Arzt-Patienten-Kommunikation: Analysen zu interdisziplinären Problemen des medizinischen Diskurses [Reprint 2010 ed.] 9783110880359, 9783110138955


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German Pages 449 [452] Year 1993

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Table of contents :
Vorwort
Patientensignale - Arztreaktionen. Analyse von Beratungsgesprächen in Allgemeinarztpraxen
Bilddarstellungen als Dialogbrücken in der Arzt-Patient-Beziehung
Beratung als ärztliche Aufgabe - Irrwege und Auswege. Mit einem Beispiel aus der ärztlichen Aidsberatung
Sprachliche Prozeduren in der Arzt-Patienten-Kommunikation
Patienten-Idiolekte - Eine Untersuchung sprachlicher Daten, die mit dem Role-Repertory-Grid gewonnen werden
Laienvorstellungen im genetischen Beratungsgespräch
Zur Beziehungsstruktur zwischen Artefaktpatient und Arzt. Ein diskursanalytischer Beitrag
Arzt-Patient-Kommunikation 'Revisited'. Am Beispiel internisti¬scher Stationsvisiten
Irgendwie hat man ja doch bißl Angst. Zur Bewältigung von Emotion im psychosozialen ärztlichen Gespräch
Psychische Betreuung als kommunikatives Problem: Elizitierte Schilderung des Befindens und 'ärztliches Zuhören' in der onkologischen Facharztpraxis
Transkript eines Gesprächs mit einer Mamma-Carcinom-Patientin
Medizinische Ausbildung im Krankenhaus am Beispiel der Lehranamnese: Die institutionalisierte Verhinderung von Kommunikation
Schau' mich gefälligst an dabei! Arzt-Patient-Kommunikation: Doppelperspektivische Betrachtung und subjektive Meta¬invarianten
Ärztliches Fragen
Das Hausbesuchsprogramm - Kommunikation mit allen Sinnen in der Umgebung des Patienten
Fragen von Ärzten. Erste Bemerkungen
Medizinische Expertensysteme im Dialog. Wissensakquisition als Kommunikationsprozeß
Information und Beratung von Krebspatienten. Voraussetzungen und Möglichkeiten der Unterstützung von Patienten im Gespräch mit dem Arzt
Namensregister
Die Autoren
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Arzt-Patienten-Kommunikation: Analysen zu interdisziplinären Problemen des medizinischen Diskurses [Reprint 2010 ed.]
 9783110880359, 9783110138955

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Arzt-Patienten-Kommunikation

Arzt-PatientenKommunikation Analysen zu interdisziplinären Problemen des medizinischen Diskurses Herausgeber

Petra Löning Jochen Rehbein

W DE

G

Walter de Gruyter · Berlin · New York 1993

Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt. Die Deutsche Bibliothek — CIP-Einheitsaufnahme Arzt-Patienten-Kommunikation : Analysen zu interdisziplinären Problemen des medizinischen Diskurses / Hrsg. Petra Löning ; Jochen Rehbein. — Berlin ; New York : de Gruyter, 1993 ISBN 3-11-013895-6 N E: Löning, Petra [Hrsg.]

© Copyright 1993 by Walter de Gruyter & Co., 1000 Berlin 30. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. — Druck: Arthur Collignon GmbH, Berlin. Buchbinderische Verarbeitung: Lüderitz & Bauer, Berlin. Einbandentwurf: Christopher Schneider, Berlin. Photo auf dem Einband: Ullstein — Franz E. Möller.

Vorwort Die Kommunikation zwischen Arzt und Patient, in ihrer gegenwärtigen Form von Medien und wissenschaftlichen Untersuchungen kritisiert, läuft Gefahr, ein historisches Faktum zu werden. Denn durch die fortschreitende Technisierung in der Medizin und den zunehmenden Zeitdruck der behandelnden Ärzte ist das Arzt-Patienten-Gespräch als zentraler Bestandteil ärztlichen Handelns weiter entwertet worden. Diese Entwicklung wird nicht zuletzt durch die Favorisierung bestimmter Praxisstrukturen - und damit auch ganz bestimmter Versorgungsstrukturen unter Vernachlässigung anderer medizinischer Bereiche - aufgrund der Konstruktion der derzeitigen Honorarverteilung für das ärztliche Gespräch verstärkt. Nach der GOA (Gebührenordnung für Ärzte) und dem EBM (Einheitlicher Bewertungsmaßstab), der einen maximalen Punktwert von 300 (0,10 DM / Pkt.) für das ärztliche Gespräch vorsieht, ist eine Ausrichtung auf eine High-Tech-Apparatemedizin quasi vorgegeben, die sich auch in einer evidenten Vernachlässigung der Kommunikation mit dem Patienten in der medizinischen Ausbildung niederschlägt. Häufig scheint für die medizinische Versorgung das entscheidende Kriterium zu gelten, wie viele Patienten betreut werden, aber nicht, wie auf sie kommunikativ eingegangen wird, so daß etwa verschwiegene Anlässe des Arztbesuchs, die oft die eigentlichen sind, kaum zur Sprache kommen. Solange die kommunikative Dimension in ihrer Bedeutung für Diagnose und Therapie nicht erkannt und ihr in der täglichen Praxis nicht das ihr zukommende Gewicht beigemessen wird, solange dürfte eine Gesundheitsreform bei den Klienten der medizinischen Versorgung keine Bewußtseinsänderung bewirken, solange dürften weiterhin statt einer angemessenen menschlich-interaktionalen Zuwendung kostenintensive Apparaturen und Pharmaka als einzige Dienstleistung erwartet, gewünscht und auch verordnet werden. Gleichwohl weisen praktizierende Ärzte darauf hin, daß das Gespräch mit dem Patienten nicht einfacher, sondern komplexer und für den Verlauf der Behandlung auch relevanter geworden sei. Einerseits sind die diagnostischen und therapeutischen Verfahren vielfältiger geworden, so daß deren Erklärung für den Patienten, der gemeinhin medizinischer Laie ist, mehr Zeit erfordert; andererseits haben Patienten gerade mit schweren Erkrankungen heute tatsächlich bessere Überlebenschancen, so daß in solchen Fällen ein großer Bedarf an kommunikativer Unterstützung während einer langen Betreuungszeit neu oder zumindest vermehrt entstanden ist. In beiden Hinsichten sind die Anforderungen an die sprachlich-kommunikativen Fähigkeiten des Arztes gegenüber früher gewachsen. In der medizinischen Aus-

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Vorwort

bildung sollte daher der Professionalisierung sprachlich-kommunikativer Fähigkeiten künftig erheblich größere Aufmerksamkeit gewidmet werden. Zu Vorarbeiten in dieser Richtung möchten wir mit diesem Band beitragen. Und gleichwohl haben sich auch die Erwartungen der Patienten an das ärztliche Gespräch geändert: Sie kommen mit Informationen aus den Medien in die Sprechstunde, die sie mit ihrem betreuenden Arzt besprechen möchten. Eine kurze Diagnose mit anschließender Verschreibung eines Medikaments ist heute für das ärztliche Gespräch in der Regel nicht mehr ausreichend, denn der auch immer stärker an den Kosten beteiligte Patient möchte an dem ärztlichen Entscheidungs- und Handlungsprozeß teilhaben. Dies erfordert ein Eingehen auf Fragen, Sorgen und Ängste des Patienten, eine Ermunterung zum Gespräch und eine möglichst umfassende Kommunikation mit ihm. Es ist die psychische Dimension, der in der Arzt-Patienten-Kommunikation ein größeres Gewicht zuerkannt wird. In der 'Therapeutischen Kommunikation*, die sich hauptsächlich mit seelischen Vorgängen beschäftigt, ist dies selbstverständlich immer gesehen worden. Aber auch in der 'Medizinischen Kommunikation*, der der vorliegende Band gewidmet ist, ist diese Komponente kaum zu unterschätzen; in deren Thematisierung finden denn auch die Beiträge dieses Bandes ihren gemeinsamen Bezugspunkt, darin liegt ihre Interdisziplinarität. Dabei sind Sprache und Diskurs als besondere Medien zu verstehen, in denen sich diese Dimension ausdrückt, sie steuern, beeinflussen und disponieren die psychischen Dimensionen Medizinischer Kommunikation. Eine Bestandsaufnahme der neueren wissenschaftlichen Untersuchungen in verschiedenen Disziplinen zum Thema 'Arzt-Patienten-Kommunikation' zeigt, daß die Forschung gegenüber den Arbeiten der siebziger und achtziger Jahre, die vorrangig eine Verbesserung der kommunikativen Bedingungen im Krankenhaus und eine Veränderung der hierarchischen Strukturen in der Gesprächsführung zum Ziel hatten, zunehmend an der Untersuchung spezifischer Probleme der Arzt-Patienten-Kommunikation interessiert ist und mit präziseren Methoden an konkretem sprachlichen Material arbeitet. Dabei besteht ein wesentliches Forschungsinteresse darin, immer wieder auftretende Probleme kommunikativen Handelns in dieser Institution aufzuzeigen, um für Ärzte und vielleicht auch Patienten hilfreiche Ratschläge entwickeln zu können. In diesem Sinn erwies sich in dem vorliegenden Band eine Anordnung der Beiträge nach einzelnen Thematiken als nicht sinnvoll - es gibt theoretische wie inhaltliche Überschneidungen -, so daß eine alphabetische Reihung vorgenommen wurde. Die Rolle von Sprache, Kommunikation und Diskurs

Vorwort

VII

wird in den Arbeiten jedoch nicht nur mit unterschiedlichen Verfahrensweisen betrachtet, sondern in ihrer Relevanz überhaupt unterschiedlich gewichtet. Der Beitrag von Ottomar Bahrs & Joachim Szecsenyi behandelt die Gesprächsführung zwischen Hausarzt und Patient aufgrund einer Falldiskussion in einem Videoseminar, in dem das aufgezeichnete Arzt-Patienten-Gespräch mit dem beteiligten Arzt diskutiert wurde. Die sozialwissenschaftliche Ausrichtung dieses Seminars unter Leitung von Bahrs & Szecsenyi, die sich am Ansatz der Objektiven Hermeneutik' orientieren, soll in gemeinsamer Diskussion mit den beteiligten Ärzten helfen, typische Probleme zu identifizieren und Handlungsalternativen für den behandelnden Arzt zu entwerfen. Vorgestellt werden in diesem Beitrag einerseits die Ergebnisse der Gruppendiskussion zu einem Fallbeispiel, andererseits eine Feinanalyse der Interaktionseröffnung anhand des Transkripts der Arzt-Patienten-Interaktion. Monika Begemann-Deppe beschreibt die Zeichnungen einer 19 1/2-jährigen Schizophrenie-Patientin, um aufzuzeigen, wie die Aussagekraft einzelner Elemente für die Analyse der Gesamtheit von Daten genutzt werden kann. Dabei stützt sie sich methodologisch ebenfalls auf die Objektive Hermeneutik' Ulrich Oevermanns. Ihre Analyse macht deutlich, wie durch eine detaillierte Bildtexterschließung der spezifische Einfluß der Krankheit auf die Genese der Bilder herausgearbeitet werden kann, so daß sich daraus für den klinisch tätigen Psychiater Hinweise für die zugrundeliegende psychische Störung der Patientin ergeben. Thomas Bliesener zeigt anhand der Transkription eines Rollenspiels aus der Aids-Beraterfortbildung, daß das ärztliche Gespräch als Muster für die Aidsberatung unzulänglich ist, da damit nur rationale Probleme bearbeitet werden können. Als psychologisch orientierter Gesprächsanalytiker weist er nach, daß demgegenüber das klientzentrierte Gesprächmuster, in dem der autonome Lösungsprozeß des Klienten für nichtrationale Probleme gefördert werde, eine Alternative für die Aidsberatung darstellt. Der Beitrag von Konrad Ehlich macht deutlich, wie mithilfe der diskursanalytischen Betrachtung von sprachlichen Prozeduren Erkenntnisse über deren Funktionalität in der Arzt-Patienten-Kommunikation gewonnen werden können. Dabei stellen die einzelnen sprachlichen Prozeduren unterschiedliche Anforderungen an die sprachliche Handlungsfähigkeit des Arztes. Ehlich untersucht das System der Schreie und des Stöhnens, um die sprachlichen Interaktionsverhältnisse und die daran beteiligten mentalen und interaktionalen Instanzen aufzuzeigen.

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Vorwort

Dieter Flader, Ursula Bartholomew und Ute Bublitz stellen die Ergebnisse einer Pilotstudie vor, in der die sprachliche Dimension des in der Psychosomatischen Medizin verwendeten psychodiagnostischen Role-ConstructRepertory-Grid-Verfahrens aus sprachwissenschaftlicher Sicht untersucht wurde. Dabei stützt sich Flader als an psychotherapeutischen Fragestellungen interessierter Sprachwissenschaftler einerseits auf die in der linguistischen Tradition entstandene Semantik von /. Lyons und die psychologische Forschung von L, S. Wygotski, andererseits auf die in der Diskursanalyse von K. Ehlich & J. Rehbein erarbeiteten Wissenstypen. Anhand von Beispielen, die aus 15 von Patienten ausgefüllten 'Repgrids' stammen, zeigen Flader u. a., daß die Benennung von Eigenschaften anderer Personen nur partiell das Wissen der Patienten abbildet, da bei nicht vorhandener sprachlicher Organisation des Bildwissens Bezeichnungen verwendet werden, deren Bedeutung durch die Eigenbegrifflichkeit des Patienten verändert ist. Die Einzelanalyse eines 'Repgrids' zeigt darüber hinaus, daß der von den Sprachwissenschaftlern analytisch gewonnene Eindruck über die psychische Verfassung der Patientin mit dem von den Klinikern erhobenen Symptomen korreliert. Jennifer Hartog stellt zwei Transkriptionen aus einem Corpus von 32 genetischen Beratungsgesprächen vor, um die unterschiedliche Struktur und Funktion bei von Beratern elizitierten und nicht-elizitierten Laienvorstellungen deutlich zu machen. In ihrer Analyse der Versprachlichung von Klientenvorstellungen im Beratungsgespräch kommt sie zu dem Ergebnis, daß das Laienwissen über genetische Erkrankungen in Gegenwart von Experten stärker als laienhaft markiert wird und daß es gegenüber dem Expertenwissen bruchstückhaft ist. Dieses bruchstückartige Laienwissen wiederum werde für Erklärungen von genetischen Krankheiten benutzt, um eine gewisse Allgemeingültigkeit anzustreben. Diesen Prozeß bezeichnet Hartog als 'Laientheoretisieren'. Um die Klärung eines Krankheitsbildes, das sich in einem Arzt-PatientenGespräch u. a. auch durch kommunikative Auffälligkeiten manifestiere, geht es Heiko Hausendorf, Jutta Nordmeyer & Uta Quasthoff. Dabei handelt es sich um sogenannte Artefakt-Patienten, die durch Manipulation körperliche Symptome erzeugen, um als organisch krank zu gelten. Da sie nicht als psychisch krank diagnostiziert werden möchten, müssen sie ihre Selbstschädigung konsequent leugnen. Aus diesem Grund entwickeln Artefakt-Patienten eine spezifische Beziehung zu ihrem Arzt, die sich in der Interaktion manifestiere. Dies wird von Hausendorf, Nordmeyer & Quasthoff in einer konversationsanalytischen Vorgehens weise an ausgewählten Transkriptausschnitten nachgewiesen. Ihre Ergebnisse aus der sprachwissenschaftlichen Analyse - Artefakt-Patienten inszenieren sich u. a. in parado-

Vorwort

IX

xen Rollen - korrelieren sie anschließend mit den psychoanalytischen Befunden. Der Beitrag von Heidrun Kaupen-Haas u. a. bietet einen kritischen Überblick über die institutionellen Besonderheiten und Bedingungen der Stationsvisiten aus medizinsoziologischer Sicht. Nach einer kurzen Abhandlung über die entscheidenden Einflußfaktoren und die Reformversuche zur klinischen Visite stellt sie die Ergebnisse einer Untersuchung von Chefarzt-, Oberarzt- und Stationsarztvisiten vor, die innerhalb des Hamburger Reformversuchs in den 1980er Jahren stattfanden. Anhand von Ausschnitten aus einem Transkript dokumentiert sie anschließend den Verlauf einer solchen Chefarztvisite, um aufzuzeigen, daß die entscheidenden Orte medizinischen Handelns das Labor und die technischen Räume und nicht die Visite selbst sind. Psycho-sozialen Konzepten von Krankheit könne somit aber kaum Entfaltungsmöglichkeiten innerhalb der Medizin geboten werden. Johanna Lalouschek zeigt anhand einer exemplarischen sprachwissenschaftlichen Analyse eines Transkripts, wie die Forderungen nach mehr psycho-sozialer Kompetenz von den Medizinstudentinnen bei Anamnesegesprächen nicht ohne weiteres sprachlich umgesetzt werden können. Das herkömmliche Anamnese-Gespräch versage bei der Erhebung einer umfassenden psycho-sozialen Anamnese, so daß Lalouschek als Alternative anschließend ein '2-Phasen-Modell' für die Gesprächsführung vorschlägt. Petra Löning geht es in ihrem Beitrag um die Problematik des ärztlichen Zuhörens, das in Gesprächen mit schwerkranken Patienten als sinnvolle Form der psychischen Betreuung auch von ärztlicher Seite postuliert wird. Die sprachwissenschaftliche Analyse eines zentralen Ausschnitts aus einem Transkript, das aus einem Corpus von 38 Gesprächen mit Mamma-Carcinom-Patientinnen stammt, basiert vor allem auf der von K. Ehlich & J. Rehbein entwickelten Diskursanalyse. Dabei macht Löning deutlich, wie komplex einerseits der Vorgang des 'ärztlichen Zuhörens1 bei psychischen Problemen der Patientin ist und wie schnell es andererseits zu Mißverstehen zwischen Arzt und Patientin kommen kann. Dies wirke sich anschließend negativ auf den weiteren Gesprächsverlauf aus. Als angemessene Realisierung der Forderung vom 'ärztlichen Zuhören' schlägt sie im weiteren die Form des 'aktiven Zuhörens' vor. Erst durch Nachfragen und nochmaliges Verbalisieren des vermeintlich Verstandenen seitens des Arztes sei ein möglichst präzises Erfassen der verbalisierten Wissenselemente zwischen Arzt und Patient gewährleistet. Der Beitrag von Florian Menz dient der kritischen Betrachtung der medizinischen Ausbildung im Krankenhaus. Am Beispiel der Lehranamnese, deren Muster er nach der diskursanalytischen Bearbeitung von 25 Anamnesen

X

Vorwort

herausgearbeitet hat, weist er nach, daß die Ausbildungsfunktion gegenüber der Beziehung zum Patienten eindeutig im Vordergrund steht. Die Kommunikation laufe in erster Linie zwischen Famulant und Arzt ab und nicht mit dem Patienten, sondern über ihn. Dadurch lerne der angehende Arzt bereits in der Ausbildung ein Sprachverhalten, das sich nicht am Patienten orientiere, sondern an formalen Kriterien. Darüber hinaus werde der Patient nicht über die Lehr-Lernsituation informiert, so daß er an der Kommunikation kaum teilnehmen kann. Rainer Obliers, Dirk Thomas Waldschmidt, Hella Poll, Christian Albus & Karl Kohle führen eine Methode zur Untersuchung der Beziehungsaufnahme zwischen Arzt und Patient in ärztlichen Erstgesprächen vor. Ausgehend von der psychologischen Semantik Hans Hörmanns geht es ihnen sowohl um das registrierbare, interpersonelle als auch um das nicht direkt beobachtbare intra-psychische Geschehen. Da beides für den Gesprächsablauf relevant sei, wird von ihnen ein 'doppelperspektivisches Drehbuch' angelegt, das 'Außenwelt' und 'Innenwelt' der beiden Gesprächspartner dokumentiert. Mittels Videoaufnahmen und Transkriptionen von verbaler und nonverbaler Kommunikation wird die 'Außenwelt' wiedergegeben und mit den in einem komplexen Prozeß erhobenen Daten der 'Innenwelt' zeitlich korreliert. Für die Erhebung der 'Innenwelt' werden die Videoaufnahmen des ärztlichen Gesprächs Arzt und Patient vorgeführt, ihre Kommentare auf Tonband aufgenommen und anschließend mit dem psychologischen Verfahren der Heidelberger-Struktur-Lege-Technik (SLT) anhand der Transkription rekonstruiert. Diese umfassende Methode illustrieren Obliers u. a. abschließend an einem Fallbeispiel mit Transkriptausschnitten, um aufzuzeigen, wie damit zur Aufklärung der Arzt-Patienten-Interaktion und der in ihr enthaltenen Beziehungsgestaltung beigetragen werden kann. Jochen Rehbein untersucht in seinem Beitrag die verschiedenen Funktionen und Strukturen ärztlichen Fragens aus diskursanalytischer Sicht. Anhand einzelner Transkriptausschnitte aus fachärztlichen Gesprächen arbeitet er das Muster von Arztfragen und seine Rolle bei der medizinischen Wissensgewinnung heraus. Eine Typologie von Patienten-Antworten sowie deren Gruppierung nach zwei unterschiedlichen Formen der Verbalisierung innerer Wahrnehmungen wird vorgeschlagen; die Konsequenzen, die der Arzt aus der Antwort des Patienten zieht, vollziehen sich entsprechend der Analyse im mental-professionellen Bereich und müssen dem Patienten im wesentlichen verborgen bleiben. Wolfgang Sohn stellt das Hausbesuchsprogramm vor, das in der Allgemeinmedizin der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf für Medizinstudenten durchgeführt wird, um in der Ausbildung bereits patientengerechteres

Vorwort

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Sprechen vermitteln zu können. Er geht dabei vor allem auf die Kommunikationsprobleme der Studenten ein, die ohne Vorgaben den Ablauf des Gesprächs strukturieren und eine Vielfalt unterschiedlicher Wahrnehmungen zur Person des Patienten verarbeiten müssen. Der Beitrag von Paul ten Have ist dem Fragen von Ärzten gewidmet. An der amerikanischen Konversationsanalyse orientiert untersucht Ten Have an vier Transkriptausschnitten aus dem Englischen und Niederländischen die sprachliche Sequenzierung ärztlichen Fragens. Dabei geht er von sogenannten 'Befragungssequenzen' aus, deren Kern aus der eigentlichen FrageAntwort-Sequenz bestehe. Diese werde durch 'Präsequenzen1 vorbereitet und finde häufig ihren Ausklang in 'Post-Antwort-Sequenzen'. In seiner Analyse kommt er zu dem Ergebnis, daß ärztliche Fragen verschiedene Hinweise zur Ausweitbarkeit der Antwort enthalten, die von den Patienten auch genutzt werden. Somit sei die These der Restringiertheit ärztlichen Fragens kritisch zu sehen. Rüdiger Weingarten wendet sich einem besonderen Teilgebiet der medizinischen Kommunikation zu, die durch die zunehmende Relevanz von Computern innerhalb der medizinischen Versorgung bedingt ist. Die Entwicklung von Expertensystemen unterliege bestimmten kommunikativen Prozessen, die Weingarten am Beispiel eines Operationssaalmanagements deutlich macht. Ein wesentlicher Bestandteil bei der Entwicklung stelle die Phase der Wissensakquisition dar, in der das intuitive Wissen sowie die praktischen Fähigkeiten der Ärzte vom Wissensingenieur elizitiert und anschließend in eine verbale sowie algorithmische Form gebracht werde. Die Struktur dieser Wissensakquisition untersucht Weingarten unter diskursanalytischen Gesichtspunkten anhand eines Transkriptausschnitts, um aufzuzeigen, wie die Probleme der Übersetzung verschiedener Wissensarten in eine für das Expertensystem verarbeitbare Form von den Teilnehmern kommunikativ bewältigt werden. Helga Wimmer untersucht aus der Perspektive der Medizinsoziologin und Psychotherapeutin die Auswirkungen der Information und Beratung bei Lungenkrebspatienten auf deren Krankheitsbearbeitung. Anhand eines Modells zur Krankheitsbearbeitung bei Krebspatienten, das sich an KüblerRoss und Selye anlehnt, entwickelt sie die These, daß frühzeitige und umfassende Information sowie die Berücksichtigung des Selbstbilds der Patienten wesentliche Voraussetzungen für eine Unterstützung der Patienten bei der Bewältigung ihrer Krankheit sind. Diese These erläutert Wimmer anschließend an drei Fallgeschichten mit Transkriptausschnitten, in denen sie das jeweilige kommunikative Handeln des Arztes herausarbeitet.

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Vorwort

Der vorliegende Band wendet sich vorrangig an Ärzte und andere in der medizinischen Versorgung tätige Personen, die tagtäglich mit dem leidenden Menschen konfrontiert sind und im Gespräch mit ihm vielfältige Aufgaben zu lösen haben. Da Lösungsstrategien und mögliche Veränderungen erst nach Bewußtwerden des tatsächlichen kommunikativen Handelns entwickelt werden können, bieten präzise Analysen von realer medizinischer Kommunikation dafür eine wesentliche Grundlage. Den unmittelbar Handelnden wird in der Situation selbst die Funktion und Struktur der Kommunikation nicht immer deutlich, so daß erst eine umfassende Analyse an authentischem Material die notwendige Transparenz leisten kann. Dies zeigen die zahlreichen Beiträge dieses Bandes, die verschiedene Aspekte und Bereiche der medizinischen Kommunikation behandeln und aufgrund ihrer Materialbezogenheit die kommunikativen Probleme deutlich werden lassen. Um einen Einblick in die neuesten Forschungsarbeiten zu geben, wendet sich der Band des weiteren an verschiedene Disziplinen, z. B. Allgemeinmedizin, Medizinpsychologie, Medizinsoziologie, Sprachwissenschaft, psychosomatische Medizin, mit anderen Worten an jene, in denen die Arzt-Patienten-Kommunikation wissenschaftlicher Untersuchungsgegenstand ist. Insgesamt hoffen wir, mit diesem Band einen Beitrag zum Verständnis sprachlich basierter Verfahren in der medizinischen Versorgung, zur Verbesserung der Kommunikation zwischen Arzt und Patient sowie vielleicht zu deren Neubewertung leisten zu können. Ganz besonders herzlich möchten wir an dieser Stelle Claus Knapheide danken, der in verantwortungsvoller Arbeit das ansprechende Layout sowie die Druckvorlage des Manuskripts erstellt hat.

Hamburg, im Februar 1993

Petra Löning Jochen Rehbein

Inhaltsverzeichnis Vorwort

V

Ottomar Bahrs & Joachim Szecsenyi Patientensignale - Arztreaktionen. Analyse von Beratungsgesprächen in Allgemeinarztpraxen

l

Monika Begemann-Deppe Bilddarstellungen als Dialogbrücken in der Arzt-PatientBeziehung

27

Thomas Bliesener Beratung als ärztliche Aufgabe - Irrwege und Auswege. Mit einem Beispiel aus der ärztlichen Aidsberatung

45

Konrad Ehlich Sprachliche Prozeduren in der Arzt-Patienten-Kommunikation

67

Dieter Flader, Ursula Bartholomew & Ute Bublitz Patienten-Idiolekte - Eine Untersuchung sprachlicher Daten, die mit dem Role-Repertory-Grid gewonnen werden

91

Jennifer Hartog Laienvorstellungen im genetischen Beratungsgespräch

115

Heiko Hausendorf, Jutta Nordmeyer & Uta M. Quasthoff Zur Beziehungsstruktur zwischen Artefaktpatient und Arzt. Ein diskursanalytischer Beitrag

135

Heidrun Kaupen-Haas in Zusammenarbeit mit Maria MischoKelling & Gabriele Reiter Arzt-Patient-Kommunikation 'Revisited'. Am Beispiel internistischer Stationsvisiten

149

Johanna Lalouschek "Irgendwie hat man ja doch bißl Angst." Zur Bewältigung von Emotion im psychosozialen ärztlichen Gespräch

177

XIV

Inhaltsverzeichnis

Petra Löning Psychische Betreuung als kommunikatives Problem: Elizitierte Schilderung des Befindens und 'ärztliches Zuhören' in der onkologischen Facharztpraxis

191

Transkript eines Gesprächs mit einer Mamma-Carcinom-Patientin

229

Florian Menz Medizinische Ausbildung im Krankenhaus am Beispiel der Lehranamnese: Die institutionalisierte Verhinderung von Kommunikation

251

Rainer Obliers, Dirk Thomas Waldschmidt, Hella Poll, Christian Albus & Karl Kohle "Schau1 mich gefälligst an dabei!" Arzt-Patient-Kommunikation: Doppelperspektivische Betrachtung und subjektive Metainvarianten

265

Jochen Rehbein Ärztliches Fragen

311

Wolfgang Sohn Das Hausbesuchsprogramm - Kommunikation mit allen Sinnen in der Umgebung des Patienten

365

Paul ten Have Fragen von Ärzten. Erste Bemerkungen

373

Rüdiger Weingarten Medizinische Expertensysteme im Dialog. Wissensakquisition als Kommunikationsprozeß

385

Helga Wimmer Information und Beratung von Krebspatienten. Voraussetzungen und Möglichkeiten der Unterstützung von Patienten im Gespräch mit dem Arzt

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Namensregister

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Die Autoren

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Patientensignale - Arztreaktionen Analyse von Beratungsgesprächen in Allgemeinarztpraxen Ottomar Bahrs & Joachim Szecsenyi

Zusammenfassung In einer Zusammenarbeit von Sozialwissenschaftlern und Allgemeinärzten wird in Göttingen die Kommunikation zwischen Patient und Hausarzt untersucht. Videoaufzeichnungen aus der laufenden Praxis bilden die Grundlage für die regelmäßigen Gruppendiskussionen. Im Videoseminar haben die Ärzte als Experten in eigener Sache teil am Auswertungsprozeß, der sich methodisch an der strukturalen Hermeneutik orientiert. Gleichzeitig dienen die Diskussionen der Fortbildung. Der Qualitätszirkel hat sich inzwischen als eigenständiges kontinuierliches Forschungs- und Fortbildungsseminar etabliert. Das Protokoll einer Fallbesprechung zeigt exemplarisch, wie sich das Modell der Weggenossenschaft in der Dauerversorgung chronisch Kranker bewährt und wie sich in Kooperation von wissenschaftlicher und praktizierter Allgemeinmedizin Prinzipien hausärztlichen Handelns rekonstruieren lassen.

1.

Forschung und Fortbildung: das Videoseminar in der Allgemeinmedizin Aus einer Studie über die Strukturierung der Arzt-Patienten-Beziehung im Erstkontakt hat sich das Videoseminar entwickelt, ein Qualitätszirkel, der als Fortbildungs- und Forschungsinstrument in der Allgemeinmedizin zugleich fungiert. Seit Januar 1989 diskutieren wir mit einer Gruppe von Hausärzten regelmäßig über auf Video aufgezeichnete Arzt-Patienten-Gespräche. Die Seminarteilnehmer stellen abwechselnd authentische Videoprotokolle von eigenen Arzt-Patienten-Gesprächen in der allgemeinärztlichen Sprechstunde zur Diskussion. Das zur Behandlung stehende Problem und die Art, in der Arzt und Patient dieses angehen, wird fallbezogen herausgearbeitet, Handlungsalternativen entworfen und in Bezug zur eigenen Behandlungserfahrung gesetzt. Unsere Fragen lauten also: bei welchem Problem erhofft sich der Patient Hilfe? Welches Problem will der Arzt lösen? Welches ist das gemeinsame Behandlungsproblem, auf das sich Arzt und Patient faktisch einigen? Die Gruppendiskussion von prinzipiell Gleichrangigen soll gegenseitige Supervision (besser: 'Intervision') ermöglichen. Die Analysen lassen darüber hinaus typische Behandlungssituationen und deren typische Probleme verallgemeinernd identifizieren und werden damit auch als Forschungsinstrument wirksam. Die Gruppendiskussionen werden ihrerseits protokolliert

2

Ottomar Bahrs & Joachim Szecsenyi

und zum Zwecke der Evaluation der Gruppenarbeit ausgewertet. Die Diskussion verläuft verabredungsgemäß in 2 Phasen: zunächst wird das aufgezeichnete Gespräch wie eine Einbringung in einer Balint-Gruppe behandelt, Wahrnehmungen und Phantasien der Teilnehmer stehen im Vordergrund und verdichten sich zu einer Gesamtbeurteilung des aufgezeichneten Gesprächs. In der zweiten Phase geht es auf der Basis des Wortprotokolls (Transkript) um die Feinanalyse der Interaktionseröffnung. Wir haben unser Projektdesign an anderer Stelle ausführlich vorgestellt (Bahrs & Kohle 1989 a,b; Bahrs & Kohle 1990; Bahrs & Kohle & Wüstenfeld 1990) und auch über Konzeption und erste Erfahrungen mit dem Videoseminar berichtet (Adam & Bahrs & Gerke & Szecsenyi 1991). Hier geht es uns darum, exemplarisch zu zeigen, wie die Kooperation von Hausärzten und Wissenschaftlern praktisch aussieht. Das nachfolgende Protokoll gibt in gedrängter Form eine Falldiskussion wieder, die mit Wissen der Beteiligten auf Tonband mitgeschnitten worden war. 2.

Fallbesprechung: Protokoll des Videoseminars am 9.6.1990, 9.30-13.30

Teilnehmer: Herr Abraham, Herr Bahrs, Herr in der Beek, Frau Blumenfeld, Frau Buttler, Herr Domsch, Frau Gercken, Frau Wedekind, Herr Kellner, Frau Kirchner, Herr Moses, Herr Szecsenyi.1 Zur Diskussion stand die Aufzeichnung eines etwa 12-minütigen Gesprächs zwischen Dr. Moses und einer 61jährigen Patientin mit Diabetes mellitus. Dr. Moses führt gemeinsam mit einem bei ihm angestellten Arzt eine mittelgroße Praxis in einer im Einzugsbereich der Universitätsstadt gelegenen Kleinstadt. Er ist Allgemeinarzt mit einem "Faible für Psychosomatik". Die Patientin wird seit gut 10 Jahren von Dr. Moses betreut. Da Dr. Moses an einer an der Abteilung Allgemeinmedizin der Universität Göttingen durchgeführten Studie zur Qualitätssicherung der Diabetes-Behandlung mitarbeitet und wir uns von einer Falldiskussion Einblick in die Aussagekraft der gemeinsam erhobenen Daten sowie Aufschluß über Interpretationsmöglichkeiten erhofften, hatten wir ihn gezielt gebeten, auch Gespräche mit Patienten mit einem Diabetes per Video aufzuzeichnen. Drei der insgesamt acht im März und April 1990 aufgezeichneten Gespräche hatten die Diabetes-Behandlung zum Thema, in fünf Fällen handelt es sich um

Die Namen der ärztlich tätigen ständigen Seminarteilnehmer wurden anonymisiert.

Patientensignale - Arztreaktionen

3

Erstkontakte. Die Gesprächsaufzeichnung erfolgte im Rahmen der regulären Sprechstunde, bei Gesprächsbeginn hatten die Patienten in die Dokumentation eingewilligt.2 3.

Gespräch zwischen Dr. Moses und Frau Bebel im März 1990 (Transkript der Videoaufzeichnung)3

AI: Is' doch ziemlich kalt draußen, ne? PlrJa. A2: Ja. So, in diesem Jahr waren Sie ja noch gar nicht hier, Frau Bebel. P2: Nee. Vor Weihnachten war ich hier, (lacht) A3: (undeutlich) ne1 Weile nicht gesehen haben, tatsächlich. P3: Ja, ich sage doch, vor Weihnachten. Ich hatte Medikamente alles, und jetzt im Moment, da bin ich so im Streß, also da weiß ich, daß ich bestimmt hohen Zucker hab'. Ich hab' zwei Kranke noch zu betreuen, im Krankenhaus (undeutlich), nech, und also Zucker hab' ich bestimmt wieder bißchen höher. Und jetzt im Moment ahm1 schlaf äh schlafen abends die Arme sogar von hier oben bis unten in die Beine ein. A4. Mhm. P4: Und denn krieg' ich so'n, und denn will ich aufstehen mit'm Krampf und komm' überhaupt nich' hoch. A5: Wie kommen Sie darauf, daß es Ihr Zucker wäre, woraus schließen Sie das? P5: Ja, weil ich mich eben immer wieder aufrege. Ja, ich reg' mich über das Schimpfen meiner Schwester auf (undeutlich), weil ich mich über andere Leute aufrege. A6: Ja. P6: Nech. A7: Und dann essen se' 'n Happen, damit dann die Aufregung weggeht. P7: Ja. Und jetzt durch den, daß ich nicht mehr spritzen brauch, da hab' ich sowieso schon immer bißchen mehr Hunger, aber ich lebe danach, nech. Nicht daß ich fett esse oder irgendwas. Ne, zwischendurch mal nen' Zwieback mehr oder mal nen' Joghurt. A8: Den schieben Se' dann schon mal dazwischen. P8: Ne, schieb' ich schon mal zwischen. Aber das ist irgend, das ist nur die innere Aufregung anderer Leute, ne. A9: Ja. P9: Gestern hat meine Schwester auch wieder geschimpft. Da sagt se1 (undeutlich), (undeutlich) die ist gestern ins Krankenhaus gekommen, das haben se' mir jetzt, hat se' am Montag (undeutlich). Haben se' mir nen1 Vogel runtergebracht, ne. A10: mhm. P10: Nech. Also. All: Wie geht das denn dann? Nech also, Sie haben ja gelernt im Krankenhaus, so wie ihre Pll: Mahlzeiten A12: Kost sein soll P12: das hab' ich zu Hause mal, zu Hause hab1 ich das auch mal (undeutlich) A13: Wiegen Sie das noch ab? P13: Wa? 2

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Dr. Moses hatte die Patienten jeweils persönlich gefragt und nur in einem Fall - bei einem jungen Mann - eine Absage erhalten. Beide Namen sind anonymisiert.

Ottomar Bahrs & Joachim Szecsenyi A14: (spricht ganz deutlich) Wiegen Sie noch ab? P14: Nee, abwiegen, ich weiß ja gar nich' (undeutlich) im Krankenhaus gekriegt hab1, nech, und das das (undeutlich) jetzt dadurch, daß ich immer nen' Zwieback noch 'n bißchen dazu esse. AI5: Ja, ja, ja. P15: Aber auch nich' fetter oder oder, ja, was ich nicht essen darf. Also, das, das, ich lebe da schon nach, ne. A16: Mhm. P16: Nur, und ich meine auch, weil ich vielleicht mit'm Spritzen aufgehört hab', daß ich davon eben mehr, mehr Hunger habe, nech. A17: Und Sie haben jetzt mehr Hunger? P17: Ja, und ich nehm' ja auch morgens jetzt nur eine Tablette und abends eine halbe Zuckertablette. A18: Mhm. Den Zucker geprüft haben Se' aber gar nich' mal selbst? P18: Nee, (undeutlich) nee, nee. A19: So'n Streifen oder so'n Urintest gemacht haben oder so? P19: Nee, das hab' ich nich1 gemacht. A20: Nee? P20: Nee. A21: Sie haben doch aber sowas. P21: Nee, hab'ich nich'. A22: Nee. Haben Sie das nicht mitgekriegt? P22: Nee, das hab' ich nicht mitgekriegt. A23: Hmh. P23: Und jetzt auch hier die Beine, das ist alles (undeutlich). Ich hab' im Moment auch wieder ganz schlecht (undeutlich). Und hier tut mir alles rauf weh. Und hier die ganze Ecke, die, abends, als wenn das prickelt und. A24: Mhm, ja. P24: Und die Krampfadern, die machen ja wieder anständig zu schaffen. A25: Und Sie sagten vorhin, Sie haben Schmerzen. Sind das richtig Wadenkrämpfe? (undeutlich) P25: Ja, also ich hatte jetzt Gummistrümpfe an (undeutlich). Hier, das fängt von hier an, und denn zieht das runter. Da kann ich nich' aufn Fuß treten, und in der Nacht, jetzt schon'n paar mal in der Nacht, also, (längeres Schweigen. Arzt untersucht das Bein.) A26: Mhm. Und das nachts aufn Fuß treten. Nachts liegen Sie doch im Bett. P26: (Einfallend) Ja ich, ja ich will, ich will denn sehen, daß der Krampf rausgeht, dadurch steh' ich eben auf, nech. A27: Ach so, ah ja. (Patientin räuspert sich) P27: Und ich meine, ich hab'jetzt alles keine Tabletten zu (undeutlich). A28: Is' denn nun mal'n Zucker abgenommen worden heute? Ich seh' überhaupt nichts. P28: Nee, das war, das war schon zu spät. Ich war so um kurz vor halb zwölf da. A29: Ja. P29: Und da hat se' gesagt, war n'nen bißchen spät. A30: Ja. P30: Ne. A31: Naja, Frau Bebel, hätten wir ja noch mal n'nen Zucker machen können, ne, aber ich denke, daß es auch ganz wichtig wäre, dann bei der Gelegenheit. P31: Ich komme ja denn auch wieder alle 14 Tage, also das, aus'm Krankenhaus, wenn die eine kommt Montag schon wieder raus, und seit acht Wochen bin ich da tagtäglich. Ne' Arbeitskollegin, die hat sich ne'n Bein angebrochen. Da bin ich denn da nachmittags hin, morgens bin ich mit der zur Gymnastik gefah-

Patientensignale - Arztreaktionen ren, spazierengefahren, bis in die Wohnung (undeutlich), nech. A32: Mhm. P32: Das ist eben, selber nicht so aufm Posten, aber denn fühlt man sich stark, ne. A33: Mhm. Und wie haben wir das jetzt mit den anderen Pillen gemacht? Sie hatten Tropfen. Sie haben doch da n'nen ganzen Schwung gehabt, fürs Herz. P33: Ja, das hab' ich, also dies haben Se', das hab' ich jetzt zuletzt (undeutlich), und das hab' ich zu Hause auch weiter eingenommen, wie ich zur Kur gekommen bin, ne. A34: Ja. P34: Jetzt hab' ich aber gar nichts mehr. A35: Seit wann sind die denn alle schon weg? P35: Naja, nein, also Zuckertabletten hab' ich noch für drei Tage, A36: Ja. P36: und die anderen und eine (undeutlich) so ungefähr seit Freitag. Da hab' ich denn nur immer eine genommen statt (undeutlich). A37: So'n bißchen gestreckt. P38: Ja, ja. (undeutlich, lacht). A38: Na, ja. Also, so ganz lupenrein ist das nicht, daß (undeutlich) P38: Ja, ja, das weiß ich. Ich hab' nur also nur noch dies Pflaster, die hab' ich noch, aber das andere hab' ich jetzt alles nicht mehr. A39: Mhm. P39: Also bis auf eben die Zuckertabletten und A40: Dann is1 meine Vorstellung dazu, daß wir nich1 nur Zucker angucken, sondern in demselben Arbeitsgang die Nierenwerte. P40: (undeutlich) da sollten Se'ja, da hatten Se' gesagt, Anfang des Jahres, A41: Mhm. P41: weil dann wollten Se' den Ultraschall noch mal machen, ne. A42: Mhm. P42: Und das wird wohl auch sein, ich hab1 jetzt, wenn ich aufstehe, manchmal hierüber kolossale Schmerzen, denn komm' ich überhaupt nicht hoch. Denn dauert das erst ne' Weile, und wenn ich dann nen' Moment gegangen bin, dann geht's auch, und denn streck ich mich, und denn, A43: Naja, das klingt mir aber P43: und neulich saß ich aufm Tisch beim Telefonieren, ne, mit meiner Schwester, da kam ich bald auf n Tisch nicht wieder hoch, ne. Das hat zehn Minuten gedauert, eh ich hoch gekommen bin. A44: Aber das ist nicht die Niere, ne. P44: Nee, ich hab', ich hab' angenommen, daß es 'n Hexenschuß (undeutlich), aber es könnte eventuell1(undeutlich) A45: Nee, das is schon ihr Kreuz. P45: Ja. A46: (.) Ja. Da kann man nichts machen. Also dann füllen wir heute erstmal nur den Pillenvorrat auf, ich geb' Ihnen was gegen die Wadenkrämpfe mit. P46: Ja, das ist nur (undeutlich) A47: Ja. Und dann machen wir erstmal ne' Kontrolle, ne. Und Sie geben mal das Wasser mit ab. Und dann nehmen wir Blut ab. (Arzt mißt derweil den Blutdruck) P47: Mhm. A48: Und wir gucken dann auch mit Ultraschall die Niere an. Aber mit der Ultraschalluntersuchung, da müssen Se' dann erstmal zehn Tage warten, ich fahr' dann erstmal zehn Tage in Urlaub.

Ottomar Bahrs & Joachim Szecsenyi P48: Naja, nun hat's so lange gedauert, nun wird's auf das bißchen auch nicht drauf ankommen, (lacht) A49: Und dann schaun1 Se mal, daß Sie mit dem zusätzlichen Zwieback und den Joghurt, daß Sie das wieder bißchen enger in' Griff kriegen. P49: Ja, nech. Also, es ist nicht groß, also, aber, nech. A50: Naja, aber es ist zusätzlich, ne. Und eigentlich müßten Se's, wenn Sie da n'nen Appel oder n'nen Joghurt essen, müßten Sie das mit einrechnen. P50: Ja. A51: Ne, und dann müssen Se' an einer anderen Stelle rauskneifen, sonst geht das daneben. P51: Ich bin ja nun schon froh, daß ich, daß se' mich bei der Kur mit Spritzen abgesetzt haben, ne also. A52: Das läßt sich aber nur durchhalten, wenn Sie mit Ihrer Kost ziemlich eisern sind. (Bestimmt) P52: Ja, also das bin ich, also das is. Schweigen. Arzt schreibt. A53: Also Sie sagten, Sie brauchen jetzt nur die Pillen (undeutlich). P53: Die Zuckertablette, diese und, ja, alle hab' ich sie nicht mehr, und die Tropfen auch nicht mehr. A54: Ja. (.) P54: Alles wech. Naja, ich hatte nochmal, bevor ich von der Kur kam, da hatte ich auch nochmal alles gekriegt, also nech, also (undeutlich) (lacht). A55: Da muß ich so'n bißchen knapper aufschreiben, damit Sie 'n bißchen öfter kommen. Patientin lacht P55: Nö, nö, ich komme jetzt wieder (undeutlich) A56: Also wenn der Zucker in Ordnung ist, dann brauchen Sie von mir aus nicht alle 14 Tage, dann reicht mir einmal im Monat, aber er muß denn erst in Ordnung sein. P56: (Einfallend, undeutlich) ja. Das wird auch, also ich weiß selber noch, wie ich wieder geschludert habe. A57: Das ist ja schon viel wert, wenn Sie selbst merken, woran es gelegen hat. Sie können das auch selber besser wieder in den Griff kriegen, ne. P57: Ja, ja. Bei mir, ich sage immer, ob 1mir denn auch mal einer hilft, wenn ich mal n'nen bißchen schlecht dran bin, das glaub ich nicht. Ich springe immer für andere Leute ein, aber, (lacht) naja nun (undeutlich), die hat ja auch keine Verwandten, ne. A58: Mhm. P58: Meine Bekannte hat keine Verwandten, ja, wer will se da dann ab und zu mal versorgen, ne. A59: Passen Sie mal auf, ich hab' Ihnen hier noch mal was aufgeschrieben. Da nehmen Sie abends vorm Schlafen gehen mal ne' halbe Tablette, damit Sie die Wadenkrämpfe mal los werden. P59: Und hier in den Knien. Die schlottern auch immer. A60: Was heißt das, schlottern? P60: Wenn ich mich knie, dann tun die weh. (undeutlich) hier das zieht dann immer hier so rüber, da war ich schon mal bei Ihnen, da hatten Sie mir schon mal was für gegeben. Salbe. Hab' ich immer eingerieben. A61: Aber wackelig sind Se' nicht, ne? P61:Nee. A62: Halt haben Sie in den Knien? P62: Ja, aber wenn ich mich jetzt knie oder was, denn als wenn wie Wasser, oder gluckerts ab und zu mal drinne. A63: Hier hinter?

Patientensignale - Arztreaktionen P63:Ja,ja. A64: Ah, das sind die Schleimbeutel hinter der Kniescheibe, ne, wenn Sie auf Knien viel machen. P64: Ja, ja also ich bin altmodisch, ich wische meine noch auf n Knien noch also, ne. Und bei der Kur haben sie mir auch einmal Salbe gegeben. A65: Also haben Sie dann wenigstens da mal 'n Polster, wenn Sie jetzt auf Knien durch die Wohnung sausen? P65: Nee, nur so. A66: Dann nehmen Sie sich mal nen1 altes Kissen. P66: Das ist nur praktisch A67: Ja, aber sonst gehen ihre Knie kaputt, ne. P67: Also, das tut abends manchmal richtig weh. A68: Ja, denn kriegen Sie Schleimbeutelentzündung. Es gibt doch auch so schöne neumodische Sachen, so mit einem Stiel, P68: Ach, nee. A69: wo man au s wringen kann und so. P69: Nee, also das haben se' schon damals im (undeutlich), die jungen Mädchen, die haben sie alle, ich sage ja, ich mache aber eure Ecken sauber, sag1 ich. Ihr geht ja auch nicht in die Ecken rein. Die haben denn gestanden und haben gelacht, ne. A70: Und dabei hätten (undeutlich) auf die Knie gehen können, aber Sie können das eigentlich nicht mehr. P70: Ne, ne. Also. A71: Gehen wir mal runter und äh (Arzt übergibt Rezept) P71: Und was soll ich denn? A72: Und ich schreibe, ich gebe Ihnen mal n'nen Zettel, was wir noch machen müssen, und dann klären Sie das mit meinen Damen. P72: Ja. (längere Pause, Arzt schreibt) A73: So, Frau Bebel P73: Danke schön. A74: Dann bis demnächst in diesem Theater. P74: Ja, nech, also Wiedersehen. A75: Wiedersehen. Patientin ist schon außerhalb des Raumes: P75. Naja, es wird schon werden, (undeutlich) was meinen Se', was ich da gelaufen bin und gewandert, und hier bin ich immer zu faul. Morgens zwei, drei Stunden, mittags zwei Stunden, abends drei Stunden. Also da A76: Das ist für Zucker hervorragend. P76: Nech, also das war, also da sind wir wirklich viel gelaufen, ne. A77: Mhm. P77: (undeutlich) also Wiedersehen. (Singend) A78: Denn mal los, Wiedersehen.

Gesprächsende

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4.

Eindrücke vom Gesprächsverlauf insgesamt

Arzt und Patientin kannten einander aus vielen Begegnungen. Diese Vertrautheit schlug sich in der Gesprächsatmosphäre nieder, die durchweg als sehr positiv (ruhig und angenehm) empfunden wurde. Die Selbstverständlichkeit, mit der Arzt und Patientin miteinander umgingen, imponierte. In der Diskussion wurde zunächst die Gesprächstechnik thematisiert. 4.1. Überlegungen zur Gesprächsführung4 4.1.1. Die Dauer des Gesprächs Der Arzt habe die Patientin ausreden lassen, sich selbst unterbrechen lassen - vielleicht hatte der Arzt seinerseits keine Chance, die Patientin zu unterbrechen? -, so daß das Gespräch vergleichsweise lang wurde. "Weiß Gott keine 5-Minuten-Medizin." Dr. Moses war selbst von der Länge überrascht, obgleich es ihm während des Gesprächs keineswegs lang vorgekommen sei.5 Die Aufzeichnungssituation6 war ohne Einfluß auf die Gesprächslänge: in dieser Praxis sind 15 Minuten für Gespräche vorgesehen, aber "ich krieg' mit meinen Damen schon Schwierigkeiten." (Dr. Moses). 4.1.2. Die Sitzordnung Die Patientin saß in einem Winkel von 90° zur Rechten des Arztes, was in der "Theorie der Sitzordnung" - vor allem in der angelsächsischen Literatur - als "ideal" beschrieben werde. Die Möglichkeit einer solchen Verallgemeinerung wurde von einigen Diskutanden skeptisch beurteilt. Arzt und Patientin hatten "Kniekontakt"7. Einigen Seminarteilnehmern - einem Mann aus der imaginierten Position der Patientin, einer Frau hingegen von der Arztseite her - wäre dies zu persönlich gewesen, "zu dicht, das hätte ich nicht gewollt". Arzt und Patientin muß es insgesamt wohl angemessen erschienen sein, denn eine Korrektur wäre in der Situation auch möglich gewesen. Die Gliederung folgt dem tatsächlichen Ablauf der Diskussion. Es war auch in anderen Videoseminaren charakteristisch, daß die Gesprächsführung des Arztes ad hoc bewertet wurde und die Beurteilung sich danach zunehmend ausdifferenzierte, indem ein immer detaillierteres Bild des 'Problems der Patientin1 sowie der sich entfaltenden Arzt-Patienten-Beziehung entstand. Das Aushalten einer solchen Gesprächsstruktur könne ihm aber durchaus auch Schwierigkeiten bereiten. Erstmalig wurde in unserer Runde nicht auch nur erwogen, daß die Aufzeichnungssituation den Gesprächsablauf 'verfälscht' haben könnte: das Verhalten von Arzt und Patientin wurde als 'typisch1 wiedererkannt. Zur Bedeutsamkeit des Knies vgl. unten.

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4.1.3. Einheit von Gespräch und Untersuchung Gerade die auch körperliche Nähe erlaubte eine gleichsam organische Einheit von Gespräch und Untersuchung. Die Patientin zeigte wie selbstverständlich ihren Fuß, den der Arzt ohne Aufhebens während des Gesprächs untersuchte. In ähnlich stummer Selbstverständlichkeit war die Blutdruckmessung in das Gespräch verwoben. "Sie haben eine Leistung vollbracht, die ich nicht für möglich gehalten hätte: während des Blutdruckmessens eine vollständige Therapieanweisung zu geben." Der Faszination war Skepsis hinsichtlich der Funktion, den diese Untersuchung denn haben könnte, beigemischt. Besteht nicht die Gefahr, daß ein solcher Meßvorgang, ohne Ankündigung in das Gespräch eingeschaltet und, da die Meßwerte nicht mitgeteilt wurden, auch ohne erkennbaren Einfluß auf den weiteren Gesprächsverlauf, den Mangel an Verantwortung unterstützt, den die Patientin für ihre Krankheit übernimmt? Ist es "ein entfremdeter Vorgang, den der Arzt zur Beruhigung seines Gewissens macht"? Ist es also ein typisches8 und gleichwohl änderungsbedürftiges Arztverhalten? Oder ist umgekehrt diese Wortlosigkeit gegenüber der Patientin durchaus adäquat, weil die Patientin in ihrer langen Patientenkarriere sicher schon öfter über ihre Krankheit(en) aufgeklärt wurde und bei Erläuterungen ihrer objektivierbaren Daten ohnehin nicht zugehört hätte?9 4.1.4. Medikamentenverordnung Es wurde bedauert, daß der Arzt, nachdem er geduldig der Patientin gestattet hatte, alles bei ihm abzuladen, sich bei der Medikamentenverordnung nur noch wenig Zeit nahm. Einige Diskutanden hatten den Eindruck, er wollte mit der Rezeptübergabe einen Schlußpunkt setzen und sich gleichsam "aus dem Gespräch rausschleichen"10 - mit der Folge, daß dann kein "vernünftiges Erklären"11 mehr stattgefunden habe. In Analogie zur Ar8 "Ich mach es auch, klar." Diese beiden Grundpositionen traten unter verschiedenen Aspekten im weiteren Diskussionsverlauf immer wieder hervor. Verhältnis von Untersuchung und Gespräch (-> Forderung nach stärkerer Distanz zum Körper, d. h. bewußterer Kontrolle); strengere Zuckerkontrolle (-> Objektivierung von Krankheit und Behandlung, strengere Kontrolle); Konfrontation (-> Forderung nach stärkerer Distanz zur Außenwelt -> strengere Kontrolle); Behandlungsziel (wer setzt die Maßstäbe); Krankheitstheorien (Zucker -> Streß versus Streß Zucker). Dahinter stehen unterschiedliche Krankheitstheorien - aber auch unterschiedliche Vorstellungen davon, wie man - und das heißt sowohl Arzt und Patient - leben soll. 10 Vgl. A46: "...Also dann füllen wir heute erstmal nur den Pillenvorrat auf..." 1J Auch die Verordnung selbst folgt einer recht eigenwilligen Rationalität: "Ich weiß, wie weh Wadenkrämpfe tun, und in dem Augenblick wollte ich hauptsächlich was gegen den Wadenkrampf tun, meinen eigenen" (Dr. Moses).

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gumentation unter (3) wurde andererseits auch bezweifelt, ob der Arzt bei dieser Patientin - die ja gerade einen Aufenthalt in einer Kurklinik hinter sich gebracht hatte und dort auch instruiert worden sein dürfte - überhaupt bei Fragen des Medikamentenverhaltens Gehör gefunden hätte. Tatsächlich ist der Patientin ihr 'Fehlverhalten1 völlig klar - "also ich weiß selber noch, wie ich wieder geschludert habe" (P56) -, und sie reagiert deutlich abwehrend auf Vorhaltungen des Arztes.12 Dabei nimmt die Frage der Medikamentenverordnung großen Raum im Gespräch ein: sie taucht implizit bereits in P3 auf und bleibt bis zur Rezeptübergabe (A71) ständig implizites Thema. Da das Medikamentenverhalten gleichzeitig aber kaum explizit thematisiert wird, kann man von einer doppelten Rahmung des Arzt-PatientenGesprächs sprechen: neben der formalen Rahmung - Beziehungsaufnahme in AI bis P3 und Verabschiedung in A73 bis A78 - setzt die Medikamentenverordnung gleichsam den inhaltlichen Rahmen, innerhalb dessen die Behandlung sich bewegt. Anders gesagt: die Verschreibung ist Bedingung der Behandlung, nicht aber deren Kern. 4.1.5. "Die Patientin kürzer an der Leine führen!" Dr. Moses Gesprächsführung fand insgesamt allgemein Anklang, doch hätten sich einige Seminarteilnehmer ein stärker strukturierendes (autoritäreres) Verhalten gewünscht. Um die Stoffwechsellage besser kontrollieren zu können, erscheine ein häufigerer Praxiskontakt wünschenswert. Auch bedeutete die diskontinuierliche Konsultation - die Patientin hatte 3 Monate lang keinen Praxiskontakt -, daß der Arzt mit einer Vielzahl von Anliegen gleichzeitig konfrontiert werde und bei der Aufgabe, mehrere Organsysteme zu behandeln, notwendig überfordert sei. "Das kann man sich ja gar nicht leisten, und Sie machen es trotzdem. Das bedeutet, daß in der Zeit drei andere Patienten zu kurz kommen..."

Der Arzt müsse unter diesem Gesichtspunkt auf häufigere Praxiskontakte drängen.13 Dies bedeute auch, die Patientin stärker mit in die Verantwortung einzubeziehen. (Vgl. unten: Arzt-Patient-Beziehung.) Die Beurteilung der Gesprächsführung macht implizite von einem Verständnis der die Patientin insgesamt konstituierenden Probleme Gebrauch, 12

Vgl. A38: "...Also, so ganz lupenrein ist das nicht." (P38) "Ja, ja, das weiß ich ..."; ähnlich in P57. 13 Unter den Bedingungen einer anderen Praxisorganisation könnte Dr. Moses Gesprächsführung dysfunktional sein. Für Dr. Moses Praxis trifft das der Organisation geltende Bedenken jedoch insofern nicht zu, als der aufgezeichnete Kontakt durchaus im Rahmen der pro Gespräch reservierten 15 Minuten bleibt.

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die auch zentrales Behandlungsproblem sind. In der weiteren Diskussion wurde konsequenterweise die psychische Verfassung der Patientin zunehmend thematisiert. 4.2. Das Problem der Patientin Vordergründig gesehen besteht das Hauptanliegen der Patientin darin, sich erneut mit Medikamenten zu versorgen (P3, P27, P34-P39, P53, P54). Später klagt sie über Schmerzen und Empfindungsstörungen (P3, P23-P26, P42-P45, P60). Offenbar stolz darauf, über längere Zeit allein zurecht gekommen zu sein und im Alltag mehrere Aufgaben bewältigt zu haben, ist ihr dies nun doch ein bißchen zu viel geworden, so daß sie eigenständig den Arzt aufsucht (keine Einbesteilung). Sie opfert sich für andere auf ("Ich springe immer für andere Leute ein" (P57)) — und fühlt sich gleichsam stark, wenn die anderen noch kränker sind. (Vgl. P32) Daß diese Stärke trügerisch ist, ist ihr durchaus bewußt, und sie hat Angst, gegebenfalls selbst keine Unterstützung zu erhalten (P57). Sie braucht also Anerkennung und Medikamente, vor allem aber die Gewißheit, sich auf Hilfe verlassen zu können. Sie hat ein großes Mitteilungsbedürfnis14 und läßt die Untersuchung, die eher den äußeren Rahmen zur Verfügung stellt, 'wohlwollend über sich ergehen1. Ein erklärungsbedürftiger Kontrast schien zwischen der Genauigkeit, die die Patientin im Arbeitsbereich (Putzen) für sich in Anspruch nimmt, und ihrem legeren Krankheitsverhalten ('Strecken' von Medikamenten, Nichtwahrnehmen eines Arzttermins?, Nichteinhalten der Diät) auf. Der Kontrast bedeutet aber keineswegs Inkonsistenz: einerseits handelt es sich um Verhalten mit unterschiedlichen Voraussetzungen, andererseits hat es in der (latenten) Selbstschädigung sein gemeinsames Maß. Der Patientin sind die Konsequenzen mangelhafter Kooperation bei der Behandlung aus eigener Erfahrung ja bekannt, die durch das Putzen auf den Knien hervorgerufenen Schmerzen sogar unmittelbar erfahrbar. "Das fand ich schon beachtlich, daß Herr Moses ihr, einer gestandenen Putzfrau, mit dem Kissen ein so einfaches Hilfsmittel vorschlägt. Andere Instrumente kannte sie ja sicher auch. Daran zeigt sich ja gerade das Ausmaß der Selbstschädigung!5, daß sie

14 Dies wird auch darin deutlich, daß sie nach der Verabschiedung (A73 bis A75) schon außerhalb des Sprechzimmers noch einmal neu zur Erzählung ansetzt. 15 Daß die Etikettierung als 'masochistisch' nicht in einem moralischen Sinne gemeint sei, war in der Diskussion unumstritten. "Wir machen das ja alle. Dr. Moses hat das ja auch so gemacht: 4 Organsysteme gleichzeitig zu behandeln, das ist ja abrechnungstrechnisch kaum zu bewältigen, von seiner Arbeitszeit, Arbeitskraft und Lebensmöglichkeiten her ist das schon in derselben Richtung, nicht 'auf den Knien', aber immerhin. Wenn man das rein arbeitsmäßig sieht, hat er in dem Kontakt mehr hergegeben, als es die Praxissituation eigentlich zuläßt."

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Ottomar Bahrs & Joachim Szecsenyi nicht einmal so einfache Hilfsmittel, die sie an ihrem eigentlichen Ziel nicht hindern würden, benutzt."

Offenbar brauche sie auch das Leiden, ihre Aufopferung müsse von anderen gesehen werden, dann sei sie glücklich. In der Krankheit liege daher für sie auch ein Gewinn, und das Strecken der Medikamente kann als Versuchung begriffen werden: "Unterbewußt braucht sie ab und zu mal 'nen Zusammenbruch.11 (Dr. Moses). Das emphatische Festhalten an einer überlieferten, aber schmerzenden Praxis ("ich bin altmodisch", P64) erscheint sozusagen "durch eine höhere Instanz" fraglos begründet, sei es, daß die alten Gewohnheiten Halt geben, sei es, daß die - partielle - Selbstschädigung in einem weiteren Sinne der Selbsterhaltung dient und letztlich sogar das psychophysische Gleichgewicht sichert.16 Dann müßte es etwas geben, das tiefer reicht als der Schmerz: die Angst. Die Angst der Patientin wurde in der Diskussion erst vergleichsweise spät thematisiert. Einigen Diskussionsteilnehmern war eine Diskrepanz zwischen ihrer vordergründig Fröhlichkeit ausstrahlenden Leichtigkeit und dem, worüber sie sprach, aufgefallen. Wenn sie lachend Dinge sage, die keineswegs zum Lachen seien, erhalte man den Eindruck, daß sie sich selbst nicht ernst nehme (Banalisierung). Dr. Moses bestätigte diesen Eindruck: "Streng genommen sind ihre Lebensumstände zum Heulen. Wenn sie das zuläßt, weiß ich nicht, wie es ihr dann geht. Dann ist sie in der Depression."

Denkbar, daß die vermutlich isoliert lebende Patientin Angst vor dem Altwerden habe, für das ihr keine adäquaten sozialen Rollen zur Verfügung stünden. Dementsprechend könnte das Festhalten an alten Gewohnheiten (auf den Knien putzen) ebenso als Abwehr des Alterns gedeutet werden wie einige kokettierend wirkende Bewegungen (Knie- bzw. Kopfhaltung, vgl. unten). Ihre Angst scheint konkreter, wie in P57 explizit formuliert, darin zu bestehen, in einer Situation der Ohnmacht keine Hilfe zu erhalten. Sie wehrt diese Angst zugleich ab, indem sie sich selbst als potente Helferin gegenüber jenen, die noch ärmer dran sind als sie selbst, beweist. Daß diese forcierte Selbständigkeit aber nur trügerische Sicherheit gibt, hatte sie schon in (P32) angedeutet. Unterstützung würde sie, so wird wiederum in P57 deutlich, von Verwandten erwarten: indem sie "einspringt" (P57, P58), stellt sie selbst den Ersatz Insofern scheint die Patientin auch kein authentisches Schuldgefühl wegen der Vernachlässigung ihres Körpers (bzw. dessen Behandlung) zu besitzen, ihre selbstanklagend klingenden Äußerungen stehen eher im Dienste der Sicherung der Beziehung zum Arzt.

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für die ihrer Bekannten fehlenden Verwandten dar. Im Gegensatz zu ihrer Bekannten hat sie selbst aber mindestens eine Verwandte: ihre Schwester. Mit ihrer Formulierung "ob mir denn einer hilft, (...) das glaub1 ich nicht" gibt sie daher zu verstehen, daß sie sich der Hilfsbereitschaft ihrer Schwester nicht sicher ist. Dire Äußerung kann somit als Appell an den Arzt verstanden werden, für die Schwester "einzuspringen". Weil der Arzt seiner Berufsrolle gemäß in solchen Situationen ohnehin zuständig ist und die Patientin dies auch aus eigener Erfahrung wissen muß, hätte es der Bitte eigentlich nicht bedurft. Insofern bedeutet die Patientin dem Arzt indirekt, daß die Notsituation schon jetzt gegeben ist und er ihr im Hier und Jetzt der Behandlungssituation bislang keine ausreichende Hilfe ist. Sie entwertet damit sein konkretes Bemühen - immerhin hatte er sich ihr schon längere Zeit zur Verfügung gestellt - und bezweifelt, eher implizit, daß er ihr überhaupt helfen würde. Allgemeiner formuliert: es ist fraglich, ob seine Hilfe je genug sein kann. Weil ihre Angst "frei flottiert", muß konkrete Unterstützung immer ungenügend bleiben. Dies ist von ihr selbst offenbar zutiefst empfunden: die Angst vor Hilflosigkeit geht mit der Angst vor Abhängigkeit einher. Weil jeder Therapeut mit der Aufgabe umfassender Identitätssicherung überfordert ist, hat ihre Ambivalenz Züge von Realitätstüchtigkeit - auch wenn ihr Autonomiebestreben17 für jeden Therapeuten frustrierend sei, wie ein Diskutand feststellte. Unter diesem Gesichtspunkt soll die Frage der Behandlung noch einmal aufgeworfen werden. 4.3. Behandlungsregime und Arzt-Patient-Beziehung Diese chronisch kranke Patientin suchte die Praxis überwiegend dann auf, "wenn es ihr dreckig ging". Dann war ihr Zustand zumindest subjektiv oft bedrohlich, manchmal auch objektiv. "Und ich hab den Eindruck, wenn sie sich da stabilisiert fühlt, dann braucht sie den Kontakt nicht. Erst dann, wenn's den Bach hinab geht, kommt sie wieder. Dann ist meine Aufgabe halt, sie aufzufangen ein Stück." (Dr. Moses).

Aus der fiktiven Perspektive der Diabetes-Ambulanz wurde die Frage aufgeworfen, was den Arzt daran hindere, auf größerer Regelmäßigkeit der Kontakte zu bestehen. Unter dem Aspekt der Diabeteskontrolle führte Dr. Moses aus, daß die Patientin zu anderen Zeiten häufiger gekommen sei, manchmal jeden zweiten oder dritten Tag, wobei die Zuckerkontrolle nur ein wichtiger Programmpunkt unter anderen gewesen sei. Inzwischen sei es

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Unter der Annahme eines forcierten Selbständigkeitsbestrebens wird man es kaum als zufällig ansehen, daß ausgerechnet die Beschwerden an den Bewegungsorganen (Fuß, Beine, Knie) der Patientin am stärksten zusetzten.

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zu einer Konsolidierung gekommen, so daß auch das Insulinspritzen nicht mehr erforderlich sei.18 "Es gab kritische Situationen. Als wir anfingen, lagen die Werte so bei 500, so um die Preislage und waren überhaupt nicht mehr beeinflußbar. Und da waren die Spritzen auch wie so 'ne Drohung: 'Paß auf, jetzt müssen wir spritzen, jetzt tun wir das, und erst wenn du Dich wieder führst, dann haben wir 'ne Chance, daß Du zu den Tabletten zurückkommst.1 Und irgendwann hat sie das gepackt." (Dr. Moses).

Daher könne man sich auf das Spiel einlassen, und eine engere Führung sei derzeit nicht erforderlich. Die Patientin wisse im Grunde, was sie machen müsse. Sie kenne ihr Verhalten und dessen Folgen einigermaßen und wisse vorher schon, wie ihr Zucker ist. Dieser Argumentation standen einige Seminarteilnehmer skeptisch gegenüber. Kann man es als Arzt verantworten, es immer wieder so weit kommen zu lassen? "Ich finde, daß man bei fast allen chronischen Krankheiten nicht sagen kann: der weiß schon, was er tut. Theoretisch weiß er das. Ich glaube, daß man immer wieder den Verdrängungsmechanismus, der ja auch wohl bei vielen chronisch Kranken permanent da ist, durchbrechen muß beim Arztbesuch, um sie strenger zu führen, damit sie sich klar machen mit diesen abstrakten Spätfolgen, daß sie sich strenger führen müssen."

Dieser eher krankheitszentrierten "Argumentation der Diabetes-Ambulanz" setzte Dr. Moses eine patientenbezogene hausärztliche Handlungsmaxime entgegen: "Ich meine, einigermaßen ihre Art, Beziehungen zu gestalten, zu kennen. Und das geht so, daß sie 'ne Zeit lang gern 'nen engen Kontakt hat und dann den Kontakt abbricht, weil's ihr zu dicht wird, und dann für sich selber leben möchte. Und das macht sie genauso mit ihrem Zucker, der Einstellung des Zuckers. Sie führt den Kontakt, solange sie will, nicht solange der Arzt will, und ich glaube nicht, daß ich die Möglichkeit habe, den Kontakt über einen gewissen Toleranzzeitraum, über den man verhandeln kann, hinauszuführen."

In dieser durchaus programmatisch zu verstehenden Aussage ging Dr. Moses von einer allgemeinen Form, "Beziehungen zu gestalten", aus, die sich im Umgang der Patientin mit anderen, sich selbst, ihrer Krankheit und auch ihrem Arzt darstellt. Er nimmt an, daß eine Behandlung der Patientin nur

Wie bereits erwähnt, beteiligt sich Dr. Moses an dem von J. Szecsenyi und R. in der Beek durchgeführten Projekt zur Qualitätssicherung in der Diabetesbehandlung. Daher konnten die am Tag nach dem aufgezeichneten Kontakt bestimmten Blutzuckerwerte der Patientin berücksichtigt werden: sie lagen mit 165 für den Blutzucker und 8,1 für den Hbal im Normbereich. Demgegenüber waren nahezu alle Diskutanden - und auch die Patientin selbst - von der Annahme ausgegangen, daß die Zuckerwerte erhöht seien. Der Dokumentation nach war sie im ganzen letzten Jahr hinsichtlich des Diabetes "gut eingestellt", so daß sie in dieser Hinsicht, wie Dr. Moses auch vermutete, keiner engeren Führung bedurfte.

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unter Anerkennung dieser Lebensart19 möglich ist. Bei einem strengeren Vorgehen würde die Patientin seiner Meinung nach die Beziehung abbrechen. Aus demselben Grunde verzichte er auch darauf, ihre Abwehr massiv zu durchbrechen und ihre Scheinwelt zu zerstören, auch wenn ihm ihre dargestellte Selbständigkeit zumindest teilweise als 'Theater' erscheine (vgl. A74). "Natürlich, sie definiert sich darüber. Ihre ganze Daseinsberechtigung definiert sie in dem Augenblick. Wenn ich ihr sage, 'das stimmt doch gar nicht', zieh ich ihr den Boden unter den Füßen weg. Ich hab halt meine Zweifel, aber die sag ich in dem Moment nicht, im Gegenteil. Wenn sie das in dem Augenblick stabilisiert, o.k." (Dr. Moses).

Diese Voraussetzung - hausärztliche Behandlung ist Behandlung der ganzen Person - wurde allgemein akzeptiert, doch wurden auch aus hausärztlicher Sicht andere Schlußfolgerungen gezogen. Denn gerade das Sich-zurVerfügung-Stellen und der Verzicht auf Konfrontation sei für die Patientin keineswegs hilfreich, auch könne die Beziehung selbst - dies zeige sich in der Unregelmäßgkeit der Kontakte - nicht als stabil angesehen werden. Die Gesprächsbereitschaft des Arztes werde als gleichsam vertrauensbildende Maßnahme20 vielleicht gerade wegen der Unregelmäßigkeit der Kontakte immer wieder notwendig. Es müsse Struktur in das Chaotische gebracht werden, größere Regelmäßigkeit und rigiderer Umgang wären daher besser.21 Diese Forderung nach strengerer Patientenführung impliziert neben einem anderen Behandlungsrhythmus zugleich eine andere Behandlungsform und ein anderes Behandlungsziel. Der Patientin 'Struktur' zu geben, heißt ihren Lebensstil ändern. Da Dr. Moses selbst psychotherapeutisch arbeitet, lag die Frage nahe, warum er dieses Setting nicht auch bei dieser Patientin wählt, zumal diese viel mehr Psychisches biete als Diabetisches, worauf er aber nicht eingehe.22 19 "Den Rhythmus hat sie bestimmt, nicht ich. Ich kenne das Spiel." (Dr. Moses). Vgl. dementsprechend A74. 2 ^ Vertrauensbildung sei auch durch Einbestellen möglich, denn "es ist angenehm für den Patienten, einbestellt zu werden, er weiß: 'Der Doktor will was mit mir zu tun haben.' (...) Er weiß, er ist willkommen." 21 Die Patientin habe eine Suchtstruktur und mehrere Jahre lang massiv getrunken, so daß nicht zufällig Ähnlichkeiten zur Behandlung von Alkoholabhängigen diskutiert wurden. Auch bei einem Alkoholkranken habe es, so ein Teilnehmer, "nach meiner Erfahrung weniger Erfolg, (dessen Uneinsichtigkeit) aufzudecken, als wenn ich das nicht tun würde. Denn der Arztkontakt deckt nur einen kleinen Teil der Wirklichkeit des Patienten ab." 22 Beispielsweise in A7, wo statt der von der Patientin angesprochenen Belastung (Schimpfen der Schwester, innere Aufregung anderer Leute) der Modus ihres Umgangs damit (Essen, damit die Aufregung weggeht) zum Thema gemacht wird und somit eine Verschiebung vom Psychosozialen ins Diabetische nahegelegt wird. Ähnlich in AI l und A76.

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Tatsächlich bereite es Dr. Moses enorme Schwierigkeiten, daß "sie sich immer wieder in 'ne andere Welt verabschiedet." Aber er halte ein "Herumstochern" für gefährlich, fürchte, daß die Patientin dann den Kontakt abbrechen könnte, ohne einen anderen Arzt aufzusuchen. Unter diesen Bedingungen könnte sie suizidgefährdet23 sein in dem Sinne, daß sie "in der Wohnung liegen (würde) und könnte die Tür nicht mehr aufmachen. Ich merke auch, daß ich jetzt unheimlich starke Beklemmungen kriege. Ich denke, das ist sehr gefährlich." (Dr. Moses).

Eine Gesprächspsychotherapie sei nicht möglich, weil die Patientin "intellektuell nicht so hoch sei und inzwischen wohl auch hirnorganische Veränderungen" vorhanden seien. Auch fühle er sich aufgrund erst 5-jähriger psychotherapeutischer Erfahrung noch nicht sicher genug.24 Es wurde aber auch allgemeiner bezweifelt, ob ein konfrontativeres Vorgehen mit dem Ziel einer Bearbeitung der inneren Realität der Patientin geeignet sein könne, diese in einer Weise lebenstüchtig zu machen, daß sie auch mit ihrer äußeren Realität besser zurechtkäme. "Ist es nicht vielleicht so, daß die äußeren Umstände so wenig beeinflußbar erscheinen, daß es fast sicherer ist, sich damit abzufinden?" Die stützende Art der Gesprächsführung25 könne als Inszenieren eines Auf-die-Patientin-Eingehens angesehen werden, ohne daß deren Probleme explizit thematisiert würden. Die Patientin scheine in der Behandlung das bekommen zu haben, was sie gewollt habe, was daran deutlich werde, daß sie das Gespräch selbst beendet und die Verabschiedung eingeleitet habe.26 23

Sie sei vor Jahren in 'ne Depression gerutscht, nachdem ihr langjähriger Lebensgefährte sie verlassen hatte. 24 Das Gefühl von Ohnmacht war an dieser Stelle greifbar, und die Diskussion wechselte vom 'Problem der Patientin1 zu einem Problem der Hausärzte. Die Begrenzung der psychotherapeutischen Gestaltungsmöglichkeiten zeige die Unmöglichkeit, das intellektuelle Niveau von Fortbildungen im Praxisalltag umzusetzen, "wo auf jeden Fall alles los ist, nur nicht intellektuelle Befriedigung". Dies sei vielleicht einer der Gründe für die Enttäuschung hinsichtlich mangelnder Therapieerfolge. Dann aber nütze das in solchen Fortbildungen vermittelte Wissen nichts in der Realität des Hausarztes - und analog sei entgegen der in der Diskussion beobachtbaren Tendenz Hilfe auch kaum von fachärztlichen Konsilien (Diabetologen, Psychotherapeuten) außerhalb der Hausarzt-Patient-Beziehung zu erwarten. 25 Auch habe Dr. Moses keineswegs auf Konfrontationen verzichtet (A5, A20-A23, A28, A31, A38, A49-A52, A55-A57, A65-A70). Die Patientin würde mit einer bloßen Spiegelung auch kaum zufrieden sein, erwarte schon Empfehlungen, auch was anders zu machen. Dem habe der Arzt auch entsprochen. "Mehr kann man auch gar nicht machen. (Mit der Forderung, Struktur reinzubringen) ist jeder Arzt überfordert. Das war 'ne Sozialarbeiterrolle. Aber wenn konkret was ist, ist Herr Moses jemand, der initiativ werden kann, aber das müßte dann von der Patientin kommen." 26 Ob die Patientin schon durch das Gespräch selbst wirklich zufriedengestellt war, muß dennoch bezweifelt werden, da sie nach der Verabschiedung zwischen Tür und Angel noch einmal zu einer Erzählung ansetzte (P75, P76). Erst nachdem sie hier endlich ihre Anerkennung erfahren hatte ("hervorragend", A76), verabschiedet sie sich endgültig. Ein Seminarteilnehmer sah in diesem "schönen Schluß" ihre Bereitschaft, in Verständnis von Dr. Moses Behandlungskonzept mehr Eigenverantwortung zu übernehmen.

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Dr. Moses Konzept kann damit insgesamt als Wegbegleitung begriffen werden: "Ich bin nicht ihr Lebensbewältiger. Es ist ihre Verantwortung. Meine Verantwortung ist zu versuchen, es ihr immer wieder nahezubringen. Wenn ich davon ausgehen kann, daß sie es eigentlich wissen müßte, dann ist es ihre Verantwortung. Die übernehme ich nicht."

Ob es richtig sei, sich so stark am Wunsch des Patienten zu orientieren, wurde von einigen Seminarteilnehmern bezweifelt. Damit ist die Frage nach dem auch subjektiv begründeten Behandlungsmaßstab aufgeworfen. 4.4. Das Problem des Arztes Der Patientin die Führung zu überlassen, sei keineswegs bloß altruistisch: "Das ist 'n Stück aggressiv meinerseits. Aus meiner Erfahrung, 'das bringt ja doch nichts', sag ich: 'Paß mal auf - ich bring Dich 'n Stück, und dann verabschieden wir uns. Du kannst gern wiederkommen.1"

Aggression gegenüber der Patientin empfanden neben dem behandelnden Arzt offenbar auch andere Seminarteilnehmer. In der Formulierung: "die Patientin (darf) ein Anspruchsverhalten an den Tag legen", scheint durch, daß ihr dies besser nicht gestattet sein sollte. Warum nicht? Aus therapeutischen Gründen, aus disziplinarischen Gründen oder um einer Ausbeutung des Arztes vorzubeugen? Inwieweit sind die Behandlungsmaximen geschlechtsspezifisch? "Ich hätte mir gewünscht: 'warum haut er nicht mehr auf n Putz und nimmt sie nicht strenger ran.'"

Es kann kaum Zufall sein, daß 3 der 4 Frauen, die sich zum Behandlungsregime geäußert haben, eine strengere Behandlung forderten. Es kann kaum Zufall sein, daß vor allem die Seminarteilnehmerm/ien in der Darbietung des Knies auch Züge einer Verführungssituation sahen und die Frage aufwarfen, ob Dr. Moses für die Patientin vielleicht auch jenseits der Arztrolle bedeutsam sei und ob sie ihn vielleicht verehre. Insgesamt meinte zwar kein Diskutant, daß erotische Faszination bei diesem Arzt-Patientinnen-Kontakt im Vordergrund gestanden habe, aber die bloße Möglichkeit zuzulassen, fiel den männlichen Teilnehmern doch so offenkundig schwerer, daß die Vermutung, diese Patientin sei für Männer sehr unangenehm, nicht ganz von der Hand zu weisen ist. Ob dies wirklich ein Hinweis darauf ist, daß Männer sich in die Situation der Patientin schwerer hineinversetzen können, scheint uns fraglich. Sowohl in Dr. Moses Vorgehen wie in einigen Diskussionsbeiträgen anderer männlicher Teilnehmer sind deutlich Züge von Identifikation erkennbar:

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Dr. Moses behandelt ihre Wadenkrämpfe als seien es seine eigenen (vgl. oben). Er schlägt ihr ein ihrer Situation angemesseneres Vorgehen beim Putzen vor. Die Angst, die Patientin könne durch ein aufdeckendes Vorgehen in die Haltlosigkeit abgleiten, ist zumindest teilweise auch die Angst27 davor, man selbst würde eine der Patientin vergleichbare Vereinsamung nicht ertragen. (->Beklemmung) "Wenn ich da voll drauf einsteige und sage 'Das ist prima, wie Sie das machen', dann hab ich echt Schwierigkeiten, denn das ist nicht meine Realität. Ich will schon in meiner Realität bleiben."

Das Aufrechterhalten der Scheinwelt ist für den Arzt nicht befriedigend, sondern ständige Quelle von Ohnmacht. Von daher wird verständlich, daß der Arzt der Patientin bis zum Schluß des Gesprächs die ausdrückliche Anerkennung ihrer Selbständigkeit verweigert. Erst mit der Kompromißformel "für Zucker hervorragend" (A76), mit der er zugleich der Leistung der Patientin Anerkennung zollt, sie relativiert - hervorragend für einen Zuckerkranken, d. h. jemanden, der in seiner Leistungsfähigkeit beeinträchtigt ist und schließlich zu einem - allerdings in diesem Sinne außerordentlich wertvollen - Beitrag zur Behandlung umwertet, wird die gemeinsame Wirklichkeit rekonstruiert und, da diese nun auch außerhalb des Behandlungszimmers erscheint, die Beendigung des Gesprächs möglich (vgl. Textanalyse). Der Arzt stellt sich nicht aus Spaß immer wieder zur Verfügung, sondern eher weil ihm eine Alternative fehlt. Dennoch: "Wenn ich innerhalb ihrer Welt sie stabil kriege, halbwegs, dann ist das mir genug." (Dr. Moses).

5. Textanalyse der Gesprächseröffnung Die Textanalyse geht von der Voraussetzung aus, daß Arzt und Patient wie jeder Sprecher bzw. Hörer - die Vielzahl prinzipiell möglicher Bedeutungen ihrer Äußerungen notwendig nur begrenzt wahrnehmen, daß also jede Interpretation selektiv ist. Weiterhin wird davon ausgegangen, daß die Selektion ihrerseits nicht zufällig erfolgt, sondern der jeweiligen Problematik - der Fallstruktur - zu verdanken ist. Aus der Rekonstruktion der Art der Selektion kann daher auf die Regel, nach der die Fallstruktur erzeugt wird, gefolgert werden. Bei der Analyse muß daher zunächst die Offenheit der Interpretation wieder hergestellt werden, d. h. jede grundsätzlich mögliche Deutung zunächst zugelassen werden, solange sie nicht als abwegig ausge27

Ein Seminarteilnehmer berichtete von ähnlichem Unbehagen, einer Mischung aus dem Gefühl von Mißbrauchtwerden und Beklemmung, aus einer Situation, in der er als Taxifahrer wöchentlich einmal eine alte Frau aus dem Altersheim gegen Bezahlung offenbar ziellos durch die Stadt kutschieren mußte, was ganz ihren einzigen Außenkontakt darstellte.

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schlössen werden kann. Je rigider die Struktur ist, d. h. je weniger Interpretationsmöglichkeiten den Interakteuren zur Verfügung stehen, umso schneller wird die Regel sichtbar, nach der sich die Beziehung aufbaut. Bei Beginn einer jeden Interaktion sind grundsätzlich die Möglichkeiten noch am wenigsten festgelegt, so daß sich für die Deutung zunächst die Detailanalyse der Eröffnungssituation anbietet. Eine umfassende systematische Auswertung dieses Arzt-Patienten-Gesprächs muß wiederum einem späteren Zeitpunkt vorbehalten bleiben. AI: "Is1 doch ziemlich kalt draußen, ne?"

Über das Wetter zu reden, ist eine durchaus übliche Gesprächseinleitung, die vor allem dann gewählt wird, wenn die Interakteure ihre Beziehung noch erst definieren müssen. Es ist demgegenüber keine typische Eröffnungsfrage in einem Arzt-Patienten-Gespräch, in dem die Beziehung ja rollenförmig vordefiniert ist. Die Besonderheit der Frage muß daher situations-, personen- und kontextspezifisch erklärt werden. Die erste Äußerung des Arztes hat die Form einer Frage. Sie macht Sinn nur aus der Perspektive desjenigen, der sich in einem vom "Draußen" verschiedenen "Drinnen" befindet, wo es nicht "ziemlich kalt" ist. Sie unterstellt, daß der Gesprächspartner die Frage beantworten kann, d. h.: dieser muß über die Temperaturen draußen und drinnen informiert sein. Weiterhin muß der Übergang von der einen in die andere Situation zumindest vorstellbar sein, damit das Wissen um die Temperatur einen Gebrauchswert erlangen kann - sei es, daß jemand aus der Kälte kommt, sei es, daß jemand sich über das ihm bevorstehende Schicksal informieren will. Der Fragende ist freilich vorinformiert. Das Zustimmung erheischende 'ne' indiziert, daß er keine wirklich inhaltliche Antwort erwartet. Vielleicht will er sich lediglich absichern, bevor er den Sprung nach draußen wagt, vielleicht auch bestätigt wissen, daß seine - beispielsweise vom Gegenüber - in Zweifel gezogene Annahme doch triftig ist. Wir wissen, daß die Videoaufzeichnung etwa gegen 12 Uhr an einem Märztag 1990 erfolgte. Auch wenn es insgesamt 1989/90 keinen kalten Winter gegeben hat, könnte es doch zu diesem Zeitpunkt 'draußen' 'ziemlich kalt' gewesen sein. Für das Befinden und Handeln des Arztes dürfte dies eher folgenlos gewesen sein: er hat den Vormittag im beheizten Sprechzimmer verbracht und zumindest während des kommenden Gesprächs sicherlich nicht vor, nach draußen zu gehen. Die Übergangssituation kann sich also nur auf die Patientin beziehen: diese muß ja, um den Arzt überhaupt zu erreichen, von draußen gekommen sein. Daß sie unmittelbar von der Straße ins Sprechzimmer geschneit ist, ist freilich außerordentlich unwahrscheinlich: sie war nicht bestellt und wird sich vermutlich im Wartezimmer längst

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aufgewärmt haben. Die Frage des Arztes kann sich daher kaum auf die äußere Realität beziehen: sie hat symbolische Bedeutung. 'Draußen' - das meint die Außenwelt der Patientin, 'draußen' ist zugleich all das, was sich jenseits des Sprechzimmers befindet. Die Frage kann damit als Angebot an die Patientin verstanden werden, sie vor der "kalten1 - lieblosen, ungemütlichen, grausamen usw. - Außenwelt abzuschirmen, ein Angebot, sich im Sprechzimmer zu 'entäußern', ein Angebot, ihre Realität mit ihr zu teilen. Darin liegt gleichsam Wärme und Behaglichkeit eines Nestes versprochen. Das Angebot verspricht Vertrauen und kann ohne Zudringlichkeit nur unterbreitet werden, wenn bereits eine Vertrauensbeziehung besteht. Die Aufwärmfrage des Arztes dient also dazu, ein bereits vorbestehendes Bündnis zu aktualisieren. Verschwörerisch wird ein Pakt geschlossen, mit dem zugleich der Patientin Schutz versprochen und sie in den Schutzraum verpflichtet wird. Daß die Frage gestellt werden muß, zeigt an, daß Arzt und Patientin zumindest vorübergehend keine gemeinsame Realität hatten.28 Die Wiederherstellung der Gemeinsamkeit gelingt, wie Patientin (Pl) und Arzt (A2) sich wechselseitig bestätigen. Da die Patientin seine ohnehin schon vorausgesetzte Annahme erwartungsgemäß bestätigt hatte, hätte es des "Ja" in A2 des Arztes nicht mehr bedurft. Auch diese Äußerung hat daher ausschließlich symbolische Bedeutung, ist Versicherung von Gemeinsamkeit und personaler Akzeptanz.29 A2: Ja. So, in diesem Jahr waren Sie ja noch gar nicht hier Frau Bebel.

Das "so" indiziert, wie bei der Analyse von Eingangssequenzen immer wieder feststellbar, den Übergang in eine neue Situation: die allgemeine Einleitung als Herstellung eines Behandlungsbündnisses ist mit dem "Ja" des Arztes erfolgreich abgeschlossen. Es wäre naheliegend, nunmehr das heutige Anliegen der Patientin zu thematisieren, typischerweise in Form einer Frage. Es folgt jedoch eine Feststellung: "in diesem Jahr waren Sie ja noch gar nicht hier Frau Bebel.", die verdeutlicht, daß der Arzt seine Patientin wieder er kennt .3° Offenkundig handelt es sich um eine schon länger andauern28

Im 'doch' schwingt auch etwas Ermahnendes, Vorwurfsvolles mit, fast gar ein wenig Genugtuung: 'Siehst Du, ich hab's Dir doch gesagt, Du wärst besser hiergeblieben...'. 29 "Zumindest in anderen Situationen - Hypnose oder Autogenes Training - mach ich es bewußt, übers Wetter zu reden, um ein inneres 'Ja' bei den Patienten auszulösen. Ob das hier so war, weiß ich nicht." (Dr. Moses). Diese 'anderen Situationen1 konstituieren ein im weiteren Sinne psychotherapeutisches Setting. Anders gesagt: die als Diabetesbehandlung imponierende Arzt-Patient-Interaktion war von Dr. Moses von vornherein in jener Weise strukturiert, die von einigen Teilnehmer gefordert wurde. Obgleich die Behandlung gleichsam mit einer Realitätsprüfung eingeleitet wird, handelt es sich in allen diesen Beispielen nicht um ein aufdeckendes Verfahren. 3° Der Verzicht auf die Frage nach dem Anliegen der Patientin ist eine fallspezifische Selektion, die möglich wird, weil der Arzt das Problem der Patientin bereits kennt oder doch zu kennen meint. De facto fragt er nicht, warum sie kommt, sondern warum sie nicht gekommen ist.

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de - mindestens seit dem Vorjahr - und zeitweilig — in diesem Jahr - unterbrochene Beziehung. Auf beides — Kontinuität und Bruch — wird zugleich aufmerksam gemacht. Es scheint schon häufigere Kontakte in offenbar kürzeren Abständen gegeben zu haben, wundert sich doch der Arzt über die Dauer der Unterbrechung ("in diesem Jahr ... noch gar nicht"). Da seine Aussage im logischen Sinne eine der Zustimmung bzw. Ablehnung fähige Behauptung ist, deren Bestätigung ("ja") er freilich bereits vorweggenommen hat, wird von seiner Gesprächspartnerin vor allem eine Erläuterung erwartet und damit indirekt das heutige Anliegen der Patientin angesprochen. Die Unterbrechung des Kontakts wird nicht bewertet. Offen bleibt, ob der Arzt gekränkt ist, weil die Patientin sich nicht hat sehen lassen, oder sich darüber freut, daß sie seiner nicht bedurfte (oder gar: weil er sie nicht zu sehen brauchte). In analoger Weise kann die Äußerung doppelt auf ihren Gesundheitszustand bezogen werden: als Freude bzw. Anerkennung, wenn sie sich stabilisiert hatte, als Ärger und Mißbilligung hingegen, sofern eine Behandlung eigentlich erforderlich gewesen wäre.31 Während Dr. Moses in AI zunächst Bekanntschaft und Vertrautheit auf der Ebene von Gleichrangigkeit wiederbelebt hatte, strukturiert er in A2 spezifischer eine Klientenbeziehung, die notwendig asymmetrisch ist: er kann offenbar begründet davon ausgehen, daß die Patientin ihn immer wieder "hier" aufsucht. Dr. Moses geht offensichtlich davon aus, daß er das Problem seiner Patientin bereits kennt.32 Er fragt de facto nicht, warum sie kommt, sondern warum sie nicht früher gekommen ist. Da er mit seinem "ja" die Bestätigung seiner Feststellung in A2 bereits vorweggenommen hat, obgleich diese eine prinzipiell auch der Ablehnung fähige Behauptung darstellt, wird von seiner Gesprächspartnerin nunmehr vor allem eine Erläuterung der Regelhaftigkeit ihrer Arztbesuche und damit nur indirekt eine Darlegung ihres heutigen Anliegens erwartet. Seine Äußerung hat damit objektiv die Funktion eines Vorwurfs, der Rechtfertigung verlangt. P2: Nee. Vor Weihnachten war ich hier, (lacht)

Frau Bebel setzt dem "ja" des Arztes ein "Nee" entgegen und verweigert die Akklamation. "Nee" ist entweder eine sinnvolle Antwort auf eine Entscheidungsfrage - eine solche wurde nicht gestellt - oder Ausdruck eines in der 31

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Anders gesagt: wenn die Patientin sich vernachlässigt, vernachlässigt sie auch ihren Arzt; wenn sie mit sich verantwortungsvoll umgeht und ihre Selbständigkeit als Bestätigung erfährt, bestätigt sie zugleich auch ihn. Der Verzicht auf die Frage nach dem Anliegen der Patientin ist als fallspezifische Selektion anzusehen.

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Regel im folgenden begründeten Widerspruchs. Der von Frau Bebel angegebene Zeitpunkt des letzten Arztbesuchs ("vor Weihnachten") ist freilich mit der Aussage des Arztes ("nicht in diesem Jahr") vereinbar, so daß der Widerspruch sachlich unbegründet bleibt. In einem Gegensatz zum Arzt kann sie sich daher nur hinsichtlich der Erwartung häufigerer Kontakte sehen. Dies wird auch darin deutlich, daß sie statt der Diskontinuität - "Sie waren nicht hier" - die Kontinuität - "ich war hier" - in den Vordergrund rückt. Sie setzt den ärztlichen Erwartungen begründungslos eigene entgegen und verweigert sich damit der in A2 gesetzten Erwartung, den Nichtbesuch zu erläutern. Nun hatte die Formulierung des Arztes die Möglichkeit offen gelassen, daß die Unterbrechung des Kontaktes motiviert sein könnte. Durch eine Darstellung ihrer Situation hätte die Patientin die Unangemessenheit der impliziten ärztlichen Erwartungen zeigen oder begründen können, warum sie diesen nicht entsprochen hat. Letzteres wäre notwendig mit einem schlechten Gewissen einhergegangen. Die Patientin unterläßt demgegenüber eine Motivierung ihres Verhaltens, sei es, weil sie sich nicht erklären will, sei es, weil sie dies nicht kann. So könnte sie es beispielsweise als Zurückweisung empfunden haben, in einer Situation ihres Da-Seins über ihre Abwesenheit zu reden. Da sie - zumindest aus ihrer Sicht - kaum deshalb jetzt gekommen sein wird, weil sie Dr. Moses zwischenzeitlich nicht aufgesucht hat, könnte ihr die implizite Frage des Arztes als Zumutung bzw. als Zudringlichkeit erschienen sein: was sie in der Zwischenzeit gemacht hat, ist gleichsam ihre Privatangelegenheit und geht den Arzt in seiner Eigenschaft als Arzt nichts an. Vorstellbar ist allerdings auch, daß Frau Bebel ihr Verhalten selbst gar nicht motivieren kann. So könnte ihr die Aufforderung des Arztes entgangen sein, weil sie gar nicht in der Lage ist, seine Perspektive — allgemeiner: die Perspektiven des Dritten — zu teilen. Indem sie faktisch ihre Gegenüber als bedeutungsgebende Zentren ignorierte, strukturierte sie Beziehungen als Machtkampf. Beide Möglichkeiten lassen es erwarten, daß Kontrolle ein wesentliches Problem in dieser ambivalenten Beziehung darstellen wird. Nun hatte sich die Patientin mit P l grundsätzlich auf eine Behandlung eingelassen. Dir schroff klingender Widerspruch in P2 kann daher nicht der Beziehung insgesamt gelten, sondern stellt ihre spezifische Formulierung des Problems dar (Behandlung im Hier und Jetzt), die von der Problemformulierung des Arztes (Kontinuität, d. h. Behandlung auch in der Abwesenheit) abweicht.33 Auszuhandeln bleibt damit stets aufs Neue der Spielraum ärztlichen Verhaltens. 33

Eine Behandlung, die nicht auch auf das Hier und Jetzt eingeht, hat somit keine Chance, eine gemeinsame Wirklichkeit von Arzt und Patient zu konstituieren. Konsequenterweise wird allein die Schmerztherapie kommentiert (A59).

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Erklärungsbedürftig bleibt das Lachen, mit dem Frau Bebel ihre Äußerung beendet. Im Lachen findet auf einer symbolischen Ebene typischerweise das seinen Ausgleich, was im bloß Faktischen unlösbar erscheint. So ist auch das Lachen, das die Patientin ihrer zweiten Äußerung folgen läßt, in seiner objektiven Sinnstruktur außerordentlich vieldeutig. Man könnte es als Ausdruck dessen verstehen, daß die Patientin auskostet, wie sie den Arzt in Umkehrung der Patientenrolle hat auflaufen lassen. Das Lachen wäre dann ein Auslachen. Andererseits könnte man darin ganz im Gegenteil eine Manifestation von Scham sehen, die Abwehr von Unsicherheit und Schuldgefühl, weil sie unbestimmt ahnt, den Erwartungen des Arztes nicht entsprochen zu haben. Das Lachen könnte auch als Werben um die Sympathie des Arztes gedeutet werden (Anlachen), ein Werben, das zugleich - im Sinne eines Kindes — ihr 'Fehlverhalten' vergessen läßt und — durchaus kokett — den Arzt in Bann zu nehmen sucht. So sind in diesem Lachen von der Asymmetrie (Macht wie Ohnmacht) bis zur Gleichrangigkeit alle möglichen Beziehungskonstellationen präsent. Das Lachen ist damit Einladung zur Gemeinsamkeit, der doch mit dem "Nee" noch eine schroffe Absage erteilt zu sein schien. Das Lachen faßt somit in seiner objektiven Bedeutungsstruktur die widersprüchliche Äußerung der Patientin zusammen. Während Frau Bebel die Schadenfreude gleichsam noch aus den Augen blinkt, gibt sie dem Arzt zu verstehen, daß ihr Einspruch doch nur ein Spielchen34 nach dem Motto war: 'Was soll das, daß Sie mich immer wieder daran erinnern, daß ich häufiger kommen soll? Sie wissen doch selbst, daß ich das schon weiß, Sie wissen doch auch, daß diese Unregelmäßigkeit bei mir die Regel ist - immerhin darauf können Sie sich doch verlassen, oder?' Ähnlich dem Arzt würde sie damit ein Vertrauensverhältnis zugleich rekonstituieren und bereits in Anspruch nehmen. Die Arzt-Patienten-Beziehung hätte in diesem Sinne zwar einen ritualisierten Konflikt, könnte aber als insgesamt stabil angesehen werden. A3: (undeutlich) ne' Weile nicht gesehen haben, tatsächlich.

Dr. Moses zeigt sich in seiner dritten Äußerung sehr um Neutralisierung und Auflösung der Gegensätze bemüht. Die unbestimmte Zeitangabe "ne Weile" ist mit seiner eigenen Terminierung "nicht in diesem Jahr" ebenso vereinbar wie mit Frau Bebels "vor Weihnachten". Die Pluralform "haben" bürdet beiden Interakteuren die Verantwortung für den ausgebliebenen Kontakt auf: es geht nicht mehr lediglich darum, daß Frau Bebel die Praxis nicht aufgesucht hat. Mit der 'Wir'-Perspektive ist die für die Behandlung notwendige Ebene einer gemeinsamen Bedeutungswelt erreicht. Insoweit Vgl. A74: "Dann bis demnächst in diesem Theater."

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Dr. Moses Frau Bebels Kommunikationsangebot also aufnimmt, könnte jetzt das Gespräch über ihr heutiges Anliegen beginnen. Doch der Struktur von A2 analog stellt Dr. Moses auch jetzt die Gemeinsamkeit in Frage, indem er den zweiten Teil seiner Äußerung mit dem nachgeschobenen "tatsächlich" ausklingen läßt. Über Tatsachen hatte nämlich von vornherein keine Uneinigkeit bestanden und der Gegensatz erst dort begonnen, wo es um die Bedeutung der Fakten ging. Der Unterschied ist erheblich: während die Teilung einer Bedeutungswelt in der gemeinsamen Perspektive des 'wir' gründet, erschließt sich das Tatsächliche dem übergeordneten Erkenntnissubjekt objektiver Wissenschaft, deren Statthalter im Zweifel der Arzt ist, nicht der Patient. So ist das scheinbar zustimmende "tatsächlich" keineswegs Ausdruck von personalem Vertrauen in die Aussage der Patientin, sondern bestätigt bloß die Übereinstimmung ihrer Äußerung mit den Angaben in der Karteikarte, die für Dr. Moses offenbar als letzte Instanz gilt und in dieser Form auch jedem anderen Arzt die Ratifikation ermöglicht hätte. Indem Dr. Moses derart die eigene Subjektivität zurücknimmt, stellt er sich auf eine Stufe mit der Patientin: auch seine eigene Wahrnehmung ist grundsätzlich bezweifelbar, auch ihm darf nicht unbedenklich vertraut werden. Er schlägt faktisch vor, die Lösung ihrer gemeinsamen Unsicherheit in der Einführung einer dritten, unabhängigen Perspektive zu suchen, der er selbst sich sogleich unterwirft. Man kann dies als therapeutischen Akt interpretieren: die Macht des Arztes wird begrenzt, die Position der Patientin relativ gestärkt und ihr damit die Herstellung von Intersubjektivität allererst ermöglicht.35 Das Kontrollproblem scheint damit wesentlich, wie bereits in P2 angedeutet, diese Arzt-Patienten-Beziehung zu strukturieren, und es scheint, weitergehend, nicht auf die innere Realität der Patientin reduzierbar zu sein. Durch Entkoppelung von subjektiver Wahrnehmung und Realitätsprüfung wird eine eindeutig professionelle Beziehung hergestellt, Frau Bebel die Patientenrolle zugewiesen - deren Verletzung ihr in A2 noch indirekt vorgehalten worden war - und der Raum von Gemeinsamkeit auf die Behandlung beschränkt. Die Patientin gerät damit in Zugzwang: sie muß jetzt ihr Anliegen vortragen und beginnt damit auch in P3. Es würde zu weit führen, die Textinterpretation hier weiter auszudehnen. Bei weiterer Diskussion würde die unterschiedliche Problemformulierung von Arzt und Patientin deutlich werden. Der der Patientin zusetzende 'Streß', zugleich äußerliche Belastung (das Schimpfen der Schwester bzw. 35

Das Unternehmen kann nur gelingen, wenn Frau Bebel überhaupt der Empathie fähig ist. Anders gesagt: Dr. Moses geht davon aus, daß seine Patientin ihr Verhalten grundsätzlich motivieren könnte.

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anderer Leute (P5)), innere Unausgeglichenheit (Aufregen über die anderen (P5)) und Vermittlung beider (innere Aufregung anderer Leute (P8))36 wird dem Arzt nicht einsichtig, der seinerseits das Problem der Diabetesbehandlung in den Vordergrund stellt (A5, A7, A8 etc.). Deutlich wird, daß Patientin und Arzt hinsichtlich der Krankheitstheorie nicht übereinstimmen: für die Patientin sind Aufregung und Zucker unterschiedliche Ausdrucksformen eines gemeinsamen Krankseins, sie indizieren sich wechselseitig. Unter dieser Voraussetzung bedarf es begreiflicherweise keiner expliziten Bestimmung des Zuckerspiegels. Der Arzt sieht demgegenüber Streß und Stoffwechsellage in einem Folgeverhältnis: aus inadäquater Streßbewältigung (Essen zur Beruhigung) resultiert der erhöhte Zuckerspiegel. Naheliegenderweise wird der Arzt versuchen, auf adäquateres Eßverhalten (-> Kontrolle) zu drängen, während der Patientin die adäquatere Streßbewältigung aus äußeren und inneren Gründen offenbar überhaupt nicht vorstellbar erscheint. Diese Diskrepanz bleibt ungelöst, so daß das Gespräch nicht einfach beendet werden kann. Wir finden vielmehr eine doppelte Schlußform in Analogie zur zweifachen Eröffnung als allgemeiner Beziehungsaufnahme in AI bis A2 und Rekonstituierung der Institution Arzt-Patienten-Beziehung in A2 bis P3. Hatte das Arzt-Patienten-Gespräch in A71 bis A75 mit Rezeptierung, Wiedereinbestellung und beidseitiger Verabschiedung sein förmliches Ende gefunden, so ging Frau Bebel doch erst, nachdem sie auf die ihr zur Verfügung stehenden Möglichkeiten der Krankheitsbewältigung - sich in Gesellschaft bewegen - hingewiesen und darob die Anerkennung ihres Hausarztes gefunden hatte (vgl. P75 bis A78). Außerhalb des Sprechzimmers stehend versichert sie, daß "es schon werden wird" (P75) und gibt damit zu verstehen, daß es nunmehr "draußen" doch nicht mehr so kalt ist (vgl. AI). Es ist insgesamt bemerkenswert, daß, eingelassen in ein psychotherapeutisches Arrangement, eine Diabetes-Behandlung stattfindet, in der Arzt und

36 Daß die Patientin unter einer inneren Aufregung anderer Leute leiden kann, ist erstaunlich, kann sie von deren Existenz doch eigentlich erst nach deren Manifestation wissen. Daß diese ausbleibt, vermag sie nicht als "Ausgeglichenheit" zu interpretieren: die Aufregung der anderen erscheint ihr auch dann noch gewiß, wenn sie nicht sichtbar wird. Es würde einleuchten, wenn der Patientin das Ausrasten anderer zusetzen würde. Die Formulierung legt jedoch ganz im Gegenteil nahe, daß die Patientin gerade durch das Fehlen emotionaler Entäußerung der anderen verunsichert ist. Anders gesagt: ihr fehlt die Zuwendung selbst in deren negativer Variante, als Schimpfen. Damit ist Isolierung und Kontaktlosigkeit beschrieben, eine tiefe Verunsicherung bezeichnet, die sie zum Zwecke der Abwehr gleichsam nach außen (auf andere) verschiebt. Möglicherweise ist zugleich eine ebensolche Unsicherheit der ihr relevanten Anderen (ihrer Schwester) mitbeschrieben, die der Patientin den notwendigen Halt nicht zu geben vermag, weil sie ihn selbst nicht besitzt.

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Patientin nicht ihre gemeinsame Wirklichkeit finden.37 Diese liegt, wie in P75-A78 deutlich wird, vielmehr auf der Ebene personaler Akzeptanz, d. h. der Arzt ist für die Patientin nicht so sehr als medizinischer Experte denn als Vertrauter bedeutsam. Literaturverzeichnis Adam, H. & Bahrs, O. & Gerke, H. & Szecsenyi, J. (1991) Videoseminar als Fortbildungs- und Forschungsinstrument. In: Niedersächsisches Ärzteblatt 8/1991, 22-26 Bahrs, O. & Kohle, M. (1989a) Hausarzt und Patient im Gespräch. In: Niedersächsisches Ärzteblatt 18/1989, 34-35 Bahrs, O. & Kohle, M. (1989b) Das doppelte Verstehensproblem - Arzt-Patient-Interaktion in der Hausarztpraxis. In: Neubig, H. (1989) Die Balint-Gruppe in Klinik und Praxis, Band 4. Berlin: Springer, 103-130. Bahrs, O. & Kohle, M. (1990): Die Strukturierung der Arzt-Patienten-Beziehung im Erstgespräch - Analyse auf der Basis von Videoaufzeichnungen in Hausarztpraxen. In: Medicina Generaiis Helvetica 10/1990, 19-27 und 34-40 Bahrs, O. & Kohle, M. & Wüstenfeld, G. B. (1990) Der Erstkontakt in der Allgemeinmedizin. Die Beziehung zwischen Hausarzt und Patient als psychosoziale Interaktion. In: Neubig, H. (1990) Die Balint-Gruppe in Klinik und Praxis, Band 5. Berlin: Springer, 181-202 Oevermann, U. (1986) Kontroversen über sinnverstehende Soziologie. Einige Probleme und Mißverständnisse in der Rezeption der Objektiven Hermeneutik1. In: Aufenanger, S. & Lenssen, M. (Hg.) (1986) Handlung und Sinnstruktur. München: Peter Kindt Verlag, 19-83 Oevermann, U. & Allen, T. & Gripp, H. & Konau, E. & Krambeck, J. & Schröder-Caesar, E. & Schütze, Y. (1976) Beobachtungen zur Struktur der sozialisatorischen Interaktion" In: Auwärter, M. & Kirsch, E. & Schröter, K. (Hg.) (1976) Kommunikation, Interaktion, Identität. Frankfurt/M.: Suhrkamp, 371-403 Oevermann, U. & Allert, T. & Konau, E. & Krambeck, J. (1979) Die Methodologie einer Objektiven Hermeneutik1 und ihre allgemeine forschungslogische Bedeutung in den Sozialwissenschaften. In: Soeffner, H.G. (Hg.) (1979) Interpretative Verfahren in den Sozial- und Textwissenschaften. Stuttgart: Metzler, 352-434 Szecsenyi, J. & Kohle, M. & in der Beek, R. & Bormann, M. & Koc, J. (1990) Zur Qualität der allgemeinärztlichen Versorgung von Patien-ten mit Diabetes mellitus. EinJahres-Ergebnisse aus 12 hausärztlichen Praxen. In: Allgemeinmedizin 19/1990, 99108

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Die Diskrepanz wird besonders deutlich in (A57)/(P57), wo der Arzt an ihre Selbstverantwortung hinsichtlich der Zuckerbehandlung appelliert und die Patientin demgegenüber sich über Vernachlässigung beklagt und damit keineswegs die Diabetesbehandlung meint. So bleibt ihr nur, sich selbst zu stützen, eine Struktur, die sich bis zum Ende durchhält. (Vgl. P75)

Bilddarstellungen als Dialogbrücken in der Arzt-Patient-Beziehung Monika Begemann-Deppe

Zusammenfassung Anhand von drei Zeichnungen wird, fußend auf der sozialwissenschaftlich fundierten Methodologie der "Objektiven Hermeneutik" (Oevermann & Allen & Konau & Krambeck 1979), ein Strukturierungszusammenhang aufgezeigt, der Einblick in eine durch Krankheit erschwerte Adoleszentenentwicklung eröffnet. Der Ertrag dieses Vorgehens für den Kliniker wird "am Fall" demonstriert.

1.

Mit Testverfahren, Fragebögen, Tonband- und Videotechniken operierenden Untersuchungs- und Dokumentationsmethoden sozialer klinischer Prozeduren wohnt heute kaum weniger als der am naturwissenschaftlichen Modell orientierten klinischen Medizin eine Dynamik inne, riesige Datenmengen zu produzieren, die ihrerseits wieder neue Datenlawinen ausklinken. Wie früh und wie tief diese Form der Annäherung an das unbekannte klinische Objekt bereits verinnerlicht ist, mag ein konkretes Beispiel aus dem psychiatrischen Studentenunterricht verdeutlichen: Hatte nach einer ausführlichen Exploration von Lebens- und Krankheitsgeschichte der Patient das Untersuchungszimmer verlassen, machte sich häufig abrupt eine verzweifelte Ratlosigkeit im Raum breit. Diese kanalisierte sich dann in eine Fülle von Einfallen, die sämtliche darauf hinausliefen, was alles zu fragen versäumt und vergessen worden sei. Es bedurfte großer Anstrengungen, die Fragerichtung umzukehren, um die soeben zusammengetragene, erdrückende Informationsmenge auch nur im Ansatz zu strukturieren und auf ihre klinische Relevanz hin auszuloten - ein Vorgehen, für das der Zeitrahmen einer Unterrichtseinheit nicht annähernd ausreichte und dessen immanente Zwänge, statt thematisiert und aufgelöst zu werden, sich von Mal zu Mal reproduzierten. Daß diese Tendenz, "Überschuß zu produzieren", sich auch in ausgereiften Professionalisierungskontexten wiederfindet, weiß jeder, der mit klinischen Falldiskussionen, Balint-Gruppen-Arbeit oder Supervisionstätigkeit befaßt ist. Ganz anders setzt sich die in der soziologischen Theorie verankerte Methodologie der "Objektiven Hermeneutik" (Oevermann u. a. 1979, Oevermann

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1983,1988, Soeffher 1979) zur Empirie ins Verhältnis. Indem hier die Sinnaufsättigung auch einzelner Elemente aus einem Kontinuum von Daten reklamiert und für ein methodisch kontrolliertes Verfahren ihrer Erschließbarkeit im Zuge einer extensiven Sinnauslegung forschungspraktische Wege gewiesen werden, könnte ihr im klinischen Denken und innerhalb einer biographisch orientierten Medizin eine wichtige korrektive Funktion zuwachsen. Im folgenden werde ich zunächst anhand einer Bilddarstellung, die noch vor diagnostizierter Krankheit entstand, die Sinnstrukturiertheit eines Konfliktfeldes herauspräparieren, um dann an zwei späteren Zeichnungen deutlich zu machen, daß die strukturellen Defizite, die erst im Rahmen eines äußerst ungünstigen klinischen Verlaufes in ihrer ganzen Tragweite manifest wurden, bereits "im klinischen Vorfeld" zur Ausformulierung gelangt waren. 2.

Die in Abbildung l wiedergegebene Zeichnung nimmt in einem in rotes Saffianleder gebundenen und mit einer verschließbaren Lasche versehenen Tagebuch eine ganze Seite ein. Art und Ausführung der Personendarstellung geben nicht nur sogleich und unzweifelhaft ihre Zugehörigkeit zum Genre des Comics zu erkennen, die Ausführung mit Kugelschreiber und die ohne Korrekturansätze durchgezogene Linienführung weisen das Bild überdies als ein nach einer Vorlage gepaustes aus. Fehlender Text, das für Comicsequenzen eher untypisch große Format und die Geschlossenheit und Prägnanz der "message" lassen vermuten, daß das (nicht erhaltene) Original am ehesten in die Kategorie jener gefalteten, auf der Vorderseite mit Bild - häufig auch mit Text - versehenen Briefkarten fällt, wie sie auf eigens dafür konstruierten Kartenständern in Papiergeschäften zum Kauf angeboten werden. Zu jedwedem Anlaß mit dem rechten Kommentar oder Sinnspruch zur Stelle, werden derartige Karten zu festlichen oder als für den Adressaten bedeutsam erachteten Anlässen verschickt und kommen auch dort als Kommunikationsvehikel zum Einsatz, wo der Absender in primärer oder situativ bedingter Ermangelung souveräner (Selbst-)Thematisierungsmöglichkeiten durch Anknüpfung an einen präfabrizierten, meist humorvoll abgefaßten Bild/Wort-Text das Risiko, sein Inneres ungeschützt bloßzulegen, zumindest partiell entschärfen kann. Es wäre denkbar, daß auch in unserem Original an der Ober- oder Unterseite ein Worttext plaziert war. Sein faktisches Fehlen in der Kopie könnte jedoch als Hinweis auf eine weitere verbreitete Herkunftsquelle des Comics dienen: es wäre möglich, daß er auf dem Titelblatt oder der "Witzseite" ei-

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Abbildung l

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ner Jugend- oder Fernsehillustrierten plaziert war, wo solche Darstellungen häufig mit Bezug auf den Text oder nur "zum Auffüllen" abgedruckt werden. Wenn wir uns nun dem Inhalt der Zeichnung zuwenden, dann sehen wir ein Mädchen und einen Jungen, beide im pubertären Entwicklungsstadium, das Mädchen vielleicht etwas jünger. Die Arme in kokett-abwehrender, versteifter Haltung auf die Knie gestützt und vor den Leib haltend, ist sie mit ihrem Körper dem Jungen zugewandt, während sie den Kopf zur Seite gedreht hält und mit weit aufgerissenen Augen einen zugleich Zögern und Neugier signalisierenden Blick auf ihn richtet. Der Junge, im Bildvordergrund plaziert, präsentiert sich etwas unbeholfen und deutlich weniger attent. Undefinierbar lächelnd, im Ausdruck des Gesichtes mehr nach innen als nach außen zentriert - ein möglicher Hinweis auf seine gesteigerte Phantasietätigkeit überreicht er dem Mädchen mit der rechten Hand eine langstielige Rose; in der linken, den Blicken des Gegenübers (noch) verborgen, hält er ein Päckchen an einer Schnur fest - ein Detail, das die dargestellte Szene einerseits in einen diachronen Zusammenhang stellt (in verdichteter Form wird eine Geschichte erzählt), ihr andererseits eine Doppelbödigkeit verleiht, deren Verursacher sie zugleich dingfest macht. Der kindlich-jungenhafte Eindruck des Akteurs im Bild wird aber nicht nur durch Hinweis auf sein planendes Verhalten, sondern schon rein äußerlich durch das über dem Leib mit nur einem Knopf unter Spannung zusammengehaltene Jackett, die zu kurzen und zu engen Hosen und die ins Riesenhafte ausgewachsenen Füße — diese sind den Kinderschuhen bereits endgültig entwachsen — eindrücklich konterkariert und die Szene mit sexueller Symbolik aufgeladen. Kein Zweifel, daß hier ein komplexer thematischer Zusammenhang ins Bild gesetzt ist: die durch den pubertären Entwicklungsschub bei Jungen wie bei Mädchen gleichermaßen ausgelöste Neugier und Spannung in der Orientierung auf das andere Geschlecht; das traditionell dem Mädchen auferlegte, ambivalent tingierte lockend-zurückweisende Gebaren im Ausbalancieren von Annäherung und Distanzierung bei dem Jungen vorbehaltener Steuerung der Situation und Erwartungen an eine aktive und zielstrebige Ausgestaltung seiner Rolle; als latente konflikthafte Botschaft wird schließlich das äußere und innere Krisenpotential, das mit dem biographisch zu vollziehenden Bedeutungssprung im Übergang von spielerisch-erotisch werbender Annäherung ("Rose") zur sexuellen Initiation ("Päckchen") freigesetzt wird, auf den ersten Blick clichehaft, bei genauerem Hinsehen jedoch mit großem zeichnerischen Können ins Bild gesetzt. - Kenner der Comic-Literatur werden den Jungen bereits als "Gaston", eine Figur des belgischen Cartoonisten Franquin identifiziert haben.

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Die Person, die den Comic in ihr Tagebuch gepaust hat, muß von der Thematik stark berührt gewesen sein. Die naheliegendste Vermutung, daß ihr eigenes psychosexuelles Entwicklungsstadium mit dem der dargestellten Figuren in eins fallen könnte, würde sich ihrerseits harmonisch in das Faktum der Plazierung in ein Tagebuch einfügen; hat doch das Verfassen von (geheim geführten) Tagebuchtexten seinen typischen biographischen Ort im Übergang von Pubertät zu Adoleszenz, der kritischen und konfliktträchtigen Phase von Ich-Identitäts- und Autonomiebildung, die "mit der für die Frühadoleszenz typische(n), übersteigerte(n), egozentrische(n) Selbst-Reflexion" (Döbert & Nunner-Winkler 1975, S. 43) einhergeht.1 Für Ausmaß und Intensität des affektiven Beteiligtseins spricht auch die sorgfältige Kolorierung der Blüte, der Haarschleifen und vor allem der Hautpartien mit leuchtendem Rotstift wie die ebenso exakt ausgeführte Ausmalung der Haare mit schwarzem Bleistift (möglicherweise in Anlehnung an die Originalvorlage); die pausende Person scheint "mit Haut und Haar" in den Bann des Dargestellten geraten zu sein. In der roten Farbwahl drückt sich ein weiteres Mal das auf die Kopie übergesprungene hochgespannte Erregungspotential der Szene, ihre Polarisierung im Schwarz-Rot-Kontrast aus. Daß hier eine Identifizierung vonstatten gegangen ist, findet seine nachhaltigste Bestätigung jedoch im Vorgang des Pausens selbst; wie anders wäre nämlich das sorgsame Nachfahren der Linien eines anderen zu verstehen, denn als Versuch, ganz in dessen Vorstellungswelt einzudringen und sich sein Wissen anzueignen - im konkreten Fall, die komplexen Zusammenhänge einer zwar typisierten, jedoch immer wieder neu und individuell auszugestaltenden Situation dem eigenen, höchst intimen Erlebens- und Erfahrungshorizont, wie er sich in einem Tagebuch zu artikulieren pflegt, Zug um Zug anzuverwandeln. Die Faszination und Attraktion, die von einem solchen, aus der Erwachsenenperspektive auf die Jugendlichen besonders gemäße Comic-Sprache Döbert und Nunner-Winkler geben eine prägnante Skizzierung des Problemfeldes:"Das optimale Resultat des für die Adoleszenzphase typischen Entwicklungsschubs ist die Transformation der strikt rollengebundenen Identitätsformation der vorangehenden Periode in eine stärker individualisierte, relativ rollenunabhängige Form der Integration des Persönlichkeitssystems. Ausgelöst wird dieser Schub durch eine Reihe von Veränderungen des Rollensystems, und zwar sowohl durch Ausweitung des Rollensets wie durch qualitative Veränderung alter Rollen (Geschlechterrolle). Um einige Veränderungen zu nennen: Intensivierung der "peergroup"-Interaktion; Aufbau heterosexueller Beziehungen; Vorbereitung auf die Berufsrolle und Konkretisierung der Staatsbürgerrolle; Veränderung der Beziehung zur Herkunftsfamilie, tentativer Erwachsenenstatus. In diesem Netz von Erwartungen muß der Jugendliche agieren, ohne daß die Lösung möglicher Konflikte durch eine eindeutige Hierarchisierung präjudiziert wäre oder einfach anderen Agenten angelastet werden könnte. Damit ist genau die Situation gegeben, in der (...) Intersubjektivität auf hochgradig autonome Individualität verwiesen ist" (Döbert & Nunner-Winkler 1975, S. 41 f.).

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transponierten Bildtext ausgeht, ist durchaus plausibel motivierbar: hier werden von einer ausgereiften Position her Problemaspekte einer Lebensphase mit einer Souveränität "auf den Punkt gebracht", wie dies nur aus retrospektiver Distanz und niemals aus der Situation eigenen Betroffenseins heraus möglich wäre. Der subjektive Ertrag einer minutiösen Einverleibung des Originals könnte genau darin liegen, daß bis dahin nur diffus Phantasiertes, Halb- und Noch-nicht-Gewußtes den unfertigen und unausgereiften inneren Strukturen zugeführt und als Material "eingefüttert" wird, aus dem dann Phantasien und Tagträume in der für diesen Lebensabschnitt charakteristischen Weise neue Nahrung ziehen können.2 Dabei wird im konkreten Fall alles davon abhängen, ob sich die an den Vorgang des Pausens geknüpfte Phantasietätigkeit eher auf die progressive Seite der Bildaussage schlägt, oder stärker an die regressive Seite der im Comic ausformulierten Ambivalenz anknüpft - mit anderen Worten, ob triebhafte Wünsche ermutigt und verstärkt, oder ob eher angstbesetzte Affekte und Vorstellungsinhalte aktualisiert werden. Aus der formalen Qualität der Darstellung können wir bisher nur soviel schließen, daß der investierte Zeitaufwand und die Akkuratheit der Ausführung nicht gering zu bemessen sind; auch die durchaus schwungvolle und souveräne Strichführung verleiht der Kopie ein gewisses Maß an eigenständiger Qualität. Umso mehr macht sich ein irritierendes inhaltliches Detail bemerkbar: Während die männliche Figur sicher und fest im Bild steht, fehlt ganz offensichtlich unter dem Leib des Mädchens eine Stütze als zur Körperkontur korrespondierendes Bildelement. Eine Bank oder ein Mäuerchen müssen im Original - vielleicht als farbige Fläche - vorhanden gewesen sein; anderenfalls entbehrten die rechtwinkligen Übergänge an Steiß und Knie jeglichen Sinnes innerhalb einer Komposition, auf deren Professionalität bereits hingewiesen wurde. Es gibt zu denken, daß diese "Leerstelle" trotz offensichtlicher zeichnerischer Sorgfalt nicht als ergänzungsbedürftig identifiziert und aufgefüllt wurde. Stellt man in Rechnung, wie sich das unausgeführte Detail auf den Bildinhalt auswirkt, welcher Eindruck auf Grund seines Fehlens beim Betrachter evoziert wird, so ist unzweifelhaft, daß die im Original bereits intendierte Wirkung von Unsicherheit auf Seiten des Mädchens dadurch, daß sie jetzt tatsächlich "auf der Kippe steht", verstärkt wird. Es scheint daher nicht zu weit gegriffen, den "Defekt" im Bildtext wie eine Fehlleistung zu behanAls weitere ergiebige Quellen fungieren nicht "jugendfreie" Filme oder im entsprechenden kulturellen Milieu auch literarische Texte, wie z. B. die "einschlägigen" Stellen in D. H. Lawrence's "Lady Chatterley's Lover" usw.

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dein, ihn wie ein Symptom zu befragen und hieraus auch eine eigene, vom Original abweichende Lesart abzuleiten: So hätte sich nämlich an dieser Stelle, der Kontrolle der zeichnenden Person entzogen, gerade etwas Signifikantes artikuliert, an dem die unbewußte Dynamik, die eine Identifikation auf den Weg gebracht hat, überhaupt erst inhaltlich greifbar, und der Transformationsprozeß . der im subjektiven Aneignungsvorgang zwischen Original und Pause vonstatten gegangen ist, in seiner Konturiertheit erst erkennbar würde. Die (latente) Selbstaussage lautete dann nämlich, im Tagebuch anders als im originalen Comic: 'Wenn ich mich in die Situation des ComicMädchens hineinphantasiere, dann bemächtigt sich meiner ein Körper- und Selbstgefühl mangelnder Standfestigkeit und innerer Unsicherheit, das die im Bild auch zu erkennende Verheißung, trotz aller Beunruhigungen am Ende doch zu Lust und Befriedigung zu gelangen, spürbar überwiegt.' - Damit wäre aber die Möglichkeit, sich das im Comic niedergelegte progressive Bedeutungspotential einzuverleiben, um dieses der eigenen Autonomiebildung nutzbar zu machen, zentral in Frage gestellt, wenn nicht sogar verwirkt. Doch dieser Schluß greift zunächst einmal noch viel zu weit. Die "defekte Stelle" im Bildtext könnte auf eine situative Irritation zurückzuführen sein; überdies wäre als von der Sache her schlüssiger Einwand zu bedenken, daß in der Pubertät vielfältige, auch alarmierende "Symptome" auftreten können, die ohne ernsthafte pathologische Konsequenzen, so schnell wie sie aufgetreten sind, auch wieder verschwinden. Wieweit hier etwas für die Person Bedeutsames und in ihrer inneren Struktur bereits Fixiertes artikuliert wurde, kann nur eine Analyse weiteren Fallmaterials klären. Festzuhalten bleibt bisher nur, daß das empirische Subjekt, worauf die "Umarbeitung" auf der weiblichen Seite des Bildtextes bereits hinweist, ein Mädchen, und zu dem Zeitpunkt, als sie den Comic in ihr Tagebuch paust, 15,1 Jahre alt ist. Der Handlungskontext stellt sich von daher als alters- und entwicklungsentsprechend, wenn auch an der "oberen" Altersgrenze angesiedelt, dar. 3. Etwa 4 1/2 Jahre später entsteht die in Abbildung 2 wiedergegebene Zeichnung. Die Zeichnerin ist zu diesem Zeitpunkt 19,9 Jahre alt. Für die Selbstäußerung ist jetzt ein "tragendes Vehikel" entbehrlich geworden, es handelt sich um eine spontane Darstellung.

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Abbildung 2

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In die Mitte eines weißen Blattes plaziert sie ohne Bodenlinie und Hintergrund eine schaufensterpuppenartig und mumienhaft wirkende weibliche Gestalt. Fehlende Andeutungen einer Brust und schmale Hüften lassen auf ein jugendliches Alter schließen. Während die Figur mit ihrer oberen Körperhälfte in eine en-face-Position gerückt ist, strebt sie in der unteren Hälfte mit beiden Beinen dem linken Bildrand zu, eine buchstabengetreu auf die Bildebene übertragene Re-gression. Als Ganze wirkt die Gestalt in sich disharmonisch, sie hat kein Standvermögen und scheint nach rechts hinten zu kippen. Der unbelebt, wie abgestorben wirkende Leib steckt in einem über der Brust mit vier Knöpfen verschlossenen, engen Kleid. Auch die Rockfalte gestattet keine Bewegungsfreiheit und weist, zusammen mit den Armen, die auf Grund fehlender Schultergelenke funktionsuntüchtig und in ihrer Stellung festgebannt sind, in Richtung Körpermitte und Genitalregion. Auf dem Oberkörper sitzt ein breiter, überlanger Hals, der, wie mit einem schnürenden Verband umwickelt, den Kopf zum Körper in Distanz rückt. Das asymmetrische Gesicht des kleinen Kopfes erscheint durch die leeren Orbitae ausdruckslos und tot; Andeutungen von Ohren fehlen. Die Haare öffnen sich ebenfalls nicht zur Umgebung hin, sondern lasten auf der Gestalt wie eine schwere, teigige Masse, die über Kopf und Schultern herunterquillt. Bei starker innerer Angespanntheit präsentiert sich die Figur wie in einer zugekorkten Flasche gefangen, unfähig auf die Welt zuzugehen und zugleich vom Kontakt mit der Außenwelt abgeschnitten. Die Zeichnung ist mit schwarzem Filzstift ausgeführt. Hals und Hände wurden nachträglich mit orangefarbener, die Haare mit gelber Farbe ausgemalt. Die bis ins Formale gehenden Gemeinsamkeiten und Übereinstimmungen zwischen der weiblichen Comic-Figur und dieser spontanen Zeichnung sind so eklatant, daß sich die Vermutung geradezu aufdrängt, für die spätere Darstellung könnte ein intensives Erinnerungsbild an das gepauste Comic Pate gestanden haben:3 Beide Darstellungen sind vom Format her annähernd gleich groß (11 und 12,3 cm); beide wurden nachträglich mit zwei Farben koloriert (rot/schwarz, orange/gelb), wofür - eine weitere Übereinstimmung - wieder die Hautpartien und die Haare, d. h. die Berührungsflächen zwischen Körper und Außenwelt, ausgewählt wurden. An der spontanen Darstellung wird jetzt noch deutlicher als in der Pause, daß der Zeichnerin eine ausgeprägte Fähigkeit, ihr inneres Vorstellungsbild "auf Anhieb" bildnerisch umzusetzen, zu Gebote steht; auch hier ist die Linienführung mit äußerster Sparsamkeit, einem Comic nicht unähnlich, ohne Korrekturansatz durchgezogen. De facto lag zwischen der Entstehung beider Bildtexte eine Phase mehrjähriger zeichnerischer Inaktivität, die erst wieder mit der hier reproduzierten Darstellung einsetzte.

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Der Wegfall des männlichen Pendants ist eine in sich notwendige und schlüssige Änderung des Bildaufbaus, die durch die Verfaßtheit der Mädchenfigur zwingend wurde; der zum Äußersten gesteigerte Ausdruck ihrer Isolierung hätte ein Festhalten an dem als Dyade konzipierten Vor-Bild zur sinnleeren Wiederholung werden lassen. Wenn wir jetzt wieder an die mit der Sinnauslegung der transformierten Comic-Darstellung unterbrochenen Überlegungen zur Konstitution des empirischen Subjektes anknüpfen, so ergeben sich weitere Rückschlüsse in Hinblick auf die Signifikanz des "Defektes" in der Pause. Sowohl die 4 1/2 Jahre zurückliegende Auswahl eines Comics des geschilderten Inhaltes als auch die - zunächst noch — äußerst diskret vollzogene Akzentuierung seiner ambivalenten Aussage zum "regressiven Pol" hin, erscheinen jetzt in einem Licht, das die Bedrohlichkeit und Brisanz der Thematik für die Zeichnerin erst in ihrer ganzen Tragweite zutage treten läßt, wenn man berücksichtigt, in welchem Umfang und Ausmaß zuvor Latentes zur Ausformulierung gelangt ist. Jedes Areal der Körperoberfläche ist affiziert und in den umfassenden Leidenszustand einbezogen; der frühere Konfliktherd hat sich zu einem Zerstörungsfeld ausgewachsen, auf dem die Ambivalenz und die dyadisch-polare Struktur des Comics, die das Pausen noch nahezu unbeschadet überstanden hatten, in toto zum Verschwinden gebracht worden sind. Dem Anschein nach ist jegliche Einbindung in Sozialität verlorengegangen. Auch hier läßt erst wieder eine Anknüpfung an das "Vor-Bild" anschaulich werden, daß die Thematik des Bezogenseins auf einen anderen im Bildtext sehr wohl weiterhin repräsentiert ist, und zwar in der Übereinstimmung bzw. Übernahme der Armhaltung: Hier wie dort ist eine Geste der Abwehr ins Bild gesetzt, die nur in ihrer Gerichtetheit auf ein reales oder phantasiertes Gegenüber sinnhaft ist. Indem das durch beide Arme und die pfeilförmig zugespitzte Rockfalte speichenförmig eingekreiste Areal der Körpermitte von der Zeichnerin frontal in das Blickfeld des Betrachters gerückt wurde, wird der Stellenwert und die Bedeutung von Sexualität für die Ausdifferenzierung des Selbst (die zu kurzen Arme reichen nicht bis zum Genitale) und der Sozialbeziehungen in einem Akt der Negation als von ihr identifiziert und affirmiert kenntlich gemacht. In allen drei Bilddarstellungen (im originalen und im gepausten Comic wie auch in der Selbstdarstellung) ist die leibliche Ausreifung thematisch: Im Comic in Form einer Auseinandersetzung mit ihr, später, bei fortgeschrittener Adoleszenz, als Negation von ihr - einschließlich der verheerenden Folgen für das Subjekt, in dessen paradoxaler Bilanzierung radikale Absage und schutzloses Preisgegebensein an die Welt in eins gefallen sind.

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Am gleichen Tage entsteht auf einem gesonderten Blatt (Abb. 3) - wir sehen, daß die ursprüngliche Dyade de facto auseinandergespalten wurde - eine etwas größere (13,3 cm bis zum Scheitel) männliche Figur, deren Körperposition und Beinhaltung mit dem weiblichen Pendant nahezu identisch sind. Insgesamt wirkt die Gestalt kräftiger, stabiler und deutlich weniger von disharmonischen Kräften gepeinigt, wenngleich auch ihre Bewegungsrichtung "rückläufig" ist. Die Schuhe an den Füßen - ihre größere Dimensioniertheit erinnert uns an den Comic - laufen in schnabelförmig hochgezogene Spitzen aus. Das spitzwinklige Dreieck der Hosenbeine ist, im Kontrast zur Rockfalte des Mädchens, bis zum Schritt hochgezogen. Der Pullover wurde durch gerade Linien asymmetrisch in großflächige, mehrfarbig ausgemalte Felder unterteilt. Die kräftige, linksbetonte Schulterpartie stellt die Funktionstüchtigkeit der Arme sicher, die in sägeblattartig gestaltete, wie verstümmelt aussehende Hände auslaufen. Das orange kolorierte Gesicht mit seiner abgekappten Stirnpartie wirkt trotz der betonten, mit einer blauen Iris versehenen Augen ausdruckslos und leer. Die Frisur ist in Form von zwei Rollen über den Schläfen angeordnet, auf den Scheitel sitzen drei einzelne, lange, antennenförmige Haare auf. Potentielle Gewalttätigkeit und Attribute eines roboterartigen "homme machine" sind hier zu einer grotesk-aggressiven Charakterisierung von Männlichkeit zusammenkomponiert; die zahlreichen spitzen Winkel sowie der ausgiebige Gebrauch von Farbkontrasten (sieben Farbtöne) bilden weitere Hinweise auf eine Anspannung und Aggressivierung während des zeichnerischen Vorgangs. Kein Zweifel: Die latente Gefährlichkeit des Jungen im Comic (verschnürtes Paket in der Hinterhand bei vordergründig freundlich-werbender Selbstpräsentation) ist in eine Pose eindeutiger und unmißverständlicher Bedrohlichkeit transformiert worden. Die Kontrastierung beider Zeichnungen veranschaulicht, wie prägnant auf der Vorstellungsebene Selbst- und (männliches) Fremdbild in ihrer Verschiedenheit und Bezogenheit ausdifferenziert sind. Liest man beide Bilder - da gleichsam "in einem Atemzug" entstanden - als einander kommentierende, dann zeigt sich, daß die Zeichnerin selbst eine innere Verknüpfung zwischen ihrer desolaten Verfaßtheit und ihrem Unvermögen hergestellt hat, in sich mit Affekten des Begehrens aufgeladene Bilder aufsteigen zu lassen, die, zunächst auf der Phantasieebene angesiedelt, als Vorläufer und Brückenbildung für eine Annäherung an das andere Geschlecht fungieren könnten. Pathischer Focus ist das Nicht-Gelingen des Übertritts in die hetero-sexuelle Position, die sich - wie die Zeichnerin realitätsangemessen zur Darstellung bringt - sowohl in der Fähigkeit, das eigene Körper-Ich positiv zu besetzen, als auch nach außen hin in der Kompetenz zur Anknüpfung altersentsprechender Sozialbeziehungen zu dokumentieren hätte.

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Abbildung 3

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Schließlich steht noch die Frage nach der Kontextuierung der beiden spontanen Zeichnungen offen, die sich hier schwieriger darstellt, da die losen Blätter keine Rückschlüsse auf ihre Herkunft erlauben, und spontanes Zeichnen an keinen Ort und an keine annähernd so typisierte biographische Konstellation wie die Einbettung eines (Bild-)Textes in ein Tagebuch gebunden ist. Allerdings läßt sich über den sozialen Bedeutungskontext spontaner bildnerischer Äußerungen soviel sagen, daß diese nur aus der Position des Kindes heraus oder im Rahmen einer künstlerisch-professionalisierten Ausübung in eine veröffentlichte Form überzutreten pflegen - bei Kindern begrenzt auf das familiäre und private Umfeld, bei künstlerischen Arbeiten vor dem entsprechenden Publikum und auf dem zugehörigen Markt. Ansonsten stellt Zeichnen beim Erwachsenen eine typische Kommunikationsform mit dem eigenen Selbst dar, über die innere Bildvorstellungen, je bedrängender ihr Charakter umso eher, auf dem Wege ihrer äußeren Objektivierung einer Entaktualisierung und Neutralisierung zugeführt werden. Diese Nähe zu primärprozeßhaften Vorgängen bedingt auch, daß eine Zurschaustellung solcher Produktionen nie ganz frei von Peinlichkeit ist. Auch bei unseren Zeichnungen müssen das völlige Fehlen eines sichtbar gemachten künstlerischen Anspruchs (z. B. Signierung, Datierung, Numerierung), der negativ-düstere Inhalt und die Offensichtlichkeit einer Selbstthematisierung mit der dem negativen Selbstbild verhafteten Fremdthematisierung als Hinweise darauf gelesen werden, daß es sich um Ausflüsse einer dramatischen inneren Auseinandersetzung handelt. Was allerdings befremdet und Probleme aufwirft, ist das Faktum, daß für den Betrachter kein aktiver Konflikt mehr greifbar ist, die vorauslaufenden Phantasien um die Ausdifferenzierung einer weiblichen Identität und das Hineinwachsen in die weibliche Rolle zum Bild einer Kapitulation erstarrt sind. Der Schluß liegt nahe, daß die Energien, die hier im zeichnerischen Prozeß aktiviert werden, um eine letztendlich desaströse Bilanzierung des somato-psycho-sozialen Status quo dem eigenen Selbst in zeichnerischer Objektivierung zurückzuspiegeln, zu keiner wirksamen Entlastung führen können. Im Gegenteil scheinen sie eher dazu angetan, den inneren Leidenszustand weiter zu forcieren, und dies umso mehr, je dauerhafter sie in einen inneren Monolog eingeschlossen blieben. Beide spontane Zeichnungen sind während einer stationären psychiatrischen Behandlung entstanden. Wie an anderer Stelle in einer extensiven Fallrekonstruktion beschrieben (Begemann-Deppe 1991), hatte sich bei der 19 l/2jährigen Patientin nach über fünfmonatigem Aufenthalt auf einer psychiatrischen Akutstation die Diagnose einer primär chronischen, "katastrophenartig" verlaufenden schizophrenen Psychose erhärtet. An den für die Ausdifferenzierung individueller Autonomie entscheidendsten Entwick-

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lungshürden war sie zwischen dem 16. und 18. Lebensjahr trotz immer wieder neuer Anläufe gescheitert: Weder hatte sie Anschluß an eine Peer-group finden, noch Kontakte zu Jungen aufbauen können, noch waren ihr eine Ablösung von der Familie und eine berufliche Orientierung auch nur im Ansatz geglückt.4 Auch auf der Krankenstation setzten sich die traumatisierenden Erfahrungen fort. Zu einem Zeitpunkt, als weder eine Besserung auf medikamentöser Basis noch eine Konsolidierung durch Integration in das Stationsmilieu zu verzeichnen, sie kurz zuvor im Rahmen handgreiflicher Auseinandersetzungen mit Mitpatientinnen gestürzt war und sich dabei eine schmerzhafte Sprunggelenksdistorsion zugezogen hatte, beschloß das Stationsteam die Einrichtung eines maltherapeutischen Raumes, von dem die Kranke selbstbestimmt Gebrauch machen konnte. In dem kurzen Zeitraum, während dessen dieser Raum verfügbar war, entstanden die beiden spontanen Zeichnungen.5 4. Wenn wir uns jetzt am Ende fragen, welche Bedeutung der Tatsache, daß die Zeichnerin an einer progredienten Schizophrenie erkrankte, für die Bildgenerierung zuzumessen ist, und wie weit ein spezifischer Einfluß der Krankheit auf die Bildtexte geltend zu machen ist, dann rückt die Problematik der schizophrenen Ich- und Weltkonstitution ins Blickfeld. Wir fassen hier nur thesenartig zusammen, daß bereits in dem im Alter von 15,1 Jahren gepausten Comic typische Frühadoleszentenproblematik und eine für die beginnende Schizophrenie charakteristische Abwandlung des Erlebens insofern in fataler Weise ineinander verschränkt sind, als beiden eine gesteigerte leiblich-egozentrische Selbstwahrnehmung eignet, die sich bei "normalem" Gang der Entwicklung allmählich "auswächst" (Elkind 1967/1980), beim Schizophrenen hingegen ein durchgängiges Leidensthema bildet. Die intenDie Patientin hat sich selbst einmal in einem schizophrenietypischen Neologismus als "geschlechtsverunreift" bezeichnet. Im rollenfö'rmig organisierten klinischen Handlungsfeld geht mit der Selbstthematisierung des Kranken immer ein Handlungsappell an die therapeutische Kompetenz Hand in Hand. Auch in unserem Fall können wir annehmen, daß ein intuitives Wissen der Zeichnerin um die Sinnkonstitution klinischer Praxis, und eine - unbeschadet ihrer Krankheit fortbestehende Affizierbarkeit für die pro-vokativen Kräfte, die in einem therapeutischen Dialog wirksam werden, zumindest mit zur Ausformulierung ihrer inneren Bilder beigetragen hat Hieraus ist eine typische paradoxale Aussage-Figur hervorgegangen: Der klinische Rahmen bietet eine Gewähr dafür, daß die im Exzeß zugespitzte Vision von Ausweglosigkeit an einen Adressatenkreis gelangt, der sich mit dieser Bilanzierung gerade nicht zufrieden geben kann, sondern für den Kranken nach Lösungen suchen muß, die er selbst (noch) nicht (mehr) zu finden in der Lage ist. Je drängender der Kranke seinen Leidensdruck artikuliert, umso stärker wird der Verpflichtungsdruck, in der Suche nach wirksamen therapeutischen Hilfen nicht nachzulassen.

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sive und zugleich "defektuöse" Auseinandersetzung der Zeichnerin mit dem Comic kann somit auch als ein durch die inzipiente Krankheit (im doppelten Wortsinn) "gezeichneter" Selbstheilungsversuch verstanden werden, in dem der im Gange befindlichen "Isolation und Alienation" (Scharfetter 1986, S. 67 f.) entgegengearbeitet wird. In der Selbstdarstellung der 19-jährigen ist die krankhafte Veränderung des Leiberlebens unübersehbar geworden. "Der Leib als Organ der Spontaneität, der Eigenbeweglichkeit, des Willens, des Handelns, des "ich kann", ja, der gesamten Intentionalität" (Blankenburg 1982, S. 18) ist hier als seiner Selbstverfügbarkeit verlustig gegangener thematisiert, die Orientierung in die Welt hinein autistisch zum Erliegen gekommen. Wenn wir die soziale Dimension des Individuationsprozesses, wie in unserer Bildinterpretation, mit psychiatrischen Schizophreniekonzepten verknüpfen, ergeben sich ebenfalls schlüssige Zusammenhänge: Nach Blankenburg ist "bei einer wichtigen Gruppe Schizophrener das Erwachsenwerden nicht nur eine beliebige Rahmenbedingung für das Einsetzen der Psychose (...), sondern geradezu die entscheidende Klippe, an der die Betreffenden scheitern. Wenn man einmal (...) fragt, ob es andere Erkrankungen gibt, für die das Überschreiten der Schwelle zum Erwachsenenalter einen gleichen Auslösecharakter trägt, wird man nicht viel Vergleichbares finden" (Blankenburg 1983, S. 35). Schließlich käme eine Ausdeutung der Selbstdarstellung nicht daran vorbei, daß der Patientin zum Entstehungszeitpunkt der beiden spontanen Zeichnungen bereits seit mehreren Monaten kontinuierlich hohe Dosen von Neuroleptica, anfangs in Form von Haloperidol (150 mg/Tag), später als Clozapin in einer Tagesdosis von 450 - 600 mg (bei gelegentlichen zusätzlichen Haloperidol-Gaben), verabreicht worden waren. Die in extremer Gebundenheit erstarrte Körperhaltung der weiblichen Gestalt, ihre Blicklosigkeit, ihr Ausdruck depressiver Leere bei innerer Disharmonie, die überdimensionierte und farblich hervorgehobene Halsregion - um nur einige Aspekte hervorzuheben - wären dann als pathische Äquivalente eines neuroleptischen Parkinsonoids zu lesen.6

Rigor, Hypokinese, Sehstörungen, depressiv erlebte Sedierung bei leibnaher innerer Unruhe, sowie quälende Dystönien in Form von Zungen-, Schlundkrämpfen und Torticollis im Anfangsstadium der Behandlung gehören zu den am häufigsten beschriebenen Nebeneffekten einer antipsychotischen Medikation, wobei von Windgassen auf "die Verwobenheit von Verleiblichung schizophrenen Erlebens und leiblich erfahrener Medikamentenwirkung" (Windgassen 1989, S. 64) ausdrücklich hingewiesen wird.

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Monika Begemann-Deppe

5. Dreh- und Angelpunkt unserer Überlegungen war, anhand einer auf nur drei Zeichnungen gestützten, sequentiellen Bildinterpretation herauszuarbeiten, wie die Zeichnerin selbst ihr Erkranken "am Erwachsenwerden bzw. am Nichterwachsenwerdenkönnen" (Blankenburg, 1983, S. 35) inhaltlich gefüllt und bildnerisch zur Ausformulierung gebracht hat. Dabei sind wir von keiner Vorannahme bezüglich einer grundlegenden Differenz zwischen einer "normalen" und einer pathologischen Strukturiertheit von Bildtexten ausgegangen, sondern haben im Zuge der Bildtexterschließung durchgängig die intersubjektiv gültigen Regeln symbolischer Ordnungs- und Deutungsprozesse (Oevermann u. a. 1979, S. 371; Soeffner 1979, S. 344) als konstitutiv unterstellt und selbst interpretativ angewandt. Indem sowohl das Material "extensiv zum Sprechen gebracht" (Oevermann 1983, S. 244) als auch der diachrone Strukturierungszusammenhang zwischen den Darstellungen in seinen latenten Verweisungsbezügen freigelegt wurde, gewann der in hochgradiger bildhafter Verdichtung niedergelegte innere Prozeß einer erschwerten Auseinandersetzung mit den Anforderungen der Adoleszenz bei einer Patientin an Transparenz und Konsistenz, mit der zu keinem Zeitpunkt der Behandlung ein explorativer Dialog möglich war. Mit unserer Kranken verhielt es sich im klinischen Alltag ähnlich, wie Manfred Bleuler beschreibt: "Der Kranke und die Gesunden verstehen sich nicht mehr. Der Kranke gibt resigniert oder verbittert jedes Bemühen auf, sich noch verständlich zu machen. Er spricht nichts oder nichts Verständliches mehr. Damit hat er für den naiven Betrachter den Verstand verloren. Man kann aber seinen Verstand entdecken, wenn man den Kranken mit genügendem Geschick, Stetigkeit und viel Einfühlungsvermögen behandelt" (Bleuler 1972, S. 525). Bleuler spielt hier auf eine Dialogkompetenz an, die der Kliniker an konkreten Erfahrungssituationen schult, deren Voraussetzungen jedoch im klinischen Kontext mit seinen Handlungszwängen immer nur begrenzt reflektiert werden können. Eine entscheidende Konstitutionsbedingung dieser Kompetenz - und damit schlagen wir die Brücke zu unserer Bildanalyse - scheint mir darin zu liegen, daß sich der Zugang zum Patienten umso leichter gestaltet, je mehr es dem Arzt gelingt, die Äußerungen der Patienten bis in ihre pathologischen Deformationen hinein als sinnhaft strukturierte und motivierte begreifen zu lernen. Ein in der sozialwissenschaftlichen Hermeneutik fußendes Interpretationsverfahren, das nicht nur im Noch-Gesunden das verborgene Bereits-Pathologische, sondern vor allem im CSchon-) Kranken das nahezu verschüttete Noch-Gesunde aufzuspüren in der Lage ist, in die am medizinischen Den

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ken geschulte Psychiatrie hineinzutragen, könnte für letztere von dreifachem Gewinn sein: Sie legt der Tendenz zu ausufernder Datenpräsentation Beschränkungen auf; sie verlangt einem Denken, das zu ständiger Beschleunigung neigt, ein Innehalten ab; sie bewirkt schließlich eine Irritation des in klinischer Routine eingeschliffenen, diagnostizierend-verfremdenden Blikkes auf den Kranken, indem sie auf seiner Teilhabe an "unserer" Welt der symbolischen Ordnung behant. Literaturverzeichnis Begemann-Deppe, M. (1991) Schizophrenie und klinischer KonText. Rekonstruktion einer Arzt-Patient-Beziehung. Hamburg: unveröffentl. Manuskript Blankenburg, W. (1982) Körper und Leib in der Psychiatrie. Schweizer Archiv für Neurologic, Neurochirurgie und Psychiatrie 131/1982, 13-29 Blankenburg, W. (1983) Schizophrene Psychosen in der Adoleszenz. Japanese Journal of Psychopathology 4/1983, 151-170. Dtsch: Bull Inst Med Kumamoto University 48/1983, 33-54 Bleuler, M. (1972) Die schizophrenen Geistesstörungen im Lichte langjähriger Krankenund Familiengeschichten. Stuttgart: Thieme Döbert, R. & Nunner-Winkler, G. (1975) Adoleszenzkrise und Identitätsbildung. Frankfurt/M.: Suhrkamp Elkind, D. (1967/1980) Egozentrismus in der Adoleszenz. In: Döbert, R. & Habermas, J. & Nunner-Winkler, G. (Hg.) (21980) Entwicklung des Ichs. Königstein: Athenäum, Hain, Scriptor, Hanstein. Orig.: Egocentrism in Adolescence. In: Child Development 38/1967,1025-1034 Oevermann, U. & Allert, T. & Konau, E. & Krambeck, J. (1979) Die Methodologie einer "objektiven Hermeneutik" und ihre allgemeine forschungslogische Bedeutung in den Sozialwissenschaften. In: Soeffner, H-G. (Hg.) (1979) Interpretative Verfahren in den Sozial- und Textwissenschaften. Stuttgart: Metzler, 352-433 Oevermann, U. (1983) Zur Sache. Die Bedeutung von Adornos methodologischem Selbstverständnis für die Begründung einer materialen soziologischen Strukturanalyse. In: Friedenburg, L. v. & Habermas, J. (Hg.) (1983) Adorno-Konferenz 1983. Frankfurt: Suhrkamp, 234-289 Oevermann, U. (1988) Eine exemplarische Fallrekonstruktion zum Typus versozialwissenschaftlicher Identitätsformation. In: Brose, H. G. u. a. (Hg.) (1988) Vom Ende des Individuums zur Individualität ohne Ende. Opladen: Leske und Budrich, 243-286 Scharfetter, C. (21986) Schizophrene Menschen. München/Weinheim: Psychologie Verlags Union Soeffner, H.-G. (1979) Interaktion und Interpretation - Überlegungen zu Prämissen des Interpretierens in Sozial- und Literaturwissenschaft. In: Soeffner, H.-G. (Hg.) (1979) Interpretative Verfahren in den Sozial- und Textwissenschaften. Stuttgart: Metzler, 328-351 Windgassen, K. (1989) Schizophreniebehandlung aus der Sicht des Patienten. Untersuchungen des Behandlungsverlaufes und der neuroleptischen Therapie unter pathischem Aspekt. Berlin: Springer

Beratung als ärztliche Aufgabe - Irrwege und Auswege Mit einem Beispiel aus der ärztlichen Aidsberatung Thomas Bliesener

Zusammenfassung Ärzte übertragen auf Beratungen oft die Zielsetzungen und Gesprächsmuster ihres traditionellen Berufsverständnisses. Wenn es aber um nichtrationale Probleme geht, die sich nicht durch Rat und Tat lösen lassen, scheitern sie damit. Am Beispiel einer Aidsberatung wird dies vorgeführt. Für effizientere Beratung ist ein Umlernen auf angemessenere Ziele und Muster der Gesprächsführung erforderlich. Ermöglicht wird dies durch diskursanalytische Reflexion und "kommunikative Selbsterfahrung".

1.

Neue Aufgaben erfordern neue Lösungen

Ärztinnen werden zunehmend für neue Aufgaben und in neuen Arbeitsfeldern tätig, die weit über das traditionelle Berufsbild von Klinik und Praxis hinausreichen. In dem Maße, in dem die Idee der Prävention in die Wirklichkeit umgesetzt werden soll, müssen Aufgaben der Gesundheitsförderung, also der Information, Aufklärung, Erziehung, Bildung und Beratung (WHO 1986) getan werden. Daß nicht so sehr psychosoziale Berufe in diesen Feldern eingesetzt werden, sondern zu einem großen Teil Ärztinnen, ist vor dem Hintergrund wachsender Arbeitslosigkeit von Medizinern ein Ziel ärztlicher Berufspolitik. Die Folge davon ist, daß Ärztinnen vermehrt Leistungen erbringen müssen, für die sie nicht ausgebildet sind. Man stelle sich den umgekehrten Fall vor, daß ein Psychologe als neues Tätigkeitsfeld die chirurgische Ambulanz entdeckt hätte und Unfallopfern mit seiner Methode helfen wollte: "Das war für Sie sicher ein Schock" - "Mhm, Sie fühlen den Schmerz richtig körperlich" - "Ich höre so raus, daß Ihnen das Bluten Sorgen macht" - "Mhm, daß Sie vielleicht verbluten könnten", usw. Es liegt auf der Hand, daß hier die verstehende Begleitung an Stelle einer tätigen Versorgung verfehlt ist. Gerade so verfehlt ist es aber im umgekehrten Fall, wenn sich Ärztinnen in gelernter Weise um Aufklärung oder Versorgung bemühen, wo es auf Auseinandersetzung oder Begleitung ankäme. Beispielsweise genetische Beratungen durch Ärzte oder Humangenetiker sind als Wissensvermittlung über Erbrisiken angelegt (Hartog, in diesem Band), schließen jedoch die Begleitung einer verantwortlichen Entschei-

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Thomas Bliesener

dungsfindung, also "Konfliktberatung", gerade aus (Nothdurft 1984, S. 196204). Oder die Vor- und Nachberatungen bei Operationen an Krebspatienten sind auf Beruhigung und Überzeugung angelegt (Wimmer 1987), schließen jedoch eine Begleitung bei Gefühlsbelastungen und eigener Entscheidungsfindung gerade aus. Praktische Anleitungen zu helfender Gesprächsführung (z. B. Dahmer & Dahmer 1982; Thomann & Schulz von Thun 1988) oder konzeptionelle Arbeiten (wie Schein 1987) fanden für die neuen ärztlichen Aufgaben bisher zu wenig Beachtung. Davon macht auch die ärztliche Aidsberatung keine Ausnahme. 2.

Material: Telefonberatungen zum Thema Aids

Das Gesprächsmaterial zu diesem Artikel stammt wie viele meiner Einsichten aus der praktischen Ausbildungsarbeit mit Aidsberatern. Zwischen 1986 und 1987 führte ich zur Schulung der Beratergruppen der Aidshilfen Aachen, Bonn und Köln drei arbeitsbegleitende Jahreskurse durch. Von 1988 bis gegenwärtig organisierte oder leitete ich außerdem 25 in sich abgeschlossene Wochenendseminare zur Fortbildung von Beraterinnen aus Telefonseelsorgen, Aidshilfen, Rosa Telefonen, Telefonnotrufen für Suchtgefährdete sowie aus den staatlichen Gesundheitsämtern. Insgesamt wurden über 250 Teilnehmer erreicht. Die Beraterfortbildungen arbeiten an zentraler Stelle mit Rollenspielen über eine transportable Telefonanlage. Das Anrufer- und das Beratertelefon sind in zwei Nebenräumen aufgestellt, während im Gruppenraum ein Lautsprecher zum Mithören steht. Auf einem angeschlossenen Kassettenrekorder wird der Mitschnitt gefertigt, auf den sich die gemeinsame Nachbesprechung der Spieler und Mithörer stützt. Die beiden Partner des Rollenspiels werden nicht bestimmt oder ausgelost, sondern melden sich freiwillig. Dem Anrufer wird in der Regel freigestellt, zu welchem Problem er sich beraten lassen will. Gewöhnlich wählt er ein Problem, das tatsächlich sein eigenes ist oder mit dem er einmal in seiner bisherigen Beratungspraxis von einem Klienten konfrontiert wurde. Der Charakter der solcherart simulierten Telefonberatungen hat ein Höchstmaß an Echtheit. Immer wieder stellen Spieler, Mithörer, Gruppenleiter, spätere Bandabhörer sowie Transkriptionskräfte mit Erstaunen fest, daß sie an diesen Gesprächen nichts Gespieltes hören oder spüren könnten. Darin sehe ich die Berechtigung, an der Stelle von echten Telefonberatungen, die ja aus rechtlichen Gründen prinzipiell nicht mitgeschnitten werden, die Bänder und Transkripte von simulierten Beratungen zu betrachten. Auf Tonkassette gespeichert wurden rund 90 Gespräche. Die meisten von ihnen lassen sich ganz oder teilweise auf ein typisches Muster oder eine

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Entgleisungsform davon zurückführen (Bliesener 1992b). Gängig sind: - "Aufklärung" (Entgleisungsform: "Vorträgehalten") - "Auseinandersetzung" (bzw. "Indoktrination") - "Beistand" (bzw. "Psychologisieren") - "Fürsorge" (bzw. "Patentrezepte"). Das spezielle Muster "Fürsorge" besteht im wesentlichen aus dem Dreischritt Sachverhaltsermittlung - Problemeinschätzung - Lösungsangebote. Es wird sowohl von Sozialarbeitern und Laienberatern als auch von Pflegekräften und Ärzten benutzt. Medizinern ist es in ihrer eigenen Fachsprache als "Anamneseerhebung - Diagnosestellung - Therapievorschläge" vertraut; die Anwendung des allgemeinen Musters "Fürsorge" im Fachgebiet Medizin ist also genau das "ärztliche Gesprächsmuster". Auffällig ist, daß von den Ärztinnen unter den Fortbildungsteilnehmern fast niemand versuchte, die Beratung anders als nach dem ärztlichen Gesprächsmuster zu gestalten. 3.

Beispiel: Eine Beratung nach ärztlichem Gesprächsmuster

Die Beraterin in diesem Gespräch ist eine Ärztin mit Erfahrungen aus einer freien Aidsberatungsstelle und mit hauptamtlicher Tätigkeit in der Aidsberatung eines Gesundheitsamtes. Die Anruferin ist eine Sozialarbeiterin mit hauptamtlicher Tätigkeit in einer freien Aidsberatungsstelle. Bei dem Problem handelt es sich um einen authentischen Fall, mit dem sie einige Wochen zuvor von einer Klientin konfrontiert wurde und der sie innerlich noch weiter beschäftigte. Die Transkription kann trotz sorgfältiger Notierung von Stockungen, Mißartikulationen und Atemgeräuschen kaum eine Vorstellung davon erwecken, wie schwach und hoffnungslos die Anruferin Idingt und wie deprimierend und narkotisierend sie auf den Zuhörer wirkt. Durch ihren stimmlichen Ausdruck werden manche inhaltlichen Details, die den Leser vielleicht schokkieren, für den Zuhörer viel unauffälliger. 3.1. Nachweis des Gesprächsmusters Von den 13 Minuten 20 Sekunden ist knapp eine Minute zu Beginn gemäß dem Muster "Aufklärung" gestaltet, nämlich als die Beraterin auf die individuelle Frage "Kann ich mich ... angesteckt harn" eine generelle Auskunft ("das geht", "jeder Geschlechtsverkehr", "man kann sich anstecken") erteilt. Anschließend eröffnet die Beraterin das gewohnte ärztliche Gesprächsmuster durch eine offene Rückfrage nach dem individuellen Problem der Anruferin: "Wie kommen Sie auf Ihre Befürchtung?" In dem darauf folgenden

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Thomas Bliesener

lassen sich unschwer die Abschnitte "Problemdarstellung", "Anamneseerhebung", "Diagnosemitteilung" und "Therapievorschläge" identifizieren. L Problemdarstellung (30-67): Die Anruferin erzählt mit den üblichen Elementen mündlicher Erzählungen die "dumme Geschichte", aus der ihre Problemlage entsprang. Allerdings stellt sie den Hergang unvollständig dar, weil ihr an der entscheidenden Stelle die Erinnerung fehlt. Was für sie gegenwärtig problematisch ist, steckt - wie häufig - in den Elementen Bewertung ("no nie passiert") und Folgen: "hab jetzt... Schiß (67). 2. Anamneseerhebung (68-234): Sie ist erkennbar an der Art, Abfolge und Absicht der Äußerungen der Beraterin. In diesem Abschnitt stellt die Ärztin zehnmal eine Frage und streut nur zweimal den Versuch einer Verständnis bekundung ein (159-169, 195-198). Die Fragen haben wenig Bezug auf die Problemaspekte, die die Anruferin jeweils zuvor offenbarte oder mit denen sie endete. Die Fragen haben aber untereinander einen deutlichen Bezug: Sie sind nach einem "sachlogischen Bogen" geordnet, nämlich vom Hergang über den Hintergrund zu den Folgen der Geschichte bis schließlich zum gegenwärtigen Handlungsbedarf. Die Absicht hinter diesen Fragen formuliert die Beraterin an einer Stelle explizit: "mir das ... richtig vorstellen" (Ulf.). 3. Diagnosemitteilung (235-272): Die Beraterin schaltet vom Informationen-Einholen zum Informationen-Geben um und markiert dies eingangs durch "ich mein" und später zweimal durch "ich denk" (248, 266). Sie teilt der Anruferin Vermutungen, Abwägungen und Einschätzungen der Ansteckungswahrscheinlichkeit mit - sozusagen eine Ferndiagnose des individuellen Risikos. 4. Therapievorschläge (273-396): Die Beraterin bietet der Anruferin wieder Informationen an und markiert dies wieder mit "ich denk" (Ix) und "ich mein" (4x). Es handelt sich jetzt aber durchweg um "Überlegungen", wie sie dreimal formuliert, über Lösungsmöglichkeiten für bestimmte Aspekte der Problematik. Dir Vorschlags-Charakter wird durch die gehäufte Modalisierung mit "können" (7x) unübersehbar. Der letzte Vorschlag bezieht sich auf den Beratungskontakt selbst: "Wir können uns ... ja nochmal... besprechen" (384-386). In der folgenden Übersicht ist die zeitliche Erstreckung der einzelnen Musterabschnitte maßstabsgetreu auf der y-Achse eingetragen (die Werte der x-Achse haben keine Bedeutung). In der linken Spalte stehen die Zeilenbereiche.

Beratung als ärztliche Aufgabe

4-28 30 - 67

AUFKLÄRUNG

Allg. Infektionsrisiken

PROBLEMDARSTELUNG

"Dumme Geschichte" Hergang

68 -234

Hintergrund ANAMNESEERHEBUNG Folgen Handlunsgbedarf

235 -272

DIAGNOSEMITTEILUNG

Individ. Infektionsrisiko

273 -396

THERAPIEVORSCHLÄGE

Zwischenlösungen Dauerlösungen

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0.00 0.55 2.25 4.00 5.20 7.30 8.40 9.45

12.10 13.20 Zeit

Diagramm l

3.2. Hinweise auf Ineffizienz der Beratung Diese Beratung ist nach menschlichem Ermessen nicht nutzlos und schon gar nicht schädlich, aber sie schöpft ihre Nutzenmöglichkeiten nicht genügend aus. Sie ist ineffizient, und zwar in doppeltem Sinn. Gemessen an der Handlungslogik des zugrundeliegenden Gesprächsmusters sind manche Bemühungen und Schritte der Beraterin unnütz, gemessen an der Hilfsbedürftigkeit der Klientin blieben manche Unterstützungsmöglichkeiten ungenutzt. 1. Das Gesprächsmuster wird inkonsequent und unrationell verwirklicht. Der Anamnese-Abschnitt fördert viele Ergebnisse zutage, die nicht weiter behandelt werden, aber wenige Ergebnisse, die für die anschließende Risikoeinschätzung und die Ratschläge zum Umgang mit dem Risiko erforderlich wären. Außerdem ist er mit einer Dauer von fast der halben Gesprächszeit überproportional lang. Der Diagnose-Abschnitt mit der Risikobestimmung "gering aber gegeben" kann bei der Anruferin weder die Angst ausräumen, die das Gespräch veranlaßte, noch die Motivation zum Partnerschutz einpflanzen, auf die die Beratung hinausläuft.

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Thomas Bliesener

Der Therapie-Abschnitt enthält Ratschläge für Probleme, die die Anruferin nicht in den Vordergrund stellte, entbehrt aber der Lösungsvorschläge für Probleme, an denen sie verzweifelt. Daß die Beraterin diesen Mangel spürt, zeigt sich am Ende der Beratung an ihren zusätzlichen Angeboten (350390). Die Bestandteile des Musters bauen also nicht strikt aufeinander auf, sondern enthalten Irrwege und Sackgassen. 2. Die Klientin erhält unbrauchbare oder unzureichende Hilfe. Die Ratschläge sind meist nicht brauchbar. Manche werden von der Anruferin vorweg ausgeschlossen ("keine Kondome" 297; "nicht mit Mann reden" 292, 327). Andere sind schwer durchführbar ("nicht so häufig Geschlechtsverkehr" 337) oder zu gefährlich ("positives Ergebnis ... mehr ... Depression" 367-374), so daß die Klientin sie nicht annimmt, sondern ausweichend antwortet: "muß ich halt gucken" (343), "ich werd mir das alles nochmal überlegen" (379f.). Eine Erklärung mit entlastender Wirkung wird versäumt: Vielleicht fuhren ja die Spuren, die die Klientin in Panik versetzten, nicht zu dem unbekannten nächtlichen Besucher, sondern zu ihrem morgens heimgekehrten Mann. Eine Unterstützung bei der Aussprache über ihre Gefühle fehlt fast völlig. Dabei wird schon aus den Andeutungen der Klientin deutlich, unter welchen Belastungen sie leidet: Schrecken über den Kontroll- und Erinnerungsverlust, Panik beim Fund der Spuren ihres Abenteuers, Angst vorm Infiziertsem, Schuldgefühle wegen Untreue, Angst und Schuldgefühle wegen Infektionsgefährdung ihres Mannes, Druck zur rücksichtsvollen Geheimhaltung ihres Erlebnisses vor dem Ehemann, vielleicht noch weitergehende Einsamkeit in der Ehe, Peinlichkeit und Stillschweigen gegenüber Bekanntenkreis, allgemeine Depression - in einem Wort: Verzweiflung. "Weiß auch gar nicht weiter so" (158). Ich sehe es als eine Folge der Unzulänglichkeiten der Beratung an, daß sich die Klientin immer mehr aus dem Gespräch zurückzieht. Ab Zeile 67 werden ihre Beiträge im Durchschnitt immer kürzer und seltener, ihre Aktivitäten zur Verständigung (Ergänzungen, Verdeutlichungen, Intensivierungen) nehmen ab, schließlich macht sie frühzeitig (vielleicht schon in 302, auf jeden Fall in 348) Anstalten zur Beendigung des Gesprächs. 4. Ursache der Ineffizienz Das vorgestellte Beispielgespräch ist kein Einzelfall. Mit großer Regelmäßigkeit führen in dem Sektor, den ich aus eigener Praxis oder durch Fortbildungsarbeit kenne, Beratungsgespräche nach dem Fürsorge-Muster in vergleichbare Schwierigkeiten (ein weiteres Beispiel ist in Bliesener & Jagla &

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Kumpel 1989, S. 87-94 analysiert). Offenbar ist das Muster selber für viele Beratungssituationen untauglich. Im nächsten Abschnitt zeige ich, auf welchen Typ von Problemen das Fürsorge-Muster beschränkt bleiben sollte und welches alternative Muster für die Behandlung von anderen Problemen geeignet ist. Anschließend untersuche ich, aus welchen Gründen Berater dennoch das untaugliche Muster befolgen und ihm sogar bei spürbarem Mißerfolg treu bleiben. 4.1. Untauglichkeit des ärztlichen Gesprächsmusters für manche Probleme Das ärztliche Gesprächsmuster läßt sich mit seinen definierenden Bestandteilen und ihren Verbindungen in folgendem Diagramm (Diagramm 2) darstellen:

ARZT

PATIENT Darstellung des Problems

"Bild" der Problemlage

Anamneseerhebung

Diagnose

Diagnosemitteilung

Ideen zur Therapie

Vorschläge / Verordnungen zur Therapie

Leiden unter einem Problem

Anamnestische Angaben

Bewertung / Verordnungen zur Therapie

Zustimmung zu Vorschlägen

Diagramm 2: Das helferzentrierte Gesprächsmuster

Handlungsvorsätze ("Compliance")

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Thomas Bliesener

- In einfachem Rahmen stehen die Einheiten, die sprachlich manifest werden. - In doppeltem Rahmen stehen die mentalen Einheiten, die die verbalen Einheiten auf derselben Höhe im Diagramm dominieren. Zum Beispiel werden die verbalen Einheiten "Anamneseerhebung" und "Anamnestische Angaben" so gestaltet, daß sich der Arzt ein "Bild der Problemlage" machen kann, mit dem er nach seinen Maßstäben zufrieden ist. - Mit Pfeilen zwischen den Einheiten wird die prinzipielle Reihenfolge in der Realisierung des Musters angedeutet, jedoch kein striktes Nacheinander, weil sich verbale und mentale Einheiten streckenweise simultan realisieren müssen. - Weggelassen sind ergänzende, unterstützende oder begleitende verbale oder mentale Prozesse, die für dieses Muster nicht spezifisch sind. Man kann im Diagramm gut verfolgen, welches Schicksal einem Problem unter dem ärztlichen Gesprächsmuster widerfährt: 1. Die Problemlage wird anfangs objektiviert, vom leidenden Patienten abstrahiert und beim Arzt reproduziert. 2. Die Aufgabe, eine Lösungsidee zu finden, wird an den Arzt delegiert. 3. Bei der Findung der Lösungsidee geht der Arzt in diskreten Schritten und methodisch vor. 4. Wenn der Patient die Lösungsidee übernimmt, faßt er den Vorsatz, sie willentlich zu verwirklichen. 5. Die Lösung des Problems selbst wird dadurch erreicht, daß der Patient die Verwirklichung der Lösungsidee als Mittel zu diesem Zweck benutzt. Damit haben wir zugleich einen präzisen Steckbrief des gesuchten Problemtyps, für den das ärztliche Gesprächsmuster tauglich ist: Nur Probleme, die sich am Anfang vom Patienten ablösen lassen und am Ende durch seine willentliche Entscheidung instrumentell gelöst werden können, lassen sich in bestimmten Zwischenphasen stellvertretend vom Arzt (oder irgendeinem anderen fürsorglichen Experten) bearbeiten. Dies sind aber genau die rationalen Probleme des Denkens und Handelns. Sie allein sind durch Rat und Tat lösbar. Was aber ist mit Problemen in anderen Bereichen des menschlichen Daseins? Was ist mit Gefühlen, Einstellungen, Sichtweisen, Bewußtheitsstufen, Motivationen und Entscheidungen? Daß Schuldgefühle verstummen, Verwirrung in Klarheit sich wandelt, Zaudern zu Zuversicht wird - das läßt

Beratung als ärztliche Aufgabe

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sich durch kein Handlungsrezept willkürlich verwirklichen, und es läßt sich durch keinen Experten stellvertretend bewirken. Es handelt sich bei den nichtrationalen Problemen um einen anderen Typ. Sie erfordern einen anderen Lösungsweg: 1. Das Problem bleibt an das leidende Subjekt gebunden. Es kann von Mitmenschen zwar gesehen und mitempfunden, aber nicht übernom-men werden. 2. Die Aufgabe, zu einer Lösung zu gelangen, bleibt beim Problemträger selbst. 3. Der Lösungsweg wird in einem kontinuierlichen und spontanen Prozeß zurückgelegt. 4. Der Lösungsprozeß wird vom Klienten nicht betrieben, sondern mitgemacht. 5. Die Lösung des Problems wird nicht vollzogen, sondern tritt ein. Die Rolle des Beraters kann beim Typ des nicht-rationalen Problems deshalb nicht darin bestehen, sich das Problem zu eigen zu machen und stellvertretend zu lösen. Sie kann nur darin bestehen, den autonomen Lösungsprozeß des Klienten zu fördern und zu unterstützen. Die Art des Problems zwingt also den Berater, wenn er denn wirksam helfen will, zu einer klientzentrierten Gesprächsführung. "Klientzentriert" ist hier in seinem vollen ursprünglichen Sinn (Rogers 1983) gemeint. Es bezeichnet nicht eine liberalisierte Variante des Musters Anamnese-Diagnose-Therapie mit größerer Freiheit der Patienten zum Reden und Mitreden (wie es nichtpsychologische Linguisten, z. B. Spranz-Fogasy 1987, mißverstanden). Es meint vielmehr die grundlegende Alternative eines Musters, das durchgängig auf die im Klienten liegenden Ziele der Selbstklärung und Selbsthilfe ausgerichtet ist.

Das klientzentrierte Gesprächsmuster ist die Alternative für diejenigen Fälle, in denen das ärztliche Gesprächsmuster untauglich ist. Seine Struktur ist im folgenden Diagramm dargestellt.

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Thomas Bliesener

KLIENT

BERATER

Darstellung des Problems

Leiden unter einem Problem

Anregung zu Ergänzungen und Vertiefungen

Schilderung der Problemlage

Klärung des Problembewußtseins

Anregung zur Verbalisierung von Emotionen

Aussprac tie über eigene G efühle

Anregung zur Reflexion über Lösungen

Beschreibung von Lösungseinfallen und -ressourcen

1

Entlastung

1 Stärkung des Selbstvertrauens

1

Positivere Einstellungen und Entscheidungen

Diagramm 3: Das klientzentrierte Gesprächsmuster

4.2. Überforderung ärztlicher Berater Daß Berater ein untaugliches Gesprächsmuster installieren und sogar gegen Widerstände von Klienten und trotz verspürter Erfolglosigkeit weiterführen, kann auf sehr unterschiedliche Gründe oder Verbindungen von Gründen zurückgehen. Häufig sind es die folgenden: l. Wahrgenommene Problematik Klienten stellen ihr Problem und ihr Anliegen oft undeutlich, lückenhaft, uneinheitlich, widersprüchlich, falsch gewichtet oder irreführend dar — dies ist geradezu ein Ausdruck ihres Problems. Oft kommen sie sogar dem erwarteten Beratungsmuster entgegen und äußern statt Notrufen überlegte Informationsfragen. Der Berater ist dadurch verführt, bestimmte Problemaspekte aufzugreifen, andere aber einfach zu übergehen.

Beratung als ärztliche Aufgabe

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2. Institutioneller Auftrag Der Arbeitsauftrag ist bei vielen Beratungsstellen unklar definiert und hat eher den Charakter einer Menüauswahl (was freilich auch bei anderen ärztlichen Tätigkeiten, wie der Visite, vorkommen kann; Bliesener & Kohle 1986). Bei Aidsberatungen gibt es ein typisches Nebeneinander von Zielen: Risiko-Abklärung, medizinische Aufklärung, Korrektur von Fehlannahmen und Vorurteilen, Abbau von Panik, Förderung einer Testentscheidung, Förderung von Ansteckungsprävention, Einschärfung von Verantwortlichkeit etc. Der Berater kann sich Ziele und zugehörige Muster für das Gespräch weitgehend aussuchen. 3. Andragogische Überzeugungen Berater haben wie alle Menschen gewachsene Vorstellungen darüber, wie man andere Menschen beeinflußt. Hier mischen sich wissenschaftliche Theorien, Laienpsychologie und Lebenserfahrungen, zum Beispiel: "Angst kann man nehmen, wenn man Gefahren erklärt" oder "Leichtsinn kann man unterbinden durch Appelle an die Vernunft". So sind Berater auch oft überzeugt, daß ihr Gesprächsmuster "am besten funktioniert". 4. Kommunikative Fertigkeiten Die Verwendung eines Gesprächsmusters beruht aber oft nicht auf Wahl, sondern auf Gewohnheit. Besonders prägend wirkt dabei die Berufssozialisation. Ärzte lernen in der Ausbildung und erleben in Klinik und Praxis allgegenwärtig das "Sprechstundenschema". Ein anderes Muster wird schließlich kaum noch vorstellbar, und es wird schon gar nicht gelehrt und geübt. 5. Emotionale Fähigkeiten Berater können sich durch das Problem des Klienten an eigenen wunden Punkten getroffen fühlen. In diesem Fall kann ihnen ein rat- und tatorientiertes Gesprächsmuster zur Schaffung von Distanz und zum Schutz vor weiteren Verletzungen dienen, sozusagen als Schutzpflaster über den eigenen Wunden. Konkret im Beispielgespräch kann man folgendes vermuten: - Vielleicht konnte sich die Beraterin als Frau besonders gut in die Notlage der Anruferin hineinversetzen und sich mit der Klientin identifizieren. Sie war selber zutiefst erschreckt, beschämt und hilflos. In Zeile 221 f. fragt sie nach längerer Pause ziemlich unvermittelt: "Is das für Sie auch 'n schrecklicher Gedanke, ... Geschlechtsverkehr ... wo Sie nich bei Bewußtsein dabeiwaren?" Bestärkt durch das schillernde "auch" kann man hierin das Eingeständnis lesen: *ICH finde ihr Erlebnis schrecklich*. - Eine andere Erklärung könnte sein, daß die Beraterin früher im Leben schlechte Erfahrungen mit den "leisen Schreien" einer depressiven Frau

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Thomas Bliesener

gemacht hatte (Mutter, Schwester, Tante?) und sich der Anklammerungen nur durch das Ausklammern der Gefühlsebene erwehren kann. Die Wahl des Gesprächsmusters wäre dann die Folge eines unbewußten Übertragsphänomens. 5.

Unterstützungsangebote für Berater

Die sichtbar gewordene Vielschichtigkeit der Gründe, die zu ineffizientem Beraterverhalten führen können, legt eine Schlußfolgerung nahe. Gesprächsmuster werden nur wenig durch bloße Willenssteuerung verwirklicht. Die situativen und persönlichen Determinanten können sehr stark sein. Also wird sich auch der Wechsel von einem untauglichen zu einem anderen Gesprächsmuster kaum allein durch gute Vorsätze bewerkstelligen lassen. Zur Verbesserung des Beraterverhaltens von Ärzten und anderen Berufsgruppen sehe ich zwei unterschiedlich weit reichende Möglichkeiten. 5.1. Erkennung von Warnsignalen und Benutzung von Notausgängen Durch diskursanalytische Reflexion fremder und eigener Gespräche können Berater relativ schnell lernen, welche bislang ignorierten Warnsignale ihnen mitten im laufenden Gespräch Widerstände oder Wirkungslosigkeit anzeigen. Dies sind zum einen Verhaltensweisen des Partners, wie z. B. Hörersignale, Honorierungen von Auskünften und Vorschlägen, Formbesonderheiten an Erzählungen (z. B. Lücken), bedeutungsvolle Andeutungen, steigernde Wiederholungen, zyklische Wiedereinbringungen, Hilfeappelle usw. Zum ändern sind dies der eigene Aufwand zur Gesprächsführung und die eigenen, auf die Gesprächsführung bezogenen Begleitgefühle, wie z. B. Redehemmung, Anspannung, Gehetztheit, Ermüdung usw. Außerdem können Berater Standardmöglichkeiten zum Ausstieg aus verfahrenen Stellen kennenlernen, z. B. Thematisierung, Deutung, Verständnisbekundung, Hilfeangebot, Selbstmitteilung, Impulsrückgabe. Konkretisierungen solcher Warnsignale und Notausgänge für das Beispielgespräch finden sich in Bliesener 1992b.

Beratung als ärztliche Aufgabe

5.2.

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Schulung durch kommunikative Selbsterfahrung

Wenn es darum geht, das Beraterverhalten von Ärzten oder anderen Berufen grundlegend zu verbessern, wird es nicht mit Belehrungen und Empfehlungen getan sein. Wie bei Klienten, so wird auch bei Kursteilnehmern nicht genug mit einem rat- und tatorientierten Muster auszurichten sein. Statt diskursanalytischer Aufklärung und statt gesprächstechnischer Trainings braucht es einen "teilnehmer-zentrierten" Ansatz der Kommunikationsförderung. Der Kerngedanke dabei ist, die Innen- und die Außensicht von Kommunikation, also das Kommunikationserleben und das Kommunikationsverhalten mit seinen Auswirkungen, in noch frischer Situation miteinander in Verbindung zu setzen. Dadurch werden beim Betreffenden Einsicht und Veränderung katalysiert. Es handelt sich um einen persönlichen Lernprozeß wie in jeder Selbsterfahrung, jedoch gebunden an und konzentriert auf die sprachliche Kommunikation. Dieses von mir bei Aidsberatern praktisch erprobte Konzept (vgl. Bliesener 1992a) habe ich deshalb "kommunikative Selbsterfahrung" genannt. Seine Anwendung auf andere Gebiete der Beratung, zum Beispiel Gesundheitsberatung, ist in Vorbereitung. Literaturverzeichnis Bliesener, Th. & Kohle, K. (1986) Die ärztliche Visite - Chance zum Gespräch. Opladen: Westdeutscher Verlag Bliesener, Th. & Jagla, B. & Kumpel, Th. (1989) Ausbildung von Beraterinnen in Aidshilfen. Konzepte und Materialien im Bausteinsystem. Berlin: Deutsche AIDS-Hilfe Bliesener, Th. (1992a) Ausbildung und Supervision von Aidsberatern. In: Fiehler, R. & Sucharowski, W. (Hg.) (1992) Kommunikationsberatung und Ausbildung auf diskursanalytischer Basis. Opladen: Westdeutscher Verlag Bliesener, Th. (1992b) Stolperdrähte, Warnzeichen und Auswege. Vorstudie zu einem Leitfaden für Aidsberater. In: Bliesener, Th. & Kleiber, D. (1992) Beratungsgespräche zum Thema Aids. Berlin: SPI Dahmer, H. & Dahmer, J. (1982) Gesprächsführung. Stuttgart: Thieme Hartog, J. (in diesem Band) Laienvorstellungen über genetisch bedingte Krankheiten und ihre Funktion in genetischen Beratungsgesprächen Nothdurft, W. (1984) "...äh folgendes Problem äh ...". Die interaktive Ausarbeitung "des Problems" in Beratungsgesprächen. Tübingen: Narr Rahm, D. (1988) Gestaltberatung. Paderborn: Junfermann Rogers, C. (1983) Die klientenzentrierte Gesprächspsychotherapie (orig. 1951). Frankfurt: Fischer Schein, E. H. (1987) Process Consultation, Vol. 2. Reading/Mass.: Addison-Wesley Spranz-Fogasy, Th. (1987) Techniken der Exploration im ärztlichen Gespräch: Aktive Exploration. Mannheim (Ms.) Thomann, Ch. & Schulz von Thun, F. (1988) Klärungshilfe. Hamburg: Rowohlt World Health Organization (1986) Ottawa Charter for Health Promotion. Genf: WHO Wimmer, H. (1987) Information und Beratung von Krebspatienten im Krankenhaus. Wien: Ludwig-Boltzmann-Institut

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Thomas Bliesener

Anhang Transkription BERATERIN

5

ANRUFERIN

Nja hier is die Aidsberatung [Nachname]. Ja guten Tag . ahm . ja ich . wollte mal was wissen. [Leise:] Mhm. Und zwar. kann ich mich schon . mmm beim ersten Mal. ungschützten Geschlechtsverkehrs angesteckt harn?

10

[4 s] [E] äh [A] Sie meinen 'nne Ansteckung mit HIV, ja? Ja. ja.

Mja das geht auch beim ersten 15 Mal schon. Jeder. jeder Sexual/ . oder jeer eindringende . Geschlechtsverkehr kann. 'ne Überdragung . mit sich bringen. 20 Mhm . ja . Naja [A] okay. Ja is das . öhm . das hängt natürlich [lachend:] //(n)schon// davon ab, ob der Partner infiziert w/ is oder nich. Also 25 wenn der. Partner nich infiziert is, dann kann man sich natürlich nich anstecken. [E]

Mhm.

30 Wie komm/ . wwie kommen Sie auf Ihre Befürchtung . sich da jetzt angesteckt zu haben? (N a a). [A, E]. ja 's [A]. na so 'ne . dumme Geschichte eigentlich. [E, A]. Ja. (öh) also 's is mir eigentlich au no nie passiert. [E, A] . das war. ja vor zwei. Tagen

35

Mhm. da . ja ich weiß halt auch nich, ob da was passiert is oder so, das is ja jetzt so das Problem eigentlich. [E] Ich hab . j a an dem Abend . öhm. ja Medikamente genommen, =also ich nehm häufiger so Medikamente

40

[Leise:] Mhm. 45

und hab . auch wohl Alkohol getrunken . und . also jedenfalls kann ich mich an diese Nacht überhaupt nich mehr erinnern, also ich

Beratung als ärztliche Aufgabe fLeise:1Hm.

50

Mhm.

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weiß nich, was da . passiert is oder so. Ich . (n) 's is nur so dunkel, ich weiß jetzt nich, ob ich . mir das nur einbilde oder ob da 'n, ich nehme an, es muß tatsächlich passiert sein. =Also jedenfalls [E] Ohm muß ich wohl jemanden angerufen haben

[Leise:] Mhm.

55

60

. Hm.

65

ich weiß jetzt aber überhaupt nich W E N und [E] ja es muß wohl [A] ja Geschlechtsverkehr halt stattgefunden haben. =Ich hab jedenfalls [E] am [A] ändern Morgen . so ja halt in meinem Schlüpfer. (mm) ja . dis s/warn halt Spuren und . das riecht man ja halt auch und [E] ja . und ich weiß auch noch, daß ich . irgendwo wohl den Mann gefragt habe und er irgendwas gesacht ha/ vonwegen positiv sein, aber. ja ich weiß halt auch gar nich . wwer das WAR oder . ja

Hm. Ich hab da jetz halt nur . nur Schiß, ne . so...

Hm. Und Sie . Sie können .. überhaupt. öh . gar keine Ah70 nung so, wer der Partner gewesen is. =Das is für Sie GANZ weg. N J A . na es muß ja wohl schon aus meinem BeKANNTENkreis sein, weil sonst [E] hätt ich ja auch so . die NUMMER nich so finden können, verMUT ich ma, aber ich ich weiß überhaupt nich . wer 's sein KÖNNte. =Ich maach da jetzt auch nich irgendwo

75

Hm. TLeise:! Ja. 80

85

90

95

.

fragen, ich mein .. so [E] Ich hab halt [E] ich hab Bedenken, einfach weil ich so mich irgendwo an dieses mm positiv oder so erinnern kann, aber [E] wie gesacht. also was da jetz GENAU gewesen is . wweiß ich einfach nich (dis is). =Ich hab überhaupt keine Erinnerung. =Mir is dis (wk) zum ersten Mal passiert und 1E1 j a . na und jet/. ich hab jtz auch 'ntürlich Angst, daß ich meinen M A N N angesteckt hab oder so. Oder oder . stecke oder. ja.

Äh Ihren Mann, den Sie . erst heiraten werden oder . w/ w/ NeeNEE ich ich bin schon verheiratet. =Mir is dis wirklich zum ersten Mal passiert also . ( ) so [E, A]

60

Thomas Bliesener ANRUFERIN

BERATERIN

naja. ('chßo) mein . mein Mann, der kam dann halt morgens aus der NNachtschicht und da hab ich halt auch . mit ihm geschlafen und [E] ( ) ja, wenn Sie sagen . 's kann ja jetz auch sein, daß ich ihn schon ANgesteckt hab, ne

100 Mhm

so. das könnte dann auch schon sein. [E, A] Ich weiß jetz. überhaupt nich ja. ich hab einfach Angst so, ne . so.

105 Hm.

[7s]

110 [Leise:] Hm .... Diese .[A]. Also ich kann mir das überhaupt [Lachend:] //noch nich// so richtig vorstellen mit ( ) ahm , äh , wie Sie , ja Sie sä/ sagen, Sie 115 nehmen OFters abends die-T/-se Tabletten und. oder so, daß Sie dann nich mehr so genau wissen, was Sie machen oder

Nänä nä. das nich nee. Die Medikamente, die nehm ich schon . schon häufiger so sons(t), [E] damit ich halt nich so . so depressiv bin und so, aber. ja . halt nich mit Alkohol, und und ja ds eine Mal, da hab ich wohl. ja wohl auch'n bißchen VIEL getrunken und dann zusammen mit de Ka/ Medikamenten da [E] ja da muß es wohl so . dazu gekommen sein, daß ich dann halt. auch die Erinnerung verloren hab, ne,

120

125 Hm.

so. Und das war mehr so'n Unfall 130 oder war das . schon so beWUSSter . daß Sie das gemacht haben? .. Also ich ( ) diese Medikamente zu nehmen und Alkohol zu trinken? 135 Ach NEIN nich . ich hatt einfach Lust, so . was zu trinken also öh ich wollt nich, daß es so doll wird so . klar. ( ) Nja . die Medikamente hatt ich halt. genommen und [E] ja hatt dann halt Lust, 'n Glas Wein zu trinken und. ja muß dann wohl auch mehr getrunken 140 haben ne, daß is dann so weit gekommen is so. Das wwußt ich ja nicht, daß so was passiert, ne. Hm.

Beratung als ärztliche Aufgabe

145

61

[E, A]... Nja .ja Mensch, was soll ich denn . was soll ich bloß MACHen? [Seufzt].

Hm... Und se die diese . is da jetzt .. m stärker diese Angst. eben für Sie selbst, daß Sie infiziert 150 sein könnten oder eben stärker. eben die Angst, Ihren Mann zu infizieren? Oder können Se das gar nich so . vergleichen? 155

Nja.. ja schon schon beides DA . schlecht [Seufzt]. Ja . schlimmer wärs wahrscheinlich noch, wenn ich meinen Mann dann auch noch angesteckt hätte so ne . so oder an . stecken würde jetzt noch. [E] Ja [A], 's is eh so viel los und ja . weiß auch gar nich weiter so.

Ich mein, Sie harn ja generell 160 so 'ne . ( ) psychische Belastung, wenn Sie da so schon . eben . gegen Depressionen Medikamente nehmen und so .. das das drückt Sie das das alLEINE 165 is ja schon schwer ( ) für Sie zu tragen. rLeise:1Hm. UM jetzt kommt das noch dazu. hör ich das so richtig da raus? Mhm ja ( ) Is halt so neu für mich so. 170 Und und diese Depressionen, mit was die zusammenhängen . (m) wissen Sie das? Arbeiten Sie da dran? 175 [Stöhnt] Naja . ach . dis ('ss) kommt halt alles so zusammen und [E] ja was heißt arbeiten dran. Ich hoff halt, daß irgendwann besser wird und ( ) ja. (Un) damit 's halt zur Zeit nich so schlimm is, da . nehm ich halt die Medikamente, ne. 180 [Leise:] Hm. so. Und das weiß Ihr Mann auch, daß Sie da diese Medikamente nehmen? Jaja.ja. 185 Hm. Aber . ja . der wird das nich verstehn so, wenn ich ihm das jetzt erzählen würde, ne . so.. Es ginge nich, ne da da war . fLeise :1 Hm. alles aus. =Da . der hat jetz grad 'ne Arbeit gekriegt 190 endlich mal [E] un un wenn jetz so was war, der würd wieder alles hinschmeißen. =Also da da . k/ kann ich uunmöglich . da das GEHT nich, da KANN ich nich mit ihm reden so, ne. Mhm. IE1 195 Ja und Sie selbst wissen 1 ja so genau auch nich, was ge-

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Thomas Bliesener

BERATERIN

ANRUFERIN

laufen is überhaupt, was Sie mit ihm reden sollten, ne. Nja .. [Leise:] Hm.. ja.

200. Und. daß Sie jetzt öh. aber Sie sind schon so unruhig, daß Sie denken, es muß da jetzt irgendwas gemacht werden, oder? Njaa, naja . schon (aber) ich mein, wenn ich nich weiß was (so). muß ich halt (wohl). ja nochma warten oder gucken ja. ma sehen, ne.

205

Hm. Haben Se denn . auch . so'n bißchen Angst, daß das . 210 en . öfter vorkommen könnte oder Hm . naja . ich hoff 's halt nich, nich. =Ich mein, es war ja [E, A] war ja halt auch nich . nich gePLANT [lachend:] oder hßo,ne? 215 Hm.

Und wie gesa(ch) also WIRKlich ECHT noch nich passiert so ne. Öh kenn ich gar nich und. [E] [ausatmend:] pff. [Leise:] ja.

220 Is Is das für Sie auch 'n schrecklicher GeDANke, daß da wirklich jetzt. Sie Geschlechtsverkehr mit jemanden hatten, den Sie 225 nich . wo Sie nich . bei Bewußtsein dabei waren oder so [E] Hm. 230

Mhm . Nja, naja . aber so . halt noch oben drauf so . die ses positiv oder. ja halt. Mensch . nicht nur. daß ich so was halt gemacht hab, sondern . [Seufzt] ja auch noch . daß ich . (mm) ja mich ANGEsteckt haben könnte, ne

Hm.

so oder. ja

235 Ich mein, es is schon . hart zu sagen okay, ein Geschlechtsverkehr . reicht aus für 'ne Ansteckung. =Auf der ändern Seite . äh is is 's aber 240 nich jeder Geschlechtsverkehr,

Beratung als ärztliche Aufgabe

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der ansteckt. sondern es kann genauso gut sein . oder sogar mit 'ner höheren . mit 'ner höheren Wahrscheinlichkeit. kann 245 es sein, daß Sie sich eben NICH angesteckt haben.

Hmm. Und ich denk ma grade, wenn der Ihnen auch gesacht hat, daß er 250 positiv is, der Se al/, also Ihnen das auch gar nicht bewußt verheimlicht hat [E] könnte es ja sein, daß er auch 'n Kondom beNUTZT hat oder? Halt ja wie gesacht. ( ) weiß ich halt nich 255 Hm. is is ja . NICHTS (ich) von dieser Nacht also wie gesagt, nur daß ich halt am ändern Tag da. was im Schlüpfer und [E] 260 [Leise:] Ach so. sonst weiß ich ja nichts, ne. Hm. (So . weil ) weiß auch nich „wie wie das abgegangen is so, ob (da) ob wir noch so verNÜNFTIG oder [E, A] weiß ich ja auch nich, ne. 265 Naja ich denk schon, wenn ja am Schlüpfer jetz was war, dann . wird da (doch) wohl kein Kondom benutzt gewor/ Ja .ja. 270 worden sein spricht ja dann eher dagegen. [E] Hm...

Ich mein. (s,s) herAUSfinden, ob da jetzt diese Infektion tat275 sächlich stattgefunden hat oder nicht. das könnte man . frühestens öh nach drei Monaten durch 'n Antikörpertest. Hm. IE1 280 Von daher war jetzt die Überlegung .. öh . was machen Sie in diesen drei Monaten, wo . in der Zeit, wo man's wirklich effektiv nich. herausfinden 285 kann. =Wo Sie mit dieser Ungewißheit . Hm. leben müssen. Hm. 290 Das 's ja 'ne lange Zeit, drei Monate.

64

Thomas Bliesener BERATERIN

295

Mhm.

ANRUFERIN Nja, nja.. Nja also. ich kann auf keinen Fall da. mit meinem Mann reden, ne so daß wer [E, A] das geht halt nicht, ne . so öh dda kann ich auch nich . da hat er kein Verständnis für, ne so [E] (ööh) das. GINGE nich, da. könnt ich auch nich mit mit KonDOMEN oder so

Mhm. das. das geht nich, ne so

300 Ja.

d e n n , naja ( ) muß ich halt. (pf) ja weiß nich . ( ) geht's halt nich anders, ne [E]. 1

Sie können 305 schon also . ich mein, das Risiko is nich groß, wenn man ( ) von 'ner normalen Risikoabschätzung (m) ab/. sagt, das war jetzt 'n hetero310 sexueller Geschlechtsverkehr und [E] einmalig un äh .. dann is das . Risiko von eins zu hundert [E] Hm. und . ich denke so mit diesem 315 Risiko . wenn Sie dann sagen können, okay . (d)das is relativ klein und . damit leb ich halt. und das mut ich . vielleicht auch meinem Mann zu, 320 Hm. ich weiß nicht, ob Sie das so sagen können, oder ob Sie sagen . lieber sagen, ich will. überhaupt kein Risiko haben . 325 oder eingehen für meinen Mann auch nich. (M)n e e ich . öh ich will da halt auf keinen Fall. drüber reden und . ja . (m)muß ich halt. muß ich hinnehmen . denk ich ne . so ( ) daß ich halt i h n 330 möglicherweise anstecke Hm. so ne . wenn Sie sagen so [E] 's halt gering is. naja. is halt schon schöner ne so ( ) aber. ja. Ich mein, Sie können natürlich 335 das Risiko . auch NOCH mehr verringern, indem Sie . schon versuchen, nich so häufig . mit Ihrem Mann Geschlechtsverkehr zu machen. =Ich weiß nich, 340 wie das bei Ihnen so Nja [Lachend:] (läuft). (nu)

Beratung als ärztliche Aufgabe

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muß ich halt gucken, ne

Mhm. ob das . mal sehen

345

[Leise :]Mhm. Naja . [E] ja . ich denk, da muß ich ja . erstma(l) weitersehn. so 350 Ja und ich mein, die die Überlegung halt. dann in drei Monaten die Klärung zu bringen, das müssen ( ) . das is auch noch . das können Se auch . 355 noch überlegen, ob Sie das . dann machen wollen oder nich.

Ja . naja . ich denk ja muß ich gucken, ob ich [E] ja ich denk schon, daß ich da irgendwas willen will. so .ja. Okay ja. 360 Ja wo . ( ) ja Sie sagen (Se) d/ daß daß Sie das wissen wollen, aber . eben wenn Sie . sowieso schon so . depressiv auch sind und . dann. liegt 365 für mich immer die Überlegung so nah, ob Sie dann . mit 'm möglicherweise positiven Ergebnis . also wenn 370 das Ergebnis zeigt, daß Sie infiziert sind [E] öhm . ob Sie dann . nich noch . mehr Probleme mit Ihrer Depression kriegen. 375 Vielleicht is es dann auch besser .' sein zu lassen.

Hm.

380

[Seufzt] Ach ja . nja . ich denk . ich werd mir das alles . nochmal überlegen . ich (denk) ja . [E] ich dank Ihnen [A] jedenfalls

Mhm. (N j a)

Ja.

Wir können uns 385 das dann ja nochmal. auch gemeinsam . besprechen, wenn Se nja wenn das dann . mit. vielleicht in drei Monaten oder so, wenn das dann ansteht. 390 Mhm.

erstmal so, daß Se ( i

Nja. ja. Werd ich sehen . ja vielen Dank erstmal,

Okay. 395

ja?

Wieder-

hören.

Sprachliche Prozeduren in der Arzt-Patienten-Kommunikation Konrad Ehlich

Zusammenfassung Die Erarbeitung sprachadäquater Konzepte ist durch die neuere Linguistikentwicklung z. T. eher behindert als erleichtert worden (§ 1.). Die Theorie des sprachlichen Handelns versucht, diese Problematik zu überwinden (§ 2.), indem sie Grundstrukturen des sprachlichen Handelns kategorial bestimmt. Zu diesen Strukturen gehören die sprachlichen Prozeduren (§ 3.)· Die Typologie sprachlicher Prozeduren (§ 4.1.) bietet für die Arzt-Patient-Kommunikation ein Arsenal unterschiedlicher Handlungsmöglichkeiten, aber auch unterschiedlicher Probleme (§ 4.2.). In den für die Arzt-Patient-Kommunikation charakteristischen Diskursstrukturen werden die Prozeduren jeweils spezifisch eingesetzt (§ 5.), was bei Gewinnung entsprechenden Daten empirisch demonstriert werden kann (§ 6.). Die prozedurenspezifischen Merkmale führen zu einer teilweise paradoxalen Kommunikationsstruktur für den Arzt, der sich in einem Dilemma zwischen professionellen Anforderungen und solchen befindet, die sich aus seiner Zugehörigkeit zur alltäglichen Kommunikatinsgemeinschaft ergeben (§ 7.).

1.

Sach- und Konzeptbezug bei der Sprachanalyse

Die Untersuchung des sprachlichen Handelns in spezifischen Handlungszusammenhängen wird einerseits durch diese Handlungszusammenhänge bestimmt. Andererseits ist sie immer auch Sprachanalyse und als solche angewiesen auf Kategorien, die dafür zur Verfügung stehen. Bei Versuchen, ein Kommunikationsfeld wie das zwischen Arzt und Patient zu untersuchen, bieten sich dafür zunächst und vor allem die überkommenen, von der Schulgrammatik vermittelten Kategorien an. Sie erscheinen als so unverfänglich wie selbstverständlich. Diese ihre Geltung freilich steht in einem Spannungsverhältnis zu ihrer tatsächlichen Leistungsfähigkeit. Oft haben sie eine undurchschaute, manchmal eine geradezu undurchschaubare Struktur. Gemeint sind hier Kategorien wie 'Wort' und 'Satz', wie 'Subjekt', und 'Prädikat', wie 'Semantik' und 'Syntax1; auch neuere Termini wie 'Pragmatik' und 'sprachliches Handeln' sind von dieser Charakteristik nicht ausgenommen. In der Geschichte der Linguistik kann von einer kontinuierlichen Kategorienentwicklung nicht die Rede sein, besonders was dieses Jahrhundert angeht. Vielmehr weist diese Disziplin eine Reihe von Sprüngen auf. Sie ist durch Kategorienwechsel, ja durch Moden gekennzeichnet: Eine Weile wird eine Kategorie aufgenommen und gebraucht - dann läßt

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Konrad Ehlich

man sie fallen. Genauer: man scheint sich ihrer selbst nicht mehr zu entsinnen. Eine andere tritt an ihre Stelle. Eine naheliegende Rechtfertigung für diese so eigenartig verlaufende Geschichte, die sich von der Geschichte anderer Disziplinen nicht unerheblich unterscheidet, wird in dem Argument gefunden, letztendlich seien die Kategorien ja doch beliebig. Dem grundsätzlichen Agnostizismus, den man wenn man ihn auch kaum je offen artikuliert - darin kaum so recht verbergen kann, versucht man, sich darüber zu entziehen, daß man die Beliebigkeit einschränkt auf das jeweilige "Analyseziel". Es erhält den Stellenwert einer ultima causa, die alles andere zu determinieren hat, und über Analyseziele "non est disputandum". Die Konzepte selbst erscheinen also als Teile eines weithin in sich abgeschlossenen Argumentationszusammenhangs, der gegenüber der ihm fremden Wirklichkeit isoliert, ja manchmal vielleicht sogar immunisiert ist. Bei dieser Konzeption einer Beliebigkeit der Kategorien geht freilich nur allzu leicht etwas verloren, was als Motivation für die wissenschaftliche Beschäftigung mit einem Gegenstandsbereich immer schon präsent ist: das Interesse an der Sache, und mit ihm die Sache selbst. Der Sachbezug der Analyse, so scheint es, wird um methodologischer Gründe willen aufgegeben. Indem man sich, von der Beliebigkeit der Kategorien dazu genötigt, gegen das Objekt isoliert, hört dieses zugleich auf, korrektive Instanz zu sein, an der sich die theoretische Arbeit abzumühen hat. In diesem Sinn steht der Sachbezug dem Konzeptbezug gegenüber. Die Sache der Sprachwissenschaft wurde in diesem Jahrhundert weitgehend verflüchtigt. Dies geschah in einer Reihe von Reduktionsschritten in bezug auf das linguistische Objekt. So geriet der Konzeptbezug über den Sachbezug. Gleichwohl bleibt auch in den meisten derartigen Argumentationen die Sache noch immer präsent - wie sehr sie auch in die Unreflektiertheit abgedrängt wird. In der Auseinandersetzung um die Adäquatheit auch des noch so beliebig Herangezogenen macht sie sich bemerkbar. Dort, wo sie nicht ins reflektorische Spiel gelangen darf, ist sie als opinio publica der common-sense-Selbstverständlichkeiten - freilich in einer unbegriffenen und in wissenschaftlich nur schwer zu begreifenden Weise — anwesend. Zumindest implizit also bleibt sie gegenwärtig. In der Tat ist diese Sache denn auch für das wissenschaftliche Geschäft nicht aufgebbar. Das, was unumgänglich ist, bedarf vielmehr besonderer methodologischer Aufmerksamkeit. Es käme also darauf an, eine rekonstruktive Adäquatheit - auch und gerade der Kategorien - zu entwickeln. Dies würde bedeuten, daß der Sachbezug in seine systematische Priorität gegenüber dem Konzeptbezug wieder eingesetzt würde.

Sprachliche Prozeduren

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Für dieses Geschäft ist das Eingehen auf die Geschichte der Kategorien von einer wesentlichen, keineswegs von einer beiläufigen Bedeutung. Die Geschichte der Kategorien ist ein unumgänglicher Teil ihrer aktuellen Verwendung. In vielen Wissenschaften ist das in der Praxis anerkannt (etwa, indem die frühere Geschichte der Erkenntnisgewinnung in der Form ihrer Ergebnisse in den Elementarteil der Ausbildung überführt wird) - für die wissenschaftliche Reflexion freilich gilt diese Anschauung noch keineswegs in gleicher Weise. Eine sachbezogene Analyse spezifischer kommunikativer Handlungen tut gut daran, sich diese Zusammenhänge vor Augen zu halten. Die Blindheit ihnen gegenüber hat im allgemeinen einen vergleichsweise einfachen Grund: den Rückbezug auf eben jene "Selbstverständlichkeiten", die als selbstverständliche Fundierung für die jeweils "beliebig" auf- oder zusammengestellten Kategorien herhalten müssen und dienen können. Diese durchaus unbeliebige Fundiertheit ist das, was ins allgemeine Wissenssystem an früherer linguistischer Analyse übergegangen ist. Es ist eine triviale Sprachwissenschaft, die als eine Art "linguistisches Urgestein" zur Verfügung steht, eben jene, als Bestandteile des "Triviums" über Jahrhunderte für jede akademische Ausbildung unverzichtbar gemachten Ausschnitte antiker Grammatik (und Rhetorik), die auch lange nach Ende des Trivialbetriebes dieser Wissenschaft ihre selbstverständliche Geltung behielten und unser Nachdenken über Sprache und Kommunikation bis heute beeinflussen, wenn nicht lenken und leiten. Diese wissenschaftstheoretischen Überlegungen sind als Einladung gemeint, sich um der Erkenntnis der Sache willen auf die Fragen der Kategorienbildung innerhalb der Analysedisziplin wirklich einzulassen. Ohne derartige kategoriale Offenheit ist die Gewinnung von Erkenntnissen über die Sache, also hier die Arzt-Patienten-Kommunikation, schwer vorstellbar. 2. Sprachliches Handeln in der Arzt-Patienten-Kommunikation Die Medizin im Schwerpunkt ihrer gegenwärtigen Ausprägungen dürfte das, was zwischen Arzt (bzw. Ärztin) und Patient (bzw. Patientin; die weiblichen Formen sind im folgenden jeweils mitgemeint) geschieht, kaum und jedenfalls nicht notwendig als Kommunikation verstehen. Es gibt vielmehr durchaus - und wahrscheinlich sogar in der Mehrzahl der Teildisziplinen wie für die individuellen Selbstverständnisse der Ärzte - auch das Verfahren, die Patienten als Objekte zu sehen und zu behandeln. Diese Sichtweise hat ihre Ursprünge in den "ITiomme machine"-Konzeptionen, wie sie in der Philosophie des Absolutismus entwickelt wurden. Sofern diese Objekte dann auch noch sprechen, hätten wir in ihnen also die "sprechende Maschi-

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Konrad Ehlich

ne", nach der lange gesucht wurde. Die Maschinen-Metapher mit ihren bedeutenden Grundlegungen in der Philosophie hat seit ihrer - zunächst kühnen - ersten Entwicklung eine kontinuierliche Konjunktur gehabt - jedenfalls in der Medizin. Während sie philosophisch spätestens durch die im 19. Jahrhundert vorherrschende des "Organismus" abgelöst und obsolet gemacht wurde, setzte sich diese Metaphern-Wende in den Einzeldisziplinen kaum um, geschweige denn durch. Zu nützlich war das Grundkonzept, das mit der Metapher der Maschine propagiert wurde: der Objektivierung diente sie ebenso, wie sie eine handliche Konzeptualisierung des medizinischen Eingriffs bot und - wahrscheinlich nicht zuletzt - einen stöhnenden, schreienden, protestierenden, um Hilfe flehenden Patienten gleichsam konzeptuell anästhesierte, zum Schweigen brachte. Den manuellen Eingriffen, der um des guten Effekts willen unumgänglichen ärztlichen Manipulation bot sie jenen Gegenstand, der, in seiner Sachlichkeit allererst entlastend von kommunikativen Zwängen welcher Art auch immer, der handwerklichen Tätigkeit des Chirurgen und seiner ruhigen Hand das angemessene und bearbeitbare, erreichbare Ziel zur Verfügung stellt. Wenn wir für das folgende die Arzt-Patienten-Kommunikation der Einfachheit halber akronymisch als "APK" bezeichnen, so hätten wir im Licht und Kontext dieser Metapher stattdesen also eine "Arzt-Objekt-Kommunikation" (- was akronymisch "AOK" ergäbe). Sie wäre selbstverständlich nicht mehr wirklich Kommunikation. Reduziert man die sprachlichen Äußerungen der Patienten nicht auf die einer "sprechenden Maschine", sondern nimmt sie als Kommunikation ernst, so bezieht man auch die Subjekthaftigkeit der Patienten in der APK ein. Dies ist von besonderer Bedeutung gerade für das zentrale Ziel ärztlichen Handelns, die Heilung. Heilung und Subjekthaftigkeit gehören substantiell zusammen. Die Akzeptanz der Subjekthaftigkeit des "objektivierten" Patienten leistet einen wichtigen Beitrag zu dessen Anerkennung und damit zur wechselseitigen Anerkennung von Arzt und Patient, also der Anerkennung der an der Kommunikation Beteiligten. Andererseits ermöglicht erst diese wechselseitige Subjekt-Anerkennung, das sprachliche Handeln der Subjekte, der Interaktanten, auf- und ernstzunehmen (vgl. auch Kuiper 1980). 3. Einige Grundstrukturen des sprachlichen Handelns Kommen wir als nächstes zu einigen Kategorien für eine Analyse, die solcher Anerkennung der Interaktanten im Medium der Reflexion Rechnung zu tragen und genau darin den geforderten Sachbezug zu ermöglichen in der Lage sein kann. Selbstverständlich kann es hier nicht um deren Entwick-

Sprachliche Prozeduren

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lung, Ableitung und ausführliche Darstellung gehen. Der beschränkte Raum erlaubt allenfalls ihre kurze Zusammenstellung, z. T. auch nur ihre Erwähnung. Ich gehe von der sprachlichen Handlung als der zentralen Kategorie für die Analyse aus. Solche sprachlichen Handlungen haben, sozusagen als Integrationsgröße höherer Stufe, den Diskurs zum Ziel. (Dieser steht in einer spezifischen Beziehung zum Text - freilich ist der Text genauso wenig eine simple Prolongierung der Diskurse, wie Text' und 'Diskurs' einfach füreinander austausch- und ersetzbar wären.) Die sprachliche Handlung ist in der sogenannten "speech act theory" und in der Sprechhandlungstheorie mit Blick auf ihre verschiedenen Dimensionen kategorial weiter differenziert worden. Die Kategorien, die sich so ergeben - und nur sie, sollen den Namen Akte tragen. Die Akte werden im sprachlichen Handeln in sehr vielen Fällen zu Sprechhandlungen integriert. Zwischen den Akten und den Handlungen als deren Integration wird also ein kategorialer Unterschied gemacht, und diese kategoriale Differenz ist von großer analytischer wie theoretischer Bedeutung. Drei unterschiedliche Typen von Akten sind zu unterscheiden, der propositionale, der illokutive und der Äußerungsakt. Während die herkömmliche "speech act theory" und große Teile der linguistisch-pragmatischen Literatur mit den Akten die unterste Stufe ihrer Analyse erreicht haben (was übrigens für Austin so nicht gilt), ist es meines Erachtens erforderlich, systematisch-analytisch eine unterhalb der Akte befindliche weitere Stufe von sprachlichen Einheiten anzusetzen, nämlich die sprachlichen Prozeduren. Worum es sich dabei handelt, soll im folgenden erläutert werden. Diagramm l gibt die bisher zusammengestellten Kategorien wieder.

72

Konrad Ehlich

Diagramm l

4. Sprachliche Prozeduren und die APK 4.1. Sprachliche Prozeduren Sprachliche Prozeduren sind die Aktualisierung spezifischer Handlungsmöglichkeiten, für die in der Sprache jeweils ein Arsenal von sprachlichen Formen zur Verfügung steht. Insofern sind sprachliche Prozeduren "Formen in Aktion". Die sprachlichen Prozeduren sind nicht alle gleich. Vielmehr findet sich auch hier eine Differenzierung unterschiedlicher Typen. Eine erste Differenzierung läßt sich auf eine Bühlersche Unterscheidung (Bühler 1934) zurückführen - auch wenn sich bei ihm der Terminus 'Prozedur1 noch nicht findet. (Bühler spricht von 'Feldern'; daraufkomme ich gleich zurück.) Im kritischen Anschluß an Bühler lassen sich die nennenden und die deiktischen Prozeduren voneinander trennen. Mindestens drei weitere Prozeduren finden sich daneben, nämlich expeditive, malende und operative Prozeduren. Anhand charakteristischer Formen, wie ich sie für die einzelnen Prozeduren im folgenden illustriere, wird es zugleich möglich, eine Vorstellung von der jeweiligen Eigenart der Prozeduren selbst zu erhalten.

Sprachliche Prozeduren

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Die Beispiele, die ich anführe, stammen aus dem Deutschen; die meisten europäischen Sprachen haben ganz ähnliche Formen für die verschiedenen Prozeduren-Typen im Gebrauch. Doch ist darüber nicht der Umstand aus dem Blick zu verlieren, daß die Form-Bildung in den einzelnen Sprachen sich erheblich voneinander unterscheiden kann: wo in der einen Sprache zum Beispiel ein selbständiger Ausdruck (ein "Wort") für die Realisierung einer Prozedur zur Verfügung gestellt wird, findet sich in einer anderen Sprache vielleicht eine in einen Wort-Zusammenhang integrierte formale Einheit, ein Morphem. In einer Sprache können sich aber auch mehrere Formbildungs-Verfahren zur Herstellung von Ausdrucksformen für die Realisierung von einzelnen Prozeduren-Typen finden, also z. B. sowohl Wörter wie Morpheme. Die deiktische Prozedur hat als Formen deiktische Ausdrücke zur Verfügung. Das sind Ausdrücke wie "ich", "du", "hier", "jetzt", "dort", "da" usw. Daneben finden sich morphologische Formen, wie zum Beispiel die Endungen "-e" vs. "-st" im Präsens Singular der Verben zur Kennzeichung der sogenanten "1." bzw. "2. Person" (vgl. Redder 1992). Aber auch das komplizierte morphologische System, das bei den deutschen Verben zur Unterscheidung zwischen sprechsituationsnahen und -fernen, oder genauer zwischen den belang-nahen und den belang-fernen (vgl. Weinrich 1964) Darstellungsweisen von Handlungen, Ereignissen und Zuständen unterhalten wird, die Unterscheidung zwischen "Präsens-" und "Präteritum-" Formen, gehört hierher. Die nennende Prozedur hat im wesentlichen Nomina und Verben zur Verfügung, alle sprachlichen Ausdrücke, die uns dazu dienen, Sachverhalte in der Welt unabhängig von der Sprechsituation, in der wir uns befinden, sprachlich wiederzugeben. Vielleicht gehört auch ein Teil des nominalen Kasus-Systems in diesen Zusammenhang. Die expeditive Prozedur hat als formale Ausdrucksmöglichkeit die Formen der Interjektionen zur Verfügung; morphologisch gehören der Imperativ und, soweit formal ausgedrückt, der Vokativ beim Nomen hierher. Operative Prozeduren sind typologisch sehr vielfältig. Das System der sogenannten "bestimmten Artikel" im Deutschen gehört ebenso in den Bereich der Formen, die für die Realisierung von operativen Prozeduren verwendet werden, wie das sogenante "Personalpronomen der 3. Person" oder wie die Fragepronomina und, morphologisch, wiederum ein Teil der Kasus. Die malenden Prozeduren haben im Deutschen kaum einzelne Wörter oder morphologische Einheiten zur Verfügung; sie werden hier vielmehr vor allem durch je spezifische Weisen der Modulation beim Sprechen der Äußerung realisiert. Allerdings finden sich mit den Diminutiva in den Teilsyste-

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men des Deutschen, die diese Formen häufig realisieren (z. B. Schwäbisch), auch eine eigene morphologische Struktur für eine malende Prozedur (zum pragmatischen Charakter dieser Formen s. Dressler & Merlini (demn.)). Die Ausdrücke, die zur Realisierung der Prozeduren verwendet werden, gehören unterschiedlichen Feldern zu, nämlich deiktische dem Zeigfeld, nennende dem Symbolfeld, expeditive dem Lenkfeld, operative dem operativen Feld und malende dem Malfeld. Es ergibt sich also eine Systematik von Prozeduren mit je charakteristischen Formmerkmalen, die einzelsprachlich spezifisch ausgeprägt sind. Eine Vielfalt von Möglichkeiten steht den sprachlichen Aktanten für den Einsatz dieser Prozeduren beim sprachlichen Handeln zur Verfügung. Diagramm 2 faßt die Systematik der Felder und Prozeduren sowie charakteristische formale Mittel, die ihnen zugehören, zusammen. Feld

Prozedur

operatives Feld

operativ

Formen Anaphern Artikel Fragewörter

t Kasus Symbolfeld

nennend

Nomina Verben

Zeigfeld

deiktisch

Deixeis

1./2. "Pers."

Lenkfeld

expeditiv

Interjektionen

Imperativ Vokativ

Malfeld

malend

Modulation

Diagramm 2

4.2. Prozeduren in der APK - Möglichkeiten und Grenzen Die Prozeduren sind - dies sei noch einmal hervorgehoben - sprachliche Handlungsformen eigener Art. Sie sind nicht mit den Akten oder den Sprechhandlungsformen in eins zu setzen. Eben dies aber geschieht nur allzu oft in der linguistischen Analyse. Da wird dann etwa versucht, eine

Sprachliche Prozeduren

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sprachliche Äußerung wie "hallo!" als "Sprechakt" zu kategorisieren. Der Umstand, daß diesem "Sprechakt" der propositionale Gehalt fehlt, wirkt ebenso wenig als Warnung vor solchen vorschnellen Zuweisungen wie die besonderen formalen Kennzeichen des verwendeten sprachlichen Elements. Ein solcher sprachlicher Ausdruck, unter angemessenen Umständen angemessen realisiert, ist aber eine in sich selbst suffiziente sprachliche Tätigkeit: es handelt sich bei seiner Äußerung um eine selbstsuffiziente Prozedur. Sie erfüllt ihren Handlungszweck in sich und bedarf keiner weiteren Integration in andere Typen des sprachlichen Handelns auf einer höheren Stufe der Systematik sprachlicher Handlungsformen. Andere Prozeduren kommen hingegen nur in der Kombinatorik zum Zuge. Sie treten zur Realisierung von Akten und Handlungen zusammen; das heißt, sie konstituieren die Formen, die dann als illokutiver und als propositionaler Akt realisiert und zur Sprechhandlung synthetisiert werden. Betrachten wir die Prozeduren nun etwas genauer, und beziehen wir ihre Handlungscharakteristik zugleich auf die APK. Die deiktische Prozedur dient dazu, die Aufmerksamkeit des Adressaten mit Hilfe der zu ihrer Realisierung einzusetzenden sprachlichen Ausdrücke zu fokussieren. Mit ihr wird der Adressat also orientiert. Diese Orientierungen in bezug auf verschiedene Dimensionen der Wirklichkeit (z. B. die Zeit, "jetzt" / "dann"; den Raum, "hier" / "dort"; die an der Sprechhandlung beteiligten Aktanten, "ich" / "du") haben einen jeweiligen Bezugsraum, den Verweisraum. Die elementarste Form des Verweisraums ist der SprechZeit-Raum, dessen Objekte wahrnehmbar, also sinnlich zugänglich sind. Hier hat die deiktische Prozedur eine fundamentale Bedeutung - etwa bei der Identifikation: durch die Verwendung deiktischer Prozeduren in der Form der Ostension gelingt die genaue Identifizierung von Objekten im Wahrnehmungsraum. Die Aufmerksamkeit des Adressaten wird darauf gerichtet, indem sie darauf ausgerichtet wird. So können einzelne Bereiche des Wahrnehmungsraums, etwa bestimmte Teile des Körpers, identifiziert werden, zum Beispiel, wenn der Patient auf die Frage, wo Schmerzen verspürt werden, mit "hier" - verbunden mit einer Zeigegeste — antwortet. Diese Identifikation macht also Gebrauch vom Wahrnehmungsraum, der Sprecher und Hörer, im Falle der APK dem Patienten und dem Arzt, gemeinsam ist. Das erlaubt Unmittelbarkeit, eine Unmittelbarkeit, die der Verwendung von Ausdrücken des Symbolfeldes durchaus fehlt. Die Frage von Unmittelbarkeit und Mittelbarkeit aber ist für die APK von einer großen Bedeutung. In dieser Verwendung deiktischer Prozeduren wird also der Körper als Objekt des Sprech-Zeit-Raums wahrgenommen, ernstgenommen und beim sprachlichen Handeln sozusagen aktiv eingesetzt. Die deiktische Prozedur

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erlaubt innerhalb des sinnlichen Wahrnehmungsraums eine große Präzision bei der Angleichung der Aufmerksamkeit von Sprecher und Hörer und der Fokussierung von einzelnen Objekten. Doch gilt dies nicht umstandslos und insgesamt. Vielmehr kennzeichnet die deiktische Prozedur zugleich ein anderer Aspekt, der genau im Gegensatz zu dieser Präzision steht, nämlich eine Unpräzision beim Rekurs auf die sinnliche Gewißheit. Diese Unpräzision hat damit zu tun, daß die sinnliche Gewißheit selbst immer wieder an ihre Grenzen stößt. Das merken wir insbesondere, wenn wir die zeitliche Dimension der Wirklichkeit betrachten. Wir können zwar auf ein "Hier" noch zeigen, wie wir auf "dieses" und "jenes" zeigen können. Auf ein "jetzt" können wir allenfalls noch metaphorisch zeigen. Schon in bezug auf die elementaren Ausdrucksklassen, die für deiktische Verfahren zur Verfügung stehen, gehen in ihr erfolgreiches Ausführen also notwendig mentale Größen mit ein. Diese mentalen Größen setzen ein Vorverständigtsein von Sprecher und Hörer immer schon voraus. Eben dieses Vorverständigtsein aber ist, so zeigt sich, sehr problematisch in bezug auf die möglichen Wahrnehmungsobjekte, die in der APK relevant sein könnten. Hier stoßen wir auf das Problem, daß Schmerz zwar sinnlich wahrgenommen wird, daß er dem anderen gerade sinnlich jedoch nicht zugänglich ist. Er unterscheidet sich darin von anderen möglichen Wahrnehmungsobjekten, und dieser Unterschied gegenüber anderem, Sprecher und Hörer gemeinsam sinnlich Zugänglichem ist prinzipiell (vgl. weiter § 7.). Er läßt den Schmerz gerade bei der sprachlichen Prozedur, die Unmittelbarkeit der Identifizierung und der Verobjektivierung ermöglicht, "außen vor". Dieses Problem nun ist von den sprachlichen Prozeduren her nur schwer zu bearbeiten. Die sinnliche Wahrnehmung als solche reicht also nicht aus. Für die sprachliche Umsetzung von Schmerz verfügen wir über ein anderes sprachliches Mittel, nämlich die Interjektion "au". Was leistet ihre Verwendung? Durch sie wird eine expeditive Prozedur ausgeführt. In sehr viel stärkerem Maß als die deiktische Prozedur (die - bezogen auf den Wahrnehmungs- oder einen anderen Verweisraum - die Aufmerksamkeit des Adressaten organisiert) wirkt die expeditive Prozedur direkt auf den Adressaten ein, indem sie in dessen laufende Handlungsprozesse eingreift. Dies läßt sich am Beispiel einer anderen sprachlichen Form zum Ausführen einer expeditiven Prozedur, nämlich dem Vokativ, verdeutlichen. Schlendert etwa jemand auf einer Straße entlang, sieht einen Freund auf der anderen Straßenseite zielstrebig seines Weges gehen und ruft ihn mit seinem Namen an, so wird jener eben noch so zielstrebige Freund, der Adressat der Äußerung, seine zielstrebige Handlung zumindest kurzfristig unterbrechen, wird sich nach dem Rufenden umsehen, wird möglicherweise sogar, seinen eigenen Weg abbrechend, den Rufenden seinerseits begrüßen und mit ihm gemein-

Sprachliche Prozeduren

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sam weitergehen. Der harmlose Vokativ hat also eine Reihe von zum Teil nicht unerheblichen Folgen für den Adressaten der sprachlichen Äußerung. Die expeditive Prozedur ist ein direkter Eingriff in die laufenden Aktivitäten des Angeredeten. Diese am Beispiel entwickelten Bestimmungen gelten - mit jeweils unterschiedlichen betroffenen Aspekten des laufenden Handelns auf der Seite des Adressaten - allgemein für die expeditive Prozedur. Auch die Äußerung von "au!" zielt also auf die Handlungskontinuität des Angeredeten, um in dessen laufende Aktivitäten unmittelbar einzugreifen. Sie soll beim Angeredeten eine Hilfeleistung zustandebringen - gleichgültig, in welcher sonstigen Aktivität er gerade begriffen war. Diese Beschreibung steht im Widerspruch zu einer landläufigen Interpretation von Interjektionen. Dieser Auffassung zufolge haben Interjektionen "expressiven" Charakter. Das haben sie sicher auch — aber diese Bestimmung reicht aus der Perspektive des sprachlichen Handelns nicht aus; die "Expressivität" ist nicht entscheidend. Der entscheidende Punkt beim sprachlichen Handeln ist, daß durch den Ausdruck des "mir tut's weh!" der andere sozusagen über ein elementares sprachliches Verfahren geradezu gezwungen wird, sich auf dieses Wehtun einzulassen. Dies macht die Leistungsfähigkeit der expeditiven Prozedur aus. Hieraus ergeben sich nicht unerhebliche Konsequenzen für das ärztliche Handeln, auf die unten (§ 7.) näher einzugehen ist. Ich komme schließlich noch auf einen spezifischen Aspekt des Symbolfeldes und der nennenden Prozeduren, besonders auf die Nomina und Verben, aber auch auf andere sprachliche Ausdrucksmittel, die hierfür genutzt werden können, zu sprechen. Im Symbolfeld haben wir offenbar in sehr vielen Sprachen eine elementare Defizienz zu konstatieren, die für die APK von weitreichenden Folgen ist. Mit ihr sind alle an der APK beteiligten Interaktanten sozusagen tagtäglich befaßt. Diese Defizienz betrifft wieder den Bereich des Schmerzes. Die "Wortung" der Welt, die Bildung von Ausdrücken für diesen Wirklichkeitsausschnitt, ist wenig entwickelt. Wenn schon der olfaktorische Bereich aus der gesamten Gruppe der sinnlichen Wahrnehmung wenig in Worte gebracht werden kann, dann ist die "innere sinnliche Wahrnehmung", der Bereich des Schmerzes, der Wortung fast gar nicht zugänglich. Die Ausgrenzung des Olfaktorischen hat sich - sicher nicht ohne Kontakt zur gesellschaftlichen Umwertung dieser Form sinnlicher Wahrnehmung in der Neuzeit (vgl. Elias 1969) - historisch verstärkt. (Noch im 17. und 18. Jahrhundert gab es im Deutschen z. B. ein eigenes Wortbildungsmorphem, das zur Herstellung von entsprechenden Verben gebraucht wurde, nämlich die En-

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dung "-enzen"; "es fischenzt" bedeutete also "es riecht wie / nach Fisch". Davon ist nur "faulenzen" übriggeblieben, "es riecht nach faul" - und dies in einer übertragenen Bedeutung (vgl. Weisgerber 1928).) Die Wortlosigkeit des Schmerzes hat tiefere Ursachen, die mit der Unkommunizierbarkeit innerer sinnlicher Wahrnehmungen verbunden ist (vgl. Starobinski 1983). Entsprechend könnte nicht einmal auf frühere sprachliche Formen zurückgekommen werden. Die Sprachlosigkeit des Schmerzes ist ein Dilemma grundlegender Art. Wittgenstein (1971) (vgl. von Morstein 1964, Baross 1985) hat es in immer neuen Versuchen thematisiert - ohne damit zu einem Ende gekommen zu sein. (Vgl. zu psychosomatischen Konsequenzen des Dilemmas der "Sprache des Schmerzes" auch Bergsma 1983.) Für den Einsatz nennender Prozeduren, für die Applikation des Symbolfeldes im Handeln des Arztes und des Patienten, stoßen wir hier also auf einen strukturell defizitären Bereich. Dieser Sachverhalt gibt Anlaß zu einer Vielzahl kompensatorischer Strukturen. Die deiktische, die expeditive und die nennende Prozedur wurden mit Blick auf die APK etwas näher beleuchtet. Für jede ergeben sich einzelne Problemstrukturen, die sich aus der Prozedurqualität, aus den sprachlichen Mitteln zur Realisierung der Prozeduren oder aus der besonderen Konstellation der APK ergeben. Sie lassen die Kommunikation zwischen Arzt und Patient als ein zum Teil gefährdetes, risikoreiches Unternehmen sichtbar werden. 5. Diskursstrukturen in der APK Wenden wir uns als nächstes dieser Kommunikation als einer spezifischen Diskursform zu. Auch dies kann hier selbstverständlich nur skizzenhaft geschehen. Diagramm 3 zeigt einige Aspekte eines Standarddurchlaufs durch ärztliches und patientliches Handeln: Ausgangspunkt ist die "Krankheit". Sie soll in "Gesundheit" transportiert werden. Wesentliche Schritte auf diesem Weg sind, wie bekannt, die Anamnese, die Untersuchung, die Diagnose und die Therapie, die die surveillance einschließt. Schließlich liegt vor dem Übergang aus dem Status der Krankheit in den Status der Gesundheit ein m. E. nicht unwichtiger Aspekt, der freilich oft vernachlässigt wird - nicht nur analytisch, sondern auch in der Praxis: die "Konstatierung". In antiken Gesellschaften, in denen Krankheit, Heilung mit "Religion" direkt verbunden waren, ist dieser Aspekt sehr deutlich ausgearbeitet. So werden im Alten Israel z. B. genaue Bestimmungen für die

Sprachliche Prozeduren

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Krankheit Anamnese Untersuchung Diagnose Therapie surveillance Konstatierung Gesundheit Diagramm 3

Deklaration als "rein" oder "unrein" im Zusammenhang mit verschiedenen Formen von Haut- und verwandten Krankheiten ("Aussatz") zusammengestellt (s. Lev. 13f.). Durch die Erklärung als rein (thr pi.) erst wird sozusagen gesellschaftlich "ratifiziert", daß Gesundheit wieder vorliegt. Entsprechend wird durch die Erklärung als unrein (tm'pi.) die gesellschaftlich verbindliche Deklaration als (weiterhin) krank vorgenommen - mit allen direkten sozialen Folgen, die damit verbunden waren (vgl. Luk. 17,11-19). Dieser Aspekt der Transposition des Patienten aus dem Status der Krankin den der Gesundheit ist psychisch und sozial von einer größeren Bedeutung, als sie die Praxis des Medizinbetriebes akzeptiert. Surrogate treten an seine Stelle. Dagegen spielt in der modernen Form des Transpositionsprozesses ein anderes Phänomen eine zunehmend wichtige Rolle, nämlich die Bürokratisierung des Heilungsprozesses. Sie operiert auf dem Gesamtprozeß und seinen einzelnen Teilen. Die Verwaltung der Krankheit ist - auch volks- und betriebswirtschaftlich gesehen - ein gewaltiger Faktor im Gesamtzusammenhang. In der einzelnen Praxis des Individualarztes beginnt sie sich auf die Kommunikation bereits lange, bevor der Patient mit dem Arzt überhaupt in kommunikativen Kontakt getreten ist, auszuwirken, im Vorzimmer, in dem Krankenblätter geführt, Krankenscheine eingesammelt und abgelegt werden etc. Diese Bürokratisierung begleitet den ganzen Prozeß der "Heilung" zwar mit unterschiedlicher Intensität im einzelnen, aber doch kontinuierlich.

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In diesem Gesamtablauf der Kommunikation zwischen Arzt und Patient sind nun drei hauptsächliche, stark voneinander unterschiedliche Bereiche zu beobachten. Da ist zunächst (A) der Bereich der "Symptomatisierung". Die Symptome spielen eine Rolle für den anamnestischen, in bezug auf den diagnostischen Teil und weiterhin in bezug auf den der surveillance. Ein zweiter Bereich (B) hat es mit direkter körperlicher Aktivität des Arztes am Patienten zu tun, insbesondere in der Diagnose und gegebenenfalls der Therapie. In der Diagnose ist die sinnliche Gewißheit primäre Quelle der Gewinnung von Einsicht. Die untersuchende Tätigkeit des Arztes vermittelt ihm die Kenntnisse, die er für den weiteren Prozeß benötigt. In diesem Zusammenhang ist sprachliches Handeln in das sonstige körperliche Handeln des Arztes eingebunden. Sprache hat hier also primär empraktische Qualität. Ein dritter Bereich (C) hat es mit dem zu tun, was ich "Repräsentation" nennen möchte. In der Anamnese und in der Diagnose geht es darum, sozusagen "records" zu machen von dem, "was der Fall ist". Hierzu gehört selbstverständlich auch der ganze umfängliche Bereich der Bürokratisierung, die durch Kassenerfordernisse, Finanzämter usw. verlangte sekundäre Dokumentation. Die drei Bereiche stellen ganz unterschiedliche Anforderungen an die kommunikativen Handlungen der Interaktanten. In ihnen werden jeweils unterschiedliche Prozeduren aktualisiert. Dies soll im folgenden für die drei Bereiche weiter erörtert werden. Zunächst zur Symptomatisierung (A) (vgl. Diagramm 4): Einen zentralen Stellenwert haben hier die malenden und die expeditiven Prozeduren. Von letzteren war eben schon die Rede. Bei der Realisierung des "au!" ist allerdings - wie unten (§ 7.) noch weiter auszuführen ist — auf den Unterschied zwischen "Symptomatisierung" und "Symptom" zu achten. Die malenden Prozeduren, so war oben gesagt worden, verfügen im Deutschen nur über ein geringfügig ausgeprägtes eigenes Wort- bzw. Morpheminventar. Zur Realisierung dieser Prozeduren stehen vielmehr vor allem Verfahren der Modulation zur Verfügung. Sie werden über die Äußerungsakte realisiert, indem sie anderen Prozeduren bzw. Akten appliziert werden. Alltagssprachliche Ausdrücke zur Bezeichnung des sprachlichen Handelns wie "jammern" benennen spezifische Modulationen, die zur Realisierung von malenden Prozeduren eingesetzt werden. Deiktische Prozeduren spielen für die Symptomatisierung eine gewisse Rolle, nennende Prozeduren treten hingegen weitgehend zurück.

Sprachliche Prozeduren

Feld

Prozedur

operatives Feld

operativ

Symbolfeld

nennend

Zeigfeld

deiktisch

>

Lenkfeld

PYnpflitiv

»

Malfeld

malend

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APK

te

SYMPTOMATISIERUNG

Diagramm 4

Anders ist die Verteilung bei (B) den empraktischen Aspekten des Arzt-Patienten-Handelns. Hier sind es vor allem die deiktischen Verfahren, denen eine wichtige Funktion zukommt. Sie können eingesetzt werden, um die Identifikation von kritischen Stellen am Körper zu erleichtern, um die Aufmerksamkeit des ändern auf den "kritischen Punkt" zu lenken. In gewissem Umfang spielen auch die nennenden (und, darauf bezogen, operative) Prozeduren einen Rolle. Allerdings ist - abgesehen von der Problematik der Sprache des Schmerzes - die Menge und der Präzisionsgrad der Ausdrücke, die den beiden Interaktanten zur Verfügung stehen, sehr unterschiedlich. Hier macht sich der "fachsprachliche" Charakter der ärztlichen Kommunikation bemerkbar. Dem Patienten fehlt häufig genau das Vokabular - und die Erfahrung bei seiner korrekten Anwendung -, das der Arzt eigentlich brauchte, um aus der Patientenäußerung die Informationen entnehmen zu können, derer er für sein ärztliches Handeln bedürfte (vgl. Diagramm 5).

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Feld

Prozedur

operatives Feld

operativ

Symbolfeld

nennend

Zeigfeld

UclKUain

Lenkfeld

expeditiv

Malfeld

malend EMPRAXffi

APK

*· . , _. k

Diagramm 5

Diese Problematik verschärft sich bei (C) der Repräsentation (vgl. Diagramm 6). Hier sind es vor allem die nennenden Prozeduren und die darauf operierenden operativen Prozeduren, die Anwendung finden. Auch deiktische Prozeduren werden verwendet, allerdings stärker in den abstrakteren Verweisräumen, insbesondere dem Text- und Wissensraum. Die operativen Prozeduren, die erforderlich sind, um einen Text, ein überlieferungsfähiges Dokument, zu erstellen, sind komplex und verlangen vom Verfasser ein Training, eine praktische Erfahrung im Umgang mit Textarten der Dokumentation, die — wenn auch in der Ausbildung kaum systematisch entwickelt - für die Alltagswirklichkeit des Arztes doch von großer praktischer Bedeutung sind. Krankenblätter, Arztbriefe, Abrechnungen etc. gehören zu den textuellen Formen, mit denen gearbeitet wird. Tendenziell handelt es sich um Formen, die weiterer Standardisierung bis hin zur Automatisierung fähig sind, wie sie in der Weise der "Expertensysteme" gegenwärtig angestrebt wird.

Sprachliche Prozeduren

Feld

Prozedur

operatives Feld

operativ

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APK

Symbolfeld Zeigfeld

deiktisch

Lenkfeld

expeditiv

Malfeld

malend REPRÄSENTATION

Diagramm 6

6.

Datengewinnung und APK

Verschiedene Phasen der APK greifen also in unterschiedlichem Umfang und in unterschiedlicher Weise auf das Arsenal sprachlicher Prozeduren und der für sie in den Feldern der Sprache vorgehaltenen sprachlichen Mittel zurück. Dieses komplexe Bild der sprachlichen Wirklichkeit wird von den traditionellen Kategorien der Grammatik nur unzureichend modelliert. Sie weisen einen starken bias zugunsten der nennenden und vielleicht noch zugunsten eines Teiles der deiktischen sprachlichen Mittel auf. Die anderen Bereiche bleiben weitgehend im vorkategoriellen Status, in der Grauzone des bloßen Meinens bzw. der deskriptiv nicht recht faßbaren Formen. Auch die Daten, die von der APK erhoben werden, verlassen sich weitgehend auf die zu Berichten oder Erzählungen verknüpften "Wörter" und "Sätze" - sowieso dann, wenn sie in der Form von Interviews gewonnen werden sollen (seien es nun simple Frage-Antwort-, seien es Tiefen- oder narrative Interviews). Aber auch dort, wo eine direktere Erhebung möglich ist, sind viele Schwierigkeiten zu überwinden. Diese haben zum Teil mit der Insuffizienz zum Beispiel der Transkriptionsleistungen von akustisch gut verfügbaren Daten im Bereich der Interjektionen zu tun, wo sich Linguisten offenbar schwer tun, das Desiderat einer einheitlichen und die akustischen Strukturen phonologisch wirklich exakt wiedergebenden Notation auch nur zu sehen.

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Die durch die Schulorthographie vorgegebenen Grenzen sind da offenbar auch für viele Lingusten wirksamer als alle linguistisch geschulte Einsicht. Zum Teil stößt aber die Aufnahme des kommunikativen Handelns zwischen Arzt und Patient auch auf grundsätzliche forschungsethische Probleme, besonders, wenn es darum geht, zum Beispiel Empraxie durch Einbezug audiovisueller Dokumentation auch für die Analyse systematisch nachvollziehbar zu machen. Der Körper und die Körperlichkeit werden in unserer Kultur von einer historisch herausgebildeten Schutzzone umgeben. Diese Intimität durchbricht das ärztliche Handeln notgedrungen. Seine Beobachtung durch Dritte multipliziert die Probleme derer, die sich der Verletzung ihrer schutzbedürftigen Intimität, durch eine primäre Störung der eigenen Körperlichkeit bedingt, ohnehin aussetzen müssen, um die Integrität des Körpers durch die Hilfe des Arztes erreichen zu können — eine doppelt paradoxe Situation. Wenige Daten erlauben bisher eine genauere Analyse (vgl. z. B. Menz 1991; Heath 1989 arbeitet bei seiner ethnomethodologischen Beschreibung des "pain talk" mit audiovisuellen Daten (Hinweis von Paul ten Have)). Die Zukunft wird - trotz der genannten Probleme - wahrscheinlich weitere Daten zur Verfügung stellen. (So wird der Transkriptionsband Ehlich & Redder (demn.) auch eine Reihe medizin-kommunikativer Transkripte aus unterschiedlichen Projekten enthalten). So schwierig deren "Gewinnung" ist, umso mehr Mühe sollte auf den sorgfältigen Umgang mit ihnen gerichtet werden. Dies betrifft insbesondere die Qualitätsanforderungen an Dokumentation und Transkription der Daten. Die Annäherung an die Faktizität von Anamnese und Diagnose, von Untersuchung und begleitendem Diskurs, stellt eine der wichtigsten Aufgaben für die Untersuchung der APK in der näheren Zukunft dar. 7. Prozedurenspezifische Anforderungen an das ärztliche Handeln Die unterschiedlichen Gewichte, die den verschiedenen Prozeduren in den einzelnen Phasen der APK zukommen, wirken sich auch als unterschiedliche Anforderungen an die sprachliche Handlungsfähigkeit des Arztes aus. Ich möchte dies an einem besonderen Anforderungstyp demonstrieren (vgl. Ehlich 1985), der in der Praxis des Arztes mannigfach präsent ist. Es geht um Formen, wie der leidende Patient seinen Schmerz akustisch zum Ausdruck bringt. Unterschiedliche Möglichkeiten stehen ihm zur Verfügung. Verbale wurden bereits genannt, nämlich die expeditive und die nennende Prozedur. Auf sie ist gleich zurückzukommen. Daneben verfügen Menschen über eine weitere akustische Möglichkeit, nämlich das System der Schreie und des Stöhnens.

Sprachliche Prozeduren

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Zu diesem System sind einige allgemeine Anmerkungen erforderlich. Es ist ein ausgesprochen nicht-sprachliches System. Gleichwohl wird es häufig in seiner Spezifik nicht gesehen. Vor allem aber wird es häufig mit Teilen des Lenkfeldes verwechselt oder vermischt. Wissenschaft und Alltagskonzepte berühren sich hier, so daß keine klaren Trennungen gemacht werden. Zwei Umstände spielen dabei eine Rolle: Der Umstand, daß es sich beim Schreien und Stöhnen gleichfalls um die akustische Dimension handelt, nähert es scheinbar den expeditiven Prozeduren an. Vor allem aber herrscht in der Literatur eine weitgehende Unklarheit über den sprachlichen Charakter von expeditiven Ausdrücken. So spricht etwa der bedeutende Sozialwissenschaftler Erving Goffman (1981) in seinem Aufsatz von "response cries" , um Merkmale der Interjektion "hm" bzw. ihres englischen Äquivalents zu charakterisieren. Er steht mit einer solchen Verwechslung nicht allein. Die Interjektionen galten lange als Randerscheinungen des sprachlichen Systems, denen Sprachlichkeit mal zu-, mal aberkannt wurde (vgl. Ehlich 1986). Ein genaues Verständnis ihrer Wirkung wird so freilich nicht erreicht. Gerade die Sprachlichkeit der Interjektion "au" etwa unterscheidet sie fundamental vom Schrei oder vom Stöhnen. Die Kategorisierung von Interjektionen als Schreien ist nichts anderes als eine Metapher. Die beim Hörer beteiligten Instanzen bei der Rezeption sind denn auch andere. Dies soll im folgenden mit Hilfe der Diagramme 7 - 9 beschrieben werden. Diese Diagramme, wie sie in der Funktionalen Pragmatik zur Verdeutlichung von sprachlichen Interaktionsverhältnissen und den dabei beteiligten mentalen (aktionalen) und interaktionalen Instanzen verwendet werden, beschreiben zwei Aktanten l und 2, hier den Patienten und den Arzt. Aktant l

Aktant2

mental Schmerzempfindung

interaktional Symptom

mental Wahrnehmung

'sympathein'

Hilfeleistung

Diagramm 7 "Schreie und Stöhnen"

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Betrachten wir zunächst genauer, was das Schreien und Stöhnen kennzeichnet. Ihm voraus geht die Schmerzempfindung. Dieser Schmerz ist zu Recht als Symptom zu bezeichnen (nicht nur als Symptomatisierung, vgl. oben § 5.). Das Symptom wird als solches in einer Exothese nach außen gesetzt. Es wird vom Aktanten 2 zunächst auditiv wahrge- und mental übernommen. Die Folgen, die sich daran anschließen, sind nun charakteristisch. Ich beschreibe sie zusammenfassend als "sympathein", als "Mit-Leiden". Diesen Terminus verwende ich nicht im Sinne des (häufig folgenlosen und blassen) "Mitleids", sondern als tatsächliches Transferergebnis eines "Pathein", des "Pathein" nämlich von Aktant l. Mit-Leiden wird hier also in einem sozusagen biologistischen Sinn verstanden. M. E. ist das System der Schreie und des Stöhnens in unserem Kommunikationsverhalten nämlich ein Stück biologischen Programms. Als solches dient es dazu, Sukkurs jedes anderen Mitglieds der Gattung unmittelbar auszulösen. Dies wird besonders deutlich beim Schreien des Kindes in der Kommunikation mit seiner jeweiligen Bezugsperson. Es ist eben sehr schwer, über das kindliche Schreien hinwegzuhören. Deswegen "nervt" dieses Schreien auch so. Es zu überhören würde bedeuten, damit dauernd umzugehen, es zu bearbeiten und die Abwicklung des biologischen Programms explizit für sich selbst außer Kraft zu setzen. Das Sympathein ist die mentale Umsetzung dessen, was durch den Schrei ausgelöst wird. Der Auslöser führt zur Hilfeleistung, und diese stellt den Schrei ab, indem sie seine Ursache beseitigt. (Diese Beschreibung ist - wie auch die folgenden - die des Basisfalls. Selbstverständlich finden sich alle möglichen Modifikationen; sie gewinnen ihren jeweiligen Stellenwert aber erst auf der Grundlage eben des Basisfalls. Analytisch ist daher für den hiesigen Zusammenhang von ihnen abzusehen.) Anders als beim Schreien und Stöhnen ist die Situation im Fall der expeditiven Prozedur, also hier der Äußerung der Interjektion des Schmerzes, "au!" (s. Diagramm 8). Gemeinsam ist der Ausgangspunkt, die mentale Empfindung des Schmerzes. Diese mentale Schmerzempfindung geht aber nicht unmittelbar, als Auslöser eines biologischen Programms, in etwas Hörbares über. Sie bedarf vielmehr der Invertierung, der Umsetzung in ein sprachliches Element, das sprachspezifisch zur Verfügung steht. Dies geschieht in der Form einer expeditiven Prozedur. Sie wird von Aktant l realisiert und von Aktant 2 wahrgenommen, um anschließend von ihm mental verarbeitet zu werden. Diese mentale Verarbeitung ist, da es sich um eine expeditive Prozedur handelt, gleichwohl direkt. Das Sympathein wird auch hier erreicht, wenn auch auf einem anderen mentalen Weg als beim biologischen Programm, das der Schrei auslöst.

Sprachliche Prozeduren

Aktant l

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Aktant2 interaktional

mental

mental

Schmerzempfindung Invertierung

expeditive Prozedur

Wahrnehmung d. Verbalisierung mentale Verarbeitung 'sympathein1 Hilfeleistung

-*

Diagramm 8 "Interjektionen des Schmerzes"

Aktant l

Aktant 2 interaktional

mental

mental

Schmerzempfindung

Invertierung

Erzählen

Wahrnehmung d. Verbalisierung

Beschreiben

Analyse

Hilfeleistung

t

Handlungsrepertoire l l 'sympathein'

Diagramm 9 "Schmerzbeschreibung"

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Noch anders ist die Situation, wenn wir die Formen der Schmerzbeschreibung betrachten (Diagramm 9), die sich im wesentlichen der nennenden und der deiktischen Prozeduren bedient, nicht dagegen der expeditiven Prozedur. Die Schmerzempfindung fuhrt zu einer wesentlich komplexeren Inverbierung, die sich insbesondere in zwei elementaren Formen realisieren kann, in der Schmerzerzählung und in der Schmerzbeschreibung i. e. S.Die Schmerzerzählung macht wahrscheinlich einen großen Teil der Fälle in der ärztlichen Praxis aus, besonders in der Anamnese-Phase. Beide Formen werden als verbalisierte, als Verbalisierungen, wahrgenommen und werden mental prozessiert, d. h. analysiert und mit den bereits bestehenden Wissenssystemen abgeglichen - wie das auch sonst bei nennenden und deiktischen Prozeduren der Fall ist. Das Ergebnis der Analyse wird appliziert auf das - in unserem Fall professionelle - Handlungsrepertoire des Arztes bzw. mit ihm konfrontiert. Hieraus erst ergibt sich die ärztliche Handlung. Auch das Sympathein kann - auf der Grundlage dieser Verarbeitungsschritte bzw. als deren Folge - möglich gemacht werden. Aber es ist ein unwesentlicher Schritt, der in bezug auf das zu erreichende Handlungsziel geradezu eine Art Appendix darstellt. Im Ergebnis zeigen also die drei Formen akustisch vermittelter Kommunikation zwischen Patient und Arzt eine ganze Typologie, die in Diagramm 10 zusammengefaßt wird: Der präverbale ist von den verbalen Typen zu unterscheiden. Der Schrei produziert eine Art Kurzschluß zwischen Gefahr und Hilfe. Auch bei der expeditiven Prozedur findet sich ein - allerdings schon sprachlich vermitteltes - direktes Eingreifen in die Handlungsprozesse des Adressaten. Aufgrund der großen Direktheit beider Typen erfordert es erheblichen mentalen Aufwand auf der Seite des Adressaten, will dieser sich von der präverbalen bzw. der verbalen Aktivität des anderen nicht beeinflussen lassen. Einen Schrei zu überhören - ich sagte es oben bereits - verlangt geradezu das Außerkraftsetzen eines biologischen Programms. Aber auch das "Überhören" einer expeditiven Prozedur ist eine erhebliche Handlungsanforderung des Hörers an sich selbst, eine Anforderung, die sozusagen Kopfschmerzen bereitet. Bei der Schmerzerzählung haben wir über die "ich"/"du"-Beteiligung eine Involvierung des Adressaten, die dessen Aufmerksamkeitsleistungen betrifft, und vor allem haben wir in der Diskursform der (mündlichen und alltäglichen) Erzählung feste "slots" für Solidaritätsbekundungen des ErzählZuhörers. Auch diese verlangen, ja, erzeugen eine Art Involviertheit des Adressaten, der sich ihm im alltäglichen Zusammenhang kaum ohne erhebliche kommunikative Negativfolgen entziehen kann.

Sprachliche Prozeduren

T

prä-

verbal

Schrei/ Stöhnen

y P

expeditiv Schmerzerzählung

verbal

Kenn-

zei-

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'liurzscfihiß' QefahrWft

direkter tingnff intt's CungsaBfäufe

chen

Direktheit



++

slots für X's SoCidantätsBekundung

Schmerzbeschreibung 'ich' 'er, 'sie'

-p-peü. an X's XandCungsrepertoire

information üBer Sau



^^

Diagramm 10

Erst bei der Schmerzbeschreibung sind diese Zusammenhänge voll entkoppelt. Damit sind wir zugleich freilich im Bereich dessen angekommen, was oben "AO'K1" genannt worden war, Arzt-Objekt-"Kommunikation": der Patient ist zum Objekt der Beschreibung geworden. In den wenigsten Fällen wird der Patient sich selbst dazu machen. Alle anderen Formen hingegen verlangen kommunikativ eine präverbal oder prozedural zustandegebrachte Involviertheit des Arztes als Kommunikationspartner. Am stärksten sind die Einflußnahmen beim Schrei bzw. Stöhnen und bei der expeditiven Prozedur. Biologisch determiniert oder sprachlich vermittelt, wird die sukkursive Aktivität provoziert. Eben hier ergeben sich aber für das professionelle Handeln des Arztes erhebliche Schwierigkeiten. Denn er partizipiert selbstverständlich an den kommunikativen Fähigkeiten kompetenter Gesprächspartner. Sowohl Schreie und Stöhnen wie expeditive Prozeduren wie die für die Solidaritätsbekundungen des Hörers vorgesehenen slots in der Erzählform verlangen von ihm die Realisierung der alltäglichen Solidarität, auf die vorsprachliches und sprachliches Handeln im Zusammenhang mit der Schmerzempfindung und ihrer Äußerung abzielen. Just dies aber ist nicht die Reaktion, die von ihm als professionellem Heiler gefragt ist. Seine Professionalität ver-

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langt vielmehr von ihm, daß er alle diese Schmerzäußerungen lediglich unter symptomatischen Gesichtspunkten behandelt, daß er sie mental also all jener Direktheit enthebt, die für sie prozedural und kommunikativ charakteristisch ist. Dies bedeutet eine erhebliche kommunikative Last für den professionell handelnden Arzt. Er muß das Unsolidarische tun, gerade um zur Heilung beitragen zu können. Das professionelle Dilemma, in dem er hier steht, ist nicht einfach aufzulösen. Es verlangt erhebliche emotionale Kraft. Eine Möglichkeit, die zur Bearbeitung dieses kommunikativen Problems des professionellen Handelns beitragen kann, dürfte darin liegen, diese Struktur in ihrer Widersprüchlichkeit zu durchschauen. Wenn dem so ist, so wären Sprachbewußtheit und die Kenntnisse, die erforderlich sind, um sie zu entwickeln, wichtige Teile medizinischer Ausbildung. Literaturverzeichnis Baross, Z. (1985) Speaking about pain - or Wittgenstein's fundamental misunderstanding. In: Maieutics 2; 1/1985, 38-60 Bergsma, J. (1983) Somatopsychologie. Ob zoek naar psychosociale dimensies van de geneeskunde. Ohne Ort: J. Wristers Bühler, K. (1934, 21965) Sprachtheorie. Stuttgart: Fischer Dressier, W. U. & Merlini, L. (demn.) Morphopragmatics. Berlin: De Gruyter Ehlich, K. (1985) The Language of Pain. In: Theoretical Medicine 6, 2/1985,177-187 Ehlich, K. (1986) Interjektionen. Tübingen: Niemeyer Ehlich, K. & Redder, A. (Hg.) (demn.) Gesprochene Sprache. Transkripte. PHONAL Tübingen: Niemeyer Elias, N. (1939, ND 1969) Über den Prozeß der Zivilisation. Frankfurt: Suhrkamp Goffman, E. (1981) Forms of talk. Oxford: Blackwell Heath, C. (1989) Pain Talk: The Expression of Suffering in the Medical Consultation. In: Social Psychology Quarterly 52, 2/1989, 113-125 Kuiper, P. C. (1980) Die Verschwörung gegen das Gefühl. Psychoanalyse als Hermeneutik und Naturwissenschaft. Stuttgart. Klett-Cotta Menz, F. (1991) Der geheime Dialog. Medizinische Ausbildung und institutionalisierte Verschleierungen in der Arzt-Patient-Kommunikation. Frankfurt: Lang Morstein, P. v. (1964) Wittgensteins Untersuchungen des Wortes 'Schmerz', in: Archiv für Philosophie, 13/1964, 131-140 Redder, A. (1992) Fundamental-grammatischer Aufbau des Verb-Systems im Deutschen. In: Hoffmann, L. (Hg.) (1992) Deutsche Syntax. Ansichten und Aussichten. Berlin: de Gruyter. (IdS Jahrbuch 1991), 128-154 Ryle, G. (1949, 1969) The Concept of Mind. London: Hutchinson Starobinski, J. (1983, deutsch 1987, ND 1991) Kleine Geschichte des Körpergefühls. In: ders. (1987, ND 1991) Kleine Geschichte des Körpergefühls. Frankfurt/M.: Fischer, 12-33 Weisgerber, L. (1928) Der Geruchsinn in unseren Sprachen. In Indogermanische Forschungen 46/1928, 121-150; abgedruckt in: Weisgerber, L. (1964) Zur Grundlegung der ganzheitlichen Sprachauffassung. Düsseldorf: Schwann, 99-121 Wittgenstein, L. (1958, 1971, ND o. J.) Philosophische Untersuchungen. Frankfurt/M.: Suhrkamp

Patienten-Idiolekte - Eine Untersuchung sprachlicher Daten, die mit dem Role-Repertory-Grid gewonnen werden1 Dieter Flauer, Ursula Bartholomew & Ute Bublitz

Zusammenfassung Dargestellt werden der Ansatz, die Untersuchungsmethoden und -ergebnisse einer Pilotstudie zu den sprachlichen Daten eines psychodiagnostischen Verfahrens, das in der Psychosomatik in Deutschland (wie schon in den USA) zunehmend an Bedeutung gewinnt. Außerdem wird die "Logik" dieses Verfahrens sprachwissenschaftlich erörtert.

0.

Vorbemerkung

Nachfolgend werden Ergebnisse einer Pilotstudie dargestellt, die in einer Abteilung der psychosomatischen Medizin die sprachliche Dimension einer dort gebräuchlichen Untersuchungstechnik ansatzweise analysiert hat. Wir halten unsere Untersuchungsergebnisse zwar für vorläufig; zur Publikation ermutigt uns gleichwohl vor allem der Umstand, daß vergleichbare Untersuchungen bislang weder in der psychosomatischen Medizin noch in der Psycholinguistik oder in der Sprachpsychologie vorliegen. 1.

Zur Erläuterung der psychodiagnostischen Technik

1.1. Das Repertory-Grid-Verfahren Das Role-Construct-Repertory-Grid (Repgrid) ist ein idiographisches Verfahren (mit weiteren Datenerhebungsmöglichkeiten, s. u.), das in seiner ursprünglichen Form von Kelly (1955) entwickelt wurde. Der Untersuchungsgegenstand dieses Verfahrens wird theoretisch als das sogenannte Konstruktsystem bestimmt - d. h. ein jeweils individuelles Geflecht von dichotomen, auf Ähnlichkeit und Kontrast basierenden Interpretationen und Beurteilungen (Konstrukte), mit dem ein Individuum laut Kelly versucht, seiner Welt Sinn zu geben. 1

Wir danken dem Leiter der Abt. für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie des Universitätsklinikums Charlottenburg der FU Berlin, Prof. Dr. med. Burghard F. Klapp, für die Zur-Verfügung-Stellung des Datenmaterials und für Anregungen zu unserem Thema. Jochen Rehbein danken wir für seine wertvollen Überarbeitungsvorschläge zu diesem Aufsatz.

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Es wird angenommen, daß diese systematische Ordnung, die ständig durch Erfahrung verändert und erweitert wird, die Persönlichkeit eines Individuums charakterisiert. Nach Kelly ist es daher gerade im Bereich der Psychotherapie unerläßlich, die individuelle Sichtweise des Patienten von sich und anderen, d. h. sein Konstruktsystem, zu kennen, wenn man diesem Patienten gerecht werden will. In der Abteilung für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie des UKRV Charlottenburg hat es sich als diagnostisch sehr hilfreich erwiesen, die persönlichen Konstrukte eines Patienten und deren Verwendung hinsichtlich seiner selbst und seiner relevanten Bezugspersonen zu kennen. Als Kommunikationssituation betrachtet ist die Repgrid-Erhebung mit einem halb-strukturierten Interview vergleichbar. Im Verlauf der Repgrid-Erhebung erstellt der Patient jedoch eine inhaltlich größtenteils von ihm selbst ausgewählte Datenmatrix. Durch die Möglichkeit, diese Datenmatrix einer statistischen Analyse zuzuführen, unterscheidet sich die Repgrid-Technik allerdings von anderen idiographischen Verfahren, wie z. B. dem Rohrschach-Test. Wir wollen zunächst die Repgrid-Erhebung genauer beschreiben. Die Erhebung erfolgt in drei aufeinanderfolgenden Schritten. Im ersten Schritt nennt der Patient zunächst alle Personen (Elemente), die in seinem gegenwärtigen Denken eine Rolle spielen. Mit diesen Personen werden dann nach dem Zufallsprinzip Dreiergruppen gebildet, anhand derer der Patient entscheiden soU, durch welche Eigenschaft zwei der drei Personen sich ähneln und sich dadurch von der dritten Person unterscheiden. Zu dieser Eigenschaft (emergent pole) wird dann der jeweils individuelle Gegensatz (contrast pole) gebildet. Schließlich beurteilt der Patient in einem dritten Schritt, welcher Eigenschaftspol in welchem Ausmaß einer siebenstufigen Skala auf jede Person zutrifft. Vollständig ausgefüllt enthält ein Repgrid also die Beurteilung von m Operanden (in diesem Fall: Personen) mittels n Operatoren (in diesem Fall: Eigenschaften). Im Prinzip kann jede Interviewmethode, bei der genug Informationen gewonnen wurden, um ein "grid" (d. h. Gitter) auszufüllen, als Repgrid-Technik bezeichnet werden. 1.2. Beziehung der Repgrid-Technik zum Semantischen Differential Zeihart & Jackson & Kelly (1983) berichten, daß Kelly bereits 1936 einen von ihm entwickelten Katamnese-Fragebogen (d. h. einen Fragebogen zur Erstellung eines Krankenberichts) benutzte, der im Aufbau dem späteren Semantischen Differential (Osgood & Suci & Tannenbaum 1957) ähnelte.

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Da jedoch die Vorgabe von Begriffen notwendigerweise die Dimensionen festlegt, die durch die jeweiligen Begriffe erfaßt werden (im Semantischen Differential sind es die Dimensionen "Valenz", "Potenz" und "Aktivität"), erscheint es fraglich, ob dieses Verfahren geeignet ist, tatsächlich die ein Individuum in seiner spezifischen Persönlichkeit charakterisierenden Begriffe zu erheben. Weitere Probleme, die das Semantische Differential diesbezüglich auf wirft, werden von Bortz (1984) diskutiert. Die Repgrid-Technik entstand also aus der Erkenntnis, daß es dann, wenn man etwas über die persönliche Begriffsstruktur eines Individuums erfahren möchte, erforderlich ist, ein Verfahren zu entwickeln, das die Erfassung dieser Begriffsstruktur ermöglicht. 1.3. Der Umgang mit Konstrukten in der Literatur Obwohl Kelly (1955) betonte, daß Konstrukte mehr sind als verbale Etiketten, sind es gerade die sprachlichen Ausdrücke, die dem Untersuchenden am ehesten zugänglich sind. Diese verbalisierten persönlichen Konstrukte sind jedoch interindividuell kaum vergleichbar. Dieses Problem führte dazu, daß zum Zwecke von Gruppenuntersuchungen und -aussagen verschiedentlich versucht wurde, Konstrukte inhaltlich zu kategorisieren (vgl. Bonarius & Angleitner & John 1984). Neben der Tatsache, daß durch die Kategorisierung die idiosynkratischen Inhalte der Konstrukte übersehen werden, sind in Untersuchungen, in denen eine Kategorisierung unternommen wurde, die gewonnenen Kategorien kaum mit anderen Variablen in Beziehung zu setzen. Andererseits gibt es unseres Wissens keine Veröffentlichung, die aus sprachwissenschaftlicher Sicht den tatsächlichen sprachlichen Inhalt von Konstrukten analysiert, obwohl Bonarius & Angleitner & John (1984) in ihrer kritischen Bestandsaufnahme der Psychologie der Persönlichen Konstrukte feststellen, daß die Einbeziehung moderner linguistischer (speziell semantischer) Konzepte in die Forschung zur Beschaffenheit und Organisation persönlicher Konstrukte wünschenswert sei. 2. Fragestellung und Ziel der Pilotstudie In der Regel wird - trotz der schon erwähnten Problematik - bei der klinischen Auswertung von Repgrid-Daten vorausgesetzt, daß die sprachlichen Ausdrücke, die ein Patient produziert hat, einen unmittelbaren Zugang zu seinen persönlichen Konstrukten bieten. Die Ausdrücke des Patienten werden so aufgefaßt, als würden sich seine persönlichen Wahrnehmungen und Wahrnehmungsgewohnheiten in ihnen unmittelbar manifestieren.

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Bei dieser Art der Auswertung werden die Repgrid-Daten gleichsam zu "wörtlich" genommen - nämlich als ein sprachlich unmittelbarer Ausdruck von Wissen. Dabei wird der komplexe Zusammenhang von Denken und Sprache nicht angemessen berücksichtigt. Es wird übersehen, daß die Bedeutungen der Wörter und Wortverbindungen, die ein Patient im Durchgang durch das Repgrid-Verfahren produziert, in einem komplexen Zusammenhang stehen mit der Idiosynkrasie des (theoretisch bestimmten) Untersuchungsgegenstandes dieser psychodiagnostischen Technik - dem persönlichen Konstruktsystem des Patienten. Damit Auswertungen von Repgrid-Daten eine gesicherte Grundlage haben, müßte dieser Zusammenhang vorab wenigstens in Grundzügen geklärt sein. Denn die sprachlichen Daten, die mit dieser Technik erhoben werden, dokumentieren auch (und wie wir nachfolgend zeigen möchten: vor allem) Elemente eines lexikalisch-semantischen Idiolekts des Patienten. Diese Dimension der Repgrid-Daten wird außer acht gelassen, wenn den Patienten unterstellt wird, sie würden beim Durchgang durch das RepgridVerfahren einen uneingeschränkten und unverzerrten Gebrauch von dem lexikalisch-semantischen Wissen ihrer Muttersprache (im Erfahrungsbereich persönlicher Beziehungen) machen; als Folge davon kann der Untersuchende die individuellen Formen des Selbst- und Fremd-Verstehens gerade psychosomatisch kranker Menschen völlig verfehlen. Tatsächlich zeigte unsere Pilotstudie, daß bestimmte sprachliche Phänomene, die in den Repgrid-Daten in Erscheinung treten, einen Anhaltspunkt geben für das Vorliegen des genannten Idiolekts. Wie läßt sich ein solcher Idiolekt eines Patienten anhand der von ihm im Repgrid-Verfahren produzierten Ausdrücke linguistisch analysieren? Zum besseren Verständnis unserer Terminologie sollen die folgenden, für unsere Pilotstudie zentralen Kategorien kurz erläutert werden. Unter Idiosemantik verstehen wir die Bedeutungslehre, die sich mit dem komplexen Verhältnis befaßt, in dem eine Eigenbegrifflichkeit einerseits zur Sprache und andererseits zur Wirklichkeit (sowie zu den mit der Wirklichkeit möglichen Erfahrungen) steht. Das Konstruktsystem eines Patienten, das theoretisch als der Gegenstand der Repgrid-Technik bestimmt wird, fassen wir hinsichtlich seiner idiosynkratischen Inhalte als eine Eigenbegrifflichkeit in diesem Sinne auf. Die sprachlichen Ausdrücke, die zur Bezeichnung von Personen, Gegenständen, Vorgängen, Eigenschaften usw. verwendet werden, nennen wir Lexeme. Als Bezeichnungseinheiten der Sprache haben Lexeme oft mehrere Bedeutungen (oder Lesarten). Die verschiedenen möglichen Bedeutungen eines Lexems sind allgemeiner Art; sie sind in Wörterbüchern eingetragen.

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Wenn wir voraussetzen, daß ein Patient im Erfahrungsbereich persönlicher Beziehungen eine Eigenbegrifflichkeit ausgebildet hat, dann wird diese nur partiell sprachlich gefaßt sein. Nach dem, was wir über den Entwicklungszusammenhang von Denken und Sprache wissen (vgl. Wygotski 1969), ist davon auszugehen, daß die Eigenbegrifflichkeit im Kern vorsprachlich ist. In bezug auf die Repgrid-Technik ist dann zu fragen, wie die Patienten die sprachlichen Aufgaben, die ihnen die Repgrid-Technik stellt, bewältigen. Wie setzen sie z. B. Elemente dieser Begrifflichkeit sprachlich in Lexeme der deutschen Sprache um? Wie sind diese Lexeme, die sie gebrauchen, hinsichtlich ihrer allgemeinen Bedeutung im Zusammenhang der jeweiligen Eigenbegrifflichkeit der Patienten verändert? Wie kann eine solche Bedeutungsveränderung von Lexemen anhand der Daten, die die Repgrid-Technik liefert, ermittelt werden? Eine Klärung dieser Fragen verspricht Aufschlüsse in zweierlei Hinsicht. In klinischer Hinsicht kann eine entsprechende Untersuchung den sprachlichen Inhalt der Repgrid-Daten genauer bestimmen und so dazu beitragen, daß der Gegenstand dieses Verfahrens präziser gefaßt werden kann; in linguistischer Hinsicht ist von Interesse, wie ein lexikalisch-semantischer Idiolekt beschaffen ist.2 Die Pilotstudie sollte uns hierüber eine erste Orientierung geben. 3.

Forschungsansatz und Untersuchungsmethoden

Wir gehen davon aus, daß in der aktuellen Forschungslage sowohl der Psycholinguistik als auch der Semantik Wortbedeutungen als allgemeine Phänomene untersucht werden. Ein Analysemodell zur Aufschlüsselung eines lexikalisch-semantischen Idiolekts existiert bislang nicht. Auch das "Semantische Differential" (s. o.) bietet hier keinen brauchbaren Untersuchungsansatz. Unser Forschungsansatz zielt nicht darauf ab, individuelle Besonderheiten des Sprachgebrauchs im Sinne einer negativen Varianz zu ermitteln; die individuellen Besonderheiten im Bereich der Wortbedeutungen, die mit der Repgrid-Technik in Erscheinung treten, lassen sich weder in einem statistischen noch in einem strukturellen Sinn von Varianz angemessen bestimmen. Die individuellen Eigenarten, die wir im lexikalisch-semantischen Bereich ermittelten, sind vielmehr als eigenständige Formen aufzufassen. Es ist aus methodologischen Gründen nicht möglich, auf der Basis unseres Datenmaterials zu entscheiden, in welchem Umfang das lexikalische Wissen der Patienten, mit denen eine Repgrid-Erhebung durchgeführt wurde, unabhängig von dieser Erhebung eingeschränkt und "verzerrt" ist. Diese Frage mußte daher in unserer Pilotstudie offen bleiben.

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Unter "Semantik" verstehen wir im folgenden also die Bedeutungslehre, die sich mit dem komplexen Verhältnis von Sprache, Wissen und Wirklichkeit befaßt. Unsere Pilotstudie ging davon aus, daß sich das Konstruktsystem eines Patienten, auf dessen Erfassung die Repgrid-Technik abzielt, als ein solches Verhältnis analysieren läßt. Hierbei spielt das Bildwissen der Patienten von sich selbst und von relevanten Beziehungspersonen eine zentrale Rolle. In diesem Wissen sind Erfahrungen, die sie mit sich und mit anderen gemacht haben, zu Bildern synthetisiert. Charakteristisch für das Bildwissen ist die Möglichkeit zuverlässiger Extrapolationen für Eigenschaften und Handlungsweisen von Personen. Als Folge dieser Leistung organisieren die Bilder ein Arsenal fester Interpretationen der Wirklichkeit, in der der Betreffende handelt (vgl. Ehlich & Rehbein 1977). Die Repgrid-Technik regt die Patienten dazu an, ihr Bildwissen (von sich und von anderen) zu aktualisieren. Wie kann aus den Resultaten der Verbalisierung der entsprechenden Wissenselemente ein Aufschluß darüber gewonnen werden, wie das Bildwissen eines Patienten spezifisch organisiert ist? Als einer der Strukturtypen von Handlungswissen ist das Bildwissen sprachlich gefaßt. Wir wissen zum gegenwärtigen Stand der Forschung nicht, welche sprachliche Funktion der spezifischen Leistung des Bildwissens zugrundeliegt, aus wiederholt gemachten Erfahrungen mit einer Person zuverlässig extrapolieren zu können, und das einmal hergestellte Bild gegenüber Erfahrungen, die ihm widersprechen, festzuhalten. Es scheint aber sinnvoll, bei diesem Wissenstyp das Thema des Wissens (die jeweilige Person, von der ein Bild hergestellt wurde) zu unterscheiden von dem, was über dieses Thema gewußt wird. Das über ihre jeweiligen Beziehungspersonen Gewußte ist die Wissensstruktur der Patienten, die sie beim Durchgang durch das Repgrid-Verfahren sprachlich relativ unmittelbar umsetzen. Die Daten der Repgrid-Technik sind daher primär Resultate der Verbalisierung des Gewußten. Das Resultat der Verbalisierung des Gewußten kann als Teil einer Proposition analysiert werden; die Patienten informieren über eine Eigenschaft, die (als Element des Gewußten) in ihrem Bildwissen als charakteristisch für eine jeweilige Beziehungsperson festgehalten ist. Wir müssen aber davon ausgehen (s. o.), daß das Bildwissen der Patienten nicht gänzlich sprachlich gefaßt ist. Wir müssen damit rechnen, daß ihr Bildwissen idiosynkratische Inhalte hat, die sich der Verbalisierung entziehen. Diese müssen dann durch die Interpretation der Daten ermittelt werden. So kann z. B. das Gewußte in bestimmten Formen gebildet sein, die nur bei oberflächlicher Betrachtung begriffliche Formen sind. Im Zusammenhang

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der Aufgaben, die die Repgrid-Technik den Patienten stellt, kann eine Interpretation der Daten zu dem Schluß kommen, daß die Formen des Gewußten vorbegrifflicher Art sind. Auch ist zu erwarten, daß die Beziehung des Gewußten zum Thema des Wissens keinen direkten sprachlichen Ausdruck in den Repgrid-Daten gefunden hat. Unter welcher Perspektive z. B. eine jeweilige Beziehungsperson als ein Objekt von Erfahrung im Bildwissen (als Thema dieses Wissens) repräsentiert ist, müssen wir durch Interpretation der Daten erschließen. Die lexikalisch-semantischen Eigenarten im Sprachgebrauch der Patienten sind demnach nicht nur als formale Auffälligkeiten zu bestimmen. Unsere Pilotstudie hat von linguistischen Kategorien, die für die formale Analyse semantischer Strukturen entwickelt worden sind, daher nur einen begrenzten methodischen Gebrauch gemacht. Im Wortschatz einer Sprache gibt es zweifellos Wortbedeutungen verschiedener Art (im Sinne einer Relation von Ausdruck zu Ausgedrücktem). Die sinnrelationale Wortbedeutung ist eine davon (vgl. Lyons 1977, dt. 1980 und 1983). Für den Zweck unserer Untersuchung haben sich die Kategorien der semantischen Sinnrelationen als nicht sehr ergiebig erwiesen. Mit der Arbeit von Rachidi (1989) liegt inzwischen eine umfangreiche Untersuchung der Gegensatzrelationen im Bereich deutscher Adjektive vor, die die Kategorien von Lyons weiter differenziert hat. Für den Zweck der Klärung verschiedener möglicher Lesarten der lexikalischen Bedeutung eines Adjektivs kann diese Arbeit von Nutzen sein, wenn Bedeutungsabwandlungen im sprachlichen Ausdruck einer Gegensatzbeziehung genauer beschrieben werden sollen (s. u.). Die Art der Wortbedeutung, die sich für unsere Pilotstudie als besonders relevant erwies, entspricht weitgehend der Auffassung von Schippan (1984), daß die Inhalte von Lexemen verkürzte, verdichtete, für die Kommunikation geprägte Erkenntnisresultate sind. Als Bezeichnungseinheiten einer Sprache sind die Lexeme Träger von Begriffen, in denen gesellschaftlich gewonnene Erkenntnisse und Gliederungen der Wirklichkeit sprachlich festgehalten sind. Ein Bildwissen von einer Person wird relativ problemlos verbalisierbar sein, wenn dieses Bildwissen sprachlich so organisiert ist, daß die einzelnen Bildelemente unmittelbar einen lexikalischen Ausdruck finden. Dies ist z. B. der Fall, wenn in dem Bildwissen relevante Merkmale als charakteristische Eigenschaften einer Person klar voneinander unterschieden sind, so daß sie als solche durch den Gebrauch eines geeigneten lexikalischen Ausdrucksmittels bezeichnet werden können. Die sprachliche Organisation eines Bildwissens stützt sich insgesamt auf Differenzierungs- und Synthetisierungsleistungen,

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die im Wortschatz einer Sprache festgehalten sind. Die verschiedenen Dimensionen, in denen Eigenschaften oder Handlungsgewohnheiten einer Person differenziert werden können; deren Mitgliedschaft zu einer Gruppe; der Bewertungszusammenhang, in den Handlungen oder die soziale Stellung einer Person eingeordnet werden können - diese Differenzierungen sind an Begriffe gebunden, für die es lexikalische Mittel der Bezeichnung gibt. Die Verbalisierung eines Bildwissens wird schwieriger - und sie wird in ihren Resultaten teilweise nur indirekt einen Aufschluß über die zugrundeliegenden Wissensstrukturen geben -, wenn das Bildwissen nur partiell sprachlich organisiert ist und z. B. die Wissensstruktur des Gewußten gar nicht begrifflich gebildet ist. Ein Lexem, das in diesem Fall zur Bezeichnung einer Eigenschaft einer Person gebraucht wird, scheint, von der Ausdrucksform her betrachtet, eine begriffliche Bedeutung zu haben, die der entspricht, die im Wörterbuch eingetragen ist. Tatsächlich ist aber damit zu rechnen, daß dieses Lexem im Zusammenhang einer Eigenbegrifflichkeit gebraucht wird, die der Sprecher (Patient) im Erfahrungsbereich seiner persönlichen Beziehungen entwickelt hat. Die Bedeutung, die dieses Lexem in diesem Zusammenhang hat, muß aus dem Kontext seines Gebrauchs und den darin feststellbaren Regularitäten erschlossen werden. Wie individuelle Organisationsformen und idiosynkratische Inhalte des Bildwissens in den Repgrid-Daten dokumentiert sind, war die Hauptfrage unserer Pilotstudie. Unsere sprachwissenschaftliche Untersuchung dieser Daten sollte möglichst getrennt von den Interpretationen erfolgen, die seitens der Kliniker (Klapp und Bartholomew) in bezug auf dieselben Daten (bzw. Patienten, die diese Daten geliefert hatten) entwickelt wurden. Auf diese Weise sollte vermieden werden, daß die linguistische Analyse die sprachbezogenen Voraussetzungen der klinischen Interpretation dieser Daten reproduziert, anstatt sie zu explizieren. Die an der Pilotstudie beteiligten Sprachwissenschaftler (Flader und Bublitz) haben daher anonymisierte Repgrids erhalten und sie in Unkenntnis der Person des jeweiligen Patienten sowie der über ihn vorhandenen klinisch-psychologischen Informationen analysiert. Zum besseren Verständnis der nachfolgenden Erläuterungen soll zunächst ein unausgefülltes Repgrid abgebildet werden. Die Repgrid-Technik stellt dem Patienten drei sprachbezogene Aufgaben: 1. die Wahl und Benennung einer Eigenschaft (der jeweils gewählten Person) 2. die Bezeichnung eines Gegensatzes der gewählten Eigenschaft 3. die Bewertung (d. h. die Skalierung der genannten Eigenschaften in bezug auf die Personen)

Patienten-Idiolekte Eintrag der einzelnen Bewertungen

Eigenschaftspol

(vom Patienten selbst genannte Personen; nur das "Idealselbst" ist vorgegeben)

(Ausdrücke zur Benennung einer Eigenschaft)

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Gegensatzpol (Ausdrücke zur Benennung des jeweiligen Gegensatzes)

Abbildung 1: Ein unausgefülltes Repgrid

Die sprachlichen Daten, die mit der Repgrid-Technik erhoben werden, sind (s. o.) das Resultat bestimmter mentaler und sprachlicher Tätigkeiten des Patienten. Aus unserer Pilotstudie haben wir die Erkenntnis gewonnen, daß die Berücksichtigung der einzelnen Schritte (bzw. der damit verbundenen Patienten-Aufgaben) der Repgrid-Erhebung sowie die dabei auftretenden Diskrepanzen und Widersprüche für die lexikalisch-semantische Analyse der erhobenen Daten sehr hilfreich ist. Die sprachwissenschaftlichen Untersuchungen erfolgten daher auf zwei Ebenen: a) die Untersuchung von Diskrepanzen und Widersprüchen in den Dimensionen, die durch die Repgrid-Technik vorgegeben sind b) die Untersuchung der speziellen lexikalisch-semantischen Phänomene Die Anzahl der Repgrids, die auf diese Weise näher untersucht wurden, war - wenn man die Praxis statistischer Auswertungen zum Vergleich nimmt -

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relativ klein (insgesamt 15); aber aufgrund der oben genannten Untersuchungsziele und der Tatsache, daß für die sprachlichen Daten eines jeweiligen Repgrids individuelle semantische Besonderheiten signifikanter waren als die Vergleichbarkeit mit den Daten anderer Repgrids, erschien uns eine intensive - und zeitlich aufwendige - Analyse der einzelnen Repgrids als unumgänglich. Wir werden zunächst über Ergebnisse der Untersuchungen zu den genannten zwei Ebenen berichten; anschließend soll eine exemplarische Analyse der Daten eines ausgewählten Repgrids dargestellt werden. 4.

Aspekte einer sprachwissenschaftlichen Analyse der RepgridDaten

a) Diskrepanzen und Widersprüche Wenn ein Patient entscheiden soll, in bezug auf welche Eigenschaft zwei Personen einander ähneln und sich darin von der dritten unterscheiden, dann wird er zu bestimmten mentalen Prozessen angeregt. Er muß sein Wissen von diesen Personen konsultieren und entscheiden, welche der spezifischen Eigenschaften (oder Merkmale), die in seinem Wissen als charakteristisch für diese Personen festgehalten sind, geeignet sein können, zwei Personen als ähnlich zu identifizieren. Dies impliziert eine "praktische Negation": Unter der gewählten Eigenschaft wird - als einem Kriterium der Ähnlichkeit - zugleich die andere (dritte) Person aufgrund des Mangels desselben von der Zweiergruppe ausgeschlossen. In der dem Patienten gestellten Aufgabe ist die gewählte Eigenschaft zugleich ein Differenzierungskriterium im Sinne eines negativen Auswahlkriteriums. Im Datenmaterial lassen sich unter diesem Aspekt gelegentlich Diskrepanzen zwischen der vom Patienten vorgenommenen Differenzierung und der (anschließend erfolgten) Bewertung feststellen. Hierfür ein Beispiel: Ein Patient bildete das Gegensatzpaar (B 1) häuslich - sprunghaft. Dabei wurde die Partnerin - als "sprunghaft" - dem Selbst und einer anderen Person gegenübergestellt; in der anschließenden Bewertung erhielten dann alle drei Personen hinsichtlich des Gegensatzpaares denselben Wert :3. Eine ähnliche Diskrepanz tritt auf, wenn mehrere Personen nach denselben Kriterien gleich hoch bewertet werden, so daß sie eine Art von "Elite-Grup-

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pe"3 bilden. Obwohl diese Personen alle gleich hoch bewertet werden, wurden sie in dem Schritt der praktischen Differenzierung bzw. Negation doch auch einander gegenübergestellt. Hier stellt sich die Frage, ob der Patient nicht benennen kann, was er praktisch differenziert hat, oder ob er nicht bewerten kann (oder nicht bewerten will), was er benannt hat, d. h. ob er den Rückbezug seiner Sprache zur Welt nicht herstellen kann oder vielleicht nicht herstellen will. In der Weise, in der ein Patient die ausgewählte Eigenschaft benennt und den gebildeten Gegensatz zum Ausdruck bringt, treten im Material ebenfalls Diskrepanzen auf. Hier bestehen enge Beziehungen zu den Phänomenen der zweiten Untersuchungsebene (b). Z. B. wird ein Gegensatz durch zwei Wortformen ausgedrückt, deren lexikalische Bedeutung (in den jeweils möglichen Lesarten) keine Gegensatzbeziehung ausdrückt. Da mit ihnen aber ein Gegensatz ausgedrückt werden soll, muß in diesem Fall der Schluß gezogen werden, daß die lexikalische Bedeutung wenigstens einer der zwei Wortformen individuell abgewandelt wurde. Hierfür die folgenden Beispiele: (B 2) künstlerisch - häuslich (B 3) geschäftstüchtig - gutmütig (B 4) Stärke - schwach sein können (B 5) unbeholfen im Lesen - Drang zum Lesen (B 6) Verständnis - Unbekümmertheit (B 7) Großzügigkeit - Ordnung Auf den systematischen Stellenwert, den eine solche Abwandlung im semantischen Idiolekt eines Patienten möglicherweise hat, wird später eingegangen. Häufig treten auch Formen einer schematischen Oppositionsbildung mittels rein formaler Mittel der sprachlichen Negation auf (Negationswörter oder -morpheme): (B 8) reisen - nicht reisen (B 9) pünktlich - unpünktlich (B 10) Toleranz - Intoleranz Die Bezeichnung "Elite-Gruppe" stammt von der Patientin, die in der beschriebenen Weise ihre Bewertungen vorgenommen hatte.

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(B 11) berufliche Interessen - keine beruflichen Interessen (u. a. m.) Hier stellt sich die Frage, ob der sprachlich formalen Negation nicht auch eine bloß formale Gegensatzbildung zugrundeliegt. Widersprüche und Diskrepanzen in den Bewertungen treten in unserem Datenmaterial in verschiedener Weise auf. Z. B. kann eine Eigenschaft oder Disposition, die gesellschaftlich eher negativ bewertet wird - wie "Faulheit" - und die auf dem Gegensatzpol erscheint, auf dem häufig die negativ bewerteten Qualitäten erscheinen, dem Idealselbst (d. h. das vorgegebene Element: "Ich, wie ich gerne sein möchte") zugeordnet werden. Damit kann ein Widerspruch verbunden sein, der möglicherweise auf eine Unsicherheit der vorhandenen Weitmaßstäbe im Bereich moralischer Standards schließen läßt. In dem Repgrid, dem das Beispiel der (dem Idealselbst zugeordneten) "Faulheit" entstammt, wird als Gegensatz zu "Faulheit" "überfleißig" gewählt und negativ bewertet. Zugleich werden aber zwei andere Eigenschaften ("ordentlich" und "Pünktlichkeit") positiv bewertet, die - ebenso wie "fleißig" - sozial als positiv angesehen werden. Mit der Einführung der Figur "Idealselbst", die mit den anderen Karten nach dem Zufallsprinzip gezogen wird, eröffnet das Verfahren des Repgrid für den Patienten die Dimension der Modalität des Wunsches. Nach unseren Untersuchungen repräsentiert das Idealselbst zumeist die Wunschvorstellungen des Patienten. Es gibt Fälle, wo zwischen dem Selbst und dem Idealselbst eine Diskrepanz besteht; umgekehrt gibt es Fälle, in denen beide Figuren in der Bewertung zusammenfallen. Schließlich ist es möglich, daß das Idealselbst hinsichtlich bestimmter Gegensatzpaare von Eigenschaften in der Bewertung einen mittleren Wert erhält. In diesem Fall ist zu fragen, ob für den Patienten möglicherweise das Idealselbst gar kein Ort der Wünsche ist. b) Lexikalisch-semantische Phänomene In unserem Datenmaterial sind Patienten der ihnen gestellten Aufgabe der Differenzierung und Benennung von Eigenschaften in ganz unterschiedlicher Weise gefolgt. Wenn sie Eigenschaften begrifflich gefaßt haben, ließen sich individuelle Besonderheiten hinsichtlich der Relationalität des Begriffs feststellen. Zur Erläuterung: So wie sich in der Grammatik das Analysekonzept der Valenz fruchtbar anwenden läßt (im Deutschen speziell in bezug auf Verben), so kann man in der Semantik Begriffe danach unterscheiden, wie viele Ob-

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jekte bzw. Personen zur Realisierung ihrer jeweiligen Struktur notwendig sind. "Naß" z. B. ist ein Zustand, in dem sich ein Objekt an und für sich befinden kann (d. h. der Begriff ist ein-relational). "Lieb" ist eine Eigenschaft (ein Personenmerkmal), die eine Relation zwischen zwei Personen beinhaltet (d. h. der Begriff ist zwei-relational). Der Begriff "großzügig" beinhaltet eine Person, die (freigiebig) gibt, einen Nehmer und einen Gegenstand, der gegeben wird (der Begriff ist drei-relational). Individuelle Besonderheiten im Gebrauch von Begriffen unter dem Aspekt der Relationalität können im Prinzip in unterschiedlicher Weise auftreten. Z. B. kann die relationale Struktur, die durch einen gewählten Begriff festgelegt ist, sprachlich unvollständig ausgefüllt sein. Das ist der Fall, wenn bei einem zwei-relationalen Begriff das zweite Relat fehlt, weil es sprachlich unbestimmt bleibt. Es ist auch möglich, daß im Verhältnis zwischen den Dimensionen, die allgemein als relevant für ein Objekt angesehen werden, und der gewählten Begrifflichkeit, mit der dieses Objekt erfaßt werden soll, ein bestimmter Gesichtspunkt der Repräsentation des Objekts erkennbar wird, unter dem das Objekt um relevante Merkmale (oder Dimensionen von Merkmalen) verkürzt erscheint. Dies ist z. B. der Fall, wenn bestimmte Tätigkeiten oder Handlungsgewohnheiten von Personen begrifflich so gefaßt werden, daß wichtige Dimensionen dieser Tätigkeiten oder Handlungsgewohnheiten - wie z. B. die Zielsetzung - unbestimmt bleiben. Individuelle Besonderheiten können in diesem Zusammenhang aber auch darin bestehen, daß ein Patient Begriffe gebildet hat, die überwiegend ein und dieselbe relationale Struktur aufweisen. Hierzu fanden wir in unserem Datenmaterial die folgenden Beispiele. In einem der Repgrids aus unserem Material überwiegen ein-relationale Begriffe: (B 12) übergewichtig - schlank (B 13) sportlich - unsportlich (B 14) weitblickend - kurzblickend (B 15) flexibel - unflexibel Weitere Gegensatzpaare in diesem Repgrid enthalten zwei-relationale Begriffe: (B 16) naturwissenschaftlich interessiert - künstlerisch interessiert (B 17) Interesse am Tanzen - Desinteresse am Tanzen (B 18) technisch geschickt - technisch ungeschickt

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Den Begriffspaaren (B 16 - B 18) ist gemeinsam, daß sie die Beziehung einer Person zu einem Gegenstand oder einer Tätigkeit unter einem formalen und statischen Gesichtspunkt repräsentieren; die Beziehung selbst wird mit ihnen nicht konkret bestimmt. In demselben Repgrid wird auch ein Paar zwei-relationaler Begriffe gebraucht: (B 19) engagiert - kaum engagiert, die in ihrer Bildung (und Verbalisierung) die Bestimmung eines zweiten Relates notwendig machen. Worin ist die Person X engagiert? Diese Frage bleibt hier offen. Das Engagement, das für die Beziehungspersonen als charakteristisch angesehen wird, ist nicht konkret bestimmt. Das EngagiertSein ist schon selbst ein spezifisches Personen-Merkmal. Die Unbestimmtheit (Abstraktheit) der Beziehungen, in denen Personen zu anderen Personen oder zu Gegenständen stehen - im Sinne konkreter Tätigkeiten, Handlungen oder Handlungsgewohnheiten und Gefühlen -, scheint für das Bildwissen dieses Patienten ein wesentliches Organisationsmerkmal zu sein. In unserem Datenmaterial lassen sich verschiedene Benennungen häufig in Gruppen ordnen, da sie bestimmte Merkmale gemeinsam haben. Dies sind häufig moralische Werte (oder "Tugenden"), die durch eine Gruppe von Personen, oder durch eine einzige Person - gleichsam gebündelt - repräsentiert werden. Wir schließen daraus, daß der Patient verschiedene Benennungen von Eigenschaften verschiedener Personen aus einem Bildwissen von diesen Personen abgeleitet hat, das auf eine einzige Grundfigur hin organisiert ist. Wir nennen ein solches Bildwissen mono-figural organisiert. In einem unserer Repgrids ist diese Grundfigur die Mutter einer Patientin. Diese Person vereinigt alle hoch bewerteten Eigenschaften auf sich, wie etwa: (B 20) ehrlich - entscheidungsfreudig - Stärke - ruhig - nicht aggressiv Die anderen relevanten Beziehungspersonen - Vater, Partner und Tante sowie das Selbst und das Idealselbst dieser Patientin werden entsprechend diesen Eigenschaften der Mutter, die für die Patientin das "Grundmuster" positiver Werte stiftet, charakterisiert. In einem anderen Beispielfall ist die Grundfigur des Bildwissens von Personen eine eher abstrakte Konstruktion. Dort hat eine Patientin Eigenschaften gewählt (und positiv bewertet), die überwiegend als Leistungsstandards gel-

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ten können. Wir haben als vorläufige Bezeichnung für eine Person, die uneingeschränkt diese Standards erfüllt, den "guten Arbeitskollegen" gewählt: (B 21) ehrgeizig - nicht ehrgeizig (B 22) sehr gewissenhaft - nicht gewissenhaft (B 23) sehr zuverlässig - nicht so zuverlässig (B 24) berufliche Interessen - keine beruflichen Interessen Aus der Diskrepanz zwischen der praktischen Differenzierung (Schritt 2 des Repgrids) und der Bewertung (Schritt 3 des Repgrids) - alle Personen, mit Ausnahme des geschiedenen Ehemanns, erhalten bei den ausgewählten Eigenschaften nahezu gleich hohe Werte - schließen wir, daß an diesen Personen nicht die für sie spezifischen persönlichen Merkmale differenziert wurden. Vielmehr scheint die Patientin diese Personen unter die Figur des "guten Arbeitskollegen" subsumiert zu haben, die für ihr Bildwissen insgesamt grundlegend zu sein scheint. Eine solche Grundfigur, die als Konstruktionsschema für die Bilder von Beziehungspersonen verwendet wird, kann aus verschiedenen Handlungszusammenhängen stammen. Die lexikalischen Elemente, in denen diese Bildkonstruktion sprachlich fixiert ist, nennen wir deshalb ein "pragmatisches Wortfeld". In dem oben angeführten Beispiel (B 20) ist dieser Handlungszusammenhang die Familie der Patientin (die Mutter); in dem Beispielfall (B 21) bis (B 24) stammt die Grundfigur aus der Arbeitswelt. Der "gute Arbeitskollege" ist die Grundfigur für die Konstruktion der Bilder von Beziehungspersonen, die positiv bewertet werden. - Auf diesen interessanten Beispielfall gehen wir weiter unten noch näher ein. Gelegentlich treten in unserem Material semantische Phänomene auf, die wir "Präs" nennen; d. h. daß Eigenschaften und Gewohnheiten von Personen begrifflich so gefaßt sind, daß jeweils nur das Vor-Stadium konkreter Tätigkeiten dieser Personen repräsentiert ist. Hierzu die folgenden Beispiele aus einem Repgrid (vier Gegensatzpaare von insgesamt acht, die in diesem Repgrid gebildet wurden): (B 25) Drang zum Lesen - unbeholfen im Lesen (B 26) Fähigkeiten erkennen - unsensibel (B 27) Auto mit ideellem Wert - Auto als Gebrauchsgegenstand (B 28) Freude an der Natur - Naturkonsument Diese Wörter und Syntagmen sind das Resultat der Verbalisierung eines Bildwissens, in dem Personen unter dem Gesichtspunkt der Voraussetzung bzw. der Vor-Phase einer Tätigkeit repräsentiert sind. Das "Was" dieser Tä-

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Dieter Flader & Ursula Bartholomew & Ute Bublitz

tigkeiten bleibt unbestimmt: was gelesen wird, welche Fähigkeiten zu erkennen sind, was mit einem Auto Sinnvolles gemacht werden kann und was an der Natur Freude bereitet, wird nicht begrifflich gefaßt. An diesem Beispiel läßt sich auch ein weiteres Phänomen gut erkennen, das häufiger auftritt: die lexikalisch ungewöhnlichen Ausdrücke für Gegensatzbeziehungen. Z. B wäre ein lexikalisch bedeutungsvoller Gegensatz zu "Drang zum Lesen" "Desinteresse am Lesen", und ein bedeutungsvoller Gegensatz zu "Freude an der Natur" wäre z. B. "Gleichgültigkeit gegenüber der Natur". Wir nehmen aber an, daß eine Gegensatzbeziehung sprachlich ausgedrückt wurde, da diese in der Aufgabenstellung auch gefordert wird (s. o.). Daher ist zu fragen, wie die lexikalische Bedeutung eines Wortes, einer Wortverbindung oder eines Syntagmas so durch den Patienten abgewandelt werden kann, daß eine Gegensätzlichkeit besteht. Eine solche Abwandlung kann darin bestehen, daß ein Lexem für den Patienten eine bestimmte Implikation hat, die nur für ihn mit dieser Bedeutung des Lexems gegeben ist, so daß das Lexem gewissermaßen um eine individuelle Lesart erweitert wird. Wenn etwa im obigen Beispielfall die "Natur" für die Patientin an sich schon ein Wertgegenstand ist, dem gegenüber sie sich passiv verhält, dann ist zu erschließen, daß der Sachverhalt, daß andere Menschen sich konkret in Beziehung zur Natur setzen, indem sie sie gebrauchen, für die Patientin einen negativen Wert hat. Ahnlich ist "unbeholfen im Lesen" ein sinnvoller Gegensatz zu "Drang zum Lesen", wenn am letzteren von dem "Was" abstrahiert wird und daran die technische Voraussetzung - das Können - für wesentlich gehalten wird. Noch ein weiteres Beispiel soll die lexikalisch häufig ungewöhnlichen Gegensatzbildungen in unserem Material verdeutlichen. In einem anderen Repgrid tritt das Gegensatzpaar auf: (B 29) Stärke - schwach sein können. Welche Art von Gegensatz hier ausgedrückt wurde, hängt davon ab, welche Bedeutung "können" in diesem Zusammenhang hat. Dieses Modalverb ist hier doppeldeutig. Es kann die Bedeutung von "dürfen" oder die Bedeutung von "vermögen" haben. In der Bedeutung von "dürfen" wäre "schwachsein-können" abhängig von einem externen Aktanten, der den Zustand der Schwäche billigt. Die Stärke wäre dann ein "Müssen", d. h. eine Obligation, die der externe Aktant dem Betreffenden auferlegt hat, und die von diesem auch erfüllt wird. Der Gegensatz, der ausgedrückt wurde, wäre dann der von Erfüllung und Aufhebung der Obligation zu einer Stärke, die den Interessen des Betreffenden widerspricht. Dem "Stärke-zeigen-Müssen" wird das "Schwach-sein-Dürfen " gegenübergestellt und letzteres positiv bewertet.

Patienten-Idiolekte

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In der ebenfalls möglichen Bedeutung von "vermögen" drückt "können" jedoch die Unabhängigkeit sowohl hinsichtlich der Stärke als auch hinsichtlich des Schwach-sein-Könnens aus. Letzteres wird dann von dem eigenen Entschluß abhängig gemacht; das "Stark-Sein" ist allein abhängig von dem eigenen Können. Der Gegensatz, der bei dieser Lesart von "können" ausgedrückt wurde, ist der Gegensatz zwischen der Anwendung der eigenen Stärke und dem Verzicht auf diese Anwendung. "Stärke" wäre in diesem Fall eindeutig positiv bewertet. Da bei dieser Verwendung des Modalverbs "können" beide Lesarten möglich sind und beide Lesarten einander widersprechende Bewertungen der "Stärke" zur Konsequenz haben, liegt der Schluß nahe, daß die Patientin mit diesem Gegensatzpaar ihre Ambivalenz hinsichtlich der Bewertung von "Stärke" ausgedrückt hat. Die Einbeziehung der Wertetabelle kann diese Analyse stützen: Als Inhalt des Idealselbstes ist das "Schwach-sein-Können" positiv bewertet und deutlich vom Selbst unterschieden, das als "ziemlich stark" (2) bewertet wird. Schließlich konnten wir häufiger feststellen, daß mit Wortformen, die im Repgrid-Verfahren produziert wurden, den gewählten Personen gar keine Eigenschaften zugeordnet wurden. Nachfolgend ein hierfür besonders interessantes Beispiel; es werden alle Gegensatzpaare dieses Repgrids wiedergegeben: (B 30) Großzügigkeit - Ordnung, Verständnis - Unbekümmertheit, Selbstsicherheit (Ruhe) - Unsicherheit, mangelndes Selbstbewußtsein - Selbstbewußtsein, Anpassung - Rebellion, Ehrlichkeit - Berechnung, Zusammengehörigkeit - Hochmut, Erfolg - Unfähigkeit, Träumer - Realist, Risikobereitschaft - Sicherheitsbedürfnis, Toleranz - Intoleranz, Besitzanspruch - Loslassenwollen, Strenge - Toleranz (Moral), Gebundenheit - Ungebundenheit Bis auf einen Fall ("Träumer" - "Realist") wurden hier Nomina gebraucht, die überwiegend Abstrakta sind. Dies ist erklärungsbedürftig. Schon mit der Wortarten-Wahl ist ausgeschlossen, daß hier an den einzelnen Personen die

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Dieter Flader & Ursula Bartholomew & Ute Bublitz

für sie spezifischen Merkmale differenziert und verbalisiert wurden. Stattdessen scheint die Patientin, die diese Daten produziert hat, die Personen (mit der Ausnahme von "Träumer" und "Realist") unter abstrakte Bezeichnungen subsumiert zu haben. Die Frage stellt sich dann, auf welche Weise subsumiert wurde bzw. wie sich die Personen, die in dieser Weise bezeichnet wurden, zu den Abstrakta verhalten. Wenn wir von der genannten Ausnahme absehen (für sie gilt: "A ist x"), dann sind vermutlich zwei verschiedene Arten von Verbindungen hergestellt worden: "A hat x" und "Hier gibt es x." Im ersten Fall ist eine Person mit einem bestimmten Wert oder Zustand gleichgesetzt worden; im zweiten Fall wurde die Person als mit einem positiv oder negativ bewerteten Zustand verbunden gesehen. Beide möglichen Verbindungen sind vor-begrifflicher Art. Im ersten Fall wird eine Person mit einem Gefühlskomplex assoziiert; im zweiten Fall repräsentieren die Bezeichnungen so etwas wie Orientierungsmarken - paraphrasiert: "Bei Großvater gibt es Unbekümmertheit", "Bei Großmutter gibt es Berechnung." ("Großvater" und "Großmutter" gehören in diesem Repgrid zu den gewählten Beziehungspersonen). Man würde - wenn diese Analyse zutreffend ist - also die Bedeutung dieser Repgrid-Daten verfehlen, wenn man die an der sprachlichen Oberfläche erscheinenden Abstrakta als abstrakte Begriffe auffassen würde. 5.

Eine kurze Einzelfall-Analyse aus sprachwissenschaftlicher Sicht

Nachfolgend soll an dem hier abgebildeten Repgrid kurz gezeigt werden, wie einige der Phänomene, die oben mehr oder weniger isoliert aufgeführt wurden, in einem Beispielfall in spezifischer Weise auftreten und miteinander verbunden sein können, und wie diese Phänomene dadurch einen möglichen Aufschluß über die Eigenbegrifflichkeit der hier ausgewählten Patientin geben, in der sie wieder einen Stellenwert haben. Zunächst fällt an diesem Repgrid auf, daß der geschiedene Ehemann alle negativ bewerteten Eigenschaften auf sich gezogen hat; ihm gegenüber stehen alle anderen gewählten Personen, die die positiv bewerteten Eigenschaften bei sich versammeln. Die sprachlich-schematische Negationsbildung auf Seiten des geschiedenen Mannes ist erklärlich, wenn wir von der Organisationsform des Bildwissens ausgehen, die wir oben als "mono-figural" bezeichnet haben. Die Grundfigur, auf die hin dieses Bildwissen organisiert ist, haben wir oben anhand der Daten (B 21) bis (B 24), die dem hier abgebildeten Repgrid entnommen sind, bereits erwähnt: Insofern es ein Wissen von den positiv bewerteten

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Jaja, ja, das is ja immer so. Manchmal werde ich wach,.. nachts Hm. . dadurch,.. nech? Aber immer durch die rechtsseitigen. Jajajaja. Ja. So. Jetzt äh Herzklopfen. Sie hatten das eben schon angeordn/ an äh gedeutet. Ahja. Ab und zu geht das Herz mal... Das is immer so, wie wenn einer mit nem Hammer schlägt, so ungefähr. -> (s221) A M m mal so polternd, (s222) Pa Jaja. (s222a)A auch unregelmäßig, ja? (s222b)Pa Jaja. (s223) A Überschlägt sich? (s224) Pa Ja, genau, genau. -> (s225) A Und manchmal geht s auch schnell. (s226) Pa Manchmal geht s auch schnell, jaja. (s227) Tik tik tik tik tik tik tik tik ... so. (s228) A Is das so in bestimmten Phasen, wenn Sie sich aufregen, oder vo/ völlig unverhofft? (s229) Pa Manchmal im Bett. (s230) A Hm. (s231) Pa Im Sitzen, im Liegen. (s231 a) Ich weiß nich. (s232) . . . Is so verschieden. -> (s233) A Aber dieses Herzjagen, daß es schnell geht, is nur kurz. (s234) Pa Is nur kurz, jaja. (s235) A Also sekundenlang, ja? (s236) Pa Ja. -» (s237) A ((schreibt 3,5s)) Und das taucht unverhofft auf. (s238) Pa Auch unverhofft. "Aber dieses Herzjagen, daß es schnell geht, is nur kurz." (s233) 'dieses Herzjagen1 ist das Thema [das A aus den Äußerungen (s216ff) refokussiert] und insofern gemeinsames Diskurswissen. Mit "daß es schnell geht" [einem von "Herzjagen abhängigen Ergänzungssatz] reformuliert A die obige Patientenantwort (s226). Auch mit dem Prädikat "is nur kurz" (s233) formuliert A so, als ob er ein Wissen des Patienten ausspreche. Damit nimmt er

Ärztliches Fragen

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eine patientenadäquate Umformulierung seines professionellen Wissens vor. Dies ist die Prozedur des Präformulierens. Tatsächlich zieht er aber sein professionelles Wissen heran, um die Zeitcharakteristik der Herztätigkeit mit "nur kurz" zu checken, und verbalisiert dadurch, daß dem "Herzjagen" "nur kurz" standardmäßig prädiziert wird, ein Wissen, das vom Patienten noch zu prüfen ist (dies tut P mit der Bestätigung "Is nur kurz, jaja." (s234)). Das verbalisierte standardidierte Wissen ist lediglich typisiertes Wissen, hinsichtlich der Fallspezifik aber gerade defizitär (Position 7 des Frage-Musters). Das Wissensdefizit der Äußerung ist allein durch den angesprochenen Patienten zu füllen und so durch sprachliches Handeln das Standardwissen in ein fallspezifisches Wissen des Arztes zu überführen. In der Adressierung einer scheinbar assertiven Äußerung mit Wissensdefizit an den Patienten als den Wissenden manifestiert sich das Element der Frageprozedur. Die Adressierung wird häufig nicht explizit in der Äußerung ausgedrückt, sondern ist mit der Präsenz des Patienten als Gesprächspanner und dadurch, daß sein kranker Körper Thema ist, gegeben. Die Höreradressierung ist die für die Frage allgemein geltende Charakterisierung als "Hinwendung zu einer zweiten Person", die im Eingangszitat von Delbrück als eine der "Eigenthümlichkeiten der Frageform" benannt worden ist.

Auch in "Und das [sc. Herzjagen] taucht unverhofft auf."(s237) ist noch "Herzjagen" Thema, "taucht unverhofft auf das hypothetisch präformulierte Rhema, dessen Wissensbasis eben im Standardwissen des Arztes über Erscheinungen der Herztätigkeiten liegt. Das professionelle Standardwissen wird auf den vorliegenden Fall appliziert und umreißt damit das fallspezifische Wissensdefizit. Allgemein spreche ich von einer verbalen Applikation professionellen Standardwissens (vgl. Diagramm IV: verbale Applikation professionellen Standardwissens). In der Applikation wird tentativ insofern eine Assertion prozessiert, also ein professionelles Sprecher-wissen behauptet - und gerade damit ein fallspezifisches Wissensdefizit formuliert wird. Dies ist die institutionelle Modifizierung der Alltagsfrage zur Arzt-Frage, die in der Position "fallspezifisches Wissensdefizit" (Position 7 des Frage-Musters) kommunikativ formalisiert ist. Die Frageprozedur steckt also in der besonderen Struktur des propositionalen Gehalts der Frage. In "Aber immer durch die rechtsseitigen [Schmerzen]" (s219-222a) wird mit "immer" die zugrundeliegende Wissensstruktur des Arztes angesprochen und so der generische, also standardmäßige Charakter unterstrichen, "die rechtsseitigen" bezieht sich auf ein zugrundeliegendes Symptomwissen über die Schmerzen und ist insofern standardmäßig verankert. Das derart formulierte Wissen umreißt zugleich den defizitären Wissensbereich, der ohne die Konkretisierung durch den adressierten Patienten nicht zu füllen

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Jochen Rehbein

ist. In der spezifischen Verfaßtheit des dem propositionalen Gehalt der Arzt-Frage zugrundeliegenden Wissens ist also die Frageprozedur begründe. Diese wird dann, wenn keine der anderen sprachlichen Frage-Indikatoren vorkommen, allein durch die propositionale Struktur realisiert. Mohn (1979) hat auf den Unterschied von "fachinterner" und "fachexterner" Kommunikation hingewiesen. Beide Kommunikationsformen verwenden nicht nur unterschiedliche sprachliche Formen; die fachexterne Kommunikation verwendet auch Wissensstrukturen, die einen Übergang vom Alltagswissen zum Fachwissen ermöglichen. Entsprechend haben wir es bei der (von Stempel & Fischer konstatierten) Orientierung des Fragens 'nach hinten1 also nicht nur mit einer Anpassung des fachinternen Wissens an laienhafte Verstehensbedingungen zu tun, vielmehr wird das Alltagswissen (unbemerkt vom Laien, 'implizit') durch den Experten umfunktionalisiert. Die sprachliche Adaptierung des Wissens ist jedoch wechselseitig. Denn in der fachextern orientierten Formulierung findet zugleich eine Reformulierung fachinternen Wissens statt. Dies ist wesentlich ein Vorgang der Verbalisierung und mit der genannten Verbalen Applikation professionellen Standardwissens1 gemeint.

Arzt-Fragen mit assertiver Intonation sind demnach durch folgende Frageprozedur charakterisiert: In der verbalen Applikation wirkt die Standardisierung (des in die Äußerung eingehenden Wissens) als Wissensdefizit und somit als sprachliches Fragesignal (Frageprozedur). Durch die Adressierung an den wissenden Patienten tritt die das Wissensdefizit tragende Äußerung in Opposition zum Muster der Assertion [bei der der Sprecher das Wissen, der Hörer das Wissensdefizit hat]. Die Interpretation von Äußerungen des Arztes mit assertiver Intonation als Fragen ist also keineswegs allein vom Äußerungszusammenhang" (fälschlich auch: vom Kontext) abhängig, sondern in der pragmatisch-prozeduralen Komponente der Versprachlichung des Wissensdefizits, also in der (institutionell modifizierten) Fragehandlung selbst, formal angelegt. Die Applikationsprozedur -am Phänomen von Fragen mit assertiver Intonation entwickelt- dürfte beim ärztlichen Fragen aber allgemein auch mit den expliziten anderen Frage-Indikatoren EF verwendet werden. Zusammengefaßt gesagt: Das ärztliche Fragen zeichnet sich -in institutioneller Modifizierung gegenüber der Alltagsfrage- durch zwei Prozeduren aus: Das Präformulieren und die Applikation professionellen Standardwissens; in letzterer schlägt sich das spezifische Wissensdefizit des Arztes nieder. 8. Sprachlich-mentale Tätigkeiten der Patienten beim Antworten Wenn der Arzt in seiner Frage die Antwort des Patienten auch präformuliert, gibt es doch ohne die Antwort des Patienten keine Weiterbearbeitung der Krankheit durch den Arzt. Ich möchte hier auf die Arbeit von Rehbock 1987 zu allgemeinen Antworterwartungen in Ergänzungsfragen hinweisen; wegen der speziellen Thematik im folgenden

rztliches Fragen

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Diagramm IV: Verbale Applikation professionellen Standardwissens

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340

Jochen Rehbein

kann ich jedoch nicht darauf eingehen. Conrad 1978 hat die Literatur zu Antworten in logisch-semantischer und auch teilweise in sprachtypologischer Orientierung referiert.

Die Struktur des Patientenwissens beruht auf den für jeden Patienten je eigenen Erfahrungen mit seinem (länger) kranken Körper. Im jeweiligen Arzt-Patienten-Gespräch ist aber nicht das volle Krarikheitsbild präsent, sondern im Interaktionsraum für den Arzt zu repräsentieren. Diese Repräsentation geschieht zumindest teilweise durch den 'Mund des Patienten', also sprachlich. Es wurde bereits gesagt, daß die ärztliche Frage der Schlüssel zum Wissen des Patienten über seinen kranken Körper ist. Ich lege deshalb der folgenden Antworten-Einteilung die durch die Arzt-Frage bewirkte mentale Abfrage des Patienten bezüglich seines kranken Körpers zugrunde (den mentalen Weg von Position 10 zu Position l und zurück). Die Antworten des Patienten sind nicht sequentiell-m/i/a/e Ausdrucksformen des Schmerzes (etwa Schreie; s. Ehlich 1985), sondern eher sequentieü-mediale Verbalisierungen größtenteils absenter Erfahrungen. Sie werden im Rahmen von Handlungssequenzen (über den Sprecherwechsel hinweg) organisiert, weniger als sprecherseitige Handlungsverkettungen wie etwa Erzählen, Berichten, Beschreiben usw. (Rehbein 1984, 1989): Die institutionelle Verbalisierung absenter Erfahrungs- und Handlungsstrukturen geschieht sequentiell (Rehbein 1980; Löning & Rehbein 1990). Beim Patienten findet im Anschluß an die Frage eine Suche nach den präformulierten Symptomen in Form einer inneren Wahrnehmung des eigenen kranken Körpers statt, sodann erfolgt deren Verbalisierung. Die Verbalisierung der Wahrnehmung setzt nun beim Patienten eine Stellungnahme voraus. Diese geht global gesprochen in zwei Richtungen: Entweder manifestiert sie sich als Beobachtung (selbstdistanzierend, "objektivierend") oder sie ist identifikatorisch mit und ohne psychische Bearbeitung ("subjektiv" bis hin zu Klage, Anklage, Angst-Äußerungen usw.) Eine explizite verbalisierte Einschätzung findet zumeist nicht statt, sie vollzieht sich auf der Seite des Arztes in Position 12/13/17 als mentale Bewertung, die vom Arzt zumeist nicht explizit verbalisiert wird; deshalb spreche ich beim Patienten von Bearbeitung, Die Patienten-Antwort beruht also in der einen Möglichkeit auf der Verbalisierung von Beobachtungen innerer Wahrnehmung (auf der Ebene von Oberflächen-Beobachtungen, also zumeist Beschreibungen), in der anderen Möglichkeit auf der Verbalisierung psychisch bearbeiteter innerer Wahrnehmung (Gefühl, Empfindung usw.). An beide (auf der inneren Wahrnehmung des Patienten beruhende) Prozesse vermag der Arzt durch eigene oder apparative Beobachtung (der Körperoberfläche) aUerdings kaum heranzukommen. Hier sind von ihm sprachbezogene Tätigkeiten erfordert, eben das Fragen und anschließend das sprachlich-interpretierende Bewerten der Antwort.

Ärztliches Fragen Beschwerden des Gänger) kranken Körpers

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absenter Sachverhalt liegt zeitlich vor der Sprechsituation beim Arzt

innere Wahrnehmung der Beschwerden des Gänger) kranken Körpers

Verbalisierung als (Selbst-)Beobachtung der Beschwerden (objektivierend)

Verbalisierung als psychische Bearbeitung der Beschwerden (identifikatprisch bis hin zur Klage) (subjektiv)

Figur 1: Sprachlich-mentale Tätigkeiten des Patienten beim Antworten

Für die Verfahren der psychisch-sprachlichen Bearbeitung beim Antworten des Patienten ergibt sich also zunächst grob die folgende Unterteilung: Deskriptives Benennen, Affirmation / Negation, Konstellation und handlungsbegleitende Phänomene beschreiben / benennen, Metaphern / Vergleiche, deskriptives Nachahmen, Anekdote, Illustration, Darstellen und verwandte sprachliche Handlungen, dem Schildern nahekommende Antworten. Methodisch ist zu bemerken, daß wir es in den folgenden Gruppierungen mit empirischen Einzelfällen (Oberflächenrealisierungen) zu haben, bei denen konkret zu entscheiden ist, welche Antwort die durch die Frage beabsichtigte Salienz trifft, welche nicht. Diskursanalytisch bedeutet dies, daß sich in den einzelnen Fällen keineswegs immer die Regularität sprachlicher Kommunikationsformen rein äußert. Trifft die Antwort die Salienz nicht, so ist der Fragende gehalten, Strategien und u. U. auch Taktiken anzuwenden, um das saliente Wissen dennoch hervorzulocken. Deshalb werden die Antworten im folgenden nach eher salienzversprechend und eher nicht-salienzversprechend gruppiert. Letztlich muß der Arzt bei der Bearbeitung (in 12/13/17) entscheiden, ob die Antwort der Muster-Position 15 oder der Muster-Position 11 zuzuordnen ist.

342

Jochen Rehbein

9.

Eine auf Fragen bezogene Antwort-Typologie

9.1. Deskriptives Benennen Wenn der Patient mit einer gewünschten Formulierung antwortet, benennt er die Beschwerden, deren Ort, Zeitpunkt, Zeitcharakteristik usw. genau, je nachdem, wonach er gefragt wird. Dies ist im folgenden Beispiel (B3a) in den Segmenten (s60) und (s62) zu sehen:

(B3a)

200290/APK/RA/09/146/56B.57A.B/MP/Lö.Bü/35m (männl.) (Herzinfarkt. Erstgespr.) 110490/190690/1:50/Kn/D/ 7/72-7/76

(s59) -> (s60) (s61) (sola) -> (s62) (s63) (s64) (s65) (s66) (s67)

A Pa A Pa

Wie sieht s mit Schmerzen aus? Schmerzen hab ich hier des öfteren. Wo? Hier so. Die krieg ich hier. oben in:/ an der Brust hier. A Ja:. Pa Nichja? Hier. A Und. ziehn die irgendwohin oder bleiben die da? Pa Ach, die/ das letzten Male is das auch ziemlich so geblieben, hier so, nich? (s68) A Ja:.

In (s60) antwortet der Patient auf die einfache Thematisierung "Schmerzen" mit der Beschreibung "hier des öfteren"; dabei ist "hier" noch identifikatorisch mit einer Deixis auf die unmittelbare Präsenz des Körpers im Interaktionsraum bezogen und vermittelt eine nahezu klagende ülokution. Mit "Wo?" wird vom Arzt eine Präzisierung angefordet, die vom Patienten "an der Brust hier" (s62) (Präpositionalausdruck + Deixis) geliefert wird. Durch die Lagebezeichnung gelingt dem Patienten eine Beschreibung des Ortes seiner Schmerzen, in der er seine Beobachtung objektiviert. Die mit "das letzten Male [...] ziemlich so geblieben hier, so" (s67) wiedergegebene Wahrnehmung erscheint als nicht ganz in Übereinstimmung mit der Frage: "ziehn die irgendwohin oder bleiben die da?" (s66). Im folgenden Beispiel (B4) fordert der Arzt eine Wahrnehmung über einen Gefühlsbereich an: (B4) 200290/APK/RA/09/146/56B.57A.B/MP/Lö.Bü/35mrmännl.')(Herzinfarkt.Erstgespr.') 110490/190690/1:50/Kn/D/ 18/205-18/209

(s300) A Sind Sie von der Stimmung her . so, so zum Grübeln und... (s301) Pa ((1,2s)) Eigentlich nich, nur wegen

Ärztliches Fragen

343

(s302) A Ja, schlechten Stimmung. -* (s301) Pa so jetzt wollen wir mal sagen, . . durch die, die Schmerzen da, nich? (301a) ((l ,5s)) Da hab ich manchmal so. -> (s302) Sou im allgemeinen grübel ja nich. (s303) A Sonst nich. -> (s304) Pa Oder ich denk ja nich nach, nei nei. (s305) A Ja. -» (s306) Pa Bloß, ich wunder mich, daß die... (s307) A Rauchen Sie? Mit der abgebrochenen Frage "Sind Sie von der Stimmung her . so, so zum Grübeln und..." (s300) will der Arzt den Zusammenhang zwischen Schmerzen und psychischer Disposition eruieren; im Hintergrund steht die Alternative "funktionelle Störung" vs. "organische Krankheit". Der Patient hat mit dem deskriptiven Benennen von Stimmungen Verbalisierungsprobleme, die auf Probleme beim Beobachten der inneren Wahrnehmung zurückzuführen sind, und an deren Ende die Instrumental-Relation "durch die, die Schmerzen da, nich" (s301) gewählt wird. Das negative Ergebnis beim Beobachten wird mit "Sou im allgemeinen grübel ja nicht" (s302) und mit "oder ich denk ja nicht nach, nei nei" (s304) paraphrasiert, eine andere psychische Tätigkeit wird im Ansatz benannt: "Bloß, ich wunder mich, daß die...", was jedoch vom Arzt als abdriftende Äußerung eingeschätzt und übergangen wird. (Seine nächste Frage bringt mit "Rauchen Sie?" ein neues Thema.) 9.2. Konstellation und handlungsbegleitende Phänomene beschreiben Die folgende Verbalisierungsform beruht darauf, daß Beschwerden wie Schmerzen, Stiche usw. gelegentlich wahrgenommen und deren innere Wahrnehmung deshalb nur bei der Nennung dieser Gelegenheit sozusagen 'auf Stichwort' erinnert werden können. Diese Gelegenheit wird (zumeist durch den Arzt in seiner Frage) als Konstellation präformuliert. Im folgenden Beispiel wird in (s 112) diese Konstellation komplex beschrieben, ohne daß eine Antwort kommt.

(B5) 20Q290/APK/RA/09/146/56B.57A.BMP/Lö.Bü/35m(männUfflerzinfarkLErstgespr.'> 110490/190690/1:50/Kn/D/ 9/98 ff.

-> (sl!2) A Wenn Sie sich nun körperlich belasten und Sie haben die Beschwerden nich, kriegen Sie sie dann immer? -* (sl!3) ((1,6s)) Nehmen wir mal an, Sie müssen schnell laufen, Treppen steigen oder so, was haben Sie dann für Beschwerden?

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Pa (sl 15) A (s116) Pa (slloa) (sl!7) A (s!18) Pa (sl!9) A

Ach, das is auch ... Luftnot, . Is dann die Luft knapp? Luftnot, Jaja. Hnt. Luftnot. Also wenn Sie sich jetzt belasten, dann bekommen Sie als, als Limit sozusagen für die Belastung, dann bekommen Sie Luftmangel? (s!20) Pa So is es, ja. (s!21) A Hm, hin. (s 122) Dann gar nich mal die Schmerzen? (s!23) Pa Nein. (s!24) A Hm, hin. Eine mögliche Salienz ist in (s112) offenbar noch zu stark an der professionellen Ausdrucksweise "körperlich belasten" orientiert. Erst die Frage-Modifizierung in (s113) "schnell laufen müssen, Treppen steigen oder so" mit der einleitenden epistemischen Hilfe "Nehmen wir einmal an" - ein Äquivalent für die Konditional-Konstruktion - konkretisiert die Konstellationsbeschreibung für die Wissenssuche des Patienten so, daß ein deskriptives Benennen in (s 114) erfolgt. Im folgenden Beispiel (B6) ist das Thema "Schmerz" in (s205) verbalisiert und wird in (s208) lediglich durch die Deixis "da" unpräzise refokussiert, um zu erfragen, ob der Schmerz in vorformulierten Konstellationen auftritt oder nicht (beachte die indirekten Formulierungen mit "ob ... oder"):

(B6)

200290/APK/RA/09/146/56B.57A.B/MP/Lö.Bü/35m (mann.) (Herzinfarkt. Erstgespr.) 110490/190690/1:50/Kn/D/12/139 ff.

(s205) A (s206) Pa (s207) A -» (s208) (s209) (s210) (s211) (s210) ·* (s212) (s213) (s214) (s215) (s216)

Pa A Pa A Pa A

Und seit drei Wochen is fast dauernd Schmerz? Dauernd Schmerzen hier so. Hm. Und da is auch ganz egal, ob Sie was tun oder nich, ob Sie sitzen oder liegen? Jaja, ja, das is ja immer so. Manchmal werde ich wach,.. nachts Hm. . dadurch,.. nech? Aber immer durch die rechtsseitigen. Jajajaja. Ja. So. Jetzt äh Herzklopfen.

Ärztliches Fragen

345

Während der Patient in (s209) deskriptiv das von A (in (s212)) Präformulierte als Beobachtung ("immer so") bestätigt, scheint er anschließend mit "manchmal werde ich wach,. . nachts . dadurch, nech?" (s210) eine keineswegs erfragte Zusatzinformation, die dann nicht der gewünschten Salienz entspräche, zu liefern. Genaugenommen präzisiert der Patient jedoch die Arzt-Frage "ob Sie was tun oder nicht, ob Sie sitzen oder liegen?" (s208) und gibt in (s210) ansatzweise eine Illustration ("manchmal...") für das unabhängige Auftreten der Schmerzen, wodurch er eine häufiger auftretende Erfahrung wiedergibt und so identifikatorisch in den Bereich psychischer Bearbeitung von Erfahrung verschiebt. Der Arzt fängt ein derartiges Abdriften des Patienten in nicht-saliente Erfahrungsverarbeitung dadurch ab, daß er mit der Nachfrage "Aber immer durch die rechtsseitigen" (s212) den Patienten zur Bestätigung bereits vorher gelieferter Information und damit zu dem Eingeständnis zwingt, daß seine Antwort in (s210) nichts Neues bringt. Sodann geht er kommentarlos zum nächsten Thema "Herzklopfen" über. Es zeigt sich, daß auch Konstellationsbeschreibungen in die Gruppe der Deskriptionen und damit der Verbalisierung von Beobachtungen gehören. 9.3. Bestätigen / Ablehnen Es ist keineswegs so, daß Patienten auf eine sog. Entscheidungsfrage nur mit "ja" oder "nein" antworten. Da dieser Typ ubiquitär ist, gebe ich ein Beispiel exemplarisch, andere Fälle nehme ich aus anderen Beispielen.

(B7)

200290/APK/RA/09/146/56B.57A.B/MP/Lö.Bü/35m (männU (Herzinfarkt. Erstgespr.1 110490/190690/1:50/Kn/D/10/110-10/116

(s!33) (s!33a) (s!34) (l33a) (134a) (s!35) (s 136) (136a) (s!37) (s138) (138a) (138)

A Pa A Pa A Pa A Pa A

(s!39) Pa

Also, fassen wir das gerad noch mal zusammen! Schmerzen, auch Stiche Ja. links thor/ äh in der Brust. Ja. Das taucht unverhofft auf. Ja. Überraschend und ... Jaja. Hin . Zum Beispiel auch bei tiefer Atmung, Ja. ((schreibt, 2,9)) bei abrupter,.. also bei plötzlicher Bewegung, nich? Ja.

346

Jochen Rehbein

(s!40) A ((2s)) Und ((1,5s)) Belastung ((1,4s)) führt zu Luftmangel. (s!41) Pa Luftmangelja. (s 142) Laufen und so weiter (kann ich nich l Da is es). (s!43) A Ja. Der Patient bestätigt die Aussage des Arztes als zutreffend (in (s 134)). In (s!36) bestätigt er die Antwort, sodann rephrasiert er "unverhofft" durch "überraschend", bricht ab und bestätigt mit der reduplizierten Form ("jaja"): Dies ist eine erweiterte Bestätigung ähnlich wie (s 141), wo die deskriptive Benennung des Arztes "Luftmangel" wiederholt und bestätigt wird. Man sieht, daß die Patienten in Bestätigungen dieser Form Gehalte in der sprachlichen Version des Arztes absichern und damit die Präformulierung bestätigen. - Bestätigungen können jedoch auch negative Form haben, wie das folgende Beispiel zeigt:

(B8)

200290/APK/RA/09/146/56B.57A.B/MP/Lö.Bü/35m fmännU (Herzinfarkt. Erstgespr.) 110490/190690/l:50/Kn/D/14/167-15/169

(s264) -> (s265) (s266) -> (s267)

A Pa A Pa

. Da sind aber nich unbedingt Schmerzen dann dabei, nicht, Nee nee nee. sondern das is ne Sache für sich. Da sind (die l nicht) Schmerzen dabei, nein nein.

Hier wird durch ein Negations-Tripel (s265) die negative Aussage des Arztes bestätigt, sodann wird in (s267) die negative Aussage ebenfalls rephrasiert und die Proposition ebenfalls durch Verneinung bestätigt. Echte Ablehnungen der in der Frage des Arztes steckenden Proposition sind für die Patienten meistens schwieriger zu handhaben. So werden Verneinungen oft durch einschränkende Adverbien bzw. Partikeln abgeschwächt: (B 9)

Q10889/APK/E/06/63/33A/MP/Lö/17m fweibl.l (verändertes Blutbild) (Erstgespräch) 221169/311090/1:30/Kn/E/3/24ff.

-» (s30) (s31) -* (s32) (s33) (s34) (s35) -> (s36) (s37)

A Haben Sie selber Vorstellungen, was das [zu viele weiße Blutkörperchen und Blutplättchen] sein könnte? Pa Nein, eigentlich nicht. A Machen Sie sich Gedanken.. darüber? Pa .. Auch eigentlich nicht, nein. A Nein. Hm. ((schreibt, 6s)) Aber uneigentlich? ((lacht)) Pa ((lacht)) Nein.

Ärztliches Fragen

(s38) (s39)

347

(Natürlich unterschwellig schon ein wenig.) Das ist ganz klar.

Hier lehnt die Patientin die im propositionalen Gehalt der Arzt-Frage unterstellte Tätigkeit ab, versucht jedoch in (s31) die einfache Ablehnung "nein" durch ein "eigentlich nicht" in dem Sinne zu depotenzieren, daß erst aufgrund einer vorhandenen Unentschiedenheit, nicht einer strikten bzw. unüberlegten Handlung die Ablehnung erfolgt. Die Unentschiedenheit nimmt der Arzt zum Anlaß für eine Zusatzfrage in (s32), die ebenfalls depotenzierend abgelehnt wird. Erst nach einer weiteren Zusatzfrage (s36), die die (ungern eingestandene) Unentschiedenheit der Patientin direkt thematisiert, erhält er - nach einem erneuten "nein" (s37) - die gewünschte Antwort, in der die psychische Bearbeitung der Patientin deutlich wird; auf diese Weise wird erst durch die Frage-Sequenz in Folge der Widerstand der Patientin gegen eine Verbalisierung ihrer Ängste überwunden und der Zweck der medizinischen Frage erreicht. Dieser lag nicht allein in der Bestätigung der Proposition der Frage, sondern in der Elaborierung der Vorstellungen (s. zur weiteren Interpretation des Beispiels §9.8. unten). In Fällen wie dem vorliegenden haben also Verneinungen die Funktion eines vorsorglichen Abblockens elaborierter positiver Antworten, das erst durch ein Insistieren des Arztes überwunden werden kann. Im Vorgriff läßt sich damit sagen, daß der Arzt bei Ablehnungen eine größere Tätigkeit in der Bewertungs-Position 13/12/17 durchführen muß, so daß Antworten dieser Art weniger erwünscht sein dürften. An den Beispielen dürfte deutlich geworden sein, daß insbesondere Antworten mit den Interjektionen 'ja1 bzw. 'nein1 in einem anschließenden turn elaboriert werden (wenn ihm der Raum interaktional dafür gewährt wird). 9.4.

Metaphern, Vergleiche usw.

Bisweilen werden Ausdrücke des Symbolfeldes aus der Funktion des direkten Benennens umfunktionalisiert, um die Verbalisierung von Beschwerdenwahrnehmungen präziser durchzuführen.

(B10) 200290/APK/RA/09/146/56B.57A.B/MP/Lö.Bü/35m(männI.')(Herzinfarkt.Erstgespr.·) 110490/190690/1:50/Kn/D/ 4/35-4/39

(sl) (s2) (s3) (s2) (s3a)

A Pa A Pa A

Was führt Sie her? [Eröffnungsfrage] ((Is)) Ja, mein Herz macht Hm'. mir Sorgen und Beschwerden, nich? ((1,3s)) Ja.

348

Jochen Rehbein

-> (s4) (s4a) -» (s5)

(so) (s?) (s8)

Pa Mal geht s mir gut Da könnt ich Bäume ausreißen. Und mal äh äh könnt ich wieder da irgendwie (bin ich gar nicht) zu gebrauchen, nich? A Hm. Pa .Naja, ( ). A Geht das schon lange so?

Hier beantwortet der Patient eine Frage nach dem Grund seines Kommens mit einer Auskunft über den Grund seiner Beschwerden (in (s2)). Diese Auskunft reicht nicht, die Frageillokution wird durch "hm*" (s3) des Arztes aufrechterhalten, so daß der Patient seine Antwort weiter ausbaut, indem er einen polaren Zustand beschreibt (s4/5). Zur Beschreibung beider Pole verwendet er eine deskriptive Formulierung ("Mal geht es mir gut"), die er durch die umgangssprachliche Metapher "da könnt ich Bäume ausreißen" paraphrasiert, worin seine subjektive Empfindung wiedergegeben wird; anknüpfend an diese wird der andere Pol auch als Formulierung weiterzuführen versucht, jedoch existiert in der deutschen Sprache dafür keine Entsprechung, da die verwendete Metapher "Bäume ausreißen können" kein direktes negatives Pendant hat: Das stellt der Patient während des Verbalisierens fest und verwendet deshalb - in einem Anakoluth - eine andere Metapher "da irgendwie bin ich gar nicht zu gebrauchen". In beiden Fällen hat der Patient eine - wenn auch anschauliche - Beschreibung seines Zustande gegeben; denn die Beschreibung ist in Bildern für eine subjektive Erfahrungswiedergabe formuliert. Daher hat der Arzt eine Mehrarbeit an sprachlicher Bearbeitung zu leisten. (Bll)

20Q29Q/APK/RA/09/146/56B.57A.B/MP/Lö.Bü/35m (männU (Herzinfarkt. Erstgespr.) 110490/190690/1:50/Kn/D/ 8/85-8/87

(s85) (s86) (s87) (s88) -» (s89) (s90)

Pa Da war der Ne/Notarzt das letzte Mal da. . Da halt ich da - was war das? - Blutdruck gemessen: hundertneunzig zu hundertzehn. A Hm::. Pa Dachte, die Birne platzt mir. A Ja.

Im obigen Beispiel verwendet der Patient für das subjektive Gefühl des hohen Blutdrucks die Formulierung "Dachte, die Birne platzt mir" (s89). Charakteristisch ist auch hier die paraphrasierende Wiedergabe eines subjektiven Gefühls, das der Verbalisierung einer Beobachtung entspricht. Gleichwohl ist die Konzeptualisierung erst vom zuhörenden Arzt herzustellen, erfordert also sprachliche Bearbeitung.

Ärztliches Fragen

349

Im folgenden Beispiel (B 13) geht der Vergleich in die Frageformulierung des Arztes selbst ein (in (s 100)). Daran erweist sich die These von der Präformulierung der Antwort als relevant, denn der Arzt bemüht sich, die Wahrnehmung der Krankheit durch die Formulierung subjektiver Gefühlswiedergaben vorzuformulieren und dadurch die Verbalisierung der Wahrnehmung zu steuern. Bei der Formulierung der Gefiihlswiedergaben bei Schmerzen benutzt er auch alltagssprachlich vorhandene Ausdrücke (die nicht semiprofessionell sind). (B13) 200290/APK/RA/D9/146/56B.57A.B/MP/Lö.Bü/35m (männl.) (Herzinfarkt. Erstgespr.) 110490/190690/1:50/Kn/D/ 8/87-8/93

(s91) (s92) (s91) (s93) (s94) (s95) (s96) (s97) (s98) (s99)

A Pa A Pa A Pa A

Geht der Kopf da/.. äh geht der Puls dann auch schneller, Jaja. wenn der ho/ Blutdruck so hoch is? Anja. Hin. Auch manchmal so . paar Mal überschlagen so. Ja'. Gut. Ja, kommen wir gleich noch mal hin. Also, wenn Sie jetzt also ruhig dasitzen, haben Sie plötzlich diese Schmerzen. -> (slOO) Is das mehr so n Ziehen oder n Reißen, -> (slOOa) oder sind das Stiche wie mit nem Messer? (slOl) Pa Ich hab manchmal auch Stiche. (s102) A Stiche. (s!03) Pa Jaja. Im ersten Disjunkt der Frage (s 100) charakterisiert der Arzt die Beschwerden des Patienten durch ein prärhematisches "so" (Rehbein 1982) als vage, was dem Patienten einen Spielraum für die mentale Abfrage seiner Beschwerden läßt, im zweiten Disjunkt (slOOa) explizit als einen Vergleich "Stiche wie mit einem Messer". An dieser Formulierung wird nun zugleich deutlich, daß der Ausdruck "Stiche" tatsächlich eine (wie es in der Rhetorik heißt) Metapher und damit eine Erfahrungscharakterisierung ist, denn einerseits wird der Patient ja nicht "gestochen" (vielmehr ist die Empfindung wie Stiche, andererseits eignet sich aber offenbar dieser Ausdruck sehr gut, um die Schmerzempfindungen, d. h. die innere Wahrnehmung der Beschwerden, in beschwerdenspezifischer Form zu bezeichnen.

350

Jochen Rehbein

Bei Metaphern handelt es sich nicht um direkte Exothesen des Schmerzes. Ihre Funktion für die Bezeichnung der Beschwerdenwahrnehrmingen und ihre Steuerung durch die ärztliche Formulierung ist noch weiter zu untersuchen. 9.5.

Deskriptives Nachahmen

Die deutsche Sprache hat - wie bei den Metaphern deutlich wurde - für viele KrankheitsWahrnehmungen keine angemessenen Ausdrücke. Um eine Beschreibung möglichst angemessen (so wie empfunden) wiederzugeben, greifen Patienten bisweilen zu Ausdrücken des Malfeldes (Ehlich 1986). Dies tut der Patient auch im folgenden Fall. (B14) 200290/APK/RA/09/146/56B.57A.B/MP/Lö.Bü/35m (männl.") ("Herzinfarkt. Erstgespr.) 110490/190690/1:50/Kn/D/ 12/139 ff.

(s216) -» (s217) (s218) (s219) (s220)

A Jetzt äh Herzklopfen. Sie hatten das eben schon angeordn/an äh gedeutet. Pa Ahja. A Ab und zu geht das Herz mal... Pa Das is immer so, wie wenn einer mit nem Hammer schlägt, so ungefähr. -» (s221) A M m mal so polternd (s222) Pa Jaja. (s222a)A auch unregelmäßig, ja? (s222b)Pa Jaja. (s223) A Überschlägt sich? (s224) Pa Ja, genau, genau. -» (s225) A Und manchmal geht s auch schnell. (s226) Pa Manchmal geht s auch schnell, jaja. (s227) Tik tik tik tik tik tik tik tik ... so. Die Malfeld-Ausdrucke in (s227) werden hier für die Beschreibung einer Wahrnehmung funktionalisiert, genau genommen, eingebettet in einen Vergleich. Sie stehen von ihrer Rolle beim Antworten und der Antwort-Bearbeitung her den Metaphern nahe. 9.6. Illustration, Anekdote u. a. Die Patienten antworten bisweilen mit der Wiedergabe von Geschichten, in denen die Beschwerden in ihrem gesamten Handlungszusammenhang dargestellt werden, in dem der Patient sich mit seinem kranken Körper über

Ärztliches Fragen

351

längere Zeit hin bewegt. Dieser hat ja eine eigene Struktur gewonnen, die es für den Patienten bisweilen schwierig macht, auf Nachfrage einzelne saliente Beschwerden-Phänomene gezielt und isoliert zu verbalisieren. Insbesondere bei Fragen nach den Umständen ("bei welcher Gelegenheit?" (BIS), "als der Notarzt da war" (B16)) sind Antworten mit Anekdoten Charakter sowie Illustrationen (Becker 1989; Rehbein 1989) der Krankheitsumstände zu erwarten. Illustrationen werden oft durch eine generelle Aussage, eine Sentenz oder ähnliches innerhalb eines Diskurses eingeleitet. So auch hier mit dem Segment (s70), das als erster Schritt der Antwort dient. (B15) 200290/APK/RA/09/146/56B.57A.B/MP/Lö.Bü/35m (männl.1 (Herzinfarkt. Erstgespr.l 110490/190690/1:50/Kn/D/ 7/76-7/82

(s69) -» (s70) (s70a) (s71) (s72) (s73) (s74) (s75) (s76) (s77) (s78)

Pa

A Pa A Pa

Und bei welcher Gelegenheit tauchen die [sc. Schmerzen] auf? ((l,4s)) Mir nichts, dir nichts. Meistens so immer abends so. Fernseh geguckt ohne Aufregung, so irgendwie gesessen da. "Ach, werden wir mal schlafen gehen!" ((1,2s)) "Huh, das fängt wieder an. Hm. Da nehmen wir mal dieses Spray da", nich? Wird s dann besser? Ach was! Das nützt nich.

Der Patient gibt erst eine (sententiöse) deskriptive Auskunft in (s70) und illustriert sie im Anschluß durch eine Geschichte eines offenbar häufiger auftretenden Vorkommnisses. (Illustrationen geben ein standardmäßig auftretendes Ereignis wieder.) Hier werden lediglich die charakterisierenden Passagen in Form von Redewiedergaben dargestellt. Die Geschichte ist zwar eine Wiedergabe des gesamten Schmerzkontextes, jedoch erscheint dem Arzt dieser Kontext nicht als salient, weshalb er sich lediglich das Stichwort "Spray nehmen" herausgreift, das er für die Frage "Wird s dann besser?" mit Themaänderung benutzt. Im folgenden Beispiel (B 16) läßt sich bemerken, in welcher Weise der Arzt eine offenbar dysfunktionale Anekdote in Richtung auf ein deskriptives Benennen umfunktionalisiert. Die Anekdote entwickelt sich dabei auf die Frage nach dem "Hochschießen des Blutdrucks" (s245) ab Segment (s247). Mit der Nachfrage "Haben Sie das [gemeint ist das "Feuerrotsein im Gesicht"] oft?" leitet der Arzt über die Nachfrage nach der Zeitcharakteristik und dem

352

Jochen Rehbein

"Rotanlaufen" (s257), eine Metapher, zu den Bestätigungen seiner deskriptiven Benennungen über:

(B16)

200290/APK/RA/09/146/56B.57A.B/MP/Lö.Bü/35m (männU (Herzinfarkt. Erstgespr.t 110490/190690/1:50/Kn/D/ 13/153 ff.

->

·>





-> -»

(s239) A Nun haben Sie neulich, als der Notarzt da war, hatten Sie ja so n hohen Blutdruck dabei. (s240) Pa Ja. (s241) A Äh haben Sie sich da aufgeregt? (s242) Pa Überhaupt nichts. (s243) A Gar nicht. (s244) Pa Überhaupt nichts,. überhaupt nichts. (s245) A Also das heißt auch, der Blutdruck schießt manchmal so hoch? (s246) Pa Ich (merk da l merkte), ahja, ich merk das schon langsam, . kommt irgendwie. (s247) (Sag mir: "Ja l Ich sagte manchmal:") verdammt noch mal," ((zischt)) "werd ich wieder so, so übel so". (s249) A Hm. (s250) Pa Und dann merk ich da. (s251) "Oh", sagt meine Frau, "Mensch, du bist ja feuerrot wieder im Gesicht da!" (s252) A Hm. (s253) Haben Sie das oft? (s254) Pa ((sl,2s» Ahja, doch. (s255) A Wöchentlich einmal, monatlich einmal, täglich einmal, oder so? (s256) Pa Ach, manchmal so . ein-, zweimal in der Woche so. (s257) A Ein-, zweimal in der Woche (s258) Pa Jaja. (s257a)A dieses . Rotanlaufen? (s258a)Pa Jaja. (s259) A Hm. (s260) Pa (Und) irgendwie . . . Blutdruck oder Puls steigt, oder was. (s261) Ich weiß nich. (s262) A ((1s)) Und dann also ... Druck und Röte im Kopf? (s263) Pa .Jaja. (s264) A ((schreibt, 4,6s)) Plus Übelkeit? (s265) Pa Ja. (s264) A . Da sind aber nich unbedingt Schmerzen dann dabei, nicht, (s265) Pa Nee nee nee. (s266) A sondern das is eine Sache für sich. (s267) Pa Da sind keine Schmerzen dabei, nein nein.

Ärztliches Fragen

9.7.

353

Darstellen und Verwandtes

Im Fall der Darstellung und verwandter sprachlicher Handlungen versucht der Patient, vergangene Tätigkeiten, die im Zusammenhang mit seiner Krankheit stehen, auf Anlaß der Frage wiederzugeben. Dabei ist von einem Mitteilungsdruck des Patienten auszugehen. In der Mitteilung stellt er dem Arzt gegenüber die Gesamtsituation seiner Krankheit dar. Dadurch gelingt ihm auch eine gewisse Krankheitsverarbeitung. Die Darstellung ist jedoch vom Gesichtspunkt salient zu liefernder Information wenig ergiebig für den Arzt. Unter Umständen gewinnt er aus der Darstellung ein Bild über den Umgang des Patienten mit seiner Krankheit. (B17) 220889/APK/R/03/89/40A.B/MP/LÖ/34 m (männU (Luneen-Ca. Erstgespr.) 031089/011189/l:52/Bü/E/13/91-15/105

(s 15) (s!6) (s!7) (s!8) (s!9) (s20) (s21) (s22) (s23) (s24) (s25) (s26) (s25) (s26) (s27)

(s28) (s29) (s30) (s31) (s32) (s33)

A Äh Sie haben jetzt also vermehrte Luftnot nach der Operation? Pa Ja. A Und die: hat jetzt nüdi mehr zugenommen? Pa Nee. A Sie em kriegen ja so n bißchen schwer Luft, wenn Sie so vor mir sitzen. (Oder) ist das noch schlechter geworden? Pa Nee, das ist/mitunter ist das verschieden. Das geht mitunter gut, dann ist das (mal wie schon) n büschen weniger. ((1,5s)) Aber wenn ich gefragt werde, ich sag immer (ahm): "Was soll s?" Ach so, dann hab ich/ ((holt tief Luft)) das is/ ich möchte mal sagen, das ist fast gleichbleibend geblieben. Es ist/ hat sich gebessert etwas in A In der Kur. Pa (in Reha) in Karleoburg. A Ja. Pa In Karleoburg, da konn/ war ich nicht in der Lage, hundert Meter zu gehen, wenn das nur so n bißchen. bergauf ging. A Hm. Pa (Und) das konnte ich nachher, nach ((holt tief Luft)) sechs Wochen könnt' ich aber die kleine Steigung bis zum Briefkasten, A Hm. Pa also .. ohne daß ich stehen bleib, äh konnte ich die an schaffen. ((holt tief Luft)) Und ich konnte auch/ (da ging) nachher n paar Stufen hoch, das habe ich denn auch bis zum Ende geschafft. Und die Luft hier in, in Plattberg ist mir . auch sehr gut bekommen.

354

Jochen Rehbein

Antworten vom Typ Darstellen konfrontieren den Arzt häufig mit unerwarteten Geschichten, aber auch mit eigenen Kausalerklärungen usw. Die Patienten bringen hier ihre sog. LaienvorStellungen der Krankheit und ihrer Ursachen an und liefern - eigentlich ungefragt - eigene Diagnosen ("Autodiagnose"; s. dazu Driessen & van Mierlo 1987). Damit haben Darstellungen oft eine Drift eigener Art aus dem Frage-Antwort-Muster heraus. (Zur Form des Darstellens s. Rehbein 1989). 9.8.

Wiedergabe innerer Wahrnehmungen

Häufig wird vom Arzt "nach irgendwelchen Beschwerden", "nach Vorstellungen, die Sie sich über die Krankheit machen", "nach irgendwelchen Belastungen" usw. gefragt. Durch derartige Fragen sind die Patienten aufgerufen, längere Ausführungen über ihre psychische Bearbeitung der Krankheit zu machen. Dabei werden auch Ängste verbalisiert. Linguistisch ist interessant, daß Satz-Fragen, indirekte Fragen und Ergänzungsfragen hier gleichermaßen verwendet werden können. Es ist jedoch wichtig, daß offenbar das gemeinsame Wissen zwischen Arzt und Patient (zumindest aus der Sicht des Arztes) so gering ist, daß die Vorgaben in Präformulierungen ebenfalls gering sind. Vielmehr ist der Arzt auf die sprachliche und inhaltliche Seite der Patientenantworten gleichermaßen angewiesen (~ offene Frage: 'Haben Sie irgendwelche x?'). Des weiteren ist interessant, daß sich der hohe Anteil der inneren Wahrnehmung bei den Verbalisierungen subjektiver / psychischer Erfahrungbearbeitung in den Antworten sprachlich zeigt. (B 18^01Q889/APK/E/Q5/62/32B.33A/MP/An.Lö.Ha/20mfmännlichWErstgespräch>) 101090/020692/l:60/Bü,Kn/D/6/57-6/61 (Diagnose: Polyglobulie bei hyperkalorischer Ernährung und Alkoholabusus, Adipositas)

-> (s30) (s31) -> (s32) (s33) (s34) (s35) (s36)

A Haben Sie irgendwelche Beschwerden? Pa ...Nein. . .. Ich fühl mich so eigentlich ganz wohl, bis auf daß ich n huschen zu viel Pfunde drauf hab. A Hm. Pa Doktor Thomson sagt/ A Seit wann ist das Gewicht erhöht?

Im vorstehenen Beispiel macht der Patient eine Feststellung über seinen Gefühlszustand, wobei der Ausdruck "so eigentlich" die Unerwartetetheit der positiven Antwort ("ganz wohl") dem Arzt gegenüber abmildern soll. Fiehler 1990 (120 f.) spricht bei Formulierungen vom Typ (s32) von "erlebnisdeklarativen Formeln". Charakteristisch ist hier jedenfalls die Formulierung

Ärztliches Fragen

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des Patienten mit einem verbum sentiendi ("Ich fühl mich ... ganz wohl"), durch die er die Wahrnehmung der psychischen Seite seiner Krankheit wiedergibt. (B 19^ 010889/APK/E/06/63/33A/MP/Lö/17m fweibl.t (veränd. Blutbild) (Erstgespr.) 221169/311090/1:30/Kn/E/ 3/24-4/37

-> (s30) A (s31) ·> (s32) (s33) (s34) (s35) -» (s36) (s37) (s38) (s39) -> (s40) (s41) (s42) (s43)

Pa A Pa A

(s44) (s43) (s45) -> (s46)

A Pa A Pa

(s47) (s48) (s49) (s50)

A Pa A Pa

Pa A Pa A Pa

(s51) A (s52)

Haben Sie selber Vorstellungen, was das [zu viele weiße Blutkörperchen und Blutplättchen] sein könnte? Nein, eigentlich nicht. Machen Sie sich Gedanken.. darüber? .. Auch eigentlich nicht, nein. Nein. Hni. ((schreibt, 6s)) Aber uneigentlich? ((lacht)) ((lacht)) Nein. (Natürlich unterschwellig schon ein wenig.) Das ist ganz klar. Und was haben Sie f ü r . . . unterschwellige Gedanken? Ahm ((3,6s)) wie soll ich das formulieren? ((l ,5s)) Versuchen Sie s mal! ((9s)) Da: ich von der Fa/von der Familie herein wenig-vorbelastet bin, was Magenkrebs und solche Sachen betrifft, Hm. und ich auch schon . ahm .. Magengeschwür hatte, Hrn. und des öfteren mal . . Magen . Schleimhautentzündungen, solche . Sachen, diagnostiziert wurden,. . kann ich mir vorstellen, daß das im weitesten Sinne vielleicht. da etwas mit zu tun hat. Mit dem Magengeschwür w äs zutun. Vielleicht. Hm. ((l ,5s)) Ansonsten habe ich so keine Vorstellungen und auch keine .. Überlegungen bisher so angestellt. Ja. Hmhni.

Nach mehreren Elizitierungsfragen (s30), (s32), (s36) und (s40) des Arztes formuliert die Patientin in einem außerordentlich komplexen Satz (s53) ihre "unterschwelligen" Ängste vor dem Krebs. Die gesamte Konstruktion hängt von dem Matrix-Satz "kann ich mir vorstellen" (mit der Illokution einer vorsichtigen Einschätzung) ab, der mittels eines Verbs des Denkens und

356

Jochen Rehbein

Vorstellens mentale Tätigkeiten benennt, der die Patientin bei ihrer Krankheit ausgeliefert ist. Benennungen mentaler Tätigkeiten, Darstellungen innerer Wahrnehmungen also, sind hier charakteristische Formen der Antwort. Sie erfordern von der Patientin eine Fähigkeit zur Konzeptualisierung mentaler Prozesse. Diese sind weitgehend nicht gemeinsames Wissen zwischen Arzt und Patientin, sondern werden erst von ihr - nach der Überwindung einer Barriere - in den gemeinsamen Interaktionsraum gebracht. (B 20) Q9Q889/APK/E/12/74/36A.B/MP/Lö/22m '(weiblich) (Mammakarzinom) 010890/050890/1:42/An/E/ 5/50-6/61

-> (s60) A Was belastet Sie denn im Moment jetzt mehr, die äh äh Behandlung an s/ als solche . oder. die Krankheit und die Ungewißheit und wie es weitergeht oder die Untersuchung bei mir? -> (s61) Was behandelt/ belastet Sie da am meisten. jetz? -> (s62) Pa ((2s)) ((seufzt)) Ja, am, am meisten, ((3s)) daß ich . eben . so das Gefühl hab, ich/ . oder, oder nich weiß, was überhaupt wird, was, was... (s63) A Hm (s64) Pa ((2s)) Immer dieses Ungewisse! (s65) A HnT. (s64) Pa Und, und ((seufzt)).. ob das auch auch hil:ft und ob... (s65) Au Mann! -> (s66) Irgendwo ((2s)) ja, so dieses, dieses Gefühl eben, nech? (s67) A Hm. (s68) Pa ((2s)) Wie gesagt, ich. verkrafte das ja einigermaßen, diese .. (s69) A Ja. (s68) Pa ähäh. (s70) A Ja. (s68) Pa äh. Infusionen. -* (s71) A Die Infusionen selber verkraften Sie. (s72) Pa Ja. Die Patientin hebt die Disjunktion, die der Arzt in seiner Frage (s60/61) macht, auf, indem sie - nach einem Verbalisierungsanlauf - ihr "Gefühl" ausdrückt: "Immer dieses Ungewisse und ob das auch hilft" (s64). Nach dem Leidensausruf "Au Mann!" endet sie mit einer Deixis auf eben diesen Ausruf: "so dieses, dieses Gefühl eben" (s66). Die schwerkranke Patientin drückt hier vorsichtig und unsicher ihren Gefühlszustand angesichts ihrer Krankheit und der Behandlung aus (vgl. Löning in diesem Band S. 191250). Der Arzt würde hier sinnvollerweise zu einem Trost oder einer Anteilnahme übergehen, statt zu einer Echo-Frage (s71) (s. dazu Reis 1990), in

Ärztliches Fragen

357

der er die körperliche Verarbeitung der Infusionen fokussiert und so von Problemen der Unsicherheit ablenkt. (B 21)

22Q889/APK/R/Q3/89/4Q A.B/MP/LQ/34m CmännU (Lungenkarzinom. Erstgesprächt 031189/011189/1:52/Bü,Ho/F/8/99-8/104

-> (s 10) A

Haben Sie denn jetzt irgendwelche Beschwerden durch den Lungenkrebs? (sll) Pa Beschwerden habe ich nich, man kann/ -> (s!2) Ich sag immer nur, das ist dann nich mehr alles . . . und es fehlt da was und daß man nicht mehr so atmen kann wie vorher. (s!3) A Hm. Ja. -> (s!4) Pa Daß man . eher aus der Puste is, das leuchtet mir alles ein, aber sonst... Der Patient hat einerseits Verbalisierungsprobleme, andererseits bringt er zum Ausdruck, daß seine körperliche Gesamtsituation so beeinträchtigt ist, daß er offenbar den Ausdruck "Beschwerden" nicht mehr als angemessen betrachtet. Die Einschätzung des Ausdrucks in der Frage verbindet er mit einer Aussage zu seiner Gesamtsituation. Dabei verwendet er im jeweiligen Matrix-Satz ein Verb des Sagens ("Ich sag immer nur") und des Denkens und Vorstellens ("das leuchtet mir ein"). Die Frage wird also mit einer Darstellung bis hin zur Selbsteinschätzung seines Zustands beantwortet. Bei dem vorliegenden Antwort-Typ sind Schilderungen relativ selten, jedoch steht er dem Schildern nahe. Charakteristikum des Schilderns ist, daß die Sprecher vergangene Handlungs- und Ereignisabläufe als Eindruck und Erinnerung wiedergeben, wobei sie sich sowohl an der vergangenen Handlungssituation als partizipierend als auch diese Situation vom Wiedergabezeitpunkt her als verarbeitend darstellen; auf diese Weise kommen sie zugleich zu einer Einschätzung und zu festen Annahmen über die Vergangenheit (vgl. Rehbein 1989). Was bei dem Antwort-Typ fehlt, ist die explizite mentale Tätigkeit des Einschätzens; diese ist Aufgabe des Arztes (in Position 12/13/17). Man kann also sagen: Der Patient gibt Eindrücke von seiner Krankheit aus der gegenwärtigen Sprechsituation heraus wieder; diese sind komplexe sprachliche Formen der inneren Wahrnehmungen seiner Beschwerden. Sie werden vom Arzt einer Bewertung unterworfen. Wenn Patienten bei diesem Typ von Antwort auch einen Bereich der Krankheitsbearbeitung und des allgemeinen Befindens verbausieren, der nicht gemeinsames Wissen mit dem Arzt und demzufolge vergleichsweise wenig salient ist, dann sehen wir, daß sie dabei Ausdrücke für die Versprachlichung men-

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Jochen Rehbein

taler Prozesse benutzen. Bei der sprachlichen Bearbeitung dieser Antworten greift sich die Arzt zumeist ein passendes Stichwort heraus, um solcherart das Verbalisierte mittels Präformulierung in eine Salienz zu überführen. 10.

Patienten-Antworten und die Klassifizierung ärztlichen Fragens

Es hat sich herausgestellt, daß sich die verschiedenen Formen von Patienten-Antworten grob in zwei Gruppen einteilen lassen: Eine, in der eine mehr oder weniger gezielte (Selbst-)Beobachtung verbal wiedergegeben wird; dies sind deskriptives Benennen, Beschreiben von Konstellationen des Krankseins, Bestätigungen bzw. Ablehnungen der vom Arzt explizit gegebenen Präformulierungen, Metaphern und deskriptives Nachahmen. Insgesamt lassen sich die sprachlichen Handlungen dieser Gruppe unter die Diskursart des Beschreiben^ fassen, denn in verschiedener Weise wird die Anforderung vom antwortenden Patienten erfüllt, das Wissensdefizit des Arztes durch eine möglichst getreue Wiedergabe eigener Beobachtungen auszufüllen. Entsprechend der Charakteristika des Beschreibens ist der Patient gefordert, Oberflächen des Sachverhalts nachzuzeichnen. Dieser Gruppe stehen Antworten gegenüber, in denen die Patienten in der Verbalisierung stärker ihre Beschwerden psychisch bearbeiten: Dazu gehören das Illustrieren, das Darstellen verschiedener vergangener Handlungen und Erfahrungen im Zusammenhang mit der Krankheit sowie das Wiedergeben innerer Wahrnehmungen aus der gegenwärtigen Sprechsituation heraus. Diese zweiten Antwort-Subtypen lassen sich m. E. nicht einem typisierenden Oberbegriff sprachlichen Handelns zuordnen; jedoch kommen sie dem Schildern insofern nahe, als sich in ihnen eine gewisse psychische Bearbeitung sprachlich niederschlägt. (In Figur 2 sind die Verhältnisse zusammengefaßt.) In derartigen sprachlichen Formen der Gefühlsbearbeitung expandiert der Patient seine Antwort bisweilen in vom Arzt nicht vorhergesehener Weise. Aus der obigen Analyse dürfte deutlich geworden sein, daß eine solche Expandierung beim Patienten zumeist mit der Form seiner (mental bedingten) Krankheitsbearbeitung zusammenhängt. Allgemein sind Expandierungen in der Frage selbst angelegt (zur Expandierung von FrageAntwort-Sequenzen in der medizinischen Kommunikation s. Ten Have 1990). Arzt-Fragen nach "irgendwelchen Beschwerden" können den Patienten z. B. zur Verbalisierung unbestimmter Erfahrungen veranlassen (s. insbesondere den Antwort-Typ "Wiedergabe innerer Wahrnehmungen" (§9.8.)). Aus der Einteilung der Antworten läßt sich nun m. E. eine Klassifizierung des ärztlichen Fragens begründen. Anhand der vorliegenden Transkriptionen und der Literatur zum Fragen erschien es zunächst schwierig, eine sol-

Ärztliches Fragen Beschwerden des (länger) kranken Körpers

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absenter Sachverhalt liegt zeitlich vor der Sprechsituation beim Arzt

innere Wahrnehmung der Beschwerden des (länger) kranken Körpers

Verbalisierung als (Selbst-)Beobachtung der Beschwerden (objektivierend)

Verbalisierung als psychische Bearbeitung der Beschwerden (identifikatorisch bis hin zur Klage) (subjektiv)

Beschreiben

sprachliche Formen des Empfindungsausdrucks

(eher salienz-versprechend)

(weniger salienz-versprechend)

Deskriptives Benennen Beschreiben von Konstellationen des Krankseins Bestätigen bzw. Ablehnen Metaphern deskriptives Nachahmen

Versprachlichen innerer Wahrnehmungen beim Illustrieren Darstellungen Schildern

Figur!: Klassifizierung der Antworten mit Bezug auf sprachlich-mentale Tätigkeiten der Patienten

ehe Klassifizierung ohne Anstrich von Willkür vorzunehmen bzw. ohne auf eine Liste sprachlicher Oberflächenstrukturen zurückgreifen zu müssen (s. die Kritik an einem solchen Vorgehen in Ehlich & Rehbein 1986). Prinzipiell sind ärztliche Fragen strukturell ähnlich wie die erwarteten Antworten aufgebaut. Auf der Basis der im Vorhergehenden untersuchten sprachlichen Sequenzen (dargestellt in der Figur 2) können ärztliche Fragen danach unterteilt werden, welche Wissensprozeduren bei den Patienten ausgelöst werden. Entsprechend ergeben sich

360

Jochen Rehbein

- ärztliche Fragen, die Wissensprozeduren vom Typ Beobachten der Beschwerden auslösen (Typ I); - ärztliche Fragen, die Wissensprozeduren vom Typ psychische Bearbeitung der Beschwerden auslösen (Typ ). Im einzelnen können ärztliche Fragen nun gemäß der Klassifizierung der Antworten mit Bezug auf sprachlich-mentale Tätigkeiten der Patienten eingeordnet werden Eine Klassifizierung des Fragens aus den unterschiedlichen Antwort-Gruppen herzuleiten, erscheint mir damit eine Annäherung an eine funktionale, d. h. institutions- und diskursanalytisch begründete Analyse zu sein. Betrachten wir die Auswirkung der Antwort-Differenzierungen auf den ärztlichen Fragesteller, der in Position 12/13/17 die Antworten der Patienten einer Bewertung unterzieht und sie unter Bezug auf sein medizinisches Wissen und sein Frageziel (Position 18) verarbeitet (wir ziehen zu diesem Zweck Diagramm V: Typen von Patienten-Antworten heran), dann fallen Antworten vom Typ Beschreiben unter die erwünschten Antworten, weil sie der (normalen) Verarbeitungsweise mit dem verfügbaren medizinischen Wissen entgegenkommen. Dabei erfolgt seitens des Arztes innerhalb seines professionellen Wissens eine sprachliche Bearbeitung, d. h. eine "Reduzierung" der Antwort des Patienten auf das saliente Wissen. Die Gruppe von Antworten, bei denen der Patient seine Beschwerden in der Verbalisierung psychisch bearbeitet, wie Darstellen, Illustrieren und Wiedergeben innerer Wahrnehmungen bis hin zum Schildern, erfordert vom Arzt über sein medizinisches Wissen hinaus einen anderen Wissenstyp und dessen Einsatz bei der Verarbeitung, nämlich sprachlich-psychologisches Alltagswissen. Hier muß der Arzt Anteilnahme aussprechen, trösten, nichtmedizinische Ratschläge erteilen, Mitleid äußern, ermutigen, kurz, auf Äußerungen hin sequentiell angemessen sprachlich handeln, in denen sich der Patient identifikatorisch mit seiner Krankheit, ihren Folgen, seinen Ängsten, seiner Niedergeschlagenheit, Hoffnungslosigkeit u. a. m. auseinandersetzt. Zugleich muß der Arzt auch die sprachliche Form der Patienten-Antworten bearbeiten, also sein (sprachlich-psychologisches) Alltagswissen über sprachliches Handeln adäquat einsetzen (Position 5). Wie dies im einzelnen geschieht und welche Konsequenzen unterschiedliche Strategien haben, ist jedoch noch zu erforschen.

Ärztliches Fragen

Konstell.besclf===| BestäUAbleh

Diagramm V: Typen von Patienten-Antworten (unter Bezug auf mentale Prozesse) : mentale Abfrage Illlii»

: Institulionsgrenze

: mentale Handlung (Weg) : Start

x^/

: Entscheidungsknoten

vww · anlizipative Prozedur

Diagramm V: Typen von Patienten-Antworten

: Grenze des Frage-Musters

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Jochen Rehbein

Verzeichnis der Transkriptionen APK-190988/K/Ö3/46/15B (Morsischka, männlich, Lymphknotenschwellung, Erstgespräch) Transkription: Hohenstein APK-010889/E/05/62/32B (Star, männlich, Polyglobulie bei hyperkalorischer Ernährung und Alkoholabusus) Transkription: Bührig APK-010889/E/06/63/33A (Begmann, weiblich, verändertes Blutbild, Erstgespräch) Transkription: Knapheide APK-090889/E/12/74/36A,B (Riedmüller, weiblich, Mammakarzinom, Folgegespräch) Transkription: Anders, Löning APK-220889/R/02/88/40A (Korn, weiblich, Milzbeschwerden, Erstgespräch) Transkription: Hohenstein APK-220889/R/03/89/40A,B (Stoffer, männlich, Lungenkarzinom, Erstgespräch) Transkription: Bührig APK-200290/RA/09/146/56B,57A,B (Horner, männlich, Herzinfarkt, Erstgespräch) Transkription: Knapheide AI-300190/R/01/PI-9A (Arztinterview, Löning zu APK-220889/R/Ö2/88/40A) Transkription: Bührig Literaturverzeichnis Altmann, H. (1987) Zur Problematik der Konstitution von Satzmodi als Formtypen. In: Meibauer, J. (Hg.) (1987) Satzmodus zwischen Grammatik und Pragmatik. Tübingen: Niemeyer, 22-56 Becker-Mrotzek, M. (1989) Schüler erzählen aus ihrer Schulzeit. Eine diskursanalytische Untersuchung über das Institutionswissen. Frankfurt/M.: Lang Bolinger, D. L. (1958) Interrogative Structures of American English (The direct question). In: Proceedings of the American Dialect Society 28/1958. Alabama: University Press Brinkmann, H. (21972) Die deutsche Sprache. Gestalt und Leistung. Düsseldorf: Schwann Bühler, K. (1934) Sprachtheorie. Die Darstellungsfunktion der Sprache. Jena: Fischer (1978 Frankfurt / M.: Ullstein) Candlin, C. & Leather, J. & Bruton, C. & Woods, E. (1977) The Question Function. Module 10. In: Candlin, C. & Leather, J. & Bruton, C. & Woods, E. (1977) DoctorPatient Communication Skills. University of Lancaster: Medical Recording Service Foundation Candlin, C. & Leather, J. & Bruton, C. & Woods, E. (1977) The Med-Ask Function. Module 21. In: Candlin, C. & Leather, J. & Bruton, C. & Woods, E. (1977) DoctorPatient Communication Skills. University of Lancaster: Medical Recording Service Foundation Conrad, R. (1978) Studien zur Syntax und Semantik von Frage und Antwort. Berlin: Akademie Driessen, C. & Mierlo, H. van (1987) The patient's autodiagnosis: Ritual activities in the medical consultation. Arbeiten zur Mehrsprachigkeit 19. Hamburg: Germanisches Seminar Ehlich, K. (1981) Schulischer Diskurs als Dialog? In: Schröder, P. & Steger, H. (Hg.) (1981) Dialogforschung. Düsseldorf: Schwann, 334-369 Ehlich, K. (1985) The language of pain. In: Theoretical Medicine 6/2, 177-187 Ehlich, K. (1986) Funktional-pragmatische Kommunikationsanalyse - Ziele und Verfahren. In: Härtung, W. (Hg.) (1986) Untersuchungen zur Kommunikation - Ergebnisse und Perspektiven. Linguistische Studien Reihe A, Arbeitsberichte 149, 15-40 Ehlich, K. & Rehbein, J. (1986) Muster und Institution. Untersuchungen zur schulischen Kommunikation. Tübingen: Narr

Ärztliches Fragen

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Jochen Rehbein

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Das Hausbesuchsprogramm Kommunikation mit allen Sinnen in der Umgebung des Patienten Wolf gang Sohn

Zusammenfassung Sprache ist das Basis-Instrument in der Kommunikation zwischen Arzt und Patient. Trotzdem fehlt bisher schon für ein patientengerechtes Sprechen in der Ausbildung von Medizinistudenten jede systematische Vermittlung. Wahrnehmungstraining "vor Ort" bietet ein Hausbesuchsprogramm, das die Allgemeinmedizin der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf gemeinsam für Studenten aller Semester durchführt. Mit interdisziplinärer Supervision (Allgemeinmedizin, Medizinsoziologie, Psychotherapie) werden erste (oft einzige) Erfahrungen mit ambulanten Patienten während des Studiums begleitet. Dabei wird deutlich, wie intensiv die "sinnliche" (non-verbale) Kommunikation in der häuslichen Umgebung erfolgt.

1.

Ausgangslage "Ein junger Arzt ähnelt einem Expeditionsreisenden, der auf einem Fluß durch den tropischen Dschungel fährt, und dessen Boot man mit leicht verderblichen Vorräten beladen hat, statt ihn das Fischen und Jagen zu lehren, damit er sich in der Wildnis unbegrenzt lange ernähren kann" (vgl. Pauli 1985).

Wer die Hindernisse des Numerus Clausus überwunden hat, sieht sich von Beginn des Medizinstudiums an auf die Schulbank zurückversetzt, während er leicht verderbliche Feinkost serviert bekommt. Nicht nur die Konzentration trockener Theorie in den vorklinischen Fächern, sondern auch die "Darreichungsform" des Stoffs als Frontalunterricht schrecken ab. Die unveränderte Rollenverteilung des Kathedermonopols einerseits (vorne, oben, autonom) und der großen undifferenzierten Masse nur rezeptiver Wesen, zunächst Schüler, dann Studenten genannt, bahnen die gegenwärtige Ausbildung vom ersten Tag an und dies, wie wir wissen, völlig falsch. In einem Fachbereich, der verständliches Reden als maßgebliches Instrument einsetzen sollte, muß eine neue Form des Kompetenznachweises für Dozenten gefordert werden. Mangelnde Kommunikationsfähigkeit kann nicht durch wissenschaftliche Erfolge ersetzt werden. Trennung von lehrenden und forschenden Professoren, die im übrigen - soweit es den stationä-

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ren Bereich angeht, auch noch gute Ärzte sein wollen — erscheint in diesem Zusammenhang eine realistische Forderung. Wir können nicht von Dozenten, die in der Großvorlesung Kommunikationsangst haben und diese hinter mehr oder weniger sichtbaren Masken und Attitüden verstecken, zeitgemäßen, erfolgreichen Austausch erwarten. Unter den aufgezeigten Bedingungen erscheint es schwierig, Ärzte selbstbewußt und selbstkritisch auszubilden, die ihr Bündel an Wissen und Können schnüren sollen für zunächst noch unklare, später ganz unterschiedliche Beruf sziele. Der Stolz über die Zulassung zu dem Studium, das den Beruf mit dem weiterhin bei Bevölkerungsumfragen höchsten Sozialprestige (vgl. Andersen 1990) zum Ziel hat, verfliegt in der Realität von Konkurrenzkämpfen um Labor- oder Sezierplätze schnell. Die formal gebildeten Gruppen aus Einser-Abiturienten dürfen in dieser Anfangsphase nicht den Lernpartner vom Gymnasium mehr vermissen lassen, als den Patienten auf den sich schließlich alles beziehen sollte. Um diesem wiederholt beklagten Manko der Vorklinikphase (und nicht nur der) ein konkretes Angebot entgegen zu stellen, ist das "Hausbesuchsprogramm" konzipiert worden. Damit wird bewußt das warmherzige, teilweise schon zur Nostalgie verkommene Bild des Hausarztes in die kühle Umgebung von Anatomie und Physik-Experimenten getragen. Ernüchterte Studenten sollen motiviert werden, denen von Seiten der Theoretiker unter den Ausbildungsforschern gesagt wird, daß die Halbwertzeit des medizinischen Wissens so kurz sei, daß sich die Anstrengung kaum lohne, in der Aus-, Weiter- und Fortbildung neues Wissen zu erwerben (vgl. Studer 1989), die zu hören bekommen, daß sie sich als Ärzte von morgen Aufgaben gegenübergestellt sehen werden, die heute erst in Umrissen erkennbar seien (vgl. Arnold 1988, S. 6), und nicht zuletzt wird ihnen gegenüber allenthalben die Klage über die Ärzteschwemme und die düsteren Berufschancen erhoben. Solange jedoch Patienten erfolgreich gegen überzogene Wartezeiten im Sprechzimmer von Bestellpraxen klagen und überhaupt das Warten als Mischung aus Unterwerfungsritual und Qualitätskriterium für den jeweiligen Arzt interpretiert wird, können die Berufsaussichten nicht so schlecht sein. 2. Organisation Nach Ankündigung in Vorklinik- und Klinik-Vorlesungen durch vorab von der initiierenden Arbeitsgruppe Allgemeinmedizin gewonnene Studenten und entsprechende Anschläge, findet sich eine Gruppe von 16 Studenten, die mit Neugierde und Verbindlichkeit die Veranstaltung über l Jahr mitgestalten.

Das Hausbesuchsprogramm

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Auf sechs Hausärzte (Allgemeinärzte) aus dem Einzugsgebiet der Universität Düsseldorf werden die Studenten verteilt. Sie lernen durch reine Adressenvermittlung oder persönliche Vorstellung zusammen mit dem jeweiligen Hausarzt ihren Patienten und dessen Familie kennen. Eine Auswahlmöglichkeit "wer zu welchem Arzt" oder "wer zu welchem Patienten" kommt, bestand nicht. Zusammen mit Medizinsoziologen und Psychotherapeuten der Universität verabredete man, sich monatlich auf einer gemeinsamen "Supervisionssitzung" zu treffen, an der sporadisch die Hausärzte teilnahmen. Die Sitzungen fanden jeweils mittwochs nachmittags (Praxisfrei für niedergelassene Ärzte) statt und dauerten 2 Stunden. 3. Die Gruppenarbeit Die Trennung zwischen Vorklinik- und Klinikausbildung wird mit dem Hausbesuchsprogramm erstmalig aufgehoben. Ohne erkennbare Unterschiede arbeiten Studenten vom ersten bis zehnten Semester zusammen. Dieser Punkt muß betont werden, da es in der Tat überrascht, daß der klinische Wissensvorspmng weder bei der Patientenbetreuung im Programm wesentliche Vorteile, d. h. Sicherheit oder Selbständigkeit deutlich machte, noch in den "Supervisionsgesprächsrunden" offenkundig wurde. Auch wenn Hinweise auf Zeitknappheit wegen Dissertations- oder PJ-Beanspruchung gefallen sind, ist aus Sicht des teilnehmenden Hausarztes eine durch das gemeinsame neue Erlebnis verbundene Gruppe festzustellen. 3.1. Die Rolle der Studenten Wer als "Droge" Arzt noch nicht gereift ist, aber als Medizinstudent schon einen Teil der späteren Wirkung spürt, dem tut es gut, genauer zu erfahren, woraus sich die Wirkung zusammensetzen könnte. David Sinclair (vgl. Arnold 1988), früherer Anatomie-Professor in Aberdeen, hat in seinem Buch "Basic Medical Education" geschrieben, der Studierende müsse in den ersten 4 Semestern richtig lesen lernen und in den nächsten 6 Semestern wie man freundlich zu dem Patienten ist. Das bedeutet: Er muß vor allem seine eigenen Grenzen kennenlernen, die von Wissen (Knowledge - kognitiv - Theorie), Fertigkeiten (Skills - psychomotorisch Praxis) und Einstellungen (Attitudes - affektiv - Praxis) Erfahrungen und Verhalten bestimmt werden (vgl. Arnold 1988, Bochnik 1989). Dieses Kennenlernen der eigenen unvollkommenen Rolle durch Wirkung vom ersten Kontakt im Haus des Patienten über den ungewohnten langen

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Wolfgang Sohn

Zeitraum von l Jahr mit der neuen Kontinuität eines monatlichen Kontaktes von ca. l Stunde ohne Unterbrechung durch die Semesterferien, war ein Bündel von Erfahrungen. 3.2.

Die Dozenten

Für den Hausarzt an der Hochschule ist es naheliegend, daß aus seiner ganzheitlichen Sicht der Arzt-Patienten-Kontakt von Anfang bis zum Ende des Studiums bestehen muß, da Verhaltenskompetenz wesentlich durch die Gesprächsfähigkeit des Arztes bestimmt wird. Sie allein kann den Patienten aufschließen, fesseln und durch Vertrauen überzeugen und aktivieren. Dies gilt es permanent zu üben. Die Medizinsoziologie vermittelt Zusammenhänge von sozialem Umfeld und Verhalten, zeigt gesunderhaltende und krankmachende Faktoren in der Sozialanamnese auf und kann Regeln aufstellen. Dadurch soll die Struktur der Wahrnehmung verbessert werden und auf Wiederholung von Abläufen vorbereitet, Kausalketten erkennbar und für Krankheitssymptome verwertbar gemacht werden. Das neue Angebot "selbst mitgestalten" zu können, gab den Studenten den Mut, die Forderung nach vorweg aufgestellten Regeln zurückzuweisen. Der Psychotherapeut war hinlänglich beschäftigt, Hausbesuchserfahrungen, die stärkste Emotionen (Aggressivität, Trennungsängste etc.) ausgelöst hatten, zu ordnen, Konflikte zwischen Dozenten und Studenten aufzugreifen und mögliche Ursachen als Erklärungen auf seine Art anzubieten. Für die niedergelassenen Hausärzte wurde deutlich, daß die zunächst nur flüchtig überlegten Kriterien bei der Auswahl der Patienten für die jeweiligen Studenten im Nachhinein ganz konkret Problempatienten charakterisiert haben. Teils unbewußt wurde der Versuch gemacht, ein Betreuungsdefizit auszugleichen, was einzelne Studenten überforderte, andere motivierte. Die Teilnahme an dem Programm, aus der stets übervollen Sprechstunde heraus mit permanentem Zeitmangel, wurde den niedergelassenen Ärzten von seiten der Studenten als Kritik deutlich angelastet, weil damit das Klischee von Praxishektik bestätigt und die Möglichkeit des Austausche über den 'gemeinsamen' Patienten nicht wichtig genommen wurde. 3.3.

Die Kommunikationsprobleme

Die ungewohnte Rolle von Patienten und Studenten wird auch von der Vorstellung kompliziert, daß der Arzt - also auch der angehende - sehr gezielt zum Hausbesuch kommt und nach einem entsprechenden Schema von all-

Das Hausbesuchsprogramm

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gemeiner personenzentrierter Kommunikation über die krankheitsorientierte Befragung zur ärztlichen oder sogar psychotherapeutischen Beratung vorgeht. Für den Studenten wird nach dem Corpus Hippocraticum die schlichte Erkenntnis hilfreich sein, auf zweierlei kommt es bei der Behandlung von Krankheiten an: zu nützen oder nicht zu schaden. Da sich der Ablauf des gewohnten Arztkontaktes bei dem Studentenkontakt nicht vergleichbar abspielt und für die Struktur des Gesprächs keine Vorgaben vereinbart worden sind, muß der Student, aus dem sonst so reglementierten Studium noch besonders vorbelastet, den Ablauf des Gesprächs fast intuitiv gestalten und sich ein Ziel für das Konzept des einstündigen Hausbesuches setzen. Der Medizinsoziologe (Ch. v. Ferber) ergänzt, daß "die Patientenkontakte, die durch das Hausbesuchsprogramm entstanden seien, zusätzliche, aus der Alltagsnormalität herausfallende Interaktionen darstellen. Sie bedürfen daher zur Herstellung, Aufrechterhaltung und Beendigung einer Legitimation, d. h. einer ständigen Rechtfertigung vor sich selbst, gegenüber dem anderen und gegenüber Bezugspersonen. Hierdurch entstehe eine experimentelle zwischenmenschliche Situation, die es zu beobachten, auszuwerten und zu reflektieren gelte, um daran lernen zu können." Mit Angst vor dem ersten Hausbesuch wurde die Schwelle übertreten, wurde gesehen (volle Aschenbecher bei angeblichen Nichtrauchern, Chips und Süßigkeiten bei Blutfettbesorgten, Ordnung, Unordnung, Helligkeit, trübe Beleuchtung, Teures, Einfaches, Altdeutsches, Modernes etc.); wurde gehört (klassische Radiomusik oder Fernsehwerbung am frühen Nachmittag, laute oder leise Sprache (Schwerhörigkeit), Lachen oder aggressives Fordern, Sprache zwischen den Familienmitgliedern: gewählt, differenziert, hilflos (ätzend, geil etc.), höflich, verletzend; wurde gerochen (nach dem Essen, Zigarettenrauch, Körpermuff bei Hygienemangel, Krankheitszeichen (eitrige Ulzera, Aceton); es wurde geschmeckt (angebotener Kaffee, Süssigkeiten), letztlich wird auch gefühlt: weniger taktil als atmosphärisch. Der Reiz, die Schwellenangst zu überwinden, auch einmal etwas wagen zu müssen, das ohne Vorbereitung gestaltet werden mußte, stärkte die Motivation der Teilnehmer. Die stets aufflackernde Aktivität, etwas Gutes tun zu wollen, wo auch der Arzt - kurzfristig natürlich der Böse - nichts getan hatte, mußte geduldigem Zuhören mit Stillsitzen weichen. Sich selbst rechtzeitig zu erinnern, nicht den Arzt ersetzen zu wollen, wurde teilweise als Anstrengung geschildert. Bei psychischen Erkrankungen Beistand zu bieten, wurde exemplarisch verdeutlicht und zeigte die Grenzen der Beanspruchbarkeit. Gesprächsinhalte und Verhaltensweise so eindeutig zu gestalten,

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Wolfgang Sohn

daß Mißverständnisse vermieden wurden, erschien sehr schwierig. Ebenso die Grenzen des sinnvollen Hausbesuchskontaktes sicher zu erkennen (z. B. Einkaufen gehen - ja oder nein). Der Umgang mit der Schweigepflicht war Thema einer Supervisionssitzung, die auch die Notwendigkeit von Gegenleistungen des Arztes hinsichtlich Verbindlichkeit und Seriosität, also seines Verhaltens, verdeutlichte. Sowohl eine Arzt-Studenten- als auch eine Student-Patienten-Konstellation war so unergiebig, daß ein Wechsel vorgenommen wurde. Dem federführenden Allgemeinarzt wurden einerseits Ideal-Rezepte abverlangt und als hilfreiche Form der Problemlösung dargestellt, andererseits wurden sein Langmut, seine Verbindlichkeit und sein Bemühen um Allparteilichkeit bei den Patienten als schwer durchführbar empfunden. Insgesamt traten am Ende des verabredeten Einjahreszeitraums deutliche Trennungsprobleme der Studenten gegenüber ihren Patienten auf, die von den Studenten als Mutwilligkeit und Unangemessenheit bis Unhöflichkeit (angeblich gegenüber den Patienten) erlebt wurden. Überlagert war dieses Erleben von der Problematik, die offen und sehr persönlich, heftig und sensibel zusammenarbeitende Gruppe verlassen zu müssen und den spannenden Ausgleich zu den anderen Veranstaltungen des Studiums nicht länger miterleben zu können/dürfen. (Eine wiederholte Teilnahme mit neuen Patienten wird ermöglicht.) 4. Ergebnisse Die neue Form der Zusammenarbeit von Studenten aller Semester und Dozenten verschiedener Fachrichtungen im Kleingruppenunterricht erweist sich nicht nur an den Reformuniversitäten (Maastricht, Albuquerque, McMaster, Harvard u. a.) (Murhardter Kreis 1989) als zeitgemäßer Weg zum Ausgleich bestehender Defizite im Bereich der Arzt-Patienten-Kommunikation. Auch das Düsseldorfer Hausbesuchsprogramm wird fortgesetzt unter der Erkenntnis, nicht nur Auffangbecken für emotionale Frustration des Medizinstudiums zu sein, sondern - durch die Themenschwerpunkte der einzelnen Supervisionssitzungen - eher indirekt als formal vorgegebene Regeln für die Arzt-Patienten-Kommunikation mit allen Sinnen erarbeitet zu haben. Über die Verbesserung der Kommunikationsfähigkeit wird auch in Zukunft jeder Weg für eine Reform des Medizinstudiums führen müssen. Für diese Aufgabe war der Hamburger Workshop eine wichtige Plattform.

Das Hausbesuchsprogramm

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Bekenntnis als Nachwort "- Statt zuzuhören, habe ich gesprochen. - Weil ich die falschen Fragen gestellt habe, habe ich nicht die richtigen Antworten erhalten. - Ich habe meine Patienten mißverstanden, weil ich die verschiedenen Botschaften des Sprechens nicht erkannt oder verwechselt habe. - Statt Empathie entgegenzubringen, habe ich mich "professionell" verhalten. - Statt den Patienten anzunehmen, habe ich ihn abgewiesen. - Die Gespräche mit dem Patienten waren für beide Teile unbefriedigend, weil ihnen der richtige Anfang, eine klare Zielsetzung und ein konkreter Abschluß fehlten. - Ich habe Zeitdruck erzeugt und Zeitdruck spüren lassen. - Ich habe angeordnet, statt zu motivieren. - Ich habe Patienten als sogenante schwierige Patienten behandelt. - Ich habe Ängste verkannt und Ängste im Gespräch ausgelöst. - Ich habe nicht verstanden, daß die Wirklichkeit meines Patienten und meine Wirklichkeit nicht identisch waren. - Ich habe mir nicht bewußt gemacht, daß die Sprache das wichtigste Instrument des Arztes ist. Kurzum: Ich habe mich verhalten wie viele meiner Kollegen. Damit habe ich Chancen vertan, Hoffnungen enttäuscht und mich selbst um einen Teil der Früchte meiner Arbeit betrogen.. Heute weiß ich, daß das richtige Gespräch zwischen Arzt und Patient nahezu alles bewegen kann und sich ohne das richtige Gespräch fast nichts bewegt." (Aus: Geisler 1978) Literaturverzeichnis Abschlußbericht Murhardter Kreis (1989) Das Arztbild der Zukunft - Analysen künftiger Anforderungen an den Arzt, Konsequenzen für die Ausbildung und Wege zu ihrer Reform. Robert-Bosch-Stiftung. Gerungen: Bleicher Andersen, H. (1990) Konkurrenz und Kollegialität. Ärzte im Wettbewerb. Berlin: Wissenschaftszentrum Arnold, M. (1988) Der Arztberuf. Stuttgart: Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft. Bochnik, H. J. u. a. (1989) Sprechende Allgemeinmedizin. Köln: Deutscher Ärzteverlag Geisler, L. (1987) Arzt und Patient - Begegnung im Gespräch. Frankfurt / M.: PharmaVerlag Pauli, H. G. (1985) Vision von Allgemeinmedizin als neues Wissenschaftsmodell. Ärztliche Praxis 32, 1395-1398 Studer, H. (1989), in: Saladin, P. (Hg.); Medizin für die Medizin, Festschrift für H. G. Pauli. Basel: Heiburg & Lichtenhain.

Fragen von Ärzten Erste Bemerkungen1

Paul ten Have

Zusammenfassung Dieses Papier ist ein erster Bericht von einer Untersuchung über die soziale Organisation von Befragungen im Rahmen von Sprechstunden-Gesprächen in Hausarzt-Praxen. Es geht um das Problem, wie Ärzte ihre Fragen konstruieren, wie der Antwort-Raum von Patienten genutzt wird, und wie die Befragungssequenzen danach fortgesetzt werden. Anhand der Besprechung einiger Fragmente werde ich die grundlegenden Konzepte erklären. Vor allem die Art, mit der Ärzte und Patienten die lokal verfügbaren Möglichkeiten ausnutzen, wird hervorgehoben werden. Meine Analyse zeigt, daß die "Wirkung1 von Fragen zumindest in den untersuchten Fällen einen viel subtileren Charakter hat als in der Literatur suggeriert wird. Ärzte können in ihre Fragen vielerlei Hinweise über die Art, mit der die Antwort zu gestalten und auszubauen ist, aufnehmen. Sie zeigen nicht nur, was sie selber wissen möchten, sondern auch, in welchem Rahmen Patienten ihre Antwort weiterentwickeln können. Patienten können aber auch aus dem Kontext der Frage und aus den Reaktionen der Ärzte Hinweise über ihre Antwortmöglichkeiten entnehmen. Sowohl der Umfang, als auch die Form und der Inhalt von Antworten auf Fragen von Ärzten kommen durch Verhandlungen, die auf komplexen Interferenzen basieren, zustande.

1. Einleitung Anschließend an eine mehr global orientierte Studie über die sequentielle Struktur von medizinischen Konsultationen (Ten Have 1987, 1989, 1991), berichte ich hier über den Beginn einer viel spezifischeren Untersuchung von Befragungssequenzen. In der oft kritisch getönten Literatur über ArztPatient-Interaktion hat die Befragung einen ziemlich dubiosen Ruf (vgl. u. a. Davis 1988; Fisher & Todd 1983; Fisher 1986; Frankel 1984, 1990; Todd 1989; West 1984). Ärzte würden Fragen vor allem zur Einschränkung der Redemöglichkeiten von Patienten verwenden. Sie unterbrächen deren Erzählungen und legten die Patienten auf Themen von medizinisch-technischem Interesse fest (vgl. z. B. Mishler 1984). Meine eigene Optik ist weniger bewertend. Ich will untersuchen, wie die Befragung des Patienten gemacht wird und gemacht werden kann und mit welchen Konsequenzen. Die Diese Untersuchung wäre nicht möglich gewesen ohne die Inspiration durch die Arbeit von Harrie Mazeland über Frage/Antwort-Sequenzen in sozialwissenschaftlichen Interviews (Mazeland 1992). Außerdem danke ich ihm für die Übersetzung meines Textes und Ruth BronsAlbert für die Korrekturen.

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Paul ten Have

Problematik der eventuellen Einschränkung und Gesprächssteuerung spielt im Hintergrund sicher mit, aber ich beachte auch andere Aspekte. Meine Vorgehensweise ist konversationsanalytisch. Ich lege den Akzent auf die sequentielle Organisation von Befragungen in medizinischen Konsultationen. Zur deren Beschreibung verwende ich Konzepte, die in der Analyse von Interaktionen in unterschiedlichen Situationen entwickelt wurden. Ich fasse Fragen als Äußerungen auf, in denen eine Art Raum für eine Antwort kreiert wird. Sie bieten dem folgenden Sprecher einen kognitiven Rahmen, den er bei der Suche nach einer passenden Fortsetzung benutzen kann. Obwohl die Befragung ihren Höhepunkt in Frage/Antwort-Sequenzen findet, werden solche Kernsequenzen oft in Prä-Sequenzen vorbereitet (Schegloff 1980), während nach der eigentlichenAntwort noch allerlei weitere Dinge in Post-Antwort-Sequenzen passieren. Der letztere Begriff hebt die prinzipielle Ausbreitbarkeit von Frage/Antwort-Sequenzen hervor (vgl. Mazeland 1992). In diesem Aufsatz beschränke ich mich auf die Besprechung der ersten Befragungsepisoden in zwei Konsultationen aus meinem Korpus, - eine niederländische und eine britische. Im Lauf der Analyse werden noch einige Sequenzen aus späteren Phasen dieser Gespräche herangezogen werden. 2. Die strukturierte Introduktion von Themen Ich werde zunächst ein Fragment aus einem Sprechstunden-Gespräch erörtern. Kurz vor dem Fragment haben Arzt und Patient sich einander vorgestellt und hat der Arzt die Patientenkarte gelesen. (Beispiel 1; s. für das von Gail Jefferson entwickelte Transkriptions verfahren z. B. Atkinson & Heritage 1984, p. IX-XVI.) 1 A

2 3 4 P 5 6 A

7 8 P 9

dat is een he_le:: hh 'h

das ist eine ganze geschiedenis met jou geweest Geschichte mit dir gewesen in eh januari he im Januar ne ja( ) (.) en dat is toen dat is (.) und das ist dann das ist sindsdien goed gegaan? seitdem gut gegangen? ja ((Unterbrechung wegen eines Telephongespräches))

Fragen von Ärzten 10 P 11 12 13 14

15 A 16 P 17

18 A 19 P 20

21 A 22 P 23 24 A

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('t is namelijk zo) (es ist nämlich so) ik ben al een paar maanden ich habe schon ein paar Monate (.) verkouwen eine Erkältung en dan is 't weer over und dann ist es wieder vorbei en dan is 't weer weg und dann ist es wieder weg ja en eh zo.ndag kree'k in geji und am Sonntag bekam ich auf einmal keer eh (.) gQ£d hoofdpijn richtige Kopfschmerzen ja ('k moest helema-) aan aan (ich mußte ganz) auf auf deze kam helemaal dieser Seite ganz ja en zondagavond kree'k eh pijn und am Sonntagabend bekam ich Schmerzen in m'n borst hier in meiner Brust hier met horsten of zo of mit Husten oder so oder

In diesem Fragment werden drei Fragen gestellt, - siehe die Zeilen 1-3, 6-7, und 24. Die erste, das ist eine ganze Geschichte mit dir gewesen, verweist offensichtlich auf die Information auf der Patientenkarte. Sie hat die Form der Behauptung einer irgendwie verdeckt formulierten negativen Bewertung. Diese wird durch den Nachtrag ne zu einer frageartigen Bitte um Bestätigung gemacht (vgl. dayman 1988). Obwohl er selber keinen Anteil an der ganzen Geschichte hatte, zeigt der Arzt durch die Verwendung des deiktischen Ausdrucks das, daß es sich hier um alte Information handelt. Es geht um eine Geschichte, die bewertet werden kann, sogar von einem Außenseiter wie ihm selbst. Er macht die Geschichte zu einer geschlossenen Datei, auf der aber weiter aufgebaut werden kann. Was faktisch verlangt wird, ist eine Entscheidung, eine Zustimmung zur Bewertung. Als diese tatsächlich gegeben wird (Z.4: ja und eine Pause), ist das eine Bestätigung der Abgeschlossenheit der damit angedeuteten Information, zugleich aber auch der Tatsache, daß diese Information durch beide Parteien geteilt wird. Weitere Erläuterungen oder Erweiterungen waren zwar nicht unmöglich, sie wurden aber auch nicht gefördert. So wird dieser Austausch zu einer PräSequenz zu dem, um was es eigentlich geht.

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Paul ten Have

Dann folgt eine 'echte' Frage (Z.6-7), auch wieder in der Form einer Behauptung, die auf der Ebene der Intonation zu einer Frage gemacht wird. Die Assertion wird durch unterschiedliche Verfahren mit der vorausgehenden Interaktion verknüpft: durch die Verwendung der Konjunktion und, das Pronomen das und dadurch, daß auf den betreffenden Zeitabschnitt verwiesen wird: dann, seitdem. Es gibt eine Selbstkorrektur, von dann zu seitdem, vom Zeitpunkt zum dazwischenliegenden Zeitraum. Die Korrektur markiert sozusagen die Verschiebung in der Aufmerksamkeit des Arztes, von der angedeuteten alten Information zur Periode zwischen damals und jetzt, die dem Arzt noch unbekannt ist. Außerdem deutet das Partizip gegangen auf ein historisches Interesse. Es betrifft eine Reihenfolge von Zuständen, die zu evaluieren sind. Es wird also wiederum eine Bewertung vorgeschlagen, über die eine Entscheidung verlangt wird. Diesmal wird aber um Zustimmung zu einer positiven Bewertung gebeten. Das Thema der Zustimmung, auf das mit das hingewiesen wurde, ist der Inhalt der geschlossenen Datei, - das heißt, alles was im Januar passiert ist. Wiederum wird auch eine Erläuterung über das zu Evaluierende möglich gemacht, diesmal aber in höherem Ausmaß, weil es eine Periode betrifft, über die der Arzt keine Information hat. Der Patient verfügt also über einen nur geringfügig vorstrukturierten Antwortraum: es wird eine Entscheidung verlangt, aber auch die Möglichkeit einer historisierenden Erläuterung über die Entscheidung ist geschaffen worden. Es geht um eine Bewertung einer vergangenen Periode aus der Perspektive der früheren Beschwerden. Aber im weiteren wird die Ausfüllung dieses Raumes dem Patienten überlassen. Die Antwort hat tatsächlich eine solche Form, wie nahegelegt wurde: eine Zustimmung, und dann - nach der Unterbrechung - eine Erklärungsmarkierung und eine Geschichte. Diese widerspricht der Entscheidung übrigens in der Tendenz: obwohl er der positiven Bewertung der vergangenen Periode zustimmt, insofern es die alten Beschwerden betrifft, erzählt er von anhaltenden Problemen und einer rezenten Verschlimmerung - der vermutliche Grund zur Konsultation. Der Patient hält sich an die Zustimmungsregel (vgl. Sacks 1987), er behandelt sie aber nicht als inhaltlich bindend. Der Patient produziert seine Geschichte in einer ausgedehnten Form mit einer subtilen Struktur (Ten Have 1987, S. 212-19). Deren Gestaltung wird vom Rezipientenverhalten des Arztes unterstützt. An Stellen, an denen er auch einen längeren Beitrag hätte liefern können, äußert er zunächst drei minimale Akzeptierungen. Dann macht er einen Beschreibungsvorschlag, den er ausdrücklich offen macht, indem eine Position für eine leere Alternative hinzugefügt wird (oder so oder). Auf diese Weise kann der Vorschlag

Fragen von Ärzten

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die Wirkung einer Suggestion zur Antworterweiterung bekommen, und so wird er auch benutzt. Dem Patienten wird also die Gelegenheit zur Produktion eines Discourse-Unit gegeben. Er selbst ist dabei der primäre, der Arzt der sekundäre Sprecher. (Houtkoop & Mazeland 1985) Kurzum, obwohl es in diesem Fragment um Bestätigungsfragen geht, sind in deren Konstruktion Elemente eingebaut, die Hinweise enthalten, wie die Fragen weiter aufgefaßt werden können - als eine Einleitung, als eine Einladung, eine Geschichte zu erzählen, oder als Einladung, die Erzählung in einer bestimmten Richtung weiter auszuarbeiten. Diese Wirkung scheint mit der Verteilung von Wissen zwischen den Teilnehmern zusammenzuhängen. Fragen zeigen nicht nur, welche Informationen gewünscht werden, sondern auch, wie unterschiedliche Wissenselemente hinsichtlich des a/fMew-Unterschiedes aufgefaßt werden können oder ob diese Kenntnisse geteilt werden oder ob nur einer der Teilnehmer über sie verfügt. Altes beziehungsweise gemeinschaftliches Wissen wird gewöhnlich zuerst zur Sprache gebracht. Dadurch wird ein Referenzrahmen für die neuen, interaktional zu produzierenden Kenntnisse geschaffen. Deren unterschiedliche Zugänglichkeit wird zunächst vorausgesetzt oder angedeutet. Im vorliegenden Fragment geht es dabei vor allem um die eigene Erfahrung als Erkenntnisgrundlage des Patienten und Dossierinformation als Material für den Arzt. In dessen letztem Beschreibungsvorschlag wird auch auf die Möglichkeit von Oft zusammen auftretenden Beschwerden' angespielt. Das zweite Beispiel wurde in Großbritannien aufgenommen. Es betrifft den ersten substantiellen Auftritt des Arztes. Vorher hatte die erwachsene Patientin eine komplizierte Liste von Beschwerden präsentiert: mit Augenbewegungen zusammenhängende Kopfschmerzen, angeschwollene Augen und Schwindel, mit dem Akzent auf den ständigen Kopfschmerzen. (Beispiel 2; Transkription von Gail Jefferson) 1 A 2 P 3 A 4 5 P 6 l

You have had hay fever in prfevious years.= Sie haben in den vorangegangen Jahren Heuschnupfen gehabt. [Ye:h. =Do you think this c'be playing a part= Glauben Sie daß dies eine Rolle spielen könnte =Have you been cut any[°where]or° Sind Sie irgendwo draussen gewesen oder [Welljno. Also nein because I've just started a new jo.b weil ich habe gerade mit einem neuen Job angefangen uh:m nursi[ng (at)= Krankenschwester im

378 8 A 9 P

10 A 11 P 12 13 A 14 P 15 A 16 P

17 18 19 20 21 22 A 23 P

24 A

Paul ten Have [*( )' (Melrose) Hospital you [see (Melrose) Hospital wissen Sie [°Mm:.· well I wa:lk to work en I walk home nun ich gehe zu Fuß zu meiner Arbeit und nach Hause there ['s such a lot of fields da gibt's so eine Menge von Feldern ['Mm,e maybe this is eh:m[: »fhhhhhh (0.3) vielleicht hat das [Mm something to do with itetwas damit zu tun En: I had a nasty shock as we.ll Und ich hatte auch eine schlimme Erfahrung on Saturday afternoo: n am Samstag nachmittag about ha- an hour after hearing tha;t. ungefähr ne hol- eine Stunde nachdem ich das gehört hatte I started with a heada:che fingen die Kopfschmerzen an s [o, [°Mm° "•hh" whether i [t's a : 11 combined,] ob's alles zusammen ist [What was the nasty shock.] Was war diese schlimme Erfahrung.

Eine Frage kann aus mehreren Teilen bestehen (vgl. Button, im Ersch.). Das ist auch hier der Fall. Zuerst gibt es eine Behauptung (Z.l), die von der Patientin bestätigt wird. Danach kommen zwei aufeinanderfolgende Fragen, eine nach einer generellen Meinung (Z.3) und eine nach einem spezifischen Bericht (Z.4). Die erste Frage ist auf 'kausale' Gedanken der Patientin gerichtet: ob die behauptete Bedingung auch jetzt zutrifft. Die zweite spielt auf einen Aspekt der Kausalität an, über den die Patientin Überlegungen anstellen könnte. Der Arzt hebt also deutlich hervor, was die Autorität der Patientin hinsichtlich der delikaten Kausalitätsfrage ist (vgl. Ten Have 1989): ihre Expertise als chronischer Patient, besonders in bezug auf die speziellen Umstände. Die zweite Komponente wird sozusagen in die erste eingebettet. Sie wird sowohl zugespitzt, als auch durch zwei Zusätze wieder ausgeweitet (zuerst anywhere und dann or). Die Suggestion, daß es sich dabei um eine Beispiel-Antwort handelt (vgl. Pomerantz 1988), wird dadurch wieder einigermaßen abgeschwächt. Die Antwort (Z.5) fängt deutlich und verneinend an (well no). In ihrer Erläuterung fügt die Patientin aber mehrere unterschiedliche Elemente hinzu, die in eine Richtung gehen (Z.6- 9, 11-16,17-20). Schließlich folgt eine tentative Konklusion, die auf die erste Frage eingeht (Z.21, 23). Sie beantwor-

Fragen von Ärzten

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tet also zuerst die letzte Frage und bringt dann Material ein, das für die erste relevant ist. In ihrer ersten Erläuterung (because), erklärt sie, warum sie nicht 'draussen1 gewesen ist. Dann, nach der Markierung eines Kontrastes (well), gibt sie zu, eigentlich doch schon viel nach draußen zu gehen (Z.ll12) und daß das schon damit zu tun haben kann (Z. 14, 16). Dann bricht sie ab und fügt noch ein anderes Antezedens mit einer kurz danach auftretenden Folgeerscheinung hinzu (ab Z. 17). Diese zweite mögliche Ursache scheint für die Patientin klarer zu sein und auch intensiver von ihr erlebt zu werden. Die als unsicher markierte Frage-Konklusion legt dem Arzt die Kombination zur Beurteilung vor (so, °*hh "whether i[t's a:ll combi:ned). Der aber fragt zugleich nach einer Erläuterung über den angedeuteten Vorfall (What was the nasty shack). Der Arzt läßt die implizierte Bitte, sein professionelles Urteil über die Sache zu geben, also noch kurz ruhen. Er fordert sie erst noch auf, das letzte Element weiter auszuarbeiten - was sie auch macht, was aber hier nicht mehr wiedergegeben wurde. Die ganze Episode verläuft also folgendermaßen. Nach einer ersten Auflistung von Beschwerden hat der Arzt zunächst die Gemeinschaftlichkeit der alten Kenntnisse aufgefrischt. Nach deren Bestätigung lädt er die Patientin zu Überlegungen ein, ob diese auch jetzt eine Rolle spielen. Dieser Einladung folgt unmittelbar eine spezifischere, konkrete Frage. Diese letzte Frage paßt in den angegebenen Rahmen, hat Beispielcharakter und wird auch in der Antwortformuliemng als Beispiel markiert. Diese Eigenschaften ermöglichen also eine komplexe, selbstgesteuerte kausale Suche vom Patienten anhand der Suggestionen des Arztes. Es folgt tatsächlich eine derartig mehrfach gelagerte Antwort, eine Discourse Unit, vom Arzt durch minimale Reaktionen unterstützt. Die Frage, die er schließlich in Überlappung mit ihrer fragenden Konklusion stellt, versetzt sie wieder in die Position eines Informanten. Er fragt nach einer näheren Erläuterung, die sie auch gibt. Aus einer strategischen Perspektive kann man sagen, daß die Entscheidung des Arztes, die erste Antwort nicht als die definitive Antwort zu betrachten, erfolgreich ist. Indem er sich auf minimale Reaktionen beschränkt und das Stellen von 'neuen Fragen1 unterlassen hat, wurden mehr vollständige und korrekte Informationen auf dem Gebiet, das mit der Frage betreten worden war, angeschnitten, als sonst wohl möglich gewesen wäre. Der Patientin wurde die Gelegenheit zur 'kausalen' Reflektion hinsichtlich ihrer früheren Erfahrungen und ihrer Kenntnisse über Heuschnupfen gegeben. Dafür brauchte sie Zeit, und der Arzt hat sie ihr gegeben.

380

3.

Paul ten Have

Verhandeln über Sequenz-Erweiterung

Im Gegensatz zu dem Bild, das gewöhnlich in der Literatur skizziert wird, sehen wir hier also zwei Episoden, in denen Fragen nicht einfach so gestaltet werden, daß nur kurze und konkrete Antworten gegeben werden können. Sie enthalten hingegen Elemente, die den Patienten zu einem längeren, komplexeren Beitrag einzuladen scheinen. Außerdem ist zu sehen, daß die Ärzte eine solche Erweiterung der Antwort mittels minimaler Reaktionen, typischer Hörerfragen und Vorschlägen auch unterstützen. Ein Aspekt dieses Kontrasts bezieht sich auf die Phasenabhängigkeit von Interaktionen in Konsultationen: die zitierten Passagen betreffen die Exploration von Beschwerden und zum Beispiel nicht die anders geartete Diagnosephase. Dennoch zeigen meine ersten Analysen, daß und wie Fragen von Ärzten als raumschaffende Erzähleinladungen kreiert werden können, und daß Ärzte dieser Tendenz durch unterstützende Verhaltensweisen während der Erzählung eine Fortsetzung verleihen können. Anhand eines Schema und einiger kurzer Beispiele von Fragesequenzen aus späteren Phasen der Konsultation möchte ich noch etwas tiefer auf die Verhandlungen-über Antworterweiterungen eingehen. Im folgenden Schema (3) ist eine Struktur angedeutet, wie sie ungefähr in den Antworten zu beobachten war. (Schema 3) a Antwort (Entscheidung) b Erläuterung über die Antwort (Antwort account) c hinzugefügte Informationen Nach einem (a) und nach einem oder mehreren (b)s hätten die Ärzte in den Beispielen (1) und (2) eine Frage stellen können, eventuell nach einer kurzen Reaktion. Dadurch, daß sie das unterlassen haben, haben die Patienten die Gelegenheit, neue Elemente hinzuzufügen. Wir haben konstatiert, daß jene neuen Elemente der ersten Antwort widersprechen können, und auch daß die späteren Elemente oft eine größere emotionale Dringlichkeit aufweisen. Vgl. in diesem Zusammenhang auch Beispiel (4), in dem der Patient eine Liste von Symptomen bestätigt und ergänzt und dem letzten Element noch mal größeren Nachdruck verleiht. Oder Beispiel (5), wo die Erweiterung den Tenor der ersten Antwort umdreht:

Fragen von Ärzten

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(Beispiel 4, Transkription Gail Jefferson) 1 A

2 P 3 A 4 5 6 A 7 P

Did you feel bunged up in the no.:se= Fühlten Sie eine Verstopfung in der Nase = :. =[or [en a tickly throat as w [e:ll, oder und ein Kratzen im Hals ebenfalls [Yeh 'n pains ja und Schmerzen (in)side of he_:re. hier drinnen Yes: [°m, myeah" [Really sharp pairns, richtig scharfe Schmerzen

(Beispiel 5, Transkription Gail Jefferson) ((während einer Besprechung der Nebenwirkungen eines vorgeschlagenen Mittels)) 1 A 2 3 4 P

5 A 6 l 8

En similarly if you:und ähnlich wenn Sie eh do you drive a car? Fahren Sie Auto? (0.3) nNo but I'm learning, nein aber ich lerne es ( )well if you're gojng to have driving lessons wenn Sie eine Fahrstunde haben do.n't take any tablets that day. nehmen Sie keine Tabletten an dem Tag °hhhhhh 'Alrightr einverstanden?

In allen diesen Fällen ist also zu sehen daß die Antworterweiterung neue Information liefert, durch die sogar der ersten Antwort widersprochen wird. Auf der anderen Seite bekommen einfache Fragen nach Fakten manchmal auch eine einfache Antwort, ohne daß ein Versuch zur Erweiterung gemacht wird, - wie in (6): (Beispiel 6, Transkription Gail Jefferson) ((während des Ausstellens einer Überweisung für eine Röntgenuntersuchung)) 1 A 2 3 P

HO.W old are you? wie alt sind Sie? (0.3) »t»hn Twenty seve_n, siebenundzwanzig,

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Paul ten Have

4 5 A

4.

(0.3) ((soft whisper))"( ((Geflüster))

)" -hhh

Konklusion

In der Weise, wie Ärzte Fragen stellen, können vielerlei Hinweise hinsichtlich der Ausführlichkeit oder der Ausweitbarkeit der gewünschten Antwort aufgenommen sein (Geschichte, seitdem, kausaler Hintergrund, eine Liste, usw.). Auch der Kontext, in dem Fragen gestellt werden, informiert Patienten darüber: die jeweilige Phase (Exploration), einleitende Behauptungen u. ä. (Beispiele l, 2, 4), gegenüber der aktuellen Unterbrechung, mit der sich der Arzt über ein Faktum vergewissert (Beispiele 5 und 6). Dennoch ist die Antworterweiterung in allen untersuchten Fällen das Ergebnis aktiver Verhandlung mittels minimaler Reaktionen, Hörerfragen u. ä. Beispiel (5) zeigt, daß auch eine ja/nein-Prage sinnvoll erweitert werden kann, - in diesem Fall vor allem, weil der Arzt deutlich angegeben hat, weswegen die gefragte Information relevant ist. Meine Bemerkungen sollen das Forschungsgebiet vorläufig konzeptuell als ein methodisches Zusammenspiel von fragenden Ärzten und antwortenden Patienten erfassen. Die ersten Analysen tendieren dazu, die These der Restringiertheit medizinischer Befragungen einigermaßen zu untergraben - sei es nicht so sehr auf einer deskriptiven Ebene - dazu sind meine Daten zu beschränkt -, sondern eher auf der analytischen Ebene. Wenn die Strukturierung des Antwortraumes so subtil abläuft, wie meine Analyse nahelegt, und wenn Patienten eine Skala an genauso subtilen Verfahren zur Antworterweiterung und Relevanzverleihung verwenden können - wie es meine Analyse ebenfalls suggeriert -, dann kann man die 'repressive Theorie der medizinischen Befragung' in ihrer ausgeprägtesten Form ruhig eine Karrikatur nennen. Weitere Untersuchungen sind notwendig, damit nicht nur unser Verständnis der angedeuteten Möglichkeiten erweitert werden kann, sondern auch mehr Einsicht in die Verfahren, mit denen diese situationsspezifisch angewendet werden, erworben wird. Literaturverzeichnis Atkinson, J. M. & Heritage, J. (eds.) (1984) Structures of Social Action. Studies in Conversation Analysis. Cambridge: Cambridge University Press Button, G. (forthcoming) Some Design Specifications for Turns at Talk in a Jobinterview. In: Drew, P. & Heritage, J. C. (eds.) (forthcoming) Talk At Work. Cambridge: Cambridge U. P. dayman, S. E. (1988) Displaying Neutrality in Television News Interviews. In: Social Problems 35/1988, 474-492

Fragen von Ärzten

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Davis, K. (1988) Power under the Microscope. Toward a Grounded Theory of Gender Relations in Medical Encounters. Dordrecht/Providence, R. I.: Foris Publications Fisher, S. (1986) In the Patient's Best Interest. Women and the Politics of Medical Decisions. New Brunswick, N. J.: Rutgers University Press Fisher, S. & Todd, A. Dundas (eds.) (1983) The Social Organization of Doctor-Patient Communication. Washington, D. C.: Center for Applied Linguistics Frankel, R. M. (1984) From Sentence to Sequence. Understanding the Medical Encounter through Micro-interactional Analysis. In: Discourse Processes 7/1984, 135-170 Frankel, R. (1990) Talking in Interviews. A Dispreference for Patient-initiated Questions in Physician-patient Encounters. In: Psathas, G. (ed.) (1990) Interactional Competence. Washington: University Press of America, 231-262 Houtkoop, H. & Mazeland, H. (1985) Turns and Discourse Units in Everyday Conversation. Journal of Pragmatics 9/1985, 595-619 Mazeland, H. (1992) Vraag/antwoord-sequenties. Amsterdam: Stichting Neerlandistiek VU Mishler, E. G. (1984) The Discourse of Medicine. Dialectics of Interviews. Norwood, N. J.: Ablex Pomerantz, A. M. (1988) Offering a Candicate Answer. An Information Seeking Strategy. Communication Monographs 55/1988, 360-373 Sacks, H. (1987) On the Preferences for Agreement and Contiguity in Sequences in Conversation. In: Button, G., & Lee, J. R. E. (eds.) (1987) Talk and Social Organisation. Clevedon: Multilingual Matters, 54-69 Schegloff, E. A. (1980) Preliminaries to Preliminaries: "Can I Ask You A Question?". Sociological Inquiry 50/1980, 104-152 Ten Have, P. (1987) Sequenties en formuleringen. Aspecten van de interactionele organisatie van huisarts-spreekuurgesprekken. Dordrecht / Providence, R. I.: Foris Publications Ten Have, P. (1989) The Consultation as a Genre. In: Torode, B. (ed.) (1989) Text and Talk as Social Practice. Dordrecht / Providence, R.I.: Foris Publications, 115-135 Ten Have, P. (1991) Talk and institution. A Reconsideration of the 'Asymmetry' of Doctor-patient Interaction. In: Boden D. & Zimmerman, D.H. (eds.) (1991) Talk and Social structure. Studies in Ethnomethodology and Conversation Analysis. Cambridge: Polity Press, 138-163 Todd, A. Dundas (1989) Intimate Adversaries. Cultural Conflict between Doctors and Women Patients. Philadelphia: University of Pennsylvania Press West, C. (1984) Routine Complications. Trouble with Talk between Doctors and Patients. Bloomington: Indiana University Press

Medizinische Expertensysteme im 1Dialog

Wissensakquisition als Kommunikationsprozeß Rüdiger Weingarten

Zusammenfassung Die medizinische Praxis erfährt, wie nahezu alle Bereiche gesellschaftlichen Handelns, eine zunehmende Technisierung. Diese Technisierung betrifft nicht nur die Diagnose und die Behandlung, sondern auch die bürokratische Organisation von Krankheit und Kranken. Eine mit großen Erwartungen verknüpfte Technologie, die auch in der Medizin angewendet werden soll, stellen Expertensysteme dar. In dem vorliegenden Aufsatz soll aus einer Untersuchung berichtet werden, in der die Entwicklung eines Expertensystems für den bürokratischen Bereich der Medizin beobachtet wurde. Eine Voraussetzung der Technikentwicklung bildet die Versprachlichung von Praktiken aus dem genannten Bereich. Probleme dieses Prozesses sollen hier vorgestellt werden. Die Rahmenthese des Aufsatzes lautet: Die zunehmende Technisierung erzeugt einen steigenden Kommunikationsbedarf, der insbesondere auf die Rückübersetzung des in den technischen Medien formal kodierten Wissens in soziales Handeln ausgerichtet ist.

1. Einleitung Expertensysteme schicken sich an, ein wichtiges neues Medium für die Speicherung von Wissen zu werden. Sie sollen in allen gesellschaftlichen Bereichen Anwendung finden, in denen komplexe Aufgaben der Informationsverarbeitung anstehen. Eine wichtige Voraussetzung für diesen Technisierungsschritt liegt darin, daß in den entsprechenden Anwendungsbereichen bereits hochformalisierte, technisierte oder institutionalisierte Handlungsabläufe zu finden sind. Intuitives Expertenwissen oder Wissen in Form eines schriftlichen Textes soll mit diesem Medium in einer Weise verfügbar gemacht werden, daß es in einem Computer gespeichert und aus ihm wieder abgerufen werden kann. Dazu muß es nach der hier üblichen Auffassung als explizite Regel formuliert werden; z. B.: Immer wenn A vorliegt, tue B. Erfahrungen mit früheren medientechnischen Neuerungen haben gezeigt, daß neue Medien, wie Technologien überhaupt, immer auch weitreichende Der Beitrag enthält Zwischenergebnisse aus dem Forschungsprojekt: Expertensysteme: Folgen für Wissen, Kommunikation und Organisation (Universität Bielefeld, Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft und Fakultät für Soziologie). Dieses Projekt wird im Rahmen des Forschungsverbundes Veränderungen der Wissensproduktion und Wissensverteilung durch Expertensysteme vom Bundesministerium für Forschung und Technologie gefördert.

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Rüdiger Weingarten

gesellschaftliche Folgen mit sich bringen, die aufgrund ihrer Unkalkulierbarkeit heute vermehrt als Risiken eingestuft werden. Einige der Veränderungen, die vermutlich mit Expertensystemen einhergehen werden, seien hier genannt: Die Struktur dessen, was in der Gesellschaft als Wissen verstanden wird, ändert sich, wenn das Wissen in relevantem Ausmaß in eine Form gebracht werden muß, die von dem Computer verarbeitet werden kann: d. h. zum Beispiel als Regel oder Liste. Ältere Wissensbegriffe orientieren sich nicht notwendigerweise an der Form expliziter Regeln. Wenn das relevante Medium für die Speicherung und Weitergabe von Wissen dies aber erfordert, so wird auch die Regelform gesellschaftlich prämiert werden. Die Verfügbarkeit über Wissen ändert sich, wenn es aus den "Köpfen der Experten geholt" und in ein technisches Medium gebracht wird. Damit müssen neue gesellschaftliche Formen der Steuerung des Zugangs zu Wissen erarbeitet werden. Insbesondere stellt sich in diesem Zusammmenhang die letztlich juristische Frage, wer für Folgen aus Handlungen, die sich an den Regeln eines Expertensystems orientieren, haftungsrechtlich verantwortlich ist. Weiterhin werden Qualifikationsanforderungen an alle, die auf das so kodierte Wissen zurückgreifen müssen, neu definiert. Hierzu gehören auch neue Anforderungen an Kommunikationsfähigkeit. In Analogie zum Buch als einem älteren Medium der Wissensverarbeitung kann man sich das Problem so verdeutlichen: Versucht ein Leser, das in einem Fachbuch gespeicherte Wissen zu verstehen, so stellt dies für ihn eine andere Anforderung dar, als wenn er in einer Vorbuchkultur einen Experten mündlich befragen konnte. In ähnlicher Weise werden technische Expertensysteme als Medien der Wissenskommunikation neue Anforderungen an kulturelle Interpretationsmuster stellen. Eine neue Auslegungskunst wird notwendig. Dabei erhebt sich auch die Frage, ob die Auslegungskompetenz der Menschen in gleichem Umfang wachsen kann wie die Komplexität der neuen Technologien. Verständlicherweise verknüpfen sich mit solchen grundlegenden kulturellen Veränderungen zahlreiche Hoffnungen und Befürchtungen. Sie reichen von der Erwartung einer Lösung der drängendsten Probleme der Gesellschaft bis hin zu der Befürchtung des Verlustes kultureller Errungenschaften. In diesem Geflecht scheint eine Entmystifizierung der neuen Technik eine der vordringlichsten Aufgaben zu sein. Dies betrifft die wundersamen Leistungen, die ihr zugeschrieben werden, aber auch überzogene Ängste. Im Zentrum aller Mystifizierungen steht die Leitidee der Künstlichen Intelligenz: Mit Expertensystemen werden Leistungen und Strukturen des

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menschlichen Geistes abgebildet oder simuliert. Diesem, nach meiner Auffassung kontraproduktiven Sinnüberschuß, der dieser neuen Technologie zugeschrieben wird, soll eine profanere, medientheoretische Auffassung gegenübergestellt werden: Expertensysteme werden als Medien der Wissenskommunikation angesehen. Aus der spezifischen Art der Kodierung von Wissen für Expertensysteme, der sog. Wissensakquisition, sollen Rückschlüsse für die nachfolgende Dekodierung und damit die erforderlichen interpretativen Kompetenzen gewonnen werden. 2. Expertensysteme und Wissensakquisition Unter technischer Perspektive bestehen Expertensysteme idealtypisch aus den folgenden Komponenten: - den Hardware Komponenten (HW), - einer Shell als Basissoftware, — einer Wissensbasis (WB), - einer Inferenzkomponente (IK), - einer Benutzeroberfläche, evtl. mit einer Erklärungskomponente (BÖ). Die Hardware-Komponente umfaßt im wesentlichen den Computer, unter Umständen auch ein Netzsystem und ein Gerät zur Erfassung von Meßdaten. Die Shell ist das Software-Werkzeug zur Datenerfassung und Speicherung, vergleichbar einem Datenbankpaket. Die Wissensbasis bezeichnet den eigentlichen "Inhalt" des Expertensystems, typischerweise eine Menge von Regeln oder eine Liste für das jeweilige Fachgebiet. Die Inferenzkomponente wird besonders bei der Benutzung des Systems relevant, wenn eine Anfrage beantwortet werden soll. Sie besteht im wesentlichen aus Schlußregeln, die über der Wissensbasis operieren. Die Benutzeroberfläche ist das Erscheinungsbild des Expertensystems, mit dem der Benutzer konfrontiert wird. Es kann z. B. eine sogenannte natürlich-sprachliche Schnittstelle sein oder ein eher grafisch orientiertes System. Einen wichtigen Bestandteil der Benutzeroberfläche bildet die Erklärungskomponente, die entweder als einfaches Hilfesystem oder aber als komplexer Apparat dem Benutzer Hinweise über die Operationen des Systems gibt, etwa indem es einzelne Schritte "begründet". Neben den technischen Komponenten des Systems müssen die unterschiedlichen Beteiligungsrollen bei Entwicklung und Anwendung aufgeführt werden, da sich insbesondere aus ihnen die Kommunikationsprobleme ergeben: Eine Entwicklungssituation kann nun so aussehen, daß ein Auftraggeber, z. B. eine Firma, an ein Softwarehaus mit der Bitte herantritt, ein Expertensystem zu entwickeln. In diesem Fall wird die konkrete Arbeit von dem Ex-

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perten der auftraggebenden Firma, der das Wissensgebiet bisher repräsentierte, zusammen mit einem Spezialisten des Softwarehauses, dem sogenannten Wissensingenieur, durchgeführt. Es kann sein, daß in dieser Situation alle Komponenten entwickelt werden, jedoch ist dies unwahrscheinlich. Stattdessen wird man auf einzelne vorgefertigte Teile, etwa auch die gesamte Shell, zurückgreifen. Die auftraggebende Firma kann auch der zukünftige Anwender des Expertensystems sein. Betroffen von dieser Entwicklung würde ein Klient oder Kunde der Firma sein. Es sind natürlich noch zahlreiche andere Konstellationen denkbar; etwa bei sehr großen Firmen kann der skizzierte Vorgang weitgehend innerhalb eines Hauses stattfinden. In dem ersten Fall wären drei Hauptparteien zu unterscheiden: die auftraggebende Firma, das Softwarehaus und der betroffene Klient.

********** Auf traggeber ************* * * Experte * XPS * * HW k Shell Anwender

-> Klient

IK WB

BÖ Wissensingenieur/ Softwareingenieur Diagramm l

Mit Wissensakquisition (WA) ist die Phase bei der Entwicklung von Expertensystemen gemeint, in der das intuitive Wissen und die praktischen Fähigkeiten des Experten von dem Wissensingenieur elizitiert und in eine verbale und schließlich algorithmische Form gebracht werden. Der Experte kann z. B. ein Fachmann für die Reparatur einer komplizierten Maschine sein. Dessen Wissen soll Personen zugänglich gemacht werden, die nicht über den gleichen Erfahrungshintergrund verfügen wie der Experte. Der Wissensingenieur befragt den Experten dann z. B. nach Strategien der Fehler-

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diagnose und versucht sie in wenn-dann-Regeln zu übertragen. Dieser Dialog zwischen dem Experten und dem Wissensingenieur bildet den Gegenstand der Untersuchung. Die mittlerweile recht umfangreiche Literatur zur Wissensakquisition baut weitgehend auf klassischen Erhebungsmethoden der empirischen Sozialforschung auf. Die Praxis dürfte jedoch eher von Adhoc-Strategien gekennzeichnet sein als von der Anwendung eines standardisierten Methodeninventars.2 3. Expertensysteme in der Medizin Ganz offensichtlich bildet die Medizin für die Entwicklung von Expertensystemen ein besonders interessantes Gebiet. Dafür sprechen die zahlreichen Entwicklungsversuche, die es hier in den letzten Jahren gegeben hat. Bisherige Projekte dieser Art lagen insbesondere im Bereich der medizinischen Diagnostik bzw. der Unterstützung des Arztes bei der Diagnostik. Sicherlich bietet die Medizin eine Reihe von günstigen Voraussetzungen für eine ambitionierte und aufwendige Technikentwicklung: Sie zieht ein außerordentlich großes gesellschaftliches Interesse auf sich und steht unter erhöhtem Problemlösungsdruck. Daraus erklärt sich sicherlich auch, daß die Gesellschaft bereit ist, der Medizin große finanzielle Ressourcen zur Verfügung zu stellen. Eine weitere wichtige Voraussetzung, welche die Medizin für Technikentwicklungen wie Expertensysteme bietet, liegt darin, daß sie in weiten Teilen bereits hochtechnisiert ist. Wo dies nicht der Fall ist, verfügt sie zumindest über einen sehr stark durchorganisierten und formalisierten Ablauf. Damit liegen hier zahlreiche Handlungsabläufe vor, die sich - so scheint es auf den ersten Blick - ohne allzu große Veränderungen in der Weise als algorithmische Regeln reformulieren lassen, wie dies für Expertensysteme erforderlich ist. Trotz dieses zunächst günstigen Bildes erweisen sich bisher die Widerstände, die die Medizin der Expertensystemtechnologie bietet, noch als so groß, daß es bislang kaum Systeme gibt, die tatsächlich angewandt werden. Ein Grund dafür mag darin liegen, daß trotz aller Formalisierung weite Teile der Praxis einer anderen Logik folgen als einem strengen Regelformat. Ein Beispiel dafür liefert der nun beschriebene Fall.

Aus Platzgründen müssen wir hier auf eine Analyse der mittlerweile sehr umfangreichen Literatur zur Wissensakquisition verzichten. Dennoch sei verwiesen auf die Zeitschrift "Knowledge Acquisition" (seit 1989), das Sonderheft "Wissensakquisition" der Zeitschrift "KI" (1990) und die Monographie von Hart (1986)

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4.

Operationssaalmanagement: Fallbeschreibung der Entwicklung eines medizinischen Expertensystems Ich möchte nun über den Fall der Entwicklung eines medizinischen Expertensystems berichten. Den Rahmen dieser Entwicklung bildete die im Aufbau befindliche Kooperation zwischen einem neu gegründeten Zentrum für Technologieentwicklung und -transfer (TTZ) und einer großen, hochtechnisierten Herzklinik. Das System, das entwickelt werden sollte, hatte zum Ziel, die Zuordnung von Patienten aus einer komplex kategorisierten Warteliste zu vier Operationssälen und unterschiedlichen Operationsteams zu optimieren. Es trägt den Arbeitstitel OP-Manager. Die Verwaltung der Operationssäle stellte bisher ein Koordinationsproblem dar, das vier Oberärzte zu bewältigen hatten. Darin gab es folgende Rahmenbedingungen: - Es gibt vier Operationssäle für maximal zehn Operationen pro Tag; - verschiedene Operationsteams stehen für verschiedene Eingriffe (Transplantation, Bypass etc.) zur Verfügung; - nach der Operation ist eine intensive Nachsorge erforderlich; — eine Patientenwarteliste in einer Art Zettelkasten bildete die bisherige mediale Grundlage der Verwaltung. Dieser Zettelkasten war nach zahlreichen Kriterien geordnet und wurde ständig veränderten Umständen (z. B. je nach Krankheitsverlauf in der Wartezeit) angepaßt. Diese Rahmenbedingungen wurden für drei Probleme verantwortlich gemacht: - Zu viele Patienten "sterben auf der Warteliste"; - das Verfahren, wer wann operiert wird, ist zu wenig transparent; - es herrscht insgesamt große Knappheit der Ressourcen. Das geplante Expertensystem sollte hier Verbesserungen erzielen, indem es eine effizientere Verwaltung der OP-Säle ermöglicht und das Verfahren transparenter macht. Der Begriff der "Transparenz" erwies sich in den Transkripten als Schlüsselbegriff in den Anforderungen des Wissensingenieurs. Darunter versteht er die Verbalisierung praktischer Entscheidungsverfahren und ihre Umformulierung in allgemeine Regeln. An dieser so verstandenen Transparenz scheiterte dann letztendlich das Projekt.3 Transparenz bedeutet Indiskretion: Durch das angestrebte Regelformat des Expertensystems werden Entscheidungen, die nur aus situativen Gegebenheiten heraus legitimierbar sind, zunächst einmal verbalisiert. Dies würde in der bisherigen Praxis nicht notwendigerweise geschehen. Durch die Verbalisierung kann nun bei einer als problematisch eingeschätzten Entscheidung eine Begründung erforderlich werden, die dann auf die situativen Zumindest nach der Schilderung des Wissensingenieurs.

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Besonderheiten zurückgreifen müßte. Würde nun in einem zweiten Schritt eine allgemeine Regel aus dieser Entscheidung konstruiert werden, so könnten Begründungslasten entstehen, die mit dem offiziellen Bild der Medizin in Konflikt geraten. Es würden Entscheidungshintergründe zur allgemeinem Regel erhoben werden, die nicht mehr einfach zu vermitteln wären. Beispiele hierfür können im Rahmen einer Veröffentlichung notwendigerweise nur sehr allgemein eingeführt werden, da der Forscher ebenfalls mit dem Dilemma der Indiskretion umgehen muß. Der wichtigste Zweck des zu entwickelnden Expertensystems bestand darin, festzulegen, in welcher Reihenfolge Patienten operiert werden. Die Beantwortung dieser Frage kann über Leben oder Tod entscheiden. In der offiziellen Selbstdeutung der Medizin können hierfür ausschließlich medizinische Kriterien geltend gemacht werden. Tatsächlich ist die medizinische Praxis, erst recht ein hochtechnisiertes Krankenhaus, jedoch auch ein Wirtschaftsunternehmen. Deswegen kommen bei der Festlegung der Reihenfolge auch wirtschaftliche Kriterien zur Geltung. Gerade diese unterliegen aber in der Öffentlichkeit einer außerordentlich negativen Bewertung und vertragen sich in keiner Weise mit dem hippokratischen Bild der Medizin.4 So spielt z. B. die Art der Krankenversicherung (privat oder gesetzlich) eine Rolle in der Patientenauswahl. Es können auch Patienten vorgezogen werden, die in der Region eine spezielle wirtschaftliche oder politische Bedeutung haben. Ein Sonderfall in der vorliegenden Untersuchung war die Tatsache, daß eine Nachbarstadt damit drohte, eine eigene Herzklinik zu eröffnen, da angeblich zu viele ihrer Bürger "auf der Warteliste sterben würden". Da hier ein wirtschaftliches Konkurrenzunternehmen drohte, wurden Patienten aus dieser Stadt kurzfristig bevorzugt, um dieses Argument zu entkräften. Es gab aber auch andere außermedizinische Faktoren, wie etwa die Wertschätzung einer Person aufgrund ihres Lebensalters oder ihrer "Bedeutung für die Gesellschaft". Diese Klassifizierung von Personen verträgt sich ebenfalls nicht mit dem veröffentlichten Moralbewußtsein und dem Berufsethos der Medizin, das von einer absoluten Gleichheit aller Menschen ausgeht. Faktisch werden jedoch in Einzelfällen Personen unterschiedlich bewertet. Die Klinikleitung untersagte vor einer ersten Erprobung die Weiterführung des Projektes. Zu viele heikle, aber unvermeidliche Praktiken müßten als Regeln formuliert werden. Dies führt uns zu der Formulierung eines Dilemmas der Technikentwicklung: Das Ziel der technischen Rekonstruktion praktischer Verfahren ist Transparenz und Allgemeinheit. Praxis dagegen ist notwendigerweise opportuniAn dem natürlich nicht nur die Mediziner ein Interesse haben, sondern auch die Patienten. Auch Patienten können ein gebrochenes Bild medizinischen Handelns häufig nicht ertragen.

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stisch und situationsgebunden.5 Zahlreiche praktische Verfahren dürfen aber etwa in der Außendarstellung einer Institution nicht transparent werden und erst recht dürfen sie nicht zur allgemeinen Regel erhoben werden. Es muß betont werden, daß mit der Kennzeichnung eines Verfahrens als "opportunistisch" kein moralisches Werturteil verbunden ist. Opportunistisch in diesem Sinne ist vielmehr jegliche Praxis. Nimmt nun ein Expertensystem oder auch jede andere Art der Einführung allgemeiner Regeln nur die öffentlich vertretbaren Praktiken auf, so vergrößert sich der Aufwand an opportunistischen Verfahren bei der Anwendung des Regelsystems. Nur so kann angemessen auf die Anforderungen einzelner Situationen reagiert werden. An den untersuchten Sitzungen zur Wissensakquisition waren jeweils vier Personen beteiligt; und zwar als Angehörige des TTZ: ein Informatiker bzw. Wissensingenieur (Wl), ein Medizin-Informatiker (W2) und ein Mediziner (WM); und als Angehöriger des Krankenhauses und Hauptexperte ein weiterer Mediziner (ME). Die Aufnahmen entstanden unabhängig von der hier vorgestellten Untersuchung, wurden aber bisher nicht von dem Entwicklerteam selbst ausgewertet. Nachdem der Wissensingenieur uns die Aufnahmen übergeben hatte, wurden die Gespräche zu dem OP-Manager vollständig transkribiert. 5.

Zur Diskursstruktur einer medizinischen Wissensakquisition

Die Erzeugung neuen Wissens in der Wissensakquisition erfolgt in dem Spannungsverhältnis zwischen der Logik des Experten und der Logik des Wissensingenieurs. Die Logik des (in unserem Falle medizinischen) Experten ist gekennzeichnet durch: - eine Orientierung auf den Einzelfall; situativ angemessene Lösungen; Berücksichtigung möglichst vieler Faktoren, insbesondere auch des Selbstdarstellungsinteresses des Faches; Widerspruchstoleranz. Die Logik des Wissensingenieurs hingegen wird geleitet von dem Bestreben um: - globale Lösungen; Angemessenheit und Legitimierbarkeit für alle möglichen Kontexte; Transparenz; Objektivität; Berücksichtigung einer abgeschlossenen Menge von Faktoren; Widerspruchsfreiheit. Diese Beschreibungsdifferenz bildet den Gegenstand des Aushandlungsbzw. Argumentationsprozesses zwischen dem Experten und dem Techniker. Vgl. Knorr-Cetina (1984, S. 90)

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Sie läßt sich nicht angemessen als Informationsübermittlung beschreiben. Sicherlich gibt es zwar ein fachbezogenes Wissensgefa'lle zwischen den Akteuren, das einen Teil der Diskursdynamik erzeugt. Die Hauptaufgabe des Gespräches besteht jedoch darin, zwischen den unterschiedlichen Logiken der Akteure einen Weg zu finden, der einen Konsens in der Beschreibung der in Rede stehenden Praxis ermöglicht. Als Ergebnis dieses Diskurses entsteht ein neues praktisches Verfahren. Es läßt sich dadurch kennzeichnen, daß - Lesarten festgelegt werden; Strukturen mit diskreten Einheiten entwickelt werden und insgesamt ein Modell entsteht, das eine größere Unabhängigkeit gegenüber potentiellen Benutzern besitzt. Die Aushandlung von Beschreibungen selbst wird in ihrem konkreten Verlauf von einer komplexen Dynamik mit zwei Faktoren gesteuert: — den Relevanzsetzungen des Experten und - dem Wissensdefizit des Wissensingenieurs. Der Experte verfugt über eine Strukturierung des Fachgebietes, die er nach Relevanzgesichtspunkten dem Wissensingenieur mitteilt. Der Wissensingenieur geht davon aus, daß er selbst ein Wissensdefizit in dem Fachgebiet hat, das zunächst noch wenig Konturen besitzt: Er weiß nicht, was er noch nicht weiß. Erst vor dem Hintergrund einer anfänglichen Beschreibung formiert sich ein Bild über sein Wissensdefizit. Von hier aus kann er dann seinerseits das Gespräch vorantreiben. Ebenso präzisieren sich erst im Laufe der Beschreibung die Relevanzsetzungen des Experten: Sie werden nicht nur von der bisherigen Strukturierung seines Wissens bestimmt, sondern orientieren sich im Laufe des Diskurses auch an dem zu entwickelnden Modell, dessen Konturen ja noch erarbeitet werden müssen. So unterliegt auch die Richtung, in die er das Gespräch führt, einer gewissen Dynamik der Situation. Die Relevanzsetzungen des Experten und das Wissensdefizit des Wissensingenieurs bilden somit keine statischen Komponenten. In der Dialogsituation werden sie jeweils auf die dem Gesprächspartner unterstellten Strukturierungen des Fachgebietes - dessen Relevanzsetzungen bzw. Defizite - bezogen. Die Aushandlung von Beschreibungen stellt somit einen Diskurs mit anfänglich zwei Unbekannten, die im Laufe des Gesprächs bestimmt werden müssen, dar. Hieraus ergibt sich die Dynamik; sie ist erschöpft, wenn der Experte die aus seiner Sicht relevanten Faktoren vermittelt hat und der Wissens Ingenieur sein Wissensdefizit aufgefüllt hat. Dabei handelt es sich bei der Beschreibungsdynamik nicht um einen einheitlichen Spannungsbogen, der einmal erzeugt bis zu seiner Auflösung wirkt. Sie muß kleinschrittig immer wieder erzeugt, geschlossen und redefiniert werden. In dieser

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prinzipiellen Offenheit und nicht vollständigen Planbarkeit, die daraus resultiert, daß sich zwei Akteurgruppen mit einander zunächst unbekannter Perspektive gegenübertreten, liegt eine Besonderheit der Wissensakquisition. Der jeweilige Abschluß eines Spannungsbogens bzw. eines Gesprächsausschnittes wird erreicht, wenn nach den Relevanzkriterien und den Wissensdefiziten eine Verständigung zwischen den Beteiligten erreicht wird. Dabei muß auch das Problem bewältigt werden, daß für das Erreichen dieses Ziels von den Experten und den Wissensingenieuren jeweils unterschiedliche Maßstäbe angelegt werden: Die Beurteilung über die Herstellung von Verständigung muß zwei Maßstäben gerecht werden. Beispielanalyse6 In dem vorliegenden Beispiel versuchen die Akteure, das Verfahren, nach dem bisher die Patienten in der Warteliste eingeordnet wurden, für die angestrebte technische Abwicklung zu beschreiben. Offensichtlich wurden die Patienten bisher in verschiedene Gruppen oder Stapel, die über die Reihenfolge entschieden haben, einsortiert. Die Beschreibungssequenz wird von Wl ausgelöst. Sie enthält die folgenden Elemente: - eine an ME gerichtete AUFFORDERUNG zu einer Beschreibung: dann erzähl mal - das Kriterium der Faktizität bzw. WAHRHEIT: wie das ...is eine THEMATISCHE ANKNÜPFUNG an eine frühere Beschreibung von ME: das mit diesen 10 10 äh Stapeln

- die FORMULIERUNG EINES WISSENSDEFIZITS: ich muß das noch erarbeiten, so ganz klar ist mir auch nicht geworden

- das ANGEBOT EINERBESCHREIBUNG: das ( ) stapelbar?

An dieser Eröffnung wird deutlich, daß ein Wissensdefizit nur relativ zu bereits eingeführten Beschreibungen formuliert werden kann. Worin das Defizit besteht und nach welchem Kriterium Wl es feststellen wird, bleibt offen. Sicherlich ist die Aufforderung zum "Erzählen" nicht im engen Sinne der Orientierung an einer Erzählstruktur zu verstehen. Eher dürfte damit eine noch sehr offene alltägliche Beschreibung gemeint sein. So bleibt es im einzelnen ME überlassen, in welcher Richtung er eine Präzisierung vornimmt. Da er keine genaueren Anforderungen bekommen hat, muß er sich im weiteren Verlauf an seinen eigenen Relevanzkriterien orientieren. Diese Äußerung öffnet nun eine Struktur, die auf den Dimensionen des Kriteriums 6

Es empfiehlt sich, vor der Lektüre der Analyse im Anhang des Aufsatzes den gesamten Transkriptausschnitt zu lesen, da hier im Text immer nur kleine Abschnitte zitiert werden.

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Wahrheit und dem Thema Stapel in dem folgenden Diskurs geschlossen werden muß. Durch den Aufforderungscharakter wurde festgelegt, daß der Experte als Repräsentant des Praxiswissens die letztlich entscheidende Instanz darstellt, die über die Angemessenheit einer Beschreibung befindet. In 4-8 beginnt ME dann mit der Einlösung der aufgebauten konditionellen Relevanzen. Die Äußerung enthält folgende Elemente: - es handelt sich um eine SETZUNG als strukturschließendem Element zu der AUFFORDERUNG von Wl; - diese SETZUNG geht von dem Kriterium der Faktizität bzw. WAHRHEIT aus: so wie das so wie das äh gemacht wird... es ... gibt; - eine erste Beschreibung als THEMATISCHE ANKNÜPFUNG, wobei: ungefähr 10 Gruppen von Patienten offensichtlich anschließen soll an das mit diesen 10 10 äh Stapeln

Bei der Fortsetzung des Interaktionsmusters bleibt das Beschreibungsangebot von Wl unberücksichtigt. Dies könnte bedeuten, daß die Beschreibungen des Experten und des Wissensingenieurs zu diesem Zeitpunkt noch zu weit auseinanderliegen. An der Beschreibungsdifferenz Stapel - Patienten zwischen W l und ME wird nun eine Spannung deutlich, die den weiteren Verlauf des Diskurses bestimmt: Der Ausdruck Stapel des Wissensingenieurs ist auf eine formale Organisation eines Verwaltungsablaufes hin orientiert, die unabhängig von einem jeweiligen Inhalt ist. Der Experte hingegen verwendet mit Patienten einen relativ inhaltlichen Ausdruck.7 Diese Beschreibungsdifferenz kann auf der Ebene UNABHÄNGIGKEIT-WECHSELWIRKUNG angesiedelt werden. Eine formale Beschreibung impliziert weniger Wechselwirkungen mit Personen als eine inhaltliche. Die Äußerung enthält dann weiterhin: - eine zweite Beschreibung: jeden Tag sollte einer aus dieser Gruppe drankommen wenn das geht

- und eine dritte Beschreibung:

so eine Gruppe sind dann irgendwie Minister, und die andere Gruppe sind die AOK Patienten

Die erste und die dritte Beschreibung enthalten Vagheitsmarkierungen: ungefähr {zehn Gruppen} und irgendwie {Minister}, die so verstanden werden können, daß hier keine bereits eingeführten Beschreibungen reproduziert werden, sondern diese als erste Formulierungsversuche in dem vorliegenden Diskurs entwickelt werden. Dafür spricht auch, daß zwar von zehn Gruppen gesprochen wird, aber dann nur zwei Typen benannt werden. Wenn sich Die Zuordnung formal-inhaltlich ergibt sich nur aus der Gegenüberstellung dieser Ausdrücke. In anderen Kontexten kann der Ausdruck Patienten relativ zu einem dritten Ausdruck derjenige sein, der eher formaler Natur ist.

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diese Vermutung bestätigen sollte, so hieße dies, daß hier nicht einfach Faktenaussagen getroffen werden, die zu der zu beschreibenden Praxis in einem Repräsentationsverhältnis stünden. Die erste und die dritte Beschreibung können vielmehr als Erzeugungen von Typisierungen und Ordnungsstrukturen bezeichnet werden. Die Formulierung so eine Gruppe ... und die andere Gruppe kann nach der Angabe von zehn Gruppen so verstanden werden, daß hier Kennzeichnungen für die Extremwerte einer KONTINUIERLICHEN Skala angegeben werden; die zehn Gruppen stellen keine DISKRETEN Klassen dar. Die zweite Beschreibung enthält eine Regel: jeden Tag sollte einer aus dieser Gruppe drankommen. Diese Regel baut zunächst auch auf den bereits dargestellten vagen Typisierungen und OrdnungsStrukturen auf. Das Modalverb "sollen", hier in der abgeschwächten Form im Konjunktiv II, drückt eine Handlungsmaxime aus, die mit einer Vagheitsmarkierung kontextualisiert wird: wenn das geht. An dieser Stelle ist es wichtig, den Unterschied zwischen einer Regel als Handlungsmaxime und einer Regel als empirisch beobachteter Regularität zu beachten. Der erste Regeltyp steht in enger WECHSELWIRKUNG mit der handelnden Person und ihren Deutungen, der zweite Regeltyp wird von außen konstatiert und ist UNABHÄNGIG von ihr. Die Regelformulierung des Experten gehört zu dem ersten Fall. Insgesamt kann zu der Äußerung von ME gesagt werden, daß sie konditionell relevant zu der initiierenden Äußerung von Wl ist. Das Beschreibungsangebot (stapelbar) wird von ME allerdings nicht aufgegriffen, also weder bestätigt noch negiert. Ein wichtiges Kennzeichen dieser Äußerung ist, daß sie wahrscheinlich auf in der Situation erzeugte und nicht auf bereits eingeführte Beschreibungen zurückgeht. Weiterhin soll festgehalten werden, daß diese Beschreibungen durch die Merkmale VAGHEIT, KONTEXTABHÄNGIGKEIT (=WECHSELWIRKUNG) und KONTINUIERLICHE ÜBERGÄNGE gekennzeichnet sind. In 8-9 formuliert WM dann eine Präzisierungsfrage: ja was sind denn die ändern neun oder acht ( )? Diese W-Frage macht zunächst deutlich, daß die Dynamik des Gespräches, die sich aus dem Wissensdefizit der Wissensingenieure ergibt, noch nicht erschöpft ist, nachdem der Experte zu einem vorläufigen Abschluß seiner Darstellung und damit seiner Relevanzsetzungen gekommen war. Weiterhin gibt sie die Richtung an, in die der Experte eine Präzisierung vornehmen soll: Die Beschreibung soll über eine Benennung der Extremwerte hinausgehen, sie ist damit an dem Ziel der Bildung DISKRETER EINHEITEN orientiert. Ob die angebotene Alternative, die unklare Zahl der Gruppen, auf ein Rechenproblem von WM oder die Vagheit in der Äußerung von ME zurückzuführen ist, bleibt offen.

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In 9-10 beantwortet ME die Frage: Die ändern neun, die liegen dazwischen irgendwo

Interessant ist zunächst, daß ME hier von neun spricht, womit er deutlich macht, daß die eingangs angeführte Zahl von zehn Gruppen nur eine ungefähre Größe angibt. Die Antwort auf den Präzisierungswunsch fällt dann sehr bescheiden aus. Sie gibt nur an, daß die genannten Gruppen tatsächlich Extremwerte waren, eine Information die wörtlich in der vorhergehenden Äußerung von ME nicht enthalten war. Mit dieser Angabe und insbesondere ihrer Vagheitsmarkierung irgendwo wird nochmals deutlich, daß es sich um eine KONTINUIERLICHE SKALA handelt, die aus nicht genau abzählbaren Elementen besteht. In 10 hält wiederum WM die Beschreibungsdynamik aufrecht: ja aber es geht doch nicht nur nach sagen wir mal nach Vor Abschluß der Äußerung wird er von ME unterbrochen. Der propositionale Teil der Äußerung ist unvollständig. So weit wird an ihr folgendes deutlich: - aber kann so interpretiert werden, daß es adversativ gegenüber der Annahme ist, der Beschreibungsbedarf wäre an dieser Stelle eingelöst und KONSISTENT abgehandelt. - Mit dem Äußerungsteil es geht doch nicht nur nach kann WM nicht an eine explizite Formulierung der Äußerung von ME anschließen, sondern nur an eine Folgerung aus dieser Äußerung. Diese FOLGERUNG wird ZURÜCKGEWIESEN. WM zieht eine Folgerung aus den Äußerungen von ME, womit er vermutlich ein diesen zugrundeliegendes Kriterium rekonstruiert ("wonach es geht"). Diese Folgerung steht für ihn in einem Widerspruch zu einem weiteren Satz, der nicht explizit ausgesprochen wurde. Er kann aus einer früheren Äußerung von ME abgeleitet sein oder aber sich auf allgemeine Wissensbestände von WM beziehen. In jedem Fall schränkt er die Rolle von ME als Entscheidungsinstanz ein. Diese Zurückweisung einer (nicht mehr formulierten) Folgerung aus der Äußerung von ME veranlaßt diesen in 10-14 zu einer weiteren Beschreibung. Diese Äußerung enthält die folgenden Elemente: -

nene WEIST ZUNÄCHST DIE UNTERSTELLTE FOLGERUNG ZURÜCK.

- Der Rest der Äußerung stellt eine weitere Präzisierung dar, indem die beiden eingeführten Gruppen binnendifferenziert werden. Hiermit wird ein neues DIFFERENZKRITERIUM eingeführt: Das Datum des Eintritts in die Liste:

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innerhalb von den Ministem gibts dann noch solche die gerade kürzlich ( ) gefragt hatten oder die gerade (kürzlich ( )) gefragt hatten oder die gerade ( ) und bei den . bei den AOK Patienten ist das genauso

- Dieses Kriterium wird kontextabhängig bestimmt: gerade kürzlich. Das VAGE zeitliche Kriterium unterliegt der praktischen Einschätzung der beteiligten Personen. Hier liegt also auch WECHSELWIRKUNG vor. Die Beschreibungen von ME sind bis hierher durch Kriterien wie WECHSELWIRKUNG gekennzeichnet: Sie enthalten überwiegend eine Person, die in situative Bedingungen eingebettet ist. Damit lassen sich hieraus noch nicht unmittelbar Regelformulierungen ableiten, die unabhängig von den Einschätzungen solch einer Person in ein Expertensystem geschrieben werden könnten. Hervorzuheben ist allerdings auch, daß der Fortgang der Beschreibung und damit die Einführung immer neuer Differenzierungskriterien das symbolische Netz dichter werden läßt. Allein schon durch diese Zunahme der innersymbolischen Beziehungen gewinnt die Beschreibung eine gewisse UNABHÄNGIGKEIT. Die Orientierung auf WECHSELWIRKUNG in den Beschreibungen des Experten und die Orientierung auf UNABHÄNGIGKEIT in den Beschreibungen des Wissensingenieurs könnte mit den hier vorgeschlagenen Kategorien auch so interpretiert werden, daß die erste Seite auf PROZESSE (Handlungen von Personen) und die zweite Seite auf STRUKTUREN (ein Typisierungsraster) ausgerichtet ist. 6.

Diskussion

Die Probleme der Übersetzung verschiedener Arten von Wissen in eine Form, die von einem Expertensystem verarbeitet werden kann, lassen sich im Rahmen eines Aufsatzes natürlich nur sehr grob skizzieren. Verallgemeinerungen mögen hier als voreilig erscheinen, wenn man sich nur auf minimale Textausschnitte stützt. Mit aller gebotenen Vorsicht sei dies hier dennoch versucht.8 In dem analysierten Abschnitt stehen die Beteiligten vor dem Problem, ein praktisches Verfahren in einem Strukturmodell abzubilden. Dabei operieren sie, der Grundidee der KI folgend, mit der Unterstellung, die zu entwickelnde Beschreibung stünde gegenüber dem Beschriebenen in einem Repräsentationsverhältnis, das mit dem Kriterium der Wahrheit bewertet werden könne. Die bewertende Instanz sei der Experte. Man könnte derartige Unterstellungen als praktische Idealisierungen9 bezeichnen: Bis auf weiteres verEine ausführlichere Darstellung wurde in Weingarten (1991) versucht. Dieser Terminus wurde von Kallmeyer und Schütze (1976) unter Bezugnahme auf Alfred Schütz in die Konversationsanalyse eingeführt

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suchen sie, die Unterstellung durchzuhalten. Die Detailanalyse zeigte jedoch, daß es sich bei der Entwicklung der Beschreibungen nicht um den Aufbau einer Repräsentation des praktischen Verfahrens handelt, sondern um eine Neukonstruktion. Jeder abgeschlossene Schritt der Beschreibung, also jeder Schritt, der von beiden Kommunikationsparteien ratifiziert wird, mündet in die Einführung neuer Differenzierungen. Die technische Rekonstruktion hat als Ausgangspunkt: * Ein praktisches Verfahren, das der WECHSELWIRKUNG unterliegt: Es verweist in seiner Durchführung ständig auf die agierenden Personen und ihre Einschätzungen. Handlungsmaximen und rudimentäre Struk-turierungen der Situation bilden seine Basis. Die Handlungsmaximen "grenzen das Verfahren nicht nach allen Seiten hin ein"; es ist OFFEN. und als Zielpunkt: * eine mehrdimensionale STRUKTUR, bestehend aus DISKRETEN Einheiten, einem eindeutigen Zulauf- und Ablaufmechanismus etc. Insbesondere soll dieses Modell durch UNABHÄNGIGKEIT gekennzeichnet sein; d. h. es soll in seiner Durchführung nicht auf Personen und ihre Urteile verweisen. Daher darf es auch die Offenheit des praktischen Verfah-rens nicht besitzen. Nach diesen Rahmenbedingungen würde das technische Verfahren zwar eine Rekonstruktion des praktischen Verfahrens sein, es wäre aber auch ein neues Verfahren. Dieses Merkmal der Neuheit kennzeichnet das technische Verfahren, wie bei der Analyse der Beschreibungen gezeigt, bis in seine kleinsten Details. Der "schleichende" Übergang in der Beschreibung und die dabei wirkende Gestaltungsmacht des Mediums Computer, für das die Beschreibung entworfen wurde, sei abschließend noch an einem anschaulichen Beispiel illustriert: W l leitete die untersuchte Sequenz mit den Begriffen * Stapel und stapelbar

ein. Diese Beschreibung setzte sich zunächst nicht durch, stattdessen sprach ME von * Gruppen von Patienten.

Er ersetzte also den (in der Computertechnik üblichen) Ausdruck, der nur die formale Organisationsform angibt, durch einen inhaltlicheren (s. o.). Diese Beschreibung bestimmte dann für einige Zeit den Dialog. Erst mit der

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Einführung der Gruppengröße setzt sich wieder der Stapel durch, hier aber eindeutig mit der räumlichen Konnotation, so wie sie etwa durch einen Stapel übereinandergelegter Karteikarten nahegelegt würde. In einem weiteren Schritt sind nicht nur die einzelnen Stapel unterschiedlich hoch, die Stapel sind untereinander auch wieder in der Höhendimension angeordnet: Es gibt einen untersten und einen obersten. Der nächste entscheidende Wechsel kommt dann an einer späteren Stelle mit der von ME selbst eingebrachten Beschreibung * stack.

Dieser englische Ausdruck ist zwar nicht die direkte Übersetzung von Stapel, üblicher wäre batch. Dennoch besitzen sie eine gewisse Bedeutungsnähe, indem beide Ausdrücke einen Ablaufmechanismus beschreiben. Wir sehen hier die metaphorische Übertragung dieses technischen Ausdruckes, der in einem späteren Schritt tatsächlich das relevante Modell abgeben kann. Die Technik liefert bereits in dieser Beschreibungsphase das metaphorische Reservoir für die Darstellung des praktischen Verfahrens. Interessanterweise hat der Experte selbst diesen Schritt gewählt, offensichtlich weil er glaubte, sich in der schwierigen Verständigungssituation nur durch dieses "Entgegenkommen" gegenüber den Wissensingenieuren mitteilen zu können. Dieser Prozeß der allmählichen metaphorischen Übertragung von Gruppe von Patienten über Stapel hin zu stack sollte noch einmal verdeutlichen, wie prägend das technische Modell bei diesem Prozeß der Neukonstruktion ist. Es ist so stark, daß es die Akteure, wie in diesem Beispiel, auch zu falschen Kategorisierungen verleiten kann. Die hier beschriebenen Probleme der Wissensakquisition beziehen sich auf den bürokratischen Bereich der Medizin. Sie scheinen daher zunächst dem "eigentlichen" Handeln der Medizin, der Heilung, äußerlich zu sein. Dies gilt jedoch nur für ein Bild der Medizin, das diese nicht als in ein soziales System eingebettet begreift. Wenn man bedenkt, daß die hier behandelten bürokratischen Prozesse jedoch über Leben und Tod entscheiden können, so geraten sie unmittelbar in das Zentrum medizinischen Handelns. Die Analyse gerade dieser Daten soll sich damit auch von einem romantisierenden Modell der Medizin absetzen. Die in weiten Teilen bereits technisierte und bürokratisierte medizinische Praxis befindet sich in einem rasanten Entwicklungsprozeß. Die Computerisierung wird dies beschleunigen, wo sie nicht bereits vorhanden ist. Damit wird nicht weniger, sondern mehr Kommunikation erforderlich. Wenn Patienten nach einem festgelegten Kategorienschema in der sozialen Maschinerie der Medizin verwaltet werden, müssen in um so komplexeren Kommunikationsprozessen die Erfordernisse von Einzelfällen erfüllt werden.

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Die Festlegung einer Lesart und damit der Ausschluß anderer Lesarten, genau dies bedeutet der hier beschriebene Prozeß, kann in der sozialen Praxis nur funktionieren, wenn die nicht-mediale Kommunikation Möglichkeiten der Flexibilisierung eröffnet. Literaturverzeichnis Hart, A. (1986) Knowledge Acquisition for Expert Systems. London: Kogan Page Kallmeyer, W. & Schütze, F. (1976) Konversationsanalyse. In: Studium Linguistik 1/1976, 1-28 Knowledge Acquisition (Per. seit 1989) Knorr-Cetina, K. (1984) Die Fabrikation von Erkenntnis. Frankfurt/M.: Suhrkamp Weingarten, R. (1991) Die Konstruktion von Sprache im technischen Medium. Habilitationsschrift. Universität Bielefeld Wissensakquisition. Sonderheft der Zeitschrift "KI".

Anhang Transkriptausschnitt

ME: Wl: W2: WM: 2|W1: dann erzähl mal wie das mit diesen 10 10 äh Stapeln ist ich 3 |W1: muß das noch erarbeiten so ganz klar ist mit auch ich geworden ME: Wl: das (

ja so wie das so wie das äh gemacht wird is ) stapelbar?

5 [ME: daß es . halt ungefähr 10 Gruppen von Patienten gibt und je6 |ME: den Tag sollte einer aus dieser Gruppe drankommen wenn das 7 |ME: geht . . so eine Gruppe sind dann irgendwie Minister . und die ME: andere Gruppe sind die AOK-Patienten WM: ja was sind die ändern

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ME: Die ändern neun die liegen dazwischen irgendWM:neun oder acht ( )?

10 ME: wo WM:

nene,

ja aber es geht doch nicht nur nach sagen wir mal nach

|ME: innerhalb von den Ministern gibts dann noch solche die gerade [ME: kürzlich (

) gefragt hatten oder die gerade (kürzlich (

13 (ME: gefragt hatten oder die gerade ( 14 ME: den AOK-Patienten ist das genauso (

WM:

))

) und bei den . bei ) ja aber zum Bei-

15 |WM:spiel die fünfte Gruppe wie (löst sich) wie setzt sich die denn 16 |WM:jetzt zusammen (

da habn wa Gruppe l da warn die VIPs und

17 ME:

die AOK das sind dann die AOKs die WM:inner Gruppe 10 sind ( ) AOKs und da

18 ME: die die AOKs die die die AOKs mit grenzWM:müssen wa da ja in der Gruppe 2 , 3 , 4 , 5 auch 19 |ME: wertlicher Indikation meinetwegen, die auch selber noch nicht 20 |ME: so richtig wollen, und und noch nicht so richtig entschlossen sind 21 ME: weil sie sich (

WM:

) die sind in 10 die sind in 10 und und die AOKs mit der

22 | WM eindeutigen Eilindikation wie man so sagt also mit ner ( 23 WM:AOK-Patienten . der würd d

)

Information und Beratung von Krebspatienten Voraussetzungen und Möglichkeiten der Unterstützung von Patienten im Gespräch mit dem Arzt Helga Wimmer

Zusammenfassung Gespräche zwischen Arzt und Patient im Krankenhaus sind kein isoliertes Geschehen, sondern in ihrer Bedeutung für den Patienten nur abschätzbar vor dem Hintergrund des Prozesses der Krankheitsbearbeitung durch den Patienten. Ausgangspunkt der Überlegungen sind daher folgende Thesen: - Jede schwere Erkrankung bedeutet eine Bedrohung der physischen, psychischen und sozialen Identität des Patienten (als "Gesunder", "Arbeitsfähiger", etc.). - Eine Information über eine schwere Erkrankung löst eine Identitätskrise, unter bestimmten Bedingungen eine Identitätsveränderung mit den Stadien "Gesunder", "Chronisch Kranker", "Sterbender in ferner Zukunft", "Sterbender in naher Zukunft" aus (Wimmer 1989). - Die Einstellung des Patienten zu seiner Krankheit, also seine subjektive Sicht der Situation, ist von großem Einfluß auf die Bewältigung von Krankheit und Therapie. - Die Einstellung des Patienten zur Krankheit kann durch Kommunikation - insbesondere Kommunikation mit dem behandelnden Arzt - wesentlich beeinflußt werden. Die Ergebnisse von empirischen Untersuchungen (Wimmer 1989, 1990) über den Verlauf und die Auswirkungen von Information und Beratung bei Lungenkrebspatienten weisen auf die besondere Bedeutung zweier Punkte hin: 1. Zeitpunkt und Umfang der Information über die Erkrankung sind ausschlaggebend für die Möglichkeiten des Patienten zur psychischen Bearbeitung der Erkrankung: - eine inhaltliche ausführliche, d. h. konkrete Aussagen über Diagnose, therapeutische Möglichkeiten und voraussichtliche Auswirkungen der Therapie auf die weitere Krankheitsentwicklung umfassende und zum frühest möglichen Zeitpunkt durchgeführte Information bedeutet zwar zunächst einen Schock für den Patienten, versetzt ihn jedoch dann in die Lage, für sich selbst ein klares Ziel ("Wiedergesund-Werden" oder "Hinausschieben eines vorzeitigen Todes") zu formulieren und sich aktiv am Kampf gegen die Erkrankung zu beteiligen. - Eine inhaltlich vage und zeitlich verzögerte Information führt zu einer Situation andauernder Unsicherheit hinsichtlich der Angemessenheit unterschiedlicher Zielsetzungen und damit zu einem ständigen Schwanken zwischen Hoffnung und Verzweiflung. 2. Das Ausmaß der Mitberücksichtigung der Patientenperspektive durch den Arzt steht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Beziehung des Patienten zum Arzt und seiner Möglichkeit der Einflußnahme - und damit der Beratung des Patienten. - Übereinstimmung zwischen der Argumentationslinie des Arztes und der Situationssicht des Patienten ist als wesentliche Grundlage des Vertrauens zum Arzt anzusehen und ermöglicht es dem Patienten, Informationen, Ratschläge etc. des Arztes anzunehmen.

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Helga Wimmer -

1.

Ein Auseinanderklaffen von Arztargumentation und Patientensicht (z. B. "Wieder-gesund-Werden" vs. "vorzeitig Sterbender") hingegen führt zu einer Abwehrhaltung des Patienten, die sich äußert in mangelndem Vertrauen - auch in die fachliche Kompetenz des Arztes, Ablehnung von Kooperation, Nicht-Befolgen von Ratschlägen etc.

Einleitung

Kommunikation mit dem Patienten zählt zu den schwierigsten, in ihrer Bedeutung häufig unterschätzten Aufgaben des Arztes. Eine der wesentlichsten Ursachen für diese Unterschätzung ist darin zu sehen, daß der Einfluß des Patienten auf den Verlauf von Krankheit und Wiederherstellung bisher kaum Beachtung fand. Daß mit dieser Sichtweise wesentliches Potential zur Steigerung der Effektivität medizinischer Behandlung verschenkt wird, zeigen u. a. drei österreichische Untersuchungen, die sich mit dem Verlauf unterschiedlicher Therapieformen, nämlich Operationen (Wimmer 1990) und Chemotherapien (Flicker & Schweintzer 1986) bei Lungenkrebspatienten sowie Herztransplantationen (Bunzel & Grundböck 1990) befaßten; gemeinsames Ergebnis dieser mit sehr unterschiedlichen Methoden durchgeführten Arbeiten war der Nachweis des großen Einflusses, den Patienten auf den Verlauf der Therapie haben. Konkret heißt das: die subjektive Sicht des Patienten von seiner Situation beeinflußte bei Operationen bzw. Transplantationen die Komplikationsrate, Abstoßungsreaktionen, Schmerzen sowie die Verträglichkeit von Chemotherapien ganz entscheidend. Unter diesem Aspekt gewinnt die Beschäftigung mit Möglichkeiten der Einflußnahme auf die Einstellung des Patienten zu seiner Krankheit neue Bedeutung. Die Frage ist nun: In welcher Weise muß die Kommunikation zwischen Arzt und Patient ablaufen, um dem Patienten eine effektive Unterstützung bei der Bearbeitung seiner Krankheit zu bieten? Untersucht werden soll diese Frage am Beispiel von Patienten mit Lungenkrebs und ihrem Umgang mit der Erkrankung während eines stationären Aufenthaltes zum Zwecke einer Operation.l Das vorliegende Material stammt aus einer Untersuchungsreihe des Ludwig Boltzmann-Instituts für Medizinsoziologie über Operationsbewältigung bei Lungenkrebspatienten. Ziel der Arbeit war die Untersuchung von Zusammenhängen zwischen Arzt-Patient-Kommunikation, psychischer Verfassung bzw. Situationssicht des Patienten und dem Verlauf der postoperativen Wiederherstellung. Die verwendeten qualitativen Untersuchungsmethoden umfaßten die teilnehmende Beobachtung des gesamten Krankenhausaufenthaltes der Patienten, Tonbandaufnahmen und soziolinguistische Auswertungen der Arzt-Patient-Gespräche sowie unstrukturierte Interviews mit dem betreuenden Personal und den Patienten über ihre Sicht der Situation (vgl. Wimmer 1989, 1990).

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2. Der Hintergrund der Gespräche Bei ihrer Aufnahme ins Krankenhaus sind die Patienten üblicherweise darüber informiert, daß Verdacht auf eine Krebserkrankung besteht. Während des stationären Aufenthaltes kommt es, parallel zu weiteren Maßnahmen der Diagnoseabklärung und Operationsvorbereitung, zu einer Reihe von Gesprächen zwischen Arzt und Patient, die üblicherweise nach folgendem Muster ablaufen: In der präoperativen Phase führt der behandelnde Arzt zwei Gespräche mit dem Patienten, nämlich ein Erstgespräch kurz nach der Aufnahme ins Krankenhaus, und ein zweites Gespräch nach Abklärung der Diagnose. Thema des Erstgespräches ist die Zusammenfassung und Besprechung der bisherigen Untersuchungsergebnisse und die Ankündigung der bevorstehenden Maßnahmen zur endgültigen Abklärung der Diagnose. Nach Vorliegen der Untersuchungsergebnisse informiert der Arzt den Patienten über die endgültige Diagnose - sofern eine Abklärung möglich war - und bespricht mit ihm die Operation. In der postoperativen Phase findet am ersten Tag nach der Operation ein Informationsgespräch statt, in dem die Diagnose bestätigt und der Patient über den Verlauf der Operation informiert wird. Falls sich eine Nachbehandlung als notwendig erweist, führt der Arzt vor der Entlassung ein zweites Gespräch mit dem Patienten, in dem er die Notwendigkeit einer Nachbehandlung begründet. Was heißt das nun für den Patienten? Da der Gesprächsverlauf in seiner Bedeutung nur vor dem Hintergrund der psychischen Situation des Patienten eingeschätzt werden kann, zunächst einige Überlegungen über den Prozeß der Krankheitsbearbeitung durch den Patienten.2 Aus den Interviews wird deutlich, daß der Zeitraum zwischen der Information über die Möglichkeit einer Krebserkrankung und der Information über die Gewißheit der Diagnose eine den Patienten sehr belastende Phase darstellt: die Ursache dieser Belastung liegt in der fortdauernden Ungewißheit über den Charakter und das Ausmaß der Erkrankung - im "Nicht-Kennen der Gestalt des Feindes". Die Folge ist ein ständiges Schwanken des Patienten zwischen der Hoffnung "es ist alles nicht so schlimm, es ist nicht Krebs" und der Verzweiflung "es ist Krebs, ich werde sterben".

Die folgenden Thesen zur Krankheitsbearbeitung durch den Patienten wurden entsprechend den Prinzipien der "grounded theory" (vgl. Glaser & Strauss 1965) aus dem vorliegenden Material herausgearbeitet.

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Die Information über die Gewißheit einer Krebserkrankung löst dann einen Schock des Patienten aus, setzt aber gleichzeitig den Prozeß der Krankheitsbearbeitung in Gang. Schock bedeutet in diesem Zusammenhang die Erschütterung der psychischen und sozialen Identität des Patienten, dessen Information über Krebserkrankung Alte Identität seelisches Gleichgewicht als Gesunder/Chronisch Kranker Sterbender ferne/nahe Zukunft

Erschütterung der alten Identität 'Nicht-fassen-Können" der Information nicht abzuwehren

Verleugnung Verfestigung alter Identität: "ich nicht" Information kognitiv, nicht emotional aufgenommen Aggression Brüchigwerden der alten Identität "Sich-Wehren" - Aggression gegen Umwelt Depression Zerfall der alten Identität Aggression gegen sich selbst Trauerarbeit Aufgabe der alten Identität Schrittweises Akzeptieren neuer Gegebenheiten

Neue Identität seelisches Gleichgewicht als Chronisch Kranker Sterbender ferne/nahe Zukunft Abbildung 1: Modell der Krankheitsbearbeitung bei Krebspatienten

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Selbstbild als "Gesunder", "Arbeitsfähiger" etc. durch die Erkrankung in Frage gestellt wird (Schütz & Luckmann 1979). In der Folge sind zwei Entwicklungen möglich (vgl. Abbildung 1): Kann der Patient eine Situationssicht entwickeln, innerhalb der die vorgeschlagene Therapie eine wirksame Unterstützung im Kampf gegen die Krankheit darstellt, wird es ihm gelingen, die durch die Information ausgelöste Erschütterung abzuwehren und sein bisheriges Selbstbild beizubehalten. Kann er an diese Möglichkeit nicht glauben, kommt es infolge der Bedrohung durch die Krankheit zum Zusammenbruch seiner bisherigen Lebenswelt und damit zur Notwendigkeit des Aufbaues einer neuen Identität. Zur Beschreibung des einsetzenden Prozesses erscheint das von Kübler-Ross, Selye u. a. (vgl. als Übersicht Königswieser 1985) beschriebene Modell der Krisenbewältigung zutreffend, das über die Stadien "Schock", "Verleugnung", "Aggression", "Depression" und "Trauerarbeit" zur Entwicklung eines neuen Selbstbildes führt. In Abhängigkeit von der Einschätzung der therapeutischen Möglichkeiten durch den Patienten und dem Krankheitsstadium ergeben sich aus dem Material vier unterschiedliche Selbstbilder (vgl. Abbildung 2): "Gesund", "Chronisch Krank", "Sterbend in ferner Zukunft" und "Sterbend in naher Zukunft". Selbstbild

GESUND

CHRONISCH KRANK

STERBEND / FERNE ZUKUNFT

STERBEND / NAHE ZUKUNFT

Operationsziel

"Wieder GesundWerden"

"Konstanthalten des Zustandes"

"Aufschub des Todes"

"Verbesserung der Lebensqualität"

Abbildung 2: Selbstbilder von Krebspatienten3

Die wesentlichen Unterschiede dieser Selbsteinschätzung der Patienten liegen zwischen "Gesund/Chronisch Krank" einerseits und "Sterbend in ferner/ naher Zukunft" andererseits - d. h. also darin, ob der Patient einen vorzeitigen Tod infolge der Krankheit erwartet oder nicht. Mit diesen unterschiedlichen Selbstbildern verbunden sind auch unterschiedliche Erwartungen an die Therapie: "Wieder Gesund werden", "Konstanthalten des Zustandes", Diese vier Stadien müssen nicht in dieser Reihenfolge durchlaufen werden. Infolge des Schocks über eine neuerliche Erkrankung kann z. B. auch eine Umorientierung von "Gesund" auf "Sterbend" erfolgen. Darüber hinaus ist - ausgelöst durch neue Informationen - ein Überwechseln von einem Karrierestrang ("Beibehaltung alter Identität" vs. "Umorientierung") jederzeit möglich

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"Hinausschieben des Todes" oder "Verbesserung der Lebensqualität für die verbleibende Zeit". Je nachdem, ob Patienten ihr altes Selbstbild beibehalten oder eine Phase der Umorientierung durchmachen, zeigen sich deutliche Unterschiede auf den Ebenen der persönlichen Zielsetzung, der Einstellung zur Therapie, der psychischen Verfassung und des Verlaufes der Therapie (vgl. Abbildung 3): Patient psychisch im Gleichgewicht

in Umorientierung

Zielsetzung des Patienten

klar

verschwommen

Einstellung zur Therapie

überzeugt von Nutzen und Bewältigbarkeit

Zweifel an Nutzen und Bewältigbarkeit

psychische Verfassung

zuversichtlich, ruhig

unsicher, ängstlich

Heilungsverlauf

ohne Komplikationen

mit Komplikationen

Abbildung 3: Patienteneinstellung zu Therapie und Heilungsverlauf

Charakteristisch für die erste Gruppe von Patienten, die keine Phase der Umorientierung durchmacht, ist ein klar formuliertes persönliches Ziel z. B. "Wieder-gesund-Werden". Damit verbunden ist die Überzeugung vom Nutzen und der Bewältigbarkeit der Operation; diese Patienten sehen der Operation ruhig und zuversichtlich entgegen und weisen auch postoperativ einen komplikationslosen und raschen Heilungsverlauf auf (vgl. dazu ausführlicher Wimmer 1990). Die Patienten der zweiten Gruppe, die den Schock über die Erkrankung nicht abwehren konnten, sind dagegen nicht in der Lage, sich klare Ziele zu setzen, sind nicht überzeugt davon, daß die vorgeschlagene Therapie eine längerfristige Verbesserung ihres gesundheitlichen Zustandes mit sich bringt, sie schwanken - auch in den sprachlichen Äußerungen feststellbar zwischen Zuversicht und Zweifel und sind auch von der Bewältigbarkeit der Therapie (etwa auf Grund von Vorerkrankungen, allgemeiner schlechter Verfassung etc.) nicht überzeugt. Dementsprechend fürchten diese Patienten die Operation und ihre Nachwirkungen; postoperativ hatten alle Patienten

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dieser Gruppe deutlich stärkere Schmerzen, Störungen oder Komplikationen im Heilungsverlauf und damit eine überdurchschnittlich lange Aufenthaltsdauer. In der präoperativen - für die Operationsbewältigung ausschlaggebenden Phase zeichnen sich also zwei Problemsituationen ab, in denen der Patient besonderer Unterstützung bedarf: - die Phase der Unsicherheit und Angst während des Wartens auf die Information über das Ausmaß der Erkrankung und die Möglichkeiten der Therapie und - nach Erhalt dieser Information die Phase der möglichen Umorientierung. Inwieweit kann nun die Kommunikation mit dem Arzt zur Entlastung und Unterstützung des Patienten in diesen beiden Situationen beitragen? Auszugehen ist davon, daß das Gespräch mit dem Arzt in diesem Zusammenhang zwei wichtige Funktionen hat: - die Einleitung des Prozesses der Krankheitsbearbeitung durch den Patienten und - die Bestimmung der Richtung der Bearbeitungsstrategie (Umorientierung ja oder nein). Die hier vertretene These ist nun die, daß zwei notwendige Voraussetzungen für eine Unterstützung des Patienten zu sehen sind in: 1. Frühzeitiger und umfassender Information sowie 2. Kenntnis bzw. Berücksichtigung des Selbstbildes der Patienten durch den Arzt. 2.

Der Verlauf der Kommunikation mit dem Arzt

Zur Erläuterung dieser These sollen drei Fallgeschichten vorgestellt werden, bei denen sich sowohl der Verlauf der Gespräche als auch die psychische Verfassung der Patienten und die Dauer der Wiederherstellung nach der Operation deutlich unterschieden. Fallgeschichte Nr. l ist ein Beispiel für einen positiven Verlauf der Kommunikation zwischen Arzt und Patient: Herr F. ist ein 64jähriger pensionierter Werkmeister, der bereits einmal an Krebs erkrankt war. Nach einem - in der Ambulanz vor der Aufnahme durchgeführten - Erstgespräch wird der Patient am 7. Tag des Aufenthaltes über das Ergebnis der Untersuchung informiert.

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In diesem Gespräch begründet der Arzt die - vorher als Möglichkeit besprochene - Notwendigkeit der Operation mit der Gefahr, daß der "jetzt noch kleine - kirschgroße — Tumor weitere Herde bildet". Weiterhin erfährt der Patient, daß eine genaue Untersuchung gezeigt habe, daß "bisher noch keine Tumorexplosion" stattgefunden habe, daß "nur ein Herd" vorhanden sei. Bei der Operation werde voraussichtlich nur ein Zehntel der Lunge entfernt werden müssen, was bei der körperlichen Verfassung des Patienten "problemlos" sei. Das kurze Informationsgespräch am ersten postoperativen Tag beinhaltet die Mitteilung, daß die Operation "ideal gegangen" sei, der Herd sei "völlig entfernt" worden, die "Lymphdrüsen sind so klein, daß überhaupt keine Sorgen notwendig sind". Über Initiative des Patienten kommt vor der Entlassung noch ein weiteres Gespräch zustande, in dem der Arzt nochmals eine Einschätzung des Gesundheitszustandes vornimmt und den Patienten auch auf ein mögliches Wiederauftreten der Krankheit vorbereitet. Was diese Kommunikation mit dem Arzt für den Patienten bedeutet, zeigt der folgende Interviewausschnitt:

(Bl)

"Ich hab dann mit dem Herrn Oberarzt gsprochen; ... Und er hat mich so aufbaut, ja, daß i mi, wie soll i sagn - i bin zuversichtlich. Ich hab einen Herd gehabt, zirka kirschgroß. Er hat mir erklärt: wir haben das rausgenommen, wir haben nicht einmal 10% von der Lunge weggenommen und diese - dieses Geschwür, dieser Krebs, das verbreitet sich nicht. Das ist nur, wenn das aggressiv wird, dann hätte das nicht einen Herd gebildet, sondern sechs, sieben Zellen. Und das ist irgendwie aufbauend gewesen, net. Wie gsagt, ich treib Sport, jetzt schon, ich bin fast fit. ... also ich bin zuversichtlich. Der Oberarzt ist da sehr offen, und verständlich hat er mir das beigebracht, net. Er hat mir die Wahrheit gsagt. er hat mir erklärt, was das is. Er hat gsagt, der eine Herd, da hat sich nix gezeigt, das wird a vorbeigehn. Sollte sich irgendwann wo wieder was zeigen, dann wird das genauso wie hier - es wird nur ein Herd sein. Also ich bin irgendwie sag ma schon vorbereitet, daß irgendwann amal irgendwas auftaucht wieder. Aber i bin so stark, daß i des wahrscheinlich wieder verkraften werd."

Bedeutsam erscheint der Verlauf der Kommunikation aus zwei Gründen: Erstens erhält der Patient - wie aus seiner Wortwahl deutlich hervorgeht eine seinen Bedürfnissen entsprechende, umfassende Information über Diagnose, Therapie wie auch über die voraussichtliche weitere Entwicklung der Krankheit; dabei werden ihm Informationen über die Diagnose und die Therapie vom Arzt zum jeweils frühest möglichen Zeitpunkt — d. h. nach Vorliegen der Untersuchungsergebnisse - übermittelt.4 Auskünfte über die Prognose dagegen, d. h. über die weitere Entwicklung der Krankheit, erhält auch dieser Patient nur über eigene Initiative.

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Der zweite wesentliche Punkt ist der, daß die Argumentation des Arztes auch im Falle des Auftretens weiterer Krankheitsepisoden liegt keine unmittelbare Lebensbedrohung vor - dazu beiträgt, das Ausmaß des Schocks, den der Patient durch die Information erfahrt, gering zu halten und damit eine Umorientierung des Patienten zu vermeiden: Im Anschluß an seine erste Erkrankung war der Patient bereits auf seine zukünftige Rolle als "chronisch Kranker" vorbereitet worden. Er selbst sagt dazu: "Ich hab mich mit dem schon abgefunden - schon ein Jahr zuvor.... Ich war nicht erschüttert." Der Heilungsverlauf des Herrn F. ist völlig komplikationslos, er absolviert nach zwei Wochen bereits sein übliches Lauftraining im Park des Krankenhauses. Fallgeschichte Nr. 2: Völlig anders als im Falle des Herrn F. verläuft die Information bei Frau F., einer 40jährigen, erstmals an Krebs erkrankten Patientin: Vor der Operation wird die Patientin - in Übereinstimmung mit bereits vor der Aufnahme erhaltenen Informationen - darüber informiert, daß es nicht möglich sei, die Diagnose abzuklären, daß bei der Bronchoskopie ein Tumor festgestellt worden sei, der gutartig, eventuell aber auch bösartig sein könne. Empfehlenswert sei aber auf jeden Fall eine Entfernung - nach den vorliegenden Untersuchungen sei er auch "ideal entfernbar". Bei der Operation zeigt sich entgegen diesen Annahmen, daß es sich bei dem Tumor um eine durch Operation nicht radikal zu entfernende Krebsart (Liposarkom) mit einer vom Arzt extrem schlecht eingeschätzten Prognose handelt; er rechnet mit einer Überlebenszeit von wenigen Monaten. In einem ersten Schritt nach der Operation informiert der Arzt den Ehemann der Patientin; entgegen der üblichen Vorgangsweise erhält die Patientin selbst am ersten Tag nach der Operation keine wesentlichen Informationen, sondern wird nur mit einigen Worten beruhigt. In den darauffolgenden Tagen ist sowohl von seilen der Patientin wie auch beim Arzt zu beobachten, daß sie vermeiden, miteinander zu sprechen, beide vermeiden Blickkontakt so weit als möglich - eine sichtbar unbehagliche Situation. Am 5. postoperativen Tag, als die erforderliche Nachbehandlung feststeht, beginnt der Arzt während der Visite das folgende Gespräch mit der Patientin:

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(B 2) 1 A: 2 3 P: 4 A: 5 6 7 8 9 10 P : 11 A : 12 13 P : 14 A : 15 16 P: 17 A : 18 19 20 P: 21 A : 22 P : 23 A : 24 P :

Gut, mach ma ihn heraus - naja — sagen wir ganz gut, sehr gut wäre übertrieben. Wieso, was hats denn? — es ist so, wir haben einen Teil der Lunge herausgenommen, aber es ist eine Systemerkrankung — es is nicht nur - an der Lunge krank, sondern es sind auch - auch in Zwischn - teil, also zwischen den beiden Lungen gibts so a paar kleine Herdl, oder es hat Herdin gegeben - wo ma sich also noch überlegen muß was man tun wird. Und was is des? Es ist - noch nicht, histologisch noch nicht ganz - fix, was es ist. Es ist nicht einfach - und da muß ma sich noch mhm überlegen, ob man Ihnen noch - äh bestimmte Medikamente geben wird - dos is dos wos - dran noch das Problem is, mhm für uns noch das Problem is, müssen erst die Spezialisten eingeschaltet werden, damit ma wissen, was man Ihnen noch nachgeben sollte. mhm Operativ selber is alles unproblematisch. - Aber - die hm Erkrankung selber, über die muß ma noch nachdenken. Weiß ma noch nicht genau was?

25 26 27 28 29 30 31 32 33

Nicht genau, nein. - So schwierig is es. - Es is im ...krankenhaus genauso schwierig gewesen und bei uns scheint es also auch mit Schwierigkeiten - wichtig is, daß ma mal den Schlauch herausnehmen, nicht, und wichtig ist, daß unmittelbar für Sie - nichts - Gefährliches droht, es kommt nichts Gefährliches mehr, das war das Gefährlichste, - Unangenehmste hier, ganz sicher. Jetzt weiß ma net wos des sein kann. Ja, jetzt müss ma noch paar Tage warten bis das genau

A:

P: A:

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untersucht wird, nicht. Wir harn schon so eine vorläufige

P: A: P: A: P: A: P: A:

Mitteilung - aber die könn ma no net sagen (is es was) sehr Böses? Nichts sehr Böses, nein. Wirklich nicht? Nein. Aber nicht - auch nicht was ganz Gutes - es liegt mhm so dazwischen. - Also auch in der Richtung is das wie die Erstuntersucher im ...krankenhaus - Primarius H. und so - in dieser Richtung - liegt es. mhm — Gut. Es is im Moment kein - keine - Änderung dieser - dieses Verlaufs - notwendig, wir warten noch a bissl. — Kummt amal der Schlauch heraus, dann - damit sind Sie a bissl mobiler,-ja?

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Nach einer kurzen Einleitung über das Befinden der Patientin und die Anordnung, den Drain zu entfernen ("mach ma ihn heraus"), leitet der Arzt von sich aus auf den allgemeinen Zustand der Patientin über: "Na ja — sagen wir ganz gut, sehr gut wäre übertrieben." Die Patientin ergreift mit der Frage: "Wieso, was hat's denn?" (Z. 3) sofort die Möglichkeit, weitere Informationen zu erhalten. Nach einer kurzen Sammelpause, die als Hinweis auf die Schwierigkeiten angesehen werden kann, die der Arzt mit der Mitteilung einer ungünstigen Diagnose bei einer relativ jungen Patientin hat, erklärt der Arzt der Patientin das Ergebnis der Operation (Z. 4-9): Es wurde ein Teil der Lunge entfernt, da es sich aber um eine "Systemerkrankung" handelt, d. h., daß auch Herde zwischen den Lungen festgestellt wurden, muß man sich weitere Maßnahmen überlegen. Unerwähnt bleibt bei dieser Information sowohl die Art der Erkrankung wie auch die Bedeutung der großen Ausdehnung für die Patientin. Das Interesse der Patientin, zu wissen, woran sie erkrankt ist, wird aus der nächsten Frage: "Und was is das?" (Z. 10) deutlich. Auf diese direkte Frage erhält die Patientin keine inhaltlich befriedigende Antwort: Der Arzt zieht sich zurück auf die Position, daß noch kein fixes Ergebnis der Untersuchungen vorliege, daß das ganze Problem sehr schwierig sei und nochmals mit Spezialisten besprochen werden müsse. Eine klare Aussage macht er nur dazu, daß die Operation unproblematisch verlaufen sei, daß jedoch noch überlegt werden müsse, welche Medikamente noch notwendig seien (Z. 1123). Die Patientin gibt sich mit dieser ausweichenden Antwort jedoch nicht zufrieden und wiederholt, in etwas veränderter Form, ihre Frage nach der Art der Erkrankung: "Weiß man noch nicht genau was?" (Z. 24) Wieder erhält sie keine Antwort, die dem Sinn ihrer Frage entspräche: Der Arzt bestätigt, daß die Diagnose noch nicht feststeht, begründet diese Tatsache mit den bestehenden Schwierigkeiten und führt als Beleg dafür an, daß ja auch in dem zuvor behandelnden Krankenhaus kein endgültiges Untersuchungsergebnis erreichbar gewesen sei (Z. 25-27). Dann schwenkt er in seiner Argumentation um und weist die Patientin auf die günstigen Aspekte der aktuellen Situation hin: Wichtig ist, daß der Heilungsprozeß so weit fortgeschritten sei, daß der Schlauch entfernt werden könne und daß "unmittelbar für Sie - nichts - Gefährliches droht" (Z. 2731). Die Patientin hält jedoch hartnäckig an der für sie wesentlichen Frage fest: "Jetzt weiß man net was des sein kann?"(Z. 32). Der Arzt versucht, sie weiter zu vertrösten, daß das Untersuchungsergebnis erst nach einigen Tagen

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vorliegen werde, daß er nur eine vorläufige Mitteilung habe, "aber die könn ma no net sagen" (Z. 33-35). Möglicherweise aus ihrer Kenntnis der - auch für Patienten beobachtbaren - üblichen Vorgangsweise des Arztes, positive Aspekte stets herauszustreichen, schließt die Patientin, daß es sich um schlechte Nachrichten handeln müsse, wenn der Arzt sie nicht sagen könne: "Ist es was sehr Böses?" (Z. 36). Wieder bleibt der Arzt vage: Nichts sehr Böses, nein, "aber nicht auch nicht was ganz Gutes - es liegt so dazwischen" (Z. 39-43). Diesmal resigniert die Patientin. Nach einer Pause schließt der Arzt das Gespräch mit einem aufmunternden "Kummt amal der Schlauch heraus, dann - sind Sie a bißl mobiler, ja?" (Z. 45-48). Weitere Informationen erhält die Patientin während des restlichen Aufenthaltes auf der Station nicht. Dieses Beispiel zeigt ein völlig anderes Vorgehen des Arztes vor allem in der postoperativen Phase: Während es relativ häufig vorkommt, daß eine Diagnose präoperativ nicht restlos abgeklärt werden kann, ist es doch in der überwiegenden Zahl dieser Fälle so, daß die Patienten unmittelbar nach der Operation die endgültige Diagnose erfahren. Im Falle der Frau F. dagegen erfolgt keine Information nach Vorliegen der Untersuchungsergebnisse; zu dem vom Arzt initiierten Gespräch kommt es erst, als sich die Notwendigkeit der Zustimmung der Patientin zur Nachbehandlung ergibt. Deutlich wird aus diesem Vorgehen des Arztes und aus dem Gesprächsverlauf, daß der Arzt nicht beabsichtigte, der Patientin klare Informationen über ihren Zustand zu geben. Der Schluß dürfte zulässig sein, daß die einleitenden Informationen über die Ausbreitung der Krankheit vor allem dazu dienen sollten, die Patientin auf die Notwendigkeit einer Chemotherapie vorzubereiten. Was die Motive des Arztes zu diesem Vorgehen betrifft, so zeigt ein Vergleich der Situation jener Patienten, die klare Informationen zu einem möglichst frühen Zeitpunkt erhielten mit der Situation der Frau F., daß die Ursache für das unterschiedliche Vorgehen des Arztes in der Inoperabilitat der Erkrankung der Frau F. zu suchen ist. Wie auch Gespräche mit dem Arzt zeigen, ist für ihn "Nicht-operieren-Können" gleichbedeutend mit "Nichthelfen-Können" und unvereinbar mit seiner Rolle als "Heiler". Die Betreuung der Frau F. in der Phase nach Abklärung der Diagnose stellt den Arzt vor emotionale Probleme: er bezeichnet die Situation - gerade bei einer noch relativ jungen Frau - als "erschütternd" und meint, die "Aussichtslosigkeit tut mir weh". Das entscheidende Problem, das sich aus dieser Nicht-Information ergibt, ist das, daß es der Patientin durch das Fehlen der Gewißheit über ihren Zu-

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stand unmöglich gemacht wird, die Bearbeitung der Situation in Angriff zu nehmen, den Bearbeitungsprozeß in Gang zu setzen. Damit kann sie weder eine klare Zielsetzung entwickeln noch eine positive Einstellung zu Nutzen und Bewältigbarkeit der Therapie; die Folge sind anhaltende Ängste der Patientin und Komplikationen im Heilungsverlauf. Noch vor der Entlassung ist die psychische Situation von Frau F. - in deutlichem Gegensatz etwa zu Herrn F. - gekennzeichnet durch ein Schwanken zwischen Hoffnung und Verzweiflung: "Manchmal is des zum Verzweifeln - manchmal glaub i, des Leben is aus - na. i glaub, ich hoffe, daß ich die Kraft haben werd, damit zu leben. - Ma kann nur hoffen - daß des besser wird, daß i des in Griff krieg. Ich bin überzeugt, wenn ma kämpft, daß des was bringt. Ganz sicher. Davon bin i überzeugt, weil - i glaub, daß man über die Psyche enorm viel erreicht."

Allerdings ist es dafür nach Meinung der Patientin "notwendig ... a wenns Krebs is, daß man des sagt. - Weil Du kannst ja nur dagegen was tun, wennst das waßt. Weil wenn, wenn der sagt, 'is nix', und, 'is net so schlimm', dann denkst da: na, hallo, alles bestens, net. - Aber Du kannst ja nur dagegen kämpfen, wenn - Du mußt dein Feind kennen - dann kannst dagegen was machen."

Fallgeschichte Nr.3: Ähnlich gelagert ist der Fall des Herrn G., eines 66jährigen pensionierten Geschäftsmanns, der ebenfalls bereits einmal an Krebs erkrankt war. Das - auszugsweise dargestellte - Erstgespräch beginnt mit einer Zusammenfassung und Interpretation der bisher vorliegenden Untersuchungergebnisse sowie einer Ankündigung der bis zur endgültigen Abklärung von Diagnose und Therapie vorzunehmenden Maßnahmen. (B 3)

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und - ah - eine Messung der Lungenfunktion. Nicht, wenn ich das Röntgenbild so anschaue, muß ich sagen, mit dem Emphysem ist es nicht so tragisch, wie Sie es geschildert haben, so daß also - ah, -jedes weitere therapeutische Vorgehen etwas er-, uns erleichtert. nicht sagen. Denn, nehmen wir an, es ist eine Tumorerkrankung - der Tumor kann - bei dem Bild kann der 1/2 Zentimeter groß sein —ja das, was man hier sieht, ist der nicht belüftete Oberlappen. Die Größe, die (da hier) aufscheint, entspricht niemals der tatsächlichen Erkrankung - /wenn dies eine Geschwulst ist/ - oder wenn es ein anderer Herd ist, diese Herde sind in der Regel kleiner, nicht, denn das was man hier als Verschattung sieht, ist ja nicht der ganze Herd, nicht, er kann winzig klein sein. Wir hoffen aufgrund des Bildes, daß etwas Großes nicht unbedingt sein muß, das

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heißt, wir hoffen, daß hier eine große Lungenoperation nicht notwendig ist, hoffen wir, wenn - eine, eine (ernste) Diagnose gestellt wird, auch das wissen wir noch nicht. Aber wir werden versuchen, den ganzen Unter-

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und wir werden sicher, - wir werden Ihnen sicher helfen können, nicht. - ...

Aus der Wortwahl des Arztes wird deutlich, daß er versucht, den Patienten durch ein Vorgehen, das man als "Herunterspielen der Bedrohlichkeit" charakterisieren könnte, zu beruhigen: Er betont etwa, die Operationsmöglichkeit sei nicht gefährdet, weil das Emphysem "nicht so tragisch" (Z. 75) sei und damit das therapeutische Vorgehen, d. h. eine Operation, nicht gefährden dürfte. Der Arzt versichert dem Patienten, daß die Ausdehnung auf dem Röntgenbild "niemals der tatsächlichen Erkrankung" entspreche, daß der Herd "winzig klein" sein könne. Er geht bei Fragen immer nur auf jenen Teil ein, der das Herausstellen positiver, beruhigender Fakten erlaubt. Das Thema Bösartigkeit streift er nur in einem Nebensatz: "Wenn - eine, eine (ernste) Diagnose gestellt wird" (Z. 112,113); einen Hinweis auf das Problem, das der Arzt hat, bei dieser Gelegenheit die Möglichkeit einer bösartigen Erkrankung mit dem Patienten zu besprechen bildet die Tatsache, daß der Arzt, der üblicherweise langsam, betont und deutlich spricht, an dieser Stelle schnell und undeutlich zu sprechen beginnt. Die Bedrohlichkeit der Äußerung nimmt er auch sofort durch das folgende "auch das wissen wir noch nicht" zurück. Den Schluß des Gespräches leitet der Arzt ein mit der zusammenfassenden Ankündigung, den Patienten in einigen Tagen über die endgültige Diagnose und - daraus folgend - auch über die geplante Therapie informieren zu wollen. Seine Aussagen gipfeln in der betonten Feststellung "Wir werden Ihnen sicher helfen können" (Z. 127-128) - prinzipiell durch eine Operation, eventuell auch durch eine medikamentöse Therapie oder durch eine Strahlentherapie. Zusätzlich zu den in diesem Gespräch erhaltenen Informationen erfährt der Patient vor der Operation noch die endgültige Diagnose, daß es sich bei dem festgestellten Tumor um ein "kleines Karzinom" handle, das mit der früheren Krebserkrankung in keinem Zusammenhang stehe. Am Tag nach der Operation teilt der Arzt dem Patienten in beruhigendem Ton mit, daß er mit dem Verlauf der Operation "zufrieden" sei, daß der Patient "bald wieder gesund" sein werde. Darüber hinaus erwähnt er, daß ein Lungenlappen entfernt worden sei, daß kein Grund zu Sorge bestehe, der Patient werde bald wieder ein "gesunder Mann" sein.

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Was nun die psychische Situation des Patienten betrifft, ist im Erstgespräch zu beobachten, daß die Information über die neuerliche Erkrankung für ihn eine Überraschung darstellt. Er war der Meinung, nach dem ersten Auftreten der Krankheit "geheilt" zu sein. Auf Grund der festgestellten Symptome erwartete er die Diagnose "Lungenentzündung". Aus einer Analyse seiner Äußerungen im Interview geht hervor, daß das unerwartete Wiederauftreten der Erkrankung für ihn die Gewißheit eines vorzeitigen Todes und damit die Notwendigkeit einer Veränderung seines Selbstbildes von "Gesund" auf "Sterbend in naher Zukunft" bedeutet. In der Operation, zu der er sich von seiner Familie überreden läßt, kann er keine Chance auf die - sehnlichst gewünschte — Heilung mehr sehen, sondern nur eine Lebensverlängerung um einige Jahre. Dazu kommt, daß er auf Grund einer ganzen Reihe früherer Erkrankungen, Verletzungen und Operationen daran zweifelt, daß er imstande sein werde, einen weiteren Eingriff zu überstehen. Bei seinem letzten Ausgang vor der Operation beeilt er sich demgemäß, seine "Angelegenheiten zu regehi". Diese Selbstsicht des Patienten bleibt dem Arzt allerdings unbekannt. Ein Grund dafür ist darin zu sehen, daß der Patient gerade in der Interaktion mit dem Arzt versucht, so lange wie möglich gelassen und über der Situation stehend zu erscheinen, keine Emotionen zu zeigen und vor allem seine (Todes-) Angst nicht spüren zu lassen. Der einzige Hinweis darauf, daß der Patient nicht so gelassen ist, wie er erscheint, ist zu sehen in seinem Drängen auf eine rasche Durchführung der Operation, also auf eine mögliche Verkürzung der für ihn immer unerträglicher werdenden Belastung; in der Nacht vor der Operation zeigt sich allerdings, daß die Beruhigungsstrategie des Arztes nicht gegriffen hat: es kommt zu einem totalen Zusammenbruch der Angstkontrolle des Patienten. Der Arzt seinerseits akzeptiert in der präoperativen Phase die "Fassade" des Patienten, beschränkt sich auf Beruhigung unter Zuhilfenahme von relativ unspezifischen Äußerungen wie "wir werden Ihnen sicher helfen können" etc. sowie auf die Darstellung der Notwendigkeit der Operation. Sein Ziel in dieser Phase ist es vor allem, den Patienten nicht unnötig aufzuregen und mit Sachargumenten zur Operation zu bewegen. Dem starken Drängen des Patienten auf rasche Durchführung des Eingriffs setzt er ebenfalls vor allem sachliche Gründe für die Notwendigkeit des Wartens entgegen, hinterfragt die Gründe dafür aber nicht. Das Ergebnis dieses Ausklammerns von Gefühlen in der Interaktion ist, daß der Patient bereits im Interview vor der Operation meint, den Arzt zwar als Operateur fachlich sehr zu schätzen, jedoch keine Gesprächsbasis mit ihm zu haben, sich von ihm nicht verstanden zu fühlen.

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Helga Wimmer

Postoperativ führt der Arzt seine Strategie der Beruhigung des Patienten fort, indem er in den Vordergrund seiner Argumentation stellt, daß die Operation befriedigend verlaufen sei, daß der Patient "ein völlig gesunder Mann" sei. Für den Patienten allerdings verstärkt das Schmerzerleben in den ersten Tagen nach der Operation die Zweifel an der Beherrschbarkeit der Krankheit, der Zeitpunkt seines Todes rückt für ihn immer näher: hat er vor der Operation erwartet, noch "einige Jahre" leben zu können, so gibt er sich nunmehr nur mehr ein "halbes Jahr". Vor dem Hintergrund dieser Einschätzung als "Sterbender" ist es ihm nicht möglich, sich die Sichtweise des Arztes zu eigen zu machen; er fühlt sich in noch stärkerem Maße als vor der Operation unverstanden. Rückwirkungen dieser - durch Unterschiede in der Sichtweise des Patienten und der Argumentationslinie des Arztes entstandenen - Beziehungskrise auf das Befinden des Patienten zeigen sich insofern, als er in der Phase nach der Operation, in der die Mitarbeit des Patienten bei Atemübungen etc. besonders wichtig wäre, zu einer Kooperation nicht bereit ist, sich gänzlich in sich zurückzieht, für seine Umgebung - d. h. auch für seine Frau, das übrige Personal und andere Patienten, die sich sehr um ihn bemühen - unansprechbar wird. Diese Situation führt zu erheblich größeren Schmerzen als üblich und - wie auch bei Frau F. - zu einer deutlich verlängerten Wiederherstellungsdauer. Literaturverzeichnis Bunzel, B. & Grundböck, A. (1990) Die Kontrollüberzeugung und ihre Beziehung zum Operationserfolg bei Herztransplantationen. In: Prävention 2/1990, 41-44 Flicker, M. & Schweintzer, I. (1986) Psychosoziale Betreuung Krebskranker im Krankenhaus. In: Ringel, E. & Frischenschlager, O. (Hg.) (1986) Vom Überleben zum Leben. Wien-München-Bern: Maudrich, 98-105 Glaser, B. & Strauss, A. (1965) Awareness of Dying. Chicago: University of Chicago Press Königs wieser, R. (1985) Die Auswirkung schockierender Nachrichten: psychische Bewältigungsmechanismen und Methoden der Überbringung. In: Die Betriebswirtschaft 1/1985,51-61 Schütz, A. & Luckmann, T. (1979) Strukturen der Lebenswelt. Frankfurt/M.: Suhrkamp Wimmer, H. (1989) Operationsbewältigung. Eine empirische Untersuchung über Ansatzpunkte für psychosoziale Unterstützung bei der prä- und postoperativen Betreuung von Patienten mit Lungenkrebs. In: Österreichische Zeitschrift für Soziologie 3/1989,6-21 Wimmer, H. (1990) Auch die Seele braucht Betreuung. Ein Modell zur Unterstützung von Patienten bei der Bewältigung eines operativen Eingriffs. In: forum DR.MED 9/1990, 24-28. Pharmig-Anerkennungspreis für Gesundheitsökonomie 1990

Namensregister Adam, H. 2; 26 Allen, T. 26; 27; 43 Althusser, L. 252; 263 Altmann, H. 312; 362 Andersen, H. 366; 371 Angleitner, A. 93; 113 Antaki, Ch. 116; 132 Arnold, M. 366 f.; 371 Asher, R. 137; 148 Atkinson, J. M. 120; 132; 374, 382 Bänninger-Huber, E. 269; 308 Bahrs, O. 2; 26 Balint, M. 177 f.; 190 Baross, Z. 78; 90 Barthels,M. 271; 308 Bartholomeyczik, S. 156; 173 Bateson,G. 156; 173 Becker, G. 151; 173 Becker, Mrotzek, M. 351; 362 Begemann, M. 152; 173 Begemann-Deppe, M. 39; 43 Beier, R. 151; 173 Benjamin, W. 151; 173 Bergsma, J. 78; 90 Bibeau,G. 115; 133 Bichat, M. F. X. 149; 173 Bischoff, C. 115; 132; 305; 308 Bittner.U. 180; 190 Blankenburg, W. 41 ff. Blaser, A. 302; 305; 309 Bleuler, M. 42 f. Bliesener, Th. 47; 50; 55 ff.; 152; 173 f.; 179; 190 Bochnik,H. J. 367; 371 Bock, K. D. 137; 148 Bolinger.D. L. 314; 362 Bonarius, H. 93; 113 Bormann, M. 26

Bortz,J.93;113 Bosshardt, H. G. 269; 308 Bradish,P. 116; 132 Bräutigam, W. 210; 225 Brinkmann, H. 314; 362 Brünner, G. 253; 262 f. Bruton, C. 313; 362 Bühler, K. 72; 90; 269; 308 f., 362 Bührig, K. 213; 217; 225 Bunzel, B. 404; 418 Button, G. 378; 382 Candlin, C. 313; 362 Caspar, F. 305; 309 Cicourel, A. 130; 132; 266; 309 dayman, S. E. 375; 382 Conrad, R. 338; 362 Dahmer, H. 46; 57 Dahmer, J. 46; 57 Dann, H.-D. 270; 309 Davis, K. 373; 383 Deppe, H.-U. 174 Deusch.E. 177; 189 f. Dickhaut, H. H. 226 Döbert,R. 31; 43 Dressler, W. U. 74; 90; 259; 263 Driessen, C. 354; 362 DSM 137; 145 f.; 148 Eckhardt, A. 136 ff.; 146; 148 Ehlich, K. 84 f.; 90; 96; 113; 124; 132; 179; 190; 196; 202; 225 f.; 253; 255; 257; 263; 314; 317; 340; 350; 359; 362 Ekman, P. 269; 309 Elias, N. 77; 90 Elkind, D. 40; 43 Ellinger, S. 155; 174 Erickson.F. 117; 132 Fehlenberg, D. 312; 363 Feyerabend, E. 116; 132

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Namensregister

Fiehler, R. 179 ff.; 190; 206; 216; 226; 354; 363 Fischer, R. 314; 330; 334 f., 338 Fischer-Homberger, E, 151; 174 Fisher, S. 373; 383 Fiske, S. T. 306; 309 Flicker, M. 210; 226; 404; 418 Foucault, M. 149 ff.; 174; 253; 263 Frankel, R. M. 373; 383 Freidson, E. 122; 132 Friesen, W. 269; 309 Fritze, E. 220; 226 Fuchs, P. 306; 309 Garfinkel, F. 266; 309 Geisler, L. 371 Gerke, H. 2; 26 Gessinger, J. 190 Glaser, B. G. 156; 174; 405; 418 Glinz, H. 314; 363 Goffman, E. 85; 90; 120 f.; 132 Gramsci, A. 131 f. Grießhaber, W. 314; 363 Gripp, H. 26 Groeben, N. 269 f.; 309 f. Grundböck, A. 404; 418 Hagemann, H. 156; 174 Hart, A. 389; 401 Hartmann, F. 161; 174 Hartmannbund 172; 174 Hartog, J. 45; 57 Hasenbring, M. 226 Hausendorf, H. 145; 148 Heath, C. 84; 90 Heim, E. 190; 302; 305; 309 Kein, N. 179; 190 Helmich, P. 226 Heritage, J. 374; 382 Herzog, W. 269; 309 Hesse, E. 226

Hoffmann, L. 314; 363 Hoffmann, S. O. 159; 174 Hoffmann-Richter, U. 179; 190 Holland, D. 130; 132 Hörmann, H. 267; 303 f.; 309 Houtkoop, H. 377; 383 Huppmann, G. 174 in der Beek, R. 26 Jackson, T. T. 92; 113 Jagla, B. 50; 57 Jefferson, G. 120; 132; 333; 363 f., 374 John, O. 93; 113 Johnson-Laird, P. N. 305; 309 Kafka, J. S. 137; 148 Kallmeyer.W. 398; 401 Kaupen-Haas, H. 174 Keller, H.-J. 213; 217; 226 Kelly, G. A. 91 ff.; 113 Kittler, F. A. 152 f.; 155; 174 Kleeberg, U. R. 196; 210; 218; 223; 226 Klimpel.Th. 51; 57 Knaak, L. 226 Knorr-Cetina, K. 151; 174; 392; 401 Knowledge Acquisition 389; 401 Koc, J. 26 Koerfer.A. 179; 190 Kohle, M. 2; 26; 55; 57; 152; 156 ff.; 174; 179; 190; 226; 267; 309 Königswieser, R. 407; 418 Kohlmann, T. 152; 159; 174 Konau, E. 26; 27; 43 Krambeck, J. 26; 27; 43 Kuiper, P. C. 70; 90 Lalouschek, J. 177 ff.; 182; 189 f.; 261; 263 Leather, J. 313; 362 Leibesvisitationen 151; 174 Lellouche, J. 156; 174 Linde, Ch. 131 f.

Namensregister Locker, D. 129; 132 Löning, P. 195; 199; 201; 226; 313; 318; 340; 356; 363 Lörcher.H. 313; 363 Lorf, I. 327; 363 Luban-Plozza, B. 226 Luckmann, T. 122; 133; 407; 418 Lüth.P. 171; 174 Luhmann, N. 171; 174; 262; 264; 306; 309 Lyons,!. 97; 113 Maß, Zahl, Gewicht 151; 174 Mattern, Hj. 226 Maynard, D. 120; 124 ff.; 132 Mazeland, H. 313; 333; 363 f.; 374; 377; 383 Medcof, J. W. 306; 309 Meerwein, F. 195; 198 f.; 208; 210; 225 ff. Meibauer, J. 363 Menz, F. 84; 90; 179; 190; 251; 254; 259; 261; 263 ff. Merlini, L. 74; 90 Meyer-Drawe, K. 308 f. Mierlo, H. van 354; 362 Mies, M. 171; 174 Mischo-Kelling, M. 155; 161; 172; 174 f. Mishler, E. G. 373; 383 Mohn, D. 338; 363 Morstein, P. v. 78; 90 Moser, U. 269; 308 Müller, F. E. 120; 132 Murhardter Kreis 370 f. Nagel, G. A. 210; 226 Neuberg, St. L. 306; 309 Nordmeyer,J. 138; 145; 148 Nothdurft, W. 46; 57 Nowak, P. 179; 190 Nunner-Winkler, G. 31; 43 Obliers, R. 270; 289 f.; 309

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Obrecht, ;. P. 210; 226 Oevermann, U. 26; 27; 42 f. Osgood, C. E. 92; 113 Ostner, I. 156; 175 Overkamp.F. 137; 148 Paar, G. H. 136 ff.; 148 Paget,M.A. 313; 363 Pao, P. N. 137; 148 Pauli, H. 226 Pauli,H. G. 365; 371 Petzold, H. 302; 309 Pfleiderer, B. 115; 133 Pinding, M. 156; 175 Plassmann, R. 137 f.; 148 Pomerantz, A. M. 122; 133; 378; 383 Prewo, R. 164; 175 Pribersky, A. 152; 175; 313; 363 Quasthoff, U. 142; 145; 148; 313; 363 Quinn,N. 130; 132 Rabe-Kleberg, U. 175 Rachidi, R. 97; 113 Rahm, D. 57 Rakel, E. 226 Raspe, H.-H. 166; 175; 179; 190; 267; 309 Redder, A. 73; 84; 90; 179; 190; 328; 363 Rehbein, J. 96; 113; 121; 133; 179; 190; 191; 196; 202; 207; 218; 226; 253; 255; 257; 263 f., 269; 309; 313 f.; 317; 322; 327; 330; 332 f.; 340; 349; 351; 354; 357; 359; 362 ff. Rehbock, H. 312; 338; 364 Reimer, C. 192; 227 Reis, M. 312; 356; 364 Reiter, G. 161 f.; 164 f.; 173; 175 Ringer, C. 302; 305; 309 Rogers, C. R. 53; 57; 181; 190 Rohde,;.;. 156; 175 Rost, D. 208; 227 Rothman, B. K. 116; 133 Ryle,G.90;269;310

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Namensregister

Sachsse, U. 137 f.; 148 Sacks, H. 130; 133; 333; 364; 376; 383 Sandrock, F. 155 f.; 160; 175 Sartorius, J. 210; 226 Schaldach 364 Schaper, H.-P. 153 f.; 175 Scharfetter, C. 41; 43 Scheele, B. 267; 270; 309 f. Schegloff, E. A. 333; 364; 374; 383 Schein, E. H. 46; 57 Schippan, Th. 97; 113 Schlee, J. 270; 309 Schmeling-Kludas, Ch. 152; 160; 175 Schnotz, W. 305; 310 Schröder-Caesar, E. 26 Schülein, J. A. 252 f.; 264 Schütz, A. 122; 133; 398; 407; 418 Schütze, F. 398; 401 Schütze, Y. 26 Schulz von Thun, F. 46; 57 Schwab, A. 271; 310 Schweintzer, I. 210; 226; 404; 418 Schwitajewski, H. 155 f.; 175 Seidler, E. 153; 175 Senn, H. J. 192; 227 Shultz.J. 117; 132 Siegrist, J. 152 ff.; 159; 164 f.; 172; 175 Skopek,L. 313; 364 Sloterdijk, P. 265; 302 f.; 307 f.; 310 Soeffner, H.-G. 28; 42 f.; 266; 310 Sohns, R. 271; 310 Speck, A. 190 Spiess, K. 177; 189 f. Spiro, H. R. 137; 148 Spranz-Fogasy, Th. 53; 57 Starobinski, J. 78; 90 Steiner, F. 269; 308 Stempel, W.-D. 314; 330; 334 f.; 338 Stitz, S. 190 Stockhausen, J. 154; 175

Stössel,A.271;310 Strauss, A. 405; 418 Streeck, S. 181; 190 Strotzka, H. 175 Strouhal, E. 259; 264 Studer.H. 366; 371 Suci,G.J.92;113 Sudnow, D. 156; 175 Szecsenyi, J. 2; 26 Tannenbaum, P. H. 92; 113 Tausch, A. 181; 190 Tausch, R. 181; 190 Ten Have, P. 313; 358; 364; 373; 376; 378;383 Thomann, Ch. 46; 57 Thommen, M. 302; 305; 309 Todd, A. D. 373; 383 Uexküll, Th. v. 160; 164; 172; 175 f.; 190; 226; 266 f.; 310 Verres, R. 116; 133; 227 Vogel, G. 270; 289 f.; 309 Volkholz, V. 156; 176 Wagner, A.C. 269; 310 Wahl, D. 270; 309 Waldschmidt, D. Th. 303; 310 Weber, M. 164; 171; 176 Weidle,R.269;310 Weingarten, R. 179; 190; 398; 401 Weinrich, H. 73; 90 Weisgerber, L. 78; 90 Wesiack, W. 226 Wesiak, W. 160; 176; 267; 310 West, C. 313; 364; 373; 383 Whorf.B.L. 269; 310 Widowitz, E. 177; 189 f. Wilhelm, J. 154; 176 Wilker, F.-W. 174 Willi, J. 190 Wimmer, H. 46; 57; 196; 227; 403 f.; 408; 418

Namensregister Windgassen, K. 41; 43 Winkler, U. 116; 132 Wissensakquisition 389; 401 Wittgenstein, L. 78; 90; 152; 176; 269; 310 Wodak, R. 179; 190; 259; 261; 263; 313; 364 Woods, E. 313; 362 World Health Organisation 45; 57 Wunderlich, D. 312; 314; 364 Wüstenfeld, G. B. 2; 26 Wygotski.L. S. 95; 113 Zeihart, P. F. 92; 113 Zenz,H. 115; 132; 305; 308 Zetkin 364 Zoefferer.D. 312; 364

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Die Autoren Christian Albus, geb. 1959; Dr. med.; Arzt für Innere Medizin - Psychosomatik und Psychotherapie, Klinisches Institut und Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Arbeitsschwerpunkte: Endokrinologie, Gastroenterologie, Psychodiagnostik, Psychotherapie. Publikationen: Albus, C. & Ollenschläger, G. & Thomas, E. et al. (1990) Einfluß einer diabetischen und psychosomatischen Gruppenschulung auf Stoffwechselkontrolle und Krankheitsverarbeitung insulinpflichtiger Patienten. Klinische Wochenschrift 68/1990, 72-82. Ottomar Bahrs, geb. 1951; Dipl.-Sozialwirt, Dr. disc, pol.; Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Abteilung Allgemeinmedizin der Medizinischen Hochschule Hannover; verantwortliche Mitarbeit bei dem vom Zentralinstitut der Kassenärztlichen Versorgung geförderten Modellprojekt 'Allgemeinärztliche Qualitätszirkel' und bei dem vom ZI geförderten 'Projekt zur Förderung und Erforschung der Zusammenarbeit von Selbsthilfegruppen und Ärzten1 und Vorstandsarbeit in der Göttinger 'Gesellschaft zur Förderung Medizinischer Kommunikation e. V.'. Arbeitsschwerpunkte: Arzt-Patienten-Interaktion, Umgang mit chronischer Krankheit, Konzeptualisierung von Krankheit und Kranksein, Professionalisierung in der Primärmedizin, Qualitätssicherung in der ambulanten Versorgung, qualitative Forschung. Publikationen: Bahrs, O. & Kohle, M. (1989) Hausarzt und Patient im Gespräch. In: Niedersächsisches Ärzteblatt 18/1989, 34-35; Bahrs, O. & Kohle, M. (1989) Das doppelte Verstehensproblem - Arzt-Patient-Interaktion in der Hausarztpraxis. In: Neubig, H. (1989) Die Balint-Gruppe in Klinik und Praxis, Band 4. Berlin: Springer, 103-130; Bahrs, O. & Kohle, M. & Wüstenfeld, G. B. (1990) Der Erstkontakt in der Allgemeinmedizin. Die Beziehung zwischen Hausarzt und Patient als psychosoziale Interaktion. In: Neubig, H. (1990) Die Balint-Gruppe in Klinik und Praxis, Band 5. Berlin: Springer, 181-202; Adam, H. & Bahrs, O. & Gerke, H. & Szecsenyi, J. (1991) "Videoseminar als Fortbildungs- und Forschungsinstrument". In: Niedersächsisches Ärzteblatt 8/1991, 22-26; Bahrs, O. & Frede, W. & Litzba, R. (1992) "Is ja schon mal, das erste Mal, mit 14 Jahren" - Lebensgeschichte in standardisierter und biographischer Befragung. In: Garz, D. & Kraimer, K. (in Vorb.) Diskussionsband zur objektiven Hermeneutik. Frankfurt/ M.: Suhrkamp.

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Die Autoren

Ursula Bartholomew, Dr. med., Stationsärztin auf einer geschlossenen Frauen-Aufnahmestation, Psychiatrische Abteilung der Nervenklinik Spandau, Berlin. Arbeitsschwerpunkte: Psychotherapie neurotischer und psychotischer Erkrankungen. Publikationen: Bartholomew, U. & Scheer, J. W. & Klapp, B. F. (1988) Objektbeziehungen von Hepatitispatienten während der Behandlungsphase im Spiegel des Repertory-Grids. In: Schüffei, W. (Hg.) Sich gesund fühlen im Jahre 2000. Berlin: Springer, 333; Bartholomew, U. (1990) Selbstbild, Isolation und Objektbeziehungen bei Patienten mit akuter Virushepatitis. Gießen: Verlag der Ferberschen Universitätsbuchhandlung; Bartholomew, U. & Klapp, B. F. & Leyendecker, B. & Scheer, J. W. (1991) Depressivität und Selbstwertgefühl bei Patienten mit akuter Virushepatitis. In: Psychotherapie, Psychosomatik, Medizinische Psychologie 41/1991, 354-361; Bartholomew, U. (erscheint) Die Selbst-Identitäts-Graphik (SIG). In: Scheer, J. W. & Catina, A. (Hg.) Einführung in die Psychologie der Persönlichen Konstrukte. Monika Begemann-Deppe, geb. 1946; Dr. med. Dr. phil., Ärztin für Psychiatrie / Psychotherapie, Medizinsoziologin; tätig in eigener Praxis in Hamburg. Arbeitsschwerpunkte: Psychosentherapien, Krisenintervention. Publikationen: Begemann-Deppe, M. (im Druck) Schizophrenie und klinischer Kontext. Rekonstruktion einer Arzt-Patient-Beziehung. Stuttgart: Thieme. Thomas Bliesener, geb. 1951; Diplompsychologe, Dr. phil.; Autor, Trainer und Supervisor in freier Praxis. Arbeitsschwerpunkte: Ärztliche und pflegerische Gesprächsführung, psychosoziale Beratungsgespräche, professionelles Telefonieren, Konzepte der Kommunikationsschulung und der Organisationsberatung. Publikationen: Bliesener, Th. (1982) Die Visite - ein verhinderter Dialog. Initiativen von Patienten und Abweisungen durch das Personal. Tübingen: Narr; Bliesener, Th. & Kohle, K. (1986) Die ärztliche Visite — Chance zum Gespräch. Opladen: Westdeutscher Verlag; Bliesener, Th. & Kleiber, D. (erscheint) Beratungsgespräche zum Thema Aids; Bliesener, Th. (1991) Anhören, Wiedererleben, Begreifen - Übungen für die Fortbildungsarbeit mit Hörmaterialien. In: Verstellte Blicke - Materialien für die Ärzte- und Beraterfortbildung zu HIV. Wiesbaden. Konrad Ehlich, geb. 1942; Prof. Dr. phil.; Professor für Deutsche Philologie mit besonderer Berücksichtigung des Deutschen als Zweit-/ Fremdsprache und seiner Didaktik an der Universität Dortmund.

Die Autoren

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Arbeitsschwerpunkte: Linguistische Pragmatik, Diskurs- und Textanalyse, Institutionelle Kommunikation, Sprachtheorie, Deutsch als Zweitund Fremdsprache, Sprachsoziologie, Hebraistik. Publikationen: Ehlich, K. (1982) "Quantitativ" oder "qualitativ"? Bemerkungen zur Methodologiediskussion in der Diskursanalyse. In: Kohle, K. & Raspe, H.-H. (Hg.) (1982) Das Gespräch während der ärztlichen Visite. München: Urban & Schwarzenberg, 298-312; Ehlich, K. (1985) The Language of Pain. In: Theoretical Medicine 6, 2/1985, 177-187; Ehlich, K. & Koerfer, A. & Redder, A. & Weingarten, R. (Hg.) (1990) Medizinische und therapeutische Kommunikation. Diskursanalytische Untersuchungen. Opladen: Westdeutscher Verlag; Ehlich, K. (1989) Zur Struktur der psychoanalytischen "Deutung". In: ebd., 210-227. Dieter Flader, geb. 1944; PD Dr. phil., Privatdozent für Linguistik in der Germanistik (Berlin), Leiter eines Privatinstituts für Kommunikations forschung und Kommunikationsberatung. Arbeitsschwerpunkte: Pragmatik, Linguistik und Psychoanalyse, Kommunikation in Institutionen. Publikationen: Bliesener, Th. & Grodzicki, W.-D. & Schröter, K. (1982) Psychoanalyse als Gespräch. Frankfurt/M.: Suhrkamp. Jennifer Hartog, M. A.; Kanadierin, in Frankreich aufgewachsen, Studium der Literaturwissenschaften in England und der Linguistik in Konstanz, promoviert über Analyse genetischer Beratungsgespräche; Universität Ulm, Abteilung Medizinische Soziologie. Arbeitsschwerpunkte: Diskursanalyse, Ethnomethodologie, Soziolinguistik. Publikationen: Hartog, J. (1990) Das Schweigen der Experten und das Schweigen der Laien. In: Osnabrücker Beiträge zur Sprachtheorie 42/1990, 124-137; Hartog, J. (1992) Kommunikationsprobleme in der genetischen Beratung und ihre Folgen für eine sinnvolle Kommunikationsberatung. In: Fiehler, R. & Sucharowski, W. (Hg.) (1992) Kommunikationsberatung und Kommunikationstraining. Anwendungsfelder der Diskursforschung. Opladen: Westdeutscher Verlag, 87-101; Hartog, J. (1992) Paare in der genetischen Beratung. In: Günthner, S. & Kotthoff, H. (Hg.) (1992) Die Geschlechter im Gespräch. Kommunikation in Institutionen. Stuttgart: Metzler, 177-199. Heiko Hausendorf, geb. 1959; 1. Staatsexamen (Deutsch und Geschichte) Dr. phil.; Lehrbeauftragter an der Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft, Universität Bielefeld.

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Die Autoren

Arbeitsschwerpunkte: Institutionelle Kommunikation (Arzt-Patient, Klinikseelsorge, Beratung, Therapie), Erwachsenen-Kind-Interaktion (Erwerb von Diskursfähigkeiten), verschiedene Diskurstypen (Erzählung, Spielerklärung), Interaktionstherapie, Systemtherapie. Publikationen: Hausendorf, H. & Nordmeyer, J. & Quasthoff, U. M. (1991) Der Faktitiapatient als aktiv Erduldender und passiv Mächtiger: Eine linguistische Analyse der Selbstdarstellung einer Patientin in therapeutischer Interaktion. In: Psychotherapie, Psychosomatik, medizinische Psychologie 41/1991, 61-79; Hausendorf, H. (im Druck) Gespräch als System. Linguistische Aspekte einer Soziologie der Interaktion. Opladen: Westdeutscher Verlag. Heidrun Kaupen-Haas, geb. 1937; Prof. Dr. rer. pol.; Professorin für Medizin-Soziologie und Direktorin der Abteilung l des Instituts für MedizinSoziologie, Universitäts-Krankenhaus Eppendorf, Hamburg. Arbeitsschwerpunkte: Arzt-Patient-Beziehung unter Berücksichtigung der technischen Innovationen; Wissenschafts- und Medizingeschichte und Geschichte der Bevölkerungspolitik im 20. Jahrhundert. Publikationen: Kaupen-Haas, H. (Hg.) (1968) Soziologische Probleme medizinischer Berufe. Opladen: Westdeutscher Verlag; Kaupen-Haas, H. (1969) Stabilität und Wandel ärztlicher Autorität. Eine Anwendung soziologischer Theorie auf Aspekte der Arzt-Patient-Beziehung. Stuttgart: Enke; Kaupen-Haas, H. (Hg.) (1986) Der Griff nach der Bevölkerung. Aktualität und Kontinuität nazistischer Bevölkerungspolitik. Köln: Volksblatt Verlag. Karl Kohle, geb. 1938; Prof. Dr. med., Facharzt für Innere Medizin; Psychotherapie; Psychoanalyse; Direktor des Instituts für Psychosomatik und Psychotherapie der Universität zu Köln. Arbeitsschwerpunkte: Arzt-Patient-Kommunikation, Ärztliche Visite in der Klinik, Sprechstunde in der Praxis; Evaluation des Lernprozesses in Balint-Gruppen; Psychoonkologie. Publikationen: Kohle, K. & Raspe, H.-H. (Hg.) (1982) Das Gespräch während der ärztlichen Visite. München: Urban & Schwarzenberg; Adler, R. & Herrmann, J. M. & Kohle, K. & Schonecke, O. W. & Uexküll, Th. v. & Wesiack, W. (41990) Psychosomatische Medizin. München: Urban & Schwarzenberg. Johanna Lalouschek, geb. 1958; Mag. phil., Assistentin am Institut für Sprachwissenschaft/Wien, Bereich Angewandte Linguistik; Mitarbeiterin am Forschungsprojekt "Identitätsentwicklung von Jugendlichen in Österreich und Ländern Mittel- und Osteuropas" (Universitätsklinik für Tiefenpsychologie/Wien); Konsulentin für Forschungsprojekte zur patientenzentrierten Gesprächsausbildung von Medizinstudentinnen und

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angewandten Psychosomatikunterricht von Krankenpflegeschülerinnen (Institut für Medizinische Psychologie/Wien). Arbeitsschwerpunkte: Arzt-Patient-Kommunikation, therapeutische Kommunikation, Entwicklung von Gesprächsschulungen für Arztinnen und Medizinstudentinnen auf diskursanalytischer Basis, geschlechtsspezifische Identitätsentwicklung und Sprachverhalten von Jugendlichen. Publikationen: Lalouschek, J. & Menz, F. (1990) Ambulanzgespräche. Kommunikation zwischen Ambulanzschwestern und Ärzt/inn/en. In: Ehlich, K. & Koerfer, A. & Redder, A. & Weingarten, R. (Hg.) (1990) Medizinische und therapeutische Kommunikation. Diskursanalytische Untersuchungen. Opladen: Westdeutscher Verlag, 12-26; Lalouschek, J. & Menz, F. & Wodak, R. (1990) Alltag in der Ambulanz. Gespräche zwischen Ärzten, Schwestern und Patienten. Tübingen: Narr (KUI 20); Lalouschek, J. (1992) "Erzähm Sie mir einfach." - oder die psychosoziale Dimension von Krankheit als Problem in der medizinischen Gesprächsausbildung. In: Bliesener, Th. & Brons-Albert, R. (in Vorb.) Artefakte des Rollenspiels. Opladen: Westdeutscher Verlag; Lalouschek, J. (1992) Probleme, Möglichkeiten und Grenzen des ärztlichen Gesprächs. Dissertation Universität Wien. Petra Löning, geb. 1954; 1. und 2. Staatsexamen (Deutsch und Französisch) Dr. phil., seit 1989 Wissenschaftliche Mitarbeiterin des von der DFG geförderten Projekts zur "Arzt-Patienten-Kommunikation" am Germanischen Seminar der Universität Hamburg, Leiterin des Arbeitskreises "Ärztliche Gesprächsführung" in der DGMP (Deutsche Gesellschaft für Medizinische Psychologie) zusammen mit Frau Dr. Ursula Brucks. Arbeitsschwerpunkte: Medizinische Kommunikation, Kommunikation in der Psychoonkologie, Fachsprachentheorie, Kommunikation in Institutionen, interkulturelle Institutionsanalyse. Publikationen: Löning, P. (1981) Zur medizinischen Fachsprache. Stilistische Gliederung und Textanalysen. In: Muttersprache 2/1981, 79-92; Löning, P. (1985) Das Arzt-Patienten-Gespräch. Gesprächsanalyse eines Fachkommunikationstyps, asa Bd. 3. Bern: Lang; Löning, P. & Sager, S. (Hg.) (1986) Kommunikationsanalysen ärztlicher Gespräche. Ein Hamburger Workshop. Hamburg: Buske; Löning, P. (1986) Probleme der Dialogsteuerung in Arzt-Patienten-Gesprächen. In: Löning, P. & Sager, S. (Hg.) (1986) Kommunikationsanalysen ärztlicher Gespräche. Ein Hamburger Workshop. Hamburg: Buske, 105-126; Löning, P. (1990) Wissensetablierung in fachärztlichen Erstgesprächen. In: Herbeck, B. (Hg.) (1990) Wissenschaftliche Beiträge zum 8. Kongress "Psychologie in der Medizin". Ulm: Universitätsverlag, 92; Löning, P. (1990) Wissensetablierung in fachärztlichen Erstgesprächen . Arbeitspapier l des

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DFG-Projekts zur "Arzt-Patienten-Kommunikation". Universität Hamburg, Germanisches Seminar: mimeo; Knapheide, C. & Löning, P. (1992) Zur Transkription von Arzt-Patienten-Gesprächen. Die Verarbeitung eines standardisierten Corpus "Arzt-Patienten-Kommunikation" mithilfe des Transkriptionsverfahrens HIAT und des Computerprogramms »syncWRITER«. Universität Hamburg: Germanisches Seminar (mimeo); Löning, P. & Rehbein, J. (1992) Transkriptionen — wozu und wie? Zur Einführung in die Arbeit mit Transkripten fachärztlicher ArztPatienten-Gespräche. Arbeitspapier 5 des DFG-Projekts zur "Arzt-Patienten-Kommunikation". Universität Hamburg, Germanisches Seminar: mimeo; Florian Menz, geb. 1960; Mag. phil., Dr. phil., Universitätsassistent am Institut für Sprachwissenschaft der Universität Wien. Arbeitsschwerpunkte: Kommunikation in Institutionen, Kommunikation und Massenmedien, Kommunikation und Arbeitswelt. Publikationen: Menz, F. & Lalouschek, J. (1987) Das programmierte Chaos. Arzt-Patient-Gespräche in der Ambulanz. Sprachreport 3/1987; Lalouschek, J. & Menz, F. (1988) "Jetzt geht's wieda los." Qualitative Methoden in der Soziolinguistik, dargestellt am Arzt-Patient-Gespräch. In: Diem-Wille, G. & Pechar, H. (Hg.) (1988) Qualitative Forschungsmethoden in den Sozialwissenschaften. Zeitschrift für Hochschuldidaktik. Sonderheft 12/1988, 194-213; Lalouschek, J. & Menz, F. & Wodak, R. (1988) Gespräche in der Ambulanz. Ein Zwischenbericht. Deutsche Sprache 2/1988; Lalouschek, J. & Menz, F. & Wodak, R. (1990) Alltag in der Ambulanz. Gespräche zwischen Ärzten, Schwestern und Patienten. Tübingen: Narr (KUI 20); Lalouschek, J. & Menz, F. (1990) Ambulanzgespräche. Kommunikation zwischen Ambulanzschwestern und Ärzt/inn/en. In: Ehlich, K. & Koerfer, A. & Redder, A. & Weingarten, R. (Hg.) (1990) Medizinische und therapeutische Kommunikation. Diskursanalytische Untersuchungen. Opladen: Westdeutscher Verlag, 1226; Menz, F. (1991) "Zucker! Des hamS ma gar net gsagt!" Zur Kommunikation zwischen Arzt und Patient im Krankenhaus. In: Tüchler, H. & Lutz, D. (Hg.) (1991) Lebensqualität und Krankheit. Auf dem Weg zu einem medizinischen Kriterium Lebensqualität. Köln: Deutscher Ärzteverlag, 33-43; Menz, F. (1991) Der geheime Dialog. Medizinische Ausbildung und institutionalisierte Verschleierungen in der Arzt-PatientKommunikation. Bern: Lang; Menz, F. & Nowak, P. (1992) Kommunikationstraining für Ärzte und Ärztinnen in Österreich: Eine Anamnese. In: Fiehler, R. & Sucharowski, W. (Hg.) (1992) Kommunikationsberatung und -ausbildung. Anwendungsfelder der Diskursforschung. Opladen: Westdeutscher Verlag, 79-86.

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Maria Mischo-Kelling, geb. 1955; Diplomsozialwirtin, Diplomsoziologin; wissenschaftliche Mitarbeiterin am FB 11, Arbeit und Bildungswissenschaften; Planung und Aufbau, Lehramtsstudiengang "Pflegewissenschaften" der Universität Bremen; Arbeitsschwerpunkt: Planung und Aufbau, Lehramtsstudiengang "Pflegewissenschaften". Publikationen: Mischo-Kelling, M. (1985) Feministische Theorie und Forschung - auch eine Domäne für Pflegeforschung? In: Krankenpflege 5/1985, 155-158; Mischo-Kelling, M. & Rusch, B. (1985) Praktischer Nutzen der Pflegeforschung. In: Deutsche Krankenpflege-Zeitschrift (DKZ) 8/1985 (Beilage), 8-10; Mischo-Kelling, M. (1985) Frauen, Gesundheit und Heilen. In: Krankenpflege 12/1985, 457 f.; Mischo-Kelling, M. (1987) Das Pflegeprozeßmodell - Zur Einführung eines ganzheitlichen Pflegekonzeptes im Evangelischen Amalie Sieveking-Krankenhaus. In: Der Weite Raum, Zeitschrift der Kaiserwerther Mutterhausdiakonie 5/1987 (Beilage), 5 f.; Mischo-Kelling, M. & Zeidler, H. (Hg.) (1989) Lehrbuch "Innere Medizin und Krankenpflege". München: Urban & Schwarzenberg; Mischo-Kelling, M. (1989) Die Bedeutung der Compliance für die Pflege. Theoretische Überlegungen und daraus für die Praxis ableitbare Konsequenzen. In: Natur und Gesundheitsmedizin (ngm) 2/1989, 227-232; Mischo-Kelling, M. (1991) "Die Pflege aus ihrer Sprachlosigkeit herausführen..." Pflegewissenschaft als Grundlage professioneller personenbezogener Dienstleistungen. In: Rabe-Kleberg U. u. a. (Hg.) Dienstleistungsberufe in Krankenpflege, Altenpflege und Kindererziehung: Pro Person. Bielefeld: Karin-Böllert-KT-Verlag. Jutta Nordmeyer, geb. 1945; Diplompsychologin, Dr. phil.; freie Mitarbeiterin in der Abteilung für Psychosomatik (Prof. Dr. med. H. Freyberger) der Medizinischen Hochschule Hannover. Arbeitsschwerpunkte: Psychosomatik der artifiziell erzeugten Erkrankungen (factitious diseases); Supportive Psychotherapie bei psychosomatischen Patienten durch studentische Hilfstherapeuten. Publikationen: Nordmeyer, J. u. a. (1983) Psychosomatik der artifiziell erzeugten Erkrankung (factitious disease). In: Therapiewoche 33/1983, 4725-4730; Nordmeyer, J. u. a. (1984) "Factitious disease": Psychodynamik und Patientenumgang. In: Medizinische Klinik 79/1984, 501-503; Hausendorf, H. & Nordmeyer, J. & Quasthoff, J. (1991) Der Faktitiapatient als aktiv Erduldender und passiv Mächtiger: Eine linguistische Analyse der Selbstdarstellung einer Patientin in therapeutischer Interaktion. In: Psychotherapie, Psychosomatik, medizinische Psychologie 41/1991,61-79. Rainer Obliers, geb. 1948; Diplompsychologe, Dr. phil.; Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Psychosomatik und Psychotherapie der Universität Köln.

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Arbeitsschwerpunkte: Sprachpsychologie, Gesprächsanalysen, Forschungsprogramm 'Subjektive Theorien', Problemorientiertes Lernen, Medizinische Psychologie. Publikationen: Obliers, R. (1992) Die programmimmanente Güte der Dialog-Konsens-Methodik: Approximation an die ideale Sprechsituation. In: Scheele, B. (Hg.) (1992) Struktur-Lege-Verfahren als DialogKonsens-Methodik: Ein Zwischenfazit zur Forschungsentwicklung bei der rekonstruktiven Entwicklung Subjektiver Theorien. Münster: Aschendorff, 198-230; Obliers, R. & Vogel, G. (1992) Subjektive Autobiographie-Theorien als Indikatoren mentaler Selbstkonfiguration. In: ebd., 296-332. Hella Poll, geb. 1964; Ärztin; Studium der Psychologie, Doktorandin im Institut für Psychosomatik und Psychotherapie der Universität Köln (Prof. Dr. med. K. Kohle), psychoanalytische Fortbildung am Institut für Individualpsychologie in Düsseldorf, Stationsärztin der geschlossenen akut psychischen Abteilung einer psychotherapeutisch orientierten psychiatrischen Klinik in Köln. Arbeitsschwerpunkte: Wissenschaftliche Analyse von Arzt-Patient-Gesprächen, wissenschaftliche Beschäftigung und Teilnahme an einer Balint-Gruppe, psychiatrisch-psychotherapeutische Tätigkeit. Uta Quasthoff-Hartmann, geb. 1944; Prof. Dr. phil.; Forschungstätigkeit im Bereich der Linguistik (Diskursanalyse, Spracherwerbsforschung) an der Universität Bielefeld. Arbeitsschwerpunkte: Kommunikation in Institutionen, Entwicklung von Diskursfähigkeiten, Stereotype, Interkulturelle Kommunikation, Erzählforschung. Publikationen: Quasthoff, Uta M. (1982) Frageaktivitäten von Patienten in Visitengesprächen: Konversationstechnische und diskursstrukturelle Bedingungen. In: Kohle, K. & Raspe, H.-H. (Hg.) (1982) Das Gespräch während der ärztlichen Visite. München: Urban & Schwarzenberg, 70101; Quasthoff, Uta M. (1990) Das Prinzip des primären Sprechers, das Zuständigkeitsprinzip und das Verantwortungsprinzip. Zum Verhältnis von 'Alltag' und 'Institution' am Beispiel der Verteilung des Rederechts in Arzt-Patient-Interaktionen. In: Ehlich, K. & Koerfer, A. & Redder, A. & Weingarten, R. (Hg.) (1990) Medizinische und therapeutische Kommunikation. Diskursanalytische Untersuchungen. Opladen: Westdeutscher Verlag, 66-81; Hausendorf, H. & Nordmeyer, J. & Quasthoff, U. M. (1991) Der Faktitiapatient als aktiv Erduldender und passiv Mächtiger: Eine linguistische Analyse der Selbstdarstellung einer Patientin in therapeutischer Interaktion. In: Psychotherapie, Psychosomatik, medizinische Psychologie 41/1991, 61-79

Die Autoren

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Jochen Rehbein, geb. 1939; Prof. Dr. phil., Professor für Linguistik des Deutschen und Deutsch als Fremdsprache am Germanischen Seminar der Universität Hamburg. Arbeitsschwerpunkte: Pragmatik / Handlungstheorie der Sprache, Diskursanalyse, Institutionsanalyse, medizinische Kommunikation, Sprache im Klassenzimmer, Zwei- und Mehrsprachigkeit, bes. Sprache und Kommunikation türkischer Kinder, interkulturelle Kommunikation. Publikationen: Rehbein, J. (1985) Medizinische Beratung türkischer Eltern. In: Rehbein, J. (Hg.) (1985) Interkulturelle Kommunikation. Tübingen: Narr, 349-419; Rehbein, J. (1985) Ein ungleiches Paar - Verfahren des Sprachmitteins in der medizinischen Beratung. In: Rehbein, J. (Hg.) (1985) Interkulturelle Kommunikation. Tübingen: Narr, 420-448; Rehbein, J. (1986) Institutioneller Ablauf und interkulturelle Mißverständnisse in der Allgemeinpraxis. Diskursanalytische Aspekte der Arzt-Patienten-Kommunikation. In: Curare 9/1986, 297-328; Rehbein, J. (1989) Biographiefragmente. Nicht-erzählende rekonstruktive Diskursformen in der Hochschulkommunikation. In: Kokemohr, R. & Marotzki, W. (Hg.) (1989) Studentenbiographien I. Frankfurt: Lang, 163-253, Rehbein, J. (1993) Widerstreit. Probleme semiprofessioneller Rede in der interkulturellen Arzt-Patienten-Kommunikation. Erscheint in: Zeitschrift für Linguistik und Literaturwissenschaft (Lili) 1993; Löning, P. & Rehbein, J. (1992) Transkriptionen - wozu und wie? Zur Einführung in die Arbeit mit Transkripten fachärztlicher Arzt-Patienten-Gespräche. Arbeitspapier 5 des DFG-Projekts zur "Arzt-Patienten-Kommunikation". Universität Hamburg, Germanisches Seminar: mimeo; Gabriele Reiter, geb. 1946; Dr. med., Selbständige Ärztin für Anästhesie. Publikationen: Reiter, G. (1991) Beobachtungen von internistischen Stationsvisiten im Zusammenhang mit Versuchen, die Pflege zu reformieren. Hamburg: Med. Diss. Wolf gang Sohn, geb. 1949; Dr. med., Arzt für Allgemeinmedizin; Wissenschaftlicher Assistent an der Professur Allgemeinmedizin der HeinrichHeine-Universität Düsseldorf, Niedergelassener Allgemeinarzt in einer Landarztpraxis. Arbeitsschwerpunkte: Problemorientiertes Lernen mit Einbeziehung von Rollenspielen, Seminare zur Arzt-Patient-Kommunikation; Qualitätssicherung durch Handlungsleitlinien für die Allgemeinarztpraxis (BMGProjekt 1989-1993). Publikationen: Sohn, W. (1992) Abgrenzung von Beratung und Psychotherapie in der Allgemeinpraxis, NGM 8/1992; Sohn, W. (im Druck) Laborwerte der Psychosomatik sind die Gefühle. In: Ärztliche Praxis. München: Werk; Sohn, W. (im Druck) Medizinstudenten lernen sprechen Erfahrungen aus zehn Jahren Rollenspielseminar zur Arzt-Patient-Kom-

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Die Autoren

munikation. In: Bliesener, Th. & Brons-Albert, R. (im Druck) Natürliche und simulierte Gespräche. Paul ten Have, geb. 1937; Dr.; Universitärer Hauptdozent (Associate Professor), Fachgruppe Soziologie, Universität Amsterdam. Arbeitsschwerpunkte: Ethnomethodologie, Konversationsanalyse, Medizinische Interaktion, Methoden qualitativer Analyse. Publikationen: Have, P. ten (1987) Sequenties en formuleringen. Aspecten van de interactionele organisatie van huisarts-spreekuurgesprekken. Dordrecht/ Providence, R. L: Foris; Have, P. ten (1989) Und der Arzt schweigt. Sprechstunden-Episoden, in denen Ärzte auf Patienteninformationen sprachlich nicht reagieren. In: Ehlich, K. & Koerfer, A. & Redder, A. & Weingarten, R. (Hg.) (1990) Medizinische und therapeutische Kommunikation. Diskursanalytische Untersuchungen. Opladen: Westdeutscher Verlag, 103-121; Have, P. ten (1991) Talk and institution. A Reconsideration of the 'Asymmetry' of Doctor-patient Interaction. In: Boden, D. & Zimmerman, D. H. (eds.) (1991) Talk and Social Structure. Studies in Ethnomethodology and Conversation Analysis. Cambridge: Polity Press, 138-163. Dirk Thomas Waldschmidt, geb. 1964; cand. med.; Institut für Psychosomatik und Psychotherapie der Universität Köln. Arbeitsschwerpunkte: Wissenschaftliche Betreuung einer Balint-Gruppe von Prof. Kohle, Videographierung und Dokumentation von Arzt-Patient-Gesprächen in Poliklinik und Arztpraxis, Mitarbeit an der Gestaltung von problemorientiertem Lernen in der Medizinischen Psychologie. Publikationen: Waldschmidt, D. Th. (in Vorb.) Beschreibung von Kommunikationsabläufen in der Anfangsszene des ärztlichen Erstgespräches sowie Vergleich zu übergreifenden mentalen Selbstkonfigurationen ("Meta-Invarianten"). Köln: Universität zu Köln; Kohle, K. & Gaus, E. & Waldschmidt, D. Th. (in Vorb.) Krankheitsverarbeitung und Psychotherapie nach Herzinfarkt - Ein Modell integrierter Psychosomatik. Erscheint in: Adler, R. & Herrmann, J. M. & Kohle, K. & Schonecke, O. W. & Uexküll, Th. v. & Wesiack, W. (51993) Psychosomatische Medizin. München: Urban & Schwarzenberg. Rüdiger Weingarten, geb. 1955, PD Dr. phil., Hochschuldozent für Sprachwissenschaft und Sprachdidaktik, Universität Bielefeld, Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft. Arbeitsschwerpunkte: Sprachliche Kommunikation und neue Medien. Publikationen: Weingarten, R. (Hg.) (1988) Technisierte Kommunikation; Weingarten, R. (1989) Die Verkabelung der Sprache; Weingarten, R. (Hg.) (1990) Information ohne Kommunikation?

Die Autoren

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Helga Wimmer, geb. 1940, Dr. phil., freiberuflich tätig als Medizinsoziologin sowie Tätigkeit als Psychotherapeutin und Supervisorin in Wien und Niederösterreich. Arbeitsschwerpunkte: Psychosoziale Betreuung von Patienten im Krankenhaus (u. a. bei Krebspatienten), Arbeitssituation von Personal im Gesundheitswesen (z. B. Untersuchung über die postpromotionelle Ärzteausbildung im Krankenhaus) sowie Analysen der gesundheitlichen Versorgung (z. B. in Niederösterreich). Publikationen: Wimmer, H. & Pelikan, J. M. (1985) Gestörte Kommunikation zwischen Arzt und Patient im Krankenhaus. Eine Analyse von Kommunikationsbedingungen am Beispiel der Anamnese. In: Österreichische Zeitschrift für Soziologie, 3+4/1985, 167-178; Strotzka, H. & Wimmer, H. (Hg.) (1986) Arzt-Patient-Kommunikation im Krankenhaus. Wien: Facultas; Wimmer, H. (1986) Die Bedeutung psychosozialer Betreuung von Patienten - Notwendigkeiten, Möglichkeiten, Folgen. In: Strotzka, H. & Wimmer, H. (Hg.) (1986) Arzt-Patient-Kommunikation im Krankenhaus. Wien: Facultas, 5-20; Wimmer, H. (1989) Das Gespräch mit dem Patienten. Über den Einfluß von Gesprächen auf die Beziehung zwischen Arzt und Patient und den Erfolg der ärztlichen Tätigkeit. In: Ringel, E. & Rossmanith, S. (Hg.) (1989) Die Arzt-Patient-Beziehung. Wien: Maudrich, 50-60; Wimmer, H. (1989) Psychosoziale Operationsbetreuung - ein wissenschaftlich überprüftes Modellprogramm zur Unterstützung von Patienten bei der Bewältigung eines operativen Eingriffs. In: Österreichische Krankenhaus-Zeitung 12/1989, 693-697; Wimmer, H. (1990) Auch die Seele braucht Betreuung. Ein Modell zur Unterstützung von Patienten bei der Bewältigung eines operativen Eingriffs. In: forum DR. MED 9/1990, 24-28.