Kommunikation in der Stadt: Band 4 Kommunikative Stilistik zweier sozialer Welten in Mannheim-Vogelstang [Reprint 2011 ed.] 9783110816440, 9783110143836


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German Pages 571 [576] Year 1995

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Table of contents :
Vorwort
A Die soziale Welt des gebildeten Bürgertums
1. Literaturgruppe: Ethnographische Einführung
1.1 Auswahl der Gruppe und Zugang
1.2 Die soziale Einbindung der Frauen in den Stadtteil
1.3 Die Geschichte der Gruppe
1.4 Die Beziehungen der Frauen untereinander
1.5 Die Gruppe aus der Sicht ihrer Mitglieder
1.6 Ein Überblick über die sprachlichen Aktivitäten bei den Gruppentreffen
2. Themenbereiche
2.1 Sprechen über sich und die Familie
2.2 Sprechen über andere
3. Sozialregulierende Aktivitäten
3.1 Die normale soziale Ordnung
3.2 Bearbeitung von Störungen
3.3 Demonstrative Herstellung von Gemeinsamkeit
3.4 Mitgefühl zeigen
3.5 Fazit
4. Sprachvariation
4.1 Variantenkompetenzen und -tendenzen
4.2 Variantenwechsel als Mittel der Imagewahrung
4.3 Außerungsstrukturierende Variation
4.4 Sozialabgrenzende Artikulationsweisen
4.5 Imitationen anderer sozialer Kommunikationsbereiche
4.6 Spielerische Variationen
4.7 Fazit
5. Formelhaftes Sprechen
5.1 Herstellung sozialer Kategorien und Typen
5.2 Typisierung von Situationen und Sachverhalten
5.3 Gefühlsexpressionen, Wertung und Beziehungsausdruck
5.4 Fazit
6. Soziale Kategorisierung
6.1 Statuskategorien
6.2 Rollenkategorien und Generationsunterschied
6.3 Selbstkategorisierung als Frauen und Mütter
6.4 Moralische Kategorien
6.5 Fazit
7. Der soziale Stil des Sprechens
7.1 Präferenzen und Vermeidungen
7.2 Zum Begriff ‘Sozialer Stil des Sprechens’
7.3 Die sozialen Stilzüge in ihren Zusammenhängen
7.4 Das ideale Selbstbild der Frauen
B Die soziale Welt der Politik und der Frauenemanzipation
1. Die AsF-Gruppe: Ethnographische Einführung
1.1 Auswahl der Gruppe und Zugang
1.2 Die Geschichte der Gruppe und ihre Aktivitäten
1.3 Die Mitglieder und ihre Beziehungen untereinander
1.4 Die Gruppe in der Sicht ihrer Mitglieder
1.5 Das Korpus
1.6 Ein Überblick über die sprachlichen Aktivitäten bei den Gruppentreffen
1.7 Unterschiede zur Literaturgruppe
2. Themenbereiche
2.1 Sprechen über Männer
2.2 Politik und Politiker/innen
2.3 Vorgesetzte und Autoritätspersonen
2.4 Weitere Themen und Vergleich mit der Literaturgruppe
2.5 Fazit: Die Modalität der Themenbehandlung
3. Sozialregulierende Aktivitäten
3.1 Die normale Ordnung
3.2 Bearbeitung von Störungen
3.3 Demonstrative Herstellung von Gemeinsamkeit
4. Sprachvariation
4.1 Unterschiede zwischen den Normallagen der Gruppenmitglieder
4.2 Gesprächsorganisatorische Variation
4.3 Situative Variation und davon abgeleitete ‘metaphorische’ Verwendungsweisen
4.4 Modalisierende Variation
4.5 Sozialsymbolische Variation
4.6 Kurzer Vergleich mit der Literaturgruppe
5. Formelhaftes Sprechen
5.1 Formeltypen
5.2. Herstellung sozialer Kategorien und Typen
5.3. Typisierung von Situations- und Sachverhaltsbeschreibungen
5.4. Gefühlsexpression, Wertung und Beziehungsregulierung
5.5. Vergleich mit der Literaturgruppe
6. Soziale Kategorisierung
6.1. Statuskategorien
6.2. Soziale Selbstkategorisierung in bezug auf Status- und Rollenkategorien
6.3. Fazit: Auswahl der Wirklichkeitsbereiche und sprachliche Mittel für die soziale Kategorisierung
6.4. Kurzer Vergleich mit der Literaturgruppe
7. Der soziale Stil des Sprechens
7.1. Präferenzen und Vermeidungen
7.2. Die Stilzüge in ihren Zusammenhängen
7.3. Das ideale Selbstbild der Frauen
Erläuterungen zur Transkriptionsweise
1. Allgemeine Transkriptionszeichen
2. Transliteration des Mannheimer Dialekts
3. Phonetische Umschrift
4. Transkription prosodischer Phänomene (Feinanalyse)
Literatur
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Kommunikation in der Stadt: Band 4 Kommunikative Stilistik zweier  sozialer Welten in Mannheim-Vogelstang [Reprint 2011 ed.]
 9783110816440, 9783110143836

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Kommunikation in der Stadt Teil 4 Johannes Schwitalla Kommunikative Stilistik zweier sozialer Welten in Mannheim-Vogelstang

Schriften des Instituts für deutsche Sprache Band 4

Kommunikation in der Stadt

4.1 Exemplarische Analysen des Sprachverhaltens in Mannheim 4.2 Ethnographien von Mannheimer Stadtteilen 4.3 Kommunikative Stilistik einer sozialen Welt „kleiner Leute" in der Mannheimer Innenstadt 4.4 Kommunikative Stilistik zweier sozialer Welten in Mannheim-Vogelstang Herausgegeben von

Friedhelm Debus Werner Kallmeyer Gerhard Stickel

W G DE

Walter de Gruyter · Berlin · New York 1995

Kommunikation in der Stadt Teil 4 Johannes Schwitalla Kommunikative Stilistik zweier sozialer Welten in Mannheim-Vogelstang

W G DE

Walter de Gruyter · Berlin · New York 1995

© Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.

Die Deutsche Bibliothek —

CIP-Hinheitsaufnahme

Kommunikation in der Stadt. — Berlin ; New York : de Gruyter. (Schriften des Instituts für Deutsche Sprache ; 4) Literaturangaben NE: Institut für Deutsche Sprache < Mannheim >: Schriften des Instituts ... Teil 4. Schwitalla, Johannes: Kommunikative Stilistik zweier sozialer Welten in Mannheim-Vogelstang. - 1995 Schwitalla, Johannes: Kommunikative Stilistik zweier sozialer Welten in Mannheim-Vogelstang / Johannes Schwitalla. — Berlin ; New York : de Gruyter, 1995 Kommunikation in der Stadt ; Teil 4) (Schriften des Instituts für Deutsche Sprache ; Bd. 4) ISBN 3-11-014383-6 NR: Institut für Deutsche Sprache : Schriften des Instituts ...

© Copyright 1995 by Walter de Gruyter & Co., D-10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Rinspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Druck: Werner Hildebrand, Berlin Buchbinderische Verarbeitung: Lüderitz & Bauer-GmbH, Berlin

INHALT Vorwort ( Werner Kallmeyer)

xi

Α

Die soziale Welt des gebildeten Bürgertums

1.

Literaturgruppe: E t h n o g r a p h i s c h e E i n f u h r u n g

1.1 1.2 1.3 1.4 1.5 1.6

Auswahl der Gruppe und Zugang Die soziale Einbindung der Frauen in den Stadtteil Die Geschichte der Gruppe Die Beziehungen der Frauen untereinander Die Gruppe aus der Sicht ihrer Mitglieder Ein Überblick über die sprachlichen Aktivitäten bei den Gruppentreffen

3 5 6 8 10 13

2. 2.1 2.1.1 2.1.2

23 25 25 58

2.2 2.2.1 2.2.2 2.2.3

Themenbereiche Sprechen über sich und die Familie Kleine Probleme: Ironisches Sprechen Die Sprecherin selbst betreffende, schwerwiegende Probleme: Abschwächungsformen Schwerwiegende Probleme in der Familie: betont ernste Darstellung Schwerwiegende Probleme anderer: Aushandeln der Thematisierbarkeit Fazit: Zusammenhänge zwischen Problemgehalt, Interaktionsmodalität, Thematisierbarkeit und Initiantenrolle Sprechen über andere Kritik an Aufdringlichkeit und Rücksichtslosigkeit Kritik an Planlosigkeit, Unwissenheit Fazit: Formen und Funktionen des Sprechens über andere

98 101 114 124

3. 3.1 3.1.1 3.1.2 3.2 3.2.1 3.2.2 3.2.3 3.2.4 3.2.5 3.3

Sozialregulierende A k t i v i t ä t e n Die normale soziale Ordnung Gesprächsorganisation Beziehungsakte Bearbeitung von Störungen Gesprächszentrierung Behandlung marginaler Meinungsunterschiede Argumentative Behandlungen von Meinungsunterschieden Konfliktbearbeitung Fazit Demonstrative Herstellung von Gemeinsamkeit

127 127 127 137 171 171 176 179 201 211 213

2.1.3 2.1.4 2.1.5

3

79 85 96

vi

Inhalt

3.3.1 3.3.2 3.3.3 3.4 3.4.1 3.4.2 3.4.3 3.4.4 3.4.5 3.5

Ironie Hyperbolische Expressivität Emphatische Beziehungsakte Mitgefühl zeigen Mitleid Mitfreude Freundliche Anreden Besorgte Nachfragen Trösten Fazit

213 213 218 229 229 232 233 234 236 236

4. 4.1 4.2 4.3 4.4 4.5 4.6 4.7

Sprach variation Variantenkompetenzen und -tendenzen Varianten Wechsel als Mittel der Imagewahrung Äußerungsstrukturierende Variation Sozialabgrenzende Artikulationsweisen Imitationen anderer sozialer Kommunikationsbereiche Spielerische Variationen Fazit

238 238 239 245 248 251 252 254

5. 5.1 5.2 5.3 5.4

Formelhaftes Sprechen Herstellung sozialer Kategorien und Typen Typisierung von Situationen und Sachverhalten Gefühlsexpressionen, Wertung und Beziehungsausdruck Fazit

256 256 257 259 261

6. 6.1 6.2 6.3 6.4 6.5

Soziale K a t e g o r i s i e r u n g Statuskategorien Rollenkategorien und Generationsunterschied Selbstkategorisierung als Frauen und Mütter Moralische Kategorien Fazit

262 262 269 273 277 280

7. 7.1 7.2 7.3 7.4

D e r soziale Stil des Sprechens Präferenzen und Vermeidungen Zum Begriff 'Sozialer Stil des Sprechens' Die sozialen Stilzüge in ihren Zusammenhängen Das ideale Selbstbild der Frauen

281 281 283 287 292

Inhalt

Β

Die soziale Welt der Politik und der Frauenemanzipation

1. 1.1 1.2 1.3 1.4 1.5 1.6

D i e AsF-Gruppe: Ethnographische Einfuhrung Auswahl der Gruppe und Zugang Die Geschichte der Gruppe und ihre Aktivitäten Die Mitglieder und ihre Beziehungen untereinander Die Gruppe in der Sicht ihrer Mitglieder Das Korpus Ein Überblick über die sprachlichen Aktivitäten bei den Gruppentreffen Unterschiede zur Literaturgruppe

1.7 2. 2.1 2.1.1 2.1.2 2.1.3

vii

301 301 302 306 308 310 312 330

2.2.4 2.2.5 2.2.6 2.3 2.3.1 2.3.2 2.4 2.4.1 2.4.2 2.5

Themenbereiche Sprechen über Männer Erzählungen vom falschen Verhalten von Männern Kurze Berichte Gemeinsames Sich-Erinnern an das falsche Verhalten von Männern Sprechen über den eigenen Mann: Emanzipationserfolge Vergleiche und hypothetische Gegenüberstellungen geschlechtstypischen Verhaltens Phantastische Szenen, Groteske Der Sonderfall: Die Männer im Ortsverein Politik und Politiker/innen Die Relevanz des Themas Formen der wertenden Darstellung Vergleiche des Verhaltens von Politikern mit dem eigenen Verhalten Politikerschelte Die Ausnahme: das Idealbild einer Politikerin Formen der Referenz auf Politiker/innen Vorgesetzte und Autoritätspersonen Konfrontationserzählungen Lustige Geschichten Weitere Themen und Vergleich mit der Literaturgruppe Die eigene Familie Krankheit Fazit: Die Modalität der Themenbehandlung

395 399 402 403 404 410 413 413 418 421

3. 3.1 3.1.1

Sozialregulierende Aktivitäten Die normale Ordnung Gesprächsorganisation

423 423 423

2.1.4 2.1.5 2.1.6 2.1.7 2.2 2.2.1 2.2.2 2.2.3

332 332 332 347 347 358 365 370 377 386 386 387 392

viii

Inhalt

3.1.2 3.2 3.2.1 3.2.2 3.2.3 3.2.4 3.3 3.3.1 3.3.2 3.3.3 3.3.4 3.3.5

Beziehungsakte Bearbeitung von Störungen Gesprächsorganisation Behandlung marginaler Meinungsunterschiede Argumentative Behandlung von Meinungsunterschieden Konfliktbearbeitung Demonstrative Herstellung von Gemeinsamkeit Gesprächsorganisation: Kollektives Sprechen Frotzelnde Phantasiespiele Groteske Vorstellungen Witze Fazit: Vergleich mit der Literaturgruppe

430 443 443 448 450 453 463 463 467 474 476 481

4. 4.1 4.2 4.3

483 483 488 492

4.4 4.5 4.6

Sprachvariation Unterschiede zwischen den Normallagen der Gruppenmitglieder Gesprächsorganisatorische Variation Situative Variation und davon abgeleitete 'metaphorische' Verwendungsweisen Modalisierende Variation Sozialsymbolische Variation Kurzer Vergleich mit der Literaturgruppe

494 497 504

5. 5.1 5.2. 5.3. 5.4. 5.5.

Formethaftes Sprechen Formeltypen Herstellung sozialer Kategorien und Typen Typisierung von Situations- und Sachverhaltsbeschreibungen Gefühlsexpression, Wertung und Beziehungsregulierung Vergleich mit der Literaturgruppe

506 506 507 509 512 513

6. 6.1. 6.1.1. 6.1.2. 6.2.

Soziale K a t e g o r i s i e r u n g Statuskategorien Die 'gehobene Schicht' Ärmere Leute Soziale Selbstkategorisierung in bezug auf Statusund Rollenkategorien Fazit: Auswahl der Wirklichkeitsbereiche und sprachliche Mittel für die soziale Kategorisierung Kurzer Vergleich mit der Literaturgruppe

515 515 515 521 522

6.3. 6.4.

531 533

Inhalt

7. 7.1. 7.2. 7.3.

D e r soziale Stil des Sprechens Präferenzen und Vermeidungen Die Stilzüge in ihren Zusammenhängen Das ideale Selbstbild der Frauen

ix

535 535 538 543

Erläuterungen zur Transkriptionsweise

548

1. 2. 3. 4.

548 549 550 550

Allgemeine Transkriptionszeichen Transliteration des Mannheimer Dialekts Phonetische Umschrift Transkription prosodischer Phänomene (Feinanalyse)

Lit erat vir

552

VORWORT Dieser Teilband (4.4) der Publikationen aus dem Projekt „Kommunikation in der Stadt" enthält zwei umfangreiche soziolinguistische „Gruppenporträts", d.h. detaillierte Darstellungen des sprachlichen Verhaltens einer begrenzten Anzahl von Personen, die einen relativ stabilen sozialen Zusammenhalt entwickelt haben. Der Band bildet zusammen mit dem voraufgehenden (4.3), der eine Gruppendarstellung der „kleinen Leute" aus der Westlichen Unterstadt in Mannheim enthält, den Abschluß der Veröffentlichungen aus dem Projekt „Kommunikation in der Stadt". Die Grundlagen für die Gruppenporträts finden sich in den ersten beiden Bänden: Band 4.1 „Exemplarische Analysen" verdeutlicht anhand ausgewählter Gesprächsausschnitte den methodischen Zugang bei der Analyse von sozial bedeutsamen Eigenschaften des sprachlichen Verhaltens. Im Zentrum stehen Formen und Verfahren der sprachlichen Symbolisierung sozialer Identität. Die dort herausgearbeiteten Gesichtspunkte und Untersuchungsverfahren bilden das analytische Gerüst der Gruppenporträts. Band 4.2 „Ethnographien von Mannheimer Stadtteilen" bietet eine überblickartige Darstellung der sozialen und kommunikativen Zusammenhänge in den Stadtteilen Westliche Unterstadt und Vogelstang, aus denen die porträtierten Gruppen stammen. Die ethnographischen Beschreibungen liefern den Einordnungsrahmen für die detaillierten Gruppenuntersuchungen und weitreichende Hintergrundinformationen zur Stellung der Gruppen in der städtischen Umgebung, zur Relevanz der in den Gruppengesprächen behandelten Themen und zur sprachlich-kulturellen Spezifik ihrer Milieus. Die vorliegenden Gruppenporträts knüpfen an diese Voraussetzungen an und verweisen jeweils auf die voraufgehenden Bände. Die Gruppendarstellungen geben typische Züge städtischer Lebens- und Kommunikationsweise wieder. Sie stehen jeweils für eine soziale Lebenswelt, die im weiteren sozialen Umfeld verankert ist. Die drei ausgewählten Gruppen entsprechen unterschiedlichen Stufen der sozialen Schichtung und zugleich charakteristischen sozialen Situationen in den beiden Mannheimer Stadtteilen, die ihrerseits typisch sind für die Entwicklung von Mittel- und Großstädten in der alten Bundesrepublik in den letzten dreißig Jahren (vgl. auch die Einführung in Band 4.2). Die in diesem Band dargestellten beiden Gruppen aus Vogelstang stehen einerseits für die soziale Welt eines um soziale Durchsetzung und Emanzipation ringenden Milieus von Frauen, die selbst oder deren Männer Arbeiter und Angestellte sind (die „AsF-Gruppe", d.h. eine Gruppe im Kontext der Arbeitsgruppe sozialdemokratischer Frauen), und andererseits für die Welt eines bildungsbürgerlich orientierten Milieus an der Spitze der sozialen Abstufung

xii

Vorwort

in diesem Neubauviertel (die „Literaturgruppe", deren Treffen das gemeinsame Lesen und Besprechen von moderner Literatur zum Anlaß haben). Sprachlich wird mit der Untersuchung der drei Gruppen das Mannheimer Spektrum von dialektalen bzw. standardsprachlichen Normallagen abgedeckt. Es handelt sich in den drei Porträts um Frauengruppen, und die Frauenrolle ist in allen Gruppen auch thematischer Gegenstand. Die Filsbachfrauen verfolgen im Rahmen eines relativ festen normativen Gerüsts für familiäre Rollen das Leitbild der „guten Frau", die ihre familiären Aufgaben, vor allem die Versorgung des Haushalts und die Kindererziehung, auch unter vielfach sehr schweren Bedingungen erfüllt. Emanzipationsbestrebungen sind am stärksten in der AsF-Gruppe in Vogelstang zu beobachten, welche die Rolle der sich aufopfernden Frau vehement ablehnt ebenso wie die Rolle des den Männern gefälligen „Weibchens". Die Frauen der „Literaturgruppe" in Vogelstang haben nicht nur ökonomisch, sondern auch sozial erheblich größeren Handlungspielraum als z.B. die Filsbachfrauen und zeigen viel Rollendistanz bei der Auseinandersetzung mit ihrer Frauen- und Mutterrolle. Emanzipation ist kein so bedeutendes und identitätsbesetztes Diskussionsthema wie in der AsF-Gruppe. So wie man die Haltung der AsF-Gruppe auf die Formel bringen kann: „Wir setzen uns durch", so kann man für die Literaturgruppe formulieren: „Wir stehen drüber". Die Porträts zeigen also weibliche Kommunikation, aber die untersuchten Gruppengespräche spiegeln zugleich allgemeine, die Geschlechterrollen übergreifende Charakteristika des jeweiligen sozialen Milieus. Viele Züge des kommunikativen Gruppenverhaltens sind nicht geschlechtsspezifisch und können für andere Gruppen und Situationen verallgemeinert werden. Zudem sind die unterschiedlichen Leitbilder weiblichen Verhaltens and die kommunikative Auseinandersetzung damit, die in den Gruppen zu beobachten ist, Bestandteil der Kultur der jeweiligen sozialen Welt und verdeutlichen auch in der spezifisch weiblichen Orientierung Verhaltensprinzipien der sozialen Umgebung. Insofern zeigen die Gruppenporträts drei durch unterschiedliche soziale Standorte bedingte Perspektiven auf die städtische Gesellschaft und ihre soziokulturelle Differenzierung. Ziel der Gruppenporträts ist, Eigenschaften des kommunikativen Verhaltens der Gruppenmitglieder zu beschreiben, die für diese mit ihrer sozialen Identität verbunden sind. Es geht dabei um Verhaltensweisen, die der Normalform ihres Kommunikationsverhaltens entsprechen und von ihnen als normalformgerecht angesehen werden, die aus ihrer Sicht mit ihren Leitbildern kommunikativen Verhaltens verträglich sind und mit denen sie sich identifizieren. Im Zentrum stehen damit die Kommunikationseigenschaften, welche die Beteiligten als ihr eigenes, authentisches Verhalten ansehen und die für sie die Vertrautheit ih-

Vorwort

xiii

rer eigenen sozialen Welt ausmachen. Dazu gehören ihre sprachliche Normallage und das damit zusammenhängende Variationsspektrum zwischen Standardsprache und Dialekt ebenso wie typische Redeweisen und pragmatische Regeln des Sprechens, d.h. Regeln der Höflichkeit, der Konfliktaustragung, der Demonstration von Gemeinsamkeit usw. Die Beschreibung umfaßt Phänomene auf allen linguistischen Ebenen von der Phonologie bis zur Pragmatik und verfolgt die Einbettung der Gruppengespräche in übergreifende Handlungs- und Erlebenszusammenhänge, welche die Entwicklung der Gruppeninteraktion und den Stellenwert der Gruppe für die Beteiligten prägen. Die für die soziale Identität relevanten Eigenschaften des sprachlichen Verhaltens machen zusammengenommen den kommunikativen sozialen Stil der Sprecher aus. Die Ausbildung von kommunikativem Stil ist ein Mittel, dem eigenen sozialen Verhalten eine bedeutsame, sozial distinktive Form zu geben. (Zum Begriff 'sozialer Stil' und zum Stellenwert der soziolinguistischen Gruppenporträts vgl. die Einleitung zu Band 4.3). Werner Kallmeyer

Die soziale Welt des gebildeten Bürgertums

Die Literaturgruppe:

Ethnographische

Einführung

1.

D i e Literaturgruppe: E t h n o g r a p h i s c h e Einführung

1.1.

Auswahl der Gruppe lind Zugang

3

Im Juni 1985 lernte ich im Rahmen meiner ethnographischen Interviews in Mannheim-Vogelstang Frau Bareis, die Leiterin des Frauenarbeitskreises der Abendakademie, kennen. Im Lauf des Interviews stellte sich heraus, daß Frau Bareis auch an einem privaten Kreis teilnahm, der sich regelmäßig traf, um gemeinsam literarische Erzählungen und Romane zu lesen. Es zeigte sich weiter, daß die Teilnehmerinnen dieses Literaturkreises den Bewohnerteil von Vogelstang repräsentierten, von dem ich noch wenige Tonbandaufnahmen von Gesprächen hatte; so entstand bei mir der Wunsch, in dieser Gruppe Aufnahmen von einigen Sitzungen in fortlaufender Reihenfolge zu machen. Die Gruppe besprach dieses Ansinnen zuerst unter sich und lud mich zu einem Treffen ein, damit sie den Zweck der Aufnahmen und die Ziele unseres Projekts besser kennenlernen konnte. Ich versprach der Gruppe Anonymität, soweit es irgendwie ging, und eine Offenlegung meiner Analyseergebnisse. Die Anonymisierung der im folgenden mitgeteilten Textausschnitte schließt nicht nur Personen- und Ortsnamen ein, sondern auch Bezeichnungen von Funktionen und Institutionen, von Titeln, lokalisierbaren Objekten und sonstigen Objekten und Ereignissen, die einen Anhaltspunkt für die Identifizierung der Sprecherinnen geben könnten. Dennoch ist den Frauen und mir klar, daß gute Kenner des sozialen Lebens in Vogelstang herausbekommen können, wer die Frauen sind. Es hatte in der Gruppe Einwände dagegen gegeben, daß die Gespräche aufgenommen werden sollten, und es gab auch später, bei einem der ersten Treffen eine Diskussion darüber, ob nach den zwanglosen Gesprächen das Tonband ausgeschaltet werden sollte. In dieser schon festgefügten Gruppe schien es mir das beste, an den Gruppensitzungen nicht selbst teilzunehmen, sondern die Gruppe in der Zusammensetzung aufzunehmen, wie sie es gewohnt war. Eine Teilnehmerin machte die Tonbandkassettenaufnahmen für mich. Sie legte das kleine Aufnahmegerät (Saba Journey) und zwei Mikrophone auf den Tisch, stellte das Gerät ein und aus und machte eine Skizze mit der Sitzverteilung der jeweils anwesenden Frauen. Nachdem ich mir die Kassette angehört hatte und den Gesprächsverlauf in einer ersten Ubersicht protokolliert hatte (auf die Seiten dieser Protokolle beziehen sich auch die folgenden Textverweise am Ende der Transkripte), holte ich Informationen über für mich unverständliche Stellen und andere Einzelheiten des aufgenommenen Nachmittags ein. In den nachträglichen Interviews versicherten die Frauen immer wieder, sie hätten das Tonbandgerät vergessen und sich so verhalten, wie sie es auch sonst g e t a n h ä t t e n : irgendwann ham wer=s gar nich mehr gemerkt, weil=s uns gar nich bewußi war, daß des tonband Überhaupi da neben uns stand, also insofern is das schon ziemlich e"chi, was da abgelaufen ist ( 2 7 0 1 / 7 9 ) .

4

Die soziale

Welt des gebildeten

Bürgertunis

In den insgesamt acht aufgenommenen Treffen ohne meine Anwesenheit gibt es fünf Stellen, an denen ich den Eindruck habe, daß eine Sprecherin sich aus Vorsicht vor der Aufnahme anders verhält: - Beim 1. Treffen wird eine Teilnehmerin bei ihrer Ankunft aufgefordert, von ihrem Kummer zu sprechen: ich hab gehört, daß du kummer hast. Die Angesprochene geht nicht darauf ein unter Hinweis auf das Tonbandgerät: feind hört mit. - Beim 5. Treffen bricht die Aufnahme plötzlich ab, nachdem eine Teilnehmerin eine andere zur Rede stellte: weil du dich so über das frauenseminar mokiert hast. Es ist nicht klar, ob der Disput nicht aufgenommen werden sollte oder ob die Tonbandaufnahme überhaupt beendet werden sollte, weil die Frauen schon dabei waren, sich zu verabschieden. - Beim 6. Treffen habe ich auf Wunsch der Frauen eine Stelle gelöscht, in der von einer ärztlichen Untersuchung gesprochen wurde. - Beim 7. Treffen wird der Name einer Frau verschwiegen, wahrscheinlich aus der Befürchtung, eine Tratschgeschichte mit Namennennung weiterzugeben: A: des is sicher die frau Schneider B: nee, die is super in form gegen diese dame, die wir jetz meinen. - Zu Beginn der 8. Sitzung wird eine Frau gefragt, bei welchem Arzt sie war. Sie fragt zurück: läuft des ding? und gibt keine Antwort. Frau Senft spricht bei fast allen Zusammenkünften sehr wenig. Andere Teilnehmerinnen sagen, das tue sie sonst auch; aber zwei der genannten Interaktionsabbrüche kommen von ihr. Ansonsten habe ich nicht den Eindruck, daß die Frauen sich anders verhalten, als es ihre Gewohnheit ist und als es die kommunikativen Aufgaben erfordern, in deren Vollzug sie begriffen sind. Folgende Sitzungen wurden aufgenommen: 08.07.1985 22.07.1985 05.08.1985

02.09.1985 16.09.1985 30.09.1985 14.10.1985 28.10.1985 11.11.1985 16.12.1985

eine Vorbesprechung mit. mir, 7 Teilnehmerinnen 1. Treffen, 5 Teilnehmerinnen, ca. 45 Minuten (Gespräche jeweils vor dem Vorlesen) 2. Treffen, 5 Teilnehmerinnen, ca. 45 Minuten (das Treffen am 19.8. wurde nicht aufgenommen wegen zu großen Lärms in der Nachbarschaft) 3. Treffen, 5 Teilnehmerinnen, ca. 45 Minuten 4. Treffen, 6 Teilnehmerinnen, ca. 50 Minuten 5. Treffen, 6 Teilnehmerinnen, ca. 45 Minuten 6. Treffen, 8 Teilnehmerinnen, ca. 60 Minuten 7. Treffen, 6 Teilnehmerinnen, ca. 60 Minuten 8. Treffen, 8 Teilnehmerinnen, ca. 50 Minuten 9. Treffen, 8 Teilnehmerinnen, ca. 90 Minuten (Nachbesprechung mit mir).

Die Literaturgruppe:

Ethnographische

Einführung

5

Bei den nachmittäglichen Zusammenkünften gibt es keine feste Sitzordnung, schon deshalb nicht, weil nicht immer dieselben Frauen anwesend sind. Die Frauen setzen sich im Sommer bei warmem Wetter in den Garten, sonst in das Wohnzimmer. Sie bekommen Kaffee, Tee und etwas Gebäck. Es wird Monate vorher abgesprochen, bei wem man sich trifft. Die Treffen dauern jeweils ungefähr zwei Stunden. 1.2.

Die soziale Einbindung der Frauen in den Stadtteil

Als ich die Gruppe zum ersten Mal kennenlernte, war ich überrascht, wieviele Nachnamen der Teilnehmerinnen ich schon aus meinen ethnographischen Erhebungen kannte: - Der Mann einer Teilnehmerin hat eine Funktion in einer Partei; ich hatte mit ihm ein Interview gemacht und ihn auch während einer Sitzung des Bezirksbeirats aufgenommen. - Den Mann einer anderen Teilnehmerin, der in einem kirchlichen Gremium mitarbeitet, hatte ich ebenfalls schon interviewt. - Eine weitere Teilnehmerin und ihren Mann kannte ich als Organisatoren von Sportgruppen, mit denen ich Interviews machte und die ich bei einem Gruppentreffen nach einer Sportveranstaltung besuchte. - Die Namen zweier weiterer Frauen waren mir aus Interviews bekannt, weil ihre Männer in verschiedenen Organisationen in Vogelstang mitarbeiten. Fünf der Frauen haben also Männer, die in Organisationen der politischen Parteien, der Kirchen oder des Sports mitwirken. Vier Frauen leiten selbst Freizeitgruppen im Bereich des Sports und der Bildung. Eine Frau übernahm sporadisch ehrenamtliche Tätigkeiten in einer kirchlichen Gemeinde und wurde zur Schöffin ernannt. Zwei Frauen haben einen Beruf: eine ist Hochschullehrerin in einem geisteswissenschaftlichen Fach; die andere arbeitet in einer nicht ortsteilgebundenen sozialen Institution. Drei Frauen sind Hausfrauen, die aber ihren Männern bei deren Berufen mithelfen oder gelegentlich soziale Aufgaben im Stadtteil übernehmen. Abgesehen von ihren organisatorischen Tätigkeiten nehmen einige Mitglieder der Gruppe allein oder gemeinsam mit anderen an weiteren sportlichen oder bildungsorientierten Gruppen teil, auch an solchen, die von einem Gruppenmitglied geleitet werden. Vier Frauen sind Mitglieder des örtlichen Tennisklubs. Durch diese Beziehungen zu verschiedenen Gruppen kennen die Frauen sehr viele andere Leute - meist Frauen - in Vogelstang. Durch gleiche Interessen (Kunst, Bildung) sind es oft Frauen aus dem eigenen Wohnbereich der Bungalows und Reihenhäuser. Sie kennen aber auch Bewohnerinnen der vierstöckigen Häuser als Klientel ihrer Gruppen (z.B. von Sportgruppen).

6

Die soziale

Welt des gebildeten

Bürgertums

Der zweite wesentliche Anknüpfungspunkt zu Kontakten innerhalb von Vogelstang lief über Freunde und Klassenkameraden der Kinder. Alle Frauen der Literaturgruppe haben Kinder, die 1985 in Vogelstang zur Schule gingen oder in den J a h r e n davor das Abitur gemacht haben. Diese brachten ihre Freunde und Freundinnen mit nach Hause, gingen mit ihnen in die gleichen Freizeitgruppen und luden sie zu Parties ein. Durch diese Schulkameraden erfuhren die Frauen auch von deren Familien und schlossen mit einigen Eltern Bekanntschaft, was umso leichter ging, wenn man ihnen in Gremien und Gruppen begegnete. Aus den aufgenommenen Gesprächen ergibt sich, daß eine Reihe von Namen mehreren Mitgliedern bekannt ist. Die Frauen der Literaturgruppe nehmen also intensiv am öffentlichen Leben in Vogelstang teil. Sie informieren sich gegenseitig über besondere Ereignisse (Schulfeste, Sportveranstaltungen, offizielle Besuchsgruppen usw.). Sie fühlen sich für den Stadtteil und sein Image verantwortlich. 1.3.

Die Geschichte der G r u p p e

Die Literaturgruppe besteht seit Frühjahr 1980. Sie wurde initiiert von Frau Ebert und Frau Senft, welche Nachbarinnen sind lind sich seit langem kannten. Beide sind literarisch und künstlerisch interessiert und wollten einen Kreis gründen, in dem m a n sich literarische Werke vorliest, dabei strickt und anschließend diskutiert. Sie haben sich den Namen literaturmasche für diese G r u p p e ausgedacht. In dieser Bezeichnung kommen unter Ausnützung der Doppeldeutigkeit von masclie die Tätigkeiten des Strickens und der Literaturrezeption zusammen. Frau Ebert und Frau Senft setzten sich zusammen und gingen die Namen ihrer Bekanntenkreise durch. Aus der evangelischen Gemeinde kannten sie Frau Kerk und Frau Funke, die sich auch schon untereinander kannten. Aus einem anderen Kreis der Gemeinde kannten sich die Familien Senft und O t t . Die Gemeinde war also ein Vermittlungspunkt für mehrere Bekanntschaften, was auch für viele Bewohner der Neubausiedlung gilt (vgl. Ethnographie Vogelstang). Auf Frau Becker wurde Frau Ebert durch eine andere Frau verwiesen, welche sie zuerst gefragt h a t t e , ob sie mitmache. Frau Senft kannte Frau Gries seit der Schulzeit ihrer Kinder, wie übrigens auch die Bekanntschaft von Frau Kerk und Frau Ebert schon vor der G r ü n d u n g der G r u p p e über ihre Kinder zustandekam (Elternbeirat, Nachhilfeunterricht). Außerdem waren die Familien Gries und Funke miteinander befreundet. Frau Ebert kannte schließlich Frau Bareis aus einem Kurs der Abendakademie. Auf diese Weise entstand ein Kreis von Frauen, die alle aus derselben sozialen Schicht s t a m m e n , in demselben Wohntyp (Bungalows) Vogelstangs wohnen und die alle literarische und kulturelle Interessen h a t t e n . Eine weitere Frau, die in einem anderen Stadtteil wohnte, blieb nach einiger Zeit der G r u p p e fern, weil sie erstens einen langen Anfahrweg h a t t e und zweitens,

Die Literaturgruppe:

Ethnographische

Einführung

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weil sie sich in den Small-Talk-Gesprächen nicht so sehr für die Geschehnisse in Vogelstang interessierte wie die anderen Frauen (weil bei uns zuviel über die Vogelstang geredet wurde). Während die Frauen meinen, daß das Ausscheiden dieser Frau nichts mit (potentiellen) Gruppenkonflikten zu tun gehabt habe, war dies bei einer anderen Frau anders, als darüber beraten wurde, ob man sie aufnehmen sollte. Die Frauen kamen zu dem Ergebnis, dies nicht zu tun, weil die betreffende Frau ihnen zu anstrengend war; sie h a t t e große familiäre Probleme, und die Frauen befürchteten, dadurch zu sehr in Anspruch genommen zu werden. Dieser Fall hat etwas mit den Ansichten der Gruppe über angemessenes Verhalten zu tun. Das T h e m a wird öfter anläßlich des Verhaltens anderer Frauen besprochen und es betrifft einen wesentlichen Aspekt der eigenen Gesprächsregeln (vgl. Kap. 2.2.1.). Bei wieder einer anderen Kandidatin befürchteten die Gruppenmitglieder, daß sie das Gespräch zu wissenschaftlich, professionell und ernst gestalten könnte, während sie selbst mehr aus ihrer Lebenserfahrung und ohne wissenschaftlichen Anspruch diskutieren wollten. Dieser Ausschluß hat ebenfalls etwas mit dem Selbstbild der Gruppe zu tun: Die Frauen halten sich für kulturell interessiert, möchten aber nicht durch einen anstrengenden, zu abstrakten (hochgestochenen) Wissenschaftsstil dominiert werden. Virulent wird dieses Problem immer dann, wenn Dozenten im Frauenarbeitskreis, an dem zwei Frauen regelmäßig teilnehmen, eine universitätssprache

mit sehr vielen fremdwörtern

möchten sich dadurch nicht als dummchen

(2701/77) sprechen. Die Frauen

behandeln lassen.

Für die Männer dieser Frauen waren die Gruppentreffen etwas Neues und Ungewohntes. Die Frauen berichten, daß ihre Männer oft über die Gruppentreffen gespottet hätten. Dies habe mit der Zeit abgenommen: die ehemänner [...] die zwar immer

so=n bißchen [...] frotzeln,

aber es inzwischen

akzeptieren.

Dennoch

scheint eine gewisse Distanz der Männer gegenüber diesem weiberkltib bzw. gegenüber den mascheweibern weiter zu bestehen. Das zeigt sich in scherzhaft despektierlichen Äußerungen der Männer über die Frauen: das is mi"r passiert,

ich hatte

den ehemann

[einer Teilnehmerin] am telefon.

und dann

sagt

der 'komm mal, eine von deinen wei.bern'. Es zeigt sich auch in Bestrebungen einzelner Ehemänner, sich den Frauen anzuschließen, wenn diese abends etwas unternehmen wollen (zum Beispiel einen Theaterbesuch). Die Aufnahmen von 1985 entstanden zu einer Zeit, als die Frauen sich seit fünf Jahren kannten. Uber Entwicklungsschiibe im Verlauf der Jahre gibt es unterschiedliche Ansichten. Die einen meinen, mit der Diskussion eines Problems, die eine Frau mit ihrer heranwachsenden Tochter hatte, habe sich der Charakter der Gespräche mehr zum Persönlichen verändert; andere sehen keine solchen Unterschiede. Mehrere Frauen haben sich in der Gruppe Rat geholt, wie sie sich in einer bestimmten schwierigen Situation gegenüber ihrem Kind verhalten sollten. Dabei ging es meistens um Ablösungswünsche der Töchter, die z.B. zum ersten Mal mit ihrem Freund in den Urlaub fahren wollten oder die mit ihrem Mann

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Die soziale

Welt des gebildeten

Bürgertums

bzw. Freund ein alternatives Leben führen wollten. In zwei Fällen wurden auch Eheprobleme diskutiert und dabei wurden die betreffenden Frauen gegen Ansprüche ihrer Männer u n t e r s t ü t z t . Uber diese T h e m e n sprachen die Frauen ungern m i t mir und baten mich in den Interviews u m Verschwiegenheit. 1.4.

Die Beziehungen der Frauen untereinander

Die privaten Beziehungen der Frauen außerhalb der Gruppentreffen sind recht unterschiedlich. Zwischen einigen bestehen Freundschaften und werden auch so bezeichnet; andere haben mit keiner anderen Frau Kontakte außerhalb der Gruppentreffen. Einige haben zu anderen Teilnehmerinnen unterschiedliche Arten von Beziehungen, andere stehen mehr a m Rande. Freundschaften bestehen zwischen Frau Ebert und Frau O t t und zwischen Frau Ebert und Frau Senft. Die Freundschaft zwischen Frau O t t , der jüngsten in der Gruppe, und Frau Ebert, der ältesten, h a t einen eigenen Charakter, der sich in den aufgenommenen Gesprächen in einer besonderen Direktheit äußert (z.B. beim Frotzeln und bei Zurechtweisungen). Enge Beziehungen mit sehr guten koniakten bestehen zwischen Frau O t t und Frau Senft. Beide Familien fuhren gemeinsam in Urlaub. Zwischen den Ehepaaren Gries, Kerk und Funke, die sich aus der Zeit gemeinsamer Arbeit in der evangelischen Gemeinde kennen, bestehen Duz-Bekanntschaften; sie laden sich gegenseitig ein, gehen gemeinsam ins Kino oder ins Theater, und sie kennen die jeweiligen Bekannten der anderen Familien, gesellschaftliche Beziehungen, die durch gegenseitige abendliche Einladungen definiert werden, gibt es zwischen den Ehepaaren Gries - Senft; Gries - Kerk; Gries - Funke; Ebert - Kerk; O t t - Kerk und Kerk - Funke. Ein weiterer gruppenexterner Treffpunkt ist der örtliche Tennisverein, in dem die Ehepaare O t t , Kerk, Funke und Gries seit Jahren Mitglieder sind. Der Verein legt Wert darauf, daß m a n nicht nur zum Tennisspielen kommt, sondern auch Verpflichtungen ü b e r n i m m t (z.B. die Verwaltung des Ausschankbetriebs) und sich ü b e r h a u p t für den Club engagiert. An anderen Sportgruppen nehmen Frau Ebert und Frau O t t einerseits, und Frau Gries und Frau Becker andererseits teil. Eine vergleichbare Institution ist nur noch der Arbeitskreis der Abendakademie, an dem regelmäßig Frau Bareis und Frau Ebert als Organisatorinnen teilnehmen und je nach T h e m a weitere Mitglieder der G r u p p e . Frau Senft und Frau Sternberg gehen zusammen in einen künstlerisch orientierten Kurs. Uber die Kinder vermittelte Bekanntschaften gibt es zwischen den Familien Kerk und Gries sowie Funke und Sternberg. Etwas außerhalb der gemeinsamen Kontakte stehen Frau Bareis, Frau Sternberg und Frau Becker. So treffen alle Mitglieder der Literaturgruppe regelmäßig wenigstens eine andere Teilnehmerin außerhalb der Gruppentreffen, ungeachtet zufälliger Treffen beim Einkaufen im Verwaltungs- und Einkaufszentrum Vogelstang: mit großem hallo: begrüßen wer uns dann gegenseitich, teilen uns die neuesten erkenntnisse mit, und dann geht=s wieder weiter {2701/79).

Die Literaturgruppe:

Ethnographische

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Einführung

In der Gruppe haben einzelne Frauen besondere Rollen. Frau Ebert fühlt sich für die ganze Gruppe verantwortlich; sie drängte in der Anfangszeit darauf, daß m a n den Termin einhielt und nur in besonderen Fällen wegblieb. Seitdem stehen die Frauen unter einem Rechtfertigungsdruck, wenn sie von einem Treffen wegbleiben wollen oder müssen. Zu Beginn jeder Sitzung wird gefragt, wer kommt und aus welchen Gründen die Abwesenden nicht kommen können. Frau Ebert und Frau Kerk achten auch darauf, daß der Unterhaltungsteil der Treffen nicht zu sehr den Vorleseteil beschränkt. Eine Rolle als Spaßmacherin erfüllt Frau Ott {die Vera kann fantastisch frotzeln). Frau O t t nennt auch öfter Dinge direkt beim Namen, während andere sich zieren, heikle Dinge offen auszusprechen. Frau Sternberg hat ein Talent zum lustigen Erzählen (vgl. Kap. 2.1.1.1.). Frau Bareis übernimmt oft die Rolle einer Vermittlerin bei auseinanderstrebenden Tendenzen. Frau Gries, die Hochschullehrerin, will nicht in der Rolle einer wissenschaftlichen Expertin auftreten, sie wird ihr auch nicht angetragen. Sie hält sich auffallend zurück, ein von ihrem Fach her kompetentes Urteil zu geben, um nicht als 'Besserwisserin' zu gelten. Mehrere Teilnehmerinnen sagen, es gebe auch animositäten zwischen einzelnen Frauen. Darüber sprechen sie aber nicht gerne aus Furcht vor Verstärkungen, die über Dritte, d.h. über mich, entstehen könnten; sie sagen lieber, mit wem sie sich gut verstehen. Andere Teilnehmerinnen meinen, es gebe keine Konflikte in der Gruppe, sondern Sympathie und Vertrauen prägten die Beziehung: ich kann mich nicht erinnern, daß wir uns mal ernstlich gestritten hätten (2701/81); so im laufe der jähre

hat=s

wirklich=n

anderen

Stellenwert

bekommen

[...] Sym-

pathien, die daraus entstanden sind, die vorher gar nicht so erkennbar waren und so wichtich waren (2701/79); und ironisch: wir sind so: lieb miteinander (40/1). Aus einem Interview: JS: mir is aufgefallen konflikte gibt es bei ihnen fast ga"r nich EB: #nee#

«BESTIMMT«

Auch nach außen fühlen sich die Frauen als eine Gruppe, die zusammengehört und in die nicht leicht wieder ein neues Mitglied aufgenommen werden kann. Neun Mitglieder sind nach ihrer Meinung schon ziemlich viel. Mit diesem Argument wehren sie vorsichtige Anfragen anderer Frauen ab, die bei der Literaturgruppe mitmachen wollen: es gibt η paar, die möchten gern in unsere gruppe rein, die rufen dann entweder die frau Ebert an oder die frau Senft. und dann heißt es dann: 'also die und die hat mich angerufen', und alle sagen: 'nö::\ Von solchen Ausgeschlossenen kommen dann versteckte oder offene Vorwürfe, die Literaturgruppe sei elitär.

10 1.5.

Die soziale

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Bürgertums

Die Gruppe aus der Sicht ihrer Mitglieder

Alle befragten Mitglieder schätzen die „Literaturmasche" sehr und freuen sich stets auf das nächste Treffen. Dazu ein paar Stimmen:

Frau Kerk: eine bereicherung in jedem falle, weil ich es ganz erstaunlich finde, in welch starkem maße sich eine lektüre verändert, ob man sie alleine liest oder ob sie vorgelesen wird und sich dann natürlich gespräche anknüpfen. Frau Ott: das war u"nheimlich positiv, ganz toll, mufi ich immer wieder sagen, auch für mich persönlich, ich mein, ich hab schon immer viel gelesen, aber man kommt halt doch an andre bücher ran. Frau Bareis: wir freuen uns auf die treffen, doch des mufi ich sagen, wir sind eigentlich jedesmal froh, wir sind fröhlich, und jeder bemüht sich dann, auch dahin zu kommen [...] am anfang war mir des nich so: wichtich. [...] und im laufe der jähre hat=s wirklichen anderen Stellenwert bekommen. Frau Gries: für mich ist der kreis etwas entspannendes,

dadurch ganz andere literatur kennengelernt

und echt

auflockerndes, profitiert.

ich hab

Alle Frauen stellen auch bestimmte Ansprüche an die Gruppeninteraktionen. Die literaturmasche soll sich einerseits unterscheiden von bloßen kaffeekränzchen mit unverbindlichem Geplauder, andererseits soll nicht nur über Literatur gesprochen werden und schon gar nicht in einer wissenschaftlichakademischen Weise. Der konkrete Lebensbezug soll gewahrt werden. Der Anspruch auf ein gewisses Niveau der Gespräche kommt im Vergleich zu anderen Gruppen zum Ausdruck, die die Frauen kennen. Uber einen Diskussionskreis, der im Lauf der Zeit immer weniger über sachliche themen diskutierte, sagt

eine Teilnehmerin: aber des war nachher

so, daß man nur noch gequatscht

und daß dann die leute aus X-heim gesagt ham: 'nee da ham wer kein mehr dran'. [...] und das ist dann auseinandergefallen (2701/81).

hat,

interesse

Uber eine Sportgruppe: da schnattert=s

und tut—s [...] des sind ganz andere leute und andere gespräche. da kam—mer net so tief schürfen, des is ausgeschlossen. außerdem sind des immer so gelegenheilsgespräche [...] und dann unterhalt ich mich mit den damen und frag die=n bißchen aus. und die sind auch froh, wenn sie mal ivas sagen können, wenn die Schwiegermutter im krankenhaus liegt, oder was weiß ich (2701/77). Der interaktive Schwerpunkt, Romane zu lesen und darüber zu diskutieren, soll auch verhindern, daß ein zu großer Wert auf die Einladung als solche gelegt wird, nämlich mit großem Aufwand Gäste zu bewirten und danach beurteilt

zu werden: wir hatten tins von anfang an darauf geeinigt, es wird hier kein kaffeekränzchen [abgehalten] in dem sinne, daß es ivas weiß ich wieviel arbeit macht für denjenigen [der einlädt] ( 1 / 9 9 ) .

Die Literaturgruppe:

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Folgende Erzählungen bzw. Romane haben die Frauen gelesen: Peter Handke: Die linkshändige Frau Robert Walser: Ballonfahrt Günter Grass: Kopfgeburten B a r b a r a Gordon: Ich tanze so schnell ich kann Christa Wolf: Der geteilte Himmel Jurek Becker: Die schlaflosen Tage, Allerweltsfreund Siegfried Lenz: Der Verlust Sibylle Knauss: Ach Elise, Herrenzimmer, Erlkönigs Töchter und andere Romane Christine Brückner: Wenn du geredet hättest, Desdemona B a r b a r a Frischmuth: Windungen Peter Härtling: W i n d r a d Peter Weiß: Abschied von den Eltern Suzanne Trou: Die Schöne Tankred Dorst: Klaras Mutter Sarah Kirsch: Geschlechter tausch (und zum gleichen T h e m a Christa Wolf: Selbstversuch). Dies ist nur eine Auswahl der Romane, die die Frauen vorgelesen haben. Meistens kennt schon eine Frau den Roman, den sie als Gruppenlektüre vorschlägt. Neugierig werden die Gruppenmitglieder auf die Romane durch Rezensionen, die in der „Zeit" stehen (ζ. B. zur Frankfurter Buchmesse). Sieben von den Frauen lesen regelmäßig die „Zeit". Eine geringere Rolle spielt der „Spiegel". Manches Buch wird auch durch Theateraufführungen des Mannheimer Nationaltheaters angeregt wie z.B. Dorsts Stück „Klaras Mutter", das in verteilten Rollen gelesen wurde. Die beiden Teile der Gruppentreffen, Unterhaltungsgespräche einerseits und Literaturlesen und -diskutieren andererseits, halten die Frauen für gleich wichtig, aber sie sehen die Gefahr, daß der Unterhaltungsteil den Literaturteil einschränkt. O f t sind die T h e m e n in beiden Bereichen dieselben: die SiUiation der Frauen in bezug auf Ehe- und Mutterrolle. Während aber Probleme mit den Kindern offen und extensiv besprochen werden, gibt es unterschiedliche Auffassungen darüber, wie weit Probleme mit den Ehemännern besprochen werden sollen. Die einen, ihren Männern gegenüber mehr auf Selbstbestimmung bedachten Frauen, beklagen, daß dieses T h e m a nicht öfter besprochen wird. Andere Frauen befürchten, daß dann latente Konflikte mit dem Ehepartner zum Ausbruch kommen könnten und daß dann auch die G r u p p e auseinanderbrechen könnte: wenn da große unterschiede in der Handhabung [ekla der Eherolle] sind, dann glaub ich, tut es gar nicht so sehr gut. außerdem will ich doch keinen davon überzeugen, daß er, was weiß ich, sich mehr emanzipieren soll oder weniger. [...] ich glaube in der tat, daß alle teilnehmer sehr vorsichtig sind, es nicht zu weit gehen zu lassen, also doch eine gewisse distance wahren, ich glaub, das ist die einzige möglichkeit, daß die gruppe so lange gehalten hat (2701/99).

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Eine andere Teilnehmerin unterscheidet Gespräche über die Inhalte von Büchern, Filmen usw. von solchen, in denen die Frauen über eigene Probleme reden: meistens sind es gespräche über andre lektüre, die ja dann mitgeteilt wird: 'hast du da"s schon gelesen oder da"s'. [...] es sind eigentlich so diese nebengespräche, die mehr laufen oder daß man über einen film diskutiert oder (mal tanz?) und dies und jenes, also von daher ist des=n stückweit, was man früher kaffeeklatsch genannt hat, als miteinander sich austauschen (2701/98). Alle Befragten stimmen darin überein, daß Diskussionen über existentielle Probleme die Ausnahme sind: [...] da brach mal mehr privates auf. des is auch jetz durch die probleme der großmüüer [einige Gruppenmitglieder wurden oder werden Großmutter], da kam auch=n bißl mehr persönliches durch, aber ich denke, das hält sich so noch im rahmen ( 2 7 0 1 / 9 8 ) . die eheprobleme werden eigentlich nicht besprochen, oder nur so ga"nz am rande, also daß mal jemand sagt: 'mensch, also im moment könnt ma wieder mal verrückt werden.' aber da geht man nich in die einzelheiten. und da sagt man nur mal, setzt sozusagen ein signal: 'mir geht=s im moment ni"ch so toll' ( 2 7 0 1 / 9 8 ) . Alle stimmen auch darin überein, daß persönliche Themen eher besprochen werden, wenn der Kreis klein ist. Dies hat einen besonderen Reiz für die Frauen: dann hieß es am letzten dienstag: 'oh toll, wenn wir nur so we:nich sind', dann freun se sich schon richtich drauf ( 2 7 0 1 / 8 1 ) . Einige miteinander vertraute Frauen stehen nach den Gruppentreffen manchmal noch vor der Haustüre der Gastgeberin und besprechen solche mehr persönlichen Dinge unter sich. In der Gruppe wurden schon einige Male Probleme mit den Ehepartnern sprochen, aber das waren Ausnahmen, von denen die Frauen in Interviews bei abgestelltem Tonband sprachen. Sie sind dabei sehr darauf bedacht, diesem Problemkreis nicht zuviele Informationen nach außen dringen zu sen. Aber daß man überhaupt Eheprobleme besprechen kann, führen sie ihr Vertrauensverhältnis zurück, das in den Jahren entstanden sei: also bei gehört zum Vertrauensverhältnis am intensivsten dazu, daß man auch über timere Sachen mal spricht, also auch wenn man mal, meinethalben auch dem mann probleme hat oder so ( 2 7 0 1 / 7 7 ) .

benur aus lasauf uns inmit

Hypothetisch in die Zukunft projizierend verlassen sich die Frauen darauf, daß sie bei den anderen Verständnis und Hilfe erfahren würden, kämen sie in eine schwierige Situation: ich könnte zu jeder von diesen einzelnen damen hingehen und könnte ihr mein herz ausschütten (2701/77). also das [Vertrauensverhältnis] trifft auf alle zu. also wenn ich hier irgendwie, was weiß ich, weil ich also krach mit meinem mann habe und einfach we"g möchte, würd ich ooch in keen hotel gehn. da würd ich (LACHT) mal

Die Literaturgruppe:

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Einführung

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eben kucken, wo schlupf ich unter (mit dem expliziten Hinweis, daß dies in der Gruppe noch nicht vorgekommen sei) (2701/99). Ich halte im folgenden die wesentlichen Eigenschaften der sozialen Selbstdefinition der Gruppe fest: - Die Gruppenmitglieder sehen sich in einer aktiven und verantwortungsvollen Rolle in bezug auf das öffentliche Leben im Stadtteil. Sie erfüllen wichtige Funktionen in mehreren Organisationen. Die „Literaturmasche" ist demgegenüber ein privater Kreis, für den sie das Recht der Selbstauswahl seiner Mitglieder reklamieren. Er ist etwas spannendes, er bietet die Möglichkeit, fröhlich zu sein. - Die Gruppe bemüht sich, die Aneignung von Literatur in einen Ausgleich zu bringen mit Themen, die von lebensweltlichen Relevanzen bestimmt sind. - Die Gruppe sucht einen Mittelweg, um einerseits ein zu flaches, anspruchsloses Kommunikationsniveau ( n u r quatschen) zu vermeiden, andererseits das Gespräch nicht übermäßig wissenschaftlich werden zu lassen, wobei sie Gefahr liefen, mit besonders intelligenten Beiträgen konkurrieren zu müssen. Diese Gefahr sahen sie bei einer möglichen Kandidatin für die Gruppe. Alle Teilnehmerinnen gelten als gleich kompetent, etwas zur Lektüre zu sagen. Die einzige Wissenschaftlerin der Gruppe hält sich zurück mit Deutungen, die aus dem Spezialwissen ihres wissenschaftlichen Bereichs stammen. - Die Gruppe will lebensweltliche Probleme besprechen und lösen; sie wahrt dabei aber thematische und beziehungsinvolvierende Grenzen (es nicht zu weit gehen lassen); sie will diese Probleme nur am Rande und nicht zu häufig (mal) besprechen. Sie ist keine Selbsterfahrungsgruppe. - Die Gruppe hat normative Vorstellungen darüber, auf welche Weise man eigene schwerwiegende Probleme anderen gegenüber ansprechen darf, ohne sie gegen ihren Willen zu belasten. Die Furcht, von einem möglicherweise unlösbaren Problem zu sehr in Anspruch genommen zu werden, war auch ein Grund, weshalb in der Anfangszeit eine Frau nicht in die Gruppe aufgenommen wurde. Einige dieser Elemente des Selbstbildes der Gruppe sollen in den Kapiteln 2 (Themen der Gruppengespräche) und 3 (beziehungsregulierende Interaktionen) daraufhin untersucht werden, wie sie sich in der konkreten sprachlichen Interaktion niederschlagen. 1.6.

Ein Überblick über die sprachlichen Aktivitäten bei den Gruppentreffen

Von allen neun aufgenommenen Treffen der Frauen wurden die thematischen und interaktionalen Abläufe in Verlaufsprotokollen festgehalten. Nach dieser ersten Sichtung des Materials vollziehen die Teilnehmerinnen folgende, vorläufig noch lediglich alltagssprachlich definierte Interaktionstypen besonders häufig:

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- Begrüßungen und Verabschiedungen; - Angebote der Gastgeberin zum Trinken (Tee, Kaffee, Sekt) und Essen (Gebäck); - lobende Äußerungen der Gäste über das Angebotene; - Regelungen organisatorischer Fragen für die nächsten Treffen (bei wem man sich trifft); - Regelungen von Aktivitäten, die die Gruppe insgesamt betreffen (z.B. ein Geschenk für eine Teilnehmerin aussuchen und kaufen; Verabredungen zu einem Theaterbesuch); - R a t einholen für lebenspraktische Dinge (z.B. wie man etwas im Garten bewerkstelligt, ob jemand eine gute Putzfrau kennt); - von sich aus Informationen geben und Informationen austauschen über lebenspraktische Dinge (z.B.: wo man etwas günstig einkaufen kann, Erfahrungen mit Ärzten); - genauere Informationen einholen über Ereignisse im Stadtteil, von denen man gehört hat (z.B.: jemand hat sich verletzt; die Polizei war in einer Straße, in der eine Teilnehmerin wohnt); - über Neuigkeiten aus dem Lebensbereich der Familie informieren und davon ausführlich erzählen (was die Kinder machen, Ehemänner, Krankheiten der Sprecherinnen und ihrer Angehörigen, Pläne für Ausflüge und Urlaube); - über Probleme des Umgangs mit Familienangehörigen diskutieren; - Aushandeln der Lektüre; Berichte von gelesenen Büchern, Rekapitulation der letzten Lektüre kurz vor dem Vorlesen; - Vorlesen des literarischen Werkes; zwischendurch Kommentare und danach Diskussion einiger Punkte aus dem Gelesenen. Um einen Eindruck vom Ablauf eines Gruppennachmittags zu geben, resümiere ich die Interaktionsfolge des sechsten aufgenommenen Treffens (mit dem linken Rand beginnend stehen Bemerkungen zur Gesprächskonstellation, zu Gesprächszentrierungen und zu interaktionsinternen Ereignissen; die eingerückten Abschnitte geben die Interaktionen größerer Einheiten wieder; in Klammern stehen Interaktionen, welche diese größeren Einheiten unterbrechen oder nebenher ablaufen): Mehrere Gespräche (z.T. unverständlich) R a t einholen für das Kochen von Marmelade. Begrüßung einer neu Hinzugekommenen, kurze Frage nach gemeinsamen Bekannten, Verteilung der Plätze, die Gastgeberin erkundigt sich, wer Tee oder Kaffee trinkt.

Die Literaturgruppe:

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Frage, ob FU kommt. Mehrere Gespräche (z.T. schwer verständlich) Frotzeleien (z.B. hier sitzen die rosaroten ladies). 1. Zentrierung R a t einholen: KE zeigt etwas von ihren selbstgestrickten Handarbeiten und fragt u m R a t . Erstes Lösungsangebot und Diskussion. (Emphatische Begrüßung von ST; Nachfragen, wie es ihr geht). Auch sie soll ihr Urteil über das Gestrickte abgeben. S T lobt es und gibt mehrere Ratschläge (sieht gut aus, aber die fransen hättest=e natürlich nach außen machen müssen). O T und BA führen die Ratschläge ins Scherzhafte weiter (un dann zopf so wie=ne punkerfrisur). Frotzel-, Vorwurfs- und Rechtfertigungssequenz, gerichtet an ST: sie wird aufgezogen, weil sie zweimal fehlte. Zwei Gesprächsgruppen (BA will von FU eine Kassettenaufnahme). S T rechtfertigt ihr Fernbleiben durch einen Verwandtschaftsbesuch. Sie wird noch einmal aufgezogen. S T rechtfertigt sich wieder: ihr Mann habe sie unter Druck gesetzt. Solidarisierung und Unmut über den Mann von ST. Mehrere Gesprächsgruppen Information einholen: Frage an ST, was ihre Tochter mache. Diese schildert kurz die neue berufliche Situation der Tochter. Frage an ST, was ihre andere Tochter mache ( = H a u p t t h e m a des zweiten Treffens), - kurze Antwort. Mehrere Gesprächsgruppen Information geben: ST schildert den überraschenden Besuch von Geschäftskollegen ihres Mannes. Frotzeln: O T wird aufgezogen. Kontroverse Erzählung: Wie zwei Teilnehmerinnen auf zwei andere im Zent r u m von Vogelstang stießen (nicht ganz verständlich). Reflexion über das Treffen: Seit langer Zeit sind wieder alle da. Aufforderung, eine Flasche Sekt kaltzustellen und Ratschläge, wie das zu tun sei. Frotzeln. 2. Zentrierung Frage, was vorgelesen werden soll. Information einholen: ST fragt OT, ob sie mehr über einen Unfall weiß, von dem sie gehört hatte. O T gibt die Information.

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Suche nach einer passenden Sitzgelegenheit für FU, da sie Rückenschmerzen hat. 3. Zentrierung Nachfragen, wie es FU geht. Leidensdarstellung: FU schildert ihre Schmerzen und berichtet von Therapiebemiihungen. Informationsaustausch über Arzte. O T erzählt eine Parallelgeschichte über verwirrende Ratschläge nach einem Unfall. Nachfragen zur beruflichen Situation von FU. Diese berichtet die Vorgeschichte ihrer Krankheit und - expansiver - über die Therapie. Frotzelsequenz: Die Gastgeberin bietet Kaffee an. Scherzhafte Interaktion: en hier war mir recht. Frotzeln: du hast gelüste, bist=e schwanger?

vielleicht

Aushandeln der Lektüre: J e m a n d schlägt ein Buch von Handke vor. 4. Zentrierung EB bittet die R u n d e u m Ruhe. KE soll über dieses Buch berichten. KE berichtet über den Inhalt; sie glaubt, daß es nicht zum Vorlesen geeignet sei. Mehrere Gesprächsgruppen EB hat ein anderes Buch mitgebracht. Es werden mehrere Vorschläge gemacht. O T berichtet, wo m a n billig antiquarische Bücher kaufen kann. Sie bietet an, einen Katalog mitzubringen. EB berichtet von Walsers Roman „Brandung", den sie gelesen h a t . Diskussion über die Kritik dieses Buches in der „Zeit"; Qualität der Übersetzung. Frotzeln unter Ausnützung des Titels des Buches. Aushandeln der Termine: An welchem Termin m a n sich bei wem treffen kann. (KE und EB informieren über ein Theaterstück). Fortsetzung der Terminplanung. (Frotzeln gegen BA). Die Terminplanung geht ins Scherzhafte über: wer als Gastgeberin am meisten bieten kann. Nachfragen zur Tonbandaufnahmeaktion. 5. Zentrierung Aushandeln der Lektüre. KE fordert die Runde auf zu überlegen, was m a n lesen soll. Lange, kontroverse Diskussion über Handke. Nochmaliges Nachfragen zur Krankheit von FU. Diese berichtet in lustiger Weise über ihr Leiden. Die Zuhörerinnen wandeln das T h e m a scherzhaft ab: also ich häng mich halt immer auf.

Die Literaturgruppe·:

Ethnographische

Einführung

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Aushandeln der Lektüre: Frage, ob m a n abstimmen soll. Kompromiß: wir lesen ihn mal an. Aushandeln, wer vorliest. Vorlesen der Erzählung von Handke. Kurze Kommentare dazu. Unbekannte Sachverhalte werden aufgeklärt. (Die Gastgeberin bringt den Sekt). Diskussion über den 'Held' der Erzählung. Die Kommentare werden zunehmend kritisch: auf mich wirkt das wahnsinnig ermüdend und langweilig. (Die Vorleserin merkt, daß immer weniger Frauen konzentriert zuhören). Scherzhafter Vorwurf: fehlendes Interesse, scherzhaft empörte Zurückweisung. Rat einholen: wie etwas gestrickt werden soll. Ratschläge. [Ende der ersten Seite des Kassettenbandes] Fortsetzung Vorlesen. Scherzhafte Kommentare, Metakommunikation der Vorleserin: Sie merkt den Widerwillen einer Zuhörerin. Scherzhaftes Lösungsangebot (Frotzeln gegen das Stricken von KE). Neues Aushandeln der Lektüre. Vorschlag: nur noch ein Stück weiterlesen. Weitere sich lustig machende Kommentare zur Erzählung und ironische Zwischenbemerkungen (donnerwetter). O T fordert zum Abbruch der Lektüre auf ( a u f h ö r n , ende). Allgemeines Lachen, Wertungen der vorgelesenen Erzählung (beinah wie beim Ulysses). Konsens: Wer will, kann das Buch für sich zu Hause lesen, was lesen wir in zukunft? Vorschlag: Walser: „Brandung". Diskussion über das 'Anlesen' von Texten. Gegenseitige Informationen über Walser. Vorlesen aus einem Werbetext. (Unterbrechung durch Telefon, Information an die Gastgeberin). Weitere biographische Informationen über den Autor oder die Autorin. Organisation des Treffens: W a n n wird der Sekt geöffnet? Frotzelsequenz: Die Gastgeberin soll keine neuen Gläser holen, wir können aus der flasche trinken. Lachen. Fortsetzung des Vorlesens aus dem Werbetext. Vorlesen einer kurzen Erzählung von Walser. Kommentare dazu. (Die Gastgeberin macht, den Sekt auf, Frotzelsequenz zum T h e m a Alkohol). Informationsaustausch: O T kennt eine gute Putzfrau, die sie vermitteln kann. Wer eine P u t z f r a u hat und wer nicht. Lob für Putzfrauen, die aus Schlesien kommen. Information geben: S T berichtet über ihre Krankheit. (Das Tonband wird abgestellt). Dieser Nachmittag ist insofern außergewöhnlich, als die ganze G r u p p e sich zum ersten Mal seit den Sommerferien wieder trifft. Häufiger als sonst spaltet sich die G r u p p e in zwei oder in mehrere Untergruppen. Zum einzigen Mal wird das Tonband abgestellt, wahrscheinlich weil Frau Sternberg von ihrer Krankheit oder einem Krankheitsverdacht berichtet, von dem sie nicht will, daß er

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Die soziale

Welt des gebildeten

Bürgertums

aufgenommen wird. Anders als sonst sprechen die Frauen öfter scherzhaft, sie frotzeln mehr, es war ihr lachnachmüiag, wie eine Teilnehmerin sagte. Aber verglichen mit den anderen Aufnahmen lassen sich einige Gemeinsamkeiten der Sequenzierung von Interaktionstypen feststellen: - Die Eingangsphase bis zur ersten zentrierten Interaktion: Begrüßungen, kurzer Informationaustausch, Erkundigungen über abwesende Mitglieder. - Zentrierte Interaktionen vor dem Vorleseteil: Organisation der nächsten Treffen und der Angelegenheiten, die alle betreffen; Rat einholen; Berichten und Erzählen über Urlaubserlebnisse, Ereignisse in Vogelstang und in den Familien; Parallelgeschichten und anschließende Diskussionen dazu. Aushandlung des Lesestoffes; Rekapitulation der Erzählung bis zu der Stelle, an der das Vorlesen beginnt. - Vorlesen: Kommentare. - Nach dem Vorlesen: Diskussion über einzelne Aspekte der Lektüre; Nachholen bislang vergessener oder unterlassener Fragen, Informationen, Verabredungen. Wie aus der protokollartigen Dokumentation des Verlaufs des 6. Treffens zu ersehen ist, werden einzelne thematische Interaktionsstränge von anderen unterbrochen und danach wieder aufgegriffen, oder sie werden diskontinuierlich an zwei zeitlich getrennten Stellen behandelt (hier die Krankheit von Frau Funke.). Dennoch lassen sich einige größere Interaktionseinheiten ziemlich klar voneinander trennen; für unseren Fall: Rat für's Stricken (Frau Kerk); VorwurfRechtfertigungssequenz wegen häufiger Abwesenheit (Frau Sternberg); Schilderungen der Schmerzen und der Therapie von Frau Funke; Aushandlung der Lektüre und der Termine. Es gibt thematisch gebundene Interaktionen, mit denen sich die Frauen nur an bestimmte Anwesende wenden (z.B. kurze Ratfrage zum Stricken, Informationen für eine bestimmte Frau, sich verabreden zu einer sportlichen Tätigkeit), die im Eingangsteil der Treffen behandelt werden oder später nebenher ablaufen oder ganz zum Schluß noch nachgeholt werden und zu Spaltungen der Gesprächsfokussierung führen. Es gibt Initiativen, die den Anspruch erheben, von allen gehört und behandelt zu werden (Ratfragen, ohne daß die Sprecherin weiß, welche der Angesprochenen den Rat geben kann; wichtige Neuigkeiten aus der Familie und aus dem Lebensbereich in Vogelstang). Für sieben der neun aufgenommenen Treffen lassen sich auch Interaktionseinheiten ausmachen, die für den jeweiligen Nachmittag die wichtigsten waren und folgende Gemeinsamkeiten haben: - Die Frauen beteiligen sich an ihnen engagierter als an anderen Teilen und sie konzentrieren sich auf ein Gespräch.

Die Literaturgruppe:

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Einführung

- Die zentralen Einheiten n e h m e n längere Zeit in Anspruch. - In ihnen wird ein persönliches P r o b l e m einer Anwesenden b e h a n d e l t . Solche zentralen Teile sind: 1. Treffen: Leidensdarstellung von Frau Becker: mein heimweh

geht nicht weg (Text 7). 1

2. Treffen: E r z ä h l u n g von Frau Sternbergs Tochter: wir ham ja immer (Text 1) u n d Diskussion.

noch nich

jeheiratei

3. Treffen: E r z ä h l u n g u n d Diskussion zu P r o b l e m e n , die m i t dem Umzug der Tochter von Frau Bareis z u s a m m e n h ä n g e n : jetzt zieht sie zu ihrem knülch (analysiert in Beitrag 8 von B a n d 1). 4. Treffen: Frau Kerks Bericht von der Arbeitslosigkeit ihrer Tochter und der K r a n k h e i t ihres Mannes: er darf kein tennis mehr spielen (Text 10). 5. Treffen: Leidensdarstellung von Frau Senft: mir geht=s nich so gut (Text 6). Mitgefühl u n d Diskussion der G r ü n d e , Versuch einer Lösung. 6. Treffen: Leidensdarstellung von Frau Funke: eine krankheit, die überhaupt nichts taugt (Text 4) u n d vielleicht von Frau Sternberg nach dem Abschalten des T o n b a n d s . 7. Treffen: (ein vergleichbarer Interaktionsschwerpunkt fehlt; häufige Frotzeleien). 8. Treffen: (ein vergleichbarer Interaktionsschwerpunkt fehlt). 9. Treffen (bei d e m ich anwesend war): Diskussion über Erziehungsfragen (Text 60). Bei den zentralen Interaktionsteilen der U n t e r h a l t u n g e n vor u n d nach den Vorleseteilen wechseln auch jeweils die Personen, deren P r o b l e m e im M i t t e l p u n k t stehen: Frau Becker, Sternberg, Bareis, Kerk, Senft, Funke; beim neunten Treffen e n t z ü n d e t sich die Diskussion an den Kindern der Familie Kerk, wird aber m i t denen anderer Familien in Beziehung gesetzt. Schon d a r a u s kann m a n sehen, d a ß es eine gewisse demokratische Verteilung des Rechts gibt, eigene Probleme in der G r u p p e zu besprechen. Es dominiert keine der Frauen bei den zentralen Teilen in mehreren Treffen. 1

Die „namengebenden" Zitate verweisen auf später zu analysierende Gesprächsausschnitte.

Die soziale Welt des gebildeten

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Bürgertums

Ein Zeichen, daß auch in der Erinnerung der Frauen die genannten Teile der Zusammenkünfte am stärksten haften blieben, ist die Tatsache, daß wenn eine Teilnehmerin auf ein Thema des letzten oder vorletzten Treffens zu sprechen kam, sie einen Aspekt dieses zentralen Teils auswählte. 2 Dies geschieht - beim 3. Treffen als Erinnerung an den Rat aus dem 1. Treffen, mit einem Problem fertig zu werden; - beim 4. Treffen bezogen auf die Erzählung jetzt zieht sie zu ihrem knülch mit einer Nachfrage, wie es mit den Möbeln der Tochter weitergegangen sei; - beim 6. Treffen mit zwei Erkundigungen zu den Töchtern von Frau Sternberg, von der eine Tochter den Anlaß zu der ausgedehnten und lustig erzählten Geschichte wir ham ja immer noch nich jeheiratet des zweiten Treffens gab; sie reicht deshalb soweit zurück, weil Frau Sternberg zwei Treffen hintereinander fehlte; - beim 7. Treffen nach der Krankheit von Frau Funke, die beim Treffen zuvor im Mittelpunkt stand. Schließlich bestätigt sich auch aus den Interviewäußerungen der Gruppenmitglieder, daß es Interaktionen gibt, an denen sie mit größerem Interesse und mit mehr Anteilnahme mitwirken als an anderen, und daß gerade diese Gesprächsteile den Reiz und das Wertvolle an den Gruppentreffen ausmachen. Frau Ebert: manchmal waren es schon ganz intensive gespräche vorher, vor dem lesen, wenn einzelne damen gekommen sind, die großen hummer hatten mit irgendetwas (2701/77). Aus einer Diskussion: FU: es kann durchaus sein, daß wir uns so festschwätzen, jedesmal SE: ja daß es auch probleme sind, die einer hat, die beredet werden [...] FU: jaja, also nich nur, daß wir über irgendwas reden, sondern daß eine wirklich ein problem hat, über das/ GR: da warst du damals bahnbrechend FU: ich mit meiner tochter seinerzeit? GR: ja das war ein durchbrach für die art des gesprächs, hab ich den eindruck gehabt FU: also ich stand einfach so unter druck, ich hab/

(40/1) 2

Es gibt vielleicht eine Ausnahme, bei der aber nicht zu entscheiden ist, ob sie nicht doch einen zentralen Interaktionsteil betraf, weil es um den Gesundheitszustand von Frau Sternberg ging, der zum Schluß des 6. Treffens ausgeblendet wurde.

Die Literaturgruppe:

Ethnographische

Einführung

21

Frau Bareis (zu einer Diskussion über Männer-Frauen-Beziehungen, die nicht a u f g e n o m m e n w u r d e ) : da gingen zum schluß die meinungen relativ auseinander und da haben wir uns also mindestens noch ne halbe stunde oder fast eine stunde hinterher noch zusammengehockt und darüber gesprochen, uns die köpfe sehr heiß geredet und sehr engagiert [...] das war also wirklich super [...] das war ganz toll, weil da auch wirklich eine diskussion entstanden ist ( 2 7 0 1 / 7 9 ) . F r a u S t e r n b e r g : wenn ich von meinem gefühl dazu reden soll, bedeutet mir der literaturkreis mehr als der XY-kreis für mich persönlich [...] das [ = ein wichtiges T h e m a kommt dann auch ganz plötzlich, daß man mittendrin sagt 'kann ich mal stören, also übrigens, also das muß ich ganz schnell loswerden'

[...]. [über das Wiederhören einer Tonbandaufnahme, in der sie ein Problem p r ä s e n t i e r t e ] : es handelte sich darum, daß man ein gespräch [über ein P r o b l e m ] nach wochen, monaten wieder hörte, was sich in der Zwischenzeit erledigt hatte, somit empfand ich das als etwas peinlich für mich, daß es so ein gewicht hatte, daß ich das in der weise darbrachte, weil es mich sehr bewegt hatte, und nach monaten war das abgeklärt. [...] der ton, der da vorherrschte von meiner seite, das war also der ausdruck tiefster erregung ( 2 7 0 1 / 8 2 ) .

Betrachtet man die jeweiligen Ereignishöhepunkte der Treffen von einem kommunikationstypologischen Gesichtpunkt aus, dann sind es meistens narrative Typen: Erzählungen, Berichte und Informationen über Sachverhalte, die in der Vergangenheit liegen, aber noch eine starke lebenspraktische Relevanz für die Gegenwart der Betroffenen haben. Es fällt auf, daß einzelne Interaktionstypen bzw. -modalitäten quasi ansteckend wirken und auf lange Strecken die Unterhaltungen, bisweilen sogar ein ganzes Treffen prägen. Dies gilt für das 2. Treffen, wo mehrmals Ereignisse in einer ironischen Art der Darstellung besprochen werden; für das 4. Treffen, wo drei sehr ernste Vorfalle aus zwei Familien mitgeteilt werden; für den 6. Nachmittag, in der sich spaßige und frotzelnde Interaktionsformen durchsetzten. Fünf der zentralen Teile lassen sich auch thematisch eingrenzen: a) Krankheiten und psychische Leiden und deren gegenwärtige Folgen für eine der Frauen (Frau Becker, 1. Treffen; Frau Senft, 5. Treffen; Frau Funke, 6. Treffen); b) wichtige Ubergänge zu einem neuen Lebensabschnitt einer Tochter und die daraus erwachsenden Probleme (Frau Sternberg, 2. Treffen; Frau Bareis, 3. Treffen). Auch die übrigen beiden wichtigsten Teile von Gruppentreffen haben eine thematische Nähe zu diesen Themen; es ist ein Bericht über die Diagnose und erste Therapie einer schweren Krankheit des Mannes von Frau Kerk (4. Treffen) und eine lebhafte Diskussion über die Frage, wie streng bzw. nachsichtig man mit seinen Kindern umgehen soll, wenn sie sich langsam vom Elternhaus lösen, insbesondere was ihre finanzielle Unterstützung betrifft (9. Treffen).

22

Die soziale Welt des gebildeten

Bürgertums

Diese Interaktionseinheit ist als einzige längere Zeit von einem a r g u m e n t a t i ven I n t e r a k t i o n s m o d u s b e s t i m m t , während alle anderen sich in einem R a h m e n informierender, darstellender u n d erzählender Interaktionen bewegen. 3 A r g u m e n t a t i v e Gespräche als wichtigste Teile eines Treffens scheinen im Korp u s u n t e r r e p r ä s e n t i e r t zu sein, denn in einem Interview nach Abschluß der A u f n a h m e s e r i e sprach Frau Bareis gerade von einer diskussion, bei der m a n sich die köpfe heißgeredet h a b e (s.o.). Unserem Forschungsinteresse entsprechend sollen diejenigen I n t e r a k t i o n s t y p e n beschrieben werden, die f ü r den sozialen Z u s a m m e n h a l t der G r u p p e n besonders wichtig sind. Nach unserem ethnographischen Vorgehen m u ß dies aus der Sicht der G r u p p e n m i t g l i e d e r b e s t i m m t werden, also die f ü r sie wichtigsten T h e m e n u n d I n t e r a k t i o n s t y p e n , an denen sie sich engagiert beteiligen. Das heißt f ü r die L i t e r a t u r g r u p p e , d a ß zunächst in Kapitel 2 die in der G r u p p e a m ausführlichsten b e h a n d e l t e n T h e m e n beschrieben werden; dies sind Ereignisse in der eigenen Familie der Frauen sowie Krankheiten eines G r u p p e n m i t g l i e d s oder eines Familienangehörigen. D a beide T h e m e n ein m e h r oder weniger starkes K o n f l i k t p o t e n t i a l f ü r die Frauen h a b e n , werde ich diese T h e m e n nach den B e a r b e i t u n g s f o r m e n f ü r den G r a d der ' P r o b l e m g e l a d e n h e i t ' untergliedern. In Kapitel 3 werden d a n n die K o m m u n i k a t i o n s f o r m e n besprochen, die f ü r den Z u s a m m e n h a l t der G r u p p e besonders wichtig sind.

3

Zur Unterscheidung zwischen deskriptiver, narrativer und argumentativer Sachverhaltsdarstellung vgl. Brinker (1985, S. 59-76).

Themenbereiche

2.

23

Themenbereiche

Die Themen, über die die Frauen sprechen, werden hier nur listenartig zusammengestellt. Zu fast allen gibt es im Laufe dieser Untersuchung Beispiele. Im vorhergehenden Kapitel wurde schon ausgeführt, welche Themen mit besonderem Interesse und für eine längere Zeit besprochen werden. a) Mit den Einladungen gegebene Themen: Planung der Treffen, Bemerkungen zu den situativen Gegebenheiten der Treffen (Sitzanordnung, Getränke und Gebäck, Haustiere); Geschenke für Geburtstage von Gruppenmitgliedern; Lektüre von Romanen: Berichte und Wertungen von gelesenen Büchern, Auswahl und Diskussion über Bücher, die vorgelesen werden sollen. b) Individuelle und familiäre Situation der Frauen: - Für die Frauen selbst: Krankheiten, Erfahrungen mit Ärzten, Sport- und andere Freizeitaktivitäten, Ausflüge, Urlaub, Reisen und Ausstellungen, Informationen über Theateraufführungen. - In bezug auf Kinder und Enkelkinder: ihre Lebensauffassungen, Ansprüche an ihre Eltern, neue Lebensabschnitte wie Abitur, Beruf, Heirat, neue Beziehungen, Besuche bei den Kindern (und Enkelkindern). - In bezug auf die Ehemänner: Krankheiten, Beziehungsprobleme. - In bezug auf die Eltern (Geburtstage). c) Häusliche Themen: Kochen, Kochrezepte, Küchen- und Wohnungseinrichtung, Putzfrauen, Gartenarbeiten, Haus- und Gartentiere. d) Erlebnisse in anderen Gruppen: Sportgruppen, künstlerische und andere Freizeitgruppen, Wochenendseminare und andere Gruppen. e) Beruf: Wurde in den aufgenommenen Sitzungen nur einmal thematisiert (am Beispiel zweier Frauen). f) Nachbarn: Besondere Vorfälle, Streitigkeiten. g) Gemeinsam bekannte Personen aus Vogelstang: Kurze Klatschgeschichten und Informationen über neue Ereignisse (Unfälle); über Personen, Ferien, offizielle Besuche. h) Vogelstangbezügliche Themen: Preisgünstige Einkaufsmöglichkeiten etc.. i) Überregionale Ereignisse: Z.B. Katastrophen und Unglücksfälle;

24

Die soziale

Welt des gebildeten

Bürgertums

k) Assoziationen: Ahnliche Ereignisse in der Vergangenheit. In diesem Zusammenhang ist auch interessant, worüber die Frauen n i c h t sprechen. Bei den aufgenommenen Treffen gibt es keinen Klatsch über das Verhalten von anderen Menschen in deren privaten Lebensräumen (das Verhalten von Ärzten, von Referenten, von Nachbarn, die eigene künstlerische Arbeiten ausgestellt haben). Wenn geklatscht wird, werden Handlungen thematisiert, die Personen in der Öffentlichkeit oder bei der Ausübung ihres Berufes vollzogen haben. So wird z.B. über die falsche Diagnose eines Arztes bei einer gemeinsamen Bekannten gesprochen. Außereheliche Beziehungen sind dagegen kein Klatschthema. Uber Politik, von der Stadtteil- bis zur internationalen Ebene, sowie über religiöse und kirchliche Dinge wurde nicht gesprochen. Diese Themenkreise kommen bei den aufgenommenen Treffen jedenfalls nicht vor; es mag aber sein, daß in Zweiergesprächen unter Vertrauten über diese Themen gesprochen wird. Es fällt weiter auf, daß Ereignisse im Arbeitsleben der beiden berufstätigen Frauen ebenfalls nicht besprochen werden. Auf potentielle Tabuthemen wie 'Emanzipation' und 'Beziehung zum Ehemann' komme ich in Kap. 6.3 noch zu sprechen. Da es sehr wahrscheinlich ist, daß es den hier zu untersuchenden Gesprächsstil, jedenfalls der Tendenz nach, überall in größeren Städten der alten Bundesrepublik in Frauengruppen mit ähnlicher sozialer Herkunft und gruppenspezifischen Interessen gibt, möchte ich hier noch der Frage nachgehen, welche vogelstangspezifischen Themen in den Gesprächen aufgegriffen werden. Dazu gehören Informationen über Einkaufsmöglichkeiten in Vogelstang, wobei die Frauen die Geschäftsführenden persönlich kennnen; außerdem Ereignisse, an denen sie durch ihre Freizeitbeschäftigungen ein Interesse haben (z.B. Ausstellungen). Für die Beziehungen zum Stadtteil ist es charakteristisch, daß Ereignisse mit den Namen bekannter Personen verbunden werden, so daß die Gruppenmitglieder auch über bestimmte Personen informiert werden, die sie nicht persönlich, aber vom Hörensagen kennen. Wie sehr den Frauen an einer namentlichen Identifizierung der Personen liegt, über die gesprochen wird, zeigt sich an der Darstellung eines Unfalls, bei dem diese Identifizierung fehlte. Einer Anwesenden fiel bei einer Unfallerzählung auf, daß eine bestimmte Person diejenige sein könnte, durch die sie ebenfalls von einem Unfall gehört hatte. Die Erzählerin konnte aber nicht sagen, um wen es sich handelte, da sie den Namen der Frau, die diese Geschichte erzählt hatte, vergessen hatte. Das heißt also, wenn man von Ereignissen sozusagen mit Leerstellen bezüglich der beteiligten Personen Kenntnis hat, versucht man in der Gruppe, die Leerstellen durch Personenidentifizierung zu füllen. Ahnliche Nachfragen gibt es öfters in den Gesprächen (vgl. die Analyse zu Text 15 die hat sich so angebiedert). Eine Frau hat gesehen, wie ein Polizeiwagen in die Straße fuhr, in der eine andere Frau wohnt, und daß Polizeibeamte dort Photoaufnahmen machten. Sie will nun von derjenigen, die dort wohnt, wissen,

25

Themenbereiche ob bei euch

irgendetwas

vorgekommen

[ist] in letzter

zeit

(40/9,2).4

Für

den

Außenstehenden ist es überraschend, daß trotz vielfaltiger Verbindungen zum Stadtteil und obwohl einzelne Frauen selbst bzw. ihre Ehemänner in wichtigen Organisationen mitarbeiten, vogelstangspezifische Themen selten und nur flüchtig behandelt werden. Die Beschreibung der Themen und Interaktionsformen wird sich nicht immer strikt getrennt durchführen lassen, so daß schon in den ersten Analysedurchgängen auch sozialregulierende Interaktionstypen mitbeschrieben werden, die danach noch einmal eigens thematisiert werden. Bei den folgenden Beschreibungen gehe ich jeweils von transkribierten Dialogstücken der zentralen Interaktionseinheiten der Treffen aus und vergleiche sie dann mit ähnlichen oder unterschiedlichen Materialien. Das Beschreibungsinteresse liegt auch in diesem Kapitel schon auf der gruppenspezifischen Art der Realisierung von Interaktionstypen. Das heißt im einzelnen: - Lassen sich wiederkehrende Muster erkennen, nach denen Sachverhalte dargestellt werden? - Welche Möglichkeiten nutzen die Frauen, um ihre Einstellungen zu den mitgeteilten Sachverhalten auszudrücken? Dies betrifft insbesondere modalisierende Redeweisen des scherzhaften, ironischen und des impliziten Sprechens. - Gibt es Fehlschläge bei der Realisierung von Interaktionstypen, die sich aus einer Verkennung der gruppenspezifischen Realisierungsnormen erklären lassen? - Lassen sich bei den Themen, die mit starken Gefühlen verbunden sind, Bearbeitungsmuster erkennen, die darauf hindeuten, daß die Frauen einen gemeinsamen Gesprächsstil praktizieren? Insofern werden in diesem Kapitel schon Besonderheiten der sprachlichen Kommunikation festgehalten, die in Kap. 3 näher untersucht werden. 2.1.

Sprechen über sich und die Familie

2.1.1.

Kleine Probleme: Ironisches Sprechen

Die Behandlungsformen von Ereignissen in der Familie hängen davon ab, ob sie - ein geringes oder starkes Problempotential haben; - ob das Problem eine Beteiligte selbst oder ihre Familienangehörigen betrifft; 4

Die Frauen kennen also eine Reihe von Personen - meist aus den Vereinen und Organisationen, an denen sie teilnehmen; sie kennen Nachbarn, die Eltern von Mitschülern der Kinder - und sie wollen wissen, was ihnen widerfahren ist. Damit bleiben sie im Rahmen der aktuellen Ortsgeschichte auf dem laufenden.

26

Die soziale Weit des gebildeten

Bürgertums

- ob die Betroffene selbst einen Problemfall in ihrer Familie thematisiert oder ob sie von den anderen dazu gedrängt wird, darüber zu sprechen. Ereignisse mit einem leichten Problemgehalt werden vorzugsweise in einer lustigen oder ironischen Weise besprochen, mit der diejenigen Frauen, die von dem Ereignis betroffen sind, demonstrieren, daß sie alle problematischen Implikationen überwunden haben. Schwere Probleme werden dagegen in der Modalisierung der Betroffenheit und des Ernstes besprochen; aber auch hier wirkt die Regel der Distanzierung fort, wenn dieses Problem nur die Betroffenen selbst, nicht ihren M a n n , ihre Eltern oder ihre Kinder betrifft. Schwerwiegende oder auch nur potentiell imageberührende Ereignisse, die nicht eine Betroffene von sich aus anspricht, bedürfen erst einer Aushandlungsphase, ob sie ü b e r h a u p t thematisiert werden können. Die Abfolge der zu beschreibenden Ereignisdarstellungen aus dem individuellen und familiären Lebensbereich ordne ich deshalb so, daß zuerst Ereignisse mit geringem problematischen Gewicht behandelt werden (Kap. 2.1.1.), dann schwerwiegende Probleme, die nur eine Beteiligte betreffen (psychische und physische Leiden) und die unter der doppelten Darstellungsregel stehen, einerseits innere Distanz zu zeigen, andererseits den Adressatinnen nicht ein Problem aufzudrängen (Kap. 2.1.2.); dann wieder schwerwiegendere Probleme, die aber ein Familienmitglied betreffen - diese werden in der Modalität betonten Ernstes sowohl von den Betroffenen als auch von den Adressatinnen behandelt (Kap. 2.1.3.). Und schließlich will ich an zwei Beispielen, einem ernsten Krankheitsfall eines Ehemannes und einem der Gefahr der Neugier und Indiskretion unterliegenden Ereignis zeigen, wie Themen, die nicht von der betreffenden Frau in die G r u p p e eingebracht werden, zuerst in ihrer Thematisierbarkeit besprochen werden. In Beitrag 8 des ersten Bandes h a b e ich schon ein Beispiel für die zweite Behandlungsweise analysiert: die betont ernste Erzählung einer Mutter von einer anstehenden Entscheidung ihrer Tochter (Beispieltext: sie zieht zu ihrem kniilch). An der Art, wie die Geschichte erzählt wird und wie die Beteiligten darauf eingehen, wurden schon Regeln des Sprechens beschrieben, wie sie auch für die folgenden Durchführungsweisen narrativer Darstellungen gelten: z.B. implizite Wertungsangebote der Erzählerin, die von den Adressatinnen explizit gemacht werden; das Ergreifen der Initiative durch die Adressatinnen nach der Erzählbeendigung und die argumentative wie scherzhafte Behandlung des Erzählkerns; das gemeinsame Herausarbeiten von Verhaltensmaßstäben, die für alle gelten (im vorliegenden Fall: das Verhalten als Mütter von erwachsenen Töchtern).

27

Themenbereiche

2.1.1.1. Ironische und scherzhaft modulierte Ereignisdarstellung Ich gehe zunächst von einer traditionellen Definition von 'Ironie' aus, nach der eine Äußerung ironisch ist, wenn man etwas anderes meint, als was man sagt. 5 Ironie wird hier als eine Art konversationeller Rahmung verstanden, mittels derer ein Sprecher für den Hörer den Bezug zur Wirklichkeit, vor allem seine Einstellung zu den thematisierten Sachverhalten anzeigt. 6 Mir geht es im Zusammenhang des kommunikativen Verhaltens der Literaturgruppe um die Frage, nach welchen Gesprächsregeln und mit welchen sprachlichen Mitteln Einstellungen zu bestimmten Wirklichkeitsausschnitten ausgedrückt werden. Als Beispiel für eine ironische Ereignisdarstellung wähle ich eine Sequenz aus dem zweiten aufgenommenen Treffen. Das dort verhandelte Thema ist das zentrale kommunikative Ereignis dieses Nachmittags. Frau Sternberg kam damals zum ersten Mal nach den Sommerferien wieder zur Gruppe. Kurz vor dem zu analysierenden Ausschnitt hatte eine andere Teilnehmerin von ihren Urlaubserlebnissen berichtet. Die Anwesenden wußten, daß die Tochter von Frau Sternberg in der Zwischenzeit kirchlich heiraten wollte. Sie wird also gefragt, wie die Hochzeit gewesen sei. Frau Sternberg teilt mit, daß die Hochzeit ausfiel. Diese Nachricht löst allgemeine Überraschung aus und Frau Sternberg muß nun erklären, warum es nicht zur kirchlichen Trauung kam: Das junge Paar hatte sich ein Haus gekauft und war so sehr mit dem Einrichten von Haus und Garten beschäftigt, daß es keine Zeit fand, auch noch das kirchliche Hochzeitsfest zu planen. Dies sind zumindest die äußeren und zuerst genannten Gründe von Frau Sternberg. Für die ganze thematische Einheit hat Frau Sternberg die primäre Sprecherrolle; 7 sie ist diejenige, die ihr Wissen weitergeben soll, sie wird gefragt, sie steht gewissermaßen unter einem Rechtfertigungsdruck, plausibel zu machen, warum ein erwartetes großes familiäres Ereignis nicht stattgefunden hat. Die Art, wie Frau Sternberg die Ereignisse und Gründe des Aufschubs darstellt, und die Art, wie die anderen Teilnehmerinnen darauf reagieren, sollen nun abschnittweise nach kommunikativen Handlungskomplexen beschrieben werden.

5

Tadel durch Lob, vgl. Lausberg (1960, § 582, § 583). Für den Bereich der uneigentlich gemeinten Äußerungen gibt es wenig klassifizierende, auf empirischem Material beruhende Untersuchungen. Vgl. aber Berg (1978), Müller (1983), Schütte (1987); mit transkribierten Ironiesequenzen haben nur Myers (1982) und Härtung (1991) gearbeitet.

6

Vgl. Kallmeyer (1979) zur Modalität der Exaltation.

7

Zum Begriff des 'primären Sprechers' vgl. Wald S. 143ff.).

(1979) und Bublitz

(1988,

28

Die soziale Welt des gebildeten

Text la: wir harn ja immer

noch nich

Bürgertums

jeheiralei

1. Abschnitt: Thematisierung Der Abschnitt setzt ein, nachdem Frau Kerk den Bericht über ihren Urlaub schon erkennbar mit einer generellen Wertung abgeschlossen hatte jedenfalls * hat uns der urlaub sehr gut gefallen. Frau Bareis wechselt danach Adressatin (von Frau Kerk zu Frau Sternberg) und T h e m a (von Urlaub zu Hochzeit): 01 BA: es is fantastisch dann ha:m es se geht ja doch 19 FU: —»(···) normalerweise (...) 20 KE: eigentlich=ne hochzeitsfeier * ja wo"llen die denn 21 FU: trauzeugen oder so was ja 22 ST: ja unbedi"ngt| * 23 KE: überhaupt kirchlich trauenf

wegen der

24 ST: #wegen der kirchej« * un Κ «ERNST* 25 KE: feierj oder wegen der kirchej 26 ST: nu:n hatten hatten se noch=n ga"nz tollen knüller gehabt * 27 ST: den sie als/ eh: * denn da war also * des hau"s dieser 28 ST: hau"skauf >war gar nicht des wesentliche und der umzugf * 29 ST: sondern sie: » des is=n is ja diese XY-jemeinde zu der sich 30 ST: die «NNl-leute« * eh: hingezogen fühlenf * die in der Κ «KONFESSIONELLE GRUPPE« 31 ST: Ebertstraße sind- * und da" hatte die prie"sterin zu ihnen 32 ST: gesacht * sie wären hätten beide noch nich die sitt/ die 33 ST: nötige «sittliche rei:fe# um vor go"tt zu tretenJ und da" Κ «STIMMWECHSEL; TIEFERE TONLAGE«

Themenbereiche 34 ST: müßten sie erst wohl noch ü"ben oder was weiß ich LACHT 35 KE:

LACHT

36 ST: ja u n nichj d a is mir natürlich auch für=s erste die 37 ST: milch dick geworden dannl solche weißt=e solche solchem 38 BA: »mhm* Κ »STÖHNEND* 39 ST: schwa"chsinnt 40 BA: ja u n des ist du sach mal kam*ma 41 KE: bitte was is denn das für ein verei"n 42 ST: XY/ eh nicht #NN2t eh die Κ «KONFESSION* 43 BA: des e"rnst nehmenf 44 GR: ja sag malΤ ich bitte dich 45 ST 46 FU 47 BA

XY-gemeinde heißt desj. die" in der Ebertstraßef und die

48 ST: ja die sin die d a ja 49 BA: kommen aus der aus der NNl-bewegungf 50 ST: die sin/ 51 BA: u n und d a ist die Claudia aktivT 52 GR: das ist aber dann ein ein sehr 53 ST:

j_a nun aktiv du/ eh durch ihr/ durch

54 GR: spezieller ableger der NN1 55 ST: ihre eh eh NN1 * eh a"nwandlungen und durch diesen/ durch eben 56 ST: ihren ihren e"hemann| 57 BA: is der 58 GR: NNl-er]

(...)

ist ein NNl-er

59 ST: kein e"chter ein ein 60 KE: is der eh en NNl-schülerj oder was 61 ST: gemäßichterj ja(. . .) wollt ich grad sagen 62 GR: aber das d a (...) 63 FU: ( ) 64 ST: em 65 KE: >ein NNl-schülerj ** und was studiert der jetztf 66 FU: (...) 67 ST: ingenieurwissenschaft * er is aber mit seinem * Studium

44

Die soziale Welt des gebildeten

Bürgertums

68 ST: und nit dem zusatzstudium is er fertich] 69 FU: was studiert er] 70 ST: 71 KE: 72 FU: ich hab es jetzt grade/ 73 ST: ingenieurj * 74 KE:

ingenieurwissenschaft ingenieur

der is ingenieur un nu

und * nu" baud er*s eigene häusl um]

75 ST: baut er»s eigene häusl uaj * 76 GR: ja und von was für 77 ST:

ich nehme an vom vater * das muß der vater *

78 GR: grundkapitalf hau die des gekauftΤ * vom vater 79 ST: der vater hat wohl=s ei"gene haus beliehen und —»wir sind 80 ST: da also ni"cht informiert worden wir sind immer vor vollendete 81 FU: un dann hab Κ * 23 OT: a: so:: 24 FU: ich gedacht na ja des is also offensichtlich ni"ch so schlimm 25 BA: ja es is doppelt dann 26 EB: bi"llich ja| ja] *2*

05 FU: —*ah hört mal was ganz a"nderes| habt ihr heut die kritik 06 FU: von den #To"p-Girls/T# * Κ «THEATERSTÜCK« 07 GR: mhm 08 KE: jaj. 09 NW: stand des in der zeitungf 10 ST: ich hab noch gar keene zeitung gelesenl 11 GR: aber da schmeckt der boden anders] * 05 EB: #zum glück hasch du Κ «LACHEND 06 EB: noch e baar leid die do mi"tesse des kenne mer ne"t alles Κ 07 ST: ich muß 08 EB: esse# Κ # 09 BE: #och wem=mer tins bemühen!* 10 BA: «wir werdn uns dra"nhalten nicht* Κ «BA UND BE SPRECHEN BETONT ÜBERZEUGT « 11 ST: sagen bei de"m kuchen habe ich kei"ne schwie"rigkeiten| 12 BA:

— » h e r v o r r a g e n d da ham wir schon sa"chen rausgenommen [..

In dieser Weise werden Formulierungen von Wertungen und Sachverhaltsdarstellungen der vorausgehenden Sprecherin aufgegriffen und weitergeführt; im folgenden Beispiel in chiastischer Form (Frau Funke will bei der Besprechung der nächsten Lektüre ganz vorsichtig einen Vorschlag machen): 01 FU: also man sieht übrigens dau"ernd plakate von diesem * 02 FU: »Lie-bhaberl* Κ »BUCHTITEL # 03 Hl: »a:cht 04 H2: »ach ja:» Κ »ABLEHNEND» 05 KE: also ki"nner ich hab das buch gelesen m/ m/ 06 EB: ach kinder1 07 KE: zum lesen is es nix 08 EB: es is nix zum vorlesen *

(40/9,9)

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Die soziale

Welt des gebildeten

Bürgertums

c) Zustimmung durch inhaltliche Paraphrase (Text lc, Z. 15ff.): 01 ST: —•die kann überhau"pt nicht mehr arbeiten weißt du (...) au"ch nicht23 NW: #Hlassen« Κ «GEFLÜSTERT« 24 EB: «ha ha ha ha« Κ »LACHT LAUT-« 25 OT: die kennt nur mimo:sen he he Κ

FU LIEST WEITER

(40/8,8) Frau Ebert freut sich, daß es ihr gelungen ist, mit ihrer übertrieben vorwurfsvoll gesprochenen Äußerung du bisch doch studiert Frau Gries in eine Verteidigungsposition gebracht zu haben. Daß sie den Angriff überhaupt ernst nimmt trotz der deutlichen artikulatorischen Ironiesignale (tiefere Tonhöhe, tiefer Tonabfall

166

Die soziale Welt des gebildeten

Bürgertums

und Dehnung bei studiert), erheitert auch die anderen Frauen. Frau Ott lacht laut und sehr hoch und Frau Funke beginnt eine Frotzelei in gleicher Richtung: da mufi man a"lles wi"s$en Gundel, nur anders im Tonfall: Sie spricht wie eine Erziehungsperson, die ein Kind zur Rede stellt. Die Angegriffene verteidigt sich jetzt mit einem Argument, das aber an dem speziell geforderten Wissen vorbeigeht. Besonders witzig ist die Ersetzung von miasmen durch mimosen, weil das Wortspiel einen Aspekt der beruflichen Situation der Angegriffenen trifft. Die Angreiferinnen erwarten von der Angegriffenen nicht wirklich, daß sie das Fremdwort weiß; sie verstärken ihren Angriff nur, weil sie sich so zur Wehr setzte. Hätte sie im Frotzelspiel mitgemacht, beispielsweise wie Frau Ott durch ein Wortspiel, dann wäre der erste Angriff in einer witzigen Bemerkung aufgelöst worden. Dieses Beispiel mit seinen vier bzw. fünf Sprecherbeiträgen zwischen Angreiferinnen und Verteidigerin ist übrigens eine der längsten Frotzelsequenzen. Das zeigt, daß den Frauen eine kurze Behandlung, möglichst mit einer schlagfertigen Antwort genügt. Dies gilt jedenfalls von den Aspekten des gemeinsam geteilten Selbstbildes, über die bei allen Frauen Konsens herrscht, so daß sie gefahrlos einer Frotzelei ausgesetzt werden können. e) Aspekte der Frauenrolle Die Auffassungen, wie stark man seine eigenen Ansprüche gegenüber traditionellen Vorstellungen der Eherolle durchsetzen soll, gehen in der Grupe auseinander. Uber dieses Thema wird (in den aufgenommenen Sitzungen) mit Vorsicht gesprochen (vgl. Kap. 1.5) und wenig gefrotzelt. Anscheinend ist es zu brisant, so daß die Frauen sich scheuen, dieses Thema auch in scherzhafter Weise zu behandeln. Gefrotzelt wird stattdessen ohne aggressive Schärfe über hausfrauliche Pflichten, über die es ebenfalls in der Gruppe unterschiedliche Auffassungen gibt, z.B. gegen eine Frau, die für sich und ihren Mann jeden Tag ein Mittagessen kocht. Dies tun in der Gruppe nur zwei Frauen, weil die Männer der anderen mittags nicht nach Hause kommen. Eine der 'Kocherinnen' frotzelt gegen eine andere, deren Mann noch im Beruf ist: das kommt alles auf dich zu\ bitte seArf in einer eigenartig hohen Tonlage, die sie zum Schluß noch anhebt. Die Angesprochene antwortet ebenfalls mit hoher Stimme: bis dahin habe ich das kochen verlernt und lacht. Danach wird das Thema auf ernsthafte Weise behandelt; es setzt zwar noch einmal eine scherzhafte Rahmung ein, aber es fehlt eine imageangreifende Komponente, also ein Merkmal für Frotzeln. Ein anderes Thema, zu dem es in der Gruppe unterschiedliche Auffassungen gibt, ist die Einstellung zum Kochen und Backen - fiir die einen ein Bewährungsfeld ihrer Hausfrauenrolle - so, daß sie bei den Gruppentreffen ihr Gebäck stolz zeigen und anbieten; von den anderen mit Argwohn betrachtet, weil sie Haushaltsarbeiten als nicht so wichtig ansehen. Eine erklärte Gegnerin des Perfektionismus beim Kekse-Backen (Frau Kerk) wird damit aufgezogen, daß man gerade von ihr, wenn man sich bei ihr das nächste Mal träfe, beson-

Sozialregulierende

Aktivitäten

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ders viele Gebäcksorten erwarte. Der Frotzelangriff k o m m t von einer Frau, die ebenfalls nicht zu den 'Bäckerinnen' gehört, so daß das Frotzelopfer eigentlich h ä t t e merken müssen, daß sie auf den A r m genommen wird. Im folgenden Gesprächsausschnitt kann m a n - im Vergleich z u m letzten - beobachten, d a ß der Frotzelangriff d a n n beendet wird, wenn sich die Angegriffene auf die Modalisierung des Scherzhaften einläßt. Nach ihrer ersten, h ö r b a r verärgerten Reaktion wird sie weiter aufgezogen: Text 46: 01 KE: ja i"ch bin dann glaub ich wieder dran| 02 EB: #—»-hast du Κ «HOHES TONNIVEAU 03 EB: plä"tzchenj# Κ # 04 KE: #—+ja #(fün=versch/ selbstverständlich) Κ «RESIGNIERT, WIE ETWAS 09 KE: ganz wie gewünscht« Κ SELBSTVERSTÄNDLICHES WIEDERHOLEND« 10 FU: LACHT (40/7,5) Die erste Reaktion von Frau Kerk ist noch ganz von ihrer wirklichen Ablehnung des Plätzchenbackens geprägt, was in einer verärgerten S t i m m e und in der Interjektion oh goit zum Ausdruck k o m m t . Auch hier lacht wieder eine Beteiligte, weil es gelungen ist, j e m a n d e n mit dem Frotzeln zu einer ernsten Reaktion veranlaßt zu h a b e n . Erst als sich Frau Kerk der scheinbaren Selbstverständlichkeit des Backens vieler Plätzchensorten unterwirft, hört das Frotzeln auf. Frau Kerk t u t dies in einer schnell und undeutlich artikulierten Äußerung, die sich a n h ö r t wie eine vor sich hingemurmelte, bestätigende Wiederholung eines A u f t r a g s . Die Ironie ist hier deutlich mit prosodischen Mitteln ausgedrückt und erscheint auch lexikalisch in der Unterwürfigkeit ausdrückenden Formel wie gewünscht. f ) Nicht-individuelle Eigenschaften (Anspielung auf erotische Vorstellungen) Frotzelangriffe mit sexuellen T h e m e n sind selten; aber an ihnen kann ein d r i t t e s B e h a n d l u n g s m u s t e r (neben schlagfertigen Antworten und Verweigerung) beobachtet werden, nämlich die schnelle R ü c k f ü h r u n g in einen e r n s t h a f t e n R a h m e n und die Beendigung der Frotzelei. Im ersten Beispiel dazu verwendet die Frot,-

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Die soziale

Welt des gebildeten

Bürgertums

zelnde ein Wortspiel. Die Frauen sprechen d a r ü b e r , wer m i t wem Tennis spielen könnte: Text 47: 01 EB: ich nuB aal mit meine* * derzeitigen partner sprechen dann 02 EB: sag ich dir beschei:d03 BA: #—•so" du «echseist also deine partner* Κ «LEICHT LACHEND GESPROCHEN * 04 EB: ( ) 05 FU: wenigstens ei"nmal im monat oder alle vierzehn tage

(40/5,4) Leider ist wegen eines anderen Gesprächs nicht zu hören, was Frau E b e r t auf die anzügliche Frage von Frau Bareis, die die M e h r f a c h b e d e u t u n g von partner a u s n ü t z t , a n t w o r t e t . An ihrer Stelle a n t w o r t e t Frau Funke, vielleicht, weil sie ebenso wie Frau E b e r t m i t wechselnden P a r t n e r n Tennis spielt. Sie t u t so, als h a b e sie die Doppeldeutigkeit nicht b e m e r k t u n d spreche nur von P a r t n e r n beim Tennis. Hier folgt übrigens kein Lachen, weder innerhalb noch z u m Abschluß der Frotzelsequenz. Zweites Beispiel: Die Frauen sprechen ü b e r R o m a n e , die sie schon gelesen haben. Beim R o m a n „Auch Ehen sind nur Liebesgeschichten" von Ursula Erler wird an eine Liebesszene erinnert: diese blö"dsinniche geschichie, wo se sich im schnee lieben. Zu dieser Szene gibt es einige ergänzende I n f o r m a t i o n e n , ohne W e r t u n g e n u n d ohne Frotzeleien. Diese setzen erst ein, als andere Frauen auf das T h e m a z u r ü c k k o m m e n . Das erste Mal, als sich Frau Senft, die sich zuvor m i t einer anderen über Strickmethoden unterhielt, in dieses Gespräch einschaltet: Text 48a: 01 SE: —>wa"s war dasf * wa/ wie hieß das buchf 02 KE: die rolle der frau# Κ «LEISE, VERSCHÄMT # GR: ««—ich de"nk ich hö:r nich re"chtj« Κ «RHYTHMISCH « BE: «hahahahahaha« i · Vatikan Κ «LACHT LAUT « GR: BE: eventuell noch

FU:

nee da"s nicht

hahahaha

40/8,3) Diese ironischen, scherzhaften Behandlungsweisen des Themas weisen darauf hin, daß seine existentielle Problematik für die Mitglieder dieser Gruppe im wesentlichen gelöst ist. (Darin unterscheiden sie sich sehr von der AsF-Gruppe, welche über dieses Thema immer wieder mit Empörung sprechen.) Ein anderer Aspekt der Frauenrolle, nämlich die Art der Haushaltsführung, wird ebenfalls teils witzig in Frotzelsequenzen (vgl. Kap. 3.1.2.6), teils andeutend, aber nicht ausführlich diskutiert. Wie beim Thema Alter betreffen diese Typisierungen eher Unterschiede innerhalb der Gruppe als soziale Gruppen außerhalb. 6.4.

Moralische Kategorien

Beim Sprechen über andere Leute überwiegen moralische gegenüber statusbezogenen Kategorien. Dies gilt vor allem für Beurteilungen vom Verhalten von Nachbarn, wie es in Text 16 meine nachbam an zwei äußerst kritisch beurteilten Handlungsweisen untersucht wurde. Beide Verfehlungen der Nachbarn werden von der Erzählerin zuerst implizit wertend dargestellt, während die Adressatinnen die Explizierung der negativen Bewertung übernehmen, bis beide Seiten, Erzählerin und Adressatinnen, in der Schlußphase das Verhalten allgemein moralischen Kategorien zuordnen; schematisch dargestellt: Bericht: Wegwerfen von brauchbaren Sachen Erzählerin, implizit:

die schmeißen alles weg

Adressatin, explizit: gemeinsam:

des find ich aber schlimm so unsozial wie nur irgendetwas·, (das) sind solche die kein glas wegbringen und gar nix

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Die soziale Welt des gebildeten

Bürgertums

Erzählung vom Baumausreißen der Nachbarin Erzählerin, allgemeine Wertung: ein ding geleistet implizit: Adressatin: gemeinsam:

na wird der bäum der auf unsrern platz steht [...] rausgezogen da könnten wer auch streit kriegen es gibt solche leute die sin so unverfroren; die denken nur an sich

Wie schon in Kap. 2.3 beschrieben, gehen mit der Darstellung des abweichenden Verhaltens anderer Leute implizit Selbsteinschätzungen des moralisch richtigen Verhaltens einher. Das zeigte sich auch an Text 17 sie erzählt während die ganzen zwei stunden, wo ein Verstoß gegen die für die Gruppe zugrunde liegende Verhaltensnorm der rücksichtsvollen Selbstbeherrschung narrativ dargestellt wurde. Im Zusammenhang von Erzählungen, Planungen und anderen kommunikativen Ereignissen referieren die Frauen auf Personen, die sie dann manchmal näher charakterisieren. Dabei werten die Frauen diese Personen direkt und explizit, wenn sie sie positiv einschätzen, und indirekt und zum Teil ironisch, wenn sie sie ablehnen. Für die beiden Wertungsalternativen seien je zwei Beispiele aufgeführt, und zwar jeweils eine kurze, beiläufige Personencharakterisierung und eine ausführlichere. Kurze positive Wertung: Text 106 (Frau Funke spricht von einer Ausstellung, die sie besuchte): FU: aber wir hatten so" einen reizenden führerj der hat es so (...) FU: (...) nit richtig pe"pp u n d ein biflchen so * äh bißchen so FU: weifit-e lu"stig gemachtf (...) Κ REST UNVERSTÄNDLICH, DA VON Κ EINEM ANDEREN GESPRÄCH ÜBERLAGERT

(40/5,2) Kurze negative Wertung: Text 107 (Frau Kerk während ihres Berichts vom Urlaub in Taldorf, vgl. Text 2): 01 KE: abends war eigentlich ni"chts los da in d/ tgott ja:02 Κ »STIMMWECHSEL, 03 KE: natürlich war je"den abend da so so=n allei"nunterhaltert Κ TIEFERE TONLAGE # 04 FU: profis 05 KE: der da irgend/ ta"nz gemacht hat aber ** 06 BA: *ö* ja: Κ «ABLEHNEND*

Soziale

279

Kategorisierung

07 GR: Κ

#habt=er «IRONISCH

08 KE: einaal hanswer auch getanzt 09 BA: is ja wohl nich ja"nz eure kragenweitel 10 GR: e"msich getanzt» Κ *

(40/3,2) Ausführliche positive Würdigung einer Person: Text 108 (Ein zweites Gespräch läuft parallel): 01 KE: kennt ihr diesen Schneider] ** 02 FU:

das x s der A"lbrecht

03 KE: ja:I ** 04 FU: Schneider], * der doktor Schneider! flüchtich- an 05 KE: beauf/ beauftragter der #XYZ# Κ «ORGANISATION* 06 FU: si"ch=n sympa"tischer mensch * 07 FU: genauj. für die «NY#-fragen Κ «AUFGABENGEBIET«

[...] 08 FU: jaj und da war er vo"rsitzender] —»und da hab ich ihn 09 FU: eigentlich scho"n schätzen gelernt] is=n vernünftiger mann 10 FU: «isch hedd*s em 21 SI: ha jal 22 ER: mi"dgewwej. >s=wär mir ega:lj Κ

#glaub siebzehn jähre

Themenbereiche

409

07 ER: war isch damals dabei| ** —*odda fuffzehn jahre| isch 08 ER: weiß es nimmer genauf auf je"den fall/ * äh un i"sch 09 ER: bin ne un daait bin isch

20 ER: gegangen un dann plötzlisch hat=s gehei/ hat/ bin isch 21 ER: ho"chgerufen wordenf * un da wurde air also offerie:rt 22 ER: * ehäj * ehäj 04 NW: >he he he 05 ER: chef un hab gsacht —•sie"- gu"gge se ·ο1 da is nix 06 JS: jal 07 NW: —»widda 08 ER: drauf- sehn se zu" daß des gemacht werdj 09 JS: jal jaja| * 10 NW: nixl 11 ER: haww*isch»sad nä{

i»sad drei" ja:hre| **

13 JS:

>ehä

14 ER: *— i"sch hab=s du"rschgsetzt- isch hab=s en aonat 15 ER: später gekriggt-

Die Erzählerin spricht hier gar nicht mehr unterwürfig, sondern sie fordert ihr Recht (Imperativ, Formel einer Anweisung: sehn se zu" daß ...); sie spricht dialektal, während sie sich bei der ersten Begegnung noch der Standardsprache ihres Chefs anpaßte. Die Schärfe der Konfronation spiegelt sich auch in der Übernahme der fallenden Kadenzen in der eigenen Rede wider, während die Sprecherin beim ersten Widerspruch in Text 21b, Z. 15 die Stimme intonatorisch nicht abfallen ließ. Obwohl Frau Erlinger leiser spricht als ihr Chef, vermittelt die Kürze ihrer zitierten Äußerungen ( n ä | . . . drei" ja:hre{) ihren festen Standpunkt, dessen Erfolg dann festgehalten wird. Also auch implizit, in der Wahl der Lexik, durch Prosodie und durch die eigene Sprachvariante wird der Übergang von einer verschüchterten Untergebenen zu einer selbstbewußten Angestellten wiedergegeben. Im Beitrag 8, Band 1, habe ich drei weitere Erzählungen der AsF-Frauen mit der Zielrichtung gegen Autoritätspersonen besprochen und in einem Fall (Königin von Saba) auch die argumentativen Meinungsäußerungen nach Abschluß der Erzählung in die Analyse einbezogen. Ich will hier nur noch festhalten, daß in den nachfolgenden Normdiskussionen nicht nur typische Verhaltensweisen von überheblichen Personen besprochen werden, sondern daß hier auch das eigene Verhalten festgelegt wird, teilweise in formelhaften Sprüchen wie: ma muß sisch bloß net alles gfalle losse. 2.3.2

Lustige Geschichten

Entsprechend den scherzhaft modalisierten Kommunikationsformen beim T h e m a 'Männer' gibt es scherzhaft modalisierte Erzählungen vom T y p einer

411

Themenbereiche

lustigen Geschichte. Wie wir auch bei den sozialen Kategorisierungen sehen werden (z.B. ironische Selbstkategorisierung als arme rentnerin, vgl. Kap. 6.1.2.), gehen die Frauen der AsF-Gruppe mit den ihnen wichtigen sozialen Fremdgruppen nicht nur in der Modalisierungsweise des ernsten, empörten Sprechens um, sondern sie machen sich über sie auch lustig. Das folgende Beispiel baut in der Fortsetzung von Text 10 auf einer unfreiwillig entlarvenden Selbstkategorisierung eines männlichen Kunden von Frau Kunert auf. Da die Erzählung sehr lang ist, wird hier nur die Phase der Pointe wiedergegeben. Frau Kunert h a t t e die Geschichte schon öfters erzählt und wiederholt sie für mich. Text 23 wir sind keine normalen

menschen:

Ein gut gekleideter Kunde kommt mit seinem Begleiter mit forschem auftreten in das Geschäft; er kuckt die Verkäuferin zuerst von oben bis unten an (vgl. Text 10) und fordert für einen größeren Kauf von Waren Prozente. Die Verkäuferin räumt ihm aber nur drei Prozent Skonto bei Barzahlung ein. Frau Kunert zitiert nun den Kunden: Ol KU:

ach io/ ah: hahahaha [. LACHEN 8 SEKUNDEN: NW, ER, RE, AL UND JS

08 KU:

und ich stand oben auf der leiterj na hab ich so

09 KU:

(herunter)gekuckt| *— ah: hab ich ne »ei Κ «BETONT« «BELEIDIGT 21 NW: «sch sch sch sch« Κ «LAUT DER AUFFORDERUNG, LEISE ZU SEIN«

Sozialregulierende

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Aktivitäten

22 ER: des ia nur β 23 RE: lievej also so"| so kannsch du nit argumentj ernl* Κ * 24 ER: feschdellung des is kee verda"mmung 25 RE: das is jede·/ * des is jedem sei eigene 26 ER: natü"rlisch