsvolle Stellung am Hof bei sowie die Tatsache, daß sie das Vertrauen der Herrschaft genossen, hohen Bildungsmaßstäben zu genügen hatten, durch ihr Amt mit Autorität und Sanktionsrechten ausgestattet waren und bei zeremoniellen Anlässen und manchmal auch über den Tod hinaus durch die räumliche Nähe zur Herrschaft nobilitiert wurden.205 Einige Hofmeisterinnen konnten durch die Aufnahme in eine illustre Sozietät ihr Ansehen und auch die Zahl ihrer Kontakte und Handlungsmöglichkeiten vergrößern, wieder andere machten als Mäzenin,206 als Freundin von Persönlichkeiten des literarisch-kulturellen Lebens oder als in politischer Mission tätige Botschafterin (siehe das nachfolgende Beispiel) von sich reden. Über die fließend französisch sprechende Oberhofmeisterin Juliane Franziska von Buchwald heißt es in der Allgemeinen Deutschen Biographie (Bd. 3, 1876):
203 Die Gräfin ist in den älteren Obersthofmeisteramtsakten im alphabetischen General-Index für die Akten der Jahre 1537 bis 1769, I. Abteilung, im Jahr 1728 als erzherzogliche Aja verzeichnet und zwar unter Seite 73 »Vorstellung von Obersthofämtern, von Hofkanzlern, Präsidenten und Hofbediensteten« (freundliche Auskunft Beatrix Bastl). 204 Joseph Bergmann: Medaillen auf berühmte und ausgezeichnete Männer des Oesterreichischen Kaiserstaates vom 16. bis zum 19. Jahrhunderte, 2 Bde., Wien 1844–1858, Bd. 2, S. 381. 205 Gräfin Maria Karolina von Fuchs wurde auf Befehl von Kaiserin Maria Theresia in der Kaisergruft bei den Kapuzinern in Wien beigesetzt. Magdalena Hawlik-van der Water: Die Kapuzinergruft. Begräbnisstätte der Habsburger in Wien, 2. Aufl. Wien u. a. 1993, S. 345. 206 Die Widmungsempfängerin des Spiegels deß hochadelichen christlichen FrawenZimmers (1642), Freifrau Catharina Leonora von Paar, geb. Freifrau Herberstorff, stand als Oberhofmeisterin im Dienst der ersten Frau von Kaiser Ferdinand III., Maria Anna von Spanien (1606–1646) (zur deutschen Fassung von »La Dame« aus La cour sainte [Tl. 2, 1629] des französischen Jesuiten Nicolas Caussin vgl. Abschnitt 4.1). Freifrau von Paar griff dem in Wien lebenden Jesuitenpriester und Übersetzer Henricus Lamormaini finanziell unter die Arme, als dieser lateinische Übersetzungen aus dem Französischen in den Druck geben wollte.
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Der Einfluß der Frau v. B. bei Hofe war sehr bedeutend und bei allen wichtigen Angelegenheiten wurde sie zu Rathe gezogen. Durch ihre Besonnenheit und ihr kluges Benehmen gegen Freund und Feind, welche damals während des 7jährigen Krieges abwechselnd Gotha besetzten, wurde manche drohende Gefahr von der Stadt abgewendet. Wie ihre Freundin, die Herzogin, war sie eine enthusiastische Verehrerin Friedrichs des Großen, und bei einem zweimaligen Besuche desselben am gothaischen Hofe (1757 und 1762) bewies ihr der große König die größte Hochachtung und ein ausgezeichnetes Wohlwollen. Bei den fürstlichen Personen und am Hofe war sie unter dem Namen »la Maman« bekannt. Auch Voltaire gehörte zu ihren Freunden, wie Wieland, Herder und Goethe. Bei ihr wurden Oberon, Egmont und andere Meisterwerke vor dem Druck vorgelesen und besprochen.207
In den Aufgabenbereich von Hofmeisterinnen fiel die kommunikative Disziplinierung der Untergebenen. Was muß man sich hierunter vorstellen?
1.
Die Instruktion für die Hofmeisterin Anna Margaretha von Schlammersdorf am Hof des Herzogs Eberhard III. von Württemberg (1614–1674) von 1662
Unter allen Quellen, die mir zur Einsicht vorlagen, enthält das Konzept der Dienstanweisung, die anläßlich der Bestallung von Anna Margaretha von Schlammersdorf ausgefertigt wurde,208 die genauesten Angaben zur Disziplinierungsproblematik.209 Das Aktenstück trägt das Datum 30. April 1662. Die Hofmeisterin, die im Hofstaat der Herzogin Maria Dorothea Sophia von Württemberg (1639–1698) eingesetzt wurde, übte das ihr anvertraute Amt nur für kurze Zeit aus. Nach Pfeilsticker verstarb sie bereits 1663/64.210 207 August Beck: Buchwald: Juliane Franziska v. B., in: Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 3, Leipzig 1876, S. 494. Die nach Juliane Franziska von Buchwald benannte »Buchwald-Galerie« liegt im ersten Obergeschoß des Ostflügels des Gothaer Schlosses Friedenstein, und zwar auf der Hofseite. Laut Auskunft von Annette Gerlach (Forschungsbibliothek Gotha) findet sich die Benennung »Buchwald-Galerie« als handschriftliche Ergänzung auf einem Plan des Ostflügels von 1816. Wann dieser Name auf dem Plan vermerkt wurde, ist derzeit nicht bekannt. Ursprünglich hieß die Galerie »Prinzen-Galerie«, da sich hier die Wohnräume der Prinzen befanden. 208 Geheimes Staatsarchiv Berlin, I. HA Rep. 36 Nr. 239: Instruktion für eine Hofmeisterin [Anna Margaretha von Schlammersdorf ] am Hof des Herzogs Eberhard [III.] von Württemberg. Dem Deckblatt der Instruktion ist zu entnehmen, daß es sich bei dem Aktenstück um eine Abschrift aus dem ausgehenden 18. oder anfangenden 19. Jahrhundert handelt: »Concept FrauenZimmer-Hoffmeisterin Statt, vom Herzog Eberhard zu Württemberg 1662. Im k. Archiv zu Bamberg.« Ein königliches Archiv Bamberg gab es seit 1806. Das oberdeutsche Wort »Statt« (auch: Staat, Stat) bedeutet Dienstauftrag, Aufgabenbeschreibung. 209 Es führt in der Sache nicht weiter, dem Gedanken Vorschub zu leisten, unser Fundus an Quellen sei unerschöpflich und jede beliebige Konzeption und jede nur erdenkliche Fragestellung ließe sich mit gutem wissenschaftlichem Ertrag umsetzen. Die geringe Detailgenauigkeit der Quellen stellte für mich ein fast unüberwindliches Problem dar, als ich den Mut faßte, Hofmeisterinnen unter dem Aspekt der kommunikativen Disziplinierung der Untergebenen zu untersuchen. Beim derzeitigen Stand der Forschung ist es völlig unmöglich, den Werdegang des Berufsbildes der Hofmeisterin kommunikationshistorisch abzuschreiten. 210 Pfeilsticker (Anm. 202), § 387.
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6. Die Bildungsmacht adliger Frauen: Kommunikationssteuerung zwischen Elitebildung
Es war in der Frühen Neuzeit üblich, für eine neu angenommene Hofmeisterin eine Dienstanweisung (Instruktion) auszuarbeiten (gleiches gilt für Hofmeister). Darin werden Angaben zum Aufgabenkreis, zum Verhalten gegenüber der Herrschaft und den Untergebenen wie auch zu dienstlichen Formalien (Besoldung, Auflösung des Dienstverhältnisses) gemacht. Das handschriftliche Dokument wurde durch die Unterschrift des Fürsten zur Urkunde, daher spricht man auch von Bestallungsurkunde. Instruktionen bilden den speziellen Teil einer Hofordnung. Die Originalausfertigungen gingen an die bestallten Hofmeisterinnen, die Konzepte oder Abschriften wurden archiviert. Unter quellenkritischen Gesichtspunkten ist bei Dienstanweisungen zu beachten, daß diese die Erwartungen des Auftraggebers/der Auftraggeberin zum Ausdruck bringen,211 das heißt dieser Quellentypus gibt nur in begrenztem Umfang den Blick auf die Arbeitsrealität frei.212 Die Instruktion für Anna Margaretha von Schlammersdorf hebt mit der Aufforderung an, die Hofmeisterin habe der Gemahlin des Fürsten untertänig, getreulich und gehorsam aufzuwarten und die Aufsicht über die beiden ältesten Töchter (aus erster Ehe) Sophia Louysa und Christina Friderica zu führen. Weiterhin wird zu verstehen gegeben, man erwarte von ihr, in Übereinstimmung mit dem Wort Gottes und den in der Gesellschaft herrschenden Normen zu leben. Sie müsse sich eines »Gottseeligen, Erbar, Christlichen und Wolstendigen Lebens und Wandels in Wortten und Werckhen […] befleissigen«, heißt es im Urkundentext wörtlich. Nur so konnte die Hofmeisterin Vorbildwirkung entfalten. Wie der Umgang mit den fürstlichen Kindern zu gestalten sei, geht aus dem nachfolgend zitierten Textauszug hervor, wo auch die Werte benannt werden, an denen Kommunikation sich auszurichten hat (»Gehorsam, Demuth und Respect«, »fürstliche Tugenden, Zucht und Sitten«, »Liebe, Affection und Zuneigung«): […] auch erstbesagte Unsere Frewlin Töchtern zur wahren Gottesforcht und Christlichem, Gottseeligem Wandel und Leben, zu fleißiger Anhör-, Lesung und Betrachtung deß heyligen Wortts Gottes, zu embsigem und andächtigem Gebett, des Morgens und Abendts, auch sonsten wo es die Noth und gelegenheit erfordert, Wie nicht weniger zu allen schuldigen Gehorsamb, Demuth und Respect, Beedes gegen Unß alß Vattern, und unser geliebten Gemahlin, alß Mutter, deßgleichen zu allen fürstlichen Tugenden, Zucht und Sitten, auch Liebe, Affection und Zuneigung gegen jedermann stetigs mit angelegenstem fleiß erinnern und anhaltten, zudem ende so wol des Tags, da Sie von unser Gemahlin abkommen kann, bey Ihnen Unsern Frewlin Töchtern in derselben Gemach sich befinden, alß auch insonderheit deß Nachts in Ihrer Cammer schlaffen, und keineswegs gestatten, noch zulassen, daß dieselbe einigen Graffen, Herrn oder von Adel ohne Unser oder Unserer Gemahlin Liebden Vorwissen und Verwilligung zu sich in das Gemach beruffen oder kommen lassen mögen.
211 In Dienstanweisungen gingen die Erfahrungen mit ehemaligen Hofmeisterinnen ein. Zum Muster konnten ältere Bestallungsurkunden genommen werden, die im Hofarchiv verwahrt wurden. 212 Einige Tätigkeiten, die zum Amt einer Hofmeisterin ganz selbstverständlich dazugehörten, wie zum Beispiel die Wahrnehmung von Repräsentationspflichten, bleiben in Dienstanweisungen unerwähnt. Auf unvorhergesehene Ereignisse und Probleme reagierte die Herrschaft mit mündlich vereinbarten Zusatz- oder Neuregelungen. Über problematische, vorzeitig entlassene Hofmeisterinnen scheint man den Mantel des Schweigens gebreitet zu haben.
6.3 Hofmeisterinnen
411
Es mußte der Hofmeisterin eine Sorge sein, daß die Prinzessinnen »ohngehindert« zur Predigt oder Betstunde erscheinen konnten, dies deshalb, »damit Sie also mit Angelegenster sorgfalt in Underwiesener wahrer erkandtnus und forcht Gottes, auch Heyliger Schrifft und der reinen wahren Augspurgischen Confession immerzu fort und fort geführt und beständig erhalten« werden. Hierauf folgt eine Textpassage, die Aufschluß gibt, wie das württembergische Herrscherpaar mißliebige Lesestoffe und ihre Überbringer(innen) von ihrer Residenz fernhielt, lag es doch in der Verantwortung der Hofmeisterin, das Einschleusen solcher Schriften zu verhüten: »So dann auch darauf genaueste Achtung gegeben werden möge, daß Niemand frembder Sich einschleiche, der Ihnen Unsern Frewlin Töchtern, oder dero zugehörigen Dienern und Dienerinnen ettwa heimlich ein oder andere unraine alß Calvinische, Papistische, Schwenckfelderische, oder andere dergleichen ketzerische Bücher oder Schriften, noch ichtwas Anders Unzimliches, Gottloses, Ohnerbares und in einigweeg ohngebührliches beybringen oder zuschieben könndte.« Durch Aussprechen von Mahnungen und Warnungen sollte die Hofmeisterin auf die »Sitten, Gebehrden, Reden und Werckhen« der fürstlichen Schutzbefohlenen einwirken. Mit Nachdruck und strenger Mine zu verbalisieren, was zu tun oder zu lassen sei, war die Disziplinierungsmethode, von der die Hofmeisterin Gebrauch machen durfte. Zur Züchtigung im Sinne von Anwendung von körperlicher Gewalt war sie nicht befugt. Insgemein sollen Beede Unnsere Frewlin Töchtern, durch Sie Unsere Bestellte Hoffmaisterin zu allen Christlichen, Gott woll gefälligen und Fürstlichen Frewlin, wolanständigen Tugenden mit ohnaußgeseztem eyfer ermahnt, und hingegen dieselben von Sünden, Untugenden, und allen übelständigen Sitten, Gebehrden, Reden und Werckhen ernstlich abgewarnet werden. Wie dann die Hofmeisterin nicht das geringste, so straffwürdig übersehen oder mit stillschweigen vorbeygehen lassen, sondern mit beweglichen, ohnablässigen ermahnungen dahin bearbeiten solle, damit alles Böse abgeschaffet, das Gute aber hingegen Bey Ihnen eingepflantzet und Bekräfftiget, da auch Ihre der Hoffmaisterin ermahn- und Warnungen wider Besser Versehen nichts helfen solten, solches alßdann ohnfelbarlich unser geliebten Gemahlin Liebden oder auch nach Beschaffenheit der Sachen gar an Unß gebracht werden.
In den Zuständigkeitsbereich der Hofmeisterin fiel auch die kommunikative Disziplinierung der dem »Frauenzimmer«, das heißt dem Hofstaat der Fürstin angehörenden »Jungfrawen« und »Mägd«.213 Wir werden relativ genau ins Bild gesetzt, welche Gewohnheiten und Fehler die Hofmeisterin ihren Untergebenen abzugewöhnen hatte. Daß erst hier, und nicht schon bei den fürstlichen Töchtern, nicht tolerierbare Kommunikationsinhalte und Ausdrucksweisen beim Namen genannt werden, mag dem hohen Rang der beiden fürstlichen Mädchen geschuldet sein. Es ist aber auch in Betracht zu ziehen, daß nicht am Hof erzogene Kinder mehr »üble« Gewohnheiten angenommen hatten als fürstliche, die ausschließlich von Personen umgeben waren, die mit dem höfischen Verhaltenskodex vertraut waren: Ferners Wollen Wir, daß Sie die Hoffmaisterin, mit allem ernst darob haltten wolle, daß neben Ihro auch die Jungfrawen und Mägd, so dann Menniglich, so in das Frawenzimmer gehörig, dem zugethan und verwandt ist, sich eines gottseeligen, züchtigen, ehrbaren Thuns, Lebens und Wandels nit allein 213 Mit »Jungfrawen« sind die hohen Bediensteten, mit »Mägd« die niederen Bediensteten gemeint.
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6. Die Bildungsmacht adliger Frauen: Kommunikationssteuerung zwischen Elitebildung
befleisen, sondern auch allerhand Gotteslästerung, mit Fluchen, schwehren, Affterreden, Schwetzen und Verläumbden, leichtferttigen Reden, unzüchtigen Gelächters, Singens, schädlicher oder leichtfertiger Lieder, Zanckhens und Haderns sich gentzlich enthalten.
Die Hofmeisterin hatte darauf zu achten, daß die »Jungfrawen« und »Mägd« es bei Anhörung der Predigt und im Gebet nicht an der nötigen Sammlung der Gedanken fehlen ließen. Die Untergebenen durften in der Kirche weder miteinander reden noch mit Nähen, Stricken oder ähnlichem sich die Zeit vertreiben und dadurch ein Ärgernis erregendes, böses Exempel abgeben. Im Falle von Regelverstößen »soll die Hoffmaisterin die Übertrettende der gebühr darumben straffen, oder was von nöthen, Unserer geliebten Gemahlin oder unß selbs in Underthenigkeit es anbringen, und ferneren Beschaidts erwartten.« Weiter unten im Text wird die Hofmeisterin über ihre Pflicht informiert, den Bediensteten bei vorfallenden Zwistigkeiten, Ärgernissen und Übelständen als Ansprechperson und Schiedsrichterin zur Seite zu stehen und für Gerechtigkeit, Abhilfe und Schutz zu sorgen: Wir wollen aber mit nüchten, daß die Hoffmaisterin gestatte und zusehe, daß sich die Jungfrawen und Mägd undereinander zerzanken, zerhadern und zerpeiseen, besonder wo sich fehl oder Mängel zutrugen, sollen dieselbigen der Hoffmaiserin klagend angebracht werden, alßdann die schuldigen der gebühr zu straffen, die Unschuldigen aber zu schützen und handzuhaben.
Und abermals wird der Hofmeisterin die Option eröffnet, bei schwerwiegenden Verfehlungen die Herrschaft ins Vertrauen zu ziehen.
2.
Pflichten eines Hofmeisters am Beispiel von Krünitz’ ökonomischer Enzyklopädie
In dem sehr umfangreichen Artikel zum Hofmeister in der ökonomischen Enzyklopädie von Krünitz wird der Aspekt der Bestrafung noch ausführlicher behandelt als in der Dienstanweisung für Anna Margaretha von Schlammersdorf. Aufgegriffen wird die Thematik im Sinnabschnitt »Verhalten gegen die Untergebenen«.214 Wie der gesamte Artikel, so reflektiert auch dieser Textteil schwerpunktmäßig die Berufsgruppe der Hofmeister, die bei einer Adelsfamilie Anstellung fanden und mit dem »untergebenen Jünglinge oder jungen Herrn auf Ritter-Aademien, hohe Schulen, und Reisen in auswärtige Länder« begleitend unterwegs waren.215 Die Ausführungen gliedern sich in fünf Punkte. Die ersten vier widmen sich der Person des Hofmeisters. Dieser soll ein gutes Muster der Nachfolge abgeben, was auch beinhaltet, im Umgang mit den Schutzbefohlenen die Konventionen zu beachten: […] Hofmeister müssen gegen ihre Untergebene 1. nicht allein Liebe, sondern auch Achtung beweisen. Je vornehmern Standes dieselben sind, desto größer muß die Achtung gegen sie seyn, und zu aller Zeit, selbst auf der Stube, vornehmlich aber in Gegenwart anderer und fremder Personen, bewiesen 214 Krünitz (Anm. 188), S. 193–196, hier S. 193. 215 Ebd., S. 171.
6.3 Hofmeisterinnen
413
werden, und sich insonderheit darin äußern: a) daß man gegen die Untergebenen beständig die gewöhnlichen Höflichkeits-Bezeigungen beobachte; b) daß man sie auf eine ihrem Stande gemäße Weise benenne, und nie unhöfliche und grobe Worte gegen sie gebrauche, welches selbst bey Verweisen und Bestrafungen beobachtet werden muß; c) daß man ihnen beym Ausgehen und in Gesellschaften den Rang lasse; d) daß man sie nicht in fremder Gegenwart tadle; e) daß man in ihrer Gegenwart nichts verrichte, was man sonst gewöhnlicher Maßen anderer Leute Anblicke zu entziehen pflegt.216
Nur der Hofmeister, der den ihm Anvertrauten als hochachtungswürdige Person entgegentritt, kann erwarten, daß seine Höflichkeits- und Achtungsbezeigungen von diesen erwidert werden (Punkt 2).217 Ohne Unterlaß muß er aufrichtige Freundlichkeit an den Tag legen (Punkt 3).218 Die Untergebenen dürfen nicht durch falsch gewählte Worte und Reden verärgert werden: »Jnsonderheit enthalte man sich aller unnützen Ausrufungsworte und Betheuerungen, Flüche, Possen, schmutzigen und unkeuschen Reden und Handlungen, und verächtlichen Urtheile über andere Leute.«219 (Punkt 4) Zucht und Erziehung müssen auf »Brechung und Ausrottung des Eigensinnes der Untergebenen gerichtet seyn«.220 Züchtigungen sind nur durch wohlgewählte Beweggründe zu rechtfertigen. Der Hofmeister handelt in seinem ureigensten Interesse, die Untergebenen zu freiwilligem Gehorsam ihm gegenüber zu bewegen.221 Alles, was zur Zersetzung von Aufrichtigkeit, Wahrhaftigkeit, Offenherzigkeit und Verschwiegenheit beitragen könnte, hat er zu unterbinden: »die falschen Streiche, lügenhafte Vorstellungen und Erfindungen, Betriegereyen, Verstellung, Tücke, Schalkheit, Schmeicheley und Plauderhaftigkeit«.222 Welche Züchtigungsart bei welcher Verfehlung als angemessen eingestuft wird, erläutert der folgende Passus: Man muß zwar die Kinder mehr durch Bewegungsgründe, die von Gott und ihrer Glückseligkeit hergenommen sind, durch anhaltende Ermahnungen und Warnungen, ernsthafte Worte und Geberden, und Entziehung gewisser Dinge, die ihnen angenehm sind, als durch die Ruthe zu verbessern suchen, jedoch die wirkliche Züchtigung keinesweges verabsäumen und unterlassen, und wenn sie von den Aeltern und Verwandten aus unordentlicher Liebe zu den Kindern gehindert werden sollte, ohne Vorwissen derselben, in der Stille vornehmen. Diese Züchtigung muß aber nicht geschehen, 1) wegen begangener Fehler und unvorsichtiger Handlungen, auch nicht wegen ihrer Ungeschicklichkeit und Mangel des Fleißes, sondern wegen hartnäckigen Eigensinnes, halsstarrigen Ungehorsams, grober Lügen und Betriegereyen, Bosheiten und anderer wirklich strafbarer Unarten; 2) nicht wenn die Kinder im heftigen Affect sind; 3) auch nicht wenn man selbst in starkem Affect ist. Sie muß auch nicht in beyläufigen und geschwinden Streichen bestehen, als welche keine gute Wirkung haben, ja zum Schaden und Unglück der Kinder gereichen können. Es muß vielmehr die Züchtigung eine eben so feyerliche als seltene Handlung seyn, zu welcher man sich selbst durch gute Fassung und Sanftmuth, die Kinder aber durch eine ernstliche und wehmüthige Vorstellung ihrer Stafwürdigkeit zubereiten, und sie, wo möglich, zum eigenen Erkenntniß und freywilligen Bekenntniß derselben, wie auch zur 216 217 218 219 220 221 222
Ebd., S. 193. Ebd. Ebd. Ebd., S. 194. Ebd. Ebd., S. 194 f. Ebd., S. 195.
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6. Die Bildungsmacht adliger Frauen: Kommunikationssteuerung zwischen Elitebildung
willigen Unterwerfung unter die Strafe, bringen muß. Ein Informator muß seine Schüler, welche schon aus den Kinderjahren heraus sind, und ein Hofmeister seinen Untergebenen, nicht mehr durch Züchtigungen, sondern durch die kurz vorher angegebenen, und andere ihren Umständen gemäße Mittel, in Ordnung und Gehorsam zu erhalten suchen.223
In der Schlußbemerkung zu Punkt 5 wird der Hofmeister daran erinnert, was die Moral und sein Gewissen ihm im Umgang mit weiblichen Zöglingen befehlen: Die Untergebenen müssen schamhaft gewöhnet, und vor unreinen Vorstellungen und Dingen, folglich auch vor unzüchtigen Büchern, Bildern, Reden und Personen aufs möglichste bewahret werden. Wer Kinder weibliches Geschlechts zu unterrichten hat, der hüte sich ja, daß er sie nicht ärgere und verführe, und dadurch über dieselben sowohl, als ihre Familien, Schande und Unglück bringe, sich selbst aber ein nagendes Gewissen zuziehe.224
Kehren wir zum Problem der kommunikativen Disziplinierung aus dem Blickwinkel von Hofmeisterinnen zurück. Das in der Bestallungsurkunde für Anna Margaretha von Schlammersdorf beschriebene berufliche Anforderungsprofil läßt sich auf die Formel »Einübung in höfische Umgangsformen, die die christliche Lebensweise beinhalten« bringen. Bei den fürstlichen Töchtern gingen die weiblich-hofmeisterlichen Disziplinierungsbemühungen dahin, die Schützlinge gesellschafts- und heiratsfähig zu machen.225 Zeitigte der erhobene Zeigefinger keine Wirkung, wurden drastischere Maßnahmen vonseiten der Eltern ergriffen, um die Internalisierung der den Töchtern und weiblichen Hofbediensteten abverlangten Verhaltensstandards zu erwirken. Der Krünitz-Artikel wurde so ausführlich zitiert, weil er eine plastische Vorstellung zu geben vermag, was sich hinter dem Schlagwort »negative Sanktion als Mittel zur Verhaltensmodellierung« im Untersuchungszeitraum verbirgt. Bei den Hofbediensteten war die Fähigkeit, sich den höfischen Usancen gemäß zu benehmen, der entscheidende Grund, ihnen unter aktiver Beteiligung von Hofmeisterinnen Manieren anzudrillen: Man wollte keine Bediensteten, die auf die fürstlichen Kinder einen negativen Einfluß ausübten, die Herrschaft verärgerten und bei den Gästen einen schlechten Eindruck hinterließen. Vergegenwärtigt man sich nochmals, daß jede Einübung in einen Distinktionscode ein rangnivellierendes Moment enthält, wird mehr als deutlich, welche Chancen sich den Hofbediensteten, die so stark unter disziplinarischen Druck gesetzt wurden, darboten.226
3.
Resümee
Die aufgezeigten Wege der Diffusion von elitären Verhaltensstandards lassen adlige Frauen unter dem Aspekt der ihnen zur Verfügung stehenden Macht in neuem Licht erscheinen. Trotz nachlassender gesellschaftlicher Bedeutung des Adels infolge des Auf223 Ebd., S. 195 f. 224 Ebd., S. 196. 225 Vgl. auch die von mir in Abschnitt 5.2 ausgeführte These, daß Frauen durch Wohlverhalten zu gesellschaftlichem Erfolg gelangen konnten. 226 An dieser Stelle sei daran erinnert, daß der Hof für Hofbedienstete immer auch ein Heiratsmarkt war.
6.3 Hofmeisterinnen
415
stiegs des Bürgertums war den Menschen der Frühneuzeit die Bildungsmacht adliger Frauen gefühlsmäßig und oft auch intellektuell zugänglich. Seit dem 19. Jahrhundert verhinderten vorurteilsbehaftete wissenschaftliche Einstellungen die umfassende Aufarbeitung dieses mit der politischen Geschichte aufs engste verknüpften Kapitels der Frauengeschichte.
Ergebnisse und Forschungsausblicke
1. Zusammenfassung wichtiger Resultate Die Kommunikationsthematik wurde hier erstmals auf einer ungewöhnlich breiten Quellengrundlage über einen Zeitraum von drei Jahrhunderten erforscht und frauenfokussiert entfaltet. Es werden neue Fragestellungen an die Quellen herangetragen, bislang unbeachtete Untersuchungsfelder einbezogen, Einseitigkeiten und Irrtümer innerhalb der bisherigen Historiographie nachgewiesen sowie die Rollen von Frauen und Männern im Kulturprozeß neu beschrieben. Die Arbeit setzt ein mit der Untersuchung der Rolle des Buchdrucks als Katalysator für neue Bildungsbestrebungen. Der literarische Markt war eine Signatur des frühneuzeitlichen intellektuellen Lebens. Er offerierte Angebote zur Befriedigung des Wissensdrangs von Männern und Frauen, die mit ihrem Informationsbedürfnis in ihren Kreisen auf Unkenntnis, Unverständnis oder Ablehnung stießen oder gestoßen wären. Auf der anderen Seite versprach er Autor(inn)en für ihre Produkte Öffentlichkeit. Die Loslösung von repressiven kirchlichen Dogmen war im Alten Reich ohne Frage die wichtigste Voraussetzung für die Nutzung des Buchdrucks durch Textproduzentinnen verschiedener geistigweltanschaulicher Prägung. Der Prozeß der Emanzipation vom misogynen kirchlichen Lehrverbot wird am Beispiel von Anstandsautorinnen deutlich gemacht. Als Vorbilder für richtiges, angemessenes Verhalten und als zukunftsgestaltende Regelgeberinnen sind sie ein stichhaltiger Beleg für die Beteiligung von engagierten, tonangebenden Frauen an der Ausformung und Wandlung von Verhaltensstandards. Fortschrittsgläubige Verleger und regsame männliche wie weibliche Mitglieder von Sprachgesellschaften ebneten in Bildungsfragen durch In-Druck-Geben von Schriften säkularen Inhalts, durch Teilhabe am internationalen Wissens- und Kulturtransfer sowie durch Aufweichung kirchlicher Normbilder der Frau den Weg in eine pluralistische Gesellschaft. Die Studie gewährt differenzierte Einblicke, wie lesefähige Frauen unterschiedlichster Herkunft sich durch das Medium Buch kommunikative Bildung aneignen konnten. Ergänzend wird ein Überblick darüber gegeben, mit welchen suggestiven Mitteln männliche Autoren die von ihnen ins Auge gefaßten Normenrezipientinnen zu beeinflussen suchten. Selbstbildung war ein kollektives Unternehmen des 18. Jahrhunderts.1 Dieses Vorhaben brachten Männer und Frauen zusammen auf den Weg, Männer mehr als Frauen. Vorbereitet wurde diese Entwicklung durch Übersetzungsunternehmungen des 17. Jahr-
418
Ergebnisse und Forschungsausblicke
hunderts, aber auch durch das Aufblühen des Stoizismus 2 und die Ausbreitung des sich auf das Naturrecht berufenden Rationalismus der Frühaufklärung. Zugleich mit scharfsichtigen Mitgliedern der Fruchtbringenden Gesellschaft gelangten insbesondere Stifterinnen von adligen Sozietäten und Übersetzerinnen im 17. Jahrhundert zu zukunftsweisenden Erkenntnissen, was die Verbesserung der Frauenbildung und die Durchsetzung des Kommunikationsideals der ehrbaren Konversation betrifft. Die Trennung der Geschlechter durch rigide moralische Vorstellungen sowie der Stände durch hierarchisch gegliederte Regelwerke und obrigkeitliche Anordnungen weicht im 18. Jahrhundert, abseits von repräsentativen Anlässen, einerseits einem restriktionsfreieren Miteinander insbesondere von dem Bürgertum entstammenden Männern und Frauen, andererseits ungezwungeneren Umgangsformen, die den Weg bahnen für freieres Denken im Sinne der Aufklärung. Nach herrschender Meinung gilt: Je mehr die quellenmäßige Erschließung von weiblicher Macht voranschreitet, umso mehr rückt die Geschichtsmächtigkeit von Frauen ins Gesichtsfeld. Die Ergebnisse meiner Quelleninterpretationen korrigieren und erweitern den bisherigen Kenntnisstand zur Macht von Frauen und brechen damit nolens volens prädominierende Denkschemata auf. Mit der Einführung und Erprobung der Faktorenanalyse leistet die Studie einen methodologischen Beitrag. Ihr theoretischer Gewinn besteht in begrifflichen Differenzierungen und terminologischen Neuschöpfungen, durch die sich Fortschritte ergeben im Bereich der Binnenarchitektur von Theorien, die Verhalten und Macht aufeinander beziehen. Besondere Erwähnung verdienen die Kategorien förderliche Macht, beschützende Macht, Verhaltensregulativ, Ansehenskapital, Reproduktion des Standesethos, moralisches Wissen, habituelles Wissen und Bildungsosmose.
2. Weiterführende Anregungen Es scheint mir berechtigt und notwendig, historische Bezeichnungen zu definieren respektive ihren Umfang und ihre Merkmale zu bestimmen. Einige Begriffe hatten im Untersuchungszeitraum ein unerwartet weites Bedeutungsspektrum. Am meisten überraschte mich die Bedeutungsvielfalt des Wortes ›Hofmeisterin‹. An diesem Beispiel läßt sich verdeutlichen, wie unbesonnen und unproduktiv es ist, Benennungen und Bedeutungen auszublenden, die die Ideen-, Lebens- und Erfahrungswelt der weiblichen Angehörigen verschiedener Status- und Berufsgruppen widerspiegeln. Sprachbedingte Differenzen in der Vermittlung von Erkenntnis scheinen mir von der Forschung noch zu wenig bedacht zu werden. Bei Konzepten wie der ›honnête femme‹ wäre zu fragen, ob die Sprachstruktur 1
2
Nur am Rande kommt in dieser Untersuchung die institutionelle Verankerung von Mädchenbildung in den Blick – ebenfalls ein kollektives Projekt des 18. Jahrhunderts, das vom Pietismus und später vom Philantropismus als wichtig erkannt und daher stark gefördert wurde. Es wäre zu prüfen, ob der stoische Rationalismus den Frauen mehr Anerkennung als Vernunftwesen einbrachte.
2. Weiterführende Anregung
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des Deutschen es überhaupt erlaubte, das Konzept ohne semantische Änderungen aus dem Französischen zu übernehmen. Das Wort ›galant‹ hatte in Frankreich andere Implikationen als in Deutschland. Hier waren von Anfang an der Importcharakter des Lehnworts sowie die Anziehungskraft und die Abwehr der Kultur einer anderen Gesellschaft im Wort präsent. Die Forschung bezog die Sprache, die Frauen als Kommunikationsmittel benutzten, weder methodisch kontrolliert auf reale Kontexte weiblichen Denkens noch auf die Geschichte von Denkformen und logisch aufgebauten Systemen. Daher blieb ihr verborgen, daß Frauen vom 17. Jahrhundert an zunehmend in Denk- und Entscheidungsprozesse einbezogen wurden, wenn auch manchmal nur auf spielerische Art. Aus dieser Beobachtung ergibt sich ein Befund, der weitere Erkundungen anregen könnte. Kritisches Denken wurde in der verhaltensmodellierenden Gebrauchsliteratur der Frühen Neuzeit durchaus gefördert: Man wollte die Menschen befähigen, das eigene Verhalten nach den Maßstäben gewissenhaft zu prüfen, die von anerkannten Autoritäten aufgestellt wurden. Da nach kirchlicher Ansicht die Fundamentalkategorien Gott/Satan (Welt), Diesseits/Jenseits, Leib/Seele, gut/böse Dreh- und Angelpunkte allen Wahrnehmens, Bewertens und Handelns bilden sollten, kam auch in der verhaltensmodellierenden Gebrauchsliteratur das dualistische Denkschema zur Anwendung. Es spiegelte und bestätigte ebenso wie die Präsentation von Wissen in antithetischer Form das dualistische Weltbild3 christlicher Prägung. Das Titelblatt des Charakterspiegels Les différens caractères des femmes du siècle (1694)4 demonstriert exemplarisch, wie Typisierung und Dichotomisierung, vom Buchdruck unterstützt, dem Denken des frühneuzeitlichen Menschen eine Struktur und Richtung vorgaben. Den sechs Negativtypen in der linken Tabelle fehlen jene Eigenschaften, die rechts aufgelistet werden: CARACTERES. I. Les Coquettes. II. Les Bigotes. III. Les Spirituelles IV. Les Economes. V. Les Joüeuses. VI. Les Playdeuses.
PERFECTIONS. I. La Modestie. II. La Pieté. III. La Science. IV. La Régle. V. L’Occupation. VI. La Paix.
Die theoriegeleitete Erforschung der informellen Macht von Frauen in frühneuzeitlichen Gesellschaften steckt noch in den Kinderschuhen. Den Weg zu einem noch breiter angelegten Projekt wies die Entscheidung, den Machtbegriff von Michel Foucault heran3
4
Binäre Weltbilder stellen die Grundlage dar für »die Versämtlichung von Frauen und Männern in sozialen Gruppen« (vgl. Abschnitt 4.2) und für die Entstehung und den Fortbestand von geschlechtsspezifischen Verhaltensstandards und Rollenleitbildern. Vgl. Jutta Hartmann u. a. (Hg.): Heteronormativität. Empirische Studien zu Geschlecht, Sexualität und Macht (Studien interdisziplinäre Geschlechterforschung; 10), Wiesbaden 2007. Zu den deutschen Ausgaben dieses Werks vgl. Abschnitt 4.1.
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Ergebnisse und Forschungsausblicke
zuziehen. Am Anfang eines weiterführenden Projekts stünde die thematische Entfaltung des Gegenstandes, am Ende wäre zu diskutieren, in welchen Bereichen sich unser Bild von Frauen durch die Erforschung von informeller Macht entscheidend ändert, was dies für die Konstruktion von Geschichtsbildern bedeutet und wo Lehrbücher und Lehrpläne revidiert werden sollten.
Literaturverzeichnis
Nicht näher betrachtete Quellenschriften sowie Titelzitate in Quellen werden im Literaturverzeichnis nicht aufgeführt.
1.
Ungedruckte Quellen
Berlin, Geheimes Staatsarchiv Berlin, I. HA Rep. 36 Nr. 239: Instruktion für eine Hofmeisterin [Anna Margaretha von Schlammersdorf ] am Hof des Herzogs Eberhard [III.] von Württemberg. Leipzig, Stadtarchiv der Stadt Leipzig, Akten der Bücherkommission, Tit. XLVI, Nr. 281: Gegen Johann Theodor Boetio wegen des Arzneibuchs Der aufgesprungene Granatapfel der Herzogin Eleonora Maria Rosalia zu Troppau und Jägerndorff, 1709. – Ratsleichenbuch 1743–1755, Bl. 31: Begräbniseintrag des Verlegers August Martini. – Vormundschaftsstube, Rep. IV Nr. 1237, Bl. 1: Söhne von August Martini aus erster und zweiter Ehe. München, Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Geheimes Hausarchiv, Handschriften 91: Zwei Exemplare (italienische und deutsche Fassung) der Statuten des Ordens Sklavinnen der Tugend aus dem Besitz von Kurfürstin Adelaide von Savoyen. Wien, Österreichische Nationalbibliothek, CVP 9401, Bl. 6: Ungedruckte italienische Gedichte der römisch-deutschen Kaiserin Eleonora Gonzaga-Nevers.
2.
Gedruckte Quellen
Anonym: Anzeige o. T. [Bibliothèque des dames (1766 –1767)], in: Deutsche Bibliothek der schönen Wissenschaften 1, 1767, St. 1, S. 184. Anonym: Rez. o. T. [Conseils d’Ariste à Célimène (1666)], in: Journal des savants 1, 1665/66, S. 360–361. Anonym: Rez. o. T. [Das wohlgezogene Frauenzimmer (1767)], in: Deutsche Bibliothek der schönen Wissenschaften 1, 1768, St. 4, S. 154–155. Anonym: Rez. o. T. [Die Redekunst fürs Frauenzimmer (1768)], in: Allgemeine deutsche Bibliothek 7, 1768, St. 2, S. 274–275. Anonym: Rez. o. T. [Die Redekunst fürs Frauenzimmer (1768)], in: Deutsche Bibliothek der schönen Wissenschaften 2, 1768, St. 6, S. 360–361. Anonym: Rez. o. T. [Unzer: Grundriß einer natürlichen Historie (1751)], in: Neue Zeitungen von gelehrten Sachen auf das Jahr 1751, Tl. 1, Nr. 51, S. 462–463. Anonym: Rez. o. T. [von Ziegler: Moralische und vermischte Send-Schreiben (1731)], in: Deutsche Acta eruditorum, oder Geschichte der Gelehrten, welche den gegenwärtigen Zustand der Literatur in Europa begreiffen 156, 1730, S. 872–878. Anonym: Alamodische Hobel-Banck, das ist: Ein sehr lustiger und artlicher Discurs, zweyer Adels-Personen, welche sie von den alamodischen, ja vielmehr von jetzigen im schwang gehenden unhöflichen Sitten, närrischen Gebräuch- und Mißbräuchen, als da ist in Kleidern, Gebärden, Gehen, und Basolaßmanos machen, so sie bey etlichen Völckern im Durchreisen, sonderlichen aber bey den ungewan-
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Literaturverzeichnis
derten Teutschen wargenommen, halten. Zum erstenmal in diese geschmeidige Form in den Druck gebracht durch einen Liebhaber der freyen Künste, o. O. 1668. Anonym: Beantwortetes Jungfraw-Schreiben oder weiszlich Bedencken den Frauenzimmer zur Nachrichtung gestellet ob sie lieber Juristen und weltlichen oder geistlichen Personen verheyrathen sollen, o. O. 1631. Anonym: Ceremonie, in: [ Johann Heinrich Zedler (Hg.),] Grosses vollständiges Universal-Lexicon aller Wissenschafften und Künste […], Bd. 5, Halle u. a. 1733, Sp. 1873–1874. Anonym: Compendieuses und stets-währendes Hand-Buch des galanten und curieusen Frauen-Zimmers […], 4. Aufl. Leipzig 1730 (1. Aufl. 1718). Anonym: Curieuses Studenten-Bibliothecgen, worinnen gezeiget wird, was ein Studiosus Theologiae, Studiosus Juris, Studiosus Medicinae, Studiosus Philosophiae et Politices entweder von nöthigen und nützlichen Büchern sich anschaffen, oder von welchen er einige Nachricht haben solle und müsse, Leipzig 1707. Anonym: Die nach denen galanten Wissenschafften wohl eingerichtete Jungfern- und JunggesellenSchule. Aus dem Französischen übersetzt: Von M. F. v. S., Leipzig u. a. 1749. Anonym: Die Pflichten des Frauenzimmers. Auf Verlangen eines vornehmen Herrn beschrieben von einer Dame. Aus dem Englischen übersetzet von Nicolaus von Bickern, Bremen 1753. Anonym: Ein Anstandsbüchlein für Mädchen vom Jahre 1616, hg. von Thomas Stettner, in: Das Bayerland 15, 1904, S.447–449, 463–466. Anonym: Ein sehr nutzliches vnd züchtiges gesprech von junckfrewlichen guten Sitten vnnd Tugendten, zwischen zweyen Gespilen, mit einnander redend, Tübingen 1577. Anonym: Frauen-Zimmer-Bibliotheckgen, oder thuelicher Vorschlag, wie und auff was Ahrt, für ein deutsches Frauen-Zimmer, mässigen Vermögens, unterschiedene außerlesene, und recht nützliche Bücher, zu ihrem Vergnügen, zeitlichen und ewigen Wohlseyn, gar leicht und auff wenig Kosten, angeschaffet werden können. Mit einer kleinen Beylage: Als einem beweglichen Schreiben einer Mutter an ihren zum abgöttischen Pabstthum übergegangenen Sohn; und etlichen sonderbahren Denck-Sprüchen, dadurch das Hertz in dem Wandel für Gott zubefestigen, Güstrow 1705. Anonym: Frawen Biechlin zu° ru°m vnd breyse allen tugentsamen auch erberen weybern ist dises Tractetlin auß vor schrifft des hayligen wortt gotes zusamen gebracht vnd verfasset. Ain weybliches bilde hat vnns den säligmacher geboren vnn durch jne leben wir alle. Actn. [Acta Apostolorum] 17. Da entgegen auch zu straff etlicher halßstärriger vnn boßhafftiger weyber etwz auß der hayligen geschrifft gezogen. Eccl. 25. Von ainem weyb ist der anfanng der sünd, vnnd durch sie sterben wir alle. Genn. 3, [Augsburg] [1523]. Anonym: Frawen Pflicht: zu lernen Gott vnd ihre Männer zu gehorsamen, vnd nach Gottes Willen zu leben, ein christliche Ermahnung an sie gelanget, wie auch ein Versicherung vnnd Offenbahrung des Worts vnd Willen des allmächtigen Gotts, vnd seines Sohns JEsu Christi. Durch eine tugendreiche Fraw, Liebhaberin Christi, an all ehrliebende Frawen vnd Jungfrawen die ererben wollen die Seligkeit, Amsterdam 1636. Anonym: Gründ- und probierliche Beschreibung […] Belangend die Frag, Ob die Weiber Menschen seyn, oder nicht? 1618. 1660 u. ö., in: Elisabeth Gössmann (Hg.), Ob die Weiber Menschen seyn, oder nicht? (Archiv für philosophie- und theologiegeschichtliche Frauenforschung; 4), 2., überarb. u. erw. Aufl. München 1996, S. 101–124. Anonym: Ihrer Königln. Majest. in Pohlen, etc. und Churfürstln. Durchl. zu Sachßen, etc. Ausschreiben über die von E. getreuen Landschafft, bey dem Anno 1746. gehaltenen Land-Tage, auf neun Jahr, und zwar von Anno 1747. bis mit dem Schluß des 1755sten Jahres, verwilligte Allgemeine Kopff-Steuer, und was solcher anhängig, Dresden [1747]. Anonym: Köstlich und hoch-nothwendiger Weiber-Meß-Krahm, das ist: Ein Gespräch von dem WeiberRegiment, wie auch deren Regier-Zanck und Hadersucht, samt ihren bösen Sitten, zwischen Simon und Andrea. Dabey auch viel schöne nützliche Mittel, Präservatien, und approbirte Artzneyen, wie
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solchen regiersüchtigen gifftigen Weibern zu begegnen. Allen und jeden durch die gantze Welt wohnenden Männern, so von ihren regimentssüchtigen bösen Weibern gepeiniget, und unter deroselben Regiments-Joch gespannet seyn, zu sonderm Trost: den zänckischen Weibern aber zum Meß-Krahm vorgestellet, o. O. [um 1670]. Anonym: Lebendige Abbildung der jnnerlichen Schönheiten des weiblichen Geschlechts, aus dem Englischen ins Teutsche übersetzet, Frankfurt/M. u. a. 1721. Anonym: Literatur des Frauenzimmers, oder Entwurf zu einer auserlesenen Frauenzimmerbibliothek, Frankfurt u. a. 1794. Anonym: Maximes de conduite pour une jeune personne qui entre dans le monde. A l’usage des Demoiselles pensionnaires et externes, que l’on instruit chez les Religieuses de la Congrégation de Notre-Dame, Straßburg 1781. Anonym: Neu-entdeckte Geheimnisse von der Schönheit der Damen, wie solche durch bewährte Mittel zu erlangen, beständig zu erhalten, und bey ereigneter Abnehmung wieder zu repariren sey. Aus denen besten frantzösischen und englischen Autoribus zusammen getragen, Leipzig 1704. Anonym: Nützliche und nöthige Handleitung zu wohlanständigen Sitten,wie man sich in der Conversation, auf Reisen, im Brief-Schreiben und Einrichtung der Geschäfte sittig, bescheiden, ordentlich und klüglich verhalten soll: Zum Gebrauch des Pädagogii Regii zu Glaucha an Halle abgefasset […], 6. Aufl. Halle 1727 (1. Aufl. 1706). Anonym: Nutzbares, galantes und curiöses Frauenzimmer-Lexicon, verm. u. verb. Aufl. Frankfurt/M. u. a. 1739. Anonym: Nutzbares, galantes und cürieuses Frauenzimmer-Lexicon […], 2 Tle., 3., umgearb. Aufl. Leipzig 1773. Anonym: Vernünfftige GemüthsBeruhigung oder kurze Lehr-Sätze, wie die Begierden bey allen Begebenheiten vernünftig und wol zu regieren, und die wahre Zufriedenheit zu befördern; aus dem Französischen in das Teutsche übersetzt, auch mit Sinnbildern und Gedichten vermehret durch die BlumenHirtin an der Pegnitz Erone, Nürnberg u. a. 1684. Anonym: Von Complimenten, in: Der Gesellige, eine moralische Wochenschrift 1, 1748, Tl. 1, St. 45, S. 375–368. Anonym: Von der Herrschafft Der Männer über die Weiber [1705], in: Elmar Lechner (Hg.), Der Anfang vom Ende der »Herrschafft Der Männer über die Weiber«. Eine politische und eine pädagogische Schrift aus der Zeit um 1700 (Retrospektiven in Sachen Bildung. Reihe 10: Übersehene Quellen; 1), Klagenfurt 1993, S. 5–21. Anonym: Vorschlag einer Jungfer-Academie [1707], in: Elmar Lechner (Hg.), Der Anfang vom Ende der »Herrschafft Der Männer über die Weiber«. Eine politische und eine pädagogische Schrift aus der Zeit um 1700 (Retrospektiven in Sachen Bildung. Reihe 10: Übersehene Quellen; 1), Klagenfurt 1993, S. 23–31. Anonym: Warum bezeigen die Männer dem Frauenzimmer so viel Achtung? Aus dem Französischen [von Klaußner], in: Neue Litteratur und Völkerkunde 3, 1789, 2, S. 298–306. Anonym: Weib, Weibs-Bild, Weibs-Person. Ob die Weiber der Academischen Ehren-Grade fähig seyn?, in: [ Johann Heinrich Zedler (Hg.),] Grosses vollständiges Universal-Lexicon aller Wissenschafften und Künste […], Bd. 54, Halle u. a. 1747, Sp. 39–42. Anonym: Weib, Weibs-Bild, Weibs-Person. Ob die Weiber Menschen sind?, in: [ Johann Heinrich Zedler (Hg.),] Grosses vollständiges Universal-Lexicon aller Wissenschafften und Künste […], Bd. 54, Halle u. a. 1747, Sp. 23–26. Anonym: Weib, Weibs-Bild, Weibs-Person. Ob die Weiber öffentlich lehren dürffen?, in: [ Johann Heinrich Zedler (Hg.),] Grosses vollständiges Universal-Lexicon aller Wissenschafften und Künste […], Bd. 54, Halle u. a. 1747, Sp. 38–39. Anonym: Zur Charakteristik der Frauenlektüre im Anfange des vorigen Jahrhunderts [Auszug aus: FrauenZimmer-Bibliotheckgen, 1705], in: Zeitschrift für deutsche Kulturgeschichte 1, 1856, S. 86–87.
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Abb. 3: Frauen-Zimmer-Bibliotheckgen, Güstrow 1705. Frontispiz. [1] Bl., 130 S., 8°. Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, Signatur: Hist.lit.810
Abb. 4a und 4b: Medaille auf die Dichterinnenkrönung von Christiana Mariana von Ziegler. Ausführung in Silber. Münzkabinett, Staatliche Museen zu Berlin, Objekt-Nr. 18224391 (Fotograf: Reinhard Saczewski, Berlin).
Abb. 5: Memoryspiel als Neujahrsgeschenk für das schöne Geschlecht, o.O. 1767. Auf der Vorderseite Darstellung von Johanne Charlotte Unzer. Germanisches Nationalmuseum Nürnberg, Graphische Sammlung, Inventar-Nr. HB 30471 Kaps. 1307, Vs.
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Abb. 7: Madeleine de Scudéry: Kluge Unterredungen, Teil 1, Nürnberg 1685. Kupferstichillustration „So wird die Rede richtig“.
Abb. 8: Die Oberhofmeisterin von Gotha, Juliane Franziska von Buchwald, vor der Büste Voltaires. Scherenschnitt in ganzer Figur mit ergänzenden Tuschzeichnungen (undatiert und unsigniert). Deutsches Dokumentationszentrum für Kunstgeschichte – Bildarchiv Foto Marburg, Inventar-Nr. 71.303
Abb. 9: Julius Bernhard von Rohr: Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der grossen Herren, 2. Aufl. Leipzig 1733. Frontispiz. [16] Bl., 880 S., 8°. Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttungen, Signatur: 8 POL II, 3548
Abb. 10: Kaiserin-Witwe Eleonora Gonzaga-Nevers. Kupferstich, Radierung und Punktmanier von Abraham Bloemart, nach 1657. Westfälisches Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte – Porträtarchiv Diepenbroick, Münster, Inventar-Nr. C-505739 PAD
Abb. 11: Deckblatt der italienischen Fassung der Statuten des Ordens Sklavinnen der Tugend. Exemplar der bayerischen Kurfürstin Henriette Adelaide von Savoyen. Bayerisches Hauptstaatsarchiv München, Signatur: Handschriften 91
Abb. 12: Gräfin Maria Karolina Fuchs, Oberhofmeisterin von Kaiserin Maria Theresia. Ölgemälde von Martin van Meytens d. J., um 1750. Kunsthistorisches Museum Wien, Inventar-Nr. GG 3074