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German Pages 501 [524] Year 2023
Kommunikation in Philosophie, Religion und Gesellschaft
Schleiermacher-Archiv
Herausgegeben von Notger Slenczka und Andreas Arndt, Jörg Dierken, Lutz Käppel, André Munzinger
Band 35
Kommunikation in Philosophie, Religion und Gesellschaft Akten des Internationalen Schleiermacher-Kongresses 25.–29. Mai 2021 Herausgegeben von Christian Berner, Sarah Schmidt, Brent W. Sockness und Denis Thouard
ISBN 978-3-11-106709-4 e-ISBN (PDF) 978-3-11-112880-1 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-112955-6 ISSN 1861-6038 Library of Congress Control Number: 2023942154 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2024 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com
Wilhelm Gräb (21.8.1948 – 23.1. 2023) zum Gedenken
Inhalt Christoph Markschies Grußwort zum Internationalen Schleiermacher-Kongress 2021 (Berlin)
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Vale´rie Nicolet Mot d’ouverture au Congrès International Schleiermacher 2021 (Paris)
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Philippe Hamou Mot d’ouverture au Congrès International Schleiermacher 2021 (Paris)
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Einleitung Christian Berner, Sarah Schmidt, Brent Sockness, Denis Thouard Kommunikation in Philosophie, Religion und Gesellschaft. Zur Einleitung
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1 Kommunikation und Verstehen Isabelle Thomas-Fogiel Umriss einer Kritik am Begriff der Kommunikation Jean-Michel Salanskis Kommunikation und Sinn
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Maureen Junker-Kenny Conditions of Communicative Action: Schleiermacher’s Conception of Language and Theory of Religion in Habermas’s Reconstruction 65 Michael N. Forster Romantic Hermeneutics and Its Impact in the Long Nineteenth Century Eleonora Caramelli Schleiermacher, Hegel und das Problem des Gefühls
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Wilhelm Gräb (†) Predigt als kommunikativer Akt. Einige Bemerkungen zu Schleiermachers Theorie religiöser Mitteilung [1984] 139
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Inhalt
2 Streitkulturen André Munzinger Dauerstreit? Kommunikative Konfliktkultur zur Bearbeitung religiöser Differenzen 159 Mario Berkefeld Der ewige Streit der Religion mit sich selbst. Zu Ernst Cassirers Schleiermacher173 Rezeption in der Philosophie der symbolischen Formen Johann Gartlinger Kommunikative Kritik. Zu einer Rezension Friedrich Schleiermachers
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Constantin Plaul Theological Media Ethics avant la lettre: The Limits and Promise of Schleiermacher’s Christian Ethics for an Orientation in Modern Media 209 Society Ivory Day Schleiermacher on Linguistic Difference: From Quine to Benoist and Beyond 229 Karl Tetzlaff Religion zwischen Muße und Arbeitsamkeit. Friedrich Schleiermachers Beitrag zur 251 Lösung eines Grundkonflikts modernen Lebens
3 Dimensionen der Geselligkeit Andreas Arndt Grenzen der Gemeinschaft in Schleiermachers philosophischer Ethik
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Friedemann Barniske Die Kommunikation der Staaten. Kant, Schleiermacher und der Weg zum ewigen 295 Frieden Rasmus Wittekind Handlung – Personalität – Staatlichkeit. Zur Legitimation staatlicher Ordnung in Friedrich Schleiermachers Vorlesungen über Ethik 309 Dorothea Meier „Das Wesentliche ist […] die unmittelbare Communication in die das Kind mit der Welt tritt.“ Gedanken über Kommunikation in Bildung und Erziehung 329
IX
Inhalt
Marco Stallmann „Religiöse Mittheilung ist nicht in Büchern zu suchen“. Zum Verständnis religiöser Kommunikation bei Johann Joachim Spalding und Friedrich Schleiermacher 343 Martina Kumlehn Gespräch – Narration – Diskurs. Schleiermachers Theorie religiöser Kommunikation im Spiegel der Schrift Die Weihnachtsfeier und ihre strukturellen 365 Reflexionsimpulse in einer „Kultur der Digitalität“
4 Kulturtechniken des Redens, Schreibens, Lesens und Übersetzens Michael Moxter Am Leitfaden des Leibes. Medientheoretische und anthropologische Überlegungen zum Begriff des darstellenden Handelns 387 Carlotta Santini Pour une épistémologie de l’image. Schleiermacher sur les procès de formation et diffusion des formes archétypiques 403 Simon Gerber Rhetorik des Gefühls. Homiletik nach Schleiermachers Vorlesung zur Praktischen 421 Theologie Florian Priesemuth Sprache und Rede. Schleiermachers Sprachverständnis in seinen Vorlesungen zur Psychologie 443 Piotr de Bończa Bukowski Der Mittler. Friedrich Schleiermacher, Übersetzung und interkulturelle 453 Kommunikation Anette Hagan Schleiermachers Übersetzung der englischen Predigten Joseph Fawcetts Christian Berner, Denis Thouard Schleiermacher en français
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Inhalt
Anhang Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher Kritische Gesamtausgabe De Gruyter 503 Zu den Autorinnen und Autoren Personenregister
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Christoph Markschies
Grußwort zum Internationalen Schleiermacher-Kongress 2021 (Berlin)
Herzlich willkommen zum Internationalen Schleiermacher-Kongress in Berlin – wenn ich recht sehe, meine sehr verehrten Damen und Herren, Mesdames et Messieurs, chers collègues, fand schon der erste Internationale Schleiermacher-Kongress 1984 in Berlin statt; die beiden Dokumentationsbände dieser Tagung eröffneten die Reihe des Schleiermacher-Archivs im Verlag De Gruyter und sind zeittypisch mit Schreibmaschine gesetzt und reprographiert.¹ Für mein eigenes Fachgebiet, die evangelische Theologie, ist der Doppelband des ersten Internationalen Schleiermacher-Kongresses schon wegen der darin publizierten Hauptvorträge von Gerhard Ebeling und Rudolf Vierhaus ikonisch für die jüngere Wissenschaftsgeschichte der Disziplin.² Ebelings Hauptvortrag mit dem Titel „Luther und Schleiermacher“ mag, aus der Perspektive eines schlichten Historikers betrachtet, eine allzu kühne systematisch-theologische Kontinuitätsbehauptung voraussetzen, aber ohne solche Kontinuitätsbehauptungen und ihre Schwester, die Diskontinuitätsbehauptung, funktionieren ja weder das historiographische Geschäft noch meine eigene historische Arbeit. Mir geht es aber heute Abend in meinem Grußwort natürlich auch nicht um eine nachgeholte Rezension der Beiträge des ersten Internationalen Schleiermacher-Kongresses (für die ich als Historiker der christlichen Antike gar nicht berufen wäre), sondern um ein paar präsidiale Schlaglichter auf das Thema dieses Kongresses – also auf „Kommunikation in Philosophie, Religion und Gesellschaft“ aus der Perspektive der gastgebenden Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, um den Versuch, Akademie, Schleiermacher und Kommunikation zusammenzudenken. Dabei werde ich das als Laie natürlich anders tun, als dies die peritissimi könnten und in den Beiträgen dieses Kongresses getan haben. Noch einmal zurück zum ersten Berliner Internationalen Schleiermacher-Kongress im Jahre 1984. Auf dieser Tagung fehlte die Akademie im Programm. Immerhin waren drei Vortragende aus dem östlichen Teil der Stadt vertreten:³ der Kirchenhistoriker Wolfgang Ullmann vom Sprachenkonvikt der kirchlichen Hochschule, die nicht als solche bezeichnet werden durfte,⁴ der Systematiker Hans-Georg Fritzsche von der Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität und der Philosoph Gerd Irrlitz, ein Schüler Ernst Blochs, der auf seinem entsprechend schwierigen Weg in der ehemaligen DDR in den Jahren 1961 bis 1971 an der Arbeitsgruppe „Philosophiehistorische Texte“ wirkte und dort unter anderem verschiedene Schriften und Schriftgruppen Georg Wilhelm Friedrich Hegels herausgab, mithin Schriften eines Denkers, der nicht ganz
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Vgl. Selge et al. 1985. Vgl. Vierhaus 1985, 3 – 20; Ebeling 1985, 21 – 38. Vgl. Ullmann 1985, 381 – 388; Fritzsche 1985, 687– 698; Irrlitz 1985, 1121 – 1146. Vgl. zu Ullmann und seinen Forschungs- wie Lebenskontexten Markschies 2020, 1133 – 1144.
https://doi.org/10.1515/9783111128801-001
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Christoph Markschies
ohne Zutun Schleiermachers niemals zum Mitglied der Akademie der Wissenschaften in Berlin gewählt worden war.⁵ Keiner der Vortragenden arbeitete jedoch an der damaligen Akademie der Wissenschaften der DDR; Akademiethemen finden sich auch nicht im Programm – und dementsprechend ebenso wenig in den beiden imponierenden und, wie ich sagte, geradezu ikonischen Bänden. Die Akademie fehlte entsprechend auch schon bei der Eröffnung. In deren Rahmen sprach neben dem Regierenden Bürgermeister der Präsident der Freien Universität ein Grußwort und würdigte, nachdem er sich selbst als fachfremden Juristen eingeführt hatte, der „mit einiger Befangenheit“ rede, Schleiermachers Anteil am theoretischen Konzept der Berliner Universität und seiner praktischen Umsetzung in der Gründungsphase. Dieter Heckelmann (so hieß dieser 2012 verstorbene Arbeitsrechtler im Dahlemer Präsidentenamt⁶) versäumte nicht, angesichts aktueller Probleme seiner Universität auf Schleiermacher Bezug zu nehmen, beispielsweise auf dessen kritische Sicht von Hausberufungen.⁷ Interessanterweise gingen seine Ausflüge in die Gegenwart aber nicht so weit, dass er in seinem Grußwort darauf einging, dass sich nicht nur die Nachkriegsgründung in Dahlem in der Tradition der alten Universität Unter den Linden sah und sich mit Schleiermachers gelegentlichen Gedanken über Universitäten auseinandersetzte; die Universität Unter den Linden existierte ja auch nach dem Auszug Einzelner ihrer Studierender und Dozierender im Jahre 1948 weiter und beschäftigte sich auf ihre Weise mit dem Erbe Schleiermachers: In einer Dokumentation der Humboldt-Universität aus dem Jahr 1985 war zwar lediglich ein einschlägiger Text Wilhelm von Humboldts als Beispiel für das Konzept einer bürgerlichen Universität vorgestellt worden,⁸ aber schon vor der deutschen Wiedervereinigung begannen im Leipziger Reclam Verlag Vorbereitungen für eine Dokumentation von Berliner Universitätsgründungstexten unter dem von Schleiermacher entlehnten Titel Gelegentliche Gedanken über Universitäten. ⁹ Grußworte des Rektors der Humboldt-Universität zu Berlin oder des Präsidenten der Akademie der Wissenschaften der DDR waren 1984 praktisch ausgeschlossen, und die Einladung des im Unfrieden von der Akademie geschiedenen Ostberliner Philosophen Irrlitz zum Westberliner Internationalen SchleiermacherKongress im selben Jahr zeigte, dass man aus vielerlei Gründen im westlichen Teil der Stadt auf Abgrenzung Wert legte. Solche Grenzziehungen betraf auch die Akademie der Wissenschaften der DDR. Nur wenig später begann man in Westberlin mit Vorbereitungen zu einer Gründung einer eigenen, allerdings sehr kurzlebigen Akademie der
5 Vgl. zu Irrlitz die basalen Informationen unter URL: https://www.bundesstiftung-aufarbeitung.de/de/re cherche/kataloge-datenbanken/biographische-datenbanken/gerd-irrlitz (zuletzt aufgerufen am 21.11. 2022). Vgl. zu Hegel Dietzsch 2004, 80. 6 Vgl. Heckelmann 1985, XXIII. 7 Vgl. Heckelmann 1985, XXV. 8 Vgl. Klein / Kossack 1985, 9 – 11. 9 Vgl. Engel et al. 1990; ich selbst habe mich über Schleiermachers Gedanken zur Universität in Berlin geäußert in Markschies 2011, 51 – 72 und Markschies 2021, 40 – 58.
Grußwort zum Internationalen Schleiermacher-Kongress 2021 (Berlin)
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Wissenschaften.¹⁰ Diese Westberliner Akademie übernahm 1989 die Trägerschaft der zehn Jahre zuvor gegründeten Schleiermacher-Arbeitsstelle und nach dem jähen Ende dieser Einrichtung im Jahr 1990 dauerte es vier weitere Jahre, bevor in der Tradition der Preußischen Akademie und mit Bezug auf die beiden Akademien in Ost- und Westberlin die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften konstituiert wurde und damit die Berliner Schleiermacher-Arbeitsstelle eine neue und hoffentlich endgültige Heimat fand. Die Kritische Gesamtausgabe der Werke Schleiermachers ist einer der Edelsteine im Schmuck der langfristigen Editionsprojekte unserer Akademie, unser Archiv beherbergt gewichtige Teile seines Nachlasses, und Mitglieder wie Mitarbeitende erarbeiten zentrale Beiträge zur Schleiermacher-Forschung. Ich freue mich als jetziger Präsident der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, die die schöne Nebenbezeichnung „vormals Preußische Akademie“ trägt, in diesem Jahr, also 27 Jahre nach dem ersten Internationalen SchleiermacherKongress, ein Grußwort zur Eröffnung der Veranstaltung zu sprechen. Zudem ist Schleiermacher einer meiner Vorgänger im Amt,¹¹ denn seit 1812 wurde die Berliner Akademie der Wissenschaften, die in den vergangenen über 300 Jahren mehrfach Namen und institutionelle Identität wechselte, von den vier Klassensekretaren geleitet, die sich gleichsam rollierend in der Funktion des vorsitzenden Sekretars abwechselten. Jeder Sekretar fungierte sozusagen für drei oder vier Monate gewissermaßen als Akademiepräsident, ohne diesen Titel zu tragen. Als neunundzwanzigsten in einer Reihe, die natürlich mit Gottfried Wilhelm Leibniz beginnt, führen wir bis auf den heutigen Tag Schleiermacher. Viele der Vorgänger Schleiermachers im 18. Jahrhundert waren Franzosen und prägten die Akademie so, dass man mit gutem Grund von einem französischen Jahrhundert der Berliner Sozietät sprechen kann; insofern freut es mich besonders, dass dieser Internationale Schleiermacher-Kongress ein deutsch-französisches Kooperationsprojekt ist, und ich grüße unsere französischen Gäste ganz besonders herzlich. Aber mir scheint es auch aus inhaltlichen (und nicht nur aus formalen) Gründen sinnvoll, wenn ich ein Grußwort spreche. Denn wenn man über „Kommunikation in Philosophie, Religion und Gesellschaft“ nachdenken will und dazu Schleiermacher als zentralen Fokus wählt, geht es ja gar nicht ohne die Akademie. Martin Rössler hat unter Mitwirkung von Lars Emersleben vor fast 20 Jahren in der Kritischen Gesamtausgabe die Akademievorträge von Schleiermacher erneut ediert, mindestens die Abhandlung Über die verschiedenen Methoden des Übersetzens vom 24. Juni 1813 ist für das Thema dieses Kongresses elementar.¹² Ich möchte aber für die These werben, dass weit mehr in dem genannten Band der Kritischen Gesamtausgabe einschlägig ist als die eine oder andere Abhandlung. Schon in seinem Antrittsvortrag vom 10. Mai 1810 beschreibt Schleiermacher die kritische und historische Behandlung der Philosophie, für die er berufen wurde
10 Vgl. Flämig et al. 1994. 11 Vgl. von Harnack 1900, 848 – 849; zuletzt Prunea-Bretonnet et al. 2022. 12 Vgl. Schleiermacher KGA I/11, 65 – 93 („Über die verschiedenen Methoden des Übersetzens“).
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Christoph Markschies
(Theologen als Theologen nehmen bekanntlich die französisch geprägten Gelehrtenverbindungen nicht auf ), als Gespräch.¹³ Als Gespräch mit vergangenen Formen von Philosophie und als Austausch mit den Zeitgenossen in der Akademie über das, was die Vergangenheit, der historischen Analyse folgend, als ungelöste Aufgabe hinterlassen hat, möchte Schleiermacher seine Mitarbeit in der Akademie anlegen – und so möchte ich den Schlusssatz seines Antrittsvortrags als einen Hinweis auf beide Aufgaben interpretieren: „Rath und Beistand bei den verbrüderten Einsichten zu finden wo die eigenen nicht hinreichen wollen“.¹⁴ So verstanden, bezieht er sich auf das Gespräch mit den Philosophen der Vergangenheit, von den Vorsokratikern bis hin zu Platon, Aristoteles und Diogenes Laertius, aber eben auch ganz konkret auf die Akademiesitzungen, die in den entsprechenden Abhandlungen disputiert werden. Was aber dürfen wir uns konkret unter dieser Form der Kommunikation vorstellen? Hier haben wir es nun mit einem handfesten Quellenproblem zu tun, von dem ich wenigstens ganz kurz berichten muss. Die Nordrhein-Westfälische Akademie der Wissenschaften, wie die Mainzer und die Düsseldorfer und nicht zuletzt wir, ein Kind der alten Preußischen Akademie, dokumentiert die Diskussionen ihrer Akademievorträge durch Wortprotokolle, die die Mitglieder allerdings je nach Physiognomie teilweise sehr stark überarbeiten. Für diese Dokumentationsform akademischer Geselligkeit und die Kommunikationsform der Akademie dürfte allerdings eher der Gesprächskreis „Poetik und Hermeneutik“¹⁵ Pate gestanden haben, denn die alte Preußische Akademie hält in ihren Protokollen nur die in der Sitzung anwesenden Mitglieder (übrigens nach einem Schema, das heute noch in Mainz im Gebrauch ist) und die Namen derjenigen fest, die sich in einem Gespräch äußern, aber nicht den Inhalt des Gesagten. Man muss also aus anderen Quellen rekonstruieren, was die sehr besondere Kommunikationsform der Geselligkeit in der Akademie zum Inhalt der Akademievorträge und Akademieschriften Schleiermachers, aber auch überhaupt zu seinem Denken beitrug. In der großen Biographie des unvergessenen Leipziger Kollegen Kurt Nowak findet sich jedenfalls weder im Abschnitt über das Privatleben und die Geselligkeit noch in jenem über die Akademievorträge etwas zum Thema – Gleiches gilt natürlich auch für die große Akademiegeschichte von Adolf von Harnack.¹⁶ Vielleicht habe ich einzelne Beiträge übersehen, vielleicht braucht es aber tatsächlich einmal etwas zur Kommunikationsstruktur des Alltagslebens in der Akademie und ihrem Einfluss auf Schleiermachers Leben und Denken. Wenn ich von meinen eigenen Erfahrungen ausgehe, dann könnte es Gründe dafür geben, diesen Einfluss als beträchtlich einzustufen – aber das wissen die Redner und Rednerinnen dieses Kongresses mutmaßlich tausendmal besser als ich, der ich sowohl im Falle Schleiermachers als auch hinsichtlich der Geschichte der Akademie ja eher nur dilettiere.
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Vgl. Schleiermacher KGA I/11, 1 – 7 (Antrittsvortrag). Schleiermacher KGA I/11, 7 (Antrittsvortrag). Vgl. Amslinger 2017. Vgl. Nowak 2002, 283 – 337, 401 – 409; für von Harnack vgl. oben die Fußnote 11.
Grußwort zum Internationalen Schleiermacher-Kongress 2021 (Berlin)
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Am 24. Januar 1817 trug Schleiermacher die Rede zum Friedrichstag vor, für jenen Festtag, an dem die Akademie bis 1945 an Friedrich den Großen erinnerte.¹⁷ Das war eine ganz normale Pflicht für den geschäftsführenden Sekretar, so wie in vielen anderen Akademien dieser Welt zu ähnlichen Tagen bis auf den heutigen Tag; in einer reichlichen Woche feiern wir unseren Leibniztag, zu dem Schleiermacher auch vorgetragen hat. Im Rahmen seiner Rede entfaltet Schleiermacher eine kleine Kommunikationstheorie der Vergegenwärtigung einer Person der Vergangenheit. Er schlägt vor, sich „an das Innere […] seines persönlichen Wesens“ zu halten, und führt das dann für Friedrich den Großen aus.¹⁸ Wenn man dieser Spur auch heute Abend folgen möchte, dann ist es vielleicht nicht so furchtbar schlimm, dass wir die Gesprächsbeiträge der Diskussionen von Vorträgen Schleiermachers nicht mehr rekonstruieren können, weil es keine Wortprotokolle gab und gibt. Denn Einblicke in das Innere seines persönlichen Wesens versucht ja die Berliner Schleiermacher-Forschung in ihren Projekten zu seiner Berliner Zeit zu geben, solche Einblicke dürfte es immer wieder auch auf dem SchleiermacherKongress geben.
Literatur Amslinger, Julia. 2017. Eine neue Form von Akademie. ‚Poetik und Hermeneutik‘ – die Anfänge. Paderborn: Fink. Dietzsch, Steffen. 2004. „Ein Hegel wurde nicht berufen. Aus den Analen [sic!] der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin“, Gegenworte 14, 80 – 81. Ebeling, Gerhard. 1985. „Luther und Schleiermacher“, in: Internationaler Schleiermacher Kongreß Berlin 1984, hg. v. Kurt Victor Selge, SchlA 1, Bd. 1. Berlin / New York: De Gruyter, 21 – 38. Engel, Johann Jakob et al. 1990. Gelegentliche Gedanken über Universitäten, hg. v. Ernst Müller. Leipzig: Reclam. Flämig, Christian et al. (Hg.) 1994. Die Auflösung der Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Zeitschrift Wissenschaftsrecht 12. Tübingen: Mohr Siebeck. Fritzsche, Hans-Georg. 1985. „Schleiermacher zur biblischen Dominium-terrae-Verheißung“, in: Internationaler Schleiermacher-Kongreß Berlin 1984, hg. v. Kurt Victor Selge, SchlA 1, Bd. 2. Berlin / New York: De Gruyter, 687 – 698. Harnack, Adolf von. 1900. Geschichte der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, 1. Bd. 2. Hälfte. Berlin: Reichsdruckerei. Heckelmann, Dieter. 1985. „Ansprache des Präsidenten der Freien Universität Berlin“, in: Internationaler Schleiermacher-Kongreß Berlin 1984, hg. v. Kurt Victor Selge, SchlA 1, Bd. 1. Berlin / New York: De Gruyter, XXIII–XXVI. Irrlitz, Gerd. 1985. „Friedrich Schleiermacher, der Universitätsmann und Philosoph“, in: Internationaler Schleiermacher-Kongreß Berlin 1984, hg. v. Kurt Victor Selge, SchlA 1, Bd. 2. Berlin / New York: De Gruyter, 1121 – 1146. Klein, Helmut / Kossack, Heinz (Hg.). 1985. Humboldt-Universität zu Berlin. Dokumente 1810 – 1985. Berlin: Deutscher Verlag der Wissenschaften. Markschies, Christoph. 2011. „Wissenschaft und Gesellschaft. Schleiermachers Universitätsprogramm kontextualisiert“, in: Universität – Theologie – Kirche. Deutungsangebote zum Verhältnis von Kultur und
17 Vgl. Schleiermacher KGA I/11, 239 – 250 (Rede am Geburtstage Friedrich des Großen). 18 Schleiermacher KGA I/11, 248 (Rede am Geburtstage Friedrich des Großen).
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Christoph Markschies
Religion im Gespräch mit Schleiermacher, hg. v. Wilhelm Gräb, Notger Slenczka, Arbeiten zur Systematischen Theologie 4. Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt, 51 – 72. Markschies, Christoph. 2020. „Eine sehr besondere Dogmengeschichte aus der alten DDR. Der ‚nach-harnacksche‘ Entwurf von Wolfgang Ullmann“, Theologische Literaturzeitung 145, 1133 – 1144. Markschies, Christoph. 2021. Berolinensia. Beiträge zur Geschichte der Berliner Universität und ihrer Theologischen Fakultät, Arbeiten zur Kirchengeschichte 145. Berlin / Boston: De Gruyter, 40 – 58. Nowak, Kurt. 2002. Schleiermacher. Leben, Werk und Wirkung. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Prunea-Bretonnet et al. (Hg.). 2022. The Berlin Academy in the Reign of Frederick the Great. Philosophy and Science, Oxford University Studies in the Enlightenment 11. Oxford: Oxford University Press. Selge, Kurt Victor et al. (Hg.). 1985. Internationaler Schleiermacher-Kongreß Berlin 1984, Bd. 1 – 2. Berlin / New York: De Gruyter. Ullmann, Wolfgang. 1985. „Zur Monotheismusdiskussion zwischen Schelling und Schleiermacher“, in: Internationaler Schleiermacher-Kongreß Berlin 1984, hg. v. Kurt Victor Selge, SchlA 1, Bd. 1. Berlin / New York: De Gruyter, 381 – 388. Vierhaus, Rudolf. 1985. „Schleiermachers Stellung in der deutschen Bildungsgeschichte“, in: Internationaler Schleiermacher-Kongreß Berlin 1984, hg. v. Kurt Victor Selge, SchlA 1, Bd. 1. Berlin / New York: De Gruyter, 3 – 20.
Vale´rie Nicolet
Mot d’ouverture au Congrès International Schleiermacher 2021 (Paris) Je remercie vivement Christian Berner de m’avoir donné la possibilité de partager un mot d’accueil avec vous à l’occasion de cette première journée du Internationaler Schleiermacher-Kongress. Et c’est avec un grand plaisir que je vous souhaite la bienvenue de la part de l’Institut protestant de théologie, et de sa faculté à Paris. Comme il a déjà été dit, nous aurions bien évidemment préféré vous accueillir dans nos locaux du 83 Boulevard Arago, dans le 14ème arrondissement à Paris, avec du café et des croissants typiquement parisiens. Si nous avions été sur place, nous aurions aussi pu agrémenter votre venue en choisissant de vous présenter quelques documents tirés des archives du Fonds Ricœur que nous hébergeons à la faculté. En particulier, j’aurais aimé que les collaborateurs et collaboratrices du Fonds Ricœur vous présentent le tapuscrit d’un cours que Paul Ricœur donna à l’Institut supérieur de philosophie de l’Université Catholique de Louvain en 1971 – 1972. Ce cours s’intitule sobrement Herméneutique. Son édition polycopiée fait 228 pages et l’édition électronique couvre 140 pages. Dans la deuxième partie, son chapitre premier est consacré entièrement à Schleiermacher, avec une troisième partie qui s’intitule « les difficultés de l’herméneutique de Schleiermacher ». Il aurait été satisfaisant dans le cadre de ce colloque de faire un clin d’œil au ‹ saint › inofficiel de l’IPT, Ricœur, alors même qu’il construit sa théorie de l’interprétation en dialogue notamment avec celui qui va inspirer les réflexions des jours qui viennent. Dans la situation présente, je dois me contenter de vous souhaiter de très bonnes journées de travail, qui seront, j’en suis certaine, stimulantes. Au vu de la richesse des thématiques traitées, je me réjouis de suivre certaines des présentations, particulièrement puisqu’elles touchent à un sujet, la communication, qui mérite notre attention, dans la philosophie, la théologie, la dogmatique, surtout au vu de la crise que nous traversons et qui semble destinée à modifier durablement notre rapport à la parole, à la rencontre, à la discussion.
https://doi.org/10.1515/9783111128801-002
Philippe Hamou
Mot d’ouverture au Congrès International Schleiermacher 2021 (Paris) Chers collègues, Je ne vous adresserai que quelques simples mots d’accueil, en mon nom et celui de M. Philippe Gervais-Lambony, président de l’université Paris Nanterre, et celui de M. le Professeur François Sebbah, directeur de l’Institut de Recherches Philosophiques de Nanterre. Ce congrès devait se tenir ici dans les murs de notre faculté, l’UFR Phillia, dédiée aux lettres, à la philosophie et aux sciences du langage et de la communication – autant dire aux disciplines herméneutiques par excellence. La pandémie nous a contraint à surseoir l’organisation du congrès l’an dernier, et cette année nous espérions encore jusqu’il y a peu pouvoir vous réunir physiquement sur notre campus. Si nous regrettons beaucoup de ne pouvoir le faire, il est heureux que les technologies de visioconférences et l’organisation impeccable permise par nos collègues de la Berliner Akademie et par le professeur Christian Berner nous permettront des réunions virtuelles de qualité et, malgré la distance, de véritables échanges autour de l’œuvre de Schleiermacher. Je sais que Schleiermacher, tout comme son contemporain Alexander von Humboldt était très attaché à l’idée que la science est une affaire collective, une Mitteilung, qui réclame l’échange de vues de ceux qui se tiennent ensemble sous l’universalité du langage. Je suis convaincu que le congrès qui s’ouvre aujourd’hui avec la contribution de Jean-Michel Salanskis sera une très belle illustration de cet idéal. Je vous souhaite à tous d’excellents travaux.
https://doi.org/10.1515/9783111128801-003
Einleitung
Christian Berner, Sarah Schmidt, Brent Sockness, Denis Thouard
Kommunikation in Philosophie, Religion und Gesellschaft. Zur Einleitung 1
Im Zeitalter der digitalen Kommunikation überschreiten Wörter und Bilder mühelos alle räumlichen Distanzen, ihre Übertragungsgeschwindigkeit erfolgt in Sekundenbruchteilen, Speicherkapazitäten scheinen unbegrenzt, die Welt ist in sozialen Netzwerken miteinander verbunden, simst, mailt, facebookt, twittert, googelt. Die Globalisierung stellt eine allgemeine, in jede Ecke der Welt reichende Kommunikation in Aussicht und nährt(e) mit diesem Versprechen auch die Vorstellung und die Hoffnung einer Demokratisierung kommunikativer Prozesse sowie einer immer vernünftiger werdenden Normierung, sofern sie auf der Basis von kommunikativen Aushandlungen geschehe: Kenntnisse, Bräuche, Traditionen, aber auch Normen und Gesetze gleichen sich in einem Modell, in dem Kommunikation für Rationalisierung steht, immer weiter an. Dass eine hierarchisch flache, schnelle und vernetzte Kommunikation wie ein Turbomotor im Prozess der Demokratisierung wirken kann, dafür gibt es in den vergangenen zwei Jahrzehnten beeindruckende Beispiele. Dies zeigt sich nicht zuletzt daran, dass die Überwachung oder Blockade von Informations- und Kommunikationsflüssen (von jeher) zu den ersten und wirksamsten Werkzeugen autokratisch regierender Systeme gehört. Zugleich sind nicht nur die Kontrolle oder Vorenthaltung von Kommunikationsinhalten oder -kanälen, sondern auch deren gezielte Verbreitung und flächendeckende Auswertung ein effizientes Machtinstrument, welches sich nicht nur die Politik, sondern auch die Wirtschaft geschickt zu Nutze macht, oft genug ohne politisches Mandat, staatenübergreifend und jenseits politischer Kontrolle. Diese Art politisch-autokratischer und / oder konsumorientierter Normierung steht der Utopie einer vernünftigen, kommunikativ ausgehandelten Weltgemeinschaft diametral entgegen; Einheit wird hier durch Vereinfachung und Verarmung erreicht. Die Erfahrungen der Gegenwart verdeutlichen jedoch auch, dass die „Internetisierung“ der menschlichen Welt in ihren sämtlichen Kommunikationsplattformen und -programmen nicht nur zu einer Vereinheitlichung führt, sondern auch zu ihrem Gegenteil, einer Parzellierung in neue Kleinwelten, in denen immer mehr voneinander abdriftende „Blasen“, sogenannte communities, meist nur unter sich kommunizieren und jeden allgemeinen Horizont oft genug unter Verdacht stellen. Eine neue „Unübersichtlichkeit“ breitet sich aus. Diese Parzellierung zeigt an, dass das Format der einzelnen menschlichen Interaktion und Kommunikation nicht allein das einer globalen Bühne sein kann, auf der die einzelne menschliche Stimme das Gewicht eines Staubkorns hat, sondern auch das einer „Lebenswelt“ sein muss, und zwar einer zunehmend https://doi.org/10.1515/9783111128801-004
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Christian Berner, Sarah Schmidt, Brent Sockness, Denis Thouard
auch als digital zu verstehenden Lebenswelt. Lässt sich im Einklang mit dieser Einsicht ein Verfahren wechselseitiger Kommunikation denken, welches uns aus der Unbestimmtheit gegenseitiger Indifferenz hin zu einer global agierenden, inhaltlich bestimmten Gemeinschaft führt? Eine kritische Reflexion der kommunikativen Bedingungen unserer Gegenwart ist dringend geboten. Jenseits einer aufgeklärten Kritik der politisch und ökonomisch bestimmten „Informationswirtschaft“ ist jedoch auch eine Auseinandersetzung mit dem Kommunikationsbegriff selbst von Bedeutung, dem im täglichen Umgang mit Twitter und anderen Plattformen eine Verkürzung droht. Denn das tägliche Versenden immer kürzer werdender messages und simpler likes kultiviert nicht nur eine normierte, oft auf Entweder-oder-Entscheidungen fixierte Kommunikation, es nährt auch die positivistische Vorstellung, dass in Kommunikationsprozessen ein transportables Paket hinund hergeschickt wird, das es nur ein- und auszupacken gilt. Der Begriff der Kommunikation ist erst im 20. Jahrhundert zu einem philosophischen Leitbegriff geworden. Er erfuhr im deutsch- und französischsprachigen Raum eine einschlägige Prägung etwa in der Existenzphilosophie von Karl Jaspers, der Diskursethik von Karl-Otto Apel und der Theorie des kommunikativen Handelns von Jürgen Habermas, der Systemtheorie Niklas Luhmanns oder der rekonstruktiven Rationalität von Jean-Marc Ferry –¹ und dies unter dem jeweiligen Fokus ihrer Betrachtung jenseits der inflationären Verwendung und der gegenwärtigen, der medialen Praxis geschuldeten Simplifizierung des Begriffs. Der vorliegende Band möchte jedoch noch einige Schritte hinter diese Kommunikationstheoretiker des 20. Jahrhunderts zurücktreten und sich auf eine Zeit besinnen, die weit vor der digitalen Revolution kommunikative Prozesse in ihrer medialen Verfasstheit, ihrer sprachlichen, kulturellen und sozialen Bedingtheit, ihrer religiösen und ästhetischen Bedeutung sowie ihrer ethischen Tiefendimension beleuchtet. In den Blickpunkt rückt der (sprach)philosophische Paradigmenwechsel um 1800, in dem Vernunft und Sprache in ihrer historischen Erscheinung, individuellen Prägung und prozesshaften Dynamik in den Vordergrund rückten und somit auch eine Revision der unterschiedlichen Verhältnisse zwischen Sprechen auf der einen Seite sowie Denken, Handeln und Fühlen auf der anderen nach sich zogen. Zu einem der wichtigsten Vertreter dieses Paradigmenwechsels kann Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher gezählt werden. Schleiermacher erfuhr seine wissenschaftliche Ausbildung an der Universität Halle, deren Lehrer den Begriffen und Konzepten der Spätaufklärung verpflichtet waren. Vorherrschend war eine semiotische Auffassung von Sprache, die sprachliche Äußerungen als zeichenhafte Mitteilung von Vorstellungen verstand, wobei der Medialität der Sprache keine nachhaltige Aufmerksamkeit zukam: Dieselben Ideen konnten sich auf verschiedene Weise mitteilen. Ohne die Bedeutung der (spät‐)aufklärerischen Tradition zu mindern, die Schleiermachers Denken nachhaltig prägte, suchte er – verstärkt
1 Vgl. u. a. Ferry 1990; Ferry 1994; Ferry 1996.
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durch das Umfeld der frühromantischen Bewegung –, sie unter den Bedingungen der sinnlichen Individualisierung weiterzudenken. Selten – aber durchaus an zentraler bzw. aussagekräftiger Stelle – verwendet er den Begriff der Kommunikation selbst, aber aus den wenigen Fundstellen wird deutlich, dass er bereits eine komplexe Problemlage vor Augen hatte, die eine religiöse, ästhetische, erkenntnistheoretische und ethische Dimension mit sich führt.² „Communikation“ ist das, was eine Verbindung schafft zwischen den Menschen, das, was hinsichtlich seiner Mittel oder Medien durchaus umfangreicher zu denken ist als allein in Form einer sprachlichen Mitteilung,³ wobei das Medium selbst nicht ohne Einfluss auf das in und mit ihm Kommunizierte bleibt.⁴ In den Vorlesungen zur philosophischen Ethik sowie in denen zur christlichen Sitte insistiert Schleiermacher auf dem Gemeinschaft wie Individuum bildenden Charakter der Kommunikation. Eine Kommunikation im Sinne einer bloßen Überredung sei „unsittlich“;⁵ erkenntnistheoretisch, ethisch und religiös bedeutsamer sei Kommunikation jedoch, wenn ihr bildender Charakter in den Vordergrund rücke. Zweck der Kommunikation sei dabei nicht nur, dass man von jemand anderem verstanden werde, vielmehr sei sie auch Teil eines Selbstverständigungsprozesses, den jeder Mensch – freilich im Austausch mit anderen – unternehme.⁶ In letzter Hinsicht, sozusagen in ihrer maximalen Ausdehnung, sei jede Form konkreter Kommunikation immer auch ein Ausdruck des Menschseins und in letzter Instanz Vernunft und Weltbildung im emphatischen Sinne.⁷ Der Einigungsprozess sei in der Umkehrung schließlich auch ein Indikator für die Leichtigkeit oder Schwierigkeit einer Kommunikation – je größer die sprachliche, kulturelle, aber auch religiöse Differenz, desto gefährdeter ist sie.⁸ Eine „allgemeine Sprache“ kann dabei keine Abhilfe schaffen, denn die Differenzen müssen progressiv vermittelt werden.⁹
2 Vgl. zur Verwendung des Begriffs der Kommunikation in den Vorlesungen zur Pädagogik den Beitrag von Dorothea Meier. 3 In der Vorlesung zur Dialektik spricht Schleiermacher zum Beispiel von einer „Communication zwischen Menschen, die in der Sprache nichts mit einander gemein haben“ (Kolleg 1818/1819, Schleiermacher KGA II/10.2, 194); in der philosophischen Ethik wird auch die Liebe als eine Form der Kommunikation bezeichnet, Nachschrift philosophische Ethik F. Schleiermacher Kolleg 1812/1813, Fröbel-Archiv, Anonymus, Bl. 22v. 4 Vgl. dazu Schleiermachers Vorlesungen zum Staat: „[D]ie ideale Communication welche doch nothwendig ist zur Fortschreitung [lässt] sich von der materiellen nicht trennen“ (Schleiermacher KGA II/8, 122). 5 Z. B. in der anonymen Nachschrift zur Vorlesung über philosophische Ethik aus dem Vorlesungsjahr 1805/1806, Bibliothek der evangelisch-reformierten Gemeinde Lübeck, KIII 26, 82. 6 Vgl. Nachschrift Beerbaum zur Vorlesung über Christliche Sittenlehre von Friedrich Schleiermacher Kolleg 1822/1823, Archiv der BBAW, SN 562, Bl. 113. 7 Vgl. Nachschrift Faesi zur Vorlesung über Christliche Sittenlehre von Friedrich Schleiermacher Kolleg 1822/1823, ZB Zürich, Ms. W: 57, 97. 8 Vgl. z. B. Friedrich Schleiermachers Manuskript zur Vorlesung über Christliche Sittenlehre, Archiv der BBAW, SN 74, Bl. 30v, sowie Friedrich Schleiermachers Notizzettel zur Vorlesung über philosophische Ethik, Staatsbibliothek zu Berlin, Nachlass Twesten, K. 43.
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In diesem kurzen Abriss einzelner Verwendungsweisen des Begriffs „Kommunikation“ zeigt sich bereits die Stoßrichtung seines Denkens auf, welches in anderen Begriffen wie dem der Mitteilung, der Darstellung oder des Symbolisierens seine zentrale Deklination findet. Eine Theorie der Kommunikation avant la lettre findet in Schleiermachers Hermeneutik- und Dialektikvorlesungen im Prozess des Verstehens und streitenden Denkens eine sprach- und erkenntnistheoretische Fundierung, sie wird in seinen Übersetzungen vor dem Hintergrund einer unhintergehbaren Differenz der Sprachen praktisch und theoretisch reflektiert, sie ist Motor und Modus einer lebendigen Religionsausübung und Bestandteil seiner pädagogischen Bildungstheorie. Sie erhält in der Geselligkeit als freies Spiel der Gedanken im experimentellen Raum einer hierarchiefreien Gemeinschaft eine zentrale ästhetische und gesellschaftliche Bedeutung und ist Teil einer alle menschlichen Tätigkeiten umfassenden Ethik – wie einer Seelenlehre, die Schleiermacher ab 1818 in seinen Vorlesungen zur Psychologie ausführt. In allen diesen verschiedenen Disziplinen zeichnet sich Schleiermachers Denken durch eine Prozesshaftigkeit jenseits starrer Systeme aus, es ist durchdrungen von der Grundeinsicht einer immer nur progressiv in eine Gemeinschaft zu überführenden Individualität. In diesem fortwährenden Prozess kann Kommunikation gelingen – aber auch scheitern. An systematisch zentraler Stelle steht diese Einsicht in seinen Vorlesungen zur Hermeneutik und Dialektik; während Erstere ihren Ausgangspunkt beim Missverständnis nimmt, entfaltet sich Letztere ausgehend von einem grundlegenden, unhintergehbaren Streitgespräch. Sich in Sprache manifestierendes Wissen, moralisches Handeln, religiöses Erleben sind im beständigen Werden und nur im Austausch der miteinander streitenden, sich liebenden und hassenden, Ideen und Sinn entwerfenden und um Gemeinschaft und Individualität ringenden Menschen wirklich. Kommunikation findet nicht in einem kontextfreien Raum statt, sie ist immer Ausdruck und Teil einer religiösen, sprachlichen, wissenschaftlichen und kulturellen Geschichte, in die wir uns in jedem Moment einschreiben und in die wir gerade aufgrund unserer Verstrickung immer nur bedingt Einblick gewinnen.
2 Der vorliegende Band nimmt den Philosophen, Theologen, Pädagogen, Übersetzer und Bildungsreformer Friedrich Schleiermacher in den Blick und möchte sein Denken vor dem Hintergrund der skizzierten Relevanz der Kommunikationsthematik in seiner historischen Verankerung und Genese, seinen systematischen Ansätzen, aber auch als Diskurspotenzial für die Gegenwart erschließen. Der Problemkomplex der Kommuni-
9 Vgl. ebenfalls Friedrich Schleiermachers Notizzettel zur Vorlesung über philosophische Ethik, Staatsbibliothek zu Berlin, Nachlass Twesten, K. 43.
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kation soll dabei von ihrem „kleinsten“ bis hin zu ihrem „größten“ Umfang gedacht werden, insofern sie subjektkonstituierend den Fortgang jedes Denkens, jeder Gewissensentscheidung, jedes (religiösen) Gefühls und jeder künstlerischen Ausführung bestimmt, aber auch vermittelnd zwischen Staaten, Religionsgemeinschaften und Kulturen von Bedeutung ist. Ein besonderes Anliegen besteht in der Aktualisierung der Entwürfe Schleiermachers und ihrer ideengeschichtlichen Verflechtung, seiner systematischen Entsprechungen mit anderen Denker:innen und seiner Anschlussfähigkeit an aktuelle Debatten und Problemkonstellationen. Fragen nach den Bedingungen und Möglichkeiten eines interkulturellen und interreligiösen Dialoges, nach Voraussetzungen des kommunikativen Handelns bilden dafür ebenso mögliche Ansatzpunkte wie Konzeptionen von Autorschaft und Schrift oder kontrastive Untersuchungen historischer und gegenwärtiger Kommunikationsmedien. Wie lassen sich Kommunikationsnetzwerke abbilden und auslesen, welche religiöse, aber auch gesellschaftliche und politische Bedeutung kommt der Kommunikation von Emotionen (z. B. in einer Predigt) zu, welche Wissens- und Kulturtransferleistungen übernehmen Übersetzungen, und schlummert in Schleiermachers Ethik eine politisch tragfähige sowie ethisch verbindliche Form von Gastfreundschaft und Geselligkeit, die uns in Zeiten weltweiter Migration Orientierung verschafft? Der Band gliedert sich in vier inhaltlich konzipierte Teile, in denen Beiträge zu den historischen und ideengeschichtlichen Rekonstruktionen, das close reading einzelner Vorlesungen und Werke Schleiermachers, Fragen nach dem systematischen Charakter und der möglichen Aktualisierung seines Denkens ineinandergreifen. Unter dem Titel „Kommunikation und Verstehen“ werden im ersten Teil einleitend hermeneutische Ansätze und zentrale Kommunikationskonzepte auf ihre grundsätzliche Anlage hin befragt, um ihre kritischen Dimensionen herauszuarbeiten. Isabelle Thomas-Fogiel konstatiert eine Art inflationäre und ungemein weite Verwendung des Begriffs der Kommunikation im 20. Jahrhundert, eine „Überrepräsentation“, die jedoch alles andere als voraussetzungslos sei. Welche Konsequenzen hat diese Ausrichtung auf den Kommunikationsbegriff für das Verständnis der Philosophie, und welche Ausschlüsse nimmt er vor? Jean-Michel Salanskis betont seinerseits aus einer sehr zeitgenössischen Perspektive die Auswirkungen der Informatisierung auf das Verständnis der Kommunikation und plädiert für eine stärkere Fokussierung auf die Konzeption von Sinn, dem auch eine zentrale ethische Komponente der Teilhabe innewohne. Eine ganz andere Perspektive auf die ethische Relevanz der Kommunikationstheorie nimmt der vielleicht prominenteste Vertreter einer Kommunikationstheorie im 20. und 21. Jahrhundert ein, Jürgen Habermas. Maureen Junker-Kenny unternimmt einen von Schleiermachers Hermeneutikvorlesungen ausgehenden Vergleich mit Habermas’ Theorie des kommunikativen Handelns und nimmt dabei auch die Bedeutung der Religion in den Blick. Als Meilenstein einer Theorie des Verstehens verortet Michael Forster Schleiermachers Hermeneutik ideengeschichtlich in einem feingliedrig rekonstruierten Prozess, der in der romantischen Hermeneutik seinen Ausgang nimmt und bis zur Entwicklung einer Theorie der Geisteswissenschaften führt. Eleonora Caramelli nimmt in ihrem Beitrag eine Annäherung an das grundlegende Konzept des Gefühls und seine Kom-
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munikation vor, in dem sie die Analysen der Vorlesungen über die Psychologie der Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften bei Georg Wilhelm Friedrich Hegel gegenüberstellt. Der Beitrag von Wilhelm Gräb über die Predigt als kommunikativer Akt – geschrieben für den ersten Schleiermacher-Kongress in Berlin im Jahr 1984 und in diesem Band ihm zum Gedächtnis nochmals abgedruckt – unterstreicht die entscheidende Rolle, die der Kommunikationsbegriff in Schleiermachers Homiletik und Konzeption des gemeinschaftlichen Gottesdienstes spielt. Der zweite Teil vereint unter dem Schlagwort „Streitkulturen“ Beiträge, die die konfliktträchtige Dimension der Kommunikation, ihre Voraussetzungen, ihre Produktivität ebenso wie ihre potenziellen Gefahren genauer beleuchten. Der Konflikt ist ein notwendiges Element in der Entwicklung von Gesellschaften und mithin auch von Religionsgemeinschaften – so lautet eine grundlegende Annahme in Schleiermachers Denken, die André Munzinger auf seine Bedeutung für einen gelungenen religiösen Pluralismus hin befragt. Auf einer abstrakteren Ebene verfolgt Mario Berkefeld den konfliktreichen Gegensatz zwischen Mythos und Religion bei Ernst Cassirer, der an entscheidender Stelle in der Philosophie der symbolischen Formen auf Schleiermachers Reden über die Religion zurückgreift. Dass sich Streitkulturen auch in einem immanenten ironischen und literarischen Modus manifestieren, das zeigt Johann Gartlinger in seiner Interpretation von Schleiermachers brillanter früher Rezension von Johann Gottlieb Fichtes Bestimmung des Menschen. Die Bedeutung einer grundlegenden Reflexion auf die jeder Streitkultur und jeder Mitteilung innewohnende Medialität unterstreicht Constantin Plaul in seinem Beitrag, der in Schleiermachers Vorlesungen zur Christlichen Sittenlehre eine Medienethik avant la lettre erkennt. Ausgehend von der These einer unhintergehbaren sprachlichen Differenz nimmt Ivory Day in einem Vergleich mit dem Philosophen Jocelyn Benoist eine Aktualisierung des sprachphilosophischen Denkens Schleiermachers vor. Mit Rückgriff auf Positionen der Aufklärung und des Pietismus rekonstruiert Karl Tetzlaff den neuzeitlichen Konflikt zwischen Arbeitsamkeit und Muße und untersucht die für die frühe Romantik und mithin auch für Schleiermacher so zentrale Bedeutung von Religion und Kunst als zweckfreie gesellige Erfahrungsräume des Menschen. Der dritte Teil spinnt diesen Faden fort und entfaltet in seinen Beiträgen eine Diskussion über die unterschiedlichen „Dimensionen der Geselligkeit“, die von Schleiermachers Theorie der freien Geselligkeit über die Pädagogik bis hin zur Staatslehre führen. Gerade weil die freie Geselligkeit als Raum einer freien, kreativen und lustvollen Interaktion zwischen Individuen zu verstehen ist, die keinem bestimmten Zweck unterliegt, übernimmt sie als Ort der Bildung von Individualität par excellence eine zentrale Funktion für die Bildung von Gemeinschaften. In Anlehnung an Helmuth Plessner befragt Andreas Arndt die Grenzen dieser Funktion der freien Geselligkeit im Vergleich mit den Sphären zweckvoller Kommunikation im sozialen Verkehr der Gesellschaft. Friedemann Barniske befasst sich auf Grundlage von Schleiermachers Vorlesungen zur Staatslehre und den Vorlesungen zur Christlichen Sittenlehre mit der geselligen und ungeselligen Kommunikation zwischen Staaten, insbesondere als Voraussetzung für den bei Immanuel Kant reflektierten „ewigen Frieden“. Die Staatslehre analysiert auch Rasmus Wittekind, indem er aufzeigt, wie eng die Konzepte
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Handlung, Personalität und Staatlichkeit im Kontext der Legitimation staatlicher Ordnung bei Schleiermacher miteinander verbunden werden und sich gegen kontraktualistische Theorien positionieren lassen. Der Übergang vom Individuum zur und seine Integration in die Gesellschaft erfolgt durch Bildung und Erziehung. Dorothea Meier unterstreicht dies, indem sie sich nicht nur auf Schleiermachers Pädagogik, sondern auch auf seine Psychologievorlesungen konzentriert, in denen deutlich werde, wie die Kommunikation, weil sie der menschlichen Natur innewohne, die bevorzugte Triebfeder der Erziehung sei. Marco Stallmann befasst sich mit der Rolle der religiösen Kommunikation und Individualitätsbildung in Johann Joachim Spaldings Vertrauten Briefen und deren Rezeption durch Schleiermacher. Während dieser Beitrag Schleiermachers frühromantisches Religionsverständnis in seinen historischen Kontext einbettet, sucht der letzte Beitrag in diesem Teil von Martina Kumlehn wieder den Anschluss an die Gegenwart. Ausgehend von Die Weihnachtsfeier und den in ihr formulierten Ausdrucksformen religiöser Kommunikation richtet sich der Blick auf die Interpretation religiöser Kommunikationsprozesse im Zeitalter der Digitalität. Ein vierter und letzter Teil versammelt Beiträge zu den „Kulturtechniken des Redens, Schreibens, Lesens und Übersetzens“, in denen nicht nur Gedanken, sondern auch Gefühle im Zentrum der kulturellen Vermittlung stehen. Michael Moxter analysiert den Begriff des „darstellenden Handelns“ in Schleiermachers Vorlesung über Christliche Sittenlehre und seiner Glaubenslehre als Praxis der Vermittlung (religiöser) Gefühle, in der sich der Mensch als Mensch verwirklicht. In dieser Handlung bestimmt und manifestiert sich das Gefühl in ästhetischen Formen, sodass man bezüglich des darstellenden Handelns auch von „ästhetischen Lehrsätzen“ der Glaubenslehre sprechen könne. Die ästhetische Form ist auch der Gegenstand des Beitrags von Carlotta Santini, die sich der Dynamik der Produktion von Archetypen bei Schleiermacher zuwendet und mit der Anthropologie der Kunst von Aby Warburg sowie mit Leo Frobenius in Verbindung bringt. Simon Gerber widmet sich unter dem Motto „Rhetorik des Gefühls“ der Schleiermacherʼschen Homiletik, indem er die praktischen Anweisungen und Ratschläge analysiert, die Schleiermacher seinen Studenten im Hinblick auf die Predigt gab und tut dies auch in Auseinandersetzung mit der klassischen rhetorischen Tradition und der zeitgenössischen Homiletik. Auf einer allgemeinen Ebene untersucht Florian Priesemuth Schleiermachers Sprachtheorie in seinen bis dato immer noch wenig beachteten Vorlesungen über die Psychologie, in denen sich Aussagen zum Verhältnis von Denken und Sprechen, zum Wesen und Ursprung der Sprache bündeln. Auf die Kommunikation zwischen den Kulturen gerichtet, verteidigt Piotr de Bończa Bukowski den Gedanken der Interkulturalität bei Schleiermacher, indem er sich auf die Figur des Mittlers in den Reden Über die Religion und des Übersetzers als Vermittler in seinem Vortrag an der Berliner Akademie der Wissenschaften „Über die verschiedenen Methoden des Übersetzens“ konzentriert. Mit der konkreten Analyse der Schleiermacherʼschen Übersetzung der Predigten von Joseph Fawcett ins Deutsche belegt Anette Hagan schließlich in ihrer Untersuchung, dass die von Schleiermacher darin praktizierten Methoden des Übersetzens nicht den in seinem Akademievortrag favorisierten Verfahren entsprechen.
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Anstelle eines Nachworts möchten wir die Akten dieses Schleiermacher-Kongresses, der in Zeiten der Pandemie in einem internationalen Geist stattfand, mit einer kurzen Charakteristik der französischen Schleiermacher-Übersetzung und Rezeption schließen, die ihren Schwerpunkt in den philosophischen Schriften Schleiermachers hat. Die französische Forschung tat sich in ihren Anfängen mit dem Denken Schleiermachers zunächst schwer. Selbst grundlegende Texte wie die Hermeneutikvorlesungen, obgleich sie jetzt in doppelter Übersetzung vorliegen, sind nach wie vor nicht wirklich in den sprachphilosophisch-hermeneutischen Kanon eingerückt. Nach den sehr wenigen Übersetzungen, die für das 19. und die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts vorlagen, sind mittlerweile die wichtigsten philosophischen Schriften übersetzt. Gegenwärtig können sich Forschende, die sich für die ungemein reiche Periode der Geistesgeschichte zwischen Kant und Hegel interessieren, auf der Basis von Schleiermachers Primärtexten einen guten Einblick in dessen philosophisches und theologisches System verschaffen. Für die von ihnen gewählte geschlechterspezifische Form der Formulierungen zeichnen die Autor:innen dieses Bandes selbst verantwortlich.
3 Die Beiträge dieses Bandes gehen auf den Internationalen Schleiermacher-Kongress zurück, der im Mai 2021 im zweiten Jahr der Pandemie hybrid an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (BBAW) durchgeführt wurde. Geplant war dieser Kongress bereits für das Jahr 2020 – und nicht etwa in Berlin, sondern als deutsch-französische Kooperation in Paris. Ein Schleiermacher-Kongress in Paris ist dabei keine Selbstverständlichkeit. Kontrafaktisch wäre gewesen, den Kongress nach Paris zu holen, um auf Schleiermachers Wegen Orte, Institutionen oder Personen aufzusuchen, die er persönlich besucht oder gesehen hätte. Schleiermacher war unseres Wissens nur einmal auf der westlichen Rheinseite – eine kurze Stippvisite in Straßburg ist belegt–,¹⁰ jedoch nie in Paris, und er zeigte sich auch nur sehr mäßig von Paris sowie von Frankreich überhaupt angezogen. Wenn er, wie viele deutsche Intellektuelle seiner Generation, die Französische Revolution vor allem zu Beginn begrüßte und mit viel Sympathie betrachtete, tat er dies zunehmend mit kritischem Abstand und bevorzugte für die deutschen Länder und Preußen eher den Weg der Reform als den der Revolution.¹¹ Als das revolutionäre Frankreich unter napoleonischer Herrschaft mutierte und Preußen eroberte – und zwar symbolträchtig in Jena, einer Hochburg der deutschen Intellektualität der Zeit –, schloss sich Schleiermacher denjenigen Patrioten an, die in Rede und Schrift gegen die napoleonische Besatzung kämpften. Die Einnahme der Stadt Halle inklusive der Entlassung aller Professoren der Hallenser Universität durch Na10 Vgl. Schleiermachers Eintrag im Tageskalender am 23.09.1830, ediert von Elisabeth Blumrich auf schleiermacher-digital: URL: https://schleiermacher-digital.de/tageskalender/detail.xql?id=S0008935&ran ge=09&view=k (zuletzt aufgerufen am 23.03. 2023). 11 Vgl. Arndt 2019.
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poleon hatte er hautnah miterlebt, und eine Wiedereinstellung unter französischer Leitung stand für ihn nicht zur Debatte. Doch auch sein Werk betreffend kann man ihm keinen starken französischen Einfluss attestieren. Selbstverständlich hatte er Jean-Jacques Rousseau und René Descartes gelesen, und unter den Zeitgenossen waren ihm Pierre-Ambroise-François Choderlos de Laclos’ Liaisons dangereuses, Louvet de Couvrays Faublas, Benjamin Constant und ohne Zweifel auch Madame de Staël bekannt – sehr viel mehr jedoch nicht.¹² Eher war er bestrebt, sich vom Zwang der Nachahmung französischer Vorbilder zu befreien, die das deutsche 18. Jahrhundert entscheidend prägten. Auf der Suche eines (vermeintlich) spezifisch deutschen Schrift- und Denkstils war er in seiner Zeit nicht allein. Allerdings besuchten viele seiner herausragenden Zeitgenossen, wie etwa Friedrich Schlegel oder Hegel, Paris, und einige, wie die Gebrüder Alexander und Wilhelm von Humboldt, verbrachten sogar Jahre dort. Aus dem Französischen – obgleich er wie fast alle deutschen Intellektuellen dieser Zeit der Sprache sehr wohl mächtig war – übersetzte er nie (empfahl aber Victor Cousin, Lessings Die Erziehung des Menschengeschlechts zu übersetzen). Mit Cousin, den er auf dessen erster Deutschlandreise 1817 persönlich kennenlernte, verband Schleiermacher eine wissenschaftliche Freundschaft, in der sicherlich die jeweiligen Platon-Übersetzungen eine wichtige Gemeinsamkeit markierten. Sie schickten sich wechselseitig Werkausgaben und Arbeitsproben, tauschten sich (auf Französisch) brieflich¹³ und im Frühjahr 1825 wohl auch intensiv mündlich aus – so legen es zumindest die vielen, im Tageskalender Schleiermachers notierten persönlichen Treffen in Berlin nahe. Cousins Wahl zum ordentlichen auswärtigen Mitglied an der Preußischen Akademie der Wissenschaften am 12. April 1832 hatte er wohl auch Schleiermachers Einsatz zu verdanken.¹⁴ In Schleiermachers unmittelbarem Berufsumfeld befanden sich auch viele Französisch-Reformierte, und einer seiner engsten Freunde war der französisch-reformierte Prediger und Hugenotte Ludwig Gottfried Blanc – der allerdings bis zu seiner Befreiung im Herbst 1813 zwei Jahre in französischer Haft saß. Schleiermachers Distanz zu Frankreich muss sicher auch vor dem Hintergrund der konfessionellen Differenz eingeordnet werden, die für den Theologen Schleiermacher, das zeigt seine durchgehende Polemik gegen alles Katholische, von zentraler Bedeutung war. Diese Distanz gilt es
12 In Schleiermachers unmittelbarer privater Umgebung befand sich jedoch eine ausgesprochen frankophile Person, nämlich Schleiermachers Schwester Charlotte, eine Lehrerin in einer pietistischen Gemeine. Zu ihr hatte Schleiermacher Zeit seines Lebens ein enges Vertrauensverhältnis. Er finanzierte viele ihrer Lektüren, und sie gab ihm in ihren Briefen lange Literaturberichte. 13 Belegt ist ein Briefkontakt von 1825 bis 1833, der nach gegenwärtigem Forschungsstand elf Briefe umfasst, darunter acht an und drei von Schleiermacher an Cousin. 14 Cousin als Kandidat ins Spiel bringend, schreibt Schleiermacher im Frühjahr 1830 an Friedrich Wilken über Cousin: „Von der geistreichen Weise in der er sich wie keiner seiner Landsleute deutsche Philosophie angeeignet hat, und den Sinn dafür dem blühenden und heran wachsenden Geschlecht seines Volkes aufzuschließen geben noch neuerlich seine fragmens und nouveaux fragmens ein glänzendes Zeugniß und eben so bemerkenswerth ist die Art wie er sich um die Philosophie der Alten verdient macht“ (Archiv der BBAW, II-III, Nr. 115, Bl. 46).
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historisch und ideengeschichtlich zu bestimmen, um sie in systematischer Hinsicht fruchtbar zu machen. 2020 waren die Veranstaltungs- und Tagungsräume an der Université Paris I Panthéon-Sorbonne, der Université Paris Nanterre und dem Institut Protestant de Théologie in Paris (IPT) bereits reserviert, die Hotels im Herzen der Stadt gebucht, die Vorträge geschrieben, das Rahmenprogramm organisiert, als uns die pandemische Weltlage einen Strich durch die Rechnung machte. Da sich auch nach einem Jahr die Lage nicht entspannte, entschlossen wir uns, den Kongress nicht nochmals zu verschieben, sondern ihn mit logistischer Unterstützung der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften in Form einer hybriden Zusammenkunft durchzuführen. Für ihre großzügige und engagierte Gastfreundschaft und Organisation in Paris, die wir leider nicht analog haben genießen dürfen, sei an dieser Stelle sehr herzlich Philippe Büttgen (directeur de l’UFR de Philosophie de l’Université Paris I Panthéon-Sorbonne), Philippe Hamou (directeur de l’UFR PHILLIA de l’Université Paris Nanterre) und Valérie Nicolet (doyenne de l’Institut Protestant de Théologie) gedankt. Die Grußworte von Valérie Nicolet und Philippe Hamou, die uns im Mai 2021 in der Berliner Eröffnungsveranstaltung aus Paris zugeschaltet waren, eröffnen zusammen mit dem Grußwort des Präsidenten der Berliner Akademie, Christoph Markschies, diesen Band und wurden bewusst in ihrem mündlichen Duktus beibehalten. Aus dem geplanten Stadtspaziergang durch die Straßen des Pariser Quartier Latin wurde 2022 für alle virtuell anwesenden Gäste ein filmischer Rundgang. Der Film Schleiermacher in Paris: Etappen eines virtuellen Besuchs / Schleiermacher à Paris: étapes d‘une visite virtuelle (Drehbuch von Denis Thouard und Regie von Samuel Berner) präsentierte in elf Stationen Orte, die Schleiermacher – wäre er Gast in Paris gewesen – wohl interessiert hätten, begleitet von der Sonate „Le retour à Paris“ von Jan Ladislav Dusseks, deren Partitur bei ihm zu Hause lag. Es sind Orte, die die Stadt (religions-) philosophisch geprägt haben, von Notre-Dame und der Île de la Cité, wo Abaelard wohnte, bis zur Montagne Sainte-Geneviève, wo die Schatten von Dante Alighieri und Michel de Montaigne immer noch anwesend sind. Große Namen der französischen Geistesgeschichte, von Jacques Bénigne Bossuet und François Fénelon bis Auguste Comte und Ernest Renan, erinnern an die spannungsvollen Schicksale der Religionsphilosophie in dem katholischen und laizistischen Land. Auch zwei Auswanderer und zentrale Brückenfiguren zwischen Frankreich und Deutschland – Heinrich Heine und Carl Ludwig Börne, die andere Wege als Schleiermacher gingen und Deutschland verlassen mussten – hinterließen Spuren in der Stadt, denen wir auf dem filmischen Rundgang nachgingen.¹⁵
15 Die elf Stationen, die diesen religionsphilosophischen Spaziergang skandieren, waren folgende: 1. Notre-Dame, après les flammes; 2. Maison d’Abélard; 3. Quartier Latin, l’ombre de Dante; 4. Montaigne en face de la Sorbonne; 5. Descartes à la Contrescarpe; 6. La place de la Sorbonne, Auguste Comte annonce la religion de l’humanité; 7. Les points cardinaux de la place Saint-Sulpice; 8. Les jardins du Palais Royal: les lumières; 9. Coppet à Paris: Madame de Staël, Friedrich Schlegel, Benjamin Constant; 10. Börne et Heine: un exil parisien; 11. Au musée de la Vie romantique, vgl. URL: https://www.bbaw.de/mediathek/archiv-2021/inter
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Jörg Dierken und Arnulf von Scheliha, dem Vorsitzenden und dem Schatzmeister der Schleiermacher-Gesellschaft, gilt für ihre durchgehende Beratung und Unterstützung bei der Durchführung des Kongresses unser ausdrücklicher und herzlicher Dank. Für ihre professionelle logistische und technische Unterstützung bei der hybriden Durchführung des Kongresses unter Pandemiebedingungen möchten wir dem Präsidium, der Presse- und Öffentlichkeitsabteilung, dem Veranstaltungszentrum sowie dem Referat Akademienvorhaben der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften unseren großen Dank aussprechen. Die hybride Durchführung eines Kongresses ist jedoch nicht nur technisch komplex, sie steht auch unter den kommunikativen Vorzeichen dieser Technik und bietet als Veranstaltung selbst beste Reflexionsmöglichkeiten auf die mediale Bedingtheit von Kommunikation. Das Tagen im Virtuellen bedeutet ein Treffen in einem realen Nirgendwo. Viele gesellige Räume, die die wissenschaftliche Diskussion eines Kongresses quasi aus dem Off beständig mitbestimmen, können sich im elektronischen Modus gar nicht oder nur sehr bedingt öffnen. Zugleich gestaltet sich der virtuelle Zugang zu den Vorträgen und dem Rahmenprogramm einfacher und in der Folge auch internationaler – die weite Ferne so nah. Zu dem geplanten Rahmenprogramm in Paris gehörte neben dem filmischen Spaziergang und dem thematisch konzipierten Eröffnungskonzert der beiden Flötisten Henrike Wassermeyer und Martin Glück¹⁶ auch eine Predigt des Berliner Theologieprofessors Wilhelm Gräb in der Église réformée de Port-Royal. Wilhelm Gräb ist nach langer Krankheit am 23. Januar 2023 verstorben, seinem Andenken möchten wir diesen Band widmen. Er war ein großer Schleiermacher-Forscher und Mitbegründer der Schleiermacher-Gesellschaft, deren Aktivitäten er über 15 Jahre auch als Vorstandsmitglied prägte. Wir behalten ihn in Erinnerung als einen Freund und Kollegen, der den wissenschaftlichen Diskurs als Überzeugung lebte, scharf in der Sache, menschlich versöhnlich, immer im Grundton der ihm eigentümlichen Energie und Fröhlichkeit. Die Frage nach Form und Gelingen zwischenmenschlicher Kommunikation bleibt ein zentraler Reflexionspunkt seiner an Gegenwartsanalysen geprüften Schleiermacher-Deutung. Mit dem auf dem Schleiermacher-Kongress in Berlin 1984 gehaltenen Vortrag „Predigt als kommunikativer Akt. Einige Bemerkungen zu Schleiermachers Theorie religiöser Mitteilung“ konnten wir mit freundlicher Genehmigung seiner Frau Doris Gräb und des Verlags De Gruyter seine Stimme in diesen Band aufnehmen. Der Pariser Schleiermacher-Kongress steht in einer Reihe internationaler Schleiermacher-Kongresse und Veranstaltungen außerhalb Deutschlands,¹⁷ was angesichts
nationaler-schleiermacher-kongress-2021-kommunikation-in-philosophie-religion-und-gesellschaft (zuletzt aufgerufen am 23.03. 2023). 16 Das Konzert, das vor kleinem Publikum aufgeführt und für ein großes Publikum gestreamt wurde, lässt sich einsehen unter: URL: https://www.bbaw.de/mediathek/archiv-2021/internationaler-schleierma cher-kongress-2021-kommunikation-in-philosophie-religion-und-gesellschaft (zuletzt aufgerufen am 23.03. 2023). 17 Vgl. zum Beispiel den Internationalen Schleiermacher-Kongress Schleiermacher und Kierkegaard: Subjektivität und Wahrheit in Kopenhagen 2003 (vgl. Cappelorn et al. 2006), den in Chicago 2008 durch-
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der internationalen Dimension und Resonanz, die das Denken Schleiermachers gegenwärtig erfährt, unbedingt geboten scheint. Diese wachsende internationale Dimension hat sich auch in der Dreisprachigkeit manifestiert, mit der dieser Kongress durchgeführt wurde und die die Herausgeber:innen auch für den Kongressband beibehalten haben. Für die deutsch-französische und französisch-deutsche Übersetzung im Rahmen des Kongresses danken wir sehr herzlich Clara Pacquet, Anne-Marie Pailhès, Heiko Pollmeier und Hans-Jörg Sandkühler. Wie sehr Schleiermacher in der ganzen Bandbreite der von ihm vertretenen Disziplinen – als Theologe, Philosoph, Historiker, Pädagoge, Übersetzer oder Übersetzungstheoretiker – eine internationale Wahrnehmung erfährt, lässt sich nicht nur an der Fülle internationaler Forschungsbeiträge, sondern auch an den zahlreichen Sprachen ablesen, in die seine Werke bis dato übersetzt sind. In jedem „Sprachkreis“, wie man in Schleiermachers Terminologie sagen könnte, manifestieren sich dabei nicht nur ganz eigentümliche Herausforderungen der Übersetzung, sondern auch ein eigentümliches Interesse an einem spezifischen Aspekt des Schleiermacherʼschen Denkens. Im Rahmen des Kongresses haben wir deshalb zwei internationale Persönlichkeiten ausgezeichnet, die sich im Laufe ihres wissenschaftlichen Lebens mit großem Einsatz für die Übersetzung und Rezeption Friedrich Schleiermachers außerhalb Deutschlands eingesetzt haben, was auch an dieser Stelle noch einmal Erwähnung finden soll: Sergio Sorrentino in Italien und Heinz Wismann in Frankreich. Sergio Sorrentino hat sich in Form von einschlägigen Übersetzungen – darunter die Glaubenslehre und die Dialektikvorlesungen – sowie zahlreicher Tagungen mit großem Engagement für eine aktualisierte Lektüre Schleiermachers eingesetzt und maßgeblich dazu beigetragen, ein Denken mit und über Schleiermacher in Italien zu etablieren. Heinz Wismann hat als Universitätslehrer über Jahrzehnte viele junge Philosoph:innen in das Denken Schleiermachers eingeführt und als Herausgeber und Leiter der Reihe Passages bei dem Verlag Cerf zahlreiche Übersetzungen von Schleiermachers Werken ins Französische initiiert und unterstützt. Der Weg von der Veranstaltung hin zur Publikation des Buchs ist lang. Den Autor: innen danken wir für ihre Geduld, die eine dreisprachige Ausgabe erfordert. Für ihre ausdauernde Unterstützung auf diesem Weg der Redaktion des Bandes möchten wir den wissenschaftlichen Hilfskräften an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Julian Bindi, Esra Inci, Frederik Kaufmann und Friederike Koch, sowie dem Praktikanten Matthis Glatzel sehr herzlich danken. Dem gesamten dortigen Team der Schleiermacher-Forschungsstelle sei für seine durchgehende Unterstützung während
geführten Internationalen Kongress Schleiermacher, the Study of Religion, and the Future of Theology: A Transatlantic Dialogue (vgl. Sockness / Gräb 2010), das Kolloquium 1813 – 2013: Zweihundert Jahre Schleiermachers ,Über die verschiedenen Methoden des Übersetzens‘ in Portugal 2013 (vgl. Seruya / Justo 2015), die interdisziplinäre Tagung Schleiermacher und Steffens in Breslau (Polen) 2016 (vgl. Schmidt / Miodonski 2018) und das im November 2018 organisierte internationale Kolloquium Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher. Le paradigme ‚subjectivitéʻ en théologie et en philosophie am Institut Protestant de Théologie de Paris.
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der Planung des Kongresses, dessen Durchführung und der Realisierung der Publikation ebenfalls sehr herzlich gedankt, insbesondere Johann Gartlinger, Simon Gerber, Carolyn Iselt und Holden Kelm. Eine sorgfältige Korrektur der Texte unternahmen die beiden Mitarbeiterinnen der Korrekturstube, Kirstin de Boer und Jasmin Krafft, für ihre kompetente Arbeit und ihre sehr freundliche Beratung sei ihnen ein großer Dank ausgesprochen. Für die angenehme Zusammenarbeit mit dem Verlag De Gruyter sei insbesondere Albrecht Döhnert und Antonia Pohl herzlich gedankt. Die Realisierung des Kongresses und des an ihn anschließenden Nachwuchskolloquiums einschließlich der Publikation der Akten des Kongresses war nur mit der großzügigen finanziellen Unterstützung zahlreicher Institutionen möglich. Gedankt sei daher abschließend der Schleiermacher-Gesellschaft, der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (dem Büro für Internationalisierung, dem Zentrum Preußen und der Schleiermacher-Forschungsstelle), der Université Paris Nanterre, der Stanford University sowie der Deutsch-Französischen Hochschule (DFH).
Literatur Arndt, Andreas. 2019. Die Reformation der Revolution. Berlin: Matthes & Seitz. Cappelorn, Niels Jorgen et al. (Hg.). 2008. Schleiermacher und Kierkegaard. Subjektivität und Wahrheit. Akten des Schleiermacher-Kierkegaard-Kongresses in Kopenhagen Oktober 2003. Berlin / New York: De Gruyter. Ferry, Jean-Marc. 1990. Les puissances de l’expérience. Paris: Cerf. Ferry, Jean-Marc. 1994. Philosophie de la communication I–II. Paris: Cerf. Ferry, Jean-Marc. 1996. L’éthique reconstructive. Paris: Cerf. Schmidt, Sarah / Miodonski, Leon (Hg.). 2018. System und Subversion. Friedrich Schleiermacher und Henrik Steffens. Berlin / Boston: De Gruyter. Seruya, Teresa / Justo, José Miranda (Hg.). 2015. Rereading Schleiermacher. Translation, Cognition and Culture. Berlin / Heidelberg: Springer. Sockness, Brent W. / Gräb, Wilhelm (Hg.). 2010. Schleiermacher, the Study of Religion, and the Future of Theology. A Transatlantic Dialogue. Berlin / Boston: De Gruyter.
1 Kommunikation und Verstehen
Isabelle Thomas-Fogiel
Umriss einer Kritik am Begriff der Kommunikation Abstract: Does not the over-representation of the concept of “communication” in our current circumstances – the world has become digital – as well as in the most diverse disciplines invite us today to clarify its meaning and perhaps even to question its necessity? The aim of this paper is: First, to attempt an examination of the use, but even more so of the structure, of the concept of communication in the philosophical space – an examination made possible by the fact that only relatively recently has the concept of communication has been extracted from the mass of ordinary words and raised to the dignity of a philosophical principle. Second, to delimit what this philosophical definition of the term excludes (any determination being also a negation); in other words, what concepts or operations are disqualified by the promotion of this concept in the philosophical space? Third, to wonder if this exclusion does not in the long run lead to an endangerment of the specific exercise that is the philosophical practice. In this paper I thus seek to bring to light considerations that can lead us to think that the time has perhaps come for a critique of the concept of communication.
Im Gedenken an das ewige Gegenbeispiel, Kaspar Hauser
Schier endlos scheinen die Bereiche, in denen der Ausdruck „Kommunikation“ eine zentrale Rolle spielt. Nehmen wir zum Beispiel die Kommunikationstheorie von Claude Lévi-Strauss: Diese kennt sowohl rein physische (Verkehrswege) als auch symbolische Phänomene (zirkulierende Frauen sowie zirkulierende Wörter).¹ Was entgeht der Kommunikation innerhalb eines derart weitgesteckten Rahmens, wenn sie von vornherein als die Bedingung postuliert wird, mittels derer Individuen eine Gemeinschaft bilden können, und gleichzeitig als dasjenige Mittel, mit dem die Gemeinschaft Individuen formt (etwa durch Sprache)? Ob es um eine – in Immanuel Kants Worten – Gemeinschaft des Verkehrs² geht, was sich direkt auf die Ausdrücke „zirkulieren“, „übermitteln“ oder „austauschen“ bezieht, oder eher um „teilnehmen“ oder „teilhaben“ an und in einer Gemeinschaft als Gemeinde oder als gemeinschaftliches Phänomen (das sich wahlweise auch in religiösen Ritualen manifestiert), so scheinen wir uns doch in beiden Fällen genötigt zu sehen, diesen Begriff allgemein anzuwenden. Und wir wenden 1 So unterschiedliche Disziplinen wie Anthropologie, Linguistik und Ökonomie sollten nach Lévi-Strauss schließlich zu einer einzigen Wissenschaft verschmelzen können: zur „Kommunikationswissenschaft“. 2 Verkehr oder commercium: „Das Wort Gemeinschaft ist in unserer Sprache zweideutig und kann soviel als communio, aber auch als commercium bedeuten“ (Kant, Kritik der reinen Vernunft, A 213/ B 260, AA III 182/ IV 142). https://doi.org/10.1515/9783111128801-005
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ihn sowohl auf die menschliche wie auf die tierische Kommunikation an und darüber hinaus auch auf die manchmal als Biokommunikation bezeichneten³ molekularen Prozesse, das heißt auf die Beziehungen der Dinge untereinander, denn „[d]er Magnet“, so unterstreicht Antoine Furetière beredt in seinem Wörterbuch, „kommuniziert seine Tugenden auf das Eisen“.⁴ Es stellt sich daher die Frage, wie es um Konsistenz und Funktionsfähigkeit eines Begriffs steht, der zumindest seit den 1960er Jahren auf alles anwendbar zu sein scheint. Anstatt Kommunikation als unbestreitbares Faktum darzustellen, sollte man vor dem Hintergrund dieser inflationären Anwendung nicht eher die Relevanz dieses Begriffs bezweifeln, und die Bedingungen der Möglichkeit beleuchten, ihn zum unausweichlichen Ziel jeglicher Aktivität – sei sie biologisch, sprachlich, wissenschaftlich, ethisch oder aber ästhetisch – zu machen? Fordert uns die Überrepräsentation des Begriffs in den verschiedensten Disziplinen sowie in der Praxis (vor allem unserer digital gewordenen Welt) aktuell nicht dazu auf, seine Bedeutung zu klären und möglicherweise dann auch seine Notwendigkeit zu bestreiten? Ich werde diese Fragen im Folgenden für das Begriffsfeld der Philosophie diskutieren, einer diskursiven Sphäre unter anderen, die weder besser noch schlechter als andere ist. Dieser präzise und daher begrenzte Fokus, von dem aus ich den Begriff betrachte, nimmt, mutatis mutandis, seinen Ausgangspunkt von Martial Gueroults Philosophie der Philosophiegeschichte. Meine Frage lautet also nicht: „Was sind Sinn und Notwendigkeit von Kommunikation im Allgemeinen?“, sondern, in einer Art reflexiven Höherstufigkeit, die dem Standpunkt der Philosophie der Philosophiegeschichte anhaftet: „Was sind Sinn und Notwendigkeit des Kommunikationsbegriffs im Begriffsfeld der Philosophie, welches zunächst einmal nur die Texte umfasst, deren Autor:innen sich selbst als Philosoph:innen bezeichnen?“ In meiner Kritik geht es mir deshalb nicht darum, die Bedeutung der Kommunikation im Allgemeinen zu leugnen, wie zum Beispiel allem voran in der menschlichen Bildung. Was würde aus einem Kind werden, wenn man ihm jegliche Kommunikation vorenthielte?⁵ Immerhin liefert uns die Geschichte Beispiele: so das Schicksal Kaspar Hausers, dessen Sprachentzug eindeutig ein „Verbrechen am Seelenleben“⁶ darstellt, wie Ludwig Feuerbachs Vater Anselm von Feuerbach konstatiert. Oder trivial ausgedrückt: Ein Individuum bedarf der Kommunikation, um ein Individuum zu sein, so wie es einer Gemeinschaft der Kommunikation zwischen Individuen bedarf, um eine Gemeinschaft zu bilden – also „kein Du, kein Ich“,⁷ wie es bei Johann Gottlieb Fichte heißt. Dies alles soll hier nicht in Abrede gestellt werden. Vielmehr geht es mir um folgende drei Punkte: Erstens um eine Untersuchung der Anwendung, mehr noch aber der Struktur des
3 Vgl. Witzany 2011. 4 Furetière 1690, Eintrag „Aimant“ [Magnet]. 5 Das heißt, ein Kind, das nicht nur mit seinen Mitmenschen, sondern auch mit Tieren kommuniziert hätte, ein Kind, das damit sogar über das hinausginge, was das 18. Jahrhundert als „Wolfsjungen“ oder „Wildkinder“ bezeichnete. 6 Hörisch 1979. 7 Fichte 1979, 109.
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Kommunikationsbegriffs in der Philosophie. Diese – zugegebenermaßen pauschale – Untersuchung ergibt sich aus dem Umstand, dass der Kommunikationsbegriff erst vor relativ kurzer Zeit aus der Masse der „gewöhnlichen Wörter“ heraus in den Rang eines philosophischen Prinzips erhoben wurde. Zweitens möchte ich umreißen, was diese philosophische Bestimmung des Ausdrucks ausschließt, denn alle Bestimmung ist (auch) Negation. Mit anderen Worten: Welche Begriffe oder Operationen geraten durch die Hervorhebung dieses Begriffs in den Hintergrund? Und schließlich gilt es drittens darüber zu reflektieren, ob dieser Ausschluss nicht letztlich zu einer Gefahr für die spezifische Leistung der philosophischen Praxis führt. Meine Überlegungen sind an dieser Stelle als Entwurf zu begreifen, das heißt, als Skizze einiger Argumente, die die gegenwärtig gebotene Kritik am Begriff der Kommunikation betonen.
1 Zwei Theoriemodelle der Kommunikation: ‚etwas übermitteln‘ oder ‚an etwas teilhaben‘ Versuchen wir zunächst, die Vieldeutigkeit des Wortes „Kommunikation“ zu begrenzen.⁸ Zwei wichtige miteinander konkurrierende Modelle hatten anscheinend ihren Anteil am Aufstieg des Ausdrucks in der Philosophie des 20. Jahrhunderts. Das erste, bekannt als Telegraphenmodell, basiert auf den Vorstellungen der „Übertragung“ oder der „Übermittlung“ von Informationen, aber auch auf den Vorstellungen von „Verkehr“ und „Austausch“, entsprechend einer Definition von communicare, die erst gegen Ende des 16. Jahrhunderts in Beispielen⁹ wie „Mitteilung von Waren, von Schäden“ oder „mit jemandem verkehren“ auftauchte.¹⁰ Diese Auffassung von „Austausch“ und „Zusammenführung“, die jeder Kommunikation eigen ist, beinhaltet nicht per se die Vorstellung reziproken Handelns, zumindest wenn man auf die streng linguistische Begriffsanalyse rekurriert, die zahlreichen – vor allem strukturalistischen – Kommunikationsphilosophien als Leitlinie diente. Wenn wir Kommunikation als Einwirkung auf jemanden verstehen, das heißt, indem ich mit jemandem über etwas spreche, wende ich mich an ihn und wirke so zum Beispiel über ein rhetorisches Mittel auf ihn ein, dann bedarf es keiner Wechselseitigkeit. Die Kommunikationsstruktur ist demnach, wie es bei Roman Jakobson
8 Merten 1977 listet 160 verschiedene Bedeutungen auf. 9 Ich verweise hier auf die ersten Beispiele, die für den Ausdruck „Kommunikation“ im Wörterbuch der französischen Akademie von 1694 gegeben werden (Furetière). In früheren französisch-lateinischen Wörterbüchern wurde der Begriff anders definiert (s. u.). Vgl. zur Geschichte des Wortes auch Winkins 1981. 10 Zweifellos riefen gerade diese so untrennbar mit der Kommunikation verbundenen Vorstellungen von Handel und Austausch Theodor W. Adornos Kritik hervor, der, die Ausdehnung des Marktwerts auf die gesamte symbolische Sphäre witternd, erklärte: „[K]ein Kunstwerk ist in Kategorien der Kommunikation zu beschreiben und zu erklären“ (Adorno 1970, 167).
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heißt, nichts anderes als: „Der Sender sendet eine Nachricht an den Empfänger.“¹¹ Wenn es hier ein gewisses „Teilen von Bedeutung“ gibt, dann nur in der Art der Übertragung, die zwar den Begriff des Gemeinwerdens erfordert, ohne dass das „Gemeinsame“ aber eine Koproduktion durch die Beteiligten voraussetzte.¹² In dieser Hinsicht hat Francis Jacques zweifelsohne recht, wenn er Jakobson vorhält, sich nicht mit dem Aspekt der Koaussage bzw. Interlokution zu befassen.¹³ Wenn er jedoch hinzufügt, dass „der Kommunikation die interlokutionäre Beziehung zugrunde gelegt werden muss“,¹⁴ stellt sich die Frage, ob er nicht eine Bestimmung von Kommunikation vornimmt, die nicht unbedingt auf eine Definition des Ausdrucks als Summe seiner Verwendungen rekurriert.¹⁵ Um diese Perspektive zu stärken, betrachten wir das zweite Kommunikationsmodell. In diesem sogenannten Orchestermodell¹⁶ nehmen Individuen an einer Kollektivhandlung teil, ohne dass eines von ihnen allein der Ausgangspunkt (Absender) oder das Ziel (Empfänger) ist. Kommunikation bedeutet in diesem Fall nicht mehr bloße Übertragung, sondern wird unter der Vorstellung des „Teilnehmens an etwas“ subsumiert. Das Teilen von Bedeutungen ist hier als „Beteiligtsein“ zu verstehen, in Übereinstimmung mit einer älteren Definition des Wortes communicare, die sich beispielsweise in einem französisch-lateinischen Wörterbuch aus dem Jahre 1552 findet: faire participant [dt. „teilnehmen lassen“].¹⁷ Mit einem faire part [„mitteilen“] verbreite ich nicht nur Informationen (so die spätere Bedeutung von communicare), sondern lade den anderen ein, Teil eines Ereignisses zu sein (so die ältere Bedeutung). Beim Orchestermodell wird die Kommunikation als Kollektivarbeit aufgefasst, als Ergebnis der Anwendung von Regeln (etwa einer Partitur), die jeder für sich befolgt. Auch hier ist das Einwirken eines Individuums auf ein anderes, welches wiederum auf das erste zurückwirkt, nicht zwingend erforderlich. Genau dieses Kommunikationsmodell der „Teilhabe an“ setzt Jürgen Habermas meines Erachtens in der zweiten Phase seines philosophischen Werkes um, die auf Erkenntnis und Interesse folgt und den Kommunikationsbegriff zur Stütze seines philosophischen Gebäudes macht.¹⁸
11 Jakobson 1963, 214 – 215. Sobald diese Knotenstruktur aufgezeigt ist, thematisiert der Linguist ausführlich, was diese Nachricht operativ kreiert: nämlich einen Kontext, einen gemeinsamen Code und einen Kanal. 12 So zeigt auch die Verwendung des Begriffs in Ausdrücken wie „Massenkommunikation“ deutlich. 13 Vgl. Jacques 1982, 157– 184. 14 Jacques 1982, 166. 15 Vgl. dazu auch die Aussage von Deidre Wilson und Dan Sperber (Relevanztheorie), die – obwohl sie ausgehen von einer Analyse von Paul Grice, der die Maxime der Kooperation in den Mittelpunkt seiner Konversationsmaximen stellt – schreiben: „[U]ne communication peut ne pas être réciproque“ (Wilson / Sperber 1989, S. 100). 16 Diese Metapher ist der Palo-Alto-Schule zu verdanken, hat sich aber weit über den Kreis der Theoretiker:innen, die sie bilden, verbreitet und strukturiert tatsächlich einen großen Teil der philosophischen (nichtstrukturalistischen) Kommunikationstheorien. 17 Vgl. Estienne 1552. 18 Vgl. Habermas 1976 und Habermas 1981.
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Tatsächlich stellt für Habermas die Kommunikation das Telos der Sprache dar, gleichzeitig aber ist diese Kommunikation notwendigerweise in den Sprachgebrauch selbst eingeschrieben. So postuliert er kühn: „Mit bestimmten Einschränkungen würde ich der Behauptung zustimmen, daß ein Sprecher, indem er einen wohlgeformten Satz in einen Akt verständigungsorientierten Handelns überführt, das, was in den Satzstrukturen angelegt ist, lediglich aktualisiert.“¹⁹ Die Idee einer Reaktivierung einer in die Sprache eingeschriebenen „immer schon“ existierenden Struktur durch jedes Individuum weist auf diese Dimension der Notwendigkeit hin. Selbst radikalste Skeptiker: innen können sich der kommunikativen Praxis nicht entziehen, weil sie diese, um Erfolg zu haben, nachahmen müssen, da „die verständigungsorientierte Verwendung der Sprache den originalen Modus der Sprachverwendung darstellt“.²⁰ Habermas postuliert hier ein „gutes“ Wesen der Sprache.²¹ Dies verleitet einige seiner Kommentator:innen zu folgender Behauptung: „Die Moral ist in der Grammatik eingeschrieben, die jedes Subjekt erlernt.“²² Aus diesem Grund kritisiert Karl-Otto Apel, dass Habermas, ganz wie Ludwig Wittgenstein, – wenn auch in anderer Form – das Bild eines Individuums gebe, das vorgezeichneten Strukturen – wie der Sprache – folge, so wie Musiker:innen eine Partitur befolgten, die nicht von ihnen stamme. Das Subjekt tritt nicht so sehr in eine Beziehung zu einer anderen Person ein, die sich von ihm unterscheidet, sondern manifestiert öffentlich eine tradierte Struktur.²³ Kurzum, das berühmte Sprachparadigma scheint den Satz Paul Watzlawicks, „Man kann nicht nicht kommunizieren“,²⁴ dahingehend auszulegen, dass man nicht nicht Teil eines Gemeinsamen sein kann, das wir alle – wenn auch unwillkürlich – manifestieren und das uns vorausgeht: nämlich die Sprache.
2 Der ausschließende Charakter der Bestimmungen von Kommunikation Historisch ermöglicht wurde dieser Aufstieg des Begriffs der Kommunikation in der Philosophie sicherlich dadurch, dass das Paradigma der Sprache an die Stelle jenes des Bewusstseins trat und – allgemeiner gefasst – der moderne Begriff der Subjektivität
19 Habermas 1984, 353 – 440, hier 388. 20 Habermas 1984, 429, Anm. 88 (Zusatz 1983). 21 Er macht die impliziten „Immer-schon-Behauptungen“ der Sprecher:in zu starken Bedingungen, die der Struktur der Sprache selbst innewohnen. 22 Rochlitz 1987, VIII. 23 In dieser Hinsicht ist es bezeichnend, dass Jacques Bouveresse in seinem Kommentar zu den verschiedenen Prozessen des Verstehens, die Ludwig Wittgenstein in den Philosophischen Untersuchungen thematisierte, es für nützlich hielt, die philosophische Kategorie der „Manifestierbarkeit“ zu schaffen (Bouveresse 1988). 24 Das Diktum ist das erste von fünf Axiomen zur Kommunikation, die Paul Watzlawick, Janet H. Beavin und Don D. Jackson aufgestellt haben, vgl. Watzlawick et al. 1967, 46.
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infrage gestellt wurde. Diese Kritik am Paradigma der Subjektivität stellt eine Invariante fast aller Philosophien des 20. Jahrhunderts dar und zielt primär darauf ab, Intersubjektivität zu denken. Dennoch bleibt es fraglich, ob der Begriff der Intersubjektivität, erklärt man ihn durch einen zum Grundsatz erhobenen Begriff der Kommunikation, nicht vielmehr bedeutungslos wird. Als problematisch erweist sich hier zunächst, dass das Präfix „inter“ nicht im Sinne der Gegenseitigkeit gedacht ist. Beim linguistischen Telegraphenmodell ist die Wechselbeziehung ein einseitiges, vertikales Abhängigkeitsverhältnis, bei dem der Sender „X“ Zeichen an einen Empfänger „Y“ sendet. Beim Orchestermodell verschwindet die Vorstellung einer wechselseitigen Beziehung zwischen zwei Bewusstseinen, da es kein Bewusstsein als solches mehr gibt, sondern einen allmächtigen dritten Ausdruck: die Sprache (als faktisches Quasisubjekt der Kommunikation). Auf diese Weise verschwindet auch die Vorstellung der Subjektivität, etwa bei Wittgenstein, wenn dieser nicht mehr über eine Beziehung zwischen zwei Polen reflektiert, sondern einen einzigen Ausdruck fördert, und zwar die gewöhnliche Sprache, deren traditionelle Protagonist:innen nur noch Manifestationen sind. Diese Situation scheint Habermas weniger umgestaltet als verallgemeinert zu haben, denn schließlich wirft er der ordinary language philosophy vor, weder über die Ebene der zufälligen Kontexte hinauszugehen, noch die grundlegendere Ebene der für jeden Diskursakt notwendigen Voraussetzungen zu hinterfragen. Habermas radikalisiert diese Theorien, indem er von der anfänglichen Pragmatik der Sprechakte (John L. Austin, John Searle) zu einer „Universalpragmatik“ übergeht. Die Architektonik des Dispositivs bleibt indes unverändert: Durch unsere Handlungen nehmen wir an einem „immer schon“ gemeinsamen „X“ (Sprache) teil, dessen notwendige Regeln jedem von uns letztlich seinen Platz und seine Identität anweisen. Um eine Analogie zu wagen, könnten wir behaupten, dass das 20. Jahrhundert mutatis mutandis eine Geste des 17. Jahrhunderts wiederhole, als der Kommunikationsbegriff in die Philosophie eingeführt wurde. Und zwar nicht durch René Descartes,²⁵ sondern durch Nicolas Malebranche, der das physikalische Problem der „Kommunikation der Bewegung“ aufstellte. Im Rahmen des Okkasionalismus wird das Verb „kommunizieren“ zu einem reflexionswürdigen philosophischen Begriff; und eben diese Vorstellung von „Kommunikation der Bewegung“ wird im Artikel „Communication“ der Encyklopédie Diderots und d’Alemberts erläutert.²⁶ Diesen Begriff verallgemeinert Gottfried Wilhelm Leibniz mit seiner Frage nach der „Kommunikation der Substanzen“.²⁷ Da nun aber eine Interaktion zwischen zwei zunächst unvereinbaren Substan-
25 René Descartes verwendet das Wort weder in den Meditationen noch in den Principia, sondern spricht von Vermischung oder Vereinigung als einer doppelten Handlung (die Seele wirke auf den Körper und der Körper auf die Seele); es gibt nur ein Vorkommen in den Passions de l’âme (1694), die ganz der Frage der Vereinigung der beiden Substanzen gewidmet sind. 26 Dieser Bedeutung sind mehrere Seiten gewidmet, anderen hingegen nur wenige Zeilen. 27 Vgl. Leibniz 1695. Der Begriff wurde jedoch schon vor ihm in der Spätscholastik innerhalb der christlichen Trinitätslehre verwendet, vor allem in Bezug auf die Frage der „Mitteilung“ der göttlichen Natur an die anderen Personen der Trinität.
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zen unverständlich erscheint,²⁸ wurde daraus so schnell keine wechselseitige Beziehung zwischen ihnen (in dem Sinne, dass die Seele direkt auf den Körper wirke und umgekehrt), sondern die Teilhabe eines Dritten: nämlich Gott, der die Beziehung orchestriert bzw. Harmonie herstellt. In zeitgenössischen Dispositiven nimmt die Sprache diesen Platz als Schlüsselstein des Ganzen ein, wodurch die wesentliche Struktur des allgemeinen Schemas unmerklich verändert wird.²⁹ Aber jenseits dieser Strukturanalogie zeichnet es die Zeitgenossen aus, eine Intersubjektivität ohne Subjekt entwickelt zu haben. Mit dem Subjekt verschwinden nicht nur die schon lange zuvor verworfenen Vorstellungen von Substanz, sondern auch sämtliche mit der Subjektivität verbundenen Fähigkeiten oder Möglichkeiten. Die Auffassung von einer bewussten und freiwilligen Absicht hat darin keinen Nutzen mehr.³⁰ Auch die traditionell mit der Idee der Freiheit verbundene Vorstellung einer Handlung, die nicht von einem sie bedingenden „X“ abhängt, scheint angesichts des Beharrens auf der Notwendigkeit wenig Gewicht zu haben, selbst wenn diese Notwendigkeit im scheinbar bescheidenen Gewand der Faktizität eines „immer schon da“ präsentiert wird. Schließlich wird der Begriff der Reflexivität, wenn er nicht in den Rang von metaphysischen Chimären der Subjektivität verwiesen wird, mehr zum Faktum der Sprache als zu demjenigen eines Subjekts.³¹ Damit können wir uns sicherlich abfinden. Wozu brauchen wir schließlich ein intentionales, freies und reflexives Subjekt? Selbst wenn die Philosophie in einer genau umschriebenen Periode (der Moderne) in den Subjektivitätsbegriff vernarrt war, bedeutet das nicht, dass wir heute noch auf ihn zurückgreifen müssen. Allerdings gibt es noch einen weiteren Ausdruck, der nicht nur nicht zu diesen beiden Dispositiven zu gehören, sondern paradoxerweise von ihnen ausgeschlossen zu sein scheint: Es handelt sich um den Begriff des Dialogs oder der Diskussion, der schon in vormodernen Zeiten eine zentrale philosophische Stellung innehatte. Tatsächlich setzt die Diskussion nicht nur wechselseitiges Handeln der Teilnehmer: innen voraus, sondern sie hat ihren Ursprung weder im Empfang einer Nachricht noch
28 Dies wurde in der Enzyclopédie wiederholt, die ihre Analyse der Bewegungskommunikation mit einer Denunziation der Metaphysik von Nicolas Malebranche abschloss und vorschlug, sich an die einfache Analyse der physikalischen Tatsache der Übertragung einer Eigenschaft von einem „X“ auf ein „Y“ zu halten: „Tenons-nous-en donc au simple fait, & avoüons de bonne foi notre ignorance sur la cause première“ (d’Alembert / Diderot, 1753, S. 729). 29 Dies gilt auch dann, wenn der Inhalt des Begriffs, der die Gemeinschaft zwischen „A“ und „B“ „herstellt“, sicherlich unterschiedlich ist. 30 Deshalb ist zu fragen, ob es tatsächlich die Moral ist, auf der diese Kommunikationsphilosophien beruhen, und nicht einfach die Rechtssphäre, denn selbst der Teufel ist gezwungen, so zu handeln, „als ob“ er moralisch wäre. Er handelt – um die Kant’sche Unterscheidung zu verwenden – „pflichtgemäß“ und nicht „aus Pflicht“. 31 Diese Tendenz findet sich auch bei Karl-Otto Apel, vgl. hierzu meine Analyse in Thomas-Fogiel 2005. Selbstreferenz scheint im Sinne der sui-Referentialität des Zeichens verstanden zu werden (nach dem Port-Royal-Schema: das Zeichen zeigt ein „X“ an, während es gleichzeitig sich selbst als ein „X“ anzeigend anzeigt) und wird in der Tat zum Kennzeichen einer Reflexion ohne „Ich“.
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in der Tatsache, an einem „X“ teilzunehmen, das schon da ist, eine Art Ready-made, das wir erben oder „immer schon“ besessen haben. Am Ursprung der Diskussion steht die Vorstellung vom Streit oder gar vom Konflikt, die auch mit dem Begriff „Dialog“ (und damit „Dialektik“) verbunden ist.³² Der eigentliche Auslöser der Diskussion ist die Tatsache, dass wir dem Ding „X“ oder der Norm „Z“ widersprüchliche Prädikate zuschreiben können. Damit es zu einer Diskussion kommt, muss der Widerspruch eine Tatsache sein und die Identität eine bloße Möglichkeit. Wäre die Zustimmung primär, unmittelbar und unbestritten, gäbe es keine Diskussion im eigentlichen Sinne. Beim Dialog ist die Übereinstimmung ein Horizont, den wir anstreben, nicht das, wovon wir ausgehen, oder das, was wir vorher besitzen. Genau diese anfängliche Uneinigkeit – zusammengenommen mit dem Ziel, sie in einer geforderten, aber nicht gegebenen Identität zu überwinden – bringt den Akt des Begründens (Platons berühmtes λόγον διδόναι) hervor. Jeder Konflikt beinhaltet Prozesse der Rechtfertigung und Argumentation; allerdings erzeugt die Kommunikation als solche diesen Prozess nicht und erfordert ihn auch nicht, sondern scheint sogar sein Gegenteil zu sein, da sie durch Uneinigkeit, Konflikt oder Streit unterbrochen wird. Wir können sicherlich eine schwache (enge) Bedeutung von Kommunikation von einer starken (weiten) abgrenzen, wie es Habermas vor allem in Wahrheit und Rechtfertigung in seinem Versuch tat, die von Apel entwickelte Diskursethik und damit die Argumentationstheorie in seine Kommunikationstheorie zu integrieren.³³ Bei der „schwachen“ Bedeutung wird die Vereinbarung von den Beteiligten de facto anerkannt, bei der „starken“ muss sie (wieder‐)hergestellt werden. Die beabsichtigte (finale) Kommunikation bleibt das Ziel der Diskussion, die damit zu einem einfachen Bestandteil der Kommunikation wird. Aber auch hier wäre zu fragen, ob wir nicht – wie Francis Jacques – dem Ausdruck „Kommunikation“ mehr mitgeben, als er zu sagen vermag, und ob die Tatsache, dass Kommunikation manchmal als Mittel, manchmal als beabsichtigter Zweck erscheint, nicht letztlich ein Problem darstellt. Was immer man auch tut, das Modell der Teilnehmer:innen, die jeweils eine bereits geschriebene Partitur aufführen, kann zudem nicht die Schaffung eines „X“ bedenken, das, ausgehend von der Differenz, die Fähigkeit besitzt, Identität zu erzeugen, ohne jedoch die anfängliche Differenz verschwinden zu lassen. Deshalb nehmen wir uns heraus, die so oft behauptete Überschneidung zwischen Habermas’ Kommunikationsethik und Apels Diskussionsethik infrage zu stellen, ebenso wie wir anzweifeln können (worauf ich noch zurückkommen werde), dass Schleiermachers Dialektik, die auf Konflikt und Dialog beruht, eine einfache Unterteilung der Kommunikation darstellt und nicht vielmehr eine Schwellenüberschreitung, die uns außerhalb der Kommunikation stricto sensu führt. Betrachten wir die Problematik noch einmal aus einem anderen Blickwinkel: Zwei gängige Phänomene werden als Kommunikationsmodalitäten angesehen: das Gespräch
32 Wie die Diskussion bezieht der Dialog sich etymologisch sowohl auf die Idee eines Risses als auch auf einen zu überwindenden Konflikt. 33 Vgl. Habermas 1999.
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und die öffentliche Äußerung, entweder der eigenen bloßen Existenz (was Kant den „Trieb, sich mitzutheilen“³⁴, den „Mitteilungstrieb“ nannte) oder eines Gefühls oder einer Vorliebe (z. B. für eine schöne Landschaft). Nun braucht ein Gespräch kein anderes Telos als sich selbst, denn man kommuniziert um der Kommunikation willen.³⁵ Genauso gibt es bei der Mitteilung seiner selbst oder eines Gefühls Kommunikation in dem Sinne, dass man eine Botschaft übermittelt wie: Ich bin hier, ich habe diese oder jene Emotion gefühlt, oder ich fühle mich zu dieser oder jener Sache hingezogen. Dies ähnelt den in den sozialen Netzwerken dominierenden Praktiken. Diese Kommunikationsform erfordert keine Anfechtung: Das Individuum bestätigt einfach, dass es der Ort dieser oder jener Emotion oder Anziehung gewesen ist – und es wäre sinnlos, dies zu bestreiten. Da es keine potenzielle Meinungsverschiedenheit gibt, die eine Überwindung in einem dritten Ausdruck erfordert, kann es aus inneren Gründen keine Umsetzung der logon didonai-Dynamik geben.³⁶ Fragen wir uns nun in einem Gedankenexperiment, was passierte, wenn wir aus philosophischen Texten diese Modalitäten der Kommunikation (wie Gespräch und öffentliche Selbstäußerung) entfernten, dann lautet die Antwort wahrscheinlich: Nichts!³⁷ Entfernten wir andererseits den Konflikt, das Ziel seiner Überwindung und damit den Akt des Begründens, so könnte man davon ausgehen, dass nicht mehr viel übrigbliebe von der bisher „Philosophieren“ genannten Tätigkeit. Kurzum, was schließen die beiden uns heute zur Verfügung stehenden philosophischen Kommunikationsmodelle aus? Exkludiert ist die Subjektivität im Ausdruck „Intersubjektivität“ sowie die Idee einer Wechselseitigkeit zwischen zwei zunächst unterschiedlichen Ausdrücken, ebenso die Vorstellung eines freien Aktes, einer Diskussion und die Berücksichtigung ihres notwendigen Ausgangspunktes, des Widerspruchs. Des Weiteren geraten in diesen Modellen der Akt der Begründung, den die Kommunikationsphänomene aus sich selbst heraus nicht erfordern, sowie die Idee einer Sinnstiftung, und zwar nicht im Sinne einer bereits vorhandenen Gemeinsamkeit, aus dem Blick. Das ist eine ganze Menge, wenn wir uns an die philosophische Praxis
34 Kant, Mutmaßlicher Anfang der Menschengeschichte (1786), AA VIII, 110. 35 Die Konversation manifestiert nur, in Kants Worten, „den Geschmack eines jeden, sich anderen zu öffnen“, indem sie „aufmerksames Wohlwollen“ gegenüber anderen zeigt, und ist für ihn in ihrer positiven Seite mit Höflichkeit und in ihrer negativen Seite mit Frivolität verbunden (die, nach Kant, für Franzosen, die sie im Übermaß gebrauchen, eine Bedrohung sein kann). Roland Barthes und Frédéric Berthet bemerken in einer Einleitung zu einer Ausgabe der Communications (Barthes /Berthet 1979) die „formale Laxheit“ der Konversation, die ihm als eine „Herausforderung“ für die Standardtheorie der Kommunikation erschien. Aber in jedem Fall bleibt das Gespräch eine Kommunikation, niemals ein Dialog. 36 Deshalb ist es völlig müßig, den sozialen Netzwerken vorzuwerfen, nur ein stupides „Like“ oder „Dislike“ als Reaktion anzubieten, denn sie sind ja gerade als Inszenierung von Kommunikation konzipiert, die keine Diskussion beinhaltet. 37 Bei anderen Textarten (z. B. literarischen Texten) wäre dies nicht der Fall, aber in philosophischen Texten ist der stillschweigende Vertrag zwischen dem:r Leser:in und dem Text, dass der Text Gründe liefert.
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halten, dergestalt sie in den Texten bezeugt ist. Aber man kann einwenden, dass wir nicht verpflichtet sind, diese Begriffe, die de facto in der Geschichte der Disziplin überrepräsentiert sind, unter einen Hut zu bringen. Ein:e Wittgensteinianer:in hätte keine Mühe, die Relevanz jedes Begriffs, den ich gerade aufgezählt habe, zu leugnen. Worauf man wiederum erwidern könnte, dass es möglicherweise kein Zufall sei, dass Wittgenstein den Begriff der Philosophie selbst kritisch hinterfragt hat. Dies vorausgeschickt, greife ich dieselbe Problematik abschließend aus einer anderen Perspektive erneut auf, und zwar nach der Bedeutung fragend, die dem „Gemeinsamen“ [commun] zuzuschreiben ist, das mit dem Ausdruck „Kommunikation“ konnotiert wird. Dies erlaubt mir zweierlei: erstens eine letzte Vorstellung zu beleuchten, die den Aufstieg der „Kommunikation“ zu einem Pfeiler eines philosophischen Gedankengebäudes zu beseitigen oder zu schwächen droht, und zweitens mich der deutschen Aufklärung zu nähern, die ich bisher außen vorgelassen habe.
3 Gemeinschaft oder Universalität, Konsens oder Universalisierung? Zunächst betrachte ich die gängige Auslegung Kants als Denker der Kommunikation im 18. Jahrhundert,³⁸ die zu diesem Zwecke die „Maximen des gemeinen Menschenverstandes“ der Kritik der Urteilskraft ³⁹ direkt mit dem berühmten Satz aus Was heißt: Sich im Denken orientieren? (1786) verknüpft: „Allein wie viel und mit welcher Richtigkeit würden wir wohl denken, wenn wir nicht gleichsam in Gemeinschaft mit andern, denen wir unsere und die uns ihre Gedanken mittheilen, dächten!“⁴⁰ Diese Maximen des „gemeinen Menschenverstandes“ stellen jedoch das Subjekt an den Anfang sowie an das Ende des Prozesses. Zur Charakterisierung des berühmten Kant’schen Dreiklangs borgen wir uns Friedrich Schlegels Worte aus einem Brief an Schleiermacher, in dem er Fichtes Bestimmung des Menschen als „Mono-Dia-Monolog“ bezeichnet.⁴¹ In dieser Struktur „Ich-andere(r)-Ich“ verlangt Kant von uns keine Übereinkunft oder einen Konsens zwischen Menschen mit zunächst unterschiedlichen Meinungen, sondern einen Verallgemeinerungsprozess („sich an die Stelle des anderen
38 Zum Beispiel bei Alexis Philonenko. 39 Vgl. Kant, Kritik der Urteilskraft, AA V, 294: „1. Selbstdenken; 2. An der Stelle jedes andern denken; 3. Jederzeit mit sich selbst einstimmig denken.“ Vgl. auch Kant, Anthropologie in pragmatischer Hinsicht (1796/1797) AA VII, 200: „1) Selbstdenken, 2) sich (in der Mittheilung mit Menschen) an die Stelle des Anderen zu denken, 3) jederzeit mit sich selbst einstimmig zu denken.“ (Kant, Anthropologie in pragmatischer Hinsicht (1796/97), (AA VII, 200), sowie Kant Logik, AA IX, 57, in denen diese Maximen des „gemeinen Verstandes“ als „[a]llgemeine Regeln und Bedingungen der Vermeidung des Irrtums“ bezeichnet werden: „1) selbst zu denken, 2) sich in der Stelle eines Andern zu denken, und 3) jederzeit mit sich einstimmig zu denken.“ 40 Kant Was heißt: Sich im Denken zu orientieren? AA VIII, 144. 41 Schleiermacher KGA, V/4, 179 (Brief von Schlegel an Schleiermacher vom August 1800).
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zu denken“), wobei am Ende die reflexive Beziehung zu sich selbst betont wird. Dies entspricht eindeutig keinen aktuellen Darlegungen der Kommunikation.⁴² „Universalisierung eines Monologs“, so Christian Berners treffende Charakterisierung der Kant’schen Moral,⁴³ benennt als Grund nicht deren Konsequenz, einen Konsens zu erreichen, und auch nicht, dass eben ein intersubjektives Verständnis angestrebt wird, wenn ich ein beliebiges „X“ verallgemeinere. In der Absicht nachzudenken über diesen subtilen, aber entscheidenden Unterschied zwischen intersubjektivem Verstehen (verstanden als Erreichen eines Konsenses) und dem Akt der Verallgemeinerung, mache ich hier die Beziehung zwischen Schleiermacher und Fichte zu meinem Ariadne-Faden.⁴⁴ Zweifelsohne ist Schleiermacher einer der wichtigsten Wegbereiter für die Förderung von Intersubjektivität und Kommunikation in der Philosophie des 20. Jahrhunderts. Paradoxerweise betont er das „inter“ in „Intersubjektivität“ deutlicher als seine Zeitgenoss:innen, da er den Begriff der Wechselwirkung als Beziehung zwischen zwei Handlungen deutlich thematisiert. So schreibt er: „Wechselwirkung ist nur da, wo jede Thaetigkeit des einen Wirkung des andern ist.“ Und ergänzt: „Also auch die Thaetigkeit des Hörers während des Hörens; er muß also bloß vernehmen“;⁴⁵ es handelt sich also um eine Handlung, die im Gegenzug auf die Bedeutung der Botschaft der Adressat:innen einwirkt. Während Schleiermacher den Begriff des wechselseitigen Handelns in den Vordergrund rückt, scheint er meines Erachtens nicht das Schema eines aktiven Ich, das die Welt betrachtet und beherrscht (so das Schema der Moderne), zu verkehren und das Subjekt zum passiven Produkt einer Andersheit zu machen, die es formt und konstituiert (so das Schema der Philosophie des 20. Jahrhunderts). Ganz im Gegenteil: Er versucht, das Zusammentreffen zweier Tätigkeiten zu denken. Diese Auffassung vom wechselseitigen Handeln thematisiert er in der gleichen Form wie Fichte, der bereits in seiner Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre den Umfang und die technische Bedeutung, die Kant dieser Vorstellung zukommen ließ, erheblich verändert hatte. Für ihn ging es nicht mehr darum, wie Kant an die Möglichkeit einer Handlung eines „A“ auf ein „B“ vor dem Hintergrund eines geteilten „Gemeinsamen“ zu denken, also an eine Gemeinschaft, die durch die Teilhabe jedes Ausdrucks an demselben Gefäß oder Ganzen erworben wird. Dies ist ein Schema, das mutatis mutandis mit einer der Bedeutungen übereinstimmt, die ich bereits analysiert habe. Es ging hingegen darum, die Möglichkeit einer Handlung „X“ und einer Handlung „Y“ im Gegenzug zu dieser Handlung „X“ zu denken, um zu einem dritten Ausdruck zu gelangen. Dieser dritte Ausdruck, auf den sowohl Fichtes Wissenschaftslehre als auch Schleiermachers Vorlesungen über die Dialektik abzielen, stellt kein Faktum dar, son-
42 Was Habermas im Übrigen selbst bemerkte, indem er Kants Ansatz als „monologisch“ charakterisierte (vgl. Habermas 1991, 20). 43 Berner 2007, 154. 44 Hier geht es darum, einem einfachen Faden zu folgen und nicht vorzugeben, irgendeine rigorose oder neue Interpretation Schleiermachers anzuführen. 45 Schleiermacher KGA I/2, 34, Nr. 146.
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dern eine Leerstelle, die erst noch in einem ausstehenden und zu thematisierenden Prozess ausgefüllt werden muss. Diese gemeinsame Herausforderung beider Autoren kann natürlich nicht über ihre sicherlich zahlreichen Unterschiede hinwegtäuschen. Da hier nicht der Ort ist, sie alle aufzuzählen,⁴⁶ beschränke ich mich auf die für das Problem der Kommunikation relevanten Aspekte. Nun scheint mir der deutlichste Gegensatz auf der Ebene der erkenntnistheoretischen Grundlegungen – nämlich in Schleiermachers Dialektik sowie in Fichtes Wissenschaftslehre – zu liegen und den Begriff der Wahrheit zu betreffen. Verkürzt gesagt, führt Schleiermacher einen Begriff der Wahrheit als einer Gemeinschaft von Ansichten ein, Fichte eine universelle Wahrheit. Wie wir wissen, stehen Fichte und Schleiermacher als Kantianer vor derselben Situation: dem Verlust des Wahrheitsbegriffs als adequatio zu einem vorgängigen Wesen, das die Wahrheit oder Falschheit meines Satzes ausmachte. Fichte lehnt jegliche Form von erkenntnistheoretischem Realismus ab, Schleiermacher freilich räumt dem Begriff der adequatio noch in Form eines „höheren Realismus“⁴⁷ einen Platz ein, aber 46 Seine Aufmerksamkeit für die Sprache ist ausgeprägter als die der meisten Nachkantianer, seine Betonung der Subjektivität als abhängig von ihrer Beziehung zum Anderssein (sei es in Form von Geschichte oder anderen) und sogar seine endgültige Konzeption einer Individualität als Frucht ihrer dynamischen Beziehung zur Gemeinschaft machen ihn zweifellos zu einem der ersten Meilensteine in der Entwicklung des Begriffs der Kommunikation im philosophischen Raum. Man könnte zum Beispiel die unterschiedliche Umsetzung des wechselseitigen Handelns, zwischen dem Ich und dem Nicht-Ich oder zwischen Freiheit und Abhängigkeit erwähnen, aber in der Tat scheint mir dies nicht der hervorstechende Punkt zu sein, in dem sie sich gegenüberstehen, wie Denis Thouard in seiner feinen Analyse des systematischen Ortes des Gefühls bei beiden Autoren/Philosophen gezeigt hat (vgl. Thouard 2007). Und auch wenn Schleiermachers Theorie der konkreten Individualität offensichtlich einen starken Kontrast zu Fichtes abstrakter Subjektivität bietet, so bleibt doch die Tatsache bestehen, dass die Betrachtung der Individualität an sich nicht die Macht hat, den Begriff einer nichtsingulären Subjektivität obsolet zu machen. Individualität könnte in der Tat einfach als eine Schicht oder eine speziellere Ebene betrachtet werden, so wie zum Beispiel bei Edmund Husserl die konkreten Analysen solcher empirischen Situationen mit der allgemeinen Struktur einer abstrakten Subjektivität artikuliert werden. Auch der Abgrund, um Paul Ricœurs Begriff zu verwenden, zwischen kritischem Denken und Hermeneutik, mag zwar unüberwindbar erscheinen, wenn man Martin Heidegger und Hans-Georg Gadamer auf der einen Seite (die die Abhängigkeit des Daseins von Welt und Tradition betonten) sowie Adorno oder Max Horkheimer auf der anderen Seite (die Welt und Tradition in den Vordergrund ihres Denkens stellten) vergleicht, ist aber kein Zweifel, (der die Fähigkeit der Distanzierung – Reflexion – als Emanzipationskraft gegenüber dem scheinbar bereits Empfangenen in den Vordergrund stellte), scheint mir weniger etabliert, wenn es um den Vergleich der sog. idealistischen Konstellation (Fichte, aber auch Hegel) und der Nachkantianer geht, die im romantischen Orbit standen (Schleiermacher und Friedrich aber auch August Wilhelm Schlegel). Andererseits ist der Gegensatz zwischen Fichtes erstem Prinzip (dem „absoluten Selbst“) und seiner Verdrängung durch Schleiermacher zugunsten des reziproken Verhältnisses (Selbst/Nicht-Selbst, Subjekt/Welt, Freiheit/Abhängigkeit) nicht abzuschwächen. Sie ist offensichtlich zentral (auch wenn sie meiner Meinung nach auf einem Missverständnis beruht), aber ich betrachte sie hier nicht frontal wegen meines Problems, das darin besteht, Kommunikation zu denken und nicht darin, eine philosophiegeschichtliche Arbeit zum Verhältnis der beiden Autoren zu liefern. 47 Schleiermacher KGA I/2, 213: „Und wie wird es dem Triumph der Spekulation ergehen, dem vollendeten und gerundeten Idealismus, wenn Religion ihm nicht das Gegengewicht hält, und ihn einen höheren
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dieser Realismus wird nur im Bereich der Religion ausgeübt und beruht einzig auf dem Gefühl. Wie es Christian Berner und Denis Thouard im Vorwort ihrer französischen Übersetzung der Dialektik formulieren: Auch wenn darin die „Konsenstheorie der Wahrheit und die ‚klassische‘ Adäquationstheorie“⁴⁸ zusammengeführt würden, so erhalte dennoch die Erstere in der Dialektik den Vorzug. Diese Konsensgemeinschaft bleibe aufgrund unserer Endlichkeit ein regulierendes Ideal, das wir ad infinitum verfolgen, ohne es jemals hier unten auf Erden in einer endgültigen Gemeinschaft zu erreichen. Aber es ist eben nicht das Wahrheitsmodell des Idealismus, für den sich Wahrheit weniger auf die Vorstellung von Gemeinschaft als auf Universalität reimt und für den zudem das Kriterium der Wahrheit nicht der Konsens, sondern die Universalisierung (Verallgemeinerung) ist. Genauer gesagt: In beiden Fällen wird das, was ich einerseits als Meinungsgemeinschaft und andererseits als Universalität bezeichne, angestrebt und ist nicht von vornherein gegeben. Es handelt sich um ein Ideal oder eine Idealität, die es zu verwirklichen gilt oder die zu geschehen hat. Da es also kein reales Wesen mehr gibt, das die Wahrheit meines Vorschlags garantiert, muss ein Kriterium gefunden werden, um die gewünschte Gemeinschaft oder die angestrebte Universalität zu realisieren. Im ersten Fall signalisiert der Konsens zwischen verschiedenen Perspektiven das Erreichen der Wahrheit; im zweiten ist es die Umsetzung oder der Akt des Universalisierungsprozesses selbst, der die Anforderung der Universalität erfüllt. Man könnte meinen, dass die Unterschiede zwischen den Begriffspaaren – „Gemeinschaft und Universalität“ auf der einen Seite und „Konsens und Universalisierung“ auf der anderen Seite – nur gering sind. Dennoch kennzeichnet diese Differenz den Bruch des Idealismus (Fichtes wie Hegels) mit Kant und dessen Gedanken der Endlichkeit. Hier geht es um den Unterschied zwischen der Aufrechterhaltung einer starken Definition von Wahrheit und dem Sichabfinden mit einer schwächeren (im Sinne von bescheidenen) Definition. Die Herabminderung einer starken Definition von Wahrheit ist möglicherweise ein Dogmatismus, so warf es zumindest Schleiermacher Fichte wie Hegel vor und beschuldigte Letzteren des Rückfalls in eine metaphysische vorkritische Position. Die schwache Bestimmung von Wahrheit münde in einem Relativismus, so zumindest sieht es Fichte, der Schleiermacher des „Mystizismus“ bezichtigt und ihn zu einem bloßen Nachahmer Friedrich Heinrich Jacobis machte, der sich der Passivität des Empfangenen, zum Beispiel des Sinnlichen und des Gottesgefühls bei Jacobi, hingebe. Zum besseren Verständnis dieses schwierigen Unterschieds zwischen Gemeinschaft und Universalität als Gesicht der Wahrheit auf der einen sowie von Konsens und Universalisierung als Kriterium der Wahrheit auf der anderen Seite führe ich im Folgenden zwei Beispiele an, die zwar nichts mit unseren beiden Autoren zu tun haben, uns aber dennoch helfen können, das Wesen ihrer Differenz zu verstehen.
Realismus ahnden läßt als den, welchen er so kühn und mit so vollem Recht sich unterordnet? Er wird das Universum vernichten, indem er es zu bilden scheint […].“ 48 Berner / Thouard 1997, 28.
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Nehmen wir eine gängige Theorie über die Natur der Wahrheit in der Physik: Bei fehlender adaequatio-Theorie kann die Übereinstimmung der Gelehrten zu einem Zeitpunkt „T“ als Kriterium der Wahrheit zugelassen werden. Die Gemeinschaft ist hergestellt und der Konsens unter den Gelehrten ist ein Indikator (d. h. ist der „Index“) der Wahrheit. Diese Intersubjektivität, definiert als Gemeinschaft von Ansichten, deren punktuelle Verwirklichung in einem effektiven Konsens erlebt wird, kann zum Beispiel laut Habermas unter dem Druck eines „Erdbebens“ infrage gestellt werden, das heißt, in dem Moment, in dem ein Phänomen „X“ nicht mehr in den Rahmen der Theorie passt und deren Transformation erfordert. Es geht dann also darum, einen anderen Konsens herzustellen (z. B. in der Physik den Übergang vom Phlogiston zur Kalorik), der dann wiederum infrage gestellt werden kann usw. Vor diesem Hintergrund ist verständlich, wie Wahrheit, die auf der Grundlage des Erreichens einer Übereinkunft oder einer Meinungsgemeinschaft definiert wird, und die Betonung ihres Kriteriums als ein zu einem bestimmten Zeitpunkt tatsächlich erreichter Konsens zu einer Form des Relativismus führen können.⁴⁹ Ziehen wir nun ein Beispiel aus der Mathematik heran: Die Geschichte zeigt, dass Mathematiker:innen, wenn sie sich mit einem Widerspruch von Ansichten konfrontiert sehen (z. B. zwischen euklidischer und nichteuklidischer Geometrie), nicht danach streben, die erste Theorie als in sich völlig falsch zu erklären, sondern vielmehr die Grenzen des bisherigen Raums zu verschieben, um jede spezifische Perspektive (euklidisch, nichteuklidisch) in einem größeren Raum einbeziehen zu können. So geht zum Beispiel Felix Klein in den 1870er Jahren in seinem Erlanger Programm vor. Es ist ein neuer Raum von Verständlichkeit zu konstruieren, um die verschiedenen Aussagen zu verorten, ohne sie zu absoluten Widersprüchen zu machen oder ihre Unterschiede bzw. Besonderheiten zu leugnen. In diesem Rahmen wird die Wahrheit einer mathematischen Theorie offensichtlich nicht danach bemessen, was sie über einen externen Referenten aussagt, aber sie wird auch nicht nach der durch Konsens erworbenen Plausibilität beurteilt, in dem Sinne, dass eine Mehrheit von Mathematiker:innen zu einem bestimmten Zeitpunkt übereinstimmend erklären würde, dass die Winkel eines Dreiecks 180 Grad entsprächen, und dann später übereinstimmend der Meinung wären, dass dies nicht der Fall gewesen sei. Versuchen wir, uns durch ein Gedankenexperiment in Felix Kleins Lage zu versetzen und uns seiner kognitiven Geste oder Gedankenbewegung anzunähern. Er zog zweifelsohne jede der widersprüchlichen Ansichten oder Perspektiven in Betracht. Dennoch lautete sein Ziel (sein Ideal) nicht, eine Übereinstimmung oder Gemeinsamkeit der Ansichten zwischen den verschiedenen Paradigmen zu erreichen, sonst wäre er zu einem anderen Ergebnis gekommen. Sein Ziel war es vielmehr, den Widerspruch voll49 Wenn das, was eine Theorie wahr macht, die Zustimmung einer kontingenten Mehrheit ist, dann waren die aztekischen Mythen zu ihrer Zeit so wahr wie Albert Einsteins Relativitätstheorie heute. Das Gleiche stellt übrigens Paul Feyerabend, konfrontiert mit dieser „intersubjektiven“ Vorstellung der Mehrheit seiner Zeitgenoss:innen, eilig fest.
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ständig anzunehmen und dabei das Ideal der Wahrheit in der Mathematik beizubehalten, das sich im Ideal der Universalität und nicht in Bezug auf eine Realität außerhalb des eigenen selbst ausdrückt. Zu diesem Zweck ist es erforderlich, die Grenzen zu verschieben, über das hinauszugehen, was zunächst gegeben und festgelegt ist, um einen größeren Raum zu schaffen, in dem die Unterschiede koexistieren oder nebeneinander bestehenbleiben können, ohne dass sie geleugnet oder in einem Kompromiss, bei dem jeder im Namen einer angestrebten Gemeinschaft einige seiner Besonderheiten aufgibt, geglättet werden müssten. Der Prozess, der hier am Werk ist, stellt eine Erweiterung des Gegebenen, der Grenzen oder der Infinitisierung des Endlichen dar. Über das Denken beabsichtigt man, einen Raum der Verständlichkeit zu schaffen, der größer ist als der Raum, der bisher gegeben war. In diesem Sinne kann die angestrebte Universalität zumindest als dieser zu schaffende Ort der Verständlichkeit definiert werden, das heißt als ein Raum, in dem alle Partikularitäten (z. B. Euklid und Bernhard Riemann) willkommen sind und nebeneinander existieren können. Um es in eine Metapher zu kleiden: Im Erlanger Programm gibt es viele Häuser, aber nur ein Haus muss bewahrt werden: das der Wahrheit. Dies ist das Ideal der Universalität. Nun kann der Prozess der Grenzenlosigkeit (das Überschreiten des Gegebenen oder Endlichen) und der perspektivischen Pluralisierung (das Einnehmen mehrerer Perspektiven: Euklid, Riemann) genau das sein, was das Ziel der Universalität erfüllt und ihre Erreichung befördert oder entkräftet. In der Tat lässt sich von einem Prozess der Universalisierung sagen, dass er sich mehr oder weniger gut realisiert. Das einfache Anvisieren des Universellen gibt uns keineswegs nichts oder das sichere Scheitern (wie bei der schlechten Unendlichkeit), sondern liefert uns eine präzise methodische Regel, um den Grad der Allgemeingültigkeit eines Urteils oder einer Theorie zu bestimmen und sie nach diesem Maßstab zu bewerten. Wenn also die Theorie mehr ausschließt, als sie integriert, wenn sie ständig, um sich selbst zu konstruieren, ein „Anderes“ annimmt, das sie nicht ist, und es ins Nichts verbannt, dann fehlt der Konzeption die Universalität – und sie kann disqualifiziert werden. In diesem Sinne können die verschiedenen Theorien oder Urteile nach ihrer Wahrheit geordnet werden, das heißt nach ihrem größeren oder geringeren Grad an Universalität, nach ihrer Fähigkeit, etwas zu umfassen, etwas aufzunehmen und nicht zu verwerfen oder auszuschließen. Es ist diese Fähigkeit zur Integration und Erweiterung, die als ein Kriterium der Wahrheit angesehen werden kann. Folglich besteht der Irrtum darin, einen Zustand (z. B. die euklidische Geometrie) als endgültig und „an sich“ zu deklarieren. Der Irrtum besteht im Einfrieren, Fixieren oder Verschließen; die Wahrheit im Erweitern, Umfassen oder Entfesseln. Irrtum ist mit Endlichkeit, Wahrheit mit Unendlichkeit verbunden. Die Tatsache, dass sich die Wissenschaften weiterentwickeln, bedeutet nicht, dass wir unseren Gegenstand aufgrund einer unüberwindbaren Endlichkeit verfehlen, sondern dass wir ihn mehr und mehr erweitern, seine Grenzen zurückdrängen. Die Wahrheit selbst wird zum Synonym für diesen Prozess der Vergrößerung und Unendlichkeit. Sie wird durch die vorgenommene Vergrößerung bezeugt oder verifiziert. Dies erfordert natürlich die Berücksichtigung von Widersprüchen (das Denken an der Stelle eines jeden anderen). Dennoch bedingt der Prozess der Verifikation (der schlussendlich be-
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stimmen muss, ob es der Theorie gelingt, jenen Raum zu schaffen, in dem verschiedene Ansichten koexistieren können) einen Akt, der von jedem Subjekt ausgeführt werden muss, unabhängig von den Überlegungen des Ortes und des Momentes, in dem der Akt der Verifikation vollzogen wird.Vergleichen wir nun diesen Prozess mit dem vorherigen, bei dem eine gemeinsame Meinung erreicht werden sollte durch Konsens verifiziert und erprobt. Dieser Konsens, der nie mehr war als die Zustimmung der größten Zahl zu einem bestimmten Zeitpunkt, war stark orts- und zeitabhängig, er konnte daher die Vorstellungen von der Universalität nicht mehr erfüllen, die durch die Termini „an allen Orten“ und „zu allen Zeiten“ definiert werden. Nun erklärt das gerade dieser prozessuale Wahrheitsbegriff, den mir sowohl Fichte als auch Schleiermacher und Hegel vorzuschlagen scheinen: „Wenn von der absoluten Idee gesprochen wird, so kann man meinen, hier werde erst das Recht kommen, hier müsse sich alles ergeben. Gehaltlos deklamieren kann man allerdings über die absolute Idee in das Weite und Breite […].“⁵⁰ Man deklamiert vergeblich, denn wahres Wissen wird nicht von einer ultimativen Entität erlangt, sondern liegt im Prozess der Universalisierung und Infinitisierung selbst. In diesem Dispositiv fallen wir nicht in eine vorkritische Philosophie zurück, welche die Wahrheit auf ein Sein zurückführt, das es nie gegeben hat; wir leugnen die Wissenschaftsgeschichte nicht, verabsolutieren allerdings auch nicht die Endlichkeit und gehen damit das Risiko ein, den Begriff der Wahrheit zu schwächen, indem wir ihn im Grunde mit dem Konsens des Augenblicks identifizieren. Einen Konsens zu erreichen, begriffen als Indikator einer Gemeinschaft, bedeutet nicht, zur Wahrheit zu gelangen. Daher kann die Erhebung der Begriffe „Gemeinschaft“ und „Konsens“ in den Rang der höchsten Ideale der Philosophie zu einer Schwächung der Auffassung der Wahrheit als bloße Wahrhaftigkeit führen, die durch den Konsens einer Mehrheit zu einer bestimmten Zeit erworben wurde. Dies könnte durch eine eingehendere Analyse der verschiedenen Metamorphosen des Begriffs der Wahrheit bei Habermas überprüft werden. An dieser Stelle wollte ich lediglich auf den ultimativen Unterschied zwischen zwei Formen des Postkantianismus verweisen: auf der einen Seite der Idealismus, der keine Angst vor den Begriffen der Unendlichkeit und dem Absoluten hat und der eine starke, aber nicht realistische Auffassung der Wahrheit aufrechterhält, auf der anderen Seite ein kritisches Denken, das die Endlichkeit aufwertet und das dazu neigt, eine so bescheidene Definition der Wahrheit vorzuschlagen, dass man sich manchmal fragt, was davon übrigbleibt. Ich möchte mit einem kurzen Resümee schließen: Der Aufstieg des Begriffs der Kommunikation in den Rang eines Schlüsselbegriffs der Philosophie erschien auf zweifache Weise problematisch: Entweder führt dies (wie im zweiten Teil dargelegt) zu einem Verschwinden bestimmter Auffassungen (so der Intersubjektivität, der Subjek-
50 Hegel GW XX (Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse, Erster Teil. „Die Wissenschaft der Logik“, Kap. 3: Die absolute Idee), § 237, Zusatz.
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tivität, von Diskussionen oder Begründungsakten), oder es wird (wie im dritten Teil reflektiert) eine Abschwächung des Wahrheitsbegriffs und der damit verbundenen Universalität riskiert, also von Auffassungen, ohne die die Besonderheit der philosophischen Tätigkeit immer schwieriger zu charakterisieren ist. Aus dem Französischen von Heiko Pollmeier
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Jean-Michel Salanskis
Kommunikation und Sinn
Abstract: This paper begins by analyzing the consequences of the information revolution on communication. While giving more weight to the ideal structure of communication, it redramatizes the possible indirection of messages and provides a new framework for the dissemination of meaning. Next, the paper examines meaning and how it is shared. If we take the phenomenon of “address” implicit in meaning to be its central feature, then we naturally come to the conclusion that the sharing of meaning within culture is the way in which subjects get co-implicated in ethoses, which bring together those who are sensitive to appeals and try to answer them. What does such a perspective bring to communication? It teaches us that circulation of meaning and life with meaning cannot be restricted to interaction. The dimensions of irreconcilability and plea (l’appel) must also be taken into account. Finally, two cases of the “complex becoming” of meaning in culture that do not fall under the standard critical model – where progress is made by erasing and amending what has been transmitted – are invoked: the case of mathematics and that of the Jewish tradition.
Die Begriffe „Kommunikation“ und „Sinn“ haben mit Blick auf die Philosophie einen völlig unterschiedlichen Stellenwert. „Kommunikation“ ist weitgehend randständig, auch wenn das Konzept einmal durch einen zeitgenössischen Philosophen – bis in den Titel seines Werkes – in den Vordergrund gerückt wurde. Lässt man Jürgen Habermas einmal außer Acht, dann sind die bei dem Wort vornehmlich ins Auge stechenden Assoziationen zunächst das Kino der 1960er Jahre, von dem man – mit Verweis auf das Œuvre Ingmar Bergmans – scherzhaft sagte, sein Thema sei immer die Kommunikationsunfähigkeit in der Ehe gewesen, und dann die moderne Kommunikationstheorie, die Kybernetik. In der modernen Kommunikationstheorie wird die Problematik der Kommunikation mit der Figur einer wissenschaftlichen Revolution verbunden, die auch eine „Informationsrevolution“ beinhaltet. Das Wort „Revolution“ führt uns wiederum in die politische Philosophie und zu der Frage, ob die uralte Forderung nach sozialer Gerechtigkeit nicht gerade aus der Sicht der Kommunikation diskutiert werden müsse. Es gibt Analysen, die versuchen, das Wesentliche der zeitgenössischen politischen Ökonomie auf der Ebene der Kommunikationsfunktion zu erfassen, und die als entscheidend für die kritische Herausforderung und die Organisation von Produktion und Konsum angesehen werden können. Gleichwohl verfehlt dieses erste Brainstorming den Kern der Philosophie, und zwar möglicherweise deshalb, weil man schwerlich die Frage umgehen kann, ob die Leistung der Kommunikation erbracht wurde und / oder ob sie erfolgreich war. Nun ist allerdings die Frage nach Erfolg oder Misserfolg eine zutiefst empirische, außerhalb der Reichhttps://doi.org/10.1515/9783111128801-006
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weite jener Evaluation a priori, die jegliche Philosophie (nicht nur die Transzendentalphilosophie) zu leisten sucht. „Sinn“ hingegen erscheint als zentraler Begriff der zeitgenössischen Philosophie: Wurde er nicht zugleich seitens der Phänomenologie und der analytischen Philosophie ausdrücklich in Betracht gezogen und analysiert, um die beiden bedeutenden methodologischen Ansätze zu erwähnen, die um 1900 in Deutschland entstanden sind? Auch wenn einige Protagonisten aus der Philosophie ihm den Rücken zukehrten, spielt „Sinn“ in den Debatten und Konzeptionen doch nach wie vor eine Hauptrolle. Allerdings fällt ihm diese Rolle nicht ohne einen gewissen Preis zu, denn er wird ständig so wahrgenommen, als würde er die Herausforderung der Wahrheit nicht annehmen, die – wie man gerne meint – das primäre Anliegen der Philosophie sei. Wenn man sich dazu veranlasst sieht, derart viel vom Sinn zu sprechen und seinen Status, seine Modalitäten und die mit ihm verbundenen Erfahrungen zu bestimmen, dann deshalb – so muss man mit Bedauern feststellen –, weil wir eben nicht von Anfang an in der Wahrheit ruhen. Die Kommunikation ist also, um diese Vorüberlegungen zusammenzufassen, für die Philosophie ein von der empirischen Seite der Welt kommender Outsider, während der Sinn ein Insider ist. Die Kommunikation scheint grundsätzlich an einer Norm des Gelingens gemessen zu werden, während das Motiv des Sinns par excellence die Unerfülltheit des philosophischen Strebens zum Ausdruck bringt. Anders gesagt: Hinsichtlich der Kommunikation stellt sich die Frage, ob sie erfolgreich ist oder nicht; hinsichtlich des Sinns besteht das Problem darin, dass sein Platz und sein unumgänglicher Charakter wohl signalisieren, dass die Wahrheit unerfüllt bleibt. Was ich gleichwohl im Folgenden zu klären versuche, ist, ob Kommunikation und Sinn bzw. die Fragen, die beide aufwerfen, eine Schnittmenge haben: Nach dem bisher Gesagten versteht sich dies nicht von selbst. Und ich möchte dies tun, indem ich den sozialen, wissenschaftlichen und theoretischen Kontext ernst nehme, der der Thematik der Kommunikation ein großes Gewicht verleiht – den der Informationsrevolution. Ich beginne mit dem Versuch, einige die Kommunikation betreffende Lehren zu ziehen, indem ich mich im Kontext der Informationsrevolution verorte.
1 Kommunikation in der Stunde der Informationsrevolution Was wir heute als Informationsrevolution bezeichnen und als eine Art Flutwelle erleben, die unter sich das gesellschaftliche Leben ertränkt, hat zwei distinkte und komplementäre Aspekte. Auf der einen Seite „übersetzt“ man immer mehr kulturelle Gegebenheiten und geteilte Erfahrungen in das Format des begrenzten symbolischen Objekts, des begrenzten Vektors, bei dem jeder Bestandteil zu einem eingeschränkten Alphabet wiederholbarer, a priori festgelegter Zeichen gehört: Jeder derartige Vektor kann vollständig durch eine Folge von 0 und 1 codiert werden. Auf der anderen Seite
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bietet man für jede in unserer Welt vorkommende – verfügbare und bereits benannte oder einfach vorstellbare – Aktion ein Software-Gegenstück an: Man verknüpft sie mit einem Programm, dessen Ausführung einem Kalkül entspricht, ausgehend von symbolischen Daten der gerade beschriebenen Art. Die Übersetzungen der Daten bzw. der Software-Gegenstücke der Aktionen haben, je nach Fall, die Aufgabe, an die Stelle der „präcomputationalen“ Daten bzw. der „vorinformationellen“ Aktionen zu treten.¹ Fügen wir dem Dargelegten einige Beispiele hinzu. Die Texte unserer Literaturen sind in unseren Maschinen in numerischer Form eingelagert. Hinsichtlich ihrer Schrift ist dabei keinerlei Gewalt notwendig: Es genügt, jedem Buchstaben des betreffenden Sprachcodes ein Oktett² aus je 8 Bit zuzuordnen, da uns ebendies 256 mögliche Werte bietet, kann man sehr viel mehr codieren als die 26 Buchstaben des lateinischen Alphabets, wie sie uns unsere PC-Tastaturen zeigen. Die Textaktionen zu den Texten sind in Software-Routinen transkribiert und stehen uns zur Verfügung. Auf diese Weise erhalten wir Zugang zu Aktionen, die unsere bisherige Reichweite überschreiten (z. B. einen Fehler in einem ganzen Manuskript mit nur einem Befehl zu korrigieren), und bestimmte implizite Reorganisationen der Textaktionen befreien uns von alten Sorgen (z. B. müssen wir uns nicht mehr um den Zeilenumbruch kümmern). Ungeachtet dieser Beobachtungen und möglicher anderer kann man sagen, dass in diesem Falle die elektronische Datenumsetzung die Lektüre und die Schrift nur sehr wenig verändert. Was sich jedoch außerordentlich ändert, ist die Verfügbarkeit der Texte, das räumliche und zeitliche Ausmaß ihrer wiederholten Nutzung. Die Lektüre von Gedrucktem und das handschriftliche Schreiben verschwinden nicht, aber sie ändern ihren Standort und übernehmen durch das Erscheinen ihrer elektronischen Gegenstücke neue Funktionen. Auch Bilder – Architektur, Gemälde, Fotos, Logos und kommerzielle bzw. nutzerfreundliche Icons – werden ins numerische Format übersetzt: In diesem Falle muss eine konventionelle Zerlegung des ikonischen Dings in einzelne Bestandteile a priori durchlaufen werden; man überführt das visuelle Feld in ein Pixel-Gitter und drückt den chromatischen Wert in jedem Punkt durch einen Code aus, der sich innerhalb einer endlichen a priori festgelegten Skala bewegt. Selbst auf unseren Smartphones, aber noch viel mehr in Bildbearbeitungsprogrammen sehen wir, wie bestimmte bildverändernde Handlungen als Computerroutinen ausgedrückt wurden. Wie im vorherigen Fall können bestimmte Aktionen von nun an sowohl im computerbasierten als auch in einem alten technischen Modus verfügbar sein, während gleichzeitig Computeraktionen entstehen, von denen man zuvor keinerlei Vorstellung hatte.
1 Vgl. zu dieser Problematik Salanskis 2017; Salanskis 2011. 2 Eine Liste aus acht Werten aus 0 und 1.
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2 Neue Formen? Die Frage, die wir aufwerfen möchten, ist diejenige nach den Folgen dieser Informationsrevolution für die Kommunikation. Die klassische Problematik der Kommunikation dreht sich, wie mir scheint, um zwei Herausforderungen: Erstens fragt man sich, ob es gelungen ist, Kommunikation zu ermöglichen: Dies entspräche der phatischen Funktion bei Roman Jakobson. Man richtet das Wort an eine Person, aber dass sie zuhört, ist damit nicht sichergestellt. Der Gesprächspartner kann den Anschein erwecken, zuzuhören, verharrt aber unterhalb der tatsächlichen Mobilisierung des semantischen rezeptiven Moduls. Zweitens sehen wir klar, dass jede Botschaft immer das Risiko birgt, nicht verstanden zu werden. Ein Akt der Kommunikation besteht unter anderem darin, eine Flasche ins Meer zu werfen. Die Person, die die Flasche öffnet und die Botschaft liest, entschlüsselt sie – und ist es eine Person, die uns kennt – entsprechend ihren Referenzen, Kenntnissen, Gefühlen und Perspektiven. Und doch kann sie etwas gänzlich anderes als das Intendierte verstehen. Wir kennen beide Probleme, die ich eben erwähnt habe, und wir versuchen in der Regel, sie mit verschiedenen mehr oder weniger glücklichen Behelfslösungen zu beheben. Beim ersten Problem können wir zum Beispiel ein wenig Energie und Aggressivität in die Stimme legen, mit einem Witz Wohlwollen wecken oder mit etwas sehr Deutlichem und Unerhörtem beginnen. Was das zweite Problem angeht, so neigen wir dazu, es zu ignorieren. Die Fragen, die uns im Anschluss gestellt werden, zeigen jedoch meist an, wie bereitwillig das, was wir gesagt haben, anders gehört wurde, als es (unserer Meinung nach) gesagt wurde. Diese Diskrepanz gilt zwangsläufig für alle Fälle, in denen wir es nicht mit einer Gemeinschaft zu tun haben, die die Art und Weise, wie Nachrichten gesendet und empfangen werden, genau festgelegt hat (wie es z. B. in der Gemeinschaft der Mathematiker der Fall wäre). Interessiert man sich nun für die zeitgenössische computergestützte Kommunikation, dann kann man zunächst einmal den Fall untersuchen, in dem die gewohnte Form der Adressierung beibehalten ist. Dies geschieht beim Versand von E-Mails und Kurzmitteilungen (SMS). Das oben genannte erste Problem findet sich mehr oder weniger unverändert in der Kommunikation per E-Mail. Der Zugriff des Empfängers auf die Sendung kann blockiert und zeitlich verzögert sein – sei es, dass er sich einer Flut geschäftlicher oder institutioneller E-Mails ausgesetzt sieht, die nicht wirklich an ihn adressiert sind (aber es uns gelegentlich durch diese oder jene List glauben machen wollen), sei es, weil er sich grundsätzlich Zeit lässt, damit jene, die sich an ihn wenden, nicht auf die Idee kommen, er sei jederzeit für den Informationsaustausch verfügbar. Tatsächlich wird unterstellt, dass der E-Mail-Modus weniger aufdringlich ist als der Telefonanruf (der im Übrigen tendenziell verschwindet). Diese Blockadehaltungen stehen also in Übereinstimmung mit dem allgemeinen Geist der Kommunikationsform. Die SMS wäre ihrerseits eine neue Form aufdringlicher Kommunikation. Man bedient sich ihrer in großem Umfang: Wir erleben uns als zu einer unmittelbaren Antwort gedrängt. Letztlich ist aber auch hier die Situation nicht dieselbe wie beim Telefonanruf:
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Man kann immerhin seine Antwort hinausschieben. Zudem schwappt der SMS-Gebrauch in die Sphäre der Kommunikation mit Personen des nahen Umfelds über: Es werden zum Beispiel Whatsapp-Gruppen gebildet, in deren Kontext jede und jeder jeder und jedem auf die Nerven gehen kann.
3 Indirektion Der eigentliche „philosophische“ Parameter, der für die zu führende Diskussion wichtig ist, ist der der Indirektion (indirection). Denn die Informationsrevolution umfasst eine wesentliche dritte Dimension, die wir bisher nicht hervorgehoben haben: Man reduziert nicht nur die Daten auf das Symbolformat, man überträgt nicht nur Aktionen auf die Ebene der Software, sondern man stellt die Archive und Interventionszentren ins Netz und bringt sie so in die Reichweite aller Menschen. Infolgedessen können von uns stammende Kommunikationsakte bei Empfängern „landen“, mit denen wir nicht wirklich in Beziehung stehen – bei Empfängern, deren Website durch unsere Sendung erreicht worden ist, an die wir uns aber nicht eigentlich wenden, um sie anzusprechen. Das Problem der Mobilisierung des Empfängers bzw. – wenn man so will – die phatische Funktion hat sich also in der von der Informationsrevolution eingeführten verallgemeinerten Indirektion erledigt. Dies gilt unter anderem für in den sozialen Netzwerken gepostete Mitteilungen oder auch für Inhalte, die ohne besonderen Adressaten online auf diese oder jene Plattform gestellt worden sind. Die Informationsrevolution führt zu Nachrichten, die nicht im strengen Sinne adressiert sind, sondern die einem Netz zur Verfügung stehen, und zwar gleichgültig, ob wir beim Zustandekommen dieses Netzes beteiligt waren oder nicht. Wenn ich einen für mich wichtigen Inhalt online stelle, dann suche ich nicht einen Empfänger mittels eines Sprechaktes aus; ich gebe mich damit zufrieden, zu hoffen, dass es einen Punkt im Netz gibt, an dem dieser Inhalt rezipiert wird. Die Mobilisierung des Zuhörens wird von außen geschehen, wie eine Zugabe, um die ich nicht wirklich gebeten habe. Daher ändert sich die Problematik des Verstehens der Botschaft und ihrer einschlägigen Decodierung auch dementsprechend. Sie wird an einem humanen, psychischen und kulturellen Ort erscheinen, den ich unmöglich antizipieren kann, und möglicherweise völlig unangemessene Raster durchlaufen. Das Problem der Rezeption eines Vortrags stellt sich umso dringlicher, weil ich nicht mehr von Personen rezipiert werde, die gekommen sind, um meinen Vortrag zu hören: Es bleiben gerade mal Personen, die auf meine Publikation aufmerksam werden, die am Ende einer Serie von Verweisen darauf stoßen, die ich weder kenne noch unter Kontrolle habe. Diese Problematik der Kommunikation im Kontext von Indirektheit und Nichtadressierbarkeit ist jedoch keineswegs neu und wurde bereits von Paul Ricœur und Jacques Derrida in ähnlicher Weise thematisiert. Bei Ersterem ist dieser der Kommunikation innewohnende Modus der Indirektheit oder Nichtadressierbarkeit derjenige der textuellen Handlung (l’action textuelle) selbst, die in die symbolische Intersubjek-
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tivität geworfen wird; sie steht im Gegensatz zum Modus des unmittelbaren lebendigen Dialogs.³ Beim Letzteren ist die Idee vielmehr, dass die semantische Bedingung der Menschheit jeglicher Vorstellung von Unmittelbarkeit prinzipiell widerspricht: Im Grunde befinden wir uns nie in einem lebendigen Gespräch, denn wenn man es recht bedenkt, ist jede Präsenz immer dem Zwang ihrer Bedeutung unterworfen, die sie verschiebt und letztlich zerstreut. Unsere Überlegungen zu den jüngsten medialen Bedingungen der Kommunikation scheinen uns zur Beobachtung einer Struktur zu führen, die mit der Sprache verknüpft ist und aus der Zeit vor der Informationsrevolution stammt. Letztere hat lediglich Dispositive eingeführt, die uns alle in die Position des Schriftstellers versetzen: Wir „publizieren“ unter verschiedenen Funktionen, und dies beruht auf dem verallgemeinerten zeitgenössischen Verbundnetz. Und damit haben wir teil an der Indirektion, die durch das Schreiben und die Verbreitung schriftlicher Dokumente möglich geworden ist. Offensichtlicher und intensiver sind wir Subjekte, die in der „indirekten“ Kommunikation schwimmen, herumirrend im Kreise von Derridas dissémination.
4 Platon Die Frage, die der Philosoph hier aufwerfen kann, lautet, was diese Ökonomie der Indirektion und des Nichtadressierens Platon schuldet, oder er kann zumindest versuchen, dieses sozusagen durch die Informationsrevolution „universalisierte“ Regime mit der platonischen Lehre zu artikulieren. Wie Emmanuel Levinas betont, setzt Platon die Schrift dem lebendigen Dialog entgegen; er tut dies im Namen der Tatsache, dass ich im lebendigen Dialog der geäußerten Bedeutung zu Hilfe kommen kann, indem ich sie korrigiere, um ein Missverständnis zu vermeiden, das sich gerade festsetzt. Die platonische Konzeption sieht also die Differenz zwischen der Schrift, die Anlass für die Indirektion ist, und dem lebendigen Ausdruck im Dialog als wichtig an. Im Übrigen führt Platon den Begriff der Idee ein, der einen und unveränderlichen Idee jenseits der unbegrenzten Pluralität von Instanzen, die sie regiert: Die Idee vergegenwärtigt sich nur in solchen Instanzen, ist aber zugleich in jeder Instanz in ihrer Einzigartigkeit und distinkten Invarianz; dies bedeutet buchstäblich, dass wir für sie keinen Ort im Sein finden. Sie ist abwesend in dem, was sie allein präsentiert. Edmund Husserl hat in der Sprache das Milieu solcher Idealitäten erkannt: Was wir als linguistische Einheit verstehen – Phonem, Morphem, Semem, Proposition, Text –, hat immer den Status einer Invariante bei vielfältigen Aktualisierungen (Äußerungen, Inschriften). Wir haben nun Anlass, uns zu fragen, ob die Phänomene des Gleitens und der Veränderung der Bedeutungen, ob das kontextuelle „Verwackeln“ des Sinns etwas mit der Idealität der Sprache zu tun hat. Derrida könnte der entscheidende Gesprächs-
3 Vgl. Ricœur 1986, 183 – 211.
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partner in dieser Angelegenheit sein, denn er bestreitet nicht, dass trotz dieses immer gleitenden Sinns der lebendige Dialog Konsistenz bewahren kann. Bürdet er nicht ebenso die Ökonomie der Indirektion, des Nichtadressierens und der Dissemination der strukturellen Dimension der Sprache auf, indem er diese im Geiste Ferdinand de Saussures versteht, das heißt auf den ersten Blick anders als auf platonische Weise? In einer Sicht wie der Derridas ist das Bedeutende an Sprache der Wert, nämlich die Tatsache, dass die Elemente aufgrund ihrer Unterschiede zählen: Von Idealität scheint keine Rede zu sein. Und doch ist es erlaubt, sich zu fragen, ob der Blick Saussures auf der Sprache wirklich eine andere Struktur als die der Idealität einfängt. Dass es sich beim Strukturbegriff um die hierarchische und gegensätzliche Organisation eines Ensembles von Möglichkeiten handelt, die sich als auf „Invarianten“ zurückverweisende Varianten manifestieren, scheint auf in der einst berühmten Formulierung des Hjelmslev-Axioms.⁴ Darüber hinaus hat das kontextuelle „Verwackeln“ des Sinns seine Möglichkeitsbedingung in der Variation der Kontexte, die ihrerseits die „Rekurrenz“ der linguistischen Einheiten durchläuft: Dieselben Wörter „kehren zurück“ in Umfeldern, die selbst auf ideale Weise wiederholbar sind. Vielleicht haben wir so den Finger auf die entscheidende Angelegenheit gerichtet. Die Informationsrevolution ist nur eine technologische Maximierung des Einflusses der Idealität auf das geteilte Leben. Idealität „besaß“ bereits die Sphäre der Sprache und betraf und modulierte durch sie weithin die menschliche Erfahrung. Doch nun sind „ideale Versionen“ aufgetaucht und haben sich für nahezu alle Sorten von Daten verdinglicht, wie auch die „idealen Umsetzungen“ für zahlreiche Arten und Weisen der sie betreffenden Aktionen. Eine derartige Situation zwingt uns zumindest dazu, auf die Ökonomie der Indirektion und des Nichtadressierens zurückzukommen. Als die entscheidende Frage erweist sich letzten Endes diejenige nach der Beziehung zwischen drei Termini: 1. Struktur der Idealität, 2. Ökonomie der Indirektion und des Nichtadressierens, 3. Sinn und seine Dissemination. Und somit ist es an der Zeit, uns systematischer für den Sinn zu interessieren, den wir zu Beginn unseres Wegs als Gegenstück zum Begriff der Kommunikation gewählt haben.
5 Der Sinn: Intrige und Teilen Ich vertrete ein von Levinas’ Philosophie inspiriertes Verständnis des Sinns, das dessen gewohnte Auffassung auf den Umstand des Adressierens verlagert. Diese Ideen habe ich in Sens et philosophie du sens (2001) eingeführt.⁵
4 Vgl. Hjelmslev 1971, 80 – 97. 5 Vgl. Salanskis 2001.
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Normalerweise, das heißt nach der Tradition, die wir von Gottlob Frege und Husserl übernommen haben, entspricht der Sinn⁶ der Darstellungsweise von Objekten: Entweder wird er auf der Ebene der Absicht eines Bewusstseins erfasst, sodass ein Sinn ein Objekt als Absicht ist, oder er wird auf der Ebene eines sprachlichen Ausdrucks mit referentieller Kraft erfasst, sodass ein Sinn ein solcher Ausdruck als Referent (référant) ist. Der Begriff des Sinns führt eine Art von Schwebezustand ein, der der Positivität des Objekts vorgelagert ist und der Aufmerksamkeit gegenüber dessen Präsentation erregt. Zur Effektivität des Objekts kommt eine Kontingenz des Sinns hinzu: Wir haben es, aber wir hätten es auch anders haben können, nach einem anderen Sinn (entweder indem wir anders zielen, als auf unser aktuelles Ziel, obwohl es sich mit ihm überschneidet, oder indem wir mit anderen Worten auf etwas hinweisen, in dem unsere beiden Formulierungen konvergieren). Der Sinn ist also ergänzend zum Sein, aber völlig von dessen Erscheinung abhängig: Er hat keine andere Aufgabe, als sich um das Sein zu kümmern. Meinen Ausführungen in Sens et philosophie du sens zufolge ist unter „Sinn“ eher das zu verstehen, was Zeugnis einer über uns einbrechenden, immer drängenden Botschaft ist, die gemäß der Anforderung verstanden werden will, welche sie vermittelt. Die Sphäre des Sinns wird so auf ein duales Drama bezogen, hervorgerufen bzw. angetrieben durch die jeweilige Intensität der Anfrage des Sinns an uns. In einer solchen Perspektive bleibt der Sinn – insbesondere in seiner zentralen linguistischen Version – verknüpft mit dem „Sinn des Lebens“. Was tatsächlich das Leben aus seiner solipsistischen Einkapselung befreit, ist das ethische Für-andere-Sein. Was auch immer die letzte Absurdität von allem sein mag – ich entgehe nicht dem Gebot des Antlitzes des anderen: Ich bleibe zur Hilfe und zum Gehör für meinen Nächsten verpflichtet. Doch wenn der Sinn sein Geheimnis in der Struktur der Anfrage hat und im wiederbelebten Verständnis, dass eine Botschaft von mir verlangt ist, dann „überrollt“ er meine Fähigkeit, eine Anfrage als solche zu empfangen, und ist selbst Erbe meiner ethischen Unterwerfung. In Sens et philosophie du sens beschreibe ich die so von der „ethischen Intrige“ abgeleitete „Intrige des Sinns“, indem ich die drei wesentlichen Momente herausarbeite: die Verhüllung des Sinns, den Verweis und die Gerichtetheit. Ein Sinn ist meines Erachtens der in einer Mitteilung komprimierte Überschuss an Gehalt, der sich in seiner Ansprache ausdrückt, was ihn von einem flachen, sich selbst gleichenden Objekt unterscheidet; ein Sinn ist darüber hinaus zutiefst unerfüllt und nicht abgeschlossen, er impliziert eine Funktion des Verweises (auf einen anderen Sinn im Allgemeinen); Sinn lässt schließlich eine Gerichtetheit hervortreten, die im Wort bewahrt ist, er legt das „Für…“ eines Zwecks bzw. zumindest einer Richtung frei. Diese drei Momente bringen in der Sprache einer vorlevinasschen Philosophie die Nichtreduzierbarkeit des Sinns auf
6 Anmerkung der ÜbersetzerInnen: Die Übersetzung bleibt hier einheitlich bei „Sinn“ (sens), Husserl verwendet jedoch den Terminus „Bedeutung“.
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das Sein zum Ausdruck: Die Art und Weise, wie der Sinn als Überschuss seiner selbst operiert, lässt seine Behandlung als Gegebenes und als ein plattes Objekt nicht zu. Die Levinas’sche Thematik verpflichtet uns, diese Momente durch die und von der Intensität der Adresse aus zu verstehen und sie auf die ethische Intrige zurückzuführen. Die Umhüllung des Sinns bedeutet für uns, dass wir hinter der Komprimiertheit des sich ausdrückenden Sinns immer ein Subjekt sehen wollen, dessen Haltung hinter jeder Botschaft zittert, da sie mich erreicht. Der Sinnverweis ist die Nachfrage, genauer: Der empfangene Sinn verweist auf das, was in ihm nachgefragt ist und was meine Erwiderung als Verständnis zurücksenden wird.⁷ Über die Beschreibung der Intrige des Sinns hinaus, der in meiner Philosophie des Sinns die von analytischen und phänomenologischen Sinn-Philosophien verbreitete Spekulation über die Korrelation der Strukturen der Sprache bzw. des Bewusstseins und der Realität ersetzt, muss man meines Erachtens an das denken, was ich die Komplexität des Sinns nenne: nämlich die Art und Weise, in welcher der Sinn jenseits der Weltlosigkeit und des dualen Szenarios, welches mit dem grundlegenden Umstand der Adressiertheit von Sinn verbunden ist, eine geteilte Komplexität verursacht. All dies läuft darauf hinaus, anzuerkennen, dass der Sinn in einer Kultur gefeiert, bearbeitet und geteilt wird.
6 Zurück zur Kommunikation Was kann eine derartig angelegte Philosophie des Sinns hinsichtlich der Kommunikation beitragen? Zunächst stellt sich die Frage, ob man die Rekrutierung eines Initianden (adept) durch einen Initiator (sollicitant) als Fall von Kommunikation zählen sollte. Es ist ziemlich deutlich, dass die Antwort negativ ausfallen muss: Es gibt keinen Sprechakt, der einen Appell adressiert, das heißt, der sich an eine Person richtet, und sei es im abgeleiteten und indirekten Modus einer Veröffentlichung. Der Appell ist in gewisser Weise eher auf mysteriöse Art im Wortgebrauch selbst verfügbar. Man wird sich einfach vorstellen, dass wir, wenn wir das Wort benutzen oder Zeuge seiner Verwendung sind, sensibel und deshalb empfänglich dafür sind, dafür Sorge zu tragen, ihm zu genügen. Wir haben es hier also mit einem superlativen Modus der Indirektion zu tun, den wir mit den durch die Sprache ermöglichten Gesten der Veröffentlichung verbinden: Es gibt nur die Verfügbarkeit von Sprache im Sinne Saussures und unsere Art, in ihr Ankündigungen dessen zu hören, um was es letztendlich geht. In ähnlicher Weise werden uns auch die Anordnungen der Semantik von niemandem kommuniziert: Die Kernidee meiner Überlegungen ist, dass wir bereits in dem Bestreben leben, sie zu beachten, egal, wie nachsichtig wir mit unseren wiederholten
7 Ich greife hier in groben Zügen die von Levinas in Totalite´ et infini (1961) und Autrement qu’ê tre (1974) geäußerten Gedanken auf.
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Verstößen sein mögen. Die „Verabschiedung“ der Gesetzestafel findet nur in einer Sinnanalyse des Ethos statt, die ich Ethanalyse nennen möchte.⁸ Das Konzept der Kommunikation konzentriert sich auf das phatische Moment der Erlangung der Aufmerksamkeit eines anderen durch einen Sprachakt. Und darüber hinaus auf die erfolgreiche Übertragung von Inhalten über den sprachlichen Code. In den gerade beschriebenen sprachlichen Ereignissen verschwindet ein solcher Fokus: Man geht von der gemeinsamen Nutzung von sprachlichen Möglichkeiten und Werten und von dem zwischen uns gegebenen Bewertungsraster von Verhaltensweisen, Erfahrungen und Praktiken aus. In der Ethanalyse versuche ich, die Polarisierung der Forderungen zu beschreiben, die eine solche Teilung mit sich bringt. Denn es gibt einen Erfolgs- und Leistungshorizont, der für die Ethanalyse relevant ist, er richtet sich jedoch nicht an der erfolgreichen Übertragung eines sprachlichen Inhalts aus, sondern bezieht sich auf das Fortbestehen des ihn betreffenden Ethos: Es geht darum, die Ausrichtung auf einen unendlichen Horizont, die uns das Ethos bietet, nicht zu verlieren. Dies geschieht einerseits durch ein gewisses Maß an Gesetzesbefolgung (observance) (man kann ein Ethos nicht rein virtuell und fiktiv lebendig werden lassen) und andererseits durch die Erhaltung dessen, was ich „Sorge“ oder „Heimsuchung“ nenne. Hier treffen wir auf eine Idee, die einst von Jean-François Lyotard vertreten wurde und die sich ebenso auf der Ebene der politischen Philosophie wie auf der der Sprachphilosophie findet. Obwohl sich Lyotard, ähnlich wie Habermas, das soziale Spiel in der Tat als eine Art ausgedehnte Austin’sche Verflechtung von Sprechakten vorstellte, kam er nicht zu dem Schluss, dass das Problem der Politik nur in einer gerechten Verteilung und Ausgewogenheit der Machtverhältnisse in der Kommunikation bestünde. Dieses Zuordnungs- oder Verteilungsproblem bestand natürlich und sollte seiner Meinung nach auch gerecht behandelt werden, aber sich darauf zu beschränken, hieße, eine Anthropologie zu akzeptieren, die den Menschen auf den Aspekt des kommunikativen Handelns reduziert. Dies bedeutete, ihn nur unter dem Gesichtspunkt dessen zu verstehen, was er zu sagen vermag, und ihn allein in der linguistischen Intersubjektivität zu verorten. Nun war es für Lyotard – exemplarisch in seiner letzten Periode, nach Le Différend (1983) – auch wichtig, dass wir mit dem in Berührung bleiben, was er als das Unmenschliche in uns sah: das intime Gewicht einer widerspenstigen, nicht verbalisierbaren Viskosität, die uns gleichwohl in Schuld versetzt, während sie zugleich parasitär agiert. Wenn es uns tatsächlich manchmal gelingt, unerhörte Werke zu schaffen oder unerwartete Gedanken zu denken, dann deshalb, weil das Unausweichliche uns verändert und uns von unseren Routinen, von den Regeln des Ausdrucks befreit, die uns beherrschen. Das Menschlichste an uns ist, so Lyotard weiter, unser Ohr für ein intimes Unausweichliches zu öffnen, mit dem es keinerlei Kommunikation gibt, um dessen
8 Vgl. zu diesem Ansatz Salanskis 2007; Salanskis 2014.
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Willen wir jedoch das Unerhörte, das Irreduzible in das einbringen, was wir (mit‐)teilen können. In Bezug auf unseren Gegenstand – die Kommunikation – gibt es zwei zentrale Aspekte in Lyotards Denken: Auf der einen Seite weigert er sich, die menschliche Existenz allein nach dem Maßstab gelingender Kommunikation zu betrachten, sie unter dem Deckmantel einer Philosophie der Praxis dem zu unterwerfen, was ihm als Norm der Effizienz erscheint; auf der anderen Seite hebt er die Intimität eines Unausweichlichen hervor, mit dem wir per definitionem nicht in Kommunikation stehen. Bei der Ethanalyse geht es also darum, eine Vision der menschlichen Welt zu verteidigen, die sie nicht auf die Wirksamkeit der Schläge reduziert, die gewinnen oder die zählen. Es ist eine Vision, die empfänglich ist für das, was uns an Forderungen erreicht, und zwar durch Kanäle der Indirektion, die zu dem gehören, was wir unter uns bezüglich des Sinns und der conditio humana teilen: Wir verstehen uns unter diesem Gesichtspunkt eher als Angerufene und weniger als Handelnde und „Verbreiter des Wortes“. In diesem Fall dreht sich die Debatte um die Bedeutung, die wir der gemeinsamen Existenz im Sinn geben: Aus der Sicht der Kommunikation im gewöhnlichen Sprachgebrauch ist die gemeinsame Existenz im Sinn eine Interaktion auf der Basis einer von allen Menschen ständig aktualisierten Errungenschaft. Dies ist mehr oder weniger das Soziale des symbolischen Interaktionismus, wie er von Herbert Blumer verteidigt wurde.⁹ Die Ebene des Sinns wird restlos auf die des Handelns zurückgeführt. Im Unterschied hierzu bedeutet für die Ethanalyse, einen Sinn zu teilen, sich in einer Situation der Koaneignung zu befinden, die weder mit einer bestimmten Handlung, einem Akt gleichzusetzen ist, noch durch eine Interaktion umschrieben wird. Die gemeinsame Existenz im Sinn ist alles in allem ursprünglich eine gemeinsame Existenz gemäß dem Sinn. Aber diese Überlegung bringt uns zurück zu unserer Analyse, die wir zur Kommunikation im Kontext der Informationsrevolution begonnen haben. Wir hatten festgestellt, dass diese elektronische Kommunikation durch einige ihrer Aspekte die Indirektion maximiert (Nachrichten treffen an Punkten des Netzwerks ein, ohne an diese gesendet worden zu sein, das Ergebnis ist vergleichbar mit einer unvorhersehbaren Reihe von Querschlägern). Die Möglichkeit, dass die Mitteilung bei ihrer Ankunft gemäß der Bedeutung, die ihr durch den Kontext der Übertragung gegeben wurde, decodiert wird, erscheint noch unsicherer (es sei denn, es handelt sich um eine Zirkulation von Mitteilungen innerhalb einer großen Gruppe, die dieselben Decodierschlüssel verwendet). Das Vorhergehende wird noch durch ein weiteres Element überlagert, dessen Bedeutung meiner Meinung nach in die Augen sticht. Die Perspektive der „Kommunikation“ gibt, wie gesagt, der Aneignung der Aufmerksamkeit des Adressaten (der phatischen Funktion in Anlehnung an Jakobson) den Vorrang. Denn als Begriff, der die
9 Vgl. Blumer 1969.
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Effektivität als regulative Vollkommenheit einschließt, beansprucht Kommunikation, erfolgreich zu sein; sie ist eine Leistung, die nach ihrer Vollendung strebt. Aber im Kontext der Kommunikation im Netz, das heißt der Indirektion, ist die phatische Funktion vor allem die, Angst auszulösen. Kurz und gut: Was einen dazu bringt, eine Google-Anzeige oder ein Facebook-Update zu lesen, ist die Bedrohung, die sich hinter dem Titel verbirgt. Wir sind also in einem Kommunikationsprozess gelandet, der mit der Verbreitung von Ängsten einhergeht, sprich, wir sind weit davon entfernt, uns mit den Appellen zu verbinden, die uns nicht schmeicheln, sondern Horizonte erschließen. Dieser Prozess der Verbreitung von Angst ist zugleich ein Prozess, bei dem jeder um das Sprachrecht kämpft, um sich als Verbreiter und nicht als Empfänger zu behaupten. Denn es gehört zur Perspektive der Kommunikation, dass man nach dem Grad seiner Initiative beurteilt wird. Also versucht jeder zu intervenieren, und unter den Bedingungen der Angstverbreitung geschieht dies, indem er eine Nachricht anbietet, die noch terrorisierender ist, als die vorherigen: durch Überbieten. Natürlich können die Digitalisierung der Kultur und die allgemeine Vernetzung auch anders verstanden werden und in anderen kollektiven Modi auftreten.
7 Modi des Komplexwerdens Was wir in dieser Hinsicht bereits gewohnt sind, ist das Online-Angebot, das eine explorative Konsultation von jeder Frage oder jedem Interessenschwerpunkt ermöglicht. Noch besser ist die Verfügbarkeit von Online-Ressourcen, die die Textrecherche auf intelligente Weise begleiten. Um ein Beispiel von großer Einfachheit zu nennen: Wenn ich in einem Mathematikaufsatz auf den Namen eines Objekts und Theorems stoße, welches mich verblüfft, dann finde ich fast unweigerlich die genauen Definitionen bei Wikipedia. Was heute jeder und jedem angeboten wird, war früher ein Traum und völlig außer Reichweite. Jetzt, wo die Sache eine Gegebenheit ist, ist es schwierig, das Gefühl für das Wunder, das es ist, noch zu empfinden. Gehört ein solches Wunder zur Kommunikation? Nicht ganz, obwohl Wissen und Texte durch das Wunder demjenigen mitgeteilt werden, der sie anfordert. Wir befinden uns wieder einmal außerhalb des Sprechaktes, gewissermaßen außerhalb der Pragmatik. Die durch das Online-Angebot von Inhalten geschaffene Situation „konkretisiert“ in gewisser Weise die Lacan’sche Intuition, der zufolge das Symbolische wie ein riesiges Massiv von transsubjektiver Andersheit ist, mit dem wir beim Entwurf unserer Lebensschicksale in Beziehung treten, ohne dass es mit ihm jemals einen lebendigen und unmittelbaren Dialog geben kann. Dem eben Gesagten entspricht die Tatsache, dass das Online-Stellen von Inhalten nur eine Beziehung zur Kultur radikalisiert, die bereits durch Bücher und Texte bzw. durch Bibliotheken angeboten wird. Wir stoßen immer wieder auf diesen unbestreitbaren Punkt: nämlich, dass die Revolution des medialen Trägers und seiner Operationen in einer Kontinuität mit den Revolutionen der Schrift und des Drucks stehe.
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Abschließend soll mein Interesse der komplexen Weiterentwicklung des Sinns gelten, die ich in den vorangegangenen Überlegungen bereits angesprochen habe: Die universelle Durchsuchbarkeit des Netzes ist ein neuer Faktor in der Komplexität von Sinn, der die Entwicklung und Verflechtung von Nachrichten begünstigt. Im Allgemeinen scheint es, dass die komplexe Entwicklung von Sinn in zweierlei Perspektiven, der des Ausdrucks und der der Kritik, repräsentierbar ist, wobei eine davon weitaus populärer ist als die andere. Beide sind zwar unterschiedlich, wirken aber letztlich zweifellos zusammen. Charles Taylor versteht den Sinn allgemein gemäß dem Konzept des „Ausdrucks“: Sprachliche Äußerungen sind für ihn Ausdruck, insofern sie unsere bezeichnende Sicht der Dinge, unsere Emotionen und das, was für uns in irgendeiner Hinsicht zählt, zum Vorschein treten lassen. Der Ausdruck ist nach seiner Auffassung in einem beständigen Zirkel der Neuordnung gefangen: Das, was ich als meine Perspektive, mein Gefühl oder das mir Wichtigste in Erscheinung treten lasse möchte, verändert sich durch meinen Ausdruck, und die Rückwirkung dieser Veränderung setzt wiederum den Ausdrucksprozess in Gang.¹⁰ Auf diese Weise ist das dialektische Spiel des Ausdrucks demjenigen der Kritik nicht grundsätzlich fremd. Das kritische Spiel besteht, wie Husserl in Formale und transzendentale Logik. Versuch einer Kritik der logischen Vernunft betont, einfach darin, dass das Wissen nie aufhört, das, worauf die Formulierungen abzielen, in denen es sich fixiert, wieder zu befragen, um aufs Neue zu verifizieren, ob die Anschauungen ein solches Ziel bestätigen. Die Logik, deren fortschrittliche Funktion Husserl unterstreicht, ist dabei diejenige Metadisziplin, die die angestrebten Strukturen offenlegt und damit auch ihre Kritik ermöglicht (wir sind hier dem hypothetisch-deduktiven Modell der Wissenschaft sehr nahe).¹¹ Die zirkelhafte Struktur des Ausdrucks ist insofern nicht dieselbe wie die der Kritik, da die Differenz im ersten Fall in der Rückkopplung auf die Subjektivität, im zweiten Fall in einer Verifizierung produziert wird. Beiden Fällen ist aber gemein, dass sie auf negative Weise verfahren: Meine Äußerung modifiziert letztlich das, was ich fühle, so sehr, dass das Ausgedrückte nicht mehr passt; genauso wie meine Aussage oder Behauptung nach der kritischen Klärung durch die empfundene Nichterfüllung widerlegt wird. Als Kontrapunkt zu diesem negativen Ansatz möchte ich die komplexe Genese des Sinns analysieren. Insgesamt ist diese komplexe Genese auf die Ebene des Kollektivs,¹² auf das Teilen von Regeln und Normen und auf das, was man die Tradition der Unendlichkeit nennen könnte, ausgerichtet. Für einen solchen Ansatz ist der grundlegende Operator nicht die Negativität, sondern der Appell: Was uns dazu bringt, den Sinn in jeder der von uns erlebten Teilung des Sinns mit anderen unbegrenzt zu vertiefen, ist die Struktur des Appells selbst. Jedes 10 Vgl. Taylor 1985, 248 – 292. 11 Vgl. Husserl 1992, § 47– 48, 135 – 139 [franz: Husserl 1957, 176 – 181]. 12 Das Kollektiv wird in Sens et philosophie du sens mit „Sie“ (les Ils), dritte Person Plural, bezeichnet, vgl. Salanskis 2001, 146 – 153.
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Gebot eines jeden Ethos gibt Anlass zu einer unbegrenzten Suche, um zu präzisieren, was es in den verschiedenen – besonderen oder generischen Fällen – verlangt. Was den philosophischen Geist betrifft, so gilt es, etwas zu verstehen: Er ist gegenüber einer solchen Sicht wegen zweier „Entwicklungsmodelle“ leicht abgeneigt, die unseren Gedanken keine Ruhe lassen. Das erste ist das wissenschaftliche Modell der Physik: Man hat hier den Eindruck, dass die Widerlegung die Triebfeder der Entwicklung ist; dies erscheint im Übrigen eine epistemologische Theorie wie die Poppers zu behaupten. Das zweite ist das politische Modell der Demokratie: Ihre Standardfunktionsweise besteht darin, herrschende Gesetze aufgrund ihrer Auswirkungen auf die Sitte infrage zu stellen und sie dann möglicherweise zugunsten neuer, besserer Gesetze aufzuheben. Die Anhänger einer brodelnden revolutionären Basisdemokratie widersprechen dieser negativen Struktur nicht: Sie wünschen sich lediglich, dass die Reinstitutionalisierung jeder Institution dauerhaft und in nahtlosen Übergängen zur Verfügung stehe. Gewiss sind beide Fälle diskussionswürdig. Ich möchte allerdings diesen Beitrag damit abschließen, dass ich einfach zwei Gegenmodelle erwähne: die Mathematik und den Talmud. Die zeitgenössische Mathematik ist, ob man es weiß oder nicht, ein herausragendes und verwirrendes Beispiel für eine schnell wachsende Disziplin. Jean Dieudonné machte darauf aufmerksam, dass nach 1945 mehr neue Mathematik erfunden wurde als zuvor (im Maßstab der Menschheitsgeschichte). Wer versucht, sich durch die Produktion der zeitgenössischen Mathematik zu arbeiten und deren verschiedene Beiträge zu bewerten, wird feststellen, wie tiefgreifend und großartig die konzeptuellen Mittel sind, die in den letzten Jahrzehnten entwickelt wurden und die Wissenschaftslandschaft mit einer überwältigenden Intelligenz beständig erneuern. Um nur ein Beispiel zu nennen: Die Hinzufügung des Hilfsmittels der kategorialen Algebra zur Mengenlehre der gesamten Mathematik hat die Sicht auf die mathematische Objektivität erheblich erweitert, während sich das so zur Verfügung gestellte zusätzliche Instrument als unglaublich effektiv erwiesen hat. Darüber hinaus ist es legitim zu sagen, dass das kategoriale Denken dem Betrachten und Erforschen neue Welten bietet. Schließlich bereichert die kategoriale Denkweise die logische Disziplin und stärkt die Kraft ihrer Begründung. Die Mathematik hat jedoch keinen Popper’schen Werdegang. Jede Schicht des Wissens und der Intelligenz bestätigt die Gesamtheit dessen, was zuvor behauptet wurde – möglicherweise, indem sie diesen Schichten neue Formulierungen gibt und ihre Wahrheiten verallgemeinert. Der Mechanismus des Fortschritts besteht vielmehr darin, die hinterlassenen „Probleme“ anzugehen, die Reflexion der bereits vorhandenen Strukturen weiterzutreiben, eine Suche nach begrifflichen Brücken vorzunehmen, nach Wörterbüchern, die die Objekte mithilfe anderer Objekte erhellen, und in der Konstruktion von Objekten, die den Kern von Sachverhalten mithilfe der von den Theorien angebotenen Werkzeuge ausdrücken usw. Wenn man sich gleichzeitig daran erinnert, dass der Fortschritt der Physik seine Ressourcen in Wahrheit insofern von diesem „nichtkritischen“ Fortschritt der Mathe-
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matik bezieht, als wir angesichts der mathematischen Imagination der Welt immer subtilere von der Mathematik gedachte Strukturen mobilisieren, dann ist man geneigt, die dem kritischen Modus zunächst zugeschriebene absolute Exzellenz zu relativieren. Es gibt freilich noch einen zweiten Fall von „konservativem Wildwuchs“: den der Tradition des jüdischen Gesetzes. Ich will hier von dem tausendjährigen Bemühen der Gesetzesgelehrten sprechen, die wichtigsten Urteilsbegründungen und Hauptlinien des jüdischen Gesetzes zu durchdenken, zu verfeinern, zu präzisieren und in einen Kontext zu setzen. Dieses Bemühen ist vor allem im Talmud festgehalten, geht aber darüber hinaus. Der Talmud ist ein riesiger Text, dessen Abfassung zu Beginn der gemeinsamen Zeitrechnung begonnen wurde, als die Weisen des Judentums nach der Zerstörung des Zweiten Tempels versuchten, dem Volk eine schriftliche Fassung seines Gesetzes zu geben, indem sie die Ergebnisse langjähriger Diskussionen unter den Weisen protokollierten. Der Text, den man Talmud nennt, ist in Wirklichkeit die Kompilation einer Reihe von Schichten, die einer Geschichte gleichkommen. Die erste Schicht, die der Mischna, bietet eine Erläuterung aller Vorschriften des jüdischen Gesetzes: Wenn man sie zur Kenntnis nimmt, versteht man, wie groß der Abstand zu den Formulierungen ist, die man in den Gesetzesbüchern der Tora findet. Die Meister, die die Mischna verfassten, werden die Tannaim genannt, Generationen von Gesetzeslehrern, die seit den ersten Jahrzehnten unserer Zeitrechnung bis ins dritte Jahrhundert nach Christi lebten. Die zweite Schicht ist die Gemara. Sie umfasst die Diskussion der Mischna durch die Rabbinen der späteren Generationen, die sogenannten Amoräer, die um 300 bis 500 n. Chr. wirkten. Diese Diskussion konnte das Gesetz auf lokaler Ebene korrigieren oder seine Anwendungsweise präziser bestimmen, doch ihre Hauptfunktion bestand darin, das System von Begriffen herauszuarbeiten, in deren Rahmen die menschliche Welt als eine vom Gesetz regierte zu betrachten ist. Die Idee, die viel später von Jehuda ben Bezel’el Löw (Rabbi Löw), dem Maharal von Prag, formuliert wurde, besagt, dass die Gesetzesbefolgung durch die Juden im Idealfall auf einem im konzeptionellen Raster der Gemara situierten Leben beruhen solle. Nach den Amoräern kommen aufeinanderfolgende Generationen von Rabbinen (z. B. die Rishonim), deren Ausführungen auf der Talmudseite um das Textstück herum verteilt sind, welches aus dem Stück Mischna und dem darunterliegenden Stück Gemara gebildet wird. Diese Ausführungen erschaffen neue Perspektiven und helfen uns, die Gemara zu verstehen (d. h., was die Mischna eigentlich will). Der berühmteste dieser späteren Rabbinen ist Raschi, ein Mann aus der Champagne, der bis heute einer der größten intellektuellen Berühmtheiten Frankreichs ist: Juden, die sich mit dem Gesetzesstudium auskennen, erklären unisono, dass wir ohne seine Beiträge die Mischna und Gemara nicht verstünden. So bleibt Raschis Lehre seit nunmehr fast 1000 Jahren ein obligatorischer Ausgangspunkt für die Anhänger der Gesetzesstudien in jedem Land. Wenn ich diese lange Geschichte der epistemologischen Schichten der Studien des jüdischen Gesetzes skizziert habe, dann deshalb, weil ich ein Prinzip kommentieren wollte, das im 16. Jahrhundert von Rabbi Löw verkündet wurde und das vom Stand-
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punkt des kritischen Modells aus gesehen wirklich skandalös ist. Dieses Prinzip besagt im Wesentlichen, dass die späteren Rabbinen den älteren unterlegen sind und wir uns nicht arrogant auf eine Widerlegung stürzen sollten, die sie übertrifft.¹³ Ein solches Prinzip scheint eine Regressivität der Wissenschaft einzuführen, die unserem tiefsten Gefühl für intellektuellen Fortschritt zuwiderläuft: Für uns steht jeder neue Gedanke auf den Schultern der vorherigen. Es ist nicht sicher, dass sich die Aussage des Maharal der Idee des „Fortschritts“ im klassisch westlichen Sinne tatsächlich völlig verschließt. Zumindest haben wir das (sehr berühmte) Beispiel des Elijah Ben Salomon Salman, des Gaon von Wilna, der manchmal gegen seine Vorläufer entschied. Versuchen wir aber, diese für uns unhaltbare Vorstellung der Kette der Generationen zu verstehen und ihr einen Sinn zu geben. Die Idee, denke ich, ist, dass man beim Studium des jüdischen Gesetzes die überkommenen Texte als im starken Sinne belehrend auffasst, das heißt als Angebote für Gedanken, die uns nicht spontan in den Sinn kommen und die uns über uns selbst hinausführen. Wir nähern uns den Texten nicht mit einem prinzipiellen Dünkel, der von der einfachen Tatsache ausgeht, dass wir die Späteren sind: Wir sehen das, was wir empfangen, als etwas Höheres an, als etwas, das unseren intellektuellen Horizont erneuern wird. Aber diese Beziehung ist in gewisser Weise rekursiv: Wenn wir die Gemara lesen, lesen wir etwas von Menschen, die die Mischna auf diese Weise gelesen haben; wenn wir Raschi lesen, lesen wir jemanden, der die Gemara auf diese Weise gelesen hat. Jede Dechiffrierung, die sich zu einem bestimmten Zeitpunkt ereignet, versucht also, die überkommenen Ergänzungen, die in den vorangegangenen Stadien explizit gemacht wurden, neu zu entfalten. Eine solche Methodik führt, wie wir de facto feststellen konnten, zu einer wuchernden Akkumulation von Wissen: Die Methodik der Explikation von Ergänzungen erhöht beständig die Komplexität und die Tiefe dessen, was wir verstehen. Der Punkt, den ich mit diesen beiden Beispielen unterstreichen wollte, ist, dass es ein anderes Modell des Wachsens gibt als das der Kritik. Es basiert nicht auf einer in ihrer Wirksamkeit zentrierten und regelmäßig überholten Kommunikation, sondern es besteht in dem Willen, in dem Überkommenen, das uns in der Indirektion der Schrift erreicht, mehr zu hören als in dem Gesagten. In der Mathematik werden Brücken, Wörterbücher und Verallgemeinerungen geschaffen, die das Alte bewahren, indem sie ihm in einer neuen Welt ein neues Gesicht geben; in den jüdischen Studien wird das vom Gesetz gewollte, globale konzeptuelle Schema des menschlichen Lebens verfeinert und vertieft, indem man den empfangenen Lehren eine Ergänzung unterstellt, die uns bewegt. Das beweist, wie mir scheint, dass es in der Sinnfrage Dimensionen gibt, die wir nicht begreifen, wenn wir uns allein auf der Ebene der Kommunikation verorten. Die Ressource des Sinns ist reicher als das, was in einer erfolgreichen Kommunikation vermittelt worden sein mag. Aus dem Französischen von Christian Berner und Sarah Schmidt auf der Grundlage der Übersetzung von Hans Jörg Sandkühler
13 Vgl. Loew 1982, 29 – 35.
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Conditions of Communicative Action: Schleiermacher’s Conception of Language and Theory of Religion in Habermas’s Reconstruction Abstract: This paper compares the conception of language that Schleiermacher develops in his hermeneutics to its reconstruction by Habermas as a key step in the embedding of reason in language that is crucial for “postmetaphysical thinking.” Section 1 explains the theory of communicative action in its setting within the approach of the Frankfurt School. Section 2 examines Schleiermacher’s argumentation from its entry point, the pole of the speaker and listener, in their relation to the other pole, the system of language. Divination and comparison are key operations for unlocking utterances in their innovative character. Section 3 discusses the interpretation Habermas has given to the theory of religion developed in the Glaubenslehre. Section 4 offers a final assessment which includes religion within the conditions of agency and communication, thereby endorsing Kant’s argument for including questions of meaning as belonging to these conditions, in contrast to Habermas’s restriction of autonomous reason to secular reason.
The range of Schleiermacher’s work as a theorist and practitioner of communication is evident from the publics he spoke to: as author of the Speeches and of the dialogue Christmas Eve, as lecturer in different disciplines (e. g., theology and biblical studies, philosophy, theory of education), as preacher, and as a fellow citizen in venues of the public sphere. The programmatic understanding outlined in his university lectures and Academy addresses are fleshed out at concrete occasions: from Christian proclamation to academic and political settings. The question to be explored in what follows is how his work appears in the light of contemporary theory proposals. More specifically, what will be examined are the theoretical frameworks within which the “presuppositions of communicative action” have been cast in our own era and two hundred years ago. I will compare the most recent work of the theorist of communicative action, Jürgen Habermas, to Schleiermacher’s conception of understanding and self-expression in language. In 2019, Habermas’s two-volume work on religion, entitled Auch eine Geschichte der Philosophie, was published.¹ In Volume II, he discusses Wilhelm von Humboldt’s and Schleiermacher’s move to “situating reason in language” and providing a key step towards “postmetaphysical thinking.” 1 Habermas 2019, 2 vols. Translations from this work into English are my own. A translation by Ciaran Cronin with Polity Press is forthcoming. https://doi.org/10.1515/9783111128801-007
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By comparing Schleiermacher’s to Habermas’s approach and reception, insights bearing on issues pursued in each of the three panels of this conference will be gained. One controversial point relevant for the first panel, “Cultures of Debate [Streitkultur] in Religion, Science, and Society,” is the question to the Frankfurt theorist whether reason is properly defined as “secular,” which then leaves religion as the “other” of reason. Or is reason to be identified more inclusively as “autonomous” in the Kantian sense? The latter term does not rule out in advance the possibility of a religious dimension. A related question for Habermas is: Does “philosophy of religion” count as part of the “apologetics” of a faith tradition,² or is it a genuine part of philosophy? Clearly, if reason is inherently “secular,” then there is no internal link to the questions raised in philosophy of religion. They then have to be reclassified as justifications from within a religious tradition for the relevance of this worldview also for non-religious fellow citizens in a pluralist democracy. In the second panel, “Play – Protest – Utopia,” communication is under consideration as a manifestation of the human dimension of sociability. A contested problem here is how subjectivity and intersubjectivity relate to each other. Do they constitute two opposite poles, or is one the origin of the other? The outcome of this debate is important for how one conceives of utopian thinking: Is this genre, thematising the new and unprecedented, possible without the innovative and “divinating” capabilities of speakers and of the recipients who as active listeners must be able to tune into the newly envisaged worlds? Is there a shared basis for understanding a radically new vision? And what role do precedents play – earlier utopias in the symbolic universes of their time? How are “Play – Protest – Utopia” conceived by a cultural hermeneutics that studies the beginnings and histories of reception of religious and poetic symbols in contemporary societies, each of which embody culturally specific modernities, the latest of multiple previous concretisations? In the terms of the French hermeneutic philosopher Paul Ricœur’s analysis of 1975 (published in 1986), how are “ideology” and “utopia” connected?³ Among the aspects to be included in this enquiry are, first, the “subject” in relation to “intersubjectivity” and “lifeworld”; second, the possibility of devising and decoding new worlds; thirdly, the question of what role existing symbolic resources play for projecting a new future. A specific angle on the issues treated in the third panel, “Materiality and Mediality of Communication,” may be gained from a comparison of Schleiermacher’s language theory with Habermas’s claim that the “paradigm change” of the linguistic turn takes its basis in the visible, material features of grammar. According to the latter’s approach, which combines linguistic analysis with George Herbert Mead’s Symbolic Interactionism, the grammatical features of personal pronouns enable perspective taking. Does this capability – that is a necessary implication of reading and translating – orig-
2 Habermas 2009, 31. 3 Ricœur 1986. For interpretations that include his subsequent works, see Iakovou 2012, 113 – 135, and Roman, 2021.
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inate through the visibility (or “materiality”) of grammatical pronouns (the first, the second and the third person), or does it presuppose a prior level in the individual which allows the “I” to distinguish itself from others? Answers to some of these questions will be sketched after examining three themes: Habermas’s course of argumentation in the two volumes of 2019 (1); Schleiermacher’s language theory, compared with the analysis of it given in Chapter 9 of Auch eine Geschichte der Philosophie (2); Habermas’s earlier interpretation of Schleiermacher’s position as a post-Kantian theologian, as examined in §§ 3 and 4 of the Glaubenslehre (3), followed by conclusions from these comparisons for the three thematic areas just indicated (4).
1 Key Terms of Habermas’s Theory: The Paradigm Change to Language, and Postmetaphysical Thinking In order to situate the 2019 work in the third phase of the Frankfurt School, I want to begin with a famous quote from Habermas’s inaugural lecture of 1965. It encapsulates the direction his project was to take, returning to the original interdisciplinary research programme of Max Horkheimer and Theodor W. Adorno, Walter Benjamin, Erich Fromm, and others of a “critical theory” of society. The second phase, written in exile in the US, had concluded with the Dialectic of Enlightenment’s (1944) thesis that in view of the Holocaust “civilisation” had turned into “barbarism.”⁴ The resulting diagnosis became one of a “universal context of delusion” (Verblendungszusammenhang).⁵ Against this background, the new departure taken by Habermas is based on a capacity that is a human given: language, which he interprets as itself opening up a path towards mutual cooperation and emancipation: The human interest in autonomy and responsibility [Mündigkeit] is not mere fancy, for it can be apprehended a priori. What raises us out of nature is the only thing whose nature we can know: language. Through its structures, autonomy and responsibility are posited for us. With the first sentence the intention of a universal and unconstrained consensus is unmistakably expressed.⁶
Instead of being caught in a “universal context of delusion,” humans are able to “know” and reflect upon language as their own natural capacity. Its “structures” contain an “a priori” orientation towards “autonomy,” “responsibility,” and a “universal […] consensus.” A normative dimension for human co-existence is discovered in linguistic commu-
4 Horkheimer and Adorno 1975, xi. 5 Adorno 1973, 320. 6 Habermas 1971, 314 (translation amended).
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nication. These are the foundational principles of the research enterprise that Habermas will elaborate in the following decades. Alongside “language,” the second key concept is “postmetaphysical thinking,” which is connected to the paradigm change from the “philosophy of consciousness” with its subject-object-dichotomy to “third categories,” such as “language,” “intersubjectivity,” and “lifeworld.” “Metaphysics” stands for elements such as Platonic idealism, a strong concept of theory, and identity thinking,⁷ which is to be superseded by a historically conscious approach and a critical conception of theory embedded in the context of origin and extending to the context of use. This new orientation for philosophy is subsequently linked to Karl Jaspers’s concept of the “Axial Age,” the watershed era between ca. 800 and 200 BCE in which the world religions as well as the great philosophical systems emerged in different cultures but with comparable traits. As one of the strands that developed from exchanges between two of these formations, European thinking has meanwhile achieved a postmetaphysical stage. From Chapter 4 of Volume I onwards, the steps through which the move away from substance ontology has taken place are traced. The contingent encounter of Greek philosophy with biblical monotheism is judged to be the major factor, transforming Greek ontological thinking into a dialogical framework of subjects answerable to God and to their fellow creatures. Yet the philosophy of the subject achieved at the start of modernity is also judged as needing to be overcome. Here, Herder, Humboldt, and Schleiermacher are portrayed as the harbingers of a standpoint that leaves Kant’s transcendental philosophy behind and opts for a concept of reason that is situated in language, in interaction, and in a cultural reservoir of shared meanings. Even if Herder, Schleiermacher, and Humboldt were deeply marked by Kant and idealistic philosophy, […] they owed their scholarly education and their ways of thinking to other disciplines […]. They unfold the […] basic conception of the world-constitutive power [Kraft] of language that is cooriginal [gleichursprünglich] with reason. They […] already elaborate the basic terms that will become effective [zum Zuge kommen] in the paradigm change.⁸
These three theorists are seen as part of a move to history and individuality. It is noteworthy that Habermas expects reason to be stimulated by factors external to thinking while assuming at the same time that reason is capable of carrying out a genealogy of its specific developments in the different world cultures.⁹ Schleiermacher is seen as remaining on the threshold: on the one hand, in his “analysis of the linguistic embodiment of reason,” he succeeds in developing a hermeneutics which “reconciles [vereinbaren] reason’s claim to universality with a hermeneutical respect for the peculiarity [Eigenart] of the respective language and the individuation of linguistic meanings [Bedeutungen] in individual texts or speech acts.”¹⁰ On 7 Habermas 1992, 29 – 34. 8 Habermas 2019, vol. II, 380 – 381. 9 Cf. Essen 2021, 342 – 343. 10 Habermas 2019, vol. II, 429.
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the other hand, for the Berlin thinker, language remains “only the medium of articulation for unfolding thoughts.” It does not belong to the “genesis of consciousness” itself since “the grammar of language does not at all [keineswegs] structure and pervade consciousness as a whole.”¹¹ This assessment is correct, in view of Schleiermacher’s distinction between thinking turned towards external speech and thinking for oneself. The question to be decided is whether both he and Humboldt intended to supersede the philosophy of consciousness, or instead, aimed to illuminate and concretise it.¹² Does the level of the transcendental subject still need to be presupposed when a speaker and an active recipient engage in the process of communication?
2 Schleiermacher’s Theory of Linguistic Communication and Habermas’s Reconstruction The key difference between Schleiermacher’s language theory and Habermas’s outline of the linguistic turn is the model chosen for relating individual speaker and language system.¹³ I want to illustrate this thesis with three representative points: Schleiermacher’s decision, from the earliest 1805 Hermeneutics Lectures onwards, to begin with “non-understanding” (1); their different treatments of grammar as the visible structure of language (2); and the test case of translation (3).
2.1 Radicalising the Task of Hermeneutics by Presupposing “Non-Understanding” By sharpening the starting point of hermeneutics into a ubiquitous case of “non-understanding,” the discipline is set up as an active task of unravelling the causes for this outcome by conducting two distinct enquiries: the first, into the language system, specified as “grammatical”; the second, into the speaker and the recipient, entitled “technical” and “psychological.”¹⁴ The newly appointed professor breaks with earlier herme-
11 Habermas 2019, vol. II, 449. 12 Regarding the approaches elaborated by Schleiermacher and Humboldt, Denis Thouard also speaks in relation to their theories of translation of “d’étonnantes harmonies” between the outlines of the two authors who “semblent être tellement sur la même ligne.” He compares their frameworks and their application in Thouard 2015, 60. 13 I have developed the following analyses in greater detail in Chapter 8 of Junker-Kenny 2022, 190 – 231, and in “Der Ort Friedrich Schleiermachers als Sprachtheoretiker” (forthcoming). 14 “Technical” can be understood as a specification of the meaning of “psychological.” As Berner 2015, 46, elucidates, the two terms used for enquiring into the pole of the individual, technical interpretation “shows the way in which an author uses language individually for his thoughts (thus the word ‘technical,’ since the general language is the means for the purpose of an individual proposition [Aussage]).”
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neutics by replacing the previous assumption – that for most communications and texts a one-to-one comprehensibility can be expected – with a new premise of “nonor misunderstanding.” This emphasis on the distance between speaker and listener represents, as Sarah Schmidt highlights, a “universalisation of suspicion,”¹⁵ which in turn calls for a much more stringent procedure for reconstructing the content of an utterance. The listener’s active attempt of understanding becomes part of the analysis. From this perspective, it appears hazardous to simply assume what linguistics will later label as the “perlocutionary effect.” In Schleiermacher’s analysis, that effect may not be near what the speaker intended to convey and is anything but automatic. The goal of “understanding” is marked from the start by the knowledge that concepts chosen by the speaker will overlap to some degree with those of the addressee or reader, but never coincide completely.¹⁶ The input or “spin” of the individuals must be retraced since they are more than mere language “users”; they are shapers and movers. As Schmidt outlines in her comparison with Friedrich Schlegel’s restriction of the term “Kunst,” for Schleiermacher everyone is an “artist”: “Schleiermacher’s interest is not directed towards art criticism [Kunsturteil] (and its programmatic entanglement in the artistic process), but – similar to Schiller’s Letters on Aesthetic Education – towards the artistic activity proper to every human being as a free play of thoughts and to its meaning and function in the process of reason unfolding itself.”¹⁷ From the prevalence of “misunderstanding” follows a specific universality of hermeneutics which relates its task to “everyday life.” Every human being must be credited with originality of expression. Gunter Scholtz explains the new standard which the discipline aims to deliver: What is new with Schleiermacher and his era is […] that the individuality – and that means the alterity [Andersartigkeit] – of the Other is conceived of much more radically; yet at the same time much more than before is demanded regarding the understanding of the other’s utterances. The Other becomes, so-to-speak, even more inaccessible [unzugänglicher] and the consciousness of distance is thereby sharpened: Schleiermacher declares the most inner realm of the human being as closed [verschlossen], as a mystery, and – unlike, for example, Chladenius – he does not expect any aids for understanding texts from a general psychology. At the same time, a much higher accuracy [Genauigkeit] is demanded from understanding.¹⁸
Fodor 2013, 508, clearly distinguishes Schleiermacher from Wilhelm Dilthey’s influential reading on this point, insisting on the equal relevance of the “grammatical” investigation. At the same time, the questions of what constitutes a “foundationalist epistemology” (518) and why including “universal laws” (510) into the analysis of thinking is deemed problematic require further discussion. These unclarities affect Jim Fodor’s understanding of Schleiermacher, whose critique of Hegel is perceptively noted (506), but whose use of Kantian terms like “schema” and his (and Humboldt’s) shared regard for the anchoring role of the “I” is not. 15 Schmidt 2016, 107. 16 Cf. Schleiermacher KGA II/10.2, 406. Quoted by Schmidt 2016, 108. 17 Schmidt 2016, 102. 18 Scholtz 2016, 16.
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Compared to the shared background assumptions that define the “lifeworld” for Habermas, Schleiermacher’s analysis of 1805 indicates an edgy and risky enterprise. Against the canvas of a “permanent latent misunderstanding,”¹⁹ the path is set out as a strenuous effort: “Misunderstanding ensues by itself, and understanding must be willed and sought at every point.”²⁰ It is carried out from two points: the language system as an enabling but also limiting condition, and the speaker whose completed utterance is to be followed back to its origin. The two focal points for this “double reconstruction” (Nachconstruiren) in the language and in the individual are not equal: Schleiermacher speaks of the “violence” of the system against which the speaker works to create the specific “sense” intended.²¹ At the same time, the general structures of language are the shared medium between speaker and listener. On the one hand, Habermas agrees with the double point of reconstruction and acknowledges the “innovation” the speaker and interlocutor achieve. On the other hand, this innovation seems to stem from the pole of language. Noting the “indissoluble relationship of tension [unauflösbaren Spannungsverhältnis] between ‘language’ and ‘consciousness,’” he concludes that the “language system enables acts of speaking [Sprechhandlungen] which themselves reproduce the language and thereby, however imperceptibly, change it in an innovative way.”²² To whom do these acts belong, if the language system is credited with “enabling” them? It seems to me that in Schleiermacher’s conception the “acts of speaking” are reconstructed much more clearly as the subject’s activity, owed to her world-relation and her ability to communicate with others. If, however, the power to cause these effects is attributed to language, then Habermas’s model is an alternative to Schleiermacher’s, whose interest, as Denis Thouard notes, is in a “perspective directed towards the origin of what is new.”²³ This newness comes to be through the unique selection and combination of words by each speaker, resulting in their co-constitutive function or role for language as a system that is changing. Habermas does distinguish between the view “of the ‘logician’ that is fixed on the representative function of language, and the performative sense which the pronouns of the first and second person acquire from the perspective of the participants that is missed by it.”²⁴ Yet there seems to be less awareness of the both unprecedented and
19 Schmidt 2016, 107. 20 Schleiermacher KGA II/4, 127 (1819). Cf. Schleiermacher KGA II/4, 6 (1805 and 1809/1810): “I do not understand anything as long as I cannot grasp it as necessary and construe it” (quoted by Schmidt 2016, 107, and Scholtz 2016, 16). Thus, one needs to “reconstruct the act of production” (Scholtz 2016, 16, with reference to Schleiermacher KGA II/4, 65 – 69). 21 Concerned about the limited space it may leave for the human subject, both Schleiermacher and Humboldt refer to the determining power of language as “force” or “violence” (Gewalt) from the perspective of the individual speaker. Schleiermacher KGA I/11, 71. Cf. Scholtz 2016, 11, n. 34, and Berner 2015, 47, 51. 22 Habermas 2019, vol. II, 386 – 387. 23 Thouard 2016, 90: “Hermeneutics has the task of taking up this new element [dieses Neue] […], which cannot be achieved from what is already known.” 24 Habermas 2019, vol. II, 459.
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precarious character of communication indicated by the jarring premise of “non-understanding” made foundational in Schleiermacher’s Hermeneutics from 1805 onwards. Habermas describes the procedure he wants to propose as “directing the gaze towards a middle point [Mitte] between natural necessity and intelligible freedom.”²⁵ Does this lead to taking the “third categories” – “language,” “intersubjectivity,” and “lifeworld” – as unproblematic entry points, when they in fact require a rigorous examination of the polarities between which they are set and the tensions resulting from them?
2.2 Grammar as the Step to Visibility Beyond Interiority, or as Combining a Virtual and a Material Level? A further contrast can be observed in the status and constitution accorded to grammar. For Habermas, it offers visible signs that leave behind the inscrutable interiority of the transcendental subject. Schleiermacher sees the elements of grammar as composed of two levels that allow them to be imbued with the speaker’s determining use. Words are not cut-and-dried entities, they are marked by an “indeterminacy” (Unbestimmtheit) and “equivocalness” or “ambiguity” (Zweydeutigkeit), that require and permit specification.²⁶ The “unity of the meaning” (Einheit der Bedeutung) is at the general level; the other, the “local worth” (Lokalwerth), is the result of the act of selection that gives it its context-determination. There is no continuity between the two levels but an inventive leap. This requires the listener to combine two operations in the act of understanding – one “divinating,” the other “comparative.” A striking illustration of the sheer inventiveness required is given with children’s “self-empowerment” of language. Also for Habermas this is a landmark of human ingenuity. He refers to Humboldt’s finding that “children learn language not at all in a mechanical way, thus not piece by piece through imitation.” The nineteenth-century thinker thus discovered “generative rules […] long before Chomsky.”²⁷ Schleiermacher also specifies what these youngest participants manage to accomplish: Learning to speak for the first time, children succeed in guessing and establishing both the general meaning and the specific, context-determined sense of a word.²⁸ This double achievement undermines attempts to posit the language system as the active factor and calls for a proper recognition of the divinating power of participants even at the earliest stage. While the question of the necessary distinction between relations to the world and to other humans as established in language is relevant yet can-
25 Habermas 2019, vol. II, 370. 26 Schleiermacher KGA II/4, 73 (Allgemeine Hermeneutik 1809/1810). English translation in Schleiermacher 1998, 227. 27 Habermas 2019, vol. II, 455. 28 See Schleiermacher KGA II/4, 79 – 82.
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not be taken up here, Habermas is mainly interested in the latter.²⁹ For him, it is via the grammatical pronouns of the first and the second persons that “perspective taking” – and thus the normative dimension he sees as inherent in language – is achieved. Yet the question remains: What makes it possible for the I to imagine and take the perspective of the other? How could the change of perspective between the self and the other take place if there was no prior ability of the subject to recognise itself? This is where Dieter Henrich introduces the idea of an “immediate familiarity with oneself” that can only be elucidated in a transcendental reflection, as distinct from a psychological interpretation. As Rudolf Langthaler shows, the first person singular is not at the same level as the second and third persons (singular or plural) or the first person plural, since the first person singular is the centre of reflection and agency. What Habermas seeks to supersede – the “anchoring role” of the transcendental subject – is still assumed as the necessary counter-pole to the system in Schleiermacher’s analysis. This is also relevant for our third theme, the ordinary cases of intensified “otherness” posed by the task of translating between two language systems.
2.3 Test Case Translation: At What Level, General or Concrete-Historical? The language “system” appears in a different perspective under the aspect of translation: there are two systems, and it needs to be clarified at which of the levels, the virtual or the concrete-specific, translation operates. Thouard identifies the task as mediating between the two languages at the concrete-historical level of expression and uncovers it further as an indication of human finitude. We find ourselves at different stages of linguistic systems that change historically.³⁰ Commenting on Schleiermacher’s analysis of translation, Thouard identifies the contrast between the “constraint” and the “unforeseeable” actualisation of a “new speech” which the translator tries to render: “Le jeu de contrainte et de l’effectuation imprévisible de nouveaux discours constitue l’historicité des langues. Le traducteur s’efforce de traduire non une langue, mais le discours singulier qui la modifie.”³¹ 29 Langthaler 1997, 324 and elsewhere, sees Habermas as collapsing these two separate constitutive dimensions. 30 Priesemuth 2020, 64 – 93, treats Schleiermacher’s translation of Plato as a concretization of his hermeneutical reflections and follows up its impact on establishing Deutero-Pauline authorship based on specific criteria, e. g., of 1 Timothy. 31 Thouard 2015, 62. He sees a contrast to Humboldt in Schleiermacher’s systematic interest, despite his own experience of scholarly translation, especially of Plato’s works, but also of sermons from English: “Schleiermacher, au contraire de Humboldt, s’appuie sur une réflexion préalable concernant les implications cognitives de la compréhension. S’il partage l’idée que les langues naturelles donnent des perspectives sur le monde, il comprend autrement cette multiplicité, car son ambition reste systématique. […] Il ne s’agit pas tant pour lui du projet d’une ‘science de la traduction’ comme on a pu parfois être
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Transposing a text into a different language – for example, the translations of James Joyce’s Ulysses into European languages, or Martin Buber’s and Franz Rosenzweig’s poetic translation of the Hebrew Bible into German – is at the same time a recreation with the means available in the other language. The target language may be separated by epochs from the original,³² but the original is also enriched by the new context of the target language’s history of meaning. Translations are instances to a higher degree of the ordinary case of reconstructing the specific sense through the recipient’s imagination: “If style is the whole person, then the text is not only a manifestation of his faculty of understanding [Verstandes], but also of his imagination [Einbildungskraft]. In order to do justice already to this fact, the interpreter also needs his own [imagination].”³³ It is never a case of deducing the “sense” (Sinn) of a sentence from the units of meaning (the object of the grammatical interpretation). As Reinhold Rieger has shown, it must be recreated by the listener whose own imagination is required to venture an interpretation of the individual “sense”: The sense cannot be solely deduced from the meaning but must be created anew each time in the interpretation. The task of understanding is exactly this determination of sense. The sense of a text does not arise automatically [ergibt sich nicht von selbst] because it is co-determined by individuality […] The use of method and rules is necessary to allow for a transformation of what is individual into what is general. But since the rules are general themselves, they cannot completely do justice to the individual […] and a creative act of generating the sense must be added.³⁴
Thus, the ability to translate shows one more time the input of the recipient and active transmitter. It marks the difference from automatic translations which treat processes of communication as “little more than the sending back and forth of packets of information,” as the prospectus for this conference observes. In order to correct the results of translations based on statistical frequency, a human representative with bilingual knowledge and the imagination to perform the “creative act of generating the sense” is required.
tenté de l’identifier […] que d’une réflexion philosophique sur les conditions de l’acte de traduire, réflexion qui s’appuie sur la cohérence systématique de sa pensée” (Thouard 2015, 60 – 61). 32 The risk of having to specify the meaning may result in departures from the original. Not all English translations of Habermas’s works capture the details. For example, “Gründe und Abgründe der Vernunft” (reasons and abysses of reason) in Habermas 1983, 26, is rendered by translators Christian Lenhardt and Shierry Weber Nicholsen as “yesteryear’s classical philosophy of reason” in Habermas 1991, 18. 33 Scholtz 2016, 21. 34 Rieger 1988, 302. This point is analysed by Kenny 1992, 52 – 53, n. 17, and Thouard 2015, 64.
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3 Schleiermacher as a Post-Kantian Theologian In Habermas’s earlier discussion of Schleiermacher’s Dogmatics in the context of postKantian thinking, a theme returns that was invoked above when highlighting the difference between the first person singular and all other grammatical persons: the subject at the centre of production and reconstruction, divination and comparison, who must be able to recognise the impressions from the world and his interactions as his or her own. A term that Henrich has brought into this enquiry is the “prior familiarity with oneself,” whereby a pre-reflective familiarity must always be assumed, even of children at the prelinguistic stage. This is a core element of his critique of Habermas’s dismissal of “metaphysics” in modernity.³⁵ The “immediate self-consciousness” claimed in the two foundational paragraphs in the Introduction to The Christian Faith is Schleiermacher’s term for it. It is thus part of a philosophical analysis (of propositions borrowed from ethics) within which the place and scope of religion are specified. Habermas, by contrast, takes this analysis to arise from a specific decision of a pious individual to turn away from the world into an interiority before God. The Glaubenslehre counts as “postmetaphysical” because it has taken on board Kant’s rejection of proofs for God’s existence from external reality in the Critique of Pure Reason. But the analysis of human self-consciousness that culminates in the finding of a “Whence” of human existence in its “absolute dependence” is unveiled by Habermas as a pietist or Romantic withdrawal from the world of historical struggle into the individual soul. What has actually been undertaken in the argument developed in §§ 3 and 4 of the second edition of the Glaubenslehre, however, is a transcendental philosophical analysis.³⁶ Some brief conclusions remain to be drawn for the three areas outlined at the beginning.
4 Some Conclusions From Comparing Habermas and Schleiermacher in Their Analyses of Modern Conditions of Communication Recouping the conference programme in reverse order, I shall begin with the third theme, “materiality,” followed by a key term of the second area, “utopia” as linguistic innovation. Finally, the question of religion in its relation to reason is posed as part of public intellectual debate. On the one hand, Habermas’s judgement of Schleiermacher’s argumentation on the essence of piety is correct in one aspect. Yet his overall assessment of the ground-breaking justification of religion through an analysis of subjectivity
35 Cf. Henrich 1999, 291 – 319. 36 I have discussed the change of method between the first and the second editions’ definitions of the essence of piety and differing interpretations of these paragraphs in Junker-Kenny 2020, 29 – 70.
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which the work of this post-Kantian theologian has provided must be examined. Does it underestimate the extent of his reconception of hermeneutics and theology from the new conditions of thinking in modernity espoused also by Habermas?
4.1 Materiality and Mediality of Communication For both theorists, materiality is found first of all in the grammatical entities and signs. For Schleiermacher, they require a human counterpart with an imagination equal to the author’s in order to not merely decipher their meaning, but to recreate their sense. The key difference, then, regarding the “conditions of communicative action” is that Habermas puts his trust in “third categories” that are supposed to supersede the subject-object dichotomy. Schleiermacher keeps the tension between the two poles of speaker and language system and identifies the speaker and listener as the carriers of communicative actions that remain precarious, prone to misunderstanding and correction.
4.2 Utopias as Linguistic Innovations Between General Structures and Divination As one genre of an innovative use of speech, utopias call for the capabilities of speakers and recipients in their active listening to tune into the newly designed worlds they outline. Existing symbolic universes can be drawn from to enable new departures not just semantically but also by tapping into motivation. The willingness of citizens to persist and to commit to working out a long-term common future can be reactivated by the multiple “heterogeneous traditions” co-existing in pluralist democracies. Each of them draws on their own “unkept promises” to keep going from an internal motivation, as Paul Ricœur has pointed out.³⁷
4.3 Cultures of Debate (Streitkultur) in Religion, Science, and Society A first step in answering the question whether reason is to be classified as “secular” or “autonomous” needs to be taken in regard to Schleiermacher’s argumentation. It is indeed a problem that for him reason is theonomous to such a degree that atheism is deemed to be an error, and not respected as a possible decision. Habermas concludes from this conviction that the whole “Introduction” to the Glaubenslehre is theological, not philosophical, specifically that §§ 3 and 4 are products of a pietistic upbringing. Yet
37 Ricœur 2007, 105.
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the conclusion from the transcendental enquiry conducted in the second edition’s “Introduction” into the structures of self-consciousness that a relation to God is given in every human being is only the final step of an otherwise valid analysis – a step that does not have to be taken. Thus, Habermas’s labelling of his achievement as having provided an “elegant reconciliation” of religion and modernity, of faith and knowledge, can be regarded as misleading. Habermas objects to the price allegedly paid for the “integration of the Church into society and the privatization of faith,” which “rob the religious relation to transcendence of its disruptive power within the world.”³⁸ As the reception of the first edition of The Christian Faith 1821/1822 has already shown, but even more so that of the revised final edition of 1830/1831, Schleiermacher’s theological work has proved to be less elegant than fractious. Even more than other, less radical re-conceptions of received doctrines, such creators of groundbreakingly new accounts of a faith tradition risk to an increased degree what the “father of modern theology” has designated as the starting point for Hermeneutics: misunderstanding. It is remarkable to see the relevance Habermas gives to religion as a counterweight to a scientism which in its positivism denies the capacity for self-reflection and undermines practical moves of solidarity initiated in the face of growing defeatism. But insisting not only on a foundation separate from reason – which theology would identify as God’s self-revelation in history – but also on a completely “extraterritorial” status³⁹ to the realm of reason is unwarranted. The history of philosophy which is uncovered as having been transported within and modified by the history of Christian thinking may have been intertwined with theology for a reason: perhaps, as Kant originally suggested, there is a “need of reason” that cannot be suppressed and that is the meeting point of autonomous reflection and the historical religions in all their particularity. In his rejection of this Kantian basis for recognizing religion as responding to the questions of meaning and hope as genuine components of the conditions of communication and agency, Habermas may be leaving the field to those sceptical of any transcendence, be it within or also beyond the scope of this world.
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38 Habermas 2008, 234. 39 Cf. Habermas 2008, 130.
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Michael N. Forster
Romantic Hermeneutics and Its Impact in the Long Nineteenth Century
Abstract: This paper begins with an overview of some of the central principles of the “Romantic” hermeneutics that Ernesti, Herder, Friedrich Schlegel, Schleiermacher, and Boeckh developed in the eighteenth and nineteenth centuries, as well as of some of the differences between their versions of it. It then argues that this new hermeneutics – both in general and in Schleiermacher’s version of it – had a massive beneficial impact on the development of the human sciences in the long nineteenth century, including classics, Bible scholarship, general historiography, historiography of philosophy, historiography of literature, comparative literature, historiography of law, linguistics, cultural anthropology, and art history. This massive beneficial impact is not only remarkable in its own right but also constitutes a prima facie case for the correctness of “Romantic” hermeneutics, a case with which alternative approaches to hermeneutics (such as Gadamer’s and Davidson’s) cannot compete.
Toward the end of the eighteenth century and the beginning of the nineteenth a new hermeneutics, or theory and methodology of interpretation (i. e., of achieving understanding), emerged in Germany – roughly, what Hans-Georg Gadamer has called “Romantic” hermeneutics. It was developed by several important thinkers, including Johann August Ernesti, Johann Gottfried Herder, Friedrich Schlegel, Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher, and his student, the eminent classical philologist August Boeckh. It went on to exercise an enormous and beneficial influence on the development of the methods and discoveries of the human sciences in the long nineteenth century. This new hermeneutics rested on two radical breaks with assumptions that had commonly been made by the European Enlightenment. The first was a break with the linguistic-psychological universalism of such Enlightenment thinkers as Voltaire, David Hume, and Immanuel Kant, i. e., their assumption that human beings’ linguistic resources (e. g., grammar), concepts, beliefs, values, sensations, genres, and so on are fundamentally the same at all times and places. The developers of the new hermeneutics believed that, on the contrary, such phenomena vary deeply from epoch to epoch, culture to culture, and even to some extent individual to individual. This position (I would call it an insight) led directly to a recognition that interpretation of Others is often a far more difficult task than Enlightenment thinkers had supposed: In many cases the interpreter is initially not even familiar with the linguistic resources, concepts, beliefs, values, etc. involved in the text, discourse, or other form of expression that he is interpreting. Moreover, he is constantly tempted to falsely assimilate them to different but similar-looking ones with which he is already familiar (e. g., to assim-
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ilate the concepts involved to his own, the beliefs involved to his own, the values involved to his own). The second radical break with the Enlightenment concerned its usual way of conceiving the relationship between thought and language, or concept / meaning and word. Whereas Enlightenment thinkers such as John Locke, David Hume, and Étienne Bonnot de Condillac conceived thoughts and concepts / meanings (in their parlance, “ideas”) in a dualistic way as related to language and words only contingently – not dependent on them for their very existence, but only for such purposes as memorization and especially communication – the inventors of the new hermeneutics espoused two radically anti-dualistic principles: (1) Thought is essentially dependent on and bounded by (some of these new hermeneutical theorists even went as far as to say: identical with) language, and (2) concepts / meanings consist – not in subjective “ideas” (as Locke, Hume, and Condillac had believed), nor, for that matter, in objective “ideas” (as Plato had thought) or in objects referred to (as Augustine had held) – but in word-usages. (The properly Romantic representatives of the new hermeneutics, Schlegel and Schleiermacher, also took the important additional step of inflecting this equation of concepts / meanings with word-usages away from an atomistic version of it that Herder – in a measure of residual continuity with the Enlightenment – had at least initially espoused toward a more holistic version of it that recognized both grammatical relationships and more local relationships between families of words as essential aspects of the word-usages that constitute concepts / meanings.) This whole new philosophy of language played a fundamental role within the new hermeneutics. In particular, since it had now turned out that meaning just is word-usage, the central task of interpretation, that of discovering the meanings in a text or discourse, henceforth came to be conceived as a matter of identifying the word-usages involved. Beyond these two fundamental and revolutionary steps, the new hermeneutics also took a number of further ones. The following are some of the most important of these. First, despite its new emphasis on word-usage, the new hermeneutics did not hold that focusing on word-usage was sufficient for interpretation, but only necessary. In particular, it was essential in addition to identify and take into account an author’s individual psychology. This principle receives several different rationales from the new hermeneutical theorists involved. One of these (especially emphasized by Herder) is that a certain essential grounding of all concepts / meanings in sensations entails that the interpreter must imaginatively recapture the distinctive sensations of an author in order to understand him (Einfühlung). Another rationale (implied by Schleiermacher) is that interpretation requires identifying not only the meanings of words and sentences, but also roughly what would today be called the latter’s illocutionary forces, or illocutionary intentions (e. g., whether a sentence is an assertion, a question, a command, a prayer, an ironic remark, an insinuation, a joke, a threat, or whatnot). Another rationale (again championed by Schleiermacher) is that identifying an author’s individual psychology is an important aid toward discovering his distinctive ways of using words, his individuality in conceptualization. Yet another rationale (mainly due to Schlegel) is that authors often communicate ideas requiring interpreta-
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tion, not explicitly in specific parts of a text / discourse, but instead implicitly via what those parts do express explicitly and the way in which they are put together to form a whole. Second, the interpreter also needs to identify the genre of the text or discourse that he is interpreting – a task that is complicated (much as that of identifying the concepts / meanings, beliefs, or values involved is) by the deep variability of genres between historical periods, cultures, and even individuals, which entails that an interpreter is often initially unfamiliar with the relevant genre and is moreover constantly tempted to falsely assimilate it to some more familiar one. Third, the identification of meanings, an author’s individual psychology, and genre that is required for successful interpretation must be undertaken, not by relying on a priori assumptions, but instead in a scrupulously empirical manner: by examining the relevant word-usages, the relevant linguistic and other behavior of an author, and the relevant texts / discourses in an open-minded, careful way. Fourth, whereas in certain cases the amount and the contextual variety of the empirical evidence available to the interpreter for doing this will be sufficient to allow him to arrive at the relevant conclusions through something like plain induction (e. g., a speaker of English who knew no German might be able to infer inductively from the fact that in dozens of cases he has found German speakers using the word “schwarz” always and only in application to black things to the conclusion that it means “black”), often they will not. In such cases he will instead need to resort to what this new hermeneutical tradition calls divination, or hypothesis, i. e., conjectures based on the meager empirical evidence that is available but also reaching far beyond it, espoused in a correspondingly tentative spirit, and adopted with a view to awaiting further empirical evidence that will either confirm or refute them, in the former of which cases the interpreter will retain them, but in the latter of which cases he will either jettison them completely or else revise them. Fifth, interpretation needs to incorporate at least two types of holism: On the one hand, it should interpret a text or discourse in the light of information about its geographical, technological, historical, social, religious, etc. context. On the other hand, it also needs to interpret parts of a text or discourse in light of larger wholes, especially the whole text or discourse itself. Sixth, those two holistic requirements lead to what later came to be called a “hermeneutic circle”: interpretations of parts require interpretations of larger wholes but also vice versa. This might seem to be a big problem. However, the new hermeneutical theorists (especially, Herder and Schleiermacher) argue convincingly that the circle is not vicious, but can be coped with by, for example, achieving some level of understanding of each of the parts of a text in sequence even before one has interpreted the whole text, thereby building up a provisional interpretation of the whole text, then applying this provisional interpretation of the whole text in order to refine one’s interpretation of each of the parts, thereby generating an improved interpretation of the whole text, which one can then apply in order to achieve an even more refined interpretation of the parts, and so on (in principle indefinitely). At first sight this proposal might look
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like a mere pseudo-solution to the problem, but in fact it is not; the key to its viability lies in these hermeneutical theorists’ implicit insight that understanding is not an allor-nothing matter, but instead something that comes in degrees. Seventh and finally, sacred texts, such as the Bible, should be interpreted in the same way as profane ones. In particular, it is not legitimate for an interpreter to assume that the Bible, as the word of God, must be true and a fortiori consistent throughout and to therefore interpret it in conformity with that assumption, or for him to rely on the Holy Spirit inspiring him with the correct interpretation of the Bible without any need to follow more usual interpretive methods. Also, the widespread practice of interpreting sacred texts as allegory is to be avoided, except in those relatively few cases where such an interpretation is clearly encouraged by the text itself (e. g., the parables of the New Testament). Instead, sacred texts should be interpreted by employing exactly the same principles of interpretation as for any other text, in particular those that have just been sketched above. These, then, are some of the core principles of the new hermeneutics that Ernesti, Herder, Schlegel, Schleiermacher, and Boeckh developed. Of course, these thinkers made somewhat different contributions to the development of the new discipline, and there were some disagreements between their versions of it. For our purposes these differences and disagreements are less important than the common core just outlined. However, it is appropriate to say at least a few words about them. Schleiermacher is often regarded as the main representative of Romantic hermeneutics. And in certain respects that view is justifiable: Unlike Herder and Schlegel, whose contributions to hermeneutics lie scattered through a large number of works (works that are moreover largely concerned with other matters)¹ and are quite unsystematic, Schleiermacher provides a treatment of the subject that is both consolidated and systematic;² he contributes several specific ideas that are not only new but also intrinsically valuable (e. g., the local holism concerning word-usage and the two rea1 In Herder’s case, these works include early writings on biblical interpretation from the 1760s such as On the Divinity and Use of the Bible (1768), the Fragments on Recent German Literature (1767– 1768), Shakespeare (1773), This Too a Philosophy of History for the Formation of Humanity (1774), On the Cognition and Sensation of the Human Soul (1778), and Songs of Love (1778). In Schlegel’s case, they include early unpublished writings such as Philosophy of Philology (1797), as well as published ones such as Georg Forster (1797), On Lessing (1797/1801), On Goethe’s Meister (1798), the Athenaeum-Fragments (1798 – 1800), On Unintelligibility (1800), articles on painting that appeared in the journal Europa from 1802 onwards, a review of a French work on Kant by Charles de Villers (1802/1803), and the Lectures on the History of Literature (1812/1815). 2 Schleiermacher lectured on hermeneutics repeatedly from 1805 onwards. A compendium of this and related materials was edited just a few years after his death in 1834 by his former student Friedrich Lücke under the title Hermeneutik und Kritik mit besonderer Beziehung auf das Neue Testament (Schleiermacher, Sämmtliche Werke I/7, 1838). In 1959 Heinz Kimmerle supplemented that volume with additional materials from the Nachlass in a collection he entitled simply Hermeneutik (2nd ed., 1974). More recently, the extant manuscripts and student notebooks were edited for the Schleiermacher critical edition by Wolfgang Virmond as Vorlesungen zur Hermeneutik und Kritik (Schleiermacher KGA II/4, 2012).
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sons for the importance of psychological interpretation that were mentioned above); and he also served as the main conduit of Romantic hermeneutics to Boeckh, who was its final and arguably most sophisticated spokesman. So let me add to the above generic characterization of the new discipline a short list of some of the further features that distinguish Schleiermacher’s specific version of it: First, Schleiermacher explicitly aspires to provide a perfectly general hermeneutics, rather than a hermeneutics limited to only a certain type of work, for example just sacred works, just literary works, just juridical works, just ancient works, just modern works, or just texts rather than discourse. Second (and perhaps in the final analysis at odds with that aspiration), he limits hermeneutics to linguistic forms of expression, i. e., to texts and discourse. Third, he distinguishes between three essential aspects of all interpretation: historical contextualization (strictly speaking, he usually classifies this as preceding interpretation proper rather than as part of it), linguistic or grammatical interpretation, and psychological or technical interpretation. Fourth, he also distinguishes between two methods that he thinks are involved in all interpretation: the comparative method (i. e., roughly, plain induction) and divination (i. e., roughly, hypothetical conjecture), and he maintains that while the former method predominates in linguistic interpretation, the latter predominates in psychological interpretation. Fifth, in light of the essential role that divination, or hypothesis, plays in interpretation, he classifies interpretation as not just a science but an art. However, as I have argued elsewhere,³ the ascription of the central role in the new hermeneutics to Schleiermacher also requires much qualification. In particular, despite their shortcomings concerning consolidation and systematicity, both Herder and Schlegel anticipated and prepared the ground for Schleiermacher’s version of the discipline. Moreover, in quite a few cases their specific hermeneutical principles turn out to be superior to his. For example, unlike Schleiermacher, they both include not only texts and discourse but also non-linguistic art (painting, sculpture, architecture, instrumental music, etc.) as expressions of meaning requiring interpretation; they both devote much more attention than Schleiermacher does to the central and complicated role of genre in interpretation; unlike Schleiermacher (who, despite his well-known commitment to understanding an author better than he understood himself, was in general skeptical about the unconscious), they both recognize that unconscious thoughts and meanings play a role in works, and therefore need to be taken into account in interpretation; and whereas Schleiermacher thought that the role of divination / hypothesis in interpretation made it an art rather than a science, Herder already in effect saw that its role there instead constitutes common ground with the sciences and is therefore one more reason (on top of several others) for classifying interpretation as scientific when properly practiced.
3 See Forster 2010, esp. 331 – 336; Forster 2011, esp. 45 – 79.
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So much by way of a brief description of some of the most fundamental principles of the new hermeneutics.⁴ What I would like to do in the remainder of this article is to sketch some of the impact that this new hermeneutics had on the development of the human sciences in the long nineteenth century. For if seems to me that, although this impact has been rather neglected in the existing literature, it was both massive and beneficial. In undertaking this task, I shall be concerned partly with the impact of the new hermeneutics generally, partly with the impact of Schleiermacher’s version of it in particular. My treatment will therefore have a sort of bifocal character throughout. One of my reasons for exploring this massive and beneficial impact here is simply that it seems to me intrinsically remarkable and interesting. But another reason is more philosophical in character: that (while more direct forms of assessment of it are of course equally important, and I think likewise tell in its favor) by bringing out the new hermeneutics’ enormous and beneficial role in enabling the progress of the human sciences, it is possible to generate a rather strong prima facie case for its intellectual value – roughly in the spirit of the principle that when it comes to judging theories / methodologies “Ye shall know them by their fruits.” A negative counterpart to this exercise – which I shall not pursue here, but only hint at – would be to show that, by contrast, the currently much more fashionable competitor hermeneutics of Martin Heidegger and Hans-Georg Gadamer (in Germany) or of Willard van Orman Quine and Donald Davidson (in the USA) have produced little fruit, and that little mostly rotten.
1 Classics A first and important example of the major and beneficial impact of the new hermeneutics concerns Altertumswissenschaft, or classics (i. e., the study of ancient Greek and Roman culture). In addition to contributing to the development of the new hermeneutics itself, Friedrich Schlegel and Schleiermacher both made important contributions in this field – Schlegel especially with a new, radically anti-Aristotelian, extremely insightful, and hugely influential theory of the nature of ancient Greek tragedy, Schleiermacher especially with seminal work on the Presocratic philosophers and on Plato. And they both achieved these contributions to classics on the foundation of their new hermeneutics. For example, it was this new hermeneutics – especially its principle that genres vary historically and are therefore difficult to identify correctly due both to their frequent unfamiliarity and to constant temptations to falsely assimilate them to more familiar ones – that made possible Schlegel’s willingness to contradict Aristotle on the character of ancient tragedy and to reinterpret it from the ground up. His new inter-
4 For a fuller discussion of these, see Forster 2010 and Forster 2011.
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pretation plausibly pointed out that Aristotle was a relative latecomer to the great tragedies of the fifth century BC, whose picture of them had as a result been distorted not only by insufficient familiarity with them but also by the misleading example of different types of tragedy / drama that had emerged in the meantime (late Euripides, Agathon, and New Comedy). Specifically, Schlegel’s new interpretation insightfully rejected Aristotle’s dubious assumptions that tragedy was fundamentally textual rather than multi-medial (especially musical / choral) in nature, conformed to the unities (of action, time, and place),⁵ and was deliberately fictional. And more positively, it correctly emphasized the fundamental religious-Dionysiac and civic-political dimensions of tragedy that Aristotle had suppressed. Schlegel’s new interpretation entirely revolutionized the modern understanding of Greek tragedy as it subsequently developed in the nineteenth and twentieth centuries.⁶ In addition, Schleiermacher’s student Boeckh – arguably the most important classicist of the nineteenth century, celebrated especially for his seminal work on Pindar – continued the principles of Schleiermacher’s hermeneutics, himself regularly giving lectures on the subject from 1809 until 1866, which were later published posthumously under the title Encyclopedia and Methodology of the Philological Sciences (1877). Boeckh’s hermeneutics was in essence just an elaboration of Schleiermacher’s (as he was himself the first to acknowledge). More exactly, whereas Schleiermacher had distinguished between three aspects of all interpretation – in Boeckh’s terminology, historical, linguistic, and individual interpretation – Boeckh not only adopted these but also added a fourth: generic interpretation, i. e., the aspect of interpretation that deals with genre. As has been mentioned, Schleiermacher had himself tended to neglect this aspect of interpretation in comparison with the other Romantic hermeneutical theorists, especially Herder and Friedrich Schlegel. Accordingly, in this specific area Boeckh identifies not Schleiermacher but instead Schlegel as his most important forerunner. Now, Boeckh’s hermeneutics not only enabled his own very important work in classics (such as his seminal work on Pindar), but also in effect became the official interpretive theory / methodology of classics in nineteenth-century Germany more generally, and thereby of modern classics tout court. In short, the new hermeneutics, especially the versions of it that were developed by Schlegel, Schleiermacher, and Boeckh, not only enabled important specific contributions to classics that they themselves made, but also became something very much like the official interpretive theory / methodology of classics in nineteenth-century Germany as a whole and thereby of modern classics more generally. It can therefore claim much of the credit for the many intellectual triumphs that this field has achieved.
5 Strictly speaking, Aristotle himself had only implied the first two of these unities (action and time), the third one (place) having been added later by Neo-Aristotelians. 6 See Forster 2016; Forster 2020.
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2 Bible Scholarship Another field in which the new hermeneutics – both generally and in Schleiermacher’s version of it in particular – played a crucial role is Bible scholarship. Herder was especially important in this field. Beginning as early as the 1760s and then continuing throughout his career, he developed such important hermeneutical principles inflected for interpretation of the Bible as the following: Interpreters of the Bible need to recognize the sharp differences in outlook between biblical authors and themselves. Instead of assuming that the Bible is the word of God and therefore true and consistent throughout, or relying on the Holy Spirit to enable them to interpret it correctly, they should interpret it in just the same way as any other ancient text. They should also avoid giving textually unwarranted allegorical interpretations of it. They should carefully analyze word-usages in the Bible in order to discern the meanings of the words and sentences that occur there. They should pay close attention to genre, work hard to identify unfamiliar genres, and avoid falsely assimilating these to more familiar ones (e. g., David’s psalms to Pindaric odes). They should take the whole geographical, historical, and social context of biblical texts into account when interpreting them. And they should always interpret the parts of a biblical text in the light of the whole text to which it belongs. Moreover, thanks to this sort of hermeneutical scrupulousness, Herder was able to make important new progress in actually interpreting the Bible, including both the Old Testament and the New. For example, in Songs of Love (1778) he drew on his principle of avoiding unwarranted allegorical interpretations in order to overthrow the dubious allegorizing interpretations of the Old Testament’s Song of Songs that still predominated in his day and instead interpret it – correctly – as simple erotic love poetry. In On the Spirit of Hebrew Poetry (1782/1783) he drew on his principle of interpreting the Bible like any other ancient text, instead of assuming its truth and consistency throughout, in order to identify inconsistent views in different parts of the Old Testament on such important issues as the relationship between mind and body and the question of an afterlife. And in the same work he drew on his principle of paying close attention to genre, striving to identify unfamiliar genres, and avoiding falsely assimilating them to more familiar ones, in order to distinguish and analyze the various genres of poetry in the Old Testament with unprecedented accuracy. Likewise, in the Christian Writings that he published in the 1790s he drew on this principle, together with his other hermeneutical principles, in order to establish the (almost certainly correct) positions that the letters of the New Testament are its oldest parts, that the four gospels originally developed out of oral tradition, and that the historical sequence of their composition was: Mark first, Matthew and Luke in the middle, then John last and late.⁷
7 Concerning these achievements in relation to the New Testament, cf. Rudolf Smend’s helpful discussion at Herder 1985 – 2000, vol. 5, 1320.
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Schleiermacher largely followed Herder’s hermeneutical principles both generally and concerning the Bible in particular. Admittedly, Schleiermacher’s achievements in biblical scholarship were not as impressive as Herder’s (for example, he took much less interest in the Old Testament than Herder, and he repeated the common mistake that Herder had already corrected of supposing the gospel of John to be the earliest of the gospels). Nonetheless, they were still quite significant. For instance, in continuity with, and building on, Herder’s Christian Writings, he delivered lectures on the Life of Jesus (1819 onwards) which inaugurated a new genre of research into the life of the historical Jesus based on evidence from the New Testament that would become popular in the nineteenth century and eventually lead to important insights. Moreover, while his own work in this genre had weaknesses, including not only the aforementioned false assumption of the earliness, and therefore historical authoritativeness, of the gospel of John, but also a commitment to saving Jesus’s supernatural function, it also, within those limits, had the considerable merit of striving for as naturalistic an account as possible. In addition, Schleiermacher, in accordance with his hermeneutical principle of focusing on word-usages in order to discern meanings, including the modified word-usages and hence meanings introduced by individual authors, pointed out in his hermeneutics lectures and elsewhere that the authors of the New Testament had often modified the usages of Greek words they employed, thereby creating new concepts (some examples of this would be the words agapê, aretê / agathos, daimôn, kêrygma, and pneuma). Indeed, along with Plato, the New Testament constituted his main example of this phenomenon. Moreover, the strong and beneficial influence exercised by the new hermeneutics on Bible scholarship continued with what was arguably the most important achievement in this field in the entire nineteenth century: David Friedrich Strauss’s own Life of Jesus (1835 – 1836). This work dealt a fatal blow to the historical credibility of the New Testament from which it has never recovered since and is never likely to recover in the future. It achieved this by (with great intellectual integrity and philological care) identifying the many historical falsehoods and contradictions that occur among the narratives of the gospels, explaining their fundamental character as oral mythmaking, and noting that their predominant motive was not one of striving for historical accuracy but instead one of vindicating traditional Jewish prophecies of a coming Messiah at all costs. The original version of Strauss’s book from 1835 – 1836 says little about its own origins and methodology, but in the reworked version of it that he published nearly thirty years later, Life of Jesus Produced for the German People (1864), he added an introduction in which he went into just those questions. In that introduction he identifies both Herder and Schleiermacher as major forerunners of its project – Herder especially in virtue of his Christian Writings, Schleiermacher especially thanks to his own Life of Jesus. It thereby becomes clear that Strauss’s project owes a fundamental debt not only to those specific works of Herder’s and Schleiermacher’s but also to the new hermeneutics that lies behind them, a new hermeneutics that in particular insists on interpreting sacred texts in exactly the same scrupulous ways as profane ones, and on therefore in particular being prepared to identify falsehoods and contradictions in
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them when this is evidentially warranted, taking care to identify their genres correctly, and interpreting them in light of their broader historical context.
3 General Historiography A third area in which the new hermeneutics – in this case, especially the Schleiermacher-Boeckh version of it – exerted an important influence was general historiography (together with other human sciences). The key figures here were Johann Gustav Droysen and Wilhelm Dilthey. Droysen – himself a historian of great importance, especially for his seminal work on the Hellenistic period (whose very concept he virtually invented) – was the more original of the two thinkers here. In his lectures on Historik, which he began delivering in 1857, he advanced two major theses. The first was an answer to the question: What are historiography’s proper method and goal? His answer was the thesis that these lie not in causal explanation, Erklären, as with the natural sciences (though he concedes that causal explanation does play some role in historiography), but rather in understanding, Verstehen. His second thesis was an answer to the question: Can historiography aspire to be genuinely scientific (wissenschaftlich)? His answer to this question was the thesis that despite the fact that its method and goal do not lie in causal explanation, as with the natural sciences, but in understanding, this difference is perfectly compatible with its status nonetheless being that of a science – there are simply two different sorts of science here. In the course of developing these theses Droysen drew on the new hermeneutics of Schleiermacher and Boeckh, specifically in Boeckh’s version of it (he had been a student of Boeckh’s). Moreover, his thesis essentially rested on this new hermeneutics. Concerning his first thesis, that is so in two ways. First, and most obviously, the understanding that he here identifies as the method and goal of historiography is of course the very subject matter of the hermeneutics in question. But second, less obviously, and more importantly, it is only the deep historical variability of modes of thought and the consequent difficulty of understanding them, as postulated by this new hermeneutics, that make his answer to the question of the method and goal of historiography plausible, namely, by showing understanding to be a sufficiently difficult task to serve as the very method and goal of historiography. By contrast, if someone were to instead hold the older Enlightenment view that modes of thought are virtually unvarying and understanding therefore relatively easy, such an answer to the question would have little plausibility, since understanding would seem to be much too trivial a task to function as the very method and goal of the discipline. A similar point applies to Droysen’s second thesis (the thesis that in virtue of having this method and goal historiography can constitute a genuine science). For it is only because of the new hermeneutics’ principles of the deep historical variability of modes of thought, the resulting difficulty of understanding in many cases, and the consequent need for interpretation to be guided by a set of rigorous and demanding methodolog-
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ical procedures that historiography’s pursuit of understanding can plausibly be held to have either the difficulty or the methodological rigor that could warrant calling it a science simply in virtue of its pursuit of that goal. Dilthey – who, in contrast to Droysen, knew the new hermeneutics mainly in Schleiermacher’s original version of it, with which he engaged throughout his career (from his early Schleiermacher’s Hermeneutical System in Relation to Earlier Protestant Hermeneutics [1860] to his Life of Schleiermacher [vol. 1, 1870] to his late essay The Rise of Hermeneutics [1900]) – basically took over Droysen’s two theses in his famous Introduction to the Human Sciences (1883) and extended them beyond historiography to include other human sciences as well. The points just made about the specific ways in which the two theses depend on the new hermeneutics therefore apply as much to Dilthey’s versions of them as to Droysen’s.⁸
4 Historiography of Philosophy After some faltering first steps in the eighteenth century, the historiography of philosophy developed into a major field of scholarly research in nineteenth-century Germany.⁹ Here again the new hermeneutics played a crucial role, enabling improved methods and results. Let me give three specific examples of this. A first example is the historiography of ancient philosophy – an especially difficult and previously rather neglected subfield that really bloomed in the nineteenth century. Along with his rival Hegel, it was mainly Schleiermacher who was responsible for this development. Schleiermacher’s work in this subfield was guided by the general principles of his hermeneutics. These especially included the principles that it is essential for a modern interpreter to recognize the historical and individual distance that usually separates a past thinker from himself and the tendency to misunderstanding that this distance creates; that he should keep the question of what a past author meant sharply separate from the question of whether or not it is true by his own lights; that in order to determine a past author’s meaning he should focus both on the patterns of word-usage found in the author’s background language and on the author’s own specific modifications of them; that he should also pay close attention to the author’s individual psychology; that he should take the author’s whole historical context into account; and that he should interpret the parts of the author’s text in the light of larger wholes to which they belong. By relying on such hermeneutical principles Schleiermacher was himself able to make significant progress in the historiography of ancient philosophy. In particular, he produced important new work on Plato, including not only hermeneutically in-
8 For more on Droysen and Dilthey, cf. Beiser 2011, chs. 7– 8 and Forster 2019. 9 For a fuller treatment of this subject, see Forster 2012.
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formed, faithful, epoch-making translations of the Platonic dialogues, but also hermeneutically sensitive writings on their contents. And he also produced seminal hermeneutically informed research on the Presocratic philosophers – carefully collating the sources, writing separate monographs on Heraclitus, Anaximander, and Diogenes of Apollonia, and including the Presocratics in lectures on the history of philosophy that he delivered from 1806 onwards – all of which work prepared the ground for, and would eventually lead to, further major achievements in this area such as Hermann Diels’ and Walther Kranz’s Die Fragmente der Vorsokratiker (1903). In this context, Schleiermacher (rather like Schlegel in relation to tragedy) among other things drew attention to the extraordinary unreliability of the main gatekeeper to the Presocratics for modernity, Aristotle, as an interpreter of their thought – an important insight that would later be confirmed and elaborated by Harold Cherniss in the twentieth century. Moreover, the three most important historians of ancient philosophy in the generation after Schleiermacher were all former students of his who continued his hermeneutical approach and similarly based their work in ancient philosophy upon it: Christian August Brandis, Heinrich Ritter, and Boeckh again (who worked not only on ancient literature but also on ancient philosophy). Brandis already early in his career published a seminal essay in which he drew on Schleiermacher’s hermeneutical principles in order to develop a methodology for the historiography of philosophy: On the Concept of History of Philosophy (1815). He then went on to use this methodology in order to do seminal research on Aristotle and to publish an important survey of ancient philosophy, Handbook of the History of Greek-Roman Philosophy (1835 – 1866). Similarly, Ritter already early in his career drew on Schleiermacher’s hermeneutics to develop a methodology for the historiography of philosophy: On the Education of the Philosopher through History of Philosophy (1817). And he too then went on to publish important research on ancient philosophy based upon that methodology, especially his History of Philosophy (1829 – 1853). Similarly again, Boeckh already from 1809 onwards delivered Schleiermacher-inspired lectures on hermeneutics (as has already been mentioned), and then went on to produce significant research in accordance with this hermeneutics on several topics in ancient philosophy, including the Pythagorean Philolaus and Plato’s Timaeus. Furthermore (extending this pattern even further), in the next generation, the most important historian of ancient philosophy of the whole nineteenth century, Eduard Zeller, took his inspiration not only from Hegel’s work in this area but also from Schleiermacher’s. Thus he already paid warm tribute to both of these eminent predecessors in his early essay The History of Ancient Philosophy in the Past 50 Years with Special Consideration of the Most Recent Treatments of It (1843). Moreover, as time went on, his approach to ancient philosophy increasingly rejected Hegel’s Whiggishness in favor of Schleiermacher’s impartial interpretive scrupulousness. It was in this spirit that he went on to publish and then revise his two hugely important and influential general treatments of ancient philosophy: The Philosophy of the Greeks
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(1844 – 1852) and The Philosophy of the Greeks in Its Historical Development (1856 – 1868). A second example is a new genre of intellectual biographies of philosophers that arose during the second half of the nineteenth century – written mainly by Rudolf Haym, Wilhelm Dilthey, and Rudolf Unger, but with Kuno Fischer and Friedrich Nietzsche in his Philosophy in the Tragic Age of the Greeks (1873) adopting a similar approach as well. Prime examples of works in this new genre are Haym’s Wilhelm von Humboldt: A Life and Characteristic (1856), Hegel and His Age (1857), The Romantic School (1870), and Herder in Accordance with His Life and Works (1880), Dilthey’s Life of Schleiermacher (vol. 1, 1870) and The History of Hegel’s Youth (1905), and (albeit somewhat less impressively) Unger’s Hamann and the Enlightenment (1911). This new genre grew out of Friedrich Schlegel’s and Schleiermacher’s shared insistence in their hermeneutics on the importance for interpretation of discovering the individual psychology of an author, as revealed by his writings (and actions) taken as a whole. Thus, the very first work in this genre, Haym’s Wilhelm von Humboldt: A Life and Characteristic, pays implicit tribute to Schlegel’s version of that approach by using in its title a distinctive term that Schlegel had used for the sort of inquiry in question: “characteristic.” And accordingly, in the work’s preface Haym explains its task as one of displaying the subject’s psychological individuality, especially by tracing his development – which is again exactly in the spirit of Schlegel’s genre of “characteristic.” Similarly, Dilthey in his biography of Schleiermacher conforms closely to Schleiermacher’s own version of the hermeneutical principle of the importance for interpretation of identifying an author’s individual psychology, as well as to other principles of Schleiermacher’s hermeneutics such as that it is necessary to base this identification on a close consideration of the author’s whole historical context and on a holistic examination of his works. Moreover, this new genre of historiography of philosophy reflects Schlegel’s and Schleiermacher’s hermeneutics in an additional important way. At first sight, it might seem (and indeed it often has seemed to commentators, especially critical ones) that the goal of generating a detailed depiction of a philosopher’s individual psychology in its development was the only purpose of this new genre. That certainly was one of its purposes. However, it also had another one, namely, that of thereby furnishing an essential means for properly understanding the author’s writings – in accordance with the Schlegel-Schleiermacher hermeneutical principle that it is necessary to identify an author’s individual psychology in order to understand his works properly. Accordingly, Haym already emphasizes this important additional motive toward the end of his biography of Humboldt.¹⁰ And Dilthey does so as well in the preface of his biography of Schleiermacher.¹¹
10 Haym 1856, 631 – 632. 11 Dilthey 1966/1970 [1870], vol. 1; cf. Dilthey 1889.
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A third example of the new hermeneutics enabling important new developments in nineteenth-century historiography of philosophy concerns the emergence of a serious focus on non-Western philosophy (in sharp contrast to Hegel’s and Zeller’s virtual dismissal of it). In this area it was Friedrich Schlegel who was the driving force. The most seminal work in this case was his On the Language and Wisdom of the Indians (1808), which argued in a manner supported by his hermeneutics that ancient Indian texts such as the Bhagavad-Gita contain genuine philosophy and also that they influenced early periods of the development of Greek philosophy, including Plato. (The former of these claims still looks very plausible today, though the latter claim looks more questionable.) This work of Schlegel’s was soon followed by two famous addresses on the Bhagavad-Gita that Wilhelm von Humboldt delivered to the Berlin Academy in 1826, in which he developed a roughly similar position to Schlegel’s. This new approach subsequently also encouraged additional work in a similar spirit concerning other parts of non-Western philosophy and their influence on Greek philosophy by authors such as August Gladisch and Eduard Maximilian Röth. Although some of this further work is rather recklessly speculative (especially, Gladisch’s), other parts of it are much more rigorous and deserving of serious attention (especially, Röth’s).¹²
5 Historiography of Literature / Comparative Literature Two further, closely interrelated, fields in which the new hermeneutics played a fundamental role are the historiography of literature and comparative literature. Here it was mainly Herder’s and Friedrich Schlegel’s versions of the new hermeneutics that played this role. Schleiermacher’s version of it was less important but did play at least some role. Herder and Schlegel not only made fundamental contributions to the new hermeneutics itself but also drew on it in order to virtually establish the fields of the historiography of literature and comparative literature as we know them today. Let us first consider the historiography of literature – or, more precisely, historiography of literature written in a broadly comprehensive, historicizing, carefully distinguishing way and grounded in a thorough knowledge of the original languages, texts, and circumstances. Herder already made major contributions to the development of this sort of historiography of literature near the beginning of his career, during the mid- to late 1760s, especially in the form of studies on the origin and development of the ode (1764 – 1765) and of lyric poetry (1766), his Fragments on Recent German Literature (1767– 1768) (whose historical range is far broader than its title might suggest), and Critical Forests (1769) (which, in particular, includes discussions of Homer, Horace, and other 12 Cf. Forster 2015.
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ancient literary authors, as well as of the broader history of both epic and tragedy). He then went on to publish a seminal study of the historical mutability of the genre of tragedy, Shakespeare (1773), another seminal work on the poetry of the Old Testament, On the Spirit of Hebrew Poetry (1782 – 1783), and many further contributions on various aspects of the history of literature in his later collections Scattered Leaves (1785 – 1797), Terpsichore (1795 – 1796), and Adrastea (1801 – 1803). Similarly, Friedrich Schlegel already made important contributions to the sort of historiography of literature in question near the start of his career, namely, in the 1790s, at a time when he was still a sort of Neoclassicist, including On the Study of Greek Poetry (1797) and History of the Poetry of the Greeks and Romans (vol. 1, 1798). After converting from Neoclassicism to Romanticism at around that time, he went on to add further contributions to the subject in the Romantics’ journal Athenaeum (1798 – 1800) (for example, the Dialogue on Poetry and On Goethe’s Meister) and to develop several much more encyclopedic treatments of it in lecture series: History of European Literature (1803 – 1804), On German Language and Literature (1807), and especially Lectures on Ancient and Modern Literature (held in 1812, published in 1815). Friedrich’s brother and intellectual ally August Wilhelm Schlegel, though less original than Friedrich, was almost equally important in this field, not only producing many hermeneutically sensitive translations of literature into German (including epoch-making translations of William Shakespeare and from the Romance languages), but also writing many studies on specific aspects of the history of literature, as well as his own encyclopedic lecture series on it: Lectures on the Philosophy of Art (1798 – 1799), History of Classical Literature (1802 – 1803), History of Romantic Literature (1803 – 1804), and On Dramatic Art and Literature (1809). Concerning comparative literature, it was again Herder and Friedrich Schlegel who really founded this new discipline. They did so by treating literature in a culturally inclusive, differentiating, cosmopolitan spirit (instead of the culturally exclusive, homogenizing, Eurocentric / nationalistic spirit that had previously tended to predominate). For example, Herder complemented the historical breadth just discussed with intercultural breadth in just these ways in his Volkslieder (1774 – 1778), which incorporated poetry from many peoples around the world, including peoples who had usually been neglected, such as the Lapps, then in his On the Spirit of Hebrew Poetry, which emphasized the poetic contributions of the ancient Hebrews, and then again toward the end of his life in writings on the literature of India. Similarly, after converting from Neoclassicism to Romanticism in 1797/1798, Friedrich Schlegel continued Herder’s intercultural project. For example, he already founded his ideal of Romantic literature, not so much on an enthusiasm for the literature of his German contemporaries (e. g., Johann Wolfgang von Goethe, Novalis, and Ludwig Tieck), but rather mainly on an appreciation of the literature of Dante Alighieri, Francesco Petrarch, and Giovanni Boccaccio in Italy, Miguel de Cervantes in Spain, and William Shakespeare in England. Then during his stay in Paris from 1802 to 1804 he went on to do seminal research on the literature of the Provençal troubadours, Persia, and ancient India, the last of which research later led to the publication of his epoch-mak-
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ing book on ancient Indian language and literature On the Language and Wisdom of the Indians. Finally, in later years he expanded his international horizons still further to include the literature of Hungary as well. Likewise, Friedrich’s brother and ally August Wilhelm Schlegel did important work on the literature of Shakespeare and the Romance languages, as well as continuing the two main projects that Friedrich had begun in Paris by himself publishing a seminal work on Provençal language and literature in 1818 and becoming Germany’s first professor of Sanskrit, in which capacity he extended Friedrich Schlegel’s work on ancient Indian literature. All of this work done by Herder and the Schlegel brothers constitutes the most original, influential, and impressive contribution to the establishment of comparative literature as a discipline. Better known contributions, such as Goethe’s West-östlicher Divan (1819) and his late ideal of “world literature” (Weltliteratur) or Abel-François Villemain’s presentation of what he for the first time actually called “littérature comparée” in lectures at the Sorbonne in 1827– 1830 were by contrast little more than extensions and felicitous terminological innovations based on Herder’s and the Schlegel brothers’ more fundamental and substantial contributions.¹³ Now, a crucial point for our present purposes is that these enormous achievements of Herder and the Schlegel brothers in founding both the historiography of literature and comparative literature were thoroughly grounded in their new hermeneutics. More precisely, and even more interestingly, the two sides of the relationship were largely coeval: emerged together and in interdependence with each other. Let me therefore try to illustrate this by focusing on several specific principles of the new hermeneutics and sketching how they emerged hand-in-hand with Herder’s and Friedrich Schlegel’s new treatments of literature. Consider, first, the hermeneutical principle that interpretation should include close attention to genre, that genre is historically, cross-culturally, and sometimes even individually variable, that the interpreter therefore often needs to become acquainted with a new genre in order to interpret a work, and that he moreover frequently needs to resist strong temptations to falsely assimilate the unfamiliar genre involved to a more familiar one. Herder essentially developed this whole principle for the first time in his Critical Forests (1769) and his essay Shakespeare (1773), and he did so in connection with literature. For example, in the former of these works he developed the principle in the context of exploring deep differences that he identified between the various types of both “epic” and “tragedy” that had arisen historically, many of them specific to individual authors. And in the latter work he did so in the more specific con-
13 From the time when Goethe and Herder first met in Strasbourg in 1770, Goethe was essentially Herder’s pupil in everything that concerned not only philosophy but also the history and theory of literature, indeed becoming the great poet that he became largely thanks to this influence. Villemain had in his younger years frequented the salon of Mme. Germaine de Staël, who was a pupil of both of the Schlegel brothers, at her residence in Broglie, where both of the Schlegel brothers had likewise been present as guests.
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text of investigating deep differences between ancient tragedy (mainly Sophocles) and modern tragedy (mainly Shakespeare), in which connection he again used the hermeneutical principle in question as he developed it in order to distinguish between these as really two quite different genres, moreover pointing out that Shakespeare invented his own genres and even modified them between plays. Friedrich Schlegel then in equally seminal work from the 1790s extended the same hermeneutical principle to an analysis of ancient tragedy itself and its reception by Aristotle. As has been mentioned, he noted that Aristotle had lived long enough after the great tragedians of the fifth century, in a historical context in which new and significantly different types of tragedy / drama had emerged in the meantime (e. g., late Euripides, Agathon, and New Comedy), so that he had not properly understood the former, but had fallen victim to temptations to falsely assimilate the genre of their works to the latter. And in particular he pointed out that Aristotle had consequently failed to recognize the multimedial (especially musical / choral), non-fictional, religious-Dionysiac, and civic-political character of the older tragedies. Later on, Boeckh, who likewise primarily focused on literature, took the important additional step of recognizing that the hermeneutical principle in question actually has far broader application than just to literature, because all human communication, whether literary or not, whether written or oral, essentially involves a genre which needs to be identified in interpretation. A second example is the hermeneutical principle that the parts of a text need to be interpreted in light of the whole text and that this leads to a sort of circularity in interpretation, but a benign sort that can be managed by beginning with a provisional interpretation of parts, proceeding thence to a provisional interpretation of the whole, then returning to the parts in order to refine their interpretation in light of this provisional interpretation of the whole, and so on. This principle first emerged with Herder in the Critical Forests from 1769, and it did so in connection with literary examples. Herder had already argued for the first half of the principle (i. e., the need to interpret the parts of a text in light of the whole) in works on biblical interpretation from slightly earlier in the 1760s. Now in the Critical Forests he illustrated it with a literary example, pointing out that passages in Homer on “ridiculous” subjects, such as the famous Thersites episode in Iliad, Book 2, need to be interpreted in light of their role in the economy of the whole work. Then toward the end of the Critical Forests, Part 2, he illustrated the second half of the principle (i. e., the need to cope with the sort of circularity in interpretation that thereby arises in the way that was described) by again taking a literary example, this time an ode of Horace’s, and arguing that, confronted with the task of interpreting such an ode, the interpreter should first interpret it as well as he can part by part, thereby build up a provisional interpretation of the whole ode, which can then be applied to generate an improved interpretation of the parts, and so on. Schleiermacher subsequently made this whole principle a central component of his own version of the new hermeneutics as well. A third example concerns the new hermeneutics’ principle (related to but not to be confused with the previous one) that works often express what might be called holistic meanings, i. e., meanings that are not expressed explicitly by any of their parts, but in-
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stead only implicitly by the sum of those parts and the way in which they are put together to form a whole. Herder’s discussion of “ridiculous” passages in Homer already anticipated this principle in a way. But it was Schlegel who first developed it clearly. And like Herder, he drew on literary examples in order to do so. These especially included cases from ancient literature (see, e. g., Athenaeum-Fragments, no. 325: “Apollo […] neither speaks nor keeps silent but intimates,” whereas nowadays “wherever a Muse shows herself, people immediately want to carry her off to be cross-examined”) and certain modern novels (see, in particular, On Goethe’s Meister, where Schlegel treats Goethe’s Wilhelm Meisters Lehrjahre as an example). A fourth example of this hand-in-hand development concerns the new hermeneutics’ principle that the interpreter should take into account not only an author’s conscious meanings, but also his unconscious ones. Herder first introduced this principle in On the Cognition and Sensation of the Human Soul (1778) in connection with the interpretation of Shakespeare’s plays. Friedrich Schlegel then took it over, likewise developing it mainly in connection with literature. For example, in On Goethe’s Meister he writes in connection with Goethe’s novel that “Every excellent work aims at more than it knows”; in Athenaeum-Fragments, no. 401, he elaborates on this point with the remark that “in order to understand someone who only partially understands himself, you have to first understand him completely and better than he himself does.” One of the most impressive illustrations of this principle from the hermeneutical tradition in question again concerns a literary example. The illustration is found only in August Wilhelm Schlegel, but may well have originated with his brother Friedrich: In his Lectures on Dramatic Art and Literature August Wilhelm argues that Sophocles was right to attribute to Aeschylus an unconscious skill, and that in particular the Furies in Aeschylus’s Oresteia trilogy should be interpreted as Aeschylus’s unconscious representation of Orestes’ unconscious bad conscience (so that there is actually a double involvement of the unconscious here, and hence a sort of meta-structure – which the Schlegel brothers evidently found intriguing, much in the same way as they liked the idea of “poetry of poetry”). In short, as I said, with Herder and Friedrich Schlegel the development of their new hermeneutics and the development of their new historiography of literature and comparative literature were coeval – emerged together and in interdependence with each other. Schleiermacher’s version of the new hermeneutics played a much less important role in the development of the historiography of literature and comparative literature than Herder’s and Friedrich Schlegel’s versions of it did. Nonetheless, it did play some role.¹⁴ Schleiermacher was far less of an expert on literature than either Herder or the Schlegel brothers. However, two of his areas of interpretive expertise, even if they are not most naturally classifiable as literature, but rather as philosophy and religion respectively, do nonetheless have a strong literary dimension: Plato’s dialogues and the
14 Cf. Wellek 1981, 307– 308.
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New Testament. Schleiermacher’s hermeneutics therefore at least supported contributions that he made to investigating these parts of the historiography of “literature” and comparative “literature.” Moreover, as with Herder and the Schlegel brothers, the dependence was a reciprocal one, an interdependence: not only did Schleiermacher’s hermeneutics support his interpretations of Plato and the New Testament, but also conversely. For example, as has already been mentioned, these works provided him with some of his main evidence for the sort of conceptual individuality not only of whole epochs but also of individual authors within epochs that constitutes one of the central principles of his hermeneutics. In addition, Schleiermacher eventually went on to devote closer attention to literature in the more usual sense of the term in the lectures on Aesthetics that he began delivering in 1819, where he again drew on his hermeneutics in order to do so (even if these lectures are not one of the high points of his œuvre and did not exercise great influence on his successors). Furthermore, Schleiermacher’s hermeneutics was fundamental to important work that was done on specific parts of the history of literature (again in the more usual sense of the word) by some of his successors – for example, Boeckh’s work on Pindar and other ancient poets, and Dilthey’s work on Goethe, Friedrich Hölderlin, and other modern literary authors. Finally, it is worth adding that in the twentieth century one of the most important approaches to the interpretation of literature (conceived as an alternative to both the sort of willful ignoring of historical and biographical context that the New Critics had sometimes advocated and the sort of relativism concerning interpretation that Gadamer had recently made fashionable), namely, Eric Donald Hirsch’s Validity in Interpretation (1967), largely drew its inspiration from Schleiermacher’s hermeneutics.
6 Historiography of Law A somewhat similar situation to that in the historiography of literature and comparative literature can be found in the historiography of law, especially as this was developed by Friedrich Carl von Savigny and his “Historical School” in the first half of the nineteenth century. Here again the new hermeneutics that was broadly shared by Ernesti, Herder, Schlegel, Schleiermacher, and Boeckh had a fundamental impact, though Schleiermacher’s specific version of it was less significant. As Frederick Beiser has explained in The German Historicist Tradition,¹⁵ Savigny began his career at the University of Marburg during the years 1795 – 1799, where he became an adherent of German Romanticism. His main passions were philosophy and literature, and he enthusiastically read Romantic authors such as Friedrich Schlegel, Ludwig Tieck, and Jean Paul Richter (together with such closely related ones as Jo-
15 Beiser 2011, ch. 5.
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hann Wolfgang von Goethe, Friedrich Schiller, and Johann Gottlieb Fichte).¹⁶ Moreover, from 1797 to 1800 he made several study visits to the hotbed of German Romanticism, the University of Jena, during which he heard lectures by additional important members of the Romantic circle, in particular August Wilhelm Schlegel and Friedrich Wilhelm Joseph Schelling.¹⁷ Crucially, it seems to have been mainly the impact of this early enthusiastic reception of Romanticism, especially Friedrich Schlegel’s thought, that turned him away from a sympathy he had initially had with the universalistic natural law tradition of legal theory (Samuel von Pufendorf, Gottfried Wilhelm Leibniz, Christian Wolff, et al.), and with Kant’s similarly universalistic legal theory, toward a thoroughly historicist conception of law.¹⁸ More specifically, Savigny already began delivering lectures on Juristische Methodologie at the University of Marburg as early as 1802 – 1803 in which he developed a general hermeneutics, including specific inflections of it for application to the interpretation of law, that was in exactly the same spirit as the new historicist or anti-universalist hermeneutics of Ernesti, Herder, Schlegel, Schleiermacher, and Boeckh and which then enabled and underpinned his seminal historicist research on law. Savigny’s early hermeneutics from 1802 – 1803 has been discussed in a very illuminating way by Stephan Meder in his book Mißverstehen und Verstehen,¹⁹ as well as by Beiser in the book of his already mentioned. Let me summarize some of its main features in my own terms (which will differ from Meder’s and Beiser’s only in details and nuances, not in general tendency). First, Savigny aspires to provide a general hermeneutics before inflecting it for application to law in particular.²⁰ Second, he argues that interpretation, including the interpretation of law, needs to become properly historical, and in particular to treat the system of law as something that changes over the course of history.²¹ Third, in light of that position, he rejects the conception (still widespread at this period) that texts are usually easy to understand, and that a need for careful interpretation only arises in exceptional cases in relation to unusually obscure passages; instead, he holds that misunderstanding is the rule rather than the exception.²² Fourth, he holds that texts combine features that are distinctive of but common to the age in which they are written with ones that are more individual.²³ Fifth, he holds that their interpretation therefore at least needs to take into account the whole context of their historical period and culture.²⁴ Sixth, he holds that the parts 16 Beiser 2011, 218. 17 Beiser 2011, 219 – 220. 18 Beiser 2011, 222 – 224; cf. 226. 19 Meder 2004. 20 Savigny 2004, 93 (“Jede Interpretation”), 95 (“Interpretation überhaupt”). 21 Savigny 2004, 91, 93, 139 – 142, 156 – 157; cf. later 258, 283 – 284. 22 Savigny 2004, 94 (“Widerlegung des gewöhnlichen Begriffs: Interpretation = Erklärung eines dunkeln Gesetzes”); cf. later 221, 250, 256 (“hier von allgemeinem Nichtwissen ausgegangen”). 23 Savigny 2004, 95 – 96 (“Universalität” vs. “Individualität”). 24 Savigny 2004, 115, 175; cf. later 250, where Savigny emphasizes that the culture in question will usually be quite different from our own.
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of a text need to be interpreted in light of the whole text, as well as vice versa.²⁵ Seventh, he holds that all interpretation has three essential aspects: historical interpretation (which is concerned with the historical context), grammatical interpretation (which is concerned with vocabulary and grammar), and, based on those two, logical interpretation (which determines the text’s meaning).²⁶ Eighth, he holds that the last of these aspects (logical interpretation) requires the interpreter to place himself in the standpoint of the text’s author.²⁷ Ninth, he holds that interpretation and critique are interdependent.²⁸ Somewhat later, he adds several further noteworthy hermeneutical principles to that collection: Tenth, he holds that the interpreter should understand the author better than the author understood himself (1808/1809).²⁹ Eleventh, he holds that it is one of the purposes of understanding texts from our past, such as those of Roman law, to enable us to better understand the present that they have helped to form (1827).³⁰ And twelfth, he holds that interpretation cannot be taught by rules but is an art (1840).³¹ Now, this hermeneutics of Savigny’s is all emphatically in the spirit of the new hermeneutics that we have been considering generally and Schleiermacher’s version of it in particular (the resemblance indeed extends even beyond the central features of the new hermeneutics that I covered in my opening sketch to include several additional ones as well, e. g., the interdependence of interpretation and critique). Indeed, the resemblance is so strong that when Gadamer in Truth and Method discussed Savigny’s hermeneutics based only on a knowledge of the form that it takes later in the first volume of his System des heutigen römischen Rechts (1840 – 1849), he voiced a strong suspicion that Savigny had drawn it from the first edition of Schleiermacher’s hermeneutics, which had been published by Friedrich Lücke just two years earlier as Hermeneutik und Kritik (1838). However, since, as we have seen, Savigny had in fact already worked out most of this hermeneutics by 1802 – 1803, i. e., almost forty years earlier and at least two years before Schleiermacher even began to lecture on hermeneutics, and since, moreover, as Meder has pointed out, even Savigny’s first public use of the additional doctrine of understanding an author better than the author understood himself already occurs by 1809, a year before Schleiermacher first used it in public,³² such an influence by Schleiermacher seems to be out of the question. So who did influence Savigny to develop this hermeneutics? Several predecessors from legal hermeneutics whom he cites no doubt played some role (e. g., Gustav Hugo
25 Savigny 2004, 147– 150. 26 Savigny 2004, 93 – 94, 143 – 144; cf. later 217, where Savigny in 1809 adds a fourth aspect, namely, “system.” 27 Savigny 2004, 143. 28 Savigny 2004, 94, 143 – 144. 29 Savigny 2004, 212. 30 Savigny 2004, 284. 31 Cf. on this principle Meder 2004, 86. 32 Meder 2004, 117.
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and Anton Friedrich Justus Thibaut). But otherwise, it must, I think, have been the earlier representatives of the new historicist hermeneutics who influenced him here: Ernesti, Herder, and Friedrich Schlegel. More specifically, it seems to me probable that the most immediate and decisive influence was Schlegel. Schlegel’s general importance for the early Savigny (as described by Beiser) has been mentioned. Moreover, Schlegel had already developed his main hermeneutical principles by the late 1790s, articulating most of them publicly in articles from around that time and especially in his contributions to the Athenaeum (1798 – 1800), which Savigny is known to have read avidly (for example, Schlegel’s own version of the principle that the interpreter should understand an author better than the author understood himself already appears in the Athenaeum).³³ Furthermore, there are two more specific clues that likewise point to Schlegel’s deep influence on Savigny’s 1802 – 1803 lectures: First, Savigny there opens his search for the proper method for jurisprudence with an appeal to the precedent of the history of literature: “How, then, can we achieve the ideal of a science? A general aid in this is the history of literature, from which proceeds the literary study of the particular individual and hence a universal method and thus a judgment upon it.”³⁴ This seems to be an allusion to the historicist, methodologically sophisticated history of literature that (as we have seen) Friedrich Schlegel and his brother August Wilhelm were already developing by this date (and were about to develop even further).³⁵ Second, Savigny argues in the 1802 – 1803 lectures that jurisprudence is a “philosophical science,” and in this connection uses the striking formulation “Berührung mit der Philosophie [contact with philosophy].”³⁶ And this is clearly an echo of Friedrich Schlegel’s famous ideal in Athenaeum-Fragments, no. 116: “[D]ie Poesie mit der Philosophie […] in Berührung zu setzen [setting poetry in contact with philosophy].” In other words, just as Friedrich Schlegel had aspired to achieve a synthesis with philosophy for poetry, or literature, so Savigny now aspires to do so for jurisprudence. In short, the main influence on the birth of Savigny’s early historicist hermeneutics was Friedrich Schlegel. When Savigny in 1810 received a “call” from Prussia’s de facto Minister of Education Wilhelm von Humboldt to a professorship at the new University of Berlin, he did so together with both Schleiermacher and Schleiermacher’s former student Boeckh (moreover, probably with the help of some sort of recommendation from Schleiermacher), and the three men henceforth enjoyed close relations with each other.³⁷ Later versions of Savigny’s legal hermeneutics, such as the version he articulated in
33 Concerning Savigny’s likely debt to Schlegel for this specific principle, cf. Meder 2004, 106. 34 Savigny 2004, 137. 35 This point is consistent with, but more specific and differently evidenced than, Meder’s generic suggestion, based on a later remark of Savigny’s from 1840, that Savigny’s hermeneutics arose in the context of Altertumswissenschaft (Meder 2004, 11 – 12). For the Schlegels’ main contributions to literary history at the early period in question here were precisely concerned with ancient literature and thus part of Altertumswissenschaft. 36 Savigny 2004, 92. 37 For details, see Meder 2004, ch. 3.
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the first volume of his System des heutigen römischen Rechts (1840), were therefore probably to some extent encouraged by his knowledge that Schleiermacher and Boeckh championed similar hermeneutical principles to his own. However, as we have seen, he had already developed his own version of the new hermeneutics independently of them, and moreover in a sufficiently full manner that he had little more to learn from them. Indeed, with the possible exception of its characterization of interpretation as an art, the final version of his hermeneutics in System des heutigen römischen Rechts does not exhibit a closer approach to their hermeneutics but rather the opposite.³⁸ As I mentioned, it was above all Savigny’s new hermeneutics that made possible his epoch-making rejection of universalistic natural law theories (such as those of Pufendorf, Leibniz, and Wolff ), as well as other similarly universalistic theories of law such as Kant’s, in favor of a thoroughly historicist conception of law as changing deeply from epoch to epoch and as always grounded in the distinctive Volksgeist of a particular time and place.³⁹ This theoretical revolution constitutes an enduring and irreversible step of intellectual progress.⁴⁰
38 Savigny’s theory of interpretation in the first volume of System des heutigen römischen Rechts does have a four-part structure that might at first sight seem reminiscent of both Schleiermacher’s three-part structure and especially Boeckh’s four-part structure. However, this was not the result of their influence on him, nor, on inspection, is the similarity very close: First, this structure was not influenced by them, for, as we saw, Savigny already had a three-part structure in 1802 – 1803 before he could have encountered Schleiermacher’s hermeneutics, and moreover he already introduced his more elaborate four-part structure in 1809, which makes an influence by Boeckh (who only began lecturing on hermeneutics in that year) unlikely as well. Second, nor on closer inspection does Savigny’s four-part structure resemble Schleiermacher’s three-part or Boeckh’s four-part structure at all closely. The addition of a fourth part already constitutes a marked difference from Schleiermacher. Moreover, whereas for Boeckh the fourth part involved is genre-interpretation (as we have seen), for Savigny it is “system.” Third, Savigny’s hermeneutics in 1840 differs from both Schleiermacher’s and Boeckh’s – and indeed also from his own earlier hermeneutics of 1802 – 1803 – in being much less general, much more specifically oriented to law. For it comprises the following four parts: (1) grammatical interpretation, which focuses on words and linguistic rules; (2) logical interpretation, which focuses on the logical relations of the parts of a thought to each other; (3) historical interpretation, which focuses on the “condition” (Zustand) that is determined by the legal rules prevailing at the time of a law’s promulgation, and on which the law is intended to have an impact; and (4) systematic interpretation, which is concerned with the inner connection that unites all legal rules into a whole and that (like the aforementioned “condition”) was in the legislator’s mind when he promulgated the law with an eye to how the law would relate to it. And while parts (1) and (2) here do resemble principles in Schleiermacher’s and Boeckh’s hermeneutics to a certain extent, parts (3) and (4) are much too specifically oriented to legal interpretation to do so. 39 As Beiser explains in his book, the full development of this conception occurred over a period of many years. Some of the main steps in its development were the Kodifikationsstreit that Savigny engaged in with Thibaut from 1814 onwards concerning the proper approach to adopt to law in modern Germany (Savigny pleading for the continuation of its Roman component, Thibaut instead for a new codification), Savigny’s Geschichte des römischen Rechts im Mittelalter (1815 – 1831), and his System des heutigen römischen Rechts (1840 – 1849).
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Relatedly, in the field of cultural anthropology (to which we shall turn shortly), Bronislaw Malinowski, likewise under the influence of the new hermeneutics, would later go on to complement Savigny’s historical anti-universalist approach to law with a comparative (or intercultural) anti-universalist approach to law⁴¹ – thereby in effect establishing a sort of counterpart in the field of law to the complementary pairing of historiography of literature with comparative literature that I described in the previous section.
7 Linguistics Another field in which the new hermeneutics played a seminal role is linguistics.⁴² For, as Eva Fiesel pointed out long ago,⁴³ the main intellectual motive behind the original development of the modern linguistics that first emerged around the turn of the nineteenth century – as a discipline that recognized the fundamental role that grammar plays in all language and thought, that rejected seventeenth-century assumptions of a universal grammar in favor of acknowledging the occurrence of radically different types of grammar, and that therefore turned toward their empirical exploration and classification – was an interpretive, or hermeneutical, one: this project was seen as an essential means for accurately identifying the distinctive modes of thought of the various peoples found in history and around the world. It was Herder who first conceived such a discipline of linguistics, albeit in a very inchoate way, namely, in his Ideas for a Philosophy of History of Humanity (1784 – 1791). In doing so he already had precisely such an interpretive, or hermeneutical, motive in mind. This can be seen from the following passage in the work, for example: The most beautiful attempt at a history and differentiating characterization of the human understanding and heart would be a philosophical comparison of languages: for into each of them the understanding and character of a people is imprinted. Not only do the organs of speech vary with region and does each nation have its own letters and sounds, but the use of names itself, even in referring to audible things, indeed in the immediate expressions of affects, interjections, changes everywhere on earth. With objects of vision and cold observation the difference increases still more and with unactual expressions, figures of speech, and finally in the structure [Bau] of language, in the relation, ordering, and agreement of the parts with each other, it is almost infinite.⁴⁴
40 Whether the prescriptive inferences that Savigny drew from it – for example, in favor of retaining Roman Law in Germany rather than introducing a new code – were equally tenable is an entirely different question. 41 See esp. Malinowski 1926. Another early contributor to this development (albeit a less original and more politically problematic one) was Thurnwald 1931 – 1934, esp. vol. 5: Werden, Wandel und Gestaltung des Rechtes im Lichte der Völkerforschung (1934). 42 For a more detailed discussion of this subject, see Forster 2011. 43 Fiesel 1927, 215 – 224. 44 Herder 1985 – 2000, vol. 6, 353.
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The second great founder of this new linguistics, Friedrich Schlegel, developed it much further in his seminal work On the Language and Wisdom of the Indians (1808). There he for the first time introduced the concept and ideal of “comparative grammar” (vergleichende Grammatik), developed a sort of taxonomy of deeply different types of grammar (in particular, “organic” vs. “mechanical,” i. e., inflecting vs. non-inflecting), and mapped out the relations between the Indo-European languages with impressive accuracy. For Schlegel too the main purpose of this whole exercise was an interpretive, or hermeneutical, one (though he also identified additional purposes). This can be seen, for example, from the way in which his book undertakes the linguistic analysis just mentioned first, especially for Sanskrit, before then going on to interpret the contents of early Indian philosophy and literature in light of it. Schleiermacher made a significant contribution to the early development of the new linguistics in question as well, namely, by drawing attention, especially in the Dialectics lectures that he began delivering in 1811 and in his essay On the Different Methods of Translation from 1813, to the fact that not only do languages’ varying grammars play an essential constitutive function in them and in the modes of thought that they enable, but more local, likewise varying interrelationships between specific groups of words / concepts do so as well. (His main example of this concerns groups of words / concepts that relate to each other in the manner of a genus-species hierarchy, as, for instance, the word / concept “blue” essentially relates to the more generic word / concept “color,” coordinate but contrasting words / concepts such as “red” and “yellow,” and words / concepts for its sub-species such as “dark blue” and “sky blue.”) This contribution of Schleiermacher’s would eventually lead to the development of “semantic field theory” by Jost Trier and Leo Weisgerber in the twentieth century. Immediately following these early developments, other early linguists built on the same principles in order to generate further important empirical work in linguistics – especially Franz Bopp (who, like Friedrich Schlegel, focused on the Indo-European languages generally), Jacob Grimm (who focused on the Germanic languages in particular), and August Wilhelm Schlegel (who focused on the Romance languages in particular). Then in the 1820s Wilhelm von Humboldt took over these contributions from Schlegel, Schleiermacher, and the others, added some of his own, and synthesized them all into his own general linguistics, as articulated above all in his famous work On the Diversity of Human Language-Structure and Its Influence on the Mental Development of Mankind (published posthumously in 1836). In doing so he retained the fundamental interpretive, or hermeneutical, motive that had originally driven the development of those contributions. While this original interpretive, or hermeneutical, motivation of linguistics often got lost in subsequent permutations of the discipline, to the discipline’s great detriment (e. g., already with August Schleicher in the nineteenth century and then with Noam Chomsky in the twentieth), it was preserved by the better continuations of the discipline, especially by the Franz Boas-Edward Sapir-Benjamin Lee Whorf tradition of anthropological linguistics in the USA, which not only continued the program for the discipline that Herder, Schlegel, Humboldt, and the others had originally developed in a
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general way, but also retained its motivation by the goal of enabling accurate interpretation of cultural Others in particular. In sum, the new hermeneutics also played an essential role in the birth of modern linguistics. As we have seen, it was mainly Herder’s and Schlegel’s versions of it that did so, rather than Schleiermacher’s version of it. However, Schleiermacher’s version of it (as further elaborated in his Dialectics lectures and his essay on translation) played a significant role as well.
8 Cultural Anthropology Another area in which the new hermeneutics had a major impact is the emergence of the discipline of cultural anthropology at the end of the nineteenth century.⁴⁵ This includes both its American version (which was essentially founded by the German-Jewish émigrés Boas and his student Sapir) and its British version (which was basically founded by the Pole Malinowski, who had studied in Germany). The historical roots of this new cultural anthropology lay with the inventors of the new hermeneutics whom we have been considering, especially Herder, Friedrich Schlegel, and Schleiermacher, together with their intellectual heir Wilhelm von Humboldt. Humboldt not only built his interpretively / hermeneutically motivated linguistics on the achievements of those predecessors (in the way just sketched), but also borrowed from Schleiermacher the central principles of his own broader hermeneutics. This can be seen, for example, from Humboldt’s scattered remarks on interpretation in the work from 1836 mentioned above: meaning always has an individual dimension, understanding always involves an element of misunderstanding, and so on.⁴⁶ (From 1810 onwards Schleiermacher and Humboldt moved in the same circles in Berlin and were on good terms.) The channels of influence that led from the inventors of the new hermeneutics to the founders of the new cultural anthropology in both the USA and Britain were complicated, but were mainly twofold. First, Boas, Sapir, and Malinowski all had direct knowledge of those inventors’ work (especially the work of Herder and Humboldt). Second, those inventors (again, especially Herder and Humboldt) had in the meantime also inspired the development and the approach of the new discipline of Völkerpsychologie, which was founded by Moritz Lazarus and Heymann Steinthal in the 1850s, and this discipline then became thoroughly known to Boas, Sapir, and Malinowski, for all of whom it constituted an important forerunner of their own cultural anthropology, so
45 For a more detailed discussion of this subject, see Forster 2010, ch. 6. 46 The same applies to Humboldt’s theory / methodology of translation. See his presentation of it in the introduction to his translation of Aeschylus’s Agamemnon from 1816, which should be compared with Schleiermacher’s strikingly, and surely not coincidentally, similar classic essay on the theory / methodology of translation from 1813, i. e., just three years earlier.
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that the inventors of the new hermeneutics influenced them in this indirect way as well. It is therefore no accident that the fundamental interpretive methodology of the new discipline of cultural anthropology, in both its American and its British versions, closely reflects that of the new hermeneutics from around the beginning of the nineteenth century. A few specific examples: First, like that new hermeneutics, the new cultural anthropology assumes a deep anti-universalism, a profound variety in linguistic forms, concepts, beliefs, values, etc. between historical periods and cultures. Second, like the new hermeneutics, it moreover recognizes that such variations occur not only between periods and cultures but also to a significant extent within them, at the level of individuals (Boas, Sapir, and Malinowski all emphasize this point). Third, like the new hermeneutics, it also assumes that language is fundamental to all thought and culture, so that the investigation of the distinctive thought and culture of peoples needs to be based on a thorough knowledge of their distinctive languages (as Malinowski put it, “No language, no penetration”). Fourth, like the new hermeneutics, it emphasizes in this connection that such an investigation is difficult not only because the linguistic and psychological phenomena in question will often at the outset be deeply unfamiliar to the interpreter, but also because he will often be tempted to falsely assimilate them to ones with which he is already familiar. (For instance, Boas and Sapir constantly point out the dangers of succumbing to the temptation to falsely assimilate the grammars of the Native American languages to more familiar Indo-European grammars.) Fifth, like the new hermeneutics, it also emphasizes that expressions of meaning need to be interpreted in light of their broader cultural context.⁴⁷ In short, modern cultural anthropology is yet another new discipline that was in large part made possible by the new hermeneutics that emerged around the beginning of the nineteenth century.
9 Art History A final discipline whose modern development was largely made possible by the new hermeneutics is art history (i. e., the history of visual art). Here it was mainly Herder’s and Friedrich Schlegel’s versions of the new hermeneutics that played the decisive role – for, as I mentioned earlier, their versions attributed meanings not only to linguistic
47 For example, Boas already insisted on this principle in a famous quarrel that he fought and won early in his career concerning the proper way to display ethnological artifacts in the United States National Museum: he argued on the basis of this principle that the then-current practice of displaying such artifacts in the museum together with similar-looking artifacts from different cultures, rather than in the context of other artifacts from the same culture, was deeply misleading, since, for instance, a mask in one culture often has a very different meaning from that of a similar-looking mask in another culture, a meaning that can only be discovered by considering it in its own cultural context. Boas also constantly insists on this principle in his publications, e. g., Primitive Art (Boas 1927).
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forms of expression, i. e., texts and discourse, but also to painting, sculpture, architecture, and so on, therefore regarded these as susceptible to interpretation as well, and consequently included them within the scope of hermeneutics. By contrast, Schleiermacher’s version of the discipline played much less of a role because it instead restricted meaning, interpretation, and hermeneutics to linguistic forms of expression, i. e., texts and discourse. It did, though, play some role. Of course, the discipline of art history has a long pre-history, which saliently includes Giorgio Vasari with his Le vite, or lives of artists (1550), and Johann Joachim Winckelmann with his Geschichte der Kunst des Altertums (1764). However, Vasari’s biographical-anecdotal method, Winckelmann’s limited acquaintance with the Greek art on which he mainly focused together with his penchant for erotic enthusiasm and Platonist mystification, and especially both men’s Neoclassicizing, prescriptive approach made them almost as much obstacles to the development of the new discipline as contributors to it. It was only in nineteenth-century Germany that something recognizable as the modern discipline of art history began to emerge.⁴⁸ One fundamental contribution to this emergence was Herder’s broad historicism, or anti-universalism, and his consequent scrupulous distinguishing, and also problematization of evaluative comparisons, between works from different periods / cultures, as articulated above all in This Too a Philosophy of History for the Formation of Humanity (1774), together with Friedrich Schlegel’s subsequent continuation of similar positions. Concerning visual art in particular, Herder (together with his pupil, the young Goethe)⁴⁹ already in the early 1770s broadened Vasari and Winckelmann’s focus on Classical and Renaissance art to include a discerning positive appreciation of art from other periods and cultures as well, especially ancient Egyptian sculpture (see again Herder’s This Too a Philosophy of History) and Gothic cathedral architecture (see especially the young Goethe’s seminal article Von Deutscher Baukunst [1773]) – a move that was again essentially followed by Friedrich Schlegel, who in particular similarly insisted on the value of not only Classical and Renaissance art, but also Gothic cathedral architecture and early German religious painting. This new approach then became fundamental to the sort of art history that emerged in nineteenth-century Germany (and elsewhere).⁵⁰ And it continued to be fundamental to art history’s most important twentieth-century versions, namely, those developed by two German-Jewish
48 For a concise overview of the rapid development of the discipline in nineteenth-century Germany, see Wood 2019, 45. 49 That is, the young Goethe as sharply distinguished from the later, Neoclassicizing Goethe of the 1790s. 50 For an account of the earliest phases of this development, see Waetzoldt 1921. For some additional details, see Wood 2019, esp. 182 – 189 (on Herder and Wackenroder), 232 – 233 (on Leopold von Ranke), and 244 – 245 (on Hippolyte Taine).
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émigrés to the USA and Great Britain (respectively): Erwin Panofsky (1892 – 1968)⁵¹ and Ernst Gombrich (1909 – 2001).⁵² Beyond that fundamental historicist, or anti-universalist, broadening of horizons, the modern art history that began to emerge in the nineteenth century owed two further major debts to German philosophers. The first of these (but for our purposes the less relevant one) was a debt to Kant, in particular to his Critique of Judgment (1790). In that work Kant had focused on beauty and had championed a thesis that form was the sole source of beauty in visual art. This set in motion an important tradition of art historical research that focused on the formal, or stylistic, aspects of visual artworks, a tradition that saliently included Konrad Fiedler (1841 – 1895), Adolf von Hildebrand (1847– 1921), Alois Riegl (1858 – 1905), and Heinrich Wölfflin (1864 – 1945). By pursuing Kant’s hint in a much more empirical, historical, and historicist spirit than Kant had himself envisaged, this tradition produced much illuminating work (e. g., Riegl’s work on the historical continuity and modification of motifs and Wölfflin’s analysis of the five main dimensions of style that distinguish art works of the Renaissance from those of the Baroque period).⁵³ This tradition was subsequently both respected and continued, though only as one dimension of their own multi-dimensional work, by the most important art historians of the twentieth century: Panofsky and Gombrich.⁵⁴ But the second (and for our purposes more relevant) further debt to German philosophers was again a debt to Herder and Friedrich Schlegel. This debt was basically twofold in nature: a recognition of the central roles that both meaning and genre play in visual art – including a recognition of the deep historical-cultural variability of both of these phenomena, the resulting difficulty of identifying them correctly and therefore of interpreting and evaluating works judiciously in the light of them, and a set of principles for overcoming this difficulty and thereby achieving judicious interpretations and evaluations. Let us consider each of these contributions in turn. First, Herder and Friedrich Schlegel both achieved a clear recognition that visual art normally has a meaning, or expresses thoughts. Herder had initially assumed the contrary: when he began writing his earliest work on art, the Critical Forests (1769),
51 See Panofksy 2018 [1939]; Panofsky 1982 [1955], esp. “Introduction: The History of Art as a Humanistic Discipline,” 7, 17. 52 See Gombrich 1995 [1950]; Gombrich 1969 [1960]; Gombrich 1996. 53 See Wood 2019, esp. 268 – 270 for the link between this tradition and Kant; also Gombrich 1969 [1960], 16 – 17. Concerning Riegl specifically, see in addition Gombrich 1996, 234 – 250. 54 As Wood points out, Panofsky indeed began his career as an adherent of this approach (Wood 2019, 322). Moreover, his seminal scholarship on historically varying types of perspective in visual art, the debts owed by Gothic architecture to the scholastics’ habits of mind, and historically varying theories / practices of proportion in visual art can all be seen as continuations of it. Panofsky himself points out this continuity in his correspondence, albeit while also emphasizing that he complements it with an equal attention to art’s meaning / interpretation (Panofsky 2001, vol. 2, 289 – 291; vol. 3, 5, 848; vol. 4, 770). Concerning Gombrich’s sympathy with the approach in question, see, for example, his discussion of Riegl as cited in the preceding footnote.
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he invented a little theory to the effect that, unlike poetry, visual art expresses no meaning or thought at all but is instead merely sensual in character (painting visual, sculpture tactile). However, as he developed that theory over the course of the work, he soon came to realize – especially, by reflecting more carefully on the examples of coins and paintings – that it was untenable, and he therefore abandoned it and instead switched to ascribing meanings and thoughts to visual art as well. He then retained and elaborated this position in subsequent works, where, for example, he emphasized that ancient Greek sculpture usually expresses meanings and thoughts, in particular ones drawn from poems and legends.⁵⁵ Friedrich Schlegel later emphatically joined Herder in this new position. For example, he writes in lectures on philosophy that he gave at Cologne between 1804 and 1806: “If one wished to make decoration and charm the purpose of art, art would be ill founded, and the objections of those people who reject it as quite useless entirely justified […] But it is an entirely different matter when one makes meaning the purpose of art.”⁵⁶ Moreover, Herder and Schlegel developed a whole set of hermeneutical principles for accurately identifying the meanings / thoughts expressed by works of visual art: As in the case of interpreting texts or discourse, the interpreter of a work of visual art often faces the difficulty that the meanings / thoughts involved are historically, culturally, and even individually distant from his own; he therefore needs both to become acquainted with them for the first time and to resist temptations to falsely assimilate them to more familiar ones; in order to achieve this he must pay scrupulous attention not only to the work itself and other works related to it, but also to their whole historical and cultural context; and this in particular requires him to take relevant texts and discourse from the period / culture into account (a principle that Herder already implies when he points out that Greek sculpture usually expresses meanings / thoughts derived from Greek poems and legends, and which Friedrich Schlegel subsequently likewise supports).⁵⁷ In addition, Friedrich Schlegel (strikingly anticipating the iconographic / iconological approach of Panofsky) developed a further principle for interpreting the meanings / thoughts expressed by visual art: that it is essential to take into account visual art’s employment of various sorts of symbolic means for communicating meanings / thoughts. Among his examples of this are the use of light as a symbol of good and darkness as a symbol of evil in paintings by Medieval and Early Modern artists (e. g., Antonio da Correggio’s The Holy Night); the use of a scenic background in portrait paintings to convey aspects of the portrayed subject’s state of mind (e. g., Leonardo da Vinci’s Mona Lisa); and the use of the architectural forms of the cross, an
55 For more on this, see Forster 2010, 102 – 106. 56 Schlegel 1958–, vol. 8, 55; cf. 174. 57 For Friedrich Schlegel’s versions of all these positions, see especially the series of articles on visual art that he began publishing in the journal Europa in 1802, now helpfully collected in Schlegel 1958–, vol. 4.
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easterly orientation, columns shooting upward toward heaven, and the rose as symbols for central Christian ideas in Gothic cathedral architecture.⁵⁸ Second, Herder and Schlegel both recognized that, just like works of literature, works of visual art have genres which need to be correctly identified in order for a work to be understood, that the genres in question vary deeply from period to period, culture to culture, and sometimes even individual artist to individual artist, or, even more radically, individual work of an artist to individual work, which leads to the twofold challenge for the interpreter of works of visual art that in many cases he needs to become acquainted with unfamiliar genres and moreover needs to resist strong temptations to falsely assimilate them to ones with which he is already familiar. Furthermore, they both recognized that, as in the case of literature, this situation concerning the interpretation of visual art also carries important implications for its critical evaluation: since superficially similar-looking works of art often in fact pursue different genre-purposes and strive to conform to different genre-rules, there is frequently a temptation to evaluate an artwork by criteria that are in fact foreign to it, a temptation that ought to be resisted (this implication was decisive for Herder’s and Schlegel’s insight that the sort of Neoclassicism that Winckelmann and others had championed was problematic). According to Herder and Schlegel, in order to avoid all of these pitfalls, the interpreter / critic of a work of visual art needs to eschew a priori assumptions about its genre and instead study the work itself, closely related works, and their whole historical and cultural context in an empirically careful way in order to correctly identify its genre and then interpret / evaluate the work accordingly. The locus classicus for these points is a passage from Herder’s This Too a Philosophy of History (1774) in which he extends to visual arts the insights that he had already developed in connection with the literary genre of tragedy just a year earlier in Shakespeare (1773). In the case of the visual arts, he gives the specific example of ancient Greek portrait sculpture vs. ancient Egyptian portrait sculpture. His argument is basically that although these may at first sight seem to be one and the same genre (as, in his opinion, they seemed to Winckelmann), they are in fact sharply different genres, constituted by very different genre-purposes (roughly, in the Greek case a purpose of celebrating this-worldliness, life, and action, but in the Egyptian case a quite contrary purpose of dedicating a person to eternity in accordance with the Egyptian cult of the dead) and correspondingly different genre-rules, and that this difference needs to be taken into account in order either to interpret the works involved correctly or to evaluate them judiciously, i. e., in light of their own genre-purposes / rules rather than in light of those that belong to an alien genre (tasks in which, according to Herder,
58 See Forster 2011, 65 – 66; Forster 2021. An important further question here is whether or not such meanings / thoughts are fundamentally non-linguistic (as at first sight they might seem to have to be). Herder’s considered position denies that they ever are, instead holding that they are always essentially dependent on and bounded by the artist’s linguistic capacity (see Forster 2010, 102 – 106). Friedrich Schlegel tends to adopt this position as well, albeit more ambiguously (see Forster 2011, 66 – 67).
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Winckelmann had signally failed in his treatment of Egyptian portrait sculpture). Herder’s passage is as follows: Here again too, stupidity to tear a single Egyptian virtue out of the land, the time, and the boyhood of the human spirit and to measure it with the criterion of another time! […] The best historian of the art of antiquity, Winckelmann, obviously only passed judgment on the artworks of the Egyptians according to a Greek criterion, hence depicted them very well negatively, but so little according to their own nature and manner that with almost every one of his sentences in this most important matter the obviously one-sided and sidewards-glancing aspect glares forth […] And since what happens to the Egyptians is mostly that people come to them from Greece and hence with a merely Greek eye – how can worse happen to them? But dear Greek!, these statues, now, were (as you could perceive from everything) supposed to be anything but paragons of beautiful art in accordance with your ideal! – full of charm, action, movement, about all of which the Egyptian knew nothing, or which his purpose precisely cut off for him. They were supposed to be mummies!, memorials to deceased parents or ancestors according to all the exactness of their facial traits, size, according to a hundred fixed rules to which the boy was bound. Hence naturally, precisely without charm, without action, without movement, precisely in this grave-pose with hands and feet full of rest and death – eternal marble mummies! Behold, that is what they were supposed to be, and that is what they are too!, that is what they are in the highest mechanical aspect of art!, in the ideal of their intention! How your fair dream of fault-finding is lost now! If you were to elevate the boy tenfold through a magnifying glass into a giant and to shine a light on him, you can no longer explain anything in him; all his boy’s stance has gone, and yet [he] is anything but a giant!⁵⁹
As in the case of meaning, Friedrich Schlegel essentially took over Herder’s insights concerning genre in visual art (even emphasizing cases of individual distinctiveness in genre more strongly than Herder himself had done by usually writing of a work’s “idea” rather than of its genre), and thereby underscored them.⁶⁰ In addition, Herder and Schlegel actually applied these principles concerning both meaning and genre to the interpretation and evaluation of specific works of visual art in illuminating ways, thereby showing their fruitfulness and reinforcing their impact. Herder already began doing this in the Critical Forests and This Too a Philosophy of History (as we have seen), and he subsequently continued doing so in works such as Memorial to Winckelmann (1777) and Sculpture (1778).⁶¹ Schlegel did the same in a series of articles on painting and sculpture that he began publishing in 1802 in the journal Europa (now helpfully collected together in the Kritische Friedrich Schlegel Ausgabe, vol. 4), as well as in his Letters on a Journey through the Netherlands, Rhine Regions, Switzerland, and Parts of France (1806) and his Lectures on Ancient and Modern Literature (1812/1815), both of which works deal with Gothic cathedral architecture, the latter in particular including a concise but powerful explanation of the meanings of its various elements.⁶²
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Herder 1985 – 2000, vol. 4, 22 – 24. For Schlegel’s application of these principles to visual art, see Schlegel 1958–, vol. 4. For more on this, see Forster 2010, esp. chs. 3 and 5; Forster 2011, esp. ch. 6. For further details, see Forster 2011, ch. 2; Forster 2021.
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Together, all of these developments eventually made possible the sort of unprecedentedly sophisticated and illuminating art history that emerged in the twentieth century with the two German-Jewish émigrés to the USA and Great Britain who have been mentioned: Panofsky and Gombrich. Panofsky began his career as a formalist mainly interested in styles in visual art, and retained this interest as one dimension of his work throughout his career. But his greatest step forward was to complement that focus in works such as the (significantly titled) books Studies in Iconology (1939) and Meaning in the Visual Arts (1955) with an equal focus on the central role of meaning in visual art, including its expression through symbols (“icons”), the historical-cultural variability of the meanings involved, the consequent frequent difficulty of identifying them correctly due to the historicalcultural distance that lies between the interpreter and the creators of the artworks in question and the problems of both unfamiliarity and temptation to false assimilation to which this distance gives rise, and the need to achieve such correct identification by paying scrupulous empirical attention not only to the art works themselves but also to their specific historical-cultural contexts, including their relations to texts / discourse⁶³ – in other words, exactly the sort of focus that Herder and Schlegel had already developed. Although Panofsky nowhere to my knowledge explicitly acknowledges a debt to Herder and Schlegel (and the debt was no doubt largely incurred via nineteenth- and early twentieth-century intermediaries), such a debt seems clear enough. For example, Panofsky at least comes close to acknowledging it when he writes in a letter from November 13, 1958: “I conceived and conceive my job as that of an eclectic, trying to perpetuate, as far as humanly possible, all methods of approach developed at the turn of the nineteenth century and cannot claim to have contributed anything original as far as method is concerned.”⁶⁴ Moreover, the debt in question occasionally even shows through at the level of the detail of his work, as, for example, when in the books just mentioned he essentially repeats Herder’s account of the difference between ancient Egyptian and Greek portrait sculpture: “The Egyptian method [sc. of creating statues] […] clearly reflects their Kunstwollen, directed not toward the variable, but toward the constant, not toward the symbolization of the vital present, but toward the realization of a timeless eternity. The human figure created by a Periclean artist was supposed to be invested with a life […].”⁶⁵ Similarly, Gombrich continued not only the earlier historicized focus on form, or style (as has already been mentioned), but also Panofsky’s Herder / Schlegel-influenced
63 See Panofsky 1982 [1955], esp. ch. 1, “Iconography and Iconology: An Introduction to the Study of Renaissance Art” (also Panofsky 2001, vol. 2, 289 – 291). Panofsky distinguishes between several types of meaning in visual art, including “iconography” and “iconology” (which together roughly correspond to the sorts of symbols that Schlegel had already discussed). The introduction of this approach in the twentieth century has often been credited to Aby Warburg (even, with characteristic generosity, by Panofsky himself ), but it was really Panofsky who developed it. 64 Panofsky 2001, vol. 4, 358 – 359. 65 Panofsky 1982 [1955], 61; cf. Panofsky 2018 [1939], 183.
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focus on the meaning of visual artworks.⁶⁶ Moreover, in The Story of Art (1950), Art and Illusion (1960), and other works,⁶⁷ he added to these focuses an important new emphasis on the essential role of genre in works of visual art, the importance of identifying their genres correctly in order to either understand or evaluate them properly, the variability of such genres between periods and cultures, the frequent problems of both unfamiliarity and temptations to false assimilation to which this variability gives rise for interpreters / critics, and the need to overcome these problems by employing a scrupulous empirical approach that pays close attention not only to the artworks themselves but also to their historical-cultural context – in other words, precisely the position that Herder had introduced and Schlegel had continued. For example, in Art and Illusion Gombrich notes that ancient Egyptian paintings of human beings and animals which might at first sight seem to an interpreter / critic to be identical in genre to the sorts of paintings of such subjects with which we are familiar from modern painters (e. g., John Constable), unlike the latter, seem to show a strange and unsatisfactory disregard for perspective that, for instance, leads them to represent together body parts of a human being which would never be visible simultaneously. And Gombrich explains this puzzling phenomenon in terms of the fact that the ancient Egyptian paintings in reality constitute a deeply different genre from that / those of the modern paintings, namely, a genre in which the depictions primarily serve a symbolic or informational function rather than an imitative one, so that the seeming oddity and weakness of the works in question are at bottom merely a product of the interpreter’s / critic’s false imputation of a quite different genre when he interprets / evaluates them.⁶⁸ Moreover, Gombrich’s ultimate debt to Herder and Schlegel for this focus on meaning and genre is even clearer than in the case of Panofsky. For one thing, Gombrich often explicitly quotes and cites relevant work by Herder and Schlegel.⁶⁹ For another thing, he mentions in an autobiographical sketch that he was formatively influenced in his youth by a whole series of nineteenth- and early twentieth-century Germanic art historians – including Max Dvořák, Julius von Schlosser, and Wilhelm Waetzoldt⁷⁰ –
66 See Gombrich 1996, Part IX, esp. “The Use of Art for the Study of Symbols” and “Aims and Limits of Iconology.” (Gombrich does, however, question some of Panofsky’s specific applications of this approach, for example accusing him – mistakenly in my opinion – of reading more meanings into Dutch genre paintings than are really there [Gombrich 1996, 521 – 527].) 67 See, e. g., also Gombrich 1996, 461 – 463, 483. 68 See esp. Gombrich 1969 [1960], ch. 4. (Gombrich sometimes champions a less relativistic approach that emphasizes historical progress in the techniques for depicting reality in visual art. However, this is only one strand of his work, and he qualifies even this with the important point that the artworks in question rarely have such depiction as their only goal, so that evaluative comparisons between genres remain problematic.) 69 See, e. g., Gombrich 1996, 257, 306 – 307 (for Herder), 308 (for Schlegel). 70 Gombrich 1996, 23 – 24.
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and when one reads the works of these predecessors one finds not only reflections, but even detailed treatments, of Herder’s and Schlegel’s ideas there.⁷¹ In short, it was largely Herder’s and Schlegel’s hermeneutics and their application of it to visual art that eventually made possible the sort of highly sophisticated and illuminating art history that emerged with Panofsky and Gombrich in the mid-twentieth century. In addition, though less importantly, Gombrich’s focus on and approach to genre also owe a significant, albeit less fundamental, debt to Schleiermacher. For, in the course of explaining them in his later works (i. e., post–1967), he enthusiastically endorses the emphasis on the vital importance of genre for interpretation that Hirsch had championed in Validity in Interpretation (1967),⁷² where Hirsch had treated this subject in some detail (albeit only in application to literature rather than to visual art) under the avowed influence of Schleiermacher’s hermeneutics.
10 Conclusion In sum, the new hermeneutics that emerged with Ernesti, Herder, Schlegel, Schleiermacher, and Boeckh toward the end of the eighteenth and the beginning of the nineteenth century, including Schleiermacher’s version of it in particular, had an enormous and beneficial impact on the development of the human sciences in the long nineteenth century. This impact included classics, Bible scholarship, general historiography, historiography of philosophy, historiography of literature, comparative literature, historiography of law, linguistics, cultural anthropology, and art history. To the extent that the value of a theoretical / methodological position can be judged from the quality of the concrete research results to which it gives rise, the case for the value of this new hermeneutics could therefore hardly be more compelling.
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71 In particular, one of the works that Gombrich cites, Wilhelm Waetzoldt, Deutsche Kunsthistoriker, culminates with a whole section each on Herder and Schlegel in which central features of their approaches, such as Herder’s historical sensitivity and broadening of the range of art respected beyond the Greeks and Schlegel’s emphasis on visual art’s expression of ideas, are explained, followed by further sections on early art historians who were fundamentally influenced by their approaches, such as Friedrich Schlegel’s pupil Sulpiz Boisserée. 72 See Gombrich 1996, esp. 461 – 462.
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Eleonora Caramelli
Schleiermacher, Hegel und das Problem des Gefühls Abstract: This paper aims at deepening our understanding of the reasons for the problematic relationship between Hegel and Schleiermacher by focusing on the different way each conceived the notion of feeling. We begin with an examination of Schleiermacher’s university lectures on psychology, on the one hand, and relevant paragraphs of the philosophy of the subjective spirit in Hegel’s Encyclopedia of the Philosophical Sciences, on the other. Having shown that in Schleiermacher Gefühl is a theoretical construct, whereas in Hegel it is a pure form bereft of specific content and well-defined contours, we turn to the theme of the relationship between feeling and language. Here we find that whereas in the Encyclopedia feeling has no access to language, in the Phenomenology of Spirit this relationship is more complex, enabling the potential of Gefühl in Hegel to be analyzed in a way that does not exclude elements of compatibility with Schleiermacher’s perspective.
Georg Wilhelm Friedrich Hegels Kritik an der engen Verbindung, die Schleiermacher zwischen Religion und Gefühl herstellt, ist weithin bekannt. Die berühmteste und eindrücklichste findet sich in seiner Vorrede zu Hermann Friedrich Wilhelm Hinrichs’ Religionsphilosophie von 1822. In diesem Zusammenhang wird die Beziehung der Religion zur Gefühlssphäre von Anfang an auf die „leere Schale der subjektiven Überzeugung“¹ zurückgeführt. Insofern das Gefühl „für sich […] die natürliche Subjektivität“ sei, zeige es sich als ein bloßer Behälter, „ebensowohl fähig, gut zu sein als böse, fromm zu sein als gottlos“.² Das Gefühl sei also eine „bloße Form, [die] für sich unbestimmt ist und jeden Inhalt in sich haben kann. Es ist nichts, was nicht gefühlt werden kann und gefühlt wird“.³ Da das Gefühl außerdem dem Menschen und dem Tier gemein sei, sei es vor allem das, was die Religion der Herrschaft der geistigen Freiheit entziehen würde. Selbst daß jenes natürliche Gefühl ein Gefühl des Göttlichen sei, liegt nicht im Gefühle als natürlichem; das Göttliche ist nur im und für den Geist, und der Geist ist dies, wie oben gesagt worden, nicht ein Naturleben, sondern ein wiedergeborener zu sein. Soll das Gefühl die Grundbestimmung des Wesens des Menschen ausmachen, so ist er dem Tiere gleichgesetzt, denn das Eigene des Tieres ist es, das, was seine Bestimmung ist, in dem Gefühle zu haben und dem Gefühle gemäß zu leben. Gründet sich die Religion im Menschen nur auf ein Gefühl, so hat solches richtig keine weitere Bestimmung, als das Gefühl seiner Abhängigkeit zu sein, und so wäre der Hund der beste Christ, denn er trägt dieses am stärksten in sich und lebt vornehmlich in diesem Gefühle. Auch Erlö-
1 Hegel W 1, 43. 2 Hegel W 1, 57. 3 Hegel W 1, 59. https://doi.org/10.1515/9783111128801-009
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sungsgefühle hat der Hund, wenn seinem Hunger durch einen Knochen Befriedigung wird. Der Geist hat aber in der Religion vielmehr seine Befreiung und das Gefühl seiner göttlichen Freiheit; nur der freie Geist hat Religion und kann Religion haben; was gebunden wird in der Religion, ist das natürliche Gefühl des Herzens, die besondere Subjektivität; was in ihr frei wird und eben damit wird, ist der Geist.⁴
Statt mich den Gedanken Schleiermachers zur Religion bzw. den Hegel’schen Vorlesungen über die Philosophie der Religion zuzuwenden, um zu untersuchen, was bei dieser Kritik auf dem Spiel steht, möchte ich in meinem Beitrag die Definition des Gefühls in Schleiermachers Vorlesungen über die Psychologie und in den Abteilungen zur „Anthropologie“, „Phänomenologie“ und „Psychologie“ von Hegels Enzyklopädie einer Betrachtung unterziehen. Während das Gefühl bei Schleiermacher theoretisch konstruiert ist, „alle Akte des Wissens und Wollens begleitet“⁵ und nahe an der Rationalität liegt, ist es bei Hegel eine Form, die – wie bereits die Dreiteilung seiner Abhandlung erkennen lässt – relativ unbeständig zu sein scheint und keine klaren Umrisse besitzt. Zunächst werde ich die Rolle des Gefühls in Schleiermachers Vorlesung über die Psychologie insbesondere für das Problem seiner Beziehung zur Sprache skizzieren und im Anschluss auf die Diskontinuitäten und Kontinuitäten von Gefühl in der Hegel’schen Philosophie des subjektiven Geistes eingehen. In einem dritten Schritt versuche ich aufzuzeigen, dass die Rolle des Gefühls bei der Entstehung des Selbstbewusstseins im Gegensatz zum Ansatz der Enzyklopädie in einem viel früher entstandenen Text Hegels, nämlich der Phänomenologie des Geistes, eine produktive ist, wobei der Bezug zur Sprache hier auch eine besondere Rolle spielt.
1 Das Gefühl in Schleiermachers Vorlesungen über die Psychologie Dem Manuskript zur Vorlesung von 1818 zufolge ist das Gefühl „wol Totalität“⁶ entgegen der „Affection“ und der „Empfindung“, die etwas Partielles sind. Allgemeiner zeichnet sich das Gefühl durch seine Differenzierung gegenüber der Wahrnehmung aus; auch das gesellige Gefühl ergibt sich aus einer Differenzierung, die beim Tier nicht gegeben ist. Das gesellige Gefühl nach seinem Umfang betrachtend beruht auf dem Auseinandertreten des persönlichen und des gemeinsamen. Und hier findet zuerst eine Abstufung statt. Mehr am thierischen liegt das Nichtunterscheiden von beidem in der rohen Menschheit wo die gesellige Cohäsion eine ziemlich thierische Gestalt hat.⁷
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Hegel W 11, 58. Arndt 2017, 87; vgl. zur Beziehung zwischen Hegel und Schleiermacher vor allem Arndt 2013, 213 – 259. Schleiermacher KGA II/13, 7. Schleiermacher KGA II/13, 74.
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Zu den geselligen Gefühlen zählen Mitleid, Mitfreude, Freundschaft, aber auch Antipathie, Ehrfurcht, Neid, Schadenfreude und Zorn, die von Schleiermacher allesamt untersucht werden. In all diesen Äußerungen stimmen das individuelle und das gemeinsame Bewusstsein nicht unmittelbar miteinander überein, sondern sie laufen in geringerem oder höherem Maße auseinander. Die Aussöhnung zwischen dem affektiven Aspekt der Erfahrung und dem reflexiven, der sich mit dem Allgemeinen verbindet, findet jedenfalls in der subjektiven Sphäre statt. In der Nachschrift der Vorlesung von 1818 heißt es: Hier ist noch gar nicht von dem eigentlich Sittlichen im strengen Sinne des Wortes, sondern nur vom Geselligen überhaupt die Rede, welches darauf beruht, daß wir uns das gemeinsame Bewußtsein nur denken als bestehend in dem Zusammentreffen mit den Einzelnen, und also sich daraus entwikkelnd und daran anschließend, daß wir von einem Gefühl, und nicht von einem Princip des Handelns reden. Hier ist etwas allgemeines bezeichnet, was wir unmittelbar auch aus dem Sittlichen ausschließen. Nämlich wenn wir von allem Specifischen abstrahieren, und nur sehen auf das Zusammentreffen eines andern mit uns, so wird dieser nicht in einer rein sittlichen Beziehung in unser Bewußtsein aufgenommen, sondern nur in Beziehung auf den Punct, auf welchem er in unsern Lebenskreis eintritt.⁸
Im Anschluss an die Untersuchung der geselligen Gefühle, die vom Einfluss der Gefühle auf die physiologischen Reaktionen bis hin zu sittlichen Überlegungen reicht, wird in die Thematik der religiösen Gefühle eingeführt. Wenngleich die geselligen Gefühle ein Anzeichen für ein höher entwickeltes Bewusstsein darstellen, ist dieses doch immer ein persönliches Bewusstsein. Wenn das Bewusstsein hochentwickelt, das Leben der menschlichen Gattung also vom Selbstbewusstsein durchdrungen ist, werden alle persönlichen Unterschiede durch ein „vollkommene[s] Unterwerfen unter die Gottheit“⁹ der Gattung unterstellt. Dergestalt ist das Selbstbewusstsein der äußeren Natur entgegengesetzt. Doch dies verhindert nicht, dass ein gemeinsames Bewusstsein zwischen sich und der Natur entsteht, „und dieses wird nun das Bewußtsein der absoluten Einheit alles Lebens d. h. der Gottheit, und die Beziehungen aller Lebenszustände auf dieses sind dann die religiösen Gefühle“.¹⁰ Letztere sind keineswegs von der Besonderheit dessen, was dem einen Lust, dem anderen Unlust ist, affiziert, weil sie einer höheren Personalität entsprechen: „Das religiöse Grundgefühl aber ist durchaus Anbetung d. h. das Verschwinden aller Lust und Unlust in der Unterwerfung unter die absolute Lebenseinheit.“¹¹ Unter diesem Gesichtspunkt steht „das besondere Hervortreten des religiösen Gefühls und das Bewußtsein der Gottheit […] in Analogie mit dem speculativen Verfahren auf dem Gebiete des Denkens“.¹² Doch auch das religiöse Gefühl kann sich in Lust und
8 Schleiermacher KGA II/13, 311. 9 Schleiermacher KGA II/13, 319. 10 Schleiermacher KGA II/13, 79. 11 Schleiermacher KGA II/13, 80. 12 Schleiermacher KGA II/13, 319.
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Unlust spalten, nur dass diese Spaltung nicht ursprünglich ist, sondern mit der Reflexion auftritt. In dem Moment aber, in dem die Idee der Gottheit sich aus der Idee der Welt auf dem Gebiet des objektiven Denkens entwickelt, befinden wir uns nicht mehr im Bereich der Religionsentstehung, in dem das Gefühl ein primitives Element darstellt. Das Gefühl, das die Manifestation der Weltidee im Erkennen begleitet, ist das ästhetische, das sich mit dem Ausdruck des Schönen und des Erhabenen verbindet. Welche Art von Erkenntnis liegt diesen Erfahrungen jedoch zugrunde? Nachdem der spezifische Bereich der Kunst als menschliche Produktion ausgeschlossen wurde, wird darauf abgehoben, dass alles Schöne und Erhabene ein Bild der Welt sein müsse, denn dies sei beiden gemeinsam. Allerdings bestehe zwischen dem religiösen und dem ästhetischen Gefühl eine Beziehung: „Denn die Idee Gottheit entsteht im Allgemeinen nur aus der Reflexion über das Gefühl und das religiöse Gefühl ist selbst nur vollkomen in der Identität der Empfindung und der Reflexion und das ästhetische Gefühl beruht auf der Idee der Welt aber diese ist selbst nur vollkommen in der Identität des Erkennens mit dem Empfinden.“¹³ In der Vorlesung im Sommersemester 1830 wird hervorgehoben, dass das religiöse Gefühl eine große Ähnlichkeit mit dem Gefühl des Erhabenen besitze, weshalb man nicht selten Kultstätten im Umkreis erhabener Naturszenarien finde. So empfinde man bei diesem Anblick, dessen Kraft man nicht widerstehen könne, ein „Abhängigkeitsgefühl“.¹⁴ Bei aller Begrenztheit dieses durchaus nicht erschöpfenden Resümees ist zu erkennen, dass das Gefühl zu einer theoretischen Konstruktion gehört, die darauf abzielt, die Einheitlichkeit der Subjektivität nachzuzeichnen. In diesem Sinn wurde festgestellt, dass Schleiermacher„in der Rede von Basis und Spitze darüber hinaus nahelegt, dass die Psychologie approximativ gar die Gesamtheit des Wissens umfassen könnte. Da sie die Selbsterkenntnis des Menschen zum Gegenstand hat, versiert sie in der ganzen Breite der anthropologischen Gegebenheiten bis zur höchsten Bewusstheit.“¹⁵ So betrachtet enthüllt der Umstand, dass das Gefühl als sittliches, aber auch als ästhetisches Gefühl des Erhabenen und Religiösen definiert werden kann, zugleich dessen intentionalen Charakter, der bereits im Begriff des Abhängigkeitsgefühls impliziert ist. In der Auseinandersetzung mit der damaligen Emotionsdebatte¹⁶ wird der wertende Aspekt des Gefühls auch daran festgemacht, dass die aus dem Weltverhältnis resultierenden Modifikationen des Subjekts ebenfalls als Förderungen oder Hemmungen des Lebensprozesses erlebt werden können, aus denen der Wertgegensatz zwischen
13 Schleiermacher KGA II/13, 84. 14 Schleiermacher KGA II/13, 163. 15 Meier 2019, 118. 16 Vgl. zu dieser Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen Debatte in Bezug auf Schleiermacher Barth 2017 und Kirsberg 2019. Zu Hegel siehe unter anderem Howard 2013 und Maurer 2016; auch Winfield 2010, 12, bestätigt eine gewisse Gleichsetzung zwischen dem Hegel’schen Gefühl und der emotion theory.
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Lust und Unlust, den „Grundformen aller Gefühle“,¹⁷ hervorgeht. „Dem gemäß nun haben wir auch den transcendentalen Grund nur in der relativen Identität des Denkens und Wollens nemlich im Gefühl“.¹⁸ Im Gegensatz zur Hegel’schen Enzyklopädie, in der das Gefühl einen vorprädikativen Charakter zu besitzen scheint, wird es in Schleiermachers Manuskripten und den Nachschriften zur Vorlesung im Sommersemester 1818 in einer Konstellation präsentiert, die nicht nur Sprache allgemein, sondern auch den höheren Sprachausdruck miteinbezieht. Schleiermacher erinnert nämlich daran, dass im menschlichen Tonsystem, im Unterschied zu dem der Tiere, ein Gegensatz zwischen Sprache und Gesang bestehe. Während der natürliche Ausdruck des Gefühls in den Bereich des Gesangs falle, fände sich der Ausdruck des Gefühls in der menschlichen Sprache – so in der Hamburger Nachschrift vom Sommer 1818 – in der Dichtung.¹⁹ Die Prosa hingegen teile die Wahrnehmung und das Denken mit. Demnach ist der sprachliche Ausdruck kein zweiter, lediglich auf das Denken folgender Schritt. Bezugnehmend auf das Sprachlernen des Kindes fragt Schleiermacher: Denn man kann die ganze Frage auch auf die natürliche Entwiklungsgeschichte des Einzelnen zurükführen und fragen spricht das Kind eher oder denkt es eher? Unserm Gange nach haben wir gesagt, die Entwiklung des Denkens aus dem Wahrnehmen sei bedingt durch die Dazwischenkunft der Sprache, und so scheint Sprache früher zu sein. Gewöhnlich aber denkt man sich das Sprechen erst als die Folge des Denkens […]. Wenn wir die Sache genau nehmen wollen müssen wir Wahrnehmen und Denken aneinander rüken und fragen worin der Unterschied zwischen beiden besteht. Das Denken ist im Begreifen und Urtheilen und dieses ist seinem Wesen nach auch im Wahrnehmen.²⁰
Der Konstellation von Gefühl und Sprache scheint auch vor dem Auftreten des eigentlichen Denkens und der reinen Bezeichnungsfunktion ein Ausdruckswert zuzukommen.²¹ „Auch das Gefühl hat zwei Aeußerungsarten Geberde und Ton, so wie es auch zwei ursprüngliche Bezeichnungsarten giebt durch Ton und durch Bewegung der Finger welches leztere sich auch sehr weit ausbilden ließe“.²² Mit anderen Worten kündigt das Gefühl eine Form von vorgegenständlichem Bewusstsein an. Das Gefühl in seinen verschiedenen Ausprägungen – der geselligen, ästhetischen, religiösen – und in seinem sprachlichen Ausdruck lässt sich zwar nicht eindeutig definieren, aber es deutet eine Einheit an, die auf die Frage der Einheit der Erfahrung dem Gefühl nach zu verweisen scheint, wie Immanuel Kant sie in der dritten Kritik kenn-
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Schleiermacher KGA II/13, 46. Schleiermacher KGA II/10.1, 142. Vgl. Schleiermacher KGA II/13, 283. Schleiermacher KGA II/13, 65. Vgl. dazu Nelson 2004. Schleiermacher KGA II/13, 63.
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zeichnet.²³ Nichtsdestoweniger bleibt das Problem bestehen, das unweigerlich subjektive Moment des Gefühls und die allgemeine Bestimmung der Sprache miteinander zu vereinbaren.²⁴ So stellt Schleiermacher heraus, „daß wir unsere Gefühle auch durch die Sprache bezeichnen [könnten], aber nur nachdem sie Gedanken geworden [seien]“.²⁵ Dadurch bleibt das Gefühl jedoch weder in einem vorsprachlichen Schweigen verschlossen, noch ist es auf eine für den Logos unerreichbare Vergangenheit verwiesen. [D]ie Sprache ist nichts als das System der Zeichen, das Denken nichts als ein Anknüpfen an ein Zeichen. Freilich erkennt der Mensch die Zeichen an ehe die Sprache in ihm ist, also beginnt schon die ganze Welt von Gefühlen in ihm, ohne daß die Sprache da ist, aber wir müssen doch das ansehen als die Wirkung der Sprache vor der Sprache.²⁶
Die Gefahr eines für das Denken und für das Wort unzugänglichen Gefühls wird dadurch umgangen, dass die Komplexität der Sprachentstehung unterstrichen wird, deren Verzeitlichung es ermöglicht, eine Sprache vor der Sprache zu denken.
2 Das Gefühl in der Hegel’schen Enzyklopädie Bevor ich auf das Gefühl in Hegels Enzyklopädie zu sprechen komme, ist zunächst das Thema der Empfindung anzuschneiden, da der Unterschied zwischen beiden in verschiedener Hinsicht sehr gering ist. Empfindung ist laut § 400 der Enzyklopädie der Inhalt eines naturalistisch und partikularistisch bestimmten Empfindens, was dem Zusammenhang der „Anthropologie“, dem ersten Teil der Philosophie des subjektiven Geistes, entspricht, in dem es um den von der Natur abhängigen Geist und die ersten Schritte seiner Emanzipation von ihr geht. Denn in der „Anthropologie“ ist die Seele in unmittelbarer Einheit mit ihren Empfindungen, ihre Gefühle entsprechen noch keinem bestimmten äußeren Gegenstand. Dennoch fügt Hegel hinzu: „Alles ist in der Empfindung und, wenn man will, alles, was im geistigen Bewußtsein und in der Vernunft hervortritt, hat seine Quelle und Ursprung in derselben; denn Quelle und Ursprung heißt nichts anderes als die erste, unmittelbarste Weise, in der etwas erscheint. Es genüge nicht [sagt man], daß Grundsätze, Religion usf. nur im Kopfe seien, sie müssen im Herzen, in der Empfindung sein“.²⁷ Die Grenze ist so schwach, dass Hegel der Empfindung auch das zuschreibt, was wir gemeinhin als Gefühl oder Emotion zu bezeichnen pflegen – wie zum Beispiel „Zorn, Rache, Neid, Scham, Reue“,²⁸ die innere Empfin23 Denis Thouard hebt an Schleiermachers Reflexion über das Gefühl die Zuspitzung von Forderungen hervor, die in der dritten Kritik Kants vorkommen, wenngleich er eine direkte Inspiration ausschließt, vgl. Thouard 2007, drittes Kapitel, „L’affirmation du fait subjectif“. 24 Vgl. zu diesem Problem und zu den Besonderheiten der religiösen Sprachen Thouard 1994, 337. 25 Schleiermacher KGA II/13, 283. 26 Schleiermacher KGA II/13, 297– 298. 27 Hegel GW XX, 397 (§ 400). 28 Hegel W 10, 110 (§ 401 Z).
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dungen genannt werden –, um sie von denjenigen zu unterscheiden, die sich auf etwas Allgemeines wie das Recht, die Sittlichkeit, die Schönheit und Wahrheit beziehen. Erst später hält Hegel fest, dass diesen Bestimmungen eher die Bezeichnung „Gefühle“ gebührt. Bereits an dieser Stelle ist jedoch zu konstatieren, dass die Unterscheidung zwischen Empfindung und Gefühl aufgrund des gedanklichen Aufbaus der Philosophie des subjektiven Geistes vorerst ebenso wenig unmittelbar wörtlich genommen werden kann wie die Gleichsetzung der beiden:²⁹ „[D]er nähere Inhalt der innerlichen Empfindung“ kann noch nicht „hier in der Anthropologie Gegenstand unserer Auseinandersetzung sein“,³⁰ denn im Rahmen der „Anthropologie“ kann der Inhalt der inneren Empfindungen nur antizipiert werden. In diesem Zusammenhang, meint Hegel, sei er nur an der „Verleiblichung“ der inneren Empfindungen interessiert, das heißt an ihrer Übertragung in physiologische Reaktionen, wie sie einer Leiblichkeit eigen sind, über die der Geist noch nicht Herr geworden ist und die der artikulierten Sprache vorausgeht, welche die Empfindungen in Wörter verwandelt, aber erst später nachfolgt (z. B. das Herz, das vor Wut wild zu pochen beginnt, das Erblassen oder Zittern vor Angst). Erst in § 402 führt Hegel einen Unterschied zwischen der als reine „Passivität des Findens“ gedachten Empfindung und einer gewissen Reflexionstätigkeit des Fühlens ein, in der die Selbstischkeit mit einer Welt in Verbindung steht, als deren Substanz und Mittelpunkt sie sich jedoch fühlt. „Die fühlende Seele verkehrt bloß mit ihren innerlichen Bestimmungen. Der Gegensatz ihrer selbst und desjenigen, was für sie ist, bleibt noch in sie eingeschlossen“.³¹ Hegel ermittelt im Anschluss drei Stufen, denen die fühlende Seele entgegengeht: das Moment des Durchträumens, das der Verrücktheit und das des eigentlichen Bewusstseins, in dem das Ich sich von der Leiblichkeit emanzipiert, um in die Dimension der abstrakten Freiheit vorzudringen. Abgesehen von der Behandlung der Verrücktheit, bei der das Gefühl nicht deshalb berücksichtigt wird, weil es an sich mit pathologischen Störungen verbunden wäre, sondern insofern die vorbewusste Tätigkeit darin mit besonderer Kraft hervortritt, nimmt die Seele in der Gewohnheit von der Kontingenz dieser oder jener Gefühlsreaktion Abstand. Nachdem der Geist mittels Gewohnheit ein Repertoire von Verhaltensweisen angesammelt hat, erlangt er die Fähigkeit, sein Gefühl einzuüben. Was zunächst rein passiv war, wird so etwas von der Seele Gesetztes, wenn auch auf vorbewusster Ebene. Damit nähert sich die Überwindung der Dichotomie von Passivität und Aktivität sowie von Innen und Außen. Paradoxerweise erreicht die Verleiblichung selbst eine relative Freiheit, sodass sie zur Stellvertreterin des Geistigen wird. Die „mit Freiheit geschehenden Verleiblichungen […] erteilen dem menschlichen Leibe ein so
29 Hinweise auf Hegels Verwendung der Wörter „Empfindung“ bzw. „Gefühl“ finden sich bei Peperzak 1979, 167. 30 Hegel W 10, 110 (§ 401 Z). 31 Hegel W 10, 121 (§ 402 Z).
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eigentümliches geistiges Gepräge, daß er sich durch dasselbe weit mehr als durch irgendeine bloße Naturbestimmtheit von den Tieren unterscheidet“.³² In diesem ausschnitthaften Überblick ist hervorzuheben, dass die Seele dem § 411 zufolge in dem Moment wirklich wird, in dem sie ihre „freie Gestalt“ in der eigenen „Leiblichkeit“ findet, die „als Kunstwerk der Seele“ einen „menschlichen, pathognomischen und physiognomischen Ausdruck“ hat. Auch wenn der Leib „die erste Erscheinung“ des Geistes ist, der seinen vollkommenen Ausdruck nur in der Sprache finden kann, verweisen die leiblichen Erscheinungen, die im § 401 als Anzeichen einer bloßen physiologischen Veränderung betrachtet wurden, im dritten Abschnitt der „Anthropologie“, nachdem die Seele als seiende und fühlende dargestellt worden ist, auf eine geistige Haltung im eigentlichen Sinn. Allein die aufrechte Haltung, die den Menschen selbst von den Menschenaffen unterscheidet, zeigt an diesem Punkt nämlich die Energie und die Durchdringung des Willens an, die alles andere als natürlich sind. Auch das Phänomen der Stimme scheint nun unlösbar mit der Vermittlung des Sinnes der Sprache verbunden zu sein. Im Gegensatz zur Zerstreuung der Empfindung scheint das Gefühl einer umfassenderen Ordnung zu entsprechen.³³ In seiner Beschäftigung mit der Struktur der Empfindung und des Gefühls unterstreicht Hegel auch eine Reihe von Phänomenen, die von der Passivität der Empfindung bis hin zur größeren Aktivität des Fühlens reichen und die – obgleich vorintentional und vorbewusst – nicht mehr der Unmittelbarkeit des Natürlichen zugeschrieben werden können. Es kann also sein, dass die Diskontinuität, die die Untersuchung des Gefühls in den drei Abteilungen der Philosophie des subjektiven Geistes prägt, im Lichte einer gewissen Kontinuität gedacht werden kann, das heißt, dass Diskontinuität und Kontinuität hier beisammen liegen. Das Gefühl taucht in der Abteilung zur „Phänomenologie“ in einer Reihe von Paragraphen (§§ 426 – 435) wieder auf, die in etwa dem Abschnitt des vierten Kapitels der Phänomenologie von 1807 („Selbstständigkeit und Unselbstständigkeit des Selbstbewußtseyns; Herrschafft und Knechtschafft“) entsprechen. Auf diesen werde ich im dritten Teil meines Beitrags zurückkommen. Das Gefühl eines inneren Widerspruchs, das mit der Befriedigung der Begierde verbundene Selbstgefühl, bleibt nicht „im abstrakten Fürsichsein oder in seiner Einzelheit“, sondern öffnet sich der „Bestimmung der Allgemeinheit und der Identität des Selbstbewußtseins mit seinem Gegenstande“.³⁴ Erst in der Abteilung zur „Psychologie“ (§ 446 Z) fasst Hegel den vielschichtigen Status des Gefühls zusammen. Es scheint also drei Arten von Gefühl zu geben: das der empfindenden Seele, das des Bewusstseins, die beide gleichermaßen einseitig sind, und das aus der Einheit von Seele und Bewusstsein resultierende, das der Geist als Einheit des Subjektiven und Objektiven setzt.
32 Hegel W 10, 193 (§ 411 Z). 33 Vgl. dazu DeVries 1988, 75. 34 Hegel GW XX, 430 (§ 429).
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Der § 447 definiert das Gefühl als eine „Form“, verstanden als Affektion, die folglich auf eine konstitutive, zufällige Partikularität verweist. Eine solche Form wäre also von ihrem Inhalt, der sowohl der gediegenste und wahrste als auch der dürftigste und unwahrste sein kann, gänzlich unabhängig. Im anschließenden Paragraphen wird erneut die Empfindung erwähnt. Im Gegensatz zum Vorurteil, worin die Empfindung von einem äußeren Objekt bestimmt ist und ihr prägender Zug der Passivität wiederkehrt, ist das Gefühl in diesem Stadium etwas dem Geist Immanentes, denn die Vorstellung, dass Subjekt und Objekt Gegensätze bilden, wurde nun überwunden. Auch der Inhalt der Vernunft tritt, wie jeder geistige Gehalt, in das Gefühl ein, was fraglos zeigt, dass auch die rationalen Inhalte in eine auf gewisse Weise affektiv geprägte Sphäre eingehen. Dies aber bedeutet mindestens viererlei: 1. Das Gefühl hat keinen eigenen Inhalt, der mehr sein könnte als der des Denkens. 2. Die Form des Gefühls ist unabhängig davon, ob es auf einen bestimmten Denkinhalt reagiert oder nicht; dies gilt jedenfalls für eine unmittelbare Form, die irgendeinen Inhalt gemäß der „selbstischen Einheit“³⁵ angibt. 3. Die Immanenz des Gefühls im Geist verdeutlicht auch einen selbstreferenziellen Zug, der dessen Vereinbarkeit mit dem Gefühl von etwas über die Subjektivität Hinausgehendem schwierig macht.³⁶ 4. Wer sich auf sein Gefühl beruft, bleibt in der eigenen Subjektivität verschlossen und weigert sich so, in die „Gemeinschaft der Vernünftigkeit“³⁷ einzutreten. Um die Kontinuität von Hegels Denken in diesem Punkt aufzuzeigen, ist daran zu erinnern, dass in der Nachschrift Hotho zu den Vorlesungen von 1822 über die Philosophie des subjektiven Geistes eine fast identische Aussage vorkommt: „Wer sich auf seine Gefühle beruft, spricht nur aus seiner Subjektivität. Deshalb lieben die Menschen in ihrem Gefühle stehn zu bleiben, weil sie ihre Besonderheit darin behalten. Uebers Gefühl bin ich nur selbst Richter“.³⁸ Da diese Aussage in der „Anthropologie“ zu finden ist, ist sie als Vorwegnahme einzuschätzen. Wie kurz darauf festgestellt wird, gehören nämlich weder die Sprache noch selbst die Gestik, die eine vollkommene Beherrschung und Bildung der Leiblichkeit durch den Geist voraussetzt, zur „Anthropologie“. Doch könnte diese Vorwegnahme in der „Anthropologie“ auch bedeuten, dass es im Gefühl etwas konstitutiv Vorsprachliches gibt. Das Gefühl wird an derselben Stelle nämlich als das „Meinige“³⁹ bezeichnet, womit auf die Art von Meinung phänomenologischen Ursprungs verwiesen wird, die nur mein ist. Wenn das Gefühl erst als von der Vernunft durchdrungenes und durch sie geregeltes seine Wahrheit erreicht, so kann es an und für sich dem Hegel der Enzyklopädie zufolge keine wirkliche sprachliche Vermittlung finden.⁴⁰
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Hegel GW XX, 362 (§ 363). Vgl. dazu Inwood 2007, 471. Hegel GW XX, 444 (§ 447). Hegel GW XXV/1, 58. Hegel GW XXV/1, 60. Vgl. Surber 2013, 186.
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Laut Vorlesungsnachschrift Stolzenberg von 1827/1828 ist innerhalb der „Anthropologie“ die Unterscheidung zwischen Subjekt und Objekt im Gefühl noch nicht gegeben; dessen Inhalt ist noch „unentwickelt: das ist eine bemerkenswerthe Seite, die man jetzt besonders beachten muß, weil man jetzt behauptet die Religion bestehe im Gefühl“.⁴¹ Der Stellenwert des Gefühls bestimmt sich in der Reflexion der Enzyklopädie also nach der Abteilung – „Anthropologie“, „Phänomenologie“ bzw. „Psychologie“ –, in der es behandelt wird; doch gibt es offensichtlich Wechselbeziehungen und notwendige Antizipationen. Die Unterscheidung zwischen dem Gesichtspunkt der „Anthropologie“, „Phänomenologie“ und „Psychologie“ geht mit der mühsamen Rekonstruktion eines Gefühls einher, das bei aller Veränderung je nach Perspektive die Spuren seines anthropologischen Ursprungs bewahrt und seine Daseinsweise auf einer reiferen Stufe der geistigen Entwicklung vorwegnimmt. So betrachtet ist die Perspektive des subjektiven Geistes keine Chronologie, sondern eine Begriffsentstehung.⁴² Bezüglich der „Psychologie“ stellt Hegel zunächst fest, dass das Gefühl eine bloße Form sei, in der auch alles vorkomme, was zur Vernunft gehöre, die die geistigen Inhalte reinige. Dem fügt die Nachschrift 1827/1828 hinzu: „Ich bin in meinem Ich und finde es als etwas unmittelbares in mir seiendes (Gefühl)“.⁴³ Diese Feststellung verweist auf den anthropologischen Status der Empfindungen, von denen es in der Vorlesungsnachschrift Hotho von 1822 heißt, sie seien „überhaupt die Bestimmungen des Seins eines Subjekts“.⁴⁴ Wir wissen jedoch, dass die Bestimmung des Seins in Wirklichkeit eine denkbar unbestimmte, fast anteprädikative ist. Wenn an das Gefühl von Recht und Moralität wie von Religion, das der Mensch in sich habe, an seine wohlwollenden Neigungen usf., an sein Herz überhaupt, d. i. an das Subjekt, insofern in ihm alle die verschiedenen praktischen Gefühle vereinigt sind, appellirt wird, so hat dies 1. den richtigen Sinn, daß diese Bestimmungen seine eigenen immanenten sind, 2. und dann, insofern das Gefühl dem Verstande entgegengesetzt wird, daß es gegen dessen einseitige Abstraktionen die Totalität seyn kann. Aber ebenso kann das Gefühl einseitig, unwesentlich, schlecht seyn.⁴⁵
Entgegen der Abstraktion des Verstandes kann das Gefühl als eine Totalität gedacht werden, die jedoch zugleich auch einseitig und unwesentlich ist. In der Weise des Gefühls ist alles in meiner unmittelbaren Subjectivität; insofern es in mir ist, muß es mir angehören, in meiner Particularität sein; aber das schließt nicht aus, daß ich nicht wissen sollte, was in meinem Gefühl ist und was darin sein soll – ich kann eine vernünftige Einsicht
41 Hegel GW XXV/2, 650. 42 Diese Ansicht vertritt zum Beispiel Ferrarin 2007, 287. Vgl. zum Argumentationsaufbau der Philosophie des subjektiven Geistes auch Corti 2016. 43 Hegel GW XXV/2, 812. 44 Hegel GW XXV/1, 52. 45 Hegel GW XX, 467– 468 (§ 471).
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darüber haben und muß sie haben; sonst beruft sich jeder auf sein Gefühl und man kommt nicht zu Klarheit. Der Inhalt im Gefühl ist immer ungewiß.⁴⁶
Die Beweglichkeit und Biegsamkeit, von denen das Gefühl in der vielschichtigen Abhandlung der Enzyklopädie Zeugnis ablegt, sind zugleich Anzeichen einer konstitutiven und folglich täuschenden Veränderlichkeit. Anders gesagt ist gerade das Gefühl, das den höchsten Grad an Gewissheit darstellen will, an sich letztlich das Terrain der Ungewissheit. Was gegenüber der Psychologie Schleiermachers ins Auge sticht, ist, dass das Gefühl in Hegels „Psychologie“ niemals die Sprache ins Spiel zu bringen scheint. Um uns den Paragraphen zu nähern, in denen die Sprache thematisiert wird, müssen wir zur Analyse der Einbildungskraft übergehen. Da die Reproduktions- und Assoziationsfunktion der Einbildungskraft dem Wirken der Intelligenz nicht in seiner ganzen Freiheit Ausdruck zu geben vermag, folgt die Phantasie – sowohl als symbolisierende wie auch als zeichenmachende – auf sie. Das, worin die Intelligenz die Vereinigung zwischen Allgemeinem und Besonderem, zwischen dem Aspekt der Vorstellung und dem materiellen Element des Bildes, ausmacht, ist die produktive Einbildungskraft.⁴⁷ Es ist jedoch festzuhalten, dass die produktive Einbildungskraft nur im Zusatz auftaucht, während sie im Textkörper nirgends erwähnt wird. Dieser Zusatz zur Funktion der produktiven Einbildungskraft zeigt uns, dass die Rolle der Einbildungskraft im Rahmen der „Psychologie“ eindeutig vor dem Hintergrund der kantischen Vermittlung zwischen Anschauung und Denken konzipiert wird, was zum Thema des Schematismus führt. Das Fehlen eines direkten Hinweises im Textkörper scheint jedoch nahezulegen, dass die Kant-Rezeption hier nur eine Spur ist, die auf ein totes Gleis führt, da der Option einer immer klareren Auslöschung des Sinnlichen der Vorzug gegeben wird. Dies wird auch dadurch belegt, dass die Einbildungskraft in der Enzyklopädie von der symbolisierenden und zeichenmachenden Funktion der Phantasie überwunden wird. In dem Moment, in dem die Intelligenz Zeichen hervorbringt, arbeitet sie viel freier, als wenn sie Symbole erzeugt. Während im Symbol die äußere Erscheinung und die innere Bedeutung tatsächlich etwas gemeinsam haben, was die Intelligenz in der Symbolisierung zu erschließen hat, gehen „beim Zeichen als solchem hingegen […] der eigene Inhalt der Anschauung und der, dessen Zeichen sie ist, einander nichts an“.⁴⁸ Das Paradox, wonach gerade die Rückkehr zum Sinnlichen die Sinnlichkeit des Bildes aufhebt, ist bereits im Verhalten des Zeichens enthalten. Seine Faktizität, die keinerlei selbstständige Bedeutung hat, wenn es als Zeichen funktioniert, gleitet in die Unsichtbarkeit, ohne sich indes aufzulösen – gerade so, als wäre es ein bloßer Abfall des Bedeutungsprozesses, ein sperriger Überrest, mit dem man nichts anzufangen weiß.
46 Hegel GW XXV/2, 894. 47 Vgl. Hegel W 10, 257 (§ 456 Z). 48 Hegel GW XX, 452 (§ 458).
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Der irreduzible Unterschied zwischen dem, was ein Ding ist, und seiner Funktionsweise als Zeichen, das heißt seinem Nichtsein – und dies ist der Wendepunkt im Zusammenhang der zeichenmachenden Phantasie –, wird überwunden, sofern das betreffende Zeichen ein Ton ist. Die Klangvibration, die ihrer Natur nach dazu bestimmt ist, schwächer zu werden und zu verklingen, scheint das Schicksal, dem das Sinnliche entgegengeht, wenn es als Zeichen funktioniert, perfekt zum Ausdruck zu bringen. In diesem Fall belegt die materielle Existenz selbst, dass das Zeichen faktisch dazu bestimmt ist zu verschwinden. Auf gewisse Weise wird die produktive Spannung zwischen Zeichen und Symbol hier überwunden, weil der Ton ein Zeichen und gleichzeitig ein Symbol ist. Denn der Ton ist „die erfüllte Äußerung der sich kundgebenden Innerlichkeit“.⁴⁹ Wie Theodor Bodammer anmerkt,⁵⁰ ist in diesem Sinn zu berücksichtigen, dass Hegel unter „Ton“ nicht irgendeine akustische Erscheinung versteht, sondern das lebendige Vibrieren der Stimme, und zwar nicht nur und nicht so sehr der tierischen als vielmehr der menschlichen Stimme. Die klangliche Vibration der Stimme erzeugt eine zweifache Negation: Das erste Bild idealer Art, das heißt das Zeichenbild, dem die Vorstellung zugrunde liegt, hebt nicht nur den Bezug zum Sinnlichen auf, sondern neigt an sich zum Sublimieren, da der Ton insofern existiert, als er sich abschwächt und schließlich verklingt. Im Unterschied zu der Weise, in der die positiven Dinge sind, hat der Ton eine Fähigkeit zur Negation seiner selbst, die ihn dem Geist annähert. Das Privileg des Tons erschöpft sich jedoch nicht in seiner besonderen Materialität, sondern zeigt sich in seinem besonderen Verhalten, denn das akustische Zeichen ist vor allem ein Name. Indem die Intelligenz im Namen einen willkürlichen Zusammenhang im Element der Allgemeinheit wiedergibt, entäußert sie jeweils ein Stück ihrer selbst. Das Bündnis zwischen dem Bedeutungsträger und der Bedeutung wird zerstört, und die Intelligenz begreift ihre Selbstentäußerung als eine freie Selbsthingabe. Die Intelligenz kann also die ganze Macht ihrer Freiheit genau dort erfahren, wo sie rückhaltlos verfügt, sich vollständig zu entäußern. Diese Entäußerung, in der die Intelligenz die Erfahrung ihrer selbst macht und sich folglich ihre Natur aneignet, ist daher der letzte Schritt ihrer Erinnerung als In-sich-gehen. Die Erinnerung ist nicht nur das paradoxe und nichtsdestoweniger konstitutive Ergebnis einer Entäußerung, sondern muss als ein Akt der konkreten Vergegenwärtigung ausgeübt werden. Die Erinnerungstätigkeit fällt an diesem Punkt nicht mehr mit einem einzelnen Erinnerungsakt zusammen, sondern tritt in dem Erinnerungsmechanismus als Gedächtnis, das heißt in der Wiederholung des auswendig Gelernten, hervor. Wie es bei Hegel oft der Fall ist, spielt er auch hier gedanklich mit der Bedeutung, die dem deutschen Verb „auswendig lernen“ zugrunde liegt – und die sich in gewisser Hinsicht erstaunlich antithetisch zum entsprechenden französischen Äquivalent „apprendre par coeur“ verhält. Ihm geht es darum zu implizieren, dass das „auswendig
49 Hegel GW XX, 452 (§ 459). 50 Vgl. Bodammer 1969, 46.
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Gelernte“, das heißt das von außen Gelernte, eine „inwendige“, nach innen gerichtete Bewegung nimmt: „Aber die Intelligenz ist das Allgemeine; die einfache Wahrheit ihrer besonderen Entäußerungen und ihr durchgeführtes Aneignen ist das Aufheben jenes Unterschiedes der Bedeutung und des Namens; diese höchste Erinnerung des Vorstellens ist ihre höchste Entäußerung, in der sie sich als das Sein, den allgemeinen Raum der Namen als solcher, d. i. sinnloser Worte setzt.“⁵¹ Der Raum der sinnlosen Wörter ist der Fluss des auswendig Aufgesagten, die ungestörte Folge von Tönen ohne Bezug zu ihrer Bedeutung. Denn „man weiß bekanntlich einen Aufsatz erst dann recht auswendig, wenn man keinen Sinn bei den Worten hat“.⁵² Die Unmittelbarkeit dessen, was das Ergebnis der Vermittlung war, tritt hier erneut in den Vordergrund, denn das Aufsagen des auswendig Gelernten bringt nur noch Töne hervor, nichts außer Tönen. Der Status des sinnlichen Aspektes des Tones ist jedoch in diesem Moment ein anderer, fast umgekehrter im Vergleich zu seinem ersten Auftreten, als er dank seiner besonderen, irreduziblen Eigentümlichkeit eine Funktion innehatte. So erfüllt der Ton schließlich eine Aufgabe fast malgré lui. Wenn man nicht mehr über dieses Fließen hinausgehen kann, weil hinter den Wörtern jede Reserve eines an sich bestehenden Sinnes erschöpft ist, hält nur noch die Intelligenz die Aneinanderreihung dieser reinen Töne zusammen. Die Intelligenz ist hier das formalste und körperloseste Dispositiv, das man sich vorstellen kann. Statt eine Bewegung des Anknüpfens und der Zusammenarbeit mit dem Gedächtnis herzustellen, gestattet sie dem Denken, nichts anderes zu sein als es selbst und vollständig mit sich in eins zu fallen,⁵³ und zwar auf eine Weise, die es jeder Verzeitlichung entzieht. In diesem Sinn erfüllt das Wort im Rahmen der Enzyklopädie die Forderung, die der abstrakten Zeitlichkeit schon im Buchstaben zugrunde lag, und stimmt so umfassend mit ihr überein, dass es sie schließlich aufhebt: „Das Wort als tönendes verschwindet in der Zeit; diese erweist sich somit an jenem als abstrakte, d. h. nur vernichtende Negativität. Die wahrhafte, konkrete Negativität des Sprachzeichens ist aber die Intelligenz.“⁵⁴ Jere Paul Surber hebt hervor, dass die Annäherung an die Sprache in der Enzyklopädie sich daher „dramatisch“ von derjenigen in der Phänomenologie unterscheide. Durch die Aufhebung der Spannung zwischen Wort und Denken sowie zwischen zeitlicher und räumlicher Dimension gleicht der Sprachmechanismus der Enzyklopädie zum Verwechseln einer „transzendentalen Form“.⁵⁵ Es ist daher bezeichnend, dass die Präsenz der Sprache, die in der Phänomenologie allgegenwärtig ist, sich hier – systematisch betrachtet – auf einen Moment reduziert, der
51 Hegel GW XX, 461 (§ 463). 52 Hegel GW XX, 461 (§ 463). 53 Bezeichnenderweise meint Nuzzo 2012, 98, in ihrem Kommentar des Hegel’schen Passus, dass sich in diesem leeren Raum, in dem die Namen ihren Vorstellungsinhalt verloren hätten, eine rein logische Form darstelle, die von der reinen Form des Denkens nicht unterscheidbar sei. 54 Hegel W 10, 280 (§ 462 Z). 55 Surber 2011, 253.
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sich als solcher nur verwirklicht, insofern er sich aufhebt. Womöglich macht diese „transzendentale“ Wende auch hinsichtlich der Daseinsweise der Sprache in den Schlussphasen der Psychologie aus dem Gefühl etwas Vergangenes und Untergegangenes. Auf dem einseitigen Weg der Emanzipation vom Sinnlichen, der die Abteilung der „Psychologie“ in der Enzyklopädie kennzeichnet, scheint das Gefühl schließlich vom Wort aufgegeben worden zu sein; und das Denken scheint in seiner Unabhängigkeit von der Gefühlssphäre durch einen „nachsprachlichen“⁵⁶ Charakter geprägt zu sein, ohne dass die Termini gegeben wären, um den Status und die Relativität dieses Danach zu problematisieren. Der Mechanismus der Sprache und des Gedächtnisses garantieren dem Denken nämlich die Immunität gegenüber der Gefahr und verschließt ihm zugleich auch die Chance, sich umzuwenden und zurückzublicken. Zuletzt soll versucht werden zu zeigen, dass es in der Phänomenologie des Geistes von 1807, die als Wissenschaft der Bewusstseinserfahrung konzipiert ist, im Gegensatz zu den Ausführungen der Enzyklopädie mindestens einen Ort gibt, an dem das Gefühl eine produktive Rolle spielt, womit es sich einer gewissen Vereinbarkeit mit Schleiermachers Problematik annähert.
3 Das Gefühl der Furcht und die Entstehung des Selbstbewusstseins in der Phänomenologie des Geistes. Ein Abhängigkeitsgefühl? Entgegen dem Unglücksgefühl, das die letzte Figur in Kapitel vier der Phänomenologie des Geistes kennzeichnet, bei der sich das Selbstgefühl des unglücklichen Bewusstseins in seiner gemeinten Selbstständigkeit mit dem Gefühl der eigenen Nichtigkeit deckt, scheint das Gefühl in der ersten Figur desselben Kapitels in der Genesis des Selbstbewusstseins eine produktive Rolle zu spielen. Um darüber nachzudenken, welche Rolle das Gefühl der Furcht⁵⁷ in der schrecklichen und verändernden Erfahrung des knechtischen Bewusstseins spielt, müssen wir
56 Surber 2011, 254. 57 Die Literatur über die sogenannte Herr-Knecht-Dialektik füllt Bibliotheken. Abgesehen von den bibliographischen Angaben, auf die ich für meine Lesart verweise, beschränke ich mich daher auf folgenden Hinweis: Die jüngere kulturelle Sensibilität ermöglicht sicher eine Neuinterpretation dieser Gestalt, die von dem Interpretationsparadigma abweicht, das von György Luckács bis zu Alexandre Kojève reicht und bei allen diskussionswürdigen Unterschieden zum Teil auch von Jürgen Habermas und von Axel Honneth aufgegriffen wird, vgl. dazu Stekeler-Weithofer 2008, 226 – 227; Jarczyk / Labarrière 1985, 108 – 110. Dennoch gehen nur wenige Beiträge von anerkannter Bedeutung auf die Rolle der Furcht in diesem Zusammenhang ein. Eine Ausnahme bilden Robert Pippin 1989, 154 – 163, der dem Thema aus einer anderen als der hier berücksichtigten Perspektive in einem Abschnitt mit dem Titel „Fear of the Lord Is the Beginning of Wisdom“ besondere Aufmerksamkeit schenkt, und Werner Marx 1986, auf den weiter unten eingegangen wird.
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zunächst auf die Hauptmomente der Herr-Knecht-Dialektik zurückkommen. Dabei ist der Zusammenhang von Unmittelbarkeit und Vermittlung hervorzuheben, der Hegels Argumentation charakterisiert. Das Selbstbewusstsein befindet sich von Anfang an in einer zweideutigen Situation. Auf der einen Seite muss es die Autonomie des Objekts negieren, insofern es dieses als seine Wahrheit kennt. Auf der anderen Seite braucht es – eben weil es anfänglich nur eine leere und daher arme Struktur ist – das Objekt als Anderes seiner selbst, um eine Substanz zu gewinnen. Die Tätigkeit der Negation, die das Selbstbewusstsein dazu bewegt, seinen eigenen selbstbewussten Charakter zu erfahren, ist folglich ein Ganzes aus Unmittelbarkeit und Vermittlung. Die unmittelbare Negation ist nichts anderes als der Konsum, der einen Teufelskreis mit sich bringt: Das Bewusstsein negiert das Objekt, braucht es auf und benötigt damit ein weiteres Objekt, das es wiederum negiert und so weiter. Es folgt damit der wiederholten Logik der unmittelbaren Begierde, die niemals Erfüllung findet. Das eigentliche Objekt der Begierde muss mittelbar etwas sein, das dem negativen Streben des Selbstbewusstseins einen gewissen Widerstand entgegensetzt; es muss, anders gesagt, auch der Ort sein, an dem das Selbstbewusstsein mittelbar ebenfalls die relative Autonomie des Objekts selbst erfahren kann. Welches nun aber ist das Objekt, dessen relative Autonomie dem Selbstbewusstsein zur Erfahrung der Begierde in einem mittelbaren Sinn verhelfen kann? Es ist ein anderes Selbstbewusstsein. Der Spielraum der Autonomie, das heißt der für die Erfahrung des Selbstbewusstseins notwendige Widerstand, ist also genau dadurch gegeben, dass nur ein anderes Selbstbewusstsein seiner Bedürftigkeit schließlich Gestalt verleihen kann. Genau daraus ergibt sich die doppelte Bedeutung des Kampfes auf Leben und Tod, des gewaltsamen Zusammenpralls, unter dessen Zeichen die erste konkrete Erfahrung des Beziehungscharakters des Selbstbewusstseins als solchem entsteht. Diese Darstellung ist das gedoppelte Tun: Tun des Anderen und Tun durch sich selbst. Insofern es Tun des Anderen ist, geht also jeder auf den Tod des Anderen. Darin aber ist auch das zweite, das Tun durch sich selbst vorhanden; denn jenes schließt das Daransetzen des eigenen Lebens in sich. Das Verhältnis beider Selbstbewußtsein ist also so bestimmt, daß sie sich selbst und einander durch den Kampf auf Leben und Tod bewähren.⁵⁸
Die unmittelbare Begierde des Tötens geht daher mit der vermittelten einher, anerkannt zu werden. Hegel stellt jedoch fest, dass diese Begierde trotz aller Vermittlung durch die Natürlichkeit belastet sei. Dennoch bringt der Kampf auf Leben und Tod als Erfahrung etwas Neues hervor: Entgegen dem Wiederholungscharakter der Begierde endet dieser Kampf damit, dass jemand sich ihm entzieht. Eines der beiden Selbstbewußtsein wird nämlich von der Furcht ergriffen und erkennt damit vor allem seine Abhängigkeit vom Leben an, das ihm offensichtlich ebenso wesentlich ist wie das reine Bewusstsein.
58 Hegel GW IX, 111.
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Während der Herr, der auf der Seite des bloßen Konsums steht, fortfährt, die unmittelbare Negativität auszuüben, die seiner Erfahrung nichts hinzufügt, praktiziert der Knecht, der sich mit der Bildung der Objekte befasst, den verändernden Aspekt der Erfahrung. Auch wenn der Anerkennungsdurst noch nicht gestillt ist, da es sich um ein bloßes Verhältnis zum Objekt handelt, hat der Knecht die Möglichkeit, sich selbst eine Form zu geben, indem er dem Objekt Form verleiht. „Die Arbeit hingegen ist gehemmte Begierde, aufgehaltenes Verschwinden, oder sie bildet.“⁵⁹ In unserem Zusammenhang ist die Vorbedingung dieses Ausgangs zu unterstreichen. So hebt Hegel hervor, dass die Erfahrung, die derjenigen des verändernden Charakters der Arbeit vorausgeht, von einem Gefühl abhängt,⁶⁰ nämlich von der Furcht. Mit Anspielung auf den Psalm 111 sagt Hegel, dass der Knecht zunächst innehielt, weil er eine natürliche Todesangst verspürte, das heißt, er hatte „die Furcht des Todes, des absoluten Herrn“. Hegel unterstreicht jedoch, dass „die Furcht des Herrn“ nur den „Anfang der Weisheit“ bilde.⁶¹ Wenngleich der verändernde Aspekt offensichtlich die Arbeit ist, spielt doch auch das Gefühl eine grundlegende Rolle. Einerseits ist die Furcht des Knechts nämlich einzig und allein die unmittelbare Furcht vor dem Tod, die eine natürliche ist und an sich nicht die verändernde Vermittlung der Begierde einleiten kann. Da Hegel den natürlichen Tod als absoluten Herrn bezeichnet, ist diese Furcht äußerlich und für die Herausbildung des Selbstbewusstseins recht gleichgültig, insofern es die Furcht vor einem Anderen ist. Der Knecht erkennt zwar eine Abhängigkeit als Teil der notwendigen Anerkennung der Unselbstständigkeit, die dem Bewusstsein eigens in seiner relativen Autonomie innewohnt, diese Abhängigkeit manifestiert sich aber zunächst nur gegenüber der Gegebenheit des Daseins. Andererseits ist zu betonen, dass auch die unmittelbare und natürliche Furcht vor dem Tod – wie jeder Aspekt des Verhältnisses zwischen Knecht und Herr, worin die unmittelbare Begierde des Todes des Anderen mittelbar auch Anerkennungsbegierde ist – ein mittelbares Gegenstück haben muss. Hegel sagt nicht von ungefähr, dass der Knecht „diese Wahrheit der reinen Negativität und des Fürsichseins in der Tat an ihr selbst [hat]; denn sie hat dieses Wesen an ihr erfahren“.⁶² Dies Bewußtsein hat nämlich nicht um dieses oder jenes, noch für diesen oder jenen Augenblick Angst gehabt, sondern um sein ganzes Wesen; denn es hat die Furcht des Todes, des absoluten Herrn, empfunden. Es ist darin innerlich aufgelöst worden, hat durchaus in sich selbst erzittert, und alles Fixe hat in ihm gebebt. Diese reine allgemeine Bewegung, das absolute Flüssigwerden alles Bestehens, ist aber das einfache Wesen des Selbstbewußtseins, die absolute Negativität, das reine Fürsichsein, das hiermit an diesem Bewußtsein ist.⁶³
59 60 61 62 63
Hegel GW IX, 115. Vgl. diesbezüglich Maurer 2016 und Caramelli 2019. Hegel GW IX, 114. Hegel GW IX, 114. Hegel GW IX, 114.
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Mit der unmittelbaren Furcht vor dem Tod, das heißt mit der Furcht vor etwas anderem, verbindet sich eine größere Furcht, die nicht mehr Furcht vor diesem oder jenem ist. Es handelt sich um ein Erzittern in sich selbst. Wenn das Gefühl bereits etwas Selbstreflexives ist, worin das Fühlen ein Sich-Fühlen bildet, wird die Furcht in der Psychologie als ein konstitutiv doppeltes Gefühl definiert: „Die Furcht ist das Gefühl meines Selbstes und zugleich eines mein Selbstgefühl zu zerstören drohenden Übels“.⁶⁴ Im Zusammenhang der Phänomenologie ermöglicht die Furcht jedoch die Entdeckung einer außergewöhnlichen und dennoch grenzenlosen Macht: dass sie nämlich an sich nicht Grundlage, sondern absolute Negativität ist. Die Furcht vor einem Anderen enthüllt sich zugleich als Furcht vor sich selbst. Am Ende des Abschnitts kommt Hegel auf die zentrale Bedeutung des Gefühls der Furcht zurück: „Hat es nicht die absolute Furcht, sondern nur einige Angst ausgestanden, so ist das negative Wesen ihm ein Äußerliches geblieben, seine Substanz ist von ihm nicht durch und durch angesteckt. Indem nicht alle Erfüllungen seines natürlichen Bewußtseins wankend geworden, gehört es an sich noch bestimmtem Sein an.“⁶⁵ An diesem Punkt wird deutlich, welche Rolle die außerordentliche, größte Furcht in diesem theoretischen Kontext spielt. Entgegen der Furcht vor einem Anderen wie der vor dem absoluten Herrn, dem Tod, konfrontiert uns die Furcht vor uns selbst – da sie die Furcht vor unserer absoluten Negativität ist – mit der Evidenz, dass wir von ganz anderer Art sind als das Gegebene. In seinem Kommentar dieses Abschnitts unterstreicht Werner Marx die entscheidende Tiefe dieser Stelle und führt aus, dass die Bedingung, um die Macht der Subjektivität auszuüben, von der Erfahrung einer Ohnmacht abhänge.⁶⁶ Ist die Arbeit die pars construens dieser Bildung, so ist das Gefühl der Furcht ein wesentlicher Bestandteil der Selbstanerkennung. Unter diesem Gesichtspunkt trägt das Gefühl in seinem Bündnis mit der Formierung durch die Arbeit zur Vermittlung des knechtischen Bewusstseins bei. Das Bewusstsein des Herrn deckt in gewisser Weise nur die Seite der Selbstständigkeit ab (die nichtsdestoweniger abstrakter Eigensinn ist) und das des Knechts nur die Seite der (ebenso einseitigen) Unselbstständigkeit. Doch wird das zweite Bewusstsein – das einzige, das einer tatsächlich verändernden Erfahrung entspricht – vielleicht auch aufgrund dieses Gefühls der eigenen Abhängigkeit selbstständig und unselbstständig zugleich; so legt es auch der Titel des Abschnitts „Selbständigkeit und Unselbständigkeit des Selbstbewußtseins“ nahe, dass diese beiden Aspekte im Selbstbewusstsein als solchem zusammengehen. Zudem haben hier vielleicht, wenngleich auch indirekt, das Gefühl und die Sprache einen gemeinsamen Ursprung. Das Erzittern des Knechts aus dem Gefühl der Furcht heraus scheint nämlich – ähnlich einer „Wirkung der Sprache
64 Hegel W 10, 294 (§ 472 Z). 65 Hegel GW IX, 115. 66 Vgl. Marx 1986, 93.
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vor der Sprache“ – das Erzittern vorwegzunehmen, aus dem das Phänomen der Lautbildung, der lebendigen Stimme des Wortes, entspringt.⁶⁷
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67 Die Verbindung zwischen Lautbildung und Erzittern wird im Zusatz zu § 300 der Enzyklopädie ausdrücklich angesprochen. Simon 1966, 63 – 64, vertritt die Ansicht, dass das Bewusstsein genau im Vibrieren der Stimme seine erste geistige Erfahrung mache, weshalb das Erzittern aufgrund der absoluten Herrlichkeit des Todes das Erzittern, welches das Wort hervorbringe, antizipiere.
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Wilhelm Gräb (†)
Predigt als kommunikativer Akt. Einige Bemerkungen zu Schleiermachers Theorie religiöser Mitteilung [1984] Abstract: This paper sets out to correct a once dominant view of Schleiermacher’s understanding of preaching: namely, that the aim of preaching is solely to express, strengthen, and purify a Christian faith assumed to be already actual in the Christian community. It argues that such an interpretation is not so much incorrect as one-sided, for Schleiermacher also regarded preaching as an act of interpersonal communication through which faith is continually created anew by the subjective performances of preacher and congregant alike. In order to bring this dynamic and generative aspect of preaching and worship to the fore, the author reconstructs Schleiermacher’s distinctive understanding of religious communication (Mitteilung) and the closely related concept of presentational action (darstellendes Handeln) from key sources ranging from the early “Toward a Theory of Sociable Conduct” to the late university lectures on aesthetics. By firmly placing Schleiermacher’s theory of preaching and worship in the context of his overall account of the nature of human communication, the paper powerfully demonstrates the necessity of interpreting Schleiermacher’s theological ideas against the backdrop of his philosophical work.
Schleiermacher gilt als Urheber eines Predigtverständnisses, wonach die Predigt den mit der gottesdienstlichen Gemeinde schon vorausgesetzten Glauben zur Darstellung zu bringen hat.¹ An ihm hat eine Predigt ihre Typisierung erfahren, die weder einen
Anmerkung: Wilhelm Gräb (1948 – 2023) hat den folgenden Vortrag auf dem ersten großen SchleiermacherKongress der jüngsten Schleiermacher-Renaissance gehalten. Der Text erschien 1985 in: Kurt-Victor Selge (Hg.), Internationaler Schleiermacher-Kongress Berlin 1984, SchlA 1, Berlin / New York: De Gruyter. Diese Neuveröffentlichung wurde leicht korrigiert und orthographisch modernisiert. Wo es möglich ist, beziehen sich die Zitate nun auf die KGA. 1 Bereits Alexander Schweizer hat dies als kennzeichnendes Merkmal der Predigt Schleiermachers zur Geltung gebracht. Danach wollte Schleiermacher „als zu Brüdern sprechen, deren christliches Bewußtsein er entwickele, nicht erst gründe; er wollte es in ihnen nachweisen, aufzeigen, läutern, befestigen, nicht als etwas Neues in sie hineintragen“ (Schweizer 1834, 13). Die wirkungsmächtige Typisierung, die Schweizer dem Predigtverständnis Schleiermachers hat zuteilwerden lassen, ist nicht nur für die Homiletik des 19. Jahrhunderts bestimmend geworden. In Abgrenzung von der orthodox-kirchlichen Lehrpredigt wie von der aufgeklärt-rationalistischen Moralpredigt hat auch noch Wolfgang Trillhaas die Predigt Schleiermachers dahingehend beschrieben, dass sie im Kern nichts anderes als Verständigung über den schon vorausgesetzten Glauben der Gemeinde sein will. Zwar macht Trillhaas darauf aufmerksam, dass der „hypothetische Charakter“ (Trillhaas 1933, 18) in Schleiermachers prägnantester https://doi.org/10.1515/9783111128801-010
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pädagogisch-missionarischen noch einen proklamativ-kerygmatischen Anspruch erheben will, sondern sich als Akt der Verständigung christlichen Bewusstseins über sich selbst begreift. Die einschlägigen Äußerungen Schleiermachers zum Verständnis gottesdienstlicher Predigt lassen sich denn auch in der Tat so lesen. Sie erwecken zumindest den Anschein, als liege für ihn die Predigtaufgabe darin beschlossen, die Selbstaffirmation christlichen Glaubens über die Darstellung seines inneren Zusammenhangs zu betreiben. Dass die „Belebung des religiösen Bewußtseins, die Erbauung“, die „Hauptsache“ der Predigt sei,² lässt sich unschwer als Beleg dafür anführen, wie sehr hier die Predigt sich an die behauptete Faktizität dessen bindet, worin ihr eigener Zweck liegt. Etwas anderes als eine Steigerung oder Läuterung des bereits vorausgesetzten Glaubens kann in der Zielsetzung der so verstandenen Predigt dann nicht mehr liegen. Mit dem Vorgang, durch den der Glaube zustande kommt, hätte sie jedenfalls nichts zu tun. Wäre Schleiermachers Predigtauffassung allerdings dort schon in ihrem Zentrum getroffen, wo man ihn lediglich für die expressiv-explikative, die Gegebenheit christlichen Bewusstseins in Anspruch nehmende und stellvertretend exponierende Gemeindepredigt einstehen lässt, dann müsste unverständlich bleiben, dass Schleiermacher die Predigt auch als einen Akt der Mitteilung des Glaubens verstanden und im Kontext der mit der Mitteilungsthematik aufgegebenen Probleme gesehen hat. Es ist jedoch gerade so, dass ihm das Mitteilungsproblem überhaupt, gleichsam von Anfang an, deshalb ins Zentrum seiner Überlegungen rückt, weil er keineswegs einen schlechthin identischen Ausgangspunkt für das Gelingen interpersonaler Kommunikation gegeben sah und sich ihm dieses Problem im Falle religiöser Kommunikation nicht einfach erledigt, sondern noch einmal verschärft hat. Schon hinsichtlich des Vollzugs interpersonaler Kommunikation überhaupt universalisiert sich ihm das hermeneutische Problem genau dadurch, dass auch noch in die identische Codierung und Decodierung von Sprachsymbolen die Sinnintentionen einer irreduziblen Produktivität der beteiligten Individuen eingehen, was für das hermeneutische Verfahren bedeutet, dass das sich über das Sprachverstehen faktisch einspielende Einverständnis immer auch mit einer Reflexion auf das Zustandekommen der getätigten Äußerungen zu verbinden hat. Da nun aber religiöse Kommunikation entscheidend daran gebunden ist, dass sich die gemachten Äußerungen als Momente religiöser Selbstauslegung verstehen lassen, verschärft sich
Formulierung seines Predigtbegriffs (vgl. KGA III/1, 8 – 9) nicht überhört werden dürfte. Dass Schleiermacher die Voraussetzung des Gemeindeglaubens mit einem Vorbehalt versieht, den es offensichtlich durch den Predigtakt immer erst zu überwinden gilt, hat Trillhaas jedoch nicht bis in die innere Struktur des Schleiermacherʼschen Predigtbegriffs hinein verfolgt. So steht die Sicht, die Schweizer entworfen hat, im Grunde immer noch fraglos in Geltung. Auch die jüngste Bezugnahme auf Schleiermachers Predigttheorie in einem Handbuch zur Praktischen Theologie geht davon aus, dass die Predigt im Sinne Schleiermachers den Glauben der Gemeinde schlicht vorauszusetzen hat und sie nichts anderes als dessen Läuterung auf dem Wege seiner sprachlichen Darstellung sein will (vgl. Wintzer 1982, 105 – 106). Dass eine solche Beschreibung erheblich zu kurz greift, soll im Folgenden gezeigt werden. 2 Schleiermacher 1850, 216.
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das Mitteilungsproblem grundsätzlich in der Frage nach dem je eigenaktiven Vollzug bzw. Nachvollzug der getätigten Äußerungen in einer ihnen je individuell entsprechenden bzw. sie für sich selbst wiederholenden Auslegungsgestalt. Es kann, so gesehen, deshalb auch bei der Predigt nicht allein darum gehen, das schon vorausgesetzte christlich-fromme Bewusstsein über sich zu verständigen. Vielmehr ist es genau dieser Akt der Verständigung selbst, der die aneignende Aktivität aller Beteiligten verlangt, der also gar nicht zu erbringen ist, wenn er nicht zugleich hervorbringt, was er schon voraussetzt. Verständigung geschieht immer zugleich als Mitteilung. Und sogar dann, wenn der religiöse Mitteilungsakt die Voraussetzung der Gegebenheit des Mitzuteilenden sollte machen können und er seine Aufgabe darin sieht, dies auch ausdrücklich werden zu lassen, ist sein Gelingen doch an die intersubjektive Genetisierung der in Anspruch genommenen Voraussetzung, das heißt daran gebunden, dass der Glaube als ein im Mitteilungsgeschehen sich zugleich aufbauender und hervorgebrachter verstanden werden kann. Schleiermacher hat selbst der Homiletik den Wink gegeben, ihre mit der Reflexion auf die gottesdienstliche Predigt verbundene Beschränktheit aufzugeben und ihren Gegenstand, nämlich das Problem „der Mittheilung des zum Gedanken gewordenen frommen Selbstbewußtseins“,³ „auf eine allgemeinere und freiere Weise zu behandeln“.⁴ Es liegt deshalb nahe, seine homiletische Konzeption auch nicht allein aus den einschlägigen, direkt auf die Predigt bezogenen Äußerungen zu rekonstruieren, sondern den weiteren Zusammenhang zu berücksichtigen, der sich mit der Orientierung an der Mitteilungsthematik auftut. Dabei könnte deutlich werden, dass Schleiermacher gleichsam exemplarisch die Bedingungen beschreibt, unter die religiöse Kommunikation im Zuge der neuzeitlichen Personalisierung der Repräsentanz von Religion getreten ist. Denn indem er auf genau den Sachverhalt reflektiert, dass sich die religiösen Inhalte nicht unabhängig von den sich in ihnen verstehenden individuellen und kommunalen Subjekten zur Darstellung bringen lassen, entsteht ihm der Anschluss an den Satz, dass der Glaube aus dem Hören des Wortes komme, mit der Frage nach der Kommunikabilität pluraler, in je individuelle Auslegungshorizonte eingebundener Glaubensaussagen. Die den Glauben schaffenden Akt einseitig fixierende Relation von Wort und Glaube transformiert sich in ein vielstelliges Gefüge, in dem der Glaube sich auf seinen Grund bezieht und die Aktualisierung dieses Bezugs sich in der kommunikativen Absicht äußert, dass sich daran jeweils neuer Glaube bildet. Um die sich in der Mitteilungsthematik verschränkenden Perspektiven der Predigttheorie Schleiermachers hervortreten zu lassen, soll im Folgenden zunächst das Grundproblem skizziert werden, das sich ihm aus der Einsicht in die Irreduzibilität individueller Sphären ergeben hat. Denn daraus entsteht ihm die Forderung nach einer auf die Steigerung von Interpersonalitätserfahrung zielenden Kommunikationsgemeinschaft, die dann auch die Notwendigkeit religiöser Gemeinschaftsbildung ver-
3 Schleiermacher KGA I/6, 425 (§ 280). 4 Schleiermacher KGA I/6, 427 (§ 285).
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ständlich macht und sich über jenes darstellende Handeln realisiert, das zum leitenden Gesichtspunkt im Verständnis der Predigt und des Gottesdiensts wird. Auf die Skizzierung des sich mit dem Individualitätsgedanken einstellenden Grundproblems folgt deshalb die Beschreibung des Ortes, den die Mitteilungsthematik im Horizont religiöser Erfahrung einnimmt.Von da aus lässt sich dann die terminologische Fixierung religiöser Mitteilung im Begriff des „darstellenden Handelns“ verständlich machen, um abschließend die Konsequenzen zu erheben, die sich für Schleiermachers Predigt- und Gottesdienstverständnis ergeben haben.
1 Mitteilung als Grundproblem In seiner frühen Schrift, dem „Versuch einer Theorie des geselligen Betragens“ (1799)⁵ fragt Schleiermacher danach, wie das Verhältnis von Individuen zueinander beschaffen sein muss, wenn diese darin eine Erweiterung und Bereicherung ihrer Lebensperspektiven sollen erfahren können. Jedes Individuum lebt in der ihm eigentümlichen „Sphäre“, in Lebensverhältnissen, die den näheren Umkreis dessen fixieren, wodurch es in seiner Lebensansicht bestimmt wird. Auch wenn der Umkreis des einen weitergespannt ist als der des anderen, weil ihre Stellung in den sozialen Bezügen nicht dieselbe ist, so liegt in der Umgrenzung individueller Sphären doch für jeden eine unabänderliche Beschränkung. Keiner kann darin alles werden. Solange die Individuen sich jedoch allein in solchen Verhältnissen bewegen, in denen sie zum Zwecke gesteigerter Wirksamkeit in Familie, Beruf und Politik miteinander vereinigt sind, muss ihnen ihre Individualität auf Dauer negativ bestimmt bleiben, als Ausschluss von den universalen, vielgestaltigen Realisationsweisen der Menschheit. Schleiermacher sieht nun keine Möglichkeit, die beiden Pole, die hier auseinandertreten, Individualität und Universalität, anders zu vereinigen als dadurch, dass er einen universalen Kommunikationszusammenhang zwischen den vielgestaltigen Individualitäten einfordert. Er geht weder dazu über, aus der universalen Perspektive der Idee der Menschheit deren individuelle Erscheinungsweisen als inkludierendes Moment zu folgern, noch aus der Perspektive des Einzelnen dessen dialektische Selbstaufhebung im Universell-Allgemeinen zu betreiben, wie es den benachbarten Denkstilen seiner Zeit entsprochen hätte. Schleiermacher hält vielmehr die Vielgestaltigkeit der individuellen Sphären als irreduzibel fest und sieht deren Erweiterung in die Universalität des Menschlichen allein dadurch gewonnen, dass ein gegenseitiges und wechselseitiges Mitteilungsverhältnis zwischen den einzelnen Sphären gestiftet wird. In Abhebung von jenen Beziehungen der Individuen zueinander, in denen diese in einer zweckhaft nach außen gerichteten Tätigkeit aufgehen und ihre Verständigung untereinander lediglich der Koordination von Handlungszielen dient, geht es Schleiermacher um einen Mitteilungsvorgang, der allein auf sich selbst geht. Er ist nicht Mittel zur Er-
5 Schleiermacher KGA I/2, 163 – 184.
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reichung von Zwecken, die außerhalb seiner liegen, sondern der Mitteilungsvorgang ist Zweck in sich selbst, indem er auf nichts anderes als auf die Steigerung der Interpersonalitätserfahrung selbst zielt. Er verlangt daher nichts anderes als den „freien Umgang vernünftiger sich untereinander bildender Menschen“, in dem jeder dem „freien Spiel seiner Kräfte überlassen“ ist,⁶ und die Beschränkung, in die alle zweckgebundene Tätigkeit sie bindet, von ihnen abfällt. An diesen Vorgang freier Kommunikation hat Schleiermacher die Erwartung geknüpft, dass es zu einem Beziehungsgeflecht zwischen Individuen kommt, durch das diesen gegenseitig eine Erweiterung ihrer individuell fixierten Lebenshorizonte zuteil wird. Und nur über diese freie Kommunikation sah er einen Zustand eintreten, „der die Sphäre eines Individui in die Lage bringt, daß sie von den Sphären Anderer so mannigfaltig als möglich durchschnitten werde, und jeder seiner eignen Grenzpunkte ihm die Aussicht in eine andere und fremde Welt gewähre“.⁷ Allein die Herstellung von Verhältnissen freier Kommunikation konnte ihm daher Garant dafür sein, dass die Universalität des Menschlichen in einer unbeschränkten Gemeinschaft von Freien erreichbar ist, weil sie darin auch noch mit der unhintergehbaren Faktizität voneinander abgeschlossener, individueller Lebenssphären vereinbar ist. So sah er mit der Teilnahme an den geselligen Verhältnissen freier Kommunikation, aber auch erst mit ihr, dem Individuum die Aussicht eröffnet, „daß alle Erscheinungen der Menschheit ihm nach und nach bekannt, und auch die fremdesten Gemüter und Verhältnisse ihm befreundet und gleichsam nachbarlich werden können“.⁸ Ebenso wie schon in der„Theorie des geselligen Betragens“ ist Schleiermacher dann auch in den Monologen alles daran gelegen, die Bedingungen einer freien, nicht durch Handlungszwecke gebundenen, interpersonalen Mitteilung freizulegen. Darüber kann auch der Sachverhalt nicht hinwegtäuschen, dass er dies hier im Stile der „Selbstbetrachtung“⁹ tut. Diese Selbstbetrachtung ist gerade darauf gerichtet, der „Gemeinschaft freier Geister ein eignes und freies Handeln“ darzubieten, und sie geschieht in der Erwartung, dass „früher oder spät[er] das Handeln eines Andern anders und neu auf meines trift“.¹⁰ Die Selbstbetrachtung kommt hier als eine immer schon auf Selbstdarstellung und darin auf Selbstmitteilung gehende in den Blick, und zwar gerade deshalb, weil dieses in der Betrachtung auf sich selbst gehende Ich überhaupt nur im Zusammenhang mit anderen seiner eigenen Verfassung ansichtig werden kann. Schleiermacher weiß zwar genau, dass das sich über seine Lebensgeschichte und damit über komplexe Intersubjektivitätserfahrungen identifizierende Ich eine durch diese identifizierenden Akte nie einzuholende Identität bereits in Anspruch nimmt. Aber wie soll es die Einheit, die es sich in transzendentaler Reflexion als unhintergehbar zuschreibt, im Wechsel seines zeitlichen Lebens zur Erfahrung bringen? Hier, auf dem 6 Schleiermacher KGA I/2, 165. 7 Schleiermacher KGA I/2, 165. 8 Schleiermacher KGA I/2, 165. 9 Schleiermacher KGA I/3, 8. 10 Schleiermacher KGA I/3, 11.
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Felde seiner in der eigenen Lebensgeschichte sich bildenden Selbsterfahrung ist ihm die Wahrheit des „immer ununterbrochene[n] Zusammenhang[s] des hellen Selbstbewußtseins“ keineswegs schon verbürgt. Es ist vielmehr auf die Vergegenwärtigung seines „ganze[n] Thun[s] und Streben[s]“ sowie der „Geschichte“ seines „Selbst“ verwiesen und vor allem, es darf der „Freunde Meinung […] nicht überhören, wenn ihre Stimme von dem eignen Urteil abweicht“.¹¹ Deshalb ist nun aber auch die „Selbstbetrachtung“, zu der Schleiermacher in der rhetorischen Form von „Monologen“ anleiten will, eine solche, die gar nicht beim „innern Denken, beim Anschaun“ verharren kann, sondern bei der „gleich an die innere That sich reihe die Mitteilung“.¹² Es ist eine „Selbstanschauung“, die überhaupt nur in vielseitigen Interpersonalitätsverhältnissen durchführbar ist und deren Durchführung daher nicht nur der Vergewisserung des Individuums in seiner ihm eigentümlichen Bestimmung dient, sondern zugleich eine Steigerung des Kontakts zwischen den Individuen in der Herstellung eines kommunikativen Beziehungsgeflechts zuwege bringt.¹³ Dies bedeutet freilich, dass sich der Aufbau dieses kommunikativen Geschehens nur beschreiben lässt, wenn die Vollzugsbedingungen der Mitteilung von Individualität geklärt werden. Schleiermacher fasst denn auch bereits in den Monologen den komplexen Vorgang ins Auge, wonach dieser Mitteilungsvorgang sich einerseits im Anschluss an die allgemeinen Kategorien sprachlicher Verständigung vollzieht, andererseits jedoch den je individuell getätigten Mitvollzug einer in Sprachsymbolen immer nur indirekt zur Darstellung kommenden Selbstauslegung verlangt.¹⁴
2 Religiöse Erfahrung als Ort der Mitteilungsthematik Nun wirft es nicht nur ein Licht auf die Koinzidenz der Perspektiven im Werk Schleiermachers, sondern lässt darüber hinaus seinen oft unausdrücklichen Fundierungszusammenhang erkennen, dass die Mitteilungsthematik nicht allein seine Religionstheorie durchgehend charakterisiert, sondern von dieser selbst noch einmal begründend eingeholt wird. Die Mitteilungsthematik empfängt ihren Ort im Konstitutionszusammenhang religiöser Erfahrung und vermag diesem zugleich die ihm eigene Struktur zu geben. Schleiermacher führt die Religion redend ein. Er beschreibt sie in den Reden Über die Religion selbst im Vollzug ihrer Mitteilung. Dies ist auch allein das Geschäft dessen, der zum „Mittler“ wird für die Religion, „das was ihm begegnet ist, für Andere darstellen
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Schleiermacher KGA I/3, 19. Schleiermacher KGA I/3, 21. Schleiermacher KGA I/3, 12. Vgl. Schleiermacher KGA I/3, 19 – 20.
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als Dichter oder Seher, als Redner oder als Künstler“.¹⁵ Nicht das System von Lehraussagen über die Religion ist der Ort ihrer Mitteilung, sondern die Selbstdarstellung von Einzelnen, in denen sie zur Erfahrung geworden ist. Deshalb muss sich auch diese Selbstdarstellung wieder Formen der Äußerung bedienen, die dazu geeignet sind, den Impuls mit abzuspiegeln, aus dem sie hervorgegangen sind. Sie muss sich aller Kunst der Rede bedienen. Das sind die Perspektiven, die Schleiermacher schon in der Theorie der Geselligkeit anzeigt. Indem er jedoch die Religion in den Kontext individueller Erfahrung einbezieht, nimmt diese nicht nur an dem Problem teil, wie das Verhältnis von Individuen zueinander beschaffen sein muss, wenn ihnen darin eine Erweiterung und Ergänzung ihrer individuellen Sphären zuteilwerden soll; mit ihr tritt darüber hinaus die synthetische Einheit der Mannigfaltigkeit individueller Sphären selbst auf den Plan. Denn die Religion konfrontiert die Einzelnen nicht zuerst mit der Forderung, sich über die Herstellung eines universalen Kommunikationszusammenhangs zur vernünftigen Menschheit zu bilden. Sie fasst die Einzelnen vielmehr so, wie ihnen selbst die Anschauung des Universums zuteilwird. Sie ist also nicht von der Art, dass sie sich allein auf dem Weg zur Herstellung von Universalität in der fortschreitenden Vermittlung individueller Sphären befände, sondern sie nimmt immer schon „alles Einzelne als einen Theil des Ganzen, alles Beschränkte als eine Darstellung des Unendlichen“.¹⁶ Es ist das eine Universum, das sie in allem Einzelnen und Beschränkten anschaut, sodass in ihr demzufolge alles Einzelne und Beschränkte immer schon zur Einheit universaler Vermittlung zusammengeschlossen ist. Gleichwohl wäre die Eigenart der Religion gerade verkannt, würde man daraus ein ihr eigenes Gefälle zur Vermittlung über Systembildung folgern.¹⁷ Wohl kann man sagen, dass die Religion die Bedingung der Möglichkeit intersubjektiver Mitteilung selbst thematisch macht, indem sie in der Vielgestaltigkeit individueller Sphären das eine Universum dargestellt findet, aber dies geschieht in ihr doch wiederum so, dass sie ihre „Beziehung“ auf das unendliche Ganze immer als „etwas einzelnes, abgesondertes“ als „unmittelbar[e] Wahrnehmung“ erfährt.¹⁸ So muss sich jeder, der Religion hat, wiederum dessen bewusst sein, dass „die seinige nur ein Theil des Ganzen ist“.¹⁹ Darin hat sie geradezu ihr Leben, dass sie die „kahle Einförmigkeit“ der „Systematiker“ scheut,²⁰ was keineswegs bedeutet, dass sie gänzlicher Unbestimmtheit ausgeliefert ist. Indem die Religion die Perspektive des Einzelnen sogar in seiner Beziehung auf das endliche Ganze noch festhält, ist sie im Gegenteil geradezu der Garant dafür, dass er seiner unhintergehbaren Bestimmung einsichtig wird. Nicht aus den wechselnden Perspektiven seiner empirischen Lebensbezüge und gegebenen Selbstdefinitionen schreibt sie ihm seine Identität zu, sondern „jenseit[s] des Spiels
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Schleiermacher KGA I/2, 193. Schleiermacher KGA I/2, 214. Vgl. Schleiermacher KGA I/2, 214 – 215. Schleiermacher KGA I/2, 214 – 215. Schleiermacher KGA I/2, 216. Schleiermacher KGA I/2, 217.
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seiner besondern Kräfte und seiner Personalität faßt sie den Menschen, und sieht ihn aus dem Gesichtspunkte, wo er das sein muss was er ist, er wolle oder wolle nicht“.²¹ Dies macht nun aber die Frage umso drängender, wie die Anschauung des Universums zwischen den Einzelnen zur Mitteilung kommen kann. Denn mitteilen muss sie sich, wenn der Einzelne in ihr seiner unendlichen Bestimmung ansichtig wird. Sie lässt ihn nicht unmittelbar bei sich selbst bleiben. Die Religion ist es vielmehr, die ihn „am stärksten aus sich heraustreibt, und ihm nichts so sehr einprägt als dieses, daß er sich selbst aus sich allein nicht erkennen kann“.²² Eben damit gibt sie ihm aber auch das „lebhafte […] Gefühl von seiner gänzlichen Unfähigkeit, ihren Gegenstand jemals zu erschöpfen“, und verweist ihn darauf, „wenigstens durch ein fremdes Medium wahr[zu] nehmen“, „was er nicht unmittelbar erreichen kann“.²³ Schleiermacher stellt also einen unauflöslichen Zusammenhang zwischen dem Verhältnis des Einzelnen zum Universum und dem Verhältnis der Einzelnen untereinander her. Und es kommt ihm entscheidend darauf an, die Religion selbst über diesen Zusammenhang zu beschreiben. Sie wäre völlig missverstanden, würde man sie nur auf die eine Seite setzen und den Aspekt ihrer kommunikativen Sozialbeziehung als ihr allenfalls äußerlich zugehörig betrachten. Schleiermacher holt vielmehr das „Gesellige in der Religion“ in den konstitutiven Vorgang ihrer Beziehung auf das unendliche Ganze ein. Beides sieht er im Gleichklang sich vollziehen, sodass er geradezu sagen kann: „Je mehr sich Jeder dem Universum nähert, je mehr sich Jeder dem Andern mitteilt, desto vollkommner werden sie Eins, keiner hat ein Bewußtsein für sich, jeder hat zugleich das des Andern, sie sind nicht mehr nur Menschen, sondern auch Menschheit […].“²⁴ Was Schleiermacher hier gleichsam als den Idealzustand religiöser Mitteilung beschreibt, verlangt jedoch auf die Bedingungen seiner Verwirklichung hin befragt zu werden, und es ist ganz offensichtlich, wie Schleiermacher dabei die in der Theorie der Geselligkeit entworfenen Wege in seine Religionstheorie integriert. Denn er beschreibt das „Gesellige in der Religion“ als jene „gegenseitige Mittheilung“, die sich zu keinem anderen Zweck „organisirt“ als dem, dass darin jeder Einzelne die „Ergänzung“ des Eigenen sucht.²⁵ Das „Reden und Hören“, das „Jedem gleich unentbehrlich“ ist,²⁶ geschieht also in der Absicht, eine Erweiterung und fortschreitende Integration der individuellen Perspektiven religiöser Selbstauslegung herbeizuführen. Die gegenseitige Mitteilung zielt auf nichts anderes als auf die Steigerung der Interpersonalitätserfahrung selbst und geschieht somit immer in der Erwartung, dass zuletzt die Selbstdarstellung „eines Jeden nur der gemeinschaftliche Schauplaz deßelben Gefühls“ sei.²⁷
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Schleiermacher KGA I/2, 212. Schleiermacher KGA I/2, 267. Schleiermacher KGA I/2, 268. Schleiermacher KGA I/2, 291. Schleiermacher KGA I/2, 268. Schleiermacher KGA I/2, 268. Schleiermacher KGA I/2, 269.
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Die Mitteilung von Religion kann dann aber auch nur so geschehen, dass der Mitteilende mit der Eigenaktivität derer rechnet, denen seine Mitteilung gilt. Er muss sie als solche anerkennen, die zur eigenen Religion fähig sind, auch wenn diese Fähigkeit durch ungünstige Lebensumstände an ihrer Entfaltung gehindert wird. Er beansprucht mit seiner Mitteilung deshalb nicht, den von ihm selbst getätigten Vollzug religiöser Selbstauslegung auch in anderen direkt hervorbringen zu können. Dann wäre gar nicht die ihnen eigene Religion im unauflöslichen Charakter lebendiger Selbsttätigkeit zustande gekommen. Seine Mitteilung will aber doch eine kräftige Anregung sein, die eigene religiöse Selbstauslegung zu vollziehen. Es gilt also, religiöse Mitteilung als eine indirekte Mitteilung zu begreifen. Sie geht nicht unmittelbar auf den identischen Vollzug des Mitgeteilten, besteht dieses doch ohnehin nur aus einem Ensemble sprachlicher und nichtsprachlicher Ausdrucksweisen von Religion, sondern sie zielt in der Vermittlung über das ihr zu Gebote stehende symbolische Inventar auf das Zustandekommen des Vollzugs je eigener religiöser Selbstauslegung. Diesem würde es im Kern gerade widersprechen, lediglich Resultat fremder Einwirkung zu sein. Er ist nur dann als Vollzug je eigener religiöser Selbstauslegung zustande gekommen, wenn er die Äußerungen des anderen in die eigene Regie übernimmt und sie ihm Veranlassung werden, ebenso „Äußerungen des eignen Lebens“²⁸ hervorzubringen. Unter religiöser Mitteilung versteht Schleiermacher demnach weder den Vorgang der Übertragung religiösen Bewusstseins noch allein den Glauben schaffenden Akt einer wortsprachlichen Äußerung. Um eine Übertragung von religiösen Bewusstseinszuständen kann es sich deshalb nicht handeln, weil dies dem je individuell bestimmten Vollzugscharakter religiöser Selbstauslegung widerspräche. Aber auch die wortsprachliche Äußerung ist in ihrer Glauben hervorbringenden Wirkung immer noch daran gebunden, dass sie von den beteiligten Subjekten als Artikulation des unhintergehbaren Bestimmungsgrunds ihrer je eigenen Selbstauslegung angeeignet wird. Der Vorgang religiöser Mitteilung, den Schleiermacher in den Reden skizziert, hat seine Eigenart darin, dass unabhängig von der Eigenaktivität der beteiligten Subjekte gar nichts mitgeteilt wird. Was sich als Mitteilung äußert und sich dabei aller zu Gebote stehender Formen sprachlicher und nichtsprachlicher Äußerung bedient, kommt immer erst dann auf den richtigen Weg, wenn diese Äußerung Veranlassung wird, „einige Regungen in sich hervorzubringen die dem von ferne gleichen“,²⁹ was diese Äußerung selbst hervorgebracht hat, und sie vollendet sich erst dort, wo einer das, was er „in Andern aufgeregt hat […] nicht mehr in seiner Gewalt [hat], sie bei sich festzuhalten“, die Religion vielmehr „frei ist“ und „ihres eignen Weges“ geht.³⁰
28 Schleiermacher KGA I/2, 248. 29 Schleiermacher KGA I/2, 250. 30 Schleiermacher KGA I/2, 251.
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3 Religiöse Mitteilung als „darstellendes Handeln“ Im Zuge einer Differenzierung der Grundfunktionen humanen Vernunfthandelns, wie sie Schleiermacher in seinen Vorlesungen über philosophischen Ethik vorgenommen hat, empfängt auch der Vorgang religiöser Mitteilung seine Näherbestimmung, indem er vom Vorgang der Wissensvermittlung unterschieden wird. Im Wissen manifestiert sich die objektive Erkenntnisfunktion der menschlichen Vernunft, und sie manifestiert sich nicht anders als durch die „innere Tendenz der Mittheilung“.³¹ Denn, will die Vernunft Erkenntnis produzieren, ein Wissen von objektiver Gültigkeit hervorbringen, so kann sie das unter humanen Bedingungen, und das heißt, unter Berücksichtigung der Tatsache, dass sie nur durch die Vernunfttätigkeit vernünftiger Individuen ihre Produktivität entfalten kann, nur so, dass sie sich als eine allen menschlichen Vernunftwesen identische zur Geltung bringt. Sie muss deshalb einen Kommunikationszusammenhang stiften, der auf zwei Faktoren aufbaut: Zum einen müssen die Operationen, durch die die Vernunft eine Erkenntnis von objektiver Gültigkeit zustande bringt von allen vernünftigen Individuen auf gleiche Weise vollzogen werden, und zum anderen muss das Resultat dieser Operationen, die objektive Erkenntnis selbst, in einem allen identischen Bezeichnungssystem festgehalten werden. Sie muss sich notwendig sprachlich äußern, und zwar genau deshalb, weil nur die Sprache als „System der Bezeichnung des Wissens“ auch die Prüfung seiner in allen identischen Produktionen erlaubt. Die sprachliche Äußerung ist immer jenes „Heraustreten“ einer objektiven Erkenntnis, das einen „Aufruf zum Nachbilden“ bedeutet,³² und die objektive Erkenntnis ist erst zustande gekommen, wenn sie von allen Kommunikationsteilnehmern identisch nachgebildet ist. Der Mitteilungsvorgang geht hier somit auch auf nichts anderes als auf ein „fortgesetztes Vergleichen einzelner Acte des Erkennens durch die Rede, bis ein identisches Wissen herauskommt“.³³ In Abhebung von diesem Mitteilungsvorgang, der die Übereinstimmung aller Kommunikationsteilnehmer in ihrer sprachlichen Weltansicht bedingt, kann Schleiermacher nun die vom „Gefühl“ ausgehende religiöse Mitteilung als einen Vorgang beschreiben, bei dem die beteiligten Individuen ebenfalls vernünftige Operationen vollziehen, die sich dann in einem nach außen tretenden Zeichen gegenseitig zur Anzeige bringen. Aber die Operationen sind hier nicht von allen in der gleichen Weise zu vollziehen, und das nach außen tretende Zeichen ist deshalb auch nicht von allen identisch nachzubilden. Der von jedem Einzelnen zu vollziehenden Operation eignet hier, wo es um die unmittelbare Erschlossenheit des eigenen Daseins im „Gefühl“ geht, vielmehr gänzlich der Charakter der „Unübertragbarkeit“. „Mein Gefühl ist absolut das meinige und kann so keines Andern sein.“³⁴ Die dem „Gefühl“ gleichwohl zugehörende „Tendenz
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Schleiermacher 1967 [1927– 1928], 161. Schleiermacher 1967 [1927– 1928], 161. Schleiermacher 1967 [1927– 1928], 164. Schleiermacher 1967 [1927– 1928], 180.
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sich mitzutheilen“ – denn nur darin kann es sich seiner vernünftigen Allgemeinheit versichern – muss sich deshalb so realisieren, dass es seine Äußerung als „Object der Beziehung“ hinstellt, „damit dadurch in dem Andern sein Gefühl erregt werde“.³⁵ Das heißt, die Äußerung legt nichts anderes als jenen Schnittpunkt in die je eigene individuelle Sphäre, der anderen zur Veranlassung wird, sich mit der Äußerung der ihnen eigentümlichen Selbsterschlossenheit ergänzend daran anzuschließen. Genau diesen Vorgang, in dem Mitteilung nicht als identische Nachbildung einer sprachlich verfassten und damit an ein identisches Bezeichnungssystem angeschlossenen Äußerung zu verstehen ist, sondern in dem sie einen in der Äußerung sich lediglich abspiegelnden und den eigenen Vollzug individueller Selbsterfassung auf diese Weise anregenden Akt meint, fasst Schleiermacher nun terminologisch als „Darstellung“.³⁶ Und zwar scheint ihm der Begriff der Darstellung deshalb besonders geeignet zu sein, das Unterscheidende religiöser Mitteilung zu fixieren, weil er zum einen auf deren indirekten Charakter abhebt und zum anderen durch seine Anklänge an ein dramaturgisches Handeln auf das kunstvolle Verfahren hinweist, durch das sie zur Durchführung zu bringen ist. Denn Schleiermacher ist gerade daran gelegen, dass durch eine sich als Darstellung vollziehende Mitteilung das „Gefühl“ keineswegs „übertragen“ wird.³⁷ Es ist eben nicht wie bei dem „Reden und Hören, durch dessen Zusammensein der Gedanke selbst aus einem Bewußtsein in das andere übertragen wird“.³⁸ Einer wird dem anderen durch den „unmittelbaren Ausdruck des Gefühls“ vielmehr lediglich „in seinem Zustande, […] als in einem unübertragbaren und unnachbildlichen, kund“,³⁹ und es „fühlt keiner deswegen, weil ihm das Gefühl des Andern kund geworden, geschweige noch, dass er ebenso fühlen sollte. Sondern nur weil und inwiefern jeder weiß, dass eine bestimmte Erregung in ihm auf ähnliche Weise äußerlich wird, schließt er, dass der Andere in der ähnlichen Erregung begriffen ist, die aber in ihrer Bestimmtheit ihm verborgen bleibt.“⁴⁰ Im Begriff der Darstellung sollen also Äußerungen charakterisiert und unterscheidbar gemacht werden, die ihren Mitteilungsgehalt erst auf dem Wege eines „analogischen Verfahrens“⁴¹ freigeben, nur dadurch, dass sie vergleichbar werden mit dem vergleichbaren Ausdruck jeweils eigener Erfahrung. Wird der Inhalt der Mitteilung von dem so strukturierten Mitteilungsvorgang selbst abgelöst und etwa mit an sich seiender objektiver Gültigkeit behauptet, so muss er gänzlich unverständlich werden. Er ist nur dort sinnvoll, wo er vor dem Hintergrund von jeweils eigener Erfahrung und den sich mir dabei selbst ergebenden Ausdrucksweisen entschlüsselt werden kann. Und „Darstellung“ meint nun nichts anderes als diese wechselseitige Kundgabe von Erfahrungen,
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Schleiermacher 1967 [1927– 1928], 180 – 181. Schleiermacher 1967 [1927– 1928], 181, 184, 195 et passim. Schleiermacher 1967 [1927– 1928], 181. Schleiermacher 1967 [1927– 1928], 597. Schleiermacher 1967 [1927– 1928], 598. Schleiermacher 1967 [1927– 1928], 597– 598. Schleiermacher 1967 [1927– 1928], 317.
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die jeder nur für sich selbst machen kann, die aber eben dadurch, dass sie dargestellt werden, ein Objekt der Beziehung finden, über das sie miteinander kommunikabel werden. Austauschbar und übertragbar werden sie zwar auch dadurch nicht, wohl aber findet ein „Wiedererkennen“⁴² des Eigenen im vergleichbar gewordenen anderen statt und damit immer auch jene „Ergänzung seiner eigenen Eigenthümlichkeit“,⁴³ durch die das Interpersonalitätsverhältnis auf universale Vermittlung tendiert. Nun hat Schleiermacher jedoch die darstellenden Akte noch einmal danach unterschieden, ob sie gänzlich unwillkürlich zustande kommen, also gleichsam unmittelbarer Ausdruck des Momentes sind, oder ob sie bereits zu einem Vorgang der Distanzierung werden, der den Ausdruck gegenständlich macht und durch Gestaltung stilllegt. Ersteres ist dort der Fall, wo es lediglich zu einfachen organischen Äußerungen kommt, wo „ohne bestimmte Absicht und Beziehung ein Aeußeres durch Gesichtsausdrukk Gebehrde Ton, und mittelbar durch das Wort […] Andern eine Offenbarung des Inneren“⁴⁴ wird. Und diese unmittelbaren Äußerungen sind es dann auch, die jeweils nur durch die individuell vollzogene „Nachbildung“⁴⁵ zum Kommunikationsmedium werden können. Sofern nun jedoch schon in dieser unmittelbaren Äußerung einer individuellen Bestimmtheit des Gefühls die Zumutung seiner allgemeinen Kommunikabilität und damit seiner über den Moment hinausreichenden Verständlichkeit liegt, kann sie bei sich selbst gar nicht stehen bleiben. Sie muss ihre Darstellungsfunktion für jeweils andere vielmehr dadurch aktualisieren, dass sie die ausdrückende Geste zum geformten Ausdruck umbildet. In diesem Übergang von einer das eigentümliche Sicherschlossensein des Individuellen anzeigenden Geste zu einer das Individuelle produktiv nach außen abspiegelnden Gestaltung eines geformten Werkes, erkannte Schleiermacher die Kunstwerdung dieser Mitteilung. Sie wird zum „Kunstwerk“, indem sie bei der unwillkürlichen organischen Äußerung nicht stehen bleibt, sondern diese von der „Selbstthätigkeit“ des Individuums noch einmal in dessen eigene Regie übernommen wird.⁴⁶ In der Kunstwerdung des unmittelbaren Ausdrucks zeigt sich somit diejenige Produktivität des Individuums, die es mit dem kontingenten Faktum seines Sicherschlossenseins selbst noch einmal umgehen lässt. Es bringt Werke hervor, die den Vollzug seines Sichselbstdarstellens zu einem vom unmittelbaren Vollzug auch wieder ablösbaren Bild werden lassen. Gerade deshalb kann dann aber auch dieses Bild, dieses Symbol jeweils anderen die Reaktualisierung eines Vollzuges ermöglichen, der jenem ähnlich ist, aus dem dieses Bild selbst hervorgegangen ist. Erst indem die darstellende Mitteilung Kunst wird, kann sie somit ihren Anspruch auf Allgemeinheit einlösen. Gleichwohl bleibt die ihr auf dem Wege der Kunstwerdung zuwachsende Kommunikabilität spezifisch von der des Wissens unterschieden, sodass 42 43 44 45 46
Schleiermacher 1967 [1927– 1928], 317. Schleiermacher 1967 [1927– 1928], 598. Schleiermacher KGA I/13.1, 55 (§ 6.2); vgl. auch Schleiermacher 1967 [1927– 1928], 597. Schleiermacher KGA I/13.1, 55 (§ 6.2). Schleiermacher 1967 [1927– 1928], 181.
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Schleiermacher geradezu sagen kann: Es „verhält sich Kunst zur Religion wie Sprache zum Wissen“.⁴⁷ Und er meint damit nichts anderes, als dass im Unterschied zur Sprache, die das allen Kommunikationsteilnehmern identische und ihre gemeinsame Weltansicht fixierende Bezeichnungssystem ist, die Kunst als das Kommunikationsmedium jener irreduziblen Produktivität des Individuellen anzusehen ist, die in der Religion ihres unbedingten Bestimmungsgrunds ansichtig wird. Es kennzeichnet denn auch Schleiermachers Kunsttheorie, dass er, bezogen auf das Gefüge der Handlungsfunktionen humaner Vernunft, die Kunst dort entstehen sieht, wo es um die Selbstmitteilung der Erschlossenheit individuellen Lebens im Gefühl geht, und dies deshalb, weil nur auf dem Wege der Kunstwerdung die unmittelbare Äußerung des Gefühls zur darstellenden Mitteilung gestaltet werden kann.⁴⁸ Die Kunst tritt gleichsam zwischen die Diskursivität sprachlicher Mitteilung und die unwillkürliche Äußerung des Gefühls in organischen Reflexen, indem sie die individuelle Äußerung in ein Konzept, ein „Urbild“ umformt und nach dessen Maßgabe gestaltet. Dann ist die Äußerung nicht mehr an den individuellen Erfahrungsmoment gebunden, sondern kann die allgemeine Zustimmung einfordern. Sie ist aber auch nicht zu einer Reproduktion der allgemeinen sprachlichen Weltansicht geworden, sondern führt gerade die aus der irreduziblen Produktivität des Individuellen entstehenden Möglichkeiten ihrer Transformation vor.⁴⁹ Indem Schleiermacher der Kunst ihren Ort in dieser elementaren Lebensfunktion, der produktiven Selbstdarstellung des Individuellen, zuweist, war er denn auch weit davon entfernt, sie für ein elitäres Geschäft zu halten. Er war vielmehr der Auffassung: „Alle Menschen sind Künstler“,⁵⁰ und er hat dieser Auffassung nirgends deutlicher Rechnung getragen als in seiner Theorie des Kultus, des religiösen Ritus und der religiösen Rede, die er ganz aus dem Vorgang der künstlerischen Selbstmanifestation in ihrer Funktion für die interpersonale Mitteilung von Religion zu erfassen suchte.
4 Gottesdienst und religiöse Rede als „darstellende Mitteilung“ Schleiermacher begreift den christlichen Gottesdienst unter dem Aspekt jenes „darstellenden Handelns“, vermöge dessen sich Gemeinschaft bildet, weil es die interpersonale Kommunikation religiöser Erfahrung ermöglicht.⁵¹ Er bezieht sich damit wiederum auf den Grundsachverhalt, dass es einer freien, nicht durch externe Handlungszwecke gebundenen Kommunikation bedarf, wenn die beteiligten Individuen sich in dem sie eigentümlich Bestimmenden gegenseitig sollen anzeigen können. Nur
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Schleiermacher 1967 [1927– 1928], 315. Vgl. Schleiermacher 1931, 29. Vgl. Schleiermacher 1931, 49 – 50. Schleiermacher 1967 [1927– 1928], 184. Vgl. Schleiermacher 1884, 516.
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wenn dies geschehen kann und sie sich also nicht nur zur Koordination ihrer Handlungsziele und damit zu einem „wirksamen Handeln“ vereinigen, sondern auch in einer solchen Verbindung mit anderen stehen, in der sie ihr „Selbstbewußtsein austauschen können“, steht die „beständige Realisation des menschlichen Wesens“ in Aussicht,⁵² das heißt jene wechselseitige Ergänzung individueller Sphären, die zu einer universalen Kommunikationsgemeinschaft tendiert. Indem Schleiermacher das Wesen des Gottesdienstes am Leitfaden des darstellenden Handelns beschreibt, er im Gottesdienst gleichsam die Darstellungsfunktion in actu erkennen kann, gewinnt er diejenigen Kategorien, die sowohl die ritualisierte Form religiöser Kommunikation wie auch deren notwendige Durchbrechung bestimmbar machen. Denn der Gottesdienst lässt sich nun unter dem Gesichtspunkt fassen, dass er zwar die unwillkürlichen Äußerungen religiöser Erfahrung zu einem kunstmäßig geformten, damit intersubjektiv verbindlichen Ausdruck, gestaltet, seine Funktion aber gleichwohl nur in dessen individueller Aneignung und Transformation erfüllt sein kann. Das darstellende Handeln nimmt von vornherein in Anspruch, dass es als symbolische Kommunikation einer allen Kommunikationsteilnehmern gemeinsamen Erfahrung gelten kann und als deren Expression und Artikulation verstanden wird. Gleichwohl kann es genau diesen Anspruch nur dadurch eingelöst finden, dass das symbolische Medium von jedem Einzelnen angeeignet und in einen Ausdruck seiner individuellen Selbsterfahrung transformiert wird. Letzteres erst setzt die Selbsttätigkeit aller Beteiligten frei und stiftet einen die individuellen Perspektiven wechselseitig ergänzenden Kommunikationszusammenhang. Kommt er zustande, so ist dann freilich die sich dabei bildende Gemeinde auch erst als eine durch das darstellende Handeln hervorgebrachte zu begreifen. Bereits im Vorwort zu seiner ersten Predigtsammlung (1801) hat Schleiermacher diese sein Gemeindeverständnis charakterisierende Ambivalenz durch die Erwartung zum Ausdruck gebracht, dass „die Sache dadurch wieder zu Stande [kommt], daß man sie voraussezt“.⁵³ Denn er meint damit doch offensichtlich dies, dass die Voraussetzung, die gottesdienstliche Rede macht, wenn sie von einer Gemeinde der Gläubigen ausgeht und sie daher auch als solche anredet, eine sich im kommunikativen Geschehen des Gottesdiensts zugleich immer erst aufbauende ist. Sie kommt als Gemeinde eben dadurch zustande, dass der Gottesdienst ihr im Medium seiner repräsentativen Mitteilungsformen Veranlassung gibt, sich als solche zu verstehen. Dasjenige, woraufhin sie sich als gottesdienstliche Gemeinde immer schon angesprochen findet, muss sie dann aber auch für sich selbst und damit im Ensemble aller Teilnehmer noch einmal aktualisieren und in eigenaktiven Auslegungs- und Gestaltungsprozessen sich aneignen. Es ist also keineswegs so, dass Schleiermacher die christliche Gemeinde als jenen sicheren Ausgangspunkt betrachtet hat, von dem das gottesdienstliche Geschehen auszugehen
52 Schleiermacher 1884, 517. 53 Schleiermacher KGA III/1, 9.
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hat und auf den es lediglich zum Zwecke gesteigerter Selbstaffirmation zurückkommt. Vielmehr hat er das Zustandekommen von Gemeinde selbst an jenen im Terminus der „darstellenden Mitteilung“ gefassten kommunikativen Vorgang gebunden, in dem die konstitutiven Auslegungsangebote von allen Beteiligten selbsttätig angeeignet und gestaltet werden müssen. Erst dann wird der Gottesdienst zu einer „Anstalt für die Circulation des religiösen Bewußtseins“, bleibt er bei seiner „Hauptsache“, der „Erbauung“, wenn er immer zugleich hervorbringt, was er schon voraussetzt:⁵⁴ die sich ihres eigenen Bestimmungsgrunds versichernde und darin sich als handlungsfähiges Subjekt konstituierende christliche Gemeinde. Schleiermachers Theorie des Gottesdiensts zielt also auf jene von den beteiligten Subjekten zu vollziehende Tätigkeit, vermöge deren diese sich selbst im Medium der gestischen, klanglichen und sprachlichen Elemente verstehen, aus denen der Gottesdienst sich in seiner liturgischen Ordnung aufbaut. Es geht ihr darum, den Zusammenhang herzustellen, zwischen dem Vollzug der Tätigkeit religiöser Selbstauslegung, den jeder nur für sich selbst vollziehen kann, weil er im ursprünglichen und eigensten Selbst eines jeden und als dessen Zustandekommen stattfindet und in der Manifestation des Vollzugs dieser Tätigkeit in sprachlichen und außersprachlichen Äußerungen. Denn nur wenn sich dieser Zusammenhang am Ort der beteiligten Subjekte herstellt, besteht Gewähr dafür, dass nicht nur religiöse Vorstellungsgehalte transportiert werden, sondern dass sich die in ihnen explizierende Tätigkeit des religiösen Bewusstseins selbst mitteilt. Erst dann wird religiöse Mitteilung zur Mitteilung von Religion, das heißt zur Mitteilung des unhintergehbaren Sicherschlossenseins von Subjekten, wenn der Inhalt ihrer Mitteilung darauf zurückgenommen wird, nichts anderes als das Medium zu sein, über das sie sich in ihrem eigenen Zustandekommen expliziert finden. Der Mitteilungsakt ist deshalb genau daran gebunden, dass sich der Inhalt der Mitteilung nicht von seiner Darstellungsfunktion ablöst und eine objektiv-allgemeine Gültigkeit beansprucht. Denn dann würde der mitgeteilte Inhalt nicht mehr zugleich die Veranlassung bedeuten, ihn als Darstellung des ursprünglichen und eigensten Selbst anzuerkennen und diese Anerkennung in einer der mitgeteilten Darstellung entsprechenden Selbstauslegung zu vollziehen. Unter diesen Voraussetzungen ist nun auch die Predigt im Rahmen des Gottesdiensts in ihrer Darstellungsfunktion zu begreifen. Für die Predigt gilt, dass sie ihre „innere Einheit“⁵⁵ in einer Bestimmtheit des religiösen Bewusstseins finden muss, die der von ihr selbst zu leistenden Expression und Artikulation bereits vorausliegt. Zur Darstellung wird sie dadurch, dass sie dasjenige nach außen abspiegelt, was sich zum internen Bestimmungsgrund im Lebensvollzug des Sichdarstellenden gemacht hat und sich im Medium seiner Darstellung jeweils neu zum Bestimmungsgrund religiöser Selbstauslegung machen will. Das organisierende Zentrum der Predigt ist demnach der Prediger und mit ihm diejenige Bestimmtheit religiösen Bewusstseins, in der er sich als
54 Schleiermacher 1850, 216. 55 Schleiermacher 1850, 220.
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Wilhelm Gräb (†)
Glied der christlichen Gemeinde selbst erschlossen ist. Sie ist zunächst ein „Bewußtsein des redenden, das sich aber dem Zuhörer wieder mittheilen soll“,⁵⁶ und es ist die Aufgabe des Predigers, die ihm erschlossene Bestimmtheit religiösen Bewusstseins so zu exponieren und rednerisch zu gestalten, dass dem Hörer Veranlassung entsteht, sich in ihr zu verstehen und sie „nach seiner Eigenthümlichkeit“⁵⁷ nachzuvollziehen. Die Selbstmitteilung des Predigers wird allerdings auch erst dadurch zur Predigt, zum „Dienst am göttlichen Wort“, dass sie diejenige Bestimmtheit seiner selbst zur Darstellung bringt, vermöge deren er sich überhaupt erst zu erfassen vermag als der, der er ist, die also nicht in das Vermögen seiner subjektiven Wahl und nach Lebensumständen wechselnden Beliebigkeit gestellt ist. Schleiermacher hat das sich mitteilende Selbst des Predigers zuletzt als ein solches verstanden, das von sich selbst nur so reden kann, dass es von Christus redet als demjenigen, der es zu dem gemacht hat und zu machen nicht aufhört, der es ist. Die als Selbstmitteilung verstandene Predigt wird zur Christuspredigt, in der der Prediger nicht „das seinige“ empfiehlt, sondern nur „Christum und das, was von diesem in ihm lebt“.⁵⁸ Indem sie zur Christuspredigt wird, wird sie aber auch zur Schriftpredigt, da sie die Auffassung Christi aus der Schrift zu gewinnen hat. Ist die Selbstmitteilung Jesu in den biblischen Texten zur Darstellung gekommen, so hat die Predigt diesen Akt noch einmal in der Weise zu wiederholen, dass sie ihre Darstellung des biblischen Textes zu einer sich über die Person Jesu in ihrem eigenen Zustandekommen erfassenden Selbstmitteilung werden lässt. Eben darin begreift sie sich dann auch als eine Wirkung des Heiligen Geistes, als des die interpersonale Kommunikation der christlichen Gemeinde ermöglichenden und in der produktiven Kontinuität ihres Ursprungs haltenden Gemeingeistes.⁵⁹ Sofern die sich als Selbstmitteilung verstehende Predigt zur Christuspredigt wird, das sich mitteilende Selbst sich also in der die Erlösung vollbringenden Geschichte Jesu Christi zur Darstellung bringt, artikuliert es sich als ein durch diese Geschichte in seinem Selbstsein Identifiziertes. Und die sich der Kunst der Rede bedienende Darstellung des Predigers geschieht in der Absicht, die dargestellte Geschichte zum anregenden Angebot werden zu lassen, das auch die Hörer sich als durch diese Geschichte identifiziert verstehen lässt. In der Person Jesu findet die sich als Selbstmitteilung begreifende Predigt deshalb auch genau den Inhalt, über den sie sich der allgemeinen Mitteilbarkeit des von ihr Mitgeteilten versichern kann. Sie weiß sich von der universellen Geltung der durch die individuelle Person Jesu vollbrachten Erlösung herkommend und sieht ihre Aufgabe darin, die geschichtliche Realisation der in der Person Jesu grundgelegten Einheit von Individualität und Universalität durch fortgesetzte Mitteilung zu befördern.
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Schleiermacher 1850, 218. Schleiermacher 1850, 226. Schleiermacher KGA I/13.2, 343 (§ 133.1). Vgl. Schleiermacher KGA I/13.2, 342 – 344 (§ 133.1).
Predigt als kommunikativer Akt
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Literatur Schleiermacher, Friedrich. 1850. Die Praktische Theologie nach den Grundsäzen der evangelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt, Sämmtliche Werke, Bd. I/13, hg. v. Jacob Frerichs. Berlin: Reimer. Schleiermacher, Friedrich. 18842. Die christliche Sitte nach den Grundsäzen der evangelischen Kirche im Zusammenhang dargestellt, Sämmtliche Werke, Bd. I/12, hg. v. Ludwig Jonas. Berlin: Reimer. Schleiermacher, Friedrich. 1931. Friedrich Schleiermachers Ästhetik, hg. v. Rudolf Odebrecht. Berlin / Leipzig: Walter de Gruyter & Co. Schleiermacher, Friedrich. 1967 [1927 – 1928]. Werke. Auswahl in vier Bänden, Bd. 2, hg. v. Otto Braun. Aalen: Scientia. Schweizer, Alexander. 1834. Schleiermachers Wirksamkeit als Prediger. Halle: C. A. Kümmel. Trillhaas, Wolfgang. 1933. Schleiermachers Predigt und das homiletische Problem. Leipzig: J. C. Hinrichs. Wintzer, Friedrich. 1982. „Aufgabe und Funktion der Gemeindepredigt“, in: Praktische Theologie, hg. v. Friedrich Wintzer. Neukirchen-Vluyn: Neukirchener, 102 – 115.
2 Streitkulturen
André Munzinger
Dauerstreit? Kommunikative Konfliktkultur zur Bearbeitung religiöser Differenzen Abstract: The conflict of religions is a central topic of modern societies. With Friedrich Schleiermacher this conflict can be seen as a necessary element in the development of a free society because it entails the elaboration of individuality in its relation to the common good. While religion may remain opaque to some, Schleiermacher has successfully explained its reasonable and communicable aspects. To be sure, the constant discourse about religion envisaged by Schleiermacher is no easy fix. But it does lead towards a recognition of the intricate balance between individual and common interests as a hallmark of all successful communication.
Religiöse Differenzen werden in der gegenwärtigen Öffentlichkeit oftmals als Problem wahrgenommen. Religionen sind demnach in sich und miteinander zerstritten. Sie lassen sich nicht nachvollziehbar aufeinander beziehen und haben einen Hang zum intoleranten Exklusivismus. Religion ist opak, so könnte die Kritik säkularisierter Gegenwartsdeutung zusammengefasst werden.¹ Wie auch immer dazu im Detail Stellung bezogen wird, der Streit der Religionen bedarf der Aufmerksamkeit. Mit diesem Streit sind weitreichende Konflikte in der Bewertung von Religion verbunden. Die einen betonen ihre Beschränktheit. Sie stellen einen zu überwindenden Aberglauben dar, der entweder zu bekämpfen ist oder gleichgültig beiseitegelegt werden kann. Die anderen verstehen die religiösen Überzeugungen als fundamental für die menschliche Existenz. Ohne eine Bearbeitung der religiösen Differenzen lassen sich demnach andere gesellschaftliche Probleme nicht bewältigen. Wir haben es also sowohl mit einem Konflikt der Religionen selbst zu tun als auch mit einem Streit um den erkenntnistheoretischen Status und die ethische Bedeutung religiöser Überzeugungen. Das Werk Schleiermachers zeichnet eine hohe Sensibilität für die Notwendigkeit kommunikativer Arbeit an Differenzen aus. Ob es als erhellend für die Gegenwart angesehen werden kann, hängt von der theoretischen Verarbeitung des Konflikts darin ab. Das Ziel ist es deshalb, Schleiermacher auf eine religionsbezogene, kommunikative Konflikttheorie hin zu befragen. Die Arbeitsthese ist es, dass von Schleiermacher ausgehend religiöse Differenzen zum Grundmuster moderner Gesellschaften gehören. Die Auseinandersetzung um Religion ist auf Dauer zu stellen, um ihre Kräfte produktiv nutzen zu können. Religion ist dabei weder als einziges Fundament gesellschaftlichen Zusammenhalts zu verstehen,
1 Dass diese Diagnose ebenso alle anderen weltanschaulichen Differenzen betrifft, bleibt an dieser Stelle zwar anzumerken, ist aber nicht Gegenstand dieser Untersuchung. Auch jenseits religiöser Ansprüche führen weltanschauliche Differenzen zu unauflöslichen Auseinandersetzungen. https://doi.org/10.1515/9783111128801-011
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André Munzinger
noch sind Religionen zu vernachlässigen, denn sie gehören zur kulturellen Arbeit an (der) Individualität. Ein konstruktiver Streit um Religion ist möglich, aber anspruchsvoll. Die Denkrichtung im Folgenden ist systematisierend: Zunächst sind einige Gedanken zum kommunikationstheoretischen Ansatz Schleiermachers zu entwickeln, dann ist der religionstheoretische Ansatz einzuführen, um in einem dritten Schritt Übergänge in die Gegenwart zu skizzieren.²
1 Der kommunikationstheoretische Ansatz Schleiermacher beschäftigt sich vielfach mit Formen humanen Austauschs und im Ganzen ergibt sich aus seinen Schriften durchaus ein eigenständiger, wenn auch kein systematisch abgerundeter kommunikationstheoretischer Ansatz. Bereits in dem 1799 publizierten „Versuch einer Theorie des geselligen Betragens“ wird der Diskurs für die Wissensgenese auch für die Ethik als wesentliches Thema hervorgehoben. Das freie Gespräch eröffnet nicht nur Einsichten in fremde Welten, sondern ihm wird ferner ein „sittlicher Zweck“ zugesprochen³. Dieser Zweck dient der freien Geselligkeit und der Ausbildung einer individuellen Identität.⁴ Das Anliegen, Gemeinschaft und Individuum gleichzeitig und gleichursprünglich zu berücksichtigen, ist bereits als Grundfigur in der Auseinandersetzung mit Aristoteles bemerkbar und ist ein wesentliches Motiv für die wiederholte Hervorhebung der Notwendigkeit freien Austauschs.⁵ Schleiermacher erkennt, dass es keinen Sinn ergibt, „hartnäckig“ bei der eigenen Meinung zu verharren und andere „mit Gewalt“ dort festhalten zu wollen.⁶ Solche Sturheit ist weder für die private Konversation noch für die allgemeine Kommunikation in Wissenschaft und Staat zuträglich. Auch in der Religion – so führen es die Reden über die Religion und die Glaubenslehre aus – gilt es, die Interdependenz der Wissensgenese zu beachten. „Ist die Religion einmal, so muß sie nothwendig auch gesellig sein: es liegt in der Natur des Menschen nicht nur, sondern auch ganz vorzüglich in der ihrigen.“⁷ Emphatisch fordert Schleiermacher dazu auf, die praktische und intellektuelle Wechselwirkung mit anderen vorurteilsfrei zu suchen. Ulrich Barth expliziert die Interaktionsebene der Religion vor dem Hintergrund der anthropologischen Annahmen Schleiermachers und zeigt, wie dieser Einsichten der gegenwärtigen Religionssoziologie vorwegnimmt.⁸ So rechnet Schleiermacher mit dem Wechselwirkungsverhältnis zwischen Leib und Psyche. Emotionen offenbaren sich in leiblichen Äußerungen, zum Beispiel in der Mimik oder der Gestik.
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Vgl. für beide folgenden Ansätze vertiefend Munzinger 2015, Kapitel III.2.C und D. Schleiermacher KGA I/2, 165 (1799). Vgl. Schleiermacher KGA I/2, 168 (1799); vgl. Burdorf / Schmücker 1998, 8−9. Vgl. Oberdorfer 1995, 23−30. Schleiermacher KGA I/2, 165, 180−181 (1799); vgl. Munzinger 2019, 87−100. Schleiermacher KGA I/2, 267 (1799); vgl. Schleiermacher KGA I/13.1, 53 § 6 (1830/1831). Vgl. Barth 2009, 197−200.
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Da Menschen strukturell vergleichbar sind, können sie durch Wahrnehmung, Empathie und Nachbildung ihre wechselseitigen Gemütszustände spiegeln. Insofern, das führt Barth richtig aus, „ist das religiöse Gefühl für [Schleiermacher] von Hause aus kommunikativ“.⁹ Dabei ist die intersubjektive Wechselwirkung im Bereich der Emotionen wesentlich mit derjenigen des Denkens und des Sprechens verbunden. Schleiermachers Hermeneutik und Kritik zeigen, dass er eine allgemeine Kunstlehre zu begründen intendiert, die nicht auf den einen oder anderen speziellen Gegenstand des Verstehens gerichtet ist. Vielmehr ist er an den transzendentalen Bedingungen des Verstehens interessiert, aber im Horizont der individuellen Erschließung von Sinn. Der Prozess der Verständigung verdient Aufmerksamkeit, weil das Missverstehen die Regel darstellt. Die Hermeneutik muss also die Prozeduralität gelingenden Verstehens berücksichtigen und verweist dabei über die Grenzen der Disziplin hinaus, denn das Werk Schleiermachers, so lässt sich mit Gunter Scholtz feststellen, ist insgesamt am Verstehensprozess des Menschen in seiner sozialen Wirklichkeit ausgerichtet.¹⁰ Demnach impliziert das Verstehen divinatorische und kombinatorische wie auch psychologische und grammatische Aspekte. Ist die Divination als Anschauung der Eigentümlichkeit nicht allgemein vermittelbar, bietet die Komparation eine diskursive Kontrolle, deren Kritik auf Erstere zurückwirkt.¹¹ Verdeutlicht die grammatische Interpretation, dass Einzelne in ihrem Denken durch die Sprache geprägt werden und die Gedanken denken, welche in ihrer Sprache schon ihren Ort haben, zeigt die psychologische Interpretation, dass die Rede dem Leben der Redenden zugeordnet werden kann und die Sprache ein Mittel ist, „wodurch der einzelne Mensch seine Gedanken mittheilt“.¹² Diese wenigen Hinweise belegen, dass das Identische und das Individuelle in der Wissensproduktion in einer Wechselbeziehung stehen. Die Priorisierung des individuellen Symbolisierens, wie es manche Autoren, so Eilert Herms beispielsweise,¹³ bei Schleiermacher sehen, ist nicht zu erkennen. Sie würde die ohnehin prekäre Balance zwischen Allgemeinem und Besonderem, grammatischer und psychologischer Auslegung wie auch unbedingter und endlicher Vernunft gefährden. Schleiermacher ist ein Denker der „Vermittlung“,¹⁴ diese Art zu denken wird an der grundlegenden Einordnung der Kommunikationstheorie in die Wissenschaft deutlich. Dies lässt sich erläutern, indem der Zusammenhang zwischen dem Wissen und der Wissensgenese nachgezeichnet wird. Das Werden des Wissens ist abhängig vom Reden
9 Barth 2009, 199. Barth verweist auf die Entwicklung Schleiermachers, der erst später erkenne, wie wichtig die institutionelle Verankerung der inhaltlich übereinstimmenden Kommunikation sei. 10 Scholtz 1995, 92, weist zu Recht darauf hin, dass Schleiermachers wesentlicher Beitrag zur Hermeneutikforschung nicht allein in seiner Hermeneutik zu suchen sei, sondern auch in der Dialektik, Psychologie und Ethik. 11 Vgl. Schleiermacher KGA II/4, 157−158 (1819). 12 Schleiermacher KGA II/4, 121 (1819). 13 Vgl. Herms 2003a, 221. 14 Dittmer 2001, 570−580.
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und Verstehen, deshalb ist für Schleiermacher die Einheit von Sprechen und Denken zentral. Es gibt keinen Gedanken ohne Rede; Sprache ist das Wirklichwerden der Gedanken. Somit ist das Denken als eine individuelle Form der sich mitteilenden Sprachwelt und die Sprache als eine „Vermittlung für die Gemeinschaftlichkeit des Denkens“ zu betrachten,¹⁵ sodass ein allen gemeinsames Wissen produziert werden kann. Der Umgang mit dem Neuen Testament wie auch mit anderen Texten beruht auf einer dialogischen Methodik. In diesem Sinne würdigt Schleiermacher Platon in seiner Eigenschaft als dialektisch-dialogischen Denker,¹⁶ der die technischen Regeln der Konstruktion und die Prinzipien realen Wissens verbindet. Für manche gilt diese Leistung Platons als Vorbild für Schleiermachers Dialektik. ¹⁷ Im Folgenden ist dieser Wechselwirkungszusammenhang zwischen identischem und individuellem Wissen anhand der Dialektik zu erkunden. Dabei ist darauf hinzuweisen, dass mit der Auswahl der Schwerpunkte nicht das gesamte Feld dieses Werkes aufgenommen werden kann. Lediglich drei Aspekte sollen hervorgehoben werden, um die kritische Leistung der kommunikativen Arbeit zu verstehen. Als Erstes ist der Ausgangspunkt Schleiermacher’schen Denkens in der Dialektik in den Blick zu nehmen. Eine Kunstlehre des Streitens soll am Anfang der Wissenschaft stehen,¹⁸ sodass durch reines Denken für alle nachvollziehbares Wissen generiert werden kann.¹⁹ Das reine Denken unterscheidet Schleiermacher vom geschäftlichen einerseits und vom künstlerischen andererseits. Geschäftliches Denken ist durch Instrumentalisierung und Zweckrationalisierung gekennzeichnet, künstlerisches durch 15 Schleiermacher KGA II/4, 120 (1819). Interessant ist die Ausgabe von Friedrich Lücke, die sich auf die Vorlesung von 1819 und die studentische Nachschrift von Ferdinand Calow von 1832/1833 bezieht, eine Nachschrift, die allerdings Wolfgang Virmond als besonders synthetisierend und kritisch hervorhebt (vgl. Schleiermacher KGA II/4, XXXV). Dennoch ist die Ausgabe von Lücke als Auslegung zu rezipieren, weil hier „[j]ede Rede“ in die Geschichte insgesamt und somit in die Ethik als Wissenschaft der Geschichte, aber auch in die Körperlichkeit des Sprechens und damit in die Physik als Wissenschaft der Natur eingeordnet wird: „Und so wurzelt die Hermeneutik nicht bloß in der Ethik, sondern auch in der Physik. Ethik aber und Physik führen wieder zurück auf die Dialektik als die Wissenschaft von der Einheit des Wissens“ (Schleiermacher 1864, 11). 16 An dieser Stelle ist an die Bedeutung Platons für Schleiermachers Denken zu erinnern. Auf der einen Seite ist Schleiermacher nicht nur an dem Denken des Sokrates interessiert, sondern auch an dem kritischen Dialog Platons mit seinen Vorgängern (Schleiermacher 1996, 133). Auf der anderen Seite beachtet Schleiermacher selbst wesentliche Schwierigkeiten des Dialogs nicht (vgl. Lamm 2004, 253). 17 Vgl. Rohls 2003, 186−187. 18 Es gilt nicht, eine „Wissenschaft des Wissens aufzustellen in der Hoffnung dadurch von selbst dem Streit ein Ende zu machen [vielmehr] gelte es nun eine Kunstlehre des Streitens aufzustellen in der Hoffnung dadurch von selbst auf gemeinschaftliche Ausgangspunkte für das Wissen zu kommen“ (Schleiermacher KGA II/10.1, 372). 19 Die Dialektik ist die „Darlegung der Grundsäze für die kunstmäßige Gesprächsführung im Gebiet des reinen Denkens“ (Schleiermacher KGA II/10.1, 393 [Einleitung [Reinschrift]]). Da die Begriffe in unterschiedlichen Umfängen verwendet werden, erläutert sie Schleiermacher im Folgenden: „Denken“ wird im weiten Sinne auch als Verarbeitung von Bildern verstanden und „Gesprächsführung“ beinhaltet ebenfalls ein Gespräch mit sich selbst, sofern ein Argumentationsvorgang stattfindet (Schleiermacher KGA II/10.1, 393 [Einleitung [Reinschrift]]).
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Kreativität, Individualität und Zwecklosigkeit. Das reine unterscheidet sich vom geschäftlichen und künstlerischen Denken, da es weder im Erreichen eines bestimmten Zwecks noch im „Moment des Wohlgefallens“ aufgeht.²⁰ Vielmehr ist das reine Denken auf sich selbst und die dauerhaften Züge des Wissens ausgerichtet. Die nachhaltige Betonung der Unterscheidung ist deshalb gewichtig, weil das Kreative nicht zulasten des reinen Denkens relativiert werden kann. Für Schleiermacher gibt es interesseloses Denken.²¹ Für ihn ist die Unterscheidung zwischen den Formen des Denkens wesentlich, denn jede dieser Richtungen hat eine ihr entsprechende Weise der Gesprächsführung. Während das freie Gespräch zum künstlerischen Denken gehört, ist das geschäftliche Denken für die Kunst der Überredung grundlegend. Für die Bestimmung und Durchführung des interreligiösen Diskurses ist es unabdingbar, dass zwischen den verschiedenen Formen des Denkens und Miteinanderredens differenziert wird. Andernfalls wird das Denken den Skeptikern überlassen, die Schleiermacher dezidiert angreift. Diese behaupten, dass Menschen aufgrund ihrer subjektiven Gewissheiten nicht argumentationsfähig seien; sie meinen, dass eine „Zusammenstimmung mehrerer im Gewißsein nur etwas zufälliges“ sei.²² Diesen Skeptizismus lehnt Schleiermacher ab. Eine enge Verknüpfung von Wissen und religiöser Gewissheit ist bei Schleiermacher also nicht zu finden. Vielmehr ist die Unterscheidung verschiedener Gebrauchsweisen des Denkens zu betonen. So steht neben dem apologetischen Austausch die Möglichkeit kritischen und abstrahierenden Denkens als Mittel der Verständigung zur Verfügung. Bezeichnend ist des Weiteren, dass das reine Denken nach Schleiermacher einen respektvollen, freudigen Umgang mit dem Fremden aufweist: Je mehr Denkende alles Fremde in ihr Denken hineinzuziehen versuchen, umso mehr werden sie ihr eigenes Denken als Maßstab allen anderen Denkens setzen und letztlich die eigene Begrenztheit veranschaulichen und nicht für Fremdes offen sein. Je mehr hingegen Denkende „von der allgemeinen Freude“ am reinen Denken ausgehen, desto mehr werden sie den Ausgleich und das Gemeinsame suchen. Daraufhin werden Denkende sich auf die anderen Sprachkreise ausrichten, den eigenen Sprachkreis „fast nur um ihretwillen“ ausbilden und somit ihre „eigenthümliche Denkweise weniger geltend machen“.²³ Mit Schleiermacher ist hinsichtlich des Streits um Religion diese Dimension der Neugierde für Andere unbedingt aufzunehmen. Ein zweites Moment, welches hier hervorzuheben ist, liegt darin, dass Einheit und Differenz des Denkens an der Sprache festgemacht werden – und nicht an der Religion. Dabei scheint vorerst der Unterschied unwesentlich, denn Schleiermacher baut auf der relativierenden Einsicht auf, dass die Dialektik nicht für alle Sprachkreise gleichermaßen gelten kann; sie ist vielmehr abhängig von einem bestimmten. In diesem Sinne ist es 20 21 22 23
Schleiermacher KGA II/10.1, 395 (Einleitung [Reinschrift]). Gegen die Darstellung von Herms 2003c, 435−436; Herms 2003b, 48. Schleiermacher KGA II/10.1, 398 (Einleitung [Reinschrift]). Schleiermacher KGA II/10.1, 407 (Einleitung [Reinschrift]).
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für ihn unnatürlich, wenn das Denken aus einem Sprachraum für alle anderen vorausgesetzt wird. Seine Ablehnung „jedes Anspruchs auf Allgemeingültigkeit“²⁴ entsteht nicht aus Resignation gegenüber der Vielfältigkeit der Sprachen, sondern aus der Einsicht, dass nur in der Vielfalt sich das Denken der Menschen erschöpft. Letztlich ist aber der Unterschied zwischen der Sprache und der Weltanschauung für die Überwindung der Inkommensurabilität entscheidend, denn diese kann „ausgeglichen werden durch die Einheit der Sprache, und die Irrationalität der Sprachen durch die Einheit der Vernunft“ – eine Perspektive, die jedenfalls aufgrund der Tatsache denkbar ist, dass „die Operationen aller Sprachen“ unter „denselben Combinationsgesezen“ stehen.²⁵ „Also ist auch hier eine Begrenzung und ein Mittel der Approximation welches noch durch die Gemeinschaft der Sprachen erleichtert wird.“²⁶ Über die Sprache wird ein argumentativ nachvollziehbarer Dialog ermöglicht, der zwar die Eigentümlichkeiten der jeweiligen Sprache berücksichtigt, aber eine universale Verständigungsebene bietet.²⁷ In jeder Sprachäußerung wirken das individualisierende und das gemeinschaftliche Moment der Sprache mit. Der rationale Zugriff auf orientierende Überzeugungen bei Schleiermacher ist demnach ausdrücklich hervorzuheben.²⁸ Im Anschluss an diese Überlegungen ist drittens die Bedeutung der Wechselbeziehung von identischem und individuellem Symbolisieren in den Blick zu nehmen. Dabei kommt der durchaus nicht ganz klare Vernunftbegriff zu Bewusstsein. Um Vernunft bestimmen zu können, bietet die logische, also formale Vereinbarkeit – im Gegensatz zum Inhalt des Gedachten – einen ersten Ansatzpunkt.²⁹ Das Wissen, verstanden als ein von allen identisch produziertes Gut, kann nur auf die intellektuelle (die ‚Vernunft‘), nicht auf die organische Funktion (das ‚Sensuelle‘) zurückgeführt werden, denn erstere ist in allen dieselbe. Das heißt (hier mit Zitaten aus der Nachschrift der Dialektik von Johann Kropatscheck), „was in der Zeit im wirklichen Denken zum Vorschein kommt, ist in der Vernunft auf ewige Weise enthalten“.³⁰ Dass dieser Gedanke der zeitlosen Vernunft problematisch ist, wird reflektiert, denn „Denken ist stets ein zeitliches Moment“, und es ist gleichzeitig die allen gemeinsame Vernunft, die „zu der Production derselben Begriffe“ anleitet, also die „zeitliche BegriffsBildung auf zeitlose Weise gesetzt“.³¹ Von einer reinen Vernunft ist mit Schleiermacher nicht auszugehen,³²
24 Schleiermacher KGA II/10.1, 406 (Einleitung [Reinschrift]). 25 Schleiermacher KGA II/10.1, 190 (1814/1815). 26 Schleiermacher KGA II/10.1, 190 (1814/1815). 27 Vgl. Pleger 1998, 177−178; Schmidt 2005, 259; Scholtz 1995, 133−136. 28 Auch Herms sieht ein Wechselverhältnis zwischen Vergewisserungspraktiken und Überzeugungen, aber die „Autorität“, wie Herms sich ausdrückt, liege in der Gewissheit der eigenen Erschlossenheit (Herms 2006, 111). Diese Qualifizierung der Verhältnisbestimmung ist bei Schleiermacher nicht zu erkennen. 29 Vgl. Schleiermacher KGA II/10.1, 232 (1822); vgl. die Nachschrift von Kropatscheck, KGA II/10.2, 458 (1822). 30 Schleiermacher, Nachschrift Kropatscheck, KGA II/ 10.2, 524 (1822). 31 Schleiermacher, Nachschrift Kropatscheck, KGA II/10.2, 524 (1822); vgl. an derselben Stelle anders ausgedrückt: „Die Productionsweise jedes Begriffs ist in der Vernunft gesetzt“.
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vielmehr„tritt die humane Vernunft immer schon in der Differenz von gattungsmäßiger Allgemeinheit und individueller Besonderheit auf“.³³ Dies mag viele Fragen offenlassen.³⁴ In diesem Sinne ist zu konstatieren, dass sowohl die Dialektik als auch die Hermeneutik trotz aller Verweise auf die Empirie rein formal, also gleichsam inhaltsleer bleiben.³⁵ Um diese Diskrepanz zu verstehen, ist es notwendig, den interpretatorischen Impuls der Theoriebildung Schleiermachers in der Entwicklung seines Vernunftbegriffs zu berücksichtigen. Denn Schleiermacher weiß um die komplexe Vermittlungsleistung zwischen dem Einzelnen und dem Ganzen, zwischen dem Besonderen und dem Allgemeinen wie auch zwischen dem Bedingten und dem Absoluten. Für den Streit der Religionen ist diese komplexe Vermittlung nicht zu unterschätzen.
2 Der religionstheoretische Ansatz Der Diskurs mit anderen weltanschaulichen und religiösen Traditionen wird im Werk Schleiermachers nur sporadisch explizit reflektiert. Welche impliziten Lösungsansätze es bietet, ist hier zu erörtern. Schleiermacher setzt grundsätzlich Maßstäbe, weil er Religion systemisch relativiert, ihr aber eine konstitutive Bedeutung für das Ganze zuschreibt. Aus Gründen der Kürze ist hier nicht auf die Glaubenslehre oder die Sittenlehre zurückzugreifen.³⁶ Bereits in den Reden über die Religion wird das wesentliche Prinzip der Ethik, nämlich die Mannigfaltigkeit, benannt.³⁷ Dort wird herausgearbeitet, dass die Religion auf ein zentrales Moment des Menschseins verweist, und zwar auf die emotive Erfassung der Wirklichkeit (des Universums), die wiederum „wie eine heilige Musik“ voluntative und kognitive Prozesse begleitet.³⁸ Dieses Moment liegt in dem individuellen Bezogensein auf Ganzheit. Wie auch immer die spätere Entwicklung der Theoriegestalt bei Schleiermacher verstanden wird – ob von der Rationalität der Dialektik oder von dem Selbstgefühl der Psychologie her –, die anfängliche Betonung der Religion bleibt für den individuellen Zugriff auf das Ganze und für das daraus folgende Verständnis not-
32 Vgl. Schleiermacher 1990, 13, § 65; vgl. Scholtz 1995, 107. 33 Barth 2005, 353. 34 Sarah Schmidt macht auf die verschiedenen Aussagen Schleiermachers zur Bedingtheit der Vernunft einerseits und zu ihrer Zeitlosigkeit andererseits aufmerksam (Schmidt 2005, 266). 35 Andreas Arndt weist darauf hin, dass „trotz des ständigen Verweisens auf die Empirie faktisch vom Eingehen auf bestimmte empirische Gehalte dispensiert“ wird (Arndt 1991, 327). Harald Schnur nimmt diesen Gedankengang Arndts auf und vergleicht ihn mit der „Inhaltsleere“ der Hermeneutik: Hans-Georg Gadamer habe bereits darauf hingewiesen, dass diese nicht mehr gegenstandsbezogen, sondern „abgelöst von aller inhaltlichen Besonderung“ und auf die „Einheit eines Verfahrens“ ausgerichtet sei (Schnur 1998, 141−142, mit Verweis auf Gadamer). 36 Vgl. die ausführliche Auseinandersetzung bei Jiang 2020. 37 Vgl. Schleiermacher 1990, 34, § 76; vgl. von Scheliha 2018, 25−44. 38 Schleiermacher KGA I/2, 219.
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wendiger Vielfalt maßgeblich. Andreas Krebs erläutert diesen Zugang zur Religionsthematik in seiner Analyse von Schleiermachers Beitrag zur interkulturellen Philosophie.³⁹ Er zeigt, dass für Schleiermacher die mannigfaltigen Wirklichkeitsverständnisse keinen aufhebbaren Zustand darstellen, sondern mit der personalen Konstitution des Menschen verbunden sind. Religion ist sowohl innerhalb bestimmter Konfessionsgrenzen als auch außerhalb dieser durch Perspektivität und Pluralität gekennzeichnet. Stellt diese Einsicht die Grundlage für den Umgang mit Theorie und Praxis dar, so ist von vornherein die Anerkennung verschiedener Perspektiven und differenter Zugänge zum Absoluten gesetzt. Um dieses Prinzip der Mannigfaltigkeit einordnen zu können, ist ein Blick in die Gedankenführung der philosophischen Ethik-Einleitung von 1812/1813 angebracht.⁴⁰ Religion wird kulturhistorisch eingegliedert. Die Ethik liefert somit eine konstruktive Kritik der Religion, denn diese wird vor dem Horizont der Naturbearbeitung relativiert. Vernunft wird dabei als metaphysisches Prinzip gefasst, das nicht nur im menschlichen Einzelwesen zu finden ist, sondern Letztere „sind nur als die ursprünglichen Organe und Symbole der Vernunft zu sezen“; insofern steht das Ganze der Vernunft immer schon im Verhältnis zum Ganzen der Natur (§ 78). Der Blick für das Ganze ist entscheidend für Schleiermacher, denn „das Leben der Einzelwesen ist kein Leben für sie selbst, sondern für die Totalität der Vernunft und die Totalität der Natur“ (§ 78). Zugleich ist die Erfassung des Ganzen nur in und durch Eigentümliches möglich. Identität und Eigentümlichkeit sind in der Realität immer mehr oder weniger miteinander verschränkt (§ 23). Charakteristisch für die Gedankenführung Schleiermachers ist hier eine starke Spannung, die aus dem bisher Gesagten bereits prinzipiell bekannt vorkommen mag: Einerseits ist das „wahre Erkennen“ durch den Bezug des Einzelnen zur Totalität gekennzeichnet (§ 11), andererseits ist die Totalität der Personen nur mit Blick auf die „Unübertragbarkeit“ von einer Person auf die andere zu verstehen (§ 17). Entsprechend kann und muss die Ethik auch nicht alle Zustände des Werdens abbilden, sondern nur das „Princip der Mannigfaltigkeit“ geltend machen (§ 76).⁴¹ Die Religion ist im Horizont dieser dialektischen Verschränkung von Unübertragbarkeit und Allgemeinheit einzuordnen. Sie ist Teil der Vernunft. Im Rahmen der Güterlehre wird der Religion eine auffällig gleichwertige Rolle mit den anderen Funkti-
39 Vgl. Krebs 2011, 70−101. 40 Vgl. Schleiermacher 1990, 1−18 mit den § 1−108 (Einleitung, 1812/1813). In den folgenden beiden Abschnitten sind die Paragraphenzahlen aus dieser Einleitung im Text zu finden. 41 Sozialphilosophisch interessant ist die Staffelung dieses Gedankens: Die Familie ist die Mikroebene der ausbalancierten Funktionssysteme, der einzelne Staat die Mesoebene, in der Ausdifferenzierungsprozesse zutage treten, die Makroebene ist schließlich gleichsam der intergesellschaftliche Zusammenhang, in dem die Staaten und Sprachen wiederum „Personen im höhern Sinne“ sind, nur durch deren Gemeinschaft ist das Ganze zu haben (Schleiermacher 1990, 33, § 72). Diese Gemeinschaft, so Schleiermacher weiter, lässt sich unter dem Begriff „der menschlichen Gattung“ fassen, die wiederum im Horizont der „Pluralität der Weltkörper“ steht (Schleiermacher 1990, 33 § 73).
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onssystemen der Wissenschaft, Geselligkeit und Politik zugewiesen.⁴² Wie ist aber der Zusammenhang zwischen der ethischen Bildung durch die Kirche und den anderen Sphären genau zu bestimmen? Ist die religiöse Gewissheit orientierend für alle anderen Bereiche des Sozialen? Einerseits geht für Schleiermacher das individuelle dem identischen Symbolisieren insofern voraus, als der sprachliche Diskurs das unmittelbare Selbstgefühl zum Ausdruck bringt.⁴³ Dieses Gefühl ist also die Grundlage aller Kommunikation. Das Grundgefühl der Einzelnen wird von Schleiermacher als Ausdruck einer „Offenbarung“ bezeichnet – welche prägend für das identische Wissen und Handeln ist.⁴⁴ Andererseits steht die Religion auch in der Abhängigkeit von den anderen Sphären. Der individuelle Ausdruck wird ebenso vom identischen Symbolisieren geprägt wie umgekehrt. Das beginnt bereits damit, dass der Gefühlsausdruck einem kulturübergreifenden Schema entspringt, sodass der individuelle Ausdruck nur deshalb verstanden wird, weil die „Identität des Gefühls“ vorausgesetzt werden kann.⁴⁵ Wichtiger ist es, dass das Individuelle ausschließlich in der Wechselbeziehung mit dem identischen Symbolisieren zu verstehen ist – nämlich als konstantes „Ineinander von Einerleiheit und Verschiedenheit“.⁴⁶ Gedanke und Gefühl sind gleichursprünglich und letztlich nicht zu trennen. „Kein einzelnes Gefühl ist eben wegen seiner Unübertragbarkeit ohne den zusammenhaltenden Gedanken des Ich, der in allen völlig derselbe ist und auf dieselbe Weise vollzogen [wird]“.⁴⁷ Insofern ist es irreführend, wenn individuelles und identisches Symbolisieren von manchen als asymmetrischer Zusammenhang einander gegenübergestellt werden. Denn Schleiermacher schließt aus der Güterethik beispielsweise nicht, dass die Kirchen in der Gesellschaft die handlungsleitende Bildungsfunktion innehätten, vielmehr teilt er diese Funktion auf verschiedene Institutionen auf. Für ihn lässt sich alles identische Wissen auf die Sprache beziehen, alles subjektive Erkennen (produziert in der Religion und der freien Geselligkeit) auf die Kunst reduzieren. Hierbei ist die Korrelation von Kunst und Religion zu beachten: „Die höchste Tendenz der Kirche ist die Bildung eines Kunstschazes, an welchem sich das Gefühl eines jeden bildet, und in welchem jeder seine ausgezeichneten Gefühle niederlegt“.⁴⁸ Mit diesem Zitat ist keineswegs die Aufgabe von Religion erschöpfend beschrieben, aber sie wird als Teil der Arbeit an der Individualität in der Gesellschaft verstanden.
42 Vgl. vor allem den dritten Teil der Güterlehre in Schleiermacher 1990, 80−132 (1812/1813), „Von den vollkommenen ethischen Formen“; vgl. spezifisch zur Kirche 119−126. 43 Vgl. Schleiermacher 1990, 117−118 (1812/1813). 44 Schleiermacher 1990, 266−269 (vermutlich 1816/1817); vgl. Herms 2003b, 43−50 für weitere Belege zur Offenbarung. 45 Schleiermacher 1990, 118 (1812/1813). 46 Schleiermacher 1990, 260 (vermutlich 1816/1817). 47 Schleiermacher 1990, 260 (vermutlich 1816/1817; Hervorheb. v. A. M.); vgl. den gesamten Abschnitt 240 −274. 48 Schleiermacher 1990, 122 (1812/1813); vgl. zu dieser Frage Großhans 2008, 560−562.
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3 Übergänge Sollen die Ansätze der kommunikativen Konflikttheorie Schleiermachers weiterentwickelt werden, müssen sie in ein Verhältnis zu gegenwärtigen Entwicklungen gesetzt werden. Zuerst sind einige Konsequenzen zu benennen, die sich zunächst auf die Religionen selbst beziehen. Im Sinne einer nach innen gerichteten Polemik lässt sich Folgendes festhalten: Erstens ist die Relativierung der Religion und ihrer Ansprüche als Voraussetzung für die Entideologisierung der religiösen Konflikte hervorzuheben. Zweitens ist die gezielte Öffnung für andere religiöse Positionen und für abweichende weltanschauliche Argumente keine Gefahr für die eigene Überzeugungswelt, sondern erinnert an die Vielfalt und das Ganze. Die Neugier gegenüber dem Fremden ist als Voraussetzung des Lernens in eigener Sache zu bestimmen. Im Sinne einer nach außen gerichteten Apologetik wäre zweierlei zu konstatieren: Zum einen mag Religion opak wirken (weil sie Unübertragbares enthält), sie ist aber zunächst nur die individuelle Seite der allgemeinen humanen Verfassung. Was opak erscheint, ist somit nicht notwendigerweise irrelevant oder inkommensurabel. Religion ist kommunikabel und folglich ist sie auf ihre interne Logik zu befragen. Und das ist möglich, weil Religiosität an der kulturellen Entwicklung des Menschen Anteil hat, sprachlich verfasst ist und bezogen auf das Ganze bleibt. Wollen Religionen ihre Überzeugungen nach außen geltend machen, müssen sie zum anderen verdeutlichen können, wie sie einen Beitrag zum Verhältnis von Individualität und Allgemeinheit leisten – wie sie also ihren ästhetischen Wert und ihre ethische Relevanz erzeugen. An welchen Fragen ist nun weiterzuforschen? Die intrikate Wechselbeziehung zwischen Individualität und Allgemeinheit ist im Kern die Ausarbeitung einer Freiheitsidee. Die institutionalisierte Auseinandersetzung der Religionen gehört mit zur Verwirklichung von Freiheit in einer modernen Gesellschaft. Dabei stellt die Religion eine besonders verwundbare Stelle humaner Selbstbezogenheit dar: nämlich ihre Unübertragbarkeit. Hier begegnen sich Menschen selbst; hier drückt sich das Humane in seinem Selbstbezug aus; hier kommen Personen sich selbst am nächsten. Es ergibt sich daraus die Notwendigkeit, diesen Raum der Individualität besonders zu bewahren. Dieser Schutz ist durch den Bezugsrahmen des gesellschaftlichen Gesamtgefüges gegeben. Der Streit der Religionen ist folglich eine Form der Verständigung, der als Zivilisierung der Religionen im Rahmen der gesellschaftlichen Entwicklung angesehen werden kann. Diese Zivilisierung ist mit weitreichenden Problemen verbunden: Einerseits betreffen diese eine präzisere Bestimmung der Konflikte selbst, andererseits sind die Einheitsmomente genauer zu erfassen. Beiden Seiten ist abschließend nachzugehen. Auf der einen Seite wäre nach der Ausdifferenzierung einer Konfliktkultur zu fragen. Wie erwähnt, entwickelt Schleiermacher selbst die kategoriale Differenzierung zwischen dem reinen Denken, dem geschäftsmäßigen Denken und dem künstlerischen
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Denken. Die Frage ist, ob sich hieraus eine hilfreiche Dreiteilung für die Geltungsansprüche religiöser Überzeugungen ergäbe. Während im reinen Denken in diesem Fall die religiösen Ansprüche gezielt auf die dauerhaften Züge des Humanen befragt würden, stünden im geschäftsmäßigen Denken die Zwecke der Religionen im Mittelpunkt und im künstlerischen Denken würde sich die Mitteilung ihrer Begeisterung entfalten. Alle drei Ebenen wiesen einen kommunikativen Anspruch auf, sie wären aber analytisch zu trennen. Die Ausdifferenzierung der Gesprächsweisen hätte den Vorteil, dass deutlich markiert würde, was eine religiöse Auseinandersetzung bezwecken sollte. Soll sie im Rahmen akademischer Tätigkeit geführt werden? Oder vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Differenzen? Oder gar im Zusammenhang mit einem kontemplativen Austausch? Würde diese Ausdifferenzierung des Dauerstreits beachtet, könnten die Religionsgespräche deutlich entlastet und fokussiert werden. Darüber wäre an geeigneter Stelle näher nachzudenken. Auf der anderen Seite müssten über die Ausdifferenzierung hinaus die Einheitsmomente des Dauerstreits in den Blick genommen werden. Hierbei wäre zweierlei zu beachten: erstens der Rahmen des gesellschaftlichen Zusammenlebens und zweitens die sprachliche Verfassung der Vernunft selbst.⁴⁹ An dieser Stelle können lediglich einige Bemerkungen zum gesellschaftlichen Zusammenhalt gemacht werden. Schleiermacher lässt uns im Dunkeln, wie sich der Religionsdiskurs in der gesellschaftlichen Wirklichkeit abspielen sollte. Zudem hatte er sicherlich keine Vorstellung von sich gegenwärtig radikal individualisierenden und hybridisierenden Religionen. Eine solche Pluralität ist zwar theoretisch von den Reden her denkbar, aber die aktuelle Entwicklung hätte ihn vermutlich überrascht. Dennoch wäre mit Schleiermacher zu konstatieren, dass der Diskurs der Religionen für die Gestaltung der gemeinsamen Wirklichkeit von Relevanz ist und bleibt. Auch die individuellen und hybriden Formen der Religion nehmen Anteil an der allgemeinen Kultur, und alle Formen der Religion wirken auf die gemeinsame Kultur ein. Deshalb ist genau zu bedenken, wie in einer Gesellschaft der radikalen Pluralität der Religion in Zukunft zu begegnen ist. Der Diskurs hat dabei einerseits einen ästhetischen Sinn: Menschen teilen anderen mit, wer sie sind und wer sie sein wollen. Er hat andererseits einen ethischen Sinn, weil er die Verhältnisbestimmung von Allgemeinheit und Individualität zum Ziel hat. Zu-
49 Um sowohl über die Ausdifferenzierung als auch über die Einheitsmomente weiter nachdenken zu können, wäre die Theorie kommunikativen Handelns von Jürgen Habermas zu berücksichtigen (Habermas 1981, 113), die gewissermaßen Intuitionen Schleiermachers weiterentwickelt. Dabei werden die hier anvisierten, zwei im Richtungssinn gegensätzlichen Bestrebungen berücksichtigt. Habermas betont die Ausdifferenzierung der Rationalitätsmomente als Möglichkeitsbedingung für eine Kritik des Zusammenlebens. Kognitiv-instrumentelle Wahrheit, moralisch-praktische Richtigkeit und ästhetisch-expressive Wahrhaftigkeit werden von verschiedenen Expertenkulturen und in unterschiedlichen Funktionssystemen autonom verwaltet: in Wissenschaft, Moral, Recht und Kunst. Zugleich beachtet er die einheitsstiftende Funktion der Vernunft. Wird nur die Differenzierung vorangetrieben, führt sie zur Auszehrung der Lebenswelt und zur Diffusität des Miteinanders. Die verschiedenen Rationalitäts- und Geltungsansprüche müssen als Einheit in der Differenz betrachtet werden. In der Vermittlung dieser Einheit besteht die Aufgabe der kommunikativen Vernunft.
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gespitzt wäre zu konstatieren, dass ohne den Streit um die Religion und ohne den Konflikt um die jeweiligen Vorstellungen des Ganzen eine freiheitliche Gesellschaft nur bedingt möglich wäre. Denn diese wird die individuellen Ganzheitsvorstellungen ihrer Mitglieder wahrnehmen wollen. An ihren Vorstellungen und somit an der Auseinandersetzung mit Religion lässt sich Freiheit erlernen.
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Mario Berkefeld
Der ewige Streit der Religion mit sich selbst. Zu Ernst Cassirers Schleiermacher-Rezeption in der Philosophie der symbolischen Formen Abstract: At a crucial point of his theory of religion in the Philosophy of Symbolic Forms, Ernst Cassirer refers affirmatively to Schleiermacher’s On Religion. For him, Schleiermacher’s conception represents the best example of philosophically enlightened religion. In contrast to mythical thinking, religion is aware of the symbolic form of its expression despite its reliance on sensuous signs which can hardly be distinguished from myth. This awareness manifests itself in a constant dialectical unrest of symbol construction and destruction. The reference to Schleiermacher in this context is puzzling because Schleiermacher does not otherwise play a significant role in Cassirer’s philosophy. I argue that Cassirer’s reference to Schleiermacher alludes to an exchange between Paul Natorp and Hermann Cohen about religion and their contradictory assessments of Schleiermacher. This perspective lends credence to the lasting cultural significance of religion in Cassirer’s philosophy precisely because of its permanent unrest.
Der Streit über Religion wird nicht nur von außen an sie herangetragen, vielmehr steht das religiöse Bewusstsein in einem Dauerkonflikt zwischen seinen Sinngehalten und dessen bildlichen Ausdrucksformen. Religion ist für ihre Kommunikation auf Ausdrucksgestalten angewiesen, die zugleich als inadäquat gewusst werden. Daraus entspinnt sich in ihr ein konfliktreicher Prozess von Symbolaufbau und Symbolzerstörung, ein unerfüllbares Hinausdrängen über die Bildlichkeit im Medium des Bildes. So führt Ernst Cassirer die Religion im Mythos-Band seiner Philosophie der symbolischen Formen ein und beruft sich dabei auf die Religionstheorie Schleiermachers.¹ Indem sich in der Religion ein Konflikt zwischen symboltranszendentem Sinn und seinem defizitären, aber unumgänglich symbolischen Ausdruck vollzieht, gewinnt sie ein Bildlichkeitsbewusstsein, das eine neue, freiere Einstellung zu der eigenen Symbolwelt erlaubt, so eine wertvolle Funktion in der Kulturgeschichte übernommen hat und damit an einem Befreiungsprozess des Menschen partizipiert. Dieser skizzierte dialektische Grundzug der Religion in Cassirers Philosophie hat religionsphilosophisches und theologisches Interesse geweckt; vermag er doch ein konstruktives Verhältnis von Religion und Kultur, eine hohe kulturgeschichtliche Bedeutsamkeit der Religion und eine kritische Haltung gegenüber allzu unmittelbaren Geltungsansprüchen religiöser Vorstellungswelten zu verbinden. Zugleich ist zu kon-
1 Vgl. Cassirer ECW 12, 275 – 306. https://doi.org/10.1515/9783111128801-012
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statieren, dass Cassirer keine ausgearbeitete Religionstheorie vorgelegt hat. Die ergiebigste Adresse bleibt das Kapitel „Die Dialektik des mythischen Bewusstseins“, die als ein – zwar gewichtiges – Unterkapitel einer Philosophie der Mythologie bestenfalls eine religionstheoretische Skizze bietet. So verwundert es nicht, dass die knappe Textbasis vor Interpretationsherausforderungen stellt: Insbesondere für eine evangelisch-theologische Perspektive überrascht dabei eine prominente, aber in Cassirers Werk sehr rare Berufung auf Schleiermacher. Was Cassirer als spezifisches Merkmal religiöser Symbolbildung ansieht, komme in Schleiermachers Religionsphilosophie zu klarem Ausdruck. Ziel meines Aufsatzes ist es, diese Berufung auf Schleiermacher in Cassirers Philosophie der symbolischen Formen zu erhellen. Meine These ist, dass sie gerade auf einen religionsphilosophischen Diskurszusammenhang mit seinen Lehrern des Marburger Neukantianismus, Hermann Cohen und Paul Natorp, schließen lässt. Dies ist womöglich überraschend, wenn man sich zum einen die bisweilen fundamentalen Differenzen in den theoretischen Annäherungen an das Thema Religion zwischen Cohen, Natorp und Cassirer vor Augen führt. In keinem Themengebiet scheint das Band des Marburger Schulzusammenhangs, das der Cassirer der Hamburger Philosophie der symbolischen Formen ohnehin gelöst wusste, loser zu sein.² Zum anderen lassen die SchleiermacherDeutungen der drei Philosophen keine intensiven Schleiermacher-Studien erahnen. Nichtsdestotrotz versuche ich plausibel zu machen, dass Cassirers Religionsphilosophie vor dem Hintergrund einer Alternative interpretiert werden kann, die sich an den Schleiermacher-Bildern Natorps und Cohens zeigt, und dies, obwohl Schleiermachers Denken bei Natorp und Cohen mehr Projektionsfläche als systematische Grundlage ist. Mit diesem Anliegen rekonstruiere ich zunächst Grundzüge der „Dialektik des mythischen Bewusstseins“ vor dem Hintergrund von Grundkoordinaten Cassirers Mythos-Philosophie. Im Anschluss soll seine Berufung auf Schleiermacher erhellt werden. Sie verweist – so die These – auf die Religionsphilosophien von Natorp und Cohen, deren Grundzüge deshalb in den Blick genommen werden sollen. Abschließend werde ich als kurzen Ausblick eine vor dem Hintergrund der Alternative von Natorp und Cohen eröffnete Interpretation von Cassirers religionsphilosophischen Überlegungen skizzieren, die einer bleibenden und produktiven Kulturbedeutung der Religion das Wort redet und gerade dafür eine konfliktäre Grundstruktur religiösen Bewusstseins voraussetzt.
2 1917 schrieb Cassirer an Paul Natorp: „Mit der Marburger ‚Schule‘ wird es nachgerade eine eigene Sache. Der eigentliche äusserliche Schulzusammenhang lokkert sich mehr und mehr; aber je mehr Jeder von uns auf eigenem Wege fortzugehen sucht, um so mehr nähern wir uns zuletzt wieder in den Problemen und Aufgaben. Und das ist am Ende doch die beste und sicherste Bestätigung unseres Zusammenhangs, die wir uns wünschen können“ (Cassirer 2009, 30).
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1 Der Mythos als Mutterboden der Kultur Mit seiner Philosophie der symbolischen Formen hat Cassirer eine umfassende kritische Phänomenologie der Kultur vorgelegt. Sie versucht das kantische Programm einer Kritik der Vernunft zu einer „Kritik der Kultur“³ fortzubilden, indem sie die vielseitigen Formen menschlicher Weltgestaltung und Sinnbildungen in die „symbolischen Formen“ Mythos, Religion, Kunst, Wissenschaft, Sprache usw. differenziert und analysiert. Damit beerbt Cassirer einerseits die transzendentalphilosophische Grundthese, dass das gesamte menschliche Selbst- und Weltverhältnis sich funktionaler Konstitutionsleistungen verdankt: „Nichts ist gegeben, das nicht gemacht wäre“.⁴ Andererseits bricht er mit dem neukantianischen Versuch, jene Konstitutionsleistungen vollständig in einer Wissenschaftsarchitektonik aus Logik, Ethik, Ästhetik und Psychologie abzubilden. Cassirer geht von einer Mehrdimensionalität der Kultur aus, die Rationalität nicht allein von wissenschaftlichen Weltzugängen erwartet, sondern in den Symbolsystemen der Kultur unterschiedlichen Formungen von Subjektivität und Objektivität erblickt, die sich nicht aufeinander reduzieren lassen.⁵ Jede symbolische Form ist eine „geistige Auffassungsweise“, die eine „eigene Seite des ‚Wirklichen‘“ konstituiert.⁶Allerdings versteht sich die Philosophie der symbolischen Formen zugleich als kritische Anknüpfung an Georg Wilhelm Friedrich Hegels Phänomenologie des Geistes. Sie ist ein Zugriff auf die Struktur des menschlichen Geisteslebens im Durchgang durch die vielfältigen konkret geschichtlichen Formen seines Wirkens. Dabei übernimmt Cassirer ein Progressionsmodell, das entwicklungsgeschichtliche Übergänge zwischen symbolischen Formen, wie zum Beispiel vom naiven Mythos zum wissenschaftlichen Logos insinuiert. Die Verbindung von Mehrdimensionalitätsthese und Progressionsmodell führen allerdings zu Spannungen in der Philosophie der symbolischen Formen, die sich insbesondere in der Mythos-Philosophie niederschlagen. Aus ihnen ergibt sich ein zwiefältiger Mythos-Begriff: Einerseits steht er für eine auch gegenwärtige Dimension der Kultur, andererseits für ein ursprüngliches Entwicklungsstadium aller symbolischer Formen.⁷ Als „Mutterboden der Kultur“ bildet der Mythos den Ausgangspunkt menschlicher Kultur und die Geburtsstätte menschlichen Geisteslebens.⁸ Von ihm ausgehend beschreibt Cassirer einen Prozess kultureller Differenzierung, in dem sich Religion, Wissenschaft, Kunst, Geschichte und andere Gebiete symbolischer Formbildung als selbstständige Kultursphären herausbilden. In all diesen symbolischen Formen prägen mythische Denkstrukturen ein frühes Entwicklungsstadium. Gerade diese MutterbodenThese versteht Cassirer als Korrektur des Hegel’schen Phänomenologie-Programms.
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Cassirer ECW 11, 9. Moxter 2000, 108. Vgl. Moxter 2000, 106 – 115. Cassirer ECW 11, 7. Vgl. Richter 2000, 10. Vgl. Cassirer ECW 12, 1.
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Während Hegel seine Phänomenologie beim sinnlichen Bewusstsein als einen unmittelbaren Geist ansetzen lässt und von dort den langen Weg des Geistes zum absoluten Wissen nachvollzieht, sind es nach Cassirer mythische Anschauungen, die den Ausgangspunkt bilden müssen.⁹ Daran zeigt sich, wie konsequent Cassirer die Unhintergehbarkeit symbolischer Vermittlung menschlichen Selbst- und Weltzugangs begreift. Der Mensch lebt stets in einer phänomenalen Wirklichkeit, in der Sein und Bedeutung synthetisiert sind. Die Rede von Sinnlichkeit jenseits sinnhafter Formung kann es bestenfalls durch künstliche Abstraktion geben. Ursprünglich dem Bewusstsein gegeben ist sie nie. „Für uns jedenfalls steht fest, daß ‚Sinnliches‘ und ‚Sinnhaftes‘ uns rein phänomenologisch immer nur als ungeschiedene Einheit gegeben sind.“¹⁰ So ist auch der Mythos als „Mutterboden der Kultur“ eine ursprüngliche Formgebung, die Sinn und Sinnlichkeit immer schon synthetisiert hat. Nach Cassirer ist der mythischen Synthese von Sinn und Sinnlichkeit eine eigene Form von Rationalität eigen, die begriffliche Kohärenz konterkariert und daher einer wissenschaftlichen Perspektive als primitiv erscheinen mag. „Ihre Kohärenz allerdings beruht eher auf einer Einheit des Fühlens als auf logischen Regeln.“¹¹ Diese Gefühlsstruktur mythischen Denkens führt zu der Tendenz, Beziehungen als dingliches Einerlei zu behandeln. Ein ritueller Tänzer beispielsweise wird nicht als Darstellung einer Gottheit wahrgenommen, sondern er wird im Tanz zu dieser Gottheit.¹² Dieses „Gesetz der Konkreszenz oder Koinzidenz der Relationsglieder“¹³ prägt das mythische Denken und lässt Ideelles als unmittelbare Präsenz anmuten. Sinn drückt sich dabei in der Unterscheidung von Heiligem und Profanem aus, die Cassirer im expliziten Anschluss an Rudolf Otto zur mythisch-religiösen Urkategorie erhebt.¹⁴ Sie erlaubt es, Wirklichkeitswahrnehmung und soziale Strukturen unter Einbeziehung einer präreflexiven Gefühlsebene zu kommunizieren. Es kann als ein wichtiger Impuls Cassirers gelten, dem mythischen Denken mit diesen Überlegungen eine eigenständige kulturelle Bedeutsamkeit abzuringen. Nichtsdestotrotz bleibt der Unmittelbarkeitsanspruch ihrer Synthesen problematisch. Sie ist kein Mangel symbolischer Vermittlung, sondern ein mangelndes Bewusstsein der Symbolizität menschlichen Selbst- und Weltverhältnisses. Das mythische Denken ist dadurch gekennzeichnet, dass seine selbst erzeugten Zeichen nicht als Zeichen gewusst werden, sondern sie ihm als eigene Realität gegenüberstehen. Es fehlt ein Differenzbewusstsein zwischen Bild und Sache. So kann Cassirer mythisches Denken auch als unbewusste Fiktion mit dem Glauben an die unmittelbare Präsenz der
9 „Denn der eigentliche Ausgangspunkt für alles Werden der Wissenschaft, ihr Anfang im Unmittelbaren, liegt nicht sowohl in der Sphäre des Sinnlichen, als in der der mythischen Anschauung“ (Cassirer ECW 12, XIII). 10 Cassirer ECW 17, 253 – 282, hier 259 („Das Symbolproblem und seine Stellung im System der Philosophie“). 11 Cassirer 2007, 129. 12 Vgl. Cassirer ECW 12, 48. 13 Cassirer ECW 12, 78. 14 Vgl. Cassirer ECW 12, 89.
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fiktionalen Gegenstände fassen.¹⁵ Dieser Mangel an Symbolbewusstsein des mythischen Denkens bildet den Ausgangspunkt von Cassirers Progressionsmodell, das in und zwischen anderen symbolischen Formen eine Entwicklung hin zur Selbstdurchsichtigkeit der symbolischen Verfasstheit menschlichen Selbst- und Weltverhältnisses erblickt: So stellt sich im Verhältnis des Mythos, der Sprache und der Kunst, so sehr ihre Gestaltungen in den konkreten geschichtlichen Erscheinungen unmittelbar ineinandergreifen, doch ein bestimmter systematischer Stufengang, ein ideeller Fortschritt dar, als dessen Ziel es sich bezeichnen läßt, daß der Geist in seinen eigenen Bildungen, in seinen selbstgeschaffenen Symbolen nicht nur ist und lebt, sondern daß er sie als das, was sie sind, begreift.¹⁶
Im Geiste von Hegels Phänomenologie ist es Cassirer nicht nur darum zu tun, den Mythos als „Mutterboden der Kultur“ begreiflich zu machen, sondern auch innerhalb der mythischen Bewusstseinsstrukturen selbst eine Triebkraft auszufinden, die den Progress aus dem mythischen Bewusstsein über den Mythos hinaus verstehen lässt. Sie „enthält die Möglichkeit eines geistigen Befreiungsprozesses, der sich im Fortschritt von der Stufe der magisch-mythischen Weltansicht zur eigentlich religiösen Weltansicht tatsächlich vollzieht.“¹⁷ Dies ist der systematische Ort der „Dialektik des mythischen Bewusstseins“ und zugleich von Cassirers Religionstheorie.
2 Die Geburt der Religion aus der „Dialektik des mythischen Bewusstseins“ Mit seiner Konzeption einer „Dialektik des mythischen Bewusstseins“ versucht Cassirer, einen „Ursprung der Bewegung“¹⁸ im mythischen „Mutterboden der Kultur“ zu erfassen. Er soll begreiflich machen, wie sich aus dem mythischen Bewusstsein heraus ein kultureller Differenzierungsprozess entspinnen kann. Einen solchen Ursprung identifiziert Cassirer in antagonistischen Momenten mythischer Symbolproduktion. Mythische Symbolbildung hat nach Cassirer einen Hang zu Identitätssetzungen zwischen Zeichen und Bezeichnetem. Zeichen scheinen hier nicht zu repräsentieren, sondern werden als unmittelbare Präsenz des Vermeinten gesetzt. Derartige symbolische Verkörperungen müssen aufgrund des Hangs zur Einheit mythischen Denkens andere Verkörperungen verneinen. Der Aufbau mythischer Symbolwelten vollzieht sich also nicht harmonisch, sondern konfliktär als dialektischer Prozess, bei dem Symbolbildung und -zerstörung Hand in Hand gehen. „Dem stetigen Aufbau der mythischen Bildwelt entspricht das stete Hinausdrängen über sie: Derart jedoch, daß beides, die Position wie die Negation, der Form des mythisch-religiösen Bewußtseins selbst angehören und sich
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Vgl. Cassirer 2007, 119 – 121. Cassirer ECW 12, 32. Cassirer 1924, 52 (zur „Philosophie der Mythologie“). Cassirer ECW 12, 277.
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in ihm zu einem einzigen unteilbaren Akt zusammenschließen.“¹⁹ Frühere Ausdrucksformen werden in diesem Prozess als dem eigenen Ausdruckswillen inadäquat erkannt und dadurch veräußert.²⁰ Darin spricht sich ein aufkeimendes Differenzbewusstsein zwischen Zeichen und vermeintem Sinn aus. Die symbolische Selbst- und Welterschlossenheit des mythischen Bewusstseins beginnt sich seiner unumgänglichen Symbolizität bewusst zu werden. So vollzieht sich im mythischen Denken selbst eine Krisis, ein Reflexivwerden mythischer Denkstrukturen, die beginnen, ihre eigene Grundverfasstheit zu transformieren. So entäußert sich das mythische Denken nicht seiner Bildwelten, sondern gewinnt ihnen gegenüber eine neuartige Einstellung. Diese neuartige Einstellung besteht in dem Differenzbewusstsein von Zeichen und Bezeichnetem, von Präsenz und Repräsentation. Ist sie erreicht, ist nach Cassirer der Übergang vom Mythos zur Religion vollzogen. Cassirer führt Religion also als funktionalen Entwicklungsschritt mythischen Denkens ein, der die „Dialektik des mythischen Bewusstseins“ bewusst vollzieht. Die Religion bleibt an mythische Motive gebunden. Dem Inhalt nach ist sie kaum von einer mythischen Symbolwelt zu unterscheiden. Sie trägt diese Inhalte jedoch in einer vom Mythos fundamental unterschiedenen ideellen Form in sich. Die neue Idealität, die neue geistige ‚Dimension‘, die durch die Religion erschlossen wird, verleiht nicht nur dem Mythischen eine veränderte ‚Bedeutung‘, sondern sie führt geradezu den Gegensatz zwischen ‚Bedeutung‘ und ‚Dasein‘ erst in das Gebiet des Mythos ein. Die Religion vollzieht den Schritt, der dem Mythos als solchem fremd ist: Indem sie sich der sinnlichen Bilder und Zeichen bedient, weiß sie sie zugleich als solche – als Ausdrucksmittel, die, wenn sie einen bestimmten Sinn offenbaren, notwendig zugleich hinter ihm zurückbleiben, die auf diesen Sinn ‚hinweisen‘, ohne ihn jemals vollständig zu erfassen und auszuschöpfen.²¹
Die Religion markiert einen kulturellen Entwicklungsschritt, der ein Differenzbewusstsein zwischen Dasein und Bedeutung, zwischen Sinn und Sinnlichkeit, gewinnt und befördert. Das biblische Bilderverbot führt Cassirer hierfür als zentrales Beispiel an. Indem die Religion die Dialektik des mythischen Bewusstseins bewusst vollzieht, partizipiert sie zugleich an dessen antagonistischer Grundstruktur, die auch religiöses Bewusstsein in bleibende Unruhe versetzt. „Demgegenüber bleibt das religiöse Bewußtsein dadurch gekennzeichnet, daß in ihm der Konflikt zwischen dem reinen Sinngehalt, den es in sich faßt, und zwischen dem bildlichen Ausdruck ebendieses Gehalts niemals zur Ruhe kommt, sondern daß er in allen Phasen seiner Entwicklung stets aufs neue hervorbricht.“²² Diese Unruhe religiösen Bewusstseins ergibt sich durch das bleibende Festhalten an dem „Problem der ‚Existenz‘“.²³ Nach Cassirer kommt Religion nicht umhin, trotz allem Differenzbewusstsein von Dasein und Bedeutung nach 19 20 21 22 23
Cassirer ECW 12, 277. Vgl. Cassirer ECW 12, 276. Cassirer ECW 12, 280. Cassirer ECW 12, 294. Cassirer ECW 12, 305.
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einem transzendenten Dasein der Bedeutung zu fragen, das in den religiösen Bildwelten zwar nicht erreicht wird, aber stets adressiert bleibt. Gerade dieses Festhalten an einer irgendwie gearteten transzendenten und korrespondierenden Wirklichkeit religiöser Symbole versetzt religiöse Symbolproduktion in ihre produktive Unruhe. Damit bleibt nach Cassirer der Beitrag der Religion zum kulturellen Selbstbefreiungsprozess des Menschen allerdings ambivalent. Religion erringt ein für alle Symbolisierung essenzielles Differenzbewusstsein von Sinn und Sinnlichkeit, von Präsenz und Repräsentation. Vor dem Hintergrund einer Ausrichtung auf ein letztes Dasein, das allem Sinn zugrunde liegt, setzt sie jedoch eine Oszillation zwischen symbolischer Positivität und Negativität fort. Alles kann zum Symbol zum vermeinten Sinn werden, da nichts den vermeinten Sinn erschöpft, und nichts kann deshalb echtes Symbol bleiben. Bei aller Betonung der gesamtkulturellen Relevanz der Religion als Entwicklungsstufe mythischen Bewusstseins bleibt es in Cassirers Mythos-Band in dieser Ambivalenz eigentümlich offen, ob der Religion auch bleibend diese kulturelle Funktion beschieden ist. Mit der Kunst deutet Cassirer eine weitere kulturelle Bearbeitungsform mythischer Bildwelten an, die ein befreiendes Differenzbewusstsein vollzieht und zugleich die bleibende Unruhe religiösen Bewusstseins zu überwinden verspricht: „Erst wenn wir von der mythischen Bildwelt und von der Welt des religiösen Sinnes auf die Sphäre der Kunst und des künstlerischen Ausdrucks herüberblicken, zeigt sich der Gegensatz, der die Entwicklung des religiösen Bewußtseins beherrscht, wenn nicht aufgehoben, so doch gewissermaßen beruhigt und beschwichtigt.“²⁴ Im Gegensatz zum mythischen Denken, das in seiner Bildwelt unmittelbare substanzielle Wirklichkeit erblickt, und auch im Gegensatz zur Religion, die dieser Bildwelt einen geistigen Sinn abgewinnt, aber davon abgeleitet immer wieder auf die Frage nach der Wirklichkeit ihrer Gegenstände zurückgeworfen ist, stellt das ästhetische Bewusstsein keine Frage nach substanzieller Wirklichkeit jenseits der eigenen schöpferischen Kraft, die in ihren Bildwelten Ausdruck findet. Die Kunst weiß um die nur scheinhafte Wirklichkeit ihrer Werke und erkennt in der Gesetzlichkeit dieses Scheins die große Freiheit menschlicher Symbolproduktion. Die Kunst markiert den Fortschritt hin zu einer rein immanenten Bedeutung mythischer Bildwelt. Cassirers Andeutungen zur Kunst am Ende seiner Philosophie der Mythologie schillern eigentümlich zwischen einer Ablösung der Religion und einer bloßen Stillstellung der Religion durch Kunst.²⁵
24 Cassirer ECW 12, 305. 25 Michael Moxter hat deutlich auf zwei Lesarten hingewiesen, die Cassirers Ausführungen eröffnen und zwischen denen sich textimmanent nicht sicher unterscheiden lässt. Eine Ablösung der Religion durch die Kunst würde Cassirers Mehrdimensionalitätsthese widerstreiten. Ein Festhalten an einer bleibenden kulturellen Funktion der Religion als Bearbeitung einer Spannung von gesetzter Form und Bedeutung ist jedoch nicht eindeutig durch die Ausführungen Cassirers indiziert, vgl. Moxter 2000, 152 – 153.
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3 Cassirers Schleiermacher-Rezeption Die neue Idealität der Religion gegenüber dem mythischen Bewusstsein sieht Cassirer in aller Deutlichkeit in der Religionsphilosophie von Schleiermachers Reden ausgesprochen. „Alles Einzelne als einen Teil des Ganzen, alles Beschränkte als eine Darstellung des Unendlichen hinzunehmen, das ist nach Schleiermacher Religion.“²⁶ Mit dieser Religionsbestimmung habe Schleiermacher die Religion in Abgrenzung zum substanzialistischen Symbolverständnis des mythischen Denkens auf den Begriff gebracht. An dieser affirmativen Bezugnahme auf Schleiermacher überrascht zunächst, dass sie überhaupt in Cassirers Werk auftritt. Lässt die geistesgeschichtlich sonst so umfassend informierende Philosophie Cassirers doch kaum eine Auseinandersetzung mit der Philosophie und Theologie von Schleiermacher erkennen.²⁷ Letzterer begegnet gelegentlich als Platon-Übersetzer;²⁸ er wird als Gefühlstheologe rubriziert,²⁹ einem romantischen religiösen Universalismus zugeordnet, der eine Pluralität von Bekenntnisund Kultformen integriert,³⁰ und als affirmativer Rezipient Baruch de Spinozas gewürdigt, der einer Verleumdung Spinozas als Atheisten entgegengewirkt hat.³¹ Diese vereinzelten Bemerkungen lassen weder auf eine intensive Beschäftigung mit dem Denken Schleiermachers schließen, noch zeichnen sie ein klares Bild davon, wie Cassirer Schleiermacher auslegt. Auch die Ausführungen am Ende des Mythos-Bandes der Philosophie der symbolischen Formen geben bestenfalls Indizien, warum Schleiermachers Religionstheorie so prominent herangezogen wird. Hier stellt Cassirer Schleiermachers Reden an den Gipfel einer Entwicklungslinie des Wunderbegriffs. Bereits in mittelalterlicher Mystik beobachtet Cassirer in Anschluss an seinen Marburger Doktorbruder und Hamburger Kol-
26 Cassirer ECW 12, 304. 27 Systematisch hätte eine Schleiermacher-Rezeption Cassirers im Gebiet der umfassenden Kulturtheorie trotz gegenläufiger Pointen näher gelegen als im Gebiet der Religionsphilosophie, vgl. dazu Laube 2000, 139 – 161. 28 Vgl. Cassirer ECW 16, 313 – 467, hier 377 und 466 (Die Philosophie der Griechen von den Anfängen bis Platon). 29 Die meisten expliziten Nennungen Schleiermachers in Cassirer Werk führen ihn en passant als Gefühlstheologen auf, vgl. Cassirer ECW 4, 289; Cassirer ECW 5, 351; Cassirer ECW 18, 255 – 264, hier 258 („Hermann Cohens Philosophie der Religion und ihr Verhältnis zum Judentum“; Cassirer ECW 24, 161 – 173, hier 169 („Hermann Cohen. 1842 – 1918“). Im späten Essay on Man stellt Cassirer Schleiermacher in eine Reihe von Philosophen und Anthropologen, die in dem Abhängigkeitsgefühl die letzte Quelle der Religion erblicken, vgl. Cassirer 2007, 144. 30 Vgl. Cassirer 2002, 243; Cassirer ECW 24, 251 – 265, hier 263 (The Myth of the State). Als ideengeschichtlichen Vorläufer für Schleiermachers universalistische religionstheoretische Offenheit hat Cassirer Gotthold Ephraim Lessing angeführt, vgl. Cassirer ECW 17, 9 – 113, hier 111 („Die Idee der Religion bei Lessing und Mendelssohn“). 31 Vgl. Cassirer ECW 18, 177– 202, hier 192 („Spinozas Stellung in der allgemeinen Geistesgeschichte“). Johann Gottfried Herder wird von Cassirer als entscheidender Wegbereiter dieser Öffnung für das Denken Spinozas bestimmt, vgl. Cassirer ECW 24, 37– 51, hier 49 („Thorild und Herder“).
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legen Albert Görland eine neue Idealität des gesamten religiösen Weltzugangs.³² Keine einzelnen partikularen Vorkommnisse der Welt werden als göttliche Offenbarung und damit herausgehobenes Wunder gewertet, sondern das Ganze der Welt und der Seele wird zum religiösen Gleichnis. Hier wird ein Schritt zu einer holistischen Symbolizität der Welt vollzogen, der erst in philosophischer Reflexion zu voller Klarheit gelangt. Gerade im Denken von Gottfried Wilhelm Leibniz und im Speziellen seiner Monadenlehre werde dies philosophisch durchdrungen.³³ Nicht einzelne Vorkommnisse des Seins gelten hier als Symbol, vielmehr wird der lückenlose gesetzliche Zusammenhang der Wirklichkeit zu einem umfassenden Symbol für den vermeinten Sinn. „Im System der universellen Harmonie gibt es keine ‚Wunder‘ mehr: Wohl aber bedeutet die Harmonie selbst das dauernde und allgemeine Wunder, das alle besonderen in sich aufhebt und sie dadurch ‚absorbiert‘.“³⁴ Diese holistische Symbolizität der Wirklichkeit werde in Schleiermachers Reden systematisch weiterentwickelt. Für dieses Urteil beruft sich Cassirer auf den Wunderbegriff der Reden: Was ist denn ein Wunder! Sagt mir doch in welcher Sprache […] es denn etwas anders heißet als ein Zeichen, eine Andeutung? Und so besagen alle jene Ausdrücke nichts, als die unmittelbare Beziehung einer Erscheinung aufs Unendliche, aufs Universum; schließt das aber aus, daß es nicht eine ebenso unmittelbare aufs endliche und auf die Natur gibt? Wunder ist nur der religiöse Name für Begebenheit, jede, auch die allernatürlichste, sobald sie sich dazu eignet, daß die religiöse Ansicht von ihr die herrschende sein kann, ist ein Wunder.³⁵
Cassirer sieht hier einen expliziten Durchbruch eines rein funktionalen Verständnisses religiöser Symbolisierung, das Dinge nicht als religiöses Symbol wertet, da ihnen irgendwelche substanziellen Merkmale eignen, sondern ganz von der geistigen Einstellung zu diesen Dingen zehrt. Die religiöse Symbolwelt selbst wird nicht mehr als eine objektive Realität gewertet. So kann alles zum religiösen Symbol werden, und nichts ist per se religiöses Symbol. Darin hat Religion einerseits die mythische Bildwelt in einer höchsten geistigen Entwicklungsstufe auf ihre Symbolstruktur hin durchsichtig gemacht, andererseits reflektiert sich darin eine grundlegende Spannung von Bild und Bedeutung, die sich in einem symbolischen Verständnis aller Wirklichkeitswahrnehmung äußert. „Nicht was es ist und woher es unmittelbar stammt, sondern der geistige Aspekt, unter den es tritt, die ‚Beziehung‘ auf das Universum, die es im religiösen Gefühl 32 Vgl. Cassirer ECW 12, 302. Cassirer zitiert hier Görland 1922, 263 – 264. Görland arbeitet sich in seiner Religionsphilosophie überwiegend kritisch an Schleiermachers Konzeption des „Gefühls schlechthinniger Abhängigkeit“ ab und versucht, ein spezifisch religiöses Erleben herauszuarbeiten, das nicht auf dem schlechthinnigen Abhängigkeitsgefühl basiert, sondern umgekehrt ihm als Möglichkeitsbedingung vorausliegt, vgl. Görland 1922, 68. 33 Auf die hohe systematische Prägekraft von Leibniz für die Philosophie der symbolischen Formen hat Massimo Ferrari hingewiesen. Zentral ist hierbei die in Leibnizʼ characteristica universalis kulminierende Verschränkung von Semiotik und Epistemologie, vgl. Ferrari 2003, 163 – 182. 34 Cassirer ECW 12, 303. 35 Cassirer ECW 12, 304. Cassirer zitiert hier nach Rudolf Ottos Ausgabe Schleiermacher 1899, 66, Auslassung im Original.
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und im religiösen Gedanken erhält, gibt ihm seinen Charakter als Symbol.“³⁶ Nach Cassirer partizipiert auch Schleiermachers Religionskonzeption noch an der produktiven Unruhe mythischer Dialektik, insofern sie einerseits die Differenz von Sinn und symbolischem Sinnträger klar erkannt hat, aber andererseits auf die Angewiesenheit symbolischer Verkörperung allen Sinns hinweist. „Sie muß in dieses Dasein, das sie ihrem letzten ‚intelligiblen‘ Ziele nach von sich abzustoßen und auszustoßen strebt, ständig von neuem ein- und untertauchen, weil sie nur an ihm ihre Äußerungsform und somit ihre konkrete Wirklichkeit und Wirksamkeit besitzt.“³⁷ Religiöser Sinn vermittelt sich demnach auch bei Cassirers Schleiermacher nur in einem ewigen Streit mit ihren eigenen Ausdrucksformen. Die konfliktäre Grundstruktur zwischen Sinn und Bild ist wesentliches Merkmal religiöser Sinnbildung. Dass sich Cassirers Inszenierung von Schleiermachers Religionstheorie der Reden als Durchbruch zu einem holistischen Symbolverständnis einer problematischen Lesart verdankt, ist vielfach bemerkt worden.³⁸ Worauf sich diese Lesart zurückführen lässt, bleibt jedoch unklar. Cornelia Richter hat die begründete Vermutung einer Abhängigkeit Cassirers Schleiermacher-Bildes von Ottos Schleiermacher-Kritik vorgebracht.³⁹ Enno Rudolph vermutet aufgrund signifikanter Analogien der Deutung der gesamten Welt als Symbol Gottes, dass Cassirer vor dem Hintergrund seiner eigenen Cusanus-Deutung Schleiermacher zum Neocusaner stilisiere.⁴⁰ Meiner These zufolge schlägt eine zentrale Bemerkung von Cassirer eine andere Bresche. Dass Cassirer den religionsphilosophischen Durchbruch bei Schleiermacher vor dem Hintergrund von Leibniz identifiziert, ist zentral, denn durch diesen ideengeschichtlichen Zusammenhang sei Schleierma-
36 Cassirer ECW 12, 304. 37 Cassirer ECW 12, 305. 38 Exemplarisch können hier genannt werden: Vogl 1999, 155 – 156; Richter 2004, 272 – 276; Höfner 2008, 163. Nach Markus Höfner übergehe Cassirer gänzlich, dass Schleiermacher die Anschauung des Universums im partikularen Endlichen und nicht in einer alle Partikularität transzendierenden Gesetzlichkeit der gesamten Wirklichkeit allein ermöglicht sieht. Die Pluralität positiver Religion wird von Cassirer ganz gegen Schleiermachers Intention in einer philosophischen Religion aufgehoben. Höfner beruft sich hier auf den Hinweis Moxters, dass Cassirer Schleiermachers Unhintergehbarkeit endlicher Bestimmtheit aller Darstellungen des Unendlichen unterlaufe, vgl. Moxter 2000, 169. 39 Cornelia Richter spricht vorsichtig von dem Anschein, Cassirers Schleiermacher verdanke sich seiner Otto-Rezeption. Sie führt zwei Argumente für diese Hypothese an: Während bei Schleiermacher das Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit zwar ein Sich-in-Beziehung-Wissen zu einem Woher schlechthinniger Abhängigkeit umfasse, aber substanzielle Aussagen über dieses Woher ausgehend vom endlichen Selbst- und Weltzusammenhang ausschließe, habe Otto gefordert, das schlechthinnige Abhängigkeitsgefühl als Kreaturgefühl zu reformulieren, dass die Gewissheit, mit einer objektiven Existenz in Kontakt zu stehen, mitumfasse. So könne zum einen erklärt werden, warum Cassirer Religion auch nach Schleiermachers Religionstheorie mit der Frage nach der Existenz konfrontiert sieht. Otto hat Schleiermacher zudem vorgeworfen, das Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit nur als Gradsteigerung relativer Abhängigkeit gefasst zu haben. So erkläre sich zum anderen, warum Schleiermacher in Cassirers spätem Essay on Man als Theoretiker absoluter Abhängigkeit des Menschen vom Göttlichen dargestellt wird, vgl. Richter 2004, 272 – 276. 40 Rudolph 2000, 88.
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chers Position hinreichend von einem „naturalistischen ‚Pantheismus‘“⁴¹ unterschieden. Gerade diese Bemerkung weist eine schmale Brücke zu einem religionsphilosophischen Diskurs zwischen Cassirers philosophischen Lehrern Paul Natorp und Hermann Cohen.⁴²
4 Schleiermacher innerhalb der Grenzen der Humanität Paul Natorp ist neben Hermann Cohen die führende Gestalt des Marburger Neukantianismus und philosophischer Lehrer Cassirers. Das Programm seiner kritischen Phänomenologie des mythischen Bewusstseins hat Cassirer in der Natorp-Festschrift vorgestellt und der Mythos-Band der Philosophie der symbolischen Formen – im Todesjahr von Natorp veröffentlicht – ist seinem Andenken gewidmet. Natorp ist hier jedoch von Interesse, da er die affirmativsten Bezugnahmen auf Schleiermacher aus den Reihen des Marburger Neukantianismus zeigt. Im Herzen seiner Schrift Die Religion innerhalb der Grenzen der Humanität von 1894 entfaltet er eine an Schleiermachers Gefühlsbegriff orientierte Religionstheorie. Natorp wendet sich im sozialethischen Interesse der Religion zu. So fragt er, ob die Religion einen konstruktiven Beitrag zum Aufbau sittlicher Kultur leistet. Einen solchen durch religionsfreie Moral uneinholbaren Beitrag erblickt er ganz nach kantischem Vorbild im hoffenden Vertrauen auf die Wirklichkeit der Möglichkeitsbedingungen gelingender Sittlichkeit.⁴³ Wie Religion diesen Beitrag zur Humanität leisten kann, versucht Natorp durch eine eigenwillige Fortbildung von Schleiermacher zu rekonstruieren. Wie Schleiermacher will Natorp der Religion mit dem Gefühlsbegriff einen Ort im Bewusstsein des Menschen zuweisen, der zunächst unabhängig von Wissen und Wollen ist. Das Gefühl wird dabei nicht als einzelnes Moment des Bewusstseins, sondern als „psychische Grundkraft“⁴⁴ gefasst. „Es vertritt die ganze Innerlichkeit des seelischen Lebens, das eigentliche Selbstsein der Seele.“⁴⁵ Das Gefühl führt Natorp als Repräsentanz des Subjektpols allen intentionalen Bewusstseins ein. Alles Wissen, Wollen und alle Phantasie sind auf Objekte, wie Gegenstände oder Ziele, ausgerichtet und als Bewusstseinsakte durch diesen Objektbezug konstituiert. Das Gefühl ist hingegen dadurch gekennzeichnet, dass es – als „Mutterschoß alles Bewußtseins“⁴⁶ – Subjektivität als un-
41 Cassirer ECW 12, 304. 42 Dass Cassirers Philosophie der symbolischen Formen maßgeblich vor dem Hintergrund der religionsphilosophischen Differenzen von Cohen und Natorp gelesen werden sollte, vertritt auch Ursula Renz, sie bezieht dies jedoch primär auf Cassirers Symbolbegriff und nimmt seine Religionsphilosophie von dieser Einschätzung aus, vgl. Renz 2002, 114. 43 Vgl. Natorp 1894, 33. 44 Natorp 1894, 37– 38. 45 Natorp 1894, 38. 46 Natorp 1894, 45 – 46.
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mittelbar gewissen Grund solcher Objektbezugnahmen adressiert. „Objektivieren heißt gestalten, begrenzen, feststellen; Gefühl ist vielmehr das in sich grenzen- und gestaltlose Wogen und Bewegen, das aller Gestaltung eines Objekts vorausgeht und zu Grunde liegt; es trägt den Keim der Gestaltung in sich, aber ist für sich noch ungestaltet.“⁴⁷ Indem das Gefühl die subjektive Gegenseite zu allen intentionalen Bezugnahmen darstellt – gleichsam die Dimension reiner Subjektivität erfasst –, vertritt es die Einheit des menschlichen Geisteslebens, die alle Bewusstseinsakte ermöglicht und verbindet. Die Religion übernimmt eine kulturelle Funktion im Aufbau der Humanität, indem sie den Zusammenhalt von allem theoretischen, praktischen und ästhetischen Bewusstsein im Gefühl zur Darstellung bringt, den Natorp ,Individuität‘ nennt.⁴⁸ Damit führt das religiöse Gefühl eine Vermittlung von Sein und Sollen als subjektive Realität vor Augen.⁴⁹ Zugleich tritt Religion mit einem problematischen und gefährlichen Transzendenzanspruch an. Sie neigt zu einem „Universalitätsanspruch des Gefühls“.⁵⁰ Denn sie beansprucht im Gefühl das Unendliche zu repräsentieren. „Nicht Gefühl schlechtweg, sondern Gefühl des Unendlichen will Religion sein.“⁵¹ Nicht die intentionale Bezugnahme auf einen unendlichen Gegenstand, sondern die „Unendlichkeit des Gefühls“⁵² selbst ist es, die einen Universalitätsanspruch aus sich heraussetzt. „Das Unendliche gilt hier nicht mehr als bloßer Gesichts- oder Richtpunkt; das Gefühl ist anspruchsvoller: in unmittelbarster, lebendigster Gegenwart glaubt es eins mit ihm zu werden.“⁵³ Dieser Anspruch auf Unendlichkeitsrepräsentation bedroht den Aufbau humaner Kultur, da er die Eigengesetzlichkeit theoretischen, praktischen und ästhetischen Denkens mit fremden Motiven zu trüben droht. In ihrem Transzendenzanspruch besteht die Gefahr, dass Religion sich über Erkenntnis und Sittlichkeit hinwegsetzen will. Die unendliche Aufgabe menschlichen Erkenntnis- und Sittlichkeitsstrebens – so die Grundthese des Marburger Neukantianismus – kennt keine endgültige Sicherheit bei der Erfassung der Wirklichkeit und keine endgültig richtige Vorstellung des Guten. Der kulturelle Prozess muss kritisch offengehalten und Absolutheitsansprüche als Stillstellung dieser unendlichen Aufgabe müssen abgelehnt werden. Genau das droht jedoch durch Transzendenzansprüche religiösen Gefühls. „Das Gefühl wird immer mit demselben Einwand kommen: es ist unbefriedigend, es ist trostlos, zu sollen, was man nicht vermag, mit keiner Erkenntnis zu erreichen, was doch allein unsern Erkenntnisdrang stillen kann.“⁵⁴ Aus dieser Einsicht in eine wichtige kulturelle Leistung der Religion bei gleichzeitig mitlaufender Gefahrendiagnose fordert Natorp eine Kultivierung der Religion in den
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Natorp 1894, 45 – 46. Vgl. Natorp 1894, 62. Vgl. Renz 2002, 111. Natorp 1894, 52. Natorp 1894, 52. Natorp 1894, 52. Natorp 1894, 52. Natorp 1894, 59.
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Grenzen der bloßen Humanität. Konkret fordert er, dass die Religion als wichtige Instanz der Individuität einen festen Teil der Kultur bildet, jedoch von ihrem Transzendenzanspruch befreit werden soll. Er fordert eine reine Immanenzreligion. Dazu soll sie kritisch durch Wissenschaft und Sittlichkeit reflektiert und kontrolliert werden, sodass sie die Einheit der Person zur Geltung bringt, ohne die unendlichen Aufgaben aus Logik, Ethik und Ästhetik zu beschwichtigen. Auch Natorp erblickt darin eine Nähe der Religion zur Kunst. Kunst wird als eine alternative Form der Darstellung des Unendlichen im Endlichen genannt, die als „das erhabenste Spiel“⁵⁵ frei von substanziellen Wahrheitsansprüchen bleibt. Allerdings mangelt es der Kunst an der subjektiven Wahrheit, die dem religiösen Gefühl zukommt.
5 Schleiermacher als Pantheist Im Gegensatz zu Natorps affirmativer Revision von Schleiermachers Gefühlbegriff wird Schleiermacher von Cohen weitestgehend nur als Negativfolie der eigenen Religionstheorie herangezogen. So werden auch die erheblichen religionsphilosophischen Differenzen zwischen den beiden Häuptern des Marburger Neukantianismus deutlich, die sich nicht auf Natorps Protestantismus oder Cohens Judentum reduzieren lassen. Vielmehr kulminieren sie in einer gegensätzlichen Beurteilung von Transzendenz als Grundmoment der Religion. Bereits in Religion und Sittlichkeit von 1907 kritisiert Cohen Versuche, eine Universalität der Religion in Anschluss an Schleiermacher im Gefühl aufzusuchen.⁵⁶ Es werde so nur der „Subjektivismus des Gefühls“ in Gebrauch genommen, um „auf allen diesen Umwegen die alte Sphinx des Absoluten“ aus der „Rumpelkammer der alten Metaphysik“ zu holen.⁵⁷ Der These, dass durch das Gefühl der Religion die Einheit menschlichen Bewusstsein gesichert werde, attestiert er eine „pantheistische Zweideutigkeit“,⁵⁸ da es ihr nicht gelinge, Religion von ihrem auf Natur ausgerichteten mythischen Ursprung zu scheiden. Sie bleibe so dem Mythos als „ein Urelement, also […] ein[em] Vorelement der Kultur“,⁵⁹ verhaftet. Demgegenüber spricht sich Cohen vorerst für eine Aufhebung der Religion in die Ethik aus, die er in seiner Ethik des reinen Willens von 1904 systematisch begründet hat.⁶⁰ Erst in einem wahrhaft ethischen Verständnis von Religion, wie Cohen es paradigmatisch im alttestamentlichen Prophetismus verwirklicht sieht, habe sich Religion vom Mythos geschieden und könne fester Teil der
55 Natorp 1894, 67. 56 Vgl. Cohen 2009, 3 – 101, hier 32 (Religion und Sittlichkeit. Eine Betrachtung zur Grundlegung der Religionsphilosophie). 57 Cohen 2009, 3 – 101, hier 32 – 33. 58 Cohen 2009, 3 – 101, hier 34. 59 Cohen 2009, 3 – 101, hier 46. 60 Cohen 1904, 53.
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Kultur sein. Erst in der Ethik wird mit dem Sollen eine echte Transzendenz gegenüber Natur erfasst, die pantheistische Momente mythischen Bewusstseins überwinde. 1915 revidiert Cohen die Forderung, Religion in Ethik aufzuheben, und fragt in Der Begriff der Religion im System der Philosophie nach einem systematischen Eigenwert der Religion in der Kultur. Ihr entspricht neben Logik, Ethik, Ästhetik und Psychologie zwar kein eigener Systemteil oder eine entsprechende Kultursphäre, allerdings stellt er eine Eigenart – eine regulative Präsenz – der Religion innerhalb all dieser Systemteile heraus.⁶¹ In schroffer Ablehnung religionsgeschichtlicher und metaphysischer Bestimmungsversuche redet Cohen einer Theorie das Wort, die Religion ganz von einer Korrelation von Gott und Mensch her zu begreifen, und versucht den Einfluss einer solchen Korrelation auf Logik, Ethik, Ästhetik und Psychologie nachzuzeichnen. Dabei kann Cohen inzwischen Schleiermachers Beitrag zur Religionstheorie als einen Fortschritt über Immanuel Kant hinaus würdigen. Ihm ist es mittels seines Gefühlsbegriffs gelungen, die Religion vor einer Aufhebung in die Ethik zu bewahren. Diese Würdigung ist aber ambivalent. Hauptproblem bleibt, dass Schleiermachers Religionstheorie pantheistisch sei. Die Verzahnung von Gott und Welt im Begriff des Universums aus Schleiermachers Reden mache dies deutlich. Auch eine Reformulierung des Gefühls als unmittelbares Selbstbewusstsein bewahre nicht vor pantheistischen Konsequenzen. „Das Gefühl ist das pantheistische Organ schlechthin der Erkenntnis.“⁶² Religion werde ein „Sicheinsfühlen mit der Natur“.⁶³ Dieser Pantheismusvorwurf gegenüber Schleiermachers Gefühlskonzeption bildet das Zentrum von Cohens Schleiermacher-Bild. Ob er damit Schleiermachers Religionstheorie gerecht wird, sei einmal dahingestellt. Es ist ihm jedenfalls Grund genug, auch Natorps Religionsphilosophie abzulehnen.⁶⁴ Auffällig ist dabei, dass auch Cohen Religion anhand ihrer Bedeutung für die unendlichen Aufgaben von Logik, Ethik und Ästhetik beurteilt, jedoch trotz der vergleichbaren Zielsetzung eines konstruktiven Beitrags der Religion zu diesen Aufgaben ein nahezu entgegengesetztes Plädoyer formuliert. Nicht eine Immanenzreligion, sondern eine alle menschlichen Bestimmungen des Wahren, Guten und Schönen transzendierende Religion biete ein produktives Korrektiv in allen Kultursphären. Die Religion solle daher von der Unmittelbarkeit des Gefühls freigehalten werden, indem die Vermittlung der Religion mit allen systematischen Teilen der Kultur betont werde. Auch der Begriff des Unendlichen ist für ihn im Kontext der Religion problematisch.⁶⁵ Er soll den unendlichen Aufgaben von Logik, Ethik und Ästhetik vorbehalten bleiben. „Die Korrelation des Endlichen und des Unendlichen führt unausweichlich zum Pantheismus.“⁶⁶ Nicht die Unendlichkeit Gottes, sondern die Einzigkeit Gottes stellt Cohen ins Zentrum seiner streng monotheistischen Religionsphiloso-
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Vgl. Cohen 1915, 10; vgl. dazu Korsch 2000, 170. Cohen 1915, 95. Cohen 1915, 96. Vgl. Cohen 1915, 121. Vgl. Cohen 1915, 133. Cohen 1915, 133.
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phie. So steht der Gottesgedanke im Bereich der Logik für die Einzigkeit des Seins im Gegenüber zur erfahrungswissenschaftlichen Konstruktion der Natur. „Es gibt keinen Ausgleich zwischen Monotheismus und Pantheismus. Das Pan der Natur ist der absolute Widerspruch zur Einzigkeit Gottes.“⁶⁷ Dies hat eine antimaterialistische Pointe. Der Begriff des Seins soll nicht mit einer gegenwärtigen Auffassung der Wirklichkeit identifiziert werden, was mit einer Reduktion der Wirklichkeit auf Ergebnisse naturwissenschaftlicher Welterschließung einherginge. So würde die unendliche Aufgabe des Erkennens vorschnell an einem gegenwärtigen Standpunkt abgebrochen werden. Das wahre und einzige Sein transzendiert stets alle unmittelbaren Ansprüche auf Wirklichkeitserkenntnis. Analog gilt im Bereich der Ethik, dass die Idee des Guten an der Einzigkeit Gottes partizipiert, stets alle menschlichen Vorstellungen vom Guten transzendiert und so die unendliche Aufgabe der Ethik offenhält. In Ergänzung zu dieser Integration des Gottesgedankens, die Cohen bereits in der Ethik des reinen Willens vorgetragen hat, erhält sie in Der Begriff der Religion eine neue kulturelle Funktion. Die strenge Ausrichtung der Ethik auf ein sittliches Ideal als Zielpunkt einer unendlichen Aufgabe hat das konkrete Individuum in seiner sittlichen Gebrechlichkeit aus dem Blick verloren. Hier bietet die Religion nach Cohen eine Korrektur. Sie entdeckt das menschliche Individuum als konkreten Mitmenschen und lässt so seine individuelle Fehlbarkeit thematisch werden. Erst so kann der individuelle Mensch mit einer Ausrichtung am sittlichen Menschheitsideal versöhnt und zum sittlichen Streben freigesetzt werden.⁶⁸ „In der Ethik umstrahlt Gott die Menschheit mit der Zuversicht der Sittlichkeit auf Erden; in der Religion das Individuum mit der Zuversicht seiner persönlichen Befreiung von Schuld und Sühne, seiner Wiederherstellung zur Aufgabe der sittlichen Freiheit.“⁶⁹ Eine für Cohen pantheistische Identifizierung von Gott und dem Unendlichen droht die Individualität aller Menschen hingegen zu nivellieren.⁷⁰ Der Versuch, im Gefühl eine universale und natürliche Stätte der Religion festzumachen, gefährdet die Transzendenz des einzigen Seins und Guten und verliert zugleich die religiöse Zuwendung zum konkreten Individuum. „Paradox ausgedrückt, würde die Religion vielmehr das Gefühl des Endlichen sein müssen.“⁷¹ Damit grenzt sich Cohen von Natorp und Schleiermacher gleichermaßen ab und unterstellt beiden, in einer ideengeschichtlichen Abhängigkeit zu Spinozas Pantheismus zu stehen; Dem positionellen Feindbild seines ethischen Monotheismus. ⁷²
67 Cohen 1915, 27. 68 Vgl. Cohen 1915, 63. 69 Cohen 1915, 65. 70 Vgl. Cohen 1915, 134. 71 Cohen 1915, 134. 72 Die massive philosophische, theologische und persönliche Ablehnung von Spinoza ist in Cohens Spinoza-Studie mit Händen zu greifen, vgl. Cohen 1997, 321 – 426 (Spinoza über Staat und Religion, Judentum und Christentum). Ze’ev Levy hat betont, wie stark diese Ablehnung über das sachliche Motiv einer pantheistischen Verquickung von Natur und Moral hinausgeht, vgl. Levy 2002, 69 – 83.
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In seinen späten Vorlesungen zur Philosophischen Systematik aus den Jahren 1922/ 1923 scheint Natorp auf diese Angriffe implizit zu reagieren. Hier wird gerade Leibniz mit seiner Monadenlehre als der originelle Denker der Einzigkeit, der Individuität, vorgestellt und als Wegbereiter Schleiermachers bestimmt. Schleiermacher hat vieles davon gesehen und im Einvernehmen mit der ganzen deutschen Romantik die Ansprüche der Individualität, nein der Individuität, bestimmt angemeldet, sicher durch Leibniz, wenn auch vielleicht ganz, ohne es zu wissen, stark angeregt, denn der Kerngedanke des Monadismus wirkt gleichsam unter der Schwelle durch die ganze deutsche Aufklärung fort und treibt überall, wo er kräftig genug durchwirkt, über sie hinaus.⁷³
Nicht Spinozas Pantheismus bilde den entscheidenden Hintergrund von Schleiermachers Denken, sondern Leibniz. Erst vor diesem Hintergrund könne Schleiermacher zum Musterdenker menschlicher Individuität werden. Diese Individuität zu repräsentieren, hat Natorp gerade zur kulturellen Aufgabe der Religion im Anschluss an Schleiermacher erhoben.
6 Konvergenzen Marburger Religionsphilosophie Die Schleiermacher-Deutungen von Natorp und Cohen verweisen auf eine fundamental unterschiedliche Beurteilung von Transzendenzansprüchen der Religion. Für Cohen sind sie konstitutiv, um einen konstruktiven Beitrag zu den unendlichen Aufgaben des Erkennens und sittlichen Handelns zu leisten. Der Verzicht auf die Transzendenz Gottes als einzigem Sein und Sein des Guten würde zu einem Pantheismus und damit in letzter Konsequenz zu einem Naturalismus führen, der die unendlichen Kulturaufgaben stillstellt. Schleiermachers Gefühlsbegriff führe nach Cohen genau in einen solchen naturalistischen Pantheismus. Natorp hingegen begreift Schleiermacher als einen nicht von Spinoza, sondern von Leibniz her zu interpretierenden Einheitsdenker, der mit seinem Gefühlsbegriff eine konstitutive Einheitsstiftung menschlichen Bewusstseins adressiert. Sie trägt zur Vermittlung konfliktärer Zerrissenheit des Menschen zwischen den Kultursphären bei, der Natorp einen festen Platz im Aufbau humaner Kultur zuschreibt. Dabei ist das Denken von Schleiermacher für Natorp gerade für eine kulturelle Würdigung der Religion diesseits aller Transzendenzansprüche von Interesse. Doch bleibt auch Schleiermachers Gefühlstheologie für Natorp ambivalent. Auch sie steht ihm für Transzendenzansprüche der Religion, die sich durch die Unendlichkeit des Gefühls beschwichtigend auf die unendlichen Aufgaben der Kultur auswirken. Einig sind Cohen und Natorp trotz der gegensätzlichen Beurteilung von Transzendenz darin, dass sie das Verhältnis zu den unendlichen Aufgaben der Kultur als Richtschnur an die Religion herantragen.
73 Natorp 1958, 118 – 119.
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Religion soll kritische Begleitung des Kulturprozesses sein. Bei Cohen tritt so der Gottesgedanke als ein Korrektiv von Totalitätsansprüchen endlicher Konstruktionen des Wahren und Guten auf. Natorp nimmt vor diesem Hintergrund beschwichtigende Ausgriffe einer Einheit des Gefühls auf die Konfrontation des Menschen mit der Forderung des Wahren und Guten kritisch in den Blick. Beide erblicken in der Religion jedoch auch einen konstitutiven Beitrag, der den individuellen Menschen zur hoffnungsvollen Teilnahme an dem Kulturprozess befähigt. Natorp verweist auf die subjektive Vermittlung von Sein und Sollen im Gefühl, die eine tragende Hoffnungsperspektive auf die Möglichkeit des Guten stiftet. Cohen verweist auf eine Erlösungsperspektive auf den individuellen sittlich unperfekten Menschen, die sich aus der Korrelation von Gott und Mensch ergibt und trotz der Unendlichkeit kultureller Aufgaben zur aktiven Teilnahme am Kulturprozess befähigt. Cassirers Berufung auf Schleiermacher in seiner Philosophie der symbolischen Formen verweist auf diesen religionsphilosophischen Diskurs von Natorp und Cohen. Evident wird dies, wenn Cassirer Schleiermacher in eine direkte ideengeschichtliche Entwicklungslinie zu Leibniz stellt und ihn genau damit von jeglichem naturalistischen Pantheismus freispricht. Die schmale Textbasis aus Cassirers Dialektik des mythischen Bewusstseins erlaubt darüber hinaus jedoch kein sicheres Urteil, wie weitreichend sich Momente von den religionsphilosophischen Konzeptionen und Differenzen bei Natorp und Cohen in der religionsphilosophischen Skizze Cassirers niedergeschlagen haben. Nichtsdestotrotz möchte ich abschließend eine Lesart Cassirers skizzieren, die Verbindungslinien zu Natorp und Cohen starkmacht.
7 Der ewige Streit der Religion mit sich selbst als unendliche Aufgabe Die drei Einblicke in die Religionsphilosophien von Natorp, Cohen und Cassirer haben zunächst einmal klare Differenzen der jeweiligen theoretischen Zugriffe auf Religion zutage gefördert. Natorp fragt nach dem funktionalen Beitrag der Religion zur sozialpädagogischen Arbeit an einer humanen Kultur, Cohen identifiziert inhaltslogische Rationalitätsmomente einer Korrelation von Gott und Mensch, und Cassirer adressiert mit der Religion ein Reflexivwerden der Symbolizität mythischer Bildwelten. Zu starke religionsphilosophische Konvergenzen können und sollen hier also nicht behauptet werden. Dennoch: Verfolgt man – wie hier beworben – Cassirers religionstheoretische Skizze zurück auf den religionsphilosophischen Diskurs von Natorp und Cohen, eröffnet sich die Aussicht auf eine bleibende Kulturbedeutung der Religion auch im Rahmen von Cassirers Philosophie. Gerade die bleibende Unruhe religiösen Bewusstseins, ihre ständige Oszillation von Symbolaufbau und -zerstörung, birgt kritisches Potenzial der
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Religion als paradigmatischer Vollzug der Dialektik von gesetzter Form und Transzendenz allen symbolischen Bewusstseins.⁷⁴ Mit Cohen lässt sich damit eine Totalitätsanspruch-kritische Pointe religiöser Transzendenzansprüche verbinden. Vor dem Hintergrund seiner Betonung der Rationalität des jüdischen Bilderverbots und der prophetischen Kultkritik wird deutlich: Religiöser Sinn entzieht sich letztlich jeglicher endlichen Repräsentation. Die nach Cassirer paradigmatisch und bewusst in der Religion vollzogene Dialektik zwischen Zeichen und Bedeutung – durch die Suche nach einer letzten Existenz angetrieben – hält die Frage nach umfassendem Sinn offen. Gegenüber vermeintlichen letzten Antworten durch höchste Ideale und abgeschlossene Wirklichkeitsbeschreibungen richtet sich das negative Moment der religiösen Dialektik. Religiöse Bezugnahmen auf Transzendenz sind – so betrachtet – eo ipso Relativierungen aller Totalitätsansprüche. Mit Natorp hat das religiöse Bewusstsein Anteil an der Ambivalenz der Einheit im Gefühl. Die Produktion mythischer Bildwelten ist auch nach Cassirer auf eine Einheit des Fühlens ausgerichtet, die einerseits einen einenden Grund menschlichen Geisteslebens thematisch werden lässt, andererseits Gefahr läuft, die Eigenlogik anderer Kultursphären zu unterbrechen. So warnt Cassirer vor einem Wiederdurchbrechen von ursprünglich mythischen Motiven in allen symbolischen Formen.⁷⁵ Dessen Kulturbedeutung macht Cassirer eindringlich in seiner Analyse des Nationalsozialismus als technische Ingebrauchnahme mythischer Denkstrukturen in der Politik deutlich.⁷⁶ Religion als Kultivierung eines Differenzbewusstseins von Bild und Sinn birgt kritisches Potenzial gegenüber wiederdurchbrechenden mythischen Denkstrukturen. Gerade ihre dialektische Struktur ist dabei von zentraler Bedeutung. „Könnte an Stelle dieses In- und Gegeneinander [d. i. von Sinn und Bild] jemals das reine und völlige Gleichgewicht treten, so wäre damit auch die innere Spannung der Religion aufgehoben, auf der ihre Bedeutung als ‚symbolische Form‘ beruht.“⁷⁷ Die Religion ist konstitutiv auf den ewigen Streit mit sich selbst und seiner Bildwelt angewiesen, denn durch ihn vollzieht sie eine kulturelle Leistung. So entstammt nach Cassirer die Forderung einer Beschwichtigung der Grundspannung der Religion mit der Kunst einer anderen Kultursphäre.⁷⁸ Ob Cassirer dabei ein Ablösungsverhältnis im Sinn hat, lässt sich auf Basis des Textes nicht entscheiden. Der Diskurs um die Schleiermacher-Deutung bei Natorp und Cohen motiviert allerdings dazu, an einer bleibenden Kulturbedeutung der Religion auch in 74 So kann die durch Rückbezug auf Cohen und Natorp entworfene Perspektive zugleich als ein Votum für die konstruktive Lesart Moxters dienen, die eine bleibende Kulturbedeutung der Religion in Cassirers Philosophie festhält, vgl. Moxter 2000, 153. 75 Vgl. Cassirer ECW 12, XIII. 76 So mahnt Cassirer 1945 in The Myth of the State eindrücklich: „In der Politik leben wir immer auf vulkanischem Boden. Wir müssen auf abrupte Konvulsionen und Ausbrüche vorbereitet sein. In allen kritischen Augenblicken des sozialen Lebens des Menschen sind die rationalen Kräfte, die dem Wiedererwachen der alten mythischen Vorstellungen Widerstand leisten, ihrer selbst nicht mehr sicher. In diesen Momenten ist die Zeit für den Mythus wieder gekommen“ (Cassirer 2002, 364). 77 Cassirer ECW 12, 305. 78 Vgl. Cassirer ECW 12, 305.
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Cassirers Philosophie festzuhalten. So akzentuiert, ist Religion nicht nur Epoche, sondern ein bleibender Motor eines befreienden Kulturprozesses, der sich auch in Cassirers Philosophie als eine unendliche Aufgabe reformulieren lässt.
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Kommunikative Kritik. Zu einer Rezension Friedrich Schleiermachers Abstract: This paper takes a closer look at Schleiermacher’s review of Fichte’s The Vocation of Man published in 1800, focusing on the question of mediation and criticism exercised in and through Schleiermacher’s review. It thus focuses on the relation between the reviewed work and the review, on the one hand, and between the review and its audience, on the other. Attention is directed not only to the question of content but also to that of form. Schleiermacher does not employ a critique based on external standards. Rather, he uses an immanent form of criticism based on the reviewed work itself, which thereby extends the examination in a dialogical process. In this process, form and content reflect each other within the horizon of a principally infinite openness and continuation of the critical practice. The possibility to continue infinitely leads to an interesting outcome: Schleiermacher does not communicate finished results; rather, insights are produced again and again in each instance of the communicative process.
„Die Maxime, keine Recensionen wieder zu recensiren, mag sehr gut seyn.“¹ So beginnt Friedrich Schleiermacher seine Rezension der ersten Ausgabe der 1801 erschienenen Charakteristiken und Kritiken von August Wilhelm und Friedrich Schlegel, in denen die Gebrüder Schlegel viele ihrer bis dahin an verschiedenen Stellen publizierten Kritiken erstmals bündeln. Schleiermacher fährt allerdings, seine Zustimmung einschränkend, fort: „Allein, man würde sehr Unrecht thun, diese Maxime auf eine Sammlung wie diese anzuwenden, wo ganz andere Dinge als gewöhnliche Recensionen zu suchen sind, und wo selbst dasjenige, was ursprünglich unter diesem Namen gieng, die Aehnlichkeit mit der beliebten Form größtentheils abgelegt hat, und, aus dem Incognito heraustretend, sich als etwas Höheres zeigt.“² Die Rezensionen sind Schleiermacher zufolge also nicht „gewöhnliche Recensionen“, sondern etwas „Höheres“. Kurz darauf spricht er von der „kritischen Kunst“, welche das „Geschäft der Kritik“ ermögliche.³ Astrid Urban macht in ihrer historischen Studie zum Rezensionswesen in Spätaufklärung und Romantik den besonderen Stellenwert ebenjener Texte in der Frühromantik deutlich: „Die Textsorte, die wir heute dem Feuilleton zuordnen, die – als wissenschaftliche Rezension – zu den Randerscheinungen des akademischen Betriebes gehört, wird im 18. Jahrhundert für eine kurze, aber desto intensivere Phase zur Leitgattung des ästhetischen und poeto-
1 Schleiermacher KGA I/3, 401. 2 Schleiermacher KGA I/3, 401. 3 Schleiermacher KGA I/3, 401. https://doi.org/10.1515/9783111128801-013
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logischen Diskurses. Die Sekundärgattung wandelt sich zur Primärgattung.“⁴ Nicht nur die Gebrüder Schlegel schreiben Rezensionen, die sich als etwas „Höheres“ zeigen, sondern auch Schleiermacher verfasst während seiner Zeit in Berlin zwischen 1796 und 1802 – die durch einen engen persönlichen wie intellektuellen Austausch mit Friedrich Schlegel geprägt ist⁵ und in der er sehr produktiv mit verschiedenen Darstellungsformen experimentiert – Rezensionen, die sich als kritische Kunst verstehen lassen.⁶ In meinem Beitrag möchte ich mich einer dieser Rezensionen widmen: der Besprechung von Johann Gottlieb Fichtes Bestimmung des Menschen, die im Jahr 1800 im letzten Band des Athenaeum der Brüder Schlegel erschien und die in der Schleiermacher-Forschung bislang kaum beachtet wurde. Ich möchte sie hier als eigenwilligen Beitrag zu Fragen der Kommunikation lesen, insbesondere ihrer dialogischen und mimetischen Struktur nachgehen sowie die dahinterstehenden poetologischen wie erkenntnistheoretischen Konstellationen beleuchten. In der Fichte-Rezension zeigt sich Schleiermacher als Vermittler, der die kurz zuvor erschienene Schrift Fichtes einem Publikum präsentiert und dieses gleichzeitig dazu anregt, selbst in die Einschätzung, Kritik und damit Kommunikation mit diesem und über dieses Werk einzusteigen. Allerdings geht es Schleiermacher in seiner Rezension nicht nur darum, als Sprachrohr und Multiplikator zu fungieren, sondern es finden sich grundlegende Umgangsweisen vor allem mit den philosophischen Problemen des Verstehens und Kritisierens, für deren Lösungen er dialogische und literarische Verfahren in Stellung bringt. Diese impliziten systematischen Überlegungen in der Rezension nachzuvollziehen, soll ebenfalls Teil dieses Beitrags sein. Denn Schleiermacher geht es gerade nicht darum, festgestellte Erkenntnisse über Fichtes Werk zu erzeugen und diese dann in einer Rezension zu kommunizieren, sondern der Vermittlungsprozess schafft zugleich die Ergebnisse, die sich wiederum selbst als nur vorläufig darstellen und von weiteren Rezipient:innen weitergedacht, modifiziert oder gar revidiert werden können. Die philosophische Tiefendimension der Rezension lässt sich bereits an Autor und Titel des rezensierten Werkes ablesen: Fichte ist einer der bekanntesten zeitgenössischen Philosophen, und auch die im Titel angekündigte anthropologische Frage nach der „Bestimmung des Menschen“ ist zu der Zeit ein philosophisch virulentes Thema.⁷ Der Bezug auf Fichte macht deutlich, dass Schleiermacher sich mit dessen philosophischem Denken auseinandersetzt und in die diesen umgebenden Debatten mit einem eigenen
4 Urban 2004, 10. 5 Zeitweise lebten Friedrich Schlegel und Schleiermacher in einer gemeinsamen Wohnung. Diese Berliner Wohngemeinschaft wurde vielfach als praktische Umsetzung der Forderung eines symphilosophierenden und sympoetisierenden Austausches gedeutet, vgl. Schmidt 2005, 52 – 56 und Arndt 2009, 3 – 14. 6 Explizit mit den frühen Rezensionen Schleiermachers hat sich in der jüngsten Forschungsliteratur vor allem Manuel Bauer auseinandergesetzt, vgl. Bauer 2011. 7 Vgl. zur Begriffsgeschichte der „Bestimmung des Menschen“ Macor 2013, ein Abschnitt zu Fichtes Schrift findet sich 317– 328.
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Beitrag eingreift. Letztere werden im Zusammenhang mit einer Philosophie aus erstem Grundsatz sowie einem damit verbundenen Systembegriff von ihm kritisch hinterfragt. Als wesentlicher Referenzpunkt der Epoche, so auch für Schleiermacher, ist an dieser Stelle Immanuel Kant zu nennen, der mit seiner transzendentalen Erkenntnistheorie antrat, die Ansprüche der traditionellen Metaphysik zu widerlegen. Viele der kantisch geprägten Autoren folgen ihm hierin, kritisieren aber seine positive Ausgestaltung der Erkenntnistheorie, unter anderem die Ausgrenzung von Begründungs- und Absolutheitsansprüchen aufgrund antinomischer Dualismen. Einige Autoren wie Carl Leonhard Reinhold oder der hier behandelte Fichte versuchen, die ausgegrenzten begründenden Prinzipien explizit zu machen und so ein System der Philosophie zu errichten. Schleiermacher ist mit diesen nachkantischen Entwicklungen bestens vertraut, geht aber einen eigenen, im Austausch mit Friedrich Schlegel entwickelten, von Baruch de Spinoza und auch Johann Gottfried Herder beeinflussten Weg, wie dies auch Walter Jaeschke und Andreas Arndt in ihrer umfassenden Studie Die Klassische Deutsche Philosophie nach Kant gezeigt haben.⁸ Schleiermacher steht ahistorischen Systemansprüchen und unwandelbaren Letztbegründungen skeptisch gegenüber und entwickelt stattdessen eine Philosophie der Wechselwirkung, die ausgehend vom Endlichen Umgangsweisen mit fehlenden Grundsätzen und einem nicht abschließbaren Wissenssystem erprobt.⁹ In seiner frühromantischen Zeit betont er den werdenden, prozessualen, sich in fortwährender Entwicklung befindlichen Charakter der Philosophie und ihre historische Einbettung in bestehende Sinnkonfigurationen, seine Philosophie ist „wesentlich ein Projekt im Werden“.¹⁰ Fichtes Bestimmung des Menschen – wie Schleiermachers Rezension ebenfalls im Jahr 1800 erschienen – ist in eine Vorrede und drei darauffolgende Abschnitte aufgeteilt, die mit den Titeln „Zweifel“, „Wissen“ sowie „Glaube“ überschrieben sind. „Vorrede“, „Zweifel“ und „Glaube“ sind als Monologe verfasst, im zweiten Abschnitt zum „Wissen“ inszeniert Fichte einen Dialog zwischen dem literarischen Ich und einem hinzukommenden philosophischen Geist. Schleiermacher übernimmt diese Aufteilung und gliedert seine Rezension ebenfalls – allerdings ohne die Überschriften zu kopieren – in eine Vorrede und drei Abschnitte; er orientiert sich auch an der Form von Monolog und Dialog. Ich werde zunächst auf die verschiedenen inhaltlichen Ebenen in der Rezension eingehen, wobei vor allem das widersprüchliche Verhältnis von positiver Bezugnahme und Abgrenzung, die historische Dimension sowie die Rolle der Unendlichkeit wichtig werden, um mich anschließend eingehender mit der Form und der Metaphorik des Textes zu beschäftigen.
8 Vgl. Jaeschke / Arndt 2012, 254 – 305. 9 In Schleiermachers Versuch einer Theorie des geselligen Betragens (1799) heißt es: „Alles soll Wechselwirkung seyn“ (Schleiermacher KGA I/2, 170). Seine Philosophie der Wechselwirkung lässt sich als Antwort auf Philosophien aus erstem oder oberstem Grundsatz verstehen. „An die Stelle eines obersten Grundsatzes tritt ein System der sich wechselseitig erweisenden und in Wechselwirkung bildenden Wissenschaften“ (Schmidt 2005, 102). 10 Arndt 2013, 5.
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Der Anfang der Rezension ist durch eine allgemein gehaltene Reflexion gekennzeichnet, in der es zuallererst nicht direkt um Fichtes Werk geht, sondern um den prozesshaften Charakter der Philosophie und ihr Verhältnis zum Leben sowie zu den empirischen Wissenschaften. Um nicht nur abstrakt über den Einsatzpunkt zu sprechen, möchte ich direkt mit einem längeren Zitat, und zwar den ersten Sätzen der Fichte-Rezension, beginnen: Ob jede Philosophie, die sich als eine solche wirklich constituirt, früher oder später aus den Grenzen der Schule herauszugehen verbunden ist, und auch – sie wolle nun oder nicht – zu Folge des natürlichen Laufs der Dinge unfehlbar herausgehn wird; das kann wohl, selbst für den, welcher Philosophie und Leben mehr als billig einander entgegensetzt, keine Frage sein. Nicht nur muß jedes neue System nothwendig die Moral und die Politik umgestalten, und also allen Menschen, wie tief sie auch ins Leben verwickelt seien, etwas zu sagen haben: sondern es ergreift auch die empirischen Wissenschaften, verändert ihre Pole und wirkt also auf ihren ganzen innern Zustand und alles was sie erzeugen.¹¹
Diese Eingangspassage macht deutlich, dass nicht von der Philosophie im Singular gesprochen wird, sondern „jede Philosophie“ gemeint ist. Es gibt also mehrere mögliche Philosophien oder „System[e]“, wie es einige Zeilen später heißt. Diese unterschiedlichen theoretischen Systeme haben wiederum verschiedene Auswirkungen auf andere wissenschaftliche sowie praktische Kontexte, die auf ihnen beruhen. Es lässt sich in dieser Perspektive eine Pluralisierung feststellen, da nicht das eine, unhinterfragbare System existiert, sondern verschiedene Grundlegungen und Ausgestaltungen desselben möglich erscheinen. Der Hinweis auf viele mögliche philosophische Systeme zeigt, dass Schleiermacher nicht von einem obersten Grundsatz ausgeht, von dem aus sich das weitere System deduzieren ließe. Er wendet sich dadurch bereits gegen Fichte, der einen solchen Grundsatz formulierte und dessen Philosophie Schleiermacher durch einen „unaufhaltsam systematischen Geiste“ ¹² charakterisiert sieht. Mit der Vielfalt philosophischer Systeme lässt sich auch die Einsicht in den historisch wandelbaren Charakter philosophischer Aussagen verbinden. Gleich nach der zitierten Anfangspassage vergleicht Schleiermacher seine eigene Zeit mit dem „Altertum“, in dem zwar ein engeres Verhältnis von Theorie und Praxis existiert habe, in dem aber ebenso verschiedene Systeme und Philosophien neben- sowie nacheinander bestünden hätten.¹³ Auch hier konstatiert er also einen fortwährenden Wandel des philosophischen Denkens, der sich durchaus bis in Schleiermachers eigene Gegenwart fortsetzt. So ist Fichtes Bestimmung des Menschen ebenfalls nur ein „weiterer und glänzender Fortschritt auf dieser Bahn“.¹⁴ Die Einsicht in die Pluralität von Erkenntnissystemen und ihren historisch fortwährenden Wandel hat wiederum Auswirkungen auf Schleiermachers Tätigkeit als
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Schleiermacher KGA I/3, 237. Schleiermacher KGA I/3, 239. Vgl. Schleiermacher KGA I/3, 237. Schleiermacher KGA I/3, 238.
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Rezensent. Es geht nicht darum, das rezensierte Werk einmalig und vollumfänglich zu verstehen und zu kritisieren, sondern darum, dass „derjenige, welcher das Werk für das nimmt was es ist, in welchem Verhältnis er auch zur Philosophie stehe, immer Ursach findet in sein Urtheil Mißtrauen zu setzen“.¹⁵ Im ersten Abschnitt wird dieses Misstrauen, aber auch die positive Bezugnahme auf Fichtes Schrift aufgenommen und weiterentwickelt. So beginnt Schleiermacher die eigentliche Besprechung von Fichtes Werk zunächst mit sehr klaren Urteilen und euphorischen Formulierungen wie „Ich verehre es [Fichtes Buch, JG]“¹⁶ oder „Ich liebe es“.¹⁷ Diese positiven Bezugnahmen gipfeln in der Äußerung, dass nun „alles, was ich von Gewißheit brauche für mein Handeln und Leben, nun auf immer gesichert [ist] gegen alle Sophistereien“.¹⁸ Der ironische Unterton ist nicht zu überhören, auch weil andere Stellen dieser Einsicht entschieden entgegenstehen. So lassen sich den enthusiastischen Aussagen ebenso viele skeptische Bezugnahmen auf Fichtes Werk gegenüberstellen. Er spricht von „Zweifel[n] und Bedenklichkeiten“,¹⁹ die durch die Lektüre des Buchs ausgelöst wurden. Die auf immer gesicherte Gewissheit scheint doch nicht so umfänglich, wie anfangs suggeriert: „[W]enn ich aber sagen wollte, daß ich den Zusammenhang alles Einzelnen, und die Gesetze nach denen es hier entwickelt und dargestellt ist, kurz daß ich das Seyn und Gewordenseyn des Buches so ganz verstände, wie ich es wünsche, so würde ich mich nur selbst betrügen.“²⁰ Mit der Rede vom Gewordensein des Buchs unterstreicht Schleiermacher seine historische Betrachtungsweise. Auch Fichtes Buch steht in einer bestimmten historischen Tradition, hat Vorläufer und wird Nachfolger haben. Vor allem die im Titel angekündigte „Bestimmung des Menschen“ und ihr Verhältnis zum restlichen Text stößt bei Schleiermacher auf Widerspruch. Entweder ist der Mensch in idealistischer Perspektive durch „Freiheit und Selbstständigkeit“²¹ zu charakterisieren, dann ist aber eine Bestimmung ausgeschlossen. Oder es lässt sich aus realistischer Sicht eine Bestimmung angeben, damit ist die Freiheit und Selbstständigkeit allerdings nicht vereinbar. „Von vorne an bis in die schönen Irrgänge des dritten Buches begleitet mich diese Dissonanz […].“²² Am Ende des ersten Abschnitts formuliert Schleiermacher mehrere Fragen, er beendet die Passage schließlich mit dem Satz: „So stehen meine Zweifel noch immer und wollen sich unter einander nicht zerstören!“²³ Der „Zweifel“, die Überschrift von Fichtes erstem Abschnitt, wird bei Schleiermacher also aufgenommen, aber gegen dessen Werk im Ganzen gewendet. Gleichzeitig weist das
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Schleiermacher KGA I/3, 239. Schleiermacher KGA I/3, 240. Schleiermacher KGA I/3, 240. Schleiermacher KGA I/3, 240. Schleiermacher KGA I/3, 240. Schleiermacher KGA I/3, 240. Schleiermacher KGA I/3, 240. Schleiermacher KGA I/3, 241. Schleiermacher KGA I/3, 243.
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„unter einander nicht zerstören“ bereits auf verschiedene Positionen und damit den nächsten Abschnitt hin, der aus einem Dialog zwischen dem bisherigen Ich und einem hinzutretenden philosophischen Geist besteht. Das paradoxe Verhältnis von skeptischen und enthusiastischen Formulierungen verdeutlicht eine Spannung, mit der ein Umgang gefunden werden muss. Eine Form dieses Umgangs ist das Weiterdenken im Dialog mit einer anderen Person oder Perspektive. Genau solch einen Dialog inszeniert Schleiermacher im zweiten Abschnitt, der sich damit an Fichtes Werk anlehnt und so auf die Notwendigkeit von Konversation sowie des Hin- und Herwendens der vorhandenen Widersprüche aufmerksam macht und diesen eine erkenntnistheoretische und kritische Funktion einräumt.²⁴ Die Forderung einer dialogischen Philosophie wird dergestalt in der Rezension wörtlich genommen und plastisch vor Augen geführt. Der Dialog weist auf die Notwendigkeit von dialogischer Aushandlung hin, auf der einen Seite mit dem rezensierten Text, denn nur so können Maßstäbe des Verstehens und Bewertens gefunden werden, auf der anderen Seite mit dem Publikum, das zu einem aktiven Teil des Verstehens- und Bewertungsprozesses werden muss, da auch die Rezension offen ist, nur Aspekte beleuchtet, Widersprüche aufweist und keine letztgültige Aussage über das Werk treffen kann.²⁵ Der Beginn des Dialogs liest sich wie folgt: „Was treibst Du denn da so nachdenklich sitzend und zwischendurch schreibend“? – Ich denke über Fichte’s Bestimmung, die ich gern recht gründlich verstehen möchte, und schreibe was ich denke, weil man damit doch immer etwas weiter kommt. Da lies. – „Weißt Du woran es Dir fehlt? Du hast einen kleinen Punkt in der Vorrede übersehen, der aber für das Verstehen wichtig ist, Du hast Dich nicht genug zu dem Ich des Buches gemacht.“²⁶
Es wird schnell deutlich, dass es um die Frage des Verstehens geht. Die eine Stimme möchte das Buch „gründlich verstehen“, die zweite weist auf einen Punkt hin, der für das „Verstehen“ wichtig ist: Verständnis ist auch auf Dialog angewiesen, kann nur in Auseinandersetzung mit vorangehenden Positionen, im Dialog mit dem eigenen Zeitalter sowie der Leser:in erreicht werden. Der Dialog mit dem „Zeitalter“ wird von Schleiermacher explizit genannt, wenn der hinzukommende Geist ausführt: „[…] Du findest es [das Ich, JG] von einer Revision
24 Auf das enge Verhältnis von Konversation und Wechselwirkung macht auch Arndt aufmerksam: „Dieses beständige Oszillieren zwischen dem Selbst und dem Anderen, dem Individuellen und dem Allgemeinen, erscheint als ein beständiges Hin- und Herwenden der entgegengesetzten Bestimmungen, die darin ununterscheidbar werden. Was der Form nach als reine, allseitige Wechselwirkung gilt, realisiert sich materiell in der Konversation, dem Wortsinne nach ein Hin- und Herwenden“ (Arndt 2013, 62). 25 In den Kontext einer dialogischen Philosophie lassen sich auch Schleiermachers mit Schlegel begonnene und dann eigenständig weitergeführte Auseinandersetzungen und Übersetzungen der Philosophie Platons einordnen. Die Anfänge und Planungen dieses Vorhabens gehen wohl in das Jahr 1799 zurück, die eigentliche Übersetzungstätigkeit beginnt im Jahr 1801, also in unmittelbarer historischer Nachbarschaft zur Fichte-Rezension (vgl. Schleiermacher KGA IV/3, XV–XIX). Vgl. zu Schleiermachers Nähe und Übernahme platonischer Dialogizität Lamm 2003, 9. 26 Schleiermacher KGA I/3, 243.
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seiner Naturkenntnisse mit vieler Selbstzufriedenheit zurückkommend, also mit der Weisheit dieser Welt gesättigt. So mußte es sein, wenn das Zeitalter zu dem Fichte redet, sich in ihm spiegeln sollte.“²⁷ Die Formulierung, dass das „Zeitalter“ sich in Fichte spiegeln solle, eröffnet eine Parallele zu Schlegels Aussage im vielzitierten 116. Athenaeums-Fragment, das ebenfalls von einer endlosen Reihe an Spiegeln spricht: „Und doch kann auch sie [die romantische Poesie, JG] am meisten zwischen dem Dargestellten und dem Darstellenden, frei von allem realen und idealen Interesse auf den Flügeln der poetischen Reflexion in der Mitte schweben, diese Reflexion immer wieder potenzieren und wie in einer endlosen Reihe von Spiegeln vervielfachen.“²⁸ Schleiermacher übernimmt das von Schlegel verwendete Bild des Spiegels in seiner Rezension, und man kann davon ausgehen, dass die Spiegelung von Fichtes „Zeitalter“ in seiner Bestimmung des Menschen von Schleiermacher in der „poetischen Reflexion“ seiner Rezension vervielfacht und damit potenziert wird: Es wird ein Dialog mit einem Werk geführt, das in einem Verhältnis zu seinem geschichtlichen Kontext steht, und dieser neue Dialog steht wiederum in Beziehung zur gegenwärtigen Zeit und wird – seiner poetischen Form wegen, worauf ich noch eingehen werde – erneut zum Gegenstand eines spezifischen Verstehens werden müssen, das dann ebenfalls mit seiner eigenen Zeit in Kommunikation tritt. Eine Unverständlichkeit bleibt auch nach dem Ende des Dialogs bestehen. Denn gleich zu Beginn des auf den Dialog folgenden dritten Abschnitts, in dem die zweite Stimme wieder verschwunden ist, heißt es: „Hätte ich ihn [den Geist, JG] doch nur noch das Eine gefragt, ob denn das Ich wirklich am Ende die ganze Denkart und das ganze System des Geistes so umfaßt und erschöpft hat, als es von sich rühmt!“²⁹ Es wird deutlich, dass auch hier noch eine Frage übrigbleibt, der Verstehensprozess also zu keinem Ende kommt. Es kann kein endgültiges Urteil über den Text geben, und darauf wird im dritten Abschnitt deutlich in Bezug auf die Unendlichkeit verwiesen. „Der kritische Text kann und will nicht mit einem fertigen und unveränderbaren Urteil aufwarten, da er nur ein Glied in der Kette einer unendlichen Verweisung darstellt.“³⁰ Kritik ist in dieser Hinsicht niemals abgeschlossen, weshalb sie von Schleiermacher immer wieder auch Streit genannt wird. Dieser Streit oder Dialog mit anderen wie mit sich selbst, das sollten die bisherigen Ausführungen gezeigt haben, ist ein wichtiges Mittel der Verzeitlichung der Philosophie und der Historisierung ihrer Ansprüche. Philosophie kann nicht ahistorisch ihre Einsichten entwickeln, sondern muss dies im Dialog und durch Kommunikation tun, und zwar in dem Wissen, immer wieder auflösen, hinterfragen und weiterdenken zu können. Im Kleinen weist die Rezension hier schon auf Schleiermachers spätere Arbeiten zur Hermeneutik und Dialektik hin.³¹
27 Schleiermacher KGA I/3, 243. 28 Schlegel KFSA 2, 182 – 183 (Nr. 116). 29 Schleiermacher KGA I/3, 245. 30 Bauer 2015, 183. 31 Schon im zeitlichen Kontext der Fichte-Rezension zeigen verschiedene Schriften Schleiermachers, wie die Reden über die Religion und die Monologen, Elemente einer dialogischen Philosophie auf. Beide
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Auch nach dem Dialog bleiben dem literarischen Ich in Schleiermachers Rezension also Fragen und Zweifel. Schleiermacher grenzt sich zu Beginn des dritten Abschnitts von Fichte ab, wenn er schreibt: „Doch warum will ich mehr wissen als ich soll? Darin will ich mich jenem Ich nicht ähnlich machen, und das System sollte mir ja nicht gegeben werden.“³² Der Versuch, das immer nur vorläufige Verständnis zu einem systematischen Abschluss zu bringen, gelingt nicht, allerdings ist die Konsequenz daraus keine Absage an Verständnis und Kritik, sondern ein neuer Umgang mit denselben. Er zeigt sich, wie bereits gesehen, an der Betonung der Historizität und Wandelbarkeit philosophischer Systeme und der Dialogizität voranschreitenden Denkens. Er wird auch im dritten und letzten Abschnitt der Rezension, und zwar in den dort angestellten Überlegungen zur Unendlichkeit – die in der Frühromantik als „Bezugsrahmen ästhetischer Kritik“³³ fungiert – deutlich. Aus der Uneinholbarkeit des die Endlichkeit des Menschen orientierenden Absoluten oder Unbedingten³⁴ resultiert keine Resignation. Vielmehr ergeht der Auftrag an den Menschen, in beständiger Wechselwirkung, in Gespräch, Streit und Widerrede eine wachsende Gemeinschaft zu bilden: „[E]s [das monologisierende Ich, JG] weiß, daß das Unendliche das einzige mögliche Medium ist unserer Gemeinschaft und Wechselwirkung mit den andern Endlichen: es weiß dies, und will nun gern etwas an einem andern und für ein anderes sein; und alle Verwirrung ist gelöst zwischen dem, was es selbst,
führen „einen inneren Dialog mit den Adressaten, […] die teilnehmen sollen an den Erfahrungen und Überzeugungen des Autors“ (Albrecht 2017, 119). Auch das Fragment „Versuch einer Theorie des geselligen Betragens“ kann als Teil des Nachdenkens über den Dialog und dessen Rolle für die Philosophie gelten. Seine später ausgearbeiteten Überlegungen und Vorlesungen zur Dialektik, aber auch zur Hermeneutik nehmen diese Gedanken auf: „Formal ist es auffällig, dass Schleiermacher im Versuch erstmals in größerem Maßstab Denkverfahren des Ausgleichs gegensätzlicher Positionen erprobt, die sich später – abstrakter, differenzierter und ausgearbeiteter – in Schleiermachers Dialektik wiederfinden werden“ (Auerochs 2017, 96). Dialektik ist für Schleiermacher eine „Kunst der Gesprächsführung“ (Schmidt 2005, 205) und betrifft das Verhältnis von historischem Denken und Wissen: „Schleiermacher bestimmt Dialektik als ,Kunst der Gesprä chsfü hrung‘, die dem ewigen Streitgespräch, als das sich die erkenntnistheoretische Praxis des Menschen darstellt, Regeln der Streitschlichtung entwerfen soll, um das kontingente oder bloß historische Denken einem Wissen anzunähern. Der Entwurf einer solchen Kunstlehre bedarf einer Klärung dessen, was Wissen ist, die jedoch nie jenseits des geschichtlich erscheinenden Wissens vorgenommen werden kann“ (Schmidt 2005, 102). Die Rezension Schleiermachers kann auch als eine hermeneutische Lektüre verstanden werden, an der sich Schleiermachers Verstehens- und Kritikprozess ablesen lässt. Auch wenn zu dieser Zeit noch keine ausgearbeitete Hermeneutik von ihm vorliegt – auch die späteren Vorlesungen und Publikationen verändern sich immer wieder –, so sind in der Rezension doch viele Elemente einer philosophischen Hermeneutik angelegt. Die frühromantische Zeit ist für Schleiermacher – und dabei kommt seinen Rezensionen eine große Bedeutung zu – durch eine Konzentration von Themen ausgezeichnet, die er im weiteren Verlauf seiner wissenschaftlichen Karriere ausarbeiten und systematisieren wird. 32 Schleiermacher KGA I/3, 245. 33 Breuer / Tabarasi-Hoffmann 2015, 12. 34 Vgl. Schleiermacher KGA I/3, 246 – 247.
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und dem was es am Unendlichen ist […].“³⁵ In diesem Zitat wird nochmals explizit die Unendlichkeit mit der Gemeinschaft zusammengeführt, denn die Unendlichkeit ist das einzige Medium für Gemeinschaft und Wechselwirkung. Zwar gibt es keinen eindeutigen Anfangs- oder Endpunkt in der Auseinandersetzung mit einem Text oder – allgemeiner und etwas grob gesprochen – mit der Welt, aber, um nicht in skeptische Resignation zu verfallen, kommen Dialog und Wechselwirkung zentrale Funktionen zu. Zu Wissen „gelangt man nur durch das Wechselgespräch zwischen zwei und mehr Personen, die über die Fähigkeit verfügen, immer wieder mit kritischem Blick auf die Dinge zu schauen, Zweifel zu äußern.“³⁶ Die Verzeitlichung der philosophischen Ansprüche hat zur Folge, dass die Rezension keine Erkenntnisse produziert, die dann in einem sekundären Schritt kommuniziert werden würden. Vielmehr regt die Einsicht in die prinzipiell unendliche Fortführbarkeit des rezensierenden, kritischen Prozesses dazu an, das Wechselgespräch zu dem Ort zu machen, an dem Verständnis entwickelt und dann auch weitergeführt wird. Die Wertschätzung und ebenso die kritische Weiterführung von Fichtes Äußerungen zeigen sich in den bisher betrachteten inhaltlichen Formulierungen, aber ebenfalls auf formaler Ebene, da Schleiermacher Fichtes Textaufbau übernimmt und seine eigene Rezension dieser Vorlage mimetisch anpasst. Gleichzeitig ermöglicht dies eine kritische Auseinandersetzung mit Fichtes Werk und ein Absetzen von ihm. Vor allem der zweite, dialogische Abschnitt der Rezension macht dies deutlich. Hier wird selbstreflexiv die Form auch zum Inhalt des Dialogs zwischen dem bisher sprechenden literarischen Ich und dem hinzutretenden Geist. In der Reflexion über die Darstellungsform wird ein spezifisch dialektisches Verfahren gewählt, das Form und Inhalt als konstitutive Einheit ansieht und diese als Argument einsetzt. Ein unhistorisches, nicht in Dialog und Austausch stehendes Ich kann es für Schleiermacher nicht geben. Für ihn ist ein solches Ich, das Fichte zu bestimmen versucht, nur ein Konstrukt und verfehlt gerade die Entwicklungsoffenheit, aber auch die historische und dialogische Eingebundenheit des Menschen. Jede Stimme ist auf eine:n Dialogpartner:in, auf Widerspruch, man könnte auch sagen: auf permanente, kommunikativ entwickelte Kritik, angewiesen. „Ich verstehe Dich; und ich sehe nun ein, daß dieser Dialog, gerade so wie er ist, dem Buch und dem Ich ebenso nothwendig war, als mir unser jetziger Dialog, ohne den ich auf diese Ansicht der Form und ihrer Verwicklung mit dem Inhalte wohl nicht gekommen sein würde.“³⁷ In der Form wird der Inhalt mitverhandelt bzw. die inhaltliche Aussage gemacht, dass immer ein Anderes, ein Äußeres notwendig sei, um den inneren Gedankengang fortzuführen, die immanente Auseinandersetzung müsse durch den Bezug auf ein Anderes transzendiert werden. Auch Schleiermachers Rezension ist davon nicht ausgenommen und auf eine:n Leser:in angewiesen, der:die den Dialog weiterführt, Fragen an den Text
35 Schleiermacher KGA I/3, 247. 36 Sauerland 2015, 35. 37 Schleiermacher KGA I/3, 245.
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stellt und Widersprüche konstatiert. Schleiermachers Rezension wird durch ihre mimetische Angleichung nicht zu einer Kopie von Fichtes Werk, sondern zieht gerade aus der formalen Ähnlichkeit ihr kritisches Potenzial. Dadurch kommt es allerdings auch „zum Aufschub eines abschließenden Urteils“.³⁸ Doch nicht nur in der Gesamtanlage der Rezension zeigt sich ein ausgeprägtes Formbewusstsein, auch auf der Ebene der Satzkonstruktion bis hin zu einzelnen Formulierungen und bildlichen Registern wird es deutlich. Der Kommentarapparat zur Rezension in der Kritischen Gesamtausgabe macht an vielen Stellen sichtbar, dass Schleiermacher – ohne dies durch Anführungszeichen kenntlich zu machen – Zitate von Fichte übernimmt, sie in seinen Text einflicht und diesen so zu einem komplexen intertextuellen Gefüge macht. Durch diese experimentelle Praxis der Aufnahme und Weiterführung, des Mischens und Scheidens setzt er seine inhaltliche Position – nämlich dass die Kritik fortschreibt, dabei mit und nicht über etwas schreibt, dass es keinen Anfangspunkt und kein Endziel dieses Prozesses gibt – performativ um.³⁹ Schleiermacher setzt eine:n Leser:in voraus, der:die Fichtes Werk bereits kennt und keine gewöhnliche Inhaltsangabe und Bewertung erwartet.Vielmehr kann er:sie sich durch sein: ihr Wissen auf eine Kritik konzentrieren, die durch die Form vermittelt wird und bis in einzelne Satzkonstruktionen und Metaphern reicht. Neben den zahlreichen direkten Übernahmen von Fichtes Formulierungen, wie dem „absolut Unbegreifliche[n]“⁴⁰ oder der „blinden Natur“⁴¹, sind es Modifikationen und Rekontextualisierungen, die diese Praxis des kreativen Umgangs mit dem Ausgangstext deutlich machen. Bei Fichte versteht sich das Ich im dritten Abschnitt als „eins der Werkzeuge des Vernunftzweckes“,⁴² bei Schleiermacher heißt es, etwas abgewan-
38 Bauer 2015, 183. Explizit wird die Verbindung von aufgeschobenem Urteil und Kritik in Vertraute Briefe über Friedrich Schlegels Lucinde – im Jahr 1800 und somit zur selben Zeit wie die Fichte-Rezension publiziert. Dort schreibt Schleiermacher: „Doch lieber Freund, dieses Aufschieben eines vollendeten Urtheils geht bei mir nicht nur auf die Composition, sondern auf Alles, und ich müßte zu meinem Unglück weniger hohe Begriffe von dem haben, was die Kritik eigentlich leisten kann und soll, wenn es anders wäre“ (Schleiermacher KGA I/3, 144). An einer anderen Stelle von Vertraute Briefe heißt es in einer biblisch inspirierten Modifikation: „Du sollst nicht urtheilen“ (Schleiermacher KGA I/3, 189). Diese Stelle lässt sich so verstehen, dass das Verbot zu urteilen einem Verbot endgültig zu urteilen gleichkommt und damit ein Aufschub geboten wird. 39 Das Vorbild der Chemie und der experimentellen Laborsituation für diese Textpraxis kann hier nur am Rande gestreift werden. Ursula Klein verweist auf den Vorbildcharakter der Chemie um 1800 für die frühromantische Theoriebildung, wobei die Praxis des Kombinierens, Analysierens und Synthetisierens von dieser übernommen wird. „,Beständiges Experimentieren‘ im Sinne einer ergebnisoffenen, kontinuierlichen und relativ eigenständigen Form von Forschung, deren Ziele und Handlungstechniken weder durch die Erfordernisse der Theorie noch der Lehre determiniert waren, sondern aus der experimentellen Praxis selbst resultierten und damit ein gewisses Eigenleben entfalteten, gab es in den Wissenschaften um 1800 nur in der Chemie“ (Klein 2009, 82). Auch Schleiermachers frühe Rezensionen lassen sich als kleine Laboratorien verstehen. 40 Fichte 1971, 314; Schleiermacher KGA I/3, 247. 41 Fichte 1971, 314; Schleiermacher KGA I/3, 241. 42 Fichte 1971, 312.
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delt, es werde „eins der Werkzeuge des unendlichen Vernunftzwecks“.⁴³ In diesen Variationen der Wortwahl steckt eine zwar nicht explizit markierte, aber bewusste Aufnahme von Fichtes Äußerungen. Gleichzeitig erweitert Schleiermacher die Aussage, indem er ein „unendlich“ zwischen „Werkzeug“ und „Vernunftzweck“ schiebt. Er hat damit seiner eigenen Überzeugung durch eine minimale Modifikation des Ursprungstextes Ausdruck verliehen: Die Unendlichkeit wird zum Grund der Endlichkeit, ein abschließender Zweck der Vernunft ist nicht positiv auszuweisen oder gar zu erreichen. Eine ähnlich unscharfe Übernahme von Fichte findet sich auch in der Gegenüberstellung von der „Wechselwirkung freier Wesen“,⁴⁴ aus der Schleiermacher die „Wechselwirkung mit den anderen Endlichen“ macht.⁴⁵ Das Theorem der Wechselwirkung ist wie bereits angesprochen ein wichtiger Bestandteil von Schleiermachers eigenem Denken. Dass er die Formulierung bei Fichte findet und übernimmt, zeigt, dass er ihm nicht ablehnend gegenübertritt. Die Modifikation von „freie Wesen“ zu „andere Endliche“ soll allerdings deutlich machen, dass Schleiermacher Fichte nicht uneingeschränkt folgt, sondern durch das Umformulieren eine Progression anzeigt und eine neue Perspektive auf die Vorstellung von Wechselwirkung eröffnet. Gänzlich freie Wesen kann es für Schleiermacher nicht geben, der Mensch ist immer in gewissem Maße in Naturnotwendigkeiten, geschichtliche Überlieferungen oder sprachliche Weltentwürfe eingebunden. Die Endlichkeit des Menschen zu betonen, zeigt also auch eine Kritik an Fichte an. Neben diesen zitierenden und modifizierenden Bezügen auf Fichtes Text unterstreichen weitere (stilistische) Mittel Schleiermachers Einschätzung der Bestimmung des Menschen: So findet sich in seiner Rezension eine Vielzahl von hypotaktischen Satzkonstruktionen, die auf die zahlreichen Bedeutungs- und Reflexionsebenen verweisen. Hier möchte ich ein besonders eindrückliches Beispiel hervorheben, das die enge Verschränkung von Form und Inhalt deutlich macht. Im ersten monologischen Abschnitt der Rezension heißt es: Von vorne an bis in die schönen Irrgänge des dritten Buches begleitet mich diese Dissonanz [von Freiheit und Naturnotwendigkeit, JG], und wenn ich hier auf einmal durch jene neuen und unbekannten Wege in einer alten wohlbekannten Gegend angelangt zu sein scheine, wenn ich mit meinem gesunden Auge hinter diesem Schein, der mich nicht blendet, das Unendliche, als das einzige Reelle erblicke, das ihm zum Grunde liegen kann, und mir dies unvermuthet als ein Willen vorgestellt, und von seinen Planen zu mir geredet wird, und ich zu ihm reden soll: so weiß ich nicht, soll mir dies durch das Setzen des irdischen Zweckes, der hernach für mich wie billig wieder aufgehoben wird, gekommen sein, oder soll ich es von Anfang an, als ich nach meiner Bestimmung fragte, schon gehabt haben?⁴⁶
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Schleiermacher KGA I/3, 248. Fichte 1971, 301. Schleiermacher KGA I/3, 247. Schleiermacher KGA I/3, 241 – 242.
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Dieser lange und komplexe Satz – an einer Stelle durch einen Doppelpunkt unterteilt, ansonsten nur durch Kommata gegliedert – spricht inhaltlich unter anderem von „Irrgänge[n]“, „Wege[n]“ und einer „wohlbekannten Gegend“, die nur „Schein“ sei. Diese Metaphorik deutet auf eine Bewegung des Fortschreitens hin, die immer wieder enttäuscht wird; Schleiermacher nimmt Abzweige, findet sich auf unbekannten Wegen wieder und gelangt auf ihnen zu einer nur scheinbar wohlbekannten Gegend. Diese inhaltlich-metaphorischen Aussagen über seine Lektüreerfahrungen von Fichtes Text werden auch in der hypotaktischen Form des Satzes reflektiert. Unzählige Neben- und Untersätze werden gleichsam ins Unendliche aneinandergereiht und miteinander kombiniert. Es ist beim Lesen nicht klar, welche Abzweige nach dem nächsten Komma warten und wo der Gedanke am Ende herauskommen wird. Durch das Fragezeichen am Schluss wird deutlich, dass der Satz keinen klaren Ausweg aus dem Labyrinth anweist, sondern zum erneuten Suchen und Hinterfragen anregt. Wie die Form des Satzes und die in ihm verwendeten Bilder anzeigen, schafft es Fichte nicht, eine nachvollziehbare und endgültige Bestimmung des Menschen vorzunehmen. Die Kritik daran findet sich auch in der von Schleiermacher verwendeten Form. Neben der formalen Gestaltung der Rezension spielen auch die literarischen Schreibweisen auf der Mikroebene eine wichtige Rolle. Ich möchte daher abschließend noch kurz auf das Wortfeld des Hörens und das ihm zugehörige metaphorische Netz in Schleiermachers Rezension eingehen. Es finden sich hierzu viele Formulierungen, so wenn Schleiermacher vom „Stillschweigen“⁴⁷ spricht und auf die Hoffnung mancher Leser:in verweist, Fichte werde ihm „das ganze System so populair in die Ohren schreien, daß auch er es verstehen könnte“.⁴⁸ Des Weiteren ist mehrmals die Rede von der „Stimme des Gewissens“,⁴⁹ im dritten Abschnitt schließlich ist das literarische Ich „zur Ruhe gebracht“.⁵⁰ Hans Blumenberg macht in seinen metaphorologischen Studien darauf aufmerksam, dass Hörensmetaphern dann wichtig werden, wenn eine unmittelbare Einsicht nicht mehr fraglos gegeben ist. An ihre Stelle trete dann das Hören auf die Tradition.⁵¹ Ohne näher darauf eingehen zu können, was Tradition bei Blumenberg und Schleiermacher bedeutet, möchte ich hier festhalten, dass eine Hinwendung zur Tradition im Sinne einer Aufmerksamkeit für historisch tradiertes Wissen Schleiermachers philosophischer Auffassung durchaus entspricht. Die Metaphorik des Hörens lässt diese geschichtliche Dimension von Schleiermachers Philosophieverständnis bereits anklingen. In Vermischte Gedanken und Einfälle, in den Jahren 1796 bis 1799, also kurz vor der Veröffentlichung der Fichte-Rezension geschrieben, wird noch ein weiterer Aspekt des Hörens deutlich: „Wechselwirkung ist nur da wo jede Thätigkeit des einen Wirkung des andern ist. Also auch die Thaetigkeit des Hörers während des Hörens
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Schleiermacher KGA I/3, 237. Schleiermacher KGA I/3, 239. Schleiermacher KGA I/3, 242. Schleiermacher KGA I/3, 245. Vgl. Blumenberg 2014 [1957], 163.
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[…].“⁵² Schleiermacher bringt hier das Hören mit der Wechselwirkung in Beziehung, und zwar als aktives, tätiges Hören. Ein:e Redner:in ohne aktive:n Zuhörer:in wird nicht in Wechselwirkung treten. Erst durch eine dialogische Auseinandersetzung kann sich die Wechselwirkung entfalten. Passives Hören bzw. Lesen ist nicht ausreichend, vielmehr muss auch der:die Vernehmende aktiv sein und ihr:sein Hören oder Lesen zu einer Tätigkeit machen. Beide Seiten sind als aktiv sowie als passiv einzuschätzen. „Schleiermacher illustriert dies Ineinanderaufgehen zweier Handlungen im Verhältnis Redner-Hörer, wobei auch das Hören als aktiver Part aufgefasst werden muss, der auf den Redner ebenso wirkt wie die Rede auf den Hörenden.“⁵³ Auch in Bezug auf die Hörensmetaphorik wird deutlich, dass die Aufmerksamkeit für spezifische Schreibweisen ein wichtiges Element für das Verständnis von Schleiermachers Vorgehen ist. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Schleiermacher eine sehr literarische Form für seine Rezension wählt und mit dem Dialog in der Mitte des Textes sowie vielen weiteren Mitteln und Schreibweisen die Grenzen einer herkömmlichen Rezension zu erweitern sucht. Er redet nicht nur philosophisch über den Dialog und dessen Wichtigkeit, sondern setzt ihn performativ und literarisch anschaulich um. Dieses Formbewusstsein ist wie dargelegt mehr als bloße Rhetorik, es übernimmt konkrete Aussagen und kann als Antwort auf die Probleme vorangegangener Philosophien – auch der von Fichte – verstanden werden. Die mimetische Anpassung an den Ausgangstext lässt die Rezension als eine formlose Form erscheinen, in der das Vorbild zum Ausgangspunkt für die eigene Formgebung wird, aber gerade durch Weiterbildungen auf formaler sowie inhaltlicher Ebene eine immanente Kritik des rezensierten Werkes möglich ist. Wenn kein Prototyp sowie keine allgemein anerkannte und begründete Norm für eine Rezension zur Verfügung stehen, wird das rezensierte Werk zum ersten und wichtigsten Norm- und Formgeber. Allerdings verändert sich so auch die Kritik, denn die Rezension wird nur zu einem weiteren Versuch, das rezensierte Werk fortzuschreiben. Die Rezension endet schließlich mit einer Aufforderung an die Lesenden, es ihr gleichzutun, gründlich zu lesen und die aufgestellte Ansicht kritisch zu beurteilen: „Zu wünschen wäre, daß alle, welche das tiefe Werk gründlich verstehen wollen, eben so bescheiden darin forschten, und eben so sorgfältig jeder sich darbietenden Spur nachgingen; ja – um beim guten Wünschen zu bleiben – es wäre auch nicht übel, wenn man – verhältnismäßig – mit der hier aufgestellten Ansicht desselben, in der das Meiste nur hat angedeutet werden können, eben so verfahren wollte.“⁵⁴ Da auch Leser:innen kein letztgültiges Bewertungssystem zur Verfügung haben, sind sie wie Schleiermacher vor ihnen auf Interpretationen angewiesen, die sich als experimentell, vorläufig und revidierbar verstehen, dabei aber nicht vor bestimmten Akzentuierungen und Be-
52 Schleiermacher KGA I/2, 34 (Nr. 146). 53 Schmidt 2005, 24. Dieses Verhältnis von aktivem Reden und aktivem Hören kennzeichnet ebenso Schleiermachers Verständnis des Predigers in Bezug auf seine Gemeinde (vgl. Schmidt 2005, 66 – 71). Die Rolle des Predigers hinsichtlich Fragen der Kommunikation zu ergründen, wäre ein ebenso interessantes Untersuchungsgebiet wie seine Rezensionstätigkeit. 54 Schleiermacher KGA I/3, 248.
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stimmungen zurückschrecken. Die Leser:innen werden dazu angehalten, selbst die Auseinandersetzung mit Fichtes Werk zu suchen und mit anderen Personen in ein Gespräch über den Text einzusteigen. Leser:innen, die ein schnelles und eindeutiges Urteil über das rezensierte Werk erwarten, werden zwar enttäuscht. Sie werden dadurch aber angeregt, sich selbst auf den Weg zu machen, nachzudenken, verschiedene Interpretationsmöglichkeiten auch im produktiven Streit mit anderen zu erproben und den Verstehensprozess fortzuführen. Die Wendungen an die Leser:innen bekräftigen also die Position, dass auch Schleiermachers Urteile keine endgültigen Wahrheiten über Texte darstellen, sondern als vorläufig anzusehen sind. Gleichwohl scheut er sich nicht, klare Unterscheidungen und Bewertungen zu treffen. Ein vorläufiges Urteil ist durchaus möglich, allerdings unter dem Vorbehalt, es auch wieder revidieren zu können. Die Publikationsform der Zeitschriftenrezension spielt hierfür eine wichtige Rolle. Sie sucht einen bestimmten öffentlichen Kontext, stellt sich dem Vergleich mit anderen Beiträgen, reagiert auf intellektuelle Strömungen, agiert aber auch als eigenständiger Ansatz und als Fortführung eines Diskurses mit einer spezifischen Zeitlichkeit. Sie ist sich bewusst, nicht vollumfänglich für die Ewigkeit zu formulieren. Gerade hierfür ist die Rezension ein ausgezeichnetes Kommunikationsformat, denn sie lässt Schleiermacher einen Mittelweg zwischen konkretem Werkbezug und allgemeiner Positionierung beschreiten. Die Rezension sucht den Dialog mit den Zeitgenoss:innen, trifft eigene Aussagen, wird aber auch der Vorläufigkeit des Präsentierten gerecht und richtet sich damit an Leser: innen, die das Gelesene zum Anlass für eine neue und produktive Auseinandersetzung mit dem Text nehmen. Zugespitzt ließe sich formulieren, dass Schleiermacher hier keine Wissenschaftskommunikation betreibt, in der Erkenntnisse vermittelt werden, sondern Wissenschaft und damit auch Kritik in Kommunikation, wobei der:dem Leser:in eine besonders wichtige Rolle zugedacht wird.
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Theological Media Ethics avant la lettre: The Limits and Promise of Schleiermacher’s Christian Ethics for an Orientation in Modern Media Society Abstract: Although the emergence of theological “media ethics” occurred only in the second half of the twentieth century, theological reflection on ethical issues in communication and media can be traced far back in history. It has repeatedly been noted by Protestant scholars that Reformation theology was accompanied by an implicit media ethics. What has remained widely unnoticed, however, is the fact that long before the twentieth century media processes had become the explicit objects of theological ethics. One place where this can be studied with great profit is in Schleiermacher’s lectures on Christian ethics. There, he reflects deeply on a kind of performance that one can appropriately designate medial action. He himself speaks of “presentational action” (darstellendes Handeln). This paper explores Schleiermacher’s theological media ethics as developed in his Christian ethics and identifies its limitations as well as its promise for an orientation in modern media society.
Theological media ethics is a rather new discipline. At least on the terminological level, it did not emerge before the second half of the twentieth century. Its differentiation and institutionalization during that period seem deeply connected to the rise of modern media technology and modern mass media, which also played an important role in the parallel foundation of media science and philosophical media ethics.¹ Although the emergence of theological “media ethics” occurred relatively late, theological reflection on ethical problems of communication and media can be traced back far in history. From a Protestant perspective it is especially worth noting that Reformation theology included an implicit media ethics, which provided significant impulses for ensuing sociocultural development. This aspect has repeatedly been highlighted by Protestant scholars.² What has remained widely unnoticed, however, is the fact that long before the twentieth century media processes were already explicit objects of theological ethics. A – if not the – place where this can be examined in depth is Friedrich Schleiermacher’s university lectures on Christian ethics. In this work, Schleiermacher reflects deeply on a kind of performance that one can easily designate “medial action.” He himself calls it “presentational action” (darstellendes Handeln). The Christliche Sitte can thus be considered one 1 Cf. Mersch 2006, 12. 2 Cf. exemplarily Haberer 2014a, 12 – 13; Haberer 2014b, 47– 51; Haberer 2015, 35 – 76. https://doi.org/10.1515/9783111128801-014
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of the first theological media ethics we possess.³ But what does it mean to speak of Schleiermacher’s presentational action as medial action? This question is complicated, especially since media is a very broad term and can be used in a wide range of contexts.⁴ It may be helpful to refer to Niklas Luhmann’s classic book The Reality of the Mass Media, where he implicitly offers a suitable definition of media in general. According to him, “mass media includes all those institutions of society, which make use of copying technologies to disseminate communication,” whereby “the technology of dissemination […] merely constitutes a medium which makes formations of forms [Formenbildungen] possible. These formations, in turn, unlike the medium itself, constitute the communicative operations.”⁵ And these operations bear a twofold reality: the reality of their own processes and the reality “of what appears to them, or through them to others, to be reality.”⁶ Of course, an ethics of media cannot directly apply Luhmann’s concept, because it would first have to overcome his system-theoretical abstraction from human action; furthermore, some of his basic concepts no longer (fully) apply to our digital media culture.⁷ On a formal level, however, Luhmann’s concept still proves helpful in defining what we normally mean when we speak of medial processes or action: media-based communicative operations for and through which reality appears. Such an understanding of media cannot only be applied to a vast scale of media phenomena in the digital world but also corresponds precisely to what Schleiermacher means when he speaks of presentational action. As will be shown in the following, with this term Schleiermacher addresses nothing other than a kind of action whereby human agents operate on the basis of various media to bring something into appearance. It may be noted here already that in Schleiermacher’s system of thought this type of action is the counterpart to another type, which does not aim to present reality but to change it (efficacious action).⁸ In what follows I first explore Schleiermacher’s theological media ethics as developed in his Christian ethics (sections 1 – 5)⁹ and 3 Of course, references to Schleiermacher can be found in more recent Protestant debates on media ethics (cf. Leiner 2006, 188; Huizing 2016, 180). However, the reference point here is usually Schleiermacher’s concept of symbolization in his philosophical ethics. The fact that he also offers an explicit theological media ethics has been largely overlooked in the literature. 4 It is possible to speak of a medium with respect to everything that can serve as a carrier of mediation processes: from spoken and written words, the press, communication devices, and technical artefacts in general (cf. McLuhan 2002, Part II, 77– 360) to symbolically generalized media such as money, power, love, truth, etc. (cf. Luhmann 2012, 190 – 237). 5 Luhmann 2000, 2. 6 Luhmann 2000, 4 (partially italicized in the original). 7 For example, one thinks of Luhmann’s “necessity for interruption of contact” (Luhmann 2000, 2) and the precondition of an anonymous one-to-many communication. 8 In speaking of “presentational” and “efficacious action,” I make use of Brandt’s translation (cf. n. 9). 9 An edition of Schleiermacher’s Die Christliche Sitte in English translation can be found in Schleiermacher 2011. Since this publication is only a short selection of the complete work, I use my own translation of Schleiermacher 1843 (abbreviated CS). When I refer to the parts that were compiled by Jonas, the page number follows the abbreviation immediately; when I refer to Schleiermacher’s own manu-
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then assess its limitations and promise for an orientation in modern media society (section 6).
1 The Systematic Context of Presentational Action At first glance it may seem surprising that Schleiermacher considers a non-efficacious type of action – i. e., a type of action through which “no effect, the word taken in the strict sense, is sought”¹⁰ – to be so important that he invests a great deal of his ethical reflection into it. Roughly summarized, there are two reasons why he does so. The first rather lies on the surface and has to do with the general aim of Schleiermacher’s Christian ethics: to provide ethical orientation in all fields of Christian practice. And without question, the kind of action he addresses under the term of presentational action does form an important branch of Christian actions: be it in the common celebration of worship or in the Christian participation in analogous practices in the secular sphere (art, games, celebrations). Schleiermacher attentively observes that important ethical questions already arise in these contexts, which call for reflective orientation. Therefore, it does indeed make sense that presentational action plays an important role in theological ethics. The other reason why Schleiermacher sees the need to incorporate presentational action into his theological ethics lies on a deeper level and is best understood in regard to a structural problem that comes with efficacious action. The reconstruction of this complex connection is the aim of this first section of this article. To grasp Schleiermacher’s understanding of efficacious action and its relation to presentational action, however, it is necessary to be aware of how Schleiermacher understands action in general. I will therefore make a few remarks on this first (1.1.), before returning to efficacious action and its systematic connection to its presentational counterpart (1.2.).
1.1 (Christian) Feeling as a Principle of Action In Schleiermacher’s view it is impossible to render a theory of action without taking into account that all real human action shows an inner connection to an element of feeling. Of course, action typically appears as an expression or a result of the will and cannot be understood without considering the volitional sphere. Nevertheless, in Schleiermacher’s opinion, it would be short-sighted to restrict a theory of action to this psychic region alone and leave the importance of feelings for the constitution of will and action unaccounted for. This complex relation can be considered from
scripts, an extra upper-case letter follows, corresponding to the letter Jonas used to identify the different manuscripts, followed by the relevant paragraph number. 10 CS 522.
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both sides, from the side of feeling as well as from the side of will. I will start with the former. As much as feelings form a unique state of mind that finds its meaning in itself, for Schleiermacher they nonetheless have a tendency to transform themselves into volitional phenomena, since they can function as a motivational foundation of the striving dynamic of will and action. This observation is most obvious with all forms of actions that emerge from affective states: I may experience a moment of pain or pleasure – or imagine such a moment – and, as a consequence, try to withdraw from or to focus on the source of this feeling. But as much as the connection between feelings and will, or action, is most obvious in cases of affective states of mind, in Schleiermacher’s view such a connection can also be observed in the more indirect relation between complex emotive states and actions resulting from these. Schleiermacher illustrates this point by referring to the phenomenon of the conscience, which on the one hand is articulated in the form of a feeling, but on the other hand is already on the threshold of the sphere of action.¹¹ However, since conscience is also to be regarded as a faculty of judgment, one would need to supplement Schleiermacher’s considerations with a theory of pre-reflective judgment.¹² As mentioned above, the connection between feeling and action can also be observed from the other side, since there is “no action without feeling.”¹³ Schleiermacher emphasizes this point not least in reference to Immanuel Kant. As is well known, Kant also postulates a feeling-driven motivation to explain how insight into what is morally required can become effective in action: the feeling of respect for the moral law (Achtung vor dem Sittengesetz). To some extent, Schleiermacher thinks quite similarly, and he explicitly notes his proximity to Kant when he describes Kant’s “respect for reason” as part of those “newer morals of reason,” which can be characterized by the fact that “the last thing they rely on is feeling.”¹⁴ Of course, this kind of rational feeling has nothing to do with the arousal of momentary affects, and Schleiermacher emphasizes that the two kinds of feeling need to be separated, since otherwise the misleading assumption will arise that action and feeling have nothing in common. This false conception, however, is merely based on the “confusion of the partial feeling with the totality” of feeling.¹⁵ “Not the momentary excitement of sensuality alone, but the added determination of moral feeling is to determine the action.”¹⁶ 11 CS A § 29, n. 12 This would be possible both with the help of classical concepts of emotion theory – like the ones of Johann Jakob Fries or Rudolf Otto (cf. Barth 2014, 360 – 363) – as well as the help of more recent psychology of emotion (cf. Barth 2021, 280 – 288; Barth 2017, 257– 275). 13 CS A § 29, n. 14 CS A § 21.2. 15 CS A § 29, n. 16 CS A § 29. Schleiermacher sometimes renders this relation theoretically by speaking of the emotional dimension as an impulse for action. By doing so, he provokes the critical question whether his theory of action bears a naturalistic character. Schleiermacher’s ethical thinking is indeed not completely free of naturalistic elements. Still, it seems possible to defend his theory at least to some extent. The main argu-
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Schleiermacher distances himself from Kant in one respect, because the latter merely understands “feeling in its generality.”¹⁷ For Schleiermacher, however, Kant’s view represents nothing but a pure abstraction, which is not fully able to comprehend the complex nature of the feeling in question here, since in real life there is no such thing as some feeling in general. Instead, the feeling at stake realises itself only in an “individualized form.”¹⁸ In other words, it is not enough to state the importance of feeling for the constitution of will and action; one must also reflect upon the fact that this feeling inevitably exists in a concrete shape. At the same time, this individuality must not be identified exclusively with the individuality of a single person, for it can also represent a collective phenomenon, which numerous people share over time and space, and which is perpetuated in and through intersubjective communication. Because of this, these emotive states should also not be regarded as static entities. Instead, they function as dynamic processes which undergo change due to their historical and socio-cultural contexts. Since in Schleiermacher’s eyes religion is at its core a specific kind of feeling, the religious state of mind can also play a significant role in and for the constitution of human will and action. In the second edition of The Christian Faith, Schleiermacher defines this general religious feeling as the “consciousness of being absolutely dependent”;¹⁹ in his early lectures on Christian ethics, he speaks of “communion with God.”²⁰ However, this description is still abstract since it is meant to serve as a basic description of all religion. Christianity, therefore, can be seen in those cases of religion in which the basic feeling becomes – by virtue of its reference to the Redeemer – “community with God through Christ.”²¹ Schleiermacher addresses the explicit consciousness of this state of mind as “bliss” (Seligkeit).²² Bliss or blessedness can be described negatively as a consciousness of redemption,²³ or positively as the “identity of the high-
ment would lie in stressing a non-mechanical interpretation of Schleiermacher’s theory of mind: If he sometimes speaks of emotions as impulses for action, this need not be interpreted as if there were emotions as such in the first place that, in turn, compel the will to act. Instead, it seems more appropriate to Schleiermacher’s thinking to reckon with a holistic concept of the psyche, in which emotion, will, and action form a complex unity, so that every concrete phenomenon of will and action structurally bears an emotional dimension, which serves as its motivational foundation. At the same time, emotion and will are deeply connected to cognition as the capacity to interpret reality, whereby all three capacities – cognition, emotion, and will – interact in a complex way. 17 CS A § 21. 18 CS A § 21.1. 19 Schleiermacher 1999, 12. 20 CS A § 43. Even though in the second edition of The Christian Faith Schleiermacher offers a new expression to describe the core of the religious feeling, in his eyes this new expression functions as a synonym of the one he used earlier. This becomes obvious from the immediate context of the passage quoted above: “the self-identical essence of piety is: the consciousness of being absolutely dependent, or, which is the same thing, of being in relation with God” (Schleiermacher 1999, 12). 21 CS A § 44. 22 CS A § 45. 23 Cf. CS A §§ 23 – 25.
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er with the lower nature of the human being.”²⁴ In other words, it is the consciousness of the idea that human existence is not and should not be determined merely by the affects of the psycho-physical life and its needs but should be conducted out of a “higher” self-consciousness. Even though the metaphor can be misleading, Schleiermacher also refers to this idea using the biblical language of “the dominion of the spirit over the flesh.”²⁵ This expression, however, by no means stands for an annihilation of the sensual dimension of human life; rather, it calls for dealing with it in a reflective way. As such an individualized feeling, the “Christian feeling” can function “as a principle of action.”²⁶
1.2 The Differentiation of Efficacious Action and Its Inner Relation to Presentational Action In the course of real life, the consciousness of bliss is characterized by two basic limitations: On the one hand, bliss is not a static state but a dynamic process, which never reaches a final realisation. On the other hand, there are also regressive phases in which the already achieved ability to control the lower nature (sensuality) by the higher (spirit) is partially lost again. And both aspects appear at the individual as well as the collective level. Christian-religious life is thus an evolving process, which does not always occur in the same way but takes the form of a continuous “swaying” between increasing and decreasing unification.²⁷ From Schleiermacher’s perspective, each side of this swaying corresponds to a specific kind of (derived) feeling from which a specific kind of action results. The experience of regression comes along with a feeling of discontent, which entails the motivation to remove the inner and outer sources of the negative state. Schleiermacher speaks of “purifying action”²⁸ and points to phenomena such as church discipline and church reform. However, if the experience of the identifying process increasingly dominates, this produces a feeling of delight corresponding to “broadening action.”²⁹ In this context Schleiermacher refers to phenomena such as religious education and mission work. Whether in the form of purifying or broadening action, however, both types stand for activities that aim to modify conditions in the framework of human life, which is why they are summarized under the generic term of efficacious action. But what importance can presentational action have in this context? As much as purifying and broadening action stand in opposition to each other, they both have something in common: each of them cannot be thought without presuppos-
24 25 26 27 28 29
CS A § 29, n. CS 502. CS 42. CS A § 48. CS A § 54. CS A § 55.
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ing an awareness of the unity of the higher with the lower nature. Otherwise, the individual would lack any feeling of discontent or delight in the first place and would consequently not be able to conduct any purifying or broadening action at all. Schleiermacher calls this the general “consciousness of the higher life potency,”³⁰ which must necessarily underlie and be able to accompany all efficacious action, since “both modifications” of efficacious action “always arise only out of the consciousness of the higher spiritual life in general.”³¹ This basic consciousness entails a general positive value because it functions as an articulation of the continuing self, even in the context of the feeling of discontent. Schleiermacher also refers to this general positivity using the biblical expression “joy in the Lord.”³² Since all feelings tend to transform themselves into action, this higher feeling also has the tendency to find an expression in a particular kind of action. However, due to the special character of that feeling, it cannot be an efficacious one – with the aim of causing changes in human beings’ relationship to themselves and to the world – but only such an action through which the inner unity of the higher and lower nature is brought into appearance. In Schleiermacher’s system of thought this is nothing other than “presentational action.”³³ Like efficacious action, presentational action is determined by the higher life potency. And like efficacious action, it also finds its articulations in internal or external phenomena. In contrast to efficacious action, however, it does not aim to advance the dominium of the spirit over the flesh but to bring this dominion to appearance as such. Therefore, “all difference as delight or discontent [is] set aside”³⁴ and the higher feeling is represented in its “thoroughly mild passionless character.”³⁵ In the religious sphere its “general type”³⁶ is the cultic performance of worship. With this background it becomes clear that Schleiermacher understands presentational action only in a narrow sense: as an articulation of the higher feeling, in which all difference of delight and discontent is set aside. One could ask, however, whether it would not be more appropriate to render presentational action in such a way that – without questioning the importance of the phenomenal dimension Schleiermacher’s concept brings into focus – it could also include articulations of feelings of delight and discontent. This would allow us to theorize presentational action not only in the domain of purposeless portrayal (Darstellung), but also in communication practices in the domain of efficacious action. Schleiermacher himself explicitly reflects on
30 CS A § 64. 31 CS 531. 32 CS A § 47. Of course, by rendering the psychic-spiritual complex theoretically in this fashion, Schleiermacher is forced to work with a stratification of feeling in general, which finds its theoretical expression in his concept of a “higher feeling” (CS A § 29, n.). 33 CS A § 53. 34 CS A § 53. 35 CS A § 29, n. 36 CS A § 53.
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these kinds of practices when he speaks of the “principle of publicity.”³⁷ However, due to his terminological constriction he is unable to systematically address this important medial field.
2 Religious Community and Communication Religious life can only be thought of as community: community with God, but also human community. In Schleiermacher’s eyes, the essential means for establishing religious community is none other than presentational action. “All pure presentation as a self-revelation tends toward community” and every “religious community is formed only by presentational action.”³⁸ In reference to the human side of religious community, Schleiermacher notes the intersubjective nature of religious life, which can only develop via communicative exchange processes between different individuals and groups through time and space. Interestingly, however, Schleiermacher does not restrict human community and communication to the intersubjective sphere alone, but also observes them in the life of individuals as such. I would like to explore this in more depth, starting with the intersubjective side. According to Schleiermacher, every religious view is inescapably coupled with a subjective perspective within which that view is formed. The constitutive role of subjectivity, however, does not mean that the individual establishes a religious view in solipsistic self-sufficiency. Instead, the religious subject depends on its social and cultural environment to become aware of the supra-empirical dimensions of life and to make them conscious by means of articulation. The more independent the individual becomes in the development of his or her personal religiosity, the less the individual relies solely on the contributions of others and instead offers suggestions to others as well. Consequently, the individual does not function merely as a kind of passive relay of supra-individual communication processes, but always actively co-produces them as well. Religious life thus proves to be an extremely versatile complex of communication within which individuals receive stimuli from others and produce fresh stimuli in return. Schleiermacher explicitly describes this connection in terms familiar to communication theory: the individual human being “cannot be conceptualized without community; consequently, the communication of his momentary states is always an essential task for him”³⁹ – more precisely: the “communication from one individual being to the other.”⁴⁰ As mentioned above, human communication is not sufficiently grasped when it is described solely as an intersubjective process. To describe how the religious relationship of an individual to him- or herself can be understood as a communicative practice, 37 38 39 40
CS CS CS CS
186 – 197. A §§ 69 – 70. 509. 510.
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Schleiermacher changes the methodological premises. Instead of the theoretical view of the individual “as an exemplar of the species,”⁴¹ the individual can also be considered “as a being that is under the form of time.”⁴² In this perspective, even the religious consciousness of an individual can be conceived as a community that is constituted by practices of intra-subjective presentation and communication. To fully understand this idea, it is necessary to introduce another important theoretical distinction Schleiermacher introduces: the difference between expression and presentation. The theoretical background and contexts of this difference are complex and cannot be sketched out here in detail, so I only offer a broad outline. Expressions and presentations stand for two different kinds of connection between emotive states and their corresponding manifestations. For the sake of clarity, Schleiermacher constructs two extreme positions: If a living being is absorbed by its current affect, this affect normally finds an immediate appearance; this is what Schleiermacher calls expression. But insofar as a living being is able to interrupt this process of immediate connection of affect and expression, it gains a reflective distance to both, making it possible to rearrange affects into emotive moods (Stimmungen) as well as to find more articulated forms of manifestation. This analysis serves as a key element in Schleiermacher’s aesthetics, but he also uses it in his Christian ethics. With this in mind it becomes clearer what he means when he speaks of a presentational action: its manifestations are not results of momentary affects (= expression) but articulations resulting from reflective activity (= presentation). Moreover, according to Schleiermacher, it is also possible to describe the entire structure of self-consciousness on this basis⁴³ – not just religious consciousness – since the “consciousness of bliss” can be considered as nothing other than a “modification of self-consciousness.”⁴⁴ In other words, bliss is a complex mental structure, mediated by subjective reflection, in which the individual is freed from his immediate affects. Insofar as this mental structure is itself constituted by intra-subjective communication of different temporal moments, already the consciousness of bliss – and not only its external presentation – proves to be a communicative phenomenon.
3 Mediatization of Religious Communication No real religion can be conceptualized without acts of presentation and communication. Moreover, religion depends on media for presentation and communication to take place, since it would be impossible to relate different positions in time and space without media. Schleiermacher’s sensitivity for the medial problem can already
41 42 43 44
CS 510. CS 510. Cf. CS 511, 517. CS 511.
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be found in his Speeches, where he reflects on an appropriate “medium”⁴⁵ of religious communication. In his Christian ethics he undertakes a similar consideration when reflecting on the necessity of “means of presentation” (Darstellungsmittel)⁴⁶ or on a “medium […] of communication.”⁴⁷ To some extent, it would be possible to draw a line from here back to the classic concept of media salutis, as it was critically renewed by Reformation theology. Schleiermacher, however, does not restrict his theological media theory to word and sacrament but considers the problem of media in a larger context. Consequently, there is an extremely wide spectrum of entities which can function as media of religious communication. This spectrum encompasses such different spheres as the pre-reflexive and the conscious, the inner-psychic and the sensually perceptual, the bodily and the external objective, the natural and the cultural. Schleiermacher, however, does not provide a compact overview of these different medial levels in his Christian ethics; instead, his remarks about them are scattered throughout his lectures. An implicit summary of different media levels can be found in § 15 of Schleiermacher’s Christian Faith,⁴⁸ which can be read as a list of various media spheres of religious communication: starting with (1) the modifications of the stirred self-consciousness itself, continuing with (2) bodily phenomena,⁴⁹ then (3) anthropological and cultural systems of inner-psychic and sensually perceptual articulations,⁵⁰ up to (4) naturally and culturally provided materials for external objectification. This complex background needs to be kept in mind when Schleiermacher refers to “means of presentation” in his Christian ethics. But there is one further medial dimension which proves to be of great importance. Schleiermacher identifies language as an essential medium for communication, which for a scholar of hermeneutics and dialectics is not surprising. Language, of course, not only appears in actual processes of thinking and speaking but also finds its external medium in the techniques of textual objectification. Since the early modern period, a certain technique of textual reproduction proved to be extremely important: the possibility of printing. This media technology, associated with Johannes Gutenberg’s name, made possible the production and dissemination of written artefacts on a previously unknown scale. For religious life, this is known to have had profound effects. In
45 Schleiermacher 1996, 74. 46 CS A § 110, n. 47 CS A § 237, n. Cf. CS 188, 584, 677. 48 Cf. Schleiermacher 1999, 76 – 78. 49 Schleiermacher cites tones and gestures as examples. 50 From an anthropological-psychological perspective, one could refer to feeling, presentation, and thought as different levels of objectification of a religious impression. From the perspective of cultural theory, one could refer to different systems of meaning that shape human expressions, both in the inner-psychic sphere and in the sphere of external communication. Based on such systems, tones and gestures, for example, become music and symbolic action. Another example is the language system, which gives form not only to intersubjective communication but also to the internal dialogue of a subject.
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The Christian Faith Schleiermacher does not reflect on this aspect of media history, but in his Christian ethics he explicitly mentions the “printing press” or “letterpress” as an important “medium of communication.”⁵¹ On a theoretical level, this reflection on the new print media can be understood as an index for the inescapable relationship of religious communication to the existing mass media of the time. In this context, a remarkable consequence for the self-understanding of human existence can be seen. Intersubjective communication proves to be strongly influenced by the cultural and technological media of a particular time and culture. Furthermore, since the inner core of conscious life can be understood as an intra-subjective communication process, also this inner core appears to be highly mediatized by the cultural systems and technological media of a given time. However, this structural insight must not be overemphasized in a simplified manner: individual lives do not function as mere conduits of socio-cultural patterns. On the contrary, in Schleiermacher’s view, such patterns are always modified by the individual as well – a complex polarity Schleiermacher worked out in sophisticated way in his theory of language.
4 The Relation between Religious and Secular Presentation The fact that religious communication is tied to media leads Schleiermacher inevitably to reflection on the relationship between religious presentational action and a secular type of presentational action which takes place in the sphere of sociability.⁵² There are two reasons for this. The first one has to do with the fact that “Christian presentational action […] has no other means of presentation than those available to the rational human being.”⁵³ This implies that presentational action is not merely a religious phenomenon but is also performed in non-religious spheres⁵⁴ and in both areas principally the same kind of media are in use. However, Schleiermacher’s consideration does not stop here since the relationship at stake proves to be more complex. Religious presentation not only shares the same media with social presentation; to a large extent, religion depends on the media as they have been developed and established within general cultural life. Because of that, Schleiermacher even suggests “that the means
51 CS 188. 52 Already in Schleiermacher’s early work the sociable sphere played an important role as can be seen by his Essay on a Theory of Sociable Behavior (Versuch einer Theorie des geselligen Betragens) from 1799, cf. Foley 2006, 153 – 176. Later, in his lectures on philosophical ethics sociability is treated as a special field of human action next to church, state, and science. Whereas Schleiermacher subsumes sociability here mainly under the concept of the “organizing” activity of reason, in his Christian ethics he also stresses sociability as a unique field of presentational action. 53 CS 527. 54 In the manuscript of 1809, Schleiermacher already writes that the “immediate consciousness of the higher life under the merely sociable form […] also produces a presentational action” (CS A § 93).
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of presentation are not themselves a product of the divine spirit in the narrower sense, but […] already lie in the organic totality taken possession of by the general intelligence.”⁵⁵ Or, in another variation: “All means of [religious] presentation are to be taken from the social sphere.”⁵⁶ The last point is perhaps stated too strongly, since it would be easy to name examples of forms of religious presentation which shape social communication, and Schleiermacher himself provides remarks that relativize the passage just cited.⁵⁷ Either way, it should be noted that to a large extent religion does not produce the basic media of its presentational practice itself but depends on possibilities provided by the general historical-cultural context. Schleiermacher reflects explicitly on the idea that the difference between religious presentation and sociable presentation cannot be considered a timeless, a priori structure. Instead, it must be understood to be the result of long-term historical developments. He explains that, although religious and social presentation already existed in classical antiquity, “the religious sphere and the social sphere were more or less in complete confusion.”⁵⁸ This changed, however, over the course of further historic development, whereby the emergence of Christianity played an important role. “When Christianity emerged, it gradually destroyed the religious in the societal presentation”⁵⁹ insofar as its followers sought to impose a non-religious understanding of general-cultural presentational practices, as Schleiermacher notes using the example of Paul.⁶⁰ One could say that Schleiermacher describes a process of secularization in the sense that the spheres of socio-cultural life have freed themselves from their association with religion, so that both the cultural and the religious sides have attained specific rights of their own. In early modern time and the Enlightenment, this development is further connected with the socio-cultural distinction between public and private. And when Schleiermacher states that in his present time “art becomes public” through “the expansion of private sociability into public,”⁶¹ he is anticipating insights that were later elaborated by the young Jürgen Habermas. Schleiermacher acknowledges the differentiation between religion and sociability as progress in historical development and combines it with the normative claim that the distinction should not be undermined again. According to Schleiermacher the difference must “remain in such a way that one does not fall back into the ancient confusion, i. e., the religious presentation must remain in the pure church style, and the
55 CS 528. 56 CS B, Das darstellende Handeln, § 11. 57 The “further development of this area has always taken its course without being predominantly determined by Christianity in the further development of this area” (CS 648). 58 CS 633. 59 CS 668. 60 “Paul demands that if Christians had to participate in the social festivals of the pagans, the religious would be completely negated” (CS 668). 61 CS 685.
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secular must not take up any decidedly religious elements.”⁶² This quote would be misunderstood if interpreted as a claim for a clear distinction of both types of presentation. Instead, it is part of the essence of Christianity “to separate the two, but in such a way that they are recombined as one, and one conditions the other.”⁶³ In this context there arises the nontrivial question of how Schleiermacher’s model of the relationship between religious and social presentation can be interpreted systematically. The difficulty stems from the fact that Schleiermacher describes human action in general almost identically to the way he describes Christian action in particular. Thus, all human action has its purpose in the “dominion of nature,”⁶⁴ which finds its realisation through the “dominion of intelligence in the general human sense.”⁶⁵ Furthermore, this process can also be differentiated into “broadening” and “purifying” action,⁶⁶ whereby these two modes of action are only possible because the human being possesses a “consciousness […] of his determination to dominate nature.”⁶⁷ And finally, social presentation has no other function than to articulate and communicate the “selfconsciousness […] of man’s higher nature.”⁶⁸ This strong proximity is no accident in Schleiermacher’s thought. On the contrary, he explicitly states that “the higher feeling” that underlies both religious and social presentation “is the same.”⁶⁹ But as charming as Schleiermacher’s connection between religious and social presentation may be, their differentiation becomes unclear.⁷⁰ As Schleiermacher himself does not offer a clear answer to that problem, it becomes necessary to go beyond Schleiermacher’s own conceptual framework. Limited space permits only a few thoughts in this regard. According to Schleiermacher, religious and social presentation both function as a depiction of the higher nature of the human being in unity with his or her lower nature, and both types of presentational action use basically the same means of presentation. Regarding the difference between the two, Schleiermacher notes: “What matters is not the means but the intention determined by the impulse.”⁷¹ Considering this, I propose the following reconstruction: Both types of presentational action function as non-efficacious manifestations of the concrete freedom and creativity of human beings who reveal their supra-natural character especially in performances having no practi-
62 CS A § 95, n. 63 CS 685. 64 CS 633. 65 CS 647. 66 Cf. CS 639. 67 CS 639. 68 CS 621. “Consequently, the basic consciousness of the human being is everywhere presupposed by efficacious action, the consciousness that his intelligence is capable of mastering nature, and this is precisely the consciousness from which our presentational action directly arises. Thus, all efficacious action presupposes the presentational action” (CS 639). 69 CS A § 19. 70 This problem seems deeply connected to the more general question of how Schleiermacher’s philosophical and theological ethics are systematically related to each other. 71 CS B, Das darstellende Handeln, § 11.
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cal purpose; but whereas social presentation primarily intends to reveal the capacity of this freedom and creativity, religious presentation intends to depict their origin, which transcends our natural human capacity. Here it can only be noted that the difference between religious and secular presentation finds a structural parallel in Schleiermacher’s reflections on the communication practices taking place within the field of efficacious action (cf. principle of publicity), where he also differentiates between communication in the religious and the secular field. But he does not invest nearly as much effort in this problem as in that of presentational action in the proper sense.
5 Dealing with Ethical Conflicts Although the reconstruction of Schleiermacher’s concept of presentational action, as it has been developed so far, has been rather of theoretical character, ethical dimensions have already been implicitly involved. On the one hand, ethical reflection – at least the way Schleiermacher understands it – is not restricted to constructing counterfactual normative claims but includes the description of fundamental phenomena and structures of the human world. Of course, even this ethical approach is not completely devoid of normativity, because, on the other hand, the emphasis on presentational action as an independent sphere of action already contains an indirect normativity since it asserts the ethical importance of this type of action in the face of possible restrictions through other fields of action. In addition to these two implicit ethical dimensions, Schleiermacher’s concept also contains explicit ones. They stem from various tensions that arise in this field of action and that call for concrete ethical orientation. Since Schleiermacher’s examinations are manifold and encompass a wide range of phenomena, I only offer a brief sketch here to show what kind of problems he is facing and how he seeks to deal with them. Schleiermacher’s ethical reasoning usually works in the following way: First, he identifies phenomena that either seem problematic in light of specific communicative ideals or that bear the potential for conflicting constellations. In a second step, he asks whether these phenomena can be ethically justified or not. If they can, he finally seeks to find out how the problems at stake can be dealt with constructively. To this end, Schleiermacher usually constructs an antithesis between two extreme positions with the aim of arriving at a position somewhere in the middle. However, he does not determine this middle position himself; rather, he delegates its determination to the relevant agents in their concrete situations. With this method, he proves to be inspired by Aristotle’s mesotes doctrine as well as by the genuine Protestant view that the task of ethics is not primarily to provide a casuistic catalogue of instructions but rather to formulate normative guard rails within which responsible individuals can make their own decisions by virtue of their own conscience. In the context of religious presentation, Schleiermacher reflects upon problems like the asymmetry between active and passive communicators in Protestant-Christian wor-
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ship, the particularisation of Christianity in different groups and denominations, and the conflict about the incorporation of means of presentation from the general cultural sphere into the religious one. In the context of social presentation, he reflects on the overstimulation of the subject by sensual elements, the undermining of authenticity by conventional forms, the imbalance between individuality and generality, and the mutual displacement of sociable and religious presentation. Each of these fields would need detailed discussion to show how Schleiermacher provides orientation. Here, I will illustrate his approach with a single example: the problem of asymmetry in religious communication. The ideal of equality is one of the fundamental principles of the ethical orientation of religious communication in Protestant ethics. It is clear, however, that viewed empirically most of the Protestant churches fall short of the equality to which they aspire in their communication processes. For as much as “this equality in presentational action should be expressed everywhere,” we find that “even Christian worship […] is constructed in such a way that some have a predominance of activity, others a predominance of receptivity.”⁷² Can this contradiction of the ideal be justified? The ideal of religious communication would be realized in instances of worship in which everyone were to the same degree self-active as well as receptive, so that “a constant inequality […] is not posited at all.”⁷³ As an empirical example of this type, Schleiermacher introduces the cultic practices of the Quakers. He claims, however, that their emphasis on inwardness and withdrawal from ritual and clergy can sometimes result in no worship taking place at all. In the individual-private sphere this is rather unproblematic. However, public worship, which goes beyond the circle of family or friends, must not be made contingent upon such accidental conditions to the same extent. That is to say, worship should not depend solely on the presence of momentary religious excitement, since without worship congregational life would lose important communicative ways of reaffirming its own religious identity. This requires special personnel who are able to facilitate such worship not only because they possess certain psycho-spiritual talents but also by virtue their training in appropriate professional skills. Since this justifies why such personnel are needed take on a more prominent role in the performance of rituals, the fact of inequality within religious communication hereby finds its ethical justification. Seen in this light, religious equality proves to be a counterfactual conception that is not designed for immediate realization but rather has an ideal character. This does not mean that it loses its normative power. On the contrary, it serves as a normative background against which to measure empirical conditions and thus to generate a kind of critical restlessness. But how, then, can the church service be organized in an ethically appropriate way? Here, Schleiermacher’s method of constructing an antithesis between two extreme positions comes into play. One side is formed by the extreme absence of inequal-
72 CS 542. 73 CS 543.
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ity exemplified by Quaker worship. The other is illustrated by Schleiermacher’s view of the Catholic service. In contrast to the Quakers, there is no danger in Catholicism that the cultic performance will come to a standstill. Schleiermacher sees another problem instead: that the laity may stand in a “certain general relationship”⁷⁴ to the celebrant, but that the “action” of the service “cannot produce a living effect”⁷⁵ in them – not least because of the Latin language barrier and the laity’s ignorance of the exact liturgical procedures. “Both forms [viz., Quakerism and Catholicism] therefore stand at the limit, so that in each of them […] the area of the cultus disappears. We can conclude that what lies between the two extremes is a Christian form, and that everyone will be inclined to move further and further away from the extreme to which he finds himself closest.”⁷⁶
6 Limits and Promise of Schleiermacher’s Christian Ethics for Theological Media Ethics in Late Modern Society As discussed earlier, Schleiermacher’s lectures on Christian ethics count as one of the earliest explicit and elaborated theological ethics of media or communication practices. In this last section, I would like to explore Schleiermacher’s contribution to media ethics critically and constructively, structuring my thoughts around the following three questions: (1) What are the historically conditioned limits of Schleiermacher’s proposal? (2) Which aspects remain problematic from a systematic perspective? (3) Are there insights that still offer orientation for theological media ethics today? (1) Modern media society has of course changed dramatically since the early nineteenth century, and our present is marked by dramatic developments that Schleiermacher could have scarcely imagined. Two major points roughly summarize these developments. First, there have been rapid spurts of mediatization. New media techniques arose which nourished a continuous spread of already existing mass media – such as newspapers, books, and journals – and gave birth to completely new forms of communication, expression, and entertainment. Together with an accelerating increase of social complexity, medial communication processes became ever more important in ever more areas of social and cultural life. This mediatization process reached a new level with digitalisation, in the course of which already existing media and communication practices underwent a fundamental transformation⁷⁷ accompanied by completely new media phenomena. The second point that separates Schleiermacher’s media era from ours has to do with the fact that today technology 74 75 76 77
CS 543. CS 543. CS 543 – 544. Cf. Hepp 2020, 3 – 7 passim.
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plays an even larger role in modern media than ever before. This can already be observed with respect to early mass media, which would not have been possible without the sophisticated technologies of industrialized societies. In the digital age, the importance of technological elements in medial processes has increased exponentially. Because of this, modern media often exhibit a close connection to economic agents who drive the progress and transmission of new (media) technologies, since they provide the necessary capital.⁷⁸ But of course, political actors are also of great importance in this context.⁷⁹ Given the multiple mediatization and the intersectional connectivity of media processes, it goes without saying that there are numerous problems and conflicts in need of ethical reflection, for example: information overload and the challenge for individuals to conduct their media usage responsibly and develop their own critical perspective; the increasing individualisation of communication and the splintering of the public sphere; the acceleration of communication and its tendency towards polarization; or the rapid advances in media technology and the difficulty of providing fair access to it. Of course, it would be anachronistic to expect (direct) answers to problems like these from Schleiermacher. (2) Besides these historic limitations, there is a further limit at the systematic level. In his Christian ethics Schleiermacher puts the focus mainly on purposeless communication in religion (worship) and sociability (art, celebrations, games). With that Schleiermacher aims at a practical context which can indeed be seen as a paradigm of media processes.⁸⁰ However, communication and media are not restricted to the spheres of church service and aesthetics but also play an important role in the constitution of a critical public sphere. As is well known, the value of publicity has been with us since the Enlightenment period when the development of a corresponding public sphere was fuelled by the expansion of (tertiary) media, such as books, newspapers, journals, and magazines.⁸¹ Schleiermacher shows his awareness of this sphere by reflecting on the “principle of publicity.”⁸² However, compared to the amount of thought he spends on communicational dimensions of the realm of purposeless performances, his treatment of the critical public sphere comes up significantly short. This deficit is structurally connected to Schleiermacher’s narrow understanding of presentational action that explicitly refuses to embrace communicative exchange on the field of efficacious action.
78 That this complex started to emerge before the period of classical modernity has been shown by Starr 2004, 113 – 150; with respect to the concrete contexts of the USA, England and France. 79 For example, the needs and technical developments of the military have played an important role in the development of media technologies. Cf., among others, Kittler 1999, 1 – 20 passim, where Kittler shows that the emergence of media like film, telegraphy, television, and the computer cannot be understood without their military origins. 80 Cf. Mersch 2006, 14, 17. 81 Cf. Habermas 1999. For an application of Habermas’s model to the field of Protestant religion, cf. Plaul 2020, 227– 240. 82 CS 186 – 197.
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(3) Despite the historic and systematic limitations of Schleiermacher’s proposal, it still offers basic insights that are valuable for theological media ethics in our present day. Three areas are especially relevant, the first of which encompasses methodological aspects. Schleiermacher founded his media ethics on a theory of human action. This approach – which could be related to contemporary pragmatic media philosophy,⁸³ for it too stresses the importance of cultural practices for the constitution of media – appears to be fruitful for two reasons. On the one hand, the foundation in action theory makes it possible to render human beings as responsible agents within the media field. On the other hand, it helps to withstand various tendencies toward media reductionism, which can be found in some classical media theories⁸⁴ and is now fuelled by new forms of highly automatic media processes in the digital age.⁸⁵ In addition to this foundation in action theory, Schleiermacher offers a combination of different basic ethical views, which help to formulate duties, compare them critically with corresponding structures in the sociocultural world, and yet also stress the need for individual virtue to deal with the challenges in modern media society.⁸⁶ Finally, the way Schleiermacher deals with ethical conflicts appears to be helpful under different historic-cultural circumstances. As seen above, Schleiermacher usually provides ethical orientation by identifying two extreme positions, and then stating the task of finding the adequate middle. But instead of giving an unequivocal answer as to how the middle can be determined, he transfers this task to the responsible individuals in their respective situations. This way of dealing with ethical conflicts not only stresses the Reformation principle of freedom of conscience but can also serve as orientation in a liberal media society. Second, heuristic aspects. In Schleiermacher’s theory of presentational action, the juxtaposition between religious and secular presentation is of great importance. In this regard he appears to be sensitive to the differentiation processes of modern culture and society. Any theological media ethics that does not want to adopt fundamentalist positions will also have to acknowledge this: media action cannot be restricted to religious presentation but needs to be perceived in its (systemic) proximity to secular presentation. This relationship is not intrinsically harmonious and entails numerous possibilities for ethical conflict. Helping to deal with those conflicts in a reflective way is an essential task of theological media ethics, whereby the secular sphere comes into focus at two levels: as a moment of religious communication and as a practice of its own. Finally, substantive aspects. In Schleiermacher’s conception, freedom functions as a basic ethical principle. On the one hand, freedom is explored descriptively as the pri-
83 Cf. Münker 2016, 10 – 16; Münker 2009; Sandbothe 2020. 84 Cf. Mersch 2006, 45. Mersch illustrates reductionist tendencies in modern media theory by reference to such different authors as Marshall McLuhan, Vilém Flusser und Friedrich Kittler. 85 For a critical discussion, cf. Plaul 2021, 161 – 193; Plaul 2022, 39 – 51. 86 The importance of individual virtue in der modern media world has been stressed by Lübbe 1994, 313 – 318; Funiok 2007; and Huber 2016, 133 – 137.
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mary source of all presentational action since this kind of action does not aim to deal with practical problems of life but is performed without external purposes. And in so far as presentational action is not bound to the necessities of natural life, it can be considered as an articulation of human freedom. (If one takes Schleiermacher’s brief remarks on the principle of publicity into consideration as well, freedom also plays a significant role in critical communication in the context of purifying action.) On the other hand, freedom is highly important on the reflective level of ethical thinking. As seen above, Schleiermacher’s ethics of presentational action does not provide precise, unequivocal instructions that need only be implemented by individuals. Instead, he sets up the normative guard rails within which there is a range of possible options to be chosen by the responsible individual. Insofar as Schleiermacher explores this freedom in the sphere of religious as well as in the sphere of social expression, he provides an important clue as to where a systematic link between secular and (Christian‐) theological media ethics might be found.
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Schleiermacher on Linguistic Difference: From Quine to Benoist and Beyond Abstract: This paper explores the linguistic relativism found in Schleiermacher’s hermeneutics and theory of translation. Through a comparison with the linguistic relativism that Quine’s philosophy proposes, it argues that Schleiermacher found an optimism in linguistic difference that allowed him to put linguistic difference in a creative light without opposing it to knowledge or reality. The paper then offers the contextual realism of Jocelyn Benoist as an example of another philosopher who managed to see linguistic difference with said qualities. However, I argue that Schleiermacher’s thought takes linguistic difference a step further. Certain observations Schleiermacher made can be seen as the first step to calling into question the uniform manner in which all minds experience language. Likewise, this suggests a reading of Schleiermacher’s philosophy of language in which it functions as a preliminary base for the argument that there are different ways the mind can be bound to language.
1 Introduction Friedrich Schleiermacher began his Hermeneutik, which he defined as the art of understanding the discourse of another person correctly, remarking that “the philosopher […] rarely wants to understand, but himself believes he is necessarily understood.”¹ More than a simple slight, the observation that philosophers tend to overestimate their own cogency and lucidity and disregard the art of understanding the discourse of others might help to explain why differing linguistic experiences remain a relatively unexplored topic in philosophy of language, despite the myriad of opinions in the discipline about language and its place in thought. This is not to say that there are no philosophies of language that theorize difference. The influence of linguistic relativism following the linguistic turn in the analytic world, as found, for instance, in ordinary language philosophy, is a strong example to the contrary. Nevertheless, when speaking of difference in philosophy of language, there are two tendencies to diminish diversity that often occur. One tendency is to view linguistic difference as a problem to be solved and as something that distances us from reality, knowledge, or truth. Those who adopt such a view tend to dilute difference. It follows that they do not do much more than pay lip service to understanding the linguistic differences they set out to account for. The other propensity is even more widespread than the first. This is the inclination to universalize the kinds of differing linguistic experiences we hold there to be. In philoso1 Schleiermacher 1998, 6. https://doi.org/10.1515/9783111128801-015
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phy of language, where linguistic difference is concerned, the story seems most often to go, if language does provide us different experiences of the world, it does so in a systemic way in accordance with a uniform theory as outlined by a given philosopher. This allows neither for variation in linguistic experience nor abilities aside from educational or cultural differences. In a nutshell, in these theories of linguistic difference, it is still assumed that everyone experiences language in a uniform manner. By contrast, Schleiermacher’s philosophy of language, as found in his hermeneutics and theory of translation, embraces difference, putting it in an optimistic light that enhances rather than diminishes it. Likewise, Schleiermacher’s philosophy of language may indicate a first step on the path to a new view of linguistic difference that reassesses the variations we take there to be. In order to explain just how fundamental difference is in Schleiermacher’s philosophy of language, this paper begins with a brief introduction to Schleiermacher’s wider philosophy. This lays down the foundations of what I will soon refer to as Schleiermacher relative absolutism, and more specifically, as his linguistic relativism. To bring out the first negative tendency mentioned above, a short introduction to the philosophy of language of Willard van Orman Quine will be given, as he represents an important moment in linguistic relativism in contemporary analytic philosophy. A subsequent comparison between Quine’s and Schleiermacher’s relativisms will then take place with the aim of explaining how Schleiermacher’s philosophy of language avoids the snares of pessimism into which Quine’s work on linguistic difference falls. However, to show that Schleiermacher is not the sole thinker to have avoided said problems in linguistic difference, Jocelyn Benoist’s contextual realism will be addressed. It will be demonstrated that Benoist’s thought can compete with Schleiermacher’s in the utilization of linguistic difference. The explanation of Benoist’s contextualism, in turn, will lead to a discussion of Schleiermacher’s Academy address “On the Different Methods of Translating,” at which moment I will argue that Schleiermacher’s thought can be interpreted as taking a first step toward a philosophy of language that goes further than Benoist’s in regards to the observation, appreciation, and expansion of linguistic differences.
2 A Brief Introduction to Schleiermacher’s Hermeneutics As I read it, there is a worry that runs through the entirety of Schleiermacher’s philosophy: the concern of understanding, really understanding another. This is not a simple worry, nor does Schleiermacher find a simple solution to it. For him, there is always difference to be overcome through discourse – whether historical, cultural, or linguistic – and regardless of genre or discipline. It can even be a matter of differing personal
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opinion amongst the closest of family or friends.² Not that this difference can ever be fully overcome: there is always a bit of a divide, however small; a distinction in thought from person to person. This is where Schleiermacher’s relativism is essential to his art of understanding and consequently to his epistemology and ontology.³ Relativism, broadly conceived, is the philosophical theory according to which there is an opposition between conceptual scheme and content.⁴ To avoid a lengthy discussion of said opposition, the concise – albeit vague – definition of a conceptual scheme is our subjective view of the world, and content may be defined as the world itself, whatever we may consider to make up said world. Linguistic relativism, which will soon prove important, is the theory that our conceptual scheme is determined by the language we speak. Therefore, different languages offer different world views. Schleiermacher’s relativism proposes many factors – linguistic, cultural, national, historical, etc. – that shape our experiences differently, leading to different world views. Importantly, the relativism he holds is so fine-grained that, as mentioned, there is an irreparable divide between the world views of any two subjects. However detailed Schleiermacher’s relativism might be, it is important to note that it is not an absolute relativism, which would wrongly imply that Schleiermacher is a sceptic.⁵ Schleiermacher did adhere, to a degree, to such a view but he also very much believed in the absolute and, more importantly for the matter at hand, the progression of knowledge. It is true that, for Schleiermacher, we always approach the world from a perspective. But each perspective, when knowledge is concerned, can be joined to all others in a dialectic that will, when done properly, progress more and more toward knowledge. As our perspective is constantly widened (not simply changed) through its encounter with difference, and our concepts and judgements are consequently refined in the course of dialogue, we find where we are in agreement and, in so doing, we home in on what all our different experiences have in common, on what is not relative in our relative 2 “Even in everyday life if, in a case where the language is completely the same and completely transparent, I hear the utterance of another and set myself the task of understanding it. I posit a difference between him and myself. But in every case of wishing to understand another the presupposition is always present that the difference can be overcome. The task is to go more precisely into the nature of and the reasons for the differences between the speaker and the one who understands” (Schleiermacher 1998, 101). 3 “La dialectique […] reflète alors en son mouvement le mouvement du cosmos: elle est à la fois théorie de la connaissance et ontologie” (Berner 1995, 117). “Thus the movement of the dialectic […] reflects the movement of the cosmos: It is both theory of knowledge and ontology” (my translation). 4 See Baghramian 1998. 5 “Schleiermacher se confronte explicitement, dès 1811, avec le scepticisme, qu’il rejette. Le savoir exige une construction des concepts qui ne soit pas seulement empirique. […] L’identité des constructions doit être fondée du côté de l’être, même si elle s’avère continument dans l’expérience, conformément à la dimension historique du savoir qui est ‘toujours en devenir’” (Thouard 2015, 63). “By 1811, Schleiermacher was explicitly confronted with scepticism, which he rejected. Knowledge demands a construction of concepts that is not solely empirical. […] The identity of constructions has to be founded on the side of being even if it appears continuously in experience in accordance with the historical dimension of knowledge which is ‘always becoming’” (my translation).
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experiences. As Schleiermacher sees it, this is the way to finding homogenous, absolute reason or “non-empirical being” – for lack of a better word – of which we are all partly constituted. That being said, absolute agreement and absolute knowledge must remain regulative ideas, as we are also constituted by the empirical and so by changing and different individual lives.⁶ Diversity and constant becoming of life are essential to us, as they make up our physical, existing, individual being. Diversity and becoming are likewise what constitute the physicality of what there is or, as Schleiermacher puts it, of the cosmos. This ever-changing multiplicity is part of existence, which means that knowledge must be an endeavor to find unity in difference and to unify this with all difference – even if, because we are empirical beings, we cannot fully transcend the empirical and obtain absolute knowledge, absolute unity. More to the point, the absolute, the opposite of the relative, is of great concern for Schleiermacher and constitutes half of the dialectic that is knowledge, as it were. There is in Schleiermacher’s thought a hierarchy to our concepts with absolute knowledge at the top.⁷ Some might consider this to not make Schleiermacher a relativist at all, and we might better define him as a “relativistic absolutist.” That is, although not a true relativist, the term remains helpful for characterizing a significant pole of Schleiermacher’s epistemology as well as his hermeneutics. In any case, the point in bringing up the dialectic between the relative and the absolute is to clarify how the relative side in Schleiermacher’s dialectic, which is key to his art of understanding, diverges, in a positive way, from other relativisms adhering to linguistic difference. To explain, allow me to briefly compare Schleiermacher’s relativism as applied to language with that of Quine, whose philosophy of language is among the most influential in analytic philosophy.
3 A Brief Introduction to Quine’s Relativism Quine was a philosopher in the empiricist tradition. He held “that knowledge, mind, and meaning are part of the same world that they have to do with, and that they are to be studied in the same empirical spirit that animates natural science.”⁸ As the latter half of this citation shows, Quine’s empiricism can be defined more precisely as a naturalism, as he placed his faith entirely in the natural sciences.⁹ Consequently, Quine saw his linguistic relativism – which makes a distinction between our conceptual scheme got at by language and the content it is about – as founded in the natural sciences. On this, Peter Hylton writes, “it is because he takes the vocabulary of natural science as giving us the best available knowledge that he is able to distinguish scheme
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See Berner 2015, 53; Berner 1995, 135. See Thouard 2015, 64; Berner 1995, 108. Quine 1968, 185. See Quine 1968, 39.
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from content.”¹⁰ It might be said that Quine’s fundamental stance as a naturalist means that he is, in fact, not a relativist at all, and there is indeed a sound argument to be made for such a claim.¹¹ That being said, what is of interest at present is neither a penetrating exploration of Quine’s naturalism nor an argument for or against his essential relativism. We are rather concerned with his linguistic relativism as a second-order relativism (because it depends on theories to which his naturalism adheres), and specifically, a key trend therein. To get at said trend, let us take a small detour through Quine’s philosophy of language in order to better understand where it emerges. One of Quine’s principal philosophical goals was to rid empiricism of meanings, or universal mental tokens. To do so he turned to language: “When a naturalistic philosopher addresses himself to the philosophy of mind, he is apt to talk of language. Meanings are, first and foremost, meanings of language.”¹² In accordance with his naturalism, Quine used a behavioral approach to language, and so, to meaning. On this he famously wrote, “there is nothing in linguistic meaning […] beyond what is to be gleaned from overt behavior in observable circumstances,”¹³ thereby dispelling meanings as mental entities. But, by turning to language he also hoped to dismiss another universalist theory: the empiricist view that we can determine certain referents by purely empirical means, or rather that we have unmediated access to certain sense-data. To show there is no such universal access to the world, Quine set out to justify the fact that the empirical acquisition of language through overt behavior in observable circumstances does not necessarily lead to the same objects across languages, even when the same sensory stimulations are referred to.¹⁴ In a word, the conventional view holds that languages express universal propositions and / or meanings, whether mentalistic or empirical. Denying this, Quine holds instead that a language is a conceptual scheme, that a conceptual scheme is an empirically founded system of categorization of sensory-stimulation into objects, and that objects are what are assumed to exist relative to a given scheme and are therefore in no way universal. To clarify, I will summarize what is probably Quine’s most well-known thought experiment. A translator goes to a foreign country to translate into English a language of which no translation into any other language has yet to be done. The translator begins her work by attempting to find the meaning of a word she has heard the native speakers of the object language use: “Gavagai.” She hypothesizes that “Gavagai” means “rabbit” in English. To test this hypothesis, the translator conducts several trials, pointing to
10 Hylton 1997, 80. There is therefore no ultimate truth outside of the natural sciences for Quine but neither is there an ultimate truth within them (at least for the early Quine): “Scientific method is the way to truth, but it affords even in principle no unique definition of truth” (Quine 2013, 23). 11 See, for instance, Hylton 1997, 80 – 81; Laugier 1992, 127– 129. 12 Quine 1968, 39. 13 Quine 1987, 5. 14 Quine prefers to talk of “sensory stimulation” instead of “sense-data,” “content,” or the “the world.” This is done, according to him, to stay in keeping with contemporary scientific theories.
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rabbits every time they are present and stating “Gavagai,” to which the native speakers of the language always assent. Likewise, she points to the same scenarios when the rabbits are no longer present and states “Gavagai,” which always receives unanimous denial from the native speakers. She then concludes that “Gavagai” in the object language means “rabbit” in the target language as both “rabbit” and “Gavagai” would be affirmed or denied in each and every case of identical sensory stimuli. However, even with such empirical evidence, Quine notes there would be no way of knowing whether the empirical observation that corresponds to “Gavagai” is classified in the same manner as that corresponding to “rabbit” is classified in English. That is, “Gavagai” could mean rabbithood, stages of rabbits, brief temporal fragments of rabbits, etc., none of which are how we classify the empirical observation in English that prompts us to assert the presence of a rabbit. The point is, even when two words of two different languages are considered synonymous based on all the empirical evidence one could possibly accumulate, there is no way to know whether the two languages classify sensory stimuli in like fashion. Given that empirical evidence is all the evidence there is to go on, there can be no matter of fact about which of these ways of classifying the empirical observation is the correct translation for “Gavagai.” To settle the matter, one would have to become fluent in the language. This means there is no purely empirical measure of translation of reference from one language to another because what the stimulation of our surfaces shows can be divided in a myriad of ways. The fact that any observation can be categorised in a myriad of ways undercuts justification for the claim that a word is merely a phonetic stamp on an object, to which we all have direct empirical access. Instead, it supports Quine’s argument that language is a conceptual scheme. This conceptual scheme is a complex system of categorization of sensory stimulations into objects. Although it is learned empirically, the determination of each object relies on the scheme as a whole, not solely on reference to sense-data, and the determination of each object is therefore relative to the conceptual scheme.
4 Relativism in Quine and Schleiermacher This all too short summary of Quine’s second-order linguistic relativism was meant as a brief introduction to a form of linguistic relativism other than Schleiermacher’s in order to soon bring out a negative trend therein that is not present in Schleiermacher’s thought on linguistic difference. Naturally, such a sketch is insufficient to carry the weight of a proper comparison between the two. However, a more well-rounded account of both would reveal that there are many similarities between the definitions of language that each proposes. For instance, both hold propositions – composed of a subject and a predicate¹⁵ – to be the smallest unit of understanding, and both
15 Berner 1995, 273.
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hold everyday common nouns, i. e., things, to be the core of language.¹⁶ On this Quine famously writes, “linguistically, and hence, conceptually, the things in sharpest focus are the things that are public enough to be talked of publicly, common and conspicuous enough to be talked of often, and near enough to sense to be quickly identified and learned by name.”¹⁷ For both Quine and Schleiermacher, the meaning of a word is not an innate given but rather is found in its use. More specifically, meaning is, for both, a loose norm learned through context by empirical means (what Quine refers to as a norm¹⁸ Schleiermacher refers to as a curve).¹⁹ This total context dependency of meaning²⁰ entails a holistic view of language,²¹ which in turn implies Schleiermacher and Quine’s mutual denial of the analytic-synthetic distinction.²² Consequently, both Quine and Schleiermacher speak of languages as so many conceptual schemes from which there is no stepping out:²³ there is no purely neutral ground outside of a scheme, accessible to humans, on which to base our knowledge.²⁴ Briefly put, both see language as structured in a similar way and as an empirically acquired conceptual scheme whose meaning works holistically according to norms dependent on use. For both this means that our world view is relative to our language from which no one and no stance is exempt. Given the linguistic relativism that both Schleiermacher and Quine espouse, how can we come to understand those from a distant conceptual scheme or even an indi-
16 Berner 1995, 157, 203, 273. Both also hold the verb to be part of the predicate as that which is affirmed of a thing. See Berner 1995, 120; Quine 2013, 176 – 189. 17 Quine 2013, 1. 18 Quine 2013, 85 – 90. 19 Berner 1995, 159. Schleiermacher’s emphasis on use, as Christian Berner notes, is also comparable to the pragmatist tradition which Quine proudly espoused (Berner 1995, 158 – 159, 279). Additionally, the empirical acquisition of language that Schleiermacher defends – adopted no doubt from Herder – affiliates him with empiricism, a tradition Quine openly embraced. 20 More specifically, in Schleiermacher’s thought, the context dependency of meaning is learned empirically, which is the only means available to humans. 21 Berner 1995, 236; Quine 2013, 31. Schleiermacher holds that not even the meaning of “identity” can mean exactly the same thing from one language to another. 22 See Quine 1951; Bowie 1998, xxi. 23 Schleiermacher 1998, 274. See also Hermans 2015, 96. 24 Consequently, we must start our quest for knowledge in the middle. Neurath’s boat needing to be rebuilt while afloat works for Schleiermacher’s dialectic of the sciences as much as for Quine’s naturalism, or “the recognition that it is within science itself, and not in some prior philosophy, that reality is to be identified and described” (Quine 1981, 21; see Hylton 1997, 78 for more on Quine’s naturalism). Be that as it may, both hold knowledge to be a goal we must strive for but which can only be approximated, even if we are getting nearer to it as our disciplines advance. This means that all concepts do not have the same value and the conclusions drawn by the sciences are esteemed by both Quine and Schleiermacher above all others (although what they each consider to be the sciences does differ). There are many other similarities between the two philosophers’ thought. To name just two more: both believe that language acquisition in early infancy is an important place to look in order to better understand thought (Berner 1995, 233), and Schleiermacher sees language as a tool of communication which is essential to humans and which is analogous to Quine’s evolutionary pragmatism.
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vidual from our own culture and language? Both hold that we must assume that the incommensurability of difference can be overcome, or rather that the other is not in fact so different from us that no discussion can be had. Schleiermacher believed, as Andrew Bowie writes, that “even though we cannot know whether the other person hears or sees as we do, we assume that knowledge is constituted in the same way in everyone for there to be knowledge at all.”²⁵ This assumption of common ground is precisely what Quine referred to as the principal of charity (which Donald Davidson popularized in a different sense) and defended in the following way: How would this man have learned his own language? How likely is it that he as a child (and his compatriots likewise) would have picked up a language that had such funny complex twists when translated over into English? […] How likely is it rather that he thought it was snowing when it wasn’t, and that what he saw was just some dust from the roof top?²⁶
Though the similarities between Schleiermacher and Quine’s brands of what could be referred to as a soft relativism are clear, there is a fundamental difference between them. The difference is between the promised negative trend in Quine’s philosophy and Schleiermacher’s alternative, positive approach. How each theorizes the assumed common ground of knowledge or that which Quine’s “principle of charity” concedes highlights the difference well. Despite language’s evolutionary practicality, Quine speaks of language as a constraint on thought and of linguistic difference as an inevitable hindrance to truth (an accurate understanding of the world). That is, it is put in a negative light and opposed to objective truth even if the latter cannot be achieved.²⁷ Indeed, given this pessimistic attitude toward difference, it is not surprising that Quine had a tendency to trivialize the differences for which his linguistic relativism would seem to advocate. He writes for instance, “one frequently hears it urged that deep differences of language carry with them ultimate differences in the way one thinks, or looks upon the world. I would urge that what is most generally involved is indeterminacy of correlation. There is less basis of comparison – less sense in saying what is good translating and what is bad.”²⁸ In a word, in these seemingly drastic cases, there are not deep-seeded differences between languages so much as a lack of any determinate method of correlating words from a target language to an object language. In this way, Quine does away with significant difference.
25 Bowie 1998, xxvii–xxviii. Berner additionally writes, “Schleiermacher setzt die Identität der Vernunft voraus, die wir ja immer voraussetzen, wenn wir miteinander reden, und die Bedingung dafür ist, dass wir uns überhaupt verstehen” (Berner 2015, 57). “Schleiermacher assumes the identity of reason, which we always assume when we speak to one another, and which is the condition of our understanding each other at all” (my translation). 26 Quine 1974a, 328. 27 See footnote 11. In his later years, Quine became more and more of a naturalist, claiming that natural science could, in fact, pave the way to a true account of the world. 28 Quine 2013, 70.
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In the same vein, Quine was able to build his theory of the genealogy of language on the theory of evolution due to his naturalism. In so doing he formed a theory according to which much of our conceptual scheme is based on biological mechanisms. His naturalism is not only arguably what allows him to avoid a true relativism but it is also what grounds language acquisition in biological mechanisms in humans, pushing the differences in conceptual schemes to a late stage of the process – once again, diluting the differences to which his linguistic relativism would seem to adhere.²⁹ With these examples it is easier to see how the view that relativism should be weakened as much as possible is also at the heart of Quine’s principle of charity, which is meant to demonstrate that we all think more or less in the same way.³⁰ Quine’s principle of charity then is meant to diminish the differences that his linguistic relativism appears to propose. The tendency to see linguistic difference as a problem for truth and to lessen the differences rather than embrace them, even when a relativistic stance is adopted, however provisory, is the negative trend pervasive in Quine’s philosophy that his principle of charity represents. In contrast to this, Schleiermacher’s absolutism, or what he refers to as reason, is the universal counterpart to difference, two halves of a whole. It can therefore be seen as said common ground which unites us, our common spiritual constitution. It is also the necessary element for discussion to be had, despite our differing experiences, despite the relativity of language and therefore of thought. That being said, in Schleiermacher’s hermeneutics and theory of translation, in contrast to Quine’s philosophy of language, the absolute, the common ground, does not seek to belittle linguistic difference, it does not cancel out differences in language and therefore the dialectic of knowledge. In Schleiermacher’s thought common ground and difference are two halves of the dialectic in discussion with one another. More specifically, common ground is the foundation that permits our differing experiences to be addressed, to come together in a discussion, in a dialectic that is always evolving, always expanding, seeking more common ground but only through differences – it is true that, in the hierarchy of the dialectic, absolute knowledge is at the top, but to privilege one element is not to discard all others. These differences are not only what help us to achieve more common ground, but also recall the differences constitutive of the empirical. It is only through difference in discussion with common ground that we can get knowledge, not only of the absolute, but also of the entirety of what there is. In a word, instead of a tool used to dilute difference as much as possible, Schleiermacher’s common ground proposes a place to engage differences in a dialectic. In regards to language, whereas Quine sees the differences constitutive of his relativism as a problem to be solved in the name of common ground, Schleiermacher’s hermeneutics and theory of translation endorse and value the different linguistic experiences at the heart of lin-
29 See Quine 1974b. 30 See also Quine 2008, 316.
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guistic relativity precisely by putting them in discussion with the absolute, with our common ground.
5 Schleiermacher on Relativity, Difference, and Individuality Contrary to Quine, it seems that one reason Schleiermacher was able to find value in linguistic relativism is that it is constituted by difference, which his art of understanding arguably led him to appreciate. It is true that difference and change are the mark of the empirical – one half of the cosmos, and therefore of one half of knowledge – as well as that which propels us toward knowledge of the absolute, and this is no doubt important. That being said, there is another reason why I see optimism in Schleiermacher’s assessment of difference. For him, difference is the mark of individuality. This individuality can be that of a language, a nation, a culture, and so forth, but I will here focus primarily on the individuality of a person. Individuality can be described as the characteristic of having a singular perspective. In other words, individuality is uniqueness, the mark of difference in a person that can contribute to the dialectic of differences that expands culture – language, art, science, etc. That being said, the individuality of primary concern for Schleiermacher, at least in his hermeneutics and theory of translation, is not that of the everyday individual who, because not uniquely gifted, has but a modest contribution to make to the development of culture. It is instead the “free-thinking, intellectually independent individual” with which Schleiermacher is most concerned.³¹ This is anyone unique enough to bring something new to the table – to make it show through in a worthwhile way. For language, this means constructing and relating phrases in a novel way and thereby forming new ideas or a new style and adding to the language, that is, to communal knowledge.³² That being said, novel creation in language is not a simple task because, as Theo Hermans notes, “language itself, as a common property, is not equipped to express individuality” nevertheless “artists can force it to do just that.”³³ Language is destined for practical purposes and so typically expresses communal thought. It is in this sense that language is meant to constrain thought, to express what is most widely understood, or the “common” (not to be confused with common ground). This is why most people simply employ practical language and can only bring minor changes to the table. But the uniquely creative mind is able to bring out new forms from old molds.³⁴ In the words of Schleiermacher, “it is the living force of the individual that
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Schleiermacher 2012, 46. Schleiermacher 2012, 256. Hermans 2015, 95. Hermans 2015, 83; Berner 1995, 206.
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causes new forms to emerge from the tractable matter of language, […] an act that can only have emerged out of [their] particular being.”³⁵ However, this act is not done in isolation. We saw above that a dialectic between differing experiences is necessary to find what is shared among all, thereby uncovering knowledge. Let us focus for a minute on the former half of this dialectic. Differing perspectives are necessary for the evolution of all concepts.³⁶ Language, when understood as the expression of individuality – the singular differences that constitute the uniqueness of an individual – is precisely that: expression (Ausdruck). This means that, despite the cohesion necessary to language, because we share our thoughts with other individuals through spoken and written language we create a discussion, a dialectic, an evolution of the language. In the words of Schleiermacher: “Everything in each nation forms one knowledge, but [it is] enlivened by a large amount of individuality and relative oppositions.”³⁷ Thus, on the one hand, language is a conceptual scheme whose practical purposes of communal understanding constrain thought; on the other, thought is a continuously active exchange of individuals through the shared means by which each individual has the opportunity to express themself. This discussion, especially when genuinely unique minds are involved, is what allows the said means of expression – language – to keep growing, to keep becoming, to keep being created, as it were. It is this expansion, this side of the dialectic, whether within one language or among several, that allows us to improve our conceptual resources to home in on the absolute, on reason, on knowledge (and, in regards to the discussion of world views, what allows us to piece together facts about the world, as the world is the shared experience that our languages talk about).³⁸ All this to say that I believe Schleiermacher’s thought to contain a central idea that is quite rare when speaking of relativism. This is that relativity necessarily implies difference: differing experience, different perspectives, and more generally, different world views. However, these differences are not merely a negative feature that should be diluted.³⁹ As mentioned, being is a dialectic between the relative and the universal,
35 Schleiermacher 2012, 46. 36 “Personne ne peut développer pour lui-seul des concepts; il y faut de la coexistence [Zusammensein] avec d’autres et la communication des concepts” (cited by Berner 1995, 169). “No one can develop concepts on her own; coexistence [Zusammensein] is needed with others, so is the communication of concepts” (my translation). 37 Schleiermacher 1998, 242. 38 “Every human being is, one the one hand, in the power of the language he speaks; he and all his thought are its products. He cannot think with complete certainty anything that lies outside its boundaries; the form of his ideas, the manner in which he combines them, and the limits of these combinations are all preordained by the language in which he was born and raised: both his intellect and his imagination are bound by it. On the other hand, every free-thinking, intellectually independent individual shapes the language in his turn. For how else if not by these influences could it have gained and grown from its raw beginnings to its present, more perfect state of development in the sciences and arts” (Schleiermacher 2012, 46). 39 See, for instance, McDowell 1994; Davidson 2001.
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between difference and the absolute. The former causes everything to change, to constantly become: it creates. Relativity, as that which is marked by difference, is in our very being. This relativity is our different experiences, perspectives, world views: it is our individuality. This is why individuality, when worthwhile, shows through in an act of creativity. In fact, the matter might be better put the other way around. I believe that it is the fact that Schleiermacher saw difference as the mark of relativity, but also as the mark of individuality, and that (and this is essential) he saw individuality as a thing to be so highly valued, that he was able to see relativity as the creative half of a whole: to see relativity not solely as a constraint, but also as a “treasure.”⁴⁰ In this sense, the individuality of one language – got at through the exchange of individuality amongst people – contrasted to that of other languages, is the linguistic relativity of which Schleiermacher held that “the sum of linguistic difference reflects the richness of the human mind.”⁴¹ Schleiermacher valued relativity because it is marked by difference, and understood difference as that which constitutes individuality. He also viewed the discussion between different individualities as that which creates. This creative relation between relativity, difference and individuality is what I find so positive in Schleiermacher’s thought. It is also an important part of what I believe allowed Schleiermacher to find a constructive notion of linguistic difference. Most philosophers have not made a connection between relativity, difference, and individuality and have certainly not put linguistic difference in a creative light. Quine’s brand of linguistic relativism is an example of the pessimistic view of linguistic relativism that the trinity of (linguistic) relativity, (linguistic) difference, and individuality manages to avoid through Schleiermacher’s dialectic. This is because the differences in Quine’s linguistic relativism are seen as a problem to be resolved in the name of homogeneity of thought, which Schleiermacher calls reason and we have called common ground. It is true that Schleiermacher equally values homogeneity, but he seeks knowledge through change and conceptual expansion, through the relativity, difference, and individuality necessary to the progression of knowledge. Contrary to Quine, Schleiermacher does not find a solution to the search for truth⁴² by diminishing difference. Instead, he finds creativity therein and puts this to use in the pursuit of knowledge, a discussion that is reflected in the cosmos. Despite the many similarities their respective forms of linguistic relativism share, Quine’s pursuit of knowledge through relativism diminishes linguistic differences, whereas Schleiermacher’s dialectic allows for a creative richness in it that additionally contributes to the expansion of knowledge.
40 Cited by Berner 1995, 91 (my translation). 41 Cited by Hermans 2015, 96. 42 Or, in the case of Quine 1981, 39, justified belief.
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6 Benoist’s Contextualism as an Advance on Quine’s Relativism Despite the fact that the pessimism brought out in Quine’s linguistic relativism is arguably representative of a wider trend in philosophy of language since the linguistic turn, notably in analytic philosophy, not all contemporary philosophers find negativity in linguistic difference. One such philosopher who was influenced by the linguistic turn in analytic philosophy but who also finds a way to avoid the aforementioned negative trend is Benoist.⁴³ His philosophy, though conceptually quite far from Schleiermacher’s hermeneutics and theory of translation, squares well with the latter’s view that difference (in part) makes up reality and linguistic difference is necessary for knowledge of reality. Benoist refers to his thought as a contextual realism, and it is associated with the wider budding school of new realism. It would be unwise to classify Benoist’s thought as a soft linguistic relativism, even tentatively, as was done with Quine and Schleiermacher’s thought on language. Firstly, because Benoist explicitly opposes his thought to linguistic relativism and secondly, because his philosophy is a form of realism, which, again, is in conflict with the distinction between conceptual scheme and content. That being said, the use of norms that measure reality in different ways is what Benoist claims should be retained of linguistic relativism.⁴⁴ Even if in Benoist’s philosophy not all norms are linguistic, he claims that “in a certain sense, in its capacity to determine things correctly or incorrectly, language is the paradigm of all norms.”⁴⁵ Much like in Schleiermacher’s and Quine’s philosophies then, Benoist gives a privileged place in thought to language and the different norms that make it up. However, the difference between norms in Quine’s and Schleiermacher’s soft linguistic relativism and those in Benoist’s contextualism lies in the latter’s realism. Following Maurice MerleauPonty, a norm, or what he and Benoist also refer to as intentionality (and the latter additionally refers to as an attitude or handle) is a normative act by the subject that binds her to reality. In this sense norms are “the modes of our cognitive anchorage in reality.”⁴⁶ This is because, when properly used, these norms actually ascertain reality, or what Benoist terms the real (le réel) in order to avoid the notion of a unified reality. In his words “real being is precisely what is ascertained by the norm when it is applied correctly.”⁴⁷ Our use of norms therefore anchors us in reality, binds us therein, by determining the real. That being said, norms – when correctly applied in a given context – grasp the structures of the real and, in this way, determine it. Put the other way around, norms, when correctly applied, do not come from a scheme but 43 44 45 46 47
Charles Benoist Benoist Benoist Benoist
Travis, to whom Benoist claims to owe his contextualism, is another example. 2011, 62. 2017, 120 (all translations of Benoist are mine). 2017, 42. 2017, 22 – 23.
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from structures of the real itself. This direct and reciprocal contact between cognitive norms and structures of reality is what differentiates Benoist’s realism from relativism’s scheme content distinction. More specifically, it is what distinguishes Benoist’s contextual realism from linguistic relativism, whose scheme, he argues, amounts to “free-floating forms of discourse as such that are independent from all anchorages” in the real.⁴⁸ Differences in norms are essential to Benoist’s contextualism. To explain how, it is first necessary to get a deeper understanding of the importance of context in his thought. In Benoist’s contextual realism there are a vast array of norms that can be applied to describe the real. How well they manage to capture the structures of reality depends on the context in which each norm is applied. That is, when the correct norms are used, we manage to capture the real correctly – to better or worse degrees depending on the norm and the context. But each context calls for different ways of defining the situation, or rather, each context calls for the application of different norms. As Benoist writes, “if for instance a certain object is posed in front of me, in some circumstances, it would be normal to reply that it is a book, in others that it is a paralepidid. There is no answer to the question ‘what is there’ that is not regarded in a certain way.”⁴⁹ There is, therefore, no ultimately correct way to describe a given object or a given situation. Instead, there are various norms that fit an object or a situation better or worse depending on the context. To finish an earlier quote, “real being is precisely what is ascertained by the norm when it is applied correctly. That is, that which, in a given context, is determined in this way or that.”⁵⁰ All interactions we have with the real are therefore contextual and the accuracy of the application of a norm can only be judged based on the context to which it is applied. The differences in norms, and importantly in linguistic norms, are therefore essential to Benoist’s contextualism, as the norms that are fitting for any one situation will have a multiplicity of possibilities that depend on the context. That being said, the differences are not solely conceptual as “‘ways of thinking’ are as much at play as corresponding real mechanisms.”⁵¹ The contextuality of norms is mirrored in the structures of the real. The idea that there is an array of norms that apply adequately to one state of affairs because of the diversity of contexts aligns well with Schleiermacher’s stress on the importance of individuality and differing experiences as that which makes up relativity and allows us to understand reality. Whereas Schleiermacher sees the creative discussion that progresses toward knowledge as that of a plethora of individuality and relative oppositions, Benoist’s contextualism proposes that each individual has a different hold on a state of affairs, describing it their own way, and consequently unearthing a new structure of the real: “if we are asked to represent what there is, we each do it
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Benoist Benoist Benoist Benoist
2017, 51. 2011, 54. 2017, 22 – 23 (my italics). 2011, 46.
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differently and, in the light of these representations, a new real appears.”⁵² If different norms applied to the same state of affairs ascertain different structures of it depending on its context, and different people apply different norms based on their particular take on the context, then the individuality of each person’s perspective can open a different part of the real, that is, more of its contexts. The differences from person to person, the particularity relative to each, and the individuality that is brought to a given context of a given state of affairs can therefore be seen as constitutive of knowledge of reality. Benoist’s emphasis on difference, whether it be of norms or of contexts, indicates another point of agreement between Schleiermacher’s hermeneutics and theory of translation and Benoist’s contextual realism. This is the significance of the differences from one language to another. As we saw, Schleiermacher held linguistic difference to be essential to evolution in the pursuit of knowledge. The differences between linguistic norms from one language to another are equally important to Benoist’s philosophy. The most visible norms in Benoist’s contextualism are linguistic but linguistic norms change depending on the language in question. This means that one state of affairs or one object has a number of different norms that apply to it correctly or incorrectly depending on the context, but also that these norms differ from language to language, yet all can still reveal structures of the real. In a word, different languages can answer the question “what is there?” differently and all be right in their way – in each case where a language describes the real correctly – as each allows a new real to appear. Because norms and the real are contextual, Benoist’s contextual realism tolerates incommensurability between differing linguistic norms from language to language without sacrificing either knowledge or our direct engagement with reality. Although there are fundamental conceptual differences between Schleiermacher’s relative absolutism and Benoist’s contextual realism, there are commonalities between their respective theories. Both endorse linguistic difference and both maintain incommensurability to be essential to thought and to reality. Consequently, neither thinker attempts to soften the blow of difference, as it were. This also means that neither perceives linguistic difference as an inevitable hindrance to knowledge. Quite the opposite, the differences from language to language that both thinkers’ theories propose do not pose a problem for our knowledge of reality because each, in his own way, accounts for these differences as a means to ascertaining reality. In summary, in Schleiermacher’s thought (linguistic) relativity, difference, and individuality are essential to the dialectic of knowledge whereas, for Benoist, the differences from language to language and from person to person constitute norms that provide an anchorage in different contexts of the real. Both theories are similar in so far as they shine a positive light on the differences in people and across languages, refuse to oppose said differences to knowledge, and find them reflected in reality. This attests to the fact that Schleiermacher is not the sole thinker to have avoided the tendency to see difference as a problem for reality and
52 Benoist 2011, 55 – 56.
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linguistic difference as a problem for knowledge of reality. Additionally, it shows he is not alone it thinking it is unnecessary to diminish linguistic difference after having proposed it. It could be argued that Benoist’s contextual realism manages to put linguistic difference in as much of a positive light as does Schleiermacher’s hermeneutics and theory of translation. That being said, I believe there is a reading of Schleiermacher’s philosophy that could suggest how to embrace difference even further. Viewed in a certain light, Schleiermacher’s emphasis on linguistic difference may even exceed that for which Benoist’s contextualism advocates.
7 Schleiermacher’s Advance on Linguistic Difference Schleiermacher’s hermeneutics and theory of translation reveal a dedication to understanding as opposed to making oneself understood, which is arguably one of the reasons he embraced difference, or at least this is what furthered his appreciation of it. Connecting relativity with difference and difference with individuality, he was able to put linguistic difference in a positive light all the while fending off worries of linguistic difference being an obstruction to knowledge. So far, however, Schleiermacher’s thought, like that of Quine and Benoist, has presented no major variation in linguistic experiences or abilities aside from educational or cultural differences. Each philosopher has been addressed as regarding language as that which provides different experiences of the world, but in a systemic way in accordance with the uniform theory of each. In a word, each tacitly assumes a universal interaction with language from mind to mind. It would be hard to find a reading of Quine’s or of Benoist’s philosophies that contradicts the universality of the place of language in the mind, and an adherence to said relation is surely the most common and uncontroversial reading of Schleiermacher’s thought. That being said, I believe Schleiermacher’s dedication to difference pushes him to note certain particularities that can be read as the preliminary observations, whether conscious or not, for a reworking of linguistic difference. This reworking is founded on the notion that, in certain special cases, all people do not experience language in the same way. In light of this reading, another look at the triad relativity, difference, and individuality might be a basis on which to open the discussion anew as to what exactly constitutes the kinds of differences within linguistic difference. The aforementioned observations are found in certain key passages of Schleiermacher’s pivotal essay “On the Different Methods of Translating” where he mentions those men who feel such natural affinity to a foreign state of being that they immerse themselves, in both their lives and in their thoughts, in a foreign language and its works, and as they occupy themselves entirely with a foreign world, they allow their native world and their native tongue to become quite foreign to them; […] those other men who are destined to represent the power of speech in all its glory and for whom all the languages they can somehow acquire are equally
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serviceable and suit them as if made for them [and those who] as fluently as they might read a foreign tongue will yet retain while doing so a feeling of the foreign.⁵³
Schleiermacher does not proceed to give much explanation of these different ways of interacting with language, nor does he put much trust in the first two examples. Indeed, he tends to be condescending to almost everyone who believes they are able to abandon their mother tongue for another, or considers themselves able to think equally well in a myriad of languages. Schleiermacher describes the latter case as usually involving people who merely paraphrase one language to another. In this case, no profound thought, nothing of import can emerge as there is nothing that touches on individuality, neither of the language nor of the mind. In regards to this, Schleiermacher writes that “these speeches represent language neither in all its sacred gravity nor in its pleasant well-measured play.”⁵⁴ He was even more wary of the former circumstance, of which he writes “if someone has turned against nature and custom and deserted, as it were, his mother tongue, devoting himself instead to another, […] he is seeking to convince himself that his nature really is a natural wonder that subverts all hierarchies.”⁵⁵ Schleiermacher was in fact so distrustful of most of the purported cases of these two ways of relating to language, and seems to have found genuine cases so rare that I would be tempted to say that he believed there to be no such authentic cases at all and that he offered these examples up entirely facetiously, were it not for his sincere respect for individuality and, above all, for what he called genius. Schleiermacher also refers to writers he considered to be geniuses and who he considered to have utilized languages other than their mother tongue in order to express the individuality of their ideas that could not be got at through their first language (nor were these ideas shaped by their first language for that matter). In “On the Different Methods of Translating,” in which are found the disparaging remarks on the first two ways of living language, Schleiermacher also offers Hugo Grotius, Gottfried Wilhelm Leibniz, and Frederich II of Prussia as examples of genius who sought refuge in foreign languages to express the novelty of their thought. About the first two he writes “Grotius and Leibniz could not, at least without having been other people entirely, have written philosophy in German and Dutch.”⁵⁶ And about the third he states “all the noblest and finest thoughts of our great kind came to him in a foreign language, which he had made his most intimate property.”⁵⁷ It can hardly be said that Schleiermacher speaks of these three authors’ relations to language in the same condescending fashion as he does of the common man who fails to engage in language’s originality and consequently in genuinely individual thought. The reasons may be specific and the cases rare, but 53 54 55 56 57
Schleiermacher Schleiermacher Schleiermacher Schleiermacher Schleiermacher
2012, 50, 53. 2012, 58. 2012, 59. 2012, 57. 2012, 57.
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Schleiermacher does seem to hold that where sincere individuality is of concern, individuals can have different experiences of language. To recall what I argued in section five above, worthwhile individuality is that of a mind that stands in a creative relation to language. This relation is different from the typical way in which language works; that is, the individual and creative mind changes the common means of expression – language – in a significant way. This amounts to saying that certain individuals have a special capacity to enrich language, or rather, that certain individuals have a unique relation to language. But we have additionally seen that there is more than one way of living a language amongst said creative individuals. Certain gifted individuals can bring changes to their language, others have a natural affinity to a foreign language and are more at home therein, and finally others can acquire a myriad of languages and use them all without issue. When true individuality, or rather genius is of concern, language does not necessarily work in the same way from one person to another. We should also not forget the other option Schleiermacher offers as an experience of language: that of the majority. The common individual, even if she does speak other languages, can only appreciate the individuality of her first language and typically expresses only what is common in it. Schleiermacher’s emphasis on understanding made him deeply appreciate difference, which led him to appreciate individuality and to see that not everyone’s experiences of language are alike.⁵⁸ If different people have different ways of living language, then it can be suggested that Schleiermacher’s work on linguistic difference indicates a first step toward posing questions that are all too rarely addressed in philosophy of language: How might we account for the fact that an individual can feel more at home in a language other than the one she grew up in? Why do some people feel comfortable in several languages while others, with the same upbringing, do not? Why do some people have a more creative relation to language than others? However, I would argue that these questions take a first step toward even more fundamental inquiries in philosophy of language. For instance: If different minds have different ways of interacting with language, are all minds influenced by language in the same way or even to the same extent? This last question brings us to another which is even more essential: Is it fair to hold that language and thought are connected in a uniform manner? The handful of Schleiermacher’s comments on individuality and its relation to language above seem to suggest, at very least, that these questions are not entirely absurd to pose. This last question can be put in a way that gives us one final reading of the linguistic difference Schleiermacher proposes and that have spurred this discussion on. We have seen that, for Schleiermacher, difference is the mark of individuality and difference is the mark of relativity. If we bring this section’s interpretations of Schleiermach58 This is not to say that the absolute is not constituted the same in everyone, but simply that certain peoples’ experiences of language function differently. We can have certain things that function differently yet still have, in part, an essential, absolute, constitution. In Schleiermacher’s thought differences never cancel out the absolute.
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er’s theory to this relationship, then it could be said that individuality, as that which is marked by difference, becomes that which is marked by different ways of being bound to language. Likewise, the different ways of being bound to language would represent a special instance of the differing experiences that make up relativity. Briefly put, in these cases, individuality could be seen as the different ways of being bound to language, and these different ways of being bound to language could likewise be seen as the different marks of linguistic relativity. Might this then mean that there is a reading of Schleiermacher’s thought in which certain special cases of individuality imply that linguistic relativity does not in fact function identically from one mind to another? It is true that the observations made by Schleiermacher do not explicitly pose the questions addressed in this section, nor do said observations entail these questions. However, whatever answers we might hold there to be for each of these inquiries in relation to Schleiermacher’s hermeneutics and translation theory, it seems clear that the observations he made are nonetheless propitious to reopening the discussion as to what exactly is meant by linguistic difference and perhaps even that said differences are more complex than typically thought.
8 Conclusion I have here given an introduction to what I have called Schleiermacher’s relative absolutism, which could be described as a soft relativism. Those who find it slanderous to call someone a relativist can be satisfied that such a title is easily avoided with Schleiermacher’s absolutism. For my part, I have meant nothing disrespectful nor fundamental by it as it was merely meant as a tentative concept to facilitate the dialogue of this article. The hope was to bring together Schleiermacher’s and Quine’s thought through said term as a point of comparison, however provisory we believe Schleiermacher’s relativism to be in his hermeneutics and theory of translation. I subsequently introduced Quine’s philosophy of language, which I described as a second-order relativism founded on his naturalism, of which a detailed reading arguably does away with his distinction between scheme and content. Referring to Quine as a soft-relativist was done to maintain the aforementioned comparison and simplify the discussion so as to avoid getting into the minute details of his philosophy. No ultimate definition of Quine’s thought was intended to be inferred by it. The comparison between Quine’s philosophy of language and that of Schleiermacher was meant to bring out what said theories share, which was important for the ultimate objective of highlighting an essential disagreement between them. This disagreement is found, firstly, in the negative trend in Quine’s philosophy that opposes linguistic difference to truth and seeks to dilute differences in language, which are seen as a problem to be solved. Secondly, the disagreement is due to the value Schleiermacher places in understanding others together with his appreciation of individuality, which arguably lead him to circumvent the snares of the aforementioned negative trend and to find an optimism and creativity in linguistic differences that is not at odds with knowledge and
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reality. The pessimism with which Quine views linguistic difference and Schleiermacher’s optimism in regards to it is the disagreement that I hoped to highlight. Moving forward, I gave a brief overview of Benoist’s contextual realism, which, although containing a definition of language not entirely dissimilar to those of Quine and Schleiermacher, I did not even tentatively define as a relativism. This was due, firstly, to Benoist’s realism, which makes no distinction between scheme and content. Secondly, this was due to his explicit attack on relativism. That being said, it was seen that his views on language, although grounded in concepts quite different than those in Schleiermacher’s hermeneutics and theory of translation, square well with the promise the latter finds in linguistic difference as that which contributes to knowledge and is reflected in reality. In summary, Benoist’s philosophy was presented to avoid the implication that Schleiermacher is the sole thinker to enhance rather than diminish linguistic difference, even if we had to move away from any form of relativism to do so. It was also presented to demonstrate that Schleiermacher is not the sole thinker to see linguistic difference as a contribution to our knowledge of reality. However, this final comparison between Benoist and Schleiermacher had yet another aim: to illustrate that there is a reading of Schleiermacher’s philosophy of language as found in his hermeneutics and theory of translation in which his understanding and admiration of difference go a step further than does Benoist’s contextual realism. Schleiermacher is one of the rare philosophers to find positivity and optimism in difference. He highlights its value not only as that which creates but also as that which gives us knowledge of reality and that which is mirrored in reality itself. One of the most notable moves to which I drew attention in Schleiermacher’s philosophy of difference, as it were, is the relationship between relativity, difference, and individuality. But Schleiermacher took his respect for difference even further, which can be seen in certain observations he made that reveal different interactions with language from mind to mind. Said observations make a first step toward opening a wide array of questions that normally go untouched in philosophy of language. These questions, in turn, lead the way to more general concerns pertaining to the relation of language and mind. These concerns, when seen in conjunction with the triad relativity, difference, and individuality, make it possible to propose an interpretation of Schleiermacher’s thought that suggests that language does not always stand in a uniform relation from one mind to another, thereby insinuating we may be able to multiply the kinds of linguistic differences we hold there to be.
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Karl Tetzlaff
Religion zwischen Muße und Arbeitsamkeit. Friedrich Schleiermachers Beitrag zur Lösung eines Grundkonflikts modernen Lebens Abstract: This paper focuses on the modern conflict between industriousness and leisure and its religious aspects. Starting from current attempts to escape the constraints of an all-determining time and performance pressure through a revitalization of leisure, we turn back to similar concerns and relevant statements from the eighteenth and nineteenth centuries. While Enlightenment and Pietist positions emphasized the utility-oriented “maxim of industriousness,” the early Romantic circle looked to religion and art as a refuge for purpose-free encounter with the self and the world. The reconstruction of this debate, in which Friedrich Schleiermacher participated, is followed by a detailed examination of his theological ethics. Schleiermacher’s lectures on Christian ethics are guided by the concern to strike a balance between industriousness and leisure – and therein lies their contemporary relevance. This is illustrated by Schleiermacher’s treatment of the relationship between efficacious and representational action.
Auf die Frage eines Journalisten, ob „wir […] unfähig geworden“ seien, „die Muße zu genießen“,¹ antwortet der Soziologe Hartmut Rosa: Das Problem ist, dass wir ständig das Gefühl haben, Zeit sei kostbar und dass sich deshalb jede Aktivität rechtfertigen müsse. Wenn ich mir vornehme, heute mal zu Hause in Ruhe ein Buch zu lesen, dann gäbe es da auch hundert andere Optionen: fernsehen, im Internet surfen, Mails checken … Das heißt: Wenn ich lese, muss ich zugleich das Gefühl haben, dies sei die nützlichste, die sinnvollste Verwendung meiner Zeit.²
Die heutzutage grassierende Unfähigkeit zur Muße hängt aus Rosas Sicht also damit zusammen, dass unser Tun und Lassen fortwährend durch ein gleichsam habitualisiertes Nützlichkeitskalkül begleitet wird. Jedwedes Vorhaben wird demzufolge daran gemessen, ob es zweckmäßiger Zeitverwendung oder unbotsamer Zeitverschwendung dient. „Wir müssen uns wieder an die Kulturtechniken der Muße erinnern“,³ lautet Rosas demgegenüber erhobene Forderung. Mit diesem Plädoyer steht er nicht allein da. In den zurückliegenden Jahren sind einige Bücher erschienen, die einen erneuerten Lebenswandel aus dem Geist der Muße
1 Schnabel 2009; vgl. zu Rosas Auseinandersetzung mit der Mußethematik auch Rosa 2015. 2 Schnabel 2009. 3 Schnabel 2009. https://doi.org/10.1515/9783111128801-016
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empfehlen. Sie handeln vom Glück des Nichtstuns,⁴ von der verlernten Kunst, dem Warten,⁵ und davon, wie man endlich wieder im Jetzt ankommen kann.⁶ Ihr Versprechen lautet: Befreiung aus den Zwängen des alles bestimmenden Zeit- und Leistungsdrucks – durch Muße. Die dabei im sozialkritischen Gestus beschworene „Polarität“ der Muße „zum zweckorientierten und zielgerichteten Handeln“, das insbesondere im Kontext der Arbeit verortet wird, betont man seit ihren antiken Anfängen.⁷ Zu denken ist hier vor allem an die aristotelische Unterscheidung von „sklavischer ἀσχολία und freier σχολή“,⁸ die einem durch politische oder ökonomische Alltagsgeschäfte gebundenen Tun (ἀσχολία) eine sich zum Göttlichen aufschwingende, feierlich-kontemplative Tätigkeitsweise (σχολή) gegenüberstellt. Im Neuen Testament begegnet die analoge Auffassung, dass man „zum Beten Muße haben“ (σχολάζειν) müsse, was bedeutet, sich „auf eine begrenzte Zeit“ den alltagsweltlichen Verpflichtungen zu „entziehen“ (1 Kor 7,5). Muße, so deuten beide Beispiele an, „zeichnet sich aus durch die Freiheit von zeitlichen Zwängen, durch die sie Räume für selbstbestimmte und selbstzweckhafte Erfahrungen und Tätigkeiten eröffnet“.⁹ Sie kommt allerdings keinem bloßen Nichtstun gleich, als dessen Ausgeburt traditionell der Müßiggang gilt. Vielmehr ist ihr eigentümlicher Handlungscharakter mithilfe „paradoxale[r] Wendungen wie ‚tätige Untätigkeit‘ oder ‚produktive Unproduktivität‘“¹⁰ zu fassen. Ob und inwiefern sich die Muße als produktiv erweist oder in ein zielgerichtetes Tun übergeht, lässt sich demnach nicht vorab festlegen – darin liegt ihr spezifischer Freiheitsgehalt. Daher rührt es aber auch, dass sie „[a]m Maßstab strenger Arbeitsmoral und zweckrationaler Zeitplanung gemessen […] ihre Legitimationsgrundlage“ verliert und vor allem als Zeitverschwendung erscheint.¹¹ Die um sich greifende Dominanz eines solchen das Leben auf Zweck und Nutzen reduzierenden, mußefeindlichen Maßstabs wird nicht erst neuerdings beklagt. In Rosas sozialkritischer Diagnose, dass heute selbst Freizeitbeschäftigungen von der bangen 4 Vgl. Schnabel 2010. 5 Vgl. Reuter 2019. 6 Vgl. die einschlägigen Veröffentlichungen von Schnabel 2010; Bilgri 2014; Stern 2016; Reuter 2019; Liebmann 2019 und Odell / Zettel 2021. Ich zitiere an dieser Stelle aus den Titeln der angegebene Bücher von Ulrich Schnabel, Timo Reuter und Nicole Stern. 7 Martin 1984, 260; vgl. Norbert Martins Artikel zu den folgenden Ausführungen zum Mußebegriff im Ganzen. Wertvolle Hinweise zur Begriffsgeschichte geben außerdem Gimmel / Keiling 2016. Dieses Werk ist im Rahmen des Freiburger Sonderforschungsbereichs „Muße“ entstanden, dessen Ergebnisse durch die bei Mohr Siebeck erscheinende Reihe „otium“ dokumentiert wird. Aus deren Bänden wird im Folgenden immer wieder zitiert. 8 Martin 1984, 257. 9 Dobler et al. 2020, 1; vgl. zu dieser Definition auch im Folgenden zudem die Begriffsdefinitionen und historischen Einordnungen in Hasebrink / Riedl 2014, bes. 2 – 4; Dobler / Riedl 2017, bes. 1 – 8. Sie geben auf unterschiedliche Weise die im Rahmen des oben erwähnten Freiburger Sonderforschungsbereichs erarbeitete Begriffsdefinition wieder. 10 Riedl 2021, 17. 11 Stumpp 1992, 26.
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Frage begleitet werden, ob sie „die nützlichste, die sinnvollste Verwendung meiner Zeit“¹² darstellen, kommt ein den Prozess der Moderne von jeher begleitendes Problembewusstsein zum Ausdruck. Bereits um 1800, in jenen Jahrzehnten also, die unter anderem für den Übergang zur bürgerlich-modernen „Berufs- und Leistungsgesellschaft“¹³ stehen, werden ähnliche Entwicklungen kritisiert. Denn der besagte Übergang beinhaltet die allmähliche Entkopplung von sozialem Status und ständischer Herkunft zugunsten des Leistungsprinzips, das zu einer wirkmächtigen gesellschaftlichen Anerkennungsnorm aufsteigt. Diesem Leistungsprinzip korrespondiert das in aufklärerischen und pietistischen Kreisen damals gleichermaßen proklamierte Ideal eines arbeitsamen Lebens, als dessen verdammenswertes Gegenteil vor allem der ursprünglich von der Muße unterschiedene Müßiggang gilt. Im Zuge „bürgerlicher Müßiggangskritik“, die sich auch an den unverdienten Privilegien eines luxusverwöhnten Adelsstands festmacht, aber „ebnen sich die Unterschiede zwischen Muße und Müßiggang“ zunehmend ein, „da nun in beiden primär die Verweigerung nutzbringender Arbeit gesehen wird“.¹⁴ Widerstand gegen diese tendenziell allumfassende Verzweckung des Lebens erhebt sich insbesondere auf Seiten der am Ende des 18. Jahrhunderts entstehenden (früh‐)romantischen Bewegung. Auch deren Gefolgsleuten geht es bereits darum, „Kulturtechniken der Muße“¹⁵ angesichts ihrer vorherrschenden Delegitimierung zu revitalisieren, wozu sie sich um ein neues Verständnis von Kunst, Religion und Philosophie, ja menschlichem Zusammenleben überhaupt bemühen. Friedrich Schleiermacher, auf dessen Position ein Schwerpunkt der folgenden Ausführungen liegt, war an diesen Erneuerungsbemühungen ebenfalls beteiligt. Auch nach dem Ende seiner frühromantischen Phase ist er dem skizzierten Grundproblem der modernen Arbeits- und Leistungsgesellschaft aber weiter nachgegangen: In einer Randbemerkung seines Manuskripts Die christliche Sittenlehre von 1809 ist davon die Rede, dass berechtigterweise „verschiedene Maximen statt finden können, die der Arbeitsamkeit und die der Muße“.¹⁶ Nur im Falle des „zunehmenden Uebergewicht[s]“ einer der beiden Maximen über die andere wüchse ihnen jeweils ein problematischer Charakter zu, weil dann „das eine zerstörend auf das andere“ zu wirken drohe.¹⁷ Schleiermachers Worte stellen eine Lösung des die Moderne bis in die Gegenwart hinein begleitenden Konflikts zwischen Arbeitsamkeit und Muße bzw. Müßiggang in Aussicht. Ich werde darauf zurückkommen, nachdem ich den auf diese Begriffe kon12 Schnabel 2009. 13 Nipperdey 1983, 258; vgl. zum im Folgenden skizzierten Übergang zur bürgerlichen Arbeits- und Leistungsgesellschaft Nipperdey, 1983, 145 – 247, 255 – 271; zum im Folgenden skizzierten Spannungsverhältnis von Muße und Arbeit seit dem Anbruch der Moderne Gerstner 2018, bes. 7– 10; Krause 2018, 1 – 6; Lemke 2022, 29 – 35. 14 Stumpp 1992, 26. Gabriele Stumpp bezieht sich dabei auf die Kritik des Müßiggangs in Johann Elias Schlegels Komödie Der geschäftige Müßiggänger von 1742. 15 Schnabel 2009; vgl. zur (früh‐)romantischen Revitalisierung der Muße insgesamt die Beiträge in Lillge / Weyand / Unger 2017. 16 Schleiermacher 1884, A 44. 17 Schleiermacher 1884, A 44.
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zentrierten Diskurs an exemplarischen Ansätzen des 18. und frühen 19. Jahrhunderts dargestellt habe. Im Folgenden skizziere ich zunächst, wie in aufklärerischen und pietistischen Positionen die Maxime der Arbeitsamkeit gegenüber der Muße in eine dominante Stellung gebracht wird (1). Es folgt ein Blick auf die in den Kreisen der Frühromantiker – unter Beteiligung Schleiermachers – beschworene Umkehrung dieses Verhältnisses zugunsten der Maxime der Muße (2). Schließlich wird Schleiermachers Vorlesung über die Christliche Sittenlehre als Versuch des bereits angedeuteten Ausgleichs zwischen den Extrempositionen zur Geltung gebracht (3), worauf Bemerkungen zu deren Aktualitätspotenzial folgen (4).
1 Das Übergewicht der Arbeitsamkeit – aufklärerische und pietistische Positionen Wer um 1800 auf preußischem Boden einen evangelischen Gottesdienst besuchte, konnte sich dazu aufgefordert finden, die folgenden Liedverse zu intonieren: „Ohne Rast und unverweilt, Strömen gleich, ο Seele, eilt deine kurze Pilgrimszeit in das Meer der Ewigkeit. […] Wenn du deine Zeit verträumst, sie in träger Ruh versäumst, sie verschwendest liederlich, weh dir! Naht dein Ende sich. […] Gott, du meiner Tage Herr, hilf mir, daß ich Sterblicher, eingedenk der Ewigkeit, weislich nütze diese Zeit.“¹⁸ Auch am Sonntag sollte man also nicht auf falsche Gedanken kommen und das vorrübergehende Ablassen vom mühevollen Alltagsgeschäft als Einladung zu Träumereien, Trägheit oder unnützem Treiben missverstehen. „[B]eständige Arbeitsamkeit“¹⁹ lautete vielmehr die damals weit verbreitete Parole. Mit ihr ging die sittliche Verpflichtung einher, auch „die nötige Abwechslung der Ruhe“, „die nötige Erholung als ein Geschäfte zu treiben“ und nicht in den allseits verpönten „Müßiggang“ zu verfallen.²⁰ So formuliert es der Hallenser Theologe Siegmund Jakob Baumgarten in seiner 1738 veröffentlichten Theologischen Moral zum academischen Vortrag, die Unterricht vom rechtmäßigen Verhalten eines Christen zu geben beansprucht. Baumgarten, in dem sich der allmähliche Übergang zwischen Alt- und Neuprotestantismus ebenso verkörpert wie eine eigentümliche Melange aus aufklärerischem und pietistischem Geist, knüpft damit an die reformatorische Berufsethik an. Für ihn stand außer Frage, dass der Mensch „durch göttliche Vorsehung“ in einen „besonderen und äußeren Beruf“ gestellt ist.²¹ Dies impliziert, innerhalb des ständisch strukturierten 18 Schleiermacher KGA I/4, 494 (Gesangbuch 1781, Nr. 375). Der Liedtext aus dem Gesangbuch von 1781 hat, weil Schleiermacher sich im Rahmen seiner Unvorgreiflichen Gutachten auf ihn bezieht, Eingang in die historisch-kritische Ausgabe gefunden. Der folgende Durchgang durch exemplarische Positionen des 18. Jahrhunderts verdankt viele Anregungen der unveröffentlicht gebliebenen Darstellung in Koch o. J., 27– 47. 19 Baumgarten 1738, 260. 20 Baumgarten 1738, 261. 21 Baumgarten 1760, 676.
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„gesellschaftlichen Lebens […] zu einer besonderen Lebensart und damit verknüpften Pflichten“ bestimmt zu sein.²² Mit dem gottgegebenen „äusseren Stande“ hat man sich im Übrigen zu „begnügen“ und sich „desselben aufs vortheilhafteste zu bedienen“.²³ Letzteres bedeutet zum einen, „auf die Wohlfart der gantzen bürgerlichen Geselschaft […] bedacht zu seyn“, zum anderen aber, was die Voraussetzung dafür ist, „seine eigene Wohlfart aufs möglichste zu befördern“ und „alle mögliche Arbeitsamkeit [zu] beweisen“.²⁴ Mit der derart akzentuierten Pflicht des berufstreuen Christen zur Beförderung auch der „eigenen Wohlfahrt“ geht Baumgarten deutlich über seine altprotestantischen Vorbilder hinaus. Denn dadurch wird die Arbeit, die der Einzelne gemäß des eigenen Standes zu verrichten hat, daran gekoppelt, dass er permanent an sich selbst arbeitet. „Christen“, schreibt Baumgarten, sind verpflichtet, sich zur „möglichsten Besserung und Vermehrung aller natürlichen und übernatürlichen Kräfte und Fertigkeiten zu befleißigen“, um dem „Beruf, darein sie Gott gesetzt hat, aufs sorgfältigste“ nachgehen zu können.²⁵ Dies betrifft erstens die höheren und niederen Vermögen geistiger Art, etwa den Willen und die Erinnerungsfähigkeit. Zweitens sind Christen gefordert, „die Bewegungskraft ihres Leibes und einzelner Glieder desselben, durch Uebung zur Arbeit und Verrichtung des besonderen Berufs, auch Erduldung aller damit verknüpften Beschwerden, zu gewönen und abzurichten“,²⁶ ja ihren Leib „zur Arbeit des Gottesdienstes […] auszuhärten“.²⁷ In alledem, so fügt Baumgarten erläuternd hinzu, sollen sie „so weit […] gehen, als möglich ist“.²⁸ Wer dem göttlichen Ruf zur potenziell endlosen Arbeit an sich selbst folgt, die zum Behufe, aber auch im Vollzug der standesgemäßen Berufsarbeit verrichtet wird, entspricht nun der bereits erwähnten Tugend „beständiger Arbeitsamkeit“.²⁹ Dieser Ausdruck bezeichnet bei Baumgarten ebenso „die Fertigkeit zur Arbeit“ wie die praktisch realisierte Bereitschaft zum größtmöglichen „Gebrauch“ der eigenen „Kräfte bey aller Gelegenheit“.³⁰ „Arbeitsamkeit und Auskaufung der Zeit“³¹ bilden dabei, wie schon im obigen Choral, einen engen Zusammenhang. So ist es nach Baumgarten höchste Christenpflicht, „die so kurze, flüchtige und unwiederbringliche Zeit aufs vortheilhafteste“ zu gebrauchen und „folglich allen Müßiggang [zu] vermeiden“.³² Als Ursachen des Müßiggangs, der für ihn das genaue Ge-
22 Baumgarten 1760, 676; vgl. zur folgenden Darstellung insgesamt Baumgarten 1738, 254 – 261, 751 – 757; Baumgarten 1767, 1450 – 1452, 1552 – 1553, 1572 – 1577. 23 Baumgarten 1738, 452. 24 Baumgarten 1738, 452. 25 Baumgarten 1767, 690. 26 Baumgarten 1738, 255. 27 Baumgarten 1767, 693. 28 Baumgarten 1767, 694. 29 Baumgarten 1738, 261. 30 Baumgarten 1767, 703. 31 Baumgarten 1738, 259. 32 Baumgarten 1738, 260.
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genteil der Arbeitsamkeit darstellt, nennt er zum einen die Trägheit und Faulheit befördernde Unlust, sich überhaupt mühevollen Tätigkeiten auszusetzen. Zum anderen führt er hier die zur „Zerstreuung des Gemüts“ führende „Lust zu irdischen Beschäftigungen“ an,³³ worunter auch eine Art unkontrollierter Schaffensdrang, „geschäftiger Müßiggang“³⁴ genannt, fällt. Der letztere Hinweis schärft noch einmal ein, dass es Baumgarten nicht um das bloße „Dass“ des Tätigseins geht. Vielmehr ist der gottgegebene Endzweck tugendhafter Arbeitsamkeit die je nach sozialer Stellung vorzunehmende Beförderung der individuellen und allgemeinen „Wohlfahrt“. Dies gerät aus dem Blick, wenn „nach einer blossen Lust und blindem Triebe“ agiert wird, weil es dann zur „Verrichtung unnötiger und unnützer Geschäfte“ kommt.³⁵ Gleichsam zur regenerativen Besinnung auf den wahren Sinn der eigenen Lebensarbeit dient bei Baumgarten „die nötige Abwechslung der Ruhe“ und die nach Erledigung aller Aufgaben „übrige Musse“,³⁶ der aufgrund ihrer funktionalen Bezogenheit auf den Arbeitsbetrieb aber selbst der Charakter eines „Geschäft[s]“³⁷ zukommt. Auch in ihrem Zusammenhang ist nämlich der „strafbare[ ] Müßiggang“³⁸ tunlichst zu vermeiden. Noch im Falle von erzwungenen Pausen durch „Krankheiten, schlaflose Nächte und dergleichen“³⁹ ist die Zeit so zu gebrauchen, dass „auf die Bearbeitung“ des „Gemüths und auf die Übung der Vereinigung mit Gott und deren Vermehrung“ abgezielt wird.⁴⁰ Unter dem Stichwort „Übung der Vereinigung mit Gott“ sind alle gottesdienstlichen Handlungen im engeren Sinne zusammengefasst. Dabei hat Baumgarten neben dem „gemeinschaftliche[n]“ auch den „geheime[n] Gottesdienst“ vor Augen, der in der Einsamkeit andächtiger Besinnung, des Gebets oder der Gewissensprüfung immer wieder die berufspraktischen Vollzüge durchbrechen soll.⁴¹ Im Rahmen dieser religiösen Rituale wird letztlich reflektiert, ob man der Tugend der Arbeitsamkeit auf rechte christliche Weise Genüge leistet. Von Baumgartens theologisch-ethischer Hochschätzung der Arbeitsamkeit und Kritik des Müßiggangs lassen sich nun viele Linien zu anderen Positionen des 18. Jahrhunderts ziehen. Dann kommt man etwa zu Immanuel Kant, bei dem es heißt, es sei „von größter Wichtigkeit, daß Kinder arbeiten lernen“, weil „[d]er Mensch […] das einzige Tier“ darstelle, „das arbeiten muß“.⁴² Ja er verlange geradezu nach „Geschäfte[n], auch solche[n], die einen gewissen Zwang mit sich führen“, während „die beste
33 34 35 36 37 38 39 40 41 42
Baumgarten 1738, 139. Baumgarten 1767, 1451. Baumgarten 1738, 261. Baumgarten 1767, 1553. Baumgarten 1738, 261. Baumgarten 1738, 753. Baumgarten 1767, 1573. Baumgarten 1767, 1553. Baumgarten 1738, 751. Kant 1968, 471.
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Ruhe für ihn die nach der Arbeit“ sei.⁴³ Polemisch richtet Kant sich mithin gegen „die Vorstellung, daß, wenn Adam und Eva nur im Paradiese geblieben wären, sie da nichts würden getan, als zusammengesessen, arkadische Lieder gesungen, und die Schönheit der Natur betrachtet haben. Die Langeweile würde sie gewiß […] gemartert haben“.⁴⁴ Was hier unter der Hand abgewiesen wird, ist neben dem paradiesischen Charakter des untätigen Müßiggangs das traditionelle christliche Verständnis der Arbeit als Straffolge des Sündenfalls. Auch die Aufklärungstheologie ließ dieses Dogma fallen. Exemplarisch kann hier auf Christoph Friedrich Amonn verwiesen werden, in dessen Christlicher Sittenlehre (1795) von der„Tugend“ der„Arbeitsamkeit“ als der„Liebe zu nützlichen Beschäftigungen in und ausser unserm Berufe“ die Rede ist.⁴⁵ Sie soll „unsere Selbstveredelung befördern“ und muss deshalb „aus reiner Liebe zur Pflicht, das heißt, aus Liebe gegen Gott und unsere Mitmenschen fließen“.⁴⁶ Nach Ammon „bringt uns“ die Arbeitsamkeit „der Gottheit näher“, weil diese ebenfalls „unaufhörlich wirksam ist“.⁴⁷ Sie wird also als Ausdruck der Gottebenbildlichkeit des Menschen gewertet. In Widerspruch zu diesem Würdetitel tritt der Mensch durch „die Unthätigkeit oder die Vermeidung der Arbeit, aus Liebe zur Ruhe und zum Vergnügen“, die sich in „Müßiggang“, „Unfleiß“, „Faulheit“ und „Bequemlichkeit“ niederschlagen kann.⁴⁸ Im zeitgenössischen Pietismus hingegen wurde der Zusammenhang von Arbeitszwang und Sündenfall in modifizierter Form weitertradiert. So schreibt August Gottlieb Spangenberg, der Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf als Leiter der Herrnhuter Brüdergemeine nachfolgte, in seinem Werk Idea fidei fratrum von 1779: „[D]as mühselige und lästige Arbeiten ist durch den Sündenfall in die Welt gekommen“.⁴⁹ Doch nicht „[z] um Müßiggange“, so macht Spangenberg zugleich klar, „hat Gott den Menschen […] erschaffen“, sondern zum Arbeiten.⁵⁰ Der Mensch habe eben vor dem Fall in „selige[r] Einfalt nur auf seinen Schöpfer“ gesehen und so allein „aus Liebe zu Gott und aus Gehorsam gegen ihn“ arbeiten können; nun trieben ihn „Noth“, „Geiz, und andere nichtsnutzige Ursachen dazu“.⁵¹ Anstatt sich aber durch diese negativen Dinge leiten zu lassen, solle man sich der „Feyer […] des sybenten Tages“ dazu „bedien[en]“, das wahre „Ziel“ des eigenen tagtäglichen Tuns, so mühevoll es auch sein mag, im „Gottesdienst“ zu entdecken.⁵² Klar ist jedenfalls auch für Spangenberg, dass „alle diejenigen, die Christo
43 Kant 1968, 471. 44 Kant 1968, 471. 45 Ammon 1795, 222. 46 Ammon 1795, 222. 47 Ammon 1795, 222. 48 Ammon 1795, 223. 49 Spangenberg 1795, 392; vgl. zum Umgang Spangenbergs mit dem Thema Arbeit insgesamt Spangenberg 1795, 392 – 395. Ähnliche Formulierungen etwa in Texten Speners und Franckes lassen sich leicht finden. 50 Spangenberg 1795, 392. 51 Spangenberg 1795, 392. 52 Spangenberg 1795, 394 – 395.
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angehören, arbeiten sollen“⁵³ und dass – Kant lässt grüßen – „auch Kinder sollen dazu angeleitet werden“,⁵⁴ denn: „Müßiggang lehret viel Böses.“⁵⁵ Diese Überzeugung war auch in der zeitgenössischen aufklärerischen Pädagogik verbreitet. Ein Beispiel dafür ist Johann Heinrich Campes Roman Robinson der Jüngere. Dessen Protagonist strandet mittellos auf einer Insel und sieht sich nun mit dem „schreklichste[n] Zustand“ konfrontiert, „den er sich nur denken konte“: seine Lebenszeit mit Nichtsthun und mit Schlafen hinzubringen. […] Denn die Arbeitsamkeit war ihm jezt schon so sehr zur Gewohnheit geworden, daß er nicht mehr leben konte, ohne sich mit einer nüzlichen Verrichtung die Zeit zu vertreiben; und er pflegte nachher oft zu sagen, daß er die Besserung seines Herzens vornemlich dem Umstande zu verdanken habe, daß er durch die anfängliche Hülflosigkeit seines einsamen Aufenthalts zu einer beständigen Geschäftigkeit sei gezwungen worden. Die Arbeitsamkeit, sezt er hinzu, die Arbeitsamkeit, liebe Leute, ist die Mutter vieler Tugenden; so wie die Faulheit der Anfang aller Laster ist!⁵⁶
Campe hat seine Robinson-Geschichte so angelegt, als würde sie einer Gruppe von Geschwistern von ihrem Vater erzählt. Dieser hebt dabei immer wieder zu pädagogischen Zwischenbemerkungen an, was auch das Abdriften des jungen Lesepublikums in vom eigentlichen Thema ablenkende Fantasie, die zum Müßiggehen einlüde, verhindern soll.⁵⁷ Nachdem der Vater Robinsons Loblied auf die Arbeitsamkeit gesungen hat, ergibt sich ein Gespräch zwischen ihm und den Kindern: Johannes. Ja, darin hat er gewiß auch Recht! Wenn man nichts zu thun hat, so fält einem lauter dum Zeug ein! Vater. Richtig! eben darum gab er nachher allen jungen Leuten den Rath, sich doch ja von Kindheit an zu gewöhnen, immer geschäftig zu sein. Denn, sagt‘ er, so wie man sich gewöhnt in der Jugend, so bleibt man gemeiniglich all sein Lebelang, faul oder fleißig, geschikt oder ungeschikt, ein guter oder ein schlechter Mensch. Nikolas. Das wollen wir uns merken! Vater. Thut das, Kinder, und richtet euch darnach: es wird euch nicht gereuen.⁵⁸
Einmal mehr wird also die Arbeitsamkeit als eine offensiv zur Schau gestellte Bereitschaft zur beständigen Tätigkeit beschworen, die mithin der Verfeinerung der eigenen Geschicklichkeit dient. In ihr allein liegt das Gute, während die böse Faulheit den Menschen nicht zuletzt ungeschickt werden lässt. Er ist dann sprichwörtlich zu nichts zu gebrauchen, wogegen deshalb von Anfang an vorgegangen werden muss. Religion und
53 Spangenberg 1795, 395. 54 Spangenberg 1795, 595. 55 Spangenberg 1795, 427. 56 Campe 1780, 13; vgl. zu den folgenden Ausführungen Campes Robinsonade betreffend die grandiose Interpretation in Fuest 2008, 39 – 48. 57 In der Vorrede zu seinem Roman gibt Campe an, er wolle „ein Buch“ schreiben, „welches zwar eben so unterhaltend und anziehend, als irgend ein Anderes wäre, aber nicht so, wie Andere, blos zu unthätigen Beschauungen, zu müssigen Rührungen, sondern unmittelbar zur Selbstthätigkeit führte“ (Campe 1779, 5 – 6). 58 Campe 1780, 13 – 14.
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Kunst bzw. Literatur werden dabei für die Vermittlung einer arbeitsamen Lebenseinstellung in den Dienst genommen. Genau an dieser Stelle setzt, wie wir nun sehen werden, der frühromantische Widerstand gegen den Zeitgeist an.
2 Das Übergewicht der Muße – die frühromantische Alternative „Tätig zu sein“, so heißt es in Johann Wolfgang Goethes Roman Wilhelm Meisters Lehrjahre, „ist des Menschen erste Bestimmung, und alle Zwischenzeiten, in denen er auszuruhen genötigt ist, sollte er anwenden, eine deutliche Erkenntnis der äußerlichen Dinge zu erlangen, die ihm in der Folge abermals seine Tätigkeit erleichtern“.⁵⁹ Die Formulierung bringt noch einmal auf den Punkt, was soeben über das Ideal der Arbeitsamkeit und den damit verbundenen Abweis allen Müßiggehens gesagt wurde. Denn auch noch die „Zwischenzeiten“, in denen der Mensch „auszuruhen genötigt ist“, sind ja demnach zur Förderung umso besseren Tätigseins einzusetzen, in dem die „Bestimmung“ des Menschen liegt. Das Diktum des Frühromantikers Friedrich Schlegel, in dem „Goethes Meister“ neben der „Französische[n] Revolution“ und „Fichtes Wissenschaftslehre“, zu den „größten Tendenzen des Zeitalters“ gerechnet wird,⁶⁰ erscheint auch in diesem Sinne als sehr treffend. Im Grunde aber steht der 1795/1796 publizierte Roman des Weimarer Dichterfürsten hier aber „stellvertretend für die Karriere des Prosaromans“⁶¹ im ausgehenden 18. Jahrhundert. Damals nämlich wurde – man spricht von einer regelrechten „Leserevolution“⁶² – so viel gelesen wie noch nie zuvor. Besorgte Zeitgenossen, zu denen auch der bereits angeführte Johann Heinrich Campe gehörte, plädierten gar dafür, Maßnahmen gegen die in ihren Augen insbesondere unter Frauen grassierende „Lesewut“ oder „Lesesucht“ zu ergreifen: Es gehe „auf Kosten anderer nöthiger Beschäftigungen“, wenn man der „ungeregelte[n] […] Begierde […], sich durch Bücherlesen zu vergnügen“, folge.⁶³ Auch hier meldet sich also die Entgegensetzung von Arbeitsamkeit und Müßiggang, kann dieser doch als ein Sichverweigern den eigentlich „nöthigen Beschäftigungen“ gegenüber verstanden werden. Von Seiten des Berlin-Jenaer frühromantischen Kreises, der sich am Ende der 1790er Jahre um Friedrich Schlegel und seinen Bruder August Wilhelm formierte, wurde eine solche Verweigerungshaltung nun ganz anders, nämlich positiv besetzt. Schon der Ausdruck „romantisch“ steht in Zusammenhang mit der Gattungsbezeichnung „Roman“
59 Goethe 1989, 415. 60 Schlegel KFSA 2, 198; vgl. zu den folgenden Ausführungen die Anfänge und den Begriff der Romantik betreffend die Darstellung in Matuschek 2021, 9 – 48. 61 Matuschek 2021, 26. 62 Vgl. zu diesem Stichwort Matuschek 2021, 205 – 215. 63 Campe 1809, 107; vgl. zur Debatte um die Lesewut bzw. Lesesucht Schmidt 2019, 121 – 127.
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und benennt ebenso den besonderen Charakter romanhafter Literatur wie „die Stimmung, die sie vermittelt“.⁶⁴ Ebendiese Stimmung, die aufkommt, wenn man beim Lesen gleichsam aus der Welt, in die man eingebunden ist, in eine andere, erzählerisch vergegenwärtigte Welt „abtaucht“, sollte für den Menschen über den Akt der Lektüre hinaus lebenspraktisch bedeutsam werden können. „Alle Zufälle unseres Lebens“, „[j]ede Bekanntschaft, jeder Vorfall“, können „für den durchaus Geistigen“ zum „Anfang eines unendlichen Romans“ werden, schreibt der ebenfalls zum frühromantischen Kreis gehörende Novalis in einem 1798 publizierten Fragment.⁶⁵ Dieser auf alles anwendbare Vorgang des „Romantisieren[s]“ wird in einem anderen Fragment so beschrieben, dass man „dem Gemeinen einen hohen Sinn, dem Gewöhnlichen ein geheimnißvolles Ansehn, dem Bekannten die Würde des Unbekannten, dem Endlichen einen unendlichen Schein“ verleiht.⁶⁶ Darin ist die Abwendung von einer Lebens- und Weltsicht impliziert, die beim Gemeinen, Gewöhnlichen, Bekannten und Endlichen stehen bleibt und nicht auch den Schritt darüber hinaus wagt. Nichts anderes kritisierten Novalis und seine Mitstreiter etwa an Goethes Wilhelm Meister, dessen Protagonist sich schließlich von der Schauspielerei und Literatur abwendet, um als Geläuterter den allgemein nützlichen Beruf des Arztes zu ergreifen.⁶⁷ „Hinten ist alles Farce“, notiert Novalis über das Goetheʼsche Werk, und die „ökonomische Natur ist die wahre – übrig bleibende“, während „[d]as Romantische […] zugrunde [geht]“.⁶⁸ Er bringt damit ein den frühromantischen Kreis einendes „Unbehagen“ an der durch „[p]raktische Aufklärung“ angetriebenen „Durchdringung des Lebens mit dem Prinzip der Nützlichkeit“ zur Sprache.⁶⁹ So schreibt sein Gesinnungsgenosse Ludwig Tieck im Rückblick auf das Berlin der 1790er Jahre, dort habe sich damals „[e]ine seichte Aufklärungssucht der Herrschaft bemächtigt“, und mit ihr sei „der Sinn für das Schöne, Hohe und Geheimnisvolle entschlummert“.⁷⁰ Er hingegen habe „[i]m Kampf gegen diese herrschenden Ansichten […] früh einen Ruheplatz zu gewinnen“ versucht, „wo Natur, Kunst und Glaube wieder einheimisch war“.⁷¹ Analog dazu ist in Friedrich Schlegels 1799 veröffentlichtem Roman Lucinde von der „heiligen Stille der echten Passivität“ die Rede,
64 Matuschek 2021, 9. 65 Novalis 1945a, 24. 66 Novalis 1945b, 38. 67 Vgl. zur frühromantischen Kritik des Wilhelm Meister Birus 2001. 68 Novalis 1945b, 52. 69 Safranski 2007, 193, 195; vgl. zur Modernekritik der Romantik Kraus 1995. Zu beachten ist dabei aber, was Stefan Matuschek (2021, 41) festhält: „Die Konfrontation zwischen Berliner Aufklärung und BerlinJenaer Romantik ist […] keine Konfrontation der Aufklärung mit ihrem Gegenteil. Sie ist vielmehr ein Generationenkonflikt über die Weiterentwicklung von Philosophie und Literatur. Die ‚Aufklärer‘ erscheinen dabei als konservativ, die Romantiker nicht als Gegenaufklärer, sondern als eine selbstkritisch gewordene Aufklärergeneration.“ 70 Tieck 1813, 3 – 4; vgl. dazu de Bruyn 2006, 141: „Das war speziell gegen Nicolai, die Popularphilosophen und die rationalistische Theologie gerichtet, traf aber die gesamte Geisteshaltung der friderizianischen Epoche, die, was die Jungen anödete, auf Pflicht, Gehorsam und Nutzen gestellt war.“ 71 Tieck 1813, 5.
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in der allein man „Denken und Dichten“, „sich an sein ganzes Ich erinnern, und die Welt und das Leben anzuschauen vermag“.⁷² Sein skandalumwittertes Werk, das aus einer waghalsigen Zusammenstellung unterschiedlichster Textformen besteht, enthält eine „Idylle über den Müßiggang“.⁷³ In kaum zu überbietender Ironie wird darin die traditionelle Wertordnung umgekehrt, nach der Arbeitsamkeit als gottgemäße Tugend und Müßiggang als deren sündhafter Verfall gilt. Schlegel spricht von der „gottähnlichen Kunst der Faulheit“ und bezeichnet den „Müßiggang“ und die „Muße“, beides wird hier bezeichnenderweise synonym gebraucht, als das „einzige[ ] Fragment von Gottähnlichkeit, das uns noch aus dem Paradiese blieb“.⁷⁴ „Fleiß und […] Nutzen“ erscheinen hingegen als „die Todesengel mit dem feurigen Schwert, welche dem Menschen die Rückkehr ins Paradies verwehren“.⁷⁵ Was aus dem „unbedingte[n] Streben und Fortschreiten ohne Stillstand und Mittelpunkt“, aus „diese[m] leeren unruhigen Treiben“ hervorgehe, das „die schlechten Menschen“ auszeichne, seien nur„Langeweile“ und „Antipathie gegen die Welt“ bzw. das „Leben“.⁷⁶ Dagegen stellt er die „absichtliche […] Passivität“ des Müßiggängers, aus der heraus allein man sich „zur Kunst und Wissenschaft, ja zur Religion“ emporheben könne.⁷⁷ In ihrer Fluchtlinie liegt das „höchste vollendetste Leben“, das, wie es ironisch heißt, „nichts als ein reines Vegetieren“ sei.⁷⁸ „Absichtliche Passivität“ ist ein Oxymoron, das an die oben zur Definition des Mußebegriffs gebrauchten „paradoxale[n] Wendungen wie ‚tätige Untätigkeit‘ oder ‚produktive Unproduktivität‘“ erinnert.⁷⁹ Schlegel macht damit deutlich, dass es ihm nicht um völlige Untätigkeit geht, sondern um das bewusste Sichentziehen aus einem äußerlich auferlegten Aktivitätszwang. Für ihn „ist ‚Müßiggang‘ als Gang noch immer eine Tätigkeit, im Unterschied zur abstrakten Negation der Arbeit“.⁸⁰ Aus dieser eigentümlichen Tätigkeit soll ein Handeln anderer Art erwachsen können, das in seiner Müßigkeit nicht mehr durch „endliche, und also verächtliche Zwecke und Vorsätze“⁸¹ geleitet ist: Hier, in Wissenschaft und Kunst, im Dichten und Denken und in der Religion geht es dann eben um das „ganze Ich“, um „die Welt und das Leben“ jenseits ihrer zweckmäßigen Bearbeitung. Darin zeigen sich starke Gemeinsamkeiten mit Friedrich
72 Schlegel KFSA 5, 27; vgl. zur folgenden Beschäftigung mit Schlegels Lucinde die Interpretationen in Fuest 2009, 49 – 58; Volkening 2017. 73 Schlegel KFSA 5, 25 – 29. 74 Schlegel KFSA 5, 25. 75 Schlegel KFSA 5, 27. 76 Schlegel KFSA 5, 26 – 27. 77 Schlegel KFSA 5, 27. 78 Schlegel KFSA 5, 27. 79 Riedl 2021, 17. 80 Arndt 2008, 102. 81 Schlegel KFSA 5, 27.
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Schleiermachers ebenfalls 1799 erschienenen Reden Über die Religion, deren Autor seinerzeit mit Friedrich Schlegel Wohnung und Gedanken teilte.⁸² Schleiermacher erklärt dort den „Standpunkt des bürgerlichen Lebens“⁸³ zum Hindernis für das „Gedeihen der Religion“.⁸⁴ Diese könne nämlich nur gedeihen, wenn man auch einmal „jede andere Thätigkeit ruhen“ lasse, „um sich von allen Eindrüken durchdringen zu laßen“.⁸⁵ Aus Sicht des bürgerlichen Standpunkts, nach dem „Absicht und Zwek in Allem sein“ und man „immer etwas verrichten“ müsse, komme solche „unthätige Ruhe“ aber nur als „Trägheit und Müßiggang“, ergo als eine unsittliche Angelegenheit zu stehen.⁸⁶ Der im selben Jahr publizierte „Versuch einer Theorie des geselligen Betragens“ entwirft das gegenläufige Ideal einer „[f ]reie[n], durch keinen äußern Zweck gebundene[n] und bestimmte[n] Geselligkeit“.⁸⁷ Dort könne man sich, „auf eine Zeitlang“ von „den Sorgen des häuslichen und den Geschäften des bürgerlichen Lebens“ befreit, „dem freien Spiel seiner Kräfte zu überlassen“.⁸⁸ Ein solcher sozialer Freiraum jenseits des alltäglichen Handlungsdrucks wird auch in den 1800 publizierten Monologen besungen: „Die freie Muße ist meine liebe Göttin, da lernt der Mensch sich selbst begreifen und bestimmen, da gründet der Gedanke seine Macht, und herrscht dann leicht über Alles, wenn die Welt auch Thaten von ihm fordert.“⁸⁹ In der Aufwertung von dem, was aus aufklärerischer und pietistischer Sicht als sträfliche Verweigerung der vom Menschen geforderten Arbeitsamkeit gilt, zeigt sich, zusammenfassend gesagt, der besondere frühromantische Beitrag zur hier interessierenden Debatte. Muße bzw. Müßiggang werden positiv beurteilt und zum genuinen Ort religiöser und ästhetischer Selbst- und Welterfassung erklärt. Allerdings ist dabei, wie abschließend noch anzumerken ist, die Tendenz unübersehbar, Religion und „Kunst als abseitiges aber rettendes Exil inmitten heilloser Zeitläufte“,⁹⁰ die den Menschen zur
82 Vgl. zum gegenwartsdiagnostischen und aufklärungskritischen Gehalt von Schleiermachers Reden Barth 2004, 279 – 285; zu Schleiermachers diesbezüglicher Stellung im frühromantischen Kreis Nowak 1986, 189 – 194, 229 – 295. 83 Schleiermacher KGA I/2, 121. 84 Schleiermacher KGA I/2, 120. 85 Schleiermacher KGA I/2, 121. 86 Schleiermacher KGA I/2, 121. 87 Schleiermacher KGA I/2, 165. 88 Schleiermacher KGA I/2, 165. 89 Schleiermacher KGA I/3, 20 – 21. Wie Kurt Nowak bemerkt, setzt Schleiermacher in dieser Passage „das Lob der Untätigkeit, das Friedrich Schlegel in der‚Idylle über den Müßiggang‘ in der‚Lucinde‘ angestimmt hatte, fort“ (Nowak 1986, 112). Dass die freie Muße mit Gemeinschaftserfahrungen verknüpft ist, zeigt der Fortgang des Textes: „Drum darf ich auch nicht, wie der Künstler, einsam bilden; […] ich muß hinaus in mancherlei Gemeinschaft mit den andern Geistern zu schauen, was es für Menschheit giebt, und was davon mir fremde bleibt, was mein eigen werden kann, und immer fester durch Geben und Empfangen das eigne Wesen zu bestimmen“ (Schleiermacher KGA I/3, 21). Auch in den Monologen finden sich wie in den Reden zeitdiagnostische Passagen, die eine um sich greifende Zweckrationalität kritisieren, vgl. etwa Schleiermacher KGA I/3, 29 – 30, 34. 90 Von Petersdorff, 1996, 434; vgl. zur weltflüchtigen Tendenz der Frühromantik von Petersdorf 1996, 1 – 12, 300 – 317, 431 – 438. Mit Schleiermacher befasst sich von Petersdorff in von Petersdorf 1996, 256 – 299.
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Arbeitsamkeit zwingen, zu inszenieren. Der Literaturwissenschaftler Dirk von Petersdorff hat in einer eindrucksvollen Analyse aufgezeigt, wie sich die Frühromantiker auch aufgrund der Erfolglosigkeit ihrer mit ganzheitlichem Gestaltungsanspruch vorgetragenen gegenwartskritischen Ideen in ihren Texten mehr und mehr in eine arkane Gegenwelt hineindichten und die eigene Avantgardeposition gegenüber der verstockten Welt kompensatorisch zu festigen versuchen. Ihre Erbschaft zeigt sich, so von Petersdorff, noch in Positionen des 20. Jahrhunderts, wenn etwa vom „universelle[n] Verblendungszusammenhang oder Seinsvergessenheit“⁹¹ die Rede ist. In Schleiermachers Vorlesung über die Christliche Sittenlehre lässt sich nun das Anliegen identifizieren, zwischen Arbeitsamkeit und Muße bzw. Müßiggang zu vermitteln und deren abstrakte Konfrontation zu überwinden.
3 Zwischen Arbeitsamkeit und Muße – Schleiermachers Versuch des Ausgleichs Nach den bereits zitierten Worten aus Schleiermachers Monologen wird „der Mensch“ durch „freie Muße“ dazu befähigt, selbstbestimmt der „Macht“ des „Gedanken[s]“ zu folgen, „wenn die Welt auch Thaten von ihm fordert“.⁹² Die in der Muße gewonnene Freiheit drängt demnach durchaus über deren räumlich und zeitlich begrenzten Erfahrungskontext hinaus. Auch im Vollzug der ihm durch die Welt abgeforderten Taten, so lässt sich die Stelle lesen, vermag der Mensch sich gelingendenfalls von der freiheitsstiftenden Macht des Gedankens leiten zu lassen, wobei es hier um den „Gedanken des eignen höhern Daseins“⁹³ als einer je individuell zu realisierenden Darstellung der Menschheit geht.⁹⁴ Die Frage ist nur, wie ein solcher Überschlag gelingen kann in „dieser Welt, die statt Lebens nur todte Formeln bietet, statt freien Handelns nur Regel und Gewohnheit kennt“,⁹⁵ wie Schleiermacher einmal mehr sozialkritisch notiert. Dem hier aussichtslos erscheinenden Wirksamwerden der Muße über ihre räumlichen und zeitlichen Grenzen hinaus kommt innerhalb der Vorlesungen über die Christlichen Sittenlehre ein zentraler Stellenwert zu. Es können, so heißt es dort,
Hier wird er schließlich deutlich positiver beurteilt als seine Weggefährten: „Da Schleiermacher im Vergleich zu seinen Generationsgenossen die Differenzen gegen die Ganzheit stärkte, gelangte er schließlich – nachdem er die Dämonisierungen der Moderne überwunden hatte – zu einer realistischen Einschätzung moderner Gesellschaften und war gleichzeitig vor einem Rückfall in vormoderne Ideologien geschützt“ (von Petersdorff 1996, 299). 91 Von Petersdorff 1996, 434; er verweist damit auf Theodor W. Adorno und Martin Heidegger. 92 Schleiermacher KGA I/3, 20 – 21. 93 Schleiermacher 1884, 18. 94 Vgl. zum Individualitätsverständnis der Monologe Dierken 2008, 188 – 196. 95 Schleiermacher 1884, 34.
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„verschiedene Maximen statt finden […], die der Arbeitsamkeit und die der Muße“.⁹⁶ Nur im Falle des „zunehmenden Uebergewicht[s]“ einer der beiden Maximen über die andere wächst ihnen jeweils ein problematischer Charakter zu, weil dann „das eine zerstörend auf das andere“ zu wirken droht.⁹⁷ Dabei geht es Schleiermacher nicht darum, Sphären der Muße und der Arbeitsamkeit schiedlich-friedlich voneinander zu unterscheiden. Anstatt ihres zerstörerischen Aufeinanderwirkens soll es zwischen beiden vielmehr ein Verhältnis wechselseitiger Beförderung geben. Denn „das Leben“, so lautet nach Schleiermacher dessen „wahre Anschauung“, „ist [ein] Ineinandersein der Glieder“ jenes „Gegensazes“, wie er durch die beiden besagten Maximen markiert wird – unbeschadet der Tatsache, dass realiter stets eine von ihnen relativ „überwiegend“ ist.⁹⁸ Mithin ist es „der natürliche Tact des Lebens, welcher den Wechsel zwischen dem einen und dem anderen hervorbringt“.⁹⁹ Beide Aussagen lassen eine völlige Diskontinuität im Verhältnis von Arbeitsamkeit und Muße als etwas geradezu Unnatürliches, Künstliches, ja Lebensfernes erscheinen. Sie beziehen sich allerdings des Näheren auf die beiden Handlungsarten, die nach Schleiermachers theologischer Ethik aus dem christlich-frommen Selbstbewusstsein hervorgehen: auf das darstellende und das wirksame Handeln. Dass zwischen diesen Zentralbegriffen der Christlichen Sittenlehre und denjenigen der Arbeitsamkeit und der Muße ein enger Zusammenhang besteht, wird aber durch Schleiermacher selbst nahegelegt und im Folgenden nachvollziehbar gemacht.¹⁰⁰
3.1 Zwischen Zwecklosigkeit und Zweckgebundenheit Schleiermacher unterscheidet in der Vorlesung über die Christlichen Sittenlehre „zwei Hauptarten“, in denen „die innere Bestimmtheit des christlichen Selbstbewußtseins Impuls […] zu einem […] Handeln“ wird.¹⁰¹ Deren eine, das darstellende Handeln, wird 96 Schleiermacher 1884, A 44. Seitenzahlen mit vorgestellten Buchstaben (A, B, C, D) geben Zitate aus den Beilagen mit Schleiermachers Vorlesungsmanuskripten an. In nachgestellten runden Klammern wird der entsprechende Vorlesungsjahrgang vermerkt. Alle Ziffern ohne Hinzufügungen verweisen auf den Haupttext der Jonasʼschen Ausgabe. 97 Schleiermacher 1884, A 44. 98 Schleiermacher 1884, A 21. 99 Schleiermacher 1884, 643 100 Der Kontext, in dem von den Maximen der Arbeitsamkeit und der Muße die Rede ist, behandelt die Frage, wie das quantitative Verhältnis des darstellendem zum wirksamem Handeln idealiter beschaffen sein sollte. Das auf Wiederherstellung oder Erweiterung des christlichen Lebens ausgerichtete wirksame Handeln folgt demnach der „Maxime der Arbeitsamkeit“, während das sich keinen äußeren Zwecken, sondern nur dem religiös-ästhetischen Selbstausdruck verschreibende darstellende Handeln der „Maxime der Muße“ folgt. 101 Schleiermacher 1884, 50; vgl. zur folgenden Beschreibung der beiden bzw. drei Handlungsarten die luziden Ausführungen in Ellsiepen 2011, 45 – 52; zur im Folgenden vorgenommenen Differenzierung der Handlungsarten grundlegenden Einleitung zur Christlichen Sitte und zu ihren Hauptteilen Schleiermacher 1884, bes. 30 – 87, 100 – 109, 291 – 304, 502 – 516, 620 – 624.
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als „zwekklos“¹⁰² charakterisiert. Es hat „keinen Zwekk außer sich“¹⁰³ und „beabsichtigt keinen Erfolg“, sondern „will nur die höhere Dignität des christlichen Lebens zur Erscheinung bringen“¹⁰⁴ bzw. eine momentane „innere Bestimmtheit des Selbstbewußtseins äußerlich fixiren“¹⁰⁵. Der Typus des wirksamen Handeln ist dem hingegen zutiefst zweckgebunden und erfolgsorientiert. Es will stets „etwas hervorbringen“¹⁰⁶ und hat dabei entweder die konstruktive „Verbreitung“ der (christlichen) Sitte oder die kritische „Reinigung“ von sittlicher Verfallserscheinungen zum „eigentlichen Zwekk“.¹⁰⁷ Der primäre Ort des darstellenden Handelns ist für Schleiermacher die Kirche bzw. der kultische Gottesdienst. Dort geht es um die kommunikative Vergewisserung des christlich-religiösen Erlösungsbewusstseins als des „eigentliche[n] Grundgefühl[s] des Christen“¹⁰⁸ durch wechselseitigen Selbstausdruck. Doch gibt es laut Schleiermacher „auch abgesehen vom religiösen Selbstbewußtsein, auf anderen Gebieten ein Handeln, welches […] Ausdrukk des inneren ist ohne eigentliche Wirksamkeit zu sein“.¹⁰⁹ Unter der Überschrift „gesellige Darstellung“ denkt er dabei an das Fest, das Spiel und die Kunst, ans Gespräch, an das gemeinsame Essen, ja selbst an „Trunk und Tanz“.¹¹⁰ Auch in diesen Bezügen bewegt man sich, jedenfalls potenziell, jenseits des bloßen Verfolgens äußerlicher Zwecke, und es geht dem Menschen vorrangig darum, sich selbst zum Ausdruck zu bringen. Ob in der inneren Sphäre privater und öffentlicher Religionspraxis oder im äußeren Kreis allgemeiner Geselligkeit – leitend ist darin die von Schleiermacher erwähnte Maxime der Muße. Denn dort wird eine „tätige Untätigkeit“ betrieben, die in ihrem selbstzweckhaften Charakter „nur per accidens wirksam“,¹¹¹ also nicht intentional auf die Hervorbringung von etwas hin orientiert ist. Jedenfalls sollte es nach Schleiermachers Dafürhalten so sein, wie etwa seine kritische Bemerkung über eine moralpädagogische Funktionalisierung des „Cultus“ zeigt: Dessen damit betriebener„Auswuchs in trokkne Belehrung und rauhes Schelten“ würde ihn „zerstören“, weshalb seine „Zwekklosigkeit […] festzuhalten“ sei.¹¹² Die monierte Verzweckung des Gottesdienstes lässt sich als Kritik an jenem oben beschriebenen Zeitgeist lesen, der tendenziell alle Lebenssphären dem Ideal der Ar-
102 Schleiermacher 1884, 48. 103 Schleiermacher 1884, 48 104 Schleiermacher 1884, 295 (1926/1927). 105 Schleiermacher 1884, 51. 106 Schleiermacher 1884, 526. 107 Schleiermacher 1884, 599. 108 Schleiermacher 1884, 516. 109 Schleiermacher 1884, 48. 110 Schleiermacher 1884, A 48. Der Herausgeber und Schleiermacher-Schüler Ludwig Jonas hat das Wort „Trunk“ ausgelassen: „Das hier fehlende Wort ist nicht mit Sicherheit zu entziffern. Schleiermacher scheint Trunk geschrieben zu haben, aber dieser Ausdrukk wäre hier schwerlich an seiner Stelle.“ Eine wichtige Erkenntnis der jüngst begonnenen Neuedition der Christlichen Sitte darf an dieser Stelle verkündet werden: In Schleiermachers Manuskript heißt es wirklich „Tanz und Trunk“. 111 Schleiermacher 1884, 333. 112 Schleiermacher 1884, A 31.
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beitsamkeit anzupassen bestrebt war. Schon in den 1804 publizierten Unvorgreiflichen Gutachten in Sachen des protestantischen Kirchenwesens, die Schleiermacher während seiner Dienstzeiten als Hofprediger im pommerschen Stolp verfasst hat, wird ein derartiger Funktionalismus beanstandet. Dass man „jetzt in unsern Kirchenliedern“ vorrangig „moralische[ ] Maximen“ aneinanderreiht, hat nach dortigem Urteil „sehr wenig religiösen Werth“.¹¹³ Denn das neue „christliche[ ] Sittenlied“ – ein schlagendes Beispiel wurde oben angeführt – zeigt sich von der „unchristlich“ zu nennenden „Voraussetzung“ getragen, „daß denen welche es singen, die ganze besungene Gesinnung erst soll angelobt oder angeschreckt werden und daß sie also noch ganz sinnliche unbekehrte Menschen sind“.¹¹⁴ Wer hingegen „seine religiösen Gefühle genießen und auffrischen“ will, findet angesichts solcher Lieder im gängigen „Gesang unseres öffentlichen Gottesdienstes“ kein passendes Ausdrucksmittel.¹¹⁵ Exemplarisch wird damit deutlich, inwiefern sich ein Überhandnehmen der Maxime der Arbeitsamkeit zerstörerisch auf die durch die Maxime der Muße geleiteten Lebenssphären auswirken kann. Die mit ihr verbundene Handlungslogik greift dann über in Bereiche, die eigentlich „dem Selbstbewußtsein Raum geben“¹¹⁶ sollen, indem sie etwa zur Auffrischung religiöser Gefühle einladen. Eine destruktive Wirkung kann allerdings auch von der anderen Seite her ausgehen, nämlich dann, wenn die mußevollen Vollzüge des darstellenden Handelns selbstreferenziell werden und gleichsam ins Leere laufen. Weder „soll“, schreibt Schleiermacher, „das ganze Leben in Arbeit verwandel[t]“ werden, „in mühsame Anstrengung“, noch sollen die das arbeitsame Treiben unterbrechenden „Pausen“, für die Gottesdienst und Andacht, freie Geselligkeit, Kunst und Spiel stehen, eine vom „gesammten thätigen Leben“ völlig abgekoppelte Zone bilden.¹¹⁷ Für die beiderseits mögliche Fehlentwicklung verwendet er den vor allem aus dem Zusammenhang der scholastischen Sakramentstheologie bekannten Ausdruck „opus operatum“.¹¹⁸ Demnach wirkt zum Beispiel das Abendmahl ex opere operato, das heißt vermittels des rechtmäßigen Vollzugs der rituellen Handlung, nicht aber ex opere operantis, also aufgrund der Disposition und Aktivität der daran Beteiligten. Martin Luther entdeckte in diesem Setzen auf die Objektivität sakramentaler Handlungsvollzüge einen Aufruf zur Werkgerechtigkeit und machte dagegen den das Heil empfangenden Glauben der daran beteiligten Subjekte stark. Das je individuelle, innere Dabeisein ist es auch, was Schleiermacher fehlt, wenn er vom opus operatum spricht. Ein
113 Schleiermacher KGA I/4, 419. Schleiermacher bezieht sich hier auf die zeitgenössischen Gesangbuchreformen im aufklärerischen Geist. Ein Beispiel, das Schleiermacher an dieser Stelle selbst anspricht, wurde oben mit dem Choral „Ohne Rast und unverweilt“ gegeben. 114 Schleiermacher KGA I/4, 420. 115 Schleiermacher KGA I/4, 421. 116 Schleiermacher 1884, 536. 117 Schleiermacher 1884, 536. 118 Schleiermacher 1884, 536, 598, 599, A 31, A 55, B 150; vgl. zu diesem Ausdruck überblicksmäßig Slenczka 2007, 1827– 1828.
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„opus operatum“, schreibt er, ist nur ein „leerer Schein von Handlungen“, denen „gar kein Gefühl zum Grunde liegt“.¹¹⁹ Es geht dann allein darum, vorgegebenen Handlungsmustern gerecht zu werden, ohne dass es von Bedeutung ist, ob sich die Subjekte in ihrer Individualität darin selbst zum Ausdruck bringen können. Dieser auf Seiten des wirksamen (3.2.) sowie des darstellenden Handelns (3.3.) möglichen Fehlentwicklung will ich im Folgenden weiter nachgehen, woraus sich schließlich das von Schleiermacher favorisierte Verhältnis von Arbeitsamkeit und Muße, von wirksamem und darstellendem Handeln erhellen wird (3.4.).
3.2 Arbeitsamkeit – wirksames Handeln zwischen sinnvoller und zweckloser Anstrengung Wie gesagt, differenziert Schleiermacher das wirksame Handeln noch einmal in eine vorrangig auf Kritik und Korrektur sittlicher Verfallserscheinungen ausgerichtete und eine vor allem der Steigerung sittlicher Potenziale dienende Tätigkeitsweise. Beide einander allerdings nur relativ entgegengesetzte Handlungsformen wollen also etwas Bestimmtes hervorbringen und sind demnach an ihren äußerlichen Zwecken orientiert. Sie beinhalten mithin „fortgesezte[ ] Anstrengung“¹²⁰ und „Entbehrungen“¹²¹ sowie ein „rastloses Streben nach Vervollkommnung“¹²², worin sich ihr arbeitsamer Charakter deutlich zeigt. Angetrieben wird das auf Reinigung bzw. Wiederherstellung oder Erweiterung bzw. Verbreitung zielende wirksame Handeln durch eine „demselben zum Grund liegende Idee der Vollendung“, die seinen „sittlichen Gehalt“ ausmacht.¹²³ Aus christlicher Sicht erweist sich hier die „Idee des Reiches Gottes“¹²⁴ als bestimmend, die im christlich-religiösen Bewusstsein der „Erlösung“, der „Seeligkeit“ oder auch der prinzipiell die ganze Menschheit in sich begreifenden „Gemeinschaft mit Gott“ verankert ist.¹²⁵ Ihm entspricht „das eigentliche Grundgefühl des Christen, […] daß es eine Gewalt des Geistes über das Fleisch giebt“,¹²⁶ die als in Christus vollendet angesehen wird. So vollendet sie aber in Christus erscheint, so unvollendet nimmt sie sich unter den Bedingungen des endlichen Daseins aus. Aus dieser Differenzerfahrung erwächst nun nach Schleiermacher einerseits der lustvolle Drang, die „Gewalt des Geistes über das Fleisch“ oder in philosophischer Terminologie gesagt „die Macht der Vernunft“ über die „Sinnlichkeit“ immer weiter zu steigern.¹²⁷
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Schleiermacher 1884, A 55. Schleiermacher 1884, 142. Schleiermacher 1884, 151. Schleiermacher 1884, 479. Schleiermacher 1884, 536. Schleiermacher 1884, 12. Schleiermacher 1884, 36. Schleiermacher 1884, 516. Schleiermacher 1884, A 8.
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Andererseits führt sie zu Unlustempfindungen angesichts von Konstellationen, in denen sich das Verhältnis von Geist und Fleisch bzw.Vernunft und Sinnlichkeit geradezu umgekehrt zu haben scheint. Letztere motivieren zu Kritik und Korrektur im Lichte der handlungsleitenden Idee der Vollendung. Beispielhaft dafür sind nach Schleiermacher ebenso alle Tätigkeiten, die mit Zucht und Strafe zu tun haben, wie Reformbestrebungen, die der Bereinigung von institutionellen Fehlentwicklungen dienen. Dabei sind einmal mehr Handlungsvollzüge innerhalb und außerhalb des christlichen inner circle im Blick. So werden nicht nur Bußrituale, sondern auch die öffentliche Institution des Strafrechts thematisiert und Praktiken der Kirchen- wie der Staatsverbesserung reflektiert. Diese Doppelperspektive nehmen die Ausführungen zur verbreitenden Funktion des wirksamen Handelns, das die Steigerung der Macht des Geistes über das Fleisch bzw. der Vernunft über die Sinnlichkeit intendiert, ebenfalls ein. Es kommt in allen Prozessen der „Erziehung Bildung Fortbildung“¹²⁸ zum Tragen, wie sie sich in Kirche, Familie, Schule oder auf dem weiten Feld der Berufsarbeit vollziehen. Die von Schleiermacher benannte Gefahr des wirksamen Handelns, „das ganze Leben […] in mühsame Anstrengung“ zu verwandeln, droht nun dann, wenn es den Bezug zu der „demselben zum Grund liegende[n] Idee der Vollendung“ verliert.¹²⁹ Dazu kann es innerhalb der beiden skizzierten Varianten kommen.¹³⁰ a) Im Falle des reinigenden Handelns lässt sich hier zunächst an bestimmte Formen der Bußübung denken, die Schleiermacher als „leere Anstrengungen“¹³¹ bezeichnet: Gemeint ist eine durch kirchliche Vorschriften angestoßene Gebets- oder Fastenpraxis, bei der man sich aufs Ableisten ritualisierter Handlungsvorgaben versteift, ohne darin wirklich selbst involviert zu sein. Den Extremfall, zu dem hin solche außengeleiteten Fehlformen tendieren, stellt die asketische Existenz des Eremiten dar, der „ausschließlich und für das ganze Leben“ in den „zwecklosen Anstrengungen“ einer schier unendlichen Selbstzüchtigungspraxis begriffen ist.¹³² Der eigentliche Zweck derartiger Bemühungen, die Unlust erzeugende Schwachheit des Geistes bzw. der Vernunft zu überwinden, erfüllt sich so jedoch niemals. Denn über einen „sittlichen Gehalt“ verfügen sie mangels Zielperspektive nur „in seinem Nichtsein, in seinem Werden“.¹³³ Das christliche Erlösungsbewusstsein hingegen weiß um die „absolute Identität des göttlichen Wesens mit der menschlichen Natur“, in der es die unter empirischen Bedingungen immer nur „zunehmende Macht der Vernunft und [die] abnehmende der Sinnlichkeit“ als bereits vollendet ansieht.¹³⁴ Ohne eine solche Vollendungsperspektive,
128 Schleiermacher 1884, 291. 129 Schleiermacher 1884, 536. 130 Vgl. im Folgenden zum reinigenden Handeln Schleiermacher 1884, 140 – 273; zum verbreitenden Handeln Schleiermacher 1884, 304 – 329, 440 – 501. 131 Schleiermacher 1884, 172. 132 Schleiermacher 1884, 156. 133 Schleiermacher 1884, 536. 134 Schleiermacher 1884, A 8.
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die im religiösen Grundgefühl der Seligkeit oder der Gemeinschaft mit Gott verankert ist, wird die negative Gestimmtheit jener Unlustempfindungen, aus denen der kritischkorrigierende Impuls zum reinigenden Handeln erwächst, aber bezugslos und tendenziell übermächtig. Dies schlägt sich für Schleiermacher auch in allen Bestrafungsaktionen nieder, die nicht von der grundsätzlich möglichen Besserungsfähigkeit der bestraften Person ausgehen. Extremstes Beispiel hierfür ist die Todesstrafe, die er als einen unsittlichen „Rest barbarischer Zeiten“¹³⁵ und als Bankrotterklärung eines Staates ansieht, der nur durch die Aufbietung dunkelster Drohkulissen Zustimmung zur öffentlichen Ordnung zu generieren vermag. „[V]om christlichen Standpunkte“ aus betrachtet aber gilt: Weil „es für niemanden unmöglich [ist], von der Gnade in Christo erfaßt zu werden“, „so ist es auch für niemanden unmöglich gebessert zu werden“.¹³⁶ Alles reinigende Handeln, das seinen Namen verdient, muss demnach die menschliche Besserungsfähigkeit voraussetzen. Sonst ließe es sich vom völligen Nichtsein des Sittlichen leiten und verlöre sich in einem ziellosen Anrennen gegen dieses Negative. Gleiches gilt im Übrigen auch für jedwedes Veränderungsbestreben in Bezug auf Institutionen, sei es Kirche oder Staat. So verwirft Schleiermacher „die Absicht […], dem ganzen“, dem man sich dabei in Gestalt der jeweiligen sozialen Einrichtung „entgegen gestellt“ findet, „immerwährend entgegengestellt […] bleiben“ zu wollen, als unsittliche Negation institutioneller Entwicklungsfähigkeit.¹³⁷ Eine solches Ansinnen erschöpft sich – im wahrsten Sinne des Wortes – entweder im Dauerprotest eines bloßen Dagegenseins, oder es wird in Form einer esoterischen Gegenwelt kultiviert, zu der nur wenige Auserwählte Zugang haben. Letztere Haltung moniert Schleiermacher an „alle[m] mysteriöse[m] auf allen Gebieten“,¹³⁸ wobei er neben den klassischen Mysterienkulten auch bestimmte Tendenzen des frühromantischen Kreises vor Augen gehabt haben mag, von denen oben bereits die Rede war.¹³⁹ Ich werde darauf nach einem kurzen Blick auf den Typus des verbreitenden bzw. erweiternden Handelns zurückkommen. b) Auch die Vollzüge des verbreitenden Handelns sind nicht davor gefeit, ins opus operatum leerer Anstrengungen und vergeblicher Mühen umzuschlagen. Exemplarisch sei dazu auf Schleiermachers in diesen Zusammenhang gehörende Ausführungen zum Verhältnis von Talentbildung und Naturbildung verwiesen. Talentbildung meint, die je eigenen Anlagen und bereits erworbenen Fertigkeiten auszuschöpfen und weiterzuentwickeln. In der Naturbildung geht es stattdessen um die Bearbeitung und Kultivie-
135 Schleiermacher 1884, 248. 136 Schleiermacher 1884, 252 (1826/1827). 137 Schleiermacher 1884, 210 (1824/1825). 138 Schleiermacher 1884, 196. 139 Vgl. dazu die oben angeführte Interpretation von Petersdorffs. Er liest aus dem „Versuch einer Theorie geselligen Betragens“ ein an die frühromantischen Weggenossen gerichtetes Plädoyer Schleiermachers gegen die „Willkühr in geschlossenen Gesellschaften“ heraus, demzufolge die dort vorherrschende „Arkankommunikation ‚auf vorübergehende Augenblicke‘“ zu beschränken sei, „um die Gesellschaftsintegration nicht zu gefährden“ (von Petersdorff 1996, 298).
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rung „der äußeren Natur“.¹⁴⁰ Idealerweise greift beides ineinander, sodass beispielsweise im Vollzug handwerklicher Tätigkeiten sowohl ein Stück äußere Natur bearbeitet als auch die eigenen Fähigkeiten verfeinert werden. Realiter aber entkoppeln sich beide Bildungstätigkeiten regelmäßig voneinander – mit fatalen Folgen, wie Schleiermacher zu sagen weiß. Kommt es nämlich dazu, dass das „zunehmende Uebergewicht [auf ] der Naturbildung“ liegt und die Entwicklung des Talents in den Hintergrund gerät, dann ist aus seiner Sicht von einer mehr „mechanischen“ Tätigkeit zu sprechen.¹⁴¹ Wie er einräumt, liegt „es in der Natur der Sache, daß die große Menge […] verflochten ist in den Mechanismus der Naturbearbeitung“ und darin „ihren Beruf […] findet“.¹⁴² Je stärker aber das Übergewicht der Naturbildung ansteigt, „desto mehr muß alles“, was in diesem Rahmen getan wird, „einer bestimmten Regel folgen“, und „desto mehr nähert sich das mechanische dem unsittlichen“ an.¹⁴³ Es gewinnt dann nämlich sukzessive den „Charakter des unfreien“.¹⁴⁴ Diese in der naturbildenden Tätigkeit angelegte Tendenz zur Unfreiheit kann sich sogar so weit steigern, dass „der einzelne Mensch ganz nur der Stellvertreter einer Maschine“ wird,¹⁴⁵ was Schleiermacher im zeitgenössischen Phänomen zunehmender Arbeitsteilung längst angelegt sieht. „Vom christlichen Standpunkte aus“ ist dies deshalb zu kritisieren, weil derjenig, der „[zur] Gemeinschaft mit Christo fähig ist, und das sind nach christlicher Anschauung alle, […] ein freies Wesen sein [muss] und geistigen Lebens theilhaftig, keine lebendige Maschine“.¹⁴⁶ Auch im Rahmen dieses eher nach vorn drängenden und lustvoll gestimmten Handlungstyps lassen sich also Totalisierungstendenzen entdecken, die dessen eigentlichen Zweck auszublenden drohen. Gegenüber dem vom religiösen Vollendungsbewusstsein abgekoppelten Ziel, die Macht des Geistes über das Fleisch bzw. der Vernunft über die Natur zu verbreitern, wird dann das ihm unterworfene Handlungssubjekt zu seinem bloßen Mittel herabgesetzt. Was dem aus christlicher Sicht entgegenzustellen ist, führt Schleiermacher an der zitierten Stelle mit kritischem Bezug auf die aristotelische Unterscheidung von Freien und Sklaven aus. Diese gehe fatalerweise davon aus, dass „der Sclave rein die Stelle einer Maschine vertritt, wie denn Aristoteles den Sclaven […] erklärt als ein ὄργανον ζῷον“.¹⁴⁷ Wer aber zum bloßen Werkzeug im Naturbearbeitungsprozess degradiert werde, dem nehme man die den Menschen auszeichnende „Fähigkeit zu einem freien geistigen Leben“.¹⁴⁸ Dabei ist an den bereits erwähnten
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Schleiermacher 1884, 443. Schleiermacher 1884, A 97. Schleiermacher 1884, 489 (1826/1827). Schleiermacher 1884, A 97. Schleiermacher 1884, A 97. Schleiermacher 1884, 465. Schleiermacher 1884, 467. Schleiermacher 1884, 466. Schleiermacher 1884, 466.
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aristotelischen Mußebegriff zu denken.¹⁴⁹ Dieser hebt ja auf eine von fremden Zwecksetzungen freie Tätigkeitsform ab, auf deren Grundlage man zu letzter Sinnerfüllung und Glückseligkeit gelangt – allerdings nur diejenigen, denen ein entsprechender Bildungsstand zu eigen ist und die nicht durch unmüßige Tätigkeiten absorbiert sind. Demgemäß gibt es nach einem von Aristoteles zitierten „Sprichwort […] für Sklaven keine Muße“.¹⁵⁰ Für Schleiermacher trifft das auch auf „die Menschen“ seiner Gegenwart zu, die zwar „de jure nicht Sclaven sind“ und „doch de facto, je mehr sie in den Mechanismus eingetaucht werden […], immer mehr die Fähigkeit zu einem freien geistigen Leben“ verlieren.¹⁵¹ Wie gesehen, ist dies für ihn gleichbedeutend damit, dass die Fähigkeit zur „Gemeinschaft mit Christo“, also zur Religion, zunehmend verkümmert. So fatal sich aber das besagte „Übergewicht der Naturbildung“ auch ausnimmt – als nicht minder unsittlich beurteilt Schleiermacher den entgegensetzten Fall, dass ein „zunehmende[s] Uebergewicht[ ] der Talentbildung“ entsteht.¹⁵² „Die bildende Thätigkeit“ wird dann „speculativ“ und degeneriert zu einer „von der Uebung nach außen getrennte[n]“, „bloß intellectuelle[n] Function“, die mangels ihres Bezugs zum auch die äußere Natur in sich begreifenden „Leben“ je länger, je mehr einem „todte[n] Spiel“ gleicht.¹⁵³ Schleiermacher entdeckt darin vor allem eine Tendenz wissenschaftlichen Forschens, das sich, ist es derart von anderen Aspekten des Lebens abgekoppelt, zu einem „leblosen inneren Brüten“ entwickelt, aus dem „nichts entstehen kann“.¹⁵⁴ In dieselbe Kerbe schlägt auch eine kritische Bemerkung zum weltflüchtigen Charakter des Klosterlebens. Es ist, heißt es darin, „ein tiefes Mißverständniß“, das fatalerweise auch unter Protestanten umläuft, die von der als „unheilig[ ]“ abgeurteilten „bürgerliche[n] Gemeinschaft“ absentierte monastische Existenzform etwa wegen der darin gegebenen „Muße zu wissenschaftlicher Beschäftigung“ hochzuschätzen.¹⁵⁵ Denn „das klösterliche wissenschaftliche Leben“ habe aller Muße zum Trotz „nie producirt, sondern nur reproducirt“, also keine nennenswerte Wirkung über die Klostermauern hinaus entfaltet.¹⁵⁶ Damit ist ein Punkt erreicht, auf den auch die Bemerkungen zum reinigenden Handeln am Ende zusteuerten. Der Rückzug in die Idylle einer mußevollen Gegenwelt, in der man über die tendenziell totalitären Zweckzusammenhänge des arbeitsamen Lebens erhaben zu sein glaubt, ist für Schleiermacher Teil des Problems und nicht der Lösung. Dies zeigt sich auch daran, dass er, durchaus im Einvernehmen mit der zeitgenössischen bürgerlichen Kritik des Müßiggangs, eine Lebensweise als „Luxus“ und
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Vgl. zum aristotelischen Mußebegriff Martin 1984, 257– 258. Aristoteles 2012, 288. Schleiermacher 1884, 466. Schleiermacher 1884, A 97. Schleiermacher 1884, A 97, 467. Schleiermacher 1884, 467. Schleiermacher 1884, 366 (1826/1827). Schleiermacher 1884, 366 (1826/1827).
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„etwas unsittliches“ bezeichnen kann, in der „das darstellende Handeln zu viel einnimmt im Verhältnis zum wirksamen“.¹⁵⁷ Anstatt sich gegen Letzteres abzuschließen, soll es vielmehr darin seine Fortsetzung finden, wodurch es dessen Verwandlung in zwecklose Anstrengung nach Schleiermachers Erwartung entgegenwirkt. Bleiben die mußevollen Vollzüge des darstellenden Handelns stattdessen „ohne die Darstellung im [tätigen] Leben“, degeneriert dieses zum ziellosen „Lebensmechanismus“ und werden sie selbst zum „opus operatum“.¹⁵⁸
3.3 Muße – darstellendes Handeln zwischen unproduktiver und produktiver Untätigkeit Den misslichen Fall, dass das darstellende Handeln selbst zum opus operatum wird, sieht Schleiermacher insbesondere im katholischen Messgottesdienst seiner Zeit verwirklicht.¹⁵⁹ Anstatt das „lebendige Hervortreten des christlichen Bewußtseins in den einzelnen zu einem gemeinsamen Leben“ zu ermöglichen, sei dessen Feier „mehr nur eine Function des Priesters“ mit Hang zum „todte[n] Mechanismus“.¹⁶⁰ Woran es dabei fehlt, ist also die aktive Beteiligung der gleichsam zur passiven Hinnahme des überkommenen Kultus verdammten Gemeinde. Das soll kein Plädoyer gegen „[d]as objective im Gottesdienst“¹⁶¹ und dafür sein, denselben subjektiver Willkür anheimzustellen. Vielmehr liegt nach Schleiermacher „die absolute Vollkommenheit des öffentlichen Gottesdienstes“ darin, dass in ihm „beides Eins wird“, dass er „einerseits ein gemeinsamer ist und andererseits ein für den einzelnen lebendiger“.¹⁶² Als für die Einzelnen lebendig aber erweist sich der Gottesdienst nur, wenn er im Inneren der Beteiligten religiöse Gefühle erregt und deren je zum individuellen Ausdruck passende Medien bereitstellt. Nur so kommt es auch zu einer Gemeinsamkeit, in der die Einzelnen sich mit ihren Empfindungen wiederfinden können. Ist aber „das leztere, wie im Meßgottesdienste, durch die Construction des Gottesdienstes unmöglich gemacht“, folgert Schleiermacher, „so ist auch das höchste Leben gar nicht mehr in ihm darzustellen“.¹⁶³ Um die Darstellung des im religiösen Grundgefühl gegenwärtigen „höchste[n] Leben[s]“
157 Schleiermacher 1884, A 51. 158 Schleiermacher 1884, B 150. 159 Hinsichtlich dieser kritischen Ausführungen Schleiermachers ist zu beachten, dass sie den vorkonziliaren Katholizismus des beginnenden 19. Jahrhunderts betreffen. Ähnliche Tendenzen zum „bloße[n] Mechanismus“ entdeckt er mithin darin, dass man im Rahmen des Hausgottesdiensts immer nur „auf in Büchern gegebenes zurükkgeht“, „ohne etwas eigenthümliches und auf die besonderen Lagen des Lebens sich beziehendes hinzuzuthun“ und eigene „Gefühle […] auszusprechen“ (Schleiermacher 1884, 552 – 553); vgl. zur folgenden Darstellung des darstellenden Handelns Schleiermacher 1884, 516 – 599, 672 – 705, A 1 – 61. 160 Schleiermacher 1884, 598 (1826/1827). 161 Schleiermacher 1884, 549. 162 Schleiermacher 1884, 549 – 550. 163 Schleiermacher 1884, 550.
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oder, anders gesagt, um den Ausdruck des „konstante[n] Bewußtsein[s] derjenigen höheren Lebensstufe, auf der wir in Gemeinschaft sind mit Gott“,¹⁶⁴ sollte es also nach seinem Dafürhalten im Gottesdienst gehen, den er als ein wechselseitiges Kommunikationsgeschehen begreift. Zum opus operatum wird dieser, wenn statt solchem Ausdrücklichwerden des Inneren im Modus symbolischer Kommunikation¹⁶⁵ das den Teilnehmenden äußerlich bleibende Abfeiern vorgegebener Formulare im Zentrum steht. Schleiermacher, so lässt sich aus diesen Ausführungen schließen, geht es darum, das tätige Moment in der „tätigen Untätigkeit“ des zweckfreien Darstellens zu akzentuieren. Dessen „Zwekklosigkeit ist festzuhalten, ohne die Vorstellung eines opus operatum auszunehmen“,¹⁶⁶ schreibt er dementsprechend. Zwar soll es „nie wie ein wirksames Handeln construirt werden“, also nicht vom „Bestreben“ geleitet sein, „etwas hervorbringen“ zu wollen,¹⁶⁷ doch ebenso wenig sollen „die einzelnen […] unthätig“ sein, wie es „im katholischen Gottesdienste“ der Fall ist.¹⁶⁸ Angedacht ist stattdessen eine Art von Tätigkeit, in der das Subjekt – allgemein gesagt – aus sich herausgeht, um im kommunikativen Wechselspiel mit anderen seiner selbst immer mehr inne zu werden. Außergottesdienstliche Veranstaltungen vermögen ihm ebenfalls Raum dazu zu geben – so etwa der Gedankenaustausch, in dem sich potenziell alles, was für den Menschen „auf irgend einem Lebensgebiete von Bedeutung ist, wiederholt“ und dadurch „zum Bewußtsein“ kommt.¹⁶⁹ Auch das Spiel, nach Schleiermacher geradezu Idealtypus einer „freie[n], durch den Moment bestimmbare[n], der Arbeit entgegengesezte[n] bewegliche[n] Thätigkeit“,¹⁷⁰ dient der intersubjektiven Selbstdarstellung, wenn es denn nicht fälschlicherweise „Ernst wird, Geschäft“.¹⁷¹ Im Bereich der Kunst, wobei er neben der bildenden in ihren vielfältigen Unterformen Musik, Literatur, Tanz und Theater thematisiert, geht es idealiter um das Erschaffen von „Exhibitionen des inneren ohne irgend einen anderen besonderen Zwekk“.¹⁷² Den dabei schöpferisch Tätigen verhilft ihr expressives Tun, was übrigens ebenfalls ein Nebeneffekt der spielerischen Selbstdarstellung ist, zugleich zur Vervollkommnung eigener Anlagen und Talente. Wer hingegen primär rezeptiv am gesellschaftlichen „Kunstleben“¹⁷³ partizipiert, ist nicht einfach nur passiver Zuschauer. Er wird dessen Schöpfungen, wenn sie ihn innerlich ansprechen, „auf eine unsichtbare Art individualisiren“ und ist darin selbst künstlerisch-darstellend „productiv“.¹⁷⁴ Für Schleiermacher gibt es zum Beispiel „überhaupt 164 165 166 167 168 169 170 171 172 173 174
Schleiermacher 1884, 41. Vgl. dazu Gräb 1985, 656 – 659. Schleiermacher 1884, A 31. Schleiermacher 1884, 653. Schleiermacher 1884, 598. Schleiermacher 1884, 672 (1824/1825). Schleiermacher 1884, 674. Schleiermacher 1884, 695. Schleiermacher 1884, 493 (1826/1827). Schleiermacher 1884, 621. Schleiermacher 1884, A 60.
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kein besseres Mittel der Selbsterkenntniß, als sich aufs genaueste in die Entwikkelung eines fremden Lebens zu versezen“ –¹⁷⁵ womit er ebenso die Tätigkeit der Schauspielerei wie die kreative Eigenart der Lektüre insbesondere historischer Stoffe charakterisieren will. Auf gesteigerte Selbsterkenntnis im Lichte des höheren Lebens müssen diese mußevollen Praktiken kommunikativer Selbstdarstellung aus Schleiermachers Sicht aber ausgerichtet sein, wenn sie als sittlich sollen gelten können. Diese normative Zielbestimmung, an der Fehlformen identifizierbar werden, scheint das Prinzip der Zweckfreiheit ein Stück weit zu unterlaufen und Elemente von Wirksamkeit ins darstellende Handeln einzuzeichnen. Sie bleibt aber, weil sie an das freie Wechselspiel der einander in ihrer Innerlichkeit immer auch entzogenen Subjekte geknüpft ist, eine unerzwingbare, von Kontingenzen und unvorhersehbaren Variabilitäten geprägte Angelegenheit.¹⁷⁶ In christlicher Perspektive ist es dabei um die Erregung religiöser Gefühle zu tun, in denen das Bewusstsein eines vollendeten, höchsten, göttlichen Lebens jenseits des Anstrengungen gebärenden Konflikts zwischen Vernunft und Natur verankert ist. Ihr genuiner Ort ist die Feier des Gottesdiensts, ohne aber darauf beschränkt zu bleiben und bleiben zu sollen. „Wer könnte“, fragt Schleiermacher in rhetorischer Manier, eine größere oder geringere Anzahl fröhlicher Menschen, in deren Freudigkeit sich die leichte Ausübung der Herrschaft des Geistes über das Fleisch darstellt, auch nur sehen, ohne religiös erregt zu werden? Spiegelt sich nicht in der geselligen Darstellung der ganze Entwikkelungsgang der Gesellschaft? vergegenwärtigt sie also nicht den ganzen Complexus der göttlichen Wohlthaten, den ganzen Gang der göttlichen Vorsehung?¹⁷⁷
3.4 Der Mehrwert der Muße – das darstellende Handeln am wirksamen Ebendiese sich unter anderem im geselligen Miteinander vermittelnde „Leichtigkeit des Lebens“,¹⁷⁸ in der der „Gang der göttlichen Vorsehung“ manifest wird, strahlt nach Schleiermacher nun gelingendenfalls aus den Bezügen des darstellenden in die des wirksamen Handelns aus. Wo sich solche Kontinuität einstellt, spricht er von einem „darstellenden Handeln, das am wirksamen ist“¹⁷⁹ oder vom „Gottesdienst im weiteren Sinne“¹⁸⁰. Letzterer realisiert sich in einer den Lebensvollzug bestimmenden Haltung, die als freilich unerzwingbares Resultat jener vom wirksamen Handeln unterschiedenen Darstellungsvollzüge zu stehen kommt. „[J]edes reine Darstellen“, schreibt Schlei-
175 Schleiermacher 1884, 679. 176 Vgl. Dierken 2019, 91 – 93. 177 Schleiermacher 1884, 645. 178 Schleiermacher 1884, 651. 179 Schleiermacher 1884, 585 (1824/1825). 180 Schleiermacher 1884, 599; vgl. zur folgenden Befassung mit dem „Gottesdienst im weiteren Sinn“ Schleiermacher 1884, 516 – 537, 599 – 620.
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ermacher, „erhöht zugleich die Gewöhnung, sich aus dem Gesichtspunkte, in welchem man sich darstellt, zu betrachten“.¹⁸¹ Damit geht zugleich eine „Leichtigkeit“ einher, „in diejenigen Forderungen sich zu fügen, die aus diesem Gesichtspunkte entstehen“.¹⁸² Die mehr und mehr zu einer „habitualisierte[n] Selbstdeutung“¹⁸³ gewordene Betrachtung des eigenen Daseins aus dem religiösen Gesichtspunkt des höheren, vollendeten Lebens, wie sie sich im Bereich des darstellenden Handelns einstellt, vermag also auch für die anderen Tätigkeitsweisen bestimmend zu werden. Im Zusammenhang des wirksamen Handelns führt dies nach Schleiermachers Beschreibung dazu, dass die angesichts von Steigerungspotenzialen oder Hemmnissen aufkommenden Gefühle der Lust bzw. Unlust eine Relativierung erfahren. Sie werden zwar nicht zugunsten einer völlig apathischen Einstellung negiert, aber das Subjekt ist zunehmend davor bewahrt, durch ihre nach vorn drängende oder niederdrückende Eigenart ganz und gar beherrscht zu werden. Dafür stehen tugendhafte Einstellungen wie Keuschheit, Geduld, Freude und Demut, mit denen Schleiermacher die Fähigkeit einhergehen sieht, sich vom zerstörerischen Überschwang der das Handeln begleitenden Unlustempfindungen und Lustgefühle zugunsten einer heiter-gelassenen Grundstimmung freizuhalten, die der Deutung des Lebens im Lichte von dessen göttlicher Vollendung korrespondiert. „Ist also ein Mensch im christlichen Leben begriffen“, heißt es demgemäß, „so muß der Grundton seines Selbstbewußtseins durchaus die Heiterkeit sein, die der irdische Abglanz der Seeligkeit ist und die constante Anzeige wie von dem Leben so auch immer von der Herrschaft des Geistes“.¹⁸⁴ Zu solch einer heiter-gelassenen Lebenshaltung befähigen nach Schleiermacher gelingendenfalls die von der Maxime der Muße bestimmten Vollzüge des darstellenden Handelns. Was unter der aufs Bewirkenwollen und -müssen verpflichtenden Maxime der Arbeitsamkeit geleistet wird, gerät so außer Gefahr, der allseits destruktiven Dynamik zweckloser Anstrengungen und Mühen zu verfallen. Zugleich enthebt solches Effektivwerden die Muße der verhängnisvollen Tendenz, zum bloß unproduktiven Anderen des gesellschaftlichen (Re‐) Produktionsprozesses zu verkommen, wenngleich ihre Produktivität unerzwingbar und unausgemacht bleibt. Die aus ihr potenziell hervorgehende „Leichtigkeit des Lebens“ will es sich mithin keineswegs zu leicht machen. Es gibt, schreibt Schleiermacher, „keine vollkommene Sicherheit“ darüber, ob „das sittlich Begonnene einen unsittlichen Ausgang“ nimmt oder nicht.¹⁸⁵ Vielmehr bleibt „[d]as wirkliche Leben des frommen“ eine „fortschreitende Einigung im Schwanken“¹⁸⁶ – im Schwanken zwischen den Hochgefühlen der Lust und den Tiefschlägen der Unlust, zwischen dem religiös ersehnten Absoluten und dessen endlich-begrenzten Realisierungsbedingungen. Auch um dieser Selbsteinsicht willen
181 182 183 184 185 186
Schleiermacher 1884, 526. Schleiermacher 1884, 526. Osthövener 2004, 88. Schleiermacher 1884, 612. Schleiermacher 1884, 699 (1824/1825). Schleiermacher 1884, A 16.
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bedarf es immer wieder müßiger Unterbrechungen der Arbeitsamkeit, die so dem „wirkliche[n] Leben des frommen“ nicht bezugslos gegenüberstehen.
4 Schluss: Religion zwischen Muße und Arbeitsamkeit – gestern und heute „Wir müssen uns wieder an die Kulturtechniken der Muße erinnern“¹⁸⁷ – Hartmut Rosas eingangs zitiertes Plädoyer will einer gesellschaftlichen Entwicklung entgegenwirken, die das vielfach registrierte Unwohlgefühl eines zunehmenden Zeit- und Leistungsdrucks erzeugt.¹⁸⁸ Er steht damit, so wurde deutlich, in einer Tradition, die sich bis an die Schwelle zur Moderne im ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhundert zurückverfolgen lässt. Der rekonstruierte Konflikt zwischen dem damals zu gesellschaftlicher Dominanz gelangenden bürgerlichen Ethos der Arbeitsamkeit und dessen Kritik im Namen der Muße bzw. des Müßiggangs verweist darauf, dass es sich hier um einen Grundkonflikt modernen Daseins handelt, in dem die (christliche) Religion von jeher eine gewichtige Rolle spielte. Sie konnte ebenso als Verpflichtungsgrund zu einem arbeitsamen Leben wie als Quelle eines von der alltäglichen Zweck- und Nutzenorientierung befreiten Handlungsraums in Anspruch genommen werden. Schleiermachers theologischer Versuch, zwischen beiden Extremen zu vermitteln, lädt zu Aktualisierungen ein – auch wenn seine zum Beispiel noch vor dem eigentlichen Vormarsch der Industrialisierung verfassten und vielfach den „soziologische[n] Kontext“ der „Salonkultur in einer überschaubaren […] bürgerlichen Öffentlichkeit“ voraussetzenden Gedankengänge nicht unmittelbar-direkt auf die Gegenwart des 21. Jahrhunderts applizierbar sein mögen.¹⁸⁹ Dazu seien abschließend noch ein paar Punkte benannt. Aktuell an Schleiermachers in den zurückliegenden Abschnitten rekonstruiertem Ansatz erscheint mir erstens die liberale Offenheit, in der er kirchliche wie nichtkirchliche Bezüge gleichermaßen als mußevolle Orte zu würdigen weiß, an denen „dem Selbstbewußtsein Raum gegeben wird“.¹⁹⁰ Bereits das Gespräch im Freundeskreis oder das gemeinsame Essen bei Tisch enthalten nach seinem Dafürhalten das Potenzial, jene göttliche „Leichtigkeit des Lebens“¹⁹¹ zu vermitteln, die gelingendenfalls auf die mühevollen und anstrengenden Vollzüge des tätigen Lebens auszustrahlen vermag. Zweitens wird damit aber nicht der traditionelle Gottesdienst für obsolet erklärt, sondern in seiner Grundausrichtung hinterfragt. Dienen seine symbolischen Formen der kommunikativen Auffrischung religiöser Erlösungsgefühle in ihrer unerzwingbaren und je individuell verschiedenen Eigenart, dann kann sich von ihnen her eine Verbindung zu
187 Schnabel 2009. 188 Vgl. dazu mit viel empirischem Material Mixa et al. 2016. 189 So Dierken 2019, 91 mit Blick auf die in der Christlichen Sitte geschilderten kulturellen Praktiken des darstellenden Handelns. 190 Schleiermacher 1884, 536. 191 Schleiermacher 1884, 651.
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dem ergeben, was in den alltäglichen Handlungskontexten längst schon ersehnt und ermangelt wird. In diesem auch heute erstrebenswerten Ideal liegt einerseits eine Kritik an lebensfernen Gottesdienstgestalten, in denen es vorrangig darum geht, in opusoperatum-Manier objektiven Liturgien gerecht zu werden. Andererseits, und dies ist mein dritter Punkt, weist Schleiermacher dabei eine allzu eindeutige und platte Funktionalisierung von Religion, wie auch etwa von Kunst und Spiel, ab. Das unter der Maxime der Muße geltende Prinzip der Zweckfreiheit wird unterlaufen, wenn religiöse oder ästhetische Erfahrungen als bloße Vehikel politischer oder moralischer Überzeugungen in Gebrauch genommen werden. Beredte Beispiele dafür lassen sich in Zeiten von Corona, Krieg und Klimakrise zuhauf finden. Dem hingegen ist mit Schleiermacher auf der primären Unproduktivität mußevoller Erfahrungs- und Tätigkeitsweisen zu beharren, die mithin gerade dadurch, dass sie sich eindeutigen Zwecksetzungen entziehen, einen wichtigen Reflexionsraum für öffentliche Belange ausbilden können. Viertens geht es ihm aber auch darum, den in der allfälligen Beschwörung der Muße liegenden Hang zur abstrakten Entgegensetzung gegenüber den zweckorientierten Handlungssphären zu vermeiden. Dies lässt sich auf eine auch theologisch gern geübte Form der Sozial- bzw. Modernekritik beziehen, in der die „als abstrakt und entfremdend erlittene[ ] Moderne“ mit einer „als bergende Heimat empfindbare[n] […] Gegenwelt“ konfrontiert wird.¹⁹² „Eine Rhetorik der gezielt dramatisierten Entgegensetzung von Kirche und Welt“, heißt es bei Friedrich Wilhelm Graf, dient diesem „Stil religiöser Kommunikation […] dazu, die kuschelig warme Eigenwelt des Glaubens als eine Alternative zu harter Konkurrenz in der Leistungsgesellschaft zu preisen.“¹⁹³ Hartmut Rosas Gegenwartsdiagnose ist von dieser Neigung zur Konfrontation von Ideal und Wirklichkeit im Übrigen ebenfalls nicht frei. Seine „alternative Konzeption gelingenden Lebens“, die im der Muße durchaus verwandten „Konzept der Resonanz aufscheinen“ soll, steht in betont „scharfe[m] Widerspruch zu den Steigerungsimperativen der Moderne“, ja machte verglichen mit den für die „moderne[ ] Sozialformation“ charakteristischen „Institutionen und Praktiken […] einen Unterschied ums Ganze“.¹⁹⁴ Hier wäre ausgehend von Schleiermacher eine stärkere Würdigung derjenigen sich in der Moderne ausdifferenzierenden Handlungssphären angezeigt, in denen es um die fortschreitende Kultivierung bzw. Rationalisierung der menschlichen und außermenschlichen Natur geht – was sich auch in Form der Korrektur von Rückschritten oder Fehlentwicklungen vollziehen kann. Dass Letztere, wie angesichts der gegenwärtigen Krisenlagen klar sein dürfte, nicht ausbleiben, macht einerseits mühevolle Besserungsarbeiten nötig. Andererseits braucht es Freiräume, an denen man sich über die Gründe und Grenzen des Handelns klar werden kann, ohne schon in konkreten Handlungszwängen gefangen zu sein. Auch hier
192 Graf 2011, 62. 193 Graf 2011, 62 – 63. 194 Rosa 2021, 248; vgl. zu einer Kritik an Rosa, die einen ähnlichen Punkt betrifft, Nassehi 2021, 16 – 17, 65 u. ö.; zum Zusammenhang von Muße und Resonanz Schnabel 2009.
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könnte die Muße hilfreiche Wirkung im tätigen Leben entfalten – und mit ihr die Religion.
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3 Dimensionen der Geselligkeit
Andreas Arndt
Grenzen der Gemeinschaft in Schleiermachers philosophischer Ethik Abstract: Following Helmuth Plessner (Grenzen der Gemeinschaft, 1924), this paper asks about the limits of communization and socialization in Schleiermacher’s philosophical ethics. The first part treats Schleiermacher’s conception of free sociability, which forms a sphere of purposeless, communicative community in which individuals mutually represent themselves. Its universalization is limited by the finiteness of individuals. The limit of community as sociability thus resides in the discrepancy between the abstract possibility of universalizing sociability, on the one hand, and the concrete, and therefore inevitably finite, conditions of individuals to realize sociability, on the other. In contrast, society – for Schleiermacher, the sphere of exchange and purposeful communications – finds its limit only in the human species itself; its goal is the universalization of exchange and the mutual assimilation of peoples and nations while recognizing their individuality.
Der Titel meiner Ausführungen zitiert Helmuth Plessners 1924 erschienenen Klassiker Grenzen der Gemeinschaft. Eine Kritik des sozialen Radikalismus. ¹ Plessner wendet sich darin gegen alle Versuche, eine ursprüngliche, naturwüchsige Gemeinschaft der Gesellschaft vorauszusetzen und zum normativen Ideal des menschlichen Zusammenlebens zu erheben. Eine „Panarchie der Gemeinschaft“ scheitere jedoch daran, dass Gemeinschaft nicht universalisierbar sei, weil sie weder das individuell gelebte Leben noch die Öffentlichkeit als „Inbegriff von Möglichkeitsbeziehungen zwischen einer unbestimmten Zahl und Art von Personen“ sich vollständig einverleiben könne.² Die bei Plessner zum Tragen kommende Gegenüberstellung von „Gemeinschaft“ und „Gesellschaft“ geht auf Autoren wie Ferdinand Tönnies oder Theodor Litt zurück. Ersterer, der von Schleiermachers Ethik beeinflusst war, kehrt dabei jedoch Schleiermachers Sprachgebrauch geradezu um. Seit dem 1799 anonym publizierten und Fragment gebliebenen Versuch einer Theorie des geselligen Betragens bezieht Schleiermacher den Begriff der Gemeinschaft auf den aristotelischen Gesellschaftsbegriff (koinonia), während „Gesellschaft“ für das Zusammensein (synousia) im Sinne der freien Geselligkeit steht. Diese ist jedoch nicht, wie von Plessner an der Überhöhung der Gemeinschaft kritisiert, Grundlage und Ziel des Zusammenlebens, sondern eine besondere Form der Vergesellschaftung neben der Gemeinschaft. Die freie Geselligkeit ist selbstzweckhaft und kommunikativ, ist aber gerade deswegen von der Sphäre des auf
1 Plessner 1981, 7– 133. 2 Plessner 1981, 55. https://doi.org/10.1515/9783111128801-017
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äußere Zwecke gerichteten Handelns getrennt.³ An Schleiermacher hätte Plessner einen Zeugen für seine These von den Grenzen der Gemeinschaft finden können. Im Folgenden möchte ich klären, wo genau die Grenzen der Vergemeinschaftung für Schleiermacher liegen. Hierzu soll zuerst die freie Geselligkeit in den Blick genommen werden (1.). Bekanntlich beschränkt sich die freie Geselligkeit ja nicht auf kleine Soziotope wie die Berliner Salons, sondern geht weit darüber hinaus; die ihr einwohnende Tendenz ist die Universalisierung von Humanität im wechselseitigen Austausch der Individuen. In einem zweiten Schritt möchte ich dann zeigen, in welchem Verhältnis die kommunikative Vergemeinschaftung zu der auf äußere Zwecke gerichteten Vergesellschaftung steht und welche Grenzen diese Vergesellschaftung hat (2.).
1 Grenzen der Geselligkeit Die kommunikative Vergemeinschaftung in der „freien Geselligkeit“ ist bei Schleiermacher untrennbar verknüpft mit dem Begriff der Eigentümlichkeit bzw. des Eigentums, welches Wesensmerkmale der Persönlichkeit sind. Dem liegt der Bildungsprozess des individuellen Organisierens und Symbolisierens bzw. Erkennens zugrunde, ein SichAnbilden äußerer Objekte und Sich-Einbilden in diese Objekte und damit ein Darstellen des Eigentümlichen der Persönlichkeit nach außen und Wiedererkennen in dem Dargestellten. Entscheidend ist, dass die Eigentümlichkeit nicht im Gegensatz zur Gemeinschaft steht. Schon der Bildungsprozess ist allgemein bzw. gemeinschaftlich und individuell zugleich, weil nach einem „allgemeinen Schematismus“⁴ gebildet und durch die Objektivierung die Eigentümlichkeit wiederum von ihm ablösbar und gemeinschaftsfähig wird: „Die Realität des relativen Gegensatzes beruht also darauf, daß es nicht eine Gemeinschaft schlechthin gebe und ein Eigenthum schlechthin usw., sondern ein gemeinschaftliches Eigenthum und eine eigenthümliche Gemeinschaft“.⁵ In der Konsequenz bestimmt Schleiermacher die freie Geselligkeit als das „gesellige Eigenthum“; sie begreife „verschiedene Kreise, deren weitester nur durch die Geschichtlichkeit der Bildung begränzt scheint, indem nur bewegliche und unbewegliche Völkerstämme“ – also Sesshafte und Nomaden – „zu keiner Geselligkeit mit einander kommen können.“⁶ Grundlegend ist der Gedanke, dass die Einheit des sittlichen Prozesses als „Beseelung der menschlichen Natur durch die Vernunft“⁷ sowohl Abschließung im Sinne von Individualisierung bzw. Eigentümlichkeit als auch Aufschließung im Sinne der Gerichtetheit aller Handlungen auf die Totalität des Sittlichen, auf das höchste Gut, erfordert. In einer Nachschrift zur Ethikvorlesung 1812/1813 heißt es hierzu: 3 4 5 6 7
Vgl. Arndt 2013, 51 – 63. Schleiermacher 1927, 270. Schleiermacher 1927, 271. Schleiermacher 1927, 273. Schleiermacher 1927, 87.
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Jeder Einzelne bildend bildet für sich und schließt andere von dem Gebiete seiner Thätigkeit und seinen Resultate aus. Aber damit schließt er sich selbst aus von dem Gebiet der bildenden Thätigkeit Aller. Aber diese Ausschließung wäre eine Aufhebung der Totalität der sittlichen Thätigkeit, […] wenn sie nicht die bildenden Thätigkeiten zusammen als ein Ganzes constituirend anerkennt. Dies ist die Geselligkeit, d. h. das Zusammengehen nicht nur in Gedanken sondern in der Lebendigkeit des sittlichen Triebes in allen anderen in ihrem eigenthümlichen Dasein.⁸
Hieran fällt auf, dass der Begriff der Bildung zunächst noch ganz allgemein gefasst ist und auch gemeinschaftliche Bildungsprozesse mit einzuschließen scheint. Dies liegt darin begründet, dass sich gemeinschaftliches und individuelles Organisieren oder Symbolisieren nur graduell nach dem Überwiegen des Allgemeinen bzw. Eigentümlichen unterscheiden, aber der jeweils andere Faktor mit gesetzt ist. Jedoch auch für die Geselligkeit gilt: Nicht nur der Ausschluss des Einzelnen von der Allgemeinheit ist in Schleiermachers Augen unsittlich, sondern ebenso unsittlich ist es, wenn „die Abschließung des Eigenthümlichen“ aufgehoben wird, weil dann die Einzelnen nicht als Einzelne zusammen sind sondern als Masse. So gehören Eigenthümlichkeit und Geselligkeit zusammen, wie Recht und Verkehr. […] Die Geselligkeit ist nur in der Spannung zwischen den in allen identischen Characteren und den in jedem eigenthümlichen. Sonst ist die Geselligkeit unvollständig weil keiner relativ genug für sich gesetzt ist. […] Diese Geselligkeit über die ganze Erde. D. h. wo 2 Menschen in Berührung ihrer bildenden Thätigkeit kommen, da werden sie ihre Eigenthümlichkeit anerkennen und zur Geselligkeit kommen.⁹
Die Anerkennung der Eigentümlichkeit verlangt offenkundig so etwas wie Intimität, ein wechselseitiges Sich-Einlassen aufeinander durch Öffnung des Eigensten für den Anderen. Die Menschen verbinden sich nicht als Menschen schlechthin zur Geselligkeit, etwa im Sinne einer universellen Verschwisterung oder Verbrüderung („Alle Menschen werden Brüder“), sondern Geselligkeit ereignet sich dort, wo wenigstens zwei Menschen in direkte Berührung miteinander kommen und sich anerkennen. Mit dieser unverzichtbaren Bindung der Geselligkeit an die Eigentümlichkeit können gesellige Verbindungen zwar der Möglichkeit nach universell angeknüpft werden – „die ganze Erde“ ist Raum für die Geselligkeit –, aber die Geselligkeit ist praktisch limitiert durch die begrenzten Möglichkeiten der Individuen, sich auf andere Individuen im wechselseitigen Austausch der Eigentümlichkeiten einlassen zu können. Die Realisierungsbedingungen der Geselligkeit sind somit enger als die (abstrakten) Möglichkeiten, gesellige Verhältnisse zu stiften. Dies entspricht den eingangs erwähnten, von Helmuth Plessner angeführten „Grenzen der Gemeinschaft“ und speziell der Grenze, die durch die Öffentlichkeit als „Inbegriff von Möglichkeitsbeziehungen zwischen einer unbestimmten Zahl und Art von Personen“¹⁰ markiert wird. Für Schleiermacher ist es an diesem Punkt entscheidend, dass das, was bei Plessner als Öffentlichkeit fungiert, einen Raum frem-
8 Schleiermacher 1812/1813, Bl. 156r. 9 Schleiermacher 1812/1813, Bl. 156v. 10 Plessner 1981, 55.
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der Eigentümlichkeiten bildet, den sich die Individuen mit ihrem Eigentum für eine wechselseitige Anerkennung offen halten, auch wenn nicht alle Möglichkeiten realisiert werden können. Hieraus erwächst, wie Sarah Schmidt zu Recht betont hat, eine „Ethik der Alterität“, die vor allem durch das Stichwort „Gastfreiheit“ markiert werde.¹¹ Sie ist für Schleiermacher: „die Mittheilung der Eigenthümlichkeit […] als Correlat der Abgeschlossenheit des Hauses. Die Gastfreiheit ist das Zugelassensein in den Ort der bildenden Thätigkeit und zur Anerkennung der Ähnlichkeit und Unähnlichkeit. Wenn diese aufgehoben wird so ist das die Barbarei.“¹² Geselligkeit und Gastfreiheit beruhen auf einem sehr feinen Austarieren von Individualität und Gemeinschaft; es ist, so heißt es in einer Nachschrift zur Ethik-Vorlesung 1827, ein „Aufschließen“, das „ganz das Ansehen von Verkehr und Tausch“ gewinnt – also der auf äußere Zwecke gerichteten Vergesellschaftung –; nur indem der eigenthümliche differente Typus nicht verschwunden ist, kann dieses doch nicht ganz den Character von jenem annehmen, sondern es ist Jedes nur eine Gabe, die der Eine dem Andern macht, um den höchsten Grad der Aehnlichkeit zwischen einander zu bezeichnen. Das ist offenbar der eigentliche und innere Sinn dessen, wo das Gebiet der Gastfreiheit sich entwickelt, was überall vorkommt als Gastgeschenke. Diese sollen eine Aufhebung der Verschiedenheit seyn, nämlich so weit, daß eine Gemeinschaftlichkeit des Gebrauchs Statt findet ohne eine Aufhebung der Verschiedenheit zu bezeichnen.¹³
Hierbei geht Schleiermacher davon aus, dass – sofern es unsittlich wäre, wenn die Eigentümlichkeit sich gegenüber der Gemeinschaft in sich abschlösse – ein „Streben“ da sein müsse, die „Unähnlichkeit […] zu verringern“, ohne die Eigentümlichkeit preiszugeben.¹⁴ Geselligkeit und Gastfreiheit können nur dort entstehen, wo eine in sich unterschiedene, individualisierte Allgemeinheit besteht. Deshalb, so Schleiermacher, gelte: „Jemehr Ähnlichkeit desto mehr Gastfreiheit. (Die Gastfreiheit unter Einem Volke wird größer sein als unter verschiedenen Völkern, weil der Staat auf der Volkseigenthümlichkeit ruht.)“¹⁵ In seiner Hallenser Ethikvorlesung 1805/1806 hat Schleiermacher die Grenze der Geselligkeit (und Gastfreiheit) daher auch durch Staat, Sitte und Sprache zu bestimmen versucht, also die für alle Individuen bestimmende Sphäre der Gemeinschaftlichkeit: Die freie Geselligkeit ist nun keine Sphäre für sich sondern fällt mit der Sphäre der Gemeinschaft der Organe zusammen und da diese sich im Staat concentrirt, so fällt die freie Geselligkeit auch mit dem Staat zusammen aber nur in ethischer Beziehung und da mit der Sprache als Symbol die Individualität zu erkennen. Daher ist Sitte (Sprache im weitesten Sinn) Grenze der freien Geselligkeit.
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Schmidt 2020, 159 – 183, bes. 170 – 179, hier: 177. Schleiermacher 1812/1813, Bl. 170v. Schleiermacher 1827, 427. Schleiermacher 1812/1813, Bl. 171r. Schleiermacher 1812/1813, Bl. 171r.
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[…] Die Identität der Sitten ist die eigenthümliche Grenze der freien Geselligkeit denn nur mit gleichen Sitten können sich die Menschen verstehen.¹⁶
Unklar bleibt hierbei, ob nicht eine sittliche Gemeinschaft als Humanität über die Grenzen des Volkes, des Staates und der Sprache bestehen und die Sphäre der freien Geselligkeit erweitern könnte. In seiner letzten Ethik-Vorlesung 1832 aber hat Schleiermacher diese Grenze der Geselligkeit ausdrücklich relativiert und über die Volks- bzw. Nationaleigentümlichkeit hinaus erweitert. Begründet wird dies auf einer sehr prinzipiellen Ebene, nämlich durch das Verhältnis von Individualität und Allgemeinheit überhaupt.¹⁷ Das Bewusstsein der Volkseigentümlichkeit schließe ein, dass das Volk „ein eigenthümlich bestimmter Theil der menschlichen Gattung ist, & als solches individuelle Gemeinschaft, & mein Bewußtseyn ist nicht vollständig, wenn das nicht mit darin ist, so ist das individuelle Princip immer mit dem universellen.“¹⁸ Eine Grenze der Geselligkeit in dem Sinne, dass sie bestimmte Sphären gegeneinander fixieren würde, ist damit ausgeschlossen, denn die Allgemeinheit bzw. Universalität, welche die Individualität bzw. Eigentümlichkeit übersteigt, bildet den Boden ebendieser Individualität bzw. Eigentümlichkeit. Das Sich-Abschließen im Bereich des Eigentümlichen – auch der Eigentümlichkeit des Volkes, des Staates, der Sitten und der Sprache – ist daher Schleiermacher zufolge in jedem Fall unsittlich, weil es dem Endzweck des ethischen Handelns, die Beseelung der Natur durch die Vernunft, entgegenstehen würde, denn die Vernunft ist, auch wenn sie im Individuellen realisiert werden soll, ihrer Natur nach allgemein, indem sie – wie die Dialektik zeigen soll – auf eine absolute, relatlose Identität als Grund alles Wissens und Handelns zurückzuführen ist. Die Orientierung alles sittlichen Handelns auf das höchste Gut bedeutet daher zugleich eine unaufhebbare Tendenz zur Universalisierung: „Wo kein universelles ist ist kein Sein der Vernunft – wo kein individuelles ist keine von der Vernunft durchdrungene Natur.“¹⁹ In der Ethik-Vorlesung 1832 führt Schleiermacher auf dieser Grundlage eine die Völker, Staaten und Nationen übersteigende und verbindende Verkehrsform ein, die Friedfertigkeit: Alles, was Feindseligkeit hervorbringt im Verhältniß der Menschen verschiedener Völker, hat seinen Grund darin, daß ihr Volksbewußtseyn nicht zugleich das Menschheitsbewußtseyn ist. Setze ich mit der Gattung eine eigenthümliche Bestimmtheit, so sind alle anderen eigenthümlichen Bestimmtheiten mit gesetzt, als die, die ich suche & mich suchen, mit denen ich in individuelle Gemeinschaft
16 Schleiermacher 1805/1806 (3), 108. 17 Vgl. bereits Schleiermacher 1812/1813, Bl. 67r: „Das Individuelle hebt sich aus dem Universellen hervor. Das Individuelle erscheint als ein höherer Grad des Sittlichen. Das Universelle steht auf einer niederen Stufe ohne das Individuelle und das Individuelle kann nicht ohne das Universelle sein. Beides ist daher coordinirt.“ 18 Schleiermacher 1832, 211. 19 Schleiermacher 1812/1813, Bl. 67r.
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treten soll. Im Volksbewußtseyn muß das individuelle Gemeinschaft stiften wollen das Princip der Friedfertigkeit seyn.²⁰
Offenkundig ist „Friedfertigkeit“ – der Begriff wird nur in dieser Vorlesung gebraucht und findet sich sonst nicht in den Manuskripten und Nachschriften zur Ethik – eine Form der Anerkennung im Sinne der Öffnung zur Wechselseitigkeit der Anschauung des Eigentümlichen, die aber von den Individuen zu vollziehen ist, welche damit in den offenen Raum möglicher geselliger Verhältnisse gestellt werden, der insofern diffus bleibt, als er individuell nicht erschöpft werden kann. Die Grenze der Gemeinschaft als Geselligkeit bleibt damit die Diskrepanz zwischen der abstrakten Möglichkeit der Universalisierung von Geselligkeit einerseits und den endlichen Realisierungsbedingungen der Individuen, Geselligkeit zu realisieren, andererseits.
2 Grenzen der Gesellschaft Geselligkeit, so ließe sich pointiert sagen, ist die Verkehrsform des Unübertragbaren. Das Unübertragbare lässt sich nicht vom Individuum lösen und ist daher nur an und mit ihm erlebbar. Um Geselligkeit realisieren zu können, müssen die Individuen also gleichsam leibhaftig miteinander in Berührung kommen und insofern sind andere, nicht-gesellige (d. h. nicht selbstzweckhafte) soziale Verkehrsformen, wie Schleiermacher ja auch ausdrücklich betont, Voraussetzung der Geselligkeit, indem sie die Individuen miteinander in Beziehung setzen. Dies darf nicht in dem Sinne missverstanden werden, dass es um die Vergesellschaftung atomisierter Individuen ginge wie zum Beispiel in naturrechtlichen Theorien eines Gesellschaftsvertrags. Diese lehnt Schleiermacher ausdrücklich ab; er ist in dieser Hinsicht vielmehr Aristoteliker, der den Menschen schon immer als gesellschaftlich – als zoon politikon – ansieht,²¹ wobei die Vergesellschaftung sich im ethischen Prozess entwickelt, sich auf verschiedenen Niveaus etabliert und verschiedene Formen annimmt. Die freie Geselligkeit ist in dieser Hinsicht Produkt einer fortgeschrittenen Kultivierung, denn sie setzt eine Durchdringung der besonderen Natur der Individuen durch die Vernunft voraus, indem sie nicht nur ihre Eigentümlichkeit ausbilden, sondern diese zugleich auch im Blick auf die Anerkennung der Eigentümlichkeit anderer Individuen transzendieren. In einer Nachschrift zur Ethik-Vorlesung 1827 heißt es hierzu: Nun werden die Einzelnen mit einander in Verbindung stehen, soweit das Identische entwickelt ist in dem Verkehr, doch in Beziehung auf das Eigenthümliche werden sie neben einander existiren, ohne Ansprüche an einander zu machen. Auf der andern Seite können wir uns denken, daß die
20 Schleiermacher 1832, 211. 21 Dieser Hinweis geht auf einen Vortrag von Tobias Dangel zu Schleiermachers Aristoteles-Rezeption im Rahmen der vom 6. bis 7. Mai 2021 an der BBAW durchgeführten Tagung „Von der Reform zur Restauration. Schleiermacher in Berlin 1813 – 1821“ zurück.
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eigenthümliche Bildungsweise allerdings entwickelt und bewußt geworden ist, aber es ist keine Identität mit Andern zum Bewußtseyn gekommen, und dann ist das Abschließen vorhanden.²²
Das Sich-Öffnen für andere entstehe erst, „wenn zu dem einen Element das andere hinzukommt, und die Voraussetzung entsteht, daß mit dieser eigenthümlichen Bildungsweise eine Abstufung von Aehnlichkeit sey, dann wird die Gastfreiheit sich entwickeln können, und ein Maximum von beiden da seyn können.“²³ Grundlage des gesellschaftlichen Verkehrs im Unterschied zur Geselligkeit ist der Naturbildungsprozess als identisches Organisieren, das heißt als Bilden der Natur zum Organ der Vernunft. Auch wenn in diese Bildungsprozesse Eigentümlichkeiten derjenigen, die bildend handeln, eingehen, überwiegt hier das Identische bzw. Allgemeine, was darin zum Ausdruck kommt, dass das Resultat des Prozesses vom Bildenden und vom Bilden ablösbar ist und frei zirkulieren kann. In seiner Ethik-Vorlesung 1827 bestimmt Schleiermacher deshalb das „Verhältniß der Geselligkeit“ zum „Verkehr“ wie das Verhältnis von Haus und Markt: „Der Markt ist der Ort des Verkehrs, wo das leicht Übertragbare aus einer Hand in die andere kommt, das Haus ist der Bezirk des Unübertragbaren, des Eigenthümlichen“.²⁴ Dies gilt dann auch ausdrücklich nicht nur für die basale Tätigkeit des identischen Organisierens, aus der Staat und Ökonomie hervorgehen (der Staat ist für Schleiermacher diejenige Institution, die den Naturbildungsprozess organisiert),²⁵ sondern ebenso für die höhere Tätigkeit des identischen Symbolisierens (Erkennen und Darstellen als Gebrauch des Organs zum Handeln der Vernunft), das heißt für Sprache und Wissen bzw. Wissenschaft. Nicht nur Waren und Geld zirkulieren auf den Märkten, sondern auch sprachliche Mitteilungen, Gedanken und Wissensbestände. Ihr gemeinsames Merkmal ist – im Unterschied zur Geselligkeit – die Übertragbarkeit, die diese Form des Verkehrs bestimmt. Schleiermacher hat daher auch Tauschen und Sprechen bzw. Geld und Sprache parallelisiert und als Verkehrsformen einer nicht geselligen Vergemeinschaftung bestimmt.²⁶ Zu fragen ist nun, ob und gegebenenfalls welchen Grenzen diese Verkehrsformen unterliegen, abgesehen von der planetarischen Grenze, der Beschränkung der (überwiegend) identischen Bildungsprozesse auf die Erde und die menschliche Gattung. Da die Zirkulation des Übertragbaren ungeachtet der in seine Bildung eingehenden Eigentümlichkeiten nicht von der leiblichen Präsenz der bildenden Individuen abhängig ist, besteht hier keine prinzipielle Grenze der Universalisierbarkeit, sondern es gibt allenfalls Schranken, die durch die weitere Entwicklung des Verkehrs – seine „Globalisierung“ – überwunden werden können. Hierbei gibt es jedoch Abstufungen in der Universalisierbarkeit, die kurz zu betrachten sind, ohne hier ins Detail eingehen zu können. 22 23 24 25 26
Schleiermacher 1827, 424. Schleiermacher 1827, 424. Schleiermacher 1827, 363. Vgl. Rose 2011, 129. Vgl. Arndt 2013, 117– 186; Schmidt 2020.
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An erster Stelle ist der „Markt“, der auf Arbeitsteilung beruhende Tausch, zu nennen. Für Schleiermacher führt der Naturbildungsprozess zu einer fortschreitenden Arbeitsteilung, wodurch die Produkte der Arbeiten durch Tauschbeziehungen vermittelt werden müssen. Soweit sie in den Tausch eingehen, sind die arbeitsteilig hergestellten Produkte daher Waren, die als Äquivalente getauscht werden. Als Maß des Wertes der Waren fungiert dabei das Geld: Die gemeinschaftliche Überzeugung aber von dem Werth der gebildeten Gegenstände und ihrer Abschätzung gegen einander ist der Begriff des Geldes, von allem Materiellen gelöst, denn in diesem Sinn braucht das Geld nichts Reales zu seyn, sondern ist nur ein Maß, worauf Alles reducirt wird, und nur in dem wahren Sinn des Wortes gibt es Geld, wenn Mehrere den Werth der gebildeten Gegenstände nach diesem Maße gleich stellen.²⁷
Die Tauschbeziehungen – Warenverkehr und Geldverkehr – sind universell; das Geld sei, so heißt es in der Ethikvorlesung 1805/1806, „in seiner Idee noch cosmopolitischer“ als die Sprache, denn es sei „Mittel der absoluten Gemeinschaft zwischen allen Staaten. Der erste materielle Repräsentant der ganzen Menschengattung.“²⁸ In Schleiermachers Manuskript zur Güterlehre 1816/1817 heißt es ausdrücklich: „Von jedem relativen Anfang der bildenden Thätigkeit an entwickelt sich der Tausch immer weiter […] ohne bestimmte Grenzpunkte“.²⁹ Der „Markt“ ist demnach für Schleiermacher global und umfasst die gesamte menschliche Gattung, die im Geld als Tauschmittel repräsentiert wird. Es handelt sich um eine die Staaten übersteigende Vergesellschaftung, die für Schleiermacher auch keine supranationalen rechtlichen oder politischen Strukturen voraussetzt. Die Sicherheit des Waren- und Geldverkehrs wird garantiert durch eine „Gastfreundschaft des Rechtes unter benachbarten Staaten“: „Wenn ein Staat den Tausch nicht als möglich setzte, so würde ein Staat dem Bürger eines andern nicht Recht verschaffen. Also darin liegt schon daß das allgemeine Verkehr sich über die Grenzen eines Staates hinausbreiten kann“; ausdrücklich wendet Schleiermacher sich in diesem Zusammenhang gegen eine „Nationalseligkeit“, die auf dem Abschließen der Staaten gegeneinander beharrt, wie etwa in Johann Gottlieb Fichtes Schrift Der geschloßne Handelsstaat (1800).³⁰
27 Schleiermacher 1827, 410. Unklar bleibt, wodurch dieses Maß bestimmt wird. 1805/1806 heißt es noch: „Das Geld stellt Arbeit dar“ (Schleiermacher 1805/1806 (1), Bl. 96r); 1827 scheint eine ausgehandelte „gemeinsame Überzeugung“ der Wertbestimmung zugrunde zu liegen. Näher bestimmt hat Schleiermacher dies nie, allerdings zeigt er in seinen Notizen zur Lehre vom Staat Sympathien für Adam Smith’s Arbeitswerttheorie: „Smiths Gedanke daß Arbeit der allgemeine Maaßstab ist beruht eigentlich darauf, daß nur das gebildete einen Werth hat, und ist in so fern sehr tief“ (Schleiermacher KGA II/8, 22). Trotz der Annahme, Geld sei Maß und keine Ware, beharrt Schleiermacher recht hartnäckig darauf, dass Geld Metallgeld sei, ohne dies hinreichend begründen zu können, vgl. Schmidt 2020, 173; vgl. zur Kultur- und Theoriegeschichte des Geldes Braun 2012. 28 Schleiermacher 1805/1806 (2), 24. 29 Schleiermacher 1927, 616. 30 Schleiermacher 1812/1813, Bl. 40r; vgl. Fichte 1977, 59 – 167; zu Schleiermachers Auseinandersetzung mit dieser Schrift Arndt 2013, 117– 186.
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An zweiter Stelle sind Sprache und der durch Sprache vermittelte Gedankenverkehr zu nennen. Sprechen ist nach dem Manuskript zur Ethik 1805/1806 ein „aus der Persönlichkeit Herausgehn und sich Aeußern“³¹ und, da Denken und Sprechen identisch seien, ein Äußerlichwerden des Denkens. Dabei behält die Sprache einen eigentümlichen Charakter, was auch zu Schwierigkeiten bei Übersetzungen führt.³² Auch deshalb ist die Sprache für Schleiermacher, wie zitiert, weniger kosmopolitisch als das Geld. Die Sprache tritt zudem schon immer individualisiert in Erscheinung und weist somit auch in Bezug auf den Einzelnen einen hohen Grad von Eigentümlichkeit auf. Als Mittel des Gedankenverkehrs hat sie jedoch eine starke objektive Seite, sofern das Wissen unter den Kategorien der Identität und Allgemeinheit steht. Sie ist „System der Bezeichnung des Wissens“.³³ Aufgrund der Bindung an die Sprache organisiert sich das Wissen zwar zunächst als „nationale […] Gemeinschaft“ („Akademie“),³⁴ jedoch kommt es auch zu einer „Gemeinschaft mehrerer nationaler Sphären des Wissens“, welche die „Nationaleigentümlichkeiten“ nicht verleugnet, aber durch „die Gemeinschaft der Uebersezungen“ „comparativ zum Bewußtsein“ bringt.³⁵ Auch hier bildet die „universelle Gemeinschaft“ als „Gemeinschaft der Völker“ den Fluchtpunkt des Wissens.³⁶ In seinem Manuskript zur Vorlesung 1805/1806 hat Schleiermacher diesen als „Gemeinschaft der Akademien“ näher bestimmt.³⁷ Eine harte Grenze der hier betrachteten Verkehrsformen des Waren- und Gedankenaustauschs bildet die praktische Beschränkung auf den Planeten und die menschliche Gattung. Das „Menschengeschlecht auf der Erde“, so Schleiermacher, könne nicht „als eine Person“ angesehen werden: „Es ist der Mittelpunkt des Sittlichen auf der Erde und ist ein Natur-Ganzes, aber an keine außerirdische Gemeinschaft geknüpft.“³⁸ Individualität bedarf der Anerkennung durch andere Individuen; bezogen auf die Menschheit: der Geselligkeit mit und Gastfreiheit zu Außerirdischen. Dies bedeutet aber nicht, dass die Gattung und mit ihr die Vergemeinschaftung im Sinne einer Universalisierung von Humanität für den ethischen Prozess obsolet wird. Sie bleibt der Horizont einer Gemeinschaft und gegenseitigen Anerkennung der Individuen, der verhindert, dass sich die Eigenheiten der Völker, Nationen und „Rassen“ gegeneinander festsetzen: „Ebenso wenn wir denken Menschen von verschiedenen Racen, aber mit einander in Berührung kommend, so wird das Bewußtseyn der Identität der Vernunft in Allen die Zweifel, die entstehen könnten, ob sie Wesen derselben Gattung sind, überwinden. Diese ursprüngliche Trennung wird begrenzt durch den ursprünglichen Impuls zum
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Schleiermacher 1927, 97. Vgl. Cercel / Serban 2015. Schleiermacher 1927, 161. Schleiermacher 1927, 347. Schleiermacher 1927, 355. Schleiermacher 1927, 471. Schleiermacher 1927, 101. Schleiermacher 1827, 380.
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Gemeinbesitz und zur Verständigung.“³⁹ Die Richtung gehe hier, so heißt es in einer Vorlesung zur Ethik 1832, „auf gegenseitigen Schutz & Anerkennung & auf gegenseitige Offenbarung der eigenthümlichen Bestimmtheit der Existenz.“⁴⁰ Götz Kubitschek, ein bekannter Aktivist und Vordenker der Neuen Rechten in Deutschland, hat mich dafür kritisiert, den Charakter der antinapoleonischen Bewegung in Preußen als „zumindest auch eine konservative Revolution“ verkannt zu haben; ich wolle „lieber zeigen, daß Schleiermacher trotz seiner nationalen Gesinnung kein Nationaler war, sondern immer schon Universalist. Dieser Nachweis gelingt Arndt nicht, auch wenn er behauptet, daß Schleiermachers Werk die ‚Universalisierung von Humanität‘ wie ein roter Faden durchziehen würde.“⁴¹ Schleiermacher ist lange Zeit von Deutschnationalen aller Couleur vereinnahmt worden, bis hin zu den Naziideologen. Es hat lange gebraucht, ihn als einen Theoretiker wiederzuentdecken, dessen Auffassungen einer solchen Vereinnahmung widersprechen.⁴² Offenbar soll Schleiermacher jetzt wieder für ein sich intellektuell gebendes, in Wahrheit aber dumpf-reaktionäres Denken in Anspruch genommen werden. Dem sollte die internationale Gemeinschaft der Schleiermacher-Forscher entschieden entgegentreten. Triftige Gründe hierfür gibt es in Schleiermachers Denken, wie ich zu zeigen versucht habe, mehr als genug.
Literatur Arndt, Andreas. 2013. Friedrich Schleiermacher als Philosoph. Berlin / Boston: De Gruyter. Arndt, Andreas. 2019. Die Reformation der Revolution. Friedrich Schleiermacher in seiner Zeit. Berlin: Matthes & Seitz. Braun, Christina von. 2012. Der Preis des Geldes. Eine Kulturgeschichte. Berlin: Aufbau. Cercel, Larisa / Serban, Adriana (Hg.). 2015. Friedrich Schleiermacher and the Question of Translation. Berlin / Boston: De Gruyter. Fichte, Johann Gottlieb. 1977. Ausgewählte Politische Schriften, hg. v. Zwi Batscha, Richard Saage. Frankfurt am Main: Suhrkamp. Kubitschek, Götz. 2019. „Andreas Arndt. Die Reformation der Revolution. Friedrich Schleiermacher in seiner Zeit“, auf: Sezession, URL: https://sezession.de/61485/andreas-arndt-die-reformation-der-revolutionfriedrich-schleiermacher-in-seiner-zeit Plessner, Helmuth. 1981. Gesammelte Schriften, Bd. 5: Macht und menschliche Natur. Frankfurt am Main: Suhrkamp. Rose, Miriam. 2011. Schleiermachers Staatslehre. Tübingen: Mohr Siebeck. Schleiermacher, Friedrich. 1805/1806 (1). Ethik. Nachschrift Boeckh, Archiv der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Schleiermacher-Nachlass, SN 585/1. Schleiermacher, Friedrich. 1805/1806 (2). Ethik. Nachschrift Müller, Stadtbibliothek Bremen, 134738 (Brem. B. 652, 21).
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Schleiermacher 1927, 376. Schleiermacher 1832, 81 – 82. Kubitschek 2019. Vgl. Arndt 2019.
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Schleiermacher, Friedrich. 1805/1806 (3). Ethik. Anonyme Nachschrift, Evangelisch-reformierte Gemeinde Lübeck, KIII 26. Schleiermacher, Friedrich. 1812/1813. Ethik. Anonyme Nachschrift, Fröbel-Museum Keilhau. Schleiermacher, Friedrich. 1827. Ethik. Anonyme Nachschrift, Archiv der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Schleiermacher-Nachlass, SN 586. Schleiermacher, Friedrich. 1832. Ethik. Nachschrift Alexander Schweizer, Zentralbibliothek Zürich, Nachlass Alexander Schweizer VIII 28. Schleiermacher, Friedrich. 1927. Entwürfe zu einem System der Sittenlehre, hg. v. Otto Braun (Werke. Auswahl in vier Bänden, Bd. 2). Leipzig: Meiner. Schmidt, Sarah. 2020. „Friedrich Schleiermachers Güterlehre als objektive Ethik“, in: Schleiermacher / Hegel. 250. Geburtstag Schleiermachers / 200 Jahre Hegel in Berlin, hg. v. Andreas Arndt, Tobias Rosefeldt. Berlin: Duncker & Humblot, 159 – 183.
Friedemann Barniske
Die Kommunikation der Staaten. Kant, Schleiermacher und der Weg zum ewigen Frieden Abstract: In his theory of the legal sphere, Kant addresses the communicative relationship between states. Although states as commonwealths enjoy a civil condition internally, they deal with each other as if they existed in the state of nature. The result of this state of affairs is frequently war. This leads Kant to posit the necessary idea of practical reason he calls “eternal peace” as the focal and vanishing point of communication at the contractual level in international law. Although he problematizes the immediate realizability of this ideal, Kant does not want to abandon its basic function and significance for the peaceful communication among states. In his lectures on Christian ethics and on Staatslehre, Schleiermacher offers similar reflections. In these contexts, he takes up Kant’s concept of perpetual peace and incorporates it into a political ethics aimed at overcoming military conflicts between states. While Schleiermacher does not consider defensive wars to be evil in principle, he nevertheless characterizes the idea of perpetual peace as the communicative goal of all interstate relations. By so doing, he does justice to the complex structure of international communication by also bringing scientific, socio-economic, and religious aspects into play on the way to the “condition of perpetual peace.” In this way, Schleiermacher presents a theory of the communication between states that is able to transfer Kant’s legal-philosophical considerations into Christian ethics.
1 Einleitung Seit die Russische Föderation im Februar 2022 die Ukraine mit Krieg überzieht, unterliegt die europäische Außen- und Sicherheitspolitik einem grundlegenden Wandel: Die Bedürfnisse der östlichen Mitglieder der Europäischen Union (EU) und des Nordatlantikpakts (NATO) finden wesentlich mehr Beachtung; ebenso steht das militärische Moment der Abschreckung wieder im Zentrum politischer Überlegungen. Zuvor waren die vergangenen Jahre in der internationalen Politik teilweise durch eine neue Dominanz des Nationalen bzw. Unilateralen gekennzeichnet gewesen. Dies galt nicht nur für die Außenpolitik der Vereinigten Staaten von Amerika (USA) unter Donald J. Trump oder den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU. Darüber hinaus war der Ton auf der Weltbühne nicht erst während der COVID-19-Pandemie wesentlich rauer geworden. Die multilateralen Instrumente, Foren und Medien der Kommunikation zwischen den Staaten wie die Vereinten Nationen mit ihren Institutionen oder die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) schienen erheblich an Gewicht verloren zu haben. Stattdessen wurden mit regionalen Stellvertreterkriegen (Jemen, Berghttps://doi.org/10.1515/9783111128801-018
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Karabach, Libyen etc.) auf verschiedenen Seiten bereits die Grenzen und Möglichkeiten der politischen, militärischen sowie ökonomischen Einflussnahme in der Geopolitik des 21. Jahrhunderts ausgelotet. In dieser schwierigen Lage versuchen die europäischen Staaten nun an der Seite der USA ihre Sicherheit und Souveränität zu behaupten, während diese selbst im indopazifischen Raum auf den stetig wachsenden Einfluss der Volksrepublik China reagieren. Vor diesem Hintergrund mag der Blick auf die klassische Friedensethik vorderhand ein wenig unschuldig und verträumt erscheinen; jedoch verbinden sich mit der Frage nach der angemessenen Kommunikation der Staaten auf dem Weg vom Krieg zu einem Frieden, der diesen Namen wirklich verdient, doch Einsichten, deren Bedeutung für die soziale Gestalt des menschlichen Daseins und ihre Institutionen kaum überschätzt werden können. Deshalb soll im Folgenden mit Immanuel Kant und Friedrich Schleiermacher wiederum auf zwei Denker hingewiesen werden, deren Überlegungen zur Überwindung von internationalen Konflikten einen friedlichen Weg anzeigen, ohne es an theoretischem Ernst fehlen zu lassen. Dabei sollen zunächst Kants rechtsphilosophische Gedanken Zum ewigen Frieden (1795/1796) skizziert werden (2.),¹ um vor diesem Hintergrund sodann Schleiermachers einschlägige Ausführungen aus der Christlichen Sittenlehre (1826/1827) ins Blickfeld zu rücken (3.).² Auf diese Weise wird sich die grundsätzliche Ausrichtung des politischen Handelns auf die Herstellung eines allgemeinen Friedens nicht nur als frommer Wunsch, sondern ebenso sehr in ihrer gedanklichen Plausibilität und ethischen Kraft erhellen lassen.
2 Naturzustand, Recht und die Idee vom ewigen Frieden „Zum ewigen Frieden. Ob diese satirische Überschrift auf dem Schilde jenes holländischen Gastwirts, worauf ein Kirchhof gemalt war, die Menschen überhaupt, oder besonders die Staatsoberhäupter, die des Krieges nie satt werden können, oder wohl gar nur die Philosophen gelte, die jenen süßen Traum träumen, mag dahingestellt sein.“³ Und doch nimmt Kant die kuriose Beobachtung an einer niederländischen Kneipe zum Anlass, eine philosophische Abhandlung zur Frage nach dem rechtlichen Verhältnis der Staaten des 18. Jahrhunderts vorzulegen, die sich zugleich als erste Äußerung des Königsbergers in Richtung auf eine kritische Grundierung einer Philosophie des Rechts lesen ließ – wie Johann Gottlieb Fichte es zum Beispiel getan hat.⁴ Nach der Art eines zeitgenössischen Friedensschlusses, der seine äußere Gestalt in einem verbindenden
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ZeF, 195 – 251. Schleiermacher 2011. ZeF, 195. Vgl. Fichte 1845, 1 – 385, hier 12 – 16.
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Vertrag zwischen ehedem verfeindeten Völkern findet, legt Kant seine Überlegungen zur rechtlichen Kommunikation der Staaten hier in mehreren Artikeln nieder.⁵ Während die Präliminarien des ersten Abschnitts sich gegen verschiedene prinzipielle Hindernisse für einen dauerhaften Frieden unter den (europäischen) Staaten wie Hinterlist, stehende Heere, militärische Einmischung etc. wenden,⁶ kommt dem zweiten Teil mit den sogenannten Definitivartikeln wesentliche rechts- und staatsphilosophische Bedeutung zu.⁷ Kants Überlegungen heben mit der grundsätzlichen Feststellung des außerordentlichen Rangs des Friedens als eines solchen an. Anstatt sich jedoch die friedvolle Kommunikation und ein harmonisches Zusammenleben als eigentlichen Ursprung des menschlichen Daseins einfach zu imaginieren, wird gerade der konfliktreiche Charakter der humanen Sozialität hervorgehoben. „Der Friedenszustand unter Menschen, die nebeneinander leben, ist kein Naturstand (status naturalis) der vielmehr ein Zustand des Krieges ist, d. i. wenngleich nicht immer ein Ausbruch der Feindseligkeiten, doch immerwährende Bedrohung mit denselben.“⁸ Folglich ist dem kriegerischen Naturzustand des Menschen eine höhere Stufe des kulturellen Daseins gegenüberzustellen, die sich auf allgemein verbindliche Kommunikation sowie deren Kriterien stützen können muss, um die menschliche Gattung der Gebundenheit an ihre natürliche Daseinsbestimmtheit zu entwinden. Zu diesem Zwecke bringt Kant den „bürgerlich-gesetzlichen Zustand“⁹ ins Spiel, der gleichsam nach den Regeln der Herbeiführung eines Friedens strukturiert sein soll. Der Gedanke eines solchen bürgerlichen Zustands der Menschen unter- und gegeneinander fordert nach Kants Auffassung seine Manifestation nicht nur auf der Ebene der einzelnen menschlichen Subjekte, die sich in einem legalen Gemeinwesen zusammenschließen. Darüber hinaus kommt ebenso sehr die rechtliche Relation der Völker sowie ihrer staatlichen Gebilde untereinander aufs Tableau, sodass sich für die Durchführung eine systematische Gliederung seiner Überlegungen in drei Ebenen ergibt. Alle rechtliche Verfassung aber ist, was die Personen betrifft, die darin stehen, 1) die nach dem Staatsbürgerrecht der Menschen, in einem Volk (ius civitatis), 2) nach dem Völkerrecht der Staaten in Verhältnis gegeneinander (ius gentium), 3) die nach dem Weltbürgerrecht, sofern Menschen und Staaten, in äußerem aufeinander einfließenden Verhältnis stehend, als Bürger eines allgemeinen Menschenstaats anzusehen sind (ius cosmopoliticum). – Diese Einteilung ist nicht willkürlich, sondern notwendig in Beziehung auf die Idee vom ewigen Frieden.¹⁰
Für die Ausgestaltung der rechtlichen Konstitution der Staaten stellt Kant zunächst die Frage nach der angemessenen Form der bürgerlich-gesetzlichen Verfassung. Dabei
5 Vgl. Rose 2011, 208 – 209. 6 Vgl. ZeF, 196 – 202. 7 Vgl. ZeF, 203 – 228. 8 ZeF, 203. 9 ZeF, 203 Anm. 10 ZeF, 203 Anm.
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positioniert er sich im Zeitalter der Französischen Revolution und der kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Frankreich und den europäischen Monarchien, wobei im Hintergrund freilich seine Unterscheidung von Staatsform (Republikanismus oder Despotismus) und Regierungsart (Autokratie, Aristokratie oder Demokratie) steht: Die erstlich nach Prinzipien der Freiheit der Glieder einer Gesellschaft (als Menschen), zweitens nach Grundsätzen der Abhängigkeit aller von einer einzigen gemeinsamen Gesetzgebung (als Untertanen), und drittens, die nach dem Gesetz der Gleichheit derselben (als Staatsbürger) gestiftete Verfassung – die einzige, welche aus der Idee des ursprünglichen Vertrags hervorgeht, auf der alle rechtliche Gesetzgebung eines Volks gegründet sein muß – ist die republikanische. ¹¹
In diesem Zusammenhang ist für Kant neben der ursprünglichen Disposition des bürgerlichen Rechts zur republikanischen Gestalt des staatlichen Gemeinwesens vor allem die Dienlichkeit dieser Verfassungsform zur Realisation des ewigen Friedens von Interesse. Denn gerade die freie und gleichberechtigte Partizipation seiner zivilen Glieder an der gemeinsamen Legislation wie der entsprechenden Umsetzung der politischen Zielsetzungen des gemeinschaftlichen Wollens zieht gleichsam eine friedenspolitische Orientierung dieses republikanischen Staates notwendigerweise nach sich. „Wenn (wie es in dieser Verfassung nicht anders sein kann) die Beistimmung der Staatsbürger dazu erfordert wird, um zu beschließen, ‚ob Krieg sein solle oder nicht‘, so ist nichts natürlicher, als daß, da sie alle Drangsale des Krieges über sich selbst beschließen müßten […], sie sich sehr bedenken werden, ein so schlimmes Spiel anzufangen“.¹² Die praktische Teilhabe an der Gesetzgebung in Verbindung mit deren Unterscheidung und Trennung von der exekutiven Gewalt im Staate verbürgen die friedliche Option eines Gemeinwesens.¹³ Der eigentliche Überschritt von dieser immanenten Perspektive der bürgerlichen Glieder des staatlichen Gebildes auf das Feld der Zwischenstaatlichkeit erfolgt nun mit dem sogenannten „Zweite[n] Definitivartikel zum ewigen Frieden“.¹⁴ Analog zur notwendigen Etablierung des rechtlichen Zustands der Bürgerlichkeit auf der Ebene der menschlichen Individuen und ihrer äußeren Freiheit, nimmt Kant die gleichsam intersubjektive Perspektive des Völker- oder besser Staatenrechts in den Blick, indem der Mangel des bloß natürlichen Zustands bzw. der Vorzug einer rechtlichen Ordnung unter den Staaten betrachtet wird. Gleichwie der Kampf aller gegen alle auf der Stufe des einzelnen Menschen nicht nur zu dessen sittlicher Verrohung oder dem Ausbleiben einer moralischen Entwicklung beitragen müsste, sondern obendrein vor allem die mannigfaltigsten Verletzungen nach sich ziehen muss, kommt auch einem ungeregelten Verhältnis und Verhalten der Staaten gegeneinander das entsprechende Verletzungspotenzial zu. Daraus schließt er überdies auf die berechtigte Forderung eines kommu11 ZeF, 204. 12 ZeF, 205 – 206. 13 Vgl. ZeF, 206 – 207: „Der Republikanism ist das Staatsprinzip der Absonderung der ausführenden Gewalt (der Regierung) von der gesetzgebenden“. 14 ZeF, 208.
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nikativen Ausgleichs zwischen den Staaten, die eben nicht in rohem Naturzustand nebeneinander verharren können dürfen. „Völker, als Staaten, können wie einzelne Menschen beurteilt werden, die sich in ihrem Naturzustande (d. i. in der Unabhängigkeit von äußern Gesetzen) schon durch ihr Nebeneinandersein lädieren, und deren jeder, um seiner Sicherheit willen, von dem andern fordern kann und soll, mit ihm in eine der bürgerlichen ähnlichen Verfassung zu treten, wo jedem sein Recht gesichert werden kann.“¹⁵ Das legitime Sicherheitsinteresse eines einzelnen Staates zieht die Berechtigung eines kommunikativen Mediums oder Instrumentariums zur Gewährleistung des eigenen Fortbestands wie der friedlichen Koexistenz mit den anderen Völkern nach sich. Auf diese Weise ergibt sich von der analogen Betrachtung von menschlichem Individuum und staatlichem Gemeinwesen eines Volkes im Konzert mit seinen Nachbarn sowie dem notwendigen Überschritt von der Sphäre des Naturzustands zur bürgerlichgesetzlichen Ordnung des menschlichen Zusammenlebens auf der Ebene der Einzelnen wie der Staaten der Gedanke einer kommunikativen Struktur zur Klärung und Umsetzung einer entsprechenden Verfassung. Solche der bürgerlichen Konstitution ähnliche Verfassung diente den Staaten gleichsam als rechtlicher Rahmen zur nichtkriegerischen Regulierung ihrer Sicherheits- und anderen Fragen, ohne die nationale Eigenständigkeit deshalb gleich in einer entsprechenden Ordnung aufgeben oder verabschieden zu müssen. „Dies wäre ein Völkerbund, der aber gleichwohl kein Völkerstaat sein müßte.“¹⁶ Die Etablierung einer derartigen Institution bedeutete die Überwindung des ausschließlich selbstherrlichen Handelns in der internationalen Politik, die eben vorwiegend mit kriegerischen Mitteln ins Werk gesetzt wurde, zugunsten einer legalen Ordnung, deren Verbindlichkeit zugleich den kommunikativen Willens- und Interessenausgleich der Staaten befördern helfen sollte. Solange die Völker und ihre staatlichen Manifestationen noch auf der Stufe des Naturzustands verharren, ringt sich die Menschheit noch nicht zur Herrschaft des Rechts durch. „Statt dessen […] setzt vielmehr jeder Staat seine Majestät […] gerade darin, gar keinem äußeren gesetzlichen Zwange unterworfen zu sein“.¹⁷ Diese Haltung korrespondiert freilich eher dem vorrechtlichen Naturzustand, dessen Regellosigkeit allein das Recht des Stärkeren kennt, ohne die verschiedenen Interessen und Neigungen der menschlichen Subjekte auf friedlichem Wege zum Ausgleich bringen zu können. Die Vorstellung einer jeweils zur Geltung zu bringenden äußeren Freiheit der Individuen spielt auf der Ebene der Staaten noch keine Rolle, sofern diese kein spezifisches Recht untereinander anerkennen und tatsächlich praktizieren. Solange der Krieg als legitimes Mittel der Umsetzung politischer Ziele fungiert, steht nicht die Gesetzgebung im Zentrum der internationalen Kommunikation.Vielmehr hängt die Freiheit der Nationen an ihrer militärischen Durchsetzungskraft. Und der
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europäische Kontinent hechelt sich mühselig von einem Kriegszustand über dessen Unterbrechung zum nächsten. Da die Art, wie Staaten ihr Recht verfolgen, nie, wie bei einem äußern Gerichtshofe, der Prozeß, sondern nur der Krieg sein kann, durch diesen aber und seinen günstigen Ausschlag, den Sieg, das Recht nicht entschieden wird, und durch den Friedensvertrag zwar wohl dem diesmaligen Kriege, aber nicht dem Kriegszustande […] ein Ende gemacht wird […] – so muß es einen Bund von besonderer Art geben, den man den Friedensbund (foedus pacificium) nennen kann, der vom Friedensvertrag (pactum pacis) darin unterschieden sein würde, daß dieser bloß einen Krieg, jener aber alle Kriege auf immer zu endigen suchte.¹⁸
Die Verwirklichung dieser Vorstellung von einer Befriedung der Menschheit und ihrer sozialen Gebilde, deren Verhältnis stattdessen durch ein friedliches Miteinander bestimmt sein solle, verspricht Kant sich nun von jenem Völkerbund. Gleichwie das bürgerliche Recht auf der Ebene der einzelnen Menschen der jeweiligen äußeren Freiheit zur Durchsetzung verhilft, indem der Einschränkung der individuellen Freiheit des einen durch die anderen eben an der derselben ihre Grenze gesetzt ist, so dient der avisierte Völkerbund nicht bloß einer Wahrung der kontingenten Interessen von Staaten.Vielmehr soll deren äußere Freiheit dauerhaft gewährleistet werden.¹⁹ „Dieser Bund geht auf keinen Erwerb irgendeiner Macht des Staats, sondern lediglich auf Erhaltung und Sicherung der Freiheit eines Staats, für sich selbst und zugleich anderer verbündeten Staaten, ohne daß diese doch sich deshalb (wie Menschen im Naturzustande) sich öffentlichen Gesetzen, und einem Zwange unter denselben, unterwerfen dürfen.“²⁰ Indessen belässt Kant es nicht einfach bei dem Gedanken eines solchen Bundes, um sich von dort aus zu anderen Fragen hinwegzubegeben. Überdies ist die Idee einer rechtlichen Kommunikation der Staaten, die den Zustand des Friedens gleichsam auf Dauer zu stellen in der Lage ist, nicht nur eine fromme Utopie, sondern ihr Urheber zeigt sich überzeugt von der prinzipiellen Möglichkeit ihrer Umsetzung. „Die Ausführbarkeit (objektive Realität) dieser Idee der Föderalität, die sich allmählich über alle Staaten erstrecken soll, und so zum ewigen Frieden hinführt, läßt sich darstellen.“²¹ Gleichsam im Ausgang von der Einsicht in die Notwendigkeit des internationalen Friedens zum Wohle der einzelnen Nationen auf Seiten eines in sich konsolidierten republikanischen Staatswesens soll jene Ausbreitung des Friedensbundes erfolgen können. Auf der Basis einer gestärkten Position erscheint die friedliche Kommunikation notwendigerweise wesentlich attraktiver als vor dem Hintergrund der potenziellen Überwindung des Anderen durch kriegerische Gewalt.
18 ZeF, 210 – 211. 19 Vgl. Geismann 2011, 172 – 209; vgl. zur grundlegenden Bedeutung der äußeren Freiheit in Kants Rechtsphilosophie auch Geismann 1996, 37– 51. 20 ZeF, 211. 21 ZeF, 211.
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Denn wenn das Glück es so fügt: daß ein mächtiges und aufgeklärtes Volk sich zu einer Republik (die ihrer Natur nach zum ewigen Frieden geneigt sein muß) bilden kann, so gibt diese einen Mittelpunkt der föderativen Vereinigung für andere Staaten ab, um sich an sie anzuschließen und so den Freiheitszustand der Staaten, gemäß der Idee des Völkerrechts, zu sichern, und sich durch mehrere Verbindungen dieser Art nach und nach immer weiter auszubreiten.²²
Dass sich diese Verbindung der Staaten zumindest selbst ein Recht geben können muss, um der Orientierung an der jeweiligen Stärke ein friedliches Medium der Verständigung entgegenzusetzen, liegt für Kant auf der Hand. Es geht ihm um einen „freie[n] Föderalism […], den die Vernunft mit dem Begriffe des Völkerrechts notwendig verbinden muß, wenn überall etwas dabei zu denken übrig bleiben soll“.²³ Unterdessen muss auch Kant anerkennen, dass sich die konfligierenden Interessen und Machtverhältnisse der Nationen nicht ohne Umschweife in eine völkerrechtliche Form überführen lassen. Zwar ist der Übergang vom ungezügelten Primat des Stärkeren zur rechtlichen Ordnung zum Zwecke der Sicherung von äußerer Freiheit notwendig ins Werk zu setzen. Die Natur hat dem Recht sein Recht einzuräumen, indem sie den Krieg verabschiedet. „Für Staaten im Verhältnisse untereinander kann es nach der Vernunft keine andere Art geben, aus dem gesetzlosen Zustande, der lauter Krieg enthält, herauszukommen, als daß sie, ebenso wie einzelne Menschen, ihre wilde (gesetzlose) Freiheit aufgeben, sich zu öffentlichen Zwangsgesetzen bequemen, und so einen (freilich immer wachsenden) Völkerstaat (civitas gentium), der zuletzt alle Völker der Erde befassen würde, bilden.“²⁴ Wenn folglich der Übergang vom ständigen Krieg zum ewigen Frieden demjenigen vom Naturzustand des Menschen zur bürgerlich-rechtlichen Ordnung entsprechen soll, so liegt die Vorstellung von einem Staat der Staaten, dessen Kern in der Umsetzung des Rechts als Garantie der äußeren Freiheit jeder einzelnen Nation bestehen muss, freilich auf dieser Linie. Jedoch sieht Kant ebenso sehr die Widerspenstigkeit der einzelnen Staaten gegen ein solches Unterfangen – so stringent und überzeugend es in der theoretischen Ableitung auch erscheinen mag. Da sie dieses aber nach ihrer Idee vom Völkerrecht durchaus nicht wollen, mithin, was in thesi richtig ist, in hypothesi verwerfen, so kann an die Stelle der positiven Idee einer Weltrepublik (wenn nicht alles verloren werden soll) nur das negative Surrogat eines den Krieg abwehrenden, bestehenden und sich immer ausbreitenden Bundes den Strom der rechtscheuenden, feindseligen Neigung aufhalten, doch mit beständiger Gefahr ihres Ausbruchs.²⁵
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ZeF, 211 – 212. ZeF, 212. ZeF, 212. ZeF, 212 – 213.
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3 Krieg und Frieden in Schleiermachers Sittenlehre Während Kant seinen Begriff vom ewigen Frieden also eindeutig im Kontext seiner Staats- und Rechtslehre entwickelt hatte, ist bei Friedrich Schleiermacher eine teilweise anders gelagerte Ausrichtung zu beobachten. Vor allem der rechtsphilosophische Rahmen für die Unterscheidung von Naturzustand und bürgerlichem Zustand findet sich in der Weise nicht, obgleich die Sache selbst natürlich verhandelt wird. Die Kantʼschen Gedanken zum Wesen wie zur Struktur der rechtlichen Sphäre werden hingegen eingebettet in eine Theorie des christlichen Ethos. Zwar legt Schleiermacher keine eigene Philosophie des Rechts vor,²⁶ dafür ergeben sich mit Blick auf die Kommunikation der Nationalstaaten „auf dem Weg zum ewigen Frieden“²⁷ aber andere systematische Linien, die vor allem für eine christliche Friedensethik von Interesse sein dürften. In seinen Vorlesungen über die Christliche Sittenlehre (1826/1827) erscheint erneut das Problem des Übergangs vom natürlichen Stand des Menschen auf eine sittliche Ebene des bürgerlichen Lebens, wobei wiederum die Frage von Krieg und Frieden aufgeworfen wird: „Wenn wir nun an den bürgerlichen Verein als die allenthalben bestehende Form des Naturbildungsprozesses denken so können wir nicht anders als zu gleich an das Factum des Krieges denken.“²⁸ Seine Überlegungen zur Natur des Krieges entfaltet Schleiermacher zunächst im Kontext „[v]om reinigenden Handeln eines Staates auf den anderen“,²⁹ wobei kurioserweise die Kirchenzucht als das christliche Vorbild bzw. Analogon angelegt wird.³⁰ Hier kehren nun gleichsam christlich umwunden die Bestimmungen des Übergangs vom Natur- zum rechtlichen Zustande des Menschen wieder, wie wir sie sowohl in Kants Friedensschrift als auch in der Rechtslehre antreffen. Allerdings ist der säkularisierte Zusammenhang durch den Ausgang von der christlichen Rede von der Sünde bzw. dem Bösen substituiert. Dabei schickt Schleiermacher sich an, das besondere „Verhältniß des Unrechtthuenden und Unrechtleidenden zu construieren“,³¹ das offenkundig als Blaupause für die Rekonstruktion der Beziehung von Staaten dienen soll. Denn sobald ein Mensch wider den anderen schuldig geworden ist, steht nicht nur die Selbstverteidigung des Geschädigten zur Debatte, sondern ebenso sehr die grundlegende Frage nach Recht und Sittlichkeit. Der Gedanke einer rechtlichen Ordnung der Sozialsphäre steht im Augenblick des begangenen Unrechts gegen eine andere Person für die schuldige Partei erst einmal nicht im Vordergrund. Sie kommt allenfalls als sekundäre Bestimmung in den Blick, insofern das begangene Unrecht gesühnt werden können soll. 26 Vgl. Arndt 2018, 135 – 146 sowie zu den rechtsphilosophischen Ansätzen in Schleiermachers Denken, die freilich kaum an Hegels Grundlinien der Philosophie des Rechts heranreichen, Arndt 2021, 195 – 210. 27 Rose 2011, 207. 28 Schleiermacher 2011, 477. 29 Schleiermacher 2011, 226. 30 Vgl. Schleiermacher 2011, 226: „Findet nun auch ein Handeln zwischen den Staaten statt, welches eine Analogie hat mit demjenigen, was wir als Kirchenzucht betrachtet haben?“ 31 Schleiermacher 2011, 228.
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Der Unrechtthuende hat nicht das Verlangen nach einem solchen Rechtszustande (eben so wie der im Staat schon seyende wenn er Unrecht thut in diesem Augenblik das Recht nicht billigt) wenn nun der Unrechtleidende sich selbst zur Wehr setzt auch ohne daß ein Verlangen nach dem bürgerlichen Zustande in ihm ist, so können wir das nicht für ein sittliches Handeln an sehen, sondern jenes Verlangen ist die Bedingung der Sittlichkeit eines solchen Handelns.³²
Dem sittlichen Charakter der rechtlichen Ordnung des menschlichen Zusammenlebens entspringt zugleich allererst die Verhältnismäßigkeit der tatsächlichen Gegenwehr der leidtragenden Person, während die vorausgegangene Schädigung gleichsam außerhalb jener Sphäre zu verorten ist. Die Sanktionierung des reaktiven Handelns durch das Recht bzw. das subjektive Streben nach seiner Herbeiführung geben demselben überdies ebenso den quantitativen Rahmen vor. „Denn sonst würde ein solches Handeln ganz unbegränzt erscheinen, und der Widerstand würde kein Maaß haben. Durch das Verlangen nach einem bürgerlichen Zustand bekommt er ein solches. Ist er im bürgerlichen Zustande, so wird er diesem gemäß handeln und die Obrigkeit selbst repraesentiren.“³³ Daran schließt Schleiermacher die Frage nach der Transposition von individuellem Unrecht sowie dessen Vergeltung auf die Ebene der Staatlichkeit an: „Läßt sich hiervon eine Anwendung machen auf das Verhältniß der Staaten?“³⁴ Die Antwort auf dieses Problem hängt jedoch – ebenso sehr wie bereits bei Kant – am Charakter der zwischenstaatlichen Beziehungen. Denn der Naturzustand kann aufgrund des Mangels an einer normierenden Ordnung des Zusammenlebens kein Maß des Unrechts oder des Widerstands gegen dasselbe kennen können, wenn anders die Rede von einem natürlichen Status im Unterschied zu einem rechtlichen oder bürgerlichen überhaupt einen vitalen Sinn beigemessen bekommen soll. Das Verhältnis der menschlichen Individuen kann nur insoweit auf dasjenige der Staaten oder Nationen übertragen werden, als für diese Ebene gleichermaßen eine verbindliche Ordnung in Anschlag gebracht werden kann. „Nur wenn wir die Voraussetzung machen können, daß die Staaten untereinander auch in einem bürgerlichen Verein stehen müssen.“³⁵ Diese Voraussetzung mag Schleiermacher nun ebenso wenig negieren wie vollständig bejahen, um stattdessen die Möglichkeit einer föderativen Ordnung von mehreren Staaten zu betrachten. „Im genauesten Sinn des Wortes kann unter den Staaten kein bürgerliches Verhältniß stattfinden, nur gewissen Analogien nach. Es können mehrere Staaten für sich wieder unter einem Ganzen stehen. Da ist auch keine Selbsthilfe [d. i. Selbstjustiz] mehr möglich. (Wie in Föderativstaaten.)“³⁶ Dass solche Überlegungen auch bei Schleiermacher eher den Charakter des Hypothetischen haben, soll hier nicht in Abrede gestellt werden. Gleichwohl ist es interessant zu beobachten, wie er ähnlich wie Kant den Gedanken einer rechtlichen Ordnung der
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Schleiermacher 2011, 228. Schleiermacher 2011, 228. Schleiermacher 2011, 229. Schleiermacher 2011, 229. Schleiermacher 2011, 229.
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Staaten durchzuspielen unternimmt. Die Vorstellung einer civitas gentium kommt erneut in den Blick, sobald die Analogiebildung eines internationalen Rechts in Angriff genommen wird, das als kommunikatives Medium der Verständigung zu dienen vermag. „Es muß die Idee festgehalten werden, daß auch in jedem einzelnen Staat ein Verlangen nach einem solchen bürgerlichen Verein zwischen allen, statt finde. Käme es zu so einem Verein, dann wären sie ein Universalstaat von dem alle anderen Theile wären.“³⁷ Schleiermacher selbst behauptet nun keineswegs die faktische Realität eines solchen universalen politischen Gebildes oder betriebe aktiv deren Umsetzung. Er will also keiner abstrakten Utopie das Wort reden, deren Verwirklichung an der schieren Größe eines derartigen Universalstaates scheitern müsste. Gleichwohl möchte er den Gedanken nicht vollends verabschieden, da er zum Zwecke der Herbeiführung einer friedlichen Gemeinschaft der Nationen doch zu vielversprechende Perspektiven eröffnet: „Sobald wir zugeben daß nur die Massenverhältnisse diese Vereinigung verhindern, so bleibt doch noch immer das möglich, daß alle Staaten in so fern sie mit anderen Staaten in Verbindung stehen, ein jenem analoges bürgerliches Verhältniß eingehen und die Selbsthülfe [d. i. den Krieg] überflüssig machen können.“³⁸ Dabei können neben der föderativen Gliederung der Staaten gleichermaßen auch andere politische Strukturen zu diesem Zwecke etabliert werden. Wenn hier der Gedanke einer kommunikativen Überwindung von Gegensätzen oder Konflikten zwischen den einzelnen Staaten auf das Modell eines internationalen Schiedsgerichts ausgerichtet wird, so entwirft Schleiermacher solchermaßen eine gleichsam hierarchische Ordnung des Völkerrechts, das sich infolgedessen als Restitution eines rechtlichen Status quo der Nationen vorstellen lässt. „[S]o können zb mehrere Staaten in ein schiedsrichterliches Bündniß mit einander treten (wie etwas dergleichen zb der Deutsche Bund ist)“.³⁹ Der Bund zwischen den Staaten fungiert als rechtliches Forum, vor dem die Zwistigkeiten der einzelnen Streitparteien kommuniziert und verhandelt werden, um diese solchermaßen zunächst ohne die Zuhilfenahme von Gewalt zu regeln. Es wird also ein völkerrechtliches Verfahren etabliert, mit dessen Hilfe sich die Staaten vor- und miteinander ins Benehmen setzen können. Im völkerrechtlichen Verhältniß treten zwischen eine Beleidigung welche eine Verlezung des Rechtszustandes, also Rückschritt enthält und wiederherstellendes Handeln fordert, und zwischen die bewaffnete Selbsthülfe eine Menge von Zwischenmomenten ein; nicht nur die eigentl[iche] gütliche Unterhaltung (die auch schon kriegerische Demonstration sein könnte) sondern die geistigen Einflüsse anderer Staaten […] und […] die schiedsrichterliche Intervention der anderen Staaten. Wer keine von diesen Stufen überspringt, beweist dadurch daß er im völkerrechtlichen Sinn handelt und sich als Organ des Ganzen ansieht, und so ist auch hernach der Krieg als im Auftrag des Ganzen von ihm geführt anzusehn gerade wie der Einzelne auch als Organ des Ganzen die öffentliche Gewalt aufruft gegen den Beleidiger.⁴⁰
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Schleiermacher 2011, 230. Schleiermacher 2011, 230. Schleiermacher 2011, 230. Schleiermacher 2011, 230.
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Jedoch fasst Schleiermacher die Analogie zwischen Einzelnen und Staaten mit Blick auf die Gewaltausübung zur Wiederherstellung des rechtlichen Zustands doch differenzierter auf, als dass lediglich die Schemata der Individualsphäre transponiert würden. Grundsätzlich gilt ihm die bürgerliche Ordnung wesentlich als Raum der friedlichen Auseinandersetzung. „Die Ausübung der Gewalt ist das was den Naturzustand am vollkommensten repräsentirt. Die Anwendung der Überzeugung ist das was der wirklichen Gemeinschaft analog ist.“⁴¹ Dementsprechend plädiert Schleiermacher auf der Ebene der individuellen Subjekte im Falle der notwendigen Abwehr von Unrecht oder Gewalt für die aktive Kombination von Unterbindung des feindlichen Angriffs sowie sittlicher Einwirkung. Alles andere widerspreche der Idee des bürgerlichen Rechts. „Diese kann nur verlangen, den anderen in solchen Zustand der Unthätigkeit zu versetzen, daß er seine Beschädigung nicht fortsetzen kann und dann auf die Ueberzeugung hin zu wirken. Auf den Staat angewandt müssen wir also sagen: Die Abwehr darf nie so weit gehen, daß der andere Staat getödtet werde.“⁴² Die Verhältnismäßigkeit der Mittel ergibt sich im Falle des Krieges demnach bereits aus dessen völkerrechtlicher Restriktion auf die unmittelbare Verteidigung, da er dem bürgerlich-rechtlichen Niveau von Staaten eben nur eingeschränkt angemessen sein kann. Das eigentliche Medium der Kommunikation zwischen den Staaten hat die Überzeugung zu sein. „Das Factum die Tatsache des Krieges ist allerdings immer eine gegenseitige Störung des Naturbildungsprozesses. Diese ist überhaupt etwas was nicht seyn soll, also der Krieg auch nicht, d. h. etwas was durchaus nicht soll angefangen werden.“⁴³ Aus dieser grundsätzlichen Bestimmung eines Defizits, das durch den Kriegszustand sichtbar markiert ist, wird abermals auf die Beschränkung desselben auf den Zweck der Abwehr von fremder Gewalt geschlossen. Demgemäß lässt Schleiermacher aus christlicher Perspektive auch den Waffengang zur Verteidigung nur als vorübergehendes Mittel gelten, das sich selbst möglichst rasch überflüssig zu machen hat. „Die christliche Maxime kann keine andere seyn als: Die Störung des Naturbildungsprozesses durch den Krieg muß nach der besten Ueberzeugung des kriegsführenden Theils das Minimum seyn, das sich mit dem Zweck der Selbstvertheidigung verträgt […] und jeder einzelne Moment kann nur gerechtfertigt werden insofern er im Gewissen als Nothwehr gesetzt ist.“⁴⁴ Gerade Schleiermachers konsequente Restriktion der Legitimität kriegerischer Mittel auf das Feld der Landesverteidigung führt von der Analyse des Krieges zur Idee von dessen dauerhafter Überwindung durch die Menschheit. Sofern aus dem Blickwinkel einer christlichen Ethik der bewaffnete Konflikt zwischen den Staaten überdies an das Gewissen der Einzelnen gewiesen ist, kommt neben der rechtsphilosophischen Dimension des Problems eine weitere moralisch-religiöse Seite zur Geltung. Auf diese Weise konvergieren Moralität und Legalität trotz ihrer systematischen Unterschieden41 42 43 44
Schleiermacher 2011, 232. Schleiermacher 2011, 232. Schleiermacher 2011, 477. Schleiermacher 2011, 478.
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heit, die Kant in seiner Rechtslehre prominent zum Ausdruck gebracht hatte, am Ort der Frage nach Krieg und Frieden. Und so sehr Schleiermacher sich einer eindeutigen Bewertung des Phänomens der kriegerischen Auseinandersetzungen vorderhand auch enthalten zu wollen scheint, so sehr ist seine Konzeption in staatstheoretischer wie christlich-ethischer Hinsicht doch auf die Überwindung der Gewalt als Medium der internationalen Politik ausgerichtet. „Ferner ist offenbar der Krieg immer das Nichtgewollte und der Friede das Gewollte. […] Der Krieg als Nothwehr kann nur mit gutem Gewissen geführt werden in sofern jede Gelegenheit, den Krieg in Frieden zu verwandeln gehörig wahrgenommen wird, so weit sie mit der Selbstvertheidigung bestehen kann.“⁴⁵ Das Gewissen ist in Schleiermachers Überlegungen folglich derjenige Ort, an dem das christliche Ethos seine Orientierung auf den Frieden hin gewinnt und aus dem sich eine friedensstiftende Kraft speist. Der Maßstab der politischen Verhältnisse der Staaten untereinander richtet sich gleichermaßen an der inneren Instanz des christlichen Ethos wie der äußeren Bestimmung eines bürgerlichen Gemeinwesens aus, nach dessen Schema ebenso sehr die Nationen zu handeln aufgefordert sind. Dass die Idee eines Universalstaates in diesem Zusammenhang (noch) nicht ihre Entsprechung in der Wirklichkeit gefunden hat, tut der ethischen Wirksamkeit dieser Vorstellung keinen Abbruch. Vielmehr zeigt sich für Schleiermacher der innere Kompass der christlichen Religion und seiner Sozialgestalten: „[S]o wie das Christenthum den bürgerlichen Verein organisiren würde, wenn es ihn nicht vorfände, so würde es immer geschehen mit dieser Hindeutung auf einen allgemeinen Verkehr aller Menschen unter einander, und auf einen allgemeinen Friedensstand aller Staaten unter einander, denn wenn der Krieg nach diesen Principien geführt würde, würde er von selbst immer mehr verschwinden.“⁴⁶ Anders als bei Kant wird die Idee eines immerwährenden Friedens nicht allein aus der Übertragung des Verhältnisses von Natur- und bürgerlichem Zustand von der individuellen Sphäre auf die Ebene der Staaten und ihrer Kommunikation abgeleitet. Stattdessen werden die sehr ähnlichen staatstheoretischen Überlegungen durch eine Betrachtung der inneren Motivation des christlichen Ethos ergänzt, welches eben auch hinsichtlich der Einstellung zum Kriege wirksam werden muss. Und gerade die teleologische Ausrichtung auf den Frieden der Staaten, die sich in der idealen Vorstellung eines Universalstaates oder dem Phänomen von Staatenbünden niederschlägt, markiert für Schleiermacher den christlichen Charakter dieses Gedankenkreises. Es ist also etwas sehr kurzsichtiges wenn man diese Idee eines allgemeinen Friedens als leere Phantasie hat behandeln wollen. Es ist dies viel mehr eine wesentliche Tendenz des Christenthums und wird dies nur in so fern verstanden, als das Handeln sich der Realisierung dieser Idee nähert.
45 Schleiermacher 2011, 478 – 279. 46 Schleiermacher 2011, 479.
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[…] Die Kriege müssen kürzer werden, wenn jede Gelegenheit zum Frieden benutzt wird, und in dem Maaß als sie dies und milder werden, ist der allgemeine Friede im Werden begrifen.⁴⁷
Auf diese Weise erkennt Schleiermacher einen wesentlichen Beitrag des christlichen Ethos für die „starke Annäherung an diesen Zustand des ewigen Friedens, der freilich nie durch Vertrag wird begründet werden“.⁴⁸
4 Schluss Blickt man nach diesem Durchgang durch die Überlegungen Kants und Schleiermachers hinsichtlich der Kommunikation der Staaten auf deren mögliche Bedeutung für die Gegenwart, so bleiben doch einige wesentliche Bestimmungen. Diese lassen sich nach der rechtsphilosophischen Seite sowie ihrer Ausmünzung für ein christliches Ethos betrachten. Zum einen kommt der Kantʼschen Vorstellung einer wesentlichen Legalität des bürgerlichen Gefüges im Gegensatz zur natürlichen Vorstufe, auf der sich die Einzelnen ihr Recht einfach nehmen, eine unverzichtbare Bedeutung für die theoretische Erschließung der menschlichen Sozialität zu. Die individuelle Freiheit des Menschen ist im Staat durch dessen rechtliche Ordnung auch nach ihrer äußeren Seite hin zu gewährleisten. Diese Struktur überträgt Kant mithilfe der Vorstellung vom ewigen Frieden auf die Ebene der internationalen Beziehungen von Staaten. Dabei fungiert der Entwurf eines Bundes der Völker gleichsam als institutionelle Gestalt dieses Unterfangens. Gleichwie der Naturzustand ins bürgerliche Recht zu überführen ist, gilt es, die Konflikte zwischen den Staaten und Nationen auf dem Wege eines Völkerrechts zu regeln. Der Krieg als politisches Mittel soll dem dauerhaften Frieden der Völker weichen. Zum anderen kommt Schleiermachers Aufnahme dieser Gedanken in seine christliche Sittenlehre enorme friedensethische Bedeutung zu, insofern er auf diese Weise dem Primat des Rechts eine grundlegende Relevanz für das Christentum beimisst. Das christliche Ethos vermag der kriegerischen Auseinandersetzung von Staaten nur mehr den Status einer vorübergehenden Erscheinung zum Zwecke der Selbstverteidigung einzuräumen. Dergestalt wird der approximativen Herbeiführung eines dauernden Friedens der Nationen eine ethische Schlüsselstellung zuerkannt, die überdies im christlichen Gewissen verankert wird. Das Völkerrecht sowie eine stringente Orientierung des moralisch-religiösen Gewissens an der Idee des ewigen Friedens bilden die Grundpfeiler einer christlichen Theorie der internationalen Beziehungen. Dieser doppelten Richtschnur wird auch die christliche Friedensethik der Gegenwart folgen müssen, wenn sie nicht nur als mahnende Stimme gehört werden will. Gerade die Verknüpfung mit dem Rechtsgedanken verheißt die Chance, dem Frieden als Ziel der
47 Schleiermacher 2011, 479. 48 Schleiermacher KGA II/8, 742, 42 [1829].
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internationalen Kommunikation auch zur Realisation zu verhelfen. Neben der fortgesetzten Ächtung von kriegerischer Aggression zur Durchsetzung politischer Ziele, wie sie die christliche Friedensethik bereits weithin prägt, wird ebenso sehr die Stärkung von rechtsförmigen Institutionen auf der internationalen Bühne ihren festen Platz behalten müssen. Die Schwierigkeiten dieses Weges zum ewigen Frieden sind im 21. Jahrhundert angesichts der zahlreichen Konflikte sowie der Positionierungen der Weltmächte kaum als gering einzuschätzen. Gleichwohl bleiben das ethische Streben sowie die institutionelle Arbeit auf internationaler Ebene jenem wertvollen Telos verpflichtet, wenn die äußere Freiheit der Menschen ihren Ort nicht verlieren soll.
Literatur Arndt, Andreas. 2018. „Gemeinschaft und Gesinnung. Schleiermachers rechtliche und politische Ausgrenzung des Judentums“, in: Der Begriff des Judentums in der klassischen deutschen Philosophie, hg. v. Amit Kravitz, Jörg Noller. Tübingen: Mohr Siebeck, 135 – 145. Arndt, Andreas. 2021. Schleiermachers Philosophie. Hamburg: Meiner. Fichte, Johann Gottlieb. 1845. „Grundlage des Naturrechts nach Principien der Wissenschaftslehre (1796)“, in: Johann Gottlieb Fichte’s sämmtliche Werke, Bd. 3, hg. v. Immanuel Hermann Fichte. Berlin: Veit & Comp, 1 – 385. Geismann, Georg. 1996. „Warum Kants Friedenslehre für die Praxis taugt und warum die Friedenslehren von Fichte, Hegel und Marx schon in der Theorie nicht richtig sind“, Kritisches Jahrbuch der Philosophie 1, 37 – 51. Geismann, Georg. 2011. Kant und kein Ende. Bd. 3: Pax Kantiana oder der Rechtsweg zum Weltfrieden. Würzburg: Königshausen & Neumann. Kant, Immanuel. 1991. „Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer Entwurf“, in: Kant, Werkausgabe, Bd. XI: I: Schriften zur Anthropologie, Geschichtsphilosophie, Politik und Pädagogik, hg. v. Wilhelm Weischedel. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 191 – 251 [ZeF]. Rose, Miriam. 2011. Schleiermachers Staatslehre. Tübingen: Mohr Siebeck. Schleiermacher, Friedrich. 2011. Christliche Sittenlehre (Vorlesung im Wintersemester 1826/27), hg. v. Hermann Peiter. Berlin: LIT.
Rasmus Wittekind
Handlung – Personalität – Staatlichkeit. Zur Legitimation staatlicher Ordnung in Friedrich Schleiermachers Vorlesungen über Ethik Abstract: As a modern and politically liberal theory of legitimation, the contractualist paradigm, first introduced by Thomas Hobbes, dominated political philosophy for 150 years. Nevertheless, it nearly disappeared around 1800 – until its revival by John Rawls in A Theory of Justice (1971). In the meantime, a variety of theories dedicated to providing a new argument for the legitimacy of the state arose. Friedrich Schleiermacher, famous as a theologian but largely unknown as a political thinker, was one of the authors to develop such a theory. His approach is designed to avoid the shortcomings of the contractualist argument. In contrast to state-of-nature-driven social contract theories, Schleiermacher shows that concepts like personality, liberty, and legal status are inextricably linked to each other and to the concept of statehood. This paper outlines his approach and presents some of its modernizing elements.
„Ein Bestehen des Staates durch Vertrag ist nicht zu denken, theils weil der Vertrag in seiner Form durch den Staat besteht, durch diesen wesentlich bedingt ist, dem Zustande der bloßen Vertragsmäßigkeit aber grade etwas fehlt zum Staat.“¹ So knapp formuliert Friedrich Schleiermacher in seinem Ethik-Manuskript von 1812/1813 die Leitlinien seines politiktheoretischen Denkens: Der Staat ist mehr als ein bloßer Garant ökonomischer Sicherheit, und seine Legitimität kann nicht vertragstheoretisch begründet werden. Damit positioniert er sich in einer Umbruchszeit der politischen Philosophie als Gegner der bis dahin dominanten, kontraktualistischen² Legitimationsfigur von Staatlichkeit.³ Ausgehend von Thomas Hobbes Leviathan war diese Begründung staatlicher Ordnung
1 Schleiermacher 1981, 335, § 89. 2 Als kontraktualistisch bzw. Kontraktualismus wird im Folgenden nur ein bestimmter Ausschnitt des Vertragsdenkens bezeichnet. Er beginnt mit Thomas Hobbesʼ staatstheoretischer Wendung des Vertragsgedankens und schließt damit einerseits die antiken und mittelalterlichen, nicht zur Legitimation von Staatlichkeit genutzten Verwendungen des Vertragsbegriffs, aus, vgl. Hengsbach 1998, 7. Andererseits ist er für den „staatsphilosophischen Kontraktualismus“ reserviert und erfasst damit nicht die entscheidenden von Kant und später Rawls vorgenommenen Modifikationen hin zum rechtfertigungstheoretischen Kontraktualismus, vgl. Kersting 1996, 16. Der Kontraktualismus wird hier als explikatives, die Legitimation von Staatlichkeit begründendes Theoriewerk verstanden und nicht als normatives Instrument zur Rechtfertigung bestimmter gesellschaftlicher Institutionen, vgl. Olbrich 2017, 39. 3 Die Termini „Staat“ und „Staatlichkeit“ werden hier zur analytischen Schärfe des Untersuchungsgegenstands voneinander abgesetzt. Von „Staat“ wird gesprochen, wenn konkrete oder historische staatliche Ordnungen gemeint sind. „Staatlichkeit“ dagegen bezeichnet allgemeiner diejenigen Strukturen, die solche Staaten ausmachen. https://doi.org/10.1515/9783111128801-019
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über 150 Jahre relativ konstant: Einen „ethischen Individualismus“ voraussetzend,⁴ der das autonome Individuum als Ausgangs- und Bezugspunkt der Rechtfertigung jeglicher Herrschaft und damit Ordnung nimmt, dient die Metapher des Vertrags dazu, die Freiwilligkeit der Gefolgschaft und Zustimmung zur herrschenden Ordnung auszudrücken. Dieser Legitimationsansatz bricht nach Immanuel Kants Modifikationen ab und wird erst knapp anderthalb Jahrhunderte später durch John Rawls’ Theorie der Gerechtigkeit reaktiviert. Die dabei geöffnete Leerstelle besetzten verschiedenste neue Begründungen von Staatlichkeit. Sie sind einerseits massiv vom deutschen Idealismus um Georg Friedrich Wilhelm Hegel und dessen Schüler⁵ beeinflusst, andererseits von Strömungen wie der historischen Rechtsschule oder Autoren, die die Organismusmetapher ins Zentrum des Staatsdenkens rücken. Als ein in der Politischen Theorie bislang beinahe unbeachteter Autor wirkt auch Schleiermacher an dieser Diversifizierung des politischen Denkens mit. Neben seinen geschichtsphilosophischen Spekulationen über die Entstehung der Staaten⁶ entwickelt er eine eigene, postkontraktualistische Begründungsfigur von Staatlichkeit. Die Legitimationsnotwendigkeit von Staatlichkeit als Grundgedanken beibehaltend, versucht er darin, spezifische Schwierigkeiten der Vertragstheorie aufzulösen, indem er zeigt, dass Staatlichkeit und Personalität zusammenfallen und damit notwendig aufeinander verweisen. Ziel der folgenden Überlegungen ist es, diesen Zusammenhang als eine Legitimationsfigur politischer Ordnung und damit als Beitrag zur Politischen Theorie zu rekonstruieren. Dabei wird gezeigt, dass Schleiermachers Theorieentwurf die für ihn zentralen Problemstellungen der kontraktualistischen Theorie umgeht: das Problem der Geltung und Durchsetzung des Gesellschaftsvertrags, die atomistische Anthropologie sowie den im Vertragsdenken angelegten Voluntarismus. Schleiermacher ist dabei kein Apologet des absoluten Staates. Aus seinem politischen Denken folgen emanzipatorische und modernespezifische Momente sowie klare, demokratietheoretisch vorausweisende Bedingungen legitimer Staatlichkeit. Diese Momente sollen am Ende des Aufsatzes kurz präsentiert werden. Dazu wird in einem ersten Schritt das kontraktualistische Argument schematisch dargestellt und um Schleiermachers anhand der „Notizen zur Vertragslehre“ entwickeltes Verständnis des Vertragsdenkens ergänzt. Vor der so erhaltenen Abgrenzungsfolie wird dann zweitens Schleiermachers These, dass vernünftiges Handeln Staatlichkeit implizit voraussetzt, rekonstruiert: einerseits aus den Ansätzen in den „Notizen zur Vertragslehre“ und andererseits als ein fünfstufiger Prozess aus der Ethik. Die gewonnenen Ergebnisse werden danach auf das kontraktualistische Argu-
4 Vgl. Kersting 1996, 17; die präziseste Zusammenfassung des ethischen Individualismus und seiner Verknüpfung zum politischen Liberalismus findet sich bei Christine Chwaszcza (2021, 35 – 39). 5 Für die Zeit um 1800 wird bewusst auf das Gendern verzichtet, um die historische Hegemonie männlicher Autoren nicht zu beschönigen. 6 Vgl. etwa im Akademievortrag „Über die Begriffe der verschiedenen Staatsformen“ Schleiermacher KGA I/11, 106 – 111.
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ment zurückgewendet. Abschließend folgen drei Thesen zu noch immer aktuellen Elementen von Schleiermachers politischem Denken.
1 Vertragsdenken und Handlungstheorie Schleiermacher entfaltet weder sein Verständnis des Kontraktualismus noch seine Kritik an diesem systematisch. Stattdessen bringt er über sein Werk verteilt verschiedene Kritikmomente vor. Um diese verständlich und systematisierbar zu machen, wird zunächst ein Normalverständnis des staatsphilosophischen kontraktualistischen Arguments skizziert, das die Einordnung von Schleiermachers Verständnis des Vertragsgedankens ermöglicht. Dieses entwickelt er in Grundzügen bereits in den „Notizen zur Vertragslehre“ (1796/1797)⁷ und führt es dann in den Ethikentwürfen von 1805/1806 und 1812/1813 weiter. Die Rekonstruktion einiger Argumente aus den „Notizen zur Vertragslehre“ dient erstens dazu, Schleiermachers Kontraktualismusverständnis zu entwickeln. Zweitens lassen sich auf die politische Theorie der Ethik vorausweisende Momente aufzeigen, die ein besseres Verständnis der dort weiterentwickelten Idee einer Rechtssphäre erlauben.⁸ Denn bereits in den „Notizen zur Vertragslehre“ entwirft er in Grundzügen eine postkontraktualistische, handlungstheoretische Theorie, deren Kern die Verknüpfung von organisierter Sozialität, Freiheit und Vertragsgeltung ist.⁹
1.1 Das kontraktualistische Argument Die Legitimation von Staatlichkeit grenzt Schleiermacher nicht nur gegen die Idee legitimer Herrschaft durch Usurpation, sondern auch gegen die kontraktualistische Begründung von staatlicher Ordnung ab.¹⁰ Die Grundidee des Kontraktualismus ist, dass eine (staatliche) Ordnung X „als legitimiert, begründet, gerechtfertigt […] immer dann
7 Vgl. zur Datierung der „Notizen zur Vertragslehre“ Meckenstock 1984. 8 Dieser Rückgriff ist methodisch und argumentativ an Bernd Oberdorfers umfassende Studie zu Schleiermachers früher Theorieentwicklung angelehnt: Der Rückgriff in die Werkgenese ermöglicht ein besseres Verständnis des Hauptwerks, vgl. Oberdorfer 1995, 2 – 5. Auch Andreas Arndt betont den gedanklichen Zusammenhang zwischen der frühen Kontraktualismuskritik und dem politischen Denken der Ethik, vgl. Arndt 2019b, 105. 9 Dass Schleiermacher mit seinem Staatsdenken einen Gegenentwurf zum Kontraktualismus entwickelt, betont bereits Michael Moxter: „Diese [quasiaristotelische] Herleitung des Staates stellt eine systematische Alternative zur Vertragstheorie dar […]“ (Moxter 1992, 125). Moxter unterstreicht dabei die Nähe Schleiermachers zum Aristotelismus, indem er die Sozialität des Menschen und dessen Handeln als Erfüllen einer natürlichen Anlage interpretiert. Dabei geht allerdings mit der Rechtfertigungsfigur ein spezifisch moderner Zug in Schleiermachers Denken verloren: Zwar folgt die Sozialität des Menschen letztlich aus der Verwirklichung seiner Vernunftanlage, die Form des Zusammenschlusses ist aber dennoch nur unter Bedingungen der Freiheit legitim. 10 Vgl. zum Beispiel Hoover 1989, 300 – 304.
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gelten [kann], wenn X auf argumentativ einsichtige Weise als Ergebnis eines Vertrages entwickelt werden kann, auf den sich die Betroffenen unter bestimmten wohldefinierten und allgemein akzeptierten Bedingungen einigen könnten.“¹¹ Ziel des Vertrags ist es, eine Ordnung so zu begründen, dass sie von allen Betroffenen anerkannt werden kann und muss. Der im Vertragsschluss liegende Voluntarismus verschafft der aus ihm hervorgehenden Ordnung eine normative Qualität. Denn wer einem Vertrag willentlich zugestimmt hat oder hätte, kann nach dem Vertragsschluss nicht gegen den Vertrag und dessen Inhalt opponieren. Damit der Vertrag Gültigkeit beanspruchen kann, müssen für den Moment des Vertragsschlusses eine (Macht‐)Symmetrie zwischen den Individuen sowie deren Freiheit angenommen werden. Neben diesen beiden Bedingungen enthalten die Naturzustandskonzeptionen zugleich einen Mechanismus, der seine Überwindbarkeit ermöglicht bzw. erzwingt. In der Verknüpfung von Naturzustand, Vertragsschluss und Staat stellt der Kontraktualismus ein rationales Argument für die Legitimität staatlicher Ordnung bereit.
1.2 Kontraktualismuskritik bei Schleiermacher Mit dem Kontraktualismus teilt Schleiermacher die Grundannahme moderner politischer Theorie: Staatliche Ordnung muss legitimiert werden. Von dieser gemeinsamen Prämisse ausgehend, konzipiert Schleiermacher seine politische Theorie aber an entscheidenden Stellen in Abgrenzung zur Vertragstheorie. Sein Haupteinwand gegen das kontraktualistische Argument ist, dass der Staatsvertrag zu seiner Garantie die Durchsetzungsfähigkeit durch den Staat, den er erst begründen soll, schon voraussetze.¹² Zusätzlich variiert Schleiermacher verschiedene Standardeinwände¹³ seiner Zeit:¹⁴
11 Kersting 1996, 17. 12 Das Zirkularitätsproblem ist auch durch die entscheidende argumentative Funktion des Naturzustands bedingt. Denn da das kontraktualistische Argument ein syllogistisches ist, muss in den Prämissen des Naturzustands alles enthalten sein, was im Staatszustand entfaltet werden kann. Vgl. zur syllogistischen Struktur des Vertragsarguments Kersting 2003, 147; explizit zum Problem der Freiheit und Gleichheit der Vertragschließenden Siep 2003, 66 – 68. 13 Vgl. einführend zur Kritik am Vertragsdenken Rolin 2005, 156 – 161; mit einem Fokus auf Hegel und damit indirekt auf Schleiermacher Kersting 1996, 250 – 258. 14 Der Zirkelvorwurf ist entgegen Miriam Roses Darstellung nicht das einzige Argument Schleiermachers. Auch die Abgrenzung zum Kontraktualismus ist, anders als sie argumentiert, nicht bloß ein rhetorisches Manöver, vgl. Rose 2011, 84 – 85. Die von Rose vertretene These der Vertragstheoriegleichheit von Schleiermachers Staatsdenken, die sie anhand von fünf Gemeinsamkeiten mit John Lockes Vertragstheorie erläutert, ist eine inhaltlich interessante Beobachtung, aber mit systematischen Schwierigkeiten behaftet: Denn die Parallelisierung funktioniert nur, weil ausgerechnet Locke als Vertreter der Vertragstheorie im Allgemeinen ausgewählt wird – diese Auswahl wird nicht näher begründet. Deutlich ist aber, dass etwa die zweite Analogie, die „neutrale Bewertung des vorstaatlichen Zustands“ nur in genau dieser Konstellation haltbar ist. Denn die von Hobbes entwickelte negative Naturzustandskonzeption wie auch die bei Jean-Jacques Rousseau vertretene positive würden das Kriterium nicht erfüllen.
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erstens die schon genannte Voraussetzung des Staates als Garanten für die Geltung des ihn begründenden Vertrags, zweitens der Vorwurf einer verfehlten, atomistischen Anthropologie¹⁵ und drittens die Kritik am Voluntarismus des Vertragsgedankens, der Staatlichkeit nicht als notwendige Organisationsform ausweisen könne. In den „Notizen zur Vertragslehre“ ¹⁶ diskutiert und kommentiert Schleiermacher mit Gottlieb Hufeland, Moses Mendelssohn, Theodor Schmalz, Christian Garve und Samuel Pufendorf Vertreter einer spezifisch deutschen Variante des Vertragsdenkens.¹⁷ Sie vertreten statt der von Hobbes eingeführten und bei John Locke, Jean-Jacques Rousseau und Kant weitergeführten Figur eines einzigen Vertragsschlusses eine „Lehre vom Doppelvertrag“, die auf Johannes Althusius zurückgeht.¹⁸ Vertreter dieser Linie unterschieden zwischen einem pactum unionis, in dem eine Gesellschaft gebildet wird, und einem pactum subjunctionis, in dem sich die Mitglieder einer Gesellschaft einer gemeinsam bestimmten Herrschaft unterwerfen. Der Doppelvertrag kann um verschiedene, vertraglich bestimmte Funktionen ergänzt werden, was zu Tripel- oder Quadrupelstrukturen von Verträgen führt.¹⁹ Solche Mehrfachvertragsstrukturen hat Schleiermacher bei der Diskussion einer „Zwangspflicht“,²⁰ also dem Grund zur Befolgung einer vertraglich zugesagten Leistung, vor Augen.²¹ Diese kann nicht selbst auf einem positiven Recht beruhen, denn dieses wäre das Resultat eines Vertragsschlusses, der es erst hervorbringt. Stattdessen fragt er, wie es eine „selbst übernommene Zwangspflicht ursprünglich geben [kann]? (Denn alle im bürgerlichen Zustand übernommenen Zwangspflichten fließen doch aus dem ersten Diese Engführung auf Locke irritiert umso mehr, da Rose im Kapitel zuvor einen Überblick über die Debatte zur Vertragstheorie im Anschluss an die Französische Revolution gibt. 15 Vgl. dazu Arndt 2019b, 214. 16 Günter Meckenstock hat diese Überlegungen systematisch aufgearbeitet. Er ordnet Schleiermachers fragmentarische und an Einzelautoren durchgeführte Überlegungen unter drei Stichpunkten: erstens der Frage nach der Verbindlichkeit von Verträgen, zweitens der Modalität dieser Verbindlichkeit und drittens den kommunikativen Grundbedingungen von Verträgen. Dabei betont Meckenstock Schleiermachers „eigenständigen Beitrag zur Prinzipiendiskussion der naturrechtlichen Vertragslehre“, verzichtet aber auf eine politiktheoretische Einordnung und Deutung derselben (Meckenstock 1985, 151). 17 Der ebenfalls diskutierte Johann Gottlieb Fichte ist eine Grenzfigur: Wolfgang Kersting ordnet ihn klar als Vertreter der in Kant kulminierenden Einvertragslehre ein, vgl. Kersting 1996, 217. Andere Autor:innen rekonstruieren seine Vertragslehre dagegen als Doppel- (vgl. Weiß 2011, 75) oder Tripelvertrag (vgl. Jakl 2011, 55 – 57). Insofern spricht Schleiermachers Auseinandersetzung mit Fichtes Vertragslehre nicht gegen ein auf Althusius zurückführbares Vertragsdenken. 18 Vgl. zum systematischen Verhältnis von Doppel- und Einvertragsmodell Maus 2015 [1994], 47– 51. Vgl. den Überblick über die Vertragslehre des deutschen Naturrechts bei Kersting (1996, 217– 249), der das Doppelvertragsmodell noch kritischer sieht als Ingeborg Maus. 19 Vgl. Kersting 1996, 241. 20 Schleiermacher KGA I/2, 56. 21 Dass Schleiermachers Argumente nur gegen eine bestimmte Art des Kontraktualismus wirken, betont schon Jeffrey Hoover: „It should be made clear that Schleiermacher’s charge that the social contract is devoid of coercive power is damaging only to views such as Hobbes’s and Grotius’s which take the social contract to be the establishment of government“ (Hoover 1989, 302). Warum allerdings Hobbesʼ Theorie davon betroffen ist, wird nicht deutlich.
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Contract.)“²² Die Frage zielt auf den Vereinigungsvertrag (pactum unionis), der seine Geltung nicht selbst generiert, sondern auf die Garantie durch den aufsattelnden Unterwerfungsvertrag angewiesen ist. Zwischen beiden Verträgen liegt eine geltungstheoretische Leerstelle, die für Schleiermacher innerhalb des Modells selbst nicht zu füllen ist.²³ Die Diagnose dieser Lücke wendet Schleiermacher in den immer wieder erhobenen Vorwurf eines infiniten Regresses. Denn jede nicht im Vertrag liegende Begründung des Zwangsrechts müsse selbst wiederum vertraglich abgesichert sein, was das Problem nur verschiebe.²⁴ Wird das Problem der Begründung aber immer nur verschoben und nie gelöst, lässt sich auf diese Weise kein Rechtssystem, geschweige denn Staatlichkeit über den mehrstufigen Vertrag begründen.²⁵ Stattdessen lädt diese Leerstelle zu externen Begründungsversuchen ein, die wiederum – nach Schleiermachers Lesart – naturrechtlich (Hufeland), ethisch (Schmalz) oder anthropologisch (Hobbes) geführt werden können.²⁶
1.3 Schleiermachers handlungstheoretische Vertragstheorie In Abgrenzung zu kontraktualistischen Modellen entwickelt Schleiermacher einen eigenen Ansatz, wobei er vom Handlungsbegriff ausgeht. Durch diese Ausrichtung ist die Verbindung zum ebenfalls handlungstheoretisch ausgelegten Staatlichkeitsmodell der Ethik naheliegend. In seinem Entwurf einer „Theorie der Verträge“ verknüpft er zunächst noumenale und phänomenale Welt im Begriff der Person.²⁷ Der Körper der Person ist das Mittel der Willensausführung. Ebenso ist das Vorstellungsvermögen nur dann Teil der Person, wenn es ebenfalls über die Rückkopplung an ihren Willen kontrolliert wird.²⁸ Die Willensbestimmung und die daran anschließende körperliche Tätigkeit definiert Schleiermacher als „freie Handlung einer Person“.²⁹ Auch wenn die 22 Schleiermacher KGA I/2, 56. 23 Hier wird deutlich, dass Schleiermacher das auf Hobbes zurückgehende Modell des einen Gesellschaftsvertrags, bei dem der Zusammenschluss zur Gesellschaft und die Einrichtung der Herrschaftsordnung in einer logischen Sekunde zusammenfallen, nicht als Folie nutzt. 24 Schleiermacher diskutiert das am Beispiel von Hufelands Versuch, die Erwartung der Vertragserfüllung als Grund des Zwangsrechts einzuführen, vgl. Schleiermacher KGA I/2, 54. 25 Vgl. zu Schleiermachers Kritik an Hufeland und Schmalz Meckenstock 1985, 143 – 144. Meckenstock rekonstruiert Schleiermachers Kritik an beiden Autoren ebenfalls als Problemverlagerung, nicht aber als Problemlösung. 26 Vgl. Schleiermacher KGA I/2, 56. 27 Schleiermacher betont explizit seine Nähe zu Kant hinsichtlich der Theorie der Willensbestimmung, vgl. Schleiermacher KGA I/2, 56; vgl. diese Nähe unterstreichend Meckenstock 1985, 151 sowie Arndt 2013, 167– 177. 28 „Ein menschlicher Körper wird nur dadurch Teil einer Person, daß ich voraussetze seine organischen Kräfte seien unmittelbar mit seinem Willen verknüpft“ (Schleiermacher KGA I/2, 65). Und analog dazu: „Ein Vorstellungsvermögen wird nur dadurch eine Person, daß ich voraussetze es sei ein Wille da, welchem die Äußerung desselben unterworfen sind.“ (Schleiermacher KGA I/2, 65). 29 Schleiermacher KGA I/2, 65.
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Umsetzung einer Willensbestimmung lediglich „körperlicher Mechanismus oder symbolische Darstellung“ ist,³⁰ ist sie ein Schlüsselmoment in Schleiermachers Theorie der Verträge. Denn erstens begründet er mit ihr die Möglichkeit eines Zwangsrechts und damit die Verbindlichkeit der Verträge. Und zweitens macht erst diese Erkennbarkeit des anderen Willens geregelte soziale Interaktion möglich.³¹ Der Vertrag, die „von einem anderen genehmigte Willenserklärung“, wird als Funktionsbezeichnung genutzt. Durch ihn soll „eine vorher bloß moralisch mögliche Handlung in Bezug auf den Genehmiger moralisch notwendig werden.“³² Zunächst garantiert der Vertrag lediglich die positive wechselseitige Kenntnisnahme einer Willensbestimmung. Das verbindliche Moment erhält er über die argumentative Verknüpfung des Begriffs der Willensbestimmung mit der naturrechtlichen Annahme eines Rechts, einen jeden zu zwingen, „welcher mich hindern will meine Causalität in der Sinnwelt zu gebrauchen.“³³ Denn die Willensbestimmung schließt eine Handlung ab, und die sichtbaren Vollzüge, an denen andere Personen sie erkennen können, sind bloßes Ausführungsmoment. Als Verwirklichung der Handlung besteht aber ein Recht, sie auch umzusetzen. Verträge sind verbindliche Abmachungen über eine bestimmte Kette von Handlungen, an der mehr als eine Person beteiligt ist. Diese Kette wird im Moment der wechselseitigen Einigung sowohl be- als auch abgeschlossen. Lediglich ihre als bloßer Mechanismus verstandene Realisierung in der Welt muss noch folgen. Wird diese festgelegte Ereigniskette dadurch unterbrochen, dass eine Vertragspartei ihre Leistung nicht erbringt, besteht für die andere Seite ein Recht, diese Leistung nicht nur einzufordern, sondern auch durchzusetzen.³⁴ Denn im Unterlassen der Gegenleistung wird das Recht einer kausalen Einwirkung auf die Sinnwelt, also die Handlungsumsetzung, verletzt.³⁵ Die Verbindlichkeit von Verträgen begründet Schleiermacher durch die Kombination zweier von ihm ausgemachter Theoriestränge: Aus der handlungstheoretisch erweiterten „Erwartungstheorie“ folgt, dass in einer Willensbestimmung zugesagte Leistungen als Ermöglichungsbedingung der sinnweltlichen Handlungsdurchführung einer Person erbracht werden müssen. Damit die Einigung auf eine bestimmte Handlungskette denkbar ist, muss die Möglichkeit fehlerfreier Kommunikation angenommen werden, wie sie die „Acceptationstheorie“ voraussetzt. Verträge dienen dazu,
30 Schleiermacher KGA I/2, 68. 31 Dass die Handlungen einer Person auf adäquate Weise wahrgenommen und verstanden werden, setzt Schleiermacher schlicht voraus. Er geht von gelingender Kommunikation als Regelfall aus. Die Grenzen seines Modells liegen spätestens dort, wo entweder seine Begründungsfigur widerlegt wird oder aber solche hermeneutischen Unterschiede bestehen, dass Handlungen vollkommen anders interpretiert werden. 32 Schleiermacher KGA I/2, 67. 33 Schleiermacher KGA I/2, 68. 34 Die Bedingungen des Einforderns werden, bedingt durch den skizzenhaften Charakter der „Notizen“, nicht diskutiert. Dies allerdings schwächt den Ansatz, weil sich einfache Fälle konstruieren lassen, in denen die rücksichtslose Einforderung einer Leistung zumindest ethisch fragwürdig wäre. 35 Vgl. Schleiermacher KGA I/2, 68.
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das Handeln von Personen wechselseitig berechenbar zu machen, sie haben gesellschaftsstabilisierende Funktion. Dafür sind sie aber auf eine funktionale Kommunikationsgemeinschaft angewiesen. Denn nur so ist der Vertragsschluss, also die Anerkennung der wechselseitigen Willensbestimmung, möglich.³⁶ Der Vertrag ist damit nicht Begründungsfigur der Gesellschaft, sondern ein Heuristikum ihrer Funktionsweise. Er expliziert die handlungstheoretisch begründete Einsicht in die Verbindlichkeit zugesagter Handlungen. Die institutionelle Bündelung der dafür notwendigen Durchsetzungsfähigkeit ist dann ein Merkmal von Staatlichkeit, sie wird aber nicht durch den Vertrag begründet, sondern liegt eigentlich in dem Moment vor, in dem Personen aufeinandertreffen. Mit dieser handlungstheoretischen Begründung des Zwangsrechts hat Schleiermacher die Frage nach der Geltung von Verträgen beantwortet. Dabei erweitert er die „Acceptationstheorie“ um eine Deduktion der wechselseitigen Verstehbarkeit aus der praktischen Vernunft: „Jeder sieht sich also genöthigt zu streben nach verständlichen Zeichen seines Willens, und die Praktische Vernunft postuliert hier also eine ursprüngliche allen übrigen zum Grunde liegende Gesellschaft, nemlich die Gemeinschaft der Zeichen.“³⁷ Diese besteht aus drei Typen von Zeichen, welche die grundlegenden Organisationsfunktionen der Gesellschaft symbolisieren und ermöglichen: positive Zeichen,³⁸ bei denen der im Vertragsschluss angestrebte Zustand vorweggenommen und somit bekräftigt wird, negativen Zeichen, die im Gegensatz dazu eine Willenserklärung symbolisieren, die auf das Unterlassen einer Handlung zielen,³⁹ und „Zeichen der Solennität“, mit denen die Ernsthaftigkeit einer Willenserklärung vor Zeugen bekräftigt wird.⁴⁰ Diese drei Weisen, eine Willenserklärung zu kommunizieren, sorgten für Eindeutigkeit und Verstehbarkeit, was die Sanktionierung von Vertragsbrüchen wie auch das Behindern einer Willensausübung rechtfertigt. Wie diese Zeichen konkret aussehen, ist kulturell variabel, jedoch sind ihre kommunikativen Funktionen „immer und überall vor jeder anderen Gesellschaft […] allgemein anerkannt […].“⁴¹
36 Ganz ähnlich reflektiert Meckenstock: „So wie überhaupt die Interaktion von handelnden Subjekten die Rechtssphäre konstituiert, so läßt die in der Vertragsstruktur beschlossene Verschränkung der Handlungssphären den Zwangscharakter der Verbindlichkeit entstehen. […] Erst die förmlich festgestellte, wechselseitig anerkannte Verschränkung der Handlungssphären gibt dem Vertrag seine Gültigkeit und setzt die damit verbundene Verbindlichkeit in Kraft“ (Meckenstock 1985, 148). 37 Schleiermacher KGA I/2, 57. 38 Positive Zeichen symbolisieren, dass „man etwas thun wolle (sanctio foederis) gewöhnlich durch Anticipation einer Handlung die nur unter der Voraussetzung des [bedungenen] Zustandes denkbar ist“ (Schleiermacher KGA I/2, 57). 39 „Negative Zeichen [zeigen,] daß man etwas nicht thun wolle“ (Schleiermacher KGA I/2, 57). 40 „Zeichen der Solennität: das Aufrufen der Zeugen“ (Schleiermacher KGA I/2, 57). Weitere Beispiele sind der Eid oder der Handschlag. 41 Schleiermacher KGA I/2, 57.
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Diese Kommunikationstheorie weist eine gegen das kontraktualistische Argument gerichtete Pointe auf:⁴² Sie zeigt, dass für gehaltvolle Kommunikation und sinnvolle Verträge immer schon organisierte Formen des Zusammenlebens angenommen werden müssen. Diese These lässt sich zweifach begründen: Erstens ist die Unterscheidung zwischen einer vorauszusetzenden „Gemeinschaft der Zeichen“ und der daraus folgenden „anderen Gesellschaft“ nicht nur semantisch, sondern auch systematisch. Die „Gemeinschaft der Zeichen“ übernimmt dabei keine Funktion, die der Naturzustand für das kontraktualistische Argument hat, sondern begründet lediglich die Möglichkeit verstehbarer Kommunikation. Darin ist sie erschöpft, die Zeichen haben noch keine spezifischen Symbolisierungsweisen oder Inhalte. Auch anthropologische Zusatzannahmen, die über die abstrakte Personalität hinausgehen, werden nicht gemacht. Davon wird jede Form der Gesellschaft explizit abgegrenzt. Gesellschaften sind immer schon durch bestimmte Symbolverwendungen, Problemlagen und Hierarchien strukturiert, innerhalb derer Willensbekundungen wiederum erst ihren Sinn erhalten.⁴³ Zur sinnvollen Artikulation von Willensbestimmungen gehört also immer eine kulturelle Einbettung der Individuen in die Gesellschaft der Kommunikation.⁴⁴ Zweitens weisen die als „Zeichen der Solennität“ bezeichneten Nachweise der Ernsthaftigkeit einer Willensbekundung ebenfalls auf den genuin sozial gedachten Rahmen der Kommunikation bei Schleiermacher hin. Zeichen wie der Handschlag zur Bekräftigung einer getätigten Äußerung sind nur dann zu verstehen, wenn beide Parteien sich der Funktion dieser Geste bewusst sind und davon auszugehen ist, dass ein Verstoß dagegen in irgendeiner Weise schwerere Konsequenzen hätte als ein Verstoß gegen eine Willensbekundung ohne diese Verstärkungsgeste. Damit ist aber implizit ein gesellschaftlicher Sanktionsmechanismus vorausgesetzt, der in Naturzustandskonzeptionen wiederum nicht sinnvoll zu denken wäre. Schleiermachers Überlegungen zur Vertragslehre lassen also nicht nur Rückschlüsse auf sein Kontraktualismusverständnis zu, sondern enthalten auch Kernge42 Diese Pointe der Schleiermacherʼschen Handlungstheorie betont auch Moxter, allerdings explizit nur für die Ethik: „Der Güterethik Schleiermachers gelingt es offenbar, das System der Sprache so zu interpretieren, daß das Gegenüber von Vertragstheorie und Naturrecht, von konventionalistischer Setzung und natürlichem Gegebensein in einer neuen Position aufgehoben wird. Diese Interpretation besteht in einer Reflexion auf das, was wir im Sprechen tun bzw. schon voraussetzen“ (Moxter 1992, 128). 43 Das macht ein Blick auf die von Schleiermacher genutzten Beispiele für die drei Arten von Zeichen deutlich. Diese reichen von Kulturhandlungen, der Aushandlung von Krieg und Frieden bis zu rituellen Vorgängen. All diese Formen setzen relativ komplexe Gesellschaften voraus, die für die Konzeption des Naturzustands nicht angenommen werden können. 44 Schleiermacher nimmt damit einen der zentralen Einwände kommunitaristischer Denker:innen vorweg. Die Nähe von Schleiermachers Überlegungen betont Hoover, der jedoch zugleich von der Vorzugswürdigkeit des Schleiermacherʼschen Ansatzes ausgeht. Sein Hauptargument ist, dass Schleiermachers Theorie pluralismuskompatibel ist, der Kommunitarismus in letzter Instanz aber nicht, vgl. Hoover 1989, 299; Hoover 1990, 241 – 245. Begründungstheoretisch in Bezug auf die Allgemeinheit der Kommunikation ist ihm zuzustimmen. Doch betont Schleiermacher etwa in den „Gelegentliche[n] Gedanken über Universitäten“ auch die trennende Funktion von Sprachen im empirischen Kontext. Damit ist fraglich, ob sein Staatsdenken in vollem Umfang pluralistisch ist.
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danken seines später explizit gemachten politischen Denkens. Dazu zählt nicht nur die Ablehnung eines oder mehrerer Verträge als Legitimationsfigur für Staatlichkeit, sondern auch handlungstheoretisch begründete Eigenentwürfe der Funktionsweise von Gesellschaft. Dabei wird die Sozialität von Personen als zentrales Moment herausgestellt. Mit der Betonung interpersonaler Sozialität ist ein Schritt über die atomistische Individualität des Kontraktualismus gemacht. Nachdem also gezeigt worden ist, dass Verträge nur innerhalb von bestehenden, komplexen Gesellschaften sinnvoll zu denken sind und Personalität eine genuin sozial bedingte Annahme ist, bleibt von den drei genannten Hauptkritikpunkten noch der letzte: das Problem, Staatlichkeit als notwendig auszuweisen. Die Lösung hierfür liefert Schleiermacher im Rahmen der Ethik-Manuskripte von 1812/1813, die als systematischer Eigenentwurf seine frühen politiktheoretischen Überlegungen um ein Legitimationsargument ergänzen.
2 Schleiermachers handlungstheoretische Begründung von Staatlichkeit Schleiermachers Antwort auf die bisher nur als Problemanzeige dienende Frage nach der Begründung der Notwendigkeit von Staatlichkeit wird hier am Beispiel der EthikManuskripte von 1812/1813 rekonstruiert.⁴⁵ Trotz zahlreicher politiktheoretischer Überlegungen in Predigten, Akademievorträgen und Vorlesungen ist die philosophische Ethik die Basis seiner politischen Philosophie.⁴⁶ Denn erstens knüpft die Ethik in der Begründung menschlicher Sozialität an das Programm der Monologen an und steht auch zeitlich vor der Beschäftigung mit der Staatslehre.⁴⁷ Zweitens teilt die Ethik der Staatslehre ihren Platz im System der Wissenschaften zu, weshalb diese in einem Ableitungsverhältnis zur Ethik steht. Drittens werden hier mit den unterschiedlichen Sphären der Gesellschaft die Institutionen rekonstruiert, innerhalb derer sich menschliches Leben und damit auch politische Organisation vollzieht. Die vernünftige Rekonstruktion von Staatlichkeit wird im ethischen Viererschema der Güterlehre durchgeführt. In ihm werden die Tätigkeiten, aus deren Zusammenspiel jede Form von Sozialität resultiert, näher bestimmt. Dabei werden jeweils zwei Hand-
45 Schleiermachers Ethik wird hier im Anschluss an Gunter Scholtz (1995, 35 – 38), Cornelia Richter (2004, 59 – 121) und Sarah Schmidt (2005, 361 – 387) als Kulturphilosophie verstanden. 46 Die zentrale Stellung der Ethik für das politische Denken betonen etwa Jörg Dierken (2008, 394 – 410) und besonders Arnulf von Scheliha (2013, 102 – 103). Gegen die Ethik als Kern des Staatsdenkens argumentieret Rose (2011, 141), die die Ethik als zu spekulativ verwirft. Eine Mittelposition nimmt Arndt ein, der die philosophische Ethik einerseits als „theoretische Grundlage“ von Schleiermachers politischem Denken versteht (Arndt 2020, 57), sie andererseits wegen ihres unhistorischen Charakters jedoch als nicht tauglich für die Beschreibung der Genese des Staates einordnet, vgl. Arndt 2013, 162 – 163. 47 Die erste Vorlesung über den Staat fällt auf das Jahr 1808/1809, während Schleiermacher schon 1803 die Grundlinien veröffentlichte und 1805/1806 in Halle über die Ethik gelesen und begleitend das sogenannte „Brouillon zur Ethik“ verfasste.
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lungsweisen und zwei Handlungsarten unterschieden, die in ihrer Kombination vier Formen der Institutionalisierung realisieren. Die jeweiligen Institutionalisierungen strukturieren wiederum das Handeln innerhalb der jeweiligen Sphäre: Das identische Organisieren zeigt sich in der zunächst ökonomisch bestimmten Sphäre des „Verkehrs“, die durch den Staat gestützt wird. Die im individuellen Organisieren gebildete „eigentümliche Persönlichkeit“ tritt in der Sphäre der „freien Geselligkeit“ auf. Identisches Symbolisieren vollzieht sich auf dem Gebiet des Wissens und erfährt seine Repräsentation in den wissenschaftlichen Vereinen. Das individuelle Symbolisieren ist Ausdruck von Gefühlen findet in Religion und Kunst statt.
2.1 Die Grundlegung von Staatlichkeit in der Ethik Die schematische Einführung von Staatlichkeit als Resultat menschlichen Handelns muss expliziert werden. Dazu eignet sich die Darstellung in einem mehrstufigen Prozess des Entwickelns der jeweils nächsten Handlungsform und Institutionalisierungsstufe.⁴⁸ Die Stufen stellen dabei nur Momente des Rekonstruktionsweges dar. Denn letztlich müssen alle Stufen als in eins fallend gedacht werden, da sie nicht als voneinander unabhängig verstanden werden können. Personalität, Recht und Staatlichkeit treten damit, das ist Schleiermachers Legitimationsfigur, gemeinsam und sich wechselseitig bedingend auf. Stufe 1: Schleiermacher setzt voraus, dass der Mensch ein vernünftiges Wesen ist. Resultat dieser Vernunftanlage ist ein „ursprüngliches Bewußtsein“,⁴⁹ in dem die Bestimmung des vernünftigen Wesens zunächst erschöpft ist.⁵⁰ Ausgangspunkt des Entfaltungsprozesses hin zur Staatlichkeit ist, dass das ursprüngliche Bewusstsein die Handlungsweise des Erkennens auf sich selbst anwendet. In dieser Selbsterkenntnis vollzieht sich eine Trennung von Subjekt und Objekt, und es entsteht ein korrespondierendes Verständnis von Selbst und Anderem bzw. von innen und außen.⁵¹ Dieser Akt der Selbstbewusstseinsbildung ist der Ursprung der Freiheit, da erst die Selbstbe-
48 Diese Rekonstruktion ist an Hegels Anerkennungskapitel der Phänomenologie des Geistes orientiert. Denn trotz aller Unterschiede weisen Schleiermacher und Hegel in ihren politischen Theorien doch erstaunliche Gemeinsamkeiten auf (Jaeschke 2019, 209 – 210). Vgl. zu den Unterschieden in der Systemanlage Dierken 2008, 394 – 410; Arndt 2013, 213 – 225. 49 Schleiermacher 1981, 264, § 8. 50 „Unser Sein ist nur als Bewußtsein gegeben und also eine erkennende Thätigkeit ursprünglich gesetzt“ (Schleiermacher 1981, 264, § 8). 51 „Die Ursprüngliche menschliche Form des Erkennens im weiteren Sinne ist das bestimmte Auseinandertreten von Subject und Object, also von Gefühl und Wahrnehmung, in welchem der Mensch sich ein Ich wird und das Außerihm eine Mannigfaltigkeit von Gegenständen“ (Schleiermacher 1981, 264, § 9). Und weiter: „Das individuelle am Individuum macht seine Eigenthümlichkeit aus. Sonst wäre keine Differenz von Ich und Nicht-Ich erkennbar“ (Schleiermacher 1981, 286, § 69).
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wusstwerdung ein Handeln, in dem sich die Freiheit zeigt, ermöglicht.⁵² Jedes Handeln ist immer ein Aneignen der Natur durch die Vernunft, die entweder erkennend oder formend wirkt. Insofern jedes Selbstbewusstsein sich als solches versteht, bildet es eine „Persönlichkeit“,⁵³ also eine von (einer sich wandelnden) Außenwelt unabhängige Identität. Damit dieser Vorgang als Wissen gesichert werden kann, muss er in sprachliche Form gebracht werden, entweder als Gedanke oder als Mitteilung nach außen.⁵⁴ Als Selbstmitteilung ist Handeln immer kommunikatives Handeln. Mittel dieses „Äußerlichwerdens“ des Selbstbewusstseins ist die „Rede“.⁵⁵ Damit die Rede sinnvoll ist, muss ein Gegenüber angenommen werden, das in der Lage ist, die Rede zu verstehen. Die Bedingung dafür ist, dass auch das Gegenüber ein Selbstbewusstsein hat. In der Rede ist immer symbolisierende Tätigkeit mitgedacht, sie ist die andere Bedingung der Möglichkeit des wechselseitigen Verstehens. Daher ist jedes Selbstbewusstsein nur Selbstbewusstsein, soweit es sich sinnhaft als solches mitteilen kann.⁵⁶ Die Bedingung der Möglichkeit von Selbstbezeichnung ist eine Mehrzahl selbstbewusster Personen, gegenüber denen eine Selbstbezeichnung möglich und nötig und überhaupt erst sinnvoll ist.⁵⁷ Handeln besteht also nur als (kommunikative) Form des sozialen Miteinanders. Stufe 2: Die Differenz der verschiedenen selbstbewussten Entitäten führt auf der zweiten Stufe zum Begriff der Person.⁵⁸ Dieser bezeichnet die kleinstmögliche selbstbewusste Handlungseinheit.⁵⁹ Kern der Person ist – wie schon in den „Notizen zur Vertragslehre“ – neben dem Willen ein spezifisches Set an Sinnen, dessen Anlage bei allen Personen gleich, in seiner Ausprägung aber so verschieden ist, dass Differenzen möglich sind. Ausgehend von diesem Set an Sinneswerkzeugen, die auf die Natur, und
52 Schleiermacher kann allerdings nicht zeigen, warum sich dieser Moment ereignet. Dass er sich ereignet haben muss, ist ex post klar. Es ist vergleichbar mit dem Urknall, dessen Existenz anzunehmen, dessen Auslöser aber unbekannt ist. 53 Schleiermacher 1981, 264, § 16. 54 „Jede Erkenntnis kann nur in Verbindung mit anderen (Erkenntnissen) fixiert werden“ (Schleiermacher 1981, 270, § 40). 55 Schleiermacher 1981, 269, § 44. 56 Vgl. Schleiermacher 1981, 270, § 49. 57 „Es [d. i. das Selbstbewusstsein] muß als Erkennen äußerlich werden, wie das Objektive, es kann aber als Eigenthümliches nur in eine Gemeinschaft des objektiven Erkennens kommen“ (Schleiermacher 1981, 270, § 50).Vgl. dazu: „Die Individualisierung des Menschen ist notwendig an seine Sozialisation geknüpft“, da sie ein kommunikativ vermittelter Prozess ist (Barth 2004, 321). 58 „Das individuelle am Individuum macht seine Eigenthümlichkeit aus. Sonst wäre keine Differenz von Ich und Nicht-Ich erkennbar“ (Schleiermacher 1981, 286, § 69). Vgl. ausführlich zum Begriff der Person auch Arndt 2013, 167– 177. Arndt argumentiert ebenfalls, dass „die Ausbildung der Persönlichkeit durch Unterscheidung für Schleiermacher die Anerkennung des Anderen als Bedingung des eigenen PersonSeins impliziert“ (Arndt 2013, 174) und dass der Begriff der Person „ein Bewusstsein, in dem das Subjekt sich von den Objekten unterschiedet und sich dadurch eine eigene Identität zuschreibt [voraussetzt]. […] Person ist demnach immer vermittelt und insofern ein Reflexionsbegriff“ (Arndt 2013, 173). 59 Vgl. dazu ähnlich Feil 2005, 89: „Konsequenz aus dieser personalen Grundstruktur ist die Notwendigkeit eines gemeinschaftlichen Handelns von Individuen als unabdingbare Voraussetzung für den ethischen Prozess.“
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Verstandeswerkzeugen, die auf die Vernunft gerichtet sind, vollzieht sich personales Handeln. Die Möglichkeit, Handlungen anderer Personen zu verstehen, liegt in der immer enthaltenen strukturellen Gleichheit des Handelns, sei es individuelles oder identisches, symbolisierendes oder organisierendes. Der Begriff der Person ist also ein relationaler, der die Wechselwirkung mit anderen Personen voraussetzt, damit Identität in Abgrenzung zu diesen möglich ist.⁶⁰ Gleichzeitig entsteht daraus eine erste Form von Gemeinschaft, die in der wesentlich gleichen Einwirkung der Personen auf die Natur besteht. Stufe 3: Alles Handeln führt im dritten Schritt in „eine […] Sphäre des gemeinschaftlichen Gebrauchs [der Umwelt], in welcher die Einzelnen ihre Ansprüche durch Fähigkeit und Bedürfniß sich bestimmen.“⁶¹ Alle Akteure und Gegenstände dieser durch gemeinschaftliches Handeln konstituierten sozialen (Um‐)Welt werden als Personen oder von ihnen Produziertes⁶² anerkannt.⁶³ Der Tausch von Produkten ist möglich, da die Personen die von ihnen erzeugten Produkte von sich aus abgeben können. Nötig wird der Tausch, da die individuellen Befähigungen der Personen dazu führen, dass sie trotz gleicher Handlungsweisen verschiedene Dinge produzieren. So ergibt sich die Arbeitsteilung⁶⁴ und aus ihr das Gebiet des (Waren‐)Verkehrs, in dem Produkte zwischen Personen getauscht werden.⁶⁵ Warenzirkulation und Tausch führen so zu einem ökonomischen Netzwerk, das durch die Verwendung von Geld als Tauschmittel erste Allgemeinheits- und Anerkennungsmomente erhält.⁶⁶ Stufe 4: Darauf folgt die Entwicklung einer Rechtssphäre,⁶⁷ deren Basis die wechselseitige Anerkennung der anderen Personen und ihrer Produkte ist.⁶⁸ Das Rechts-
60 Vgl. zu Schleiermachers reflexivem Begriff der Person Arndt 2013, 173 – 177. 61 Schleiermacher 1981, 266, § 21. 62 Hier wird aus zwei Gründen von Produziertem bzw. Produkt gesprochen, um keine Verwechslung mit dem Begriff des Eigentums aufkommen zu lassen. Erstens ist das „Eigenthum“, wie Schleiermacher es im Schematismus benutzt, ein Resultat des individuellen Organisierens, es macht die Identität der Personen aus und resultiert in der Institution der freien Geselligkeit. Und zweitens würde der Begriff des Eigentums hier ein kontraktualistisches Naturrecht implizieren, das ja gerade abgelehnt wird. Die Eigentumsbildung vollzieht sich erst auf höherer Stufe. 63 „Hieraus folgt, daß alles, was die Spuren dieses Schematismus an sich trägt, von der Person anfangend durch alle ihre Werke hindurch als gebildet anerkannt und also auch nicht als roher Stoff in Anspruch genommen werden kann“ (Schleiermacher 1981, 279, § 25). 64 Vgl. Schleiermacher 1981, 280, § 31. 65 Als Tauschmittel sieht Schleiermacher Geld und Überredung. Seine Geldtheorie ist eine Auseinandersetzung mit Fichtes Überlegungen im „Geschlossenen Handelsstaat“ (Schleiermacher 1981, 282, § 39 – 40). Vgl. zu Schleiermachers Parallelisierung von Geld und Sprache als Funktionsmittel einer Gesellschaft Schmidt 2020, 170 – 176; Arndt 2013, 117– 130. 66 Schmidt zeigt, dass in Schleiermachers Verständnis der ökonomischen Sphäre und der Nutzung des Geldes ein kosmopolitisches Moment angelegt ist. Damit wird zwar die Idee des konkreten Staates transzendiert, nicht aber die Idee von Staatlichkeit, vgl. Schmidt 2020, 176. 67 Schleiermachers Rechtsbegriff hat vor allem Arndt wiederholt kritisiert. Er wirft Schleiermacher eine verfehlte Reduktion des Rechts auf die „bewusste Fixierung bereits vorhandener, größtenteils unbewusst vollzogener Routinen (Sitten)“ vor (Arndt 2019b, 199). Durch diesen Ursprung in der Sitte laufe das Recht
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verhältnis entsteht in dem durch die Vernunft vermittelten Einsehen und Verstehen der Handlungen der Anderen. Gleichzeitig bildet sich durch die vernunftvermittelte Anerkennung der personalen Vernunft eine Gemeinschaft von Personen.⁶⁹ Beide fallen in der Rechtsgemeinschaft zusammen, die auf der Grundlage des Tauschs durch eine Identität von Recht und Gemeinschaft besteht.⁷⁰ Dabei kommt jeder Person eine Doppelrolle zu.⁷¹ Als Vernunftbegabte erkennt sie die Rechtssphäre⁷² an und damit die übrigen Personen und deren Produkte. Durch die Gestaltung ihrer Umwelt ist jede Person an der Produktion der sozialen Umwelt und ihrer Güter beteiligt. Beide Rollen sind im Tausch erfüllt.⁷³ In den Gelingensbedingungen des Tauschens lassen sich die Überlegungen der Ethik und der „Notizen zur Vertragslehre“ verknüpfen. In beiden Ansätzen reflektiert Schleiermacher auf die Bedingung der Möglichkeit des Tauschens: erfolgreiche Kommunikation. Die in den „Notizen zur Vertragslehre“ angenommene „Gemeinschaft der Zeichen“ wird in der Ethik ins Handlungsschema integriert. Sie tritt hier in der allgemeinen und vernunftbegründeten Handlungsweise des Symbolisierens systematisch verankert wieder auf. Auch Schleiermachers These, dass Verträge ihre Verbindlichkeit aus dem freien Handeln und nicht erst durch die staatliche Garantie erhalten, scheint hier erneut auf. Staatlichkeit enthält das institutionelle Arrangement, das die Durchsetzung der Vertragsverbindlichkeit monopolisiert, der Geltung von Verträgen setzt sie aber nichts hinzu.
bei Schleiermacher Gefahr, der Gesinnung untergeordnet zu werden, vgl. Arndt 2019b, 214. Durch die systematische Entwicklung des Staates aus dem Feld Ökonomie gelinge Schleiermacher die Verbindung von Recht, Staatsdenken und Verfassung nicht. So formuliert Arndt (2019a, 220 – 221), „ein Rechtsgedanke ist Schleiermacher, wie schon seine Einlassungen zur Verfassung zeigen, fremd. Dass das Recht in Schleiermachers Staatsdenken kaum eine Rolle spielt, hat deshalb durchaus Methode.“ Ähnlich argumentiert Denis Thouard (2008, 371), der vor allem das fehlende Widerstandsrecht des Bürgers gegen den Staat bemängelt. Anders als Arndt versucht Rose Schleiermachers Rechtsbegriff als Kategorie der Staatsbeschreibung zu nutzen, vgl. Rose 2011, 234 – 235. Eine historisch-systematische Einordnung des Rechtsdenkens bei Schleiermacher und seinem Verhältnis zur historischen Rechtsschule um Friedrich Carl von Savigny nimmt Scholtz vor. Er zeigt auch anhand der Ethik-Vorlesungen, dass Schleiermachers Rechtsbegriff näher am Hegelʼschen als an dem der historischen Rechtsschule ist, vgl. Scholtz 1995, 170 – 192. 68 „Diese Anerkennung ist, inwiefern sie das Gebildete aus dem Bildungsprozeß ausschließt, die Basis alles Rechts“ (Schleiermacher 1981, 279, § 27). 69 Die Forderung der Vernunft nach wechselseitiger Anerkennung und mit ihr die Frage, „inwiefern sie alle ausschließenden Beziehungen auf die Persönlichkeit aufhebt, ist die Basis aller Gemeinschaft“ (Schleiermacher 1981, 279, § 28). 70 Vgl. Schleiermacher 1981, 280, § 29. 71 Das Gebildete wird über Symbole vermittelbar gemacht für Individuum und Allgemeinheit. Erkennbar wird es für die Totalität „aber nur dadurch, daß die Bildung der Eigentumssphären bedingt ist durch die Bildung einer Erkenntnisgemeinschaft für dieselben“ (Schleiermacher 1981, 269, § 37). „Der gesamte Bildungsprozeß ist nur ein integrierender Bestandtheil des Sittlichen in der Identität dieser beiden Momente“ (Schleiermacher 1981, 269, § 38). 72 „Die kollektive Regelung von Aneignen sowohl des Individuums als aus Sicht der Gemeinschaft ist die Sphäre des Rechts“ (Schleiermacher 1981, 268, §34). 73 Vgl. Schleiermacher 1981, 282, § 38.
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Stufe 5: Staatlichkeit ist die Form, in der das Rechtsverhältnis nach außen auftritt. Sie ist die „besessene Gemeinschaft und der gemeinschaftliche Besitz“⁷⁴ und zeigt damit das Verhältnis an, in dem sich die Personen wechselseitig gegenüberstehen. Von der auf Anerkennung basierenden Rechtssphäre unterscheidet sie sich als Institution dadurch, dass sie die Verhältnisse der Personen untereinander expliziert und damit als allgemein bekannt setzt – also durch die Erzeugung und Garantie von Gesetzen.⁷⁵ Auch die häufig zitierte Definition des Staates besagt nichts anderes: „Das Wesen des Staates besteht in dem, gleichviel wie, heraustretenden Gegensatz von Obrigkeit und Unterthanen, und er verhält sich zur Horde insofern wie das Bewußte zum Unbewußten.“⁷⁶ Das Explizitmachen der Funktion dieses Gegensatzes, der legitime Machtausübung ermöglicht, realisiert zugleich ein spezifisches interpersonales Rechtsverhältnis, dessen Gültigkeit in seiner handlungstheoretisch begründeten Allgemeinverbindlichkeit liegt.⁷⁷ Die Abgrenzung zwischen Regierenden und Regierten ist dabei nicht statisch, sondern verläuft entlang einer handlungstheoretischen Unterscheidung: Wer hauptsächlich sein Privatinteresse verfolgt, handelt als Teil der Regierten, wessen Handeln auf die Allgemeinheit ausgerichtet ist, vertritt die Funktion der Obrigkeit.⁷⁸ Der Gegensatz von Regierenden und Regierten stellt die wesentliche Struktur des Staates dar und sichert in seiner Ausübung das zuerst herausgebildete und dann im Recht transparent gemachte Personalitätsverständnis und -verhältnis. Staatlichkeit ist damit zugleich Resultat und Garant des handlungstheoretischen und ethischen Prozesses.⁷⁹ Damit ist das Ziel der Deduktion erreicht, Staatlichkeit wurde als notwendiger Schlussstein des handlungstheoretischen Prozesses der Selbstbewusstseinsbildung ausgewiesen. Sie ist die Form, in der die sittlichen Sphären des ethischen Prozesses „ein äußeres Dasein haben.“⁸⁰ Hinter sie kann nicht zurückgewollt werden, wenn der handlungstheoretische Prozess einmal begonnen und damit durchlaufen ist. Denn erst die Vollendung in staatlichen Strukturen ermöglicht alle vorherigen Stufen, indem er ihre Dauerhaftigkeit garantiert.⁸¹
74 Schleiermacher 1981, 273, § 66. 75 „Der Zustand der Vertragsmäßigkeit ist also nicht eher vollendet als mit dem Staat, und die Gesetztheit dieses und die Vollendung jenes ist identisch“ (Schleiermacher 1981, 285, § 59). 76 Schleiermacher 1981, 334, § 85. 77 „Durch den Staat entsteht zuerst die letzte vollständige Form für Vertrag und Eigenthum in allgemein gültiger Bestimmung der Kriterien ihres Daseins und ihrer Verletzung, da in der Horde hierzu die äußere Seite fehlt, weshalb die Restitution immer nur Privatsache ist“ (Schleiermacher 1981, 338, § 102). 78 Vgl. ausführlicher dazu Wittekind 2022, 105. 79 „Durch den Staat entsteht erst die volle Garantie für die Theilung der Arbeiten, das Geld, also auch diese selbst erst in ihrem vollen Umfang“ (Schleiermacher 1812/1813, 339 § 104). 80 Schleiermacher 1981, 273, § 74a. 81 „Jede einzelne Handlung des Vertrages und Tausches beruht erst auf einem solchen Zustand, weil sich ohne ihn kein Anbieten dieser Art denken lässt“ (Schleiermacher 1981, 284, § 54 Anm.
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2.2 Schleiermachers handlungstheoretische Begründung von Staatlichkeit als Kritik am Kontraktualismus Staatlichkeit ist als Garantiestruktur von Selbstbewusstsein, Personalität und Recht das Ergebnis der Rekonstruktion des politiktheoretischen Legitimationsdenkens der Ethik. Mit der Einsicht in den unauflösbaren Ermöglichungszusammenhang zwischen ihnen ist ein entscheidender Konstruktionspunkt des kontraktualistischen Arguments negiert: unter diesen Bedingungen ist die Idee eines Naturzustands, in dem Individuen in der Lage sind, in freier Entscheidung einen Staatsvertrag zu beschließen, nicht haltbar. Denn die dabei vorausgesetzten Bedingungen werden erst durch das Vorhandensein von Staatlichkeit erfüllt. Selbstbewusstsein, eine Vorstellung von Freiheit sowie das Verfügen über Rechte sind untrennbar mit staatlicher Ordnung verknüpft. Schleiermacher hält die kontraktualistische Prämisse von atomistischen Individuen im Naturzustand für falsch. Individualität, wie sie im Kontraktualismus vorausgesetzt wird, sei immer das Resultat eines sozialen Prozesses, in dessen Zuge sich Selbstbewusstsein sowie Vorstellungen von Recht und Freiheit erst bilden. Gleichzeitig ist der Staatszustand immer schon erreicht, wenn diese Charakteristika vorliegen. Denn Staatlichkeit ist nichts anderes als die Strukturbeschreibung vernünftiger sozialer Existenz. Was im Kontraktualismus argumentativ als Naturzustand verstanden wird, ist daher bereits eine staatlich verfasste Gesellschaft – wenn auch mit dysfunktionaler Rechtsdurchsetzung. Diese Probleme ändern aber nichts an der Geltung und Verbindlichkeit des Rechts als intersubjektiver Verfahrensweise. Wird aber wie im Kontraktualismus von Staatlichkeit abstrahiert, fallen alle anderen (Rekonstruktions‐)Stufen in sich zusammen. Ohne Staatlichkeit entfällt die Garantie der Rechtssphäre. Der Zusammenbruch der Rechtssphäre bedeutet aber den Verlust des Bewusstseins der Wechselseitigkeit der Anerkennung. Entfällt damit auch die wechselseitige Anerkennung, können keine Personen gedacht werden. Und da Personalität Ausdruck von Selbstbewusstsein ist, kann es ohne Personen auch kein Selbstbewusstsein geben. Zurück blieben nur die mit ursprünglichem Bewusstsein ausgestatteten Körper, die aber nicht fähig sind, einen Staatsvertrag zu schließen – und wenn sie diese Befähigung hätten, dann wären sie eben schon im Staat. Im handlungstheoretischen Viererschema ist dagegen eine Begründung von Staatlichkeit angelegt, die – bis auf den problematischen Moment der Bewusstseinsbildung – diese Probleme aufhebt. Einerseits beweist sie die Notwendigkeit des Staates als Teil des ethischen Prozesses und löst damit das kontraktualistische Voluntarismusproblem. Andererseits zeigt sie, warum die Fundamentalopposition gegen Staatlichkeit für Personen keine vernünftige Position ist: Es kann nicht gewollt sein, Staatlichkeit abzuschaffen, denn es gibt keine vernünftige Alternative zu ihr. Das Ende der Staatlichkeit würde einen Rückfall ins vorpersonale und unfreie Überleben in der „Horde“ bedeuten. In ihr entfallen alle anerkennungstheoretischen Grenzen der Machtausübung und Unterwerfung. Statt allgemeiner und einklagbarer Rechte gelten in „Horden“ an Tradition und die Figur des Herrschers gekoppelte Regeln, vor denen es keinen Schutz gibt. Im Vergleich zum einmal errungenen Zustand der Staatlichkeit kann dieser Rückschritt
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nicht gewollt werden. Damit hat Schleiermacher eine wirksame Legitimation von Staatlichkeit geliefert: Nur sie garantiert durch ihre Funktionen den Erhalt eines einmal errichten kulturellen Zustands der Freiheit und Sicherheit.
3 Drei Thesen zur Aktualität von Schleiermachers politischem Denken Staatlichkeit ist in Schleiermachers politischem Denken eine notwendige, vernünftige Organisationsform menschlicher Existenz. Als solche ist sie allen anderen Modellen sozialer Organisation vorzuziehen. Das heißt aber nicht, dass alle Ordnungsgebilde, die für sich beanspruchen, ein Staat zu sein, als solche anerkannt werden müssen. Denn selbst wenn Personen Staatlichkeit immer wollen müssen, ist das Verhältnis zwischen ihnen und dem Staat ein wechselseitiges: Auch der Staat muss bestimmte Bedingungen erfüllen, um legitime Staatlichkeit für sich beanspruchen zu können.⁸² Aus diesem wechselseitigen Bedingungsverhältnis folgt erstens, dass Staat und Bürger:in⁸³ unmittelbar aufeinander verwiesen und voneinander abhängig sind. Staatlichkeit ist keine beliebig gewählte Organisationsform der Menschen, genauso wie die Bürger:in keine bloße Verfügungsmasse des Staates ist. Erkennen sich Staat und Bürger:innen nicht an, verliert die Ordnungsstruktur ihre Voraussetzungen, und die beide Seiten konstituierenden Merkmale gehen verloren. Die wechselseitige Anerkennung ist dabei nicht nur theoretisch, sondern muss auch in der Praxis umgesetzt werden: Der Staat muss Möglichkeiten politischer Partizipation bereitstellen, und die Bürger:innen müssen diese nutzen und bereit sein, ihre Interessen im Rahmen staatlicher Institutionen zu vertreten.⁸⁴ Erst dieses institutionelle Arrangement erlaubt es, auf Herausforderungen und Probleme zu reagieren und Staatlichkeit aufrechtzuerhalten. Reformen sind also nicht nur möglich, sondern auch nötig.⁸⁵ Revolutionen, die auf die
82 Die Begrenzung staatlicher Macht(ansprüche) hat Schleiermacher nicht nur in seinem politischen Denken ausgearbeitet, sondern zugleich zum Kern seines politischen Handelns gemacht. In diesem vertrat er liberale Forderungen, die über sein theoretisches Fundament hinausweisen, vgl. Wolfes 2008, 375 – 393. Dass er auch als politischer Akteur wahrgenommen wurde, zeigen die Zensur- und Überwachungsaktionen des Preußischen Staates gegen ihn, vgl. Nowak 1996, 72. 83 Bürger:innen sind diejenigen Personen, die als Resultat des rekonstruierten Prozesses in stabilen Rechtsverhältnissen leben und zwischen denen und dem Staat ein wechselseitiges Anerkennungsverhältnis besteht. 84 Schleiermacher schlägt dazu ein institutionelles Arrangement vor, das er zwar als Monarchie bezeichnet, das aber wesentlich nach demokratischen Prinzipien funktioniert, vgl. Wittekind 2022, 108 – 114. 85 Werner Stegmaier bezeichnet diesen auf Problemlösung hin orientierten Entwurf treffend als „bewegliche Konzeption eines beweglichen Staates“, deren Ziel es sei, bestehende Spielräume der Gestaltung bestmöglich zu nutzen (Stegmaier 2006, 499 – 501).
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Abschaffung von Staatlichkeit zielen, sind dagegen so sinnlos und illegitim wie andersherum diktatorische Regime, die ihre Bürger:innen unterdrücken.⁸⁶ Zweitens wird im Vergleich zum Kontraktualismus das Verständnis des Rechts verändert. Es wird nicht mehr als Verwirklichung eines vernunftbegründeten und vorstaatlichen natürlichen Rechts aufgefasst, sondern entsteht erst durch die Reflexion auf die Bedingungen personaler Interaktion. Diese Reflexion stellt das Allgemeinverbindliche der Interaktionsregeln heraus. Sie gelten danach unbedingt und für alle Personen gleich. Der Staat ist die Plattform, die die Transparenz des Rechts sowie seine Durchsetzung garantiert. Zugleich bildet er den Rahmen, innerhalb dessen die konkreten Inhalte positiven Rechts ausgehandelt werden. Diese Inhalte gewinnt das Recht nach Schleiermacher, indem es vorherige traditionelle Verfahrensweisen durch Verallgemeinerung und Abstraktion transformiert. Was vorher Sitte war, ist innerhalb der Sphäre des Staates (zunächst) Inhalt des Rechts. Damit teilt Schleiermacher entscheidende Ansätze der historischen Rechtsschule.⁸⁷ Die Rechtsgemeinschaft ist nur aufrechtzuhalten, wenn die in ihr interagierenden Subjekte ein Anerkennungsverhältnis, das sich im „politischen Bewusstsein“ ausdrückt, entwickeln.⁸⁸ Dieses Kollektiv wird durch die herrschende Kultur realisiert. Entgegen der von Locke eingeführten und heute von Wirtschaftsliberalen und Libertären vertretenen Forderung, dass der Staat lediglich Garant des Rechts sein dürfe, hebt Schleiermacher ihn als gemeinsamen Bezugspunkt aller Bürger:innen und als Verwirklichungsraum personalen Lebens heraus. Damit bekommt Staatlichkeit eine zweite Aufgabe: Der Staat muss die Überlebensbedingungen seiner Bürger:innen so gestalten, dass diese nicht nur über sicheres Eigentum verfügen, sondern auch Möglichkeiten eigentümlicher, also individueller Lebensgestaltung haben. Drittens ergibt sich aus den postkontraktualistischen Begründungsmodellen ein neues Verhältnis von Staat und Kritik: Kritik an bestehenden Verhältnissen muss und kann nur von einem Ort innerhalb des Staates geübt werden. Alle Bürger:innen können sie in ihrer Rolle als Bürger:innen üben, die staatlichen Strukturen sind der Garant dafür. Mit der Internalisierung der Kritik wird gleichzeitig ein pragmatischer Maßstab eingeführt, an dem der Staat zu prüfen ist: Er muss diejenigen strukturellen Voraussetzungen garantieren, die die Freiheit der Person und der individuellen Entwicklung ermöglichen. Die Legitimität des Staates hängt dann an der Verwirklichung der Freiheit im Staat, nicht am Vergleich mit einer potenziellen Freiheit außerhalb dessen. Schleiermachers politische Theorie ist so mehr als bloß ein weiterer Beitrag zum politischen Denken der Moderne: Sie ist zugleich eine Begründung emanzipierter und kritischer Zivilgesellschaft.
86 Neben den von Arndt rekonstruierten theologischen Grund für Schleiermachers Ablehnung der Revolution tritt damit auch ein genuin politiktheoretischer, vgl. Arndt 2019b, 193. 87 Vgl. zu Schleiermachers Verhältnis und Differenzen zur historischen Rechtsschule Scholtz (1995, 180 – 183), der eine größere Nähe Schleiermachers zu Hegel als zu Savigny konstatiert. 88 Vgl. Schleiermacher KGA I/11, 97– 124.
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„Das Wesentliche ist […] die unmittelbare Communication in die das Kind mit der Welt tritt.“ Gedanken über Kommunikation in Bildung und Erziehung Abstract: Schleiermacher’s theory of education (Erziehung) connects an older generation to a younger one and relates them to all the spheres of culture; his theory of formation (Bildung) focuses on the unique development of individuals. This paper begins by showing how communication is a crucial medium of both education and formation, a medium representing the relational and dynamic understanding of human development as a self-world relationship. On the one hand, education itself may be understood as a discursive practice. Reflection on pedagogical activities gives rise to communication that serves to generate a conscious awareness of action. On the other hand, reciprocal – and in the broadest sense communicative – exchange relationships are the engine of individual formation processes. That communication is an inherently human phenomenon and need becomes clear in Schleiermacher’s lectures on psychology. Accordingly, the second part of this paper addresses how he consolidates the oscillation peculiar to all life psychologically in the activities of the soul. In conclusion, I track down indications in Schleiermacher to suggest that communication is the decisive condition of the possibility of successful education.
Wie die meisten seit Wilhelm Dilthey „geisteswissenschaftlich“ genannten Disziplinen, die Schleiermacher in der philosophischen Fakultät der Berliner Universität vortrug, sind auch seine pädagogischen Ideen zuallererst in seinem eigenen Denkkosmos verortet. Die hohe Bedeutung, ja, den Appell – den Vorstellungen von Erziehung und Bildung durch die Aufklärung, durch den deutschen Idealismus, die Romantik und den Neuhumanismus in je eigener Weise in den Diskurs der Zeit einbrachten –, nimmt Schleiermacher auf und entwickelt sie mit einem Anspruch auf Wissenschaftlichkeit weiter, denn Erziehung ist kulturell, politisch, ethisch und religiös aufgeladen und tangiert gleichermaßen sämtliche Lebensbereiche: „Auf alle Weise also stellt sich uns hier die größte Bedeutung unserer Untersuchung vor Augen“, weil „alle Förderung der menschlichen Dinge immer darauf ausgehen kann, und bedingt darauf beruht.“¹ Das Anregungspotenzial, das Schleiermacher der Disziplin bis heute gibt, liegt vor allem darin, dass er die Pädagogik als eine gesellschaftliche Theorie des Erziehungsgeschehens unter dynamischen Bedingungen entwirft, die Spannungen zwischen dem Individuum und der Gemeinschaft, der Gleichheit und Ungleichheit, der Gegenwart und Zukunft, 1 Schleiermacher KGA II/12, 567 (Nachschrift Sprüngli 1826). https://doi.org/10.1515/9783111128801-020
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der Erhaltung und Verbesserung, des Häuslichen und Öffentlichen, der älteren und der jüngeren Menschen dialektisch auszuhandeln hat. Unter der Voraussetzung prinzipieller Offenheit und Kontingenz besteht die Wirksamkeit der Theorie nicht in der Bereitstellung von Regelwerken, sondern in der Bewusstmachung, in der Aufklärung darüber, dass und wie Bildung und Erziehung einerseits in alle Lebensbereiche hineinreichen und in der Familie das Hineinwachsen in die vier kultürlichen Sphären Staat, Kirche, Wissenschaft und geselliges Leben vorbereiten, wie sie andererseits von diesen getragen werden. Insofern lassen sich Bildung und Erziehung als eine sich vollziehende und bewusstmachende Diskursivität deuten. Dies soll im Folgenden näher gezeigt werden.
1 Faktisches Geschehen Gewiss irritierte Schleiermacher, als er seine Vorlesungen über die Erziehungslehre des Jahres 1826 mit der Feststellung begann, „Wenn wir von Erziehung reden, kann man [dies] als ein bekanntes Wort voraus setzen“.² Wäre er jedoch tatsächlich von Bekanntheit und allgemeinem Verständnis des Terminus ausgegangen, hätte er die Vorlesung nach diesem Satz wieder beenden können. Stattdessen folgten 86 vorgetragene Stunden, in denen er die vermeintliche Klarheit problematisierte und den Erziehungsbegriff in einen Diskurs führte, der sich bis heute als eine tragfähige wissenschaftliche Grundlegung der Pädagogik erweist. Wir alle, jede und jeder von uns, tragen erinnernd, romantisierend, leidvoll, bewusst oder verborgen wie auch immer geartetes Erziehungsgeschehen mit uns herum, denn wir alle wurden erzogen. Täglich finden wir uns darüber hinaus mit vielfältigen, oftmals im Alltag oder medial ausgetragenen pädagogischen Fragen konfrontiert. In familiären, schulischen oder akademischen Zusammenhängen denken wir über erzieherische Wirksamkeit nach. Dabei ist das tatsächliche Erziehungsgeschehen kaum fassbar, denn es zerstreut sich „in einem unübersehbaren Netzwerk von einzelmenschlichen Bezügen über Zeit und Raum“.³ Die Charakteristik der kleinteiligen und schwer zugänglichen Erziehungshandlungen, deren Flüchtigkeit und Unsicherheit, hat Michael Winkler bildhaft mit dem Tur-Tur-Effekt der Erziehung beschrieben.⁴ Uns allen ist der Scheinriese aus Michael Endes Kinderbuch bekannt, dem Jim Knopf und Lukas auf ihrer abenteuerlichen Reise begegnen. Aus der Entfernung wirkt er so groß und angsteinflößend, dass Jim sich gar
2 Schleiermacher KGA II/12, 545 (Nachschrift Sprüngli 1826). 3 „Erzogen wird täglich und stündlich, in einer Unzahl von Wohnstätten, Schulstunden und Arbeitsräumen – in Millionen und Abermillionen von Worten, Gebärden, Geboten,Verboten. Es macht geradezu das Wesen der Erziehung aus, dass sie sich nicht, wie etwa das politische Tun, zu großen, weithin sichtbaren und spürbaren Aktionen zusammenrafft, sondern in einem unübersehbaren Netzwerk von einzelmenschlichen Bezügen über Zeit und Raum zerstreut“ (Litt 1965, 62). 4 Winkler 2006, 39 – 47.
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nicht vorstellen mag, wie übermächtig er erst würde, wenn er näherkäme. Stattdessen folgt die Überraschung: Der Riese nimmt an Größe ab, je weiter er sich annähert. Diese Geschichte veranschaulicht die Widersprüche, die Perspektivität, die Diskrepanzen und verzerrten Wahrnehmungen von Erziehung in durchaus passendem Vergleich. Was in Vorausschau oder Rückblick riesengroß, herausfordernd und bedeutsam erscheint, verschwindet in unzähligen alltäglichen Situationen, in denen oftmals nicht mal identifiziert werden kann, ob es sich um erzieherische Bedeutsamkeit handelt oder nicht, zu indirektem, schwer wahrnehmbarem, unsichtbarem, kleinem, sogar banalem Geschehen. Schon Schleiermacher erkannte und formulierte in den genannten Vorlesungen, dass Erziehung fortwährend und überall passiert, weil „es im Menschen etwas gebe, was die Praxis bewirkt“.⁵ Erziehung besitzt eine eigene Wirklichkeit, von der unzählige Handlungen, Institution, Praktiken, Berufsgruppen zeugen. „Jede spätere Generation würde weit vor der früheren zurückbleiben wenn Eltern nicht auf die Kinder einwirken würden, und müßte ganz von vorn anfangen.“⁶ Schleiermacher zeigte auf, dass Erziehung ein reales Faktum ist, dessen Struktur er über das intergenerationale Verhältnis und den Zusammenhang beider Generationen zu der sie umgebenden historischen Gesellschaft und Kultur identifizierte. Aus der Tatsache des Wechsels der Generationen folgt die gesellschaftliche Notwendigkeit von Erziehung, nämlich die Kultur zu tradieren und die Möglichkeit der Weiterentwicklung zu veranlassen bzw. auf die kulturelle Evolution zu reagieren. Erziehung kann so als das den kritischen Punkt des Todes-Geburts-Problems⁷ überwindende Scharnier der Kultur begriffen werden, die Weitergabe von Kenntnissen und Fertigkeiten auf der einen Seite und die Aufrechterhaltung des Sozialgefüges auf der anderen Seite zu ermöglichen. Keineswegs ist diese Vermittlung als ein einseitiges Geschehen zu denken. Auch wenn die ältere Generation über einen Vorsprung an Wissen und Fertigkeiten verfügt, sich selbst aneignend und gestaltend mit der sie umgebenden Kultur auseinandersetzt und auf die jüngere Generation bewusst und unbewusst einwirkt, kommt dieser ebenfalls eine aktive Rolle zu. Dies liegt bereits im Schleiermacherʼschen Denken und in seinem Ansatz begründet, dass Aktivität und Passivität immer zusammenspielen und niemals null sind. Im Erziehungsgeschehen ist diese Selbsttätigkeit sogar unerlässlich. Die jüngere Generation, auch wenn sie ein geringeres Maß an Kenntnissen und Fertigkeiten besitzt, kann sich erstens Neues nur selbsttätig aneignen, zweitens setzt auch sie sich aktiv mit der Gesamtheit der Umgebung auseinander, und drittens wirkt sie auf die ältere Generation zurück und bringt dieser Impulse. Dieses komplexe Geschehen lässt sich als prinzipiell offenes, wechselseitiges Vermittlungs-Aneignungs-Gefüge aus bisubjektiver Interaktion der Generationen und dem gesellschaftlichen, kultürlichen, politischen Faktor der Umgebung kennzeichnen.
5 Schleiermacher KGA II/12, 382 (Berliner Nachschrift 1820/21). 6 Schleiermacher KGA II/12, 549 (Nachschrift Sprüngli 1826). 7 Vgl. Winkler 2006, 71 – 80.
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Schleiermacher vermittelte zudem die höchst relevante Einsicht, dass Erziehung ein Geschehen ist, das gedacht und besprochen werden muss. Bereits im alltäglichen Miteinander wird sie dann deutlich, wenn wir rückblickend oder antizipierend über das pädagogische Geschehen nachdenken, die schiefgelaufene Situation reflektieren oder Ziele, Vorhaben, Methoden und Anforderungen aushandeln. Die Praxis „als das Erfahrungsmäßige ist immer eher, und die Theorie kommt erst hinterher, wenn man überlegt, wie man dazu kommt, es gerade so zu machen und nicht anders“.⁸ Schleiermacher benannte Erziehung als wahrnehmbare Kommunikation und eigenständigen semantischen Bereich und führte dies in den Vorlesungen zur Erziehungskunst auch eigens vor. Erst kommunikativ ist Erziehung überhaupt identifizierbar und erhält diskursiv Sinn und Bedeutung. Erziehung konstituiert sich also aus dem Zusammenhang der intergenerativen Problemstruktur, einem praktischen Handeln und einer „den pädagogischen Sinn stiftenden pädagogischen Kommunikation“.⁹ Erziehung hat nicht nur einen distinktiven, im weitesten Sinne kommunikativ vermittelten Gegenstandsbereich, sondern eben auch einen eigenen „Kommunikationsraum“,¹⁰ in dem dieser verhandelt wird. Erziehung muss nicht nur erst gedacht, sondern auch kommuniziert werden. Mit der sich diskursiv vollziehenden Erweiterung des Reflexionshorizonts und der daraus erwachsenden Erkenntnis erlangt das Handeln Grade von Bewusstheit.¹¹ In der pädagogischen Kommunikation nimmt auch die Möglichkeit ihren Anfang, konkrete erzieherische Prozesse in Anwendung entsprechender Szenarien (Behüten, Unterstützen, Gegenwirken) zu gestalten und – auch wenn die Resultate letztlich unvorhersehbar sind – positive Bedingungen für Heranwachsende zu schaffen. Die Frage nach der Kommunikation als unerlässliche Dimension des Erziehungsgeschehens und auch der pädagogischen Theorie verweist also auf zwei Ebenen: Erstens lässt sich Erziehung selbst als diskursive Praxis begreifen, die sich über „Präsentation“,¹² über kulturelle Praktiken, etwa die Weitergabe und Aneignung von Wissen, die Einführung in tradierte Verhaltensweisen oder die Decodierung von symbolhaften Erscheinungen, realisiert und diese auch gleichzeitig erzeugt. Mithilfe „einheimischer Begriffe“ und Konzepte verkörpert zweitens die Theorie der Erziehung eine Kommunikation, die der Bewusstwerdung des Handelns dient, ohne dieses jedoch zweifelsfrei festschreiben oder beherrschbar machen zu können. Schleiermacher beschrieb Erziehung als untrennbar an die menschliche Daseinsweise gekoppelt und in ihr wurzelnd. Es ist der soziale Ansatz, der nicht nur die Notwendigkeit der Erziehung begründet, der nicht nur die anthropologischen Voraussetzungen mit den ethischen Zielsetzungen verbindet, sondern der genuin die
8 Schleiermacher KGA II/12, 382 (Berliner Nachschrift 1820/21). 9 Winkler 2006, 50. 10 Brachmann 2002, 40. 11 „Wenn nun die Theorie viel später entsteht nach der Praxis, so ist der Charakter von Anfang derselbe, aber die Handlung ist bewußtlos, so lange die Theorie noch fehlt“ (Schleiermacher KGA II/12, 549 [Nachschrift Sprüngli 1826]). 12 Mollenhauer 2003, 22.
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Kommunikation mit einschließt, denn erstens ist kein Mensch einzeln denkbar,¹³ und zweitens „läßt sich was vom Einzelnen zum Einzelnen geschieht unmöglich von dem was im Gesammtleben geschieht von einander trennen“.¹⁴ Die Heranwachsenden bedürfen der Gemeinschaft der menschlichen Gattung, denn nur die sozialen Bande ermöglichen ihnen die Aneignung der bestehenden Kultur. „Das Wesentliche ist […] die unmittelbare Communication in die das Kind mit der Welt tritt.“¹⁵ Diese Kommunikation schließt Einwirkungen anderer Menschen ein, die ihm Kultur vermitteln, aber die Heranwachsenden eignen sich diese selbst auch eigenständig an, denn „das Kind nimmt auch für sich schon Einwirkungen aus der ganzen umgebenden Welt auf“.¹⁶ Kommunikation ist ein das Erziehungsgeschehen konstituierendes Medium, das für das relationale und prozesshafte Verständnis der menschlichen Entwicklung als das einer Selbst-Welt-Beziehung steht. Der Begriff umfasst viel mehr als bloße Mitteilung oder linearen Austausch und kann als vielgestaltige Wechselwirkung, als lebendige Oszillation gedacht werden, die „ja die allgemeine Form alles endlichen Daseins“ darstellt.¹⁷ Einzig in lebendigen und kommunikativen Austauschprozessen zwischen der:dem Einzelnen und ihrer:seiner Umgebung – der absichtlich gestalteten wie der sozialisatorisch wirksamen – kann Erziehung gedacht werden. Sehr prägnant formulierte Schleiermacher den 72. Gedanken zu den pädagogischen Vorlesungen des Winters 1813/ 1814: „Die Erziehung sezt den Menschen in die Welt in so fern sie die Welt in ihn hineinsezt; und sie macht ihn die Welt gestalten in so fern sie ihn durch die Welt läßt gestaltet werden.“¹⁸
2 Individuelle Bildung Kann Erziehung also theoretisch verstanden werden als diskursiv und kommunikativ sich vollziehende Heranführung der jüngeren Generation an die Sphären der Kultur und deren Verbundenheit mit dem pädagogischen Denken und Handeln, zielt das Konzept von Bildung stärker auf die individuellen Austauschprozesse der Einzelnen mit sich, anderen Menschen und der Welt. Bildung der Individualität vollzieht sich ganz
13 „Wenn wir uns den Menschen in Gedanken isoliren wollen, so isoliren wir das neugeborene Kind, es wird nicht bestehen können, das ist ein Übergewicht der äußeren Einwirkung über die innere Entwicklungskraft. Wie es mit der intellectuellen Entwicklung isolirt gehen würde, darüber können wir uns schwerlich Antwort geben. Eine solche Differenz der Menschen eigentlich gar nicht zu denken. Die Differenz zwischen den einzelnen nie so groß, so daß [man] die Einwirkung des äußeren entbehren könnte. Menschen die durch Zufälle aus der menschlichen Gesellschaft entfernt worden seyen, beweisen wenig“ (Schleiermacher KGA II/12, 549 [Nachschrift Sprüngli 1826]). 14 Schleiermacher KGA II/12, 550 (Nachschrift Sprüngli 1926). 15 Schleiermacher KGA II/12, 693 (Nachschrift Sprüngli 1826). 16 Schleiermacher KGA II/12, 693 (Nachschrift Sprüngli 1826). 17 Schleiermacher KGA V/14, 295 (Brief 4535 an Friedrich Heinrich Jacobi, 30.03.1818). 18 Schleiermacher KGA II/12, 338.
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wesentlich in der Kommunikation. Bereits im „Versuch einer Theorie des geselligen Betragens“ stellte Schleiermacher die hohe Bedeutsamkeit des anregenden, wechselseitigen Gesprächs für die eigene Entwicklung, Bewusstwerdung und Darstellung heraus. Erneut kann Kommunikation auch in der Bildungstheorie weiter gefasst werden als nur auf verbalen Austausch bezogen. Vielmehr umfasst der Begriff auch Dinge, Ereignisse, Personen, allgemeine und konkrete Objektivationen des Geistes, mit denen die Einzelnen in Beziehung treten, das Eigene und das Fremde erkennen und sich bildend verändern. Diese auf verbaler wie nonverbaler Kommunikation beruhenden Prozesse, Welt in sich aufzunehmen und sich in die Welt zu setzen, vollziehen sich als der individuelle Bildungsprozess der einzelnen Menschen, sofern Bildung als die individuelle Aneignung des Objektiven der Kultur verstanden wird und der Humanwerdung des Menschen entgegensieht.¹⁹ An anderer Stelle, nämlich in seiner philosophischen Seelenlehre, erklärt und begründet Schleiermacher diesen Vorgang als eigentümlich menschlich, wie folgender Text auf den Punkt bringt: „Wir haben die Seele angesehn als ein werdendes Dasein unter der Form des Bewußtseins in der Wechselwirkung mit allem übrigen Dasein. Es ist dies Eins, denn die Seele trit nun in das Wechselverhältniß mit der Welt, in wiefern sie ein Bewußtes wird und umgekehrt. Die Seele ist ein Weltsuchendes und darin ein Ichwerdendes.“²⁰
3 Psychologische Fundierung Um zu verstehen, wie sich diese oszillativ gedachten Kommunikationsprozesse denken lassen, lohnt sich ein Blick in Schleiermachers Vorlesungen zur Psychologie, die den Anspruch erheben, alle menschlichen Seelentätigkeiten systematisch zu erklären. Die Kenntnis der psychischen Vorgänge ist entscheidend für die Einsicht in das Wesen des Menschen, in seine größte Aufgabe, durch symbolisierendes und organisierendes Wirken Geist und Materie, Vernunft und Natur zu vermitteln. So gesehen bildet die Seelenlehre ein unverzichtbares Komplement zur Erziehungslehre. Den empirischen Ausgangspunkt und schichtweise analysierten Gegenstand der Psychologie bildet das lebendige „Ich“, ein Ansatz, der allen Menschen „zuwächst“.²¹ Dieses Ich trägt sowohl seine Einzelheit als auch den Bezug zur Vielheit in sich, „weil 19 Vgl. Humboldt 2017, 7: „Die letzte Aufgabe unsres Daseyns: dem Begriff der Menschheit in unsrer Person, sowohl während der Zeit unsres Lebens, als auch noch über dasselbe hinaus, durch die Spuren des lebendigen Wirkens, die wir zurücklassen, einen so grossen Inhalt, als möglich, zu verschaffen, diese Aufgabe löst sich allein durch die Verknüpfung unsres Ichs mit der Welt zu der allgemeinsten, regesten und freiesten Wechselwirkung.“ 20 Schleiermacher KGA II/13, 568 (Nachschrift Eyssenhardt 1821). 21 „Es giebt nun aber keinen Menschen, der nicht ein solches empirisches Wissen hätte, nämlich das Kommen des Bewußtseins. Hierdurch bekommt es schon immer ein minimum vom Character des Speculativen, als Vorausgesetztes ist es aber immer das Empirische. Auch dieses wächst uns noch immer zu“ (Nachschrift zur Psychologie Schleiermachers [Anonymus] 1821, Cod. Ms. Ferdinand Frensdorf 1:1, Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen, 7).
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kein einzelnes Bewußtsein gegeben sein kann ohne das allgemeine Bewußtsein.“²² „Ich“ steht in seiner lebendigen Erscheinung in dem allgemeinen Zusammenhang der Wechselwirkungen mit dem, was es umgibt, denn „das Ichsezen ist zwar einfach an sich aber es ist nicht ohne ein Du; oder von der Formel Selbstbewußtsein aus, Bewußtsein ist nicht SelbstBewußtsein ohne Bewußtsein eines Andern.“²³ Ich und Du, anders formuliert: Individualität und Gemeinsamkeit im Identischen, verweisen auf die subjektiven und die objektiven Komponenten allen Lebens. Beidem ist sich der Mensch bewusst. „Beym Objectiven nehmen wir an, daß alle in diesem Auffassen übereinstimmen müssen, und alle Individualität verschwindet; beym Subjectiven gilt das individuelle Bewußtseyn; das Ich äußert sich in seiner Besonderheit; so haben wir schon hier die Anfänge zum Identischen, Bewußtseyn der Welt, und zum Individuellen, Selbstbewußtseyn.“²⁴ Es handelt sich beim „Ichsagen“ folglich weder um etwas Einfaches noch um etwas Statisches. Vielmehr sind Veränderung und Wechselbeziehungen von Anfang an gesetzt, realisiert durch die aufnehmenden und ausströmenden Tätigkeiten. Das Hauptanliegen der Psychologie ist es, mithilfe der Gegensatzpaare Rezeptivität und Spontaneität sowie dem subjektiven und objektiven Bewusstsein die Gesamtheit aller menschlichen Seelentätigkeiten zu erfassen. Denn indem Schleiermacher beide Dyaden in eine Quadruplizität führt, eine Kreuzung zweier Gegensatzpaare, erhält er eine Vierteilung möglicher Seelenbewegungen. Überwiegende Rezeptivität des subjektiven Bewusstseins bringt „Empfindung“ hervor, aufnehmende Tätigkeit des objektiven Bewusstseins endet in „Wahrnehmung“. Überwiegende Spontaneität des subjektiven Bewusstseins äußert sich dagegen als „Darstellung“, ausströmende Tätigkeit des objektiven Bewusstseins als „Werkbildung“. Die wechselseitige Bezogenheit von Ich und Welt impliziert Formen von (in einem weiten, über das Verbale hinausweisenden Sinne gedachter) Kommunikation in allen vier Bereichen: 1. „Empfindung“: Die Anerkennung der Gegebenheit des Identischen im Bewusstsein des Individuellen führt auf das Gattungsbewusstsein. Im Gattungsbewusstsein als erweiterte Form des überwiegend rezeptiven subjektiven Bewusstseins äußert sich die Identität der Menschen als Gefühl. Es wirkt als eigentümlich menschliches soziales Element, indem dem Einzelnen in verschiedenen Situationen seines Lebens die Anerkennung des Menschlichen außer ihm als notwendig erscheint und ihn gleichzeitig als ein Einzelnes setzt, dessen Wesen sich aus dem Gattungsbewusstsein erklären lässt. Subjektiv empfindet er seine eigene Stellung und die Möglichkeiten seiner Entwicklung in spezifischen Sympathien oder Antipathien, objektiv nimmt er sie wahr in der eigenen und fremden Mitteilung. Auf der Grundlage des Gattungsbewusstseins funktionieren das Zusammenleben und der gegenseitige kommunikative Austausch der Menschen.
22 Schleiermacher KGA II/13, 208 (Hamburger Nachschrift 1818). 23 Schleiermacher KGA II/13, 135 (Ms. 1830). 24 Schleiermacher KGA II/13, 928 (Berliner Nachschrift 1833/34).
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„Wahrnehmung“: Der Anfang der überwiegend rezeptiven Tätigkeiten des objektiven Bewusstseins liegt im Bedürfnis des Menschen, sich mitzuteilen. Das Sprechen schließt sich an die Tonbildung an, indem Artikulation hinzutritt. Aus Silben entstehen Wörter, aus diesen Sätze. Im Sprechen offenbart sich das objektive Bewusstsein der Identität, das aber immer ebenso eine Äußerung des subjektiven Bewusstseins darstellt, der Individualität. Denktätigkeiten schließen sich an die rezeptiven Sinnestätigkeiten an und stellen einen komplexeren, höher entwickelten Prozess dar, in dem das Weltbild zum Weltbegriff gesteigert wird. Dem Menschen ist ein Bedürfnis nach dem Forschen gegeben. Nun entwickelt sich Denken immer zugleich mit dem Sprechen und geht darauf hinaus, das Sein zu erfassen, das sich im individuellen Denkprozess als geteiltes Sein reproduziert. Jede:r Einzelne kann also immer nur einen Teil des Seins in ihr:sein Denken aufnehmen. Die Totalität des Bewusstseins ist das kollektive Weltbild, das im Denken in den Begriff umgesetzt wird, wobei sich das Sein darin abspiegelt. Die hier überwiegende rezeptive Seite ist Teil des kommunikativen Prozesses, zum einen in Form des Aufnehmens der Welt und zum anderen in der Vorbereitung der eigenen Entäußerung. „Darstellung“: „[W]enn andres Menschliches zur Anschauung kommt, so daß es eine Gegenseitigkeit der Mittheilung ist“, so realisiert sich in diesem Zyklus „die ursprüngliche Befriedigung des menschlichen Bewußtseyns“.²⁵ Die überwiegende Spontaneität des subjektiven Bewusstseins verweist auf die Besitzergreifung des Menschen der Dinge und Menschen um ihn herum. Die erste Aneignungsleistung ist die des Leibes. Die Beherrschung der Natur und letztlich die Schaffung geregelter bürgerlicher Verhältnisse im Staat stehen am Ende der Reihe. Wesentlich für das gesellige Leben des Menschen und die Schaffung von Kultur ist die Besitzergreifung des außer den einzelnen Individuen existierenden Menschlichen. In der Kategorie der Besitzergreifung nimmt Schleiermacher besonders deutlich das Ganze der Gesellschaft, wie es von den Einzelnen ausgehend durch ihre psychischen Eigenschaften gestaltet wird und Kommunikation konstituiert, in den Blick. „Werkbildung“: Die ausströmenden Tätigkeiten des objektiven Bewusstseins heißen bei Schleiermacher Produktivität des Denkens und Selbstmanifestation des Subjekts. Letztere besteht in der Entäußerung eines inneren psychischen Vorgangs. Im Manifestationstrieb zeigt sich, dass und in welcher Weise der Mensch Individuum und zugleich Gattung sein möchte. Die Objektivierungsleistung des Bewusstseins zeigt sich in allen Formen der Kunstproduktion, wobei die Unmittelbarkeit der Einfälle den Vorrang gegenüber den vorbedachten Gedankenreihen einnehmen sollte. In jedem Subjekt liegt ein Trieb nach Erfüllung des Bewusstseins, nach Wissen. Darin, das Sein aufzunehmen und in Bewusstsein zu verwandeln, liegt das Objektivierende im produktiven Denken. Erst durch Mitteilung und Verständigung mittels Sprache kann die individuelle Leistung der:des Einzelnen im Wissen, in der Wissenschaft niedergelegt werden.
25 Schleiermacher KGA II/13, 960 (Berliner Nachschrift 1833/34).
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Das Wechselverhältnis zwischen Selbstdarstellung und Aufnahme der Darstellung anderer Menschen, von Selbstbewusstsein und Gattungsbewusstsein, in das die Heranwachsenden treten und in dem sie sich bilden, bezeichnet Schleiermacher als „Gesprächszustand“²⁶ und verdeutlicht auf diese Weise sowohl den breiten Kommunikationsbegriff als auch die Unerlässlichkeit des Kommunikativen. Die Erziehung nun begleitet und unterstützt diesen Bildungsgang der:des Einzelnen aus einem intergenerationalen Verhältnis betrachtet. Ihre Funktion besteht einerseits darin, Bildungsgänge zu initiieren, andererseits im kommunikativen Zusammenleben – „[m]an kann wenig thun als mitleben und lebenhelfen“²⁷ – die Eigentümlichkeit hervorzulocken und den Anschluss an das Leben in den vier kultürlichen Sphären der Gesellschaft vorzubereiten.
4 Implizites Dilemma Da sich Beziehungen aller Individuen zu anderen Menschen bilden, die konstant sind, entstehen mit den geselligen Verhältnissen Relationen, die für den individuellen Lebensverlauf prägend sind. Möglich ist dies, weil „die Entwicklung eines einzelnen Wesens bedingt ist durch die gleiche Natur in allen einzelnen Wesen und durch die Einwirkung der Einzelnen auf andere“.²⁸ Erziehung ist und bleibt notwendig, um im Bildungsprozess der nachwachsenden Generation regulierend zu wirken. Erziehung ist „Correctiv des Verhältnisses.“²⁹ Dabei stehen Handlungsformen, etwa Behüten, Unterstützen und Gegenwirken, zur Verfügung, um „das richtige Maaß herzustellen in Beziehung auf die Einwirkungen welche das Kind aus der umgebenden Welt empfängt“.³⁰ Die jeweilige Eigenart von Erziehung und Bildung verlangt konkretes Handeln bezüglich der Möglichkeiten und Vorgänge der Entwicklung von Individualität wie auch im Hinblick auf die Prozesse, die sich in den Sphären des Gesamtlebens abspielen, sodass dieses einen eigenen Stellenwert in dem Vorgang der Einigung von Geist und Materie erhält. Freilich darf dies nicht als mechanische Einwirkung missverstanden werden, sondern erfolgt in einer spannungsreichen Wechselwirkung, schließlich ist „der Mensch […] ein Wesen welches den hinreichenden Grund seiner Entwicklung vom ersten Anfang seines Lebens bis zur Vollendung in sich trägt“.³¹
26 „Wenn die Selbstdarstellung zur Vollendung kommt durch die Wahrnehmung der Darstellung andrer, so beruht dieß auf dem Gattungs- und Selbstbewußtseyn; so bald sich das Kind in einem solchen Gesprächszustand befindet, und dabey befriedigt ist, so ist darin ein Erkennen eines Menschlichen, aber eben so wenn es das was sich durch Bewegung als Eins ihm darstellt, als Einheit zu erfassen sucht, so liegt darin auch das Bewußtseyn von einer Getheiltheit des Seyns außer uns: Das Eine ist die Richtung auf das Menschseyn, das andre die Richtung auf das Seyn überhaupt, unter Voraussetzung seiner Getheiltheit in Bestimmtheiten“ (Schleiermacher KGA II/13, 954 [Berliner Nachschrift 1833/34]). 27 Schleiermacher KGA II/12, 300 (Ms. 1813/14). 28 Schleiermacher KGA II/12, 548 (Nachschrift Sprüngli 1826). 29 Schleiermacher KGA II/12, 337 (Gedanken 1813/14). 30 Schleiermacher KGA II/12, 693 (Nachschrift Sprüngli 1826). 31 Schleiermacher KGA II/12, 548 (Nachschrift Sprüngli 1826).
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In Anbetracht der Tatsache, dass Erziehung die gesellschaftliche Funktion hat, die kulturelle Evolution jenseits der Reproduktion des genetischen Erbes zu sichern, ergibt sich ein Dilemma, das bei Schleiermacher in großer Deutlichkeit anklingt. Einerseits fragt er: „Darf nun eine solche Thätigkeit darauf ausgehen aus einem Menschen zu machen, was man will, und kann sie es?“³² Andererseits räumt er ein: „[J]ene Annahme einer neuen Selbstbestimmung setzt nicht die vollkommene Freiheit, sondern vielmehr eine vollkommene Beschränktheit“.³³ Erziehung vollzieht sich in einer bestimmten Kultur und Gesellschaft, die auch Gegenstand der Vermittlungs- und Aneignungsprozesse sind. Insofern sind auch die pädagogischen Institutionen und Praktiken ebenso wie die einzelnen Subjekte selbst immer schon kulturell und sozial determiniert. Um in wirksame Bildungsprozesse eintreten zu können, muss sich das Subjekt jedoch vor allem reflexiv zu den gegebenen und tradierten Codes verhalten. Dies geht sowohl mit Schmerz (wie Platon dies im Höhlengleichnis beschreibt) als auch mit einer Distanzierung vom Gegenstand der Aneignung (so zeigt es Wilhelm von Humboldt im Begriff des Fremden) einher. All dies ist mitzudenken, wenn Schleiermacher die Aufgaben der Erziehung als zweifach festschreibt, nämlich zum einen die Eigentümlichkeit der jungen Menschen hervorzulocken und auszubilden und sie zum anderen für die Gesellschaft tüchtig zu machen. Dabei gibt er Hinweise auf die Schwierigkeiten und Herausforderungen, die sich für ihn abzeichnen und die uns bis heute begleiten: „Die Erziehung erscheint ihrem Gehalt nach als etwas das der zu erziehende nicht wollen kann“.³⁴ Das Dilemma besteht darin, dass Erziehung auf der einen Seite unumgänglich, auf der anderen jedoch unmöglich ist, soll der Anspruch der Heranwachsenden auf ihre Subjektivität und Selbstbestimmung nicht gefährdet werden. Dabei schwingt eine weitere Herausforderung mit, nämlich die Bedrohung der bestehenden Kultur und Gesellschaft, die sich durch Institutionalisierung und Regulative selbst erhalten und auf Dauer stellen möchte, auf die jedoch die:der Einzelne auch verändernd wirken muss, um sich selbst zu verwirklichen. Dennoch kann Erziehung weder ohne Eigentümlichkeit noch jenseits der gesellschaftlichen Bedingungen und Anforderungen gelingen. In der Gesellschaft selbst müssen also Bedingungen aufrechterhalten sein, den Individuen Subjektivität zu ermöglichen und diese zu entwickeln.
5 Kommunikative Lösung Was können wir bezüglich dieser Dilemmata von Schleiermacher lernen? Es ist nicht genug, darauf zu verweisen, dass – wie so oft bei Schleiermacher auch hier – beide Seiten, die innere Selbsttätigkeit und das äußere Bestimmtwerden, stets zusammen-
32 Schleiermacher KGA II/12, 552 (Nachschrift Sprüngli 1826). 33 Schleiermacher KGA II/13, 568 (Nachschrift Eyssenhardt 1821). 34 Schleiermacher KGA II/12, 579 (Nachschrift Sprüngli 1826).
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wirken, sich gegenseitig vorantreiben und aufeinander reagieren. Schleiermachers Lösungsansatz beinhaltet bezüglich konkreter voraussetzungs- und zielorientierter pädagogischer und sozialer Fragestellungen in den Spannungsfeldern zwischen Anthropologie und Ethik, zwischen individueller und universeller Ausrichtung, zwischen Gleichheit und Ungleichheit oder zwischen Gegenwart und Zukunft die Kommunikation als entscheidende Bedingung der Möglichkeit gelingender Erziehung. Die Diskussion um die Aufopferung des Moments für die Zukunft stellt ein besonders evidentes Beispiel dar. „[D]er Mensch des künftigen Moments ist nicht mehr der des vorigen“,³⁵ darum ist es weder vertretbar, nur für den Augenblick zu erziehen, noch diesen zugunsten künftiger Ziele zu vernachlässigen. Einerseits lehnt er es ab, auf eine spätere Billigung der pädagogischen Handlungsweise durch die zu Erziehenden zu hoffen, vor allem mit dem Hinweis auf die hohe Mortalität in der Kindheit, aber auch, um das Eigenrecht des Kindes zu erhalten und solch negative Auswirkungen zu vermeiden, wie sie unter dem Terminus der Schwarzen Pädagogik³⁶ beunruhigen. Andererseits plädiert er nicht dafür, nur dem kindlichen Impuls des Moments nachzugeben. Schleiermacher setzt stattdessen auf die situative Zustimmung der Heranwachsenden, die je aktiv ausgehandelt werden müsse. „Alle Vorbereitung muß zugleich unmittelbare Befriedigung, und alle Befriedigung zugleich Vorbereitung sein“, sonst würde der „Widerstreit“ der Heranwachsenden produziert.³⁷ Für Erziehung heißt dies, sich permanent in dem Spannungsfeld zwischen der momentanen Erträglichkeit und dem Anzetteln einer Perspektive zu bewegen, sich festzulegen und doch diversen Möglichkeiten Raum zu lassen. Dieser Ansatz lässt sich durchaus verallgemeinern. Mit Schleiermacher stellt Erziehung eine Herausforderung für die ältere Generation dar, die als Hermeneutik der pädagogischen Situation bezeichnet werden kann, aus der das entsprechende unmittelbare Handeln resultiert. Werden die Zusammenhänge bewusst reflektiert, auf einen Bewusstheitsgrad erhoben, der theoretisch fundiert ist und diesen notwendigerweise auch kommuniziert, wächst die Wahrscheinlichkeit gelingender erzieherischer Arbeit. Das Verstehen der Lage erfolgt keineswegs nur rational, denn „[a]lle pädagogische Richtigkeit hängt von dem richtigen Sinn und Gefühl für die verschiedenen zu betrachtenden Verhältnisse ab“.³⁸ Die situativ und kommunikativ auszuhandelnde Tätigkeit ist der Theorie bereits eingeschrieben. Der einzelne pädagogische Moment ist der „Probierstein, woran sich die Richtigkeit des pädagogischen Verfahrens bewähren müsse“.³⁹ „[E]inen andern Werth als solchen kann auch eine Theorie nicht haben“, sogar „gereicht es zum Verderben, wenn man glaubt, es lassen sich darin Regeln aufstellen, die das Princip ihrer Anwendung schon in sich tragen“.⁴⁰ Das Erziehen gleicht gewisser-
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Schleiermacher KGA II/12, 269 (Ms. 1813/14). Rutschky 1997. Schleiermacher KGA II/12, 270 (Ms. 1813/14). Schleiermacher KGA II/12, 392 (Berliner Nachschrift 1820/21). Schleiermacher KGA II/12, 394 (Berliner Nachschrift 1820/21). Schleiermacher KGA II/12, 392 (Berliner Nachschrift 1820/21).
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maßen der Logik eines hermeneutischen Zirkels, in dessen Prozess das je erreichte Vorverständnis zur Grundlage für die Aufnahme der nächsten Situation wird. In diesem Zusammenhang leuchtet ein, wieso Pädagogik als Kunstlehre zu verstehen ist. Sowohl in den Vermittlungs- als auch in den Aneignungsprozessen kann Erziehung nicht anders wirksam sein, als dass die bestehende Kultur aufgenommen und auch gleichzeitig hinterfragt wird. Sie steigt in einem konkreten sozialen Umfeld ein, reflektiert dieses, erzeugt es neu und verändert es. Sie ist so gesehen auch eine Provokation für die bestehende Kultur und Gesellschaft. Auch hierfür findet Schleiermacher ein Gegensatzpaar, nämlich das des Erhaltens und Verbesserns, dessen Grundlage erneut die reflexive Verständigung über die realen Möglichkeiten bildet. Sein Fazit: „[D]ie Erziehung soll so eingerichtet werden, daß beydes in die möglichste Zusammenstimmung komme, daß die Jugend erzogen werde tüchtig, um in das einzutreten was sie vorfindet, aber auch tüchtig um verbessernd einzuwirken.“⁴¹ In der Erziehung selbst liegen also Pflicht und Möglichkeit, durch kommunikative Vermittlung und Aneignung die Befähigung herzustellen, über das Bestehende hinauszuwachsen. Die Spannung liegt darin, Aneignung zu ermöglichen und gleichzeitig Offenheit zu gewährleisten, was auch einem Affront gegenüber der Gesellschaft gleichkommt, aber unverzichtbar ist. Die andere Seite des genannten Dilemmas im pädagogischen Prozess kann mit Winkler als die „Prekarität des Subjekts“⁴² bezeichnet werden. Der:Dem Einzelnen muss die Möglichkeit eingeräumt werden, jenseits der Vergesellschaftung ihrer:seiner selbst und eben auch der Erziehung in einen gelingenden Bildungsweg einzutreten, in dem sie: er sich mit ihrer:seiner eigenen Individualität die Güter der Kultur aneignet und sich zu ihnen verhält. In diesem Sinne ist Bildung an Selbstwirksamkeit gebunden, die sich nur im lebendigen Austauschprozess mit der Umgebung vollziehen kann. Erst durch die im weiteren Sinne kommunikativen Wechselbeziehungen zwischen dem Subjekt und den anderen Menschen bzw. der Umgebung entstehen sinngebende Wirkungsräume, und erst durch sie lassen die Verhältnisse zu, dass individuelle Subjektivität entsteht. Schleiermacher versteht die vier Weltbereiche Staat, Kirche, Wissenschaft und geselliges Leben auch während der Erziehung als resonante Sphären der gegenseitigen Anverwandlung und damit als Bildungsräume, die sich nur im gegenseitigen kommunikativen Austausch lebendig erweisen und angeeignet werden können.⁴³ Da die Einzelnen immer ein Stück weit den gesellschaftlich institutionalisierten pädagogischen Strukturen ausgeliefert sind, sind sie in ihrer Subjektivität bedroht, wenn sie es nicht vermögen, diese bewusst einzufordern, aber zugleich die Erziehung anzuerkennen. Die Heranwachsenden müssen das Geschehen auch wollen. Keineswegs aber trägt allein die Erkenntnis dessen, was gut und richtig ist, den Willen oder wird durch die Stärke des Willens das entsprechende Handeln auf Dauer gestellt. Vielmehr trägt der Wille bei Schleiermacher dem Lebensansatz gemäß eine gänzlich andere Gestalt: „[U]nd der Wille
41 Schleiermacher KGA II/12, 565 (Nachschrift Sprüngli 1826). 42 Winkler 2006, 217. 43 Vgl. Beljan 2017, 85 – 95.
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kann nur entstehn und man kann ihn sich nicht nach belieben machen weil es sonst ein Wollen-wollen geben müßte. Der Wille […] entsteht lebendig“,⁴⁴ und zwar im kommunikativen, resonanten Wechselbezug zwischen Ich und Welt. Obgleich Schleiermacher keine normative Pädagogik entwirft, sondern auf Beobachtung, Optimierung und Kommunikation setzt, bilden Fragen nach einem gelingenden Leben den ethischen Horizont erzieherischen Handelns. „Je weniger wir diese beschleunigende Einwirkung als gering ansehen, desto mehr ist sie es[;] je mehr Geistiges in einer Generation realisirt ist desto weniger darf man sie dem Ungefähren überlassen.“⁴⁵ Die sittliche Fundierung der Erziehung ergibt sich bereits aus der systematischen Nähe der Pädagogik zur Ethik als koordinierte Wissenschaft. Konkret bedeutet dies, dass Erziehende nur authentisch dafür werden einstehen können, was an der Idee des Guten ausgerichtet ist und ihnen selbst als richtig und gut erscheint. Die Umsetzung erfolgt über Aushandlungsprozesse und dynamische Gesprächssituationen zwischen den Generationen während der Entwicklung: „Denn der Mensch kann zwar nichts wirken oder thun, das mit seiner Individualität in Widerspruch stände, und wenn wir das, was er wirklich geworden ist, betrachten, so hätte er es zwar von diesem innerlichen agens allein werden können: aber dennoch hilft ihm offenbar die Wechselwirkung mit andern sein Handeln zu bestimmen.“⁴⁶ Versteht Schleiermacher die Notwendigkeit und Realität von Erziehung aus dem Wechsel der Generationen heraus, so wird ein Punkt eintreten, da der Vorsprung der älteren Generation gegenüber der jüngeren aufgebraucht ist bzw. diese eigenverantwortlich für sich selbst einstehen kann. Wenig verwunderlich vollzieht sich auch das Erreichen der Mündigkeit im Gespräch: „In der Erziehung muß ein Punkt eintreten wo sich das Subject der Erziehung und die Erziehenden verständigen über ihre besondere Lage in dem gemeinsamen Leben als selbstständig.“⁴⁷ Wurde hier der Versuch unternommen, Schleiermachers Pädagogik hinsichtlich der Frage nach der Kommunikation zu betrachten, lässt sich als Fazit formulieren: Schleiermacher zeigt, dass sowohl Erziehung als reales menschliches Handeln an Kommunikation gebunden ist, als auch sich das Pädagogische als eigener Bereich erst diskursiv bestimmen und mit Bedeutung füllen lässt. Dies angenommen, gestaltet sich die pädagogische Praxis immer in einem wechselseitigen und kommunikativen Austausch, in der Dialektik von Aneignung und Vermittlung, im Rahmen gegebener kultureller und gesellschaftlicher Zusammenhänge mit einer anzunehmenden Offenheit bezüglich der Situation wie der Perspektiven. Darüber hinaus bedarf die angenommene Ambition, das Heranwachsen der jüngeren Generation vorteilhaft zu gestalten, pädagogischer Diskussion.
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Schleiermacher KGA II/13, 88 (Ms. 1818). Schleiermacher KGA II/12, 549 (Nachschrift Sprüngli 1826). Schleiermacher KGA II/12, 348 (Berliner Nachschrift 1820/21). Schleiermacher KGA II/12, 672 (Nachschrift Sprüngli 1826).
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Literatur Beljan, Jens. 2017. Schule als Resonanzraum und Entfremdungszone. Eine neue Perspektive auf Bildung. Weinheim / Basel: Beltz Juventa. Brachmann, Jens. 2002. Friedrich Schleiermacher. Ein pädagogisches Porträt. Weinheim / Basel: Beltz Juventa. Humboldt, Wilhelm von. 2017. „Theorie der Bildung des Menschen“, in: Humboldt, Schriften zur Bildung, hg. v. Gerhard Lauer. Stuttgart: Reclam, 5 – 12. Litt, Theodor. 1965. „Die gegenwärtige Lage der Pädagogik und ihre Forderungen“, in: Litt, Pädagogik und Kultur, hg. v. Friedhelm Nicolin. Bad Heilbrunn: Verlag Julius Klinkhardt, 58 – 98. Mollenhauer, Klaus. 2003. Vergessene Zusammenhänge. Über Kultur und Erziehung. 6. Aufl., Weinheim / München: Beltz Juventa. Rutschky, Katharina. 1997. Schwarze Pädagogik. Quellen zur Naturgeschichte der bürgerlichen Erziehung. Frankfurt am Main / Berlin / Wien: Ullstein. Winkler, Michael. 2006. Kritik der Pädagogik. Der Sinn der Erziehung. Stuttgart: Kohlhammer.
Marco Stallmann
„Religiöse Mittheilung ist nicht in Büchern zu suchen“. Zum Verständnis religiöser Kommunikation bei Johann Joachim Spalding und Friedrich Schleiermacher Abstract: The Berlin chief consistorial councilor Johann Joachim Spalding was one of the pioneers of Enlightenment theology; he also exercised a demonstrable influence on the young Friedrich Schleiermacher. Investigation of these connections, however, has mostly concentrated on analogies between their views of religious individualization and been premised upon the assumption of an eighteenth-century “ecclesiological deficiency.” This contribution brings into focus one of Spalding’s most successful Berlin works, which has so far received little attention in Schleiermacher research: his Vertraute Briefe, die Religion betreffend (17841–17883). Proceeding from a critical diagnosis of European atheism and civilizational decline, Spalding developed an apologetic literary model of religious communication that, when compared to Schleiermacher’s Reden, can claim significant historical relevance. In addition to the remarkable communicative analogies that the study reveals, it also explores contextual and aesthetic differences in order to appreciate Schleiermacher’s work as an epochal achievement in the context of early Romanticism – one, however, that must be understood against the backdrop of eighteenth-century public discourse about religion, a discourse which itself intended to authentically transform Christian tradition in light of modern culture.
1 Einordnung Die in Schleiermachers vierter Rede Über die Religion enthaltene Vorstellung einer „wahren Kirche“¹ als Gemeinschaft religiöser Virtuosen ist im theologischen Diskurs des 19. und 20. Jahrhunderts besonders wegen ihres angeblichen Verhaftetseins in herrnhutischen und romantisch-elitären Denkvoraussetzungen in die Kritik geraten.² Erst die neuere Forschung konnte eine Rehabilitierung anbahnen, indem sie das Plädoyer für die gesellschaftliche Selbstständigkeit der Kirche als einen sozialen Ort freier Kommunikation kritisch rekonstruierte und theologiegeschichtlich einordnete.³ Dafür musste insbesondere Schleiermachers Verhältnis zur Aufklärung in den Fokus rücken, insofern bereits hier das Verständnis der Kirche in eine geschichtliche Ortsbestimmung des
1 Schleiermacher KGA-I.2, 287. 2 Vgl. etwa Ritschl 1874, 48; im Anschluss daran Hirsch 1952, 521 – 529. 3 Vgl. Gräb 1989; Barth 2004. https://doi.org/10.1515/9783111128801-021
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Christentums eingezeichnet worden war.⁴ Allerdings blieb die Forschung dabei lange auf die Einflüsse des Neologen Johann Salomo Semler fixiert, dessen Hallenser Vorlesungen Schleiermacher wahrscheinlich gehört hat und dessen wegweisende Unterscheidung von Theologie und Religion mit ihrer Kritik an kirchlicher Orthodoxie freilich in modifizierter Form bei dem Berliner Theologen weiterlebte.⁵ Erst im Zuge einer differenzierteren kirchen- und theologiegeschichtlichen Erforschung des 18. Jahrhunderts kam es zur umfassenderen Einordnung der Theologie Schleiermachers in ihre vielfältigen aufklärungstheologischen Entstehungszusammenhänge. So zeigte der Vergleich der Reden mit der Religionsschrift des einflussreichen Berliner Oberkonsistorialrats Johann Joachim Spalding, dass Schleiermacher sich in der Bestimmung der Religion als Gefühl und ihrer Unterscheidung von Metaphysik und Moral neologische Einsichten Spaldings und andere Traditionsstränge umformend zu eigen machte.⁶ Mit Blick auf Schleiermachers Polemik gegen die aufklärerische Forderung der individuellen Nützlichkeit von Religion wurden diese Einsichten kontrovers diskutiert.⁷ Auch von Spaldings 1772 veröffentlichter Abhandlung Ueber die Nutzbarkeit des Predigtamtes und deren Beförderung ausgehend, ließen sich einerseits Rezeptionsspuren in Schleiermachers frühen Predigten nachweisen;⁸ andererseits schien die dezidierte Neuausrichtung des Predigtamts auf die Kultivierung individueller Religiosität „das Interesse an kirchlicher Sozietätswahrung weithin zu überlagern“⁹ und damit einen weiteren Beleg für das „ekklesiologisch[e] Defizit“¹⁰ der neologischen Privatreligion zu liefern, das Schleiermacher wirksam überwunden habe. Bis heute konzentriert sich die Schleiermacher-Forschung bei der Untersuchung der Einflüsse Spaldings vor allem auf die individualisierungstheoretischen Kontinuitäten und Differenzen.¹¹ In diesem Zugriff bleibt allerdings eine wichtige Veröffentlichung Spaldings unterbelichtet: Mit seinen zunächst anonym publizierten, an einen fiktiven Briefempfänger gerichteten Vertrauten Briefen, die Religion betreffend trat er 1784 erneut in der literarischen Öffentlichkeit hervor. Vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Relevanzkrise christlicher Religion begab sich Spalding auf die Suche nach zeitgemäßen Kommunikationsformen: Anstatt weiter als Geistlicher zum Publikum zu sprechen, legte er das Kostüm eines Mannes „aus der gebildetem edleren Layenwelt mit einiger Kenntniß und mit zuverlässiger Empfindung von der Religion“ an,¹² um sich dem Gegenstand im Rahmen eines fingierten Schriftverkehrs erneut zu nähern. Das Buch er-
4 Vgl. Rendtorff 1970, 9; Schröder 1996, 100 – 123. 5 Vgl. Hornig 1985, 875 – 897; Ohst 2013. 6 Vgl. Beutel 2000. 7 Vgl. Crouter 2016. 8 Vgl. Meier-Dörken 1988, 29 – 34; Godel 2015, 200 – 233. 9 Beutel 2014, 26. 10 Sparn 1992, 664. 11 Vgl. jüngst Jiang 2020, 167, die Schleiermachers Individualitätstheorie unter anderem von Spaldings berühmter Betrachtung über die Bestimmung des Menschen (1748) her liest. 12 Spalding 2004, 204 – 205.
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schien in drei Auflagen, war überaus erfolgreich und spiegelte den intensivierten Religionsdiskurs der Zeit. Seine literarische Form ließ bereits mehrfach die Vermutung zu, dass Schleiermacher beim Verfassen seiner Reden „auf den Erfolgsautor Spalding blickte“ und sich die Vertrauten Briefe zum „Vorbild“ nahm.¹³ Eine vergleichende Interpretation ist jedoch bis heute ein Desiderat. Vermutlich schon während der Zeit im herrnhutischen Pädagogium in Barby, spätestens aber Ende der 1780er Jahre, als das Studium in Halle abgeschlossen und das Religionsthema an gesellschaftlich-diskursiver Intensität kaum mehr zu überbieten war, kannte Schleiermacher die Werke Spaldings, die er bald auch in seinem Freundeskreis empfahl und verbreitete.¹⁴ Zwischen beiden lag der Abstand von zwei Generationen. Als Berliner Charité-Prediger kam Schleiermacher ab 1796 in regen gesellschaftlichen Kontakt mit den Familien Sack und Spalding, bei denen er (nicht zuletzt als Freund des Sohnes Georg Ludwig Spalding) willkommener Gast war und die er auch im Hause Henriette und Marcus Herz regelmäßig antreffen sollte.¹⁵ Dass Spaldings Werke nicht nur einen festen Platz in Schleiermachers hinterlassener Bibliothek¹⁶ besaßen, sondern für diesen auch Gegenstand intensiver Auseinandersetzung waren, zeigt darüber hinaus die kritische Würdigung von Spaldings Lebensbeschreibung, in der dieser 1790 auch über Absicht und Entstehung der Vertrauten Briefe eingehend berichtet hatte.¹⁷ Vor diesem Hintergrund dürfte es weiterführend sein, Spaldings Vertraute Briefe mit den Reden ins Gespräch zu bringen und im differenzierten Vergleich nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden zu fragen. Dabei soll die These entfaltet werden, dass sich bei Spalding auf der Grundlage einer kritischen Zeitdiagnose die Konturen einer kommunikationstheoretischen Religionsauffassung herausbilden, die auch mit Blick auf Schleiermacher und insbesondere seine vierte Rede wirkungsgeschichtliche Relevanz beanspruchen kann. Um dies zu verifizieren, werden vor allem die beiden Zeitdiagnosen (1), die Gefühls- und Geselligkeitsauffassungen (2) sowie die Geschichtsanschauungen (3) hinsichtlich ihrer kommunikativen Implikationen zu befragen sein. Diese Aspekte sind für die beiden Verständnisse jeweils zentral und dennoch bisher kaum zum Vergleich herangezogen worden. Methodisch werden zunächst Spaldings Ausführungen rekonstruiert (a), um in einem zweiten Schritt Kontinuität und Differenz im Vergleich zu Schleiermacher zu markieren (b). Am Ende wird auf die Ausgangsfrage nach dem Zusammenhang zwischen beiden zurückzukommen sein.
13 Nowak 2001, 79; vgl. auch den Hinweis bei Sauer 2021, 55. 14 Vgl. etwa Schleiermachers Briefe an Carl Gustav von Brinckmann vom 16. Dezember 1787 (Nr. 85) und 10. Juni 1789 (Nr. 116) in Schleiermacher KGA V/1, 97, 120 – 123. 15 Vgl. Beutel 2000, 286 – 287; Beutel 2017. 16 Vgl. Meckenstock 1993, 274 – 275. 17 Vgl. Schleiermacher KGA I/5, 27– 38;Spalding 2002b, 105 – 240, hier 176 – 178 (1804). Diesen Abschnitt der posthum veröffentlichten Lebensbeschreibung hat Spalding nach eigenen Angaben bereits 1790 verfasst, vgl. Spalding 2002b, 155.
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2 Vergleich 2.1 Zeitdiagnose und literarisches Kommunikationsmodell a) Die erwähnte, von Schleiermacher rezensierte Lebensbeschreibung gibt über die Entstehung der Vertrauten Briefe, die Religion betreffend einigen Aufschluss: Ausgangspunkt sei die Beobachtung einer zunehmenden religionskritischen „Freygeisterey“¹⁸ gewesen, aufgrund derer laut Spalding nicht nur in Preußen, sondern in ganz Europa („Frankreich, England, Holland, Genf“) der „Mangel des Gemeingeistes“ und die moralische „Entehrung“ der menschlichen Gattung sichtbar zugenommen habe.¹⁹ Die „alles übrige verschlingende Arbeit für die politische Gesellschaft“²⁰ lasse es vielen Zeitgenossen fraglich erscheinen, „in was für […] höheren Verbindungen wir, als Menschen, stehen“.²¹ Mit einem kulturkritischen Zitat Jean-Jacques Rousseaus unterstreicht Spalding die kontinentale Dimension seiner Zeitdiagnose: „Der jetzige Eifer für den Atheismus [ist] eine bloße feindselige Empörung gegen das Gewissen […]. Europa sieht sich Herschern Preis gegeben, die von ihren Lehrmeistern selbst unterrichtet werden, keinen andern Führer, als ihren Eigennutz, keinen andern Gott, als ihre Leidenschaften, zu haben.“²² Die Hauptursache der Krise liegt für Spalding in den religionskritischen Absolutheitsansprüchen der westeuropäischen Aufklärungsphilosophie: Das zeigen nicht nur seine Verweise auf den englischen Deismus oder den nochmals radikaleren französischen Materialismus.²³ Auch und vor allem die Kritik der abendländischen Metaphysik, die in den Vertrauten Briefen zwar nicht ausdrücklich, aber implizit mit dem Namen Immanuel Kant verbunden ist, steht im Mittelpunkt.²⁴ Und schließlich werde in jüngerer Zeit der „tugendhafte Spinoza“ als Beweis dafür angeführt, „daß es zur Tugend keines Glaubens der Religion bedürfe“,²⁵ womit er laut Spalding in ärgerlicher Weise missverstanden werde. Diese problemgeschichtlichen Tendenzen münden in einem kalten Rationalismus, der allem Religiösen seine Daseinsgrundlage abspricht und mit seinen
18 Spalding 2002b, 176. 19 Vgl. Spalding 2004, 25 – 54, hier 47– 48. 20 Spalding 2004, 69 – 88, hier 82. 21 Spalding 2004, 113 – 144, hier 116. 22 Spalding 2004, 122. Der deutlich umfangreicher zitierte Dialog (Rousseau juge de Jean-Jacques, 1780) ist in deutscher Übersetzung abgedruckt in Rousseau 1978, 253 – 636, hier 612,14 – 614,2. Der damit gegebene Zitatnachweis scheint bisher ein Desiderat gewesen zu sein, zumindest fehlt er bei Nowak 1993, 37; Prause 2004, 258 sowie Coenen 2018, 249 – 265, 258. 23 Vgl. Spalding 2004, 250 – 258 sowie die Übersicht bei Israel / Mulsow 2014, 7– 19. 24 Vgl. Spalding 2004, 210 (1788). Vgl. zu Spaldings respektvoller Distanz gegenüber der Kritischen Philosophie auch Spalding 2018, 327– 329. 25 Spalding 2004, 45.
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affektiven Defiziten zugleich „eine Menge gutmeinender Gemüther unausbleiblich zur Schwärmerey hinübertreibt“.²⁶ Zwischen diesen beiden Extremen sucht Spalding apologetisch die Plausibilität des Christentums zu erweisen, womit jedoch angesichts der spezifisch neuzeitlichen Strittigkeit dieser Thematik nun vor allem eine kommunikative Herausforderung benannt ist: Vor dem Hintergrund der Zeitdiagnose „bleibt dem einzelen [sic] ehrlichen Verehrer Gottes und Freunde der Menschen nichts weiteres übrig, als daß er an seinem Theile desto ernstlicher die Denkungsart, bey welcher er sich glücklich findet, andern mitzutheilen suche.“²⁷ Insofern repräsentieren die Vertrauten Briefe den Versuch, das Religionsthema im Rahmen eines zeitgemäßen literarischen Kommunikationsmodells zu verhandeln. In seiner Lebensbeschreibung hat Spalding diese Intention konkretisiert: Die ursprüngliche Absicht sei es gewesen, „einen solchen Entwurf der Religion aufzustellen, wie ihn etwa ein ernsthaft denkender aber ganz unbefangener Laye heraus bringen würde“,²⁸ und diesen durch begleitende Briefe zu ergänzen. Dann jedoch habe er sich bewusst auf Letztere konzentriert: Seine Vertrauten Briefe sind an einen unbekannten Briefempfänger („Herrn K..h. B.. v. D..“²⁹) adressiert, der die symptomatische Gleichgültigkeit gegenüber Religion in der Gesellschaft repräsentiert, mit dem Absender jedoch offenbar eng befreundet ist. Deutlich hebt der Verfasser gegenüber seinem Briefpartner hervor, dass seine Briefe keinen Monolog darstellen sollen, sondern das „zusammengefaßte Resultat jener Gespräche [über Religion]“, mit denen die beiden Freunde schon „manche Stunden“ gefüllt hätten.³⁰ Dass Spalding hier ausdrücklich nicht mehr die Predigt vor der Gemeinde oder die privatreligiöse Glaubensreflexion in den Mittelpunkt stellen will, sondern das authentische Gespräch von Mensch zu Mensch, ist höchst bemerkenswert. Mit diesen Gesprächen würden sich sowohl religiöse als auch religionsindifferente Leser des Buchs identifizieren können. Insofern erreicht Spalding mit seiner Publikation eine gegenüber dem kirchlich-theologischen Diskurs deutlich erweiterte Adressatengruppe. Ein wenig gab er dieses Identifikationspotenzial preis, als er 1788, nachdem die Vertrauten Briefe bereits hohen Bekanntheitsgrad erreicht hatten, seine Anonymität aufgab, wie er in der Zugabe von 1788 berichtet.³¹
26 Spalding 2004, 145 – 170, hier 155. 27 Spalding 2004, 124; Hervorhebung v. M. S. 28 Spalding 2002b, 176. 29 Spalding 2004, 9 – 24, 9. Die Aussage von Nowak 2001, 99, der Verfasser verwende für sich ein Pseudonym „Baron von K.“, lässt sich anhand der Vertrauten Briefe so nicht bestätigen. Die mit „K.“ unterzeichnete „Anzeige des Herausgebers“ kommt – zumindest im Kommunikationsmodell – nicht aus der Feder des Briefeschreibers, vielmehr gibt sie vor, eine erhaltene „Abschrift“ der Briefe eines Unbekannten in den Druck zu geben, wobei sie durchaus Anonymität herstellt: „[I]m Grunde thut der [Verfasser] auch nichts zur Sache“ (Spalding 2004, 5). 30 Spalding 2004, 9. 31 Vgl. Spalding 2004, 203 – 248, hier 204.
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Die Charakterisierung als „gesinnungsertüchtigende Zweckprosa“³² verfehlt diesen entscheidenden, angesichts gesellschaftlicher Transformationsprozesse auf modernitätsfähige Kommunikationsformen der Religion zielenden Aspekt auf empfindliche Weise. Als Teil der aufstrebenden Publizistik im 18. Jahrhundert sind die Vertrauten Briefe Zeugnis der Etablierung neuer literarischer Institutionen und des damit einhergehenden, in seiner Öffnung des Religionsdiskurses noch immer nicht hinreichend ausgeleuchteten Strukturwandels der Öffentlichkeit.³³ Das bestätigen auch die zahlreichen Rezensionen durch namhafte Zeitgenossen wie Johann Friedrich Zöllner, Friedrich Germanus Lüdke und Johann Heinrich Schulz, die zum einen Spaldings kunstvolle Sprachgestaltung und gegenwartsdiagnostische Beobachtungsgabe loben, zum anderen aber vor allem Berlin als wichtiges Rezeptionszentrum der Vertrauten Briefe deutlich werden lassen.³⁴ Nicht allein darin liegt ein handfester Beweggrund, dem Vergleich mit Schleiermachers Jugendwerk weitere Aufmerksamkeit zu schenken. b) In der Abfassungszeit der Reden hatte sich der problemgeschichtliche Hintergrund nochmals erheblich ausdifferenziert: Zwar gaben die religionskritische Zeitsignatur und insbesondere Kants Destruktion der abendländischen Metaphysik auch für Schleiermacher den Anstoß für einen religionstheoretischen Neuaufbruch, doch waren mit der Rede von der Religion als eine „eigne Provinz im Gemüthe“³⁵ und ihrer Unterscheidung von Metaphysik und Moral ganz eigene Formulierungen gefunden.³⁶ Zwar war auch Spalding mit der Pantheismusdebatte um die Schrift Friedrich Heinrich Jacobis Über die Lehre des Spinoza (ab 1785) konfrontiert,³⁷ doch konnte Schleiermacher auf die spinozistische Alleinheitslehre bereits viel positiver rekurrieren, wie sein Zentralbegriff des Universums zeigt. Und schließlich zeitigte auch die Auseinandersetzung mit dem dramatisch zugespitzten Atheismusstreit um den in Jena entlassenen Johann Gottlieb Fichte erhebliche Konsequenzen hinsichtlich der kategorialen Relativierung des Gottesgedankens. Diese Tendenzen sind bekannt und in ihrer Bedeutung für Schleiermachers theologisches Modernisierungsprogramm differenziert ausgeleuchtet.³⁸ Weniger Beachtung haben bis heute die auffälligen Strukturanalogien in der Zeitdiagnose gefunden: Schon bei Spalding waren problemgeschichtliche Tendenzen und religionssoziologische Bestandsaufnahmen in der Diagnose eines grundsätzlichen Plausibilitätsverlusts der christlichen Religion zusammengekommen. Ebenso lesen sich
32 Häcker 2009, 63. 33 Vgl. Habermas. 1990, 69 – 85 sowie zu dessen Ausblendung christentumsgeschichtlicher Transformationen Barth 2008, 209. 34 Vgl. die Übersicht bei Beutel 2004, XXI–XLIII, hier XLII. Hier wird auch aufgezeigt, dass Schleiermachers Vertraute Briefe über Friedrich Schlegels Lucinde (1800) kaum als Reminiszenz an Spalding zu verstehen sind (Beutel 2004, XXVII–XXVIII). 35 Schleiermacher KGA I/2, 185 – 326, hier 204. 36 Vgl. Beutel 2000, 298 – 302. 37 Vgl. Goldbaum 2009, 211, 221 (Anm. 86). 38 Vgl. Barth 2004, 270 – 279.
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Schleiermachers Reden als der begriffliche Versuch, Religion unter den krisenhaften Bedingungen der Moderne zur Geltung zu bringen, wenngleich beide mit ihrer theistischen bzw. nachtheistischen Fassung des Gottesbegriffs eigene Wege gehen. Bei beiden Autoren wird deutlich, dass es im aufgeklärten Religionsdiskurs nicht mehr einfach um die materialen Bestimmungen der Religion geht, sondern um die kommunikative Verständigung darüber: So ist plausibilisiert worden, dass Schleiermacher über die Kritik an Fichte hinaus „die grundsätzliche Kommunikationssituation des Atheismusstreits und die […] beanspruchte Definitionshoheit über den Gottesbegriff zum zentralen Anknüpfungspunkt seines Gegenentwurfs in den Reden macht“.³⁹ Seine Problemanzeigen gegenüber „Systemsucht“ und „parteiische[r] Vorliebe“⁴⁰ finden sich in ganz ähnlicher Form bereits in den Vertrauten Briefen ⁴¹ und lassen sich füglich als aufklärungstheologische Grundanliegen interpretieren, aber darauf wird zurückzukommen sein. In religionssoziologischer Hinsicht erweist sich die Krise des religiösen Lebens auch für Schleiermacher als gesamteuropäisches Phänomen. Doch kann er – mehr noch als Spalding – bereits auf die kulturellen Folgelasten einer einseitig auf „Verständigkeit“ und „Nützlichkeit“ zielenden europäischen Radikalaufklärung zurückblicken: Vom epochalen Ereignis der Französischen Revolution zeigt er sich tief beeindruckt, ganz im Gegensatz zum kaum noch zu bändigenden Hedonismus im kapitalistischen England („gewinnen und genießen“).⁴² In Deutschland diagnostiziert allerdings auch Schleiermacher einen erheblichen gesellschaftlichen Relevanzverlust der Religion und eine religionskulturelle Plausibilitäts- und Mitteilungskrise, die er besonders in der vierten Rede gegenüber den kirchenkritischen Adressaten anführt.⁴³ Vor diesem Hintergrund entwickelt Schleiermacher ein Kommunikationsmodell, dass dem der Vertrauten Briefe durchaus ähnlich ist. Wie bei Spalding wird der Verfassername verschwiegen und vorausgesetzt, dass es angesichts der Krisenphänomene wenig zielführend ist, zur literarischen Öffentlichkeit weiter „von oben herab“ als Geistlicher zu sprechen: „Als Mensch rede ich zu Euch von den heiligen Mysterien der Menschheit nach meiner Ansicht“.⁴⁴ Selbstverständlich wird dieses anthropologisch fundierte Modell von beiden durchaus unterschiedlich umgesetzt: Während der Redner bei Schleiermacher die Gebildeten unter den Verächtern der Religion insgesamt anspricht, wird bei Spalding der religiös indifferente, aber gebildete Brieffreund „von den leichtsinnigen Verächtern und
39 Wittekind 2000, 399. 40 Schleiermacher KGA I/2, 217:“Die Systemsucht stößt freilich das Fremde ab“. Schleiermacher KGA I/2, 236: „Die Religion weiß nichts von einer solchen partheiischen Vorliebe“. 41 Vgl. nur Spalding 2004, 134: „durch Beylegung verhaßter Partheynahmen einen ausgebreitetem und heftigem Abscheu gegen den Andersdenkenden zu erregen“; Spalding 2004, 242: „partheysüchtiger Sectengeist“; vgl. außerdem Abschnitt 2.2 dieser Studie. 42 Schleiermacher KGA I/2, 195 – 196. 43 Vgl. Schleiermacher KGA I/2, 266. 44 Schleiermacher KGA I/2, 190.
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Bestreitern des Christenthums“⁴⁵ unterschieden, wobei in beiden Fällen eine größere Öffentlichkeit einbezogen wird. Den prophetischen Stil und den Kunstsinn der Reden hat Spalding mit seinen populartheologischen (gleichwohl sprachlich-literarisch anspruchsvollen) Vertrauten Briefen weder erreichen können noch erreichen wollen. Beide Werke zielen auf eigene religiöse Authentizität, die einerseits vom geschichtlichen Christentum ausgeht und sich andererseits vom zeitgenössischen Kirchenglauben explizit unterschieden (nicht: separiert) weiß. Deutlicher als Spalding sieht Schleiermacher die Notwendigkeit, gerade auch den Begriff der Kirche einer „neuen Betrachtung“ zu unterwerfen und ihn „vom Mittelpunkt der Sache aus aufs neue erschaffen, unbekümmert um das, was […] die Erfahrung uns an die Hand gibt“.⁴⁶ Insofern erscheint es angemessen, die beiden Kirchenverständnisse oder vielmehr die jeweils an deren Stelle gesetzte Auffassung religiöser Mitteilung und Geselligkeit genauer in den Blick zu nehmen.
2.2 Gefühlstheorie und religiöse Kommunikation a) Die gesellschaftliche Legitimität des Predigtamts vermochte Spalding auch dadurch in innovativer Weise aufzuzeigen, dass er die Konventionen des freundschaftlichen Umgangs auf die Berufspraxis des Geistlichen übertrug und damit kirchlich-dogmatische Hierarchien abzubauen suchte.⁴⁷ Mit einigem Recht lässt sich dies als „Reflex eines gesellschaftlichen Übergangs“ interpretieren, in dessen Verlauf „die altständische Gesellschaft dem neuen Typus der bürgerlichen Gesellschaft weicht“.⁴⁸ Allerdings war das empfindsam-intime Freundschaftskonzept im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts im Hinblick auf ein sozialethisches Verständnis der entstehenden Öffentlichkeitskultur zu erweitern: Spalding verarbeitet diese gesellschaftlichen Differenzierungsprozesse in einer Theorie religiöser Sozialformen, die auch im Hintergrund der Vertrauten Briefe (ab 1784) steht. Besonders relevant für die hier zugrunde liegende Fragestellung ist der sechste Brief, in dem der Autor seinem Briefpartner überaus herzlich für die Einführung in eine gesellige Runde dankt: Welch ein Fest ist es doch für einen Menschen, der seine Beziehung auf Gott […] für etwas wichtiges hält, sich in voller Vertraulichkeit mit einer kleinen Anzahl Gleichdenkender zusammen zu finden, die darüber mit aller Freyheit ihre Gedanken und Empfindungen gegen einander ausschütten, die ohne Aengstlichkeit, ohne gezwungene Andächteley, auf eben die offenherzige heitere Art davon sprechen, wie sonst in einem Zirkel zuverläßiger Freunde […] gesprochen wird, und wobey auch
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Spalding 2004, 133. Schleiermacher KGA I/2, 267. Vgl. Spalding 2002a, 64. Dreesman 2006, 153.
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gesellschaftliche Freude und ermunternder Scherz noch immer ihre gehörige Stelle finden können.⁴⁹
Gegenüber spätpietistischer „Andächteley“ und empfindsamem Freundschaftskult zeichnet sich die von Spalding beschriebene Gesprächsrunde durch ihre betont gesellschaftliche Offenheit und positive Grundstimmung aus, die einen freien Austausch in der Balance von Denken und Fühlen ermöglichen. Spalding kann daraus einen Schlüssel für gelingende religiöse Kommunikation ableiten, indem er von einer „offenen, sich freundschaftlich mittheilenden Gemüthsart“⁵⁰ spricht. In dieser Figur offenbart sich ein Gefühlsverständnis, dass nicht allein auf die Moral-Sense-Theorien, mit denen Spalding bestens vertraut war,⁵¹ zurückzuführen ist, vielmehr „sammlet und erhöhet sich das sonst getheilte, zerstreuete Gefühl vom einzelen Wahren und Guten bis zu dem großen, alles umfassenden Gefühl von Gott“.⁵² „Nur in dieser geraden Richtung unserer Gedanken und Empfindungen allein läßt sich mit einigem nützlichen Erfolge über Religion sprechen. Wer von jenem großen Gefühle […] nichts weiß, […] der ist schlechterdings aus dem Standpunkte weggerückt, in welchem allein die hiehergehörigen Dinge […] in ihrer wahren Gestalt und Würde erscheinen.“⁵³
Entscheidend ist nun, dass sich in dieser Beschreibung einer Konversation aus dem religiösen Gefühl heraus Ansätze für ein Verständnis von intersubjektiver Wechselwirkung und Anerkennung ergeben, die für Spalding prinzipiell verallgemeinerbar sind: Lassen Sie nur mehrere Personen und Familien von der Art, als wir vor acht Tagen zusammen sahen, sich untereinander kennen und in Umgang kommen; edle Menschen, die sich aus den dürren finstern Gängen der Formelreligion […] herausgearbeitet haben, aber desto lebendiger den hohen Werth des reinen Herzens und der seligen Abhängigkeit von Gott fühlen […]. Lassen Sie diese sich das Wort darüber geben, […] mit dem Stolze des Bewußtseyns einer guten Sache, sich für das zu zeigen, was sie sind, aus Empfindung der Religion sich eine Ehre zu machen […] und Sie werden sehen, was das für Wirkung thun wird.⁵⁴
Hier verlagert sich das identitäts- und sinnstiftende Moment christlicher Religion von der dogmatischen Bestimmung auf die Mitteilung ursprünglicher Darstellungen des religiösen Gefühls, für das weder die „Systeme der Theologen“ noch die „Bekenntnißbücher der christlichen Partheyen“ ein „nothwendiges Regelmaaß“ bieten können.⁵⁵ In 49 Spalding 2004, 114; Hervorhebung v. M. S. 50 Spalding 2004, 113. 51 Vgl. zu Spaldings Shaftesbury-Übersetzungen Arndt 2000, 192. 52 Spalding 2004, 146. 53 Spalding 2004, 114; Hervorhebung v. M. S. 54 Spalding 2004, 119 – 120. Diese kommunikative Komponente in Spaldings Religionsverständnis bleibt unterbelichtet bei Saarinen 2015, 447; Hervorhebung v. M. S. 55 Spalding 2004, 131.
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der zweiten Auflage von 1785 werden die intersubjektiven Anerkennungsverhältnisse und die notwendige Vermeidung externer Zweckbestimmungen noch stärker betont: Ich meine hier ja keine förmliche gesellschaftliche Vereinigungen mit Gesetzen und bestimmten Zusammenkünften […]. Sondern da, wo man […] Offenherzigkeit genug hätte, darüber zu sprechen und sich seine Entschließungen mitzutheilen, also sicher wäre, in seinem Kreise nicht der einzige von dieser Denkart zu seyn, da könnte unfehlbar ein zuversichtliches Betragen, und von diesem eine merklichere Wirkung erwartet werden.⁵⁶
Hinsichtlich der Frage, in welchem lebensgeschichtlichen Kontext diese Schlüsselfigur der 1784 erstmals publizierten Vertrauten Briefe entstanden ist, dürfte die Gründung der ersten Berliner literarischen Salons um 1780 eine gewisse Rolle spielen.⁵⁷ Dafür spricht auch, dass Spalding, der „den Bewegungen der schönen Literatur mit Teilnahme und jugendlicher Lebendigkeit folgte“, zu den „damaligen Trägern der Intelligenz Berlins“ und „geistvollen Freunde[n]“ des „näheren Umgang[s]“ im Hause Herz gezählt wird.⁵⁸ Es ist nicht auszuschließen, sondern vielmehr als plausibel anzunehmen, dass bereits die Vertrauten Briefe den Geist der Berliner Geselligkeit atmen und damit religionstheoretische Denkvoraussetzungen für Schleiermachers Theorie religiöser Mitteilung bereitstellten. Wenngleich Spalding auf dieser Grundlage auch in späteren Publikationen dem Begriff der religiösen „Mittheilung“⁵⁹ deutlich mehr Raum geben konnte, wäre es wenig angemessen, von einer kirchentheoretischen Schlüsselfunktion zu sprechen. Vor dem Hintergrund des Aufgezeigten ist allerdings festzustellen, dass sich die Vertrauten Briefe ebenso wenig in jener Distinktion von individuell-privater und kirchlich-öffentlicher Religion verorten lassen, die vor allem bei Semler Gefahr lief, dichotomisch auseinanderzufallen: Für ihn konnte die privatreligiöse Aneignung christlicher Grundwahrheiten zwar erhebliche Liberalisierungspotenziale freisetzen, jedoch gerade darum kaum gemeinschaftsbildend sein, weshalb er sich nicht zuletzt für eine territorialistische Bekenntnisverpflichtung öffentlicher Kirchenrepräsentanten und sogar für die Verteidigung des Woellnerʼschen Religionsedikts von 1788 einsetzte.⁶⁰ Spalding dagegen trat auf der Basis eines weiten, kulturanthropologischen Kirchenbegriffs gegen unrechtmäßige staatliche Restriktionen⁶¹ ein und repräsentierte eine freie, publizistisch getragene Öffentlichkeit, in der sich die Ausdifferenzierung von Kirche, Christentum und Gesellschaft im 18. Jahrhundert geschichtsträchtig manifestierte: In den Vertrauten Briefen bilden sich die Konturen eines öffentlichen Religionsverständnisses heraus, das auf gesellige, institutionsunabhängige Kommunikation hinausläuft und deren Gelingen programmatisch im religiösen Gefühl verankert. Mit diesem kulturhistorisch höchst
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Spalding 2004, 119. Vgl. Wilhelmy 1989, 33 – 62. Fürst 1850, 41. Vgl. etwa Spalding 2002a, 62. 177, 216 (1791) sowie Spalding 2001, 125, 153 (1797). Vgl. Laube 2004, 15. Vgl. Spalding 2002a, 57 (1791).
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relevanten Übergang waren für Schleiermachers Theorie religiöser Mitteilung wesentliche, im Rahmen der Forschung bisher unzureichend gewürdigte Voraussetzungen geschaffen. b) Nachdem Schleiermacher 1796 die Stelle des reformierten Predigers an der Berliner Charité übernommen hatte, fand er bald das Wohlwollen des als Patriarchen unter den Aufklärungstheologen verehrten Spalding und die Förderung des mit Spaldings Tochter verheirateten Friedrich Samuel Gottfried Sack, die ihn in die Kreise der neologischen Predigeraristokratie einführten. Man traf sich bei Henriette Herz, und auch in den Häusern der beiden Neologen war Schleiermacher willkommener Gast.⁶² In seinem „Versuch einer Theorie des geselligen Betragens“ von 1799 verarbeitete er seine Erfahrungen der Berliner Salongeselligkeit, sodass ihm in den wenige Monate später erschienenen Reden sogar die Kirche als „vollendetste[s] Resultat der menschlichen Geselligkeit“⁶³ erscheinen konnte. Die popularphilosophischen Debatten des 18. Jahrhunderts zur „Privat-Klugheit“ der Geselligkeit (Adolph Knigge) und die Kritik ihres moralischen Scheincharakters (Immanuel Kant) aufgreifend, gab Schleiermacher der Geselligkeitstheorie und dem Verfahren zum Ausgleich gegensätzlicher Positionen ihre klassische Gestalt.⁶⁴ Die Antinomie zwischen Selbstentfaltung und Einfügung in den Gruppengeist hebt sich im „freien Spiel der Gedanken und Empfindungen“⁶⁵ auf, bei dem es für den Einzelnen darauf ankommt, von „dem Totale des geselligen Stoffs“⁶⁶ auszugehen und seinen Platz in der Sphäre der Gesellschaft zu finden. Mit dieser Ganzheitsvorstellung ging Schleiermacher über die freundschaftlich-diskursiven Verständnisse der Aufklärungsphilosophie eigenständig hinaus.⁶⁷ Der Begriff „Religion“ kommt in Schleiermachers Versuch kein einziges Mal vor. Allerdings sieht er am Ende, dass die entfalteten Thesen „Ideale“ sind, denen sich die Ausübung nur annähern kann – insbesondere die Vorstellung der Gesellschaft als „Ganzes“.⁶⁸ In keiner anderen Art zu denken oder zu empfinden, kommt dieses Ganze für Schleiermacher so lebhaft zur Anschauung wie in der Religion. Dementsprechend weisen auch die Reden der Geselligkeit einen hervorragenden Platz zu: „Ist die Religion einmal, so muß sie nothwendig auch gesellig sein: es liegt in der Natur des Menschen […] wenn eine religiöse Ansicht ihm klar geworden ist, oder ein frommes Gefühl seine Seele durchdringt, auf den Gegenstand auch Andre hinzuweisen und die Schwingungen seines Gemüths wo möglich auf sie fortzupflanzen.“⁶⁹
62 Vgl. Schleiermacher KGA V/II, 174 – 176 (Brief 402), Schleiermachers Brief an die Schwester vom 04.10. 1797, sowie die Register der Salonnieren und Salongäste bei Wilhelmy 1989, 686, 948. 63 Schleiermacher KGA I/2, 270; vgl. zu der zitierten Wendung Rendtorff 2000, 79 – 99. 64 Vgl. Arndt 1997. 65 Schleiermacher KGA I/2, 170. 66 Schleiermacher KGA I/2, 179. 67 Vgl. Mauser 1990, 33. 68 Schleiermacher KGA I/2, 184. 69 Schleiermacher KGA I/2, 267– 268.
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Nun hatten bereits die Vertrauten Briefe ein Verständnis des Zusammenwirkens von Denken und Fühlen im freien, offenherzigen Austausch entwickelt. Während allerdings bei Spalding die mit dem religiösen Gefühl verbundene Ausrichtung der Seele auf Gott bescheidener als Voraussetzung des gelingenden Gesprächs über Religion zur Darstellung kommt, kann Schleiermacher der aus ihm hervorgehenden Wechselwirkung deutlich mehr Raum geben. Bei ihm wird das religiöse Gefühl nochmals systematisch aufgewertet, indem es über die Persönlichkeit hinaus deren Einheit mit dem natürlichen und sittlichen Ganzen bezeichnet und damit die Vermittlung des Eigentümlichen und Allgemeinen leistet. Schleiermacher erkennt vor diesem Hintergrund, dass religiöse Mitteilung „nicht in Büchern zu suchen“ ist.⁷⁰ Zu viel geht ihm darin von der spontanen Anschauung des Universums verloren: „Darum ist es unmöglich Religion anders auszusprechen und mitzutheilen als rednerisch, in aller Anstrengung und Kunst der Sprache“.⁷¹ Dieser Einsicht haben Spalding und Schleiermacher allerdings beispielhaft literarischen Ausdruck verliehen, wenn auch auf deutlich unterschiedlichem Reflexionsniveau. Gleichwohl scheinen die Reden gegenüber den Vertrauten Briefen ganz andere, viel weiter gehende Konsequenzen zu ziehen: Die gesellige religiöse Mitteilung ist für Schleiermacher Kennzeichen der „wahre[n] Kirche“⁷² – jener idealen „Gesellschaft religiöser Menschen“⁷³, in welcher der Unterschied zwischen Priestern und Laien aufgehoben ist. Indem Schleiermacher die Kirche als hierarchiefreie Kommunikationsgemeinschaft skizziert und sich kritisch gegen dogmatische Bestimmungen und religiöse Passivität abgrenzt, nimmt er durchaus aufklärungstheologische Motive ganz selbstverständlich auf. Nur sind die vorgestellten Kommunikationsformen in den Grenzen der bloßen Vernunft ebenso wenig zu beschreiben wie im Rahmen einer trennscharfen Unterscheidung von individuell-privater und kirchlich-öffentlicher (oder „statutarischer“⁷⁴) Religion, weshalb insbesondere Semler nur bedingt wirkungsgeschichtliche Relevanz im Hinblick auf Schleiermachers Reden beanspruchen kann.⁷⁵ Das Idealbild der Kirche als „vollkommne Republik“⁷⁶ religiöser Geselligkeit verhält sich kritisch zum geschichtlich gewachsenen Kirchentum, in dem Schleiermacher als Charité-Prediger arbeitet.⁷⁷ Die Großkirchen sind vor allem ein Ort für diejenigen, die noch keine Religion haben: je mehr wahre Religion, desto unwichtiger die Kircheninstitution. Am aufgeklärten Territorialismus kritisiert Schleiermacher die stillschweigende Funktionalisierung der Kirche als moralische Sozialisationsagentur, weshalb er am Ende der vierten
70 Schleiermacher KGA I/2, 268. 71 Schleiermacher KGA I/2, 269. 72 Schleiermacher KGA I/2, 273. 73 Schleiermacher KGA I/2, 274. 74 Kant 1968, 167– 190. 75 Vgl. Ohst 2013, 644 – 645. 76 Schleiermacher KGA I/2, 270. 77 Vgl. zu den deutlich moderateren Kirchenreformgedanken in den „Erläuterungen“ zur dritten Auflage der Reden Rendtorff 2000, 88 – 93.
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Rede – wohl auch unter dem Eindruck der Französischen Revolution – viel expliziter und programmatischer als Spalding die Trennung von Kirche und Staat einfordern kann.⁷⁸ Wie sich allerdings gezeigt hat, besaß Schleiermachers epochale Grundidee, die Struktur der religiösen Mitteilung im Zusammenspiel von Gedanken und Empfindungen an die Stelle des kirchlichen Lehrsystems zu setzen, in Spaldings Vertrauten Briefen eine bemerkenswerte Vorlage. Daraus ergeben sich im Hinblick auf Schleiermachers Theorieentwicklung nun weiterführende Erkenntnisse: Neben seinen Jacobi- und SpinozaStudien sowie der Beschäftigung mit Kant ist vor allem sein Hallenser Lehrer Johann August Eberhard als aufklärungsphilosophischer Haupteinfluss namhaft gemacht worden.⁷⁹ Allerdings war dessen Sittenlehre der Vernunft mit ihrer psychologisch-moralischen Gefühlskategorie nur bedingt tragfähig hinsichtlich der Vermittlung von Eigentümlichem und Allgemeinem, die für Schleiermacher erst im religiösen Gefühl zur intensivsten Anschauung kommt. Und in dieser Hinsicht galt ihm Spalding als durchaus repräsentativer Vordenker: Nicht nur ist dessen prominente Religions- und Gefühlstheorie in Schleiermachers Freundeskreis bei der Ablösung von der Brüdergemeine intensiv diskutiert worden.⁸⁰ Auch stellte er Spalding und Eberhard in bezeichnender Weise nebeneinander, als er über die Möglichkeiten „zur Glükseligkeit der Welt etwas beizutragen“ schrieb, „daß ein jeder das Mittel für das beste hält, welches er am meisten in seiner Gewalt hat: Spalding die Religion, Eberhard die Moral.“⁸¹ Vor dem Hintergrund des Aufgezeigten erscheint es sinnvoll, hinsichtlich der Genese von Schleiermachers Vorstellung geselliger Kommunikation und deren religionstheoretischen Implikationen auch Spalding stärker zu würdigen, als es bisher der Fall ist.⁸² Die Tatsache, dass Schleiermacher mit seinen Reden und seinem „Versuch einer Theorie des geselligen Betragens“ weitaus anspruchsvollere, frühromantische Konzeptionen vorlegte, die letztlich auch über den religiösen Bereich hinaus philosophische und soziologische Wirkung entfalteten, bleibt von dem vorgelegten Befund gänzlich unberührt.⁸³
2.3 Geschichtsauffassung und kommunikative Zukunftsvision a) Als 1784 die Vertrauten Briefe erschienen, hatte sich schließlich auch auf dem Feld der Geschichtsphilosophie einiges getan: Während die aufklärerische Vorstellung einer Bestimmung des Menschen von Kant in die „Idee einer allgemeinen Geschichte in
78 Vgl. Schleiermacher KGA I/2, 287. 79 Vgl. Oberdorfer 1995, 98 – 147. 80 Vgl. Okely 1985 [1787], 48. 81 Schleiermacher KGA V/1, 120 – 123, hier 122. 82 Dass Spaldings Religions- und Gefühlsverständnis in Schleiermachers Theorieentwicklung übersehen wird, kritisiert schon Arndt 1996, 386. 83 Vgl. Tyrell 2000.
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weltbürgerlicher Absicht“ überführt wurde, begann Johann Gottfried Herder dem Fortschrittsoptimismus der Aufklärung ein kulturgeschichtliches Panorama entgegenzusetzen, das unter dem Stichwort der Humanisierung mit einer Vielfalt von Entwicklungsmöglichkeiten rechnen konnte.⁸⁴ Aus der vom Berliner Konsistorialrat Zöllner aufgeworfenen und später von Kant prominent beantworteten Frage „Was ist Aufklärung?“ gingen die Unschärfe des geschichtsphilosophischen Postulats und die diskursbestimmende Fragestellung des Jahrzehnts hervor.⁸⁵ Um sie kreisten auch die Vertrauten Briefe, wenngleich hier am Ende sicher keine umfassende Geschichtstheorie stehen sollte. Zu den Schlüsselthemen gehörte vielmehr die Frage, wie sich das „Reden […] über die Religion“ angesichts des geschichtlichen Relevanzverlusts künftig entwickeln würde: „Und nun sagen Sie mir, liebster Freund, wie viel Hoffnung Sie wohl haben, daß unsere feinere Welt […] diese Sprache werde verstehen [und an ihr] Geschmack finden lernen?“⁸⁶ Spalding unterzieht den Begriff der Aufklärung einer kritischen Überprüfung und entwickelt auf der Basis seiner Zeitdiagnose ein Denkmodell von Krise, Katharsis und Neuaufbruch, das auch mit Blick auf Schleiermachers Reden von hohem Interesse und in der Forschung bisher vernachlässigt worden ist. Zunächst räumt die bemerkenswerte Auseinandersetzung mit der westeuropäischen Religions- und Zivilisationskritik nunmehr jeden Verdacht eines geradlinigen Fortschrittsoptimismus vollständig aus: Das „ewige Rauschen mit dem Worte: Aufklärung“ offenbare den destruktiven Charakter des Zeitgeists, weil es „gänzlich auf ein bloßes Nichtglauben und Bestreiten hinauslaufe“.⁸⁷ Die mit dem Begriff eigentlich verbundene Bildungsidee werde auf diese Weise gänzlich verfehlt. In der dramatischen Krisensituation steht für den Briefschreiber nicht nur die Kirchen- sondern die Zivilisationsgeschichte vor einer Weggabelung: Vermutlich müsse erst „das Heruntersinken zur sinnlichen Frivolität noch erniedrigender“ werden, ehe „der größere Haufe empfinden lernet, wie gut es seyn würde, in der Rechtschaffenheit und Zufriedenheit, die an der Religion eine so wohlthätige Stütze hat, sein Glück zu suchen“.⁸⁸ Aufgrund dieser tiefen Ambivalenz rückt die Vision der sittlichen Vervollkommnung und der Humanisierung der Gesellschaft zunächst in weite Ferne: An den erfüllten „Prophezeihungen des Besseren mögen unsere Nachkommen sich erfreuen“.⁸⁹ In der „ungewissen Erwartung“ bleibe dem einzelnen Christen nichts als die Erkenntnis eines notwendigen Aufbruchs in Richtung der authentischen Übersetzung individueller religiöser Gewissheit in kommunikatives Handeln: Erst wenn die „Verehrung Gottes in dem Lichte dar-
84 85 86 87 88 89
Vgl. zur Debatte Sommer 2001; Dierken 2012, 50 – 72. Vgl. Hinske 1973, 107– 116, hier 115. Spalding 2004, 115; Hervorhebung v. M. S. Spalding 2004, 74. Spalding 2004, 121. Spalding 2004, 124.
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gestellet wird, daß sich darin die mächtigen Antriebe der Rechtschaffenheit nicht mehr verkennen lassen“, werde die „wahre Aufklärung“ Realität geworden sein.⁹⁰ In Spaldings Zeitdiagnose und Geschichtsverständnis spiegelt sich ein differenziertes Epochenbewusstsein, das ihn dazu veranlasst, den Begriff der Aufklärung mit folgenreichen Distinktionen zu belegen: Während die Modeerscheinung der westeuropäischen Radikalaufklärung auf die rationale Destruktion religiöser Traditionsbestände und deren Ersetzung durch Moral dränge, sei die „wirkliche Aufklärung“ daran interessiert, die Grundwahrheiten der Religion „meinem Verstande gewiß, und meinem Herzen wichtig zu machen“.⁹¹ Der Aufklärungsbegriff steht hier also nicht einfach für Rationalisierung oder die damit verbundene Geschichtsepoche, sondern – insofern er von Spaldings Kommunikationsmodell her gelesen wird – viel umfassender für die Vorstellung gelingender religiöser Mitteilung. Religion kann für Spalding nicht in Moral aufgehen, vielmehr ist für ihn das „Gefühl von der Gottheit“ als Ursprung intersubjektiver Darstellung „das eigentliche Schwungrad der Tugendmotiven, das Principium, welches sie alle umfaßt und begleitet“.⁹² Insofern erscheint die Erkenntnis, dass die Vertrauten Briefe den Epochenbegriff „Aufklärung“ zu einem im Grunde auch von Schleiermacher repräsentierten „Strukturprinzip der Christentumsgeschichte“⁹³ ausgeweitet haben, beim Vergleich der beiden Verständnisse religiöser Kommunikation in einem neuen, differenzierten Licht. b) Selbstverständlich kann die zur Revolution fortgeschrittene „Aufklärung“⁹⁴ als geschichtsphilosophisches Postulat bei Schleiermacher keine explizite Verwendung mehr finden, nachdem sie sich in der reflexiven Radikalisierung ihrer kritischen Potenziale selbst den Boden entzogen hat. In den Reden erschließt sich die Geschichte im „Anschauen des Universums“.⁹⁵ Im Horizont der Dialektik von Endlichem und Unendlichem stellt sie den perspektivischen Raum bereit, in dem Einzelnes und Ganzes ineinander treten. Zwar entlehnt Schleiermacher seine Metaphern von den „ewigen Räder[n] der Menschheit in ihrem Gange“⁹⁶ durchaus den geschichtsphilosophischen Diskursen des 18. Jahrhunderts, um zu einer religiösen Deutung der Überwindung des Bösen und Sinnwidrigen in der Geschichte als einem „immer fortgehende[n] Erlösungswerk der
90 Spalding 2004, 49. In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, dass der Briefempfänger am Ende „die Würde […] einer vernünftigen Religionsauffassung“ im „eignen Herzen völliger empfinden“ (Spalding 2004, 11) und fruchtbar machen kann, allerdings gerade nicht in theologischen, sondern in seinen eigenen „weltlichen Geschäften“ (Spalding 2004, 202), deren Näherbestimmung offenbleibt. 91 Spalding 2004, 195 – 202, hier 196. 92 Spalding 2004, 40. 93 Beutel 2004, XXXIII. 94 Schleiermacher benutzt nur an einer Stelle das Wort „aufklären“ (Schleiermacher KGA I/2, 257). Dabei ist allerdings bemerkenswert, dass auch hier die gebildeten Adressaten der Reden von denjenigen Menschen abgrenzt werden, die die Religion „vernichten“ oder zumindest in den Hintergrund treten lassen, weil sie im modernen Leben nicht „Schritt halten kann“ (Schleiermacher KGA I/2, 257). 95 Schleiermacher KGA I/2, 213. 96 Schleiermacher KGA I/2, 231.
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ewigen Liebe“⁹⁷ zu gelangen, doch sind diese sprachsinnlichen Artikulationen kaum mit der aufklärerischen Perfektibilitätsidee allein zu erklären: Vielmehr findet Schleiermacher weiterführende Ausdrucksformen in den Elementen der „Krise“ und der „Palingenesie“,⁹⁸ jenem schon im Pietismus und zuletzt bei Herder begegnenden Denkmodell der Wiedergeburt innerhalb eines zyklisch vorgestellten Verfallsprozesses. Während Spalding eine „wahre Aufklärung“ vor Augen hat, zeichnet Schleiermacher die Vision der „wahren Kirche“, die bei ihm in die Beschreibung einer menschheitsgeschichtlichen Letztform religiöser Geselligkeit mündet: In diesem Lobpreis der „frommen Häuslichkeit“ wird das Geselligkeitsideal zur Utopie gesteigert, in der die Menschheit letztlich als „Bund von Brüdern“, als „Chor von Freunden“ und als „Akademie von Priestern“ erscheint.⁹⁹ Zwar zielt Schleiermacher damit durchaus im aufklärerischen Sinne auf die „Humanisierung von Gesellschaft und die sittliche Vervollkommnung“,¹⁰⁰ die im Grunde „von allen gebildeten Menschen […] laut gefordert“ werde,¹⁰¹ dennoch dürfte er den Progressionsideen des Aufklärungszeitalters mit der Sozialutopie der Erde als „Feenpallast“¹⁰² in der Tat „romantische Lichter aufgesteckt“¹⁰³ haben. Nun hat allerdings Spalding, wie sich gezeigt hat, in den Vertrauten Briefen gar keinen linearen Fortschrittsoptimismus mehr vertreten, sondern selbst schon ein differenziertes Schema von Krise, Katharsis und Neuaufbruch im vollen Bewusstsein einer Dialektik der Aufklärung entwickelt. Insofern erscheint es sinnvoll, zwischen beiden Verständnissen nicht nur den geschichtlichen Graben, sondern auch die nachbarschaftliche Nähe zu betonen. Auf der Grenze „zwischen zwei verschiedenen Ordnungen der Dinge“¹⁰⁴ zeigen beide Autoren ein dezidiertes Epochenbewusstsein, das gleichwohl durch das Erleben der Französischen Revolution bei Schleiermacher eine neue Dringlichkeit bekommt. Für beide ist die „in seinem Wesen gegründete Geschichte des Christenthums“¹⁰⁵ durch die ständige Polemik gegen das Irreligiöse geprägt. Dass im Christentum der Eintritt des Unendlichen in diese Auseinandersetzung selbst zur Anschauung kommt, kann Schleiermacher mit seiner Rede vom individualisierenden Prinzip noch deutlich stärker religionsgeschichtlich zuspitzen. Dennoch ist bei Spalding und Schleiermacher das geschichtsphilosophische Schema von Polarität und Vermittlung in analoger Weise ausgebildet: Sowohl der ganz sinnliche als auch der ganz spekulative Mensch verfehlen das Ganze der Wirklichkeit. Erst in der Perspektive intersubjektiver Wechselwirkung will beiden die Realisierung ihrer geschichtsphilosophischen Humanitätsidee vorstellbar er-
97 Schleiermacher KGA I/2, 234; vgl. Gräb 2012. 98 Schleiermacher KGA I/2, 260. 99 Schleiermacher KGA I/2, 290 – 291. 100 Arndt 1997, 51. 101 Schleiermacher KGA I/2, 165. 102 Schleiermacher KGA I/2, 290. 103 Nowak 2000, 57. 104 Schleiermacher KGA I/2, 325. 105 Schleiermacher KGA I/2, 319.
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scheinen. In dieser Vorstellung gelingender religiöser Kommunikation konvergieren die beiden Visionen von wahrer Aufklärung und wahrer Kirche – auch wenn gerade der spätere Schleiermacher im Kontext von Romantik und Idealismus mit seiner organischen Auffassung das Geschichtsdenken der Aufklärung immer weiter hinter sich lassen wird.¹⁰⁶
3 Ergebnis Die vergleichende Analyse von Spaldings Vertrauten Briefen, die Religion betreffend und Schleiermachers Reden Über die Religion konnte hinsichtlich der beiden Verständnisse religiöser Kommunikation erstaunliche Kontinuitäten und aufschlussreiche Differenzen herausarbeiten. Auf der Basis seiner geschichtsbewussten Diagnose einer religiösen Mitteilungskrise entwickelt Spalding ein innovatives literarisches Kommunikationsmodell, welches das authentisch-zwischenmenschliche Gespräch in den Mittelpunkt stellt und damit den Religionsdiskurs – für das letzte Drittel des 18. Jahrhunderts durchaus repräsentativ – in die literarische Öffentlichkeit überführt. Hatte seine Nutzbarkeit des Predigtamtes von 1772 für die „ekklesiale Vermittlung von Individuum und Gemeinschaft“ noch „zukunftsweisende Impulse vermissen“ lassen,¹⁰⁷ kommt Spalding ab 1784 im Rahmen seiner Vertrauten Briefe zu einer wirkungsgeschichtlich relevanten Vertiefung seiner Religionsauffassung: Indem er im Geiste der Berliner Salonkultur das religiöse Gefühl in den intersubjektiven Anerkennungsverhältnissen freundschaftlich-geselliger Kommunikation zum Ausdruck kommen lässt, schafft er für die Reden wesentliche, bisher unzureichend gewürdigte Voraussetzungen. Schleiermacher entwickelt die aufklärungstheologische Religions- und Geschichtsauffassung zweifellos weiter, indem er unter veränderten problemgeschichtlichen Bedingungen die Kirche in seine anspruchsvolle Theorie des geselligen Betragens einzeichnet und sein frühromantisches Jugendwerk noch konsequenter als eigenständige Theologie ästhetisch-religiöser Rede profiliert. Es mag deshalb eine gewisse Berechtigung haben, den Schlüssel zu Schleiermachers Religionsverständnis in der epochemachenden Inszenierung eines ursprünglichen Neuanfangs im spontanen Ereignis religiösen Erlebens zu finden.¹⁰⁸ In seiner Rezension von Spaldings Lebensbeschreibung stellt Schleiermacher mit Blick auf das literarische und öffentliche Auftreten des „ehrwürdigen Mannes“ fest, dieser gehöre „zu den Häuptern einer großen, lange Zeit herrschenden Schule; aber [wie] wenig er jemals darauf ausgegangen, dem Zeitalter irgend eine bestimmtere Gestalt zu geben, auf etwas ganz Neues darin zu arbeiten, sieht man aus seinen […] Worten“.¹⁰⁹ Und tatsächlich war Spaldings publizistische und reli106 Vgl. Gerber 2015, 63 – 69. 107 Beutel 2014, 26. 108 Vgl. Ringleben 2017, 105. Allerdings bleibt hier die vierte Rede über das Gesellige in der Religion „leider unterbelichtet“ (Ringleben 2017, 104). 109 Schleiermacher KGA I/5, 34.
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gionspraktische Reformarbeit von einer charakteristischen Bescheidenheit und Zurückhaltung im Geiste einer moderaten Aufklärung geprägt.¹¹⁰ Am Ende muss sich Schleiermacher dennoch eingestehen, dass Spalding „einen unläugbar sehr vortheilhaften Einfluß auf die Bildung unserer Sprache“ geltend gemacht habe, und zwar „besonders zur populären, sittlichen und religiösen Mittheilung“.¹¹¹ Darin bestätigt sich nur die Einsicht, dass sich Schleiermachers innovative Denkarbeit trotz seines unübersehbaren Sendungsbewusstseins aus verschiedensten Einflüssen speiste, für die der hier angestellte Vergleich weiterführende Belege liefern konnte: Geht man davon aus, „Spalding [habe] das Muster einer anthropologischen Begründung von Religion geliefert, das eine ebenbürtige Entsprechung erst wieder in Herder und in Schleiermacher fand“,¹¹² dann sollte es plausibel erscheinen, in der Erforschung dieser Zusammenhänge auch die kommunikative Dimension des Menschseins stärker zu berücksichtigen. Dass Schleiermacher sich in dieser Hinsicht aufklärungstheologische Modernisierungsimpulse und insbesondere Spaldings rhetorischliterarisches Kommunikationsmodell produktiv zu eigen machte, relativiert nicht die epochale Eigenleistung seines Jugendwerks, sondern macht sie überhaupt erst verständlich.
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110 Vgl. Balbiani 2016, 325 – 326. 111 Schleiermacher KGA I/5, 35; Hervorhebung v. M. S. 112 Barth 2013, 110.
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Spalding, Johann Joachim. 2004. Kritische Ausgabe (SpKA), Bd. I/4: Vertraute Briefe, die Religion betreffend (1785 – 1788), hg. v. Albrecht Beutel, Dennis Prause. Tübingen: Mohr Siebeck. Spalding, Johann Joachim. 2018. Briefe, hg. v. Albrecht Beutel, Olga Söntgerath. Tübingen: Mohr Siebeck. Sparn, Walter. 1992. „Neologie“, in: Evangelisches Kirchenlexikon, Bd. 3: L – R, hg. v. Erwin Fahlbusch. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 662 – 664. Wilhelmy, Petra. 1989. Der Berliner Salon im 19. Jahrhundert (1780 – 1914). Berlin / New York: De Gruyter. Wittekind, Folkart. 2002. „Die Vision der Gesellschaft und die Bedeutung religiöser Kommunikation. Schleiermachers Kritik am Atheismusstreit als Leitmotiv der ,Reden‘“, in: 200 Jahre ‚Reden über die Religion‘. Akten des 1. Internationalen Kongresses der Schleiermacher-Gesellschaft, Halle, 14.–17. März 1999, SchlA 19, hg. v. Ulrich Barth, Claus-Dieter Osthövener. Berlin / New York: De Gruyter, 397 – 415. Tyrell, Hartmann. 2000. „‚Das Gesellige in der Religion‘. Soziologische Überlegungen im Anschluß an Schleiermachers ‚Vierte Rede‘“, in: Reden über die Religion. 200 Jahre nach Schleiermacher. Eine interdisziplinäre Auseinandersetzung mit Schleiermachers Religionskritik, hg. v. Friedrich Huber. Wuppertal: foedus, 30 – 49.
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Gespräch – Narration – Diskurs. Schleiermachers Theorie religiöser Kommunikation im Spiegel der Schrift Die Weihnachtsfeier und ihre strukturellen Reflexionsimpulse in einer „Kultur der Digitalität“ Abstract: This paper addresses the congress’s concern to place Schleiermacher’s concept of communication in a constructive as well as critical relationship to the digitally determined communicative conditions of our present. It first reconstructs Schleiermacher’s theory of religious communication with respect to its specific presuppositions, framing conditions, structures, and expressive forms on the basis of his 1806 Christmas Celebration: A Dialogue – a work embedded in Schleiermacher’s early programmatic religious-theoretical, ethical, and theological sketches. This interpretation is then contextualized by a recourse to contemporary discourses on narrativity and interpretive power (Deutungsmacht), which make possible a particular depth of focus in laying bare and opening up the communicative “stagings” found within Christmas Celebration. Finally, and against this background, structural impulses for the recognition and interpretation of religious communication processes in a culture of digitality are formulated, keeping in mind that the full development of such impulses would require many complex and nuanced stages of mediation.
Es gehörte zu den erklärten Anliegen des Schleiermacher-Kongresses 2021, eine kritische Reflexion der digital bestimmten „kommunikativen Bedingungen unserer Gegenwart“ im Horizont des „Kommunikationskonzepts“ anzuregen, das Friedrich Schleiermacher in den verschiedenen Bereichen seines wissenschaftlichen Wirkens theoretisch entfaltet und durch seine eigene kommunikative Praxis exemplarisch verkörpert hat. Diese Intention einer Verknüpfung von Rekonstruktion, Kontextualisierung und Aktualisierung ist zugleich anspruchsvoll und riskant. Deshalb versucht dieser Beitrag im Folgenden grenzbewusst vorzugehen und dennoch etwas zu wagen. Er konzentriert sich zunächst auf eine Rekonstruktion der spezifischen Voraussetzungen, Rahmenbedingungen, Strukturen und Ausdruckskulturen religiöser Kommunikation – jenseits der explizit gottesdienstlichen Formen – anhand einer Auslegung von Schleiermachers Schrift Die Weihnachtsfeier. Ein Gespräch. ¹ Diese erscheint dafür besonders geeignet, weil sie Schleiermachers vielschichtigen Theoriehorizont voraussetzt und diesen zu1 Schleiermacher KGA I/5, 3 – 100. https://doi.org/10.1515/9783111128801-022
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gleich durch die kunstvolle Darstellung eines facettenreichen religiösen Kommunikationsprozesses konkretisiert. Diese Rekonstruktion wird durch Verweise auf Diskurse zur Narrativität und Deutungsmacht kontextualisiert, um das gegenwartsrelevante Spannungsfeld von Gesprächskultur, Narration und Diskurs zu fokussieren. Diese Schwerpunkte werden in einem Ausblick aufgenommen, um thetisch von Schleiermacher her einige strukturelle Impulse zur Wahrnehmung und Deutung religiöser Kommunikationsprozesse im Kontext einer „Kultur der Digitalität“² zu formulieren. Es geht also um Relevanzerkundungen, die voraussetzen, dass sich die komplexen Grundlagenreflexionen zur religiösen Kommunikation „auch angesichts neuer oder weiterentwickelter bzw. verschärfter Problemstellungen überraschend frisch präsentieren“,³ sodass sie in transformierter und kritisch fortgeschriebener Form weiterhin ein differenziertes Nachdenken auf diesem Feld anregen können.
1 Die Weihnachtsfeier: ein fiktiv verdichteter Möglichkeitsraum religiöser Kommunikation Die Schrift Die Weihnachtsfeier. Ein Gespräch stellt produktionsästhetisch selbst ein kommunikatives Ereignis dar. Die Idee zur Abfassung entstand am 3. Dezember 1805 nach einem Konzert des blinden Flötisten Friedrich Ludwig Dulon in Halle, das Schleiermacher sehr berührt hatte. Damit war die besondere Bedeutung der Musik als Sprache des Herzens und der Religion präfiguriert, die dann auch in der thematischen Entfaltung des Weihnachtsthemas eine zentrale Rolle spielt. Zugleich sollte die Abfassung der Schrift als „Weihnachtsgabe“ – in Analogie zu der Neujahrsgabe der Monologen – eine kommunikative Funktion erfüllen und Freund:innen zum Fest erfreuen.⁴ Auch wenn sich diese Absicht zeitlich nicht verwirklichen ließ, da die Schrift erst im Januar 1806 erscheinen konnte, hat der vorrangig vorgestellte Adressatenkreis sicher mit dazu beigetragen, dass Schleiermacher kommunikative Erfahrungen einfließen ließ, die er schon in der Berliner Salonkultur, insbesondere bei Henriette Herz, gesammelt hatte. In diesen geselligen Kreisen konnten weitgehend unabhängig vom jeweiligen sozialen Stand persönliche Beziehungen gepflegt und im Gespräch „Gedanken unverbindlich auf ihre Akzeptanz und Durchsetzbarkeit“ hin erprobt werden.⁵ Zudem rekurrierte Schleiermacher auf seinen Rügener Freundeskreis und auf die gastliche Aufnahme, die er in der Hallenser Zeit in dem Haus des Kapellmeisters und Komponisten Johann Friedrich Reichardt auf dem Giebichenstein gefunden hatte. Dort verbrachte er auch den Weihnachtsabend 1805. Da er mit der Abfassung der Schrift jedoch deutlich vorher begann, imaginierte er quasi vorwegnehmend eine solche Feier in einem freund-
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Stalder 2016, 15. Slenczka 2019, 16. Patsch 1985, XLVI. Eckert 2017, 28; vgl. Nowak 2001, 79 – 97.
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schaftlich erweiterten bürgerlich-familiären Kontext. Diese erfahrungsgesättigte situative Einbettung hat Schleiermacher wohl dazu bewogen, in die Schrift eine „esoterische Kommunikationsstruktur“⁶ zu integrieren, die ein vielfältiges Netz von Anspielungen erkennen lässt. Diese beziehen sich etwa auf die politischen Umwälzungen unter Napoleon, auf konkrete Schicksale im Freundeskreis, auf geteilte Lektüren (z. B. Jean Pauls Flegeljahre), auf Kunstwerke wie Antonio da Corregios Die heilige Nacht, gemeinsam Gesungenes und Gehörtes wie Reichardts Weihnachtskantilene und die Novalis-Vertonungen. Über die Namen der Erzählfiguren schafft Schleiermacher darüber hinaus einen eigenen intertextuellen Verweis auf seine Vertrauten Briefe über Friedrich Schlegels Lucinde. ⁷ Rezeption und Resonanz zeigen dann korrespondierend, wie diese Spuren verstanden wurden oder auch zu Schleiermachers Überraschung selbst den Vertrauten opak blieben.⁸ In die Schrift gehen zudem indirekt seine vorangegangenen programmatischen religionstheoretischen, individual-ethischen und theologischen Erkenntnisse sowie deren Weiterführung in den Hallenser Vorlesungen zur Enzyklopädie, philosophischen Ethik, Hermeneutik und christlichen Glaubenslehre ein.⁹ Während die verschiedenen Elemente seiner perspektivenreichen Theorie religiöser Kommunikation sonst über die einzelnen genannten Schriften verteilt sind und entsprechend systematisierend zusammengetragen werden müssen,¹⁰ entfaltet die Weihnachtsfeier ihre diesbezüglichen Überzeugungen konzentriert durch die konkrete Anschaulichkeit im dargestellten Vollzug.¹¹ Die Schrift sticht damit durch ihre experimentelle Form aus dem Gesamtwerk hervor und ist als solche im Zusammenhang von kommunikationstheoretischen Erwägungen besonders interessant. Schleiermacher wollte mit ihr etwas „einem Kunstwerk Ähnliches“¹² schaffen und knüpfte damit an Pläne an, die er schon im Kreis der Frühromantiker, vor allem im Kontakt mit Friedrich Schlegels Projekten und Ideen einer „Universalpoesie“ und „Symphilosophie“ entwickelt hatte. Dazu gehörten erste Gedanken zu möglichen Novellen, einer philosophischen Erzählung und auch einem Roman.¹³ In der Weihnachtsfeier vereint Schleiermacher verschiedene Gattungen: Als Rahmennovelle oder „Dialognovelle“¹⁴ integriert sie dramenorientierte Dialoge, erfahrungsbezogene Erzählungen, diskursiv-theologische Reden und vertonte Poesie.¹⁵ Zudem stellt sie über den Untertitel auch Bezüge zu Platons Symposion her, die nicht zuletzt durch
6 Patsch 1991, 135 – 156. 7 Vgl. Patsch 1991, 135. 8 Vgl. Patsch 1985, 1215 – 1228. 9 Vgl. Herms 2013, 17– 30; Patsch 2013, 31 – 54. 10 Vgl. Kumlehn 1999, 47– 238. 11 Vgl. Kumlehn 1999, 256 – 273. 12 Patsch 1995, XLIX. 13 Vgl. Nowak 1986, 109 – 110. 14 Patsch 1995, L. 15 Vgl. Wittekind 2017, 178.
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Schleiermachers Platon-Übersetzungen angeregt waren. Die alles umschließende Grundform der Erzählung eröffnet jedoch im fiktionalen Zugriff – trotz aller Referenzialität – im Sinne der Erzähltheorie Paul Ricœurs einen Möglichkeitsraum, in dem Wirklichkeit nicht nur abgebildet, sondern neu konstituiert wird, indem Formen der „Sättigung und Aufgipfelung“ durch die Fabelkomposition „auf erstaunliche Art und Weise veranschaulicht“ werden.¹⁶ Religiöse Kommunikation wird so in der Weihnachtsfeier im fiktionalen Laboratorium der Existenz als Kaleidoskop verschiedener Deutungs- und Ausdruckskulturen inszeniert, die vor Augen führen, was möglich sein könnte. Rezipient:innen können diese Welt des Textes bewohnen, ihre eigenen Möglichkeiten in probeweiser Identifikation und Differenz in sie hinein entwerfen und sich so an dem offenen Deutungsprozess um die religiöse Relevanz des Weihnachtsfests beteiligen. Die modale Macht, die fiktionalisierte Deutungen aufgrund ihrer rhetorischen, narrativen, metaphorischen und performativen Strategien entfalten können, liegt dabei darin, Aufmerksamkeit zu lenken und an den semantischen Ordnungsmustern zu arbeiten, um sie zu transformieren, Grenzen des bisher Empfundenen und Gedachten zu verschieben und Wirklichkeit neu sehen zu lassen.¹⁷ In der Weihnachtsfeier werden entsprechend die Deutungshorizonte des Weihnachtsfests neu ausgelotet und justiert. Dass Schleiermacher alle christlichen Hauptfeste in dieser Weise literarisch deuten und zur Darstellung bringen wollte,¹⁸ zeigt, dass er dieser Form narrativ und dialogisch entfalteter religiöser Rede und theologischer Reflexion und das heißt einer lebensweltorientierten, aber doch fingierten Vermittlung kommunikativ viel zugetraut hat, auch wenn es dann nicht mehr zu einer entsprechenden Durchführung kam und Rezensionen seine tatsächlichen literarischen Fähigkeiten zum Teil sehr kritisch beurteilt haben.¹⁹
2 Der Imperativ religiöser Kommunikation als Implikat der Religionstheorie Schleiermachers und die Grenzen des Sagbaren: Darstellung und Mitteilung der Weihnachtsfreude In religionstheoretischer Perspektive wird religiöse Kommunikation bei Schleiermacher sowohl in seinen Reden Über die Religion ²⁰ als auch in seinen ethischen Entwürfen und der Glaubenslehre begründet. Dieser komplexe Zusammenhang kann hier zwar nicht
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Ricœur 1988, 127. Vgl. Stoellger 2014, 1 – 85; Kumlehn 2018. Vgl. Patsch 1995, XLVII. Vgl. Nowak 2001, 172. Schleiermacher KGA I/2, 185 – 326.
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entfaltet werden, exemplarisch sei jedoch das Deutungsmuster der Reden aufgerufen. Demnach offenbart sich das Universum als unendliche Spontaneität und Aktivität, die dem Menschen immer schon zuvorkommt und auf ihn einwirkt. Entsprechend gilt von der religiösen Wahrnehmung: „Anschauen will sie das Universum, in seinen eigenen Darstellungen und Handlungen will sie es andächtig belauschen, von seinen unmittelbaren Einflüßen will sie sich in kindlicher Paßivität ergreifen und erfüllen laßen.“²¹ Diese vorgeordnete Passivität wirkt sich jedoch in keiner Weise lähmend aus. Sie setzt vielmehr unter dem Impuls des Erfahrenen bzw. Widerfahrenen antwortende Spontaneität frei. Denn religiöse Erfahrung, in der das Endliche für das Unendliche transparent wird, ergreift den Menschen so, dass er unwiderstehlich aus sich heraus getrieben wird, um sie in Akten religiöser Kommunikation zu teilen: „[I]hre Gefühle sollen uns besizen, wir sollen sie aussprechen, festhalten, darstellen“.²² In dieser Spannung von unverfügbarem Erschließungsmoment einerseits und seiner notwendigen kommunikativen Vermittlung andererseits offenbaren sich in der Religion die Grundstruktur und „Tiefenschichtebene kommunikativer Reflexivität“,²³ die immer auch um das weiß, was sich der Kommunikation entzieht. Weil sich Religion im Akt der Kommunikation allererst in konkreter Gestalt zeigt, ist sie nur in der Vielgestaltigkeit ihrer Darstellungsweisen in positiven Religionen vorzufinden. Im Christentum wird diese religiöse Grundanschauung, wonach sich das Unendliche in und am Endlichen kommunikativ vermittelt, in der Deutung der Menschwerdung Gottes in Jesus Christus exemplarisch zum Ausdruck gebracht. In dieser Vorstellung der Inkarnation zeige sich demnach in einer „höhere[n] Potenz“, „was Religion überhaupt ist.“²⁴ Weihnachten geht es um die Feier dieser christlichen Grundanschauung, und die Erzählung Die Weihnachtsfeier bildet entsprechend die Spannung zwischen der Weihnachtsfreude als religiösem Grundgefühl und der vielstimmigen Deutung und kommunikativen Vermittlung des Grundes dieser Freude ab. Dabei wird die religiöse Dynamik zwischen Endlichem und Unendlichem aufgerufen, indem auf verschiedenen Ebenen reflektiert wird, wie sich die Weihnachtsfreude in Analogie und Differenz zu menschlichen Grunderfahrungen verhält, in denen sie sich spiegelt und von denen sie doch unterschieden sein muss: „Ist doch das Fest selbst die Verkündigung eines neuen Lebens für die Welt, und so wird es uns natürlich am eindrükklichsten und erfreulichsten, wenn sich auch in unserem Leben etwas neues bedeutend regt.“²⁵ Entsprechend geht es um Verhältnisbestimmungen von göttlicher und menschlicher Liebe sowie göttlichem Geschenk und menschlichem Schenken: „Denn was ist die schöne Sitte der Wechselgeschenke anders, als reine Darstellung der religiösen Freude“, die „das große Geschenk, dessen wir uns Alle gleichmäßig erfreuen, durch kleine Gaben abbil-
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Schleiermacher KGA I/2, 211. Schleiermacher KGA I/2, 219. Wittekind 2008, 291. Vgl. Ringleben 2017, 116; dazu grundsätzlich Albrecht 1994. Schleiermacher KGA I/5, 50 – 51.
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det.“²⁶ Ebenso wird das Verhältnis von dem göttlichen Kind und dem Göttlichen in jedem Kind in den Blick genommen. So sieht Ernestine einen solchen Bezug, weil sie „in der Tochter, wie Maria in dem Sohne, die reine Offenbarung des Göttlichen recht demüthig verehren kann, ohne daß das rechte Verhältniß des Kindes zur Mutter dadurch gestört würde.“²⁷ Am dichtesten kommt die Weihnachtsfreude jedoch in der Musik bzw. im gemeinsamen Gesang zum Ausdruck. Das Verhältnis von Religion und Kunst, insbesondere Religion und Musik, ist ein Querschnittsthema der gesamten Schrift und verlangt eigentlich nach einer eigenen Entfaltung.²⁸ Aufgrund der anders gelagerten Akzentuierung dieses Beitrags sei jedoch nur darauf verwiesen, dass die Musik als Sprache der Religion sowohl die Emotionalität in besonderer Weise zu spiegeln vermag als auch die Grenzen des Sagbaren markiert: „[…]jedes schöne Gefühl tritt nur dann recht vollständig hervor, wenn wir den Ton dafür gefunden haben; nicht das Wort, dies kann immer nur ein mittelbarer Ausdruck sein […]. Und grade dem religiösen Gefühl ist die Musik am nächsten verwandt.“²⁹ Die Dialoge, Erzählungen und Reden werden entsprechend immer wieder durch Musikbeiträge unterbrochen, und am Ende wird das Singen von der herrnhutisch geprägten Figur des Josef, dem alles Reden „zu langweilig und kalt“³⁰ ist, als das allein der Weihnachtsfreude angemessene Ausdrucksverhalten in einem Überbietungsgestus gefordert, der alle anderen Kommunikationsformen in sich aufhebt. Insofern ist es streng genommen auch nicht die Musik, die am Ende steht, sondern der verklingende Ton und die Stille.³¹ Diese Stille „macht die reflexive, auf das Reich Gottes gerichtete und im freundschaftlichen Rahmen des Hauses realisierte Weihnachtsbedeutung hörbar.“³² Diese pointierte Formulierung Folkart Wittekinds verweist darauf, dass es in diesem Sinne um eine inhaltlich gefüllte Stille geht, die durchaus von dem lebt, was sich in dem vorangegangenen komplexen Kommunikationsgeschehen in dialogischen, narrativen und reflexiven Formen des Austauschs an Bedeutungsfülle in der hermeneutischen Erschließung des Weihnachtsfests und seiner Deutungsmöglichkeiten aufbauen und entfalten konnte. Diesem Potenzial grenzbewusster, darin jedoch alle Möglichkeiten ausschöpfender religiöser Kommunikation soll jetzt mit Blick auf die Gesprächskultur, die Erzählungen und die diskursiven Reden nachgegangen werden.
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Schleiermacher KGA I/5, 62. Schleiermacher KGA I/5, 51. Vgl. Scholtz 1981; Scholtz 1995, 212 – 234; Wittekind 2008, 271 – 300. Schleiermacher KGA I/5, 63. Schleiermacher KGA I/5, 97. Vgl. Schleiermacher KGA I/5, 50. Wittekind 2008, 300.
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3 Die ethischen Konstitutionsbedingungen religiöser Kommunikation: freier Austausch und deutungsmachtsensible Gesprächskultur Für die ethische Begründung und Verortung religiöser Kommunikation sind im Anschluss an Schleiermachers Güterethik zunächst insbesondere die Handlungsparadigmen des „individuellen Organisierens“ durch Darstellung des materiellen und geistigen Eigentums in freier Geselligkeit sowie das „individuelle Symbolisieren“ durch Kunst und Religion in der vor allem Letzterer zugeordneten Sozialform Kirche relevant.³³ Der in diesem Zusammenhang programmatische Zentralbegriff der Individualität wird bereits in den Monologen ³⁴ entfaltet und dort in Relation zu Interaktion, Kommunikation und Bildung, insbesondere Selbstbildung, gesetzt.³⁵ Denn Individualität kann sich nur in kommunikativer Auseinandersetzung mit Anderen ausbilden, um die eigenen Grenzen zu erkennen, zu erweitern und zu transzendieren.³⁶ Unter der Anerkennung bleibender Differenz und der Freiheit des Anderen geht es in der Gemeinschaft um den produktiven „Einfluß auf einander“ und um ein „gegenseitig Bilden“.³⁷ Es gilt, im Abgleich mit dem Anderen, die eigene Position, die eigene Sprache und den eigenen Stil zu finden und Einbildungskraft, Empathie sowie die Fähigkeit zum Perspektivenwechsel auszubilden: „Wo ich jetzt, was es sei, nach meinem Geist und Sinn handle, da stellt die Fantasie zum deutlichsten Beweise der freien Wahl noch tausend andere Arten vor, wie ohne der Menschheit Geseze zu verletzen anders gehandelt werden könnte, in anderm Geist und Sinn, ich denke mich in tausend Bildungen hinein, um desto deutlicher die eigene zu erblikken.“³⁸ Es braucht allerdings Räume, um solche Formen des anregenden Austauschs und der freien Gesprächsführung zu ermöglichen. Schleiermacher hat sie schon in seinem „Versuch einer Theorie des geselligen Betragens“³⁹ 1799 skizziert. Gesprächskreise als Formen des individuellen Organisierens und Symbolisierens, die sich vor allem im gastfreien privaten Bereich zusammenfinden, bieten demnach Schutzräume wechselseitiger Anerkennung und gewagter Selbstmitteilungen. Der Austausch kann jedoch nur gelingen, wenn zugleich Formen der Selbstbeschränkung beachtet werden. Die Individuen müssen sich einerseits dem vom gemeinsamen Gesprächsstoff bestimmten Charakter der Gesellschaft, ihrem „Ton“ anpassen und zugleich den verbindenden Stoff der eigenen persönlichen Eigenart, der jeweiligen „Manier“ entsprechend behandeln.⁴⁰ 33 34 35 36 37 38 39 40
Vgl. dazu Moxter 1992. Schleiermacher KGA I/3, 1 – 61. Vgl. Barth 2004, 291 – 327; Kumlehn 2015, 80 – 86. Vgl. Giacca 2018, 422. Schleiermacher KGA I/3, 10. Schleiermacher KGA I/3, 19. Schleiermacher KGA I/2, 163 – 184; vgl. dazu Auerochs 2017, 87– 102; Arndt 2013, 51 – 63. Schleiermacher KGA I/2, 174 – 175.
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Diese Vorstellungen überträgt Schleiermacher mit unterschiedlichen Modifikationen auf die Formen religiöser Kommunikation und entfaltet sie im Sinne der freien Darstellung und Mitteilung zunächst in der dritten und dann in der vierten Rede über die Religion. In Letzterer heißt es, dass alle Teilnehmer:innen einer religiösen Versammlung in dem Bewusstsein gleichberechtigter Beteiligung agieren sollen: „jeder voll eigener Kraft, welche ausströmen will ins Freie und voll heiliger Begierde alles aufzufaßen und sich anzueignen, was die Andern ihm darbieten mögen.“⁴¹ Die ekklesiologischen Bestimmungen, die sich daraus im Sinne des „Umlauf[s] des frommen Selbstbewusstseins“⁴² bzw. des zirkulierenden christlichen „Gemeingeistes“ in der Kirche ergeben, entfaltet Schleiermacher in der Glaubenslehre und in den Ausführungen zur gottesdienstlichen Darstellung und Mitteilung des Glaubens in den Vorlesungen zur Praktischen Theologie. In der Schrift Die Weihnachtsfeier finden sich einerseits inhaltliche Verweise auf ein entsprechendes Verstehen der kommunikativen Grundverfassung der christlichen Gemeinschaft bzw. der Kirche in den einzelnen Äußerungen der Feiernden⁴³ und andererseits wird narrativ auf der formalen Ebene eine in Schleiermachers Sinne idealtypische religiöse Gesprächskultur des wechselseitigen Austauschs präsentiert. Diese lässt die Pluralität möglicher Deutungen des Weihnachtsfests aufscheinen und entfaltet in lebhafter, durchaus dissonanter Wechselrede die Behandlung religiös relevanter Themen, wobei auch Facetten des „kultivierten Streits“⁴⁴ vorgeführt werden. Den Rollenbildern des Bürgertums der Zeit verhaftet,⁴⁵ wird dabei zunächst eine leitmotivische Grundspannung weiblicher und männlicher Lebens- und Frömmigkeitsstile entwickelt, die sich wechselseitig ergänzen sollen. Die Frauen werden dabei so gezeichnet, dass sie die kreative Gestaltung des häuslichen Bereichs, die Beziehungspflege, die religiöse Erziehung und Bildung übernehmen, während die Männer außen- und machtorientiert für die öffentliche Repräsentation und Apologetik der Religion zuständig sind.⁴⁶ Rhetorische Strategien sorgen jedoch dafür, den Deutungsmachtanspruch solcher Typisierungen durch Überzeichnung wenigstens im Ansatz zu ironisieren, etwa wenn die Frauen als „Vestalinnen“ und die Männer als „Kreuzritter“ einander gegenübergestellt werden.⁴⁷ In der breit entfalteten Diskussion um die angemessene Form religiöser Entwicklung und Bildung am Beispiel der Tochter der Gastgeber, Sofie, wird dann noch deutlicher, wie offene und verdeckte Geltungsansprüche verschiedener Positionen durch Metaphorik, Formen der Provokation und Polemik kommuniziert werden, bevor sie durch Gegenrede relativiert und infrage gestellt werden. In dieser Weise werden Fragen der Freiheit in
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Schleiermacher KGA I/2, 269. Schleiermacher KGA I/13,1, 58 (§ 6,4). Vgl. Hennecke 2017, 593 – 604. Vgl. Kumlehn / Wodianka 2022. Vgl. Hartlieb 2006, 22 – 56; Virmond 2009, 43 – 65. Vgl. Schleiermacher KGA I/5, 45, 52. Schleiermacher KGA I/5, 52.
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religiöser Entwicklung und Erziehung unter Einschluss verschiedener kirchenkritischer Akzente, die Abgrenzung von Glauben und Aberglauben und das Verhältnis von Religion, Kirche, Leben und Kunst verhandelt. Besonders profiliert wird dabei die Stimme des zweifelnden, dem Geist der aufgeklärten Kritik verbundenen Juristen Leonhardt. Vor allem seine Überlegungen zum angemessenen Bibelgebrauch sind interessant. Denn in diesem Kontext wird quasi auf Mikroebene schon das Spannungsverhältnis von Narration und Reflexion aufgerufen, das auf Mesoebene in der Korrelation von den Erzählungen der Frauen und den Reden der Männer anders akzentuiert wiederkehrt und auf Makroebene in der Form der dialogorientierten Erzählung bereits angelegt ist. Aus der Sicht des Aufklärers soll die Bibel nicht ohne Anleitung und Begleitung in die Hand des Kindes kommen, weil die Erzählungen aufgrund ihrer fiktionalen Anteile und starken Bilder eine solche Deutungsmacht entfalten könnten, dass sich die Vernunft gegen sie nicht mehr durchsetzen könne: „Das Mythische muß ihre Fantasie lokken, und wunderliche sinnliche Bilder müssen sich festsezen, neben denen hernach kein gesunder Begriff Plaz nehmen kann“.⁴⁸ Die heilige Geschichte würde in der Kinderperspektive mit „Feenmärchen“⁴⁹ auf eine Stufe gestellt. Diese abwertend gemeinte Zuschreibung wird in der Gegenrede jedoch gerade positiv gewendet, weil die Wahrnehmung eines durchaus auch märchenhaften, das heißt fiktionalen Charakters biblischer Schriften allererst dazu beitragen könne, emanzipiert die Frage nach der Wahrheit zu stellen und das wörtliche Verstehen zu überwinden: „so zweifelt sie auch wol bisweilen an dem Einzelnen und Faktischen in jener“.⁵⁰ Über den Text hinaus könnte man diese Wendung so zuspitzen, dass die Einsicht in die Erschließungskraft fiktionaler und metaphorischer Verdichtungen allererst zur eigentlichen spezifischen Rationalität des religiösen Sinnes biblischer Erzählungen durchdringt, die Glaubenserzählungen nicht mit vermeintlich faktischen Sachverhaltsberichten verwechselt. Schleiermacher hat entsprechend in seinen Pädagogikvorlesungen den Fiktionen in der frühen religiösen Bildung vorrangige Bedeutung eingeräumt und überhaupt dafür geworben, den Umgang mit Erzählungen als Vermittlungsmedien so auszubalancieren, dass Anschaulichkeit und Reflexion miteinander verknüpft werden können.⁵¹ Durch intensive wechselseitige Bezugnahme und Ergänzung, assoziative Weiterführung von Gedanken, Einspruch und Widerspruch wird auf diese Weise um lebensdienliche Formen von Frömmigkeit und ihr rechtes Verstehen gerungen. Das Wort „Streit“ fällt mehrfach, allerdings wird er nicht bis aufs Letzte ausgefochten, sondern schließlich als „müßig“ bezeichnet und stillgestellt,⁵² weil sich die Tragfähigkeit religiöser Lebensdeutung niemandem „aufdringen“ lasse, wie es schon in der dritten Rede über die Religion heißt.⁵³ Die Lebensdienlichkeit religiöser Selbst- und Weltdeutung
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Schleiermacher KGA I/5, 57. Schleiermacher KGA I/5, 58. Schleiermacher KGA I/5, 58 – 59. Vgl. Schleiermacher 2000, 245, 250. Schleiermacher KGA I/5, 62. Vgl. Schleiermacher KGA I/2, 248.
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muss sich vielmehr immer wieder neu in Formen des individuellen Symbolisierens mitteilen und biographisch im Horizont des religiösen Gefühls, hier der Weihnachtsfreude, erschließen. Davon zeugen im Folgenden die erfahrungsgesättigten Weihnachtserzählungen der Frauen.
4 Religiöse Kommunikation als individuelles Symbolisieren: Weihnachtserzählungen und religiöse Identitätsbildung Die Ausdrucksformen des individuellen Symbolisierens bringen die „Sphäre des subjektiven Erkennens, der Gemühthsstimmungen und Bewegungen“⁵⁴ zur Darstellung. Dabei geht es um eine Übertragung des unübertragbaren Gefühls in einem wechselseitigen Offenbarungsverhältnis des Andeutens und Ahndens.⁵⁵ Als erste Ausdrucksmedien bieten sich „Ton, Geberde, vorzüglich Antliz, Auge“⁵⁶ an und dann in besonderer Weise Formen der Kunst, insbesondere Poesie und Rhetorik. Für diese sprachlichen Vermittlungsformen kommt es darauf an, unter Rückgriff auf die Phantasie als synthetisierende Kraft der Vernunft empfangende Eindrücke und dazugehörige Gefühle imaginativ zu verbinden. Der Symbolisierende soll dabei zum einen den Bezug auf das „Besondere seines Daseins“⁵⁷ erkennbar werden lassen, wie es sich in seinen verschiedenen Relationen ausgebildet und sich ihm selbst erschlossen hat, und zum anderen sollen sich Kommunikationspartner ihrerseits so auf das Symbolisierte beziehen können, dass sie dadurch zu eigenem Symbolisieren angeregt und befähigt werden. Genau so sind die Weihnachtserzählungen der Frauen in der Weihnachtsfeier angelegt. Sie bringen durch atmosphärisch dichte Beschreibungen starke Gefühle und religiös bedeutsame Weihnachtserlebnisse sprachlich kunstvoll zum Ausdruck. Genauer betrachtet geht es um biographisch situierte hochemotionale Erschließungssituationen, in denen jeweils die Empfindung der Weihnachtsfreude auf bestimmte religiöse Deutungshorizonte hin transparent wird. Diese erzählten außeralltäglichen Situationen erzeugen Kontraste, regen Perspektivenwechsel an und steigern sich bis zum existenziellen Krisennarrativ. Die Frauen stellen sich darin zugleich in ihrer religiösen narrativen Identität dar bzw. führen vor, wie sich diese ausbildet, indem die eigene Lebenserfahrung mit religiösen Deutungen verschränkt wird. Im Erzählen eignen sie sich die Traditionen an und führen sie transformierend fort.⁵⁸ Sie deuten das Fest und „darin ihr Leben“, um „mit dem Deuten im eigenen Leben anzukommen.“⁵⁹ So
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Schleiermacher 1967, 267. Vgl. Jiang 2018, 377. Schleiermacher 1967, 98. Schleiermacher 1967, 440. Vgl. Wittekind 2017, 183. Korsch 1999, 213 – 228.
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zeigen sie, wie Menschen in Geschichten verstrickt sind und im Erzählen erinnernd das eigene Leben rekonstruieren, indem sie es in eine sinnstiftende Ordnung überführen,⁶⁰ hier mit dem Ziel, die Weihnachtsfreude biographisch verdichtet zu vergegenwärtigen. Dabei wird das Verhältnis von Nähe und Distanz besonders austariert, indem die Frauen jeweils aus der Perspektive einer teilnehmenden Beobachterin erzählen. Motivisch sind alle drei Erzählungen durch die Wiederaufnahme des Themas der religiös gedeuteten Mutter-Kind-Beziehung miteinander verwoben, wobei zugleich verschiedene Perspektiven auf das Wesen der Kirche eine Tiefenschicht bilden, die auf der Oberfläche des Erzählten nicht unmittelbar evident ist.⁶¹ Ernestine erzählt davon, wie sie an einem Weihnachtsabend unter traurigen Umständen eine Christmette aufsucht, die sie jedoch sowohl atmosphärisch als auch mit Blick auf den Prediger enttäuscht. Da erblickt sie eine Frau mit ihrem Kind auf dem Schoß, die sie unwiderstehlich anzieht und ihr als wahres Heiligtum erscheint, denn sie symbolisiert im Gegensatz zu dem nicht ansprechenden Gottesdienst einen Augenblick höchster Sammlung, Konzentration auf das Wesentliche und liebenden Austausch. Ernestine wird in diese Kommunikation eingebunden und es kommt zu einem Tausch von Geschenken, auch als Zeichen späteren Wiedererkennens. Es entsteht eine enge emotionale und geistige Bindung, indem beide schmerzhafte Erfahrungen teilen. Das Bild der wahren Kirche in Gestalt liebender, tragender Beziehungen erscheint visionär im Gegenüber zur trostlosen realen. Die zweite Erzählung von Agnes stellt die Suche nach einem adäquaten Geschenk für ein Neugeborenes und den spontanen Entschluss des Hausvaters, das Kind am Weihnachtsabend zu taufen, in den Mittelpunkt. Das Kind wird ein „umgekehrtes negatives Christkindlein, in welches der Heiligenschein einströmt, nicht aus.“⁶² Hier wird der familiäre und freundschaftliche Kreis am Weihnachtsabend zum Bild für die selbstbewusste und selbsttätige Gemeinde, die die Kirche immer wieder neu im zirkulierenden Gemeingeist erneuert. Karoline schließlich erzählt, wie eine Freundin trotz der Sorge um ihr todkrankes Kind Vorbereitungen für das Weihnachtsfest trifft, weil sie mit der Freude für andere den eigenen Schmerz besser zu ertragen glaubt, und wie das Kind just am Weihnachtsabend gegen jede Erwartung zu genesen beginnt. Ostern und Weihnachten fallen hier in der Erfahrung zusammen: „Am Feste der Wiedergeburt der Welt wird mir der Liebling meines Herzens zu einem neuen Leben geboren. […] Er ist mir ein besonderes Gnadengeschenk, ein himmlisches Kind.“⁶³ Der Glaube an die Auferstehung und die eschatologische Hoffnung transzendieren hier die Kirche auf eschatologische Vollendung hin. Die anschaulichen und atmosphärisch dichten Erzählungen mit ihrer spezifisch religiösen Valenz verweisen darüber hinaus durch ihre symbolische Grundstruktur auf 60 61 62 63
Vgl. Kumlehn 2018, 293 – 306. Vgl. Wittekind 2017, 183. Schleiermacher KGA I/5, 78. Schleiermacher KGA I/5, 81.
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mögliche Anschlusskommunikationen, die in den Reden der Männer erfolgen, sodass sich das kunstvolle narrative Gewebe der Weihnachtsfeier so weiter entfaltet, dass die Männer den Anspruch verfolgen, etwas Originelles beizutragen, was nicht im nächsten Gottesdienst zu Gehör kommen könnte.
5 Religiöse Kommunikation und theologische Reflexion: Deutungspluralität im Diskurs der Reden In ihren diskursiv angelegten theologischen Reden verifizieren die Männer auf je eigene Art die These: „Das Christenthum ist ein einziges Thema in unendlichen Variationen dargestellt, die aber auch ein inneres Gesez verbindet, und die unter bestimmte Charaktere fallen.“⁶⁴ Sie erkennen damit einerseits die Unabgeschlossenheit des Deutungsprozesses an, der dadurch bedingt ist, dass jede Deutung, auch jede theologische, perspektivisch, selektiv und fragmentarisch ist.⁶⁵ Andererseits verzichten sie nicht darauf, nach Zusammenhängen und Begründungsmustern zu fragen, die die pluralen Interpretationen nicht auseinanderfallen, sondern als zusammengehörig erkennen lassen. Diese systematisierenden Diskurse beziehen sich auf die religiöse Rede als Form des individuellen Symbolisierens und damit auch auf die Erzählungen der Frauen, zu denen es verschiedene motivische Verbindungslinien gibt. Zugleich haben sie jedoch Anteil am identischen Symbolisieren, das das klar bestimmte Wirklichwerden der Gedanken intendiert und über differenzierte Sprachbildung zur eigenen Urteilsbildung befähigen will. Entsprechend eruieren die Männer die genauere Bedeutung Jesu Christi für die Hermeneutik des Weihnachtsfests und damit für das Verstehen des Christentums und der Kirche insgesamt.⁶⁶ Sie entfalten ihre Positionen vor dem Hintergrund ihrer verschiedenen, durchaus konfligierenden philosophischen und theologischen Überzeugungen, das heißt ihrer belief systems, die sich zwar alle mit bestimmten Denkarten der Aufklärung in Beziehung setzen lassen, aber dabei doch jeweils sehr unterschiedliche Zugänge repräsentieren. Der Jurist Leonhardt erhebt in neologischer Manier die historische Kritik an der biblischen Überlieferung zur Grundlage seiner Argumentation. Seiner Ansicht nach bestehe die eigentliche Problematik des Weihnachtsfests darin, dass man aus historisch gesicherter Perspektive zu wenig über Jesus Christus als seinem originären Bezugspunkt wisse. Er verweist explizit auf diesbezügliche Deutungskonflikte von Beginn an, die nicht nur Verschiedenes nebeneinander stehen ließen, sondern auch nicht zu harmonisieren seien: „Denn schon zu der Zeit, da die ersten Nachrichten abgefaßt wurden,
64 Schleiermacher KGA I/5, 64. 65 Vgl. Lauster 2005, 9 – 16. 66 Vgl. Lange 1975, 35 – 56; Barth 2014, 253 – 258.
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waren der Meinungen so mancherlei […]. Ja, man kann sagen, daß jede Nachricht und jede Behauptung die andere aufhebt.“⁶⁷ Weihnachten ist für ihn das Fest der vielstimmigen Erinnerung und perpetuiert sich mit eigener Dynamik durch die Rituale in Familie, Kirche und Gesellschaft bzw. beruht auf den vielfältigen Bedeutungszuschreibungen durch die Menschen verschiedener Zeiten und Kulturen. Die historisch-kritische Anfrage wird auch von den folgenden Rednern nicht bestritten, dennoch führen sie den Diskurs weiter: Ernst setzt anthropologisch und erfahrungsorientiert bei einem „strikt allgemeinen Humanitätsbewusstsein“⁶⁸ an, korreliert differenzierend Geburtstags- und Weihnachtsfreude und setzt die individuelle Glaubenserfahrung zu der notwendigen Idee eines Erlösers in Beziehung, der die zwiespältigen Erfahrungen des Menschen überwindet: „[D]ies ist die eigentliche Natur dieses Festes, daß wir uns des innersten Grundes und der unerschöpflichen Kraft des neuen ungetrübten Lebens bewußt werden, daß wir in dem ersten Keime desselben zugleich seine schönste Blüthe, seine höchste Vollendung schauen.“⁶⁹ Eduard schließlich geht vom Johannes-Prolog aus und entfaltet theologisch deduktiv die Bedeutung der Inkarnation, wobei er die „Antithetik von Geschichte und übergeschichtlicher Bedeutung“⁷⁰ überwinden will. Er rekurriert nicht auf individuelle Erfahrung, sondern spricht von der Menschheit an sich und ihrer Realisierung im Einzelnen, wie Wittekind pointiert: „Die Bedeutung Christi besteht also in der notwendigen historischen Stiftung der Idee der Menschheit: Er ist der Mensch, bei dem das höhere Bewusstsein der Menschheit von ihrer wesentlichen Bestimmung ihren Ausgang nimmt.“⁷¹ Im Durchgang durch diese drei Positionen bleibt der Diskurs offen und fordert Ambiguitätstoleranz, ohne den Anspruch argumentativer theologischer Stringenz mit Blick auf den jeweiligen Zugang aufzugeben. Schleiermacher zeigt sich damit wesentlichen Anliegen der Aufklärung verpflichtet: Historisches Wahrheitsbewusstsein, Fragen nach humaner Evidenz, Relevanz und Bewahrheitung sowie theologisch-philosophische Systematisierung und Verortung sind gleichermaßen zu reflektieren und zur gelebten Religion ins Verhältnis zu setzen. Insgesamt entwirft Schleiermacher auf diese Weise in der Weihnachtsfeier ein differenziertes Modell religiöser Ausdruckskompetenz und Kommunikation, das leibhaften Ausdruck, Ästhetik, Gespräch, Erzählung und Diskurs integriert und vielfältig vernetzt.
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Schleiermacher KGA I/5, 87. Wittekind 2017, 186. Schleiermacher KGA I/5, 92. Barth 2014, 255. Wittekind 2017, 187.
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6 Religiöse Kommunikation im Kontext einer Kultur der Digitalität: ein Ausblick vor dem Horizont von Schleiermachers Theorie religiöser Kommunikation Schleiermachers Theorie religiöser Kommunikation besticht jenseits ihrer historischkulturellen Verortung und der damit einhergehenden Relativierung durch ihre Komplexität: Sie verbindet religionstheoretische und ethische Grundlagen, verfolgt eine Ausdifferenzierung verschiedener religiöser Kommunikationsmodi und -formen, verarbeitet konstruktiv Individualisierungs- und Pluralisierungsprozesse und weist eine hohe Affinität zu zentralen Anliegen religiöser Bildung auf. Diese strukturelle Komplexität darf nicht unterlaufen werden, wenn vor dem Horizont dieser Theorie unter radikal veränderten Bedingungen die Grundlagen religiöser Kommunikation in einer Kultur der Digitalität reflektiert werden. Eine solche Bezugnahme müsste eigentlich über die Etappen der religionskulturellen und geistesgeschichtlichen Entwicklung vermittelt werden, die schließlich im religionssoziologischen und medialen Kontext der Spätmoderne gipfeln. Das ist im Rahmen dieses Beitrags jedoch nicht möglich, sodass lediglich in gewagter Manier thetisch zugespitzt einige Reflexionsimpulse formuliert werden, die die weitentfernten Pole von Schleiermachers Theorie und erste theologische Beobachtungen zu den Phänomenen religiöser Kommunikation im Raum des Digitalen oszillierend zusammenspannen. Dabei geht es vor allem um einen indirekten Rekurs auf die strukturellen Anregungen der Theoriebildung Schleiermachers und nicht um eine transformierende Übertragung im inhaltlich-konkreten Sinne. 1. Theologische Grundlagenreflexion: Auch die Kultur der Digitalität ist auf ihre religionstheoretischen und ethischen Grundlagen hin zu reflektieren, denn sie durchdringt im Sinne einer „tiefen Mediatisierung“ alle Bereiche des Menschen und tangiert damit anthropologische Fragen des Selbst-, Welt- und Gottesverständnisses.⁷² In ihr wird nicht nur religiös im Medium des Netzes kommuniziert, sondern sie erweist sich auch als religionsproduktiv und kann in ihrem Selbstverstehen religionsäquivalente Strukturen (z. B. „Dataismus“⁷³) ausbilden bzw. mit religionsaffinen Verheißungen und Verfluchungen aufgeladen sein.⁷⁴ In einer Kultur, die von der Musterbildung, Rechenleistung und Deutungsmacht der Algorithmen geprägt ist,⁷⁵ wird das Thema des Umgangs mit Grenzen, mit dem Unverfügbaren und Unverrechenbaren gerade in religiöser Deutungsperspektive hochrelevant. Das Verständnis protestantischer Freiheit hat sich genau in diesem Kontext zu bewähren, indem gefragt wird: „Woher nehmen wir die 72 73 74 75
Constanza 2021, 221. Harari 2017, 563 – 608. Vgl. Haberer 2015, 117, 121; Hemel 2020, 343, 366. Vgl. Nassehi 2021, z. B. 50.
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Freiheit, zwischen dem Eingebundensein in die digitale Welt und uns selbst zu unterscheiden?“⁷⁶ Damit bleibt im Sinne Schleiermachers im Spannungsfeld von Empfänglichkeit und Spontaneität nach dem Grund und Woher unserer relativen Freiheit und relativen Abhängigkeit zu fragen bzw. nach der Gedankenfigur des „Mitgesetztsein“ dieses Grundes auch in den digitalen Kommunikationsprozessen.⁷⁷ 2. Gesprächskultur und Vergemeinschaftungsformen: Provokant könnte man zunächst die These wagen, dass sich Schleiermachers Vorstellungen von freier religiöser Geselligkeit und wechselseitig anregendem Austausch in einer Kultur der „Singularitäten“⁷⁸ im Raum des Internets radikal verwirklichen – denn in ihm finden sich nicht nur in den sozialen Medien, sondern auch in Blogs, Podcasts, interaktiven Seiten zur Trauerkultur, Gebetsgemeinschaften und in Selbstdarstellungen von christlichen und anderen Sinnfluencer:innen in unübersehbarer Pluralität selbstgewählte Formen der Vergemeinschaftung auf Zeit mit selbstgesteuertem Teilhabeverhalten. Die unbegrenzten Möglichkeiten der „freien Artikulation eigener Glaubensfragen und Glaubenshaltungen“⁷⁹ und flexible „Online-Offline-Partizipations- und Resonanzkulturen“⁸⁰ inkludieren dabei auch bisher marginalisierte Stimmen. Zugleich jedoch sind diese Formen der religiösen Kommunikation im Netz eingebunden in den „Kampf um Sichtbarkeit“, in die geforderte „Kultur des Authentischen“ und der „Affektintensivierung“ sowie in eine intensive Bewertungskultur, das heißt einen „Valorisierungsmarkt“.⁸¹ Das zeigen nicht zuletzt auch die Versuche der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), mit Formaten wie zum Beispiel „Anders Amen“⁸² und dem Content-Netzwerk „yeet“⁸³ Aufmerksamkeit für eigene Botschaften zu gewinnen. Die Ambivalenzen der Freiheitsgewinne in religiöser Kommunikation, die das Netz bietet, sind deshalb ebenfalls kritisch wahrzunehmen und zu reflektieren. Kam es für Schleiermacher darauf an, im Kontext freier Geselligkeit dem „Ton“ einer Gemeinschaft entsprechend das Eigene sowohl selbst- als auch grenzbewusst einzubringen, wäre die Frage, wie sich in den digitalen religiösen Kommunikationszusammenhängen Aushandlungsprozesse zwischen Eigenem und Fremdem so ereignen können, dass sich die eigene Identität im Durchgang durch das Andere tatsächlich bilden kann. Für Schleiermacher gehörten ein reflektiertes Verhältnis von Nähe und Distanz und die Wahrnehmung unmittelbarer Reaktionen in physischer Präsenz von überschaubaren Face-toFace-Kommunikationen dazu. In der Netzkommunikation ist jedoch das Verhältnis von
76 Korsch 2021, 240. 77 Korsch 2021, 244 – 245. 78 Reckwitz 2021, z. B. 7. 79 Schlag 2021, 281. 80 Schlag 2021, 299. 81 Reckwitz 2021, 9 – 10, 227, 240. 82 Vgl. den Kanaltrailer zu „Anders Amen“, auf: YouTube, URL: https://www.youtube.com/c/andersamen (zuletzt aufgerufen am 12.07. 2022). 83 Vgl. den Kanaltrailer zu „Wer oder was ist yeet“, auf: yeet, URL: https://yeet.evangelisch.de/wer-oderwas-ist-yeet (zuletzt aufgerufen am 12.07. 2022).
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Nähe und Distanz sowie von Privatem und Öffentlichem aufgrund der Entgrenzungsstrukturen in Raum und Zeit sowie der Signaturen von Aufmerksamkeitsökonomie und Sichtbarkeitsanforderungen sehr viel komplexer zu begreifen. In Many-to-Many-Kommunikationen unter den Bedingungen möglicher Anonymität oder auch fingierter Identität, in den Spannungsfeldern von Selbstermächtigung und Selbstentmächtigung des Subjekts und von Vielstimmigkeit und Vereindeutigung der Welt ⁸⁴ in Echokammern und Filterblasen steigen die Anforderungen einer selbstreflexiven und selbstkritischen Auseinandersetzung, der man je nach Partizipationsverhalten in homogenisierten, selbstreferenziellen Netzcommunities immer auch ausweichen kann. Gerade die in der Weihnachtsfeier angedeutete Form kultivierten Streits kann in der Netzkommunikation im Schatten von Anonymität und (verdeckten) Deutungsmachtansprüchen unterschiedlicher personaler und apersonaler Akteur:innen prekär werden. 3. Narrationen: In Schleiermachers Weihnachtsfeier stellen die biographischen, erfahrungsgesättigten Erzählungen das Herzstück des fiktional verdichteten individuellen religiösen Symbolisierens dar; auch im Kontext gegenwärtiger religiöser Identitätsbildung sind auf verschiedenen Ebenen die Bedeutsamkeit von Narrativität und die Konstitution des Menschen als „homo narrans“⁸⁵ zu reflektieren. Dabei ist nicht nur relevant, dass die biblische Tradition selbst ganz wesentlich narrativ verfasst ist, sondern die Ausbildung einer eigenen narrativen Identität ist zudem auf eine spannungsreiche Verschränkung verschiedener Erzählwelten angewiesen, um das eigene Leben jeweils sinnstiftend inklusive der Verarbeitung von Brüchen immer wieder neu und anders erzählen zu können.⁸⁶ In den Darstellungszusammenhängen religiöser Kommunikation im digitalen Raum spielen deshalb emotional grundierte Selbstnarrationen und Selbstinszenierungen mit hohem Authentizitätsanspruch in den sozialen Medien, in Blogs, Podcasts und Videos eine bedeutsame Rolle für die Konstitution des Selbst – und zwar sowohl für Professionelle (Pastor:innen), die sich in den sozialen Medien und bei YouTube engagieren, als auch für diejenigen, die mit ihnen oder untereinander kommunizieren.⁸⁷ Dabei werden in unterschiedlicher Weise Bezüge zur narrativen christlichen Tradition hergestellt. Zudem werden neue Erzählwelten medienübergreifend und interaktiv entworfen, die zum Teil religiöse Motivik, vor allem mythologische Dimensionen integrieren, wie an Computerspielen exemplarisch zu zeigen ist.⁸⁸ Darüber hinaus lässt die Struktur der Netzkommunikation schließlich auch Narrative und Mythen im sozialen und politischen Raum wirkmächtig werden, die nicht selten religionsaffin funktionieren. Diese verlangen Formen des Glaubens und Führwahrhaltens, die Communities konstituieren und verbinden, wie zum Beispiel an verschiedenen Verschwörungsnarrativen im Kontext der COVID-19-Pandemie zu sehen ist.⁸⁹ Zum kri-
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Vgl. Bauer 2018. Koschorke 2012, 9 – 12. Vgl. Ricœur 1996, 173 – 206; Kumlehn 2012, 135 – 145. Vgl. Lienau 2020, 503 – 507. Vgl. Lochner 2014, 137– 212; Sura 2018, 256 – 262. Vgl. Fuchs 2022.
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tischen Umgang mit diesen narrativen Phänomenen, die nicht auf die Netzkommunikation beschränkt sind, aber durch deren Reichweite und Funktionsweise erheblich begünstigt werden, gehört eine intensive Auseinandersetzung mit dem – schon in Schleiermachers Weihnachtsfeier problematisierten – Zusammenhang von Fiktion und Referenzialität bzw. Realität, der gerade im Kontext einer Kultur der Digitalität im Verbund mit verschiedenen Formen von Wahrheitsbewusstsein und differenzierten Wahrheitsbegriffen kritisch zu reflektieren ist.⁹⁰ 4. Diskurs: In Schleiermachers Weihnachtsfeier sind die theologischen Diskurse einerseits thematisch auf die erfahrungsgesättigten Erzählungen bezogen. Andererseits stellen sie eine eigenständige Form religiöser Kommunikation bzw. der reflektierten Kommunikation über (christliche) Religion dar. In der digitalen Kultur steigen die Herausforderungen, anspruchsvolle Diskurse mit sorgfältiger Argumentation angesichts der Anforderungen der Aufmerksamkeitsökonomie zu pflegen und im Kontakt zur gelebten Religion zu vermitteln. Blogs wie „feinschwarz. Theologisches Feuilleton“⁹¹ als katholische Initiative oder der „kulturbeutel“⁹² des Kulturbeauftragten der EKD, Johann Hinrich Claussen, versuchen entsprechend die Erhellung von gegenwartskulturellen religiösen Phänomenen mit theologischer Reflexion zu verbinden. Demokratisierungsprozesse im Sinne breiterer Partizipationsmöglichkeiten an theologischen Diskussionen und Problemstellungen intendiert auch die Plattform „offensis. Onlinemagazin für The*logie“,⁹³ die von einem ehrenamtlichen Redaktionsteam unterhalten wird, an dem Theologiestudierende wesentlich beteiligt sind. So wie in Schleiermachers Weihnachtsfeier Formen experimentellen theologischen Denkens im Zusammenhang unterschiedlicher Deutungstraditionen vorstellt werden, lassen sich auch in diesem Gegenwartsmedium interessante Prozesse der Adaption, Reformulierung und Transformation von Glaubensüberzeugungen christlicher Provenienz beobachten, die durchaus ambiguitätstolerant eine „ergebnisoffen[e] und explorative Form des theologischen Diskurses“⁹⁴ intendieren. Der akademische theologische Diskurs ist gut beraten, diese neuen Foren zur Kenntnis zu nehmen und die eigenen Reflexionskulturen auf das hochkomplexe Feld religiöser Kommunikation im digitalen und analogen Kontext der Gegenwart immer wieder neu einzustellen. Schleiermachers Theorie religiöser Kommunikation, wie sie sich in seiner Schrift Die Weihnachtsfeier exemplarisch spiegelt, kann jedenfalls strukturell immer wieder neu dazu ermutigen, vor dem Horizont einer intensiven Gegenwartswahrnehmung und Erfahrungsorientierung theologisches Den-
90 Kumlehn 2020, 320 – 333. 91 Vgl. die Plattform „feinschwarz.Theologisches Feuilleton“ auf: feinschwarz.net, URL: https:// www.feinschwarz.net (zuletzt aufgerufen am 12.07. 2022). 92 Vgl. die Plattform „Chrismon. Das evangelische Magazin“, auf: chrismon.de, URL: https://chrismon.evangelisch.de/blogs/kulturbeutel (zuletzt aufgerufen am 13.07. 2022). 93 Vgl. die Plattform „offensis. Onlinemagazin für The*logie“, auf: offensis.de, URL: https://offensis.de (zuletzt aufgerufen am 26.06. 2022). 94 Clayton 2016, 29.
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ken zu wagen und die zugehörigen Vermittlungs- und Bildungsaufgaben ernst zu nehmen.
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4 Kulturtechniken des Redens, Schreibens, Lesens und Übersetzens
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Am Leitfaden des Leibes. Medientheoretische und anthropologische Überlegungen zum Begriff des darstellenden Handelns Abstract: This contribution argues that Schleiermacher’s treatment of consciousness is closely related to his non-dualistic anthropology. As embodied minds humans articulate their thoughts in language and thus obtain clarity of thinking only by and through language usage. Analogously, feelings (and religious feeling in particular) are mediated by what Schleiermacher called “darstellendes Handeln.” In this context, the German word “darstellen” means “to exhibit,” “to perform,” or “to enact” and must not be confused with “representation” or “depiction.” It is a genuine case of acting even though it does not intend to realize purposes and cannot be reduced to merely expressive behavior. Darstellendes Handeln communicates with others in aesthetic (symbolic) forms; feeling, in turn, obtains its definiteness and significance in and through this communication. Starting with mimic art and developing further into lyrical, musical, and rhetorical forms, feeling is continuously modified, transformed, and qualified. Seen in this light, sections 15 and 16 of the second edition of The Christian Faith, which fall under the heading “On the Relationship of Dogmatics to Christian Piety,” might well have been labeled “Propositions Borrowed from Aesthetics.” Das Ich muß sich, als darstellend setzen.¹
Der Begriff des darstellenden Handelns ist eine für die Ethik Schleiermachers grundlegende Kategorie, das organisierende Zentrum der in ihr fundierten Religions-, Sozialund Kirchentheorie, aber auch der Grundbegriff seiner (Produktions‐)Ästhetik. Das gilt (mit Fundierungsprimat) für die philosophische Ethik genauso wie für den spezielleren Bereich der christlichen Sittenlehre Schleiermachers. Die Stellung, die dieser Begriff erhält, erklärt sich aus der Anthropologie Schleiermachers, die ich deshalb in dieser Hinsicht als Anthropologie der Darstellung beschreiben möchte. Denn es ist ihre Pointe, dass sich Menschsein im und als darstellendes Handeln verwirklicht. So heißt es in den Vorlesungen zur Christlichen Sittenlehre: Es ist unserem ursprünglichen Selbstbewußtsein gegeben, daß wir die einzelnen Momente des Daseins nur zusammenknüpfen können, indem was in dem einen Momente war, Object wird für den anderen, und das ist nur möglich in dem Heraustreten in die Erscheinung, daß aber auch die Identität des persönlichen und des Gemeingefühls nur Wahrheit hat, sofern wir in Gemeinschaft
1 Novalis 1960 [Fichte-Studien Nr. 633], 282. https://doi.org/10.1515/9783111128801-023
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stehen mit anderen und unser Selbstbewußtsein austauschen können; so daß alles Darstellen nichts anderes ist, als die beständige Realisation des menschlichen Wesens selbst. ²
Schleiermacher begreift (Selbst‐)Bewusstsein als ein zeitliches Sein (man dürfte von einem „Sein in der Zeit“ sprechen, wenn man Martin Heideggers Jargon nicht fürchten müsste) und bestimmt es als einen kontinuierlichen Fluss. Bewusstsein und (als dessen Steigerungs- bzw. Intensivierungsform) Selbstbewusstsein präsentieren sich nicht im Modus eines Diskreten und Isolierten, als könne es einen einzigen und einmaligen Bewusstseinsakt geben, in dem die punktuelle noesis einen einzelnen Gegenstand (ein noema) erfasst. Zu dessen Eigenart gehört vielmehr, dass im Bewusstsein Vorstellungen auf Vorstellungen folgen, sodass es Gegenstände nur hat, indem es sie horizonthaft in weiteren Noesen abwandelt. Das Bewusstsein wird als Strom sich abwandelnder Vorstellungen gedacht. Intentionalität ist an ihr selbst inneres Zeitbewusstsein – wie man in Anlehnung an Edmund Husserl sagen kann. Mit Bezug auf Immanuel Kant müsste es dagegen heißen: Wie jede Vorstellung auf Synthesisleistungen beruht (nominalen wie prädikativen),³ so manifestiert sich das Subjekt der Erkenntnis nicht nur als Funktion des „Ich denke“, das Vorstellungen begleitet, sondern immer auch als innerer Sinn, in dem Vorstellungen gegeben sind, also in der Anschauungsform der Zeit erscheinen. Auf ähnliche Weise setzt auch Schleiermacher voraus, dass die Verknüpfung von Vorstellungen auf ihrem „Heraustreten in die Erscheinung“ beruht, nämlich auf einem Übergang eines zunächst mitspielend Momentanen in den Fokus eines weiteren Aktes, sodass Kontinuität als basale Bestimmung des Bewusstseins gilt. Dieses kann einen Gegenstand nur haben, wenn es auch andere Gegenstände hat, und seine Akte können von anderen Bewusstseinsakten aufgegriffen und thematisiert werden oder in solchen Vollzügen retentional nachklingen. Wäre es anders, bliebe das Bewusstsein durch sein jeweiliges (und in der Folge einziges) Noema in einer punktuellen Noesis gleichsam gebannt. Das Bewusstseinsleben besteht aber darin, Vorstellungen zu verbinden, Akte an Akte anzuknüpfen. Intentionalität wird als ein Repräsentationsverhältnis gedacht. Man müsste das für trivial halten, insofern Bewusstseinstheorien oft repräsentational angelegt sind und entsprechend kritisiert werden: als innere Leinwand, auf der sich Sachverhalte der äußeren Welt spiegeln.⁴ Aber gerade darum geht es an dieser Stelle nicht. Gedacht ist vielmehr an ein internes Verhältnis zwischen Bewusstseinsakten, die Momente eines anderen Bewusstseinsakts aufgreifen und in diesem Sinne wiedergeben. Nicht die Darstellung von Sachverhalten im Bewusstsein, sondern das Bewusstsein als Sachverhalt setzt Darstellung als Heraustreten eines Inneren in die Erscheinung voraus. Insofern ist Darstellung schon diesseits der ethischen und anthropologischen Verwendung des Begriffs des darstellenden Handelns, auf den in diesem Beitrag näher eingegangen
2 Schleiermacher 1843, 517. 3 Vgl. zur Unterscheidung Aschenberg 1982, 105 – 106. 4 Vgl. stellvertretend für eine derartige Kritik Rorty 1979, 158 – 174.
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werden soll, ein Grundbegriff der Theorie des Bewusstseins bei Schleiermacher. Es gilt schon intrasubjektiv: „[D]er einzelne Mensch könnte kein unter dem Typus der Zeit stehendes Wesen sein, wenn es nicht ein Aeußerlichwerden des inneren für ihn gäbe“⁵. Zugleich gilt unserem Ausgangszitat folgend eine zweite begriffliche Auskunft, die darauf zielt, jeden Solipsismus aus der Bewusstseinstheorie auszuschließen. Selbstbewusstsein, wie Schleiermacher es versteht, ist innerhalb der Grenzen einer reinen Egologie nicht angemessen beschreibbar, sei dieses doch von Hause aus immer auch Gattungsbewusstsein.⁶ Der Umstand, dass „wir […] in Gemeinschaft stehen mit anderen und unser Selbstbewußtsein austauschen können“,⁷ ist bei Schleiermacher als Bedingung der Möglichkeit auch der bewusstseinsinternen Darstellung zu denken: „[W]enn der einzelne Mensch nicht nur an sich, sondern auch in jedem seiner Momente rein für sich selbst wäre und isolirt: so würde sich auch kein Grund zu einem Aeußerlichwerden des inneren denken lassen […].“⁸ Selbstbewusstsein konstituiert sich nicht am Leitfaden intramentaler Reflexion, sondern entspringt mit und an den Formen der Kommunikation. In der Sprache der Vermögenspsychologie könnte man daher sagen: kein Wissen ohne Sprache, kein Wille ohne Praxis, kein Gefühl ohne Darstellung. Auf die Implikationen für das, was Schleiermacher unmittelbares Selbstbewusstsein nennt, wird zurückzukommen sein. Jedenfalls liegt in dieser ursprünglichen Bezogenheit von Subjektivem und Intersubjektivem, von Ego und Alter, die zweite Dimension des Darstellungsbegriffs: „Alles darstellende Handeln, sofern es nichts anderes ist, als das In die Erscheinung treten eines innerlichen Zustandes, geht auf Gemeinschaft aus […]. Gemeinschaft einerseits und das darstellende Handeln andererseits [sind] gleich ursprünglich“.⁹ Im Kontext des Zitats, von dem ich oben ausging, fügt Schleiermacher der systematischen Exposition des Darstellungsbegriffs noch eine dritte Bestimmung hinzu: Nach ihr sind Bewusstsein und Selbstbewusstsein niemals rein, sie unterliegen vielmehr der „Duplicität des Geistes und des Fleisches“.¹⁰ Das ist, dem Kontext der christlichen Sittenlehre entsprechend, ein Rückgriff auf biblische Terminologie und deren intrikate Auslegungs- und Rezeptionsgeschichte. Ihr entspricht in der Diktion der philosophischen Ethik Schleiermachers die Rede vom In- und Gegeneinander von nous und soma, die, in die Theoriesprache unserer Gegenwart übersetzt, als These eines duplizitären Verhältnisses von Bewusstsein und Leiblichkeit identifiziert werden kann. Bedürfte Schleiermachers Denken einer externen Empfehlung, so wäre wohl Verkörperung (embodiment) eine Karte, die im Gespräch mit aktuellen Entwürfen der Anthropologie als Plausibilisierungstrumpf ausgespielt werden könnte. Zur Transformation von Be-
5 Schleiermacher 1843, 510. 6 Feuerbach hat diese Zusammengehörigkeit von Selbstbewusstsein und Gattungsbewusstsein zum Angelpunkt seiner Religionskritik gemacht. 7 Schleiermacher 1843, 517. 8 Schleiermacher 1843, 509. 9 Schleiermacher 1843, 510. 10 Schleiermacher 1843 517.
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wusstseins- in Kommunikationstheorie tritt eine Auffassung, nach der Subjektivität am Leitfaden des Leibes rekonstruiert werden muss. Warum das so ist, lässt sich in der Analyse des Darstellungsbegriffs darlegen, näher betrachtet am Verhältnis von Gefühl, Ausdruck und Darstellung (erster Abschnitt der folgenden Ausführungen), dann am Verhältnis von Darstellung und Mitteilung (zweiter Abschnitt) und schließlich (dritter Abschnitt) auch im Hinblick auf die Trias von Mimik, bewegtem Körperbild und Rede.
1 Gefühl, Ausdruck und Darstellung Die Unterscheidung von Ausdruck und Darstellung ergibt sich aus ihrem jeweiligen Verhältnis zum (beiden zugrunde liegenden) Gefühl. Zwischen Gefühl und Gefühlsausdruck besteht ein natürliches Verhältnis, wie es für Symptome typisch ist. Man könnte es (mit Charles Sanders Peirce) indexikalisch nennen, und zwar in dem Sinne, als der Ausdruck denjenigen Kausalprozessen selbst angehört, die er anzeigt (indiziert). Erhöhte Körpertemperatur als Symptom einer COVID-19-Erkrankung wäre ein Beispiel, ebenso wie das schmerzverzerrte Gesicht als Ausdruck einer Verletzung. Es handelt sich um körperliche Verhaltensweisen, die man „unwillkürlich“ nennt, weil sie zunächst nicht in der freien Verfügbarkeit subjektiven Willens liegen. So bedarf es einer speziellen Ausbildung oder Disziplin, wenn man weinen kann, obwohl man weder Trauer noch Schmerz empfindet. Insofern Gefühl und Ausdruck ein und demselben Prozess angehören, kann Schleiermacher auch sagen, „die Erregung erlösche in der Aeußerung“.¹¹ Der Ausdruck ist dann sozusagen ein Mittel der Abfuhr eines Erregungszustands, durch den dieser überwunden wird – ähnlich wie Gähnen ein Ausdruck von Müdigkeit und zugleich ein Mittel ihrer Überwindung ist. Zwischen Innerem und Äußerem, zwischen Gefühl und Ausdruck besteht hier ein unmittelbares Verhältnis und eine spezifische Zeitgestalt, die „akthaft-momentan“ genannt werden darf. Der Ausdruck folgt dem Gefühl, dessen Ausdruck er ist, gleichsam auf dem Fuße als ein Moment eines Erregungsablaufs. „Darstellen“ ist zwar ebenfalls ein Verhältnis zum Gefühl, das als „ein Aeußerlichwerden“ eines Inneren, präziser als Äußerung eines Inneren „als eines innerlichen“ zu beschreiben ist,¹² aber das nomen actionis „Darstellen“ unterscheidet sich von Ausdruck und Ausdrucksverhalten unter anderem darin, dass es nicht auf einem direkten Zusammenhang von Erregung und Äußerung beruht. Was bei Schleiermacher „Darstellung“ heißt, unterbricht den Reiz-Reaktions-Bogen und führt folglich auch zu einem anderen Zeitverhältnis. Der Verlauf wird durch das Dazwischentreten eines neuen Moments verändert, und zwar durch einen Akt der Besinnung, gleichsam als eines Platzhalters der Freiheit des Subjekts, das seinen Gefühlen nicht freien Lauf lassen muss, sondern diese mit einer Urbildung ins Verhältnis setzt, die produktiv und kreativ
11 Schleiermacher KGA II/14, 47. 12 Schleiermacher 1843, 509.
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geraten kann.¹³ Ästhetische Darstellungen müssen daher nicht insofern authentisch sein, als ein Künstler die Gefühle und Welteindrücke, die er ins Werk setzt, bei der Ausführung seines Werkes auch empfunden haben muss. Vielmehr manifestiert das kraft der Besinnung freigesetzte Urbild etwas für die Situation des Menschen, etwas für die conditio humana Typisches, weshalb es nicht aufs Hier oder Dort, von mir oder anderen Erlebte und auf psychologistische Rückführung der ästhetischen Form ankommt. Der Künstler kann ebenso gut sein eigenes wie das Gefühl eines anderen darstellen. Beim Ausdruck dagegen unterstellen wir das Vorhandensein des entsprechenden Gefühls – und zwar auch dann, wenn wir uns diesbezüglich faktisch irren sollten. Wichtig ist, dass Schleiermacher die Differenz zwischen Ausdruck und Darstellung auch nicht entlang der Demarkationslinie zwischen natürlichen und konventionellen Zeichen entwickelt, wie man hatte meinen können.¹⁴ Denn schon der Ausdruck kann eine Angelegenheit kultureller Codierung sein, sich also beispielsweise eines bestimmten Sprachlautes, einer Interjektion, bedienen, die nicht „natürlich“ oder „naturhaft“ genannt werden kann. Und umgekehrt kann darstellendes Handeln Elemente des Ausdrucks einschließen, es muss nicht konventionell sein, um diese Ausdruckselemente von Grund auf zu modifizieren. Entscheidend ist vielmehr, dass im darstellenden Handeln der Mensch nie „ein Product des Momentes, der ihn afficirt“, nie bloßer „Anhang […] eines Empfindungsmomentes“ bleibt.¹⁵ Darstellen ist immer Handeln, ob mit oder ohne Naturmoment, es ist kein bloßes Verhalten. Aber es ist auch keine Tätigkeit, die auf Zwecke zielt oder Absichten realisiert – wie es umgekehrt auch „kein rein unwillkürliches sein muß, um ein darstellendes zu bleiben“.¹⁶ An und mit seinem darstellenden Handeln erscheint der Mensch als Subjekt, als Individuum, das sich mitteilt. Die Sistierung der für den Ausdruck charakteristischen Unmittelbarkeit und die Abständigkeit gegenüber einem zweckrationalen Handeln macht das darstellende Handeln zum interessanten Kandidaten der humanen Selbstbeschreibung. Eine Anthropologie des Ausdrucks ¹⁷ bliebe unterbestimmt, da der Mensch das Ausdrucksverhalten mit einigen Tierarten teile – wie Charles Darwin in den 1870er Jahren herausstellte.¹⁸ Eine Anthropologie der Artikulation ¹⁹ ginge dagegen zu weit über das Schleiermacher beschäftigende Phänomen hinaus, wenn sie sich ausschließlich am Ineinander von Expressivität und zweckrationaler Mitteilung ausrichtete. Was ich
13 Vgl. Moxter 2015, 125 – 141. 14 Auf diese Annahme läuft Lehnerers Interpretation des Verhältnisses von Ausdruck und Darstellung hinaus, vgl. Lehnerer 1987, 196. 15 Schleiermacher ist übrigens der Auffassung, dass die Sprache sich nicht als Fortsetzung der Kundgabe natürlicher Laute (Interjektionen) entwickelt habe, weil diese in ihrer Unmittelbarkeit prinzipiell isoliert seien, während Sprache auf Verkettung und Kombination, also auf einem System von Beziehungen, beruhe. 16 Schleiermacher 1843, 509 (Vorlesungen von 1824/1825). 17 Vgl. den Entwurf von Meuter 2006. 18 „Endlich ein Buch, das mir hilft“, wird Aby Warburg notieren, vgl. Darwin 1872 zit. n. Warburg 2010, 32. 19 Vgl. den Entwurf von Jung 2009.
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Schleiermachers Anthropologie des darstellenden Handelns nenne, operiert zwischen Ausdruck und Artikulation. Sie geht nicht nur davon aus, dass zwischen Innerem und Äußerem, zwischen Psychischem und Leiblichem ein internes Verhältnis besteht, sondern verortet dieses in spezifischen kulturellen Darstellungsformen. Im Hinblick auf das Verhältnis von Denken und Sprechen habe ich verschiedentlich auf die Nachbarschaft von Schleiermacher und Wilhelm von Humboldt aufmerksam gemacht.²⁰ In der Kurzfassung eines Schleiermacher-Zitates gilt im Sinne dieser Nachbarschaft, dass „ein Denken, welches sich nicht aussprechen läßt, […] nothwendig ein unklares und verworrenes“²¹ bleibt und dass „das reine Erkennen und das Finden des Ausdrucks […] immer identisch sein“²² werden. Für den gegenwärtigen Zusammenhang und insbesondere für das Projekt einer Anthropologie des darstellenden Handelns ist danach zu fragen, ob und wenn ja, in welchem Sinne, ein entsprechendes Verhältnis auch für das Gefühl gelten könne. Für eine Klärung dieser Frage ist das Verhältnis von Ausdruck und Darstellung wichtig. Schleiermacher betont zunächst: „Jede bestimmte Erregtheit des Gemüths ist begleitet von Ton oder Geberde als natürlichem Ausdruck“,²³ er bestimmt den Ton dabei nicht auf der Ebene dessen, was gesagt wird, sondern denkt an einen Modus des Sagens: an „Gesang“, Modulation, eine Stimme, die im Lautwerden einen Ton trifft oder anschlägt – was das Gesagte (die Aussage) auf spezifische Weise einfärbt.²⁴ Im Unterschied zur unmittelbar-direkten Einheit von Erregung und Äußerung eröffnen sich im Darstellen Differenzierungen: „Da Erregung und Darstellung zwei Momente sind, so können sie auch in verschiedenem Verhältniß stehen“.²⁵ Es fächert sich folglich eine Vielfalt von Darstellungsmöglichkeiten auf, sobald in der Beziehung von Gefühl, Ausdruck und Darstellung ein „Übergewicht“ zugunsten der Letzteren entsteht. Genau das ist in der Kunsttätigkeit im engeren Sinne der Fall, bearbeitet sie doch „unmittelbare Aeußerungen durch Fantasie“,²⁶ deren Eigenart es ist, sich im eigentümlichen Bilden vom Vorgegebenen zu lösen. Auch ohne das Ansinnen, aus diesem Gesichtspunkt bereits die unterschiedlichen Kunstgebiete zu konstruieren, heißt es 1812/1813 in den § 218 und 219
20 Geleitet war meine Interpretation von dem Umstand, dass Humboldt in „Ueber die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues und ihren Einfluss auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts“ die Sprache „das bildende Organ des Gedanken“ nennt, sodass die Artikulation kein bloßes Lautwerden, sondern die für das Denken konstitutive „Verbindung mit dem Sprachlaute“ bildet, denn „das Denken kann sonst nicht zur Deutlichkeit gelangen“ (Humboldt 1972, 368 – 756, 426). Humboldt entwickelt diesen Topos unter dem Titel Sinnliche Form bereits 1796/1797: „Über Denken und Sprechen“. Schleiermacher hat diese These in seiner letzten Bearbeitung der „Güterlehre“ auf die Formel gebracht: „Das Sprechen […] hängt dem Denken so wesentlich an, daß kein Gedanke fertig ist, ehe er Wort geworden ist“ (Schleiermacher 1981, 256 [„Güterlehre. Letzte Bearbeitung“, vermutlich 1816/1817]). 21 Schleiermacher 1981, 67 (Ethik 1812/1813, Güterlehre). 22 Schleiermacher 1981, 68. 23 Schleiermacher 1981, 71. 24 Man denke auch an die Ausführungen in Mersch 2006. 25 Schleiermacher 1981, 72. 26 Schleiermacher 1981, 72.
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– mit klarer Parallele zu § 212 dieser Fassung –: „Jede bestimmte Erregtheit von ihrer spontaneen [sic!] Seite angesehen ist daher begleitet von einem Bilden der Fantasie als einem eigentlich darstellenden Act“,²⁷ der „sich an den einfachen Ausdruck des Gefühls an[schließt]“.²⁸ Der Anschluss an den Ausdruck erfolgt also unter der Leitung der Phantasie und ermöglicht „Bedeutsamkeit“²⁹ – ein Wort, das in Schleiermachers Texten heimisch zu wissen, notiert zu werden verdient.³⁰ Indem Darstellung an Ausdruck anschließt, verändert sie diesen, erweist sie sich als Ausdruckstransformation. Schleiermacher begründet dies mit der Bemerkung: „Denn wenn Geberde und Ton als Reihe gesezt und, wenn auch dunkel, vorher gedacht und concipirt werden, so sind sie selbst ein solches darstellendes Bilden“.³¹ Es ist nicht klar, was das angesichts der Ausdrucksqualität von Gebärde und Ton genau heißen soll. Ich unterstelle, dass der darstellende Akt, indem er an den Ausdruck anschließt, diesen bei seiner Plastizität nimmt, also sich zu dem Umstand verhält, dass schon der Ausdruck selbst kein isoliertes Phänomen ist, sondern „als Reihe“ auftreten kann. Nichts ist Ausdruckston, ohne in einer Reihe mit anderen, helleren oder dunkleren, kürzeren oder längeren Tönen zu stehen, nichts wird als Ausdruckston erkennbar, ohne eine Mehrzahl von Worten oder Sätzen zu verbinden – und nichts ist Gebärde ohne Zusammenhang mit anderen Gesten und Körperbewegungen. Was daher in der einen Hinsicht natürlicher Ausdruck ist, erweist sich in einer anderen als offen für Abwandlungen und Überformungen. Man kann Ausdruck also selbst als Feld von Formen im Übergang, als plastisch verstehen, ohne deshalb die kategoriale Differenz zwischen Ausdruck und Darstellung einzuebnen. Wo immer „darstellende[s] Bilden“ und phantasiegeleitetes „Umbilden“ ins Spiel kommen, ist es jedenfalls mit der unmittelbaren Einheit von Eindruck und Ausdruck, von Gefühl und Expression vorbei.
2 Ausdruck, Darstellung und Mitteilung Wenn im zweiten Teil meiner Überlegungen die Gefühlslehre Schleiermachers unter einem weiteren Ternar betrachtet wird, nämlich als Gefühlsausdruck, als Darstellung und als Mitteilung, so ist mit diesem Mitteilungsbegriff derjenige Gesichtspunkt im Blick, der Ausdruck und Darstellung definitiv voneinander abzuheben gestattet. Die Kontinuität, die zwischen Ausdruck und Darstellung in mancher Hinsicht besteht, wird ins
27 Schleiermacher 1981, 73. 28 Schleiermacher 1981, 73. 29 Schleiermacher 1981, 75. 30 Das Historische Wörterbuch der Philosophie lässt die Begriffsgeschichte dieses Lemmas mit Dilthey beginnen (D. Sinn: Art. „Bedeutsamkeit“, Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 1, 758), das Wörterbuch der Gebrüder Grimm führt den Ausdruck auf Goethe zurück (Deutsches Wörterbuch, Bd. 1, 1230). 31 Schleiermacher 1981, 73.
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Scheidewasser getaucht, weil nur Darstellung, nie aber Ausdruck, auf Mitteilung bezogen ist. Das ist nun zu verdeutlichen. Schleiermachers Rede vom Gefühl thematisiert etwas Individuelles, Eigentümliches, Jemeiniges, das sich von der Sphäre des Allgemeinen und Identischen, also des durch Übersetzungen intersubjektiv Nachvollziehbaren abhebt und sich gegenüber dieser Sphäre als Charakteristikum des Wissens (wie auch gegenüber dem Allgemeinheitssinn des Rechts)³² systematisch sperrt. Wie es erst dort um Darstellung geht, wo andere Subjekte mitteilend adressiert werden, so kommt es auf Darstellung auch nur dort an, wo es um Mitteilung des Unübertragbaren geht, das im Medium sprachlich repräsentierten Wissens als solchem nicht kommuniziert werden kann. Die anthropologische Generalthesis Schleiermachers, alles Bewusstsein sei kommunikativ verfasst, endet aber bekanntlich nicht an der Grenze des Individuellen. Dass die „Mittheilung des Bewußtseins“ nach Schleiermacher nicht „als ein zweites zu dem Bewußtsein selbst als einem ersten hinzu[kommt], sondern ursprünglich schon ist beides eins; denn es giebt keine Form des Bewußtseins, die anders als mit ihrer Leiblichkeit zugleich hervortreten könnte“,³³ gilt sowohl für das Wissen als auch für das Gefühl. Die Orientierung der Bewusstseinslehre an Kommunikation folgt, hier wie dort, dem Leitfaden der Leiblichkeit.³⁴ Denn wie das Sprechen des Kehlkopfs, der Stimmbänder, der Lippen und der bewegbaren Luft bedarf, so erfolgt die Darstellung des Gefühls im Leibe gleichsam als der primären Medialität des unmittelbaren Selbstbewusstseins. Dieses bedarf der Sinne schon im Ausdruck, erst recht in der ästhetischen Darstellung und synaisthetisch, wo sich diese zu komplexeren Formen (wie im Schauspiel oder in der Oper) entwickelt. Ohne die Verdienste Thomas Lehnerers für die Erschließung und Interpretation der Ästhetik Schleiermachers schmälern zu wollen oder zu können, darf ihm an der Stelle widersprochen werden, an der er diesen Bezug des Bewusstseins auf die Leiblichkeit „ein empirisch-anthropologisches Argument“ nennt, eine Erfahrung, die von Naturnotwendigkeit gestützt sei.³⁵ Die Perspektiven auf diese Weise zusammenzufassen, heißt die Interpretation von jeder Nachbarschaft phänomenologisch orientierter Perspektiven künstlich freizuhalten: Leiblichkeit ist keine sekundäre und gleichsam kontingente Bedingung, unter der Bewusstsein „real“ in „Erfahrung“ (Lehnerer) vorkommt, sondern das Urmedium, ohne das Intentionalität, Intention oder Affektivität, also Bewusstsein, nicht wären, was sie sind.³⁶ Wenn Kant die Vorstellung einer leiblichen Auferstehung aus den Grenzen des reinen Vernunftglaubens mit dem Argument ausschließt, solche Betonung des Körpers verankerte einen Materialismus im Religionssystem und sei darum der Vernunft und dem Vernunftglauben „sehr lästig“, und insofern suggeriert,
32 Von diesem ist es freilich doppelt abgesetzt, insofern es ihm zugleich als symbolisierend, nicht als organisierend gegenübersteht. 33 Schleiermacher KGA I/11, 659 – 677, 672. 34 Sie wird vor allem in den Psychologievorlesungen als Basis einer nichtdualistischen Anthropologie expliziert. 35 Lehnerer 1987, 182. 36 Vgl. Fuchs 2017, 117– 120.
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der Spiritualismus sei „der Vernunft günstiger“, begründet er diese bemerkenswerte Auffassung mit einem mangelnden „Interesse“ der Vernunft, einen Stoff und Körper, den sie „im Leben nie recht lieb gewonnen hat, in Ewigkeit mit zu schleppen“.³⁷ Von solcher Affinität zum Spiritualismus ist Schleiermacher weit entfernt, der seine minimalistische Eschatologie unter den Leitgedanken stellt, ein Leben der Seele ohne Leib und ohne dessen Funktionen sei nicht vorstellbar.³⁸ Leiblichkeit ist humaner Selbsterfahrung wesentlich und hat insofern transzendentalen oder quasitranszendentalen Status, ist jedenfalls keine bloß empirische Tatsache. Husserl wird in den vielen Windungen und Wendungen seiner phänomenologischen Anstrengungen, die Intentionalität des Bewusstseins sachgerecht zu charakterisieren, auch auf den Begriff einer „geistige[n] Leiblichkeit“³⁹ kommen – gleichsam als ein Urphänomen, das eine antidualistische Pointe hat, die bei Maurice Merleau-Ponty und Paul Ricœur systematisch entfaltet wird.⁴⁰ Wenn Bernhard Waldenfels in seinen Deutsch-Französischen Gedankengängen schreibt: „Im deutschen Denken, das stark von einem protestantischen Geist geprägt ist, bedeutet der Leib kein zentrales Thema“,⁴¹ wird man Schleiermacher ausnehmen müssen oder dürfen.⁴² Schleiermachers Generalthesis, dass sich „Kunst zur Religion wie Sprache zum Wissen“⁴³ verhält, setzt beide symbolischen Formen oder Kommunikationsmedien gewiss nicht gleich. Zu den relevanten Unterschieden gehört es, dass Darstellungen in „verschiedenen Arten“ vorkommen, die zusammen ein System bilden, das „alles, was Element der Kunst sein kann“, umfasst.⁴⁴ Aber dieses System fällt nicht mit derjenigen Einheit zusammen und darf mit ihr nicht verwechselt werden, die im Verhältnis von Sprache und Wissen besteht. Denn während beim Wissen eine Übersetzbarkeit aller Sprachen ineinander in Anspruch genommen wird, kann das sozusagen in der Sprache der Kunst nicht unterstellt oder auch nur sinnvoll gefordert werden. Weder lasse sich alle Kunst auf eine, etwa die Poesie, zurückführen noch gebe es einen Primat einer von ihnen, etwa des Wortes vor dem Bild – auch nicht im Fall der sogenannten Historienmalerei.⁴⁵ Die Partikularität der „einzelne[n] Zweige der Kunst“ sei ihnen wesentlich
37 Kant 1968, B 192 – 193 Anm., AA 6, 128 Anm. 38 Schleiermacher KGA I/13.2, 474. 39 So charakterisiert Husserl die Eigenart der Sprache als Einheit von Leib und Sinn in den „Vorbereitenden Betrachtungen“ von Formale und transzendentale Logik, vgl. Husserl 1974, 25. 40 Vgl. zu Maurice Merleau-Ponty Waldenfels 1995, 119, 349; vgl. zu Paul Ricœur Waldenfels 1995, 292. 41 Waldenfels 1995, 42. 42 Auch für Ludwig Feuerbach gilt dies übrigens nicht, da es Offenheit gegenüber der Welt nur für ein leibliches Wesen gibt, so in Einige Bemerkungen über den ‚Anfang der Philosophie‘: „Im Leib sein heißt in der Welt sein. Soviel Sinne – so viele Poren, soviel Blößen. Der Leib ist nichts als das poröse Ich“ (Feuerbach 1970 [1841], 151). Die Anregung, Schleiermachers Verständnis von Leib und Leiblichkeit zu rekonstruieren, hat mein ehemaliger Mitarbeiter Joachim Winkler aufgenommen. Ich danke ihm für produktive Gespräche. 43 Schleiermacher 1981, 75 (Ethik 1812/1813, Einleitung und Güterlehre). 44 Schleiermacher 1981, 74. 45 „Der Maler sieht gar nicht erst die Geschichte […], sondern gleich das Bild“ (Schleiermacher 1981, 74).
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und entspreche der Individualität der (sich) darstellenden Personen in ihrer Fragmentarität.⁴⁶ Für Kunsttätigkeit ist also Arbeitsteilung charakteristisch (und ein Gesamtkunstwerk eine Ausnahmeerscheinung), sodass die Vielfalt ihrer Formen davon Zeugnis ablegt, dass es die eine Darstellung für jedermann so wenig geben kann wie die eine Religion für alle. Allenfalls Familienähnlichkeiten sind denkbar. Fragt man nach der Eigenart der Kunstformen für die Mitteilbarkeit des Gefühls, so ist auf die Bemerkung Schleiermachers zu achten, dass „sich in der Kunst das Gefühl sammeln und der momentane Ausdruck fixiren und objectivieren“ könne, „so daß alles Gefühl in der Kunst niedergelegt ist und jeder sein mittheilendes und mitgetheiltes Dasein aus derselben empfängt“.⁴⁷ Ich zerlege diese knappe bzw. dichte Vorlesungsnotiz in fünf Einzelthesen: a) Die Kunstformen sind in dem Sinne kollektiv bzw. kollagierend, als sie einzelne Erregungen sammeln und durch Sammlung konzentrieren, sie dadurch aber auch bündeln bzw. läutern und somit einer unter Umständen primären Diffusität bloß inneren Bewegtseins die Bestimmtheit eines konkreten Gefühls geben. b) Weil und insofern sich diese Leistung der ästhetischen Form verdankt, ermöglicht Kunst eine Objektivierung und Externalisierung, also auch die Wiedererkennbarkeit bzw. intersubjektive Identifizierbarkeit eines Gefühls. c) Dieser Prozess bedeutet in der zeitlichen Dimension, dass der Momenthaftigkeit vorübergehender Erregungs-Ausdruck-Verhältnisse Stabilität verliehen und die Identität eines Gefühls fixiert wird. Diese drei Momente sind die Voraussetzung dafür, dass viertens auch gelten darf: d) Alles Gefühl manifestiert sich in der Kunst und wird in den ästhetischen Formen gleichsam gespeichert und deponiert, also in Schleiermachers Sprache: niedergelegt. Die ästhetischen Formen prägen das Gefühl in und durch ihre jeweilige Darstellung, die nicht mit dem faktischen Gefühlszustand eines Betrachters oder des Künstlers zusammenfallen muss. „Die Sittlichkeit der Darstellung [liegt] nicht in dem unmittelbaren Hervorgehen aus einem erregten Moment, […] sondern in der inneren Wahrheit, vermöge deren sie in der Production auf etwas in dem eigentümlichen Wesen Reales bezogen wird“.⁴⁸ Nicht im einzelnen Akt der Hervorbringung eines Kunstgegenstands kann man die sogenannte Produktionsästhetik Schleiermachers verankern. Sie ist nicht expressivistisch und Kunst ist ihr keine Prolongation eines Ausdrucksgeschehens. Sie fordert darum auch keine direkte Ableitbarkeit der Kunst aus dem Bewusstseinsleben. Denn sie nimmt die Verselbstständigung der Darstellungsmittel ebenso ernst wie den Bezug auf die Wirklichkeit des Individuellen (sein Reales, seine innere Wahrheit). Darum kann Schleiermachers Ästhetik es zulassen, „daß die Erregtheit nur noch als leichte Veranlassung erscheint“,⁴⁹ und insofern mit einer sogenannten Werkästhetik den Sinn für die Prägekraft der objektivierenden Formen teilen. Gerade dieses Gegenmotiv gegen eine bloße Ausdruckssubjektivität ermöglicht dann e) die Aneignung des Eingesammelten und durch andere Subjekte in der Kunst Niedergelegten zu behaupten und damit dann 46 47 48 49
Schleiermacher 1981, 75. Schleiermacher 1981, 75. Schleiermacher 1981, 76. Schleiermacher 1981, 76.
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auch die Möglichkeit, dass f ) das Subjekt kunstaneignend seine Mitteilungsfähigkeit aus der Kunst empfange. Es folgt also: Was ein Subjekt mitteilen möchte und was es faktisch mitgeteilt hat (beides fällt bekanntlich nicht immer zusammen), ist ein Geschenk der Darstellungsformen. Die Bestimmtheit der Formen und die vielfältigen Weisen ihrer Rezeption vermitteln den spezifischen Charakter des Gefühls und machen es allererst zu etwas, das mehr als bloß momentane und darum letztlich beliebige Erregung ist. Im Hinblick auf das Nachleben antiker Bilder in der Renaissance hatte Aby Warburg von Pathosformeln gesprochen, die mehr und anderes sind als ein bloßer Niederschlag subjektiver Erregungen in einer Ausdrucksform. Es sind ikonische Prägungen, an denen sich das Gefühlsleben der Betrachter (Einzelner wie ganzer Epochen) bilden und transformieren kann. Ein ursprünglich alles beherrschender Reiz (Pathos, insbesondere ein phobischer Reiz) könne auf diese Weise durch Niederlegung und Objektivierung (Formeln) auf Distanz gebracht werden und zugleich könne so vor Augen gestellt werden, dass etwas Produktives im Seelenleben ausgelöst werden kann. Freiheit kann entstehen, die Fixierung auf eine Gefühlslage durchbrochen werden und im Grenzfall auch Heilung zustande kommen. Darstellung ist in Warburgs Perspektive eine Verkörperung psychischer Bewegungen im Bild, die als „vorgeprägte Ausdruckswerte“ auf erneute Einverseelung vorbereiten und insofern andere (Bildbetrachter und Künstler) adressieren und von diesen angeeignet, aber auch abgewandelt werden.⁵⁰ Eine vergleichbare Vermittlung zwischen dem höheren „bewegten Selbstbewusstsein in seinen Modifikationen“ und den ästhetischen Darstellungsformen darf, darin besteht die Pointe meiner Überlegungen, auch im Hinblick auf Schleiermachers Gefühls- und Religionstheorie unterstellt werden. Darin ist Letztere medientheoretisch anschlussfähig. Die Produktionsästhetik Schleiermachers kann denn auch Interessen einer Rezeptionsästhetik integrieren, weil sie für Aneignung der Kunstformen einen Sinn hat. Das besagt infolgedessen natürlich auch, dass der methodische Einsatz von Kunstformen in der Kommunikation von Religion nicht als Gebrauch eines Instruments missverstanden werden darf, das ein souveränes Subjekt gemäß den eigenen Plänen und religiösen Anliegen kontrolliert anwendet.Vielmehr sind, wie es der Logik der Medialität entspricht, Sinnkonstitution und Mediengebrauch auf vielfältige Weise verschränkt, sie vermitteln darum gelegentlich auch andere Botschaften als der Medienbenutzer denkt. Darstellungsformen führen ein Eigenleben. Das gilt gerade auch für Prozesse der Selbstdarstellung.
3 Mimik, Körperbild und Rede Im abschließenden Teil möchte ich einen konkreten Bereich betrachten, der noch einmal einen Ternar anführt, nämlich die Mimik – und zwar durchaus im Interesse der Schleiermacher-Interpretation, aber doch angeregt von aktuellen Beobachtungen. Der
50 Vgl. Warburg 2010, 629 – 639, 630.
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Lockdown brachte es angesichts der – meines Erachtens zu Recht – ins Netz verlegten Gottesdienste nämlich mit sich, dass ein anderes Verhältnis zu den aktiv beteiligten Predigerinnen und Liturgen entstanden ist. Man sieht sie am Bildschirm beständig in Formaten, die einem von der Kirchenbank nicht gegönnt bzw. nicht zugemutet werden: Die Großaufnahme zeigt (das sind jetzt rein subjektive Bemerkungen) überaus frohgemute Gesichter, die in nicht leicht zu ertragender Konzentration in die Kamera strahlen, eben gerade so, als hätte sie der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland zu einer Theologie der guten Laune angehalten. Das gibt zu der Frage Anlass, ob es sich hier um Ausdruck oder Darstellung handelt bzw. wo in solchen Fällen die Grenze zwischen natürlicher Künstlichkeit und künstlicher Natürlichkeit verläuft. Es wird bekanntlich vor der Kamera „ein Gesicht gemacht“, nicht einfach eines gezeigt, wie man auch zur Pose neigt, sobald man ein Objektiv erblickt. Das zuzugeben wird man bei etwas medientheoretischer Aufmerksamkeit nicht vermeiden können. Entsprechend dürfte es an der Vermittlungsleistung der Kunstformen (unter ihnen besonders der Schauspielkunst, aber auch liturgischen Know-how) liegen, dass wir zwischen Ausdruck und Darstellung differenzieren.⁵¹ Die Großaufnahme der pastoralen Profis verdeutlicht, dass im Fernsehen auch Gesichter Medien sind. Zu dieser zeitdiagnostischen Feststellung trat kürzlich ein Zeitungsartikel über den aktuellen Stand der Forschung zur Künstlichen Intelligenz, demzufolge es den Programmierern von Gesichtserkennungssoftware noch nicht gelungen sei, die Computer zur verlässlichen Identifikation der mit einem Gesichtsausdruck verbundenen Gefühle bzw. der sich in Gesichtern manifestierenden Stimmung zu befähigen. Mimisches ist also gegenwärtig kein randständiges Thema. Welche Rolle spielt es bei Schleiermacher? Mimik und Gesang bzw. Tanz sind bei Schleiermacher die elementaren Formen der Kunst, kombiniert man sie, ergibt sich eine dritte Form in Gestalt der Pantomime. Alle drei Darstellungsformen gehören der Sphäre der Eigenleiblichkeit an, sind also von Bezügen auf Materialien oder äußeren Mitteln unabhängig. Schleiermacher folgert daraus ihre besondere Eignung für die Manifestation des nichtgegenständlichen, also unmittelbaren Selbstbewusstseins. In Mimik und ihren Verwandten zeige sich die innere Bewegtheit der Seele durch das Gefühl zugleich als leibliche Bewegung.⁵² Entscheidend ist, dass alles Sprachliche (insbesondere Sätze, in denen wir einen subjektiven Gemütszustand anzeigen) im Verhältnis zum Mimischen als sekundär gilt. Allerdings kann Sprache in den Prozess der Kundgabe eintreten, wird dann aber auch das ursprünglich zugrunde liegende Gefühl in Vorstellungen übersetzen und, auf es reflektierend, dieses bereits transformieren. Die konstitutive Beziehung zu einem zentralen religionstheoretischen Sachverhalt, der für die Einleitung der Glaubenslehre und ihrer „Erklärung der Dogmatik“ unverzichtbar ist und deren erstes Kapitel abschließt, dürfte offensichtlich sein. Nach den 51 Etwas als Schauspiel zu begreifen, heißt nach Schleiermacher: unterstellen, dass sich der Schauspieler im Augenblick der Darstellung nicht in dem Zustand der Leidenschaft befindet (vgl. Schleiermacher 1842, 89). 52 Schleiermacher 1842, 124.
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Lehnsätzen der Ethik, der Religionsphilosophie und der Apologetik stellt Schleiermacher nämlich einen weiteren Abschnitt in den Explikationsgang der Einleitung, der„Vom Verhältnis der Dogmatik zur christlichen Frömmigkeit“ (§§ 15 – 19) handelt. Man könnte diesen Abschnitt mit Fug und Recht „Lehnsätze aus der Ästhetik“ nennen und damit die Kontinuität zu den anderen Paragraphen im Aufbau dieses Teils der Einleitung herausstellen. Um den einschlägigen Strukturzusammenhang in den Blick zu nehmen, ist es also hilfreich, zunächst auf die Ästhetik zurückzugreifen. Während Georg Wilhelm Friedrich Hegel das Theater als Vollendungsgestalt der Kunst am Ende seiner Ästhetischen Vorlesungen behandelt (bzw. innerhalb seiner Phänomenologie des Geistes als Übergang von der Kunstreligion in die offenbare Religion begreift), thematisiert Schleiermacher das Schauspiel im Horizont der mimischen Kunst, auf die als leibnahe Ausgangsformen dann die nach Schleiermacher höheren Kunstgestalten Malerei und Poesie folgen. Schleiermacher behandelt das Theater im Zusammenhang mit und im Ausgang von der Pantomime. Ist in dieser der ganze Leib (und nicht nur das Gesicht) Medium des Ausdrucks wie der Darstellung (entsprechendes gilt auch für den Tanz), so gewinnt das Körperbild innerhalb der Kunst an Freiheit, wenn die Pantomime über die Mimik hinaus- oder der Tanz ins Ballett übergeht. Schleiermacher deutet den Volkstanz als eine Bewegung der Miteinandertanzenden, bei der die Beobachtung bloß beiherspielend und sekundär sei, und unterscheidet davon das Ballett, das wesentlich für jemanden aufgeführt werde, das also von Haus aus auf Zuschauer angelegt sei. An diese Transformation des Tanzes im Ballett schließt er dann die Behandlung der Pantomime an – als ein weiterer, aber kategorial anders gelagerter Fall, der seinerseits von Formen dramatischen Handelns überboten wird, wie es in Tragödie und Komödie der Fall ist. Schleiermacher unterstellt also einen Fortschritt in der Ordnung der konkreten Kunstformen und arrangiert diesen hier als Gewinn an Bestimmtheit und Verständlichkeit. Den „orchestischen Bewegungen“ (vor allem des Balletts) sei „eine Bedeutung keineswegs abzusprechen, aber sie ist unbestimmt“.⁵³ Darin liegt ein kategoriales Defizit, angesichts dessen Schleiermacher von anderen Kunstformen sagen kann, es gelinge ihnen, „dieses Unbestimmte in ein Bestimmtes zu verwandeln“.⁵⁴ Diese Ordnung der Kunstgestalten nach Maßgabe eines Bestimmtheitsgewinns ist im Auge zu behalten, wenn wir uns nun dem Verhältnis von religiösem Ausdruck und religiösem Satz zuwenden. Zunächst ist aber noch festzuhalten, dass der Zuwachs an Bestimmtheit und Sinn, um den es hier geht, sich Rede und Dialog verdankt (Schleiermacher denkt an das Theater als Sprechbühne), während solcher Sinn dort noch „latitiert“, wo es wie in der Pantomime ohne Sprache zugeht. Das besagt nicht, dass die Pantomime noch keine bestimmte Bedeutung hätte, diese wird aber Schleiermacher zufolge nur verständlich und folglich mitteilbar, wenn die dargestellte Handlung bereits bekannt sei, also wiedererkannt werden könne. In der Antike sei diese Inszenierungsbedingung durch den
53 Schleiermacher 1842, 352 – 353. 54 Schleiermacher 1842, 353.
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Mythos erfüllt gewesen, der gleichsam als Vorrat bekannter Erzählungen einen Fundus der Aufführungspraxis bildete. Dieses mythische Reservoir könne in der Moderne aber nicht mehr vorausgesetzt werden, daher versuche das Ballett, die Verständlichkeit und Wiedererkennbarkeit von Handlungen durch „die scenische Umgebung“ zu erzeugen. Schleiermacher ist bezüglich des Erfolgs freilich skeptisch und fertigt das Ballett als „Zwittergattung ohne wahre Kunsteinheit“⁵⁵ ab. Interessant ist aber, dass Schleiermacher, wie schon erwähnt, die dramatische Kunst als Variante einer leibnahen Kunst hier anschließt – und zwar mit dem Argument, dass sich in ihr aufgrund ihrer Sprachlichkeit Bestimmtheit und Verständlichkeit durchsetzten. Das Schauspiel operiert nicht etwa mit Erklärungen und Kommentierungen sekundärer Reflexion (auch den antiken Fall des Chores wird man so nicht beschreiben wollen), sondern ist Darstellungskunst im Medium der Sprache. Schleiermacher betont im Anschluss an zeitgenössische Aufführungspraktiken vor allem das konstitutive Ineinander von Bewegung und Ruhe auf der Bühne, die Aufstellung der Handelnden im Bühnenbild, ihre Vereinzelung und Wiederzusammenführung. Das Verhältnis der Personen und das Ineinander ihrer Handlungen sei zu Szenen gestaltet, die partielle Handlungsreihen zur Einheit zusammenfassten, die im Stück Folgen zeitigten und insgesamt dieses durch Sinneinschnitte gliederten. Indem sich die Bestimmtheit der Darstellung auf diese Weise fortentwickelt, ergeben sich Rückwirkungen auf die Stellung und Bedeutung der Mimik. Sie wird auf der Bühne zu dem, was sie in der redenden Kunst (dem Höhepunkt der ästhetischen Formen bei Schleiermacher) wesentlich ist: zu einer begleitenden Kunst. Die Transformation des ursprünglichen mimischen Ausdrucks in eine Sprache und die mit und in ihr verknüpften Vorstellungen begleitende Kunst ist nun der Aspekt, auf den es auch religionstheoretisch ankommt. Dieser Übergang erzeugt Bestimmtheit in einem Feld, in dem alles auf Darstellung des unmittelbaren Selbstbewusstseins ankommt. Schleiermacher erklärt in den §§ 6 und 15 der Glaubenslehre, wie es mit einem Entwicklungsgedanken zu Religionsgesellschaften (zu Kirchen) und in ihnen zu Glaubenssätzen oder religiösen Überzeugungen kommt: Demnach wird „alles Innere auch auf irgend einem Punkt der Stärke oder Reife ein Aeußeres […], und als solches Andern wahrnehmbar“, und zwar „ursprünglich und auch ohne bestimmte Absicht […] durch Gesichtsausdruck, Gebärde, Ton und mittelbar durch das Wort“.⁵⁶ Das ursprünglich Mimische liegt in Gesicht, Geste und Stimme, zieht jedoch Transformationsgestalten nach sich, die dann auch sprachlich vermittelt sind. Der basalen Beschreibung des Gefühls entsprechend, handelt es sich bei den einschlägigen „frommen Erregungen“ um „Modifikationen des bewegten Selbstbewußtseins“,⁵⁷ die im Sinne des vorausgesetzten Ineinanders von Innerem und Äußerem, von Geistigem und Leiblichem auf Äußerung hinauslaufen und, wo immer sie sich anderen gegenüber bekunden, von Phänomenen des Ausdrucks zu solchen der Darstellung werden können. Adressierung an andere und
55 Schleiermacher 1842, 353. 56 Schleiermacher KGA I/13.1, 55. 57 Schleiermacher KGA I.13/1, 127.
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Bestimmtheit des Gefühls korrelieren dabei. Das Zitat lautet vollständig: „Alle frommen Erregungen […] haben dieses mit allen anderen Modificationen des bewegten Selbstbewußtseins gemein, daß sie sich, so wie sie einen gewissen Grad und eine gewisse Bestimmtheit erreicht haben, auch äußerlich kund geben am unmittelbarsten und ursprünglichsten mimisch durch Gesichtszüge und Bewegungen, sowol Töne als Gebehrden, welche wir als den Ausdruck derselben betrachten“.⁵⁸ Behielte freilich unter dieser Bedingung die Flüchtigkeit des Ineinanders von Eindruck und spontanem Ausdruck die Oberhand, gelänge es nicht, durch Wiederholung, durch Rezeption und Erinnerung, „die Gemüthszustände selbst festzuhalten“ und so „ihnen eine wiederholbare Verbreitung zu geben“,⁵⁹ dann käme es auch nicht zur Darstellung des Gefühls. Was Schleiermacher in der Transformation von Ausdruck in Darstellung systematisch in Anspruch nimmt, könnte man sich mit dem Begriff „Pathosformeln“ am besten klarmachen. Es handelt sich um Gebärden, Bilder und ästhetische Gestalten, die etwas Selbstständiges gegenüber dem Gefühlsleben, aus dem sie stammen, besitzen: eine Art Eigensinn und Eigenleben, durch das sie als vergegenständlichte Anreger auf die Gefühlsbildung zurückwirkten, sobald sie „zusammengestellt werden zu heiligen Zeichen und symbolischen Handlungen“.⁶⁰ In der Tat stehen die religiöse Kommunikation einer Religionsgesellschaft und die individuellen Prägungen des religiösen Gefühls in keinem bloß äußerlichen Verhältnis zueinander. Erst die Verbindung bestimmter, von einer Religion heilig gehaltener Zeichen und deren Einbettung in symbolische Handlungen ermöglicht die Verlässlichkeit der Kommunikation und Gemeinschaftsbildung. Solche Zeichen transformieren das subjektive Gefühl und regen die Gefühlsbildung zugleich an. Wie in der Anordnung seiner Ästhetik lässt Schleiermacher dem ursprünglichen mimischen Ausdruck die Sprache als vermittelnde Sphäre folgen. Letztere verleiht in der Vielfalt ihrer Bestimmtheitsformen und Typen der Reflexion der Transformation des Ausdrucks in Darstellung eine neue Gestalt. Denn in und mit der Sprache – oder sagen wir besser: in und mit dem Sprechen bzw. der religiösen Kommunikation – übernehmen Selbstbeobachtung, Fremdbeobachtung, Vergegenständlichung und Vorstellungsbildung die Führung im Darstellungsprozess. Die auf diese Weise entstehenden Glaubenssätze gehören einer redenden Kunst an, die statt Ausdruck Ausdrücklichkeit, Verständlichkeit statt Pathos aufbietet und darum zu einem anderen Niveau medialer Anregung und mitteilender Kommunikation führt.
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58 Schleiermacher KGA I.13/1, 127. 59 Schleiermacher KGA I.13/1, 128. 60 Schleiermacher KGA I.13/1, 128.
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Pour une épistémologie de l’image. Schleiermacher sur les procès de formation et diffusion des formes archétypiques Abstract: This contribution discusses Schleiermacher’s aesthetics, specifically the dynamics of the production of archetypes through the mediation of Besinnung. The intellectual production of a “second” artificial, stable, and lasting Erregung detached from any previous and further external input makes the artistic experience a circular one, a cognitive process immanent to the internal sense of human being. Reading Schleiermacher from this perspective prompts one to address some divergent (and erroneously labeled) “irrationalist” theories of art: those of Aby Warburg and Leo Frobenius. My aim is to demonstrate that the formation process of Warburg’s Pathosformel and Frobenius’s paideumatic images corresponds to Schleiermacher’s process of Urbildung, the formation process of the archetypes. Warburg and Frobenius do not – as is often assumed – let the passions (pathos) into art. On the contrary. As Schleiermacher’s archetypes are not passions, do not generate passions, or even merely represent them, so Warburg’s Pathosformeln and Frobenius’s paideumatic images correspond to the internal representation of emotions: not fear, therefore, but the image of fear – or better said, the intuitive image of “being afraid.”
1 Schleiermacher et l’esthétique L’un des aspects les moins commentés de la philosophie de Friedrich Schleiermacher est celui de sa réflexion esthétique. Il s’agit d’un corpus important dans l’économie de l’œuvre de cet auteur,¹ qui reste pourtant comme à l’écart – même aux yeux des chercheurs contemporains² – par rapport aux systèmes plus célèbres de ses contem-
Note : Toutes les citations de l’allemand sont traduites par l’autrice, sauf indication contraire. Les références renvoient aux éditions allemandes citées dans la bibliographie. 1 Font partie de ce corpus les cours d’esthétique que Schleiermacher a donnés à l’Université de Berlin (SS 1819, SS 1825 et WS 1832 – 1833) et les deux conférences prononcées à la Königlich-Preußischen Akademie der Wissenschaften le 11 août 1831 et le 2 août 1832. 2 Après le livre de Martin Otto Stammer (1913), qui ne s’occupe pas spécialement des Discours académiques, ni des Leçons d’esthétique, parmi les exceptions les plus importantes on peut mentionner la monographie de Thomas Lehnerer (1987). Ce n’est que depuis quelques années que l’intérêt pour cette branche des études schleiermachériennes s’est ravivé, donnant lieu à une nouvelle vague de publications à ce sujet, qui touchent surtout aux questions d’esthétique de la perception. Parmi les publications les plus récentes, je voudrais rappeler la monographie de Thomas Erne (2022), et un article d’Alberto Leopoldo Siani (2017) qui ouvre à une intéressante comparaison avec Platon sur le terrain inédit de https://doi.org/10.1515/9783111128801-024
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porains, ceux de Friedrich Wilhelm Joseph Schelling (1775 – 1854), Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770 – 1831) ou même de Karl Wilhelm Ferdinand Solger (1780 – 1819), dont il fut le successeur à Berlin. Envers tous ces auteurs, d’ailleurs, Schleiermacher prend position, en étant souvent très critique. L’esthétique de Schleiermacher a connu une fortune très limitée, non seulement en raison des contingences bien connues liées à l’histoire de son édition.³ Elle s’est vue reprocher souvent sa prétendue abstraction, son repli total sur le plan transcendantal et de son relatif désintérêt pour certains problèmes considérés comme centraux pour la discipline à son époque, par exemple la question de « beaux » arts, ou du « beau » dans l’art, et la distinction entre les arts particuliers et leur statut.⁴ Mais c’est précisément ce caractère inactuel de Schleiermacher par rapport à son époque et aux tendances que l’esthétique a suivies jusqu’à aujourd’hui qui donne à sa pensée la valeur d’un réactif critique, avec lequel l’esthétique contemporaine a tout intérêt à se confronter. Loin de prêter le flanc à l’accusation d’abstraction qui a été formulée contre son esthétique, Schleiermacher s’oppose fermement aux tentatives idéalistes de déduire une théorie de l’art de principes universels et suprasensibles, et réaffirme l’interdépendance et l’interconnexion effective, dans le sens d’une Wechselwirkung, entre les plans empirique et spéculatif. Schleiermacher part de l’hypothèse fondamentale d’Alexander Gottlieb Baumgarten que le fondement de l’esthétique se trouve dans les processus gnoséologiques primaires, donc que l’origine de toute esthétique est la relation du sens avec le monde extérieur. L’esthétique est donc pour lui aussi en premier lieu la science de la connaissance sensible, mais il prolonge cette approche par la formulation d’un paradigme épistémologique fort. En appliquant à l’esthétique les principes que nous verrons à l’œuvre dans sa réflexion herméneutique, Schleierma-
l’esthétique. Un article récemment publié dans la revue Engramma par Gregorio Tenti (2021, je remercie ici l’auteur de m’avoir fait connaître son travail à temps pour réviser le texte de cette conférence) thématise enfin expressément le rapport entre Aby Warburg et Schleiermacher en termes non pas de simple contiguïté, mais de véritable continuité intellectuelle. 3 Presque tous les cycles des cours des grands académiciens allemands du XIXe siècle ont une histoire éditoriale tourmentée, confiée à des héritiers (élèves ou parents) appelés à retravailler des matériaux complexes, en partie autographes et en partie issus de notes d’élèves, souvent difficiles à dater : les Leçons d’esthétique de Schleiermacher ne font pas exception. La première édition de ces cours (cf. Schleiermacher 1842) par son beau-fils Carl Lommatzsch, professeur au Realgymnasium de Berlin, ne tenait pas compte de la distinction entre les autographes (très peu représentés) et les notes (Nachschriften), et ne reposait pas non plus sur des critères chronologiques clairs. Les deux éditions ultérieures sont celles de Rudolf Odebrecht (cf. Schleiermacher 1931) et les deux éditions parues aux éditions Felix Meiner par Thomas Lehnerer (cf. Schleiermacher 1984) qui nous fournit le texte du Grundheft de 1819 et une copie anonyme de 1825, en plus des Discours académiques (1831 – 1832), et l’édition de Holden Kelm (cf. Schleiermacher 2018), qui propose elle aussi les Discours et les notes des cours d’esthétique des années 1831 – 1832 d’Alexander Schweizer, l’un des élèves les plus brillants de Schleiermacher.. 4 Voir à ce sujet la place que Robert Zimmermann consacrera à Schleiermacher dans son Histoire de l’esthétique déjà (cf. Zimmermann 1858, 609 – 634), Geschichte der Ästhetik als philosophische Wissenschaft (cf. Zimmermann 1858, 609 – 634).
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cher repense le processus tout entier de production artistique et il l’inscrit dans un paradigme épistémologique centré sur l’homme : l’homme qui sent, l’homme qui imagine, l’homme qui crée. Dans cette circularité herméneutique parfaite et immanente à l’expérience du sens interne, même la production artistique la plus matérielle parvient au statut de moment cognitif. De cette manière, il semble donner raison à ses détracteurs, en fermant et en limitant le cercle de l’expérience esthétique de l’homme à l’horizon de ses fonctions mentales. En réalité, il suit plus fidèlement que d’autres les prescriptions d’Immanuel Kant et élargit le cercle de l’expérience esthétique au point de reconduire l’homme et le monde, la pensée, l’image et les représentations extérieures (entendues au sens large comme l’action de l’homme dans le monde) aux limites de la seule raison, ne laissant rien d’injustifié, ni qui s’excepte des conditions de possibilité de la pensée. Dans cette brève contribution, j’aimerais fournir quelques éléments nous permettant d’apprécier le caractère unique et la portée spéculative des intuitions de Schleiermacher dans le domaine de l’esthétique. Je me concentrerai en particulier sur la division du processus esthétique en trois phases (Erregung – Urbildung – Ausführung), qui a joué un rôle si important dans le Cahier d’Esthétique de 1819 (connu comme Grundheft)⁵ et qui sera de nouveau central dans les deux premiers Discours à l’Académie Sur l’extension du concept d’art relativement à sa théorie (Ie partie, 11/08/ 1831 et IIe partie, 02/08/1832) et sur les implications que cette tripartition produit dans la conception de la relation homme-monde et pour la valeur cognitive de l’art. Le système esthétique de Schleiermacher fournit des outils critiques pour mieux comprendre les enjeux théoriques de la Kunstwissenschaft de la fin du XIXe et du début du XXe siècle (de Heinrich Wölfflin, à Edgar Wind, Konrad Fiedler, et jusqu’à Walter Benjamin), mais surtout – et ce le point qui nous intéresse le plus – il anticipe certaines réflexions sur la création et la stabilisation des formes d’auteurs plus atypiques comme Aby Warburg et Leo Frobenius.
2 Les trois moments du processus de production artistique Dans son analyse du processus artistique, Schleiermacher distingue trois moments principaux, dont chacun connaît des articulations ultérieures : Erregung, Urbild, Ausführung. À la base de toute expérience artistique, il y a l’expérience sensorielle, ou plus 5 Il s’agit du manuscrit des notes du premier cours d’esthétique que Schleiermacher a donné à Berlin en 1819. Ce cahier constituera la base de tous les cours ultérieurs, bien qu’à partir de 1825, le cours soit enrichi et fortement modifié sur le plan structurel. Malgré sa brièveté, il présente des avantages indéniables en termes d’originalité, de clarté du propos et de l’exposé par rapport aux versions ultérieures, qui souffrent beaucoup, par exemple, du besoin de Schleiermacher de prendre position par rapport à Hegel, qui tenait ses importants cours d’esthétique à Berlin dans ces mêmes années (WS 1820/ 1821, SS 1823, SS 1826, WS 1828/1829).
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exactement, une excitation des sens (Begeisterung), le moment de l’Erregung ou excitation. Ce premier mouvement de l’âme, plus proche de ce qu’on comprend comme Inspiration dans la tradition de l’esthétique romantique, est immédiatement suivi d’une réflexion du sens interne, qui prélude à la formation d’une image intérieure, l’Urbild, l’archétype. Ce dernier, l’image intérieure, dans certaines circonstances, peut (et je souligne peut) être de nouveau tourné vers l’extérieur, exprimé, représenté, réalisé dans un produit de l’art. Le troisième moment est donc celui de l’Ausführung, de la traduction dans les différents langages artistiques des conceptions élaborées par le sens interne. Des trois moments, l’Erregung bénéficie d’une priorité chronologique, mais non pas axiologique ni épistémologique. L’éveil originel des sens au contact du monde extérieur est un processus essentiellement identique pour tous les hommes, mais il n’est pas spécifique à l’expérience esthétique. L’Erregung fournit certes une base empirique commune à tout processus mental et à toute forme d’expérience (notamment à celle propre à la vie animale en général). L’Erregung est en effet toujours présente et presque indispensable pour activer chaque mouvement de l’esprit. Elle est à l’origine des processus artistiques ainsi que de tous les autres processus que nous appelons naturels (et que Schleiermacher appelle kunstlos) : elle est à la base de la danse, du chant et des expressions artistiques les plus élevées, tout autant que du cri inarticulé, du geste désarticulé et des manifestations d’émotions les plus immédiates. Il est donc nécessaire que quelque chose intervienne, une médiation qui rende le matériel des sens intelligible à la conscience (le problème non résolu de la philosophie kantienne) et permette l’élaboration du sentiment par les fonctions mentales supérieures qui président à l’activité créatrice des formes. L’Urbildung, la formation d’archétypes internes (Urbilder), qui pourrait être assimilée à la fonction de l’Einbildungskraft (l’imagination créatrice de l’esthétique romantique), est aussi une faculté universelle, propre à tous les hommes. Elle est en outre productrice d’unicité et de formes particulières. L’Urbildung produit selon des modalités différentes d’un homme à l’autre et dépend de la sensibilité spécifique et de toutes ces configurations différentes qui déterminent la vie intérieure de chaque homme : expérience, tendances, talent. L’Urbildung est donc une faculté à la fois universelle et particulière qui gouverne et produit le vaste domaine de la subjectivité. C’est à ce deuxième moment, celui de la création des archétypes mentaux, ou plutôt du passage de l’Erregung à l’Urbildung (appelé aussi Vorbildung ou Erfindung) que Schleiermacher s’intéresse le plus. Il identifie dans la réflexion, la Besonnenheit (appelée aussi Besinnung), la médiation nécessaire entre l’Erregung du sentiment et la production d’images mentales. Si l’on considère l’Erregung comme le début d’un mouvement qui, du monde extérieur, comme une vague, se fraie un chemin vers l’intériorité de l’homme, la Besonnenheit constitue un véritable barrage, une interruption de ce mouvement, un stand-by pour ainsi dire du processus d’excitation dérivé des sens. Chaque Erregung de l’âme est en effet capable de produire une réaction extérieure immédiate, une réaction naturelle, automatique, qui s’épuise d’une manière relativement rapide, en fonction de l’intensité initiale de l’Erregung elle-même. La réflexion,
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en revanche, stabilise le contenu de l’Erregung et la rend capable de produire une expression durable. La troisième phase, celle de l’Ausführung, de l’expression extérieure (äußere Darstellung) et donc de la production artistique concrète, est à son tour commune à tous les hommes en ce sens qu’elle s’exprime dans un langage compréhensible pour tout le monde et est universellement communicable. Elle se traduit cependant matériellement par d’innombrables singularités (les œuvres d’art individuelles, les différents registres d’expression, etc.), potentiellement aussi infinies que les configurations et les nuances de l’âme humaine qui les conçoit et les circonstances concrètes du monde extérieur où elles sont produites. Il y a bien des archétypes qui ne trouvent pas de réalisation dans l’Ausführung, toutefois, le fait de ne pas se concrétiser ne change rien selon Schleiermacher à leur valeur artistique : « Les archétypes proviennent certes librement de la disposition affective, mais lorsqu’on demande pourquoi tous ne sont pas réalisés, et donc pas assez déterminés, c’est parce que seuls certains trouvent un point où se rattacher dans le monde extérieur (les désirs d’un autre ou les commandes, etc., ne sont à proprement parler rien d’autre).»⁶ Des trois moments du processus artistique, celui qui intéresse le moins Schleiermacher est précisément le troisième, c’est-à-dire celui qui concerne l’extériorisation et la production artistique au sens strict. C’est précisément en raison de la dévalorisation relative du troisième moment que naît le préjugé selon lequel Schleiermacher se désintéresserait des arts particuliers, des différences de médium artistique et des questions du jugement et du goût. En effet, Schleiermacher n’évite pas, quant à lui, de se confronter aux questions brûlantes de l’esthétique de son temps, et il consacrera une grande partie de sa réflexion à l’analyse des différents media des arts individuels. Cette analyse perd cependant à ses yeux sa consistance épistémologique, lorsqu’on observe que toute forme d’art – et le concept d’art est aux yeux de Schleiermacher suffisamment large pour inclure même les arts visant à des fins pratiques (comme l’art du jardin) – et même la jouissance artistique dérivent d’une même source, la production d’archétypes internes. L’Ausführung est également appelée Ausbildung, pour souligner la relation de dépendance que la production artistique matérielle entretient avec les archétypes intérieurs. C’est la traduction, l’explication, en un mot la matérialisation nécessairement limitée et incomplète, au moyen des différents supports artistiques, des images mentales. C’est en effet d’une manière tout à fait singulière que Schleiermacher se fait le héraut du concept d’union des arts revendiqué par l’esthétique romantique. Il affirme cette unité moins à partir de la nécessité d’une expression commune de tous les arts (comme Richard Wagner le dirait pour l’œuvre d’art totale), qu’à partir d’un fondement résolument spéculatif : chaque art, bien qu’indéniablement différent, et quoique produit avec des techniques et des méthodes divergentes et véhiculant des contenus différents, s’origine toujours dans le moment intérieur où les archétypes
6 Schleiermacher, trad. Schleiermacher 2004, 79; KGA II/14, 65, XXI, 27 (Grundheft 1819).
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prennent forme, indépendamment de leur éventuelle représentation extérieure ultérieure et des modalités nécessairement différentes de celle-ci. Ceci est clairement énoncé dans le paragraphe XIX de sa Dialectique (Ausarbeitung zum Kolleg 1822), un autre écrit de Schleiermacher parmi les moins étudiés par les critiques : « De la même manière, certaines œuvres d’art, dans la mesure où elles reposent sur une pensée produite avec sentiment de conviction (mit Überzeugungsgefühl producirten Denken), qui, comme réflexion (Besonnenheit), pénètre aussi l’exécution (Ausführung), ont une prétention à la validité universelle, mais non au moyen de l’identité de construction (Identität der Construction). Car celle-ci n’est pas possible. »⁷ La tripartition que nous venons d’analyser jusqu’ici permet à Schleiermacher de définir l’ensemble du processus de l’activité artistique comme une forme de connaissance universelle, mais non identique. Cela produit une intéressante Wechselwirkung (presque un mouvement en zigzag) entre les deux plans du particulier et de l’universel, qui fait de l’esthétique de Schleiermacher un outil plus difficile à utiliser que celle de penseurs plus systématiques. En effet, elle procède d’une inspiration qui est la même chez tous les hommes, produit un effet variable, mais universellement compréhensible, tout en restant une connaissance éminemment particulière, subjective, sans pour autant, comme nous le verrons, renoncer à sa portée cognitive universelle. Mais quand même il n’y a là qu’un rapport entre des individualités, le monde entier est pourtant reproduit en elle de toutes les façons, si l’on prend en compte toutes les productions artistiques, et le fait que le monde entier se reflète dans tous les individus spirituels, bien que différemment en chacun, dans la mesure où il déploie son être propre selon les moments de sa vie.⁸
3 Erregung – Urbildung – Ausführung et leurs cas de figure Dans l’économie de l’esthétique schleiermachérienne, les trois moments du processus artistique sont très nettement distingués : la priorité axiologique est accordée au moment de l’Urbildung, la priorité chronologique à l’Erregung, qui jouit cependant d’un statut purement contingent, tandis que l’Ausführung est réduite au stade d’épiphénomène de l’Urbildung. Le processus créatif est donc directement influencé par le degré d’intervention de chacune de ces phases dans son développement. Schleiermacher établit une véritable casuistique des différents cas de figure dans le Cahier de 1819, qu’il affine dans son premier discours à l’Académie Sur l’extension du concept d’art relativement à sa théorie (11/08/1831) :
7 Schleiermacher, trad. (mod.) Schleiermacher 1997, 85; KGA II/10, 1, XIX, 231 (1822). 8 Cf. Schleiermacher, trad. Schleiermacher 2004, 240 – 241; KGA I/11, 779 (Begriff der Kunst, II. Abhandlung, 02/08/1832).
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a) Erregung < Urbildung + Ausführung (eUA) : L’absence plus ou moins totale d’Erregung est un cas limite dans le processus esthétique, car la contribution de l’inspiration du sentiment ne peut jamais faire totalement défaut, et aucune fonction intellectuelle ne peut être activée sans la contribution de l’excitation des sens. Il peut cependant s’agir d’une inspiration faible ou insuffisante, qui s’avère moins percutante en laissant la place à un développement plus affiché des moments de la conception et de l’exécution : dans ce cas, on parlera de virtuosité plutôt que d’art. b) Erregung + Urbildung < Ausführung (euA) : Une Ausführung qui n’est pas une traduction directe de l’Urbildung interne, à son tour rendue possible par le stimulus de l’Erregung, ne peut être définie comme art selon Schleiermacher : nous sommes ici face à un simple procédé mécanique ou technique qui s’inspire de circonstances purement occasionnelles et extérieures. c) Erregung > Urbildung < Ausführung (EuA) : Une Erregung qui se traduirait immédiatement en Ausführung, en sautant la médiation de l’Urbildung, dépasserait le champ de l’art. Nous serions ramenés ici à la sphère de l’immédiateté et de l’automatisme de l’expression naturelle. Cependant, même dans ce cas, nous sommes confrontés à une conception limite. Cette configuration est en fait pratiquement impossible, comme l’admet Schleiermacher, dans le cas des civilisations avancées, dans lesquelles une affirmation absolue du « Naturel » devient de plus en plus difficile là où il existe des structures sociales qui fournissent des systèmes de réactions émotionnelles codifiées et où un certain goût artistique est développé. Une telle configuration dans le domaine des arts donnera donc plutôt naissance au maniérisme, c’est-à-dire à une imitation moins de la nature que de l’art lui-même, dénuée d’inventivité et d’inspiration. d) Erregung + Urbildung > Ausführung (EUa) : C’est le cas de figure le plus conforme, à mon avis, au projet de Schleiermacher et qui correspond le mieux à sa conception transcendantale des processus artistiques. Si la troisième phase, celle de l’Ausführung, fait défaut en raison de limitations contingentes dues à des incapacités techniques, à des conditions matérielles ou à d’autres circonstances extérieures qui empêchent la concrétisation de l’expression artistique en tant que telle, nous serions pour autant encore légitimement dans le domaine de l’art. Ce cas de figure se retrouve souvent, à des degrés divers, dans l’histoire de l’art, et expliquerait aux yeux de Schleiermacher le développement organique (qui semble suivre des lois de développement organique) observable dans le style d’un auteur ou d’une époque. Lorsque l’habileté technique et le talent d’une personne ou d’une époque ne sont pas suffisamment développés, l’artiste ou les artistes de cette époque sont incapables de donner une pleine réalisation extérieure à leurs archétypes et à leurs préfigurations (Vorgebildete). Selon cette configuration, même le plus grand génie, s’il est né à la mauvaise époque, peut ne pas avoir les outils ni la maturité nécessaire pour s’exprimer pleinement à travers un ouvrage immortel. Cela n’empêcherait pas que cette œuvre soit déjà parfaitement accomplie dans son esprit, et qu’il mérite donc de droit, même si ce n’est pas dans les faits, le titre de génie.
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Schleiermacher est radical dans sa conviction du caractère totalement « accessoire » du moment de l’Ausführung, au point de nier qu’il existe une différence qualitative entre l’artiste (même le plus grand des artistes) et l’homme ordinaire qui éprouve du plaisir face à une œuvre d’art. Entre l’artiste et l’amateur, mais à vrai dire entre tous les hommes, il n’y a pas de différence qualitative (artistes / non-artistes), mais plutôt une différence quantitative. Les hommes sont tous des artistes (tant dans la conception que dans la contemplation) au niveau de leur Urbildung, bien que tous ne ressentent pas le besoin, ou encore n’aient pas la possibilité ou même simplement la capacité technique, de traduire leurs images mentales et de les rendre concrètes dans l’art. Mais tous ceux qui se rapprochent d’une façon ou d’une autre des œuvres d’art sont à considérer eux-mêmes comme des artistes. Le sens et la productivité ne sont que deux degrés différents [zwei verschiedene Stufen], l’art est tout autant dans l’amateur [Liebhaber] que dans l’artiste [Künstler], et pas seulement chez celui qui juge avec une certaine facilité, mais aussi chez celui qui l’apprécie simplement et se trouve plus ou moins satisfait.⁹
4 Transcendantalisme, empirisme, irrationalisme Le système de l’esthétique de Schleiermacher me semble impliquer d’importantes conséquences théoriques, qui trouvent des résonances chez des auteurs apparemment très éloignés de ses sentiments. Il nous fournit de surcroît des outils très précieux pour l’interprétation de certains moments cruciaux de l’histoire de l’esthétique ultérieure. En premier lieu, la question du transcendantalisme de Schleiermacher en fait un précurseur des expériences post-kantiennes, qui se sont développées précisément à partir des taches aveugles laissées par la doctrine du jugement du philosophe de Königsberg. Ou encore, on songera à l’ambition de retracer une histoire transcendantale des arts figuratifs qui est à la base du projet de Heinrich Wölfflin, pour qui il est nécessaire d’étudier les conditions de possibilité de la perception artistique afin de comprendre pleinement le développement de l’art et sa réception. Dans le sillage de Wölfflin, Walter Benjamin a également affirmé la nécessité de fonder toute histoire et théorie de l’art sur une histoire de la perception. Pour Wölfflin,¹⁰ l’œil (à interpréter aussi comme une synecdoque, où la partie – l’œil – représente l’ensemble – la faculté cognitive humaine) est un organe culturel, porteur d’un précipité de conceptions, d’histoire et d’habitus que nous pourrions qualifier de Weltanschauung. Tout acte artistique, et parallèlement toute contemplation artistique, ne peut être compris qu’à l’intérieur du périmètre délimité par ce regard orienté, qui détermine ce qu’il voit et fournit des modèles prégnants à partir desquels est produit ce que nous appelons art.
9 Schleiermacher, trad. Schleiermacher 2004, 241 – 242 ; KGA I/11, 780 (Begriff der Kunst, II Abhandlung, 02/08/1832). 10 À ce sujet il suffira de rappeler l’ambitieuse synthèse que Wölfflin propose dans son Das Erklären von Kunstwerken (cf. Wölfflin 1940, III, 16 – 23).
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En polémique avec cette approche, mais encore fortement dépendantes d’elle, les tentatives de théoriciens tels que Edgar Wind, mais on pourrait mentionner ici aussi Erwin Panofsky, réitèrent la nécessité d’une déduction empirique et non transcendantale de l’objet artistique et du problème de l’esthétique. Mais toutes ces approches s’éloignent à mon avis considérablement des desiderata de Schleiermacher. Tous ces théoriciens, en étant fondamentalement attentifs – comme il est bien compréhensible, et même évident – au monde de l’Ausführung, donc à l’évolution des représentations et de leur réception, restent beaucoup trop empiriques. En effet, ils accordent une grande importance à ces facteurs externes, contingents, historiques et finalement matériels que Schleiermacher considère comme superflus. Et cela non parce que ces facteurs n’auraient aucune influence sur le destin de l’art (bien au contraire), mais parce qu’ils sont essentiellement étrangers au processus artistique transcendantal. Celui-ci est en effet pleinement réalisé avant qu’il ne se donne une représentation sensible et indépendamment de celle-ci. Wind, pour sa part, bien qu’il fonde son analyse sur une déduction empirique de l’objet d’art, aspire à une définition que l’on pourrait qualifier de métaphysique, et pour cette raison encore ouvertement platonicienne, du statut de l’œuvre d’art. Plus encore que Schleiermacher, il s’intéresse à la fondation objective du domaine de l’art et s’interroge sur la relation entre images et réalité. La réalité au sens strict, telle qu’elle était pour Kant, n’intéresse guère Schleiermacher. On pourrait dire que si Wölfflin est encore trop peu transcendantal, se plaçant du côté de la représentation, de l’Ausführung, Wind, pour sa part, semble encore trop métaphysique, abandonnant le terrain transcendantal des conditions de possibilité du processus de formation artistique pour fixer son objectif spéculatif sur l’essence ontologique de l’art. Plus proche de l’approche de Schleiermacher apparaît sans doute Konrad Fiedler,¹¹ qui, en exploitant l’analogie des facultés cognitives avec le langage, fait entrer tout le spectre de l’expérience artistique (tant du côté du créateur que de celui du destinataire de l’art) dans les schémas perceptifs et organisationnels de l’homme. Cependant, ce qui éloigne les objectifs poursuivis par tous ces auteurs du projet de Schleiermacher est précisément leur point fort, c’est à dire leur tentative pour fonder une science ou une théorie de l’art indépendante et autonome, ou plus exactement, de fonder le domaine de l’art et de l’artistique en le distinguant des autres domaines de la connaissance et de l’expérience humaines. C’est dans cette direction que vont toutes les tentatives pour fonder (tant ontologiquement qu’empiriquement) la distinction entre les différents médias artistiques (la distinction des arts), l’analyse des problèmes artistiques, la définition d’une sphère de l’artistique, d’un lieu de l’art, ou même d’un objet d’art. Tous ces problèmes étaient déjà présents à l’attention de Schleiermacher, mais il les avait écartés. Il les considérait comme non pertinents pour le but qu’il s’était fixé, à savoir comprendre l’essence du processus artistique comme un processus éminem-
11 Voir Fiedler 1896a. Pour l’analogie avec les facultés cognitives avec le langage cf. plus précisément Fiedler 1896b, 191s.
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ment cognitif, parfaitement homogène en cela à d’autres processus mentaux similaires, et qui ne se distinguerait que dans la mesure où il est capable de véhiculer la subjectivité et la particularité qui sont génériquement exclues des autres formes de connaissance. À ce titre, il peut sembler beaucoup plus productif d’appliquer le système schleiermachérien à l’étude de théories apparemment non systématiques, comme celles des Pathosformeln de Warburg et de la Morphologie culturelle de Frobenius. Ces deux auteurs très différents ont fait remonter le phénomène artistique et l’expérience esthétique à une relation originelle entre la dimension émotionnelle (pathétique) de l’expérience du monde par l’homme et sa codification intellectuelle, la formation de types, d’images, d’archétypes, qui ont ensuite influencé le développement de l’art et la capacité expressive de l’homme. La priorité axiologique et la valeur épistémologique reconnues par les deux auteurs à l’élément passionnel ont parfois conduit, à tort à mon avis, à énoncer un jugement général d’irrationalisme sur les principes et les critères sur lesquels se fonde leur esthétique.
5 Erregung, Urbildung et Ergriffenheit : le cas des Pathosformeln Dans l’argumentation de Schleiermacher, le processus artistique se détermine et s’accomplit complètement dans la relation entre l’Erregung des sens et la codification des archétypes grâce à la médiation opérée par la Besonnenheit, la réflexion. La relation particulière de Wechselwirkung entre l’Erregung et l’Urbildung (d’une part l’Erregung active le processus d’Urbildung, d’autre part l’Urbildung remplace l’Erregung en devenant capable d’une extériorisation artistique et non seulement naturelle) trouve un parallèle intéressant dans l’utilisation que Warburg et Frobenius feront du concept d’Ergriffenheit. ¹² L’Ergriffenheit, un concept qui sera très cher à Carl Gustav Jung, pourrait être considéré comme vox media. Généralement et imparfaitement traduit par « commotion », il détermine un double mouvement : l’un qui, partant du monde et passant par les sens, investit l’âme, et l’autre qui, partant de l’âme et passant par les sens, vise le monde. En plaçant l’Ergriffenheit à la base d’un double processus d’affection passive et de production consciente concomitante d’images affectives qui remplacent les affections elles-mêmes, Warburg et Frobenius résument en un seul terme ce processus de contention, de «neutralisation » du mouvement émotionnel issu des sens, que Schleiermacher a décrit comme la médiation de la Besonnenheit dans le passage de l’Erregung à l’Urbildung : « Si le processus est enrayé par la réflexion préformatrice [vorbildende Besinnung], un second état d’excitation [ein zweiter erregter Zustand] peut encore se produire pendant cette interruption [Hemmung], qui n’aurait
12 Voir à ce sujet Santini 2020.
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peut-être rien produit de lui-même, mais qui porte pourtant quelque chose à la représentation et l’étend au-delà de cette mesure ».¹³ Le facteur temporel, la durée de l’Erregung, est un élément essentiel à prendre en compte dans ce processus, tant pour Schleiermacher que pour comprendre l’action de l’Ergriffenheit chez les auteurs en question. En fait, tous les sentiments ne sont pas capables de générer ce processus. Il ne suffit pas qu’un sentiment soit généré dans l’âme, mais il doit être stabilisé, devenir constant, afin de façonner un état d’esprit (Stimmung) qui puisse avoir une influence durable sur la conscience. À ce moment-là, l’excitation immédiate et éphémère des sens cède la place à une excitation intellectuelle, qui est produite par la réflexion. Cette seconde Erregung, cette excitation spirituelle artificielle, jouit d’une existence indépendante du stimulus originel des sens. Il devient donc un matériau pour l’Urbildung, qui peut l’exprimer de manière très différente, en renforçant son contenu émotionnel, en le retardant dans le temps, en le reconstruisant et en le réélaborant indéfiniment. Ce n’est que de cette manière qu’une émotion devient la pleine possession de l’esprit, qui, à travers elle, est capable d’exprimer son unicité dans la forme. Il y a des moments d’excitation [Erregungsmomente] qui s’emparent si profondément de tout l’être [das ganze Wesen], qu’ils deviennent, pour ainsi dire, une tâche infinie [eine unendliche Aufgabe] pour la réflexion archétypale [urbildliche Besinnung]. Un acte singulier, même au sens large, ne suffit pas à l’excitation, elle n’est pas encore éteinte et continue de pousser vers l’extérieur. Et un seul moment qui traverse l’essence entière par un excès de force d’excitation [Übermaß von erregender Kraft] maintient aussi la réflexion préfiguratrice [vorbildende Besinnung] continuellement en alerte et devient le thème de toute une vie [das Thema eines ganzen Lebens].¹⁴
Par conséquent, si une Erregung naturelle, une émotion éveillée, peut seulement se traduire dans une expression naturelle immédiate et circonscrite, grâce à la médiation de la réflexion, de nombreuses Erregungen différentes pourront se réunir et donner vie à une seule forme d’expression artistique qui les inclut toutes (une grande oeuvre). Vice versa, différentes représentations pourront être générées, à différents moments et de différentes manières, à partir d’une seule Erregung spirituelle très puissante. Dans le rapport originel de l’homme au monde, dans la toute première phase de l’accueil du monde extérieur dans l’intériorité, la Besonnenheit est capable d’établir un contraste efficace et durable avec l’excitation originelle, qui prévient les effets d’une réponse immédiate, d’un automatisme, et fonde l’espace et le temps intérieurs qui sont le lieu de la création artistique. Pour Warburg,¹⁵ l’émergence d’une image émotion-
13 Schleiermacher, trad. Schleiermacher 2004, 228; KGA I/11, 738 (Begriff der Kunst, I. Abhandlung, 11/ 08/1831). 14 Schleiermacher, trad. Schleiermacher 2004, 228; KGA I/11, 738 (Begriff der Kunst, I. Abhandlung, 11/08/ 1831). 15 Il est notoirement complexe de condenser la pensée d’Aby Warburg, qui s’est rarement consacré à un résumé systématique de ses positions. Si l’on peut attribuer un tel caractère programmatique à l’un de ses écrits, c’est sans aucun doute à l’écrit d’introduction de 1929 au Bilderatlas Mnémosyne (cf.
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nelle, plus précisément d’une Pathosformel, ou d’une figure psychologique universelle, se situe à un moment précis du passé cognitif de l’humanité. Pour Frobenius, ce moment est ponctuel, situé dans la préhistoire, lorsque les réactions émotionnelles à la toute première connaissance du monde se sont cristallisées dans des formes essentielles, que l’on retrouve déjà au début de l’art pariétal. Selon l’interprétation de Warburg donnée par Fritz Saxl,¹⁶ ce processus de production et de stabilisation des images pathétiques est au contraire long et complexe, et passe également par la réalisation concrète du processus artistique. Au cours des siècles, l’artiste humain affine ses outils, repense ses archétypes et les amène progressivement à un niveau d’adéquation de plus en plus élevé, afin qu’ils expriment pleinement la charge émotionnelle qu’ils sont appelés à communiquer. C’est sur cette jonction théorique que se fonde également la critique de l’esthétique de Schleiermacher par Edgar Wind.¹⁷ En effet, Wind a été le premier à mettre en parallèle l’esthétique de la Besinnung de Schleiermacher avec le projet warburgien. Mais c’est précisément sur le moment de la Besinnung que les deux auteurs marquent leur opposition. Pour Wind, la Besinnung schleiermacherienne reste un moment ponctuel, hors de l’expérience, un Wunder, marqué par une identité immédiate, presque mystique entre la Besinnung et l’Ausdruck. En cela, elle est beaucoup plus proche de la Ergriffenheit préhistorique (et supra-historique) de Frobenius que d’un véritable processus culturel et même historique. Je ne partage pas l’analyse de Wind sur ce point.¹⁸ À mon avis, l’esthétique de Schleiermacher implique l’extension dans le temps et dans l’espace de ce passage (Übergang) entre Besinnung et Ausführung, même s’il n’en fait pas une étude de cas et se limite à nous fournir le profil purement transcendantal de ce processus. Il ne faut pas oublier que dans la modélisation par Schleiermacher des différents moments du processus artistique, une Erregung qui se traduirait immédiatement en Ausführung, en sautant la médiation de l’Urbildung (EuA), dépasserait le champ de l’art.¹⁹ Au contraire le déclenchement d’un processus intellectuel basé sur le temps apparaît parfaitement adapté au moment de l’Urbildung, dans lequel opère la Besonnenheit : stratification, répétition, mémoire, en un mot, un travail de réflexion qui vise à produire des images durables. Pour Warburg, donc, comme pour Schleiermacher, l’ensemble du processus de perception, de conception et
Warburg 2016). C’est à cet écrit que je me réfère en premier lieu pour rendre compte des positions d’Aby Warburg dans le cadre de cet article. 16 Cf. Saxl 1959. 17 Cf. Wind 1931, 173 – 174. 18 Je partage ici les réserves de Tenti (2021) sur ce point précis de la critique de Wind, et, si possible, je les renforce. Dans la perspective des Monologues, que nous aborderons dans la dernière section de cette contribution, pour Schleiermacher plus encore que pour Warburg, le moment artistique finit par coïncider avec le spectre de la vie entière de l’homme qui sent, qui connaît et qui s’exprime. 19 En cela, Wind est probablement encore redevable du préjugé sur le caractère abstrait de l’esthétique de Schleiermacher, répandu parmi ceux qui doutaient que sa définition très large des processus artistiques puisse réellement correspondre à une théorie de l’art susceptible d’être appliquée avec profit à la réalité et à la spécificité de l’expérience artistique ; voir à ce sujet Wind 1931, 176.
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de production artistique acquiert le statut de processus cognitif. L’art est un processus cognitif en perpétuelle évolution qui contribue constamment à la compréhension du monde par sa traduction en images intellectuelles et en expressions artistiques. La relation entre l’homme et le monde, la première rencontre originelle de la conscience avec le monde extérieur et le renouvellement continu de cette connaissance originelle constituent le fond épistémologique sur lequel se fondent les théories morphologiques et historico-critiques de la culture et de l’art de Frobenius et de Warburg. L’acte visuel était pour Wölfflin l’exemple minimal de l’établissement d’une relation cognitive. Il permet de créer une distance entre l’observateur et l’observé, entre le moi et le monde extérieur. Si l’on suit Wölfflin jusqu’au bout, la véritable question de l’histoire de l’art est la suivante : « qu’est-ce que nous voyons ? » Et surtout, « comment voyons-nous ? » Le point de vue, la perspective, la distance de l’observateur, tous ces éléments contribuent activement à façonner le regard. Ce que nous voyons, et ce que nous connaissons par l’œil, n’est rien d’autre que le résultat du jeu de forces entre l’observateur et l’observé, entre l’œil et le monde. Ce postulat théorique, que Leo Frobenius appellera « formule de séparation » (Spaltungsformel),²⁰ avait été déjà clairement saisi par les empiristes anglais. Pour Frobenius, la relation moi-monde est essentiellement traumatique, et donne lieu à un contraste insoluble, qui accompagne l’humanité depuis le début de son évolution et devient le stimulus de toutes ses manifestations artistiques, culturelles et sociales. Dans le sillage de Wölfflin, Warburg identifie lui aussi dans l’espace en tension entre le moi et le monde, entre le sujet et l’objet, qu’ouvre l’acte originel de voir, un double mouvement polarisé. D’une part, il y a le mouvement d’aliénation, qui consiste dans l’éloignement maximal, dans le divorce entre le moi et le monde ; d’autre part, il y a l’identification, la suppression de la distance, l’assimilation anthropophagique du moi avec le monde. L’espace qui se crée entre ces deux pôles, celui de l’aliénation et celui de l’incarnation démoniaque, est l’espace de la culture, un espace en perspective, qui se crée lorsque la distance entre le sujet et l’objet permet à l’action créatrice d’avoir lieu. Schleiermacher, lui aussi, parle d’un contraste dans la relation entre la conscience et le monde, un contraste qui oblige la conscience à accomplir des mouvements d’équilibrage, des ajustements : « Construction des fonctions humaines à partir du rapport de l’homme au reste du monde comme une oscillation entre la suppression et la restauration du contraste. Contraste entre être et conscience, idéalité et réalité ».²¹ Cependant, il surmonte ce désaccord entre homme et monde et résout cette tension sur le plan transcendantal, d’une manière qui n’est pas différente de ce qui était déjà suggéré dans un fragment célèbre de l’Athenaeum sur la poésie romantique, qui n’était certainement pas inconnu à Schleiermacher : Il y a une poésie dans laquelle l’alpha et l’oméga est la relation de l’idéal au réel, et qui par conséquent, en analogie avec le jargon philosophique, devrait être appelée poésie transcendantale.
20 Frobenius 1933, 20. 21 Schleiermacher, trad. Schleiermacher 2004, 59; KGA II/14, 45, VI, 8 (Grundheft 1819).
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Elle commence comme une satire, avec la diversité absolue de l’idéal et du réel, oscille au milieu comme une élégie, et se termine comme une idylle avec leur identité absolue. Cependant, de même que l’on attacherait peu de valeur à une philosophie transcendantale qui ne serait pas critique, qui ne représenterait pas le producteur en même temps que le produit, et qui ne contiendrait pas dans le système des pensées transcendantales également une caractéristique de la pensée transcendantale, de même la poésie devrait combiner des matériaux transcendantaux et des exercices préparatoires à une théorie poétique de la faculté poétique, qui ne sont pas rares chez les poètes modernes, avec la réflexion artistique et la belle autoréflexion que l’on trouve chez Pindare, dans les fragments lyriques des Grecs et dans l’élégie ancienne et parmi les modernes chez Goethe, et représenter dans toutes ses représentations aussi soi-même, et être partout en même temps poésie et poésie de la poésie.²²
La conception radicalement transcendantale du processus artistique de Schleiermacher nous permet de considérer l’ensemble du processus de production d’images comme immanent à l’intériorité de l’homme. Nous avons déjà vu comment le troisième moment, celui de l’Ausführung, l’expression artistique matérielle réelle, a été réduit à un simple épiphénomène de la création artistique de l’Urbildung. Mais le moment de l’Erregung, l’impulsion originelle qui vient des sens, est également ravalé au rôle de simple déclencheur occasionnel. En effet, la médiation de la Besonnenheit remplace l’Erregung des sens par une Erregung spirituelle, une Erregung interne, qui constituera la future base de déclenchement de la formation des archétypes. De plus, l’Urbildung n’est pas pour Schleiermacher une creatio ex nihilo, encore moins une création à partir de matériaux fournis par les sens externes. Un corollaire très important et particulièrement problématique de la conception transcendantale de Schleiermacher est celui de l’innéisme des archétypes : « Certes, l’homme ne représente pas d’autres formes que celles qui sont dans la nature. Mais celles-ci sont naturellement innées en lui. […] La nature ne produit la beauté sous ces formes qu’ici et là avec parcimonie ; et nous devons pouvoir trouver un principe dans l’homme pour la reconnaître et l’assembler ».²³ L’Urbildung est certes activée en présence du stimulus des sens, mais elle reproduit des modèles déjà présents dans l’âme humaine. Le processus de création d’archétypes ne serait donc qu’un processus de reconnaissance, de réactivation. L’activité artistique, à son tour, ne ferait rien d’autre que de reproposer, traduire ou copier ces images mentales qui ont toujours été présentes dans l’âme humaine, et que le stimulus de l’expérience sensible ne fait que réveiller. Il s’ensuit, selon Schleiermacher, que l’art n’imite pas la nature, mais encore et toujours l’art, signifiant par-là l’Urbildung, les images mentales propres à tout homme. Une représentation n’est un véritable élément de l’art que dans la mesure où elle fait ressortir le type pur de ce qui est représenté dans sa particularité. C’est de la pure productivité, car l’âme n’a jamais vu ce type pur et, en le représentant, elle n’imite ni ne reproduit pas. […] Certes, l’âme ne
22 Schlegel 1958, 238. 23 Schleiermacher, trad. Schleiermacher 2004, 54; KGA II/14, 41, II, 4 (Grundheft 1819).
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peut pas se passer, comme stimulus, de ce qu’elle a vu […] mais elle ne produit qu’au moyen du monde qu’elle porte en elle.²⁴
Le concept de Pathosformel d’Aby Warburg et les modèles morphologiques correspondants de Leo Frobenius (formules figuratives fixes qui étaient déjà présentes dans la préhistoire et qui véhiculent un contenu pathétique) constituent encore une fois une application intéressante du principe de l’innéisme des archétypes de Schleiermacher. Contrairement à ce qu’une interprétation naïve du concept de Pathosformel pourrait suggérer, les formules pathiques de Warburg ne coïncident pas avec les passions, et ne produisent même pas des passions chez l’observateur. Ce sont des configurations intellectuelles, traduites en images codées dans la représentation, qui constituent la réponse cognitive originale de l’homme à l’Erregung des sens. Ils sont l’élaboration mentale médiatisée de l’image de la passion, et non la passion elle-même. Cela explique, par exemple, que l’art de la Renaissance, qui a fait un usage extraordinairement étendu du répertoire des Pathosformeln, conserve un caractère fondamentalement non pathétique, une froideur et un détachement cognitif par rapport aux passions qu’il représente. Ces formules expressives sont donc la traduction d’images mentales, et leur persistance, c’est-à-dire le recours indéfectible à ces formules par l’homme au cours de l’histoire et dans les différentes époques artistiques, est à attribuer à leur adéquation, c’est-à-dire à leur capacité de correspondre autant que possible aux images mentales originales qu’elles veulent exprimer. Le problème de l’innéité des formes du pathos reste une question ouverte et non décidée, tant pour Frobenius que pour Warburg. Mais on peut bien affirmer que dans leur interprétation, les processus culturels et le développement de l’art peuvent être assimilés à un long et constant processus d’anamnèse et d’anagnôrisis : au fil des siècles, chaque génération reconnaît comme « pertinentes » et « significatives » les mêmes images qui appartiennent au patrimoine cognitif de l’homme. Il n’est pas nécessaire que l’artiste connaisse la peur pour la représenter, car la tradition lui fournit déjà les outils pour cela et sa configuration spirituelle fait en sorte que l’image de la peur soit immédiatement reconnaissable. La reconnaissance de ces images va donc au-delà du fait qu’elles sont véhiculées par la tradition et soutenues par une auctoritas ; elle suggère plutôt que leur correspondance avec les réalités reconnues par l’esprit constitue davantage le patrimoine universel de l’espèce que celui d’hommes individuels ou de traditions individuelles.
6 Conclusion : connais-toi toi-même Un fragment de Friedrich Schlegel consacré au sentiment poétique offre une définition très appropriée de cette seconde Erregung spirituelle qui produit les images archétypes et exclut dans une certaine mesure le recours au sentiment naturel, à l’affection des
24 Schleiermacher, trad. Schleiermacher 2004, 84 – 85; KGA II/14, 71, XXV, 33 (Grundheft 1819).
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sens : « Le sentiment poétique consiste certainement dans le fait que l’on s’excite soimême, tant au niveau du sentiment que de l’imagination ».²⁵ Ce n’est pas la passion, l’affection des sens, ni même la passion dans la nature qui est imitée par l’art, mais l’image spirituelle de la passion elle-même. De là, nous comprenons l’une des intuitions les plus valables de l’esthétique de Schleiermacher : celle selon laquelle l’artiste est un modèle pour lui-même : « Dans l’expression de la passion, l’artiste est le modèle (Vorbild) de l’homme réellement ému, et non l’inverse. Et l’homme qui est vraiment ému d’une manière noble et belle est un artiste, à ceci près qu’il en a moins conscience ».²⁶ Cette citation ouvre une double perspective sur l’esthétique de Schleiermacher : d’une part, l’artiste est le modèle, et il est modèle à lui-même et pour lui-même ; dans son activité artistique, il n’exprime et il ne connaît donc que lui-même. D’autre part, même les manifestations apparemment non artistiques de l’homme dans le monde réel, lorsqu’elles sont le résultat d’une réflexion consciente, s’élèvent au niveau d’une œuvre d’art. Voilà que les limites de l’art se sont soudainement élargies si l’on considère la nature des relations homme-monde dans le système de Schleiermacher. Nous avons déjà vu comment le processus artistique est immanent à l’homme pour Schleiermacher : l’œuvre d’art en tant que telle naît et s’accomplit dans les limites de la seule raison. Loin de limiter le champ de l’esthétique en excluant ses manifestations extérieures (épiphénomènes de l’art véritable), l’esthétique transcendantale de Schleiermacher étend son domaine à presque toutes les manifestations extérieures de l’expérience humaine en raison du fait qu’elles sont issues de l’Urbildung transcendantale. De la production d’œuvres d’art, aux productions techniques, à chaque forme de jouissance esthétique et de manifestation du goût (même dans la contemplation passive), jusqu’à la formation des caractères et des physionomies qui en résultent, tout est art selon Schleiermacher. En un mot, chaque homme à un stade particulier de sa culture et de son éducation, doté d’une sensibilité particulière, d’un goût particulier, d’opinions, d’un caractère spécifique, d’attitudes, d’un style dans la manière de s’exprimer ou de marcher, est une œuvre d’art, dont il est lui-même l’artiste. L’homme ne connaît rien d’autre que sa propre existence dans le temps […]. Une main invisible, développant et consommant alternativement des représentations et des sensations, continue à tirer le fil de sa vie […]. Plus la succession des représentations et des sensations est rapide, plus leur alternance est fréquente, et plus leur union est harmonieuse et intime, plus l’importante œuvre d’art [la vie !] est menée à bien de façon excellente, et si les hommes pouvaient expliquer mécaniquement toute cette connexion, ils seraient au sommet de l’humanité et de l’auto-conscience.²⁷
25 Schlegel 1958, 266. 26 Schleiermacher, trad. Schleiermacher 2004, 54; KGA II/14, 41, II, 4 (Grundheft 1819). 27 Schleiermacher, Monologen, I. Betrachtung; KGA I/12, 329 – 330.
Pour une épistémologie de l’image
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L’opposition entre l’homme et le monde, entre la conscience et le monde extérieur, la formule de séparation de Frobenius que Schleiermacher a défini comme un contraste,²⁸ se résout ainsi dans la dimension transcendantale des processus de formation des images mentales : Il n’y a de liberté et d’infinitude que pour ceux qui savent ce que c’est que le monde et ce que c’est que l’homme. […] Ce qu’ils appellent le monde est pour moi l’homme, et ce qu’ils appellent l’homme est pour moi le monde. Pour eux, le monde est toujours la première chose, et l’esprit n’est qu’un modeste invité dans le monde, jamais sûr de sa place et de sa force. Pour moi, l’esprit est la première et la seule chose […]. En effet, ce que je reconnais comme le monde est sa plus belle œuvre, le miroir qu’il s’est créé.²⁹
Schleiermacher applique donc à son esthétique le principe même qui a rendu célèbre son Herméneutique : elle est la connaissance de ce qui est connu, entendant par là à la fois les archétypes et les processus cognitifs qui sont développés et mis en œuvre dans la production artistique, et celui qui se connaît lui-même, l’artiste. Le processus artistique dans tout son développement, depuis son accomplissement transcendantal jusqu’aux manifestations les plus matérielles des arts concrets et de l’exercice du goût et du plaisir, devient un moment cognitif d’ordre supérieur. Par la création artistique, à la fois Urbildung et extériorisation dans l’art (Ausführung), l’artiste se met littéralement à l’œuvre, il se connaît et se reconnaît dans ses œuvres. Le monde extérieur est donc le miroir que l’homme s’est créé et dans lequel il se reflète chaque fois qu’il entre dans une relation cognitive. On pourrait évoquer ici Gottfried Wilhelm Leibniz, dont la monade, même dans son unicité, réverbère toutes les nuances infinies des mondes possibles. De même, l’homme-artiste de Schleiermacher, tout homme, est porteur à la fois de son unicité et de l’universalité de son être dans son rapport au monde. La production artistique, à la fois transcendantale et matérielle, en tant qu’activité spirituelle de l’homme, est un moment essentiel de ce processus infini dans lequel l’homme se détermine, se connaît et s’exprime dans le monde.
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28 Cf. Schleiermacher, trad. Schleiermacher 2004, 59; KGA II/14, 45, VI, 8 (Grundheft 1819). 29 Schleiermacher, Monologen, I. Betrachtung; KGA I/12, 333.
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Carlotta Santini
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Simon Gerber
Rhetorik des Gefühls. Homiletik nach Schleiermachers Vorlesung zur Praktischen Theologie Abstract: How should a sermon be conceived, elaborated, and recited? This essay deals with the instructions and advices Schleiermacher gave to his students in his lectures on practical theology. Arguing with the classical rhetorical tradition and contemporary homiletics, Schleiermacher sets his own accents. By casting his own Christian-religious affections into language, and thereby communicating his Christian mood in the context of liturgical worship, the preacher brings the religious feelings of the community into circulation and revitalization; instruction and moral education are a means to this end, but not the end itself. Is preaching, then, an art? Yes, insofar as it is more than the mechanical application of fixed rules. No, since the performance must not appear artificial, the preacher must not make a show of his virtuosity; moreover, linguistic brilliance, didactics, and persuasive arguments are at best incidental. Indeed, the coherence and effectiveness of the sermon lies more in the constancy of its tone than in the theme or biblical text upon which it is based; homiletic language should be pitched at a medium level of difficulty, akin to Luther’s Bible. Schleiermacher considers the logical soundness of a sermon’s organization (e. g., its reliance on major and minor premises) to be less important than most of his contemporaries. He instead deems the progression from instruction to emotion or from humiliation to exaltation to be the most suitable pattern of organization.
Ein zweiter Hauptpunkt ist: die Art wie man das gewöhnlich versteht daß die Predigt eine Kunst sei. Der Cultus fällt ganz und gar in das Gebiet der Kunst und ist ein aus lauter Kunstelementen zusammengesetztes Ganzes. Aber wenn man das so stellt daß man sagt die Predigt sei eine besondere Kunst so läugnet Schleiermacher dies. Was soll denn das für eine besondre Kunst seyn? Daß jemand die Sprache in seiner Gewalt habe, das ist eine Forderung die man an jeden Gebildeten macht. Die Hauptsache, das von der Sache ergriffen seyn und diese lebendig in sich tragen das ist eine Gabe Gottes aber deshalb auch keine Kunst.¹
So heißt es in einer Nachschrift zu Schleiermachers Vorlesungen zur Praktischen Theologie und in einem anderen Vorlesungsjahrgang: Je specieller das Talent ist, desto mehr gilt das, daß die Theorie allein den Künstler nicht macht. So zB. sind die poetische und musikalische Komposition, besondre Talente, die nur in wenigen zu einer
1 Schleiermachers Vorlesung über die Praktische Theologie (im Folgenden PT), Nachschrift Bindemann, 1826. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (im Folgenden BBAW), Archiv, Schleiermacher-Nachlass (im Folgenden SN) 555, 61. https://doi.org/10.1515/9783111128801-025
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gewissen Stärke kommen; und da kann die Theorie nie anders verfahren, als Kautelen aufstellen; die Idee des richtigen geben; aber auf die Produktion selbst, positiven Einfluß haben; kann sie nicht. Wie ist es in dieser Beziehung mit der religiösen Rede? Keineswegs werden wir hier auf ein specielles Talent zurückgeführt. Es wird nicht vorausgesetzt; daß einer nicht könne dahin kommen, auf diesem Gebiet zu produciren, in welchem sich das religiöse Element bis zu einer gewissen Stärke entwickelt hat. Von diesem aus gilt zu der Produktion selbst gar kein besondres Talent. Der Sprache bedienen wir uns alle und sie versirt hier auf einem Gebiet wo keine Virtuosität erforderlich ist; und das, wodurch die Komposition selber, ein seinen Zweck erreichendes wohlgeordnetes Ganze wird, ist das, was allen, die auf dem wissenschaftlichen Gebiet versiren, gemein sein muß; nähmlich nur das Herr sein über die Kombination seiner Gedanken.²
Wenn es so ist, dass das Predigen weder ein besonderes Talent noch eine besondere Kunst ist, sondern man dafür nur von der Sache ergriffen sein muss und fähig, seine Gedanken sprachlich darzustellen, dann braucht der Prediger eigentlich keine eigene rhetorische Qualifikation. Auf der anderen Seite kann Schleiermacher sagen, dass es gerade das Christentum gewesen sei, das die Religion überhaupt zu einem Gegenstand der Beredsamkeit gemacht habe.³ Jedenfalls verwendete er in seinen praktisch-theologischen Vorlesungen gern an die 20 Stunden auf die „religiöse Rede“, wie er das Thema meist nannte. Schleiermacher gehört anerkanntermaßen zu den großen Predigern seiner Zeit. In seinen seit ein paar Jahren komplett edierten Predigten warten noch viele Schätze darauf, gehoben zu werden; auch das Bild vom Theologen Schleiermacher wird durch sie erst vollständig, denn nach Schleiermacher ist die Predigt nicht erst der allgemeinverständliche Vortrag dessen, was die Dogmatik (oder die theologische Wissenschaft überhaupt) erarbeitet hat, sondern steht in gleicher Unmittelbarkeit zum christlichreligiösen Gefühl wie diese. Arbeiten über Schleiermacher als Prediger gibt es nicht wenige. Sie geben – oft noch unter dem eigenen Eindruck der Predigten – eine Bestandsaufnahme und allgemeine stilistische sowie technische Charakteristiken.⁴ Sie zeigen bei einzelnen Gottesdiensten, deren Konzepte, Abläufe und Gestaltungen überliefert sind, welches Profil und welche Funktionen die Predigten hatten,⁵ weisen auf zeitgeschichtliche Bezüge in den Predigten hin⁶ oder fragen nach ihrer disziplinatorischen Dimension.⁷ Sie würdigen den theologisch-dogmatischen Gehalt der Predigten,⁸ ihre Bibelexegese⁹ und ihren Beitrag zu einer zeitgemäßen Religionshermeneutik und
2 PT, Nachschrift Palmié, 1824. BBAW, Archiv, SN 554, 251 – 252 (= Schleiermacher 1850, 202). Vgl. zu Frerichs’ Edition der PT (SW I/13) Gerber 2020b. 3 Vgl. PT, Nachschrift Saunier, 1821/1822. BBAW, Archiv, SN 552, 24 (6. Stunde). 4 Vgl. z. B. Rienäcker 1831; Lücke 1834, 783 – 791; Schweizer 1834; Rhenius 1837; Steffens 1842, 149; Bauer 1908; Merkel 1985; Preul 2006; Preul 2017. 5 Vgl. Schmidt 2002; Schmidt 2008. 6 Vgl. Meckenstock 2020; Blumrich 2020. 7 Vgl. Gräbe 2018. 8 Vgl. z. B. Trillhaas 1933; Hirsch 1968; Meier-Dörken 1988; Janssen 2003; Ohst 2012. 9 Vgl. Patsch 2013.
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-vermittlung,¹⁰ und sie bestimmen, welcher Ort der Predigt innerhalb des Schleiermacher’schen Systems des Wissens und der Schleiermacher’schen Ethik und Kulturtheorie zukommt.¹¹ Hier nun wollen wir versuchen, Schleiermacher als religiösen Rhetoriker in den Blick zu bekommen, und zwar nicht vom überlieferten Predigtwerk her – dessen rhetorische und literarische Auswertung wäre ein Thema für gleich mehrere Doktorarbeiten¹² –, sondern von den Anleitungen zum Predigen her, wie Schleiermacher sie in den Vorlesungen zur Praktischen Theologie gegeben hat.¹³
1 Die Aufgabe In seinen Vorlesungen zur Ästhetik hat Schleiermacher die Rhetorik nicht eigens behandelt; unter den Sprachkünsten hat er sich auf die Poesie konzentriert. Die Rhetorik gehöre nicht so rein unter die schönen Künste wie die Poetik, argumentiert er mit Aristoteles, dessen Position Schleiermacher offenbar teilt,¹⁴ und zwar aufgrund der praktisch-weltlichen Zwecke rhetorischer Produkte.¹⁵ In der Praktischen Theologie sagt Schleiermacher über die Rhetorik, sie habe eine objektive und eine subjektive Seite: einerseits die Frage, wie ein rhetorisches Kunstwerk beschaffen sein müsse, andererseits dessen Anfertigung. Und wie immer gehörten die Regeln mehr zur objektiv-kritischen Seite als zur subjektiv-produktiven. Meisterschaft auf einem der beiden Gebiete befähige noch nicht unbedingt für das jeweils andere.¹⁶ – Für eine Technik oder Kunstlehre der religiösen Rede sind nun mehrere Momente bestimmend.
1.1 Sprachlichkeit Da ist zunächst die Sprachlichkeit. Religion ist Gefühl, Gemütszustand, Verfasstheit des unmittelbaren Selbstbewusstseins.¹⁷ Dessen direkte Äußerung ist nicht der Gedanke,
10 Vgl. Gräb 1984; Gräb 1988, 168 – 235. 11 Vgl. Albrecht 2002. 12 Wertvolle Beobachtungen dazu finden sich schon bei Schweizer 1834. 13 Alexander Schweizer 1834, XII, erwartete ein gutes halbes Jahr nach Schleiermachers Tod, dass die Veröffentlichung der Praktischen Theologie „zu dem Eingreifendsten gehören“ werde, „was seit ziemlicher Zeit im homiletischen Gebiete erschienen“ sei. 14 Vgl. Schleiermacher KGA II/14, 538 (Ästhetik 1832/1833, 1. Stunde). 15 Vgl. Schleiermacher KGA I/11, 731 („Ueber den Umfang des Begriffs der Kunst in Bezug auf die Theorie derselben“, 1. Abhandlung, 11.08.1831); 777 (2. Abhandlung, 02.08.1832); 789 – 790 (3. Abhandlung, 1833). 16 Vgl. Schleiermacher 1850, 761 – 762 (PT 1812, 32. Stunde); PT, Nachschrift Palmié, 1824. BBAW, Archiv, SN 554, 252 (= Schleiermacher 1850, 220); PT, Nachschrift Bindemann, 1826. BBAW, Archiv, SN 555, 62 – 62v; Schleiermacher 1850, 804 (PT 1828, 31. Stunde); PT, Nachschrift George, 1830/1831. BBAW, Archiv, SN 556, 265; vgl. Schleiermacher KGA I/11, 728 (Ueber den Umfang 1). 17 Vgl. z. B. Schleiermacher KGA II/13, 79 – 81 (Psychologie 1818, 33.–34. Stunde); Schleiermacher KGA I/12, 51 – 65, 130 – 132 (Schleiermacher 1821, 59 – 78, 176 – 180); Schleiermacher KGA II/10,1, 266 – 267; Schleier-
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sondern Miene und Gebärde, Schrei und Seufzer, Lachen und Weinen.¹⁸ Kunstproduktion aber bedeutet immer, dass dem inneren Impuls ein Akt der Besinnung und Urbildung folgt und dass dann planvoll ein geregeltes, gemessenes und strukturiertes Werkstück gestaltet wird.¹⁹ Zur religiösen Rede gehört es also zunächst, einen religiösen Gemütszustand sich selbst gegenständlich zu machen, ihn als Gedanken zu fixieren, ihm eine gedankliche und sprachliche Form zu geben. Die religiöse Rede ist eine zusammenhängende Reihe von sprachlich formulierten Gedanken, in die das religiöse Gefühl gefasst ist, und dies nicht mit dem Endzweck, sich selbst darüber Rechenschaft zu geben, sondern es anderen mitzuteilen und dadurch das gemeinsame religiöse Bewusstsein zu beleben und zu bereichern.²⁰ Darzustellen ist also eine unmittelbare Gemütserregung; die dazu vorgetragene Reihe von Gedanken ist das Darstellungsmittel, nicht der Gegenstand selbst.²¹ Insofern aber der Kultus ein „aus Kunstelementen zusammengesetztes Ganze[s]“ ist und jedes dieser Kunstelemente die ihm zugeordnete Kunstlehre hat – selbst der sprachliche Vortrag einer Gedankenreihe über das religiöse Gefühl –, kann Schleiermacher in seiner Vorlesung über die Theologische Enzyklopädie sagen: „Die Theorie der religiösen Rede wird ein Theil der Rhetorik seyn“.²²
1.2 Das religiöse Kunstwerk Jedes Kunstwerk ist eine Mannigfaltigkeit, die zu einer Einheit gestaltet ist; verschieden ist allerdings, wie sich Einheit und Mannigfaltigkeit jeweils zueinander verhalten.²³ Das Spezifische der religiösen Kunst ist nun, dass in ihr die Einheit vorherrscht und dass das Einzelne nur Darstellungsmittel ebendieser ist. Religion ist die Anschauung des Mannigfaltigen als Einheit, als Universum, das Ergriffensein von dieser Einheit im unmittelbaren Selbstbewusstsein oder, wie man auch sagen könnte, die Entdeckung des Unendlichen in macher KGA II/10.2, 569 – 571 (Dialektik 1822, 51. Stunde); Schleiermacher KGA I/13,1, 19 – 32 (Schleiermacher 1830, § 3). 18 Vgl. Schleiermacher KGA II/13, 61 – 63, 89 (Psychologie 1818, 23. und 41. Stunde); PT, Nachschrift Palmié, 1824. BBAW, Archiv, SN 554, 169 (= Schleiermacher 1850, 108 – 109); Schleiermacher 1850, 799 (PT 1828, 17. Stunde); PT, Nachschrift George, 1830/1831. BBAW, Archiv, SN 556, 182 (24. Stunde); Schleiermacher KGA II/2, 540 (Theologische Enzyklopädie 1831/1832, § 280); Schleiermacher KGA II/14, 602 – 605 (Ästhetik 1832/ 1833, 19. Stunde). 19 Vgl. Schleiermacher KGA II/13, 89 – 90 (Psychologie 1818, 41.–42. Stunde); Schleiermacher KGA I/11, 736 – 738, 741 (Ueber den Umfang 1); 785 – 786 (Ueber den Umfang 2); Schleiermacher KGA II/14, 581 – 588 (Ästhetik 1832/1833, 13.–14. Stunde). 20 Vgl. Schleiermacher 1850, 804 (PT 1828, 31. Stunde); Schleiermacher KGA I/6, 425 (Schleiermacher 1830b, § 280); PT, Nachschrift George, 1830/1831. BBAW, Archiv, SN 556, 260 – 264 (= Schleiermacher 1850, 216 – 220), 287. 21 Vgl. Schleiermacher 1850, 763 (PT 1812, 33. Stunde); PT, Nachschrift Palmié, 1824. BBAW, Archiv, SN 554, 155 (30. Stunde = Schleiermacher 1850, 92 – 93); PT, Nachschrift Bindemann, 1826. BBAW, Archiv, SN 555, 28v, 63 – 63v, 65, 82v; PT, Nachschrift George, 1830/1831. BBAW, Archiv, SN 556, 180 – 183 (24. Stunde). 22 Schleiermacher KGA II/2, 255 – 256 (Theologische Enzyklopädie 1816/1817, III/2, § 5). 23 Vgl. PT, Nachschrift Bindemann, 1826. BBAW, Archiv, SN 555, 24, 25v.
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der scheinbar chaotischen, als Ursache und Wirkung ineinander verschlungenen Fülle der Einzelheiten, in Gestirnen und organischer Natur, in Geschichte, Kultur und Geisteswelt.²⁴ Gott bzw. das Göttliche ist nicht unmittelbar anzuschauen und darzustellen, sondern nur als die Beziehung der physischen und ethischen Welt auf die Einheit, den transzendenten Grund.²⁵ Religiöse Kunst unterscheidet sich also insofern von der weltlichen, als das Einzelne in ihr nicht um seiner selbst willen vorkommt; es wird in ihr vielmehr zum Zeichen und Symbol, zum Mittel, um die Einheit darzustellen.²⁶ Weltliche Kunst ist üppig, weichlich, opernhaft, epideiktisch (d. h. in ihr stellt der Künstler seine Virtuosität heraus); religiöse Kunst lenkt vom Vielen, Grellen, Prächtigen auf das Eine, ihr Stil ist der strenge Stil. Keuschheit und Simplizität, das sind nach Schleiermacher die beiden Kennzeichen des religiösen Kunststils, Schlichtheit der Vortragstechnik und des Vorgetragenen.²⁷
1.3 Demütigung und Erhebung Eine Rede braucht einen Einheitspunkt, sonst wäre sie eine zufällige Aneinanderreihung von Sätzen. Für die religiöse Rede ist dieser das Bewusstsein, wie es aus dem Verhältnis zu Gott hervorgeht, der religiöse Gemütszustand.²⁸ Dieses höhere Bewusstsein, wie Schleiermacher es auch nennt,²⁹ ist das Gefühl der Einheit inmitten der Mannigfaltigkeit des sinnlich Wahrgenommenen und der Lebenszustände. Nur ist auch das höhere Bewusstsein nicht in sich schlechthin einfach. Schleiermacher kommt hier, von ganz anderen Voraussetzungen ausgehend, zu Einsichten, die parallel zur reformatorischen Theologie liegen. Für diese steht das Verhältnis des Menschen zu Gott und Gottes zum Menschen in der Duplizität von Zorn und Gnade, Anspruch und Verheißung,
24 Vgl. z. B. Schleiermacher KGA I/2, 211 – 232 ([Schleiermacher] 1799, 50 – 99). 25 Vgl. Schleiermacher 1850, 740 (PT 1812, 10. Stunde); 792 (PT 1815/1816, 7. Stunde); Schleiermacher KGA II/ 10,1, 136, 141 – 150 (Dialektik 1814/1815, § 200, 214 – 224); PT, Nachschrift Jonas, 1817/1818. BBAW, Archiv, SN 550, 15v, 17; Schleiermacher KGA II/13, 67– 72, 79 – 81 (Psychologie 1818, 25.–27. und 33.–34. Stunde); PT, Nachschrift Palmié, 1824. BBAW, Archiv, SN 554, 150, 152 (= Schleiermacher 1850, 85, 87). 26 Vgl. PT, Nachschrift Jonas, 1817/1818. BBAW, Archiv, SN 550, 17– 17v; PT, Nachschrift Palmié, 1824. BBAW, Archiv, SN 554, 152, 257, 259 (= Schleiermacher 1850, 87– 88, 226, 230). 27 Vgl. Schleiermacher 1850, 738, 740 – 741 (PT 1812, 7. und 11. Stunde); 792 – 794 (PT 1815/1816, 8.–9. Stunde); PT, Nachschrift Jonas, 1817/1818. BBAW, Archiv, SN 550, 15v, 18v–19v; PT, Nachschrift Saunier, 1821/1822. BBAW, Archiv, SN 552, 23 – 30 (6.–7. Stunde); PT, Nachschrift Palmié, 1824. BBAW, Archiv, SN 554, 147, 151 – 157 (= Schleiermacher 1850, 82. 86 – 94); PT, Nachschrift Bindemann, 1826. BBAW, Archiv, SN 555, 24 – 26, 88v; Schleiermacher 1850, 794 – 795 (PT 1828, 10.–12. Stunde); Schleiermacher KGA II/14, 578 – 580 (Ästhetik 1832/ 1833, 12. Stunde); PT, Nachschrift Anonym, 1833. BBAW, Archiv, SN 557, 19 (10. Stunde).Vgl. Gerber 2017, 609 – 610; Greifenstein 2021, 158. 28 Vgl. PT, Nachschrift Jonas, 1817/1818. BBAW, Archiv, SN 550, 78 – 79, 98v; PT, Nachschrift Saunier, 1821/ 1822. BBAW, Archiv, SN 552, 154 (35. Stunde). 29 Vgl. PT, Nachschrift Gerken, 1817/1818. Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena, Handschrift 1932.8079, 23, 26; Schleiermacher KGA II/13, 79 (Psychologie 1818, 33. Stunde); Schleiermacher KGA I/13,1, 40 – 51 (Schleiermacher 1830, § 5).
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Gesetz und Evangelium, einer Duplizität, die sich nicht in einer höheren Einheit (wie derjenigen der „Offenbarung“) aufheben lässt.³⁰ Nach Schleiermacher ist das religiöse Gefühl immer zusammen mit dem sinnlichen Bewusstsein und dem Weltverhältnis existent. Das höhere Bewusstsein steht also stets in der Gefahr, vom niederen Bewusstsein gehemmt, verdrängt oder dominiert zu werden, und das Gefühl dieses labilen Zustands von Höherem und Niederem gehört selbst dem höheren Bewusstsein an. Die Theorie vom höheren Bewusstsein wird in der Glaubenslehre dargelegt: bei der Theorie der Religion ebenso wie in der Sünden- und Erlösungslehre,³¹ aber zum Beispiel auch in der Sittenlehre,³² Psychologie³³ und in der Ästhetik.³⁴ Für die Praktische Theologie und speziell für die Predigtlehre bedeutet sie, dass das christliche Gefühl, wie es in Gottesdienst und Predigt dargestellt wird, nicht einfach ist, sondern oszilliert zwischen Seligkeit und Erlösungsbedürftigkeit; reformatorische Predigt des Gesetzes und Evangeliums entsprechen bei Schleiermacher Demütigung und Erhebung.³⁵ „Das Gefühl von dem Zustande des Menschen in Beziehung auf sein Verhältniß zu Gott ist immer im Gegensatz, das reine Gleichgewicht ist die absolute Seligkeit, jeder wirkliche Zustand liegt auf einer Seite, auf der erhebenden und demüthigen Seite.“³⁶ Die Gemeinschaft mit Gott erscheint bald als eine Approximation an das absolute Aufgehn in dieser; bald als ein zurücktretendes und da entsteht ein zwiefacher Charakter des darzustellenden selber; es tritt einerseits auf unter der Form des erhebenden und unter der des demüthigen. Diese Duplicität ist keineswegs dem religiösen Gebiet ausschließend eigen; sondern ist in jeder Darstellung innrer Zustände und so liegt es auch der Poesie zum Grunde; nur daß es nicht auf das eigenthümlich religiöse bezogen wird; sondern es das Leben in seinen menschlichen Verhältnissen ist; das als gefördert oder gehemmt erscheint.³⁷
1.4 Der gottesdienstliche Rahmen Nun ist die religiöse Rede Teil des öffentlichen Gottesdiensts und wird in Schleiermachers praktisch-theologischen Vorlesungen immer im Rahmen der Liturgik behandelt. Schleiermacher meint, nur so lasse sich die Predigt adäquat verstehen und nur so lasse sich zu ihr anleiten, denn sie habe ihren Ort und ihren Sitz im Leben im Kultus, der
30 Vgl. z. B. Harnack 1862, 91 – 149; Elert 1931, 31 – 39, 53 – 64; Ebeling 1981, 120 – 156. 31 Vgl. Schleiermacher KGA I/13,1, 40 – 51, 190 – 193, 391 – 398, 405 – 411 (Schleiermacher 1830, § 5, 29; 62 – 63; 66 – 67); Schleiermacher KGA I/13,2, 52 – 58, 67– 68, 104 – 120 (Schleiermacher 1831, § 94; 96,3; 100 – 101). 32 Vgl. Schleiermacher 1843, Beilage, 7, 14 – 19, 25 – 26 (Christliche Sitte 1809/1810, § 18, 43 – 55, 74 – 78). 33 Vgl. Schleiermacher KGA II/13, 79 – 81 (Psychologie 1818, 33.–34. Stunde) sowie Schleiermacher KGA II/ 10,2, 567– 571 (Dialektik 1822, 51. Stunde). 34 Vgl. Schleiermacher KGA II/14, 574 – 578 (Ästhetik 1832/1833, 11.–12. Stunde). 35 Vgl. Schleiermacher 1850, 771 (PT 1812, 39. Stunde); PT, Nachschrift Palmié, 1824. BBAW, Archiv, SN 554, 152, 257 (= Schleiermacher 1850, 87– 88, 225 – 226), 269; PT, Nachschrift Bindemann, 1826. BBAW, Archiv, SN 555, 29 – 30, 63 – 63v, 71v; Schleiermacher 1850, 805 – 806 (PT 1828, 32.–33. Stunde). Vgl. Gerber 2017, 613. 36 PT, Nachschrift Saunier, 1821/1822. BBAW, Archiv, SN 552, 141 (33. Stunde). 37 PT, Nachschrift Palmié, 1824. BBAW, Archiv, SN 554, 165 (teilweise in Schleiermacher 1850, 106).
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seinerseits kein vereinzelter Akt sei, sondern in den kirchlichen Jahreszyklus eingebettet sei.³⁸ Der Gottesdienst ist in seiner Gesamtheit ein Kunstwerk, eine festliche Zeit,³⁹ ein „gemeinschaftlicher Entladungsakt für die aufgesparte Darstellung“,⁴⁰ also ein Akt, in dem sich äußert und entlädt, was sich an Gemütszuständen, die es zur Darstellung drängt, angesammelt hat. Dies geschieht als gemeinsames, planvoll gestaltetes Ritual, das erbaut, indem es vollzogen wird, das also Gefühl und Gemeinschaft nicht nur darstellt, sondern auch mitteilt, stärkt, erhöht und neu belebt.⁴¹ Der christliche Gemeingeist, den Schleiermacher immer auch als überindividuelles Subjekt denkt,⁴² kommt in „Zirkulation“, und Ungleichheiten unter den Einzelnen werden ausgeglichen.⁴³ Dabei ist die Rede dasjenige Element des Kultus, in dem derjenige, der ihm vorsteht, der Liturg und Prediger, den anderen am stärksten gegenübertritt und sich produktiv betätigt. Vor und nach der Predigt tritt er aus dieser Position zurück, im Gesang wird er ganz eins mit der Gemeinde.⁴⁴ Das Spezifikum der religiösen Rede erklärt sich für Schleiermacher ganz aus diesem Sitz im Leben, nicht aus der Rhetorik im Allgemeinen.
1.5 Darstellendes Handeln Der Kultus ist, wie Schleiermacher es in Anlehnung an das Schema seiner christlichen Sittenlehre ausdrückt, nicht wirksames, sondern darstellendes Handeln;⁴⁵ er hat jenseits der Darstellung der Beziehung des Mannigfaltigen auf das Eine keinen Zweck. So
38 Vgl. PT, Nachschrift Palmié, 1824. BBAW, Archiv, SN 554, 253; PT, Nachschrift Bindemann, 1826. BBAW, Archiv, SN 555, 61v, 62v; PT, Nachschrift Anonym, 1833. BBAW, Archiv, SN 557, 37– 38 (20.–21. Stunde). 39 Vgl. PT, Nachschrift Saunier, 1821/1822. BBAW, Archiv, SN 552, 13 – 14 (4. Stunde). 40 Schleiermacher KGA I/11, 738 (Ueber den Umfang 1). 41 Vgl. Schleiermacher 1850, 737 (PT 1812, 5. Stunde); PT, Nachschrift Palmié, 1824. BBAW, Archiv, SN 554, 255 (= Schleiermacher 1850, 222); PT, Nachschrift Bindemann, 1826. BBAW, Archiv, SN 555, 14v; PT, Nachschrift Anonym, 1833. BBAW, Archiv, SN 557, 22 – 23, 30 (= Schleiermacher 1850, 826 – 827); 37– 38 (12.–13., 17. und 21. Stunde). 42 Vgl. Gerber 2020, 191 – 192. 43 Vgl. PT, Nachschrift Saunier, 1821/1822. BBAW, Archiv, SN 552, 317 (66. Stunde); PT, Nachschrift Palmié, 1824. BBAW, Archiv, SN 554, 37 (= Schleiermacher 1850, 567), 83, 341; PT, Nachschrift Bindemann, 1826. BBAW, Archiv, SN 555, 47– 47v, 56; Schleiermacher KGA I/6, 421 (Schleiermacher 1830a, § 268); PT, Nachschrift George, 1830/1831. BBAW, Archiv, SN 556, 81 – 82 (= Schleiermacher 1850, 49 – 50), 104 – 105, 260, 283, 363; Schleiermacher KGA I/13,2, 342 – 344, 349 – 350 (Schleiermacher 1831, § 133,1; 134,3); Schleiermacher KGA II/2, 530 (Theologische Enzyklopädie 1831/1832, § 268); PT, Nachschrift Anonym, 1833. BBAW, Archiv, SN 557, 13 – 14, 34 (7. und 18. Stunde). 44 Vgl. PT, Nachschrift Saunier, 1821/1822. BBAW, Archiv, SN 552, 16 – 21 (4.–5. Stunde); PT, Nachschrift Palmié, 1824. BBAW, Archiv, SN 554, 189 – 190, 194 – 195 (= Schleiermacher 1850, 135 – 136. 139 – 140); Schleiermacher KGA I/6, 427 (Schleiermacher 1830a, § 286); PT, Nachschrift Anonym, 1833. BBAW, Archiv, SN 557, 38 (21. Stunde). Vgl. Gerber 2017, 611 – 614. 45 Vgl. PT, Nachschrift Bindemann, 1826. BBAW, Archiv, SN 555, 14v; Schleiermacher 1843, Beilage, 17– 18, 29 – 31 (Christliche Sitte 1809/1810, § 53, 86 – 92). Vgl. Gräb 1984, 652 – 659; Greifenstein 2021, 149.
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hat auch die religiöse Rede nicht den Absicht, zu belehren oder zu etwas zu überreden.⁴⁶ Sie ist auch keine im eigentlichen Sinne missionarische Veranstaltung – nicht weil Schleiermacher gegen die äußere Verbreitung des christlichen Glaubens wäre, sondern weil der Kultus von denen und für die gehalten wird, die schon Christen sind und schon schulischen und kirchlichen Religionsunterricht genossen haben.⁴⁷ Rhetorische Kunst, diene sie dazu zu überzeugen oder die Virtuosität des Redners zu demonstrieren, tritt also zurück; jedenfalls darf sie die Erbaulichkeit der Rede und des ganzen Gottesdiensts nicht konterkarieren,⁴⁸ und die versammelte Gemeinde ist, was rhetorische Kunstfertigkeit angeht, auch nicht unbedingt ein Kreis von Sachverständigen.⁴⁹ Was in der Predigt zum Ausdruck kommt, ist der gemeinsame Glaube der Gemeinschaft (freilich einer Gemeinschaft, von der Schleiermacher in der Vorrede zu seiner ersten Predigtsammlung sagt, er habe sie so nicht empirisch festgestellt, sondern setze ihr Dasein voraus).⁵⁰ Der Prediger ist selbst Glied dieser Gemeinschaft, und das Eigene, das er in seiner Rede, in der er für eine Zeitlang der Gemeinschaft gegenübertritt, darstellt, ist nicht seine Individualität und auch nichts, was er erst beibringen müsste, wovon er überzeugen, wozu er überreden müsste – es ist das gemeinsame Gut, das die Gemeinschaft konstituiert.⁵¹
2 Traditionen 2.1 Antike Rhetorik Franz Volkmar Reinhard, einer der gefeiertsten Kanzelredner seiner Zeit, eine halbe Generation älter als Schleiermacher, schreibt in Geständnisse seine Predigten und seine Bildung zum Prediger betreffend, er habe das Rhetorische vor allem von Demosthenes und Cicero gelernt. Im Studium habe er keine homiletischen Veranstaltungen besucht, auch keine gedruckten Predigten der Zeitgenossen als Vorbilder studiert, zu seinem Predigtmagazin sei dann die Bibel geworden – all das ein Bildungsgang, den er denen, die sich auf das Predigen präparieren wollten, freilich nicht empfehlen könne.⁵²
46 Vgl. PT, Nachschrift Bindemann, 1826. BBAW, Archiv, SN 555, 66, 88v; PT, Nachschrift George, 1830/1831. BBAW, Archiv, SN 556, 180; PT, Nachschrift Anonym, 1833. BBAW, Archiv, SN 557, 40, 46 – 47, 56 (22., 25. und 30. Stunde). 47 Vgl. PT, Nachschrift Anonym, 1833. BBAW, Archiv, SN 557, 22 (12. Stunde). 48 Vgl. PT, Nachschrift Bindemann, 1826. BBAW, Archiv, SN 555, 61v; PT, Nachschrift Anonym, 1833. BBAW, Archiv, SN 557, 57– 58. 49 Vgl. PT, Nachschrift Anonym, 1833. BBAW, Archiv, SN 557, 37 (20. Stunde). 50 Vgl. Schleiermacher KGA III/1, 8 (Schleiermacher 1801, X–XI). 51 Vgl. Gerber 2017, 616; Greifenstein 2021, 146, 151. 52 Vgl. Reinhard 1810, 26 – 27, 42 – 64, 86 – 87. Dagegen empfiehlt Friedrich Erdmann August Heydenreich, lateinische und griechische Redner zu studieren, um sich in den alten Sprachen zu üben, um die Ge-
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Schleiermacher ist, was die Brauchbarkeit der antiken Rhetorik für die Homiletik betrifft, eher zurückhaltend: Jene verfolge den praktisch-geschäftlichen Zweck, zu überzeugen, sei es in der politischen Versammlung, vor Gericht oder in panegyrischen Lobreden; die Rhetorik sei, was Einheit und rhetorische Mittel angehe, ganz auf diesen Zweck ausgerichtet gewesen, was sich so nicht auf die Rede im Gottesdienst übertragen lasse.⁵³ August Hermann Niemeyer, Professor und Leiter des Waisenhauses in Halle, mit Schleiermacher seit dessen Studium bekannt und von 1804 bis 1806 dessen Kollege, knüpft in seiner homiletischen Theorie an Topoi der alten Rhetorik wie Beweis, Widerlegung und Rührung an.⁵⁴ Schleiermacher will gerade das nicht. Des Weiteren meint Schleiermacher, für die gesamte antike Sprachtheorie sei der mündliche und mimische Vortrag das Primäre gewesen, für die moderne Theorie dagegen der schriftliche Ausdruck.⁵⁵ Nichtsdestotrotz kann er an die antike Triplizität des Stils erinnern: Für die Kanzelrede sei das, was die Alten den höheren Stil nannten, nicht geeignet, sie bewege sich eher im Rahmen des mittleren bis einfachen Stils.⁵⁶ Den musikalischen Wohlklang der gesprochenen Rede – auf den die Alten höchsten Wert gelegt hätten und nach dessen Maßstab es etwa ein Missgriff gewesen sei, zu viele unbetonte Silben aufeinander folgen zu lassen⁵⁷ – legt Schleiermacher ebenfalls für die Ausarbeitung des Ausdrucks ans Herz: Nicht alle Lautfolgen harmonierten miteinander und erzeugten Wohlgefallen; um Störungen durch Übelklänge zu vermeiden, müsse man gegebenenfalls die Wörter im Satz umstellen und davon abgesehen auch auf die richtige Modulation der Stimme achten.⁵⁸ Heute sind wir für diese musikalischen Anforderungen wohl eher taub und bräuchten Fachleute für die Rhetorik um 1800,⁵⁹ um
schichte und Religionsgeschichte kennenzulernen und um zu lernen, wie man Sachen und Begebenheiten rednerisch darstellt (vgl. Heydenreich 1802, 50 – 59). 53 Vgl. Schleiermacher 1850, 738 – 739, 763 (PT 1812, 8. und 33. Stunde); PT, Nachschrift Jonas, 1817/1818. BBAW, Archiv, SN 550, 73v–74v; PT, Nachschrift Saunier, 1821/1822. BBAW, Archiv, SN 552, 21 (6. Stunde); PT, Nachschrift Palmié, 1824. BBAW, Archiv, SN 554, 257 (= Schleiermacher 1850, 224); PT, Nachschrift Bindemann, 1826. BBAW, Archiv, SN 555, 61v; PT, Nachschrift Anonym, 1833. BBAW, Archiv, SN 557, 60. 54 Vgl. Niemeyer 1807, 68 – 88. 55 Vgl. PT, Nachschrift Jonas, 1817/1818. BBAW, Archiv, SN 550, 74v–75. 56 Vgl. PT, Nachschrift Palmié, 1824. BBAW, Archiv, SN 554, 153 (= Schleiermacher 1850, 89 – 90); Schleiermacher 1850, 797 (PT 1828, 10.–12. Stunde). 57 Vgl. PT, Nachschrift George, 1830/1831. BBAW, Archiv, SN 556, 221 – 222 (31. Stunde); PT, Nachschrift Anonym, 1833. BBAW, Archiv, SN 557, 57. 58 Vgl. PT, Nachschrift Palmié, 1824. BBAW, Archiv, SN 554, 291 – 292 (= Schleiermacher 1850, 297– 298); Schleiermacher 1850, 800 – 801 (PT 1828, 18.–20. Stunde); PT, Nachschrift George, 1830/1831. BBAW, Archiv, SN 556, 176, 220 – 226 (23. und 30.–31. Stunde). 59 Der Göttinger Superintendent Johann Friedrich Christoph Gräffe verfasste noch eine Anweisung zum Rhythmus in homiletischer und liturgischer Hinsicht als Hülfsmittel betrachtet den Religionsvorträgen überhaupt und den Predigten insbesondere mehr Annehmlichkeit, Würde und Eindruck zu ertheilen (Gräffe 1809).
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Schleiermachers eigene überlieferte Predigten auf solchen Wohlklang des Redeflusses zu prüfen.⁶⁰
2.2 Alte Kirche, Reformation Gewissermaßen klassischen Rang haben für Schleiermacher die Predigten der Alten Kirche und der Reformationszeit. Die altkirchlichen Homilien sind als Kronzeugen dafür bedeutsam, dass eine christlich-religiöse Rede eigentlich kein einheitliches Thema bräuchte, um eine Einheit darzustellen; es reichen dafür auch ein Bibeltext als Leitfaden und das christlich-fromme Bewusstsein aus.⁶¹ Insbesondere die exegetischen Homilien des Johannes Chrysostomus hat Schleiermacher eingehend studiert, mit Studenten im neutestamentlichen Seminar gelesen und für seine eigenen exegetischen Arbeiten ausgewertet, galt Chrysostomus ihm doch gewissermaßen als Native Speaker des neutestamentlichen Sprachidioms.⁶² Sie hat er auch empfohlen, um die Form der Homilie kennenzulernen.⁶³ Thematische Einheit und in der Konsequenz auch so etwas wie eine logische Disposition seien erst in der Situation der mittelalterlichen Mission notwendig geworden: Die noch halbbarbarischen Völkerschaften, die erst durch das Christentum in die Kultur und die Geschichte eingetreten seien,⁶⁴ hätten noch nicht den Bildungsstand und die Übung gehabt, in einer Rede eigenständig Thema und Einheitspunkt zu erkennen, deshalb habe man ihnen das Thema eigens ansagen müssen.⁶⁵ Die Reformation griff dann wieder verstärkt auf die altkirchliche Form der Homilie zurück, allerdings konnte sie sich – anders als die Alte Kirche und anders als die Gegenwart – noch an keinen etablierten Bibeltext anlehnen, da die volkssprachliche Bibel erst im Entstehen begriffen war; ihre Homilien haben also einen auf ihre Art zwar reizvollen Charakter, der sie aber als Vorbild weniger geeignet macht als die altkirchlichen.⁶⁶
60 Vgl. Lentz 1839, 263: „[U]nd es ist zu bewundern, mit welcher Reinheit und Eleganz des Ausdrucks seine Rede dahinfließt, die, besonders laut gelesen, eine Vollendung der Perioden fühlbar macht, welche an das Edelste erinnert, was das christliche Alterthum damals, als sich antike Redekunst mit evangelischer Begeisterung vermählte, hervorgebracht hat.“ 61 Vgl. Schleiermacher 1850, 763 (PT 1812, 33. Stunde); PT, Nachschrift Palmié, 1824. BBAW, Archiv, SN 554, 257 (= Schleiermacher 1850, 224); PT, Nachschrift Bindemann, 1826. BBAW, Archiv, SN 555, 65; PT, Nachschrift George, 1830/1831. BBAW, Archiv, SN 556, 268. 62 Vgl. Gerber 2015, 187– 188. 63 Vgl. PT, Nachschrift Saunier, 1821/1822. BBAW, Archiv, SN 552, 164 (37. Stunde). 64 Vgl. Gerber 2015, 265 – 266, 309. 65 Vgl. Schleiermacher 1850, 763 (PT 1812, 33. Stunde); PT, Nachschrift Palmié, 1824. BBAW, Archiv, SN 554, 258 (= Schleiermacher 1850, 227). 66 Vgl. PT, Nachschrift Saunier, 1821/1822. BBAW, Archiv, SN 552, 164 – 165 (37. Stunde); PT, Nachschrift George, 1830/1831. BBAW, Archiv, SN 556, 268; PT, Nachschrift Wichern, 1830/1831a. Rauhes Haus Hamburg, Archiv, Bestand 61, Dc Nr. 5, 104 – 105; PT, Nachschrift Anonym, 1833. BBAW, Archiv, SN 557, 43 (23. Stunde).
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2.3 Neuere Homiletik Die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts sah in Deutschland verstärkte Bemühungen, die Predigtkultur, die man durch mancherlei regellose Unförmigkeit, Unzweckmäßigkeit und dogmatischen Wildwuchs verdorben fand, zu verbessern und zu veredeln, nicht zuletzt durch die Rezeption französischer und englischer Vorbilder. Wegweisend war die Anweisung, erbaulich zu predigen von Johann Lorenz von Mosheim, der auch für die Kirchengeschichtswissenschaft eine Epochengestalt war. Sie erschien 1763, nach Mosheims Tod, und legte dar, wie eine Predigt strukturiert und gestaltet sein müsse, um die heilsamen Lehren zur Sprache zu bringen, Verstand und Willen zu erbauen und zugleich ästhetisch zu befriedigen. Zwar habe es seit dem 17. Jahrhundert schon vermehrt homiletische Anweisungen gegeben, diese seien aber bloße Materialsammlungen und Konkordanzen gewesen, zusammengestellt ohne Vernunft und Rücksicht auf die Absichten einer Predigt, um Leute ohne Wissenschaft und Gelehrsamkeit in den Stand zu versetzen, aus Dingen, von denen sie nichts verstünden, ein Gewäsch zu machen.⁶⁷ Seit 1770 erschienen nicht nur zahlreiche weitere Homiletiken,⁶⁸ sondern auch homiletische Fachzeitschriften wie das Hallische Journal für Prediger, Johann Rudolph Gottlieb Beyers Allgemeines Magazin für Prediger und Wilhelm Abraham Tellers Neues Magazin für Prediger. Schleiermacher sieht die nationalen Besonderheiten in der Kanzelberedsamkeit nicht zuletzt in der Rolle begründet, die öffentliche Reden in dem jeweiligen Land innehatten. Im vorrevolutionären Frankreich seien es die Gerichtsreden mit ihrem Schmuck und Glanz und ihrer klassischen Beweisführung gewesen, die den Predigtstil geprägt hätten, in England darüber hinaus die Reden im Parlament, wobei dort die Parlamentsreden frei und auch einmal improvisiert gehalten worden seien und direkt aufeinander antworteten, Predigten dagegen, jedenfalls jene in der Staatskirche, müssten schriftlich ausgearbeitet und vorgelegt werden. In England wie in Frankreich habe auch das Theater großen Einfluss auf Sprache und Bildung.⁶⁹ Die englische Predigtweise, allerdings nicht die der Anglikaner, kannte Schleiermacher schon durch seine unter der Ägide seines Mentors Friedrich Samuel Gotthilf Sack durchgeführte Übersetzung von Predigten des Presbyterianers Hugo (Hugh) Blair und des Deisten und Unitariers Joseph Fawcett.⁷⁰ Deutschland hingegen, mit dem er und seine Hörer es zu tun haben, bezeichnet Schleiermacher hinsichtlich der Gewöhnung an öffentliche Vorträge und der Fertigkeit, rednerisch vorgetragene Gedankengänge und Argumentationen zu erfassen, noch Anfang der 1830er Jahre als Entwicklungsland (und jedenfalls
67 Vgl. Mosheim 1763, 74. 68 Vgl. Ammon 1826, 37– 40; Lentz 1839, 251 – 254. 69 Vgl. PT, Nachschrift Jonas, 1817/1818. BBAW, Archiv, SN 550, 107v; PT, Nachschrift Gerken, 1817/1818a. Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena, Handschrift 1932.8079, 237– 238; PT, Nachschrift Anonym, 1833. BBAW, Archiv, SN 557, 51 (28. Stunde). 70 Vgl. Schleiermacher KGA IV/1, 1 – 271 (Blair 1795); Schleiermacher KGA IV/2, 1 – 433 (Fawcett 1798a); 435 – 853 (Fawcett 1798b); Schleiermacher KGA IV/1, 403 – 909 (Blair 1802).
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in dieser Hinsicht noch nicht wesentlich über die frühmittelalterliche Missionssituation hinausgekommen): Hier seien die Predigten in der Kirche die einzigen öffentlichen Reden überhaupt.⁷¹ Schleiermacher geht nach seiner Weise eher wenig auf die Leistungen und Eigenarten seiner Zeitgenossen ein. Über Bernhard Dräseke, damals ein populärer Prediger in Bremen und Autor vielgelesener Sammlungen wie der Predigten für denkende Verehrer Jesu und der Gemälde aus der heiligen Schrift, sagt Schleiermacher, seine Predigten bestünden hauptsächlich aus Epigrammen, also kurzen, einprägsamen Sinnsprüchen. Man lese sie gern, aber ob man sie auch gern von der Kanzel höre und ob man von ihnen erbaut werde, sei eine andere Frage; die Sentenzen seien geistvoll, aber ohne weitere Ausführung überfüllten sie die Zuhörer mit unverarbeitetem Stoff.⁷² Die Predigten Johann Baptist von Albertinis, einst in Niesky und Barby sein Mitschüler und Intimus, inzwischen Bischof der Herrnhuter, nennt Schleiermacher mit die vortrefflichsten, die er kenne, und das, obwohl ihrer etliche gegen die einhellige Meinung der Lehrbücher gleich zwei oder drei Themen statt des einen behandelten.⁷³ Der schon erwähnte Reinhard wiederum habe die seltsame Manier, am Ende jedes Teils einer Predigt dessen Überschrift noch einmal zu wiederholen und dann mit einem Schnörkel zum nächsten Teil überzuleiten – ganz so als wolle er die Hörer als Galeerensklaven an seine Disposition anketten.⁷⁴
3 Produktion 3.1 Meditation Wie soll nun vorgehen, wer selbst eine religiöse Rede anfertigen soll? Vor allem: Womit soll er anfangen? Soll er von einem Thema ausgehen, das ihm wichtig ist, vielleicht etwas Aktuellem, das alle bewegt, und einen Text dazu suchen? Oder soll er, von einem Bibeltext ausgehend, Thema und Unterpunkte ableiten? Und wie kommt er vom Ganzen zum Einzelnen? Oder ist es am Ende besser, einzelne Einfälle zu sammeln und sich dann zu ihnen das übergreifende Thema zu überlegen? Schleiermacher kann, als er 1812 anfing, Praktische Theologie zu lesen, schon auf rund 20 Jahre Predigterfahrung zurückblicken. Aus diesem reichen Schatz schöpft er immer wieder neu, ohne seinen Anleitungen und Anweisungen aber eine feste Ord71 Vgl. PT, Nachschrift George, 1830/1831. BBAW, Archiv, SN 556, 215; PT, Nachschrift Wichern, 1830/1831a. Rauhes Haus Hamburg, Archiv, Bestand 61, Dc Nr. 5, 64; PT, Nachschrift Anonym, 1833. BBAW, Archiv, SN 557, 40 (22. Stunde). 72 Vgl. PT, Nachschrift Saunier, 1821/1822. BBAW, Archiv, SN 552, 123 (29. Stunde); Schleiermacher 1826, 88. 73 Vgl. PT, Nachschrift Bindemann, 1826. BBAW, Archiv, SN 555, 60v. 74 Vgl. PT, Nachschrift Palmié, 1824. BBAW, Archiv, SN 554, 279 (= Schleiermacher 1850, 259); PT, Nachschrift Bindemann, 1826, 81v–82; PT, Nachschrift Anonym, 1833. BBAW, Archiv, SN 557, 41 (23. Stunde); vgl. Schleiermacher KGA I/4, 425 (Schleiermacher 1804, 114 – 115).
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nungsstruktur aufzuerlegen. Letzteres ist aber auch insofern sachgemäß, als der Weg zum homiletischen Werkstück für ihn keine Aufeinanderfolge bestimmter Arbeitsschritte ist, sondern eine Meditation, das heißt eine Vermittlung. Diese beim Konzipieren, Disponieren und Ausführen von Predigten zweifellos gewonnene und bewährte Erfahrung entspricht überhaupt einer charakteristischen Denkfigur Schleiermachers: Das Einzelne versteht sich aus dem Ganzen und das Ganze aus dem Einzelnen, grammatische und psychologisch-technische Textinterpretation, Komparation und Divination müssen einander durchdringen, und das Wissen entwickelt sich weder rein induktiv noch rein deduktiv, weder rein empirisch noch rein spekulativ, weder als reine Urteilsbildung noch als reine Begriffsbildung, sondern in steter Vermittlung zwischen beidem. Einen absoluten Nullpunkt gibt es nicht.⁷⁵ So ist es auch bei der Predigtproduktion.⁷⁶ Sie kann mit einem einzigen gedanklichen Keim einsetzen und diesen entfalten, sie kann auch eine Menge von Einfällen und frommen Gedanken, die beim Prediger aufgekommen sind, in einen Zusammenhang bringen; am besten aber ist es, wenn beides zugleich geschieht und einander durchdringt.⁷⁷ Die Produktion geht nicht unbedingt den klassischen Gang von der inventio über die dispositio zur elocutio. ⁷⁸ Ihr Ausgangspunkt ist vielmehr der Prediger selbst, ein religiös sensibles Subjekt, dem das vielgestaltige Endliche, wie es ihm begegnet, immer erneut zu einer Anschauung des Göttlichen wird, dem die Lebenssituationen in und mit seiner Gemeinde stets wieder Anregungen zu religiösen Betrachtungen sein müssen, die sich in Themen und Bibeltexten äußern wollen, lebt und webt er doch mit der Schrift im Sinn und mit dem Heiland im Herzen.⁷⁹ Ausgangs- und Einheitspunkt der religiösen Rede ist das innere Leben des Predigers, das zugleich eine Lebensäußerung desjenigen Geistes ist, der die versammelte Gemeinde als Gemeinschaft konstituiert, das also nicht subjektivistisch extravagant sein kann.⁸⁰ Dem religiösen Zustand entspricht dann, indem er zur Rede wird, die Einheit des Tons.⁸¹ Was sich aus dem Keim entwickelt, das gestaltet sich in einem beständigen Vermittlungsprozess zu Predigtthemen und Predigttexten, zu Dis-
75 Vgl. dazu z. B. Gerber 2015, 63 – 66; Arndt 2016; Priesemuth 2020, 42 – 46. 76 Vgl. PT, Nachschrift George, 1830/1831. BBAW, Archiv, SN 556, 301. 77 Vgl. PT, Nachschrift Anonym, 1833. BBAW, Archiv, SN 557, 44 – 45 (entspricht Schweizer 1834, 93 – 94; 24. Stunde). 78 Vgl. Greifenstein 2021, 152. 79 Vgl. Schleiermacher 1850, 764 – 765 (PT 1812, 34. Stunde); PT, Nachschrift Palmié, 1824. BBAW, Archiv, SN 554, 254, 263 – 265, 280 – 281 (= Schleiermacher 1850, 221, 239 – 241, 243, 264 – 265, 267– 268); PT, Nachschrift Bindemann, 1826. BBAW, Archiv, SN 555, 67v, 72v. 74v; Schleiermacher 1850, 812 (PT 1828, 43. Stunde); PT, Nachschrift George, 1830/1831. BBAW, Archiv, SN 556, 261, 300 (= Schleiermacher 1850, 218, 243 – 244); Schleiermacher 1833, 53 – 54 (29. Stunde). 80 Vgl. Schleiermacher 1850, 770 – 771 (PT 1812, 39. Stunde; PT, Nachschrift Palmié, 1824. BBAW, Archiv, SN 554, 159 – 160, 254 – 255 (= Schleiermacher 1850, 221 – 222); PT, Nachschrift George, 1830/1831. BBAW, Archiv, SN 556, 183 – 184 (25. Stunde). Vgl. Greifenstein 2021, 146. 81 Vgl. Schleiermacher 1850, 771 – 772 (PT 1812, 39. Stunde); PT, Nachschrift Saunier, 1821/1822. BBAW, Archiv, SN 552, 141 – 142 (33. Stunde); PT, Nachschrift Bindemann, 1826. BBAW, Archiv, SN 555, 65; Schleiermacher 1850, 805 – 806 (PT 1828, 32 – 34. Stunde).
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positionen, Untergliederungen und Seitengedanken, zu inneren Bildern und sprachlichem Ausdruck.⁸² Von den zahlreichen Hilfsmitteln in diesem Zusammenhang hat Schleiermacher schon in den Stolper Unvorgreiflichen Gutachten abgeraten: Denn woher jene ungeheure Menge von Magazinen, Dispositionen, Kanzelmaterialien und wie die Polster der Trägheit und Geistlosigkeit alle benannt werden, woher, wenn nicht allzu Viele das Bedürfniß haben oder die Bequemlichkeit lieben, sich vordenken zu lassen? […] Oder braucht der, der selbst im Geist des Christenthums lebt und denkt, und so auch die Schrift studirt hat, erst solche Zaubersprüche um diese Schrift auf einen Augenblick für sich zu beleben? […] Kann er das, was sich in sich selbst bildet, und aus seinem eignen Geist, aus seiner eignen Erfahrung hervorwächst in eine fremde Form gießen? Unmöglich.⁸³
Von der Meditation ist auch in der zeitgenössischen homiletischen Literatur die Rede;⁸⁴ bei Schleiermacher ist sie der Weg immer dichterer Annäherung zwischen den Einfällen und Reflexionen einerseits und dem strukturierten Konzept andererseits.⁸⁵
3.2 Fehler und Störungen Praktische Winke und Kautelen über Konzeption, Ausarbeitung und Vortrag der religiösen Rede hat Schleiermacher viele gegeben und auch auf manche Klippen und Gefahren hingewiesen: Was mache ich, wenn mir so viel einfällt und auf dem Herzen liegt, dass das in kein Konzept passt? Gedanken und Assoziationen kommen auch unwill-
82 Vgl. Schleiermacher 1850, 764 – 765, 768 – 769 (PT 1812, 34. und 37. Stunde); PT, Nachschrift Jonas, 1817/ 1818. BBAW, Archiv, SN 550, fol. 83 – 84, 92 – 92v, 101v–102; PT, Nachschrift Palmié, 1824. BBAW, Archiv, SN 554, 270 – 273 (= Schleiermacher 1850, 249 – 253), 302; PT, Nachschrift Bindemann, 1826. BBAW, Archiv, SN 555, 81 – 81v, 86 – 86v; PT, Nachschrift George, 1830/1831. BBAW, Archiv, SN 556, 299, 320 – 321 (= Schleiermacher 1850, 284 – 285), 324 – 325. 83 Schleiermacher KGA I/4, 444 (Schleiermacher 1804, 155 – 156). Vgl. PT, Nachschrift Saunier, 1821/1822. BBAW, Archiv, SN 552, 151 (= Schleiermacher 1850, 280; 35. Stunde). 84 Bei Tittmann 1804, 163 – 205; Reinhard 1810, 146, ist die Meditation die Sammlung und Ordnung der Gedanken, Argumente und Darstellungsmittel, ein Arbeitsschritt zwischen der Bestimmung des Hauptsatzes und der Disposition. Niemeyer 1807, 57– 106, schreibt, die Meditation führe von der Bestimmung des Textes weiter zu derjenigen der Intention (Belehrung, Beweis, Bewegung), des Inhalts und der Hauptgedanken. 85 Vgl. Schleiermacher 1850, 768 (PT 1812, 36.–37. Stunde); PT, Nachschrift Jonas, 1817/1818. BBAW, Archiv, SN 550, 92v, 98, 102v–103v, 111 – 111v; PT, Nachschrift Saunier, 1821/1822. BBAW, Archiv, SN 552, 149 – 151 (35. Stunde); PT, Nachschrift Bindemann, 1826. BBAW, Archiv, SN 555, 78v; Schleiermacher 1850, 815 – 816 (PT 1828, 48. Stunde); PT, Nachschrift George, 1830/1831. BBAW, Archiv, SN 556, 312 – 315 (gekürzt: Schleiermacher 1850, 270 – 271); PT, Nachschrift Anonym, 1833. BBAW, Archiv, SN 557, 45 (24. Stunde). – Wenn die Produktion eines Textes hermeneutisch nachvollzogen wird, unterscheidet Schleiermacher Meditation und Komposition als die genetische und die objektive Realisierung oder als Gedankensammlung und sprachliche Gestaltung (Schleiermacher KGA II/4, 169 – 170, 884 – 891, Hermeneutik 1832/1833, 44.– 46. Stunde).
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kürlich, sie können von dem ablenken, worauf man eigentlich hinauswill.⁸⁶ Was mache ich umgekehrt, wenn ich eine schöne thematische Gliederung habe, mir zu den einzelnen Punkten aber nichts einfällt als die Überschrift?⁸⁷ Reinhard hat in seinen Geständnissen, vor das Problem gestellt, zu den sich jährlich wiederholenden Perikopen fortwährend etwas Neues zu finden, noch immer nützliche Hinweise gegeben, bestimmte Fragen an einen Text zu stellen, sei dieser mehr erzählend oder mehr didaktisch, und so zu Themen und zur Disposition zu kommen.⁸⁸ – Den Zeitgenossen ist der Inbegriff der Predigtkunst die logische Korrektheit der Disposition, der Kardinalfehler dementsprechend formale Fehler darin. Der Schulung der Studenten und Kandidaten im Disponieren setzt Carl Arnold Kortums satirischer Antibildungsroman in Versen ein Denkmal, die zuerst 1784 erschienene Jobsiade: Im Examen fragt Herr Krisch: „Aus wie vielen Theilen / Muß eine gute Predigt bestehn, / Wenn sie nach Regeln sollte geschehn?“ Jobs bedenkt sich und antwortet: „Die Predigt hat zwei Theile. / Den einen Theil niemand verstehen kann, / Den andern Theil aber verstehet man.“⁸⁹ Schleiermachers Predigtkonzepte, die vor allem aus Landsberg, der Charité-Zeit und aus Stolp stammen, zeigen, wie er selbst nach Einleitung, Thema, Hauptteilen mit jeweiligen Unterteilen und Schluss disponiert hat.⁹⁰ Der thematische Hauptsatz gliedert sich, so lautet die Regel, in etwa drei Teile mit eigenen Sätzen als Überschriften. Diese Teile müssen das Ganze in sich enthalten und im Gleichmaß miteinander stehen, ihre Überschriften müssen einander inhaltlich ausschließen; es darf also keine Überschrift eine untergeordnete Explikation dessen sein, was schon in einer gleichgeordneten Überschrift enthalten ist. Jeden Punkt kann man dann noch in Unterpunkte aufgliedern.⁹¹ Reinhard freilich äußert sich gegen die allzu strenge Logik eher skeptisch und beurteilt im Nachhinein manche eigenen Erzeugnisse als ziemlich scholastisch.⁹² Schleiermacher nun hat dieses Regelwerk beherrscht, und er hat in den Vorlesungen die Regeln mitgeteilt: als Hilfsmittel der Heuristik und der Ordnung.⁹³ Dennoch: Den Studenten hat er auch mitgegeben, dass die logische Korrektheit der Disposition nicht die
86 Vgl. PT, Nachschrift Bindemann, 1826. BBAW, Archiv, SN 555, 64v, 73v; PT, Nachschrift George, 1830/1831. BBAW, Archiv, SN 556, 185 (= Schleiermacher 1850, 265). 87 Vgl. PT, Nachschrift Palmié, 1824. BBAW, Archiv, SN 554, 283 – 285 (= Schleiermacher 1850, 277– 278, 275 – 276); PT, Nachschrift George, 1830/1831. BBAW, Archiv, SN 556, 300 – 301 (= Schleiermacher 1850, 244); PT, Nachschrift Wichern, 1830/1831a. Rauhes Haus Hamburg, Archiv, Bestand 61, Dc Nr. 5, 103. 88 Vgl. Reinhard 1810, 115 – 140. 89 Kortum 1824, 82 – 83 (19. Kapitel). 90 Vgl. Schleiermacher KGA III/3, 343 – 858. 91 Vgl. dazu z. B. Tittmann 1804, 210 – 229; Niemeyer 1807, 154 – 160, 169 – 172; Ammon 1826, 247– 257; Schott 1827; Erdmann 1834, 577– 591. 92 Vgl. Reinhard 1810, 148 – 158. 93 Vgl. Schleiermacher 1850, 768 – 770 (PT 1812, 37.–38. Stunde); PT, Nachschrift Jonas, 1817/1818. BBAW, Archiv, SN 550, 94 – 94v; PT, Nachschrift Saunier, 1821/1822. BBAW, Archiv, SN 552, 151 – 159 (35. Stunde); PT, Nachschrift Palmié, 1824. BBAW, Archiv, SN 554, 273 – 276 (= Schleiermacher 1850, 253 – 257); Schleiermacher 1850, 809 – 811 (PT 1828, 39.–40. Stunde); PT, Nachschrift Anonym, 1833. BBAW, Archiv, SN 557, 56 – 57 (31. Stunde).
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Hauptsache sei, an der sich die Qualität einer Predigt bemesse, und dass Verstöße gegen sie lässliche Sünden seien, verglichen mit anderen Störungen, die vorkommen könnten.⁹⁴ Die Rede sei „ein Kunstwerk“ (hier weniger im Sinne der schönen Künste gemeint als im Sinne der Technik, also nicht bloß die mechanische Anwendung gegebener Regeln), „aber nicht ein logisches; denn dieß kommt gar nicht an seine Adresse in der Gemeinde. Sie ist ein rhetorisches Kunstwerk d. h. die Vollkomenheit der Rede in Beziehung auf jene wirksamen Puncte. Das Logische hat es nie zu thun mit Wirkungen auf Gemüth und Willen, nur bey sehr Wenigen kann die Rede als Logisches Kunstwerk ankommen.“⁹⁵ Alexander Schweizer merkt dazu an: „Man sieht leicht, daß diese Ansicht, sollte sie systematisch durchgeführt werden, im Falle sie siegte, die ganze bisherige homiletische Theorie, weniger die wirkliche Praxis, […] umstürzen müßte.“⁹⁶ In dieser Hinsicht sind wir tatsächlich weitergekommen. Noch 1886 veröffentlichte der Württemberger Karl Beck, Generalsuperintendent und Prälat in Schwäbisch Hall, ein Handbuch für evangelische Prediger, in dem er für jeden Text der mittlerweile auf vier Reihen erweiterten Perikopenordnung mehrere mögliche Predigtdispositionen vorstellt, darunter auch Dispositionen berühmter Prediger wie Schleiermacher, Dräseke, Ludwig und Wilhelm Hofacker, Claus Harms, August Tholuck und Friedrich Gustav Lisco.⁹⁷ Inzwischen ist dieser ganze Typus der kunstvoll disponierten Predigt aus Theorie und Praxis ganz verschwunden,⁹⁸ weder gäbe es ein Publikum, das ihr folgen könnte oder auch nur die dazu nötige Aufmerksamkeitsspanne aufbrächte, noch Prediger, die diese Kunst beherrschten oder auch in der Lage wären, vorgegebene Dispositionen ohne weiteres auszuarbeiten. Jedenfalls: Die religiöse Rede ist für Schleiermacher keine wissenschaftliche Abhandlung, kein Plädoyer vor Gericht und keine Parlamentsrede, deren Kraft in der Argumentation, im Zwingenden der inhaltlichen Struktur oder im Glanz der Eloquenz liegt. Überhaupt möchte er neben der thematischen Predigt auch die alte Form der exegetischen Homilie, die nicht von einem Thema beherrscht wird, wieder zu Ehren bringen.⁹⁹ Wirklich schädlich für die Wirkung der Predigt ist etwas anderes als die lo-
94 Vgl. PT, Nachschrift Jonas, 1817/1818. BBAW, Archiv, SN 550, 94v–96v, 100; PT, Nachschrift Palmié, 1824. BBAW, Archiv, SN 554, 273 – 274 (= Schleiermacher 1850, 253 – 255); PT, Nachschrift Bindemann, 1826. BBAW, Archiv, SN 555, 77– 77v; PT, Nachschrift Anonym, 1833. BBAW, Archiv, SN 557, 64. 95 PT, Nachschrift Anonym, 1833. BBAW, Archiv, SN 557, 41 (22. Stunde); vgl. Schleiermacher KGA I/4, 425 – 426, 434 – 435 (Schleiermacher 1804, 114 – 115, 134 – 135). 96 Schweizer 1834, 73. 97 Vgl. Beck 1886. 98 Vgl. z. B. Hermelink 2017, 163 – 164. 99 Vgl. Schleiermacher KGA I/9, 98 (Schleiermacher 1816, 22); PT, Nachschrift Jonas, 1817/1818. BBAW, Archiv, SN 550, 89v–90v; PT, Nachschrift Saunier, 1821/1822. BBAW, Archiv, SN 552, 137, 160 – 165 (32. und 37. Stunde); PT, Nachschrift Palmié, 1824. BBAW, Archiv, SN 554, 259 – 260, 286 (= Schleiermacher 1850, 232 – 233, 280 – 281); PT, Nachschrift Bindemann, 1826. BBAW, Archiv, SN 555, 76v–77; Schleiermacher 1850, 815 (PT 1828, 46. Stunde). Damit stand Schleiermacher in seiner Zeit allerdings nicht allein; vgl. z. B. Tittmann 1804, 137– 139; Ammon 1826, 102 – 111. Vgl. dazu auch Schleiermachers eigene Beobachtung in der Kurzen
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gisch nicht kunstgerechte Disposition: Es sind Missgriffe im Ausdruck und Fehler im Vortrag. Der Ausdruck muss die richtige Sprachebene treffen: populär, aber nicht plebejisch, keine Gemeinheiten, kein Dialekt, keine Scherze, Prosa und nicht Poesie, keine dogmatische oder technische Fachsprache, keine abstrakt-wissenschaftliche Begriffssprache, sondern dichter am entgegengesetzten Ende des Sprachfeldes, am Bild.¹⁰⁰ Die Sprache der Lutherbibel sei für Deutschland eine geeignete Orientierung dafür, wie Religiöses den Hörgewohnheiten angemessen mitzuteilen sei.¹⁰¹ Kurze Sätze seien übrigens nicht unbedingt besser verständlich als lange.¹⁰² Schließlich gilt – wie für die religiöse Kunst überhaupt, so auch für die Predigt – das Gebot der Keuschheit und Simplizität: Rhetorischer Schmuck passt nicht,¹⁰³ und schöne, herausstechende Stellen gehören ebenfalls nicht hinein.¹⁰⁴ – Fehler im Vortrag sind einerseits der Missklang, also besonders der falsche Gebrauch der Stimme, der stört und die Wirkung verdirbt, andererseits Fehler in Mimik und Gestik, die den Eindruck machen, als trüge der Prediger nicht sein Eigenes vor, sondern etwas Fremdes. Nichts darf gekünstelt wirken.¹⁰⁵ Infolgedessen hat Schleiermacher jedes Mal ausführlich die Frage erörtert, ob die Rede vorher genau ausformuliert oder extemporiert werden soll, ob es gut ist, sie im Wortlaut Darstellung des theologischen Studiums, man fange an, für die Homilie eine eigene Theorie aufzustellen (Schleiermacher KGA I/6, 427; Schleiermacher 1830a, § 285). 100 Vgl. Schleiermacher KGA I/4, 426 – 427 (Schleiermacher 1804, 116 – 118); Schleiermacher 1850, 746 – 747, 773 (PT 1812, 18. und 41. Stunde); PT, Nachschrift Jonas, 1817/1818. BBAW, Archiv, SN 550, 108 – 110; PT, Nachschrift Saunier, 1821/1822. BBAW, Archiv, SN 552, 30 – 33, 107– 108, 124 – 126, 176 – 180 (8., 26., 30. und 40. Stunde); PT, Nachschrift Palmié, 1824. BBAW, Archiv, SN 554, 149 – 151, 287– 291, 307 (= Schleiermacher 1850, 84 – 86, 286 – 289, 293 – 294, 317– 318); PT, Nachschrift Bindemann, 1826. BBAW, Archiv, SN 555, 37, 39v– 41, 89v; Schleiermacher 1850, 798 – 800 (PT 1828, 15.–18. Stunde); PT, Nachschrift George, 1830/1831. BBAW, Archiv, SN 556, 171 – 173, 198 – 204 (teilweise in Schleiermacher 1850, 289 – 291; 23. und 27.–28. Stunde); PT, Nachschrift Anonym, 1833. BBAW, Archiv, SN 557, 46, 57, 60 – 61. Zu den beiden Endpunkten der Sprache, dem exakten, allgemeinen Begriff und dem Bild, vgl. auch Schleiermacher KGA II/13, 65 – 67 (Psychologie 1818, 34.–35. Stunde); Schleiermacher KGA II/4, 575 – 576 (Hermeneutik 1826/1827, 43. Stunde); Schleiermacher KGA I/13,1, 130 – 136 (Schleiermacher 1830, § 16); Schleiermacher KGA II/14, 884 – 885 (Ästhetik 1832/ 1833, 98. Stunde). 101 Vgl. PT, Nachschrift Saunier, 1821/1822. BBAW, Archiv, SN 552, 100, 125 (teilweise in Schleiermacher 1850, 122; 24. und 30. Stunde); PT, Nachschrift Bindemann, 1826. BBAW, Archiv, SN 555, 40v, 42v; PT, Nachschrift George, 1830/1831. BBAW, Archiv, SN 556, 210 – 211. 102 Vgl. Schleiermacher 1850, 748 – 749 (PT 1812, 21. Stunde); PT, Nachschrift Saunier, 1821/1822. BBAW, Archiv, SN 552, 124 (30. Stunde); PT, Nachschrift Bindemann, 1826. BBAW, Archiv, SN 555, 89v–90; PT, Nachschrift George, 1830/1831. BBAW, Archiv, SN 556, 214 – 218; PT, Nachschrift Anonym, 1833. BBAW, Archiv, SN 557, 62, 64. 103 Vgl. PT, Nachschrift Palmié, 1824. BBAW, Archiv, SN 554, 154, 164, 292 – 293 (= Schleiermacher 1850, 91, 103, 298 – 299); PT, Nachschrift Bindemann, 1826. BBAW, Archiv, SN 555, 25v. 104 Vgl. PT, Nachschrift George, 1830/1831. BBAW, Archiv, SN 556, 286 – 287. 105 Vgl. PT, Nachschrift Jonas, 1817/1818. BBAW, Archiv, SN 550, 114 – 115; PT, Nachschrift Saunier, 1821/1822. BBAW, Archiv, SN 552, 176 – 181 (40.–41. Stunde); PT, Nachschrift Palmié, 1824. BBAW, Archiv, SN 554, 296, 301 – 309 (= Schleiermacher 1850, 309 – 313, 315 – 321); PT, Nachschrift Bindemann, 1826. BBAW, Archiv, SN 555, 32 – 33v, 90v–92; Schleiermacher 1850, 801, 812 (PT 1828, 20. und 43. Stunde); PT, Nachschrift George, 1830/1831. BBAW, Archiv, SN 556, 226 – 236 (= Schleiermacher 1850, 309, 311, 313 – 316, 320 – 321; 32.– 33. Stunde); PT, Nachschrift Anonym, 1833. BBAW, Archiv, SN 557, 17– 18, 58 – 59 (9.–10. und 31. Stunde).
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aufzuschreiben, ob sie abgelesen werden darf. Er empfiehlt den möglichst freien Vortrag – die Religiosität ist eben weniger kommunikativ, wenn sie aus der Konserve kommt.¹⁰⁶ Selbst bemerkte er schon in der Dedikation seiner ersten Predigtsammlung an Onkel Ernst Stubenrauch, er unterlasse schon seit mehreren Jahren das wörtliche Aufschreiben seiner Predigten.¹⁰⁷
3.3 Disposition Kommen wir aber noch einmal auf die Disposition zurück. Auch sie kann, abgesehen von den logischen Regeln, fehlerhaft und hemmend sein, nämlich dann, wenn das Ganze zerfahren oder überladen wird.¹⁰⁸ Aber auch dann lässt sich fragen: Ist ein bestimmtes Schema und Gefälle zu empfehlen, nach dem man den Inhalt ordnen sollte? Klassisch ist es, von der Theorie zur Praxis fortzuschreiten, von der explicatio zur applicatio, von der Erbauung der Vorstellung und des Intellekts zu derjenigen des Willens, vom Didaktischen zum Paränetischen und Asketischen. Für Mosheim etwa gliedert sich die Predigt generell in Eingang, Abhandlung und Anweisung, wobei die Abhandlung je nach Text und Thema analytisch oder synthetisch vorgehen könne.¹⁰⁹ Schleiermacher erwähnt auch, dass generell dogmatische und moralische Predigten unterschieden würden, und macht demgegenüber geltend, dass das christliche Gefühl, in dem Glaube und Sitte, Gemütsverfassung und Willensrichtung eben nicht getrennt werden könnten, in einer einseitig dem einen Gebiet gewidmeten Predigt nicht adäquat zur Sprache käme.¹¹⁰ Allerdings gehörte diese Unterscheidung mehr dem späten 18. Jahrhundert an, der Zeit der Neologie, in der manche fragten, ob dogmatische Themen überhaupt noch zeitgemäß und zumutbar seien.¹¹¹ Innerhalb einer und der-
106 Vgl. Schleiermacher KGA I/4, 436 – 437 (Schleiermacher 1804, 138 – 139); Schleiermacher 1850, 775 – 776 (PT 1812, 43.–44. Stunde); PT, Nachschrift Jonas, 1817/1818. BBAW, Archiv, SN 550, 111 – 114; PT, Nachschrift Saunier, 1821/1822. BBAW, Archiv, SN 552, 181 – 185 (41. Stunde); PT, Nachschrift Palmié, 1824. BBAW, Archiv, SN 554, 294 – 301 (teilweise in Schleiermacher 1850, 300 – 302, 305 – 308); PT, Nachschrift Bindemann, 1826. BBAW, Archiv, SN 555, 90v, 92 – 95v; Schleiermacher 1850, 818 – 819 (PT 1828, 51.–53. Stunde); PT, Nachschrift George, 1830/1831. BBAW, Archiv, SN 556, 322 – 335; PT, Nachschrift Anonym, 1833. BBAW, Archiv, SN 557, 49 – 53 (27.–29. Stunde). 107 Vgl. Schleiermacher KGA III/1, 7 (Schleiermacher 1801, VII). 108 Vgl. PT, Nachschrift George, 1830/1831. BBAW, Archiv, SN 556, 263 – 264 (= Schleiermacher 1850, 219). 109 Vgl. Mosheim 1763, 217– 340. Dass die Predigt in der Regel einen belehrenden, theoretischen Teil hat und einen praktischen, der das theoretisch Gewonnene für Herz und Leben fruchtbar macht, liegt für Reinhard 1810, 155, in der Natur der Sache. 110 Vgl. Schleiermacher 1850, 767 (PT 1812, 35. Stunde); PT, Nachschrift Jonas, 1817/1818. BBAW, Archiv, SN 550, 87v; PT, Nachschrift Saunier, 1821/1822. BBAW, Archiv, SN 552, 157– 158 (36. Stunde); PT, Nachschrift Palmié, 1824. BBAW, Archiv, SN 554, 266 – 267, 276 (= Schleiermacher 1850, 245 – 246, 257); PT, Nachschrift Bindemann, 1826. BBAW, Archiv, SN 555, 67v–68v; Schleiermacher 1850, 806 (PT 1828, 34. Stunde); vgl. Schleiermacher 1843, Beilage, 3 – 4, 9 – 10 (Christliche Sitte 1809/1810, § 1 – 4, 26 – 30); Schleiermacher KGA I/ 13,1, 174 – 175 (Schleiermacher 1830, § 26,2). 111 Vgl. dazu z. B. Rosenmüller 1786, 3 – 42; Spalding 1791, 169 – 179; Erdmann 1834, 592 – 595.
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selben Predigt dagegen ist für Schleiermacher die Zweiheit von Belehrung einerseits, Erregung, Rührung und Anwendung andererseits¹¹² bzw. von Objektivem und Affektivem¹¹³ durchaus eine brauchbare Orientierung.¹¹⁴ Allerdings müsse diese Einteilung nicht unbedingt die Hauptteile der Predigt darstellen, vielmehr könne auch jeder einzelne Teil eine Richtung von der Anschauung zur Bewegung haben. Dies sei insofern besser, als dann die inhaltliche Darlegung gleich emotionaler gestaltet werde und umgekehrt bei der Ansprache der Affekte nicht die vorher genannten Argumente schon wieder vergessen seien.¹¹⁵ Entscheidend sei aber, dass kein Teil der Rede aus der Einheit des Gegenstands falle, das heißt aus dem darzulegenden religiösen Gemütszustand, und es sei bei den moralischen Anwendungen leider oft der Fall, dass sie das eigentlich religiöse Gebiet verließen oder dass über der Darlegung der Motive einerseits, der praktischen Folgen andererseits die eigentliche Gesinnung verloren gehe.¹¹⁶ Schließlich aber sind für Schleiermacher auch die beiden Momente, die dem Gesetz und Evangelium der reformatorischen Theologie entsprechen – das demütigende und das erhebende Moment –, als die beiden Aspekte des Gefühls zu einer höheren Einheit fähig und so ebenfalls ein mögliches Prinzip, nach dem sich die Einheit eines religiösen Lebensmoments in der Rede entfalten und explizieren lässt: [D]ie Einheit des religiösen Tons selbst kann ich mir als theilbar denken, das unmittelbare religiöse Bewußtsein strebt die reine Seligkeit an, erreicht sie aber nie sondern steht immer unter dem Gegensatz des positiven und negativen Gefühls; das Verhältniß besteht nur im Übergang des Einen zum andren, und die Entstehung der religiösen Erregung ist ja nur der Übergang des Bewußtseins der Sünde zum Bewußtsein der göttlichen Gnade und dies wiederholt sich immer wieder. Die Einheit dieses religiösen Tons ist also immer in diesen zwei Gegensätzen. Da aber beide christlich sind, so ist in jedem Glied des Gegensatzes das andre immer mitgesetzt; in jedem ist das ganze religiöse Bewußtsein und jeder religiöse Moment der als Übergang des positiven zum negativen oder des negativen zum positiven karakterisirt wird hat seine bestimmte Eigenthümlichkeit und enthält doch die religiöse Stimmung ganz; dies ist also das eine Prinzip der Theilung.¹¹⁷
Der Eingang der Rede soll aus der Allgemeinheit der Stimmung zum Gegenstand der Rede führen, zu Text und Thema, wobei die englische Sitte immerhin diskutabel sei, den Text zuallererst, also schon vor der Hinführung, zu verlesen. Jedenfalls müsse diese
112 Vgl. PT, Nachschrift Jonas, 1817/1818. BBAW, Archiv, SN 550, 85v–86v; PT, Nachschrift George, 1830/1831. BBAW, Archiv, SN 556, 288 – 289; PT, Nachschrift Anonym, 1833. BBAW, Archiv, SN 557, 56 (30. Stunde). 113 Vgl. Schleiermacher 1850, 809 – 810 (PT 1828, 38.–39. Stunde). 114 Dabei weist er offensichtlich der Erbauung der Vorstellung einseitig die intellektuelle, derjenigen des Willens einseitig die emotionale Richtung zu. Man könnte dagegen fragen, ob hier nicht eines der von Schleiermacher sonst bevorzugten Viererschemen passender gewesen wäre: intellektuelle und emotionale Erbauung der Vorstellung, intellektuelle und emotionale Erbauung des Willens. 115 Vgl. Schleiermacher 1850, 810 (PT 1828, 39. Stunde); vgl. PT, Nachschrift George, 1830/1831. BBAW, Archiv, SN 556, 294 – 298. 116 Vgl. PT, Nachschrift Saunier, 1821/1822. BBAW, Archiv, SN 552, 157– 158 (36. Stunde). 117 PT, Nachschrift Saunier, 1821/1822. BBAW, Archiv, SN 552, 155 – 156 (36. Stunde); vgl. Schleiermacher 1850, 811 (PT 1828, 41. Stunde).
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Hinführung wirklich vom allgemeinen Bewusstsein ausgehen, der Prediger dürfe also seine Subjektivität nicht zu stark in den Vordergrund stellen und geltend machen.¹¹⁸ Die Mode, dass der Prediger der Gemeinde zunächst einmal darlegt, warum er ganz persönlich mit dem Text seine Schwierigkeiten hat, hätte Schleiermacher schwerlich gutgeheißen. Was den Predigtschluss angeht, so soll dieser einerseits die Rede abrunden, andererseits, auch wenn er noch nicht das Ende des Gottesdiensts ist, doch ins Leben und ins Allgemeine zurückführen und, so das Gegenstück zum Eingang darstellend, mit dem Eingang zusammen eine zyklische Bewegung formen. Nun hatte allerdings der letzte Hauptteil der Rede ja auch bereits einen Schluss. Muss ein weiterer Schluss danach also noch sämtliche Teile abrunden? Wenn die Predigt sich in einen lehrenden und einen paränetischen Hauptteil gliedert, hält Schleiermacher es durchaus für sinnvoll, der Erbauung des Willens im zweiten Hauptteil noch einmal eine erinnernde Rückbindung an das im ersten Teil Entwickelte folgen zu lassen, an den Grund der Paränese, und so das Ganze erneut zu bündeln. Weniger nötig ist es, noch einen Gesamtschluss der Predigt anzuhängen, wenn der letzte Hauptteil selbst aus Lehre und Anwendung zusammengesetzt war. Es gibt aber noch eine weitere Möglichkeit, nämlich ans Ende der Predigt einen doxologischen Schluss zu stellen, ein Lob- und Dankgebet für das göttliche Wort und seine Auslegung. Ein solcher Schluss ist inhaltlich schon nicht mehr Teil der Rede, sondern führt aus ihr heraus und zurück ins Leben, antizipiert also auch schon das Ende des ganzen Kultus, und zwar so, dass zugleich die Rede als Teil des Kultus gebilligt wird: Das Bedürfnis nach Erbauung des Gefühls sei nunmehr befriedigt.¹¹⁹
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118 Vgl. PT, Nachschrift Jonas, 1817/1818. BBAW, Archiv, SN 550, 101; PT, Nachschrift Bindemann, 1826. BBAW, Archiv, SN 555, 84; PT, Nachschrift George, 1830/1831. BBAW, Archiv, SN 556, 291; PT, Nachschrift Anonym, 1833. BBAW, Archiv, SN 557, 55 (30. Stunde). 119 Vgl. PT, Nachschrift George, 1830/1831. BBAW, Archiv, SN 556, 291 – 292.
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Florian Priesemuth
Sprache und Rede. Schleiermachers Sprachverständnis in seinen Vorlesungen zur Psychologie Abstract: Language is speech. Friedrich Schleiermacher’s theory of language anticipates this essential insight of current philosophy. His lectures on psychology can be read as a kind of summation of his various remarks on this topic. There he explores the relation of thinking and language as well as the essence and origin of language. A comparison with Johann Gottlieb Fichte and August Wilhelm Schlegel shows that Schleiermacher’s philosophy of language, indeed his whole thinking, is situated between Enlightenment and Romanticism.
Das Bedürfniß, die Unendlichkeit in die Endlichkeit zu verwandeln, […] ist das Bezeichnungsvermögen.¹
Der kanadische Philosoph Charles Taylor verfolgt in seiner Monographie Das sprachbegabte Tier das Ziel, Anregungen der Sprachphilosophie der deutschen Romantik aufzugreifen und argumentativ gegen bestimmte Positionen in der gegenwärtigen analytischen Philosophie und Kognitionswissenschaft zu wenden.² Er hat dazu zwei Strömungen der Sprachphilosophie voneinander abgegrenzt. Er nennt sie Bezeichnungs- und Konstitutionstheorien oder nach ihren Vertretern HLC-Theorie (Thomas Hobbes, John Locke, Étienne Bonnot de Condillac) und HHH-Theorie (Johann Georg Hamann, Johann Gottfried Herder, Wilhelm von Humboldt).³ Taylor versteht seine eigenen Überlegungen nun als eine Weiterentwicklung der Konstitutions- bzw. der HHHTheorie.⁴ Was sind seiner Ansicht nach die Unterschiede zwischen den beiden Positionen? Er beschreibt das Sprachverständnis der HLC-Theorie als „bezeichnungstheoretisch-instrumentellen“ Ansatz,⁵ den er wie folgt skizziert: „Die Theorie von Hobbes, Locke und Condillac (HLC) versucht die Sprache innerhalb der Grenzen der von Descartes zur Vorherrschaft gebrachten repräsentationalistischen Erkenntnistheorie der Neuzeit zu verstehen. Demnach gibt es im Inneren des Geistes ‚Ideen‘, bei denen es sich um Bruchstücke von Darstellungen (Repräsentationen) einer weitgehend ‚äußeren‘
1 Schleiermacher KGA II/13, 280 (Vorlesungen über die Psychologie). 2 Vgl. Taylor 2017. 3 Vgl. Taylor 2017, 7– 8. 4 Bertram 2011, 153, nennt Herders Ansatz eine „hermeneutische Wende“, deren Überzeugungen sich auch bei neueren analytischen Philosophen wie Donald Davidson, John McDowell und Robert Brandom finden. 5 Taylor 2017, 98. https://doi.org/10.1515/9783111128801-026
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Realität handeln soll.“⁶ Dagegen stellt er die HHH-Theorie als „expressiv-konstitutiven“ Ansatz vor.⁷ Hier wird – so interpretiert Taylor die Kritik Herders an Condillac – die Rolle des Bewusstseins für die Sprache herausgestellt. Ich zitiere noch einmal: „Gedeutet wird die Sprache durch Bezugnahme auf bestimmte Elemente – Ideen, Zeichen und deren assoziative Verbindung –, die ihrer Entstehung vorausgehen. Vorher wie nachher ist die Einbildungskraft am Werk, und Assoziationen finden ebenfalls statt. Neu ist, daß jetzt das Bewußtsein die Zügel in den Händen hält.“⁸ Friedrich Schleiermachers Sprachphilosophie wird gern im Zusammenhang mit der deutschen Romantik und damit im Kontext der zweiten Autorengruppe interpretiert. Dabei halten sich bei ihm, was ich im Folgenden zu zeigen versuche und wie es für seine Philosophie insgesamt typisch ist, verschiedene Aspekte die Waage: Schleiermachers Sprachphilosophie ist sowohl durch ein bezeichnungstheoretisch-instrumentelles als auch durch ein expressiv-konstitutives Sprachverständnis geprägt. Ein Schlüsselbegriff für Letzteres ist – wie auch bei Johann Gottlieb Fichte – die ‚Mitteilung‘. Sprache wird von der gesprochenen Sprache her, von ihrem Vollzug im Reden verstanden. Sprache in dieser Weise zu interpretieren, begründet nicht zuletzt die bleibende Aktualität von Schleiermachers Sprachdenken. Schleiermacher greift in gewisser Weise der Entdeckung der Bedeutung des Sprachgebrauchs für die Sprachphilosophie des 20. Jahrhunderts voraus. So würdigt es auch der Sprachwissenschaftler Eugenio Coseriu. Er schreibt: „Wir sind erst in letzter Zeit zu einer Philosophie des Sprachgebrauchs gelangt, die in Ansätzen schon bei Schleiermacher enthalten ist.“⁹ Vielfach ist das Thema Sprache bei Schleiermacher in seinen Dialektik-, aber vor allem in seinen Hermeneutikvorlesungen untersucht worden.¹⁰ Neben den Vorlesungen zur Dialektik, zur Hermeneutik und Kritik, zur Pädagogik sowie der Akademierede zur Übersetzung stellen die erst jüngst neu edierten Psychologievorlesungen eine zentrale Quelle zur Erschließung seiner Sprachphilosophie dar.¹¹ Ausgehend von seinen Manuskripten und Nachschriften der Vorlesungen von 1818, 1821, 1830 und 1833/1834 lassen sich einige Linien zur Sprachphilosophie der Zeitgenossen ziehen und dann spätere Umakzentuierungen in den späteren Vorlesungen festhalten. Der vorhin schon kurz zu Wort gekommene Sprachwissenschaftler Coseriu beschreibt in seiner posthum veröffentlichten Vorlesung Geschichte der Sprachphilosophie den Übergang von Aufklärung zu Romantik durch eine doppelte Akzentverschiebung in der Sprachbetrachtung: einerseits von der Instrumentalität zur Expressivität und andererseits von der Universalität zur Partikularität.¹² Hinsichtlich des auch von Taylor
6 Taylor 2017, 15. 7 Taylor 2017, 98. 8 Taylor 2017, 17. 9 Coseriu 2015, 191. 10 Vgl. Pohl 1954; Kimmerle 1957; Gadamer 1972; Wagner 1974; Frank 1977; Kliebisch 1981;Volp 1982; Rieger 1988; Schnur 1994; Schmidt 2005; Thouard 2007; Priesemuth 2020. 11 Vgl. Schleiermacher KGA II/13. 12 Vgl. Coseriu 2015, 8 – 10.
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wiederholten Narrativs eines romantischen Neuansatzes in der Sprachphilosophie zeigt Coseriu die Übergänge in der Sprachbetrachtung zwischen Aufklärung und Romantik auf. Oder mit Taylor gesprochen: Die HLC-Theorie wird nicht einfach durch die HHHTheorie überholt und ersetzt.Vielmehr wird eine Reihe von Thesen und Fragestellungen weitergeführt und umakzentuiert. Coseriu macht dabei vier Themenfelder aus: erstens die Funktion der Sprache, zweitens die Typologie der Sprachen, drittens die Frage nach dem Sprachursprung und viertens das Verhältnis der Sprache zur Kultur.¹³ Diese thematischen Zusammenhänge bestimmen auch Schleiermachers Nachdenken über die Sprache. Das wird schon auf der Ebene der Überschriften deutlich. In seiner Psychologievorlesung von 1818 strukturiert er seine zum Thema Sprache einschlägigen Ausführungen mit den Unterüberschriften: „Denken und Sprechen“, „Wesen der menschlichen Sprache“, „Entstehung der Sprache“, „Fortpflanzung der Sprache“ und „Priorität zwischen Denken und Sprechen“.¹⁴ Das, was Schleiermacher in den Psychologievorlesungen über Sprache entwickelt, bewegt sich gewissermaßen in der Mitte zwischen den von Coseriu identifizierten Entwicklungen der Sprachbetrachtung von der Aufklärung zur Romantik. Weder ist Sprache nur Instrument noch reine Expressivität, noch steht sie ganz für Universalität oder Partikularität. Lassen wir nun aber Schleiermacher selbst zu Wort kommen. Ich folge dabei in fünf Schritten dem Gedankengang der Vorlesungen: 1.) Denken und Sprechen, 2.) Das Wesen der menschlichen Sprache, 3.) Entstehung und Fortpflanzung der Sprache, 4.) Sprache und Selbstbewusstsein und 5.) Sprache und Sprachen.
1 Denken und Sprechen Im Abschnitt „Denken und Sprechen“ steht die in der Schleiermacher-Forschung von Manfred Frank herausgearbeitete Spannung von Besonderem und Allgemeinem im Mittelpunkt.¹⁵ Schleiermacher notiert: „Sprache [ist] immer ein Schwanken zwischen dem besondern und allgemeinen“.¹⁶ Denken und Sprechen werden von ihm sehr eng zusammengesehen und teilweise miteinander identifiziert. Schleiermacher kann sich ein Denken, das nicht Sprache ist, ebenso wenig vorstellen wie eine Sprache, die nicht vom Denken bestimmt ist. Durch die Bindung des universalen Denkens an die partikulare Sprache limitiert sich beides wechselseitig. Die Spannung von Universalität und Partikularität, die das Denken wie die Sprache prägt, beschreibt nicht nur ihr Verhältnis zueinander, sondern bestimmt Schleiermachers Dialektik einerseits wie auch seine sprachphilosophischen Überlegungen andererseits. Die Funktion der Sprache geht hier nicht in ihrer instrumentellen Bedeutung für das Denken auf; ebenso wenig macht eine 13 Vgl. Coseriu 2015, 11 – 16. 14 Vgl. Schleiermacher KGA II/13, 60 – 66 (Manuskript 1818); 281 – 290 (Nachschrift 1818). 15 Vgl. Frank 1977. 16 Schleiermacher KGA II/13, 60 (Manuskript 1818); vgl. 280 (Nachschrift 1818). Ich verzichte bei den Zitaten auf sprachliche Anpassungen und eine Veränderung der Rechtschreibung.
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reine Expressivität, die das Besondere vor dem Allgemeinen betont, seine Sprachauffassung aus. Eine bloß instrumentelle Sprachauffassung wäre ein Missverständnis der traditionellen Redeweise von der Sprache als bezeichnender Tätigkeit.¹⁷ Schleiermacher spricht in den Psychologievorlesungen bewusst nicht mehr vom Bezeichnungsvermögen, sondern entwickelt stattdessen eine Theorie der Seelentätigkeiten.¹⁸ Er interpretiert damit die traditionelle Vermögenslehre der Seele im Rahmen einer Handlungstheorie. Über die menschliche Psychologie wird bei Schleiermacher ausgehend von ihren Wirkungsweisen in Tätigkeiten nachgedacht. Die den ersten sogenannten elementarischen Teil der Psychologievorlesungen strukturierende Grundunterscheidung von „aufnehmenden“ und „ausströmenden“ Tätigkeiten verschränkt sich in der Sprache, „[d]enn sie [d. i. die Sprache] gehört selbst der ausströmenden an, bezieht sich aber auf die aufnehmende“.¹⁹ Aufnehmend ist die Sprache, insofern sie auf aufnehmende Tätigkeiten wie das Sehen und Hören Bezug nimmt. Bemerkenswert ist, dass Wahrnehmungen bei Schleiermacher nicht bloß passivisch, sondern als aufnehmende Tätigkeiten, also eben auch als bewusste Aktivität des Menschen interpretiert werden. Ausströmend ist Sprache in ihrem Verhältnis zum Denken. An dieser Stelle ist nun kurz auf die Bedeutung der Sprache in Schleiermachers Dialektik einzugehen und auf seine dort entfaltete Theorie von Sprache und Denken für die Genese des Wissens.²⁰ Da sich Denken wie Sprache immer in Wechselwirkung mit bestimmten Individuen und spezifischen Sprachkreisen bewegen, kann es für Schleiermacher auch keine andere Form der Entstehung von Wissen geben als den Dialog. Unter der Überschrift „Priorität zwischen Denken und Sprechen“ kommt er in den Psychologievorlesungen wieder auf das Thema zurück: „Gewöhnlich […] denkt man sich das Sprechen erst als die Folge des Denkens welches freilich größtentheils daher kommt, weil man an das innere Sprechen, welches mit dem Denken durchaus identisch ist, nicht denkt.“²¹ Schleiermacher geht also davon aus, dass Denken ein inneres Sprechen ist – denn „wirklich gedacht wird nur in der Identität mit dem Sprechen“.²²
2 Das Wesen der menschlichen Sprache Das Wesen der menschlichen Sprache bestimmt Schleiermacher im Unterschied zur tierischen. Dabei ist für ihn Sprache erstens immer Mitteilung, zweitens Artikulation
17 Vgl. Schleiermacher KGA II/13, 60 (Manuskript 1818); 280 (Nachschrift 1818); 114 (Manuskript 1821); 519 – 520 (Nachschrift 1821). 18 Einen Überblick über den elementarischen Teil gibt Meier 2019, 136 – 184. 19 Schleiermacher KGA II/13, 61 (Manuskript 1818): vgl. 519 (Nachschrift 1821). 20 Vgl. Schmidt 2005, 210 – 260. 21 Schleiermacher KGA II/13, 65 (Manuskript 1818). 22 Schleiermacher KGA II/13, 66 (Manuskript 1818); vgl. 286 – 288 (Nachschrift 1818); 115 (Manuskript 1821); 522 – 524 (Nachschrift 1821).
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und drittens Gefühlsausdruck.²³ Mit der Wesensbestimmung von Sprache als Mitteilung nimmt Schleiermacher, wie eingangs bereits erwähnt, einen Gedanken auf, den Fichte in seiner Schrift Von der Sprachfähigkeit und dem Ursprung der Sprache entwickelt hat. Die Wechselwirkung vernünftiger Wesen wird bei Fichte zum notwendigen Ausgangspunkt für die Idee der Sprache, wobei der Aspekt der Notwendigkeit in der Untersuchung des Sprachursprungs besonders wichtig ist. Programmatisch formuliert er am Beginn seiner Schrift: „Jedem, der dem Ursprung der Sprache nachforscht, muß die Sprache so gut als nicht erfunden sein: er muß sich denken, daß er sie erst durch seine Untersuchung erfinden soll.“²⁴ Fichte setzt sich damit die Aufgabe, „den Gebrauch der willkürlichen Zeichen aus den wesentlichen Anlagen der menschlichen Natur ab[zu] leiten“.²⁵ Er identifiziert im Menschen einen „Trieb der Uebereinstimmung mit sich selbst, welcher den Menschen anleitet, Vernunftmäßigkeit außer sich aufzusuchen.“ Und er fährt dann fort: „Eben dieser Trieb mußte in dem Menschen, sobald er wirklich mit Wesen seiner Art in Wechselwirkung getreten war, den Wunsch erzeugen, seine Gedanken dem andern, der sich mit ihm verbunden hatte, auf eine bestimmte Weise andeuten und dagegen von demselben eine deutliche Mittheilung seiner Gedanken erhalten zu können.“²⁶ Zurückkommend auf Schleiermacher fallen Ähnlichkeiten zu Fichte in den methodischen Überlegungen, der engen Verbindung von Sprache und Menschsein wie auch in der Wechselwirkung zwischen Menschen als Ausgangspunkt des Nachdenkens über Sprache auf.²⁷ So schreibt Schleiermacher: „Was wir […] hier über Sprache zu sagen haben muß ebenfalls ganz in den Grenzen der Beobachtung stehen bleiben also nichts von der Entstehung der Sprache in den ersten Menschen sondern nur wie sie jezt entsteht und was sie eigentlich abgesehn von aller Entstehung bedeutet“.²⁸ Der Seitenblick auf Fichte zeigt neben dem Ausgang bei der Wechselwirkung in der Mitteilung Gemeinsamkeiten der beiden Denker hinsichtlich übernommener Elemente aus der Aufklärungstradition: Schleiermacher und Fichte machen etwa im Artikulationsvermögen ein Spezifikum der menschlichen Sprache aus²⁹ und zergliedern in der Beschreibung des „Inhalts der Sprache“³⁰ unter anderem in Namen, Aussagen und Beiwörter. Die Einordung dieser Sprachbeschreibungen in eine Geschichte der Gram-
23 Vgl. Schleiermacher KGA II/13, 62 (Manuskript 1818); 281 – 284 (Nachschrift 1818); 114 (Manuskript 1821); 519 – 520 (Nachschrift 1821). 24 Fichte 1966, 97. 25 Fichte 1966, 97. 26 Fichte 1966, 102; vgl. zur Rolle eines ‚Triebs zur Gemeinschaft‘ in Schleiermachers Ethik Schleiermacher 1927, 101.111.115. 27 Vgl. zur Konjunktur des Begriffs der Wechselwirkung bei Schleiermacher und seinem philosophischen Umfeld Schmidt 2005. 28 Schleiermacher KGA II/13, 61 (Manuskript 1818); 281 (Nachschrift 1818, dort heißt es: „Wir fragen also nicht: wie ist die Sprache entstanden? sondern: wie ist sie im Menschen?“). 29 Vgl. Schleiermacher KGA II/13, 62 (Manuskript 1818); 281 (Nachschrift 1818). 30 Vgl. Schleiermacher KGA II/13, 66 (Manuskript 1818); 288 (Nachschrift 1818); 115 (Manuskript 1821); 524 – 526 (Nachschrift 1821).
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matik wäre sicher lohnend, kann hier aber nicht geleistet werden. Coseriu hält Fichtes Überlegungen zu diesen Fragen jedenfalls schon zur Zeit ihres Erscheinens für überholt. Es seien weniger die Gedanken zur Sprachwissenschaft denn die sprachphilosophischen Überlegungen, die im Bezug auf Fichte von bleibendem Interesse sind. Hier liegt auch bei Schleiermacher der Schwerpunkt seiner Darstellung in den Psychologievorlesungen. Sprache ist für ihn neben Mitteilung und Artikulation auch „Ausdruk des Gefühls“.³¹ Dabei wird sie nur noch vom Gesang übertroffen: „Denn der natürliche Ausdruck des Gefühls ist der Gesang, und alle Töne die sich dem Gesang nähern und von der Sprache entfernen wie Lachen Weinen Seufzen, Aufschrein Jauchzen […] sind unmittelbar Ausdruk des Gefühls“.³² Auch für August Wilhelm Schlegel hat der Gesang in seinen Briefen über Poesie, Silbenmaß und Sprache eine zentrale Rolle bei der Ordnung der Geselligkeit. Als besonders wichtig beurteilt Schlegel dabei den Rhythmus: „Er war es, der ausdrückende Gebärden und Töne, in denen sonst nur eingeschränkte, hartnäckige Willkür geherrscht, an ein friedliches Nebeneinandersein gewöhnte, sie zum Bande der Geselligkeit und zugleich zu ihrem schönesten Sinnbilde umschuf. Kein Wunder also, wenn Gesang und Tanz unter weniggebildeten Völkern von jeher die Seele aller Zusammenkünfte war und noch ist.“³³ Der Überschritt von Gesang und Tanz zur Dichtung liegt für Schlegel dort, wo „man sich durch Hilfe der Phantasie freiwillig aus einem ruhigen Zustand in lebhafte Regungen versetzte.“³⁴ Die Differenz von Gesang und Sprache dient bei Schleiermacher anders als in den Briefen August Wilhelm Schlegels nicht der Inszenierung der Dichtung als besondere Form des menschlichen Ausdrucks.³⁵ Schleiermacher zeigt mit der Unterscheidung die Beschränkung der Ausdruckskraft der Sprache auf, weil sie in seiner Systematisierung der rezeptiven und expressiven menschlichen Tätigkeiten zwischen Wahrnehmung und Gefühl steht.
3 Entstehung und Fortpflanzung der Sprache Die Schlüsselfrage von Herders Sprachursprungsschrift nimmt auch Schleiermacher im Abschnitt „Entstehung der Sprache“ auf und führt sie unter„Fortpflanzung der Sprache“ weiter. Schleiermacher hält dabei eine Entwicklung der Sprache nur aus Naturtönen, wie sie etwa Fichte noch konstatiert, für abwegig:³⁶ „Dergleichen mimische Onomatopöien finden sich freilich. Aber gerade die Thiernamen welch die meiste Veranlassung dazu geben sind am wenigsten so gebildet und dann findet man auch die
31 Schleiermacher KGA II/13, 62 (Manuskript 1818). 32 Schleiermacher KGA II/13, 62 (Manuskript 1818); vgl. 282 – 284 (Nachschrift 1818); 114 (Manuskript 1821); 520 – 521 (Nachschrift 1821). 33 Schlegel 1962 [1795], 177. 34 Schlegel 1962 [1795], 179. 35 Vgl. zur Ausdruckskraft der Sprache bei Schleiermacher Priesemuth 2020, 27– 32. 36 Vgl. Fichte 1966, 103 – 109.
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Nachahmungen in verschiedenen Sprachen sehr verschieden.“³⁷ Schleiermacher verdeutlicht das am Spracherwerb von Kindern. Er insistiert: Hier muß ich protestiren gegen die gemeine viel zu einseitige Vorstellung daß den Kindern die Sprache eingeflößt wird, daß sie sie bloß durch Nachahmung erlernen. Wir bemerken vielmehr in den Kindern eine ursprüngliche Productivität in dieser Hinsicht, und zwar eine zwiefache; die eine ist ein zwekloses freies Spiel aus dem Reiz der in der Entwiklung befindlichen Sprachorgane entstehend und weder auf Gefühl noch auf Wahrnehmung sich bestimmt beziehend. Sie versuchen was sich mit den Organen machen läßt. Die andere geschieht nicht wie jene im Zustand der Ruhe, sondern im Zustand der Erregung aus dem Bedürfniß des Festhaltens, und ist ein wirkliches Bezeichnenwollen, wie man aus dem Zusammentreffen mit der Gebehrde und mit einer bestimmten Richtung des Auges, und Ohrs deutlich sieht. Hierdurch würden sich die Kinder eine eigene Sprache bilden wenn sie nicht von der bereits vorhandenen sie umgebenden Sprache überwältigt würden.³⁸
Kinder erlernen dementsprechend Sprache keineswegs nur durch Nachahmung. Sie üben im freien Spiel ihre eigene Kreativität, Schleiermacher spricht von ursprünglicher Produktivität. Sie würden, so ist er überzeugt, auch eine eigene Sprache entwickeln, wenn sie nicht durch die Begegnung mit anderen Sprachen davon abgebracht würden. August Wilhelm Schlegel hat ebenfalls für eine Vereinigung von natürlicher und künstlicher Sprachbetrachtung votiert: „Die, welche alles auf die Änhlichkeit der Zeichen mit den benannten Gegenständen […] zurückführen, schränken den der menschlichen Organisation eigenen Ausdruck der Empfindung willkürlich zu enge ein […]. Will man hingegen die Sprache ganz von diesen [d. s. die Empfindungen] ableiten, so bleibt es unerklärlich, wie sie so unendlich hat erweitert und vervollkommt werden können.“³⁹ Wie bereits bei der Unterscheidung von Sprache und Gesang klar wurde, zeigt sich nun auch in Schleiermachers Überlegungen zur Entstehung der Sprache und ihrer Weitergabe eine Verbindung von natürlicher Anlage und Bildungsprozess. In den Pädagogikvorlesungen bringt er diese Unterscheidung auf die Begriffe der naturhaften und der musikalischen Seite der Sprache.⁴⁰
4 Sprache und Selbstbewusstsein Seit den Psychologievorlesungen von 1830 tritt in den Passagen über die Sprache der Begriff des Gefühls zugunsten der Rolle des subjektiven Bewusstseins bzw. des Selbstbewusstseins zurück. Dieses wird in den einschlägigen Textstellen schon in der neuen Überschrift „Form des Bewußtseins als Denken und Sprache“ deutlich.⁴¹ In Schleier37 Schleiermacher KGA II/13, 64 (Manuskript 1818); vgl. 284 – 286 (Nachschrift 1818). 38 Schleiermacher KGA II/13, 64 – 65 (Manuskript 1818); vgl. 285 (Nachschrift 1818); 115 (Manuskript 1821); 522 (Nachschrift 1821). 39 Schlegel 1962 [1795], 153. 40 Vgl. Schleiermacher KGA II/12, 522 – 523. 41 Schleiermacher KGA II/13, 155 (Manuskript 1830); vgl. 695 – 702 (Nachschrift 1830); 181 – 183 (Manuskript 1833/1834); 959 – 962 (Nachschrift 1833/1834); einen Vergleich der Jahrgänge bietet Meier 2019, 57– 60.
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machers Interpretation des Spracherwerbs von Kindern heißt es beispielsweise nun: „Mit dem Ich sagen geht erst die rechte Sazbildung an, woraus hervorgeht wie genau dieses eigenthümliche Wesen des Denkens mit dem SelbstBewußtsein zusammenhängt.“⁴² In der Satzbildung geht das Selbstbewusstsein über die Kombination von Sinneseindrücken im Schema bzw. im Bild hinaus: „Die Ansicht das Denken aus dem bildlichen Bewußstsein zu erklären ist dieselbe mit der Erklärung der Sprache aus der Nachahmung der Naturlaute.“⁴³ Mit der Veränderung der Begrifflichkeiten geht meiner Interpretation nach in der Sache keine Verschiebung zugunsten einer stärkeren Bedeutung des Bewußtseins in der Sprachauffassung einher. Eine primär poetologische Betrachtung der Sprache, ausgehend vom Bildbegriff, wie sie sich bei anderen Autoren der deutschen Frühromantik wie etwa den Brüdern Schlegel findet, lässt sich bei Schleiermacher nicht ausmachen.⁴⁴
5 Sprache und Sprachen Die Verschiedenheit von Sprachen wird in den Psychologievorlesungen von 1830 und aus den Jahren 1833/1834 explizit thematisiert. Das Problem, das sich Schleiermacher vorlegt, lautet: „Die Mannigfaltigkeit der Sprachen in Beziehung auf das Factum daß keine genau in der andern aufgeführt einerseits und auf der Identität der Vernunft andererseits zu begreifen.“⁴⁵ Wie ist die Differenz der Sprachen mit der Einheit der Vernunft zusammenzubringen? Schleiermacher schildert zwei aporetische Lösungswege: Der eine geht von der Individualität des Denkens aus, der andere von der Allgemeinheit der Sprache.⁴⁶ Beide Ansatzpunkte können letztlich gelingende Kommunikation nicht theoretisch erfassen. Von der Unübersetzbarkeit der Individualität führt kein Weg zu einer Verständigung. In seiner Akademieabhandlung Ueber die verschiedenen Methoden des Übersetzens hatte Schleiermacher dieses Problem bereits hinsichtlich der grundsätzlichen Schwierigkeiten von Sprachübertragungen angesprochen.⁴⁷ Gleich der Idee einer allgemeinen Sprache muss auch die Idee des Wissens ein Ideal bleiben. In ihrem Grundsatz ist jedoch eine solche Idee des Wissens notwendig. Hier gehen Schleiermachers Überlegungen zu Reflexionen über den Weltbegriff und den Gottesbegriff über. Damit endet seine Beschäftigung mit der Sprache im engeren Sinn in den Psychologievorlesungen.
42 Schleiermacher KGA II/13, 157 (Manuskript 1830). 43 Schleiermacher KGA II/13, 157 (Manuskript 1830). 44 Eine Übersicht dazu findet sich bei Al-Taie 2015. 45 Schleiermacher KGA II/13, 155 (Manuskript 1830). 46 Vgl. Schleiermacher KGA II/13, 159 (Manuskript 1830); vgl. 704 – 706 (Nachschrift 1830); 184 – 186 (Manuskript 1833/34); 972 – 975 (Nachschrift 1833/1834). 47 Vgl. Schleiermacher KGA I/11, 65 – 93 (Ueber die verschiedenen Methoden des Übersetzens).
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Verstehen von Sprache geht vom Verstehen von Rede aus.⁴⁸ Diese bekannte Einsicht aus Schleiermachers Hermeneutik wird vor dem Hintergrund seines Sprachverständnisses plausibel, nach dem Sprache in ihrem Wesen Mitteilung ist. Wie Gesten, Gesang und Bild ist Sprache eine Form der Bezeichnung. Sie ist nicht nur Instrument, sondern immer auch Expression des Mitteilenden. Eine Einordnung in die Schemata einer Bezeichnungs- oder Konstitutionstheorie will ebenso wenig gelingen wie eine engführende Zuordnung von Schleiermachers Sprachauffassung zu den Epochenbegriffen Aufklärung oder Frühromantik. Gerade in der Vermittlung verschiedener Positionen liegt der Reiz seiner Überlegungen, die wie sein philosophisches Denken überhaupt im Dazwischen beginnen. Auch für seine Theologie ist die wechselseitige Mittelung endlicher Subjekte in einem gemeinsamen Geist grundlegend. Sprache, so erklärt Schleiermacher in seinen Psychologievorlesungen, ist ein endliches Mittel zur Artikulation des Unendlichen.
Literatur Al-Taie, Yvonne. 2015. Tropus und Erkenntnis. Sprach- und Bildtheorie der deutschen Frühromantik, Göttingen: V&R unipress. Bertram, George. 2011. Sprachphilosophie. Hamburg: Iunius. Coseriu, Eugenio. 2015. Geschichte der Sprachphilosophie, Bd. 2: Von Herder bis Humboldt. Auf der Grundlage der nachgelassenen Aufzeichnungen des Verfassers und einer Nachschrift von Heinrich Weber und anderen, hg. v. Jörn Albrecht. Tübingen: Mohr Siebeck. Fichte, Johann Gottlieb. 1966. Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Teil 1,3: Werke 1794 – 1796, hg. v. Reinhard Lauth, Hans Jakob unter Mitarbeit von Richard Schottky. Stuttgart Bad-Cannstatt: Frommann-Holzboog. Frank, Manfred. 1977. Das individuelle Allgemeine. Textstrukturierung und -interpretation nach Schleiermacher. Frankfurt am Main: Suhrkamp. Gadamer, Hans-Georg. 1972. „Das Problem der Sprache in Schleiermachers Hermeneutik“, in: Gadamer, Kleine Schriften, Bd. 3: Idee und Sprache. Tübingen: Mohr Siebeck, 129 – 140. Kimmerle, Heinz. 1957. Die Hermeneutik Schleiermachers vor dem Hintergrund seines spekulativen Denkens. Diss., Heidelberg. Kliebisch, Udo. 1981. Transzendentalphilosophie als Kommunikationstheorie. Eine Interpretation der Dialektik Friedrich Schleiermachers vor dem Hintergrund der Erkenntnistheorie Karl-Otto Apels. Bochum: Brockmeyer. Meier, Dorothea. 2019. Schleiermachers Psychologie. Eine Phänomenologie der Seele. Baden-Baden: Ergon. Pohl, Karl. 1954. Studien zur Dialektik Friedrich Schleiermachers. Diss., Mainz. Priesemuth, Florian. 2020. Grund und Grenze des Verstehens. Hermeneutik und Theologie im Anschluss an Friedrich Schleiermacher. Berlin / Boston: De Gruyter. Rieger, Reinhold. 1988. Interpretation und Wissen. Zur philosophischen Begründung der Hermeneutik bei Friedrich Schleiermacher und ihrem geschichtlichen Hintergrund, SchlA 6. Berlin / New York: De Gruyter. Schlegel, August Wilhelm. 1962 [1795]. Briefe über Poesie, Silbenmaß und Sprache, in: Schlegel, Sprache und Poetik, Bd. 1: Kritische Schriften und Briefe, hg. v. Edgar Lohner. Stuttgart: Kohlhammer.
48 Vgl. Schleiermacher KGA II/4, 74 (Vorlesungen zur Hermeneutik und Kritik).
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Schleiermacher, Friedrich. 1927. Schleiermachers Werke, Bd. 2, hg. v. Otto Braun, Johannes Bauer. Leipzig: Meiner. Schmidt, Sarah. 2005. Die Konstruktion des Endlichen. Schleiermachers Philosophie der Wechselwirkung. Berlin: De Gruyter. Schnur, Harald. 1994. Schleiermachers Hermeneutik und ihre Vorgeschichte im 18. Jahrhundert. Studien zur Bibelauslegung zu Hamann, Herder und F. Schlegel. Stuttgart: Springer. Taylor, Charles. 2017. Das sprachbegabte Tier. Grundzüge des menschlichen Sprachvermögens, übers. v. Joachim Schulte. Berlin: Suhrkamp. Thouard, Denis. 2007. Schleiermacher. Communauté, Individualité, Subjectivité. Paris: Vrin. Volp, Rainer. 1982. „Die Semiotik Friedrich Schleiermachers“, in: Zeichen. Semiotik in Theologie und Gottesdienst, hg. v. Rainer Volp. Mainz: Grünewald, 114 – 145. Wagner, Falk. 1974. Schleiermachers Dialektik. Eine kritische Interpretation. Gütersloh: Gerd Mohn.
Piotr de Bończa Bukowski
Der Mittler. Friedrich Schleiermacher, Übersetzung und interkulturelle Kommunikation Abstract: Theorists of cultural transfer point out that personal mediators appear as main figures in intercultural mediation processes. In this context, discussions focus on specific concepts of mediation and representations of mediator figures, including Schleiermacher’s discourse on translation. Anthony Pym, one of the most prominent critics of Schleiermacher among translation scholars, refers to Schleiermacher’s influential address “On the Different Methods of Translating” (1813) as “a campaign against interculturality.” This claim, however, is contested by studies in which, for example, Schleiermacher’s figure of the mediator is related to modern intercultural discourse. In this paper, I take a stand in this controversy by interpreting the mediator figure outlined by Schleiermacher in On Religion (1799) and his Academy address on translation as a creative translator acting in the field of tension between two languages and cultures.
1 In der neueren, kritischen Übersetzungswissenschaft spielt das Konzept der Interkulturalität eine wichtige Rolle. Der Übersetzer wird als ein interkultureller Vermittler aufgefasst, als realer Mensch, welcher sich frei zwischen verschiedenen Gemeinschaften und Kulturen bewegt und „Kommunikation vermittelt“,¹ was auch zur Problematisierung seiner Zugehörigkeit beiträgt. Es wird dabei darauf hingewiesen, dass die traditionellen Übersetzungsdiskurse die Translation gewissermaßen als ein gefährliches Unternehmen betrachten, weil es mit dem Risiko des Grenzüberschreitens und des dabei möglichen Identitätsverlustes des Vermittlers verbunden ist.² Die Theoretiker des Kulturtransfers weisen darauf hin, dass personale Vermittler als Hauptfiguren in interkulturellen Vermittlungsprozessen auftreten: Sie nehmen an Vorgängen teil, die auf verschiedenen Ebenen der kulturellen Interaktion stattfinden und zahlreiche Diskurse umfassen.³ Die Behauptung, dass die Kultur dank der Arbeit dieser Mittler bereichert wird, scheint unumstritten zu sein.⁴ Aber wie man dabei
1 Jäger 2006, 13. 2 Vgl. Buden 2005, 42. 3 Vgl. Lüsebrink 2008, 133 – 134; Golka 2010, 197. 4 Peeter Torop hebt in diesem Zusammenhang die Bedeutung der Übersetzer hervor: „One of the missions of the translator is to increase the receptivity and dialogic capability of a culture, and through these also the internal variety of that culture“ (Torop 2008, 376). https://doi.org/10.1515/9783111128801-027
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Kultur verstehen sollte (etwa attributiv oder kommunikationsbedingt)⁵ und worauf sich diese Bereicherung gründet (auf welche axiologischen Prämissen), ist das Thema heftiger Diskussionen. Debattiert wird in diesem Zusammenhang unter anderem über konkrete, oft historische Vermittlungskonzepte und Darstellungen der Mittlerfiguren, darunter auch Schleiermachers Übersetzungskonzept – das vermeintliche Entwederoder seiner Theorie, welche die (positiv bewertete) Transkulturalität ausschließen soll. Einer der bekanntesten Schleiermacher-Kritiker unter den Übersetzungswissenschaftlern, Anthony Pym, bezeichnet die einflussreiche Rede „Ueber die verschiedenen Methoden des Uebersetzens“ als „a campaign against interculturality“.⁶ Aus dieser Perspektive betrachtet, ist es Schleiermachers Hauptanliegen, „zwischen Sprachen, Kulturen,Völkern, kurz, zwischen den unterschiedlichen Identitäten zu differenzieren“⁷, womit er – so die Kritiker – zum Austausch und zur Kommunikation so gut wie nichts beitrage. Dies jedoch wird in Studien widerlegt, in denen zum Beispiel Schleiermachers Mittlerfigur, die eine wichtige Rolle in den Reden über die Religion spielt, in Zusammenhang mit dem modernen interkulturellen Diskurs gebracht wird. So zählt Andreas Krebs, der sich mit Schleiermachers perspektivistischer Erkenntnistheorie in den Reden und der Dialektik befasst, den deutschen Theologen gar „zu den wichtigsten ‚Vätern‘ des interreligiösen und interkulturellen Denkens“.⁸ In dem vorliegenden Beitrag möchte ich zu dieser Kontroverse Stellung nehmen. Ich werde versuchen, die von Schleiermacher in seinen Reden Über die Religion (1799) und in seiner Akademie-Rede (1913) skizzierte (Ver‐)Mittlerfigur als einen im Spannungsfeld zwischen zwei (auch im weiteren Sinne verstandenen) Sprachen handelnden und verhandelnden, zwischen Kulturen vermittelnden, kreativen, mitgestaltenden Übersetzer zu deuten.⁹
2 Die Mittlerfigur tritt in den Reden sehr deutlich in Erscheinung, in mancher Hinsicht spielt sie in diesem Werk sogar eine fundamentale Rolle. Meine Forschungen zu Schleiermachers Verständnis von Übersetzung führten mich zu der These, dass der deutsche Theologe in den Reden Ideen formuliert, die für seinen transdisziplinären Übersetzungsdiskurs von großer Bedeutung sind. Eine dieser Ideen bezieht sich auf die Figur des „Dolmetschers“, welcher als übersetzender Mittler zwei, oft sehr weit voneinander entfernte Pole zusammenbringt (wie z. B. den Menschen und die „Menschheit“, die in ihrem Wesen unendlich ist).
5 Vgl. Golka 2010, 199. 6 Pym 1995, 22; vgl. auch Pym 2012, 13 – 35. 7 Buden 2005, 44. 8 Krebs 2011, 15 – 16. 9 Die konventionellen Bezeichnungen „Mittler“, „Vermittler“, „Sprachmittler“, „Übersetzer“ und „Dolmetscher“ verwende ich hier genderneutral.
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Die Herausforderung für den Mittler besteht darin, dass er in der Realität entgegengesetzter Kräfte agieren muss. Diese Kräfte können sich als „ein eher rezeptives Insich-Aufnehmen und ein eher produktives oder spontanes Aus-sich-Herausgehen“¹⁰ offenbaren. Indem die Mittler laut Sarah Schmidt „ein ideales Verhältnis beider Kräfte vorstellen“, also – wie im Fall der interlingualen Dolmetscher – das optimale Verhältnis der (das Fremde) rezipierenden und der expressiven Tätigkeit, repräsentieren sie „das Ziel alles Strebens“.¹¹ Als wahre Meister der Mitteilung führen sie ihre „Jünger“ letztendlich zu sich selbst und auf diesem Wege zur einer (religiösen) Gemeinschaft und Geselligkeit, die sich auf dem Verstehen und Mitteilen des Gefühls gründet.¹² Die Einsicht, dass in Schleiermachers Reden die Hörer/Leser über ein interkulturelles Feld der religionstheoretischen Reflexion geführt werden – über ein Feld also, in dem das Eigene und das Fremde aufeinandertreffen –, ist für die Diskussion über die Mittlerfigur grundlegend. Diese Beobachtung hat Krebs in seiner Abhandlung Friedrich Schleiermacher interkulturell gelesen formuliert, in der er – wie schon erwähnt – den Autor der Reden als einen der „wichtigsten ‚Väter‘ des interreligiösen und interkulturellen Denkens“ präsentiert.¹³ Schleiermacher habe, so Krebs weiter, „das Aneinanderrücken von Religionen und Kulturen auf bemerkenswerte Weise antizipiert“.¹⁴ Diese progressive Denkrichtung hänge mit „dem gedanklichen Motiv der Perspektivität“ zusammen, welches die Überzeugung ausdrücke, dass „das Gleiche unter ganz verschiedenen, nicht aufeinander reduzierbaren Blickwinkeln betrachtet werden kann, diese Blickwinkel aber nie im Sinne des Subjektivismus je für sich stehen, sondern miteinander in Kommunikation treten sollen […].“¹⁵ Schleiermachers interkulturelles Verstehen der Religionen zeige so allem Anschein nach Sensibilität und Offenheit für das Fremde, was aufs Engste mit seinem „Verständnis religiöser Vielfalt“¹⁶ zusammenhänge. Sollte dies zutreffen, wäre Pyms Kritik an Schleiermachers vermeintlich dualistischem, die Mehrsprachigkeit und Transkulturalität ausschließenden Denken offenbar geschwächt. Eine solche Schlussfolgerung ist aber problematisch. Nicht nur gehe, wie Krebs selbst einräumt, dieser „Perspektivitätsgedanke“ in Schleiermachers „späte[r] Religionstheorie verloren“, ja selbst in den Reden nehme der Redner „die Gleichwertigkeit der Religionen“ im Laufe der fortschreitenden Reflexion zurück.¹⁷ So erscheine letztendlich „Christentum als Religion der Religionen“ ¹⁸, womit die Interreligiosität und das interkulturelle Denkparadigma zunichte gemacht würden.
10 Schmidt 2005, 60. 11 Schmidt 2005, 60. 12 Vgl. Schmidt 2005, 65 – 66. 13 Krebs 2011, 15 – 16. 14 Krebs 2011, 18. 15 Krebs 2011, 23. Das Gefühl kann in diesem Kontext eine wichtige, weil vermittelnde Rolle spielen; vgl. hierzu Fürlinger 2006, 19. 16 Krebs 2011, 57. 17 Krebs 2011, 91. 18 Krebs 2011, 93.
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Nun bin ich keineswegs davon überzeugt, dass wir in den Reden von zwei Ansätzen sprechen können: einem „perspektivisch-gleichberechtigenden“ und einem „christlichhierarchischen“.¹⁹ Aus meiner Sicht ist das in den Reden zur Sprache kommende „interkulturelle“ Denkparadigma nicht mit der Idee der Gleichwertigkeit der Religionen, sondern mit dem Konzept der Translation verbunden. Laut dem einflussreichen deutschen Übersetzungswissenschaftler Hans J. Vermeer bedeutet Translation „(1) den Prozeß einer Interaktion (oder Kommunikation) über Kultur und evtl. Sprachgrenzen hinweg, die mit Hilfe eines zwischengeschalteten ‚Mittlers‘ […] vor sich geht, oder (2) das Resultat eines solchen Prozesses“.²⁰ Als (Sprach‐) Mittler können also sowohl Übersetzer als auch Dolmetscher bezeichnet werden. In Schleiermachers Reden stimuliert der Mittler – der Definition von Vermeer entsprechend – eine Kommunikation über Kultur- und Religionsgrenzen hinweg. In den Reden ist das Problem der Übersetzung vor allem mit der Figur des Mittlers verbunden, welcher als Dolmetscher des Willens und der Werke der Gottheit erscheint.²¹ Der Mittler tritt aber auch im Zusammenhang mit der Frage nach dem Transfer, nach der Übertragbarkeit verschiedener religiöser Ideen auf.²² Eine solche Übertragung sei – so Schleiermachers Redner – etwas Natürliches, ein menschliches Grundbedürfnis. Seit seiner Kindheit wolle der Mensch kommunizieren, seine Ansichten und Gefühle anderen mitteilen. Interessant ist, dass es bei dieser kommunikationsorientierten Anstrengung nicht um Begriffe, sondern um sinnliche Inhalte geht. Der Mensch will „Zeugen“, „Theilnehmer“ haben, „was zu seinen Sinnen eingeht, was seine Gefühle aufregt“.²³ Mittler sind Virtuosen im Raum der Kommunikation von Ansichten und Gefühlen, die damit verbunden sind. Diese schöpferischen Individuen, die die Gaben der Gottheit nutzen, gestalten die Welt als „Helden“, „Gesetzgeber“, „Erfinder“, „Bezwinger der Natur“ oder „gute Dämonen“. Allein durch ihre Existenz beweisen sie, dass sie „Gesandte Gottes und als Mittler zwischen dem eingeschränkten Menschen und der unendlichen Menschheit“²⁴ sind. Sie helfen, kognitive Grenzen zu überwinden, indem sie das bisher Unbekannte, das Fremde näherbringen.²⁵ Ihre Aufgabe ist also hermeneutischer Art und besteht darin, den fremden Sinn zu vermitteln, ihn in die verständliche Sprache der in ihrem Erkenntnishorizont „begrenzten Menschen“ ²⁶ zu übersetzen. Doch eigentlich sollte man hier von Sprachen reden, denn in der religiösen Sphäre ist die Wahl „der äußeren Form der Darstellung religiöser Anschauung […] jedem prinzipiell offen, es gibt
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Krebs 2011, 88. Vermeer 2006, 19. Vgl. Schleiermacher KGA I/2, 192 – 193 (1799). Vgl. de Bończa Bukowski 2023a, 106. Schleiermacher KGA I/2, 267. Schleiermacher KGA I/2, 193; vgl. de Bończa Bukowski 2023a, 107. Vgl. Schleiermacher KGA I/2, 193. Bauer 2011, 231 – 233.
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für Schleiermacher keine Sprache, in der sich religiöse Anschauung nicht ausdrücken kann“.²⁷ Aus der Perspektive eines Übersetzungsforschers erscheinen Schleiermachers Mittler als Personen, die Interaktion über spezifische Kulturkreise hinweg ermöglichen, das heißt, eine Kommunikation gewähren, welche Kultur-, Bildungs- und Gefühlsgrenzen überschreitet. Sie tragen dazu bei, dass „kommunikative Distanzen“²⁸ überwunden werden können, indem sie ein fremdes Sprachspiel in einen „den Regeln der Kommunikation mit Adressaten und Empfängern entsprechenden Text“²⁹ deutend umgestalten – wobei dieser Text als ein sprachliches Gebilde gedeutet werden kann, das die Stimme, den Ton der Unendlichkeit vermittelt. Die Vielfalt der Sprachen der Religion ist für die Mittler eine Herausforderung, da diese in der Regel auch mannigfaltige Möglichkeiten des Un- und Missverständnisses bedeutet. Und so hat auch Schleiermachers erhabene Vision des Verstehens, das sich in der Umgebung von Menschen realisiert, die Zeugnis ablegen und zuhören, ihr Gegenteil. Dieses Gegenstück, das Missverstehen, resultiert zumeist aus einem Mangel an Nähe und Gemeinschaft, aus sprachlicher, kultureller und weltanschaulicher Entfremdung. Auf dieser Grundlage wächst die Versuchung, den Kreis der Kommunikation zu schließen, eine Versuchung, der Schleiermachers Redner manchmal erliegt.³⁰ Zum Beispiel dann, wenn er seine Landsleute als die Einzigen betrachtet, „welche fähig und also auch würdig sind, daß der Sinn ihnen aufgeregt werde für heilige und göttliche Dinge“.³¹ Dies widerspricht der wesentlichen Offenheit der Kommunikation, dem dynamischen Wesen der Religion, deren Prinzip die Bewegung, die Übertragung ist. Religion, so argumentiert der Redner, sei zwar eine individuelle Angelegenheit, aber sie verwirkliche sich durch Kommunikation, durch den Ausdruck des religiösen Gefühls, „der sich wirklich mittheilt, so daß auch auf andre die Anschauung des Universums übergeht“.³² Eine solche Handlung ist in der Tat eine Übersetzung, und sie kommt aus einer Quelle, die man als Eingebung bezeichnen könnte. Alles spielt sich hier im Bereich der Freiheit ab, welche als ein dialektisches Verhältnis von Rezeption und Ausdruck erscheint. Religiös sein heißt also: zu sich selbst gehören, aber auch durch andere erkennen und durch andere werden. „Jeder Mensch“, so lesen wir in der zweiten Rede, „wenige Auserwählte ausgenommen, bedarf allerdings eines Mittlers, eines Anführers der seinen Sinn für Religion aus dem ersten Schlummer weke und ihm eine erste Richtung gebe“.³³ Ein solcher Mittler – Dolmetscher der Gottheit – ist nötig, bis wir gelernt haben,
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Schmidt 2005, 70. Neubert 2007, 26. Neubert 2007, 22. Vgl. de Bończa Bukowski 2023a, 115 – 116. Schleiermacher KGA I/2, 195. Schleiermacher KGA I/2, 241. Schleiermacher KGA I/2, 242.
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„mit eigenen Augen zu sehen“, das heißt, die Sprache der Religion erlernt haben, und sie so gut beherrschen, dass wir in ihr kommunizieren können.³⁴ Der Satz „Christentum als Religion der Religionen“ gilt als Ausgangspunkt der zeitgenössischen Kritik an jenen Aspekten von Schleiermachers Diskurs in den Reden, die der liberalen Vision religiöser Kommunikation zu widersprechen scheinen. Es ist jedoch zu beachten, dass das Christentum dem Redner aufgrund seiner Dynamik und seines wahrhaft translatorischen Charakters als besonders wertvoll erscheint. Diese Religion vermeidet die Falle der„Einförmigkeit“ und Formalisierung, weil sie durch ihre Mittler-Übersetzer das alles, was in ihr ein toter Buchstabe ist, immer wieder relativiert und so ihren Geist verjüngt, indem sie sich für andere „Anschauungen und Gefühle“ ³⁵ öffnet und sie in das Element der religiösen Kommunikation eindringen lässt. Aus diesem Universalismus ergibt sich die Notwendigkeit der Übersetzung, und zwar einer funktionalen Translation, die das Vermögen hat, in die Welt anderer Sprachen und Kulturen zu gelangen. Es ist wohlgemerkt dieses Anliegen, den Geist der christlichen Botschaft den Mitgliedern kulturell entfernter Gemeinschaften zu vermitteln, das zu dem zeitgenössischen funktionalistischen Konzept des kultursensiblen Sprachmittlers geführt hat.³⁶
3 In Schleiermachers Akademie-Rede vom 24. Juni 1813, die im 20. Jahrhundert zu einem unbestrittenen Klassiker der Übersetzungswissenschaft geworden ist, werden zwei Hauptmethoden des Übersetzens thematisiert: Bei der ersten lässt der Übersetzer „den Schriftsteller möglichst in Ruhe, und bewegt den Leser ihm entgegen“; bei der zweiten wird der Schriftsteller zum Leser bewegt.³⁷ Ich betrachte diese bildlich dargestellten Methoden als zwei mögliche Arten der Kommunikation über Kultur- und Sprachgrenzen hinweg, die mithilfe eines Mittlers realisiert werden.³⁸ In dem Vortrag „Ueber die verschiedenen Methoden des Uebersetzens“ erscheint die Tätigkeit des Übersetzers als Vermittlung, dank der Menschen einander verstehen, miteinander kommunizieren und dank der sie die Distanz, die sie voneinander trennt, überwinden können. Es ist die Distanz zwischen Nationen, ethnischen Gruppen und sozialen Klassen; sie ist überall dort zu finden, wo es Unterschiede im Sprechen und Denken gibt. Die Schwierigkeit der Aufgabe des Mittlers wächst mit der Individualität der zu vermittelnden Aussage. Sie gipfelt in „jenen geistigen Erzeugnissen der Kunst und Wissenschaft, in denen das freie eigenthümliche combinatorische Vermögen des Ver-
34 Vgl. de Bończa Bukowski 2023a, 125. 35 Schleiermacher KGA I/2, 324, 323. Auf diese Weise wirkt die Arbeit der Vermittlung gegen autoritäre Inhalte in der Kommunikation. 36 Vgl. Vermeer 1994a, 161 – 182; de Bończa Bukowski 2023a, 142 – 143. 37 Schleiermacher KGA I/11, 74 (1813). 38 Vgl. Vermeer 2006, 19.
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fassers auf der einen der Geist der Sprache mit dem in ihr niedergelegten System der Anschauungen und Abschattung der Gemüthsstimmungen auf der andern Seite alles sind, der Gegenstand auf keine Weise mehr herrscht, sondern von dem Gedanken und Gemüth beherrscht wird, ja oft erst durch die Rede geworden, und nur mit ihr zugleich da ist.“³⁹ Je größer also die Sättigung des Textes mit dem Subjektiven, dem Eigentümlichen, desto größer auch die Anforderungen, denen sich der Mittler-Übersetzer stellen muss. Er sollte mit den Ausdrucksmöglichkeiten seines Autors und dem „Geist“ der von ihm verwendeten Sprache so gut wie möglich vertraut sein. Wo aber das Eigentümliche weniger präsent ist, tritt laut Schleiermacher mehr das Objektive und damit auch das Konventionelle hervor: „Je weniger in der Urschrift der Verfasser selbst heraustrat, je mehr er lediglich als auffassendes Organ des Gegenstandes handelte und der Ordnung des Raumes und der Zeit nachging; um desto mehr kommt es bei der Uebertragung auf ein bloßes Dolmetschen an.“⁴⁰ In Anbetracht des gegenwärtigen Wissensstands über das Dolmetschen und die Fachübersetzung scheint diese Schlussfolgerung nicht ganz zutreffend zu sein, aber ich nehme an, dass es Schleiermacher hier in erster Linie darum geht, die Domäne der mechanischen, rationalisierten Kommunikation von der „organischen“ Sphäre der Kreativität zu trennen, in der das Subjekt dominiert, das die Wirklichkeit durch die Sprache interpretiert. Das „Geschäft des Dolmetschers“⁴¹ steht hier metonymisch für konventionelle, entpersonalisierte Wege der Vermittlung. Ich bin geneigt zu glauben, dass die (verwirklichte) Idee eines automatischen Mittlers, der auf der Basis der Logik, Mathematik und Statistik arbeitet und einfache interlinguale Geschäftsgespräche bzw. konventionelle Geschäftskorrespondenz übernimmt, Schleiermacher nicht befremden würde. Wohlgemerkt, der deutsche Theologe betrachtet das Dolmetschen und Fachübersetzen aus einer funktionellen Perspektive, deshalb handelt hier der Mittler stets zielorientiert und ist für Verständigung auf der arbiträr versprachlichten Sachebene verantwortlich.⁴² Wenn dagegen der Mittler auf dem Gebiet tätig ist, auf dem „das Denken regiert“ – „der Kunst und Wissenschaft“ also –, multiplizieren sich die Schwierigkeiten, welche mit dem Phänomen des In-der-Sprache-Denkens zusammenhängen. Dort, „wo mehr der Gedanke herrscht, der mit der Rede Eins ist, nicht die Sache, als deren willkührliches vielleicht aber fest bestimmtes Zeichen das Wort nur dasteht“, wird „genaue Kenntniß und […] Beherrschung beider Sprachen“ vorausgesetzt.⁴³ Jede Sprache entwickle, so Schleiermacher weiter, ihr eigenes Begriffssystem, das in seinem charakteristischen Geflecht ein kohärentes Ganzes bilde, welches in anderen Sprachen keine Entsprechung besitze. Aber auch jedes kreative Subjekt präge die 39 40 41 42 43
Schleiermacher KGA I/11, 69. Schleiermacher KGA I/11, 68 – 69. Schleiermacher KGA I/11, 68. Vgl. Vermeer 1994b, 42 – 43. Schleiermacher KGA I/11, 71.
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Sprache, die es verwendet. „In diesem Sinne also“, folgert der Gelehrte, „ist es die lebendige Kraft des einzelnen, welche in dem bildsamen Stoff der Sprache neue Formen hervorbringt, ursprünglich nur für den augenblicklichen Zweck ein vorübergehendes Bewußtseyn mitzutheilen, von denen aber bald mehr, bald minder in der Sprache zurückbleibt, und von Andern aufgenommen weiter bildend um sich.“⁴⁴ Jeder, der die Aussagen der anderen vermitteln will, muss sich dementsprechend mit der hermeneutischen Aufgabe messen: nämlich die Rede als Handlung des Redenden und Erzeugnis der Sprache zu verstehen. Das Wesen dieser hermeneutischen Aufgabe stellt uns Schleiermacher metaphorisch als einen Einfühlungsprozess dar: Man versteht die Rede auch als Handlung des Redenden nur, wenn man zugleich fühlt, wo und wie die Gewalt der Sprache ihn ergriffen hat, wo an ihrer Leitung die Blitze der Gedanken sich hingeschlängelt haben, wo und wie in ihren Formen die umherschweifende Fantasie ist festgehalten worden. Man versteht die Rede auch als Erzeugniß der Sprache und als Aeußerung ihres Geistes nur, wenn, indem man z. B. fühlt, so konnte nur ein Hellene denken und reden, so konnte nur diese Sprache in einem menschlichen Geist wirken, man zugleich fühlt, so konnte nur dieser Mann hellenisch denken und reden, so konnte nur er die Sprache ergreifen und gestalten, so offenbart sich nur sein lebendiger Besitz des Sprachreichthums, nur sein reger Sinn für Maaß und Wohllaut, nur sein denkendes und bildendes Vermögen.⁴⁵
Auf der intralingualen Ebene schon schwierig genug, wird dieser Prozess zu einer „hohen Kunst“, „wenn von den Erzeugnissen einer fremden und fernen Sprache die Rede ist“.⁴⁶ Beachten wir, dass es hier um einen simultanen und dialektischen Prozess geht: Der Mittler muss den individuellen und sprachlich-systematischen Faktor zugleich (in gegenseitiger Wechselwirkung) erfassen, sonst entgeht ihm der Sinn der Aussage, welche er übersetzen soll. Nun aber scheint in diesem Zusammenhang die Behauptung von Danica Seleskovitch plausibel zu sein, nämlich dass eine solche Sinnermittlung sowohl für das Übersetzen als auch für das Dolmetschen charakteristisch sei.⁴⁷ Dennoch wächst die Bedeutung dieser Sinnermittlung mit der Komplexität des Sinngehalts einer Aussage. Im Grunde konstituiert der Mittler-Übersetzer diese Komplexität selbst, und zwar mit seinem intentionellen Bezug zum Text – er schenkt der „Rede“ eine besondere („literarische“) Aufmerksamkeit, jedoch unter der Voraussetzung, dass sich diese als lohnend erweise. Diese Aufmerksamkeit entspringt einem Interesse daran, „wie sich das, was gesagt wird, zu dem, wie es gesagt wird, verhält“.⁴⁸ Wenn die gegebenen sprachlichen Mittel mit der individuellen Sprachgestaltung zusammengebracht werden,
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Schleiermacher KGA I/11, 71. Schleiermacher KGA I/11, 72. Schleiermacher KGA I/11, 72. Vgl. Seleskovitch 1980, 408. Culler 2002, 39.
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entsteht eine Art Überschuss auf der Sinnebene, eine gesteigerte Komplexität, welche die Aufmerksamkeit des Lesers/Hörers erregt. Das Verstehen fremder Sprachen ist in den Augen Schleiermachers die höchste Stufe der Kunst, welche zahlreiche Kompetenzen erfordert: linguistische, historische und viele andere mehr. Nicht minder schwierig ist es, dieses Verständnis durch Übersetzung anderen sprachlich zu vermitteln, das heißt, den schon erfassten Sinn sprachlich darzulegen (bzw. zu formulieren). Denn was, so lautet die Frage, solle ein Übersetzer tun, um die Aufgabe des Mittlers in dieser Hinsicht zu meistern? Um also „zwei Menschen, die so ganz von einander getrennt sind wie sein der Sprache des Schriftstellers unkundiger Sprachgenosse und der Schriftsteller selbst, […] in ein so unmittelbares Verhältniß zu bringen, wie das eines Schriftstellers und seines ursprünglichen Lesers […] ?“⁴⁹ Oder zumindest um den Adressaten im Übersetzungsprozess „dasselbe Verständniß [zu] eröffnen […] und denselben Genuß, dessen er sich erfreut, dem nämlich die Spuren der Mühe aufgedrückt sind und das Gefühl des Fremden beigemischt bleibt“.⁵⁰ Es geht also darum, die (ästhetische) Kommunikation dort herzustellen, wo wegen einer Sprachbarriere kein „Verhältnis“ zwischen dem Schriftsteller (Sender) und dem „der Sprache des Schriftstellers unkundigen“⁵¹ Leser (Zieladressaten) besteht. Dabei steht dem Mittler nur seine eigene Sprache zur Verfügung, die mit der Ausgangssprache „nirgends recht übereinstimmt“.⁵² Was kann also der Mittler tun, wenn er weder „das thörichte Unternehmen“ des Übersetzens aufgeben, noch es sich durch Paraphrase oder Nachbildung erleichtern will?⁵³ Laut Schleiermacher kann der Übersetzer, „der diese beiden ganz getrennten Personen, seinen Schriftsteller und seinen Leser, wirklich einander zuführen, und dem letzten, ohne ihn jedoch aus dem Kreise seiner Muttersprache heraus zu nöthigen, zu einem möglichst richtigen und vollständigen Verständniß und Genuß des ersten verhelfen will“,⁵⁴ grundsätzlich zwischen zwei Wegen wählen. Die schon zitierte metaphorische Charakteristik dieser Wege wurde zum geflügelten Wort der Übersetzungswissenschaft: „Entweder der Uebersetzer läßt den Schriftsteller möglichst in Ruhe, und bewegt den Leser ihm entgegen; oder er läßt den Leser möglichst in Ruhe, und bewegt den Schriftsteller ihm entgegen.“⁵⁵ Schleiermacher fügt an dieser Stelle jedoch hinzu: „Beide sind so gänzlich von einander verschieden, daß durchaus einer von beiden so streng als möglich muß verfolgt werden, aus jeder Vermischung aber ein höchst unzuverlässiges Resultat nothwendig hervorgeht, und zu besorgen ist, daß Schriftsteller und Leser sich gänzlich verfehlen.“⁵⁶ Eigentlich schafft die gewählte Metaphorik völlige
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Schleiermacher KGA I/11, 72. Schleiermacher KGA I/11, 72. Schleiermacher KGA I/11, 72. Schleiermacher KGA I/11, 73. Schleiermacher KGA I/11, 73. Schleiermacher KGA I/11, 74. Schleiermacher KGA I/11, 74. Schleiermacher KGA I/11, 74.
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Klarheit: Eine „Vermischung“ der Wege scheint gar unmöglich zu sein. Doch Schleiermachers auffällige Schwäche für den Begriff „Vermischung“, auf den er sich in seiner Vorlesung gern bezieht, erweist sich für ihn als wenig vorteilhaft. Wenn seine Kritiker recht haben, führt dieser Terminus den Mittler in einen polarisierenden, differenzierenden Diskurs ein. Aus Schleiermachers hermeneutischen Ausführungen zum Verständnis fremder Rede folgt, dass wir uns beim Übersetzen entweder auf die Vergegenwärtigung der Sprache oder auf den sich durch die Sprache mitteilenden Sprecher konzentrieren können. Die Alternative besteht darin, dass wir entweder den Leser näher an die Originalsprache bringen oder den (fremden) Autor selbst näher an den Leser heranführen. Wie ist das Letztere möglich? Indem man versucht, seinen Stil in die kommunikative Zielgemeinschaft einzubringen.⁵⁷ Zwar ist hier kein dritter Weg möglich, doch eine Art „Vermischung“ dieser Verfahrensweisen scheint nicht ausgeschlossen zu sein. Ja, in der Tat – und zwar in Form einer Vermittlung zwischen den entgegengesetzten Polen: „Die beiden getrennten Partheien müssen entweder an einem mittleren Punkt zusammentreffen, und das wird immer der des Uebersetzers seyn, oder die eine muß sich ganz zur andern verfügen […]“.⁵⁸ Es ist der Punkt des Mittlers, der die Interessen beider Seiten abwägt, der auch zwischen den Parteien verhandelt, zwischen dem Eigenen und dem Fremden balanciert (nach dem Prinzip der „fremden Ähnlichkeit“).⁵⁹ Neben den beiden oben genannten Wegen, die zur Nachbildung des Verstehens führen, gibt es nach Schleiermacher aber auch Abwege, die den Mittler nirgendwohin führen. Es ist zum Beispiel ein solcher Weg des Verstehens, wenn nach der Austilgung der Differenz zwischen dem Eigenen und dem Fremden gesucht wird. Es soll ja Menschen geben, „die solche eigenthümliche Verwandtschaft fühlen zu einem fremden Daseyn, daß sie sich in eine fremde Sprache und deren Erzeugnisse ganz hinein leben und denken“, aber auch solche, „die gleichsam das Vermögen der Sprache in seinem ganzen Umfang darzustellen bestimmt sind, und denen alle Sprachen, die sie irgend erreichen können, völlig gleich gelten“. Diese Leser „stehen auf einem Punkt, wo der Werth des Uebersezens Null wird“.⁶⁰ Denn wozu ein Mittler, wenn keine Differenz herrscht, wenn keine Verständnisdefizite entstehen? Also dann, wenn wir es vielmehr mit einer völligen Identifikation mit dem Fremden zu tun haben. Der Mittler vermittelt ja dort, wo die „Incommensurabilität“⁶¹ zwischen Denken/Denkformen und Sprache(n)
57 Vgl. Schleiermacher KGA I/11, 74 – 75. 58 Schleiermacher KGA I/11, 75. 59 In der Textwelt von Schleiermachers Platon-Übersetzungen zeigt sich dieser Raum des Dialogs als ein Feld der Verhandlung. So sind beispielsweise die drei Fassungen seiner Phaidros-Übersetzung von einem vielschichtigen Dialog begleitet – nicht nur mit Friedrich Schlegel, sondern auch (in den Fußnoten des Übersetzers) mit dem Original, den gelehrten Interpreten und potenziellen Lesern der deutschen Übersetzung (vgl. Schleiermacher KGA IV/3, 61 – 413). Im Laufe dieses Dialogs verhandelt der Übersetzer die Form seiner Arbeit, indem er zum Beispiel das Ausmaß der Übertragung von Fremdheit veränderte. 60 Schleiermacher KGA I/11, 77. 61 Schleiermacher KGA I/11, 77.
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das Verstehen erschwert; dank seiner vermittelten Kommunikation kann diese Verständigungsbarriere überwunden werden. Die Tätigkeit des Mittlers setzt ein gewisses Interesse für den Übersetzungstransfer voraus. Es ist so, wie im Falle der vermittelten Religion: Eine sich auf die Bildung stützende Neugierde ist Grundbedingung für die (vermittelte) Kommunikation. Die Tätigkeit des Mittlers setzt ferner Vertrauen voraus. Deshalb muss es eine Ethik der Mittler geben, die sich auf einer Art Gerechtigkeit gegenüber dem Text und den „getrennten Parteien“ beruft: „Wie schwer selbst daß der Uebersetzer unparteyisch, was er jedem hier hat entziehen müssen, ihm, wo die Gelegenheit es mit sich bringt, auch wirklich ersetze, und nicht, wenn gleich unwissentlich, in eine beharrliche Einseitigkeit gerathe, weil seine Neigung dem einen Kunstelement vor dem andern gewidmet ist!“⁶² Wie jeder andere Mittler muss auch der Übersetzer zu Kompromissen bereit sein. Er sollte sich durch eine sehr flexible Einstellung zur seiner Sprache auszeichnen, denn ein unerlaßliches Erforderniß dieser [verfremdenden] Methode des Uebersetzens ist eine Haltung der Sprache, die nicht nur nicht alltäglich ist, sondern die auch ahnden läßt, daß sie nicht ganz frei gewachsen, vielmehr zu einer fremden Aehnlichkeit hinübergebogen sey; und man muß gestehen, dieses mit Kunst und Maaß zu thun, ohne eigenen Nachtheil und ohne Nachtheil der Sprache, dies ist vielleicht die größte Schwierigkeit, die unser Uebersetzer zu überwinden hat.⁶³
Der Mittler steht also vor einer schwierigen Aufgabe: Er soll seinen Adressaten „das Gefühl“ vermitteln, „daß sie ausländisches vor sich haben“.⁶⁴ Dieses ist nur auf dem Wege des (oft schmerzlichen) Kompromisses erreichbar, da sich der Sprachmittler – der zumeist ein Sprachkünstler ist – in einen „Stand der Erniedrigung“ versetzen muss. Er muss nämlich sehr oft seine Muttersprache verrenken, um sie „zu einer fremden Aehnlichkeit hinüberzubiegen“⁶⁵. Diese Ethik der Vermittlung scheint mit derjenigen der Muttersprache in Konflikt zu stehen. „Wer möchte nicht seine Muttersprache überall in der volksgemäßesten Schönheit auftreten lassen, deren jede Gattung nur fähig ist? Wer möchte nicht lieber Kinder erzeugen, die das väterliche Geschlecht rein darstellen, als Blendlinge?“⁶⁶ – fragt Schleiermacher hier, wohl nicht ahnend, dass er mit diesen Worten am Ende des nächsten Jahrhunderts eine sehr kritische Reaktion hervorrufen wird. Klar ist jedenfalls, dass der Autor des Vortrags an dieser Stelle über die ja traurige Notwendigkeit der translatorischen „Entsagung“ spricht: „Wer wird sich gern gefallen lassen, daß er für unbeholfen gehalten werde, indem er sich befleißiget, der fremden Sprache so nahe zu bleiben, als die eigene es nur erlaubt“.⁶⁷ Erwähnenswert ist hierbei, dass die übersetzungswissenschaftliche Rezeptionsforschung sich heutzutage mit den von Amateurlesern im Internet publizierten Rezensionen der übersetzten li-
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Schleiermacher KGA I/11, 80. Schleiermacher KGA I/11, 81. Schleiermacher KGA I/11, 80. Schleiermacher KGA I/11, 81. Schleiermacher KGA I/11, 81. Schleiermacher KGA I/11, 81.
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terarischen Werke befasst und dass diese Rezensionen Schleiermachers These von der vermuteten „Unbeholfenheit der Sprache“ in Übersetzungen bestätigen. Ich habe dieses Phänomen als die gegen den Sprachmittler gerichtete „Schuldvermutung“ bezeichnet. Die der Ausgangssprache unkundigen Leser unterstellen in der Regel, dass alle hermeneutischen Schwierigkeiten, die mit der (fremden!) Mitteilung zusammenhängen, vom Sprachmittler verschuldet sind.⁶⁸ Da im Wesen der Sprachmittlung Verhandlung, Flexibilität und Kompromissbereitschaft liegen, muss jeder Mittler Entscheidungen anhand seiner Erfahrung und Intuition treffen. Und somit auch das Risiko eingehen, dass er sich der Kritik aussetzt, „wenn er in dem Bestreben den Ton der Sprache fremd zu halten nicht die feinste Linie beobachtet, und denen er auch so auf keinen Fall ganz entgeht, weil jeder sich diese Linie etwas anders zieht.“⁶⁹ Schleiermachers metaphorische Sprache, mit der er die Risiken der Mittler, welche die Fremdheit des Fremden in seiner Muttersprache vermitteln, veranschaulichen will, wurde von Anthony Pym kritisch analysiert.⁷⁰ Diese Sprache solle eine dualistische, ausschließende und gegenüber jeder „Vermischung“ feindliche Sichtweise zum Ausdruck bringen. Schleiermachers Auffassung deutet der australische Übersetzungswissenschaftler als kolonial, denn sie gebe „complex strategic relationships between colonialism and the excluded middle ground of Europe“.⁷¹ Und dementsprechend gelte: „It is safer, for a superficial reading of Schleiermacher, to recognize substantial intermediaries only as metaphors, according them a textual place in certain translations but no substantial place in the life of nations. This is why Schleiermacher’s text is mostly read as a theory of translation rather than as a campaign against interculturality.“⁷² Pyms Sensibilität für wertbeladene Metaphern geht, selbst wenn sie wie bei Schleiermacher in einem ironischen Modus verwendet wird, mit klaren weltanschaulichen Überzeugungen einher. Deshalb kommt er zu entsprechenden wertenden Schlussfolgerungen wie der folgenden: Schleiermacher is concerned with works of the mind rather than with objects; I argue that texts are objects that only move because of materiality. He says negotiation is only for commerce; I see it as a frame for all intercultural relationships. He excludes multilingualism as a viable alternative to translation; I believe it is often a better alternative. He says middle grounds are unhappy and insubstantial; I try to find their principles, their virtues and even their joys. He establishes a metaphorical link between translation and the movement of people; I think people that move make translation happen. He ties the translator to the receiving community; I ask if translators belong to intercultural communities of traders, negotiators, diplomats, adventurers, idlers and bastards.⁷³
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Vgl. de Bończa Bukowski 2023b, 36. Schleiermacher KGA I/11, 81. Vgl. Pym 1995, 5 – 30 und später Pym 2012, 13 – 35. Pym 1995, 24. Pym 1995, 22. Pym 1995, 23 – 24.
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Diese – an sich streng dualistische – Gegenüberstellung gründet sich auf einer fragwürdigen Interpretation. Entgegen Pyms Behauptung spielt das Konzept der Verhandlung in Schleiermachers Ausführungen zur Übersetzung eine wichtige Rolle, was ich bereits gezeigt habe. Später, von Hans-Georg Gadamer übernommen,⁷⁴ wird dieses Konzept zum Grundstein der hermeneutischen Übersetzungstheorie. Es scheint auch klar zu sein, dass Schleiermachers Mittler nicht die Mitte scheut, sondern vielmehr widersprüchliche Lösungen, die sich sowohl auf der logischen als auch auf der pragmatischen Ebene als Übersetzungssackgassen erweisen. Auf zwei weitere kritische Schlussfolgerungen von Pym werde ich näher eingehen: erstens auf die Ausschließung der Mehrsprachigkeit und zweitens auf die kulturelle Zugehörigkeit des Übersetzers. Der Diskurs der Mehrsprachigkeit wird in Schleiermachers Rede mit Erörterungen zur einer alternativen, doch eigentlich unmöglichen Übersetzungsstrategie eingeleitet: „Ja man kann sagen“, lesen wir in dem Vortrag, „das Ziel, so zu übersezen wie der Verfasser in der Sprache der Uebersezung selbst würde ursprünglich geschrieben haben, ist nicht nur unerreichbar, sondern es ist auch in sich nichtig und leer […].“⁷⁵ Die Frage, wie jemand „seine Werke in einer andern Sprache würde geschrieben haben“, erscheint Schleiermacher sinnlos, doch wichtig ist dabei, dass es hier um eine „ursprüngliche Produktion“, nicht etwa um sekundäres Schaffen geht. Weder die in gewissen Berufskreisen häufige Mehrsprachigkeit noch eine perfekte, schon im Kindesalter entwickelte Zweisprachigkeit könne den Sachverhalt ändern, dass die Gedanken des Sprechenden „kräftig aus der tiefen Wurzel einer eigenthümlichen Sprache hervortreiben“.⁷⁶ Für Schleiermacher kann es keine doppelte Eigentümlichkeit in Geist und Sprache geben, so wie es normalerweise auch keine doppelte Identität geben kann. Die sogenannten Weltbürger, die sich angeblich in zwei oder mehr Sprachgemeinschaften gleich wohl fühlten, lebten, so Schleiermacher weiter, in einer illusorischen Wirklichkeit: „Wie Einem Lande, so auch Einer Sprache oder der andern, muß der Mensch sich entschließen anzugehören, oder er schwebt haltungslos in unerfreulicher Mitte.“⁷⁷ Das In-der-Mitte-Schweben ist dementsprechend kein guter Platz für Sprachmittler. „Freischwebende“, transkulturelle Mittler würden Schleiermacher – buchstäblich – als „Doppelgänger“⁷⁸ erscheinen. In der so verstandenen „Mitte“ herrscht das Konventionelle, das Allgemeine. Obwohl eigentlich, nur in gewissem Maße, weil „auch das schlechthin allgemeine, wiewohl außerhalb des Gebotes der Eigenthümlichkeit liegend, […] doch von ihr beleuchtet und gefärbt [ist].“⁷⁹ In seinem Schleiermacher-Essay stellt Hans-Jost Frey die Frage nach den Gründen für die radikale Ablehnung des zweisprachigen Übersetzers in der Akademie-Rede. Dieser sei, behauptet Frey, „der Autor des Originals in der Sprache des Lesers“, er stehe
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Vgl. Gadamer 1993, 279 – 285. Schleiermacher KGA I/11, 85. Schleiermacher KGA I/11, 87. Schleiermacher KGA I/11, 87. Schleiermacher KGA I/11, 88. Schleiermacher KGA I/11, 89.
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also nicht „in der Mitte zwischen dem Autor des Originals und dem Leser der Übersetzung“.⁸⁰ Deshalb sei die Zweisprachigkeit, so der Zürcher Komparatist, für Schleiermachers Theorie so gefährlich. Wenn wir annehmen, dass auch der Zweisprachige nur in einer Sprache denke, so verliere er die Vertrautheit mit der ersten Sprache, wenn er in der zweiten heimisch werde.⁸¹ Zwei Muttersprachen – das bedeute für Schleiermacher, dass man seine „Identität verliert und zwischen den Sprachen, Denkweisen und Nationalitäten unheilbar suspendiert bleibt“.⁸² Frey meint, dass die Zweisprachigkeit „die äußerste Fremdheitserfahrung“ mit sich bringe, weil sich aus Schleiermachers Sicht hier zwei fremde Sprachen konstituierten, die „gerade dadurch fremd werden, daß sie beide gleich vertraut sind“.⁸³ Das Problem liegt aber, wie ich meine, woanders: Die Identität verlieren heißt in diesem Zusammenhang die Eigentümlichkeit, die in der Wechselwirkung mit dem Allgemeinen sich formende Individualität abgeben. „Geister“, die zwischen den Sprachwelten suspendiert zu sein scheinen, sind eigentlich keine Individuen und als solche können sie ja im Grunde genommen keine hermeneutische Tätigkeit unternehmen. Die von Frey richtig beobachtete Verunsicherung, die in der Akademie-Rede die Idee der Zweisprachigkeit begleitet und die mit der Vorstellung des „haltlosen Schwebens in der Mitte“ zusammengefasst wird, hat mit der„moralischen Verurteilung“ nichts zu tun. Es ist in meinen Augen eine Konsequenz der hermeneutischen Perspektive, die in der Rede dominant ist. Auch kann diese Verunsicherung nicht mit der negativen Wirkung von regulativen, essenzialistischen „Begriffen wie Ursprünglichkeit, Original, Natur, Muttersprache“⁸⁴ erklärt werden, also mit Begriffen, die – wenn man Pym und Frey Glauben schenkt – Schleiermachers Diskurs zusammenhalten. Es geht vielmehr um das Ausloten der Grenzen des Konzepts der Sprachvermittlung. Welche Art von Vermittlung ist in der gegebenen Situation optimal? Welche Methoden der Übersetzung schließen sich gegenseitig aus?⁸⁵ Welche ethischen Grundsätze sind für den Mittler verbindlich? Gibt es in der zwischenmenschlichen Kommunikation Situationen, in denen das Vermitteln suspendiert werden muss oder gar sinnlos ist? All dies hängt mit der Logik der Erfahrung des Fremden zusammen. Ist diese Erfahrung aber überhaupt möglich, wenn es die vermittelnde Instanz des Eigenen nicht gibt? Oder wenn alles gleichermaßen vertraut und fremd ist? Wenn es eigentlich keine Sprachen, sondern nur die Sprache gibt?⁸⁶ Relevant ist schließlich auch die Frage, die der aufmerksame Leser 80 Frey 1990, 30. 81 Vgl. Frey 1990, 31. 82 Frey 1990, 31 – 32. 83 Frey 1990, 33. 84 Frey 1990, 36. 85 Vgl. Schleiermachers Meinung über „verwirrendes Gemisch von Uebersetzung und Nachbildung, welches den Leser wie einen Ball zwischen seiner und der fremden Welt, zwischen des Verfassers und des Uebersetzers Erfindung und Witz umbarmherzig hin und her wirft, wovon er keinen reinen Genuß haben kann, zuletzt aber Schwindel und Ermattung gewiß genug davon trägt“ (Schleiermacher KGA I/11, 90). 86 Vgl. Frey 1990, 32.
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von Schleiermachers Reden über die Religion stellen kann: Macht das Konzept der perfekten Kommunikation – wenn also alles klar und unvermittelt von jedem vernommen wird – die Hermeneutik unbrauchbar? Dies sind wohlgemerkt Fragen, die oft im Zusammenhang mit der sogenannten interkulturellen Hermeneutik gestellt werden. Sie müssen bereits im Vorfeld jeder diesbezüglichen Diskussion geklärt werden, damit Inhalt und Anwendbarkeit des Begriffs bestimmt werden können. Sind (National‐)Kulturen geschlossene Kreise, die Heterogenität der Weltsichten ausschließen? – fragt Jörg Roche in seiner Einführung in die interkulturelle Hermeneutik.⁸⁷ Erfordert das Verlassen eines Kreises automatisch eine Entscheidung für eine andere Kultur und also einen anderen Kulturkreis? Demnach wäre eine „gleichzeitige Zugehörigkeit zu verschiedenen Weltsichten“⁸⁸ (also eine thirdculture perspective) nicht möglich. Roche weist darauf hin, dass diese Bedenken mit Wilhelm von Humboldts Vorstellung von einer organischen Verbindung zwischen Sprache und Kultur verknüpft seien.⁸⁹ Eine solche Sichtweise kann zu der Schlussfolgerung führen, „dass es im Grunde keinen Ort außerhalb des Verstehenszirkels geben […] könne“ und dass Fremdes „nur durch die Vermittlung über das Eigene“ zugänglich sei.⁹⁰ Roche schreibt ein solches Sprach- und Kulturverständnis den Vertretern der Hermeneutik zu – vor allem Martin Heidegger und Hans-Georg Gadamer. Die klassische Hermeneutik würde somit das offene Kulturverständnis negieren, dessen Anhänger auf Heterogenität und verschwommene Grenzen der Kulturen hinweisen und die Idee der Transkulturalität fördern. Nun bin ich davon überzeugt, dass Schleiermacher in seiner Rede auf der Grundlage der Hermeneutik einen kompetenten Sprach- und Kulturmittler entwirft, der auf dem interkulturellen Felde aktiv ist. Dieser Mittler hat mit Pyms Figur des in transitiver, transkultureller Realität verankerten Übersetzers wenig zu tun. Dennoch ist er wegen seiner „kultursensitiven“ Einstellung und großen Achtung vor seinem Leser ein – auch aus heutiger Sicht – effektiver Vermittler. Ich beziehe mich hier auf Schlussfolgerungen, die Hans J. Vermeer in seiner anregenden Analyse der Akademie-Rede zog. Vermeer meint, dass nach Schleiermachers Maxime der Mittler die Kultur des fremden Werkes so übersetzen müsse, „dass sich der Leser des Translats in diese (Ausgangs‐)Kultur versetzt fühlen kann“.⁹¹ Anders formuliert: „Das sog. ‚verfremdende‘ Übersetzen ist jene Strategie, die die Zielkultur für die Ausgangskultur – oder zumindest Elemente dieser Kultur – öffnet.“⁹² Die Aufgabe des Mittlers besteht also darin, die Zielsprache und -kultur derart zu erweitern, dass sein Leser mit dem Autor und mit der Ausgangskultur
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Vgl. Roche 2001, 37. Roche 2001, 37. Vgl. Roche 2001, 37. Roche 2001, 37. Vermeer 1994a, 173. Vermeer 1994a, 173.
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„im Bereich seiner Muttersprache“⁹³ in Berührung kommen kann. Denn – was Vermeer unterstreicht – [a]uch die Verfremdung, das Den-Leser-zum-Autor-Bringen, ist eine solche innerhalb einer Kultur. Der Rezipient tritt gar nicht aus seiner Kultur heraus (weil er es ja gar nicht kann); er tritt sozusagen an den äußersten Rand seiner Kultur, da, wo die andere in seine hineingenommen werden kann. Er gibt seine Kultur nicht auf; der Translator hat sie für ihn ausgeweitet.⁹⁴
Wahrlich, hier wird das Vermitteln zu einer Kunst: Es gilt, das Fremde auf einen Zweig der Muttersprache aufzupfropfen, die ja in der einheimischen Kultur verwurzelt ist. Und es scheint mir, dass die Früchte dieser Kunst wertvoller sind als diejenigen, die der von Pym lobgepriesene Verkehr der polyglotten, freischwebenden Kosmopoliten bringt.⁹⁵ Schleiermacher betrachtet diese Früchte als erworbene Schätze eines Volkes, das mit einer „vermittelnden Natur“ begabt ist. Alles, „was die verschiedensten Zeiten schönes gebracht haben“, kann dank der Sprachmittler „jeder so rein und vollkommen genießen […], als es dem Fremdling nur möglich ist.“⁹⁶ Solche Mittler zeigen Achtung vor dem Fremden, indem sie es mit dem Eigenen vereinigen und zur Grundlage der Bildung machen. Sie sind keineswegs Bewahrer des Nationalen, vielmehr arbeiten sie auf die Überwindung der nationalen „Trägheit“ hin; die Kultur kann durch die „Berührung mit dem fremden recht frisch gedeihen und ihre eigne Kraft vollkommen entwickeln.“⁹⁷ Marktgespräche, Ersatzübersetzungen, Paraphrasen und Nachdichtungen sind nicht die Domäne des Mittlers, der – als Virtuose des Rezipierens und des Mitteilens – den „geschichtliche[n] Zweck“⁹⁸ der Sprachmittlung realisiert, welcher auf eine produktive kulturelle Synthese des Fremden und des Eigenen abzielt. Auf diese Weise erneuern die Mittler den Geist, also den Sinn der Mitteilung – sowohl in der literarischen als auch der religiösen Kommunikation.
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Der Mittler. Friedrich Schleiermacher, Übersetzung und interkulturelle Kommunikation
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Anette Hagan
Schleiermachers Übersetzung der englischen Predigten Joseph Fawcetts Abstract: This paper explores Schleiermacher’s translation into German of the sermons of the English Dissenter Joseph Fawcett. Schleiermacher was faced with a twofold challenge: first, to master the cultural technique of translation, which requires rendering the original text in such a way that it resonates with the German target audience; second, to deal convincingly with Fawcett’s masterly employment of the cultural technique of quotation. Some 220 years after its publication, Schleiermacher’s translation of Fawcett’s sermons is now available as KGA IV/2 in a bilingual, synoptic layout, which allows a direct comparison between the English and the German versions. This paper has arisen out of the editorial workshop responsible for that volume. It briefly places Schleiermacher’s translations from English within the context of his intellectual biography, gives an overview of Joseph Fawcett’s background and preaching, and explains the selection and arrangement of the German version of the sermons. The primary focus, however, is on Schleiermacher’s treatment of the more than 400 quotations Fawcett employs. Curiously, the methodology here adopted is diametrically opposed to the one he would champion in his 1813 address to the Berlin Academy of Sciences “On the Different Methods of Translating” and instead chimes with that employed in a Macbeth translation that Schleiermacher reviewed very positively. This naturally raises the question of whether Schleiermacher underwent a significant change of mind regarding the best translation method.
Der Wille zum Verstehen ist ein Grundmotiv zwischenmenschlicher Kommunikation.¹
In seiner Übersetzung der zweibändigen Predigtsammlung des englischen Dissenters Joseph Fawcett² erweist Friedrich Schleiermacher sich als gedankenreicher Brückenbauer, der die Kulturtechnik des Übersetzens souverän beherrscht und methodisch differenziert bewältigt. Als er diese Arbeit 1797 in Angriff nahm, hatte er bereits erfolgreich 13 Predigten des schottischen Pfarrers und Professors Hugo (Hugh) Blair ins Deutsche übertragen.³ Fawcetts Kanzelreden stellten Schleiermacher vor neue Herausforderungen: Während Blairs Predigten stilistisch äußerst gewandt waren und sich elegant ins Deutsche übertragen ließen, waren Fawcetts weniger formvollendet und
1 Meckenstock 2008, 254. 2 Diese liegen nun erstmals nach ihrer Veröffentlichung vor 220 Jahren editorisch erschlossen vor, vgl. Schleiermacher KGA IV/2, 1 – 853. 3 Vgl. Schleiermacher KGA IV/1, 1 – 401. https://doi.org/10.1515/9783111128801-028
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zum Teil etwas ausufernd. Sie boten weit über 400 Zitate aus der Bibel und der englischen und klassischen Literatur, ohne jedoch einen einzigen Nachweis zu geben.
1 Schleiermachers Erwerb der englischen Sprache und der Entstehungskontext der Fawcett-Übersetzung Eine genaue Nachbildung der Stationen, auf denen Schleiermacher die nötigen Englischkenntnisse zu seiner Übersetzungstätigkeit erwarb, ist aufgrund der bestehenden Quellenlage nicht möglich. Allerdings gibt es ausreichend Hinweise, die zumindest eine partielle Rekonstruktion erlauben. Zunächst konzentrierte sich Schleiermachers schulische Fremdsprachenbildung auf die alten Sprachen, insbesondere auf Latein. Im Frühjahr 1783, mit 14 Jahren, trat Schleiermacher in das Pädagogikum, die Knabenanstalt der Brüdergemeinde in Niesky, ein. Spätestens hier begann für ihn der formale Unterricht in Englisch als Schulfach. Das Erlernen der englischen Sprache wurde durch den täglichen Umgang mit muttersprachlichen Lehrern und Mitschülern beträchtlich erleichtert.Von September 1785 bis April 1787 besuchte Schleiermacher das Seminar der Herrnhuter zu Barby. Der Unterricht hier umfasste auch Englisch, das mit Hebräisch als sogenanntes wahlfreies Fach für die sechste bis achte Klasse angeboten wurde. Allerdings wurde das Seminar durch keinerlei Examen abgeschlossen, und Privatstudien drängten oft die Schularbeit in den Hintergrund – ein eigentlicher Lerndruck existierte nicht. Während Schleiermachers Studium in Halle 1787 bis 1789 schärfte Schleiermachers Vater, der sich um die künftige Einkommensquelle und Karriere seines Sohnes sorgte, ebendiesem ein, ordentlich Englisch und Französisch zu treiben, damit er sich wenigstens für eine Hauslehrerstelle qualifiziere. Am 13. Dezember 1787 schrieb Johann Gottlieb Schleyermacher in einem eindringlichen Brief: Gott hat dir Fähigkeiten vor vielen Anderen verliehen; wende die besonders auch dazu an, daß Du in der Mathematik, im Englischen und Französischen Dich vervollkommnest, um damit von künftigem Herbst an wuchern und durch Information Dir selbst forthelfen zu können; vorzüglich im Englischen, worin Du schon einen sehr guten Anfang gemacht hast. Suche Gelegenheit, es als eine lebendige Sprache zu üben, fleißig die besten englischen Dichter laut zu lesen und Dir diese jetzt sehr geliebte Sprache ganz eigen zu machen. Du liebst sie ja selbst, sie wird Dir also nicht schwer fallen, und ich hoffe, wenn Du Dir ein wenig Mühe giebst und bei den Herren Professoren besonders auch auf dem Pädagogio Dich befragst, daß Du Gelegenheit finden wirst, die originelle Aussprache zu üben und sie Dir geläufig zu machen.⁴
Der vom Vater angemahnten Vervollkommnung diente möglicherweise die Englische Sprachlehre für die Deutschen von Karl Philipp Moritz, von der sich ein Exemplar in 4 Schleiermacher KGA V/I, 95 – 96 (Brief 84).
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Schleiermachers Bibliothek befand.⁵ Er mag das 1784 in Berlin gedruckte Buch bereits für die Studienzeit in Barby 1785 bis 1787 erworben haben.⁶ Seit September 1796 als reformierter Prediger an der Berliner Charité angestellt, arbeitete Schleiermacher wohl ab Anfang 1797 an der Übersetzung von Fawcetts Predigten ins Deutsche. Aus dieser Zeit stammen drei Gedankenhefte, in denen er sich aphoristische Notizen machte. Der Eintrag Nummer 22 in Gedankenheft I, das auf die Zeit von September 1796 bis Mai 1799 datiert werden kann,⁷ lautet: „So wie viele sagen ‚das verstehe ich nicht, also taugt es nicht‘, so sagen Andere ‚der versteht mich nicht also taugt er nichts‘.“⁸ Diese Beobachtung ist die einzige erhaltene Äußerung Schleiermachers mit einer gewissen Relevanz zur Sache und im weiteren Sinne zur zwischensprachlichen Verständlichkeit, die er während seiner Übersetzungstätigkeit schriftlich festhielt. Denselben Gedanken formulierte er ähnlich in Nummer 21 des Gedankenhefts II und in Eintrag 4 des Gedankenhefts III; diese Hefte sind in die Zeit von Frühjahr bis Herbst 1798 und 1798 bis 1801 datierbar,⁹ also erst nach der Publizierung der Predigtübersetzung. Das Thema Sprache und Verstehen wird Schleiermacher bis an sein Lebensende beschäftigen, es erhält insbesondere in seinen Hermeneutikvorlesungen eine systematische Gestalt. 1798 ist davon explizit jedoch noch nicht die Rede. Der Beginn seiner Übersetzung der Predigten Fawcetts, die 1795 auf Englisch erschienen,¹⁰ ist nicht dokumentiert. Wahrscheinlich unternahm Schleiermacher sie auf Anregung seines Mentors, des Hof- und Dompredigers Friedrich Samuel Gotthilf Sack. Zunächst erschien im Dezember 1797 die Übersetzung einer Einzelpredigt im Druck mit dem Titel Unsittlichkeit eine Folge des Unverstandes. Eine Rede aus dem Englischen übersetzt. Weder Autor- noch Übersetzernamen sind dem Titelblatt zu entnehmen. Es handelt sich hierbei um die fünfte Predigt aus Fawcetts zweibändigem Werk, dessen Publikation in deutscher Übersetzung in einer Fußnote für das Frühjahr 1798 angekündigt wird. Schleiermacher erwartete wohl Schwierigkeiten bei der Veröffentlichung seiner Übersetzung der Predigten des Dissenters Fawcett aufgrund des Wöllner’schen Religionsedikts von 1788, das den Einfluss der Aufklärung zurückdrängen sollte und die Zensur massiv verschärft hatte.¹¹ Der vorab veröffentlichte Einzeldruck ist mit einem Vorwort von Sack versehen, das wohl eine Absicherung Sacks vor der Zensur darstellte, indem er als Herausgeber des Separatdrucks die Verantwortung für dessen Publikation übernahm. Nach dem Thronwechsel zu Friedrich Wilhelm III. trat das Wöllner’sche Religionsedikt am 11. März 1798 mit der Bestellung einer neuen Zensurbehörde außer
5 Vgl. Meckenstock 2005, 773. 6 Ein Exemplar der zweibändigen französischen Sprachlehre von Jean du Grain, Gründliche und leichteste Anweisung zur Französischen Sprache von 1753 oder 1763 (Erstausgabe Halle 1720), befand sich ebenfalls in Schleiermachers Bibliothek, vgl. Meckenstock 2005, 705. 7 Vgl. Schleiermacher KGA I/2, XIX. 8 Schleiermacher KGA I/2, 12. 9 Vgl. Schleiermacher KGA I/2, XXVIII, XXX. 10 Vgl. Fawcett 1795. 11 Vgl. Arndt 2019, 76.
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Kraft. Der nun folgende Personalwechsel erleichterte die Publikation von Schleiermachers Übersetzung der zweibändigen Fawcett-Predigten. Allerdings hatte der separate Druck der Einzelpredigt Folgen für die Anordnung und Auswahl der englischen Predigten in der deutschen Ausgabe: Fawcetts Predigt Nummer 5 wird zur Nummer 1 in der Übersetzungsversion. Außerdem lässt Schleiermacher Fawcetts Predigten 9 und 25 unübersetzt; erstere vermutlich aus inhaltlichen Gründen,¹² letztere dann zur Wiederherstellung des ästhetischen Gleichgewichts mit derselben Anzahl von Predigten in beiden Bänden.
2 Der Prediger Joseph Fawcett, die Rezeption der Predigtsammlung und ihrer Übersetzung Joseph Fawcett wurde vermutlich 1758 in Hertfordshire geboren. 1774 immatrikulierte er sich an der Theologischen Akademie Daventry. Diese Anstalt war eine der sogenannten dissenting academies, das heißt, eine der von englischen Dissenters gegründeten und betriebenen Lehrinstitutionen. Dissenters waren ProtestantInnen, die nicht der anglikanischen Church of England angehörten. Von der Mitte des 17. bis zum 19. Jahrhundert spielten die dissenting academies eine wichtige Rolle im englischen Bildungssystem. 1780 übernahm Fawcett das Amt des Morgenpredigers an einer presbyterianischen Kirche östlich von London, wo er starke sozianisch-unitarische Tendenzen entwickelte. Seine Gemeinde stand dieser theologischen Richtung zunehmend ablehnend gegenüber. 1787 trat Fawcett von seinem dortigen Predigeramt zurück. Bereits zwei Jahre zuvor hatte er die Sonntagabendpredigten im Gemeindehaus der St. Old Jewry Kirche der englischen Presbyterianer in London wieder eingeführt. Hier wurde Fawcett zu einem der populärsten und beliebtesten Dissenter-Prediger seiner Zeit. 1795 erschien seine zweibändige Predigtsammlung im Druck. Predigtveröffentlichungen bildeten im England des ausgehenden 18. Jahrhunderts den Grundstock der Gemeinde- und Ausleihbibliotheken, wurden im Familienkreis vorgelesen oder privat studiert. Für Dissenters waren sie besonders zur Identitätsbewahrung gegenüber der dominanten anglikanischen Kirche von Bedeutung. Eine Datierung der einzelnen Predigten Fawcetts sowie Hinweise, ob er sie in ihrer vorliegenden Form als mündliche Kanzelreden hielt oder sie im Nachhinein zur Publikation aufgearbeitet hat, lässt die Quellenlage nicht zu. Im selben Jahr, 1795, gab Fawcett seine Sonntagabendpredigten im Gemeindehaus der St. Old Jewry Kirche auf, pachtete einen Hof und widmete sich der Landwirtschaft und der Poesie. Zwischen 1795 und 1801 publizierte er mehrere Antikriegsgedichte. Er starb 1804.
12 In Predigt 9 („On Self-Deception“) bezieht Fawcett sich kommentar- und kritiklos auf die Staatsform des Republikanismus und verurteilt den Mord an Staatsoberhäuptern aus Patriotismus ausdrücklich nicht, lediglich die scheinheiligen Motive, die zu einem Tyrannenmord führen können, vgl. Schleiermacher KGA IV/2, XVII.
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In England wurde Fawcetts zweibändige Predigtsammlung sehr positiv aufgenommen. Der Rezensent des Analytical Review schrieb etwa: „[H]is sermons […] will be universally thought to possess an uncommon degree of merit. […] For the full illustration of this general praise, we must refer to the volumes themselves, which, we have no doubt, will be admitted to a distinguished place in the class of English sermons“.¹³ Auch die deutschen Rezensenten sind voll des Lobes. „Diese Predigten, welche in ihrem Vaterlande als ein Meisterwerk der Beredsamkeit aufgenommen wurden, verdienen gewiß auch unter uns gekannt und bewundert zu sein.“¹⁴ Ja, „[g]eistreichere geistliche Reden, als diese sind, haben wir wenige; eben darum setzen sie aber auch sehr denkende und aufmerksame Leser voraus“¹⁵. Kritik geübt wird vor allem an Fawcetts Tendenz zur „größere[n] Ausführlichkeit […], welche ein deutscher Kanzelredner freilich nicht nachahmen darf“,¹⁶ und die als grenzüberschreitend bewertet wird. Denn Fawcetts Untersuchungen und sein Eindringen in die Materie reiche, so die Rezensenten, bis hin zur Spekulation und höre mithin auf, allgemein verständlich zu sein; „sein Vortrag verliert den Charakter einer Predigt“¹⁷ und riskiere dergestalt, den erbaulichen Zweck zu verfehlen. Schleiermachers Übersetzung der Fawcett’schen Predigten wurde durchgehend lobend besprochen. Natürlich führten die Kommentatoren keinen detaillierten Vergleich der englischen und deutschen Versionen durch, sondern gaben ihren Gesamteindruck der Übersetzung wieder. Vorschusslorbeeren hatte es schon von Friedrich Samuel Gottfried Sack gegeben: In seiner Vorrede zu Schleiermachers Übersetzung des ersten Fawcett-Bandes hob er – sicher auch im Interesse der Verkaufsförderung – bezüglich Schleiermachers Verdeutschung von Blairs Predigten hervor, „wie sehr er beide Sprachen in seiner Gewalt hat, und mit welchem feinen Gefühl er die Eigenthümlichkeiten eines geistvollen Schriftstellers aufzufassen und zu übertragen versteht“.¹⁸ Sowohl Anzeigen als auch Rezensionen der Fawcett-Übersetzungen betonen ihrerseits die philologische Fertigkeit Schleiermachers: „Der geschmackvolle, durch ähnliche Arbeiten schon rühmlich bekannte Uebersetzer hat auch diese äußeren Vorzüge in unserer Muttersprache auf eine Art wiedergegeben die selbst die Kenner des Originals befriedigen wird.“¹⁹ Und in ganz ähnlicher Weise heißt es in einer Rezension von 1804: „[Die Predigten] haben das verdiente Glück gehabt, in die Hände eines geschmackvollen und sachverständigen Uebersetzers […] zu fallen, der sie so gut bearbeitet hat, daß man durch gar nichts an eine Uebersetzung erinnert wird.“²⁰ Die beiden zitierten Kommentare, die in den führenden literarischen Magazinen der Zeit erschienen sind,
13 14 15 16 17 18 19 20
Anonymus [Rezension] 1796, 59 – 60. Anonymus [Anzeige] 1798, 5. Anonymus [Rezension] 1804, 150. Anonymus [Anzeige] 1798, 5. Anonymus [Rezension] 1804, 150. Schleiermacher KGA IV/2, 424 (1798). Anonymus [Anzeige] 1798, 5 – 6. Anonymus [Rezension] 1804, 149 – 151.
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wurden anonym publiziert, sind jedoch wohl dem Philologen Philipp Karl Buttmann zuzuschreiben. Verrisse von Schleiermachers Übersetzung der Predigten Fawcetts sind nicht zu finden. Welche Aspekte der Übersetzung sind es nun, die besonderes Lob verdienen? Erstens – laut Sack – Schleiermachers philologisches Feingefühl in Deutsch und Englisch, mithilfe dessen er die für Fawcetts Predigten charakteristischen Züge erfasst und erfolgreich ins Deutsche überträgt. Folgt man dem anonymen Rezensenten tat er dies auf eine Art und Weise, die auch RezipientInnen des englischen Originals zufriedenstellen würde. Zweitens lobt ebendieser Rezensent den Sachverhalt, dass die deutsche Version in keiner Hinsicht als Übersetzung wahrgenommen werde, sie lese sich offenbar, als sei sie von vornherein auf Deutsch verfasst worden.
3 Charakteristiken der Schleiermacher’schen Übersetzung Schleiermacher, der 1797 bereits drei Jahre eigene Erfahrungen im Kanzelreden gesammelt hatte, war sich der Ausführlichkeit und der ausschweifenden Tendenzen Fawcetts offensichtlich bewusst, und er versuchte, durch verschiedene Methoden Ausuferungen in der deutschen Fassung zu mildern. Dies erhellt besonders aus zwei Praktiken Schleiermachers: Zum einen gibt er längere Sätze im Deutschen als mehrere kürzere wieder und strafft Abschnitte, indem er Satzfolgen umstellt und dadurch entstandene Zwischenpassagen auslässt;²¹ zum anderen tilgt er stillschweigend sowohl markierte Zitate als auch unmarkierte Sätze und kürzere Textstellen. Solch ein freier Umgang mit dem Original war in der Übersetzungspraxis des ausgehenden 18. Jahrhunderts durchaus nicht ungewöhnlich.²² Abgesehen von textlichen Änderungen führt Schleiermacher in sechs Predigten selbstständig zusätzliche Abschnittskennzeichnungen zur klareren Gliederung der Predigten Fawcetts ein: entweder in der Form „Erstens – Zweytens – Drittens“ oder als „Erster Theil – Zweyter Theil“. Diese tragen erheblich zur Leseerleichterung der oft überlangen Abschnitte in den Predigten bei. Bemerkenswert ist Schleiermachers manchmal überraschende Verdeutschung einiger englischer Ausdrücke. Die folgenden Beispiele stellen eine kleine Auswahl dar. In der 1. Predigt schreibt Fawcett: „[A]re not sapience and probity, frequently found separate from each other?“²³ Schleiermacher übersetzt „probity“ mit „Gottseligkeit“ anstatt der wörtlichen „Redlichkeit“. Wo Fawcett „contest between animal desire and
21 Beispielsweise in der vierten Predigt kehrt Schleiermacher die Abfolge zweier Teilabschnitte um und lässt drei Passagen von insgesamt elf Zeilen aus, vgl. Schleiermacher KGA IV/2, 138, 21 – 141, 15. 22 Eines von vielen Beispielen, in welchem der Übersetzer gleichzeitig als Editor wirkt, bietet Friedrich Schillers Übersetzung von William Shakespeares Macbeth. 23 Schleiermacher KGA IV/2, 10 – 11.
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moral discernment“ formuliert, ändert Schleiermacher zu „Streit zwischen der thierischen Begierde und dem sittlichen Gefühl“;²⁴ „discernment“ bezeichnet eher ein intellektuelles Urteilsvermögen. Den Ausdruck doctrine übersetzt er mit dem unbestimmteren Wort „Meinung“ und „satisfied with the slenderest foundation for the sentiment“ mit „mit dem schlechtesten Grunde für die Meinung begnügen“,²⁵ wobei er die positive Assoziation von „slenderest foundation“ durch den eher negativ besetzten Ausdruck „schlechtester Grund“ wiedergibt. In der sechsten Predigt spricht Fawcett von „opportunities of rendereing moral service to mankind“²⁶. Schleiermacher übersetzt „moral service“ mit „ewige Wohlfahrt“ und betont damit das Ergebnis desselben anstatt des Dienstes selbst. Weitere implizite Interpretationen Schleiermachers finden sich beispielsweise in seiner Übersetzung von blessing mit „Freude“²⁷, von soul mit „Geist“²⁸ und peace mit „Liebe“²⁹. In der zehnten Predigt gibt Schleiermacher moral error mit „Irrthümer in geistlichen Dingen“³⁰ wieder und intelligent world mit „Geisterreich“.³¹ In Predigt 18 zitiert Fawcett Spr 8,1 aus der King-James-Bibel: „Wisdom crieth“. In der Lutherbibel steht an dieser Stelle: „Ruft nicht die Weisheit“. Schleiermacher weist diese Bibelstelle nach, übersetzt aber trotzdem wisdom mit „Wahrheit“,³² was im Kontext der alttestamentlichen Spruchweisheit auffällt. An all diesen Stellen wird exemplarisch deutlich, wie Schleiermacher selbstständig interpretierend und nicht einfach wortgetreu Fawcetts Predigten übersetzt. Schon in seinen frühen Überlegungen über den Stil aus den Jahren 1790 bzw. 1791 bemerkte Schleiermacher in Bezug auf das Übersetzen: „[W]enn man in der Sprache, aus der man übersezt, auf ein Wort stößt, das mehrere Bedeutungen haben kann, so nimmt man sehr oft in der Sprache in welche man überträgt ein Wort für die auf diesen Fall nicht passende Bedeutung, und das nicht aus Mißverstand, sondern weil man zu leicht die nemlichen Verhältnisse des Ausdruks auch in der andern Sprache voraussezt“³³ bzw. „weil man nicht deutlich genug an die verschiedenen verhältnisse und Ausdrücke der beiden Sprachen denkt“.³⁴ Auch bei seiner Verdeutschung der Fawcett’schen Predigten sind ungewöhnliche oder unerwartete Übersetzungen jedenfalls intendiert und nicht auf eine unzureichende Sprachkompetenz zurückzuführen. Und die Benutzung von Wörterbüchern hatte Schleiermacher ebenfalls begonnen, kritisch zu beurteilen. Während er in seinem ersten Gedankenheft, das zwischen 1796 und 1799 datiert werden kann, bemerkte: „Ohne Lexicon muß man oft die Bedeutung aus Ver24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34
Schleiermacher KGA IV/2, 14 – 15. Schleiermacher KGA IV/2, 18 – 19. Schleiermacher KGA IV/2, 204 – 205. Schleiermacher KGA IV/2, 212 – 213. Schleiermacher KGA IV/2, 268 – 269. Schleiermacher KGA IV/2, 326, 329. Schleiermacher KGA IV/2, 360 – 361. Schleiermacher KGA IV/2, 364 – 365. Schleiermacher KGA IV/2, 652 – 653. Schleiermacher KGA I/1, 376. Schleiermacher KGA I/14, 512 [Nachschriften zu Vorträgen „Über den Stil“ (1791)].
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gleichung verschiedener Fälle errathen“,³⁵ ging er im dritten Heft, das nach seiner Fawcett-Übersetzung entstand, einen Schritt weiter: „Man muß oft die Bedeutung eines Worts aus einer fremden Sprache nur durch die Vergleichung verschiedener Fälle errathen, trotz der Wörterbücher.“³⁶ In Schleiermachers Bibliothek stand zwar ein englisches Wörterbuch,³⁷ dieses war jedoch erst zehn Jahre nach seiner Predigtübersetzung publiziert worden. Das schließt natürlich nicht aus, dass ihm bei der Arbeit an Fawcett ein englisch-deutsches Lexikon zur Verfügung stand, das zur Zeit der Rauch’schen Auktion entweder nicht mehr vorhanden war oder aus anderen Gründen nicht zum Verkauf angeboten wurde und daher nicht im Auktionskatalog aufgeführt war.
4 Fawcetts Zitate und Zitationsweisen Schleiermachers souveräne Bewältigung der Übersetzung der Predigten lässt sich insbesondere an seiner Behandlung von Fawcetts Zitaten festmachen. In den Predigten markiert Fawcett nämlich 475 Textstellen durch Anführungszeichen. Schleiermachers Behandlung dieser Zitate erschloss sich dem Editor und der Editorin – Günter Meckenstock und mir – erst gegen Ende der Editionsarbeit. Wir edierten zuerst die englischen und danach die deutschen Predigttexte, sodass die Tatsache, dass Schleiermacher die Zitatmarkierungen Fawcetts nicht einfach übernommen und verschiedene Zitate unterschiedlich behandelt hatte, zunächst nicht auffiel. Als wir in der deutschen Version die Formulierung Schleiermachers „Beschreibung der Gerechtigkeit […], welche ein Weiser des Alterthums giebt“,³⁸ mit dem englischen Original verglichen, um den genannten Weisen womöglich identifizieren zu können, zeigte sich, dass Fawcett explizit Cicero, nämlich „Cicero’s character of justice“,³⁹ erwähnte. Warum Schleiermacher Cicero nicht beim Namen nannte – darüber lässt sich nur mutmaßen. Aber auf derselben Seite fielen uns dann zwei Textstellen auf, die Fawcett durch Anführungszeichen markiert hatte: „terror to evil doers“ und „a protection to such as do well“; Schleiermacher kennzeichnete seine Übersetzung der ersten Stelle, „den Uebelthätern ein Schrecken zu werden“, ebenfalls durch Anführungszeichen, die andere jedoch nicht.⁴⁰ Aufmerksam geworden, begannen wir, die von Fawcett durch Zitationszeichen herausgehobenen Textstellen zu identifizieren und zu analysieren. Es ergab sich folgendes Bild: 332 Stellen stammen aus der Bibel, 30 beziehen sich auf den jeweiligen Predigttext, 54 sind Literaturzitate und 59 sind rhetorisch-fiktive Einlassungen Fawcetts. Letztere reichen von direkten Anreden des Predigers an seine Leser und Aufrufen wie
35 Schleiermacher KGA I/2, 8 (Nr. 11). 36 Schleiermacher KGA I/2, 119 (Nr. 2). 37 Vermutlich C. T. Rabenhorsts The New Pocket-Dictionary of the German and English Languages, das in zweiter Auflage 1807 erschien (HR 11.12.1823), vgl. Meckenstock 2005, 886. 38 Schleiermacher KGA IV/2, 359. 39 Schleiermacher KGA IV/2, 358. 40 Schleiermacher KGA IV/2, 358 – 359.
Schleiermachers Übersetzung der englischen Predigten Joseph Fawcetts
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„be courteous“⁴¹ bis hin zu ganzen Textabschnitten.⁴² Weiter stellten wir fest, dass einerseits beileibe nicht alle Bibel- und Literaturzitate, die Fawcett markierte, wortgetreue Wiedergaben des jeweiligen Originals sind und dass andererseits nicht alle genuinen Zitate, vor allem solche aus der Bibel, auch in Anführungszeichen gesetzt sind. Darüber hinaus fanden sich unter den Bibelstellen, die Fawcett nicht als Zitate ausgewiesen hatte, auch solche, die Schleiermacher aber in seiner Übersetzung mit Anführungszeichen versehen hatte. Joseph Fawcett praktizierte also in seinen Predigten die Kulturtechnik des Zitierens ausgiebig und gekonnt, er demonstrierte auf diese Weise gleichzeitig seine Belesenheit. Die Zitate sind gewöhnlich durch An- und Abführungszeichen, im Falle von Gedichtauszügen gelegentlich auch durch Einrückungen mit oder ohne Interpunktion gekennzeichnet. Zwölf Jahre nach seiner Fawcett-Übersetzung hielt Schleiermacher in seinen Aufzeichnungen zur allgemeinen Hermeneutik von 1809/1810 fest: „Die objective Anspielung ist allemal verborgene Citation entweder einer Schriftstelle oder einer Thatsache aus klassischem Gebiete“, wobei Letztere dasjenige ist, „welches der Redende bey allen unmittelbaren Hörern als bekannt voraussetzen kann“.⁴³ Des Weiteren erinnert er daran, dass man „besonders, weil alles für die Augen gearbeitet wird, sehr an die groben Erkennungsmittel gewöhnt“ ist.⁴⁴ Fawcetts Kennzeichnungen von Zitaten durch Interpunktion stellen genau diese Art von groben, also visuell auffälligen Erkennungsmitteln dar. Durch diese Kennzeichnung sind sie für den Übersetzer allerdings noch lange nicht erschlossen. Indem Fawcett Zitate aus der Bibel, der englischen Dichtung des 17. und 18. Jahrhunderts und der klassischen Antike bestätigend, interpretierend oder kritisierend in den eigenen Gedankengang einflocht und zur Illustration und Verstärkung seiner Aussagen und Absichten in seine Predigttexte einstreute, riss er sie aus ihrem Originalzusammenhang. Nichtsdestotrotz riefen diese Kurztexte – oft lediglich Teilsätze oder auch nur Ausdrücke – mosaikartig bestimmte Kontexte auf, die dem damaligen gebildeten englischsprachigen Publikum zweifelsohne weitgehend präsent waren. Dem fremdsprachigen Leser verschließen sich unter Umständen besonders die Zitate aus der nichtbiblischen Literatur; die Aussagekraft der Anspielungen droht also, für ein deutsches Publikum zu verlöschen. Außer bei der King-James-Bibel machte Fawcett Anleihen bei den Dichtern John Dryden, Thomas Gray, Thomas Lisle, John Milton, Alexander Pope und Edward Young; desgleichen bei den Dramatikern Joseph Addison, William Sampson und William
41 Schleiermacher KGA IV/2, 512. 42 Exemplarisch kann der folgende Satz zur Illustration dienen: „Poor, departed mortal! Why did I embitter thy moment of existence? Short has been thy dance of joy; it was cruel in me to damp, for an instant, the harmony of it! Quickly hast thou passed away; I must have been a monster to disturb thy passage! A few short hours the God of nature gave thee, thou insect of a day, to sport and glitter in the sun; ah! Wherefore, during any part of it, did I prove an interposing cloud“ (Schleiermacher KGA IV/2, 246). 43 Schleiermacher KGA II/4, 99. 44 Schleiermacher KGA II/4, 100.
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Shakespeare und bei den Prosaisten William Cooper, John Harris und Edmund Hickeringill. Von den religiösen Klassikern werden Jonathan Edwards, Thomas von Kempen und das Book of Common Prayer von Fawcett zitiert. Die Autoren der klassischen Antike, aus deren Werken Fawcett schöpft, sind die römischen Dichter Cicero, Horaz und Ovid und die griechischen Autoren Aristoteles, Thukydides und Vergil. Für Schleiermacher dürften Fawcetts nichtbiblische Zitate eine besondere Herausforderung dargestellt haben, worauf auch der Umstand hindeutet, dass er kein einziges mit einem Nachweis versah.
5 Schleiermachers Umgang mit Fawcetts Zitaten Das einfachste Vorgehen bei der Übersetzung ins Deutsche hätte darin bestanden, Fawcetts Zitationsmarkierungen zu ignorieren, denn der deutsche Text wurde seinerzeit ja nicht synoptisch mit dem Originaltext publiziert. Es ist höchst unwahrscheinlich, dass eine komplette Tilgung der Fawcett’schen Zitatkennzeichnungen durch Interpunktion aufgefallen wäre. Diesen Weg schlug Schleiermacher jedoch nicht ein. Allerdings übernahm er auch nicht einfach Fawcetts Anführungszeichen, sondern nur in 241 Fällen, also für etwa die Hälfte der Zitate. Zum Teil erklärt sich diese geringere Anzahl dadurch, dass Schleiermacher benachbarte Zitate aus einer Bibelstelle, die von Fawcett separat markiert wurden, zu einem Zitat zusammenzog; einige bei Fawcett gesetzte Anführungszeichen wurden jedoch tatsächlich getilgt. Schleiermachers differenzierter Umgang mit Fawcetts Zitaten lässt sich in folgende Fälle klassifizieren: a) Er übernimmt die die Zitation anzeigende Interpunktion und gibt selbst einen Stellennachweis (103 Bibelstellen). b) Er übernimmt die die Zitation anzeigende Interpunktion und gibt keinen Stellennachweis (70 Bibelstellen, 11 Literaturzitate, 31 nicht nachweisbare, wohl rhetorischfiktive Einlassungen). c) Er übernimmt die jeweiligen Interpunktionszeichen nicht, gibt aber einen Stellennachweis (15 Bibelstellen). d) Er übernimmt die jeweiligen Interpunktionszeichen nicht und gibt auch keinen Stellennachweis (135 Bibelstellen, 40 Literaturzitate, 28 nicht nachweisbare, wohl rhetorisch-fiktive Einlassungen). e) Er fügt eigenständig Zitationszeichen dort ein, wo Fawcetts Predigten keine aufweisen (4 Bibelzitate, 3 nicht nachweisbare, wohl rhetorisch-fiktive Einlassungen). Einen großen Dienst erwies Schleiermacher dem deutschen Lesepublikum zweifellos dadurch, dass er in 110 Fußnoten 112 Bibelstellen nachwies, die Fawcett zitiert oder paraphrasiert hatte. Schleiermacher besaß eine Ausgabe der King-James-Bibel von
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1726,⁴⁵ aber eine entsprechende Konkordanz konnte in seiner Bibliothek nicht identifiziert werden. Die von ihm in Fußnoten angebotenen Nachweise geben Zeugnis nicht nur von seiner profunden Bibelkenntnis, sondern im Verbund damit auch von seiner überragenden Fertigkeit im Englischen. In der fünften Predigt zitiert Fawcett aus Spr 15,15: „[…] which the author of the proverbs calls ,a perpetual feast‘“.⁴⁶ Schleiermacher erkennt die Stelle trotz der etwas anders übersetzten Version der Lutherbibel „tägliches Wohlleben“ und gibt in einer Fußnote den entsprechenden Nachweis. Allerdings erbrachte er nicht in jedem Fall korrekte Hinweise. Eine akribische Überprüfung der Schleiermacher’schen Bibelnachweise ergab neben einer geringen Anzahl von einfachen Druckfehlern – zum Beispiel Hiob 17,18 statt 18,17⁴⁷ – auch Fälle, in denen Schleiermacher eine andere Bibelstelle angab als diejenige, die Fawcett zitiert hatte. In einigen dieser Fälle ist sein Nachweis nicht nachvollziehbar. So zitiert Fawcett in Predigt 1 eine Textstelle aus Spr 3,15: „cannot be valued with the gold of Ophir“. Schleiermacher übersetzt wörtlich „nicht gewogen werden kann gegen das Gold von Ophir“, verweist aber in einer Fußnote auf Spr 10,11.⁴⁸ In Predigt 10 zitiert Fawcett aus 1 Chr 21,13 die Stelle „let me not fall into the hand[s] of man“, was Schleiermacher zwar mit „ich will nicht in der Menschen Hände fallen“ übersetzt, aber den Nachweis 1 Kön 22,13 gibt.⁴⁹ In einem anderen Fall lässt Schleiermacher sich durch seine eigene freie Übersetzung fehlleiten. In Predigt 18 zitiert Fawcett aus Hiob 21,12 „take the timbrel, and the harp, and rejoice at the sound of the organ“; Schleiermacher ignoriert den zweiten Halbsatz, übersetzt den ersten sehr frei mit „Harfen, Psalter und Pauken“ und verweist auf Jes 5,12.⁵⁰ Hier hat die Lutherbibel „Harfen, Zithern, Pauken, Pfeifen“, allerdings in einem ganz anderen Zusammenhang als bei Hiob 21,12, woher Fawcett sein Zitat nahm. Schleiermacher sah sich beim Lesen der Fawcett’schen Predigten mit 475 als Zitat gekennzeichneten Textstellen konfrontiert. Dabei handelt es sich nicht um 475 separate Zitate, denn Fawcett verteilt Bibelstellen, literarische Zitate und seine eigenen rhetorisch-fiktiven Einlassungen gelegentlich auf zwei oder drei benachbarte Textstellen, beispielsweise in Predigt 20, wo er aus Ps 2,2 zitiert: „‚The kings of the earth‘ no longer ‚set themselves‘ or the ,rulers take counsel together against it‘.“⁵¹ Seltener wendet er das umgekehrte Verfahren an und kombiniert zwei Quellen zu einem markierten Zitat, wie in Predigt 13: „glory of the east, and glory of the earth“,⁵² wobei das erste von John Harris, das zweite von Thomas von Kempen stammt. Auffällig ist ein Abschnitt in Predigt 20, in welchem Fawcett fünf Kurztexte als Zitate markiert, von denen drei be-
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Vgl. Meckenstock 2005, 673. Schleiermacher KGA II/4, 160. Vgl. Schleiermacher KGA II/4, 191. Schleiermacher KGA II/4, 42 – 43. Schleiermacher KGA II/4, 348 – 349. Schleiermacher KGA II/4, 646 – 647. Schleiermacher KGA II/4, 698. Schleiermacher KGA II/4, 472.
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nachbarte aus demselben Psalmvers stammen. Schleiermacher tilgt die entsprechenden Anführungszeichen und kennzeichnet stattdessen im selben Abschnitt einen anderen Bibeltext als wortgetreues Zitat, dessen Herkunft aus dem Johannesevangelium er auch in einer Fußnote belegt. Fawcett formuliert an dieser Stelle frei, anstatt direkt aus der King-James-Bibel zu zitieren, und geht stillschweigend darüber hinweg, dass es sich bei dem Text um eine Bibelstelle handelt, indem er sie unmarkiert lässt.⁵³ Auch in den Momenten, in denen Schleiermacher Fawcetts Kennzeichnung von Zitaten übernimmt und die Bibelstelle nachweist, kann er durchaus das eigentliche Bibelzitat sprachlich anders wiedergeben. In Predigt 7 beispielsweise zitiert Fawcett Hiob 2,7: „From the sole of his foot to the crown of his head“. Schleiermacher übersetzt „Von der Scheitel bis zur Fußsohle“,⁵⁴ obgleich auch in der Lutherbibel die Reihenfolge „Fußsohle bis Scheitel“ steht. Schließlich lässt Schleiermacher mehrere von Fawcett markierte Zitate und Zitatteile, desgleichen auch Sätze und Halbsätze Fawcetts aus, die nicht als wörtliche Wiedergaben markiert sind. Insgesamt hat er 29 Textstellen getilgt. Notate oder Briefstellen, die seine Motivation zu diesem Vorgehen offenlegen würden, gibt es nicht. Allerdings betrifft dieses Verfahren typischerweise solche Stellen, die entweder bereits breit erörterte Sachverhalte weiter illustrieren oder die Fawcetts Bildung und Belesenheit demonstrieren, ohne jedoch sachlich Neues zu bringen. Diese Tilgungen werden erst deutlich bzw. visuell wahrnehmbar, wenn der Originaltext und die Übersetzung synoptisch nebeneinanderstehen: nämlich dort, wo ein Abschnitt in der deutschen Übersetzung kürzer ist als in der englischen Version, denn generell ist ein deutscher Text etwa ein Fünftel länger als sein englisches Gegenstück.⁵⁵ Beispiele für Tilgungen von Bibelstellen finden sich unter anderem in den Predigten 2 und 4. Im ersten Fall zitiert Fawcett Jona 2,4.6: „[L]et ‚the floods compass him about;‘ let ‚all their billows and waves pass over him;‘ let ‚the depths close round about him,‘ and ‚the weeds be wrapped round his head‘“.⁵⁶ Schleiermacher übernimmt die Zitatmarkierungen nicht, weist die Stelle auch nicht nach, er übersetzt frei: „[L]aßt die Fluthen ihn umgeben, laßt alle ihre Wogen über ihn zusammenschlagen, und die Tiefe sich über ihn verschließen“. Er tilgt also stillschweigend das letzte Zitat aus Jona 2,6.⁵⁷ Im zweiten Fall bezieht Fawcett sich auf die Pest und ihre Folgen: „We have trembled to contemplate the terrible figure of Pestilence, ‚walking in darkness‘“.⁵⁸ Schleiermacher lässt dieses von Fawcett markierte Zitat aus Jes 9,1 aus. Die plausibelste Erklärung für diese beiden Tilgungen besteht sicher darin, dass er die entsprechenden Stellen als überbordend und für sachlich entbehrlich angesehen hat. In der vierten Predigt lässt
53 Vgl. Schleiermacher KGA II/4, 698 – 699. 54 Schleiermacher KGA II/4, 232 – 233. 55 Das liegt unter anderem daran, dass deutsche Wörter länger sind als englische und dass das Deutsche eher zu Nebensätzen neigt, während das Englische das Gerundium bevorzugt. 56 Schleiermacher KGA II/4, 68. 57 Schleiermacher KGA II/4, 69. 58 Schleiermacher KGA II/4, 132.
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Schleiermacher den von Fawcett markierten Vers Jak 3,12⁵⁹ und zudem insgesamt vier rhetorisch-fiktive Sätze Fawcetts aus.⁶⁰ Ein weiterer Eingriff des Übersetzers besteht in der Umstellung von Sätzen vor und nach einer Tilgung. Zweifelsohne handelt Schleiermacher hier nach dem Grundsatz, Überflüssiges wegzulassen und die durch Weglassen entstandenen Lücken durch Satzumstellungen wettzumachen. Das Ergebnis ist ein strafferer Predigttext, wie er dem zeitgenössischen deutschen Geschmack entsprach. Mit den literarischen Zitaten Fawcetts geht Schleiermacher ebenfalls auf verschiedene Weisen um. Wiederum in Predigt 4 bringt Fawcett ein sechszeiliges, durch Einrückung und Anführungszeichen markiertes Zitat aus Miltons epischem Gedicht Paradise Lost. Schleiermacher übersetzt die Gedichtzeilen als laufenden Prosatext und integriert sie ohne Kennzeichnung als Zitat und ohne Einrückungen in seine deutsche Version.⁶¹ In Predigt 22 zitiert Fawcett eine Zeile aus dem Gedicht One Thousand Seven Hundred and Thiry Eight von Pope; die Zeile ist im englischen Original eingerückt und als Zitat typographisch kenntlich gemacht. Schleiermacher übernimmt Fawcetts Markierung, setzt das Zitat zusätzlich durch Gedankenstriche ab, integriert es aber ohne Einrückung in den laufenden Abschnitt.⁶² In Predigt 5 bringt Fawcett ein achtzeiliges, eingerücktes, aber ohne Anführungszeichen markiertes Zitat aus Grays Elegy Written in a Country Churchyard. Schleiermacher löscht das komplette Zitat ersatzlos.⁶³ Es verwundert keineswegs, dass Schleiermacher keines der nichtbiblischen literarischen Zitate Fawcetts nachweist. Wohl fanden sich in Schleiermachers Bibliothek einige der von Fawcett zitierten Werke, deren Publikationsdatum vor oder in die Zeit der Übersetzung fällt. So besaß laut Rauch’schem Auktionskatalog Schleiermacher Shakespeares The Dramatic Works (1797– 1801), den zweiten Band von Youngs Klagen, oder Nachtgedanken in der zweisprachigen Ausgabe von 1760 bzw. 1761 und das Book of Common Prayer (1795).⁶⁴ Die Publikationsjahre dieser Werke lassen natürlich keine Schlüsse auf ihr Erwerbsdatum zu, und Schleiermacher eine so profunde Kenntnis dieser Texte zuzuschreiben, dass ihm Zitate daraus ins Auge gefallen wären, ist geradezu absurd. Als Prediger lagen ihm sicher auch lediglich Nachweise von Bibelstellen am Herzen.
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Vgl. Schleiermacher KGA II/4, 137. Vgl. Schleiermacher KGA II/4, 136 – 140. Vgl. Schleiermacher KGA II/4, 146 – 147. Vgl. Schleiermacher KGA II/4, 754 – 755. Vgl. Schleiermacher KGA II/4, 190 – 191. Vgl. Meckenstock 2005, 823, 854, 680.
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6 Schleiermachers theoretische Überlegungen zur Übersetzung Schon während seines Aufenthalts in Drossen von Mai 1789 bis März 1790 beschäftigte Schleiermacher sich neben anderen literarischen Projekten mit einer Übersetzung der Nikomachischen Ethik des Aristoteles. Wohl in diesem Zusammenhang diskutierte er in einem Brief vom 22. Juli 1789 an Carl Gustav von Brinckmann verschiedene Möglichkeiten der Übersetzung. „Soll man frei, soll man getreu, soll man wörtlich übersezen? Ich glaube man muß alles mit einander verbinden frei wo es der Genius der Sprachen erfordert getreu überall und wörtlich da wo es nothwendig ist um in den Geist der Terminologie und der Ableitung der Gedanken einzudringen.“⁶⁵ Hier deuten sich bereits spätere Überlegungen an, die Schleiermacher ab 1805 in seinen Hermeneutikvorlesungen thematisieren wird. Bemerkenswert ist der flexible Ansatz, den er im Kontext der geplanten Aristoteles-Übersetzung entwickelte, da er einer doppelten Einsicht Rechnung trägt: zum einen der, dass verschiedene Sprachen einen unterschiedlichen „Genius“ haben, und zum anderen der, dass dieselbe Ausgangssprache (Schleiermacher nennt sie „Ursprache“) sowohl freie als auch wörtliche Übersetzungen erforderlich macht. Bereits in seinen Schlohbitter Vorträgen über den Stil von 1790 bzw. 1791 hatte Schleiermacher davor gewarnt, keine Wortstellungen „aus fremden Sprachen anzunehmen welche der Natur der unsrigen zuwider sind“.⁶⁶ Das Lesen eines fremdsprachigen Textes mündet erst dann in Verständnis, wenn die sprachliche und mithin auch kognitive Lücke zwischen Original- und Zielsprache durch den Übersetzer so gefüllt wird, dass er, aus seinem eigenen Kontext heraustretend, in den Sinn des Autors einzutreten vermag. Der Punkt, an dem Autor und Leser fremdsprachiger Texte sich treffen, ist also der Übersetzer – er ist es, der sich bewegt.⁶⁷ Da jeder zu übersetzende Text auch durch die Vorstellungen der ursprünglichen Zielgruppe geprägt ist, muss sich der Übersetzer sowohl der Intention des Originaltextes als auch der Absicht der Übersetzung für das fremdsprachige Publikum bewusst sein. Für eine erfolgreiche Übersetzung müssen also auch etwaige kulturelle Differenzen zwischen beiden Gruppen von Lesern berücksichtigt werden. Im Falle der angleichenden Übersetzung Schleiermachers zeigt sich die literarische und geschmackliche Differenz der Leser der englischen und der deutschen Predigten. Für ein vollkommenes Verständnis fremdsprachiger Texte ist allerdings noch mehr nötig; so stellt Schleiermacher in seiner Programmschrift Kurze Darstellung des theologischen Studiums ⁶⁸ 1811 fest:
65 66 67 68 17.
Schleiermacher KGA V/1, 141. Schleiermacher KGA I/1, 387. Vgl. Hermans 2015, 100 – 101. Erstausgabe 1811, II. Teil: Historische Theologie, Erster Abschnitt: Von der exegetischen Theologie, [§]
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„Auch Übersetzungen versteht nur derjenige vollkommen, der zugleich mit der Ursprache bekannt ist.“⁶⁹ Für die These, dass Schleiermacher während seiner Übersetzungen aus dem Englischen zwischen Ende 1794 und Anfang 1802⁷⁰ theoretische Überlegungen über Übersetzungsmethoden angestellt und ihre Motivation und Anwendungen reflektiert hätte, gibt es keinen dokumentierten Anhaltspunkt. Die Periode um die Jahrhundertwende, in literaturhistorischer Hinsicht die Zeit der Romantik, war eine Blütezeit von Übersetzungen ins und aus dem Deutschen.⁷¹ Gleichzeitig war sie geprägt von Debatten über den Ursprung und das Wesen der Sprache und der Übersetzungskultur, die unter anderem von Johann Gottfried Herder, Wilhelm von Humboldt, August Wilhelm Schlegel und Friedrich Schlegel geführt wurden. Schleiermacher verfolgte diese Diskussionen mit Interesse, bevor die Überlegungen sich in seinen eigenen Studien zur Dialektik und Hermeneutik niederschlugen. Das Sprachgebiet des Autors ist dasjenige seiner Zeit, seiner Bildung und seiner Funktion.⁷² In dieser Hinsicht gibt es sowohl deutliche Parallelen als auch weitreichende Unterschiede zwischen Fawcetts und Schleiermachers Sprachkreisen. Der kulturelle Abstand zwischen den englischen Lesern der Predigten Fawcetts und dem deutschen Lesepublikum manifestierte sich einerseits in dem weitläufigen Predigtstil Fawcetts, der in den Rezensionen in deutschen Literaturzeitungen bemängelt wurde, und andererseits in den zahlreichen von ihm eingestreuten Zitaten, die seine Bildung zur Schau stellten. Die erfolgreiche Verdeutschung dieser Predigten, die fest in dem sprachlichkulturellen Bildungskontext des Englands des ausgehenden 18. Jahrhunderts verankert waren, erreichte Schleiermacher durch seine einfühlsame und nuancenreiche Übertragung, die sich durch freie Übersetzungen, Tilgungen und Umstellungen des Originaltextes auszeichnete. Mit anderen Worten, Schleiermacher verstand es, sich in seiner Funktion als Übersetzer so zu bewegen, dass er den englischen Autor zu den deutschen Lesern brachte. Diese Methode der Übersetzung ist unter dem Stichwort Einbürgerung bekannt: Die Nachbildung des Originals geschieht derart, dass dessen sprachliche und kulturelle Fremdartigkeit verschwindet. Die deutsche Version liest sich so, als hätte Fawcett die Predigten ursprünglich auf Deutsch verfasst. Anhand der Zitatbehandlung
69 Schleiermacher KGA I/6, 274. 70 Schleiermacher arbeitete an der Verdeutschung von Blairs Predigten von Dezember 1794 bis März 1795 und von Spätsommer 1801 bis Januar 1802; die Fawcett-Predigten übersetzte er von Anfang 1797 bis März 1798. 71 Zwischen 1797 und 1802 erschienen beispielsweise Gottfried August Bürgers Leonore, Friedrich Schillers Kabale und Liebe und Maria Stuart, vier Dramen von August von Kotzebue, August Wilhelm Ifflands Die Jäger und Die Mündel, Christoph Martin Wielands Oberon und Johann Wolfgang Goethes Erlkönig, Götz von Berlichingen und Die Leiden des jungen Werther auf Englisch. Die Tieck-SchlegelscheShakespeareübersetzung fiel zum Teil in diese fünf Jahre, desgleichen deutsche Übersetzungen der Reiseberichte von James Cook, Isaac Weld, Alexander MacKenzie und anderen, auch von französischen Forschungsreisenden wie Jean-François de Galaup La Pe´rouse und François Alexandre, Duc de la Rochefoucauld-Liancourt. 72 Vgl. Rohls 2016, 35.
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wurde exemplarisch vorgeführt, wie Schleiermacher sich der Einbürgerungsmethode bediente. Schleiermachers 1813 entworfener Vortrag Von den verschiedenen Methoden des Übersetzens,⁷³ den er, wohl von seiner Platon-Übersetzung geprägt, vor der Berliner Akademie der Wissenschaften hielt,⁷⁴ lag bei seiner Arbeit an Fawcetts Predigten 1797 noch in weiter Ferne. Er wird hier lediglich zur Kontrastierung herangezogen. In diesem Akademievortrag wird er die Verfremdung, die der in der Übersetzung der Fawcett’schen Predigten praktizierten Einbürgerung diametral gegenübersteht,⁷⁵ als einzig angemessene und praktikable Methode verteidigen. Hat er also in den eineinhalb Jahrzehnten seit der Fawcett-Übersetzung einen Sinneswandel durchgemacht? Oder lässt sich ein Motiv ermitteln, warum er zunächst für Übersetzungen aus dem Englischen die Einbürgerungsmethode selbst praktizierte, sie später jedoch – wenn nicht direkt aufgrund der Erfahrung seiner Übersetzungen aus dem Altgriechischen, dann doch zumindest nach dieser Erfahrung – verwarf?
7 Eine frühe Übersetzungskritik Schleiermachers Woraus lassen sich Schleiermachers Kriterien für eine Beurteilung seiner Einbürgerung der Fawcett’schen Predigten ins Deutsche erstellen? Allgemeiner gefragt, wie lässt sich Schleiermachers frühes Verständnis einer gelungenen Übersetzung in Hinsicht auf die englische Sprache erschließen? Da die Quellenlage hierzu keine direkten Schlüsse zulässt, bietet sich der indirekte Weg der Analyse einer zeitnahen Stellungnahme Schleiermachers zu einer anderen Übertragung aus dem Englischen ins Deutsche an. Seine Rezension von Friedrich Schillers Übersetzung von Shakespeares Drama Macbeth ist in dieser Hinsicht äußerst aufschlussreich. Sie erschien im Juli 1801 in der Erlanger Litteratur-Zeitung,⁷⁶ entstand also lediglich vier Jahre nach Schleiermachers FawcettÜbersetzung. Laut seinem Begleitbrief an Gottlieb Ernst August Mehmel, den Herausgeber der Litteratur-Zeitung, hielt Schleiermacher seine Rezension „in mancher Hinsicht für ein gründliches Stük Arbeit, wozu nicht jeder die Geduld haben möchte“.⁷⁷ Mehmel selbst hat sie bewundert.⁷⁸ Etwas verhaltener lobte auch August Wilhelm Schlegel die „sehr
73 Vgl. Schleiermacher KGA II/11, 65 – 93. 74 Er hielt den Vortrag im Juni 1813; die Erstveröffentlichung erfolgte 1816 in den Abhandlungen der Akademie. 75 Sechs Monate vor dem Akademievortrag bezog sich Johann Wolfgang Goethe auf die Dichotomie der beiden Methoden der Verfremdung und Einbürgerung in seiner Rede zum Tode Wielands; ursprünglich geht sie wohl auf Cicero zurück. Schleiermacher ist jedenfalls nicht der Urheber der Unterscheidung zwischen den Übersetzungsmethoden der Einbürgerung und der Verfremdung. 76 Vgl. Schleiermacher KGA I/3, 377– 398. 77 Schleiermacher KGA V/5, 173 (Brief 1079). 78 Vgl. Schleiermacher KGA V/5, 184 (Brief 1083).
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respektable Probe“ von Schleiermachers Philologie.⁷⁹ Im Vergleich mit früheren Übersetzungen ins Deutsche charakterisiert Schleiermacher Schillers Übertragung des Macbeth als eine „dem Original so ungleich nähere Nachbildung“.⁸⁰ Seine Rezension kreist vor allem um die Frage, ob und inwiefern die von Schiller besorgte Übersetzung die deutsche Mentalität treffe oder nicht treffe. Auch hier bringt er also als Kriterien die Kunstgriffe und den Erfolg der Übersetzungsmethode der Einbürgerung zur Sprache. Wie Schleiermachers Fawcett-Übersetzung ist auch Schillers Macbeth-Übersetzung von einer Reihe ändernder Eingriffe geprägt: Tilgungen von dramatischen Personen und ganzen Szenen nahm Schiller, wie Schleiermacher vermutet, aus theatertechnischen Gründen vor, nämlich um häufige Bühnenbildwechsel zu vermeiden und weil er große Szenen für wirksamer hielt als kleine. Schleiermacher begrüßt Schillers Einsparungen, wobei sein Blick allerdings durchweg auf das deutsche Publikum gerichtet ist, weniger auf die Effekte für die Schaubühne als solche. Bestimmte Szenen des englischen Macbeth sind laut Schleiermacher „einem teutschen Zuschauer so gut als leer“ ⁸¹, wie zum Beispiel der von Shakespeare intendierte Kontrast zwischen England und Schottland, der am deutschen Publikum verloren gehe.⁸² Bemerkenswert ist, dass Schillers Tilgungen von Personen und Szenen, mit denen das deutsche Publikum nichts anfangen könne, in Schleiermachers Augen nicht weit genug gingen: Es „giebt […] noch Stellen genug, die im Teutschen unverständlich sind, und also entweder hätten geändert oder weggelassen werden müssen“.⁸³ So rügt er Schiller beispielsweise dafür, dass er „uns nicht die Beschreibung von den letzten Augenblicken des Than von Cawdor erspart, die für den Teutschen eine leere Stelle“ sei.⁸⁴ Veränderungen anderer Art wie Kürzungen, Umstellungen und eigenwillige Wortübersetzungen sind laut Schleiermacher von Schiller „des Publikums und des Anstandes wegen“ vorgenommen worden.⁸⁵ Der Mentalität und der kulturellen Sensibilitäten des zielsprachigen Publikums trug Schiller also durch seine editorischen Eingriffe, die das moderne Verständnis von Übersetzung übertreffen, Rechnung. Die Konsequenzen reichen bis in die Semantik hinein. So kontrastiert Schillers Beschreibung der drei Hexen als „grau von Haaren“ und „riesenhaft“⁸⁶ stark mit Shakespeares Charakterisierung als „wither‘d“ ⁸⁷, wörtlich also „ausgedorrt“ oder „verkümmert“. In der deutschen Version sind sie nun keine Hexen mehr, sondern „wahrhafte ‚Schicksalsschwestern‘“⁸⁸. Dies ist nur ein Beispiel von vielen, die Schleiermacher im Zusammenhang der kulturellen
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Vgl. Schleiermacher KGA V/5, 192 (Brief 1092). Schleiermacher KGA I/3, 379. Schleiermacher KGA I/3, 380. Vgl. Schleiermacher KGA I/3, 380. Schleiermacher KGA I/3, 394. Schleiermacher KGA I/3, 380. Schleiermacher KGA I/3, 386. Schleiermacher KGA I/3, 388. Schleiermacher KGA I/3, 388. Schleiermacher KGA I/3, 388.
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Unterschiede ausführt. Gleichzeitig konzediert er, dass eine solche Art der Übersetzung „die ganze Natur des [Werkes] afficirt“.⁸⁹ Besonders aufschlussreich im Hinblick auf die Predigtübersetzungen ist Schleiermachers folgende Erklärung: „Bedeutende Abweichungen sind Theils Abkürzungen und Veränderungen, wo der Ausdruck zu gehäuft schien, um noch zu gefallen, oder zu künstlich, um von dem an die schlechte oder unwitzige Prosa gewöhnten Hörer sogleich verstanden zu werden“.⁹⁰ Hier artikuliert Schleiermacher also die Motive für seinen eigenen Umgang mit Fawcetts Predigten: Textstraffung und kulturelle Adaption. An diesem Punkt lässt sich über mögliche Gründe für Schleiermachers Bevorzugung der Einbürgerungsmethode sowohl bei den Fawcett-Predigten als auch bei Schillers Macbeth-Übersetzung nur mutmaßen. Erstens könnte es eine Rolle spielen, dass es sich beim Englischen, anders als beim Altgriechischen, um eine lebendige Sprache handelt. Bei Übersetzungen aus lebendigen Sprachen fällt die zeitliche Differenz zwischen Original- und Zielsprache weg. Anders als bei Übertragungen aus den klassischen Sprachen muss der Übersetzer nur die kulturelle Kluft zwischen Autor und fremdsprachigen Lesern überbrücken. Dies gilt für die Fawcett-Predigten, die ja nur zwei Jahre vor Schleiermachers Übersetzung veröffentlicht wurden, ebenso wie für Schillers Version von Macbeth, obwohl der Sprachstand des Shakespear’schen Englisch zur Zeit der Schiller’schen Übertragung bereits 200 Jahre alt war. Englisch war nach wie vor eine lebendige Sprache, und Verständnisschwierigkeiten würden dem deutschen Publikum laut Schleiermachers Rezension nicht aus veralteten Sprachkonventionen erwachsen, sondern aus mentalitätsbestimmten und inhaltlich-historischen „Leerstellen“, eben aus kulturellen Unterschieden. Schleiermacher selbst überbrückte bei der Fawcett-Übersetzung die aus der kulturellen Dimension erwachsenen Leerstellen, wie seine Rezensenten bestätigten, mit großem Erfolg, da sie gar nicht als Übersetzung wahrgenommen wurde. Zweitens könnte auch der Blick auf das unterschiedliche Lesepublikum relevant gewesen sein: Die Übersetzungen sowohl der Predigten als auch der Shakespear’schen Dramen waren jedenfalls für eine breitere und im Allgemeinen wohl weniger hochgebildete Leserschaft intendiert als die Platon-Übersetzungen. Es ist natürlich auch möglich, dass Schleiermachers kompromisslose Befürwortung der Verfremdungstheorie in seiner Akademierede tatsächlich einen Sinneswandel gegenüber seinen frühen Übersetzungen bekundet. Verschiedene Sprachen erfordern hinsichtlich der jeweiligen Zielsprache unterschiedliche Übersetzungsmethoden. Gleichzeitig führt der Übersetzer unweigerlich „den ihm eigenen Verständnishorizont immer mit sich“.⁹¹ Schleiermacher war sich seiner Standortgebundenheit als Übersetzer der englischen Predigten bewusst, was sich nicht zuletzt in seinen Behandlungen – Straffungen und unterschiedliche Zitatbehandlungen – für das deutsche Lesepublikum niederschlug. Für den Schleiermacher der
89 Schleiermacher KGA I/3, 387. 90 Schleiermacher KGA I/3, 392. 91 Gräb 1985, 55.
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Predigtübersetzungen und den Rezensenten der Dramaübersetzung war die Einbürgerung die angemessene Übersetzungsmethode.
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Christian Berner, Denis Thouard
Schleiermacher en français Abstract: This paper provides a brief overview of the many ways in which Schleiermacher’s writings have been translated into French over the course of two centuries as well as few examples of the specific difficulties met by translators due to the nearly oral form of his texts and the plasticity of his style. The bibliography comprises a comprehensive list of French and Italian translations to date.
Traduire Schleiermacher Traduire Schleiermacher suppose de la part des traducteurs de prendre en compte la spécificité des textes rapportés à ce nom, mais aussi la disposition du public auquel ces traductions s’adressent. Ces différences de perspective éclairent en partie le rythme des traductions, les circonstances de leur apparition ainsi que leur conception. Quand il s’agit de viser un lectorat protestant dans la France du XIXe siècle, c’est autre chose que lorsqu’il est question d’introduire à un classique du romantisme allemand dont la traduction avait été encouragée et accélérée par le programme de traduction arrêté du temps de l’occupation allemande, ou encore quand il s’agit de fournir des textes philosophiques répondant au canon de l’idéalisme allemand. Les traductions de Louis Segond, traducteur d’une version fort répandue de la Bible protestante,¹ sont ainsi bien différentes de la version des Discours sur la religion effectuée par le germaniste IsaacJulien Rouge en 1944, ou que les traductions des dernières décennies, qui couvrent notamment les grands textes philosophiques. Au moins trois grandes périodes sont ainsi à distinguer, avec leurs caractéristiques propres, qu’il convient de rapprocher des grandes tendances d’une histoire des traductions en langue française. Par ailleurs, les textes philosophiques et théologiques visent des publics différents, appelant des stratégies contrastées de traduction (car les travaux philologiques, importants pour leur incidence, notamment s’agissant de Platon, ne furent guère traduits, mais directement pris en compte, notamment par Victor Cousin, qui rendit visite à Schleiermacher et en fut vivement impressionné²). Ces différentes catégories d’écrits peuvent être encore davantage différenciées en prenant en compte la facture des textes. Pour appuyer cette remarque sur des éléments
1 Louis Segond (1810 – 1885), théologien suisse. La version Segond (1880) a été constamment révisée, notamment par l’Alliance Biblique Universelle, jusqu‘au XXIe siècle et figure parmi les versions les plus diffusées de par le monde. 2 « Quoi qu’en dise M. Ancillon, la traduction de Platon est un travail admirable, au-dessus de toute comparaison avec les traductions du philosophe grec qu’on a essayées en Italie, en Angleterre et en France » (Cousin 1857, 137– 141 ; Cousin 2011, 103 – 106, 215). https://doi.org/10.1515/9783111128801-029
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concrets, nous proposons de considérer ici deux spécificités de la traduction de Schleiermacher : l’oralité et la plasticité. Schleiermacher a relativement très peu écrit. La masse de ses œuvres – l’édition Reimer considère bien des Sämmtliche Werke – réunies dans l’édition critique, Kritische Gesamtausgabe, parait démentir cette assertion. Cependant la majorité de ses textes renvoient à une pratique orale. C’est le cas des sermons, bien sûr, mais aussi des cours, évidemment, et des discours académiques. Souvent, ces textes ont été rédigés après coup, mis au propre, ou nous en disposons à la faveur de transcriptions d’auditeurs, de Nachschriften. Ce que Schleiermacher a lui-même véritablement écrit, ce sont quelques œuvres de jeunesse, les Monologues, la Fête de Noël, ce qui avait vocation à prendre la place de manuels comme l’Encyclopédie théologique en abrégé, la Glaubenslehre, l’introduction à la dialectique de 1833, quelques lettres… guère plus. Il y a aussi les Discours sur la religion, qui justement sont des discours, très écrits et cependant conservant l’élan de l’oralité. Ces textes issus de l’oral mis par écrit ou feignant l’oralité, à la frontière de ce que Wulf Oesterreicher nommait la Verschriftung, simple calque de l’oral, et de la Verschriftlichung, codage prenant en compte les contraintes de l’écriture, présentent des difficultés spécifiques.³ Ils renvoient tout d’abord plus nettement à leur contexte d’énonciation – fût-il fictif – que des textes « écrits », qui incluent les règles de leur déchiffrement. Ici le lecteur doit suppléer davantage, être, comme tout bon auditeur, actif dans sa lecture. Plus importante encore est la temporalité propre de ces textes. Ils se déploient sur un rythme oratoire dont l’étendue excède les conventions de l’écrit. Ainsi, traduire un discours académique suppose de recomposer la cohérence de mouvements de pensée qui s’enchaînent, sans accorder par exemple à une concession ou à une négation une portée trop grande. La ponctuation n’est pas toujours un indicateur absolument fiable, puisqu’elle est apportée après coup. Les modèles de la rhétorique antique, avec de longues protases et de plus brèves apodoses, sont repris avec souplesse, mis au service d’une parole qui, dans le souci de la cohérence dialectique, laisse un espace pour l’invention, voire l’improvisation (notamment dans le cas des sermons qui, par leur retour régulier, ne pouvaient faire l’objet à chaque fois d’une détermination très poussée avant leur performance). La temporalité du déroulement des mouvements oratoires, leur rythme, leur cadence, constitue ainsi une part essentielle de ces textes. Ce que le traducteur doit parvenir à faire passer dans sa langue et avec ses moyens, c’est le fil du discours, puisque c’est lui qui représente la subjectivité du locuteur. L’unité du discours est temporelle. Le ton et le débit la constituent physiquement à l’oral. Une fois écrits, c’est l’abondance des particules et des conjonctions qui sert de guidage dans la subjectivité de ces textes. Ils indiquent le dynamisme des relations entre les éléments du discours, les éloignements, rapprochements ; bref, ils spatialisent l’élocution et donnent forme par là à la pensée se développant. Il ne s’agit pas pour le traducteur de les rendre littéralement, car ce sont
3 Cf. Oesterreicher 1993, 267– 292.
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des éléments qui le plus souvent sont à peine porteurs de signification, et pourtant il faut les prendre en compte en tant qu’ils tissent le fil de l’élocution d’où dépend finalement la constitution du sens. Le traducteur doit ici méditer l’herméneutique. Il peut s’inspirer du travail accompli par Schleiermacher lui-même à propos de Platon.⁴ Georg Wilhelm Friedrich Hegel est un écrivain dans la Phénoménologie de l’esprit ou la Science de la logique. Ce n’est pas le cas de Schleiermacher, qui est bien plus un orateur, avec la capacité de devenir à l’occasion un improvisateur. Les témoignages dont nous disposons de son enseignement insistent bien souvent sur cette dimension. La mise au propre de la Glaubenslehre lui a coûté, la formulation dogmatique n’était pas l’aspect qui le séduisait le plus. Il s’épanouissait davantage dans l’oralité, où il pouvait suivre le principe de l’autocorrection permanente propre au médium oral et ignorer le fétichisme de l’expression. La récurrence de l’opposition entre la lettre et l’esprit dans les Discours sur la religion dit aussi cela. La plasticité de sa langue est intimement liée à cette temporalité. Elle fait que, tout en s’appuyant sur un cadre conceptuel qui parfois peut paraître formel et schématique, sa pensée proprement dite s’échappe des formules toutes faites et invente des formes inédites pour les concepts neufs qu’il propose. Plus encore que Hegel auquel pourtant notre langue philosophique doit de nombreux termes, comme l’en soi et le pour soi (peut-être tiré des Grundlinien einer Kritik der bisherigen Sittenlehre ?), Schleiermacher a inventé des concepts en produisant des lexicalisations d’expressions qui posent de redoutables problèmes à leur traducteur. C’est en particulier le cas des lemmes introductifs à la Glaubenslehre. Au § 4, nous trouvons ainsi des formulations qui s’appuient sur le lexique de l’idéalisme allemand (Johann Gottlieb Fichte, Friedrich Wilhelm Joseph Schelling), mais l’infléchissent de façon critique ; ainsi de «Sichselbstnichtsogesetzthaben», ou bien de « Irgendwiegewordensein». Un travail de formulation spécifique se concentre sur les modalités, de même que le rapport à l’absolu passe dans une formulation adjective (« schlechthinnig abhängig ») ou adverbiale (« schlechthinnige Abhängigkeit »), de même le travail des concepts les désubstantialise pour introduire en eux les relations modales : nous trouvons ainsi « ein Irgendwohergetroffensein » ou encore « ein Irgendwiegewordensein». La terminologie se fait ardue, soucieuse uniquement de préciser le concept entrevu. Ainsi quand est introduit l’expression assez indigeste désignant la formule de la conscience de soi à laquelle aboutit Schleiermacher : « Sich-seiner-selbst-als-in-Beziehung-mit-Gott-bewußtSein ». Il y aurait une étude spécifique à mener sur l’exploitation par celui-ci des souplesses morphologiques de l’allemand, qui semble aller au-delà de ce que Hegel en faisait, car celui-ci gardait une oreille pour les usages effectifs de la langue, notamment dans ses souabismes. Schleiermacher, quant à lui, impose une torsion modale à l’expression surtout quand il cherche à exposer son vocabulaire de base. Il doit assurément beaucoup à Fichte et à Schelling, entre autres contemporains, mais pose sa
4 Cf. Tice 1998, 115 – 127. Également Piotr de Bończa Bukowski, Der Mittler (ici même), et de Bończa Bukowski 2023.
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distance par rapport à eux dans l’accentuation des modalités. Il est manifeste que, quand c’est le cas, le traducteur se voit confronté à des défis majeurs. L’invention de tels concepts signale une liberté terminologique très grande et inaugure, davantage que ses contemporains semble-t-il (Immanuel Kant se contente de repenser un lexique scolastique, Fichte et Schelling inventent moins radicalement des expressions lexicalisées, Hegel se soucie de revenir au langage ordinaire, ou retraduit dans sa logique la terminologie scolaire dans un nouveau vocabulaire), une nouvelle façon d’étendre le répertoire des concepts aux relations et aux modalités. Autrement dit, Schleiermacher intervient sur la langue pour créer des concepts marqués par la subjectivité. Il inaugure à cet égard une tradition qui florira au XXe siècle chez des auteurs comme Martin Heidegger ou Karl Jaspers. Quant à lui, son propos n’est jamais de cristalliser la réflexion, mais de donner de possibles formulations à une pensée relative, temporelle, marquée par le mouvement et saisie dans l’urgence de son oralité.
Petite histoire des traductions de Schleiermacher en français L’histoire des traductions en français de l’œuvre de Schleiermacher a connu plusieurs moments, marqués par les circonstances et les intérêts divers qui les ont animés, théologiques ou philosophiques. Il s’agit d’une part d’un intérêt théologique venant des milieux protestants, qu’ils soient d’Alsace, de Suisse francophone, ou du sud de la France. Les premiers grands lieux de sa réception sont ainsi Strasbourg et Genève, viennent ensuite Montauban, Montpellier et enfin Paris. D’autre part, la réception par les philosophes qui, dès le départ, s’intéressaient à sa pensée, qu’elle soit prise dans sa dimension romantique ou dans son inscription dans l’idéalisme allemand. Un premier temps a ainsi été consacré à des écrits théologiques, mais aussi philosophiques, jusque vers 1900. Ce ne sont pas les textes essentiels qui ont été traduits, et on compte à l’époque un certain nombre d’adaptions résumantes, qui avaient pour finalité de présenter les positions générales de Schleiermacher, notamment en philosophie. Ainsi David Tissot a-t-il présenté Schleiermacher aux Français dès 1900 dans des mixtes entre le commentaire et la traduction, notamment de la dialectique ou des lettres à Friedrich Lücke. Il faut ensuite attendre près d’un demi-siècle pour disposer au XXe siècle d’une traduction des pourtant si influents Discours sur la religion. Comme remarqué plus haut, parue en 1944 sous la plume du germaniste, professeur à la Sorbonne, Rouge,⁵ cette traduction, augmentée d’une substantielle introduction, s’inscrit dans la politique
5 Cf. Schleiermacher 1944. Isaac-Julien Rouge, né à Lausanne en 1866, germaniste, professeur en Sorbonne jusqu’à sa retraite en 1936, meurt en 1952. Cf. Charle 1986, 192 – 193.
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de traduction de la culture allemande pendant la guerre qui, dans les faits, promut surtout des classiques.⁶ Ce n’est ensuite qu’à partir des années 80 que Schleiermacher revient, principalement non pas tant parce qu’on lui reconnaîtrait une place de philosophe ou de théologien en soi, mais parce qu’il peut être utilisé dans une perspective spécifique. Ainsi par exemple la traduction par André Laks, en 1979, des Pensées de circonstance sur les universités de conception allemande, qui avait été initiée par Heinz Wismann et réalisée par le Collège de Philosophie (sous la direction de Luc Ferry, Jean-Pierre Pesron et Alain Renaut), s’inscrit-elle dans le contexte des réflexions sur la refondation de l’Université après 1968. En 1987 paraît une première traduction de l’Herméneutique, réalisée par Marianna Simon plus d’une dizaine d’année plus tôt, avec une préface de Jean Starobinski. Cette traduction s’appuie sur la deuxième édition de Heinz Kimmerle. Une seconde traduction de l’Herméneutique est fournie par Christian Berner en 1987 (parue en 1989), qui tient compte des avancées de l’édition critique permettant de préciser la datation des manuscrits et, grâce à Wolfgang Virmond, de corriger un certain nombre d’erreurs de transcription. Elle rend également accessible le cahier d’A. D. C. Twesten, seule source dont nous disposions pour le cours d’herméneutique générale de 1809 – 1810. Réalisée sous l’impulsion de Wismann et Laks dans le cadre d’une collaboration entre la collection « Passages », dirigée par Wismann aux éditions du Cerf, et la collection « Opuscules φ », dirigée par Laks et Jean Quillien aux Presses universitaires de Lille, cette édition a joué un rôle pour défendre une certaine idée critique de la philosophie et de l’herméneutique philologique, dans le prolongement des travaux de Peter Szondi relayés en France par Jean Bollack et le Centre de Philologie qu’il dirigeait à Lille. Wismann, soutenu par Bernard Lauret, directeur littéraire aux Éditions du Cerf, a alors engagé dans sa collection une série de traductions des principaux ouvrages philosophiques de Schleiermacher permettant d’aborder, après l’herméneutique, la dialectique, l’éthique et l’esthétique. Ces traductions non seulement permettaient de brosser une image du système de Schleiermacher, mais la complémentarité de l’herméneutique et de la dialectique permettait encore de préciser l’actualité de Schleiermacher en articulant une « logique du discours individuel» et une « logique de la vérité» (qui sont les deux sous-titres donnés à ces deux traductions). La traduction des introductions à Platon et d’extraits des leçons d’histoire de la philosophie, par Marie-Dominique Richard en 2004 aux éditions du Cerf (mais non dans la collection « Passages »), répondait, elle aussi, dans son domaine, à savoir les études platoniciennes, à une stratégie : il s’agissait de livrer au lecteur français les éléments du débat sur la doctrine non écrite de Platon ranimée par l’École de Tübingen. Du côté théologique, Schleiermacher a été mobilisé par des éditeurs protestants, comme l’éditeur genevois Labor et Fides, voire des éditeurs intéressés par les théolo-
6 Cf. Krebs 2014 ; Lombez 2019.
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gies libérales protestantes, comme le parisien Van Dieren. C’est ainsi que Bernard Reymond, très engagé dans la pensée libérale protestante, a publié une nouvelle traduction des Discours sur la religion chez Van Dieren, ainsi qu’une première traduction de la Glaubenslehre chez Labor et Fides sous le titre La Cohérence de la foi chrétienne (une traduction, non publiée, de Pierre Demange, était également en cours). Il apparaît donc assez clairement que l’intérêt porté à Schleiermacher en France et qui a dicté l’histoire de ses traductions n’est pas antiquaire : il a été traduit en fonction d’enjeux stratégiques, certes différents, mais qui témoignent de la vigueur et de l’actualité de sa pensée. Ainsi les rapports entre herméneutique et dialectique, qui avaient été relevés en Allemagne par Manfred Frank (notamment au regard des rapports entre herméneutique et structuralisme), l’ont été côté français par Wismann, et ce n’est pas totalement sans cette influence que Jürgen Habermas a récemment accordé une place importante à Schleiermacher, aux côtés de Johann Gottfried Herder et de Wilhelm von Humboldt, notamment pour y lire une théorie communicationnelle où les sujets « sont en mesure, en raison de la relation structurelle de leur langue particulière avec la raison, de mettre en œuvre des discours et de mobiliser des raisons générales convaincantes lorsqu’ils rencontrent des langues ou cultures étrangères et ne peuvent transcender les limites de leurs précompréhensions qu’au moyen de la traduction ».⁷ C’est au demeurant le Discours sur les différentes méthodes du traduire de Schleiermacher qui a joué un rôle important en France : d’une part au regard de la réflexion sur l’étranger, ce que Antoine Berman, son premier traducteur, appelle l’ « épreuve de l’étranger», ce discours a été influent comme l’atteste une citation qui a servi d’exergue à la collection sur la pensée en langue aux éditions du Seuil dirigée par Barbara Cassin et Alain Badiou ; d’autre part pour ériger la traduction en paradigme de pensée, comme le fit Paul Ricœur⁸. Il faut ici remarquer que la pensée de Schleiermacher offre un terrain de réflexion privilégié dans le cadre spécifique des relations franco-allemandes : si les Pensées de circonstance sur les universités de conception allemande avaient pour cœur une opposition au système français, napoléonien, le discours Sur les méthodes de traduire relève lui aussi de pensées de circonstance, cette fois sur la traduction de conception allemande notamment opposée à la conception française. À chaque fois, l’opposition appelle la comparaison. La traduction par Jean-Marc Tétaz, en 2011, des discours prononcés à l’Académie entre 1814 et 1833 a permis d’accéder à des textes essentiels pour comprendre le système de Schleiermacher, notamment les conférences sur l’éthique, la théorie de l’État et l’art politique ainsi que sur l’esthétique (les discours académiques sur le
7 Habermas 2019, 439 – 440. 8 Cf. Ricœur 2003, 21 – 52. On relèvera que son discours «Défi et bonheur de la traduction» (Ricœur 2003, 7– 20) a été prononcé pour la remise du Prix franco-allemand de Traduction 1996 de la DVA attribué, côté français, au projet de traduction du Brouillon sur l’éthique de Schleiermacher.
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concept d’art avaient déjà été intégrés, traduits par Denis Thouard, dans le volume consacré à l’Esthétique publié en 2004). Nous joignons à la liste des traductions en français de Schleiermacher une liste des traductions italiennes, car les études italiennes ont souvent eu un rôle pionnier, les traductions italiennes précédant bien souvent les traductions en français. Parmi les grands noms de la recherche italienne, plusieurs ont été, comme Giovanni Moretto ou Sergio Sorrentino, également de grands traducteurs.
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II Traductions italiennes de Schleiermacher (1919 – 2021) Schleiermacher, Friedrich. 1919. Monologhi, trad. par Cecilia Motzo Dentice di Accadia. Lanciano : Carabba. Schleiermacher, Friedrich. 1928. L’amore romantico. Lettere intime sulla Lucinde di Schlegel, trad. par E. De Ferri. Bari : Laterza. Schleiermacher, Friedrich. 1940. Lezioni di Pedagogia (1826), éd. par Ignazio Volpicelli. Roma : Signorelli. Schleiermacher, Friedrich. 1947. Discorsi sulla religione e Monologhi, éd. par Gaetano Durante. Firenze : Sansoni. Schleiermacher, Friedrich. 1978. Lo studio della teologia. Breve presentazione, éd. par Roberto Osculati. Brescia : Queriniana. Schleiermacher, Friedrich. 1982. La confessione di Augusta, éd. par a cura di Roberto Osculati. Padova : Messaggero. Schleiermacher, Friedrich. 1981 – 1985. La dottrina della fede. Esposta sistematicamente secondo i principi fondamentali delle chiesa evangelica, éd. par Sergio Sorrentino, 2. vol. Brescia : Paideia. Schleiermacher, Friedrich. 1985. Etica ed ermeneutica, éd. par Giovanni Moretto. Napoli : Bibliopolis. Schleiermacher, Friedrich. 1985. Lucinde. Lettere confidenziali sulla ‹ Lucinde › di Friedrich Schlegel, trad. par Maria Enrica D’Agostini. Pordenone : Studio Tesi. Schleiermacher, Friedrich. 1988. Estetica, éd. par Paolo D’Angelo. Palermo : Aesthetica. Schleiermacher, Friedrich. 1988. Sul concetto dell’arte, éd. par Paolo D’Angelo. Palermo : Aesthetica. Schleiermacher, Friedrich. 1989. Sulla religione. Discorsi a quegli intellettuali che la disprezzano, éd. par Salvatore Spera. Brescia : Queriniana. Schleiermacher, Friedrich. 1994. La festa di Natale. Un dialogo, éd. par Giovanni Moretto. Brescia : Queriniana. Schleiermacher, Friedrich. 1994. Introduzione a Platone, éd. par Giuliano Sansonetti. Brescia : Morcelliana. Schleiermacher, Friedrich. 1995. Sull’Università, éd. par L. D’Alessandro. Napoli : La Città del Sole. Schleiermacher, Friedrich. 1996. Ermeneutica, éd. par Massimo Marassi. Milano : Rusconi. Schleiermacher, Friedrich. 1998. Scritti filosofici, éd. par Giovanni Moretto. Torino : UTET. Schleiermacher, Friedrich. 1999. Lezioni di pedagogia, éd. par I. Volpicelli. Firenze : La Nuova Italia.
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Schleiermacher, Friedrich. 2000. Il valore della vita, éd. par Sergio Sorrentino. Genova : Marietti. Schleiermacher, Friedrich. 2000. Introduzione alla dottrina della fede cristiana, éd. par A. Rizi. Padova : Messaggero. Schleiermacher, Friedrich. 2000. Ermeneutica, éd. par Massimo Marassi. Milano : Bompiani. Schleiermacher, Friedrich. 2004. Dialettica. Appunti dell’Autore (1822) e ‹ Nachschrift › Kropatscheck (corso 1822), éd. par Sergio Sorrentino. Torino : Trauben. Schleiermacher, Friedrich. 2004. «Le Lezioni sul metodo dello studio accademico di Schelling », éd. par Omar Brino, Humanitas 59, 1218 – 1245. Schleiermacher, Friedrich. 2005. Lo studio della teologia. Breve presentazione, éd. par Roberto Osculati. 2e éd. Brescia : Queriniana. Schleiermacher, Friedrich. 2005. Sulla religione. Discorsi a quegli intellettuali che la disprezzano, 2e éd. par Salvatore Spera. Brescia : Queriniana. Schleiermacher, Friedrich. 2006. « Saggio di una teoria del comportamento socievole», trad. par Alessandro Bertinotti, La società degli individui 25, 125 – 144. Schleiermacher, Friedrich. 2010. « I Tratti fondamentali dell’epoca presente di Fichte», éd. par Omar Brino, Humanitas 65, 699 – 726. Schleiermacher, Friedrich. 2011. Monologhi. Un dono di Capodanno, éd. par Ferruccio Andolfi. Reggio Emilia : Diabasis. Schleiermacher, Friedrich. 2011. « L’insegnamento della storia», éd. par Hagar Spano, Persona 2, 147 – 155. Schleiermacher, Friedrich. 2019. « Orazione funebre in onore di Solger», éd. par Luca Ghisleri, Filosofia e teologia 33, 555 – 561. Schleiermacher, Friedrich. 2021. Scritti di filosofia e religione 1792 – 1806 [Über die Religion ; Monologen ; Weihnachtsfeier ; Über den Wert des Lebens], éd. par Davide Bondi. Milano : Bompiani.
III Littérature secondaire Bończa Bukowski, Piotr de. 2023. Friedrich Schleiermacher’s Pathways of Translation. Issues of Language and Communication. Berlin / Boston : De Gruyter. Charle, Christophe. 1986. Les professeurs de la faculté de lettres de Paris. Dictionnaire biographique 1909 – 1939. Paris : CNRS Éditions. Cousin, Victor. 1857. Fragments et souvenirs. Paris : Didier & Cie. Cousin, Victor. 2011. Souvenirs d’Allemagne. Notes d’un journal de voyage en l’Année 1817, éd. par D. Bourel. Paris : CNRS. Habermas, Jürgen. 2019. Auch eine Geschichte der Philosophie. Berlin : Suhrkamp. Krebs, Roland. 2014. « Le programme de traduction de l’Institut allemand de Paris (1940 – 1944). Un aspect peu connu de la politique culturelle national-socialiste en France», Études germaniques 69, 441 – 461. La Sainte Bible. 1880. Trad. par Louis Segond. Genève : Cherbulliez. Lombez, Christine (éd.). 2019. Traduire, collaborer, résister. Traducteurs et traductrices sous l’Occupation. Tours : Presses Universitaires François Rabelais. Oesterreicher, Wulf. 1993. « Verschriftung und Verschriftlichung im Kontext medialer und konzeptioneller Schriftlichkeit», in : Schriftlichkeit im frühen Mittelalter, éd. par Ursula Schaefer. Tübingen : Narr, 267 – 292. Ricœur, Paul. 2003. Sur la traduction. Paris : Bayard. Schleiermacher, Friedrich. 1944. Discours sur la religion à ceux de ses contempteurs qui sont des esprits cultivés (1789) [sic !], traduction, introduction et notes de Isaac Julien Rouge. Paris : Éditions Aubier-Montaigne.
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Tice, Terrence N. 1998. «Translation as a Philosophical Art. Examples from Schleiermacher’s Texts», in : Schleiermacher on Workings of the Knowing Mind. New Translations, Resources, and Understandings, éd. par Ruth D. Richardson. Lewiston / Queenston / Lampeter : New Athenaeum, Edwin Mellen Press, 115 – 127.
Anhang
Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher Kritische Gesamtausgabe De Gruyter Abteilung I Schriften und Entwü rfe [KGA I/1] [KGA I/2] [KGA I/3] [KGA I/4] [KGA I/5] [KGA I/6] [KGA I/7.1] [KGA I/7.2] [KGA I/7.3] [KGA I/8] [KGA I/9] [KGA I/10] [KGA I/11] [KGA I/12] [KGA I/13.1] [KGA I/13.2] [KGA I/14] [KGA I/15]
1983. Jugendschriften 1787 – 1796, hg. v. Gü nter Meckenstock. Berlin / New York: De Gruyter. 1984. Schriften aus der Berliner Zeit 1796 – 1799, hg. v. Gü nter Meckenstock. Berlin / New York: De Gruyter. 1988. Schriften aus der Berliner Zeit 1800 – 1802, hg. v. Gü nter Meckenstock. Berlin / New York: De Gruyter. 2002. Schriften aus der Stolper Zeit 1802 – 1804, hg. v. Eilert Herms, Gü nter Meckenstock, Michael Pietsch. Berlin / New York: De Gruyter. 1995. Schriften aus der Hallenser Zeit 1804 – 1807, hg. v. Hermann Patsch. Berlin / New York: De Gruyter. 1998. Universitä tsschriften. Herakleitos. Kurze Darstellung des theologischen Studiums, hg. v. Dirk Schmid. Berlin / New York: De Gruyter. 1980. Der christliche Glaube nach den Grundsä tzen der evangelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt (1821/22), hg. v. Hermann Peiter, Teilbd. 1. Berlin / New York: De Gruyter. 1980. Der christliche Glaube nach den Grundsä tzen der evangelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt (1821/1822), hg. v. Hermann Peiter, Teilbd. 2. Berlin / New York: De Gruyter. 1983. Marginalien und Anhang, hg. v. Ulrich Barth unter Verwendung vorbereitender Arbeiten v. Hayo Gerdes, Hermann Peiter. Berlin / New York: De Gruyter. 2001. Exegetische Schriften, hg. v. Hermann Patsch, Dirk Schmid. Berlin / New York: De Gruyter. 2000. Kirchenpolitische Schriften, hg. v. Gü nter Meckenstock unter Mitwirkung v. Hans-Friedrich Traulsen. Berlin / New York: De Gruyter. 1990. Theologisch-dogmatische Abhandlungen und Gelegenheitsschriften, hg. v. Hans-Friedrich Traulsen unter Mitwirkung v. Martin Ohst. Berlin / New York: De Gruyter. 2002. Akademievorträ ge, hg. v. Martin Rö ssler unter Mitwirkung v. Lars Emersleben. Berlin / New York: De Gruyter. 1995. Ü ber die Religion (2.–)4. Aufl.; Monologen (2.–)4. Aufl., hg. v. Gü nter Meckenstock. Berlin / New York: De Gruyter. 2003. Der christliche Glaube nach den Grundsä tzen der evangelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt. Zweite Auflage (1830/31), hg. v. Rolf Schä fer, Teilb. 1. Berlin / New York: De Gruyter. 2003. Der christliche Glaube nach den Grundsä tzen der evangelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt. Zweite Auflage (1830/31), hg. v. Rolf Schä fer, Teilbd. 2. Berlin / New York: De Gruyter. 2003. Kleine Schriften 1786 – 1833, hg. v. Matthias Wolfes, Michael Pietsch, CD-ROM mit „Preußischer Correspondent“ Juni bis September 1813. Berlin / New York: De Gruyter. 2005. Register zur I. Abteilung, erstellt v. Lars Emersleben unter Mitwirkung v. Elisabeth Blumrich, Matthias Hoffmann, Stefan Mann, Wilko Teifke; Addenda und Corrigenda zur I. Abteilung; Anhang. Gü nter Meckenstock: Schleiermachers Bibliothek nach den Angaben des Rauchschen Auktionskatalogs und der Hauptbü cher des Verlages G. Reimer (2., erweiterte und verbesserte Aufl.). Berlin / New York: De Gruyter.
https://doi.org/10.1515/9783111128801-030
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Abteilung II Vorlesungen [KGA II/2]
2019. Vorlesungen ü ber die Theologische Enzyklopä die, hg. v. Martin Rö ssler, Dirk Schmid. Berlin / Boston: De Gruyter. [KGA II/4] 2012. Vorlesungen zur Hermeneutik und Kritik, hg. v. Wolfgang Virmond unter Mitwirkung v. Hermann Patsch. Berlin / Boston: De Gruyter. [KGA II/6] 2006. Vorlesungen ü ber die Kirchengeschichte, hg. v. Simon Gerber. Berlin / New York: De Gruyter. [KGA II/8] 1998. Vorlesungen ü ber die Lehre vom Staat, hg. v. Walter Jaeschke. Berlin / New York: De Gruyter. [KGA II/10.1] 2002. Vorlesungen ü ber die Dialektik, Teilbd. 1., hg. v. Andreas Arndt. Berlin / New York: De Gruyter. [KGA II/10.2] 2002. Vorlesungen ü ber die Dialektik, Teilbd. 2., hg. v. Andreas Arndt. Berlin / New York: De Gruyter. [KGA II/12] 2017. Vorlesungen ü ber die Pä dagogik und amtliche Voten zum ö ffentlichen Unterricht, hg. v. Jens Beljan, Christiane Ehrhardt, Dorothea Meier, Wolfgang Virmond, Michael Winkler. Berlin / Boston: De Gruyter. [KGA II/13] 2019. Vorlesungen ü ber die Psychologie, hg. v. Dorothea Meier unter Mitwirkung v. Jens Beljan. Berlin / Boston: De Gruyter. [KGA II/14] 2021. Vorlesungen über die Ästhetik, hg. v. Holden Kelm. Berlin / Boston: De Gruyter. [KGA II/15] 2018. Vorlesungen ü ber das Leben Jesu, hg. v. Walter Jaeschke. Berlin / Boston: De Gruyter. [KGA II/16] 2005. Vorlesungen ü ber die kirchliche Geographie und Statistik, hg. v. Simon Gerber. Berlin / New York: De Gruyter.
Abteilung III Predigten [KGA III/1]
[KGA III/2]
[KGA III/3] [KGA III/4] [KGA III/5] [KGA III/6] [KGA III/7] [KGA III/8] [KGA III/9] [KGA III/10] [KGA III/11] [KGA III/12] [KGA III/13] [KGA III/14] [KGA III/15]
2012. Predigten. Erste bis Vierte Sammlung (1801 – 1820), hg. v. Gü nter Meckenstock; Anhang. Gü nter Meckenstock: Kalendarium der ü berlieferten Predigttermine Schleiermachers. Berlin / Boston: De Gruyter. 2015. Predigten. Fü nfte bis Siebente Sammlung (1826 – 1833), hg. v. Gü nter Meckenstock; Anhang: Gesangbuch zum gottesdienstlichen Gebrauch fü r evangelische Gemeinen (Berlin 1829). Berlin / Boston: De Gruyter. 2013. Predigten 1790 – 1808, hg. v. Gü nter Meckenstock. Berlin / Boston: De Gruyter. 2011. Predigten 1809 – 1815, hg. v. Patrick Weiland. Berlin / Boston: De Gruyter. 2014. Predigten 1816 – 1819, hg. v. Katja Kretschmar unter Mitwirkung v. Michael Pietsch. Berlin / Boston: De Gruyter. 2015. Predigten 1820 – 1821, hg. v. Elisabeth Blumich. Berlin / Boston: De Gruyter. 2012. Predigten 1822 – 1823, hg. v. Kirsten Maria Christine Kunz. Berlin / Boston: De Gruyter. 2013. Predigten 1824, hg. v. Kirsten Maria Christine Kunz. Berlin / Boston: De Gruyter. 2017. Predigten 1825, hg. v. Kirsten Maria Christine Kunz unter Mitwirkung v. Brinja Bauer. Berlin / Boston: De Gruyter. 2016. Predigten 1826 – 1827, hg. v. Brinja Bauer, Ralph Brucker, Michael Pietsch, Dirk Schmid, Patrick Weiland. Berlin / Boston: De Gruyter. 2014. Predigten 1828 – 1829, hg. v. Patrick Weiland. Berlin / Boston: De Gruyter. 2013. Predigten 1830 – 1831, hg. v. Dirk Schmid. Berlin / Boston: De Gruyter. 2014. Predigten 1832, hg. v. Dirk Schmid. Berlin / Boston: De Gruyter. 2017. Predigten 1833 – 1834. Einzelstü cke. Addenda und Corrigenda zur III. Abteilung, hg. v. Gü nter Meckenstock. Berlin / Boston: De Gruyter. 2018. Register zur III. Abteilung, erstellt v. Gü nter Meckenstock, Brinja Bauer, Ralph Brucker, Britta Andrea Marie Kunz, Michael Pietsch, Dirk Schmid, Patrick Weiland. Berlin / Boston: De Gruyter.
Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher Kritische Gesamtausgabe De Gruyter
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Abteilung IV Ü bersetzungen [KGA IV/1] [KGA IV/2] [KGA IV/3] [KGA IV/5]
2019. Hugo (Hugh) Blairs Predigten. Aus dem Englischen übersetzt. Bd. 4 (1795), Bd. 5 (1802), hg. v. Gü nter Meckenstock, Anette Hagan. Berlin / Boston: De Gruyter. 2020. Joseph Fawcett, Predigten Mungo Park, Reisen im Innern von Afrika, hg. v. Anette Hagan, Günter Meckenstock. Berlin / Boston: De Gruyter. 2016. Platon, Werke I,1 (1804. 1817), hg. v. Lutz Kä ppel, Johanna Loehr unter Mitwirkung v. Male Gü nther. Berlin / Boston: De Gruyter. 2020. Platon, Werke II,1 (1805. 1818), hg. v. Lutz Kä ppel, Johanna Loehr. Berlin / Boston: De Gruyter.
Abteilung V Briefwechsel und biographische Dokumente [KGA V/1] [KGA V/2] [KGA V/3] [KGA V/4] [KGA V/5] [KGA V/6] [KGA V/7] [KGA V/8] [KGA V/9] [KGA V/10] [KGA V/11] [KGA V/12] [KGA V/13] [KGA V/14] [KGA V/15] [KGA V/K1]
1985. Briefwechsel 1774 – 1796 (Briefe 1 – 326), hg. v. Andreas Arndt, Wolfgang Virmond. Berlin / New York: De Gruyter. 1988. Briefwechsel 1796 – 1798 (Briefe 327 – 552), hg. v. Andreas Arndt, Wolfgang Virmond. Berlin / New York: De Gruyter. 1992. Briefwechsel 1799 – 1800 (Briefe 553 – 849), hg. v. Andreas Arndt, Wolfgang Virmond. Berlin / New York: De Gruyter. 1994. Briefwechsel 1800 (Briefe 850 – 1004), hg. v. Andreas Arndt, Wolfgang Virmond. Berlin / New York: De Gruyter. 1999. Briefwechsel 1801 – 1802 (Briefe 1005 – 1245), hg. v. Andreas Arndt, Wolfgang Virmond. Berlin / New York: De Gruyter. 2005. Briefwechsel 1802 – 1803 (Briefe 1246 – 1540), hg. v. Andreas Arndt, Wolfgang Virmond. Berlin / New York: De Gruyter. 2005. Briefwechsel 1803 – 1804 (Briefe 1541 – 1830), hg. v. Andreas Arndt, Wolfgang Virmond. Berlin / New York: De Gruyter. 2008. Briefwechsel 1804 – 1806 (Briefe 1831 – 2172), hg. v. Andreas Arndt, Simon Gerber. Berlin / New York: De Gruyter. 2011. Briefwechsel 1806 – 1807 (Briefe 2173 – 2597), hg. v. Andreas Arndt, Simon Gerber. Berlin / Boston: De Gruyter. 2015. Briefwechsel 1808 (Briefe 2598 – 3020), hg. v. Simon Gerber, Sarah Schmidt. Berlin / Boston: De Gruyter. 2015. Briefwechsel 1809 – 1810 (Briefe 3021 – 3560), hg. v. Simon Gerber, Sarah Schmidt. Berlin / Boston: De Gruyter. 2020. Briefwechsel 1811 – 1813 (Briefe 3561 – 3930), hg. v. Simon Gerber, Sarah Schmidt. Berlin / Boston: De Gruyter. 2020. Briefwechsel 1813 – 1816 (Briefe 3931 – 4320), hg. v. Simon Gerber, Sarah Schmidt. Berlin / Boston: De Gruyter. 2022. Briefwechsel 1817 – 1818 (Briefe 4321 – 4685), hg. v. Simon Gerber unter Mitwirkung v. Sarah Schmidt. Berlin / Boston: De Gruyter. 2023. Briefwechsel 1819 – 1820 (Briefe 4685 – 5200), hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin / Boston: De Gruyter. 2017. Kommentarband zum Briefwechsel 1808 – 1810 (Briefe 2598 – 3560), erarbeitet v. Sarah Schmidt unter Mitwirkung v. Simon Gerber. Berlin / Boston: De Gruyter.
Zu den Autorinnen und Autoren Andreas Arndt: Prof. (em.) Dr., zuletzt Professor der Philosophie an der Theologischen Fakultät der Humboldt Universität zu Berlin; Projektleiter des Akademienvorhabens „Friedrich Schleiermacher in Berlin 1808 – 1834“ an der BBAW Friedemann Barniske: Dr. theol., Assistant Professor für Systematische Theologie am Lutheran Theological Seminary (Hongkong) Mario Berkefeld: M.A., wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Dogmatik, Religionsphilosophie und Ökumene an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München Christian Berner: Professeur d’histoire de la philosophie de langue allemande à l’université Paris Nanterre Piotr de Bończa Bukowski: Prof. Dr. phil., Professor am Germanistischen Institut und Leiter der Forschungsstelle für Translation an der Jagiellonen-Universität Krakau Eleonora Caramelli: PhD, Senior Assistant Professor of Aesthetics, Department of Philosophy and Communication Studies, University of Bologna Ivory Day: Dr. phil., Becaria Posdoctoral del Instituto de Investigaciones Filosóficas, asesorada por el doctor Guillermo Hurtado, Programa de Becas Posdoctorales en la UNAM Michael N. Forster: Alexander von Humboldt Professor, Chair for Theoretical Philosophy, and Co-Director of the International Centre for Philosophy at Bonn University Johann Gartlinger: M.A., wissenschaftlicher Mitarbeiter am GRK „Literatur- und Wissensgeschichte kleiner Formen“ an der Humboldt-Universität zu Berlin Simon Gerber: PD Dr. theol. habil., wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Schleiermacher-forschungsstelle der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (BBAW) Wilhelm Gräb (†): Prof. (em.) Dr., zuletzt Professor für Praktische Theologie an der Theologischen Fakultät der Humboldt Universität zu Berlin; Extraordinary Professor in the Faculty of Theology, University of Stellenbosch Anette Hagan: Dr. phil., Rare Books Curator, National Library of Scotland Philippe Hamou: Professeur d’histoire de la philosophie britannique à l’université Paris Sorbonne Maureen Junker-Kenny: Prof. (em.) Dr. theol., Professor and Fellow, Trinity College Dublin Martina Kumlehn: Prof. Dr. phil., Professorin im Fach Religionspädagogik an der Theologischen Fakultät der Universität Rostock Christoph Markschies: Prof. Dr. theol. Dr. h.c. mult., Präsident der BBAW und Professor für Antikes Christentum (Patristik) an der Humboldt-Universität zu Berlin
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Dorothea Meier: PD Dr. phil. habil., wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Allgemeine Pädagogik und historische Wissenschaftsforschung an der Universität Rostock Michael Moxter: Prof. (em.) Dr., zuletzt Professor für Systematische Theologie mit den Schwerpunkten Dogmatik und Religionsphilosophie an der Universität Hamburg André Munzinger: Prof. Dr. theol., Professor für Systematische Theologie an der Theologischen Fakultät und Leiter der Schleiermacher-Forschungsstelle der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel Valérie Nicolet: Professeure de Nouveau Testament et de Grec à l’Institut Protestant de Théologie, Doyenne de la Faculté de Paris Constantin Plaul: PD Dr. theol. habil., wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Theologischen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg Florian Priesemuth: Dr. theol., wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Systematische Theologie der Universität Leipzig Jean-Michel Salanskis: Professeur émérite de philosophie à l’université Paris Nanterre Carlotta Santini: Dr., Senior Researcher at the CNRS / ENS, UMR 8547 (Pays Germaniques – Transferts culturels), affiliated researcher at the CMB, Berlin Sarah Schmidt: Dr. phil., Arbeitsstellenleiterin der Schleiermacher-forschungsstelle an der BerlinBrandenburgischen Akademie der Wissenschaften (BBAW) Brent W. Sockness: Associate Professor of Religious Studies, Stanford University Marco Stallmann: Dr. theol., DFG-Projekt „Bibliothek der Neologie“, am Seminar für Kirchengeschichte II an der Evangelisch-Theologische Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster Karl Tetzlaff: Dr. theol., wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Systematische Theologie/Ethik der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg Isabelle Thomas-Fogiel: Professor of Philosophy, University of Ottawa Denis Thouard: Prof. Dr., Directeur de Recherche, Centre National de la Recherche Scientifique (Centre Georg Simmel, UMR 8131, EHESS Paris; Centre Marc Bloch, Berlin) Rasmus Wittekind: M.A., wissenschaftlicher Mitarbeiter im Projekt „Semantisierung in Zukunftsdiskursen“ im Transdisziplinären Forschungsbereich (TRA) 4 „Individuen, Institutionen und Gesellschaft“ der Universität Bonn
Personenregister Abaelard 22 Addison, Joseph 479 Adorno, Theodor W. 31, 40, 67, 263 Agathon von Athen 87, 97 Aischylos 98, 106 Albertini, Johann Baptist von 432 Althusius, Johannes 313 Ammon, Christoph Friedrich von 257, 278, 440 Anaximander 92 Apel, Karl-Otto 14, 33, 35 f. Aristoteles 3 f., 86 f., 92, 97, 160, 222, 270 f., 288, 423, 480, 484 Arndt, Andreas 18, 165, 195, 198, 292, 311, 318, 320 – 322, 326, 355 Augustinus von Hippo 82 Austin, John L. 34, 56 Badiou, Alain 496 Barth, Ulrich 160 f. Bauer, Manuel 194 Baumgarten, Alexander Gottlieb 404 Baumgarten, Siegmund Jakob 254 – 256 Beck, Karl 436 Beiser, Frederick 99 f., 102 f. Benjamin, Walter 67, 405, 410 Benoist, Jocelyn 18, 230, 241 – 244, 248 Bergman, Ingmar 47 Berman, Antoine 496 Berner, Christian 7, 9, 39, 41, 235, 495 Berner, Samuel 22 Beyer, Johann Rudolph Gottlieb 431 Blair, Hugo (Hugh) 431, 471, 475, 485 Blanc, Ludwig Gottfried 21 Bloch, Ernst 1 Blumenberg, Hans 204 Blumer, Herbert 57 Boas, Franz 105 – 107 Boccaccio, Giovanni 95 Bodammer, Theodor 130 Boeckh, August 81, 84f., 87, 90, 92, 97, 99 f., 102 f., 115 Boisserée, Sulpiz 115 Bollack, Jean 495 Bopp, Franz 105 Börne, Carl Ludwig 22 Bossuet, Jacques Bénigne 22 Bouveresse, Jacques 33 https://doi.org/10.1515/9783111128801-032
Bowie, Andrew 236 Brandis, Christian August 92 Brandom, Robert 443 Brandt, James M. 210 Brinckmann, Carl Gustav von 345, 484 Buber, Martin 74 Bürger, Gottfried August 485 Buttmann, Philipp Karl 476 Calow, Ferdinand 162 Campe, Johann Heinrich 258 f. Cassin, Barbara 496 Cassirer, Ernst 18, 173 – 183, 189 – 191 Cervantes, Miguel de 95 Cherniss, Harold 92 Chladni, Johann Martin 70 Choderlos de Laclos, Pierre-Ambroise-François 21 Chomsky, Noam 72, 105 Chrysostomus, Johannes 430 Chwaszcza, Christine 310 Cicero (Marcus Tullius Cicero) 428, 478, 480, 486 Claussen, Johann Hinrich 381 Cohen, Hermann 174, 183, 185 – 190 Comte, Auguste 22 Condillac, Étienne Bonnot de 82, 443 f. Constable, John 114 Constant, Benjamin 21 Cook, James 485 Cooper, William 480 Correggio, Antonio da 110, 367 Coseriu, Eugenio 444 f., 448 Cousin, Victor 21, 491 D’Alembert, Jean Baptiste le Rond 34 Dangel, Tobias 288 Dante Alighieri 22, 95 Darwin, Charles 391 David (König David, biblische Figur) 88 Davidson, Donald 81, 86, 236, 443 Demange, Pierre 496 Demosthenes 428 Derrida, Jacques 51 – 53 Descartes, René 21, 34, 443 Diderot, Denis 34 Diels, Hermann 92 Dierken, Jörg 318 Dieudonné, Jean 60
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Personenregister
Dilthey, Wilhelm 70, 90 f., 93, 99, 329 Diogenes Laertius 3 f. Diogenes von Apollonia 92 Dräseke, Bernhard 432, 436 Droysen, Johann Gustav 90 f. Dryden, John 479 Dulon, Friedrich Ludwig 366 Dussek, Jan Ladislav 22 Dvořák, Max 114 Ebeling, Gerhard 1 Eberhard, Johann August 355 Edwards, Jonathan 480 Einstein, Albert 42 Emersleben, Lars 3 Ende, Michael 330 Erne, Thomas 403 Ernesti, Johann August 81, 84, 99 f., 102, 115 Euklid 43 Euripides 87, 97 Fawcett, Joseph 19, 431, 471, 473 – 483, 485 f., 488 Fénelon, François 22 Ferrari, Massimo 181 Ferry, Jean-Marc 14 Ferry, Luc 495 Feuerbach, Anselm von 30 Feuerbach, Ludwig 30, 389, 395 Feyerabend, Paul 42 Fichte, Johann Gottlieb 18, 30, 38 – 41, 44, 100, 194 – 206, 290, 296, 313, 321, 348 f., 444, 447 f., 493 f. Fiedler, Konrad 109, 405, 411 Fiesel, Eva 104 Fischer, Kuno 93 Flusser, Vilém 226 Fodor, Jim 70 Forster, Georg 84 Frank, Manfred 445, 496 Frege, Gottlob 54 Frey, Hans-Jost 465 f. Friedrich II (von Preußen, Friedrich der Große) 5, 245 Friedrich Wilhelm III (von Preußen) 473 Fries, Johann Jakob 212 Fritzsche, Hans-Georg 1 Frobenius, Leo 19, 405, 412, 414 f., 417, 419 Fromm, Erich 67 Furetière, Antoine 30 f.
Gadamer, Hans Georg 40, 81, 86, 99, 101, 165, 465, 467 Garve, Christian 313 Gervais-Lambony, Philippe 9 Gladisch, August 94 Glück, Martin 23 Goethe, Johann Wolfgang von 95 f., 98 – 100, 108, 259 f., 416, 485 f. Gombrich, Ernst 109, 113 – 115 Görland, Albert 181 Graf, Wilhelm Friedrich 277 Gräffe, Johann Friedrich Christoph 429 Grain, Jean du 473 Gray, Thomas 479, 483 Grice, Paul 32 Grimm, Jacob 105 Grotius, Hugo 245 Gueroult, Martial 30 Gutenberg, Johannes 218 Habermas, Jürgen 14, 17 f., 32 – 34, 36, 39, 42, 44, 47, 56, 65 – 69, 71 – 77, 132, 169, 220, 496 Hadrian (Publius Aelius Hadrianus) 61 Hagan, Anette 19 Hamann, Johann Georg 443 Harms, Claus 436 Harnack, Adolf von 3 f., 426 Harris, John 480 f. Hauser, Kaspar 29 f. Haym, Rudolf 93 Heckelmann, Dieter 2 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 1, 18, 20 f., 40 f., 44, 70, 91 – 94, 119 f., 122 – 131, 133 – 135, 175 – 177, 302, 310, 312, 319, 322, 326, 399, 404f., 493 f. Heidegger, Martin 40, 86, 263, 388, 467, 494 Heine, Heinrich 22 Henrich, Dieter 73, 75 Heraklit 92 Herder, Johann Gottfried 68, 81 – 85, 87 – 89, 93 – 100, 102, 104 – 115, 180, 195, 235, 356, 358, 360, 443 f., 448, 485, 496 Hermans, Theo 238 Herms, Eilert 161, 164 Herz, Henriette 345, 353, 366 Herz, Marcus 345 Heydenreich, Friedrich Erdmann August 428 Hickeringill, Edmund 480 Hildebrand, Adolf von 109 Hinrichs, Hermann Friedrich Wilhelm 119 Hirsch, Eric Donald 99, 115
Personenregister
Hjelmslev, Louis 53 Hobbes, Thomas 309, 312 – 314, 443 Hofacker, Wilhelm Gustav Ludwig 436 Höfner, Markus 182 Hölderlin, Friedrich 99 Homer 94, 97 f. Honneth, Axel 132 Hoover, Jeffrey 313, 317 Horaz (Quintus Horatius Flaccus) 94, 97, 480 Horkheimer, Max 40, 67 Hotho, Heinrich Gustav 127 f. Hufeland, Gottlieb 313 f. Hugo, Gustav 101 Humboldt, Alexander von 9, 21 Humboldt, Wilhelm von 2, 21, 65, 68 – 73, 93 f., 102, 105 f., 334, 338, 392, 443, 467, 485, 496 Hume, David 81 f. Husserl, Edmund 40, 52, 54, 59, 388, 395 Hylton, Peter 232 f. Iffland, August Wilhelm Irrlitz, Gerd 1 f.
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Jacobi, Friedrich Heinrich 41, 348, 355 Jacques, Francis 32, 36 Jaeschke, Walter 195 Jakobson, Roman 31 f., 50, 57 Jaspers, Karl 14, 68, 494 Jesus Christus 89, 154, 267, 369, 376 Johannes (Evangelist) 88 f. Jonas, Ludwig 210 f., 265 Joyce, James 74 Jung, Carl Gustav 412 Kant, Immanuel 18, 20, 29, 35, 37 – 41, 66 – 68, 70, 75 – 77, 81, 84, 100, 103, 109, 123 f., 129, 186, 195, 212 f., 256 – 258, 296 – 298, 300 – 303, 306 f., 309 f., 313 f., 346, 348, 353, 355 f., 388, 394, 405, 410 f., 494 Kelm, Holden 404 Kempen, Thomas von 480 f. Kersting, Wolfgang 313 Kimmerle, Heinz 84, 444, 495 Kittler, Friedrich 225 f. Klein, Felix 42 Klein, Ursula 202 Knigge, Adolph Freiherr von 353 Kojève, Alexandre 132 Kortum, Carl Arnold 435 Kotzebue, August von 485
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Kranz, Walther 92 Krebs, Andreas 166, 454 f. Kropatscheck, Johann 164 Kubitschek, Götz 292 Kues, Nikolaus von 182 La Pe´rouse, Jean-François de Galaup 485 Lacan, Jacques 58 Laks, André 495 Langthaler, Rudolf 73 Lauret, Bernard 495 Lazarus, Moritz 106 Lehnerer, Thomas 391, 394, 403 f. Leibniz, Gottfried Wilhelm 3, 5, 34, 100, 103, 181 f., 188 f., 245, 419 Leonardo da Vinci 110 Lessing, Gotthold Ephraim 21, 180 Lévi-Strauss, Claude 29 Levinas, Emmanuel 52 f., 55 Levy, Ze’ev 187 Lisco, Friedrich Gustav 436 Lisle, Thomas 479 Litt, Theodor 283 Locke, John 82, 312 f., 326, 443 Lommatzsch, Carl 404 Louvet de Couvray, Jean-Baptiste 21 Löw, Jehuda ben Bezel’el (Rabbi Löw) 61 Lukács, György 132 Lücke, Friedrich 84, 101, 162 Lüdke, Friedrich Germanus 348 Luhmann, Niklas 14, 210 Lukas (Evangelist) 88 Luther, Martin 1, 266, 437, 477 Lyotard, Jean-François 56 f. MacKenzie, Alexander 485 Malebranche, Nicolas 34 f. Malinowski, Bronislaw 104, 106 f. Markus (Evangelist) 88 Martin, Norbert 252, 271 Marx, Werner 132, 135 Matthäus (Evangelist) 88 Matuschek, Stefan 259 f. Maus, Ingeborg 313 McDowell, John 239, 443 McLuhan, Marshall 210, 226 Mead, George Herbert 66 Meckenstock, Günter 311, 313 f., 316, 345, 422, 471, 473, 478, 481, 483 Meder, Stephan 100 f., 102
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Personenregister
Mehmel, Gottlieb Ernst August 486 Mendelssohn, Moses 313 Merleau-Ponty, Maurice 241, 395 Milton, John 479, 483 Montaigne, Michel de 22 Moretto, Giovanni 497 Moritz, Karl Philipp 472 Mosheim, Johann Lorenz von 431, 438 Moxter, Michael 175, 179, 182, 190, 311, 317, 371 Napoleon, Bonaparte 20, 292, 367, 496 Natorp, Paul 173 f., 183 – 190 Neurath, Otto 235 Niemeyer, August Hermann 434 f., 429 Nietzsche, Friedrich 93 Novalis (Friedrich von Hardenberg) 95, 260, 367 Nowak, Kurt 4, 262 Oberdorfer, Bernd 160, 311, 355 Odebrecht, Rudolf 404 Oesterreicher, Wulf 492 Otto, Rudolf 176, 181 f., 212 Ovid (Publius Ovidius Naso) 480 Panofsky, Erwin 109 f., 113 – 115, 411 Paulus (Apostel) 220 Peirce, Charles Sanders 390 Pesron, Jean-Pierre 495 Petersdorff, Dirk von 262 f., 269 Petrarca, Francesco 95 Philolaos 92 Pindar 87 f., 99, 416 Pippin, Robert 132 Platon 4, 21, 36, 52 f., 68, 92, 108, 162, 180, 198, 338, 367 f., 403, 411, 462, 486, 488, 491, 493, 495 Plessner, Helmuth 18, 283 – 285 Pope, Alexander 479, 483 Popper, Karl 60 Pufendorf, Samuel von 100, 103, 313 Pym, Anthony 453 – 455, 464 – 468 Quillien, Jean 495 Quine, Willard Van Orman 240 f., 244, 247 f.
86, 229 f., 232 – 238,
Rabenhorst, Christian Gottlieb 478 Raschi (Schlomo Jizchaki) 61 f. Rawls, John 309 f. Reichardt, Johann Friedrich 366 f.
Reinhard, Franz Volkmar 428, 432, 434 f. Reinhold, Carl Leonhard 195 Renan, Ernest 22 Renaut, Alain 495 Renz, Ursula 183 f. Reuter, Timo 252 Reymond, Bernard 496 Richard, Marie-Dominique 495 Richter, Cornelia 175, 182, 318 Richter, Jean Paul 99, 367 Ricœur, Paul 7, 40, 51 f., 66, 76, 368, 380, 395, 496 Rieger, Reinhold 74, 444 Riegl, Alois 109 Riemann, Bernhard 43 Ritter, Heinrich 92 Roche, Jörg 467 Rochefoucauld-Liancourt, François Alexandre, Duc de la 485 Rosa, Hartmut 251 f., 276 f. Rose, Miriam 312 f., 318, 289, 297, 302, 322 Rosenzweig, Franz 74 Rössler, Martin 3 Röth, Eduard Maximilian 94 Rouge, Isaac-Julien 491, 494 Rousseau, Jean-Jacques 21, 312 f., 346 Rudolph, Enno 182 Sack, Friedrich Samuel Gottfried 353, 431, 473, 475 f. Salanskis, Jean-Michel 9 Salman, Elijah Ben Salomon 62 Sampson, William 479 Sapir, Edward 105 – 107 Saussure, Ferdinand de 53, 55 Savigny, Friedrich Carl von 99 – 104, 322, 326 Saxl, Fritz 414 Scheliha, Arnulf von 165, 318 Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph 100, 404, 493 f. Schiller, Friedrich 70, 100, 476, 485 – 488 Schlegel, August Wilhelm 40, 95 f., 98 – 100, 102, 105, 193 f., 259, 448 – 450, 485 f. Schlegel, Friedrich 21 f., 38, 70, 81 f., 84 – 87, 92 – 100, 102, 105 – 115, 193 – 195, 198 f., 259 – 262, 367, 417 f., 450, 462, 485 Schlegel, Johann Elias 253 Schleicher, August 105 Schleiermacher, Charlotte 21 Schleyermacher, Johann Gottlieb 472 Schlosser, Julius von 114
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Personenregister
Schmalz, Theodor 313 f. Schmidt, Sarah 70, 165, 286, 318, 321, 447, 455, 457 Schnabel, Ulrich 251 – 253, 276 f. Schnur, Harald 165, 444 Scholtz, Gunter 70, 74, 161, 164 f., 318, 322, 326, 370 Schulz, Johann Heinrich 348 Schweizer, Alexander 139 f., 404, 422 f., 433, 436 Searle, John 34 Sebbah, François 9 Segond, Louis 491 Seleskovitch, Danica 460 Semler, Johann Salomo 344, 352, 354 Shakespeare, William 84, 95 – 98, 111, 476, 480, 483, 485 – 488 Siani, Alberto Leopoldo 403 Simon, Marianna 495 Smith, Adam 290 Sokrates 162 Solger, Karl Wilhelm Ferdinand 404 Sophokles 97 f. Sorrentino, Sergio 24, 497 Spalding, Georg Ludwig 345 Spalding, Johann Joachim 19, 344 – 360 Spangenberg, August Gottlieb 257 f. Sperber, Dan 32 Spinoza, Baruch de 180, 187 f., 195, 346, 348, 355 Staël, Germaine de (Madame de Staël) 21 f., 96 Stammer, Martin Otto 403 Starobinski, Jean 495 Stegmaier, Werner 325 Steinthal, Heymann 106 Stern, Nicole 252 Stolzenberg 128 Strauß, David Friedrich 89 Stubenrauch, Ernst 438 Stumpp, Gabriele 252 f. Surber, Jere Paul 127, 131 f. Szondi, Peter 495 Taylor, Charles 59, 443 – 445 Teller, Wilhelm Abraham 431 Tenti, Gregorio 404, 414 Tétaz, Jean-Marc 496 Thibaut, Anton Friedrich Justus 102 f. Tholuck, August 436 Thouard, Denis 22, 40 f., 69, 71, 73 f., 124, 322, 231 f., 444, 491, 497 Thukydides 480
Tieck, Ludwig 95, 99, 260, 485 Tissot, David 494 Tönnies, Ferdinand 283 Torop, Peeter 453 Travis, Charles 241 Trier, Jost 105 Trillhaas, Wolfgang 139 f., 422 Ullmann, Wolfgang 1 Unger, Rudolf 93 Urban, Astrid 193 f. Vasari, Giorgio 108 Vergil 480 Vermeer, Hans J. 456, 458 f., 467 f. Vierhaus, Rudolf 1 Villemain, Abel-François 96 Virmond, Wolfgang 84, 162, 372, 495 Voltaire 81 Waetzoldt, Wilhelm 114 f. Wagner, Richard 407 Waldenfels, Bernhard 395 Warburg, Aby 19 f., 113, 391, 397, 403 – 405, 412 – 415, 417 Wassermeyer, Henrike 23 Watzlawick, Paul 33 Weisgerber, Leo 105 Weld, Isaac 485 Whorf, Benjamin Lee 105 Wieland, Christoph Martin 485 f. Wilken, Friedrich 21 Wilson, Deidre 32 Winckelmann, Johann Joachim 108, 111 f. Wind, Edgar 405, 411, 414 Winkler, Michael 330 – 332, 340 Wismann, Heinz 24, 495 f. Wittekind, Folkart 349, 367, 369 f., 374, 377 Wittgenstein, Ludwig 33 f., 38 Woellner, Johann Christoph von 352 Wolff, Christian 100, 103 Wölfflin, Heinrich 109, 405, 410 f., 415 Wöllner, Johann Christoph von 473 Young, Edward
479, 483
Zeller, Eduard 92, 94 Zimmermann, Robert 404 Zinzendorf, Nikolaus Ludwig Graf von Zöllner, Johann Friedrich 348, 356
257