Zu Problemen der Demographie: Materialien des Internationalen Demographischen Symposiums Berlin 16.–18. Dezember 1974 [Reprint 2021 ed.] 9783112597583, 9783112597576


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Zu Problemen der Demographie: Materialien des Internationalen Demographischen Symposiums Berlin 16.–18. Dezember 1974 [Reprint 2021 ed.]
 9783112597583, 9783112597576

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Zu Problemen der Demographie Materialien des Internationalen Demographischen Symposiums Berlin 16. bis 18. Dezember 1974

Zu Problemen der Demographie Materialien des Internationalen Demographischen Symposiums Berlin 16. bis 18. Dezember 1974

Herausgegeben von P A R V I Z KHALATBARI

Leiter des Lehrstuhls Demographie an der Humboldt-Universität zu Berlin unter Mitwirkung von SIEGBERT FRÖHLICH

Ordentlicher Professor für Mathematik an der Karl-Marx-Universität, Leipzig HANNA

GRABLEY

Dozentin an der Hochschule für Ökonomie „Bruno Leuschner", Berlin K U R T LUNGWITZ

Stellvertretender Vorsitzender des Wissenschaftlichen Rates für Fragen der Sozialpolitik und Demographie, Berlin

A K A D E M I E - V E R L A G

-

B E R L I N

1975

Wissenschaftliche Sekretärin : Rose-Elisabeth Herden, Berlin

Erschienen im Akademie-Verlag, 108 Berlin, Leipziger Str. 3—4 © Akademie-Verlag, Berlin 1975 Lizenznummer: 202 • 100/50/75 Gesamtherstellung: VEB Druckerei „Thomas Müntzer", 582 Bad Langensalza Bestellnummer: 752 733 6 (6262) • LSV 0305 Printed in G D R EVP 1 7 , -

Inhalt

Vorwort des Herausgebers

9

PARVIZ KHALATBARI

Zu einigen Problemen der Methodologie der Bevölkerungsforschung

13

JAKOB I. RUBIN

Zu theoretischen Grundlagen der Bevölkerungspolitik

31

ZDENEK PAVLIK

Einige theoretische Fragen der Bevölkerungspolitik und die Situation in der Tschechoslowakei

46

IOAN CQPIL

Synthese zur Entwicklung der demographischen Erscheinungen in Rumänien

59

JURU K . KOZLOV

Die Reproduktion der Bevölkerung als Gegenstand der Planung mit Hilfe von Zielprogrammen in den sozialistischen Ländern . . . .

71

BERNDT MUSIOLEK

Zur Rolle demographischer Faktoren bei der Leitung und Planung sozialer Prozesse. . '

74 5

WERNER MOHRIG

Populationsgesetze in Natur und Gesellschaft

83

ERICH STROHBACH

Zu einigen Beziehungen zwischen Sozialpolitik und Demographie

ERHARD FÖRSTER

Betrachtungen zur Sexualproportion in der DDR

90

97

GEORG REIMANN

Zu einigen Fragen der Entwicklung der Geburtenzahl in der DDR 107 EDWARD ROSSET

Die mittlere Lebenserwartung in der Volksrepublik Polen . . . . 115 KARL-HEINZ MEHLAN

Grundsätze und Organisation der Familienplanung in der Deutschen Demokratischen Republik 122 ANNELIESE SÄLZLER/LIESELOTTE HINZE

Beziehungen zwischen beruflicher Belastung, Mutterschaft und Gesundheit der werktätigen Frau in der DDR 126 UTE FRITSCHE/JOACHIM ROTHE

Sozialmedizinische Aspekte bei der Schwangerschaftsunterbrechung 130 UTA SCHMIDT

Der Einfluß von Familie und Berufstätigkeit auf die Bevölkerungsentwicklung 141 6

EMIL MAGVAS

Einige Aspekte der Abhängigkeit der Geburtenhäufigkeit von sozialökonomischen Faktoren 149 BERNHARD KREUZ

Beitrag zur Problematik von Zeitreihenanalysen vitaler Ereignishäufigkeiten. 157 ZDRAVKO SUGAREV

Modellierung der Entwicklung demographischer Strukturen . . . 1 6 4 SIEGBERT FRÖHLICH

Über die mathematische Beschreibung von Personengesamtheiten in Abhängigkeit von Alter und Zeit 172 STANISLAW BOROWSKI

Die Geburtsprognosen auf Grund der Familienpräferenzen der Jugend im heiratsfähigen Alter 176 BERND RÖNZ

Zur Berücksichtigung demographischer Erscheinungen und Prozesse in makroökonometrischen Modellen der sozialistischen Länder — eine Bestandsaufnahme 183 HANS-GERHARD STROHE

Spektralanalyse und Prognose der Zahl der Lebendgeborenen in der DDR 196 Verzeichnis der Beiträge zum Internationalen Demographischen Symposium Berlin 1974 203 Liste der Teilnehmer am Internationalen Demographischen Symposium Berlin 1974 208 7

Vorwort des Herausgebers

Vom 16. bis 18. Dezember 1974 fand an der Humboldt-Universität zu Berlin ein internationales Demographisches Symposium über die „Gesetzmäßigkeiten der Bevölkerungsentwicklung, theoretische Grundfragen und Erfahrungen der Bevölkerungspolitik und Familienplanung" statt. Das Symposium bildete einen Bestandteil des Gesamtprogramms der Humboldt-Universität zu Ehren des 25. Jahrestages der Gründung der Deutschen Demokratischen Republik. Dieses Symposium war gleichzeitig eine schöpferische Antwort auf den Appell der UNO zum Weltbevölkerungsjahr 1974, Die UNO hat ihre Mitgliedstaaten aufgerufen, mit einer iqtensiven Tätigkeit die internationale Aufmerksamkeit auf die gegenwärtigen demographischen Probleme zu lenken. Die III. Weltbevölkerungskonferenz in Bukarest bildete den Höhepunkt dieser Aktivitäten zum Weltbevölkerungsjahr. An dem Internationalen Demographischen Symposium in Berlin 1974 nahmen Bevölkerungswissenschaftler, Geographen, Ökonomen, Mediziner, Biologen, Soziologen und Vertreter anderer Wissenschaftsdisziplinen aus der DDR sowie einige international bekannte Demographen aus der UdSSR, der VR Polen, der CSSR, Bulgarien und Rumänien teil. Dem Symposium wurden insgesamt 38 schriftliche Beiträge vorgelegt. Die Beiträge behandelten sehr unterschiedliche Aspekte der Demographie. In einigen Beiträgen wurden die grundlegenden theoretischen Probleme aufgegriffen, die für die weitere Entwicklung der marxistischleninistischen Demographie als eine junge Wissenschaft von prinzipieller Bedeutung sind. Wie bei jeder anderen Wissenschaft, die sich in ihrer anfanglichen Entwicklungsphase befindet, sind unterschiedliche Auffassungen über grundlegende theoretische Probleme unvermeidlich. Beim gegenwärtigen Entwicklungsstand der demographischen Forschung wäre es auch eine Vermessenheit, dem Symposium ein in sich ge-

9

schlossenes System vorlegen zu wollen. Dieses könnte nur künstlich zustande kommen, was allerdings dem schöpferischen Geist des Marxismus-Leninismus widerspricht. Der Leser kann beim Studium der einzelnen theoretischen Beiträge feststellen, daß trotz einer gemeinsamen weltanschaulichen Basis die Autoren unterschiedlich an die verschiedenen theoretischen Probleme herangehen. Diese unterschiedlichen Auffassungen sind die Standpunkte der einzelnen Autoren. Sie spiegeln nicht notwendigerweise die Meinung der Teilnehmer des Symposiums oder des Herausgebers wider. Dennoch sind wir der Meinung, daß gerade durch diese Unterschiedlichkeit der wissenschaftliche Meinungsstreit in der Demographie wesentliche Impulse erhält. Die unterschiedlichen theoretischen Meinungen haben erneut bewiesen, wie notwendig eine Grundlagenforschung für die Demographie ist. In einer Reihe von Beiträgen werden die aktuellen Bevölkerungsprobleme erörtert. Diese Beiträge haben vor allem praktische bevölkerungsund sozialpolitische Bedeutung. Angesichts der Tatsache, daß eine zunehmende Übereinstimmung der sozialpolitischen Maßnahmen im Rahmen der Verwirklichung der Gesellschaftspolitik der sozialistischen Länder zu einem objektiven praktischen Erfordernis geworden ist, erhöht sich die Bedeutung dieser, auf dem Symposium vertretenen Beiträge. Die Beiträge liefern einen wertvollen Überblick über einzelne Ergebnisse der sozialpolitischen Maßnahmen in der DDR und einigen anderen sozialistischen Ländern. Der Leser erhält einen guten Einblick in die Gemeinsamkeiten, aber auch in die Unterschiedlichkeit dieser Maßnahmen in den einzelnen Ländern. In einigen Beiträgen werden die Bevölkerungssituation sowie verschiedene demographische Prozesse geschildert und analysiert. Diese Beiträge besitzen einen hohen Informationsgehalt. Eine Reihe von Autoren haben sich in ihren Beiträgen mit den Methoden zur Untersuchung der Bevölkerungsentwicklurig beschäftigt. Hier soll vor allem die Bedeutung dieser Beiträge für die Gewinnung und Verarbeitung der erforderlichen demographischen Informationen hervorgehoben werden. Diese Beiträge gehen zum Teil über den vorhandenen Erkenntnisstand hinaus. Vom internationalen Lenkungskomitee des Berliner Symposiums wurde eingeschätzt, daß dieses Symposium „einen Beitrag zur Ausarbeitung der marxistisch-leninistischen Bevölkerungstheorie geleistet und zum tieferen Verständnis der demographischen Prozesse in den sozialistischen Ländern befähigt hat."

10

Der vorliegende Band enthält jene ausgewählten Beiträge zum Internationalen Demographischen Symposium, die — von der Thematik des Symposiums aus betrachtet — ein relativ zusammenhängendes Bild vom Stand der gegenwärtigen demographischen Forschung in unserer Republik vermitteln. Berlin, Dezember 1974

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P A R V I Z KHALATBARI

Zu einigen Problemen der Methodologie der Bevölkerungsforschung

Bei unserem Symposium geht es, wie im Grunde genommen bei allen demographischen Konferenzen in sozialistischen Ländern, im Prinzip darum, an der Ausarbeitung der marxistisch-leninistischen Bevölkerungstheorie mitzuwirken. Die Arbeit an Grundfragen der Theorie steht aus den verschiedenen nationalen und internationalen Gründen seit Jahren bei den Bevölkerungswissenschaftlern in den sozialistischen Ländern auf der Tagesordnung. Die Bevölkerungsbewegung — wenn auch dem Charakter nach unterschiedlich — übt einen nicht unwesentlichen Einfluß auf die wirtschaftliche Entwicklung aus. In den sozialistischen Ländern besteht das Ziel der Wirtschaftstätigkeit in der immer besseren Befriedigung der materiellen und kulturellen Bedürfnisse der Menschen. Diese können durch die Planung der Wirtschaft auf lange Sicht realisiert werden. Die Erkenntnisse des künftigen Trends der Bevölkerungsbewegung, die Quanten, Wachstumsraten und Struktur der Bevölkerung und, exakter gesagt, die Erkenntnisse der Gesetzmäßigkeiten der Bevölkerungsbewegung und ihrer Wirkungsweise bilden hier die entscheidende Voraussetzung für die Erfüllung dieser Aufgaben und tragen immer mehr praxisrelevanten Charakter. Auf der Basis dieser Kenntnisse kann die Bevölkerungspolitik zunehmend theoretisch fundiert und praxiswirksam werden. Die Lösung der genannten Aufgaben ist heute zu einem entscheidenden Bestandteil der weiteren Entwicklung der Volkswirtschaft geworden. Sie steht unter anderem mit der Ausarbeitung der marxistisch-leninistischen Bevölkerungstheorie als einer einheitlichen, umfassenden Theorie im Zusammenhang. Aus dieser Sicht betrachtet, stehen die Bevölkerungswissenschaftler in den sozialistischen Ländern vor einer enormen Aufgabe, deren Lösung keine Verzögerung duldet. Die Aufgaben der marxistisch-leninistischen

Bevölkerungswissen13

schaftler gehen jedoch über diesen Rahmen, der an sich schon große Dimensionen umfaßt, hinaus. Auf der Internationalen Beratung der kommunistischen und Arbeiterparteien in Moskau 1969 wurde festgestellt: „Eines der großen Probleme der Gegenwart, auf das die kommunistischen und Arbeiterparteien das Augenmerk der Öffentlichkeit lenken und für dessen Lösung sie energisch kämpfen, ist die Überwindung der Rückständigkeit zahlreicher Länder, ganzer Kontinente, die eine Folge lang andauernder kolonialer und imperialistischer Herrschaft ist." 1 Gerade in diesen Ländern, in den ökonomisch weniger entwickelten Ländern, leben drei Viertel der Weltbevölkerung. Hier steht die wachsende Bevölkerung einer rückständigen Landwirtschaft, einer unzureichenden Industrialisierung, einer ungenügenden Entwicklung der Berufsbildung, unzureichenden Arbeitsplätzen für ausgebildete und ungelernte Arbeiter, unzureichenden Schulen, Lehrern und Lehrbüchern usw. gegenüber. Die Bevölkerungsfrage kommt hier in der akuten Ernährungsfrage, der Beschäftigungsfrage und der Bildungsfrage zum Ausdruck. Es handelt sich um Probleme, die mit dem Schicksal von 75 Prozent der Weltbevölkerung und bald sogar (im Jahre 2000) mit dem Schicksal von 80 Prozent der Weltbevölkerung zusammenhängen. Selbstverständlich kann man diese Probleme durch Schwarzmalerei und Panikmacherei nicht lösen. Das pessimistische Herangehen an diese Probleme — wie es bei zahlreichen bürgerlichen Wissenschaftlern üblich ist — dient nicht der Lösung dieser Frage. Jedoch soll das optimistische Herangehen an diese Probleme nicht die Verneinung derselben bedeuten und soll keineswegs die Wichtigkeit und Dringlichkeit der Lösung dieser Frage in den Hintergrund rücken. Wir können die Lösung dieser Frage in den Entwicklungsländern, die eine Frage von weltweiter Bedeutung ist, nicht den bürgerlichen Wissenschaftlern überlassen. Es ist unsere internationalistische Pflicht, den Völkern dieser Länder bei der Lösung ihrer schwierigen Probleme sowohl praktisch als auch theoretisch zu helfen. Die theoretische Lösung dieser Fragen durch die marxistischen Bevölkerungswissenschaftler stellt einen Beitrag zur weltweiten Systemauseinandersetzung zwischen Sozialismus und Kapitalismus dar. Bei der Erfüllung dieser internatio1

Die Aufgaben des Kampfes gegen den Imperialismus in der gegenwärtigen Etappe und die Aktionseinheit der kommunistischen und Arbeiterparteien, aller antiimperialistischen Kräfte, in: Internationale Beratung der kommunistischen und Arbeiterparteien Moskau 1969. Berlin 1969, S. 40.

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nalen Aufgaben rückt wieder die Ausarbeitung der marxistisch-leninistischen Bevölkerungstheorie in den Vordergrund. Dabei liefert die Bevölkerungsbewegung in den Entwicklungsländern eine Unmenge von Material für die Ausarbeitung einer umfassenden derartigen Theorie. Die marxistischen Bevölkerungswissenschaftler stehen hier vor einer schwierigen Aufgabe. Schwierig im doppelten Sinne. Einerseits harren die Bevölkerungsfragen dringend einer Lösung. Die praxisrelevant gewordene Notwendigkeit der Lösung dieser Frage stellt uns unter einen bestimmten Druck. Die Bevölkerungsgesetze zu erfassen, ist aber andererseits ein langwieriger Erkenntnisprozeß. Bekanntlich ist die Bevölkerungsbewegung in den verschiedenen gesellschaftlichen Systemen unterschiedlich. Selbst unter ein und demselben Gesellschaftssystem ist die Bevölkeruhgsbewegung in den verschiedenen Ländern und in den verschiedenen Perioden sehr unterschiedlich. Somit verzeichnet die Bevölkerungsbewegung auf den ersten Blick eine ausgesprochene Unregelmäßigkeit und Vielförmigkeit. Dazu kommt, daß diese Bewegung unter dem Einfluß von natürlichen, biologischen und jeweiligen sozialen, ökonomischen, psychologischen und anderen Faktoren steht. Das macht die Untersuchung dieser Bewegung viel schwieriger und komplizierter. Dabei ist zu bedenken, daß für die Untersuchung der Bevölkerungsbewegung unter dieser komplizierten Situation weder „ein Mikroskop noch chemische Reagentien" verwendet werden können. Hier kann ähnlich wie in der politischen Ökonomie die Abstraktionskraft beide ersetzen und die komplizierte, unregelmäßige, ja anscheinend chaotische Bewegung der Bevölkerung gewissermaßen überschaubar machen und uns schrittweise ans Ziel bringen. Selbstverständlich ist dieser Erkenntnisprozeß in der Demographie ein langwieriger Prozeß. Es kommt des öfteren vor, daß die Wissenschaftler ungeduldig werden. Sie suchen nach einem schnellen Erfassen der Zusammenhänge der allgemeinen Grundsätze und kommen zu übereilten Schlußfolgerungen, die nicht nur durch Oberflächlichkeit und Simplifikation gekennzeichnet sind. Sie können unter Umständen auf die weitere Entwicklung des Wissenschaftsgebietes zeitweilig sogar negativ einwirken. Ein Beispiel für solche eiligen Schlußfolgerungen bieten vielleicht die üblichen Formulierungen des Bevölkerungsgesetzes im Kapitalismus und im Sozialismus. Wir haben oft das von Marx formulierte allgemeine Gesetz der Akkumulation im Kapitalismus und die Überzähligmachung der Arbeitsbevölkerung einseitig und nicht exakt interpretiert (darauf komme ich später noch einmal zurück). Das war aber nicht alles. Wir haben die einfache Umkehrung dieses von Marx formulierten Gesetzes

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für den Kapitalismus als Bevölkerungsgesetz des Sozialismus deklariert. Jürgen Kuczynski hat seinerzeit diese eiligen Schlußfolgerungen kritisiert. 2 Ein weiteres Beispiel: Gestützt auf den raschen Geburtenzuwachs der Nachkriegsperiode in den sozialistischen Ländern wurde auch seinerzeit das stürmische Wachstum der Bevölkerung zum Bevölkerungsgesetz des Sozialismus deklariert. Solche Beispiele könnten noch weiter angeführt werden. Diese eiligen und leichten Schlußfolgerungen geben indes Auskunft über den jeweiligen Entwicklungsstand der Demographie als Wissenschaft.

Ist die Demographie eine reife Wissenschaft? Es gibt kaum ein anderes Wissenschaftsgebiet, dessen Metho'den so weit entwickelt sind und dessen theoretische Basis so unterentwickelt ist, wie es bei der Demographie der Fall ist. Die genaue Definition, klare methodologische Aspekte, Begriffsstellungen und Entwicklungsgesetze, die nach Sève einmal als Merkmale einer reifen Wissenschaft gelten, 3 sind bei der Demographie längst noch nicht ausgearbeitet worden. Daher kann die Grenze der Demographie zu anderen Wissenschaftsgebieten nicht klar gezogen werden. Oft wird sie mit anderen Wissenschaftsdisziplinen wie z. B. der Bevölkerungsstatistik verwechselt. Das geschieht nicht nur bei manchen bürgerlichen Wissenschaftlern, sondern auch in der marxistischen Literatur können wir solche Verwechslungen finden. Die Tatsache, daß noch bis heute keine exakte und einheitliche Definition für die Demographie vorliegt, ist ein Beweis dafür, daß sich die Demographie als Wissenschaftsdisziplin noch in der Periode des Vorantastens, in der Anfangsphase ihrer Entwicklung befindet. Ungeachtet mehr öder weniger chaotischer Definitionen haben alle marxistischen Definitionen einen gemeinsamen richtigen Kern. In allen diesen Definitionen ist die Untersuchung der Bevölkerungsgesetze als Aufgabe der Demographie bezeichnet worden. In der Tat kann die Grundlage der marxistischen Demographie nichts anderes sein als der dialektische und historische Materialismus. Die Kategorien, Prinzipien und Gesetze des dialektischen Materialismus spiegeln die allgemeinen Eigenschaften, Beziehungen und Gesetzmäßigkeiten in der objektiven Realität wider. 2 Vgl. Jürgen Kuczynski, Demographie, in: Die Weltbühne, Nr. 51/1972, S. 1617. 3 Luden Sève, Marxismus und Theorie der Persönlichkeit, Berlin 1973, S. 24/25.

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Ausgehend von dieser Basis soll die marxistische Demographie in der Untersuchung der Eigenschaften, Beziehungen und Gesetzmäßigkeiten in dem objektiven Prozeß der Fortpflanzung der Gattung und ihrer Widerspiegelung in den demographischen Kategorien und Gesetzen eine vorrangige Aufgabe finden. Mir scheint, daß den Gesetzmäßigkeiten der Bevölkerungsproduktion auf die Spur zu kommen, als wichtigste und hauptsächliche Aufgabe der marxistischen Demographie zu bezeichnen ist. Im Reproduktionsprozeß kommt die ständige Wiederholung der Fortpflanzungsbeziehungen sowohl auf einfacher als auch auf erweiterter Stufenleiter zum Ausdruck. Der Reproduktionsprozeß stellt also einen umfassenden Begriff dar, in den die quantitativen und die qualitativen Aspekte der Bevölkerungsbewegung, in den sowohl die Vermehrung der Gattung als auch die Bevölkerungsentwicklung eingeschlossen sind. Dabei bilden in diesem umfassenden Begriff die Fortpflanzung und die damit verbundenen Beziehungen wie Beziehungen zwischen Mann und Frau, Eltern und Kindern sowie die Familie den Kern der Sache. Was ich als wichtigste und hauptsächliche Aufgabe der marxistischleninistischen Demographie bezeichnet habe, trägt praktisch den Charakter eines Vorschlages, weil m. E. der demographische Inhalt von Begriffen wie „Reproduktion", „Vermehrung", „Fortpflanzung", „Bevölkerungsbewegung", „Bevölkerungsentwicklung" usw. noch nicht präzise ausgearbeitet ist. Es geht dabei keineswegs um eine akademische Diskussion und Haarspalterei. Es ist eine Tatsache, daß bei der Verwendung dieser Begriffe eine gewisse Anarchie herrscht. In der Tat haben diese Begriffe alle einen bestimmten gesellschaftlichen Inhalt, wenn sie auch miteinander verwandt sind. Intensive Untersuchungen bei der Ausarbeitung klarer Begriffsbestimmungen und der Beziehungen zwischen diesen Begriffen können die Aufgabenstellung der marxistischleninistischen Demographie präzisieren und sie als Wissenschaft einen Schritt voranbringen. In dieser Hinsicht kann man in den Werken der Klassiker wertvolle Ansatzpunkte finden. Überhaupt bildet das Studium der Klassiker des Marxismus-Leninismus die elementare Voraussetzung für die Erhebung der Demographie zu einer reifen Wissenschaft. Zwar haben die Klassiker keine geschlossenen Werke über die Demographie hinterlassen, jedoch finden wir in ihren Werken zahlreiche Äußerungen, wenn auch in sehr unterschiedlichen Zusammenhängen, die als Grundsätze für die Ausarbeitung der marxistisch-leninistischen Bevölkerungstheorie dienen können. Diese Thesen, Äußerungen und Grundsätze müssen sorgfältig sortiert werden, diskutiert werden, und ihre Aussage für die Entwicklung 2

Demographie

17

der Demographie als Wissenschaft muß klar dargelegt werden. In diesem Zusammenhang herrschen bei uns gewisse Rückstände und auch eine gewisse Willkürlichkeit, Einseitigkeit und Unexaktheit. Rückstand in dem Sinne, daß die Werke der Klassiker, nämlich die von Marx, Engels und Lenin, noch nicht vom obengenannten Standpunkt aus vollständig ausgewertet wurden. Die wenigen, relativ bekannten Grundsätze sind auch noch nicht eingehend diskutiert worden. Sie sind weitgehend Gegenstand individueller Interpretationen. Ein Beispiel d a f ü r : Die Untersuchung der Bevölkerungsfrage wird von uns aus der bekannten Marxschen These abgeleitet, daß „. . . jede besondre historische Produktionsweise ihre besondren, historisch gültigen Populationsgesetze hat. Ein abstraktes Populationsgesetz existiert nur für Pflanze und Tiere. . ," 4 Bei der Interpretation dieser These sind die Meinungen unterschiedlich. Manche betrachten diese These als ein ökonomisches Gesetz. Marx kam bei seiner Analyse des allgemeinen Gesetzes der kapitalistischen Akkumulation zu folgendem Ergebnis: „Mit der durch sie selbst produzierten Akkumulation des Kapitals produziert die Arbeiterbevölkerung also in wachsendem Umfang die Mittel ihrer eignen relativen Überzähligmachung." 5 Marx betrachtet dieses Gesetz als „ein der kapitalistischen Produktionsweise eigentümliches Populationsgesetz . . . " Es handelt sich hier also um die Überzahligmachung der Arbeiterbevölkerung; eine von der Vermehrung der Bevölkerung unabhängige Bewegung der Arbeiterbevölkerung auf dem Arbeitsmarkt. Demnach ist es also richtig, wenn man diese These und die darauf folgende Verallgemeinerung auf die ökonomischen Prozesse bezieht und als ökonomische Gesetze betrachtet. Diese richtige Schlußfolgerung schließt eine weitere wichtige Aussage dieser Marxschen These nicht aus. „Marx stellt in dieser Beziehung den Menschen deshalb der Pflanze und dem Tier gegenüber, weil der Mensch in verschiedenartigen, in der Geschichte einander ablösenden sozialen Organismen lebt, die durch das System der gesellschaftlichen Produktion und folglich auch der Verteilung bestimmt werden. Die Bedingungen für die Vermehrung des Menschen hängen unmittelbar von der Struktur der verschiedenen sozialen 4

5

Karl Marx, Das Kapital, Erster Band, in: Karl Marx/Friedrich Engels, Werke (im folgenden MEW), Bd. 23, Berlin 1962, S, 660. Ebenda.

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Organismen ab, und deshalb muß man das Bevölkerungsgesetz für jeden derartigen Organismus gesondert untersuchen . . ." 6 Diese These hat auch für uns Demographen entscheidende Bedeutung. Die Auswertung der Werke der Klassiker aus der Sicht unserer Wissenschaftsdisziplin ist eine große Aufgabe, die nur in enger Kooperation zwischen den Demographen der sozialistischen Länder und durch einen regelmäßigen Meinungsaustausch zwischen ihnen realisiert werden kann. Die Erfüllung dieser Aufgabe kann uns einen großen Schritt vorwärts bringen. Es geht jedoch nicht nur darum, die demographisch relevanten Grundsätze in den Werken der Klassiker ausfindig zu machen. Es geht vielmehr darum, gestützt auf diese Gründsätze, den methodologisch richtigen Ausgangspunkt zu finden.

Methodologische Fehler bei der Untersuchung der Bevölkerungsgesetze Der Grund dafür, daß das System der Bevölkerungsgesetze bis heute noch ungeklärt ist oder durch Schein-Bevölkerungsgesetze ersetzt wurde, ist nicht nur in der Vielseitigkeit und der Kompliziertheit des Reproduktionsprozesses der Menschen und der Bevölkerungsbewegung zu suchen, sondern prinzipiell auch im Herangehen an die Bevölkerungsfrage, die Bevölkerungsbewegung und den Reproduktionsprozeß der Menschen von einem falschen wissenschaftlichen Standpunkt aus. Die Menschen, auf die Menschen bezogene Probleme und darunter die Probleme der Vermehrung der Menschen sind objektiv kompliziert. Nur zu häufig muß man feststellen, daß Wissenschaftler, die sich mit den Menschen und ihren Problemen beschäftigen, und so auch Bevölkerungswissenschaftler, zu einseitig an diese komplizierte Problematik herangehen, die einseitige Betrachtung noch überbetonen und schließlich die Ergebnisse ihrer Untersuchung, die nur bestimmte Aspekte des Problems erschließen, verabsolutieren. Der methodologische Mangel dieses Verfahrens besteht keinesfalls darin, daß man verschiedene Aspekte eines komplizierten Prozesses, wie es nun einmal der Reproduktionsprozeß der Menschen ist, isoliert untersucht. Das ist ein durchaus legitimes, erprobtes und sogar notwendiges wissenschaftliches Verfahren. 7 Die isolierte Betrachtung ist zwar eine notwendige Etappe bei der wissenschaftlichen 6

W. I. Lenin, Der ökonomische Inhalt der Volkstümlerrichtung, in: Werke, Bd. 1, Berlin 1961, S. 471. i Vgl. Friedrich Engels, Dialektik der Natur, in: MEW, Bd. 20, Berlin 1962, S. 499.

2*

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Erforschung der Bevölkerungsfrage, reicht allein jedoch nicht aus und kann für die Erklärung des ganzen komplexen Problems nicht aussagekräftig sein. Der methodologische Mangel besteht darin, daß man über die erste Etappe nicht hinausgeht, die Zusammenhänge übersieht und einseitig gewonnene Ergebnisse überbewertet, ja sogar verabsolutiert. Für Untersuchungen der Gesetze der Reproduktion der Menschen ist typisch, daß entweder ausschließlich naturwissenschaftlich oder ausschließlich gesellschaftswissenschaftlich an die Probleme herangegangen wird. Die jeweils gewonnenen Ergebnisse werden für den gesamten Problemkomplex verabsolutiert, und die Folge sind einseitige Analysen. Der Mangel ist also ein dualistisches Herangehen an die Bevölkerungsprobleme, wobei das Eine das Andere ausschließt. Für die Marxisten liegt bei der Untersuchung der Bevölkerungsfrage das Schwergewicht bei der Gesellschaftlichkeit der Menschen. Das ist auch richtig. „Der Mensch ist im wörtlichen Sinn ein zoon politikon, nicht nur ein geselliges Tier, sondern ein Tier, das nur in der Gesellschaft sich vereinzeln kann." 8 Dabei ist zu bemerken, daß das Verhältnis der Menschen zur Natur die Grundlage der sozialen Verhältnisse bildet und die Menschen, wie Engels schreibt, „mit Fleisch und Blut und Hirn ihr (der Natur — P. K.) angehören und mitten in ihr stehn" 9 . Marx und Engels haben schon in ihren frühen Arbeiten auf die Beziehungen zwischen Natur und Mensch hingewiesen. Gerade der Aspekt, daß der Mensch ein Teil der Natur ist, und daß „der Mensch . . . der unmittelbare Gegenstand der Naturwissenschaft" 1 0 ist, wurde bei der Untersuchung der Bevölkerungsfrage oft vernachlässigt. Diese einseitige Betrachtungsweise, die dem Marxismus eigentlich fremd ist, stand der Aufdeckung der Bevölkerungsgesetze im Wege. Diese Art des Herangehens an die auf den Menschen bezogenen Probleme kritisierend, stellt P. N. Fedoseev fest: „Für uns ist es zu einem Axiom geworden, daß der Mensch von der Gesellschaft geschaffen wird, daß der Mensch ein gesellschaftliches Wesen ist, daß die soziale Umwelt seine Entwicklung und sein Verhalten 8

Karl Marx, Einleitung zur Kritik der politischen Ökonomie, in: MEW, Bd. 13, Berlin 1961, S. 616. 9 Friedrich Engels, Anteil der Arbeit an der Menschwerdung des Affen, in: MEW, Bd. 20, Berlin 1962, S. 453. 10 Karl Marx, ökonomisch-philosophische Manuskripte (1844), in: MEW, Ergänzungsband. Erster Teil, Berlin 1968, S. 549.

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bestimmt usw. Der Mensch ist aber zugleich auch ein Teil der Natur, ein biologisches Wesen." 11 Der Mensch ist also nicht nur ein soziales, sondern auch ein biologisches Wesen; beide Aspekte dürfen nicht voneinander getrennt, isoliert werden. So gesehen, ist die komplexe Problemstellung objektiv notwendiger Ausgangspunkt der Untersuchung der auf den Menschen bezogenen Probleme. Selbstverständlich ergeben sich hieraus methodologische Schwierigkeiten. „Wir beobachten hier einen bestimmten Dualismus. Als biosoziales Wesen ist der Mensch einheitlich. Er wird jedoch bisher mit Methoden untersucht, die einander gewissermaßen ausschließen, wie das gegenwärtig bei den naturwissenschaftlichen Methoden und den Methoden der Sozialwissenschaften noch der Fall ist. Die Aufgabe besteht darin, diesen Dualismus der Methoden zu überwinden." 12 Bei der Untersuchung der Problematik der Reproduktion der Menschen kommt dieser Dualismus der Methoden noch krasser zum Ausdruck. Dabei ist auf keinem gesellschaftlichen Gebiet die Erkenntnis der biologischen Gesetze so wichtig wie auf dem der Gesetze der Reproduktion der Menschen. Das ergibt sich aus dem Wesen der menschlichen Vermehrungsverhältnisse, die letzten Endes in den Verhältnissen zwischen Mann und Frau begründet sind und als die natürlichen Verhältnisse zwischen den Menschen gelten. „Das unmittelbare, natürliche, notwendige Verhältnis des Menschen zum Menschen ist das Verhältnis des Mannes zum Weibe. In diesem natürlichen Gattungsverhältnis ist das Verhältnis des Menschen zur Natur unmittelbar sein Verhältnis zum Menschen, wie das Verhältnis zum Menschen unmittelbar sein Verhältnis zur Natur, seine eigne natürliche Bestimmung ist." 1 3 11

Soziale und biologische Faktoren der Entwicklung des Menschen, in: Sowjetwissenschaft/Gesellschaftswissenschaftliche Beiträge, Heft 12/1972, S. 1309/1310. '2 I. T. Frolow, in: ebenda, S. 1320. Mar* hat bereits vor über 100 Jahren auf diesen „Dualismus" der Methode bei den bürgerlichen Wissenschaftlern hingewiesen. „Die Naturwissenschaften haben eine enorme Tätigkeit entwickelt und sich ein stets wachsendes Material angeeignet. Die Philosophie ist ihnen indessen ebenso fremd geblieben, wie sie der Philosophie fremd blieben. Die momentane Vereinigung war nur eine phantastische Illusion. Der Wille war da, aber das Vermögen fehlte." (Karl Marx, ökonomisch-philosophische Manuskripte 1844, in: MEW, Ergänzungsband, Erster Teil, Berlin 1968, S. 543. u Ebenda, S. 535.

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Dies betonen heißt nicht, die biologischen Aspekte verabsolutieren. Tatsächlich tun dies aber einige Wissenschaftler und besonders bürgerliche. Sie betrachten die Vermehrung der Menschen als rein oder überwiegend biologisch-natürlichen Prozeß, wie es für alle übrigen Lebewesen zutrifft. „Die Bevölkerungsbewegung ist jedoch kein eigentlich wirtschaftlicher Vorgang, sondern überwiegend biologischer Natur." 1 4 Von dieser Position aus versuchen sie nun, „ewige" und allgemeingültige Gesetze der Vermehrung, darunter auch die Gesetze der Reproduktion der Menschen, aufzudecken. Man bewegt sich auf einer Ebene der Abstraktion, auf welcher der Vermehrungsprozeß aller Lebewesen, ungeachtet der spezifischen Voraussetzungen, gleichgesetzt wird. Bei einer solchen Betrachtungsweise wird die Gesellschaft als spezifische Voraussetzung für Existenz und Vermehrung der Menschen zwangsläufig aus dem Betrachtungsfeld ausgeschlossen. Die so gefundenen Gesetze können bestenfalls die gemeinsamen Merkmale und Bestimmungen im Vermehrungsprozeß aller Lebewesen hervorheben und fixieren. Dadurch können die Unterschiedlichkeit und das Spezifikum des Vermehrungsprozesses bei den einzelnen Gattungen deutlicher erkennbar werden. Dies ist der eigentliche Sinn der Abstraktion auf dieser Ebene für die demographische Forschung. Bei der Untersuchung der Bevölkerungsgesetze als einem Erkenntnisprozeß bildet die Abstraktion auf dieser höheren Stufenleiter einen notwendigen Anfang. Es wäre jedoch falsch, wenn man die spezifischen Gesetze der Vermehrung der einzelnen Gattungen einfach durch die Gemeinsamkeiten ersetzen würde, gerade weil ja bei der Fixierung der Gemeinsamkeiten nicht das Spezifikum der Vermehrung dieser oder jener Gattung und erst recht nicht die der Reproduktion der Menschen eingeschlossen ist. Es wird ja gerade von jeglichem Spezifischen abstrahiert. Über die Bedeutung und die Grenzen dieser abstrakten Gesetze für die Aufdeckung der Bevölkerungsgesetze als spezifische Gesetze der Reproduktion der Menschen äußerte sich Karl Kautsky, der sich, als er noch Marxist war, intensiv mit der Bevölkerungsfrage beschäftigte, wie folgt: „In der Tat kann man die Bevölkerungsgesetze der menschlichen Gesellschaft nicht erkennen, wenn man nicht zuvor über das Bevölkerungsgesetz der Natur ins klare gekommen ist. Aber umgekehrt genügt 14

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W. Huppert, Gesetzmäßigkeit und Voraussetzbarkeit des wirtschaftlichen Wachstums, Westberlin 1957, S. 10.

es keineswegs, dieses erkannt zu haben, um auch jene zu begreifen. Die Erkenntnis der Naturgesetze erschließt uns noch gar nicht die der gesellschaftlichen Gesetze." 15 Nur wenn man so abgrenzt, haben die Naturgesetze der Vermehrung bei der Untersuchung der Bevölkerungsgesetze ihre wissenschaftliche Berechtigung.

Auf den Spuren der allgemeinen Naturgesetze der Vermehrung Viele Wissenschaftler im Bereich der Biologie haben nach Aufdeckung der allgemeinen Naturgesetze der Vermehrung gestrebt. Bei diesen Bemühungen haben sie zumindest eine Reihe von Ansatzpunkten gefunden, die uns als Ausgangsstelle für die weitere Untersuchung helfen können. Sowohl Herbert Spencer als auch später Raymond Pearl gingen bei ihren Untersuchungen davon aus, daß die Selbsterhaltung und Fortpflanzung („Individuation and Genetics" bei Spencer; „the urge to individual personal survival and the urge to reproduction" bei Pearl), also die Selbsterhaltung und Fortpflanzung die allgemeinen Eigenschaften aller Lebewesen sind. Diese allgemeinen Eigenschaften aller Lebewesen waren sogar bei den Enzyklopädisten nicht unbekannt. Wir lesen z. B. im dreizehnten Band der bekannten „Encyclopedia" unter dem Stichwort Population folgendes: „Die Natur hat nur zwei große Ziele: die Erhaltung des Individuums und die Fortpflanzung der Gattung". 16 Diese beiden Eigenschaften — also der Hang zur Selbsterhaltung und der Hang zur Fortpflanzung — bilden eine Einheit. Dabei ist nach Meinung der beiden oben genannten Wissenschaftler der Hang zur Selbsterhaltung das Primäre und kann „als fundamentales Attribut des Lebewesens" betrachtet werden. Wie sind nun die Beziehungen zwischen diesen beiden Eigenschaften beschaffen? Spencer behauptet, daß zwischen beiden Eigenschaften eine gegenläufige Beziehung existiert. Unter gegebenen Bedingungen ist der Kraft15

14

Karl Kautsky, Vermehrung und Entwicklung in Natur und Gesellschaft, Stuttgart 1910, S. 11. Artikel aus der von Diderot und d'Alembert herausgegebenen Enzyklopädie, Leipzig 1972, S. 880.

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Vorrat eines Organismus eine gegebene Größe. Die Summe des Kraftaufwands für Selbsterhaltung und Fortpflanzung ist durch diese Größe limitiert. Sollte die Selbsterhaltung in einer bestimmten Situation für einen bestimmten Organismus sehr kraftaufwendig sein, dann verbleibt vom konstanten Vorrat sehr wenig zur Fortpflanzung und umgekehrt. Dabei betrachtet Spencer die gegensätzlichen Verläufe der Individuation und Fortpflanzung nicht als ein starres Verhältnis, sondern als Approximation. Die Arbeit von Spencer rief seinerzeit zwei Tendenzen bei den Bevölkerungsforschern hervor: Einige marxistische Wissenschaftler waren der Ansicht, daß die Spencerschen Gesetze einige Ansätze enthielten, die bei der Untersuchung der Bevölkerungsgesetze der Gesellschaft als Vorstufe dienen könnten. Eine Reihe von bürgerlichen Naturwissenschaftlern und Soziologen tendierte dazu, die Spencersche Theorie zu verabsolutieren, sie einfach mechanisch auf die Gesellschaft zu übertragen. Diese Tendenz, die die Gesellschaft als besondere Voraussetzung für die Existenz und auch die Vermehrung der Menschen völlig negiert, fand weite Verbreitung; eine Tendenz, die. zwischen Allgemeinem und Besonderem keinen Unterschied macht, die spezifische Gesetze durch allgemeines ersetzt und dadurch wirklich bestehende Tendenzen verwischt.

Die Naturgesetze der Vermehrung und der Reproduktionsprozeß des Menschen Akzeptiert man zunächst das Spencersche Gesetz als natürliches Gesetz der Vermehrung, dann fragt es sich: Wie sieht es beim Menschen aus? Inwieweit trifft dieses Gesetz auf die Reproduktion der Menschen zu bzw. welche Modifikation erfahrt es unter den außerordentlich komplizierten Bedingungen der Selbsterhaltung und der Fortpflanzung der Menschen in der Gesellschaft? Bei der Anwendung dieses Gesetzes auf die Reproduktion der Menschen geriet Spencer selbst in eine Reihe von Schwierigkeiten und Widersprüchen. Er konnte den gegenläufigen Charakter dieser Eigenschaften bei den Menschen nicht herausarbeiten. Sobald er als bürgerlicher Wissenschaftler versucht hat, die Ergebnisse seiner naturwissenschaftlichen Forschung auf die Gesellschaft anzuwenden, geriet er in Unwissenschaftlichkeit. Pearl sieht diesen Mißerfolg Spencers, wenn er sagt: 24

„Bei der Anwendung dieses „Gesetzes" auf die bestehende menschliche Bevölkerung geriet Spencer ganz offensichtlich in einige Schwierigkeiten und er verwickelt sich in glatte Widersprüche." 17 Pearl stellt, soweit mir bekannt ist, die allgemeine Richtigkeit des Spencerschen Gesetzes nicht in Frage. Er deklariert einfach die Unbrauchbarkeit dieses Gesetzes für die Untersuchung der Reproduktion der Menschen. Im Gegensatz zu Pearl haben eine Reihe von Marxisten, die sich einst mit der Bevölkerungsfrage beschäftigten, das Spencersche Gesetz als einen brauchbaren Ausgangspunkt für die Untersuchung des Vermehrungsprozesses der Menschen betrachtet. Bei der Anwendung dieses Gesetzes auf die Reproduktion des Menschen muß man davon ausgehen, daß die Menschen zwar eine Gattung unter anderen Gattungen in der Natur sind, jedoch eine spezifische. Spezifisch in dem Sinne, daß ihre Existenz, ihre Selbsterhaltung und auch ihre Vermehrung nicht nur allgemeine, natürliche Bedingungen, wie es bei allen Lebewesen der Fall ist, zur Voraussetzung haben. Die Gesellschaft, das soziale Milieu sind die spezifischen Existenzbedingungen — letztlich die natürlichen Bedingungen der Existenz und der Vermehrung der Menschen. Die Selbsterhaltung des Einzelnen vollzieht sich im Prozeß des Stoffwechsels zwischen Mensch und Natur, durch die Aneignung von Natürlichem für die menschlichen Bedürfnisse. Darüber hinaus hat der Prozeß der Auseinandersetzung mit der Natur gleichzeitig die Ausschaltung der artzerstörenden Wirkungen der exogenen Faktoren zum Inhalt. All das geschieht durch den Arbeitsprozeß. „Der Arbeitsprozeß, wie wir ihn in seinen einfachen und abstrakten Momenten dargestellt haben, ist zweckmäßige Tätigkeit zur Herstellung von Gebrauchswerten, Aneignung des Natürlichen für menschliche Bedürfnisse, allgemeine Bedingung des Stoffwechsels zwischen Mensch und Natur, ewige Naturbedingung des menschlichen Lebens und daher unabhängig von jeder Form dieses Lebens, vielmehr allen seinen Gesellschaftsformen gleich gemeinsam." 1 8 Hierin besteht der allgemeine und qualitative Unterschied in der Tätigkeit für die Selbsterhaltung bei den Menschen und bei allen anderen Lebewesen. Diese Feststellung hat eine wichtige Aussage. Die Anwendung der Arbeitsmittel zwecks Befriedigung der Bedürfnisse, zwecks Selbsterhal17

Raymond Pearl, Natural History of Population, London 1936, S. 19. 18 Karl Marx, Das Kapital, Erster Band, in: MEW, Bd. 23, Berlin 1962, S. 198.

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tung ist eine spezifische Eigenschaft der Menschen „und Franklin definiert daher den Menschen als ,a tool making animal', ein Werkzeuge fabrizierendes Tier" 1 9 . Im Unterschied zu allen Lebewesen, die allgemein mit den genannten beiden Eigenschaften, nämlich der Selbsterhaltung und der Fortpflanzung, ausgezeichnet sind, sind es die Menschen mit drei Eigenschaften, die eng miteinander verbunden sind und eine Einheit bilden. Gerade dieses spezifische Merkmal der Menschen verleiht den beiden anderen Eigenschaften, nämlich der Selbsterhaltung und der Vermehrung, den gesellschaftlichen Inhalt und daher einen dynamischen Charakter. Unsere Klassiker haben diese Gedanken viel präziser formuliert. Marx und Engels schrieben: „Wir müssen bei den voraussetzungslosen Deutschen damit anfangen, daß wir die erste Voraussetzung aller menschlichen Existenz, also auch aller Geschichte konstatieren, nämlich die Voraussetzung, daß die Menschen imstande sein müssen zu leben, um ,Geschichte machen' zu können. Zum Leben aber gehört vor allem Essen und Trinken, Wohnung, Kleidung und noch einiges andere. Die erste geschichtliche Tat ist also die Erzeugung der Mittel zur Befriedigung dieser Bedürfnisse, die Produktion des materiellen Lebens selbst, und zwar ist dies eine geschichtliche Tat, eine Grundbedingung aller Geschichte, die noch heute, wie vor Jahrtausenden, täglich und stündlich erfüllt werden muß, um die Menschen nur am Leben zu erhalten . . ." „Das Zweite ist, daß das befriedigte erste Bedürfnis selbst, die Aktion der Befriedigung und das schon erworbene Instrument der Befriedigung zu neuen Bedürfnissen f ü h r t . . ." „Das dritte Verhältnis, was hier gleich von vornherein in die geschichtliche Entwicklung eintritt, ist das, daß die Menschen, die ihr eignes Leben täglich neu machen, anfangen, andre Menschen zu machen, sich fortzupflanzen — das Verhältnis zwischen Mann und Weib, Eltern und Kindern, die Familie . . ." „Übrigens sind diese drei . Seiten der sozialen Tätigkeit nicht als drei verschiedene Stufen zu fassen, sondern eben nur als drei Seiten, oder um für die Deutschen klar zu schreiben, drei,Momente', die vom Anbeginn der Geschichte an und seit den ersten Menschen zugleich existiert haben und sich noch heute in der Geschichte geltend machen . . ." „Die Produktion des Lebens, sowohl des eignen in der Arbeit wie des fremden in der Zeugung, erscheint nun schon sogleich als ein doppeltes

i» Ebenda, S. 194.

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Verhältnis — einerseits als natürliches, andrerseits als gesellschaftliches Verhältnis. . ."2IJ Vierzig Jahre später hat Engels diese Grundsätze nochmals wie folgt zusammengefaßt : „Nach der materialistischen Auffassung ist das in letzter Instanz bestimmende Moment in der Geschichte : die Produktion und Reproduktion des unmittelbaren Lebens. Diese ist aber selbst wieder doppelter Art. Einerseits die Erzeugung von Lebensmitteln, von Gegenständen der Nahrung, Kleidung, Wohnung und den dazu erforderlichen Werkzeugen ; andrerseits die Erzeugung von Menschen selbst, die Fortpflanzung der Gattung." 21 Damit haben unsere Klassiker meines Erachtens die Methodologie der Bevölkerungsforschung in ihren Hauptzügen umrissen. 1. Die Fortpflanzung der Menschen ist kein isolierter Prozeß. Sie steht, wie bei allen anderen Gattungen, in Wechselbeziehung zur Selbsterhaltung. Dennoch ist, im Unterschied zu allen anderen Gattungen, der Vermehrungsprozeß beim Menschen kein reiner Naturprozeß. Deshalb genügt es nicht, wenn man allein durch die Untersuchung der Wechselbeziehungen zwischen Selbsterhaltung und Fortpflanzung den Gesetzen der Vermehrung der Menschen auf die Spur kommen will. Zu diesem Zweck muß man eine dritte und nur für die Menschen spezifische Eigenschaft und, wenn wir so wollen, natürliche Eigenschaft des Menschen in die Betrachtung einbeziehen — die Produktion. 2. Der Schlüssel für die Untersuchung der Reproduktionsgesetze der Menschen liegt in der Untersuchung der. Wechselbeziehungen zwischen Selbsterhaltung, Produktion und Fortpflanzung als drei Seiten oder drei Momente ein und derselben sozialen Tätigkeit als Ganzes. Dabei bildet die Produktion, die Produktionsweise den determinierenden Faktor in diesem Komplex. 3. Die Produktion ist aber eine dynamische und variable Kategorie. Daher sind die Wechselbeziehungen zwischen den drei genannten Momenten keine starren und konstanten Verhältnisse. Sie sind dynamische Verhältnisse, die sich mit der Änderung der Weise der Produktion selbst ändern und entwickeln. Da die Produktionsweise immer konkret und historisch determiniert ist, sind auch die Wechselbeziehungen zwischen den drei genannten Momenten immer historisch konkret und den 20 Karl Marx, Friedrich Engels, Die deutsche Ideologie, in: MEW, Bd. 3, Berlin 1958, S. 28-29. 21 Friedrich Engels, der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats. Vorwort zur ersten Auflage 1884, in: MEW, Bd. 21, Berlin 1762, S. 27/28.

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historisch gültigen Gesetzmäßigkeiten unterworfen. Folglich sind auch die Bewegungsgesetze der einzelnen genannten Momente, d. h. auch der Fortpflanzung, immer historisch bedingt und von Produktionsweise zu Produktionsweise unterschiedlich. 4. In ein und derselben Produktionsweise ist die Fortpflanzung bei verschiedenen gesellschaftlichen Klassen sehr unterschiedlich. Ja, die Fortpflanzung geht sogar bei ein und derselben Klasse in verschiedenen Entwicklungsetappen sehr unterschiedlich vor sich. Das bedeutet nicht, daß die Fortpflanzung der einzelnen Klassen in ein und derselben Produktionsweise, oder ein und derselben Klasse in verschiedenen Etappen der Entwicklung der Produktionsweise unterschiedlichen Bevölkerungsgesetzen unterworfen ist. Es ist vielmehr so, daß die Wirkungsbedingungen derselben historisch bedingten Bevölkerungsgesetze bei unterschiedlichen Klassen und in unterschiedlichen Entwicklungsetappen unterschiedlich sind. Die Untersuchung dieser spezifischen und unterschiedlichen Wirkungsbedingungen bildet einen untrennbaren Bestandteil der marxistischen Bevölkerungsforschung. Wenn diese Schlußfolgerungen richtig sind, wenn die Gesetze der Reproduktion der Menschen nur durch die Untersuchung der Wechselbeziehungen zwischen Produktion, Selbsterhaltung und Fortpflanzung erkannt werden können und wenn in diesem Komplex der Produktion die Produktionsweise den determinierenden Aspekt bildet, dann ergibt sich daraus methodologisch und inhaltlich gesehen eine enge Verbindung zwischen demographischer Grundlagenforschung und politischer Ökonomie. Gestützt auf die politökonomischen Kenntnisse können wir Demographen der sozialistischen Länder auf der Grundlage eines koordinierten und langfristigen Forschungsplans bei der Untersuchung der Grundfragen des Reproduktionsprozesses der Bevölkerung schrittweise vorankommen. Zweifellos ist in diesem Prozeß, in diesem Erkenntnisprozeß, ein regelmäßiger Kontakt und Meinungsaustausch zwischen uns unerläßlich. Zusammenfassend geht aus unserer Ausführung hervor, daß die allgemeinen Gesetze der Vermehrung in der Natur einen Ausgangspunkt für die Untersuchung des Reproduktionsprozesses des Menschen bilden, aber eben nur einen Ausgangspunkt. Die Aufdeckung der Bevölkerungsgesetze bleibt ein komplizierter und langwieriger Erkenntnisprozeß für sich. In diesem Prozeß können folgende einzelne Forschungskomplexe als einige elementare Bausteine für die Ausarbeitung der marxistisch-leninistischen Bevölkerungstheorie vorgeschlagen werden:

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1. Die Reproduktion der Menschen weist in Beziehung mit der Produktion und genau wie die Produktion in allen Epochen bestimmte gemeinsame Merkmale und Bestimmungen auf. Durch die Methode der Abstraktion können diese gemeinsamen Merkmale und Bestimmungen der Reproduktion der Menschen in allen Epochen hervorgehoben und fixiert werden. Eine solche Erkenntnis ist eine notwendige Erkenntnis, die Wiederholungen erspart und die Verschiedenheiten dieses Prozesses in verschiedenen Gesellschaftsordnungen besser, deutlicher und ausgeprägter erkennen läßt. 2. Es ist richtig, daß der Kraftvorrat für Selbsterhaltung und Fortpflanzung bei jeder Gattung eine natürliche Eigenschaft ist. Beim Menschen als sozialem Wesen ist es jedoch nicht nur eine natürliche Eigenschaft. Sie hängt eng mit der geschichtlichen Entwicklung der Produktivkräfte zusammen. Daher enthält sie eine ökonomische Substanz, die zwar nicht beliebig vermehrbar ist, aber in den verschiedenen Entwicklungsstufen quantitativ und qualitativ verschieden ist, das heißt, der gleiche individuelle Kraftvorrat erzielt in den verschiedenen Produktionsweisen unterschiedlich große Ergebnisse. Je entwickelter eine Gesellschaft ist, desto rationeller werden Zeit und Kraft aufgewendet und desto höher ist natürlich auch der Nutzeffekt des Kraftvorrats. Deswegen ist die konkrete Untersuchung des Inhalts des individuellen Kraftvorrats in einer bestimmten Produktionsweise die allererste Voraussetzung für die konkrete Untersuchung der Bevölkerungsgesetze. Erst auf dieser Basis kann die Frage nach den konkreten Bedingungen beim Verhältnis zwischen dem Kraftaufwand für die Selbsterhaltungund dem für die Fortpflanzung bei bestimmten Klassen gestellt werden. 3. Die Fortpflanzung des Menschen ist kein nur natürlicher Prozeß. Sie hat einen gesellschaftlichen Inhalt und ist daher über den natürlichen hinaus zusätzlich mit einem gesellschaftlich bedingten Kraftaufwand verbunden. Selbst als natürlicher Prozeß hat die Fortpflanzung einen umfangreicheren Inhalt, der über die bloßen biologischen Vorgänge von Zeugung und Geburt hinausgeht. Er muß die gesamten Vorgänge erfassen, bis die Nachkommenschaft für ihre eigene Individuation mehr oder weniger aufkommt. Über diesen natürlich begrenzten Zeitraum hinaus ist ein bestimmter zusätzlicher Zeit- und Kraftaufwand notwendig, um die Nachkommenschaft entsprechend den gesellschaftlichen Bedingungen zur eigenen Individuation zu befähigen. Dieser zusätzliche Zeit- und Kraftaufwand ist ausschließlich gesellschaftlich bedingt und deshalb in den verschiedenen Produktionsweisen hinsichtlich der Dauer und des Ausmaßes unterschiedlich. Der gleiche für die Fortpflanzung treigesetzte Zeit- und Kraftaufwand hat in unterschiedlichen Gesell-

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schaftsordnungen zwangsläufig unterschiedliche Ergebnisse in Form der Anzahl der Kinder je Familie. In der Regel gilt, daß, je weiter eine Gesellschaft entwickelt ist und je fortgeschrittener der Stand von Technik und Wissenschaft ist, desto länger die gesellschaftlich notwendige Vorbereitungsperiode für den Eintritt der Nachkommenschaft in den Arbeitsprozeß ist. Je entwickelter somit eine Gesellschaft ist, um so aufwendiger werden die Fortpflanzung und der damit verbundene gesellschaftlich bedingte Kraft- und Zeitaufwand, wobei wiederum zwischen den verschiedenen Klassen ein und derselben Produktionsweise entsprechend ihrer Stellung in der Gesellschaft große Unterschiede bestehen. Wesentlich ist jedoch, daß der Kraftaufwand für die Fortpflanzung als eine soziale Kategorie zu betrachten ist, die nur in Beziehung zur konkreten gesellschaftlichen Ordnung zu verstehen und die für jede Klasse einer bestimmten Gesellschaftsordnung konkret zu untersuchen ist. 4. Bei der Fortpflanzung spielt das weibliche Geschlecht die entscheidende Rolle. Die Hauptträgerin der Fortpflanzung ist in jeder Gesellschaft, ungeachtet ihrer konkreten Form, die Frau. Der Kraftaufwand für die Fortpflanzung ist, soweit die Gesellschaft nicht eingreift, teilweise ausschließlich und teilweise überwiegend von der Frau zu tragen. Je mehr die Frau ihre Kraft für die Selbsterhaltung aufwendet, desto weniger Kraft verbleibt für die Fortpflanzung. Der Grad des Kraftaufwandes der Frau für die Selbsterhaltung ist von Produktionsweise zu Produktionsweise unterschiedlich. Er hängt von der Stellung der Frau in der jeweiligen Gesellschaftsordnung ab, er hängt davon ab, inwieweit und wie die Frau, bedingt durch den Mechanismus der jeweiligen konkreten Produktionsweise, in den Arbeitsprozeß einbezogen ist und inwieweit sie ökonomisch belastbar ist. Das ist wiederum für die einzelnen Klassen ein und derselben Produktionsweise jeweils konkret zu untersuchen. Diese Forschungskomplexe kann man als einige elementare Bausteine für die konkrete Untersuchung der Bevölkerungsgesetze betrachten. Zusammenfassend trägt mein Referat den Charakter eines Vorschlags und dient nur als eine Diskussionsgrundlage zum methodologischen Herangehen an die Bevölkerungsgesetze. Unbestritten bleibt jedoch, daß die Ausarbeitung der Bevölkerungstheorie und die Aufdeckung des komplizierten Systems von Gesetzen des Reproduktionsprozesses der Menschen das richtige Herangehen in den Vordergrund stellt. Die Ausarbeitung einer adäquaten Methodologie ist die allererste Aufgabe bei der Untersuchung der auf den Menschen bezogenen Probleme, darunter auch der Vermehrung der Menschen. Diese Aufgabe ist von der marxistisch-leninistischen Demographie noch zu lösen. 30

JAKOB I . R U B I N

Zu theoretischen Grundlagen der Bevölkerungspolitik

Die Bevölkerungspolitik wird zu Recht als die Praxis der Demographie bezeichnet. Es ist bekannt r daß Theorie und Praxis einander bereichern. Die Bevölkerungspolitik besitzt ein großes gesellschaftliches Gewicht, weil sie sich von den Thesen der marxistisch-leninistischen Theorie der Reproduktion der Bevölkerung leiten läßt und sich auf die von ihr formulierten Gesetze der Bevölkerungsbewegung stützt. Die Bevölkerungspolitik, die mehr und mehr die Aufmerksamkeit der Wissenschaftler und staatlichen Leiter auf sich lenkt, stellt immer wieder neue Aufgaben. Wenn das dialektisch-materialistische Herangehen an die Wirklichkeit die allseitige wissenschaftliche Begründung für beliebige Tätigkeiten erfordert, mit deren Hilfe auf die gesetzmäßigen Prozesse in der Natur und Gesellschaft eingewirkt wird, so besteht diese Forderung völlig zu Recht auch für die demographische Politik. Die Prozesse der Entwicklung der Bevölkerung, auf die sie einwirken muß, zeichnen sich durch eine große Kompliziertheit von objektiven Ursache-Folge-Beziehungen aus. Dadurch ist auch die lebhafte Diskussion der Wissenschaftler über Inhalt und Möglichkeiten der Bevölkerungspolitik hervorgerufen worden. Die marxistischen Wissenschaftler sind sich völlig darüber einig, was die Bewertung des Platzes der Bevölkerungspolitik im System der Faktoren der gesellschaftlichen Entwicklung betrifft. Sie lehnen entschieden die im Westen weit verbreitete Idee ab, daß die Bevölkerungspolitik das wichtigste und einzig zuverlässige Mittel der Rettung vor den gegenwärtigen und zukünftigen sozialen Erschütterungen und Schwierigkeiten sei. Für Marxisten besteht ein solches wichtiges und sicheres Mittel in der Liquidierung der ökonomischen Grundlagen des deformierten Verhältnisses zwischen der Entwicklung der materiellen Produktivkräfte und der Arbeitskraft, zwischen der Produktion und der Verteilung oder — anders ausgedrückt — in der Liquidierung der auf dem 31

Privateigentum beruhenden Produktionsverhältnisse und ihrer Ersetzung durch Verhältnisse des gesellschaftlichen Eigentums an den Produktionsmitteln. Aus dem Gesagten folgt nicht, daß mit dem Sieg des Sozialismus unverzüglich alle Anomalien in der Bevölkerungsentwicklung verschwinden, die aus der vergangenen Gesellschaftsordnung herrühren; die demographischen Prozesse besitzen, wie schon oft in der Literatur festgestellt würde, eine bestimmte eigene „Trägheit". Aber der Ausgangspunkt grundlegender Veränderungen der Tendenzen der Bevölkerungsentwicklung ist der Übergang zu einer neuen progressiven Gesellschaftsordnung. Man darf zwar nicht annehmen, daß die demographische Politik ei Allheilmittel gegen alle sozialen Krankheiten ist, muß aber die gesellschaftliche Bedeutung dieser Politik nach Gebühr würdigen. Unser Symposium bezeugt das tiefe Interesse an ihren theöretischen Grundlagen und ihrem praktischen Mechanismus. Aus der Literatur und den Beratungen zur demographischen Politik is ersichtlich, daß zur Zeit noch keine einheitliche Auffassung über die Grenzen und Bedingungen ihrer Wirksamkeit ausgearbeitet ist. Daher existiert ein weites Feld von Interpretationen des Begriffes „demographische Politik". Die Interpretation der Auffassungen der marxistischen Demographen zum Inhalt der Bevölkerungspolitik wäre für den Verfasser sehr schwierig, wenn es nicht in jüngster Zeit dazu eine Information in Gestalt zweier erstklassiger Bücher gegeben hätte. Das erste von ihnen, das die Bezeichnung „Demographische Politik" trägt, wurde Anfang dieses Jahres vom Moskauer V.erlag „Statistik" herausgegeben. Die Initiatoren der Herausgabe dieser Arbeit und ihre wissenschaftlichen Redakteure sind die Kiewer Wissenschaftler V. S. Stesenko und V. P. Piskunov. Das zweite Buch mit dem Titel „Methodologische Probleme der Bevölkerung in der sozialistischen Gesellschaft", ist Ende 1973 in Kiew herausgegeben worden. In ihm werden die Materialien einer im Institut für Ökonomie der Akademie der Wissenschaften der Ukraine durchgeführten theoretischen Unionskonferenz vorgestellt. Auch das ist eine wertvolle Informationsquelle über den Erkenntnisstand zu Problemen der Bevölkerungspolitik. Organisator dieser Ausgabe ist der Wissenschaftliche Rat für Sozialökonomische Probleme der Bevölkerungsentwicklung der Akademie der Wissenschaften der UdSSR, der von dem bekannten sowjetischen Demographen und Statistiker T. V. Rjabuskin geleitet wird. Gestützt auf die genannten Arbeiten, sollen die Auffassungen zum Inhalt der demographischen Politik und ihrem Gegenstand gruppiert und kommentiert werden. 32

Zum Begriff der demographischen Politik Die bei uns existierenden Auffassungen zum Begriff „demographische Politik" kann man in drei Gruppen einteilen: Die erste Gruppe vertritt die These von der demographischen Politik als Bestandteil der Bevölkerungspolitik. Der Gegenstand der demographischen Politik wird also nicht mit dem der Bevölkerungspolitik identifiziert. Von der zweiten Gruppe wird die Meinung vertreten, daß die Termini „demographische Politik" und „Bevölkerungspolitik" identisch seien, wobei ihr Gegenstand relativ breit gesehen wird. Eine dritte Gruppe identifiziert in Übereinstimmung mit der zweiten die Begriffe „demographische Politik" und „Bevölkerungspolitik", sieht aber im Unterschied zur zweiten den Gegenstand dieser Politik relativ eng. Welches sind die Vorzüge und Mängel dieser Auffassungen? Bei der Differenzierung zwischen Bevölkerungspolitik und demographischer Politik werden in die Bevölkerungspolitik alle Maßnahmen zur Vervollkommnung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Bevölkerung eingeschlossen, darunter auch die Bedingungen der Reproduktion der Bevölkerung. Zur demographischen Politik wird die Einwirkung auf die Reproduktion der Bevölkerung im einzelnen gezählt, wobei die Reproduktion der Bevölkerung als die Einheit von drei Elementen, von sozialer Mobilität, natürlicher Bewegung und Migration betrachtet wird. 1 Hier wird also die Bevölkerungspolitik mit der Gesamtheit der sozialökonomischen Maßnahmen des Staates identifiziert. Das Positive an dieser Auffassung besteht in erster Linie darin, daß mit dem Begriff „Bevölkerungspolitik", dessen Bestandteil der Terminus „demographische Politik" bildet, die organische Verbindung der Bevölkerungspolitik mit der gesamten sozialökonomischen Politik des Staates, aber auch die existierende hierarchische Abhängigkeit zwischen diesen beiden Arten der Politik deutlich sichtbar gemacht wird. Die Anerkennung der Existenz einer solchen Abhängigkeit hat prinzipielle Bedeutung. Sie dient dem Verständnis dessen, daß die Maßnahmen, die in einer bestimmten Periode den Inhalt der demographischen Politik bilden, nicht aus der Luft gegriffen sein können und von ihren sozialen Zielen her immer in die Richtung orientiert sein müssen, in der die Maßnahmen der sozial-ökonomischen Politik insgesamt verwirklicht werden. In einer Gesellschaft, die aus antagonistischen Klassen besteht, trägt die 1

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Vgl. Demografiöeskaja politika, Moskva 1974, S. 9. Demographie

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demographische Politik Klassencharakter, sie drückt die Interessen der herrschenden Klassen aus.2 Wenn gewisse Demographen im Westen in der demographischen Politik nicht mehr als „das Gebiet der Kunst, der sozialen Kunst" 3 sehen, und wenn versucht wird, die demographische Politik unter diesem Aspekt nur auf den biologischen Mechanismus der Bevölkerungsreproduktion zu richten, der praktisch unveränderlich ist, so sehen wir darin einen Versuch, die veränderliche Größe zu ignorieren, die die Grundlage der demographischen Entwicklung dieser Länder bildet, eben die dort herrschenden gesellschaftlichen und vor allem die ökonomischen Verhältnisse. Es wird das Bestreben deutlich, das Problem von der Position des gegenwärtigen Monopolkapitalismus aus zu lösen. Darin zeigt sich, wie sich die Erörterungen über das Wesen der demographischen Politik entwickeln, wenn klar der Platz der sie realisierenden Institutionen im politischen Überbau der Gesellschaft begründet ist. In der Gruppe der Auffassungen, die hier erörtert wird, ist diese Aufgabe wie uns scheint, erfolgreich gelöst worden. Als zweites positives Moment ist folgendes festzuhalten: Wenn der Begriff „Bevölkerungspolitik" faktisch austauschbar ist mit dem Begriff „sozialökonomische Politik", entstehen günstige Voraussetzungen für die Wertung der Arbeitsresultate der Wissenschaftler unseres Gebietes. Da die stetige progressive Entwicklung aller Gebiete des Lebens des Volkes eine Gesetzmäßigkeit der sozialistischen Gesellschaft ist, kann sich ein jeder von uns gemeinsam mit den Ökonomen, Soziologen, Rechtswissenschaftlern, Medizinern, Geographen und den Vertretern vieler anderer Wissenschaftsgebiete einen Anteil an dem Erreichten zurechnen. Ein solches Herangehen an die Bevölkerungspolitik gewährleistet eine Wertung der Arbeit der Demographen, die mit einem hohen Ansehen der Demographie verbunden ist. Analoge Resultate bringt uns auch der Begriff der demographischen Politik als Komponente des Begriffs der „Bevölkerungspolitik". Die demographische Politik wird hier bloß als Einwirkung auf die Reproduktion der Bevölkerung betrachtet. In ihren Gegenstand werden natürliche Bevölkerungsbewegungen, Migration und soziale Mobilität eingeschlossen. Die Einwirkung auf letztere wird als Element der demographischen Politik charakterisiert, die auf die Erreichung der „am meisten erwünschten Struktur der Gesellschaft durch die Stimulierung 2 Vgl. Ebenda, S. 186. 3 The Population Crisis, Bloomington 1965, S. 58; Social Demography, Prentice-Hall 1970, S. 373.

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des Übergangs der Bevölkerung von der einen sozialen Gruppe in eine andere" orientiert. 4 Es ist leicht erkennbar, daß die hier beschriebene Einwirkung identisch ist mit der Gesamtheit von Maßnahmen zur Vervollkommnung der Lebensbedingungen der Menschen. Die breite Behandlung des Begriffes „demographische Politik" fördert die Initiative der Demographen. Dieses Herangehen hat indes auch eine andere, eine negative Seite. Diese negative Seite drückt sich darin aus, daß die demographische Politik (Bevölkerungspolitik) ihre notwendige Zielgerichtetheit verliert. Und hier würde sich der Versuch als nützlich erwejsen, den Begriff „Politik" im abstrakten Sinne zu präzisieren. Politik ist das Gebiet der gesellschaftlichen Aktivität, die auf die Lösung bestimmter dringender Probleme gerichtet ist. Sie stützt sich auf die objektiven Gesetzmäßigkeiten und muß daher stets wissenschaftlich begründet sein. Gleichzeitig aber drückt Politik die subjektive Seite der gesellschaftlichen Entwicklung aus. Sie findet ihren Ausdruck im Willen der Menschen. Sie stellt immer eine bewußte, von vornherein geplante Tätigkeit dar. Das Gebiet der Politik wird durch das konkrete Objekt gekennzeichnet, auf das diese Tätigkeiten gerichtet sind. Obwohl ein bestimmtes Gebiet der Politik immer ein notwendiger Teil der Gesamtpolitik bleibt, ist es im konkreten Fall richtig, von dieser Gesamtheit zu abstrahieren, dieses Ganze als elementar gegeben zu betrachten und das Gebiet der Politik, das unsere Aktivität verlangt, als das Gebiet der „bewußten" Tätigkeit zu betrachten. Ich möchte in diesem Zusammenhang feststellen, daß Edward Rosset zutiefst im Recht ist, wenn er den „autonomen Charakter" der Bevölkerungspolitik anerkennt. Zugleich stimmen wir aber auch Aron Bojarski zu, der Rosset entgegenhält, daß die demographische Politik „nicht von der gesamten sozialökonomischen Politik getrennt werden darf, wovon sie eben einen Aspekt darstellt". 5 Wenn hier Einverständnis mit zwei Standpunkten ausgedrückt wird, die einander auf den ersten Blick ausschließen, so entsteht dennoch keinerlei Widerspruch, sofern man den Begriff unter dem Systemaspekt betrachtet und die Reihenfolge seiner Komponenten beachtet. In diesem Fall ist die sozialökonomische Politik das System und die Bevölkerangspolitik das Teilsystem. Letztere ist der ersteren untergeordnet, besitzt dabei eine bestimmte Selbständigkeit und hat insofern einen besonderen Gegenstand und spezifische Methoden ihrer Wirkungsweise.

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Vgl. Demografiieskaja politika, Moskva 1974, S. 9. s Vgl. ebenda, S. 53.

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• Sowohl die Politik im allgemeinen als auch die demographische Politik im besonderen wird durch aktive, zielgerichtete Tätigkeit realisiert. Wir können nicht mit einer solchen Auffassung einverstanden sein, daß „im wesentlichen diese oder jene demographische Politik direkt oder indirekt, bewußt oder instinktiv durch eine beliebige Gesamtheit von Menschen durchgeführt wurde. . Diese Worte sind dem inhaltsreichen und interessanten Vorwort V. V. Poksisevskijs zu dem Buch „Demographische Politik" entnommen. 6 Wir wollen dazu folgende Fragen aufwerferi und beantworten: Wird die demographische Politik direkt verwirklicht ? Ja! Indirekt? Nein! Bewußt? Ja ¡ Instinktiv? Nein! Unbewußte Politik gibt es nicht. Wenn aber die demographische Politik in der Summe der sozialökonomischen Maßnahmen aufgeht, ist es unmöglich zu bestimmen, womit sie sich beschäftigt. Es wird verständlich, daß eine derart breite Behandlung der demographischen Politik auf die Demographen einen demobilisierenden Einfluß ausübt. Betrachten wir die zweite Gruppe von Auffassungen, so ist als positiv der Gebrauch der Begriffe „Bevölkerungspolitik" und „demographische Politik" als Synonyme hervorzuheben. Das erleichtert das Herangehen an die Formulierung eines Begriffs, der dem objektiven gesellschaftlichen Bedürfnis am ehesten entspricht und daher am nützlichsten ist. Zusammen damit erweist sich aber eine Auffassung vom Inhalt der demographischen Politik, die sie dem Begriff der „sozialökonomischen Politik" annähert, als nicht genügend nutzbringend für die Praxis, die Realisierung der Konsequenzen der Demographie. Es verbleibt uns nun die Betrachtung der Vorzüge und Mängel der dritten Gruppe von Auffassungen. Die am weitesten verbreitete These besagt, daß die demographische Politik (die Bevölkerungspolitik) ein System von Maßnahmen darstellt, die auf die Reproduktion der Bevölkerung gerichtet sindund die über solche spezifischen, traditionell demographischen Kennziffern wie die natürliche und mechanische Bevölkerungsbewegung (Migration) Berücksichtigung finden. Ein solches Herangehen an den Gegenstand der demographischen Politik ist insofern nicht richtig, als zunächst nur quantitative Kennziffern der demographischen Entwicklung in das Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt werden. Später zeigt sich dann, daß in vollem Maße auch qualitative Kennziffern in einer Form berücksichtigt werden, welche die Erhaltung der demographischen Politik, die Erhöhung ihrer Zielgerichtetheit fördert. 6

Ebenda

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Aber auch in diesem Sinne stößt die Formulierung des Begriffes „demographische Politik" auf „Unterwasserriffe". Worin drückt sich das aus? Es ist kaum nötig, einen breit angelegten Beweis zu führen, daß auf die Bewegung der Bevölkerung praktisch mehr oder weniger alle Elemente der Basis und des Überbaus der Gesellschaft einwirken. Besonders bemerkenswert ist dabei der Einfluß des ökonomischen und sozialen Lebensstandards der Bevölkerung. Sei es der beschleunigte Bau von Wohnungen oder eine bemerkenswerte Erhöhung der Einkommen, eine wesentliche Verbesserung des Gesundheits- oder des Bildungswesens — die Folgen dieser gesellschaftlichen Veränderungen sind sowohl an den quantitativen als auch qualitativen demographischen Merkmalen spürbar. Man fragt sich, ob jene Demographen recht haben, die der Meinung sind, daß solche Veränderungen nur eine unmittelbare Reaktion auf eine ungünstige demographische Situation seien, selbst wenn sie die staatlichen Organe aufs sorgfaltigste darüber informiert haben und überall der erreichte positive Effekt anerkannt wird? Es bedarf keines Beweises, daß die erwähnten sozialen Reformen unabhängig von einer bestimmten demographischen Situation durchgeführt werden, obwohl letztere — und das ist richtig — auch berücksichtigt wird. Sie sind Bestandteil der allgemeinen sozialökonomischen Politik eines fortschrittlichen Staates. Diese Politik wird mit dem Ziel der Erhöhung des Wohlstandes der Bevölkerung durchgeführt, aber nicht speziell, um die demographischen Parameter zu verbessern. Wenn man meint, daß die vor sich gehende Verbesserung das Resultat einer Politik ist, die man als demographisch bezeichnen könnte, so ist vom Wesen der Sache her eine demographische Politik nicht nötig — alles würde und wird automatisch im Rahmen der Verwirklichung der laufenden und perspektivischen sozialökonomischen Programme getan. Derartigen Autfassungen können wir in der Praxis auch begegnen. Man kann solche Stimmen hören, daß die demographische Politik im Grunde „so oder so" realisiert werde und folglich spezielle Maßnahmen, die auf die demographische Entwicklung einwirken, nicht erforderlich seien, man von diesen Maßnahmen sogar keine besseren Resultate erwarten könnte als solche, die aus der sozialökonomischen Politik insgesamt resultieren. Aus dem Gesagten folgt, daß zur demographischen Politik nicht alle Maßnahmen gehören, die auf die Entwicklung der Bevölkerung einwirken, sondern bloß solche, deren direktes Ziel in der Einwirkung auf die Dynamik der demographischen Kennziffern besteht. Dabei schließen wir aus der Bevölkerungspolitik bewußt alle die auf die Bewegung der 37

Bevölkerung wirkenden Maßnahmen aus, welche — von der Sache her auch ohne die Beteiligung der Demographen — durch die Realisierung der allgemeinen sozialökonomischen Politik verwirklicht werden. Da die Bewegung der Bevölkerung in ihrer quantitativen Bestimmtheit Ergebnis der Wechselwirkung der Kennziffern „Geburtenrate", „Sterblichkeit" und „ M i g r a t i o n " ist, entsteht unmittelbar die Frage: Was gehört hinsichtlich der Einwirkung auf diese Prozesse zu den direkten Zielen der Tätigkeit, die wir als „demographische Politik" bezeichnen? Im Interesse der logischen Strenge der Darlegung beginnen wir am Ende — mit der Migration. Zunächst ist das mögliche M a ß der Beteiligung von Demographen an der Lenkung der Migration zu klären. Da das Ziel der demographischen Politik in der Förderung eines gewünschten Verlaufs der demographischen Prozesse besteht, könnten die Vertreter der Demographie im gegebenen Fall vorherbestimmen, wie man die Ströme von Migranten mit dem Ziel der Verbesserung der Altersstrukturen in bestimmten Gebieten des Landes korrigieren kann. Das kann einschneidende positive Resultate für die gesamte demographische Entwicklung zur Folge haben. Jedoch darf man nicht das grundlegende gesellschaftliche Bedürfnis außer Acht lassen, das durch die Migration befriedigt wird. Die Migrationsströme stellen, mit anderen Worten, eine Triebkraft der Veränderungen in der Ökonomie dar, die in einem sozialistischen Staat in Übereinstimmung mit der Strategie der Entwicklung und Verteilung der Produktivkräfte eines Landes vorgenommen werden. Im Rahmen dieser Strategie besitzen nicht in erster Linie die Demographen Kompetenzen, sondern die „Arbeitskräfteverteiler", Ökonomen spezieller Fachrichtungen. Die Demographen sind hier nur für die „Nahtstelle" verantwortlich; für den Abschnitt, der auf den „Hauptschlag" ausgerichtet ist, sind andere verantwortlich. Stellt etwa dieser andere Abschnitt das Gebiet der demographischen Politik dar, das mit der Sterblichkeit verbunden ist? Wenn dieses Gebiet zum Gegenstand der demographischen Politik gehört, so bedeutet das, daß man die Sterblichkeit lenken kann und muß. A b e r was heißt hier lenken? Die Leitung erfordert doch die Erreichung eines unterschiedlichen Niveaus der Intensität des Prozesses, der Erscheinung. K a n n man mit der Sterblichkeit „manövrieren", ihr Niveau an der einen oder anderen Stelle fördern? Ein solches Herangehen, das einen militanten Malthusianismus zum Ausdruck bringt, ist völlig absurd für einen Staat mit einer fortschrittlichen Gesellschaftsordnung. Für uns kann ausschließlich nur eine solche

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Politik auf dem Gebiet der Sterblichkeit existieren, die auf ihre ständige Senkung gerichtet ist. Die gesamte sozialökonomische Politik wirkt darauf hin, insbesondere durch die Maßnahmen auf dem Gebiet des Gesundheitswesens und der sozialen Betreuung, der Organisation der Verpflegung, der Freizeitgestaltung, auf dem Gebiet der Wohnraumversorgung, der Erhaltung der Umwelt usw. Was vom ersten Eindruck her leicht befremdlich klingt, die Sterblichkeit als demographischer Prozeß und die Einwirkung auf ihn wird zu Unrecht in den Begriff der demographischen Politik eingeschlossen. Für die Betrachtung verbleibt die Geburtenrate. In bezug auf sie kann man von einer Lenkung sprechen. In Abhängigkeit von einer bestimmten demographischen Situation kann man einen mehr oder minder hohen Koeffizienten der Geburtenrate fördern. Und hier geschieht auch nicht alles „von selbst". Es ist unumstritten, daß die Intensität der Geburtenrate im allgemeinen durch die Spezifik der sozialökonomischen Entwicklung eines Landes bestimmt wird. Aber bloß im allgemeinen. Durch gewisse gesetzgeberische, ökonomische und ideologische Maßnahmen kann man dieses Niveau in einem bestimmten Maße korrigieren. Das wird durch die praktischen Erfahrungen vieler Länder bestätigt. Nach Auffassung des Verfassers ist demographische Politik ihrem Wesen nach Politik der Lenkung der Geburtenrate. Im wesentlichen definieren auch V. P. Piskunov und V. S. Stesenko die demographische Politik in diesem Sinne. Sie charakterisieren sie als „System von Maßnahmen, die unmittelbar auf die Herausbildung eines für die Gesellschaft wünschenswerten, begreifbaren demographischen Verhaltens ihrer Mitglieder abzielt." 7 Das demographische Verhalten ist vor allem durch die Einstellung der Ehepartner zur Anzahl der Kinder, durch die Einstellung zum Familiensystem gekennzeichnet. Durch die Einschränkung des Begriffes „demographische Politik" auf die Lenkung der Geburtenrate oder — was dasselbe ist — das demographische Verhalten, wird diesem Begriff nicht, wie einige unserer Kollegen denken, Schaden zugefügt. Im Gegenteil. Nur bei einem solchen Herangehen erhält die demographische Politik einen realen Sinn, wird sie zu einer „gesetzmäßigen" Sphäre der Tätigkeit für den Demographen. Allein mit einer solchen Auffassung kann man die demographische Politik als das „Brot des Demographen" bezeichnen. Aber es entsteht die F age: Aus welchem „Mehl" muß dieses Brot gebacken sein? Zu sagen, daß es hier um Maßnahmen geht, die direkt auf 7 Vgl. ebenda, S. 15.

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die Geburtenrate einwirken, bedeutet noch nicht alles. Man muß unter diesen Maßnahmen diejenigen auswählen, die den höchsten Effekt versprechen. Anders gesagt, es müssen die Bedingungen präzisiert werden, unter denen sich die demographische Politik als effektiv erweist, und es muß der reale Beitrag der Demographen zur Lösung des demographischen Problems sichtbar gemacht werden. Dabei beschränken wir uns auf die Betrachtung der Fragen der Effektivität dieser Politik in der sozialistischen Gesellschaft.

Die ökonomische und ideologische Einwirkung auf die Geburtenrate Das Niveau der Geburtenrate ist nicht nur durch das individuelle und gesellschaftliche Bedürfnis in einer Generationsperiode bestimmt, sondern auch durch die Möglichkeiten einer bestimmten Generation, die notwendigen Mittel des Lebens aufzubringen. In der sozialistischen Gesellschaft ist die Versorgung der Menschen mit diesen Gütern das grundlegende Ziel der sozialökonomischen Politik. In bezug auf das demographische Problem findet das seinen Ausdruck in der ständigen Sorge um die Qualität einer Generation, ihre Gesundheit, Bildung, Erziehung und Berufsausbildung. Dieses Gebiet ist, wie schon gesagt, nicht in die Bevölkerungspolitik eingeschlossen, weil sie dann als sich selbst verwirklichend betrachtet wird. Wenn aber die Versorgung mit Gütern für die umfassende Befriedigung der Bedürfnisse bei der Reproduktion der Bevölkerung als eine Angelegenheit betrachtet wird, die nicht den ureigensten Inhalt der demographischen Politik ausmacht, so kann sie jedoch sehr aktiv teilhaben an der Steuerung der Verteilung dieser Güter mit dem Ziel'der Optimierung der demographischen Reproduktion, der Erreichung der bestmöglichen Übereinstimmung zwischen den quantitativen und qualitativen Seiten des demographischen Wachstums. Eine sehr aktuelle Frage ist in diesem Zusammenhang die Frage nach den Familienbeihilfen. Wir sind weit davon entfernt, den Effekt einer praktischen materiellen Hilfe für die Familien mit Kindern, wo das mittlere Pro-Kopf-Einkommen sehr niedrig ist, zu ignorieren. Wir befürchten bloß eine Überschätzung des demographischen Effekts einer derartigen Praxis. Die „Pravda" hat sich mit der Bedeutung der kürzlich vom ZK der KPdSU und dem Ministerrat der UdSSR ausgearbeiteten und bestätigten Maßnahmen zur Einführung einer Unterstützung für Kinder minderbemittelter Familien beschäftigt. Bekanntlich

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ist (seit 1. November 1974) mit diesen Maßnahmen die monatliche Zahlung von 12 Rubeln für jedes Kind bis zur Erreichung des 8. Lebensjahres an Familien verbunden, wo das durchschnittliche Gesamteinkommen pro Familienmitglied 50 Rubel nicht übersteigt. Unter Berücksichtigung dessen, daß für diese Unterstützungen voraussichtlich 1,8 Mrd. Rubel im Jahr verausgabt werden (das entspricht 4er Summe, die 1974 für den Unterhalt des gesamten Staatsapparates eines solchen riesigen Landes wie der UdSSR festgesetzt war), bewertet die „Pravda" mit vollem Recht die Einführung der Unterstützung als „eine der wichtigsten sozialen Maßnahmen", die vom XXIV. Parteitag der KPdSU beschlossen wurden. Dabei wird darauf hingewiesen, daß das Ziel der Unterstützungen in der Schaffung besserer Bedingungen „für die Erziehung der heranwachsenden Generation, die Vergrößerung der materiellen Hilfe für die Familien mit Kindern, die Erhöhung des Lebensniveaus des sowjetischen Volkes" 8 besteht. Wie wir sehen, wurde der soziale Aspekt der Unterstützungen hervorgehoben, aber ist nicht speziell' auf ihre möglichen positiven demographischen Konsequenzen hingewiesen worden. Uns scheint, daß solche Konsequenzen nur unbedeutend sein können, da die Vergrößerung der Einkommen nicht zum Wachstum des Anteils der Zwei- und Drei-Kinderfamilien führen muß. Bedeutender dafür scheint die Gewährung bestimmter Vergünstigungen für werktätige Frauen zu sein, die Schaffung von „besonderen Arbeitsbedingungen in der gesellschaftlichen Produktion unter Berücksichtigung der Erfüllung ihrer wichtigsten sozialen Funktion — der generativen." 9 Wir teilen völlig den Standpunkt, daß unsere demographische Politik nicht den Weg der Rückkehr der Frau in den Haushalt gehen soll. Der maximal mögliche Beschäftigungsgrad der Frau in der Volkswirtschaft entspricht sowohl den Interessen des Staates, der sie zur Sicherung der Arbeitskräftebilanz benötigt, als auch der Frauen selbst, die dank dessen nicht nur juristisch mit den Männern gleichberechtigt sind, sondern durch die Arbeit ihre soziale Emanzipation festigen; dies, obwohl zwecks Milderung des Widerspruchs zwischen der Mutterschaft und der gesellschaftlichen Beschäftigung der Frauen eine Umverteilung materieller Ressourcen erforderlich ist. Hier wird ein höchst zielgerichteter Weg aufgezeigt, auf dem man im Rahmen der demographischen Politik die Einwirkung auf die Geburtenrate mit ökonomischen Mitteln verwirklichen kann und muß. 8 Pravda vom 28. September 1974. Vgl. DemografiCeskaja politika, Moskva 1974, S. 24.

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Ein anderer Weg zur Lösung des demographischen Problems besteht in der Anwendung ideologischer Mittel. Dieses Gebiet der Bevölkerungspolitik verdient besondere Aufmerksamkeit. Erstens deshalb, weil in der entwickelten sozialistischen Gesellschaft mit ihrem verzweigten Netz allgemeinbildender und kultureller Einrichtungen die Aktivierung einer solchen Art von Wirksamkeit vom Staat keine belastenden Ausgaben erfordert. Zweitens, weil dieses Gebiet der demographischen Politik bei uns noch keine ausreichende wissenschaftliche Fundierung gefunden hat. Was muß ein System ideologischer Maßnahmen, die auf das demographische Verhalten einwirken, einschließen? Sicherlich muß man dazu eine systematische Information der Öffentlichkeit über die reale und prognostizierte demographische Entwicklung betreiben. Das muß der Schaffung des erforderlichen psychologischen Klimas für die Realisierung spezieller Maßnahmen zur Gesundung der demographischen Situation dienen. Als gutes Beispiel einer solchen Information, die auf einer schlagkräftigen wissenschaftlichen Begründung und gutem statistischen Material beruht, kann man das kürzlich erschienene Buch von I. Urlanis „Probleme der Entwicklung der Bevölkerung der UdSSR" ansehen. Solche Bücher werden gegenwärtig leider noch zu wenig veröffentlicht. Sehr wenig werden auch Vorlesungen gehalten, die den Inhalt der demographischen Probleme unter unterschiedlichen gesellschaftlichen Bedingungen beleuchten. Hier ist eine Aktivierung unserer Bemühungen notwendig. Das ist ebenfalls ausschließlich ein Arbeitsgebiet der Demographen. Im System der Maßnahmen zur ideologischen Einwirkung auf die Geburtenrate muß die auf die Veränderung der Wertvorstellungen vom Kind gerichtete Aufklärungsarbeit einen wichtigen Platz einnehmen, denn das Kind wird heute zu oft in bezug auf die Bedürfnisbefriedigung der Familie noch als ein Opfer betrachtet. Bei der Analyse der Struktur der Bedürfnisse unserer Familien schreibt und spricht man viel von Autos, Fernsehgeräten, technischen Neuerungen, die unser Leben zunehmend ausfüllen. Sehr wenig ist jedoch von solchen fundamentalen menschlichen Bedürfnissen wie dem Bedürfnis nach Kindern, nach Nachkommenschaft die Rede. Mehr noch, man hat begonnen, die These aufzustellen, daß die Befriedigung dieses Bedürfnisses in seiner gegenwärtigen natürlichen Art immer mehr verdrängt wird durch die Erziehung fremder Kinder oder gar durch die Züchtung der Kinder in Inkubatoren, und beruft sich dabei auf „unser rationelles Zeitalter". Wir sprechen hier aber von Gefühlen und Bedürfnissen, die der menschlichen Natur selbst eigen sind. Das Bestreben, den Kindern alles 42

zu geben, sie das Leben zu lehren, sie glücklich zu machen, war auch den Menschen auf den niedrigsten Stufen der Entwicklung der menschlichen Gesellschaft eigen. Allein die harten Bedingungen des Existenzkampfes (die manchmal auch zum bewußten Kindermord führten) hinderten daran, daß dieses Bestreben in vollem Umfang wirksam werden konnte. In dieser Beziehung gibt es einen überaus interessanten Fall, der im vergangenen Jahr in der Presse behandelt wurde. Auf den Philippinen wurden Menschen des Steinzeitalters entdeckt, die „Rassadai" genannt werden. Sie leben in den Berghöhlen des tropischen Dschungels. Sie kannten bis zu dieser Zeit kein Metall und nutzten steinerne Werkzeuge, die sie selbst herstellen. Sie benötigen nicht mehr als drei Stunden, um sich die notwendigen Lebensmittel zu beschaffen. Man fragt sich, womit sie sich in der verbliebenen Zeit beschäftigen. Augenzeugen erklären: Mit der Erziehung der Kinder; sie weihen ihre Kinder in die Geheimnisse des Dschungels ein. 10 Wenn der moderne, zivilisierte Mensch die Möglichkeit hätte, seine materiellen Lebensbedürfnisse in drei Stunden zu befriedigen, würde er mit Vergnügen den Zeitanteil vergrößern, den er für die Erziehung der Kinder verwendet. Das wird zunehmend entsprechend der Annäherung an das Ziel unserer Entwicklung eintreten, wenn das Maß des Reichtums der Gesellschaft, die Freizeit, — wie sich Marx ausdrückt — wächst. Wir sprechen uns daher gegen eine unbegründete Ignorierung der Emotionalität im Verhältnis zwischen Eltern und Kindern aus. Was die Veränderungen betrifft, die sich angeblich durch die wachsende Arbeitsproduktivität in der Bewertung der Kinder als potentielle Arbeitskräfte vollziehen, ist zu bemerken, daß die durch dieses Wachstum hervorgerufene relative Senkung des Bedarfs an Arbeitskraft überlagert wird durch den zusätzlich entstehenden Bedarf aufgrund der Entwicklung immer neuer Produktions- und Forschungsgebiete im Zuge der wissenschaftlich-technischen Revolution. Hierzu muß man auch die erstrebenswerte Entwicklung der Dienstleistungssphäre rechnen. Wenn in der materiellen Produktion, die nach den Worten von Marx und Engels das Gebiet der „Bearbeitung der Natur durch die Menschen" 1 1 darstellt, für den Ersatz der Arbeit der Menschen durch die Arbeit von Mechanismen, Maschinen, Systemen und folglich für die Ökonomie der lebendigen Arbeit im Prinzip keine Grenzen gesetzt sind, so ist im Verhältnis hierzu in der Dienstleistungssphäre ein Gebiet der „Arbeit an 10 Vgl. Pravda vom 6. Mai 1973. Vgl. Novaja publikacija pervoi glavy „Nemeckoi ideologii" K. Marska; F. Engelsa, in: Voprosy filosofii, 10/1965, S. 97.

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Menschen durch Menschen" 12 zu sehen, wo derartige Grenzen existieren. Sie sind durch ein gewisses Minimum an Arbeitern bestimmt, deren Arbeit weder jetzt noch in Zukunft automatisiert werden kann, weil ihr grundlegender Inhalt die lebendige Beziehung mit dem zu Betreuenden ist. Im Zuge des Wachstums der Arbeitsproduktivität in der materiellen Produktion wird die Gesellschaft in den Stand versetzt, immer mehr Ressourcen für die Dienstleistungen bereitzustellen, und mit ihrer Vermehrung wird sich notwendig auch die lebendige Arbeit in dieser Sphäre der Volkswirtschaft erweitern. Das Bedürfnis nach zusätzlichen Arbeitern bedingt die Notwendigkeit eines bestimmten Zuwachses der Bevölkerung. Auch dies ist ein Argument zugunsten der Kinder. Wer, wenn nicht die Demographen, muß in erster Linie auf das Bedürfnis nach Kindern als eines der wichtigsten menschlichen Bedürfnisse hinweisen? Gleich einigen anderen unserer Kollegen ergriff der sowjetische Wissenschaftler M. J. Sonin eine gute Initiative in dieser Hinsicht. Er erarbeitete eine, vom Umfang her nicht große, aber von unserem Standpunkt aus sehr interessante und nützliche Studie, in der er den Platz des Bedürfnisses der Familie nach Kindern in der historischen Entwicklung aufzeigte. Der Autor arbeitet fünf Gruppen sozialökonomischer Faktoren heraus, die das Niveau der Geburtenrate in der Familie bestimmen: das Bedürfnis nach Arbeit; das Bedürfnis nach erstklassigen Lebensbedingungen; das Bedürfnis der Familie nach Kindern; das Bedürfnis nach arbeitsfreier Zeit einschließlich Freizeit; das Bedürfnis nach Bildung. Diese Gruppen von Bedürfnissen bleiben in allen Etappen der sozial-ökonomischen Entwicklung erhalten, obwohl in jeder von ihnen der Platz des Bedürfnisses der Familie nach Kindern durch andere Faktoren verändert wird, auch innerhalb der Gruppen von Bedürfnissen verändert sich der Platz dieser oder jener Untergruppe in Abhängigkeit von ihrem „Gewicht" (ihrer Bedeutsamkeit). Der Autor kommt zu dem Schluß, daß die niedrige Geburtenrate bei einem großen Teil der Bevölkerung der UdSSR in den 60er und Anfang der 70er Jahre hauptsächlich ein Resultat dessen ist, daß das sozialökonomische Bedürfnis nach Kindern in den jungen Familien auf Grund einer Reihe von Ursachen auf einen der letzten Plätze gerückt ist. Man kann vermuten, so schließt er, daß die weitere Entwicklung unserer Gesellschaft durch eine wesentliche Vergrößerung der Bedeutung des Bedürfnisses nach Kindern in der Familie gekennzeichnet sein wird. 13 Nach unserer Auffassung kann man auch schon beim gegenwärtigen Niveau der materiellen Versorgung unserer Bürger eine gesellschaftliche 12 Vgl. ebenda. 13 Vgl. Demografräeskaja politika, Moskva 1974, S. 93—96.

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Meinung über das „Minimum" der Familiengröße, zu dem zwei oder drei Kinder gehören, d. h. das dem Ideal der Mehrheit der Ehepaare in unseren Ländern entspricht und die Stabilität der erreichten Bevölkerungszahl garantiert, herausbilden. V. P. Piskunov und V. S. Stesenko, auf die wir uns stützten, haben von unserem Standpunkt aus zutiefst Recht, wenn sie feststellen, daß „die Ehepaare ihre materiellen Möglichkeiten zur Kindererziehung unterschätzen" und daher „eine der zentralen Aufgaben unserer demographischen Politik darin besteht, zur Senkung der Differenz zwischen den objektiven Möglichkeiten der Gesellschaft, ein notwendiges Niveau der generativen Aktivität der Bevölkerung materiell zu gewährleisten und der subjektiven Bewertung dieser Möglichkeiten durch die einzelnen Familien beizutragen" 14 . Die Familie mit zwei und drei Kindern muß zum Modell werden. Die ständige Verbesserung der Lebensbedingungen der Bevölkerung der Länder der sozialistischen Staatengemeinschaft bietet die materielle Grundlage für eine günstige Veränderung des Platzes des Bedürfnisses nach Kindern auf der Stufenleiter der Bedürfnisse. Die demographische Politik der sozialistischen Staaten kann ihren Beitrag zur Beschleunigung dieses Prozesses leisten.

i" Vgl. ebenda, S. 19.

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ZDENËK PAVLÎK

Einige theoretische Fragen der Bevölkerungspolitik und die Situation in der Tschechoslowakei

Die Bevölkerungspolitik ist ein Bestandteil der Gesamtpolitik der jeweiligen Gesellschaft und insbesondere der Sozialpolitik. Wir können sie in einem engeren oder weiteren Sinne betrachten. Im engeren Sinne schließt sie Maßnahmen ein, die die Gesellschaft (praktisch die Regierung) ausschließlich mit dem Ziel der Einwirkung auf die Reproduktion der Bevölkerung oder auf ihre Verteilung unternimmt. Im weiteren Sinne umfaßt die Bevölkerungspolitik alle Maßnahmen, die irgendeinen Bevölkerungseffekt haben. In der Theorie der Bevölkerungspolitik wird darüber diskutiert, welche der Definitionen die richtigere ist. Die engere Definition läßt zwangsläufig verschiedene Maßnahmen außer acht, die andere (nicht bevölkerungspolitische) Ziele verfolgen, aber einen tatsächlichen Bevölkerungseffekt mit sich bringen; die breitere Definition ist wiederum deshalb ungünstig, weil es sehr schwer ist, eine Maßnahme zu finden, die völlig frei ist von einem Bevölkerungseffekt, selbst von einem indirekten. Das ist auch verständlich, weil die praktische Tätigkeit auf diesem Gebiet immer einen vieldeutigen (totalen) Effekt hat im Unterschied zur Theorie, in der wir einzelne Aspekte der erkennbaren Realität in unseren Überlegungen voneinander trennen können. Wenn deshalb die Bevölkerungspolitik ein schwer abtrennbarer Bestandteil der gesamten Politik der jeweiligen Gesellschaft ist, so können wir in der Theorie die Bevölkerungspolitik ziemlich leicht abteilen und in ihr untersuchen, wie verschiedene Maßnahmen auf die Reproduktion der Bevölkerung und ihre Verteilung wirkten, wirken und wahrscheinlich wirken werden. Damit wird der Teil der Theorie der Bevölkerungspolitik, der die Maßnahmen untersucht, die Einfluß auf die Reproduktion der Bevölkerung nehmen, direkt zum Bestandteil der Demographie, da er ihrer Definition untergeordnet werden kann, und derjenige Teil, der Maßnahmen einschließt, die auf die Verteilung der Bevölkerung gerichtet sind, zum Bestandteil der Bevölkerungsgeographie. Die Demographie

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kann bestimmt werden als Spezialrichtung, die die Reproduktion der Population als endlichen Prozeß untersucht. Hierzu gehört auch das Studium der Maßnahmen der Bevölkerungspolitik, ihr vergangener oder derzeitiger Einfluß auf den wirklichen Reproduktionsprozeß sowie die Wertung ihres zukünftigen Einflusses (als Bestandteil der Analyse der Voraussetzungen für die Berechnung von Bevölkerungsprojekten). Ausgehend von diesen Überlegungen, scheint es mir, daß die Theorie der Bevölkerungspolitik keine relativ selbständige Spezialrichtung an der Grenze zwischen der Theorie der Politik und der Demographie 1 ist. Die Theorie der Bevölkerungspolitik kann auch nicht auf die Frage antworten, welche Bevölkerungsentwicklung stattfinden sollte; ebenso kann sie keine Antwort auf die Frage geben, welches die Ziele einer bestimmten Gesellschaft oder sozialen Gruppe sind. Die Bestimmung der Ziele der Bevölkerungspolitik muß in erster Linie ausgehen von den Zielen der Sozial- und Wirtschaftspolitik oder von der Gesamtpolitik, während die Theorie der Bevölkerungspolitik nur die Realität dieser Ziele einschätzen oder die günstigsten Maßnahmen zu ihrer Verwirklichung empfehlen kann. Daneben müssen wir uns, bedingt durch die qualitativen Unterschiede der jeweiligen Reproduktionsprozesse, Rechenschaft über die qualitativen Unterschiede in den Zielen der Bevölkerungs- und anderen (sozialen, ökonomischen u. a.) Politik geben. Wenn das Ziel der sozialistischen Gesellschaft die allseitige Entwicklung des Menschen ist, so besteht das wichtigste Ziel der ökonomischen und Sozialpolitik in Handlungen, die auf die Annäherung der Gesellschaft an dieses Ziel gerichtet sind. Die Frage, wie die Bevölkerungsentwicklung sein muß, damit die Gesellschaft sich diesen Zielen schneller nähern kann, kann nur von zweitrangiger Bedeutung sein. Wir gehen von dem Fakt, daß die Eltern das unbestrittene Recht zur Entscheidung haben, wie viele Kinder sie haben möchten, sowie von dem wiederholt geäußerten Prinzip aus, daß die ökonomische Entwicklung unbedingt der Bevölkerungsentwicklung angepaßt werden muß und nicht umgekehrt. In diesem Zusammenhang finden wir hin und wieder die Behauptung, die Interessen und Ziele der einzelnen Familien hinsichtlich der Anzahl der gewünschten Kinder stünden im Gegensatz zu den Interessen und Zielen der Gesellschaft 2 . Diese Anschauungen tauchen besonders in 1 B.Vobornik,Demografieateoriepolitiky,in:Demografie,4/1972,S.289—295. V. P. Piskunov, V. S. Stesenko, K teoretiöeskomu abosnovamiju demografiöeskoi politiki razvitogo socialistiöeskogo obSiestva, in: DemografiCeskie tetradki, vypusk 6—7, Kijev 1972, S. 37-121.

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kapitalistischen Ländern auf, wo behauptet wird, daß eine große Kinderzahl in einigen sozialen Gruppen den Interessen und Zielen der jeweiligen Gesellschaft widerspricht. Man weist darauf hin, daß bei diesen Familien nicht nur das Recht freier Handlungsweise bei der Bestimmung der eigenen Kinderzahl bestehen sollte, sondern auch die Verpflichtung, mit Verantwortung an die Ziele der Gesellschaft heranzugehen (vgl. auch „World Population Plan of Action", der auf der 3. Weltbevölkerungskonferenz in Bukarest angenommen wurde). Befürchtungen dieser Art erwachsen aus der Annahme, daß die Familien und Menschen im allgemeinen verantwortungslos handeln, aber in Wirklichkeit geht eine solche Handlungsweise der Menschen aus ihrer sozialen und ökonomischen Lage hervor, und man darf sie keineswegs verantwortungslos nennen. Derartige falsche Anschauungen können sehr leicht zur Diskriminierung bestimmter sozialer oder ethnischer Gruppen mißbraucht werden. In der sozialistischen Gesellschaft stimmen die Ziele und Interessen der Individuen mit denen der Gesellschaft im Prinzip überein. Die Kinder sind natürliches Bedürfnis für die allseitige Entwicklung der Persönlichkeit, und die Gesellschaft schafft durch ihre Bevölkerungspolitik, die ein untrennbarer Bestandteil der Wirtschafts- Und Sozialpolitik ist, solche Bedingungen, unter denen die Familien ihre Ziele realisieren können. Die Familie existiert nicht und kann nicht unabhängig von der Gesellschaft existieren; sie ist mit ihr durch vielfältige Beziehungen verbunden, nimmt teil an der gesellschaftlichen Zielsetzung und befindet sich bei der Festlegung der persönlichen Ziele unter der unmittelbaren Rückwirkung der gesellschaftlichen Zielstellung. Eine immer größere Freiheit der einzelnen Persönlichkeit und der Familien, die Erhöhung des Bildungs- und des allgemeinen kulturellen Niveaus, die Überwindung der verschiedenen materiellen Beschränkungen fördern gleichbedeutend eine immer vollkommenere Verschmelzung der Interessen der Familie und der Gesellschaft. Der Umstand, daß die Gesellschaft solche Bedingungen schafft, daß jede Familie so viele Kinder haben kann, wie sie wünscht, führt einige Autoren zu der Schlußfolgerung, die sozialistische Gesellschaft müsse immer eine Politik durchführen, welche die Geburtenzahl fördere. Der tschechoslowakische Demograph, den wir bereits zitierten, schreibt: „Auch ohne vorhergehende Beantwortung der Frage nach dem quantitativen Bevölkerungswachstum muß der sozialistische Staat im allgemeinen eine Politik durchführen, die die Geburtenzahl stimuliert, denn dadurch, daß er z. B. die Wohnungsfrage löst, daß er die Familien mit Kindern materiell stimuliert, daß er sich um die Kinder der berufstätigen Mütter kümmert und ein breites Netz von Dienstleistungen entwickelt, welches ihre Arbeit erleichtert,

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wenn er also die Bedingungen für die allseitige Entwicklung des Menschen und für die Vertiefung des sozialistischen Humanismus in den gesellschaftlichen Beziehungen schafft, schafft er gleichzeitig die Bedingungen für eine Verbesserung der Reproduktion der Bevölkerung." 3 Es bleibt indes eine Tatsache, daß in den sozialistischen Ländern, in denen eine hohe Geburtenzahl existiert oder bis jetzt existierte, diese Maßnahmen einen ausgesprochen sozialen Charakter tragen und letztlich den Prozeß der demographischen Revolution nicht hemmen, sondern eher fördern, jenen Prozeß, in dessen Verlauf sowohl eine Verminderung der Sterblichkeit als auch der Geburtenzahl vor sich geht. Das zeugt davon, daß die demographischen Prozesse zutiefst sozial determiniert sind; ohne ihre Erkenntnis erbringt die Bevölkerungspolitik äußerst geringe Resultate. Solche Schlußfolgerungen beziehen sich offensichtlich auf die Effektivität jener Bevölkerungspolitik, die in den bisherigen Klassengesellschaften betrieben wurde. Auf die Darstellung dieser Politik (der Ziele hinsichtlich der Reproduktion der Bevölkerung) gibt es viele Hinweise. Es ist jedoch schwieriger zu beurteilen, bis zu welchem Grad diese Politik Einfluß auf die Bevölkerungsentwicklung hatte. Mir scheint, daß dieser in den meisten Fällen sehr gering war, weil sich die Interessen der herrschenden Gruppe und die Interessen der Mehrzahl der Mitglieder der jeweiligen Bevölkerung im Widerspruch zueinander befanden. Gleichzeitig war die Erkenntnis der demographischen Prozesse sehr unvollkommen. Die Motive der demographischen Politik in einem beliebigen Land muß man vor allem von dem Standpunkt aus beurteilen, ob sich die betreffende Bevölkerung vor, nach oder im Prozeß der Vollendung der demographischen Revolution befindet. In der Zeit vor der demographischen Revolution oder im Verlauf ihrer Vollendung muß die Bevölkerungspolitik diesen Prozeß fördern, indem sie die Erhöhung des Lebens- und Kulturniveaus aller Bevölkerungsschichten forciert, indem sie eine gerechtere Verteilung der Einkommen verwirklicht, indem sie den Schwerpunkt auf eine bewußte Familienplanung usw. legt. Die Bestimmung quantitativer Ziele für ein schnelleres Wachstum der Bevölkerung in dieser Etappe weckt immer den Verdacht auf expansive Bestrebungen der herrschenden Klassen, die nicht mit der ökonomischen und sozialen Lage der Mehrheit der Bevölkerung rechnen. Die Bestimmung quantitativer Ziele eines langsameren Bevölkerungswachstums hingegen ist solange nicht effektiv, wie nicht die Bedingungen dafür geschaffen sind, daß die Familien, ihre eigenen Interessen erkennend, die 5

B. Vobornik, Demografie a teorie politiky, in: Demografie, 4/1972, S. 295.

4 Demographie

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Kinderzahl beschränken. Unter bestimmten sozialen, ökonomischen und medizinischen Bedingungen ist umgekehrt eine große Anzahl Kinder vorteilhaft. Unmittelbar nach Beendigung der demographischen Revolution hat in vielen Bevölkerungen der Welt der Koeffizient des natürlichen Zuwachses ein sehr niedriges Niveau. Es erhöht sich die Intensivierung des Prozesses der demographischen Alterung, und es wächst der Anteil der Personen im Rentenalter. Diese Entwicklung wird als eines der wichtigsten Argumente für eine Bevölkerungspolitik angeführt, die die Geburtenzahl stimuliert. Es bleibt eine Tatsache, daß mit einer wachsenden Anzahl von Rentnern die Belastung für die Gesellschaft wächst. Aber ist das ein unbestreitbares Argument für eine Bevölkerungspolitik, welche die Geburtenzahl stimuliert? Ist von seiten dieser Gesellschaften alles getan worden, um die Rentner in eine gesellschaftlich nützliche Tätigkeit einzugliedern? Wir stehen offensichtlich erst am Anfang eines Prozesses, dessen Vollendung ein ununterbrochener und ständiger Übergang von der vollen wirtschaftlichen Aktivität zur vollen gesellschaftlichen Inaktivität ist. Ein anderes Argument für eine Bevölkerungspolitik der Förderung der Geburtenzahl sind die Erfordernisse des technischen Fortschritts. Eine schneller wachsende Bevölkerung bedeutet einen hohen Zuwachs an neuen Arbeitskräften. Sie kann man leichter auf neue Zweige und auf neue Tätigkeiten orientieren als Strukturveränderungen in der bereits vorhandenen Verteilung der Arbeitskräfte durchzuführen. Das ist zweifellos ein wichtiges Argument. Der technische Fortschritt verläuft jedoch so schnell, daß eine berufliche Migration immer notwendig sein wird, und es erhebt sich lediglich die Frage, in welchem Maße die neuen Arbeiter das fördern werden. Wenn man gegen die eben vorgebrachten Argumente für eine Politik der Förderung der Geburtenzahl nicht ernsthaft streiten kann (obwohl die Effektivität dieser Politik umstritten bleibt), so muß man aber das folgende Argument widerlegen. Es geht von der Tatsache aus, daß in einigen sozialistischen Ländern Mangel an Arbeitskräften herrscht. Unabhängig davon, daß hier eine Nichtübereinstimmung in der Zeit zwischen der Geburt des Kindes und der Zeit der Eingliederung in den Arbeitsprozeß besteht, was (unter dem Zeitaspekt gesehen) den Rahmen eines jeden realen Wirtschaftsplanes übersteigt, so besteht hier jedoch ein sehr zweifelhaftes Herangehen an die Reproduktion der Bevölkerung als an ein Mittel zur Sicherung der Reproduktion. Die Bevölkerung kann nicht Mittel sein, sondern nur das Ziel unserer Bemühungen, und ein Mangel an Arbeitskräften ist ein äußerst relativer Begriff. Ein abso-

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luter Mangel an Arbeitskräften würde bedeuten, daß die Gesellschaft nur auf Kosten einer anderen Gesellschaft lebt. Ein anderes Motiv für die Stimulierung oder Begrenzung der Geburtenzahl kann die Suche nach dem Bevölkerungsoptimum sein. Vorläufig ist es noch sehr schwierig, das Bevölkerungsoptimum zu bestimmen, vor allem deshalb, weil wir nicht in der Lage sind, eine Skala der individuellen und gesellschaftlichen Wertigkeit aufzustellen. Die statischen Bestrebungen, das Bevölkerungsoptimum zu bestimmen, sind äußerst problematisch. Realistischer scheint die Bestimmung des optimalen Bevölkerungswachstums zu sein (in der Mehrzahl der Fälle hält man für das optimale Bevölkerungswachstum nach der demographischen Revolution einen gemäßigten Zuwachs von 5 bis 10 Promille). Aber auch hierbei muß man eher von der Darstellung von Intuitionen und Glauben sprechen als von einer objektiven wissenschaftlichen Analyse. Man kann die Argumente für eine Bevölkerungspolitik der Begrenzung der Geburtenzahl vor oder im Verlaufe der demographischen Revolution verstehen. Oben wurde über die geringe Wirksamkeit dieser Politik für den Fall gesprochen, daß diese nur ein Anhängsel der allgemeinen Wirtschafts- und Sozialpolitik ist. Was, die Motive für die Begrenzung der Geburtenzahl nach der demographischen Revolution betrifft, die in jedem Lande ein für alle Mal das Bevölkerungsproblem in seiner klassischen Form löste, so sind sie nur Ausdruck des Malthusianismus, dessen soziale Wurzeln in den kapitalistischen Ländern immer noch vorhanden sind. Die ungerechte Verteilung des Reichtums, Arbeitslosigkeit, Anwachsen der Kriminalität und die Verschmutzung der Umwelt werden als Folgen eines schnellen Anwachsens der Bevölkerung in solchen Ländern, wie USA, Australien oder Kanada, angeführt. Die Bevölkerung wird für die Gebrechen der Gesellschaft verantwortlich gemacht. Ein solches Herangehen ist den sozialistischen Ländern völlig fremd. Im Zusammenhang mit der Berechnung neuer Bevölkerungsprojekte, die eine äußerst gute Charakteristik und Analyse des gegenwärtigen Standes der Bevölkerungsentwicklung bieten, machen wir uns öfter Gedanken über die Richtung der Bevölkerungspolitik. Wir stellen uns die Frage: Ist die berechnete Anzahl der Bevölkerung in 5, 10, 20 oder mehr Jahren günstig oder ungünstig? Sollte das mengenmäßige Wachstum der Bevölkerung langsamer oder schneller sein usw. ? Auf die so gestellte Frage, die man in eine Reihe von Teilfragen untergliedern kann, kann man keine einfache, geschweige denn eine eindeutige Antwort geben. Ebenso, wie es keine eindeutige (positive) gesellschaftliche Entwicklung gibt, sondern einen Komplex einzelner, einander mehr oder weniger bedingender Ereignisse, die man nach bestimmten Kriterien als 4*

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„positiv" oder „negativ" bezeichnen kann, und der Ausgangsprozeß danach einzuschätzen ist, ob positive oder negative Ereignisse überwiegen (oft hängt alles davon ab, welche Bedeutung wir den einzelnen Ereignissen zuschreiben), genausowenig kann man sagen, daß das erwartete mengenmäßige Wachstum der tschechoslowakischen Bevölkerung eindeutig günstig oder ungünstig ist. Noch bis vor kurzem wurde jegliches Wachstum in den sozialistischen Ländern — auch der Bevölkerung — eindeutig als günstig bezeichnet. Es ging um einen bestimmten Mythos des Wachstums, der besonders für die extensive Phase der volkswirtschaftlichen Entwicklung charakteristisch war. Das sind sehr komplizierte Fragen, wobei jegliche Vereinfachung falsch wäre und zu negativen Folgen führen würde. Ich werde versuchen, ein Resüme der Wechselbeziehungen der Bevölkerungspolitik zu ziehen, die man in einem Lande nach Beendigung der demographischen Revolution als günstig oder nicht günstig bezeichnen könnte: — Jedes Bevölkerungswachstum stellt eine ökonomische Belastung der Gesellschaft dar, vermindert das Pro-Kopf-Nationaleinkommen, fordert sogenannte „demographische Investitionen", und ohne spürbare Hilfe der Gesellschaft für die Familien senkt jedes Neugeborene den Lebensstandard der Familie; — das Mengenwachstum der Bevölkerung kann man als Ausdruck eines bestimmten Optimismus bezeichnen, der ein wichtiger psychologischökonomischer Faktor ist; ein größerer Anteil Jugendlicher an der Bevölkerung kann eine positive Wirkung auf die Beschleunigung der gesellschaftlichen Entwicklung ausüben; — das Bevölkerungswachstum sichert die altersmäßige Zusammensetzung auf einem bestimmten Niveau und verlangsamt den Prozeß der demographischen Alterung; — das Bevölkerungswachstum erleichtert die notwendige Arbeitskräftebewegung, die durch den technischen Fortschritt hervorgerufen wird; — eine geringe Kinderzahl in den Familien erhöht den negativen Faktor des Sozialprestiges, das sich in der Unterbewertung einzelner Berufe ausdrückt. Aus diesen Beziehungen folgt offensichtlich der Vorteil eines gemäßigten Bevölkerungszuwachses, dessen quantitative Bestimmung auf dem gegenwärtigen Niveau der- demographischen Erkenntnisse vorläufig objektiv nicht möglich ist. Für die heutige Tschechoslowakei ist eine Bevölkerungspolitik charakteristisch, die ausdrücklich die Geburtenzahl fördert. Das unterstreichen Zitate aus Reden von Staatsfunktionären.

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„ I n den Vordergrund stellen wir besonders Maßnahmen zur Verbesserung der Bevölkerungsentwicklung, für die Erhöhung der Unterstützungen an Familien mit Kindern und für junge Ehen. Im 5. Fünfjahrplan wurden für diese Ziele bedeutend mehr Mittel aufgewendet als in den vorangegangenen Jahren. Sie müssen so genutzt werden, daß sie diese gestellten Ziele besser fördern." 4 „ I m Durchschnitt kommen auf jede Familie 1,9 Kinder. A b e r für eine gesunde Entwicklung und ein entsprechendes ökonomisches Wachstum muß man solche Bedingungen schaffen, daß nach 1980 keine Senkung der Bevölkerungszahl eintritt, die bei Beibehaltung der gegenwärtigen Entwicklungstendenzen in der Bevölkerungsentwicklung unausbleiblich wäre und die die Verschlechterung der allgemeinen Bevölkerungsstruktur fortsetzen würde. Man muß die Durchschnittszahl der Kinder in den Familien von gegenwärtig 1,9 auf 2,5 erhöhen." 5 „Deshalb konzentriert sich die Sorge der sozialistischen Gesellschaft hinsichtlich der Bevölkerungsentwicklung in der nächsten Zeit darauf, daß eine entsprechende Entwicklung der Geburtenzahl gesichert wird, daß die Anzahl der neugeborenen Kinder den perspektivischen Bedürfnissen der Gesellschaft entspricht. Die Bevölkerungspolitik, die in dieser Richtung durchgeführt wird, verfolgt auch wichtige soziale Gesichtspunkte, die Sicherung des durchschnittlichen Lebensstandards für Familien mit einer größeren Anzahl K i n d e r . " 6 „ D e r Grundzug unserer gegenwärtigen Bevölkerungspolitik ist das komplexe Herangehen, das, wollen wir positiv auf die Bevölkerungsentwicklung einwirken, niemals nur Maßnahmen einer A r t beinhalten darf, z. B. Maßnahmen auf sozial-ökonomischem Gebiet. Im Rahmen der vorhandenen ökonomischen Möglichkeiten sind systematische und folgerichtige Handlungen in allen Grundrichtungen notwendig." 7 Das Schwergewicht legt man vor allem auf die Erhöhung des gegenwärtigen Niveaus der Geburtenzahl (Husäk, Stancel, Lücan) und danach auf die notwendige Erfassung eines breiten Fragenkreises, der mit der

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Gustav Husäk, Generalsekretär der K.PC, in: X I V . Sjezd Komunisticki Strany Ceskoslovenska, Praha 1971.

s

Michal Staneel, Minister für Arbeit und Sozialwesen der t S S R , in: Populacni zprävy, H. 4-5/1972.

6

Matej Lücan, Stellvertreter des Vorsitzenden des Ministerrates der CSSR, in: Deti — nase budonenast, Praha 1972.

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Jaroslav Havelka, Stellvertreter des Ministers für Arbeit und Sozialwesen der CSSR und Sekretär der Staatlichen Kommission für Bevölkerungsfragen, in: Populacni zprävy, 3/1972.

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Bevölkerungsentwicklung verbunden ist und auf den man Einfluß nehmen kann (Havelka), und auch auf die effektive Ausnutzung der bereitgestellten Mittel (Husäk). Dabei geht es nicht nur um materielle Maßnahmen, sondern auch um die Vorbereitung der jungen Menschen auf ihre Aufgabe als Eltern und um alle die Maßnahmen, die die qualitativen Aspekte der Bevölkerungsentwicklung sichern, z. B. medizinische und soziale Dienstleistungen und dergleichen. Von diesem Standpunkt aus versteht sich die Bevölkerungspolitik als untrennbarer Bestandteil der Politik des tschechoslowakischen Staates, dessen Hauptziel in der ständigen Erhöhung des Lebensniveaus der gesamten Bevölkerung besteht, das die materielle Grundlage für das Wachstum des Kulturniveaus schafft. Sie schafft gleichzeitig die Voraussetzungen für die weitere allseitige Entwicklung der Gesellschaft und in ihrem Rahmen für die jedes Individuums. Über eine Bevölkerungspolitik mit klar ausgeprägten Zielen hinsichtlich der Reproduktion der Bevölkerung in der C S S R kann man erst nach dem 2. Weltkrieg sprechen. Davor gab es Ziele auf dem Gebiet des Gesundheitswesens, der Senkung der Säuglingssterblichkeit und der Erhöhung der mittleren Lebenserwartung. Die Erfolge auf diesem Gebiet wurden regelmäßig im Rahmen der Volkswirtschaftspläne beurteilt. Anfangs wurde angenommen, daß mit dem Wachstum des Lebensstandards auch die Geburtenzahl steigen werde. Nur ihre spürbare Senkung in den 50er Jahren wurde zum Stimulus für verschiedene Maßnahmen einer Politik, die die Geburtenzahl förderte. Tatsächlich wurden Bevölkerungsmaßnahmen auf dem Gebiet der Tschechoslowakei schon früher durchgeführt. Schon vom Jahre 1888 an erhielten die versicherten Frauen eine soziale Unterstützung im Verlauf von 4 Wochen nach der Geburt und vom Jahre 1917 an für 6 Wochen. Nach Gründung der Tschechoslowakischen Republik im Jahre 1918 wurde offiziell die Emigration gefördert, aber die bevölkerungspolitischen Maßnahmen verbesserten sich weiter. Im Jahre 1920 wurde der Schwangerschaftsurlaub auf 6 Wochen vor der Geburt und 6 Wochen nach der Geburt verlängert; im Verlaufe dieser gesamten Zeit wurden Unterstützungen von der Sozialversicherung gezahlt. Die Arbeiterinnen in den staatlichen und gesellschaftlichen Einrichtungen und die Lehrerinnen erhielten vom J a h r 1926 an im Verlauf von 3 Monaten 80 Prozent des Lohnes, und die Arbeiterinnen in den Privatbetrieben erhielten vom Jahre 1936 an den regulären Lohn im Verlaufe von 6 Wochen ihres Schwangerschaftsurlaubs. Außerdem gab es Unterstützung für die Ernährung im Verlauf von 12 Wochen nach der Geburt. Im Jahre 1944 wurde für alle arbeitenden Frauen bei der Geburt des Kindes eine einmalige Unterstützung in Höhe von 100 bis 200 K c s gewährt. Unterstüt-

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zungen für Kinder gab es nur für das 1. und 2. Kind einer begrenzten Beschäftigtengruppe. Wichtige soziale Maßnahmen, die bevölkerungspolitischen Charakter trugen, wurden kurz nach 1945 eingeleitet. Es wurden Unterstützungen für die Kinder aller Beschäftigten und für alle Kinder unter gleichen Bedingungen eingeführt. Die Unterstützungen erhöhten sich entsprechend der Anzahl der Kinder in der Familie bis zum 5. Kind. Im Jahre 1948 wurde eine einheitliche Unterstützung für die Schwangerschaft eingeführt. Der Schwangerschaftsurlaub wurde bis auf 18 Wochen verlängert, und für diese ganze Zeit wurden Unterstützungen aus der Sozialversicherung gezahlt, die in der Tschechoslowakei von der Höhe des Lohnes abhängt. 1951 und 1953 wurden die Unterstützungen für Kinder nochmals erhöht. 1956 wurde der Schwangerschaftsurlaub einheitlich geregelt. Seine Dauer — 18 Monate — blieb erhalten, aber es wurde eine Unterstützung eingeführt, die 75 Prozent des Lohnes der Frauen betrug, die weniger als 2 Jahre gearbeitet haben, 80 Prozent bei den Frauen, die 2 bis 5 Jahre arbeiteten und 90 Prozent bei den Frauen, die mehr als 5 Jahre arbeiteten. Die einmalige Unterstützung bei Geburt des Kindes betrug 650 Kcs (ungefähr 65 Prozent des durchschnittlichen Monatslohnes der Frau). 1959 wurden die Preise für Kinderschuhe und Kinderbekleidung bedeutend gesenkt; diese Preissubventionen dauern bis in die heutige Zeit. Seit Beginn des Schuljahres 1960/61 erhalten die Schüler der Grund-, Mittel- und Spezialschulen sowie der Berufsschulen Schulbücher und Lehrmaterialien kostenlos. 1959 wurden die Unterstützungen für Kinder, besonders für das 3. und alle folgenden Kinder erneut erhöht. Bei Arbeitenden mit einem höheren Gehalt wurden die Unterstützungen vom 1. bis 3. Kind gesenkt. 1964 wurde für die Frauen in Abhängigkeit von der Kinderzahl ein differenziertes Rentenalter und für staatlichen Wohnraum eine geringere Miete eingeführt. Die nächste spürbare Verlängerung des Schwangerschaftsurlaubes — bis zu 22 Wochen — wurde 1964 durchgeführt. Bestimmte Vorteile erhielten zum ersten Male alleinstehende Mütter, deren Schwangerschaftsurlaub auf 26 Wochen verlängert wurde. Die nächste Erhöhung der Unterstützung für Kinder erfolgte 1968. Gleichzeitig damit wurden die sozialen Kriterien für die Gewährung dieser Unterstützung beseitigt, die 1959 eingeführt worden waren. Der Schwangerschaftsurlaub wurde auf 26 Wochen festgelegt, und die Frau erhielt das Recht auf einen weiteren unbezahlten Urlaub bis zum 2. Lebensjahr des Kindes bei Beibehaltung des Rechts auf Erhaltung des Arbeitsplatzes, der vor dem Urlaub eingenommen wurde. Vom 1. Juni 1970 55

an wurde eine Schwangerschaftsunterstützung in Höhe von 500 Kös monatlich für diejenigen arbeitenden Frauen mit mindestens 2 Kindern eingeführt, die sich nach Ablauf des gewährten Schwangerschaftsurlaubs noch zu Hause um ihre Kinder kümmern wollen, bis zur Vollendung des 1. Lebensjahres des jüngsten Kindes. Seit 1. November 1971 wird diese Schwangerschaftsunterstützung bis zur Vollendung des 2. Lebensjahres des jüngsten Kindes gezahlt und betrifft alle Frauen, darunter auch Hausfrauen. Die letzten bevölkerungspolitischen Maßnahmen wurden am 1. Januar 1973 eingeleitet. Es wurden die Unterstützungen für das 2., 3. und 4. Kind erhöht, und vom April 1973 wurde ein Kredit für junge Eheleute zur Anschaffung und Einrichtung der Wohnung mit günstigen Rückzahlbedingungen nach der Geburt des Kindes eingeführt. Wir möchten noch einen kurzen Überblick über gegenwärtige bevölkerungspolitische Maßnahmen in der Tschechoslowakei und darüber hinaus anführen. 1970 betrug die gesellschaftliche Unterstützung für die Familien 20 Mrd. Kcs, 1973 — 24,1 Mrd. Kcs, wobei die direkte finanzielle Unterstützung 1970 — 10,2 Mrd. Kcs und 1973 — 14,6 Mrd. Kcs betrug. Allein für Kindergeld wurden 1970 7,6 Mrd. Kcs und 1973 10 Mrd. Kcs ausgegeben; für die Senkung der Lohnsteuer 4,7 Mrd. Kös, für finanzielle Unterstützung während der Schwangerschaft (Schwangerschaftsurlaub) 1,4 Mrd. Kcs, für Unterstützungen während der Schwangerschaft 1,1 Mrd. Kcs, für Preissubventionen für Kinderbekleidung und Kinderschuhe 1,4 Mrd. Kcs. usw. (Die letzten Angaben beziehen sich auf das Jahr 1973.) Das Kindergeld betrifft alle unterhaltsabhängigen Kinder bis zum 15. Lebensjahr oder bis zum 26. Lebensjahr in dem Falle, wenn sie sich auf einen Beruf vorbereiten (wenn sie sich in der Ausbildung befinden) oder nichtarbeitsfahig, krank sind, oder geistig oder physisch geschädigt sind. Die Beihilfe für 1 Kind beträgt 90 Kcs, für 2 Kinder 430 Kcs, für 3 Kinder 880 Kcs, für 4 Kinder 1280 Kcs und dann für jedes weitere Kind darüber hinaus 240 Kcs. Die gegenwärtige Unterstützung für das 1. Kind beträgt ca. 4,3 Prozent des monatlichen Durchschnittslohnes, für 2 Kinder 20,5 Prozent, für 3 Kinder — 42 Prozent, für 4 Kinder — 61 Prozent und für 5 Kinder — 72,5 Prozent. Außerdem erhält die Familie bei Geburt des ersten Kindes im Durchschnitt 200 Kcs in Form einer Lohnsteuersenkung. Neben der normalen Unterstützung erhält die Familie noch 300 Kcs monatlich für jedes invalide Kind. Die Unterstützung für Kinder erhalten alle werktätigen tschechoslowakischen Bürger (Familien), alle Selbständigen (Einzelbauern, Künstler), alle Arbeitssuchenden, Lernende usw. Die Geldzuwendung für die Schwangerschaft ist ein bezahlter Tarif-

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urlaub für 26 Wochen, der 90 Prozent des durchschnittlichen Nettolohnes ausmacht. Die Bedingung für seine Gewährung sind 270 gearbeitete Tage im Verlauf der beiden letzten Jahre vor der Geburt. Die Unterstützung bei der Geburt des Kindes — 2000 Kcs — erhalten alle Frauen. Bei Geburt von Drillingen erhält die Mutter zusätzlich 9000 Kcs. Die Frauen können unbezahlten Urlaub bis Vollendung des 2. Lebensjahres des Kindes erhalten. In dem Fall, daß sie mindestens zwei Kinder betreuen und nicht arbeiten, erhalten sie Schwangerschaftsunterstützung in Höhe von 500 Kcs monatlich bis zur Vollendung des 2. Lebensjahres des jüngsten Kindes. Außerdem haben die Frauen, die infolge von Schwangerschaft gezwungen sind, eine niedriger bezahlte Tätigkeit anzunehmen, das Recht auf eine Ausgleichszahlung im Verlauf der Schwanger- und Mutterschaft, die den Lohn auf seine ursprüngliche Höhe ausgleicht. Von den anderen bevölkerungspolitischen Maßnahmen möchte ich die kostenlose Ausgabe von Lehrbüchern und Lernmaterialien nennen, des weiteren Subventionen für Kinderkrippen, für Schulspeisung, für Kindergärten, für die Senkung der Miete (5 Prozent beim 1. Kind, 15 Prozent beim 2., 30 Prozent beim 3. und 50 Prozent bei 4 und mehr Kindern), Kredite zur Anschaffung und Einrichtung der Wohnung (bei Geburt und Vollendung des 1. Lebensjahres des 1. Kindes wird er mit 2000 Kcs getilgt, bei Geburt der folgenden Kinder und Einhaltung analoger Bedingungen wird er mit 4000 Kcs getilgt; dabei haben die Kredite einen günstigen Zinssatz), ein differenziertes Rentenalter (für Frauen mit 5 und mehr Kindern — 53 Jahre, mit 3 und 4 Kindern — 54 Jahre, mit zwei Kindern — 55 Jahre mit 1 Kind — 56 Jahre und ohne Kinder 57 Jahre), kostenlose Gesundheitsfürsorge u. a. Viele dieser Maßnahmen gehen über den Rahmen nur bevölkerungspolitischer Maßnahmen hinaus. Neben der Durchführung direkter materieller Maßnahmen wird der Erziehung der künftigen Eltern immer größere Aufmerksamkeit gewidmet, besonders an den Schulen, in der Armee, aber auch in den Massenmedien. Es werden die Beratungen vor und nach der Eheschließung erweitert. In diesem Zusammenhang wird dem Problem der Schwangerschaftsunterbrechung besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Seit dem 1. Januar 1957 kann die Schwangerschaft nicht nur aus gesundheitlichen Gründen unterbrochen werden, sondern auch aus anderen triftigen Gründen. Hierzu gehört z. B. ein fortgeschrittenes Alter, mindestens 3 lebende Kinder, der Verlust des Ehegatten oder Invalidität, Zerrüttung des Familienlebens, die Gefahr der Senkung des Lebensstandards der Familie in dem Fall, daß dieser in erster Linie von der Frau abhängt, in 57

dem Fall, wenn die Schwangerschaft eine Folge von Vergewaltigungen ist oder in dem Falle, daß sich die unverheiratete Frau in einer schwierigen Lage befindet. Die Maßnahmen, die die Unterbrechung der Schwangerschaft betreffen, zeugen davon, daß, obwohl die tschechoslowakische Bevölkerungspolitik ihrem Charakter nach eine die Geburtenzahl fördernde. Politik ist, sie in erster Linie die Gesundheit der Frau und der Familie, die allseitige Entwicklung der Persönlichkeit und die Erhöhung des Lebensstandards aller Bevölkerungsgruppen zum Inhalt hat. Sie ist ein untrennbarer Bestandteil der Gesamtpolitik der sozialistischen Tschechoslowakei.

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IOAN COP1L

Synthese zur Entwicklung der demographischen Erscheinungen in Rumänien

1. Die Entwicklung der demographischen Erscheinungen Die vielfaltigen wirtschaftlichen und sozialen Maßnahmen, die den Inhalt der Bevölkerungspolitik Rumäniens ausmachen, sind ein wesentlicher Teil der gesamten Wirtschafts- und Sozialpolitik des Landes. Die Erfolge der staatlichen Bevölkerungspolitik beruhen auf den Verfassungsprinzipien und finden ihren Ausdruck in der Stärkung der Familie, in den Bemühungen, den Lebensstandard fortwährend zu steigern und den Gesundheitszustand der Familienmitglieder zu verbessern sowie Mutter und Kind zu schützen. Der Verlauf der demographischen Entwicklung Rumäniens steht in engster Beziehung zu den grundlegenden sozialistischen Veränderungen des politischen und wirtschaftlichen Lebens des Landes v Diese Veränderungen hatten einen starken Einfluß auf Zahl und Struktur der Bevölkerung und auf eine grundlegende Verwandlung bezüglich des Verhältnisses innerhalb der in der Landwirtschaft beschäftigten Bevölkerung, deren Zahl im Vergleich zu jenen Arbeitskräften, die in anderen Zweigen der Volkswirtschaft beschäftigt sind, ständig zurückging. Weiterhin sank der Anteil der Landbevölkerung. Beträchtliche Wandlungen vollzogen sich in der Sozial- und Berufsstruktur der Bevölkerung.

1.1. Die Zuwachsrate der Bevölkerung Am 1. Januar 1973 umfaßte die Bevölkerungszahl Rumäniens 20900000 Einwohner; eine Zahl, die Rumänien die 9. Stelle im Rahmen der europäischen Länder einnehmen ließ. In der Nachkriegszeit hat die Zuwachsrate der Bevölkerung als direkte Folge der beiden grundlegenden Größen der natürlichen Bevölkerungsbewegung — die Geburtenentwicklung und die Sterblichkeit — recht unterschiedliche Werte angenommen.

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Während der Zeitspanne 1946—1951 betrug die durchschnittliche Zuwachsrate der Bevölkerung 0,9 Prozent. Dieser Wert gründet sich auf eine hohe Geburtenhäufigkeit sowie eine hohe Sterblichkeit. Der bedeutende Rückgang der Sterblichkeit im Zeitraum 1951 — 1956 bei gleichzeitig weiterbestehender hoher Geburtenhäufigkeit (23—26 auf 1000 der Bevölkerung) hatte .eine wesentlich höhere Zuwachsrate der Bevölkerung (1,3 Prozent) zur Folge. Im Laufe der fünf folgenden Jahre (1956— 1961) hat sich die durchschnittliche Jahreszuwachsrate auf einem ziemlich hohen Niveau gehalten (1,1 Prozent), obwohl die Geburtenhäufigkeit zu sinken begann. Die Zeitspanne 1961 — 1966 ist durch die geringste Zuwachsrate charakterisiert, die nach dem Krieg verzeichnet wurde (0,6 Prozent). Infolge der Ende 1966 getroffenen Maßnahmen stieg die Zuwachsrate der Bevölkerung erneut (1,3 Prozent für die gesamte Periode 1966-1973). 1.2. Bevölkerungsstruktur Was die Bevölkerungsstruktur nach Altersgruppen anbelangt, ist die Nachkriegsperiode — und vor allem das letzte Jahrzehnt — infolge des Rückganges der Geburtenhäufigkeit in den Jahren 1956 bis 1966 durch eine Intensivierung des demographischen Alterns der Bevölkerung gekennzeichnet. Die Veränderungen der Altersstruktur beziehen sich fast ausschließlich auf die Altersgruppen von 0 bis 14 Jahren und von 60 Jahren an aufwärts, während die Bevölkerqngsgruppe zwischen 15 und 59 Jahren nur wenige Schwankungen zeigt. So kommt es, daß am 1. Juli 1973 die Altersgruppe über 60 Jahren 14 Prozent der Gesamtbevölkerung des Landes darstellte, während es 1956 noch 9,9 Prozent waren. 1973 betrug der Anteil der Altersgruppe zwischen 0 und 14 Jahren 25 Prozent im Vergleich zu 28 Prozent im Jahr 1956. 1.3. Die Geburtenziffer Die Geburtenziffer blieb in Rumänien nach dem 2. Weltkrieg ein ganzes Jahrzehnt hindurch (1946 bis 1956) auf dem ziemlich hohen und konstanten Niveau von ca. 24—26 auf 1000 der Bevölkerung. Diese Stabilitätserscheinung erklärt sich aus der Vielzahl von Ehen, die während des Krieges aufgeschoben werden mußten, und denen dann eine bedeutende Anzahl von Kindern entsprungen sind. Die Jahre 1956 bis 1966 sind durch eine dauernde Tendenz der Abnahme der Geburtenziffer gekennzeichnet, und zwar von 24,2 am Anfang

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dieser Zeitspanne auf 14,3 am Ende, wobei dieser Wert der niedrigste war, den Rumänien je gekannt hat. Zu dieser Entwicklung hat in großem Maße die Abnahme der weiblichen Fruchtbarkeit beigetragen, die von 89,5 im Jahre 1956 auf 55,7 im Jahre 1966 (je 1000 der weiblichen Bevölkerung im fertilen Älter) gesunken ist. Die weibliche Fertilität ist maßgeblich von der Abnahme des Anteils der Frauen zwischen 20 und 29 Jahren beeinflußt worden, der von 33,2 Prozent im Jahre 1956 auf 28,8 Prozent im Jahre 1966 zurückging. Eine andere Entwicklungsphase der Geburtenhäufigkeit setzte nach 1966 ein. 1967 stieg die Geburtenziffer steil an und war auch 1968 sehr hoch. Danach ging sie ständig zurück — auf 21,1 im Jahre 1970 und 18,1 im Jahre 1973. Unter den Bedingungen der sehr hohen Geburtenhäufigkeit in der Zeit nach 1966 sind einige Veränderungen hervorzuheben, die das demographische Verhalten betreffen. Der Unterschied zwischen der Geburtenziffer in der Stadt und jener auf dem Land, der im Jahre 1966 noch bedeutend war (11,4 in der Stadt, 16,1 auf dem Land), reduzierte sich 1967 beträchtlich: 26,9 in der Stadt, 27,6 auf dem Land. Diese Annäherung erklärt sich durch den gestiegenen Geburtenbeitrag der weiblichen Stadtbevölkerung, die vor dem Jahre 1966 in weitaus stärkerem Maße von der Schwangerschaftsunterbrechung, die 1966 verboten wurde, Gebrauch machte. Der Anteil der Frauen aus der Stadt und Umgebung, die ihr zweites oder drittes Kind zur Welt gebracht haben, war größer als bei den Frauen auf dem Land. Letztere hatten zum größten Teil schon wenigstens zwei Kinder, als das Verbot der Schwangerschaftsunterbrechung in Kraft trat. Der augenblickliche Stand der weiblichen Fertilität sichert die Fortpflanzung der Bevölkerung auf einer viel breiteren Grundlage als im Jahre 1966. Die hypothetische Anzahl von Kindern, die eine Frau zwischen 15 und 49 Jahren auf die Welt bringen kann, beträgt unter den heutigen Fertilitätsbedingungen 2,9 gegenüber 1,9, der Bruttoindex der Fruchtbarkeit 1,4 gegenüber 0,9.

1.4. Allgemeine Sterblichkeit Die allgemeine Sterblichkeit sank nach dem zweiten Weltkrieg ständig, von 18,8 im Jahre 1946 auf 9,5 auf 1000 der Bevölkerung im Jahre 1970. In dieser Zeit wurde im Jahre 1964 mit 8,1 die niedrigste Sterblichkeit erreicht, die je in Rumänien verzeichnet wurde. Nach 1966 ist ein Anwachsen der allgemeinen Sterblichkeit festzustellen, zum Teil bedingt durch eine Zunahme der Säuglingssterblichkeit

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in den letzten Jahren. Diese Tendenz hatte aber nur zeitweiligen Charakter. Unter den Bedingungen der Abnahme der altersspezifischen Sterblichkeit ist die mittlere Lebenserwartung weiterhin gestiegen. Sie betrug 1970/72 69 Jahre, das sind 5 Jahre mehr als 1956 und 3 Jahre mehr als 1961. Die Säuglingssterblichkeit ist jene demographische Erscheinung, die am empfindlichsten auf die Veränderungen, die im sozialen und wirtschaftlichen Leben nach dem zweiten Weltkrieg eingetreten waren, reagiert hat: Von 164,1 gestorbenen Säuglingen auf 1000 Lebendgeborene im Jahre 1946 sank die Säuglingssterblichkeit im Jahre 1965 auf 44,1. Nach 1965 und vor allem 1968 und 1969 ist ein Anstieg festzustellen. Diese Verschlechterung hatte aber nur einen zeitweiligen Charakter: 1968 = = 59,5 Promille, 1969 = 54,9 Promille seit 1970 ist eine rückläufige Tendenz festzustellen: 1970 = 49,4 Promille, 1973 = 38,2 Promille. Spezifische Studien und Forschungen zu dieser Frage haben bewiesen, daß in Rumänien die Säuglingssterblichkeit zum größten Teil von exogenen Faktoren beeinflußt ist, eine Tatsache, die es erlaubt, in der Zukunft zugleich mit der Verbesserung der Umweltbedingungen in entscheidendem Maße diese Entwicklung zu verbessern.

1.5. Der Ehestand Der Ehestand hat in seinem Verlauf nach dem 2. Weltkrieg in Rumänien zwei bedeutende Phasen durchgemacht: Die Jahre zwischen 1946 und 1960 sind durch ein hohes Eheschließungsniveau gekennzeichnet: 10 bis 12 je 1000 der Bevölkerung. Das ist erstens eine Auswirkung des 2. Weltkrieges und zweitens eine Folge der großen Zahl von Ehescheidungen, die eine hohe Zahl neuer Eheschließungen ermöglicht. (Im Jahre 1965 waren zum Beispiel 25 Promille jener, die heirateten, Personen, die schon einmal geschieden waren.) Nach 1960 und vor allem nach 1966 ist im Verlauf der Eheschließungen eine abnehmende Tendenz festzustellen: 10,7 Promille im Jahre 1960, 8,9 Promille im Jahre 1966, 7,0 Promille im Jahre 1969, 7,3 Promille im Jahre 1971 und 8,2 Promille im Jahre 1973. Die Gründe dieser Abnahme liegen vor allem in der Verminderung der Anzahl der Scheidungen, die wenige neue Eheschließungen zur Folge hatten. Während im Jahre 1965 von 100 Personen, die heirateten, der Anteil jener, die nicht schon einmal verheiratet waren, 79,9 Prozent

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betrug, waren es im Jahre 1969 90,1 Prozent. Ein zweiter Grund, der zur Abnahme der Eheschließungen geführt hat, war die Veränderung der Altersstruktur der Bevölkerung. Im Vergleich zu 1963 hat zum Beispiel im Jahre 1969 die Zahl der Männer aus der Altersgruppe zwischen 20 und 24 Jahren um 8 Prozent abgenommen. Während derselben Zeitspanne nahm die Zahl der Frauen zwischen 20 und 24 um etwa 10 Prozent ab. Man kann ebenfalls feststellen, daß eine gewisse Veränderung im Eheschließungsverhalten stattgefunden hat, die sich darin äußert, daß der Anteil jung verheirateter Frauen (15—19 Jahre) als Folge verlängerter Ausbildung rege abnimmt.

2. Legislative Maßnahmen auf sozialer und wirtschaftlicher Ebene Die Untersuchung der demographischen Prozesse und Erscheinungen sowie ihr Zusammenhang mit der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung erfahren die größte Aufmerksamkeit seitens unserer Partei und unseres Staates. Die Frage der Familie und des Schutzes von Mutter und Kind widerspiegeln sich im Grundgesetz Rumäniens, in der Verfassung, in der es im Artikel 23 heißt: „Der Staat schützt die Ehe und die Familie und verteidigt die Interessen von Mutter und Kind." Dieses Prinzip der Verfassung wird mit Hilfe einer ganzen Reihe demographischer und anderer Maßnahmen verwirklicht. Es handelt sich um Maßnahmen, die im Zusammenhang mit den grundlegenden Fragen bezüglich der Fortpflanzung der Bevölkerung und der Zusammensetzung und Festigung der Familie getroffen wurden. Abhängig von der jeweiligen Lage und dem Verlauf der demographischen Erscheinungen, wie auch im Zusammenhang mit den finanziellen Möglichkeiten hat unser Staat eine Reihe von Maßnahmen getroffen, die unmittelbar oder mittelbar die Entwicklung der Bevölkerung beeinflußt haben. Zu den wichtigsten Maßnahmen, die in Rumänien auf sozialer und wirtschaftlicher Ebene getroffen wurden, gehören: 1. Staatliche Unterstützungen für Kinder. Sie werden in Rumänien seit 1956 gewährt. Die dafür zur Verfügung gestellten Mittel betragen für die Zeitspanne 1971 — 1975 über 33 Milliarden Lei. Im Vergleich zu 4,3 Milliarden Lei, die im Jahre 1970 gewährt wurden, belief sich diese Summe 1973 auf etwa 6,8 Milliarden Lei, was einen Zuwachs von 58 Prozent bedeutet. Entsprechend dem Dekret Nr. 285/1960 mit seinen nachträglichen Veränderungen erhalten die Familien der Arbeiter und Angestellten eine staatliche Unterstützung für ihre Kinder bis zum Alter

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von 16 Jahren, wobei die Maximalgrenze des monatlichen Einkommens, bis zu welcher der Staat Kindergeld zahlt, von 3500 auf 4000 Lei angehoben wurde. Die Unterstützungen werden differenziert gewährt. Einkommensgruppe

Zahl der Kinder in der Familie 2

weniger als 1500 Lei 1501-2000 Lei 2001-2500 Lei 2501-3000 Lei 3001-4000 Lei

3 und mehr

Stadt

Land

Stadt

Land

Stadt

Land

160 130 110

110

170 140 120 110

120 90 70 60

190 160 140 120 110

140 110 90 70 60

80

60

2. Seit Januar 1972 erhalten auch die Familienmitglieder, die in landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften tätig sind, ein staatliches Kindergeld. In den Familien, wo mindestens ein Mitglied in einer LPG arbeitet, wird eine monatliche Unterstützung von 50 Lei für jedes Kind unter 16 Jahren gewährt. 3. Entwicklung der Aufnahmemöglichkeiten in Kindergärten für eine größtmögliche Anzahl von Kindern sowohl in den Dörfern wie auch in den Städten, um die Lebensbedingungen kinderreicher Familien zu erleichtern. In den letzten Jahren sind die Aufnahmemöglichkeiten auf diesem Gebiet gestiegen. 1973 waren in Kindergärten und Kinderheimen 704900 Kinder eingeschrieben. 4. Die Unentgeltlichkeit des Unterrichts jeder Stufe und der Schulbücher trug in großem Maße dazu bei, die finanziellen Pflichten der Familien mit vielen Kindern zu erleichtern. 5. Die unentgeltliche ärztliche Betreuung für die gesamte Bevölkerung und unentgeltliche Arzneimittel für die Kinder unter 16 Jahren haben große Bedeutung für das Familienbudget. Ab 1. Juli 1971 erhalten die in LPG arbeitenden Frauen einen bezahlten Schwangerschaftsurlaub bis zu einer Dauer von 60 Tagen für die Periode vor und nach der Geburt. 6. Das Rentenalter verringert sich bei Frauen, die mehrere Kinder zur Welt gebracht haben, wie folgt: — um ein Jahr für jene, die 3 Kinder auf die Welt gebracht und sie bis zu 10 Jahren großgezogen haben; — um 2 Jahre für jene, die 4 Kinder auf die Welt gebracht und sie bis zu 10 Jahren großgezogen haben; 64

— um 3 Jahre für jene, die 5 Kinder auf die Welt gebracht und sie bis zu 10 Jahren großgezogen haben. Unter diesen Bedingungen kann eine Frau ihre Rechte geltend machen, wenn sie gegebenenfalls erst 52 Jahre alt ist. 7. Seit 1966 wird bei der Geburt des dritten und der folgenden Kinder ein Betrag von 1000 Lei ausgezahlt. 8. Um den Müttern zu helfen, deren Kinder jünger als 6 Jahre sind, wurde die Möglichkeit erwogen, diese Frauen auf ihr Ersuchen mit halber Norm anzustellen. Die gesetzliche Regelung der Rentenberechnung sieht vor, daß für die Feststellung der Dienstjahre auch diese nur mit halber Norm gearbeitete Zeit in Betracht gezogen wird. 9. Der Zentralrat der Gewerkschaften Rumäniens und das Volksbildungsministerium stellen vor allem kinderreichen Familien Ferienplätze zur Verfügung. Die Kinder dieser Familien werden bei der Verteilung der Plätze für Kinderferienlager stets bevorzugt. Die Familien, die drei und mehr Kinder haben, können diese kostenlos verschicken.

1971 erließ der rumänische Staat das Gesetz Nr. 3/1971, demzufolge eine Kommission für Demographie als Organ des Staatsrates gegründet wurde. 1973 wurden demographische Bezirkskommissionen und eine solche für die Hauptstadt Bukarest gebildet. Die Hauptaufgabe dieser Kommission ist die Untersuchung des Verlaufs der demographischen Erscheinungen und Prozesse, die Ausarbeitung von Studien zu Systematisierungs- und Urbanisierungsfragen und ihren demographischen Auswirkungen sowie von Perspektivstudien über die Auswirkungen, die sich aus der Bevölkerungsentwicklung ergeben. Auf der Grundlage dieser Studien werden dem Staatsrat, dem höchsten Organ der Staatsmacht, Vorschläge unterbreitet. Die Landeskommission für Demographie arbeitet eng mit der Akademie der Wissenschaften und anderen Forschungsinstituten zusammen. Zu ihren Mitgliedern zählen Wissenschaftler aus Forschung und Lehre, andere Fachkräfte aus den Gebieten, die unmittelbar mit den demographischen Fragen verbunden sind, sowie Vertreter einer ganzen Reihe von Ministerien, Zentralorganen, gesellschaftlichen Organisationen usw.

5

Dmogragikie

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Sozialökonomische Maßnahmen in Rumänien 1. Die Unterstützung der Mutterschaft 1.1 Gemäß Beschluß des Ministerrates Nr. 880/1965 wird aus Mitteln der Sozialversicherung ein bezahlter Schwangerschaftsurlaub von 112 Tagen gewährt. 1.2. Die durchschnittliche Tagesunterstützung beträgt 62 Prozent vom täglichen Durchschnittsverdienst. 1.3. Die Entwicklung der hierfür aufgewendeten Mittel betrug (in Millionen Lei): 1971 1972 1973 321,2 345,3 377,6 2. Urlaubsgewährung, um erkrankte Kinder zu pflegen 2.1. Bis zum Alter des Kindes von 3 Jahren wird gemäß Beschluß Nr. 880/1965 des Ministerrates ein bezahlter Urlaub für die Pflege des erkrankten Kindes gewährt. 2.2. Die durchschnittliche Tagesunterstützung beträgt 55 Prozent des täglichen Durchschnittsverdienstes. 2.3. Gemäß Verordnung des Arbeitsgesetzbuches (Art. 158) können Frauen, die ein Kind unter 6 Jahren haben, ihre Arbeit unterbrechen oder ihre Arbeit mit halber Norm fortsetzen, wobei ihnen im ersten Fall keine Unterbrechung der Arbeitsjahre angerechnet und im zweiten Fall die halbe Norm als ganze angerechnet wird. 3. Die Arbeit der Frauen (Art. 153,154 und 156 des Arbeitsgesetzbuches) 3.1. Schwangere Frauen ab sechsten Schwangerschaftsmonat und stillende Mütter dürfen nicht in Nachtschichten oder an Arbeitsplätzen mit schweren oder gefahrlichen Arbeiten oder an solchen, die der Arzt nicht für angemessen hält, beschäftigt werden. Außerdem sind diese Frauen von allen Überstunden befreit. 3.2. Die Betriebe sind verpflichtet, den Frauen während der Arbeit Pausen zu gewähren, die es ihnen erlauben sollen, die Kinder zu stillen und zu pflegen; Pausen von zwei Stunden pro Tag, bis das Kind das Alter von 9 Monaten erreicht hat, wobei diese Pausen bis zu 12 Monaten verlängert werden können, wenn das Kind vorzeitig auf die Welt gekommen ist.

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4. Die ärztliche Betreuung 4.1. Die ärztliche Betreuung hat vor allem prophylaktischen Charakter. Sie ist unentgeltlich, ebenso wie die Arzneimittelversorgung. 4.2. Die Ausgaben für das Gesundheitswesen haben sich wie folgt entwickelt (in Milliarden Lei): 1955 1960 1965 1970 1973 1,8 3,0 4,8 6,9 8,4 5. Die vom Staat gewährte

Kinderunterstützung

5.1. Die Entwicklung der zu diesem Zweck zur Verfügung gestellten Mittel betrug (in Milliarden Lei): 1956 1960 1965 1970 1971 0,2 1,7 2,7 4,2 5,0 6. Andere Kategorien von

Unterstützungen

Die Entwicklung der für andere Kategorien von Unterstützungen (Geburtenbeihilfen, Hilfen für Mütter mit mehreren Kindern, Familienbeihilfen, Unterstützungen für Frauen, deren Gatten ihren Wehrdienst ableisten) gewährten Mittel betrug 1973 etwa 200 Millionen Lei.

5'

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Tabellenanhang Tabelle 1 Bevölkerung nach dem Geschlecht Jahr

29. Dezember 1930' 25. Januar 1948> 21. Februar 1956' 1. Juli i960' 1. Juli 1965» IS. März 1966' 1. Juli 1970 1. Juli 1971 1. Juli 1972 1. Juli 1973 1

Bevölkerung in 1000

von 100 der Bevölkerung waren

Insgesamt

Männer

Frauen

Männer

Frauen

14281 15873 17489 18403 19027 19103 20253 20470 20663 20828

7016 7672 8503 8982 9316 9351 9945 10056 10156 10244

7265 8201 8986 9422 9712 9752 10308 10413 10506 10584

49,1 48,3 48,6 48,8 49,0 49,0 49,1 49,1 49,2 49,2

50,9 51,7 51,4 51,2 51,0 50,9 50,9 50,9 50,8 50,8

Volkszfthlungscrgebnis

Tabelle 2 Bevölkerung nach Stadt und Land, Bevölkerungsdichte Jahr

Bevölkerung in 1000 Stadt Land

Anteil in % Stadt Land

Einwohner auf 1 km*

29. Dezember 1930" 25. Januar 1948> 21. Februar 19561 1. Juli 1960 1. Juli 1965 15. März 1966' 1. Juli 1970 1. Juli 1971 1. Juli 1972 1. Juli 1973

3051 3713 5474 5912 6418 7306 8258 8423 8591 8761

21,4 23,4 31,3 32,1 33,7 38,2 40,8 41,1 41,6 42,1

60,1 66,8 73,6 77,4 80,1 80,4 85,3 87,0 87,0 87,7

1

Volk&zählungsergebnis

68

11229 12159 12015 12491 12610 11797 11994 12047 12072 12067

78,6 76,6 68,7 67,9 66,3 61,8 59,2 58,9 58,4 57,9

Tabelle 3 Natürliche Bevölkerungsbewegung Jahr

Bevölkerungszahl (1-. Juli) (in 1000)

Lebend- Gegeborene storbene

natürlieber Zuwachs

EheschlieBungen

1930 1931 1932 1933 1934 1935 1936 1937 1938 1939 1940

14141 14355 14554 14730 14924 15069 15256 15434 15601 15751 15907 15791 15849 15893 16084 16311 16464 16630 16847 17040 17325 17583 17829 18056 18226 18403 18567 18681 18813 18927 19027 19141 19285 19721 20010 20253 20470 20663 20900

482 472 510 459 468 453 482 471 460 445 414

273 294 307 272 296 303 295 292 298 287 301

209 178 203 187 172 151 183 179 162 159 114

133 133 137 123 136 134 143 146 140 127 139

391 371 380 444 427 413 413 402 422 443 426 408 391 368 352 325 302 295 287 278 274 528 526 466 427 400 389 377

296 349 248 220 202 210 195 195 195 168 175 182 157 187 161 162 172 156 152 163 157 179 189 201 193 194 190 204

95 21 132 224 225 203 218 207 227 275 251 226 234

186 155 179 186 190 170 169 175 206 197 205 204

181

195 198 180 185 175 170 164 171 154 147 140 146 150 157 170

1946 1947 1948 1949 1950 1951 1952 1953 1954 1955 1956 1957 1958 1959 1960 1961 1962 1963 1964 1965 1966 1967 1968 1969 1970 1971 1972 1973

192 163 130 139 135 115 116 349 338 265 234 206 199 173

211

Ehescheidüngen 6,3 6,6 6,7 7,0 7,7 8.5 9.6 10,8

11.4 9,2

Gestorbene unter 1 Jahr 85 83 93 78 83 82 82 82 82 76

8,0 21.5 19.6 17,9 21,3 23,9 20.3 23.4 21,9 28,6 31,1 29,1 33,1 35,4 30,9 36,9 33,4 38.1 36.2 35.1 36,9 25,8 _i 4,0 7,0 7,9 9,6 11.3 14.2

64 74 54 61 50 49 43 39 37 35 35 33 28 28 27 23 18 16 14 12,2 12,7 24,6 34.3 25,6 21,1 17,0 15,6 14.4

i Durch das Dekret Nr. 779/196« sind verschiedene Vorschriften Qber die Ehescheidungen geändert worden.

Tabelle 4 Ziffern der natürlichen Bevölkerungsbewegung Jahr

Lebendgeborene

Gestorbene

natürlicher Zuwachs

Eheschließungen

Ehescheidungen

Gestorbene unter 1 Jahr je 1000 Lebendgeborene

(in Promille) 1930 1931 1932 1933 1934 1935 1936 1937 1938 1939 1940

34,1 32,9 35,1 31,2 31,4 30,1 31,6 30,5 29,5 28,3 26,0

19,3 20,5 21,1 18,5 19,9 20,1 19,3 18,9 19,1 18,2 18,9

14,8 12,4 14,0 12,7 11,5 10,0 12,3 11,6 10,4 10,1 7,1

9,4 9,3 9,4 8,3 9,1 8,9 9,3 9,5 9,0 8,1 8,7

0,45 0,46 0,46 0,47 0,52 0,56 , 0,63 0,70 0,73 0,59 0,50

1946 1947 1948 1949 1950 1951 1952 1953 1954 1955 1956 1957 1958 1959 1960 1961 1962 1963 1964 1965 1966 1967 1968 1969 1970 1971 1972 1973

24,8 23,4 23,9 27,6 26,2 25,1 24,8 23,8 24,8 25,6 24,2 22,9 21,6 20,2 19,1 17,5 16,2 15,7 15,2 14,6 14,3 27,4 26,7 23,3 21,1 19,5 18,8 10,1

18,8 22,0 15,6 13,7 12,4 12,8 11,7 11,6 11,5 9,7 9,9 10,2 8,7 10,2 8,7 8,7 9,2 8,3 8,1 8,6 8,2 9,3 9,6 10,1 9,5 9,5 9,2 9,8

6,0 1,4 8,3 13,9 13,8 12,3 13,3 12,2 13,3 15,9 14,3 12,7 12,9 10,0 10,4 8,8 7,0 7.4 7,1 6,0 6,1 18,1 17,1 13,2 11,6 10,0 9,6 8,3

11,8 9,8 11,2 11,6 11,7 10,3 10,2 10,4 12,1 11,4 11,7 11,4 11,7 10,7 10,7 9,7 9,9 9,3 9,0 8,6 8,9 8,0 7,5 7,0 7,2 7,3 7,6 8,2

1,36 1,23 1,12 1,33 1,47 1,23 1,41 1,30 1,68 1,80 1,66 1,86 1,96 1,69 2,01 1,80 2,04 1,92 1,86 1,94 1,35 0,20 0,35 0,39 0,47 0,54 0,68

175,6 175,3 181,5 169,6 177,6 181,0 170,3 173,5 179,0 170,2 -

164,1 198,8 142,7 136,3 116,7 118,1 104,7 96,3 88,8 78,3 81,5 80,9 69,4 75,5 74,6 69,4 58,8 55,2 48,6 44,1 46,6 46,6 59,5 54,9 49,4 42,4 40,0 38,2

J . K . KOZLOV

Die Reproduktion der Bevölkerung als Gegenstand der Planung mit Hilfe von Zielprogrammen in den sozialistischen Ländern

Der Grundgedanke der Vervollkommnung der Methodologie der Planung und Leitung durch die Programmierung besteht darin, daß die Bestimmung sozialökonomischer Ziele und Wege der effektiven Realisierung der gesellschaftlichen Entwicklung zu einem zentralen Moment der Ausarbeitung von Plänen der Entwicklung der Volkswirtschaft wird. Ein Programm besteht bekanntlich aus einem Komplex miteinander verbundener sozialer, ökonomischer, wissenschaftlicher, technischer Pläne, Produktionspläne sowie,organisatorischer und juristischer Maßnahmen, die zur Erreichung bestimmter Ziele führen. Solche Programme müssen die Rolle der Zweige der Volkswirtschaft eines Landes, aber auch der Wirtschaft der einzelnen Regionen bei der Erfüllung der gesteckten Ziele bestimmen, die wichtigsten Verflechtungsbeziehungen in der Volkswirtschaft aufzeigen und die Auswahl der effektivsten Variante der Lösung der entsprechenden Aufgabe gewährleisten. Das sozialökonomische Programm für eine längere Periode ist die Grundlage der Strategie der Entwicklung der sozialistischen Volkswirtschaft. Der Aufbau der kommunistischen Gesellschaft erfordert — wie im Programm der KPdSU aufgezeigt — die Lösung einer dreifachen Aufgabe, nämlich die Schaffung der materiell-technischen Basis des Kommunismus, kommunistischer Beziehungen und die Erziehung des Menschen der kommunistischen Gesellschaft. Jede dieser Aufgaben kann wieder untergliedert werden. So erfordert die Schaffung der materielltechnischen Basis des Kommunismus die Vervollkommnung der Produktionsmittel und die Erhöhung des Qualifikationsniveaus der Produktionsarbeiter. Die Herausbildung kommunistischer Beziehungen ist durch den Übergang zur kommunistischen Form des Eigentums, dpn Aufbau der klassenlosen Gesellschaft und den Übergang zum kommunistischen Verteilungsprinzip der Güter gekennzeichnet. Die Erziehung der sowjetischen Menschen schließt einen breiten Kreis von Aufgaben 71

ein, die mit der ideologischen Arbeit der Partei, der Entwicklung der Bildung, Wissenschaft und Kultur verbunden sind. Da die Grundlage der Lösung aller Aufgaben des kommunistischen Aufbaus die ökonomische Entwicklung ist, besteht die Grundlinie des sozialökonomischen Programms im Aufzeigen der Wege und Mittel des wirtschaftlichen Aufschwungs. Es muß eine Vielzahl von Aufgaben gelöst werden, deren Ziel letztlich in der besseren Befriedigung der materiellen und geistig-kulturellen Bedürfnisse der Bevölkerung besteht. Die Befriedigung der Bedürfnisse der Bevölkerung und Bereitstellung der materiellen und geistigen Güter gliedert sich in weitere Teilaufgaben auf, so daß man eine Reihe detaillierter sozialökonomischer Programme formulieren kann, die die Erreichung einer Vielzahl konkreter Ziele vorsehen. Wir meinen, daß zu den wichtigsten Programmen dieser Art das sozialökonomische Programm der Reproduktion der Bevölkerung eines Landes gehören muß. Da jedes dieser Programme ein Ausgangsziel bestimmt, das durch die Zielbaummethode einer weiteren hierarchischen Detaillierung unterworfen werden kann, ist es notwendig, auch das Ziel für die Programmierung der Reproduktion der Bevölkerung möglichst genau zu formulieren. Nicht selten begegnet man einer solchen Auffassung, daß dieses Ziel in der Gewährleistung des höchsten Wohlstandes und der harmonischen Entwicklung aller Gesellschaftsmitglieder bestehe. Es ist unumstritten, daß beim gegenwärtigen Entwicklungsstand das Endziel in einer von Klassenantagonismen freien Gesellschaft besteht. Seine Erreichung ist jedoch zugleich auch das höchste Ziel, das auf jedem anderen Gebiet der Planung und Planrealisierung der sozialökonomischen Programme angestrebt wird. Das Programm, von dem hier die Rede ist, ist wie die anderen Programme ebenfalls auf die Befriedigung der grundlegenden Bedürfnisse der Gesellschaft gerichtet. Aber hier geht es um solche Bedürfnisse, die mit der Reproduktion einer Generation in ihren notwendigen qualitativen und quantitativen Parametern zusammenhängen. Anders ausgedrückt, muß das praktische Arbeitsziel aller Bemühungen, die für die Verwirklichung einer für die Gesellschaft notwendigen demographischen Entwicklung unternommen werden, die Befriedigung der Bedürfnisse im Verlaufe einer Generation sein. Daher unterscheiden wir bei diesem Bedürfnis eine gesellschaftliche und eine individuelle Seite: Erstens ist es notwendig, ständig den natürlichen Abgang der Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter auszugleichen, da diese Bevölkerung die Hauptproduktivkraft, die Grundlage des gesamten menschlichen Reichtums ist. 72

Zweitens muß dem natürlichen Streben des menschlichen Individuums nach Nachkommenschaft entsprochen werden. Wir meinen, daß die Ziele der ersten Stufe unseres Programm-ZielBaumes (die unmittelbar mit dem Ausgangsziel zusammenhängen) dementsprechend folgendermaßen aussehen können: 1. Erreichung bestimmter quantitativer Kennziffern der demographischen Entwicklung und der Beschäftigung (Geburtenrate, Sterblichkeit, Koeffizient des Umschlagens der Bevölkerung, mittlere Lebenserwartung, Anteil der in der gesellschaftlichen Produktion Beschäftigten, Verhältnis zwischen den in der produzierenden und in der nichtproduzierenden Sphäre Beschäftigten, Veränderung des Anteils der in der Landwirtschaft Beschäftigten); 2. Erreichung bestimmter qualitativer Kennziffern der demographischen Entwicklung und der Beschäftigung (Bildungsniveau der Bevölkerung, Gesundheitszustand der Bevölkerung; Niveau der Berufsausbildung der Bevölkerung, sozialökonomische Struktur der Bevölkerung). Die Kennziffern in den Klammern drücken dabei die Ziele aus, die man in die zweite Stufe des Zielbaumes einführen kann. Zur Realisierung der festgelegten Ziele muß man folgende Maßnahmen planen: 1. Maßnahmen, die eine direkte Auswirkung auf die Geburtenrate haben, 2. Maßnahmen zur Entwicklung von Arbeitskräfteressourcen, 3. Maßnahmen zum rationellen Einsatz der Arbeitskräfte. Bei richtigem Herangehen an die Bestimmung der Ziele des sozial-ökonomischen Programms der Bevölkerungsentwicklung wird die Spezifik dieses Programmes, sein besonderer Platz in der allgemeinen sozialökonomischen Politik des Staates und seiner Planung berücksichtigt und wird deutlich das Tätigkeitsfeld der demographischen Politik abgegrenzt. Die Effektivität der Realisierung des sozialökonomischen Programmes der Reproduktion der Bevölkerung hängt in nicht geringem Maße von der Bedeutung ab, die die Planungsorgane diesem Problem beimessen. Nach unserer Meinung ist die Reproduktion der Bevölkerung eine der wichtigsten Sphären des Lebens der sozialistischen Gesellschaft neben der Sphäre der Produktion materieller Güter und Leistungen, der Befriedigung der materiellen und geistigen Bedürfnisse der Gesellschaftsmitglieder, der Vervollkommnung der gesellschaftlichen Verhältnisse und der Formung der Persönlichkeit der Mitglieder der Gesellschaft.

73

B E R N D T MUSIOLEK

Zur Rolle demographischer Faktoren bei der Leitung und Planung sozialer Prozesse

In jüngerer Zeit veröffentlichte Forschungsarbeiten zu Problemen der Demographie1 wenden sich verstärkt der Untersuchung von Tendenzen der Bevölkerungsentwicklung in der Deutschen Demokratischen Republik, dem Einfluß demographischer Faktoren auf die Sozialstruktur und der Erkennung von Gesetzmäßigkeiten der Bevölkerungsbewegung zu. Sowohl die gegenwärtige Situation des Bevölkerungswachstums als auch die Frage der Rolle demographischer Faktoren bei der weiteren Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft, ihrem Hinüberwachsen in die zweite Phase der kommunistischen Gesellschaftsformation, machen die weitere und intensive Bearbeitung demographischer Probleme aus theoretischer Sicht und als Entscheidungsgrundlagen für staatliche Maßnahmen dringlich. Es ist Khalatbari zuzustimmen, wenn er die Dominanz der Produktionsweise gegenüber der Bevölkerungsentwicklung nachweist2 und zu dem Ergebnis kommt, „daß die ökonomischen Gesetze der neuen Produktionsweise die Bevölkerungsgesetze letzten Endes bestimmen" 3 . Natürlich darf man aus dieser grundlegenden Beziehung keine einseitige Abhängigkeit der Bevölkerungsentwicklung aus der ökonomischen Entwicklung ableiten, diese wird vielmehr in vollem Umfang wirksam, wenn sie in den Zusammenhang mit dem Sinn des Sozialismus gestellt wird, „alles zu tun für das Wohl des Menschen, für das Glück des Volkes, für die Interessen der Arbeiterklasse und aller Werktätigen" 4 . 1

2

Zu Problemen der Demographie, in: Jahrbuch der Wirtschaftsgeschichte 1974, Teil I, Berlin 1974. Parviz Khalatbari, Zu einigen Grundsatzfragen der marxistisch-leninistischen Demographie, in: ebenda, S. 19f.

3 Parviz Khalatbari, Zur Bevölkerung nach Alter und Geschlecht in der D D R (ebenda, S. 98).

74

Hieraus leiten sich Wesen, Elemente und Entwicklungstendenzen der sozialistischen Lebensweise ab. Die sozialistische Lebensweise „erschöpft sich nicht im materiellen Lebensstandard und seiner ständigen Verbesserung, sondern sie verbindet die Befriedigung der materiellen mit der Befriedigung der geistigkulturellen Bedürfnisse der Menschen" 5 , wobei die allseitige Entwicklung der Persönlichkeit in der Gemeinschaft im Mittelpunkt aller Bemühungen der gesellschaftlichen Kräfte steht. Die sozialistische Lebensweise umfaßt ein „bestimmtes System des Alltagsverhaltens der Menschen, das von sozialen Normen und geistigen Werten" 6 gelenkt wird, wie sie für die entwickelte sozialistische Gesellschaft charakteristisch sind. Bestimmt wird die sozialistische Lebensweise von der Produktionsweise, weil der Produktion materieller Güter entscheidender Einfluß auf das Lebensniveau, die Befriedigung der Bedürfnisse der Werktätigen zukommt und weil Charakter sowie Inhalt der Arbeit die gesellschaftlichen Beziehungen der Werktätigen determinieren, welche alle anderen sozialen Beziehungen beeinflussen und die Anforderungen an die Merkmale sozialistischer Persönlichkeiten weitgehend markieren und ausprägen. Die Produktionsweise schafft nicht nur die Grundlagen für die Befriedigung der materiellen, der primären Bedürfnisse, sondern auch für die der geistigen und sozialen. Für die sozialistische Lebensweise ist die zunehmende Einheit von Arbeit und Freizeit charakteristisch, die gesellschaftliche Arbeit 7 bildet ihr wesentliches Element. Gekennzeichnet wird die sozialistische Lebensweise durch das erreichte materielle und kulturelle Lebensniveau der Werktätigen, ihr sozialistisches Bewußtsein und ihre sozialistische Moral, ihr Bildungsniveau, ihre Gesundheit und Leistungsfähigkeit, ihre gesellschaftliche Aktivität und ihr Schöpfertum, die Entfaltung ihrer Talente und Fähigkeiten, den Reichtum und die Stabilität ihrer sozialen Beziehungen in der Arbeit, im politischen und gesellschaftlichen Leben, beim Lernen und auf kulturellem Gebiet, bei der Freizeitgestaltung sowie im Arbeitskollektiv, im Freundeskreis und in der Familie. 4

5

6

7

Erich Honecker, Bericht des Zentralkomitees an den VIII. Parteitag der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Berlin 1971, S. 5. Kurt Hager, 25 Jahre DDR — Aufstieg des Sozialismus im Bruderbund mit der Sowjetunion. Berlin 1974, S. 37. S. G. Strumilin/E. J. Pisarenko, Die sozialistische Lebensweise (Methodologische Probleme), in: Sowjetwissenschaft/Gesellschaftswissenschaftliche Beiträge, 5/1974, S. 449. W. I. Lenin, Vulgärsozialismus und Volkstümelei, in: Werke, Bd. 6, Berlin 1956, S. 257.

75

Ein wesentlicher Einfluß auf die sozialistische Lebensweise geht von den Arbeits- und Lebensbedingungen aus und davon, wie sie für die Entwicklung sozialistischer Denk- und Verhaltensweisen genutzt werden. Die sozialistische Lebensweise, ihre Anforderungen, Bedingungen und Möglichkeiten prägen auch wesentlich die Bevölkerungsentwicklung. Aus dem Zusammenhang von Lebensweise und Bevölkerungsentwicklung ergibt sich die enge Beziehung demographischer mit ökonomischen und sozialpolitischen Gesetzmäßigkeiten, eben weil der Mensch als soziales Wesen sowohl Produzent ist als auch eine Vielzahl sozialer, politischer Beziehungen eingeht. Überdies hängt der wirkliche geistige Reichtum des Individuums ganz von dem Reichtum seiner „wirklichen Beziehungen"8 ab, erst in der „wirklichen Gemeinschaft erlangen die Individuen in und durch ihre Assoziation zugleich ihre Freiheit" 9 . Bevölkerungsgesetze korrespondieren also mit den Gesetzmäßigkeiten der Basis und des Überbaus. So läßt sich die Bevölkerungsentwicklung nur erkennen, wenn man sie in ihrer Bedingtheit durch die Gesamtheit der gesellschaftlichen Verhältnisse versteht. Als überaus ernstes Problem aus demographischer Sicht stellt sich uns die Frage des Geburtenrückganges, der Untersuchung seiner Ursachen und der Ermittlung von Wegen für seine Eindämmung. Der Wunsch nach Kindern, eines der elementaren und edelsten Bedürfnisse der Menschen, ist vor allem ein soziales Bedürfnis und nicht nur, wie Klaus Müller meint lu , ein ideelles Bedürfnis, in dem die für unsere sozialistische Gesellschaft kennzeichnende Übereinstimmung der grundlegenden gesellschaftlichen mit den persönlichen Interessen zum Ausdruck kommt. Das Leben mit Kindern, die gemeinsamen Erlebnisse mit ihnen, ihre sozialistische Erziehung gehören unabdingbar zur sozialistischen Lebensweise der Familien. Diese Lebensformen sind ebenso gesellschaftliches Anliegen wie persönliches Bedürfnis," sie bereichern die Persönlichkeit von Frau und Mann, vertiefen und erweitern die Vielfalt ihrer Beziehungen. Staat und Gesellschaft schaffen zunehmend bessere Bedingungen, den an sie gestellten Forderungen zu entsprechen. Daher sind die sozialpolitischen Maßnahmen nicht von einer engen Warte der Stimulierung des 8 Karl Marx/Friedrich Engels, Die deutsche Ideologie, in: MEW, Bd. 3, Berlin 1958, S. 37. » Ebenda, S. 74. 10 Klaus Müller, Demographische Aspekte der Einbeziehung der Frau in den Berufsprozeß, in: Jahrbuch der Wirtschaftsgeschichte 1974, Teil, Berlin 1974, S. 186.

76

Geburtenwachstums zu begreifen. Vielmehr geht es auch um eine Förderung der Persönlichkeitsentwicklung und der Entfaltung der sozialistischen Lebensweise, für die günstigere Voraussetzungen entstehen. Diese werden sich aber erst dann völlig auswirken, wenn sie in untrennbarer Einheit mit sozialistischen Denkweisen stehen. Für den Geburtenrückgang macht man hauptsächlich noch unzureichende materielle Bedingungen verantwortlich," geht aber weniger von ideologischen und moralischen Erwägungen aus. Dabei wird unbewußt unterstellt, daß hier allein großzügige sozialpolitische Maßnahmen Wandel schaffen können. Sicherlich bewirken die jüngsten dieser [Maßnahmen, wie die Bevölkerungsstatistik ausweist, zunächst einen Stop der rückläufigen Tendenz. 12 Ebenso wichtig ist aber, daß, wie beginnend bei den Jugendlichen, nicht nur die Vorbereitung auf die Ehe durch Sexualberatung erfolgt, sondern der W unsch junger Eheleute, Kinder zu bekommen, bestärkt wird. Das Streben nach Kindern muß den Ehepartnern als Anliegen eigenen Familienglücks bewußt werden und dazu bedarf es einer entsprechenden gesellschaftlichen Atmosphäre, die das begünstigt. < Es ist ein Ausdruck des humanistischen Wesens unserer sozialistischen Gesellschaftsordnung, daß die Geburtenregelung in hohem Maße den Familien selbst obliegt, es zeigt aber auch das große Vertrauen, das unser Staat in das Bewußtsein und die gesellschaftliche Verantwortung der Bürger setzt. Damit erweist sich der Sozialismus erneut dem Kapitalismus überlegen, wo die herrschenden Klassen, wie erst jüngst in Italien und in der BRD, sich gegen die Schwangerschaftsunterbrechung wandten, um durch staatliche oder religiöse Einflußnahme die Bevölkerungsreproduktion weiter allein regulieren zu können. Aus der Übereinstimmung der grundlegenden Interessen der Gesellschaft und des Einzelnen im Sozialismus sowie aus der Tatsache, daß sich mit zunehmender Reife der sozialistischen Gesellschaft die Möglichkeit und Notwendigkeit erhöht, alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens dynamisch und proportional zu entwickeln 5 Ebenda. 16 I. S. Korenskaja, Die Stadtsowjets und die komplexe Planung der Entwicklung der Städte, in: Sowjetwissenschaft/Gesellschaftswissenschaftliche Beiträge 3/1974, S. 270ff. 17 Alexander Lilov, Bericht des Plenums des ZK der BKP vom 8. Februar 1974, in: Informations-Bulletin des ZK der Bulgarischen Kommunistischen Partei, 3/1974, S. 17.

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sich auf politischem, kulturellem und sportlichem Gebiet betätigen. Zunehmend wird sich in den Wohngebieten die sozialistische Lebensweise der Werktätigen verwirklichen. Daraus folgt die Bedeutung der Sozialplanung in den Territorien. Hinzukommt, daß die Volksvertretungen als die obersten Machtorgane im Territorium die Verantwortung für die gesamte gesellschaftliche Entwicklung t r a g e n i n die die Entwicklung der Betriebe, Kombinate, Einrichtungen und Genossenschaften sinnvoll einzuordnen ist, gleich, ob sie den jeweiligen örtlichen Staatsorganen unterstehen oder nicht. Aus der Beurteilung der gesellschaftlichen Aktivität, dem Niveau der sozialen Verhaltensweisen, der Quantität und dem Umlang der sozialen Beziehungen der Bürger, ihrer sozialistischen Lebensweise und ihrer Persönlichkeitsentwicklung, aus den gesellschaftlichen Bedingungen ihrer Förderung und Entwicklung sowie aus deren Leitung und Planung sind unter Beachtung der konkreten Anforderungen im Territorium und unter Berücksichtigung der sozialstrukturellen Besonderheiten die nächsten Aufgaben der Sozialplanung zu bestimmen. Diese Aufgaben können sich auf Grund ihrer V ielfalt und Kompliziertheit zunächst nur auf Schwerpunkte beschränken. Als ein zentrales Problem der Sozialplanung im Territorium stellt sich die Aufgabe, die Wirksamkeit der gesellschaftlichen Bedingungen, insbesondere die der materiellen Bedingungen, auf die Entwicklung der sozialen Beziehungen und Verhaltensweisen, auf die gesamte Persönlichkeitsentwicklung, bewußt und planmäßig zu erhöhen und dabei die Interessen der verschiedenen Gruppen der Bevölkerung (Berufsgruppen, Frauen, Jugend, Rentner) in Betracht zu ziehen. Das vorhandene Getälle zwischen den hochentwickelten sozialen Beziehungen in den Arbeitskollektiven und den oftmals noch wenig entwickelten Kollektiven in den Territorien gilt es zu überwinden. Gegenstand und Aufgaben der Leitung und Planung sozialer Prozesse verdeutlichen, welche Möglichkeiten sich ergeben, wenn demographische Faktoren zielgerichtet einbezogen werden. Das betrifft zum Beispiel bei Plänen der sozialen Entwicklung der Kollektive in den Betrieben die Standortverteilung, die Zusammensetzung der Belegschaft, die Weiterbildung, den Arbeits- und Gesundheitsschutz, die Förderung des geistigkulturellen Lebens und der sportlichen Betätigung, die Verbesserung der Arbeitsbedingungen. Auch in den Plänen der sozialen Entwicklung der Städte und Gemeinden gewinnen demographische Faktoren noch größeres Gewicht, denn 18

'Gesetz über die örtlichen Volksvertretungen und ihre Organe in der Deutschen Demokratischen Republik vom 12. 7. 1973, GBl. I, Nr. 32, S. 313ff.

6

Demographie

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stets wirken sich die materiellen, kulturellen und sozialen Lebensbedingungen auch auf die Bevölkerungsentwicklung aus. Das Entscheidende bei der Leitung und Planung sozialer Prozesse besteht darin, die gesellschaftliche Aktivität der Werktätigen, vor allem der Arbeiterklasse, ihre sozialistische Persönlichkeitsentwicklung zu fördern, die besten Bedingungen für ihre Entfaltung zu schaffen, weil das wie in allen anderen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens auch bei der Bevölkerungsentwicklung die sicherste Gewähr dafür bietet, daß die Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft weiter voranschreitet. Aus diesen Überlegungen zur Rolle der Leitung und Planung sozialer Prozesse ergibt sich als Konsequenz, daß in Jugendförderungsplänen, Frauenförderungsplänen, Betriebskollektivverträgen, in staatlichen Beschlüssen und Maßnahmen zu den verschiedensten Bereichen der sozialistischen Lebensweise die Forderungen der demographischen Entwicklung einbezogen und berücksichtigt werden müssen.

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WERNER M O H R I G

Populationsgesetze in Natur und Gesellschaft

Im „Jahrbuch lür Wirtschaftsgeschichte", gewidmet dem von der XXV. UNO-Vollversammlung deklarierten Weltbevölkerungsjahr 1974, wird durch Khalatbari hervorgehoben, daß der Schlüssel zur Untersuchung der Bevölkerungstrage in der Wechselwirkung zwischen den biologischen und den sozialen Aspekten liegt, daß dieser komplexe Charakter des Bevölkerungsproblems in der demographischen Forschung jedoch nicht immer hinreichend berücksichtigt wird. 1 Das mag dem Biologen das Recht geben, aus Analogien zur Dynamik tierischer Populationen Gedanken zur Diskussion des Bevölkerungsproblems beizufügen. Bei der Problematik der Bevölkerungsgesetze konzentrieren sich die bestehenden unterschiedlichen Auffassungen marxistischer Wissenschaftler auf die grundsätzliche Fragestellung, ob es ein generelles Populationsgesetz gibt, das für alle lebenden Organismen, den Menschen eingeschlossen, Gültigkeit besitzt. Wird diese Frage mit „Nein" beantwortet (was tatsächlich vorwiegend der Fall ist) und werden für den Menschen auf Grund seiner besonderen sozialen Stellung in der Natur spezifisch menschliche Bevölkerungsgesetze angenommen, dann ergibt sich eine zweite grundsätzliche Frage. Sie verlangt die Entscheidung, ob dann nicht jede ökonomische Gesellschaftsformation ihr eigenes, historisches, nur für sie gültiges Populationsgesetz besitzt. Die Methodologie zur Klärung dieser Frage finden wir im historischen Materialismus. Sie zwingt uns, das biosoziale Wesen Mensch immer vor dem Hintergrund seines sozialen Milieus, den ökonomischen Gesellschaftsformationen, zu betrachten, ohne allerdings seine biologische Herkunft zu vergessen. 1

Parviz Khalatbari, Zu einigen Grundsatzfragen der marxistisch-leninistischen Demographie, in: Jahrbuch f ü r Wirtschaftsgeschichte 1974, Teil I, Berlin 1974, S. 19—32.

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Ausgangspunkt der Überlegungen ist meist das von Marx in „Das Kapital" formulierte Bevölkerungsgesetz des Kapitalismus, wonach die relative Überzähligmachung der Arbeiterbevölkerung ein der kapitalistischen Produktionsweise eigentümliches Populationsgesetz ist, so wie jede besondere historische Produktionsweise ihre besonderen Populationsgesetze hat und ein abstraktes Populationsgesetz nur für Tiere und Pflanzen existiert.2 Marx behandelt die Bevölkerung eindeutig in ihrer Beziehung zur politischen Ökonomie, und er läßt keinen Zweifel daran, wenn er sagt: „In verschiednen gesellschaftlichen Produktionsweisen existieren verschiedene Gesetze der Vermehrung der Population und der Überpopulation; letztre identisch mit Pauperismus." 3 Obwohl Marx hier eindeutig die Entstehung einer Arbeitslosenarmee als ein ökonomisches Gesetz skizziert, wird gegenwärtig noch immer die demographische mit der ökonomischen Betrachtungsweise der menschlichen Bevölkerung verwechselt, da die Begriffsbestimmung nicht eindeutig ist. Das jüngste Beispiel gibt Neelsen in den Lehrheften „Politische Ökonomie des Kapitalismus", wo nicht zwischen den Begriffen „Überbevölkerung" und „Übervölkerung" unterschieden wird. 4 Überpopulation im Marxschen Sinne ist Überbevölkerung — gleich eine/ für den Verwertungsprozeß des Kapitals überflüssigen Bevölkerung oder Arbeitslosenarmee. Übervölkerung als Begriff der Bevölkerungslehre ist aber der Ausdruck eines unnormalen Verhältnisses von Zahl der Individuen zu einem gegebenen Raum. Die yoft zitierte und bei Beibehaltung der gegenwärtigen Zuwachsrate existierende Gefahr einer Übervölkerung der Erde ist nur hinsichtlich der damit verbundenen Belastung der Ressourcen und der Umwelt zu sehen, nicht aber im Sinne einer Nichtbeschäftigung. 13 Milliarden Menschen im Jahre 2050 könnten ein ernstes Problem für die Tragfähigkeit unserer Erde darstellen, ohne daß damit zwangsläufig die Frage der Arbeitslosigkeit zu verbinden ist.5 Die Alternative zu dem von Marx formulierten ökonomischen Bevölkerungsgesetz des Kapitalismus kann also für den Sozialismus nur bedeuten, daß durch die Beseitigung des Privateigentums an Produktions2 Karl Marx, Das Kapital. Erster Band, in: MEW, Bd. 23, Berlin 1962, S. 660. 3 Karl Marx, Grundrisse der Kritik der Politischen Ökonomie, Berlin 1953, S. 498. 4 Karl Neelsen, Die Akkumulation des Kapitals und die Entwicklung der Lage der Arbeiterklasse, in: Lehrhefte „Politische Ökonomie des Kapitalismus", Berlin 1973, S. 50fT. 5 Werner Mohrig, Populationskinetik und menschliche Bevölkerungsentwicklung, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie, 7/1974, S. 887.

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mittein auch die Ursachen für eine Überbevölkerung beseitigt sind und daß auf der Basis sozialistischer Produktionsverhältnisse die Bedürfnisse der Bevölkerung immer besser befriedigt werden. Die daraus oft abgeleitete Schlußfolgerung auf ein stetiges Bevölkerungswachstum im Sozialismus hat sich als unrichtig erwiesen.6 Die Ausgliederung von demographischen Aspekten aus dem ökonomischen Bevölkerungsgesetz des Sozialismus ist auch bei sowjetischen Autoren anzutreffen. 7 Ich komme auf die eingangs gestellten Fragen zurück. Gibt es ein generelles, allgemeingültiges Gesetz des Wachstums von Populationen? In starker Abstraktion ja. Es ist das allgemeinste Wachstumsgesetz der Biologie, das besagt, daß ungehemmtes und unbegrenztes Wachstum belebter Materie unwiderruflich mit Selbstvernichtung oder radikaler Verschlechterung der Existenzbedingungen bezahlt wird, gleichgültig, ob es sich um Zellen oder um Organismen handelt. Die Biologie demonstriert uns in der Stabilität ihrer Lebensgemeinschaften die lebens- und arterhaltenden Gleichgewichtsdichten der dort lebenden Arten, die sich mit ihrer Umwelt in einem ausgewogenen Verhältnis befinden. Die Gleichgewichtsdichten sind das Ergebnis eines Wachstumsverlaufs, bei dem die Vermehrung sich mit zunehmender Populationsgröße verringert (Gleichgewichtsdichte hat mit „Nullwachstum" als Ausdruck von Stagnation nichts gemeinsam). Mathematisch läßt sich ein solcher Wachstumsverlauf als logistische Funktion formulieren, deren graphische Darstellung eine Kurve mit S-förmigem Verlauf ergibt, die sich im Unendlichen einer Geraden nähert. Alle Gleichgewichtszustände in einem Lebensraum sind das Ergebnis eines derartigen Wachstumsverlaufs, der sich aus dem Verhältnis von Geburten- und Sterberate ergibt. Beide werden durch tierartspezifische innere (tiereigene) und äußere (ökologische) Faktoren nach einem Rückkopplungsprinzip beeinflußt und so reguliert, daß die Existenz einer Tierart in ihrer Umwelt gesichert ist. Das ungehemmte oder exponentielle Wachstum ist ein Sonderfall des logistischen Wachstums, das nur dann eintreten kann, wenn wachstumsbegrenzende Faktoren, über die jeder endliche Raum verfügt, willkürlich beeinflußt und deformiert werden, so daß eine umweltadäquate Regelung nicht mehr möglich ist. Auch dem menschlichen Bevölkerungswachstum ist irgendwo eine Grenze gesetzt, obgleich der Mensch kraft seiner Fähigkeit, die Natur 6

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Vgl. ebenda und Wolfram Ledenig/Dieter Vogeley, Zu einigen Problemen demographischer Forschung in der DDR, in: Wirtschaftswissenschaft 11/1974, S. 1608. N. A. Zagolow, Lehrbuch Politische Ökonomie des Sozialismus, Berlin 1972, S. 245.

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in seinem Sinne zu verändern, die Grenzen der Umweltkapazität in den Jahrtausenden seiner sozialen Evolution immer wieder hinausschieben konnte. Die Bevölkerungsstatistik läßt erkennen, daß auch in menschlichen Populationen logistisches und exponentielles Wachstum anzutreffen sind. Das logistische Bevölkerungswachstum, so wie es alle hochentwickelten Industriestaaten zeigen, scheint im Vergleich mit tierischen Populationsvorgängen die typische und gesetzmäßige Bevölkerungsbewegung menschlicher Populationen zu sein, die durch äußere Einflüsse in ihren demographischen Prozessen nicht gestört wurden (bei menschlichen Populationen kann eine Störung nur durch andere Völker hervorgerufen werden). Die Industriestaaten haben die erste Phase der demographischen Revolution (exponentielles Wachstum) überwunden, lange bevor ihre Bevölkerungsdichte eine für die Lebenserhaltung und Umweltbelastung kritische G r ö ß e erreichte. Der Industrialisierungsprozeß mit den für die Bevölkerungsentwicklung entscheidenden sozialökonomischen Faktoren (erhöhte Nahrungsgüterproduktion, allgemeine Urbanisierung, Erhöhung des materiellen Wohlstandes und des Bildungsniveaus, Eingliederung der Frau in die Produktion und nicht zuletzt Verbesserung der medizinischen Versorgung) verliefen mit der Bevölkerungsentwicklung in einem Zeitraum von mehreren hundert Jahren in einem unbeeinflußten Wechselspiel ab. Ganz anders liegen die Verhältnisse in den sogenannten Entwicklungsländern, die sich gegenwärtig durch ein enormes exponentielles Bevölkerungswachstum auszeichnen. Die Regelfaktoren für Geburtenund Sterberate wurden durch die willkürliche Einflußnahme der hochentwickelten kapitalistischen Industriestaaten deformiert. Koloniale und halbkoloniale Zustände haben die natürliche Bevölkerungsbewegung in diesen Ländern entscheidend gestört. Die über die Sterblichkeit wirkenden Hemmfaktoren, in erster Linie Krankheiten, wurden weitgehend beseitigt, ein die Geburtenrate regulierender Lebensstandard mit entsprechendem Bildungsniveau nicht zugelassen. Das Ergebnis ist ein exponentielles Anwachsen der Bevölkerung. Die Beantwortung der zweiten Frage, o b jede ökonomische Gesellschaftsformation besondere, nur ihr eigene Bevölkerungsgesetze im populationskinetischen oder demographischen Sinne hat (es sind also keine ökonomischen Gesetze gemeint), stellt den Biologen vor eine weit schwierigere Entscheidung, da ihm hier der Vergleich zu tierischen Populationen fehlt. Der Nachweis für die Existenz spezifischer demographischer Bevölkerungsgesetze für die einzelnen Gesellschaftsformationen erscheint mir aber noch nicht gelungen. Es ist Ledenig und Vogeley

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zuzustimmen, wenn sie feststellen, daß trotz intensiver Bemühungen bei der Klärung der Bevölkerungsgesetze des Sozialismus noch keine merklichen Fortschritte erzielt werden konnten. 8 Zweifellos hat jede ökonomische Gesellschaftsformation über die ihr eigenen Produktionsverhältnisse Einfluß auf das Bevölkerungswachstum des Menschen. Die ökonomische Gesellschaftsformation ist das soziale Milieu in der Gesamtheit der auf den Menschen einwirkenden Faktoren, die die Kenngrößen des Bevölkerungswachstums bestimmen. In Abhängigkeit vom Entwicklungsstand der Produktivkräfte sind diese bevölkerungsdynamischen Faktoren mehr biologischer oder mehr sozialökonomischer Natur. Sozialökonomische Faktoren sind in ihrem Inhalt natürlich abhängig vom Klassencharakter der jeweiligen ökonomischen Gesellschaftsformation. Das biologische Wachstumsgesetz ist deshalb als Bevölkerungsgesetz keine „unabhängige Konstante", sondern realisiert sich in menschlichen Populationen durch einen Komplex von bevölkerungsdynamisch wirksamen Faktoren, die sich aus der Spezifik der jeweiligen Gesellschaftsordnung ergeben. Ich möchte deshalb im folgenden eine Hypothese aufstellen, die von der bekannten Tatsache ausgeht, daß die natürliche Bevölkerungsdynamik durch das Verhältnis von Geburten- und Sterberate bestimmt ist. Entscheidend sind somit alle Faktoren, die eine der beiden Größen verändern. Bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts wurde die Bevölkerung fast ausschließlich über die Sterblichkeit durch Hunger und Krankheit reguliert. Allein der Faktor „Krankheit" war in allen vergangenen Gesellschaftsformationen absolut dominierend und bis in die Jahrhunderte der Neuzeit vom Menschen nicht beeinflußbar, bis im vorigen Jahrhundert mit Ignaz Semmelweis, Robert Koch und Louis Pasteur der erfolgreiche Kampf gegen die großen Volksseuchen begann. Spezifische Bevölkerungsgesetze der vorkapitalistischen Gesellschaftsformationen wären mit Sicherheit allein durch diesen Faktor überdeckt worden. Es bleibt somit nur zu entscheiden, ob dann nicht im Kapitalismus und Sozialismus unterschiedliche Bevölkerungsgesetze existieren oder ob der Unterschied nur in der Wirksamkeit der sozialökonomischen Faktoren für Geburtenund Sterberate liegt. Ich neige zu der letzten Auffassung, die in einer zusammenfassenden Betrachtung begründet werden soll: — Wie bei tierischen Organismen ist die potentielle biologische Geburtenrate ein Ergebnis der Auseinandersetzung des Menschen mit der 8 Vgl. Wolfram Ledenig/Dieter Vogeley, Zu einigen Problemen demographischer Forschung in der D D R , in: Wirtschaftswissenschaft 11/1974, S. 1606.

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Umwelt und im Prozeß seiner Evolution genetisch festgelegt. Sie beläuft sich beim Menschen auf etwa 16 bis 18 Geburten pro Frau. — Der in der Menschheitsentwicklung zunehmend dominant werdende Faktorenkomplex „soziales Milieu" bedingt eine soziale Fruchtbarkeitsrate. Kindestötung, Abtreibung und Empfängnisverhütung sind seit Jahrtausenden direkte Bestrebungen zur Nachkommensbegrenzung des einzelnen oder im kollektiven Interesse eines Gemeinwesens. Die Möglichkeiten dazu waren jedoch begrenzt. — Die Bevölkerung wurde in den zurückliegenden Jahrtausenden bis zu den Entdeckungen von Robert Koch, Louis Pasteur und Ignaz Semmelweis in erster Linie über die Sterblichkeit reguliert, da die Menschheit dem Faktor „Krankheit" in allen vorangegangenen Geschichtsepochen fast völlig hilflos gegenüberstand. — Die Entwicklung der medizinisch-biologischen Wissenschaften und die damit verbundenen Möglichkeiten zur Beherrschung des Krankheitsgeschehens und der Regulierung der Geburtenzahl durch Antikonzeptiva führen in Verbindung mit steigendem Lebensstandard in entwickelten Industriestaaten unterschiedlicher Gesellschaftsordnung zu einer Revolution im demographischen Verhalten der Bevölkerung: Trotz gestiegener materieller Möglichkeiten zur Erhöhung der Nachkommenzahl setzt sich die freiwillige Geburtenbeschränkung und damit ein stabilisiertes Bevölkerungswachstum als Ausdruck eines modernen reproduktiven Verhaltens der menschlichen Bevölkerung durch. Daraus ableitend, möchte ich folgende demographische Gesetzmäßigkeiten als Vorschlag formulieren: !. Bei fehlenden oder eingeschränkten Möglichkeiten der Geburtenkontrolle und des Seuchen- und Gesundheitsschutzes wächst dife Bevölkerung entsprechend der Entwicklung der Produktion an. Bei hoher Geburtenrate und hoher Sterblichkeit ist das archaische Bevölkerungswachstum relativ stabilisiert und entspricht etwa den produzierten Nahrungsmitteln und den sozialhygienischen Bedingungen der jeweiligen Geschichtsepoche. Begünstigend fiir ein Bevölkerungswachstum sind dabei das geographische Milieu über den Einfluß biogeographischer Reichtümer und strategischer Faktoren (Handels- und Seewege). 2. Bei fehlenden Voraussetzungen für eine bewußte Geburtenkontrolle (niedriger Entwicklungsstand der Produktivkräfte und daraus folgender niedriger Lebensstandard), aber vorhandenen Möglichkeiten eines erfolgreichen Seuchen- und Gesundheitsschutzes nimmt die Bevölkerung exponentiell zu. Die Bevölkerungsdynamik ist wie in den Entwicklungsländern durch eine hohe Geburtenrate und geringe Sterblichkeit gekennzeichnet.

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3. Bei vorhandenen Voraussetzungen für eine bewußte Geburtenkontrolle (hoher Entwicklungsstand der Produktivkräfte und hoher Lebensstandard) und vorhandenen Möglichkeiten eines erfolgreichen Seuchen- und Gesundheitsschutzes stabilisiert sich die Bevölkerungsbewegung auf eine einfache oder gering erweiterte Reproduktion. Die Bevölkerungsdynamik ist charakterisiert durch eine niedrige Geburtenrate und geringe Sterblichkeit. Der entscheidende demographische Unterschied zwischen der kapitalistischen und der sozialistischen Gesellschaft liegt damit meines Erachtens nicht im Wirken einer anderen Gesetzmäßigkeit, sondern in der eindeutig gesellschaftsabhängigen Spezifik der sozialökonomischen Regelfaktoren für das Bevölkerungswachstum. Der Klassencharakter der Gesellschaftsordnung bestimmt die Art und Weise ihrer Durchsetzung, wobei das gesellschaftliche Bewußtsein im Sozialismus ein zunehmend wirksamerer Faktor wird. 9 In einem kapitalistischen Industriestaat wirken die sozialökonomischen Regelfaktoren spontan, da weder die Befriedigung der Bedürfnisse der Bevölkerung, die Erhöhung des geistigkulturellen Niveaus oder die Emanzipation der Frau gesellschaftliche Zielstellungen sind, sondern höchstens unausbleibliche Nebenwirkungen der kapitalistischen Produktionsweise. Die Identität der gesellschaftlichen Zielstellungen in einer kommunistischen Gesellschaft mit den Interessen des einzelnen erlauben in perspektivischer Sicht eine vierte Aussage. Wenn die gesellschaftliche Bewußtheit des Menschen einen höheren Stellenwert als die sozialökonomischen Faktoren erlangt hat, wird diese das reproduktive Verhalten zunehmend bestimmen. Es verwirklicht sich dann die Voraussage von Friedrich Engels, der 1881 geäußert hat: „Sollte aber einmal die kommunistische Gesellschaft sich genötigt sehen, die Reproduktion von Menschen ebenso zu regeln, wie sie die Produktion von Dingen schon geregelt hat, so wird gerade und allein sie es sein, die dies ohne Schwierigkeiten ausführt."

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Vgl. Kurt Lungwitz, ökonomische und soziale Probleme der Geburtenentwicklung in der Deutschen Demokratischen Republik, in: Wirtschaftswissenschaft, 11/1974, S. 1619.

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ERICH STROHBACH

Zu einigen Beziehungen zwischen Sozialpolitik und Demographie*

Die Verwirklichung der sozialpolitischen Zielstellung ist in zweifacher Hinsicht unmittelbar mit demographischen Prozessen und Erscheinungen verbunden: 1. Die Bedürfnisse der Arbeiterklasse und aller Werktätigen, auf deren immer vollständigere Befriedigung die Sozialpolitik hinzielt, werden in ihrer konkreten Form nicht zuletzt durch die demographischen Strukturen, durch die Zusammensetzung der Bevölkerung nach den verschiedensten demographischen Merkmalen sowie durch eine bestimmte territoriale Bevölkerungsverteilung bestimmt; diese Strukturen gilt es im Interesse einer größtmöglichen Wirksamkeit bei der Konzipierung und Durchführung sozialpolitischer Maßnahmen zu berücksichtigen. Dies ist unter den Bedingungen der komplizierten Bevölkerungssituation in der D D R besonders wichtig. 2. Die zielgerichtete Beeinflussung demographischer Prozesse und Erscheinungen entsprechend den Interessen der sozialistischen Gesellschaft (in ihrer Gesamtheit) wie der einzelnen Familien stellt eine Aufgabe dar, die vor allem durch sozialpolitische Maßnahmen verwirklicht werden muß: durch sozialpolitische Maßnahmen werden die Entscheidungen der Familien über eine bestimmte Kinderzahl maßgeblich bestimmt; sozialpolitische Entscheidungen beeinflussen neben (und zusammen mit) Maßnahmen auf gesundheitspolitischem Gebiet den Gesundheitszustand der Bevölkerung und die Lebenserwartung der Menschen; sozialpolitische Maßnahmen haben große Bedeutung für die Erhöhung der Familienstabilität und andere demographische Erscheinungen, die einen wichtigen Bestandteil der Lebensbedürfnisse, des Lebensniveaus der Klassen und Schichten bilden. * Überarbeitete und erweiterte Fassung eines Diskussionsbeitrages anläßlich der 11. Tagung des Wissenschaftlichen Rates f ü r die wirtschaftswissenschaftliche Forschung bei der Akademie der Wissenschaften der D D R am 29. November 1974.

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Gegenwärtig ist eine ausreichende Bevölkerungsreproduktion in der DDR nicht mehr gewährleistet. Im Hinblick auf den Geburtenrückgang auch in anderen sozialistischen Ländern wirft der sowjetische Demograph Visnevskij eine grundsätzliche Frage auf 1 : Gibt es im Sozialismus einen Gegensatz zwischen den demographischen Interessen und Zielen der einzelnen Familien und den demographischen Interessen und Zielen der Gesellschaft? Von denen, die einen solchen Gegensatz zu sehen glauben, wird darauf verwiesen, — daß die Familien heute nahezu uneingeschränkt die Möglichkeit haben, über die Zahl der Kinder zu entscheiden, und — daß sich andererseits die Lebensweise der Menschen verändert hat und daß die veränderte Lebensweise das Bedürfnis nach Kindern zurückdränge — im Vergleich zu anderen Bedürfnissen; das Bedürfnis nach Kindern habe nur noch zweit- oder drittrangige Bedeutung. Visnevskij wendet sich gegen eine derartige Auffassung. „Ist die Persönlichkeitsentwicklung im Sozialismus ausschließlich mit der Entfaltung solcher Bedürfniskomplexe verbunden . . fragt er, „. . . die dem Bedürfnis nach Kindern entgegenstehen oder dieses Bedürfnis ganz ausschließen?". Er weist überzeugend nach, daß es keinesfalls um einen Interessengegensatz zwischen Familie und Gesellschaft geht, sondern vielmehr darum, daß seitens der Gesellschaft solche Voraussetzungen geschaffen werden müssen, die es den Familien ermöglichen, ihre demographischen Vorstellungen hinsichtlich einer bestimmten Kinderzahl zu realisieren — womit zugleich die demographischen Interessen der Gesellschaft verwirklicht werden. Das schließt ein, daß auf die Herausbildung dieser Interessen und Vorstellungen Einfluß genommen wird, und zwar durch Erziehung, durch ideologische Klarheit, durch gesellschaftliche Anerkennung. (Der ideologischen Seite kommt dabei eine große Bedeutung zu). Gibt es im Sozialismus einen anderen Weg, die demographischen Interessen der Gesellschaft zu realisieren als über die Realisierung der demographischen Interessen der Familie? Diese Problematik besitzt unter den spezifischen demographischen Bedingungen in der DDR eine besondere große Bedeutung. Ist eine bevölkerungspolitische Zielstellung außerhalb der Familiensphäre denkbar — etwa in dem Sinne, daß eine anzustrebende Bevölkerungs- oder Geburtenzahl vorgegeben wird? Angesichts der in der 1

A. G. Visnevskij, Demographische Prozesse in der UdSSR, in: Sowjetwissenschaft/ Gesellschaftswissenschaftliche Beiträge 2/1974, S. 178 ff.

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Vergangenheit stattgefundenen verhängnisvollen Bevölkerungsentwicklung, die zu beträchtlichen Unregelmäßigkeiten im Altersaufbau, im „Lebensbaum" der Bevölkerung der DDR (und auch in anderen sozialistischen Ländern) geführt hat, scheidet eine solche bevölkerungspolitische Zielstellung zumindest für die nächsten Jahrzehnte aus: Die demographischen Strukturen bestimmen, neben der Kinderzahl pro Familie, entscheidend die Geburtenzahl (und ihren künftigen Verlauf) sowie — zusammen mit anderen demographischen Faktoren (Sterblichkeit, Wanderungsbewegung) die Entwicklung der Bevölkerung in ihrer Gesamtheit. Selbstverständlich lassen sich die Auswirkungen dieser strukturellen Schwankungen, die sich innerhalb verhältnismäßig kurzer Zeiträume vollziehen, durch jeweils veränderte demographische Verhaltensweisen der Familien zur durchschnittlichen Kinderzahl nicht ausgleichen. Eine bevölkerungspolitische Zielstellung, die mit Hilfe sozialpolitischer Maßnahmen verwirklicht werden muß, läßt sich nur auf der Ebene der Familien realisieren: Hier sind Sicherungen dafür zu schaffen, daß eine solche Kinderzahl pro Familie erreicht wird, die auf die Dauer zumindest eine einfache Bevölkerungsreproduktion gewährleistet. Das wird zwangsweise noch lange Zeit mit Schwankungen der Geburtenzahl (und der Bevölkerungszahl) verbunden sein. Im Jahre 1970 wurde in der DDR im Rahmen einer Meinungsbefragungjunger Menschen nach den Gründen geforscht, die zu dem Wunsche geführt hatten, kein Kind oder nur ein Kind haben zu wollen. In der überwiegenden Mehrzahl der Antworten wurde hingewiesen auf — unzureichende Wohnverhältnisse, — unzureichende Kapazitäten in Kinderkrippen und Kindergärten, — (und dadurch Gefährdung der Berufstätigkeit der Frauen). Diese und andere Schwierigkeiten, die dem Wunsch nach Kindern in den Familien entgegenstehen, lassen sich nicht von heute auf morgen beseitigen, aber sie werden zweifellos Schritt für Schritt abgebaut werden! Es geht aber nicht allein um solche offensichtlichen Zusammenhänge zwischen sozialpolitischen Bedingungen und dem Wunsch der Familien nach einer bestimmten Kinderzahl (beziehungsweise ihrer Abneigung gegen eine bestimmte Kinderzahl) — letztlich haben alle sozialpolitischen und wirtschaftspolitischen Maßnahmen irgendwie Einfluß auf die Entscheidungen der Familien hinsichtlich des Nachwuchses. Will man diese Einflüsse im Sinne einer planmäßigen Steuerung der demographischen Verhaltensweise der Bevölkerung nutzen, dann müssen die demographischen Wirkungen solcher Maßnahmen in Betracht ge-

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zogen werden — in allen Bereichen, auf allen Ebenen, selbst in den Betrieben! Das setzt fundiertes Wissen über diese Wirkungen voraus, das ist letztlich nicht ohne eine Bevölkerungstheorie möglich, das geht nicht ohne Kenntnis der Gesetzmäßigkeiten, denen diese Zusammenhänge unterliegen. Aber diese Kenntnisse sind gegenwärtig noch unvollkommen oder fehlen ganz. Selbst über bestimmte theoretische Grundfragen herrscht weitgehend Unklarheit; dafür zwei Beispiele: 1. Marx wies nach, daß die demographischen Prozesse gesellschaftlich determiniert sind. Man begegnet aber häufig dem Hinweis, daß die biologische Seite der demographischen Erscheinungen nicht außer acht gelassen werden dürfte. — Hier gilt es zu ergründen, wie diese biologische Seite konkret in Erscheinung tritt, wo und auf welche Weise die biologischen Faktoren eine Rolle spielen. Läßt sich der Geburtenrückgang der letzten Jahre irgendwie biologisch erklären? Sind die Unterschiede hinsichtlich der Lebenserwartung in den verschiedenen Ländern auf biologische Faktoren zurückzuführen? (Unterscheidet sich die biologische Verfassung der Menschen zwischen den verschiedenen Ländern?) Bekanntlich übersteigt die Sterblichkeit der schwarzen Bevölkerung in den USA die der weißen Bevölkerung — ist das eine „Rassenfrage" (also biologisch bedingt), oder handelt es sich nicht vielmehr um eine Klassenfrage? Bei der Diskussion dieser Fragen wird im allgemeinen auf die Feststellungen von Marx verwiesen, wonach der Mensch ein biosoziales Wesen sei und die biologische sowie die soziale Seite des Menschen als eine Einheit betrachtet werden müßten. Folglich dürfe man die demographischen Erscheinungen und Prozesse nicht einseitig gesellschaftlich verstehen. Bei einer solchen Argumentation wird außer acht gelassen, daß es sich bei der Kategorie „Bevölkerung" nicht schlechthin um eine Zusammenfassung einzelner Menschen handelt; die demographischen Wesensmerkmale, die eine bestimmte Bevölkerung charakterisieren, ließen sich nicht einfach aus denjenigen Eigenschaften erklären, die den einzelnen Menschen bestimmen. Zweifellos ist die Geburt eines Menschen ein biologischer Vorgang — ebenso sein Tod. Aber den Demographen interessiert nicht die Geburt des einzelnen Menschen, auch nicht sein Tod, sondern die Geburtenhäufigkeit in einer Bevölkerung sowie die Sterblichkeit, die durchschnittliche Lebenslänge u. a. Und diese Erscheinungen sind nicht lediglich auf „höherer Ebene" zusammengefaßte biologische Erscheinungen, sondern demographische Phänomene, die gegenüber solchen Vorgängen, die sich auf den einzelnen

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Menschen beziehen, eine neue Qualität aufweisen und demographischen Gesetzmäßigkeiten unterliegen. Wenn in diesem Zusammenhang von biologischen Faktoren gesprochen werden kann, dann allenfalls in dem Sinne, daß es möglicherweise eine biologisch bedingte höchstmögliche Altersgrenze der Menschen gibt, die nicht überschritten werden kann und die folglich auch im demographischen Bereich eine absolute Begrenzung darstellt. (Eine solche Grenze ist praktisch uninteressant — die demographischen Werte lagen stets und überall weitaus niedriger, und das wird auch künftig so bleiben). Gleiches gilt für die Beziehung zwischen einer größtmöglichen Kinderzahl in einer einzelnen Familie und den entsprechenden demographischen Werten in einer bestimmten Bevölkerung. (Hier bliebe noch zu klären, inwieweit sozialpolitische Maßnahmen die Entwicklung der Geburtenzahl, der Sterblichkeit, der Lebenserwartung, der Familienstabilität usw. beeinflussen können, wenn diese Erscheinungen von biologischen Faktoren bestimmt werden). 2. Ein heftiger Meinungsstreit besteht nach wie vor über die Formulierung der Gesetze und Gesetzmäßigkeiten, nach denen sich im Sozialismus die Entwicklung der Bevölkerung vollzieht. Es liegt im aktuellen Interesse, nachzulesen, welchen Zusammenhang Marx zwischen der natürlichen Bevölkerungsbewegung und dem von ihm beschriebenen kapitalistischen Bevölkerungsgesetz sieht, in dem die relative Überbevölkerung eine zentrale Stellung einnimmt. Geht man unmittelbar davon aus, was Marx im ersten Band des „Kapitals" schreibt, könnte man zu folgendem Schluß gelangen: Marx sieht überhaupt keinen derartigen Zusammenhang — im Gegenteil: Marx wendet sich dort spöttisch gegen die Versuche der Vertreter der klassischen bürgerlichen Ökonomie (Ricardo, Smith), einen solchen Zusammenhang zwischen natürlicher Bevölkerungsbewegung und Überbevölkerung konstruieren zu wollen; nicht ein zu schnelles Bevölkerungswachstum, sondern verringerte Verwertungsbedürfnisse des Kapitals führen zur „relativen Überzähligmachung der Arbeiterbevölkerung". Das wäre „in der Tat ein schönes Gesetz, welches die Nachfrage und Zufuhr von Arbeit nicht durch die Expansion und Kontraktion des Kapitals, also nach seinen jedesmaligen Verwertungsbedürfnissen regelte. .., sondern umgekehrt die Bewegung des Kapitals von der absoluten Bewegung der Bevölkerungsmenge abhängig machte. Dies jedoch ist das ökonomische Dogma. Nach demselben steigt infolge der Kapitalakkumulation der Arbeitslohn. Der erhöhte Arbeitslohn spornt zur rascheren Vermehrung der Arbeiterbevölkerung und diese dauert fort, bis der Arbeitsmarkt überfüllt, also das Kapital relativ zur Arbeiter-

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zufuhr unzureichend geworden ist. Der Arbeitslohn sinkt, und nun die Kehrseite der Medaille. Durch den fallenden Arbeitslohn wird die Arbeiterbevölkerung nach und nach dezimiert, so daß ihr gegenüber das Kapital wieder überschüssig wird . . . So tritt wieder das Verhältnis ein, worin die Arbeitszufuhr niedriger als die Arbeitsnachfrage, der Lohn steigt usw. Eine schöne Bewegungsmethode dies für die entwickelte kapitalistische Produktion! Bevor infolge der Lohnerhöhung irgendein positives Wachstum der wirklich arbeitsfähigen Bevölkerung eintreten könnte, wäre die Frist aber und abermal abgelaufen, worin der industrielle Feldzug geführt, die Schlacht geschlagen und entschieden sein muß." 2 Im Mittelpunkt des Meinungsstreit über die Formulierung der Bevölkerungsgesetze im Sozialismus steht die Frage, inwieweit von einem einheitlichen sozialistischen Bevölkerungsgesetz gesprochen werden muß, das sowohl Aussagen über die Nutzung des gesellschaftlichen Arbeitsvermögens und seines rationellen Einsatzes vermittelt als auch über den Typ der natürlichen Bevölkerungsreproduktion, oder ob man nicht besser zwischen einem „ökonomischen Bevölkerungsgesetz" unterscheiden sollte — sein Inhalt bezieht sich im oben angeführten Sinne auf die Probleme der Vollbeschäftigung der arbeitsfähigen Bevölkerung — und den demographischen Gesetzmäßigkeiten, nach denen sich die natürliche Bevölkerungsbewegung, die natürliche Bevölkerungsreproduktion vollzieht. Die letztere Auffassung vertreten offensichtlich die Autoren des kürzlich erschienenen Buches „Marxistisch-leninistische Bevölkerungstheorie", wenn sie schreiben: „Das ökonomische Bevölkerungsgesetz des Sozialismus, das in Annäherung an die entsprechenden Ausführungen von Marx formuliert wurde, ist Gegenstand der Politischen Ökonomie, während die Gesetzmäßigkeiten der Bevölkerungsreproduktion den Gegenstand der Demographie bilden." 3 Selbstverständlich bestehen enge Beziehungen zwischen denjenigen Erscheinungen und Prozessen, auf die sich die Aussagen des „ökonomischen Bevölkerungsgesetzes" beziehen, und den (im engeren Sinne) demographischen Erscheinungen und Prozessen; das gilt für die kapitalistische Produktionsweise ebenso wie für die sozialistische Produktionsweise. Bei Marx finden sich an verschiedenen Stellen Hinweise hierzu. — Infolge der Arbeitslosigkeit in den Jahren der Weltwirtschafts2 Karl Marx, Das Kapital, Erster Band, in: MEW, Bd. 23, Berlin 1962, S. 666/667. 3 D. I. Valentej (Hg.), Marksistsko-leninskaja teoria narodonaselenia, Moskva 1974, S. 21.

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krise von 1929 bis 1932 ging die Geburtenzahl so zurück, daß heute noch sehr deutlich die dadurch entstandenen Lücken im Lebensbaum unserer Bevölkerung zu erkennen sind.

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E R H A R D FÖRSTER

Betrachtungen zur Sexualproportion in der DDR

Die Sexualproportion ist eine historisch sehr früh erkannte demographische Gesetzmäßigkeit. Unter Sexualproportion versteht man das zahlenmäßige Verhältnis der männlichen Geborenen eines bestimmten Zeitraumes und geographischen Gebietes zu den weiblichen Geborenen desselben Zeitraumes und Gebietes. Diese Sexualproportion kann für die Geborenen insgesamt, aber auch für die Totgeborenen, für die Lebendgeborenen, für die ehelich und nichtehelich Geborenen und so weiter ermittelt werden. Stets wird man feststellen, daß bei den Geborenen ein Knabenüberschuß besteht, und zwar sowohl in den einzelnen Zeiträumen als auch in den verschiedenen geographischen Gebieten. Weiterhin ist bemerkenswert, daß sich das zahlenmäßige Verhältnis der männlichen zu den weiblichen Geborenen stets in gewissen Grenzen hält. Das wurde bereits von John Graunt im Jahre 1665 nachgewiesen, und J. P. Süßmilch sah in dieser immer wiederkehrenden Sexualproportion ein Zeichen der „göttlichen Ordnung". Er schrieb, daß „dieses Gesetz der Ordnung feststellt, daß im Ganzen und Großen jederzeit mehr Knaben als Mädchen geboren werden, und zwar ist dieses Gesetz so genau bestimmt und so bewunderungswürdig eingeschränkt, daß im Großen allzeit und überall gegen 20 Töchter 21 Söhne . . . geboren werden oder aufs Hundert 4 bis 5 Söhne mehr als Töchter". 1 Süßmilch verarbeitete Zahlenmaterial der Geburtenregister aus Preußen, Schlesien, Holland und England von etwa 2 Millionen Geborenen und kam zu dem Schluß, daß die Gesetzmäßigkeit in der Sexualproportion um so besser erkennbar wird, je größer das Ausgangsmaterial sei. Hier macht sich das Wirken des Gesetzes der großen Zahl ganz deutlich bemerkbar. 1

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Johann Peter Süßmilch, Die göttliche Ordnung in den Veränderungen des menschlichen Geschlechts, aus der Geburt,, dem Tode und der Fortpflanzung derselben erwiesen, II. Teil, Berlin 1762, S. 241. Demographie

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Für kleine Gesamtheiten, für kleine geographische Gebiete und für kleinere Zeiträume kann dagegen die Sexualproportion relativ stark schwanken. Die zeitliche Dynamik der Sexualproportion zeigt sich beispielsweise an Hand der Sexualproportion der Lebendgeborenen im ehemaligen Deutschen Reich bzw. in der DDR. Wie die Zahlen der Tabelle 1 zeigen, unterliegt die Sexualproportion der Lebendgeborenen nur relativ geringfügigen zeitlichen Schwankungen. Sie bewegt sich etwa zwischen 105 und 108 männlichen Lebendgeborenen auf 100 weibliche Lebendgeborene. Dennoch treten einige Tabelle 1 Sexualproportion der Lebendgeborenen von 1900 bis 1939 im ehemaligen Deutschen Reich sowie von 1946 bis 1973 in der DDR Jahr

Zahl der männlichen Lebendgeborenen auf 100 weibliche Lebendgeborene Deutsches Reich'

1900 1913 1915 1916 1918 1919 1930 1939 1946 1947 1948 1950 1955 1960 1965 1970 1973

DDR 2

105,5 105,4 105,5 106,5 107,3 108,0 106,1 106,5 108,5 107,4 108,1 107,2 107,4 106,0 107,0 105,4 105,8

Quellen: 1 Von 1900 bis 1939 ehemaliges Deutsches Reich: 1900 Statistik des Deutschen Reiches. Bd. 266, S. 30; 1913 bis 1939 Statistisches Jahrbuch des Deutschen Reiches 1941/ 1942, S. 72. 2 Statistisches Jahrbuch der DDR 1973, Berlin 1973, S. 476.

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Unterschiede in der Sexualproportion zwischen den einzelnen Ländern auf. Diese Unterschiede können durch unterschiedliche Definitionen der Lebendgeborenen bedingt sein. Je mehr von den Geborenen zu den Lebendgeborenen gezählt werden, desto höher ist im allgemeinen die Sexualproportion der Lebendgeborenen. Das hat seinen Grund darin, daß die Sexualproportion der Totgeborenen — wie noch gezeigt wird — höher ist als die der Lebendgeborenen. Die Unterschiede in der Sexualproportion der Lebendgeborenen zwischen den einzelnen Ländern werden zum Teil auch durch die unterschiedliche Stellung des Staates zur vorzeitigen Schwangerschaftsbeendigung beeinflußt. Wie noch gezeigt wird, ist die Sexualproportion bei den Abortierten sehr hoch und nimmt mit großer Wahrscheinlichkeit zu, je mehr der Zeitraum, in dem die Aborte auftreten, an den Konzeptionstermin heranreicht. Ist in einem Lande vorzeitige Schwangerschaftsbeendigung nicht erlaubt, so ist die Sexualproportion bei den Lebendgeborenen entsprechend hoch, weil dann relativ mehr männliche Feten ausgetragen werden. In Ländern, in denen die vorzeitige Schwangerschaftsbeendigung generell erlaubt ist, liegt die Sexualproportion der Lebendgeborenen dagegen im allgemeinen niedrig. Relativ hoch ist die Sexualproportion der Lebendgeborenen beispielsweise in römisch-katholischen Ländern wie in Frankreich und Spanien sowie in den Ländern, in denen sich die Bevölkerung überwiegend zum Islam bekennt. Die hohe Sexualproportion in diesen Ländern dürfte auch auf Erfassungsgepflogenheiten zurückzuführen sein. Es ist in diesen Ländern zum Teil so, daß männliche Geborene äußerst willkommen sind, während man weibliche Geborene weniger wichtig nimmt. Aus diesem Grunde werden namentlich in den ersten Lebenstagen verstorbene weibliche Lebendgeborene zuweilen nicht erfaßt. Zur Erklärung des in der Regel bestehenden Spielraumes der Sexualproportion der Lebendgeborenen von 105 bis 106 sind verschiedene Theorien entwickelt worden. So sollen zum Beispiel mehr Knaben als Mädchen geboren werden, wenn bei den Geschlechtspartnern der Mann jünger sei als die Frau. Eine andere Theorie dagegen besagt, daß die Wahrscheinlichkeit, einen Knaben zu gebären, um so größer sei, je älter der Mann gegenüber der Frau sei. Die Ernährungstheorie begründet den Knabenüberschuß bei den Geborenen aus dem Ernährungszustand der Mutter. Schlechte Ernährung der Mutter begünstige Feten männlichen Geschlechts, bessere Ernährung dagegen solche weiblichen Geschlechts. Von der sogenannten Jahreszeittheorie wird behauptet, daß im Frühjahr der Knabenüberschuß geringer sei als im Sommer und 7*

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Herbst. Diese Theorien sind jedoch nicht stichhaltig und stützen sich im wesentlichen auf unzureichendes Zahlenmaterial. Wenn im folgenden kurz auf das Problem der Herausbildung des Geschlechts eingegangen wird, so deswegen, um das Zustandekommen der Sexualproportion auch yon dieser Seite zu beleuchten. Vorweg sei darauf verwiesen, daß eine endgültige Erklärung der Ursachen, die die relativ stabile Höhe der Sexualproportion bei Geborenen hervorrufen, bis heute noch aussteht. Die Herausbildung des Geschlechts des Menschen hat durch die Chromosomentheorie, die sich erst im 20. Jahrhundert entwickelte, eine befriedigende Erklärung gefunden. Diese Theorie besagt, daß bei der Befruchtung der Eizelle eine neue Zelle entweder mit zwei XChromosomen entsteht, was für das weibliche Geschlecht bestimmend ist, oder mit einem X- und einem Y-Chromosom, was für das männliche Geschlecht bestimmend ist. Demnach ist für den Fetus, der sich aus der befruchteten Eizelle entwickelt, die männliche Samenzelle geschlechtsbestimmend. Damit soll jedoch nach Großer der Einfluß des Eies auf die Geschlechtsbestimmung nicht negiert werden, da möglicherweise die Anziehungskraft dés Eies auf die verschiedenen Chromosomen je nach dem Reifegrad des Eies unterschiedlich sein kann. Immerhin ist zum Zeitpunkt der Befruchtung des Eies über das Geschlecht der Feten entschieden, wodurch Ansichten über eine spätere Beeinflussung des Geschlechts der Boden entzogen wird. Nach dieser Theorie kommt die Sexualproportion dadurch zustande, daß „die ,männlich' determinierten Spermatozoen sich in ihrer Beweglichkeit und Befruchtungsfähigkeit anders verhalten als die ,weiblichen" und bei der Überwindung von Schwierigkeiten auf dem Wege zur Tube und bei der Imprägnation diesen um ein geringes überlegen sind, ohne daß allerdings die Gegensätze so groß wären, daß die eine Art von Samenzellen die andere völlig verdrängen könnte. Damit könnte auch das Überwiegen des männlichen Geschlechts der Kinder bei Erstgebärenden erklärt werden." 2 Wenn man sich die zeitliche Entwicklung der Sexualproportion der Lebendgeborenen in Tabelle 1 ansieht, so fällt auf, daß sie in Kriegsund Nachkriegsjahren besonders hoch ist. Diese Feststellung beschränkt sich nicht auf die Sexualproportion im ehemaligen Deutschen Reich bzw. in der DDR, sie läßt sich verallgemeinern. Dieser Tatbestand war übrigens bereits zu Zeiten von J. P. Süßmilch bekannt. Über die Gründe dieses Anstieges der Sexualproportion der Lebendgeborenen in Kriegs2 F. v. Mikulicz-Radecki, in: W. Stoeckel, Lehrbuch der Geburtshilfe, 13. Aufl., Jena 1961, S. 43.

100

und besonders in Nachkriegsjahren sind ebenfalls eine Reihe von Theorien entstanden, von denen wir hier nur diejenigen wiedergeben, die unseres Erachtens dieses Phänomen befriedigend erklären. In Kriegsund besonders in Nachkriegsjahren steigt der Anteil von Ehen mit relativ jungen Ehepartnern. Damit steigt auch der Anteil der Erstgeborenen. Beim ersten Kind ist der Wille zur Austragung der Schwangerschaft vermutlich meist größer als beim zweiten, dritten Kind usw. Die Frau ist daher besonders bei Erstgeborenen bemüht, einen Abort möglichst zu vermeiden. Auch das bedingt einen relativ niedrigen Anteil von vorzeitigen Schwangerschaftsbeendigungen bei Erstschwangerschaften. Nun ist aber die Sexualproportion bei Abortierten sehr hoch. Außerdem ist die Sexualproportion bei Erstgeborenen im allgemeinen höher als bei Zweit-, Drittgeborenen usw. Dadurch ist auch die Sexualproportion der Lebendgeborenen in den Jahren relativ hoch, in denen die Aborthäufigkeit relativ niedrig und der Anteil der Erstgeborenen relativ hoch ist. Diese Situation tritt gerade in Kriegs- und Nachkriegsjahren ein. Die Ansicht, daß die Aborthäufigkeit auf die Sexualproportion in Kriegsund Nachkriegsjahren den geschilderten Einfluß ausübt, wird dadurch gestützt, daß in Ländern mit Verbot der vorzeitigen Schwangerschaftsbeendigung die Sexualproportion der Lebendgeborenen relativ hoch, in Ländern mit erlaubter vorzeitiger Schwangerschaftsbeendigung dagegen relativ niedrig ist. Ferner steht diese Ansicht damit im Einklang, daß — wie noch gezeigt wird — die Sexualproportion bei ehelich Lebendgeborenen im allgemeinen höher liegt als bei nichtehelich Lebendgeborenen. Wir gehen nun auf die Sexualproportion bei Totgeborenen und Abortierten ein (vgl. Tabellen 2 und 3). Vergleicht man die Sexualproportion der Totgeborenen mit der der Lebendgeborenen, so zeigt sich, daß die Sexualproportion der Totgeborenen deutlich höher ist als die der Lebendgeborenen. Noch größer ist der Unterschied der Sexualproportion der Lebendgeborenen gegenüber der Sexualproportion der Abortierten. Obwohl die Sexualproportion der Abortierten in den angegebenen Städten und in den USA gewisse Unterschiede aufweist, stellen sich folgende Tatsachen dar: Erstens — die Sexualproportion der Abortierten ist wesentlich höher als die der Lebend- und Totgeborenen, worauf bereits Bernoulli hingewiesen hat, und zweitens — die Sexualproportion der Abortierten nimmt mit zunehmendem Schwangerschaftsmonat ab, in dem der Abort erfolgt. Diese Tendenz der Sexualproportion läßt sich auch für die ersten drei Schwangerschaftsmonate vermuten, obwohl für diesen Zeitraum besonders Schwierigkeiten in der Erfassung 101

Tabelle 2 Sexualproportion der Totgeborenen von 1886 bis 1895 im ehemaligen Deutschen Reich1 sowie von 1946 bis 1971 in der DDR 2 Jahr

Zahl der männlichen Totgeborenen auf 100 weibliche Totgeborene

1886 bis 1895 1964 1950 1955 1960 1965 1970 1971 1972

129,9 121,6 122,1 112,8 115,5 119,2 117,2 11-1,4 113,6

Quellen: 1 1886 bis 1895, Deutsches Reich, aus G. v. Mayr, Statistik und Gesellschaftslehrc, 2. Aufl., Bd. 2, Tübingen 1926, S. 291. 2 Statistisches Jahrbuch der DDR 1973, Berlin 1973, S. 475.

Tabelle 3 Sexualproportion der Abortierten in Budapest, Wien, Paris und den USAI Schwangerschaftsmonat

4. 5. 6.

Zahl der männlichen Abortierten auf 100 weibliche Abortierte in: Budapest 2

Wien3

Paris 4

USA'

245,0 148,3 118,1

284,3 162,0 112,4

225,3 132,1 115,0

208,0 157,0 126,0

Quelle: 1 Zusammengestellt aus F. Prinzing, Handbuch der medizinischen Statistik, Jena 1931, S. 52. 2 1903-1906,1908, 1912. 3 1906-1910. « 1906-1909. s 1920.

der Abortierten und in der Erkennung ihres Geschlechts auftreten. Zur Feststellung des Geschlechts der Feten in den ersten drei Schwangerschaftsmonaten bedarf es meist spezieller Untersuchungen des Abortierten. Auf jeden Fall kann man aber sagen, daß die Sexualproportion

102

der Totgeborenen größer ist als die der Lebendgeborenen; die Sexualproportion der Abortierten übersteigt wiederum die der Totgeborenen. Solche Unterschiede liegen außerhalb der zufallsbedingten Streuung dieser Werte. Demnach werden die männlichen Feten stärker von den Totgeburten und Aborten betroffen als die weiblichen. Diese Meinung vertrat bereits Tschuprow, der die Regel (Tschuprowsche Regel) aufstellte, „daß sich die Überzahl der männlichen Fehlgeburten mit abnehmendem Fruchtalter stetig, somit bis gegen den Imprägnationstermin zu vermehre". * Man erklärt dies im allgemeinen mit einer größeren Sterblichkeit der männlichen Feten im Laufe der Schwangerschaft, die sich auch später in allen Altersstufen fortsetzt. Diese Übersterblichkeit der männlichen Feten gegenüber den weiblichen soll auf einer geringeren W iderstandskraft der männlichen Feten beruhen. Auch durch diese Ü berlegungen wird bestätigt, daß die Sexuaiproportion der Lebendgeborenen um so höher liegt, je niedriger die Aborthäufigkeit ist, da männliche Feten von Aborten stärker betroffen werden als weibliche Feten und somit bei relativ wenig Aborten mehr männliche Feten zur Austragung kommen. Alle diese Überlegungen im Zusammenhang mit der Übersterblichkeit der männlichen Feten sprechen für die Annahme, daß das zahlenmäßige Verhältnis der männlichen Feten zu den weiblichen Feten bis zum K.onzeptionstermin ständig ansteigt. Es darf als wahrscheinlich angenommen werden, daß die Sexualproportion zum Zeitpunkt der Empfängnis etwa 200 bis 250 beträgt, d. h„ d a ß im Durchschnitt etwa 2- bis 2,5mal soviel männliche wie weibliche Feten gezeugt werden. Dies steht auch mit der Theorie im Einklang, wonach die das männliche Geschlecht determinierenden Samenzellen den anderen Samenzellen hinsichtlich ihrer Befruchtungsfahigkeit überlegen sind. Nach anderen Ansichten, zum Beispiel von Boldrini, soll jedoch die Sexualproportion zum Zeitpunkt der Empfängnis etwa 1:1 betragen und die Sterblichkeit der weiblichen Feten in den ersten Schwangerschaftsmonaten eine beträchtliche Höhe erreichen. Hierfür spricht jedoch aus verschiedenen Gründen (besonders wegen der höheren Sterblichkeit von Personen männlichen Geschlechts in allen Altersjahren) wenig Wahrscheinlichkeit. Wir gehen nun auf die Sexualproportion der ehelich und nichtehelich Geborenen ein. Die Zahl der männlichen Geborenen pro 100 weibliche Geborene nach der Ehelichkeit für die D D R geht aus Tabelle 4 hervor. ' Zitiert bei Pfaundler, in: Zeitschrift für Kinderheilkunde, 1936, S. 185.

103

Tabelle 4 Sexualproportion der ehelich und der nichtehelich Geborenen (Lebend- und Totgeborene) von 1946 bis 196S in der DDR Jahr

Zahl der männlichen je 100 weiblichen Geborenen ehelich nichtehelich

1946 1950 1955 1960 1963 1965

108,7 107,3 107,5 106,1 106,3 107,3

109,2 109,3 107,4 106,4 105,1 105,7

1955 bis 1965

105,8

107,0

In der DDR erreichte die Sexualproportion bei den nichtehelich Geborenen in den Jahren von 1946 bis 1960 höhere Werte als bei den ehelich Geborenen, worauf auch der Durchschnitt aus den Jahren 1955 bis 1965 hinweist. Dieses Verhältnis der Sexualproportion der ehelich Geborenen und der nichtehelich Geborenen in der DDR überrascht und läßt sich nur mit demographischen Auswirkungen der Nachkriegszeit erklären. Die allgemeine Erwartung spricht dafür, daß die Sexualproportion der ehelich Geborenen größer ist als die der nichtehelich Geborenen. Ein solches Verhältnis ergab sich zum Beispiel für das Deutsche Reich in den Jahren von 1876 bis 1905; in diesem Zeitraum betrug die durchschnittliche Sexualproportion der ehelich Geborenen 106,1 und die der nichtehelich Geborenen 105,7. Ähnliche Proportionen ergaben sich auch in der Folgezeit, so zum Beispiel im Deutschen Reich von 1923 bis 1933 eine Sexualproportion der ehelich Geborenen von 106,3 und der nichtehelich Geborenen von 105,2. Seit dem Jahre 1963 übersteigt auch in der DDR die Sexualproportion der ehelich Geborenen die der nichtehelich Geborenen. Man sollte auch bedenken, daß bei steigender Häufigkeit von vorzeitigen Schwangerschaftsbeendigungen die Sexualproportion der Geborenen zurückgeht. Die folgende Tabelle 5 enthält Daten über die Abhängigkeit der Sexualproportion von der Geborenenfolge. Die Daten lassen erkennen, daß mit zunehmender Ordnungszahl der Lebendgeborenen die Sexualproportion tendenziell abnimmt. Ab dem 6. Kind stützen sich jedoch die Zahlen nur auf Material geringen Umfangs und unterliegen dadurch relativ starker Zufallsbedingtheit. Dennoch erklärt sich diese Abnahme der Sexualproportion daraus, daß 104

Tabelle 5 Zahl der männlichen Lebendgeborenen pro 100 weibliche Lebendgeborene nach der Geborenenfolge im Jahre 1963 in der DDR Ordnungszahlen des Geborenen

Sexualproportion der Lebendgeborenen

1.

106,9 106,1 104.5 106.6 104.4 105.5 107,4 99,8 94,7 112,4

2.

3. 4. 5. 6.

7. 8.

9. 10. und mehr

die Aborthäufigkeit mit zunehmender Ordnungszahl des Geborenen steigt, wovon die männlichen Feten stärker betroffen werden. Außerdem stimmt die erkennbare Tendenz der Sexualproportion nach der Geborenenfolge mit der Ansicht überein, daß bei Erstgeborenen das männliche Geschlecht besonders überwiege, da bei Erstgebärenden die Tabelle 6 Sexualproportion bei Mehrlingsgeborenen in der DDR von 1946 bis 1971 Jahr

Sexualproportion bei Mehrlingen1

1946 1950 1955 1960 1965 1970 1971

104,4 106,0 105,9 98,7 101,5 100,4 110,7

Quelle: Bevöllceningsstatistisches Jahrbuch der DDR 1973, Berlin 1973, S. 134. 1 Zahl der männlichen Mehrlingsgeborenen pro 100 weibliche Mehrlingsgeborene (Lebendund Totgeborene).

105

Konzeption schwieriger sei als bei Mehrgebärenden, wohingegen diese Schwierigkeiten von den das männliche Geschlecht bestimmenden Samenzellen besser überwunden werden könnten. Inwieweit bei der Erklärung der mit der Geborenenfolge verbundenen tendenziellen Veränderungen der Sexualproportion auch das Alter der Mutter mitspricht, bedarf noch weiterer Untersuchungen. Wir wenden uns nun der Sexualproportion der Mehrlingsgeborenen zu (vgl. Tabelle 6). Die Sexualproportion bei Mehrlingsgeborenen ist im allgemeinen niedriger als bei den Geborenen insgesamt. Das zeigen (ausgenommen das Jahr 1971) auch die Daten für die D D R . Es wurde bereits erwähnt, daß vermutlich die Wahrscheinlichkeit für eine Mehrlingsgeburt mit zunehmender Ordnungszahl der Geburten steigt. Ferner wurde gezeigt, daß die Sexualproportion der Geborenen mit zunehmender Ordnungszahl der Geborenen abnimmt. In dieser unterschiedlichen Beziehung von Mehrlingsgeburt und Geborenenfolge sowie Sexualproportion und Geborenenfolge findet die niedrige Sexualproportion bei Mehrlingsgeborenen ihre demographische Erklärung.

106

G E O R G REIMANN

Zu einigen Fragen der Entwicklung der Geburtenzahl in der DDR

Die DDR gehört bereits seit jeher zu den Ländern mit einer relativ niedrigen Geburtenziffer. Unter den sozialistischen Staaten nimmt sie, von einer zeitweiligen Unterbrechung in den Jahren 1959—1966 abgesehen, in bezug auf die Geburtenhäufigkeit ständig den letzten Platz ein (vgl. Abbildung 1). Das aus dem „Nachholebedarf" der Kriegsjahre resultierende sogenannte „Geburten-Hoch", das nach Beendigung des 2. Weltkrieges in den meisten unmittelbar am Kriege beteiligten Ländern zu beobachten war, erfolgte in der DDR mit erheblicher Zeitverschiebung und in wesentlich abgeschwächter Form. Ausgehend von dem 1951 verzeichneten geringen „Nachkriegsgipfel"* setzte in den folgenden Jahren eine allmähliche, aber ständige Abnahme der Geburtenziffer ein. Durch die 1958 mit dem „Gesetz zur Änderung des Gesetzes über den Mutter- und Kinderschutz und die Rechte der Frau" eingeführten einmaligen Geburtenbeihilfen wurde dieser Entwicklung für einige Jahre mit Erfolg begegnet. Ab 1964 begann die Geburtenziffer jedoch wieder zu sanken. Diese erneute rückläufige Tendenz war im Vergleich zu den Jahren vor 1958 stärker ausgeprägt. Sie kam in den Jahren 1970/71, maßgeblich beeinflußt durch die Verbesserung der Altersstruktur der Frauen im gebärfahigen Alter, zum Stillstand. Im Zusammenhang mit der Einführung des „Gesetzes über die Unterbrechung der Schwangerschaft" im Jahre 1972 und der gleichzeitig einsetzenden verstärkten Anwendung antikonzeptioneller Mittel ging die Geburtenziffer seit Beginn des 2. Halbjahres 1972 wiederum und diesmal rapide zurück. Dieser jüngste Geburtenrückgang dauerte bis zum Ende des 1. Halbjahres 1973 an. Seitdem hat sich die Geburtenziffer offenbar stabilisiert und zeigt einen annähernd gleichbleibenden Verlauf * Mit 16,9%o lag die Geburtenziffer 1951 unter dem Vorkriegsniveau (1938 = 18,(%o)-

107

Abb. 1. Entwicklung der LebendgeborenenzifFer (Lebendgeborene je 1000 der Bevölkerung) der RGW-Länder

(vgl. Abbildung 2). Der gegenwärtige Stand der Geburtenziffer ist jedoch — mit Ausnahme des unmittelbaren Nachkriegsjahres 1946 — der niedrigste, der in der DDR bisher jemals registriert wurde, und gehört zu den niedrigsten der Welt. Die Höhe der Zahl der Geborenen ist bekanntlich abhängig von zwei Komponenten: von der Zahl und der Altersstruktur der Frauen im gebärfahigen Alter, und vom Fruchtbarkeits- oder Reproduktionsverhalten dieser Frauen. Während die erste Komponente aus der Bevölkerungsentwicklung gewissermaßen natürlich hervorgeht, langfristig im voraus festgelegt und überschaubar ist, wird die. zweite Komponente, das Reproduktionsverhalten der Frauen, von der im Verhältnis weit variableren bewußtseinsmäßigen Einstellung der Frau bzw. der Ehepartner zum Kind und zur Familiengröße bestimmt. Diese Einstellung wird wiederum von einem ganzen Komplex teils in gleicher, teils in entgegengesetzter Richtung wirkender ökonomischer, kultureller, ideologischer und materieller Einflußfaktoren geprägt. Die Existenz und Wirkungsintensität dieser Einflußfaktoren läßt sich allein mit statistischen Methoden überhaupt nicht oder nur sehr bedingt untersuchen.

108

Abb. 2. Lebendgeborene je 1000 der Bevölkerung nach Geburtsmonaten (auf ein Jahr umgerechnete Ziffern) 1970 bis 1974 1) vorläufige Zahlen

In den vergangenen Jahren wurde der Rückgang der Geborenenzahl sowohl durch die Abnahme der Zahl der Frauen irrt gebärfähigen Alter bei gleichzeitiger Verschlechterung ihrer Altersstruktur (Verminderung der Zahl der Frauen in den Altersjahren mit der höchsten Fruchtbarkeit) als auch durch eine Abnahme der Fruchtbarkeit hervorgerufen. Während noch 1965 rund zwei Drittel des Geburtenrückganges durch Strukturveränderungen und nur ein Drittel durch einen echten Fruchtbarkeitsrückgang verursacht wurden, hatte sich 1967 diese Relation umgekehrt. Seit 1969 nimmt sowohl die Zahl der Frauen im gebärtahigen Alter insgesamt als auch die Zahl der Frauen im Alter der höchsten Fruchtbarkeit zu. Das bedeutet, daß die gegenwärtige Geburtensituation allein auf die gesunkene Reproduktionsbereitschaft der Frauen zurückzuführen ist, genauer gesagt, daß die aus der Verbesserung der strukturellen Voraussetzungen zu erwartenden positiven Auswirkungen auf die Geburtenentwicklung durch diese verminderte Reproduktionsbereitschaft bei weitem überlagert werden. 109

Über die Ursachen der veränderten Einstellung zum Kind bestehen zur Zeit keine ausreichenden Kenntnisse. Einige Rückschlüsse auf das Ürsachengeschehen lassen sich aus speziellen Tendenzen der Fruchtbarkeitsentwicklung ableiten. Bis in die Mitte der 60er Jahre war in der D D R ein erhebliches Niveaugetalle der Fruchtbarkeit von den ländlichen zu den städtischen bzw. industriellen Gebieten zu verzeichnen, das als Ergebnis bzw. als eine spezielle Erscheinungsform der noch bestehenden Unterschiede zwischen Stadt und Land zu werten ist. Im Zusammenhang mit den erreichten Erfolgen bei der Beseitigung dieser allgemeinen Unterschiede ist auch eine Tendenz zur Nivellierung der demographischen Unterschiede, insbesondere der Differenziertheit im Fruchtbarkeitsniveau, deutlich erkennbar. Zwar bestehen auch gegenwärtig noch Unterschiede, jedoch ist die Differenzspanne zwischen Stadt und Land durch die Angleichung des Niveaus der Landgebiete an das der Städte bzw. Industriegebiete wesentlich geringer geworden. Ein Ausdruck dafür ist die deutliche Verringerung der Unterschiede in der Höhe der Fruchtbarkeit zwischen den einzelnen Bezirken und Kreisen der D D R . So lag beispielsweise die Summe der altersspezifischen Fruchtbarkeitsziffern des Bezirks Neubrandenburg (des Bezirks mit der höchsten Geburtenhäufigkeit) im Jahre 1960 noch um fast 850 Promille über der des Industriebezirks Karl-Marx-Stadt (des Bezirks mit der niedrigsten Geburtenhäufigkeit). Heute ist der Unterschied zwischen diesen beiden Bezirken, die noch immer den oberen und unteren Grenzwert der Fruchtbarkeit unter den Bezirken repräsentieren, auf rund 330 Promille zusammengeschrumpft. Ein ebenfalls deutliches Bild dieses Angleichungsprozesses ergibt die Betrachtung nach Gemeindegrößengruppen. Bis in die Mitte der sechziger Jahre lag die Summe der altersspezifischen Fruchtbarkeitsziffern der Frauen, die in Gemeinden mit weniger als 100000 Einwohnern lebten, um rund 350 höher als die der in Großstädten mit über 100000 Einwohnern lebenden. Im Jahre 1973 betrug diese Differenz nur noch % (vgl. Abbildung 3). Der Fruchtbarkeitsrückgang war in den letzten Jahren in den kleineren Städten und Gemeinden erheblich größer als in den Großstädten. Die Angleichung der Geburtenhäufigkeit zwischen Stadt und Land ist im verstärkten Maße bei den jüngeren Frauen zu beobachten. So bestehen z. B. bei den unter 21jährigen Frauen in den letzten Jahren kaum noch Unterschiede im Fruchtbarkeitsniveau. Diese Tatsache läßt darauf schließen, daß in den nächsten Jahren mit der weiteren Angleichung der allgemeinen Arbeits- und Lebensbedingungen zwischen Stadt

110

Abb. 3. Entwicklung der Summe der altersspezifischen FruchtbarkeitszifTern (I fx) in Gemeinden mit über bzw. unter 100000 Einwohnern

und Land die derzeitig noch bestehenden geringen Fruchtbarkeitsunterschiede völlig verschwinden werden. Nach dem Alter der Frauen betrachtet, verläuft die Fruchtbarkeitsentwicklung in der DDR sehr differenziert. Das betrifft sowohl die Intensität der Niveau Veränderungen als auch ihren zeitlichen Verlauf. Während z. B. in der jüngsten Altersgruppe der unter 20jährigen Frauen bis zum Jahre 1971 noch ein kontinuierlicher Anstieg der Fruchtbarkeit verzeichnet werden konnte, trat bei den Frauen im Alter von über 30 Jahren bereits Anfang der 60er Jahre, d. h. zur Zeit des noch ansteigenden allgemeinen Fruchtbarkeitsniveaus, eine Stagnation bzw. ein Rückgang der Geburtenhäufigkeit ein. In der Altersgruppe der 20- bis 24jährigen Frauen, der Altersgruppe mit der höchsten Fruchtbarkeit, begann erst im Jahre 1968 die Geburtenhäufigkeit abzunehmen (vgl. Tabelle 1).

111

Tabelle 1 Lebendgeborene je 1000 Frauen des entsprechenden Alters von 1965—1973 Alter der Frauen (in Jahren) unter 20 20-24 25-29 30-34 35-39 40-44

1965

1970

1971

1972

1973

1973 (1965 = 100)

75 180

78 181

70 30 7

100 54 22 3

80 177 95 51 22 3

72 152 76 38 17 3

67 141 66 29 12 2

89 78 52 41 40 29

126

Offenbar wirkten sich hier die geburtenbestimmenden Einflußfaktoren sehr differenziert und mit zeitlichen Unterschieden auf die Frauen verschiedenen Alters aus. Verallgemeinernd ist festzustellen, daß die Abnahme der Fruchtbarkeit mit steigendem Alter der Frauen größer wird. Im Zusammenhang damit ist auch die Tatsache zu sehen, daß sich das Maximum der Geburtenhäufigkeit, das in den 50er Jahren von den 22jährigen Frauen repräsentiert wurde, in der ersten Hälfte der 60er Jahre auf die 21jährigen und seitdem auf die 20jährigen Frauen vorverlagerte. Diese Erscheinung ist in enger Verbindung mit der Entwicklung des durchschnittlichen Heiratsalters der ledigen Frauen zu sehen. Allgemein wird von den Demographen ein frühes Heiratsalter als ein Positivum für die Geburtenhäufigkeit gewertet. Die Vorverlegung des Fruchtbarkeitsmaximums scheint diese Ansicht zu stützen. Tatsächlich ist jedoch durch diese Entwicklung nur das Durchschnittsalter der Frauen bei der Geburt des ersten Kindes betroffen worden, das von 22.7 Jahre im Jahre 1965 auf 21,7 Jahre im Jahre 1973 zurückgegangen ist. Der Fakt, daß sich das Durchschnittsalter von 25,5 Jahren bei der Geburt des zweiten Kindes im betrachteten Zeitraum nicht veränderte, zeigt, daß sich der aus einer früheren Heirat erwartete Effekt einer höheren Kinderzahl der Ehe offenbar nicht realisierte. Da naturgemäß die Erstkinder vorwiegend von jüngeren Frauen, die Kinder höherer Ordnung (3., 4. und weitere Kinder) von entsprechend älteren Frauen geboren werden, besteht ein enger Zusammenhang zwischen der verstärkten Abnahme der Fruchtbarkeit der über 30jährigen Frauen und einem weiteren Charakteristikum des Geburtenrückganges, der abnehmenden Bereitschaft zum 3., 4. und folgenden Kind. 112

In der DDR ist in den letzten Jahren eine Tendenz zur Einschränkung der Kinderzahl in den Familien zu beobachten. Das kommt unter anderem darin zum Ausdruck, daß die Zahl und der Anteil der Geborenen, die als drittes und weitere Kinder der Mutter zur Welt kommen, stark abgenommen hat. Im Jahre 1965 waren knapp 38 Prozent der Gesamtzahl der Lebendgeborenen Erstkinder. Bis 1973 stieg der Anteil der Erstgeborenen auf 58 Prozent an. Der Prozentsatz der als drittes oder weiteres Kind der Mutter Geborenen ging dagegen im gleichen Zeitraum von 33 auf 13 zurück. Die Verteilung der Geborenen nach der Geborenenfolge ist abhängig von der Alterszusammensetzung der Frauen im gebärfahigen Alter. Somit ist die Veränderung der Anteilsverteilung teilweise bedingt durch das Nachrücken zahlenmäßig stärker besetzter Geburtsjahrgänge der Frauen in das gebärfahige Alter. Die Entwicklung der summierten alters- und paritätsspezifischen Fruchtbarkeitsziffern beweist jedoch, daß die sinkenden Zahlen der Geburten von dritten und folgenden Kindern der Mutter ihre überwiegende Ursache in einer Veränderung des generativen Verhaltens, in einem Wandel der Einstellung der Frauen bzw. Familien zum dritten und folgenden Kind haben. Die Abnahme der Gesamtfruchtbarkeit bis 1971 war nicht bzw. nur in geringem Maße dem Verzicht auf das erste bzw. zweite Kind, sondern Tabelle 2 Entwicklung der Fruchtbarkeitsziffern 1964—1973 Unter den Fruchtbarkeitsverhältnissen des entsprechenden Jahres werden von 1000 Frauen im Laufe ihres Lebens geboren: Kinder insgesamt

davon als 1. 2.

3.

4. und weiteres

359 360 282 195 120

430 424 212 144 94

Kind der Mutter 1964 1966 1971 1972 1973

2442 2479 2132 1786 1577

975 997 979 902 880

678 699 658 544 483

1964 = 100 1971 1973

87,3 64,6

8 Demographie

100,4 90,3

97,0 71,2

78,6 33,4

49,3 21,9

113

700 80 SO W 20 0 Abb. 4. Entwicklung der allgemeinen Fruchtbarkeitsziffern nach der Geborenenfolge 1965 = 100

vorwiegend und in steigendem Maße dem Ausbleiben des dritten, vierten und folgenden Kindern der Mutter geschuldet. So sank von 1964 bis 1971 die Bereitschaft zum dritten Kind um mehr als ein Fünftel, die zum vierten und weiteren Kind um mehr als die Hälfte. Nach der jüngsten Entwicklung ist selbst bei den Erstkindern ein Rückgang eingetreten und bei den zweiten und folgenden Kindern eine wesentlich stärkere Abnahme als in den Vorjahren zu verzeichnen (vgl. Tabelle 2 und Abbildung 4). Die dargelegten speziellen Tendenzen der Fruchtbarkeitsentwicklung in der D D R können zwangsläufig nur einen Ausschnitt aus der Vielfalt der Spezifika dieses demographischen Prozesses bilden. Sie bilden erste Ansatzpunkte für zielgerichtete Überlegungen und notwendige tiefergehende Untersuchungen dieser für die weitere Entwicklung der Zahl und Struktur unserer Bevölkerung entscheidenden Entwicklung. Von wesentlicher Bedeutung ist dabei die Erforschung der Motivationen der Frauen bzw. Familien, die ihre Einstellung zur Kinderzahl bestimmen.

114

EDWARD ROSSET

Die mittlere Lebenserwartung in der Volksrepublik Pòlen

Der berühmte englische Kunstkritiker John Ruskin (1819—1900) sagte einmal, der einzig wahrhafte Reichtum sei das Leben. Kennziffern der Lebenserwartung können für jede beliebige Altersstufe errechnet werden. Der Kürze halber wende ich mich in diesem Beitrag ausschließlich der Lebenserwartung der Neugeborenen zu. Dieser Kennziffer kommt insofern besondere Bedeutung zu, als in sie alle die altersbedingt unterschiedlichen Mortalitätsfaktoren einfließen. Die für das Neugeborene erreichte mittlere Lebensdauer kann man angesichts ihres synthetischen Charakters schlechthin als mittlere Lebenserwartung bezeichnen. Diese gemeinhin übliche Kurzform soll auch in meinem Beitrag Verwendung finden. Und noch eines sei klärend vorausgeschickt: Die Antwort auf die Fragen „Was spiegelt sich in den Parametern der mittleren Lebenserwartung wider?" und „Welchen Erkenntniswert haben diese Parameter?" Einige Wissenschaftler betrachten sie als Maß des Gesundheitszustandes der Bevölkerung. Dem kann ich nicht zustimmen. Lebenserwartung und Gesundheitszustand der Bevölkerung können einander widersprechen. Der bRD-Forscher F. Deneke, ein Spezialist für Fragen der Bevölkerungspolitik, schreibt: „Ist es nicht möglich, daß die Menschen immer kränker werden und dennoch immer länger leben? In gewissem Sinne ja." 1 Ich meine, daß die mittlere Lebenserwartung an sich keineswegs als Maßstab für den Gesundheitszustand der Bevölkerung dienen kann. Sie ist einzig und allein Maßstab der Mortalität. Sterblichkeitstabellen — eine Quelle für Angaben über die Lebenserwartung — werden in Polen seit Mitte des 19. Jahrhunderts aufgestellt. 1

F. Deneke, Gesundheitspolitik. Ihr Wesen und ihre Aufgaben in unserer Zeit, Stuttgart 1957. Zitiert nach: Ju. Dobrovol'skij, Zdorove naselenija mira'v XX veke, Moskva 1968, S. 18.

8*

115

Wir legen unserer Analyse die letzte Vorkriegstabelle für die Jahre 1931/32 sowie die von der Polnischen Zentralverwaltung für Statistik für die Nachkriegsjahre 1952/53, 1955/56. 1960/61. 1965/66 und 1970/72 errechneten Tabellen zugrunde. Die letztgenannte Tabelle wurde übrigens nach einer neuen Methode aufgestellt, so daß ihre Parameter den Angaben der früheren Tabellen nicht absolut vergleichbar sind. Die Evolution der mittleren Lebenserwartung, die in den letzten 40 Jahren (1931 — 1971) in Polen stattgefunden hat, spiegelt sich in folgenden Zahlen wider:

1931-1932 1952-1953 1955-1956 1960-1961 1965-1966 1970-1972

Beide Geschlechter

Männer

Frauen

49,8 61,5 64,9 67,8 69,0 70,4

48,2 58,6 61,8 64,8 66,8 66,8

51,464,2 67,8 70,5 72,8 73,8

Anfang der dreißiger Jahre lag in Polen die mittlere Lebenserwartung unter 50 Jahren, heute übersteigt sie 70 Jahre. Sie erhöhte sich in diesem Zeitraum bei den Männern um 18,6 und. bei den Frauen um 22,4 Jahre. Über ein derartiges Wachstum der Lebenserwartung sagte Adam Krzyzanowski, einer der größten polnischen Ökonomen: „Das ist schon keine Evolütion mehr, sondern eine Revolution. Eine größere Revolution hat die Menschheit bisher noch nicht erlebt". 2 Die vergangenen 30 Jahre (1945—1974) - die Jahre der Volksmacht in Polen — waren auch in dieser Hinsicht eine revolutionäre Periode. „Die Schattenseite der Reproduktion der Bevölkerung ist", wie der sowjetische Demograph Pisarev schreibt, „die hohe Sterblichkeit der Männer". 3 Diese Tatsache widerspiegelt sich in den Parametern der mittleren Lebenserwartung: Von einigen geringfügigen Ausnahmen abgesehen, die übrigens immer seltener und zudem in sehr rückständigen Ländern anzutreffen sind, ist die mittlere Lebenserwartung der Männer niedriger als die der Frauen. 2

3

Adam Krzyzanowski in: Vorwort zur polnischen Ausgabe des „Essay on the Principle of Population" von Thomas Robert Malthus (T. R. Malthus, Prawo ludnosci, Warschau 1925). I. Pisarev, Narodonaselenye SSSR, Sozekgiz, Moskau 1962.

116

Diese längere Lebenserwartung der Frauen betrug in Polen : 1931-1932 3.2 Jahre 1952-1953 5,6 Jahre 1955-1956 6.0 Jahre 1960-1961 5.7 Jahre 1965-1966 6,0 Jahre 1970-1972 7,0 Jahre Quelle Polnische Sterbetafeln

Die Differenz in der Lebenserwartung der Männer und der Frauen kann man als „männliche Übersterblichkeit" (surmortalité masculine) bezeichnen. Aus den angeführten polnischen Zahlen geht hervor, daß erstens das Nachkriegsniveau der männlichen Übersterblichkeit über dem Vorkriegsniveau liegt und daß zweitens für den Nachkriegszeitraum ein systematischer Anstieg der männlichen Übersterblichkeit charakteristisch ist. Wir stehen hier selbstredend einer äußerst negativen Erscheinung gegenüber. Dazu genügt der Hinweis, daß es bei uns weitaus weniger Witwen und Halbwaisen gäbe, wenn es gelänge, die Übersterblichkeit der Männer zu reduzieren. Das Phänomen des Anwachsens der männlichen Übersterblichkeit in der Nachkriegszeit ist in vielen Ländern zu beobachten. Sie differiert den jüngsten Tabellen zufolge in Europa zwischen 3.9 Jahren (Bulgarien) und 9 Jahren (UdSSR). Der polnische Koeffizient gehört im europäischen Maßstab zu den hohen Werten. Außer der UdSSR ist dieser Koeffizient lediglich in zwei europäischen Ländern höher als in Polen, und zwar in Österreich mit 7.1 Jahren und in Frankreich mit 7,5 Jahren. Die CSSR hat den gleichen Wert wie Polen, nämlich 7,0 Jahre. In der DDR ist dieser Koeffizient halb so groß wie in Polen, der t S S R und Österreich. Es sei daran erinnert, welches Aufsehen, und zwar nicht nur in der UdSSR, sondern weit über ihre Grenzen hinaus, seinerzeit die Schlußfolgerung erregt hat, die B. Urlanis aus den entsprechenden sowjetischen Angaben zog. Urlanis wies darauf hin, daß es an der Zeit sei, sich eingehender mit dem Gesundhèitszustand des männlichen Teils der Bevölkerung zu befassen und für die Männer ähnliche Konsultationen einzuführen wie für die Frauen. E. Belickaja aus Leningrad teilt diese Auffassung nicht. Sie hält es für sinnvoller, den Kampf gegen die durch Alkohol und Nikotin verursachten chronischen Intoxinationen zu verstärken. 4 Ich glaube, mit beiden Autoren konform zu gehen, wenn 4

E. Belickaja, Problemy social'noj gigieny, Leningrad 1970, S. 218.

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ich den von ihnen unterbreiteten Vorschlägen noch die Forderung nach einer Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen hinzufüge. Große Bedeutung hätte in diesem Zusammenhang die Prophylaxe gegen Überanstrengung, auf die S. Eitner, Verfasser eines Buches über Gerohygiene, hinweist.5 Bei Aufschlüsselung auf Stadt und Land ergeben die Angaben über die mittlere Lebenserwartung (für beide Geschlechter) in Polen folgendes Bild:

1952-1953 1955-1956 1960-1961 1965-1966 1970-1971

Stadt

Land

Differenz

62,4 65,7 68,3 70,1 70,5

60,9 64,3 67,3 69,7 70,3

1,5 1,4 1,0 0,4 0,2

Quelle Polnische Sterbetafeln

Diese Aufstellung ist sehr instruktiv, zeugt sie doch davon, daß die alte Kluft zwischen Stadt und Land — ein Erbe der kapitalistischen Vergangenheit — immer geringer wird. Derzeitig beträgt sie fast Null. Wenn man diese Angaben noch nach Geschlechtern untergliedert, so zeigt sich, daß sich bei den Männern der Überhang zugunsten des Landes verlagert hat. Diese für unser Land neue Erscheinung setzte in der Mitte der sechziger Jahre ein, als die mittlere Lebenserwartung der polnischen Männer auf dem Lande erstmalig den entsprechenden Wert für die Stadtbevölkerung übertraf. In der Dynamik der Parameter der mittleren Lebenserwartung kann zwischen drei Grundstadien unterschieden werden. Für das erste Stadium ist ein niedriges Wachstumstempo kennzeichnend, für das zweite ein hohes, und für das dritte wiederum ein niedriges und schließlich gar aufhörendes Wachstum. Die meisten industriell entwickelten Länder der Welt sind bereits in das dritte Stadium eingetreten. Als Beispiel sei Schweden, das Land mit der höchsten mittleren Lebenserwartung, angeführt. B. Urlanis führt in seiner neuesten Arbeit zu Problemen der Bevölkerungsdynamik in der UdSSR folgende Angaben über das Wachstum der mittleren Lebenserwartung in Schweden, bezogen auf die Fünfjahresperioden des Zeitraums 1940 bis 1965, an: 3

S. Eitner, Gerohygiene. Hygiene des Alters als Problem der Lebensgestaltung, Berlin 1966, S. 60.

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Jahrfünft

Männer

Frauen

I II III IV V

+ 2,76 + 1,98 + 1,45 + 0,74 +0,37

+ + + + +

2,79 1,87 1,85 1,29 0,96

Quelle: B. Urlanis, Problemy dinamiki naselenija SSSR, Moskva 1974

Diese Zahlen kommentierend, schreibt Urlanis: „Die Angaben zeigen deutlich, daß sich das Wachstum der mittleren Lebenserwartung der Männer und Frauen systematisch verringert. In dem Jahrfünft 1961 bis 1965 war dieses Wachstum bei den Frauen nur ein Drittel so hoch wie 30 Jahre zuvor, bei den Männern gar nur ein Achtel". 6 Ich möchte hinzufügen, daß die Verringerung des Wachstums auf fast Null auf die kurz bevorstehende Beendigung des Wachstums der mittleren Lebenserwartung hindeutet. Die VR Polen befindet sich wie andere entwickelte Länder im dritten Stadium des Wachstums der mittleren Lebenserwartung. Die betreffenden Parameter steigen bei uns noch an, indes schon in langsamerem Tempo. Das geht aus den folgenden Angaben über den jährlich durchschnittlichen Zuwachs der mittleren Lebenserwartung in der VR Polen während der letzten Jahre hervor: Zeitraum

Männer

Frauen

1952/53-1955/56 1955/56-1960/61 1960/61-1965/66

+1,07 +0,60 + 0,40

+1,20 + 0,90 + 0,46

Quelle: Polnische Sterbetafeln

Geht man von den Gesetzmäßigkeiten der Dynamik der mittleren Lebenserwartung aus, so ist mit Wahrscheinlichkeit anzunehmen, daß die Parameter der mittleren Lebenserwartung in der VR Polen höchstens noch bis zum Ende des 20. Jahrhunderts anwachsen werden. Wie sehen die Perspektiven für das weitere Wachstum der mittleren Lebenserwartung in der VR Polen aus? Bis zum Jahr 2000 können nach meiner Auffassung folgende Parameter erreicht werden: bei Männern in der Stadt 71,5 Jahre und auf dem Lande 72,1 Jahre; bei Frauen in der Stadt 76,1 Jahre und auf dem Lande 76,7 Jahre. « B. Urlanis, Problemy dinamiki naselenija SSSR, Moskva 1974, S. 199.

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Vergleicht man diese Parameter mit dem gegenwärtigen Stand, so beträgt die Erhöhung der Lebenserwartung bei den Männern 4 bis 5 und bei den Frauen 3 bis 4 Jahre. Sollten sich diese, meines Erachtens sehr realistischen Annahmen erfüllen, so wird sich die männliche Übersterblichkeit um ein Jahr verringern. Der für das Jahr 2000 geschätzte Parameterstand entspricht ziemlich exakt den heutigen schwedischen Parametern, die derzeitig das welthöchste Niveau verkörpern. Es besteht kein Grund zu der Annahme, daß die schwedischen Werte bis zum Jahr 2000 noch wesentlich anwachsen werden. Die Reserven für eine weitere Senkung der Mortalität in Schweden sind äußerst gering, so daß man meinen sollte, die schwedischen Parameter der mittleren Lebenserwartung haben sich der beim heutigen Stand der medizinischen und biologischen Kenntnisse erreichbaren Obergrenze bereits angenähert. Demnach werden im Jahr 2000 auch die polnischen Parameter dem Maximum nahekommen. Abschließend möchte ich noch die Position beleuchten, die die VR Polen unter den neun europäischen sozialistischen Ländern hinsichtlich der mittleren Lebenserwartung einnimmt. Dabei sei vorerst darauf hingewiesen, daß die nicht immer einheitliche Methodologie der Berechnung und die Asynchronität der Beobachtungszeiträume internationale Vergleiche in vielen Fällen sehr erschweren. Das trifft auch in unserem Falle zu: Die Berechnungszeiträume für die Parameter der mittleren Lebenserwartung in den einzelnen Ländern stimmen nicht überein, und das verfügbare Zahlenmaterial ist teilweise veraltet (als veraltet betrachte ich Zahlen aus der Mitte der sechziger Jahre). Die mir gegenwärtig vorliegenden Werte beziehen sich auf folgende Jahre: Albanien - 1965/66, Bulgarien - 1965/67, DDR - 1972, Jugoslawien — 1967/68, Polen - 1970/72, Rumänien - 1968, CSSR 1.969, UdSSR - 1970/71, Ungarn - 1968. Nachstehend wird der Platz angeführt, den die einzelnen Länder hinsichtlich des Niveaus der mittleren Lebenserwartung einnehmen: Männer 1.

2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9.

Bulgarien DDR Polen Ungarn Rumänien CSSR UdSSR Albanien Jugoslawien

Frauen 68,8 68,5 66,8 66,6 66,5 66,2 65 64,9 64,3

Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre

1.

2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9.

Quelle: Sterbetafeln der entsprechenden Länder

UdSSR DDR Polen CSSR Bulgarien Ungarn Rumänien Jugoslawien Albanien

74 73,9 73,8 73,2 72,7 71,9 69,8 69,0 67,0

Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre

Diese Zahlen verdienen eine umfassende Analyse, allein in meinem Beitrag geht es ausschließlich um den Stellenwert Polens. Die VR Polen nimmt bei den Männern und Frauen jeweils den dritten Platz ein. Die höchste Lebenserwartung haben die bulgarischen Männer und die sowjetischen Frauen. Länder mit einem relativ hohen Niveau der mittleren Lebenserwartung sind Ungarn und die Tschechoslowakei. Sie nehmen den vierten Tabellenplatz ein. Zum Abschluß dieser internationalen Übersicht muß gesagt werden, daß alle sozialistischen Länder einen großen Schritt nach vorn, von verhältnismäßig niedrigen zu verhältnismäßig hohen Kennziffern der mittleren Lebenserwartung getan haben. Diese Erfolge zählen zu den größten Errungenschaften unserer neuen, sozialistischen Gesellschaftsordnung.

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K A R L - H E I N Z MEHLAN

Grundsätze und Organisation der Familienplanung in der Deutschen Demokratischen Republik

Die sozialistische Gesellschaft sieht die Familienplanung nicht nur als medizinische Aufgabe, sondern als einen Auftrag an alle gesellschaftlichen Kräfte, in dessen Erfüllung individuelle, soziale, medizinische, psychologische, demographische und ethische Gesichtspunkte miteinander verflochten sind. Sie wird als humanitäres Anliegen verstanden, das die Übereinstimmung zwischen gesellschaftlichen und individuellen Interessen zum Ausdruck bringt. In der sozialistischen Gesellschaft ist die Familienplanung eine wichtige Voraussetzung für die volle Emanzipation der Frau, da sie zu ihrer bewußten Lebensgestaltung und Persönlichkeitsbildung beiträgt und auf eine Verbindung glücklicher Mutterschaft mit gesellschaftlich nützlicher Tätigkeit gerichtet ist. Durch die Familienplanung ist entsprechend der Teheraner Proklamation das Grundrecht jeder Frau zu verwirklichen, den Zeitpunkt einer Schwangerschaft selbst zu bestimmen und ebenso das Grundrecht jeder Familie, die Zahl ihrer Kinder in eigener und in Verantwortung der Gesellschaft gegenüber festzulegen. Familienplanung im Sozialismus ist somit in erster Linie ein Komplex von Maßnahmen zur Förderung des körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens der Frau, darüber hinaus aber auch aller anderen Mitglieder der Familie. In der D D R ist die Familienplanung als prophylaktische M a ß n a h m e in den Gesundheitsschutz für Mutter und Kind integriert. Die Hauptgesichtspunkte, unter denen die Familienplanung in der sozialistischen Gesellschaft wirksam wird, sind folgende: 1. Familienpolitische

Gesichtspunkte

In der Deutschen Demokratischen Republik ist die Familie befreit vom Widerspruch zwischen individuellen und gesellschaftlichen Interessen. 122

Durch gesetzliche Bestimmungen und sozialpolitische Maßnahmen schützt der Staat den Bestand der Familie, fördert die Persönlichkeitsentwicklung jedes einzelnen ihrer Mitglieder und schafft die Voraussetzungen, die Gleichberechtigung der Frau im Beruf, im gesellschaftlichen Leben und in der Familie durchzusetzen und die Erfüllung des Wunsches nach Kindern zu erleichtern. 2. Sozialethische Gesichtspunkte In der Deutschen Demokratischen Republik wird der Familie als der kleinsten Zelle der Gesellschaft eine besondere Bedeutung beigemessen. Die Familienplanung trägt zur Entwicklung und Verwirklichung eines sozialistischen Leitbildes und entsprechender Verhaltensweisen der Familie bei. 3. Demographische Gesichtspunkte Die Familienplanung unterstützt die Gesellschaft bei der Realisierung einer Bevölkerungspolitik, die gesellschaftliche und individuelle Interessen berücksichtigt. Orientiert wird auf das Leitbild der Zwei- bis Dreikinderfamilie bei absolut freier Entscheidungsmöglichkeit jedes einzelnen Menschen über Zeitpunkt und Zahl der Geburten. 4. Medizinische Gesichtspunkte Im Mittelpunkt der medizinischen Aufgaben der Familienplanung steht die Gesunderhaltung der Frau durch Vermeidung möglicher gesundheitsschädigender Einflüsse von Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett, von Pflege und Erziehung der Kinder sowie durch die Verhütung von Aborten. Darüber hinaus zählen auch die Erhaltung der psychischen Gesundheit durch Beseitigung der Angst vor einer unerwünschten Schwangerschaft und die Vermittlung von Kenntnissen für eine beglükkende sexuelle Partnerschaft zu diesen Aufgaben. Folgende ärztliche Aufgaben tragen zur Verwirklichung des prophylaktischen Prinzips der Familienplanung bei : — Die sexualistische Erziehung und Vorbereitung auf die Ehe. — Die Förderung des Willens zum Kind. — Die Beratung und gegebenenfalls Behandlung in Fällen unfreiwilliger Sterilität. 123

— Die Befähigung der Paare zur Bestimmung des günstigsten Zeitpunktes für die Erstgeburt, der günstigsten Geburtenzahl und der Geburtenabstände. — Die Verhütung unfreiweilligen extremen Kinderreichtums. — Die Vorbeugung und Beseitigung sexueller Störungen. — Die Vorbeugung und Beseitigung von Störungen des ehelichen und familiären Lebens durch interdisziplinäre Eheberatung. — Verhütung illegaler Aborte und Verminderung der Häufigkeit der Interruption. Der legale Abort ist in der Deutschen Demokratischen Republik als medizinische Maßnahme in die Familienplanung integriert. Jede Frau hat das Recht, eine unerwünschte Schwangerschaft innerhalb der ersten drei Monate kostenlos unter optimalen klinischen Bedingungen abbrechen zu lassen. Der legale Abort ist eine Ultima ratio, das Primat gehört der Empfängnisverhütung. Zur Verbreitung der Kontrazeption und damit Reduzierung der Interruption wurden konkrete* prophylaktische Verpflichtungen für das Gesundheitswesen gesetzlich angeordnet-. Jeder Arzt ist verantwortlich für Beratung und Behandlung auf dem Gebiet der Familienplanung. Zur Realisierung dieser komplexen Aufgaben wurden in der Deutschen Demokratischen Republik folgende Maßnahmen in Angriff genommen: 1. Die Familienplanung wurde als gesamtgesellschaftliche und speziell ärztliche Aufgabe anerkannt. 2. Ein Netz von Ehe- und Sexualberatungsstellen wurde aufgebaut, deren Aufgaben, Organisations- und Arbeitsweise in einer Verfügung des Ministeriums für Gesundheitswesen der Deutschen Demokratischen Republik festgelegt sind. Die Ehe- und Sexualberatungsstellen sind Einrichtungen des sozialistischen Gesundheitswesens. Im Interesse einer einheitlichen Betreuung arbeiten sie mit den juristischen, pädagogischen und gesellschaftlichen Zweigen der Ehe- und Familienberatung zusammen. Sie stehen Jugendlichen und Erwachsenen, Verheirateten und Unverheirateten zur Verfügung. 3. Seit 1963 besteht eine nationale Gesellschaft für Familienplanung in der Deutschen Demokratischen Republik. — Sie erarbeitet wissenschaftliche und organisatorische Hinweise für die Weiterentwicklung der Familienplanung und der Ehe- und Sexualberatung in der Deutschen Demokratischen Republik. — Sie setzt sich für die Entwicklung und Anwendung hochwertiger Kontrazeptiva in der Deutschen Demokratischen Republik ein. — Sie unterstützt die Aus- und Weiterbildung für Ärzte und mittleres medizinisches Personal.

124

— Sie vermittelt internationale Erfahrungen auf dem Gebiet der Familienplanung und - berät das Ministerium f ür Gesundheitswesen in Fragen der Familienplanung. Diese Gesellschaft wurde zum Initiator und Motor für die Durchsetzung der Familienplanung als prophylaktisches Prinzip in der Deutschen Demokratischen Republik. Unter den Bedingungen des sozialistischen Gesundheitsschutzes konnte innerhalb weniger Jahre bei den Bürgern ein hoher Grad von Motivation zur Familienplanung erreicht werden. Ein Ausdruck dafür ist die ständig steigende Inanspruchnahme der Familienplanungs-Aktivitäten. So benutzten z. B. im Jahre 1973 40 Prozent aller Frauen im fertilen Alter hochwirksame Kontrazeptiva. Daneben stieg die Zahl der Ratsuchenden zu Fragen der Infertilität, sexueller Störungen und von Ehekonflikten zunehmend.

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ANNELIESE SÄLZLER u n d LIESELOTTE H I N Z E

Beziehungen zwischen beruflicher Belastung, Mutterschaft und Gesundheit der werktätigen Frau in der DDR

Auf der Grundlage der ersten Verfassung der DDR, in der die Gleichberechtigung der Frau in den gesetzlichen Status erhoben wurde, begann die systematische Förderung der Frauen und Mädchen. Problemorientierte Gesetze, wie z. B. das Gesetz über den Mutterund Kinderschutz und die Rechte der Frau, sowie ein Programm sozialpolitischer Maßnahmen bewirkten, daß die Zahl der berufstätigen Frauen kontinuierlich anstieg. Mit einem Anteil von 84,5 Prozent, bezogen auf die Zahl der Frauen im berufstätigen Alter, nimmt die DDR heute international eine Vorrangstellung ein. Neben dem gesellschaftlichen Fortschritt, der sich in dieser Entwicklung widerspiegelt, ist jedoch nicht zu übersehen, daß die Einbeziehung der Frauen in das berufliche Leben nicht komplikationslos ablief und auch gegenwärtig noch eine Reihe von Problemen besteht. So hält z: B. die berufstätige Frau ihre Kinderzahl bewußt klein, um weitestgehend zu garantieren, daß sie sowohl den beruflichen wie den häuslichen Verpflichtungen voll gerecht werden kann. Trotzdem ergibt sich für einige Frauen immer wieder die Notwendigkeit, zumindest zeitweilig von der Voll- zur Teilzeitbeschäftigung überzugehen. Auch die Tatsachen, daß die Berufstätigkeit zur Doppelbelastung der Frau führt und ihre Freizeit und Erholungszeit einschränkt, sowie die Diskontinuität in der Berufstätigkeit, z. B. durch Schwangerschaft, Geburt- oder Entwicklungs- und Erziehungsprobleme der Kinder bedingt, gehören zu den Erkenntnissen, die wissenschaftlich vielfaltig bewiesen, immer wieder beraten werden, aber für die es noch keinen entsprechenden, allgemein verbindlichen Lösungsweg gibt. Inwieweit und in welcher Art und Weise sich die Doppelbelastung der Frau auf Gesundheit und Leistungsfähigkeit auswirkt, darüber wird zwar viel diskutiert, ist aber noch unzureichend untersucht. 126

Der höhere Krankenstand und die höhere Invaliditätsrate werden häufig als Beweis für eine größere Krankheitsanfalligkeit der berufstätigen Frau angeführt. Diese Kennziffern sind jedoch als Parameter für den Gesundheitszustand wenig aussagefahig. Allerdings sind Frauen im Durchschnitt etwas häufiger und etwas länger arbeitsunfähig, werden häufiger und in einem niedrigeren Durchschnittsalter invalidisiert als Männer. Es ist aber zumindest dabei zu berücksichtigen, daß nicht jede Krankschreibung mit wirklichem Kranksein identisch ist. Sehen sich berufstätige Mütter in bestimmten Situationen vor die Entscheidung gestellt, Beruf oder Familie, so treffen sie in den allermeisten Fällen die Wahl zugunsten der Familie. Von einigen Autoren wird darauf verwiesen, daß bei berufstätigen Müttern vermehrt vegetativ-nervöse Beschwerden, Erschöpfungszustände und Kreislaufstörungen als Folge der geringeren Möglichkeiten der Mütter zur Reproduktion ihrer Arbeitskraft auftreten. Gleichzeitig wird als Ursache eine mögliche psychische Doppelbelastung diskutiert, hervorgerufen durch die ständige Spaltung der Interessen der Mütter zwischen Beruf und Familie. Diese Aussagen haben vorläufig noch hypothetischen Charakter, da ihnen zu wenig wissenschaftliche Ergebnisse zugrunde liegen. Sie verdienen aber, unbedingt überprüft zu werden, da es unser Grundanliegen ist, die Gesundheit und Leistungsfähigkeit der Frauen, auch unter den Bedingungen der Doppelfunktion, zu erhalten und zu fördern. Die medizinischen Fachdisziplinen, insbesondere das Fach Sozialhygiene, sind aufgefordert, die Wechselbeziehungen zwischen Gesundheit und den veränderten Arbeits- und Lebensbedingungen der Frauen zu untersuchen, um daraus praktische Schlußfolgerungen abzuleiten. Diesem Anliegen diente eine soziologisch-medizinische Untersuchung von insgesamt 3600 Frauen im arbeitsfähigen Alter, die im Zeitraum von 1969 bis 1973 unter Federführung des Instituts für Sozialhygiene der Medizinischen Akademie Magdeburg vorgenommen wurde. Die Auswahl der Probanden konzentrierte sich auf die volkswirtschaftlichen Bereiche Handel (21 Prozent), Landwirtschaft (27 Prozent), Produktion (20 Prozent), Gesundheitswesen (28 Prozent) und Volksbildung (5 Prozent). Mit Hilfe eines standardisierten Fragebogens ermittelten wir von den Frauen umfangreiche Daten über die berufliche, familiäre und gesundheitliche Situation; darüber hinaus wurde ein Teil von ihnen in eine Reihenuntersuchung einbezogen. Für die Überprüfung der möglichen gesundheitlichen Auswirkungen der Doppelbelastung erschien uns die Altersgruppe der 20- bis 35-jährigen Frauen (// = 1.151) am besten geeignet, weil sie einen Zeitabschnitt 127

erfaßt, in dem durch die Familiengründung und berufliche Entwicklung die Beanspruchung der Frau am höchsten ist. Auf einige Ergebnisse aus dieser umfangreichen und noch nicht endgültig abgeschlossenen Untersuchung möchten wir aufmerksam machen. Die Bewältigung der Aufgabe im Beruf und in der Familie wird wesentlich mitbestimmt durch die Einstellung der Frau zur Berufstätigkeit. Im Laufe unserer gesellschaftlichen Entwicklung sind immer mehr Frauen zu der Überzeugung gelangt, daß der Beruf gleichberechtigt neben der Familie zu ihrem Leben gehört. Das bestätigen auch unsere Ergebnisse. Wir konnten feststellen, daß nur 12 Prozent der Frauen dieser Altersgruppe vorwiegend aus materiellen Gründen berufstätig sind, die Mehrheit dagegen die berufliche Tätigkeit vorwiegend aus ideellen Motiven ausübt, und das, obwohl es sich hier um einen Lebensabschnitt handelt, in dem die Frauen als Mütter am stärksten belastet sind. Wir konnten auch nachweisen, daß die Mehrheit der Frauen den Beruf mit der Versorgung des Haushalts ohne größere Schwierigkeiten verbinden kann; nur 4 Prozent aller Befragten fühlten sich dieser Doppelfunktion überhaupt nicht gewachsen. Dabei bestanden zwischen den einzelnen Berufsgruppen keine auffalligen Differenzen, obwohl die häusliche Belastung, gemessen an der Größe des zu versorgenden Haushalts, Unterschiede zwischen den Berufsgruppen aufwies. Es fiel auf, daß die in der Landwirtschaft tätigen Frauen den größten Haushalt zu versorgen hatten (52 Prozent der Genossenschaftsbäuerinnen dieser Altersgruppe lebten in einem 5- und mehr Personen-Haushalt, dagegen nur 5 Prozent der Produktionsarbeiterinnen, 8 Prozent der Verkäuferinnen und 4 Prozent der Schwestern). Mit der weiteren Anpassung der Lebensbedingungen auf dem Lande an die in der Stadt ist allerdings damit zu rechnen, daß sich auch bei dieser Bevölkerungsgruppe die Familiengröße verkleinert, was sich auf die demographische Situation insgesamt auswirken wird. Demographisch von Bedeutung ist auch die Feststellung, daß wir den höchsten Anteil unverheirateter Frauen (36 Prozent) und den höchsten Anteil Frauen, die keine Kinder haben (43 Prozent), im Gesundheitswesen vorfanden. Sicher ist, daß sich bei dieser Berufsgruppe neben der Tradition auch bestimmte berufliche Faktoren hemmend auf die Familiengründung auswirken, so daß sich die positive Entwicklung zur Berufsarbeit, verbunden mit Familiengründung, hier noch nicht so voll durchsetzen konnte, wie es in anderen Berufen der Fall ist. Im Interesse der Familienentwicklung muß es uns aber gelingen, auch im Gesundheitswesen solche Bedingungen zu schaffen, die es den dort beschäftigten Frauen ermöglichen, Beruf und Familie zu vereinbaren. 128

Nach den Befundergebnissen der Reihenuntersuchung wurden die Frauen in folgende drei Gruppen eingeordnet: gesund, kontrollbedürftig, pathologischer Befund. Zwischen der Zugehörigkeit zu einer von diesen Gruppen und den demographischen Faktoren Familienstand, Haushaltsgröße und Kinderzahl wurde kein statistischer Zusammenhang nachgewiesen. Trotz der allgemein positiven Ergebnisse darf das Problem der Doppelbelastung keinesfalls unterschätzt oder gar ignoriert werden. Wenn man nämlich genauer untersucht, wie die Frauen ihre vielfältigen Autgaben bewältigen, so stellt man fest, daß das größtenteils auf Kosten der Freizeit und Erholung geschieht. Das Freizeitvolumen nimmt mit steigender Anzahl der Haushaltsmitglieder ab. Das fanden auch wir bei unserer Untersuchung bestätigt. Mehr als 2 Stunden Freizeit hatten täglich 79 Prozent aller Frauen mit einem 1-Personen-Haushalt, 37 Prozent der Frauen mit einem 2-Personen-Haushalt und nur 15 Prozent der Frauen mit einem 5- und mehr Personen-Haushalt. Neben der Haushaltsgröße beeinflußt in nicht geringem Grade der Familienstand den Freizeitfonds der Frau. Die geschiedenen und verwitweten Frauen hatten den geringsten Freizeitfonds. Ein zeitweiser oder sogar absoluter Verzicht auf Erholung und Entspannung führt aber schließlich zu gesundheitlichen Schäden. Einige Ergebnisse unserer Untersuchung deuten das an. So zeigte sich z. B., daß Frauen mit einem geringeren Freizeitvolumen im Durchschnitt häufiger angaben, nervös zu sein, mehr funktionelle Beschwerden hatten und in Selbsteinschätzung weit häufiger über einen gestörten Gesundheitszustand klagten als die Frauen, die täglich über eine angemessene Freizeit verfugten. Die bisherigen — noch keineswegs in jeder Beziehung vollständigen Ergebnisse — zeigen gewisse Tendenzen der Belastungswirkung auf die Gesundheit und Leistungsfähigkeit der Frau. Damit weisen sie uns den Weg zu prophylaktischen Maßnahmen, einen Weg, den wir durch die Realisierung des sozialpolitischen Programms seit dem VIII. Parteitag zielstrebig verfolgen. Insbesondere finden wir bestätigt, wie richtig die Maßnahmen zur Reduzierung der Arbeitszeit und zur Erhöhung des Mindesturlaubs für Mütter mit 3 und mehr Kindern waren. Je mehr es uns gelingt, die auf die Gesundheit der Frau heute noch negativ einwirkenden sozialökonomischen und kulturellen Faktoren ins Positive zu lenken, umso weniger werden die Frauen vor die Alternative — Beruf oder Familie — gestellt und umso günstiger wird sich das letzten Endes auch auf die Familienentwicklung auswirken. 9

Demographie

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U T E FRITSCHE u n d JOACHIM ROTHE

Sozialmedizinische Aspekte bei der Schwangerschaftsunterbrechung

In der Präambel des Gesetzes über die Unterbrechung der Schwangerschaft vom 9. März 1972 ist zum Ausdruck gebracht, daß die Verwirklichung des Rechtes der Frau, über die Schwangerschaft und deren Austragung selbst entscheiden zu können, untrennbar mit der wachsenden Verantwortung des sozialistischen Staates und aller seiner Bürger für die ständige Verbesserung des Gesundheitsschutzes der Frau, für die Förderung der Familie und der Liebe zum Kind verbunden ist. Wenn unter Gesundheitsschutz der Frau die gesellschaftliche Aufgabe und Verantwortung für Gesundheit, Leistungsfähigkeit und Lebensfreude unserer Frauen verstanden wird, so resultieren daraus für das Gesundheitswesen als spezifische Institution zur Verwirklichung der gesundheitlichen Betreuung umfangreiche Anforderungen. Im Zusammenhang mit dem Problemkomplex Schwangerschaftsunterbrechung wird in besonderem Maße die Bedeutsamkeit sozialer Faktoren ersichtlich und damit auch die Verantwortung des Gesundheitswesens für die gesundheitliche Absicherung der Veränderung der gesellschaftlichen Position der Frau, der vollen Realisierung ihrer Gleichberechtigung in Ausbildung und Beruf, in Ehe und Familie. Die Anwendung der gesetzlichen Regelungen zur Schwangerschaftsunterbrechung seit Erlaß des Gesetzes über den Mutter- und Kinderschutz und die Rechte der Frau vom 27. 9. 1950 zeigt das Ringen um Lösung dieser Fragen. Die übliche Gruppierung der Indikationen zur Schwangerschaftsunterbrechung in medizinische, erbmedizinische, ethische und soziale führte zunächst dazu, die in § 11 des Gesetzes über den Mutterund Kinderschutz und die Rechte der Frau benutzte Formulierung „. . . ist eine künstliche Unterbrechung nur zulässig, wenn die Austragung des Kindes das Leben oder die Gesundheit der schwangeren Frau ernstlich gefährdet . . nur als Erlaubnis zur Schwangerschaftsunterbrechung bei Vorliegen medizinischer Indikationen zu deuten. Dabei

130

konnte die Genehmigung zur Schwangerschaftsunterbrechung ausschließlich von den dafür zuständigen Interruptiokommissionen erteilt werden. Zum Verständnis der Verwendung des Begriffes „medizinische Indikation" sei erwähnt, daß einerseits die Auffassung, bei dieser Indikation auch soziale Verhältnisse berücksichtigen zu müssen, zwar anerkannt war, andererseits aber der Vorwurf einer Gesetzesverletzung bei Berücksichtigung der Lebensbedingungen zur medizinischen Indikationsstellung befürchtet wurde und daher ausschließlich die somatische Befundung ausschlaggebend für die Genehmigung zu einer Interruptio war. Die zwischen Theorie und Praxis bestehende Unstimmigkeit war Veranlassung, die Verwendbarkeit des Begriffes „medizinische Indikation" zu überprüfen und festzustellen, daß der Gesetzestext dafür keine Grundlage darstellen konnte. Daraus ergab sich die Schlußfolgerung, den Begriff „medizinische Indikation" dem wissenschaftlichen Erkenntnisstand gemäß nur unter der Voraussetzung zu verwenden, daß sich dieser nicht auf medizinische Befunde, sondern auch auf eine gleichzeitig durchgeführte Beurteilung der sozialen Bedingungen stützt. Jedes andere Vorgehen konnte nicht mehr als Übereinstimmung mit der gültigen gesetzlichen Regelung über die Schwangerschaftsunterbrechung betrachtet werden. Die Instruktion zur Anwendung des § 11 des Gesetzes über den Mutterund Kinderschutz und die Rechte der Frau vom März 1965 entsprach diesen Erkenntnissen. Vom Minister für Gesundheitswesen wurde angewiesen, die Genehmigung zur Schwangerschaftsunterbrechung nicht nur von dem erhobenen somatischen Befund abhängig zu machen, sondern auch prognostisch zu beurteilen, wie sich Schwangerschaft sowie Pflege und Erziehung des Säuglings unter Berücksichtigung der gesamten Lebenssituation auf die physische und psychische Gesundheit der um Schwangerschaftsunterbrechung ersuchenden Frau auswirken würden. Mit der Übertragung des Rechts auf Entscheidung über die Unterbrechung der Schwangerschaft von staatlichen Kreis- und Bezirkskommissionen auf die Frau ab 1972 wuchs für das Gesundheitswesen die Verpflichtung, die Frau bei der Wahrnehmung ihres Entscheidungsrechts verantwortungsbewußt zu unterstützen. In diesem Zusammenhang sei auf folgende Notwendigkeit verwiesen: Unter Berücksichtigung der in der Konstitution der Weltgesundheitsorganisation festgelegten Deutung des Begriffes Gesundheit als „Zustand vollständigen physischen, psychischen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur das 1

Gesetz über die Unterbrechung der Schwangerschaft vom 9. März 1972, GBl. D D R I, Nr. 5, S. 89.

9*

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Freisein von Krankheiten und Gebrechen" differenzieren wir den Gesundheitsschutz der Frau in eine physische, psychische und soziale Komponente. Dabei halten wir es für unabdingbar, daß in der medizinischen Praxis die Einheit der gesundheitlichen Betreuung unter wohlproportionierter Beachtung der physischen, psychischen und sozialen Komponenten unter allen Umständen gewährt bleiben muß. Die ungenügende Beachtung auch nur einer von ihnen hat Lückenhaftigkeit und damit Unzulänglichkeit zur Folge. Alle mit der physischen Komponente in Zusammenhang stehenden Aktivitäten konzentrieren sich darauf, die Schwangerschaftsunterbrechung möglichst gefahrlos zu gestalten. Dieser Notwendigkeit wird in den gesetzlichen Regelungen zur Schwangerschaftsunterbrechung von 1972 nachdrücklichst entsprochen. Aus diesem Grunde sind auch für die Durchführung der Schwangerschaftsunterbrechung ausschließlich stationäre Einrichtungen zugelassen. Besonderer Aufmerksamkeit bedarf es, wenn Gegenindikationen zur Interruptio vorliegen. Diese bestehen nach dem Gesetz, wenn eine Schwangerschaft länger als 12 Wochen besteht oder bei wiederholter Interruptio, wenn seit der letzten Unterbrechung weniger als 6 Monate vergangen sind. Von diesen gesetzlichen Gegenindikationen sind nur diejenigen Eingriffe ausgenommen, die zur Abwendung anderweitiger ernster Gefahren für das Leben der Frau oder infolge anderer schwerwiegender Umstände erforderlich sind. Liegt bei einer die 12-WochenGrenze noch nicht überschreitenden Schwangerschaft eine vorausgegangene Unterbrechung weniger als 6 Monate zurück, so sind Eingriffe auch dann möglich, wenn die Empfängnis als Folge einer Vergewaltigung (§ 121 StGB) oder einer Nötigung bzw. eines Mißbrauchs zu sexuellen Handlungen (§ 122 StGB) angesehen werden muß und die Straftat Gegenstand eines Ermittlungs- oder Strafverfahrens ist. Ferner sind Schwangerschaftsunterbrechungen nach dem Gesetz dann unzulässig, wenn die Frau an einer Krankheit leidet, die im Zusammenhang mit der Unterbrechung zu schweren gesundheitsgetährdenden und lebensbedrohlichen Komplikationen führen kann, Komplikationen dieser Art können eine Direktgefährdung der Frau hervorrufen oder sich als Einschränkung bzw. Verlust der Fertilität auswirken. Mit einer Direktgelahrdung muß vor allem bei akuten entzündlichen und infektiösen Prozessen, besonders im Genitalbereich sowie bei anderen schwerwiegenden Erkrankungen in ihrer akuten Phase oder bei Folgezuständen nach vorausgegangener Operation im Genitalbereich gerechnet werden. Entscheidend für die Bewertung einer Krankheit als Kontraindikation ist stets die Beantwortung der Frage, ob die vorzeitige Schwan132

gerschaftsbeendigung oder das Austragen der Schwangerschaft die höhere Gefahrdung für die Frau darstellt. Die Gefahr der Einschränkung oder des Verlustes der Fertilität liegt nahe vor allem bei Erstschwangeren mit hypoplastischem Genitale, bei Elongatio colli, bei allen sonstigen, insbesondere entzündlichen Erkrankungen, hormonalen Störungen oder Fehlbildungen im Bereich des Genitale, die die Fertilität an sich schon erheblich einschränken, sowie bei Zuständen nach therapeutischen Maßnahmen zur Sterilitätsbeseitigung. Hinsichtlich der psychischen Komponente der gesundheitlichen Betreuung im Zusammenhang mit Schwangerschaftsunterbrechung sei hervorgehoben, daß es wohl kaum eine andere Regelung zur ärztlichen Berufsausübung gibt, die so eindringlich die Obliegenheiten ärztlicher Aufklärungs- und Beratungstätigkeit zum Ausdruck bringt. Auf die gesetzliche Forderung, daß jugendliche Schwangere, Erstschwangere und Frauen, die nicht zum ersten Mal eine Interruptio wünschen, besonders eingehend und mit besonderer Sorgfalt und Eindringlichkeit über den Unterbrechungseingriff, seine gesundheitlichen Auswirkungen und möglichen Spätfolgen sowie über die Anwendung schwangerschaftsverhütender Mittel und Methoden beraten werden sollen, sei außerdem verwiesen. Die Erfüllung von Aufklärungs- und Beratungspflichten ist deshalb ein wesentlicher Bestandteil der Aufgabe, die dem Gesundheitswesen als der zur Verwirklichung der gesundheitlichen Betreuung auf der Grundlage des wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Fortschritts berufenen Institution bei der gewissenhaften Durchf ührung des Gesetzes über die Unterbrechung der Schwangerschaft obliegt. Das vertrauensvolle ärztliche Gespräch muß bereits in den ambulant-medizinischen Betreuungsstellen (Haus- oder Betriebsarzt, Facharzt für Geburtshilfe und Gynäkologie in ambulant-medizinischen Einrichtungen, Schwangerenberatungsstellen), in denen die Frau ihr Ersuchen um Schwangerschaftsunterbrechung vorgebracht hat, beginnen. Entscheidende Bedeutung gewinnen Aufklärung und Beratung der Schwangeren im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Unterbrechungseingriff selbst in staatlichen stationär-gynäkologischen Einrichtungen. Schließlich darf auch für eine effektive medizinische und gesellschaftliche Wirksamkeit der Facharztkommission, die in bestimmten Fällen als Ärztekollegien zur Entscheidung über das Vorliegen oder NichtVorliegen einer Indikation zur Schwangerschaftsunterbrechung berufen sind, die Komponente ihrer beratenden, erläuternden und überzeugenden ärztlichen Funktion nicht außer acht gelassen werden. Schließlich sollte auf die zielstrebige Entwicklung der Ehe- und Sexualberatungsstellen als medi133

zinischer Zweig der Ehe- und Familienberatung, deren Aufgabenstellung in der entsprechenden Richtlinie vom 8. Januar 1968 festgelegt wurde, in Zukunft stärker und nachdrücklicher orientiert werden. Alle sich auf die soziale Komponente beziehenden Aktivitäten müssen darauf gerichtet sein, schrittweise eine Übereinstimmung der individuellen und gesellschaftlichen Interessen bezüglich Kinderzahl und Geburtstermin zu erreichen. Dazu sind einmal Maßnahmen erforderlich, die die Frauen und Familien zu einer verantwortungsbewußten Familienplanung befähigen, zum anderen sind sozialökonomische Voraussetzungen zu schaffen, die bei sozialem Wohlbefinden der Frau eine Übereinstimmung von individuell gewünschter und gesellschaftlich erforderlicher Kinderzahl ermöglichen. Als Ursache für den Wunsch nach Schwangerschaftsunterbrechung sowie auch für eine zunehmende Verbreitung und Anwendung moderner Kontrazeptiva ist das Planen der Familiengröße und -struktur somit der Kinderzahl und des Geburtstermins entsprechend den bestehenden gesellschaftlichen Verhältnissen und den daraus resultierenden sozialökonomischen Bedingungen anzusehen. In der Inanspruchnahme der Schwangerschaftsunterbrechung kommt das Bedürfnis der Frau und der Familie zum Ausdruck, die Kinderzahl entsprechend ihren Einstellungen und ihren individuellen sozialen Verhältnissen für sich günstig zu gestalten. Wissenschaftliche Untersuchungen in sozialistischen Ländern, besonders in der Sowjetunion, zu Fragen der Schwangerschaftsunterbrechung und der Planung von Kinderzahl und Geburtstermin zeigen interessante Ergebnisse. Befragt nach den Gründen zur Unterbrechung bzw. der Nichtrealisierung der von der Familie als ideal angesehenen Kinderzahl, wurden von den Frauen neben einem schlechten Gesundheitszustand und materiellen Motiven der Wunsch nach Wahrnehmung ihrer gesellschaftlichen Funktion, z. B. in Beruf und Ausbildung, und mangelnde Unterstützung und Entlastung im Haushalt genannt. 2 Bei den materiellen Gründen stehen finanzielle Schwierigkeiten als alleiniges Motiv oder das Streben nach einem höheren Lebensstandard nicht so sehr im Vordergrund 3 wie ungenügende Wohnverhältnisse 4 . 2

D. Klessen/R. Schorr, Bevölkerungspolitische Aspekte der Schwangerschaftsunterbrechung, in: Zeitschrift für ärztliche Fortbildung 67 (1973) 57; L. E. Swiridova, Der Zusammenhang zwischen sozialökonomischen Faktoren und Familienplanung, in: Sovetskoe zdravoochranenie, 11/1970.

3

V. D. Vlasov, Einige demographische Besonderheiten unter den Bedingungen des hohen Nordens (Magadan), in : Sovetskoe zdravochranenie, 19/1972; B. Marschall, Eine Studie des legalen Aborts in der Sowjetunion. Medizinische Dissertation, Rostock 1968; S. L.

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Es konnte nachgewiesen werden, daß besonders die Geburt des zweiten Kindes eine große Abhängigkeit von den seit der Eheschließung bestehenden Wohnverhältnissen aufwies. Weiterhin zeigte sich, daß häufig erst eine berufliche Selbständigkeit (Berufsausbildung, Studium) angestrebt wird, bevor an eine Familiengründung gedacht wird. 5 Diese an sich positive Tatsache kann sich jedoch auf die Kinderzahl negativ auswirken, da das Hinausschieben der Geburt des ersten Kindes häufig mit einem Verzicht auf ein oder mehrere Kinder einhergeht. 6 Als wesentlich für den Wunsch nach Geburtenbeschränkung wird die „Doppelfunktion" der Frau, die zu einer Überbelastung führt, angegeben 7 , die einmal in großem Maße in der noch von ihr selbst getragenen Verantwortung für den Haushalt 8 , zum anderen durch mangelnde Unterstützung von seiten des Ehepartners, durch ungenügende Dienstleistungen und Mangel von Einrichtungen zur Betreuung der Kinder gegeben ist. Bei einer 1972 durchgeführten Untersuchung zu Fragen des Kinderwunsches und der Schwangerschaftsunterbrechung in Verbindung mit den bestehenden individuellen Verhältnissen erhielten wir ähnliche Ergebnisse. Mittels standardisierten Fragenbogens befragten zwei Ärztinnen in Einzelgesprächen in einem Berliner Krankenhaus Frauen, die sich hinsichtlich ihres aktuellen Kinderwunsches extrem unterschieden. Es waren einmal 400 Frauen, die ihre bestehende Schwangerschaft unterbrechen ließen, und 400 Frauen, die das Kind austragen wollten.

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Polsanova, Einige sozial-psychologische Aspekte der Entwicklung der Geburtenzahl, in: Sovetskoe zdravoochranenie 15/1972; I. P. (Catkova, Rozdaemost' v molodych zemjach, Moskva 1971. P. Swidrinsch, Aus den Erfahrungen der Durchführung sozialdemographischer Untersuchungen in der Litauischen SSR, in: Informationen des wissenschaftlichen Beirates „Die Frau in der sozialistischen Gesellschaft" 5/1973, S. 16; N. A. Tauber, Der Zusammenhang zwischen der Fruchtbarkeit verheirateter Frauen und ihren Lebensbedingungen, in: Sovetskoe zdravoochranenie, 22/1965. S. L. Poläanova, Einige sozial-psychologische Aspekte der Entwicklung der Geburtenzahl, in: Sovetskoe zdravoochranenie, 15/1972. A. Volkov, Die Veränderung in der Stellung der Frau und die demographische Entwicklung der Familie, in: Informationen des wissenschaftlichen Beirates „Die Frau in der sozialistischen Gesellschaft", 2/1973, S. 19. H. K uhrig, Einige aktuelle Probleme der Berufstätigkeit der Frau, in: Informationen des wissenschaftlichen Beirates „Die Frau in der sozialistischen Gesellschaft" 1/1973, S. 55. J. Piotrowski, Die Berufstätigkeit der verheirateten Frauen und die Veränderung der Geschlechterrollen, in: Informationen des wissenschaftlichen Beirates „Die Frau in der sozialistischen Gesellschaft" 6/1971, S. 3.

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Wir versuchten festzustellen, ob und wie sich die beiden Probandinnengruppen hinsichtlich ihrer sozialen Stellung (Alter, Kinderzahl, Familienstand, Berufstätigkeit, Bildungs- und Qualifikationsgrad, Familieneinkommen, Wohnverhältnisse), ihres Gesundheitszustandes, ihrer Belastung, der Situation in Ehe und Familie, ihres späteren Kinderwunsches und der Anwendung von Kontrazeptiva unterscheiden. Obwohl saisonale Schwankungen oder der Einzugsbereich der Klinik unsere Resultate beeinflussen können, möchten wir folgende Ergebnisse zur Diskussion stellen: 1. Alter und

Kinderzahl

Neben dem Alter der Frau zeigt vorwiegend die bereits vorhandene Kinderzahl eine enge Verbindung mit dem Entschluß zur Interruptio. Mit zunehmendem Alter bzw. steigender Kinderzahl erhöht sich der Wunsch, die Familiengröße permanent zu beschränken. In unserer Untersuchung waren etwa 60 Prozent der Unterbrechenden 28 Jahre und älter, und Frauen im Alter von 28 bis 35 Jahren waren am häufigsten vertreten (42 Prozent aller Unterbrechenden). Bei den Austragenden waren 46 Prozent der Frauen im Alter von 18 bis 22 Jahren. Die durchschnittliche Kinderzahl betrug bei Austragenden 0,5, bei Unterbrechenden 1,7. Nach der Geborenenfolge wollen 47 Prozent der Frauen ihr erstes, 24 Prozent ihr zweites und nur 9 Prozent ihr drittes oder weiteres Kind austragen. Die Frauen, die ihre Schwangerschaft unterbrechen ließen, hatten zu 11 Prozent kein Kind, zu 39 Prozent ein Kind, und 50 Prozent hatten 2 und mehr Kinder. 2.

Familienstand

Bei der Betrachtung der Gesamtgruppen zeigt sich, daß Austragende zu einem höheren Prozentsatz (29 Prozent) nicht verheiratet sind als Unterbrechende (23 Prozent). Das ist jedoch durch die unterschiedliche Zusammensetzung unserer Probandinnen nach Alter und Kinderzahl bedingt, da sich mit zunehmendem Alter bzw. mit steigender Kinderzahl der Anteil der verheirateten Frauen erhöht. Der Familienstand als Faktor für den Entschluß zur Geburt scheint nur bei F rauen im Alter von 18 bis 22 Jahren (59 Prozent der Unterbrechenden unverheiratet im Vergleich zu 48 Prozent der Austragenden) und bei Frauen ohne Kind eine Rolle zu spielen. 3.

Berufstätigkeit

Obwohl nur 83 Prozent der Unterbrechenden entsprechend ihrer höheren Kinderzahl (Abnahme des Anteils der berufstätigen Frauen mit

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steigender Kinderzahl) berufstätig sind im Vergleich zu 93 Prozent der Austragenden, scheint der Wunsch nach weiterer Berufstätigkeit (bei Unterbrechenden zu 98 Prozent) den Entschluß zur Interruptio mit zu bestimmen, um die Gesamtanforderungen, die an die Frau durch Beruf und Familie gestellt werden, nicht zu erhöhen. 4. Bildungs- und Qualifikationsgrad An Hand unserer Befragung konnten wir feststellen, daß die Schwangerschaftsunterbrechung als Methode der nachträglichen Regulierung von Geburtstermin und Kinderzahl von Frauen in Anspruch genommen wird, die durchschnittlich über einen geringeren Bildungsgrad als die entsprechende Normalpopulation verfügen. Es ist anzunehmen, daß Frauen mit höherem Bildungsgrad in größerem Maße eine Geburtenbeschränkung mittels moderner Kontrazeptiva durchführen. Im Zusammenhang mit dem Bildungsgrad erscheint uns wesentlich, auch darauf hinzuweisen, daß bei unserem Untersuchungsgut Frauen mit höherem Bildungsgrad bereits bei einer geringeren vorhandenen Kinderzahl ihre Schwangerschaft unterbrechen lassen als Frauen mit einem geringeren Bildungsgrad. 5. Familieneinkommen und Wohnverhältnisse Mit steigendem Alter und bei Familien mit bis zu 2 Kindern erhöht sich das Familieneinkommen. Beim Vergleich nach Altersgruppen wird deutlich, daß das Einkommen der Unterbrechenden signifikant geringer ist als das der Austragenden. Weiterhin wird dabei von Unterbrechenden durchschnittlich eine Person mehr unterhalten. Die objektiv ungünstigeren finanziellen Verhältnisse der Frauen, die ihre Schwangerschaft unterbrechen lassen, finden ihren Ausdruck auch in der subjektiven Einschätzung des Lebensstandards seitens der Frau. Mit zunehmendem Alter und steigender Kinderzahl werden von Frauen besserer Wohnverhältnisse (häufiger eigene Wohnung, größere Zimmerzahl, geringere Notwendigkeit der Veränderung der Wohnbedingungen) angegeben. Wir konnten in unserer Untersuchung keine negative Korrelation von Wohnverhältnissen und vorhandener Kinderzahl feststellen. Überraschenderweise sind die Wohnbedingungen bei Unterbrechenden signifikant besser als bei Austragenden, was auch beim Vergleich nach Altersgruppen deutlich wird. Trotzdem ist anzunehmen, daß ungünstige momentane oder voraussichtliche Wohnbedingungen hemmend auf den Entschluß zur Geburt eines (oder eines weiteren) Kindes wirken, da 43 Prozent der Unterbrechenden angeben, daß eine Veränderung ihrer Wohnverhältnisse erforderlich sei, obwohl sich ihre 137

Familie nicht vergrößert; davon nennen 90 Prozent als vordringlichsten Grund eine eigene Wohnung bzw. eine Wohnungsvergrößerung. 6. Gesundheitszustand und Gesamtbelastung Als weitere Momente für den Entschluß zur Unterbrechung sind der Gesundheitszustand und die Gesamtbelastung der Frau anzusehen. Obwohl beide Faktoren mit zunehmendem Alter bzw. mit steigender Kinderzahl sowohl von Unterbrechenden als auch von Austragenden als schlechter eingeschätzt werden, ist jedoch der Anteil der Unterbrechenden, die einen schlechten Gesundheitszustand und eine große Gesamtbelastung angeben, in allen Gruppen signifikant höher als der der Austragenden. Das weist eindrücklich auf die Notwendigkeit der Verbesserung der medizinischen Betreuung der Frau und auf die Bedeutung der Unterstützung der Mütter seitens unserer Gesellschaft hin, wie beispielsweise Arbeitszeitverkürzung und Urlaubserhöhung in Abhängigkeit von der Kinderzahl. 7. Entlastung im Haushalt Daß außerdem der partnerschaftlichen Gestaltung des Haushaltes eine große Bedeutung für die Entlastung der Frau und damit für ihren Entschluß zur Geburt zukommt, wird daran deutlich, daß bei gleicher Haushaltsgröße Unterbrechende signifikant geringer in hauswirtschaftlichen Fragen unterstützt werden als Austragende. Das kann ein Grund dafür sein, daß Unterbrechende ihr Eheklima durchschnittlich als schlechter einschätzen als Austragende. 8. Familienplanung und Kontrazeption Unsere Ergebnisse bezüglich der Familienplanung unserer Probandinnen zeigen sowohl positive als auch negative Tendenzen. Etwa 50 Prozent der Austragenden haben ihre Schwangerschaft geplant und bewußt auf eine Kontrazeption verzichtet. Man kann bei diesen Frauen, auf eine bewußte Elternschaft schließen. Im Gegensatz dazu haben nur ca. 50 Prozent der Unterbrechenden versucht, obwohl kein aktueller Kinderwunsch bestand, eine Schwangerschaft mittels mechanischer oder chemischer Kontrazeption bzw. durch moderne Kontrazeptiva zu verhindern, davon drei Viertel mit regelmäßiger Anwendung. Das zeigt deutlich, daß die Familienplanung leider noch in ungenügender Qualität und Quantität durchgeführt wird, und welche Bedeutung auch in der Zukunft der sexual-ethischen Erziehung und Aufklärung beizumessen ist. 138

9. Kinderwunsch Im Zusammenhang mit dem Entschluß zur Schwangerschaftsunterbrechung erscheint uns der spätere Kinderwunsch in Verbindung mit der vorhandenen Kinderzahl erwähnenswert. Nur ca. 30 Prozent der Unterbrechenden haben den Wunsch, zu einem späteren Zeitpunkt ein (oder ein weiteres) Kind zu gebären. Der Anteil der Frauen mit späterem Kinderwunsch ist bei den Unterbrechenden im Alter von 18—22 Jahren (86 Prozent) und bei Frauen ohne Kind (82 Prozent) am höchsten und sinkt mit zunehmendem Alter bzw. steigender Kinderzahl. So wünschen beispielsweise nur 45 Prozent der Unterbrechenden mit einem Kind und 9 Prozent der Frauen mit zwei und mehr Kindern, zu einem späteren Zeitpunkt ihre Familie zu vergrößern. Auch bei Frauen, die das zweite Kind austragen, besteht nur zu 9 Prozent ein späterer Kinderwunsch. Im Durchschnitt beträgt der spätere Kinderwunsch bei Unterbrechenden 0,4. In Verbindung mit der vorhandenen Kinderzahl würde somit eine zukünftige durchschnittliche Kindefzahl von 2,1 resultieren. Bei Austragenden erhält man den gleichen Durchschnittswert, wenn man zu der vorhandenen Kinderzahl und dem Austragen der bestehenden Schwangerschaft den späteren Kinderwunsch (durchschnittlich 0,6) addiert. Eine durchschnittliche Kinderzahl von 2,1 ist jedoch nicht ausreichend für die einfache Reproduktion, wobei weiterhin zu berücksichtigen ist, daß bei vorhandenen Möglichkeiten der Geburtenregelung die realisierte Kinderzahl im allgemeinen geringer ist als die gewünschte. Bei der Betrachtung der Gesamtergebnisse konnten wir feststellen, daß sich die Unterbrechenden in zwei große Gruppen einordnen lassen: 1. Unterbrechende, die zwei und mehr Kinder haben, älter sind, vorwiegend verheiratet sind, in gesicherten finanziellen Verhältnissen leben, ihren Lebensstandard im allgemeinen als gut beurteilen, relativ günstige Wohnverhältnisse haben, relativ häufig gesellschaftliche und berufliche Positionen innehaben, ihre Ehe im allgemeinen als gut beurteilen, sich durch Familie und Beruf stark belastet fühlen und ihren Gesundheitszustand als ungünstig einschätzen, und die auch zukünftig ihre Familie nur in Ausnahmefallen zu vergrößern wünschen. 2. Unterbrechende, die kein oder ein Kind haben, jünger sind, die ihre aktuelle individuelle Situation (Einkommens- und Wohnverhältnisse, Familienstand, Eheklima, Aus- und Weiterbildung) als ungünstig für die Geburt eines Kindes zu diesem Zeitpunkt ansehen und ihren häufig bestehenden Kinderwunsch zu einem späteren Zeitpunkt realisieren wollen. 139

Die Analyse der bisherigen Entwicklung auf dem Gebiet der Schwangerschaftsunterbrechung zeigt, daß der Beitrag des Gesundheitswesens zur Realisierung der eingangs erwähnten, im Gesetz über die Unterbrechung der Schwangerschaft zum Ausdruck gebrachten Zielsetzung im Rahmen der gesamtgesellschaftlichen Aktivitäten außerordentlich bedeutsam ist. Als ein wesentlicher Indikator für die Wirksamkeit des Gesundheitswesens kann die Entwicklung der mütterlichen Sterblichkeit, präzisiert der direkt gestations bedingten peripartalen Mortalität dienen. Diese konnte bezogen auf 10000 Geburten von 16,5 im Jahre 1952 auf 2,9 im Jahre 1973* gesenkt werden. Innerhalb dieser Zahlen stellte die Sterblichkeit infolge vorzeitiger Schwangerschaftsbeendigung stets eine erhebliche Belastung dar. Im Jahre 1971 war die entsprechende Ziffer noch 1,3 je 10000 Geburten. Demgegenüber betrug sie 1973 nur noch 0,3 je 10000 Geburten. Auch der Rückgang der Zahl der präpartalen Suicidsterbetalle von einem Jahr zum anderen (1971 bis 1972) auf etwa ein Fünftel ist im Zusammenhang mit der gesetzlichen Regelung zur Schwangerschaftsunterbrechung zu werten. Die Aktivitäten des Gesundheitswesens einschließlich der Maßnahmen auf dem Gebiet der Familienplanung fügen sich somit harmonisch in das sozialpolitische Programm von Partei und Regierung ein.

* vorläufige Zahl

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UTA SCHMIDT

Der Einfluß von Familie und Berufstätigkeit auf die Bevölkerungsentwicklung

Die Reproduktion des Menschen und somit auch die Bevölkerungsentwicklung in der sozialistischen Gesellschaft müssen in engem Zusammenhang mit der Betreuung und Erziehung der Kinder sowie mit der Entwicklung der Lebensweise der Familien in unserer Gesellschaft insgesamt gesehen werden. Familie und Gesellschaft müssen für die Gestaltung dieser Lebensweise materielle und ideelle Aufwendungen aufbringen, die in den verschiedenen Produktionsweisen unterschiedlich und letztlich ein wesentlicher Faktor der Familienplanung der Eltern sind. Damit sind wichtige sozialökonomische, soziologische und auch medizinische Aspekte verbunden. Von der Vielzahl der Faktoren, welche auf die Bevölkerungsentwicklung wirken, sollen hier einige betrachtet werden, die auch die Persönlichkeitsentwicklung der Familienmitglieder beeinflussen. Im folgenden werden daher zunächst einige Gesetzmäßigkeiten der Bevölkerungsentwicklung untersucht, wird auf die Schaffung von Bedingungen für die Persönlichkeitsentwicklung der Eltern und der Kinder eingegangen und werden Schlußfolgerungen für unsere Gesellschaft in bezug auf die demographische Entwicklung gezogen.

1. Zu einigen Gesetzmäßigkeiten der Bevölkerungsentwicklung Da die Demographie die Reproduktion der Bevölkerung zum Gegenstand hat, hat sie deren Gesetzmäßigkeiten unter spezifischen Produktionsverhältnissen zu untersuchen, denn: „Jede Produktionsweise mit ihren Möglichkeiten und Grenzen ist mit einer bestimmten Größe der Bevölkerung, einer bestimmten Struktur und Wachstumsrate der Be-

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völkerung verbunden" 1 . Das bedeutet, daß die vielschichtigen gesellschaftlichen Strukturen entscheidend die Bevölkerungsbewegung beeinflussen, da sie letztlich das Verhalten des Menschen bei seiner Reproduktion prägen, der die Geburtenzahl sowohl entsprechend den gesellschaftlichen Bedingungen als auch nach seinen individuellen Vorstellungen reguliert. Während z. B. in den Entwicklungsländern die Veränderung der sozialökonomischen Struktur der entscheidende Ansatzpunkt für die Lösung der aktuellen demographischen Probleme ist, geht es in der D D R vor allem um den weiteren Ausbau der gesellschaftlichen Bedingungen des Sozialismus. Diese sollen eine Lebensweise gestatten, in der die Persönlichkeitsentwicklung sowohl der Eltern als auch der Kinder in den Familien gewährleistet ist. In welcher Beziehung steht diese Fragestellung zu den Gesetzmäßigkeiten der demographischen Bewegungen in unserer Gesellschaft? Zunächst ist festzustellen, daß in den sozialistischen und kapitalistischen Ländern die Geburtenzahlen, vor allem gemessen an der altersspezifischen Fruchtbarkeit, aber auch abzulesen an der Gesamtfruchtbarkeit, abgenommen haben. Visnevskij spricht von der „demographischen Revolution", die in ihrer zweiten Phase einen Rückgang der Geburten bewirkt. 2 Als einen wesentlichen Faktor dieser Entwicklung nennt er die qualitative Veränderung der Lebensbedingungen und des Bewußtseins, die vom Entwicklungsstand der Produktion und dem damit verbundenen ökonomischen und sozialen Fortschritt bestimmt werden. Mit dem wissenschaftlich-technischen Fortschritt geht eine Intensivierung der Produktion einher, die einschließt, daß sich auch die Arbeitskraft „intensiviert". „Mit anderen Worten, die Qualität der Arbeitskraft erhöht sich unablässig und in hohem Tempo. Folglich müssen Gesellschaft und Familie immer mehr Arbeit (lebendige und vergegenständlichte) für die Erziehung, Allgemeinbildung und Berufsausbildung einer neuen Arbeitskraft aufwenden." Bziljanskij sieht darin die Hauptursache für das Absinken der Geburtenziffer. Er schreibt: „Sie ist bedingt durch den Charakter der modernen Produktionskräfte selbst". 3 1

2

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Parviz Khalatbari, Zur methodischen Abhandlung der Bevölkerungsgesetze vom marxistisch-leninistischen Standpunkt, in: Wirtschaftswissenschaft, 2/1974, S. 239. A. G. Visnevskij, Die demographische Revolution, in: Sowjetwissenschaft/Gesellschaftswissenschaftliche Beiträge, 6/1973, S. 637. J. Bziljanskij, Methodologische Voraussetzungen demographischer Prognosen, in: Sowjetwissenschaft/Gesellschaftswissenschaftliche Beiträge, 6/1972, S. 600.

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In der Tat erfordert heute die Reproduktion des Menschen einen erheblichen Aufwand an Kräften und Mitteln, den zum großen Teil die Familien zu leisten haben, „verlangt doch die Reproduktion von Menschen mit neuer sozialer Qualität einen unvergleichlich höheren Bildungsgrad, ein höheres Kulturniveau, bessere physische Eigenschaften, eine länger währende Arbeitsfähigkeit, die Aneignung wesentlich komplizierterer sozialer Normen usw." (nach Visnevskij). Visnevskij spricht von einem Widerspruch der Funktionen der Familie. „Während die soziale Aufgabe der Familie darin besteht, den Prozeß der sozialen Reproduktion zu intensivieren und alle ihre Bemühungen auf die Ausbildung von Menschen zu konzentrieren, die den Erfordernissen der Gesellschaft und der Produktion so gut wie möglich entsprechen, bedeutet eine Zunahme der Kinderzahl für die Familie einen extensiven Entwicklungsweg, der mit einem Nachlassen in der Qualität der sozialen, kulturellen und beruflichen Ausbildung der Kinder verbunden ist." Viele Autoren meinen, daß die Beschränkung der Geburtenzahl keineswegs eine Gefahr für die Bevölkerungsreproduktion zu bedeuten braucht, wenn in den Familien 2 bis 3 Kinder aufwachsen. Jedoch sollte der Ausgangspunkt der Betrachtung u. E. noch erweitert werden: Die Familie muß neben der demographischen und sozialen Funktion auch die Aufgabe der Gestaltung der neuen familiären Lebensweise erfüllen, die die Reproduktion der Ehepartner einschließt, d. h. sie muß letztlich dazu beitragen, daß sich Mann und Frau als Persönlichkeiten weiterentwickeln können. Auf diese Problematik weisen auch Ergebnisse der Familiensoziologie hin. Die Prozesse des Funktionierens der Familie gewinnen zunehmend an Bedeutung für die demographische Bewegung. Auf diesen Zusammenhang wies Khalatbari hin, als er für den Reproduktionsprozeß der Menschen die Begriffe „Selbsterhaltung" und „Fortpflanzung" und den dazu notwendigen Kraftaufwand definierte. 4 Wir meinen, daß gerade in diesem Verhältnis zwischen Kraftaufwand für die Selbsterhaltung und Fortpflanzung unter spezifischen Produktionsverhältnissen ein wesentlicher Ausgangspunkt für die marxistische Analyse der Bevölkerungsentwicklung zu sehen ist. Khalatbari führt an: „Prinzipiell ist die Selbsterhaltung mit sämtlichen Tätigkeiten der Menschen zur Befriedigung der jeweiligen erforderlichen physischen und geistig-sozialen Bedürfnisse verbunden. 4

Parviz Khalatbari, Zur methodischen Abhandlung der Bevölkerungsgesetze vom marxistisch-leninistischen Standpunkt, in: Wirtschaftswissenschaft, 2/1974, S. 248ff.

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Inhalt, Mannigfaltigkeit und Effektivität dieser Tätigkeiten, die voneinander nicht zu trennen sind, hängen prinzipiell vom Grad der Entwicklung der Produktivkräfte einschließlich der Wissenschaft ab". 5 Der Aufwand für die Fortpflanzung des Menschen schließt den gesamten Aufwand für die Betreuung und Erziehung der Kinder bis zu ihrem vollen Eintritt in den gesellschaftlichen Produktionsprozeß, der Erreichung ihrer wirtschaftlichen und sozialen Selbständigkeit, ein. Die zusammenhängende Betrachtung dieser beiden Seiten, der Selbsterhaltung und der Fortpflanzung, scheint uns der reale Ansatzpunkt bei der Analyse konkreter Einflüsse auf die Entwicklung der Geburtenzahlen zu sein.

2. Persönlichkeitsentwicklung von Eltern und Kindern Die Selbsterhaltung und die Tätigkeiten, die zur Befriedigung der Bedürf nisse führen, müssen an der Persönlichkeitsentwicklung der Menschen gemessen werden und beinhalten die Gestaltung der dazu notwendigen Bedingungen. Die Zielstellung des Sozialismus integriert die maximale Entwicklung der individuellen Anlagen und Fähigkeiten der Menschen. Bei der Entwicklung der Persönlichkeit besteht im Sozialismus kein Gegensatz zwischen der gesellschaftlichen Sphäre, der menschlichen Tätigkeit und den persönlichen Beziehungen im Alltag, in der Familie. „Zum Sozialismus gehört die untrennbare Wechselwirkung und Übereinstimmung zwischen der produktiven, gesellschaftlichen Tätigkeit des Menschen und den Bedingungen seines persönlichen Daseins", wie Balaguskin ausführt. 0 Unser Ziel muß darin bestehen, für die Eltern alle Aufgaben vereinbar zu machen. Das bedeutet einerseits, die berufliche Arbeit und die Hausarbeit (eingeschlossen die Nahrungszubereitung. Pflege der Wohnung und der Kleidung) und andererseits die materiellen Bedingungen wie Wohnraumversorgung, die Dienstleistungen, die materielle Basis von Handel und Versorgung und des Bildungssektors usw. so zu gestalten, daß noch genügend Zeit und Kraft für die Betreuung und Erziehung von Kindern bleibt. Denn auch die Betreuung und Erziehung der Kinder muß daran gemessen werden, wie es gelingt, kindliche Persönlichkeiten allseitig zu entwickeln und zu erziehen. Selbst die Hausarbeit, die richtige 5 Ebenda, S. 250. 6 E. G. Balaguschkin, Persönlichkeit und Familie, in: Die Persönlichkeit im Sozialismus, Berlin 1972, S. 176.

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Organisation des Familienlebens kann der Erziehung der Kinder dienen, wenn es verstanden wird, diese in die familiären Pflichten einzubeziehen, ihnen durch Übertragung von Rechten und Pflichten entsprechend ihrem Alter eine feste Stellung in der Familie zu sichern. Dabei ist festzustellen, daß die Periode bis zur wirtschaftlichen und sozialen Selbständigkeit der Kinder um so länger und intensiver ist, „je weiter eine Gesellschaft entwickelt ist und je fortgeschrittener der Stand von Technik und Wissenschaft ist" 7 . Es ist unbestritten, welche große Rolle die Familie bei der Entwicklung der Kinder spielt. Das Zusammenleben in der Familie führt zur Herausbildung wichtiger positiver Eigenschaften bei den Kindern, jedoch auf Grund der Spezifik ihrer Einwirkung auf die Familienmitglieder auch bei den Eltern. Verantwortungsbewußtsein gegenüber der Familie und den Kindern fördert gleichzeitig eine verantwortungsbewußte Haltung gegenüber der Gesellschaft. In Abhängigkeit von der Veränderung der objektiven Funktionen der Familienmitglieder im Arbeitsprozeß wandelt sich auch das Zusammenleben in der Familie. Insbesondere für die Frau ergeben sich neben den traditionellen familiären Aufgaben neue gesellschaftliche Funktionen, von denen die Teilnahme am beruflichen Leben die bedeutendste ist. Zur Darstellung der Übereinstimmung zwischen alten und neuen Pflichten war einerseits die Verwandlung eines Großteils der bisher individuell geleisteten Hausarbeit in gesellschaftlich zu leistende Arbeit notwendig. Andererseits mußten Voraussetzungen geschaffen werden, um die Kinder vom Kleinkindalter bis zum Eintritt in das Berufsleben teilweise gesellschaftlich betreuen zu können. Dazu gehörte die Einrichtung von Kinderkrippen und Kindergärten, die Gestaltung der Horterziehung und die Förderung der Interessen der Kinder in außerschulischen Arbeitsgemeinschaften. Die Kindereinrichtungen schaffen die Möglichkeit, den Arbeitsumfang für die Pflege der Kinder in den Familien zu reduzieren und ermöglichen dadurch die Berufstätigkeit der Frau. Das ist jedoch nur möglich, weil sie in hoher Qualität und in organisierter Form zusammen mn den Eltern die Anforderungen erfüllen, die heute an die Pflege und Erziehung der Kinder gestellt werden. In unserem Staat wurde der Familie immer große Aufmerksamkeit gewidmet. 7

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Parviz Khalatbari, Zur methodischen Abhandlung der Bevölkerungsgesetze vom marxistisch-leninistischen Standpunkt, in: Wirtschaftswissenschaft 2/1974, S. 253. Demographie

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Im Familiengesetzbuch der D D R steht: Die Familie „entwickelt sich zu einer Gemeinschaft, in der die Fähigkeiten und Eigenschaften Unterstützung und Förderung finden, die das Verhalten des Menschen als Persönlichkeit in der sozialistischen Gesellschaft bestimmen". 8 Die zielgerichtete Vervollkommnung der gesellschaftlichen Verhältnisse, die Verbesserung der Lebensbedingungen gestatten es, daß die allseitige Entfaltung der Persönlichkeit immer mehr zur Realität des bewußt geleiteten gesellschaftlichen Organismus wird. Auch die sozialpolitischen Maßnahmen, die in Auswertung des VIII. Parteitages der SED beschlossen wurden, trugen dazu bei, daß noch vorhandene Erschwernisse bei den Arbeits- und Lebensbedingungen vermindert wurden. So wurden sowohl für Mütter mit mehreren Kindern bedeutende Erleichterungen durch die Verminderung der Arbeitszeit geschaffen als auch durch das großzügige Kreditsystem für junge Eheleute und das Wohnungsbauprogramm die Familienentwicklung gefördert. Für die Erleichterung der Hausarbeit werden von unserem Staat umfangreiche Mittel aufgewendet, und die Sorge um die Kinder, ihre gute Betreuung und Erziehung ist eines der Hauptanliegen unserer sozialistischen Gesellschaft. Alle diese Anstrengungen dienen letztlich dazu, die allseitige Entwicklung der Eltern und der Kinder zu garantieren, ihnen die dazu notwendigen Voraussetzungen zu gewähren. Das ist die eine wesentliche Grundlage für eine stabile Bevölkerungsentwicklung. Bei allen Maßnahmen, die insbesondere der Erleichterung des Lebens der Frauen dienen, muß beachtet werden, daß es nicht zu unterschiedlichen Entwicklungsbedingungen für Mann und Frau kommt. Neben der Sicherung der materiellen Bedingungen für eine Lebensweise, die sowohl den Eltern als auch den Kindern ein zufriedenes und glückliches Leben garantiert, gibt es noch bestimmte hemmend wirkende ideologische Probleme im menschlichen Zusammenleben zu überwinden. Das betrifft z. B. das teils noch ungenügende Verständnis für die Sorge der Eltern, wenn sie ihrer Doppelaufgabe gerecht werden sollen. So gibt es immer noch Beispiele, daß den Eltern bei dem Versuch, die Hausarbeit arbeitsteilig zu organisieren bzw. die Betreuung der Kinder gemeinsam zu übernehmen, Schwierigkeiten bereitet werden. Ebenso besteht zu wenig Einsicht dafür, daß die Mütter wegen Pflege erkrankter Kinder zeitweilig den Arbeitsprozeß unterbrechen müssen. 8

Familiengesetzbuch der D D R vom 20. Dezember 1965, Präambel, in: Familienrecht der D D R , Berlin 1966.

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Das wird noch zu oft zum Anlaß einer Zurücksetzung der jungen Mütter genommen. Da die Sorge um die Kinder bei uns nicht von den Familien allein getragen wird, ist zu überlegen, wie das Verständnis der Kollegen und Leiter für diese Probleme gefördert werden kann und zum anderen, welche weiteren konkreten Maßnahmen den Eltern die Wahrnehmung ihrer Aufgaben erleichtern können. Es muß immer mehr die Einstellung entwickelt werden, daß die Eltern sowohl durch ihre Berufstätigkeit als auch durch die Geburt und Erziehung mehrerer Kinder besonders hohe Leistungen für unsere Gesellschaft erbringen und es höchste Anerkennung verdient und wirksame Hilfe notwendig ist, sie bei der Erfüllung dieser Doppelaufgabe zu unterstützen.

3. Schlußfolgerungen Eine Voraussetzung der Arbeitsaufnahme der Frauen in größerem Maßstab ist die Vergesellschaftung bestimmter Prozesse der Hausarbeit sowie von Teilen der Kindererziehung. Trotzdem ist das Problem der Doppelaufgabe der Eltern damit nicht ausgeschlossen. Für die Eltern, vor allem für die Frau, muß es daher immer mehr ermöglicht werden, berufliche Arbeit sowie die Hausarbeit einschließlich der Betreuung und Erziehung der Kinder so zu vereinbaren, daß ihre Persönlichkeitsentwicklung und die beste Entwicklung der Kinder gewährleistet ist. Das ist die beste Voraussetzung für eine positive Einstellung junger Menschen zum Aufziehen meherer Kinder. Für den Sozialismus gilt auf Grund des hier wirkenden ökonomischen Grundgesetzes, daß mit steigender Produktivkraft der gesellschaftlichen Arbeit sich der Arbeitsaufwand im gesellschaftlichen Maßstab verringert und die Zeit für die freie Entfaltung der Persönlichkeit anwächst. Das ist nur zu realisieren, wenn sich nicht nur der Nutzeffekt der produktiven Arbeit erhöht, sondern auch der Nutzeffekt der unproduktiven Arbeit. Genau darin besteht aber eines unserer Grundprobleme auf diesem Gebiet. Die Intensivierung der Produktion ist unsere entscheidende Aufgabe bei der weiteren gesellschaftlichen Entwicklung, da nur aus der intensiv erweiterten Reproduktion eine Einsparung von Arbeitszeit im gesamtgesellschaftlichen Maßstab resultiert, die sich in freie Zeit für die Werktätigen verwandeln kann. Deshalb ist die vorwiegend intensiv erweiterte 10*

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Reproduktion der dem entwickelten Sozialismus adäquate Reproduktionstyp. Nur dadurch wird die Lösung solcher grundlegenden sozialökonomischen Probleme wie die Vereinbarkeit der Berufstätigkeit, der Hausarbeit und der Betreuung und Erziehung der Kinder möglich.

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EMIL IVIAGVAS

Einige Aspekte der Abhängigkeit der Geburtenhäufigkeit von sozial-ökonomischen Faktoren

Die Erforschung der Abhängigkeit der Geburtenentwicklung von ökonomischen, sozialen und psychologischen Faktoren hat für die Begründung der Annahmen zur Bevölkerungsprognose eine große Bedeutung. Die Prognose der Bevölkerungsentwicklung nimmt in den Planungsund Leitungsprozessen der sozialistischen Gesellschaft eine zentrale Stellung ein. Als das primäre Problem jeder Bevölkerungsprognose erhebt sich die Frage der Bestimmung der Annahmen über die Entwicklung der Geburtenhäufigkeit (Fruchtbarkeit). Reale Annahmen setzen tiefes Eindringen in die Gesetzmäßigkeiten der Entwicklung der Geburtenhäufigkeit und ihrer Abhängigkeit von einer Vielzahl von Faktoren der gesellschaftlichen Entwicklung voraus. Die demographische Forschung ist über Ansätze auf diesem Gebiet noch nicht hinausgekommen. Eine solide wissenschaftliche Basis von Einsichten in den Wirkungsmechanismus der Fruchtbarkeitsverhältnisse ist aber auch erforderlich, um notwendige bevölkerungspolitische Maßnahmen konzipieren bzw. die bevölkerungspolitische Wirksamkeit sozialpolitischer Maßnahmen einschätzen zu können. Als hauptsächliche, die Geburtenhäufigkeit bestimmende Faktorengruppe sind die sozial-ökonomischen Faktoren anzusehen. Darunter ist die Gesamtheit der sozial-ökonomischen Lebensbedingungen der Menschen zu verstehen — wie Beschäftigung in der gesellschaftlichen Produktion, Geldeinkommen, Wohnverhältnisse, kulturelle und soziale Verhältnisse usw. Sie wird hauptsächlich vom Entwicklungsstand der Produktivkräfte, aber auch von den Produktionsverhältnissen bestimmt. Zwar beeinflussen die sozial-biologischen und sozial-psychologischen Faktoren auch die demographischen Prozesse, sie werden aber ihrerseits

149

letzten Endes von den sozial-ökonomischen Bedingungen der jeweiligen Produktionsweise determiniert. 1 Diese drei Gruppen von Einflußfaktoren wirken auf die Fruchtbarkeit der Bevölkerung differenziert nach sozial-ökonomischen Klassen und Schichten, nach dem Bildungsniveau und anderen Gruppierungsmerkmalen der Bevölkerung. Die entscheidende Rolle der sozial-ökonomischen Faktoren gegenüber der Geburtenhäufigkeit resultiert aus dem dominierenden Einfluß des sozialen Milieus (Produktionsverhältnisse, Produktionsweise) auf die Bevölkerungsreproduktion. Den historischen Charakter der die Bevölkerungsbewegung, darunter a^cn die Geburtenbewegung als eine ihrer Komponenten bestimmenden (ökonomischen) Gesetzmäßigkeiten leitete Marx bei der Analyse des kapitalistischen Reproduktionsprozesses ab. 2 Deshalb muß sich die Analyse der Gesetzmäßigkeiten der Geburtenhäufigkeit auf die Gesetzmäßigkeiten der Entwicklung der gesellschaftlichen Produktion, vor allem der Produktivkräfte als deren revolutionärsten Teils stützen. 3 Neben den sozial-ökonomischen Faktoren darf man den Einfluß der anderen Faktoren nicht ignorieren (Wechselbeziehung zwischen den Faktoren). Zwischen primären und sekundären Faktoren zu unterscheiden ist aber eine unumgängliche methodologische Notwendigkeit. Gekennzeichnet wird die gesellschaftliche Produktion der Gegenwart und in wachsendem Maße die der Zukunft durch die beginnende wissenschaftlich-technische Revolution. Auf Grund der qualitativen Veränderungen in der materiell-technischen Basis der Produktion und ihrer Leitung ändern sich auch Stellung und Funktion des Menschen im Arbeitsprozeß und damit der Charakter der Arbeit. Diese Veränderungen im Charakter und Inhalt der Arbeit werden insbesondere durch den sich immer weiter erhöhenden Anteil der geistigen Arbeit und durch die schrittweise Beseitigung physisch belastender Arbeitsfunktionen ger 1

Vgl. D. I. Valentej (Hg.), Marksistsko-leninskaja teorija narodonaselenija, Moskva 1971, S. 325. 2 Vgl. Karl Marx, Das Kapital. Erster Band, insbesondere Kapitel 13, in: MEW, Bd. 23, Berlin 1962. ' Vgl. 1. Bziljanskij, Methodologische Voraussetzungen für die Prognostizierung der Bevölkerung, in: Sowjetwissenschaft/Gesellschaftswissenschaftliche Beiträge 6/1972, S. 600. Khalatbari unternahm den Versuch, für die kapitalistische Produktionsweise den Wirkungsmechanismus zwischen der Bevölkerungsentwicklung, speziell auch der Geburtenentwicklung, und dem ökonomischen Reproduktionsprozeß transparent zu machen. Vgl. P. Khalatbari, Demographische Aspekte des kapitalistischen Reproduktionsprozesses, in: Wirtschaftswissenschaft 12/1971, S. 1836—1855.

150

kennzeichnet. Damit verändern sich aber grundlegend Bildung, Kultur und Lebensweise der Menschen. So verlangt die Beherrschung der komplizierten und intensivierten Produktionsprozesse ein hohes Qualifikationsniveau der Arbeitskräfte. Gesellschaft und Familie müssen immer mehr Arbeit (lebendige und vergegenständlichte) auf die Heranbildung der neu in die gesellschaftliche Produktion tretenden Arbeitskräfte verwenden. Dabei schränkt die Bereitstellung wachsender Mittel für die Schaffung der erforderlichen Qualität der Arbeitskraft die Möglichkeiten ihrer quantitativen Reproduktion ein. Andererseits vermindert der steigende Wirkungsgrad der lebendigen Arbeit auch die Notwendigkeit, die Zahl der Arbeitskräfte quantitativ zu erweitern. Von dieser Betrachtungsweise aus ist das tendenzielle Sinken der Geburtenhäufigkeit als gesetzmäßig anzusehen. 4 Durch die ökonomische Effektivität der neu in die Produktion eintretenden Arbeiter werden die Auswirkungen der quantitativen Verringerung der Arbeitskräftezahl infolge sinkender Geburtenquote mehr als ausgeglichen. Auch unter einem anderen Gesichtspunkt beeinflußt der wissenschaftlich-technische Fortschritt die Geburtenentwicklung. Die vielen Faktoren, die gewöhnlich als Ursachen für sinkende Geburtlichkeit herangezogen werden, wie Industrialisierung, Urbanisierung, steigendes Bildungsniveau, zunehmende Frauenbeschäftigung, sind untrennbar miteinander verbundene Seiten ein und derselben Sache, nämlich des gesellschaftlichen, vor allem des wissenschaftlich-technischen Fortschrittes. Durch das damit sich erhöhende kulturell-technische Niveau der Menschen werden wiederum Umfang und Struktur der materiellen und geistigen Bedürfnisse der Menschen beeinflußt. Zugleich schafft die Entwicklung der Volkswirtschaft die materielle Basis für das Entstehen und die Befriedigung neuer Bedürfnisse. „Mit dem Wachstum der industriellen Entwicklung entsteht die Verflechtung und ununterbrochene Änderung der Struktur der Bedürfnisse als objektiv hervorgerufene Erscheinung."' 5 Der Entwicklungsstand der Bedürfnisse wird bestimmt durch den Entwicklungsstand der Produktion. Marx spricht davon, daß die Bedürfnisse „sich mit und an den Mitteln ihrer Befriedigung entwickeln". 6 4

Vgl. I. Bziljanskij, Methodologische Voraussetzungen für die Prognostizierung der Bevölkerung, in: Sowjetwissenschaft/Gesellschaftswissenschaftliche Beiträge 6/1972, S. 601. 5 D. I. Valentej (Hg.), Markistsko-leninskaja teorija narodonaselenija, Moskva 1971, S. 327. Karl Marx, Das Kapital. Erster Band, in: MEW, Bd. 23, Berlin 1962, S. 535.

151

In diesem Zusammenhang der gesetzmäßigen Erhöhung der Bedürfnisse ist ferner eine solche wichtige gesellschaftliche Erscheinung wie die zunehmende Frauenbeschäftigung einzuordnen. Auch die Tätigkeit der Frauen in der gesellschaftlichen Produktion bildet zuerst das Ergebnis gewachsener materieller und geistiger Bedürfnisse und vergrößert ihrerseits zugleich die materiellen und geistigen Bedürfnisse der werktätigen Frauen. Ein Indikator für die Höhe der Realisierung des Lebensniveaus der Gesamtheit der Bedürfnisse stellt unter sonst gleichen Bedingungen der Quotient aus dem Haushaltseinkommen und der Zahl der Familienmitglieder dar. Bei unverändertem Einkommen liegt der Quotient mit einer vergleichsweise niedrigen Familienmitgliederzahl (weniger Kinder) höher. Dabei wirkt die Doppelfunktion der Frau als Berufstätige und Mutter sowohl auf den Zähler als auch auf den Nenner des Bruches. In der Gesellschaft bestehen bestimmte durchschnittliche Vorstellungen über den Lebensstandard (Gesamtheit der Bedürfnisse) und über die Möglichkeiten seiner Realisierung. Wie bereits gesagt, wachsen diese Bedürfnisse. Ihre Befriedigung wäre aus gesellschaftlichen Fonds möglich, die durch hohe Arbeitsproduktivitätssteigerung gesichert werden. Sind diese Fonds begrenzt, so kommt es zur Beschränkung der Kinderzahl. Man darf davon ausgehen, daß der Teil des gesellschaftlichen Arbeitsaufwandes, der für die Realisierung des steigenden Lebensstandards verausgabt wurde, im gesellschaftlichen Durchschnitt gestiegen ist. In Anlehnung an Jesatko 7 wurden folgende Kennziffern für die DDR errechnet, die bei aller ihrer Ungenauigkeit bzw. Vergröberung der tatsächlichen Entwicklungen doch das Gesagte bestätigen. Ausgehend von der dominierenden Rolle der Bedürfnisse, ihrer Struktur und ihrer Veränderung auch bezüglich des Geburtenstandes, kommen sowjetische Wissenschaftler zu folgendem Schluß: „Die Beschäftigung der Frauen in der gesellschaftlichen Produktion kann nicht . . . als unmittelbare Ursache der Veränderung der Geburtenhäufigkeit angesehen werden. Die Beschäftigung selbst ruft ein Wachsen der Bedürfnisse hervor und führt ihrerseits zu deren Veränderung." 8 An und für sich wird die Geburtenhäufigkeit nicht durch die Industrialisierung, Urbanisierung, Frauenbeschäftigung usw. bestimmt, sondern durch das Wachstum des Umfangs und durch die veränderte Struktur der Bedürfnisse der 7

8

Vgl. V. Jesatko, K. problemu populace v CSSR (II), in: Plänovane hospodäfstvi 1/1972, S. 3 1 - 3 5 . D. I. Valentej, (Hg.), Marksitsko-leninskaja teorija narodonaselenija, Moskva 1971, S. 329.

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Jahr

ökonomisch aktive Zahl der Haushaltsmitglieder 1

Teil der Arbeitszeit, der für die Realisierung des Lebensstandards im gesellschaftlichen Durchschnitt notwendig ist

Gesamtzahl der Haushaltsmitglieder 2 1955

1960 1965

1970 1

2

1,555 4,391 1,622 4,367 1,706 4,511 1,756 4,215

0,354

0,372

0,378

0,417

I Mann + durchschnittlich beschäftigte Frau (Anteil der weiblichen Berufstätigen an der weiblichen Bevölkerung im Alter von 15 bis unter 60 Jahren) 1 Mann + I Frau + durchschnittliche Kinderzahl (Summe der altersspeziflschen Fruchtbarkeitsziffern, bezogen auf 1 Frau).

Menschen im weitesten Sinne, die hinter den Erscheinungen der Industrialisierung, Urbanisierung, Frauenbeschäftigung usw. stehen und als eigentliche Ursache die Veränderung der Geburtlichkeit hervorrufen. Das konkrete Niveau der Fruchtbarkeit wird unter den Bedingungen der Ausdehnung der Geburtenregelung von den Beziehungen zwischen dem Niveau der Bedürfnisse und dem Niveau ihrer Realisierung bestimmt. Dabei sind in die Gesamtheit der Bedürtnisse sowohl die materiellen als auch die geistig-kulturellen Bedürfnisse eingeschlossen. Zu den letzteren gehört auch der Wunsch. Kinder zu haben. 9 Trotz dieser betonten Rolle der Bedürtnisse kommt der Frauenberutstäugkeit im Mechanismus der Geburtenhäuligkeit auch eine selbständige Bedeutung zu. Dabei bildet die Einbeziehung der Frau in den gesellschaftlichen Reproduktionsprozeß eine unumgängliche Voraussetzung tür die Entwicklung ihrer vollen Gleichberechtigung mit dem Mann, für die breite Entwicklung ihrer Persönlichkeit und damit für die Herstellung der Übereinstimmung zwischen den individuellen und gesellschaftlichen Interessen. Weiter trägt die Berufstätigkeit der brau zur Überwindung unreflektierten Verhaltens zu den Fragen der Fortpflanzung bei. Die berulslätige 9

Vgl. K. Müller, Demographische Aspekte der Berufstätigkeit der Frauen, Dissertation, Berlin 1973, S. 125.

153

Frau und Mutter bringt ihre vielfältigen Erfahrungswerte aus allen Bereichen ihrer gesellschaftlichen Tätigkeit, insbesondere auch aus ihrer Produktionstätigkeit, in die Familie. 10 Dabei zielen das Kennenlernen und Bewußtwerden einer rational organisierten Arbeitsumwelt auf eine ebensolche Bewältigung der Haus- und Familienaufgaben. Nach und nach dringen die Elemente, die den modernen Produktionsprozeß kennzeichnen, wie Planung. Zeiteinteilung, organisierter Arbeitsabiaul, exakte Abgrenzung der Arbeits- und Verantwortungsbereiche, auch in den häuslichen Lebenskreis ein. So verläuft auch die Planung des Familienlebens und eingeschlossen der F amiliengröße zunehmend nicht mehr konzeptionslos. Hinzu kommt, daß die l msetzung bestimmter Konzeptionen über die gewünschte Kinderzahl durch die Verbreitung der Kenntnisse über die Möglichkeiten einer Geburtenregelung und die Entwicklung wirksamer und unkomplizierter Methoden unterstützt wird. Voraussetzung für eine hohe Frauenbeschäftigung sind genügend Arbeitsplätze; steigende Arbeitsplatzwahl geht aber einher mit der Industrialisierung, der Entwicklung der Infrastruktur, allgemein gesagt, mit der Intensivierung und Extensivierung des gesellschaftlichen Reproduktionsprozesses. Gleichzeitig fördert eine derartige wirtschaftliche Entwicklung einen starken Prozeß der Konzentration der Bevölkerung und der Urbanisierung. Für das Jahr 1969 wurde für die Bezirke der DDR eine Gegenüberstellung des Beschäftigungsgrades der weiblichen Bevölkerung im Alter von 15 bis unter 45 J a h r e n " und der Summe der altersspezifischen Fruchtbarkeitsziffern, bezogen auf 1000 Frauen im Alter von 14 bis unter 45 Jahren E fx, vorgenommen. Diese statische Betrachtungsweise führte tendenziell zu einer höheren Fruchtbarkeit bei niedrigeren Beschäftigungsgraden (vgl. Abbildung 1). Mit Hilfe einer Regressionsfunktion wurde der Zusammenhang rechnerisch ausgedrückt. Als unabhängige Variable legte man den Beschäftigungsgrad und als abhängige Variable die ZJ X zugrunde. Als lineare Regressionsfunktion unter Außerachtlassung der Werte für die Hauptstadt Berlin ergab sich y = 4776 — 38,8 v. Wie nicht anders zu erwarten, liegt eine gegenläufige Beziehung vor. Die Straffheit dieser Beziehung drückt der Korrelationskoeffizient aus. Der lineare Korrelationskoeffizient von - 0 . 7 4 bestätigt

11

Vgl. W. Dierl, Der Einfluß der Berufstätigkeit der Frau auf die Entwicklung sozialistischer Ehe- und Familienbeziehungen, Dissertation, Berlin 1970, referiert in: Informationen des Beirats „Die Frau im Sozialismus", 1/1971. Der Beschäftigungsgrad wurde als Quotient aus der Zahl der weiblichen Berufstätigen im Alter bis unter 45 Jahren zum Stichtag 30. 9. 1969 und der Anzahl der weiblichen Bevölkerung im Alter von 15 bis unter 45 Jahren zum Jahresende 1969 ermittelt.

154

Abb. 1. Summe der altersspezifischen Fruchtbarkeitsziffern und Beschäftigungsgrade der Frauen im Alter von 14 bis unter 45 Jahren* nach Bezirken 1969 * Anteil der weiblichen Berufstätigen im Alter von 15 bis unter 45 Jahren an der weiblichen Bevölkerung im gleichen Alter

einen hohen Grad des gegenläufigen Zusammenhangs, der weit über dem entsprechenden Schwellwert in Abhängigkeit vom relativ geringen L mtang der Zahlenreihe bei einer statistischen Sicherheit von 0,95 liegt. Zur sachgemäßen Wertung des Ergebnisses muß betont werden: Wären anstelle des Beschäftigungsgrades der Frauen etwa die Kennziffern Bevölkerungsdichte oder Anteil der Beschäftigten in der Landwirtschaft bzw. Industrie an allen Berufstätigen oder andere den ökonomischen Entwicklungsstand der Bezirke charakterisierende Größen gesetzt worden, so hätte über die Art des Zusammenhanges zur Fruchtbarkeit der weiblichen Bevölkerung im gebärtahigen Alter und die Rangordnung der Bezirke in diesem Zusammenhang keine wesentlich andere Aussage getroffen werden können. Diese Feststellung macht deutlich, daß die Höhe und Entwicklungstendenz der Geburtenhäufigkeit schon von der sozial-ökonomischen Seite her von einem ganzen Bündel von Einflußfaktoren mitbestimmt werden, die selbst miteinander verflochten sind, in hoher Autokorrelation zueinander stehen und sich in ihrer Wirkungsweise teilweise gegenseitig überlagern, verstärken oder auch abschwächen. Die Berufstätigkeit der Frauen kann man in diesem Kontext

155

nur im wechselseitigen Zusammenhang mit der allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklung sehen. Die Umsetzung des besagten in prognostisch relevante Aussagen bezüglich der Geburtenhäufigkeit ist ein schwieriger, aber notwendiger Prozeß. Letztlich muß sich diese Arbeit einordnen in den Gesamtzusammenhang aller Methoden und Verlahren zur Prognostizierung der Fruchtbarkeit sowie der wissenschaftlich-theoretischen Basis hiertür.

156

BERNHARD K R E U Z

Beitrag zur Problematik von Zeitreihenanalysen vitaler Ereignishäufigkeiten

In den Wissenschaften, die sich wie Demographie und Epidemiologie mit den Veränderungen vitaler Ereignishäufigkeiten im Ablauf der Zeit befassen, wird nicht allzu selten die Frage gestellt, ob man zur realistischen Bestimmung der Trends solcher Entwicklungen eine Zeitreihenanalyse der Periodenhäufigkeiten oder eine Zeitreihenanalyse der Kohortenhäufigkeiten bevorzugen sollte. Um dazu einen Beitrag zu leisten, haben Moriyama und Gustavus u. a. 1 das Überleben (lx) männlicher Personen in der Geburtskohorte 1901 mit den korrespondierenden altersspezifischen Periodenhäufigkeiten der jährlichen Sterberegistrierung von 1900 bis 1968 verglichen und bei dieser und späteren Kohorten festgestellt, "that, generally speaking, past period life tables have not represented the actual mortality experience of a birth cohort". In seiner biniührung in die Demographie hat Spiegelman im Jahre 1968 versucht, die gleiche Problematik zeichnerisch, d. h. stark vereinlacht, darzustellen (Abb. 1). Danach gibt es grundsätzlich drei Möglichkeiten des zeitlichen Vergleichs von altersmäßig digerierenden hreignishäufigkeiten: 1. den Vergleich der altersspezifischen Häufigkeiten nach Kalenderjahren zur Ermittlung des Trends der lnzidenz nach dem Alter, wobei v konstant bleibt und t allein variiert; 2. den Vergleich der Periodenhäufigkeiten, wobei t konstant bleibt und x variiert; 3. den Vergleich der Kohortenhäufigkeiten, wobei t und x variieren, weil t — x = 0 eine Konstante ist, die das Jahr der Geburt definiert. Dehnt man die Interpretation dieser Darstellung auf die durchschnittlichen Raten der Kalenderjahre und der Kohorten aus, dann wird aller1

I. M. Moriyama/S. O. Gustavus, Cohort Mortality and Survivorship, in: National Center for Health Statistics, Vital and Health Statistics-Series 3, Nr. 16.

157

Abb. 1. Schematische Darstellung der Möglichkeiten des zeitlichen Vergleichs von altersspezifischen Ereignishäufigkeiten (nach M. Spiegelman2, vom Autor modifiziert; anstelle von Mortalität wurde Inzidenz gesetzt!)

dines auch erkennbar, daß eine zeitliche Verschiebung von Ereignissen in frühere oder spätere Altersjahre die 0 Kohortenraten unbeeinflußt läßt (diagonale Linien). Dagegen resultiert daraus bei den 0 Periodenraten eine Verlagerung von Ereignissen in frühere oder spätere Kalenderjahre (vertikale Linien). Das muß dann zwangsläufig eine vorübergehende Erhöhung oder Erniedrigung der 0 Periodenraten in diesen Kalenderjahren zur Folge haben. Würden also z. B. alle Männer einmal in ihrem Leben heiraten, und zwar exakt im 26. Lebensjahr, so würde eine Vorverlagerung des Zeitpunktes der Eheschließung auf das 25. Lebensjahr die 0 EheschließungsKohortenhäufigkeit im Zeitraum dieser Verschiebung nicht berühren. Sie würde unverändert bei 1 verharren. Dagegen müßte sich die 0 Eheschließungs-Periodenhäufigkeit im Verschiebungszeitraum vorübergehend erhöhen, weil die nachfolgende Kohorte mit ihrem 25. Lebensjahr das gleiche Kalenderjahr wie die vorgehende mit ihrem 26. Lebensjahr belegen würde. Selbstverständlich müßte man beide Informationen besitzen. Denn die Information über die Entwicklung der Periodenhäufigkeit besagt, daß die gesellschaftsrelevante Eheschließungshäufig2

M. Spiegelman, Introduction into Demography revised ed. Cambridge Harvard University Press, 1968.

158

keit in bestimmten Kalenderjahren zugenommen hat, während die Information über die Entwicklung der Kohortenhäufigkeit zum Ausdruck bringt, daß für das Individuum quantitativ alles beim alten geblieben ist. Obwohl damit die eingangs gestellte Frage nach den Vor- und Nachteilen zeitreihenanalytischer Untersuchungen von Perioden- und Kohortenhäufigkeiten schon dahingehend beantwortet ist, daß beide wegen ihrer unterschiedlichen Aussagefahigkeit und Relevanz stets zusammen erst die Realität widerspiegeln, es also hier gar nicht um „entweder . . . oder", sondern um „sowohl . . . als auch" geht, tauchen bei der Realisierung größere Schwierigkeiten auf. Sie resultieren u. a. daraus, daß kein Zeitraum denkbar ist, an dessen Ende neben der vollständigen Reihe der Periodenhäufigkeiten auch schon die ganze Reihe der in diesem Zeitraum mitwirkenden Kohortenhäufigkeiten bekannt sein kann. Geht man in diesem Zusammenhang noch einmal auf Abb. 1 ein, so wird deutlich, daß die an den 0 Periodeninzidenzen t — 1, t und t + 1 beteiligten 0 Kohorteninzidenzen 0 — 1, 0 und © + 1 erst ab t + 2 vorliegen. Da Abwarten unter diesen Umständen keinen Sinn hat, müßte man eine Methode finden, nach der man schon an Hand einer Reihe bestimmter 0 Periodenhäufigkeiten ermitteln könnte, wie sich die zugehörige Reihe der 0 Kohortenhäufigkeiten verhalten hat. Dabei wäre die Erkenntnis zu nutzen, daß bei einem parallelen Trend der 0 Kohortenhäufigkeiten auch der Trend der 0 Periodenhäufigkeiten parallel sein muß, sofern keine Verlagerungen der altersspezifischen Ereignishäufigkeiten innerhalb der Lebensstrecke im Spiele sind. Um die Bedeutung einer solchen Methode der Umrechnung von Perioden- in Kohorententrends zu unterstreichen, sei doch ein Beispiel aus der Medizin angeführt. Seit 1961 ist in der D D R die an den Diagnosezeitpunkt gebundene Erkrankungshäufigkeit des Diabetes mellitus stark angestiegen. Gleichzeitig kam es jedoch auch zu einer Vorverlagerung des Zeitpunktes der Diagnosenstellung innerhalb der Lebensstrecke, und zwar von 0 65,3 (1961) auf 0 61,0 Jahre (1972). Würde man nun die Entwicklung der 0 Kohorteninzidenz des Diabetes mellitus im gleichen Zeitraum kennen, für die ja die Vorverlagerung des Zeitpunktes der Diagnosenstellung innerhalb der Lebensstrecke keine Bedeutung hat, könnte man ohne weiteres erkennen, ob nur die Vorverlagerung — das würde parallelen Trend der Kohorteninzidenz bei steigender Periodeninzidenz bedingen — oder auch noch andere Faktoren — das müßte dann mit einem ebenfalls steigenden Trend der Kohorteninzidenz zusammenhängen — das Ansteigen der Erkrankungshäufigkeit bewirken.

159

Da man aber den Trend der Kohorteninzidenz nicht kennt und auch nicht kennen kann, gibt es für die Entscheidung dieser gesellschaftsrelevanten Frage, bei der es ja letztlich um die Feststellung der Verbesserung oder Verschlechterung der Lebensbedingungen geht, nur die Möglichkeit, die von der Vorverlagerung der Erkrankungsereignisse innerhalb der Lebensstrecke erzeugte typische Kurve der Entwicklung der Periodeninzidenz zu finden. Diese Kurve wäre mit der empirisch gefundenen zu vergleichen, um aus den Differenzen zwischen beiden Kurven einen parallelen Trend der Kohorteninzidenz bestätigen oder ausschließen zu können. Wegen bestimmter Mängel der Registrierung läßt sich allerdings ein solches Vorhaben beim Diabetes mellitus nicht realisieren. Ersatzweise greift man daher auf den Trend der Periodenfertilität in der DDR von 1958 bis 1970 zurück, weil das Ereignis „Geburt" innerhalb der Lebensstrecke einer Frau ebenfalls verschoben werden kann, ohne daß sich am Kohortenertrag = Kohortenfertilität etwas zu ändern braucht. Gegenübergestellt wurden demzufolge erst einmal die nach Alter standardije Frau imd/ter von 15 bis zu iS Jahren Geborene Geborene je 1000 15- jährige Frauen

-75

-

2.10 ' - 7 0 ' -

58 Ó Alter

59

60

61

62

63



65

66

67

68

69 ' 70 '

26.16 26.0525.97 25M 25.71 2569 25.67 25.5i 25A2 25.26 25.17 25.01 2t.S2

Abb. 2. Standardisierte 0 Fertilität mit Angabe des zugehörigen 0 Gebäralters — D D R 1958 bis 1970; die Standardisierung erfolgt nach der Formel F = i 3 0

160

y- Geborenenertrag je Frau -

1958

59

60

61

62

65

66

67

SS

69

70

2.6

2.2 2.7 -

2.0 -

I

I

0

I

01

I

0.2

I

03

I

04

1

0.5

I



I

0.7

I

0.8

1

0.9

I

1.0

1

1.1

1

1.2

x= Linksverschiebung des $ Gebäralters in Jahren

Abb. 3. Darstellung des Zusammenhanges zwischen der Verschiebung des 0 Gebäralters und dem Perioden-Geborenenertrag in der DDR von 1958 bis 1970 Beobachtete Geborenenerträge — Regressionsparabel

sierten 0 Periodenfertilitätsziffern von 1958 bis 1970 und die jeweils dazugehörigen 0 Gebäralter (Abb. 2). Unverkennbar entsteht dann der Eindruck, die Erhöhung der 0 standardisierten Fertilität bis 1964 - ausgenommen vielleicht das Jahr 1959 - und die anschließende Erniedrigung bis 1970 seien ausschließlich durch die zeitliche Linksverschiebung des 0 Eintretens der Geburtsereignisse bedingt, also ohne Auswirkung auf den Geborenenertrag der Kohorten geblieben. Untersucht man diese Annahme weiter, indem man der empirischen Kurve erst einmal eine Regressionskurve annähert, ergibt sich ein Polynom 2. Grades:.)- = 2,27 + 0,00751 .* - 0,000067 x 2, das einer Prüf ung auf Signifikanz standhält, so daß die Parabel als die für Zeitverschiebungen typische Kurve gelten kann (Abb. 3). Erzeugt man nun eine derartige Parabel unter Zugrundelegung der Periodenfertilität des Ausgangsjahres (1958) nur aus der Zeitverschiebung heraus, indem man also voraussetzt, daß außer der Zeitverschiebung nichts anderes auf den Trend der Periodenfertilität eingewirkt hat, der Trend der Kohortenfertilität demnach parallel verlaufen muß, dann zeigt sich allerdings, daß diese Kurve über der Regressionskurve liegt (Abb. 4). Aus dieser Differenz zwischen den laut Zeitverschiebung zu erwartenden und den wirklich eingetretenen Periodenhäufigkeiten läßt sich dann 11 Demographie

161

y= Oeborenenertragje Frau

I

I

1

o

an

I

ai9

I

ax

x-Unksverschiebung

»

LU

om a+7 aw

I

0.62

I

an

I

I

o.x> c.99

I



12t

des 0 Geböra/ters in Jahren

Abb. 4. Darstellung des wegen einer Vorverlagerung des 0 Gebäralters um 1.24 Jahre zu erwartenden Perioden-Geborenenertrages je Frau bei gleichbleibendem Kohortenertrag — DDR 1958 bis 1970 und des realen Kohortenertrages Beschleunigungsparabel infolge Linksverschiebung — — dazugehöriger gleichbleibender Kohortenertrag — realer geschätzter Kohortenertrag

schlußfolgern, daß die Kohortenhäufigkeiten in Wirklichkeit nicht gleichgeblieben, sondern geringfügig, unter erheblichen Schwankungen gesunken sind (vgl. Tabelle 1). Sowohl die unstandardisierte Perioden- als auch die Kohortenfruchtbarkeit sind selbstverständlich Realität, da einerseits — z. B. 1963 wirklich 90 Geborene auf je 1000 tortpflanzungstahiger Frauen kommen. Das muß nämlich im Lebensbaum seinen Niederschlag finden und ist auch im Blick auf die Folgen für die zukünftige Reproduktion — von höchster gesellschaftlicher Bedeutung. Andererseits stellt es eine Realität dar, daß von Kohorte zu Kohorte der Geborenenertrag je Frau — wenn auch unter starken Schwankungen — leicht absinkt, was von individueller, aber wegen der prognostischen Wirkungen auch von gesellschaftlicher Bedeutung sein dürfte. Insofern stellt sich — und hierauf sei noch einmal hingewiesen — bei vitalen Zeitreihenanalysen die Frage, ob Perioden- oder Kohortenanalysen jeweils zweckmäßiger seien, erst gar nicht. Beide müssen vielmehr ständig und gleichzeitig vorgenommen werden. Dabei läßt sich der Nachteil, der aus der zeitlichen Nichtübereinstim162

Tabelle I Aus der standardisierten Periodenfertilität und der Zeitverschiebung des 0 Gebäralters geschätzte Kohortenfertilität in der DDR von 1958 bis 1970 (die „ 0 Kohortenfertilität" ist aus den Geborenenerträgen je Frau errechnet) Jahr

1958 1958 1960 1961 1962 1963 1964 1965 1966 1967 1968 1969 1970

0 Periodenfertilität real

stand.

Erniedrigung des 0 Gebäralters um Jahre

76,6 84,0 85,3 89,2 89,7 90,0 88,7 85,2 81,5 76,9 74,3 71,9 70,8

74,7 79,5 78,9 81,2 81,7 83,5 84,7 83,7 81,6 78,8 77,4 75,3 73,8

0,11 0,19 0,32 0,45 0,47 0,49 0,62 0,74 0,90 0,99 1,15 1,24

0 Kohortenfertilität

75,6 75,8 72,7 72,1 71,8 72,5 73,6 72,0 70,4 69,5 69,9 72,4 73,8

mung von Perioden- und Kohortenhäufigkeiten resultiert und den die eingangs erwähnten amerikanischen Autoren als „the big disadvantage of cohort statistics" bezeichnen, dadurch überwinden, daß man aus den etwa vorhandenen Zeitverschiebungen von den Periodenhäufigkeiten auf die Kohortenhäufigkeiten schließt. Die Möglichkeit dazu ergibt sich aus der Erkenntnis, daß zeitliche Verschiebung des Eintretens von Ereignissen innerhalb der Lebensstrecke als positive bzw. negative Beschleunigung wirksam wird und bei den Periodenhäufigkeiten zu parabolischen Kurvenverläufen führt, während die Kohortenhäufigkeiten von derartigen Verlagerungen nicht berührt werden.

163

Z . T . SUGAREV

Modellierung der Entwicklung demographischer Strukturen

Der Modellbau ist wie jede analytische und prognostische Tätigkeit immer eng mit dem Objekt der Untersuchung, den Gesamtheiten, aus denen die Information hervorgeht, zu verbinden. Bei der Untersuchung der Bevölkerungsänderung in der Zeit ist es üblich, den Begriff „dynamische statistische Gesamtheit" einzuführen. Der Begriff ist räumlich, bezüglich der Zeit aber nicht durch einen bestimmten Zeitpunkt begrenzt, p i e dynamische statistische Gesamtheit unterscheidet sich von der sogenannten Momentgesamtheit der Bevölkerung dadurch, daß ihre Einheiten nicht statisch sind und einen bestimmten Wert für die untersuchten Merkmale zu einem angegebenen Zeitpunkt angeben. Die Einheiten gehören zu der dynamischen Gesamtheit während des gesamten Zeitintervalls vom Eingang, zum Beispiel Geburt oder Einwanderung, bis zum Ausgang, zum Beispiel Tod oder Auswanderung. In diesem Intervall behalten sie ihre Charakteristik, die während des Verbleibens in der dynamischen Gesamtheit unverändert ist und die Einheit als „Mensch" bestimmt. Gleichzeitig werden die Werte einiger Merkmale, die in der Demographie besonders interessieren und in der statischen Gesamtheit von Mensch zu Mensch variieren, in der dynamischen Gesamtheit bei ein und derselben Einheit mit der Zeit verändert. So ändert sich zum Beispiel das Alter jedes Menschen mit der Zeit, oder auch der Familienstand kann infolge Heirat, Verwitwung oder Scheidung verändert werden. Ändern können sich auch das Bildungsniveau, der Arbeits- oder Wohnort, der Beruf u. a. m. Es gibt aber auch Merkmale, die ihre Werte nicht ändern, wie zum Beispiel das Geschlecht oder der Geburtsort. Es gibt zwei Arten von Änderungen in der dynamischen Gesamtheit mit der Zeit. Erstens die Änderung der Anzahl der Einheiten — d. h. der Menschen — unter der Einwirkung von „äußeren Einflüssen", wie zum Beispiel der Geburten, der Sterbefälle und der Wanderungen, die

164

nicht differenziert sind, und zweitens Änderungen der Bevölkerungsstruktur infolge von „inneren Einflüssen" wie zum Beispiel der Übergänge von einer Gruppe in eine andere, wobei die Gruppen nach demselben Merkmal gebildet sind. Die Strukturänderungen im Familienstand beispielsweise sind sowohl durch die äußeren Flüsse der Geburten, Sterbefalle und Wanderungen, verteilt nach dem Familienstand als auch durch die inneren Flüsse der Übergänge der Einheit „Mensch", der dynamischen Gesamtheit von einem in einen anderen Familienstand, bedingt. Die dynamische Gesamtheit wird als eine Zusammenfassung der Moment- und Periodengesamtheit aufgefaßt. Zu einem bestimmten Zeitpunkt verwandelt sie sich in eine gewöhnliche Momentgesamtheit als Querschnitt der dynamischen Gesamtheit. Die Änderungen der dynamischen Gesamtheit innerhalb zweier Zeitpunkte sind durch die Periodengesamtheiten der Einheiten „Ereignis" (Geburten, Sterbefälle, Wanderungen und Übergänge von einer in eine andere Gruppe) bedingt. Bei der Untersuchung der Zusammenhänge der Flüsse und der Zusammensetzung der dynamischen Gesamtheit, wird die Bevölkerung gewöhnlich verschieden gruppiert. Es werden Verteilungen nach einem oder mehreren Merkmalen gebildet. Die Variationen der Strukturen zu einem angegebenen Zeitpunkt und ihre Änderungen in der Zeit geben annähernd die tatsächlichen Variationen und einzelnen Merkmaländerungen bei den einzelnen Menschen in der dynamischen Gesamtheit an. Bei den dynamischen Strukturen werden als Gegenstand der Änderungen in der Zeit die Verhältnisgrößen der Volumina der einzelnen Gruppen, z. B. Anteil der Stadt- und Landbevölkerung, Anteil der ledigen, verheirateten, verwitweten und geschiedenen Bevölkerung, Anteil der Bevölkerung in verschiedenen Altersintervallen auf unterschiedlichem Territorium usw., betrachtet. Bei der Analyse und Prognostizierung ist es üblich, die Bevölkerung nach einem qualitativen Merkmal - der Mehrheit der Bevölkerungsmerkmale entsprechend — oder nach einem quantitativen Merkmal mit geordneten ganzen Werten, z. B. dem Alter, zu strukturieren und zu einem angegebenen Zeitpunkt durch einen Vektor ®

=

(s0t s 1j • • • > s„)

auszudrücken, dessen Elemente s t die Volumina der entsprechenden Gruppen bzw. ihrer Anteile bedeuten. Die Strukturänderung in der Zeit kann durch eine Vektorfunktion $(i) des skalaren Arguments der Zeit t — beschrieben werden. Alle Elemente ¿¡(f), die die Bevölkerungs165

volumina oder deren Anteile in den einzelnen Gruppen ausdrücken, sind gewöhnliche skalare Funktionen der Zeit t. Wenn es sich bei der Gruppierung um ein quantitatives Merkmal handelt, ist die Verteilung variabel und wird aus den Werten des Merkmals und den entsprechenden Häufigkeiten gebildet. Der Änderungsprozeß einer solchen Verteilung mit der Zeit ist mit Hilfe einer Zufallsfunktion zu untersuchen. Ganz allgemein wird die Strukturänderung in der Zeit durch eine zweivariable Funktion o "

e 'C

öI

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S

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£

s

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8

o a2> ö 3 die Regressionskoeffizienten, BTNL, — die Gesamtzahl der Beschäftigten im staatlichen Sektor der nichtlandwirtschaftlichen Produktionsbereiche, BTNL^. j — die Lag-Variable gleichen ökonomischen Inhalts mit einer einjährigen Verzögerung, /, — die Investitionen, INL^ j — die Lag-Variable der Investitionen in den nichtlandwirtschaftlichen Produktionsbereichen mit einer einjährigen Verzögerung und e, — die Restvariable bedeuten. Die Zahl der Beschäftigten in der staatlichen Land- und Forstwirtschaft wird ebenfalls in einer stochastischen Gleichung endogen be6

A. Barczak u. a., Model ekonometryczny gospodarki Polski Ludowej, Warszawa 1968.

186

stimmt. Ais erklärende Größe dient jedoch nur der Stand der Beschäftigten dieses Bereiches vom Vorjahr, d. h. eine Lag-Variable der Beschäftigtenzahl in der staatlichen Land- und Forstwirtschaft mit einer einjährigen Verzögerung: BTLF,

= b0 + b1BTLF,_1

+ e,.

Über eine Definitionsgleichung werden dann die Beschäftigten in den Produktionsbereichen der Volkswirtschaft im staatlichen Sektor als Summe der Beschäftigten in den nichtlandwirtschaftlichen Produktionsbereichen und den Beschäftigten in der Land- und Forstwirtschaft ermittelt : BT, = BTNL,

+

BTLF,.

Zur Erklärung anderer ökonomischer Variablen zieht man nur die Beschäftigten in den nichtlandwirtschaftlichen Produktionsbereichen der Volkswirtschaft heran, und zwar in der Modellgleichung für das Nationaleinkommen, das in den nichtlandwirtschaftlichen Produktionsbereichen entsteht. Die Anzahl der in den nichtlandwirtschaftlichen Produktionsbereichen beschäftigten Arbeitskräfte und die Anzahl der in der Landwirtschaft beschäftigten Arbeitskräfte werden für das ökonometrische Modell M-l der ungarischen Volkswirtschaft1 exogen vorgegeben. Mit ihrer Hilfe berechnet man in einer Definitionsgleichung die Anzahl der in der Produktion beschäftigten Arbeitskräfte als Summe der beiden vorgenannten Größen. Die Anzahl der in der Produktion beschäftigten Arbeitskräfte dient als erklärende Variable in einer stochastischen Gleichung zur Schätzung der Gesamtzahl der beschäftigten Arbeitskräfte: AKP, = AKNL,

+

AK, = a0 + a1AKP,

AKLF, + s,,

worin AKP AKNL

- die Arbeitskräfte im produzierenden Bereich, - die Arbeitskräfte in den nichtlandwirtschaftlichen Produktionsbereichen, AKLF - die Arbeitskräfte in der Land-und Forstwirtschaft und AK - die Arbeitskräfte in der Volkswirtschaft bedeuten. 7

L. Halabuk, Das ungarische experimentelle Makromodell M - l , in: Mathematik und Kybernetik in der Ökonomie, Konferenzprotokoll, Berlin 1965, S. 215—232.

187

Die Anzahl der in der Land- und Forstwirtschaft beschäftigten Arbeitskräfte und die Anzahl der in nichtlandwirtschaftlichen Produktionszweigen beschäftigten Arbeitskräfte dienen dann weiterhin zur Erklärung der Größe des Nationaleinkommens landwirtschaftlicher bzw. nichtlandwirtschaftlicher Herkunft und die Gesamtzahl der beschäftigten Arbeitskräfte als erklärende Variable für den Verbrauch der Bevölkerung. In dem langfristigen Prognosemodell der slowakischen Wirtschaft von Fundärek 8 basiert die Verteilung der Beschäftigten auf die einzelnen Bereiche auf der exogenen Vorgabe der Gesamtbeschäftigten der Volkswirtschaft und der Beschäftigten im produktiven Bereich. Um die Beschäftigten im „nichtproduzierenden" Bereich und die Beschäftigten im nichtlandwirtschaftlichen Produktionsbereich modellintern zu bestimmen, wendet man Definitionsgleichungen an, im ersteren Falle als Differenz zwischen Gesamtbeschäftigten und Beschäftigten im produktiven Bereich und im zweiten Falle als Differenz zwischen Beschäftigten im produktiven Bereich und Beschäftigten in der Landwirtschaft. Weiterhin werden modellintern die Beschäftigten der Industrie, des Bauwesens und der anderen produktiven Bereiche über stochastische Gleichungen geschätzt, wobei u. a. die Beschäftigten im nichtlandwirtschaftlichen Produktionsbereich als erklärende Variable auftreten. Die Beschäftigten in der Landwirtschaft werden als eine nichtlineare stochastische Funktion der Grundfonds in der Landwirtschaft geschätzt. Dabei ergibt sich die Nichtlinearität aus den spezifischen Bedingungen der slowakischen Landwirtschaft. Als erklärende Variablen treten dann die Beschäftigtenvariablen in den Produktionsfunktionen der genannten Bereiche auf. Das ökonometrische Modell VVS-1 der Volkswirtschaft der CSSR9 enthält u. a. die exogene Variable durchschnittliche Anzahl der Beschäftigten in den anderen produktiven Zweigen und die endogenen Variablen - durchschnittliche Anzahl der Beschäftigten in der Volkswirtschaft, - durchschnittliche Anzahl der Beschäftigten im produktiven Bereich der Volkswirtschaft, - durchschnittliche Anzahl der Beschäftigten im nichtproduktiven Bereich der Volkswirtschaft, 8

M. Fundärek, The long-term forecasting Model of the Slovak Economy, Paper for the Meeting of the Econometric Society in Oslo, August 1973. » I. Sujan/J. Kolek/K. Gergelyi, Attempted Comparison of Czechoslovak and Hungarian Economies on the Basis of a joint Econometric Model, Paper from Computing Research Centre, United Nations D. P., Bratislava 1972.

188

- durchschnittliche Anzahl der Beschäftigten in der Industrie und im Bauwesen und - durchschnittliche Anzahl der Beschäftigten in der Landwirtschaft. Diese endogenen Variablen werden in dem Modell durch stochastische und Definitionsgleichungen erklärt. Sie selbst dienen wiederum als erklärende Variable in den Produktionsfunktionen und der Nachfragefunktion für die individuelle Konsumtion. In ähnlicher Weise ist das ökonometrische Modell M-3 der imgarischen Volkswirtschaft10 bezüglich der Einbeziehung der Beschäftigten spezifiziert, so daß sich eine gesonderte Darstellung erübrigt. Die dritte Gruppe der ökonometrischen Modelle ist dadurch gekennzeichnet, daß diese neben den Arbeitskräfte- bzw. Beschäftigten-Variablen noch demographische Variablen enthalten. Diese demographischen Variablen werden außerhalb des Modells erklärt, sie sind exogene Variable. Zu dieser Gruppe gehören u. a. die ökonometrischen Modelle M-2, VVS-2, VVS-3, VVS-4. Da die Arbeitskräfte- bzw. BeschäftigtenVariablen in analoger Weise wie in der zweiten Gruppe spezifiziert sind, sei hier zusätzlich nur noch die Verwendung der demographischen Variablen erörtert. Im Modell M-2 der ungarischen Volkswirtschaft1 erscheint als exogene demographische Variable der Anteil der Stadtbevölkerung an der Gesamtbevölkerung. Sie wird in der stochastischen Konsumtionsgleichung für den Einzelhandelsumsatz an Nahrungsmitteln als erklärende Variable hinzugezogen. Die Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter tritt als exogene Variable in den ökonometrischen Modellen VVS-2, VVS-3 und VVS-4 der Volkswirtschaft der CSSR bzw. der Slowakei auf.1? Im VVS-2-Modell dient diese demographische Variable zur Erklärung der Anzahl der Beschäftigten im nichtproduzierenden Bereich, im VVS-3-Modell zur Erklärung der Anzahl der Arbeiter im sozialistischen Sektor der Volkswirtschaft und im WS-4-Modell als erklärende Variable für die Anzahl der Arbeiter und Angestellten im produzierenden bzw. nichtproduzierenden Bereich. •0 Ebenda. 11 L. Halabuk u. a., The M-2, Model. Estimation and Structure, in: Laboratory Working Papers Nr. 10, Central Statistical Office, Budapest 1970. 12 I. Sujan u. a., Dynamicky krätkodoby prognosticky model ekonomiky t S S R , Vyzkumn£ Vypoitobe Stredisko, Program OSN, Nr. 42, Bratislava 1972; I. Sujan u. a„ Prognosticke modely närodneho hospodärstva-kratkodobi, Vyzkumni Vypoitobe Stredisko, Program OSN, Nr. 65, Bratislava 1973; I. Sujan u. a., Ein mittelfristiges ökonomisches Modell der Slowakei, Vortrag auf dem Internationalen Symposium „Prognosemodelle 74", Bratislava 1974, Konferenzmaterial S. 165—200.

189

Im Modell WS-4 tritt zusätzlich noch die exogene Variable Unterschied zwischen dem Zuwachs der Anzahl der Arbeiter und Angestellten und dem Zuwachs der Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter als demographische Variable hinzu. In der vierten Gruppe der ökonometrischen Modelle geht man bezüglich der Berücksichtigung demographischer Erscheinungen und Prozesse noch einen Schritt weiter. Hier werden demographische Erscheinungen innerhalb des Modells erklärt, sie treten also als endogene Variable auf. Da auch hier die Spezifikation der Arbeitskräfte- bzw. BeschäftigtenVariablen in derselben Weise wie in der Gruppe 2 bzw. 3 vor sich geht, seien an dieser Stelle nur noch die demographischen Variablen behandelt. Zu dieser Gruppe gehören z. B. die ökonometrischen Modelle UKR-1, UKR-2 und das Modell von WELFE sowie das mehrsektorale Modell der Volkswirtschaft der DDR. In dem einsektoralen Modell UKR-1 der Ukrainischen SSRli sind folgende Gleichungen mit demographischen Aspekten enthalten: B, BS, BT, WFJBS, VJB,

= = = = =

a0 b0 c0 d0 e0

+ at j/f + a2 + elt + + e2t + ClB, + e3, + d^NVJB,) + e4( + e^KJB,) + e5(.

(1) (2) (3) (4) (5)

In diesen Gleichungen bedeuten a 0 , i»0, c0, d0, e0 — die Regressionskonstanten, au bl, c 1; dy, e{ — die Regressionskoeffizienten, a2 — ein Variationsparameter, t — die Variable Zeit, B, — die Gesamtbevölkerung, BS, — die Zahl der Stadtbevölkerung, BT, — die Anzahl der in den Zweigen der materiellen Produktion Beschäftigten, WF, — die Größe des Wohnraumfonds, NV, — das verwendete Nationaleinkommen, V, — der Verbrauch der Bevölkerung an materiellen Gütern und Dienstleistungen, K, — die Konsumtion und eit — die Restvariablen der Gleichungen. 13

A. S. Emeljanov/F. Kusnirskij, Methodologische und praktische Aspekte eines ein- und eines mehrsektoralen Modells der Entwicklung der Volkswirtschaft der Ukrainischen SSR, in: Wirtschaftswissenschaft 5/1973, S. 707—719.

190

Die demographische Gleichung (1) spiegelt die Gesetzmäßigkeiten der Veränderung der Gesamtzahl der Bevölkerung in der Zeit mittels einer Trendfunktion wider. Dabei zeigt der gewählte Ansatz durch seine Eigenschaften — > 0 und -r-v- < 0 die degressiv-ansteigende Charakteristik dt dt der empirischen Zeitreihe der Bevölkerung. Durch die Gleichung (1) wird die Gesamtzahl der Bevölkerung modellintern bestimmt, d. h., die Variable B, gehört zu den endogenen Variablen des Modells. Wenn auch die trendmäßige Erklärung der Bevölkerung die einfachste Möglichkeit darstellt und für die Weiterentwicklung der ökonometrischen Modelle nicht ausreicht, stellt dieser Ansatz zunächst doch einen Anfang der modellinternen Bestimmung demographischer Prozesse dar. Dadurch unterscheidet sich das Modell UKR-1 von allen ökonometrischen Modellen der sozialistischen Länder. In der demographischen Gleichung (2) wird die Veränderung der Zahl der Stadtbevölkerung BS, aus der Veränderung der Gesamtzahl der Bevölkerung erklärt. Somit gehört die Variable BSt ebenfalls zu den endogenen Variablen des Modells. Da in der Gleichung (2) die Gesamtzahl der Bevölkerung als erklärende Variable auftritt, wird die Veränderung der Stadtbevölkerung nicht nur in Abhängigkeit von ihrer natürlichen Veränderung betrachtet, sondern auch als Folge der Urbanisierung der Dorfsiedlungen und der Migration zwischen Stadt und Land. Die Gesamtzahl der Bevölkerung erscheint in der Gleichung (3) als erklärende Variable für die Bestimmung der Anzahl der in den Zweigen der materiellen Produktion Beschäftigten BTt. Durch diese Gleichung wird die Planung eines wesentlichen Faktors des Reproduktionsprozesses, der lebendigen Arbeit, von der Kenntnis des Standes und der Entwicklung der Bevölkerung abhängig gemacht. Weiterhin spielt die Gesamtzahl der Bevölkerung eine erklärende Rolle bei der Bestimmung der Größe des Wohnraumfonds WF, in den Städten (Gleichung 4) und des Umfanges des Verbrauches der Bevölkerung an materiellen Gütern und Dienstleistungen V, (Gleichung 5). Das mehrsektorale ökonometrische Modell UKR-2 der Volkswirtschaft der Ukrainischen SSR14 ist hinsichtlich der demographischen Variablen analog spezifiziert. Der Unterschied besteht einzig darin, daß die Gleichung (3) getrennt für Industrie, Land- und Forstwirtschaft, Bauwesen, Transport- und Nachrichtenwesen, Handel und Versorgung, übrige Zweige der materiellen Produktion und Volkswirtschaft insgesamt geschätzt wird. 14

Ebenda.

191

Die demographischen Variablen Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter BA, und der Anteil der Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter A BA, werden in dem ökonometrischen Modell der polnischen Volkswirtschaft von WELFE15 durch die zwei folgenden Gleichungen modellintern erklärt : BA, = ABA, • B,t >

(1) (2)

Als exogene demographische Variable finden für dieses Modell die Bevölkerung insgesamt B, und der Anteil der Stadtbevölkerung an der Gesamtbevölkerung Anwendung. Dabei tritt die Gesamtbevölkerung in der obigen Gleichung (1) bzw. (2) als erklärende Größe für die Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter bzw. für den Anteil der Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter auf. Der Anteil der Stadtbevölkerung an der Gesamtbevölkerung ist eine der erklärenden Variablen für die Investitionsausgaben im Wohn- und Kommunalbereich. Die Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter wird wiederum in den Funktionen zur Schätzung der gesamten Beschäftigten der Volkswirtschaft bzw. des Angebots an Beschäftigung in den nichtlandwirtschaftlichen Bereichen als erklärende Variable verwendet. Die umfassendste Berücksichtigung demographischer Gesichtspunkte ist in dem mehrsektoralen Modell der Volkswirtschaft der DDR16'17 festzustellen. In diesem Modell wird die Anzahl der Arbeitskräfte der Volkswirtschaft AK, nach folgender Definitionsgieichung bestimmt: AK, = B, - BKt - BR, - RN, + RA, - LS, - NA, + ASLr Darin AK, B, BK, BR, 15

16

17

(1)

bedeuten die einzelnen Variablen: — Arbeitskräfte der Volkswirtschaft, — Gesamtbevölkerung, — Bevölkerung im Kindesalter, — Bevölkerung im Rentenalter,

W. Weife, A Medium-term Econometric Model of the Polish Economy. Paper presented to the European Meeting of the Econometric Society, Oslo 1973. D. Walter/M. Wölfling, Die Anwendung ökonometrischer Modelle bei der Analyse und Planung volkswirtschaftlicher Grundproportionen in der DDR, Vortrag auf dem Internationalen Symposium „Prognosemodelle 74", Bratislava 1974. M. Wölfling, Ein mehrsektorales ökonometrisches Modell volkswirtschaftlicher Grundproportionen (Konzeption, Modellansätze, Probleme), Akademie der Wissenschaften der DDR, Berlin, August 1973 (Manuskript)

192

RN, — nichtberufstätige Rentenempfänger im arbeitsfähigen Alter, RA, — Arbeitskräfte im Rentenalter, LS, — Lernende und Studierende, NA, — Nichtberufstätige im arbeitsfähigen Alter und ASL, — Arbeitskräfte aus den anderen sozialistischen Ländern. Mit der Gleichung (1) des Modells der DDR wird weit mehr als in den anderen ökonometrischen Modellen der sozialistischen Länder der Notwendigkeit Rechnung getragen, die im volkswirtschaftlichen Reproduktionsprozeß tätigen Arbeitskräfte aus der Größe und Struktur der Bevölkerung zu erklären. Hierbei kommt die Größe der Bevölkerung in der ersten Variablen auf der rechten Seite der Gleichung (1), der Gesamtbevölkerung, zum Ausdruck. Mit den anderen Variablen (außer ASL,) werden dann Aussagen über die Struktur der Bevölkerung getroffen, und zwar gibt der Teil B, — BK, — BR, die Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter an. Durch die zusätzliche Berücksichtigung des Wegfalls der nichtberufstätigen Rentenempfänger im arbeitsfähigen Alter und des Hinzukommens der im Arbeitsprozeß verbleibenden Rentner erhält man mit dem Teil B, — BK, — BR, — RN, + RA, die arbeitsfähige Bevölkerung. Während es sich bei den Größen B„ BK„ BR„ RN, und ASL, aus der obigen Gleichung (1) für das ganze ökonometrische Modell um exogene Variable handelt, werden die Variablen RA,, LS, und NA, durch die drei nachfolgenden stochastischen Gleichungen modellintern erklärt, d. h., sie sind endogene Variable des Modells: RA, = a0 + a^BR, + a2RA, _ 1 + «„ LS, = b0 + bj,_ 1 + b2LS,_ 1/B,_1 + e3t NA, = c0 + ClLG, + Ba, .

(2) (3) (4)

Es bedeuten RA,-u L S j und B,_ ! — Lag-Variable mit einer einjährigen Verzögerung der bereits oben erklärten Variablen, r,_ j — Stand der Produktivität des Vorjahres und LG, — Anzahl der Lebendgeborenen. In der Gleichung (2) werden die Arbeitskräfte im Rentenalter aus ihrer eigenen Entwicklung (RA,_ j) und aus der Größe der Bevölkerung im Rentenalter des gleichen Jahres geschätzt. Die Gleichung (3) gibt die Anzahl der Lernenden und Studierenden in Abhängigkeit vom Stand der Produktivität des Vorjahres und dem vorjährigen Anteil der Lernenden und Studierenden an der Gesamtbevölkerung an. Schließlich stellt die Gleichung (4) die Nichtberufstätigen im arbeitsfähigen Alter als eine 13

Demographie

193

Funktion der Lebendgeborenen dar, da es sich bei der nichtberufstätigen Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter vor allem um Frauen handelt. Wölfling verweist im Zusammenhang mit diesem ökonometrischen Modell auf eine Reihe wichtiger Beziehungen zwischen den obengenannten demographischen Variablen und — dem tatsächlichen und potentiellen gesellschaftlichen Arbeitsvermögen, — den Investitionen (vor allem im nichtproduzierenden Bereich), — der individuellen Konsumtion (wie Löhne und Gehälter, Versorgung der Bevölkerung mit Waren, Spareinlagen usw.), — der gesellschaftlichen Konsumtion (Bildungswesen, Gesundheitswesen, Wohnungswesen u. a.), — den Dienstleistungen und — den sozialen Leistungen für die Familien mit Kindern und für die Bevölkerung im Rentenalter. Für die kurz-, mittel- und langfristige Planung dieser Beziehungen benötigt man die Zahl der Bevölkerung, der Geborenen, der Gestorbenen, die Struktur der Bevölkerung in bezug auf Alter, Geschlecht, Arbeitsfähigkeit, Bildung, nach Haushalten, ihre regionale Verteilung sowie viele weitere Faktoren in ihrem komplexen Zusammenwirken unter den konkreten Bedingungen und in ihrer künftigen Entwicklung. Wenn es auch zu den speziellen Spezifikationen demographischer Erscheinungen und Prozesse in den ökonometrischen Modellen der sozialistischen Länder sicherlich noch eine Reihe von Problemen gibt, kann man doch den Auffassungen Dondas voll zustimmen, daß „es erforderlich (ist), um im Interesse der Gesellschaft eine bestimmte Bevölkerungsentwicklung zu erreichen, durch sorgfaltige Untersuchung der Bevölkerungsstruktur und Bevölkerungsentwicklung und der sie beeinflussenden Faktoren die quantifizierte Wirkung der wesentlichsten Faktoren und Bedingungen zu ermitteln, und zwar nicht nur als isolierte Erscheinung, sondern in ihrer konkreten Kombination mit anderen Faktoren". 18 Da die obenerwähnten Beziehungen unseres Erachtens jedoch bisher in den ökonometrischen Modellen der sozialistischen Länder kaum ihren Niederschlag fanden, sollte man sich mit der Berücksichtigung demographischer Erscheinungen und Prozesse und der Wechselwirkungen zum ökonomischen Reproduktionsprozeß in makroökonometrischen Modellen noch nicht zufrieden geben. Deshalb muß es sich die ökonometrische Modellierung auch zum Ziel setzen, eine ökonomisch18

A. Donda, Die Bevölkerung der DDR im Spiegel der Statistik, in: Zu Problemen der Demographie, Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte, Teil I, Berlin 1974, S. 34.

194

statistische Analyse der Möglichkeiten und volkswirtschaftlichen Notwendigkeiten zur Erreichung eines angemessenen kontinuierlichen Bevölkerungszuwachses einzuschließen.

13*

195

HANS-GERHARD STROHE

Spektralanalyse und Prognose der Zahl der Lebendgeborenen in der DDR

Die Spektralanalyse ist ein Verfahren der statistischen Zeitreihenanalyse, das, zuerst in den Naturwissenschaften angewandt, in den letzten Jahren Eingang in die Ökonomie fand und nun in den vorliegenden Untersuchungen auf seine Anwendbarkeit in der demographischen Forschung geprüft werden soll. Als ersten demographischen Untersuchungsgegenstand der Spektralanalyse in der DDR wählte man die Zeitreihe der Zahl der monatlichen Lebendgeborenen je tausend Personen Wohnbevölkerung, die regelmäßig in der „Statistischen Praxis"1 erscheint. Ziel der Spektralanalyse ist es, die systematischen Komponenten stationärer stochastischer Prozesse an Hand von Zeitreihen bezüglich des Anteils an der Gesamtvarianz zu schätzen. Solche systematischen Komponenten sind zum Beispiel der Trend, langfristige Schwankungen, Saisonschwankungen und periodische Schwankungen anderer Frequenzen. Dem stehen die reinen Zufallsschwankungen gegenüber, in der Zeitreihenanalyse in Anlehnung an die Physik „weißes Rauschen" genannt.

1. Der mathematische Apparat der Spektralanalyse Das rechnerische Vorgehen soll hier nur ganz kurz skizziert werden. Die mathematischen Grundlagen und eine ausführlichere Beschreibung des Verfahrens findet man bei Granger2, König und Wolters3 und Strohe4. 1 2 3

4

Statistische Praxis. Jahrgänge 1961 bis 1974, Berlin. Granger/Hatanaka, Spectral Analysis of Economic Time Series, Princeton 1964. König/Wolters, Einführung in die Spektralanalyse ökonomischer Zeitreihen, Meisenheim 1972. Strohe, Zur Analyse ökonomischer Zeitreihen durch Spektralzerlegung, in: Wiss. Zeitschrift der Humboldt-Universität, Gesellschafts- und Sprachwissenschaftliche Reihe, 6/1970, S. 767-773.

196

Mit xt bezeichnen wir eine Zeitreihe, die einen stationären stochastischen Prozeß repräsentiert. Die Funktion 1 "~z cz = £ (x, - x) {x, _ 2 - x) " - z «=7V i ist die aus der Zeitreihe geschätzte Autokovarianzfunktion. Sie gibt die Stärke des Zusammenhangs oder der Gleichartigkeit von Daten an, die um z Zeiteinheiten auseinanderliegen, x ist das arithmetische Mittel der Zeitreihe. Aus dieser Funktion wird nach folgender Beziehung die Spektraldichte berechnet: m p(f) =

£ z= —

c

z9z c o s 2 n f z .

m

Die Gewichte gz haben keine theoretische Bedeutung und sind weder unbedingt erforderlich noch eindeutig festgelegt. Durch eine geeignete Wahl dieser Gewichte (in der Literatur werden verschiedene Varianten vorgeschlagen5), läßt sich aber erreichen, daß man die Werte der Autokovarianzfunktion in unterschiedlichem Maße bei der Berechnung berücksichtigt, und zwar im allgemeinen so, daß Autokovarianzen mit geringerer Verzögerung z stärker gewichtet werden als solche für längere Verzögerungen. Das geschieht zu dem Zweck, die Konsistenz der Schätzung zu erhöhen. Die Spektraldichte p{f) gibt näherungsweise an, wieviel von der Gesamtvarianz auf periodische, sinusförmige Schwankungen mit Frequenzen, die in der Nähe von / liegen, entfallt. Die Frequeqz / entspricht einer Periodenlänge von 1 //Zeiteinheiten. So gibt zum Beispiel die Spektraldichte p( 1/12) den Anteil von Saisonschwankungen mit einer Periodenlänge von 12 Monaten an der Varianz an. Die Breite des durch p(f) mit erfaßten Frequenzbandes um die Frequenz /hängt von der Länge der Zeitreihe n und der Anzahl m der in die Berechnung einbezogenen Werte der Autokovarianzfunktion ab. Demnach ist die Zahl m den Erfordernissen entsprechend zu wählen6.

2. Die Ergebnisse der Analyse der Zeitreihe der Lebendgeborenen je 1000 Einwohner Abb. 1 zeigt die Spektraldichte der Reihe der Zahl der monatlich Lebendgeborenen als Spektrogramm. Dabei gibt die Kurve die jeweilige Spektraldichte zu den auf der Abszisse abgetragenen Frequenzen in logarith5

6

Jenkins/Watts, Spectral Analysis and its Applications. Holden-Day, S. Francisco, Cambridge, London, Amsterdam 1969. Ebenda.

I3u

Demographie

197

Abb. 1. Spektraldichte

mierter Form an. Die Logarithmen wurden wegen der deutlicheren graphischen Darstellbarkeit gewählt. Verwendet wurde eine Zeitreihe von n = 161 Monatszahlen der Lebendgeborenen, das sind von Januar 1961 bis Mai 1974 fast 13»/2 Jahre. Aus dem Spektrogramm läßt sich eine erhöhte Spektraldichte für die Frequenzen 0,1/12,1/2,4,1/6 und 1/3 erkennen. Ohne jetzt auf die quantitative Analyse der Größenverhältnisse näher einzugehen, kann man hieraus unmittelbar ablesen, daß die Veränderungen der Geburtenzahl in stärkstem Maße ein Trend (Schwankung der Frequenz Null), Saisonschwankungen (mit der Frequenz 1/12) und kurzfristige mehr oder weniger regelmäßige Oszillationen mit einer Periodenlänge zwischen zwei und drei Monaten (Frequenzen in der Nähe von / = 1/2,4) sind. Die hier ebenfalls noch ausgewiesenen 6-Monats- und 3-Monats-Schwankungen gehen als Oberschwingungen in den 12-Monats-Schwankungen auf und treten nicht selbständig in Erscheinung. Um festzustellen, ob die Reihe noch weitere periodische Komponenten enthält, hat man die soeben festgestellten Komponenten Trend (als fallende lineare Funktion) und Saisonschwankungen sowie Oszillationen (durch gleitende Durchschnitte) aus der Reihe eliminiert. Auf die verbleibenden Residuen fand erneut die Spektralanalyse Anwendung. Dieses stufenweise Vorgehen bietet den Vorteil, daß etwa vorhandene Komponenten, die im Verhältnis zum Trend und zu den Saisonschwankungen nur einen geringen Teil der Varianz ausmachen und daher neben diesen im Spektrum unerkennbar bleiben, jetzt deutlicher hervortreten, da im Spektrum der Residuen

198

bgP(f)

r 0

-1

i

es

3

2

Abb. 2. Spektraldichte nach Trend- und Saisonbereinigung

nur die Verteilung der Restvarianz auf die noch nicht eliminierten Schwankungen betrachtet wird. Abb. 2 zeigt die Spektraldichte der Residuen. Man erkennt an der vergleichsweisen Glattheit der Kurve, daß mit den eliminierten Schwankungen die wesentlichsten systematischen Komponenten in der Entwicklung der Zahl der Lebendgeborenen erfaßt sind. Nur eine Spitze bei der Frequenz / = 1/66 tritt hier erst deutlich hervor. Das entspricht einer Periodenlänge im Bereiche von über 5 Jahren. Für eine abschließende Beurteilung und Begründung dieses Tatbestandes ist die untersuchte Zeitreihe noch zu kurz, da die aufgedeckte Periode im Untersuchungszeitraum nur reichlich zweimal enthalten ist. Somit kann man hier von Regelmäßigkeit oder gar Gesetzmäßigkeit nicht sprechen. Zur Aufklärung bedarf es weiterer Untersuchungen. Das gleiche gilt für bei subtilerer Analyse festgestellte Schwankungen im 9-Monats-Rhythmus, die sich einerseits wegen ihrer engen Überlagerung mit den viel stärkeren Saisonschwankungen schwer isoliert betrachten lassen und für die es andererseits gegenwärtig auch noch keine Erklärung gibt. Aus diesem Grunde beschränken sich die folgenden Prognosen auf die Nutzung von Modellen mit Trend- und Saisonkomponente.

199

3. Prognose der Zahl der Lebendgeborenen Die Prognose stützt sich auf ein bisher in der Demographie noch nicht angewandtes Extrapolationsverfahren für Zeitreihen, das an der Hochschule für Ökonomie in Prag entwickelt wurde 7 . Dieses Modell umfaßt eine lineare Trendkomponente und eine trigonometrische Saisonkomponente. Beide Komponenten machen, wie die vorangegangenen Abschnitte zeigen, den Hauptanteil der Varianz der Zeitreihe aus. Die Besonderheit des Verfahrens von Kozäk, Seeger und Zvacek besteht darin, daß der eigentlichen Prognose Untersuchungen über die optimale Länge des für die Schätzung der Modellparameter verwendeten Zeitreihenabschnittes vorangehen. 8 Als Kriterium für diese optimale Länge dient der durchschnittliche Fehler von Pseudoprognosen, die auf einem sukzessiv über die Zeitreihe gleitenden Zeitabschnitt einer bestimmten Länge basieren. Unter Pseudoprognose versteht man hier eine Prognose für einen Zeitpunkt, für den schon ein Zeitreihenwert vorliegt, was einen Vergleich ermöglicht. Bei ökonomischen Zeitreihen konnte man häufig beobachten, daß der Fehler der Pseudoprognosen auf der Grundlage sehr kurzer wie auch sehr langer Zeitreihenabschnitte groß ist. Dazwischen gibt es eine für die verschiedenen Merkmale unterschiedliche Länge, für die der mittlere Fehler der Pseudoprognosen minimal ist. Dagegen ergaben die entsprechenden Untersuchungen für die Zahl der Lebendgeborenen im Prinzip einen im wesentlichen abnehmenden Fehler der Pseudoprognosen bei zunehmender Länge des berücksichtigten Zeitreihenabschnittes. Daraus erkennt man, daß in der Entwicklung der Zahl der Lebendgeborenen allgemeine Gesetzmäßigkeiten ziemlich gleichmäßig über lange Zeiträume hinweg wirkten. Diese Gesetzmäßigkeiten müßten sich durch eine ständig größere Zahl von Information immer besser erfassen lassen, auch wenn diese Informationen aus ferner Vergangenheit stammen. Der durchschnittliche Fehler der Pseudoprognosen sei in folgenden Beispielen angegeben:

7

8

Kozäk, Konstrukce extrapolaönich predpovedi zalozenych na ekonomicky iasovych radäch s m&nlivymi parametn', V§E Praha, 1974. Kozäk, Seeger, ZväCek, Hochschule für Ökonomie Prag, mündliche Vorträge an der Humboldt-Universität, 1973 und 1974.

200

Länge des für die Prognosen berücksichtigten Zeitreihenabschnittes

mittlerer Fehler

13 17 21 27 36 42 48

2,3 2,9 3,5 2,0

Monate Monate Monate Monate Monate Monate Monate

1,1

0,5 0,3

Außer der prinzipiell abnehmenden Tendenz des Fehlers fallt auf, daß bei Berücksichtigung nur sehr kurzer Abschnitte (ca. 1 Jahr) ein geringerer Fehler auftritt, als wenn man sich auf etwa zwei Jahre stützt. Diese Durchschnittsfehler werden wesentlich von der gleichmäßigen und dadurch leicht zu prognostizierenden Entwicklung der Geburtenzahlen bis zum Jahre 1972 beeinflußt. Der in jenem Jahre einsetzende sprunghafte Rückgang der Geburtenzahl und die sich gegenwärtig abzeichnende Einpendelung auf eine gleichmäßige, der ehemaligen ähnliche Entwicklungstendenz verbieten es meines Erachtens, die mit dem Prager Verfahren für Pseudoprognosen gewonnenen Erfahrungen auf echte Prognosen zu übertragen. Dieses Verfahren ergäbe nämlich bei Berücksichtigung des für die Pseudoprognosen optimalen Zeitabschnittes von 48 Monaten folgende Prognosenwerte für Juni 1974 bis Mai 1975: Juni 9,8

Juli 9,3

Aug. 8,9

Sept. 8,4

Okt. 8,0

Nov. 7,8

Dez. 8,1

Jan. 8,8

Febr. März April Mai 9,5 9,8 9,6 9,0

Diese Zahlen sind offenbar zu niedrig. Die Ursachen hierfür liegen auf der Hand. Das Prognoseverfahren extrapoliert die in den letzten 4 Jahren überwiegenden Tendenzen, und da hat der Rückgang 1972 ein sehr großes Gewicht, während sich die genannte gegenläufige Tendenz erst schwach abzeichnet. Ein Vorteil des Verfahrens besteht aber darin, daß unter Nutzung der modernen Rechentechnik neben dieser Prognose mit „minimalem Fehler" auch sämtliche anderen Prognosevarianten auf der Grundlage von Zeitreihenabschnitten der Längen 13 bis 50 geliefert werden. Von diesen Varianten sei hier nur die angegeben, die sich auf die Zeit der schon wieder relativ stabilen Entwicklung nach dem Sprung von 1972 stützt. Obgleich das nur den sehr kurzen Abschnitt der 17 Monate von Januar 1973 bis Mai 1974 betrifft und demzufolge die Prognoseschätzungen mit einem hohen Zufallsfehler behaftet sein wer-

201

den, spricht hier die Wahrscheinlichkeit für einen geringeren systematischen Fehler und eröffnet die Aussicht auf eine realistischere Widerspiegelung der gegenwärtigen Entwicklung der Geburtenzahlen: Juni 10,9

Juli 10,7

Aug. 10,5

Sept. Okt. 10,1 9,7

Nov. 9,6

Dez. 9,9

Jan. 10,4

Febr. März April Mai 11,0 11,3 11,2 11,0

Die unterschiedlichen Prognosen mit diesem Verfahren für den gleichen Vorhersagezeitraum beweisen, daß es in der Demographie wie auch in der Ökonomie nicht die Prognose einer bestimmten Erscheinung gibt, sondern nur Prognosevarianten für verschiedene Voraussetzungen. Welche .Voraussetzungen die gültigen sind und welche Varianten die besseren Prognosen liefern, läßt sich nicht allein mit statistischen Mitteln entscheiden.

202

Verzeichnis der Beiträge zum Internationalen Demographischen Symposium Berlin 1974*

Lfd. Verfasser Nr.

Land

Titel Demographische Aspekte der Bildungsreform in Entwicklungsländer Die Geburtsprognosen auf Grund der Familienpräferenzen der Jugend im heiratsfähigen Alter Zu Problemen der Urbanisierung und der Bevölkerungsagglomeration in der DDR Synthese zur Entwicklung der demographischen Erscheinungen in Rumänien Zur Aussagefahigkeit von Sterbetafeln für regionale Vergleiche Betrachtungen zur Sexualproportion in der DDR Sozialmedizinische Aspekte bei der Schwangerschaftsunterbrechung Über die mathematische Beschreibung von Per-

1.

BITTMANN, OTTO

DDR

2.

BOROWSKI, STANISLAW

VRP

3.

BURKHARDT-OSADNIK,

DDR

LUCIE OTTO, CARL 4.

5.

COPIL, IOAN

SRR

EMMERICH, DOROTHEA

DDR

HESSELBARTH, WERNER SCHÜLER, HEINZ 6. 7.

FÖRSTER, ERHARD

DDR

FRITZSCHE, UTE

DDR

ROTHE, JOACHIM 8.

FRÖHLICH, SIEGBERT

DDR

* geordnet nach Verfassern in alphabetischer Folge

203

Lfd. Verfasser Nr.

9.

Land

G E I G E R , WALTER

DDR

10.

G R A B L E Y , HANNA

DDR

11.

KHALATBARI, PARVIZ

DDR

12.

KOZLOV, J U R I J K .

UDSSR

13.

K R E U Z , BERNHARD

DDR

14.

LATUCH, MIKOLAJ

VRP

15.

LUNGWITZ, K U R T

DDR

16.

LUNGWITZ, K U R T

DDR

17.

MAGVAS, EMIL

DDR

204

Titel

sonengesamtheiten in Abhängigkeit von Alter und Zeit Zur Bevölkerungsentwicklung im Kreise Heiligenstadt von 1970 bis 1973 Zur Struktur der wirtschaftlich-aktiven Bevölkerung der D D R und ihrer Entwicklung Zu einigen Problemen der Methodologie der Bevölkerungsforschung Die Bevölkerung als Gegenstand der zielgerichteten Programmplanung in den sozialistischen Ländern Beitrag zur Problematik von Zeitreihenanalysen vitaler Ereignishäufigkeiten Ziele der Bevölkerungsentwicklung im Sozialprogramm, das gegenwärtig in der VRP verwirklicht wird Hauptaspekte der Bevölkerungsbewegung in der Deutschen Demokratischen Republik seit 1949 Probleme der demographischen Entwicklung in der DDR Einige Aspekte der Abhängigkeit der Geburtenhäufigkeit von sozial-ökonomischen Faktoren

Lfd. Verfasser Nr.

Land

Titel

18.

MEHLAN, KARL-HEINZ

DDR

19.

MÖBIUS, DINA

DDR

20.

MOHRIG, WERNER

DDR

21.

MUSIOLEK, BERNDT

DDR

22.

PAVLIK, ZDENSK

CSSR

23.

REIMANN, GEORG

DDR

24.

R Ö N Z , BERND

DDR

Grundsätze und Organisation der Familienplanung in der D D R Zu einigen Fragen der Migration Populationsgesetze in Natur und Gesellschaft Zur Rolle demographischer Faktoren bei der Leitung und Planung sozialer Prozesse Einige theoretische Fragen der Bevölkerungspolitik und die Situation in der Tschechoslowakei Zu einigen Fragen der Entwicklung der Geburtenzahl in der DDR Zur Berücksichtigung demographischer Erscheinungen und Prozesse in makro-ökonomischen Modellen der sozialistischen Länder — eine Bestandsaufnahme

25.

ROSSET, EDWARD

VRP

26.

ROUBICEK, VLADIMIR

CSSR

27.

RUBIN, JAKOB 1.

UDSSR

) 4 Demographie

Die mittlere Lebenserwartung in der Volksrepublik Polen Modelle des Lebenszyklus der Familie und seine Ausnutzung bei der Erforschung der Wirksamkeit der Populationspolitik Zu theoretischen Grundlagen der Bevölkerungspolitik 205

Lfd. Verfasser Nr. 28.

SÄLZER, ANNELIESE

Land

DDR

H I N Z E , LIESELOTTE

29.

SCHINDLER, HERBERT

DDR

30.

SCHMIDT, U T A

DDR

31.

SCHULTZE, HELMUT

DDR

32.

STROHBACH, ERICH

DDR

33.

STROHE, HANS-GERHARD

DDR

34.

SUGAREV, ZDRAVKO

VRB

35.

TRILLER, JOHANNES

DDR

36.

WITTHAUER, K U R T

DDR

37.

WUNSCH, REGINA

DDR

206

Titel

Beziehungen zwischen beruflicher Belastung, Mutterschaft und Gesundheit der werktätigen Frau Bevölkerung, Ressourcen und Umwelt Der Einfluß ausgewählter Umweltfaktoren auf die Reproduktion des Menschen Die regionalen Unterschiede im Niveau der Fruchtbarkeit und ihre Auswirkungen auf die Bevölkerungsreproduktion der DDR Zu einigen Beziehungen zwischen Sozialpolitik und Demographie Spektralanalyse und Prognose der Lebendgeborenen in der DDR Modellierung der Entwicklung der demographischen Strukturen Erfahrungen und Auswertungen der Bevölkerungsfortschreibung nach Alter und Familienstand sowie Ergebnisse und Probleme der Berechnung von Lebensdaten Gegenwärtige Tendenzen weltweiter Bevölkerungsdynamik Betrachtungen zur Motivation der Binnenwanderung in der DDR

Lfd. Verfasser Nr.

Land

Titel

38.

VRP

Einige neue numerische Forschungsmethoden der Struktur und Dynamik demographischer Prozesse am Beispiel der DDR

ZAJAC, KAZIMIERZ GRABINSKI, TADEUSZ

14'

207

Liste der Teilnehmer am Internationalen Demographischen Symposium Berlin 1974

Lfd. Name, Vorname, Nr. Titel 1.

ABENDROTH, R U T H ,

wiss. Mitarbeiter 2.

BARTOSZEWICZ, CECYLIA, D r .

3.

BERNDT, HELGA,

Dr. phil.

4.

BITTMANN, OTTO

Dr. oec. 5.

BOJARSKI, ARON,

Prof. Dr.

6.

BOROWSKI, STANISLAW,

Prof. Dr.

Anschrift

Arbeitsstelle

1034 Berlin, Nöldnerplatz

Akademie für ärztliche Fortbildung Warszawa, Hochschule für ul. Rakowiecka Planung und 24 Statistik 108 Berlin, Akademie der Zimmerstr. 94 Wissenschaften der DDR, Institut für Wirtschaftsgeschichte 113 Berlin, Zentralinstitut für Ruschestr. 42 Berufsbildung Moskva, Forschungsul. Kirova 39 institut der Zentralen Statistischen Verwaltung 61397 Poznan, Akademie der Osiedle, Rzeczy- Wissenschaften pospolitey 10/10 der VRP, Vorsitzender des Komitees für

209

Lfd. Name, Vorname, Nr. Titel

7.

BOSE, GERHARD,

Dr. 8.

BURKHARDT-OSADNIK, LUCIE,

9.

10.

Prof. Dr. habil.

BURNASCHEV, ELGIZAR,

Dr.

BÜTTNER, THOMAS,

Dipl. oec.

11.

CASPER, WALTRAUD,

Dipl. oec. 12.

COPIL, IOAN,

Dr. 13.

EMMERICH, DOROTHEA,

Dipl. med.

14.

ENDERS, RAINER,

Dipl. hist. 15.

ENGEL, GERHARD,

Prof. Dr. habil.

210

Anschrift

Arbeitstelle

Demographische Studien 402 Halle/Saale, Martin-LutherHeinrich-undUniversität HalleThomas-Mann- Wittenberg, SekStraße 26 tion Geographie 7113 Markklee- Karl-Marx-Uniberg, Mehring- versität Leipzig str. 16 1/7234 Moskva, WirtschaftsB-234 wissenschaften Fakultät der LomonossovUniversität Moskva 1157 Berlin, Hochschule für HermannÖkonomie Duncker-Str. 8 „Bruno Leuschner", Berlin 1017 Berlin, Akademie für Karl-Marxärztliche FortAllee 69 f bildung Bucuresti, Nationale KomVictorici 49—53 mission für Demographie 1017 Berlin; Magistrat der Straße der Hauptstadt Pariser Berlin, Abteilung Kommune Gesundheit- und 23/1206 Sozialwesen Ministerium für Nationale Verteidigung 108 Berlin, Humboldt-UniUnter den versität zu Berlin Linden 6

Lfd. Name, Vorname, Nr. Titel

Anschrift

Arbeitsstelle

16.

102 Berlin, Spandauer Str. 1

Humboldt-Universität zu Berlin, Sektion Wirtschaftswissenschaften Humboldt-Universität zu Berlin, Sektion Wirtschaftswissenschaften Humboldt-Universität zu Berlin, Lehrstuhl für Sozialhygiene Karl-Marx-Universität Leipzig, Sektion Mathematik Akademie für ärztliche Fortbildung Martin-LutherUniversität Halle Hochschule für Ökonomie „Bruno Leuschner", Berlin Humboldt-Universität zu Berlin, Sektion Wirtschaftswissenschaften Akademie der Wissenschaften der DDR, Institut

FALK, WALTRAUD,

Prof. Dr.

17.

FÖRSTER, ERHARD,

Prof. Dr. habil.

18.

FRITSCHE, UTE,

Dipl. med. 19.

FRÖHLICG, SIEGBERT,

Prof. Dr.

20.

GIERSDORF, PETER,

Dr. rer. oec. 21.

GLÄSER, DORIS,

22.

GRABLEY, H A N N A .

Dipl. ing. oec. Dr. sc.

23.

H A H N , WOLFGANG,

Dr.

24.

HANDTKE, HORST,

Dr. rer. oec. habil.

102 Berlin, Spandauer Str. 1 1055 Berlin, Prenzlauer Berg 17-1405 701 Leipzig, Karl-MarxPlatz 11/12 1034 Berlin, Karl-MarxAllee 110 409 HalleNeustadt 061/3 1157 Berlin, HermannDuncker-Str. 8

102 Berlin, Spandauer Str. 1

108 Berlin, Zimmerstr. 94

211

Lfd. Name, Vorname, Nr. Titel

25.

HARNISCH, HARTMUT,

Dr.

26.

HEINRICH, ROLAND,

Dr. sc. oec.

27.

HERDEN, ROSE-ELISABETH,

Dipl. phil.

28.

HEUNEMANN, G Ü N T E R ,

Dr. rer.

29.

HINZE, LIESELOTTE,

Dr. med.

30.

KHALATBARI, PARVIZ,

Prof. Dr. sc.

31.

KIEHL, HANNELORE,

Dr. med.

32.

KNABE, MARIA,

Dr. oec. 212

Anschrift

15 Potsdam, Hans-SachsStr. 17 102 Berlin, Leninplatz 15

102 Berlin, Spandauer Str. 1 53 Weimar, Graben 4

Arbeitsstelle

für Wirtschaftsgeschichte Akademie der Wissenschaften der DDR, Institut für Wirtschaftsgeschichte Institut für Gesellschaftswissenschaften beim Zentralkomitee der SED Humboldt-Universität zu Berlin, Lehrstuhl Demographie Büro für Territorialplanung bei der Bezirksplankommission Erfurt

301 Magdeburg, Medizinische Leipziger Str. 44 Akademie Magdeburg, Institut für Sozialhygiene 102 Berlin, Humboldt-UniSpandauer Str. 1 versität zu Berlin, Lehrstuhl Demographie Humboldt-Uni108 Berlin, Otto-Nuschke- versität zu Berlin, Hygiene-Institut Str. 6 des Bereiches Medizin 114 Berlin, Zentralinstitut für Alfelder Str. 128 Berufsbildung

Lfd. Name, Vorname, Nr. Titel

Anschrift

33.

Moskva, Kolpechny Centr 9A 15 Potsdam, Feuerbachstr. 30

KNJAÌINSKAJA, LARISSA,

Dr. 34.

KRAMM, HANS-JÜRGEN,

Prof. Dr. habil.

35.

KOZLOV, JURIJ,

Prof. Dr.

36.

KOZLOVSKA, EVA,

Prof. Dr. habil. 37.

KRAUTZIG, ROSEMARIE,

Dr. rer. oec.

38.

KREUZ, BERNHARD,

Dr. med. habil. 39.

KRASINEC, EVGENIJ,

Dr. oec.

40.

KUHRIG, HERTA,

Prof. Dr.

41.

LATUCH, MIKOLAJ,

Prof. Dr. habil.

Arbeitsstelle

Institut für Internationale Arbeiterbewegung Pädagogische Hochschule Potsdam, Lehrstuhl ökonomische Geographie ForschungsinstiMinsk — 23, tut der Staatlichen ul. Slavinskogo 1 Plankommission der Belorussischen SSR Schlesische Uni40-064 Katoversität zu Katowice, ul. Kowice pernika 12/7 1157 Berlin, Hochschule für Wildensteiner Ökonomie Str. 40 „Bruno Leuschner" Berlin 1162 BerlinHumboldt-Universität zu Berlin, Rangsdorf Hygiene-Institut 117296 Moskva, Zentrum der BevölkerungsUniversitetski Prospekt 5/540 wissenschaften Moskva Akademie der 108 Berlin, Otto-Nuschke- Wissenschaften der DDR, ForStr. 22 schungsgruppe „Die Frau in der sozialistischen Gesellschaft" Hochschule für Warszawa, Planung und StaRakowiecka 24 tistik Warszawa 213

Lfd. Name, Vorname, Nr. Titel

Anschrift

42.

117 Berlin, Lobitzweg 21

LEDENIG, WOLFRAM,

Dr. oec.

43.

LEETZ, H A N N A ,

Dr. med.

44.

LEETZ, INGE,

MR. 45.

LINSEL, HERMANN,

Prof. Dr. sc.

Arbeitsstelle

Hochschule für Ökonomie „Bruno Leuschner" Berlin 1138 Berlin, Magistrat der Brederechstr. 25 Hauptstadt Berlin, Abteilung Gesundheit- und Sozialwesen 1136 Berlin, Akademie für Nöldnerstr. 40 ärztliche Fortbildung 1157 Berlin, Hochschule für HermannÖkonomie Duncker-Str. 8 „Bruno Leuschner" Berlin, Institut Ökonomie der Entwicklungsländer 102 Berlin, Staatliche ZenHans-Beimlertralverwaltung Str. 70/72 für Statistik Berlin 8021 Dresden, Zentrales Forschungsinstitut Eibenstocker Str. 74 für Arbeit Dresden 25 Rostock 1, Universität Rostock, Institut Leninallee 70 für Hygiene 1017 Berlin, Humboldt-UniStraße der versität zu Berlin, Pariser Sektion Geographie Kommune 22 •

46.

LUNGWITZ, KURT,

Dr. rer. oec.

47.

MAGVAS, EMIL,

Dipl. oec.

48.

MEHLAN, KARL-HEINZ

Prof. Dr. sc. med. 49.

MÖBIUS, D I N A ,

Dr.

214

Lfd. Name, Vorname, Nr. Titel

Anschrift

50.

22 Greifswald, Bachstr. 11/12

MOHRIG, WERNER,

Dr. sc. nat. 51.

MOTTEK, HANS,

Prof. Dr. Dr. habil.

52.

MÜLLER, KLAUS,

Dr. oec.

53.

MUSIOLEK, BERNDT,

wiss. Oberass. 54.

OTTO, CARL,

Prof. Dr. rer. oec.

55.

PACHL, LADISLAV,

Dr. ing. 56.

PAVLIK, ZDENEK,

Prof. 57.

PETER, EGON,

Dr. 58.

PORSCHE, ANNEROSE,

Dipl. oec. 59.

RÖNNEBECK, GERHARD,

Dr. sc.

Arbeitsstelle

Universität Greifswald, Sektion Biologie Hochschule für 1157 Berlin, Ökonomie HermannDuncker-Str. 8 „Bruno Leuschner" Berlin 108 Berlin, Akademie der Otto-Nuschke- Pädagogischen Wissenschaften Str. 17 der DDR zu Berlin 1254 Schöneiche, Humboldt-UniAkazienstr. 11 versität zu Berlin 102 Berlin, Humboldt-UniLichtenberger versität zu Berlin, Str. 1 Bereich Statistik der Sektion Wirtschaftswissenschaften Ministerium für 1 2 0 0 7 Praha 2 , Arbeit und SozialPalackeho hygiene Näm. 4 Praha 2, Karlsuniversität Albertov 6 Prag 8 0 5 7 Dresden, Internationale MailbahnGenossenschaftsstr. 2 5 — 2 6 schule Meißen 1034 Berlin, Staatliche PlanGubener Str. 56 kommission der DDR, Berlin 1505 Bergholz- Humboldt-Universität zu Berlin, Rehbrücke, Sektion WirtJean-PaulschaftswissenStr. 8 schaften 215

Lfd. Name, Vorname, Nr. Titel

Anschrift

60.

102 Berlin, Spandauer Str. 1

R Ö N Z , BERND,

Dr. sc.

61.

ROSSET, E D W A R D ,

Prof. Dr. 62.

ROUBIÖEK, VLADIMIR,

63.

R U B I N , JAKOB,

Dr. ing. Dr. 64.

SACHSE, ECKHARD,

Prof. Dr. sc.

65.

SAUFE, GABRIELE,

Dr. phil. 66.

SCHMIDT, GERHARD,

Doz. Dr. oec.

67.

SCHMIDT, H A N S ,

Dr. oec.

68.

SCHMIDT, U T A ,

Dr. med.

216

Arbeitsstelle

Humboldt-Universität zu Berlin, Sektion Wirtschaftswissenschaften Polnische AkadeLodz, Zelwerowicze 34 mie der Wissenschaften Hochschule für Praha 3, Ökonomie Prag G. Klimenta 4 ForschungsinstiMinsk, tut für Ökonomie Slavinskov 37, Minsk 166 Hochschule für 1157 Berlin, Ökonomie HermannDuncker-Str. 8 „Bruno Leuschner" Berlin Pädagogische 15 Potsdam, Gontardstr. 38 Hochschule Potsdam Martin-Luther409 HalleUniversität Neustadt, Halle-Wittenberg Bildungszentrum Haus 3 1055 Berlin, Humboldt-Universität zu Berlin, ImmanuelSektion Wirtkirchstr. 27 schaftswissenschaften Humboldt-Uni104 Berlin, Reinhardtstr. 34 versität zu Berlin, Institut für Hygiene des Kindes- und Jugendalters

Lfd. Name, Vorname, N r . Titel 69.

SCHNEEWEISS, DIETER,

Dr. oec.

71.

SCHOLZ, TRAUTE,

Dr. rer. oec.

72.

SCHÜLER, HEINZ,

Dr. med.

73.

SCHULTZE, HELMUT,

Dipl. oec. 74.

SCHWARZ, G E R D ,

Dr. rer.

75.

STEFANOV, IVAN,

Prof. 76.

,

STRENZ, WILFRIED,

Dr. phil.

Arbeitsstelle

Berlin, HermannDuncker-Str. 8

Hochschule für Ökonomie „Bruno Leuschner" Berlin

1157 Berlin, HermannDuncker-Str. 8

Hochschule für Ökonomie „Bruno Leuschner" Berlin

1509 Michendorf, Waldstr. 11a

Akademie der Wissenschaften der DDR, Institut für Wirtschaftsgeschichte

SCHMIDT-RENNER, GERHARD, 1157

Prof. Dr. sc. oec.

70.

Anschrift

Humboldt-Universität zu Berlin, str. 108/109 Lehrstuhl Sozialhygiene Staatliche Zen110 Berlin, tralverwaltung für Stiftsweg 41 Statistik Berlin Akademie der 1115 BerlinWissenschaften Buch, Lindder DDR, Zenberger Weg 70 tralinstitut für Mathematik Bulgarische AkaSofia-21, demie der WissenPI. Svobodata 5 schaften Akademie der 113 Berlin, Wissenschaften Rathausstr. 7 der DDR, Institut für Wirtschaftsgeschichte 113 Berlin, Möllendorff-

217

Lfd. Name, Vorname, Nr. Titel

Anschrift

77.

1157 Berlin, HermannDuncker-Str. 8

STROHBACH, ERICH,

Dr. rer. oec.

78.

STROHE, H A N S - G E R H A R D ,

79.

SUGAREV, ZDRAVKO,

Dr. oec. Prof. 80.

TRILLER, JOHANNES,

Dipl.-Mathematiker 81.

VOGELEY, DIETER,

82.

WAGNER, PETRA,

Dr. oec. Dipl. oec.

83.

WEBER, EGON,

Prof. Dr. sc. nat.

84.

WILKE, JÜRGEN,

Dr. oec.

85.

WINKLER, G U N N A R ,

Prof. Dr. sc. oec. 86.

W U N S C H , REGINA,

Dipl.-oec.

218

Arbeitsstelle

Hochschule für Ökonomie „Bruno Leuschner" Berlin 1055 Berlin, Humboldt-UniHufelandstr. 1 versität zu Berlin Sofia IV, Hochschule für Victor-HugoÖkonomie „Karl Str. 5 Marx", Sofia 1157 Berlin, Staatliche ZenBrehmstr. 21 tralverwaltung für Statistik Berlin 1114 Berlin, Staatliche Plankommission der Alt-Blankenburg 39(6) DDR, Berlin Humboldt-Uni102 Berlin, versität zu Berlin, Spandauer Str. 1 Lehrstuhl Demographie 22 Greifswald, Moritz-ArndtGoethestr. 7 Universität, Greifswald, Sektion Geographie 108 Berlin, Akademie der Zimmerstr. 94 Wissenschaften der DDR, Institut für Wirtschaftsgeschichte 128 Bernau, Rat für SozialFritz-Heckertpolitik und Str. 1 Demographie 117 Berlin, Humboldt-UniGrünauer Str. 8 versität zu Berlin, Sektion Wirtschaftswissenschaften