Kommunikation in der Stadt: Band 1 Exemplarische Analysen des Sprachverhaltens in Mannheim [Reprint 2011 ed.] 9783110873054, 9783110143805


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German Pages 706 [708] Year 1994

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Table of contents :
Vorwort
1. Das Projekt „Kommunikation in der Stadt“
2. Selbst- und Fremddarstellung im Gespräch und Regeln des Sprechens. Untersucht am Beispiel einer Stehcafe-Gruppe in Sandhofen
3. Phonologische Variation als Mittel der Symbolisierung sozialer Identität in der Filsbachwelt
4. Formelhaftes Sprechen in der Filsbachwelt
5. Bezeichnungen, Typisierung und soziale Kategorien. Untersucht am Beispiel der Ehe in der Filsbachwelt
6. Regeln des Sprechens, Erzählstile, soziale Typisierungen, Sprachvariation und Symbolisierungsverfahren unter Jugendlichen der Kerngesellschaft in Neckarau
7. Die Vergegenwärtigung einer Gegenwelt. Sprachliche Formen der sozialen Abgrenzung einer Jugendlichengruppe in Vogelstang
8. Sprachliche Ausdrucksformen für soziale Identität beim Erzählen. Beobachtungen zu vier Gruppen in Vogelstang
9. Die leichte Muse des gewöhnlichen Gesprächs. Über die Unterhaltungskunst älterer Frauen in der Filsbach
10. Sprachliche Variabilität in interaktionsanalytischer Perspektive
11. Erläuterungen zur Transkriptionsweise
12. Literatur
13. Begriffsregister
14. Anhang
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Kommunikation in der Stadt: Band 1 Exemplarische Analysen des Sprachverhaltens in Mannheim [Reprint 2011 ed.]
 9783110873054, 9783110143805

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Kommunikation in der Stadt Teil 1 Exemplarische Analysen des Sprachverhaltens in Mannheim

Schriften des Instituts für deutsche Sprache Band 4

Kommunikation in der Stadt

4.1 Exemplarische Analysen des Sprach Verhaltens in Mannheim 4.2 Ethnographien von Mannheimer Stadtteilen 4.3 Kommunikative Stilistik einer sozialen Welt „kleiner Leute" in der Mannheimer Innenstadt 4.4 Kommunikative Stilistik von zwei Sozialwelten in Mannheim-Vogelstang Herausgegeben von

Friedhelm Debus Werner Kallmeyer Gerhard Stickel

W G DE

Walter de Gruyter · Berlin · New York 1994

Kommunikation in der Stadt Teil 1 Exemplarische Analysen des Sprachverhaltens in Mannheim

Herausgegeben von Werner Kallmeyer

W G DE

Walter de Gruyter · Berlin - New York 1994

© Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.

Die Deutsche

Bibliothek

— C/P-

Hinheitsaufnahme

Kommunikation in der Stadt. — Berlin ; New York : de Gruvter (Schriften des Instituts für Deutsche Sprache ; ...) Teil 1. Exemplarische Analysen des Sprachverhaltens in Mannheim. — 1994 Exemplarische Analysen des Sprachverhaltens in Mannheim / hrsg. von Werner Kallmever. — Berlin ; New York : de Gruyter, 1994 (Kommunikation in der Stadt ; Teil 1) (Schriften des Instituts für Deutsche Sprache ; Bd. 4,1) ISBN 3-11-014380-1 NE: Kallmever, Werner [Hrsg.]; Institut für Deutsche Sprache ^Mannheim): Schriften des Instituts ...

© Copyright 1994 bv Walter de Gruyter & Co., D-10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Druck: Werner Hildebrand, Berlin Buchbinderische Verarbeitung: Lüderitz & Bauer-GmbH, Berlin

INHALT

Vorwort

1.

D a s Projekt „Kommunikation in der Stadt" Werner

2.

vii

Selbst- u n d Fremddarstellung im Gespräch u n d R e g e l n des Sprechens. Untersucht a m Beispiel einer Stehcafe-Gruppe in Sandhofen Werner Kallmeyer/Inken

3.

6.

7.

318

Keim

387

Bausch

D i e Vergegenwärtigung einer Gegenwelt. Sprachliche Formen der sozialen Abgrenzung einer Jugendlichengruppe in Vogelstang Johannes

'250

Keim

R e g e l n des Sprechens, Erzählstile, soziale Typisierungen, Sprachvariation u n d Symbolisierungsverfahren unter Jugendlichen der Kerngesellschaft in Neckarau Karl-Heinz

141

Keim

Bezeichnungen, Typisierung u n d soziale Kategorien. Untersucht a m Beispiel der Ehe in der Filsbacliwelt Werner Kallmeyer/Inken

39

Nikiiopoulos

Formelhaftes Sprechen in der Filsbacliwelt Werner Kallmeyer/Inken

5.

Keim/Pantelis

P l i o n o l o g i s c l i e V a r i a t i o n als M i t t e l d e r S y m b o l i s i e r u n g sozialer Identität in der Filsbachwelt Werner Kallmeyer/Inken

4.

1

Kallmeyer

Schwitalla

467

VI

Inhalt

8.

Sprachliche Ausdrucksformen f ü r soziale Identität beim Erzählen. Beobachtungen zu vier Gruppen in Vogelstang Johannes Schwiialla

510

9.

Die leichte M u s e des gewöhnlichen Gesprächs. Über die Unterhaltungskunst älterer Frauen in der Filsbach Jürgen Sireeck

578

10.

Sprachliche Variabilität in interaktionsanalytischer Perspektive John J. Gumperz

611

11.

Erläuterungen zur Transkriptionsweise

640

12.

Literatur

645

13.

Begriffsregister

683

14.

Anhang

696

VORWORT Dieser Band ist der erste Teil der gesammelten Publikationen aus dem Projekt „Kommunikation in der Stadt", das von einer Arbeitsgruppe des Instituts für deutsche Sprache durchgeführt wurde. Das Mannheimer Stadtprojekt war eine relativ breit und langfristig angelegte soziolinguistische Untersuchung von ausgewählten Stadtvierteln in Mannheim. Mit den ersten Beobachtungen wurde 1981 begonnen. In den Folgejahren ist das Sprachverhalten von Bewohnergruppen in mehreren Stadtteilen intensiv beobachtet und analysiert worden. Die soziolinguistische Analyse stützt sich dabei auf ein umfangreiches Korpus von Gesprächsaufnahmen und zusätzlich von freien Interviews. Ergebnisse und ausgewählte Materialien des Projekts werden in drei Stufen veröffentlicht: Einführung anhand exemplarischer Analysen (Band 1), Stadtteilethnographien mit einer Auswahl ethnographischer Materialien (Band 2) und Beschreibungen der kommunikativen Stilistik städtischer Sozialwelten (Band 3 und 4). K o m m u n i k a t i o n in d e r S t a d t Band 1: E x e m p l a r i s c h e A n a l y s e n des S p r a c h v e r h a l t e n s in M a n n h e i m Der erste Band soll das Projekt vorstellen und anhand exemplarischer Analysen des Sprachverhaltens in Mannheim Einblick geben in das soziolinguistische Untersuchungsprogramm, seine Methodik und die zu gewinnenden Ergebnisse. Analysiert werden Gespräche von Stadtbewohnern in der Kneipe, beim Kaffeeklatsch, auf der Straße. Zu beobachten sind in diesen Gesprächen die verschiedenen Varianten der Mannheimer Umgangssprache, die sprachlichen Verkehrsformen der Städter und auch ihr Sprachwitz, die alltägliche „Unterhaltungskunst". In allen analysierten Aufnahmen reden die Beteiligten über sich und die anderen und entfalten dabei ihre rhetorischen Fähigkeiten. Die sprachliche Selbstdarstellung, die sich immer mit dem Reden über andere verbindet, ist eine tagtäglich betriebene Tätigkeit der Gesellschaftsmitglieder und spielt eine zentrale Rolle für ihr Selbstbild, für ihre Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen und Milieus, allgemein für die Gestaltung ihrer sozialen Existenz. Diese sprachliche Selbst- und Fremddarstellung ist Gegenstand der exemplarischen Analysen. Band 2: E t h n o g r a p h i e n von M a n n h e i m e r S t a d t t e i l e n Eine soziolinguistische Analyse des Sprachverhaltens setzt die gründliche Kenntnis des sozialen Kontextes voraus. Man muß wissen, wer die Sprecher sind, worüber sie reden und auch worüber sie nicht reden, wie ihre gesellschaftliche Umgebung aussieht, wie ihre Stellung in der Gesellschaft ist und wie sie

viii

Vorwort

die Gesellschaft sehen. Diese Kenntnis haben sich die Mitglieder der Projektgruppe durch eingehende Beobachtung des „Lebens in Mannheim", genauer: in einer Reihe von Mannheimer Stadtvierteln, verschafft. Für zwei Stadtviertel wird das Ergebnis dieser Beobachtungen als „Panorama"-Darstellung publiziert. Die Stadtviertel werden in ethnographischen Beschreibungen vorgestellt, d.h. aus der Sicht von teilnehmenden Beobachtern, die versuchen, sich ein authentisches Bild der sozialen Ordnung, des Lebensrhythmus, der Kommunikationsformen einer Gesellschaft zu machen. Ethnographie ist ein Verfahren der intensiven, präzisen Beobachtung und der allmählichen Entschlüsselung der wahrgenommenen Ereignisformen. Sie liefert ein Bild der Gesellschaft „von innen" . Entwickelt hat sie sich als wissenschaftliches Verfahren aus dem Interesse an fremden Kulturen. Die Geschichte der Ethnographie ist wesentlich eine Geschichte großer Reisen, und die frühen Ethnographien sind Reiseberichte. Die ethnographische Beobachtung ist aber auch ein ausgezeichnetes Mittel, die anscheinend bekannte eigene Umwelt (neu) zu entdecken und sich klar zu machen, wie wenig konkrete Erfahrung von der Wirklichkeit unserer eigenen Gesellschaft wir haben. In diesem Sinne sind die Stadtteil-Ethnographien das Ergebnis einer Reise in fremde Welten, die „um die Ecke" liegen. Als Anhang zu den Ethnographien wird eine kleine Auswahl von Materialien aus der ethnographischen Erhebung veröffentlicht. Die Mannheimer und die Zugezogenen, Funktionsträger und einfache Bürger, zentrale und marginale Figuren, Originale und unauffällige Zeitgenossen haben den Projektmitarbeitern viel und in den meisten Fällen gerne berichtet und erzählt, wie sie Mannheimer wurden, wie sie hier leben, wie sie ihre Umwelt sehen und welche Probleme sie haben.

Band 3: Kommunikative Stilistik einer sozialen W e l t „kleiner L e u t e " in der Mannheimer Innenstadt Der Band enthält ein sehr feinkörniges soziolinguistisches „Gruppenporträt". Am Beispiel einer Gruppe älterer Frauen wird die kommunikative Stilistik einer charakteristischen Sozialwelt der Mannheimer Innenstadt dargestellt. Die Gruppenmitglieder wurden über mehrere Jahre beim lokalen Freizeitleben, bei der täglichen Versorgung und bei der Organisation des lokalen Lebens beobachtet. Auf einer sehr breiten Materialgrundlage werden unterschiedliche Aspekte des sprachlichen Verhaltens beschrieben. Dabei wird die verwendete Sprache, die soziale Bewertung der eigenen und der fremden Sprache und die Integration unterschiedlicher Ausdrucksformen zum Gesamtbild charakteristischer Stile sprachlichen Verhaltens dargestellt.

Vorwort

ix

Band 4: K o m m u n i k a t i v e Stilistik von zwei Sozialwelten in Mannheim-Vogelstang Dieser Band enthält die soziolinguistischen Porträts von zwei Gruppen aus dem Neubauviertel Mannheim-Vogelstang. Anhand der Gruppen werden eine soziale Welt des gebildeten Bürgertums und eine spezifische Sozialwelt der politischen Frauenemanzipation hinsichtlich ihrer kommunikativen Stilistik untersucht. Die Gruppenporträts in den Bänden 3 und 4 sind parallel aufgebaut und stimmen im Beschreibungsprogramm überein, auch wenn aufgrund der soziostilistischen Besonderheiten der einzelnen Gruppen jeweils unterschiedliche Akzente gesetzt werden. Die porträtierten Gruppen werden bestimmten Milieus bzw. sozialen Welten zugeordnet und diese wiederum den prägenden sozialen Konstellationen in der städtischen Gesellschaft. Insofern ergibt sich durch den Vergleich der Gruppen zwar kein vollständiges, aber ein differenziertes Bild der Sprache und des Sprachverhaltens in Mannheim. Auf Vorschlag der Projektgruppe hat das Institut für deutsche Sprache wiederholt Gastwissenschaftler für ein oder zwei Monate eingeladen. Unsere Gäste waren Jürgen Streeck (Berlin/Austin), Pierre Bange (Lyon) und John J . Gumperz (Berkeley). Wir haben die enge und fruchtbare Zusammenarbeit mit ihnen sehr genossen; sie haben uns durch die Art, wie sie sich auf die Probleme unserer Arbeit eingelassen haben, tief beeindruckt. Die Entwicklung unserer Arbeit wurde von einem Projektbeirat als kritischer Instanz aufmerksam verfolgt. Ihm gehörten an: Friedhelm Debus (Kiel), Siegfried Grosse (Bochum; bis 1986), Gottfried Kolde (Genf), Heinrich Löffler (Basel), Brigitte Schlieben-Lange (Frankfurt) und Fritz Schütze (Kassel). Ihnen danken wir ganz ausdrücklich für viele wertvolle Anregungen und für ihren verständnisvollen Umgang mit den Problemen, die eine mehrjährige Gruppenarbeit in der Regel mit sich bringt. Werner Kallmeyer

1.

Das Projekt „Kommunikation in der Stadt" W E R N E R KALLMEYER

1.

D i e A u f g a b e des P r o j e k t s

2

2.

Zur E n t w i c k l u n g der soziolinguistischen Stadtforschung

6

3.

D a s B e o b a c h t u n g s f e l d : die S t a d t M a n n h e i m

18

4. 4.1. 4.2. 4.3.

F r a g e s t e l l u n g e n u n d Ziele der U n t e r s u c h u n g Kommunikationsformen und sozialer Zusammenhalt Sprache als Ausdruck von sozialer Identität Soziale Stile

21 22 24 30

5. 5.1. 5.2.

Zur A n l a g e der U n t e r s u c h u n g Ethnographisches Panorama ausgewählter Stadtteile Porträts städtischer Gruppen

31 31 33

6.

B e m e r k u n g e n zu d i e s e m B a n d

35

2 1.

Werner

Kallmeyer

Die A u f g a b e des P r o j e k t s

Aufgabe des Projekts war die soziolinguistische Behandlung eines komplexen Gegenstandes: Kommunikation in der Stadt, untersucht am Beispiel von Mannheim. Dabei konnte es nicht um die Stadt und die Sprachverwendung in der Stadt in allen ihren Erscheinungsformen und Struktureigenschaften gehen - das wäre als Aufgabenstellung unüberschaubar und methodisch kaum zu handhaben. Die Untersuchung wurde an Ausschnitten der Stadt Mannheim, und zwar an ausgewählten Gruppen aus verschiedenen Stadtteilen durchgeführt, wobei die Gruppen bestimmten Milieus oder sozialen Welten und diese wiederum den sozialen Konstellationen der städtischen Gesellschaft zuzuordnen waren. Im Zentrum der Analyse standen die sprachlichen Erscheinungsformen der sozialen Zugehörigkeit von Städtern, d.h. ihrer Zugehörigkeit zu unterschiedlichen städtischen Milieus mit unterschiedlich ausgeprägter lokaler Bindung. Das Verhältnis von Sprache und sozialer Zugehörigkeit ist unter mehreren Aspekten zu betrachten. Sprache ist ein Herkunftsindikator. Insbesondere die sprachliche Prägung der ersten Sozialisation ist kaum völlig zu verändern, und der Sozialisationsprozeß insgesamt bewirkt sprachliche Prägungen, die Spielräume und Grenzen des sprachlich-sozialen Verhaltens festlegen. Ein älterer Mannheimer aus der Innenstadt drückt diesen Tatbestand im Interview so aus: 1 ja v e n n ich m i c h jetz n i d ihnen underhalde versuch isch auch net in ein geschdelzdes ho"chdeutsch hinoinzukomne do h e d d isch addigulierungsschwierischkeide nef * aber isch versuche doch moine schbra"che- * äh kla"rer z u geschda/ äh net so n ä do n ö s c h d i s c h net h i e < — i n die Ostschdadtj. F: gar n e t hinpasse J. I:

a:chj.

do würdde a i r

a i d u n s e r e schbrochj. nääj.

warum "f

Sprache ist aber auch A u s d r u c k s m i t t e l der sozialen Selbstdarstellung. Mit der Sprache drücken die Gesellschaftsmitglieder ihren sozialen S t a n d p u n k t und die d a m i t verbundenen Perspektiven aus. Sie sprechen nicht nur ihre (oder auch eine f r e m d e ) Sprache, sondern sie zeigen dabei auch, welche soziale B e d e u t u n g sie dieser Sprache beimessen: Inwieweit sie sich bereitwillig an eine vorgebene N o r m anpassen, z . B . als Dialektsprecher an die Standardsprache, ob sie stolz auf ihre sprachliche Herkunft sind, ob sie großen Wert auf eine betont korrekte und gepflegte Sprache legen usw. Für die Gesellschaftsmitglieder ist Sprache immer auch ein sozial-symbolisches Mittel: Sie zeigen, wer sie sind b z w . als wer sie behandelt werden wollen. D a s Verhältnis zwischen dem S y m p t o m c h a r a k t e r der Sprache und der S y m b o l f u n k t i o n ist komplex, und eine klare Grenzziehung ist k a u m möglich, weil i m Prinzip alle Eigenschaften des sprachlichen Verhaltens, auch die nicht kontrollier- und wählbaren, durch die B e w e r t u n g sozial-symbolische B e d e u t u n g b e k o m m e n können. Sprachliche Selbstdarstellung ist ein untrennbar mit der Sprachverwendung verbundenes, sie prägendes Element und ein G e g e n s t a n d ständiger, m a n c h m a l relativ bewußter, häufig unterbewußter Beschäftigung. A u c h in den im P r o j e k t 2

D a s Zitat s t a m m t aus den Materialien in Köhler (1989).

4

Werner

Kallmeyer

d u r c h g e f ü h r t e n I n t e r v i e w s g i b t es eine große Zahl v o n B e l e g e n dafür. M a n che G e s e l l s c h a f t s m i t g l i e d e r b e z i e h e n bei ihren A u s k ü n f t e n über sich s e l b s t ihr S p r a c h v e r h a l t e n direkt auf die S e l b s t d a r s t e l l u n g in der s o z i a l e n U m g e b u n g ; so e i n i g e J u g e n d l i c h e , die v o n sich s a g e n , d a ß sie sich durch ihre Sprache a b g r e n z e n (sie b e n u t z e n d a z u eine s p e z i e l l e G r u p p e n s p r a c h e ) : 3 «jeder« hebt sich irgendwie anners ab * «JEDER JUGENDLICHE IM STADTTEIL» die tasos* dursch irgendwelsche asoziale aktione«ARBEITERJUGENDLICHE« mir dursch die sprächet anner leut dursch die kleidungj. weil jeder versucht so von der mittlere schischt wegzukommej. also von der normale schischt]. In anderen F ä l l e n , vor a l l e m bei E r w a c h s e n e n , die fest in ihre soziale U m w e l t integriert sind, verbirgt sich der a k t i v e C h a r a k t e r der S e l b s t d a r s t e l l u n g h ä u f i g hinter F o r m u l i e r u n g e n zur A n g e m e s s e n h e i t des sprachlichen V e r h a l t e n s u n d zur Anpassung an unterschiedliche Anforderungen und Erwartungen:4 na hat ja so»n so so e Bischsprache * uff de eine seit den ha"rte dialekt * den mer also nur mit mit einheimische redet also nur mit «Neckarstädter« «NECKARSTADT = STADTTEIL, AUS DEM SPRECHERIN STAMMT« odder wo wo wirklisch aus de innestadt also mit de enge familie sage mer mal! n e T un dann äh ä:hm hm gute freu"nde die awwer teilweise zu"gereist sin un aus annere sprachbereische komme * mit dene ka"m=mer diesen dialekt nit spresche die würden ihn nicht verstehn * verleugnet man nit ganz seine sprachlische herkunft awwer geht so e bissei in rischtung hochsprache * also je mehr isch beruflisch werde odder sa"chlisch um so mehr lehn isch misch der ho"chsprache an * un isch hab bei mir schon beobachtet » wenn isch mit meiner freundin die also aa im lehrerberuf tätisch is un mir * also sie is kei Neckarstädter * «Sa"ndhöfer« «SANDHOFEN = VORORT« 3

Die Gruppe von Gymnasiasten wird im Beitrag 7 eingehend untersucht.

4

Vgl. das Interview „Frau Sander" im Band 4.2.

Das Projekt

„Kommunikation

in der

Stadt"

5

asser die hasse aa i h m dialekt nej un mir hasse uns also äh öh öh: üsser den harten dialekt eigentlisch inner unterhalten! senn sie asser kurz vorher irgend en s/ sa"chlisches gespräsch geführt hat un sie ruft Misch anschließend an * •ufi isch grinse • ne * da hat se dann e ho"chsprache drauf * un des is für mi"sch dann ga"nz seltsaa aus ihre· aunde * dazu kenn ich sie zu gut odder soj. nej Die Sprecherin, eine Mannheimer Lehrerin, gibt relativ klar wichtige Elemente ihrer sprachlichen Orientierung an. Dabei bezieht sie sich auf Erwartungen und Normen, denen sie beim Sprechen zu genügen trachtet: von Sprechern aus anderen Sprachbereichen verstanden zu werden, ohne ihre Herkunft und soziale Zugehörigkeit zu verleugnen, berufliches und privates Sprechen auseinanderzuhalten (für eine Lehrerin aus dialektsprechendem Milieu eine wichtige Anforderung). Sie verdeutlicht zugleich, wie auffällig mangelnde situationsflexible Anpassung der Sprache ist (sie muß über die Freundin lachen) und welcher starke Korrekturmechanismus in der Reaktion auf eine derartige ungewollte Selbstdarstellung liegt (z.B. wenn das „Grinsen" spöttischen Charakter annimmt). Diesen Punkt hebt sie (B) im Gespräch mit der Ethnographin (A) in der Folge noch stärker hervor: B: senn=isch jetz zum beispiel des so"rt emotionale e"bene hier B: im maimemer diale"ktsatz neibaue sürdf des A: (LACHT) denke die B: jetz spinnt se ja also de"s sirkt dann scho sidder ahm A: spinnt * (LACHT) B: sich rausheben sollen odder soj nef Diese Äußerungen zeigen, daß und wie die Sprecher ihr sprachliches Verhalten im Spannungsfeld von Identitätsausdruck, Verständlichkeitsanforderung und Normanpassung einrichten. Die Zitate des Jugendlichen, der nicht dazugehören will (zur normalen Mitte) und der Lehrerin, die dazugehört (und weiterhin dazugehören will), verdeutlichen zwei grundlegende Verfahren der sprachlichen Selbstdarstellung: soziale Abgrenzung durch sprachliche Divergenz und soziale Integration durch sprachliche Konvergenz bzw. das Vermeiden von Divergenz. Zugleich wird in den Beispielen erkennbar, daß Selbstdarstellung immer eng mit Fremddarstellung, d.h. der Darstellung anderer verbunden ist. Das eine geschieht immer durch das andere mit. Die zentrale A u f g a b e des Projekts war also, die vielfaltigen Formen der sprachlichen Selbst- und Fremddarstellung daraufhin zu untersuchen, welche sprachlichen Ausdrucksmittel zur Verdeutlichung und Bewertung welcher sozialen Zugehörigkeit eingesetzt werden. Durch diese Ausrichtung unterscheidet sich das

6

Werner

Kallmeyer

Projekt von den meisten vorliegenden Arbeiten zur Stadtsprachenforschung, soweit sie das System einer Stadtsprache beschreiben. 2.

Zur Entwicklung der soziolinguistischen S t a d t f o r s c h u n g

Die Stadt war immer in gewissem Sinne Stein des Anstoßes für die Dialektologie und Prüfstein für die Soziolinguistik. Im Rahmen der soziolinguistischen Stadtforschung sind die problematischen Aspekte von grundlegenden sprachwissenschaftlichen Konzepten wie 'Sprache einer Gemeinschaft' und 'Sprachgemeinschaft', die explizit oder auch unausgesprochen die linguistischen und in der Folge auch alltagsweltliche Vorstellungen von der Sprachwirklichkeit prägen, stets besonders deutlich hervorgetreten. Als problematisch erweisen sich die Vorstellungen von der Einheitlichkeit der Sprache und von der Zusammengehörigkeit von Sprache und Gemeinschaft aus folgenden Gründen: - Gemeinschaften sind in der Regel sprachlich nicht homogen; Homogenität ist eher die Ausnahme und an sehr spezifische Bedingungen gebunden. - Das sprachliche Verhalten der Bewohner ist variabel. Sie haben vielleicht „ihre" Sprache, die sie als ihre Normallage benutzen und mit der sie als Sprecher die geringsten Formulierungs- und Verstehensprobleme haben, aber ihr sprachliches Repertoire umfaßt ein Variationsspektrum. - In der modernen städtischen Gesellschaft lösen sich die langfristig stabilen sozialen Grenzen und die feste, exklusive Zuordnung von Individuen zu Rollen und sozialen Kategorien auf. Grenzziehungen und die Definition von Zugehörigkeit zu Kategorien oder bestimmten „Kreisen" werden vielfach wechselnd, d.h. variabel und kontextabhängig definiert. Wir haben in dem Sinne keine einfache und stabile soziale Identität und keinen ein für alle mal festgelegten und klar definierten Standort in der Gesellschaft. - Damit ändert sich auch die Funktion der Sprache, die zwar auch Herkunft anzeigt und insofern gleichsam „unveränderliches Kennzeichen" der Person ist, aber auf der anderen Seite gerade als Instrument der variablen Definition von Grenzen, von Zugehörigkeit und von territorialen Auseinandersetzungen fungiert. Die Ortssprachenforschung zeigt, daß vieles davon auch in kleineren Gemeinden bereits wirksam ist, aber die städtischen Verhältnisse machen diese Eigenschaften sehr deutlich und zwingen zu ihrer Berücksichtigung. Die normale sprachliche Heterogenität von städtischen Gesellschaften kann man historisch sehen: Die Auflösung fester sozialer Grenzen ist eine „moderne" und speziell städtische Erscheinung. Die „modernen" Verhältnisse machen jedoch auf allgemeine Eigenschaften der Sprachverwendung aufmerksam, die bislang hinter andersartigen sozio-historischen Bedingungen verborgen geblieben sind. Die Aufrechterhaltung von Sprachunterschieden und die Entstehung neuer Sprachunterschiede innerhalb von Gemeinschaften ist ebenso mit den Prozessen der Konstitution von größeren sozialen Einheiten verbunden wie die sprachliche Angleichung. Variation ist ein allgemeines Prinzip der Sprachverwendung. Die Konstitution

Das Projekt

„Kommunikation

in der

Stadt"

7

von S p r a c h e durch das Sprechen u n d die K o n s t i t u t i o n von sozialen S t r u k t u r e n d u r c h d a s - w e i t g e h e n d s p r a c h l i c h e - H a n d e l n d e r I n d i v i d u e n ist e i n u n i v e r s e l l e r P r o z e ß , a u f d e s s e n G r u n d l a g e sich d i e s o z i a l e n u n d s p r a c h l i c h e n G r e n z z i e h u n gen sozio-historisch spezifisch a u s p r ä g e n . W e g e n der spezifischen Eigenschaften d e r „ m o d e r n e n " s p r a c h l i c h e n V e r h ä l t n i s s e in d e r S t a d t b e s t e h t e i n e A f f i n i t ä t von S t a d t u n d Soziolinguistik, die a u c h in der Forschungsgeschichte d e u t l i c h wird. In d e n l e t z t e n J a h r e n ist d i e S t a d t v e r s t ä r k t G e g e n s t a n d d e r S o z i o l i n g u i s t i k i m d e u t s c h e n S p r a c h r a u m g e w o r d e n . Hier w a r i m V e r h ä l t n i s z u r i n t e r n a t i o n a l e n Lage a u f g r u n d der W i s s e n s c h a f t s e n t w i c k l u n g ein deutliches Defizit in d e r B e h a n d l u n g s t ä d t i s c h e r V e r h ä l t n i s s e e n t s t a n d e n ( v g l . R a d t k e 1972; D i t t m a r / S c h l i e b e n - L a n g e 1 9 8 2 a ) . I n z w i s c h e n ist a u c h i m e u r o p ä i s c h e n R a u m e i n e V e r d i c h t u n g d e r S t a d t s p r a c h e n f o r s c h u n g e i n g e t r e t e n . In d e r F o r s c h u n g s e n t w i c k l u n g g i b t es S o n d e r e n t w i c k l u n g e n u n d d e u t l i c h e P h a s e n v e r s c h i e b u n g e n z w i s c h e n d e n e i n z e l n e n e u r o p ä i s c h e n L ä n d e r n , a b e r i n s g e s a m t h a t sich d a s I n teresse verstärkt. Davon zeugen T a g u n g e n u n d Kolloquien, T h e m e n b ä n d e von Zeitschriften oder Reihen5, B e s t a n d s a u f n a h m e n zur S t a d t s p r a c h e n f o r s c h u n g wie d i e v o n D i t t m a r / S c h l i e b e n - L a n g e ( 1 9 8 2 a ) u n d d e r als E r g ä n z u n g d a z u v o n B r a n g vorgelegte Forschungsbericht z u m slawischen S p r a c h r a u m (1986) sowie eine größere Zahl von S t a d t f o r s c h u n g s p r o j e k t e n a u s der j ü n g s t e n Zeit.6 5

U.a. die Tagungen des Instituts für deutsche Sprache in Mannheim 1981 zum T h e m a „Mehrsprachigkeit in der Stadtregion" (vgl. Bausch 1982) und zur Stadtsprachenforschung in Berlin 1984 (vgl. Dittmar/Schlobinski 1988); auch Kolloquien zur Ortssprachenforschung wie das in Bonn 1982 (vgl. Besch/Mattheier 1985) gehören zumindest ausschnittweise in diesen Kontext (vgl. weiter unten); siehe weiter das Themenheft „Sociolinguistics in France: Current research in urban settings" des „International Journal of the Sociology of Language (vgl. Tabouret-Keller 1985) oder den Band „Pariare in cittä" (vgl. Ε. Klein 1989).

6

Vgl. u.a. Rosenberg (1986), Dittmar/Schlobinski (1988) und Schlobinski (1987) zu Berlin; Cherubim/Flechsig (1984) zu Braunschweig; Wildgen (1986) zu Bremen; Neide (1978), Beatens Beardsmore (1983) und Deprez/Persons (1983) zu Brüssel; Mihm (1985) zu Duisburg; Dyhr/Zint (1985) zu Flensburg; Brinkmann to Broxten (1986) zu Frankfurt; Pedersen (1985) zu Fünen; Denison et al. (1977) und Sornig (1977) u. (1978) zu Graz; Froitzheim (1984) und Hoffmann/Mattheier (1985) zu Köln; Auer/Mössle (1987) zu Konstanz; Sobrero zu Lecce (1978); G. Klein (1989) zu Neapel; Maas (1985) und (1988) sowie McAllister-Hermann (1983) zu Osnabrück; Laks (1980) zur Pariser Banlieue; Gardener-Chloros (1985) zu Strafiburg. Die Liste ist nicht vollständig, zeigt aber schon eine gewisse Belebung der europäischen Stadtsprachenforschung in den letzten Jahren. Soziolinguistik ist immer auch durch die Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Problemen mitbestimmt worden. So wie die nordamerikanische Soziolinguistik unter dem Eindruck der drängenden Probleme der Stadtentwicklung entstanden (und gefördert worden) ist, die mit der Einwanderung und der Ghettobildung in den amerikanischen Städten zusammenhängen, und so wie sich die Beschäftigung mit den Gastarbeiter-Problemen in den verschiedenen europäischen Ländern natürlich aus der Wahrnehmung der neuartigen Problemlage (im wesentlichen in den Städten) entwickelt hat, erhielt die Mehrsprachigkeitsforschung in der Schweiz oder in Belgien aus den spezifischen Problemen in diesen Ländern mit allen sprachpolitischen Implikationen neue Impulse. Der neue Schub des linguistischen Interesses an der

8

Werner

Kallmeyer

Bei der neueren soziolinguistischen Stadtforschung geht es um die Fortsetzung und Reorganisation eines langfristigen Forschungsprogramms. Die Untersuchung der Sprachunterschiede innerhalb des Geltungsbereiches einer Standardsprache ist seit dem Beginn der Dialektologie Programm, und auch die Erforschung nicht nur der unterschiedlichen Sprachen, sondern auch der Sprachunterschiede innerhalb einer umgrenzten Population wie einer Ortschaft oder Stadt ist schon früh formuliert und teilweise auch praktiziert worden. Die Wissenschaftsentwicklung ist allerdings in den einzelnen Ländern unterschiedlich verlaufen. Dittmar/Schlieben-Lange (1982a) weisen besonders auf die Leistungen der Stadtsprachenforschung im romanischen Sprachraum hin, die sich im Kontext der Sprachatlanten kontinuierlich entwickelt habe, insbesondere für den italienischen Sprachraum. Im romanischen Sprachraum gibt es z.B. die frühen, dort auch traditionsbildenden Monographien von Salvioni über Mailand (1884), Rousselot über Cellefrouin in der Charente (1891) oder Gauchat über Charmey (1905) (vgl. dazu Dittmar/Schlieben-Lange 1982a, S. 55f.). Die Arbeit von Gauchat widerlegte die erwartete sprachliche Einheit innerhalb eines dafür besonders prädestiniert erscheinenden Ortes völlig. Und es gibt die programmatischen Äußerungen z.B. von Jaberg zum Sprach- und Sachatlas für Italien und die Südschweiz (1933), der erläutert, daß der Atlas u.a. Informationen über die Beziehungen zwischen den „parlers directeurs" inklusive der Schriftsprache und der sozial untergeordneten Umgangssprachen liefern soll (vgl. insgesamt Dittmar/Schlieben-Lange 1982a, S. 54ff.). Auch die derzeitigen Arbeiten am NADIR (Nuovo atlante dialettogico d'Italia per regioni) können hinsichtlich der Berücksichtigung der Stadt und des Stadt-Umland-Verhältnisses als besonders interessant angesehen werden (vgl. u.a. Sobrero 1985 u. 1986). Für die germanistische Tradition zeigt Wiesinger (1985, S. 29ff.) die Widersprüche in den frühen dialektologischen Programmen von Wegener und Kaufmann zwischen der prinzipiellen Wahrnehmung der internen sprachlichen Variation und der durch die junggrammatische Theorie inspirierten Empfehlung für die Forschung, die Ortssprache als eine festgefügte Einheit zu beschreiben. In der Orts- wie in der Stadtsprachenforschung, die in den 20er Jahren verstärkt Interesse findet, gibt es immer wieder Arbeiten, die vorbildhaft hätten sein können, aber nicht wirkStadt hängt offensichtlich auch mit dem gestiegenen Interesse an städtischen Lebensformen und einer Renaissance der Stadtkultur zusammen. Die Soziolinguistik hat Anteil an einer Interessenlage, die sich in der Soziologie in Projekten zur Wohnquartierforschung niedergeschlagen hat (vgl. z.B. Bodzenta/Speiser/Thum 1981) und in der Sozialpsychologie in Projekten zur Stadtwahrnehmung und Identifizierung mit der Stadt (vgl. Schneider 1986; Graumann/Schneider i.V.). Nach der Subkulturforschung anhand städtischer Gruppen (zu der in England z.B. das Center for Contemporary Cultural Studies in den 70er Jahren wichtige Beiträge vorgelegt hat) erscheint die Ausrichtung auf die Stadt u.a. auch in der deutschen Kulturwissenschaft (das T h e m a des Volkskundekongresses 1983 in Berlin lautete: „Großstadt. Aspekte empirischer Kulturforschung"; vgl. Kohlmann/Bausinger 1985).

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lieh traditionsbildend geworden sind. So war z.B. in der Ortssprachenforschung die Arbeit von Enderlin (1910) über „Die Mundart von Kesswil in Oberthurgau" (nach dem Vorbild der Arbeit von Gauchat (1905) über Charmey) sehr fortschrittlich in der Annäherung an die komplexe sprachliche Wirklichkeit einer Ortsgemeinschaft, fand aber keine weitere Beachtung (vgl. Wiesinger 1985, S. 34f.). Außerdem gibt es Arbeiten wie die von Sexauer (1927), in der die Varietäten unterschiedlicher sozialer Gruppen von der alteingesessenen Landbevölkerung in den eingemeindeten Ortsteilen über die eingesessene und neu zugezogene Arbeiterschaft und die Gruppe der aufstrebenden Geschäftsleute bis hin zu den Zugewanderten beschrieben wird; aber viele Stadtsprachenmonographien der 30er Jahre sind demgegenüber wiederum relativ „konservativ" (vgl. die Hinweise auf einige Arbeiten in Dittmar/Schlieben-Lange 1982a). Dasselbe gilt für die von Maas aufgezeigten Entwicklungen ethnographischer Ansätze in der Dialektologie (1986, S. 37ff.). Er hebt insbesondere die Arbeit von Mitzka über den Danziger Raum hervor (1928), in der zur Erklärung des Sprachausgleichs bereits eine Verbindung von sprachlichen sowie sozialstrukturellen Konzepten und Konzepten kultureller Praxis angelegt ist, wie sie in den letzten Jahren Gegenstand der Soziologie Bourdieus geworden ist. Mitzka erklärt den stattfindenden Sprachausgleich damit, daß ein einheitlicher sprachlicher Markt entsteht, auf dem die Beteiligten den Mehrwert oder Minderwert der Ausdrucksweisen in ihrer Praxis erfahren (Maas 1986, S. 40). Es scheint, daß es im deutschen Sprachraum Ansätze zu einer empirischen Tradition gibt, aber keine theoretische Formulierung eines Forschungsprogramms zur Erfassung der sozialen Differenzierung der Sprache wie etwa im romanischen Sprachraum. In Rußland formuliert Larin 1926 ein Programm „zur linguistischen Charakterisierung der Stadt" und weist darauf hin, daß die Entwicklung der Literatursprache (d.h. der Standardsprache) soziologisch gedeutet werden müsse und daß dies nicht möglich sei, „solange ihr unmittelbares linguistisches Milieu nicht erforscht wird, d.h. die übrigen Typen der Schriftsprache und alle Varietäten der Umgangssprache des städtischen Kollektivs" (vgl. Brang 1986, S. 142). Es scheint aber so, daß für die Weiterentwicklung und empirische Umsetzung dieser Programme die Orientierung auf die Norm der Literatursprache hinderlich war: Brang berichtet, daß die einschlägigen Untersuchungen der 70er und beginnenden 80er Jahre die literarische Umgangssprache (d.h. die ungezwungene Rede von Trägern der Literatursprache) erfaßten und nicht die alltägliche Sprache unterschiedlicher sozialer Gruppen in der Stadt (vgl. Brang 1986, S. 146). Einen entscheidenden Entwicklungsschub bekam international die soziolinguistische Erforschung der Stadt in den 60er Jahren durch die Variationsanalysen von Labov (insbesondere die bahnbrechende Arbeit (1966) über den Sprachgebrauch in New York City) und die sprachsoziologischen und -psychologischen

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Untersuchungen der Mehrsprachigkeit in New York durch Fishman 7 . Der dritte wesentliche Ansatz, der insbesondere durch die Arbeiten von Gumperz soziolinguistisch wirksam wurde, ist die Ethnographie des Sprechens, die tendenziell für die Erforschung kleinerer Gemeinschaften von Bedeutung ist, auch von kleineren Gemeinschaften im städtischen Rahmen. 8 Der internationale Einfluß dieser Ansätze hängt damit zusammen, daß sie mit expliziten soziologischen Konzepten (wie Schicht, Netzwerk, Domäne, Sozialökologie), mit elaborierten empirischen Verfahren (Stichproben, Tests, teilnehmender Beobachtung) und zentralen linguistischen Konzepten (z.B. Labovs Variablenregel, Gumperz' Konzept des situativen und des metaphorischen Code-switching) die sprachliche Vielfalt in der Stadt angehen. In Abhängigkeit von den nationalen Forschungstraditionen verlief die Rezeption dieser Arbeiten unterschiedlich, sie prägten aber insgesamt den Stil neuerer Arbeiten der Soziolinguistik der Stadt in Europa. Die Bestandsaufnahmen der letzten Jahre verbinden die Rezeption und Würdigung dieser neueren Entwicklungen mit einer Rückbesinnung auf vorhandene Traditionen. Der tiefere Grund dafür ist, daß in der Soziolinguistik (am Gegenstand der Stadt bzw. des Ortes, aber nicht darauf beschränkt) erneut programmatisch wichtige Entwicklungsschritte vollzogen werden und daß dabei der Gefahr zu begegnen ist, daß durch Einseitigkeit und durch die Verengungen der Perspektive (die auch durch Methodenfortschritte motiviert sein können) Rückschritte im soziolinguistischen Gesamtprogramm eintreten. Seit den 60er Jahren sind neuere Entwicklungen der Linguistik hervorgetreten, die auch in der Diskussion der letzten fünfzehn Jahre um die soziolinguistische Programmatik bedeutsam geworden sind. Zu diesen Ansätzen gehören die Textlinguistik, die linguistische Pragmatik und die Gesprächsanalyse. Gleichzeitig haben sich auch grundsätzlich erweiterte Möglichkeiten der Untersuchung der Sprachverwendung ergeben: Genaue Beobachtungen der Sprachverwendung in natürlichen Situationen sind erst seit der Entwicklung der entsprechenden Aufnahmetechnik möglich. Die notwendige Technik für Studioaufnahmen existierte schon länger und führte zu einer technischen Verfeinerung der Befragungssituation, gestattete aber keine Annäherung der Beobachtung an die reale Verwendungssituation. Die programmatische Reflexion der Stadtsprachenforschung orientiert sich an verschiedenen Forschungsansätzen, vor allem an neueren dialektologischen, soziolinguistischen und soziologischen Gemeindeuntersuchungen, die versuchen, ein integriertes Modell der sprachlichen Realität der Stadt zu entwickeln. Die sprachlichen Verhältnisse in der Stadt und die städtische Kommunikation sind bereits unter unterschiedlichen Perspektiven untersucht worden: 7

Vgl. Fishman/Cooper/Ma (1968); zur Mehrsprachigkeit und den damit verbundenen sozialen und sprachlichen Prozessen vgl. auch den Forschungsbericht in Hamel (1988).

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Vgl. G u m p e r z / H y m e s (1964), (1972); Hymes (1962), (1977).

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(a) Die Sprachgeschichte untersucht die Rolle der Stadt für die Entwicklung einer Standardsprache (Bach 1970, von Polenz 1978); sprachliche Prozesse werden hier im Rahmen von Theorien über Modernisierung und Sprachverbreitung erklärt (Debus 1962, Mattheier 1982). Dittmar/Schlieben-Lange (1982a) heben die besondere Entwicklung der historischen Stadtsprachenuntersuchungen im romanischen Sprachraum hervor (u.a. Sobrero 1978) und konstatieren ansonsten: „Besonders vernachlässigt wurde die Sprachgeschichte der Städte" (1982a, S. 66); Brang (1986, S. 166) stellt etwas Ahnliches für den slawischen Sprachraum fest, trotz der frühen programmatischen Formulierungen von Vinogradov zur Geschichte der Stadtsprache von Moskau und Petersburg und trotz der Arbeiten von Wieczorkiewicz zu Warschau. In der Germanistik sind seitdem eine Reihe von Projekten zur historischen Stadtsprachenforschung hervorgetreten: Cherubim/Flechsig (1984) zu Braunschweig, Maas (1984), (1988) und McAllister-Hermann (1983) sowie (1988) zu Osnabrück, Hoffmann/Mattheier (1985) zu Köln, Wildgen (1986) zu Bremen und Bauer (1988) zu Straßburg. Zumindest aus deutscher Perspektive sieht es so aus, als würde das zuletzt von Dittmar/Schlieben-Lange aufgezeigte Defizit allmählich ausgeglichen. Interessant an den neueren historischen Arbeiten ist, daß Gesichtspunkte aus der Gemeindeforschung und der ethnographischen Soziolinguistik auf die Untersuchung historischer Verhältnisse übertragen werden. So weisen Hoffmann/Mattheier (1985) d a r a u f h i n , daß die historische Stadtsprachenforschung einen weiten Begriff von „Stadtsprache" zugrunde zu legen habe, wie er sich gerade in der Erforschung gegenwärtiger Verhältnisse in der Orts- und Stadtsprachenforschung ergeben hat: „Es reicht nicht aus, die Wechselwirkung zwischen Stadt und Sprache auf den Aspekt der Entstehung der Einheitssprache zu beschränken" (S. 1837), auch wenn bei der Entwicklung der Einheitssprache die Städte natürlich eine leitende Rolle gespielt haben. Es geht um die Stadtsprache als „das Ensemble aller zu einer Zeit aktiv verwendeten und miteinander verwandten Varietäten" sowie zusätzlich um „alle Sprachen, die in früheren Zeiten innerhalb der Stadt schriftlich und mündlich verwendet und verstanden wurden" (S. 1838). 9 (b) Aus der Sicht der Ortssprachenforschung erscheinen Stadtsprachen als besondere Sprachen, die sich von den ländlichen Dialekten der umliegenden Regionen unterscheiden. Stadtsprachen entwickelten sich im Zuge von Wanderungsbewegungen und im Zusammenhang mit der Rolle der Standardsprache im städtischen Raum. Städtische Sprache wird hier als 'Ausgleichssprache' auf9

Interessanterweise findet z.T. auch eine Annäherung an die Analyse der konkreten Verwendungszusammenhänge und der situativen Konstitution von Äußerungen trotz aller damit verbundenen Probleme statt. So versucht z.B. Maas in der Untersuchung der Verdrängung des Niederdeutschen durch das Oberdeutsche im Osnabrück der frühen Neuzeit Texte als Inskriptionen einer Schreibpraxis zu analysieren und über die Korrekturen, Reformulierungen usw. sprachliche Orientierungen der Schreiber zu erfassen (vgl. Maas 1988).

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gefaßt, die die Unterschiede zwischen verschiedenen Dialekten einebnet u n d eine mittlere Sprachschicht zwischen Dialekt und Standardsprache bildet - die städtische U m g a n g s s p r a c h e . 1 0 W i c h t i g für die Weiterentwicklung der Soziolinguistik der Stadt erscheint, daß die Sprachenkonstellation in der Stadt als Varietätenraum aufgefaßt wird, der aus allen miteinander in Verbindung stehenden Sprachen und Sprachvarietäten gebildet wird (vgl. z.B. H o f f m a n n / M a t t h e i e r 1985, S. 1837). I m R a h m e n einer solchen umfassenden Konzeption kann dann ggf. die Beschreibung von bes t i m m t e n Sprachlagen als Ausschnitt des städtischen Varietätenraums vorgen o m m e n werden. Für die Soziolinguistik der Stadt ist unter sprach- und sozialgeographischer Perspektive das Stadt-Umland-Verhältnis von besonderem Interesse. Verdichtete Beobachtungen i m U m f e l d der S t a d t können genauere Aufschlüsse über die A u s d e h n u n g der Stadt durch Sprach- und Kulturformen geben. Debus (1962, S. 25) z.B. hatte bei der Betrachtung der Ausstrahlung von S t ä d t e n wie Köln, Düsseldorf, Kassel oder Marburg darauf hingewiesen, daß auf der Grundlage der D a t e n der Wenker-Erhebung u m 1880 feststellbar ist, in welchem U m f a n g der Prozeß der Verstädterung vor der politischen Eingem e i n d u n g erkennbar ist (vgl. dazu auch Mattheier 1982). Für die B e h a n d l u n g des Stadt-Umland-Verhältnisses ergibt sich damit eine Verbindung zur Untersuchung von Urbanisierungseinflüssen in der Ortssprachenforschung (vgl. u.a. Gal 1979; Besch et al. 1981). 1 1 10

In der neueren Germanistik wird die Erforschung der städtischen Umgangssprache wesentlich von Moser (1960) und Debus (1962) als T h e m a etabliert. Zur Auseinandersetzung mit der Bestimmung von Umgangssprache vgl. Munske (1983) sowie Steger (1984). Wir kommen im Beitrag 3 auf das Problem zurück.

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Die sprachliche Auswirkung von Urbanisierungsprozessen in ländlichen Regionen sind auch Gegenstand einiger der in Pedersen (1985) dargestellten skandinavischen Projekte. Besonders interessant erscheinen in dieser Hinsicht zur Zeit die Arbeiten am NADIR (vgl. Sobrero 1985 u. 1986), weil hier Wanderungsbewegungen und Aktionsräume, Netzwerke und soziale Kategorisierung exemplarisch behandelt werden. Hinsichtlich der Frage, wie weit die Stadt eigentlich reicht und wie die Prozesse der Stadtbildung verlaufen, zeigen die vorliegenden Untersuchungen unterschiedliche Konstellationen, u.a. in Abhängigkeit davon, ob sich eine ländliche Gemeinschaft durch Arbeits- und Einkaufspendeln allmählich für städtische Einflüsse öffnet (wobei sich der Wandel der Erwerbsform von der Landwirtschaft zur Industriearbeit als ein entscheidender Faktor für den Sprachwandel erweist, wie z.B. Gal 1979 nachweist), oder ob eine bereits urbane Population zuwandert und auf diese Weise eine Koexistenz von verschiedenen Kulturen im Rahmen von kleinerer Ortschaften entsteht (mit unterschiedlichen Konsequenzen f ü r die Definition der beteiligten Sprachen; vgl. dazu u.a. Chauvin 1985). In diesen Kontext gehören auch Grenzphänomene des Städtischen wie die Ansiedelung von Arbeitern und Angestellten großer Industriewerke im ländlichen Kontext, wobei die Bewohner nach der Erwerbsform und nach der Lebensweise Städter sind, aber wesentliche Merkmale der Stadt wie z.B. ein Zentrum fehlen. Dazu gehören andererseits auch Ballungsräume ohne klares Zentrum wie das Ruhrgebiet (vgl. u.a. Günter 1980; Thies 1982; Mihm 1985a) oder auch Ballungsräume wie die Region von Städten wie London oder Paris, mit einem starken Gravitationszentrum und einer großen Zahl von Städten und Dörfern im Umfeld, mit der Tendenz zusammenzuwachsen,

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(c) Die Sozialdialektologie faßt die sprachlichen Differenzierungen in der Stadt im Begriff des „urban vernacular" (Labov 1966). Die sprachlichen Differenzierungen werden erklärt durch das Bedürfnis nach sozialer Differenzierung in einem dicht bevölkerten Raum. Die Vorstellung von einer Sprachgemeinschaft bezieht sich eher auf ein gemeinsames System von sozialem Wissen und von sprachlichen Bewertungen als auf sprachliche Gleichheit. Im Zusammenhang damit steht die Aufgabe der Beschreibung von sprachlichen Konvergenz- und Divergenzvorgängen und deren Erklärung. Ein allgemeines Merkmal der komplexen städtischen Verhältnisse ist, daß sich unterschiedliche Prozesse der Durchsetzung von dominanten Normen bzw. der Anpassung an diese, der Beharrung und auch der produktiven Differenzierung überkreuzen. Die sprachlichen Unterschiede werden nicht geringer, sondern sie verlagern sich. Eine solche Verlagerung stellt z.B. die Tendenz dar, daß im Kontakt von Dialekt und Standardsprache insbesondere die phonologischen Systeme langfristig konvergieren, während sich in der Lexik große Unterschiede erhalten bzw. sich in Prozessen der sozialen Differenzierung neu entwickeln. Gegenläufig zur Konvergenz im phonologisch-phonetischen Bereich ist die Tendenz, auch kleine sprachliche Unterschiede als sozial bedeutsam zu konservieren. Ein allgemeiner Befund ist auch, daß sich bei aufwärts mobilen Bevölkerungsschichten, die der negativen Bewertung ihrer Herkunftssprache entrinnen wollen, besondere Normenorientiertheit und zugleich Merkmale der Unsicherheit wie Hyperkorrekturen oder starke Schwankungen zwischen kontrolliertem und unkontrolliertem Sprechen zeigen. 12 (d) Neben der Variation auf der Achse zwischen Standard und Dialekt ist ein weiterer prägender Aspekt der städtischen Sprachenkonstellation die Mehrsprachigkeit unterschiedlicher Form und Herkunft. Es gibt einmal den Fall der Kopräsenz von mehreren Sprachen in Staaten mit mehreren staatlich anerkannten Sprachen, die auch regional verteilt sind, wobei die langfristig mehrsprachigen Städte an den innernationalen Sprachgrenzen liegen und die Kopräsenz der Sprachen u.a. gestützt wird durch den Bezug auf das jeweilige „Hinterland", d.h. die entsprechenden Sprachregion. Das ist z.B. der Fall in einer Reihe von Schweizer Städten oder in Belgien, insbesondere in Brüssel. Ein anderer Fall ist die Uberlagerung von regionalen Minderheitensprachen durch die dominante Staatssprache (z.B. in Katalonien, Südtirol usw.). In diesen Fällen spitzt sich die konfliktäre Sprachenkonstellation in den Städten besonders zu wegen der Präsenz der dominanten Sprache in den politischen, administrativen und wirtschaftlichen Zentren. z.T. auch mit der Tendenz, eine funktionierende Gemeindestruktur und damit auch eine gewisse Eigenständigkeit zu erhalten. 12

Ein Beispiel für dieses letzte Phänomen liefert die Untersuchung von Dressler/Wodak (1982) über das Verhalten von Angeklagten und Zeugen unterschiedlicher sozialer Herkunft in der Gerichtssituation.

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Und schließlich gibt es die Mehrsprachigkeit aufgrund von überregionaler und internationaler Migration. Uberregionale Migration ist z.B. ein relevanter Faktor in den norditalienischen Städten mit der Zuwanderung aus Siiditalien (vgl. Dittmar/Schlieben-Lange 1982b) oder in Barcelona mit der Zuwanderung aus Andalusien. Bei den internationalen Wanderungsbewegungen ist die Arbeitsmigration der entscheidende Faktor, gefolgt von der Migration politischer Asylanten. Insbesondere die Gastarbeiter sind Gegenstand der Soziolinguistik geworden, wobei die Gastarbeiterstudien in Europa z.T. eng an den amerikanischen Einwandereruntersuchungen orientiert waren. Der Untersuchungsgegenstand ist meistens nicht die Stadt, sondern eine Bevölkerungsgruppe mit spezifischen sprachlichen Defiziten. Aber als Folge von Segregationsprozessen finden diese Wanderungsbewegungen auch einen sozialgeographischen Niederschlag in der Stadt bis hin zur Ghettobildung. Insgesamt gilt für die verschiedenen Arten der städtischen Mehrsprachigkeit, daß die Stadt aufgrund ihrer Zentrumsfunktion sowie der innerstädtischen Verdichtungs- und Segregationsprozesse als Brennpunkt für soziale, sprachliche und politische Konstellationen fungiert, deren Existenz nicht an die Stadt gebunden ist. Die Ausprägung dieser Konstellationen sind dann aber wieder typisch städtisch. (e) Ethnographische Studien über Sprachgemeinschaften zeigen die Bedeutung sozialer Netzwerke und sozialer Orientierungen für die Aufrechterhaltung von Sprachen und für Sprachwandel (Gumperz 1972; Blom/Gumperz 1972). Die Zugehörigkeit zur lokalen Gruppe bedeutet meist Aufrechterhaltung der Gruppensprache, doch diese Sprache muß keine lokale Sprache sein, sie kann auch eine regionale Sprache sein. Wesentlich ist die soziale Bedeutung, die die Sprecher ihr zuschreiben. Die Einteilung der Stadt nach Stadtteilen bzw. Wohnquartieren und städtischen Arealen wird in der soziolinguistischen Stadtforschung vielfach als Auswahlund Einordnungsrahmen und für innerstädtische Kontrastbildungen benutzt (z.B. bei der Gegenüberstellung von einem Arbeiter- und einem Mittelschichtstadtteil in Berlin; vgl. Dittmar/Schlobinski/Wachs 1987). Darüber hinaus werden Stadtteile auch in ihrer Orientierungs- und Abgrenzungsfunktion für die Bevölkerung untersucht. Besonders wichtig ist hier die schon klassische Untersuchung von Milroy (1980) zu drei Stadtteilen von Belfast, in der sprachliche Resistenz gegen eine sprachlich und ökonomisch dominante Umgebung mit der Geschlossenheit der städtischen Milieus erklärt wird. 1 3 (f) Studien über städtische Subgruppen und ihre Kultur betrachten die Stadt als multi-ethnischen und multi-lingualen Raum. Wanderung und soziale Se13

Die Gliederung von Ortsgesellschaften und deren Binnenstrukturierung aus soziolinguistischer Perspektive ist in der letzten Zeit u.a. in vorbildlicher Weise an zweisprachigen Ortschaften in Mexiko dargestellt worden; vgl. Hamel (1988) u. Sierra (1987).

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gregation setzen soziale Prozesse in Gang, die zu kultureller Assimilation und Sprachangleichung führen oder zu mehr oder weniger geschlossenen ethnisch zentrierten Gruppen in Ghettos oder in „urban villages" (Gans 1962; Fishm a n / C o o p e r / M a 1968; Labov 1972; Suttles 1968; Milroy 1980; Poplack 1981). Es gibt eine Reihe schon klassischer Gruppen- und Milieuuntersuchungen unterschiedlicher Ausrichtung. Dazu gehören Studien aus der symbolischen Anthropologie, der Soziologie und der Soziolinguistik z.B. zur „taxi dance hall" von Cressey (1932), über die „street corner society" von Whyte (1955), zu den schwarzen Jugendlichen in New York von Labov (1972a) oder auch die Studien von Jugendkulturen in England (vgl. Willis 1978). Es handelt sich hier um Gruppen und Milieus, die in ihrer Existenz an die Stadt gebunden und in ihrer Zusammensetzung, den Formen ihrer sozialen Organisation und in ihrem sozialräumlichen Verhalten typisch städtisch sind. Insofern sind sie ein gutes Beobachtungsobjekt für die detaillierte Untersuchung des Sprachverhaltens in der Stadt (vgl. auch Dittmar/Schlieben-Lange 1982a). Eine wichtige Aufgabe der Gruppenforschung im Rahmen der Soziolinguistik der Stadt ist zu untersuchen, in welcher Weise derartige Gruppen, Milieus und Subweiten im städtischen Raum einerseits von überlokalen, in der Regel überregionalen, auch übernationalen Bezügen geprägt (wie die verschiedenen Spielarten der Jugendkultur), andererseits aber auf das spezifische städtische Umfeld bezogen sind. Es kommt darauf an zu zeigen, welche Rolle die spezifischen Verhältnisse für die Gruppe spielen und welche Rolle die Gruppe für die städtische Umwelt spielt. 14 (g) Studien zur interkulturellen Kommunikation und zu anderen Formen von Sprachkontakt in der städtischen Kommunikation heben den offenen Charakter der städtischen Gesellschaft hervor als Folge moderner Mobilität und des zunehmenden Verschwindens stabiler sozialer Grenzen. In dieser Art von Gesellschaft wird die Sprache nur zum Teil bestimmt durch soziale Netzwerke. Ebenso wichtig sind Begegnungen auf fremdem Territorium, Schlüsselsituationen im Kontakt mit Institutionen (Erickson/Shultz 1982; Gumperz 1984) und mehr oder weniger öffentliche „sprachliche Märkte", auf denen die Beteiligten 14

In diese Richtung gehen u.a. neuere Studien zu Gruppen von Jugendlichen wie z.B. die Arbeit von Laks (1980). Im theoretischen Rahmen der Soziologie des sprachlichen Marktes und der Ausbildung sozialer Unterschiede untersucht Laks mithilfe einer Kombination von Ethnographie und Labovscher Variablenanalyse eine Gruppe von Jugendlichen in einer Stadt der Pariser Banlieue, Villejuif, die sich in einem Jugendzentrum angesiedelt haben und die in ihren Gruppeninteraktionen sprachliche Unterschiede reproduzieren, die aufgrund der sozialen Zusammensetzung der Stadt im Rahmen der städtischen Gesellschaft relevant sind; es gibt hier also eine Korrespondenz von gruppeninternem und externem sprachlichem Markt, und die Prozesse der Durchsetzung der dominanten Sprachnorm, die in der städtischen Gesellschaft ablaufen, vollziehen sich auch innerhalb der Gruppe. Eine interessante soziolinguistische Analyse einer professionellen Welt, die in ihrer Existenz an städtische Bedingungen gebunden ist, liefert die Untersuchung von Schütte (1991) über die Scherzkommunikation unter Orchestermusikern.

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die soziale Bedeutung von Sprache festlegen und erfahren (Bourdieu 1982a). Wegen der Anonymität sozialer Beziehungen sind die Sprache und das Sprachverhalten von großer Bedeutung für die Selbstdarstellung, die Durchsetzung territorialer Ansprüche und den Umgang mit Problemen, die aus unterschiedlichem kulturellem Wissen erwachsen (Gumperz 1984). 15 Die Forschung zur interkulturellen Kommunikation wird häufig nicht explizit auf sozialräumliche Einheiten wie die Stadt bezogen, faktisch ist dieser Bezug aber in den meisten Fällen gegeben, und er läßt sich auch systematisch herstellen (vgl. z.B. Gumperz 1984). Aufgrund der Migration und der Gemeinschaftsbildungsprozesse innerhalb der Stadt ist die Stadt ein Raum, in dem interkulturelle Kontakte gleichsam normal sind. Der interkulturelle Kontakt erscheint dabei als ein besonders markanter Fall des Kontakts von Fremden im offenen städtischen Territorium oder in institutionellen Kontexten; dabei gelten gerade alle Voraussetzungen an geteiltem Wissen nicht, die für relativ geschlossene Gruppen und Milieus charakteristisch sind. Die interkulturelle Kommunikation stellt eine Zuspitzung der Fremdheitssituation dar, insofern hier auch der Rekurs auf kulturelles Hintergrundwissen als Verständigungsgrundlage fragwürdig wird (vgl. auch Streeck 1985). Die genannten Forschungsansätze sind zum Teil aus methodischen und theoretischen Gründen unvereinbar miteinander, sie zeigen in ihrer Gesamtheit aber vielfältige Merkmale der komplexen sprachlichen und sozialen städtischen Wirklichkeit. Diese Aspekte zusammen ergeben so etwas wie das Profil einer „vollständigen" Stadtuntersuchung, das aber wohl in keinem konkreten Projekt umfassend und gleichgewichtig verwirklicht werden kann. Die derzeitige Diskussion hebt die wesentlichen Probleme bei soziolinguistischen Gemeindestudien hervor: einmal die soziale und sprachliche Heterogenität der Stadt und zum anderen die Mechanismen der sozialen Bewertung von Formen sprachlichen Verhaltens. Ein wesentliches Problem ist immer noch die Identifizierung und Abgrenzung von Varietäten städtischer Sprache. In der Diskussion um die „städtische Umgangssprache" als eine durch Ausgleichsphänomene geprägte Sprachschicht zwischen Mundart und Hochsprache ist die Abgrenzung der Schichten immer ein Problem geblieben, und diese Schwierigkeiten haben vielfach zur Aufgabe des Schichtungskonzeptes zugunsten der von La15

Die Anonymität in der Stadt ist ein altes T h e m a der soziologischen Stadtforschung aus den 20er Jahren. Gerade als Ergänzung zur Erforschung kleinräumiger sozialer Strukturen in der Stadt ist dieser Aspekt wichtig. Die Markierung von Vertrautheit und Fremdheit bzw. von eigener und fremder Welt durch Sprachwahl ist auch ein fester Bestandteil von Untersuchungen zum code-switching (vgl. u.a. Gumperz 1982a). Darüber hinaus kann man anknüpfen an Überlegungen über die Bedeutung der Fremdwahrnehmung und Selbstdarstellung gegenüber Fremden und die davon abgeleitete Bedeutung von einfachen sprachlichen Merkmalen als soziale Indikatoren (vgl. u.a. die Unterscheidung von Indikatoren, Markern und Stereotypen bei Labov 1966; vgl. auch sozialpsychologische Arbeiten zum interkulturellen Kontakt, z.B. Giles/Smith 1979).

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bov vertretenen Kontinuumsvorstellung geführt. 1 6 In der Diskussion um die konkurrierenden Modellvorstellungen des sprachlichen Kontinuums bzw. verschiedener Varietäten (Existenzformen; vgl. Härtung 1981b) scheint es zur Zeit zwei gegenläufige Tendenzen zu geben. Auf der einen Seite ist offenbar die Variation zwischen Standardsprache und Dialekt besonders gut zu beschreiben auf der Grundlage des Kontinuumsmodells. Auf der anderen Seite ist es aber so, daß zumindest subjektiv, bei der Selbst- und Fremdeinschätzung, das Kontinuum in „eigene" und „fremde" Sprache gegliedert wird bzw. in eine Zone der „normalen", unmarkierten Sprache und Zonen der auffälligen, markierten Sprache (nach oben zum Standard und nach unten zum Dialekt; vgl. Rosenberg 1986; Stehl 1988). Das Kontinuum wird von den Gesellschaftsmitgliedern jeweils aus einer spezifischen sozialen Perspektive gegliedert, d.h. soziozentrisch, und eine wichtige Aufgabe der Beschreibung ist sicher die Bestimmung der unterschiedlichen sozialen Perspektiven in Abhängigkeit von aktiven und passiven Sprachkenntnissen, von Innen- und Außenorientierungen in Bezug auf lokale Gemeinschaften. 1 7 Auch die Vorstellung von der Ortsgemeinschaft als Sprachgemeinschaft wird ernsthaft in Frage gestellt (Gumperz 1972; Milroy 1980; Romaine 1982a). 18 Die Frage ist immer noch nicht gelöst, in welchem Sinn eine komplexe Einheit wie die Stadt oder größere Teile der Stadt eine Sprachgemeinschaft bilden, und wie diese Form sozialer Organisation durch Sprachverhalten ausgedrückt und aufrechterhalten wird. Weiteren Aufschluß über derartige Fragen können u.U. Studien geben, die sich mit der „kulturellen Arbeit" beschäftigen, welche die Bewohner leisten, wenn sie sprachlichen Formen soziale Bedeutung zuschreiben und wenn sie sich mit ihrem Sprachverhalten in Beziehung setzen zu relevanten 16

Zur Kritik am Schichtungskonzept vgl. u.a. Ammon (1973), während z.B. Mattheier ein entsprechendes Konzept als im Prinzip erforderlich beibehält (1981; 1985b). Vgl. auch die Diskussion dieser Problematik in Weiss (1985), Rosenberg (1986) und Stehl (1988).

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Eine an sich naheliegende Hypothese ist, daß die Verhältnisse je nach historischen Voraussetzungen und Stadtformen unterschiedlich liegen. Dressler/Wodak (1982) z.B. gehen zur angemessenen Berücksichtigung der Wiener Verhältnisse von einem Zweisprachenmodell mit österreichischem Standard-Deutsch und Wiener Mundart aus. Sie betrachten die sprachliche Situation in Wien als ein Beispiel für spezifisch europäische Verhältnisse im Unterschied zu den Verhältnissen in amerikanischen Städten, die durch hohe Mobilität der Bevölkerung geprägt sind und eher eine Kontinuumsvorstellung angemessen erscheinen lassen (1982, S. 366). Aber es bleibt natürlich die Frage, wie sich soziozentrische Sprachwahrnehmung und faktisches Variationsverhalten zueinander verhalten. Hier sind u.U. komplexere Verhältnisse möglich etwa derart, daß unterschiedliche Kategorien von Sprechern unterschiedliche Modelle als Bestandteil ihres sprachlichen Verhaltensstils praktizieren, u.U. sogar sich funktionsabhängig mal wie ein „Kontinuum-Sprecher" und mal wie ein „Existenzform-Sprecher" verhalten.

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Auf der anderen Seite gibt es in der Ortssprachenforschung den Versuch, das Gemeinschaftskonzept aufrechtzuerhalten und durch Flexibilisierung variabler zu machen, so bei Mattheier/Besch (1985).

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sozialen Kategorien und zu situationeilen Normen. Derartige Fragen werden am ehesten in den Arbeiten der ethnographischen Soziolinguistik untersucht. 3.

D a s B e o b a c h t u n g s f e l d : die S t a d t M a n n h e i m

Es lag nahe, den Sitzort des Instituts für deutsche Sprache als Beobachtungsfeld für eine Untersuchung zu wählen, die auf längerfristige und genaue Beobachtung des sozialen Lebens in der Stadt angelegt ist und nicht mit einer Fragebogenaktion oder mit einer Serie von Interviewaufnahmen zu erledigen ist. Die Mitarbeiter sind in das städtische Leben eingetaucht als teilnehmende Beobachter. Durch die kontinuierliche Anwesenheit in bestimmten städtischen Bezirken sind sie als vertraute Beobachter bei vielen Gelegenheiten zugelassen worden, die einem Beobachter, der nur kurz im „Feld" präsent ist, verschlossen bleiben. Und sie haben auch teilgenommen am städtischen Leben in dem Sinne, daß sie die untersuchten Gruppen bei ihren Belangen unterstützt haben, ihnen als Gegenleistung nützlich waren. Auch das ist eine Bedingung für die extensiven Beobachtungsrechte, die sie genossen haben. Das alles ist nur vom festen Standort aus machbar und nicht „auf der Durchreise" zu erledigen. Mannheim, eine Stadt von 300.000 Einwohnern, bildet das wirtschaftliche Zentrum einer hochindustrialisierten Region (Rhein-Neckar-Raum) mit entsprechend dichter Bevölkerung und mit einer großen Zahl kleinerer Städte und verstädterter Dörfer. In Bezug auf die politischen und administrativen Funktionen hat sich Mannheims Stellung im Verlauf der Geschichte stark verändert von der Zentralität als Kurfürstliche Residenz und Hauptstadt der Kurpfalz mit einem Gebiet rechts und links des Rheins (1720-1798) zur Randstellung durch die Verlegung des Hofes (1798), durch die Zerschneidung der Kurpfalz mit einer Trennung der Gebiete auf beiden Seiten des Rheins und die Integration der Teile in unterschiedliche politische Gebilde (1802) - Mannheim wurde badisch und die linksrheinischen pfälzischen Gebiete bairisch. Heute liegt Mannheim an der Grenze Baden-Württembergs zu Hessen und zu Rheinland-Pfalz, wobei die Stadtgrenze (und der Rhein) mit den Landesgrenzen zusammenfallen. Wichtige politische und administrative Funktionen sind in Stuttgart und Karlsruhe angesiedelt. (Siehe Karte Nr. 1 im Anhang) Die absolutistische Planung hinterließ Mannheim ein geometrisch geordnetes, schachbrettartiges Zentrum im Bereich der alten Befestigungsgrenzen: die „Quadratestadt" mit einer Zählung der Häuserblocks - der Quadranten - mit einer Kombination von Buchstaben und Zahlen und einer Hausnumerierung rund um den Block herum. Die Besonderheit des stadtplanerischen Erbes ist deutlich präsent. Die Phase der Industrialisierung im 19. und 20. Jahrhundert begründete Mannheims Wirtschaftskraft - Mannheim hat zwei Häfen und ausgedehnte Industriegebiete sie ließ aber auch das Image Mannheims als einer „schmutzigen Stadt" entstehen. Die große Ausdehnung der Stadt durch Stadterweiterungen und Eingemeindungen in der Zeit zwischen 1870 und 1914

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schuf die Struktur einer „Stadt der Vororte" mit einer größeren Zahl durch die Bebauungsstruktur klar abgegrenzter Ortsteile. Aus dialektologischer Sicht ist Mannheim Teil des rhein-fränkischen, genauer des Pfälzer Dialektgebiets (vgl. Bräutigam 1934, S. 27). Die Mannheimer Region liegt an der Grenze der mitteldeutschen und der oberdeutschen Dialekte (sie liegt z.B. im p-/pf-Ubergangsbereich; vgl. Hefner/Ureland 1984). Alte lokale und regionale Sprachunterschiede (z.B. hessischer Einfluß im Norden des Mannheimer Gebietes) existieren zumindest in schwachen Reflexen im heutigen städtischen Gebiet fort. Es gibt bei lokal orientierten Bewohnern (zumindest aus der älteren und der mittleren Generation) ein Bewußtsein von Sprachunterschieden zwischen den einzelnen Stadtteilen (vgl. auch die Lehrerin Β in Kap. 1), das u.a. an bestimmten Stereotypen festgemacht ist: z.B. Monnem (Mannheim), Neggarau (Neckarau), Rot (Rhein) im Stadtzentrum vs. Männern, Neggaraa, Ret im Mannheimer Süden (Neckarau). 19 Aufgrund der großen Bevölkerungsbewegungen als Folge des zweiten Weltkriegs, der Arbeitsmigration, der Zuwanderung von Spätaussiedlern aus den früheren deutschen Ostgebieten seit 1970 sowie der innerdeutschen, regionalen und überregionalen Arbeitsmigration ist die Mannheimer Bevölkerung nach Herkunft und Sprache gemischt. Auch lokale Gruppen sind in der Regel gemischt in dem Sinne, daß zu den Mitgliedern Deutsche aus anderen Gegenden gehören. Aber Mannheim hat nach wie vor seine Stadtsprache. Allgemein kann man für eine solche Feststellung wohl drei Kriterien benutzen: (a) Es gibt Spracheigenschaften, die sich einerseits von der Standardsprache unterscheiden und andererseits von sprachlichen Merkmalen der umgebenden Region, wenn auch bei z.T. großen Ähnlichkeiten (so mit dem linksrheinischen Pfälzischen). Die klare sprachliche Opposition zwischen Stadt und Land war aufgrund der Ausdehnung der Stadt in die Region schon immer fragwürdig und ist es erst recht seit dem Anwachsen der räumlichen Mobilität der Einwohner. Aber es gibt Sprachunterschiede zu den lokalen Milieus in den umliegenden Ortschaften z.B. an der Bergstraße, im Süden und im Norden. (b) Die Mannheimer Sprache ist vital in dem Sinne, daß sie keine Sprache z.B. nur der Alten ist, sondern die normale Umgangssprache eines sehr großen Teils der jungen Leute. Und die Mannheimer Sprache ist im sozialen Leben der Stadt nicht auf einige eingegrenzte Situationen beschränkt, sondern allgemein verbreitet, mit den üblichen Abstufungen zwischen „breitem Dialekt" und dialektal gefärbter standardnaher Sprache für bestimmte offizielle, formelle Gelegenheiten. Das entspricht der allgemeinen Lage in der Südhälfte Deutschlands (vgl. Schuppenhauer/Werlen 1983; Clyne 1984). (c) Es gibt Vorstellungen von einer mit der Sprache zusammenhängenden Stadtkultur. Indikatoren sind die Figuren der „städtischen Mytholo19

Vgl. dazu auch Bausch/Probst (1984, S. 89).

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gie" (vor allem der Blumepeter, ein Blumenverkäufer aus den 20er Jahren, dem besonderer Mutterwitz zugeschrieben wurde) und Stereotype städtischen Verhaltens, insbesondere sprachlichen Verhaltens: die „Mannemer Gösch" ( / G o s c h / = M u n d / M a u l ) und das ,,Bloomaul"(/bloo/=blau) als ein Sprecher, der in besonderer Weise die lokalen (z.T. auch regionalen) Spezifika im Kommunikationsstil zeigt. Diese „mythologischen" Elemente werden von der offiziellen Kulturpolitik auch als Identifikationssymbole übernommen und gepflegt: Es wird ein „Bloomaulorden" an verdiente Mannheimer verliehen und es werden Blumepeter-Feste veranstaltet, bei denen volkstümliche Geselligkeit mit wohltätigen Zwecken verbunden wird. Das Verhältnis der offiziellen Symbole und der in der Bevölkerung lebendigen Vorstellungen von Mannheimer Stil ist noch genauer zu bestimmen und nicht unproblematisch. Aber auch die offiziellen Aktivitäten sind Teil einer sicher allgemeineren Arbeit an einer städtischen Identität, an der auch die alltäglichen Aktivitäten unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen teilhaben. Zu den Stereotypen über die Mannemer Gösch gehört die Vorstellung von der sprachlichen „Grobheit" bzw. Drastik - danach seien rennen statt laufen, in bestimmten Situationen auch saufen statt Irinken, fressen statt essen, nicht negativ qualifizierende Formen; Schimpfworte wie aldi/bledi kuh seien geläufig und in der lokalen Skala nicht besonders gravierend, könnten unbesorgt auch spaßhaft verwendet werden. Es soll eine ausgeprägte Vorliebe für den direkten Redestil geben; falsche Feinheit und Vornehmtun werden danach stark sanktioniert. „Sprüche" sollen eine große Rolle spielen, d.h. feste Redewendungen für schnelle und witzige Reaktionen. Zum Stereotyp des Mannheimers gehört schließlich auch die kurpfälzische Liberalität und Heiterkeit. Die Mannheimer verbinden mit ihrer Sprache einen „defensiven Sprachstolz", d.h., die Sprache ist zwar geliebt, aber prestigearm. Dafür mag es viele Gründe geben. U.a. spielt die proletarische Prägung von Mannheim als Industriestadt eine Rolle. Die Zeit des kurpfälzischen Hofes liegt lange zurück und endete mit einem Traditionsbruch, dem Wegzug des Hofes unter Mitwanderung des gesamten Personals. Die höfische Zeit hat Mannheim die absolutistische Anlage der Innenstadt (Schloß und Quadrate), ein kulturelles Erbe (insbesondere das Nationaltheater) und Identifikationssymbole (z.B. „Kurpfalz im Quadrat" als Bezeichnung des städtischen Sommerfestes) hinterlassen, aber prägend für die Identität Mannheims ist viel stärker die Industrialisierung des späten 19. Jahrhunderts. Zu der proletarischen Zuwanderung kam der wiederholte Wegzug der ortsansässigen Funktionselite hinzu. So waren z.B. im wirtschaftlich erstarkten Mannheim vor dem ersten Weltkrieg (1912) 60% der Stadträte keine gebürtigen Mannheimer. Dieser Umstand trägt sicher wesentlich dazu bei, daß es in Mannheim keine Prestigevariante der lokalen Sprache in der Art des „Honoratiorenschwäbisch" gibt (vgl. Engel 1962). Der defensive Sprachstolz kleidet sich u.a. in die Formel unser schbroch is aa e schbroch.

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F r a g e s t e l l u n g e n u n d Ziele der U n t e r s u c h u n g

Als die Projektgruppe 1981 die Arbeit aufnahm, betrat sie in theoretischer und methodischer Hinsicht ein Stück weit unsicheres Terrain. Deshalb war die Untersuchung mit einer Erkundung auf dem Feld soziolinguistischer Beschreibung und Theoriebildung verbunden. Gerechtfertigt und notwendig erschien ein solches Vorgehen trotz des damit verbundenen Aufwandes aus zwei Gründen. Zum einen stand bei soziolinguistischen Untersuchungen Phonetik/Phonologie, auch noch Morphologie und Lexik im Vordergrund, während andere Eigenschaften der Sprache wie Formen sprachlichen Handelns, Textmuster und rhetorische Eigenschaften vernachlässigt wurden. Es gibt gute Gründe dafür, diese Gegenstände auch in die soziolinguistische Forschung zu integrieren. Ein wichtiger Gesichtspunkt in diesem Zusammenhang ist, daß sprachliche Eigenschaften von Sprechern immer als Teil eines in sich mehr oder weniger konsistenten sprachlichen Verhaltens auftreten, das insgesamt soziale Zugehörigkeit und bestimmte soziale Eigenschaften signalisiert. Die Verbindung von Sprache und Redeweise gehört j a auch zur landläufigen Vorstellung von Stadtkultur: Zum Berlinischen gehört die „Berliner Schnauze", zum Mannheimerischen gehört die „Mannemer Gösch". Die Konsequenz für unsere Untersuchung der sprachlichen Selbst- und Fremddarstellung ist, daß wir alle Eigenschaften des Sprachverhaltens prinzipiell in Betracht ziehen und uns nicht von vornherein auf eine Beschreibungsebene (z.B. die phonologisch-phonetische Variation) festlegen. Zum anderen sind im Hinblick auf die Rahmentheorie über den Zusammenhang von Sprache und Gesellschaft noch viele Fragen offen, und die sozialen Strukturen und Prozesse, die für diesen Zusammenhang wichtig sind, werden nur ausschnitthaft, vielfach punktuell erfaßt. Die Soziolinguistik ist angewiesen auf eine Verbindung von soziologischen, linguistischen und kulturwissenschaftlichen Ansätzen. Eine Konsequenz für unsere Untersuchung ist, daß wir uns mit der sozialen Verflechtung von städtischen Gruppen, ihren Territorien, ihrer Einordnung in übergreifende soziale Strukturen und ihrer Beteiligung an der Organisation des sozialen Lebens, d.h. der Herstellung von Gemeinschaft besonders beschäftigen. Die Untersuchung verfolgt drei eng aufeinander bezogene Fragen. Diese nehmen jeweils den Gegenstand aus unterschiedlicher Perspektive in den Blick und bauen aufeinander auf: - Welche Kommunikationsformen sind entscheidend für die Herstellung und Aufrechterhaltung von sozialem Zusammenhalt unter städtischen Lebensbedingungen? - Wie benutzen die Stadtbewohner die Sprache als Ausdruck von sozialer Identität? - Wie fügen sich die Einzelaspekte des sprachlichen Verhaltens zum Gesamtbild von sozialen Stilen, und welche Rolle spielen solche sozialen Stile für die städtische Gesellschaft und ihre Sprache?

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Kommunikationsformen und sozialer Zusammenhalt

Der soziale und kulturelle Raum der Gemeinde im Sinne einer sozialräumlich organisierten und begrenzten Einheit ist sicher als ein wesentlicher Rahmen für die konkrete Erfahrung von sozialer Realität anzusehen. In ihm werden von den Gesellschaftsmitgliedern wichtige Eigenschaften der „Welt in unserer Reichweite" (A. Schütz), wichtige soziale Konstellationen und Handlungsspielräume im Rahmen der formalen oder informellen sozialen Organisation erfahren. In diesem Rahmen werden auch Außensteuerungen und Außenorientierungen der Ortsbewohner zur kleinräumig organisierten lokalen Welt ins Verhältnis gesetzt. Diese sozial komplexe, aber noch überschaubare Umwelt bildet in der Regel den Rahmen für wichtige Bezugseinheiten der Sozialisation (Familie, peer-Gruppen) und ist insofern von großer Bedeutung für die Entwicklung der Identität und - neben der Berufswelt - für die Manifestation der „authentischen Version des Selbst" (Suttles 1972, S. 264). Die „authentische Version des Selbst" zeigt sich u.a. darin, daß man in der eigenen Welt unverstellt redet („wie einem der Schnabel gewachsen ist") und daß man über erprobte Redeweisen für die relevanten sozialen Kontakte verfügt. Unser Ansatzpunkt sollte das Sprachverhalten im Rahmen von relativ begrenzten Zusammenhängen des sozialen Lebens sein, wie sie die Aktivitäten von lokalen Milieus, politischen Initiativen, kulturellen „Szenen" oder Arbeits-Teams konstitutieren. Es handelt sich dabei jeweils um die Verknüpfung einer Population in einem Geflecht sozialer Beziehungen und die Abgrenzung eines spezifischen Bezirks der gesellschaftlichen Wirklichkeit, in dessen Handlungszusammenhang sich ein besonderes Sinnsystem bildet, eigene Kommunikationsregeln gelten und sich Muster des sprachlichen Verhaltens entwickeln. Derartige Strukturen stellen soziale Rahmen dar, an denen sich die Handlungsorientierungen der Beteiligten und ihre Bewertungskriterien für angemessenes, erfolgreiches und authentisches Handeln ausrichten. Für die weitere Entwicklung einer Theorie der sozialen Rahmen kann man auf verschiedene Quellen zurückgreifen. Wir wollen hier nur auf einen Anknüpfungspunkt hinweisen, der für uns von Bedeutung ist, und zwar das Konzept der „sozialen Welt", das in der Tradition des Symbolischen Interaktionismus entwickelt wurde (vgl. die zusammenfassende Darstellung in Schütze 1987b). Danach basiert eine soziale Welt darauf, daß eine Menge von Individuen zur Bearbeitung sozialer Problemstellungen kooperiert; die problembezogenen Aktivitäten, die einen situationsübergreifenden „Arbeitsbogen" bilden, motivieren den Aufbau von Netzwerken, die Rekrutierung von Mitarbeitern, die Beschaffung von Ressourcen, die Einrichtung von Arenen für die Auseinandersetzung um Ressourcen, Normen usw. und zur Selbstdarstellung. Im Rahmen solcher sozialer Welten werden Verhaltensstile ausgebildet, wobei modellhafte, erfolgreiche und als authentisch empfundene Verhaltensweisen eine Leitfunktion haben; und es werden spezifische Sinnsysteme entwickelt (Normen, Kate-

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gorien und Kriterien für richtiges, erfolgreiches Handeln). 2 0 Für verschiedene soziale Welten liegen eingehende Untersuchungen vor: so die frühe Arbeit von Cressey (1932) zur „taxi dance hall" als einer typisch großstädtischen Form des Freizeitvergnügens, zu unterschiedlichen Professionsschulen im Bereich der Medizin und der Psychiatrie (Strauss et al. 1964/1981; Becker et al. 1961/1977), zur Welt der Kunst (Becker 1982), der Computerarbeit (Kling/Gerson 1978) und zum Alkoholismus (Wiener 1981). Solche sozialen Welten als Bezugseinheiten des sozialen Lebens oder eng verwandte Strukturen vermuten wir auch im Kontext des Wohnens, und wir nehmen an, daß diese sozialen Welten eine wesentliche Rolle bei der Bildung von Ortsgemeinschaften (in einem allgemeinen Sinne von lokal organisierter und gebundener Gemeinschaft) spielen. Im Rahmen dieser Fragestellung werden Kommunikationsereignisse und sprachliche Handlungsformen untersucht, die zentral sind für die Herstellung einerseits von strukturell-organisatorischen und andererseits von persönlichen Beziehungen und die dazu dienen, sozialen Zusammenhalt manifest zu definieren und sichtbar zu machen. Strukturelle Beziehungen sind solche, die aufgrund einer festen Organisationsstruktur vorgegeben sind und die mit personenunabhängigen, funktional definierten Rollen verbunden sind (also z.B. Vereinsmitglieder, politische Funktionsträger usw.). Für die Herstellung und Pflege von persönlichen Beziehungen sind Interaktionsformen ausschlaggebend, die Gelegenheit zu Solidaritätsbekundungen geben. Solche Interaktionsformen sind u.a. zwanglose Treffen in der Gruppe (z.B. Stammtisch oder Kaffeeklatsch), gemeinsames Feiern oder die persönliche Aussprache „unter vier Augen". Die dafür ausgebildeten Kommunikationsformen sind ein wichtiger Teil der „speech economy" bzw. des „kommunikativen Haushalts" (Luckmann 1985) einer Gemeinschaft. Eingehender beobachtet haben wir vor allem Kommunikationsformen der folgenden Art: (a) Kommunikationsereignisse und Handlungsformen, die Gelegenheit und Anlaß geben für die sprachliche Verarbeitung von Erfahrungen zusammen mit anderen Angehörigen der lokalen Gemeinschaft. Ausschlaggebend ist, daß hier wesentliche Belange der eigenen Biographie und des sozialen Lebens (z.B. Stadtteilprobleme) mit relevanten anderen verarbeitet werden und daß dabei Normen und soziale Kategorien expliziert werden. Beispiele dafür, die in unseren Analysen eine große Rolle spielen, sind biographische Erzählungen oder das Reden über Konfrontationen mit Institutionenvertretern. (b) Kommunikationsereignisse und Handlungsformen, die mit einer relativ direkten Bezugnahme auf die soziale Identität der Beteiligten und ihre sozialen 20

Zum Symbolischen Interaktionismus und den dort entwickelten Konzepten für soziale Einheiten vgl. Schütze (1987b); zur „sozialen Welt" vgl. Strauss (1978), (1979), (1982) und (1984), Becker (1974), (1978), (1982), sowie Schütze (1984) und (1987b).

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Beziehungen verbunden sind. Hier geht es um Kommunikationsformen, bei denen die gemeinsame soziale Präsenz fokussiert und das Zusammensein als Ausdruck für Gemeinsamkeit und Zusammengehörigkeit behandelt wird. Wichtige Fälle in unseren Analysen sind ausgebaute Formen des „bestätigenden Austausches" (Goffman 1971), der Gemeinsamkeit beim Reden über Dritte (Tratschen) oder spielerischer Aggressivität (z.B. beim Frotzeln oder Auf-den-Armnehmen). Die Kommunikationsformen haben für die Untersuchung der sozialen Identität und der sozialen Stilistik eine doppelte Bedeutung: Sie sind einerseits der Vorkommensrahmen für die konzentrierte Selbst- und Fremddarstellung (vgl. 4.2.). Sie sind zum anderen aber in ihrer spezifischen Ausprägung auch Teil der sozialen Stile (vgl. 4.3.). 4.2.

Sprache als Ausdruck von sozialer Identität

In einer ersten Annäherung soll 'soziale Identität' hier als 'soziale Zugehörigkeit' verstanden werden, d.h. die Zuordnung von Individuen zu größeren sozialen Einheiten (wie Gruppen, Ortsgesellschaften usw.) bzw. zu sozialen Kategorien (wie Einheimischer, Ausländer usw.). Diese Zuordnung nehmen lie Gesellschaftsmitglieder mit sich selber vor und andere mit ihnen und sie mit anderen. Soziale Identität ist das Ergebnis von Selbst- und Fremdzuschreibungen von Zugehörigkeit. Für die Behandlung des Zusammenhangs von Sprache und sozialer Identität sind in der Soziolinguistik unterschiedliche Ansätze verfolgt worden, die sich wesentlich in den Annahmen über die Festigkeit der sozialen Identität und der Zuordnung von Sprache und sozialer Identität unterscheiden. In der sozialpsychologischen Tradition ist die Indexikalität der Sprache betont worden in dem Sinne, daß sprachliches Verhalten die Identität des Inviduums zeigt, ggf. auch verrät. Dabei sind die Identität und die Sprache als weitgehend stabil gesehen worden, jedenfalls ist ihre dynamische Konstitutionsweise nicht in den Blick genommen worden. Soziologische Theorien haben die Frage der sozialen Identität unter zwei Aspekten betrachtet: unter gesellschaftsstrukturellen und unter interaktionsstrukturellen Gesichtspunkten. Charakteristisch für die sozialstrukturelle Perspektive ist z.B. die Schichtentheorie und die feste Zuordnung von Gesellschaftsmitgliedern zu sozialen Kategorien (vgl. hierzu auch die Diskussion der soziolinguistischen Entwicklung am Beispiel von Labov im Beitrag von Gumperz, Beitrag Nr. 10). Andererseits hat sich ausgehend von Mead (1934) ein Forschungsstrang entwickelt, bei dem gerade die Konstitution von sozialer Identität durch das Handeln der Individuen im Vordergrund steht. Aus dieser Perspektive ist wiederholt die starre Vorstellung von sozialer Identität kritisiert worden. Das interaktionistische Konzept von sozialer Identität betont den Herstellungs- und Aushandlungscharakter: Danach ist soziale Identität keine ein für alle Mal feststehende Größe, sondern wird in der Interaktion immer wieder festgelegt (vgl. auch Gumperz 1982). Dieser Ansatz wird in der Ethno-

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methodologie besonders strikt verfolgt. Neuere Arbeiten in der Soziolinguistik versuchen, Gesichtspunkte beider Richtungen zu verbinden (vgl. Heller 1987). Wir folgen im großen und ganzen der interaktionistischen Auffassung. Die sprachliche Selbst- und Fremddarstellung sehen wir als Schlüsselphänomen an für die Definition dessen, was die „eigene Sprache" ausmacht, und für die Definition der sozialen Bedeutung sprachlicher Ausdrucksweisen. Voraussetzung der sprachlichen Selbst- und Fremddarstellung ist die soziospezifische Sprache der Sprecher und deren Wissen über die Abgrenzung von Sprachen und Varietäten. Die Selbst- und Fremddarstellung zeigt dieses Wissen auf und manifestiert die Zuschreibung von sozialen Bedeutungen zu sprachlichen Verhaltensweisen. Die Selbst- und Fremddarstellung verdeutlicht also auch, welches Sprachverhalten der Identifikation mit der lokalen Gemeinschaft entspricht und welche Rolle die lokale Sprache als Identitätssymbol für die städtische Gesellschaft bzw. Teile von ihr spielt. Das Grundgerüst für die Selbst- und Fremddarstellung ist einerseits die soziale Referenz, d.h. die Referenz auf soziale Einheiten, und andererseits die Verdeutlichung von Eigenschaften dieser sozialen Einheiten. Grammatisches Kernstück der sozialen Referenz sind die Verfahren der Deixis, in erster Linie der personalen Deixis (ich/wir - die anderen), dazu gehören aber auch die lokale und die temporale Deixis (hier - dort, jetzt - früher usw.). Für das System der sozialen Referenz der beobachteten Gesellschaftsmitglieder spielen nach unserer Hypothese soziale Welten als Bezugsrahmen eine wichtige Rolle. Die Verdeutlichung sozialer Eigenschaften geschieht auf unterschiedliche Weise: durch explizite Charakterisierung, d.h. durch Benennung und Beschreibung, und durch die Markierung der Art und Weise, wie jemand spricht und handelt. Bedeutsam ist dabei die Art, wie jemand etwas sagt, und die Tatsache, daß jemand etwas im gegebenen Kontext (so) sagt. Dabei hat also das Wie des sprachlichen Handelns eine spezifische Ausdrucksfunktion. Wir sprechen in diesem Zusammenhang von Symbolisierung. Sehr deutlich werden symbolisierende Eigenschaften des Sprechens bei der andeutenden, imitierenden oder karikierend-übertreibenden Wiedergabe von Eigenschaften eigenen oder fremden Kommunikationsverhaltens. Daneben gibt es aber auch das Verkörpern von sozialen Eigenschaften durch die eigenen sprachlichen Handlungen. Auch dies ist eine wirkungsvolle Form der symbolischen, nicht offen benennenden Darstellung von sozialen Eigenschaften (bis hin zu sehr deutlichen Fällen der Stilisierung), ohne manifeste Referenz des Sprechers auf sich und andere, sondern gestützt auf die implizite Deixis des Sprechers auf sich und die Adressaten beim Vollzug sprachlicher Handlungen. Unser Konzept der symbolischen Verdeutlichung ist beeinflußt durch die Kontextualisierungstheorie von Gumperz. Am Anfang stand das Konzept des metaphorischen Code-switching. Als metaphorisch bezeichnet Gumperz Sprachwechsel, die nicht situativ für ganze Gespräche oder Gesprächsteile determi-

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niert sind, sondern sich als kurzfristige Wechsel von der Normallage des Kontextes abheben und von den Sprechern wie eine rhetorische Figur eingesetzt werden. Das metaphorische Code-switching dient zur schlaglichtartigen Verdeutlichung von sozialen Eigenschaften, kulturellen Hintergründen usw. Dieses Verfahren der Indizierung von sozio-kulturellen Kontexten ist nicht auf Variationsphänomene beschränkt, sondern dazu können ganz unterschiedliche Eigenschaften sprachlicher Äußerungen eingesetzt werden. 21 Weiterhin orientieren wir uns an den Arbeiten des Symbolischen Interaktionismus zum Verhalten des Individuums „im öffentlichen Austausch" (Goffman 1971a) und an Stilbildungskonzepten der symbolischen Anthropologie. Diese laufen auf die Vorstellung hinaus, daß die Gesellschaftsmitglieder ihre Lebenssituation analysieren und ihre Einsicht in die Lebensbedingungen und ihre Auseinandersetzung damit zum Ausdruck bringen, indem sie symbolisch bedeutsame Objekte suchen bzw. schaffen und sprachliche sowie nicht-sprachliche Verhaltensstile entwickeln. Symbolisch bedeutsam können die unterschiedlichsten Objekte sein, häufig sind es Gegenstände des Geschmacks wie Kleidung oder musikalische Werke bzw. Richtungen. 2 2 Eine weitere Quelle sind Ansätze der sogenannten Mikro-Ethnographie, die auf der Grundlage ethnographischer Beobachtungen mithilfe der Gesprächsanalyse situative, soziale bzw. kulturelle Bedingungen der sprachlichen Interaktion untersucht. Die Analyse zielt dabei nicht wie in der Konversationsanalyse auf die Feststellung grundlegender kontextfreier Strukturen, die allgemein mit verbaler Interaktion verbunden sind, sondern gerade auf die extreme Kontextsensitivität der Konstitutionsmechanismen. Eine genaue Gesprächsanalyse kann - gestützt auf die Kenntnisse über formale, kontextunabhängige Strukturen - sehr viel von den spezifischen Bedingungen rekonstruieren, die für die Beteiligten bei der Interaktionskonstitution relevant waren. 2 3 Unsere Analyse der symbolisierenden Selbst- und Fremddarstellung konzentriert sich einerseits auf die Rekonstruktion des Systems der sozialen Referenz der Sprecher und andererseits auf die folgenden sprachlichen Verfahren der Darstellung von sozialen Eigenschaften:

21

Vgl. u.a. Gumperz (1982a); das Konzept des Code-switching wird in Beitrag 3 in diesem Band diskutiert.

22

Vgl. u.a. Willis (1978). Bourdieus Theorie des sozialen Unterschieds und der Herstellung von Abgrenzung u.a. über Ausprägungen des Geschmacks bzw. der „Kultur" liefert von einem anderen Ausgangspunkt aus vergleichbare Darstellungen von Stilphänomenen; vgl. Bourdieu (1979).

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Zur Mikroethnographie vgl. u.a. Green/Wallat (1981); Erickson/Shultz (1982); Gumperz (1982b).

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(a) Regeln des Sprechens Dabei handelt es sich u m Regeln für die Themenwahl, für die richtige Gelegenheit und die angemessene Form für das Erzählen von Geschichten oder von Witzen, für Streit und für Mitleid, für Höflichkeit, Direktheit und Indirektheit des Sprechens usw. Mit dem Begriff 'Regeln des Sprechens' wird ein relativ weites und immer noch diffuses Feld umrissen. Der Begriff stammt aus der Ethnographie des Sprechens bzw. der Kommunikation (vgl. Hymes 1962; 1964; 1977). Nach dem Programm von Hymes wird mit den Regeln des Sprechens erfaßt, w o / w a n n wer in welcher Form mit wem über welche T h e m e n spricht, w o / w a n n wer schweigt, bei welcher Gelegenheit rituell gesprochen wird, wann gesungen wird usw. Regeln des Sprechens sind in diesem Sinne allgemein die Verwendungsregeln für Sprache in einer Gesellschaft. Ihre Untersuchung wurde in deutlichem Kontrast zu der linguistischen Beschränkung auf grammatische Regeln zum Programm gemacht. 2 4 Damit ist ein großes Arbeitsgebiet umrissen, mit dem sich eine Reihe von Wissenschaftsdisziplinen beschäftigt und das in der Regel nicht in seiner Gesamtheit als globale Aufgabe bearbeitet wird, sondern das in unterschiedlichen Forschungsansätzen jeweils in Ausschnitten behandelt wird. 2 5 Die Regeln des Sprechens sind ein für die soziolinguistische Theoriebildung wichtiges Bindeglied zwischen sprachlichen und sozialen Strukturen. Nach unserem Verständnis kann m a n die Aufgabe bei der Untersuchung von Regeln des Sprechens formulieren als: Auf der Grundlage allgemeiner Prinzipien und 24

Vgl. auch Frake (1980c), der sich auf die Aufgabenstellung von Ethnographie bezieht, wonach eine Kulturbeschreibung die Informationen enthalten soll, die ein Fremder braucht, um sich bei den unterschiedlichen Ereignisssen innerhalb einer Gesellschaft in unterschiedlichen Rollen angemessen verhalten zu können: „Our stranger requires more than a grammar and a lexicon; he needs what Hymes (1962) called an ethnography of speaking: a specification of what kinds of things to say in what message forms to what kinds of people in what kinds of situations." (S. 166).

25

Wenn man nicht nur explizite Formulierungen von Regeln des Sprechens, sondern allgemein die Behandlung von Regeln der Sprachverwendung in Betracht zieht, gibt es eine große Forschungsliteratur, vor allem anthropologischer, kommunikationssoziologischer, sprachphilosophischer und inzwischen auch linguistisch-gesprächsanalytischer Art. Neben den programmatischen Arbeiten von Hymes gehören Frakes Beschreibungen von komplexen Interaktionsereignissen wie dem Trinken bei Festen der Subanun auf Mindanao dazu (1980c), weiter die Arbeiten von Goffman zu Alltagsritualen und der Bewahrung des „Face" (z.B. 1971), die daran anknüpfenden Untersuchungen zur Höflichkeit von Brown/Levinson (1987), die konversationsanalytischen Arbeiten zur Gesprächsorganisation (vgl. Kallmeyer 1988), die Aussagen der linguistischen Pragmatik zu Situationsbedingungen und Gelingensbedingungen von Sprechakten; die ethnographischen Gemeindeuntersuchungen wie die von Gumperz (1972), Blom/Gumperz (1972) oder von Milroy (1980), in denen die Ökologie der Kommunikation, d.h. ihre Verteilung auf Schauplatze und soziale Konstellationen, erfaßt wird; die soziolinguistischen Arbeiten zum Kommunikationssystem in der Gesellschaft mit der Verbindung zwischen Domänen bzw. bestimmten Diskurswelten, Textsorten, Sprachwahl und Wahl des Mediums (Schrift oder gesprochenes Wort); vgl. u.a. Härtung (1981), Schlieben-Lange (1983).

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Verfahren der Interaktions- und Bedeutungskonstitution sind die im ethnographischen Sinne spezifischen Ereignisformen und Regeln der Sprachverwendung in einer Gesellschaft zu erfassen; dabei sind die Regeln des Sprechens einerseits auf die Formen der sozialen Organisation einer Gesellschaft zu beziehen und andererseits auf die Bildung von Symbolsystemen, in erster Linie des sprachlichen Ausdrucksystems. Regeln des Sprechens sind in unserer Untersuchung in zweifacher Weise relevant. Zum einen sind z.B. bestimmte Thematisierungs- und Höflichkeitsregeln oder auch Regeln der Konfliktbehandlung soziokulturell spezifisch. Was akzeptable und präferierte Unterhaltungsgegenstände sind, ist je nach Situation und sozialer Gruppe sehr verschieden; die Tabuthemen sind verschieden ebenso wie die Art, über sie zu reden usw. Zum anderen bilden die Regeln des Sprechens die Grundlage oder den Rahmen für die Anwendung von speziellen sprachlichen Verfahren wie der symbolisierenden Sprach variation, des formelhaften Sprechens und der sozialen Kategorisierung, die im folgenden dargestellt werden. (b) Sprachvariation Sprachvariation gibt es zwischen Situationen (entsprechend fester Situationsnormen für die Sprachwahl) und innerhalb von Situationen; beide Arten spielen für die Analyse der sozialen Bedeutung der beteiligten Sprachen bzw. Sprachvarietäten eine Rolle; für die Symbolisierungsanalyse ist jedoch insbesondere die innersituative Variation zentral. Untersuchungen des Variationsverhaltens konzentrieren sich zwangsläufig auf die sprachlichen Merkmale, welche die Sprecher zielgerichtet variieren können. Labov (1973) unterscheidet nach den Kriterien der Wahrnehmbarkeit und Kontrollierbarkeit durch die Sprecher drei Typen sprachlicher Merkmale: Indikatoren als praktisch vom Sprecher nicht wahrgenommene und nicht kontrollierbare Herkunftsindikatoren, Marker als wahrgenommene und zumindest versuchsweise kontrollierte sprachliche Merkmale und schließlich Stereotype als allgemein bekannte, wie ein soziales Etikett definierte und auch zur karikierenden Charakterisierung verwendete sprachliche Eigenschaften. Wie Untersuchungen zum Code-switching gezeigt haben, bedeutet allerdings zielgerichtetes, bedeutungsvolles Variieren nicht auch, daß die Variation den Sprechern bewußt ist und von ihnen wirksam kontrolliert werden könnte. 2 6 Wenn man mit diesem Vorbehalt Labovs Typen sprachlicher Merkmale zur Einordnung benutzt, so haben wir es bei unserer Analyse mit Markern und Stereotypen zu tun. Die beobachteten Sprecher bleiben auch bei den sprachlichen Verschiebungen von 26

Hinsichtlich der Reflektiertheit und Kontrolliertheit liegen diese Zeugnisse sprachlicher Bewertungen häufig zwischen reflektierten Auskünften im Interview und rein routinehafter Sprachpraxis (etwa wie sie Gumperz 1982a beim Code-switching untersucht, der darauf hinweist, daß diese Wechsel nicht bewußt vollzogen werden, sondern eher wie die Anwendung von grammatischen Regeln).

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einer dialektalen zu einer standardnahen Lage als Mannheimer Sprecher erkennbar. Wir berücksichtigen das bei der Kennzeichnung ihrer Variationsbreite, interessieren uns hier ansonsten aber mehr dafür, in welche Richtung sprachliche Verschiebungen erfolgen, mit welchen Mitteln sie realisiert werden und mithilfe welcher Verfahren ihnen soziale Bedeutung zugeschrieben wird. (c) Formelhaftes Sprechen (Redewendungen, Phraseologismen) Interessant sind hier insbesondere solche sprachlichen Formeln, die in ihrer Prägung und ihrer Bedeutung soziospezifisch erscheinen, also in besonderer Weise „eigene Sprache" einer Gruppe oder eines Milieus darstellen und ohne Kenntnis der Lebenswelt nur schwer verständlich sind. An ihrer Entstehung und Verwendung ist einerseits zu beobachten, wie die spezifischen Relevanzsetzungen innerhalb von sozialen Welten sprachlich verarbeitet werden, und wie andererseits Regeln für formelhaftes Sprechen (als wirkungsvolles phatisches Instrument der Gemeinschaftsbildung oder als zu meidende sozial markierte Ausdrucksweise) unterschiedliche soziale Stile prägen. (d) Sprachliche Ausdrücke für soziale Kategorisierung Hier geht es darum, mit welchen sprachlichen Ausdrücken die Gesellschaftsmitglieder die für sie relevanten sozialen Kategorien (d.h. soziale Typen wie 'Mann', 'Frau', 'Jugendlicher aus dem Arbeitermilieu', 'die feinen Leute', 'Ausländer' usw.) und deren Eigenschaften bezeichnen und wie sie die Selbst- und Fremdzuschreibung solcher Kategorien sprachlich verdeutlichen. Dabei kommen neben einzelnen Wörtern auch Formeln und komplexe Ausdrücke für stereotype Inhaltsfiguren und komplexe Formen des Verkörperns sozialer Eigenschaften in Betracht. Der Begriff 'soziale Kategorie' wird in den Sozialwissenschaften für feste Typen von sozialen Einheiten (Individuen, Gruppen) verwendet. Verfahren der Kategorisierung sind insbesondere mit der sog. Labelling-Theorie (Strauß 1959; Goffman 1963) und den daran anschließenden Untersuchungen der Zuschreibung und Aushandlung sozialer Identität in der Konversationsanalyse (Sacks 1972a und 1972b) und in der interaktionsanalytischen Soziolinguistik behandelt worden. Von Kategorisierung sprechen wir, wenn ein fester Kategorienbestand existiert, der in sich systematisch geordnet ist, und wenn die betreffenden Kategorien mit festen sprachlichen Ausdrucksweisen verbunden sind (Kategorienbezeichnungen, Formeln). Wenn es darum geht, die Konturen von sozialen Typen zu definieren oder bei der Charakterisierung von Individuen typische Merkmale zu suchen, sprechen wir von Typisierung (vgl. dazu generell Schütz 1971b und in der Folge Berger/Luckmann 1977). Der Übergang zwischen Typisierung als dem weiteren Begriff und Kategorisierung als einem engeren Begriff für den sozial ausgezeichneten und verfestigten Bereich der Typisierung ist fließend. Inter-

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essant für unsere Untersuchung sind u.a. Spuren von Veränderungsprozessen, d.h. der Veränderung von Kategoriensystemen durch die Typisierungsarbeit der Gesellschaftsmitglieder. 4.3.

Soziale Stile

Für bestimmte Milieus oder soziale Welten und ggf. die städtische Gesellschaft sind soziale Stile charakteristisch. Von solchen Stilen ist in der Regel die Rede, wenn Verhalten als „vornehm", „ordinär", „urban", „bäurisch" bezeichnet wird, und Stilbezeichnungen sind auch die Ausdrücke für 'typisch städtische' Redeweisen wie die „Berliner Schnauze" oder die „Mannheimer Gösch". Die linguistische Diskussion über den StilbegrifF beginnt erst allmählich klarere Konturen zu zeigen. Die wichtigsten Gesichtspunkte scheinen die folgenden zu sein. Als gemeinsamer Nenner kann angesehen werden, daß Stil am Zusammenhang einer Reihe von Merkmalen auf unterschiedlichen Ausdrucksebenen kenntlich wird, die ggf. über längere Äußerungen „gestreut" erscheinen - Stil ist kein punktuelles Phänomen, sondern wird durch leitende Prinzipien oder so etwas wie eine innere Logik bestimmt. Klärend in dieser Hinsicht ist in letzter Zeit die Arbeit von Sandig (1986) gewesen. Weiter sind sicher zwei Perspektiven auf die als „stilistisch" eingestufte Variation möglich und zu unterscheiden: zum einen wird von stilistischer Variation in dem Sinne gesprochen, daß an einer kontextuell determinierten Position eine Wahl zwischen zwei (oder mehr) bedeutungsgleichen Ausdrucksalternativen stattfindet; zum anderen wird die Variation zwischen verschiedenen Individuen oder Gruppen im Sinne von kulturellen Unterschieden untersucht, wobei davon ausgegangen wird, daß ggf. die Sprecher im konkreten Sinne des Wortes gar keine Wahl haben (zum Unterschied dieser beiden Untersuchungsperspektiven vgl. Levinson 1988). Schließlich ist für das jeweilige Stilkonzept entscheidend, auf welche kommunikative oder soziale Einheit die Stilbildung bezogen wird: Die Funktionalstilistik in ihren unterschiedlichen Ausprägungen orientiert sich hierbei an der Kommunikationstypologie einer Gesellschaft und den unterschiedlichen Bearbeitungsweisen von gesellschaftlichen Aufgaben, während anthropologische Ansätze Stil auf Kultur und Identität beziehen 2 7 (vgl. etwa Fleischer/Michel 1977, Willis 1978, Clarke 1979). In dieser Perspektive entsprechen Stile Verhaltensmodellen, die das Ergebnis der Auseinandersetzung mit spezifischen Lebensbedingungen sind. Sie machen die für das Selbstverständnis der Gemeinschaftsmitglieder ausschlaggebenden Orientierungen als Prinzipien sprachlichen Verhaltens erkennbar. Stile sprachlichen Verhaltens sind ein wesentliches soziales Unterscheidungsmerkmal, und ihre Ausprägung ist mit der Ausbildung von sozialen Welten 27

In eine ähnliche Richtung (wenn auch unter Bezug auf andere theoretische Traditionen) weist auch Löffler, der Stile auf soziale Rollen bezieht: „Mit der Rollentheorie ersteht auch der bisherigen Stilistik eine Möglichkeit, Stil-Varianten situational und interaktional zu erklären. Eine neue Stilistik könnte sich so als 'Rollengrammatik' konstitutieren" (1985, S. 43).

Das Projekt

„Kommunikation

in der

Stadt"

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und der sozialen I d e n t i t ä t von Gruppen und größeren Gemeinschaften verbunden. Ihre Analyse g e s t a t t e t die Aufdeckung der sprachlichen Mechanismen von sozialer Trennung und Integration. Zu den K o n s t i t u e n t e n sozialer Stile gehören unterschiedliche Eigenschaften des sprachlichen und des nicht-sprachlichen Verhaltens der Gesellschaftsmitglieder: (a) Die Spezifika der Kommunikationsformen machen Eigenschaften des sozialen Stils aus, d.h. die T a t s a c h e , daß in einem b e s t i m m t e n Milieu oder in einer sozialen W e l t b e s t i m m t e Ereignistypen und Handlungsformen für die Herstellung von sozialem Z u s a m m e n h a l t (bzw. für andere Ziele) entwickelt, präferiert und ggf. normiert werden. ( b ) Die Verwendung der unterschiedlichen Symbolisierungsformen entspricht allgemeineren, situationsübergreifenden und längerfristig stabilen Orientierungen der Sprecher. Aufgrund dieser inneren Zusammengehörigkeit sind sie als Aspekte eines sozialen Stils aufzufassen. (c) Zum sozialen Stil gehören ebenso Eigenschaften des nicht-sprachlichen Verhaltens: der körperlichen Bewegung, des Distanzverhaltens, der Kleidung, der Einrichtung, der E r n ä h r u n g usw. Entscheidend ist gerade, daß sprachliche und nicht-sprachliche Verhaltenseigenschaften dabei in Verbindung gebracht werden (zur 'feinen' Sprache gehört eine entsprechende Kleidung, das E i n h a l t e n tendenziell größerer körperlicher Distanz usw.). 5.

Zur Anlage der Untersuchung

Die Erfassung des Gegenstandes erfolgte a u f drei Stufen, wobei die B e o b a c h tungsintensität sich jeweils vervielfachte. Nach einem allgemeinen Uberblick über die G e s a m t s t a d t haben wir zwei S c h r i t t e systematischer B e o b a c h t u n g durchgeführt, die sich zeitlich teilweise überlappten: die ethnographische Erfassung von ausgewählten S t a d t t e i l e n , Situationen und Gruppen und die intensive B e o b a c h t u n g und Analyse des sprachlichen Verhaltens einzelner Gruppen. 5.1.

Ethnographisches P a n o r a m a ausgewählter S t a d t t e i l e

F ü r die eingehendere B e o b a c h t u n g haben wir vier S t a d t t e i l e ausgewählt. Die Auswahl erfolgte nach den Kriterien 'Zentrum - Peripherie', 'alter S t a d t teil - neuer S t a d t t e i l ' , 'Nähe - Distanz zu gesamtstädtischen Organisationen'. Die Auswahl sollte in bezug a u f diese M e r k m a l e eine möglichst große Varianz bieten. D a s historische Zentrum (die Q u a d r a t e s t a d t innerhalb des Straßenringes an der Stelle der alten W o h n a n l a g e n ) , ist mit der Westlichen Unterstadt vertreten, die in M a n n h e i m volkstümlich die „Filsbach" genannt wird. D e m C h a r a k t e r M a n n h e i m s als „Stadt der Vororte" wurde dadurch Rechung getragen, daß drei Ortsteile außerhalb des Zentrums und mit unterschiedlich dichter Anbindung gewählt wurden. Durch die W a h l von zwei „gewachsenen" Vororten (Sandhofen im Norden und Neckarau i m Süden)

32

Werner

Kallmeyer

wird auch die mögliche soziale und sprachliche Eigenständigkeit älterer, eingemeindeter Ortschaften im Rahmen der Gesamtstadt berücksichtigt. Mit diesen Ortsteilen sowie mit dem Zentrum kontrastiert in maximaler Weise das reine Neubauviertel am Stadtrand (Vogelstang). Die Stadtviertel werden in den Beiträgen in diesem Band jeweils kurz vorgestellt (vgl. auch die Stadtteilethnographien zur Westlichen Unterstadt und zur Vogelstang im Band 4.2; eine Karte Nr. 2 von Mannheim mit Kennzeichnung der ausgewählten Stadtteile befindet sich im Anhang.) Die Beobachtungen in den Stadtteilen erstreckten sich über mehrere Jahre. Das ethnographische Verfahren haben wir wegen seines beobachtenden, phänomennahen und ganzheitlichen Charakters gewählt. Es sollte eine der explorativen Ausrichtung des Projekts angemessene Grundlage für eine weitergehende Klärung der in 3.3. dargestellten Probleme ermöglichen, d.h. des Zusammenhangs von sozialen Strukturen und Kommunikationsstrukturen. Die Stadtteilethnographien haben folgende Funktionen: (a) Sie ermöglichen eine gut fundierte Auswahl der intensiv zu beobachtenden Gruppen und Schauplätze. Systematisch beobachtet werden Kommunikationssituationen, die als „Schlüsselsituationen" für das Stadtteilleben gelten können, d.h. in denen die Bedeutung der Lebensbedingungen, der Stadtteilprobleme usw. für die Bewohner und das lokale Leben deutlich wird. Eine fundierte Auswahl von in dieser Hinsicht signifikanten Kommunikationsereignissen erfordert die genaue Einordnung der Personen und Ereignisse in das Stadtteilleben. (b) Die Ethnographien vermitteln eine weitreichende Kenntnis der Lebensumstände und damit des sozialen und sozialgeographischen Referenzsystems der Personen als unumgängliche Information für die Analyse ihrer Gespräche. Die Analyse zielt wesentlich darauf, wie die Beteiligten ihre soziale Umwelt und ihre Perspektive auf diese Umwelt ausdrücken und mit bestimmten Eigenschaften des sprachlichen Verhaltens in Verbindung bringen. Eine solche „tiefe" Analyse ist nur auf einer soliden ethnographischen Grundlage durchführbar - man muß sehr genau wissen, wovon die Beteiligten reden (und wovon sie nicht reden). Die exemplarischen Analysen in diesem Band führen die Verbindung von Ethnographie und Gesprächsanalyse im einzelnen an. (c) Die Ethnographien gestatten - aufgrund der Einordnungsmöglichkeiten differenzierte Vergleiche zwischen Beobachtungen von Kommunikationsereignissen in den verschiedenen Stadtteilen, d.h., sie bieten eine Grundlage für die Wahrnehmung und Interpretation von strukturellen Ähnlichkeiten und Unterschieden. (d) Die ethnographischen Vergleiche gestatten die Präzisierung der jeweiligen Besonderheiten und damit auch des exemplarischen Charakters (Wofür stehen die Beobachtungen im einzelnen?) und bieten damit eine Grundlage für die Verallgemeinerung.

Das Projekt „Kommunikation

5.2.

in der

Stadt"

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Porträts städtischer Gruppen

Besonders interessant im Rahmen der Untersuchung sind städtische Milieus, die einerseits lokal gebunden bzw. organisiert sind und dementsprechend einen sozialen Zusammenhang über personale Netzwerke und eine gemeinsame Interaktionsgeschichte haben, andererseits aber in ihrer Zusammensetzung nicht unbedingt homogen sind, sondern hinsichtlich der sprachlichen und kulturellen Herkunft eine Mischpopulation darstellen. An solchen Konstellationen kann man sehr gut den Zusammenhang von Gruppen und übergreifender sozialer Welt, wie sie z.B. in einem Stadtviertel oder auch einer Stadt insgesamt angesiedelt ist, beobachten. Dabei können die Gruppeninteraktionen als Spiegel der sprachlichen Verhältnisse und des sozialen Stils in der übergreifenden sozialen Welt angesehen werden, und zugleich sind am Verhalten der von außen Hinzukommenden Stadien und Verlaufswege sprachlicher und sozialer Anpassung und Integration abzulesen. Ausgewählt wurden Gruppen in verschiedenen Lebensstadien (Jugend, mittleres Alter mit Familien- und Berufspflichten, 'drittes Alter' nach dem Aufziehen der Kinder und nach dem Berufsleben). Die Auswahl der beobachteten Gruppen und Kommunikationsformen erfolgte unter zwei Gesichtspunkten: Zunächst wurde nach der Relevanz für den Stadtteil ausgewählt, und in einem zweiten Schritt wurden die Stadtteile im Hinblick auf die für sie wichtigen Phänomene miteinander verglichen. Dadurch ergab sich ein übereinstimmendes Grundraster von sozialen Einheiten, Situationen, Textformen und sprachlichen Verfahren für die Teilprojekte. Einige der untersuchten Gruppen werden in den Beiträgen in diesem Band vorgestellt. Die Gruppen wurden in drei Situationsstypen beobachtet: - in ihrer Wohnumwelt in Situationen, die in Zusammenhang stehen mit der lokalen Organisation des Lebens und einen Teil ihrer sozialen Welt ausmachen; hier geht es um gruppeninterne Situationen, in denen Angehörige einer Gruppe oder eines Milieus „unter sich sind" bzw. in denen einzelne „Halbexterne" anwesend sind, die als Parteigänger oder potentielle Gruppenmitglieder behandelt werden; in diesen Situationen werden die traditionellen Kommunikationsformen der betreffenden sozialen Welt reproduziert und neu geschaffen; - im Kontakt mit anderen in Situationen am 'Rande der eigenen Welt' (häufig Konfliktsituationen mit anderen Gruppen oder mit Institutionen); diese externen Kontaktsituationen sind vielfach Gegenstand der gruppeninternen Kommunikation (z.B. in Form von Konflikterzählungen); - im Kontakt mit Unbekannten in Situationen außerhalb der lokalen Organisation, auf fremdem, offenem Territorium (zentrale Einkaufsgelegenheiten, allgemeine Freizeiteinrichtungen). Im Sinne der Exploration des Zusammenhanges von sozialen und sprachlichen Strukturen haben wir vorab festgelegt, daß die intensive und unmittelbare Be-

34

Werner

Kallmeyer

obachtung des sprachlichen Verhaltens im natürlichen Vorkommenszusammenhang Vorrang haben sollte vor der „flächendeckenden" Untersuchung einzelner Aspekte der Sprachverwendung (wie ausgewählter phonetisch-phonologischer Variablen). Auch eine überblicksartige Erhebung von Spracheinstellungen mit Fragebogen als zentralem Erhebungsmittel sollte ausscheiden. Vielmehr sollten, im Unterschied zu den gängigen Verfahren der Einstellungsforschung, die sich auf extrakommunikative Erhebungsformen wie Befragungen und Tests stützt, die sprachlichen und sozialen Einstellungen in der Kommunikationspraxis selbst beobachtet werden, d.h. ohne die Brechungen eines kommunikationsexternen Erhebungsverfahrens. Im Vollzug einer „qualitativen", auf Hypothesenbildung zielenden Forschungsstrategie sollten sich, ausgehend von relativ einfachen theoretischen Vorannahmen, die erforderlichen theoretischen Kategorien und die sukzessive Präzisierung der theoretischen Konzepte im Verlauf der Untersuchung des Gegenstandes ergeben (vgl. Glaser/Strauss 1968). Dieses Verfahren kontrastiert mit Verfahren der Hypothesenüberprüfung, bei denen von Anfang an mit sehr spezifischen Hypothesen gearbeitet wird und der Wert der Untersuchung gerade davon abhängt, daß möglichst spezifische Hypothesen gebildet werden können. Das qualitative Forschungsverfahren der „Entdeckung empirisch fundierter Theorien" erscheint gerade für „Erkundungen" das angemessene Verfahren. Im Verlauf der Arbeit wurden notwendige Beschränkungen des Gegenstandes vorgenommen. Aus Gründen der Ökonomie und Handhabbarkeit ist auf die Analyse wichtiger Erscheinungen des städtischen Lebens verzichtet worden. So stehen im Vordergrund unserer Untersuchung Situationen in der Wohnumwelt, zudem mit einem Schwergewicht auf arbeitsentlasteten Situationen; die Arbeitswelt haben wir weitgehend ausgeblendet. Damit ist unsere Untersuchung auf einen - wenn auch sehr wichtigen - strukturellen Ausschnitt des städtischen Lebens beschränkt. Ausgeblendet wurden auch andere städtische Erscheinungen wie die „City" als Geschäftszentrum mit der Zusammenballung von Einkaufsmöglichkeiten, den vielfältigen Begegnungen und Kommunikationsereignissen im offenen städtischen Raum, deren charakteristische Schauplätze das Kaufhaus, die Straßenbahn und z.B. die Straßencafes und -gaststätten (z.B. auf den „Planken", einer der zentralen Einkaufsstraßen Mannheims) sind. Eine weitere Beschränkung liegt darin, daß wir in erster Linie die Verwendung der deutschen Sprache von Standdarddeutsch bis zu „tiefem" Dialekt beschreiben, nicht das Verhältnis von Deutsch und Türkisch, Italienisch usw. Die Stabilisierung der relativ neuen sozialen Konstellation in der Stadt mit mehreren ethnischen Minderheiten und ihre unterschiedlichen Integrationswege sind für die Stadt und die dort sich herausbildenden Modelle sozialen Zusammenlebens zweifellos von Wichtigkeit. Wir haben in den Ethnographien der Stadtviertel und in den Gruppenbeschreibungen diese Zusammenhänge jeweils angeführt, soweit sie relevant sind für unsere Beobachtungen. Damit haben wir die Anschlußstellen markiert und Einordnungsmöglichkeiten geschaffen, die eine Be-

Das Projekt „Kommunikation

in der

Stadt"

35

trachtung unserer Ergebnisse in einem weiteren Rahmen ermöglichen sollen. In unserer eigenen Untersuchung gehen wir diesen Fragen nur punktuell nach. Auch die ursprünglich geplante parallele und gleichgewichtige Durchführung der Stadtteilethnographien hat sich nicht ganz durchhalten lassen; die Ethnographien sind unterschiedlich ausgebaut und in manchen Eigenschaften nicht gleichgewichtig. Aber sie bieten uns auch so eine Einordnungs- und Vergleichsbasis und einen Hintergrund, zu dem sich auch zusätzliche, nicht auf die ausgewählten Stadtteile beschränkte Beobachtungen in Beziehung setzen lassen: Beobachtungen in einer Reihe von Läden, die lokal orientierte Lebenswelt von alteingesessenen Mannheimern in anderen Stadtteilen oder zu Treffen von Bewohnern aus unterschiedlichen Teilen der Stadt. 6.

B e m e r k u n g e n zu diesem B a n d

Der vorliegende Band soll anhand ausgewählter Gesprächsbeispiele das Verfahren der Analyse sprachlicher Symbolisierung von sozialer Identität vorführen. Der Schwerpunkt liegt auf der Erarbeitung grundlegender Konzepte und der Methodendemonstration. Die Behandlung städtischer Sozialwelten in den Porträts ist demgegenüber viel stärker auf eine zusammenfassende Ergebnisdarstellung ausgerichtet und setzt die Kenntnis der exemplarischen Analysen voraus. Die Methodendemonstration in diesem Band soll in erster Linie zeigen, wie mit konversationsanalytischen Verfahren und unter Benutzung ethnographischer Kenntnisse das sprachliche Verhalten der beobachteten Personen daraufhin zu untersuchen ist, wie sie ihre soziale Zugehörigkeit und ihre Perspektive auf die soziale Wirklichkeit beim Sprechen verdeutlichen. Alle Beiträge analysieren die jeweils fokussierten sprachlichen Verfahren in ihrem kommunikativen Zusammenhang. Dementsprechend steht jeweils zumindest ein längeres, einen natürlichen Gesprächszusammenhang wiedergebendes Textstück im Zentrum. Die Behandlung dieser Texte verbindet eine möglichst präzise und aspektreiche Analyse des konkreten sprachlichen Verhaltens mit einer ethnographischen Interpretation. Zur Vertiefung des ethnographischen Hintergrundes wird in den Beiträgen z.T. auf die Stadtteilethnographien verwiesen (vgl. Band 4.2). Das gibt die Möglichkeit, die Einordnung der in den exemplarischen Analysen behandelten kleinen Ausschnitte in den weiteren Zusammenhang des Stadtteils und der Gesamtstadt zu verfolgen.

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Werner

Kallmeyer

Neben den Arbeiten der Projektgruppe enthält der Band je einen Beitrag von Jürgen Streeck (Austin) über eine Gruppe aus der Filsbach (Nr. 9) und von John Gumperz (Berkeley) zu allgemeineren Fragen der interpretativen Soziolinguistik, illustriert u.a. an Beispielen aus dem Projektkorpus (Nr. 10). Jürgen Streeck und John J. Gumperz haben als Gastwissenschaftler des IDS mit der Projektgruppe zusammengearbeitet. Ein weiterer Beitrag eines Gastwissenschaftlers, Pierre Bange (Lyon), ist bereits als Beitrag zur Jahrestagung „Kommunikationstypologie" veröffentlicht worden (Bange 1986). Der Band stellt exemplarische Fallanalysen anhand von Materialien aus vier Stadtteilen vor: -

Sandhofen (Nr. 2) westliche Unterstadt / Filsbach (Nr. 3, 4, 5, 9, 10) Neckarau (Nr. 6, 10) Vogelstang (Nr. 7, 8).

Die Stadtteile werden im ersten Beitrag zum jeweiligen Stadtteil kurz charakterisiert. Die ausgewählten Beispielfälle sind charakteristisch für die verschiedenen Stadtteile in dem Sinne, daß daran wesentliche Eigenschaften des Lebens im Stadtteil und der kommunikativen Voraussetzungen der beobachteten Population deutlich werden. Die einzelnen Beiträge repräsentieren aber natürlich nicht die Lage im Stadtteil insgesamt. Trotz der Ausrichtung auf die Demonstration der Methode am exemplarischen Fall stellt sich durch die Ähnlichkeit und die Varianz der Fälle eine Verdichtung der empirischen Befunde her. Durch eine vergleichende Lektüre der Beiträge wird zumindest ausschnittweise das Analysepotential deutlich, das mit dem methodischen Vorgehen gegeben ist. Zur leichteren Orientierung sollen hier einige Merkmale der untersuchten Fälle stichwortartig aufgelistet werden. (a) Gruppen Alle Gruppen sind sekundäre Gruppen, d.h. ohne „geborene" Mitglieder und mit einem Zusammenschluß auf Zeit, an denen die Zugehörigkeit zu einer sozialen Heimat oberhalb der Ebene der primären Gruppe der Familie beobachtet werden kann. Keine der Gruppen ist durch eine formale Organisation geformt wie z.B. im Verein. Hinsichtlich Alter und Geschlecht sind sie teils gemischt, teils homogen: - „Stehcafegruppe": gemischte Gruppe von jüngeren Erwachsenen aus unterschiedlichen Berufen, treffen sich täglich zu einer ca. einstündigen Mittagspause an einer zentralen Stelle in Sandhofen (Nr. 2). - „Bastelgruppe": ältere Frauen, hauptsächlich aus Arbeiterfamilien, treffen sich in einem Begegnungszentrum in der Filsbach zum Basteln und zum Kaffeeklatsch (Nr. 3, 4, 5).

Das Projekt „Kommunikation

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Stadt"

37

- „Initiativengruppe": gemischte Gruppe von Jugendlichen und jüngeren Erwachsenen, Träger einer „Initiative Jugendzentrum", treffen sich auf wechselnden Schauplätzen in Neckarau zur Organisationsarbeit (Nr. 6). - „Gymnasiastengruppe": Gruppe von Schülern aus der Vogelstang, treffen sich nachmittags privat und zu gemeinsamen Unternehmungen (Nr. 7). - „Literaturgruppe": Frauen mittleren Alters aus der Oberschicht in Vogelstang, treffen sich privat zur gemeinsamen Lektüre von Literatur und zum Gespräch darüber (Nr. 8). - „Politikgruppe": Frauen mittleren Alters aus der mittleren sozialen Schicht in Vogelstang, parteipolitisch aktiv, treffen sich u.a. nach offiziellen Sitzungen (Nr. 8). - „Kegelgruppe": Facharbeiter und ihre Frauen, Berufskollegen aus einem Großbetrieb, treffen sich zu Kegelabenden (Nr. 8). - „Arbeiterjugendliche": gemischte Gruppierung, treffen sich auf verschiedenen öffentlichen Schauplätzen der Vogelstang (Nr. 8). (b) Handlungs- und Texttypen In den Beispielfällen stehen zwei Typen von Interaktionsgegenständen im Vordergrund: - Erzählungen; in allen Fällen mit Ausnahme der Gymnasiastengruppe bilden Erzählungen den dominanten oder zumindest einen wichtigen Interaktionsgegenstand. Ebenso wie die interaktiven Einbettungen und die Funktionen des Erzählens variieren auch die Bedingungen für das Erzählen (z.B. wird Erzählen in Situationen ohne Präferenz für das Erzählen in Nr. 6 behandelt im Unterschied zu den anderen Fällen mit Erzählpräferenz). - Interaktionsspiele; dabei handelt es sich um 'Charakterisierungsspiele', bei denen die Beteiligten Dritte gemeinschaftlich charakterisieren und dabei ihren Sprachwitz entfalten (Nr. 4, 7), Frotzeln (Nr. 7; andeutungsweise auch in anderen Beiträgen), „auf den Arm nehmen" (Nr. 4, 7) und Witzeerzählen (Nr. 9); in Nr. 2 wird vom spielerischen Umgang mit originellen Außenseitern berichtet. (c) Themen Wichtig sind einmal Domänen des sozialen Lebens, über die gesprochen wird, und zum anderen bestimmte Anlässe, welche einzelne Ereignisse in den verschiedenen Domänen für die Thematisierung relevant machen. Die für die präsentierten Materialien wichtigsten Domänen sind: - Familie; Bastelgruppe über Ehepartner (Nr. 5), Literaturgruppe über Kinder (Nr. 8); - Beruf und Äquivalente; Inititiativengruppe und Gymnasiastengruppe über Schule (Nr. 6), Kegelgruppe und Arbeiterjugendliche über den Beruf (Nr. 8);

38

Werner

Kallmeyer

- Institutionen und deren Vertreter; Bastelgruppe (Nr. 3), Politikgruppe (Nr. 8); - andere Leute aus der sozialen Umgebung; Gymnasiastengruppe über andere Gruppen im Stadtteil, Stehcafegruppe und Bastelgruppe über originelle Figuren im Stadtteil (Nr. 2,4). Bei den untersuchten Kommunikationsereignissen zeichnen sich als die produktivsten Themen für intensives und erlebnisreiches Reden über Dritte ab: Partner/Familienmitglieder, Ubergeordnete (Vorgesetzte, Institutionenvertreter, Lehrer), Territoriumskonkurrenten, deviantes Verhalten und originelle Figuren. Die häufigsten Anlässe bzw. Relevanzen für die Thematisierung in den Beispielfallen sind: - Konflikte/Konfrontationen, vor allem von Gruppenmitgliedern und Externen, meistens Übergeordneten; insbes. in Konfrontationserzählungen (Nr. 3, 4, 5, 6, 7, 8); - der Reiz des Komischen in lustigen Begebenheiten, Anekdoten und Witzen (Nr. 3, 6, 9). Die Beiträge versuchen jeweils, grundlegende theoretische Fragen mit den exemplarischen Analysen zu verbinden. Dabei kommen vielfältige sprachliche Erscheinungen in den Blick, die nicht alle hier systematisch behandelt werden können. Für die zentralen Verfahren der Symbolisierung wird eine solche systematische Bearbeitung in den vorliegenden Beiträgen zumindest begonnen. Eine Reihe der hier aufgeworfenen Fragen werden in den Gruppenporträts weiter verfolgt.

2.

Selbst- und Fremddarstellung im Gespräch und Regeln des Sprechens. Untersucht am Beispiel einer Stehcafe-Gruppe in Sandhofen W E R N E R KALLMEYER / INKEN KEIM / PANTELIS NIKITOPOULOS

1.

Zielsetzung

40

2. 2.1. 2.2. 2.3. 2.4. 2.4.1. 2.4.2.

Z u m A n s a t z u n d zur Forschungslage Zum Status der Regeln des Sprechens Situative Einbettung und Ereignisrahmen Formen sozialer Präsenz Gesprächsdynamik und Themenbehandlung Spontane Zentrierung Gestörte Zentrierung

43 43 48 56 66 68 75

3. 3.1.

D a s B e i s p i e l „Korz u n Long" Themeneinführung, Identifizierung und erste Charakterisierung Hintergrundinformationen Erste Initiative zur Darstellung eines Originals Beschreibung von Kurz und Lang Erzählung: eine Szene im Cafe Nachbereitung und thematische Ausweitung

83 85

3.2. 3.3. 3.4. 3.5. 3.6.

89 99 101 105 116

4.

Fazit: R e g e l n des Spreches, P e r s p e k t i v e n d i v e r g e n z und Gruppenkonstitution

121

5.

B e i s p i e l t e x t : „Korz u n Long"

127

W. Kallmeyer

40 1.

/ I. Keim / P.

Nikitopoulos

Zielsetzung

Bei unseren Analysen haben wir es in der Regel mit komplexen Ereignissen wie 'Unterhaltung in der Gruppe' zu tun, die vielfach keine formal-organisatorische oder rituell fixierte Ereignisstruktur haben. 1 Die Beteiligten haben große Freiheiten darin, wie sie die Situation definieren 2 und die Interaktion ausrichten. Bei der ersten Analyse von Gesprächsausschnitten soll es deshalb zunächst einmal darum gehen, mit gesprächsanalytischen Mitteln Formen des informellen Gruppengesprächs und die damit verbundenen Anforderungen an das „Interaktionsmanagement" (Franck 1980) zu untersuchen. Die detaillierte Analyse von Interaktionseigenschaften liegt allen weiteren Beiträgen in diesem Band zugrunde. Insofern soll dieser Beitrag auch in einige Aspekte der Analyseweise einführen. 3 Auf dieser Grundlage wird gezeigt, wie Formen der Selbst- und Fremddarstellung in die Gesprächsführung integriert sind. Von besonderem Interesse ist dabei, wie die Interaktionsbeteiligten mit den Regeln des Sprechens umgehen und dabei ihre unterschiedlichen sozialen Perspektiven verdeutlichen. Regeln des Sprechens gehören zum Kernbereich kultureller Konventionen. Insbesondere in der kognitiven Anthropologie und in der Ethnographie der Kommunikation sind solche Regeln als Wissensbestände, die für das angemessene Verhalten innerhalb einer Gemeinschaft erforderlich sind, beschrieben worden. 4 1

Die Literatur zu Regeln des Sprechens in der Ethnographie der Kommunikation hat sich auf relativ stark verfestigte Interaktionsformen konzentriert. Im Aufsatz „How to ask for a drink in Subanun" von Frake (1980c) z.B. geht es um das Trinken bei Festen, d.h. das gemeinschaftliche, abwechselnde Trinken eines speziellen alkoholischen Getränks in einer genau geregelten Weise. Das Trinken und das dabei stattfindende Gespräch sind nach Phasen gegliedert: In einer ersten Phase erfolgt das Kosten des Getränks, das die Beteiligten nacheinander aus einem Krug mit einem Strohhalm trinken, wobei die Sprechhandlungen aus dem Anbieten des Getränks an jeweils einen ausgewählten Beteiligten und dessen Frage nach der Erlaubnis zu trinken an die anderen Anwesenden besteht; in einer zweiten Phase wird im Wettbewerb getrunken; die Sprechhandlungen thematisieren das Getränk und wetteifern darin; daraus entwickelt sich eine Phase der Diskussion und der Behandlung von Problem- und Streitfällen; die letzte Phase ist schließlich von Spiel geprägt (verbal art). Nach den geltenden Regeln verlangt niemand zu trinken, sondern er wird eingeladen und fragt um Erlaubnis. Wer bei den mit dem Trinken verbundenen Reden sprachlich (und in der Wahl der Adressaten und Anredeformen sozial) geschickt ist, gewinnt soziales Ansehen und hat bei der Entscheidungsfindung Gewicht.

2

Zur Definition der Situation als einem zentralen Konzept des Symbolischen Interaktionismus vgl. Thomas (1965), Dreitzel (1972), Schütze (1987c).

3

Zur Gesprächsanalyse/Konversationsanalyse liegen inzwischen eine Reihe von zusammenfassenden Darstellungen vor: Speier (1973), Coulter (1976), Kallmeyer/Schütze (1976), Coulthard (1977), Henne/Rehbock (1979), Bergmann (1981), West/Zimmermann (1982), Levinson (1983, Kap. 6), Streeck (1983), Heritage (1985), Kallmeyer (1988).

4

Vgl. die Darstellung der Aufgabenstellung für die Anthropologie bzw. die Ethnographie der Kommunikation bei Goodenough (1957), Hymes (1962), (1977), Spradley (1979), (1980) oder Saville-Troike (1982). Die für unser Projekt wichtigen Ansätze der Ethnographie werden auch in der Einleitung zu Band 4.2. dargestellt.

Regeln des

Sprechens

41

Sie betreffen so unterschiedliche Dinge wie Höflichkeit („Bitte" und „Danke" sagen; wer wen zuerst grüßt), Themenwahl und Formulierbarkeit („So etwas sagt man nicht im Beisein von Damen", „de mortuis nihil nisi bene", „Über das Elend spottet man nicht") oder spezielle Verteilungen des Rederechts („Kinder sprechen im Beisein von Erwachsenen nur, wenn sie angesprochen werden"). Hymes als Urheber des Konzepts der Regeln des Sprechens (bzw. in späteren Fassungen: „der Kommunikation") stellt diese Regeln als Aussagen über den Zusammenhang zwischen den verschiedenen Komponenten eines relativ ausdifferenzierten, auf Jakobson zurückgehenden Kommunikationsmodells dar, (vgl. Hymes 1962; 1967). Die Regeln formulieren den Zusammenhang zwischen Außerungsformen und dem Typ des Kommunikationsereignisses, dem Schauplatz, den Beteiligtenrollen usw. Sie beinhalten die Kriterien für angemessenes Verhalten. Status und Wirkungsweise dieser Regeln werden allerdings im einzelnen noch zu klären sein. In diesem Beitrag werden einige Regeln des Sprechens für informelle Gruppeninteraktion anhand von Gesprächsaufnahmen untersucht, die 1985 im Rahmen der längeren Beobachtung der täglichen Treffen einer Gruppe jüngerer Frauen und Männer in Sandhofen entstanden. In diesem Zeitraum trifft sich die Gruppe mittags in einem Stehcafe an einem belebten Platz in diesem Vorort. Sie ist relativ locker gefügt und kommt selten in voller Besetzung zusammen. Die Angestellten des Stehcafes und einige wenige Gäste bilden den Gruppenkern, der die Stehcafe-Runde aufrechterhält. Die Runde ist eine typische Pausengruppe. Die Kommunikationszeit ist auf 45-60 Minuten in der Mittagspause begrenzt. Der zentrale Ort für die Gruppenaktivitäten ist das Cafe. Die wichtigsten Kommunikationsformen sind Tratsch, Frotzeln, gelegentlich ernste Unterhaltungen über Probleme oder Aushandlungen von Sonderaktivitäten (z.B. Bowling-Abende, Grillparties bei einem Mitglied der Gruppe), die auf bestimmte Mitglieder beschränkt sind. Sandhofen, im Norden von Mannheim gelegen, hat ca. 11.000 Einwohner. Der Vorort hat eine lange Geschichte als selbständige Gemeinde, und die Eingemeindung 1913 hat die Selbständigkeit seines sozialen Lebens nicht beseitigt und das Bewußtsein der Bewohner über die Sonderstellung des Orts in der Mannheimer Region kaum angetastet. Dazu hat auch die relative geographische Trennung und Isolierung des Vororts vom Mannheimer Zentrum beigetragen. Die alteingesessene Kerngesellschaft ist charakterisiert durch eine überwiegende Orientierung nach innen, auf das lokale Leben, durch feste Kontaktstrukturen und durch starke gegenseitige Wahrnehmung und Beobachtung. Die Stehcafe-Runde wird von Teilnehmern gebildet, die in sehr unterschiedlichen Bereichen des sozialen Lebens von Sandhofen agieren und in unterschiedlichem Ausmaß über lokales Wissen verfügen. Von den Gruppenmitgliedern gehören Sonja, die Leiterin des Cafes (37 J.), und zwei Verkäuferinnen des

42

W. Kallmeyer

/ I. Keim

/ P.

Nikitopoulos

Cafes, Brigitte (ca. 50 J.) und Monika (ca. 25 J.), zur Kerngesellschaft in Sandhofen, von den Gästen Peter (ca. 30 J.), Sabine (ca. 35 J.) und Klausdieter (genannt „Eichbaum", ca. 48 J.). Sabine arbeitet in einem Geschäft in der Nähe des Cafes und ist regelmäßige Cafebesucherin. Zwei weitere Gruppenmitglieder, Werner (ca. 48 J.) und J u t t a (ca. 25 J.) wohnen nicht in Sandhofen und gehören auch nicht zur Kerngesellschaft. Werner arbeitet in einem anderen Vorort Mannheims, und J u t t a ist als ehemalige Aushilfsverkäuferin im Cafe mit einer Reihe von Sandhöfern befreundet. Uns interessieren hier Gesprächsausschnitte, in denen die Gruppenmitglieder über ein originelles Paar sprechen: „Kurz und Lang". Die beiden Personen, eine Frau und ein Mann, fallen schon beim flüchtigen Hinsehen durch ihr Außeres auf: Sie ist ziemlich klein und er sehr groß. 5 Es handelt sich um Außenseiter der Gesellschaft, Alkoholiker und „Beschränkte" (so die von der Gruppe verwendete Kategorienbezeichnung). DEIS Thema „Kurz und Lang" ist als Gruppenthema relativ neu; einzelne haben schon darüber geredet, aber nicht alle wissen Bescheid. Die Möglichkeiten, durch das lustige Spiel mit originellen Figuren Stoff für interessante Unterhaltungen und für eine spielerisch überhöhte Inszenierung von sozialen Ereignissen zu gewinnen, sehen nicht alle Gruppenmitglieder in gleicher Weise. Die Schwierigkeiten, ein auf die lokale Welt bezogenes Thema als Spielobjekt für die weitere Gruppeninteraktion einzuführen, lassen einige Mechanismen der Herstellung von sozialer Zusammengehörigkeit durch das Reden über die Welt hervortreten. Bei der Analyse spielen im Prinzip alle in der Einleitung des Bandes angeführten Aspekte der symbolisierenden Selbst- und Fremddarstellung eine Rolle, so die symbolisierende Sprachvariation, die vielfaltigen Erscheinungsweisen formelhaften Sprechens und die sprachlichen Verfahren der sozialen Kategorisierung und Typenbildung. Wir sparen die Detailanalyse solcher Phänomene hier weitgehend aus zugunsten einer Betrachtung von Redeverteilung und Themenbehandlung sowie des über längere Gesprächsabschnitte hin sichtbar werdenden Umgangs der Beteiligten mit den dafür geltenden Regeln. Zu diesem Zweck werden wir zunächst einige allgemeine Fragen zum Konzept der Regeln des Sprechens und der Analyse ihrer Anwendung klären (Kap. 2.) und dann das Beispiel „Kurz und Lang" fortlaufend analysieren (Kap. 3.). 5

J u t t a beschreibt Kurz und Lang folgendermaßen: „Er ist sehr groß (ca. 1,85), hat ein markantes Gesicht mit wulstigen Lippen, ist meist ungekämmt und unrasiert. Seine Kleidung ist viel zu klein; die zu kurzen Hosen lassen seine ohnehin großen Füße noch größer erscheinen. Trägt er langärmelige Hemden, dann mit auffallenden Manschettenknöpfen. Sie ist sehr klein (ca. 1,50), hat eine kurze Lockenfrisur, die meist zerdrückt wirkt, hat ein nettes, unauffälliges Gesicht und ist unauffällig gekleidet, bis auf die altmodische, große rote Handtasche aus steifem Material und mit festem, hochstehendem Henkel. Sie macht einen verängstigten, unsicheren Eindruck. Ohne die Handtasche und ohne ihren Begleiter Lang wäre sie völlig unauffällig. Als Paar jedoch und mit der Handtasche geben sie ein Bild ab, das Sandhöfer zu der Frage veranlaßte: wo hawwe se denn die springe lossef.

Regeln des

Sprechens

2.

Z u m Ansatz u n d zur Forschungslage

2.1.

Zum Status der Regeln des Sprechens

43

Die Regeln des Sprechens sind geprägt durch und für die Bearbeitung von sozialen Anforderungen unter den jeweiligen sozial-ökologischen und ökonomischen Bedingungen. Sie sind auf die Bewältigung relevanter Probleme bezogen. In die Entwicklung der konventionellen Bearbeitungsform gehen vielfältige Impulse ein wie die Symbolisierung von Dominanz oder von sozialer Differenzierung (z.B. haben Etikette-Regeln vor allem diesen Charakter). Die Regeln stellen einen Zusammenhang her zwischen diesen Anforderungen, Kommunikationsformen und sozialen Konzepten von Ordnung, Normalität und von Werten. Diese Konzepte sind vielfach zu sozialen Leitbildern verdichtet wie „anständiger Mensch", „gebildeter Mensch" oder das „selbstbestimmte Individuum", das seiner Subjektivität in authentischer Weise Ausdruck verleiht. Diesen sozialen Leitbildern entsprechen Modellvorstellungen des sozialen Handelns. Derartige Verhaltensmodelle gibt es auch für Ereignistypen, z.B. für Geselligkeit, Konfliktaustragung oder für den Umgang des Dienstleistungspersonals mit den Klienten in Läden oder in Lokalen. Die Regeln des Sprechens sind Konventionen. Sie existieren in vielen Abstufungen von expliziten Normvorgaben bis zu internalisierten Verhaltensmustern, deren Geltung selbstverständlich vorausgesetzt und deren Normcharakter nicht mehr wahrgenommen wird, sondern die als „natürliches" Verhalten empfunden werden. Als Konventionen haben die Regeln verpflichtenden Charakter, und Abweichungen von der Norm führen zu kommunikativem Mißerfolg und zu sozialer Auffälligkeit; sie werden im Zweifelsfall mit Ausschluß aus der Gemeinschaft oder Ausschluß von sozialen Karrieren sanktioniert. Aber der Verpflichtungscharakter ebenso wie die feste Internalisierung von Verhaltensnormen darf nicht übersehen lassen, daß der Stellenwert der Normierung kulturell und soziohistorisch unterschiedlich ist und daß die mit den Verhaltensmodellen verbundenen Bewertungen vielfach ambivalent sind. 6 Die Regeln beinhalten Ordnungs- und Normalitätskonzepte, auf die sich die Beteiligten beziehen, die sie aber auf unterschiedliche Weise berücksichtigen können. Wie bei allen Konventionen gibt es bei den Regeln des Sprechens erhebliche Spielräume für den Umgang mit ihnen und ausdifferenzierte Verfahren für ihre Handhabung (vgl. auch Härtung 1981a, S. 59ff.). Mit diesen kommunikativen Verfahren bzw. Strategien können die Beteiligten z.B., ohne die grundsätzliche Geltung einer Konvention infrage zu stellen, Ausnahmen zulassen, oder sie können die unterschiedliche Geltung von Konventionen zur sozialen Differenzierung benutzen: Für unterschiedliche gesellschaftliche Rollen gelten unterschiedliche Konventio-

6

Auf den Gesichtspunkt der Ambivalenz von sozialen Symbolen und Verhaltensmodellen und die Dynamik ihrer interessenabhängigen Interpretation weist für die Kulturanalyse insbesondere Geertz hin (vgl. u.a. 1973 bzw. 1983).

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nen, für Individuen mit Sonderrollen gelten bestimmte Konventionen weniger strikt usw. Die Regeln des Sprechens fixieren gleichsam Standardlösungen für die Bewältigung von Anforderungen des sozialen Lebens. In ihrer Handlungspraxis orientieren sich die Gesellschaftsmitglieder an diesen Standardlösungen in dem Maße, wie dies sozialen Erfolg verspricht, und aus demselben G r u n d weichen sie von den Regeln ab und ändern ihre Orientierung. Die im Umgang mit den geltenden Regeln des Sprechens praktizierten Verfahren und Strategien sind in unterschiedlicher Weise routinisiert und teilweise ebenfalls als Muster verfestigt. Sie können wiederum im Laufe der Zeit innerhalb einer Gemeinschaft zu Regeln des Sprechens werden bzw. zur Redefinition vorhandener Regeln führen. Die Regeln sind Ergebnis der Handlungspraxis und zugleich immer wieder Gegenstand der Bearbeitung. 7 Regeln des Sprechens sind kulturspezifisch. Die Beschreibung ihrer Spezifik ist nur auf einer allgemeinen Folie möglich. Für die Gewinnung einer Vergleichsfolie werden in der Forschung unterschiedliche Strategien verfolgt, die teils ausgehend von unterschiedlichen Fällen schrittweise abstrahieren, teils allgemeine Eigenschaften von Kommunikation postulieren und die Besonderheiten von konkreten Fällen als spezifische Ausprägungen beschreiben. Vom ersten Typ sind in der Regel ethnographische Arbeiten, vom zweiten Darstellungen von Universalien. Zwei wichtige Versuche in der zweiten Richtung sind das konversationsanalytische Modell der Gesprächsorganisation und das Modell der Höflichkeit von Brown/Levinson (1987). Das konversationsanalytische Modell soll hier kurz dargestellt werden, weil es f ü r die Methodik der Gesprächsanalyse von weitreichender Bedeutung ist und weil es speziell f ü r die Beschäftigung mit der Rede Verteilung, die uns in den folgenden Beispielanalysen interessiert, eine Grundlage liefert. Die ethnomethodologische Konversationsanalyse geht davon aus, daß die Herstellung der Ordnung 'formale' Aspekte hat in dem Sinne, daß interaktionslogisch verankerte Aufgaben der Interaktionskonstitution mit sehr allgemeinen, tendenziell universellen Basismechanismen bearbeitet werden. 8 Diese Basismechanismen sind als solche kontextfrei, d.h. nicht den soziohistorischen Bedingungen der jeweiligen Gesellschaft oder Situation unterworfen. Sie werden von den Beteiligten jedoch kontextspezifisch angewendet; bei ihrer Anwendung

7

Der Gesichtspunkt der Spielräume und der Ausnutzung der Möglichkeiten erscheint z.B. in der mikropolitischen Konzeption der Alltagsinteraktion von Goffman und entspricht auch der Grundkonzeption der ethnomethodologischen Interaktionstheorie: Die Beteiligten „reizen ihre Karten aus", sie versuchen, unter den Bedingungen der notwendigen gemeinsamen Herstellung von sozialer Ordnung ihre Ziele zu verfolgen und sich durchzusetzen.

8

Zu den universellen Basismechanismen und zu den formalen Strukturen vgl. Garfinkel/Sacks (1970).

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werden die jeweiligen soziohistorischen Bedingungen in Rechnung gestellt und ihre Relevanz zum Ausdruck gebracht. Diese Vorstellung basiert auf der Kernidee der Ethnomethodologie, wonach eine Grundeigenschaft der Interaktion die lokale Herstellung von sozialen Strukturen ist („local production of social order", wie Garfinkel sagt). 9 „Lokal" heißt dabei, daß diese Strukturen „hier und jetzt", durch jeweils einzelne, begrenzte Aktivitäten hergestellt werden, d.h. als Orientierungsrahmen verdeutlicht und in Kraft gesetzt, aufrechterhalten und außer Kraft gesetzt werden. Die Beteiligten ordnen ihre Aktivitäten in soziale Strukturen ein, deren Existenz dadurch mit hergestellt und definiert wird. Dazu verwenden sie Verfahren der Kontextualisierung, die zeigen, in welchem Rahmen die Äußerungen zu interpretieren sind bzw. welches die relevanten Voraussetzungen für ihre Interpretation sind; zugleich stellen sie diese Voraussetzung dadurch (mit) her. 1 0 Dieser Zusammenhang soll an einem zentralen Gegenstand der Konversationsanalyse demonstriert werden, dem Mechanismus für die Verteilung des Rederechts. Die allgemeinsten Regeln für Sprecherwechsel bei Sacks/Schegloff/Jefferson (1974) enthalten u.a., daß an jeder Stelle möglicher Redeübergabe drei in der Reihenfolge ihrer Anwendung geordnete Regeln gelten: - Wenn der aktuelle Sprecher einen anderen als nächsten Sprecher erkennbar auswählt, hat dieser das Recht und die Verpflichtung zum Sprechen. - Findet keine solche Fremdwahl durch den aktuellen Sprecher statt, können sich andere selbst als nächsten Sprecher wählen; wer zuerst startet, hat das Rederecht. - Findet keine Selbstwahl anderer statt, behält der erste Sprecher das Rederecht. Dieser Mechanismus erfordert keine vorab eingeführte Regelung, ist also insofern strikt lokal: Das Rederecht wird immer wieder neu und jeweils für nur eine Redegelegenheit verteilt. Der Regelmechanismus verteilt die Redegelegenheiten gleichmäßig, genauer gesagt ist er gegenüber sozialen Erscheinungen wie Asymmetrie oder Symmetrie der Chancen, Dominanz usw. neutral. Durch die Art jedoch, wie die Regeln angewendet werden, manifestieren die Beteiligten bestehende soziale Bedingungen und stellen zugleich durch die Handhabung des grundlegenden Verteilungsmechanismus spezifische soziale Konstellationen her. So ist mit sozialer Dominanz in der Interaktionssituation das Recht auf Eigensteuerung der Gesprächsbeteiligung verbunden: Der Situationsdominante kann eher als der Situationsunterlegene bestimmen, wann er spricht und was als 9

Zur lokalen Produktion der sozialen Ordnung vgl. Garfinkel (1967), Streeck (1987b) sowie die erwähnte Literatur zur Konversationsanalyse.

10

Dieser Rückbezug der Aktivität auf einen Kontext, der durch die Aktivität zugleich hergestellt wird, wird in der Ethnomethodologie auch als das Prinzip der Reflexivität bezeichnet (Garfinkel 1967, 1972; vgl. auch Bergmann 1981).

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nicht nur strukturell mögliche, sondern auch sozial zulässige oder erwünschte Stelle der Redeübernahme anzusehen ist (was nicht heißen muß, daß er häufiger oder länger spricht als der Unterlegene). Durch ein solches einseitiges Steuerungsverhalten kann ein Sprecher zeigen, daß er in der aktualen Situation einen dominanten Status beansprucht; auch wenn die übrigen Beteiligten dies nicht vorher wußten, nehmen sie die Art der Gesprächssteuerung wahr, fragen sich nach der möglichen Berechtigung, richten ihr Verhalten darauf ein usw. 1 1 Der Grundmechanismus der Redeverteilung dient der Verteilung von Gelegenheiten in einem weitreichenden Sinne: Verteilt werden Handlungschancen und -zwänge. In die darauf bezogenen Regeln des Sprechens gehen im Kern alle relevanten sozialen Regelungen und Differenzierungen ein: die Anforderungen an die gesellschaftliche Arbeitsteilung, die Differenzierung von sozialer Geltung, die Institutionalisierung von Handlungszusammenhängen usw. Die Vorstellung von der kontextfreien und zugleich kontextspezifischen Doppelnatur der Interaktionskonstitution ist im Hinblick darauf diskutiert worden, ob die vermuteten kontextfreien Mechanismen wirklich universell sind oder ob nicht in ihrer Bestimmung Ethnozentrismus zum Ausdruck kommt. Unabhängig von den damit zusammenhängenden, schwer zu beantwortenden empirischen Fragen 1 2 scheint uns dieses Denkmodell jedoch geeignet für die Einordnung der Regeln des Sprechens in den Zusammenhang der Interaktionskonstitution: Regeln des Sprechens, wie sie uns hier interessieren, sind kontextspezifische Regeln, die bei der Bearbeitung von allgemeinen Anforderungen der Interaktionskonstitution unter den soziohistorisch spezifischen Bedingungen wirksam werden und die Berücksichtigung dieser spezifischen Bedingungen steuern. 1 3 Nach dem bisher Gesagten kann man als Ausgangspunkt für die weitere Klärung ganz grob folgende Steuerungen der Interaktionskonstitution unterscheiden und damit die Regeln des Sprechens einordnen: 11

Zum Teil ist an den Regel Vorstellungen der Konversationsanalyse Kritik geübt worden als zu sehr an einem grammatischen Modell orientiert. So plädieren Franck/Franck (1986) in Auseinandersetzung mit dem „klassischen" Modell der Sprecherwechsel für ein Kalkulationsmodell zur angemessenen Erfassung der flexiblen Interaktionsbeteiligung. Allerdings wird damit u.E. die Grundvorstellung des konversationsanalytischen Modells nicht zwangsläufig ersetzt; eine Alternative der Modellkonstruktion wäre, den allgemeinen Mechanismus von Sacks/Schegloff/Jefferson mit weiteren Mechanismen zu kombinieren, die für die situationsflexible Bewertung zuständig sind.

12

Es gibt erst wenige Arbeiten kulturvergleichender Art zu den grundlegenden Mechanismen; vgl. Moermann (1977) und (1988), Hopper (i.V.), Streeck (i.V.) und (Ms.).

13

Vgl. auch die Vorstellung von „participants' work" in der Konversationsanalyse, d.h. der spezifischen Konstitutionsleistung der Beteiligten im Umgang mit den grundlegenden Mechanismen; vgl. Jefferson (1972, S. 315).

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- allgemeine Verfahren und Regeln wie die für Sprecherwechsel; - sozio-kulturell spezifische Regeln des Sprechens, welche die Akzeptabilität von Gesprächsaktivitäten in Bezug auf sozio-kulturelle Bedingungen und Werte determinieren; - Strategien und Routinen für den flexiblen, erfolgsorientierten, „politischen" Umgang mit den Regeln des Sprechens und den Normalitätsvorstellungen. Die Flexibilität in der Anwendung der Regeln des Sprechens macht eine aufwendige Interaktionsanalyse erforderlich, um zu zeigen, wie die Beteiligten die Berücksichtigung von bestimmten Regeln des Sprechens in ihr Kommunikationsverhalten inkorporieren und dabei die Regeln als Ressource u.a. für die Selbstdarstellung nutzen. Der Kernpunkt ist, daß nachgewiesen werden muß, daß sich die Beteiligten im Vollzug ihrer kommunikativen Verfahren, auch wenn ihr manifestes Verhalten sehr variabel und ggf. strategisch überformt ist, in systematischer Weise an derartigen Regeln orientieren. Analysierbar wird die Regelorientierung der Interakteure aufgrund der Konsistenz ihres Verhaltens über längere Interaktionsspannen und in unterschiedlichen Kontexten sowie aufgrund ihrer Anstrengungen, ihr Verhalten füreinander verständlich zu machen. Diesen letzten Gesichtspunkt hat insbesondere die ethnomethodologische Forschungstradition hervorgehoben. Eine ihrer Grundannahmen ist, daß die Anforderungen der gemeinsamen lokalen Herstellung sozialer Ordnung die Beteiligten zwingen, sich in hinreichender Weise gegenseitig zu verdeutlichen, was für die Interaktion relevant ist. 1 4 Sie müssen also aufzeigen, an welchen Ordnungsvorstellungen sie sich jeweils orientieren. Dies geschieht ständig auf eine ganz unspektakuläre Weise bis in kleinste Interaktionsdetails hinein. Die Verdeutlichungsleistungen geben die Möglichkeit, die interpretativen Prozesse der Beteiligten zumindest in Teilen zu rekonstruieren. Bei bestimmten Gelegenheiten werden diese Relevanzen auch stärker verdeutlicht. Die Ethnomethodologie hat im Zusammenhang mit der Untersuchung alltagsweltlicher Rationalität die Rolle von praktischen Beschreibungen und Erklärungen bzw. Rechtfertigungen („accounts") hervorgehoben. 15 Deren Rolle für die Analyse der Regeln des Sprechens wird u.a. deutlich, wenn die Beteiligten ihre Vorstellungen explizieren. Das geschieht in den in diesem Band behandelten 14

Das schließt nicht aus, daß durch die indirekte oder nur mikroskopische Andeutung von Hintergrundwissen die Beteiligten Wissensbestände in die Definition der Interaktion als bis zum Beweis des Gegenteils gültig einbringen, welche die Beobachter nicht ohne weiteres aus dem Interaktionsverlauf lückenlos rekonstruieren können.

15

Zum Konzept der Erklärungen und praktischen Beschreibungen vgl. Garfinkel (1967), (1972) sowie Garfinkel/Sacks (1970). In der Linguistik ist das Konzept der „accounts" vor allem durch Scott/Lyman (1968) bekannt geworden, die das Konzept jedoch relativ eng auf explizite Rechtfertigungen zuschneiden. Ein anderer Aspekt der Grundidee, daß „wir immer mit vielen Worten sagen, was wir tun", ist im Konzept der „formulation" verfolgt worden. Damit sind Thematisierungen gemeint, die - in metakommunikativer Funktion - formulieren, was gerade passiert (vgl. Garfinkel/Sacks 1970, Heritage/Watson 1979).

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Materialien an vielen Stellen, z.B. im Beitrag 3 bei der Thematisierung der Erwartungen an das Kommunikationsverhalten eines „anständigen Menschen", im Beitrag 6 bei der Behandlung des besonderen Kommunikationsverhaltens einer Erzählerfigur in einer Jugendlichengruppe oder im Beitrag 7 bei der Ablehnung von Verhaltensweisen einer Gruppe von Jugendlichen (der sog. „Asos") durch Gymnasiasten. In diesen Fällen werden zusammen mit Regeln des Sprechens soziale Kategorien und Werte thematisiert. In den folgenden Kapiteln (2.2.-2.4.) wird bei der Behandlung einiger allgemeiner Eigenschaften von informeller Gruppeninteraktion gezeigt, wie auch anhand kleiner Interaktionsdetails Hinweise auf Erklärungskonzepte zu finden sind, welche die Beteiligten für die Festlegung der Bedeutung ihrer Aktivitäten und der Legitimation ihrer Ausnutzung von Spielräumen benutzen. Wir berücksichtigen drei Aspekte der Treffen der Stehcafe-Gruppe: die situative Einbettung und die Grundstruktur der Interaktion (2.2.), die Art, wie die Beteiligten in diesem Rahmen sozial präsent sind (2.3.), und die Interaktionsdynamik, von der u.a. der Wert der Treffen als „Erlebnis" abhängt (2.4.). 2.2.

Situative Einbettung und Ereignisrahmen

Soziale Ereignisse wie die im Stehcafe haben eine komplexe Struktur und sind in der Regel mehrfach eingebettet in übergreifende Ereigniszusammenhänge. Die gesellschaftliche Kommunikationsorganisation schafft zur Bearbeitung sozialer Belange ein strukturelles Gerüst von Situationen und vorstrukturierten Ereignissen. 16 Unter Ausnutzung der damit gegebenen Gelegenheiten siedeln sich in ihrem Kontext jeweils unterschiedliche Handlungszusammenhänge an. Die Koexistenz der unterschiedlichen Vorgänge wird durch die Sozialökologie des Schauplatzes 1 7 sowie durch spezifische Regeln für Trennung und Verknüpfung der Aktivitäten und die damit verbundenen Rollenwechsel bestimmt. Auf einem Schauplatz verhalten sich die Beteiligten als Akteure im Rahmen der Interaktion, an der sie unmittelbar beteiligt sind, und zugleich als Akteure der gesamten laufenden Szene. Mit 'Szene' ist dabei in Anlehnung an Goffmann die Gesamtheit der auf einem Schauplatz ablaufenden und in einem Zusammenhang stehenden Aktivitäten gemeint. Der Zusammenhang kann dabei relativ offen sein, z.B. genügt, daß die Beteiligten die Anwesenheit anderer 16

Zum System von Kommunikationssituationen in einer Gesellschaft zur Bearbeitung von zentralen sozialen Belangen vgl. u.a. Hamel (1988, S. 110-133).

17

Die Entwicklung der Sozialökologie hat seit den 20er Jahren großen Einfluß auf die Ethnographie (vgl. auch die Einleitung in Bd. 4.2.). Der ökologische Ansatz zeigt sich in der Beschreibung der sozialräumlichen Ordnung der Kommunikationsvorgänge und der Schauplatznutzung in komplexeren Gemeinschaften (vgl. z.B. Suttles 1968), der Abgrenzung von Territorien und den Regeln der Grenzüberschreitung (vgl. z.B. Frake 1980d) und in der mikroethnographischen Analyse der Ansiedlung unterschiedlicher Kommunikationsvorgänge auf einem Schauplatz, gleichsam „auf kleinem Raum" (vgl. z.B. Spradley/Mann 1975).

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auf dem Schauplatz wahrnehmen und bei ihren eigenen Aktivitäten in Rechnung stellen, und daß sie von den anderen wahrgenommen werden, auch ohne daß sie in direkte Interaktion treten; dieser gegenüber dem Rahmen der zentrierten Interaktion erweiterte Szenen-Rahmen ist eine wichtige Komponente des „öffentlichen Austausche" (vgl. Goffmann 1971a). Für die Stehcafe-Gruppe ist die aktuale Szene wesentlich von der Gruppeninteraktion bestimmt, aber die Schauplatzökologie und die dadurch strukturierte Gesamtszene beeinflussen ebenfalls die Art der Gruppenmitglieder, im Rahmen dieser Szene sozial präsent zu sein. Schauplatzökologie und Aktivitätsregeln werden mitbestimmt durch die Einbettung der Interaktion in soziale Rahmen 1 8 mit ihren spezifischen kulturellen Eigenschaften, d.h. in weitergespannte Handlungszusammenhänge mit eigener Organisationsstruktur, Wertesystemen und Verhaltensmodellen. Auch die im Stehcafe in Sandhofen angesiedelten sozialen Ereignisse haben eine charakteristische mehrschichtige Interaktionsstruktur. Es gibt bei den Gruppentreffen einen durchlaufenden Handlungsstrang des Cafe-Besuchs, zu dem das Suchen und Einnehmen eines Stehplatzes, das Bestellen, Arbeiten zur Ausführung der Bestellung, Bedienen und Bezahlen gehören. Dabei unterscheiden sich die Rollen für die Klienten und die Cafe-Angestellten unter den Gruppenmitgliedern klar. Die Gruppenunterhaltung hat keine vergleichbar feste Ereignisstruktur, abgesehen von einigen ritualisierten Aktivitäten der Kontaktaufnahme und Beziehungspflege wie Begrüßen und Verabschieden, Fragen nach dem Befinden und Austausch von Informationen über gruppenbezogene Ereignisse seit dem letzten Gruppentreffen, d.h. die Aktualisierung des Weltwissens. Ansonsten können ganz unterschiedliche, meistens kleinere Handlungskomplexe in diesen Ereignisrahmen eingelagert sein wie Informationen beschaffen, UmRat-Fragen, Verabredungen oder dergleichen. Die Beteiligungsvoraussetzungen sind dabei für Personal und Klienten wiederum unterschiedlich, weil der Schauplatz für das Personal arbeitsbestimmt ist (auch wenn die Unterhaltung spannend ist, gibt es schließlich noch andere Kunden, Lieferanten, Aufräumarbeiten usw.). Die Verbindung von Arbeit und Unterhaltung ist für Dienstleistungsschauplätze mit Kundenverkehr charakteristisch. Der Vorrang der Arbeit gegenüber der Unterhaltung gilt generell, ist aber unterschiedlich strikt festgelegt und erlaubt in vielen Fällen durchaus in bestimmten Grenzen einen flexiblen Umgang mit der Arbeitsdominanz. 1 9 Personal wie Kunden können durch den Umgang mit der Dominanzregelung das Verhältnis von personaler zu funktionaler bzw. transaktionaler Beziehung (vgl. Blom/Gumperz 1972) verdeutlichen. Cafe-Personal 18

Zum Konzept der sozialen Rahmen in der Soziologie vgl. Schütze (1987); vgl. auch die Einleitung in diesem Band, Kap. 4.1.

19

Zum Verhältnis unterschiedlicher Aktivitätsstränge auf einem Schauplatz und zu den dabei geltenden Dominanzregeln vgl. u.a. zwei neuere Arbeiten: Schütte (1991) und Schmitt (1992).

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und die Kunden in der Gruppe definieren damit ihre spezifischen Gruppenbeziehungen. Die sozialökologische Ordnung des Schauplatzes ist durch die Trennung von Arbeits- und Kundenbereich durch den Verkaufstresen gekennzeichnet. Die Gruppenmitglieder halten sich in der Regel an einem der Tische im Kundenraum an einem Ende des Verkaufstresens und in dessen Nähe auf, die Bedienungen arbeiten hinter dem Tresen und bedienen andere Kunden, die am anderen Teil des Tresens im freien Kundenraum stehen. Auf diese Weise ergibt sich eine Schauplatzgliederung mit unterschiedlichen Kommunikationsbereichen. Aus der Sicht der Gruppe am Stehtisch besteht eine Unterscheidung zwischen dem Nahbereich der Kommunikation untereinander am Tisch, dem erweiterten Bereich der Kommunikation mit dem Personal über den Tresen hinweg und dem Bereich der übrigen Kunden am anderen Ende des Tresens. Hinsichtlich des erweiterten Kommunikationsbereichs über den Tresen hinweg gibt es wiederum zwei unterschiedliche Zonen in Gruppennähe und am anderen Ende. In der entfernteren Zone sind die Bedienungen für die Gruppenmitglieder kommunikativ durchaus erreichbar, aber die Gefahr einer Konkurrenz der Gruppenunterhaltung mit dem Bedienen der anderen Kunden ist besonders groß. Die territorialen Zonen sind nicht scharf abgegrenzt und in ihrer Ausdehnung mit bestimmt durch die jeweilige Bevölkerung des Schauplatzes. Skizze

Kaff e ems

/

Tresen

iTür

i

Fensterfront zur Straße

Schauplatzorganisation im Stehcafe: Kommunikationszonen der Gruppe, der erweiterten Gruppe und der Verkaufsinteraktion

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Zu den sozialen Rahmen, die für unseren Beispielfall von Bedeutung sind, gehören die Geschäftswelt mit ihren unterschiedlichen Sparten und die lokale Welt Sandhofens, in der sich das Geschäftspersonal und die meisten der Klienten bewegen. Die Regelung des Verhältnisses von Unterhaltung und Arbeit gehört in der Geschäftswelt zur angestrebten und kontrollierten Unternehmenskultur, z.B. in Dienstleistungsunternehmen die Regelung der privaten Unterhaltung unter dem Personal in Hör- oder auch nur Sehweite der Kunden oder der Freiraum für nicht arbeitsbezogene, ggf. vertrauliche Unterhaltung zwischen Mitgliedern des Personals und einzelnen Klienten. Allgemein gilt, daß die Einbettung einer Dienstleistungseinrichtung in eine soziale Welt, in der Personal und Klienten auch unabhängig vom Dienstleistungskontakt agieren, mit gesteigerter Bedeutung der nicht dienstleistungsbezogenen Aktivitäten verbunden ist. Der Wert eines Dienstleistungsschauplatzes für die lokale Welt wird dadurch bestimmt, in welchem Ausmaß er auch für nicht geschäftliche Aktivitäten zur Verfügung steht und ob er u.U. auch vorübergehend dominant von solchen Aktivitäten besetzt sein kann. 2 0 Die Einbettung in unterschiedliche soziale Rahmen beeinflußt den Charakter der Gesamtszene und die Gruppeninteraktion. Die Anwesenheit anderer Kunden berücksichtigt die Gruppe u.a. in der Form, daß sie bei der Themenbehandlung unterschiedliche Grade von Öffentlichkeit in Rechnung stellt. Das gilt z.B. bei lokalen Themen, also Sandhöfer Klatsch, und dies gilt insbesondere bei der für andere Kunden wahrnehmbaren Beteiligung des Cafe-Personals daran. Aufgrund der Lage des Cafes an einem zentralen Platz in Sandhofen und aufgrund der großen Frontscheibe bietet sich den im Cafe Anwesenden ein Beobachtungsfeld (gleichsam ein „Fenster auf die lokale Welt"), und damit ergibt sich eine Ausdehnung der Szene: Passanten, die mögliche Cafe-Besucher sind, bieten Anlaß für die Thematisierung lokaler Ereignisse, Ereignisse im Cafe finden draußen eine Fortsetzung usw. Die Schwelle zwischen Dienstleistungsaktivitäten und Unterhaltung ist für die Stehcafe-Gruppe sehr niedrig. Dementsprechend wenig aufwendig sind die Wechsel zwischen den Aktivitätssträngen und die Rollenwechsel von Personal und Klienten. Das Bedienen hat für die Cafe-Angestellten Vorrang, sie können jederzeit ohne besonderen Aufwand die Gesprächsrunde verlassen und wieder in sie zurückkehren; die übrigen Gruppenmitglieder können (nahezu) an je20

Die Ethnographien der Westlichen Unterstadt und der Vogelstang (vgl. Band 4.2.) zeigen im Kapitel „Schauplätze" ganz unterschiedliche Verhältnisse in den Lokalen und Läden. Aus der Perspektive des neuen Gastes (das war in der Regel die Rolle der Ethnographen) wird jeweils schon sehr schnell erkennbar, nach welchen Regeln der neue Gast behandelt wird und ob z.B. der Schauplatz durch eine InsiderGruppe besetzt ist, die den Zugang von Außenstehenden erschwert. Z.T. wird auch dargestellt, wie z.B. aus der Perspektive des vertrauten Gastes die Tatsache wahrgenommen wird, daß es „Cliquenwirtschaft" von Personal und Teilen der Kundschaft gibt.

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der Stelle ihre Bestellungen formulieren, ohne den für die Adressaten damit verbundenen Rollenwechsel besonders markieren oder vorbereiten zu müssen. Der folgende Ausschnitt aus dem im Kap. 3 analysierten Gespräch zeigt, wie die Beteiligten Dienstleistungskommunikation und Unterhaltung miteinander verbinden. S. 1 19 SA: #ah veesch'du des gar nädf» ** K: «LACHEND # 20 MO: d o v o " r j 21 SA: k r i g g ^ i s c h noch e t a s s k a f f e e b i d d e t 22 BR: d i e kriggd jeden aorge do hinne fünf «a'^kf » »>un donn K: »ENTFERNT S. 2 1 SA: +— zä"hn «arkj. * >—»kriggd diel. * 2 BR: i s des all].* K: ENTFERNT» 3 PE: »o hinneΐ An dieser Stelle laufen zwei thematisch verwandte Teilgespräche in zwei Gruppierungen parallel. Sabine spricht mit J u t t a und ggf. einem weiteren Mitglied und Brigitte mit anderen. Sabine formuliert nach einer kleinen Pause (am Ende von 1,19) eine an Brigitte adressierte Bestellung (1,21). Sie benutzt dafür eine „passende" Stelle. Für Sabine steht diese Äußerung an einer Schaltstelle zwischen der Themeneinführung (es wird über Kurz und Lang gesprochen) und der weiteren Themenbehandlung (es gibt eine Geschichte über Kurz und Lang, die zumindest J u t t a noch nicht kennt; vgl. 1,19). Sabine beachtet bei der Plazierung ihrer Bestellung auch die Gesprächsorganisation des parallelen Stranges, d.h., sie piaziert ihre Bestellung in eine Lücke; Brigitte wird nicht in einem laufenden Redebeitrag unterbrochen. Die auffällige lange Überlappung kommt dadurch zustande, daß Sabine und Brigitte gleichzeitig starten. Bemerkenswert ist, daß Sabine trotz des Adressatenwechsels ohne Eröffnung oder irgendeine andere Markierung des Rahmenwechsels beginnt, weiter daß sich Brigitte in der Formulierung ihres thematischen Beitrags trotz der langen Überlappung nicht stören läßt (1,22-2,2) und daß sie die Bestellung verbal nicht bestätigt, auch nicht nach dem Abschluß ihres thematischen Beitrags, dafür aber noch während des laufenden Beitrags die Ausführung der Bestellung beginnt (sie geht zur Kaffeemaschine, was sich im Transkript durch die geringere Lautstärke und den Kommentar „Entfernt" abbildet). Die Regel der Arbeitsdominanz wird also eingehalten. Es findet keine besondere Behandlung der langen Überlappung s t a t t . Sabine reagiert im nächsten Beitrag (2,1) auf die letzte Äußerung Brigittes zum T h e m a (1,22), d.h., auch sie läßt keine Unterbrechung des Themengesprächs aufgrund ihrer Bestellung entstehen.

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Die Verbindung der beiden Aktivitätszusammenhänge ist geprägt durch kommunikative Verfahren, die eine sehr ökonomische, aufwandsarme Organisation gestatten (Verzicht auf die Auftragsbestätigung im Vertrauen darauf, daß die Zuwendung zur Ausführung von Sabine wahrgenommen wird und damit keine Zweifel an der gelungenen Verständigung bestehen können; Verzicht auf eine Behandlung der Unterbrechung des Themengesprächs, und zwar so weitgehend, daß die Bestellung nicht nur als eingeschobene Nebensequenz, sondern sogar parallel zum Themengespräch abläuft). 2 1 Diese Reduktion der manifesten Organisationsaktivitäten zeigt die Informalität und Vertrautheit der Kommunikationsbeziehung und entspricht einer allgemeinen Regel, wonach Formalität und soziale Distanz einen höheren und Informalität und soziale Nähe einen geringeren Aufwand der Gesprächsorganisation erfordern. Analoge Beobachtungen lassen sich an Stellen machen, an denen Brigitte in das Gruppengespräch zurückkehrt, nachdem sie sich zum Bedienen entfernt hatte. Im Laufe einer langen Sequenz über Kurz und Lang (vgl. den Beispieltext „Kurz und Lang" im Anhang) hat sich Brigitte der Kundschaft zugewandt (vgl. u.a. biddeschdnl; 18,5), und die Gruppe wechselt das Thema. Sie spricht über Gaststätten in Sandhofen und deren Kundschaft (vgl. Sabine in 19,1/2), als Brigitte sich wieder in das Gespräch einschaltet (19,3fF.). Dabei knüpft Brigitte an eine eigene thematische Initiative an, mit der sie zuletzt am Gruppengespräch beteiligt war, die dort aber nicht weiter bearbeitet wurde (vgl. 15,17ff.). Es ging um eine Randgruppenfigur in Sandhofen, die als die „Taschenoma" bezeichnet wurde, weil sie immer ihre ganze Habe in Taschen bei sich hatte (die hod immer s.

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15,20):

19

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8 IL: nee isch war heut Borgen ned do 9 RI:

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(2235/06)

J u t t a verarbeitet die Intervention Sabines flexibel, wobei sie die dadurch entstandenen Handlungsfortschritte nutzt. Sie verfolgt ihre eigene Handlungslinie weiter und verknüpft sie mit Sabines Intervention zu einer gemeinsamen, parallelen Aktion. J u t t a adressiert eine Frage an Ilona, die noch nicht geantwortet hat (wissen s i e " = s t ! 3,5); sie formuliert die Äußerung als Zusatzfrage zu dem voraufgehenden Frage-Antwort-Paar. J u t t a hält also ihre aktive Beteiligung aufrecht, indem sie eine sich bietende „zweite Möglichkeit" nutzt. Ihre Frage übernimmt nicht die Perspektive Sabines, sondern behält ihre eigene Fragepräsupposition bei (daß die Bedienungen das erforderliche Wissen haben können); sie verhält sich damit konsistent in ihrer eigenen Handlungslinie. Hinsichtlich der Verteilung des Rederechts verhält sich auch Sabine manifest kooperativ. Als sie in Reaktion auf Ritas korrigierter Antwort doch doch * der Eichbaum war do"; 3,9) nachfragt, kommt es aufgrund eines gleichzeitigen Starts von J u t t a zu einer Überlappung. J u t t a bricht ab, d.h., sie repariert die Turbulenz „auf ihre Kosten". In der Folge verschafft Sabine J u t t a das Rederecht (>wast; 3,11), d.h., Sabine repariert den Umstand, daß sie J u t t a verdrängt

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h a t . In der folgenden Ä u ß e r u n g (3,10) inkorporiert J u t t a ebenfalls spezifisches S i t u a t i o n s w i s s e n in ihre Schlußfolgerung (sie bezieht sich d a r a u f , d a ß E i c h b a u m entweder F r ü h - oder S p ä t s c h i c h t h a t ; wenn er Spätschicht h a t , k o m m t er f r ü h m o r g e n s ins C a f e ) . A u c h in dieser Hinsicht zieht J u t t a m i t S a b i n e gleich, die bei ihrer I n t e r v e n t i o n spezifische S i t u a t i o n s k e n n t n i s s e m a n i f e s t i e r t h a t t e . In der Folge p r a k t i z i e r t S a b i n e erneut d a s Verfahren, sich in eine I n i t i a t i v e von J u t t a einzuschalten u n d sie gleichsam zu „ ü b e r h o l e n " . 13 JU:

leud| « ach godd ach godd

»o je"tz

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8 SA: widder ihm platz isj. »» die Essischen ja| kännsch die 9 SA: EssischenT 10 JU: >( )u u 11 KL:

(...) die « die E"s3ischent ja was is willsch ietz kaffee odder (...)

12 SA: nä awwer » blofl en ha"lwer • bloß en halaer » f * isch vertrag näd * un donn i s des a l l j < (1,22-2,2) Brigitte und Monika beteiligen sich aufeinander abgestimmt, wobei Brigitte die Wortführerin ist. Gemeinsam ist den Protagonisten die Ausrichtung auf die lokale Welt und die in diesem R a h m e n geltenden Neugierregeln (vgl. auch Kap. 2.3.). Zwischen Sabines Orientierung auf die originellen Eigenschaften von Kurz und Lang und Brigittes sowie Monikas Orientierung auf deren deviante Eigenschaften besteht jedoch ein signifikanter Unterschied: Es handelt sich u m zwei unterschiedliche Weisen des Umgangs mit Devianz. Beide Perspektiven auf das Paar Kurz und Lang werden im Verlauf des Gesprächs beibehalten, wobei Sabine immer wieder auch auf die Ebene von Brigitte und Monika einschwenkt, während diese durchweg bei ihrer Perspektive bleiben und an keiner Stelle die von Sabine manifest übernehmen. In „Essischen" war Monika an der von Sabine initiierten lustigen Behandlung des T h e m a s beteiligt, so daß anzunehmen ist, daß sie sich jetzt an Brigitte orientiert. 3.2.

Hintergrundinformationen

Peters und J u t t a s Identifizierungsfragen nach dem Ort, an dem Kurz und Lang morgens Geld abholen (wo hinne], 1,25; beim 5οζία"Ιατηΐ\, 1,29) lösen eine längere Klärung aus. Die Hintergrundinformationen werden von Sabine, Brigitte und Monika geliefert. Hier tritt ein Zustand der offenen Gruppeninteraktion ein, der nicht wie in „Essischen" durch Störungen aufgrund anderer thematischer Initiativen geprägt ist, sondern durch thematisch parallele Gesprächsstränge und schnelle Wechsel der Gesprächskonstellationen. Sabines primäre Adressaten sind J u t t a und Peter (ggf. auch Werner, der aber in dieser Phase als Sprecher nicht aktiv ist), die über Kurz und Lang bzw. über die Umstände ihrer Existenz auf dem Sandhöfer Territorium nicht Bescheid wissen. Dazwischen, fast wie ein Einschub, erfolgt Sabines Zuwendung zu Brigitte und

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Nikitopouloa

Monika, wobei sie deren T h e m e n übernimmt. Sabine versucht, sich als Sprecherin gegenüber J u t t a und Peter zu etablieren. 21 SA: krigg isch noch e tas3 kaffee biddeT 22 BR: die kriggd jeden »orge do hinne fünf «a'^kf » >un donn S.

2

1 SA: 2 BR: is des all], 3 PE:

«—zä"hn «arkj * >—»kriggd diel • wo hinnet

4 SA: neinl 11 HO: Sabine * khörsch awwer näd dezu"| oddert K: ALLGEHEINES GELÄCHTER WIRD LANGSAH LEISER UND VERSTUHHT 12 SA: —»des gefälld der Widder heid 13 JU: LACHT 14 BR: des hawwe die noch näd longj. 15 SA: 16 BR:

leud lauder lauder so beschrä"ngde[ (2,20-22) und später dann beklobbde (3,15). Weis die Lebensuntüchtigkeit der Heimbewohnerinnen ausmacht, wird präzisiert durch die Verbindung von Heimbewohnern und Sozialamt. Auf J u t t a s Frage nach dem Ort, an dem Kurz und Lang ihr Geld

Regeln des Sprechens

95

holen (2,7), antwortet Brigitte etwas später ah ja- des gehd awwer iwwer=s sozia"lomd{ (2,8 u. 2,14) und klärt damit, daß die beiden nicht nur Geld vom Sozialamt holen, sondern daß Kurz auch in einem vom Sozialamt geführten Heim wohnt; d.h., Kurz lebt in weitgehender Abhängigkeit vom Sozialamt und hat die Möglichkeit der freien Lebensführung verloren. Sie steht damit außerhalb der normalen bürgerlichen Lebenswelt. Hier wie auch bei anderen Gelegenheiten erscheint „Sozialamt" als ein Schlüsselbegriff für soziale Devianz. Die Widersprüchlichkeit zwischen solider Wohnung einerseits und der sozialen Randseitigkeit der jetzigen Bewohner andererseits bringt Brigitte symbolisch zum Ausdruck durch des sin schö"ne zimmer{ (3,2) direkt im Anschluß an Sabines des sin lander so beschrä"ngde[ (2,21). Die deutliche Standardverschiebung in schöne zimmer im Gegensatz zur vorherigen dialektalen Ausdrucksweise bei Sabine in lauder so beschrä"ngde[ weist symbolisch auf die Divergenz zwischen Haus und Bewohnern hin. Die Standardverschiebung fungiert als Symbol für eine auf der sozialen Skala weiter oben angesiedelte soziale Welt (vgl. Beitrag 3)· (c) Spiel mit der Devianz: eine Frotzelei Die Gesprächsbeteiligten behandeln die Ausgrenzung dieser Gegenwelt der Devianz in diesem Abschnitt auch einmal spielerisch, in einem Moment spontaner Zentrierung. Dabei spielen sie mit der Überlagerung von lokalen und sozialen Kategorien. Auf J u t t a s Frage nach der Lokalisierung des Heims (3,4) antwortet Sabine in ernster Modalität bei mi"r do[ in de Karlschd/- (3,6). Damit löst sie helles Lachen aus, da die räumliche Nähe des Heims zu ihrem Wohnort auch eine soziale Nähe suggeriert. In ihrer lachend-ironischen Nachfrage bei di"r] (3,7) unterstellt J u t t a diese soziale Nähe und führt einen spielerischen Angriff durch, den Sabine sofort versteht und in spielerischer Selbstbezichtigung (isch bin erschder endlasse wo"rre; 3,8) pariert. Das ist eine typische Frotzelei, bei der die Angesprochene spielerisch angegriffen und zum Kontern provoziert wird. Nach den Regeln für Frotzeln ist entscheidend, daß auf den imageverletzenden Angriff spielerisch reagiert wird. Für das Kontern gibt es vielfältige Möglichkeiten, die alle darauf hinauslaufen, die eigene Unangreifbarkeit zu zeigen: - den Angreifer entwaffnen durch spielerisches Eingestehen, wie Sabine das t u t , und dabei sogar noch den imageverletzenden Angriff überbieten, z.B. „mir gefällt es da", „ich hab nur vorübergehend Ausgang" o.ä. (vgl. auch Beitrag 7, Kap. 4.); - spielerisch Gegenangriffe androhen oder durchführen, z.B. „du solltest etwas vorsichtiger sein, sonst erzähle ich mal von deiner O m a in Wiesloch" (Kleinstadt mit der regional zuständigen Nervenheilanstalt); usw. In Abhängigkeit von der Stärke des Angriffs (z.B. ob durch Insistieren eine ausgebaute Frotzelsequenz initiiert wird) und der Strategie der Verteidigung ist das Frotzeln unterschiedlich kooperativ oder aggressiv. Im Beispielfall läuft

96

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Nikitopoulos

die Frotzelsequenz sehr kooperativ und entspannt ab; es ist in erster Linie Sabine selber, die den Spaß expandiert: - Sie bezichtigt spielerisch sich selber, verbunden mit lautem Lachen (3,8). - Die Fortsetzung von Monika ist eine Einladung zur Richtigstellung und als solche „milde" und wenig aggressiv (3,11). - Jutta als Initiatorin formuliert für Sabine die Richtigstellung und nimmt damit ihre spielerische Unterstellung zurück (3,10). - Sabine thematisiert Juttas Spaß am Frotzelspiel (3,12). - Sabine expliziert die bis dahin implizite Gleichsetzung von räumlicher und sozialer Nähe (wo die beklo"bbde wohnt[\ 3,15). Die vorliegende Frotzelei reproduziert ein altes und geläufiges Stereotyp: „Heim" oder „Anstalt", vor allem natürlich „Irrenanstalt" als Orte einer Devianz, mit der ein normales Gesellschaftsmitglied auf keinen Fall in Verbindung gebracht werden will und die daher ein sicheres Potential für Beleidigungen oder für spielerische Angriffe darstellen. Auch isch bin erschder entlasse worre (3,8) ist formelhaft: „entlassen worden sein" ist - ebenso wie Varianten mit „ausgebrochen" bzw. „entsprungen" - die feste Formulierung dafür, daß ein sich in der normalen Welt bewegendes Gesellschaftsmitglied eigentlich „in die Anstalt" gehört (vgl. auch Anm. 5). Daß dieses Frotzelthema allgemeine Heiterkeit und aktive Beteiligung hervorruft, hängt offensichtlich mit einem zusätzlichen Auslöser zusammen: Sabine „legt sich selber herein", indem sie so ernsthaft bei mi"r do formuliert und dabei gleichsam naiv die routinehafte Kontrolle eines möglichen Nebensinns außer acht läßt. Die Kategorisierung „Bekloppte" wird im Frotzeln zwar spontan von allen als lustige, spielerische Zuschreibung gehandhabt, aber die ernsthafte, explizite Verwendung zur Realitätsbeschreibung ist im Rahmen der partiell öffentlichen Szene im Cafe nicht unproblematisch (vgl. Kap. 2.3.). (d) Die Konkurrenz der Expertinnen Sabine und Brigitte sind beide Expertinnen für das lokale Leben; zwischen ihnen wird hier wie auch an späteren Stellen des Gesprächs eine gewisse Konkurrenz hinsichtlich des Expertenstatus erkennbar. Diese äußert sich in wechselseitigen Fremdkorrrekturen mit Bezug auf Hintergrundinformationen: Sabine korrigiert Brigitte (2,1-4), Brigitte korrigiert Sabine (2,8-14 und 3,20). S.

1

22 BR: die kriggd jeden Borge do hinne fünf na"rk| * >un dorm S. 1 2 3 4

2 SA: hajo{\ 4,9). Auch verzögert erfolgt keine Ratifizierung der Korrektur. Trotz der Unterschiedlichkeit des Gesprächsverhaltens von Sabine und Brigitte zeigt sich in dieser Sequenz eine komplexe Korrespondenz zwischen ihren Präsenzformen. Beide korrigieren sich wechselseitig unter Bezug auf ihr Wissen über die lokale Welt, beide zeigen dabei Formen des Insistierens, beide benutzen aber auch die Vorrangregel für die wechselseitige Zugänglichkeit und damit verbundene thematische Wechsel, u m die Konkurrenz zu entschärfen. Die Etablierung und Behandlung der Konkurrenz zwischen den Expertinnen ist wieder ein Beleg für die in Kap. 2.4. erwähnten gestreckten Aushandlungsprozesse in der Gruppeninteraktion. Insgesamt ist das gemeinsame Interesse an einer Klärung der Hintergründe sehr stark. Auch hier lassen sich Spuren eines Perspektivenunterschieds zwischen Sabine und Brigitte finden. I m voraufgehenden Gesprächsabschnitt war bei starker paralleler Ausrichtung der Aufmerksamkeit die Orientierung auf unterschiedliche thematische Aspekte deutlich geworden. Auch der jetzige Gesprächsabschnitt zeigt eine klare gemeinsame thematische Ausrichtung, aber es fällt auf, daß im Vergleich zu der thematisch beweglichen Sabine Brigitte konsequent ihren thematischen Aspekt aus dem ersten Gesprächsabschnitt fortsetzt.

Regeln des

99

Sprechens

Sie fokussiert die Abhängigkeit der Randfiguren vom Sozialamt und Fragen ihrer Versorgung. 3.3.

Erste Initiative zur Darstellung eines Originals

Nach der abschließenden Lokalisierung und Kategorisierung des Wohnortes von Kurz setzt Sabine zu einer Darstellung der originellen Figuren an. Diese Initiative ist deutlich markiert durch ein Gliederungssignal jetzad[ und die namentliche Anrede von Peter als jemand, der nicht voll informiert ist und insofern als exemplarischer Zuhörer herausgegriffen werden kann. Die Durchführung der Darstellung wird aber zunächst noch verhindert durch einen Kommentar von J u t t a (ou stehn die früh auf, 4,15/17) und eine Frage von Werner (wie alt sin—en dief; 4,18). Beide thematischen Impulse werden von Sabine aufgenommen und lösen eine weitere Beschäftigung mit Hintergrundinformationen aus. Im vorliegenden Abschnitt ist vor allem die Frage nach dem Alter interessant. Sabines Auskunft zeigt ihr Wissen über die lokale Welt und damit ihren Expertenstatus. Zugleich verdeutlicht die Darstellung von Lang und von Sabines Umgang mit Lang einige Eigenschaften von lokalen Originalen. Zu deren originellen Eigenschaften gehört der gewohnheitsmäßige Verstoß gegen geltende Regeln des Sprechens und andere soziale Regeln, der aber aufgrund seiner Regelmäßigkeit kalkulierbar ist; das abweichende Verhalten ist interessant und belustigend, weil es Regeln sprengt und weil man mit den originellen Figuren spielen kann. In einer kurzen Erzählung belegt Sabine ihr Wissen und erläutert, wie sie das Alter erfuhr. Die Kurzerzählung ist auf eine Kernszene, den Dialog zwischen Sabine und Lang, reduziert und besteht nur aus Redeeinleitung und Redewiedergabe (in direkter Rede). S.

4 ja: ja: ••» awwer-

9 SA: >hajol

10 BR: des baufellisch iorre isj

ou stehn die früh #nä"nä"t * —»die Ininne doch »BESONDERS BETONT*

17 JU: auf J.< 18 WE:

wie alt sinken dieT

19 SA: vun de schda"ddj. »* gell| * 7 HO:

(...)

>hajoi

8 SA: hB:l
Bha|

4 BR: hodj. » awwer vun äme Bonn odder vun verheirad hod se 5 SA:

also do konnsch näd

6 BR: nix verzehldj » bloß vun ihre große dochderl 7 SA: sa:che daß Intelligenz säufdj * j a | ** un du"Bnheid

8 SA: frißdj. ja| • also bei dä"na näd| ja| »* 9 SA: >bei dä"nn nädj. • 18 SA: fall wenn der aids hod doJ. nä| ** die onn/ » 19 SA: #der=s/ » der hod »isch awwer gschna"bbdj. •• K: »LACHEND, STOTTERND 20 SA: ** isch war wie/# * weesch jo wie er donn is » Κ: LACHEHD, STOTTERND» 21 SA: un die" * do drauß gschdonne un a"ls gschännd 22 HO: iajal

114

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S. 11 1 SA: a"ls gschänndj * havwisch gsachd geh 2 SA: doch »ol nau:sl(

1)

3 MO: ah die is doch eifersischdisch is die doch donnj. 4 HE: 5 SA:

jaja sie

donn hawwe»se do drauße Bidder *

6 MO: weeschdi 7 WE: is eifer/ 8 ΡΕ: is klar 9 SA: no hod die Sonja gsachd jetz «ißd ia aid änne in die 10 SA: schdroßebohn noi jaf ** da»id eh: *

11 PE:

jaj. »

was do

zu"herej

12 SA: jetz also läu"fd| • iai

Sabine bleibt auch in dieser zweiten Phase der Verarbeitung als Sprecherin ganz präsent. Nach Monikas T h e m a „Familienverhältnisse von Kurz und Lang" n i m m t sie auch Werners Kategorisierungsfrage awwer e"r is ned bled * odder w a s j (9,21-23) sofort auf und ordnet Lang der Kategorie der „Bekloppten" zu. Sie übergeht die Klärungsbemühungen von Brigitte (10,2-6) und typisiert Lang abschließend in spielerisch reflektierender Weise durch also do konnsch näd sache daß Intelligenz säufd[ * jal ** un du"mmheid frißt{ ja{ * also bei dä"mm näd,bei dä"mm näd (10,5-9). Mit dieser Expansion der Antwort, zudem in einer relativ ausdrucksvollen, formelnahen Weise, etabliert sich Sabine wiederum erfolgreich als Wortführerin. Die Reprise der Erzählungsauflösung hat folgende interessante Eigenschaften: - Werner bleibt weiterhin Mitspieler im Sinne von Sabine; ihre Reprise der Evaluation (ah—s war so" schä:l; 10,9) wird von Werner bestätigt ( h a j o \ ; 10,10).

- Es zeigt sich noch einmal die Perspektivendivergenz der beiden Parteien; Sabine präzisiert die Zeitangabe (mo:rgens um halwer* om halwer » >—*zehn vor halb achd; 10,11) als Komponente der Evaluation im Sinne von „WEIS einem hier in Sandhofen alles passieren kann"; Monikas Bestätigung (Ja[ des is denne ihr zeid[\ 10,13) nimmt die Evaluation nicht auf, sondern nur die Faktenaussage. - Sabine gibt jetzt eine detailliertere und realitätsnahe Darstellung der damaligen Situationsauflösung. Nach dem Handkuß riet ihr Sonja (die Leiterin des Cafes), nach dem körperlichen Kontakt mit Lang die Hände zu waschen; sie t a t es für den Fall wenn der aids hod (10,18); diese Formulierung ist 'realistischer' in dem Sinne, daß sie die formelhafte Zuspitzung der früheren Erzählungsauflösung (donn hod er ma=n hondkuß gewwe * haww=isch gsachd jeiz krigg isch glei airfsj; 9,4-7) zurücknimmt.

Regeln

des

Sprechens

115

- Es wird erkennbar, wie das Aids-Thema, das im Beispiel „Essischen" Klausdieter eingebracht h a t t e (do konnsch=emol ogugge * de"s gibt aids; 2,4) und von Sonja aufgenommen wurde (des is aids; 2,9), inzwischen weitergeführt wurde. Die jetzige Erwähnung in der Erzählung läßt erkennen, daß dieser P u n k t bereits Bestandteil des Themenpotentials ist. Dasselbe gilt für die Neugier in bezug auf die Szene in der Straßenbahn. Auch diese ist Sonjas T h e m a , wie die entsprechende Stelle im Beispiel „Essischen" zeigt; dort h a t t e Sonja dieses T h e m a eingebracht (die heeße sisch beschdimmd widdtr alles zomme in de schdroßebohn[ * schad daß isch näd drinhoggl; 2,223,1) und Sabine h a t t e das T h e m a sofort übernommen (schad daß isch näd drinhogg isch aal; 3,3). Dadurch, daß Sabine Sonja zitiert, verdeutlicht sie, daß sich auch situationsübergreifende Konstellationen von Mitspielern bei der Behandlung von Kurz und Lang, herausbilden. Ausgelöst von Werner wird die Bewertung der Devianz auch für Lang explizit durchgeführt unter Verwendung der Kategorie beklobbd (9,22). In diesem Kontext der Explizierung von Devianzmerkmalen gilt offensichtlich die früher beobachtete Verwendungsbeschränkung nicht. (Vgl. auch die unmarkierte Verwendung von bled durch Brigitte in der voraufgehenden Sequenz: wonn se aa bled is awwer sie is meischdens ruhisch; 8,11-13). Die Kategorisierungsregel betrifft die Erklärungs- und Legitimationsbedürftigkeit der diskriminierenden Kategorisierung und beinhaltet eine Verwendungsbeschränkung für die Fälle, in denen kein Erklärungsrahmen eingeführt ist und auch nicht ohne weiteres als Insider-Wissen vorausgesetzt werden kann. Die Verwendung der Kategorie bei der ersten Einordnung der Randgruppenfiguren in diesem Gespräch (vgl. Kap. 3.2.) war noch unvorbereitet und wurde dementsprechend markiert. Inzwischen hat die Themenbehandlung hinreichend Anlaß geboten zur Beschreibung und Bewertung der Devianzmerkmale und zur Manifestation der Einstellungen der Beteiligten zu den „Bekloppten". Damit ist jetzt ein ausreichender Rahmen für die Verwendung der diskriminierenden Kategorie als „Kürzel" für einen komplexen Bedeutungszusammenhang gegeben. (d) Abschließende Verarbeitung (11,12-12,2) In Reaktion auf das Sonja-Zitat stellt Werner den möglichen Verlauf der Szene in der Straßenbahn dar: do schännd die in äner dour wahrsch/l (11,13-14) und beweist damit, - das zeigt auch Sabines Bestätigung - daß er den Typus Kurz verstanden h a t . Es kommt eine erneute Sequenz der Verarbeitung in Gang, die diesmal sehr kooperativ und mit ausgewogener Beteiligung von Sabine, Monika und Werner abläuft und mit einer kurzen Pause und einer speziellen Art von Fazit endet, und zwar der erneuten Bezeichnung der thematisierten originellen Figuren: Kurz un Long (12,1). Damit wird der Themenrahmen, der mit e"we kummt Korz un Long eröffnet wurde, geschlossen.

116

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s . 11 12 SA: j e t z a l s o l a u " f d | * j a l 13 WE: do schännd d i e i n äner dour w a h r s c h / j 14 SA: i n ä n e r e r dourl *• geklo"bbd hawse d i e s i s c h schunni ** 15 MO: hawse s i s c h schunn fceklo"bbd i n de schdroßebohni 16 SA: d i e hod schunn so e aa"« khabdl 17 MO: o · eck do vonne| 18 WE: iaT

geh f o r d j

19 SA: jaj. 20 MO: j a j * do i s » do i s d i e " i n d i e abodhek 21 SA: ( . . . ) >des»s 22 MO: dafl d e " r se i n ruh loßd]. 23 WE: #hohohohoj.# Κ: »LACHEND * S. 12 1 SA: wohrj zehn vor halb acht< « isch ha::b gelacht Im analysierten Fall spielen unterschiedlich begründete Perspektivenunterschiede eine Rolle: - Es gibt zwischen den 'Sandhöfern' und den 'Nicht-Sandhöfern' unter den Beteiligten einen unterschiedlichen Bezug zur lokalen Welt. - Es gibt einen unterschiedlichen Bezug auf Funktionsrollen. - Unter den 'Sandhöfern' gibt es eine unterschiedliche Sicht der sozial abweichenden Figuren. Alle Sandhöfer Mitglieder sind eindeutig auf die lokale Welt orientiert in dem Sinne, daß sie das lokale Referenzsystem benutzen und Sandhöfer Ereignisse thematisieren. Hinsichtlich des lokalen Bezuges stimmen z.B. die Protagonistinnen Sabine und Brigitte überein. Ihr Gesprächsverhalten verdeutlicht eine gewisse Lokalgebundenheit der Perspektive: Thema ist die Präsenz der originellen devianten Figuren in Sandhofen, zudem auf den eigenen Schauplatz Cafe konzentriert. Dabei wird zugleich die Welt Sandhofens als Wahrnehmungsraum

126

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abgebildet durch die Art der Beobachtung auf dem lokalen Territorium und die Erklärungsversuche f ü r die Anwesenheit von bestimmten Personen an bestimmten Orten zu bestimmten Zeiten usw. Für sie sind die Randgruppenfiguren auf Sandhöfer Territorium relevant, und zwar nicht nur als Passanten, sondern teilweise auch f ü r die konkreten täglichen Kontakte (die Randgruppenfiguren erscheinen in den Geschäften und Lokalen und gestalten dort auch unter sich und mit anderen Beteiligten soziale Ereignisse). Kurz und Lang gehören zu einer Population devianter Figuren, die auf dem Sandhöfer Territorium fest angesiedelt sind und traditionellerweise eine gewisse Präsenz im alltäglichen Leben entfalten. Ihre Unterbringung ist zudem ein lokalpolitisches T h e m a . Vor allem die beiden Protagonistinnen Brigitte und Sabine verkörpern zwei unterschiedliche typische Verhaltensweisen gegenüber der Devianz in der Gesellschaft: - Eine ordnungsbezogene und „karitative" Einstellung (Brigitte). Dabei handelt es sich u m eine Kombination von Versorgen und Absondern, auf jeden Fall Vermeiden von Störungen des normalen Betriebes, aber ohne Spott und Gehässigkeit. Das in unserer Gegenwartsgesellschaft insgesamt sehr wirksame Spott-Verbot (über das Elend darf m a n nicht spotten und sich nicht lustig machen) wirkt sehr stark. Die dominante Eigenschaft der Außenseiter ist, daß sie lebensuntüchtig sind. - Eine „ungenierte" und spielorientierte Einstellung (Sabine). Diese Einstellung gestattet (gemäßigten) Spott und Sich-Belustigen über die Devianz in der Annahme, daß die devianten Figuren zwar eine ungewöhnliche Lebensweise praktizieren, daß sie aber trotzdem eine 'Art zu leben' haben und Lösungen f ü r Lebensprobleme unter den gegebenen Bedingungen. Sabine zeigt dies bei der Darstellung, wie Kurz und Lang ihren Tageslauf bewältigen unter den Bedingungen ihrer Abhängigkeit vom Sozialamt (vgl. auch die Geschichte vom dabbischen Hoiner, Kap. 3.6.b). Diese Perspektivendivergenz ist für die Regeln des Sprechens in bezug auf die Kategorisierungsregeln und vor allem in bezug auf die Modalitätsregeln relevant. Der Umgang m i t den Kategorien beschrängde bzw. beklobbde zeigt eine Verwendungsbeschränkung für die ernsthaft-sachliche Modalität ohne gesicherten Erklärungsrahmen, d.h. ohne Einbettung in eine explizite Erklärung und ohne die Unterstellung von gesichertem Insider-Wissen. Diese Verwendungsbeschränkung ist zumindest für Brigitte relevant, ihre Existenz stellt aber auch Sabine in Rechnung. Hinsichtlich der Modalitätsregeln sind im Beispielfall vor allem folgende Beobachtungen wichtig: - Es gibt einen fast das ganze Gesprächsstück prägenden Unterschied zwischen dem ernsten Interesse an den Hintergründen und dem Spiel mit dem Original bzw. dem spielerisch überhöhten Reden darüber (vgl. u.a. Kap. 3.2. vs. 3.3.-3.5. und Verarbeitungen vs. Auflösungen in 3.5.b u. c).

Regeln des

127

Sprechens

- In der „harmlosen", routinehaften Frotzelei (bei di"r]) wird mit Devianzkategorien gespielt, aber gerade weit weg von der Wirklichkeit und vom realen Kontakt, gleichsam aus sicherer Distanz (vgl. 3.2.d). - In der Erinnerung an die „alten Geschichten" vom dabbischen Hoiner wird ebenfalls etwas vom Spiel mit und dem Spaß an der originellen Devianz deutlich (vgl. 3.6.b). Im Vergleich mit diesen beiden letzten Formen wird klar, daß die Spielverweigerung bei Sabines lustiger Erzählung (vgl. Kap. 3.5.a) auch mit der Nähe und Konkretheit der übrigen Gruppenmitglieder zu den devianten Figuren (im Verhältnis zur nur noch symbolischen Präsenz in den alten Geschichten) zu tun hat. Vielleicht spielt im Fall von Werner, der von Sabine als Mitspieler gewonnen wird (vgl. 3.5.b und c), eine Rolle, daß er als Nicht-Sandhöfer und ohne berufliche Berührung mit Kurz und Lang auch eine andere Distanz zum Auftreten der devianten Figuren hat als die Cafebedienungen. Unsere detaillierten und ausgedehnten Analysen der Interaktion in der Stehcafe-Gruppe können zeigen, daß Bildung von sozialem Stil in das alltägliche Verhalten inkorporiert ist, ggf. ganz unauffällig vonstatten geht, in vielen Eigenschaften auch von den Beteiligten nicht bewußt bemerkt wird, aber eben doch ständig von Bedeutung ist für die Herstellung von sozialem Zusammenhalt und für ihre soziale Zuordnung. Die Gruppeninteraktion mit ihren Informalitätsregeln ist gleichsam das Trägermedium, in dem spezifische Eigenschaften der lokalen Welt aufscheinen. Hinsichtlich der thematischen Relevanzen und Modalitätsregeln wird an den spontanen Zentrierungen und den Formen kollektiven Sprechens der gemeinsame, in der lokalen Gemeinschaft geteilte Bestand an Wissen und Bewertungen der lokal angesiedelten Randfiguren sichtbar. Die Perspektivenunterschiede zwischen den Protagonistinnen (und man könnte hier auch Klausdieter noch mit dazunehmen als Vertreter einer weiteren Sehweise) zeigen, in welcher Weise dieses Element des lokalen Lebens ambivalent ist. Es gibt immer wieder Anlaß zu Auseinandersetzungen und zu auch soziostilistisch ausgetragenen (mikro-)politischen Prozessen. 5. S.

Beispieltext: „Korζ u n Long" 1

1 SA: ouj e"we kunnd Korz un Longj * ou der 2 JU:

(

)

3 SA: trägd erre sogar=s ho"nndäschelj * hosch gse"hn| 4 BR: do| » e a"ff| · hosch du die gekä"nnd * 8 SA: fhosch du" die gekännd die aid deaa aff| die iaaer roikuaae K: #ZU BRIGITTE 9 SA: is| "it so«ae äffele|# K: ZU BRIGITTE

die hod iaaer so

t

10 BR:

ja des hod » jal

11 SA: des äffele do 12 BR:

vorne drin khabd un hod verzähld aid deaa

jal

13 SA: äffelej. h a w v i s c h als gedachd was ho"d donn die j »2» 14 SA: un so nei/ nä nä so » so=n so15 JU: ein lebendesT 16 HE:

bei ihne7 SA: do owwe ja do kl/ die hawwe a"lles • 8 BR: idgschleefd| ** *sie"ve dasche Κ: »LACHEND 11 MO: LACHT KURZ AUF 12 BR: hod se aeischdens khabdj» * K: LACHEND* 13 SA: ides's wohr ja* K: «STARK LACHEND* K: BRIGITTE WENDET SICH KUNDSCHAFT ZU, KURZE PAUSE, THEMENWECHSEL

3.

Phonologische Variation als Mittel der Symbolisierung sozialer Identität in der Filsbachwelt W E R N E R KALLMEYER / INKEN KEIM

1.

Zielsetzung

142

2.

Zur Forschungssituation u n d z u m Beschreibungsverfahren Phonologische Variablen als Beschreibungsinstrument Formale Eigenschaften der phonologischen Variation Phonologische Variation und Akzentuierung Rhythmus und Intonation in komplexen Äußerungen Funktionale Eigenschaften der phonologischen Variation Außerungsstrukturierende bzw. gesprächsorganisatorische Funktion Die sozial-symbolische Bedeutung der Variation Variationsspektrum und Normallage

144

2.1. 2.2. 2.2.1. 2.2.2. 2.3. 2.3.1. 2.3.2. 2.4. 3.

145 154 156 158 161 162 165 167

3.1. 3.2. 3.3. 3.4.

D a s Material: die Filsbach, die B a s t e l g r u p p e u n d die Konfliktgeschichte Die Filsbach Die Bastelgruppe Das Referenzsystem der lokalen Welt und Kontextualisierung Die Geschichte des Konflikts

170 170 171 172 177

4. 4.1. 4.2. 4.3. 4.4. 4.5. 4.6.

D a s Beispiel: „Geschlossene Gesellschaft" Themeneinführung und Orientierung Die Konfrontation mit Frau Hansen Die Verarbeitung der neuen Situation Die Beschwerde Die weitere Behandlung Fazit: Symbolisierungsverfahren im textuellen Zusammenhang

180 181 187 204 211 223 227

5. 5.1. 5.2.

SprachVariation u n d s o z i o s e m a n t i s c h e s S y m b o l f e l d Soziale Kategorisierung und Bewertung Zum Spektrum der symbolisierenden Sprachvariation

229 229 231

6.

Abschließende Bemerkungen: Variabilität der S y m b o l i s i e r u n g u n d „eigene" Sprache

235

7.

B e i s p i e l t e x t : „ G e s c h l o s s e n e Gesellschaft"

237

142 1.

Werner

Kallmeyer

/ Inken

Keim

Zielsetzung

In diesem Beitrag - wie auch in den beiden folgenden - untersuchen wir das Sprachverhalten einer Gruppe älterer Frauen, der „Bastelgruppe", aus der Westlichen Unterstadt. Als zentrales Beispiel benutzen wir hier eine gruppeninterne Erzählung von einer Konfrontation in einer externen Kontaktsituation. Das Thema ist die Auseinandersetzung mit Institutionenvertretern im Rahmen bzw. im Umfeld der lokalen Welt der Frauen. An dieser Stelle konzentrieren wir uns auf eine systematische Behandlung der phonologischen Variation. 1 Im besonderen geht es um die vielfältigen Formen innersituativer Variation (code-switching). Im Beispielfall spielen Verschiebungen von der dialektalen Normallage in Richtung Standard und in Richtung zum „tiefen Dialekt" eine Rolle. Charakteristische Fälle solcher Verschiebungen sind die beiden folgenden Beispiele, die aus der später im Zusammenhang analysierten Erzählung „Geschlossene Gesellschaft" stammen. errschdens » o l «uß isch des beto"ne * die frau * Schuaonn . sonn die nochher kumnd * die hod schunn iuier gsachd ** die begegnungsstädde is dere #ein dorn i« äuget . schoi"nbar * * »STANDARD sesch=die fra Schumonn * korm soi * nitf (1,4-8,14)

Hier wird von einer Sprecherin die Rede einer anderen Sprecherin wiedergegeben, und in der Redewiedergabe erscheint eine Verschiebung zum Standard. Die Verschiebung ist durch den deutlichen Kontrast zwischen den relativ dialektalen Elementen dere und scheinbar vor und nach dem standardverschobenen Ausdruck gut erkennbar. Die phonologische Variation wird hier zur Markierung von sozialer Distanz verwendet und dient der Charakterisierung der Person, auf die im Zitat mit dere referiert wird. Im folgenden Beispiel finden innerhalb einer Redewiedergabe Verschiebungen in beide Richtungen statt, und zwar zunächst in Richtung Standard und dann, gleichsam vom höchsten Punkt, ein Wechsel in eine markant dialektale Lage, die eindeutig unter der erzählerischen Normallage im Kontext liegt: no seschd^a * noja * isch verd se nocheaol zur red stelle * 1

Wir verwenden die Bezeichnung 'phonologische Variation' in Anlehnung an die Terminologie der amerikanischen Soziolinguistik. In der deutschen Literatur zur Beschreibung der lautlichen Variation auf der Dialekt-Standard-Achse findet sich sowohl der Terminus 'phonetische' (vgl. u.a. Werlen 1985) wie auch 'phonologische' Variation zur Bezeichnung der lautlichen Phänomene, die uns in dieser Analyse interessieren (vgl. u.a. Rosenberg 1986).

Phonologische

Variation in der Filsbachwelt

143

«—hoff e n t l i s c h h a t s i e e paar gude # a u s r e / reden zur hand* * «STANDARO # «schulisch scheiß i s c h s i e zom»eJ.# * »TIEFER DIALEKT # —>ho=der mir g s a c h t (8,13-8,16) Hier gibt die Erzählerin d a s Gespräch mit einem Behördenvertreter wieder, bei dem sie sich über eine ihm unterstellte Angestellte beschwert hat. I m Unterschied zur erzählerischen Normallage im Kontext, die in der Redeeinleitung erkennbar ist, wird d a s offizielle Sprechen mit dienstlicher Autorität durch phonologische Verschiebung z u m S t a n d a r d und behördensprachliche Ausdrücke („zur Rede stellen", „zur Hand h a b e n " ) verdeutlicht. Mit dem krassen sprachlichen Wechsel zu einer derben Redeweise fällt der Behördenvertreter gleichsam aus seiner offiziellen Rolle und signalisiert Ubereinstimmung mit der Erzählerin hinsichtlich der Bewertung des vorgetragenen Falles. Sozial-symbolische phonologische Variation ist in der Erzählung wie in allen anderen vergleichbaren Materialien häufig, und zwar nicht nur bei der Redewiedergabe, sondern auch in K o m m e n t a r e n und narrativen bzw. beschreibenden Äußerungen. Die auffallende, eindeutig sozial b e d e u t s a m e Variation ist nur ein Teil der gesamten Variation in der alltäglichen Sprache der beobachteten Bevölkerung. Die Sprecherinnen der hier untersuchten G r u p p e haben jeweils ein unterschiedlich weites Variationsspektrum auf der Achse Dialekt-Standard, aber alle variieren vielfältig. Dabei wird die Variation u.a. auch zur Strukturierung von komplexen Äußerungen und zur Gesprächsorganisation eingesetzt. Unsere A u f g a b e ist es daher, a u s der gesamten Variation die Fälle mit symbolischer B e d e u t u n g herauszufiltern, vor dem Hintergrund der Regularitäten der G e s a m t v a r i a t i o n zu beschreiben und die Konstitution der sozial-symbolischen B e d e u t u n g im Gespräch zu analysieren. Die A u f g a b e ist komplex, weil die phonologische Variation dabei als Teil des gesamten Ausdrucksverhaltens anzusehen ist. Die phonologische Variation hat zweifellos einen hohen Signalwert für die Identifikation unterschiedlicher Sprachlagen; diese T a t s a c h e und der U m s t a n d , daß phonologisch-phonetische Eigenschaften relativ gut isolierbar sind und für ihre Beschreibung ein gut ausgebautes Instrumentarium zur Verfügung steht, haben sie z u m K e r n t h e m a der Soziolinguistik werden lassen. Keine der Sprachebenen ist in soziolinguistischer Hinsicht so intensiv bearbeitet worden wie die phonologische Variation. 2 Die 2

Die Konzentration auf die phonologische Variation unter dem Einfluß junggrammatischer und strukturalistischer Postulate hat schon eine längere Geschichte. Und es gibt gute Gründe für eine intensive Bearbeitung der phonologischen Variation in der Soziolinguistik. Trotzdem besteht natürlich die Gefahr der Einseitigkeit und der linguistischen Verarmung gerade in der Soziolinguistik. Zur Einbeziehung aller Sprachebenen in die Soziolinguistik vgl. auch Dittmar/Schlieben-Lange (1983, S. 73f.).

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Keim

Analyse des Vorkommenszusammenhanges der phonologischen Variation zeigt allerdings, daß diese nur zusammen mit Erscheinungen auf anderen sprachlichen Ebenen - und zwar neben Morphologie, Lexik und Pragmatik vor allem Prosodie 3 - sinnvoll zu analysieren ist. Häufig ist der phonologische Wechsel gar nicht das auffälligste Merkmal. Die Ausrichtung der Analyse auf den Verwendungszusammenhang der sprachlichen Mittel unterscheidet unser Vorgehen von Variationsanalysen zu bestimmten phonologischen Variablen, wie sie durch die Untersuchungen von Labov in der Soziolinguistik zum Standard geworden sind. Im folgenden werden wir nach einer Einordnung unseres Vorgehens in die Forschungssituation und der Klärung von Analysevoraussetzungen (2) zunächst die ethnographischen Hintergrundinformationen geben, die zur soziolinguistischen Interpretation des ausgewählten Gesprächsmaterials erforderlich sind (3); dann werden wir einen Gesprächsausschnitt im Detail analysieren und dabei die Sprachvariation im textuellen Zusammenhang untersuchen (4); abschließend werden wir über den Beispielfall hinausgehend den Zusammenhang zwischen Sprachvariation und sozialer Bewertung in der Filsbachwelt beleuchten (5). 2.

Zur F o r s c h u n g s s i t u a t i o n u n d z u m B e s c h r e i b u n g s v e r f a h r e n

Die innersituative Variation ist in der Sozialdialektologie als letzte Variationsdimension erschlossen worden. Das liegt nicht nur an den bis dahin verfolgten Fragestellungen, sondern wesentlich auch an den Erhebungs- und Analysemöglichkeiten. Die innersituative Variation ist über Befragungen und Tests nicht zu erheben; vielmehr ist hier die Forschung auf Aufnahmen von „natürlichen", durch die Beobachtung möglichst wenig beeinflußten Kommunikationsereignissen angewiesen. Dementsprechend neu - gemessen z.B. an der Geschichte der Beschäftigung mit der Variation innerhalb von Ortsgemeinschaften - sind eingehendere Untersuchungen.4 Mit der Gesprächsanalyse steht jetzt auch für die

3

Die Bedeutung der Prosodie für die soziolinguistische Gesprächsanalyse ist besonders dezidiert von Gumperz hervorgehoben worden; vgl. u.a. (1982a, K a p . 5). Nach der Auffassung von Gumperz ist die Prosodie eine Art Metamarkierung im Verhältnis zum sprachlichen Text, die als Gliederungs- und Kontextualisierungsmarkierung fungiert.

4

Ein Beispiel für die Annäherung an die Erfassung nicht nur von unterschiedlichen Situationen, sondern auch von Situations wechseln gibt das Erp-Projekt (vgl. Besch 1981; 1983). Dort wurden, anknüpfend an die von Gumperz in der HemnesbergetStudie ( B l o m / G u m p e r z 1972) angewendete Unterscheidung zwischen personalen und transaktionalen Interaktionsformen, durch die Erhebungsanordnung „auf offener Szene" Wechsel von einer informellen und personalen zu einer formellen und transaktionalen Interaktionsweise erfafit. Die Erhebungsweise ist eine den sprachlichen Verhältnissen (Wechsel zwischen Standard und Dialekt) angemessene Alternative zur Labovschen Erhebung von „Kontextstilen". Die theoretische Auseinandersetzung von E. Klein (1981) mit dem Situationsbegriff zeigt die Möglichkeiten der Präzisierung dieses Konzeptes. Mit der Berücksichtigung von Faktoren wie soziale Beziehung und T h e m a lassen sich ggf. kleinere Situationseinheiten innerhalb

Phonologische

Variation

in der

Filsbachwelt

145

präzisere Untersuchung der innersituativen Variation ein Instrumentarium zur Verfügung. 5 Ein paradigmatischer Fall für die Analyse der innersituativen Variation ist das Code-switching. Die entscheidenden Forschungsimpulse sind von Untersuchungen in mehrsprachigen Gemeinschaften ausgegangen, und in der Folge ist das Konzept auch auf die Variation im Rahmen der Binnenmehrsprachigkeit übertragen worden. 6 Als Vorbereitung auf die Analyse der innersituativen Variation wollen wir im folgenden unsere Beschreibungsvoraussetzungen in einigen Punkten klären, und zwar: - phonologische Variablen als Beschreibungsinstrument (2.1.), - formale Eigenschaften der phonologischen Variation (2.2.), - funktionale Eigenschaften der phonologischen Variation und Symbolisierung (2.3·), - Variation und Normallage (2.4.). 2.1.

Phonologische Variablen als Beschreibungsinstrument

Die Variablenanalyse ist ein weit entwickeltes Instrument der Soziolinguistik. Besonders die sog. Variablenregel von Labov und deren Weiterentwicklung hat zu einem erheblichen Präzisionsgewinn der Untersuchungen beigetragen. 7 Die Variablenregel sagt aus, wie häufig eine bestimmte Variante unter bestimmten Kontextbedingungen (vor allem phonologischer und morphologischer Art) verwendet wird. Die unterschiedlichen Kontextmerkmale werden dabei hinsichtlich ihres Einflusses gewichtet. eines übergreifenden stabilen Situationsrahmens ausgrenzen. Mit dieser Verfeinerung verschwimmen zugleich aber auch die klaren Grenzen der Situationseinheiten. Insbesondere die Ausführungen über den Zusammenhang zwischen T h e m a und Sprachverhalten zeigt sehr deutlich die Ubergangsstelle zu der Art von innersituativer Variation, mit der wir uns hier beschäftigen. 5

Die Entwicklung der Analysemöglichkeiten läßt sich u.a. am Wandel von frühen Arbeiten von Gumperz wie der Hemnesberget-Studie (Blom/Gumperz 1972) zu neueren Arbeiten wie Gumperz/Cook-Gumperz 1982 ablesen. Gute Beispiele für den soziolinguistischen Einsatz der Gesprächsanalyse sind auch die Arbeiten von Auer (1982; 1984b), Selting (1983) und Hamel (1988).

6

Wichtige Arbeiten zum Code-switching sind z.B. in der kritischen Weiterentwicklung der Fishman-Untersuchungen zum Bilingualismus von Einwanderern im Centro de estudios puertoriquenos entstanden; dabei werden u.a. die grammatischen Eigenschaften des Code-switching untersucht und als Indikator für die Stabilisierung von Bilinguismus interpretiert (vgl. u.a. Poplack 1981). Voraussetzung für Code-switching ist, daß Sprachen oder Sprachvarietäten von den Sprechern als klar getrennt angesehen werden. Die sprachstrukturelle Distanz spielt nur eine relative Rolle: die von Gumperz untersuchten Sprachen in Hemnesberget liegen strukturell ganz dicht beieinander und sind für Außenstehende kaum zu unterscheiden (Blom/Gumperz 1972; vgl. auch Gumperz 1982a, Kap. 4).

7

Vgl. Labov (1966) und (1972a); Sankoff (1979); Sankoff/Rousseau (1974); eine Anwendung dieses A n s a t z e s ist auch die Untersuchung zum Berlinischen von Schlobinski (1987).

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Keim

Dieser Präzisionsgewinn wird mit zwei Einschränkungen erkauft, einmal mit der Beschränkung auf einen Typ von sprachlichen Merkmalen (phonologische Variablen) und zum anderen mit der Nivellierung von funktionalen Unterschieden in der statistischen Analyse. Wir sind in unserer Analyse gerade an Fällen interessiert, in denen eindeutig funktionale Gesichtspunkte für das Variationsverhalten ausschlaggebend sind und in denen sich die Sprecher gerade markant anders verhalten als im Kontext. Die funktional begründeten Entscheidungen müssen eingeführt werden, bevor eine statistische Analyse sinnvoll durchgeführt werden kann. An dieser Stelle beschränken wir uns darauf, nur einen Teil der für die Bevölkerung der Mannheimer Innenstadt charakteristischen Variationsphänomene zu analysieren. Dafür werden wir eine Reihe von phonologischen Variablen angeben, an denen m a n die Variation auf einer Achse zwischen dialektalen und standardnahen Formen messen kann, aber wir machen keine Gesamtbeschreibung des phonologischen Systems der Mannheimer Mundart, wie sie z.B. Bräutigam vorgelegt hat (1934), oder der Mannheimer Umgangssprache, wie es Karch (1975) versucht hat. Die folgende Liste gruppiert die phonologischen Variablen nach allgemeinen phonetischen Merkmalen (wie Rundung/Entrundung usw.), welche die Standard- und Dialektvarianten unterscheiden. Diese Merkmale charakterisieren hier Verfahren, die beim Wechsel von dialektalem zu standardnahem Sprechen und umgekehrt angewendet werden. Die Verfahren entsprechen in vielen Fällen Eigenschaften der historischen phonologischen Prozesse bei der Sprachentwicklung. Uns geht es aber in diesem Beitrag ausschließlich um die aktuellen Variationsverfahren von Sprechern. Die Liste enthält Variablen mit unterschiedlichem Signalwert für die Markierung von Dialekt oder Standardsprache; so werden neben starken Dialektmerkmalen regionalsprachliche Merkmale und auch allgemeine sprechsprachliche Phänomene aufgeführt, die aber in Kombination mit den dialektalen Varianten für die Markierung von Standardverschiebungen wichtig sind (zum Komplex der Schnellsprechregeln und ihrem Verhältnis zu Dialektmerkmalen vgl. Dressier u.a. 1976). Auf das Verhältnis der Variablen zueinander gehen wir im Anschluß noch kurz ein. Bei den morphologischen und lexikalischen Merkmalen beschränken wir uns im wesentlichen auf die Zusammenstellung einiger Varianten. In der folgenden Aufstellung von Variablen erscheinen jeweils links die Standardformen und rechts die dialektalen Realisierungen. Die Wechsel werden für beide Richtungen angegeben (durch Pfeil verdeutlicht). Auf dem Weg vom Dialektpol zum Standardpol (und umgekehrt) sind viele Zwischenformen möglich, insbesondere bei gerundeten bzw. entrundeten Vokalen, bei der Nasalierung bzw. Entnasalierung von Vokalen und Diphthongen und beim Übergang von Fortis zu Lenis. Diese Zwischenstufen werden hier nur in einigen Fällen darge-

Phonologische

Variation in der Filsbachwelt

147

stellt. E s werden auch keine R e s t r i k t i o n e n f ü r die einzelnen L a u t v e r ä n d e r u n g s prozesse a n g e g e b e n . 8 (1) R u n d u n g u n d N a s a l i e r u n g (—•) bzw. E n t r u n d u n g u n d E n t n a s a l i e r u n g ([oy]: z.B. rein wein

*
/ie/ [i] bzw. [i]; vor Nasal

• fiehle


ligg

/ ü / vor / r / wird zu / e / gesenkt: z.B. d ü r f e n fürchten (2.3) / e u / [op]< z.B. h e u t e neu

<
) bzw. A u f h e l l u n g , Vorverlegung u n d A n h e b u n g ( löhm

> fröche • schdröß

Die Kurzversion der Variablenliste wird im Band „Kommunikative Stilistik einer sozialen Welt 'kleiner Leute'. SIDS, Bd. 4.4.1" erweitert. Für die Uberprüfung der Variablenliste danken wir Edeltraut Knetschke.

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148 mal haar

<
die is schunn unnerwegs net| * k o u «er laafe 18 ZI: aol vor«n«de aargdplatz * ah un guggeJ. no un na ha>-aa se aa 19 ZI: getroffe also «er hawwe uns donn getroffe * na hawwisch 20 ZI: gsad

—»ah na denk emol was »er eve passierd is- die hod uns

21 ZI: gar ned noi/ uff de stra"fl • uff de stra"8 abgferdischd 22 BA: ( ) 23 ZI: nitT—»sie wisse doch/ #«—des is doch nänä: * uff «i"sch sehd=a dohin 14 ZI: niaaer j. nedj 15 ME: ah'sch bin hei"d drin gewest * bin 16 IN: >richtig 17 ZI: oh: isch geh niaaer noil 18 ME: isch oigelade worre » ietz aache»se e feschd aache-se do 19 ME: so so 20 BA: do hedd se vun voraeroi sache Bisse des is #heut * K: »STANDARD S. 10 1 BA: geschlossene gesellschaft» ( K: * 2 IN: s gar ned K: LAUTES DURCHEINANDER 6 ZI: herd e·/ mol fra Zimmermonn »VERTRAULICH, HEIMLICH TUEND

awwer mer hawwe kenn « kuche« mehr wenn^s um «[K^JXa]«

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13 ZI: de"s gonge war nedT

14 BA: K:

Keim

* un denn kaffee >denn aisse-se hall

(. . .) hajo

15 ZI: bezahle veil* * fer uns * verzzisch: portione K: HEIMLICH* 16 BA: ja so is»es 17 ZI: ah" sie hot-s K: »MIT TIEFER STIMME

*

20 ZI: do owwe/ * —>der ho'gsacht isch ver»en jetz schunn uff die 21 ZI: finger gugge * nö" isch geh niuer nivwer ach godd nä * venn die 2 KR: gar 3 ZI: —»nänä: nänä: 4 KR: niuer| venn des jetz/ sin se denn so nachtragendj 5 ZI: isch geh niaaer nivver 6 KR:

des is die dof * un die heißt Gerddll). Ingrids Intervention wird von mehreren Gruppenmitgliedern sehr kooperativ behandelt. Insofern wird von den Beteiligten Ingrid interaktiv der Status einer „Novizin" zugeschrieben. Die Identifizierungshilfen werden zur sozialen Symbolisierung benutzt, d.h., die Orientierung auf das thematische Potential und die von ZI initiierte Interaktionsmodalität werden aufrechterhalten. Die Identifizierungshilfe ja:[ die wu do ihr/ ihr/ ihr/ ihr brilljonde do (l,17f.) zeigt die Anwendung der Verfahren von Hervorhebung und Zuspitzung zusammen mit der Kondensierung: die manifeste Wortsuche (ihr/ ihr/ ihr/ ihr) läßt die Anwendung besonderer Kriterien vermuten, nach denen nicht jede als Identifizierungshilfe mögliche Formulierung akzeptabel ist. Wenn brilljonde (als nicht-erstbester Formulierungskandidat) ausgewählt worden ist, dann im Sinne der Zuspitzung auf „sprechende Details". So wird der Ausdruck jedenfalls von Frau Schumann (SU) behandelt: ihre Folgeäußerung die brü"lljande (1,23) wird mit den Merkmalen der falschen Vornehmheit artikuliert (vgl. vorigen Beitrag). Die Reformulierung von Frau Schumann intensiviert die Symbolisierung des „königlichen" Auftretens von Gerda. (c) Charakterisierungsrunde als kondensierte Themenbehandlung Frau Wichmer (WH) kommt auf das Thema „Otto" zurück; sie behandelt die erste formelhafte Äußerung von Frau Zimmermann (l,10ff.) als Anlaß für weitere Charakterisierungsaktivitäten. Es kommt eine Sequenz formelhafter Charakterisierungen in Gang, bei der Frau Wichmer und Frau Zimmermann als Protagonistinnen fungieren und die übrigen Beteiligten mit kurzen Reaktionen des Erstaunens (Frau Schumann) und der wissenden Zustimmung (Frau Müller - MÜ) gleichsam als Chor. Die Unterschiede der Reaktionen hängen damit zusammen, daß Frau Müller Filsbacherin ist und die lokale Welt und ihre

279

Formelhaftes Sprechen in der Filsbachwelt

Geschichte kennt, während Frau Schumann in Mannheim eine „Neubürgerin" und in der Gruppe eine später Hinzugekommene ist und noch wenig Hintergrundwissen über die Filsbachwelt hat. S. 24 25 26

1 KU: WH: IN:

S. 1 2 3

2 ZI: Gerda WH: krigg»de eisschrongg abgschlosse daß-a ned zuviel friöd| MÜ: Gerda

4 5 6 7 8

ja: Gerdda der ado hod«a«s (besser) ( 7 HE:

ach *

8 KU:

) der Bolld/

die hod*n

na h a v w i s c h gsa wie 3 ZI: geh»da»sf seschd se jo » aoin aide (...) 4 5 6 7 8 9

SU: i h m «aiuiT MU: >hausdrache IN: was ZI: ( ) MÜ: — > 'j a j a l ahjo IM: is-erf * än hau"sdracheT der aannf * der

10 ZI: der hod alles schaffe Bisse], ohje ohjej 11 MÜ: ja 12 IN: eheaannj ja is 13 ZI: ja:" ja 14 KU: aach< 22 KU: «do hod»a=s (besser) C ) 7 HE: ach * der wolld/ wem=ma mol e weil beisamme is * is e macht der gewohnheitl (8,8-11). Die stark emotional gefärbte Rückerinnerung ist eingebettet in den Vorwurf an den Mann in der Gegenwart. Der Rahmungsbeginn ist die Verbalisierung des Vorwurfs hald isch=s=em vor (7,16-17), der Rahmenabschluß der resignative Vergleich zwischen dem schönen früher und dem tristen heute: un hei"t * also ehrlisch » daß des so werdf (8,1-3). Maria inszeniert die Situation der jungen verliebten Frau nicht nur, um zu zeigen, daß es früher schön war und daß Liebe sich zwangsläufig mit der Zeit verliert, sondern auch, um dem Mann vorwerfen zu können, daß es so, wie es heute ist, vor allem durch seine Verhaltensweisen geworden ist. Marias Handlungsmaxime für die couragierte Frau kann jetzt auch als Erfahrung bzw. als R a t einer 'reifen Frau' verstanden werden, die diese Maxime zu Beginn ihrer Ehe gerade nicht befolgte, sondern erst im Laufe der Ehejahre lernen mußte, dem Mann die korasch abkaufe zu können. 4.6.

Die „gute Frau"

Frau Kranz leitet eine neuerliche Themenverschiebung ein, indem sie die Vergänglichkeit der Liebe in Zusammenhang bringt mit Geldknappheit, die ihrer Meinung nach generell eine zentrale Quelle für Eheprobleme der Filsbachfrauen darstellt. Dieser Themenwechsel gibt Maria Gelegenheit, sich als „gute Frau" darzustellen, die es versteht, mit wenig Geld gut zu wirtschaften: S. 8 13 KR: un dann wenn es ersteaal das geld net langt *ou" wei" gellf Κ: ALLES LACHT 14 NA: isch hab schunn z u m gsacht sie wär=s wenn du mol dei K: ALLES LACHT

Bezeichnungen,

Typisierung

und soziale

Kategorien

359

15 HA: aonatsgehald niaascht un duschd eaol oideilej * ach go"tt 16 KR: de »eiste 17 MA: hod-a gsacht * ua hi—elswille » do heddschd i· halve 18 KR: streit gibt»s doch ua*s geld oft net 19 HA: aonad nix zu esse LACHT LAUT —ι-jajaj. 20 IN: LACHT also 21 KR: sacht er Τ S. 9 1 HA: jaja ja isch ja klar

20 HA: sach iaaer aensch neaa doch eaol aa des geld * sigsch eaol S. 10 1 HA: wie=sch aisch ruareifie auß » —>nä nä b e h a l t n e r 2 KR: jaja 3 KR: des is bequealichkeit ähä 4 KL: LACHT des glaub isch], des wolln die

360

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5 HA:

ja

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/ Inken

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un schba"r noch debei dann alles nitt

6 HÜ: 7 KR:

nitf

ja ähäl

8 KL: Männer net|

ha

K: THEMENUECHSEL: BASTELN

Charakteristisch für die „gute Frau" ist, daß sie, auch wenn der Mann seine Rolle nicht voll ausfüllt (Marias Mann geht offensichtlich mit dem Geld nicht verantwortungsbewußt um), durch besondere Leistungen ihrerseits das Profil einer Normalehe aufrecht erhält. Im vorliegenden Fall ist es so, daß sich Marias Mann ganz auf die Versorgung durch sie verlassen kann, auch wenn er kein Taschengeld mehr hat, denn sie sorgt nicht nur für Nahrung und Kleidung, sondern auch für seine Genußmittel (s is immer was do" fer—en >es is immer alles do * gell| er hot soi drinke alles minanner sot zigaredde s kaaf isch donn alles * net]; 9,11-14). Die Aufgabe ist schwer zu bewältigen (sie muß sich rumreiße; 10,1), aber sie löst sie erfolgreich (un schbar noch debei; 10,5). Auch in dieser Darstellung gibt es Hinweise auf Eheszenen mit Vorwürfen der Frau an den Mann, aber insgesamt identifiziert sich Maria durch ihre Darstellung eindeutig mit dem Leitbild der „guten Frau": (a) Sie stellt die eigenen Handlungen als generell und kategoriengebunden dar durch die Verwendung des Präsens, der generalisierenden Ausdrücke immer und alles und eine Formulierungsweise in der Modalität der Selbstverständlichkeit (einfache Aussagesätze, keine Ausdrücke des Zweifels, der Einschränkung, der Unsicherheit usw.). (b) Maria zeigt ihre emotionale Beteiligung bei der Rollenausfüllung durch die Sprechweise. Die Stimme ist weich, der Intonationsverlauf ist bewegt, die Intensität steigt am Außerungsende, so daß die gesamte Sequenz melodischen Charakter erhält. Der Rhythmus ist gleichbleibend ruhig bei mittlerem Sprechtempo und durchgehender Akzentuierung. Hier schwingt Zuneigung, zumindest Fürsorglichkeit dem Mann gegenüber mit. Und Maria verdeutlicht auch, daß die Anerkennung ihrer Leistung eine Quelle emotionaler Befriedigung darstellt. Das Eingeständnis ihres Mannes, bei weitem nicht so gut mit Geld umgehen zu können wie sie, interpretiert sie als aufrichtige und beständige Anerkennung ihrer Leistung (vgl. das iterative als in sachd=a als iwwer misch; 9,3-4). Diese Interpretation wird auch von den Anwesenden bestätigt. Die manifeste Identifikation mit dem Leitbild der „guten Frau" verdeutlicht indirekt auch die Grenzen der „Courage" gegenüber dem Mann. Die Tatsache, daß ihr Mann nicht verantwortungsbewußt mit Geld umgeht, gibt Anlaß für einen Standardvorwurf (isch sach immer mensch nemm doch emol aa des geld; 9,20); alle Beteiligten sind sich auch einig, daß die Männer das grundsätzlich nicht wollen (aus Bequemlichkeit, wie Frau Kranz meint), aber die Identifikation mit dem Leitbild der guten Frau setzt hier offensichtlich Grenzen für die „Erziehung" des Mannes. Das Leitbild der „guten Frau" liefert das Maß für die

Bezeichnungen,

Typisierung

und soziale

Kategorien

361

Akzeptabilität der „Courage". Wo diese Grenze der Akzeptabilität überschritten wird, erfolgt - zumindest aus der Fremdperspektive - der Übergang zum „Hausdrachen". 4.7.

Zusammenfassung

Bei der Beispielanalyse haben sich Beobachtungen zum Zusammenhang zwischen Kategorien, Regeln des Sprechens und Formulierungsweisen ergeben, die einerseits Einblick geben in allgemeine Mechanismen der Kategorisierung und andererseits Besonderheiten sichtbar machen, die zumindest für die Generation der untersuchten Filsbachfrauen verallgemeinert werden können. Kategorisierung ist generell variabel in Abhängigkeit von den jeweiligen Relevanzsetzungen. Auf dieselbe Person können je nach Perspektive, unter der die Identität dieser Person gesprächsweise in den Blick kommt, unterschiedliche Kategorien angewendet werden. Kategorisierung ist also immer perspektivisch und sie ist einseitig, insofern sie die Komplexität der Definition von sozialen Identitäten und Beziehungen jeweils auf einen Aspekt reduziert. Die Analyse des formelhaften Tratsches mit der Interaktionsmodalität der fraglosen Sicherheit im Beitrag 4 hat gezeigt, in welcher Weise die Filsbachfrauen bei der Fremddarstellung auch über längere Gesprächspassagen einfache, fraglose Kategorisierungen aufrechterhalten. Diese Kategorisierung erscheint auch im jetzt analysierten Text, und zwar bei der Entlarvung der falschen Selbstdarstellung anderer und der damit kontrastierenden eigenen Selbstdarstellung. Sie erscheint tendenziell immer dann, wenn die Perspektive auf die normalformbezogene Kategorisierung der Rollenausfüllung gerichtet ist. Weiter geben die bisherigen Analysen Einblick darin, wie die Komplexität der Definition von sozialen Identitäten und Beziehungen berücksichtigt wird: (a) Alle Materialien zeigen zumindest phasenweise manifeste Typisierungsarbeit. Dabei wird anhand von konkreten und teilweise detaillierten Fallcharakterisierungen herausgearbeitet, in welchem Sinne und mit welchem Recht bestimmte Kategorisierungen gleichsam als Quintessenz durchgeführt werden können. In dem im Beitrag 3 behandelten Beispiel „Geschlossene Gesellschaft" geschieht dies sehr expandiert. (b) Ein allgemeines Verfahren zur Herstellung komplexerer Typisierungen ist die Verwendung von Kategorien aus unterschiedlichen Kategoriensystemen. Die Kategorisierungen unter unterschiedlichen Gesichtspunkten verbinden und überlagern sich dabei, wobei nicht unbedingt alle Kategorisierungen in gleicher Weise manifest gemacht werden. Beim Tratsch über Gerda und Otto (vgl. Beitrag 4) erscheinen Ansätze einer solchen Relativierung einer Ausgangskategorisierung durch einen Perspektivenwechsel (wenn man mit Otto alleine spricht, wirkt er ganz vernünftig), aber diese Relativierung wird dort durch die soziale Kontrolle in der Gruppe und deren Präferenz für formelhaften Tratsch immer

362

Werner Kallmeyer / Inken Keim

wieder verhindert. Im Beispiel „Moi freiheit" findet in der Selbstdarstellung der Frauen eine Uberlagerung der normalformorientierten Rollenkategorisierung mit einer erlebensbezogenen Kategorisierung s t a t t . Sie zeigt sich zum ersten Mal bei Marias Charakterisierung ihrer Normalehe als Leistung der couragierten Frau im Ausdruck persönlicher Betroffenheit und steigert sich dann in der Selbstdarstellung der Teilnehmerinnen als desillusionierte und als J u n g e " Frauen. Im Beispiel „Sonne a m Abend" (vgl. Kap. 1) blieb diese erlebensorientierte Selbstdarstellung wegen des Klageverbots weitgehend ausgespart. In „Moi freiheit" dagegen können die Beteiligten in Ubereinstimmung mit den Regeln des Sprechens nicht alle, aber doch einige Register ziehen. (c) Marias „politischer" Diskurs zeigt im Ansatz, wie im Zusammenhang mit Normdebatten und der Projektion von Handlungsstrategien Kategorien gebildet und (re-)definiert werden. Ihre Verwendung der Kategorie der „couragierten Frau" deutet d a r a u f h i n , daß sie daran arbeitet, aus der Reaktivkategorie eine Initiativkategorie zu machen. Generell wird in der Gruppeninteraktion, speziell im Tratsch Fremdkategorisierung expliziter durchgeführt als Selbstkategorisierung. Bei der Selbstdarstellung in der Gruppenöffentlichkeit gibt es einen engen Zusammenhang zwischen Interaktionsmodalität und Kategorisierung. In ernster Modalität werden Erlebenskategorien nicht benannt, sondern nur enaktiert. Aus der Distanz, unter ironischem oder kritischem Aspekt können jedoch Benennungen auftreten (vgl. die Benennung J u n g e Frau" aus der Distanz der Desillusionierten). Rollenkategorien, die negativ bewertet sind, werden in ernster Modalität ebensowenig zugeschrieben wie einzelne Eigenschaften von negativ bewerteten Kategorien. In spielerischer Modalität jedoch können auch negative Selbstzuschreibungen auftreten (z.B.: den Mann schlagen, ihn vergiften u.ä.). Die unterschiedliche Kategorisierungsperspektive und die individuelle wie soziale Realität, die durch die Kategorisierung erfaßt werden soll, werden durch die Formulierungsweise und vor allem auf prosodischer Ebene indiziert. Die Beobachtungen dazu a n h a n d des Beispiels lassen sich folgendermaßen zusammenfassen: (a) Bei allen Rollenkategorisierungen ist die Formulierungsweise formelhaft und an der Formulierungsweise für die Darstellung kategoriengebundener Aktivitäten orientiert (Aussagemodus der Selbstverständlichkeit, Generalisierung, Entindexikalisierung; Zuschreibung der kategoriengebundenen Aktivitäten wie im Kategorisierungssystem verankert). In besonders deutlicher Weise ist dies bei der ungebrochenen Fremd-Zuschreibung, d.h. bei der fraglosen einfachen Unterordnung des konkreten Falles unter eine soziale Kategorie zu beobachten (so bei der Kategorisierung von Hildes Ehe als Pascha-Ehe). Die Sprechweise ist zu charakterisieren als: „vorne gesprochen", deutlich artikuliert, gleichbleibend akzentuiert, mäßige Lautstärke, Intonation a m Ende fallend bei fast gleichblei-

Bezeichnungen,

Typisierung

und soziale

Kategorien

363

bender Stimmführung; ingesamt erweckt das Sprechen den Eindruck von „ruhig", „kühl feststellend". (b) Im Zusammenhang mit dem pragmatischen Verdeutlichen erlebensorientierter Kategorien erscheinen charakteristische prosodische Ausdrucksmuster, die mit der Prosodie der fraglosen Sicherheit kontrastieren: - Die Kategorisierung als 'desillusionierte Frau' ist im vorliegenden Fall spielerisch, und die verwendeten Sentenzen und geläufigen Stereotype („das tut man alles aus Liebe", „die Liebe wird zur Gewohnheit" usw.) werden in spaßhaft-ironischer Brechung prosodisch überzeichnet. Die Sprechweise wirkt amüsiert-ironisch. - Marias Selbstdarstellung als „couragierte Frau" zeichnet sich aus durch höhere Lautstärke, schnelleres Sprechtempo, starke Akzentuierung; die Sprechweise erweckt den Eindruck von „engagiert", „heftig". - Ihre Selbstdarstellung als „gute Frau" ist markiert durch eine weiche Stimme und bewegte Stimmführung; ihr Charakter ist „warm" und „fürsorglich". - Die Liebesfähigkeit der Jungen Frau" wird in der Retrospektive enaktiert, verbunden mit Darstellungsverfahren der Konkretisierung und Detaillierung, die gegenläufig zu den Verfahren des formelhaften Sprechens sind. Die Sprechweise kennzeichnet: weiche Stimme, bewegter Rhythmus, Veränderung des Sprechtempos, zunehmend ansteigende Stimme bis zum Kichern. Darüber hinaus gibt es zwei interessante Fälle von prosodischer Indizierung im Zusammenhang mit der Entlarvung und der Verteidigung einer normalformorientierten Selbstdarstellung: - Bei der Demaskierung von Hildes ehelicher Normalform-Darstellung ist Marias Sprechweise gekennzeichnet durch starke Uberzeichnung der „fürsorglichen" Merkmale auf den verschiedenen prosodischen Ebenen, Uberdehnung und starke Akzentuierung am Ende der Außerungseinheiten. Dadurch entsteht eine Art Singsang, der den Eindruck der falschen Darstellung erweckt; das Gegenteil des Gesagten ist gemeint. - Marias Zuordnung ihrer problematischen Ehe zur Normalehe im Kontrast zu Hildes Pascha-Ehe wird mit einer Sprechweise formuliert, die der Sprechweise zur fraglosen Fremdkategorisierung ähnelt, zugleich aber auch Merkmale derjenigen hat, die zur Demaskierung der falschen Kategorisierung verwendet wurde: relativ leises Sprechen mit „flacher" Stimme und nur kleinen Tonhöhenbewegungen. Besonders markant ist dabei eine Folge von Tönen mit Steigakzent und einem fallenden Akzent. Derartige Tonhöhenbewegungen erscheinen auch bei der Entlarvung der falschen normalformorientierten Darstellung in der Fremd-Redewiedergabe. Das deutet darauf hin, daß es sich um ein allgemeineres Muster von normalformorientierter Angestrengtheit handelt, das in unterschiedlichen Kombinationen mit anderen prosodischen Mustern auftreten und dabei gleichsam transponiert werden kann.

364 5.

Werner Kallmeyer / Inken

Keim

Beobachtungen zum Zusammenhang von Kategoriensystem, Thematisierungsregeln u n d Formulierungsverfahren

Zwischen der kognitiven Ordnung im Kategoriensystem, den Thematisierungsregeln als wichtigen Regeln des Sprechens und den Formulierungsverfahren bestehen vielfältige Beziehungen, die man unterschiedlich implikationsreich formulieren kann, und zwar deskriptiv als Korrespondenz von Phänomenen auf den verschiedenen Ebenen und erklärend als Korrespondenz von Relevanzprinzipien auf diesen Ebenen. Unsere bisherige Analyse bezog sich vor allem auf den ersten, beschreibenden Aspekt; wir haben das Miteinandervorkommen von Kategorien, thematischer Strukturierung und Formulierungsweise dargestellt. Wir wollen jetzt noch einen Schritt weitergehen und die Korrespondenz, zumindest andeutungsweise, durch Relevanzprinzipien auf den genannten Ebenen erklären. Im voraufgehenden Beitrag zum formelhaften Sprechen wurde untersucht, wie unter den Bedingungen eines festen Satzes von Kategorien und eines stabilen Systems von Thematisierungsregeln die Formulierungsverfahren bei der Formelbildung die gegebenen Relevanzen versprachlichen. Der jetzige Beitrag enthält aber auch Hinweise darauf, wie die Diversifizierung der Interaktionsmodalitäten Möglichkeiten der flexiblen und reichen Typisierung, bezogen auf ein vorgegebenes Kategoriensystem, bietet und damit auch Möglichkeiten der Relativierung und gegebenenfalls Redefinition von Relevanzen, die im Kategoriensystem inkorporiert sind. Und es sind auch Ansätze der Bearbeitung des Kategoriensystems unter Benutzung des gegebenen Formelbestandes sichtbar geworden. Das Kategoriensystem hat eine soziosemantische Spezifik, die bei der Aufstellung des Kategorieninventars (Kap. 3.) bereits angeführt wurde. Diese Spezifik wird deutlich in den Definitionselementen der Kategorien, in der Formulierung für diese definierenden Elemente und in den im Kategoriensystem inkorporierten Relevanzen. Die Ordnung der Kategorien und die Relationen zwischen den Kategorien erfolgt (auch das wurde bereits ausgeführt) nach den Prinzipien Norm vs. Abweichung, Initiative vs. Reaktion und nach Mitgliedschafts-, Rollen- und Erlebensorientierung, wobei Erlebenskategorien nur z.T. in das Kategoriensystem inkorporiert sind. Anhand unserer Beobachtungen ergeben sich für die Behandlung des Zusammenhanges zwischen Kategoriensystem, Thematisierungsregeln und Formulierungsverfahren folgende Ansatzpunkte: - im Kategoriensystem inkorporierte Relevanzen und die Relevanzsetzungen bei der Auswahl des thematischen Materials (5.1.); - die Relevanzen der Thematisierung und Formulierungsverfahren der Kondensierung (5.2.); - die Relationen im Kategoriensystem und die Sequenzierung in der Formulierung (5.3.).

Bezeichnungen, 5.1.

Typisierung

und soziale

Kategorien

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Soziospezifische Relevanzen im Kategoriensystem und bei der Thematisierung

Die Normorientierung und die damit zusammenhängende Bedeutung der Abweichungskategorien gibt Bedingungen für die Selbst- und Fremddarstellung vor: Die Abweichungskategorien werden nur zur Fremddarstellung und nicht zur Selbstdarstellung verwendet; für die Selbstdarstellung eignen sich nur die positiven Reaktivkategorien (bes. die „couragierte" und die „gute" Frau). Darüber hinaus entspricht die Relation zwischen Norm und Abweichung im Kategoriensystem den Regeln für die Relevanzabstufung bei der Thematisierung, wonach relevant und thematisierenswert in erster Linie die Abweichung ist; die Normalform ist thematisierungsbedürftig nur vor dem Hintergrund der drohenden Normabweichung. Die Relevanzsetzungen bei der Themenwahl äußern sich in der Existenz eines stabilen Themenpotentials, soziosemantisch spezifischer, stereotyper Inhaltsfiguren und wiederkehrender, zum Teil fest gefügter expliziter Formulierungen. Für die Auswahl des thematischen Materials im einzelnen (was über das T h e m a gesagt wird) gelten im Prinzip dieselben Relevanzen: Interessant, sprachlich explizit und markiert sind Eigenschaften, die im Zusammenhang mit Normabweichungen stehen. a) Kategorienbezeichnungen Die Aufstellung des Kategorieninventars und die Beispielanalyse haben bereits gezeigt, daß es bestimmte Nomina und Adjektive mit einer typischen soziosemantischen Festlegung gibt. Das sind entweder Nomina für Kategorien wie „Pascha", „Hausdrache", „Hampelmann" u.ä. oder Adjektive, die eine kategorielle semantische Festlegung erfahren haben wie gut in „guter Mann" und „gute Frau" oder couragiert in „couragierte Frau", bös in „böser Krabbe" usw. Die J u n g e Frau" beispielsweise ist aus der kritischen Perspektive charakterisiert durch die Eigenschaften: jung, dumm und äfäldisch, wobei jung auf das Lebensalter referiert und dumm die Bedeutung von 'unerfahren' und 'unwissend' in Partnerbeziehungen hat. Mit äfäldisch ( = einfaltig) wird auf ihre naiven, von Illusionen geprägten Vorstellungen über die Ehe referiert, ebenso wie auf ihre Gutgläubigkeit und Arglosigkeit bezüglich der Beteuerungen ihres zukünftigen Ehemannes. Eine ähnliche soziosemantische Spezifik zeichnet „Courage bzw. couragiert" aus. Diese Ausdrücke sind so eindeutig auf den Verwendungszusammenhang 'Reaktion der Ehefrau auf Pascha-Tendenzen ihres Mannes' festgelegt, daß „couragiert" problemlos und eindeutig als Bezeichnung eines kategoriendefinierenden Spezifikums zu verwenden ist (so in bei de manner mufi mer koraschiert set). In diesem Sinne fungieren die soziosemantisch festgelegten Adjektive als Schlüsselwörter bzw. Bezeichnungen für soziale Kategorien.

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b) Formeln für kategoriengebundene Eigenschaften Neben den Lexemen und Adjektiven als Kategorienbezeichnungen gibt es Lexeme und Syntagmen als zentrale Bestandteile und Formulierungen für kategoriengebundene Aktivitäten mit soziosemantischer Spezifik. Eine Auswahl solcher Ausdrücke soll hier kurz charakterisiert werden. „ziehen" Für die Charakterisierung der Beziehungen zwischen Hausdrache und Hampelm a n n erscheinen immer wieder Formulierungen wie tsch hab en gezoche [...]a//es mid muß oder der is so gezoche [,..](Zer muß. „ziehen" ist die regionale Variante f ü r standardsprachliches erziehen (vgl. z.B. die Erziehungsmaxime für Kinder: so wie mer se zieht so hod mer se). In der von uns beobachteten Verwendung wird ziehen mit einem bestimmten Erziehungsmodell verbunden, und zwar einer autoritären Erziehung mit Sanktionen bis zur Gewaltanwendung. Erziehungsaufgaben sind in der untersuchten Population im R a h m e n der Normalehe fast ausschließlich Sache der Frau. Dementsprechend ist der Erziehungsbereich auch der Bereich, in dem die Frau im Rahmen der Normalehe Handlungsfreiheit h a t und Macht ausüben kann. Zur Formulierung von ehelichen Machtverhältnissen, bei der die Frau die Macht über den Mann hat, wird das Erziehungsvokabular auf den Ehebereich übertragen. Das Verb „ziehen" wird vor allem verwendet von Frauen, die über „Hausdrachen" in Bezug auf deren „Hampelmänner" reden. Der Zwangscharakter dieser ehelichen Konstellation wird auch durch die wiederholte Verwendung des Verbs „müssen" als Hauptverb ausgedrückt, das außer dem Subjekt er/der keine weiteren Ergänzungen oder Angaben hat (d.h. als einwertiges Verb: der muß), sowie das Verb „dürfen", ebenfalls als Vollverb verwendet, z.B. in der Formulierung der hod nirgends allä hiegederft. Diese Modalverben geben die strikte Regulierung durch Gebote und Verbote im autoritären Erziehungsmodell wieder. Das Verb „ziehen" wird nicht zur Formulierung kategoriengebundener Aktivitäten des „Paschas" gegenüber der „dummen Frau" verwendet, die j a das Äquivalent des „Hampelmanns" auf der weiblichen Seite ist. Dort wird die Gewalt, die der Mann über die Frau ausübt, vor allem durch das Modalverb „haben zu" (z.B. du hosch zu mache was isch sach oder tsch verdien geld un du hosch zu renne) oder andere Modalverben in der Bedeutung von „müssen" (z.B. mer kennde bloß renne). Auch „dürfen" als Hauptverb (zum Ausdruck eines Verbots) erscheint in diesem Zusammenhang, „müssen" in der oben angegebenen Spezifik wird für diese Ehekonstellation nicht verwendet. Die Asymmetrie in der Bezeichnung der Relationen in Ehekonstellationen mit Zwangscharakter lassen sich in Zusammenhang bringen mit der unterschiedlichen Fundierung der Dominanz eines Partners. Der Schritt vom „guten Mann" zum „Pascha" ist klein, und die Abweichung von der Normalform in

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der durch die N o r m a l f o r m definierten Rollenverteilung bereits angelegt. Der „Hausdrache" dagegen stellt die Machtverhältnisse der N o r m a l f o r m auf den K o p f ; diese A b w e i c h u n g ist dramatischer. Dementsprechend werden bei der „ P a s c h a - E h e " weniger die Herstellung der männlichen D o m i n a n z als die Einschränkung der Handlungsfreiheit der Frau thematisiert (vgl. auch den Beispieltext i m vorigen K a p i t e l ) . Die Handlungen der Dominanzherstellung b z w . - a u s ü b u n g des M a n n e s werden in der Regel nur im Z u s a m m e n h a n g mit zusätzlichen B e d i n g u n g e n thematisiert wie der T a t s a c h e , daß der M a n n ein tyrannischer Säufer ist oder d a ß Ehekrisen drohen. B e i m „Hausdrachen" b z w . bei der „couragierten F r a u " werden gerade die Handlungen der Dominanzherstellung b z w . der A b w e h r der D o m i n a n z des Mannes thematisiert. M i t der A s y m m e t r i e der thematischen Relevanzen h ä n g t letzten Endes wohl die A u s b i l d u n g eines soziosemantisch spezifischen Vokabulars für die weibliche D o m i n a n z z u s a m m e n . „schaffen" U m darzustellen, daß der M a n n seine finanziellen Verpflichtungen der Frau und der Familie gegenüber erfüllt, wird häufig die Formulierung verwendet: isch hab nit schaffe müsse. D a r i n wird die N o r m a l i t ä t durch die Negation der potentiellen A b w e i c h u n g von der N o r m a l f o r m ausgedrückt (nämlich, daß die Frau die Verdienerrolle ü b e r n e h m e n muß, z . B . weil der M a n n wegen T r u n k sucht ausfallt). Diese Formulierungsweise entspricht der allgemeinen Tendenz, vor allem die A b w e i c h u n g e n von der N o r m a l f o r m zu thematisieren; und sie reagiert a u f eine typische, stets naheliegende G e f ä h r d u n g der N o r m a l f o r m in der beobachteten sozialen W e l t . „schaffen müssen" ohne nähere A n g a b e n des 'was', 'wo' und 'wofür', d.h. syntaktisch ohne E r g ä n z u n g e n , hat immer die B e d e u t u n g von 'Sicherung der Existenzgrundlage'. W e n n Frauen diese Formulierung zur Charakterisierung ihrer E h e s i t u a t i o n benutzen, heißt das j e d o c h nicht, daß sie nicht t r o t z d e m regelmäßig teilzeitlich arbeiten b z w . gearbeitet haben; das vor allem, u m in einzelnen Lebensbereichen sich etwas mehr leisten zu können. Diese Formulierung impliziert nur, daß die Frau nicht zur Beschaffung von Existenz-Notwendigem verantwortlich war, daß sie dafür nicht die Männerrolle übernehmen mußte. Die stabile K o m b i n a t i o n „schaffen müssen" ist auf dem W e g zur Lexikalisierung. Ohne Sinnänderung können Zeit- und O r t s a n g a b e n eingefügt werden, die Lebensphasen bezeichnen (z.B. isch hab nit lang schaffe müsse; in de Neggarstadt hab isch noch schaffe müsse i m Sinne von „als wir dort w o h n t e n " ) , nicht aber O r t s a n g a b e n zur Bezeichnung eines A r b e i t g e b e r s (z.B. isch hab nit beim Benz schaffe müsse). Eine andere feste F ü g u n g ist „alles schaffen müssen", erweiterbar durch die S i t u a t i v e r g ä n g z u n g „ d a h e i m " , z . B . in der Formulierung der hod (dehääm) alles schaffe misse. Diese Formulierung wird ausschließlich für die Kategorie des H a m p e l m a n n e s verwendet, alles b e d e u t e t in dieser Formulierung „sämtliche Haushaltsaufgaben".

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368 „Wochengeld"

Zur Darstellung der ausreichenden Versorgung mit Haushaltsgeld werden meist folgende Formulierungen verwendet: - moin monn hod mer in de woch wochegeld - isch hab moi wochegeld ghabi.

gewwe

Die allgemeine Bedeutung von wochegeld ist der Entlohnungsmodus für Arbeiter, nämlich die wöchentliche Lohnauszahlung. Die engere spezifischere Bedeutung ist das von der Frau im R a h m e n des Möglichen als ausreichend akzeptierte Haushaltsgeld, das der Mann ihr wöchentlich gibt. Das Lexem wochegeld erscheint nicht in Formulierungen, mit denen die wöchentliche finanzielle Versorgung als unzureichend dargestellt wird wie im folgenden Beispiel: der hod domals schunn achztch maak verdient in de woch un isch hab zwanzisch vun etn kriggd mid drei kinner » sechzisch maak hod er versöffe. „mein" Die Verbindung mit dem Possessivpronomen moi („mein") kann den Bezug auf das normaleheliche Rollenmodell anzeigen. Aus der Perspektive der Frau erscheint das Possessivpronomen moi in vielen Formulierungen, die auf die normaleheliche Aufgabenteilung referieren; z.B. - er hod mer moi sach vum maakt - isch hab moi wasch ferddisch.

hämgelrage

In diesen Fällen ist die Possessivrelation als 'Zuständigkeit' im Sinne der Aufgabenverteilung zu interpretieren und nicht als 'Besitz' wie in -

der kriggd die äzüg soi Sache hiegelegt isch hab moi freiheil isch hab moin kreis er hot soi bekonnde.

Die verschiedenen Possessivrelationen sind an bestimmte Sachverhaltsdarstellungen gebunden und erhalten erst in Verbindung mit den entsprechenden Nominalausdrücken ihre besondere Bedeutung. Bei moi sach, moi wäsch ebenso wie bei moi wochegeld geht es nicht u m persönlichen Besitz und exklusive Verfügungsgewalt, sondern u m das Eigentum der ganzen Familie, soi sache (d.h. des Mannes) hingegen referiert nur auf die Kleidungsstücke des Mannes. „Fingernägel" Frauen, die durch übermäßige Körper- bzw. Schönheitspflege auffallen - das kann sowohl den „Hausdrachen" als auch die „Schlampe" betreffen - werden charakterisiert durch Formulierungen wie: die schaffd nix die hod ihr fingernägel oder de ganze morge für sisch gebraucht ihr fingernägel un so.

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fingernägel steht hier in einer synekdotischen Relation z u m intendierten Begriffsinhalt; die Pflege der Fingernägel steht stellvertretend für die weit übertriebene allgemeine Körperpflege. D a ß hier gerade durch fingernägel der gesamte Begriffsinhalt bezeichnet wird, hat soziale B e d e u t u n g . A u s der Perspektive der Filsbachfrauen gehören Frauen m i t gepflegten Fingernägeln zu anderen sozialen Welten; es sind Frauen, die weder i m Haushalt noch außerhalb körperlich arbeiten müssen. D a ß hier auf übertriebene Schönheitspflege durch die fingernägel-Metapher referiert wird, impliziert, d a ß den so charakterisierten Frauen der Versuch unterstellt wird, sich zumindest optisch von ihrer sozialen U m w e l t zu distanzieren; und dieser Distanzierungsversuch wird in dieser Formulierung kritisierend z u m A u s d r u c k gebracht. Die Formulierung zielt darauf, daß die betreffende Frau ihren Haushaltspflichten nicht n a c h k o m m t . „ R o m a n e lesen" Die Trinkerin b z w . die S c h l a m p e wird oft charakterisiert durch einen dreiteiligen K a t a l o g m i t stabilen Formulierungsteilen f ü r Handlungsweisen, die besonders stark von der normal-ehelichen Form abweichen: bis middags um zwelfe im neschd donn uff de couch romane gelese gsoffe un geraacht/gequalmt.

gelege

Fester B e s t a n d t e i l dieser Charakterisierungsformel sind (neben der generalisierenden Ausdrucksweise) die stabile Reihenfolge der einzelnen Teile und die Lexik der drei Handlungsdarstellungen; nicht fester Bestandteil ist die T e m pusform (neben Vergangenheitsformen kann auch Präsens auftreten). Dieser Dreierkatalog hat eine b e s t i m m t e soziosemantische Festlegung: Die angeführten Handlungen sind in der beobachteten Filsbachwelt in h o h e m Maße sozial anstößig. In dieser W e l t , in der der A r b e i t s t a g für den M a n n (in der Fabrik) und für die Frau ( i m Haushalt) in der Regel a m frühen Morgen beginnt, ist das-im-Bett-Liegen a m V o r m i t t a g , ohne daß Schichtarbeit oder K r a n k h e i t der G r u n d wären, konträr zu dem allgemein Üblichen. D a s anschließende Lesen von R o m a n e n erscheint in einer W e l t , die vor allem durch harte körperliche A r b e i t geprägt ist, in zweifacher Weise anrüchig; z u m einen das Lesen an sich, das nicht-körperliche A r b e i t e n zu Zeiten, an denen die Frau in der Regel im Haushalt arbeitet; z u m anderen das Lesen von R o m a n e n . G e m e i n t sind hier Liebesromane, wie sie vor allem in Heftchen-Serien zu kaufen sind ( A r z t r o m a n e , H e i m a t r o m a n e u.ä.). Der A u s f l u g in die schlichte und heile (Liebes-)Welt (den auch die Kritikerinnen gerne unternehmen, den sie allerdings nicht so offen eingestehen und der a u f keinen Fall als G r u n d für eine Pflichtverletzung dargestellt wird), w o so viel harte A l l t a g s a r b e i t zu leisten wäre, ist in h o h e m M a ß e i n a k z e p t a b e l . A l s weiteres Skandalon beschreibt der dritte Formelteil die zweifache Suchtabhängigkeit: gsoffe un geraacht. Trinkerinnen erfahren in der Filsbachwelt eine radikale und mitleidlose Verachtung durch die Umwelt. Die

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Ablehnung einer Frau, von der man sagt, daß sie den ganzen Tag säuft un raacht, ist hier weitaus größer als die eines Trinkers. c) Komplexere Inhaltsfiguren Frauen der Kategorie „gute Frau", die mit einem Säufer verheiratet sind, erfüllen in der Selbstdarstellung sehr lange Zeit ihre Aufgaben und Pflichten dem Mann gegenüber, obwohl er seinen nicht mehr nachkommt, der Frau aufgrund seiner Sucht zusätzliche Aufgaben und Pflichten aufbürdet und ihr gegenüber Gewalt anwendet. Diese Frauen stellen sich immer wieder als geduldig und langmütig dar, obwohl der Mann sie „quält", „tyrannisiert". Solche Ehen können jahrzehntelang dauern, bis sich die unterdrückte, aufgestaute Wut gewaltsam Bahn bricht. Dann gebrauchen diese Frauen auch Gewalt gegen ihre Männer. Die Revolte der desillusionierten Frau (vor allem in der Ehe mit einem Säufer) wird stereotyp durch drei Elemente dargestellt: die reaktive Gewalt, die Ablösung vom Partner als Notwehr (angesichts der Gefahr kaputtzugehen) und der Todeswunsch für den Partner (vgl. oben kennd verregge vo=mir aus·, 3,9-10). Zur Illustration seien Kurzschilderungen von zwei Gruppenmitgliedern wiedergegeben. Die erste stammt von Frau Bart: isch weefi nit wer aer des eigeredd (hot) isch hab nie ä hand gege den ghobe * isch hob des eigeschdeggt * hab isch gedenkt also heid schlach isch«n dod

Und Frau Born formuliert bei anderer Gelegenheit den Sachverhalt so: isch weefi nit ver air die kraft gewwe hot isch weefi nit was aid air passierd is uff äaol haww m isch hiegeglobbt isch hab die gonze johre haww=isch schdillgehalde jetz haww-isch zurigg geglobbt * der schlägd niaaer.

Die beiden Kurzschilderungen ähneln sich hinsichtlich der Sequenzstruktur, der Bedeutung und der Formulierungsweise. Die sequentielle Struktur folgt einem dreigliedrigen Muster. Den ersten beiden Teilen auf der Meta-Ebene (Überlegungen, wie es zur Handlung kam und Feststellungen, daß solche Handlungen noch nie ausgeführt wurden) folgt die knappe Handlungsdarstellung. Die drei Darstellungsteile haben eine ähnliche Semantik. Auf der Metaebene (erster und zweiter Teil) wird der Handlungsauslöser als unerklärbar dargestellt, die Handlung damit quasi an den Rand der eigenen Verantwortlichkeit gerückt, und die widerstandslose Duldung der jahrelangen Mißhandlungen hervorgehoben, übergroß und „zu allem fähig hervorgehoben. Im dritten Teil wird der Gegenschlag als übergroß und „zu allem fähig" dargestellt. Auch die Formulierung der einzelnen Szenenteile ist sehr ähnlich: Für die Unerklärlichkeit des Handlungsauslösers finden sich Formulierungen wie: isch weeß nit wer mir des eige-

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redd [Aoi] und isch weeß nii was mid mir passierd is; hier liegt der eigentliche Handlungsauslöser außerhalb des 'ich'. Die Formulierungen für die jahrelange Duldung (isch hab des eigeschdeggt und isch hab die gonze johre schdillgehalde) betonen das Festhalten der Frau an Normalformvorstellungen auch bei gröbster Verletzung der Normalform auf Seiten des Mannes. Die Formulierungen für den im dritten Teil dargestellten übergroßen Gegenschlag (heid schlach isch=n dod und haww=isch zurigggeglobbt * der schlägd nimmer) drücken die Endgültigkeit des Gegenschlags aus. Das Leid dieser Frauen und ihre innere Betroffenheit werden in diesen Darstellungen nicht direkt verbalisiert, sondern Gefühle, Einstellungen u.a. erscheinen in Handlung umgesetzt (in Ausdrücken wie: schlach isch=n dod). Für die Thematisierung des eigenen Leidens gibt es nur durch Aussparung charakterisierte Formulierungen wie: - [wenn keine Trennung zustandegekommen wäre] war isch - bevor isch misch kabudd mach [...] zieh isch die Scheidung - isch mach mir nix mehr draus sunschd ging isch kabudd.

zugrundgonge dursch

Typische Formulierungen für das Warten auf den Tod des Mannes sind: - wenn er heid schdirbd des war für misch e befreiung * hoffendlisch daueri=s nimmer lang - der is fünfeverzisch im juli «'s er schunn kumme * der war gscheider drauße gebliwwe [= 'im Krieg gefallen'] Alle thematischen Elemente der Revolte zeigen den besonderen Legitimationsbedarf der 'desillusionierten Frau', die das Leitbild der „guten Frau" aufgibt und damit sowohl die Duldung von Ubergriffen oder Schwächen ihres Mannes als auch die Fürsorge für ihn. Dieser thematischen Relevanz, sich wegen der Aufgabe eines allgemeinen Leitbildes legitimieren zu müssen, entspricht die Darstellung der Lage als Extremsituation (es geht u m die eigene Existenz) und die Hervorhebung des Umstandes, zum Äußersten getrieben worden zu sein. Insbesondere die Darstellung der reaktiven Gewalt zeigt, wie stark das Leitbild der „guten" Frau wirkt und daß der Übergang zu einem veränderten Status nur in einem dramatischen Umschlag, schicksalhaft und wie durch höhere Gewalt vollzogen, plausibel und legitim dargestellt werden kann. 5.2.

Thematisierung und Kondensierung

Die Korrespondenz zwischen Thematisierungsregeln und Formulierungsverfahren hinsichtlich der Relevanzabstufung kann m a n so interpretieren, daß die Devianz in Bezug auf die Kategorienordnung als der sozial markierte Fall auch sprachlich durch Formulierungsaufwand und semantischen Reichtum markiert wird. Thematische Relevanz ist verbunden mit häufiger Thematisierung, und häufige Thematisierung wiederum macht die Anwendung von Ökonomieprinzipien relevant. Das Verfahren für die Verbindung von thematischer Relevanz und

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Ökonomie ist die Kondensierung. Formulierungsverfahren der Kondensierung sind u.a.: - syntaktische Aussparung (a) - semantische Aussparung (b) - Aussparung von Sachverhalten in textuellen Mustern f ü r Szenen- und Geschichtenkondensate (c). 1 3 (a) Aussparung syntaktischer Elemente Viele Formulierungen von kategoriengebundenen Aktivitäten und Eigenschaften im R a h m e n der ehelichen Normalform zeichnen sich durch syntaktische Aussparungen aus. Das gilt zum Beispiel für die Anforderung an die (gute) Frau isch mufi misch nach demm rischde. Ausgespart ist hier die Präpositionalergänzung (worin, wobei?), die auf der Folie der ehelichen Normalform aus der Perspektive der Frau aufzufüllen wäre durch „bei der Planung meiner Haushaltsaufgaben" oder „bei der Planung meiner Freizeit" u.a. (vgl. das Beispiel „Sonne a m Abend"). Diese oder ähnliche Formulierungen werden sehr oft von Frauen als Begründung f ü r Terminvorschläge für gemeinsame Unternehmungen und als Entschuldigung Frau Kranz gegenüber vorgebracht. Für alle Gruppenaktivitäten von Frauen gilt unangefochten die Regel, daß immer so geplant werden muß, daß keine der Frauen die Regel „sich nach dem Mann zu richten" verletzen muß. Syntaktische Aussparungen kennzeichnen auch die folgenden Formulierungen für den „guten M a n n " : -

gschlache hod der nti isch hab noch känni kriggd isch hab nit schaffe misse er hot kä annere.

In jeder dieser Formulierungen fehlt, gemessen an den zugrundeliegenden syntaktischen Strukturen, ein Element: 1 4 entweder eine Akkusativergänzung, wie in gschlache hod der nii („mich", „die Kinder") oder eine Präpositional13

Möglicherweise lassen sich von hier auch Verbindungen zur Ellipsenforschung herstellen, vor allem zur Forderung von Ortner (1987), der Ellipsen als „verfestigte Formen der Situationsbewältigung" verstanden wissen will (S. 19); vgl. auch Kindt (1985) und Cherchi (1985).

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Wir gehen nicht davon aus, daB dies unvollständige Sätze sind. Die Aussparungen hier sind auch nicht kontextbedingt in dem Sinne, dafi eine Vorgängeräußerung genau das Element enthält, das in der hier angeführten Äußerung ausgespart ist. Bei den Formulierungen hier sind Aussparungen konstitutive Bestandteile, d.h., es handelt sich um feste 'Formulierungen mit Aussparungen', die in verschiedenen Kontexten in genau dieser Weise verwendet werden. Die Kommunikation funktioniert dabei einwandfrei. Den ersten Auslassungstyp nennt Heringer (1984, S. 44) „definit", den zweiten „indefinit".

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ergänzung in isch hab nit schaffe misse (vgl. Analyse oben) oder das entscheidende Nomen der Nominalphrase wie in isch hab noch könnt kriggd („Ohrfeige" o.ä.) und in der Formulierung er hot kä annere (Plural)/anneri (Singular) das Nomen „Frauen/Frau". Das Auffüllen der fehlenden syntaktischen Elemente ist sinnvoll nur möglich in Bezug auf das Rollenmodell der ehelichen Normalform; alle negierten Aussagen gehören zum Katalog des „guten Mannes" und negieren Gefahren, die durch die assertiven Formulierungen ausgedrückt werden. Diese Perspektive auf das Kategoriensystem (entsprechend der Thematisierungsregel aus 5.1.) schlägt sich in der Häufigkeit der Formulierungen mit Negation nieder. Die Kondensierungsregel sorgt für syntaktische Aussparungen bei den rekurrenten Formulierungen. Und dabei gilt wiederum eine Abstufung in der Kondensierung zwischen dem unmarkierten und dem markierten Fall. Im unmarkierten Fall (d.h. bei der Entsprechung mit der Normalform) wird das Verfahren der Aussparung besonders konsequent angewendet. Dementsprechend ist im Unterschied zur normalformbezogenen Formulierung isch hab nit schaffe misse die Formulierung er hod dthääm

alles schaffe misse für den „Hampelmann", d.h.

für eine Normalformabweichung, syntaktisch aufgefüllt. Generell gilt, daß kategoriengebundene Abweichungen von der Normalform unter Verwendung derselben Verben wie normalformbezogenes Verhalten, aber mit höherer Valenz formuliert werden. So wird zur Darstellung der Gewaltanwendung des Hausdrachens dem Hampelmann gegenüber ebenfalls das Verb schlagen verwendet, jedoch mit syntaktischen Ergänzungen wie Dativ- und Richtungsergänzung.· demm hot sie uff die bagge gschlage oder die hod ihr=m noigschlage.

aide mol in die fress

Für bestimmte Abweichungen sind allerdings auch Formulierungen mit Aussparung geläufig, insbesondere für die eheliche Untreue: der hod als annere oder der hod änni. In vergleichbarer Weise syntaktisch ausgespart wird auch über die eheliche Untreue von Frauen geredet (so hat z.B. Gerda als annere). Die syntaktische Aussparung bei dieser typ-übergreifenden Formulierungsweise hat möglicherweise mit der Tiefe des Bezugs auf das Kategoriensystem zu tun: Ausgespart wird die Bezeichnung für die Partnerkategorie „Mann/Frau" als Grundbestandteil des gesamten Kategoriensystems. (b) Semantische Aussparung Ein Typ von semantischer Aussparung ist die Verwendung von Proformen und semantisch armen Verben. In vielen Formulierungsweisen für kategoriengebundene Aktivitäten erscheinen generalisierende Ausdrücke wie nichts, nie, nirgends, iwwerall, alles, immer usw. Diese Lexeme sind Proformen für semantische Differenzierungen, die nur in Bezug auf das jeweils implizierte Ehemodell und die Formen der sozialen Organisation in der Filsbachwelt adäquat aufgefüllt werden können. Die Formulierung isch kann iwwerall hiegehe aus der Perspektive der Ehefrau zielt auf die Kategorie des „guten Mannes". Auf der Folie des

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Normalehemodells ist die P r o f o r m twwerali folgendermaßen aufzufüllen: Der M a n n g e s t a t t e t es der Frau, die ihr eingeräumte freie Zeit a m T a g e (nicht a m A b e n d ) mit von ihr gewählten Frauen an von ihr gewählten Orten zu verbringen, solange sie dadurch nicht ihre Pflichten i m R a h m e n des E h e m o d e l l s verletzt. A n a l o g sind alles und nirgends in Formulierungen zu verstehen, die sich a u f die K o n s t e l l a t i o n „ P a s c h a " - „ d u m m e Frau" beziehen: sie muß alles heimlich mache; die derf nirgends hiegehe.15 Die soziale B e d e u t u n g derartiger V e r b o t e h ä n g t mit den Formen der sozialen O r g a n i s a t i o n in der Filsbachwelt z u s a m m e n . Frauen, die „nirgends hingehen d ü r f e n " , sind keineswegs in G e f a h r , sozial isoliert zu werden, denn die sozialen Organisationsformen der Frauen in der beobachteten P o p u l a t i o n sind vielfaltig und nur ein Teil davon ist der Kontrolle des E h e m a n n s zugänglich, vor allem die finanziell aufwendigeren Unternehmungen. Die täglichen K o n t a k t m ö g l i c h keiten zu anderen Frauen b e i m Einkauf, auf der Straße, auf dem Spielplatz, i m Haus usw. ebenso wie die Kaffee-Hausbesuche liegen außerhalb des männlichen Zugriffs. Eine andere Implikation hat die P r o f o r m nirgends in er hod nirgends allä hiegederfi, eine Formulierung, die auf die Kategorie des „ H a m p e l m a n n s " zielt. Nirgends referiert hier a u f G a s t s t ä t t e n b z w . Filsbachwirtschaften. D a die sozialen K o n t a k t e der Männer in der beobachteten P o p u l a t i o n anders organisiert sind als die der Frauen, hat das Verbot hier weiterreichende B e d e u t u n g : D e m M a n n ist es untersagt, G a s t s t ä t t e n bzw. Filsbachwirtschaften ohne seine Frau zu besuchen, und somit ist er von einem wesentlichen Bereich der sozialen O r g a nisation für Männer ausgeschlossen, b z w . seine Frau kontrolliert seinen Z u g a n g zu diesen Organisationsformen. Die P r o f o r m iwwerall in der Formulierung der hod twwerali schulde gemacht bezogen a u f die Ehe mit einem „Säufer" h a t die eingeschränktere B e d e u t u n g von 'überall da, wo es A l k o h o l zu kaufen g i b t ' , also besonders in W i r t s c h a f t e n . In vielen Formulierungen werden für unterschiedliche Kategorien semantisch arme Verben wie sagen, machen und auch rennen verwendet. In der regionalen V e r w e n d u n g hat rennen die sehr allgemeine B e d e u t u n g eines Bewegungsverbs. A u f die „ P a s c h a " - b z w . „Hausdrachenehe" referieren die folgenden Formulierungen: du hosch zu mache was isch sach; was die demm sacht des machd der. A u f die Ehe m i t einem „Säufer" referiert die Formulierung: isch mach alles der macht gar nix. D a s V e r b rennen wird nur in Formulierungen verwendet, die sich a u f die K a t e g o r i e der „ d u m m e n Frau" beziehen: isch ( M a n n ) verdien geld, du (Frau) hosch zu renne oder die wäre die pascha mir kennde bloß renne. Diese Verben verweisen als eine A r t P r o f o r m auf einen komplexen Handlungszus a m m e n h a n g , der auf der Folie des jeweils implizierten Ehemodells semantisch aufzufüllen ist. 15

Vgl. Ethnographie, Bd. 2, Kapitel 4.3.1. - 4.3.3.

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Typisierung und soziale Kategorien

375

Im Gegensatz zu dem bisher Festgestellten finden sich semantisch reiche Verben bei der Formulierung der verbalen Fähigkeit des „Hausdrachens", die sie zur Durchsetzung ihrer Ansprüche dem Ehemann gegenüber einsetzt: die kommandierd ihn; die schretd=n ä, der derf nix redde; die zwiwweld ihn. Die durch die Verben kommandieren, anschreien, zwiebeln charakterisierten Handlungsweisen erinnern an strikt hierarchisch und autoritär strukturierte Organisationsbereiche (beispielsweise des Militärs oder früher auch der Schule) und darin definierte Machtverhältnisse zwischen Übergeordneten und Untergeordneten. Das in diesen Formulierungen verwendete Vokabular weckt Assoziationen an ein mit Gewaltanwendung operierendes Erziehungsmodell. Im Gegensatz zur Verwendung des Verbs sagen in Formulierungen, die auf die verbale Durchsetzungskraft des Pascha zielen, sind das hier semantisch sehr starke Formulierungen, die die verbale Fähigkeit des Hausdrachen thematisieren. Ein anderer T y p von semantischer Aussparung ist die Synekdoche, bei der Konkretisierung und Auswahl aus den Eigenschaften des dargestellten Sachverhalts kombiniert werden. Dieser Aussparungstyp findet sich vor allem in Formulierungen, die sich auf den Aufgabenkatalog der „guten" Frau beziehen. Stellvertretend für die gesamten Haushaltsaufgaben wird meist ein eingeschränkter Dreier-Katalog genannt: - isch mufi esse mache - isch mufi die wäsch wasche un biegte - isch hab ä sauberi wohnung. Die hier verbalisierten Aufgaben stehen in einer synekdotischen Relation zum Begriffsinhalt 'Haushaltsführung'; andere wichtige Aufgaben werden nicht verbalisiert. Die Nennung gerade der Aufgaben Kochen, Waschen, Bügeln und Putzen stellvertretend für viele andere Haushaltsaufgaben hat auch symbolischen Charakter; hier handelt es sich u m originär weibliche Aufgaben. Das wird durch einen Vergleich dieses Katalogs mit den Aufgaben deutlich, die ein Mann im Notfall anstelle der Hausfrau ausführt: - moin monn der kocht a mol - der kaafd α mol ei - der schbield a mol=s gscherr. Dieser Katalog beinhaltet genau die Aufgaben und nur die, die der Mann im Notfall ausführt. Beim Vergleich beider Kataloge fallt auf, daß nur die Aufgabe Kochen in beiden vorkommt, Putzen, Waschen und Bügeln dagegen beim Mann nicht auftreten. Dies sind Aufgaben, die zu übernehmen der Mann entweder für nicht fähig befunden wird bzw. bei deren Übernahme der Mann mit sozialer Achtung rechnen muß. Die Relevanz des letztgenannten Aspekts zeigt folgendes Beispiel: Der Ehemann einer der Informantinnen hat während ihrer Schwangerschaft die mietvertraglich geregelten Putzarbeiten (Reinigen der Treppe und des Hausflurs) und Fensterputzen nur zu Tageszeiten übernommen, zu denen er relativ sicher war vor neugierigen Nachbarblicken, sehr früh morgens. Zeigte

376

Werner Kallmeyer / Inken Keim

sich während des Fensterputzens doch mal eine Nachbarin am gegenüberliegenden Fenster, versteckte er sich schnell. Semantische Aussparungen bzw. die Nennung eines Teils des Begriffsinhalts stellvertretend für den gesamten Inhalt finden sich also nur in Formulierungsweisen, die auf die normaleheliche Kategorie der „guten Frau" zielen und ihre Aufgaben darstellen. Im Gegensatz dazu wird die ausnahmsweise Übernahme weiblicher Aufgaben durch den Mann (durch die die rollengebundene eheliche Aufgabenteilung nicht tangiert wird) als direkte Realitätsabbildung dargestellt. Synekdotische Formulierungen treten auch im Eigenschaftskatalog männlicher Kategorien auf. Keine Gewaltanwendung gegenüber der Frau wird ausgedrückt durch: gschlache hod der nil·, tsch hab noch käni kriggi. Die Darstellung der Gewalt erfolgt hier durch 'Schläge' als das aus dem Erfahrungsbereich der Informantinnen vermutlich wichtigste Element von Gewalt. Daß äußere Gewaltanwendung auch andere Formen hat als nur Schläge, haben einige der Frauen selbst erfahren, doch auch sie verwenden der schlägt bzw. der hot gschlache, wenn sie allgemein ausdrücken wollen, daß der Mann Gewalt anwendet. Erst in genaueren Ereignisschilderungen werden dann auch andere Formen der Gewaltanwendung verbalisiert, z.B.: der hod mer ins kreuz getreie; er hod misch hiegeschmisse oder er hod der de rollschuh ins kreuz gschmisse. Die Analyse der syntaktischen und semantischen Aussparungen macht folgende Formulierungstendenz erkennbar: vor allem Formulierungen vom Typ Nennung eines Teils des Begriffsinhalts, die sich auf das eheliche Normalmodell beziehen, sind durch syntaktische und semantische Aussparungen charakterisiert, die auf der Folie dieses Normalmodells interpretativ aufgefüllt werden. Mit der Entfernung von der Normalform nehmen meist auch Formulierungen zu, die durch syntaktische Vollständigkeit und semantische Explizitheit charakterisiert sind. (c) Textuelle Kondensatmuster Szenische Kurzdarstellungen treten meist auf, wenn kategorielle Abweichungen von der ehelichen Normalform in ihrer Typizität aufgezeigt werden, hier vor allem bei der Darstellung einer Ehe mit einem Säufer. Diese Darstellungen sind fast alle dreigliedrig; sie enthalten knappe Handlungs- oder Situationsdarstellungen ohne die Verbalisierung von emotionalen Zuständen und Einstellungen oder Betroffenheitsbekundungen. Die dreiteiligen Kurzszenen (unabhängig von verschiedenen Informantinnen formuliert) haben oft ähnliche sequentielle Struktur; der erste Teil gibt eine Handlung des Säufers wieder bzw. einen sich auf ihn beziehenden Sachverhalt; der zweite die Handlung der Frau bzw. einen auf sie bezogenen Sachverhalt in Abhängigkeit vom ersten Teil und der dritte Teil enthält das Resultat/Resümee. Diese sequentielle Struktur findet sich in folgenden Kurzszenen: (1) Handlungen des Säufers: no hod er uff de knie gebeddeld bleib bei mer

Bezeichnungen,

Typisierung und soziale

Kategorien

377

(2) Handlungen der Frau: bin isch bei=m gebliwwe un probierd ob er sisch

ännerd

(3) Resultat: s=war nix zu

mache

(1) Sachverhaltsdarstellung, die sich auf den Säufer bezieht: no hod er=s geld nimmer

kriggt

(2) Sachverhaltsdarstellung, die sich auf die Frau bezieht: no hab isch bloß noch=s

geld kriggd

(3) Resultat: do war de deiwel los

gewese.

Als Variante dieser Ablaufstruktur findet sich nach der ersten Handlungsdarstellung die Darstellung einer der ersten widersprechenden Handlung des Mannes zur Verdeutlichung des Wertes seiner Versprechungen; der dritte Teil enthält das Resümee. (1) Handlungen des Säufers: er knied sisch hie un verschbrischd

er trinkt

nimmer

(2) antithetisch dazu: kä minud

druff schreid er wo is=en=s

hier

(3) Resümee: des werd nid

annerschd.

Auch für die Darstellung von Szenen mit Anti-Klimax eignet sich die dreigliedrige Struktur; in den ersten beiden Teilen wird ein Handlungsverlauf auf ein Ziel hin entwickelt und im dritten Teil als Anti-Klimax folgt dann die Zerstörung des Ziels durch den Ehepartner: (1) Darstellung der Handlung mit Zielangabe: isch bin butze gange daß isch wenigschdens

moi gosch durschgebrocht

hab

(= was zu essen hatte). (2) Erreichung des Ziels: an wann isch was im eischene

ghabl hab

(= wenn ich etwas verdient hatte) (3) Zerstörung des Ziels durch den Ehepartner: hod er mer=s

5.3.

weggfresse.

Thematische Relevanzen und Sequenzierung

Den Abhängigkeitsrelationen im Kategoriensystem entsprechen sequenzierungsrelevante Thematisierungsregeln: Die einfache, unmarkierte Thematisierung folgt der Regel 'Initiativkategorie vor Reaktivkategorie'. Diese Regel wirkt sich z.B. bei der Formulierung von antithetischen Konstruktionen mit „ihm" und „ihr" aus. Dabei gilt: Je formelhafter und damit als Formulierung vom Kontext unabhängiger die Äußerung ist, desto eindeutiger wird die Kategorienrelation sequentiell abgebildet.

378

Werner Kallmeyer / Inken Keim

Die Verwendung antithetischer Satzkonstruktionen fiel bei der untersuchten Population bereits mehrmals auf (vgl. den vorangehenden Beitrag). Im jetzigen Zusammenhang treten antithetische Satzkonstruktionen vor allem zur Darstellung der Handlungsweisen, die von der Normalform abweichen, und zwar zur Charakterisierung des „Paschiis", des „Hausdrachens" und des „Säufers" und den jeweiligen Komplementärkategorien. Bei diesen Antithesen erscheint im Vordersatz meist die Beschreibung der dominanten Figuren und in Abhängigkeit davon im Folgesatz die Darstellung der Untergeordneten, z.B.: die dürfde alles un mir nix; die wäre die pascha mir kennde bloß renne; isch verdien geld un du hosch zu renne. Die Sätze sind zum Teil parallel konstruiert; die Gegensätze zwischen den beiden Positionen werden auch durch lexikalischsemantische Oppositionen unterstrichen: Er darf alles und sie darf nichts; er sagt und sie führt aus. Ahnlich konstruiert sind auch Formulierungen, die sich auf die HausdrachenHampelmann-Konstellation beziehen: sie schbield kä gscherr des muß alles er mache; sie is sauber aber er muß butze; sie frißt=s deierschde [...]er muß=s billigschde esse; isch krigg=s ganze geld er hol kän penning fer sisch; sie gehd in werddschafde er muß hääm bedde mache. Eine Reihe dieser Formulierungen weisen parallele syntaktische Strukturen auf: Der Vordersatz, der jeweils die Handlung der Frau beschreibt, ist ein einfacher Verbalsatz mit finitem Hauptverb; im Nachsatz, der auf den Hampelmann referiert, wird jeweils das Modalverb müssen verwendet, das den besonderen Zwangscharakter seiner Handlungen unterstreicht. 6.

Fazit: die Soziospezifik von Pflicht und Neigung

In diesem Beitrag haben wir drei Aspekte des Kategorisierens betrachtet, und zwar die Ausbildung eines Kategoriensystems, die Kategorisierung im Gesprächszusammenhang und die Ausprägung eines Ausdrucksrepertoires für bestimmte Kategorisierungen. Dabei zeigte sich auf allen drei Ebenen die Wirkung der sozialen Perspektive von älteren verheirateten Frauen (bzw. Witwen). Das Kategoriensystem, wie es aus den Gesprächen der Filsbachfrauen zu eruieren ist, enthält bestimmte Asymmetrien zwischen der Männer- und der Frauenseite und auch innerhalb der Frauenkategorien. So ist z.B. die Junge Frau" als Bestandteil dieses Kategoriensystems eine Kategorie aus der Sicht der älteren Frauen. Auch die Kategorisierungsanalyse am Beispiel zeigt die Perspektivik der Sprecherinnen, und zwar vor allem in den Unterschieden zwischen Selbstund Fremddarstellung und in der spezifischen Uberlagerung der Definitionsebenen. Deutliche Beispiele dafür sind die Identifikation mit der Liebesfähigkeit der Jungen Frau" aus der Sicht der 'reifen Frau' und die Projektion des Merkmals der emotionalen Beteiligung in die Kategorie der „guten Frau". Im letzten Kapitel haben wir an einigen Beispielen verfolgt, wie die Relevanzen des Kategoriensystems und der Kategorisierungspraxis mit ihren Regeln des Sprechens das Ausdrucksrepertoire für bestimmte Kategorien prägen. Auch diese Analyse

Bezeichnungen,

Typisierung

und soziale

379

Kategorien

rekonstruiert also die sich sprachlich äußernde Perspektive der untersuchten Population. Unsere Untersuchung hat weiter die Flexibilität der Kategorisierung und Ansätze der Bedeutungsverschiebung bzw. der Redefinition einzelner Kategorien aufgezeigt zusammen mit der relativ weitgehenden Verfestigung und Formelhaftigkeit der Ausdrucksweisen. Die Gesprächsanalyse hat dabei die Konturen eines Ausdruckssystems für unterschiedliche Redemodalitäten deutlich werden lassen, das wesentlich auch durch die Sprechweise, d.h. ein Register von 'Tönen' charakterisiert ist. Der Reichtum der Sprechmuster hat für uns auch eine wiederholte Beobachtung besser verstehbar gemacht: An den im Material formulierten kategoriengebundenen Handlungen fallt immer wieder ihre 'Äußerlichkeit' auf, d.h. ihre Ausrichtung an äußeren Formen der Organisationsstruktur und der Aufgabenverteilung in der Ehe; Eigenschaften und Handlungszuschreibungen, die den emotional-intimen Bereich einer Ehe und Familie betreffen, werden nicht formuliert. Diese Beobachtung wird zum einen durch die Vielfalt der Sprechweisen relativiert und zum anderen als durch die Kategorisierungsperspektive und die Redemodalitäten bedingt erklärbar: Das ist das Ausdrucksrepertoire für die Darstellung der Arbeit, welche die Aufrechterhaltung der Ehe unter schwierigen Bedingungen kostet. Für das Reden über die Ehe aus dieser Perspektive zeigen sich Unterschiede in der Ausprägung und Verfestigung des Ausdrucksrepertoires. Explizit und formelhaft verfestigt sind vor allem die Formulierungen für die normbezogenen Rollenkategorien; für die Erlebenskategorien gibt es Muster der pragmatischen Verdeutlichung für definierende Eigenschaften, aber es gibt kaum feste Formeln und keine Kategoriennamen. In anderen Diskursformen der Filsbachfrauen, z.B. privaten Eröffnungen im Zweiergespräch, treten diese Kategorisierungen verbal deutlicher hervor. Die bisherigen Beobachtungen zeigen aber, daß auch hier keine ausgebaute „Sprache der Innerlichkeit" erscheint. 7.

B e i s p i e l t e x t : „moi freiheit"

S. 1 tisch auch* ·*

1 HA:

K:

»SEHR LEISE*

2 IN: also isch weiß es von B e i · vadder *

•ha

3 HA: *

K:

JEMAND LACHT

4 MÜ: Maria sann dann er «ol fordd is de Franz daß er forddgehd do •hm

5 MA: 6 MÜ: ruft se inner a(n)| * veesch

daß diedo ruft se a(n)J »

7 MA: un die muß aa alles so heimlisch mache 8 MÜ:

(

) ja allesj. (...)

380

Werner Kallmeyer / Inken

Keim

9 HA: wie»sch doaols bei»ere ear netf u n no hot se doch do eh * 10 HA: do wo se vorher gewohnd hot * do in de Keplerschdrofl 11 HÜ:

un jaja

12 HA: des war e nachbarin von ihr 13 HÜ:

no hot se do die ja

14 HA: s»eheleut oige/ 15 HÜ:

die eheleute οigelade netf * u n wie ja

aha

16 HA: iech die sin-ann vor air forddgange u n na ha-sch=gsa ah n a 17 HA: Hilde isch geh jetz aa fordd netf * u n n a ha~isch-sacht 18 HA: eh»a wenn jetz doin monn kuaadj sad se ·>—>der weefl des net* K:

»ERSCHROCKEN

*

S. 2 1 HA:

der weefi des net * jetz

2 IN: a"ch jaja (

3 HÜ:

)

sann isch als

4 HÜ: frieher ia gschäfd war sar er no ned pensioniert (...) 5 HA: u n do sacht se noch » u n do sacht se noch zu air 6 HÜ: ( 7 HA: die so schoind's

do hot se schoind=s

8 IN: warua 9 HÜ:

do hod )

ah so der is bös geworre der is hirnverletzt

10 HA: aa viel tordd gekaafd die hot tordd gekaafd netj * no sacht 11 HA: se no zu aer * aensch Haria neaa doch tordd ait neaa do ait * 12 HA: u n i"sch hab gsacht ach gott nää haww»isch«sad eh isch 13 HA: woll»des nisch(t) isch solid net abkoche odda was gellf awva 14 HA: hinnenoch is aer's kuaae * die hod beschdiaad gedacht neaa 15 HA: die tordd a i d dafl der des net sie"ht 16 HÜ:

ahio (

) dafl er«s ned aergd

17 HA: u n isch hab aisch gevehrd * haww»isch»sad nee isch neaa's 18 HA: n e d ait efl du=s selver * un die hot sisch ned getraud air 19 HA: des irgendwie zu sache 20 HÜ:

ah die hod newe waa»aa rauskuaad vua wohnziaaer wu se

S.1 HA: 3 ja iaia 2 HÜ: ia gong so owwe so * wie do so«n schbind do verschdeggelt

Bezeichnungen,

Typisierung und soziale

3 IN:

Kategorien

381

darf er des alles ned wieset

4 HU: se donn was se kauft nitt (...) (

)

5 MA: awwa wenn se rischdisch heasch do * do lebt se gli"gglisch * 6 NA: do lofit se uff i h m aide nix b m e K: 7 HÜ: (... •..)

** *«—a:ch gott aoin * HOHE STIMME,

8 ΝΑ: ·οηη oh lieser gott * der-s so gu":t un isch * bin fro":h K: SINGSANG 9 HA: daß er noch le":bt un* SEUFZT »kennd verregge vo-mir K: HOHE STIMME * * SEHR LEISE 10 HA: aus* *er kennd verregge vo=eir aus* K: * * FLÜSTERND * 11 IN: hef wasf isch hab 12 HA: tkönnt von mir aus verrecke* K: * LEISE, DEUTLICH * 13 IN: net verstände ah so LACHT 14 HA:

neel isch mään

15 IN: ihrerf

nee

so wenn des

ah so

so is nef ••

ah ja

ah·

16 HA: —»isch Muß doch schaffe isch mufi doch denn verso"rge 8 HÜ: so 9 HA: er müsse doch d e m die wä"sch wä"sche die bie"gle 10 HÜ: is»es och 11 HA: un e"sse koche un ach gott un a"lles minanner 12 HÜ: (...) LACHT 13 HA: un donn soll isch «er noch was sa"che 14 KR: für a"lles müssen wir da sein gellt 15 HA: losse| 16 KR: ja

»er sin doch billische haus/ mir sin doch

17 HA: billische dienschdmadlej. 18 IN: 19 KR:

hajat LACHT

des

sehr gut LACHT ja|

20 HA: is woa"r 21 IN: nä is gut is gut sehr gut 22 KR: ( ..'. ) 23 KL:

das macht la doch alles

S. 7 1 HA: ooch hear uff wenn (. . .) werm-d»emol 2 KR: da is die 3 KL: aus lie"be wo bleibt denn die lie"be 4 HA: ball fuchtsch johr verheirad bisch hörd die liebe uff j 5 KR: liebe weg K: LACHEN 6 7 8 9

HA: do is e gewohnheitl HÜ: do werd»s e gewohnheitl KR: die" lie"be hört dann auf wenn KL: wenn ma

384

Werner Kallmeyer / Inken Keim

10 ΜΑ:

do ALLES LACHT

12 MA: kennsch denn in und auswendisch 13 IN: LACHT 14 KR: aber ganz zu anfang 15 KR: —»teiia sich kennlernt da aeint aa aa aüfit alles tun gellf K: IN HINTERGRUND UIRD EINE NEUE FRAU BEGRÜSST 16 HA: des sa»isch so" oft frau Kranz sa»isch iaaer • hald 17 MA: isch«s»ea vor • >sa» isch aensch Fritz war de"s noch früher 18 MA: K: 19 MA: K: S. 8 1 MA: K: 2 KR:

schä: • wea*aa aol e weil beisaaae is » is e aacht 11 MA: der gewohnheit ( ) awwa * 12 KR: verspricht aa sich den hiaael auf erden gellt ** 13 KR: un dann wenn es ersteaal das geld net langt * ou" wei" gellf K: ALLES LACHT 14 MA: isch hab schunn zu*a gsacht * wie wär's wenn du aol dei K: ALLES LACHT

385

Bezeichnungen, Typisierung und soziale Kategorien 15 HA: monatsgehald nimascht un duschd emol oideile * ach go"tt 16 KR: de »eiste 17 HA: hod-a gsacht » um himmelswille *

do heddschd im halve

18 KR: streit gibt»s doch um«s geld oft neT 19 KA: monad nix zu esse LACHT LAUT 20 IN:

—»jajaj LACHT

21 KR:

also sacht erf

S. 9 1 HA:

iaja ja

2 IN: er veifi dafi sie * j a

isch ja klar

20 HA: sach immer mensch n e u doch emol aa des geld * sigsch emol S. 10 1 HA: vie~sch misch rumreiße muß * —>nä n ä behalt's ner 2 KR:

jaja

3 KR: des is bequemlichkeit 4 KL: LACHT

ähä des glaub ischj

des wolln die

386 5 6 7 8

Werner KaUmeyer / Inken

Keim

NA: ja un schbar noch debei dann alles nitt HÜ: KR: ähäl KL: Banner netJ. h» K: THEMEIHECHSEL: ÜBERS BASTELH

6.

Regeln des Sprechens, Erzählstile, soziale Typisierungen, Sprachvariation und Symbolisierungsverfahren unter Jugendlichen der Kerngesellschaft in Neckarau KARL-HEINZ BAUSCH

1.

Einleitung

389

2.

Sozialer K o n t e x t , d i e G r u p p e u n d der G e s p r ä c h s a u s s c h n i t t

390

3. 3.1. 3.2. 3.3.

R e g e l n des S p r e c h e n s Thematisierungsverfahren und Einbettungsregeln Annas Sequenzierungsverfahren Regeln für den Umgang mit der Aktivität Erzählen

393 394 400 402

4. 4.1. 4.2. 4.3. 4.4. 4.5.

Erzählstile u n d G r u p p e n i d e n t i t ä t Normale und expandierte Form des Erzählens Sachverhaltsdarstellung in der Normalform Annas szenisches Erzählen Erzähltechniken in der Gruppe Der Erzählstil von Anna und der Gruppe

403 404 405 407 415 418

5. 5.1. 5.2. 5.3. 5.4. 5.4.1. 5.4.2. 5.5.

Soziale T y p i s i e r u n g e n u n d K a t e g o r i e n Die soziale Bedeutung des Geschichten-Erzählens Die Typisierung der Erzählerin Anna Das Orientierungsmuster für die Institution Schule Die soziale Bedeutung des erzählten Konflikts Die Kategorisierung der Lehrerin Die Art der Konfliktbearbeitung Typisierungen und Orientierungsmuster der Jugendlichen

420 420 421 421 423 423 426 428

6. 6.1. 6.2. 6.2.1. 6.2.2. 6.2.3. 6.2.4. 6.2.5. 6.3.

Sprachvariation u n d Sprachorientierimg Zur Sprachorientierung in der Kerngesellschaft Sprachvariation in der Jugendgruppe Zur internen Ordnung des Variationsspektrums Variation im Vokalismus Variation im Konsonantismus Variation in der Morphophonologie Varianten in geschlossenen Listen Die Sprachorientierung in der Gruppe

429 430 434 435 437 440 443 446 449

388

Karl-Heinz

Bausch

7. 7.1. 7.2. 7.3.

Symbolisierungsverfahren Lexikalisierte Symbolisierungen Symbolisierende Sprachvariation Symbolisierungsverfahren in der Gruppe

451 452 455 459

8.

Z u s a m m e n f a s s u n g u n d Ausblick

461

9.

B e i s p i e l t e x t : „Die d o o f e Musiklehrerin"

463

Sprachverhalten

1.

von Jugendlichen

in

Neckarau

389

Einleitung*

Der Beitrag geht a m Beispiel der Aktivität Erzählen der Sprachverwendung und sozialen Identität einer zur Kerngesellschaft gehörenden Jugendgruppe im Mannheimer Vorort Neckarau nach. Folgende Fragen werden an einem exemplarischen Gesprächsbeispiel untersucht: - Welche Rolle spielt der Gesprächstypus Erzählen in der Diskurswelt der G r u p p e ? Dabei geht es u m die Regeln des Sprechens für den Umgang mit der Aktivität Erzählen, insbesondere u m Verfahren des Thematisierens, des Einbettens von Erzählungen in den Diskurs und u m Sequenzierungsverfahren beim Erzählen (Kap. 3). - Wodurch sind Erzählstile in der G r u p p e charakterisiert und welche Funktion haben sie für die Gruppenidentität? Der Schwerpunkt liegt hier auf der Beschreibung des Erzählstils der herausgehobenen Erzählerin und dessen Gegenüberstellung mit stilistischen Verfahren für Sachverhaltsdarstellungen in der Gruppe. Es wird gezeigt, wie die Erzählerin ihren expandierten Erzählstil - insbesondere ihr szenisches Erzählen - in die Normalverfahren der G r u p p e einbindet und dadurch ihre Rolle als Erzählertyp der G r u p p e sichert (Kap. 4). - Welche sozialen Typisierungen und Kategorien werden in der herausgehobenen Erzählung des Erzählertyps angesprochen, und welche Schlüsse lassen sie auf die gemeinsamen Werte und sozialen Orientierungen der G r u p p e nach innen und außen zu? Thematisiert werden darin Werte und soziale Orientierungen gegenüber dem Elternhaus, der Institution Schule sowie Bewertungen und Verhalten einer Lehrerin gegenüber in einem mit ihr erlebten Konflikt (Kap. 5). - Wie ist die Sprachverwendung und Sprachorientierung der Gruppe zu charakterisieren, und wie ist sie in die Sprachtradition der Kerngesellschaft eingebettet? Dabei geht es u m die Beschreibung der zwischen den Polen Standardsprache und Dialekt angesiedelten sprachlichen Normallage in der G r u p p e und u m die Verfahren, mit denen sie dialektale Elemente in ihre Normallage übernimmt (Kap. 6). - Zum Schluß wird der Frage nachgegangen, welche die charakteristischen sprachlichen Symbolisierungsverfahren sind, mit denen die Erzählerin ihre Zugehörigkeit zur G r u p p e und die Abgrenzung anderen gegenüber signalisiert. Beschrieben wird insbesondere die soziale Bedeutung von lexikalisierten Symbolisierungen und von symbolisierender Sprachvariation (Kap. 7). Die Aktivität Erzählen h a b e ich herausgegriffen, weil sie nach meinen Beobachtungen eine in der Kerngesellschaft bewußt gehandhabte verbale Aktivität zu sein scheint. Das Erzählen von eigenen oder fremden Erlebnissen oder ortsbezogenen historischen Ereignissen gehört zu den herausgehobenen Aktivitäten * AbschluB des Manuskripts November 1989

390

Karl-Heinz

Bausch

in Gruppen der Kerngesellschaft. In Interviews wurde ich auf Personen aufmerksam gemacht, die gut erzählen konnten (da kann mer stundelang zuhere). In den Gruppen gab es immer wieder herausgehobene Erzählertypen, denen die Beteiligten gern zuhörten. Erlebte Konflikte wurden gelegentlich so aufbereitet, daß sie ihre sachverhaltsbezogene Dramatik verloren und dadurch zur unterhaltsamen Geschichte wurden. Selbst Witze wurden in Form von ErlebnisErzählungen präsentiert. Erzählen hat in den Gruppen demnach eine doppelte Funktion: Es ist ein Mittel zur Überlieferung gemeinsamen Wissens und zum Aushandeln sozialer Orientierungen, es ist aber auch ein Element der Unterhaltung. Zum Erzählen in dieser doppelten Funktion braucht es einerseits der Rolle eines Erzählers, der im Erzählen sich selbst darstellt und seine persönliche Identität festigt, andererseits der Bereitschaft der Gruppe, die ihm die Gelegenheit dazu gibt, weil seine Erzählungen Anlaß geben, die soziale Identität der Gruppe auszuhandeln. Die Altersgruppe der Jugendlichen wurde gewählt, weil sich Jugendliche soziologisch gesehen in einer Ubergangsphase befinden. Einerseits vergesellschaften sie sich für kurze Zeit in Subkulturen von Peer-Gruppen, andererseits stehen sie im sozialen Kontakt (und Konflikt) zur Erwachsenenwelt. Dieser Ubergangsstatus schlägt sich sowohl in ihrem sozialen als auch in ihrem sprachlichen Verhalten nieder. Die Analyse dieses Verhaltens in der verbalen Kommunikation Jugendlicher läßt Schlüsse auf ihre sprachliche und soziale Einbettung und auf die Struktur der Ortsgemeinschaft zu. Im Gesprächsbeispiel werden typische Segmente der sozialen Welt Jugendlicher, das sind Freundschaft, Elternhaus und Schule, und typische Symbolisierungen und soziale Typisierungen vorgeführt. In ihm werden Anlässe, eine Erzählung zu etablieren, zunächst nicht aufgenommen, bis die in der Gruppe herausgehobene Erzählerin selbst die Initiative ergreift. Eine Erzählung der herausgehobenen Erzählerin wurde herangezogen, weil sich an ihr die Selbstdefinition des Erzählertyps, sein Individualstil und - in seinen Erzählverfahren und an den Reaktionen der Beteiligten darauf - Erzählstile in der Gruppe rekonstruieren lassen. An ihm läßt sich auch zeigen, daß schon unter Jugendlichen eine Figur in der Rolle des Erzählers eine Bühne zur Darstellung persönlicher Identität bekommt, wenn sie mit entsprechenden Regeln des Sprechens eine Erzählung einbettet und durchführt. Geschichten erzählen ist schon unter Jugendlichen der Kerngesellschaft eine in deren Diskurs weit integrierte Aktivität. 2.

Sozialer Kontext, die Gruppe und der Gesprächsausschnitt

Der 1899 eingemeindete, an den Mannheimer Stadtkern angebundene Vorort Neckarau hat vom Ortsbild und der ökonomischen Struktur her gesehen den Charakter einer Kleinstadt (ca. 27.000 Einwohner, Einkaufszentrum, ältere und neuere Wohngebiete, Industrie und Handwerk, nur ein landwirtschaftlicher Betrieb). Die ausgebaute Infrastruktur (diversifiziertes Einkaufsangebot, differenziertes Aus- und Fortbildungsangebot, eine große Zahl an Arbeitsplätzen, über

Sprachverhalten

von Jugendlichen

in

Neckarau

391

60 Geselligkeitsvereine, ca. 50 Gaststätten) 1 verleiht dem Vorort im Bewußtsein der Einwohner einen hohen Grad an Autonomie. 2 Die dichte Bebauung mit vorwiegend Ein- bis Dreifamilienhäusern und kleinen Mietshäusern, meist in Pfivatbesitz, lassen das Ortsbild durchsichtig erscheinen. 3 Die Einwohner sind Angestellte, Arbeiter und Selbständige (Handwerker und Kleinunternehmer). Ein geringer Teil von ihnen lebt seit mehreren Generationen im Ort. Historisch geprägt ist die Ortsgemeinschaft durch Zuwanderungsschübe Ende des letzten Jahrhunderts, in den zwanziger, den fünfziger und in den sechziger Jahren dieses Jahrhunderts, die zu einer Amalgamierung zwischen Alteingesessenen und Zuwanderern geführt haben. In dieser Zeit hat der Ort eine Wandlung vom Arbeiterbauerndorf zur Kleinstadt vollzogen.4 Heute besteht aus unterschiedlicher Perspektive das Bewußtsein, Residenzdauer und Beteiligung an lokalen Geselligkeitsformen mache Zugezogene automatisch zu Einheimischen. Die Integration in die Kerngesellschaft geschieht hauptsächlich über die Vereine, über vereinsähnliche Organisationen und über Nachbarschaftsbeziehungen. Aus Freunden von Freunden konstituieren sich die zentralen sozialen Netzwerke der Kerngesellschaft. 5 Lokale Orientierung und Fähigkeit zur Selbstorganisation prägen ihre soziale Identität. In diesem Beitrag wird das Sprachverhalten einer Initiativgruppe aus der Kerngesellschaft untersucht, deren Treffen ich von März bis Juli 1984 beobachtet und auf Band aufgenommen habe. Sie wurde zur Jahreswende 1983/84 von jüngeren Erwachsenen und Schülern ohne einen formalen Gründungsakt eingerichtet. Sie wollte durch unterschiedliche Aktivitäten (Dokumentation, Resolution, Unterschriftensammlung, Werbeveranstaltung) den Bedarf für ein Freizeitzentrum für Jugendliche nachweisen, um die Stadtverwaltung als potentiellen Geldge1

Ausgeführt in Bausch (1986, Kap. 2.1.2., 2.2., 3.1.2., und 3.3.1Λ. Die im Vergleich zu anderen Stadtbezirken gute infrastrukturelle Versorgung belegen auch die statistischen Angaben im Sozialatlas Mannheim (1986).

2

Das Bewußtsein der Bewohner, Neckarau sei autonom, schlägt sich auch in ihren Urteilen zur Abgrenzung gegenüber den anderen Stadtteilen und dem Stadtzentrum nieder. Siehe dazu Bausch (1986, Kap. 1.4.).

3

Auf den Zusammenhang von Baustruktur, Kontaktchancen und Ortsbezogenheit in der Großstadt wird in der soziologischen Literatur besonders seit den 60er Jahren (Lynch 1960) immer wieder hingewiesen. Siehe z.B. Bodzenta u.a. (1981, S. 64) zu Wiener Stadtbezirken. Günter (1980, S. 95-99) nennt „Maßstäblichkeit und Überschaubarkeit", „räumliche Fixpunkte", „unterscheidbare, identifizierbare Elemente", „Funktionsmischung und Territorialität" als Bestimmungsmerkmale für einen „prokommunikativen Raum", durch die Ortsbezogenheit gefördert wird.

4

Zur Ortsentwicklung von 1880 bis heute siehe Bausch/Probst (1984, S. 11-16).

5

Zur Kerngesellschaft zählen die Einwohner, die in ihren Einstellungen und Handlungsorientierungen lokal orientiert sind und ein gemeinsames Wissen über den „echten Neckarauer" haben, siehe dazu Bausch (1986, Kap. 4.1.). Vgl. auch die anthropologische Untersuchung der Zugehörigkeit zur Kerngesellschaft am Beispiel eines englischen Dorfes in Strathern (1981).

392

Karl-Heinz

Bausch

ber für ein entsprechendes Vorhaben in Zugzwang zu bringen. Der Kern der Gruppe bestand aus zehn Personen, von denen jeweils zwischen vier und acht an den Treffen teilnahmen. Die Treffen bildeten für die Teilnehmer einen weiteren Ereignistyp im Netzwerk von Freunden und Bekannten. So definierten z.B. zwei Teilnehmer die Gruppe: A: die meiste hier sin schonn e:wisch zvsamme B: net e:wisch awwer mir sin halt so mitenander

befreundet

Genau genommen rekrutierte sich die Gruppe aus zwei Cliquen mit sich überschneidenden Aktivitätsfeldern. Die eine bestand aus vier Erwachsenen zwischen 20 und 30 Jahren (drei Angestellte und eine Hausfrau), von denen zwei im Ort geboren und zwei aus dem Stadtkern zugezogen waren. Sie hatten sich auf dem Feld lokalpolitischer Aktivitäten kennengelernt. Die andere Clique bestand aus 8 Jugendlichen (Realschülern und Gymnasiasten zwischen 14 und 18 Jahren aus Arbeiter- und Angestellten-Elternhäusern), die sich in Nachbarschaften, Jugendgruppen der Kirchen und Sportvereinen kennengelernt hatten. Mitglieder beider Cliquen waren vor und zur Zeit der Initiative auch gemeinsam im sozialpolitischen Bereich aktiv. Die sprachliche Normallage der Teilnehmer war an der lokalen bis regionalen Varietät orientiert. Fremden gegenüber und in formalen Situationen verwendeten sie dagegen eine am überregionalen Standard orientierte Sprachlage. Alle Mitglieder verwendeten untereinander die Du-Anrede bzw. den Vornamen oder Spitznamen. 6 Die Treffen fanden in der Regel wöchentlich statt auf wechselnden Schauplätzen (Raum einer Institution, Wohnung eines Mitglieds, auf einem vor der Institution gelegenen Freigelände). Schauplätze und Schauplatzwechsel weisen auf eine informelle soziale Organisation der Gruppe. Die Treffen hatten zwei Komponenten: 1. Planen der nächsten Aktivitätsschritte der Initiative, 2. geselliger Austausch über die gemeinsame soziale Welt. Komponente 1, das Planen, lag normalerweise zeitlich in der Mitte der Treffen. In ihr wurden u.a. eine zentrierte Gesprächsführung und die für Planungsbesprechungen in der Kerngesellschaft geläufigen Verfahren eingeübt. Komponente 2, der gesellige Austausch, hatte auch die Funktion einer Nachrichtenbörse. In ihr gab es keine ersichtliche Zentrierung in der Gesprächsführung. Während der Komponente Planen waren die Jugendlichen und Erwachsenen etwa gleich aktiv, in der Komponente geselliger Austausch dagegen waren die Jugendlichen aktiver. Zusammenfassend kann man die Jugendinitiative folgendermaßen charakterisieren: Von der Gründungsgeschichte und ihrem organisatorischen Rahmen her gesehen ist sie eine informelle Gruppe. Unter dem Gesichtspunkt ihrer Aktivitäten zeigt sie eine Mischung zwischen Aufgabenorientierung und geselli6

Zur Sprachorientierung in der Ortsgemeinschaft siehe Bausch (1986, Kap. 6.1.3.) und Bausch/Davies (1988).

Sprachverhalten von Jugendlichen in Neckarau

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gem Austausch. Im Sozialstatus ihrer Mitglieder, in ihrer Zusammensetzung als Freunde von Freunden, in ihrer Bereitschaft zur Selbstorganisation und in ihrem Sprachverhalten ist die Initiative eine für die Kerngesellschaft typische Gruppe. Der herangezogene Gesprächsausschnitt „Die doofe Musiklehrerin" stammt aus der Anfangsphase eines Treffens und gehört zur Komponente 2, dem geselligen Austausch. Die Sprecher sind zwei befreundete Schülerinnen. Anna ist 16 Jahre alt, in Neckarau geboren und besucht das unter kirchlicher Trägerschaft stehende dortige Gymnasium. Britta ist 15 Jahre alt, ebenfalls in Neckarau geboren und Schülerin der dortigen Realschule. Der Gesprächsausschnitt ist unter zwei Aspekten typisch für die Komponente geselliger Austausch: - Die darin vorkommende Thematisierung von Gruppennormen und sozialen Bewertungen von Gruppenmitgliedern ist ein zentraler Gesprächsgegenstand in der Komponente 2. - Anna ist eine durch ihren Kommunikationsstil herausgehobene Figur während des geselligen Austausche. Das wird auch von Gruppenmitgliedern thematisiert. Der Gesprächsausschnitt stammt aus folgender Szene: Die Jugendlichen warten am Treffpunkt im Freien auf Peter, der die Schlüsselgewalt über den Tagungsraum hat. Sie tauschen Erlebnisse der vergangenen Woche aus. Ein Beteiligter kommt kurz auf die nicht anwesende Nina zu sprechen, von der die Anwesenden wissen, daß sie auf Klassenfahrt ist. Die mit Nina befreundete Anna fragt Ninas Schwester Britta, ob Nina ihr geschrieben habe (hot se näd gschriwwe). Mit dieser Sequenz beginnt der Gesprächsausschnitt. Der Ausschnitt endet mit der Auflösung der Szene. Anna sieht den inzwischen eingetroffenen Peter in ca. 15 Meter Entfernung, ruft ihm zu: Peter Peter wo bisch=n üwwerhaupt gewese, steht auf und läuft zu ihm, um ihn überschwenglich zu begrüßen und ihm zugleich vorzuwerfen, daß er kürzlich bei einem anderen Treffen vermißt wurde. Die am Gesprächsausschnitt Beteiligten sehen Anna zu, um sich dann ebenfalls anzuschließen (siehe das Transkript des Gesprächsausschnitts am Ende des Beitrags). 3.

R e g e l n des Sprechens

Wenden wir uns zunächst der Frage zu, welche Rolle die Aktivität Erzählen und der Gesprächstypus Erzählung in der Gruppe einnehmen. Die Art und Weise, in der eine Erzählung initiiert, sequenziert und von der Gruppe bearbeitet wird, läßt einerseits Schlüsse auf übergreifende Normen und sprachliche Regeln für das Aushandeln sozialer Identität zu, andererseits gibt sie auch Aufschluß über die Rollenzuschreibungen in der Gruppe. Hierbei handelt es sich um Normen und Regeln in der wechselseitigen verbalen Interaktion, die die Beteiligten aufgrund ihrer gemeinsamen Wissensbestände und Erfahrungen mit bestimm-

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ten Redeweisen, Gegenständen oder Mitteilungsformen verbinden. Hymes hat dafür den Terminus „rules of speaking" vorgeschlagen: "Rules of speaking are the ways in which speakers associate particular modes of speaking, topics or message forms, with particular settings and activities. The concern is, first of all, with the attitudes and knowledge of the members of the community, as manifest in contrasts in native terminologies and conduct." (Gumperz/Hymes 1972, S. 36)

Am Gesprächsbeispiel wird den Thematisierungsverfahren, Annas Verfahren zur Einbettung ihrer Erzählung in den Diskurs und ihrem Sequenzierungsverfahren in der Erzählung nachgegangen, um Regeln für den Umgang mit der Aktivität Erzählen in der Gruppe formulieren zu können. 3.1.

Thematisierungsverfahren und Einbettungsregeln

Sehen wir uns zunächst das Gesprächsbeispiel bis zu dem Punkt an, an dem Anna mit ihrer Erzählung einsetzt. Thematisch zentral in dieser Gesprächsphase ist das Erörtern von Ninas Verhalten den Beteiligten gegenüber und das Verhalten der Beteiligten Nina gegenüber: 1 A:hot se näd gschriwwej 2 B:

nä s i e gibt mer die adressj *

3 B: ne un do fängt"β halt grad δ Freinsheim soundsovielde 4 A: nhm 5 B: —•Dahn heeßt des ding nej ·un K: «GEHOBENE 46 A: so] un/ * na nänt se dannf« * Κ: TONLAGE* 47 A: *—•ja un an »ein platz ghockt

51 A: >hat se geaeint «gäll * isch hab den arreschd K: ZURÜCKFALLEND « 54 A: no rischdisch provoziert haww»sch «gäll aei dasch in die eck geschaisse K: FÄLLIG«

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56 Α: tun hab misch'· stuhl gsetzt gellt total Κ: »LÄCHELND t 57 A: uffgeregt *

naja no is»se mi>m arrestzettel

58 Α: ο:gerückt] · hab isch ned uff»s dadum 59 A: geguckt] gell], * ghabt gell] —>no hot se gmänt 61 A: »ein: verweis]» * dann war isch beim Κ: ÜBERGEHEND» 64 A: schülersprescher] do-m schülersprescher 65 A: hiegelatscht]. · η da meint se eh daß äh daß daß/ 66 A: tun seisch K: NORMALLAGE ÜBERGEHEND» 68 A: warum] * weil die jungs die ham=mir~n zettel 69 A: geschriebnf * äh t —bliebe goldische Anna warum K: »WOHLGEFALLEN AUSDRÜCKENDE 70 A: hast du denn heute mittag keine zeit» gell * Κ: TONLAGE» 71 A: ja un»na hat»s voll geknallt], * —>die hat jetz voll die meinung von mir gell] 76 A: * * tdes fand=sch total doof gellj * da hat se mir/ da bin isch zu spät/ >da hat se geeeint/ 9

Dressler u.a. (1976) weisen auf für Schnellsprechen typische „phonologische Prozesse" hin, zu denen auch Verschleifungen zählen.

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Zu den die Sachverhaltsdarstellung straffenden und kondensierenden Verfahren siehe Kallmeyer/Schütze (1977).

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(41-46) bin glei in die kirsch neigschlappt ja war»sch»s erschdes in der kirsch >na haww»isch des gsacht * isch hab grad ke e|
i s c h b i n n e " d j zu

Durch prosodische Mittel (Veränderung von Tonlage, Lautstärke, Akzent) markiert A n n a die Sequenz als direkte Redewiedergabe u n d stellt sich dadurch als entschiedene Kontrahentin der Lehrerin dar, ohne dies in der Semantik der Redeeinleitung zusätzlich zu markieren. 1 7 15

Redeerwähnung 1 (42-44): Redeeinleitung: Neutrale Selbstcharakterisierung durch „sagen". Referierperspektive: Indirekt. Durch das kataphorische des in der nachgestellten Redeeinleitung ist die vorangehende Sequenz war=sch=s erschdes in der kirsch sowohl ein Bericht als auch eine Redewiedergabe. Prosodische Kontur: Schneller, leiser, ruhige gleichgültig wirkende Tonlage. Sprachvariation: Unmarkiert, im Rahmen der Normallage.

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Redeerwähnung 2 (44f.): Redeeinleitung: Charakterisierung der Lehrerin als emotionsgeladen durch „voll aufgeregt". Referierperspektive: Indirekt, markiert durch Personaldeixis. Der analytische Konjunktiv zusammen mit un so läßt zwei Interpretationen zu: - Nach präskriptiven Grammatikregeln zeigt der Konjunktiv indirekte Referierperspektive an. Dann referiert A n n a die Behauptung des Zuspätkommens und markiert mit „und so", dafi sie hier die in S 1 gegebene Begründung ausspart. - Konjunktiv markiert die Sequenz als elliptischen Konditionalsatz. Dann gibt A n n a hier die von der Lehrerin angewendete Regel wieder in dem Sinne: 'Du würdest zu spät kommen, selbst wenn du als erster in der Kirche bist/warst/wärst'. Prosodische Kontur: Normales Sprechtempo, Anheben der Stimme, womit sie bereits die künftige Tonlagen-Markierung der Lehrerin andeutet. Sprachvariation: Unmarkiert im Rahmen der Normallage.

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Redeerwähnung 3 (47f.V. Redeeinleitung: Neutrale Selbstcharakterisierung durch „sagen". Referierperspektive: Direkt, markiert durch Prosodie. Die syntaktische Form „habe ich gesagt - es war recht, ich bin nicht zu spät gekommen" ist bezüglich der Referierperspektive unter syntaktischem Aspekt mehrdeutig, da es in der Personaldeixis zwischen direkt und indirekt hier keine Verschiebungen gibt und da Indikativ in der gesprochenen Sprache nicht das Merkmal 'direkt' hat. Prosodische Kontur: Kurze zusätzliche Steigerung des Sprechtempos, Anheben der Tonlage, leicht gesteigerte Lautstärke und Akzentsetzung auf den inhaltlich zen-

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4 . ( 4 8 f . ) L: < o h | d o " c h | e i n t r a g t >un s o ] Durch die gleichen prosodischen Mittel, die sie für sich selbst in Redewiedergabe 3 verwendet hat, aber durch Intensivierung verstärkt, stellt A n n a nun die Lehrerin als drohende Kontrahentin m i t keifender Tonlage dar. Durch Auslassen der hier fakultativen Redeeinleitung intensiviert sie die szenische Darstellung der K o n f r o n t a t i o n . 1 8 5 . ( 4 9 f . ) A: < h a - s c h g e e i n t ] wennj du nischt in»n arrest kommst »eh bekommst ei/ ge/ dann bekommst du > e i n : verweis].

Prosodische Kontur: Anheben der Tonlage im Antezedens des Konditionalsatzes wie schon oben in der vierten Redewiedergabe. Im Konsequens sinkt die Tonlage wieder fast bis zur Normallage ab. Sprachvariation: Markiert durch Verschiebung zum überregionalen Standard hin in: - Lexik: „aufmüpfig" gehört zum standardsprachlichen Stil. In der Gruppe werden dafür die Teilsynonyme „frech" oder „motzen" verwendet. Für das Adverb „gleich" verwendet sie die Standard-Variante, die sie auch in langsamer gesprochenem Kontext verwendet (siehe (38) und dagegen glei in (39) und (40)). - Morphologie: Die schwachtonige Endsilbe -en in stunden verschiebt sie zum extremen Standard hin. Ihre Skalierung vom Dialekt zum Standard ist: Schwa —tn —>Schwa + η (vgl. dazu z.B. (22) begleide, (28) hawwe, (45) kumme, (69, 71) geschriebn, (66) anzulügen. - Konsonantismus: Parallelisiert mit der prosodischen Kontur der Lehrerinnenrede wechselt sie im Antezedens vom dialektalen sch/schd (vgl. z.B. (43) erschdes, (67) weisch, (76) bisch) zum standardsprachlichen st in kannst. Mit dem Nachlassen der prosodischen Kontur im Konsequens wechselt sie wieder zur sehr konsistenten dialektalen Variante schd in arreschd (siehe auch (53)). 21

Redeerwähnung 7 (53-56): Redeeinleitung: Provozierend, im szenischen Hinweis indirekt markiert durch die Lexik „provozieren ... Tasche in die Ecke geschmissen" und Prosodie. Damit charakterisiert sie ihr eigenes Verhalten als berechnet. Referierperspektive: Direkt, markiert durch Interjektion. Prosodische Kontur: Senken der Tonlage im szenischen Hinweis der Redeeinleitung. In der Redewiedergabe wird sie etwas lauter, die Dehnung des Langvokals in nä: und die Akzentuierung beider Wörter vermitteln den Eindruck von Souveränität. Das Lächeln während der gesamten Sequenz bestimmt die Artikulation. Diese prosodische Kontur legt die Paraphrase nahe: 'Ich bin nach dem euch vertrauten Provokationsritual verfahren'. Sprachvariation: Unmarkiert im Rahmen der Normallage.

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Die schon in den Redewiedergaben 4 und 6 aufgebaute prosodische Charakterisierung wird beibehalten und die in Redewiedergabe 6 zugefügte phonologische Markierung in Richtung Standard verfestigt. 22 9. (65-67) L: η da «eint se eh dafl äh daß daß/ nischt), die in der G r u p p e konventionalisierte Variante f ü r das hier verwendete s t a n d a r d s p r a c h l i c h e „irgendeine" ist irgend e / irgend ne. D a s schwachtonige M o r p h e m -en (in der dialektalen Form der Schwa-Vokal) wird in lügen, verzählen zur extremen s t a n d a r d s p r a c h l i chen Variante -en verschoben. Dialektales sch f ü r -st wird aufgegeben (brauchsch) —*brauchst). „Story", das im g r u p p e n i n t e r n e n Gebrauch phonologisch assimiliert (ein Lehnwort) ist ( s c h d o r y ) , wird hier mit initialem st- als F r e m d w o r t realisiert. Parallel mit d e m Z u r ü c k n e h m e n der Prosodie in die Normallage begeht A n n a zwei Stilbrüche auf lexikalischer Ebene: „Story" ist in der G r u p p e als jugendsprachlich m a r k i e r t (aus ihrer Perspektive nicht im Repertoire der Lehrerin). „Erzählen" h a t

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10. (68-70) S: die jungs die ha*"*ir«n Zettel geschriebnj »

äh —»-liebe

goldische Anna w a n n hast du denn heute mittag keine zeit-n —>-en mit zentralisierter Aussprache des -e).

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zunächst eine indirekte Wiedergabe. Sie könnte durch die Abschwächung die Einführung und den Abgang der Lehrerin gesprächsorganisatorisch markiert haben. Näherliegend ist - weitere Gesprächsbeispiele weisen darauf hin - , daß generell gilt: Das prosodische (und phonologische) Variationspotential - und damit auch die Symbolisierungsmöglichkeiten - ist bei indirekter Redewiedergabe begrenzter als bei direkter. Danach kann in beiden Fällen aus strukturellen Gründen (keine Option) bzw. aus psychologischen Gründen (nur teilweise geänderte Redeplanung) Prosodie als symbolisierendes Verfahren nicht zentral sein. In Kap. 4.1. wurde festgestellt, daß Anna die Expansion der Erzählung durch Redewiedergaben, gesteigertes Sprechtempo und verbale Kommentare als weniger erzählrelevante Sequenzen markiert. 'Weniger erzählrelevant' kann nun weiter präzisiert werden, wenn man Annas Technik der Redeerwähnungen mit Redeerwähnungen in Erzählsequenzen anderer Gruppenmitglieder vergleicht. Durch Steigern des Sprechtempos werden in der Gruppe gelegentlich scherzhafte oder von der Thematik her untergeordnete Sequenzen markiert. Ein typisches Beispiel dafür finden wir in folgendem Ausschnitt aus einem anderen Treffen: Fritz hat sein Feuerzeug vergessen. Nachdem zwei später Kommende die Frage nach Feuer negativ beantwortet haben, stellt Peter den nicht ernsthaft gemeinten Antrag auf Rauchverbot. Maria inszeniert darauf ein Abstimmungsverfahren, wobei sie durch starkes Steigern des Sprechtempos dessen Fiktivität markiert: HELENE KOMMT HEREIN F: Helene hasch du feuer H: gudn tach M: n=abend H: was feuer F: ja hasch du ·ο1 feuer HELENE VERNEINT DURCH KOPFSCHÜTTELN P: so»n ai"st nei":n isch bin also stell den P: antrag auf nischtrauchen während der sitzung M: während der sitzung genau —»isch befürworte den —• M: antrag aehrheitlisch angenoaae abgschdint ferdisch

Analog ist Anncis prosodisches Verfahren in der Expansion der Erzählung. Zieht man dazu noch in Betracht, daß die Erzählung von ihr als expandierte Begründungsstruktur thematisch eingebettet ist, als ein Paket präsentiert wird (siehe oben Kap. 3.1.) und die Zuhörer keinen Anlaß sehen, das erzählte Ereignis zu verarbeiten (siehe oben 3.2.), liegt der Schluß nahe, daß die soziale Funktion der Erzählung nicht in ihrer Bearbeitungswürdigkeit liegt, sondern eher in der Darstellungsform. Sie fungiert als Selbstdarstellung von Anna als dem Erzählertyp der Gruppe und hat für die Gruppe den erwarteten Unterhai-

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tungswert. Es ist wieder „ein Schwank aus ihrem Leben", u m die Worte von Gruppenmitgliedern zu gebrauchen. In den Redewiedergaben 3, 4, 5, 7 und 8 s=war re:schd; oh doch eintrag; na ja supä"·, nä: bidde\ verweis beschränkt sich Anna auf - oder beginnt mit - Interjektionen oder als Interjektionen fungierenden Äußerungen. D a Interjektionen Redewiedergaben als direkt markieren, können sie auch immer prosodisch im Sinne einer Wiederaufführung inszeniert werden. Die extensive prosodische Markierung von Interjektionen und deren häufiger Gebrauch ist geradezu eine Darstellungstechnik in der Gruppe. Hier ein typisches Beispiel: T h e m a ist die Beziehung eines abwesenden Gruppenmitglieds zu seiner Mutter. M: die is de Lindenberg gru:pie par excello:s M: vorre β* o:h *t derre ihr >udder is scho Κ: «VERZWEIFELT* M: ganz entnervt * sagt-sch «kann de Lindeberg K: «IMITIERT M: nimeer he:re venn~sch sei platt seh krieg isch K: EINEN VERZWEIFELT WIRKENDEN M: zuschdänd* no iährt se für ihr ganzes geld/ alles K: AUSRUF« M: geht für Lindenberg druff

Maria beginnt die direkte Redewiedergabe mit der Interjektion o:h, darauf folgt eine die Redeweise der Redefigur charakterisierende Redeeinleitung mit verbum dicendi derre ihr mudder is scho ganz entnervt * [sie] sagt, danach expandiert sie die Interjektion u m einen Ausdruck mit gleicher Funktion: Sie spielt die Rolle der Redefigur, indem sie eine verzweifelt wirkende Sprechweise verwendet. Ganz analog verfährt A n n a in den Redewiedergaben 3 und 8. Auch sie verwendet sprechercharakterisierende Ausdrücke gleicher syntaktischer Struktur (vgl. Marias ganz entnervt mit Annas voll uffgeregt in (44f.)). Verhaltenscharakterisierende Ausdrücke und prosodische Markierung sind nicht nur in Erzählungen, sondern allgemein im Reden über Dritte eine übliche Darstellungstechnik in der Gruppe. Ausgeprägt ist sie in folgender Sequenz, in der über einen gemeinsamen Bekannten geredet wird, der sich zum Rocker entwickelt haben soll. Peter wirft ein: P: sieht «er des ob eener rocker is

worauf Nina erläutert: N: des siehsch ja an denne typen ait dene er N: halt zusaaae is «ja un so vie die typen reden« K: «MIT AUFEINANDER GEBISSENEN ZÄHNEN*

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Α: im so vie er redet H: ja genau vie er rumschvallt auch

Nicht durch phonologische Imitation (die Sprecherin wechselt sogar zum überregionalen Standard!), sondern durch die prosodische Kontur, die durch das Durch-die-Zähne Sprechen entsteht, wird die Redeweise der Rocker symbolisiert. Ein auf deren Verhalten hinweisender sprechercharakterisierender Ausdruck rumschwallen komplettiert die Typisierung des Rockers. 26 Anna häuft demnach in ihren expandierten Erzählungen die in der Gruppe üblichen Darstellungstechniken an. Annas von der Gruppe abweichender Erzählstil in ihrer expandierten Erzählung wird am Ubergang zu Redewiedergabe 8 bis einschließlich Wiedergabe 9 deutlich (siehe oben und Anm. 22 und 23). In (57) deutet sie bereits ihre Uberdetaillierung an, fahrt aber trotzdem in Redewiedergabe 8 nochmals expandierend fort. Sie beginnt zwar dem Gruppenstil entsprechend mit einer Interjektion (61) verweis,

f ä h r t a b e r m i t der E x p a n s i o n wenn du [...] bekommst

du ein:

ver-

weis fort. Daß sie bei der Expansion (wie auch schon in Redewiedergabe 6) die prosodische Markierung nicht durchhält und vom Standard weg wieder in ihre Normallage fällt, ist ein weiteres Indiz dafür, daß sie mit der Expansion vom Erzählstil der Gruppe abweicht. Die Redewiedergabe 9 (65f.) plant sie als indirekte Wiedergabe da meint se eh daß äh daß daß/, wechselt aber dann doch in ihren persönlichen Erzählstil mit direkter Rede. Diese Reparatur legt nahe, daß sie hier ihre Expansionstechnik intuitiv zum Gruppenstil in Beziehung setzt, sie aber noch nicht verläßt. 4.5.

Der Erzählstil von Anna und der Gruppe

Der Vergleich von Annas Erzähltechnik in der Expansion ihrer Erzählung mit Darstellungstechniken für das Reden über Dritte in der Gruppe zeigt: Für den Normalstil des Erzählens/Redens über Dritte haben die Mitglieder der Gruppe folgende Orientierungen: 1. Man faßt sich kurz. Wenn man das Ereignis ausschmückt, läuft man Gefahr, blockiert zu werden. 2. Beim Ubergang zu einer Erzählung behält man normales Sprechtempo und normale Prosodie bei. 3. Man konzentriert die Darstellung auf eine selbstdistanzierende (selbstkritische) Interpretation des Sachverhalts. 4. Wenn man eine Redefigur charakterisiert, verwendet man: - sprechercharakterisierende Ausdrücke, !6

„Rumschwallen" verwendet die Gruppe im Sinne von 'angeben', 'sich wichtig tun'. Es bewertet negativ eine selbstbewufite Art des Auftretens, hinter der nichts steckt. Henne (1986, S. 180), führt „Schwaller" als Bezeichnung für 'Lehrer' unter Mannheimer Schülern an.

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- die Figur charakterisierende prosodische Markierungen, - nur sparsam direkte Redewiedergaben, dabei bevorzugt man Interjektionen oder interjektionsverwandte Ausdrücke. 5. Phonologische Variation zur Charakterisierung in Redewiedergaben ist nicht üblich. Wird sie verwendet, verweist sie eher auf Domänen als auf soziale Kategorien. Dem gegenüber steht der herausgehobene Erzählstil von Anna, die dafür in der Gruppe das Initiativrecht hat. Zur erfolgreichen Durchführung ihrer expandierten Erzählungen geht sie von folgenden Orientierungen aus: 1. Charakterisiere das zu erzählende Ereignis durch Techniken der Expansion und Sequenzierung so, daß die Erzählung unter dem Aspekt Selbstdarstellung und Unterhaltungswert gesehen wird und deshalb für die Beteiligten kaum kommentierungsbedürftig ist. 2. Schlüssele durch Wechsel des Sprechtempos und gesprächsorganisatorische Markierungen die Erzählung in Sequenzen der Normalform und Sequenzen der Expansion auf. 3. Richte in der in normalem Sprechtempo zu sprechenden Normalform den Fokus auf eine selbstdistanzierte (selbstkritische) Verarbeitung und Interpretation des Ereignisses. Dadurch bleibst du im Rahmen des Gruppenstils. 4. Erhöhe in der Expansion das Sprechtempo, um den Beteiligten die Rollenübernahme als Erzählerin zu signalisieren. Wechsle die Darstellungsperspektive hin zur szenischen Aufführung und konturiere dich darin zum engagierten Akteur. 5. Bleibe im Rahmen der in der Gruppe üblichen Darstellungstechniken, damit deine Erzählung akzeptiert bleibt, und wende sie kumulativ an. Zu den Techniken gehören besonders - prosodische Markierungen durch Tonhöhe, Lautstärke, expressive Vokaldehnung; - direkte Redewiedergaben, besonders in Form von Interjektionen; - für die Charakterisierung von Figuren kommt die prosodische Markierung vor der phonologischen Markierung durch Sprachvariation. Durch ihre in die Gruppennorm eingebetteten Sequenzierungsverfahren und Darstellungstechniken führt sich Anna als eine Figur vor, die ihre kommunikative Aufgabe eine Geschichte erzählen mit Routine löst. Sie hat ihre Rolle als Erzählertyp wieder einmal gesichert und damit auch ihre persönliche und soziale Identität in der Gruppe. Darüber hinaus wurde den Beteiligten vorgeführt, wie m a n eine Geschichte unterhaltend erzählt, was sicherlich deren passive stilistische Kompetenz erweitert und die Roilenzuschreibungen in der Gruppe festigt. Luckmann (1979) weist im Anschluß an Mead auf die Entwicklung persönlicher Identität von „außen" nach „innen" durch soziale Kontrolle hin. Der einzelne als Person „wird auch in seiner Identität in späteren sozialen Beziehungen, die in intersubjektiver 'Spiegelung' gründen, gestützt oder

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geschwächt". 27 Auf die Jugendgruppe übertragen heißt das: Die Gruppenmitglieder gewähren Anna den Auftritt und genießen still die Erzählung, was Anna in ihrer persönlichen Identität als aktive Erzählerin stützt und gleichzeitig ihre soziale Identität in der Rolle 'Erzählertyp' festigt. 5.

Soziale Typisierungen und Kategorien

Im folgenden geht es um die sozialen Kategorien und Typisierungen, die die Mitglieder der Jugendgruppe untereinander teilen und im Gespräch aushandeln oder aktualisieren. Dazu gehören auch für die Gruppe charakteristische sprachliche Mittel und Verfahren auf unterschiedlichen Ebenen, durch die die gemeinsamen Werte und Orientierungen im Sprechen symbolisch dargestellt werden können. Im Vordergrund dieses Kapitels steht - konzentriert auf unser Gesprächsbeispiel „die doofe Musiklehrerin" - die Untersuchung semantischer Verfahren und Lexikalisierungen. Die Funktion der phonologischen Variation als sprachliche Normallage in der Gruppe und als Identität stiftendes Symbolisierungsverfahren wird in den Kap. 6 und 7 beschrieben. Unter Typisierungen wird die in Gesprächen sich manifestierende Verarbeitung von Sachverhalten im Hinblick auf soziale Kategorisierungen und Orientierungen einer Gruppe verstanden. 28 In unserem Gesprächsbeispiel sind in diesem Sinn vier Aspekte von besonderer Bedeutung für die soziale Identität der Jugendlichen: -

Die soziale Bedeutung des Geschichten-Erzählens, die Typisierung der Erzählerin Anna, das Orientierungsmuster für die Institution Schule, die soziale Bedeutung des erzählten Konflikts.

5.1.

Die soziale Bedeutung des Geschichten-Erzählens

In Kap. 3.3. wurde bereits darauf hingewiesen, daß Annas Geschichten von Gruppenmitgliedern als 'Schwank aus ihrem Leben' typisiert sind. Während eines anderen Treffens, an dem Anna nicht teilnahm, wurde darüber geredet, daß sie sich Zugang zu einer geschlossenen Gruppe (einer Rock-Gruppe auf Deutschlandtournee) verschafft habe. Als einer die Glaubwürdigkeit des erzählten Ereignisses anzweifelt, wird der Zweifel durch die Bemerkungen: die Anna

schafft

alles * na klar u n d kennsch

doch die Anna

* die erzählt

do die

schdories ausgeräumt. Anna wird demnach eine besondere erzählerische Kompetenz zugeschrieben, durch die sie ihre Ziele erreicht. Im Gesprächsausschnitt kommt „Story" in Annas Redewiedergabe der Lehrerin in analoger Bedeutung vor (66f.): du brauchst

misch

hier nischt

anzulügen

mir irgendeine

story

zu

verzählen. In der Gruppe wird das Lexem mit der Bedeutung 'eine nicht im De27

Luckmann (1979, S. 299f.).

28

Zur Typisierung s. z.B. den Uberblickartikel „Typologie" in Kerber/Schmieder (1984).

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tail wahre, aber glaubwürdige, für die jeweilige kommunikative Aufgabe in der jeweiligen Situation funktional passende und unterhaltsame (und aufwendige) SachVerhaltsdarstellung' verwendet. Auch die Bezeichnung „Schwank" für Annas Sachverhaltsdarstellungen weist darauf hin, daß ihre Erzählungen von den Gruppenmitgliedern nicht nur unter dem Aspekt der Glaubwürdigkeit, sondern auch unter dem zu erwartenden Unterhaltungswert gedeutet werden. 29 Auch der Perspektivenwechsel der Sachverhaltsdarstellung in Anncis Expansion der Erzählung gegenüber der Normalform (siehe oben Kap. 4.2. und 4.3.) ist ein Indiz dafür, daß Anna auch hier eine besondere, als Story oder Schwank aufbereitete Geschichte präsentiert. 5.2.

Die Typisierung der Erzählerin Anna

Wie oben angedeutet, ist Anna von den Mitgliedern der Gruppe als eine Figur typisiert, „die alles schafft". Diese Deutung erfolgt nicht nur aufgrund ihrer Selbstdarstellungen in Erzählungen, sondern Anna wird von der Gruppe auch entsprechend eingesetzt. Sie ist für die Gruppe die vorbildlich Handelnde im Umgang mit fremden und kritischen Situationen. So muß sie z.B. im Auftrag der Gruppe vor einem lokalen Gremium auftreten, um dort das Verlesen einer Resolution durchzusetzen. Sie verhält sich erwartungsgemäß, setzt das Verlesen durch, indem sie durch ihr Verhalten den Sitzungsleiter dazu bringt, vom vorgegebenen institutionellen Rahmen abzuweichen. Anschließend erntet sie Lob von der Gruppe. Die Bezeichnungen story/schwank stehen in der Gruppe auch als lexikalische Markierungen für die Deutung 'geschickte Bewältigung einer erlebten Konfliktsituation', denn sie sind nur in diesem Kontext belegt. Da Annas Erzählung im Gesprächsausschnitt von den Beteiligten nicht kommentiert wird, kann man vermuten: Da Anna als geschickt und im strategischen Sinne vorbildlich Handelnde gilt, wird auch die Erzählung des Konflikts mit der Lehrerin als für Annas Verhalten typische (und für die Gruppe vorbildliche) Darstellung einer Konfliktbearbeitung in der Schule bewertet. 5.3.

Das Orientierungsmuster für die Institution Schule

Mehrfach wird der Umgang mit der Institution Schule erwähnt. Daraus lassen sich die Kategorien und Orientierungen der Schüler in der Gruppe rekonstruieren: In (14-16) und (26f.) werden die Mütter von Britta bzw. Anna als diejenigen erwähnt, die in schulischen Angelegenheiten behilflich sind. In (14-16) hat Brittas Mutter versprochen, Ninas Adresse über die Schule zu beschaffen. Anna unterstellt ihrer Mutter in (26f.), daß sie eine Entschuldigung für das Schulschwänzen geschrieben hätte, damit sie Nina zum Bus hätte begleiten können. 29

Glaubwürdig ist hier im Sinne einer „Wirklichkeit zweiter Ordnung" (Watzlawick 1978, S. 142f.) zu verstehen, d.h. glaubwürdig im Hinblick auf die Zuschreibung der Konfliktdarstellung als typisch für Annas Verhalten.

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Die Mütter werden als kooperativ bei der Bearbeitung schulischer Angelegenheiten der Töchter dargestellt. Auch die neutralen - in der Gruppe üblichen Bezeichnungen mudder in (14) und mutti in (26) weisen darauf hin, daß die Mutter-Kind-Beziehung kein grundsätzliches Problem-Thema für die Gruppe ist. 3 0 In (24f.) isch häti schvnn samstag schwänze gekonnt und in (28f.) weil mer samsiag musikarbeit geschriwwe hawwe » da war des [d.h. das Schwänzen] doch uffgfalle wägt Anna ab, unter welchen Bedingungen man die Schule schwänzen kann. Für sie gibt es eine feste Orientierung an den für sie abzusehenden Folgen: - Samstag ist Schwänzen in der Regel problemlos. Dahinter steht das Wissen, daß der Samstag unter Schülern als Unterrichtstag nicht besonders ernst genommen wird. Das Fernbleiben vom Unterricht könnte man z.B. mit familiären Verpflichtungen begründen, denn der Samstag ist für die meisten Eltern kein Arbeitstag. Außerdem wird samstags an ihrer Schule nur in Ausnahmefällen eine Klassenarbeit geschrieben. - Das Fernbleiben von einer Klassenarbeit ist dagegen schon ein das Image schädigendes Verhalten. Es könnte als Drückebergerei gedeutet werden, weil die Schüler aufgrund einer Ankündigungspflicht der Lehrer über eine anstehende Klassenarbeit vorinformiert werden. Außerdem muß man eine versäumte Arbeit in einer Freistunde nachholen. Annas Orientierungsmuster für den Schulunterricht folgt einem klaren KostenNutzen-Prinzip. Sie will Unauffälligkeit der Lehrerin gegenüber wahren und geringe Kosten tragen. In diesem Rahmen kalkuliert sie ihre Möglichkeiten. Im Gesprächsausschnitt stellt sie dieses Prinzip als ihr normales Orientierungsmuster dar, denn sie markiert es nicht als Ausnahme für den zur Debatte stehenden Fall Nina. In (41f.) und (63-65) erwähnt Anna ihren Umgang mit schulischen Verhaltensregeln. In (41f.) bin glei in die kirsch neigschlappt interpretiert sie die Teilnahme am obligatorischen Frühgottesdienst als eine Pflicht, der sie ohne Engagement nachkommt. Sie markiert das durch das Lexem „schlappen", das sie auf Aktivitäten anwendet, die sie aufgrund äußerer Gegebenheiten ohne innere Überzeugung (lustlos) vollzieht. So verwendet sie es z.B. auch in einem anderen Treffen, in dem sie berichtet, daß ein Bekannter sich zum rocker entwickelt hätte. Weil ihre Freundin das nicht glauben will, schlägt sie beiläufig vor, gemeinsam den Bekannten zu Hause zu besuchen und in Augenschein zu nehmen: A: sein bruder is der totale rocker gell Β: ach komm A: isch hab/ * toll dann schlabbe «er 30

Auffällig ist, daß die Gruppe andere in der Jugendsprache belegte Varianten nicht verwendet.

Sprachverhalten

von Jugendlichen

in

Neckarau

423

Λ: auch grad nachher vor nach Naggarau West A: dann guggsch"der«n an K: («DANN SIEHST DU IHN DIR AN)

In (63-65) erwähnt sie die Schlichtungsstelle für Konflikte, den Schülersprecher, zu dem sie mit der Lehrerin hiegelatscht ist. „Latschen" verwendet sie f ü r Routinehandlungen, die sie ohne Engagement vollzieht. Als Klassensprecherin hat sie den Schülersprecher von A m t s wegen gelegentlich einzuschalten. Sie t u t es in dem sie selbst betreffenden Fall nicht zum ersten Mal. Aus den Hinweisen auf den Umgang mit schulischen Regeln im Gesprächsausschnitt kann m a n folgendes Orientierungsmuster für den Umgang mit der Schule ableiten: Die G r u p p e schreibt den Müttern eine hohe Kooperationsbereitschaft in schulischen Angelegenheiten zu. Die Einstellung zur Teilnahme am Unterricht erfolgt nach dem Prinzip, möglichst unauffällig den eigenen Nutzen zu wahren. Sie akzeptieren eingespielte Regeln, haben aber auch Verfahren entwickelt, sie unauffällig auszuschöpfen. 5.4.

Die soziale Bedeutung des erzählten Konflikts

Oben in Kap. 3.2. wurde gezeigt, daß Anna in der Erzählung (33-75) zwei Kontroversen mit der Lehrerin darstellt. In (42-58) führt die unterschiedliche Auslegung einer Regel zu einer aus Annas Perspektive ungerechten Bestrafung. Der Höhepunkt der Kontroversen wird verdeutlicht in direkter Redewiedergabe in (47-49): Anna: s=wa=re:schd isch bin ned zu spät kumme, Lehrerin: oh doch eintrag. In (59-75) f ü h r t eine aus Nachlässigkeit nicht angetretene Strafe, verbunden mit einem anderen Vorkommnis, zum Zweifel an Anncis Glaubwürdigkeit. Die Lehrerin glaubt Annas Entschuldigung nicht, (66) du brauchst mich hier nischt anzulügen, weil sie den Inhalt einer abgefangenen Klassenpost zu Anneis Lasten bewertet, sie (73f.) liest auch noch den zettel ja un=na hat=s voll geknallt. Anna thematisiert damit besonders zwei Aspekte des Konflikts: 1. die Kategorisierung der Lehrerin und 2. die Art der Konfliktbearbeitung. 5.4.1.

Die Kategorisierung der Lehrerin

In das Handeln der Lehrerin bewertenden Lexikalisierungen bringt Anna deren Verhalten auf den P u n k t . Sie findet deren Handlungsweise (33) total doof, und analog dazu typisiert sie die Figur als (29) doof und (73) dumme kuh bzw. (74f.) voll die dumme kuh. Mit „Kuh" wird im Gesprächsausschnitt nicht nur eine externe Person, sondern auch ein Gruppenmitglied typisiert. So bezeichnet Anna in (13) Nina als faul kuh. Sie folgt hier der regional üblichen Verwendungsweise, denn kuh ist ein regional üblicher Ausdruck zur Indizierung eines punktuellen und leichten Fehlverhaltens einer weiblichen Person. Es wird auch als Selbstbezeichnung verwendet. Das männliche Pendant dazu ist „Ochs". 3 1 Anna differen31

Siehe z.B. Bräutigam (1979) oder Stoll (1984) unter dem Stichwort 'Kuh'. Unter

424

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Bausch

ziert das Fehlverhalten der beiden Personen durch Adjektive: Ninas Verhalten ist (8) blö:d, das der Lehrerin (33) total doof. Entsprechend ist Nina die (13) faul kuh, die Lehrerin die (73 und 75) (voll) dumme

kuh.

Welche soziale Bedeutung (welches Symbolisierungspotential) verbindet Anna mit den Zuschreibungen blöd, faul, doof und dumm? Ninas Fehlverhalten ist für Anna zwar als punktuelle Normverletzung tadelnswürdig (daß sie eine unvollständige Adressangabe hinterlassen hat, ist blöd, daß sie nicht geschrieben hat, rechtfertigt die Zuschreibung faul). Beides hat aber keine negativen Konsequenzen für die Beziehung Nina gegenüber. Sie versucht vielmehr, deren Fehlverhalten durch kompensierende Aktivitäten (19) dann schreib isch er zu reparieren. Die Lehrerin dagegen ist doof, weil sie Anna (30f.) sowieso schunn uff=m kicker hat und ned ausstehe kann. Eine Eigenschaft der Lehrerin ist demnach, daß sie Anna nicht vorurteilsfrei bzw. emotionsfrei beurteilt. Mit doof wird demnach kein punktuelles Fehlverhalten markiert, sondern eine negative Charaktereigenschaft einer Figur und eine dadurch gestörte und in der Weise verfestigte Beziehung. Um das zusätzlich zu verdeutlichen, gibt sie dem aktuellen Fehlverhalten der Lehrerin durch Intensivierung Gewicht. Was die „doofe" Lehrerin im vorliegenden Fall tat, ist für sie eine weitere Bestätigung der negativen Eigenschaft und damit (33) total doof. Entsprechend einzustufen ist „dumm" in der Sequenz (71-75): 71 A: isch hab so aus gäg draufgeschrieben ah ja * isch 72 Λ: steh heut mittag in der neunzehnten u n hab schirschdj 73 A: gäll * u n die duaae kuh liest auch noch den Zettel 74 A: >ja un»na hat's voll geknallt], * — K s voll die duaae 75 A: kuh >die hat jetz voll die aeinung von mir gell]

Hier verweist Anna auf zwei gravierende, die Beziehung zwischen beiden berührende Normverletzungen, die die Zuschreibung „dumm" aus ihrer Perspektive rechtfertigen. Die Lehrerin liest auch noch die abgefangene Klassenpost. Hinter auch noch steckt die Erwartung, daß ein Lehrer eine Klassenpost nicht liest, sondern ungelesen vernichtet. Mit ihrem Verhalten hat die Lehrerin gegen diese Erwartung verstoßen. Sie mißachtet die Privatsphäre der Schüler im Unterricht. Die zweite Normverletzung ist für Anna noch gravierender. Sie unterstellt, daß die Lehrerin die regelwidrig erhaltenen Informationen aus der Klassenpost in ihr Handlungskonzept integriert und gegen sie verwertet hat (74) un=na hat=s voll geknallt. Eine weitere Negativ-Eigenschaft der Lehrerin ist demnach: sie verwertet unzulässiges Belastungsmaterial. Erschwerend kommt hinzu, daß sie den Zettelinhalt nicht im von Anna gemeinten Sinn als (71) gäg versteht, sondern im übertragenen Sinne wohl ernst nimmt. Einheimischen habe ich die Selbstbewertung „so alt wie ne Kuh und lernt noch dazu" gehört, was ebenfalls auf eine schwache Typisierung hinweist.

Sprachverhalten

von Jugendlichen

Der Z e t t e l i n h a l t isch steh heut mittag

in Neckarau

in der neunzehnten

un hab schischd

425 und

dessen Folgen für die Beziehung zwischen ihr und der Lehrerin ist über Rekurs auf lokales Wissen zu erklären. Die „Neunzehnte" (Straße) steht für Einheimische als Metapher für Prostitution. Sie kann ernsthaft und spaßhaft verwendet werden. 32 Anna unterstellt der Lehrerin das entsprechende Wissen, indem sie als Folge darauf deren harte Reaktion (hat=s voll geknallt) nennt. Sie ordnet sich den Zuhörern gegenüber explizit nicht der Berufsgruppe zu, sondern bezeichnet die Notiz als gäg. Durch normale Intonation und unkommentiertes wörtliches Zitieren indiziert sie das Thema als geläufigen Gegenstand für scherzhafte Kommunikation unter Schülern. Die Reaktion der Lehrerin auf die Sequenz verdeutlicht demnach die Negativ-Eigenschaft der Lehrerin, auf das in der Diskurswelt der Schüler scherzhaft verwendete Thema Prostitution unangemessen reagiert zu haben und keinen Spaß zu verstehen. Von (73) zu (75) intensiviert Anna das Prädikat „dumm" wie auch schon „doof' von (29) zu (33). Die Lehrerin ist eine dumme kuh, weil sie regelwidrig eine Klassenpost liest und voll die dumme kuh, weil sie auch noch den Inhalt mißversteht und gegen Anna verwertet. Demnach sind doof und dumm im Gesprächsausschnitt Bezeichnungen zur Markierung von gravierendem kontinuierlichem Fehlverhalten (negativen Charaktereigenschaften) von Personen, die die gegenseitige Beziehung nachhaltig stören. Die Bezeichnungen werden demnach eher zur Symbolisierung sozialer Ausgrenzung anderen gegenüber verwendet. Auffällig ist Annas ausführliche Darstellung der Rechtslage. Sie gibt zu, daß an besagtem Tag Zeitdruck (37) da hab isch s ned gepackt und witterungsbedingte Faktoren ausschlaggebend für ihr Verhalten waren (41) do hot s so geregent, deshalb sei sie vom Normalverfahren (zum Morgenappell vor Gottesdienstbeginn im Klassenraum zu erscheinen) abgewichen (41f.) bin glei in die kirsch neigschlappt. Den Grund der Regelverletzung habe sie der Lehrerin gegenüber erklärt (43f.) na haw=isch des gsacht. Sie schildert damit ihr abweichendes Verhalten als aus ihrer Perspektive entschuldbare Ausnahme, zumal sie die Vorschrift, pünktlich am Ort zu sein (aus ihrer Perspektive der Kirchenraum), nicht verletzt hat. Sie hebt hervor, daß sie sogar als erste (42f.) in der Kirche war. Anna argumentiert am Einzelfall orientiert. Da die Lehrerin die mildernden Umstände nicht würdigt, sondern sich auf den Morgenappell im Klassenraum beruft (45f.) isch würd zu spät kumme un so schreibt sie ihr die Negativ-Eigenschaft zu, sie handele formalistisch. Aus den der Lehrerin zugeschriebenen Negativ-Eigenschaften lassen sich auch positive Eigenschaften und damit Kategorien für die Opposition 'schlechter

32

'Auf jemanden längere Zeit warten' wurde einmal paraphrasiert mit „ich habe gestanden wie in der Neunzehnten", was auf spaßhafte Verwendung hinweist.

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Lehrer'/'guter Lehrer' aus Annas Perspektive rekonstruieren. Eigenschaften des schlechten/guten Lehrers sind: - Der schlechte Lehrer urteilt emotional vorbelastet und ist nachtragend, der gute Lehrer unvoreingenommen und nicht nachtragend. - Der schlechte Lehrer mißachtet die Privatsphäre der Schüler, der gute achtet sie. - Der schlechte Lehrer verwendet unzulässiges Belastungsmaterial und ist dadurch unberechenbar, der gute tut dee nicht und ist dadurch berechenbar. - Der schlechte Lehrer hat kein Verständnis für die jugendspezifische Diskurswelt, der gute versteht und toleriert sie. - Der schlechte Lehrer urteilt in Konfliktfällen formalistisch, der gute am Einzelfall orientiert. Das Verhalten des Typus schlechter Lehrer („total doofer Lehrer") in Konflikten mit Schülern charakterisiert sie außerdem durch weitere Mittel, die besonders mit den Kategorien 'emotional', 'unberechenbar' und 'formalistisch' korrespondieren. So wurde oben in Kap. 4.3. schon festgestellt, daß Anna in Redeeinleitungen für Redewiedergaben der Lehrerin durchgehend das Lexem „meinen" im Sinne von 'drohen, urteilen' verwendet, außerdem für das Vorgehen der Lehrerin das dem militärischen Bereich zuzuordnende, Bedrohlichkeit ausdrückende „anrücken" in (58). Beides verweist auf die Eigenschaft unberechenbar. Auf die Eigenschaft emotional verweisen der wiederholt verwendete sprecherindexikale Ausdruck „aufgeregt" in (45) und (57) sowie die angehobene Tonlage (keifende Stimme) und die gesteigerte Lautstärke in den Redewiedergaben der Lehrerin. Damit konturiert Anna auch den Typus schlechter Lehrer sowohl durch Lexik als auch Prosodie als emotional geladenen Kontrahenten ohne Kompromißbereitschaft. 5.4.2.

Die Art der Konfliktbearbeitung

Besonders in der szenischen Darstellung (43-57) mit den Redeerwähnungen 5, 7 und 8 schildert Anna, wie sie mit dem Typus 'total doofer Lehrer' verfahren ist. In Kap. 4.3. wurde gezeigt, daß sie sich durch die Lexik der Redeeinleitungen zunächst als neutral und dann sukzessive als provokativ handelnde Figur darstellt. Die Wende hin zur konfrontativen Strategie verdeutlicht sie außerdem durch prosodische Markierungen. Nachdem die Lehrerin ihre Erläuterung (43) haww=isch

des gsacht nicht a k z e p t i e r t (44f.) do hot se sisch voll uff geregt u n d

als Strafe einen Eintrag ins Klassenbuch verhängt (49), ändert Anna ihre Strategie. Sie vollzieht in (50) eine Wende, die sie durch die Lexik ihrer Redewiedergabe, durch Prosodie und szenische Hinweise markiert. Sie kontert die Strafandrohungen der Lehrerin mit ironischen Kommentaren in (50) na ja supä" und in (54f.) mit nä:" bi"dde. Sie geht über zu einer abfalligen Tonlage. Sie beschreibt ihr nonverbales Verhalten als demonstrativ unhöflich und herausf o r d e r n d (55f.) met dasch in die eck gschmisse

un hab misch=m

stuhl

gesetzt.

Durch die Äußerung begleitendes Lächeln und den Kommentar in (53f.) tsch

Sprachverhalten

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in Neckarau

427

hab den arreschd no rischdisch provoziert stellt sie sich als souverän und herausfordernd dar. (Zur Detailanalyse der Sequenz siehe oben unter Kap. 4.3. die Analyse der Redeerwähnungen 5, 7 und 8 sowie die entsprechenden Anmerkungen 19, 21 und 22.) Damit führt sie ihre Distanzierungsstrategie gegenüber der ungerecht handelnden Lehrerin vor. Zieht man in Betracht, daß Anna die Konfliktbearbeitung im Rahmen der herausgehobenen Erzählform 'Geschichte aus dem Leben' präsentiert, für die sie das Initiativrecht in der Gruppe hat (siehe oben Kap. 3.1.), daß ihre Geschichten („Stories") von den Gruppenmitgliedern als im Kern glaubhaft eingestuft werden, und daß Anna in der Gruppe als geschickt und vorbildhaft Handelnde typisiert ist (siehe oben Kap. 5.2.), dann liegt nahe, daß die erzählte Konfliktbearbeitung auch als idealtypisches Orientierungsmuster in der Gruppe für die Inszenierung des Umgangs mit formalistisch handelnden Lehrern steht. Anna präsentiert für einen Lehrer-Schüler-Konflikt folgendes (idealtypisches) Bearbeitungsmuster: Versuche eine eigene Regelverletzung durch Kooperativität (hier: Erläuterung) zu reparieren. Gelingt das nicht, dann breche den Reparaturversuch ab und verdeutliche durch herausforderndes Verhalten - z.B. durch ironische Bemerkungen und demonstrative Gestik daß du formalistisches Vorgehen (eine Machtdemonstration) nicht würdigst und darüber erhaben bist. M i t i h r e m K o m m e n t a r in (53f.) isch hab den arreschd

no rischdisch

provoziert

und dem die Sequenz begleitenden Lächeln, das auf eine gemeinsame Orientierung für solche Konflikte verweist - im Sinne: 'ihr wißt ja, wie das geht, ich bin nach dem vertrauten Ritual verfahren' - (zur Analyse siehe Anm. 21) stilisiert sie sich als die Figur, die einen Lehrer-Schüler-Konflikt vorbildhaft bearbeitet hat. Stellt man diese stilisierende Selbstdarstellung dem Handlungskonzept gegenüber, das sie außerhalb der Erzählung in ihrer Verhaltensbegründung (2231) offenlegt isch wollt se noch an de bus begleide [...] awwer* des gi"ng ned [...] die doof mustklehrerin hat misch sowieso schunn uff=m /ticker, wird eine Dis-

krepanz zwischen der in der Erzählung präsentierten Konfliktbearbeitung und der tatsächlichen Konfliktverarbeitung deutlich. Einerseits verhält sich Anna in der szenisch erzählten Darstellung des Konflikts provokativ - in den Worten der Lehrerin (51) aufmüpfisch andererseits ordnet sie sich den im institutionellen Rahmen vorgegebenen Machtverhältnissen planvoll unter. Festzuhalten ist demnach: Anna liefert im Gesprächsausschnitt das in der Gruppe geteilte Orientierungsmuster für eine Konfliktbehandlung in der Institution Schule. In der Verhaltensbegründung verdeutlicht sie das Verarbeitungsmuster für die Reparatur einer gestörten Lehrer-Schüler-Beziehung nach einem Konflikt (Sei abwägend kooperativ, damit die Kosten gering bleiben). In der Erzählung selbst führt sie selbststilisierend die geeigneten stilistischen Mittel vor, mit denen sie eine ungerechte Behandlung in der Konfliktsituation selbst expressiv verdeutlicht bzw. mit denen man sie verdeutlichen sollte.

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5.5.

Typisierungen und Orientierungsmuster der Jugendlichen

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Die Jugendlichen teilen folgende Typisierungen und Orientierungsmuster, die ihre Gruppenidentität und ihren Umgang mit anderen in der lokalen Welt konstituieren: a) Der Erzählertyp in der Gruppe hat nicht nur das Initiativrecht, eine Geschichte erzählen zu dürfen. Er wird mit seinen Erzählungen aufgrund seiner Position in der Gruppe auch als Leitfigur (Autorität) für die Präsentation exemplarischer, von der Gruppe geteilter Typisierungen und Orientierungsmuster gedeutet. Er darf seine Geschichten erzählen, weil sie auch die Funktion von unterhaltsamen Lehrstücken haben. b) Die Verflechtung von schulischen Verpflichtungen und privater Interessensphäre regelt man nach einem klaren Kosten-Nutzen-Prinzip, wobei die geltenden Regeln der Institution in Rechnung gestellt werden. c) Man hat idealtypische Interpretationsmuster für die Typisierung von Institutionen-Vertretern in der gemeinsamen Lebenswelt (hier: Lehrer und Mütter) und deshalb auch für den Regelfall berechenbare (durchsichtige) Handlungserwartungen, eigene Handlungsspielräume und routinisierte Η andlungsorientierungen: - Für Konfliktfalle unterstellt man einen Ermessensspielraum, durch den formalistische Lösungswege außer kraft gesetzt werden können, d.h., man unterstellt am Einzelfall orientierte Lösungswege. - Am Einzelfall orientierte Konfliktlösungen erfolgen für sie unter der Erwartung gegenseitiger Kooperativität mit dem Ziel eines Kompromisses. - Ist ein Kompromiß nicht zu erzielen, verdeutlicht man dies vor Ort durch expressive Darstellungsverfahren (Ironisierungsverfahren), die zwar eigene Kooperationsbereitschaft signalisieren, den Kontrahenten aber auf der Beziehungsebene als unkooperative und nicht für seriös zu nehmende Figur charakterisieren. d) Den unterschiedlichen Grad von Normverletzungen anderer symbolisieren Anna und die Gruppe durch sprachliche Stereotype: „Blöd" und „faul" markieren eine zulässige Verhaltensvariation (einen punktuellen Regelverstoß) im Rahmen der Gruppennormen. „Doof' und „dumm" dagegen stehen für gruppenausgrenzende Symbolisierung von unzulässigen Verhaltensabweichungen und negativen Charaktereigenschaften. Punkt c) weist darauf hin, daß die Jugendlichen aus ihrer eigenen Perspektive in einer überschaubaren und für sie berechenbaren Welt leben, in der man am Einzelfall orientiert mit dem Kontrahenten verhandeln kann. Dahinter steht das Orientierungsmuster, man lebe in einer an pragmatischen Gesichtspunkten orientierten Koexistenz mit anderen. Diese Orientierungen sind typische Ausprägungen kleinstädtischen Bewußtseins, wenn man im Gegensatz dazu als typisch für die Großstadt Anonymität und Desintegration annimmt, was kei-

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in

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neswegs unumstritten ist. 3 3 Auffällig für die Mitglieder der Jugendgruppe ist jedenfalls, daß sie in ihren Sachverhaltsdarstellungen und Planungsaktivitäten in der Regel einzelne Personen als Mit- oder Gegenspieler erwähnen, kaum aber Institutionen- oder Gruppennamen. Das weist auf komplexe personale Netzwerkbeziehungen hin. 6.

Sprachvariation und Sprachorientierimg

In diesem Kapitel geht es um die Sprachvariation und Sprachorientierung und um soziale Symbolisierungen der Gruppe besonders auf phonologischer Ebene. In der Wahl zwischen den beiden Polen kodifizierte Schrift-/Standardvarietät und lokale Varietät (Dialekt) bzw. im fließenden Ubergang zwischen beiden zeigt sich die sprachliche und soziale Einbettung der Gruppe in die lokale Sprachpraxis und ihr Umgang damit. In entwickelten Schrift- und Medienkulturen mit einem ausgebauten Bildungssystem steht die historisch gewachsene lokale Varietät im Spannungsverhältnis mit der Sprache der Öffentlichkeit, d.h. mit der Schriftsprache und mit deren gesprochener Form, der Standardsprache. In städtischen Ballungsgebieten kommt als weiterer Faktor ein Bevölkerungszuwachs und -austausch durch Migrationsund Pendlerbewegungen hinzu, der eine Sprachmischung fördert. So hat Bräutigam in seiner Dialektuntersuchung von Mannheim für den Sprachgebrauch im Vorort Neckarau der zwanziger Jahre festgestellt, daß eine Koexistenz zwischen historisch gewachsenem ländlichem Dialekt der angestammten Einheimischen und der städtischen Ausgleichssprache der zugezogenen Arbeiterfamilien besteht. In den Vororten, so auch in Neckarau, „halten der alte Bauernstand, die Handwerker und die eingeborenen Geschäftsleute an ihrer Mundart mit bewufitem Stolz fest. Davon heben sich die vielen Arbeiter ab, die in den Vororten wohnen und auch dort die Stadtmundart sprechen" (Bräutigam 1934, S. 25f.).

Danforth hat in ihrer Untersuchung zum gegenwärtigen Dialektgebrauch unter älteren Mannheimer Bewohnern der gehobenen Mittelschicht (Akademiker des Jahrgangs 1906 und 1908) eine „relatively unstable dialect structure, characterized by a wide range of of variation due to the frequent contact with divergend linguistic codes"

festgestellt und bemerkt, vergleichend mit Bräutigams Ergebnissen aus den zwanziger Jahren „although the influence of the standard language is noted in varying degrees throughout the phonology and syntax a significant number of rural features are nevertheless maintained". 3 4 33

Siehe z.B. Bahrdt (1961).

34

Danforth (1981, S. 288).

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Demnach ist die heute noch praktizierte Orientierung am Ortsdialekt - besser: an dem, was davon Bestand hat - sicherlich auch ein Ausdruck von Ortsbezogenheit und die Variation zwischen den beiden Polen Dialekt und Standardsprache ein Mittel zur Symbolisierung sozialer Identität. 6.1.

Zur Sprachorientierung in der Kerngesellschaft

Die Diskussion sprachlicher Symbolisierungen der Gruppe muß auch auf dem Hintergrund lokaler Sprachorientierungen gesehen werden, weil die Mitglieder der Jugendgruppe an den lokal spezifischen Netzwerken aktiv teilhaben und dadurch die dort üblichen Kommunikationsverfahren kennen. Auch Annas Erzählung bezieht sich mindestens in zwei Aspekten auf die lokale Welt außerhalb der Gruppe: - Es handelt sich um die Wiedergabe einer Konfrontation mit einer Person (der Lehrerin), die nicht zur Gruppe gehört. - Die Konfrontation fand im Rahmen der Institution Schule statt unter den dort geltenden Kommunikationsregeln. Beide Aspekte dürften in der Erzählung durchschlagen. Um abwägen zu können, wo durch phonologische Variation (Codeswitch) auf die lokale Sprachpraxis und soziale Welt metaphorisch verwiesen wird 3 5 , wo mit Varianten Annas Konfrontation mit identitätsstiftenden Verfahren der Gruppe symbolisiert wird, und wo Variation zur Bandbreite der unmarkierten Normallage gehört, geben wir hier einen kurzen Einblick in die Sprachorientierungen der Kerngesellschaft. Beobachtungen in Annas Schule zeigen, daß im Sach- und Sprachunterricht Lehrer und Schüler eine am überregionalen Standard orientierte Sprechweise anstreben. In Pausen dagegen sprechen Lehrer mit Schülern und Schüler untereinander eine regionale bis lokale Varietät (soweit sie überhaupt die Varietäten beherrschen). Unter Einheimischen der Kerngesellschaft ist das Orientierungsmuster 'in der Schule spricht man nach der Schrift' so verfestigt, daß es aufgrund dieser Verfestigung zu Fehlleistungen kommen kann. So beantwortete ein etwa 30j ähriger Vorsitzender eines Vereins die Frage nach dem Beschäftigungsverhältnis des Vereinskollegen W. Holle mit: der is aa/ * zwar bei uns hauptamtlich beschäftigt is aber nebenberuflich an der schule und ** sehn se jetzt redd isch aa so ne bloß veil der jetz in de schul is redd isch so ned * so=aa [soll aan]

35

ned glaave

B l o m / G u m p e r z (1972) führten die Unterscheidung zwischen „situational" und „metaphorical switching" ein. Bei letzterem „the posture of speakers and channel clues of their speech remain the same. The language switch here relates to particular kinds of topics or subject matters rather than to change of social situation" (S. 425).

Sprachverhalten

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in Neckarau

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ne [...] un dann aäänt er hald aa Venn er vor de kinner schdehd ne vär»s bessa weiia [wenn «an] do e bissl/ [nach der Schrift spricht]

Obwohl der Vorsitzende und sein Vereinskollege W. Holle untereinander regionale bis lokale Varianten verwenden (siehe den folgenden Gesprächsausschnitt), wechselt er intuitiv auf das durch die Frage bei ihm evozierte Thema Schule zu standardsprachlichen Varianten und verweist dadurch auf die der Berufsrolle Lehrer zugeschriebene Sprachebene, ohne damit eine soziale Distanz ausdrücken zu wollen. Er kommentiert den Codeswitch mit sehn se [...] als unbeabsichtigten metaphorischen Hinweis. Er verweist darauf, daß Lehrer selbst der Meinung sind, in Unterrichtssituationen sollte man eine am überregionalen Standard orientierte Sprechweise anstreben, weil das für die Kinder besser sei. Dieser und andere Belege zeigen, daß die Mitglieder der Kerngesellschaft ein Sprachbewußtsein haben, nach dem die Wahl der angemessenen Varietät nach Domänen, Situationen und Berufsrollen jeweils anders, aber relativ fest ist. Ein Verstoß gegen dieses Konzept wird stigmatisiert. Zur Illustration des Sprachbewußtseins und der Sprachorientierung sei hier ein Ausschnitt aus einer Mitgliederversammlung eines großen Sportvereins, auf der ca. 150 Mitglieder anwesend waren, kurz vorgestellt. Der die Sitzung leitende Vorstand (die gleiche Person, wie im vorangegangenen Beispiel) variiert von der Standardsprache bis hin zum Dialekt: vir Imuen/ vir körnen zua oberturn(KURZES LAUTES LACHER IN SAAL) isch bin hald in Neggaraa gbore ** vir kauen zu· oberturnvart (AH W. HOLLE GERICHTET) Wilfried Holle bisch du bereit vieder des zu mache » natürlisch hab isch ait gereschend * (WIEDER AN DAS PLENUM GERICHTET) sind veitere Wortmeldungen »* neha isch nischt an un soait koaaen vir zur abschdiaaung * ver is für Wilfried Holle als oberturnvart •»* (ABSTIMMUNGSPROZEDUR DURCH HANDHEBEN) danke * gegenprobe ** enthaltungen ** soait is Wilfried Holle als oberturnvart gevählt (AN W. HOLLE GERICHTET) niaasch du des aat an Wilfried niaasch des aat an (WIEDER AN DAS PLENUM GERICHTET) soait is Wilfried Holle unser oberturnvart (APPLAUS IM PLENUM)

Im Anlauf zum neuen Tagesordnungspunkt Wahlen verstößt der Vorsitzende hier gegen die Norm, man sollte in der Rolle des Sitzungsleiters und Moderators in öffentlichen Vereinssitzungen für an das Plenum gerichtete Sequenzen

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S t a n d a r d s p r a c h e verwenden. Durch den Vokalwechsel von ο - m i n kummen markiert er das Verb teilweise als lokale V a r i e t ä t , das in standardsprachlichem K o n t e x t ( w i r und das M o r p h e m -en) eingebettet ist. Vor und noch während das P l e n u m durch Lachen den Verstoß bewertet, repariert er ihn a u f vierfache Weise: - Er beendet die finite F o r m m i t d e m standardsprachlichen M o r p h e m -en, das dialektale wäre -e. - Er wiederholt die Ä u ß e r u n g in der standardsprachlichen V a r i a n t e , i n d e m er den Vokalwechsel z u r ü c k n i m m t : wir kommen zum oberturn-. - Er k o m m e n t i e r t die Plenumsreaktion, indem er sich lächelnd m i t d e m Bekenntnis entschuldigt, zur Kerngesellschaft zu gehören isch bin hald in neggaraa gbore. - Gleichzeitig bekennt er sich durch e x t r e m e dialektale M a r k i e r u n g zur Kerngesellschaft, i n d e m er f ü r den O r t s n a m e n Neckarau die dialektal konservativste V a r i a n t e w ä h l t , die expressiv Identifikation mit der Kerngesellschaft symbolisiert. Der O r t s n a m e k o m m t in folgenden Variationen vor, die aus der P e r s p e k t i v e der Bewohner den G r a d der Ortsbezogenheit des Sprechers verdeutlichen: -

die Neckarau (feminin, mit Artikel, fortis-fc, g l o t t a l stop vor au) wird von O r t s f r e m d e n / S t a d t b e s u c h e r n verwendet. - Neckarau (neutr., ohne A r t i k e l , fortis-ib, g l o t t a l stop vor au wird als Distanzierung b z w . Norddeutsch interpretiert. -

Neckarau (neutr., ohne A r t i k e l , lenis-fc, (ohne) g l o t t a l stop) ist die Normalf o r m in öffentlichen Reden. - Neggarau (neutr., ohne A r t i k e l , lenis-λ bis s t i m m h a f t - j , ohne g l o t t a l stop) ist die N o r m a l f o r m unter den Bewohnern, auch wenn sie den O r t s d i a l e k t nicht beherrschen. -

Neggaraa (neutr., ohne A r t i k e l , mit s t i m m h a f t e m g, ohne g l o t t a l stop, mit stark g e d e h n t e m M o n o p h t h o n g ) markiert expressiv Vertrautheit/Identifikation mit den Orientierungen der Kerngesellschaft.

Die B i n d u n g der Moderatorenrolle an Standardsprache kann bei Adressatenwechsel a u f g e h o b e n werden. F ü r die an W . Holle (ein g u t bekannter Vereinskollege) gerichteten Sequenzen verwendet er - ohne seine Rolle als Vorsitzender zu verlassen 3 6 - lokale bis regionale Varianten bisch (bist du), mache, gereschend, nimmsch (nimmst d u ) , des. Der Vorsitzende g a b in einem Interview auch zu erkennen, d a ß Vereinskollegen in solchen öffentlichen V e r a n s t a l t u n g e n von i h m einen C o d e s w i t c h erwarten, wenn er außerhalb von V e r s a m m l u n g e n normalerweise m i t ihnen S u b s t a n d a r d spricht: 36

Bestandteil des Wahlverfahrens ist die Befragung der Kandidaten, ob sie sich der Wahl stellen und nach der Wahl, ob sie das Amt annehmen. Die Anrede in solchen Sitzungen verweist auf die Interaktionsgeschichte der Sprecher. Ist man untereinander per Du, behält man die Anrede auch in der öffentlichen Situation bei.

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in Neckarau

433

der Lutze Pitt >enn isch zu d e · as [als] sa:g * irgendwie * innere Versammlung odder was>m [was mit ihm] schbresch nach der schrift * dann guggt er misch ö: sacht er venn's [wenn du es] onnerschd gsa:t hoschd köm«ea [können vir] widda minanner redde Die V e r w e n d u n g lokaler bis regionaler Varianten symbolisiert demnach Vertrautheit, soziale N ä h e und Zugehörigkeit zur Kerngesellschaft. Der Vorsitzende (Vor.) wendet in der V e r s a m m l u n g das eben beschriebene Verfahren noch öfter an. A u c h ein anderes Mitglied ( M i t . ) verfahrt in seinem B e i t r a g z u m P u n k t K a n d i d a t e n v o r s c h l ä g e analog: Vor: Karl Hüller is vorgeschlagen (AH MÖLLER GERICHTET) Karl Müller * willsch du des mache (MÖLLER NICKT ZUSTIMMEND. ANS PLENUM GERICHTET) Karl Müller is bereit »» somit schdeht/ sin weitere Wortmeldungen ** isch mufl also dazu sagen ich habe in der letzten vorschdandssitzung do war die Uschi anwesend die hab isch gefragt * die hatte da zugesagt aber sie is jetzt heute nicht anwesend. Mit: die is krank » die hot gsacht sie kann net kumme weil se krank is die: traut sisch»s net so rischdisch zu: des amt * sie würd»s schunn mache awwer sie weeß net ob se=s kann un so A u c h hier wechselt der Vorsitzende m i t der Adressierung an einen Anwesenden die Sprechweise in R i c h t u n g D i a l e k t . D a r ü b e r hinaus verweist er mit der Verwendung von „da" in der regionalen Variante in: do war die Uschi anwesend auf die V e r w e n d u n g lokaler Varianten in vereinsinternen Sitzungen, in denen sich die K e r n g r u p p e des Vereins regelmäßig trifft. D a s Mitglied, die Pressereferentin des V e r e i n s 3 7 , verweist in ihrem B e i t r a g durch indirekte R e d e e r w ä h n u n g auf ein Gespräch, das sie mit Uschi hatte. Ihre Rede ist an den Vorsitzenden und an das P l e n u m gerichtet, was sie durch wechselnde Blickrichtung markiert. In ihrer Variantenwahl orientiert sie sich nicht an der für öffentliche Versammlungen geltenden Regel, sondern verweist metaphorisch durch die Verwendung dialektaler Varianten a u f ihre Sprachpraxis in nicht öffentlichen face-to-face Situationen m i t Uschi und d e m Vorsitzenden. Die wenigen Beispiele aus dem Vereinsleben illustrieren, daß es in der Kerngesellschaft Neckaraus ein relativ gefestigtes Sprachbewußtsein über regelhafte Sprachvariation i m öffentlichen und privaten Bereich gibt, und daß C o d e s w i t c h auch in diesem Sinne praktiziert wird.

37

Sie beherrscht die Standardsprache und ist im Formulieren geübt. Als Pressereferentin verfaßt sie z.B. Pressemeldungen für den Sportteil der Regionalzeitungen und redigiert das Vereinsperiodikum.

434

Karl-Heinz

Bausch

- Die Wahl der Standardvarietät ist generell an öffentliche Domänen/Situationen und institutionelle Rollen gebunden. Für öffentliche Reden vor einem Plenum ist für den Vorsitzenden/Moderator die Standard-Varietät die Normalform. - Adressiert er seine Rede an eine Person, richtet sich die Variantenwahl nach der sozialen Nähe zur angeredeten Person und nach der mit ihr im nicht öffentlichen Bereich in face-to-face Situationen verwendeten Sprachebene. - Durch metaphorischen Codeswitch Richtung Dialekt weisen Sprecher in öffentlichen Domänen darauf hin, daß die Mitglieder der Kerngesellschaft in Alltagssituationen einen Substandard bis hin zur dialektalen Varietät sprechen. Das weist darauf hin, daß die dialektale Varietät in dem städtischen Vorort auch als Symbolisierung für Ortsloyalität und lokale Identität fungiert. 38 Da die Mitglieder der Jugendgruppe in lokalen Vereinen aktiv sind - Anna ist aktiv in dem hier als Beispiel herangezogenen Verein - , kennen auch sie diese Sprachorientierungen der Kerngesellschaft. 6.2.

Sprachvariation in der Jugendgruppe

Da im Schulunterricht die Standardsprache - besonders über das Lesen und Schreiben - gesteuert, die dialektale Varietät dagegen in der täglichen Kommunikation ungesteuert erworben wird, kann man annehmen, daß die Sprecher ein ausgeprägteres Bewußtsein von der Zielnorm der Standardsprache haben als von der Zielnorm des Dialekts. Zwischen den beiden Polen Standardsprache und Dialekt ist auch ihre normale Sprechweise (ihre sprachliche Normallage) angesiedelt. Im folgenden geht es um die Beschreibung der Bandbreite in diesem Spektrum, die ihre Normallage charakterisiert, damit anschließend in Kap. 7.2. die symbolisierende Sprachvariation im Textbeispiel rekonstruiert werden kann. Da das Gesprächsbeispiel nur transliteriert ist im Sinne einer groben Transkription, werden nur starke Kontraste in der Variation berücksichtigt, 39 Weis für die Zwecke dieser Analyse ausreicht.

38

Zum Zusammenhang von Sprachwahl und Ortsloyalität vgl. z.B. Gal (1979) oder Mattheier (1985a), der durch standardisierte Befragung den Zusammenhang zu erheben versucht.

39

Im Gesprächsbeispiel werden die an der deutschen Orthographie orientierten Transliterierkonventionen angewendet. Keinen eigenen Lautwert haben die Längenzeichen h und e. Das orthographische ä tendiert zur Aussprache e. Bei folgendem Konsonant und im Auslaut wird r nicht realisiert, er tendiert zum Gleitvokal ea. Anlautendes iiwird seht gesprochen, außer in (67) story. Zu lautorientierten Transliterationssystemen vgl. z.B. Philipp (1986) und dort angeführte Literatur.

Sprachverhalten

von Jugendlichen

in

435

Neckarau

Die folgende Beschreibung der Normallage bezieht sich nur auf das Gesprächsbeispiel und die beiden darin vorkommenden Sprecher Anna und Britta. Da die anderen Sprecher der Gruppe sich auch innerhalb dieser Bandbreite bewegen, spiegelt dieses Beispiel aber auch die sprachliche Normallage in der gruppeninternen Interaktion. Eine Normallage ist natürlich charakterisiert durch Regularitäten auf unterschiedlichen sprachlichen Ebenen. Hier werden nur die auf phonologischer Ebene herausgegriffen. Das Analyseverfahren ähnelt im Prinzip dem von Labov (1966, S. 90ff.) zur Isolierung kontextueller Stile mit dem Unterschied, daß hier nicht nur die Änderung der situativen Konstellation und Adressatenwechsel, sondern auch Indikatoren für die Hereinnahme anderer Diskursebenen in den Text selbst (z.B. Redeerwähnung, Wiederholung, thematische Hervorhebung) zur Abgrenzung der Varianten in der Normallage anderen Varianten gegenüber herangezogen werden. 40 6.2.1.

Zur internen Ordnung des Variationsspektrums

An der Variation von „haben", „schreiben", „schon" und den Merkmalen ,,-en" (Infinitiv/ Partizip II/ 1. und 3. Pers. Präs.), ,,-e" (1. Pers. Sing. Präs.), Vokallänge, Konsonantenwechsel und Vokalwechsel läßt sich zeigen, daß das Vorkommen einzelner Varianten untereinander gewisse Verträglichkeiten aufweist, die auf einer Skala angeordnet werden können: MERKMAL - VARIATION Part. II, 1./3. Pers. Plur. Präs.,

BELEGE IM TEXT

4. 5. 6. 7.

hab (23,53,56 u.a.) haw (43,47,54) schreib (19) schonn

8. schunn (24,30) 40

Vok.wechsel

V: V

b

ο

X X

X X

Vokallänge

-e

Inf. -en

1. haben (53) 2. geschriebn (69,71) 3. gschriwwe (1)

Kons. Wechsel

l.Pers. Sing. Präs.

-n

-e

-0

X X X X X X

X X X

w

u

X X X X

X X

X X

Darauf, dafi Codeswitch diskursive Funktionen haben kann, hat besonders Gumperz (1982a, S. 75ff.) hingewiesen. Er nennt u.a. auch Redewiedergabe ί„quotation"), Wiederholung („reiteration") und Auszeichnung von Mitteilungen „message qu jification") als typische diskursive Aktivitäten, in denen Codeswitch vorkommt.

436

Karl-Heinz

Bausch

Die in der Tabelle veranschaulichten Regularitäten im Gesprächsbeispiel ergeben folgende Skalierung vom Standard in Richtung Dialekt: - Von den drei Varianten für das graphematische Suffix ,,-en" kommen -en und -n ohne Vokalkürzung vor. Die Variante -e ist nur mit Vokalkürzung belegt. - Von den beiden Varianten für das graphematische Suffix ,,-e" ist nur die Nullstufe belegt. Sie tritt jeweils mit Vokalkürzung auf. - Vokalkürzung kommt ohne Konsonanten- bzw. Vokalwechsel vor, während Konsonanten- bzw. Vokalwechsel dagegen nicht ohne Vokalkürzung auftreten. Abgesehen davon, daß Kombinationen wie 'mir habben'/'habbn', 'ich schreiwe', 'geschri:wn' oder 'schu:n' im Gesprächsbeispiel nicht belegt sind, bestätigen Selbstkorrekturen, Hörerreaktionen in anderen Texten (siehe z.B. die Selbstkorrektur wir kummen/wtr kommen und die Hörerreaktion darauf oben in Kap. 6.1.) sowie Informantentests diese Unverträglichkeiten. Demnach kann man mindestens folgende vier Stufungen vom überregionalen Standard hin zum lokalen Dialekt und umgekehrt ansetzen: ,,-en" Suffix: Vokalqualität: ,,-e" Suffix: Vokalwechsel: Kons.-Wechsel:

1. -en V: -e ο b

- >

— •

— •

2. -n V: -e 0 b

— •

— •

3. -e V -0 0 b

4.

— •

— •

u w

Zwischen den Stufen 2 und 3 ist eine Schnittstelle. Die ersten beiden Stufen sind an der überregionalen Standardsprache ausgerichtet, die Stufen 3 und 4 an regionalen bis dialektalen Varietäten. Die vier Stufen mit der dazwischen liegenden Schnittstelle kann man folgendermaßen bezeichnen: tandard orientiertes prechen 1. 2. Schriftstandardähnlich sprachlich

Dialektal orientiertes Sprechen 3. 4. regional dialektal

Ich lehne mich hier an den Sprachgebrauch der Einheimischen an, die in Sprachbefragungen für die Varianten der Stufen 1 und 2 die Ausdrücke „nach der Schrift sprechen" und „Hochdeutsch sprechen" verwendeten. Für die Stufen 3 und 4 - die regionalen bis lokalen Varietäten - benutzten sie Ausdrücke wie: „wie man hier in der Gegend so spricht" und „echter Dialekt". 41 41

Siehe Davies (1987). Solche heuristischen, aus unterschiedlicher Perspektive entwickelten Skalierungen haben in der Linguistik Tradition. Stellvertretend seien nur genannt die Dreierstufung Dialekt, Umgangssprache, Hochsprache; Bloomfields fünfstufiges Standardkonzept (Bloomfield 1969, S. 52) oder Labovs aus situativem Codeswitch abgeleitete kontextuelle Stile (Labov 1966, S. 90ff.).

Sprachverhalten

von Jugendlichen

in

Neckarau

437

Zur Beschreibung der sprachlichen Normallage werden im folgenden die Varianten im Gesprächsbeispiel auf der Skala eingeordnet. Phonetische Restriktionen werden berücksichtigt, aber nicht gesondert erwähnt, da sie weitgehend in Danforth (1981) beschrieben sind. Im Anschluß daran erfolgt eine kurze Interpretation der Übernahme von dialektalen Elementen, um die Sprachverwendung in der Normallage und symbolisierende Sprachvariation gegeneinander abgrenzen zu können. Auf der Skala ist unter der entsprechenden Variantenstufe jeweils die Belegstelle im Gesprächsbeispiel aufgeführt. Belege innerhalb von Redeerwähnungen stehen in Klammer, weil sie als Redewiedergaben einen besonderen Status haben und Mittel der szenischen Darstellung der erzählten Situation sein können (siehe dazu oben Kap. 4.3.). 6.2.2.

Variation im Vokalismus

Die Variation im Bereich des Vokalismus betrifft die Vokallänge und den Vokalwechsel. 1. Vokallänge Stufe 1 - 2 Langvokal aber haben schreiben schon wieder

(53) (69), (71)

Stufe 3 - 4 —• Kurzvokal 23, 27 23, 28, 35, (43), (47), 53 54, 56, 58, 59, (68), (71), (72) 1, 28 24, 30 39

Der Kurzvokal ist die Variante in der Normallage. Langvokal wird nur in der Wiedergabe fremder Rede (53) und in Redeeinleitungen in fluktuierendem Übergang zu schrift-orientiert wiedergegebenen geschriebenen Texten (69, 71) verwendet. 2. Vokalwechsel: Der Wechsel von Vokalen und Diphthongen tritt erst in der dialektalen Stufe 4 in der Umgebung regionaler bis dialektaler Varianten ein. Er ist unverträglich mit standardsprachlichen Varianten.

438

Karl-Heinz

Bausch

2a. Vokalwechsel a —*o Stufe 1 - 3

Stufe 4

α da haben ja mal

33, 34, 74, 35, 71,

34, 34, 36, (65) 34, (49), 51, 53 75 42, (50), 50, 57 74

ο 3, 40, 41, 44, 64 1, 10, 30, 40, 41, (44), (60)

8, 9, 23, 24 11, 23,

Der Wechsel von α —• ο ist beschränkt auf die im Sprachgebrauch häufigen Partikeln „da" und , j a " und das Lexem „haben" sowie auf „mal" mit zusätzlicher Elision des /. F ü r die Verteilung von ja und jo kann m a n eine starke und eine schwache Hypothese formulieren. Die starke Hypothese: Die Verteilung scheint grammatikalisiert zu sein; denn jo wird ausschließlich als verstärkende Partikel im Verbalkomplex verwendet, in der Funktion kommt es nur außerhalb der Erzählung vor. Ja dagegen steht an syntaktischen Einschnitten als Kontaktsignal, in der Funktion kommt es aber nur innerhalb der Erzählung vor. Die schwache Hypothese: ja fungiert als den Erzählstil markierende gehobene Variante f ü r das in der Normallage übliche gell. Die Verteilung von da/do hat, wenn m a n es zusammen mit na/no und dann (siehe unten unter 5b) betrachtet, ebenfalls diesen doppelten Aspekt: Die Varianten von „da" sind grammatikalisiert in lokaler (3, 29, 63, 65) und temporaler (33, 34, 34, 36, 37, 40, 41, 44, 44) Bedeutung im Sinne von ' d o r t ' und 'damals'. Die Varianten na/no (37, 43, 46, 57, 60, 74) und dann (44, 46, 63) sind grammatikalisiert in iterativer Bedeutung im Sinne von 'und dann', 'daraufhin'. Dann h a t außerhalb der Erzählung die Bedeutung Konditional (19). Hier zeigt sich bei den Sprechern eine konservative dialektale Sprach Verwendung. Innerhalb der Erzählung dagegen dominiert die standardsprachliche Variante da. Das wird in (37f., 57f.) deutlich, wo abweichend davon A n n a die dialektale Variante verwendet: Als sie sich einem Beteiligten zuwendet, u m ihm Zündhölzer zu geben, wechselt sie - ausgelöst durch die Störung und geänderte Adressierung - in Dialekt (40f.). Auch in (57f.) folgt die dialektale Variante auf das den Abschluß der szenischen Sequenzen verdeutlichende und einen Erzähleinschnitt markierende Raffungsmittel naja. Der Befund weist darauf hin, daß die dialektale Variante zur Normallage gehört und die standardsprachliche Variante ein Merkmal ihres Erzählstils ist. Bei „haben" dagegen findet eine durch die Umgebung motivierte phonetische Parallelisierung s t a t t . Nach da, na steht hat, nach do, no steht hoi.

Sprachverhalten

von Jugendlichen

in Neckarau

439

2b. Vokalwechsel ο —*u Stufe 1 - 3 O kommen schon

18, (61), (62)

Stufe 4

•u 7, 9, (45), (48) 24, 30

Der Wechsel von ο —*u beim im Sprachgebrauch häufigen kommen weist ebenfalls darauf, daß die dialektale Variante zur Normallage gehört. Die nichtdialektale Variante kommt nur in fremder Redewiedergabe (61f.) und in der thematisch hervorgehobenen Sequenz in (18) vor. Dialektales kumm- verwendet Britta in (7) und (9) und Anna zweimal im Ubergang von der Normalform zur Expansion der Erzählung in indirekter und direkter Redewiedergabe (45, 48). Das deutet daraufhin, daß die dialektale Variante die Normallage in der Gruppe ist. Anna verwendet sie auch, wenn sie die eigene Rede im Konflikt mit der Lehrerin direkt wiedergibt, obwohl sie eine Szene aus einer Unterrichtssituation darstellt, in der Substandard nicht erwartet wird. 2c. VokalWechsel ü Stufe 1 - 3

Stufe 4

u anlügen anrücken aufmüpfig fünf Schüler überhaupt

(66) 58 (51) 64, 64 76

Die Belege zum Wechsel von ü —*i zeigen nur relikthafte Produktivität. Die dialektale Variante kommt nur im Zahlwort finf in (9) vor. Bei Nomen und Verben ist sie nicht belegt. Auch regionale bis dialektale konsonantische Umgebung löst keinen Wechsel aus, so z.B. bei üwwerhaupt in (76). 2d. Vokalwechsel ei —*e/ä Stufe 1 - 3 ei heißen meinen

35, (49), (51), (65)

Stufe 4 • e/ä 5, 7 24, (46), (60)

440

Karl-Heinz

Bausch

Der Wechsel von ei —*e(ä in „heißen" und „meinen" ist - wie der von α —*o bei „haben" - die Folge einer durch die Umgebung motivierten Angleichung. Nach den Varianten von hat/hab/da steht ei (35, 49, 51, 65) ansonsten e/ä (24, 46, 60).

Zur sprachlichen Normallage im Bereich des Vokalismus ist demnach festzuhalten: Die Verwendung dialektaler Varianten ist beschränkt auf Partikeln und im Sprachgebrauch häufig vorkommende Verben. Die dialektale Variante i für standardsprachlich ü ist nicht mehr produktiv, ausgenommen ist die Zahl finf. Zwischen ja und jo besteht eine Tendenz zur Bedeutungsopposition (zur Grammatikalisierung), ebenso zwischen da/ do und na/no. Das dialektale na/no steht durchgehend in der Normallage für „und dann/da". Soweit Vokalvariation nicht durch Grammatikalisierung blockiert ist, besteht die Tendenz, die standardsprachliche Variante als stilistisches Merkmal der Erzählung zu verwenden. Die Variantenwahl ist auch durch die phonetische Umgebung motiviert. Es gibt durch da/do bzw. na/no ausgelöste Varianten-Angleichung bei „haben". 6.2.3.

Variation im Konsonantismus

3a. Die Änderung von Konsonanten signalisiert in einigen Fällen die dialektale Stufe, z.B. bei inlautendem -b—>-wStufe 1 - 3 -6-

aber arbeit haben schreiben überhaupt

Stufe 4 •

-w-

23, 27 28 37, (53), 58 19, (69), (71)

28, (43), (47), 49 1, 13, 27, 28 76

Die dialektale Variante w ist - den Bereich Substantive ausgenommen - die Normalform. Die standardsprachliche Variante b kommt nur in thematischen Hervorhebungen vor: in einer Reformulierung eigenen Handelns (37, 58), als angeglichene Fortführung hervorgehobener Rede des Vorredners (19) und als fluktuierender Übergang zu schriftähnlich wiedergegebenen geschriebenen Texten (69, 71), wobei - wie auch in der Redewiedergabe in (44) - Verträglichkeiten von Varianten hineinspielen (hier im Bereich der Suffixe). 3b. Die Lenisierung von anlautendem standardsprachlichem t —*d erfolgt auf Stufe 4 und hat damit einen ausgeprägten dialektalen Signal wert.

Sprachverhalten Stufe 1 - 3 tTasche -tag(s) total

von Jugendlichen in Neckarau

441

Stufe 4 • d-

25, 28, 36, 37, 39, 40, 41 33, 56

55 21

Anlautendes dialektales d für standardsprachliches t wird ausschließlich zu thematischer Hervorhebung verwendet, von Britta in (21) nur bis samsdag, von Anna in (55) met dasch in die eck geschmisse. In unbetonter Normallage wird die standardsprachliche Variante t verwendet. In anderen Fällen signalisiert die Änderung von Konsonanten die regionale Stufe, z.B. bei inlautendem -t—*-d-, wobei der Wechsel hier weniger in Richtung stimmhaft als hin zu starker Lenisierung geht (siehe Werner 1972, S. 44f.); oder bei in- und auslautendem -st—>-schd-/-sch. 3c. Die Variation von inlautendem t und d: Stufe 1 - 3 -tbegleiten Datum Eintrag heute Mittag Mutt-i/-er bitte richtig Seite total zehnte Zettel

Stufe 4 • -d22 58

(49) (70) (70) 26

14 (55) 54 9

33, 56 (72) 57, 68, 73

Inlautendes t und d variieren außerhalb der Redeerwähnungen frei. Emotionale Hervorhebungen werden durch die standardsprachliche Variante t markiert (26, 49, 70). Auffällig ist die Abweichung davon in der direkten Wiedergabe eigener Rede in (55). Hier ist symbolisierende Verwendung zu vermuten (siehe dazu unten Kap. 7.2.).

442

Karl-Heinz

Bausch

3d. Die V a r i a t i o n v o n i n l a u t e n d e m s t a n d a r d s p r a c h l i c h e m st m i t -schd-, Stufe 1 - 3 -st-, -st Arrest erstes

Stufe 4 • -schd-,

57, (61)

sch(d):

-sch(d)

(53), 53 43

Die standardsprachliche Variante st hat expressive Funktion. Das wird im Wechsel von arreschd in (53) zu arrest in (61) deutlich. Doch die Intensivierung in den beiden direkten Redewiedergaben der Lehrerin wird auch prosodisch markiert (zur Analyse siehe Anm. 20 und 22). Außerhalb direkter Rede wird sie nur in einem fachsprachlichen Ausdruck aus der Schule verwendet in (57) arrestzettel.

3e. Die [ς]-ch-Realisierung des Graphems „ch" nach hellem Vokal und des „g" in der Endsilbe „ig" signalisiert dagegen unter den Einheimischen eine extreme Standard-Varietät (Stufe 1). Die vom Standard bis Dialekt hin unmarkierte Realisierung ist sch [J*].

aufmüpfig eigentlich gleich ich

Kirche mich nicht recht richtig ruhig sich Schicht Sprecher

Stufe 1 - 3

Stufe 4

ch-

• sch (51) 20

38, (52) 19, 22, 22, 24, 33, 38, (40), 43, (45), (47), 49, (49), 53, 54, 58, 59, 63, (71), (71) 35, 42, 43 30, 31, 56 (61), (66) 47 54 8, 12 44 (72) 64, 64

Sprachverhalten von Jugendlichen in Neckarau

443

In diesem Fall besteht eine Diskrepanz zwischen dem Sprachbewußtsein und der Sprachverwendung. Die nach der deutschen Hochlautung empfohlene Aussprache [ς] - unter Einheimischen: „das echte ce-ha" - ist für sie die „richtige Aussprache", von der sie aber behaupten, daß sie sie nie erreichen. Dieses Artikulationsproblem wurde in Sprachbefragungen häufig thematisiert (siehe Davies 1987). Die [ς]-Variante signalisiert demnach extreme an der Schrift orientierte Standardsprache. Die Variante sch ist Ausdruck der Normallage in der Gruppe. A n n a hält wohl selbst die Variante [ς] für eine extreme Form des Standards, denn sie verwendet sie nur in schriftähnlicher direkter Wiedergabe fremder Rede (52). Außerhalb von Redeerwähnungen unterläuft ihr die Variante nur in einer durch Adressatenwechsel gestörten Redeplanung in (38-40), wo sie sich denn auch unverzüglich selbst in dialektale Richtung korrigiert, indem sie gleich —*glei verschiebt, ohne die Zwischenstufe gleisch zu verwenden: bin isch gleich/ * 5,00 · bin isch glei freitags h i n g f a h m * >geb se mir widder * b i n isch glei freitags/

Im Bereich des Konsonantismus ist zur sprachlichen Normallage und zur Funktion der Varianten im Gesprächsbeispiel demnach festzuhalten: In der Normallage sind standardsprachliches -b-, -b zu dialektalem w verschoben, sofern nicht thematisch hervorgehoben wird. Anlautendes dialektales d- für die standardsprachliche Form t- in der Normallage markiert extreme Hervorhebung. Die Variation zwischen inlautendem standardsprachlichem -i- und regionalem bis dialektalem -d- ist relativ frei. In eigener Redewiedergabe signalisiert die Variante -d- möglicherweise soziale Nähe zur Gruppe. Standardsprachliches in- und auslautendes st f ü r dialektales -schd-, sch(d) in der Normallage hat einerseits expressive Funktion, weist aber auch auf fachsprachliche Entlehnung. Die standardsprachliche Variante [ς] f ü r graphematisches „ch" und „g" in der Endsilbe „-ig" signalisiert extreme Standardsprache für in der Normallage verwendetes dialektales sch. 6.2.4.

Variation in der Morphophonologie

In der Morphophonologie ist durchgehend eine Dreierstufung in standardsprachlich (Stufen 1 und 2), regional (Stufe 3) und dialektal (Stufe 4) festzustellen. 4a. Die Variation in der 2. Pers. Sing. Präs.: Auch ohne dialektalen Vokalwechsel kann analog zur Regel 3d die standardsprachliche Variante -st -*-schd verschoben werden. Die regionale -schd Variante ist im Gesprächsbeispiel nicht belegt. Anna macht einen Sprung von -st —*-sch:

444

Karl-Heinz Stufe 1 - 2 -st

Stufe 3 • -schd

brauchen

(66)

haben können (be)kommen sein wissen

(70) (52) (61), (62), (62)

Bausch

Stufe 4 • -sch

76 67

Die dialektale Variante gehört zur Normallage, denn standardsprachliches -st wird nur in Redeerwähnungen verwendet. 4b. Das unbetonte Suffix „-en" bei Substantiven, Verben und Adverbien: Die nicht zentralisierte Realisierung des e in -en markiert schriftähnlichen extremen Standard, zentralisierte oder Null-Realisierung des e markiert den Standard auf Stufe 2 und -e mit Tilgung des Nasals ist die regionale bis dialektale Variante: Stufe 1 -en Neunzehnte Stunde anlügen anrufen auffallen ausstehen begleiten hinfahren haben kommen sein schmeifien schreiben schwänzen verzählen morgen

Stufe 2 •

(e) η

Stufe 3 - 4 •

-e

(72) (52) (66) 10 29 31 22 39 (44)

(69), (71)

28 (45), (48) 26, 27 55 1, 13, 27, 28 25

(67) 14

Sprachverhalten

von Jugendlichen

in

Neckarau

445

Die regionale bis dialektale Variante ist die Normallage in der Gruppe, denn die standardsprachliche Variante 1 wird nur in direkten Redeerwähnungen der Lehrerin, die Variante 2 nur in Redeeinleitungen zu Wiedergaben von schriftlichen Zitaten (69, 71) verwendet und in der Passage mit gestörter Redeplanung in (39). 4c. Die Variation des auslautenden -e bei Substantiven, Adverbien, Verben, Adjektiven: Die Variation ist ein Beispiel für eine gleitende Skalierung. Beim Verb geht die standardsprachlich kaum zentralisierte Variante -e über in die zentralisierte Variante und kann vor folgendem Vokal schwinden. Auf regionaler bis dialektaler Stufe ist die Null-Stufe erreicht. Bei den anderen Wortklassen dagegen wird die zentralisierte standardsprachliche Variante erst auf regionaler bis dialektaler Ebene zur Null-Stufe reduziert. Im vorliegenden Gesprächsbeispiel gibt es diese differenzierte Skalierung jedoch nicht.

Adresse Ecke Kirche Tasche doof dumm faul goldig Heb haben meinen wäre schreiben stehen werden wollen heute

Stufe 1 - 3

Stufe 3 - 4

18

2 55 42, 43 55 29

35

73, 74 13 (69) (69)

(70)

23, 24, 24, 26, 37, 53 56, 58, 59, (71), (72) 24 25, 29 19 (72) (45) 22 (72)

Auch hier ist die regionale bis dialektale Variante die Normallage. Bei Verben wird sie durchgehend - auch in der Wiedergabe eines schriftsprachlichen Textes (72) - verwendet. Die standardsprachliche Variante bei Substantiven, Adjektiven und Adverbien kommt nur in thematisch hervorgehobener Position (18, 35, 73, 74) und in schriftähnlich wiedergegebenen Redeerwähnungen (69, 70)

446

Karl-Heinz

Bausch

4d. Die Variation des Partizip Affixes „(-)ge-": Die standardsprachliche und die regionale Variante variieren relativ frei. Sie signalisieren nur schwach Dialektalität. Lediglich die Null-Variante ist ein starkes dialektales Signal. Anna verwendet sie nur in Redeerwähnungen eigener Rede (47, 48):

anrücken anrufen auffallen aufregen gucken haben reinschlappen hinfahren hocken knallen kommen latschen meinen packen regnen sagen sein setzen schmeißen schreiben

Stufe 1 - 2

Stufe 3

Stufe 4

(-)ge

(-)g — "

0-



58 10 29 45, 57 59 60 42 39 50 74 (48) 65 35, (51) 37 40, 41

49, 60

44

(47)

26, 76 56 55 (69), (71). 27, 28

Für den Bereich der morphophonologischen Variation kann man festhalten: In der Normallage werden für die standardsprachlichen Varianten -st (2. Pers. Sing. Präs), -en (Substantive, Verben, Adverbien), -e (Substantive, Adverbien, Verben, Attribute) die dialektalen Varianten -sch, -e, -0 verwendet. Die -st, -en und -e Varianten des Verbs signalisieren schriftähnlichen Standard. Die Null-Variante des Affixes „ge-" signalisiert starke Dialektalität. 6.2.5.

Varianten in geschlossenen Listen

In geschlossenen Listen werden hier Varianten auf lexikalischer Ebene zusammengefaßt, die auf bestimmte Lexeme eingeschränkt sind und/oder von den Variantenregeln auf phonologischer bzw. morphophonologischer Ebene abweichen. Charakteristisch für diese Varianten ist in der Regel auch, daß sie oft

Sprachoerhalten

von Jugendlichen

in

Neckarau

447

nicht der in Kap. 6.2.1. beschriebenen inneren Ordnung des Variantenspektrums folgen. Die Umgebungen, in denen sie vorkommen, liegen normalerweise eine Stufe höher als bei Anwendung phonologischer Regeln zu erwarten wäre. Dadurch erhalten diese Varianten einen stärkeren Signalwert in der Normallage. Sie sind gleichsam Farbtupfer, die regionale bis dialektale Sprachorientierung signalisieren. 5a. Verb-Präfixe: Die Nasalierung von standardsprachlichen an von auf- -mff-,

»-ο:-, die Monophtongierung

die Dehnung mit Nasal-Tilgung in hin —>hte- und die Stufung

von hinein —*rein —+nei Stufe 1 - 3

Stufe 4 y

ana ufhinanfangen ankommen anlügen anrufen anrücken auf (Präp.) auffallen aufregen draufschreiben hinfahren hinlatschen

3 7, 9 (66) 10 58 30, 58 29 (45), 57 (71) 39 65

Stufe 1 hineinhineinschlappen

ö:• uff>hie-

Stufe 2 - 3 • rein



Stufe 4 nei42

Die dialektalen Varianten gehören hier zur Normallage. Standardsprachliche Varianten kommen nur in direkter Redeerwähnung der Lehrerin oder in gestörter Redeplanung (39) vor. 5b. Artikel, Pronomen, Negation, Konjunktionen In diesem Bereich gibt es eine zweistufige (beim indefiniten Artikel eine dreistufige) Variation.

448

Karl-Heinz Stufe 1

Stufe 2

Bausch

Stufe 3

Def. Art.

den das

Indef.

eine einen

Pron.

mir meine

mer met

Negation

nicht nein keine

ned, näd • ne:, nä: kei

Konjunkt.

Stufe 4

de des ne ein(e)n

e en, η

ke kä

dann

Belegstellen: Stufe 1 den das

53, 73

eine einen mir meine nicht nein kein(e) dann

(67)

Stufe 2

Stufe 3

Stufe 4

22, 23 5, 5, 6, 7, 9, 15 25, 27, 33, 43, 59

39, (67), (61), (66)

(70) 44, 46, 63

(63) (68), 75

7, (68) 2 8, 10, 12, 26 14, 55 1, 9, 27, 31, 37, (48), 58 2, 54 5, 25, 60 37, 43, 46, 57, 60,74.

Auch im Bereich der Artikel, Pronomen, Negationen und Konjunktionen gehören die regionalen bis dialektalen Varianten zur Normallage. Ein Sonderfall ist hier die funktionale Verteilung der Varianten dann, no (s. o. Kap. 6.2.2.). 5c. Einzelfälle Regionale bis dialektale Sprachverwendung signalisieren folgende Varianten:

Sprachverhalten begleitet schwänzen können geregnet erzählen auch

von Jugendlichen

in Neckarau

449

—• begleid (23) —isch bin ne"d f zu spät kumme{. Durch Nicht-Realisierung des standardsprachlichen Präfixes gt- und des Nasals -n, sowie durch Vokalwechsel von ο —*u markiert sie kumme als dialektal. Berücksichtigt m a n , daß sie eine Situation in Szene setzt, in der auch sie normalerweise am Standard orientierte Varianten verwendet, ist die dialektale Variante vor diesem Hintergrund eine auffällige Markierung. Anna imitiert auch hier offensichtlich nicht die Unter-

458

Karl-Heinz

Bausch

richtssituation, sondern gibt eine Selbstdarstellung in der dazu kontrastierenden Sprachebene der Gruppe. Dadurch symbolisiert sie sich als Mitglied der Gruppe. Die dialektale Variante symbolisiert demnach auch hier - wie schon in den beiden vorigen Belegen - soziale Nähe und Identifikation mit der Gruppe. Die ironisch gemeinte Interjektion nä:"[ bt"dde{ in (54f.) bildet vor dem Hintergrund standardsprachlichen Sprechens ebenfalls einen Kontrast. Anna verschiebt trotz der Hervorhebung das stimmhafte d nicht zum standardsprachlichen stimmlosen t hin, was in der Gruppe üblich ist (zur Variation zwischen inlautendem d und t in der Normallage vgl. Kap. 6.2.3., 3c.). Sie gibt ihre Konfrontation mit der Lehrerin auch hier nicht durch imitierende Wiederaufführung des Sprachstils in der Ereignissituation wieder, sondern durch Beibehalten ihrer Normallage, um damit ihre soziale Nähe zur eigenen Gruppe auszudrücken. Ihre Distanz der Lehrerin gegenüber drückt sie dagegen mit prosodischen Mitteln aus, indem sie während des Eigenzitats die Stimme senkt. Das Verfahren hat sie auch schon in (50) in der ironisch gemeinten Antwort auf die Strafe „Eintrag" in na ja supä:"j angewendet. Damit greift sie ein Verfahren auf, das in der Gruppe üblich zu sein scheint, um eine Interjektion als kritisierend gemeinten und Entrüstung ausdrückenden Kommentar zu markieren. So kommentiert auch Britta Ninas Fehlverhalten in (12) durch die Interjektion oh{ go:ti[, wobei auch sie die Stimme senkt. Möglicherweise symbolisiert diese prosodische Kontur in einer Interjektion nicht nur Entrüstung, sondern auch die Art und Weise, wie man mit einem anstehenden Problem umzugehen gedenkt. Britta teilt nach ihrer Entrüstung mit, daß sie mit Hilfe ihrer Mutter die Problemlösung in die Hand genommen hat (14-18). Auch Anna deutet - schon vor der Erzählung - an, daß sie durch Wohlverhalten der Lehrerin gegenüber das Problem, die Lehrerin könne sie nicht ausstehen, zu lösen gedenkt (siehe dazu oben Kap. 5.4.2.). Demnach würde diese prosodische Kontur von Interjektionen in der Gruppe nicht 'klagende Entrüstung' sondern 'Entrüstung mit Lösungsperspektive' symbolisieren. Sie würde signalisieren, daß man dem Problem, das einen aufregt, aktiv handelnd - nicht hilflos - gegenübersteht. Diese Art der Symbolisierung entspricht auch dem Verfahren der Selbstdistanz, unter dem in der Gruppe Konflikte mit anderen erzählt werden (siehe dazu Kap. 4.2.). Betrachten wir nun, wie Anna ihre Kontrahentin, die Lehrerin, in Redewiedergaben vor den Zuhörern in Szene setzt. Schon in der ersten - noch indirekten - Erwähnung in (45) baut sie auf prosodischer Ebene einen Kontrast zu ihrer eigenen Sprechweise auf, indem sie die Stimme bei oh und spät in oh"] isch würd zu späi kummc\ hebt. Damit signalisiert sie das in der Redeeinleitung durch „aufgeregt" semantisierte Verhalten der Lehrerin auch prosodisch. In der nächsten - bereits direkten - Redewiedergabe in (48) hebt sie in oh doch die Stimme noch stärker und intensiviert die Lautstärke über die gesamte Wiedergabe. Beide Aspekte zusammen vermitteln den Eindruck einer keifenden Stimme. Der Akzent auf doch vermittelt außerdem den Eindruck von Ent-

Sprachverhalten

von Jugendlichen

in

459

Neckarau

schiedenheit. Die phonologischen Varianten entsprechen denen, die auch in der Normallage der Gruppe bei Hervorhebung verwendet werden. Anna scheint es demnach bei der Inszenierung des Ereignisses in der Erzählung in erster Linie um eine Fremddarstellung der Lehrerin als Person, als rechthaberische und keifende Kontrahentin zu gehen, wobei sie das Heben der Stimme und die Intensivierung der Lautstärke als Symbolisierungsmittel verwendet. Dieses prosodische Verfahren stützt ihre semantische Darstellung der Lehrerin als emotionale und unberechenbare Figur (siehe dazu Kap. 5.4.1.). I n (51-53) < w e n n | du so aufmüpfisch

bist kannst

du auch gleich

noch

zwei

stunden[ arreschd,[. haben kommt zur von ihr bereits etablierten prosodischen Kontur eine zum Standard hin verschobene Sprechweise auf phonologischer und auch lexikalischer Ebene hinzu (siehe dazu Anm. 20). Es ist schwer zu entscheiden, ob diese Verschiebung speziell als ein weiterer symbolisierender Aspekt der Lehrerin intendiert ist, oder ob Anna damit lediglich auf die standardsprachliche Norm im Unterricht Bezug nimmt. In den folgenden Redewiedergaben (61-63) und (66f.) verdeutlicht sie diese Kontur, indem sie den Kontrast zwischen eigener Normallage und der Sprechweise der Lehrerin durch stärkeres Anheben der Stimme in (61-63) noch weiter ausbaut. Parallel dazu verschiebt sie auch hier die Sprechweise in Richtung Standard (siehe dazu Anm. 22 und 23). Die Intensivierung der prosodischen Kontur und die in (68-72) folgende Nachahmung des Vorlesens schriftlicher Mitteilungen in Standardsprache legt den Schluß nahe, daß Anna sich hier in die Wiederaufführung (das replaying) der Ereignissituation in der Erzählung hineinsteigert. Dabei symbolisiert sie zwei Ebenen mit unterschiedlichen Mitteln: - Einerseits betreibt sie die Darstellung der Lehrerin als Kontrahentin mit prosodischen Mitteln (Tonhöhe und Lautstärke), - andererseits vergegenwärtigt sie durch Verschiebung in Richtung Standard die Sprechweise in der Unterrichtssituation. Sie wendet hier im Rahmen ihrer allmählich intensivierten szenischen Wiederaufführung das in der Kerngesellschaft übliche Verfahren des metaphorischen Codeswitch an (siehe dazu Kap. 6.1.). 7.3.

Symbolisierungsverfahren in der Gruppe

Am Gesprächsbeispiel wurden in diesem Kapitel besonders Annas Symbolisierungsverfahren untersucht und - soweit das im Beispiel möglich war - mit anderen Sprechern der Gruppe verglichen. Weitere, hier nicht herangezogene Daten aus der Gruppe zeigen aber, daß Annas Verfahren nicht idiosynkratisch ist. Obwohl sie die herausgehobene Erzählerfigur in der Gruppe ist, bleibt sie auch in ihren Symbolisierungsverfahren - wie schon in ihrer herausgehobenen Erzähltechnik - weitgehend im Rahmen der Gruppennormen (siehe dazu Kap. 4.5.).

460

Karl-Heinz

Bausch

Die beobachteten Symbolisierungsverfahren auf lexikalischer Ebene kann man kurz folgendermaßen charakterisieren: - Im Bereich lexikalisierter Symbolisierungen werden Ausdrücke aus dem regionalen bis dialektalen Lexikon herangezogen, um Einstellungen gegenüber Personen und Institutionen auszudrücken. Die symbolisierende Kontrastbildung erfolgt durch Verwendung markierter Varianten oder durch Ausdrücke mit formelhafter Bedeutung. - Besonders zur lexikalischen Symbolisierung von Gegenwelten wird auf das standardsprachliche Lexikon zurückgegriffen. Dabei sind zwei Kontrastierungsverfahren zu beobachten: Die standardsprachliche Phonologie wird verwendet, um einen starken Kontrast zu markieren, schwache Kontrastierung erfolgt durch phonologische Angleichung an die sprachliche Normallage der Gruppe. Im Bereich der Sprachvariation haben phonologische und prosodische Variation offensichtlich unterschiedliche symbolisierende Funktionen. Da im Gesprächsbeispiel ein in der Institution Schule erlebter Konflikt erzählt wird, stand das Verfahren im Vordergrund, mit dem die Ereignissituation in die Erzählsituation umgesetzt wird. Dabei werden folgende Verfahren zur Symbolisierung der Ereignissituation, zur Identifikation mit der Gruppe, zur Selbstdarstellung und zur Darstellung des anderen angewendet. - Analog zum Verhalten in der Kerngesellschaft besteht die Tendenz, anderes Sprachverhalten aus einer erlebten Situation in einer Erzählung durch metaphorischen Codeswitch zu signalisieren. Anna praktiziert das Verfahren erst gegen Ende ihrer Erzählung. - Im Gesprächsbeispiel zeigt sich aber auch, daß Anna dieses Prinzip teilweise aufgibt, um ihre Identifikation mit der Gruppe zu symbolisieren. In indirekter Redewiedergabe und direkten Wiedergaben eigener Rede gleicht sie ihre Sprechweise der Normallage in der Gruppe an. Ihr Beibehalten der sprachlichen Normallage ist vor dem Hintergrund des in der Kerngesellschaft üblichen metaphorischen Codeswitch als symbolisierender Kontrast zu erkennen. - Ihre Distanz der Lehrerin gegenüber - und damit ihre Selbstdarstellung in der erzählten Situation - symbolisiert sie durch Prosodie und Syntagmen. Analog zu Verfahren in der Gruppe senkt sie die Tonlage bei Interjektionen, um 'Entrüstung mit Lösungsperspektive' auszudrücken. Damit greift sie auf prosodischer Ebene auch die Art der Sachverhaltsdarstellung von Konflikten in der Gruppe auf. - Zur Fremddarstellung - hier: zum Konturieren der Lehrerin - verwendet Anna ebenfalls prosodische Mittel. Doch im Kontrast zur Selbstdarstellung hebt sie bei der Fremddarstellung die Tonlage an und intensiviert außerdem die Lautstärke, um Emotionalität und Unberechenbarkeit im Verhalten der

Sprachverhalten

von Jugendlichen

in

Neckarau

461

Kontrahentin zu signalisieren. Damit stützt sie ihre auf semantischer Ebene gegebene Kategorisierung der Lehrerin. 8.

Zusammenfassung und Ausblick

Gegenstand der Analyse war eine in die Kerngesellschaft eines kleinstädtisch strukturierten Vororts eingebundene Jugendgruppe. Ihr Sprachverhalten wurde an einem Gesprächsausschnitt und weiterem Belegmaterial unter unterschiedlichen Fragestellungen untersucht. Zentraler Gegenstand war dabei die Erzählung eines Konflikts aus der Schule. Uber die Ergebnisse in den einzelnen Kapiteln hinaus will ich zum Abschluß versuchen, einige Befunde und Beobachtungen in einem weiteren Rahmen einzuordnen, in dem die Gruppe lokalisiert werden könnte. Es kann dabei natürlich nur um Andeutungen und Vermutungen gehen. Erzählen in Form von längeren Erzählungen ist keine zentrale Aktivität in der Gruppe. Im Vordergrund steht der Diskurs über Gruppennormen. Dabei gilt die generelle Regel, daß keiner ein längeres Rederecht in Anspruch nehmen darf. Darin unterscheidet sich diese Gruppe wohl nicht von anderen Jugendgruppen. Auffällig an dieser Gruppe ist, daß einer Figur (hier Anna genannt) die Rolle des Erzählers zugeschrieben wird, und daß sie in dieser Rolle eine Bühne für ihre Auftritte erhält. Ihre Themen sind als 'Stories aus dem eigenen Leben' typisiert. Es konnte gezeigt werden, daß ihr Auftritt zugelassen wird, wenn sie durch implizite Verfahren eine Erzählung als Teil einer Begründungsstruktur in den Normendiskurs einbettet und mit einer unauffälligen Redeübernahme startet. Dadurch, sowie mit einfachen floor-keeping Signalen weckt sie die Bereitschaft zum Zuhören. Ihr herausgehobener Erzählstil kann als szenische Wiederaufführung einer erlebten Situation (replaying) charakterisiert werden. Die Gegenüberstellung ihres Erzählstils mit Belegen, in denen Gruppenmitglieder über Dritte reden, zeigt, daß ihre Erzähltechnik sich im Rahmen des Gruppenstils bewegt. Ein wesentliches Merkmal des Redens über Dritte in der Gruppe ist die Sachverhaltsdarstellung aus unvoreingenommener und selbstkritischer Perspektive. Die Jugendlichen scheinen sich nicht als geschlossene Gemeinschaft wahrzunehmen, die sich anderen gegenüber scharf abgrenzt, sondern sie verstehen sich als eingebetteten und aktiven Teil in übergreifende soziale Strukturen. Inwieweit dieses Selbstverständnis der Jugendlichen im Zusammenhang mit der kleinstädtischen Struktur und den darin typischen Netzwerken ihrer Umwelt steht, wäre durch Vergleich mit anderen Jugendgruppen genauer zu untersuchen (siehe z.B. den Beitrag 7 zu Jugendlichen in Vogelstang). In ihren herausgehobenen Erzählungen erweitert Anna die selbstkritische Perspektive der Sachverhaltsdarstellung. Sie greift auch hier die in der Gruppe üblichen Stilelemente beim Reden über Dritte auf. Dazu gehören besonders sprechercharakterisierende Ausdrücke sowie prosodische Konturen. Sprachva-

462

Karl-Heinz

Bausch

riation hat in diesem Zusammenhang nur eine untergeordnete Funktion. Diese Einordnung in den Gruppenstil sichert A n n a auch in ihrer Rolle als Erzähler, ihre soziale Identität als Mitglied der G r u p p e und festigt ihre personale Ident i t ä t in dieser Rollenzuschreibung. Die Betrachtung unter dem Aspekt sozialer Kategorisierungen u n d Orientierungen zeigt, daß die G r u p p e ein relativ festes Orientierungsmuster f ü r den Umgang mit anderen h a t . Sie unterstellt Kooperations- und Kompromißbereitschaft und erwartet, daß Konfliktlösungen nicht formalistisch, sondern a m Einzelfall orientiert gelöst werden. Das wird u.a. im Gesprächsbeispiel deutlich an der Kategorie ' M u t t e r ' und a m Umgang mit Schulvorschriften gezeigt. In ihrer Erzählung des Konflikts mit der Lehrerin f ü h r t A n n a exemplarisch vor, wie m a n mit einem Kontrahenten umzugehen hat, der diese Erwartungen nicht erfüllt. Dabei zeigt sie in der szenischen Wiederaufführung das dafür geeignete Verhalten und die entsprechenden sprachlichen Mittel und Verfahren auf. Die Verhaltensregel läuft - k n a p p gefaßt - auf folgendes hinaus: Zeigt der Kontrahent keine Kompromißbereitschaft, dann gehe über zu expressiven Darstellungsverfahren, die zwar eigene Kooperationsbereitschaft weiter signalisieren, dem Kontrahenten aber verdeutlichen, daß er kein ernst zu nehmender Partner ist. Auch diese sozusagen offene Abgrenzung gegenüber anderen kann möglicherweise damit zusammenhängen, daß die Jugendlichen in einer kleinstädtischen Welt leben und in deren Netzwerke eingebettet sind. Annas erfolgreiche Erzähltechnik und ihre exemplarische Vorführung sozialer Orientierungen ist der Grund dafür, daß sie in der Rolle der Erzählautorität von der G r u p p e akzeptiert wird. Möglicherweise wird hier die Grundlage dafür gelegt, daß sie auch noch später in anderen Gruppen der Kerngesellschaft als Erzähler typisiert wird. Solche autorisierten Erzähler konnte ich in anderen G r u p p e n unter Erwachsenen beobachten. Eine Gegenüberstellung der Sprachverwendung und -Orientierung in der G r u p p e mit der Erwachsener aus der Kerngesellschaft zeigt, daß beide Generationen ein recht ähnliches Sprachverhalten an den Tag legen. Beide signalisieren ihre Zugehörigkeit zur Ortsgesellschaft durch Verwendung dialektaler und regionaler Sprachelemente. Typisch ist aber auch ihr situativer Codeswitch. Beide verbindet darüber hinaus die Tendenz zum metaphorischen Codeswitch. Die Erwachsenen wenden den Wechsel hin zum Dialekt an, u m in standardsprachlichen Situationen (z.B. in der Öffentlichkeit) soziale Zugehörigkeit zu lokalen G r u p p e n zu symbolisieren. Die Jugendlichen in der G r u p p e symbolisieren ihre eigene soziale Welt gegenüber anderen k a u m durch eine eigene Jugendsprache, sondern vorwiegend mit sprachlichen Mitteln, die auch die Erwachsenen der Kerngesellschaft verwenden. Unter diesem Aspekt gesehen ist die G r u p p e keine typische großstädtische Jugendgruppe, von der m a n als Außenstehender eigentlich erwartet, daß

Sprachverhalten

von Jugendlichen

in

Neckarau

463

sie sich durch eine eigene Sprache hart nach außen abgrenzt. Für die Gruppe typische Symbolisierungsverfahren sind u.a.: - Auf lexikalischer Ebene verwendet sie dialektale Ausdrücke zur Bezeichnung von Einstellungen und standardsprachliche Ausdrücke zur Bezeichnung von Gegenwelten. - Auf phonologischer Ebene symbolisiert Anna in der Erzählung ihre Zugehörigkeit zur Gruppe durch Konvergenz mit der sprachlichen Normallage der Gruppe dort, wo nach den Regeln der szenischen Wiederaufführung metaphorischer Codeswitch angebracht wäre (z.B. in Wiedergaben eigener Rede). Das Verfahren ist eine Art metaphorischer Codeswitch im metaphorischen Codeswitch. - Durch Prosodie (Lautstärke, Heben der Stimme) konturiert sie Eigenschaften der Gegenfigur. Um sich selbst als Meister der Lage darzustellen, verwendet sie ein in der Gruppe übliches Muster (Interjektion in gesenkter Tonlage), das 'Entrüstung mit Lösungsperspektive' signalisiert. Die Ergebnisse legen den Schluß nahe, daß die Jugendgruppe keine peer-group ist, die sich durch demonstrative Abgrenzung nach außen selbst darstellt, sondern offen ist hin zum Übergang in die Welt der Erwachsenen. 9.

Beispieltext: „Die doofe Musiklehrerin"

1 A:hot se näd gschrivvef 2 B:

nää sie gibt aer die adressj. *

3 B: ne im do fängt»s halt grad δ Freinsheia-soundsovielde 4 A: aha 5 B: —»Dahn-heefit-des-ding ne j dee kund jo ned 5:1 • en 8 A: i s jo blö:d • kann aisch ned ausstehe 32 B:

LÄCHELT KURZ

33 A: un K:

«GEHOBENE

46 A: so] un/ » n a Bant se dannf« K: TONLAGE*

*

47 A: « —>-ja u n an Bein platz ghockt Κ: «ABFÄLLIG

*

51 A: >hat se geneint *gäll » isch hab den arreschd K:

ZURÜCKFALLEND«

54 A: no rischdisch provoziert h a w w s c h «gäll Bei dasch in die eck geschaisse Κ:

FÄLLIG«

56 A: «un hab aisch·· stuhl gsetzt gell« total K: «LÄCHELND

*

57 A: uffgeregt * isch hab 60 A: grad ke wenn] du nischt in"n arrest k o u s t K: «KEIFENDE STIMME, 62 A: * eh b e k o n s t ei/ ge/ dann b e k o u s t du K: ALLMÄHLICH IN DIE NORMALLAGE

465

466

Karl-Heinz Bausch

63 A: >ein: verveisj* * dann Bar isch bei· K: ÜBERGEHEND* 64 A: schülersprescherj. do«· schulersprescher 65 A: hiegelatschtj · η da aeint se eh dafi äh dafl daß/ 66 A: *un veisch K: BORMALLAGE ÜBERGEHEND* 68 A: varuaj. · «eil die junge die haa*air~n zettel 69 A: geschriebnf * äh * —»liebe goldische Anna varua K: »WOHLGEFALLEN AUSDRÜCKENDE 70 A: hast du denn heute aittag keine zeit* gell · Κ: TONLAGE* 71 A: ja un"na hat»s voll geknallt] » —>die hat jetz voll die aeinung von air gell], 76 A: » » *uh::» K: «LEISES HEULEN* 17 HA: K: 18 MA:

#so" viel hawse sisch bei uns aa net gekanntj 40 HA: n aider schulbaut 22 AN:

LACHT 34 MA: ofong

Das T h e m a bleibt weiterhin Marcos zukünftige Isolierung, aber die Ausdrucksmittel variieren. W ä h r e n d Andi nur auf seiner generellen Wertung (des—s) scheiße insistiert, indem er sie noch zweimal wiederholt, wechselt Ralf zu zwei artikulatorischen und prosodischen Kodierungen, die in der G r u p p e üblich sind: zu einem Sprechgesang: neue freunde Marco und zu einer Art „kindlichem" Sprechen. Beide sind Kontextualisierungen der Geltungsart des Gesagten. 1 2 Die Äußerung neue freunde Marco ist in mehrfacher Weise von der Umgebung abgehoben: durch den Sprechgesang in Quint- und Terzsprüngen, durch regelmäßige Wechsel von akzentuierten und nichtakzentuierten Silben, durch Variantenwechsel zum Standarddeutschen. o o O

J.O |o

ο jo neue freunde Marco

11

Den Hinweis verdanke ich John Gumperz. „Cool" zu sein ist unter Jugendlichen ein anerkennendes Adjektiv, weil es Überlegenheit (auch gegenüber sozial Mächtigen) ausdrückt.

12

Zu prosodischen Hinweisen (Kontextualisierungen) für die Geltungsart des Gesagten: Müller (1983), Cook-Gumperz/Gumperz (1984), Selting (1989).

484

Johannes

Schwitalla

Die Rufmelodien werden häufig für kurze Äußerungen (Nominalphrasen, Infinitive) verwendet, mit denen die Beteiligten auf ein intentionales Objekt aufmerksam gemacht werden sollen. Meistens drückt der Sprecher damit negative Wertungen aus. Deshalb kann sie hier auch für eine Bemerkung verwendet werden, die für Marco eine schwierige Situation in seiner Beziehungsorientierung hervorhebt. Mit dem Wechsel zum Standard ist ein Wechsel des Sprecher-Ichs verbunden: Ralf imitiert ein tröstendes Argument für den Umzug aus der Perspektive der Erwachsenen. Das kindliche Sprechen - der Ausdruck kindlich stammt von den Jugendlichen selbst - kennzeichnet eine Rede als uneigentlich. Die kindliche Artikulation besteht artikulatorisch aus Verschleifungen und einer Reduktion der Vokalunterschiede. Damit übertragen die Jugendlichen eine sekundäre Interaktionssituation in ihre eigene Rede: sie sprechen wie ein Kind bzw. wie ein Erwachsener zu einem Kind. Diese Sprechweise wird besonders dann benützt, wenn - von belanglosen Themen die Rede ist, wie es typischerweise Erwachsene im Gespräch mit Fremden und in Einleitungsphasen in Gesprächen mit Bekannten tun; 1 3 - wenn über etwas Evidentes gesprochen wird (was sogar Kindern klar ist); - wenn jemand über etwas spricht, was mit Peinlichkeitsgefühlen oder Vertraulichkeit verbunden ist (z.B. wenn Ralf, der wegen seiner neuen Frisur aufgezogen wurde, sich verteidigt: α mä/ schnall aus meiner klass hot gemeint

daß (KINDLICH:)

da=sch

goldisch

ausseh);

- oder wenn Eigenschaften der Eltern-Kind-Interaktion eingebracht werden sollen, wie hier: ein scheinbares Trösten. Wieder geht mit dem artikulatorischen Wechsel ein Variantenwechsel einher. Mit standardsprachlich formulierten Äußerungen in Kommentarstellung wechseln die Jugendlichen öfter die Perspektive des Sprechens zur Welt der Lehrer und Eltern (dazu auch mit einem Beispiel aus der Gymnasiastengruppe: Schwitalla 1987a, S. 168f.). Der angegriffene Marco geht nicht auf die Modalität des Spielerischen ein, sondern behandelt das Thema argumentativ: in den Kurssystemen der gymnasialen Oberstufe gibt es keine festen Klassenverbände mehr; deshalb könne man leichter viele neue Mitschüler kennenlernen.

13

Dazu gehört das Reden über das Wetter, wie es nach dem zitierten Ausschnitt als uneigentlich gekennzeichnet wird. Andi schlägt den kindlichen Ton an, die anderen greifen ihn auf: A I : ( s c h ö n e s s e t t e r heute g e l l f t Κ: « I I D L I C H t HA: jo: HA: •schön A n d i t I: «IIDLICH ·

485

Die Vergegenwärtigung einer Gegenwelt

4. Angriff 34 AH:

aawa trotzde· tota"!

neue umge"bung u n alles

35 HA: (...) (ja) isch könnt a (...)

jaa

36 AH: «uuuh« K: «EKELLAUT* 37 HA:

scheiße is jo dafi die a"nnere sisch schunn viele kenne]

38 HA:

ja avwer v u ·

39 HA: —»so" viel havve sisch bei uns aa net gekannt! 40 HA: ja ** und is ga"r nich fröhlich • — (

[...] III: ο - Ο BA:

Ο

Ο 0 0 0

0 0 0

ο

ο

ο

o o

BE:

ο

ο 0 0

|ο

s i e aufit j a vor-ηβ· V i e r t e l j a h r die vohnung kÜBaern e kündijen

fο

BA:

Ο

* ne •* an jetz koaaen ach iee:

-

521

Soziale Identität beim Erzählen IV: ο fo

0

0

0 0

|o ο

ο ο ο ο ο jetz kourt ihr das große hosensausen ne · nich

BA:

V: ο ο

ο

- ο BA:

Ο Ο Ο

ο

0 0

ο

ο ο

|ο

die >ufi ja praktisch ihren ganzen haushalt auflösen »· nich ο -

ο

ο

ο Ο

BA:

ο ο

Ο

J.0 |ο 0 0 0 «eil der gute knabe der hat ja alles »*

VI: jo ο BA:

o o o o o

O O

Ο

0 0

gefällt ihr aber alles >gar nich so schrecklich

Die wertenden Äußerungsteile II, I V und V I sind von den vorhergehenden Teilen, welche das A b s t r a c t der Geschichte (I) b z w . Hintergrundinformationen (III und V ) mitteilen, prosodisch stark abgetrennt: Dies betrifft in Teil II vier prosodische P h ä n o m e n e : a) Frau Bareis spricht a u f einem insgesamt tieferen T o n h ö h e n n i v e a u , m i t einem starken T o n h ö h e n a b f a l l ; b ) sie wechselt von deutlich hörbaren steigenden zu fallenden A k z e n t e n ; c) sie läßt den T o n h ö h e n v e r l a u f abfallen s t a t t steigen. Dies hat u m s o mehr Gewicht, als die steigenden Intonationen der beiden S ä t z e in Teil I wiederholt und dadurch zu einer Einheit z u s a m m e n g e b u n d e n wurden; d) sie spricht leiser. Einige dieser intonatorischen Ä n d e r u n g e n (fallende und A k z e n t e , Intonationssprung) gelten auch für die ihr das große hosensausen ( = I V ) i m Vergleich zur eignisdarstellung sie mufit ja vor=nem Vierteljahr...

s t a t t steigende Intonation Ä u ß e r u n g und jetzt kommt Hintergrunds- oder Vorer( = III). Der wertende Teil

522

Johannes

Schwitalla

VI gefällt ihr aber gar nich so schrecklich ist nur dadurch von den beiden informierenden Sätzen des Teils V abgetrennt, daß die Wiederholung der steigenden Kontur abgebrochen wird und die Sprecherin auf regelmäßig gesetzte fallende Akzente verzichtet. Zweimal wechselt die Erzählerin in ironischer Weise die Darstellungsperspektive zur Sicht des Freundes. Die erste Stelle war der Satz weil der gute knabe der hat ja alles. Die zweite Stelle ist 2,7-12: I: -

ο o o o o o

ο ο

ο

ο ο

ο

ο

ο ο

-

ο ο ο ο des is ja bequeaer daß Jutta's wegschaeifit nich * als er oder

BA:

ο BA:

o

ο

ο ο

o

ο

ο ο verkauft oder verkloppt ne HOLT LUFT

II: -

Ο

0

0

ο -ο BA:

ο ο ο ο

ο

ο

ο

ο

ο ο

ο

ο

ο ο weißt«e des is * und des is»ne sache die mir einfach nich gefällt

I (= ironischer Perspektivenwechsel); II (= eigene Wertung) Wieder sind die beiden Außerungsteile prosodisch voneinander verschieden: Das ironisch gemeinte Argument des Freundes ist gekennzeichnet durch schnelles Sprechen und vier fallende Akzente, von denen die letzten drei auffallend dicht aufeinander folgen. Dagegen beginnt Teil II mit einem steigenden Akzent bei weißt=e, der sich in sach- noch einmal wiederholt; dann aber fallt die Intonation kontinuierlich ab. Die Sprecherin spricht nun auch langsamer, ruhiger, „bedächtiger". Teil I und II sind außerdem durch eine Atemholpause voneinander getrennt. Diese Perspektivenwechsel werden hier - im Gegensatz zu einer anderen Erzählung dieses Kreises - nicht lange durchgehalten, sondern sofort mit wertenden Kommentaren aus der Sicht der Tochter oder der Mutter bedacht. Die Erzählerin läßt auch aus der oppositiven Anordnung von Informationsteilen ihre Adressatinnen schließen, was sie von der ganzen Geschichte zu halten

Soziale Identität beim Erzählen

523

haben. Auf diese Weise - unterstützt durch zwei Bündel oppositiver Intonationsverläufe und Akzentsetzungen - arbeitet die Erzählerin auch die Pointe ihrer Erzählung heraus (5,3-6,4): I: ο ο

ο ίο

ο Α:

ο

ο

-

ο

wie sie das geplant haben

ο -

ο

ο

ο

ο

ο

|ο Α:

ο ο

da hat der Use iaaer gesacht *

II:

ο - ο Α:

Ο

0

0

0

0

0

0

0

a:ch das stellen vir zu Mir in den keller

ο -ο Β:

ο

ο

ο

ο

ο ο

ο

fο ο ο

ο ο ο ο

die haben alle keller

To ο -ο Β:

ο

ο

u n d zu seinen geschwistern in den keller

Β:

ο

ο

o o

ο

ο

0 0

u n d da stellen vir die Sachen unter

-

524

Johannes

ο

ο

ο

Schwitalla

ο Jo ο

Β:

die vir behalten sollen

III:

ο ο

ο

ο

Β: manches is kru:scht

o o ο

o ο

o

o

ο

ο

ο ο ο

ο

Β: des ka«»«a also gut wegschaeifien von der Jutta •*

o - ο

ο

o o o

ο

ο

Β: und des andre behalten wer *

ο - ο

ο

ο

ο

o o o

o o o o

o

o

Β: des können «er dann in der gröfieren wohnung brauchen IV:

ο jo - o o o o o o BA:

ο

wie die sache nun akut wurde *

ο fo

ΐ° ο

ο - O O O O O Ι ο ί BA: deß sie nun also wirklich an»s rausräuaen

Soziale Identität beim Erzählen

525

V: ο ΒΑ:

ο

ο

ο

ο

ο

ο

ο

ο

ο

< da warn d i e k e l l e r p l ö t z l i c h zu k l e i n * ο

ο

- | ο

ο

ο

ο

ο

ο ο

ο f

o

ο ο BA:

o

o ο

weißt»e * und d i e J u t t a h a t d i e k e l l e r nich gekannt · ne ** ο

ο ο

- ο

ο

ο

ο

ο

ίο BA:

un p l ö t z l i c h pafit da n i s c h t mehr r e i n

jo - ο BA:

Ο

Ο

Ο

ο 0

0

-

ο ο

und s t e h t v o l l a i t s e i n e · kruscht ne

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ΒΑ:

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da «as r a u s z u a i s t e n

Auch hier setzt die Erzählerin die einzelnen inhaltlich und strukturell unterschiedenen Teile intonatorisch voneinander ab. Das Zitat in Teil II ist stark geprägt durch sich insgesamt viermal wiederholende, steigende, aber schwebend auslaufende Intonationskurven. Sie vermitteln - verstärkt durch das langsame Sprechen und die Wiederholungen des Wortes keller - eine beruhigende und Verläßlichkeit suggerierende Sprechweise:

526

Johannes

SchwitaUa

ο ο ο ο - ο

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ο ο ο ο

in den keller ... in den keller ... alle keller ... Sachen unter

Charakteristischerweise bricht die Erzählerin in Teil III, in dem sie zwar weiter zitiert, sich aber mit den zitierten Inhalten identifiziert, diese Intonationswiederholung ab und markiert nur das Ende dieser Einheit durch eine fallende Intonation und einen fallenden Akzent nach zwei steigenden Akzenten. Den Einsatz eines neuen Teils (IV), der inhaltlich zu den alle Versprechungen Lügen strafenden Fakten überleitet, ist durch einen Intonationssprung bei akut markiert. Teil V, die Pointe der ganzen Geschichte, ist ebenso wie Teil II (das Zitat), auf den er sich ja oppositiv bezieht, durch wiederkehrende Intonationsverläufe und Akzenttypen herausgehoben. Die spitz nach oben gesetzten und meist fallenden Schlußakzente der Sätze bzw. Außerungseinheiten werden zum ersten Mal im Wort klein produziert und dann dreimal wiederholt:

plötzlich zu klein [...] eeißt»e [...] nicht gekannt

[...] paßt da nischt mehr rein

Die wegen der Intonationssprünge auffallenden Akzente drücken die Empörung der Sprecherin aus. Außerdem kontrastiert das schnelle Sprechen hier dem langsamen Sprechen beim Zitieren des Freundes der Tochter. Erst in Teil VI spricht die Erzählerin wieder ruhiger. Die erste Zeile dieses Teils ist übrigens die einzige Außerungseinheit, die inhaltlich zu einem anderen Teil gehört. Den weitgehend impliziten Mitteln der Beurteilung der Handlungsweisen entsprechen schließlich einige Formen der Personenreferenz. Es sind leicht abwertende Wörter wie knülch (1,5), dieses weih (11,14), z.T. verbunden mit ironisch gemeinten Adjektivattributen: der gute knabe (1,18). Die Frauen dieser Gruppe gebrauchen auch sonst solche Bezeichnungen für die eigenen Familienangehörigen, wenn der thematische Kontext eine (leicht) kritische Einstellung zum Verhalten dieser Familienangehörigen impliziert: mein lieber mann; mein guter gatte; der liebe vater usw. Schon ganz zu Beginn, als noch gar nicht klar

Soziale Identität beim Erzählen

527

war, daß von einem Fehlverhalten des Freundes erzählt wird, formulierte eine Zuhörerin: ach jetzt zieht sie zu ihrem knü"lch? Oder die Frauen erfinden ungewöhnliche Komposita, z.B. die heirater f ü r ein Paar, das die Eltern auf eine kirchliche T r a u u n g warten läßt. In solchen ironischen Formulierungen drückt sich das Bemühen u m innere Distanz aus. Ebenfalls als ein Bemühen u m Abstand kann m a n einige Stellen verstehen, wo die Erzählerin an einer möglichst korrekten Wiedergabe der Ereignisse arbeitet. Dazu gehören abschwächende Korrekturen: er is nich bereit/ er hat keine zeit sich drum zu kümmern (6,3-4); und eh nu:n behaupten sie * oder behauptet sie" * des wäre überhaupt nur=ne übergangslö"sung * (2,15-18). Zum andern fallen (hier wie in anderen Erzählungen) gewählte Formulierungsweisen f ü r Gefühlsthematisierungen auf, die aus ungewöhnlichen Metaphern oder aus negierten Antonymen bestehen und aus geschriebensprachlichen, vielleicht sogar fachsprachlichen (psychologischen) Textbereichen stammen: und dee macht air so"rgen (2,12/13) wo sie nich glücklich isch (3,7/9) venn «an ait solchen vorbehalten da drangeht und ia gründe genoaaen eigentlich trau"rich is, daß sie sich nun völlich blo"fl legt (3,14-4,4) und de"s hat sie [...] irgendwo gekrä"nkt (6,5/6) daß ich»n bißche auch entla"stet bin (8,5).

Von einer Bemühung u m eine distanzierte Darstellungsweise kann man hier deshalb sprechen, weil die Erzählerin auch drastischere, nicht so gewählt klingende Redewendungen und Wörter gebraucht, u m ihre eigenen Gefühle oder die ihrer Tochter zu thematisieren (jetzt kommt ihr das große hosensausen; (1,15) wir sind ja blö:d (in der Auslassung nach 3,3); mir hängt=s langsam zum halse raus (7,15)). 4.3.

Beteiligungsweisen der Adressatinnen

Zunächst soll beschrieben werden, wie die Adressatinnen a m Erzählschema mitwirken: Sie bringen die Erzählung in Gang, sie lenken die Aufmerksamkeit auf den zentralen Aspekt der Geschichte hin, sie erfragen Details und sie arbeiten bei der Pointe und bei der C o d a mit. Dann sollen Äußerungen (in der Erzählankündigung, bei wertenden Teilen und nach der Coda), beschrieben werden, die zeigen, wie die Adressatinnen das Mitgeteilte emotional aufnehmen und dadurch eine sympathetische Beziehung zur Erzählerin herstellen. Die gemeinsame und in Teilen gleichzeitig identische Reaktion auf das Eingeständnis der Erzählerin, die Tochter sei gar nich fröhlich über den Umzug ( = Abstract, 1,4/6) markiert einen Einschnitt im Interaktionsablauf. Die Frauen reagieren auf eine überraschende Wendung des Gesprächs. Sie haben

528

Johannes Schwitalla

verstanden, daß sie eine Information über etwas erhalten haben, das für die Erzählerin wichtig ist und das sie belastet (1,7-11): EB:

neint

BE:

ach nö::1 «as is losj

MW: tnei:nf

a:ch (...) gar nich »(...) hör auf*

K: «FASSUNGSLOS*

»LEIDEND

*

EB: * a varua tut se«e dannj* K: * MITLEIDIG

*

Zwei Frauen antworten gleichzeitig mit einem laut gesprochenen nein, das aber unterschiedliche kommunikative Bedeutung hat: einerseits überraschte Rückfrage, andererseits fassungslos empörte Aufnahme der Information. Die übrigen, leise ausgesprochenen Äußerungen enthalten in ihrer Stimmqualität Sympathie und Mitleid für die Erzählerin. Die Frage nach den Gründen des Umzugs (α warum tut sie=s dann?) bringt die Erzählung in Gang. Hier schon bekunden die Zuhörerinnen Anteilnahme; sie gehen mit expressiven Lautgebungen auf das kommunikative Gewicht der Mitteilung ein. 4 Andere kooperative Leistungen beziehen sich auf den Gesichtspunkt der thematischen Relevanz: ja u n d varua h a t u e"r nich seinen haushalt aufgelöst (2,2/5) ja daß sie nich dazu steht vor allen dingen dann (2,14/16).

Frau Ebert lenkt das Thema immer wieder auf den wirklich wunden Punkt zurück: nicht der Umzug als solcher, sondern die Gefühle der Tochter seien dabei entscheidend. Dreimal insistiert sie auf ihrer Meinung (3,5-4,1): —»EB: Relevanzfestlegung: »'s natürlich=n praktischer gesi" chispunkt aber [...] von dem moment an wo sie nich glücklich isch ... BA: ausweichende Antwort —»EB: provozierende Frage: du wirsch doch nich glauben daß die" da"dran gewöh:nt

sich

BA: ungewisse, eigene Antwort; positive Antwort aus der Perspektive der Tochter BE: positive Meinung: ich meine auch ... 4

Für einige der hier untersuchten Formen der Kooperation gibt es einige Parallelen in der von Macintyre-Jenkins (1988) untersuchten Frauengruppe. Dies gilt für Einladungen zum Erzählen, für die gemeinsame Entwicklung des Kerns der Erzählung, für zustimmende Äußerungen und interessierte Nachfragen. Macintyre-Jenkins (1984) ist eine der wenigen Studien, in der die soziale Funktion von Erzählen, nämlich eine positive Identität zu einer sozialen Rolle zu finden, ausdrücklich hervorgehoben wird.

529

Soziale Identität beim Erzählen

—»EB: Widerspruch m"m (verneinend) BA: allmähliche Entwicklung eines Urteils in Analogie zur Meinung von Frau E b e r t : wenn man mit solchen vorbehalten

da drangeht

...

Diese Aktivitäten der Relevanzfestlegung und -bewertung durch Frau Ebert und die Erzählerin sind deshalb entscheidend für den Fortgang der Interaktion, weil hier eine gemeinsame Bewertungsgrundlage geschaffen wird, auf der dann weitere Versicherungen des kognitiven Konsenses und des gefühlsmäßigen Einklangs aufbauen können. Dazu gehört auch, daß Frau Ebert das Problem ähnlich wie Frau Bareis formuliert: gar nick fröhlich - nich glücklich (1,6; 3,7/9). Schließlich wirkt eine Adressatin (wieder Frau Ebert) bei der Formulierung der Pointe mit; sie unterbricht und vervollständigt aus ihrer Vermutung die syntaktische Konstruktion des gerade gesprochenen Satzes, so daß die Erzählerin sich beeilen muß, ihre Version der Pointe hervorzubringen (5,15/17): BA: vie die sache nun aku"t wurde * deß sie nun also «irklich BA: an»s rau"sräu"Men • da warn die keller plötzlich zu EB: da war plötzlich kein keller »ehr dal

Frau Ebert vervollständigt den komplexen Satz und zeigt damit, daß sie die berichteten Beteuerungen des Freundes als den ersten Teil einer inhaltlichen Oppositionsstruktur verstanden hat, daß sich nämlich die Versprechungen des Freundes nicht bewahrheiten haben. Anders als in kompetitiven gemeinsamen Erzählungen will Frau Ebert ihrer Freundin die Pointe nicht wegnehmen, sondern Einverständnis demonstrieren. Die übrigen, auf die Sachebene der Handlungsabfolge (Handlungsbedingungen und -ziele) bezogenen Höreraktivitäten helfen, das kognitive Bild zu vervollständigen. Dazu dienen informationseinholende und problematisierende Nachfragen (4,15/17; 6,12/14) und eine reflektierende Parallelüberlegung (in der Auslassung nach 3,3). Mit der Frage: ja und warum hat=n e"r nich seinen haushalt aufgelöst? (2,2/5) bekundet eine Hörerin, daß sie den springenden Punkt verstanden hat und daß sie auch die Erzählperspektive übernimmt. Mit diesen Aktivitäten zeigen die Adressatinnen ihr Interesse an der Geschichte, und sie ermuntern die Erzählerin, ihre Erzählung zu detaillieren. Diese hier aufgezählten Hörerbeteiligungen unterstützen sie darin, ein Erzählschema in Gang zu bringen und es aufrechtzuerhalten. Wesentlicher als die Kooperation bei der kognitiven Ereignisgestalt scheint mir, daß die Zuhörerinnen an wichtigen Stellen des Erzählschemas der betroffenen Erzählerin zeigen, daß sie fühlen und werten wie sie. Dies war schon bei den gefühlsexpressiven Stimmodulierungen der Erzählinitiierung der Fall, wird dann aber jedesmal neu vollzogen, wenn die Erzählerin explizit ihre Gesamtwertung versprachlicht:

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Johannes

Schwitalla

a) 4,7-14: Hier sagt die Erzählerin zum ersten Mal explizit, mit einem scharfen Ton in der Stimme, mit starken Akzenten und mit einem festen Klopfen auf den Tisch, daß ihre Tochter wieder bei null anfangen müsse. Diesen Satz wiederholt sie zur Bekräftigung (vorher sprach die Erzählerin ruhig, überlegend, mit Pausen): u n wenn die sache schie"fgeht Annemarie ** dann fängt die Ju"tta wieder bei null an| der U"we nich nef dann fängt sie" bei/ dann fängt sie" bei null an|

Dazu gibt Frau Ebert einen Kommentar, der das hier geschilderte Verhältnis verallgemeinert, ebenfalls mit einer Wiederholung: sin immer die frau'en, sin immer die frauen. Sie läßt damit einen weiteren Aspekt sozialer Identität anklingen, nämlich das kritische, nach gemeinsam geteilter Auffassung zu Lasten der Frauen gehende Verhältnis zwischen Männern und Frauen. Aber dieser Aspekt wird hier ausgeblendet; er steht dafür in anderen Erzählungen im Vordergrund. b) 7,6-14: Mitwirkung bei der Coda. Die Erzählerin hat in einem verhaltenen Tonfall angekündigt: jetzt k o u t se nachher k o u t se «uddi ich miß sich bei dir ausheulen

Dann aber änderte die Erzählerin die Stimme in eine trotzige, verärgerte Gefühlsqualität: ich sach ha" * go"tt nochaal hört denn das nie auf

Zwei Zuhörerinnen gehen auf den zuerst produzierten, klagenden, fast weinerlich wirkenden Tonfall ein und bringen ebenfalls Interjektionen und langgezogene Affektlaute hervor, die dieser Gefühlslage entsprechen. Eine Zuhörerin drückt das Gefühl der Verärgerung in einem Satz aus: NU: BE: o::ch oh:: wem=ma scho ei "mal seine ruhe hätte is auch fürchterlich BE: fürchterlich], (7,9-14)

Hier stellen die Frauen eine sympathetische emotionale Beziehung zur Erzählerin her, die - abgesehen von der inhaltlich parallelen Aussage der nachgeschobenen Sätze - wesentlich in der gleichartigen Stimmführung liegt. Die drei Frauen klagen gemeinsam. c) Danach, in 8,2-10, entwickeln wieder Frau Ebert und die Erzählerin abwechselnd eine Deutung der Situation der Mutter. (Frau Ebert fühlt sich für die Gruppe verantwortlich; sie drängt öfters auf einen klärenden Abschluß.) Diese Sympathie wird aber argumentativ, über propositionale Inhalte entwickelt, wobei die Gedankenfigur der „Tragik" des Ereignisses einem Vergleich des jetzigen Zustande mit der erwartbaren guten Beziehung der Tochter zu ihrem Freund

Soziale

Identität

beim

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Erzählen

folgt (aufgenommene syntaktische Konstruktionen und paraphrasierte Redeteile sind unterstrichen): EB: du hasch dich eigentlich so: gefreu"t daC sie jetzt endlich einen festen freund hat BA: ... daß ich=n biflche auch entla"stet bin [...] weil Bich=s einfach

iiier irgendwo bedrü"cfct EB: weil die dreierbeziehung hat dich schon e bißle krank gemacht

Diese Deutungen werden jeweils durch bestätigende Hörersignale bekräftigt. Mit dieser allgemeinen Situationsdeutung kommt die Erzählung zu einem Abschluß. Die Frauen haben durch die Erzählung einen inhaltlichen Konsens und eine gemeinsame Sympathiebasis aufgebaut, auf der im weiteren Verlauf des Gesprächs eine Definition ihrer sozialen Identität hinsichtlich ihrer Mutterrolle ausgearbeitet werden kann. 4.4.

Gemeinsame Rollendefinition im Anschluß an die Erzählung

Bei sehr vielen Erzählungen kann man beobachten, daß die Interaktionsteilnehmer Teile des Erzählmaterials nachträglich in einer argumentativen Behandlungsweise noch einmal durchsprechen. So auch hier: Nachdem eine gemeinsame abstrakte Wertung des Verhältnisses zwischen Mutter und Tochter erarbeitet wurde, wechseln Initiantenrollen und Interaktionsmuster. Das thematische Material für die Herausarbeitung einer gemeinsamen Sicht der Mutteraufgaben stammt aus dem abschließenden Teil der Erzählung, wo die Erzählerin berichtet, die Tochter komme, um sich bei ihr auszuheulen (7,6/8). Aus dieser Rollenkonstellation (und nicht mehr der zwischen Tochter und Freund) konstruieren die Frauen wesentliche Aspekte ihrer eigenen sozialen Identität als Mütter erwachsener Töchter. Dies geschieht in zwei Schritten: Zunächst demonstrieren die Adressatinnen der zurückliegenden Erzählung, daß sie ähnliche Probleme haben oder hatten. Sie wechseln dabei öfter zu einer scherzhaften Interaktionsmodalität. Danach bestimmen alle Beteiligten die Aufgaben und Rollenerwartungen, die sie als Mütter von erwachsenen Töchtern für sinnvoll halten. Im Gegensatz zur engagiert ernsten Behandlung der Ereignisse in den Erzählpassagen vorher wechseln nun scherzhafte, witzige Themenbehandlungen mit ernsthaften. Die scherzhaften lassen sich jedesmal an Lachreaktionen oder am Sprechen unter gleichzeitigem Lachen ablesen, während der Einsatz wieder ernsthafter, reflektierender Teile auch vom Tonfall unterstützt wird. Die Tatsache, daß man gemeinsam lachen kann, drückt die gemeinsame Uberzeugung aus, daß das Problem in Wirklichkeit nicht so schlimm ist. Die Wechsel zu erheiternden Gedanken und Vorstellungen bewirken die Frauen d u r c h W o r t s p i e l e ( a l l e i n e reinkommen

- alleine

rauskommen,

11,16/18), durch

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Johannes

Schtvitalla

Übertreibungen (z.B. Fehler machen bis ans Lebensende, 10,1/3), vor allem aber durch eine übertriebene und dramatisierende Darstellungsweise ähnlicher Sorgen mit Töchtern. Auch die ursprüngliche Erzählerin geht auf diese ironischen Umkehrungen der Relevanzgesichtspunkte ein: die wird dreißich ich bitte dich - gespielt entrüstet und besorgt ausgesprochen (13,10). An mehreren Stellen versuchen die ehemaligen Adressatinnen auch, der Erzählung positive Aspekte abzugewinnen und damit ebenfalls die bislang negative Gesamteinschätzung abzumildern: BE: kann ja auch Βas echö"nes sein- * alles wieder neu" zu haben (8,17/20) EB: ja: aber sie kann ja nu"r aus de· «as se macht lernen (9,16/18) EB: eingtlich «uß-du froh" sein ... (12,21-13,17)

Diese Initiativen gehören zu einer argumentativen Themenbehandlung, die mit Pro- und Contraargumenten weiterbesprochen werden. Die jeweils nachfolgenden Reaktionen geben im ersten Fall einen positiven Bescheid durch ein Zitat der Tochter, im zweiten Fall wird die These „aus Fehlern kann man lernen" mit einem Contraargument ad absurdum geführt, und im dritten Fall leitet es die gemeinsam produzierte Gesamtdefinition ein, wobei ein wieder den Leidensaspekt behauptendes Contraargument durch ein Beispiel (letschde woche hab ich=s ... 13,11-12) bestätigt wird. Kognitiv unterstützen diese Argumentationen die gemeinsame Gesamtinterpretation der Mutterrolle; interaktiv gewähren sie der Erzählerin die Möglichkeit, ihre Lage von einer höheren Warte aus auch positiv zu werten. Zwischendurch wird dennoch betont, daß das Schicksal der Kinder für die Mütter belastend ist (13,8/14). Um der Erzählerin zu zeigen, daß sie nicht alleinsteht, sondern daß die anderen Frauen mit ähnlichen Problemen zu kämpfen haben, schildern sie eigene Erlebnisse mit ihren Kindern. Von diesen fallen zwei sehr kurz aus (10,18ff., 13,llff.), eine ist detaillierter, mit wörtlicher Rede gestaltet (15,1 Off.). Dadurch zeigen die Zuhörerinnen, daß sie sich in die Lage der Erzählerin versetzen können (Demonstration der Rollenübernahme) und bereiten die abschließende gemeinsame Rollendefinition vor. Die Identifikation mit der Erzählerin geht so weit, daß die Frauen einzelne stilistische Züge ihrer Erzählung aufnehmen. Am ausführlichsten schildert Frau Becker ihre ähnliche Lage. In der letzten Sitzung hatte sie nämlich über die neuen Entwicklungen des Verhältnisses zu ihrer Tochter und deren Freund geklagt, und auf die Tröstungen der anderen Frauen spielt Frau Bareis an: des ham wa ja zu dir au"ch neulich gesagt (10,14). Frau Becker stellt nun die problematische Sachlage übertreibend dar und drückt dies sowohl stimmlich wie auch durch ihre Wortwahl aus. Die nicht ernst gemeinte und von den Adressatinnen entsprechend mit Lachen begleitete Stilisierung

Soziale Identität beim Erzählen

533

zeigt sich z.B. in einer rhythmisch gegliederten Interjektionskette: a:ch go"tt ach go"ti ach go"tt ach go"tt und in den abschließenden, gefühlsexpressiven (wieder rhythmisch parallelen) Adjektiven: entse:tzlich, wirklich (11,2/3). Sie bleibt aber abstrakt (schreckliche suchen, geht—s da zu), womit nur das F a k t u m der vergleichbaren Lage angedeutet wird. Nach der (noch zu besprechenden) gemeinsamen Rollendefinition trägt Frau Ebert eine ähnliche Sorgengeschichte (15,10-17,9) vor. Sie habe sich so au"fgeregt, weil sich ihre Tochter ein Motorrad gekauft hat, mit dem sie dann, zusammen mit ihrem Freund, in Urlaub fuhr. Der zentrale Kern dieser Geschichte ist die Darstellung ihrer eigenen Reaktion: sie machte sich klar, daß die Tochter nun selbst für ihren Lebensunterhalt aufzukommen habe. Aber bei der Schilderung der Skrupel, die sie bei dieser Entscheidung hatte, wechselt sie zu einer komischen Darstellungsweise. Sie spricht übertrieben besorgt, gespielt mitleidend und sie rhythmisiert dabei die letzten beiden Sätze: ich kann des kind doch nich im stich lassen, wenn se doch studie:rt * un noch net so viel verdie:nt (16,16/20). Bei der Altersangabe scho achdezwanzich, gell gleitet die Sprecherin in ein stärkeres Schwäbisch, das sie sonst nicht spricht: un studiert alleweil no: (17,6/9). Neben lautlichen Änderungen bewirken auch Wörter, die (eher) der dialektalen Kommunikation entsprechen (gell, a"lleweii) den Variantenwechsel. 5 Auf diese Selbstdarstellung als eine mütterliche, aber etwas beschränkte Frau reagieren die Zuhörerinnen mit lautem Gelächter. Diese ironisch gebrochenen Wiedergaben sorgenvoller Erfahrungen mit eigenen Töchtern bewirken interaktiv gesehen zweierlei: die Frauen zeigen der Erzählerin, daß sie mit ihrem Schicksal nicht alleinsteht (Demonstration der Rollenübernahme); zweitens zeigen sie implizit, durch die beschriebenen Mittel der Ubertreibung und Distanzierung, daß sie mit diesem Problem fertig geworden sind. Dies ruft bei den Adressaten Heiterkeit hervor und wirkt dadurch für die aktuelle Situation entlastend. Es fällt auch auf, daß die nachfolgenden Erzählerinnen in den Passagen, wo sie von ihren eigenen Gefühlsreaktionen sprechen, ähnlich formelhafte Wendungen und zum Teil eine ähnliche Intonation verwenden wie diejenige Formulierung der ursprünglichen Erzählerin in ihrer Coda. Diese zitierte sich selbst mit zwei formelhaften Wendungen zum Ausdruck von Verärgerung (ha" go"tt, hört denn das nie auf?), welche sie mit einer weiteren metaphorischen Redewendung aus dem körperlichen Bildbereich verstärkte: 5

Variantenwechsel (oft von der Standardsprache zum Berlinerischen, seltener zum Mannheimerischen, bei einer Beteiligten zum stark Schwäbischen) hat viele interaktive Funktionen (vor allem: Abwendung einer Imagegefährdung des Adressaten, dann: Rollendistanz - wie hier, scherzhaftes Reden, Freude am sprachlichen Kontrast), aber in allen aufgenommenen Sitzungen nur einmal eine sozialabgrenzende: eine ehemalige Mitbewohnerin von Vogelstang, der die nachbarschaftliche Umgebung nicht gut genug war, wird karikierend mit einem übertrieben vornehmen Redestil (TonhöhenVariationen, Dehnungen) nachgeahmt. Ausführlicher dazu das Porträt der Literaturgruppe, Kapitel 4.4.

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BA: ich sach ha" * go"tt nochaal hört denn das nie auf [...] also mir hängt's langsam zum halse rausj (7,8/15)

Die erste Wendung formuliert Frau Becker ganz ähnlich mit einer syntaktisch fast gleich gebauten formelhaften Wendung des U n m u t s (statt rhetorischer Frage Imperativ): BE:

dann hab ich ge(sagt) o:ch (GEDEHNT:) laflt «ich doch in ruh:e (11,12/14)

Frau Ebert greift in ihrer ersten nachfolgenden Erzählung die bildhafte Wendung des zweiten Teils auf, zwar nicht wörtlich, aber im gleichen Bildbereich: EB: letschde woche hab ich»s bis da oben stehen gehabt (13,11-12).

Die ehemaligen Adressatinnen der Erzählung übernehmen also denselben sprachlichen Gestus wie die ursprüngliche Erzählerin und drücken so auch auf der Ebene der Phraseologie ihre Solidarität aus. Den Abschluß der Aufarbeitungsphase der Erzählung machen die Frauen in einem, m a n ist schon geneigt zu sagen: „Finale". Wichtige Inhaltsteile bilden dabei die Komponenten der gemeinsamen Definition ihrer Rolle als Mütter von erwachsenen Töchtern. Diese Rolle behandeln die Frauen aber aus beiden Perspektiven in mehreren Facetten und innerhalb verschiedener Darstellungsweisen (Überlegung, wörtliche Rede). Die kognitiven Elemente betreffen die Anliegen der Kinder, die Anforderungen an die Mütter und allgemeine Verhaltensregeln für sie. Dieser gemeinsam produzierte Konsens wird hier aber nicht zum ersten Mal erworben, sondern seine einzelnen inhaltlichen Teile werden von langer Hand vorbereitet und zwischendurch genannt: a) prospektive Handlungsmaxime.· von der Erzählerin selbst als R a t der Tochter: jetz mach dir nich so viel geda"nken. ich mach mir wahrscheinlich zu viel gedanken. Diese Meinung bestätigen sofort zwei weitere Frauen: wahrscheinlich, genau (9,2/4) als R a t von Frau Becker: ich kann dir wirklich nur sagen reg dich nicht so au"f drüber, auch hier wird die Meinung von der Erzählerin akzeptiert und sogar reziprok geltend gemacht (Erinnerung an denselben Rat an die Sprecherin vor 14 Tagen) (10,11/13) b) Rollendefinition als Mutter: in der argumentativen Phase des Berichts von Frau Becker formuliert diese ihre Mutterfunktion: meim kind zur seite stehen (11,10/12) fünfe grad sei(n lassen) (12,3)

Soziale Identität beim Erzählen

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bei der Herauslösung des positiven Aspekts: (du mußt) froh sein solang du noch eine anlaufstation bist (die Formulierung anlaufstation übernimmt sie wahrscheinlich der kurz zuvor genannten anlaufstelle - hier für Enkel) (12,21-13,2) c) Bedürfnisse der Kinder (Töchter): solang se noch zu dir koait (13,5-6)

Nach einer kurzen Pause setzt nun das „Finale" (13,16-15,9) ein. Dabei wirkt die Runde interaktiv zusammen durch folgende Aktivitätstypen: a) Konsensausdrücke als Hörersignale: mhm, ja, jaja, genau, genauso is es b) simultane oder nachgeschobene syntaktische Parallelkonstruktionen: BE: die «ollen gar nich dafl du dich/ ST:

die wollen gar kein ra"t (13,16/18)

EB: ... daait vir jeaandea das erzählen können BE:

ja erzählen können (14,20f.)

c) Gemeinsame Produktion einer wörtlichen Rede mit verteilten Rollen: ST: a:ch de"s BA:

ach * ach hab ich doch längst vergess/

ST: de"sj EB:

is ja scho lä/ ach d e M s

(14,10-13)

d) Parallelaussagen mit wörtlichen Wiederholungen: ST: die wollen gar kein ra"t (13,17) EB: bis ich da"s begri"ffen hab dafl ich»n ra"t gar nich/ (14,17) BE: des hab ich auch erst kürzlich begriffen (15,3/7)

e) Drei parallele, nacheinander produzierte Belegberichte: ST: bei Harion da hab ich ja au"ch solange jej braucht bis ich da"s begri"ffen hab dafl ich«n ra"t gar nich/ (14,15/17) EB: des h a a air «eine kinder eines tages haa sie gesagt (14,18) BE: ja: aber des hab ich auch erst kürzlich begriffen (15,4/7)

Das Durcheinanderreden, die verkürzten und abgebrochenen Äußerungen wirken keineswegs störend, sondern bestätigend und anspornend. Jede Beteiligte will zeigen, daß sie so denkt wie die anderen. Zu fragen ist nun, mit welchen sprachlichen Mitteln die Runde ihre gemeinsame Definition als Mütter von erwachsenen Töchtern versprachlicht. Die propositionale Grundlage dafür bilden Aussagen über die Verhaltensanforderungen von

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Seiten der Kinder. Diese drücken die Frauen als eigene Interpretationen oder als Zitate der Kinder mit den Modalverben wollen und mögen, ihre Angewiesenheit auf die Mütter mit dem Verb brauchen aus: die vollen auch nur ihr he"rz ausschütten (13,16/17) die vollen auch nicht dafi du [...] des aö"chten die nicht [...] die vollen-e ab"laden (13,18-14,4)

als wörtliche Rede: vir brauchen dich nu"r damit vir jeaandea das erzählen können (14,20) (vgl.: dafi du gebraucht virst; 13,5)

Die Verbalphrasen, die den propositionalen Gehalt der Intentionen der Kinder ausdrücken, sind bildhaft und phraseologisch ausgedrückt: herz ausschütten, abladen.

Die Rollenanforderungen werden in einer idiomatischen Wendung und in Definitionssätzen ausgedrückt, in denen das Definiens bildlich den Aktivitäten der K i n d e r e n t s p r i c h t ( h e r z ausschütten

- anlaufstation;

abladen -

mülleimer):

meinem kind zur seite stehen (11,10/12) (du bist eine) anlaufstation; einfach vie»n [...] Mülleimer (13,2; 14,1)

Hier fällt vor allem auf, wie sich die Lexik von einem gewählten Stil (zur seite stehen) zum drastischen Bild des (seelischen?) mülleimers verschiebt. Zusammen mit anderen prosodischen und paralinguistischen Mitteln (vgl. oben die Analyse zu 7,8-14) drückt sich darin ein zunehmender Abstand von den Ereignissen bzw. Verhältnissen aus. Der Rückstufung ihres Problemgehalts entspricht ein nachlässigerer Sprechstil. Mit der Rollendefinition hängen die Anforderungen an die Mütter zusammen, die aufgrund dieses Einzelfalls für alle Beteiligten generalisiert werden. Auf dem Wissenshintergrund der Erzählung stellen die Frauen fest, daß die erste, natürliche Reaktion der Mütter die falsche war. Deshalb werden die Aufforderungen zum 'richtigen' Verhalten als Unterlassungen, sprachlich als Sätze mit Negationspartikeln formuliert. Die Frauen sprechen nun formelhafter und mehr in Metaphern. Der AufForderungscharakter erscheint im Satzmodus des Imperativs oder in Modalverben: Imperativsätze: jetzt aach dir nich soviel gedanken nimm dir»s nich so (zu herzen) reg dich nicht so auf

Soziale Identität

beim

Erzählen

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Modalverben: man «ufi fünfe grad sein lassen •an soll (se) einfach fünfe grad sein lassen •an sollte sich wirklich nich so drüber aufregen du brauchst dich nicht Mehr drüber aufregen Auch das abgeratene, gegenteilige Verhalten wird bildhaft, als körperlicher Vorgang dargestellt: sich nächtelang schlaflos rumwälzen (13,19/20), acht tage drinhängen (14,7). Hand in Hand mit der bildhaften Redeweise geht eine zunehmende Verkürzung der syntaktischen Konstruktionen. Die Frauen sprechen in Anakoluthen, in Einwortsätzen, oder sie verwenden Pronomen im Vertrauen darauf, daß die Hörerinnen verstehen, welche Referenten gemeint sind. 4.5.

Zwischenergebnis

An diesem Erzählbeispiel konnten soziale Symbolisierungen des sozialen Zusammenhalts in drei Richtungen beobachtet werden, was die spezifischen Objektbereiche angeht, welche symbolisiert werden: - für die Regeln des Sprechens in der eigenen Gruppe: die kooperative Art der Durchführung des Erzählschemcis; - f ü r die Definition der sozialen Rolle als Mütter von erwachsenen Kindern: explizite Formulierungen von Verhaltensregeln; - f ü r den Ausdruck kritischer Einstellungen dem Verhalten anderer Personen gegenüber: die vielfaltig indirekte Art, wie dieses Verhalten dargestellt wird. Dazu gehört, daß Wertungen z.T. nur prosodisch ausgedrückt werden (vgl. 4.2.); daß negativ bewertete Personen und Sachverhalte ihres Lebensbereichs mit leicht negativ wertenden Nomina (knülch) oder mit konnotativ wertenden Wörtern (verkloppt; voll mit seinem kruscht) bezeichnet werden, für die es auch weniger stark wertende Wortalternativen gibt; daß Ausdrücke der propositionalen Einstellung (n bißchen, irgendwo, im gründe genommen) die Sicherheit und Festigkeit der vorgebrachten Meinung relativieren und schließlich, daß die Frauen mit ironisch gemeinten Perspektivenwechseln und mit Änderungen der Kommunikationsmodalität zum scherzhaft übertriebenen Sprechen andeuten, daß sie iahig sind, die geschilderten Probleme aus innerer Distanz zu betrachten. Diese Mittel gestatten es den Frauen, ihre Probleme in einer Weise zu besprechen, die zeigt, daß sie sich für fähig halten, diese Probleme zu lösen und sie aus einer reflektierten Einstellung anzugehen. Auf der anderen Seite produzieren die Frauen viele Formen des kooperativen Mitwirkens an Kommunikationstypen (hier: Erzählungen), und sie bekunden

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ihre Solidarität und ihre gleichgerichteten Gefühle. Auch hier spielen ähnliche Intonationskonturen, das Wiederaufgreifen von Wörtern, Satzkonstruktionen und ähnlicher Redewendungen eine große Rolle. In nachfolgenden Erzählungen mit demselben inhaltlichen Fokus demonstrieren sie die Fähigkeit, sich in die Situation der anderen zu versetzen und zu zeigen, wie sie mit den Problemen fertig wurden. Die kognitive und emotionale Gleichgestimmtheit der Gruppe drückt sich nicht nur in Wiederholungsfiguren auf den unterschiedlichen sprachlichen Ebenen aus, sondern sie geht so weit, daß die Gruppe wichtige Gedanken und Kommunikationstypen gemeinsam hervorbringt. 5.

L i t e r a t u r g r u p p e : E r z ä h l e n v o m falschen V e r h a l t e n a n d e r e r

In diesem Kapitel sollen kurze, beiläufige Erzählungen vom falschen Verhalten anderer Leute daraufhin überprüft werden, welche Symbolisierungsmittel die Frauen des Literaturkreises dabei verwenden. Diese Fragestellung soll zugleich einen Übergang zum Vergleich mit den Symbolisierungsweisen beim Erzählen in anderen Gruppen in Vogelstang bilden. Während in den Unterhaltungen der Literaturgruppe Erzählungen und andere kommunikative Formen zum Thema Familie zu den wichtigsten Gesprächsanlässen der Treffen gehören und in aller Ausführlichkeit und mit großem Engagement behandelt werden, werden kleinere Ärgernisse in den anderen Lebensräumen der Frauen mit weniger Aufwand erzählt oder besprochen. In solchen Erzählungen spießen sie jeweils Züge von sozialen Verhaltensweisen auf, die sie ablehnen und durch die sie sich selbst definieren: sie würden im jeweiligen Falle nicht so handeln. Die Frage, welche kommunikativen Situationen und welche Handlungsweisen die verschiedenen untersuchten Gruppen jeweils in den Mittelpunkt ihrer Erzählungen rücken, soll ein Stück weit der Klärung dienen, wie sich diese Gruppen in ihren sozialen Umfeldern selbst sehen und welche Unterscheidungsmerkmale für ihre eigene soziale Identität sie dabei intersubjektiv herausarbeiten. Für die Interpretation werden auch Informationen herangezogen, die aus ethnographischen Interviews mit Angehörigen dieser Gruppen oder gleichartiger größerer Bewohnerkreise in Vogelstang stammen. Der Hauptgesichtspunkt der Analyse liegt auf der Art und Weise, wie diese Gruppen die sie jeweils störenden Verhaltensweisen anderer sprachlich ausdrücken. Ich gehe also noch einmal von der Literaturgruppe aus und zitiere aus vier Erzählungen und einem Bericht in der Abfolge der zunehmenden Explizität der sozialsymbolischen Mittel. Im folgenden Beispiel geht es um den Verstoß gegen die Regel, in einer Gruppe nicht aufdringlich und lästig zu sein, vor allem nicht zu sehr das Rederecht zu beanspruchen. Eine Teilnehmerin erzählt vom Verhalten einer Frau in einer Freizeitgruppe in Vogelstang:

Soziale Identität beim Erzählen

539

ST: da i"s eine (... daae) dabeij auch eine #Y «-in * die macht «BERUF* K: ST: die tür auf f » und erzählt von ihren Z-probleaJ. * GR:

oh·

ST: und und erzählt während der ganzen zwei stunden über diese ST: sa"che und über ihr ki"nd u"nd u"und u"nd

*

und ich krieg kau·

K: RHYTHMISCHE AKZENTE ST: luft* ( K:

) konzentrieren und geh so:" «zerri"ssen« «SEHR BETONT*

ST: und «zerrü"ttet« aus die"sen zwei stu"nden rausK:

«SEHR BETONT«

(40/2,3) Hier sind Handlungsdarstellung und die Handlungswertung g a n z ineinander verwoben und nicht durch prosodische M e r k m a l e einander gegenübergesetzt. Die Dauer des monologischen, in Beschlag nehmenden Sprechens der Frau wird szenisch dargestellt (macht die tür auf und erzählt) und durch eine U m s t a n d s b e s t i m m u n g hervorgehoben (während der ganzen zwei stunden). Der beliebige Wechsel zu anderen K l a g e t h e m e n wird schließlich ikonisch durch eine W i e d e r h o l u n g der K o n j u n k t i o n und ausgedrückt. Erst z u m Schluß wertet die Erzählerin das rücksichtslose, selbstbezogene Verhalten durch die Schilderung der psychischen W i r k u n g auf sie. Es sind metaphorische Redewendungen aus dem Bildbereich körperlicher V o r g ä n g e (ich kriege kaum lufl) und alliterierende bildungssprachliche Partizipien (zerrissen und zerrüttet). G e r a d e die übertreibende metaphorische W o r t w a h l zerrissen und zerrüttet ähnelt dem Vokabular für psychische Reaktionen in unserem Ausgangsbeispiel und in anderen Erzählungen ( z . B . ich bin sowas von zerstört, wie, wie amputiert). A n dem Verhalten dieser Frau exemplifiziert die Erzählerin unausgesprochen eigene Regeln des Sprechens, nämlich die Teilnehmerinnen nicht über G e b ü h r mit eigenen P r o b l e m e n zu beanspruchen und andere zu W o r t kommen zu lassen. In den Gruppengesprächen lassen sich die Frauen bereitwillig gegenseitig das W o r t , wenn es einmal zu einem simultanen Redebeginn gekommen ist. W i e i m Ausgangsbeispiel wirken die Frauen nicht nur aktiv bei der D u r c h f ü h r u n g eines kommunikativen Musters mit, sondern sie besprechen danach auch g e m e i n s a m die problematischen Implikationen eines solchen Verhaltens. Sie kennen auch andere Frauen in Vereinen und G r u p p e n , die diesen Normen - z . T . aus psychischen G r ü n d e n - nicht folgen können, und sie leiden darunter. In Interviews und in G r u p p e n s i t z u n g e n sprechen sie darüber. Im zweiten Beispiel werden implizite Wertungsformen durch explizite quasi eingerahmt. In der E r z ä h l a n k ü n d i g u n g wertet die Erzählerin das Verhalten der Erzählfiguren durch A d j e k t i v e (grausam, hysterisch) und einen Vergleich

540

Johannes Schwitalla

mit Tieren: schlimmer als=n sack flöhe; im abschließenden Teil durch einen formelhaften, nicht ernst gemeinten Reaktionswunsch. Diese Wertungen gelten dem kopflosen und unkoordinierten Verhalten von Frauen einer Ausflugsgruppe beim K a u f einer Fahrkarte zu einem nahegelegenen Ausflugsziel. Die Erzählerin ist die Leiterin dieser Freizeitgruppe in Vogelstang. Ankündigung: (explizite Wertung) Darstellungsteil: (iaplizite Wertung)

aber ** ich habe aal wieder festgestellt ** sechzehn trauen earn va * des is schliaaer glaub ich als»n sack flöhej * also so was grau/ also hyste"risch warn die teilweise · ich hab gedacht ich sch:pi"nne da netf * die haa da an mich ra"ngeaacht

[...] die fraunj wü-wü-wü-wii-wü-wü [...] aber diese fraunj. un dann * war da so eine pa"nik da in NN (ORT) und jeder wufite was besser un dann kaa noch be"sseres un dann kaa noch eine un sacht * (INITIEREND, SEHR HOCH:) frau Ott denken se dran daß jetzt rosarote Zeiten sind Coda: (foraelhafte, also wenn aein taschenaesser in der tasche explizite Wertung) offen gewesen war ich hätt also zugestochen du], (40/6,2) Im Darstellungsteil der Handlungsabfolge läßt die Erzählerin ihre eigene Einstellung indirekt einfließen: sie imitiert das Stimmgewirr der Frauen durch nichtlexikalische Laute: wüwüwüwüwü; sie stellt sie durch Zitate bloß, deren Inhalt die zitierte Sprecherin als uninformiert erscheinen lassen; sie drückt gleichzeitig durch eine andere Sprechweise den A b s t a n d zur eigenen Meinung aus; ähnlich wie im vorhergehenden Beispiel bilden regelmäßig wiederholende Satzanfänge (und jeder ... und dann ... un dann ...) das Bombardement der Vorschläge ab; die Erzählerin wertet das Ganze durch die Mitteilung der eigenen Reaktion (ich hab gedacht ich spinne) und sie stellt die Szene unter einen allgemeinen Beurteilungsausdruck (panik). Die Bewertungsformen sind hier offener, direkter und auch drastischer als in den übrigen Beispielen. Dies entspricht aber einerseits der Dramatik der geschilderten Ereignisse, andererseits der sozialen Beziehung zu den Personen, von denen erzählt wird. Während nämlich diejenige zu eigenen Familienangehörigen eine delikate ist und von den anderen Frauen mit Rücksicht auf das Gesicht ('face' im Sinne Goffmans) der Betroffenen behandelt wird, können Wertungen von Personen, zu denen die Frauen nicht in einem Freundschafts- oder Verwandtschaftsverhältnis stehen, direkt ausgesprochen werden.

Soziale Identität beim Erzählen

541

D a s inhaltliche sozial differenzierende Verhaltensmerkmal betrifft in dieser E r z ä h l u n g die Unfähigkeit, R o u t i n e h a n d l u n g e n angemessen und ohne K o m plikationen durchzuführen. Dies können - nach der E r z ä h l u n g - die Frauen des Erzählkreises, die es gewohnt sind, Reisen und Veranstaltungen zu organisieren, nicht j e d o c h alle Teilnehmerinnen an ihren Kursen. Diese gehören zu einem anderen Bevölkerungsteil von Vogelstang: nicht zu den Familien der A k a d e m i ker und Unternehmer wie sie, sondern zu den Familien der mittleren B e a m t e n , A n g e s t e l l t e n und Facharbeiter, die auch in anderen W o h n g e b i e t e n V o g e l s t a n g s leben als die Teilnehmerinnen der L i t e r a t u r g r u p p e . A b e r diese Differenz des sozialen S t a t u s bleibt in der E r z ä h l u n g ganz implizit. In den letzten zwei Beispielen sind die gesellschaftlichen Beziehungen zu den Erzählfiguren noch distanzierter. Entscheidend ist hier die W e r t u n g nach moralischen K a t e g o r i e n . Eine Teilnehmerin, Frau E b e r t , berichtet und erzählt von Nachbarn, die a u f andere Leute wenig Rücksicht nehmen. I m ersten Fall (Bericht) geht es u m das u n b e k ü m m e r t e Wegwerfen noch gebrauchsfähiger G ü t e r , i m zweiten ( E r z ä h l u n g ) u m M a ß n a h m e n , die vorher mit den Nachbarn h ä t t e n abgesprochen werden müssen. In den Informationsteilen v o m W e g w e r f v e r h a l t e n kann m a n sehen, wie beurteilende Sequenzen zunehmend explizit g e m a c h t werden. Die Zuhörerinnen kommentieren dieses Verhalten durch allgemein wertende S ä t z e (des find ich aber schlimm; des is aber nich schön; des is ja ganz fürchterlich) und reagieren d a m i t explizit a u f eine W e r t u n g s v o r g a b e von Frau E b e r t , die diese implizit ausgedrückt hatte: durch K o n n o t a t i o n e n von W ö r t e r n (wegschmeißen), durch prosodische Wechsel ( A k z e n t s e t z u n g , größere L a u t s t ä r k e ) und durch übertreib e n d e A l l q u a n t o r e n ( s c h m e i ß e n alles weg, überhaupt kein füsselchen). Die Passage lautet: EB: un meine n a c h b a m (

) schweißen alles weg

BA: (. . .) n a c h b a m schweißen alles weg| BE: schweißen alles weg BA: ja" ja das is (recht) ST: ja das sin die aber die wegschmeiflen EB: also * ich hab ja auch n a c h b a m die alles vegschaeifien · die » die EB: frau Kuhn kann also überhaupt * kei"n füsselchen zuhause rumliegen EB: haben * —»und sammelt/ klei"dersammelnf oder so bei»ner EB: kleidersamalung des tut sie ja nie * tdie schmeißt a:lle "st * (in) * K: «BETONT SPRECHEND EB: solche Sachen schmeißt die in die mülltonne1 BA:

oh" das find ich aber schlimm

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Johannes

Schwitalla

BE: des is ja ganz fürchterlich BA: des ie aber nich schön (40/4,1) N a c h zwei Nachträgen, in denen die Erzählerin ein weiteres Beispiel des unachtsamen Wegwerfens h i n z u f ü g t (die haben noch nie papier gesammelt oder so was), urteilt sie dann selbst explizit und spricht dabei sehr expressiv: alles in die BÜlltonne, so unsozial wie nur «as Solche d e n o t a t i v wertenden A d j e k t i v e wie schlimm, fürchterlich, unsozial, die a u f das Verhalten oder die Personen der Erzählfiguren referieren, sind die stärksten in der L i t e r a t u r g r u p p e verwendeten verbalen W e r t u n g s f o r m e n ü b e r h a u p t . Diese und andere E r z ä h l u n g e n zielen a u f Unterschiede bei der B e t e i l i g u n g a m O r t s l e b e n . Ein Teil der Bewohner - d a z u die gehört die E r z ä h l g r u p p e engagiert sich f ü r öffentliche Belange des S t a d t t e i l s und für die Bedürfnisse der Vogelstängler in kirchlichen, politischen, sozialen und bildungsorientierten Einrichtungen; ein anderer Teil beschränkt sich auf das private W o h n e n dort. M a n c h e unter diesen zeigen noch nicht einmal die erwartbaren Formen nachbarschaftlicher R ü c k s i c h t n a h m e ; sie vernachlässigen die Sauberkeit der öffentlichen G e h w e g e ( E r z ä h l u n g in einem Interview) oder bedenken nicht - wie in d e m zuletzt angeführten Beispiel - daß andere noch brauchen könnten, was sie wegwerfen. Es gibt in V o g e l s t a n g eine durch beide kirchlichen Gemeinden betriebene und in der S t a d t t e i l z e i t u n g bekannt g e m a c h t e Sammelstelle für gebrauchte Kleider und Einrichtungsgegenstände für bedürftige Familien, besonders unter den neu Zugezogenen aus östlichen europäischen S t a a t e n . Die Frauen, die diese Sammelstelle organisieren, k o m m e n aus derselben gesellschaftlichen Schicht wie die L i t e r a t u r g r u p p e . A u f das ' n o r m a l e ' Verhalten, noch brauchbare Kleider wenigstens f ü r die üblichen S a m m e l a k t i o n e n a u f z u b e w a h r e n , spielt das negative Urteil von Frau Ebert an: kleidersammeln oder so bet—ner kleidersammlung, des tut sie ja nie. Ihr eigenes Verhalten stellt sie d e m „Wegschmeißen" in einer gegenläufigen Handlungsweise gegenüber: EB: auch von den kindern * ga"nz gu"te Sachen * da haa vir schon Sachen EB: rausgenommen * un haben die dann eh · einfach in die kleidersammlung EB: gegeben die tun das nie"l BA: in die kleidersammlung gegeben Frau E b e r t erzählt dann über dieselben Nachbarn, die ohne die anderen Nachbarn zu fragen, einen B a u m a u f einem gemeinsamen G r u n d s t ü c k fällen ließen. A u c h hier begleiten die Zuhörerinnen zuerst die e m p ö r t gesprochene Darstellung der Handlungsfolge mit generellen W e n d u n g e n der A b l e h n u n g : des gibt=s ja nich; des is aber=n starkes stück; erst in der nachfolgenden Reflexionsphase

Soziale

Identität

beim

543

Erzählen

bewerten die Frauen ein solches Verhalten wieder mit offenen Urteilen, indem sie die Nachbarn mit wertenden A d j e k t i v e n und Verbalphrasen in eine syntaktische V e r b i n d u n g bringen: ST: «>des gibt-s ja nicht K: «EMPÖRT* BE:

«des gibt-g ni"cht solche nachbarn gibt»g>

K:

«SEHR HOCH

BA:

*

doch doch des gibt aber leute die sin

BA: so unverfro/ BE:

nur an sich * die denken nu"r an sich

BA: ja die sin so unverfroren ST: nur an sich (40/4,1)

Hier drückt sich die gemeinsame Verhaltensnorm i m gemeinsamen Produzieren der uneingeschränkten und sehr negativen W e r t u n g aus. Im Vergleich zu den Erzählungen über Ereignisse aus dem Familienkreis kann m a n feststellen, daß die Literaturgruppe offene W e r t u n g s f o r m e n durch wertende A d j e k t i v e und andere A r t e n von Verhaltenszuschreibungen eher für solche Personen gebraucht, denen sie in ihren Lebenswelten ferner stehen und die sie nicht existentiell betreffen. Bei Familienmitgliedern und befreundeten Personen verbalisieren sie ihre Einstellungen viel indirekter. 6.

P o l i t i k g r u p p e : Sich w e h r e n g e g e n U b e r g r i f f e v o n A u t o r i t ä t s personen

Die B e f u n d e zu sozialsymbolischen Verfahren b e i m Erzählen in der Literaturg r u p p e sollen nun in den folgenden K a p i t e l n als 'Suchanleitungen' für ähnliche oder andere Symbolisierungen b e i m Erzählen in anderen G r u p p e n dienen. Dabei konzentriere ich die Beschreibung auf die Stellen, in denen Sprecher soziale Identität und Fremdheit symbolisieren und übergehe weiterreichende strukturelle A n a l y s e n der Erzählweisen und der Beteiligungsformen der Zuhörer. A n a l y s e m a t e r i a l sollen Erzählungen sein, in denen die jeweiligen G r u p p e n m i t glieder ihre eigene Identität in der Auseinandersetzung mit Personen darstellen, die zu anderen sozialen Welten gehören oder sich nur in einer Weise verhalten, die von den Erzählern und ihren zugehörigen G r u p p e n als sozial unterscheidend erkannt und abgelehnt werden. Die Frauen der P o l i t i k g r u p p e rufen sich immer wieder durch Erzählungen Konfliktsituationen in Erinnerung, weil sie sich selbst in einem Dauerkonflikt mit (männlichen) Vorgesetzten i m Beruf, mit politischen Gegnern, mehr aber noch mit den männlichen Funktionsträgern in ihrer eigenen Partei erfahren. Sie k ä m p f e n u m die A n e r k e n n u n g in ihrer Partei, und sie fühlen sich immer wieder

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Schwitalla

zurückgesetzt. Sie besprechen in ihren Gruppentreffen, wie sie mehr Beachtung für ihre politischen Aktionen erlangen können. Sie beklagen sich über Verhaltensweisen bestimmter Männer, von denen sie sich als Menschen zweiter Klasse behandelt fühlen. Gegenüber Autoritätspersonen beziehen die Erzählerinnen Stellung und pochen auf ihr Recht. Sie werfen den 'Angreifern' ihr Verhalten vor und definieren die gesellschaftlichen Positionen, die von ihrem S t a n d p u n k t aus für den Konflikt relevant sind. Die Erzählerin des ersten Beispiels, Frau Kunert, arbeitet in einem Sportgeschäft. Sie schildert, wie ein männlicher Kunde ihr nicht geglaubt h a t , daß sie die Größe eines Fußballs bestimmen könne. Er wandte sich an den Chef, und dieser fragte einen männlichen Kollegen von Frau Kunert nach der richtigen Größe. Nach dem Verkauf stellt sie ihren Chef zur Rede: KU: und da war bei air der ofen ausj ** aber seit der hab ich en denn KU: anständig aa:l gefracht waru> er das jetzt gemacht hättet warum KU: warua ich unglaubwü"rdig warf bloß veil ich»ne frau binf [...] ich KU: sach das war doch jetz so" * Unkollegial vas sie jetzt gemacht KU: habenj * nef ich sach wenn KU: ich zwei"fel gehabt hätte #oh Moment emal» * durch irgendetwas f K: »IMITIERT EIGENE REDE* KU: ich sach das bricht mir keinen dornen aus der krone senn ich sach * KU: #ach moment emal ich weiß nich «ehr genau* ich scha * aber sie K: »IMITIERT EIGENE REDE » KU: haben mich jetzt diskriminiert j nef KU: »ah ja es tut mir leid frau Kunert aber eh» • K: »IMITIERT IHREN CHEF * KU: ja hab ich gesacht wei"l ich»ne frau war haben sie" jetzt»n Erich KU: gefrachtj » und dann war ich wieder auf» K: * TRIMUMPHIEREND * (42/1.1.3) Das entscheidende sprachliche Mittel für die soziale Selbstdefinition ist die nominale Kategorisierung frau, welche die Erzählerin in der zitierten Zurechtweisung des Chefs als G r u n d f ü r dessen diskriminierende Behandlung a n f ü h r t : bloß weil ich»ne» frau bin weil ich«ne» frau war Daß frau hier eine soziale Kategorie meint, beweisen die weiteren zitierten Vorwürfe, mit denen das Handeln des Chefs insgesamt wertend gedeutet wird:

Soziale

Identität

beim

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Erzählen

das war doch jetz so u"rikollegial was sie jetzt gemacht haben aber sie haben mich jetzt diskriminiert

Während das Adjektiv unkollegial sich noch auf den beschränkten sozialen Bezugsrahmen des Sportgeschäfts bezieht, impliziert das Verb diskriminieren eine sozial übergreifende Verhaltenskategorie der Ausgrenzung und Mißachtung von sozialen Minderheiten. Die Kritik bekommt dadurch ihre Schärfe, daß die Erzählerin sie dem Chef direkt sagt; andererseits zieht sie daraus auch den Gewinn (und dann war ich wieder auf), daß sie durch diese Zurechtweisung sich selbst in ihrer Rolle als Frau, die sich nicht alles gefallen läßt, behauptet. Die Zuhörerinnen wirken bei der Erzählung nicht verbal mit; sie lachen an zwei Stellen der Schilderung des Handlungsverlaufs vor dem Textausschnitt. Da die Mitglieder der Politikgruppe aus verschiedenen Teilen der Bundesrepublik kommen, ist der Mannheimer Dialekt nur für einige Frauen eine Sprachvariante mit identitätsstiftender Kraft. Frau Erlinger, die stark Mannheimer Dialekt spricht, nützt den Abstand zwischen Dialekt und Standardsprache aus, um den sozialen Abstand zwischen sich und einem Arzt abzubilden, der sie als Vertreter ihres vertrauten Arztes - unfreundlich behandelte. Der Kulminationspunkt der Erzählung besteht nur aus Redeerwähnungen: ER: no bin isch nach»ere wo"ch hiekummej do war do so«n alder he"rr ER: dringhockt| no hot der misch ögfahrej * » RE: vorgekommen] sie haben RE: sich hier aufgeführt] * sie die königin von sa:ba: ST: aewer pur RE: ter die si"n se nit sie sin»ne >i"nzisch kleine sachbearveiterin K: «LAUT, FESTE ÜBERZEUGUNG RE: •• und de"s schreiben se sisch ma an»nen hut] # un ri"ngsrua also K: LAUT, FESTE ÜBERZEUGUNG * RE: d/ da do sin so" die o h m gegangen gell die ha· sich gefreu: :tf ST: ja ja RE: isch hab gsacht sie habbe zwar auch en #au"ftreten sie die königin K: «AB HIER RHYTHMISCH ST: ja

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RE: von saba- —>äh u n sie mei"nen sohl sie sin die Königin von sabaRE: taber sie sin ga"r nixj sie sin ne wi"nzisch kleine RE: s achbearbe it er inj. # Κ: #IHTOHATIOHSWECHSEL

*

(42/5,1,14) Die Erzählerin kategorisiert die in der Erzählung dargestellte Beamtin erstens durch direkte Prädikationen der Angesprochenen mittels Nominalphrasen (im Vergleich mit der königin von saba und im Prädikatsnomen sachbearbeiterin) und mittels einer negativ wertenden Handlungszuschreibung (sich aufführen); zweitens durch die prosodisch hervorgehobene Schilderung der psychischen Wirkung des Verhaltens der Beamtin auf die Erzählerin selbst (ich bin mir bei ihnen klei"n un mie"s und schä"bisch vorgekommen). Die Erzählerin geht rhetorisch sehr wirkungsvoll vor bei der Demaskierung des - in ihren Augen arroganten Gehabes der Beamtin: zuerst steigert sie ihren Geltungsanspruch, doppelt überhöht durch einen Verweis auf die biblische Welt und einen Vergleich mit einer Königin; dann macht sie diesen Anspruch schonungslos zunichte, indem sie ihre soziale Position mit einem Terminus der Verwaltungssprache (sachbearbetderin) auf den Boden der Wirklichkeit zurückholt und zudem noch durch ein übertreibendes Adjektivattribut {winzisch kleine) herabmindert. 6 Die ganze Erzählung dient dem Zweck, eine in der Gruppe akzeptierte Verhaltensregel exemplarisch vorzuführen, nämlich sich zu wehren und auf sein Recht zu pochen, wenn man von der Autoritätsperson ungerecht oder nur unfreundlich behandelt wird. Nach der Erzählung thematisiert Frau Reger die Kleidung und Aufmachung der Beamtin, und die Adressatinnen generalisieren ihr Verhalten als charakteristisch für einen bestimmten Typ von Schalterbeamten: RE: ha"t die >isch a"bgefertischt a so"was is RE: >ir noch net passiertER:

ja was ear«n des/

MI:

was is»n des für"ne kaesej «*

RE: des war die NM aber spielt ja keine ro"lle

Diese Art der Teilnahme entspricht den Regeln des Sprechens in dieser Gruppe. Es fehlen stimmlich expressive Formen von Komplimenten; die Frauen gehen kontroversen Auffassungen nicht aus dem Weg und tragen auch Konflikte aus, die auf sozialen Einschätzungen der Kontrahentinnen beruhen. Ich fasse die Symbolisierungsverfahren in dieser Gruppe noch einmal zusammen: Die Frauen der Politikgruppe kategorisieren sowohl ihre eigene soziale Position in bestimmten Rollenkonstellationen (Partei, Beruf, Ehe) mittels nominaler Kategorien (/rau), wie auch diejenigen von Gegnern in offiziellen Situationen (sachbearbeiterin, großer macker). Sie definieren zugehörige Verhaltensweisen durch generelle Handlungzuschreibungen (die brauche nix schaffe) und wertende Beschreibungen einzelner Handlungen und deren Wirkungen (die hot alle eingeschüchtert;

isch bin mir bei ihnen klei"n un mie"s und schä"bisch

vor-

gekommen). Sie gebrauchen je nach eigener Spracheinstellung Variantenwechsel zur Markierung des sozialen Abstands (Erzählung vom Arzt) oder zur Charakterisierung situationsadäquaten Verhaltens („Königin von Saba"). Sie stellen die gemeinsame Verhaltensregel, sich mit verbalem Protest gegen Ungerechtigkeiten zu wehren, in den Mittelpunkt ihrer Erzählungen und demonstrieren auf diese Weise ein wesentliches Motiv, weshalb sie als Gruppe zusammenkommen. Im Vergleich zur Literaturgruppe ergibt sich, daß das besonders kooperative und empathische Verhalten dort Teil eines übergreifenden sozialen Stils der verbalen Kommunikation in dieser Gruppe ist, der nicht auf alle Frauengruppen gleichermaßen zutrifft. 7.

Arbeiterjugendliche: Sich w e h r e n durch beleidigendes Sprechen

Gymnasiasten in Vogelstang erzählen manchmal von Angriffen von Jugendlichen, die zur Szene der sich in der Öffentlichkeit zeigenden und sich mit anderen Bewohnergruppen anlegenden 'Arbeiterjugendlichen' gehören (zum Terminus vgl. Beitrag 7, Kap. 6.2. und die Ethnographie Vogelstang, Kapitel 5.3.). Sie legen diesen Jugendlichen Drohungen, provozierende Formeln und Schimpfwörter (isch schlag disch dot; hä was is los? wisch krach? arschloch usw.) in den Mund,

während sie selbst ruhig und leise sprechen. Diese prosodische Opposition (der Angreifer spricht schnell und mit hoher Stimme) gilt für viele Gruppen, aber die zitatähnlichen Formeln des Sprechens verweisen auf eine spezifische soziale Welt in Vogelstang. Konfrontationserzählungen dieser Arbeiterjugendlichen richten sich hauptsächlich gegen solche Erwachsenen, von denen sie sich ungerecht behandelt fühlen, nicht gegen die Gymnasiasten. Gegen diese Er-

Soziale Identität beim Erzählen

553

wachsenen gebrauchen sie beleidigende Äußerungen. Ich zitiere zunächst drei Beispiele: a) Der jugendliche Erzähler war (ausnahmsweise) im Theater. Eine fremde, erwachsene Mitbesucherin weist ihn darauf hin, er solle aufhören, mit den Tennisschuhen auf dem Boden zu quietschen, weil es störe: PE: okayt haww isch gaänt bisch ruhisch hot reschtj * un uff ä:aolf PE: gibt die volle geräusche vun sisch- jaf net 13 BE: ich seine auch daß sie sich dran 14 BA: >na ich weiß nich wenn 15 BE: gewohntj ah doch| 16 EB: «β"Β| « K: «VERNEINEND* S. 4 1 BA: aan ait solchen vorbehalten da drangeht und * ia gründe 2 EB: m^· «i 3 BA: genoaaen eigentlich trau "rich is * daß sie ** äh da)} sie 4 BA: sich nun * völlich blo"ßlegt * eigentlich 5 EB: η

6 KE:

—>-weißt=e

ja

7 BA: un wenn die «sache schie"fgeht# Anneaarie ** dann fängt die K: «SEHR BETONT * 8 BA: Ju"tta wieder bei null anj der U"we nichnet 9 EB: ja ja 10 ST: ja ja aber 11 BA: dann fängt sie" bei/ dann fängt sie 12 EB: sch sin iaaer die frau"enl sin iamer die frauenl 13 ST: aber es/ K: BA KLOPFT AUF DEN TISCH 14 BA: bei null an| 15 BE: warua haa=se denn jetzt dann nich glei"ch sich 16 BA: des aar zu ku"rzfristich| 17 BE: was neues gesuchtf 18 EB: ja weil * die wohnung/

Soziale Identität

beim

Erzählen

19 BA: des ging ihnen halt zu ltu"rzl « neT

20 BE:

hätten dann η teil von Ju"ttas

21 BA:

ial

Sachen un η teil von

12 BA: vegschneißen von der Ju"tta ** un des andre beha"lten ver * 13 HU:

mhm

14 BA: des können ver dann in der grö"ßeren Wohnung brauchen! 15 BA: vie die sache nun aku"t wurde * deß sie nun also virklich 16 BA: an=s •: S. 6 1 BA: ne ** un plötzlich paßt da ni"scht sehr rei"n# 2 NN: >ja >och 3 BA: es steht voll ait sei"ne· kruscht ne und er is nich bereit/ 4 BA: er hat keine zeit sich dru> zu künnern da vas rauszunisten 5 BA: nej ** und das hat sie so*n bi/ das hat sie glaub ich 6 BA: irgendvo gekrä"nkt * neT ** dafi es da"nn hieß • a: nee 7 ST: gj. • jo

570

Johannes

Schwitalla

8 BA: de"s kann nan nich in ihren in den keller tun un de"s können 9 BA: vir nich * brauchen un so un daß des alles ihres is mehr 10 BA: oder weniger] jal 11 BE: «ι 12 KE: ja un jetzt verkauft se * die stücke so 13 BA:

ietz k/ ja ·* hat se i· spe"rrmüll aufgegeben un

14 KE: einzeln >odert 15 BA: hat * bei bei eh bei sich * in ihre· ** bei ihren 16 BA: kollegenkreis hat sie g e f r a g t ** ne nichte von nir hat se 17 KE: fm» K: «ZUSTIMMEND« 18 S. 1 2

BA: gefra:cht * un die können da alle so nach un nach * 7 BA: —»-aber des nu alles unter einen hut zu bringen weißt-e daß BE: jal

3 BA: des einzeln abgeholt wird >un so] nich] * dann kann se 4 KE: ttmmt K: «ZUSTIMMEND« 5 BA: die" nich errei/J. ach

also sie is ziemlich am boden

6 BA: zerstört nech ** un jetzt kommt se nachher könnt se «nuddi K: «ZITIERT 7 NN: «nhn« K: «ZUSTIMMEND« 8 BA: ich muß nich bei dir ausheulen].« also nir hängt=s langsam zun halse raus] 16 BE: das is

Soziale Identität

beim

Erzählen

571

17 BA: mensch je/ •*/ jetz hab ich gedacht jetz is=es «übersta"n:den* K: »STARK BETONT * 18 BE: grausam1 • jal S. 8 1 BA: und sie war #so frö"hlich# 2 EB: du hasch dich eigentlich so: gefreu"t K: »WEINERLICHER TONFALL* 3 BA: #jat ja HOLT LUFT un 4 EB: dafl sie jetzt endlich einen festen freund hatK: «ZUSTIMMEND« 5 BA: eigentlich daß ich~n bißche auch entla"stet bin weißt du * 6 EB: jal 7 BA: weil mich=s einfach immer irgendwo bedrü"cktl 8 EB: weil die dreier/ * die 9 BA: »ja» Κ: «ZUSTIMMEND* 10 EB: dreierbeziehung hat dich schon e bißle * krank gemacht], 11 BA: ja] das bed/ hat mich bedrü"cktj und jetzt- »» 12 EB: nicht mhm: 13 BA: *jetz fängt=s wieder an] ** >naja ** t #also- •• wir werden K: »WEINERLICHER TONFALL, LEISE WERDEND* «HOLT TIEF LUFT, ATMET 14 BA: auch das schaffen- *« aber irgendwo-« * «hu/uch« K: AUS, SRPICHT HOFFNUNGSVOLL WEITER * «ABSTOSSENDE LAUTE* 15 ST: ne freundin von mir16 ST: * die hat das auch so" gemacht [...] K: PARALLELERZÄHLUNG MIT DEM K: UNTERSCHIED, DASS DIE FREUNDIN IHRE MÖBEL BEHIELT 17 BE: (...) kann ja auch was schönes sein18 ST: ich fang wieder >von vorne anl

» alles wieder neu"

19 BA: ja:I * des hat die Ju"tta ha/ mir auch irgend20 BEK: zu haben] S. 9 1 BA: wann mal zur antwort gegeben un gesacht —+weiöt»e muddi 2 BA: ** jetz mach dir nich soviel geda"nken ich mach mir 3 ST: nee]

572

Johannes

4 5 6 7

BA: wahrscheinlich zu viel gedankenl « net •* die sa:cht- » EB: wa"hrscheinlichl ST: genau iat » »eil sie (...) BE: (...) für dich

8 9 10 11

Schwitalla

BA: weil ich fa"ng wieder von vorne an wenn wirklich wir wollen EB: jal BE: des ( ) ST: genau"!

12 BA: nicht daß es/ hoffen daß es schiefgeht- * aber ich mache 13 EB: ja| 14 BA: keine a"llzu großen koaproaisse- nicht 15 NH:

aber » in * nee j

16 BA: wesentlichen sacht sie" se doch iaaer * die koaproaisse j. * 17 BA: ne| * 18 EB:

1111

ni"ch erj,

und/ ja: aber sie kann ja nu"r aus dea was se

19 BA: jaj 20 EB: nacht lernenj und se/ * sie bein zweiten aal macht sie 21 EB: dann wieder a"ndere fähler- * aber- * die gleichen aacht sie K: ALLGEMEINES GELÄCHTER 22 BA: jetzt hört aal auf Annenariel 23 EB: besti"nnt ni"cht nehr * ach na| 24 BE:

LACHT aber es gibt so

S. 10 1 BE: viele fehlerj * «weißt=e bis die alle genacht sinK: «LACHENDER TONFALL* 2 BA: dann sin 3 BA: die alle geaacht is dein leben run* 4 EB: #jetz bin ich (ALTER) K: «LACHENDER TONFALL* 5 BA: haia natürlich (...) genau 6 EB: un aach iamer noch fählerJ.« » nettalso des isch doch ganz 7 BA: #naja aber »»* SEUFZT >naja[ K: »WIEDER ERNST« 8 EB: lo"gisch| 9 BE:

ja Ing/ eh eh *

10 BA: jaj. 11 BE: Margret entschuldigung ich kann dir wirklich nu"r sagen

Soziale Identität beim Erzählen

573

12 BA: ach go:tt —»ja jaj 13 BE: reg dich nicht so au"f drüber * ich ich sag «ir 14 BA: des harn wa ja zu dir au"ch neulich gesagtj » nicht 15 BE: des auch inaer vor ( ) jaa: 1 16 NN: ( 17 BA:

) ha» gesagt « niaa dir»s nicht « eo-

18 BE: » ich hab grad auch »jeder so schreckliche Sachen über 19 EB: LACHT 20 BE: (ORTSNAME) erfahren also die freundin von «Claudia* K: «TOCHTER VON BE* 21 ST: ja S. 11 1 BE: ist zurückgekouen

* die ear ja die Wochen mit denen

2 BE: zusauen- * a:ch go"tt achgo"tt achgo"tt achgo"tt geht=»s da zu| 3 BE: miEB: können! BE: können] ja: aber des hab ich auch erst kürzlich ST: mhm| mhnl

5 BA: em/ «am« K: «STIMMT LEISE ZU* 6 EB: im stich 17 BA: ja 18 EB: lassen! ich kann se/ * «wenn se doch Studie:rt * un K: «STIMMWECHSEL: IRONISCH* 19 BA: aha 20 EB: noch net so viel verdie:nt* undda kann ich 21 BE: ja • des isses jal S. 17 1 BA: mhml du" * aber des find ich an 2 EB: se doch nich in stich lassenl 3 BA: sich ganz vernünftich dafl du des machstj ·* nämlich irgendwo 4 BA: hört die sache nämlich ma auf1 5 EB: i:rgend/- die isch auch *scho K: «SPRICHT 6 EB: achdezwanzichj.« gelll

un schdudierd

K: IRONISCH BESONDERS SCHWÄBISCH* 7 BA: jal >jesse nej 8 NN: >jesses ** 9 EB: a"lleweil no:-# 10 BA: sa*mal lesen wer eigentlich K: ALLGEMEINES GELÄCHTER 11 BA: heute noch [...]

9.

Leichte Muse im Gespräch. Uber die Unterhaltungskunst älterer Frauen in der Filsbachwelt* JÜRGEN STREECK

1.

Zitierte R e d e

580

2.

D a s Erzählen v o n „dreckigen" W i t z e n

587

3.

Das Aussprechen der Obszönität

597

4.

Das Aussparen der Obszönität

600

5.

Die Lust a m sexuellen W i t z

601

6.

Zitieren als D a r b i e t u n g

603

7.

Zur s o z i a l e n F u n k t i o n k u n s t o r i e n t i e r t e r Kommunikation

608

* Dieser Beitrag geht auf ein Arbeitspapier zurück, das ich im Herbst 1983 am IDS verfaßt habe; er ist die Überarbeitung einer Fassung vom Januar 1985. Deshalb nehme ich auf die neueren Arbeiten aus dem Projekt nicht ausführlicher Bezug. - Den Freunden am IdS danke ich für ihre Wärme und Gastfreundschaft. Eine süddeutsche Stadt, in der ich zufällig noch nie gewesen war, mit den Augen des Ethnographen kennenzulernen, war ein Vergnügen besonderer Art; der Dialekt war dem meiner hessischen Heimat so ähnlich, daß ich mich zuhause fühlen konnte. GofFmans Ideen über „reported speech", die in diesem Beitrag verarbeitet werden, sind unterdes auch von anderen Autoren aufgegriffen worden; vgl. Goodwin (1986), Haviland (1986), Luke (1986).

Die Unterhaltungskunst

älterer Frauen in der

Fihbach

579

Und der Vorteil, den die Puppe vor lebendigen Tänzern voraushaben würde? Der Vorteil? Zuvörderst ein negativer, mein vortrefflicher Freund, nämlich dieser, daß sie sich niemals zierte. (Heinrich von Kleist, Uber das Marionettentheater)

Eine von Linguisten noch wenig untersuchte Dimension sprachlicher Kommunikation ist die der Modalitäten der Interaktion (vgl. Kallmeyer/Schütze 1977). Damit meine ich solche abstrakten Unterscheidungen wie die zwischen Realität und Spiel (Bateson 1955), zwischen Ernst und Spaß (Müller 1983), zwischen deskriptivem und expressivem Sprachgebrauch (Kallmeyer 1979), zwischen Schilderung und Inszenierung (Goffman 1974). Es liegt auf der Hand, daß Interaktionsmodalitäten eine Ordnungsebene darstellen, die in mehrfacher Hinsicht von erheblicher Bedeutung ist: Sie werden sprachlich markiert, manifestieren sich also in den Interaktionstexten, die wir untersuchen; sie beeinflussen die Bedeutung von Äußerungen ebenso wie deren pragmatische Funktion - wobei es sinnvoll sein könnte, die Wirkungsweise „uneigentlicher" Kommunikationsmodalitäten (wie die des Spiels) als Modulation oder Transformation wörtlicher Bedeutungen aufzufassen. Modulationen (Transformationen der Interaktionsmodalität) verwandeln also auch den logischen Weltbezug von Sprache. Und schließlich gehen mit verschiedenen Interaktionsmodalitäten auch verschiedene Geselligkeitsformen einher, die in Gesprächen verwirklicht werden. Unser Verständnis der Interaktionsmodalitäten ist offenbar noch nicht so differenziert, daß m a n eine Typologie versuchen könnte: wir wissen noch wenig darüber, welche Modalitäten zu unterscheiden sind (und ob diese Unterscheidungen alle auf einer Ebene anzusiedeln sind), noch mit welchen kommunikativen Mitteln sie markiert werden (vgl. jedoch Kallmeyer/Keim 1987). Unklar ist auch, welchen linearen Einheiten der Interaktion Modalitäten zugeordnet sind - Sätzen, Äußerungen, Redebeiträgen (Turns) oder Gesprächsabschnitten? Die Gesprächsmodalität, die in diesem Beitrag zur Sprache kommt, nenne ich - ein wenig ungenau vielleicht, aber doch in technischer Perspektive - „Kunst" bzw. „Kunstorientiertheit". Mit dieser Kennzeichnung hoffe ich, ein zentrales Merkmal der Gespräche der alten Filsbächlerinnen n a m h a f t machen zu können, die Inken Keim im Rahmen des Mannheimer Projekts über einen langen Zeitr a u m beobachtet und aufgezeichnet und in verschiedenen Arbeiten beschrieben hat (Keim 1987 und in diesem Band) und über die ich als Gast des Projekts 1983 gearbeitet habe. Werner Kallmeyer und Inken Keim haben inzwischen in einer sehr viel präziseren Analyse dieser Gespräche - hervorgehoben, daß sich in ihnen immer wieder die „Modalität des Redens über die Welt" verschiebt, zunächst die reale Lebenswelt, dann aber in zunehmendem Maße die sprachliche Kompetenz der Sprecherin, die die Welt schildert, fokussiert wird. In den Gesprächen dieser alten Frauen, die fast alle gesellschaftlich marginalisiert sind, ist oft von den Schwierigkeiten des Alltags die Rede - und doch wohnt in ihnen eine eigentümliche Leichtigkeit. Die Sorgen verschwinden im Gelächter. Während das Gespräch in anderen sozialen Milieus (z.B. dem akademischen)

580

Jürgen Streeck

oft in einem direkten Sinne instrumenteile Funktionen erfüllt (Probleme werden einer Lösung zugeführt, Handlungsmöglichkeiten erwogen), scheint es den Filsbächlerinnen eher darum bestellt zu sein, ihrem Alltag zu entrinnen, indem sie ihn im Gespräch auf unterhaltsame Weise ästhetisieren. Dies hat damit zu tun, wie gesprochen wird, in welcher Weise der Alltag zur Sprache kommt. Eine bei den Filsbächlerinnen besonders beliebte Form ist die zitierte (direkte) Rede: Uber Ereignisse wird nicht berichtet, sondern sie kommen selbst noch einmal zur Sprache, Dialoge werden aufs Neue zur Aufführung gebracht, und das Publikum amüsiert sich. Was zitierte Rede als Interaktionsform beinhaltet, hat vor allem der späte Erving GofFman (1974, S. 1981) vor Augen geführt, und ich beziehe mich in meinem Beitrag auf seine Überlegungen, um meine These zu begründen, daß die direkte Rede eine elementare Form von Kunst darstellt. Andere Aspekte treten zur Kunstorientiertheit hinzu, um die Gespräche in der Filsbach zur guten Unterhaltung zu machen. Die alten Frauen lieben das Zweideutige, haben Humor und erzählen sich Witze, mit besonderer Vorliebe „dräckische Witz". Wie erklärt sich das? Mir scheint, daß beide Aspekte - die Betonung der Unterhaltungskunst und die Vorliebe für Witze - eine spezifische Art darstellen, Lebenslagen zu bewältigen, eine besondere Weise des Sprachgebrauchs, um den eigenen Alltag erträglich zu machen. Sie sind Ausdruck eines besonderen Verhältnisses gegenüber der sprachlichen Kommunikation, das wir verkennen, wenn wir diese allzu sehr nach instrumentellen Kriterien zu deuten versuchen. Uber die Rolle sprachlicher Unterhaltungskunst als „coping strategy" werde ich am Ende meines Beitrags einige Ausführungen machen. Zunächst setze ich mich mit einigen Aspekten zitierter Rede in der Interaktion auseinander (Teil 1); in den Teilen 2 - 5 untersuche ich verschiedene obszöne Witze, rekonstruiere an den Erzählvorgängen ihre Einbettung in die Gruppeninteraktion und versuche, sie zu deuten; in Teil 6 greife ich noch einmal das Thema „zitierte Rede" auf, um deutlich zu machen, warum sie eine elementare Form von Kunst darstellt; im abschließenden Teil 7 versuche ich dann, den Wert sprachlicher Unterhaltungskunst für zwischenmenschliche Beziehungen zu skizzieren und damit zu beantworten, welche Bedeutung die Filsbächler Gespräche für die Frauen haben, die sie führen.

1.

Zitierte R e d e

Das Interesse der Gesprächsanalyse gilt überwiegend jener - in der Regel modellhaft verallgemeinerten - Darbietungsform von Äußerungen, die Goffman (1981) als „fresh talk" bezeichnet und die als Rede charakterisiert werden kann, deren Text in der gegebenen Situation entsteht, ohne Prämeditation und als fortlaufendes Produkt einer realzeitlichen, kontextgebundenen Interaktion zwischen Sprecher und Hörer. Alltagsgespräche sind jedoch nicht selten - und in handlungsentlasteten Zusammenhängen möglicherweise mehr als in anderen von Zitaten durchsetzt:

Die Unterhaltungskunst

älterer Frauen in der

Filsbach

581

(1) Do haw isch g-sacht "Nä nä". (2001/13)1 (2) Haw isch g-sacht "Was?". (2001/13) (3) Un (.) do hot's g-heeße erseht "Der Herr Sowieso is net do". (2006/26) (4) A Bu und ä Mädel hawwe zusammen g-spielt, uff äaol hawwe se Krach kriggt, hot der Bu gsacht "Ätsch, ich hab awwa ä Spitzel". Mo hot des Mädel gsacht- no hot des Mädel anfange zu heule und hot g-sacht "Des sache isch awwa aeina Mudda". Ho isse neigange un is widda rauskumme un hot g-sacht "Ätsch, wann isch groß bin, haw isch mehr davu wie Du!". (2006/26) M ö g e n die Ä u ß e r u n g e n auch ursprünglich nicht in g e n a u j e n e r s e m a n t i s c h e n , s y n t a k t i s c h e n u n d p r o s o d i s c h e n F o r m gefallen sein, in der sie zitiert werden, s o werden sie d o c h als präfabrizierte d a r g e b o t e n . D a s t y p i s c h e P r o d u k t i o n s f o r m a t v o n zitierter R e d e ist die V e r k e t t u n g eines v e r b u m dicendi oder „ l a m i n a t o r verb" (GofTman 1974, S. 5 0 5 ) in der ersten o d e r dritten Person („sach isch" „sachtse" ) m i t e i n e m Stück R e d e , dessen G e b u r t an a n d e r e m Ort u n d zu anderer Zeit, vielleicht a u c h in einer fiktiven W e l t s t a t t g e h a b t h a t . 2 E n t s p r e c h e n d groß ist die V i e l f a l t v o n Figuren, die zitiert oder denen W o r t e in den M u n d g e l e g t werden k ö n n e n , z . B . s p r e c h e n d e Tiere: (5) Un do hot er gsa:cht, d- äh- der Goggel, „Isch bin in Italijähner un buase alle Henne". (2006/44),

1

Die Siglen beziehen sich auf die verschiedenen Teile des „ K o m m u n i k a t i o n in der S t a d t " - K o r p u s sowie auf Keims Feldnotizen ( F P ) ; die T r a n s k r i p t i o n e n wurden größtenteils von M i t a r b e i t e r n des P r o j e k t s , z u m geringeren Teil von mir selbst angefertigt. M a t e r i a l a u s s c h n i t t e werden hier durchgängig g e m ä ß der T r a n s k r i p tionskonventionen von Sacks/ScheglofF/Jefferson (1978) präsentiert. Gelegentlich w u r d e n die A u s s c h n i t t e geringfügig ediert.

2

M a n c h m a l sind die verba dicendi nicht nur Vorspann des Zitats, sondern umschließen es wie eine K l a m m e r : (1) lo h a s isch g-sacht ,,Iaja" sach isch (2001/13)

Reihungen von verba dicendi im S e l b s t k o r r e k t u r f o r m a t sind auch nicht selten; häufig werden dabei die Referenten vertauscht: (2) un no has isch gsacht „Ah ja" sescht se (2001/13) (3) u n dann sacht er- no haw isch g-sacht „Ja wisse Se was..." (2006/26)

U b e r h a u p t h a t es den Anschein, als seien verba dicendi eines der a m häufigsten verwendeten R e p a r a t u r f o r m a t e : (4) un des hab isch donn aa g-sacht-, no haw isch g-sacht „Wenn-" haw isch g-sacht „Uenn Se net-" (.) sach isch „Ihr kämpft für des Wort 'Senioren'-..." (2001/13)

Es ist zu v e r m u t e n , daß derartige Selbstkorrekturen nicht nur der R e p a r a t u r von Fehlern dienen, die d e m Sprecher unterlaufen sind, sondern auch mit d e m Z u s t a n d der Sprecher-Hörer-Interaktion z u s a m m e n h ä n g e n .

582

Jürgen

Streeck

natürliche Personen: (6) ... sache die Junge (.) „Do könnt än Senior- - Seniorin", donn sache se „zisch ab". (2006/26)

und der gegenwärtige Sprecher selbst: (7) ... haw isch gsacht „Hawee Sie des gsacht?". (2006/26)

Mag die zitierte Rede auch bisher nicht zum Gegenstand rigoroser Konversationsanalyse geworden sein 3 , für die Sprachwissenschaft insgesamt ist sie gewiß kein neues Thema. 4 Einen Aspekt freilich, auf den Volosinov (Michail Bachtin) schon 1930 aufmerksam gemacht hat und der für die Logik des interaktiven Geschehens von besonderer Bedeutung sein könnte, hat erst Goffman (1974, S. 1981) aufgegriffen und systematisch ausgearbeitet: Zitierte Rede „wird vom Sprecher als eine Äußerung behandelt, die jemandem anders gehört" (Volosinov 1973, S. 116). Das heißt nichts anderes, als daß der Sprecher die betreffenden Worte nicht sagt, sondern sie lediglich ausspricht, „animiert" (Goffman 1974, S. 518); er erhebt keine „Geltungsansprüche" (Habermas) für die wiedergegebenen Sprechakte (sondern nur für die Richtigkeit des Zitats), und deshalb liegt auch die Verantwortung für das (dort) Gesagte (und hier Zitierte) nicht bei ihm: beide liegen bei dem, dem die Worte „gehören". „Sagen" kontrastiert also mit „Zitieren". Beiden Tätigkeiten gemeinsam ist, daß Worte ausgesprochen werden, doch werden sie nur beim Zitieren nur ausgesprochen. Durch die mit dem Zitieren verbundene Entbindung des Sprechers von der Verantwortung für das ausgesprochene Wort eröffnen sich ihm vielfaltige Möglichkeiten: Er kann zum Beispiel - da immer zur Distanzierung legitimiert - Worte wiedergeben, die hier und jetzt und aus Gründen der Etikette niemand jemandem sagen würde. Vor allem - und für die Frauengruppe ist dies nicht eben ohne Gewicht - kann er obszöne Worte benutzen, ohne selbst Obszönes zu sagen. Wenn er sie in die Klammer der verba dicendi (in der dritten Person) setzt und so einer nicht präsenten oder inexistenten menschlichen Quelle attribuiert, dann wird ihm niemand den Vorwurf der Obszönität machen können: (8) „Hur" is zu hoch gegriffe, venn se „Sau" sacht, des geht. (FP 11-10-83)

Entscheidend ist, daß die mit Obszönitäten verbundenen Effekte - auf die ich zurückkommen werde - nicht miteingeklammert werden; sie erzielen sich auch so, zumindest insoweit sie - seitens des Hörers - an das bloße Hören gebunden sind: 5 3

Man beachte jedoch Gumperz' Untersuchungen über prosodische Markierungen, Kode-Wechsel und konversationelle Schluß-Verfahren: Gumperz (1982a).

4

Vgl. etwa Lerch (1922).

5

Man wird sie perlokutionäre nennen können. Andere als Obszönitätseffekte - z.B.

Die Unterhaltungskunst

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Filsbach

583

(9) ... altes Ehepaar, hochbetagt, schon Jahre lang nix sit Sex. Uff einmal liegt der Aide ia Bett, da is ihm halt des wieder nal so so eingefallen gell? „Hab schon lang gefickt n i u e r . , .".6 (2006/31)

Obszönität kann im Gespräch somit anklingen, ohne daß der Sprecher seine Unschuld verlöre. Er würde sich - so mag er zu erkennen geben - gewiß zieren, so etwas zu sagen, aber es war j a der Zitierte, der sich nicht geziert hat. Umso mehr gilt dies, wenn nicht nur zitiert wird, sondern wenn auch der zitierte Sprecher selbst noch zitiert hat, womöglich ohne zu wissen, was er zitiert. Dann trennt den jetzt Sprechenden eine doppelte Klammer, eine doppelte Rahmung von der Verantwortung für das obszöne Wort: (10) Heine- seine Tande, die is doch aus Polen!... Und ahm- die ähsprischt wohl verhältnismäßig gut Deutsch, die war- in som Großhandel äh für äh- so- so Drogistengroßhandel. Un da hat se die ganze Warenbestellungen un alles un hat- ich hab mich gewundert, dafi sie sich wirklich- (.) das Ganze gut angeeignet hat. Die hat Worte gebraucht, die wir so im normaln Sprachgebrauch- gar nit ähverwenden. Aber mansches hat se halt doch net gewaßt am Anfang. ... Und ahm- äh- in dem- in dem DrogistengroChandel, des ja ganz lo:gisch, (und) die Frauen, die ham dann au mal- d'Fraun erzähle oft- gemeinere Witze als die Hänner. ... Un da heim die sich da unterhalten? Und die hat da zugehört? Un da isse abms heimgekommen. .. hat se sich (hingelegt) und hat sich unterhalten? Nit ihrn Mann. Auf einmal. (.) „Max! (.) Was is Arschficke?" (2008/03 J6)

Dieser Modus der Einklammerung kennzeichnet die Gespräche der alten Frauen, sofern in ihnen Obszönes zur Sprache kommt; wenn dies geschieht, dann geschieht es nie wörtlich, sondern stets in der beschriebenen modulierten Form. Diese Modulation 7 ist eine interaktionslogische Operation, und sie setzt, wie wir sehen werden, andere Erwartungen an den interpretierenden Nachvollzug seitens der Hörer. Das Zitieren kann der laufenden Interaktion die Qualität des „als ob" verleihen; in den Rahmen der Sprechsituation wird ein anderer Rahmen eingebettet und in ihr mit den Scharnieren der verba dicendi verankert. solche aggressiver Natur - können sich freilich mit dem Ubergang vom Sagen zum Zitieren verschieben, allein schon durch die andere Art der Adressierung und den Wechsel des illokutiven Typs: eine berichtete Beschimpfung ist keine Beschimpfung. 6

Die Fortsetzung lautet: dann hat er an seiner Alten en bißl ruagemacht, dann hat die gsagt „Hör uff, ich habs in Kraiz?" Un der war en bißl schwerhörisch, dann hat er gsacht „Is gut, dafi Du mir das gsacht hast, ich hätt se noch an der alten Stell gsucht"

7

Vgl. Goffman über „keys" und „keyings" (1974, Kap. 3).

584

Jürgen

Streeck

Das Verhältnis zwischen Situationsrahmen und eingebettetem Rahmen ist ein Verhältnis zwischen zwei verschiedenen logischen Typen (Bateson 1955), und damit ist es dubios und offen genug, um zum jonglierenden Spiel förmlich einzuladen: (11) KU

HE KU HE

In de Straafiebahn hot sich eaol en Na- en Mann bei-rea junge Mädl do o w e sei Hand hiegetan. No hot die sacht „Visse Sie kään annere Platz, wo Sie Ihr Hand hietu kenne?" Sescht er „Doch, isch eißt no enner, astra isch auß an de nächschde Station aussteiche." ... Has weefi denn isch- was weeß denn isch, was der fern Platz gemahnt hot. Weeß isch doch net. Des glaub isch, dafl sisch do eener hiegelehnt hot, gell? Der hat awwer do hergelangt. Hajoo, des aeen isch jo.

KU

Uo er ait de annere hie war, des weeß aer nit. (2006/31)

(Im Rahmen des Witzes, den die Erzählerin in das Gespräch einschaltet, offenbart sie Wissen über Fremdpsychisches, über die geheimen Absichten des Mannes, dessen Besitz sie, in den Rahmen der Sprechsituation zurückkehrend, doch sogleich wieder verleugnet: Als gute Empiristin hat sie j a nichts getan, als die Worte dieses Mannes wiederzugeben; wets der mit ihnen gemeint haben könnte, was also in seinem Kopf vorging - und jetzt in den Köpfen derer vorgehen muß, die ihn und den Witz verstehen das entzieht sich ihrer Kenntnis. Das Lachen freilich, mit dem hier und jetzt jenes Mannes Schlagfertigkeit begrüßt wird, honoriert auch ihre gelungene Darbietung des Witzes.) Die Entlastung von Verantwortung und die ihr innewohnende Chance, Dinge zitierend auszusprechen, die andernfalls wohl eher ungesagt blieben, rühren freilich nicht nur daher, daß die zitierten Worte anderen gehören und anderen die Urheberschaft für die „cited doings" (Goffman 1974, S. 629) zugeschrieben werden kann. Auch wenn der Sprecher sich selbst zitiert, ist das Selbst, das er zitiert, mit dem aktualen nicht mehr identisch, und das aktuale Selbst ist nicht mehr gänzlich für das Tun des zitierten verantwortlich: „Obwohl d a s P r o n o m e n 'ich' sich gewiß auf den Sprecher bezieht u n d obwohl dieser gewiß eine spezifische biographische E n t i t ä t ist, so b e d e u t e t dies doch nicht, daß das G a n z e dieser E n t i t ä t in all seinen Facetten bei jeder Gelegenheit, d a diese zitiert wird, m i t g e m e i n t ist" ( G o f f m a n 1974, S. 519).

Mit Selbstzitaten geht folglich eine eigentümliche Aufspaltung des Selbst einher; in ihnen scheidet sich das Selbst, das jetzt zu den Anderen spricht, von jenem, das seinerzeit Protagonist des zitierten Geschehens war: „Da ist d a s 'adressierende Selbst', auf das sich der Sprecher als das gegenwärtig verantwortliche bezieht, das f ü r die Hörer erreichbar ist; das Selbst, zu d e m der Sprecher bis zu u n d in diesem Augenblick geworden ist...; u n d d a ist d a s Selbsta l s - P r o t a g o n i s t , dasjenige, das f ü r die eingebettete, wiedergegebene H a n d l u n g verantwortlich ist, eine Person, die f ü r d a s Empfinden des Sprechers nicht m e h r wie das E r sein m a g , in dessen N a m e n er j e t z t spricht" (S. 520).

Die Unterhaltungskunst

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Filsbach

585

Goffman veranschaulicht dies a m Beispiel derer, die sich, ihr vergangenes Tun schildernd, selbst schlechtzumachen suchen. Sie versuchen etwas Paradoxes: „Jemand, der sich mit den Standards identifiziert, nach denen der Übeltäter beurteilt wird..., kann selbst nicht gar so schlecht sein... Einer, der sich selbst schlechtmacht, ist in einem gewissen Maße genau dieser, und in genau diesem Maße ist er nicht das Selbst, das schlechtgemacht wird. In dem Prozeß, in dem er die Einschätzung bezeugt, die er von sich zu haben beginnt, scheidet er ein neues Selbst aus" (S. 521; Hervorh. J. S.)

Mehr noch: Man kann ein vergangenes Tun schildern, u m dann eine Stellungnahme zu zitieren, mit der m a n sich schon seinerzeit von diesem Tun distanziert hat: (12) No hock isch alls do un plärr. Denk isch: „Menschenskind, worum hoschn Bidder ge plärrt?" Geh isch hie, neh· isch dann so e paar Baldriandinger do, un dann geht mers Bidder gut. (2006/02)

(Die Sprecherin identifiziert sich jetzt mit dem - zitierten - Selbst, das sich von dem - geschilderten - trauernden Selbst distanziert; der Zuhörerin hingegen ist anheimgestellt, in ihrer Empathie gerade jenes trauernde Selbst zu spiegeln und es, gleichsam für die Sprecherin, als das situative zu rekonstituieren: Distanzierung von der Distanzierung ermöglichte dieser dann eine neue Identifikation mit dem alten Selbst.) Auch Selbstzitate implizieren also eine Unterscheidung logischer Typen, eine Distinktion zwischen dem Rahmen des Gesprächs und dem in es eingebetteten, zwischen dem zitierenden und dem zitierten Selbst. Meinungen können revidiert, Entschlüsse fallengelassen worden sein. Dadurch ist es möglich, daß der Geltungsanspruch, der mit der zitierten Äußerung zunächst erhoben worden war, von der zitierenden nicht länger präsupponiert ist. Wäre dem nicht so, könnte das Zitat - das man j a auch als Behauptung eines (in der Regel in der Vergangenheit liegenden) sprachlichen Sachverhalts auffassen muß - schon im Vorhinein seiner Wahrheitsfahigkeit beraubt sein: (13) Un da hab isch- gestern Bit· Bekannte gesproche, un da hab isch gsacht

Und jetzt, von heut ab", hab isch gsacht, „lüg isch

nur noch. (.) Und sag gar nicht die Wahrheit", net? Also- des is Birklich Bahr. (2006/43 J17)

(Wäre das sprechende Selbst mit dem zitierten gänzlich kongruent, so m ü ß t e der Verdacht aufkommen, die Feststellung der Sprecherin, sie habe X gesagt von heut ab lüg isch nur noch könne nur dann wahr sein, wenn sie X nicht gesagt hätte, und sei genau dann falsch, wenn sie X gesagt h a t ) . 8 Natürlich ist mir bewußt, daß sich das (vermeintliche) Paradox auch anders auflösen ließe bzw. hier nicht wirklich vorliegt; als Illustration einer aus anderen Gründen zwingenden Unterscheidung scheint es mir dennoch geeignet.

586

Jürgen

Streeck

Letztlich ist es der Begriff des Sprechers selbst, den die Logik der zitierenden Rede obsolet macht. Hinter ihm, mit dem die strukturale Linguistik den (idealisierten) Produzenten von Sätzen, die Pragmatik den sprachlich Handelnden und die Konversationsanalyse die interagierende Stimme meint, verbergen sich nämlich, wie wir jetzt sehen können, zumindest drei zu unterscheidende „logische Personen"; Goffman nennt sie „animator" oder „Klangkörper" („sounding box"), „Verantwortungsträger" („principal") und „Urheber" („author") (Goffman 1981, S. 144). Der „animator" ist der „Körper, der akustisch tätig wird" (a.a.O.) und damit Wörtern Leben einhaucht. In dieser Kapazität betätigt sich derjenige, der einen Text rezitiert, den ein anderer verfaßt hat. Der „Verantwortungsträger" ist jener, der „dafür haftbar gemacht wird, die Stellung bezogen zu haben, von welcher die Bedeutung der Äußerung Zeugnis ablegt" (1974, S. 517). Der „Urheber" schließlich ist J e m a n d , der die Gefühle gewählt hat, welche zum Ausdruck kommen, und die Worte, in denen sie enkodiert sind" (Goffman (1981, S. 144). Im „fresh talk", gewiß, spricht der Sprecher gemeinhin in allen drei Kapazitäten. Die ältere Dame, die bei ihrer ersten Begegnung mit dem Autor wissen wollte: (14) Wollen Se auf nein Schoß? (2006/13),

hat ihre Worte selbst gewählt („author"), sie trägt die Verantwortung dafür („principal"), und „animiert" hat sie sie auch („sounding box"). Doch schon wenn eine Person sich selbst - oder ihre innere Stimme - zitiert, animiert ihr aktuales Selbst Worte, deren Urheberschaft bei einem Selbst der Vergangenheit liegt: (15) Jetzt ha isch gedenkt „Des is e Witz" —

widda nix. (2001/13)

Und sind in diesem Zitat wiederum die Worte eines anderen enthalten - wie die alte Weiber in f o l g e n d e m F r a g m e n t (16) isch hab dem g-sacht „Ja ... do kämpfe Sie um des Wort Senioren, dabei sescht die donn 'die alte Weiber'" (2006/26)

dann animiert ein aktuales Selbst Worte, die das vergangene Selbst schon einmal animiert hat und deren Autor und Verantwortungsträger eine dritte Person ist. Drei Distinktionen haben wir uns bisher vor Augen geführt. Wir haben festgestellt, daß zwischen dem Sagen von Wörtern und ihrem bloßen Aussprechen (z.B. im Zitat) ein kategorialer, interaktionslogisch wirksamer Unterschied besteht. Wir haben ferner gesehen, daß diese Differenz den Begriff „Sprecher" pauschal erscheinen läßt, da dieser in verschiedenen Kapazitäten tätig wird, wenn er Wörter sagt oder sie nur „animiert". Der Begriff mag ersetzt werden durch das Goffmansche Trio „Klangkörper", „Urheber" und „Verantwortungsträger". Im vorliegenden Fall wird diese Aufspaltung der Tätigkeiten und Verantwortlichkeiten für die Organisation obszöner Rede in Anspruch genommen und dient so als eine interaktionslogische Voraussetzung (neben anderen) für die Produktion

Die Unterhaltungskunst

älterer Frauen in der

Filsbach

587

einer besonderen Form von „Unterhaltung". Die dritte Distinktion schließlich, gleich zu Beginn des Abschnitts eingeführt, ist die zwischen „fresh talk" und vorgefertigter Rede, genauer gesagt zwischen Rede, deren Text als „hier und jetzt gesetzt", und jener, deren Text als vorgefertigter dargeboten wird. Auf sie werde ich zurückkommen. Doch will ich mich erst meinem anderen Thema zuwenden, dem zweiten Aspekt der Filsbacher Unterhaltungskunst, dem Erzählen „dreckiger" Witze. 2.

D a s Erzählen v o n „dreckigen" W i t z e n

Auch Witze sind „vorgefertigte" Texte, sie sind es sogar in höherem Maße als gewöhnliche Zitate, da ihr Urheber gemeinhin unbekannt ist. Dies stellt besondere Anforderungen an ihre „Abwicklung", kann andererseits jedoch auch zusätzliche Chancen eröffnen, einen Effekt zu erzielen, ohne etwas gesagt zu haben. Will jemand in einem natürlichen Gespräch einen Witz erzählen, dann stößt er auf ein diskursorganisatorisches Problem, das der Witz mit anderen Dingen, die sich erzählen lassen (z.B. Geschichten), gemeinsam hat: der Witz ist ein „großes Paket". 9 Große Pakete lassen sich nicht umstandslos in Gesprächen unterbringen, die „Turn für T u m " gestaltet werden. Normalerweise endet das Rederecht eines Sprechers am Ende der Einheit (Wort, Syntagma, Phrase, Satz), aus der er seinen Turn konstruiert hat; wer dann den Turn erhält, ist auszuhandeln. Witze und andere „große Pakete" kommen mit einer Einheit meist nicht aus, sondern brauchen derer mehrere. Die Regeln des Sprecherwechsels heben sich jedoch nicht von selbst auf, und so muß zu Beginn der ganzen Einheit sichergestellt werden, daß der Sprecher auch die Chance erhält, sie zuende zu führen. Das heißt: 1. der „Gesprächszustand" („state of talk"; Goffman (1981)), die Verteilung von Sprecher- und Hörerrollen und -aktivitäten, muß für die gesamte Einheit festgelegt, die Regel des „Turn für Turn" suspendiert werden; 2. um sich das Rederecht für eine ganze Serie von Turns zu sichern, wird der intendierende Erzähler denen, die es ihm einräumen sollen, deutlich machen wollen, um welche Art Einheit es sich handeln wird, und zwar nicht nur, um ihnen den Verzicht auf das Rederecht schmackhaft zu machen, sondern auch, um ihnen vorweg zu zeigen, wann schließlich doch ein Abschlußerreicht, Sprecherwechsel relevant sein wird; zugleich erfahren die Hörer, welche Art von Reaktion man von ihnen erwarten wird 1 0 ; 9

10

Diese Umschreibung stammt m.W. von Harvey Sacks. Die Ankündigung des Typs „Witz" zeigt den Hörern, daß Lachen sene Reaktion ist, und daß mit einer „Pointe" zu rechnen ist, an aktion erfolgen sollte. Die Pointe ist oft nicht allein aufgrund des Handlungszusammenhangs des erzählten Geschehens antizipierbar,

die angemesder diese ReGestalt- und sondern auch

588

Jürgen

Streeck

3. da der Erzähler eines Witzes selten auch sein Autor ist, kann es sinnvoll sein, die Signifikanz dieses Fremdprodukts im eigenproduzierten „fresh talk" der Gruppe deutlich zu machen, also zu zeigen, wie es an „diese Stelle" des fortlaufenden Gesprächs „paßt" - a fortiori gilt dies für „erste" Witze; 4. ebenso sollte die Hörerschaft ihre Bereitschaft zum vorübergehenden Verzicht auf Rederechte kundtun und so das Erzählen „ratifizieren". 11 Nach Sacks (1974) werden diese diskursorganisatorischen Aufgaben durch die dreigliedrige Struktur „großer Pakete" gelöst. Sie umfaßt einen Vorspann, die eigentliche Erzählsequenz und eine „response sequence", in der das Publikum seine Wertschätzung des „Pakets" zum Ausdruck bringt. Die Vorspannsequenz enthält in der Regel ein Angebot, einen Witz oder eine Geschichte zu erzählen, eine erste vorgreifende Charakterisierung und, wenn es sich um einen Witz handelt, vielleicht einen Hinweis, woher der Erzähler ihn hat. Mit dem zweiten Turn der Vorspannsequenz nimmt das Publikum das Angebot an oder lehnt es begründet ab (vgl. Sacks 1974, S. 337-341). Die Mechanismen der Gesprächsorganisation sind sowohl „kontext-frei" wie „kontext-sensitiv"; wenn Gesprächsteilnehmer technische (also kontext-freie) Probleme wechselseitiger Verständigung in der Interaktion lösen müssen, tun sie dies stets in einer Weise, die den je spezifischen Gegebenheiten dieses Gesprächs zwischen diesen Teilnehmern an diesem Punkt seiner Entwicklung Rechnung trägt. Und immer legen sie offen, wie sie dies tun: Sie zeigen in ihren sprachlichen Handlungen, wie sie den aktuellen Stand des Gesprächs analysieren. Sacks/Schlegloff/Jefferson haben diesen „kontext-frei/kontext-sensitiven" Doppelcharakter von Gesprächsorganisation auf folgende Formel gebracht: „Da Konversation einen weiten Spielraum von Umständen in sich aufnehmen kann, da sie ein Vehikel für Interaktionen darstellt, in denen Personen in variierenden Identitäten ... operieren, da sie sensitiv ist gegenüber den verschiedenen Kombinationen und in der Lage, mit einem Wechsel der Situation innerhalb einer Situation zurechtzukommen, muß es einen formalen Apparat geben, der selbst kontextfrei ist, aber gerade durch die besondere Art, in der er kontextfrei ist, in den lokalen Fällen seines Operierens gegenüber verschiedenen Parametern sozialer Realität in einem lokalen Kontext sensitiv sein und diese Sensitivität auch zur Darstellung bringen kann" (Sacks/Schegloff/Jefferson 1978, S. 10). anhand formeller Konstruktionsprinzipien wie z.B. numerischen (z.B. Dreierlisten); vgl. Atkinson (1984), Sacks (1974). 11

Kallmeyer/Schütze unterscheiden vier Ordnungsprobleme, die bei der Abwicklung eines Handlungsschemas, z.B. dem Erzählen eines Witzes, gelöst werden müssen: „1. Der Initiator des Handlungsschemas muß dieses vom übrigen Aktivitätsstrom abheben, ... 2. er muß es den Interaktionspartnern zeitlich vorgreifend verdeutlichen... 3. es muß von den Interaktionspartnern ... nicht nur akzeptiert, sondern auch ausdrücklich ratifiziert werden ..., und 4. haben die Interaktionspartner das Handlungsschema ratifiziert, muß dieses in seinen wesentlichen Elementen ... vollzogen werden"; Kallmeyer/Schütze (1976, S. 16-17).

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Dieser Doppelcharakter beinhaltet auch, daß von Gesprächsteilnehmern in den Aktivitäten, mit denen sie ihr Gespräch organisieren, immer auch - und zwar durch die besondere Art, in der dies in „diesem" Einzelfall geschieht - zusätzliche, partikulare Dinge erledigt werden. Ein Gespräch ist kein Geschehen, das sich mit Regeln allein beschreiben läßt, die gegenüber den lokalen Besonderheiten gleichgültig sind. Jedes Gespräch ist auch ein singuläres Ereignis, in dem Einzelpersonen in einem „hier und Jetzt" mit anderen Einzelpersonen „Konversationsunikate" produzieren. Dies meint die Konversationsanalyse, wenn sie von der „Partikularisierung" des Gesprächs spricht. Sie untersucht, „wie eine Welt je besonderer, spezifischer Szenen mit Hilfe einer Menge genereller, formaler Praktiken geschaffen und dargestellt wird" (Schegloff 1972, S. 117). Auch das „Einfädeln" eines Witzes in ein laufendes Gespräch weist diesen Doppelcharakter auf: es ist eine technische Aufgabe, die immer an einem ganz spezifischen Punkt eines besonderen Gespräches gelöst werden muß, und so sollte die Lösung technischen Problemen wie lokalen Besonderheiten gleichermaßen gerecht werden. Unter diesem Blickwinkel ist der folgende Witz zu betrachten, den die 65jährige Frau C. an einem beliebigen Nachmittag erzählt hat. Denn mit der Art, wie sie ihre Erzählung beginnt, sichert sie sich nicht nur das Rederecht; sie läßt auch durchblicken, was dieser Witz an dieser Stelle besagt, und so tut sie letzten Endes erheblich mehr, als einen Witz zu erzählen. Der „Vorspann" des Erzählens beginnt in Zeile 11: (17) 1 2 3 4 5 6 7 8

IV () HE IN SU () () ()

Wo die Hitze inaer herbringe. hh heh heh 'Schabb viel Witze kennt. Jaah? Isch hab frieher nur Witze erzählt. (Die?) Ah: jaa. Die? Die?

9 10 11

() HE KU

12

SU

13 14

KU KU

( ) Isch kann ja heut kein- isch kann keini «ehr. D(h)es is v(h)orbei(h)ei j(h)ahahaha. hahaha. » Da ear »a eini bei·- // Dokter. Aber nischt ganz. // ( ) war // isch unterwegs mit «ei· Mann. Was »ir gfeiert habn // früher. Aber (u.s.w.) Bein FrauDa war eine- bei 'ne·

590 15

Jürgen Streeck KU

war mal ne alte (FLÜSTERND) alte Frau b e i · Dokter.

16

()

17

KU

Frauarzt. Sächt- sie hot-

Wo jetzt? Sie hot jetzt ein Schoi äh zur freien Untersuchung. Sie geht aa aol zum Frauearzt. "Ach" hot der gsacht, „sie brauche doch niaaer ait achzich Johr net." Säschd se "Doch isch habn Schoi. und isch will zua Frauearzt, isch will aa aol uff den Bock nuff."

18

()

Hahhah

19

()

Hah hah hah hah

20

KU

Ah ja, da isse nuff. net, u n do hot der Dokter gsacht „A:ch Gott. Fraa,

sie habe

ja bloß äh Schaalipp!?" „Jaah" sächzsch-u sch-"die annä h a 'isch ai druff gsetzt, de -tuhl war ze k(h)alt." (.) 21

HE

22

KU

Was? „Die anner hab isch»" „=Die anner haw isch aisch dr(h)uffgesetzt, der Stuhl war so kalt."

23

()

Ohhhhh auhh . Auhh, oh je.

24

SU

Des sin aber schon ganz harte.

25

ZI

„Der Stuhl war so kalt."

26

()

Ach so

27

()

(Lieber Gott)

28

KR

Also jetzt weraer total verdorben, ja.

29

0

Och Gott.

30

()

Immer.

31

HE

Eisch will sch eaol was sa:chn. Die Frauen

(LAUTES GELÄCHTER)

(GELÄCHTER) (GELÄCHTER)

(GELÄCHTER) sind schliaaer wie die Männer. Des aber wohr. (LACHEN) 32

KR

Gurtes Erkennen, gute Erkenntnis.

33

IN

Des stimmt net.= des stimmt net, bei Männer

34

HE

gibts a:ch ganz harte // Witz 0::ch, aber trotzdem- bei uns (is) viel schöner wie bei den // wenn die Männer unter sisch sind. (LAUTES GELÄCHTER)

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35

IN

Des is viel s c h l i u e r , des is viel schöner.

36

KU

Ach Gott schsitz isch jedze. Sa- is des

37

IN

Ah bei dene Uitz vorhin.

38

IN

Wirds Ihnen ganz heiß.

39

KU

Des ha' isch >iä illuschtriert vorgschtellt.

591

(LACHEN) der Kaffee? (GELÄCHTER)

Wir sehen, daß der Witz nicht eigentlich durch eine Vorspannsequenz eingeleitet wird, sondern nur durch einen Vorspannturn, der allerdings mehrfach wiederholt wird (11, 13, 14, 15). Es fehlt die ausdrückliche Ratifikation durch die Zuhörerinnen; daßsie zuhören werden, zeigen sie einfach, indem sie verstummen. Die Erzählerin, Frau KU, beginnt mit ihrem „preface", als eine andere Frau - Frau HE - gerade erwähnt hat, sie kenne, nachdem sie früher immer nur Witze erzählt habe, heute keini mehr: des is vorbei, stimmt Frau KU ihr zu und lacht und legt gleich los: da war ma eini beim Dokter. Dies ist ein S t a n d a r d f o r m a t , eine kanonische Form für die Einleitung eines Witzes, eine „Orientierung" 1 2 ; die Schauplatz und Charaktere benennt und zu erkennen gibt, welchem Genre 1 3 dieser Witz angehört. Jetzt müßten die anderen Frauen der Erzählerin ihre Aufmerksamkeit zuwenden, doch stattdessen geschieht erst einmal etwas anderes: Frau KU h a t t e mit der ersten Konstituente ihres Einleitungsturns (des is vorbei) ein T h e m a angeboten, das sich für eine eigenständige Bearbeitung anbietet, so daß der Erzählbeginn hinausgeschoben wird. Eine andere Frau greift es auf und kommentiert es (after nischi ganz ...). Frau KUs Turn setzt also ein Turn für Turn organisiertes Gespräch erst noch einmal in Gang, a n s t a t t es zu beenden. So benötigt sie mehrere Anläufe, bis sie zum Erzählen kommt. Gehör findet sie erst, als sie zum Kunstgriff des Flüsterns greift: erst als sie so tut, als sei das, was zu sagen sie anhebt, nicht für alle Ohren bestimmt, schenken alle ihr Gehör, um a m Geheimnis teilzuhaben. Für die Erzählsequenz (15-20) ist die Bauform des Witzes bedeutsam, denn sie bestimmt, welche Zuhöreraktivitäten an welchen Stellen möglich sind. Dieser Witz hat die Bauform einer „kanonischen Geschichte" (Sacks 1974), ein klassisches Witzformat, wobei in diesem Fall eine Publikumsreaktion an zwei Stellen möglich ist: schon vor der Pointe wird eine Aktivitätssequenz, ein Dialog der Charaktere, durch eine Formulierung beendet (isch will a mol uff den Bock nuff), die zwar wörtlich, aber ebensogut auch metaphorisch genommen werden kann, als Anspielung auf sexuelle Ansprüche, die zum Lachen reizt. Daß hier eine Publikumsreaktion erfolgen 12

Vgl. Labov/Waletzky (1967).

13

Zu Genren von Witzen vgl. Röhrich (1980) und den dortigen bibliographischen Anhang.

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sollte, ergibt sich auch aus der Tatsache, daß eine Serie von drei Handlungen (der Charaktere) durch eine Äußerung abgeschlossen wird, die ihrerseits drei Begründungen aneinanderreiht, von denen die dritte die zweideutige ist; die Zweideutigkeit findet sich also an einer für Pointen typischen Position. 14 Auch der zweite Teil der Erzählsequenz umfaßt eine Serie von drei Handlungen, deren dritte die eigentliche Pointe des Witzes ist. Einer materialen Handlung (die Alte besteigt den Untersuchungsstuhl) folgt ein zweigliedriger Dialog: Erst formuliert der Arzt ein Rätsel (ach gott, Fraa ...) und so ist der Hörer eingeladen, sich mit ihm zu fragen: wo ist die zweite Schamlippe, was ist mit ihr passiert? Die Replik der Alten ist die Pointe des Witzes; dadurch, daß die Alte sie ausspricht, wird sie selbst zur Identifikationsfigur für die Hörerschaft. Dies macht den Witz, der in einem anderen Kreis auch als Ärztewitz, also als Männerwitz, erzählbar wäre, in spezifischer Weise zu einem Witz für alte Frauen. Dabei arbeitet er mit klassischen Mitteln des Humors, der Komik und der Groteske; er enthält Spott; es werden die verspottet, die sich nicht auskennen. Wie alle Witze erzeugt auch dieser Lust durch einen plötzlichen Wechsel von Spannungs- oder Erregungszuständen: Die selbst bereits als lustvoll erlebte Erregung nimmt auf dem zögernd zurückgelegten Weg zur Pointe allmählich zu, um dann plötzlich und kathartisch im Lachen abgeführt zu werden. 15 Eine Pointe ist die Feststellung die anner haw isch misch druffgesetzt ... deshalb, weil sie ganz und gar inkongruent ist mit den Erwartungen, die der Hörer hierin dem Arzt folgend - aufgebaut hat: Er erwartet eine Erklärung, auf welche schreckliche Weise (ach Gott, Fraa ...) sie ihre Schamlippe verloren hat, 14

Im einzelnen sieht die Abwicklung des ersten Teils der Erzählsequenz folgendermaßen aus: nach der Orientierung wird eine erste - sprachliche - Handlung der Hauptakteurin zitiert (sächt sie hot jetzt en Schot zur freien Untersuchung, sie geht aa mol zum Frauenarzt.) Diese, indirekt zitierte, Äußerung motiviert den in der Orientierung bezeichneten Sachverhalt - warum sie beim Frauenarzt ist. Ihr Gegenspieler, der Arzt, konfrontiert sie mit einem Einwand zweite Handlung), einer Komplikation, die durch eine Erwiderung - als drittem Schritt - aufgelöst wird, wobei diese ihrerseits drei Konstituenten umfaßt. Ein erster Abschluß wird wird hier auf dreierlei Ebenen erreicht: 1. semantisch, durch den Abschluß des ersten Teil des zitierten Ereignisses: die Komplikation wird beseitigt; 2. auf der Ebene der Sequenzierung des zitierten Dialogs - das Vorgespräch vor der Untersuchung wird beendet; und 3. auf der Ebene der Organisation des Erzählens: durch die semantische Gestalt des erzählten Geschehens und die Sequenzierung des zitierten Dialogs ebenso wie durch die Zweideutigkeit und die für viele Witze charakteristische Bauform der Dreierserie wird ein „slot" für eine erste Hörerreaktion geschaffen.

15

Vgl. Freud (1905, Kap. II und IV); McGhee (1979, S. 14-24]. „We become increasingly aroused as we listen to the development of a joke, with perhaps the greatest increase in arousal coming either when our expectation of the punch line is greatest or when it is being delivered. Once we get the point of the joke, arousal decreases and we smile or laugh. Both the level of arousal reached and the steepness of the drop are likely to be increased by the addition of sexual or aggressive themes, or by the inclusion of any other material t h a t is in some way emotionally arousing to the recipient of the joke" (McGhee 1979, S. 17).

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um stattdessen zu erfahren, sie besitze sie noch und habe es sich auf ihr nur bequem gemacht. Die Inkongruenz von Erwartung und Ereignis, also zwischen zwei möglichen Repräsentationen desselben Sachverhalts, deren eine unseren Erwartungen entspricht, während die andere sie durchkreuzt, bildet (so Nerhardt 1976, S. 16) 16 den kognitiven Kern von Humor überhaupt, der damit seinem Wesen nach als symbolische, an Repräsentation gebundene Leistung bestimmt wird. 1 7 Gesteigert wird die Wirkung der Pointe in diesem Fall wo sie langanhaltendes, in Wellen pulsierendes, schallendes Gelächter erntet noch dadurch, daß sie den Zuhörerinnen eine kategoriale Identifikation mit einer Person ermöglicht (als alte Frauen können sie sich mit einer alten Frau identifizieren), die als Siegerin aus einer Situation hervorgeht, die sie vermeintlich in einer sehr schwachen Position betreten hatte - hatte der Arzt sie doch zum alten Eisen legen wollen: eine schmerzliche Erfahrung, die die Zuhörerinnen teilen. Ihren Triumph erzielt die Alte in einer Konstellation von Verhaltensabläufen, die Bergson (1899) als komisch bezeichnet. Komik entsteht nach Bergson immer dort, wo ein Ausdruck, eine Gebärde, eine Handlung mechanisch werden und in ihrem mechanischen Ablauf die Ansprüche einer Situation verfehlen, die einer wachen und elastischen Anpassung des aufmerksamen Geistes bedürften. Komisch in diesem Bergsonschen Sinne 18 ist „der Automatismus eines Beamten, der wie eine Maschine funktioniert" (S. 37), ist „die Kunst, die klüger sein will als die Natur" (S. 38) und die in den Moliereschen Ärzten Gestalt angenommen hat, welche nach der Devise handeln „lieber nach den Regeln sterben als regelwidrig mit dem Leben davonkommen" (Der Arzt wider Willen). Komisch wirkt im Nachhinein - d.h. vom Blickwinkel der Pointe aus betrachtet die diagnostische Mechanik des Arztes auch in diesem Witz, eines Arztes, der nichts zu sehen vermag als körperliche Defekte und mit seiner Kunst scheitert angesichts einer Alten, die nicht aus Krankheitsgründen aa mol uff seinen Bock nuff will. Die Alte verblüfft ihn bis zur Sprachlosigkeit gerade durch die Geschmeidigkeit, mit der sie sich, scheinbar abseitige Mittel benutzend, gegen die besonderen Widrigkeiten der Umstände wehrt. Darüber hinaus hat die Pointe auch Züge des Grotesken. Grotesk ist die Schamlippe, die so riesengroß, d.h. so „ausgeleiert" ist 1 9 , daß ihre Besitzerin auf ihr 16

Nach McGhee (1979, S. 42).

17

Vgl. McGhee (1979, S. 196).

18

Im kindlichen Spiel mit Hampelmann und Springteufel sieht Bergson den Ursprung des Komischen und der Komödienfiguren; wie wir als Kinder über Hampelmänner gelacht haben, lachen wir noch als Erwachsene „immer dann, wenn eine Person uns an ein Ding erinnert" (S. 44). „Komisch ist jede Anordnung von ineinandergreifenden Handlungen und Geschehnissen, die uns Illusion von wirklichem Leben und zugleich den deutlichen Eindruck von mechanischer Einwirkung vermittelt" (S. 52).

19

Es mag verwundern, daß alte Frauen über die groteske Übertreibung ihres eigenen

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Platz nehmen kann. Das Groteske, schreibt Bachtin, „vollzieht sich an den Grenzen von Leib und Welt" (Bachtin 1969, S. 197), hat es „mit allem (zu tun), was aus dem Körper herausragt oder herausstrebt, was die Grenzen des Leibes überschreiten will" (S. 196). Dies bezeichnet die Stellen des Grotesken am grotesken Leib. Das Groteske selbst, so Pesch (1940), „das zunächst nur ein Sonderfall der Karikatur zu sein scheint und wie diese unter den Oberbegriff des Unschönen im allgemeinsten Sinne gehört, ... arbeitet am liebsten mit dem Größenverhältnis seines Gegenstandes als Ganzem, mit seinem Aufbau in sich selbst oder mit seiner Stellung in seiner Umgebung" (S. 31) - hier dem Verhältnis der den Körper förmlich hinter sich lassenden Schamlippe zum Gesamtkörper der Frau, aber auch zur Umgebung, zu deren Teil sie wird. „Das Groteske greift sowohl einzelne auffallende Züge, als auch Mißverhältnisse der Größe ... heraus, um sie zu übertreiben und ihnen ... Wert-Beziehungen zugleich verneinender und bejahender Art abzugewinnen" (a.a.O.). Die Ambivalenz von Verneinung und Bejahung der vom Alter gezeichneten Sexualorgane kommt hier in einem Perspektivenwechsel zur Geltung; die Verneinung aus der Sicht des Arztes - erst die Zurückweisung des Alters, dann die Verleugnung der Schamlippe - schlägt in ausdrückliche und zudem listige Selbstbejahung des Alters um und läßt die „Diagnose" des Arztes als Ausdruck mechanisch bornierter Professionalität erscheinen. Wir befinden uns schon mitten in der inhaltlichen Deutung des Witzes, ohne doch die Aufgabe, mit der wir begonnen hatten, die „Einfadelung" des Witzes in das laufende Gespräch zu rekonstruieren, gelöst zu haben. Doch gehört zu dieser Einfadelung auch die (inhaltliche) Signifikanz des Witzes an „dieser" Stelle des Gesprächs, und so mag es sinnvoll sein, diesen Prozeß vor dem Hintergrund der „Botschaft" des Witzes nachzuvollziehen. Auch bei der Deutung selbst ist zu beachten, daß Witze - wie alle konversationeilen Objekte „rezipienten-spezifisch" produziert werden, d.h. in einer (den Beteiligten einsichtig gemachten) Beziehung singulärer Angemessenheit zu ihren spezifischen Rezipienten stehen. Uber die Rezipientenspezifik von Witzen hat Harvey Sacks einige interessante Überlegungen angestellt. Sacks meinte, daß der manifeste Gehalt eines Witzes manchmal nur eine Verpackung sein mag, Verpackung für Informationen und Erfahrungen, die in kleineren Details stecken, aber für den Personenkreis, in dem der Witz zirkuliert, möglicherweise wichtiger sind als die offenkundige Bedeutung. „Der Witz kann", so Sacks, „dazu dienen, Informationen zu verpacken, die Personen, die an ihnen interessiert sind, aus ihm herausziehen können; sie sehen dann, daß es nicht nur ihre eigenen, sondern gemeinsame Erfahrungen sind" (Sacks 1978, S. 262).

körperlichen Verfalls lachen können; Untersuchungen haben allerdings ergeben, daß Frauen - anders als Männer - Witze bevorzugen, in denen Mitglieder ihres eigenen Geschlechts zum Opfer sexueller Attacken bzw. - allgemeiner - herabgesetzt werden; Cantor (1976); Losco/Epstein (1975), zit. n. McGhee (1979, S. 204ff.).

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O b s z ö n i t ä t ist eine V e r p a c k u n g besonderer A r t , eine, die sicherstellt, daß der W i t z nicht x-beliebigen Hörern, sondern nur Vertrauenspersonen erzählt wird: „Schmutzige W i t z e sind mit einer Restriktion versehen, die besagt 'gib ihn weiter, aber diskret'" ( a . a . O . ) . M a n kann also intime B o t s c h a f t e n (die keineswegs m i t S e x u a l i t ä t zu tun h a b e n müssen) in einen schmutzigen W i t z packen. „Wenn es", schreibt Sacks, „Informationen g i b t , die weiterzugeben sich lohnt, bei denen es aber gleichermaßen wichtig ist, daß sie nur beschränkt weitergegeben werden, dann können solche Dinge in schmutzige W i t z e verpackt werden, wobei die O b s z ö n i t ä t als ' D e c k b l a t t ' für Informationen anderer A r t fungiert" ( a . a . O . ) . Unsere A u f g a b e ist es also, diese Erfahrungen aus diesem W i t z herauszuklauben, Erfahrungen, über die wir selbst nicht verfügen, aber die Frauen, denen der W i t z gefällt. Der W i t z scheint v o m A l t e r als einer Zeit verlorengegangener körperlicher A t t r a k t i v i t ä t , v o m körperlichen Verfall zu handeln, einer identitätsbedrohenden Erfahrung, für die er Trost bereithält. Tröstend ist schon der G r u n d , der die A l t e ü b e r h a u p t z u m Frauenarzt treibt: Nicht, weil sie Beschwerden h a t , sondern einen „Schein zur freien Untersuchung", ein Anrecht (gemeint ist die freie Krebsvorsorge), v o m Sozialstaat zur V e r f ü g u n g gestellt, das sie sich nicht nehmen lassen wird. (Ein W i t z also speziell für mittellose alte Frauen.) A n d e r s gesagt: I m A l t e r geht zwar, wie der W i t z versichert, die sexuelle A t t r a k t i v i t ä t verloren, doch m u ß dies noch lange nicht heißen, daß m a n auf eine Gelegenheit, uff den Bock nuff zu steigen, verzichten müßte. W e n n der A r z t - oder die Gesellschaft, für die er steht - eine alte Frau der ärztlichen Fürsorge nicht mehr für wert, diese gleichsam für verschwendete Liebesmüh hält, dann wird sie gerade gehen, freilich nicht aus Sorge u m ihre Gesundheit, sondern u m der S i t u a t i o n teilhaftig zu werden, die der S e x u a l i t ä t noch a m nächsten k o m m t . Im zweiten Teil des W i t z e s spielt die alte Frau mit dem A r z t - und mit dem Zuhörer - Versteck. W ä h r e n d seine Frage zu besagen scheint: „Mein G o t t , wie ist das passiert?", offenbart die A n t w o r t , daß er genarrt wurde: Kein Defekt liegt vor, mit einem Trick hat es sich die alte Frau in seiner W e l t b e q u e m g e m a c h t , m i t einem Trick den nur eine A l t e kann. Der W i t z teilt denen, die es hören wollen (und verstehen können) einen m o d u s vivendi mit, eine A r t , mit den Dingen des Lebens zurechtzukommen. Bedrohlich, so lehrt er, ist das A l t e r n nur dann, wenn m a n es wie die Jüngeren, die Uneingeweihten, sieht. U n d weil der W i t z , durch seine B a u f o r m , diese Lebensregel der A l t e n in den M u n d legt, fordert er auch die Zuhörerinnen z u m Bekennen dieses Wissens auf, er lädt dazu ein, offensiv zu altern. 2 0 M a n m u ß dem aber entgegenhalten, daß so die Bedeutung des zentralen S y m bols verharmlost wird, der grotesk großen Schamlippe. Die steht j a nicht bloß für Verfall, sondern auch für sexuelle Potenz, sie spricht von vergangener Aus20

Dieser Aspekt wird in einem anderen Artikel ausführlicher thematisiert; Streeck (1988).

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Jürgen Streeck

Schweifung.21 Nimmt man dies ernst, kann man nicht einfach sagen, der Witz „spende Trost". Betrachten wir noch einmal die „Einfädelung". In den Details des Vorspannturns nämlich können wir das erkennen, was Freud (1905) die „Tendenz" des Witzes nennt; hier läßt sich nach vollziehen, was er über seinen puren Unterhaltungswert hinaus, für das Gespräch und für die Aushandlung interpersoneller Beziehungen unter seinen Beteiligten leistet. Der Witz erscheint so als „indirekter Sprechakt" (Searle 1975). Die Signifikanzbeziehung zwischen dem Witz und dem Gesprächszusammenhang, an den er anschließt 22 , wird in Frau KUs Vorspannturn 11 - d(h)es is v(h)orb(h)ei,

j(h)ahahahahahaha,

= da war ma eint beim - Dokier-

etabliert.

Dieser Turn enthält drei Konstruktionseinheiten: eine Bestätigung vorausgegangener Feststellungen einer anderen Sprecherin (Frau HE), eine Serie von Lachpartikeln und eine Orientierung, die - ohne die an dieser Stelle erwartbare Mikropause - an die Lachpartikel „angeklebt" ist. Die Bestätigung bezieht sich auf F r a u H E s Feststellung 'schabb viel witze kennt,

tsch kann ja heut kein - isch

kann keini mehr (3, 5, 10). Und wenn Frau KU darauf erwidert, des is vorbei, dann stimmt sie dieser Feststellung nicht nur beiläufig zu. Denn ihre folgende „Lachsalve" beginnt mit j(h)a, wird also selbst als Kommentar zu dem mit des is vorbei bezeichneten Zustand dargeboten, und da auch der folgende Beginn des Witzes an die Lachsalve „angeklebt" ist, anstatt deutlich als Beginn einer neuen Einheit markiert zu sein, scheint der Witz ebenfalls in irgendeiner Weise zu dem Zustand des „Vorbeiseins" in Beziehung zu stehen. Weis daran könnte jedoch zum Lachen reizen? Die Lösung ergibt sich, wenn man d(h)es als Wortspiel nimmt, als Zweideutigkeit. Die Referenz von des nämlich ist zweideutig; einerseits ist des anaphorisch, andererseits ist es ein gängiges Wort, auf Sexualität zu verweisen, ohne dabei allzu deutlich zu werden. d(h)es ist also ein Wortspiel, das sich der Technik der Verdichtung bedient, die nach Freud für den Witz ebenso zentral ist wie für den Traum und für die Fehlleistung. In ihrem „Vokabular der Psychoanalyse" führen Laplanche/Pontalis hierzu aus, in der Verdichtung vertrete „eine einzige Vorstellung ... für sich allein mehrere Assoziationsketten, an deren Kreuzungspunkten sie sich befindet" (Laplanche/Pontalis 1973, S. 580). Mehrere Bedeutungsschichten sind in einem einzigen Bild, in einer einzigen Äußerung, in einem einzigen Wort zusammengedrängt. Hier sind es die Fähigkeit, Witze zu erzählen, und die sexuelle Aktivität, die gleichermaßen von dem kleinen, 21

Als Potenzsymbol ist die monströse Schamlippe offenbar nur in begrenzter kultureller Umgebung bekannt. Hatte ich diese Bedeutung zunächst selbst übersehen und war in den Diskussionen mit den Mannheimer Projektmitarbeitern entsprechend korrigiert worden, so habe ich seither die Erfahrung gemacht, daß alle (jüngeren) Gesprächspartner die nunmehr revidierte Interpretation im Sinne der ersten korrigiert wissen wollten.

22

Vgl. hierzu auch Jefferson (1978).

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Filsbach

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lachend gesprochenen des vertreten werden. Zwischen beiden wird also eine Gleichung aufgemacht. Die Bestätigung d(h)es is vorbei, j(h)ahaha ist also deshalb zweideutig, weil sie besagt: so wie es mit dem Witzeerzählen vorbei ist, ist es auch mit dem Sex vorbei. Diese Gleichung manifestiert die Tendenz des Witzes (bzw. seiner Erzählung „an dieser Stelle"). Nach Freud ist die Tendenz eines Witzes ein Impuls, der sich auf eine andere Person richtet und aggressiv sein und/oder Lust an Entblößung beinhalten kann. Obszöne Witze zwingen - wie die Zote - durch das Aussprechen oder Implizieren obszöner Worte die angesprochene Person zur „Vorstellung des betreffenden Körperteils oder Verrichtung und zeig(en) ihr, daß der Angreifer sich selbst solches vorstellt" (Freud 1905, S. 79). „Was der Witz im Dienste seiner Tendenz leistet", ist, daß er es „ermöglicht, einen Trieb (den lüsternen oder feindseligen) gegen ein im Wege stehendes Hindernis ... (zu befriedigen) ... Er umgeht dieses Hindernis und schöpft somit Lust aus einer durch das Hindernis unzugänglich gewordenen Lustquelle" (S. 81). Die obszöne Tendenz, aus der dieser Witz (neben den schon für sich Lust bereitenden Mechanismen seiner Technik) 2 3 seine Lust schöpft, ist die Entblößung der Geschlechtlichkeit der alten Frau, die Evozierung einer tabuisierten Vorstellung bei der Erzählerin und ihren Zuhörerinnen (vgl. 36/39 ach goti, schwitz ich jetze

- des ha' isch miä illuschlrieri

vorgestelld).

D a s E r z ä h l e n des W i t z e s ,

der sprachliche Akt, offenbart zugleich jedoch auch einen aggressiven Impuls gegen Frau HE, die Frau KU nicht allein an Schamlosigkeit übertrifft, sondern deren „Impotenz" (im erzählerischen wie im sexuellen Bereich) sie ihre eigene Erzählpotenz entgegenhält, die zugleich ihre sexuelle Potenz stellvertretend deutlich macht. Die soziale Schranke, das Hindernis, das der Impuls mit dem Witz umgeht, ist das Tabu, mit dem die Frauen in ihren Gesprächen ihr eigenes Geschlechtsleben belegen: Darüber sprechen sie nicht. Indem sie sich jedoch obszöne Witze erzählen, und durch die Mittel der Anspielung und Zweideutigkeit organisieren sie eine Arena, in der diese Konkurrenz stellvertretend auf einer anderen Ebene ausgetragen werden kann. Vorausgesetzt ist dabei, daß sie sich zu einem Konsens verstanden haben, wonach die aktuell gültige Modalität der Interaktion „Spaß" ist, denn erst dies nimmt der Zweideutigkeit ihre Schärfe. Dieser Konsens wird freilich schon dann wirksam, wenn eine Lizenz zum Witzeerzählen erteilt ist. 3.

D a s A u s s p r e c h e n der O b s z ö n i t ä t

Obszöne Witze bereiten Lust, indem sie obszöne Vorstellungen wachrufen und Geschlechtliches gerade da entblößen, wo es sonst mit einem Tabu belegt ist. 23

Das Lustvolle an der Witztechnik - ähnlich der Traumtechnik - sieht Freud in der mit der vorübergehenden Reggression auf eine primärprozeßhafte Organisation des Denkens (Verdichtung, Verschiebung, Verkehrung ins Gegenteil) einhergehende Einsparung und Freisetzung psychischer Energie, die im Lachen kathartisch abgeführt wird; Freud 1905, Kap. IV).

598

Jürgen Streeck

Sie können dies auf zweierlei Weise tun: diskret, mit den Mitteln der Zweideutigkeit, der Anspielung, oder schamlos, indem sie das Geschlechtliche beim Namen nennen. Beim schamlosen obszönen Witz muß der Erzähler Tabuwörter aussprechen, und verinnerlichte Schamgrenzen können ihm dies als Wagnis erscheinen lassen. Doch gibt es Witze, deren Bauform das Aussprechen in eine interaktive Organisation kleidet, die den Schritt über diese Schwelle erleichtert, mehr noch als es die Einklammerung durch das Zitat bereits tut. Der folgende Ausschnitt aus dem gleichen Gespräch ist in dreifacher Hinsicht interessant: einmal wegen der Bauform des Witzes, dann, weil wir es hier mit einem Debüt zu tun haben (zum ersten Mal erzählt die Sprecherin einen schmutzigen Witz), und schließlich, weil das Debüt mißlingt. Auch hier treffen wir einen Arzt, auch hier geht es um das Altern der Schamlippen, und auch hier ist das „Prinzip 3" das Mittel der Konstruktion. (18) 1

AL

Da sin- da sind drei Frauen . Die sind nach Frankreich in Urlaub gefahren. Ä Dreißichjähriche, ne Sechzichjähriche und ne'Neunzichjähriche. Und die sind untervegs sind se

verunglückt un da Büßten se 2

JN

3

HE

Bifil lauter. Bissel, laudä.

4

()

Seht!.

5

AL

UnterBegs sind se, verunglückt und da mußten

6

JN

Ja.

7

AL

Jetzt sind die alle eingepackt worden bis

δ

JN

9

HE

Ja.

10

AL

Und der Arzt hat gesacht: „ich Beiß nit, ich // kann die

se ins Krankenhaus, hä?

da unne hie, Ja.

einfach net unterscheiden, selche jetzt die // Dreißicher istoder die Sech zichjähriche oder die Neunzichjähriche." 11

HE

Ruhe!

12

AL

Da is er «iedergekomm-, da hat er gsacht:



„jetzt weiß ichs. Schalüh, Schahiah, Schaluh". (0.7)

13

AL

Dadurch könner se unterscheiden .

14

KU

Also- s si: s' kommt mir vollkomm (

15

()

16

IN

)

Ja ja Ja, isch hab do: da: (auch nit alles mitbekomm).

17

SU

=Njaah.

18

AL

Die Dreißichjähriche

19

IN

Ja?

Die Unterhaltungskunst

älterer Frauen in der Filsbach

20

AL

21

IN

Ja.

22

AL

'Die Sechzichjähriche, die hat äh-

Die hat- ä:hm- na! (.) Schamlippen.

23

SU

La:h!

24

AL

huh(h) uh Schali:

25

IN

26

SU

27

AL

28

()

29

SU

599

Schalih, Schaluh, la Ah:, jetzt bin ich ganz irre. Schall, Schala v-, Lumpe

30

SU

31

HE

Na, und die Mittler?

Die letzte, die hat Lumpe.

32

AL

Die Mittler, die hat - ähm -

33

IN

Lappen

34

AL

Lappen!

35

IN

Lappen.

36

()

Ahha, so war's.

37

()

(

38

AL

Ah, ich var jädzd ganz irr. Schall, Schala, Schalu.

)

39

()

40

IN

Schalu .

41

IN

Das is für die (Ferkel).

Die B a u f o r m dieses W i t z e s ist die des Rätsels - nicht i m s t r e n g e n volkskundlichen S i n n e 2 4 , eher i m Sinne eines W o r t e r g ä n z u n g s q u i z , der i m dargestellten H a n d l u n g s z u s a m m e n h a n g die nicht g e r a d e sonderlich plausible Stelle einer G e d ä c h t n i s s t ü t z e , einer Eselsbrücke i n n e h a t . D e m Q u i z - C h a r a k t e r der Serie von K ü r z e l n - Schalt, Schala, Schalu - entspricht auch eine Möglichkeit zur Dialogrollenverteilung, die f ü r W i t z e gemeinhin nicht, f ü r R ä t s e l j e d o c h c h a r a k teristisch ist, hier a b e r u n g e n u t z t bleibt: die Z u h ö r e r i n n e n k ö n n e n versuchen, d a s R ä t s e l zu lösen, e t w a so: AL Die Dreißigjährige hat Schamlippen. Die Sechzigjährige hat — ? (Na?) XX Schamlappen! etc.

W ä r e die E r z ä h l e r i n ausdrücklich so v e r f a h r e n , h ä t t e sie den Z u h ö r e r i n n e n d a s A u s s p r e c h e n der O b s z ö n i t ä t e n überlassen - d i e B a u f o r m sieht diese Möglichkeit vor - ; die Ü b e r w i n d u n g der S c h a m g r e n z e wäre so zu einer i n t e r a k t i v e n , d u r c h die Dialogrollenverteilung ermöglichten G e m e i n s c h a f t s l e i s t u n g geworden. Der W i t z h ä t t e d a n n seine b e s o n d e r e E i g n u n g f ü r ein D e b ü t erwiesen. 24

Vgl. Jolles (1969).

600

Jürgen

Streeck

Ob dies Frau Als Wahl dieses Witzes beeinflußt hat, muß dahingestellt bleiben. Tatsache ist, daß sie ihr Debüt verpatzt. Sie gerät bereits vor der Nennung des ersten Lösungswortes ins Stocken (20), findet es, stockt auch vor dem zweiten (22), daraufhin werden ihr die Chiffren souffliert (23, 25, 26, 28), wobei die Interaktion daran krankt, daß unklar ist, worin ihre Gedächtnislücke besteht - fehlen ihr die Lösungswörter oder ist ihr deren Reihenfolge entfallen - , und schließlich stellt die Erzählerin nicht unzutreffend fest jetzt bin ich ganz irre. Sie hätte dies vermeiden können (trotz ihres Gedächtnisschwunds bzw. ihrer Verschämtheit im Angesicht der schlimmen Wörter), hätte sie das Produktionsformat des Witzes besser genutzt. 4.

Das A u s s p a r e n der Obszönität

Frau AL hätte auch einen Witz wählen können, der ihr das Aussprechen obszöner Wörter ganz erspart, weil er mit Andeutungen auskommt. Betrachten wir kurz einen Fall dieser Art vom gleichen Nachmittag. (19) 1

KU

Da war nan Soldat, der is- in in Hanö:ver. Un do is —

a hot er sisch verkleide misse

als Baum.Net? 2

()

Hn.

3

KU

Da var a (

4

KU

) als Baun do, (gelege) do.

Hot er »as nache nisse. η hot er sisch hieghockt und hot dann- sei Gschäft gnacht. Ah nun kunrne zwee h Eichh(h)ömch(h)er?

5

KR

6

()

7

KU

8

()

9

KU

Has (

) zvei Eichhörnche? zvei Eichhörnche? zwee Eich-hörncher.

Ja. Und hat des ei zun annern gsagt: ,.Die zvee Nüß, die esse ner glei.und des, und des Stängele des h(h)änge (

)

•(h)er zun W(h)int(h)er." h(h)eh (GELÄCHTER) 10

IN

Nochenol. Was?

11

KU

„Die ziee Nüß esse ner glei u(h)nd des

(

)

St(h)ängele- un des Stängele heb ner no oder des Stäbsche do, hebe ner uff fer de Winter." (GELÄCHTER)

Die Unterhaltungskunst

älterer Frauen in der

Filibach

601

Der Gebrauch von Tabuwörtern entfallt bei diesem Witz, weil seine Pointe gerade in der Transposition der Genitalien des Soldaten in die Eichhörnchenwelt, in ihr unschuldiges Relevanzsystem besteht. Metaphorisch wird hier aber auch einer bevorzugten Art des Umgangs mit sexuellen Genüssen Ausdruck gegeben, nämlich einerseits „von der Hand in den Mund" zu leben, andererseits aber auch Vorräte für schlechtere Zeiten anzulegen: So machen es die Eichhörnchen. Bemerkenswert ist auch hier die Perspektivik: Der Mann wird zum Objekt sexueller Attacken, er wird entblößt. Mag für den männlichen Hörer der Witz eine Kastrationssituation bezeichnen, so schildert er den Frauen leiblichen Genuß. Bemerkenswert ist jedoch auch eine zweite Perspektivik, mit der die Pointe spielt, indem sie die klassische humoristische Technik der Inkongruenz von Erwartung und Ereignis nutzt: Der Hörer wird eingangs nämlich auf eine falsche Fährte gelockt, weil zunächst die - gleichermaßen tabuisierte - anale Zone thematisiert wird (der Soldat will „sein Geschäft machen"). Erst in der Pointe wird diese überraschend durch die Genitalzone substituiert, was allerdings den Hörern die Dechriffrierung der Metapher erschwert. 5.

Die Lust a m sexuellen W i t z

Betrachten wir einen letzten Witz. In ihm nimmt die Thematik von Lust und Verbot, von Strafe und hedonistischem Triumph selbst symbolische Gestalt an; in ihm ist das Verhältnis der Filsbächler Frauen zur zotigen Rede zum Ausdruck gebracht. Es ist der Witz vom italienischen Hahn, der letzte, den Frau HE schenkt man ihr Glauben - noch erinnert (vgl. oben). (20) l HI 2

Sie! Frau:- HE Verzähle Se doch e>ol dass wieder vosse schon aol gaocht hän wann (so- )

()

Ach j(h)aa (EMPHATISCH)

3

HI

4

HE

5

KU

6

HI

Von de· Huhn? Solisch den nocheol verzählen? Och des ha (sirklisch net so ear). Jaah! Des (meint) se aa en paa «os noch net (ghört ha«) Die IN hats aa noch nit ghört.

7 8

SU IN

9

HI

Ach näh-, mer mer hats gefalle vie se doo

10

IN

Lo:s, isch brauch viddä paar Witz. Kh(h)uhh-

11

HE

Da war no'n Bauer. Der is in Urlaub gong,

Isch habs näd gehö:rd. Alla, Frau HE, lo:s-

(

)

(h)uh wennse schon debei is, der is nach Italie gonge(.) Un do is er anem Bau- äh- bei n e · Bauer gewesen do

Jürgen Streeck

602 12

IM

13

HE

Ja

14 15 16

0 Ahah HE had der den gekarft, nit? No hotter aitgenoaae IN Mha.

17

HE

18 19

SU ()

Un no hot er zu ih>- ne ah no hot er(η) aitgenonne, un dann Borgens var er- n, -b Haufe gesesse, nit uff e· StrohMisthaufen Misthaufe

20

HE

Misthaufe.

21 22 23

0 HE MA

( ) Uffη Mischdhaufde gsesse

Der hot en Goggel gsehn der hot lauder Henne khabt, nit? Un da-

(.)

Isch kennen (.) Isch kennen

24 25

HE HE

26

HE

27 28

IN HE

29

SU

30

HE

Jaah ( ) verzählen Un:d do hot er g3achd dä- der Go:ggel. „Isch bin in Italjähner (SINGSANG) und busse alle Hen-ne(r)." (LACHEN) Un do hot der-Bauer gsachd: „Wenn de das nochemol nachschd- (.) Un dann tu:sch ä die Federe rausrobbe." Ahhh. Un do hot ers- Bieder nacht, vieder aufm Mischthaufe ghockt. Un do hot ers Bieder gmachd. „Isch bin'n Italiänä und bunse alle Hen-ne." No hot era- die Federe rausgerisse (LACHEN) un do varer vieder dort ghockt nackisch (LACHEN) Jaa, nackisch. Un dann hot ers wieder gemacht. ,,'N Italiäner. Und bunse alle Hen-ne. Un nackisch is noch scheenä." (GELÄCHTER)

Der italienische G o c k e l (ein P a p a g a l l o sozusagen) ziert sich nicht, w ä h r e n d Frau H E selbst, die i h m ihre S t i m m e leiht, sich bei ähnlichen T h e m e n sehr wohl ziert - sie ist i m G r u p p e n g e s p r ä c h eher ein wenig s c h a m h a f t . Dies exemplifiziert einmal mehr den Vorteil, den zitierte Figuren - S p r a c h p u p p e n - ähnlich den Kleistschen M a r i o n e t t e n gegenüber leibhaftigen besitzen. Der Gockel kräht seinen von keiner S e x u a l n o r m beeinträchtigten Hedonismus, seine Potenz von

Die

Unterhaltungskunst

älterer

Frauen

in der

Filsbach

603

hoher Warte in die Welt hinaus und zieht noch zusätzliche Lust aus der Strafe, die ihm zuteil wird: die Strafe verfehlt ihren Zweck, weil sie in Lust verwandelt wird. Dies nun ist der Mechanismus, der dem sexuellen Witz schlechthin zugrundeliegt. Auch dieser Witz bezieht Lust daraus, daß er ein - wie Freud sagt - „im Wege stehendes Hindernis", ein gesellschaftliches Sexualtabu, im spielerischen Rahmen umgeht und psychische Energie an Vorstellungsobjekten damit doch noch zur Abfuhr bringt. Dabei ist das Hemmnis - die Strafe oder die Strafandrohung - selbst ein konstitutiver Bestandteil des Lustmechanismus, und in diesem Sinne bietet sich der Gockel als Identifikationsobjekt, als symbolische Repräsentanz für den Hedonismus der Frauen an. Der Bauer, der die Schranke setzt, wird - dem Arzt im ersten Witz ähnlich - in eine komische Gestalt verwandelt, insofern seine dreimal mechanisch wiederholte und schließlich in die Tat umgesetzte Drohung ihren Zweck verfehlt, weil der lebensunkluge Bauer die Hähne nicht kennt. Wichtig ist auch hier, daß der Hahn spricht und daß die Drohung seinem Sprechen gilt, d.h. seiner prahlerischen Indifferenz gegenüber den Regeln des „guten Tons". (Gegen des Hahnes physische Potenz wird der Bauer kaum Einwände haben). Und schließlich: der Hahn spricht Dialekt, Mannheimer Dialekt, und täte er dies nicht, gäbe es keinen Witz, denn der Reim ginge verloren. Die Pointe, ein Dreizeiler, setzt also zwei scheinbar sehr disparate Dinge zueinander ins Verhältnis: die „nackische", lustvolle Unbekümmertheit und den Mannheimer Umgang mit der deutschen Sprache. In allen diesen Witzen zitieren die Erzählerinnen dessen Figuren; sie leihen ihre Stimme fiktiven Charakteren und lassen sie Sachen sagen, die die Leute zum Lachen bringen und so die Affekte entschärfen und manchmal auch bestimmten Zuhörern etwas ganz persönlich mitteilen. Gewiß müssen diese Botschaften entschlüsselt, entdeckt werden, ebenso wie die metaphorische Ordnung, die der Witz einem Teil der Welt gibt, deutend erfaßt werden muß. Daß sie diese Fähigkeiten besitzen, zeigen die Menschen, wenn sie über Witze lachen - dann paart sich affektive Lust mit Erkenntnislust - und wenn sie sich gelegentlich unangenehm berührt fühlen - dann spüren sie die aggressive Tendenz. Vielen Witzen ist mit der zitierten Rede also eine bestimmte Diskursorganisation einverleibt, die zugleich affektive Prozesse der Gruppe ordnet. Teil dieser Organisation ist auch eine Verwandlung der Rolle der Zuhörerschaft, auf die ich jetzt eingehen will. Sie bezieht sich primär auf zitierte Rede, auf Witze erst insofern, als sie sich zitierter Rede bedienen. 6.

Zitieren als Darbietung

Ich hatte eingangs anhand von Beispielen zitierter Rede argumentiert, daß das „Animieren" fremder Äußerungen den Fundus von Wörtern und Themen für das Gespräch vergrößert. Das Gespräch kann in Tabuzonen ausgedehnt werden, in denen es unterhaltsam zugeht. Mit dem Zitieren geht jedoch, wie Goffman

604

Jürgen

Streeck

( 1 9 7 4 ; 1981) gezeigt hat, auch eine Transformation der Hörerrolle einher, die erst die Rezeptionsbedingungen für „Unterhaltung" schafft. Zitierte Rede stellt sich als vorgefertigte Rede dar. Dabei werden immer wieder nicht nur Äußerungen zitiert, sondern ganze Dialoge, die „wiederbelebt" und mit verba dicendi ( z . B . sach ich - sachtse) i m R a h m e n des laufenden Gesprächs verankert werden. Dies geschieht - u m es zu wiederholen - in zahllosen Witzen: (21) Hat e Ehepaar, so der Mann phlegmatisch war in Bezug aufs Bett, zusaaae aa Fenster geguckt, zu> Hühnerhof rein, un da hat die Frau so den Mann angestubbst, hat gsacht „Siehst Du, Alter, jetzt gucke •er zehn Hinute aa Fenster, un da is der Hahn aindestens sechsmal aufgstiege. Da sollst Du Dir aaln Beispiel nehaen". Na hat der gsacht „Hosch grad gseh, der hot jedesaal e anner Huhn ghabt." (2006/31) Doch wird auch der Alltag in der eigenen Umgebung in dieser Weise zur Darstellung gebracht, z . B . im T r a t s c h : 2 5 (22) Ah, die Frau Held hot air des schun erzählt. Zu air hot se gesacht und wonn se sas Sache dät, no dät die Schwester sache „Du fangsch iaaer ait dem alte Käs —

kuaasch iaaer ait dea aide Käs doher".

Ja no haw isch gsacht „ua den aide Käs do dre:ht sisch s. „Jo", haw isch gsacht, net? Oder das Leben in der eigenen Familie wird als Dialog zitiert, wie im folgenden Beispiel, in dem die Erzählerin die Beziehung zwischen ihrem E h e m a n n und ihren Kindern charakterisiert: (23) Zu de Christi hot er gsacht „Bring aer eaal des Bier" Uas hot die Christi gsacht? „Der wo's trinkt, soll sich's hole." Dann hat er zua Junge gsacht „Sei so gut, bring aer aol Bei Schuh." Dann hat er gsagt „Vadder, isch hab aei Schu, hol Deine selbscht." (2006/02) 25

Klatsch und Tratsch läßt sich im weitesten Sinne als eine verbale Aktivität charakterisieren, mit der zwei Personen über eine ihnen gemeinsam bekannte, abwesende, dritte Person Informationen austauschen, die diese verschweigen will, da sie ihr öffentlich präsentiertes „Image" diskreditieren könnten; Hannerz (1967), Wilson (1974). Durch die Weitergabe solcher diskreditierender Informationen kann der Tratschende u.U. sein eigenes Image aufbessern und so seinen sozialen Einfluß vergrößern; Paine (1967). Klatsch thematisiert typischerweise die Diskrepanz zwischen öffentlich reklamierter moralischer Reputation und realem Verhaltens des „Opfers"; Haviland (1977). Da im Klatsch fast immer moralische Standards und kulturelle Verhaitensnormen benannt werden, hat die Ethnologie ihn vor allem im Hinblick auf seine integrierende Funktion in sozialen Gruppen, d.h. als Mittel der Affirmation ihres moralischen Konsens diskutiert; Colson (1953), Gluckmann (1969), vgl. Fine (1986). Erst in neuerer Zeit haben sich einzelne Forscher den Strukturen des Klatsches als eines besonderen Typs sprachlichen Handelns zugewandt; Abrahams (1970), Brenneis (1984), M. Goodwin (1980). Vgl. neuerdings Bergmann (1987).

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Diese Beispiele stehen stellvertretend für zahlreiche andere, die sich im Mannheimer Korpus finden. Ihnen allen ist gemeinsam, daß die Erzählerinnen nicht eine einzelne, sondern ein situatives Ensemble von Stimmen animieren; sie „verpflanzen ... (ein) Arrangement unter Beteiligten, das in einer bestimmten sozialen Situation natürlich erscheint, in eine Umgebung von Interaktion, in der es dies nicht ist" (Goffman 1981, S. 153). Diese Reanimation vergangener Dialoge nennt GofFman „replaying" (1974, S. 504). Im „replaying" wird über eine Situation nicht berichtet, sondern sie selbst wird neu „abgespult", und damit wird den Hörern die Möglichkeit geboten, „sich mit ihrer Empathie einzuschalten und stellvertretend nachzuerleben, was sich ereignet hat" (a.a.O.). Das „replaying" folgt nicht der Logik beschreibender Rede, sondern muß als Darbietung, als Aufführung, als „Show" betrachtet werden. Es geht dem Sprecher nicht darum, „seinem Hörer eine Information zu geben, sondern einem Publikum ein Drama zu bieten" (S. 508). Der zitierte Dialog ist mit dem Dialog auf der Bühne aufs engste verwandt. Zwei Charakteristika sind hier in erster Linie wirksam. Zum einen die schon mehrfach erwähnte Tatsache, daß der Sprecher die zitierten Worte nicht „sagt", sondern nur animiert. Er handelt in der Kapazität des „Klangkörpers", der den zitierten Figuren seine Stimme leiht. Und dem entspricht ein Wandel der Hörerrolle, denn „die Wahl der Kapazität, in der wir tätig werden, heißt auch ... die Kapazität zu wählen, in der die Rezipienten unserer Tätigkeiten präsent sind" (Goffman 1981, S. 145). Bei zitierter Rede gilt für die Hörer, daß „nicht zu ihnen, sondern fur sie gesprochen (wird); Würdigung, nicht Handeln, ist ihre angemessene Reaktion" (GofTman 1974, S. 540). Was die Sprecher angeht, so ist „die Reaktion, die (sie sich) oft wünschen, keine Antwort auf eine Frage, auch keine Befolgung einer Bitte, sondern eine Würdigung der Show, die (sie) liefern" (S. 546). Das heißt: Die Hörerschaft wird zum Publikum gemacht. Die Art ihrer Aufmerksamkeit und Beteiligung und die von ihnen erwarteten Reaktionen gleichen denen des Theaterpublikums. Sie sind nicht länger Beteiligte eines sprachlichen Geschehens, das ihrem tätigen Eingriff beständig zugänglich ist, sondern sie wohnen einer Aufführung bei. Sie unterhalten sich nicht, sondern sie lassen sich unterhalten. Der Aufführung liegt ein Drehbuch zugrunde; es ist, als setze der Sprecher ein Drehbuch mit seiner eigenen, auf verschiedene Rollen verteilten Stimme in Szene. Weil nicht zu ihnen gesprochen wird, sondern für sie, und weil die Logik der Darbietung darauf beruht, daß ein Drehbuch bereits geschrieben ist, können die Zuhörer nicht eingreifen, sondern müssen ihre Stellungnahme gewissermaßen auf die Pause vertagen, so sie nicht Szenenapplaus spenden wollen. An dieser Stelle, in der Hörerreaktion, beginnt sich zitierte Rede in Kunst zu verwandeln. Schon die Tatsache, daß sich die Hörerschaft dem „replaying" gegenüber wie zu einem Bühnengeschehen verhält, bedeutet in gewisser Weise, daß sie mit ihm wie mit einem Kunstwerk umgeht. Die Bühne selbst wäre, so

606

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Streeck

gesehen, einem Umgang mit Sprache nachgebildet, der im alltäglichen Gespräch seinen Ursprung hat. Doch reicht diese semiotische Analogie noch weiter; dies zeigt sich, wenn man die „Würdigung" genauer bedenkt, mit der das Publikum der Aufführung begegnet. Was ist die Natur dieser Würdigung? Und was heißt es überhaupt, etwas „als Kunstwerk zu würdigen"? Einer der vielen, die eine Antwort auf diese Frage versucht haben, ist Nelson Goodman (1968, 1978). Sein Vorschlag erscheint mir für die Bestimmung des Status von „replaying" fruchtbar zu sein. Denn Goodman fragt in seiner Symboltheorie der Kunst (die er als Erkenntnistheorie begreift) nicht danach, „was" Kunst ist, sondern wann etwas als Kunstwerk gilt, er sucht die distinktiven Eigenschaften künstlerischer Objekte nicht in ihrer Gegenständlichkeit, sondern leitet sie aus dem besonderen semiotischen Modus ab, unter dem wir sie wahrnehmen. Wir können beliebige Objekte einmal als Gebrauchsgegenstand, dann als Kunstobjekt betrachten - ein Perspektivenwechsel, mit dem zum Beispiel die Künstler des objet trouve hantieren. Der Unterschied ist einer des Weltbezugs, den wir dem Objekt zusprechen. Uns interessieren hier sprachliche Objekte, Sätze. Sätze in beschreibendem Diskurs denotieren Sachverhalte, sie behaupten Tatsachen in der Welt. Zitierte Sätze, „replayings", behaupten nichts, aber sie illustrieren die Welt, aus der sie stammen. Der zitierende Sprecher sagt nicht, sondern zeigt, wie die Welt an einer bestimmten Stelle beschaffen ist. Er montiert eine Version der Welt aus dialogischen Fundstücken, gestaltet diese durch und präsentiert sie den Umstehenden, immer in der Annahme, was an der Welt wichtig sei, werde in dieser aktualen Version sichtbar. Indem sie die Welt illustriert, verweist die Reinszenierung zugleich auf sich selbst, sie kehrt ihre Eigenschaften hervor. Denn in den Eigenschaften der Reinszenierung kommt die Welt zum Vorschein. Hier haben wir es mit einer semiotischen Distinktion zu tun, mit einer Besonderheit des Weltbezugs von Zeichen. „Für Kunstwerke", schreibt Goodman, „ist es ... charakteristisch, relevante Arten eher zu illustrieren als zu benennen oder zu beschreiben" (1978, S. 24). Sie sind für ihn hierin wie Proben, Materialproben. Beide exemplifizieren Eigenschaften der Objektwelt, weil sie sie selbst besitzen, aber auch, weil sie gleichzeitig selbstreferentiell auf diese Eigenschaften (und nicht auf andere) zeigen. „Kunstwerke ... exemplifizieren ... Formen und Gefühle, Affinitäten und Kontraste, die in einer Welt zu suchen" sind (S. 166). Sie beziehen sich auf die Welt, indem sie auf ihre eigenen Eigenschaften hinweisen. Der Rezipient erfaßt das, wofür sie stehen, indem er ihre eigenen Eigenschaften erfaßt. Im „replaying" verbindet sich diese besondere semiotische Bezugnahme mit linguistischen Merkmalen. In der Gegenüberstellung von beschreibender und „wiederbelebender" Rede, von „feststellen, daß X" und Zitat, hat der, der sich der zweiten Möglichkeit bedient, Zugang zu einem größeren Repertoire: Für die Gestaltung seiner Äußerung eignen sich nämlich alle Mittel, die es gibt, um

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sprachlich jemand zu sein, nicht nur die, mit denen man die Welt beschreibt. Phonetik, Intonation und viele andere Kontrastsysteme werden auf eine ganz neue Weise bedeutsam. Sie werden zu bewußt eingesetzten Ausdruckssystemen, die Menschen und ihre Situationen charakterisieren. Soziale Charaktere werden durch ihre Sprechweisen charakterisiert, das eigene Selbst wird durch mit kontrastierender Akzentuierung zitierte eigene Stimme gegen andere abgehoben (vgl. u.a. Beitrag 3). Spricht der Sprecher in der ersten Person als ein anderer, gewinnt er ein Ausdrucksrepertoire hinzu und setzt es darstellend ein. Sein Verhalten wird legitimerweise expressiv. Zitierter Ausdruck scheint weniger reglementiert zu sein als der direkte Ausdruck. Meinen Beobachtungen nach gilt dies auch für den körperlichen Ausdruck im Gespräch. Im Gespräch funktioniert der menschliche Körper teils als denotatives, teils als expressives Ausdrucksmedium - unter anderem. Die Hände zum Beispiel können - bei einem bestimmten Typ des Gestikulierens - die Welt beschreiben; vom Sprecher, der sie so wie sein Gegenüber von außen wahrnimmt, haben sie sich zu einem inter-individuellen Zeichen befreit, ihre Bewegungen können zum Kode werden. Das eigene Gesicht hingegen kann man nicht sehen, seinen Ausdruck nimmt man nur von innen wahr. Und doch ist auch der AfFektausdruck im Gesicht oft viel mehr Gestaltungsmittel für die Rede als spontane Selbstverkörperung. Besonders akzentuiert und deutlich wird er in Akten der Verkörperung eines anderen, wenn bildhaft gemacht wird, wie er ist oder war, wenn er zitiert wird, wenn der Sprecher zum Beispiel die Freude in Szene setzt, mit der ein anderer eine gute Nachricht aufgenommen hat, aber auch, wenn er die Überraschung des eigenen vergangenen Selbst noch einmal vorführt. Zitierender Ausdruck unterliegt nur in geringem Maße normativen Beschränkungen des kommunizierten Affekts. Zitierend läßt sich auch ungebührliches Affektverhalten legitimerweise zeigen.

„Replaying" beinhaltet noch eine weitere Weise ästhetischer Durcharbeitung. Goffman nennt sie „Dramatisierung". Dramatisierung findet statt, wenn Aussagen, die sich auf das Leben beziehen in einzelnen Situationen veranschaulicht gefunden und so dargeboten werden - nur Situationen sind „spielbar". Hier faßt eine kurze Zeitspanne eine viel längere zusammen. Der dramaturgisch vorgehende Sprecher setzt also voraus, „daß Individuen Karrieren machen, die sich über lange Zeiträume entwickeln, und Situationen, Persönlichkeiten und ähnliches besitzen, mit denen man sie charakterisieren kann; und daß diese zentralen, langandauernden Stränge im Verlauf einer sozialen Situation anschaulich zerbrochen, aufgespleißt, verdreht und verdichtet werden können" (Goffman (1974, S. 557)). Die Situation sei gut geeignet, die „wechselseitige Abhängigkeit von menschlichem Tun und Schicksal" (S. 559) in dichter und demonstrativer Form sichtbar zu machen. So eignet sie sich mithin für die Bühne ebenso wie für das gewöhnliche Gespräch von Angesicht zu Angesicht. Daß uns das Bühnen drama eine bessere Kopie des wirklichen Lebens abzugeben scheint als der beiläufig reanimierte Dialog, das mag dann allein daran liegen, daß „natürliche Perso-

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nen nicht über ein Ensemble ausgebildeter Schauspieler verfügen und auch nicht über eine Menge Zeit, um ihr Drehbuch auf Vordermann zu bringen" (a.a.O.). 7.

Zur sozialen Funktionalität kunstorientierter Kommunikation

Kann man dem „replaying" besondere Funktionen zuordnen, als Geselligkeitsform etwa oder als sprachlicher Modus des Umgangs mit sozialen Erfahrungen? Eine mögliche Antwort will ich in zwei Schritten - und eher tentativ - geben. Die Frage nach der sozialen Funktionalität der kunstorientierten Kommunikar tion umfaßt - in ihrer Spezifik innerhalb der Filsbächler Frauengruppe - unter anderem zwei Teilkomplexe: einmal die internen Funktionen, d.h. die Frage, welchen Beitrag sie zur Regulierung der Beziehungen unter den Gruppenmitgliedern selbst leistet und wie sie ein - vielleicht durch Konflikte zwischen einzelnen Mitgliedern in Gang gesetztes - Auseinanderdriften der Gruppe verhindert. Es geht hier darum, daß dem Gruppenkonsens angesichts von Konflikten zwischen einzelnen immer wieder Geltung verschafft wird. Die andere Frage betrifft die Rolle der Unterhaltungskunst im Hinblick auf externe Faktoren; welche Eigenschaften geben ihr ihren - offenkundig vorhandenen - Stellenwert für den sozialen Alltag der Mitglieder? Hinsichtlich der ersten, der gruppeninternen Integrationsleistungen der dargestellten Kommunikationsmodalität können wir das im Anschluß an Goffman dargestellte Korrolar des „Sprechens-für" (im Unterschied zum „Sprechen-zu") aufgreifen; daß dieses die Hörerschaft in Publikum verwandelt (eine Eigenschaft, die zugleich mit dem Charakter des Sprechens als Kunstform in Beziehung steht). Diese Eigenschaft ist nämlich noch in zwei anderen Bezügen von Interesse, zum einen hinsichtlich der Struktur von Zwischenmenschlichkeit, derer Witz und Komödie bedürfen, zum anderen im Hinblick auf soziale Effekte, die vom Sprecher mit dieser Verwandlung zusätzlich erreicht werden. Bergson meinte (1899, S. 12), daß Lachen Empfindungslosigkeit zur Voraussetzung hat (wenn über Komisches gelacht wird), daß es Gefühle wie Trauer oder Mitgefühl nicht duldet, sondern sie verdrängt (vgl. Mc Ghee 1979, S. 231). Das Lachen über einen Menschen spielt sich in einer „neutralen Zone (ab), wo der Mensch dem Menschen nur noch als Schauspiel dient" (Bergson 1899, S. 22). Der Interaktionsordnung entspricht also eine affektive Ordnung. Die Person, die der zitierende Sprecher auftreten läßt, wird der Gruppe zum Schauspiel, wobei es unerheblich ist, ob es sich hierbei um die fiktive Figur im Witz oder um ein Gruppenmitglied handelt. Ahnlich hat Freud (1905) bezüglich des tendenziösen Witzes herausgearbeitet, daß dieser „im allgemeinen drei Personen braucht, außer der, die den Witz macht, eine zweite, die zum Objekt der feindseligen oder sexuellen Aggression genommen wird, und eine dritte, an der sich die Absicht des Witzes. Lust zu erzeugen, erfüllt" (1905, S. 80, Hervorh. J.S.). Diese dritte Person wird in die Rolle des Zuschauers versetzt, und „die feindselige Tendenz ... ruft (sie) ... zum

Die Unterhaltungskunst älterer Frauen in der Filsbach

609

Bundesgenossen a u f ' (a.a.O.). Derjenige also, der im Rahmen einer Gruppe einem feindseligen Impuls gegen ein anderes Gruppenmitglied dadurch Ausdruck verschafft, daß er es zum Objekt eines tendenziösen Witzes - oder, allgemeiner, zum Gegenstand von Spott - macht, vermeidet dadurch nicht nur, soziale Schranken zu verletzen, die dem „wörtlichen" Agieren gesetzt sind, er zieht auch die anderen Mitglieder auf seine Seite, indem er ihnen - als Zuschauern Lust verschafft. So wird die soziale Struktur der G r u p p e modifiziert. Anders als bei der direkten, antagonistischen Auseinandersetzung zwischen einzelnen Mitgliedern wird hier die Partei, die zum Objekt des Spottes gemacht wird, zwangsläufig mit dem Gruppenkonsens konfrontiert, der meist mit dem Witzigen geht. Das .Opfer ist benachteiligt, wenn nicht wehrlos, da das Publikum auf Belustigung aus ist. Das Opfer kann nur kontern, indem es diesem Interesse Rechnung trägt, indem es also den spaßhaften Charakter der Interaktion bestätigt, was impliziert, daß es den Kern der Beschuldigung oder Ehrverletzung nicht ernsthaft bestreiten kann. Hat der Aggressor seinen antagonistischen Akt spielerisch gerahmt, hat er den Gruppenkonsens, der die Interaktion definiert, feist zwangsläufig als Bundesgenossen auf seiner Seite, denn „man geht im allgemeinen von der Voraussetzung aus, daß die Reaktion auf einen Akt im gleichen Rahmen erfolgen wird wie der Akt selbst. Macht eine Person eine scherzhafte Bemerkung, so wird von der anderen Person erwartet, daß sie diese leicht nimmt, sofern sie sie ü b e r h a u p t aufgreifen will. ... Üblicherweise wird der Rahmen eines Austausche gleich zu Beginn definiert. Eklatante Versuche, sie im Nachhinein neu zu definieren, sind nicht gern gesehen" (Emerson 1969, S. 176). Auf diese Weise bindet die Transformation des Rahmens der Kommunikation das Opfer der Aggression und - allgemeiner - aggressive Tendenzen in den Gruppenkonsens ein. Ist die Aggression mit einer Beurteilung des Opfers nach sozialen Wertmaßstäben verbunden, die die Gruppe teilt, dann wird soziale Kontrolle in dreifacher Hinsicht ausgeübt: einmal durch die Beurteilung selbst, zweitens dadurch, daß die Verfehlung dem Publikum preisgegeben wird, schließlich weil das Opfer die Anschuldigung nicht ernsthaft entkräften oder zurückweisen kann. Der Gruppenkonsens, der in der spielerischen Modalität vorausgesetzt ist (denn diese gibt es nur insofern, als ein Gruppenkonsens sie ratifiziert) und zugleich durch die Schaffung eines belustigten Publikums verstärkt wird, neutralisiert also die Antagonismen zwischen einzelnen Mitgliedern. Die Kohäsion der G r u p p e wird gestärkt, indem disruptive, zentrifugale Bewegungen ohne Rekurs auf ausdrückliche Sanktionen unterbunden werden. Diese Vermittlung von antagonistischen und verbindenden Anteilen in der Modalität des Scherzens entspricht dem, weis Radcliffe-Brown (1940; 1949) als J o k i n g relationship" bezeichnet h a t . Radcliffe-Brown hebt hervor, daß Necken stets eine Kombination positiv getönter Zuwendung und aggressiver Impulse ist, und kennzeichnet die J o k i n g relationship" als einen Modus der „Organisation eines bestimmten und

610

Jürgen

Streeck

stabilen Systems von Sozial verhalten, in welchem verbindende und trennende Komponenten ... kombiniert und aufrechterhalten werden" (1940, S. 95). Anders gesagt kann sich eine Gruppe, deren Mitglieder Interesse an ihrer Existenz und Stabilität haben, ohne jedoch trennende Merkmale und Antagonismen verleugnen zu können, der Joking relationship" bzw. der „unterhaltsamen" Kommunikationsmodalität als eines Mittels ihrer Konstitution und Stabilisierung bedienen. Die Welt, die in den „replayings" der Filsbächler Frauen überwiegend zur Sprache kommt, ist ihr eigener, sorgenvoller Alltag, der Alltag einer sozial marginalisierten Gruppe. Welche Funktion kann es haben, diesen in kunstorientierter, komischer, ästhetischer Weise darzubieten, anstatt ihn zu beklagen oder Möglichkeiten der Änderung diskursiv zu verhandeln? Die Reinszenierung des Alltags im Gruppengespräch ist eine andere Art der sprachlichen Objektivierung des eigenen Lebens. Sie zielt nicht auf praktischen Eingriff, und insofern mag sich in der Häufigkeit, mit der sie zur Anwendung gebracht wird, die Erfahrung der Sprecherinnen niederschlagen, daß die Welt sprachlich - durch ihr eigenes Sprechen - kaum zu ändern ist. Aber Sprache kann eine Alternative zum Alltag bieten, eine ästhetisierte Version, die vorübergehend Entlastung schafft, indem sie für Unterhaltung sorgt. Wo die Zwänge des Lebens unentrinnbar sind, da bleibt immer noch die eigene sprachliche Fähigkeit, eine Ersatzwelt zu schaffen, die man mit anderen teilt und für deren Produktion man die Anerkennung des Publikums erhält. Sie ist ein Abbild der wirklichen Welt und unterliegt doch anderen Gesetzen, in deren Wirken sich Drama, Komik und Stil verbinden. Und so kann man auch in die wirkliche Welt in dem Bewußtsein zurückkehren, dort das Material vorzufinden, aus welchem man demnächst wieder eine unterhaltsame Alternative montieren kann.

10.

Sprachliche Variabilität in interaktionsanalytischer Perspektive* JOHN J . G U M P E R Z

1.

Die natürliche Variabilität der Sprache

612

2.

Vorliegende Ansätze zur Untersuchung der sprachlichen Variabilität

614

3.

Die Grenzen des Korrelationsansatzes

617

4.

Die interaktionsanalytische Perspektive

621

5.

Prosodische und paralinguistische Schlüsselsignale

626

6.

Sprachvariation, Kommunikationsstrategien und Beziehungsnetze

631

7.

Transkriptionszeichen

639

* Ubersetzung Werner Kallmeyer

612

John J.

Gumperz

Soziolinguistik ist seit der Mitte der 60er Jahre, als der Begriff zum ersten Mal allgemeinere Verbreitung fand, von einer Nebenbeschäftigung einiger Wissenschaftler, die Erklärungen für Prozesse von Sprachwandel und -Verbreitung suchten, zu einem zentralen Arbeitsgebiet geworden, das mit allen Aspekten der sprachlichen Kommunikation in der menschlichen Gesellschaft zu tun hat: mit der Art wie sprachliche Kommunikation Macht- und Herrschaftsverhältnisse beeinflußt und spiegelt, mit ihrer Stellung in sozialen Institutionen und mit ihrer Rolle bei der Tradierung von Kultur. Alle diese Gegenstände stehen im Zentrum moderner Sozialwissenschaft, und so ist auch die Betrachtung sozialer Prozesse bei den einflußreichsten Gesellschaftstheoretikern im Grunde kommunikationswissenschaftlich (Bourdieu 1974; Foucault 1976; Habermas 1979). Aber wenn die Sprache in der theoretischen Literatur behandelt wird, geschieht dies weiterhin vor allem in abstrakter, programmatischer Weise. Saussures Vorstellung von der Grammatik als einem gesonderten, von sozialen Phänomenen zu trennenden Untersuchungsgegenstand ist immer noch vorherrschend. Die soziolinguistische Forschung der letzten Jahrzehnte, die versucht, die detaillierte Analyse der Sprachverwendung in die Untersuchung sozialer Prozesse einzubeziehen, hat bislang die Gesellschaftstheorie nicht beeinflußt. Ein möglicher Grund dafür ist das Fehlen eines integrierten Ansatzes für die soziolinguistische Beschreibung. Im Zuge der Ausweitung des soziolinguistischen Gegenstandes wurden Theorien und methodologische Annahmen von einer Vielzahl historisch unverbundener Forschungstraditionen bei der Anlage der Untersuchungen und bei der Interpretation der linguistischen Ergebnisse benutzt. Die Folge ist, daß das Arbeitsgebiet alles andere als einheitlich erscheint. Trotz der großen Menge wertvoller neuer deskriptiver Ergebnisse aus den letzten Jahrzehnten und den vielen wichtigen Erkenntnissen, die wir gewonnen haben, sind wir noch weit entfernt von der Entwicklung einer Menge grundlegender theoretischer Prämissen, die als Voraussetzung für die Einigung über die Methodik und die Natur unserer Daten dienen könnten, wie dies in anderen Gebieten der Linguistik trotz der auch dort bestehenden grundlegenden Divergenzen der Fall ist. 1.

D i e natürliche Variabilität der Sprache

Wenn es etwas gibt, das allen Ansätzen in der Soziolinguistik gemeinsam ist, so ist es die Prämisse, daß sich Untersuchungen von Sprache und Gesellschaft auf die unmittelbare Beobachtung und Analyse der alltäglichen Kommunikationspraxis menschlicher Populationen stützen muß. Diese Sprachverwendung ist ihrer Natur nach variabel, so daß Sprecher stets die Kenntnis von und die Wahl zwischen grammatischen und lexikalischen Möglichkeiten haben, um etwas auszudrücken, das aus der Sicht der Referenzsemantik als ein und derselbe Inhalt gelten kann. Die Sprach Verwendung kann deshalb ausschließlich mit den formalen Regeln und Kategorien von idealisierten, in sich homogenen grammatischen Strukturen im Sinne von Saussure und Chomsky nicht angemessen beschrieben werden. Um zu allgemeinen Aussagen über Sprechen in konkreten

Sprachliche

Variabilität

613

Situationen zu gelangen, müssen wir unter anderen Gesichtspunkten abstrahieren und Aspekte von Aussprache, Grammatik und Regularitäten des Sprechens beachten, die normalerweise nicht in die grammatische Analyse eingehen. In diesem Kontext bekommt die Variabilität der sprachlichen Form zentrale theoretische Bedeutung. Während in Untersuchungen zur Grammatik tendenziell die Variabilität als marginal für das Interesse an den kognitiven Prozessen angesehen wird, mit denen Sprecher die Beziehungen zwischen Wort und Welt herstellen, ist für den Soziolinguisten die Variabilität so grundlegend für die menschliche Kommunikation, wie es Verwandtschaft und Arbeitsteilung für menschliche Gruppen sind. Variabilität wird als eine analytische Ressource betrachtet, der Sprachtheorien Rechnung tragen müssen, wenn sie sprachliche Äußerungen mit der sozialen Umgebung in Beziehung setzen wollen, in deren Rahmen die Äußerungen produziert und interpretiert werden. Daher sind die grundlegenden Objekte der soziolinguistischen Analyse nicht einzelne Sprachen. Dialekte oder Sprechregister, betrachtet als grammatisch definierte Systeme, sondern sprachliche Repertoires (Gumperz 1971; Gal 1987), d.h. die Gesamtheit der paradigmatisch geordneten Mengen von Alternativen, die Signalwert haben für die jeweilige Population. Ein Repertoire besteht nach allgemeinem Verständnis aus einem Bereich vorgefertigter Optionen, die für den Gebrauch unter spezifischen situativen Bedingungen zur Verfügung stehen. Welche Varietäten und Sprachen ein solcher Bereich einschließt, ist abhängig von der Geschichte und den kulturellen Konventionen. In vielen der genauer bekannten westlichen Gesellschaften hat die Variation die Form von dialektalen oder stilistischen Alternativen, die historisch Teil derselben Sprachfamilie sind. Aber es gibt auch viele Fälle von Diglossie, in denen genetisch verschiedene Sprachvarietäten als Teil eines Repertoires verwendet werden. In soziolinguistischer Perspektive sind nicht der Sprachursprung, die grammatischen Beziehungen oder die sprachliche Distanz zwischen Varianten relevant, sondern die Bedeutung, welche die Wahl einer Sprachform statt einer anderen für spezifische Gruppen von Sprechern hat und welche Rolle die Wahl für die Bedeutungskonstitution in einer konkreten Kommunikationssituation spielt. Es wird allgemein angenommen, daß Sprecher zwischen kommunikativen Optionen innerhalb eines Repertoires wählen in Abhängigkeit von sozialen ebenso wie von grammatischen Beschränkungen. Aber längst nicht gelöst sind die Fragen danach, wie sprachliche und soziale Bedingungen bei der Verwendung und bei der Interpretation von Variablenoptionen zusammenwirken, inwiefern das zu einem bestimmten Zeitpunkt Gesagte als Hinweis auf allgemeinere soziale Kräfte angesehen werden kann, auf welcher Ausdrucksebene Variabilität untersucht werden muß und was dafür eine deskriptiv angemessene Datengrundlage ist. Ζ. Zt. gibt es eine Vielfalt verschiedener Ansätze, die wegen unterschiedlicher theoretischer Prämissen und unterschiedlicher Untersuchungsziele oft zu nicht vergleichbaren Ergebnissen führen.

614 2.

John J.

Gumperz

Vorliegende A n s ä t z e zur Erforschung der sprachlichen Variabilität

Der bei weitem konsistenteste und methodisch am weitesten entwickelte dieser Ansätze ist die allgemein als Variationstheorie bezeichnete Forschungstradition. Sie vertritt die Ansicht, daß soziolinguistisch zu beschreibende Regularitäten solche auf Gemeinschafts- oder Gruppenebene sind, die nur durch die Analyse quantitativer Beziehungen zwischen sprachlichen und sozialen Indizes bzw. Strukturvariablen von der Art, wie sie in statistischen soziologischen Erhebungen angewendet werden, zu entdecken sind. Die dafür relevanten Methoden sind in einer Reihe von ausgezeichneten Untersuchungen in westlichen und nicht-westlichen Gesellschaften erprobt worden und inzwischen allgemein bekannt. Die wichtigsten Ergebnisse werden in Lehrbüchern dargestellt und sind inzwischen so allgemein akzeptiert, daß viele Linguisten dazu neigen, die quantitative Variablenanalyse als das grundlegende Paradigma für soziolinguistische Forschung anzusehen. Es ist deshalb vielleicht nützlich, wenn ich bei dem Versuch, eine davon abweichende Perspektive zu umreißen, die auf die Behandlung anderer Fragen zielt und von anderen theoretischen Annahmen ausgeht, meine Ausführungen gegen die angedeutete Tradition absetze. Zunächst möchte ich daran erinnern, daß historisch gesehen die moderne Soziolinguistik nicht als erste nach sozialen Erklärungen für sprachliche Erscheinungen gesucht hat. Im 19. Jh. und zu Beginn des 20. haben Dialektologen auf der Grundlage von Daten, die in ländlichen Gemeinden in Westeuropa erhoben wurden, gezeigt, daß Dialekt- und Sprachgrenzen durch historische Einflüsse geschaffen werden und keine biologischen oder geographischen Ursachen haben, wie viele Forscher vorher angenommen hatten. Leonard Bloomfields bekannte Kapitel über Sprachgemeinschaften und Dialektgeographie (1933) fassen präzise die Vorstellung der Variabilität zusammen, die aus diesen Arbeiten hervorgeht. Gestützt auf Hermann Paul (1880) vertritt Bloomfield die Auffassung, daß in jeder menschlichen Population die Individuen ständig neue Formen schaffen und neue Sprechweisen annehmen in Reaktion auf sich verändernde kommunikative Bedürfnisse und Lebensstile. Solche Innovationen setzen sich durch, indem Sprecher ihnen in der Kommunikation mit anderen ausgesetzt sind bei der Verfolgung ihrer alltäglichen Belange. Wenn neue Formen übernommen werden, gehen alte verloren. Insofern kann in der Perspektive Bloomfields die Verbreitung sprachlicher Formen als unmittelbar abhängig von der Kommunikationsdichte angesehen werden; diese ist an der Häufigkeit interpersoneller Kontakte in bestimmten Zeiträumen abzulesen. Obwohl bei jeder einzelnen Gelegenheit die Entscheidung, mit anderen zu sprechen, jeweils eine Frage der individuellen Wahl ist, gibt die Kommunikationsdichte letzten Endes die soziale Gliederung der Gesellschaft wieder. Bloomfield drückt den Sachverhalt so aus: „Personen in Subgruppen sprechen mehr untereinander als mit Personen außerhalb ihrer Subgruppen" (1933, S. 47). Als Folge davon werden

Sprachliche

Variabilität

615

Populationen getrennt durch „Schwachstellen im Netz der mündlichen Kommunikation", wie er sagt. Anthropologen haben gezeigt, daß eine über längere Zeit bestehende soziale Isolation unmittelbare Konsequenzen für die Kommunikation hat. In hochgradig ortsfesten Gesellschaften haben die meisten potentiellen Gesprächspartner eine gemeinsame Geschichte und vergleichbare Kommunikationserfahrungen, so daß viele Informationen, die unter anderen Umständen lexikalisch explizit gemacht werden müßten, tendenziell als selbstverständliche Voraussetzung angesehen werden. Dies führt zur Entwicklung von routinisierten Redeweisen, idiomatischen Wendungen bzw. formelhaften Ausdrücken. Es können spezifische Ausdrucksweisen oder prosodische Muster entstehen, die mit Gegenständen der gemeinsamen Erfahrung oder selbstverständlichen Voraussetzungen verbunden werden. Ahnliche Entwicklungen setzen ein, wenn Individuen an engen familiären Netzwerken oder bestimmten Arbeitszusammenhängen teilnehmen und wenn sie, neben einem spezialisierten Wortschatz, spezifische formelhafte Ausdrucksweisen verwenden. In Situationen, in denen solche geteilten Erfahrungen relevant werden für die Interpretation des Gesagten, kann auf sie metaphorisch verwiesen werden durch die Verwendung solcher Ausdrücke. Um Edward Sapirs berühmte Zeilen zu zitieren: „Allgemein gilt, daß die Kommunikation um so ökonomischer sein kann, je kleiner der Kreis und je komplexer das darin schon hergestellte Vorverständnis sind. Ein einzelnes Wort, ausgetauscht zwischen Mitgliedern einer vertrauten Gruppe, kann trotz seiner offenkundigen Vagheit und Mehrdeutigkeit eine viel genauere Kommunikation herstellen als Bände von sorgfaltig verfaßten Schreiben zwischen zwei Regierungen" (vgl. 1949, S. 106). Insofern kann soziale Isolierung durch die Institutionalisierung lokaler Sprechweisen und die Blockierung der Ausbreitung von Innovationen Dialektunterschiede entstehen lassen. Die dialektologische Forschung, auf die sich Bloomfields Aussagen stützen, befaßte sich primär mit Sprachwandel. Untersucht wurden kleine, historisch stabile und sozial relativ einheitliche dörfliche Ortschaften. Die Untersuchungen wurden in einem historischen Moment durchgeführt, als Verkehr nach außerhalb für die Bewohner solcher Ortschaften schwierig war und die Kommunikation mit Auswärtigen sehr selten. Die frühen Untersuchungsorte hatten deshalb viele der oben angeführten Charakteristika der Isolierung. Als man Dialekt-Isoglossen, die aufgrund von Fragebogenerhebungen in solchen Ortschaften gefunden wurden, mit politischen Grenzen sowie Handels- und kirchlichen Netzwerken in der frühen Neuzeit verglich, wie dies z.B. für Südwestdeutschland geschah, stellte sich heraus, daß die gegenwärtige Verteilung einiger aufschlußreicher Sprachvariablen unmittelbar Kommunikationsgrenzen der frühen Neuzeit abbildet. In vergleichbarer Weise enthüllten Dialekterhebungen in lange besiedelten Gegenden im Osten der Vereinigten Staaten eine enge Beziehung zwischen Sprachvariation, Besiedlung und Kommunikationsgeschichte.

616

John J.

Gumperz

Die Aussagen der frühen Dialektologen sind interessant, weil sie zumindest die Umrisse einer Theorie beinhalten, die erklären kann, wie und warum die Verteilung von Sprachvariablen zu einer bestimmten Zeit mit der empirisch beobachtbaren Realität der verbalen Interaktion zusammenhängt. Die Hypothese ist, daß soziopolitische Kräfte von Macht-, Wirtschafts- und Handelsbeziehungen dadurch, daß sie persönliche Kontakte einschränken und den Innovationsfluß steuern und damit bestimmte Redeweisen lokal begrenzen, die Verteilung sprachlicher Variablen entweder verstärken oder verändern. Als die Dialektologen jedoch diesen Ansatz auf die Untersuchung des Sprachwandels in städtischen Situationen anzuwenden versuchten, stießen sie auf Schwierigkeiten. Mit den Untersuchungsmethoden, die im ländlichen Untersuchungsfeld so nützlich waren, ließen sich keine klaren Dialektgrenzen nachweisen. Die erste Reaktion der Dialektologen war, dieses Scheitern auf den schnellen sozialen Wandel in modernen städtischen Lebensräumen und die hohe Mobilität der Bevölkerung zurückzuführen und zu behaupten, daß die linguistische Analyse nicht in der Lage sei, solche ständig sich ändernden, historisch instabilen sozialen Situationen angemessen zu erfassen. Die Suche nach generalisierbaren Methoden, die universell auf soziale Situationen aller Art anzuwenden sind, führte zur gegenwärtigen Tradition der Variationsuntersuchungen. William Labov zeigte als erster, daß das Problem weder in den Grenzen linguistischer Forschung als solcher noch in der Natur der untersuchten Gemeinschaften liegt, sondern im Unvermögen der Dialektologie, der Komplexität der Kommunikation und den sozialen Eigenschaften der modernen städtischen Gesellschaft angemessen Rechnung zu tragen (1973). Er wies darauf hin, daß die Dialektologen sich der Stadtforschung mit der impliziten, im Kern strukturalistischen Annahme zugewandt hatten, daß lokale Gemeinschaften intern homogen und Dialektgrenzen primär sozial bedingt seien. Die zugrundeliegende Annahme war, daß für jeden Ort ein regionaler Dialekt existiere, der durch die genaue Untersuchung der Sprache von sozial etablierten gebürtigen Ortsbewohnern gefunden werden könne. Da diese Annahme eindeutig nicht mehr zu halten ist, schlug Labov eine grundlegende Veränderung der Perspektive vor. Der von ihm gewählte Theorierahmen folgt im Prinzip Parsons Modell der Gesellschaftsstruktur, in dem menschliche Gemeinschaften, auch wenn sie räumlich verstreut sind, durch geteilte Normen und Prestige-Vorstellungen charakterisiert sind. Nach Labovs Auffassung kann zwar das Sprachverhalten einzelner Sprecher als unsystematisch erscheinen; wenn wir aber vom individuellen Verhalten absehen und Tendenzen durch unterschiedliche Sprechergruppen und Verwendungssituationen sowie Beziehungen zwischen Variablen verfolgen, können wir eine durchgängige Dynamik des Wandels entdecken, die sich in Regularitäten ausdrückt, welche die Gemeinschaft als ganze charakterisieren. So betrachtet bilden Gemeinschaften Systeme organisierter Unterschiedlichkeit, in denen das Verhalten zwar lokal unterschiedlich ist, trotzdem aber geteilte Normen spiegelt. Aufgabe des Sozio-

Sprachliche

Variabilität

617

linguisten ist zu zeigen, welche Rolle die Sprache in diesem System spielt, indem er mit quantitativen Verfahren das Vorkommen von Variablen im alltäglichen Sprechen zu unabhängig gemessenen sozialen Kategorien in Beziehung setzt. Mit anderen Worten wird behauptet, daß soziolinguistische Gesetze oder Regularitäten in der Ausdruckswahl eines Individuums nur durch quantitative Generalisierungen festgestellt werden können, die auf für die gesamte Gemeinschaft statistisch repräsentative Stichproben des Sprachverhaltens in einer repräsentativen Menge von Situationen basieren. All dies ist bekannnt und muß nicht ausführlich erklärt werden. Weniger klar gesehen wird im allgemeinen, daß der Korrelationsansatz zur Erfassung soziolinguistischer Regularitäten in wichtigen Punkten von Bloomfields Vorstellung davon abweicht, wie soziale Gegebenheiten den Variablengebrauch motivieren und den Sprachwandel beeinflussen. Der Ansatz der frühen Dialektologen kann mit heutigen Begriffen als ökologisch bezeichnet werden. Sie befaßten sich vor allem mit der Interaktion und der Art, wie Verbreitungsprozesse kanalisiert oder eingeschränkt werden. Soziale Kategorien waren für sie nur insoweit relevant, wie sie interpersonelle Kontakte beeinflussen und die Interaktion begrenzen. Die Sehweise Labovs dagegen eliminiert die Interaktion als vermittelnde Kraft und postuliert stattdessen die Existenz einer direkten, normativen Beziehung zwischen Sprachverwendung und sozialen Kategorien. Natürlich sind die Behauptungen der Dialektologen hochgradig spekulativ. Sie sind nicht empirisch belegt und können wahrscheinlich in ihrer vorliegenden Form nicht empirisch überprüft werden. Aber neben den Einsichten ethnographischer Untersuchungen, wie soziale Isolation und unterschiedliche Dichte interpersoneller Beziehungen die Interaktionsverfahren beeinflussen können, gibt es zusätzliche Belege für die Bedeutung der Interaktion in den Arbeiten von Psychologen in der Tradition von Vygotsky und Luria; diese gehen davon aus, daß die Vermittlung von kulturellem Wissen eine Funktion der Beziehung des Individuums zu anderen ist. Insofern wird deutlich, daß die Vorschläge der Dialektologen zumindest einen ersten, wenn auch noch sehr programmatischen Schritt in Richtung auf die Verbindung sozialer Gegebenheiten mit der Kommunikationspraxis darstellen. Die Frage ist, wie wir das Nützliche dieser Position bewahren und zugleich die empirischen und theoretischen Schwierigkeiten vermeiden können, auf welche die frühe Stadtdialektologie gestoßen ist. Im folgenden will ich versuchen, einen Ansatz interaktionsanalytischer Soziolinguistik zu skizzieren, der Wege zur Lösung dieses Problems zeigen soll. 3.

D i e G r e n z e n des Korrelationsansatzes

Zum ersten Mal bewußt geworden sind mir die Beschränkungen, welche die nicht hinterfragte Übernahme des Korrelationsansatzes für die Variationsanalyse impliziert, im Verlauf meiner ethnographischen Untersuchung der Sprachverwendung in einer Hindi sprechenden ländlichen Gemeinde in Nordindien (Gumperz 1971). Das Dorf bildet ein relativ isoliertes, eigenständiges Bevölke-

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Gumperz

rungszentrum, das von landwirtschaftlichen Flächen umgeben ist. Die Dorfbewohner leben in dicht zusammengedrängten Häusern, von denen jedes seinen eigenen, durch schmale Pfade von anderen abgetrennten Hof hat. Z. Zt. der Untersuchung Mitte der 50er Jahre waren ungepflasterte schmutzige Straßen, die während der Regenzeit unpassierbar waren, und Fußpfade die einzigen Verbindungen zur Außenwelt, und die meisten Einwohner verbrachten den größten Teil ihres Lebens im unmittelbaren Umkreis des Ortes. Besucher von außerhalb waren so selten, daß westliche Ausländer oder auch indische Fremde in städtischer Kleidung bei ihrem Auftauchen in den Straßen Mengen neugieriger Schaulustiger anzogen. Das Dorf ist jedoch keineswegs in sich homogen. Obwohl alle Dorfbewohner gewisse Grundüberzeugungen und Werte teilen, prägt die Kastentrennung das lokale Leben. Die ungefähr 5.000 Bauern und Handwerker verteilen sich auf 31 endogame Kasten oder Abstammungsgruppen. Jede Kaste hat nach eigener Auffassung eigenständige historische, mythologische und rituelle Traditionen. Aber im Gegensatz zu den Annahmen, die man daraus ableiten könnte, spiegeln sich diese soziokulturellen Unterteilungen nicht direkt in sprachlichen Grenzen. Eine Untersuchung der Dialekt variation, bei der die Daten durch Befragungen und Tonbandaufnahmen alltäglicher Sprache erhoben und vergleichend analysiert wurden, offenbarte, daß 28 der 31 Kasten, die sowohl Hindus als auch Moslems einschließen, Landbesitzer ebenso wie verarmte Arbeiter ohne Landbesitz und Handwerker, einen einzigen Hauptdialekt sprachen. Subgruppen innerhalb dieser Mehrheit zeichneten sich nur durch geringfügige lexikalische Unterschiede aus. Dagegen hatte jede der drei Kasten von Unberührbaren, welche die restlichen 15 % der Bevölkerung ausmachen, ihren eigenen gesonderten Dialekt, der von anderen durch leicht wahrnehmbare und strukturell signifikante sprachliche Variablen zu unterscheiden ist. Nicht alle sozialen Unterschiede werden also sprachlich markiert. Auch kann die Dialektverteilung nicht auf der Grundlage der Häufigkeit interpersoneller Kontakte erklärt werden. Obwohl die drei Gruppen von Unberührbaren jeweils in einem gesonderten Dorfteil wohnen, sind alle Dorfbewohner wirtschaftlich eng voneinander abhängig, und diese Abhängigkeit bedingt regelmäßige und häufige Kommunikation. Vor allem die Unberührbaren verbringen den größten Teil des Tages als Arbeiter in der Hofwirtschaft anderer zusammen mit Sprechern des Mehrheitsdialekts. Ihre Frauen transportieren Klatsch und spielen so eine bedeutende Rolle bei der Informationsverbreitung in dieser traditionellen Gemeinde, in der das Purdah-Prinzip strikt gilt und der Bewegungsraum von verheirateten Frauen stark eingeschränkt ist. Es ist notwendig, über das bloße Registrieren hinaus, wer zu wem spricht, ethnographische Informationen über interpersonelle Beziehungen und Verhaltenskonventionen heranzuziehen, um die Sprachsituation zu erklären. Es läßt sich anhand von Belegen gut zeigen, daß im Fall der Unberührbaren die Gruppen-

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Variabilität

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unterschiede aktiv aufrechterhalten werden. Während innerhalb der Gruppe des Mehrheitsdialekts die Individuen frei interagieren und oft enge Freundschaft über Kastengrenzen hinweg pflegen, tendieren die Unberührbaren dazu, Freundschafts- und Paar-Beziehungen nur innerhalb ihrer eigenen Gruppe aufzunehmen. Darüber hinaus kleiden sich die Unberührbaren anders und tragen eher Silber- als Goldschmuck. Bei informellen Dorf- oder Arbeitsversammlungen stehen die Unberührbaren häufig ein kleines Stück von den übrigen entfernt. Sie folgen Diskussionen, aber ergreifen kaum das Wort. Wenn sie einmal sprechen, sind ihre Beiträge kurz und ihr Sprechen zeigt deutliche Zeichen der Ehrerbietung. Anscheinend bringen soziale Normen, welche die Qualität der interpersonellen Beziehungen beherrschen, auch Beschränkungen für die Art der Rede mit sich. Von solchen Beobachtungen über die Kommunikationspraxis und über die lokalen Interaktionskonventionen müssen wir letztlich ausgehen, wenn wir die Verteilung sprachlicher Variablen und die Motivierung ihres Gebrauchs erklären wollen. Wieweit sind solche ethnographischen Ergebnisse zu verallgemeinern? Ethnographische Untersuchungen sind durch ihre Anlage in der Reichweite begrenzt. Aber es gibt Hinweise darauf, daß unser nordindisches Dorf keineswegs ein Einzelfall ist. Z.B. sind Belege für die Nichtübereinstimmung von sozialen und sprachlichen Grenzen in ganz Indien zu finden. So sprechen im Norden Brahmanen und andere höhere Κ eisten im wesentlichen denselben Dialekt. Im größten Teil Südindiens dagegen unterscheidet sich die Sprache der Brahmanen von der der anderen hohen Kasten deutlich. Der Grund liegt wiederum in den Interaktionsstrukturen (Ferguson/Gumperz 1960). Weiter sprechen im Süden der Vereinigten Staaten afro-amerikanische Populationen eigene Dialekte. Da die Individuen über mehrere Generationen unter Bedingungen, die denen der nordindischen Unberührbaren vergleichbar sind, unter Weißen gelebt und gearbeitet haben, gibt es gute Gründe für die Annahme, daß der Erhalt der Sprachunterschiede unter diesen Bedingungen ähnliche interaktionsstrukturelle Gründe haben muß. In allen drei Fällen und in vielen anderen vergleichbaren haben wir es mit hierarchischen Gesellschaften mit großen Unterschieden der politischen und sozialen Macht zu tun, in denen scharfe soziale Grenzen, die durch Gesetze und andere Arten manifester Sanktionen aufrechterhalten werden, dazu beitragen, daß Sprach- und Verhaltensunterschiede bestehen bleiben und interpersonelle Kontakte begrenzt sind. Unter derartigen Bedingungen kann man relativ leicht klare Interaktionsgrenzen finden, und Sprachunterschiede werden tendenziell manifest markiert. Die Frage ist, ob wir im Sprachverhalten gespiegelte Beschränkungen der interpersonellen Beziehungen auch für andere, eher egalitäre soziale Zustände finden können wie die, welche die Variationsforschung untersucht hat, in denen die Grenzen von Subgruppen fließender sind und manifeste Sanktionen fehlen. Variationsforscher würden argumentieren, daß dies nicht möglich ist und man deshalb die quantitative Analyse anwenden muß. Die Re-

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Gumperz

sultate, die sie mit dieser Methode erreicht haben, sind eindrucksvoll. Aber sie konzentrieren sich auf „Sprache im sozialen Kontext", wie Labov es formuliert hat, wobei das Ziel ist, laufende Prozesse und Tendenzen des Sprachwandels zu erfassen oder makro-soziolinguistische Parameter einzelner Gemeinschaften zu beschreiben. Wenn wir versuchen, die quantitative soziolinguistische Analyse anzuwenden, um Fragen der sprachlichen Sozialisation im Schulunterricht oder Probleme wie die am Anfang dieses Beitrags erwähnten zu erklären, geht es darum, das Handeln von Individuen zu generellen Aussagen über die Gemeinschaft als ganze in Beziehung zu setzen. Und an dieser Stelle treten ernste Probleme auf. Man könnte zum Beispiel schwerlich einen Prozeß postulieren, der die bloße Zugehörigkeit einer Person zu einer bestimmten sozialen Kategorie in den Eigenschaften der Sprachverwendung dieser Person abbildet. Gestützt auf Dürkheims klassische Position könnte man behaupten, daß die Zugehörigkeit zu einer sozialen Kategorie internalisiert wird und insofern einen moralischen Einfluß auf die Wahl von Variablen ausübt. Die ethnographischen Beobachtungen in unserer hierarchischen Gesellschaft des nordindischen Dorfes scheinen diese Position zu stützen. Aber ethnographische Ergebnisse im städtischen Kontext legen nahe, daß es schwierig wäre, dort den Nachweis für das Wirken derartiger Beschränkungen zu führen. Weiter ist zwar richtig, daß die Untersuchungsverfahren der Variationsforschung in jeder beliebigen einzelnen Gemeinschaft wiederholbare Ergebnisse erbringen können, aber das bedeutet nicht, daß die für diese spezifische Gemeinschaft gemachten Generalisierungen über die Beziehung zwischen sprachlichen und nichtsprachlichen Phänomenen immer vergleichbar wären mit analogen Generalisierungen für andere Gemeinschaften. Ein Grund dafür ist, daß die Art der Bevölkerungsstichprobe und die Verteilung der Sprachvariablen, auf deren Grundlage die quantitativen Verallgemeinerungen durchgeführt werden, in erster Linie davon abhängen, wie die Grenzen einer Gemeinschaft gezogen werden. In unserer modernen Situation des schnellen sozialen Wandels kann die Bestimmung, wer unter den Bewohnern einer bestimmten Region zu einer bestimmten Gemeinschaft gehört und wer nicht, zu einem schwierigen analytischen Problem werden, wie Anthropologen gezeigt haben (Strathern 1984). Zusätzliche Schwierigkeiten rühren daher, daß die Zugehörigkeit zu einer sozialen Kategorie wie einer Kaste oder Klasse Unterschiedliches bedeutet in Abhängigkeit von der sozialen Organisation, Größe und Komplexität der untersuchten Gemeinschaft. Z.B. haben Klassenunterschiede in England und in den Vereinigten Staaten unterschiedliche Bedeutung. Es gibt also schwerwiegende Beschränkungen der Generalisierbarkeit für die sozialstrukturellen Ergebnisse der Variationsforschung und für ihre Anwendbarkeit auf individuelles Verhalten. Es ist zu beachten, daß im Gegensatz dazu der dialektologische Ansatz zur Erfassung des Verhältnisses von Sprache und Gesellschaft - zumindest im Prinzip

Sprachliche

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- weder davon abhängt, wie eine Gemeinschaft definiert wird, noch von einer a-priori-Annahme darüber, welche sozialen Kategorien relevant sind und auf welche Weise. Ethnographische Feldarbeit bezieht sich natürlich immer auf geographische Gebiete. Aber wenn einmal ein Bezirk ausgegrenzt ist, bezieht sich die Untersuchung auf Eigenschaften der aktuellen Sprachverwendung und deren Strukturierung in Abhängigkeit von empirisch bestimmbaren Netzwerken interpersoneller Beziehungen. Wie die Gemeinschaft definiert ist, geht nicht unmittelbar in die analytischen Ergebnisse ein. Die Analyse wird geleitet durch allgemeine Prinzipien, wie Interaktion in Gesellschaften aller Art verläuft, wie sie eingeschränkt wird, wie soziale Beziehungen funktionieren und wie soziale Grenzen die Bildung und Verbreitung sprachlicher Konventionen hemmen oder fördern. Wenn wir soziale Faktoren unter einer ökologischen Perspektive betrachten, d.h., wenn wir sie als Teil von Umgebungsfaktoren ansehen, welche die Interaktion beeinflussen, und nicht als Inhaltskategorien, dann haben wir zumindest die Möglichkeit, Erklärungshypothesen zu bilden, welche die Vorgänge in einer beliebigen Situation mit dem Wissen über allgemeine Tendenzen menschlicher Interaktion und menschlicher Interpretationsprozesse verbinden. In anderen Worten, entscheidend ist hier nicht, wie soziale Kategorien lokal definiert werden oder welche Vorstellungen, Werte oder Normen mit ihnen gerade verbunden sind; die Frage ist vielmehr, wie sie den interpersonellen Kontakt beeinflussen und die Verbreitung sprachlicher Konventionen kanalisieren. Dementsprechend konzentriert sich die Untersuchung auf die empirisch beobachtbare Realität menschlicher Interaktion und auf die Beschränkungen, denen sie unterliegt, und nicht auf Generalisierungen, die auf Interpretationen des Wissenschaftlers oder auf Interviewantworten fußen. 4.

D i e interaktionsanalytische Perspektive

In diesem Beitrag möchte ich darlegen, daß eine Betrachtungsweise für verbale Interaktion gefunden werden kann, die letztlich universell anwendbar ist auf Gesellschaften aller Art. Aber bevor ich die Theorie genauer ausführe, möchte ich zwei weitere Untersuchungen zur Illustration der Art von empirischen Ergebnissen darstellen, die zu den Grundannnahmen führten, auf denen die Theorie aufbaut. Die erste war eine zweimonatige Untersuchung in einem kleinen Handelszentrum in der Nähe des Polarkreises in Nord-Norwegen (Blom/Gumperz 1972). Das fragliche Gebiet ist dünn besiedelt, und die Transportmittel sind verhältnismäßig primitiv. Die einzelnen Niederlassungen liegen ziemlich isoliert. Die Bewohner haben eine starke Vorstellung von lokaler Identität, die sich sprachlich darin zeigt, daß jede lokale Region davon ausgeht, einen eigenen Dialekt zu haben. Der Dialekt wird geradezu als ein angeborenes Merkmal der lokalen Bewohner angesehen, so daß beim Reden über Abwesende diese ebenso sehr durch ihren Dialekt wie durch körperliche und Persönlichkeitsmerkmale identifiziert werden können.

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Die Gemeinde, die in den 60er Jahren ungefähr 1300 Einwohner hatte, wurde im 19. Jahrhundert von ansässigen Bauern, Fischern und kleinen Kaufleuten gebildet, die von der Abschaffung des Grundherrentums ohne Eigenbewirtschaftung und der Aufhebung von Handelsschranken profitierten. Obwohl die Gemeinde von Natur aus durch viele Berufsunterschiede gekennzeichnet ist und obwohl es bedeutende Unterschiede des Wohlstands gibt, herrscht bei den Ortsbewohnern die Einstellung vor, daß sie in einer Gesellschaft von Gleichen leben, in der alle befreundet und informelle Beziehungen maßgeblich sind. Bestehende soziale und ökonomische Unterschiede werden tendenziell kommunikativ vernachlässigt. Eine genauere Untersuchung der sozialen Beziehungen zeigt allerdings zumindest drei Untergruppierungen, die von Leuten unterschiedlicher Beschäftigung und mit beträchtlichen Unterschieden in ihren Beziehungen zu anderen gebildet werden. Die Mehrheit der Bewohner sind lokale Handwerker, Bauern und Arbeiter in kleinen Fabriken; sie stammen von Bauernhöfen der nahen Umgebung. Eine zweite, kleinere Gruppe wird von wohlhabenden Kaufleuten, Maschinenhändlern und kleineren Kreditgebern gebildet, die aus geschäftlichen Gründen regelmäßige Beziehungen mit Großhändlern, Bankpersonal, Verwaltungsangestellten und Freiberuflern in anderen Gegenden Norwegens unterhalten. Die Mitglieder dieser Gruppe stammen von erfolgreichen Landwirten am Ort und von Schiffsbauern ab. Ein Großteil ihrer Einkünfte erzielen sie mit Krediten für die Schiffsbauer und Landwirte der Umgebung, die diese am Ende des Jahres mit Produkten zurückzahlen. Die Beziehungen zwischen Kreditgeber und -nehmer sind meistens langfristig und überdauern oft mehrere Generationen. Schließlich gibt es eine Gruppe von kleinen Ladenbesitzern und Freiberuflern, die aus den Handelsstädten in der Gegend kommen und tendenziell die Verwandtschaftsbeziehungen mit ihren Angehörigen dort aufrechterhalten. Die Mitglieder der Gemeinde geben an, daß jeder in der Stadt denselben Dialekt spricht, und die linguistische Erfragung von dialektalen Formen in Interviews mit einzelnen Informanten, die isolierte Wörter oder Sätze äußern sollten, zeigt keine leicht wahrnehmbaren phonologischen Unterschiede wie in der indischen Gemeinde. Wenn wir jedoch, statt uns auf die grammatischen Merkmale des Dialekts zu konzentrieren, die verbale Interaktion, d.h. Gesprächsführung und sprachliches Handeln, in einem repräsentativen Bereich des täglichen Lebens untersuchen, treten signifikante Unterschiede zutage. Die meisten Ortsbewohner sind zweisprachig, und das lokale sprachliche Repertoire umfaßt einen Variantenbereich zwischen dem Dialekt an einem Extrem und der regionalen Form des Standard-Norwegischen (Bokmal genannt) am anderen. Varianten aus diesem Repertoire werden regelmäßig im Gespräch verwendet, und ihre Wahl ist sozial gesteuert. Im Interview geben die Bewohner an, daß sie die Standardsprache in offiziellen Situationen und zum Beispiel in der Schule verwenden; in anderen, eher informellen Situationen würden sie zwischen den Varietäten wechseln. Die Analyse von Gesprächsaufnahmen zeigt jedoch, daß die Defini-

Sprachliche

Variabilität

623

tion der Situation nicht nur eine Frage außersprachlicher Faktoren ist, sondern daß die Sprachverwendung, insbesondere der Wechsel zwischen Varianten des Repertoires, erheblich zur Definition der sozialen Eigenschaften einer Begegnung und zu den Vorstellungen der Beteiligten von einer angemessenen Interpretation der Äußerungen beiträgt. In welchem Ausmaß dies geschieht und auf welche Weise, variiert von Gruppe zu Gruppe. Man kann zwei Arten von Code-Switching unterscheiden, situatives und metaphorisches. Situative Wechsel markieren eine Eins-zu-Eins-Relation zwischen einem bestimmten Aktivitätskomplex und der Varietäten wähl, so daß die Veränderung von einer Varietät zu einer anderen zugleich eine Veränderung des sprachlichen Aktivitätskomplexes anzeigt. So ist z.B. oft beobachtet worden, daß die Ortsbewohner zum lokalen Verwaltungspersonal im Standard sprechen, manchmal aber die beiden Interaktanten auch „beiseite treten" und zum Dialekt übergehen. Auf Grund des Code-Switching wurde die Art ihrer Interaktion als informell redefiniert. Von metaphorischen Wechseln sprechen wir, wenn eine Veränderung im Variablenbereich innerhalb von Wörtern, Syntagmen oder Sätzen auftritt und wenn diese Variation nachweislich kommunikativ bedeutsam ist, obwohl der Aktivitätskomplex derselbe bleibt. Gewöhnlich ist eine Varietät die unmarkierte Varietät. Der Wechsel zur anderen Varietät dient einer kommunikativen Funktion ähnlich dem Stilwechsel in einsprachigen Situationen, d.h., der Wechsel hebt die fragliche Einheit hervor und verleiht ihr besondere interpretative Bedeutsamkeit als mehr oder weniger formell, ernst, emphatisch usw. als das umgebende Sprechen. Für die erste der drei lokalen Gruppen, die Mehrheit der Arbeiter und Handwerker, ist der Dialekt die unmarkierte Varietät in den meisten alltäglichen Situationen, und die auftretenden Code-Switchings sind situative Wechsel. Die zweite Gruppe, die wohlhabenden Geschäftsleute und Freiberufler, verwendet ebenfalls in den meisten Situationen den Dialekt als unmarkierte Varietät, aber neben den situativen Wechseln benutzen sie metaphorische Wechsel zum Standard als Ausdruck spezifischer Bedeutungen. Die dritte Gruppe, die Einzelhändler, verwendet tendenziell Standard-Norwegisch als unmarkierte Varietät und sowohl situative als auch metaphorische Wechsel für spezifische Wirkungen. Obwohl wir den Ausdruck „Gruppe" benutzt haben für die oben gekennzeichneten drei Mengen von Sprechern, die sich sprachlich unterscheiden, handelt es sich nicht um Gruppen im herkömmlichen Sinn. Die Sprachunterschiede entsprechen Unterschieden der Netzwerke und der interpersonellen Beziehungen. Der Begriff „Netzwerk" wird heute in der anthropologischen Literatur häufig verwendet (Barnes 1954). In der variationstheoretischen Soziolinguistik wird dieser Begriff für Regularitäten interpersoneller Kontakte benutzt. Ich verwende den Begriff 'Netzwerk' oder 'Beziehungsnetzwerk' für institutionalisierte interpersonelle Verbindungen, die regelmäßige und häufige Kommunikation mit bestimmten Kommunikationszielen mit sich bringen. Meine Annahme ist dabei,

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Gumperz

daß die Beteiligung an solchen Netzwerkbeziehungen mit spezifischen Kommunikationszielen verbunden ist und daß diesen Zielen bestimmte Kommunikationsverfahren entsprechen. Einige typische Beispiele von Beziehungsnetzwerken sind Arbeits-, Familien- oder Vereinsnetzwerke. Die soziale Bedeutung der unterschiedlichen Kommunikationsverfahren, die in der norwegischen Ortschaft beobachtet wurden, liegt darin, daß sie in die rhetorischen Strategien der Netzwerkmitglieder eingehen und diese sie in der Kooperation mit anderen Mitgliedern anwenden und auf ihrer Grundlage die Wirksamkeit der sprachlichen Handlungen anderer beurteilen. Belege für die Bedeutung von Beziehungsnetzwerken für Kommunikationsverfahren und für die Art, wie sie rhetorische Strategien beeinflussen, liefert eine zweite Arbeit, und zwar eine Untersuchung des Sprachwandels in einem österreichischen Dorf dicht an der italienischen und jugoslawischen Grenze (Gumperz 1982a). Das Dorf war über mehrere Jahrhunderte zweisprachig. Die Mehrheit der bäuerlichen Bevölkerung spricht verschiedene slowenische Dialekte, während Handwerker und Kaufleute, die überwiegend in Kleinstädten leben, Deutsch sprechen. Die Dorfbewohner lernten und sprachen zu Hause Slowenisch, aber Deutsch wurde in der Schule verlangt, so daß beim Eintritt in das Arbeitsleben die meisten von ihnen zweisprachig waren. Bis vor einigen Jahrzehnten waren das Dorf und seine unmittelbare Umgebung einschließlich eines benachbarten, überwiegend Deutsch sprechenden Handelszentrums relativ abgeschnitten von den großen Handels- und Verkehrswegen. Erst in den späten 40er Jahren wurden gepflasterte Straßen angelegt. Mit der allmählichen Integration der Region in die nationale Wirtschaft war die Dorfbevölkerung einem wachsenden Druck zur Übernahme des Deutschen ausgesetzt. Eine steigende Zahl von deutschsprechenden Eisenbahn- und Verwaltungsangestellten zogen in das Dorf, und sie verwendeten generell Deutsch. Deutsch brauchte auch jeder, der in den Städten der Umgebung Arbeit suchte. Während des zweiten Weltkriegs war das Gebiet von deutschen Truppen besetzt, und es wurde offiziell festgelegt, daß die Bewohner deutschsprachig seien. Der Gebrauch des Slowenischen wurde untersagt, und ein Drittel der Ortsbewohner, deren fortgesetzter Gebrauch ihrer Muttersprache als Widerstand galt, wurde in Arbeitslager verschleppt. Trotz dieser Repressalien blieb Slowenisch erhalten. Personen, die während des zweiten Weltkriegs aufwuchsen, beherrschen noch vollständig die slowenische Grammatik. Nach dem zweiten Weltkrieg wurde die Zweisprachigkeit der Region erneut offiziell anerkannt und die zweisprachige Erziehung in Slowenisch unterstützt. Aber seit den 60er Jahren ging der Gebrauch des Slowenischen zurück. Dieser Rückgang wurde weder durch offiziellen Druck von außen noch durch einen Verlust ethnischer Identität verursacht. Im Gegenteil, das Dorf zeigt ein ausgeprägtes ethnisches Bewußtsein. Zur Erklärung des Sprach wandeis müssen wir die lokale Wirtschafts- und Beschäftigungsstruktur und die damit zusammenhängenden Beziehungsnetze betrachten.

Sprachliche

Variabilität

625

Bis in die 60er J a h r e war die lokale Bevölkerung ausschließlich in der Landwirtschaft tätig. Die Böden waren karg und die Bewohner relativ a r m im Vergleich mit deutschen Bauern in anderen, nahegelegenen Dörfern. Die Dorfbewohner kooperierten untereinander, indem sie Maischinen austauschten und sich bei Bauten und Reparaturen halfen. Wie die oben dargestellten Norweger betrachteten sich die Dorfangehörigen als ein lokales Team; daher waren die Beziehungen innerhalb des Dorfes informell und kooperativ, während die Beziehungen zu Außenstehenden formell und meistens instrumental und distanziert waren. Deutsch und Slowenisch wurden mit diesen beiden Arten von Beziehungen verbunden, und - wie im norwegischen Dorf - spiegelte sich dies sowohl im situativen als auch im metaphorischen Code-Switching. Mit dem steigenden Einfluß des Deutschen verliefen mehr und mehr alltägliche Interaktionen auf Deutsch, so daß viele Ortsbewohner den größten Teil des Arbeitstages Deutsch verwendeten. Dieser deutsche Teil des lokalen Repertoires gliedert sich wiederum in zwei Dialekte: die regionale Form des Standard und einen lokalen Dialekt. Wenn die Dorfbewohner Deutsch sprachen, wechselten sie tendenziell zwischen diesen beiden Varietäten in ganz ähnlicher Weise wie sie in anderen Situationen zwischen Slowenisch und Deutsch wechselten; d.h., sie reproduzierten einfach das vertraute rhetorische Muster. Die Slowenisch-Sprecher unterschieden sich in dieser Hinsicht klar von ihren deutschsprechenden Nachbarn; obwohl die beiden Sprechergruppen sich hinsichtlich Phonologie und Grammatik wenig unterschieden, konnten Personen auf Grund dieses Switching-Musters leicht als gebürtige Slowenisch-Sprecher identifiziert werden. Erst in den letzen beiden Jahren hat sich die Situation erneut verändert. Die grundlegenden auslösenden Faktoren sind Veränderungen in den Beziehungsnetzen, die auf zwei Umstände zurückgehen: (1) die Verbesserung des Straßenverkehrs und die Anhebung des Lebensstandards, die es jetzt den jungen Leuten erleichtern, in die S t a d t oder zu verschiedenen anderen Treffpunkten in der Region zu fahren und eher Freundschaftsbeziehungen mit gleichaltrigen Deutsch-Sprechern herzustellen; (2) der Umstand, daß es den Leuten jetzt möglich ist, einer Dauerbeschäftigung im Dienstleistungsbereich in der Stadt nachzugehen und dabei auf dem Dorf zu wohnen. Der persönliche Erfolg eines Dienstleistungsangestellten hängt von seiner quasimuttersprachlichen Beherrschung persuasiver Strategien in den Beziehungen zu Kollegen und Klienten ab. Mit dem Anwachsen der Anzahl junger Leute in solchen Positionen werden die Dorfbewohner allmählich in deutschsprechende soziale Netzwerke integriert mit der Folge, daß Slowenisch zu verschwinden beginnt und die Gebrauchsmuster der deutschen Muttersprachler an Boden gewinnen. Der entscheidende G r u n d für den Sprachwandel ist also der Wandel der interpersonellen Netzwerke, ausgelöst durch Veränderungen in der Wirtschaftsstruktur, die den Erwerb neuer rhetorischer Strategien begünstigen, in denen die traditionellen Kommunikationsverfahren keinen Platz mehr haben.

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Linguistisch wichtig an lokalen Sozialbeziehungen sind nicht Regeln, welche „die angemessene SprachVerwendung" steuern; entscheidend ist vielmehr die sich in Schlüsselsituationen sprachlicher Interaktion erweisende Überzeugungskraft bzw. rhetorische Wirksamkeit von Kommunikationsverfahren, die durch spezifische Typen sprachlicher Formen gekennzeichnet sind. Zusammenfassend kann man sagen, daß die bisherigen Überlegungen zu einer Perspektive auf die Beziehung zwischen sprachlichen und sozialen Phänomenen führen, die sich sowohl von der korrelativen Sicht als auch von der Vorstellung der frühen Dialektologen unterscheidet. Der Kernpunkt ist, daß Dialektunterschiede durch langfristige zielgerichtete Kooperation mit anderen in institutionalisierten Netzwerken sozialer Beziehungen entstehen und daß die Art der Beziehungen durch die Wirtschaftsstruktur bedingt ist. Im Laufe der Zeit werden bei der Teilnahme an netzwerkgebundenen Aktivitäten sprachliche Konventionen geschaffen. Diese Konventionen bilden eine „Kurzschrift", die besondere kommunikative Bedeutung erlangt, weil sie mit bewerteten Sozialbeziehungen eissoziiert wird. So wird die Kenntnis dieser „Kurzschrift" erforderlich für die erfolgreiche Teilnahme an der lokalen Gesellschaft. Die Interpretationstheorie, welche dieser Sicht zugrundeliegt, ist anderenorts dargestellt worden (Gumperz 1982a). Im folgenden will ich zu illustrieren versuchen, wie diese interpretativen Verfahren funktionieren und welche Rolle der Dialekt dabei spielt. Dazu werde ich eine Erzählung einer selbsterlebten Geschichte aus einer einsprachig englischen Situation in den USA und Ausschnitte der von der Mannheimer Projektgruppe behandelten Materialien vergleichend analysieren. 5.

Prosodische und paralinguistische Schlüsselsignale

Ich beginne mit Materialien, die von einer Teilnehmerin an einer informellen Begegnung zwischen zwei Universitätsstudentinnen in Nordkalifornien aufgenommen wurden. Sprecherin Α berichtet über ein Erlebnis, als sie in einem Lokal am Ort essen ging. Als sie in dem bestellten Sandwich ein menschliches Haar entdeckte und die Kellnerin darauf aufmerksam machte, schenkte diese ihren Vorhaltungen über Hygienestandards keine Aufmerksamkeit und schien ihrerseits der Kundin Vorwürfe machen zu wollen. Beispiel 1 1. A: änd (and i) ordered an egg salad sandwich/ 2.

.. {[ρ] because}i very seldom eat those/

3.

and it took about ten minutes for me to get my coffee?

4.

and then .. veil .. again that much t - to make my order/

5.

so i made my or:der, got my sarndvich,

6.

.. and, .. { [ac] [lo] i sas reading a book,}

7.

you know one of .. collette's books,

8.

{ [lo] while i was .. reading-}

9.

while i was «eating rather/

Sprachliche 10.

Variabilität

627

che:: .. { [ac] i finished my first half,}

11.

and just as i was ready to start ay «second half,

12.

i looked dorn at the at the sa:ndvich?

13.

and {[hi] vedged, *inbetsee:n, }the »two slices of brea::d,

14.

{ [hi] stuck}into the . »eggsalad, was a { [lo] hai:r/ }

15.

.. and i just { [hi] [f] freaked/}

16.

{ [ac] and i didn't know what to do/}

Gemäß den üblichen Verfahren wurde der Ablauf der Erzählung in Informationsoder Inhaltseinheiten segmentiert, die durch Schlußintonationskonturen wie „/" für fallende, „," für leicht steigende, „?" für fallend-steigende Intonation oder " - " für unterbrochenes oder abgebrochenes Sprechen begrenzt sind. Jede Zeile enthält eine Einheit oder eine Kette von zwei oder drei kleineren Einheiten oder Äußerungen, wie ich sie nenne. Inhaltlich sind nicht alle diese Äußerungen in gleicher Weise für die Entwicklung der Geschichte wichtig. Während die Zeilen 1, 3 und 4 für die narrative Progression zentrale Informationen enthalten, ist Zeile 2 eine Nebenbemerkung zur Charakterisierung von Zeile 1. Zeile 5 beginnt mit einer Wiederholung des letzten Syntagmas von Zeile 4. Anstatt jedoch mit einer fallenden Schlußintonation zu enden, schließt sie mit einer leichten Hebung. Auch das zweite Syntagma in dieser Zeile hat eine steigende Intonationskontur, so als ob sie eine Fortsetzung anzeigt, um dadurch die Aufmerksamkeit des Hörers zu binden. Es folgt eine kurze Pause und ein stark konturiertes, das Rederecht sicherndes Konnektiv and, das wiederum mit einer Stimmhebung endet. Der Hörer kann nun annehmen, daß jetzt der Höhepunkt kommt, aber stattdessen finden wir eine weitere Nebenbemerkung. Die Geschichte wird in Zeile 11 fortgesetzt, die mit einer leichten Hebung endet. Die folgende Zeile endet mit einer deutlicheren Hebung, die durch die Steigerung der Spannung den ersten Höhepunkt der Geschichte ankündigt. Bemerkenswert ist, wie in den Zeilen 13 und 14 die Informationen Stück für Stück eingeführt werden, wobei jedes Schlüsselwort hervorgehoben wird, entweder durch Konturierung oder durch besondere Akzentuierung, wie um den Kernpunkt wohlgezielt herauszuarbeiten. Bei der Erwähnung des Haars benutzt die Sprecherin eine andere Hervorhebungstechnik, indem sie die Tonhöhe senkt in Verbindung mit Vokaldehnung. Das Wort freaked, mit dem sie ihre Reaktion beschreibt, wird hoch und laut realisiert, um einen wahrnehmbaren Kontrast zu dem voraufgehenden hair zu bilden. Die beschriebenen Eigenschaften - d.h. die häufigen Veränderungen der Funktion bzw. des „footing", um Goffmans Begriff zu benutzen, - sind allgemein typisch für mündliche Erzählungen. Ebenso ist es eine allgemeine Eigenschaft mündlicher Erzählungen, daß der Hörer beim Verfolgen dieser Wechsel mehr tun muß als nur einfach auf den lexikalischen Inhalt der Äußerungen zu reagieren bzw. diesen zu dekodieren. Prosodische und paralinguistische Schlüsselsignale spielen eine wichtige Rolle beim Erzählen. Man beachte z.B., daß Neben-

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628

bemerkungen und kommentierende Informationen durch Merkmale wie Absenken der Stimme u n d / o d e r Beschleunigung markiert werden. Die Fortsetzung des Erzählstranges a m Ende einer Nebenbemerkung wird tendenziell durch Anhebung der Tonhöhe und eine leichte Verlangsamung angezeigt. Weiter werden zentrale Informationen meistens durch Akzentuierung u n d / o d e r größere Tonhöhe, Konturierung und Vokallängung hervorgehoben. Auf den ersten Blick scheint die Senkung auf Aairin Zeile 14 eine Ausnahme zu sein. W ä h r e n d jedoch eine Senkung der Tonhöhe meistens von höherem Tempo begleitet wird, tritt hier Vokaldehnung zusammen mit Verringerung des Tempo auf. Diese Kombination, die anscheinend den Erwartungen zuwiderläuft, dient der Hervorhebung des Wortes. Außerdem folgt auf die niedrigere Tonhöhe von hair in der nächsten Äußerung das besonders hohe freaked, so daß beide zusammen als ein Paar angesehen werden können, das kunstreich die Verbindung der Erzählerin von entrüsteter Überraschung und emotionaler Reaktion vermittelt. Im nächsten Abschnitt beschreibt die Erzählerin ihre eigenen Überlegungen, die dazu führten, daß sie die Kellnerin auf das Problem hinwies. 17. A: and i- so, i just- i- .. i- considered, and i thought, 18.

{ [lo] sell maybe it's ay hair/}

19.

{ [ac] because i have-}., you knov, { [stac] thick curly h a i r / }

20.

•»{ [ac] and i'd just «ashed it, so i thought, }

21.

{ [hi] maybe it's my hair//}

22.

bu::t, i had to .. { [hi] [f] »pry it out/}[laugh]

23.

{ [lo] [ac] and i knee it wasn't my hair «hen i had to pry it out/}

24.

cause it «as also .. very,

25.

. . i t was a »short, curly { [lo]»black hair/}

26.

{ [very hi] and «hen i »told them, =»«hat i »found,

27.

and «hen i realized

28.

that i «as actually pulling somebody else's »hair

29.

out of my *sand«ich, that «as vedged in it,

30.

i just thre«: it/}

31.

{ [lo] so i sat there/ and i regrouped/ and i thought «ell::,

32.

.. should i say anything? }

33.

and them ( )

34. B: ( )

Α nimmt in Zeile 17 ihre Geschichte wieder auf und verringert dabei das Tempo bei leicht steigender Tonhöhe. Die Zeile endet mit einer steigenden Fortsetzungskontur. In Zeile 18 fällt die Tonhöhe, aber der Inhalt, der Teil des Hauptstranges der Erzählung ist, zeigt an, daß die Äußerung keine Nebenbemerkung ist; vielmehr scheint die Erzählerin sich selbst zu zitieren. In den Zeilen 19 u n d 20 deutet das gesteigerte T e m p o eine Nebenbemerkung an oder einen erklärenden Kommentar. Zeile 21 n i m m t dann den Erzählstrang wieder auf mit der Wiederholung des früheren Selbstzitats in hoher Stimmlage. In Zeile 22 startet die Erzählerin mit einem besonders langen Konnektiv und beschreibt dann, was

Sprachliche

Variabilität

629

sie unternahm, um das Haar zu entfernen. Man beachte die größere Lautstärke und die Betonung auf pry it out. Es scheint, daß die Prosodie hier eingesetzt wird, um die Anstrengung der Handlung zu verdeutlichen. In ähnlicher Weise verdeutlicht in Zeile 31 und 32 die Verbindung von niedriger Tonhöhe und relativ langsamem Tempo, daß die Erzählerin jetzt ruhig und gefaßt ist, bevor sie ihre Beschwerde vorbringt. Im nächsten Abschnitt der Erzählung beginnt die Sprecherin mit Hintergrundinformationen, welche die Voraussetzungen für das Kommende einführen. 35. A: .. the vaitress was, .. particularly disa»greeable, «to ae/ 36.

(probably could be)

37.

veil i guess i sat in the booth soaevhere

38.

that's reserved for tvo people or more/

39.

•»{ [ac] but veil i didn't think it vould Bake any difference,}

40.

since it vas, you knov, { [lo] low, .. tide/}

41.

as far as th- the afteaoon, ..

42. Β: yeah/ 43. A: er- »crovd vas concerned/

Man beachte die Akzentuierungen in Zeile 35, welche die zu vermittelnden Informationen hervorheben. In Zeile 40 sind sowohl low als auch tide konturiert, um den Schluß nahezulegen, daß die Erzählerin durch ihr Verhalten keinerlei Anlaß gab für das Benehmen der Kellnerin. Das konturierte so in Zeile 44 dient als Konnektiv, um die Fortsetzung der Haupterzählung anzuzeigen. 44. A: so, ... 45.

{ [lo] i did/}*==vhen she caae over to give ae aore coffee,

46.

i said { [lo] listen, i »usually, »don't even »aention this/

47.

but, .. i- i probably should/ }

48.

" i said

49.

.. { [lo] there's- [clears throat] .. there's-

50.

.. there's a- .. there vas a .. a «hair/}

51.

there vas a »hair in ay sandwich/

52.

and i { [lo] vas-}.. { [laughing] i'd »finally gotten it out/}

In diesem abschließenden Teil der Erzählung benutzt die Sprecherin die Strategie, sich selbst direkt zu zitieren. Das wird lexikalisch und syntaktisch durch den Gebrauch von I said als ErÖffner in Zeile 46 markiert. Dementsprechend erscheint das folgende listen nicht als an die gegenwärtige Zuhörerschaft adressiert, sondern als Wiedergabe einer Äußerung der Erzählerin in der erzählten Zeit. Ahnlich referiert das deiktische Pronomen I nicht auf die Erzählerin als Autorin der Erzählung, sondern auf ihre Rolle als Urheberin in der Geschichte (Goffman 1983). Der Einsatz von Tonhöhenregistern und Prosodie ebenso wie z.B. die Pausen in Zeile 47, 49 und 50 stützen insgesamt diese Interpretation. Die Redewiedergabe endet in Zeile 51; die Stimmsenkung in Zeile 52 ebenso wie

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Gumperz

das Lachen verdeutlichen, daß 52 eine Nebenbemerkung oder ein Kommentar zu 51 ist. Im Beendigungsteil setzt die Erzählerin ihre Strategie der Redewiedergabe fort, um darzustellen, WEIS die Kellnerin tat und wie sie selbst darauf reagierte. 53. A: and she said, { [hi] [ρ] a »what?} 54.

and i said, ah::, a hair, an- a . hair in «y sandwich?

55.

and she said, ... { [lo] n a h / }

56.

and i said, { [hi] yeah, }i was- it- i «usually don't mention it,

57.

but it's good for y- for you t- to be aware of that,

58.

in case it does happen in the { [hi] future::, }

59.

you know, you can . be more conscientious about it/

60.

... {[hi] and i guess}she didn't accept that piece of advice/

61.

»»she didn't take it very, .. { [ac] charaingly/}

62.

so she said, { [f] [hi] well, whe:re •is it?}(X)

63.

... and i said, whe:re's, { [ac] Where's »what/}

64.

well, {[very hi, shrill] where's the { [f] h a i r / } }

65.

.. { [hi] i can't re»turn it, unless i show them the { [f]hair/}}

66.

... and i said, well { [hi] i- i don't, k n o w / }

Besonders auffallig an diesem Abschnitt ist, wie die Prosodie eingesetzt wird, um Schlußfolgerungen darüber auszulösen, wie die beiden Handelnden aufeinander reagierten. In Zeile 53 wird what feist geflüstert, die Stimme ist hoch und die Endkontur ist eine fallend steigende Frageintonation. Wir schließen daraus, daß die Kellnerin ungläubiges Erstaunen ausdrückt. In 55 ist das knappe nah in tiefer Tonlage als unhöfliche Zurückweisung der Kundenbeschwerde zu interpretieren. Der Eindruck des beleidigenden Verhaltens der Kellnerin wird in den Zeilen 62, 64 und 65 verstärkt, wo sie schrill schreiend verlangt, daß das Haar vorgezeigt wird, bevor der Sandwich ersetzt werden kann. Man beachte, daß die Erzählerin in Zitaten, die eigenes Verhalten wiedergeben, einen relativ höflichen Stil verwendet und einen ruhigen und besonnenen Ton; dadurch verdeutlicht sie, daß sie ihre vermutlich gerechtfertigte Beschwerde eher untertreibend als nachdrücklich vorgebracht hat. Durch diese Analyse möchte ich zeigen, daß in den Erzählvorgang zwei unterschiedliche Ausdrucksebenen involviert sind. Zusätzlich zu den grammatischen und lexikalischen Zeichen beeinflussen prosodische und paralinguistische Signale erheblich die Interpretation der Hörer und sind wichtig für die Fähigkeit der Erzählerin, die Aufmerksamkeit der Zuhörerschaft zu fesseln. Diese Signale fungieren als Kontextualisierungsschlüssel (Gumperz 1982a). D.h., es sind Eigenschaften der Äußerung, die das Gesagte auf den kontextuellen Rahmen beziehen, im Hinblick auf den es zu interpretieren ist. Damit ist auch klar, daß beide Ausdrucksebenen entscheidend sind für den Erzähl Vorgang. Die Teilnehmer, d.h. sowohl Erzähler als auch Zuhörer, müssen nicht nur grammatische Kenntnisse teilen, sondern auch die Kontextualisierungskonventionen kennen.

Sprachliche Variabilität 6.

631

Sprachvariation, Kommunikationsstrategien und Beziehungsnetze

Im abschließenden Kapitel dieses Beitrags möchte ich das gezeigte Vorgehen auf eine vergleichende Analyse von Materialien aus dem Mannheimer Projekt anwenden, die in einer etwas anderen Hinsicht schon in anderen Beiträgen dieses Bandes analysiert worden sind. Dabei möchte ich zum einen deutlich machen, daß durch die Integration der Variablenanalyse in die Behandlung von Kommunikationsstrategien gezeigt werden kann, daß der Sprachgebrauch wirklich auf der individuellen Ebene geformt wird, und zum anderen, daß die Fähigkeit, von dieser Formung Gebrauch zu machen, entscheidend ist für die Teilnahme eines Individuums an Beziehungsnetzen, letztlich an den sozialen Gruppen, welche seine soziale Welt bilden. Die Mannheimer Materialien sind im Detail von den einzelnen Autoren analysiert worden, die zeigen, daß der Variablengebrauch nicht einfach eine Frage des Wechsels zwischen zwei oder mehr getrennten Varietäten ist, sondern daß er vielmehr die Wahl innerhalb eines abgestuften Kontinuums von mehr oder weniger standardnahen bis zu mehr oder weniger dialektalen Formen beinhaltet. Zudem erscheinen diese Varianten zusammen mit einer Vielzahl prosodischer und rhythmischer Zeichen, formelhaften und idiomatischen Ausdrücken ebenso wie anderen syntaktischen und lexikalischen Merkmalen. In ihrer Verbindung bilden diese Zeichen ein System von Kontextualisierungskonventionen. Die phonetischen und prosodischen Details dieser Kontextualisierung werden an anderer Stelle in diesem Band beschrieben. Hier konzentriere ich mich auf die Richtung der Sprachverschiebung, da sie erlaubt, verschiedene Redeweisen zu kontrastieren. In der folgenden Darstellung wird für dialektale Sequenzen gerade Schrift und für standardsprachliche Sequenzen kursive Schrift benutzt; dadurch sollen nur Relationen und keine absoluten Werte ausgedrückt werden. Ich beginne mit einem Textausschnitt aus Bauschs Analyse (vgl. Beitrag 6) einer formellen Sitzung eines Sportvereins in einem Teil Mannheims, der bis vor einigen Jahrzehnten eine geographisch eigenständige Ortschaft darstellte, aber jetzt aufgrund der Bauentwicklung ein integrierter Teil der Stadt geworden ist. Obwohl die gegenwärtige Bevölkerung einen hohen Prozentsatz von neuen, d.h. neu zugezogenen Bewohnern umfaßt, existiert weiterhin ein starker und politisch aktiver Kern von Bewohnern, die sich auf ihre lokale Herkunft berufen und die, z.T. aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu Vereinen wie dem hier erwähnten Sportverein, eine Schlüsselrolle in der lokalen Politik spielen. Gegenstand der Sitzung ist die Wahl von neuen Vereinsfunktionären. Der Vereinsvorsitzende leitet die Sitzung, und beim Sprechen zu den Mitgliedern wechselt er zwischen offiziellen Verlautbarungen, die sich an die Gruppe als ganze wenden, und Nebenbemerkungen zu einzelnen oder Kommentaren zu seinen eigenen Äußerungen.

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Beispiel 2 1. A: wir kuaaen . . wir kommen zum oberturn [ G e l ä c h t e r ] . . i s c h b i n h a l t i n n e g a r a a gbore 2. .. wir kommen zum oberturnwart 3. . . W H b i s c h du b e r e i t / wieder d e s zu mache// 4. . . n a * t ü r l i s c h hab i s c h B i t g e r e s c h n t / / s i n d weitere Wortmeldungen

5. neh» i s c h n i s c h t a n / un somit kommen tvt'r zur abschdimmung/ 6. wer is für W Η als oberturnwart/ 7. danke/ gegenprobe/ enthaltungen// 8. somit ist W Η als oberturnwart gewählt 9. 10. 11. 12.

13. 14. 15. 16. 17.

Η n i m s c h du d e s a>t an? U nimmsch d e s a a t an? somit is W Η unser oberturnwart [Beifall] die kassenrevision F Η hat jetzt zweimal die kasse geprüft un der modus der Satzung verlangt dass alle zwei jähre einer der kassenrevisoren ausscheidet/ Text a u s g e l a s s e n KB ist vorgeschlagen . . . K B . , v i l l s c h du d e s Hache/ KB (erklärt sich) bereit somit s c h d e h t — sin weitere Wortmeldungen da ..weitere Wortmeldungen Text a u s g e l a s s e n isch darf feststellen Κ Β ist bereit das anzunehmen/

Am Beginn des Ausschnitts läuft die Sitzung bereits. Die Zeilen 1 und 2 sind eine offizielle Ankündigung, daß die Wahl des Oberturnwarts stattfinden soll. Es folgt eine Frage an den gegenwärtigen Amtsinhaber, ob er bereit ist, erneut das Amt zu übernehmen, dann die Wahl und die Bekanntgabe des Ergebnisses. Die weitere Sitzung hat eine vergleichbare Verlaufsstruktur von Ankündigung, Diskussion, Wahl und offizieller Feststellung der Ergebnisse. Auf der Ebene der Diskursverfahren kennzeichnet die Sitzung ein regelmäßiger Wechsel zwischen Standarddeutsch und Dialekt. Mit wenigen signifikanten Ausnahmen wird Standard für das offizielle Sprechen verwendet, während informelle Teile dialektal sind. Man beachte z.B. die standardsprachliche Ankündigung in Zeile 2, auf die von Zeile 3 bis zum ersten Teil von Zeile 5 Kommentare und private Bemerkungen folgen. Im zweiten Teil von Zeile 5 kehrt der Vorsitzende zu formellen Ankündigungen zurück. Er fährt in dieser Weise fort bis Zeile 8 und wechselt dann in Zeile 9 in den Dialekt bei der Frage an den Kandidaten, ob er die Wahl annimmt. Nach der zustimmenden Antwort wird wieder Standard für die offizielle Feststellung verwendet. Im wesentlichen dasselbe Muster ist in den Zeilen 13 bis 16 zu beobachten und im übrigen Transkript, das hier nicht analysiert wird.

Sprachliche

Variabilität

633

Man könnte meinen, daß wir es hier mit einem Zusammenhang zu tun haben, der in der Literatur „soziolinguistische Regel der Sprachfunktion" genannt wird, in dem Sinne, daß Standarddeutsch als offizielle Sprache dient, während der Dialekt in informellen Situationen verwendet wird. Aber bei genauerer Betrachtung stellt sich heraus, daß es andere Eigenschaften der Interaktion gibt, die nicht durch die Annahme einer Kode-artigen Beziehung zwischen Sprachwahl und InteraktionsVorgang erklärt werden können. Betrachten wir den Wechsel vom Dialekt zum Standard in Zeile 5. Es fällt auf, daß anders als in ähnlichen Fällen des Wechsels in Zeile 2, am Ende von 6, in Zeile 8 und öfter, hier keine Pause oder markante terminale Stimmsenkung erscheint, mit der ein Interaktionsteil gegen voraufgehende abgegrenzt wird. Das Code-Switching selbst dient dazu, die offizielle Interaktion wieder herzustellen und markiert die Passage als formell. In Zeile 1 unterbricht sich der Sprecher und wiederholt nach einer kurzen Pause sein Wort. Als er merkt, daß er damit Lachen hervorruft, wechselt er für den Kommentar „ich bin in Neckarau geboren" in den Dialekt. Folgendes war passiert: Er hatte seine Ankündigung mit einer Standardform wir begonnen, dann aber in kummen die Dialektvariante des Vokals zusammen mit der Standardform der Infinitivendung verwendet. Als das Lachen anzeigt, daß die Zuhörer seinen Lapsus bemerkt haben, wechselt er in den Dialekt, um zu zeigen „ich kann wie ein Einheimischer sprechen und bin daher einer von Euch". Obwohl es an der Oberfläche scheint, daß der Sprecher einen Fehler gemacht hat, ist auch denkbar, daß er durch die Art des Abbruchs und der Selbstkorrektur seine lokale Herkunft und seine Beherrschung der in lokalen Sozialbeziehungen erfolgreichen rhetorischen Strategien demonstriert; was zunächst wie ein Verstoß aussieht, wird also ein konversationelles Mittel, das ihm die Gelegenheit liefert, seine Zugehörigkeit hervorzuheben. Betrachten wir jetzt Zeile 9. Die Frage „nimmst du die Wahl an" ist Teil der Durchführung der Vereinswahl. Wir würden deshalb annehmen, daß der Sprecher Standard benutzt. Da er die Regeln kennt, ist sein Wechsel in den Dialekt hier als bewußte Wahl anzusehen und kann als Hinweis auf persönliche Beziehungen und als rhetorische Anspielung auf die damit verbundenen Bindungen interpretiert werden. Das nächste Beispiel stammt aus einer Gruppe von Gymnasiasten, das Schwitalla aufgenommen und analysiert hat (vgl. Beitrag 7). Die Gruppenmitglieder definieren sich selbst in Abgrenzung zu zwei Gruppen lokaler Jugendlicher, zu denjenigen, die die Normen der Erwachsenenwelt akzeptieren, und insbesondere zu denjenigen, die zu einer Gruppe von Arbeiterjugendlichen gehören und die sie als „Asos" bezeichnen. Die Gruppe symbolisiert ihre Gruppenidentität durch eine spezifische Gruppensprache, die, wie Schwitalla zeigt, sich von der allgemeinen Umgangssprache durch eine Reihe von syntaktischen, prosodischen und formelhaften/lexikalischen sowie interaktiven Merkmalen unterscheiden. Die Aufnahme stammt von einer informellen Zusammenkunft bei einem Gruppenmitglied zu Hause. Nachdem die Teilnehmer ohne besonderes Engagement gesprochen haben, wechselt das Thema, und sie wenden sich einem Gruppenmitglied zu, dessen Familie in eine andere Stadt umzieht, und im Stil der für

634

John J. Gumperz

die Gruppe charakteristischen Sprachspiele beginnen sie zu frotzeln bzw. herauszufordern. Beispiel 3 1. 2. 3. 4. 5.

A: Barsch du schun mol in der in der «schul? in deiner zukünftische? A: un sie is dort? K: [leises Heulen] A: asozial? K: [lauteres Heulen]

6. HE: gehört mol widda gstriche des son alder schulbau/ 7. Α: ei ja? 8. R: 9. HA: 10. A: 11. HE: 12. HA: 13. A: 14. R: 15. K: 16. HE: 17. R: 18. HE: 19. HE: 20. HE: 21. A: 22. HE: 23. A: 24. HA: 25. Κ: 26. HE: 27. HA: 28. HE: 29. HA: 30. A: 31. HA: 32. HE: 33. HE: 34. HA: 35. HA: 36. HE: 37. HA:

wirkt des, »wirkt net gell9 .. -*ver muss sich konta=kt suche? dess «scheisse/ türlich die kumme "alle· zu mir/ -doch» [heult] ...»«scheisse odda» -neue freunde HE= [Singsang] (Singsang) hä? (hear) isch komm dich dann mal besuchen kurssystem gehts eigentlich immer schnell/ war bei uns aa so da hasch «viel leut gekannt/ =( )= »ja ss- stimmt aewa trotzdem to»tal neue »um«ge»bung un alles ... »jeaa» uh::: scheisse is jo dass die annere sich jo schun viele kenne/ [Ekellaut] soviel hawve sich bei uns aa nit gekannt/ »sehe «enischdens na und aa hot gewusst was sas des fer änna dann die neue lehrer uhh aa h- aa h- hot gewusst obs dä änne an «flippi -is odda» »«scheissegal» geht da uff jeder schul neue schul »so odda?» nä [scherzhaft] schlage disch doud jeden dag/ ganz bestimmt trainier isch noch mol, serd än klänna bar/ [heult] schleschde karde/

Sprachliche

Variabilität

635

Die spielerischen Passagen sind durch paralinguistische, prosodische und andere Kontextualisierungshinweise markiert, die von Schwitalla im Detail analysiert worden sind. Die unmarkierte Sprachlage in der ganzen Passage ist eine Form des Stadtdialektes, die für lokale Jugendliche allgemein charakteristisch ist. Dieser Dialekt ist zwar etwas standardnäher als derjenige der Sprecher aus der älteren Generation in den voraufgehenden und folgenden Beispielen, aber er ist eindeutig verschieden von der lokalen Form des Standarddeutschen. Bei mehreren Gelegenheiten wechseln die Sprecher auch zum Standard als Teil des spielerischen Sprechens oder erfüllen mit dem Code-Switching dieselben Funktionen, die denen in den Beispielen 1 und 2 dargestellten entsprechen. Betrachten wir die Zeilen 9 bis 14. HE hat gerade mit der Äußerung die kommen natürlich alle zu mir auf einen Frotzelangriff geantwortet, der darauf zielte, daß er Schwierigkeiten beim Finden neuer Freunde haben würde. AN kontert daraufhin mit dem verächtlichen scheiße, worauf R hinzufügt neue Freunde Herrmann, isch komm dich dann mal besuchen. An der Oberfläche kann es so aussehen, als würde diese letzte Bemerkung HE unterstützen. Aber angesichts der Tatsache, daß alle bisherigen Äußerungen dialektal waren, bekommt der Wechsel zum Standard besondere Bedeutung. Er legt die Interpretation nahe, daß der Sprecher nicht für sich selbst spricht, sondern einen Erwachsenen zitiert und damit impliziert, daß HE als Konsequenz des Umzugs von der Erwachsenenwelt abhängig wird. Insofern ist Rs Bemerkung ebenfalls ein Angriff. In ähnlicher Weise ist der Wechsel zum Standard in Zeile 30 zu interpretieren. Betrachten wir jetzt Zeile 35. An dieser Stelle, als das Spiel seinen Höhepunkt erreicht, zählen die Angreifer einige der Schwierigkeiten auf, denen HE ausgesetzt sein wird. HA wechselt mit schlage disch doud jeden dag in eine sozial stigmatisierte und nahezu formelhafte Form des lokalen Dialekts (vgl. Beitrag 7, zu den Merkmalen dieser Sprachlage). Damit wird der halb spielerische Angriff des Sprechers unterstrichen, der den Höhepunkt des sprachlichen Spiels bildet. In seiner Antwort ganz bestimmt trainier isch noch mol, werd än klänna bär/ verwendet HE die eher ruhige dialektale Sprechweise, in der er sich die ganze Zeit über verteidigt hat. Seine Bemerkung löst anerkennendes Lachen aus, das zeigt, daß er sich im Spiel behauptet hat. Das nächste Beispiel s t a m m t aus einem Treffen einer Gruppe von älteren Mannheimerinnen aus der Innenstadt an einem von mehreren öffentlichen Treffpunkten im Stadtteil (vgl. Beitrag 3). Die Teilnehmerinnen sind zu informeller Unterhaltung zusammengekommen. Vor dem wiedergegebenen Ausschnitt dreht sich das Gespräch u m Perspektivenunterschiede zwischen dem Leitungspersonal der öffentlichen Begegnungsstätte und ihrem Publikum. ZI erzählt eine selbsterlebte Geschichte über ihre Konfrontation mit der Leiterin eines anderen Begegnungszentrums im Stadtteil. Sie h a t t e angenommen, daß die Tagesstätte am fraglichen Tag geöffnet sei, aber die Leiterin h a t t e ihr den Eintritt verweigert wegen einer geschlossenen Gesellschaft. Als ZI protestierte unter Hinweis darauf, daß sie sich hier mit einer Freundin verabredet hätte, und gebeten hatte,

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Gumperz

drinnen warten zu können, Schloß die Leiterin die Tür und ließ sie draußen warten. In der Einleitung der Erzählung erläutert ZI, daß sie regelmäßig die Altentagesstätte besucht, und gibt Hintergrundinformationen zur Verabredung mit ihrer Freundin. Als die Freundin, die am gegenwärtigen Gespräch beteiligt ist, ZI mit einem eigenen Beitrag unterbricht, schneidet diese ihr das Wort ab m i t jetz .. loss misch mol des weidererzähle

u n d b e g i n n t die E r z ä h l u n g .

Beispiel 4 1. ZI: jetz .. loß Misch aol des veidererzähle, 2. jetz *geh «er hie/ 3. un »jetz »ar die «düer va schlosse net, ..{ [f]zugeschlosse/} .. 4. un na *hav«:isch na ha««:isch gschellt/ geläudet/ 5. un na »Jcuaat die »f raa Η raus, .. un »aach die tür auf/ 6. »also nach de strafi/.. 7. { [ a c , s t a c ] sie können heut *nicht rein/ 8. heut ist ge*schlossene gesellschaft}/... 9. un na ha««:isch gsacht ja *was für e *gschlossini gsellschaftd 10. *aja also d- das äh .. da is interne geburtstach und ah:: .. 11. also sie können nicht rein, 12. { [ac] sie können am *mittwoch kommen aber *heute nicht/ } 13. net., in dena ton .. nit/ 14. { [ac] sie können äh am mittwoch kommen aber heute nicht/ }.. 15. äh un «dann . . un na *han:isch:sad ja ver «er (leid-) 16. «er is:n do de ... nit .. «er *aachd:n do de 17. «( ) ob:s schdind odder nit/« .. 18. A: >«er hod:η dezu oigelade odder sovas·.. 19. ZI: { [stac] ah die *deutschamerikaner ... un na *ha««:isch gsad »so 20. .. un .. un «ie isch donn «eider/ 21. no aacht se die düer zu un sescht/{ [ac, stac] ah «ardde se aal} .. »uff de Straß/ 22. an anschdändischa aensch hedd gsacht 23. KR: -( )» 24. ME: -( )ja» 25. BA: »gehe se roi» 26. ZI: do:s e vorraua/ gehe se aol do roi/ setze sisch do hie [Zustiaaendes Geaurael] 27. ZI: wie sisch des geherd «( ) er nit .. odda de vorraua» .. m 28. KR: es hat ja en schönen vorraum= 29. BA: ja genau [Beifälliges Geaurael]

Das Beispiel wurde im Detail von Kallmeyer und Keim analysiert, die nachweisen, daß die Variation hier sogar noch abgestufter ist als in Beispiel 2.

Sprachliche

637

Variabilität

Trotz der inhaltlichen Unterschiede sind die Beispiele 1 und 4 persönliche Erzählungen über Konfrontationen zwischen Klienten und Dienstleistungspersonal auf öffentlichen Schauplätzen und ähneln sich daher im Typ. In beiden Fällen - ebenso wie in den beiden anderen Beispielen - werden die Kontextualisierungskonventionen zu vergleichbaren kommunikativen Zielen verwendet, und zwar zur Rahmung der Interaktion im Sinne Goffmans, zur Erfüllung grundlegender narrativer Funktionen und zugleich zur Manifestation von „symbolischen Informationen", wie Kallmeyer und Keim sagen. Betrachten wir den folgenden Ausschnitt. 5. im na »kvmat die *fraa Η raus, . . . un *«ach die 6. «also nach de Straß/ . . 7 . { [ a c , s t a c ] sie können heute *nicht 8 . heut tit ge*schlossenjnt}/...

tür auf/

rein/

Der Wechsel vom Dialekt zum Standard an dieser Stelle ist ein Kontextualisierungshinweis, der den Eollenwechsel anzeigt vom Erzählen, in dem der Erzähler oder Animator zugleich der Urheber ist, zur Redewiedergabe, in der der Erzähler nur die Worte von jemandem anders wiedergibt. In der folgenden Sequenz beginnt die Sprecherin in einer unmarkierten dialektalen Lage wie in der übrigen Erzählung, wechselt dann zum Standard bei einer direkten Redewiedergabe und kehrt im letzten Außerungsteil wieder zu einer ihrer erzählerischen Normallage entsprechenden Lage zurück beim Kommentar zur zitierten Äußerung ihrer Gegnerin. In der nächsten Zeile kehrt sie zur anfanglichen dialektalen Lage zurück. 21. no sacht se die düer zu un sescht/ { [ac, stac] ah wardde se rani}.. »uff de straf)/ 22. an anschtändischa aensch hedd gsacht 26. do:s e vorrau·/ gehe se aol do r o i / setze sisch do hie Aber die Wahl der Variablen leistet mehr als die Strukturierung der Erzählung. Sie dient auch zur Lokalisierung der auftretenden Personen in der sozialen Welt der Erzählerin und ihres Publikums. In diesem Sinn vermittelt sie symbolische Information. Normalerweise werden zwar derartige symbolische Eigenschaften dem Bereich des Ausdrucks von Gefühlen oder Einstellungen zugeordnet und nicht der Übermittlung referenzieller Information, aber ich möchte behaupten, daß sie rhetorisch eine Schlüsselrolle spielen durch ihren Beitrag zur Wirkung der Erzählung. Im vorliegenden Fall löst z.B. die Darstellung der Erzählerin eine Reihe von interessierten und bestätigenden Kommentaren der Zuhörerinnen aus. DEIS läßt sich damit erklären, daß der Gebrauch von Kontextualisierungshinweisen einen Prozeß konversationeller Schlußfolgerungen in Gang setzt, der in metaphorischer Weise spezifische Redeweisen mit typisierten Vorstellungen von Individuen, die so sprechen, und den Situationen, in denen sie so sprechen, verbindet. Betrachten wir, wie die Leiterin der Tagesstätte durch die Redewiedergabe in Zeile 7 und 8 und Zeile 10, 11, und 12 dargestellt wird. Man

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Gumpen

kann davon ausgehen, daß die die Redeweise hier bei der Erzählerin und ihren Zuhörerinnen ein Stereotyp von bürokratisch anmaßendem Verhalten wachruft, dem sie bei ihren Kontakten mit lokalen Institutionenvertretern begegnen und über das sie früher schon viel gesprochen haben. Nach meiner Auffassung weist hier nichts darauf hin, daß die Leiterin tatsächlich so gesprochen hat, sondern die Art der Redewiedergabe durch die Erzählerin verdeutlicht, daß die metaphorische Andeutung Absicht ist, d.h., daß die Erzählerin sich auf die Fähigkeit der Zuhörerinnen zum Zugriff auf die relevanten Assoziationen verläßt, um nicht nur ihre Erzählung zu bereichern, sondern ihre eigenen Anschauungen und Werte zu vermitteln. Man beachte, daß auf Zeile 12 in Zeile 13 der Kommentar in dem ton .. nit/ folgt, der die Bedeutung anzeigt, die die Erzählerin - wie die meisten Leute - dem „Ton" zuschreibt. Mit diesem Phänomen sind wir alle aufgrund eigener Erfahrung vertraut, wenn uns gesagt wird „Sprich nicht in diesem Ton mit mir". Die Erzählerin in Beispiel 4 verwendet Code-switching im wesentlichen zum selben Zweck wie ihr amerikanisches Gegenstück im ersten Beispiel die Prosodie und paralinguistische Zeichen. In beiden Fällen tragen diese Ausdrucksmittel sowohl zur Organisation der Erzählung als auch zur sozialen Typisierung bei; darin besteht ihre rhetorische Wirksamkeit. Der Unterschied der Beispiele 2 und 4 liegt darin, daß im Beispiel 4 Sprachvariation ein integraler Bestandteil der Kontextualisierungskonventionen und damit der rhetorischen Mittel ist, welche die Gesellschaftsmitglieder zur Aufnahme und Aufrechterhaltung der kooperativen Beziehungen anwenden, auf die sie in ihrer alltäglichen Lebensführung angewiesen sind. Diese Besonderheit ist allerdings von Bedeutung, weil zwar die Kenntnis des gesamten Spektrums prosodischer und paralinguistischer Schlüssel regional übereinstimmt, aber die Kenntnis der Variationsprinzipien für den Ausdruck metaphorischer Informationen nur in den relevanten Netzwerken von Sozialbeziehungen erworben werden kann. Man beachte, daß die Sprecher in den Beispielen 2, 3 und 4 auf phonetischer und lexikalischer Ebene erheblich variieren, daß sich aber ihre Äußerungen übereinstimmend durch den geschickten strategisch-kommunikativen Einsatz der Kontraste zwischen mehr oder weniger dialektalen und mehr oder weniger standardsprachlichen Formen in Verbindung mit anderen lexikalischen und prosodischen Schlüsseln auszeichnen. Ihre Sprachverwendung ist insofern sowohl netzwerkspezifisch als auch Anzeichen für gemeinsames lokales Hintergrundwissen. In diesem Sinne dient der Dialekt als Symbol sozialer Identität. Entscheidend ist in einem lokalen Kontext jedoch nicht die abstrakte Kenntnis einer gruppenspezifischen Variablenmenge, sondern die Fähigkeit, die Variablen entsprechend den lokal geltenden Kriterien für rhetorische Wirksamkeit einzusetzen. Man könnte sagen, daß lokale Bewohner Identitätssymbole nutzen, um kommunikative und rhetorische Ziele zu erreichen, und wie das Spektrum der Beispiele in diesem Band zeigt, ist die Fähigkeit dazu entscheidend für die alltägliche Lebensführung.

Sprachliche

7.

Variabilität

Transkriptionszeichen

Symbol

Bedeutung Pause von 5 Sekunden oder weniger Pause von mehr als 5 Sekunden

Gemessene Pause, η = Anzahl der Sekunden

/

Fallende Intonation am Syntagmaende

//

Fallende Intonation am Satzende

*

normale Betonung

»»

auffallende Betonung

text

Kursiv = Standarddeutsch

text

Recte = Dialekt

# text

Englische Übersetzung

text-

Wortabbruch

{ [f] text }

laut

{ [ac] text}

schneller

{[stac]}

stakkato

(text)

Zusätzlicher, erklärender Text

[wort]

Kommentare

=text=

schnell angeschlossener Redebeitrag

===Text

Überlappung mit in gleicher Weise markiertem Redebeitrag

Im Text wird Kleinschreibung verwendet außer bei Eigennamen.

11.

Erläuterungen zur Transkriptionsweise

1.

Allgemeine Transkriptionszeichen

641

2.

Transliteration des M a n n h e i m e r Dialekts

642

3.

Phonetische Umschrift

643

4.

Transkription prosodischer P h ä n o m e n e (Feinanalyse)

643

Erläuterungen zur 1.

Transkriptionsweise

641

Allgemeine Transkriptionszeichen

*

kurze Pause

**

längere Pause

«3,5»

längere Pause mit Angabe der Dauer in Sekunden

=

Verschleifung zwischen Wörtern bei Tilgung eines oder mehrerer Laute, z.B. sa=mer für sag mir

/

Wort- und Konstruktionsabbruch

(...)

unverständliche Sequenz

(ja)

vermuteter Wortlaut

(gelebt?gelegt)

alternative vermutete Lautungen

aber j a nein nie

simultan gesprochene Sequenzen sind unterstrichen

jat

Intonation steigend

ja-

Intonation schwebend

jaj

Intonation fallend

ja"

auffällige Betonung

ja:

auffällige Dehnung

ja::

sehr lange Dehnung

ja

leiser im Vergleich zur direkt vorhergehenden Äußerung desselben Sprechers

«—manchmal

langsamer im Vergleich zur direkt vorhergehenden Äußerung desselben Sprechers

—•manchmal

schneller im Vergleich zur direkt vorhergehenden Äußerung desselben Sprechers

HEUTE

Kommentar in Großbuchstaben in der Kommentarzeile; Kommentarzeile ist dem Sprecher zugeordnet

#

Extention des Kommentars in Text- und Kommentarzeile

#

[ ... ]

Auslassung bei Zitaten aus Transkripten

642 2.

Erläuterungen

zur

Transkriptionsweise

T r a n s l i t e r a t i o n des M a n n h e i m e r D i a l e k t s

Lautung, die weitgehend der Standardlautung entspricht, wird nach den geltenden Orthographieregeln wiedergegeben. Dialektale Lautung wird graphematisch transliteriert. Im besonderen gilt: (1) Die für den Mannheimer Dialekt allgemein geltende Nasalierung von Vokar len vor Nasalen wird nur in starker Ausprägung markiert. Starke Nasalierung, in der Regel verbunden mit Nasaltilgung, Verdunkelung und Längung des Vokals, wird durch eine Tilde über dem Vokal angezeigt; z.B. std. /anziehen/ erscheint dial, realisiert als äziehe bzw. öziehe. (2) Dialektale Vokaldehnung, ob als Ergebnis des Monophthongierungs- oder des Konsonantentilgungsprozesses (Anmerkung: In Konsonantengruppen vor allem Tilgung von /r/ in der Verbindung /rt/), wird durch Vokaldoppelung transliteriert. So kann std. /gesagt/ dial, als [gsa:d] realisiert sein, das dann als gsaad transliteriert wird; ebenso wird std. /laufen/, dial, als [la:fa] realisiert, durch laafe transliteriert. Unter dem Einfluß von Schnellsprechregeln bzw. besonderen Akzentuierungsregeln kann auch ein Kurzvokal auftreten, so daß z.B. std. /auch/ neben dial, aach bzw. aa auch als α, std. /gesagt/ neben dial, gsaad auch als gsad transliteriert erscheint. Std. /garten/ wird bei dial. Vokaldehnung und /r/-Tilgung als gaade transliteriert. (3) Dialektale Entrundung des std. [y:] zu [i:] wird durch /ie/ transliteriert, z.B. std. /spülen/ als dial, schbiele. (4) Dialektale Vokalkürzung wird durch Doppelung der Folgekonsonanten markiert; z.B. std. /geredet/, dial. [gaRed] wird als geredd transliteriert. Wird zusammen mit Vokalkürzung vor Konsonantengruppen der dem Vokal direkt folgende Konsonant nur sehr schwach realisiert (vor allem /r/ in der Kombination /rt/), wird der nächste Konsonant gedoppelt. So erscheint std. /garten/ dial, als gardde bzw. gadde transliteriert, ebenso wie std. /warten/ als wardde bzw. wadde. (Neben gadde und wadde gibt es auch die oben unter 2. dargestellte Variante gaade und waade). Die dial. Vokalkürzung vor /ch/ und /sch/ wie z.B. in [K^u^a] (std. /kuchen/) wird nicht durch Doppelung der Reibelaute, sondern durch eine Anmerkung in der Kommentarzeile markiert. (5) Die allgemeine sprechsprachliche Tendenz zur Lenisierung von Fortes wird bei starker Lenisierung als Merkmal des Mannheimer Dialekts auch graphemisch wiedergegeben. So erscheint std. /steht/ bei standardnaher Artikulation transliteriert als steht und bei dialektaler Artikulation als schdehd/t, ebenso std. /spielt/ als schbielt/d, std. /leute/ als leid. (6) Wenn palatale Reibelaute [ς] als präpalatale Reibelaute [ j ] , [J*] ausgesprochen werden, werden sie als sch transliteriert, also std. /ich/ als isch, ebenso wie std. /höflich/ als höflisch.

Erläuterungen zur

Transkriptionsweise

643

(7) Für die Wiedergabe von dialektalen Verschleifungen gelten folgende Regeln: - Das Personalpronomen 3. Pers. Sg. mask, / e r / wird nach dentalen Lauten meist als α t r a n s f e r i e r t und durch Verschleifungszeichen an den Dental angebunden, z.B. seschd=a, hod=a. - Der definite Artikel in der Funktion des Demonstrativpronomens / d e r / , / d i e / und / d a s / wird vor dentalen Lauten an das vorherige Lexem angebunden bei Verschleifung des vorangehenden Dentals, z.B. ho=der, ho=die. Wird der Vokal in hot/d kurz ausgesprochen, wird hod der, hod die t r a n s f e r i e r t . 3.

Phonetische Umschrift

Die phonetische Umschrift erfolgt nach API. Dabei werden folgende Sonderzeichen verwendet: d : stimmloses / d / t: stimmhaftes / t / V

t: d: ä: a: 4.

Lenisierung des / t / Fortisierung des / d / Nasalisierung des / a / Verdunkelung des / a / Transkription prosodischer P h ä n o m e n e (Feinanalyse)

(1) Der Tonhöhenverlauf wird auf vier Tonhöhenniveaus oberhalb der Textzeile durch einzelne P u n k t e pro Silbe markiert. Extreme Höhen werte können über die vier Niveaus hinaus angehoben werden. Große Tonhöhenwechsel innerhalb einer Silbe, wie sie vor allem bei Ubertreibungen auftreten, werden mit 2-3 Punkten auf derselben Silbe enger geschrieben markiert und durch Strich verbunden. Kleinere steigende bzw. fallende Tonbewegungen vor dem akzentuierten Ton werden durch aufwärts bzw. abwärts weisende Pfeile t J. links vor dem akzentuierten Ton markiert; steigende bzw. fallende Tonbewegungen nach dem akzentuierten Ton durch entsprechende Pfeile | J. rechts nach dem akzentuierten Ton. Die Tonhöhensprünge sind jeweils festgelegt in Relation zur Tonhöhenbewegung der gesamten Außerungseinheit. (2) Akzente über die in der normalen Transkription enthaltenen expressiven Akzente hinaus werden unter den Silben der Textzeile notiert. Wir unterscheiden drei Typen: . unbetont - Nebenakzent = Hauptakzent

644

Erläuterungen

zur

Transkriptionsweise

Die Akzentstärke ist in Relation zur jeweils betrachteten Analyseeinheit bestimmt. (3) Der Rhythmus wird nach (Haupt- bzw. Nebenakzent) betonten und unbetonten Silben in Takten notiert. Ein Takt, markiert durch Taktstrich, beginnt mit einer betonten Silbe und umfaßt alle unbetonten bis zur nächsten betonten Silbe. (4) Mikropausen werden durch Punkt (.) in der Textzeile markiert.

12.

LITERATUR

Altmann, Hans (1981): Formen der Herausstellung im Deutschen. Rechtsversetzung, Linksversetzung und verwandte Konstruktionen. Tübingen. Ammon, Ulrich (1973): Dialekt und Einheitssprache in ihrer sozialen Verflechtung. Eine empirische Untersuchung zu einem vernachlässigten Aspekt von Sprache und sozialer Ungleichheit. Weinheim/Basel. (Pragmalinguistik 2). Ammon, Ulrich/Dittmar, N o r b e r t / M a t t h e i e r , Klaus J. (Hg.) (1987/1988): Sociolinguistics. Soziolinguistik. An International Handbook of the Science of Language and Society. Ein internationales Handbuch zur Wissenschaft von Sprache und Gesellschaft. Berlin. Erster Halbband 1987, zweiter Halbband 1988. Antos, Gerd (1982): Grundlagen einer Theorie des Formulierens. Textherstellung in geschriebener und gesprochener Sprache. Tübingen. (Reihe germanistische Linguistik 39). Atkinson, Max (1984): Our master's voices. London. Aubin, Hermann/Frings, Theodor/Müller, Josef (1926/1966): Kulturströmungen und Kulturprovinzen in den Rheinlanden. Bonn 1926. Neuauflage Bonn 1966. Auer, Peter (1983): Zweisprachige Konversationen. Konstanz. (Papiere des S F B 99, Nr. 74). Auer, Peter (1984): On the meaning of conversational code-switching. In: A u e r / d i Lucio (eds.) (1984), S. 87-108. Auer, Peter (1986a): Kontextualisierung. In: Studium Linguistik 19, S. 22-47. Auer, Peter (1986b): Konversationelle Standard/Dialekt-Kontinua (Code-Shifting). In: Deutsche Sprache 14, S. 97-124. Auer, Peter (1988): A case of convergence and its interpretation: MHG i and ΰ in the city dialect of Constance. In: Auer/di Luzio (eds.) (1988), S. 43-75. Auer, P e t e r / d i Luzio, Aldo (eds.) (1984): Interpretive sociolinguistics. Migrants children - migrant children. Tübingen. Auer, P e t e r / d i Luzio, Aldo (1988): Diskurssemantische Eigenschaften der Sprache italienischer Migrantenkinder. In: Stechow, Armin von/Schepping, MarieTherese (Hg.) (1988): Fortschritte in der Semantik. Ergebnisse aus dem SFB 99 „Grammatik und sprachliche Prozesse" der Universität Konstanz. Weinheim. S. 159-199. Auer, P e t e r / d i Luzio, Aldo (eds.) (1988): Variation and convergence. Studies in Social Dialectology. Berlin. (Sociolinguistics and Language Contact 4).

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13.

Begriffsregister

Abgrenzung, soziale 4f., 254, 292, 296, 301-208, 428f., 462, 473, 475, 486-500, 507, 513

Bedeutung, soziale 3, 13, 16f., 25, 28, 420f., 487, 488, 495f., 512, 554, 56lf. Belegerzählung —»Erzählen Beleidigung 501f., 553-557, 566

Ablaufstruktur (Ablaufmuster) 69, 80, 104, 480-487, 518f., 623 vgl. Sequenzform

Bericht 497-499, 512

account —»Erklärung, praktische

Beschreibung, praktische —»Erklärung, praktische

Akzent —»Prosodie Beteiligungsweise —»Interaktion Angriff, spielerischer —»Kommunikationsform —»Modalität Ankündigung —»Erzählen Antithese 295, 378 Argumentieren 259, 270, 288, 295, 484f., 531f. Artikulation 184, 228, 362, 484, 493, 506f., 554, 561, 564 vgl. Symbolisierungsverfahren, Sprechweise Aufforderung 496-500, 502, 557 Aufmerksamkeit (Aufmerksamkeitsappell, -Sicherung, -Steuerung) 80, 161, 40lf., 591, 605, 627, 630 Aushandlung 98, 123, 325, 596 Ausgleichsprache 9 Aussparung Formulierungsverfahren, Kondensierung

Bewertung 3, 28, 180, 201, 204, 211f. 226, 229, 166, 271, 287f., 292, 295, 399, 499, 542 Beziehung, soziale 23f., 66,122,261,294,361, 596, 607, 617ff., 62lf., 624ff., 631, 633, 638 Charakterisierungsformel —»Formel Code-switching 10, 25f., 28, 142, 145, 155, 165, 430, 483f., 582, 623, 625, 631, 637f. vgl. Sprach variation Detaillierung —»Formulierungsverfahren Devianz, soziale 95f., 99, 103,110,115, 117, 124-127, 230, 327, 335, 371 vgl. Normalformabweichung Dialekt —»Sprachvariation Dialektologie 6, 19, 614f., 617, 620, 626 Sozialdialektologie 13

684

Begriffsregister

Direktheit 78, 498f., 506, 514, 540, 562 vgl. Indiiektheit Diskurswelt 260

Distanz, soziale 54, 65f., 77, 122, 127, 142, 167, 175, 194, 197, 219, 232, 236, 259, 304, 306, 406f., 427, 458, 503f., 625 Divergenz, sprachliche 236 vgl. Konvergenz Drastik 486, 492f., 502, 506f., 527, 536, 540, 555f., 562 Einheit, soziale 6, 24f., 29f., 87, 262 Enaktieren —»Symbolisierungsverfahren Entindexikalisierung —•Formulierungsverfahren Ereignis, soziales (kommunikatives) 40f., 48f., 66, 253, 476 Ereignisformen —•Kommunikationsformen Erklärung, praktische 47f., 54, 56, 61, 71, 84,115,123,126, 196, 303, 306 Ernst —»Modalität Erzählen 27, 37, 67, 142, 164, 204, 263, 267, 284f., 319, 402f., 512-516, 580, 587597, 627-630, 635, 637 Belegerzählung 399, 533 Erzählankündigung, -einleitung 160,182, 211,399,400,402,403,

539, 556, 591, Erzählauflösung, -beendigung 114 Erzählfunktionen 390, 402, 512, 548 Erzählthemen 343, 512ff., 543, 553, 555 Evaluation 108, 110, 114, 212, 399, 514f., 518-527,539-543,546,548, 551f., 556f., 56Iff. Reprise 181, 223, 225, 548, 558, 565f. Ethnographie 10f., 13, 26fF., 31f., 34, 35, 40, 323f., 470-472, 502-505, 538, 617f., 620f. Ethnomethodologie 44, 45, 47, 123 Evaluation —»Erzählen Existenzform —+Sprachschicht Expansion —+Formulierungs verfahren Face (Gesicht, Image) 27, 64ff., 82, 479, 489, 513, 540, 561, 604, Faktizität —»Modalität Fokussierung (Aufmerksamkeitssteuerung) 76, 84, 86, 97, 101, 110, 112, 121, 124, 162f., 165, 192, 201, 304, 346, 350, 352 Forcieren 61f., 78f., 82, 122 Formalität —»Modalität Formel 29, 88, 111, 256f., 267, 272, 276,

Begriffsregister 284, 294f., 301, 305f., 320, 353f., 367, 379, 320, 353f., 367, 379, 533f., 55lf., 562, 631, Charakterisierungsformel 89, 96,110,252f., 261-271, 272f., 274f., 280, 284f., 286, 289f., 299, 301, 309, 369, 399, 420f., 486, 472-475, 506f. Formelbildung 257, 261, 267, 269, 295, 306, 364 Gemeinplatz 257, 259 Maxime 255, 309, 3 6 0 , 4 0 3 , 4 1 9 , 4 2 7 , 4 7 4 , 534, 551 Phraseologismus 29, 25lf., 256, 258, 259f. Phraseoschablone 257f. Sentenz 251, 255, 288, 363, 565 Sprechen, formelhaftes 42, 229, 255f., 258f., 264, 273, 280, 293, 299, 301-208, 399, 452454, 482, 536, 546, 615, Sprechen, kollektives formelhaftes 265, 269, 271, 274, 282, 287f. Sprichwort 251, 255, 257, 259, 556 Spruch 254f., 301-208, 309 Stereotyp 20, 28f., 96, 167, 229, 235f., 253f., 256, 259, 266, 268, 271, 284f., 286, 288, 293f., 296, 353, 356, 358, 363, 365, 370, 428, 638 Formulierungsmuster, gemeinsam produziertes —»-Sequenzform Formulierungsverfahren 227, 258, 261, 271, 286, 295, 319, 347, 371

685 Detaillierung 264, 282, 288, 529, 546, 549, 564 Entindexikalisierung 267, 348, 362 Expansion 191f., 262, 270, 273f., 280f., 290, 399, 405, 407, 418, 419 Generalisierung 181, 253, 268, 338f., 342, 348, 352, 360, 362, 373, 420f., 423f., 426, 530, 536, 548 empirische Generalisierung 268, 281, 284 apodiktische Generalisierung 268, 282, 288

Allsatz 268 Gestaltschließung 262f. Indexikalisierung 267f., 271, 281f., 338 Kondensierung 203, 262f., 267, 271f., 273f., 278, 280, 289f., 37lf., 373, 396 Geschichtenkondensat 263f., 27lf., 281, 286, 289, 376, 494 Aussparung, syntaktische, semantische 290, 371f., 373, 375f. Konkretisierung 103, 282, 348, 375, 490 Kontrastierung 227,348,350, 378,453,460,498500, 522, 525, 529, 542, 548, 562 Konturierung 103, 263, 289, 348, 415, 419 Korrektur (Reparatur) 97, 98, 581, 633 Metaphorisierung 268f., 486, 536

686

Begriffaregister

Parallelismus 227, 280f., 282, 344, 378 Reformulierung 6If., 163f., 165, 191, 197, 211, 227,253,262,267,270,280, 287, 350, 557 Relevantsetzung 63, 261, 348, 401, 518, 528f. Zuspitzung 114, 26If., 268, 278, 298, 415 Fremddarstellung 5, 21, 24f., 196, 203, 253, 319, 326, 337f., 354, 362, 365, 378, 407, 426, 458, 460 vgl. Selbstdarstellung Frotzeln 15f., 95f., 477-487, 561f. vgl. Modalität Gefühlsausdruck 504, 515, 518, 526-530, 543, 546, 551, 554, 558 vgl. Sprechen, emotionales Geltung, soziale 64, 82, 123 Gemeinplatz —»Formel Gemeinschaft (Sprach-, Ortsgemeinschaft) 6, 9, 10, 13f., 17, 23f., 30, 145, 391, 392, 462, 614, 616, 621 Generalisierung —»Formulierungs verfahren

27, 29, 32, 40f., 44ff., 67, 144, 284, 295, 323, 325, 580, 586, 589 Gesprächskonstellation —»-Konstellation Gesprächsorganisation (Diskursorganisation) 52f., 57, 161f., 259, 276, 403, 485f., 587f. Gesprächssteuerung Gestaltschließung —• Formulierungsverfahren Gruppe 15, 28, 30f., 33, 36, 343, 41ff., 473476, 516f., 543, 552, 604, 607, 619, 623, 631, 633, Gruppensprache 14, 255, 473, 480, 487, 561, 563 Gruppenkonstitution 171f., 253, 299, 390, 391f. Hintergrund 81, 84, 96, 99, 102, 104, 110, 112, 116, 252, 279, 281, 286, 291f., 298f., 306, 320, 330, 349f., 396, 399, 400, 402, 515, 521, 629, 635, 638, Höflichkeit 27f., 65, 100, 195, 197, 341, 426, 497-500, 545, 557f., 561, 565f., 630, Identität, soziale 6, 20f., 24, 29, 31, 35, 56, 122, 166, 319, 325, 361, 419f., 434, 457, 475, 503f., 512f., 517, 530f., 538, 543, 551, 562ff., 621, 624, 633, 638

Geschichtenkondensat —»Formulierungsverfahren, Kondensierung

Image —»-Face

Gesicht —»-Face

Indexikalisierung —+ Formulierungsverfahren

Gesprächsanalyse (Konversationsanalyse)

Indirektheit 27, 503, 514, 537, 543, 555, 563

687

Begriffsregister

vgl. Direktheit Inferenz 166

Informalität —»-Modalität Inhaltsfigur —»Formel, Stereotyp Initiative, thematische —»Thematisierung Initiativkategorie —»Kategoriensystem Insistieren 91,98, lOOf., 104,108,111,123,124, 125, 288 Intensität —»Prosodie Interaktion Beteiligungsweise 392, 479, 490, 493, 496, 513ff., 518f., 527-531, 535ff., 543, 545, 550f., 556f., 559, 565 Interaktion, zentrierte (nicht zentrierte) 49, 55, 57, 66, 71, 75, 83, 85, 95, 122, 124, 127 Interaktionsformen —»Koramunikationsformen Interaktionsmodalität —»Modalität Interaktionsrahmen —»Rahmen, interaktiver Interjektion —»Symbolisierungsverfahren Intonation —»Prosodie Ironie —»Modalität Kategorie, soziale 6, 18, 23f., 28f., 42, 48, 62, 68, 74, 87, 114f., 203, 229f., 233, 236, 261, 268, 274, 276, 282, 288, 319f., 325f.,

332f., 334f., 340f., 349, 352f., 355, 360, 362, 365, 371, 374, 376, 379, 541, 544, 550f., 557f., 617, 620f., Kategorienbezeichnung 29, 94ff., 103, 110,118, 233, 324, 337, 352, 354, 356, 365f., 379, 423-425, 475, 485, 491f., 550, 559 kategoriengebundene Aktivitäten/ Eigenschaften 88,103,111,261,282,319,325f., 334,352, 356,358,360, 362, 366, 372, 475, 379, 486, 541f., 542, 545, 548-552, 560 Kategorisierung, soziale —»Symbolisierungsverfahren Kategoriensystem 29f., 122, 203, 327, 336f., 354, 361, 364f., 373, 377f. Initiativkategorie 327, 337, 354, 362, 364, 377 Reaktivkategorie 327, 332, 337, 354, 362, 364f., 377 Klatsch —»Tratsch Komik 38, 299, 308, 486, 592f., 603, 608 Kommentar 143, 160f., 166, 180, 184, 188, 192f, 197, 20lf., 210f., 216, 226, 228, 231, 233, 264-266, 273, 280f., 286f., 295, 298, 303, 341, 347, 349, 356, 426f., 495, 530, 596, Kommunikationsformen (-typen) 23f., 28, 30, 33f., 37f., 259, 271, 474 —»Argumentieren —»Berichten —»Erzählen —»Frotzeln

688

Begriffsregister

—»•Tratsch —•Witz

Konturierung —•Formulierungsverfahren

Kondensierung —•Formulierungsverfahren

Konvention 43, 621, 626, 631

Konflikt 23, 28, 33, 38, 123, 142, 177f., 180, 186, 187f., 201, 302f., 307, 331, 349, 354, 400f., 427, 486, 535, 546f., 551f., 564, 564, 607, 635, 637

Konvergenz, sprachliche 5f., 13, 15, 57, 214, 220, 222f., 233, 236, 456 vgl. Divergenz

Konfrontation —»-Konflikt

Konversationsanalyse —•Gesprächsanalyse

Konkretisierung —•Formulierungsverfahren

Kookkurrenz 164f., 227

Konkurrenz um das Rederecht —• Rederecht

Korrelationsansatz 617-621

Konsens 259, 513f., 529flF., 533f., 551, 609,

Laut, nicht-lexikalischer 540

Konstellation Gesprächskonstellation 55f., 77, 89, 122, 260, 294, 338, 345, 476 Gruppenkonstellation 5, 111, 115, 473f. soziale 2, 33, 304, 320, 325, 327, 339, 341, 366

Leitbild, soziales 43, 349-254, 360, 421

Kontextualisierung 6, 25f., 45, 166, 172, 174, 229, 255, 260, 304, 308, 321, 451, 481, 483, 515, 630f., 635, 637f.

Lexik 13, 143f., 146, 167, 194, 218, 221f., 255f., 319, 350, 355, 377, 452-455, 473, 497, 502, 503, 537f., 548, 561, 563 Markierung (Markierungsverfahren, mittel, -funktion) 153, 155f., 158, 161, 167, 187, 204, 208, 228, 235, 373, 409, 503 Maxime

Formel

Kontinuum, sprachliches 17, 235, 631

Mehrsprachigkeit 7, 10, 13f., 145

Kontrastierung —•Formulierungs verfahren

Metapher 256, 269, 281, 291, 486, 527, 534, 537, 539, 601, 603, 637,

Kontrolle, soziale 80, 83, 609 vgl. Situation, Situationskontrolle

Metaphorisierung —•Formulierungsverfahren

689

Begriffsregister

Modalität (Aussagemodalität, Interaktionsmodalität) 64, 73, 87, 126, 166, 251, 254, 259, 271, 274, 278, 281, 290, 307f., 322, 326f., 338, 348, 362, 364, 377, 579, 608 Ernst 95, 122, 251, 291, 356, 485 Faktizität 270f., 292, 296 Formalität 167, 623, 625, 632f. fraglose Sicherheit 88, 110, 269-271, 272f., 280f., 287f., 291f., 293, 295f., 301 322, 327, 348, 350, 353, 360f., 362f. Informalität 47, 54, 66, 79, 81, 122, 123, 167, 622f., 625, 632f. Ironie 355, 411, 412, 426f., 486, 503, 518, 522, 527, 532f., 563 Selbstsverständlichkeit —•fraglose Sicherheit Spiel, spielerischer Angriff, Scherz 74, 76, 79, 96,108,112,251, 254, 296, 296-201, 308, 362f., 416, 425, 474, 479, 484, 487, 518f., 53lf., 537, 56Iff., 597, 609f., 634f., Typizität 271, 376 Morphologie 143, 145f., 152, 255, 443-447 Netzwerk, soziales 33, 391, 429, 462,615, 621, 623-626, 631, 638 Neugier, soziale 122, 307

Norm, soziale 3, 9, 13,18, 22f., 43, 219, 231f., 299, 349, 355, 379, 504, 513, 555, 558, 564, 616, 619 Normendiskurs 350, 354, 356, 362, 395f., 402, 461, 514, 531-537 Normalform 319f., 327, 330f., 335, 340, 342, 356, 362f., 364f., 367f., 372f., 403, 405-407, 418f. Normeilformabweichung 230, 292, 327, 330, 333f., 341, 344, 364,f. 366f., 371, 376, 378, 419, 501f., 514, 542f., 547, 555, 560f., 564 vgl. Devianz

349, 374,

335, 375, 538,

Normallage, sprachliche (unmarkierte Sprachlage) 6, 26, 142f., 153, 157, 167-170, 184, 198, 225f., 227f., 233, 235, 301, 392, 435, 437, 440, 443, 446, 448, 450452, 474, 635, 637 Öffentlichkeit 51,64,107,123,344f., 353,356, 362, 434, 494f., 604 Organisation, soziale 22, 28, 36, 251, 328, 374f., 379, 392, 620 Orientierung, sprachliche 5,31,427, 429f., 474 Ortsgemeinschaft —»-Gemeinschaft Ortssprache 9, 11, 429f. Parallelismus —•Formulierungsverfahren Perspektive

690

Begriffsregister

3, 32, 34, 40, 57, 60, 74, 83f., 89, 94, 98, 104, 108, 110, 114, 123, 124, 125, 126, 127, 166f., 198, 216, 22lf., 223, 236, 319, 321f., 326, 338, 350, 355f., 357, 361f., 365, 369, 373, 378f., 406f., 428f., 461, 493f., 522, 554, 559, 566, 594, 601, 635 Phraseologismus —»Formel Präferenz 57, 69, 74, 79, 97, 284f., 288, 292, 296, 309 Präsenz, soziale (Präsenzformen) 24, 55, 61, 64, 66, 82ff., 98, 111, 123 Pragmatik 144, 210, 355 Prosodie 100, 143f., 164, 190, 194, 196, 199, 201, 208, 214, 216, 220, 232, 253, 257, 263, 265, 269, 280, 295, 301, 345, 348f., 350, 352, 360, 362f., 409, 458, 459, 512, 515, 520-526, 530f., 554, 564, 581, 626-631, 635, 638 vgl. Symbolisierungsverfahren, Sprechweise, vgl. Artikulation Akzent 104, 107, 156f., 158, 160, 163, 185f., 208f., 211, 220, 266, 272, 274, 347f., 350, 353, 360, 362f., 482f., 500, 554, 607, 627ff., Intensität, Lautstärke 163f., 263, 347f., 362f., 410-414, 460f., 545, 552f. 557, 629 Intonation 158, 160, 185, 198f., 209, 218, 220, 228, 263f., 266, 269, 272, 280, 286f., 299, 304, 321, 348, 360, 362, 482, 486f., 493, 497499, 522-526, 533, 545f., 552f., 607, 620-627

Rhythmus 157, 160, 185, 194, 198, 209, 218f., 228, 263, 266, 344, 357, 360, 363, 487, 497, 533 Stimmlage 107, 208, 214, 218, 344, 357, 412 Tempo 104, 160, 164, 185, 194, 108f., 214, 218, 222, 344, 347, 363, 404f., 545, 552f., 628f. Tonhöhe 194,208, 210, 220,222, 347, 353, 357, 363, 410-414, 460, 627-630 Quasizitat —»Redewiedergabe Rahmen interaktiver (Aktivitäts-) 54, 123, 479, 637 sozialer 21f., 49, 51 Randgruppe —»Devianz, soziale Reaktivkategorie —•Kategoriensystem Rechtfertigung —»Erklärung, praktische Reden über Dritte —»Tratsch Rederecht (Sprecherwechsel, Redeverteilung, Redeübernahme) 42, 44ff., 55, 58f., 60, 63, 161, 211, 294, 396, 402, 539, 587, 589, 627 Redewiedergabe 106f., 121, 142, 157, 192f., 194f., 196f., 208, 214, 216, 220, 222, 256, 264, 271f., 286, 344, 407-417, 449, 458f., 486f., 498-500, 545, 554, 561, 580-587, 629f., 637., Quasizitat 272,410-414,492-495, 506f., 552

691

Begriffsregister

Redeeinleitung 143, 160, 165, 260, 408f., 493, 546 Zitat 160f., 164, 166, 184, 192, 194, 197, 200, 209, 219, 272, 286, 304, 410-414, 512, 526, 532, 536, 539f., 546, 556, 563, 603f., 607 Reformulierung —•Formulierungsverfahren Regeln des Sprechens 27f., 40, 43f., 64, 72, 74, 78, 83f., 99, 121, 123, 126, 184, 195, 251, 253, 260, 305f., 307, 319, 344f., 356, 361, 378, 393f., 400, 402f., 537, 539, 552, 564, 603, 613, Regionalsprache 436, 451, 474 Register 226, 431, 436

41, 48f., 58, 64, 66, 303, 392f., 494f., 501, 637 Scherz —•Modalität Schimpfwort 552-558, 56Iff. Schlüsselsignal 628, 630 vgl. Kontextualisierung Schlüsselsituation 15, 32, 626 Schnellsprechregeln —»Sprechsprache Segregation, soziale 14f., 30, 560 Selbstdarstellung 3ff., 21, 24f., 40, 56, 74, 124, 196, 198, 203f., 253, 309, 319, 322, 326f., 337f., 344, 350, 356, 361f, 363, 365, 378, 407, 416f., 419f., 426f., 460, 533f. vgl. Fremddarstellung

Relevanz 181, 184, 274f., 281, 364f., 371, 375, 377, 500, 515, 528, 550f. Relevantsetzung —»· Formulierungsverfahren

Semantik, soziale (Soziosemantik) 229f., 364f., 366f., 369, 374f.

Repertoire 6, 125,169, 297, 306, 308, 322, 378f., 613, 622f.

Sequenzform 377f., 418f., 480, 515 vgl. Ablaufstruktur

Reprise —»-Erzählen Rhythmus —»Prosodie Rolle, soziale 6, 23, 41, 43f., 51, 54, 111, 122f., 125, 294, 319, 322, 325, 327, 330, 335, 339, 352, 354f., 361f., 367f., 373, 379, 517, 519, 528, 531-537, 545, 550, 603f., 637 Schauplatz

Sentenz —»Formel

Sequenzform formelhaften Sprechens 262, 265, 269f., 274, 278, 282, 287, 290f., 295f., 297f., 308, 415 Formulierungsmuster, gemeinsam produziertes 288, 295, 418f., 535, 543 Sprechen in Runden 275, 480 Sprechen im Chor 278, 287, 295, 301

692

Begriffsregister

Sicherheit, fraglose —»Modalität Signalwert, dialektaler 146, 152f., 154, 486, 492, 506, 547, 561 Situation, soziale 28, 33, 40, 48, 71, 261, 297, 302f., 305, 323, 325f, 339f., 341f., 345f., 347, 349, 358, 604, 607, 613, 616, 622f., 637 Situationskontrolle 123, 77 vgl. Kontrolle, soziale

Dialekt 2 , 3 , 6 , 8 , 11, 13, 17, 19, 34, 146, 186, 216, 220f., 222f., 233, 235, 304f., 429f., 474, 501, 533, 545ff., 548, 550, 556, 560, 563, 603, 614f., 618f., 622f., 626, 631ff., 632, Standard 2, 3, 11, 13, 17, 19, 34, 104, 146, 155, 163f., 184f., 186, 190, 194, 207f., 218, 224, 226, 231f., 235, 281, 304f., 413f., 431-434, 483, 501,546f., 550, 563,622f., 631ff., 637

Situationsvorbereitung 192, 204f., 211, 228

Sprachwandel 615ff., 620, 625

Sozialdialektologie —» Dialektologie 144

Sprechen, emotionales 270, 358 vgl. Gefühlsausdruck

Soziolinguistik 6-10, 21, 27, 144f., 254, 259, 612f., 617, 623

Sprechen, formelhaftes —»Formel —»Symbolisierungsverfahren

Spiel (Scherz) —»Modalität Sprachausgleich —»Ausgleichssprache

Sprechen im Chor —»Sequenzform Sprechen in Runden —»Sequenzform Sprecherwechsel —»Rederecht

Sprachbewußtsein 3, 431-434, 473 Sprachgemeinschaft —»Gemeinschaft Sprachschicht 16f., 167 Sprachvariation 6, 9, 12, 16, 21, 25, 28ff., 142f., 144, 146, 154, 157, 161, 166, 169, 184, 208, 227, 229, 409, 436, 449-451, 533, 545, 547, 552, 560, 563f., 612f., 631, 637, sozialsymbolisierend —»Symbolisierungsverfahren

Sprechsprache (Schnellsprechregeln) 158, 404 Sprechweise —»Symbolisierungsverfahren Sprichwort —»Formel Spruch —»Formel Stadtsprache (städtische Umgangsprache, Stadtdialekt) 7f., 11, 16, 563, 635 Standardsprache —»Sprachvariation Status, sozialer —»Kategorie, soziale

693

Begriffsregister

Stereotyp —• Formel Stil, sozialer 2Off., 24, 3Of., 33, 121,125, 127, 178, 235f., 259, 294, 299, 307f., 502-505, 553, 557, 565 Stimmlage —»Prosodie Strategie (kommunikatives Verfahren, rhetorisches Verfahren) 43, 66, 74, 79, 83, 101,121, 123,124, 624fF., 629, 633, 638 Subkultur —»Welt, soziale 14f. Symbolisierung, soziale 25, 31, 35, 38, 162f., 165f., 169, 199, 204, 228, 251, 278, 453-455, 638 Symbolisierungsverfahren für soziale Identität 26, 43, 301, 308, 511f., 552, 562f., 566 Enaktieren 334, 356, 363, 379 vgl. Sequenzform Interjektion 41 lf., 417f., 458, 482, 493f., 506 Kategorisierung, soziale 167, 180, 203f., 226, 229-235, 274, 282, 292, 296, 321f., 327, 330, 337, 339, 342, 347, 350, 353, 361, 363, 379, 421-426, 481, 492f., 500, 501, 512, 544, 548, 554, 557, 558f. Laut, nicht-lexikalischer 48lf., 488-491 Sprachvariation, sozialsymbolisierende 3, 28,42, 95,105,143,162,165f., 169,189f., 192f., 194,196f., 199f., 219, 22lf., 233f., 228f., 231, 281, 301, 304, 419, 432f., 443, 450,

451, 456, 460, 488, 501f., 545f., 558-560, 638 Sprechen, formelhaftes 203, 251, 286f., 295, 301, 308, 347, 352, 364, 399,452-454,492494, 500, 506, 512 Sprechweise (Ton) 166f., 169, 187, 219, 226, 253, 257, 263, 270f., 287, 304, 306f., 344, 346f., 349f., 353, 357, 379, 410f., 417f., 458f., 482-484, 486, 498-500, 501f., 506, 515, 539, 563, 606, 630, 638 vgl. Prosodie, vgl. Artikulation Synekdoche 375f. Syntax 216, 255, 257, 263, 280, 473, 512, 529f., 534f., 536f., 543, 556 Szene 48f., 51, 56, 66, 84, 188, 214, 228, 263f., 267, 281, 284, 295, 298, 370, 376, 393, 539, 565 Tabu —»Thema Tempo —»Prosodie Thema 53, 280f., 339, 394f. Tabuthema 562, 597, 601, 603 Thematisierung 37, 76f., 105, 108, 114, 116, 125, 174, 263f., 265, 273f., 288, 290, 295, 299, 302, 320, 326, 345f., 364f., 371, 377, 515, 564 Bogen der Th. 67, 92, 111, 180, 228, 267, 274, 292f., 479 Geschichte der Th. 228, 258f., 308

694

Begriffsregister

gemeinsame Th. 294, 395f., 402 Regeln der Th. 27f., 63, 69, 251, 274, 305, 322, 364f., 371, 377 thematisches Potential 37, 42, 66, 69, 73, 75, 87, 111, 115, 121, 124, 253, 273f., 278, 365, 603 thematische Progression 288, 295 thematische Steuerung 123 Themeneinführung (-etablierung) 52, 82, 85ff., 119, 266, 273, 275f., 338f., 474, 482 Themenwechsel 56, 82, 92, 117, 124, 273, 358 Ton —•Symbolisierungsverfahren, Sprechweise Tonhöhe —»Prosodie Tratsch 23, 73f., 122, 253, 260, 263, 271, 274, 286, 292, 297, 299, 308, 319, 361, 418, 461, 513, 517-531, 543551, 555-562, 604, 618 vgl. Modalität, Spiel formelhafter Tratsch 298, 361

Umgangssprache 8f., 12, 19, 146, 167, 449, 633 Variable, sprachliche 145-154,155f., 613f., 616ff., 620,637 Variation —•Sprachvariation Verdeutlichen, pragmatisches —>Enaktieren Verfahren, kommunikatives (rhetorisches) —»-Strategie Verhalten, abweichendes —+Devianz, soziale Verlaufstruktur —• Ablaufstruktur Verstehen, Verstehensproblem 275, 277f., 396 Vorwissen —•Wissen Welt, soziale 2, 22f., 25, 29ff., 33, 35, 42, 51, 69, 92,166, 168,171, 177, 219, 223, 233, 252, 276, 297, 299, 301, 304, 306, 308, 319, 321, 367, 369, 373, 495, 503-505, 507, 543, 550, 552, 560564, 637 Subkultur 14f. Welt, lokale 82, 123, 125, 127, 172, 278, 631

Typisierung 29f., 42,112,120,121, 266, 271, 296, 305, 308, 321, 326, 361, 420, 550, 638, einfache 292, 408f. komplexe 110, 262, 282, 292f., 364, 411f., 413

Witz 27,38, 254,272,299, 308, 512f., 548, 562,580,584,587-598,601,603,608

Typizität —»Modalität

Zentrierung —»Interaktion

Wissen (Wissenshintergrund) 16, 25, 72, 76f., 83, 86, 87, 92, 94, 122, 124, 126, 166, 251f., 253, 259f., 271, 277, 298f., 308, 321f., 324, 514, 617

Begriffsregister

Zitat —•Redewiedergabe Zugänglichkeit, kommunikative 55f., 81, 99, 122, 124 Zugehörigkeit, soziale 2f., 5, 24, 35, 42, 124, 301 Zusammenhalt, sozialer 23, 31, 55, 66, 74, 83, 127 Zuspitzung —•Formulierungsverfahren Zuständigkeit 59

14.

Anhang

Anhang

Karte Nr.2: Die Lage der untersuchten Stadtgebiete

697

Walter de Gruyter Berlin · New York SCHRIFTEN DES INSTITUTS FÜR DEUTSCHE SPRACHE Band 1

Verben in Feldern Valenzwörterbuch zur Syntax und Semantik deutscher Verben Herausgegeben

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Quart. XIV, 882 Seiten. 1986. Gebunden ISBN 3 1 1 0 1 0 7 8 2 1

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Wortbedeutungen und ihre Darstellung im Wörterbuch Groß-Oktav. VI, 292 Seiten. 1991. Gebunden ISBN 311012903 5