Das Janusgesicht Europas: Zur Kritik des kolonialen Diskurses 9783839440339

Why is the mental program of colonialism still so topical all over the world? It has an after-effect in a multitude of l

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German Pages 230 Year 2017

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Table of contents :
Inhalt
Vorwort
I. Die Augenzeugen: Kolumbus vs. Las Casas
II. ‚Weiße‘ ozeanische Utopien
III. Die territoriale Ordnung der Kolonie
IV. Das Schweigen des Anderen –der Testfall des Verstehens
V. Kulturzusammenstoß: Institut d’Egypt vs. Al Azhar – Al Garbati
VI. Globaler ‚Fortschritt‘ – „Schicksal der geschlagenen Rassen“
VII. Dystopie vs. Utopie: Dunkle Orte vs. Lichte Orte
VIII. Afrika vs. Europa
IX. Epilog – Historische Kontinuität
Anmerkungen
Literaturverzeichnis
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Das Janusgesicht Europas: Zur Kritik des kolonialen Diskurses
 9783839440339

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Götz Großklaus Das Janusgesicht Europas

Edition Kulturwissenschaft | Band 149

Götz Großklaus (Prof. em. Dr.), geb. 1933, Literatur- und Medienwissenschaftler, ist Prof. em. für Neuere Deutsche Philologie an der Universität (TH) Karlsruhe (jetzt: KIT), wo er das Institut für Angewandte Kulturwissenschaft (jetzt: ZAK) mitbegründet und -geleitet hat. Er war u.a. assoziierter Professor für Mediengeschichte an der Staatlichen Hochschule für Gestaltung Karlsruhe und hatte zahlreiche Gastprofessuren u.a. in Ägypten, Australien und der Türkei inne. Seine Hauptarbeitsgebiete umfassen in den Fachrichtungen der Vergleichenden Literaturwissenschaft und Medienwissenschaft die Kulturthematik von ›Natur‹ – ›Raum‹ und ›Zeit‹ sowie u.a. das Gesamtwerk von Heinrich Heine und Andreas Gryphius.

Götz Großklaus

Das Janusgesicht Europas Zur Kritik des kolonialen Diskurses

Meiner Tochter Anja möchte ich für ihre Hilfe bei der Drucklegung meines Buches sehr danken.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2017 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-4033-5 PDF-ISBN 978-3-8394-4033-9 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

Vorwort  | 7 I. Die Augenzeugen: Kolumbus vs. Las Casas Die Ankunft der Götter vs. Wölfe unter Schafen | 9 II. ‚Weiße‘ ozeanische Utopien Von Morus bis Grimmelshausen  | 29 III. Die territoriale Ordnung der Kolonie Orte der ‚Education coloniale‘: D. Defoe – J.G. Schnabel – B. de Saint-Pierre | 39 IV. Das Schweigen des Anderen – der Testfall des Verstehens G. Forster – L.A. de Bougainville – D. Diderot  | 67 V. Kulturzusammenstoß: Institut d’Egypt vs. Al Azhar – Al Garbati Schwarze Revolution vs. Weiße Ordnung – H. v. Kleist  | 85 VI. Globaler ‚Fortschritt‘ – „Schicksal der geschlagenen Rassen“ H. Heine – A. v. Humboldt – A. de Tocqueville  | 99 VII. D ystopie vs. Utopie: Dunkle Orte vs. Lichte Orte H. Beecher-Stowe – J.F. Cooper – J.W. Goethe – H. Heine  | 135

VIII. Afrika vs. Europa Horror der Wildnis vs. Fackeln der Aufklärung – J. Conrad  | 157 IX. Epilog – Historische Kontinuität  | 187 Anmerkungen  | 205 Literaturverzeichnis  | 223

Vorwort

An prominenten Quellentexten von Augenzeugen (Kolumbus, Las Casas, Al-Garbati, Tocqueville, Forster, Humboldt u.a.) und literarischen Texten (von Grimmelshausen, 1669 bis Kipling, 1901) wird das mentale Programm des europäischen Kolonialismus rekonstruiert – sowohl aus der Perspektive der europäischen Überlegenheits-Doktrin, als auch aus der Perspektive einer Kritik an den kolonialen Menschheitsverbrechen. Die Kernbotschaft des Programms, den fremden Anderen als ‚rassistisch‘ minderwertig auszuschließen und mit Auslöschung zu bedrohen, erweist sich als nachhaltig. Gezeigt werden kann, dass weltweit verbreitete literarische Texte (Defoe, Cooper u.a.) massiv dazu beigetragen haben, die koloniale Weltsicht zu ‚normalisieren‘, Versklavung und Vernichtung niederer Rassen zu legitimieren, die Doktrin der Überlegenheit der ‚weißen Rasse‘ in den Köpfen zu verankern. Im Rekurs auf vergessene und verdrängte kolonialkritische Texte (Humboldts oder Heines) soll es darum gehen, an den dunklen Gründungsmythos des neuzeitlichen Europas: an den im systemischen Rassismus begründeten Völkermord zu erinnern; nur so ist es möglich, sich vom Bann der Normalisierung kolonialer Exklusion und Vernichtung zu befreien. Die europäische Selbstreflexion erschließt die Kontinuitäten kolonialer Handlungs- und Denkmuster bis in unsere Tage. Die Neokolonialismen der Gegenwart sind eingetreten in die Phase ultimativ beschleunigter Kommunikation in äußerster Verdichtung und Vernetzung aller Räume. Das Thema des Kolonialismus bleibt aktuell und sollte von allgemeinem Interesse sein, insofern sich Europa und der sog. Westen zu diesem geschichtlichen Augenblick aufgerufen sehen, ihr Welt-Handeln neu zu orientieren. Karlsruhe, im November 2016

Götz Großklaus

I. D ie Augenzeugen: Kolumbus vs. Las Casas Die Ankunft der Götter vs. Wölfe unter Schafen

Das ‚Bordbuch‘1 seiner ersten Entdeckungsfahrt von 1492 leitet Kolumbus mit einer Adresse an die „allerchristlichsten, aller höchsten Fürsten, den König und die Königin, unsere Herren“ ein – und setzt in dem folgenden Text sein Unternehmen unmittelbar in Bezug zu einem aktuellen Ereignis von historischer Tragweite. Im gleichen Monat des „gegenwärtigen Jahres 1492“, in dem der „Krieg gegen die Mauren“ zu Ende ging und „die gewaltige Stadt Granada“ fiel, fand sich Königin Isabella in der Tat überraschend bereit, die Indien-Expedition, der sie so lange skeptisch gegenübergestanden hatte, zu unterstützen. „Nach der Vertreibung aller Hebräer aus Ihren Königreichen und Herrschaften befahlen mir Eure Hoheiten im nämlichen Januar, mit einer hinlänglich starken Armada nach den Gestaden Indiens in See zu stechen.“2 Der heilige Krieg der Spanier aber hatte vor allem den Mauren, „der Sekte Mahomeds“ im eigenen Lande gegolten. So wie die Reconquista geglaubt hatte, „die Verbreitung des heiligen christlichen Glaubens durch Zwangs-Assimilation, schließlich durch Zwangs-Exilierung oder „Ausrottung“ (H. Pirenne)3 der Ungläubigen, im Inneren sichern zu können, so verstand Kolumbus seine Entsendung nach ‚Indien‘ als Auftrag, fremde Fürsten und Völker außen, im „fernen Osten“ zu „unserem heiligen Glauben bekehren“ zu sollen. Man könnte diese Verknüpfung seines Vorhabens mit dem Glaubenseifer der Reconquista als opportunistischen Versuch missverstehen, seine ansonsten abenteuerliche Expedition ins rechte Licht zu rücken – wenn er nicht gleichzeitig seine Verachtung der Ungläubigen: der Feinde „des heiligen christlichen Glaubens“ so deutlich zum Ausdruck brächte:

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Das Janusgesicht Europas

„Die Sekte des Mahomed“ – somit die islamische Bevölkerung Spaniens – und andere „Götzendienste“ und anderes „Sektiererwesen“ – wie zum Beispiel das der spanischen Juden – scheinen „der Einheit und Reinheit des katholischen Glaubens“, der Schaffung eines homogenen katholisch-christlichen Gemeinwesens auf spanischem Boden im Wege zu stehen. Was die Reconquista für Spanien gewaltsam durchsetzen konnte – die Anerkenntnis des einen, wahren christlichen Gottes – das wird auch die Konquista in der ‚Neuen Welt‘ sich zum Ziel setzen. Der Sendungsauftrag der monotheistisch-christlichen Doktrin rechtfertigt die Kolonisierung des eigenen Binnenraums ebenso wie die der fremden Außenräume einer zu entdeckenden und zu erobernden ‚Neuen Welt‘. 4 Die 1492 abgeschlossene Reconquista und die im selben Jahr einsetzende Konquista des amerikanischen Kontinents ereignen sich schon im selben Geist der europäischen Expansion: der Weltbemächtigung durch Glaubenseiferer, Missionare, Abenteurer, Kaufleute, Soldaten und Siedler. Kolumbus versäumt es in seinem kurzen Vorwort zu seinem ‚Bordbuch‘ nicht, sich in seiner Rolle in diesem Theater der Bemächtigung als „Großadmiral des ozeanischen Meeres, als Vizekönig und ständiger Gouverneur aller Inseln und des Festlandes, die ich entdecken und erobern und die man in Zukunft im Ozean entdecken und erobern würde [...]“5 – vorzustellen. Der Aktionsradius eines ‚Großadmirals des ozeanischen Meeres‘ aber war 1492 noch beschränkt durch eine erste päpstliche Aufteilung der Interessensphäre für die spanischen und portugiesischen Expeditionen. Die Spanier hatten sich in Räumen nördlich der kanarischen Inseln, die Portugiesen in einer weiten Zone südlich der Inseln zu bewegen. Erst der berühmte Vertrag von Tordisillas, 1494, legte die Demarkationslinie der portugiesisch-spanischen Interessensphären ‚endgültig‘ mit einer vertikalen Linie westlich und östlich des Meridians 46°, 37' fest. Obwohl wir wissen, dass der Papst aus eigenem Recht Missionssphären – gewissermaßen als Kirchenlehen – zuweisen konnte, bleibt für uns doch ein Rest des Erstaunens, mit welcher Selbstverständlichkeit – in unserem modernen Sinn – aus welchem universellen Verfügungsanspruch das Oberhaupt der christlichen Kirche diese Aufteilung der Welt vornehmen konnte. Aus dem spirituellen Zentrum Europas heraus wurde so über un-

I. Die Augenzeugen

bekannte atlantische Räume an der Peripherie der Ökumene entschieden, über ferne Länder und deren vermutete Bewohner, von denen man nichts wusste, von einer vorgefassten Respektierung ihrer Existenzrechte und Besitzansprüche auf ‚heimatlichen Boden‘ ganz zu schweigen. Sendungsbewusstsein und Missionswille leiteten die frühen Vorstöße der christlichen Seefahrer in jene unbekannten Räume ebenso wie Abenteuerlust und schlichte Gier nach Gold. Die wunderbare Entdeckung einer neuen Welt konnte alsbald umschlagen in gewaltsame Aneignung fremden, bewohnten Territoriums, die Mission sehr schnell in Unterwerfung heidnischer Völker, das Erstaunen oder Erschrecken über ‚barbarisch‘ indigene Kulte und Götzendienste in Auslöschung und Vernichtung des Fremden. Wenn der 12. Oktober des Jahres 1492, an dem Kolumbus auf eine der Bahama-Inseln stieß – Guanahani in der Indianersprache – als das weltgeschichtlich triumphale Datum der europäischen Entdeckung einer neuen Welt zu gelten hat, tritt in den Hintergrund, was eben dieses Datum für die Ureinwohner bedeuten musste. Lichtenbergs bekanntes ironisches Aperçu: „Der Amerikaner, der den Columbus zuerst entdeckte, machte eine böse Entdeckung.“ – wirft ein Licht auf diesen Sachverhalt der anderen Perspektive. Der Augenblick ihrer Entdeckung durch den weißen Mann wurde zum Ausgangspunkt einer Kette von imperialen Interventionen, die den „geschichtlichen Schicksalen so vieler Völker“ eine katastrophische Wendung gaben: entweder zu Mestizen gemacht oder vernichtet zu werden.6 Vom Großadmiral des ozeanischen Meeres, Christoforo Colombo, stammt nun auch der erste ‚authentische‘ Bericht der ersten Begegnung der spanischen Seefahrer mit den „nackten Eingeborenen“ des – aus der Perspektive der Europäer – neu entdeckten Kontinents. Das Bord- und Logbuch des Kolumbus ist – in der Abschrift des Las Casas – als Quellentext für uns bis zum heutigen Tag schon deshalb interessant, weil es auf bestimmte Weise einen sich ausbildenden, nachhaltigen europäischen kolonialen Diskurs mitgeprägt hat.7 Als ‚Diskurs‘ soll hier der Versuch verstanden werden, Bruchstücke, Ansichten, Bilder und Daten aus einem fremden kulturellen Kontext über eigene Muster, Topoi und Stereotypen der Wahrnehmung und Wertung in den eigenen Kontext zu übersetzen und erzählbar werden zu lassen.

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„Dort erblickten wir allsogleich nackte Eingeborene.“

Ein kurzes, isoliertes, verräterisches Notat, das den ersten erstaunten oder erschreckten Blick festhält; auf ein einziges Merkmal scheint der Blick fixiert zu sein: auf das Merkmal der zivilisatorischen Differenz: der Nacktheit dieser Menschen, nichts anderes scheint auffällig. Schon im zweiten Schritt wendet sich der Konquistador von den Menschen, die er eben erblickt hat, ab und widmet sich dem Geschäft der ‚Einverleibung‘, als müsse er so rasch wie möglich die Fremdheit des Raums durch die Aufstellung der königlichen Flagge tilgen: „Ich begab mich, begleitet von Martin Alonso Pinzón und dessen Bruder Vincente Yánez, dem Kapitän der Nina, an Bord eines mit Waffen versehenen Bootes an Land. Dort entfaltete ich die königliche Flagge, während die beiden Schiffskapitäne zwei Fahnen mit einem grünen Kreuz im Felde schwangen, das an Bord aller Schiffe geführt wurde und welches rechts und links von den je mit einer Krone verzierten Buchstaben F (Fernando) und Y (Ysabel) umgeben war. Unseren Blicken bot sich eine Landschaft dar, die mit grün leuchtenden Bäumen bepflanzt und reich an Gewässern und allerhand Früchten war. Ich rief die beiden Kapitäne und auch all die anderen, die an Land gegangen waren, ferner Rodrigo d’Escoledo, den Notar der Armada, Rodrigo Sanchez von Segovia, zu mir und sagte ihnen, durch ihre persönliche Gegenwart als Augenzeugen davon Kenntnis zu nehmen, dass ich im Namen des Königs und der Königin, meiner Herren, von der genannten Insel Besitz ergreife, und die rechtlichen Unterlagen zu schaffen, wie es sich aus den Urkunden ergibt, die dort schriftlich niedergelegt worden.“8

Der fremde Grund und Boden, auf den man gerade den Fuß gesetzt hat, wird augenblicklich durch die Herrschaftszeichen von Flaggen und Fahnen mit den Insignien des spanischen Königspaares besetzt und markiert, dann in einem juristisch notariellen Akt der Besitz-Ergreifung (des später obligatorischen ‚requerimiento‘) formell angeeignet. Die spanischen Entdecker erscheinen mit Waffen und lassen jene Kreuzzugs-Mentalität erkennen, die, vom päpstlichen Missionsauftrag erfüllt, von vornherein auch die Aneignung ‚heidnischen‘ Territoriums als rechtens und notwendig verinnerlicht hat. Die der fremden Sprache und Schrift unkundigen Ureinwohner bleiben davon ausgeschlossen, derartige Akte der Besitzergreifung auch nur ansatzweise zu begreifen. Da aber in der Frühzeit der Eroberungen auch die Konquistadoren die Sprache der ‚Indianer‘ (noch)

I. Die Augenzeugen

nicht beherrschen, tendiert das gegenseitige Wissen voneinander gegen null. Die Zeugnisse der ersten Begegnungen von Europäern und Ureinwohnern vermitteln uns die sprachlichen Aneignungen der ‚Fremde‘ naturgemäß aus eurozentrischer Perspektive. Die Kommunikation mit den Eingeborenen kann am ersten Tag der Begegnung nur eingeschränkt – wie Kolumbus schreibt – „unter Zuhilfenahme der Gebärdensprache“ und über die gestisch-symbolischen Rituale des Tausches von Geben und Nehmen zustande kommen. Erst in seinem späteren Notat vom 14. Oktober, zwei Tage nach der Landung, berichtet Kolumbus von Äußerungen der ‚Indianer‘, die darauf schließen lassen („so viel wir verstanden“), wie sie selbst als Fremde von den Eingeborenen gesehen werden: nämlich als „geradewegs vom Himmel“ herabgestiegen.9 Ob diese Übersetzung der Vorstellung der Indianer entsprechen kann oder doch nur eine kulturellvorteilhafte Projektion ist, die auf eigener Begrifflichkeit (Himmel – oben – Gott/Götter – Welt – unten) ruhen, bleibt offen. In der narrativen Ordnung der historischen Begegnungs-Erzählung des Kolumbus folgte nach dem Notat eines ersten Erschreckens über die Nacktheit der Eingeborenen in einem zweiten Schritt die breite Schilderung der formalen Besitzergreifung der Insel als Akt rigoroser Bemächtigung der Fremde. Nun in einem dritten Schritt scheint der Beobachter aus der ‚Alten Welt‘ sich auch gegenüber der schockierenden Fremdheit der ‚Wilden‘ mit einer vergleichbaren Bemächtigungs-Strategie behaupten zu wollen: „Sofort sammelten sich an jener Stelle zahlreiche Eingeborene der Insel an. In der Erkenntnis, dass es sich um Leute handle, die man weit besser durch Liebe als mit dem Schwerte retten und zu unserem Heiligen Glauben bekehren könne, gedachte ich sie mir zu Freunden zu machen und schenkte also einigen unter ihnen rote Kappen und Halsketten aus Glas und noch andere Kleinigkeiten von geringem Wert, worüber sie sich ungemein erfreut zeigten. Sie wurden gute Freunde, dass es eine helle Freude war. Sie erreichten schwimmend unsere Schiffe und brachten uns Papageien, Knäuel von Baumwollfaden, lange Wurfspieße und viele andere Dinge noch, die sie mit dem eintauschten, was wir ihnen gaben, wie Glasperlen und Glöckchen. Sie gaben und nahmen alles von Herzen gern – allein mir schien es, als litten sie Mangel an allen Dingen. Sie gehen nackend umher, so wie Gott sie erschaffen, Männer wie Frauen, von denen eine noch sehr jung war. Alle jene, die ich erblickte, waren jung an Jahren, denn ich sah niemanden, der mehr als 30 Jah-

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re alt war. Dabei sind sie alle sehr gut gewachsen, haben schön geformte Körper und gewinnende Gesichtszüge [...]“10

In nuce enthält dieses Wahrnehmungsprotokoll, das die Eingeborenen in den Mittelpunkt stellt, schon wesentliche Elemente des spezifischkolonialen Herrschafts-Diskurses: Nach der formalen Aneignung des fremden Territoriums erfolgt notwendig die missionarische ‚Aneignung‘ der fremden Population. In der Bekehrung „zu unserem Heiligen Glauben“11 verliert der Eingeborene Bindung und Verankerung in einem ihm vertrauten kulturellen System; seine Herauslösung gelingt ‚scheinbar‘ umso leichter je naiver und kindlicher der Indigene den Kolonisatoren erscheint und je weniger er in der Lage ist, den realen Wert der europäischen Tauschware einzuschätzen. Von vornherein legen es die Eroberer auf Täuschung an; den geringen Wert, den sie ihren „Halsketten aus Glas“ beimessen, entspricht der Wertschätzung der ‚nackten Wilden‘ als menschliche Wesen, die ihr Leben offenbar noch in vorzivilisatorischen, von Mangel geprägten Verhältnissen fristen: „Sie gehen nackend umher, wie Gott sie erschaffen, Männer wie Frauen [...]“: Diese biblische Sprachformel könnte die ‚Wilden‘ als adamitische Bewohner eines ‚irdischen Paradieses‘ auffassen, „kulturell unberührt,“12 auf einer frühen Stufe der menschlichen Evolution, noch wie „ein weißes Blatt, das der spanischen und christlichen Beschriftung harrt“. 13 Das anfängliche Erschrecken über die Nacktheit der Wilden weicht im zweiten Blick der Vorstellung, dass ‚paradiesische Nacktheit‘ und Unberührtheit geradezu ideale Voraussetzungen der Assimilation bieten. Kolumbus ist angetan von der Jugendlichkeit und körperlichen Schönheit der „fügsamen, wohlmeinenden“, waffenlosen und „freigiebigen“ Indianer und entwirft in seiner historischen Begegnungs-Erzählung die ersten Umrisse jenes nachhaltig wirksamen Topos vom ‚edlen Wilden‘. 14 Der gute (schöne) Wilde wird immer der wohlmeinende, fügsame und somit assimilationsbereite Wilde sein. Der Topos artikuliert immer auch einen Akt der ‚Einverleibung‘, einer mehr oder weniger friedlichen Glaubens-Unterwerfung: „Was nun die Religion anbelangt, so dünkt es mich, dass sie gar keine eigene Religion besitzen, und da es wohlmeinende Leute sind, so dürfte es nicht zu schwierig sein, aus ihnen Christen zu machen.“15 (Notat vom 16. Oktober, vier Tage nach dem ersten Landgang)

I. Die Augenzeugen

Neben dem spirituellen Auftrag, die Wilden „dem Schoß der Kirche ein(zu)verleiben“, tritt sofort auch der Gedanke, sich des fremden Anderen körperlich in Form der Versklavung, schließlich der Vernichtung zu bemächtigen oder zu entledigen: „Sollten Eure Hoheiten den Befehl erteilen, alle Inselbewohner nach Kastilien zu schaffen oder aber sie auf ihrer eigenen Insel als Sklaven zu halten, so wäre dieser Befehl leicht durchführbar, da man mit fünfzig Mann alle anderen niederhalten und zu allem zwingen könnte.“16 (Notat vom 14. Oktober – zwei Tage nach der Landung)

Schon im ersten Augenblick jener epochalen Entdeckung lassen sich Kontur und Vokabular eines kolonialen Diskurses erkennen, der die europäische Weltbemächtigung in der Folge programmieren wird. Das Trivium von: ‚Bekehren‘ – ‚Versklaven‘ – ‚Vernichten‘ bestimmt den Rahmen, innerhalb dessen Einschluss und Einverleibung ebenso vonstatten geht wie entsprechend Ausschluss in Form von Entrechtung, Entleibung, von finaler Auslöschung ganzer Völker. Am 6. November 1492, drei Wochen nach seinem ersten Landgang, notiert Kolumbus: „Deshalb hoffe ich zu Gott, dass Eure Hoheiten sich baldigst dazu verstehen werden, derartige Männer hierher zu senden, um so große Völker zu bekehren und dem Schoß der Kirche einverleiben zu können, nicht anders wie jene Völker vernichtet worden sind, die sich nicht zur Dreieinigkeit von Vater, Sohn und Heiligem Geist bekennen wollten.“17

Mit Lévi-Strauss ließe sich überhaupt von zwei Weisen sprechen, wie Gesellschaften mit dem grundsätzlich gefährlichen und bedrohlichen Fremden verfahren: entweder „anthropophagisch“ auf dem Wege der Einverleibung „seine Macht zu neutralisieren“ oder eben „anthropemisch“ in Form des ‚Ausspeiens‘, des ‚Ausstoßens‘ des Anderen – im Extrem seiner Vernichtung. 18 So wie dem europäischen Konquistador der indigene Andere immer auch als der jenseits der zivilisatorisch-humanen Ordnung Stehende – in der animalischen Nacktheit seiner Triebe – gegenübertritt, so wird seine ‚wilde Sexualität‘, sein ‚wilder Kannibalismus‘ jene Ängste auslösen, die zu seiner Vernichtung drängen.

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Kolumbus gibt einem ‚Indianderhäuptling‘ zu verstehen, „dass die Herrscher Kastiliens die Ausrottung der Kariben (= der Kannibalen) anordnen und sie samt und sonders mit abgehackten Händen vorführen lassen würden“. 19 Im Ansturm der Fremde, der plötzlichen Begegnung mit ‚anderen Wesen‘, unbekannten Räumen, verhelfen zunächst einfache Binär-Setzungen wie: Christ vs. Heide, Zivilisierter vs. Wilder, bekleidet vs. nackt, guter Wilder vs. böser Wilder, Wildnis vs. Dorf, Zentrum vs. Peripherie etc. zu einer vorläufigen Orientierung. Der eurozentrischen Wahrnehmung gelingt es jedoch nicht, die Fremde in den ihr je eigenen Strukturen zu erkennen, sondern kann anfänglich lediglich Abwesenheiten feststellen, das Fehlen des Vertrauten. So glaubt man ‚Chaos‘ vorzufinden, dem man „eine Ordnung auferlegen müsse“, in der „Anarchie und Triebhaftigkeit“ gebannt seien (Osterhammel).20 Die koloniale Zwangs-Ordnung aber wird sich dauerhaft immer nur zwischen den Polen von Einschluss und Ausschluss, von Einverleibung und Abstoßung, von Assimilation und Vernichtung etablieren können. Vergleichbar wird sich die ‚koloniale Ordnung‘ zu behaupten haben gegenüber der Wildnis der fremden Räume, gegenüber dem als quasi-unberührten Natur-Raum missverstandenen Lebensraum der Indigenen.21 Auch hier liefert der Text des ersten Europäers auf dem fremden Boden der ‚Neuen Welt‘ die Bausteine eines nachhaltig wirksamen Diskurses der Bemächtigung. Kolumbus wird der überwältigenden Eindrücke der ‚chaotischen Wildnis‘ Herr, indem er sich in seiner Erzählung wiederum eines binären Schemas bedient. Soweit die Wildnis immer auch natürlicher Lebensraum der Eingeborenen bleibt, kann man sie sich entweder als ‚unberührte Natur‘ an-eignen oder man kann sie als bloßen Nutzraum ent-eignen. In der Perspektive der Aneignung erscheint der Naturraum als idealer Ort symbolischer Unterwerfung: Die Wildnis wird einverleibt in das europäische Universum ‚arkadischer‘ oder ‚paradiesischer‘ Landschaften. Andererseits kann der gleiche ‚wilde Raum‘ in der Perspektive der Enteignung als realer Ort pragmatisch-utilitaristischer Unterwerfung betrachtet werden. Die Wildnis als Lebensraum wird vernichtet und erlebt seine gänzliche Umwandlung zum Kolonial-Land der Plantagen, Goldminen und Bergwerke. Wie ein roter Faden wird sich diese Bemächtigungs-Erzählung, die letztlich den unversöhnlichen Widerspruch von symbolisch-bewahrender Aneignung und real-auslöschender Enteignung in sich birgt, durch die europäische Kolonialgeschichte ziehen.

I. Die Augenzeugen

Dem Natur-Raum der von ihm entdeckten Inseln widmet Kolumbus durchgängig begeisterte Beschreibungen: „Ich habe keinen schöneren Ort gesehen [...].“ „Diese Insel ist wohl die schönste, die Menschenaugen je gesehen [...]“ „[...] all dies schien mir eine stille Aufforderung an mich zu richten, mich für immer hier niederzulassen [...]“

Seine „märchenhaften Schilderungen“ (Las Casas) von „blühenden Gärten und grünen Wäldern“, von „grünen Wiesenflächen“, von „Blumen und Früchten“, von „der Frische des Flusses, seines klaren Wassers“, vom Gesang der Vögel, von „großen, grünen Bäumen“, von „wundervollen Hainen“23 – verraten zweifellos ihre Prägung durch den alttestamentarischen Topos des Gottesgartens, des Garten Eden „im äußersten Osten“, gesegnet mit seiner Fruchtbarkeit, seinem Wasserreichtum und seinem Baumbestand. Todorov berichtet, dass der ansonsten ‚moderne‘ Navigator Kolumbus überzeugt gewesen sei, das ‚irdische Paradies‘ „in einer gemäßigten Region jenseits des Äquators“24 – im äußersten Osten – entdecken zu können. Wie dem auch sei – allein seine Wunder-Erzählungen von der ‚Neuen Welt‘, die symbolische Aneignung der fremden Insel-Wildnis im Topos des ‚irdischen Paradieses‘ sollte sich als folgenreich erweisen . Die säkularen Insel-Utopien der folgenden Jahrhunderte – von Morus (1477-1535) bis Saint-Pierre (1737-1814) – entstehen im Kontext der kolonialen Expansion Europas und bedienen sich des Konstrukts des fremden leeren Insel-Ortes, meist inmitten der Ozeane, um fern von Europa das Experiment einer idealen, homogenen Gesellschaft durchzuspielen, die gerade ohne die kolonialen Vorgaben von Vernichtung und Ausrottung des Anderen auskommt. Die Verklärung des fremden Natur-Raums als paradiesischen Ort bleibt die Intention seiner Ausbeutung verschwistert. Eine unberührte, quasi-jungfräuliche Natur, wie sie der eurozentrische Blick des Entdeckers imaginiert, scheint einem grundsätzlich besitz-ergreifenden Eroberer sowohl die verklärende als auch die ausbeutende Einverleibung nahezulegen. Am ersten Tag nach der Landung am 13. Oktober 1492 notiert Kolumbus:

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„Ich beachte alles mit größter Aufmerksamkeit und trachte, herauszubekommen, ob in dieser Gegend Gold vorkomme.“25

‚Gold‘ wird zum Schlüsselzeichen der frühen kolonialen Beutezüge. Das Bordbuch des Kolumbus muss so auch als fortlaufendes Protokoll seiner unermüdlichen Suche nach den Gold-Gründen gelesen werden. Das fremde Land erscheint den Konquistadoren eben primär nicht als Lebensraum der Anderen, sondern als potentieller Nutz- und Wirtschaftsraum der eigenen, europäischen Königreiche. Von vornherein wird der Raum ausgeforscht nach ergiebigen Feldern materieller Ausbeutung. Hinweise auf „die verschiedenen Örtlichkeiten, wo das Gold gewonnen wurde“, geben Eingeborene, die „entweder klüger und uns zugetaner, oder aber gefälligere Redner als die anderen zu sein schienen“.26 Die erste Kommunikation mit den Eingeborenen – was auch immer dabei konkret vermittelt werden konnte – diente somit dem Zweck, rasch über die nützlichen Örtlichkeiten verfügen und den fremden Lebensraum aneignen zu können. Ausführlich beschreibt Kolumbus, wie er sich den kolonialen Wirtschaftsraum vorstellt, wobei die unterschiedlichen Formen der Aneignung der Räume die jeweilige Enteignung ihrer Bewohner spiegeln. So seien auf enteignetem Boden „Städte und Festungen“ zu errichten27 –„mit Wasserkraft betriebene Sägewerke“ und Schiffswerften zu bauen28 – „Pflanzungen, zur Viehzucht und zur Errichtung von Städten und Ortschaften“ anzulegen29 – es könne „Mastixharz“30 gewonnen werden – „Baumwolle“ ergiebig geerntet werden31 – „Gewürze, Zimt und Pfeffer32 seien allerorten zu finden – und schließlich geht es immer wieder um „Goldminen“33 , die es auszubeuten gilt. Mit Todorov34 teile ich die Ansicht, dass die Entdeckung Amerikas durch jenen Cristoforo Colombo nicht nur deshalb von exemplarischer Bedeutung ist, weil es sich um die historisch einmalige und erstmalige Begegnung mit einer vollkommen fremden Welt mit vollkommen fremden Bewohnern – und gleichzeitig um den Beginn ihrer gänzlichen Einverleibung und Auslöschung handelt. Die Eroberung und Kolonisierung der ‚Neuen Welt‘ gewinnt vielmehr erst dadurch so etwas wie einen paradigmatisch-historischen ‚Sinn‘, indem sie „unsere gegenwärtige Identität vorgezeichnet und begründet (hat)“35 . Es ist in der Tat unsere europäisch-westliche Identität, die sich bis auf den heutigen Tag bemisst und befestigt am Bild und Stereotyp des im ökonomischen Wettbewerb unterlegenen Anderen, des im Prozess der freiheitlich-demokratischen

I. Die Augenzeugen

Emanzipationen verspäteten Anderen, der sich dem säkular-westlichen Fortschrittstempo nicht gewachsen zeigt. Die Relektüre des Kolumbus-Textes von 1492/3 möchte sich hier des Augenzeugenprotokolls der ersten Stunde versichern, um an ihm die Bausteine eines sich herausbildenden kolonialen Diskurses identifizieren zu können. Von vornherein wird es der Diskurs des historischen Siegers sein; die Besiegten haben in ihm keine Stimme. Wenn es „ein hartnäckiges Überleben der prähispanischen Kulturen“ gegeben haben mag, so war ihre Stimme in „dem grausigen Bericht von der Eroberung“ in den Jahren zwischen 1492 und 1820 nicht immer hörbar (gewesen)36. Aber auch in diesen ersten triumphalen Jahrzehnten der Entdeckung, Unterwerfung und Besiedlung der ‚Neuen Welt‘ spricht Europa nicht nur mit einer Stimme. 1552 erscheint in Sevilla die 1541/2 von einem spanischen Dominikaner, dem späteren Bischof von Chiappa im kolonisierten Mexico, verfasste Schrift mit dem Titel: Brevissima relación de la destrución de las Indias occidentales. Der Autor, Bartolomé de Las Casas, erhebt seine Stimme anstelle der Unterlegenen und vervollständigt somit den sich etablierenden ‚kolonialen Diskurs‘ aus der Perspektive der Kolonisatoren um die Perspektive der Kolonisierten. Der Text des Las Casas gilt als einer der frühesten Augenzeugenberichte, der uns die Geschichte der Entdeckung nicht als Geschichte der Begegnung der ‚Zivilisierten‘ mit den ‚Wilden‘, der eigenen Kultur mit einer primitiven, vorzivilisatorischen Lebensweise erzählt, sondern von vornherein als Geschichte der Konfrontation von aggressiven Tätern mit ihren Opfern. 50 Jahre nachdem die ersten Konquistadoren den Boden der ‚Neuen Welt‘ betreten haben, lassen sich die Beziehungen von europäischen Eroberern und Indigenen nur noch in der Konstellation von Tätern und Opfern, von Herren und Sklaven angemessen beschreiben. Las Casas bestreitet den Kolonisatoren aber gerade das Recht, sich auf eine quasi-natürliche Ungleichheit von europäischer Superiorität und indigner Inferiorität als Grundlage der Herrschaft zu beziehen. Er wird in dieser Linie zum ersten europäischen Dokumentaristen aller Gräuel, aller Grausamkeiten, aller Unmenschlichkeiten der kolonialen Herrschaft en detail – bis hin zu dem Menschheitsverbrechen der Auslöschung ‚inferiorer Völker‘. Die Rechtfertigung ihrer Vernichtung sah man bekanntlich darin, dass es sich bei den Indianern nicht nur um Ungläubige und Heiden handelte, sondern um barbarische Kannibalen, die

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„in ihrer Entwicklung noch zwischen Tier und Mensch stehen“.37 Wie wir wissen, vertritt Las Casas gegenüber jeglicher Form einer kulturell-anthropologischen Hierarchisierung den ‚klassischen‘ christlichen Egalitarismus.38 Das Schiffstagebuch des Kolumbus von 1492/3 und der kurzgefasste Bericht des Las Casas von 1541/2 bringen uns die ‚glorreiche‘ und die ‚finstere‘ Seite der Entdeckung und der Eroberung39 zur Anschauung. Sie zeigen uns das triumphale Gesicht der Bemächtigung und „das fürchterliche Gesicht des Völkermordes“40. Innerhalb eines sich ausbildenden europäischen kolonialen Diskurses werden es diese beiden Stimmen, diese beiden Seiten und Gesichter sein, die in den folgenden Jahrhunderten die vielfältigen Narrativierungen und ästhetisch-literarischen Mythenbildungen prägen und sich in die kollektive Erinnerung einschreiben. Immer wieder aber wird es der triumphale Diskurs-Anteil sein, der Hoffnung und Sehnsüchte beflügeln kann, in der ‚Neuen Welt‘ jenseits der Grenzen der ,Alten Welt‘ ein glückhaftes Leben in Freiheit leben zu können, während der Grauen erregende Diskurs-Anteil ins ‚kollektive Unbewusste‘ abzusinken scheint. Las Casas adressiert seinen Initialtext von 1542 an den „Kaiser und König von Spanien, Don Carlos den Fünften“41 – so wie auch Kolumbus seinen Initialtext von 1492 an den „König und die Königin der spanischen Länder [...].“ Wie Kolumbus schreibt Las Casas aus eigener Anschauung: „[...] Dinge, die ich in diesem Lande mit eigenen Augen sah [...].“43 Es handelt sich um Vorkommnisse auf den ,westindischen Inseln‘ in einem Zeitraum von 1504-1518, 1530-1542. Las Casas ist 1502 als Priester und Dolmetscher auf Hispaniola und St. Domingo, ab 1512 als Plantagenbesitzer auf Cuba, bis er 1514 auf alle Güter und Sklaven verzichtet. Dort, wo er nicht Augenzeuge sein kann, beruft er sich auf verlässliche Quellen: „Ich weiß aus zuverlässigen untrüglichen Nachrichten [...]. Alle diese Dinge sind von dem Procurator des Rates von Indien durch hinlängliche Zeugnisse erwiesen [...].“ etc. 44 Der Bericht des Las Casas ist der erste Text eines Europäers, „der einen umfangreichen Katalog der Grausamkeiten zusammenstellte.“45 Augenzeugenschaft und Verlässlichkeit der Quellen sichern den Anspruch des ‚Authentischen‘; von einem ‚Katalog der Grausamkeiten‘ lässt sich sprechen, wenn man hervorheben will, dass Las Casas offenbar darauf Wert legt, wirklich alle Formen und Weisen einer grausamen kolonialen Praxis erfasst und kenntlich gemacht zu haben. Ihm stand noch nicht das Bild

I. Die Augenzeugen

als Medium möglicher Beglaubigung zu Verfügung. Die 1598 erschienenen „Gräueltaten der Spanier – Illustrationen von Theodor de Bry zur lateinischen Übersetzung der ‚Brevissima relación‘ von Las Casas“46 beziehen sich auf den Text ohne Referenz auf den realen Ort und die reale Zeit der Ereignisse. Der Bericht des Las Casas verdankt seine Wirkung allein der Argumentationskraft des Wortes und der Detailgenauigkeit, mit der die ‚Gräueltaten‘ beschrieben wurden. Seine rasche Verbreitung – bis zu dem 1660 verfügten Verbot des Buches durch die Inquisition – verdankt der Text dem neuen Medium des Buchdrucks. Las Casas leitet seinen ‚Katalog der Grausamkeiten‘ mit der oft zitierten Passage ein: „Unter diese sanften Schafen (die Eingeborenen der westindischen Inseln) [...] fuhren die Spanier, sobald sie nur ihr Dasein erfuhren, wie Wölfe, Tiger und Löwen, die mehrere Tage der Hunger quält. Seit vierzig Jahren (von 1500-1540) haben sie unter ihnen nichts anderes getan, als dass sie dieselben zerfleischen, erwürgen, peinigen, martern, foltern, und sie durch tausenderlei ebenso neue als seltsame Qualen [...] auf die grausamste Art aus der Welt vertilgen.“47

Die Einleitung entwirft die Bühne, auf der sich das koloniale Theater des Schreckens und Grauens abspielt; sie benennt Täter und Opfer und lässt keinen Zweifel daran, dass die einzelnen Gräueltaten das Ziel endgültiger Ausrottung verfolgen. Las Casas schildert detailliert Prozeduren und Instrumente einer bis zu diesem Zeitpunkt beispiellosen Vernichtungsaktion:

D as M assaker als massenhaf tes B lutbad unter den wehrlosen E ingeborenen „[...] so dass sie in meinem Beisein ohne die geringste Veranlassung oder Ursache mehr als dreitausend Menschen, Männer, Weiber und Kinder darnieder hieben, die rings um uns her auf der Erde saßen.“48 „Gegen vier Uhr des Morgens, wenn die Unschuldigen nebst Weibern und Kindern noch schliefen, stürmten sie den Ort, warfen Feuer in die Häuser [...] verbrannten Weiber und Kinder lebendig [...] schlugen tot, was sie wollten [...]“49

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D ie V erbrennung der K önige und F ührer „Alle vornehmen Herren, deren über hundert waren und die sämtlich in Fesseln lagen, befahl der Befehlshaber, an Pfähle zu binden [...] und sie lebendig zu verbrennen.“50 „Große und Edle brachten sie gewöhnlich folgendermaßen um: sie machten Roste von Stäben, die sie auf Gabeln legten, darauf banden sie die Unglücklichen fest, und machten ein gelindes Feuer darunter, bis sie nach und nach ein jämmerliches Geschrei erhoben, und unter unsäglichen Schmerzen den Geist aufgaben.“51

D ie Z erfleischung durch B luthunde „[...] so richteten diese Würger, diese Todfeinde des Menschengeschlechts, ihre grimmigen Jagdhunde dergestalt ab, dass sie jeden Indianer, den sie nur ansichtig wurden, in kürzerer Zeit, als zu einem Vaterunser erforderlich ist, in Stücke zerrissen [...]“52

T ötung durch M arter und F olter „Hierauf gaben sie ihm die Wippe, gossen ihm siedendes Talg auf den Leib, legten ihm an jeden Fuß eine Kette, die an einem Pfahl befestigt war, und schlossen ihn mit dem Halseisen ebenfalls an einen besonderen Pfahl; zwei Menschen mussten ihm die Hände halten, und an den Fußsohlen ward ihm Feuer gelegt“53

D ie V ernichtung durch Z wangsarbeit „Diese ‚Sorgfalt‘ und ‚Seelsorge‘ [...] bestand darin, dass sie die Mannspersonen in die Bergwerke schickten, um Gold zu graben, welches eine fast unerträgliche Arbeit ist. Die Weibsleute aber schickten sie auf ihre sogenannten Stationen oder Meiereien, wo sie den Feldbau besorgen mussten, eine Arbeit, die nur für starke und rüstige Mannspersonen gehört [...] Die Männer [...] durften nicht den mindesten Umgang mit ihren Weibern haben; mithin hörte die Fortpflanzung gänzlich auf. Jene kamen vor Arbeit und Hunger in den Bergwerken um; und diese starben

I. Die Augenzeugen

auf nämliche Art in den [...] sogenannten Stationen. So ward die ganze zahlreiche Volksmenge auf dieser Insel vertilgt.“54

D ie E nt völkerung und A usrot tung durch S kl avenverk auf „Denn sechs bis sieben Jahre nacheinander fuhren allemal sechs bis sieben Schiffe zu Markt, luden alle diese unzähligen Indianer auf und verkauften sie zu Panama oder Peru als Sklaven, wo sie sämtlich starben.“55

D ie V erge waltigung „Einst wollte ein sog. Christ ein Mädchen mit aller Gewalt zur Unzucht zwingen, die Mutter aber widersetzte sich ihm, und wollte ihr Kind ihm aus den Händen reißen. Drauf zog er sein Schwert, hieb der Mutter eine Hand ab, und weil das Mädchen in sein Begehr nicht willigen wollte, brachte er es mit vielen Dolchstichen ums Leben.“56

S elek tion und B r andmarkung „Wenn nun dies Unglücklichen auf der Insel, wo man sie verkaufen will, ausgeschifft wurden, dann muß vollends jedem [...] das Herz bluten, wenn er diese nackten hungrigen Leute siehet: wenn er wahrnimmt wie Kinder und Greise, Männer und Weiber, vor Hunger entkräftet zu Boden sinken. Dann sondert man sie ab wie die Schafe, trennt Väter von ihren Kindern, die Weiber von ihren Männern; teilt sie in Haufen von zehn bis zwanzig Personen und wirft das Los über sie.“57 „Darauf befahl er, sie sollten die Indianer, von welchen sie sich bedienen ließen, in Ketten schmieden und als Sklaven brandmarken. Dies geschah, und sie brannten allen, welche sie zusammen ketteten, das königliche Zeichen als Sklaven auf.“58

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Greueltaten der Spanier – Illustrationen von Theodor de Bry zur lateinischen Übersetzung der ‚Brevissima relación‘ von Las Casas, 1598

(www.survivalinternational.de, 29.10.16 / www.lehigh.edu, 29.10.16)

I. Die Augenzeugen

In allen Einzelheiten erkennen wir Grundzüge eines genozidalen Programms, das historisch Schule machen sollte. Im zeitgenössischen Spanien verfiel der ‚kurzgefasste Bericht‘ des Las Casas: sein ‚Katalog der Grausamkeiten‘ von vornherein der systematischen Löschung und Verdrängung. Man verleugnete die Verwüstung der kolonisierten Länder, die Vernichtung der indigenen Bevölkerung, weil man sich außerstande sah, ‚barbarische Gewalt‘ und Völkermord in Verbindung zu bringen mit der ruhmvollen Entdeckungstat und der segensreichen Eingemeindung ‚barbarischer Völker‘ in die christliche Ökumene. Der zur ‚Schwarzen Legende‘ der glorreichen spanischen Eroberungsgeschichte deklassierte Bericht des Las Casas aber gewann die Bedeutung einer ‚Leyenda negra‘ der europäischen Expansionsgeschichte überhaupt; seine immer wieder bestrittene Authentizität ist allein schon durch die gleichlautenden Berichte aus Neuspanien von Mönchen (T. Motolino, Bernardino de Sahagun, Jeronimo de San Miguel oder Alonso Zorito) zwischen 1523 und 1570 bestätigt und bezeugt.59 Die ersten und frühsten Augenzeugen-Texte des Kolumbus und des Las Casas begründen jene zwei Erzählstränge – einer großartigen und triumphalen Fortschrittsgeschichte des europäischen ‚Geistes‘, der ‚Morgenröte nach der furchtbaren Nacht des Mittelalters‘, so wie Hegel die Entdeckung Amerikas später sah – und einer dunklen Geschichte exzessiver Auslöschung des fremden Anderen. Der Fortschritts-Diskurs und der Auslöschungs-Diskurs der Bemächtigung bleiben historisch die zwei Seiten ein und desselben kolonialen Leitdiskurses. Auch die hier zu skizzierende poetisch-literarische Narrativierung dieser ‚Geschichten‘ – von ,Robinson Crusoe‘ bis ‚Heart of Darkness‘ – wird dieser Dialektik verhaftet sein. Die Ausblendung des ‚dunklen Diskurses‘ – der ‚Schwarzen Legende‘ – konnte auf die Dauer nicht erfolgreich durchgehalten werden. So ließen sich die Zahlenangaben von Las Casas bezüglich der Opfer der spanischen Konquista mit modernen Methoden überprüfen. Danach lebten am Vorabend der Konquista in Amerika ca. 80 Millionen Menschen, von denen Mitte des 16. Jahrhunderts nur 10 Millionen verbleiben – darunter von der Bevölkerung Mexikos von ca. 25 Millionen im Jahre 1600 nur noch eine Million, sodass real von einer Dezimierungsquote von ca. 70 Millionen Menschen auszugehen ist (Tod durch Massenmord, Verhungern, Zwangsarbeit, Erschöpfung, Vertreibung, Mikrobenschock, Seuche).60 Die von Las Casas geschätzte Opferzahl „für die Bevölkerung des

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zentralen Mexico zwischen 1522-1552“ liegt mit ca. 4 Millionen weit unter der tatsächlichen Zahl.61 Der ‚weiße Diskurs‘ des europäischen Triumphes im Angesicht des Genozides behauptet sich 300 Jahre später auch philosophisch. Wenn Hegel einen Endzweck der Weltgeschichte annimmt, dem die „ungeheuersten Opfer gebracht worden sind“, so müssen sich historisch notwendig im Verlauf der Weltgeschichte die Untergänge ganzer Kulturen ereignen. „Von Amerika und seiner Kultur“ – heißt es bei Hegel – „namentlich in Mexiko und Peru, haben wir zwar Nachrichten aber bloß die, dass dieselbe eine ganz natürliche war, die untergehen musste, so wie der Geist sich ihr näherte. Physisch und geistig ohnmächtig hat sich Amerika immer gezeigt und zeigt sich noch so. Denn die Eingeborenen sind, nachdem Europäer in Amerika landeten, allmählich an dem Hauche der europäischen Tätigkeit untergegangen.“62 Der ‚schwarze Diskurs‘ des Las Casas dokumentiert jene „ungeheuersten Opfer“, die der europäischen Expansion gebracht worden sind und deren geschichtliche Rechtfertigung er vehement verweigert. Als Zeitzeuge und Zeitgenosse kann er die Geschichte aus der Nahsicht auf die Gräuel der Ausrottung – im Hegelschen Sinne – lediglich als „Schlachtbank“ verstehen, ohne die Tröstungen eines vernünftigen Endzwecks. Wir verdanken ihm die Einsicht, dass am Beginn der neuzeitlich-europäischen Weltbemächtigung der Genozid stand. Aus heutiger Sicht erscheint somit der von Las Casas dargelegte ‚Apparat der Vernichtung und Ausrottung‘ des deklasssierten Anderen mit seinen spezifischen Prozeduren und Instrumenten (Massaker – Verbrennung – Folter – Wippe – Zwangsarbeit – Versklavung – Selektion – Brandmarkung) als ganz und gar neuzeitlich-moderner „Typus der Gewalt“, der uns aus allerjüngster Vergangenheit nur allzu gut bekannt ist.63 Dieser ‚Apparat‘ der Vernichtung funktioniert (zunächst) optimal in äußerster Distanz zu „der Zentralmacht“, „fern von der Metropole“, „fern von den königlichen Gesetzen“: „Je ferner und fremder die Opfer des Massakers sind, desto besser: Man rottet sie ohne Gewissensbisse aus, wobei man sie mehr oder weniger den Tieren gleichsetzt.“ (Todorov)64 Der ferne und fremde Ort der Kolonie begünstigt die Suspendierung der Regeln einer moralischen Ordnung. Für die Konstellation von Metropole und Kolonie um 1500 kommt hinzu, dass sich der koloniale Nachrichtenverkehr, zeitverzögert asymmetrisch zwischen den Kolonialherren selbst ereignete; die Kolonisierten verfügten weder über Kanäle noch über Formen der Artikulation; die Botschaften aus der ‚ko-

I. Die Augenzeugen

lonialen Welt‘ verbreiteten die europäische Erzählung eines Geschehens, das sich für den Empfänger in Europa nicht nachprüfen ließ; Nachrichten über Massaker und deren Opfer hatten in der Regel wenig Chance, Europa zu erreichen. Die fragmentarische Information und vor allem das (noch) fehlende ‚authentische‘ Bild von einer fernen, fremden Welt beflügelte phantastische Imaginationen und Narrativierungen, die sich gleichermaßen speisen von den ‚Ur-Erzählungen‘ des Kolumbus und des Las Casas . Die vollkommene Fremdheit und Andersartigkeit dieser ‚Neuen Welt‘ und ihrer Bewohner wird im ‚Bild‘ wie im literarischen Text zum einen mehr den paradiesisch-utopischen Aspekt, zum anderen mehr den dystopischen Aspekt der Begegnung hervortreten lassen. Exemplarisch scheint eines der frühsten Bilder, das die Entdeckung ‚imaginiert‘, beide Aspekte in sich zu vereinen:

Jan Mostaert: Episode uit de verovering van Amerika (1535) (www.vereinigingrembrandt.nl, 29.10.16)

Jan Mostaerts Bild ‚Episode uit de verovering van Amerika‘ aus dem Jahr 1535 zeigt sowohl einen paradiesisch anmutenden Landschafts-Raum, wo Mensch und Tier offenbar noch in vollkommenem Einklang mit der Natur leben, als auch den gewalttätigen Einbruch eines bewaffneten, schwer gerüsteten Heerhaufens, der sich von der Meeresküste in kriegerischokkupatorischer Absicht nähert. Die Szene lässt Panik und Erschrecken der Eingeborenen erkennen; zu deutlich offenbart sich ihre Unterlegen-

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heit gegenüber den Aggressoren, als dass der Ausgang dieser Begegnung noch zweifelhaft sein könnte. Die in adamitischer Nacktheit den fremden Eindringlingen entgegentretenden ‚Landeskinder‘ werden keine Chance haben, ihr ‚Paradies‘ zu verteidigen und zu schützen. Das Bild aber hält die Ansicht einer ‚paradiesischen Welt‘ noch in dem Augenblick fest, in dem ihr Untergang schon besiegelt ist. Es ist ein Augenblick historischer Trauer – angesichts der Unvermeidlichkeit dieses Untergangs.

II. ‚Weiße‘ ozeanische Utopien

Von Morus bis Grimmelshausen

„Tatsache ist, dass die frühen Ausrottungen von Eingeborenenstämmen, die Schiffsladungen von Negern nach Amerika oder die Entdeckungsfahrten in den schwarzen Kontinent o h n e Bedeutung für die abendländische Geschichte im allgemeinen blieben, obwohl die Berichte von der Welt der wilden Eingeborenenstämme [...] eine deutliche Sprache sprechen.“65

Hannah Arendt spricht hier von Afrika als „Treibhaus des (späten kolonialen) Imperialismus“; was sie sagt, lässt sich aber gleichermaßen auf die Frühzeit der kolonialen Unterwerfung des amerikanischen Kontinents beziehen. Die ‚schwarze Legende‘ der Schrecken und Gräuel wird vom offiziösen Diskurs des Triumphes abgetrennt und wird Teil einer, unter der europäischen Geschichte des rationalen Fortschritts verlaufenden ‚unterirdischen‘ Geschichte der Auslöschung des ‚Fremden‘ und des ‚Anderen‘.66 Für den ‚mainstream‘ einer Literarisierung des ‚kolonialen Diskurses‘ im 16. und 17. Jahrhundert – im Übergang des Zeitalters der Entdeckungen zum Zeitalter der Kolonisation, schließlich der Gründung der unterschiedlichen europäischen Kolonialreiche – lassen sich charakteristische Formen der Verschiebung und Ausklammerung der latenten Auslöschungs-Geschichten zugunsten der ‚weißen‘ Utopie des zukünftig idealen Staates erkennen. Die drei Schlüssel-Utopien dieser Übergangszeit: • ‚Utopia‘ (1516) von Thomas More, • ‚La Città del Sol‘ (1623) von Tommaso Campanella, • und ‚Nova Atlantis‘ (1624-1627) von Francis Bacon

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beziehen sich direkt oder indirekt auf den klassischen Topos der Insel, der sich bekanntermaßen herleitet von der mythischen Insel Atlantis, von der es in Platons ‚Kritias‘ heißt, sie sei – einst im atlantischen Meere gelegen – durch ein Erdbeben untergegangen. Die Autoren sind bemüht, den klassischen Insel-Topos nicht retrograd im Sinne eines verlorenen Goldenen Zeitalters auszulegen, sondern zukünftig-utopisch; auch räumlich versuchen sie, die utopische Insel gegenwärtig in den Weiten der gerade von den Seefahrern erkundeten Ozeane zu verorten. Thomas Morus begnügt sich damit, einem weitgereisten Begleiter des Entdeckers Amerigo Vespucci die Erzählung von der Insel ‚Utopia‘ in den Mund zu legen und somit den Bezug zur Gegenwart seines Zeitalters der Entdeckungen und großen Horizontweitungen der Welt um 1500 herzustellen. Tommaso Campanella lässt ebenfalls einen Genueser Seefahrer von der Insel Taproban berichten, auf die er im indischen Ozean verschlagen wurde – und in der man die seit 1518 portugiesische Insel Ceylon zu erkennen glaubte. Schließlich situiert Francis Bacon sein ‚Nova Atlantis‘ im pazifischen Ozean, wo ein Schiff auf dem Wege von Peru nach Japan die Insel Bensalem entdeckt; Bacon könnte dabei an die 1567 von den Spaniern gesichteten Salomon-Inseln gedacht haben. Ohne die utopischen Gesellschafts-Konstrukte hier diskutieren zu wollen – es liegt dazu eine umfangreiche Literatur vor – sei für unseren Untersuchungszusammenhang nur Folgendes festgehalten: Die fiktiven Besucher und Entdecker treffen mitnichten auf sog. primitive, präzivilisatorische ‚wilde Gesellschaften‘, sondern auf längst bestehende, kultivierte, vollkommen autarke und homogene (weiße) Gesellschaften. Ein Vorgang kolonisierender, zivilisierender Eroberung und Unterwerfung anderer fremder Gesellschaften durch ‚überlegene‘ Völker und Kulturen findet nicht statt (lediglich bei Bevölkerungsüberschuß auf More’s Insel ‚Utopie‘ können auf dem benachbarten Festland Kolonien gegründet werden). Die utopisch-homogenen Gesellschaften sind der Auseinandersetzung mit ‚Fremden‘ enthoben; sie erscheinen exklusiv, in sich abgeschlossen, in Distanz und offenbar ohne Kontakt zu irgendwelchen Kulturen ‚außerhalb‘ der Insel-Welt und verfolgen keinerlei expansive Ziele. Die utopische Erzählung folgt dem kolonialen Muster der Entdeckung eines – aus der Perspektive des reisenden oder schiff brüchigen Europäers – fremden Ortes in der Weite und Offenheit der neuen globalen Räume: der atlantischen, indischen und pazifischen Ozeane.

II. ‚Weiße‘ ozeanische Utopien

Die neuzeitlich-perspektivische Weitung der Raum-Horizonte bedeutet immer auch eine Öffnung des Zeithorizonts in fortschreitender Bewegung auf ein Ziel in der Zukunft.67 Der gesamteuropäischen Expansions-Bewegung verdankt die InselUtopie die raumzeitliche Perspektivierung des Blicks aus der Weite des fremden Raums in die Ferne der eigenen Zukunft. Die Insel-Utopie mit ihrem Entwurf eines idealen Gemeinwesens scheint somit die dem Jahrhundert nach den Entdeckungen angemessene Literarisierungsform des ‚kolonialen Diskurses‘ zu sein. Das Narrativ (der Insel-Utopie) ist zweifellos geprägt von dem Gedanken, dass nach den Entdeckungen und mit der Entstehung großer kolonialer Reiche ein neues europäisches Weltzeitalter angebrochen sei. Ganz aus diesem Geist wird die utopische Erzählung die universelle Gültigkeit ihrer vernunftgeleiteten Vorstellungen eines idealen Staatswesens beanspruchen. „Ein wahrhaft herrliches, nicht weniger heilsames denn kurzweiliges Büchlein von der besten Verfassung des Staates (de optimo rei publicae statu) und von der neuen Insel Utopia“ verspricht Thomas More seinen Lesern. Die Inseln aber – durch die Ozeane vom Festland der ‚Alten Welt‘ getrennt – sind also keine wüsten Eilande, die der Kultivierung bedürfen – und ihre Bewohner keine wilden Kannibalen, die der Zähmung und Zivilisierung durch die Europäer harren, sondern es sind phantastische Orte, in denen alle Stufen der zivilisatorischen Vervollkommnung längst durchlaufen zu sein scheinen und die Ideale der ‚Alten Welt‘ in gesellschaftliche Wirklichkeit überführt sind. So werden diese Inseln – geschichtlich von jeglicher Berührung mit den Grauen erregenden wilden ‚Anderen‘, von Eroberung und Ausrottung unbelastet – zu ganz und gar entlasteten Orten europäischer Identitätssuche. Das utopische Narrativ verwandelt die exotisch-wilde-fremde Insel gewissermaßen in einen postkolonialen und posthistorischen Ort des Zukünftigen, der seine Entwicklungs-Geschichte hinter sich hat. Als Außenstelle und Erfüllungsort europäischer Sehsüchte ist die Insel andererseits schon auf dem Wege zur neuzeitlichen Heterotopie, im Sinne Foucaults als Übersetzung des unwirklichen Ortes der Utopie in den wirklichen, anderen Ort außerhalb aller vertrauten-heimischen Orte der Gesellschaft.68 Die glücklichen ozeanischen Inseln (dieser Autoren) weit jenseits der Grenzen der eigenen ‚Alten Welt‘ erscheinen somit schon wie die Vorankündigung aller Eingemeindungen des fremden Anderen in die Verfügungsräume der eigenen Kultur. Der realen kolonialen

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Landnahme wird immer eine symbolische folgen im Entwurf eines Netzwerks exotisch-anderer Orte. „[...] das Schiff (war) für unsere Zivilisation vom 16. Jahrhundert bis in unsere Tage nicht nur das größte Instrument der wirtschaftlichen (kolonialen) Entwicklung (und Expansion) [...] sondern auch das größte Imaginationsarsenal.“69

In der Tat waren die Schiffe nicht nur Transporteure materieller Waren, sondern vor allem immaterieller Güter: Botschaften aller Sorten, glaubwürdige und unglaubwürdige Reiseberichte von Kapitänen, Kaufleuten, Mönchen und Soldaten erreichten ihre Adressaten in der ‚Alten Welt‘ und lieferten Bausteine jenes kolonialen Diskurses, der seinerseits Imaginationen des Wunderbaren, Phantastischen und Triumphalen ebenso erwecken konnten wie solche des Schrecklichen und Grauenvollen. An den exemplarischen Schlüsseltexten des ersten Jahrhunderts nach den Entdeckungen aber lässt sich ablesen, wie weit sich die utopischen Narrativierungen dieses europäischen Diskurses schon von der ‚Dialektik‘ des Initial-Diskurses (Kolumbus vs. Las Casas) entfernt haben. Wechselseitig aber bedingen sich ‚Entdeckung‘ und ‚Gewaltanwendung‘ – ‚Eroberung‘ und ‚Auslöschung‘; wie umgekehrt ‚Zerstörung‘ und ,Aufbau‘ – ‚Vernichtung‘ und ‚ Begründung des Neuen‘: der Zivilisation in der Wildnis. So wie der zu assimilierende oder zu eliminierende Andere als indigener Wilder und Objekt der Zivilisierung (auch) aus den Texten verschwindet, verbleibt der gereinigte Entwurf eines homogenen Gemeinwesens, für das so etwas wie ethnisch-kulturelle Fremdheit schon längst der Einebnung zum Opfer gefallen ist. Wenn auch die Nachtseite des ‚kolonialen Fortschritts‘ in Übersetzungen der ‚Brevissima relación de la destructión de las Indias occidentales‘ des Las Casas in ganz Europa, später auch in Amerika zur Kenntnis genommen wurde, war von Gräuel, Schrecken und Genozid in der literarischen Narrativierung des kolonialen Diskurses nicht mehr die Rede. So versetzt auch Grimmelshausen in der ‚Continuatio‘ seines Simplicissimus-Romans von 1669 seinen Helden am Ende als Schiff brüchigen auf eine einsame Insel zwischen Madagaskar und dem Kap der Guten Hoffnung im indischen Ozean; die Insel erweist sich als menschenleer und als „trefflicher fruchtbarer Erdboden“. Vor allem danken die Schiff brüchigen, Simplicissimus und der Schiffszimmermann, Gott, dass sie an einen

II. ‚Weiße‘ ozeanische Utopien

Ort verschlagen wurden, an dem sie vor Eingeborenen und Menschenfressern sicher sind. Eine Begegnung mit dem bösen wilden Anderen bleibt ihnen – zumindest in dieser Gestalt zunächst erspart. Sie dürfen sich fühlen wie „die ersten Menschen in der güldenen Zeit“; sie sehen sich alsbald als Herren dieser „glückseligen Insel“ – und der holländische Kapitän, der später vor eben dieser Insel mehr zufällig vor Anker geht, entdeckt einen Ort, „dergleichen ich mein Tag weder in Ost- noch Westindien nicht gesehen“: „ein irdisch Paradeis“70. So verbindet die Erzählung die gängigen Topoi der „glückseligen Insel“, „des irdischen Paradieses“, der goldenen Frühzeit des Menschengeschlechts als Formen der symbolischen Aneignung mit den eher pragmatischen Leitmotiven des Schiff bruchs, der Entdeckung der Insel, der Exklusion des Indigenen, der vorgeblichen Jungfräulichkeit des Ortes und der weißen Herrschaft in der Ferne des indischen Ozeans. Das ‚böse Andere‘ tritt den beiden Insel-Herren nun nicht in Gestalt wilder heidnischer Krieger oder Kannibalen entgegen, sondern in der ‚Lilith‘-Maske eines verführerischen „Weibsbilds“: einer auf einer Kiste halbtot gestrandeten „Abessiner Christin“, die nun wahrhaft wie ein Hybrid des KolonialZeitalters zusammengesetzt ist aus allerlei kolonialen Versatzstücken: • Sie spricht die Sprache der portugiesischen Meister-Seefahrer und Entdecker. • Sie stammt aus dem afrikanischen, ehemals christlichen Äthiopien (das mit Hilfe der Portugiesen Mitte des 16. Jahrhunderts von Muslimen ‚befreit‘ wurde). • Sie schifft sich auf dem portugiesischen Handelsplatz Macao ein; die Kisten, die mit ihr angeschwemmt wurden, enthalten „Gewehre und Waffen“, sowie wertvolle Handelsgüter aus China: seidene Gewänder und „porzellanenes Geschirr“, Waren für einen Fürsten in Portugal. Am Ende allerdings löst sich die schöne Abessinerin als dämonischer Geist der Versuchung und Verführung, sogar der Anstiftung zur Mordtat, in Nichts auf, als Simplicissimus in ihrer Gegenwart „das Kreuz [...] macht“ und „den göttlichen Segen anruft“. Interessant ist, dass „der Teufel in Gestalt der Abessinerin“ seine Versuchung ganz aus dem Geist des Kolonialzeitalters anlegt und inszeniert: Nicht allein die ‚schwarze‘ Sexualität der Afrikanerin soll das Verfüh-

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rungswerk an den Männern zum Erfolg führen, sondern die besondere Attraktivität der schillernden portugiesisch-christlich-afrikanischen Identität der Abessinerin, ihre Nähe zur portugiesischen Kolonialmacht und die besondere Magie der fremden Dinge – von chinesischem Porzellan, von chinesischer Seide in Verbindung mit „Gewehr und Waffen“ als Zeichen des gewalt-gestützten Fernhandels. Der ursprünglich ‚koloniale Diskurs‘ (Insel – Fremde – Entdeckung – Aneignung und Vernichtung) erfährt eine Umdeutung in Form der Kontrafaktur. In dieser Lesart bliebe das auszulöschende böse Andere: der Dämon Lilith, jenes fremde Weibsbild, die (schwarze) Afrikanerin, deren christlich-portugiesische Assimilation nur Hülle, Täuschung und Verkleidung ist, deren sie sich bedient, um die christlichen Eindringlinge zu verderben. Die Kontrafaktur muss darauf bestehen, dass die fremde Afrikanerin ihnen als dämonischer Geist erscheint und als solcher gebannt und zum Verschwinden gebracht werden kann. In der Konsequenz der Kontrafaktur liegt es, dass die ‚glückselige Insel‘ nicht (mehr) als Ort kolonialer Eroberung und Aneignung erfahren wird, sondern als Ort ‚gottgefälliger‘ Weltflucht und -abkehr: der maximalen Loslösung vom ‚Eigenen‘ der Herkunftswelt. Als Eremit strebt Simplicissimus ein Leben in „stiller Ruhe“ an, fern der Welt Europas, „erfüllt mit Krieg, Brand, Mord, Raub, Plünderung, Frauen- und Jungfrauenschänden“, einer Welt, die sich eines zivilisatorischen Vorsprungs nicht rühmen kann. Als menschenleeres ‚irdisches Paradies‘ erfüllt die Insel den Wunsch des Eremiten nach Rückkehr in den adamitischen Urzustand vor dem Sündenfall. Die Insel liegt ebenso weit im Raum entfernt wie in der Zeit entrückt. Während die ‚philosophischen Utopien‘ der Morus, Campanella und Bacon an einem Punkt in der fernen Zukunft entrückt zu sein scheinen, so die Insel des Weltflüchtigen an einen Punkt in der fernsten Vergangenheit. Ob nun als retrograde Einsiedelei oder als futuristischer Idealstaat – so weit sie auf Inseln in der Ferne der neu entdeckten Räume verortet werden, spiegelt sich in ihnen die Horizontweitung in der Folge der europäischen Expansion. Die neuen Räume an der Peripherie der alteuropäischen Zentren werden zu Ziel- und Freiräumen aller geopolitischen Interessen und aller symbolischen Projektionen – letztlich zu verdeckten Experimentalräumen des Verbotenen und Tabuierten. Die Autoren schon der frühen Insel-Erzählungen sind bemüht, die Schauplätze der utopischen Handlung im kolonialen Großraum der na-

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vigatorisch erschlossenen Ozeane realfiktiv zu verorten: zwischen Madagaskar und dem Kap der Guten Hoffnung, im indischen Ozean, auf dem portugiesischen Ceylon, auf den spanischen Salomon-Inseln etc. Mit diesem Versuch der Verortung lösen sich die Autoren von der Vorstellung eines ‚Nirgendwo‘ der klassischen Utopie und bevorzugen das Konstrukt eines – mehr oder weniger – realen, peripheren Gegen-Orts zu einem zentralen Ausgangsort in Europa. Wie schon angedeutet nehmen die Texte des 16. Jahrhunderts eine Entwicklung vorweg, die später dazu führen wird, den ‚kolonialen Ort‘ – im Sinne Foucaults – als feste exotische ‚Gegenplazierung oder Widerlager‘ zu entwerfen, als Ort außerhalb aller Orte, aber gleichwohl in das jeweilige Kultursystem ‚hineingezeichnet‘ und somit verortbar. Damit wird ein erster Schritt getan, die symbolische Aneignung des ursprünglich fremden Raums zu bewerkstelligen, um am Ende die symbolische Einverleibung des anderen Ortes in den eigenen gesellschaftlichen Körper zu vollziehen. Es waren überaus erfolgreiche utopische Erzählungen wie Grimmelshausens ‚Continuatio‘ des ‚Abenteuerlichen Simplicissimus‘ von 1669 oder Henry Neville’s ‚The Isle of Pines or a Late Discovery of a Fourth Island in Terra Australis Incognita‘ von 1668, die den ‚kolonialen Diskurs‘ schon frühzeitig seiner Dialektik von ‚Triumph‘ und ‚Vernichtung‘ entledigt hatten. Von nun an sollte der Auslöschung des dunklen kolonialen Erbes nichts mehr im Wege stehen und die Einebnung des fremden-anderen Ortes in seiner konsequenten Exotisierung vollzogen werden. So macht Neville eine Insel nahe Madagaskar im indischen Ozean zum Schauplatz eines (satirischen) Experiments. Nach dem notorischen Schiff bruch stranden als einzige Überlebende ein Mann und vier Frauen auf diesem menschenleeren, tropischen Eiland. Da weder wilde Tiere noch wilde Indigene oder männliche Konkurrenten störend in Erscheinung treten, lässt sich das paradiesische Theater eines zweiten Sündenfalls diesmal mit einem Adam und vier Evas71 in Szene setzen. Die Regeln der christlich-puritanischen Sexualmoral sind suspendiert. George Pine, ein zweiter Adam, sieht sich in der komfortablen Lage, ad libitum gleich mit vier Frauen lustvollen Verkehr zu pflegen, so dass er sich nach einiger Zeit als Stammvater einer stetig sich erweiternden Menschenfamilie betrachten kann. Bezeichnend ist die soziale Zusammensetzung der UrFamilie:

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Dem Herren der Insel stehen zwei weiße Dienstmädchen, eine schwarze Sklavin und die anfänglich minderjährige Tochter des Kapitäns (der den Schiff bruch nicht überlebt hat) zu Diensten. Dem christlichen Gebot, dass die Frau dem Manne untertan sei, ist somit von Anfang an auch hier Genüge getan. Das hierarchische Gefälle vom Mann zur Frau, vom Herren zum Diener, vom Weißen zum Schwarzen, vom ‚Vater‘ zum ‚Kinde‘ garantiert dem (weißen) Manne unbeschränkte erzieherische und sexuelle Verfügungsgewalt. Der ‚sexuelle Sündenfall‘ jedoch rechtfertigt sich in der Begründung einer autarken weißen Kolonie als Stützpunkt britischer Vorherrschaft im indischen Ozean. (Zu erinnern sei nur an die Präsenz der East India Company an der Westküste Indiens.) Am Ende hinterlässt George Pine, Stammvater und Begründer der Insel-Kolonie, ein wohlgeordnetes Gemeinwesen: Erstaunlich, dass die schwarze, nach England importierte Sklavin, ihre Spur im genetischen Pool der weißen Kolonie hat hinterlassen können. Konterkariert Neville das ansonsten von den englischen Kolonisatoren streng beachtete Verbot der Rassenmischung? Erstaunlich aber auch ist es, dass Grimmelshausen von Nevilles Roman ‚Isle of Pines‘ zu seiner Insel-Utopie in der Continuatio inspiriert worden sei – wie es die Grimmelshausen-Forschung (J.H. Scholte) nachgewiesen hat. Die Protagonisten ihrer Romane: Simplicissimus als frommer, mönchisch-enthaltsamer Emerit und George Pine als omnipotenter Stammvater, Polygamist und Koloniegründer können wohl gegensätzlicher nicht vorgestellt werden. Gemeinsam jedenfalls ist den Texten der kolonial-historische Kontext der Jahrzehnte zwischen 1650 und 1700. Die ostindischen Insel-Utopien Neville´s und Grimmelshausens der Jahre 1668 und 1669 lassen sich somit als folgenreiche Varianten der Narrativierung des ursprünglichen ‚kolonialen Diskurses‘ verstehen: Als symbolische Aneignung fremden überseeischen Raums zur Hoch-Zeit der territorialen Kolonialherrschaft im 17. Jahrhundert – hier vor allem der beginnenden Ost-Orientierung durch die effizienten Ostindien-Kompanien der Engländer und Holländer 72 – im weitesten Sinn als Freiraum europäischer Projektionen. Die Fiktion des menschenleeren exotischen Raums sichert dem exemplarisch-europäischen Protagonisten besondere Schauplätze der Selbstdarstellung – unbehelligt durch Einwirkungen eines indigenen Antagonisten. Zweifellos trug die koloniale Insel-Thematik dazu bei, dass beide Bücher zu Bestsellern ihrer Zeit wurden. Durch die weitverbreitete Reise-

II. ‚Weiße‘ ozeanische Utopien

berichts-Literatur war das Publikum offenbar auf die ‚globale Perspektive‘ eingestimmt und konnte ganz allgemein von der Normalität einer kolonialen Weltbemächtigung ausgehen, wie sie schon seit über einem Jahrhundert den Globus überzog. Literarisch anspruchsvolle Erzählungen, die von Gräuel und Schrecken bereinigte exotische Gegenorte und -welten entwarfen, wo sich phantastische Dinge ereignen und Träume von Macht, vollkommener Homogenität und Exklusion des Fremden verwirklichen lassen, konnten auf großes Interesse stoßen. Im Schiff bruch wiederholen die Protagonisten dieser utopischen Geschichten nichts weniger als die ‚wunderbare‘ Entdeckung des Kolumbus: Wie der erste Entdecker landen auch sie auf einer sagenhaften fremden Insel im Ozean, die ihnen wie das ‚irdische Paradies‘ erscheinen muss; erspart aber bleibt den Schiff brüchigen die erschreckende Begegnung mit den ‚nackten Wilden‘, erspart bleibt ihnen die Rolle des gewaltsamen Kolonisators, ausgespart bleibt Tod und Vernichtung, ausgelöscht die Geschichte des Verschwindens ganzer Völker und Kulturen.

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Orte der ‚Education coloniale‘:



D. Defoe – J.G. Schnabel – B. de Saint-Pierre

Allein bei einem Blick in den historischen Weltatlas und dort auf die Karte, die die Entwicklung der europäischen Kolonialreiche bis 1763 nachzeichnet, lassen die weitgestreuten Besitzergreifungen der Spanier und Portugiesen, dann der Engländer, Niederländer und Franzosen in den beiden Amerika, in der westindische Karibik und an den Küsten Afrikas und Indiens, auf Sumatra, Java und Borneo schon erkennen, in welchen Dimensionen sich die Aufteilung der Welt unter die europäischen Seemächte vollziehen sollte. Der Grundstock einer imperialen Weltbemächtigung in den folgenden Jahrhunderten war frühzeitig gebildet. Besitzergreifung und Bemächtigung erfolgten in Akten der Unterwerfung, der Ausrottung und der Versklavung der Urbevölkerung – wobei ZwangsAssimilation und Kreolisierung noch als mildere Form der Tilgung des fremden Anderen gelten konnte. Zur gleichen Zeit, während die großen Humanisten, Morus, Campanella und Bacon, zwischen 1516 und 1624 ihre utopischen Träume vom idealen (weißen) Staat auf fiktiven ozeanischen Inseln in Szene setzten, erleiden die Völker der neuentdeckten westindischen Inseln und Amerikas durch die Spanier und Portugiesen die grausamsten Verfolgungen. Millionenfacher Völkermord ging Hand in Hand mit der Zerstörung ihrer Kulturen, dem Untergang der Reiche der Azteken, Mayas und Inkas, mit der Vernichtung von indigener Lebenswelt. Mit der massenhaften Versklavung der Indianer zur Fronarbeit in den Silber- und Goldbergwerken und auf den Plantagen bahnt sich ein weiteres „monströses Verbrechen gegen die Menschheit [...] als die radikalste

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der uns bekannten Formen kolonialistischer Ausbeutung“ (U. Bitterli)73 an: der transatlantische Sklavenhandel . Nachdem die westindischen Eingeborenen bei der Zwangsarbeit – vor allem in den Bergwerken – massenhaft dem Erschöpfungstod erlagen, veranlasst Kaiser Karl V. 1517 auf Vorschlag von Las Casas – zum Schutz der Indianer – schwarze Sklaven aus Afrika in die neuen spanischen Kolonien zu importieren. Dieses Datum von 1517 setzt somit den Beginn eines über 300 Jahre währenden menschenverachtenden Sklavenhandels. Erst 1833 endet der Sklavenhandel im britischen Kolonialreich und erst 1870 auf dem spanischen Kuba, 1873 in Brasilien. Die unbezahlte Sklavenarbeit auf den Plantagen-Kolonien in Brasilien, Westindien und dem Süden Nordamerikas bildete die „die Grundlage des merkantilistischen Überseehandels bis zum Ende des 18. Jahrhunderts“ (U. Bitterli)74 – und muss „als die wirtschaftlich effizienteste Form der großbetrieblichen Warenproduktion vor dem mechanisierten Fabriksystem der industriellen Revolution“ (J. Osterhammel)75 gelten. Über die Gesamtzahl der in einem Zeitraum von ca. 1500-1850 deportierten schwarzen Sklaven aus Afrika lassen sich offenbar keine präzisen Angaben machen; die Schätzungen schwanken zwischen 10 bis 30 Millionen Menschen, die Afrika während der Zeit des Sklavenhandels verloren hat. Als besonders profitabel erwies sich der sog. ‚Triangulärhandel‘, für den England im 18. Jahrhundert das Monopolrecht (‚assiento‘) zur Überführung schwarzer Sklaven nach der Neuen Welt inne hatte.76 Die Schiffe starteten in Liverpool mit billiger Tauschware (Glasperlen, Tücher, Branntwein, Gewehre) nach Westafrika, nahmen an der Guineaküste Sklaven auf, transportierten sie nach Westindien und kehrten von dort mit Kolonialwaren und Rohstoffen (wie Gold, Silber, Zucker, Farbhölzer, Kaffee und Tabak) wieder nach Europa zurück.77 etc. Dies alles sind bekannte historische Tatsachen – und doch scheint die europäische Erfolgsgeschichte, die sich neuzeitlich seit 1492, 1750ff. und 1789 in drei entscheidenden Umbrüchen der kolonialen, der industriellen und politischen Revolution bis in unsere Gegenwart fortschreiben lässt, ihre Nachtseite nicht zur Kenntnis nehmen zu wollen. Die Urszene – daran hat gerade jüngst Achille Mbembe erinnert – der großen europäischen Entdeckungen ist identisch mit der ‚Brandmarkung‘ des fremden Anderen als ein Wesen zwischen Tier und Mensch, als „bedrohliches Objekt“ [...] „das man loswerden oder, da man keine vollständige Herrschaft dar-

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über erlangen kann, einfach vernichten muß“78. Der Urszene kolonialer Bemächtigung bleibt von vornherein das Prinzip rassischer Klassifikation eingeschrieben: Nur so gelingt die Ausgliederung nicht-europäischer Völkerschaften als „geschlagen mit einem minderen Sein“79, gezeichnet von den Brandmalen rassischer Inferiorität – und nur so legitimiert sich die ‚notwendig-vernünftige‘ Tilgung ‚minderen Seins‘, die sich als ‚Wahrheit der Geschichte‘ (Leclerc)80 ausgibt. Die Erinnerung an bekannte historische Tatsachen soll vor allem dazu dienen, sich einiger kontextueller Eckdaten zu vergewissern, die für bestimmte insel-utopische Texte des 18. Jahrhunderts mehr oder weniger hintergründig von Bedeutung sind. Die spezifische Narrativierung des kolonialen ‚Ur-Diskurses‘ (der sowohl der triumphalen Tagseite, als auch, zumindest teilweise, der katastrophischen Nachtseite der europäischen Expansion gerecht wird) lässt sich an drei prominenten Texten Daniel Defoes, Johann Gottfried Schnabels, J. Henri Bernardin de Saint-Pierres beschreiben: • „The Life And Strange Surprizing Adventures of Robinson Crusoe, of York Mariner: who lived Eight and Twenty Years, all alone in an unhabited Island on the Coast of America, near the mouth of the Great River Oroonoque; Having been cast on shore by shipwreck, where in all the Men perished but himself […]“ London 1719. • „Insel Felsenburg – Wunderliche Fata einiger See-Fahrer – absonderlich Alberti Julii, eines gebohrenen Sachsens, welcher in seinem 18ten Jahr zu Schiff gegangen, durch Schiff-Bruch selbst an eine grausame Klippe geworffen worden, nach deren Besteigung das schönste Land entdeckt [...]“ Nordhausen, 1731f. • „Paul et Virginie“, Paris 1788. Ein Engländer, ein Deutscher und ein Franzose verfassen am Anfang, fast in der Mitte und am Ende des Jahrhunderts ihre utopischen Erzählungen. Alle Bücher werden Bestseller in ihrer Zeit. Der große Publikumserfolg allein des Robinson-Romans, die Übersetzung in fast alle europäischen Sprachen, lässt Rückschlüsse zu auf das zeitgenössische Interesse an utopischen Experimenten in der Weite des Raums, jenseits der engen Grenzen der jeweiligen Mutterländer. Das 18. Jahrhundert, der Zeitraum, in dem die Bücher zwischen 1719-1731-1788 erscheinen, ist kolonialgeschichtlich bestimmt durch den berühmt-berüchtigten Dreiecks-Überseehandel (Europa – Afrika – amerikanische Kolonien – Europa). Der transatlantische

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Überseehandel, der die florierende Plantagen-Wirtschaft in den Kolonien laufend mit ‚Menschen-Ware‘ versorgte, wurde über europäischen Häfen wie Liverpool, London, Bristol oder Nantes, Saint-Malo oder La Rochelle abgewickelt und gehörte zum europäischen Alltag. Den Autoren und dem Lesepublikum der utopischen Insel-Abenteuer war die Aufteilung der Welt in die kolonialen Peripherien und die großen kaufmännischen Zentren Europas – Lissabon, Amsterdam, Antwerpen, London – eine vertraute Realität. Bis zum ersten Auftritt der Abolitionisten in den 60er Jahren und der kolonialkritischen Aufklärer am Ende des Jahrhunderts verstand man die Herrschaft der Europäer über Völker und Räume in Amerika und Asien als zivilisatorische Normalität; die Akkumulation von Reichtum durch Sklavenarbeit und die ‚Verwandlung‘ des rassisch-diskriminierten ‚Neger-Sklaven‘ zu einer ‚pièce d’Inde‘, einem bloßen Handelsobjekt, betrachtete man als gerechtfertigt und nicht weiter begründendswert. Die europäischen Seemächte konnten im 18. Jahrhundert auf eine 200jährige koloniale Praxis zurücksehen, Zeit genug, um die koloniale Weltordnung als Normalzustand zu erfahren. Die Texte Defoes, Schnabels und de Saint-Pierres spiegeln diese europäische Weltordnung und beziehen sich auf den Kontext einer rasant gewachsenen Übersee-Mobilität – des transatlantischen Schiffsverkehrs zwischen Zentrum und Kolonie – der Öffnung der Räume, der Auf brüche in neue Welten. So erzählen diese Erfolgsautoren Geschichten von Seefahrern auf Routen über den atlantischen und indischen Ozean, von den notorischen Schiff brüchen an notorisch-pradiesischen Inseln, die wiederum real-kartographisch verortet werden: nahe der Orinoko-Mündung, nicht weit von Trinidad (Robinson), jenseits des Caps der Guten Hoffnung, auf dem Wendekreis des Steinbocks (die Felsenburger) oder auf der Ile de France, nahe Madagaskar gelegen am Seeweg nach Kalikut an der indischen Westküste (Paul et Virginie). Die kartographische Verortung der ‚paradiesischen Insel‘ scheint eindeutig und ausschließlich auf die geschichtliche Gegenwart des kolonialen Zeitalters hinzudeuten; das inselhafte Paradies aber kann als Topos auf das platonische Atlantis im atlantischen Meer ebenso verweisen wie auf das ‚irdische Paradies‘: auf den „gegen Morgen“ liegenden biblischen Garten Eden. In jedem Fall stehen rational-kartographische oder topisch-symbolische Verfahren der Aneignung der ‚Fremde‘ eines unvertraut-tropischen Raums von Inseln

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in der Ferne der Ozeane zur Verfügung. Die kartographisch-symbolische Vernetzung sichert die Eingemeindung des ‚fremden Orts‘ in die mythisch-atlantisch-morgenländische Herkunftsgeschichte Europas – ohne Rücksicht auf potentiell andere (Vor-)Geschichten. Nichts darf ‚fremd‘ bleiben, alles muss zu ‚eigen‘ gemacht werden. Entsprechend erfährt der ‚koloniale Diskurs‘ eine weitere Bedeutungsverschiebung. Deutlich tritt in den drei Insel-Erzählungen das Moment der Territorialität hervor. Gleichbleibend gilt es, bestimmte räumliche Programme auf fremden, menschenleeren Inseln zu installieren: Mit der Stiftung von territorialer Ordnung in der Leere des ‚wilden Raums‘ – so in der rigiden Scheidung von Innen- und Außenraum, in der Grenzziehung zwischen Mitte und Rand oder der Orientierung nach Achsen der Himmelsrichtungen – vollzieht sich die An-Eignung der Wildnis. Symbolische Bedeutung gewinnt die Hierarchisierung der Raumquartiere. Vor allem die überprägnante Privilegierung des (gesicherten) Innen-Raums, der den Bedürfnissen des Kolonisators nach Selbstvergewisserung, nach Identitätsgewissheit 81 und nach Kontrolle Genüge tut, lässt sich als erfolgreiche koloniale Strategie deuten. So rasch wie möglich ist der Insel-Siedler bestrebt, einen InnenRaum als Eigen-Raum gegen den Außen-Raum als Fremd-Raum zu behaupten. Innen entstehen Exklaven kultureller Identität und Ordnung, außen drohen Chaos und Tod; Felsen-Mauern und Zäune umgrenzen einen verborgenen ‚paradiesischen Ort‘ und bieten Schutz vor der bedrohlichen Wildnis der Natur, vor der angsterregenden Erscheinung des Anderen: des Eingeborenen, des Wilden, des Kannibalen. Schließlich verleiht die symbolische Orientierung am Leit-Topos des biblischen Paradieses der Territorialität den Charakter kultureller Exklusivität: Das ‚weiße‘ Paradies erscheint wie eine ‚gated community‘ mit streng kontrollierten Zugängen, mit Schranken und Mauern, die den Fremden abwehren. Robinson erbaut sich seine Wohnstätte in einem Halbkreis vor einer Felswand mit Höhle weit oben auf einem Berghügel an der Küste und umgrenzt einen kleinen Bereich mit einem hohen Zaun aus Pfählen. Auf diese Weise sieht er sich „gegen alle Welt umzäunt und verschanzt“: „[...] complaetly fenced in, and fortify’d, as I thought, from all the world [...]“82 . Sein kleines Paradies findet Robinson in der Mitte der Insel: „ein köstliches Tal“ („delicious vale“), „das Land war so frisch, so grün, so blühend,

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alle Dinge in stetem Grün und Frühlingsglanz, dass es einem gepflegten Garten („planted garden“) gleicht.“83 Die ‚Felsenburger‘ siedeln sich von vornherein auf einer Insel an, die nach außen, gegen das Meer, „von der Natur mit dergleichen starcken Pfeilern und Mauren umgeben, und [...] verborgen gehalten wird“.84 Innen öffnet sich das paradiesische Tal: „das schöne Paradieß, woraus vermutlich Adam und Eva durch Cherub verjagt wurden“.85 Der Innenraum des Tales erhält seine räumliche Gliederung nach dem Bilde des biblischen Garten Eden mit den vier paradiesischen Flüssen; in der Mitte erhebt sich statt des Baums der Erkenntnis die Burg des Patriarchen Albertus Julius. Johan Gottfried Schnabel: Insel Felsenburg, 1731-1735

(wikipedia.org/Literaturkarten, 29.10.16)

Die Mütter von Paul und Virginie kommen auf die bereits kolonisierte Île de France (das spätere Mauritius) und suchen eine „verborgene Zufluchtstätte, um allein und ungekannt leben zu können“.86 Sie erbauen ihre Hütten in einem von hohen Felsen umschlossenen Talgrund – weit entfernt von der Hafenstadt Port-Louis – um sich mit ihren Kindern (Paul/

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Adam und Virginie/Eva) fern der Welt auf das pardiesische Experiment eines menschheitsgeschichtlichen Neuanfangs einzulassen.87 Die Narrativierung des ‚kolonialen Diskurses‘ führt in diesen repräsentativen Leit-Texten des 18. Jahrhunderts zu scheinbar widersprüchlichen Profilierungen: Außenraum und Innenraum – Ausschluss und Einschluss – Öffnung und Abschließung legen antithetische ExtremPositionen fest: Einerseits sollen die einzelnen Inseln (realfiktiv) im weiten, zeitgenössisch viel befahrenen und kartographierten, ozeanischen Kolonial-Raum (in der Nähe Trinidads, des Cap der Guten Hoffnung, der Insel Mauritius etc.) lokalisierbar sein – andererseits bleiben die quasi-paradiesischen Exklaven auf den Inseln als umfriedete, umzäunte und ummauerte InnenRäume verborgene, unzugängliche und abgeschlossene Orte. Einerseits ist die räumliche Abschließung von der Außenwelt die Bedingung einer zeitlichen Rückkehr in den paradiesischen Ursprungs-Zustand – verbunden mit der Vision eines individuellen (Robinson/Paul und Virginie) oder kollektiven (Felsenburger) Neuanfangs – andererseits kann es eine totale Abschließung von der Außenwelt der eigenen Herkunftsländer nicht geben, da die Inseln immer schon jenem ozeanisch-westund ostindischen Kolonial-Raum zugehören, der zu diesem Zeitpunkt von den europäischen Seemächten beherrscht wird, so dass auch diese menschenleeren Inseln immer schon den ‚natürlichen‘ Besitzansprüchen der Europäer unterworfen sind. Einerseits besteht so zwischen den abgeschlossenen Innen-Welten der Insel-Exklaven und der Außenwelt der Herkunftsländer immer Austausch und Verkehr – andererseits gerät die Abgrenzung gegenüber der ganzen Außenwelt nicht-weißer Völker in der unmittelbaren räumlichen Nachbarschaft umso rigider. Nur unter diesen Bedingungen des vollkommenen Ausschlusses des Anderen und der Behauptung eines eigenen zentralen Territoriums inmitten einer fremden Welt lassen sich diese Insel-Entwürfe exklusiver ‚weißer‘ Paradiese der Selbstverwirklichung denken. Offenbar bedarf es ja der ‚wilden Außenwelten‘, ja sogar der geographischen Nähe zu den inzwischen unterworfenen Ureinwohnern Amerikas und Afrikas, um auf den vorgelagerten, ‚menschenleeren‘ Inseln – die gleichzeitig vor unmittelbaren Berührung mit ‚Primitivität‘ und ‚Barbarei‘ auch wieder schützen – diese totale Abschließung als Behauptung des Eigenen gegenüber dem Fremden zu entwerfen. Die ausgeschlossene

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‚wilde Welt‘ hätte so lediglich die Funktion des Kontraposts zur Bildung zivilisierter Stützpunkte europäischer Kultur im außereuropäischen Raum. Die aus dem Geist der kolonialen Weltbemächtigung geborene Vorstellung von jederzeit verfügbarem, unberührten, menschenleeren Raum jenseits der Grenzen der ‚Alten Welt‘ lässt die entlastende Vision eines Ortes zu, an dem sich die real-koloniale Gewalt von Unterwerfung, Ausrottung und Massaker niemals gezeigt hat oder jemals zeigen wird. Die populären Leittexte der Epoche (Defoe, Schnabel, Saint-Pierre) können ihrem Publikum nun jene utopischen (Insel-)Orte vorstellen, an denen die gewaltbereinigte, humane Vision einer besseren: bürgerlich-patriarchalisch-christlichen Gesellschaft sich etablieren kann. Aber auch im Rahmen dieser utopischen Vision verharren die eher zufälligen (Rand-)Beziehungen der Europäer zu Ureinwohnern (vgl. Robinson Crusoe) weiterhin erstarrt auf dem Niveau der Anfänge von 1492, wonach sich jeder transkulturelle Verkehr nach den Rollenmustern von Herr und Sklave, von Zivilisiertem und Wildem regelt. Ob sich die ersten ‚weißen Bewohner‘ dieser homogenen Insel-Exklaven nun im ‚Exil‘ oder im ‚Asyl‘ (F. Brüggemann) befinden, erscheint unerheblich gegenüber der Tatsache, dass der Insel-Ort potentiell immer geöffnet bleibt für nachfolgende (weiße) Bewohner aus den Herkunftsländern. So übergibt Robinson ‚seine Insel‘ als Kolonie an spanische und englische Siedler – so pflanzen sich die Felsenburger fleißig fort und erhalten ausgewählten Zuzug aus der ‚Alten Welt‘, während die Ile de France, wo Paul und Virginie ihr Glück suchen, schon längst französische Kolonie ist. Weder langfristiges Asyl noch eher kurzfristiges Exil beschreibt den Charakter dieser Gegen-Orte zur jeweiligen Außenwelt. Was sich schon für die frühen Insel-Utopien (Morus, Campanella, Bacon) andeutete, befestigt sich im 18. Jahrhundert: Der exotische Gegen-Ort gewinnt Züge des in den folgenden Jahrhunderten (real) ausbildenden Heterotops – als in die Einrichtungen der europäischen Ausgangsgesellschaften hineingezeichneter „Ort außerhalb aller Orte“, wiewohl tatsächlich verortet, „gleichzeitig isoliert und durchdringlich“88, abgeschlossen und offen. Die koloniale Revolution tritt in eine neue Phase. So gehört es zur Besonderheit dieser repräsentativen Insel-Erzählungen des 18. Jahrhunderts, dass die Heterotope zu Schauplätzen werden, auf denen das neuzeitliche Individuum seinen Auftritt erlebt. Die paradigmatischen Lebensläufe Einzel-

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ner – ob nun Robinson oder Albertus Julius, Capitain Leonhard Wolfgang oder Paul und Virginie – spiegeln den kolonialen Kontext ihrer frühbürgerlichen Auf brüche. Der Vater Virginies kommt aus Frankreich auf die Île de France, um dort eine Niederlassung zu gründen, und stirbt an tropischem Fieber auf Madagaskar, wo er ‚etliche Neger‘ als Sklaven einkaufen wollte. Die Mütter von Paul und Virginie beschäftigen selbstverständlich freundliche, willige Negersklaven. Capitain Leonhard Wolfgang gerät auf die Insel Felsenburg, nachdem er „ein abenteuerliches Seefahrer-Leben hinter sich hat“; seine Vorgeschichte ist untrennbar verknüpft mit der Öffnung der ‚Alten Welt‘ auf den neuen west- und ostindischen Verkehrsraum der Ozeane; sein Lebenslauf lässt sich verfolgen entlang der Routen der kommerziellen und freibeuterischen Seefahrt dieser Epoche: von Amsterdam über die Canarischen zu den Caribischen Inseln Hispaniola, Cuba oder Curacao oder über St.Helena ans ‚cap de bonne espérance‘ oder nach Batavia auf Java. Mit einem holländischen „Frey-Beuter-Schiff“ macht er Jagd auf die „bey der Insel Cuba versammelte spanische Silberflotte“; auf dem Weg zum holländischen Curacao wird ein mit „Cacao, Banille, Marmelade, Zucker und Toback beladenes Schiff“ aufgebracht, wenig später fallen drei Barken mit Perlen-Austern – „ohne vieles Blutvergiessen“ – in die Hände der Freibeuter; schließlich kann er „einen ziemlichen Schatz an Gold, Silber, Perlen und anderen kostbaren Sachen“ sein eigen nennen etc.89 Der Blick fällt auf Szenen der alltäglichen kolonialen Praxis in einem System, das auf Gewalt und Ausbeutung, auf Sklavenhandel und Sklavenwirtschaft beruht, zum Leben auf den utopischen Insel-Exklaven in größtem Gegensatz. Zeitlich in die ‚Vorgeschichten‘, räumlich in die Außenräume verbannt und externalisiert, bleibt in der konflikt-bereinigten Welt der Exklave ‚Gewalt‘ – und auch ‚Sexualität‘ tabuiert. Seine sexuellen Abenteuer erlebt Capitain Leonhard Wolfgang am ‚cap de bonne espérance‘ mit einer javanischen Prinzessin: Der entfernte Ort des kolonialen Raums muss der Ort ungehemmter, entzügelter Sexualität sein, der weibliche Partner ‚notwendig‘ eine nicht-europäische, farbige Frau. Im exklusiven Innenraum der Insel Felsenburg ist dieses Element ‚freier Sexualität‘ (noch) abgespalten; erst die exotistischen Heterotope des 19. Jahrhunderts werden gerade dieses ausgeschlossenen Element emphatisch einschließen (vgl. Loti, Gauguin u.a.).

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Robinson schließlich lebt 28 Jahre frauenlos auf einer einsamen Insel, in einem Zustand eremitenhafter sexueller Ent-Fremdung und offenbart in seiner Person (fast) alle Facetten einer ‚kolonialen Existenz‘: ob nun als brasilianischer Plantagenbesitzer und Sklavenhändler, als rational kalkulierender Kaufmann oder als puritanischer Einsiedler und Missionar, als Kolonist und Rückkehrer in die ‚Alte Welt‘. Robinson erscheint als die – im Vergleich – komplexeste Epochen-Figur des kolonialen Narrativs. Der immense Erfolg des Robinson-Romans aus dem Jahr 1719 bis in unsere Gegenwart lässt den Schluss zu, dass gerade dieses facettenreiche Persönlichkeits-Profil eine zeitgenössisch kollektiv akzeptierte Norm des asymmetrischen Verkehrs zwischen dem europäischen Kolonial-Herren und den kolonisierten Indigenen widerspiegelt und bestätigt. Der literarische insel-utopische Text trägt dazu bei, den ursprünglich doppelperspektivisch geführten ‚kolonialen Diskurs‘ normativ-affirmativ zu verengen. Robinson tritt in den stereotypen Rollen gegenüber dem fremden Anderen auf: als Herr gegenüber dem Sklaven, als Weißer gegenüber dem Schwarzen, als Europäer gegenüber dem ‚Neger‘, als Zivilisierter gegenüber dem Wilden. Innerhalb des Spiel-Zeitraums der Seefahrten des Helden zwischen 1651 (erste Ausfahrt) und 1687 (endgültige Rückkehr nach England) beginnt Robinson seine Karriere als erfolgreicher Händler und Guineafahrer; er erweist sich als genau rechnender Geschäftsmann und macht mit dem Einsatz billiger Ware („toys and trifles“) an der Guineaküste gute Geschäfte. Die Guineaküste war zu dieser Zeit der Hauptumschlagplatz des von den Portugiesen und Spaniern monopolisierten Sklavenhandels. Diesen Umstand macht sich Robinson einige Zeit später in Brasilien zunutze, nachdem der ‚clevere‘ Kolonial-Entrepreneur zum wohlhabenden Zucker-Plantagen-Besitzer geworden war und eine Reise an die Guineaküste plant, um im Tausch gegen Billigware teure schwarze Sklaven in großer Zahl nach Brasilien zu importieren: „[...] to purchase upon the coast, for trifles, such as leads, toys, knives, scissors, hatches, bits of glass, and the like, not only gold dust, Guinea grains, elephants teeth, but negroes, for service of the Brasils, in great numbers.“90

Allein der Zitat-Ausschnitt kann verdeutlichen, in welchem Ausmaß die rechnerische Versachlichung des schwarzen Menschen zur bloßen Handelsware – einer pièce d’Inde – fortgeschritten war. Achille Mbembe

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spricht von einer ersten Phase der „organisierten Entrechtung, als man Männer und Frauen afrikanischer Herkunft für die Zwecke des transatlantischen Sklavenhandels (15. bis 19. Jahrhundert) in menschliche Objekte, menschliche Ware, menschliches Geld verwandelte“.91 Der Erzählstrang des Romans, der uns den Helden, Robinson Crusoe, als Plantagenbesitzer und Sklavenhalter und -händler vorstellt, wird meist ausgeblendet und vergessen oder ist überhaupt schon in Ausgaben für die Jugend gestrichen. Defoe aber zeichnet seinen Protagonisten als einen zeitgenössisch-repräsentativen Akteur, der bei seinen Tauschgeschäften an der Guineaküste von Skrupeln nicht im geringsten berührt zu sein brauchte. Dass er Menschen einkauft wie Sachen, erscheint ihm, da es sich um ungläubige ‚Neger‘, Angehörige einer ‚niederen Rasse‘ von Wilden und Barbaren handelt, als vollkommen gerechtfertigt im Rahmen einer ‚von Gott gewollten Ordnung‘, die eine natürliche Hierarchie der Völker und Rassen vorsieht. Über die Schrecken und Grausamkeiten einer fast 300jährigen inhumanen Sklavenwirtschaft sind wir inzwischen gut informiert. Bei der Analyse des ‚kolonialen Diskurses‘ in seinen literarischen Artikulationen jedoch soll hier im Vordergrund stehen, wie diese prominenten Texte nachhaltig dazu beigetragen haben, einerseits die triumphale Geschichte der kolonialen Revolution fortzuschreiben – andererseits die Abspaltung der genozidalen Anteile, der ganzen gewalttätigen Vorgeschichte der Ausrottungen zu betreiben – als bedeutungslos für unsere Gegenwart. Noch zu Lebzeiten des Autors Defoe (1659-1731) ging „das Monopolrecht zur Überführung schwarzer Sklaven nach der Neuen Welt [...] das sogenannte assiento [...] an England“92 – und erst 1792/3 traten die abolitionistischen Quäker in öffentlichen Kampagnen gegen den Sklavenhandel in Erscheinung. Robinson – von Defoe als kolonialer Akteur noch in die Hochzeit des Sklavenhandels platziert – trifft auf verschiedenen Ebenen mehrfach in Kontakt mit dem fremden Anderen – schwarzen Sklaven, Muslimen, dunkelhäutigen Eingeborenen und Kannibalen – einmal mehr aus der Distanz des Plantagenherren oder aus der Ferne des erschreckten Beobachters mit dem Fernglas, das andere Mal mehr aus der Nähe des skrupellos seine Flucht Durchsetzenden, schließlich aus allernächster Nähe des Helfers und Retters, des Missionars und Erziehers. Alle Kontakte ereignen sich in Form asymmetrischer Kommunikation von Befehl und Belehrung, Sprachhandlungen, die rasch in Aggression münden können.

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Bei seiner Flucht aus türkischer Gefangenschaft wirft Robinson zuerst einen hinderlichen ‚Mauren‘ unsanft über Bord („tost him clear over-board into the sea“),93 einen weiteren Fluchthelfer Xury; der ihm bei ‚Mahomets Bart‘ Treue geschworen, verkauft er an einen portugiesischen Schiffskapitän. Mit allergrößtem Erschrecken erblickt Robinson auf ‚seiner‘ Insel nackte Wilde, die sich viehisch und barbarisch („brutish and inhumane“)94 ihrem kannibalischen Mahl widmen und von denen er später in einem Massaker 21 töten wird. Die Begegnung mit dem ‚bösen Wilden‘, dem Kannibalen, aber führt im gleichen Augenblick auch zu der Begegnung mit dem ‚guten Wilden‘, Freitag. Diese Schlüssel-Szene offenbart Grundmuster des (post-)kolonialen Verkehrs mit dem Anderen – wie sie sich latent bis zum heutigen Tag in Form von Diktat und Intervention erhalten haben. Letztlich wird es immer darum gehen, den Widerständig-Anderen zum Verschwinden zu bringen, entweder in kruden Akten der Auslöschung und des Tötens oder der Versklavung, in Akten der Assimilation und Eingliederung auf der untersten Stufe der gesellschaftlichen Hierarchie. Das erste Wort, das Freitag in der fremden Sprache zu lernen hat, ist das Wort: ‚Herr‘ („I likewise taught him to say Master, and then let him know, that was to be my name.“).95 Die erste Handlung an ihm wird sein, die ‚wilde Nacktheit‘ zu beseitigen, indem ihm eine Hose und eine Jacke aus Ziegenfell angepasst wird. Die Überreste des kannibalistischen Mahls, Hirnschalen, Knochen und Fleischfetzen, werden schnellstens verbrannt, die getöteten Kannibalen vergraben, die sich noch regenden kannibalistischen Lüste, die dem ‚guten Wilden‘ beim Anblick der Reste das Wasser im Munde zusammenlaufen lassen, werden ihm ausgetrieben. Vom ersten Augenblick an sind somit die Positionen im Rollenspiel von Herr und Knecht, Kolonist und Sklave fest zugeordnet. Robinson tritt gegenüber dem Wilden überdies in der Rolle des überlegenen weißen Lebensretters auf; in der Rolle des Erziehers macht er sich anheischig, den ‚verirrten Wilden‘ aus den Zwängen einer primitiven und barbarischen Gesellschaft zu befreien. Gegenüber dem bedrohlich-bösen Wilden bedient sich Robinson der üblichen kolonialen Waffen der Gewalt und Tötung – wenn auch anfänglich nur aus Notwehr. Gegenüber dem ‚guten Wilden‘, der sich vor ihm unterwürfig auf den Boden legt, kommt das Instrument ‚natürlicher‘ paternalistischer

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Vormundschaft zum Einsatz. Der ‚unmündige‘ Wilde wird aus den Bindungen an seine eigene Herkunft herausgelöst, ohne ihm jemals die Sehnsucht nach seiner heimatlichen Welt nehmen zu können: [...] any hankering inclination to his own country again [...]“.96 Bevor die Abolitionisten und die aufklärerischen Philosophen am Ende des 18. Jahrhunderts bestimmte Prämissen und Praktiken des Kolonialismus reflektiv und moralisch in Frage stellen werden, konnten diese Grundannahmen der Vorherrschaft des ‚weißen Mannes‘ am Anfang des Jahrhunderts für den Robinson-Text Defoes noch ganz selbstverständlich ihre geschichtliche Gültigkeit beanspruchen. Die seit zwei Jahrhunderten eingeschliffenen Praktiken und Strategien hatten längst den Status ‚alternativloser‘ Normalität angenommen. Das galt besonders für die Praxis der wertenden Einstufung von ‚Völkerschaften‘ und ‚Rassen‘ nach binären Merkmalen absoluter Differenz: fortgeschritten vs. retardiert; mündig vs. unmündig; menschlich vs. animalisch; etc., was sehr bald dazu führte, von höheren und niederen, assimilationsfähigen und assimilationsunfähigen Rassen zu sprechen. Im Vollzug des transatlantischen Sklavenhandels wurde den versklavten Afrikanern (als ‚Neger‘) die unterste Stufe angewiesen (schwarz, wild, bedrohlich, unmündig, animalisch etc.). In diesen ‚Sortierungen‘ und ‚Einstufungen‘ konnte auch Defoe die Konturen einer ‚wahren‘ Beschreibung der gottgewollten Ordnung der Welt erkennen. Defoe fügt seinem Konstrukt des guten Wilden (am Beispiel der assimilationsfähigen und -willigen Figur Freitags) und des ‚bösen Wilden‘ (am Beispiel der assimilationsunwürdigen Kannibalen) in Bezug auf die Gewaltanwendung allerdings eine kritische Passage an. Das (utopische) Konstrukt des ‚edlen, guten Wilden‘ operiert wie das (dystopische) Gegen-Konstrukt des ‚bösen Wilden‘ mit einer Reihe gut eingeführter Heterostereotypen (vgl. Columbus). Zunächst geht es bei der auffälligen Beschreibung der körperlichen Schönheit ‚des anmutigen Burschen‘ („handsome fellow“) darum, jegliche irritierende Fremdheits-Anmutung zu minimieren oder ganz zu löschen; seine Erscheinung erregt von vornherein Wohlgefallen, da sie für das europäische Auge den ästhetischen Standards des Anmutig-Schönen voll entspricht. Das Konstrukt ästhetisch-sinnlicher Wohlgefälligkeit bedient sich einer ganzen Kette von Merkmal-Zuschreibungen, die den fremden Anderen, den nackten Wilden, davor schützen, von dem Europäer mit Abscheu und Widerwillen wahrgenommen zu werden – wie umge-

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kehrt den Europäer davor, vom Schock des hässlich-abstoßenden Anderen betroffen zu werden. (Eine Gunst, die dem schwarzen Afrikaner nicht zuteil wurde.) Die Zuschreibung von signifikanten Merkmalen – wie: „handsome – perfectly well made – tall and well shaped – a very good countenance – hair was long and black – sparkling sharpness of his eyes – the colour of his skin was not black […] but of a bright kind of dun olive colour – a very good mouth, thin lips, and his fine teeth well set, and white as ivory”97 muss als erstaunlicher Versuch einer ästhetischen Bemächtigung des ‚fremden Körpers‘ gesehen werden, den man sich auf diese Weise bis in die Details zu eigen gemacht hat. Überdies dient die Merkmal-Zuschreibung der überdeutlichen Ausgrenzung von ‚Rasse-Körpern‘, die offenbar zu einer derartigen An-Eignung weniger gut taugen. Vor allem scheint es Defoe in seinem Konstrukt um die Abgrenzung von anderen Eingeborenen – wie den brasilianischen Indios, den Indianern Nordamerikas oder im besonderen Maße von den ‚Negern‘ Afrikas zu gehen: Die Nase Freitags, seines ‚edlen Wilden‘, ist nicht flach, wie bei den Negern („not flat like the negroes“); seine Haare, nicht kraus und wollig („not curled like wool“) wie bei den Negern; seine Haut, nicht schwarz, wie bei den Negern, nur sehr dunkel, aber nicht von der hässlichen, ekligen gelblichen Dunkelheit wie bei den Brasilianern und Virginiern und anderen Eingeborenen Amerikas („not of an ugly yellow nauseous tawny [...]“). Deutlich handelt es sich um eine Form negativer Ausgrenzung: Um eine Vorform der Exklusion auf Grund physisch-physiognomisch-körperlicher Merkmale, die einem Rasse-Stereotyp des ‚Negers‘, des Indianers oder Indios zugeschrieben werden. Dass Defoe sein Konstrukt des ‚edlen Wilden‘ schließlich noch mit dem Wesensmerkmal versieht, „in seinem Gesicht [...] etwas sehr Männliches“ zu zeigen „und doch [...] auch alle Weichheit und Sanftmut eines Europäers“ („all the sweetness and softness of an European“), treibt den Versuch der Austreibung von Fremdheit und An-Eignung auf die Spitze. Weder aus der Perspektive des Autors als Zeitgenosse der europäisch-britischen Kolonialherrschaft um 1700, noch aus der Perspektive seiner Figur (Robinson) als Sklavenhändler und -halter scheint die Selbsteinschätzung (sweetness, softness) so recht mit ihrer Rolle im ‚System‘ in Einklang zu stehen.

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Der ‚edle Wilde‘ Freitag stellt den utopischen Glücksfall einer perfekt verlaufenden, gewaltfreien Assimilation dar: Die Angleichung als schrittweise zum Verschwinden gebrachte Andersartigkeit wird erleichtert durch die Projektion einer im europäisch-ästhetischen Sinne kouroshaften Schönheit und Harmonie des jugendlichen Körpers. Die Aneignung des Fremden kann sich umso erfolgreicher vollziehen, als der schöne Wilde sich widerstandslos in das Rollenspiel von Herr und Diener, später von Vater und Sohn fügt: „[...] never man had a more faithful, loving, sincero servant, than Friday was to me; without passions, sulleness, or designs, perfectly obliged and engaged; his very affections were t’yd to me, like those of a child to a father [...]“98

Vor allem mit der letzteren Konstellation wird ein folgenreiches RollenStereotyp aufgerufen und befestigt, das eine reale Superioritäts-Beziehung des Europäers gegenüber dem Wilden in eine privat-intime Familienbeziehung eines sorgenden Vaters zu seinem folgsamen Sohn umzudeuten in der Lage ist. Gerade dieses kolonial-typische Stereotyp zeigt sich bestens geeignet, Herrschaftsverhältnisse als Erziehungsverhältnisse erscheinen zu lassen und die weiter bestehende Differenz von Herkunft und Sozialisation – und am Ende auch von ‚Rasse‘ – zu verschleiern. Andererseits ist das koloniale Vater-Sohn-Stereotyp – wie bekannt – im Sinne einer Evolutionsgeschichte der Kulturen, ‚Völker‘ und ‚Rassen‘ als Zeitmuster zu verstehen, nach dem ‚der Vater‘ (im Autostereotyp des Europäers) auf der Entwicklungslinie am weitesten fortgeschritten ist gegenüber dem ‚Sohn‘ (im Heterostereotyp des Wilden) als noch auf einer frühen Stufe der Entwicklung Stehenden. „Die Wilden sind (demnach) unsere zeitgenössischen Vorfahren“.99 Die Vielfalt ihrer primitiven, anachronistischen Lebensformen wird der Einebnung zum Opfer fallen, wenn man das evolutionsgeschichtliche Ziel einer homogenen Weltgemeinschaft im Auge hat. Der auf dieser einsamen Insel im atlantischen Ozean fremde Robinson beginnt sein Erziehungswerk an einem Wilden, der diesen Raum als seine eigene Welt wahrnehmen muss. Zu keinem Augenblick aber kann der Wilde damit rechnen, dass er von dem Europäer in seiner ‚Eigenart‘ anerkannt wird, dass er in seiner Andersartigkeit belassen wird. Aus eurozentrischer Perspektive befindet er sich an der zivilisatorischen Peri-

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pherie, am Nullpunkt des Naturzustandes, den es in Richtung auf den ‚Kulturzustand‘ eines Zivilisierten zu verlassen gilt: Alle Prägungen seiner ‚wilden Herkunft‘ verfallen der Löschung. Der Erziehungsprozess setzt ‚außen‘ am Körper ein mit der Ächtung von Nacktheit, dem KleiderGebot und der Unterdrückung kannibalistischer Lüste, dem Verbot der Menschenfleisch-Fresserei; weiterhin geht es um das Erlernen von Fertigkeiten wie etwa: Brot-Backen, Rudern, Segeln, vor allem den Umgang mit Gewehr und Muskete. Im Mittelpunkt der geistigen Unterweisung steht natürlich der Sprachunterricht, womit für den Wilden die Übernahme der für ihn fremden sprachlichen Weltsicht verbunden ist. „Friday began to talk pretty well and understand the names of almost every thing I had occasion to call for.“100 Es sind in der Tat die N a m e n: der Name des wahren Herren (Master), den Robinson für sich reklamiert und der Name des wahren Gottes („the true God – the great Maker of all things [...]“), von Jesus („Jesus Christ being sent to rendeem us [...]“)101 – die wie Implantate die neue hierarchische Ordnung im ‚kindlichen Geist‘ des Wilden befestigen. In dem Maße, wie der christliche Monotheist Robinson über die Wahrheit ‚der letzten Dinge‘ verfügt, kann die Austreibung von „old Benamuckee“, des Gottes der Wilden, nur noch eine Nebensache sein. Die Bibellektüre schließt den Prozess der Assimilation, der totalen Angleichung unter Verlust des ‚Eigenen‘ ab: „I mean [...] the same plain instruction sufficiently served to the enlightning this savage creature, and bringing him to be such a Christian, as I have known few equal to him in my life.“101 Überdies bezeichnet Robinson die Jahre, die er mit Freitag verbracht hat, als eine Zeit „ungetrübten Glücks“: „[...] years which we lived there together perfectly and compleatly happy, if any such thing as compleat happiness can be formed in a sublunary state.“102 Nichts könnte die enthusiastische und utopisch-triumphale Seite des ‚kolonialen Diskurses‘ besser zum Ausdruck bringen als diese Passage. Das utopische Projekt einer idealen Gemeinschaft des weißen Mannes und des dunkelhäutigen Wilden und ehemaligen Kannibalen – einer ‚rassen-übergreifenden‘ Männer-Freundschaft – scheint ganz und gar erfolgreich abgeschlossen zu sein, wobei ein latent erotisches Moment nicht ausgeschlossen ist. Robinson begleitet den Auftritt des ‚guten und schönen Wilden‘ mit der Frage nach der Gerechtigkeit der göttlichen Ordnung, die so vielen Geschöpfen bei gleicher Ausstattung mit den Kräften der Vernunft und

III. Die territoriale Ordnung der Kolonie

der Leidenschaft „die rettende Erkenntnis“ vorenthält und die Heilswahrheit des Christentums „vor so vielen Millionen Seelen“ geheim hält. In einer Art Theodizee aber sagt er sich schließlich, dass diese Millionen Seelen auf irgendeine Weise „gegen das Licht gesündigt“103 haben müssen: Sie haben also ihren Heils-Ausschluss selbst verschuldet. Das Konstrukt des ‚guten Wilden‘ und des ‚guten Weißen‘ – als die lichte utopische Seite des ‚kolonialen Diskurses‘ – bleibt wechselseitig bezogen auf das entsprechende Konstrukt des ‚bösen Wilden‘ und des ‚bösen Weißen‘ – in Gestalt der spanischen Konquistadoren – als die dunkle, dystopische Seite. Der Roman ist komplex genug, alle Korrelationen – wenn auch in unterschiedlicher Gewichtung – narrativ anschaulich werden zu lassen. Wie tritt der ‚böse Wilde‘ auf? Der ‚böse Wilde‘ ist vornehmlich Kannibale – ein Wesen, das zu einer derartigen Unmenschlichkeit fähig ist: „to something so much below even brutality itself, as to devour its own kind.“104 Mit äußerstem Entsetzen steht der zivilisierte Europäer auf dem Platz, „where [...] the savage wretches had sat down to their inhumane feastings upon the bodies of their fellow-creaturs;“105 die Vorstellung eines Abgrunds – „a pitch of inhuman, hellish brutality“ – ergreift ihn beim Anblick dieses grausamen Spektakels; Schrecken erfüllt ihn bei dem Gedanken, auf welche Weise die menschliche Natur an einen Punkt jenseits der zivilisatorischen Norm geraten kann: „the horror of the degeneracy of human nature“106. Das Konstrukt des ‚bösen Wilden‘ kann den Menschenfresser nicht länger als Mitglied der menschlichen Familie dulden. Es geht nicht mehr um die üblichen Unduldsamkeiten gegenüber dem fremden Anderen, nicht um die bekannten Überlegenheits-Ansprüche gegenüber inferioren Gesellschaften, nicht um paternalistische Erziehungsaufträge gegenüber dem ‚kindlichen Wilden‘ – sondern darum, diesem Anderen (als: savage wretch, hellish wretch, dreadful creature etc.) überhaupt das Mensch-Sein abzuerkennen, sich seiner zu entledigen, ihn im Auftrag einer höheren Moral zu beseitigen, zu töten: „[...] my spirits seemed to be all the while in a suitable form for so outrageous an execution as the killing twenty or thirty naked savages… fired by the horror I conceived at the unnatural custom of that people [...]“107

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Schon Kolumbus hatte in seinem ‚Bordbuch‘ (1492/3) davon gesprochen, dass die Herrscher Kastiliens die Ausrottung der karibischen Kannibalen angeordnet hätten 108, Defoe bezeugt in seinem Text von 1719 die Nachhaltigkeit des kolonialen Topos ‚absoluter Differenz‘, indem er sich auf geschichtlichen Realitäten der kolonialen Anfänge von 1492 bezieht. Radikaler kann sich der europäische Mensch nicht vom ‚wilden Anderen‘ unterscheiden als durch den Akt, diesem das Mensch-Sein abzusprechen. Die Differenz: Mensch vs. Nicht-Mensch ist unüberbrückbar. Der Andere ist nicht nur der unzumutbare Fremde, sondern der aus dem Kreis der Menschen Ausgeschlossene, dessen Leben der Auslöschung preisgegeben ist. Die europäischen Gesellschaften werden in ihrer Geschichte mehrfach Gelegenheit finden, zu dieser fatalen Praxis des Ausschlusses wieder zurückzukehren. Allein mit der Weiterleitung des Konstrukts des ‚bösen Anderen‘ und des Topos der absoluten Differenz, der absoluten Exklusion kommt dem von Generation zu Generation sein Lesepublikum erreichenden Roman von Defoe eine Schlüsselstellung zu: Millionen rezipieren diesen Text, der die Geschichte der kolonialen Weltbemächtigung in nuce aus der Perspektive des europäischen Kolonisators erzählt. So fällt es nicht schwer, die Spur von Differenz und Exklusion, von Assimilation und Inklusion in der europäischen Geschichte bis in die Gegenwart zu verfolgen. Auf dem eng umgrenzten Schauplatz der Insel entwirft Defoe schließlich zwei bedeutsame Schlüsselszenen, in denen alle Akteure – der weiße Kolonialist, der assimilierte Indigene und die wilden Kannibalen – in einer dramatischen Situation aufeinandertreffen. Darüber, wer die Wahrnehmungs- und Deutungshoheit in Bezug auf das Geschehen für sich beansprucht, kann kein Zweifel bestehen: Mit dem Fernglas von oben und von weitem beobachtet der ‚Weiße‘ jede Bewegung der ‚bösen Wilden‘ und die Vorbereitung ihres barbarischen Mahls („a barbarous feast indeed“). In beiden Schlüsselszenen kommt es zu einem Aufschub der spontanen Tötungsabsicht („murthering humour“). Das Moratorium eröffnet die Chance, die Gesamtsituation zu reflektieren, die eigene Position im Kontext dieses Geschehens zu klären, die fremde Position nach eigenen moralischen Maßstäben zu verurteilen, um eine Tötungsabsicht rechtfertigen zu können. Im Ganzen ist es jedoch der untaugliche Versuch, den empörenden ‚fremden Text‘ des Geschehens in die ‚Sprache‘ eines eigenen ‚Textes‘ zu übersetzten. Die Übersetzung mit Hilfe von Begriffen wie: Sünde – Schuld – Unrecht – Unmenschlichkeit – göttliche Vorse-

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hung etc. kann der ‚kulturellen Andersartigkeit‘ des Ritual-Geschehens nicht gerecht werden; im günstigsten Fall kann sie dem ‚Übersetzer‘ die Inadäquatheit störend bewusst machen. Das ist genau der Punkt, an dem der europäische Robinson beginnt, sein ‚Vokabular‘, seinen Code, seine Kategorien etc. in Frage zu stellen. Der ‚Text‘ des barbarischen Geschehens lässt sich nur übersetzen, wenn die fremde Position und die eigene in Relation gesetzt erscheinen: Die wilden Kannibalen sind un-schuldig, da sie nicht wissen, dass sie, im europäischen Sinn, eine Sünde begehen; sie sind un-schuldig, da sie gegenüber dem unbeteiligten Dritten keine Aggressionen zeigen; sie sind auch insofern un-schuldig, da offenbar „die (göttliche) Vorsehung [...] in ihrer weisen Anordnung der Welt“ duldet, „dass diese Wilden [...] ihren fürchterlichen Gewohnheiten“ frönen. 109 Daraus folgt, dass der Weiße sich nicht „zum Richter und Rächer“ über diese Wilden aufwerfen kann. Die Kannibalen „sind nicht [die] Mörder“, zu denen sie aus Sicht der europäischen Christen verurteilt werden. Fazit: Robinson, der christliche Weiße, hat kein Recht, „die Vernichtung dieser unschuldigen Geschöpfe“ ins Werk zu setzen: „I was convinced, [...] that I was perfectly out of duty when I was laying all my bloody schemes for thr destruction of innocent creatures [...].“110 – und dies umso mehr, als sonst auch „das barbarische Benehmen der Spanier in Amerika gerechtfertigt“ wäre: „That this would justify the conduct of Spaniards in all theit barbarities practised in America, where they destroyed millions of these people [...].“111 Damit zitiert Defoe die ‚Schwarze Legende‘ des Las Casas von 1552 (engl. Übersetzung von 1583) und nennt die Urszene des Genocids beim Namen; in diesem Fall soll dieses Menschheitsverbrechen seinen Helden (Robinson) von der christlichen Pflicht entbinden, die in „höllischer Verirrung“ lebenden Wilden ausrotten zu müssen. Mit Recht beruft sich Defoe auf das von Englands Rivalen auf den Weltmeeren begangene Verbrechen an der Urbevölkerung Amerikas – als eine europäische Ur-Sünde. Auf der anderen Seite ist man erstaunt, dass Defoe von den Briten, die zum Zeitpunkt der Buchveröffentlichung (1719) als erfolgreiche Kolonisten in der Karibik und im großen Stil in BritischNordamerika 112 sowohl am menschenverachtenden Sklavenhandel, an der menschenverschleißenden Plantagenwirtschaft als auch an der ‚Säuberung‘113 des amerikanischen Siedlungsgebietes von nicht-christianisierbaren, barbarischen Indianern beteiligt waren – ganz absehen konnte,

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zumal wenn er den ‚guten, weißen, britischen Kolonisten‘ Robinson in Szene setzt, der sich gerade äußerst friedfertig zeigt. Und was Defoes/Robinsons augenblickliche Zurückhaltung gegenüber den Kannibalen betrifft, hatte Michel Montaigne schon 140 Jahre früher, 1580, in Kapitel 31 seiner ‚Essais‘ zu bedenken gegeben, „dass wir bei einem derartigen Scharf blick für die Fehler der Menschenfresser unserer eigenen gegenüber so blind sind [...]. „Jene Völker“ – so schreibt er weiter – „scheinen mir allenfalls in dem Sinne barbarisch, dass sie vom menschlichen Geist kaum zurecht gestutzt wurden, sondern ihrer ursprünglichen Einfalt noch sehr nahe sind. Nach wie vor gehorchen sie den Gesetzen der Natur, denen die Verderbnis durch die unseren weitgehend erspart blieb.“114 Es ist bekanntlich diese Passage, die den ‚homme naturel‘ Rousseau’s von 1755 (abzüglich seiner kannibalistischen Neigungen) vorwegnimmt, ihn vor aller wohltätigen Assimilation bewahren möchte und gerade seine Zivilisierung nach den Vorgaben der europäischen Kultur als verderblich erachtet. Defoes ‚guter Wilder‘ wird sich dieser Prozedur noch zu unterziehen haben. Die zweite Schlüsselszene in Defoes ‚Robinson‘ aber zeichnet das vorroussauistische Bild sowohl des assimilierten Indigenen, gewissermaßen als Kollaborateur und „Kriegsgegner“ des eigenen Volkes, als auch des ‚guten Weißen‘, der sich eben noch gefragt hatte, „mit welcher Berechtigung“ er handele, „wenn (er) hinging(e) und seine Hände mit ihrem Blut befleckte und Menschen überfiel, die (ihm) weder Böses getan hatten noch Böses im Schilde führten“115 – jetzt aber plötzlich zu einem Massaker an den Kannibalen bereit ist: „Friday might justify it, because he was a declared enemy, and in a state of war with those very particular people, and it was lawful for him to attack them.”116

Robinson – für seine Person – will sich (vorerst) auf die Rolle des Beobachters beschränken und „nur auf Gottes Eingebung hin handeln“. Erst in dem Augenblick, in dem er durch das Fernglas einen weißen, bärtigen Mann entdeckt, einen bekleideten Europäer, den die Kannibalen gerade zur Tötung und Schlachtung vorbereiten, scheint auch er sich im ‚state of war‘ zu befinden. Die Intervention nunmehr ist (auch für Robinson) gerechtfertigt, als sie der Rettung „eines armen Christen“ und weißen Europäers gilt, der unmittelbar seinem Tod durch die Barbaren entgegensieht. Wie Todorov berichtet, haben schon spanische Juristen des 16. Jahr-

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hunderts – so etwa Francisco de Vitoria – die kriegerische Intervention für rechtmäßig erklärt, wenn sie „das Opfer unschuldiger Menschen oder das Töten schuldloser Menschen, um ihr Fleisch zu essen“117 verhindern kann. Uns Heutigen mag dieser Fall erinnern an die ganz aktuelle Erweiterung der Verantwortung von Staaten für völkerrechtswidrige Menschenrechtsverletzungen: So die UN-Resolution 1624 vom 28. 4. 2006, die diese Schutzverantwortung als sog. ‚Responsibility to protect‘ zur Aufnahme in das Völkerrecht empfiehlt. Wie wir wissen, kann diese Formel missbräuchlich dazu dienen, jederzeit Machtinteressen gegenüber Fremdstaaten zu verfolgen. Den kolonial-juristischen Ursprung der Rechtfertigung von ‚Intervention‘ sollte man somit nicht ganz aus dem Auge verlieren. Die zweite Schlüsselszene des ausgeführten Massakers an den wilden Kannibalen nimmt auf diese Weise die ‚kulturrelativistische Übersetzung‘ des fremden (befremdlichen) Ritual-Verhaltens in den eigenen Kontext wieder zurück: Die in der Schutzverantwortung begründete Gewalt-Intervention setzt mit einem Schlage den Europäer wieder ein in die Position des Richters und Rächers; sie lässt die „unschuldigen Geschöpfe“ in dem Augenblick wieder schuldig werden, in dem ein weißer Christ Opfer ihres kannibalistischen Rituals wird – und stellt die Bestrafung in diesem Fall keineswegs der Gerechtigkeit Gottes anheim. Der weiße Richter und Rächer glaubt gemäß dieser Lizenz-zu-töten handeln zu müssen und wird sich ohne hemmende Bedenken seinen „blutdürstigen Plänen“ der Vernichtung der Kannibalen, seinen „Mordgelüsten der unbarmherzigen Hinrichtung von zwanzig oder dreißig nackten Wilden“ ganz hingeben können. Robinson und sein Gehilfe Freitag führen diese ‚unbarmherzige Hinrichtung‘ durch – aus dem Hinterhalt und mittels eines beachtlichen Waffenaufgebots von Musketen und Flinten, die „mit Grobschrot und kleinen Pistolenkugeln geladen“ sind. Die Überlegenheit ist somit kolonial-typisch gegenüber ‚den nackten Wilden‘ mehr als gesichert. Am Ende verzeichnet eine genaue Aufstellung, wieviele, wo, von wem getötet oder verwundet worden sind: Eine Art ‚body-count‘ summiert 21 Opfer „alles in allem“; der Rest kann im Kanu fliehen. Die Insel ist von Kannibalen gesäubert und ist zur europäischen Besiedlung freigegeben. Robinson hat sich von Anfang an „unstreitig als Herr und König über dies Land“ betrachtet, der „ein Anrecht auf seinen Besitz“ hat118 ; später wird er von ‚seiner Insel‘ sprechen, die „allein sein Eigentum“ sei, und von sich als „absoluten Herrscher und

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Gesetzgeber“119, so dass er ganz am Ende die Insel unter die dort inzwischen lebenden Spanier und Engländer aufteilen kann; die Siedler versorgt er mit einer Sendung von „Weibspersonen“ aus Brasilien und England, um den Bestand der Kolonie für die Zukunft zu sichern. Im übrigen: Als Robinson seine Insel zuletzt besucht, befindet er sich 1694 auf der Fahrt nach Ostindien, der von der East-India-Company explorierten kolonialen Zukunftsregion dieser Epoche. Die ‚koloniale Erzählung‘ Defoe’s umfasst mit ihrer fiktiven Spielzeit – 1651 bis 1694 – die letzten Jahrzehnte des 17. Jahrhunderts und reicht mit dem ‚realen‘ Erscheinungsjahr von 1719 in das neue 18. Jahrhundert hinein. Der fiktive Spielraum, in dem sich der Held bewegt, hat seine geschichtliche Referenz in den brasilianischen und karibischen Koloniegründungen dieser Zeit mit ihrem immensen Import afrikanischer Sklaven von der Guineaküste: bis 1700 ca. 450.000 Afrikaner auf die Zuckerplantagen in die Karibik und 600.000 auf die Plantagen in Brasilien.120 Robinsons fiktive Koloniegründung auf einer westindischen Insel, nahe der Insel Trinidad, lässt sich im Kontext der karibischen Kolonisierung durch die Engländer, Franzosen und Spanier sehen. In direkter Referenz entfaltet die ‚koloniale Erzählung das koloniale Geschehen der Epoche in nuce am allegorischen Ort der menschenleeren, tropischen Insel, wo die kolonialen Hauptakteure – der gute, weiße Kolonialist, der gute, assimilations-willige Wilde und der böse, assimilations-unwürdige Kannibale – aufeinandertreffen. (Dass Defoes Insel-Fiktion angeregt wurde durch den Bericht des Seemanns Alexander Selkirk, bleibt für die hier behandelte Frage unerheblich.) Im Machtzentrum des ‚allegorischen Imperiums‘ steht der weiße Kolonialist, der sich als Eigentümer der Insel sieht, als ‚Herr und König‘ als ‚Herrscher und Gesetzgeber‘. Aus dieser Perspektive des europäischen Herren auf angeeignetem Grund und Boden werden alle Vorgänge an diesem Ort betrachtet und bewertet, alle Ankömmlinge nach Herkunft und ‚Rasse‘ klassifiziert und in Bezug auf Exklusion oder Inklusion selektiert. Als Eigentümer entscheidet er über Anteile, als Gesetzgeber über ‚gut‘ und ‚böse‘, als Herrscher über Leben und Tod. Er verfügt über die Erkenntnis des wahren Gottes und über die besseren Waffen. Der Eingeborene tritt ihm als ‚Wilder‘ gegenüber, der gezähmt oder ausgetilgt werden muss. Am Ende der ‚kolonialen Allegorie‘ lässt der utopische Vorschein einer Versöhnung des weißen Mannes mit dem bekehrten Wilden und das Bild einer befriedeten Kolonie den dystopischen Schatten der „un-

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barmherzigen Hinrichtung“, des Massakers an den Kannibalen ein wenig verblassen. Die Jahre „ungetrübten Glücks“ mit dem zum „guten Christen“ gewordenen Wilden bestätigen Robinson aber doch nur den Erfolg seines Erziehungswerks, den Wilden wohltätig in die untersten Ränge der eigenen Gesellschaft eingewiesen zu haben. „Crusoe is of his own day, and though intellectually puzzled, acts towards the Indians in the all-conquering way of the successful, mercantile civilization […] which we from time to time realize is still our inheritance.“121

Die koloniale Praxis zivilisatorischer Bemächtigung der ‚Fremde‘ hat ihr Pendant in einer kolonial-diskursiven Praxis, fortlaufend die ‚Ungeheuerlichkeiten‘ der Fremde in einebnende eigene Erzählungen zu übersetzen und die ‚Katastrophen‘ der Bemächtigung im Kontext des GeschichtlichNotwendigen zu lesen. Die exemplarische koloniale Erzählung Defoes von 1719 steht eindeutig in der Tradition dieser Praxis und kann verstanden werden als Versuch einer sprachlich-literarischen Kanonisierung dieses Diskurses. So kommt es zu Beginn des neuen Jahrhunderts noch einmal zu einer zusammenfassenden Translation, die die katastrophischen Fremdheitserfahrungen- und begegnungen transformiert und ‚aufhebt‘ in den einfachen Binarismen der eigenen Ordnungssysteme (zivilisiert vs. wild/fortgeschritten vs. primitiv/christlich vs. barbarisch-heidnisch etc.). Der europäische Binarismus entfaltet seine unheilvolle Wirksamkeit. Defoes Roman transferiert das siegreiche Programm der kolonialen Revolution und legitimiert die Kolonialgeschichte als Fortschrittsgeschichte der westlichen Zivilisation. Über zehn Generationen hinweg habe dieser Klassiker der Abenteuerliteratur (sic!) nichts an seiner Beliebtheit [...] bei erwachsenen und vor allem auch bei jugendlichen Lesern eingebüßt, heißt es im Klappentext wohl einer der letzten Ausgaben dieses Buches aus dem Jahre 1979 und belegt damit, wie kritiklos-naiv diese eurozentrische Erzählung als Abenteuerroman bis weit ins 20. Jahrhundert aufgenommen wurde und wie unangetastet dieses Programm der Weltbemächtigung, der Klassifikation nach überlegenen und subalternen Völkern, der Dehumanisierung des Anderen und des Anspruchs auf die ‚Wahrheit der Geschichte‘ etc. durch die Jahrhunderte tradiert wurde. In der Wirkungsgeschichte können sich die beiden anderen – zeitgenössisch durchaus erfolgreichen – kolonialen Insel-Erzählungen J.G.

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Schnabels und de Saint-Pierres mit Defoes ‚Robinson Crusoe‘ nicht messen. Auf der ‚deutschen‘ Insel Felsenburg gibt es keine Indigenen, auch von ‚außen‘ sind Invasionen von wilden Kannibalen nicht zu befürchten, sodass die Problematik des Aufeinandertreffens der ‚Wilden‘ und der ‚Zivilisierten‘ in diesem utopischen Roman ausgeklammert bleibt . Die deutschen Insel-Siedler sind in dem von einem natürlichen Schutzwall hoher Berg-Mauern umgebenen ‚paradiesischen Tal‘ – im Vergleich zu dem englischen Einsiedler und den französischen Müttern auf der Ile de France – extrem abgeschottet gegen alles ‚Fremde‘: ein Beispiel extremer Exklusion, extremen Homogenitätsstrebens. Allerdings konnten die Deutschen des 17. Jahrhunderts auf koloniale ‚Abenteuer‘ mit den Wilden wie ihre europäischen Nachbarn noch nicht zurückblicken. Die späteste der Insel-Erzählungen ‚Paul et Virginie‘ von 1788 spielt nun schon auf kolonisiertem Territorium, und die Protagonisten kommen auf unterschiedliche Weise mit afrikanischen Indigenen in Berührung und Kontakt, wenn auch ausschließlich in ihrer Rolle als Sklaven, die man sich als Gehilfen und Diener gekauft hat oder denen man als entlaufene Plantagensklaven begegnet und von denen man weiß, welchen Torturen sie unterworfen werden, wenn sie dem Plantagenherren wieder in die Hände fallen. Andererseits ist man selbst nicht abgeneigt, zum Sklavenkauf nach Madagaskar oder gar nach Ostindien zu fahren. Das Geschehen auf der Insel-Kolonie (Ile de France) aber spielt sich in einem neuen, veränderten kolonialen Kontext ab. Die in diesem Genre erstmals weiblichen Akteure bewegen sich deutlich jenseits einer geschichtlichen Zäsurlinie, die von den Erscheinungsdaten des Rousseau’schen „Diskurses über den Ursprung der Ungleichheit unter den Menschen“122 von 1755 ebenso markiert wird wie von dem sog. ‚Mansfield-Entscheid‘ des Jahres 1772, durch den die Sklaverei zumindest im englischen Mutterland aufgehoben wurde.123 Das Rousseau’sche Konstrukt des ‚homme naturel‘ verkehrt das kolonialistische Erziehungs- und Bemächtigungswerk, den ‚Wilden‘ (l’homme sauvage) so rasch wie möglich aus dem ‚Naturzustand‘ zu befreien und in den ‚Kulturzustand‘) zu überführen, geradezu ins Gegenteil: Der sog. ‚Zivilisierte‘ hat sich am hypothetischen Bild des glücklichen Wilden im ursprünglichen Naturzustand (l’état naturel de l’homme) zu orientieren, um den Verfall der Gattung (la décrépitude de l’espèce)124 wieder rückgängig zu machen. Und: Der Mansfield-Entscheid von 1772 lässt sich als ein erster öffentlicher Akt sehen, der die frühen Abolitionisten in England ermutigte, die

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Auseinandersetzung über die Frage der Abschaffung des Sklavenhandels parlamentarisch voranzutreiben. Wenn auch das gesetzliche Verbot des Sklavenhandels sich noch bis ins Jahr 1807 verzögern sollte, hatten Abolitionisten wie Sharp, Clarkson, Newton und Wilberforce frühzeitig dazu beigetragen, dass die moralische Problematik der Sklaverei ins öffentliche Bewusstsein eingegangen war. William Wilberforce präsentierte dem House of Commons das Modell eines Sklavenschiffes, das die Zusammenpferchung der Sklaven auf engstem Raum ansichtig machte und die Unmenschlichkeit allein des Transports – der sog. ‚Middle Passage‘ – vor Augen führte.125 Zeichnung eines Sklaventransportschiffes für den atlantischen Sklavenhandel, aus Unterlagen eines Komitees des House of Commons des Vereinigten Königreichs, 1790/1

(wikipedia.org/Atlantischer Sklavenhandel, 29.10.16)

Die koloniale Erzählung de Saint-Pierres entfaltet sich nun deutlich entlang der von Rousseau vorgegebenen Linie einer Polarisierung von ‚Naturzustand‘ und ‚Kulturzustand‘: So sollen die Kinder, Paul und Virginie, in jenem entlegenen InselTal in der Natur aufwachsen wie „das erste Menschenpaar“ im Garten

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Eden, „anfangs wie Bruder und Schwester“, „Virginie wie Eva, Paul gleich Adam“126 – fernab Europas, „jenes barbarischen Landes“127, „sicher vor den grausamen Vorurteilen der Civilisation“. 128 Evident ist die Rousseau’sche Umwertung: Nicht die wilden, unzivilisierten Inseln im indischen Ozean sind ‚barbarisches Land‘, sondern die zivilisierten Herkunftsländer des (noch) feudalen Europas. Allerdings tritt der ‚homme naturel‘ nicht in Gestalt des glücklichen Wilden auf, sondern in Gestalt des von der Zivilisation unberührten ‚weißen‘ Kinderpaares, das unter den Bedingungen eines ursprünglich natürlichen Lebens im Paradies den Weg beschreitet in eine zukünftig ‚höhere‘ Zivilisation. Wenn auch die schwarzen Sklaven der Mütter – die treuen Diener und Helfer Domingo und Marie aus Madagaskar – das paradiesische InselTal mitbewohnen und sogar am Ende heiraten dürfen, um vielleicht den weißen Kindern ein schwarzes, paradies-geborenes Kind beizugesellen, bleibt das Paradies ein weißes Paradies in Antithese zum feudal-weißen Europa. Nur vage formuliert das Programm der utopischen Insel-Kommune am Vorabend der politischen Revolution von 1789 (schon) ein universelles Gleichheits-Versprechen. Die Exklave dieses ‚paradiesischen Talgrundes‘ ist (noch) umschlossen von dem Machtbereich des französischen Gouverneurs der Insel-Kolonie und der reichen Plantagenherren: Während der ‚alte‘ Topos von der angeborenen Überlegenheit des weißen Mannes innerhalb der weiblichen Exklave als überwunden angesehen werden kann, bestimmt er außerhalb weiterhin die Beziehungen des weißen Kolonisten zu den schwarzen Sklaven. Saint Pierre konfrontiert die guten Kinder (und den Leser seiner Erzählung) mit der kolonialen Wirklichkeit der Sklavenhaltung auf den Plantagen. Den Kindern (Paul und Virginie) begegnet eine entlaufene „Negerin“, „ein abgezehrtes Gerippe“, ein „von tiefen Narben der erhaltenen Peitschenhiebe gefurchter Körper“, bekleidet nur „mit einem Fetzen grober Packleinwand“129 . Die Kinder wollen sich für die verzweifelte Sklavin bei dem Plantagenherren einsetzen, müssen aber erfahren, dass ihre Bitten nichts gefruchtet haben und die ‚Negerin‘ von dem zynischen Plantagenbesitzer zu einer grausamen Strafe verurteilt wurde: Sie wird „mit einer Kette am Fuße an einen Holzbock gefesselt“, von „einem Eisenreif mit drei Stacheln um den Hals“ gehalten.130 Am Ende treffen die Kinder, die sich im Walde verirrt haben, auf „einen Haufen in die Wälder entlaufener Neger“131 , mit deren Hilfe sie übrigens wieder sicher nach Hause gelangen. Die Darstellung Saint-Pierres kritisiert die Inhumanität von Sklavenhaltung und Strafpra-

III. Die territoriale Ordnung der Kolonie

xis schon im Geist der englischen Abolitionisten und der aufklärerischen Philosophie gegen Ende des 18. Jahrhunderts. So hatte sich in Deutschland J.G. Herder 1784 in seinen ‚Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit‘ noch allgemein kritisch zum Sklavenhandel geäußert, wenn er den Europäern das Recht bestreitet, „sich dem Lande der Unglücklichen (Neger) nur zu nahen, geschweige es ihnen und sie dem Lande durch Diebstahl, List und Grausamkeit zu entreißen“: „wohin ihr sie führt, zeihet euch dieses als Menschendiebe, als Räuber“.132 Wohingegen Alexander von Humboldt einige Jahrzehnte später aus eigener Anschauung und empirischer Erhebung in seinen ‚Betrachtungen über die Sklaverei‘ (1825) besonders die Strafpraxis gegenüber „Negerflüchtlingen (Cimarrones)“ dokumentieren kann; so berichtet er z.B. von Menschenjagden auf Flüchtlinge, die „auf grausamste Weise stattfanden“ und „welche auf Hayti und Jamaika den cubanischen Hunden unselige Berühmtheit geschaffen“ – oder von einem Vorfall auf den französischen Antillen, „wo sechs jungen Sklaven, die im Verdacht standen, fliehen zu wollen, zufolge eines 1815 gegebenen Erlasses die Kniekehlen durchschnitten wurden.“133 Für Saint-Pierre jedoch bleibt die Begegnung mit dem gequälten Sklaven in seinem Buch nur eine Episode; das Bild der harmonischen Gemeinschaft der europäischen Mütter und ihrer Kinder mit ihrem Sklavenpaar, Marie und Domingo, dagegen könnte man – wie die freundschaftlichväterliche Beziehung Robinsons zu Freitag – als Vorschein einer die Rassenschranken überwindenden ‚Gleichheit‘ aller Menschenwesen sehen. Die ‚koloniale Revolution‘ tritt Ende des 18. Jahrhunderts in eine neue kritische (Zwischen-)Phase; der koloniale Diskurs hätte die Chance gehabt, der Polarisierung von Superiorität und Inferiorität, von Assimilation und Auslöschung etc. zu entkommen zugunsten einer dritten Position, für die der Skandal des Anderen, des bedrohlichen und inferioren Fremden aufgehoben wäre. Saint-Pierre aber geht es nicht (vorrangig) um die Auflösung der zeitgenössisch-universalen ‚Rassen‘-Differenz von ‚weißen‘ und ‚schwarzen‘ Völkern auf dieser Erde, sondern schlicht um die für ihn näher liegende gesellschaftliche Problematik europäischer ‚Klassen‘-Differenz von Adel und Bürgertum. Seine paradiesische Vision eines ‚klassenlosen‘ Neuanfangs führt den Sohn einer Bauerntochter und eines flüchtigen Edelmannes und die Tochter einer Adligen und eines inzwischen verstorbenen

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Bürgerlichen als ‚Adam‘ (Paul) und ‚Eva‘ (Virginie) zusammen. Das Experiment, die Klassen-Differenz auf diese Weise im gesellschaftsfernen Natur-Raum einer Insel im indischen Ozean in nichts aufzulösen, muss scheitern. Als kolonialer Raum erleidet die Insel ihre Transformation zu einem jener Gegen-Orte, die sich die Europäer weltweit einrichten werden, um dort – zumindest befristet – ihren Träumen nachgehen und die Defizite ihres gesellschaftlichen Lebens kompensieren zu können. Auf dieser kolonialen Bühne ist für den Indigenen kein Platz. Saint-Pierres koloniale Erzählung war wie Defoes ‚Robinson Crusoe‘ ein Bestseller seiner Zeit und korrespondierte mit bestimmten Einstellungen seines Lesepublikums, mit mentalen Paradigmen des Bürgertums im vorrevolutionären Frankreich – was vor allem die neue Rolle des Individuums zu betreffen scheint: seine Suche nach Selbstbestimmung jenseits der Ordnung der ‚alten Gesellschaft‘. Allein dieses Faktum offenbart, wie episodisch die Auseinandersetzung mit dem Anderen in ‚Paul et Virginie‘ bleibt, wie exklusiv die Rollenverteilung auf der Bühne der Geschichte betrieben wird, wie rigide dem Anderen verweigert wird, Subjekt seiner Geschichte zu sein.

IV. Das Schweigen des Anderen – der Testfall des Verstehens

G. Forster – L.A. de Bougainville – D. Diderot

Daniel Defoe und Bernardin de Saint-Pierre, die Autoren jener exemplarischen Kolonial-Erzählungen am Beginn und am Ende des 18. Jahrhunderts, waren um eine bestimmte, ‚fiktive Authentizität‘ der erzählten Geschichte bemüht: Defoe, ohnehin als Handelskaufmann vertraut mit der zeitgenössischen kolonialen Praxis, verschaffte sich bekanntlich zusätzliche Fakten-Kenntnisse zur Praxis der zeitgenössischen Seefahrt, indem er den Erlebnisbericht des schottischen Seemanns Alexander Selkirk für den Figuren-Entwurf seines schiff brüchigen ‚Robinson‘ zu Rate zog. Saint-Pierre hatte selbst seemännische und koloniale Erfahrung gesammelt, zuletzt als Ingenieurhauptmann auf der Ile de France, der InselKolonie, die er zum Schauplatz seiner Erzählung wählt. Mit der Epoche der wissenschaftlichen Reise, die mit den großen Forschungsexpeditionen und Weltumsegelungen im Regierungsauftrag134 gegen Ende des 18. Jahrhunderts einsetzt, werden für die nonfiktionale Reise-Beschreibung neue Maßstäbe der Augenzeugenschaft und der empirisch abgesicherten, verstehenden Beobachtung gesetzt. Die Logbücher der Kapitäne, die Berichte der wissenschaftlichen Begleiter begründen jenes neuzeitlich-europäische Paradigma einer ‚wissenschaftlichen Kolonisierung‘, die zukünftig in der imperialistischen Version davon ausgehen wird, dass die Bemächtigung nur dann nachhaltig erfolgreich sein kann, wenn man die ‚fremden Völker‘ bis in alle Einzelheiten ihrer Lebensweise verstanden, beschrieben und katalogisiert hat – wie eine aussterbende Tierart vor ihrem endgültigen Verschwinden.

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Konnten sich die aufklärerischen Forschungsreisenden und Kapitäne dieser Konsequenz der Auslöschung bewusst sein? Immerhin bewegten sie sich auf den Bahnen, die in der Tat von den frühesten Konquistadoren, zumal von Hernán Cortes, dem Eroberer und Zerstörer des Azteken-Reiches, vorgezeichnet waren. Todorov spricht in Bezug auf Cortes von der „erschreckende(n) Verkettung, die vom Verstehen zum Nehmen, vom Nehmen zum Zerstören führt“: von dem „Paradox des todbringenden Verstehens“. 135 Erst wenn das Fremde ganz und gar, bis in die kleinste Faser seiner Lebensregungen verstanden ist, kann man es der „legitimen und notwendigen Gewalt“136 und schließlich der Zerstörung preisgeben, um der Wahrheit der ‚höheren‘ Zivilisation Genüge zu tun. Von der Ahnung dessen, was auf „die kleinen, ungesitteten Völkerschaften“ noch zukommen wird, wenn es keiner nicht-europäischen Völkerschaft noch möglich sein wird, sich von den unterwerfenden Europäern fern zu halten, scheint Georg Forster bei der Begegnung mit neuseeländischen Indigenen ergriffen zu sein. Er notiert auf seiner Reise um die Welt mit James Cook (1777/8): „Es ist Unglück genug, dass alle unsere Entdeckungen so viel unschuldigen Menschen das Leben kosten müssen. So hart das für die kleinen, ungesitteten Völkerschaften seyn mag, welche von Europäern aufgesucht worden sind, so ists doch warlich nur eine Kleinigkeit im Vergleich mit dem unersetzlichen Schaden, den ihnen diese durch den Umsturz ihrer sittlichen Grundsätze zugefügt haben [...] So aber besorge ich leyder, dass unsere Bekanntschaft den Einwohnern der Südsee durchaus nachteilig gewesen ist; und ich bin der Meinung, dass gerade diejenigen Völkerschaften am besten weggekommen sind, die sich immer entfernt gehalten [...] haben.“137

Allein der Blick auf die Folgen der drei großen Entdeckungsreisen von James Cook (1768-1771, 1772-1775, 1776-1780): „die britische Erschließung Australiens und Neuseelands, der blühende Handel im nördlichen Pazifik; die kanadische Besetzung von Britisch-Kolumbien, die amerikanische Besitznahme von Haweii und Alaska“138 verweist auf die in diesem Zitat mit dem Euphemismus einer „Erschließung“ verschleierte Vernichtung der indigenen Populationen in Australien, Tasmanien und Neuseeland – und bestätigt die Welt-Trauer Forsters um den Untergang der ‚kleinen Völkerschaften‘.

IV. Das Schweigen des Anderen

Auch andere bedeutende Expeditionsreisen – wie die von John Byron (1764), von Samuel Wallis (1766) oder von Louis Antoine de Bougainville (1766-1769) dienten kolonialistischen Interessen „der großen Handelsgesellschaften“ ebenso wie den geopolitischen Interessen der großen Kolonialmächte Englands und Frankreichs. Es sind aber auch diese Reise-und Expeditionsberichte, die den ‚kolonialen Diskurs‘ in der neuen Form des nonfiktionalen, authentischen Augenzeugen-Protokolls fortschreiben. Wir sind heute über die wagemutigen Weltumsegler dieses Zeitalters – besonders natürlich über Bougainville oder Cook und dessen ‚Historiographen‘ seiner zweiten Entdeckungsfahrt in den Pazifik, Georg Forster, durch die Forschungsliteratur gut unterrichtet; hier ist nicht der Ort einer Diskussion dieser Literatur; es geht auch an dieser Zeitstelle um die Frage nach der Repräsentanz des Anderen, um den Stellenwert des Anderen in einem aufgeklärten kolonialen Diskurs, um seine Stimme in einem Diskurs, der über sein Schicksal entscheidet. Festzuhalten ist, dass bis zum Ende des 18. Jahrhunderts der koloniale Diskurs (noch) ausschließlich aus der Perspektive des Europäers geführt wird und ausschließlich dazu dient, die Geschicke des Anderen in der „Meistererzählung, [...] die man die Geschichte Europas nennen könnte“139 zum Verschwinden zu bringen. Las Casas hatte seine Stimme für die stumm bleibenden Anderen als Opfer erhoben; er übersetzte dabei Leiden und Tod des Anderen in die Sprache der Täter. In der Folge der Jahrhunderte werden auch diejenigen europäischen Stimmen verstummen, die dem Anderen ihre Stimme liehen. Neben dieser eklatanten Abwesenheit der Stimme des Anderen beschränkt sich die Repräsentanz des Anderen im Diskurs auf die Rolle als ‚Objekt‘ vielfacher Projektionen – des bösen, animalischen Barbaren oder antithetisch des edlen Wilden, des glücklichen ‚homme naturel‘ etc.; sein Stellenwert im Diskurs bestimmt sich durch die Subalternität eines ‚niedern Seins‘ jenseits der Teleologie der Geschichte; verdinglicht zu der berüchtigten ‚pièce d’Inde‘, zu einem menschlichen Waren-Objekt im System des Sklavenhandels erscheint er nur noch als „Fremdkörper in der (weißen) Welt, der tief in sich immer noch das (zu bändigende) Tier birgt.“140 Der weiße Europäer ist Autor des ‚kolonialen Diskurses‘ und behält die Deutungshoheit gerade auch dann, wenn er als ‚aufgeklärter‘ Forschungsreisender die fremde Welt außereuropäischer Völker schon mit dem Auge des Naturforschers, Ethnologen oder Mathematikers u. a. zu betrachten weiß – und somit immer schon die absolute Überlegenheit seiner wissenschaftlich-rationalen Weltsicht unter Beweis stellt. In gewis-

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ser Weise erfüllen die großen Weltumsegler wie Bougainville, Cook oder Forster in der rationalen Fortschreibung des kolonialen Diskurses die Forderungen Rousseaus, die dieser schon vor mehr als einem Jahrzehnt (1755) erhoben hatte: Sich bei zukünftigen Weltreisen nicht nur um ‚alte Bauwerke, Steine und Pflanzen‘ zu kümmern, sondern um die Menschen und Sitten: „In den drei oder vier Jahrhunderten, in denen die Bewohner Europas die anderen Weltteile überfluten und unaufhörlich von neuem Sammlungen von Reise- und Verkehrsbeschreibungen veröffentlichen, kennen wir nach meiner Überzeugung unter allen Menschen nur den Europäer genau [...] Sie (die Weltreisenden) haben am anderen Ende der Welt nichts bemerkt, was zu bemerken nur an ihnen gelegen hätte, ohne ihre Straße daheim zu verlassen. Jene wahren Züge, durch welche sich die Nationen unterscheiden, die denen, dessen zu sehen gegeben ist, in die Augen fallen, sind ihrem Blick fast immer entgangen [...] Die ganze Erde ist von Völkern übersät, von denen wir nur die Namen kennen – und wir wagen ein Urteil über das Menschengeschlecht zu fällen.“141

Aber: So wahr und richtig sein Appell an die Herren Montesquieu, Buffon, Diderot, Duclos, D’Alembert und Condillac auch sein mochte, sich alsbald auf eine Weltreise zu begeben, um die Bewohner anderer Hemisphären besser kennen zu lernen, so wahr und richtig bleibt auch seine Überzeugung, dass die Europäer – trotz drei oder vier Jahrhunderten der Weltbemächtigung – immer noch nichts besser kennen als sich selbst und so auch in der Fremde immer nur sich selbst begegnen können. Nur scheint auch Rousseau zu übersehen, dass nicht nur die ‚normalen‘ Reisenden: „Seeleute, Kaufleute, Soldaten und Missionare“ – wie er schreibt – in der Regel keine guten Beobachter des fremden Anderen sein können, sondern dass Gleiches auch grundsätzlich für die von ihm vorgeschlagenen Philosophen und Gelehrten gelten muss: Auch sie würden – wie alle nachfolgenden Generationen von Forschungsreisenden – ihre Weltreise antreten aus den Metropolen an die Peripherie, aus den zivilisierten Zentren an die ‚wilden‘ Ränder, um wie selbstverständlich gegenüber ‚zurückgebliebenen‘ fremden Völkern ihre eigene Geschichte zum universellen Maßstab zu erheben. Eine andere als diese eigene Geschichte eines Fortschritts scheint nicht denkbar.

IV. Das Schweigen des Anderen

Welche Bedeutung kann demgegenüber die Stimme des Anderen haben? Von welcher ‚anderen‘ Geschichte könnte er erzählen? Auch die Stimme des Opfers scheint dem Anderen verwehrt, soweit seine Untergänge in einer universellen Fortschritts- und Evolutionsgeschichte als notwendig und gerechtfertigt gelten müssen etc. Die Untergänge kann man wie Georg Forster und später Heinrich Heine nur mit einem Gefühl der Welt-Trauer begleiten. In Louis-Antoine de Bougainvilles überaus erfolgreichen Bericht seiner Weltumseglung (Voyage autour du monde par la Frégate du Roi Boudeuse et la Flute de l’Etoile en 1766-69) erscheint der Andere in doppelter Gestalt: einmal als Objekt europäisch-romantischer Projektion, zum anderen als exotisches Objekt, das man zu Demonstrationszwecken ‚real‘ aus Tahiti nach Europa importiert hat. Einerseits begründet der ‚phantastische‘ Bewohner der paradiesischen Insel Tahiti den folgereichen ‚Mythos‘ jenes ‚homme naturel‘ im Garten Eden, der von Rousseau lediglich hypothetisch beschworen worden war. Andererseits repräsentiert der von Bougainville mitgebrachte Tahitianer Aoturu nunmehr den konkreten „Sonderfall eines diesem gemutmaßten Naturzustand der Menschheit nahestehenden Objekts“, an dem sich „die Wirkung zivilisatorischer Einflüsse“ prüfen ließ.142 Der Reisebericht schließt mit einer Zusammenstellung des Vokabulars der tahititianischen Sprache, an der Aoturu mitgewirkt haben soll. Die sprachliche Assimilation Aoturus in Frankreich aber scheitert; der Andere in der europäischen Fremde hüllt sich in Schweigen und verweigert seine Stimme. Aufschlussreich ist Bougainvilles Erklärungsversuch für das Scheitern seines Tests. Der Tahitianer verfüge wegen seines „höchst einfache(n) und begrenzte(n) gesellschaftliche(n) Dasein(s) und eines Minimums an beschränkten Bedürfnisse(n)“, sowie aus „seinem geistigen und körperlichen Hang zur Trägheit über eine geringe Anzahl von Begriffen“, sodass er erst „eine Welt von Grundbegriffen“ schaffen müsse, ehe er eine Übersetzung in die fremde europäische Sprache leisten könne.143 Wie wir heute wissen, sind die Prämissen und Folgerungen Bougainvilles – spätestens seit Lévi-Strauss’: „Das wilde Denken“ – widerlegt und überholt. Interessant aber bleibt, dass auch aus aufklärerischer Perspektive die Abstände einer außer-europäischen Gesellschaft zur zivilisatorischen ‚Hochkultur‘ Europas so deutlich vermessen werden. So wie man der fremden Gesellschaft lediglich das Minimum an „gesellschaftlichem Dasein“ und an „Bedürfnissen“ zubilligen will, schließlich überhaupt nur

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ein Minimum an geistiger und körperlicher Beweglichkeit, wird man ihr letztlich die Fähigkeit absprechen müssen, die Welt in abstrakten Begriffen erfassen und beschreiben zu können. Die Differenz muss als a priori sprachlich unüberbrückbar erscheinen. Wenn man frühzeitig wilde Indianer nach Europa verschleppt hat, um sie eine europäische Sprache lernen zu lassen und sie zum Sprechen zu bringen, dann in der Regel, um sie zu Dolmetschern im kolonialen Verkehr auszubilden oder um genauere Kenntnisse über die Herkunftsländer zu gewinnen oder ihnen die europäische Lebensweise besser verständlich machen zu können – wenn es nicht nur darum ging, sie als exotische Objekte öffentlich auszustellen. Kolumbus brachte von seiner ersten Reise 1492/3 die ersten sieben Arawak-Indianer mit, die er zu Dolmetschern machen wollte; in der Mitte des 16. Jahrhunderts waren in Rouen und Bordeaux Indianer „die Hauptattraktion von Theatervorstellungen“144; dort war Montaigne einem von ihnen begegnet; in seinen ‚Essais‘ berichtete er von den Schwierigkeiten der Kommunikation über einen unfähigen Dolmetscher, der seinen Fragen an den ‚Wilden‘ nicht folgen konnte. 145 J.J. Rousseau äußert sich ebenfalls kritisch zum Problem translatorischer Verständigung der Europäer mit den ‚Wilden‘ – und umgekehrt: „[...] von unseren Begriffen bis zur Geistesverfassung, die man haben muß, um den Geschmack der Wilden an ihrer Lebensweise zu verstehen, ist der Weg weiter als von den Begriffen der Wilden bis zu Begriffen, die ihnen unsere Lebensweise verständlich machen können.“146 Den anspruchsvollsten Versuch, dem Anderen eine Stimme zu geben – einer Verständigung der über mehrere Schritte zu vollziehenden Translation und Transkription – unternimmt der Franziskaner Bernardino de Sahagun in Mexiko zwischen 1550 und 1565. Schon der erste Schritt verstößt gegen die ‚koloniale Regel‘, dass die Sprache (des spanischen Konquistadors) immer die Begleiterin des Imperiums zu sein hat. 147 Nicht der Besiegte lernt in diesem Verständigungs-Prozess die Sprache des Siegers, sondern der Spanier Sahagun erwirbt gründliche Kenntnisse des aztekische Nahuatl. In einem zweiten Schritt lässt sich Sahagun als ‚Historiograph‘ von einheimischen Informanten ihre Geschichte in ihrer Sprache ‚Nahuatl‘ erzählen, um dann den Versuch einer Verschriftlichung des Erzählten (‚memoriales‘) zu unternehmen. Der dritte Schritt bestände darin, diese Transkription herzustellen, einmal in das alphabethische Schriftsystem, zum anderen begleitend in das „aztektische System einer

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Bilderschrift“. In einem letzten vierten Schritt fügt Sahagun eine freie ‚Erklärung‘ oder Erläuterung in spanischer Sprache zu den Bildern und Zeichen auf Nahuatl an.148 Die ‚Historia general de las cosas de Nueva Espana‘ sammelt auf diese Weise einer mehrstufigen Translation und Transkription „die einheimischen Erzählungen (memoriales) über die Konquista“149 und übermittelt uns die Geschichte des spanischen Völkermords aus der Perspektive der Besiegten und Opfer. Hinter diesen frühen Versuch, in einem aufwendigen ÜbersetzungsVerfahren die Authentizität der indigenen Stimme zu wahren und somit den entscheidenden Perspektivwechsel vorzunehmen, wird der ‚koloniale Diskurs‘ in den folgenden Jahrhunderten wieder zurückfallen. Die multiperspektivische Sicht fällt zunehmend dem monoperspektivischen Blick auf einen Fortschritts-Prozess zum Opfer, der unilinear in den Bahnen der wissenschaftlichen Rationalität und einer ‚universellen Vernunft‘ zu verlaufen scheint. Beispielhaft für diese Vorstellung steht auch die ‚berühmte‘ Passage aus Georg Forsters ‚Reise um die Welt‘ (1772-1775), in der die Verwandlung des „rohen Zustandes des Menschen“ in einen „civilisierten“ symbolisch vorgestellt wird. Es handelt sich um die Beschreibung der „Veränderungen und Verbesserungen“, die an dem „öden und wilden Fleck“ der neuseeländischen Dusky-Bay von der Mannschaft des Cook’schen Expeditionsschiffes vorgenommen wurde: „Die Vorzüge eines civilisierten über den rohen Zustand des Menschen, fielen durch nichts deutlicher in die Augen, als durch Veränderungen und Verbesserungen, die auf dieser Stelle vorgenommen worden waren. In wenig Tagen hatte eine geringe Anzahl von unseren Leuten, das Holz von mehr als einem Morgen Landes weggeschafft, welches funfzig Neu-Seeländer, mit ihren steinernen Werkzeugen, in drey Monathen nicht würden zu Stande gebracht haben. Den öden und wilden Fleck, auf dem sonst unzählbare Pflanzen, sich selbst überlassen, wuchsen und wieder vergiengen, den hatten wir zu einer lebendigen Gegend umgeschaffen [...] So verschiedene Arbeiten belebten die Scene und waren in mannichfaltigem Geräusche zu hören, indeß der benachbarte Berg von den abgemessnen Schlägen der Schmiedehämmer laut wiederschallte. Selbst die schönen Künste blühten in dieser neuen Colonie auf [...] Auch die höheren Wissenschaften hatten diese wilde Einöde mit ihrer Gegenwart beehrt [...] Kurz überall, wo wir nur hin blickten, sahe man die Künste auf blühen, und die Wissenschaften tagten in einem Lande, das bis jetzt noch eine lange Nacht von Unwissenheit und Barbarey bedeckt hatte.“150

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Im Zusammenhang unserer Frage nach dem ‚Anderen‘, nach seiner Stimme im ‚kolonialen Diskurs‘, fällt für die Beschreibung Forsters sofort auf, dass bei dieser Kolonisierung des wilden Fleckens der Andere, der Eingeborene nicht anwesend ist, wohl aber wird er erwähnt als im „rohen Zustand des Menschen“ stehen geblieben. Gegenüber dem Fortschritt in der Verwandlung von „chaosgleicher“ Wildnis in kulturellen Raum zeigt sich der indigene Neu-Seeländer mit seinem „steinernen Werkzeug“ hoffnungslos im evolutionsgeschichtlichen ‚Rückstand‘, unfähig, eine derartige Erhöhung von „Menschheit und Natur“ überhaupt bewerkstelligen zu können. Dagegen zielt die Zivilisationsarbeit der Europäer – verteilt auf Handwerker, Wissenschaftler und Künstler – mit Hilfe der spezifischen Werkzeuge und Instrumente der Natur-Bemächtigung, -Nutzung und ästhetischer Nachahmung sogleich darauf ab, das rationale Programm zivilisatorischer Ordnung umzusetzen. Die Bemessung der Zeit – von „wenig Tagen“ für den zielorientierten, instrumentellen Zugriff der Europäer auf den ‚wilden‘ Naturzustand – und von mehr als „drey Monathen“ für die angenommenen Mühen der ‚Wilden‘ – erfolgt symbolisch im Rahmen des ‚westlichen‘ evolutionsgeschichtlichen Paradigmas. Fortschritt und Stillstand, Beschleunigung und Verspätung sind auf der Zeitachse verzeichnet. Das Bild des linearen geschichtlichen Progresses verstellt jedoch den Blick auf die andersartige Orientierung ‚wilder Gesellschaften‘ in Zeit und Raum. In Bezug auf die sog. primitiven Völker wollte Lévi-Strauss darauf verzichten, von „geschichtslosen Völkern“ zu sprechen; er schlug stattdessen vor „kalte Gesellschaften“, die die Sogkraft der geschichtlichen Bewegung annulieren zugunsten der Dauer und Wiederkehr, von „warmen Gesellschaften“ zu unterscheiden, die „das historische Werden [...] zum Motor ihrer Entwicklung“ machen. 151 „Das Denken im wilden Zustand“ widersetzt sich somit grundsätzlich einem (westlich) „kultivierten oder domestizierten Denken“, das auf „die Erreichung eines Ertrages“152 unmittelbar ausgerichtet ist. Der aufklärerische koloniale Diskurs kann somit dem magisch-mythischen Natur- und Weltbezug der ‚Wilden‘ nicht gerecht werden, wenn er das ‚wilde Sein‘ der europäischen Geschichts-Teleologie unterwirft. Nun sieht es so aus, als ob Denis Diderot in seinem ‚Nachtrag zu Bougainvilles Reise‘ von 1796 (posth.) den ‚wilden Völkerschaften‘153 auf andere Weise gerecht geworden sei. Er tut es (scheinbar) in den fiktiven Dialogen des Tahiti-Insulaners Oru mit dem Schiffskaplan und mit dem

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Eingangs- und Schlussdialog zweier Europäer (A und B) in wechselseitiger Kommentierung des Bougainville’schen Reisetextes. Er tut es nicht, indem er die Stimme des ‚Anderen‘ auch in diesem kritischen Nachtrag – als in Europa sesshafter Kritiker – lediglich simulieren kann: und zwar in der Fiktion des Eingeborenen im Dialog und der Abschiedsrede des tahitianischen Greises an die Adresse des abreisenden Schiffskapitäns Bougainville. Weder spricht hier ein leibhaftiger Tahitianer namens Oru, noch wird die Abschiedsrede von jenem Greis auf Tahiti je so gehalten worden sein. Man könnte allenfalls sagen, dass Diderot in dem fiktiven Oru den von Bougainville aus Tahiti mitgebrachten schweigenden Aoturu zum Sprechen bringt. Im Ganzen entwirft sich der aufklärerische koloniale Diskurs Diderots als ein komplexes Textgefüge, in dem aus fünf verschiedenen Perspektiven (der Europäer A und B, des Tahitianer Oru und des Kaplans, des tahitianischen Greises) das jeweils Eigene und das jeweils Fremde „diskursiv konstruiert und relationiert werden“. 154 Diderots reflektiver Text befreit den kolonialen Diskurs aus der Starrheit apodiktischer FestStellungen und verleiht ihm die Form eines „translatorischen Handelns“, in dessen Verlauf es zu wechselseitigen ‚Übersetzungen‘ aus einem kulturellen Kontext in den anderen kommt. 155 Insoweit Diderot jedoch der alleinige Autor dieses Rollen- und Perspektiven-Spiels ist, können die Dialoge den Horizont westlich-europäischen Wissens nicht überschreiten; so wird er aus der Sicht seines Kommentators A (ironisch) eingestehen, dass der tahitianische Greis durchaus eine Reihe „europäischer Ideen und Redewendungen“ nutzt, die allerdings – aus der Sicht des Kommentators B – der Mehrfach-Übersetzung geschuldet seien. Die fiktive Abschiedsrede des Greises in tahitianischer Sprache erreicht den Schiffskapitän in einer Übersetzung ins Spanische, während den Kommentatoren A und B offenbar eine französische Version vorliegt. Diderot thematisiert ein fundamentales inter/transkulturelles Verständigungs-Problem; er inszeniert eine Kette von ‚Übersetzungen‘, die jedes Mal aus „der Berührung zweier kultureller Wirklichkeiten“ hervorgehen: Jedes Mal treten sich „Angehörige verschiedener Kulturen“ gegenüber, deren „Übergänge von einer Kultur in eine andere – Übersetzungen nötig mache(n).“156 Wenn der historische koloniale Diskurs immer schon auf Übersetzungs-Vorgängen beruht, dann ist Diderots Text zu Bougainvilles Reisebericht – so weit ich sehe – der erste, der die ‚Übersetzung‘ als Prozess thematisiert, der sich reflexiv fortpflanzt in der Übersetzung der Übersetzung etc. – und somit

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zur ständigen Überprüfung von Kriterien und Kategorien im „Umgang mit Differenz“ führt. Im konkreten Fall aber scheint „das translatorische Handeln“ trotz intensiver „Berührung mit der fremden Wirklichkeit“ Europas ins Stocken zu geraten. Aus dem Blickwinkel des Kommentators B (der offenbar die Auffassungen des Autors vertritt) ist der von Bougainville aus Tahiti ‚real‘ importierte Aoturu nicht in der Lage, eine Übersetzung aus einem (fremden) Kontext in einen anderen (eigenen) Kontext zu leisten: Er hat „wenig begriffen“ und in seiner Sprache keine passenden Ausdrücke für Dinge einer fremden Welt gefunden. „Er versteht nichts von unseren Bräuchen und Gesetzen oder sieht in ihnen nur Fesseln [...]“. So wie Bougainville möchte auch Diderot die Unfähigkeit des Wilden aus dem evolutionsgeschichtlichen ‚Abstand‘ erklären, „der ihn von uns trennt“: „Der Tahitianer steht dem Anfang der Welt, der Europäer ihrem Greisenalter so nahe.“157

Auch in diesem Fall blockiert gerade der aufklärerische Gedanke einer universalen Evolutionsgeschichte die Übersetzungsbereitschaft auf Seiten des Europäers. Der Abstand auf der Zeitlinie „ist größer als der Abstand zwischen dem neugeborenen Kind und dem Menschen in der Auflösung des Alters“. 158 Es begegnen sich somit nicht Angehörige zweier Kulturen, sondern Angehörige zweier Entwicklungsstufen im Prozess der Menschheitsgeschichte; Menschen aus der ‚Frühzeit‘ menschlichen Daseins auf der Welt treffen auf Menschen aus der ‚Spätzeit‘; sie verfügen nicht über einen vergleichbaren Wissensstand, nicht über das gleiche Medium der Verständigung und Übersetzung, so weit ihre Sprache – aus europäischer Sicht – nicht den Komplexitätsgrad europäischer Sprachen erreicht, so weit sie ohne Schriftsystem sind. Die Differenz erscheint absolut und unüberbrückbar. Auf gleiche Weise äußert sich Georg Forster in der Vorrede seines Reiseberichts im konkreten Fall über den Tahitianer O-Maii, den James Cook nach England gebracht hatte. So konstatiert auch er die „noch kindische Beurtheilungskraft“ des Wilden, die artikulatorischen Schwierigkeiten, „zusammengesetzte englische Töne hervorzubringen“; seine Unfähigkeit, auch nur eine „allgemeine Vorstellung unseres civilisierten Systems“ erlangen zu können oder gar über „unsre erhabnen Begriffe von Tugend“ oder „die göttlichen Grundsätze der geoffenbarten Religion“ verfügen zu

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können. 159 Selbstverständlich erübrigt sich für den Europäer hier, über entsprechende Vorstellungen des ‚wilden Denkens‘ zu verfügen. So müssen die Versuche, „aus der Berührung zweier kultureller Wirklichkeiten“ zu wechselseitigen Übersetzungen zu kommen, exemplarisch scheitern, wenn das Machtgefälle von einem Akteur zum anderen zu groß ist. Immer wieder haben ‚Wilde‘ wie O-Maii oder Aoturu oder andere nach Europa verschleppte Indianer, von denen schon Michel Montaigne und J.J. Rousseau berichten, unter den Bedingungen asymmetrischer Kommunikation beharrlich geschwiegen und sich geweigert, „unsere Sitten und Lebensweise“ anzunehmen: „Es ist eine außerordentlich bemerkenswerte Sache, dass die Europäer nach vielen Jahren der Bemühung, die Wilden verschiedener Gegenden der Welt zu ihrer Lebensweise zu bekehren, nicht einen einzigen gewinnen konnten, selbst nicht dank des Christentums. Wohl machen unsere Missionare oftmals Christen aus ihnen, aber niemals zivilisierte Menschen. Nichts kann den unbesiegbaren Widerstand überwinden, den sie gegen die Annahme unserer Sitten und unserer Lebensweise haben.”160

heißt es in Rousseaus ‚Discour sur l’Origine de l’Inégalité parmi des Hommes‘ von 1755. Fazit: Wenn der Wilde – nach europäischem Ermessen – kein gleichrangiger Partner in symmetrischer Kommunikation sein kann, wenn eine wechselseitige Verständigung nicht zustande kommt, da der Wilde – nach den europäischen Standards – nicht über die transkulturell nötige Sprach-Kompetenz verfügt, wird jede ‚Bemühung um den Wilden‘ regelmäßig in ‚Bekehrung‘, Belehrung, Maßregelung, schließlich in Assimilationszwang – wenn nicht in seinen Ausschluss: in Versklavung und Tod umschlagen. Genau diese realen Bedingungen machtgestützter asymmetrischer Kommunikation werden von der Fiktion Diderots suspendiert, indem er sich zum ‚ghost-writer‘ aller Parteien erklärt und das Ideal- oder Trugbild eines gelingenden interkulturellen Dialogs vorstellt. Was ihm jedoch in den kunstvoll arrangierten Spiegelungen des Eigenen im Fremden, des Fremden im Eigenen gelingt, ist der Nachweis der Relativität der Blickwinkel – vor allem des eigenen, eurozentrischen Standpunktes. Als philosophischer ‚Erzähler‘ öffnet er den ‚kolonialen Diskurs‘, indem er die Übersetzung aus dem eigenen Kontext in den anderen (tahitianischen)

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Kontext leistet, um wiederum den fremden Blick auf sich in den Diskurs einbeziehen zu können. Der ‚koloniale Diskurs‘ entfaltet sich erstmalig multiperspektivisch, dialogisch, wobei nicht zu vergessen ist, dass die Deutungshoheit immer bei dem ‚weißen Erzähler‘ verbleibt. Mit den ‚Adieux du vieillard‘ entwirft Diderot die ‚Erzählung‘ des tahitianischen Greises aus der Perspektive eines Opfers der europäischen Konquista; die ‚Erscheinung‘ der weißen Fremden lässt sich nicht in seine Sprache übersetzten – auch nicht in die Vorstellung einer wunderbaren Epiphanie unbekannter Götter oder Dämonen; so ‚erscheinen‘ sie nach ihrem Auftreten und ihren Taten als „ehrgeizige und böse Menschen“, als profane Land-Räuber, die mit ihren überlegenen „Mordwaffen“ nichts anderes anstreben als die Eingeborenen zu „versklaven“ und „wie ein Stück Vieh in Besitz zu nehmen“, sie „in Ketten zu legen“ oder zu töten. 161 Bekanntlich hatte Bougainvilles Schilderung eines ‚paradiesischen‘ Tahitis bei seinen europäischen Lesern phantastische Vorstellungen einer vollkommenen ‚natürlichen Freiheit‘ der Liebe, einer vom christlichen Sündenbewusstsein unberührten Sexualität hervorgerufen. Diderot lässt den tahitianischen Greis seinerseits auf alle Formen der ‚sexuellen Berührung‘, der sexuellen Unterwerfung des fremden weiblichen Körpers durch den europäischen Eindringling, mit scharfer Kritik reagieren. Nicht nur beruhe die Deutung eines ‚wilden‘ scham- und angstlosen Sexualverkehrs unter den Tahitianern und der ebenso ‚wilden‘ Hingabe an die Fremden auf der bloßen Unkenntnis der fremden Sitten und Gebräuche, zerstörerisch wirke sich vor allem das Bekehrungs- und Bemächtigungs-Werk des „Mannes in Schwarz“ aus: Der Angriff der christlichen Schuld- und Sündenlehre auf das Naturgesetz scham- und angstfreier Sexualität bringe die sittliche Basis des Zusammenlebens der Geschlechter ins Wanken. Vernichtend allerdings habe sich gezeigt, dass die sexuelle Unterwerfung durch die Europäer die ‚freie Liebe‘ mit dem Stigma der Krankheit besetzt habe. Die Verbreitung der Syphilis durch europäische Seeleute während der frühen Hochzeit des transatlantischen ‚Seehandels‘ nach den ‚Entdeckungen‘ kann als historische Tatsache angesehen werden, wenn auch der ‚Ursprung‘ der Krankheit weiterhin ungeklärt bleibt. Auch schon auf dieser ersten Stufe einer reaktiven Kritik an der europäischen Übermächtigung kommt dem Thema der Geschlechterbeziehung vor dem Thema der Gewalt eine besondere Bedeutung zu. Die „Be-

IV. Das Schweigen des Anderen

rührung zweier kultureller Wirklichkeiten“ wird somit in erster Linie als Konflikt differenter Beschreibungen des sexuellen Körpers gesehen – ein Konflikt, der regelmäßig zu Lasten der unterlegenen Indigenen ausgetragen wird, indem die Europäer die Regel des ‚Liebes-Austausches‘ bestimmen und gleichzeitig versuchen, „die Eigenarten (der Indigenen) in (ihren) Gemütern auszulöschen“. 162 Auf einer zweiten Stufe nunmehr reflektiver Kritik tauschen der fiktive Eingeborene Oro und der fiktive Schiffskaplan ‚Argumente‘ aus, in denen die kulturelle Relativität von Einstellungen zur Sexualität und zur Geschlechterbeziehung schon deutlich zu Tage tritt. Den Rahmen allerdings dieses wechselseitigen ‚Übersetzens‘ von Positionen bildet dann doch das notorisch evolutionistische Paradigma der europäischen Aufklärung. Wenn Diderot die Tahitianer dem „Anfang der Welt“ und die Europäer „ihrem Greisenalter“ nahe stehend sieht, führt er die Verschiedenartigkeit der gesellschaftlichen Praxis zurück auf unterschiedliche ‚Positionen‘ auf der Linie des geschichtlichen Fortschritts. Während sich die Tahitianer als „nicht zivilisiertes Volk“163 noch auf der frühen Entwicklungsstufe eines „rohen, wilden Naturzustandes“ befinden, haben sich die Europäer von dieser „ursprünglichen Einfachheit“164 des Naturzustandes weit entfernt und behaupten den späten Entwicklungsstand einer komplexen, elaborierten Zivilisation: „Fortschritt manifestiert sich im Übergang von animalischer Rohheit zum Zustand der Wildheit, von dieser zur Barbarei, von der Barbarei zur Zivilisation“ etc. 165 Diese Vorstellung eines „unilinearen Evolutionismus“ (Leclerc) ist uns allzu geläufig, als dass wir den Charakter des Konstrukts zur Kenntnis nehmen können oder wollen, um darin die Strategie der Bemächtigung zu erkennen. Wenn jede ‚menschliche Praxis‘ nur als Moment oder Stufe im universellen Prozess des geschichtlichen Fortschritts aufgefasst wird, dann verfallen jene Gesellschaften, die – nach den europäischen Standards – die letzte Entwicklungsstufe der Zivilisation nicht erreicht haben, der Abwertung als ‚primitiv‘, ‚roh‘ und ‚wild‘. Die Geschichte aber rechtfertigt die ‚späte‘ Zivilisation Europas gegenüber den ‚früheren‘ primitiven Völkern als ‚fortgeschritten‘, ‚überlegen‘ und zur Herrschaft ausersehen. Die Überlegenheit der europäischen Zivilisation könnte sich in dem fiktiven Dialog (Oro – Kaplan) allein schon darin zeigen, dass der (eigene) zivilisatorische Zustand (über die fiktive Stimme Oros) kritisch reflektiert wird, und die Kosten des Fortschritts in der Zähmung und Unterwerfung

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der Natur deutlich benannt werden. Dies nun ist der Punkt, an dem der ‚koloniale Diskurs‘ – allerdings nur in der Fiktion Diderots – die argumentative Perspektive wechselt: die notorisch-wertende Sicht des Zivilisierten auf den Wilden wird verkehrt, der (leicht europäisierte) Wilde: Oro blickt zurück auf den Zivilisierten (Kaplan); der fremde Blick fällt auf die eigenen Prädispositionen – ein Perspektivwechsel-Spiel, das bekanntlich Montesquieu schon 1721 mit seinen ‚Lettres Persanes‘ vorgespielt hatte. So muss hier aus der Sichtweise des ‚glücklichen Wilden‘, der allein dem „Trieb der Natur“ folgt, die christliche Verdammnis des sexuellen Körpers als „Vergehen gegen die Natur erscheinen, seine monogame Disziplinierung und seine Abtötung im zölibatären Extremfall als „barbarisch“. 166 Der ‚koloniale Diskurs‘ aber, der mit dem Perspektivwechsel den Blick freigibt auf den ‚unglücklichen Zivilisierten‘, bedient sich der Fiktion des ‚glücklichen Wilden‘ im Naturzustand lediglich als Folie: Sein Interesse gilt dabei mehr einer kritisch-antiklerikalen Betrachtung des eigenen zivilisatorischen Zustands als einer Sichtung des realen Elends der Wilden. Es geht dem ‚Diskurs‘ hier also nicht um die Problematik einer gewaltsamen Kolonisierung, um die realen Folgen von Zerstörung, Auslöschung und Tod für fremde, ferne Völkerschaften, sondern vornehmlich um das bessere Verständnis des eigenen gesellschaftlichen Zustands, dessen Reformierung man anstrebt. Im Augenblick der Auslöschung von Naturvölkern in Amerika und Australien ergreift das aufklärerische Europa der Gedanke, dass nicht nur das Moralgesetz, sondern der Fortschritt selbst als Unterwerfung der Natur unter eine instrumentelle Vernunft die Ursache des eigenen‚ unglücklichen Bewusstseins sein kann. Auch auf der dritten Stufe der Reflexion – dem Dialog von A und B – kommt das real-geschichtliche Unglück der ‚wilden Völker‘ nicht zur Sprache. Wenn es um „Fragen des sittlichen (moralischen) Handelns“ geht, dann lediglich in Bezug auf den sexuellen Körper und seine unabweisbaren natürlichen bzw. sündhaften Begierden – und gerade nicht in Bezug auf das Übermaß an Gewalt, dessen sich die Europäer gegenüber den ‚wilden Völkern‘ in Form von Raub, Versklavung und Vernichtung schuldig machen. So setzt der Dialog (A – B) mit der pragmatischen Frage ein, welche „nützlichen Folgerungen“ der Europäer für sich und sein eigenes Heil „aus den Sitten eines nicht zivilisierten Volkes ziehen“ kann?167 – und schließt mit der Frage, ob man überhaupt zu „der ursprünglichen Freiheit unserer alten Erde“168 zurückkehren kann, ob überhaupt ein ge-

IV. Das Schweigen des Anderen

sellschaftliches Leben vor dem ‚zivilisatorischen Sündenfall‘ im Stande sünden- und schamlosen sexuellen Glücks wiederholbar sei. Die koloniale ‚Begegnung‘ mit den „nicht zivilisierten Völkern“ macht den zivilisierten Europäern bewusst, wie weit sie sich „von der Natur und vom Glück entfernt“ haben. 169 Das Janusgesicht Europas aber zeigt sich auch hier, wenn die einen das Sehnsuchtsland der glücklichen (polynesischen) Naturvölker besingen, die anderen zur selben geschichtlichen Stunde das Werk der Vernichtung betreiben, der Auslöschung der Lebensart ebendieser Naturvölker, ihrer Europäisierung oder Versklavung. Schon Georg Forster hatte in seinem Reisebericht von 1777 davon gesprochen, dass den Indigenen neben den vielen Menschenopfern ein „unersetzlicher Schaden [...] durch den Umsturz ihrer sittlichen Grundsätze zugefügt“ worden sei. 170 Die Fundamente eines ‚glücklichen Lebens nach den Naturgesetzen‘ können im Augenblick ihrer philosophischen Lobpreisung auch schon als zerstört und der kolonialen Einebnung geopfert betrachtet werden. Der von Bougainville in die Welt gesetzte ‚Tahiti-Mythos‘, in dem die erotische, liebesbereite fremde, farbige Frau die phantastische Hauptrolle spielt, wird von Diderot zwar relativiert, jedoch nicht dekonstruiert. So gestattet er seinem Schiffskaplan, der sich zunächst mit Verweis auf „Religion und Stand“ prüde dem Liebesangebot der Tahitianerinnen verweigert, am Ende doch, sich den Liebesfreuden mit gleich vier tahitianischen Frauen hinzugeben – und somit dem ‚Mythos‘ Genüge zu tun. Dem externalisierten ‚Eros‘ oder ‚Sexus‘ sind wir in früheren kolonialen Erzählungen schon mehrfach begegnet: so in Gestalt der verführerischen Abessininerin auf der Insel des Simplizissimus oder der javanischen Prinzessin, jener „Heydin“, mit der Capitain Leonhard Wolfgang „courtoisierte“, ehe er auf die ‚triebgezügelte‘ Insel Felsenburg verschlagen wird oder der schwarzen Sklavin, mit der sich der schiff brüchige George Pine auf der Isle of Pine vergnügte. Die fremde farbige Frau wird immer zum ersten Objekt sexueller Bemächtigung – fernab des moralischen Gerichtsstandes in Europa; die kolonialen Mythen entwerfen sie als ideales Objekt aller sexuellen Projektionen des europäischen Mannes, aber eben auch – wie im Falle der Tahitianerinnen – als Objekt von Projektionen eines Lebens im glücklichen Naturzustand jenseits aller zivilisatorischen Restriktionen. Auch dies: „Nützliche Folgerungen“, die der Europäer „aus den sonderbaren [...] Sitten eines nicht zivilisierten Volkes ziehen“

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kann. Mit seiner Erzählung von den ‚Liebesabenteuern‘ des ‚standhaften‘ Schiffskaplans trägt auch der skeptische Aufklärer Diderot dazu bei, den Tahiti-Mythos in Europa zu verbreiten. Mit seinem berühmten Resümee: „Verhalten wir uns wie jener gute Kaplan, der in Frankreich Mönch war, in Tahiti dagegen ein Wilder“ bestätigt er jedoch die Vorstellung, dass es inzwischen „Orte außerhalb aller Orte gibt“ (Foucault), die im Gegensatz zu den Nicht-Orten der ‚alten‘ Utopien irgendwo in der Weite der kolonialen Welt verortet werden können 171: Es sind andere, gegen-zivilisatorische, ‚wilde Orte‘, an denen die Regeln der zivilisatorischen Zentren punktuell aufgehoben scheinen und dem europäischen Mann ungeahnte Freiheitsräume zusichern. Im Prozess einer weltweiten europäischen Kolonisierung fremder Völkerschaften entstehen neben allen Formen der Berherrschungs- und Siedlungskolonien 172 parallel besondere ‚andere‘ koloniale Örter, die nicht primär der wirtschaftlichen Ausbeutung dienen, sondern einer ästhetisch-kompensatorischen Nutzung und Aneignung unterworfen werden: Heterotopien als imaginäre Gegenorte, künstliche Paradiese, die fernab der imperialen Machtzentren betreten werden können; sie versprechen befristete Entlastung von den Bürden der Kultur-Gesellschaft, besonders von den Disziplinierungen des ‚sexuellen Körpers‘. Mit der Thematisierung Tahitis als eines derartigen Heterotops lassen die Texte Bougainvilles und Diderots am Ende des 18. Jahrhunderts schon erkennen, in welche Richtung sich der koloniale Leit-Diskurs Europas im 19. Jahrhundert auslegen und entfalten sollte und wie entschieden er sich von der ‚Nachtseite‘ der glorreichen Weltbemächtigung abwenden wird. Die verführerischen Insel-Nymphen Tahitis bieten allemal einen angenehmeren Anblick als geschundene schwarze Sklaven auf dem Schiffstransport in die amerikanischen Kolonien. Der Tahiti-Mythos ‚bereichert‘ den kolonialen Diskurs um den Aspekt des exotistischen Interesses: Bekanntlich wird sich im exotistisch-kolonialen Diskurs des neuen Jahrhunderts die ästhetisch-museale Verklärung dessen artikulieren, was der Kolonisations-Prozess im Ganzen zur Vernichtung bestimmt hat.

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Nächtlicher Tanz polynesischer Frauen vor Einheimischen und vor Männern aus Kapitän James Cooks Crew, gezeichnet von John Webber auf Cooks dritter Südseereise.

zvg (www.bernerzeitung.ch, 07.11.2016)

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V. Kulturzusammenstoß: Institut d’Egypt vs. Al Azhar – Al Garbati Schwarze Revolution vs. Weiße Ordnung – H. v. Kleist

„Dieses Ereignis (die Entdeckung der Neuen Welt) hat das Antlitz der Welt so ergreifend umgestaltet, dass es wie eine kosmische Katastrophe erscheint. Man kann die umstürzenden Folgen der Entdeckung der neuen Welt nur mit den Ergebnissen der Expansion des Islams vergleichen [...] Dennoch war dies alles weit weniger folgenreich als die Verwandlung des Atlantischen Ozeans in ein Meer zwischen zwei Kontinenten, die Entdeckung des Pazifischen Ozeans und die Ausbreitung des Christentums über den Äquator hinaus. Von unvergleichlicher Bedeutung waren hierbei die Verbreitung der spanischen und portugiesischen, bald auch der englischen und französischen Sprache in Amerika; die eingreifenden Veränderungen in den geschichtlichen Schicksalen so vieler Völker, die zu Mestizen gemacht oder vernichtet wurden [...].“173

Was Henri Pirenne eine „kosmische Katastrophe“ nennen konnte, muss als eine Form der gewaltsamen Umwälzung der bestehenden gesellschaftlich-politisch-kulturellen Ordnung verstanden werden, somit als eine ‚Revolution‘, die in mehreren Wellen und Schüben die Beziehung Europas zu fremden, anderen Völkern dieser Erde entscheidend verändert und den totalen Bruch mit den Traditionen beschränkter, lokal-europäischer Machtausübung zugunsten globaler Bemächtigung vollzieht. Die ‚koloniale Revolution‘ mit dem Initialdatum des 12. Oktober 1492 gewinnt Jahrhunderte später neue Stoßkraft in der unmittelbaren Verknüpfung mit den Ereignissen der Doppelrevolution des 18. Jahrhunderts: mit der seit 1750 von England ausgehenden ‚Industriellen Revolution‘ sowie mit den 1776 und 1789 sich ereignenden politischen Revolutionen in den neu-

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Das Janusgesicht Europas

englischen Siedlungskolonien Nordamerikas und in Frankreich. So war „die industrielle Revolution (in England) in erster Linie mit der Baumwollindustrie verbunden“174 – so wie die ‚koloniale Revolution‘ mit jener „großbetrieblichen“ Sklavenwirtschaft verkoppelt war, die die RohstoffBeute den Industrien in den europäischen Mutterländern zuführte. Die ‚Virginia Declaration of Rights‘ vom 12. Juni 1776 befestigte ihrerseits mit ihrem berühmten Vorsatz: „that all men are by nature equally free and independent“ die Freiheitsrechte des ‚weißen Mannes‘ – und verweigerte sie den schwarzen Sklaven und Ureinwohnern, den Frauen ohnehin. Diese Exklusion verschaffte dem Sklavenhalter-System so etwas wie eine rechtliche Garantie, während sie den Status des schwarzen Sklaven als rechtloses ‚Objekt‘ festschrieb. Auch die ebenso berühmte ‚Declaration des Droits de l’Homme et du Citoyen‘ der französischen Nationalversammlung vom 26. August 1789 mit dem entsprechenden ‚Article Premier‘: Les hommes naissent et demeurent libre et égaux en droits [...] bestand schon nach der ersten Revolte schwarzer Sklaven auf Haiti 1791, die sich auf eben diesen Artikel beriefen, den Test auf universale Gültigkeit nicht. Die kurzfristige Abschaffung der Sklaverei durch Danton im Jahre 1794 als Antwort auf die Revolte wurde durch Napoleon 1804 liquidiert. Diese notorischen Bezüglichkeiten sollen lediglich ein Schlaglicht werfen auf den kritischen Zusammenhang der drei europäischen Revolutionen. Nicht von ungefähr lieferte die Sklaven-Plantage in den Kolonien „als wirtschaftlich effizienteste Form der großbetrieblichen Warenproduktion“175 das Muster der industriellen Fabrikarbeit in England, und nicht von ungefähr wurde die ‚Virginia Declaration‘ der Menschenrechte von 1776 auf kolonialem Boden von den Siedlern im Augenblick ihrer revolutionären Lösung vom Mutterland verfasst – in srikter Abgrenzung von den Ureinwohnern im Augenblick, in dem der angeeignete „Grund und Boden [...] gleichermaßen von Unkraut wie von Wilden zu säubern war“176 Von Anfang an ist der Anspruch der Universalität, der Allgemeingültigkeit aller durch diese Revolutionen verkündeten Fortschrittsziele nicht eingelöst worden – im Gegenteil scheinen die Exklusiv-Rechte von Freiheit und Gleichheit den ‚weißen Mann‘, die ‚weiße Gesellschaft‘ noch entschiedener von allen indigenen Völkerschaften zu trennen. Das Janusgesicht Europas wird sich immer zeigen in der Widersprüchlichkeit von inklusivem Universalismus der menschenrechtlichen Verlautbarungen

V. Kulturzusammenstoß

und einer rigiden exklusiven Praxis, die dem Anderen den Zutritt zu diesem Rechtsraum verweigerte. Die Deklarationen der Freiheitsrechte der Menschen stellen die kolonialen Regime keinesfalls in Frage, sie bestätigen sie. Im kolonialgeschichtlichen Kontext dieser letzten Jahrzehnte des 18. Jahrhunderts kommt dem 1.-2. Juli 1798 ebenfalls die Bedeutung eines weltgeschichtlichen Initialdatums zu: Es sind die Tage, an denen ein französisches Flottengeschwader vor Alexandria auftaucht und französische Soldaten bei Agami ägyptischosmanischen Boden betreten. Damit setzt die europäische Invasion eines arabischen Landes ein, die Ägypten erstmals mit dem ‚modernen‘ Europa (okkupatorisch) in Berührung brachte, bevor im Laufe des nächsten Jahrhunderts der ganze afrikanische Kontinent zu einem Objekt von Expansionsgelüsten aller europäischen Mächte werden sollte. Der koloniale Konkurrent der Franzosen steht bei Abukir vor der ägyptische Küste schon bereit: Zehn Tage nach der Landung Napoleons zerstören die Briten die ankernde französische Flotte und offenbaren damit den geopolitischen Charakter einer Konfrontation der europäischen See- und Kolonialmächte vor der Küste eines fremden Landes – gewissermaßen am Vorabend des sog. ‚scramble for Africa‘. Auch in Bezug auf die Fortschreibung des ‚kolonialen Diskurses‘ zeigt sich ein Novum: erstmals sind Okkupierter und Okkupant in ein und demselben Text präsent. Der Scheich Abd-ar-Rahman al-Garbati verfasst als Augenzeuge die Chronik der Eroberung Ägyptens durch Napoleon und überliefert – oft im Wortlaut eines ‚schlechten Arabisch‘ – die sog. Sendschreiben, die Bonaparte an die muslimische Bevölkerung richtet. 177 Selbstverständlich erscheinen diese Sendschreiben auch als autonome Texte in Form einer ganz neuartigen Interventions-Propaganda, z. T. als Plakate an Hauswänden der Metropole Kairo. Insofern diese Texte der ‚Besatzungsmacht‘ den Prämissen kolonialer Herrschafts-Praxis verpflichtet sind, sich aber einer Rhetorik der Überredung bedienen, verleihen sie dem ‚kolonialen Diskurs‘ schon Züge einer medialen ‚Überwältigung‘. Napoleon tritt in diesen Texten erstmals nicht als christlicher Eroberer auf, sondern „als echter Muslim“ im Namen Gottes, der beschlossen hat, dass er „aus dem Westen nach dem Lande Ägypten kommen solle, um jene (die Mameluken) zu verderben, die dort als Tyrannen herrschen“178 . Allerdings nicht zum ersten Mal in der Kolonialgeschichte beruft sich Napoleon auf das Recht zur Intervention, wenn es darum geht, eine ‚Schutzverantwortung‘ für Gruppen und Gemeinschaften zu über-

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nehmen, die von ‚Tyrannen‘ unterdrückt werden: „Ich bin zu euch gekommen, um euer Recht aus der Hand der Unrechtuer zu befreien [...]“179 Die UN-Resolution ‚Responsibilty to protect‘ kann auf eine lange koloniale Vorgeschichte zurückblicken. Napoleon kommt aber erstmals als ‚säkularer Heilsbringer‘ und Modernisierer, nicht mit Missionaren und Mönchen im Gefolge, sondern mit einem Expeditionscorps von Wissenschaftlern, Philosophen, Künstlern, Astronomen, Architekten, Landvermessern, Zoologen, Druckern und Ingenieuren 180 in den von der ‚westlichen Moderne‘ unberührten Orient. Napoleon dringt zwar immer noch wie alle Konquistadoren vor ihm mit Soldaten und neuster Waffentechnik in fremdes Land ein, aber er begegnet den Fremden nicht a priori als Feind, als Vernichter, sondern als Überbringer der revolutionären Botschaft von Freiheit und Gleichheit, als Sendbote des wissenschaftlich-technischen Fortschritts-Programms. Im Medium des ‚Sendschreibens‘, der öffentlichen Proklamation übernimmt der ‚koloniale Diskurs‘ die propagandistische Aufgabe der Selbstdarstellung und Selbstrechtfertigung des Eroberers. Unmissverständlich lässt seine Selbsterhöhung als ‚säkularer Heilsbringer‘ erkennen, welches Ausmaß an Rückständigkeit er in einem arabischen Land anzutreffen glaubt. Weiterhin erstmalig begegnen sich in der Chronik des Scheichs Al-Garbati (1754-1829) der Text „eines Mannes des ägyptischen ancien régime“181, einer Jahrhunderte alten Mameluken-Herrschaft, – und der (zitierte) Text des republikanischen Generals aus Europa: Die Blickwinkel überschneiden sich, die Stimme des Anderen wird vernehmbar im Bericht des Scheichs, in seiner kritischen Kommentierung der Invasion, in seinem Erschrecken über die plötzliche Anwesenheit einer fremden Macht. So beginnt Al-Garbati seine ansonsten eher sachlichen Aufzeichnungen zur Okkupation im Bewusstsein, Zeuge eines katastrophischen Zusammenbruchs der ‚alten Ordnung‘ zu sein: „Es war das erste Jahr großen endzeitlichen Gemetzels und schwerwiegenden Wechsels, in dem Ereignisse auf uns niederprasselten, so dass wir erblassten; Vervielfachung alles Schlimmen, Überstürzung aller Dinge; Aufeinanderfolgen von Unglücken, voll von Missgeschicken; Umkehrung alles Natürlichen, Revolutionen alles Gebührlichen; Abfolge von Scheußlichkeit, entgegen geregelter Häuslichkeit; der Ordnung Ersterben, Beginn von Verderben; allgemeine Zerstörung, Ver-

V. Kulturzusammenstoß

wirrung und Empörung; Gott zerstörte durch Tyrannen die Dörfer und den Frieden ihrer Mannen.“182

Die katastrophische ‚Nachtseite‘ des von Napoleon proklamierten und ins Werk gesetzten Zivilisations-Programms wird hier (erstmals) aus der Perspektive eines Angehörigen der betroffenen ägyptischen Elite, eines gelehrten Scheichs aus dem Kreis der Theologen, Juristen und Wissenschaftler der Al-Azhar-Moschee 183 artikuliert. Für Al-Garbati muss die ‚Berührung‘ mit der säkularen ‚Moderne‘ Europas den Untergang seiner Welt bedeuten, in der Gott allein über Jahrhunderte durch seinen Propheten die Geschicke lenkte. 184 Die europäisch-triumphale Tagseite dieser kulturellen Überwältigung erscheint in Form der von Al-Garbati zitierten Sendschreiben. Trauer und Verstörung aber durchzieht wie ein roter Faden den dokumentarischen Text des Chronisten. Wenn auch die napoleonische Anmaßung, als „echter Muslim“ zur Befreiung der Ägypter von der Mameluken-Herrschaft aufzutreten, von den Al-Azhar-Gelehrten wohl eher mit Spott durchschaut wird als koloniale Taktik im Wettstreit mit den konkurrierenden Briten um die Vormachtstellung im Orient – so scheint das wissenschaftliche Expeditionscorps Neugier und Erstaunen der Gelehrten zu erwecken: Al-Garbati ist verstört und fasziniert zugleich von dem Tempo des von den Franzosen betriebenen wissenschaftlich-kulturellen, technisch-baulichen Modernisierungswerkes. Er muss erkennen, dass Europa, demgegenüber man sich in der arabischen Welt so lange als die überlegene Kultur sah, gerade in diesem historischen Augenblick mit dem Selbstbewusstsein auftreten kann, über ein vernunftgeleitetes universales Fortschritts-Programm zu verfügen. Er sieht sich ohnmächtig hineingezogen in die Turbulenzen einer Zeitenwende, ohne allerdings das ganze Ausmaß einer fundamentalen ‚Verwandlung der Welt‘, die sich in der Folge der drei europäischen Revolutionen schon längst ereignet, erfassen zu können. Was sich aber Al-Garbati schon erschließen kann, ist, dass dieses, von einem professionellen Corps von Wissenschaftlern und Technikern beförderte Modernisierungswerk im selben Augenblick auch schon das Werk einer neuartigen (kognitiv-mentalen) Bemächtigung sein wird. So beschreibt er die französische ‚Machtzentrale‘ des von Napoleon begründeten ‚Institut d’Egypte‘, für das ein ganzes Stadt-Quartier Kairos requiriert wird:

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Hier entsteht kurzfristig in unmittelbarer Nachbarschaft zu der alt-ehrwürdigen 1000-jährigen Al-Azhar-Moschee und Lehrstätte ein interdisziplinäres Forschungs- und Planungszentrum modernsten Zuschnitts. Bewundernd kann Al-Garbati nur unzusammenhängend und unvollständig registrieren, was sich dort abspielt: „Technik und Astronomen [...] Leute der Wissenschaft wie Mathematik (und) Astronomie“ seien hier tätig; „Skulptur, Zeichnen, Malen, Schreiben, Rechnen und Baukunst“ gehörten zu ihren Tätigkeitsfeldern. Sein besonderes Interesse gilt dem, was ihm noch fremd sein musste: „die große Menge ihrer Bücher“185 als Drucktexte, die Vielzahl der (Ab)Bilder, schließlich wissenschaftliches Gerät (Höhenmesser, Brillen, Ferngläser, Kompasse, Uhren etc.). Er benennt damit die entscheidenden (medialen) ‚Werkzeuge‘ und ‚Waffen‘ im Kampf um die Aneignung einer fremden Welt. An dem für den muslimischen Gelehrten unvertrauten Medium des Bildes verfolgt Al-Garbati den Versuch der europäischen Eroberer, sich die Fremde zu Eigen zu machen; das Bild unterwirft das FremdeAndere dem eigenen Code des Wahrnehmens: so in (Ab)Bildern des Propheten –„so weit eben ihr Wissen und ihre Bemühungen reichen“ – fügt Al-Garbati kritisch hinzu; in Bildern des „Felsen Jerusalems“, „vom Harem von Mekka und von Medina“; in Bildern der vier Imame, von Istanbul und seinen Moscheen, Bildern von Ländern, Küsten, Meeren, der Pyramiden, der Tempel von Oberägypten – schließlich von exotischen Vögeln, Pflanzen, Kräutern etc. 186 Der Augenblick, in dem er in der Bibliothek des Institut d’Egypte seiner eigenen Welt begegnet, übersetzt in das ihm fremde Medium des (Ab)Bildes, muss für ihn ein Augenblick schockhafter Entfremdung gewesen sein. Wie wir wissen, wurde dieser Bild-Apparat im Zusammenhang des Großprojekts einer ‚Description de l’Egypte‘ angelegt. „The Description“ – schreibt E. Said – „became the master-type of all further efforts to bring the Orient closer to Europe, thereafter to absorb it entirely and […] to cancel, or at least subdue and reduce, its strangeness and, in the case of Islam, its hostility“187: In der Tat ein Grundzug des ‚kolonialen Diskurses‘, auf den wir in unterschiedlichen Ausprägungen schon mehrfach gestoßen sind, das Fremde aufzusaugen, schließlich es zu unterwerfen, indem man sein eigenes Bild des Fremden an seine Stelle setzt. In einem besonderen Haus der „Maler aller Dinge“ steht Al-Garbati erschrocken vor den „Bilder(n) von Menschen, die ihm den Eindruck

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vermitteln, mit ihren Körpern in den Raum hineinzuragen, wobei diesen nur noch fehle, sprechen zu können:188 Eine naturalistisch-perspektivisch-figürliche Darstellung war dem Auge eines Muslims am Ende des 18. Jahrhunderts noch vollkommen fremd,189 wenn nicht sogar suspekt. Die Ablösung von dem alten Hadith-Verbot, menschliches und tierisches Leben im Bild nachzuahmen, war noch nicht vollzogen; zumindest konnte die spontane Wahrnehmung des ‚westlichen‘ Bildes noch wie auf einen Tabubruch reagieren. Al-Garbatis Erschrecken gilt in diesem Haus der ‚Maler aller Dinge‘ dem westlichen Projekt der abbildlichen Nachahmung der ganzen Welt der Erscheinungen: aller Dinge, Pflanzen, Tiere und Menschen – immer als Vorstufe ihrer Objektivierung und ‚Beherrschung‘. Wenn sich der europäische Kolonialismus in der napoleonischen Expedition (1798-1801) erstmals als konsequent rational-wissenschaftlich fundiertes Modernisierungs-Projekt ausgibt, so deutet sich aus der Perspektive der Muslime früh an, dass sie dem überfallartigen Angriff auf ihre vertraute lebensweltliche Ordnung nichts entgegenzusetzen haben. Nach dem Besuch der Laboratorien des Institut d’Egypte muss Al-Garbati resigniert eingestehen: „Sie haben dort Dinge, Verhältnisse und Anlagen seltsamer Art, wie sie ein Verstand von der Art des unsrigen nicht zu erfassen vermag.“190 „The Institut, with its teams of chemists, historians, biologists, archäologists, surgeons, and antiquarians, was the learned division of the army. Its job was no less aggressive: to put Egypt into modern French.”191 (E. Said)

Die Verstandeskräfte der ‚Indigenen‘ sind hier wie zu früheren Phasen der ‚kolonialen Revolution‘ nicht gefragt. Die neue wissenschaftliche Doktrin einer Modernisierung ‚zurückgebliebener Gesellschaften‘ dient auch hier in erster Linie einer europäischen Großmacht, die sich bei der Aufteilung der Welt in Einflußsphären ihre Außenposten und Protektorate sichern will. Während somit die rein physisch-militärische Seite der Bemächtigung – mit der berühmten Schlacht bei den Pyramiden und der Vernichtung des unterlegenen Mameluken-Heeres – nach dem Muster aller kolonialen Eroberungszüge verlief, hatte die neuartige Interventions-Propaganda dem ganzen Unternehmen den Charakter einer Befreiung von

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der ‚Tyrannen-Herrschaft‘ zu geben versucht – im Namen natürlich der Freiheits-Ideen von 1789, wie auch der Fortschritts-Verheißungen der wissenschaftlich-technisch-industriellen Revolution, die seit 1750-1760 das Gesicht Europas zu verändern begonnen hatte. Derselbe Napoleon, der hier in Ägypten 1798 als säkularer Heilsbringer auftreten möchte, wird einige Jahre später – 1802 – an einem anderen Schauplatz kolonialer Besitzergreifung wieder ganz und gar zur unverklärten Praxis gewaltsamer Unterwerfung zurückkehren – allein und ausschließlich zum Schutz von Leben und Eigentum der Kolonialherren: Zur Wiederherstellung der von dem Aufstand schwarzer Sklaven bedrohten hierarchischen Ordnung der weißen Herren. Es geht um den historisch ersten (und einzigen) Aufstand von Sklaven auf der französischen Plantagen-Kolonie ‚Saint-Dominique‘ im Jahre 1791. Am Vorabend der Revolte dominierten nach unterschiedlichen Quellenangaben ca. 40.000 Weiße ca. 1/2 Millionen schwarzer Sklaven; nach der vollständigen Ausrottung der indigenen Urbevölkerung wurden ab 1503-1505 jährlich Massen afrikanischer Sklaven zur Plantagenarbeit eingeschleppt. Die Aufständischen mit ihrem Anführer Toussaint l’Ouverture berufen sich ausdrücklich auf die Freiheits-Versprechen der französischen Revolution. Von Napoleon jedoch wurde die tatsächlich kurzfristig vom Nationalkonvent in Paris 1794 verordnete Abschaffung der Sklaverei in allen französischen Kolonien 1802 widerrufen, ein Expeditionsheer gegen die Aufständischen entsandt, Toussaint l’Ouverture gefangen genommen und nach Paris deportiert – wo er bald darauf umkommt. Unter Führung eines nachfolgenden Sklaven-Generals, Jean Jaques Dessalines, kommt es nach weiteren Massakern an den Weißen, nach Plantagen-Enteignungen und Vertreibungen 1804 zur Proklamation der Unabhängigkeit ‚Saint-Domingues‘: Ausgerufen wird „der erste freie Negerstaat“ der Welt. Frankreich wird in der Folge eine Entschädigungssumme von 150 Millionen Francs einfordern (die im übrigen erst 1947 abgezahlt werden konnte). Wie ein Wetterleuchten offenbart dieser Sklavenaufstand, dass auch zukünftig die Proklamationen eines universalen Menschenrechts weiterhin leere Versprechen bleiben gegenüber Menschen, denen im System des europäischen Kolonialismus der Status eines ‚minderen Seins‘ zugesprochen wird. Alle Aufstände, Rebellionen oder Widerstandshandlungen im kolonialen Raum – ob nun von amerikanischen Indianern, australischen Aboriginals, neuseeländischen Maoris oder indischen Sepoys – denen es immer um die Behauptung ihrer natürlichen Freiheiten geht,

V. Kulturzusammenstoß

werden regelmäßig auch nach den glorreichen Daten von 1776 und 1789 in vernichtenden Strafexpeditionen niedergeschlagen. Die Frage nach dem zeitgenössisch ‚symbolischen‘ Stellenwert des ‚kolonialen Diskurses‘ und seiner narrativen Fortschreibung muss immer erneut gestellt werden – in diesem Fall an den exemplarischen Text eines deutschen Autors, der die Sklavenrevolte auf Saint-Domingue thematisiert: Heinrich von Kleists Novelle ‚Die Verlobung von St. Domingo‘ von 1811 wählt als Handlungs-Spielfeld eine Zeitstelle des Jahres 1803 während der sog. ‚Haitianischen Revolution‘, „als der General Dessalines mit 3000 Negern gegen Port au Prince vorrückte.“192 Die Insel befindet sich im Ausnahmezustand: Die Pflanzungen und Niederlassungen der weißen französischen Kolonisten werden verwüstet und niedergebrannt, die weißen Besitzer mit Frauen und Kindern getötet; der letzte Stützpunkt der kolonialen Macht ist Port au Prince; die Europäer sind überall auf der Flucht. Kleists in den Grundzügen korrektes historisches Szenario setzt ein an dem Punkt des katastrophischen Zusammenbruchs der kolonialen Ordnung auf der Insel, am Punkt des Triumphes der aufständischen schwarzen Sklaven: In „unmenschlicher Rachsucht“ entlädt sich „die Wildheit gegen die Weißen“. 193 Die Gewalt hat eindeutig ein schwarzes Gesicht. Kleist inszeniert seine ‚Geschichte‘ in Umkehr der üblichen kolonialen Täter-Opfer-Konstellation. Der „von der Goldküste von Afrika herstammende [...] fürchterliche Neger, namens Congo Hoango“ repräsentiert die böse-zerstörerische schwarze Gewalt des Aufstands, der Schweizer Gustav von der Ried – Offizier in französischen Diensten – der eine flüchtige Gruppe von Europäern in Sicherheit bringen will, den Gegenpol einer aufrecht zu erhaltenden menschlichen und göttlichen Ordnung. 194 In kolonialanalytischer Lesart bedient sich Kleist des geläufigen kolonial-rassistischen Klassifikations-Rasters, wenn er den ‚Neger‘, rein afrikanischen Ursprungs unterscheidet von Mulatten, Mestizen und Kreolen – und natürlich von weißen Europäern, durch Welten von allen geschieden. Im Rahmen dieser Klassifikation, genau nach der ‚Farbskala‘ der unterschiedlichen Hautfarbe – von schwarz zu gelblich zu weiß – wird den Hauptpersonen ihr moralischer Status zugeschrieben: • so dem schwarzen, fürchterlichen Neger, von „unmenschlicher Rachsucht“ getrieben, als grausamer Mörder seines Herren und Wohltäters, seiner Frau und ihrer drei Kinder, als hinterlistiger Mörder vieler europäischer Flüchtlinge, die Schutz gesucht hatten auf seinem Hof;

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• so der alten Mulattin als seiner Gehilfin, weiße und kreolische Flüchtlinge in seinem Hof festzuhalten und durch Täuschung in Sicherheit zu wiegen; • so ihrer Tochter Toni, einer Mestizin, die sich wegen ihrer helleren Gesichtsfarbe als Lockvogel zu der „grässlichen List“ der Täuschung der Flüchtlinge gebrauchen lässt – am Ende aber an der Rettung der Weißen, aus Liebe zu ihrem Anführer, teilnimmt; • so schließlich dem weißen, reinen Europäer, als Schweizer eigentlich neutral gegenüber den Parteien, Gustav von der Ried, gewaltloser Helfer der Flüchtlinge, Verteidiger einer „menschlichen und göttlichen Ordnung“ inmitten des revolutionären Chaos, der am Ende in eine die Rassengrenzen überschreitende Liebe zu der Mestizin verfällt. Das ‚moralische Gefälle‘ von ‚weiß‘ zu ‚schwarz‘ scheint somit evident; die schwarzen Täter werden nach ihren Taten (Mord, Täuschung, Hinterlist) ohne Berücksichtigung ihrer möglicherweise berechtigten Motive moralisch disqualifiziert. Die weißen Opfer scheinen per se schuldlos: Stellvertretend für alle seit dem Beginn des Aufstands Getöteten steht der Plantagenherr de Villeneuve mit seiner Familie. Und doch vermittelt dieses geschichts-bereinigte Täter-Opfer-Tableau nur eine (monoperspektivische) Momentaufnahme der Gegenwart des Jahres 1803 – auf dem Höhepunkt der Revolte. Die Vorgeschichte des ‚schwarzen Gewaltausbruchs‘ tritt nur an wenigen Stellen des Textes ans Licht; gewissermaßen als Subtext begleitet die ‚Erzählung‘ der ‚schwarzen Gewalt‘ die Erinnerung daran, dass „seit vielen Jahrhunderten (ein) allgemeines Verhältnis, das sie (die Weißen) als Herren der Insel zu den Schwarzen hatten, bestand“. 195 Unausgesprochen bleibt, dass es sich dabei um das ‚Verhältnis‘ einer ganz speziellen Herrschafts- und Machtausübung handelt, das auf Kauf und Versklavung von Afrikanern beruht. Es gehört inzwischen zu einer Konstante des ‚kolonialen Diskurses‘, sich einer Sprache des euphemistischen Beschweigens zu bedienen, wenn von der Ursünde der Ausrottung von Urbevölkerungen und dem Sklaven-Import aus Afrika die Rede sein sollte. Gerade Santo Domingo später Saint-Domingue, früher Hispaniola ist eine der ersten von Kolumbus betretenen Inseln, deren Urbevölkerung in „direkten Unterwerfungs- und Vernichtungsaktionen“ schon in den ersten Jahren der Okkupation vollkommen vernichtet wurde, sodass nach 1505 afrikanische Neger-Sklaven eingeführt werden mussten. Wenn jetzt die weißen Herren der Insel im Jahre 1803 „die unmenschliche Rach-

V. Kulturzusammenstoß

sucht“ der Schwarzen zu spüren bekommen und beklagen, wird der Grund ihres Auf begehrens nicht mit der 300-jährigen Geschichte ihrer Verschleppung und Versklavung in Verbindung gebracht, sondern mit dem ganz gegenwärtigen „Wahnsinn der Freiheit“196 , in den sie durch „die unbesonnenen Schritte des Nationalkonvents“ in Paris getrieben worden seien: also durch den ‚unbesonnenen‘ Akt, die Sklaverei in den Kolonien abzuschaffen (vgl. oben)! Der Ausnahmezustand von Revolution und Aufstand scheint in der Angst-Vorstellung des ‚edlen, weißen Ritters‘, Gustav von der Ried, in jedem Fall „die menschliche und göttliche Ordnung“ zu bedrohen, wobei es sich selbstverständlich nur um eine europäisch-weiße – christliche – Ordnung handeln kann. Auch die Schlüsselszene, in der die Protagonisten: der weiße Offizier (Gustav) und die Mestizin (Toni), aufgewühlt durch „ein menschliches Gefühl“, aufeinandertreffen, ist gekennzeichnet durch eine Sequenz des Beschweigens und Verbergens: Es ist der Moment der Liebesbemächtigung, der als ‚Leerstelle‘ auf ein Geschehen verweist, das unausgesprochen bleiben soll. Die Erzählung setzt nach diesem Hiatus des Schweigens mit der Schilderung der Betroffenheit wieder ein. Als der Liebes-Täter (Gustav) sich wieder gesammelt hat, „wusste (er) nicht, wohin ihn die Tat, die er begangen, führen würde“. Das Liebes-Opfer (die Mestizin Toni) „zerfloß in Tränen und hörte nicht auf seine Worte.“ Die Leerstelle umgeht der Autor mit einer Adresse an den Leser, in der nahegelegt wird, das Verschweigen erfolge aus Motiven der ‚Schicklichkeit‘: „Was weiter erfolgt, brauchen wir nicht zu melden, weil es jeder, der an diese Stelle kommt, von selbst liest.“197

Der so ausgesparte Vorfall aber – die Verführung eines jungen fünfzehn Jahre alten Mädchens, einer Mestizin, Tochter einer Schwarzen und eines Franzosen, in Paris geboren, von ihrem Vater verlassen – kann zweifellos auch auf eine Weise gelesen werden, die uns die Motive des Schweigens und der Ausklammerung aus dem Blickwinkel des Autors und seiner Figur noch in anderem Licht erscheinen lassen. Von vornherein erweckt die Mestizin das erotisch-sexuelle Interesse des weißen, fremden Schweizers Gustav; seine Wahrnehmung bestätigt ihm immer wieder die körperliche Attraktivität des Mädchens: „[...]

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ihre einnehmende Gestalt“, „ihr Haar, in dunklen Locken schwellend“, „ihre jungen Brüste“, „ihre großen schwarzen Augen“, ihr „schlanker Leib“. 198 Wenn ihm, dem Weißen, zunächst ihre „ins Gelbliche gehende Gesichtsfarbe anstößig war,“199 so verhilft ihm „eine wunderbare Ähnlichkeit“200 mit seiner zu Tode gekommenen Straßburger Geliebten alle Empfindungen ‚rassischer‘ Anstößigkeit und Fremdheit in sich auszulöschen. Was hier zu Tage tritt, ist nichts anderes als der notorisch sexuelle Exotismus des weißen Mannes, dem die Begegnung mit der ‚farbigen‘ Frau in fernen tropischen Welten immer ein von allen moralischen Skrupeln und Hemmungen befreites sexuelles Glück verspricht. Das ‚rassische Gefälle‘, wie es zwischen dem weißen Mann und der Mestizin innerhalb des kolonialen Systems besteht, befördert jene kurzfristige Enthemmung, die jede Verführung in einen Akt der Vergewaltigung umschlagen lässt. Auf alle Fälle verböte sich ein derartiges Liebes-Handeln gegenüber einer (noch unbekannten) ‚weißen Frau‘ – zumindest nach dem Sitten-Kodex des europäischen 19. Jahrhunderts. Der fremde Schweizer auf St. Domingo aber verfällt augenblicklich einem „Taumel wunderbar verwirrter Sinne, eine(r) Mischung von Begierde und Angst“201 – so wie Kleist die verschwiegene Vergewaltigung umschreibt. Ohne in unserem Zusammenhang auf die besondere Bedeutung eingehen zu müssen, die Kleist derartigen spontanen ‚Ich-Übereinkünften‘ in Ausnahmezuständen beimisst, verrät uns der Subtext die besondere ‚koloniale Konstellation‘: die Mestizin verbleibt in der Rolle des exotischen Sexualobjekts, der weiße Liebhaber in der Rolle des über die ‚farbige Frau‘‚ verfügenden ‚Herren‘ und ‚Meisters‘: genau aber dieser koloniale Kontext einer Liebesunterwerfung wird ausgeblendet. Überdies stürzt der weiße Verführer seine farbige Geliebte am Ende noch in die Ausweglosigkeit einer Situation, für die nur der scheinbare Verrat die wahre Rettung hätte bringen können – wenn er der Mestizin als Hausgenossin des grausamen Negers Congo Hoango nicht „misstraut hätte“. So straft er sie für ihren ‚Verrat‘ und tötet sie mit seiner Pistole. Bis zum bitteren Ende verfügt er über sie und ihr Leben – ganz in der Rolle des ‚weißen Herren‘ – „knirschend vor Wut“, nicht etwa aus Verzweiflung. Die anfängliche Verkehrung der traditionellen Positionen in ‚weiße Opfer‘ und ‚schwarze Täter‘ wird so am Ende wieder zurückgenommen: der Subtext enthüllt die historisch-wahre, unveränderte Herrschaftsbezie-

V. Kulturzusammenstoß

hung ‚weißer Täter‘ gegenüber ‚schwarzen Opfern‘. So wie auch der ‚gute‘ Plantagenherr de Villeneuve als Mordopfer des ‚bösen‘ Negers Congo Hoango der alten Mulattin als ‚böser‘ Kolonialherr in Erinnerung bleibt, der ihr einst sechzig Peitschenhiebe verabreichen ließ, die ihr ein lebenslanges Leiden „an der Schwindsucht“ eintrugen. Im Verlauf der ‚kolonialen Revolution‘ legt der ‚koloniale Diskurs‘ (restriktive) Regeln fest, was – z.B. in Bezug auf das offenbare Unrecht an den außer-europäischen Völkerschaften sagbar ist, was gesagt werden kann – z.B. in Bezug auf alle Formen der Rechtfertigung des europäischen ‚Zivilisations-Auftrages oder eben, was nicht gesagt werden kann – z.B. in Bezug auf die Praxis rassistischer Exklusion und Auslöschung ganzer Völkerschaften oder auf das ‚Menschheitsverbrechen‘ jahrhundertelangen Sklavenhandels mit Menschen „minderen Seins“.202 Über einen langen Zeitraum bleiben Schrift und Buch die beherrschenden Medien, für die die Regeln des Sagbaren/Unsagbaren vornehmlich galten. Kleists Text von 1811 schreibt den ‚kolonialen Diskurs‘ in diesen Grenzen des Sagbaren/Unsagbaren fort und macht gleichzeitig anschaulich, wie gerade das Ungesagte seine Spur im Text hinterlässt, die das im Subtext Verschwiegene wieder zu Tage treten lässt. Zum anderen sind es die Jahre um die Wende des 18. zum 19. Jahrhundert, in denen vermehrt, vielleicht schon massenhaft, bildliche Präsentationen (Drucke, Stiche, Lithographien etc.) des fremden Anderen als exotisches oder leidendes Objekt auf Interesse des Publikums in den Metropolen stieß. Das Medium des Bildes (und die neuen Reproduktionstechniken) erweiterten den Artikulations-Rahmen des ‚kolonialen Diskurses‘: So erreichen etwa die „Illustrations of the Miseries of Slavery”203 im abolitionistischen England ein zunehmend kritisches Publikum. Die umfangreiche Zusammenstellung eines beklemmend realistischen BildMaterials von Isabelle Aguet (La Traite des nègres) verdeutlicht, wie weit die Grenzen dessen, was nicht gesagt werden soll, verschoben werden kann hin zu dem, was nunmehr im Bild gezeigt werden kann. Die in den Texten zunehmend dem Verschweigen und Vergessen anheim fallenden monströsen Anteile des kolonialen (Ur-)Diskurses (Kolumbus vs. Las Casas) treten jetzt im Bild verstörend (wieder) ans Licht.

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Fugitive Slave Attacked by Dogs, 19th cent. (?),Isabelle Aguet, A Pictorial History of the Slave Trade (Geneva, Editions Minerva, 1971), plate 117 p. 110; original source not identified, Image reference NW0200, as shown on www. slaveryimages.org, compiled by Jerome Handler and Michael Tuite, and sponsored by the Virginia Foundation for the Humanities and the University of Virginia Library.

(usslave.blogspot.de/isabelleaguet, 29.10.16)

VI. Globaler ‚Fortschritt‘ – „Schicksal der geschlagenen Rassen“ H. Heine – A. v. Humboldt – A. de Tocqueville

Die Jahrzehnte zwischen 1830 und 1880 hat man des öfteren als ein „windstilles Intervall in der Geschichte der europäischen Expansion“204 sehen wollen, eine Atempause, bevor „Europa in die letzte Phase seiner Phagozytose eintritt“205: der Einverleibung des gesamten afrikanischen Kontinents. Bei einer solchen Betrachtung gerät einiges aus dem Blick: So etwa die endgültig besiegelte britische Herrschaft über den indischen Subkontinent, nachdem die letzte große Freiheits-Erhebung der Sepoy 1857-58 niedergeschlagen war; so etwa die sog. ‚Erschließung‘ Neuseelands und Tasmaniens, die – wie schon kurz zuvor Australiens – mit der Vertreibung und Ausrottung der Urbevölkerung einherging, von den sog. ‚Erwerbungen‘ der Kolonialmächte im asiatischen ‚Hinterindien‘ ganz zu schweigen. Das Datum 1870-1880 aber ist als „Epochenzäsur“ durch die einsetzende beispiellose „Enteignung eines (weiteren) Kontinents“206 hinreichend beglaubigt. Auf der anderen Seite kündigen die französische Eroberung Algeriens ab 1830 und die napoleonische Okkupation Ägyptens (1798-1801) die Unterwerfung Afrikas schon an und bestätigen somit „die Kontinuitäten europäischer Welteroberung“207. Der koloniale Prozess kommt seit 1492 nicht mehr zum Stillstand; die Epochenzäsur von 1870-1780 bezeichnet lediglich den Eintritt in eine neue Phase des Kolonialismus im Zeichen des europäischen ‚Imperialismus‘. Um 1830/1 treffen in Paris drei Persönlichkeiten aufeinander, die sich aus unterschiedlicher Perspektive und Intention den kolonialgeschichtlichen Verwerfungen ihrer Epoche annahmen.

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(1) 1831 tritt der Jurist Alexis de Tocqueville von Paris aus eine AmerikaReise im Auftrag der französischen Regierung an; er soll einen Bericht über die Praxis des Strafvollzugs in den jungen Vereinigten Staaten verfassen. Die Schrift, die er 1832 von der Reise mitbringt: ‚De la democratie en Amérique‘ geht weit über den Auftrag hinaus und enthält eine überaus hellsichtige Analyse zum „gegenwärtigen Zustand und der wahrscheinlichen Zukunft der drei Rassen im Gebiet der vereinigten Staaten“ (10. Kapitel): der schwarzen Sklaven, der indianischen Ureinwohner und der weißen Siedler. Tocqueville verweigert sich der üblich gewordenen Euphemismen, wenn es darum geht, den Tatbestand der Ausrottung der Indianerstämme und des ‚dem Tiere nahen Zustands der Knechtschaft der Neger‘208 beim Namen zu nennen. Tocquevilles Darstellung lässt erkennen, wie die postulierte rassische ‚Unterlegenheit‘ des Wilden und des Schwarzen und die postulierte rassische Überlegenheit des Weißen sich wechselseitig bedingen müssen. Der freiheitlich, egalitäre weiße Gründungs-Mythos Amerikas – so legt es Tocqueville nahe – muss auf dem düsteren Hintergrund einer unausgesprochenen Deklaration der Unfreiheit und Ungleichheit der „geschlagenen Rassen“ bezogen werden, um ihn in seiner historischen Dialektik erfassen zu können. 1835 wurde der 1. Teil von Tocquevilles Amerika-Buch in Paris veröffentlicht, 1840 der 2. Teil. (2) 1804 kehrt Alexander von Humboldt von seiner 1799 angetretenen Forschungsreise durch Lateinamerika (zunächst) nach Paris zurück. Von 1807 bis 1827 hält er sich dort dauerhaft zur Auswertung seiner Expeditions-Aufzeichnungen auf. Die wissenschaftlichen Ergebnisse erscheinen erstmals in ‚Relation Historique du voyage aux régions équinoxiales du Nouveau continent fait en 1799-1804 par Alexandre de Humboldt et Aimé Bonpland, Paris 1825‘209 . Der letzte Band dieser Ausgabe enthielt den ‚Essai politique sur l’Ile de Cuba‘. Eine deutsche Übersetzung des gesamten Reisewerks erscheint bei Cotta in Stuttgart schon 1815-1835.210 Der ‚Essai‘ über Cuba enthält den in unserem Zusammenhang wichtigen Artikel ‚Über das Sklavenwesen‘. Humboldt verfasst als Augenzeuge – zehn Jahre vor dem Augenzeugen-Bericht Tocquevilles über ‚den Zustand der Rassen‘ in Amerika – eine erste empirisch-kritische Studie zum Sklaven-Unwesen am exemplarischen Beispiel der Insel Cuba. Humboldt ließ sein „schwarzes (Neger)Buch“ – wie er es nannte – 1827 Goethe zukommen. Goethe bewunderte in einem Brief „wie hier das Erfahrenswerte, Erfahrene, Wissenswerte bewußt zusammengestellt

VI. „Schicksal der geschlagenen Rassen“

und eine Weltübersicht [...] eröffnet ist.“ Aber wenn er fortfährt, „Humboldts Cuba ist […] zu mir gekommen und versetzt mich am warmen Ofen in die tropischen Gegenden“211 , erfahren wir wenig darüber, wie er „die Sklaverei: das größte aller Übel, welche die Menschheit gepeinigt haben“ (Humboldt) beurteilt haben mag. Dem ‚schwarzen Neger-Buch‘ war kein großer Erfolg beschieden. (3) Ab dem 20.5.1831 ist Heinrich Heine in Paris ansässig; unter den einflussreichen Persönlichkeiten, deren Bekanntschaft er macht und in deren Salons er alte Bekanntschaften erneuert, befindet sich von Anfang an Alexander von Humboldt, den Heine im Salon der Varnhagens in Berlin kennen gelernt hatte.212 Heine pflegte in Paris den Kontakt zu Humboldt; ein Treffpunkt ‚aller berühmten und unberühmten in Paris anwesenden Deutschen‘ ist der Buchladen von Heideloff und Campe.213 Heine trifft dort immer einmal wieder Humboldt, der sich zwischen 1831 und 1848 in diplomatischer Mission des öfteren in Paris aufhielt. Unwahrscheinlich dass Heine in der Heideloff’schen/Campischen Buchhandlung nicht auf die Reisewerke Humboldts und Tocquevilles gestoßen sein sollte. Humboldts Reiseberichte einschließlich des CubaEssai, des schwarzen Neger-Buchs, liegen in französischer Sprache vor, Tocquevilles Buch über die Demokratie in Amerika erscheint 1835-1840 auf dem Buchmarkt. Heines Amerika-Passage aus seinem Buch ‚Ludwig Börne. Eine Denkschrift‘ von 1840 legt nahe, dass Heine Tocquevilles Buch gekannt haben muss. Ebenso könnte Heine in seiner späteren ‚Sklavenschiff‘-Ballade von 1853/4 durch einige Details – z.B. die mit Peitschenhieben zum Tanz auf dem Deck eines ‚Negerschiffs‘ angetriebenen Sklaven – aus Humboldts Cuba-Essai angeregt worden sein. Heines Nähe zu Humboldt und sein kritischer Respekt, den er Tocqueville zollt, stehen außer Frage. Anlässlich einer Debatte über die Gefängnisreform in der Deputiertenkammer, Juli 1843, lobt Heine Tocqueville, der „mit Festigkeit seine Gedanken durchfocht“ und muss ihm bescheinigen, „ein Mann von Kopf zu sein, der wenig Herz habe und bis zum Gefrierpunkt die Argumente seiner Logik verfolge, sodass seine Reden einen gewissen frostigen Glanz, wie geschnittenes Eis, hätten.“214 Was hier für den Redeauftritt Tocquevilles im Ganzen zutreffend erscheint, wird man in Bezug auf die bescheinigte ‚Herzlosigkeit‘ dem Buch ‚Über die Demokratie in Amerika‘ nicht attestieren wollen. Gerade „den geschlagenen Rassen“ der Schwarzen und Indianer gilt seine besondere Zuwendung. Es zeichnet die wissenschaftlichen Augenzeugen-Berichte Humboldts und Tocquevilles aus, dass sie über der kolonialen Gegenwart der

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bereisten Länder beider Amerika die Vorgeschichte aller Eroberung und die ‚wahrscheinliche‘ Zukunft dieser kolonisierten Länder nie aus dem Auge verlieren. Dabei müssen sie erkennen, dass „eben jene Grausamkeiten, welche die Eroberung beider Amerika mit Blut befleckt haben, sich unter unseren Augen in einer Zeit wiederholten und erneuerten, die unserem Empfinden nach durch die größten Fortschritte der Aufklärung [...] ausgezeichnet ist.“ (Humboldt)215 Während „die Indianerrassen Nordamerikas zum Untergang verurteilt“ seien, habe „die Unterdrückung die Nachkommen der Afrikaner auf einen Schlag aller Vorrechte des Menschengeschlechts beraubt“ – konstatiert Tocqueville zum gegenwärtigen und wahrscheinlich zukünftigen Zustand der „vom Schicksal geschlagenen Rassen“ in Nordamerika.216 „Beim Anblick der Vorgänge in der Welt“ – einer andauernden europäischen Expansion – könne man den Eindruck gewinnen, „dass der Europäer für diese Menschen anderer Rassen das ist, was der Mensch als solcher für die Tiere bedeutet. Er macht sie seinen Diensten untertan, und wenn er sie nicht mehr unterjochen kann, vernichtet er sie.“ (Tocqueville)217 Für beide Augenzeugen verstößt die koloniale Praxis in dem beobachteten Kolonialraum gegen das ‚Sittengesetz‘ der europäischen Aufklärung. In diesen, von den Verwüstungen der Erst-Eroberung und Kolonisierung im 16. Jahrhundert gezeichneten Räumen „wiederholen“ sich die Schrecken der Vernichtung und Versklavung; die Wiederholung begründet sich in den ‚alten‘, längst erprobten Vorstellungen von Rassen unterschiedlichen Ranges, von den Stereotypen der überlegenen weißen Rasse. Tocqueville spricht in diesem Zusammenhang von den „zähen und unangreif baren“ drei Vorurteilen, auf denen die Sklaverei beruht: „dem Herrenvorurteil, dem Rassenvorurteil und endlich dem Vorurteil des Weißen“218 und resümiert: „Die Sklavengesetzgebung (der Südstaaten) stellt in unseren Tagen eine Art unerhörter Grausamkeit dar, die als solche so etwas wie eine tiefe Zerrüttung in den Gesetzen der Menschlichkeit enthüllt.“219

Humboldt und Tocqueville nehmen als Augenzeugen, Berichterstatter, Analytiker und Kritiker mit ihren Texten die verdeckte Spur der Leyenda negra einer gesamt-europäischen Expansions-Geschichte – keinesfalls

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nur der spanischen – wieder auf. Allerdings streben sie als Autoren des 19. Jahrhunderts, anders als es noch ihrem Urzeugen Las Casas möglich war, eine empirisch auf Fakten und Zahlen beruhende ‚objektive‘ Darstellung an. So wird die ‚Fortschritts-Erzählung‘ der großen Entdeckungen und Kolonial-Gründungen immer mit der ‚Erzählung von Unterjochung und Vernichtung‘ konfrontiert. So werden „die größten Fortschritte der Aufklärung“ durch die Aufkündigung jener „Gesetze der Menschlichkeit“, die fraglos universelle Gültigkeit beanspruchen konnten, relativiert. Die Texte Humboldts und Tocquevilles bestimmen das DiskussionsNiveau in Sachen des europäischen Kolonialismus und seiner Folgen für die außereuropäischen Völkerschaften in Kreisen der Pariser GelehrtenWelt der 30er und 40er Jahre . Mit Sicherheit ist davon auszugehen, dass Heinrich Heine, der seit 1831 in Paris ansässig war, die Reisewerke dieser Autoren gekannt hat und sich auf der Höhe des damaligen kritischen Diskussions- und Wissens-Niveaus zum kolonialen Thema äußern konnte. Seine Kenntnisse musste er bekanntlich ‚sekundär‘ durch Lektüre erwerben. Am 5.1.1851 – als er schon längst bettlägrig ist – schreibt er in einem Brief an Georg Werth: „[...] meistens lese ich jetzt Reisebeschreibungen, und seit zwey Monathen bin ich nicht aus Senegambien und Guinea herausgekommen. Der Überdruß, den mir die Weißen einflößen, ist wohl schuld daran, dass ich mich in diese schwarze Welt versenke [...].“220 . Als Dichter, Schriftsteller und Essayist leistet er die ‚Übersetzung‘ des ‚kolonialen Diskurses‘ in die zeitgenössisch-reflexive Form von Reisebildern, Gedichten, Balladen und Aperçus: Translationen in den Kontext seiner Zeit aus der Distanz eines Beobachters von Beobachtungen. Heine ist der einzige deutsche Dichter, der sich Zeit seines Lebens dem Leitthema dieses Diskurses – dem Skandal oder dem Triumph kolonialer Expansion Europas – verpflichtet sah. Grundsätzlich ging es ihm – wie seinen Gewährsleuten Humboldt und Tocqueville – um die Historisierung der Perspektiven: Die koloniale Gegenwart erscheint immer als Ergebnis und Folge der kolonialen Vergangenheit der ersten Eroberungen und Entdeckungen – wie auch als Ursache und Bedingung für alle zukünftigen kolonialen Welt-Zustände. Schon in seinem frühen Nordsee-Reisebild aus den Jahren 1825/6 äußert Heine den „große(n) Schmerz über den Verlust der NationalBesonderheiten, die in der Allgemeinheit neuerer Kultur verloren gehen“ und erkennt in allem die Sogkraft einer „unerfreulichen Modernität“.221

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Er stellt dabei diese Verdrängung regionaler „Nationalerinnerungen“ zugunsten globaler Homogenisierung in den weiten Kontext der europäischen Kolonisierung. So sieht er England als Vollstrecker dieser Einebnungen: sowohl binnen-kolonisatorisch am Beispiel Schottlands, dessen „volkstümliche Herrlichkeit“ im Prozess seiner Eingemeindung in das Königreich Großbritannien (um 1707) verloren geht – wie auch außenkolonisatorisch am Beispiel Indiens, das durch die britische Unterwerfung „die Zerstörung (seiner) uralten Weltordnung“ erleben muss. Beide Vorgänge der kolonialen Gegenwart aber erscheinen Heine im Kontext einer langen Vorgeschichte gewaltsamer kolonialer Einebnungen: so der Zerstörung des Aztekenreiches durch die Spanier, der Vernichtung aller indigener kultureller Strukturen in den Jahren nach 1521 – und so auch der 1492 abgeschlossenen Reconquista, der christlichen Rückeroberung spanischen Landes, der Zerstörung der arabisch-muslimischen Kultur Andalusiens, der Vertreibung aller Juden und Muslime. Mit diesem Datum von 1492 benennt Heine das Initialdatum einer globalen europäischen Konquista: einer Welteroberung, die von spanischem Boden im Geiste der Reconquista ausging; wobei die christlichen Seefahrer nicht nur von neuzeitlichem Entdeckergeist inspiriert waren, sondern auch von altem Kreuzfahrergeist, dem es um die christliche Eingemeindung der ‚Neuen Welt‘ zu tun war. Heine ist damit einer der Ersten, der die „großen europäischen Zeitverwandlungen“222 im Zusammenhang mit einem offenbar unumkehrbaren Prozess der ‚Modernisierung‘ betrachten kann; es ist jener Prozess, der sich binnen-europäisch in der Zerstörung „altherkömmlicher Lebensweise“223 ebenso anzeigt wie in der gewaltsamen Auslöschung sog. archaischer Kulturen in Übersee – wie eben gerade zu diesem Zeitpunkt in Indien. Die von der East-India-Company vorangetriebene militärische Ausweitung ihres Herrschaftsbereiches war um 1830 zu einem gewissen Abschluss gekommen. Mit der Ausrufung einer (trügerischen) ‚Pax Britannica‘ setzten in diesen Jahrzehnten jene „reformerisch intendierten Eingriffe in die einheimische Gesellschaft“224 ein, sodass Heine seinen indischen „Braminen“ mit einigem Recht seufzen lassen konnte über „das Absterben seiner Götter, die Zerstörung ihrer uralten Weltordnung und den ganzen Sieg der Engländer.“225 Wie aber schon das Exempel Indiens und seiner ‚Transformations-Geschichte‘ seit der ersten Niederlassung der East-India-Company 1613 in Surat zeigt, ereignet sich die von Heine zeitgenössisch beobachtete ‚mo-

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derne‘ Akkulturation ganz in der Kontinuität eines Jahrhunderte langen kolonialen Vorgangs kriegerischer Besitzergreifung und Annexion, der die jeweilige kulturelle Ordnung der Indigenen von Beginn an erschüttert und nach und nach zerrüttet. Heine thematisiert den „großen Schmerz“, den die Völker erleiden, wenn die vertrauten Wert-Vorstellungen keine sichere lebensweltliche Orientierung mehr garantieren können. Der ‚globale Fortschritt‘, der alle geschichtlichen „Besonderheiten“ zunichte macht, hinterlässt die Trauer über das Verlorene. Wenn Heine (erstmals) von der umstürzenden Gewalt einer „weiten unerfreulichen Modernität“ spricht, hat er nicht nur den einzelnen ‚Sieg der Engländer‘ und ihrer East-India-Company über den rückständigen indischen Subkontinent vor Augen, sondern den Siegeszug der westlichen Rationalität und Säkularität Europas überhaupt – so wie er in seinem späteren ‚Bimini-Gedicht‘ die technische Überlegenheit Europas (Pulver – Buchdruck – Kompaß) schon als ursächlich ansieht für die Entdeckung der ‚Neuen Welt‘. Der Untergang der „uralten Weltordnung“ – ob nun in Indien, der Neuen Welt oder in Australien – besiegelt schon zu diesem Zeitpunkt der 20er und 30er Jahre die Weltherrschaft Europas. Als einem weiteren gegenwärtigen kolonialen Schauplatz wendet sich Heine nach Indien (1825/6) der revolutionären Neugründung eines Siedlerstaates auf kolonialem Grund und Boden zu: den Vereinigten Staaten von Amerika. Das zweifellos von Tocqueville inspirierte kurze AmerikaAperçu226 aus dem ‚Börne-Buch‘ von 1840 legt sofort den Finger in die Wunde der kolonialen Ursünde dieser Gründung: Sie wird vollzogen auf dem von Ureinwohnern bereinigten Territorium227, ganz aus dem Geist unduldsamer rassistischer Ausgrenzung, sodass jene ‚Sklavenhaltergesellschaft‘ entstehen kann, die sich dann vornehmlich in den Südstaaten durch den laufenden Import schwarzer Sklaven aus Afrika etablieren sollte. Heine zeichnet das Doppelgesicht eines Gemeinwesens, das sich auf seine feierlichen Deklarationen der Menschenrechte ebenso beruft wie auf den ‚christlichen Egalitarismus‘ und sich gleichzeitig anmaßt, „einige Millionen, die eine schwarze oder braune Haut haben [...] wie Hunde“ zu behandeln.228 Erkennbar folgt Heine der Analyse des Augenzeugen Tocqueville, wenn er sich darüber empört, dass auch, nachdem die Sklaverei in „den meisten nordamerikanischen Provinzen“ als abgeschafft gilt, dort ein alltäglicher Rassismus des Vorurteils zu noch vielfältigeren Formen der

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„Kränkung, Mißhandlung und Ungleichheit“ führt.229 Entsprechend hatte sich Tocqueville geäußert: „Ich sehe, dass die Sklaverei zurückgeht; das Vorurteil, dem sie entspringt, bleibt unerschüttert […] Das Rassenvorurteil scheint mir in den Staaten, die die Sklaverei abgeschafft haben, stärker als in jenen, wo die Sklaverei noch besteht, und nirgends erweist es sich so unduldsam wie in den Staaten, wo die Knechtschaft immer unbekannt geblieben ist.“230

Heines kolonialkritisches Amerika-Aperçu erscheint im Kontext der ‚Helgolandbriefe‘ im ‚Buch Ludwig Börne‘, in denen er sich (fiktiv) Gedanken macht, in welches Land er – „der Guerillakriege müde“ – gehen soll, wo er sich seinen „phantastischen Sinnen und Grübeln ganz fessellos hingeben kann“:231 Deutschland scheidet aus, auch England und das restaurative Frankreich – schließlich auch Amerika: „dieses ungeheure Freiheitsgefängnis, wo die unsichtbaren Ketten mich noch schmerzlicher drücken würden als zu Hause die sichtbaren, und wo der widerwärtigste Tyrann, der Pöbel, seine rohe Herrschaft ausübt!“232 Der große Freiheitsanspruch des jungen, demokratischen Amerika erscheint von vornherein gebrochen durch die institutionell-rassistische Ausgrenzung jener Massen von Menschen, die als schwarze Sklaven und indianische Ureinwohner das Land ‚mitbewohnen‘ – wie eben auch durch jene institutionell-demokratische ‚Tyrannei der Mehrheit‘. „Die Mehrheit“ – so konnte Heine bei Tocqueville lesen – „umspannt in Amerika das Denken mit einem erschreckenden Ring. Innerhalb dessen Begrenzung ist der Schriftsteller frei; aber wehe ihm, wenn er ihn durchbricht.“233 Heine erzählt die Geschichte eines protestantischen Predigers in New York, der eben diesen Ausbruch wagt: er ist „über die Mißhandlung der farbigen Menschen so empört, dass er, dem grausamen Vorurteil trotzend, seine eigene Tochter mit einem Neger verheiratet.“ Als „diese wahrhaft christliche Tat“ bekannt wurde, stürmt das Volk mit der ganzen Wut der ‚Rechtgläubigen‘ das Haus des Predigers, der gegen das rassistische ‚Reinheitsgebot‘ verstoßen hat, und demoliert es; während der Prediger gerade noch flüchtend sein Leben retten kann, ergreift der Pöbel seine Tochter, entkleidet sie, bestreicht sie mit Teer, wälzt sie in den aufgeschnittenen Federbetten und schleift sie unter Hohngeschrei durch die Stadt.234) Indem die weiße Frau des Negers, auch ihrer Würde entkleidet, zu einer ‚Unreinen‘ und Anderen entstellt wird, ist die Reinheit des

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weißen ‚Volks-Körpers‘ wieder hergestellt. Das Ketzergericht der weißen Mehrheit hat sein Urteil gesprochen. Heine resümiert: „O Freiheit! Du bist ein böser Traum!“ Bei Tocqueville hieß es: „Ich kenne kein Land, in dem im allgemeinen weniger geistige Unabhängigkeit und weniger wahre Freiheit herrscht als Amerika.“235 Das „ungeheure Freiheitsgefängnis“ Amerika, von dem Heine spricht, verfügt somit über jene „unsichtbaren Ketten“ des unerbittlichen ‚mainstreams‘ eines überall wirksamen Rassenvorurteils, jedoch gleichzeitig auch über die sichtbaren Ketten der Sklaverei. Wenn Heine für sich als ‚freier Schriftsteller‘ „die unsichtbaren Ketten“ fürchtet, hat er jene „Verdrießlichkeiten und täglichen Verfolgungen“ im Sinn, die er beim Verstoß gegen die Mehrheits-Meinung zu erleiden hätte: Denn er hätte „die alleinige Macht beleidigt“, die ihm Erfolg und Ruhm gewähren könnte. Tocqueville – dem Heine auch hier zu folgen scheint – schließt an dieser Stelle seiner Erörterung über Macht und Gewalt der Mehrheit eine hellsichtige Beobachtung an: „Die (sichtbaren) Ketten und Henker seien die groben Werkzeuge, die einst die Tyrannei verwandte“, während die demokratischen Republiken den Körper übergingen und gleich auf die (unsichtbare) Seele zielten; sodass nunmehr der Satz gälte: „du bist frei, nicht so zu denken wie ich; du behältst dein Leben, deinen Besitz, alles; aber von dem Tage an bist du unter uns ein Fremdling.“236 In diesem Sinne wird der Prediger aus der kleinen Erzählung Heines, der es gewagt hat, dem „grausamen (Rassen)Vorurteil zu trotzen, ein Fremdling werden, seine Tochter ein ‚Outcast‘; ihr Mann, der Neger, jedoch kann weder Fremdling werden noch Outcast, er ist es von Geburt und Rasse.“ In diesem Fremden, den die Knechtschaft uns gebracht hat, erkennen wir kaum die allgemeinen Züge der Menschheit [...] es fehlt nicht viel, dass wir ihn für ein Wesen zwischen Tier und Mensch hielten“ – fasst Tocqueville die ‚weiße Ethnologie‘ der neuen Herren des Landes zusammen.237 Heines kleinen Amerika-Text aus dem Börne-Buch kann man ohne weiteres parallel zum 10. Kapitel von Tocquevilles Amerika-Buch (Zum Zustand der drei Rassen im Gebiet der vereinigten Staaten) lesen. Sowohl die inhaltliche Nähe Heines zu Tocquevilles Text, als auch die zeitliche Nähe seiner Arbeit am Börne-Buch zwischen 1837 und 1840 zu den Erscheinungsjahren des Amerika-Buches in Paris 1835 und 1840 sprechen für Heines Lektüre des Tocqueville-Buches. Allein die kolonialkritische Anekdote von dem mutigen New-Yorker Prediger und seiner unglück-

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lichen Tochter findet sich nicht bei Tocqueville, dient aber bei Heine der narrativen Bestätigung von dessen Amerika-Kritik. Heine wie Tocqueville sehen einen unheilvollen Zusammenhang von massendemokratischer weißer Meinungsführerschaft und rassistisch begründeter Ausgrenzung, Versklavung und Vertreibung ‚farbiger Rassen‘ auf dem Boden der Vereinigten Staaten. Beide stimmen darin überein, dass gerade das jüngste, sich auf Freiheits- und Menschenrechte berufende Staatswesen nicht aus dem dunklen Schatten der gewaltsamen Frühgeschichte der ‚Eroberungen‘ heraustreten kann. Die notorische Unfähigkeit des Europäers, den indigenen Fremden anders als den zivilisatorisch Unterlegenen sehen zu können, als den Angehörigen einer „geringwertigen Menschenrasse“, führt dazu, sich auf Dauer in dem Rollenmuster von Herr und Knecht einzurichten. So wie die ursprünglichen Rollenmuster von Sieger und Besiegtem, von Kolonisator und Kolonisiertem etc. im Muster von Herr und Sklave ‚überleben‘, entfaltet sich über die Jahrhunderte ein kolonialtypisches Klima offener und verschleierter Gewalt. „Von dem Augenblick an“ – schreibt Tocqueville – „da die Europäer ihre Sklaven einer anderen Menschenrasse entnahmen, die viele unter ihnen für geringwertiger hielten als die anderen Menschenrassen […] haben sie die Fortdauer der Sklaverei für alle Zeiten vorausgesetzt, denn zwischen der äußersten Ungleichheit, die die Knechtschaft erzeugt, und der völligen Gleichheit [...] gibt es keinen dauernden Zwischenzustand.“238 Heinrich Heine erzählt die Geschichte der latent unter der Oberfläche lauernden Gewalt in einem von der Rassentrennung bestimmten ‚neuen‘ Amerika. Die Gewalt entlädt sich plötzlich, als gegen das Tabu der Rassenmischung verstoßen wird; so belegt auch diese Anekdote, dass es in der Tat zwischen „der äußersten Ungleichheit“, die die Rassenunterschiede erzeugen, und der völligen Gleichheit zwischen Menschen verschiedener Herkünfte keinen Zwischenzustand geben kann. Ein prophetischer Satz Tocquevilles aus den Jahren 1835-1840 weist in die Gegenwart der heutigen Vereinigten Staaten von Amerika des Jahres 2015: „Das gefährlichste aller Übel, das die Zukunft der Vereinigten Staaten bedroht, kommt von der Anwesenheit der Schwarzen in ihrem Gebiet. Forscht man nach der Ursache der jetzigen Schwierigkeiten und der zukünftigen Gefahren der Union, so stößt man, von welchem Punkt man ausgehe, fast immer auf diese Grundtatsache.“239

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Es ist dies die Grundtatsache der nicht aufgearbeiteten kolonialen Hypothek des Rassismus und der Ausgrenzung. Heines Beitrag zu diesem Thema ‚der Stellung der schwarzen Rasse in den Vereinigten Staaten‘ stellt auch im weiten Kontext seines Werks und seiner literarischen Fortschreibung des ‚kolonialen Diskurses‘ nur einen kleinen Baustein dar. Und doch ist Heine unter den deutschen Schriftstellern seiner Zeit der einzige, der sich in zwei kleineren ‚Tableaux‘ zwei zeitgenössisch-gegenwärtigen kolonialen Schauplätzen in Indien und in Amerika zwischen 1825/6 und 1840 zuwendet. Die europäische Expansion in fremde Räume soll als Moment eines übergreifenden Prozesses der Weltbemächtigung sichtbar gemacht werden. Diese globale Perspektive, aus der Heine das koloniale Weltgeschehen betrachtet, unterscheidet ihn von seinen Zeitgenossen, u.a. von dem Amerika-Reisenden Charles Sealsfield (alias Karl Anton Postl), dessen Blick auf die ‚Neue Welt‘ lokal beschränkt bleibt. Heines ‚poetisch-kolonialer Diskurs‘ umspannt einen kolonial-geschichtlichen Zeitraum, in dem Ereignisse auf den zeitgenössisch-gegenwärtigen Schauplätzen mit dem Geschehen auf den historischen Schauplätzen der Entdeckungen in Beziehung gesetzt werden, um erkennen zu können, welche Wendung das Geschehen auf zukünftigen Schauplätzen nehmen könnte.

H einrich H eine : D ie ‚V it zliput zli ‘-B all ade von 1851 Heine benutzt den leicht ins Lächerliche entstellten Namen des aztekischen Kriegsgottes Huitzlilopochtli. Die korrekte Umschrift des Namens und die Ereignisgeschichte der Eroberung der aztekischen Hauptstadt Tenochtitlan im Jahre 1519 durch Cortez hätte Heine vielen Berichten und Nacherzählungen entnehmen können. So finden sich in Alexander von Humboldts ‚Versuch über den politischen Zustand des Königreichs Neuspanien‘240 Schilderungen der Kampfabläufe, des schmählichen Todes Montezumas, der Folter aztekischer Fürsten, der Menschenopfer-Rituale etc. Über Montezumas Ende aber hätte sich Heine ebenso in der inzwischen weit verbreiteten Schrift des Las Casas unterrichten können; die ‚Brevissima relación de la destructión des las Indias Occidentale‘ von 1552 lag spätestens seit 1790 in deutscher Übersetzung vor. Sogar der Hauptakteur Cortez hatte seine Version der Unterwerfung in Buchform (Cartas

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de Relación, 1522-1525) unters Volk gebracht. Welche Quelle auch immer Heine verwertet haben mag, er entwirft eine ganz eigene Version und inszeniert das ‚koloniale Geschehen‘ – in weltironischer Absicht – wie ein ebenso grandioses wie absurdes Schauspiel auf der Bühne des Welttheaters. Den drei Akten: I Kampf und Tod Montezumas, Abzug der Spanier; II Siegesfest der Azteken und Menschenopfer; III Gespräch PriesterGott und Azteken-Untergang, geht ein ‚Präludium‘ voraus: Aus der Privatperspektive eines Bewohners der ‚Alten Welt‘ fällt der Blick auf die ‚Neue Welt‘, wie sie sich als ‚terra nullius‘ angeblich jungfräulich unberührt als exotisches Natur-Paradies dem ersten europäischen Entdecker Kolumbus dargeboten haben könnte. Es ist diese neue transatlantische Welt, die ‚neu‘ nur für die Augen des Europäers sein kann, ‚unberührt‘ nur für den europäischen Seefahrer, der die nackten heidnischen Wilden im Naturzustand als ‚unberührt‘ von ‚Zivilisation‘ und ‚Christentum‘ sah. Die ‚Neue Welt‘ ist die des Jahres 1492 – wie sie für wenige geschichtliche Augenblicke sich noch ohne Spuren europäischer Besitzergreifung zeigte: eine ideale Projektionsfläche für Sehnsüchte, Wünsche und Begierden aller Art. Aber dieser geschichtliche Augenblick der ‚Jungfräulichkeit‘ ist nun schon vergangen. Der unerbittliche Fluss der Zeit hat die ‚Neue Welt‘ des Jahres 1492 längst in den Sog ihrer ‚Europäisierung‘ gerissen; die ‚heutige‘ Neue Welt vom Beobachter-Standpunkt des Jahres 1851 muss dem Kritiker des neuen Amerikas der Vereinigten Staaten auch schon als eine Welt erscheinen, „die europäisieret abwelkt“241 : Was mit dem geschichtlichen alten Europa in Berührung kommt, erleidet die Ansteckung historischen Alterns. Umso entschiedener imaginiert Heine die ‚neue‘ geschichtslose präkolumbianische Welt als den Jungbrunnen für die abgelebte „Kirchhofs“Welt des alten Europas: jenes „alten Scherbenbergs von verschimmelten Symbolen“.242 (Goethe hatte geschrieben: „Amerika, du hast es besser / Als unser Kontinent, das alte / Hast keine verfallene Schlösser / Und keine Basalte / Dich stört nicht im Innern / Zu lebendiger Zeit / Unnützes Erinnern / Und vergeblicher Streit“ und adressierte damit schon die post-kolumbianischen Vereinigten Staaten.) Interessant dagegen ist, dass Heine außer seltsamen Vögeln und „neuen Blumen“ mit „wilden Düften“ in seinem Paradieses-Garten keine weiteren Lebewesen antrifft. Wilde Indianer, die Ureinwohner dieser

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exotischen fremden Welt, kommen in ihrer eigenen offenbar nicht mehr vor. Allein die „wilden Düfte“, die er den „neuen Blumen“ der Neuen Welt zuschreibt, erinnern ihn an eine Exotin, eine Javanerin, deren Liebesdienste er dereinst in London genossen – was dem ansonsten von Wilden bereinigten Paradieses-Garten die für den europäischen Mann notorisch sexuell-erotische Note verleiht. Die Neue Welt avanciert zu einem wahren ‚Garten der Lüste‘. Das Präludium trägt Züge eines Wunsch-Traums, den der in ‚der Matrazengruft‘ gefesselte, todkranke Dichter träumt; die Versatzstücke aber entnimmt er der popularisierten Version eines ‚kolonialen Diskurses‘, der sich schon aller dunklen Erinnerung an die gewaltsame Entdeckung der Neuen Welt entledigt hat. Im Traum erscheint die Neue Welt gewissermaßen als eine Schöpfung des „Christoval Kolumbus“, der diese Neue Welt „aus dem Ozean, noch in Flutenfrische glänzend, hervorzog“243 . Diese Annahme der ‚Jungfräulichkeit‘ verbunden mit der Paradieses-Vorstellung von einer ‚ersten Welt‘ gehören schon frühzeitig zu den Stereotypen des ‚kolonialen Diskurses‘. Die historische Erzählung (I) leitet Heine – wie schon das Präludium (Neue Welt vs. Alte Welt) – mit einer Opposition ein: „Räuberhauptmann Cortez“ vs. Pantheon-Held „Christoval Kolumbus“ verkörpern die dunkle und die helle Seite der Entdeckungsgeschichte: das zerstörerische und das schöpferische Potential der Eroberung. Während Kolumbus „der Welt eine ganze Welt geschenkt“, ist es Cortez, der „Schächer“ und „Strolch“, der die Ausbeutung und Zerstörung dieser Neuen Welt betreibt. Mit dieser vereinfachenden Schwarz-Weiß-Gegenüberstellung – die im übrigen auch historisch nicht vertretbar ist – gelingt Heine die Abspaltung der ‚bösen‘ und gewalttätigen Anteile der europäischen Eroberungszüge, indem er alle ‚niederen Beweggründe‘ einer einzelnen zufälligen Person zuschreibt. Das Triumphale der Entdeckung wird einseitig den Taten jener anderen Person, Kolumbus, des Welten-Schenkers, der sich nur noch mit dem Mann Moses messen kann, zuerkannt. Die Personifizierung unterschlägt den System-Charakter der kolonialen Weltbemächtigung durch das Kollektiv europäischer Seefahrer, Abenteurer, Missionare, Soldaten und Händler, deren Handeln wiederum von der kolonialen Logistik gewaltsamer Besitzergreifung bestimmt ist. Die poetische Narrativierung des ‚kolonialen Diskurses‘ allerdings legt eine Personifizierung des Geschehens durchaus nahe, offenbart aber auch, wie sehr die ein größeres Publikum erreichende ‚Erzählung‘ (in diesem Fall) vereinfa-

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chende Sichtweisen von komplexen Zusammenhängen befestigen kann. Auf der anderen Seite ist es gerade der Autor Heine, der sich im weiteren Verlauf seiner ‚Erzählung‘ von Stereotypen und fixierten Sichtweisen zu lösen vermag. So erzählt Heine in den Teilen (I) und (II) seiner Ballade aus der Perspektive des europäischen Betrachters den kriegerischen Zusammenstoß der spanischen Eroberer und des einheimisch-aztekisch-mexikanischen Heeres als den ‚cultural clash‘ der unter der ‚Fahne der heiligen Jungfrau‘ kämpfenden Europäer und der ihrem „blutrünstigen Kriegsgott Vitzliputzli“ und seinen Priestern verpflichteten Mexikanern. Die christlichen Eindringlinge veranstalten unter ihrem „Räuberhauptmann“ Cortez das Massaker ihrer Eroberung eines fremden heidnischen Staatswesens, um „abergläubisch, unzivilisierte blinde Heiden“ zum wahren Glauben zu führen – und sich gleichzeitig nach Kräften mit der „gelben Sündenlast“ des Goldes zu beladen. Die mexikanischen Verteidiger wollen ihrerseits den Tod ihres Königs Montezuma in spanischer Geiselhaft rächen und veranstalten am Ende das Massaker ihres Menschenopfer-Rituals, um ihren Kriegsgott Vitzliputzli (Huitzilopochtli) dazu zu bewegen, ihnen den Sieg über die Fremden zu schenken. Heine als ‚ironischer Berichterstatter‘ aber scheint nahelegen zu wollen, dass weder die ‚heilige Jungfrau‘, noch der Kriegsgott Vitzliputzli so recht als Helfer im Machtkampf taugen: Die von Cortez hochgehaltene Fahne mit dem Konterfei der ‚Mater Dolorosa‘ wird von „den Geschossen der Indianer just im Herz“ getroffen – und auch Vitzliputzli kann das Kriegsglück der Azteken nicht mehr wenden und wird ganz im Gegenteil zum Verkünder ihres Untergangs. Ausschlaggebend wird am Ende vielmehr – ganz diesseitig – „Alteuropas strenge Kriegskunst (sein), Feuerschlünde, Harnisch, Pferde.“244 In der Gegenüberstellung des spanischen Kriegs-„Gemetzels“ und des aztekischen Opfer-Gemetzels lassen sich – aus der Sicht des europäischen Betrachters – die vergleichbar ‚niederen Beweggründe‘ der Parteien erkennen – nämlich einmal auf spanischer Seite: materielle Gier nach Gold, dem „teuflischen Metall“, das Seele und Leib verderblich ist, Hinterlist und Verrat im Zusammenhang mit dem schmählichen Tod des Königs Montezuma – und auf aztekischer Seite: primitiver, roher, blutiger Aberglaube von Heiden, die von einer „unzivilisierten“ Priesterkaste angeleitet werden.

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Heines ‚koloniale Erzählung‘ aus europäisch-spanischer Perspektive wechselt schon anfänglich mehrfach den zeit-perspektivischen Sichtpunkt; so blickt er mit Kolumbus im Jahr der Entdeckung 1492 auf die Neue Welt (Präludium), mit Cortez im Jahr 1520 auf die Eroberung Mexikos (I, II) – und von dort wieder zurück auf das spanische Schicksalsjahr 1492, auf die Reconquista, deren christliche Homogensierung Andalusiens nicht zufällig im selben Jahr zum Abschluss kommt, in dem die Konquista sich ihrerseits die Christianisierung der Welt zum Ziel setzt. Heine verknüpft dieses Datum ironisch mit der ‚noche triste‘ des 1. Juli 1520, an dem christliches „Spanierblut, unvermischt mit dem Blut der Mauren und Juden“245 dem aztekischen Kriegsgott geopfert werden soll. Und noch weiter blickt er zurück in die Menschheitsgeschichte, wenn er in dem aztekischen Menschenopfer den uralten Stoff, eine uralte Fabel wiedererkennt, „die in christliche(r) Behandlung“ dieses Stoffes als „Schauspiel nicht so gräßlich“ ist wie ihre aztekische Ausführung. Die zivilisatorische Differenz macht er in der ‚rohen‘ fleischlichen Form des Rituals aus, das zur symbolischen Transsubstituierung noch nicht fortgeschritten ist. Dieser perspektivische Rückblick aber genügt, um der aztekischen Kultur – aus europäischer Sicht – ihren historischen Ort im Evolutionsprozess anzuweisen: allemal noch der ‚Kindheitsepoche‘ der Menschheit zugehörig – so auch ihr blutrünstiger Kriegsgott, „ein böses Ungetüm, doch sein Äußeres so putzig, so verschnörkelt und so kindisch wie das „Brüsseler Manneken-Piß“.246 In dieser spöttischen historischen Platzierung spricht Heine ganz als ein Mann seines europäischen 19. Jahrhunderts. Aus dieser Perspektive bestimmen Spott und Erschrecken die ‚Tonlage‘ der Beschreibung des (prä-zivilisatorischen) Opfer-Rituals auf dem ‚Altar‘ des aztekischen Tempels, der ohnehin nur als „Götzenburg“ wahrgenommen wird. Entsprechend der Verballhornung des Götternamens ‚Huitzlilopochtli‘ in ‚Vitzliputzli‘ erscheint auch der Opferpriester als eine eher lachhafte Figur, „ein hundertjährig Männlein, ohne Haar an Kinn und Schädel, trägt ein scharlach Kamisölchen“247, während der Opfergesang, „das mexikanische Tedeum“ den von fern zusehenden Spaniern nur als „ein Miaulen wie von Katzen“, als veritables „Katzen-Charivari“ in den Ohren klingen kann. Erst im Augenblick der rituellen Opfer-Tortur, als der „grausam und entsetzlich(e) [...] Angstschrei der Gequälten“248 an ihr Ohr dringt, schlägt aller Spott in Erschrecken und Entsetzen um. Als am Ende (II) die rituelle Opferung ‚tapferer

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feindlicher Krieger‘ – hier von 80 gefangenen Spaniern – vollkommen im Rahmen der aztekisch religiösen Doktrin öffentlich vollzogen wird – und gleichzeitig abseits der Tempel-Bühne begleitet wird von christlichen Totengesängen ‚De profundis‘ der ohnmächtig zuschauenden Spanier – dann erreicht das ‚koloniale Spektakel‘ in der Heine’schen Version eine nicht zu überbietende Dichte des Weltironisch-Absurden. Die Differenz der ‚Systeme‘ scheint noch einmal auf die Spitze getrieben – wenn auch das Personal, dessen sich die ‚Systeme‘ bedienen, so unterschiedlich nicht ist: Die ‚sich spreizende aztekische Klerisei‘ „im Ornat von bunten Federn“ könnte daran erinnern, dass Heine einmal von „der Familienähnlichkeit der Pfaffen in der ganzen Welt“ gesprochen hat, „aller Rabbinen, Muftis, Dominikaner, Konsitorialräte, Popen, Bonzen, kurz des ganzen diplomatischen Corps Gottes“.249 Im Teil III des Gedichts wird der kahle Oberpriester, das hundertjährige Männlein, seinen letzten und schmählichen Auftritt haben. Seinem „Räuberhauptmann“ Cortez aber, der für Massaker noch ganz anderen Formats verantwortlich zeichnet, bewahrt die Heine’sche Version der Eroberung Mexikos erstaunlicherweise eine ganz eigene Empathie: Sie lässt den Zerstörer des Azteken-Reichs „helle Tränen“ weinen, als er einen bestimmten spanischen Jüngling unter den Opfern des religiösen Massakers entdeckt; auch die ansonsten eher brutale spanische Soldateska verfällt angesichts der Torturen, die ihre 80 Kameraden erleiden, in Trauer und stimmt christliche Psalmengesänge an. Angesichts aber der historischen Vernichtung der indianischen Urbevölkerung in den ‚westindischen Ländern‘, deren sich gerade die Horden des Cortez schuldig machen, muss die ausgiebige Schilderung der aztekischen Menschenopfer-Gräuel und die Trauerklage um einige Spanier unverhältnismäßig erscheinen. Inzwischen geht man davon aus, dass die Konquista allein in Mexiko zu einer „Dezimierung der Bevölkerung um schätzungsweise 20 Millionen Menschen“ geführt hat.250 Die Opfer-Zahlenangaben des Las Casas zumindest waren auch zu Heines Zeiten bekannt. Ob Heine mit den „hellen Tränen“ des Räuberhauptmanns Cortez gerade auf dieses Missverhältnis der Klage um die eigenen (wenigen) christlichen Opfer aufmerksam machen wollte, ist unwahrscheinlich. Von dem Vernichtungsfeldzug, den Cortez in Mexiko führt, ist in Heines Ballade nicht die Rede, obwohl er z.B. in Humboldts ‚Versuch über den politischen Zustand des Königreichs Neuspanien‘ einiges über „die Grausamkeiten Cor-

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tez“, über Folter und Zerstörung der aztekischen Städte hätte lesen können251 . So aber bleibt er (hier) dem kolonialen Stereotyp der Verschiebung aller Gräueltaten auf den Anderen, der Abspaltung der eigenen Gräuel verhaftet. Im Teil III seiner Ballade jedoch vollzieht Heine den fälligen Perspektivwechsel. In dem ‚phantastischen‘ Dialog des aztekischen Ober- und Opferpriesters mit seinem Gott (Vitzliputzli) kommt nun der Andere zu Wort, kommt etwas Anderes zum Ausdruck. Anfangs spricht der Priester, das hundertjährige Männlein, „süßlich grinsend, grimmig schäkernd“ zu seinem Gott, unangemessen und anmaßend zugleich: „Vitzliputzli, Putzlivitzli, liebstes Göttchen Vitzliputzli“ und bittet um den Sieg über die Fremden. Eine derartige Ansprache lässt auf uralte Komplizenschaft schließen; ihre Macht aber scheint gebrochen; gegenüber den Fremden, die „übers Weltmeer“ kamen, erweist sich ihre Ohnmacht. Ihre Deutungsmuster haben versagt: Sie haben sie als „Wesen von der höchsten Gattung“, als unsterbliche Sonnen- und Göttersöhne verstanden – und doch waren sie sterbliche Menschen „wie andre“; sie haben sie zumindest als moralisch höhere Wesen betrachtet – und doch waren sie von niedriger Gier nach Gold getrieben. Als der amtsmüde Gott Vitzliputzli „seufzend, röchelnd“ das Wort ergreift, ruft er seinen ersten Opferpriester dazu auf, mit seinem eigenen Tod die Liquidation des ‚Systems‘ zu besiegeln. Er beruft sich dabei auf eine uralte böse Prophezeiung vom Untergang des Reiches „durch furchtbare, bärtige Männer“ aus dem Osten, die im Zeichen einer mächtigen „Himmelsfürstin“ – der jungfräulichen Mutter Gottes – kämpfen und sich die Welt untertan machen. Das evolutionsgeschichtlich rückständige ‚natürliche System‘ unterliegt somit notwendig dem ‚fortschrittlich-symbolischen System‘. Die Prophezeiung vom Untergang des aztekischen Reiches erhält in der ErzählVersion Heines den Status einer Aussage über den notwendigen Gang der Weltgeschichte – ganz im Sinne Hegels. Es liegt nahe, dass Heine die (schon zitierte Stelle) aus Hegels ‚Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte‘ (1832-1845) kannte, in der Hegel davon sprach, dass die „natürliche Kultur, namentlich in Mexiko und Peru [...] untergehen mußte, so wie der Geist sich ihr näherte.“ Die Eingeborenen seien, „nachdem die Europäer in Amerika landeten, allmählich an dem Hauche der europäischen Tätigkeit untergegangen.“252

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Wie auch immer: Götterzwietracht und Götterdämmerung bei den Azteken verweisen auf das Versagen der Götter: Sie haben keine Antwort auf das siegreiche Auftreten der unter der Fahne eines heiligen Weibes kämpfenden Fremden; sie senden keine Zeichen; ihr Deutungsmuster von der Erfüllung uralter Untergangs-Prophezeiungen erweist sich als ohnmächtiger Versuch, den Zusammenbruch als die Konsequenz der eigenen Geschichte zu beanspruchen. Die Schlusspointe der Ballade besteht in einem letzten überraschenden zeit-perspektivischen Wechsel: die Ereignisse der Jahre 1517-1520 in Mexiko werden auf zukünftige Ereignisse im fernen Europa bezogen: die Vergangenheit der kolonialen Expansion hinterlässt ihre Spuren in der europäischen Gegenwart des 19. Jahrhunderts. Die poetische Darstellung Heines bedient sich einer phantastischen Vision: Auf den Trümmern seiner Tempel behauptet der alte Kriegsgott der Azteken sein Überleben als Rache-Gott: „Götter sterben nicht, werden alt wie Papageien“. Seine neue Karriere will er in Europa beginnen, „in der Heimat seiner Feinde“, um dort sein „geliebtes Mexiko furchtbar zu rächen“. Wo sich Rache regt, war Demütigung und Erniedrigung. Die Rache des alten Kriegsgottes soll Antwort sein und Revanche für erlittenes Unrecht, das der Urbevölkerung des amerikanischen Kontinents von gewalttätigen europäischen Eroberern angetan wurde. So kommt ganz am Ende der Ballade mit dem Gedanken der Rache der Verursacher aller Untergänge in den Blick, der Täter, der sich der Auslöschung ganzer Völker und Kulturen schuldig gemacht hat. In dem Augenblick allerdings, in dem die Opfer sprechen und den Täter benennen, sind die anonymen aztekischen und europäischen Deutungs-Mythen obsolet; weder erfüllen sich uralte Untergangs-Prophezeiungen, noch ereignen sich weltgeschichtlich notwendige Untergänge ‚natürlicher Kulturen‘. Die Rache, die der aztekische Gott androht, ist subtil und soll seine europäischen Feinde im ‚Innersten‘ an ihren ‚Wurzeln‘ treffen. Auf Körper und Geist, Sinne und Seele zielt sein vergiftender Angriff. Liebeslust und Glücksverlangen sollen zerstörerischer Sucht preisgegeben werden; die Gedanken sollen in die Irre geführt, die Wahrnehmungen quälenden Phantomen ausgeliefert und die Seele zum Bösen verführt werden. Eine derartige Rache wiederholt die zu rächende Tat, indem sie wie diese die Identität des Anderen auslöschen will.

VI. „Schicksal der geschlagenen Rassen“

Heine radikalisiert den ‚kolonialen Diskurs‘ mit dieser ominösen Schlusspointe der Rache: Das vergangene koloniale Geschehen, das verdrängte koloniale Unrecht, der aus dem Gedächtnis getilgte Völkermord wird sich in der Rache allen zukünftigen Gegenwarten der europäischen Geschichte einschreiben.

H einrich H eine : D ie B imini -B all ade (1853/4) Auch diese Ballade verfasst ein todkranker Heine auf dem Sterbebett; er erträumt eine Fahrt zu der „Wunderinsel Bimini“, die der alternde spanische Konquistador Ponce de Leon antritt, nachdem eine alte Indianerin ihm von einem Jungbrunnen auf dieser Bahama-Insel vorgesungen hat. Heine liest zu dieser Zeit viel Reiseliteratur, unter anderem auch Washington Irvings „Voyages and Discoveries of the Companions of Columbus“ (1831): Dort ist er auf die Geschichte der Suche nach dem ‚verjüngenden Wasser‘ auf dieser tropischen Insel gestoßen. Hier sollen lediglich die ‚kolonialen Implikationen‘ dieses ironischwehmütigen Abgesangs auf alle Erlösungs-, Glücks- und VerjüngungsTräume in den Blick kommen, die sich mit der ‚Neuen Welt‘, mit paradiesischen Inseln im besonderen verbanden. Wie das ‚Präludium‘ der Vitzliputzli-Ballade entwirft auch der Prolog der Bimini-Ballade noch einmal den kolonialgeschichtlichen Kontext jener triumphalen Aufbrüche aus der ‚Alten Welt‘ in die ‚Neue Welt‘. Der letzte Auf bruch aber des zahnlosen, greisen Konquistadors, zudem noch auf Anweisung einer Indianerin, kann nur als tragikomische Zurücknahme aller Triumphe der Eroberungszeiten gelesen werden. Die glorreiche Entdeckungsfahrt der Santa Maria des Kolumbus erfährt ein grotesk-satirisches Nachspiel in der Ausfahrt des Narrenschiffs des Ponce de Leon, angeleitet von der „karibischen Pompadour“ Kaka, der Indianerin.253 Heine erweist sich in seiner Prolog-Erzählung (wieder) als Meister des zeitlichen Perspektivwechsels. Zu Beginn blickt er aus der Gegenwart des Erzählers (der Mitte des 19. Jahrhunderts) zurück auf die schon untergegangene ‚Wunderwelt‘ der Romantik (zum Ende des 18. Jahrhunderts) – und gewinnt von hier das Leitmotiv des ‚Wunders‘ für seine Erzählung der epochalen Umbrüche: der wie ein „Meerwunder“ auftauchenden Neuen Welt und der „wunderbarlichen“ Verwandlung der Alten Welt (gegen Mitte und Ende des 15. Jahrhunderts). „Der moderne Zaubergeist“ – die Erfin-

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dung des Buchdrucks (1436-1445), des Schwarzpulvers (14. Jahrhundert) und des Kompasses (seit 1400 auf europäischen Schiffen) – ermöglicht überhaupt erst die Öffnung „der Gartenpforte Indias“: den Eintritt in das paradiesische Wunderland der Neuen Welt (1492). Heine erinnert hiermit an Hegels „Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte“ (1832-1845). Hegel hatte schon „der eben erfundenen Buchdruckerkunst“, „der neu erfundenen technischen Mittel der Magnetnadel (und) des Schießpulvers“, schließlich „der Entdeckung Amerikas“ jene Verwandlung der alten Welt zugeschrieben, die Europa aus „der furchtbaren Nacht des Mittelalters“ ans Tageslicht der neuen Zeit geführt hätten.254 Der Blick Heines richtet sich wie der Hegels aus dem Zentrum der europäischen Welt auf die ‚wilde‘ Peripherie der entdeckten Neuen Welt. Aber während Hegels eurozentrischer Blick auf die notwendig zum Untergang verurteilten „natürlichen Kulturen“ fällt, erscheint Heine aus demselben Blickwinkel die „Neue Welt“ zumindest ambivalent: Einmal als „geheimnisvolle, sinnberauschende, sinnbetäubende“255 Wunderwelt, zum anderen als bloßer Beutegrund für die „großen Diebe (und) Meuchelmörder“, denen es wie Cortez, Pizarro oder Lopez Vacca nur um Gold-Raub geht.256 Doch schmälern offenbar ihre Heldentaten und „Prouessen furchtbarlichster Soldateske“ nicht im geringsten die Leistungen europäischer „Wundertaten“: der Entdeckung neuer Kontinente. Dieses idealistische „Hinaus des Geistes, diese Begierde des Menschen, seine Erde kennenzulernen“ (Hegel)257 jedoch unterschlägt, dass es zu keiner Zeit (nur) darum ging, die Erde kennen zu lernen, sondern immer darum, fremdes Land mit fremden Bewohnern sich zu unterwerfen, ganz zu schweigen von Vernichtung und Ausrottung. Am Ende des ‚Prologs‘, der von „Wunderdingen“ und „Wundertaten“ der „Wunderglaubenszeit“ erzählt, kehrt der Erzähler in sein Heute zurück: zu seiner Lektüre auf dem Krankenlager. Er liest die Geschichte des alternden Ponce de Leon, der sich Verjüngung und Heilung auf der „Wunderinsel“ Bimini verspricht. Auf dem „Zauberschiff“ der Poesie möchte er diese Reise wiederholen; der „Wunderglaube“ – wie einstmals an die blaue Blume der Romantik – soll ihn geleiten. Nach Washington Irving brach der spanische Konquistador Juan Ponce de Leon am 3. März 1512 mit drei Schiffen vom Hafen St. Germain auf der Insel Porto Rico auf, um auf die sagenhafte Insel Bimini zu gelangen, gab dann aber die Suche auf und kehrte nach Porto Rico zurück. Als ‚Companion‘ des Kolumbus nahm der historische Ponce de Leon an des-

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sen zweiter Karibik-Fahrt teil, war Gouverneur auf Porto Rico, gilt als Entdecker und Kolonisator Floridas und hat als unbarmherziger Kolonialherr erheblichen Anteil an der Ausrottung der karibischen Urbevölkerung. In Heines Version der Geschichte wird er bezeichnenderweise „als Schreck der Mohren“ (Mauren) während der spanischen Reconquista eingeführt, womit Heine zum wiederholten Male eine Verbindung herstellt von Reconquista und Konquista des Jahres 1492, von gewaltsamer Expansion der christlichen Doktrin nach ‚innen‘ wie nach ‚außen‘, in Andalusien und in der Neuen Welt. „Treusam blieb ich ihm (Kolumbus) ergeben“ – lässt Heine Ponce de Leon entsprechend zu Wort kommen – „diesem andern großen Christoph/Der das Licht des Heils getragen/Zu den Heiden durch das Wasser“.258 Auf den Spuren eher des legendären Ritters Ponce de Leon als des realen Konquistadoren möchte Heine, der Dichter, sein „Zauberschiff“ der Poesie leiten zu der Wunderinsel Bimini. Nur eines teilt er mit dem Ritter und Seefahrer aus der „Wunderzeit“ der Entdeckungen: die Gebrechlichkeit des Alters und der Krankheit, das sehnende Gedenken der verlorenen Jugendzeit, das Verlangen nach Genesung und Verjüngung – und nur als Dichter teilt er die „Wundergläubigkeit“ des Seemanns Ponce de Leon, der weiß, dass „das Wasser der Verjüngung“ auf der unentdeckten Insel Bimini fließt. Der Erzähler des Prologs hatte uns schon die ‚Neue Welt‘ im Ganzen vorgestellt als eine ‚Wunderwelt‘, in der „phantastische Gewächse“, „seltene Spezereien/Mit geheimnisvollen Kräften/Die den Menschen oft genesen/öfter auch erkranken machen“ wuchern; eine Welt der ‚Berauschung‘ und ‚Betäubung‘ der Sinne, umwogt von „einer Sündenflut von wollüstig/Ungeheuerlichen Düften“.259 Es sind diese erotisch-sinnlichen Verheißungen, die nur noch durch das Versprechen ewigen Lebens und Jugend übertroffen werden könnten. Der Topos der glückseligen tropischen Insel begleitet den kolonialen Diskurs spätestens seit Bougainvilles Tahiti-Reise von 1766-1769 – mit der Tendenz, den Insel-Ort als Heterotop einzugemeinden in eine kolonial-europäischen Ökumene. In der Vision des ‚irdischen Paradieses‘ angesichts des vorgeblich unberührten Natur-Raums der Neuen Welt knüpft der Insel-Topos frühzeitig an die Projektionen des ersten Entdeckers Kolumbus an (vgl. Kap. I). Die Insel Bimini bleibt in Heines (Irvings) Version unerreichbar, unentdeckt, unentdeckbar, sodass der „von vielen Leibsübeln und Gebresten“ geplagte spanische Ritter am Ende nur im Tod Erlösung findet. Während Kolumbus mit der triumphalen Landung auf jener kleinen Bahama-

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Insel Guanahani die Neue Welt entdeckt, scheitert Ponce de Leon mit seiner Suche nach der anderen kleinen Bahama-Insel Bimini kläglich. Nicht nur die Vergeblichkeit aller Suche nach Verjüngung und Genesung offenbart sich in der erfolglosen Seefahrt des Ponce de Leon, sondern überhaupt die Nichtigkeit der mit dem Insel-Topos verknüpften Verheißung eines ‚glückseligen Lebens‘ jenseits der Grenzen der ‚Alten Welt‘. Der historische Ponce de Leon stirbt den Tod des gnadenlosen Konquistadors, den der vergiftete Pfeil eines Indianers trifft. Wie schon in dem ‚Vitzliputzli-Gedicht‘ unterschlägt Heine auch in dem ‚Bimini-Gedicht‘ nicht die historische Wahrheit der europäischen Entdeckungen: ihr Doppelgesicht im Triumph der Täter und im Elend der Opfer, ihre Tag- und Nachtseite von ‚Kolonisation‘ und ‚Vernichtung‘. Allerdings scheint die Stimme der triumphierenden Täter und Weltentdecker im ‚Präludium‘ und im ‚Prolog‘ der Balladen größeres Gewicht zu erhalten als die kaum zu vernehmende Stimme der Opfer in den nachfolgenden Erzählungen. So irritiert zunächst in beiden Balladen das koloniale Stereotyp der ‚jungfräulichen neuen Welt‘, die der Weltentdecker Kolumbus der ‚Alten Welt‘ „schenkt“, ohne dass von der Existenz der Ureinwohner überhaupt die Rede ist. Überdies legt der von Heine zitierte europäische Fortschritts-Kanon Hegels – antike Philosophie – Christentum – Wissenschaft – nahe, dass Europa fraglos die Herrschaft über die aus dieser Perspektive – zurückgebliebenen Völkerschaften gebührt. Die technischen Errungenschaften in der Kombination von SchwarzpulverBuchdruck – und Magnetnadel offenbaren eine militärische, kommunikative und navigatorische Überlegenheit, die jeden indigenen Widerstand als sinnlos erscheinen lässt. Aus diesem Fortschritts-Geist des 19. Jahrhunderts heraus glaubt auch Heine über die ‚phantastische Wunderwelt‘ „Indias“ ästhetisch-projektiv verfügen und sich dem Gedanken hingeben zu können, die ‚Neue Welt‘ sei – zumindest auch – entdeckt worden, um dem „europamüden“ Bewohner der ‚Alten Welt‘ die verlorenen Paradiese der Natur und der Sinne rückerstatten zu können. Aber es ist der gleiche Heine, der diese Tag-Träume zerschellen lässt, wenn er sich auf der Nacht-Seite der Entdeckungen die koloniale Praxis vergegenwärtigt: Diese von „großen Dieben (und) Meuchelmördern“, von „furchtbarlichster Soldateske“260 , von „Räuberhauptleuten“ wie Cortez, Pizarro oder Ponce de Leon ins Werk gesetzte Auslöschung ganzer indi-

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gener Kulturen löst in ihm zumindest ein punktuelles Erschrecken aus, das die Träume zunichte macht. Allein in der Gestalt des zum Rachegott gewandelten aztekischen Kriegsgotts wird Heine den ‚Anderen‘ zu Wort kommen lassen: „Mein geliebtes Mexiko, Nimmermehr kann ich es retten, Aber rächen will ich furchtbar Mein geliebtes Mexiko“ (260)

und zwar im Ursprungsland aller Demütigung und Zerstörungen: in Europa. Die Rache wird in der nicht abzulösenden Hypothek der Menschheitsverbrechen bestehen, die Europa durch die Jahrhunderte zu tragen hat. Gegen alle Versuche der Löschung bewahrt das kollektive Gedächtnis die Spuren der vergangenen Gewalttat. Im vergleichbaren Zusammenhang spricht Mbembe von dem „geschichtlichen Prozess, der für einen großen Teil der Menschheit ein Prozess der Gewöhnung an den Tod des Anderen gewesen sei, der tiefe Spuren in Denken und Vorstellung, in der Kultur wie auch in den sozialen und ökonomischen Beziehungen hinterlassen habe, Verletzungen und Wunden“.261

H einrich H eine : D as S kl avenschiff (1853/4) 262 Die Begegnung mit dem Anderen ist das Leitthema des kolonialen Diskurses. Die Geschichte dieses Diskurses offenbart die europäische Unwilligkeit oder Unfähigkeit, die eigene Sichtweise in dieser Begegnung zu relativieren, um sich auch nur befristet auf die Sichtweise des Anderen (eines Bewohners anderer ‚Welten‘) einlassen zu können. Der Lichtenbergsche Perspektiven-Sprung, den er vollzog, als er den ‚Amerikaner‘, der den Columbus zuerst entdeckte, eine böse Entdeckung machen ließ, leitete die europäische Erzählung dieser ersten Entdeckungen und Begegnungen in der Regel nicht; den Angehörigen ‚geschichtsloser Völker‘ konnte der Europäer keine relevante Sichtweise auf sich zugestehen. Für den auf ‚nackte Wilde‘ stoßenden Europäer, im Glauben über die Wahrheit der Geschichte zu verfügen, gab es somit keinen Anlass, sich um die Sichtweise des Anderen zu bemühen. Die Begegnung mit dem Anderen verlief über einen langen Zeitraum in den Bahnen eines narzisstischen

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Monologs (Leclerc); nach einer kurzen Periode der philosophisch-ästhetischen Erprobung des Sichtwechsels und der dialogischen Öffnung durch ‚die Aufklärer‘ (Montesquieu, Diderot u.a.) kehrte das späte imperialistische 19. Jahrhundert zurück zur „privilegierten Form des Monologs“. Heine bedient sich in seinem Sklavenschiff-Gedicht der Perspektivierung auf besondere Weise: Er adaptiert in satirisch-kritischer Absicht die dominante, imperiale Perspektive des kolonialen Systems, gerade um zu verdeutlichen, dass den innerhalb dieses Systems Unterworfenen, zivilisatorisch auf der niedersten Stufe Stehenden, eine eigene Sichtweise ‚objektiv‘ versagt ist. Heine erfasst das koloniale System, indem er die Sprache exklusiv den weißen Tätern zuordnet, während die schwarzen Opfer zu ‚sprachlosen Objekten‘ degradiert sind. Sprache als Instrument der Herrschaft beansprucht das Deutungsmonopol in Bezug auf ‚Sinn und Zweck‘ des Handelns mit Menschen-Ware. Die Sprache der Täter, des Sklavenhändlers und Kapitäns, des den Transport begleitenden Arztes, wird kenntlich als unmittelbares Medium der Gewalt- und Machtausübung; die Sprachlosigkeit der Opfer kann nur der Ausdruck dafür sein, dass es sich bei dem „Neger“ um ein Wesen handelt, „das sich kaum vom tierischen Bedürfnis befreit hat“ (Mbembe) und das in jeder seiner Regungen der Kontrolle durch den Kolonialherren unterliegt. Der Superkargo Mynher van Kock und sein Schiffschirurgius van der Smissen bedienen sich der rationalen Spezial-Sprache ihres Gewerbes: Der Superkargo rechnet und „kalkuliert die probablen Profite“; die „schwarze Ware“ der afrikanischen Sklaven erscheint ihm gewinnbringender als „Gummi, Pfeffer (oder) Elfenbein“, wogegen „Branntewein (und) Glasperlen“ im Tausch gegen Menschen-Ware hohe Gewinne versprechen. Der Schiffschirurgius berichtet über die durchschnittliche Todesrate, über die Inspektion der anfallenden Leichen, wobei es darum geht, mögliche Simulanten auszusortieren; er bestätigt die geregelte Entsorgung der Leichen im Meer, denen er vorher die noch gut verwendbaren Eisenfesseln abgenommen habe. Es ist die scheinbar vollkommen normale Sprache des Händlers, der Gewinn erzielen will und des Aufsehers, der für den Zustand der Ware verantwortlich ist. Als Sprechakte aber im Kontext des kolonialen Systems verfügen ihre Sätze über Menschen als ‚Sachen‘, entscheiden ihre Worte über Tod und Leben. Als dem Superkargo und dem Arzt „die Progression der Sterblichkeit“ an Bord Gedanken machen, verordnen sie den berüchtigten ‚Erholungstanz‘ auf dem Oberdeck für die unterdeck schmachtenden Gefangenen.

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Mit der Peitsche des Bewachers, die den ‚Tanzfaulen‘ unter den Schwarzen Beine machen soll, und dem ‚klirrenden Eisen‘ an den Knöcheln der ‚Tänzer‘ wird das koloniale Norm-Folterwerkzeug gezeigt, der gepeinigte Körper zur Schau gestellt. Die Sprache der (Wider)Worte ist den Sklaven genommen; ihre Körpersprache der Verzweiflung übersetzten sich die Peiniger zynisch in: „jauchzen (und) hopsen“, in ‚tolles Herumkreisen‘, die Simulation des Todes, um über Bord geworfen zu werden, als böswillige Verstellung, die eine gehörige Tracht Peitschenhiebe zur Folge hat. An einem Punkt aber schlägt ihr Zynismus um in das lauernde Interesse am nackten, erotischen schwarzen Körper: „Sie stampfen den Boden mit tobender Lust, Und manche schwarze Schöne Umschlingt wollüstig den nackten Genoß.“263

Neben dem Leit-Text, in dem der ‚schwarze Körper‘ als Objekt (kaufmännischer) Kalkulation und (medizinischer) Inspektion erscheint, tritt ein Sub-Text, in dem der ‚schwarze Körper‘ zum Objekt lüsterner ‚weißer‘ Blicke und handfester Begierden mutiert. Die zynische Sprache der Kolonialherren – hier des Schiffsarztes – insinuiert eine gewisse Artenverwandtschaft von ‚Negern‘ und ‚Haifischen‘, wenn von der heiklen ‚Zuneigung‘ der Haifische die Rede ist: „Haifische lieben das Negerfleisch“ – und die „Freßgelüste dieser Bestien“ sind durch die über Bord geworfenen, den „wollüstig girren(den) Wogen“ übergebenen toten Körper der schwarzen Sklaven aufs gierigste erregt.264 Es sind diese wilden „Freßgelüste“ der sich „vergnügt um die des Schiffes Planken possierlich“ tummelnden Bestien, die sich dann projektiv auf die „mit tobender Lust“ tanzenden Schwarzen beziehen lassen. Die in der voyeuristischen Perspektive der weißen Beobachter sich wollüstig umschlingenden nackten Körper werden unzweideutig als Ausdruck wilder-animalischer Sexualität wahrgenommen. Eben dieser Anblick weckt nun auch in ihnen ‚untergründig‘, zivilisatorisch-verdrängte Gelüste – und eröffnet ein anderes Feld der Ausbeutung. Der vom Superkargo taxierte ‚schwarze Körper‘ („Das Fleisch ist hart, die Sehnen sind stramm“)265 taugt nicht nur zur Fronarbeit auf den Plantagen, sondern erweist als sexueller, vornehmlich weiblicher Körper seinen Gebrauchswert, wenn es darum geht, die enthemmten Begierden der weißen Herren zu befriedigen.

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Achille Mbembe weist in diesem Zusammenhang entsprechend darauf hin, dass der westliche Diskurs über den schwarzen Anderen „auf den naivsten und sensualistischsten Vorurteilen“ beruhe: ‚der Neger werde als Prototyp einer vormenschlichen Gestalt dargestellt, die unfähig sei, sich von ihrer Animalität zu befreien; in seine Sinnlichkeit eingeschlossen, habe der Neger Mühe, sich von den Ketten der biologischen Notwendigkeit zu befreien‘.266 Diese Vorurteile aber verhelfen dem weißen Mann in der tropischen Fremde dazu, seinen Sehnsüchten nach einer zivilisatorisch enttabuisierten ‚naturhaften‘ Sexualität, von Schuld- oder Schamgefühlen entlastet, frönen zu können. Der koloniale Diskurs führt im Subtext dieses Moment sexueller Freiheit – die sich in der Aneignung des unfreien Körper des (schwarzen) Sklaven zu erfüllen scheint. Was die Rolle der Figuren, die Umstände und Abläufe eines Sklaventransports über den Atlantik betrifft, hält sich Heine an die historisch verbürgten Tatsachen; in einer Vielzahl von schriftlichen und bildlichen Zeugnisse war das Geschehen schon zu seiner Zeit gut dokumentiert 267; auch die Details der erzwungenen Tänze der Sklaven oder die Sklavenschiffe begleitenden Haifische oder die Erscheinung einer „schwarzen Schönen“ inmitten ihrer Leidensgenossen […] sind nicht Ausgeburten der dichterischen Phantasie. Dennoch: Da es sich nicht um eine historische Berichterstattung handelt, sondern um einen ästhetischen Text, gewinnt die perspektivische Darstellung und die symbolische Aufladung von Leitbegriffen wie Tanz – Haifisch – schwarze Schöne – die literarische Qualität des Verweises – wenn man so will – auf die Tiefenstruktur des kolonialen Geschehens überhaupt. Die Begegnung mit dem ‚schwarzen Anderen‘ verläuft somit in den Bahnen der absoluten Verfügung über ein ‚Wesen‘, das man sich zwischen Tier und Mensch ‚eingeschlossen‘ vorstellt, und das in seiner Animalität und ‚wilden‘ Sexualität bei den weißen Herren Angst, Lust und Vernichtungswünsche auslöst. Die Sklavenschiff-Ballade beginnt mit der Profit-Kalkulation des Superkargos bezüglich seiner „schwarzen Ware“ und endet mit seinem Gebet, in dem er ganz selbstverständlich Gott, den Herren, wie einen wichtigen Geschäftspartner einbezieht und dringlich darum bittet, die Sicherheit von mindestens „300 Stück“ auf der Überfahrt zu garantieren, ansonsten das Geschäft verdorben sei. Profit-Kalkulation und Gebet an den christlichen Gott als Geschäftsgarant verweisen – wenn man so will – auf die (sichtbare) Oberflächenstruktur des kolonialen Systems.

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Der amerikanische Literaturwissenschaftler R.C. Holub268 hatte 1992 in seiner Studie über „Das Sklavenschiff“ (die übrigens erstmals auf die kolonialgeschichtlichen Implikationen einging) die Auffassung vertreten, Heines Gedicht ließe sich weniger aus der Tradition thematisch vergleichbarer poetischer Texte herleiten; vielmehr habe eher Heines Lektüre spezieller Reiseliteratur inspirierend gewirkt. Tatsächlich kann ein Briefzeugnis vom 5.11.1851 Heines Lektüre von Reisebeschreibungen aus Afrika – „aus Sengambien und Guinea“ – bezeugen. Wie auch immer: zur Abfassungszeit von Heines Gedicht 1853/4 lagen eine Reihe von künstlerischen Bearbeitungen der Sklavenschiffs-Thematik schon vor: so etwa William Turners Bild „Das Sklavenschiff“ von 1840, auf dem abgebildet wird, wie tote und sterbende Sklaven über Bord geworfen werden in das von Haifischen wimmelnde Meer – oder Prosper Mérimées Novelle: Tamango von 1829; in dieser offenbar gut recherchierten Erzählung wird zum Beispiel auch von jenem Tanz der Verzweiflung berichtet, den die schwarzen Sklaven in Ketten und angetrieben von der „ungeheuren Postkutscherpeitsche“ des Kapitäns, nach der Fidel eines Matrosen ausführen. In die Zeit der Entstehung seines Sklavenschiff-Gedichts fällt Heines Lektüre von Beecher-Stowes ‚Uncle Tom’s Cabin‘ von 1852, ein Buch, das es alsbald zu einem europäischen Bestseller brachte. Heine hat sich offenbar über den historischen Sachverhalt des Sklavenhandels und der Sklaverei gut informiert. Ob er das Cuba-Werk, „das schwarze NegerBuch“, des ihm so gut bekannten Alexander von Humboldt gelesen hat, wissen wir nicht. Heine hätte sich dort besonders in dem Kapitel „Über das Sklavenwesen“ unterrichten können über spezifische Abläufe und Verfahrensweisen, wie sie für das ‚koloniale System‘ typisch waren. So berichtet Humboldt auch über die berüchtigten Sklaven-Tänze auf den Sklavenschiffen und zitiert den Zeugen einer Parlamentsuntersuchung von 1789: „Wenn man [...] die Neger peitscht, um sie auf dem Dach eines Negerschiffes tanzen zu lassen, wenn man sie zwingt, im Chor zu singen: messe, messe, mackerida (lustig ist es, unter den Weißen zu leben), so beweist dies nur die Sorgfalt, welche wir auf die Erhaltung ihrer Gesundheit verwenden.“269 Wenn wir in dieser Aussage und Schilderung aus der Perspektive des Kolonialisten unschwer Sprache und Einstellung des zynischen Schiffschirugius aus Heines Ballade wiedererkennen, so liegt die Vermutung doch wieder nahe, dass Heine die Humboldtschen Schriften gekannt hat und sich durch derartige Textstellen zu seinem ‚perspektivischen‘ Gedicht anregen ließ.

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Heine verdichtet das koloniale Geschehen der Verschleppung, indem er eine Phase – die berüchtigte ‚Middle Passage‘: die transatlantische Überführung der Sklaven symbolisch thematisiert. In diesem Fall eines holländischen Sklavenhändlers (van Koek) geht es um die traditionelle Passage von der Guineaküste nach Rio de Janeiro. Die erste Phase scheint in dem Gedicht nur andeutungsweise auf, wenn der Superkargo von seinen Tauschgeschäften – Glasperlen gegen schwarze Ware – erzählt. Entlang der ganzen Guineaküste waren im 17. und 18. Jahrhundert von den Holländern, Engländern, Franzosen und Portugiesen Forts errichtet worden, die den Händlern Schutz und Sicherheit boten.270 Diese Forts und ihre Bauten und Plätze waren der Schauplatz aller primären kolonialen Gewalt: der Entmenschlichung der aus dem Inneren Afrikas von afrikanischen Mittelsmännern angelieferten Sklaven zu einem Stück Ware: einer ‚pièce d’Inde‘, des Zerreißens aller familiären Bande, aller Bindung an die Herkunftswelt, der Selektion, der Brandmarkung, Auspeitschung und Gefangensetzung in den Kellerverließen der Forts bis zum endgültigen Abtransport auf die Schiffe. Die letzte Phase umfasst die Auslieferung des Menschenmaterials vornehmlich am Zielhafen des brasilianischen Rio de Janeiro, die erneute Selektion, die dem Verkauf an die Plantagenbesitzer vorausgeht – schließlich die Eingliederung in die „Herde“ der schwarzen Zwangsarbeiter und die Anpassung an das jeweilige Plantagen-System: das sog. Seasoning der ersten Wochen, in denen „ein weiteres Drittel von jenen Afrikanern, welche die Atlantiktraversierung überlebt hatten“, starb.271 Für Humboldt ist „die Sklaverei ohne Zweifel das größte aller Übel, welche die Menschheit gepeinigt haben, sei es, dass man den Sklaven betrachtet, wie er seiner Familie in der Heimat entrissen und in die Schiffsräume eines für den Negerhandel zugerichteten Fahrzeugs geworfen wird oder dass man ihn als einen Teil der Herde schwarzer Menschen, die auf dem Boden der Antillen zusammengepfercht wird, betrachtet.“272 U. Bitterli spricht vom transatlantischen Sklavenhandel als „einem monströsen Verbrechen gegen die Menschheit“ – als „der radikalste(n) [...] kolonialistischen Ausbeutung, in deren Verlauf zwischen 1441 und 1860 Westafrika nach Schätzungen gegen 20 Millionen Menschen verloren hat.“273 Diese exemplarisch-kolonialkritischen Aussagen – so sehr ihnen in jedem Punkte zuzustimmen ist – können immer noch missverstanden werden – und zwar dann, wenn sie dazu verleiten, die Menschheitsverbrechen

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des europäischen Sklavenhandels allein als ein Kapitel der überseeischen Kolonialgeschichte zu betrachten – abgetrennt von der europäischen Kontinental-Geschichte, gewissermaßen als deren peripherer Appendix. Es lässt sich jedoch zeigen (s.o.), dass die drei europäischen Revolutionen: die koloniale (seit 1492), die industriell-technische (seit 1750) und die politisch-kulturelle (seit 1776-1789) aufs Engste verflochten sind. Die Daten der industriellen und politischen Fortschrittsgeschichte gehen mit den Daten der europäischen Weltbemächtigung seit 1492 ein in das Kontinuum einer europäischen Globalgeschichte. Innerhalb dieses Kontinuums erlangt jedoch das ‚koloniale Geschehen‘ – mit seinen Tag- und Nachtseiten – dem Triumph der Sieger und dem Elend der Unterlegenen – eine primäre, ganz besondere, bis in unsere Gegenwart wirksame Prägekraft. Das historische Versagen Europas in der Begegnung mit dem Anderen erweist sich frühzeitig als nachhaltig und muster-bildend. Die Begegnung mit den Ureinwohnern Amerikas ereignet sich im Rahmen der Extreme von ‚Assimilation‘ und totaler ‚Vernichtung‘; die Begegnung mit den schwarzen Völkerschaften Afrikas geschieht in der Form rassistischer Ausschließung bei gleichzeitiger Einschließung des schwarzen Körpers in die Ordnung des kolonialen Sklaven-Systems.274 Die kolonialen Schauplätze an der afrikanischen Guineaküste und an der südamerikanischen Küste und den Antillen sind geschichtlich erstmals Orte einer radikalen Transformation: Menschliche Wesen afrikanischer Herkunft erleiden massenhaft ihre Verwandlung in „auszubeutende Körper und Rassensubjekte“.275 Diese Verwandlung des Afrikaners in den ‚Neger‘ als depersonalisiertes Waren-Stück innerhalb eines durchorganisierten Systems – wie des über mehrere Jahrhunderte praktizierten kolonialen Triangulär-Handels (s.o.) – bedeutet so nichts anderes als die radikale Reduktion auf das „nackte Leben“ (Agamben), über das die Herren des Systems willkürlich verfügen. Die ‚koloniale Maschine‘ an diesen Orten der Transformation erzeugt ihre ‚Produkte‘ nach den Maßstäben rassistischer Sortierung und Selektion. Ausschlaggebend sind Körpermerkmale – wie die schwarze ‚Sündenfarbe‘ der Haut, die ‚tierische‘ Physiognomie, die Lippenwülste etc. – die den afrikanischen Menschen zu einem Wesen zwischen Tier und Mensch stempeln und somit jeder Form der Dehumanisierung Vorschub leisten. Gegenüber diesem kolonialem Konstrukt des ‚Negers‘ erübrigen sich alle moralischen Rücksichten und Gebote. Der schwarze Skla-

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ve steht außerhalb einer (weißen) Rechtsordnung – auch dann noch, als die Menschenrechts-Deklarationen von 1776 und 1789 jeden Menschen mit unveräußerlichen und unantastbaren Rechten geboren sahen; er ist das erste Objekt einer negativen „Biopolitik“, deren „Rasen“ ein so ausgewiesener Analytiker wie Agamben erst im 20. Jahrhundert zu erkennen glaubt und so die Augen vor den Ursprüngen verschließt.276 Als frühes Opfer einer kolonialen, selektiven Biopolitik avant la lettre gerät der schwarze Afrikaner an den Orten der Transformation in eine Zone, in der sein „Leben keinen rechtlichen Wert mehr besitzt und (er) daher getötet werden kann, ohne dass ein Mord begangen wird“.277 Dieser rassistische Akt der totalen Verfügung über das ‚nackte Leben‘ von Menschen „niederen Seins“ kann füglich als das eigentliche dunkle Gründungsereignis der Moderne betrachtet werden. Heinrich Heines Ballade vom ‚Sklavenschiff‘ verdichtet das koloniale Geschehen in einer symbolischen Sequenz, die uns das rassistischbiopolitische Betriebsgeheimnis des organisierten Sklavenhandels vor Augen führt: den ausgeschlossenen schwarzen ‚Wilden‘ als ‚schwarzen Körper‘ in das koloniale System wieder einzuschließen, um sich seiner vollkommen und für immer zu bemächtigen. So erfolgt in der Ballade der Auftritt der Kolonialherren mit vollem Namen (Mynher von Koek, van der Smissen) und Angabe von Berufsstand (Superkargo/Doktor) und Herkunftsland (Holland), während ‚die Neger‘ als namenlose, sprachlose, herkunfts- und heimatlose verlorene „schwarze Sünder“ und beunruhigend ‚nackte Körper‘ erscheinen. So haben sie in der Tat an den dunklen Orten der Transformation die Auszeichnung als Menschen und Personen verloren, kenntlich nur noch an den Besitzzeichen, die ihnen das glühende Brandeisen in die Haut gebrannt hat. Sie sind in Wesen verwandelt, denen nichts mehr zugehört als ihr „nacktes Leben“. Darüber, was mit diesen Schwarzen auf dem Sklavenschiff als Plantagen-Sklaven in der neuen Welt Amerikas geschieht, war Heine vermutlich durch seine Gewährsleute Humboldt und Tocqueville, natürlich auch durch Beecher-Stowes ‚Uncle Tom’s Cabin‘ gut informiert. Bei Tocqueville konnte er schon lesen, dass „der Neger“ im Zustand der Knechtschaft „sogar seine Eigenschaft als Person verloren hat“278 , sodass wir „in diesem Fremden, den die Knechtschaft uns gebracht hat, kaum die allgemeinen Züge der Menschheit erkennen [...] (und) es fehlt nicht viel, dass wir ihn für ein Wesen zwischen Tier und Mensch hielten“279

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Und bei Humboldt konnte sich Heine u.a. darüber unterrichten, auf welche Weise im „Königreich Neuspanien“ der Anteil europäischen oder schwarzen Negerbluts über das öffentliche Ansehen entschied; selbstverständlich genoss der 7/8 Neger mit 1/8 weißem Blut – der Zambo prieto – nach dieser Kastenordnung das geringste Ansehen; Quarteronen mit 1/4 Neger- und 3/4 Weißenblut das relativ höchste. Quinteronen mit 1/8 Neger- und 7/8 Weißenblut und Zambos mit 3/4 Neger- und 1/4 Weißenblut mussten sich im rassistischen Blutsfeld die Mittelplätze teilen.280 (Bei uns Heutigen erweckt eine derartige rassistische Sortierung nach Blutsanteilen böse Erinnerungen, öffnet aber gleichzeitig die Augen für die Nachhaltigkeit kolonialer Stereotypen.) Auch wenn sich Heine bei seiner Lektüre des zeitgenössischen Bestsellers ‚Uncle Tom’s Cabin, or Life Among the Lowly‘ dem armen „schwarzen Betbruder“, der in seiner Not zur Bibel greift, nahe glaubt 281 , stößt er bei der Autorin auf die entschiedenste ‚Prärogative der Rasse und der Abstammung‘: Beecher-Stowe ist davon überzeugt, dass „[...] the Anglo Saxon is the dominant race of the world, and is to be so“ – und dass ihr Onkel Tom in dieser Welt sein Heil nicht finden werde, während der Mischling George – „by his father’s side of white descent“ – „from his mother he had received only a slight mulatto tinge“ – „full half the blood in my veins is the hot and hasty Saxon“282 – blutsmäßig alle Chancen hat, schon im Diesseits sein Glück zu finden. Die hier exemplarisch aufgeführten Autoren: Heine und BeecherStowe als Literaten, Humboldt und Tocqueville als ‚Historiographen‘ der Neuen Welt, verfassen ihre Texte – in Fortschreibung eines kollektiven ‚kolonialen Diskurses‘ – zu einem Zeitpunkt, als der transatlantische Sklavenhandel zumindest legal zum Erliegen gekommen war. Seit dem Wiener Kongress von 1815 liegt eine Erklärung gegen den Sklavenhandel im Namen Englands, Österreichs, Frankreichs, Portugals, Spaniens, Preussens, Russlands und Schwedens vor. England hatte sich schon 1808 zur Abschaffung des Sklavenhandels verstanden, 1848 folgte Frankreich. In der Illegalität hielt sich der Sklavenhandel allerdings noch bis ein Jahrzehnt über die Jahrhundertmitte hinaus: So importierte Brasilien zwischen 1831 und 1860 noch ½ Millionen afrikanischer Sklaven. Die Autoren der zwischen 1825 und 1854 publizierten Texte blicken von dieser Warte zurück auf ein ‚koloniales Geschehen‘, das seit 1492 die europäische Geschichte prägt. Sie beobachten das ‚koloniale Geschehen‘ ihrer Gegenwart in der Kontinuität der frühen Unterwerfungen an den

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historischen Orten der ersten ‚Berührungen‘ mit der fremden Welt der Anderen: Tocqueville und Beecher-Stowe in den neuen amerikanischen Staaten, Humboldt in dem altmexikanischen Neuspanien und Cuba – als Augenzeugen – Heine als Beobachter aus dem Zentrum der ‚Alten Welt‘. Auf unterschiedliche Weise sind sie mit der kolonialen Tatsache der Rassen-Ungleichheit befasst und sind sich bewusst, dass ‚Ungleichheit‘ erst innerhalb des ‚kolonialen Systems‘ in Erscheinung tritt, wenn sich die überlegene Rasse ausschließlich über die Annahme der Unterlegenheit der ‚anderen‘ Rasse definiert, wenn sie ihre Identität in dieser Differenz erfährt. Tocqueville spricht „vom Schicksal der geschlagenen Rassen“ – von den ‚Negern‘ und Indianern Amerikas – und fragt: „Hat man beim Anblick der Vorgänge in der Welt nicht den Eindruck, dass der Europäer für die Menschen anderer Rassen das ist, was der Mensch als solcher für die Tiere bedeutet? Er macht sie seinen Diensten untertan, und wenn er sie nicht mehr unterjochen kann, vernichtet er sie.“283 Humboldt sah die Vorrechte der weißen Herren-Rasse in der biopolitischen Kastenordnung Neuspaniens durch ‚Blutsreinheit‘ befestigt und legitimiert. Und wenn eine entschiedene Gegnerin der Sklaverei wie Harriet Beecher-Stowe an der Vorstellung von der ‚natürlichen‘ Dominanz der angelsächsischen Rasse festhält, bestätigt das am Ende nur das Diktum Tocquevilles, wonach es auch nach der Abschaffung der Sklaverei immer noch um die Beseitigung von drei Vorurteilen gehen müsse, die „viel unangreif barer und zäher (seien) als die Sklaverei: das Herrenvorurteil, das Rassenvorurteil und endlich das Vorurteil des Weißen“.284 Die Texte aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts belegen die nachhaltige Virulenz dieser Stereotypen. Alles hat seinen Ursprung in der Frühzeit der ersten Begegnungen des weißen Mannes mit dem fremden dunkelhäutigen Indigenen der sog. Neuen Welt und Afrikas. Der weiße Eroberer besteht von Anfang an auf der zivilisatorischen Differenz; frühzeitig spielt eine selektive Wahrnehmung des Anderen in dem sich anbahnenden transatlantischen Sklavenhandel die entscheidende Rolle. Ein „rassistisches Imaginäre“ – wie es Foucault annimmt – beherrscht das koloniale Handeln und legt die Form einer „bis zum Mord reichenden Beziehung zwischen ‚uns‘ und den ‚Anderen‘ fest“.285 So vollziehen sich Massaker und Völkermord aus dem Geist des „rassistischen Imaginären“, wenn sie sich als Reinigung und Säuberung einer unreinen Welt heid-

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nischer Barbaren rechtfertigt. Und so setzt der systematisch organisierte Sklavenhandel die rassistische Selektion – als betriebswirtschaftliches Prinzip – jederzeit voraus – lange bevor dezidierte Rassismen im späten 19. Jahrhundert auf den Plan traten.

R esümierend Die Narrativierung des kolonialen Diskurses in Heines ‚Sklavenschiff‘ lässt das sog. „rassistische Imaginäre“ ansichtig werden: und zwar in Gestalt der Exponenten kolonialer Selektion, sowie ihrer Opfer, der namenlosen „schwarzen Ware“. Die koloniale Maschine an jenen düsteren Schauplätzen der Guineaküste vollzieht in zwei Selektionsschritten die Aussonderungen von Menschen schwarzer Hautfarbe: einmal nach den Kriterien der Zugehörigkeit zu einer niederen Rasse, schließlich ‚biopolitisch‘ nach den Kriterien körperlicher Leistungsfähigkeit und Gesundheit, der Verwertbarkeit: des Kaufwerts. Die Selektion tilgt alle Spuren der sozialen Existenz, um den ‚nackten Körper‘ massenhaft der Verfügungsgewalt des Systems überstellen zu können. Von diesem Augenblick an ist der schwarze Körper den Regeln des Systems auf Leben und Tod ausgeliefert. In dieser zwischen 1500 und 1860 perfektionierten Selektions-, Transformations-, und Ausbeutungspraxis, in der massenhaften Produktion von „nacktem Leben“ (im Sinne Agambens) sehen wir den Vorschein des Kommenden: aller zukünftigen Praktiken der Dehumanisierung und der Auslöschung. Heines Sklavenschiff-Ballade erweitert den kolonialen Diskurs um die Ansicht dieses rational-biopolitisch rassistischen Vorgangs massenhafter Dehumanisierung und Deportation. Multiperspektivisch erscheint das koloniale Geschehen in seiner ganzen Ambivalenz: Einerseits im Schmerz über „die Zerstörung der uralten Weltordnung“, die das Leben der unterworfenen Völker geprägt hat – andererseits in der Bewunderung des ‚Welten-Entdeckers‘ und ersten großen Mannes im ‚Pantheon der Neuwelt‘, Christoval Kolumbus; einerseits in der Verachtung der Konquistadoren als „große Diebe, Meuchelmörder (und) Strolche“, der Sklavenhändler als zynische Akteure eines Menschen vernichtenden Systems – andererseits befangen in dem „europamüden“ Traum von der jungfräulichen „gesunden“ Wunderwelt Amerikas – eindeutig aber dann in der ominösen Prophezeiung der Rache der

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Das Janusgesicht Europas

Besiegten des unterworfenen neuen Kontinents an den Siegern aus dem ‚alten Europa‘. Dem Textkorpus des kolonialen Diskurses im Werk Heines ist ein Initialtext in doppeltem Sinn zuzurechnen: Es ist der frühe Text Heines erster Tragödie ‚Almansor‘ von 1821, in der Heine – übrigens nach intensivem Quellenstudium – einen Stoff aus der Geschichte der Reconquista behandelt. Der siegreiche Abschluss der Reconquista fällt bekanntlich (vgl. Kap. I) zeitlich zusammen mit dem Auf bruch des Kolumbus im Jahre 1492, der die weltgeschichtliche Konquista einleitete. Das Initialgeschehen der Reconqista, der Reinigung Andalusiens von Juden und Mauren, ist aufs Engste verknüpft mit der Konquista, die sich zum Ziel setzt, die Neue Welt zu christianisieren und von Heiden, Wilden und Barbaren zu säubern. So haben die tapferen Ritter der Konquista – wie Ponce de Leon – ihre Meriten „auf dem Blachfeld von Granada“286 erworben – und die von den Azteken ihrem Kriegsgott geopferten Spanier sind durchpulst von reinstem „Spanierblut“, vom „Vollblut (der) Altchristen“, das sich „nie vermischt hat mit dem Blut der Moresken und der Juden“.287 Allemal geht es um ‚Reinheit‘, und die Kämpfe, die man im eigenen Haus und in den fernen Kolonien zu ihrem Erhalt und zu ihrer Etablierung auszufechten hat: „Mit Feuer und Schwert“ haben die Konquistadoren „den alten Glauben der Mexikaner zerstört, und seit drei Jahrhunderten ihre Gemüter gar stark umgewühlt und gepflügt und mit Christentum besäet“.288 Die Intoleranz von Ambiguität und Alterität löst den Furor der Reinheit aus, der erst zum Erliegen kommt, wenn das Andere vollkommen ausgelöscht, das Angst und Ärgernis erregende Fremde abgespalten ist. Wie das Vorspiel aller kolonialen Auslöschungen und Zerstörungen durch die christlichen Eroberer nimmt sich der Untergang des maurischen Andalusiens aus, wie er in Heines ‚Almansor‘-Tragödie geschildert wird. Der aus seiner andalusischen Heimat vertriebene muslimische Almansor kehrt zurück und sieht nur noch den „Trümmerschutt“ einer Welt, in der sich für einen historischen Augenblick ‚Orient‘ und ‚Okzident‘ begegneten und befruchteten, wo in Cordoba die Künste und Wissenschaften „in freundlicher (westöstlicher) Verschlingung“ gediehen und „die Prachtgebäude Cordovas und Granadas“ bezeugten, dass dort „ein reinrer Lebensgeist“ wehte als in den „dumpfigen Haremen“ des Orients.289 Die „besten und edelsten Geschlechter der Mauren“ sind „frech verhöhnt, schlau beraubt [...] und nackt und hilflos aus der Heimat gepeitscht (worden)“; „die blühende Natur“ liegt „entzaubert [...] leblos

VI. „Schicksal der geschlagenen Rassen“

und kalt und fahl; statt des Gesangs des Muezzins vom Minarett „einer herrliche(n) Moschee“ ertönt „ein dröhnend dumpfes, schweres Glockenläuten“; aus der „Folterkammer der Kirche“ erklingt das „Totenlied“290) der ‚Blutreligion‘. Als Fanal der unbedingten Austilgung des Anderen wirft der „furchtbare“ Kardinal und Inquisitor Ximenes den Koran in die Flammen eines Scheiterhaufens; von diesem Akt wird die für alle Zeiten menschenverachtende Botschaft ausgehen: „Dort wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen.“291

Heines Textkorpus eines kolonialen Diskurses umspannt somit einen weiten Zeitraum: mit den Initialdaten der europäisch-spanischen Reconquista und Konquista von 1492 – den Folgedaten der ‚iberischen Eroberungen in Amerika‘: des Aztekenreiches von 1521 und der Bemächtigung des indischen Subkontinents durch die Engländer im Verlauf des 18. Jahrhunderts, schließlich mit der seit ca. 1500 bis in Heines Gegenwart sich erstreckenden Zeitspanne des Sklavenhandels und der ‚schwarzen Sklaverei‘ in Amerika. Die Augenzeugen-Texte Humboldts und Tocquevilles sowie Heines Literarisierung des kolonialen Leit-Diskurses repräsentieren exemplarisch den Stand der empirisch-analytischen und kritisch-ästhetischen Reflexion der kolonialen Herrschaftsverhältnisse zwischen 1830 und 1850. Am Vorabend jenes „einzigartige(n) Vorgang(s) der zeitlich konzentrierten Enteignung eines Kontinents“292 – der „Aufteilung Afrikas“ unter die europäischen Großmächte zwischen 1880 und 1900 – konnten jene Autoren der ersten Jahrhunderthälfte noch einmal den verlorenen roten Faden einer aufklärerischen Kritik an den kolonialen Menschheitsverbrechen aufnehmen. Bald sollten sich derartige Bedenken angesichts der aggressiv behaupteten ‚Prärogative der weißen Rasse‘ erledigen.

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VII. Dystopie vs. Utopie: Dunkle Orte vs. Lichte Orte

H. Beecher-Stowe – J.F. Cooper – J.W. Goethe –



H. Heine

„The dark places of the earth are full of the habitations of cruelty“ (Beecher-Stowe, Psalms 74,20).

Es sind diese Orte, die seit der Leyanda Negra des Las Casas aus dem kolonialen Diskurs der Literaturen zu verschwinden drohen. Der koloniale Diskurs aber bleibt strukturell geprägt durch die Opposition ‚dunkler‘ und ‚lichter‘ Orte, Orte der Grausamkeit und Orte der Glückseligkeiten. Tendenziell gewinnt das Konstrukt des fernen paradiesischen GlücksOrtes gegenüber der Rekonstruktion von fernen Orten kolonialen Massakers mehr und mehr an Gewicht. Schon im Bordbuch des Kolumbus zeichnet sich ab, dass der Topos der paradiesischen Landschaft die Wahrnehmung der ‚Neuen Welt‘ die Oberhand zu gewinnen scheint, während die ‚realistische‘ Ansicht von Orten des Todes und der Ausrottung – so etwa der indianischen Kannibalen auf der Nachbarinsel Caniba293 – unausgeführt bleibt. Defoe’s Robinson entdeckt auf ‚seiner‘ Insel jenes köstliche Tal „that delicious vale [...] where the country appeared so fresh, so green, so flourishing, every thing being in a constant verdure or flourish of spring, that it looked like a planted garden“.294 – das dem klassischen Topos des ‚locus amoenus‘ ebenso zu entsprechen scheint wie dem biblischen Topos des Garten Eden; der ‚dunkle‘ Gegenort des Todes am Strande, der Ort des „unmenschlichen Mahls“ der Kannibalen und ihrer gnadenlosen Exekution – als der wahre ‚locus terribilis‘. –

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aber erfährt eine Art Aufwertung allein dadurch, dass ein Massaker an wilden Kannibalen jederzeit gerechtfertigt ist. Vollkommen eindeutig folgt auch die Anlage der Insel Felsenburg der Kartographie des ‚unzugänglichen irdischen Paradieses‘, in dem, umschlossen von Felsen, die vier Paradiesesflüsse fließen und „woraus vermuthlich Adam und Eva durch den Cherub verjagt worden“.295 Saint-Pierre wiederum lässt seine Geschöpfe Paul und Virginie als Adam und Eva wieder auferstehen in jenem zivilisationsfernen Tal der Insel Mauritius, das „dem Garten Eden des ersten Menschengeschlechts“ gleicht 296 , während auch hier der ‚reale‘ dunkle Gegenort der SklavenPlantage, wo die entlaufene schwarze Sklavin „mit einer Kette an einen Holzbock gefesselt, einen Eisenreif mit drei Stacheln um den Hals“297, ihre Strafe verbüßt, marginalisiert wird. Und Jahrzehnte später beschwört auch Heinrich Heine in seinen Vitzliputzli- und Bimini-Gedichten die ‚Neue Welt‘ Amerikas als den Sehnsuchts-Ort, der dem „europamüden“ Bewohner der ‚Alten Welt‘ die Neugeburt verheißt; an den „geheimnisvollen Kräften“ der ‚Neuen Welt‘ soll der Mensch der ‚Alten Welt‘ genesen; die Entdeckungen öffnen die „Gartenpforte“ zu einem Garten der Lüste (vgl. Kap. VI). Heine legt damit schon die Spur, auf der zwischen 1850 und 1900 jene Autoren und Künstler (u.a. Flaubert, Loti, Delacroix oder Gauguin) folgen werden, die sich der exotistischen Verklärung der kolonialen Welt verschrieben haben. In der ästhetischen Aneignung der kolonialen Fremde entledigt sich der koloniale Diskurs der Opposition der ‚dark places‘. Wenn Las Casas sich in seinem Augenzeugenbericht von 1541/2 ausschließlich den ‚dark places [...] of cruelty‘ widmet, überließ er dem von ihm edierten Bordbuch des Kolumbus, die lichten und triumphalen Seiten der Entdeckungen zu artikulieren (vgl. Kap. I). Erst gegen Mitte und Ende des 19. Jahrhunderts scheint der koloniale Diskurs diesen Strang der ‚dark places‘ wieder aufgenommen zu haben: von einem frühen Text wie Mérimées ‚Tamango‘ von 1829 bis zu Conrads ‚Heart of Darkness‘ von 1896-1899. Las Casas liefert die Urschrift eines Diskurses der ‚dunklen Orte‘; sie werden jeweils vorgestellt als Schauplätze eines ‚realen‘ kolonialen Geschehens‘: einer Folterung, eines Massakers, eines Autodafés u.a. mit Angabe der Täter und der Opfer, gelegentlich auch des genauen Ortes: so etwa bei der Aufzeichnung der berüchtigten Perlenfischerei am ‚Golf von Venezuela‘, an „einem zweihundert Meilen-Strich der Perlenküste von

VII. Dunkle Or te vs. Lichte Or te

Paria“.298 Dort erleiden indianische Sklaven die „Höllenarbeit, von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang tief ins Meer“ versenkt zu werden, um erst wieder emporkommen zu dürfen, wenn ihre Netze mit Perlen-Muscheln gefüllt sind, um sofort von den „spanischen Henkersknecht(en)“ erneut herabgestoßen zu werden in den Meeresgrund, der nun im wörtlichsten Sinn zum ‚dunklen Ort‘ der Grausamkeit wird. Die meisten Indianer können diese Tortur nur wenige Tage ertragen; ihr Haar wird brandrot, auf dem Rücken schlägt Salpeter aus; „sie bekommen Blutspeien und Durchfall, und sterben daran.“299 Mädchen und Damen mit dem Statuszeichen des Perlenohrrings oder der Perlenhalskette werden zu einem beliebten Motiv der Malerei im Goldenen Zeitalter der Niederlande. Mérimée (Tamango, 1829) und Heine (Das Sklavenschiff, 1853/4) setzen schließlich den Diskurs der ‚dunklen Orte‘ fort: Vergleichbar erscheinen in ihren Texten die Sklavenschiffe als Orte des Grauens, des Leidens und des Todes. Die Schwarzen werden „zwischen Kielraum und Oberdeck in zwei Zwischendecks zusammengepfercht [...] werden untereinander in zwei Reihen auf jeder Seite gelegt [...] ohne jeden Zwischenraum Mann an Mann eng zusammengedrängt [...] die Pferche der Sklaven [...] durch Vorhängeschlösser und Eisenroste abgesichert [...] die Gefangenen an Ketten, Handschellen und Halseisen.“300 Mérimée und Heine schildern täterperspektivisch den Augenblick, zu dem die eingepferchten ‚Negersklaven‘ für kurze Zeit aus „Räumen, die derartig mit Blut und Schleim bedeckt (sind), dass man sich im Schlachthaus glaubt“301 – aufs Oberdeck gepeitscht werden: Dort sollen sie sich unter Bedrohung der Peitsche zur Geige eines Matrosen oder zur Trompete des Doktors und zur Trommel des Schiffsjungen tanzend Bewegung machen, schließlich sind die Händler daran interessiert, ihre ‚schwarze Ware‘ unversehrt am Zielhafen abliefern zu können. Todesfälle werden entweder zynisch einkalkuliert: „Bloß zwölf Nigger, die schwächsten dazu noch, waren an der Hitze draufgegangen: nicht der Rede wert.“302 – oder ebenso zynisch denunziert: „Durch eigene Schuld / Sind viele Schwarze gestorben / Ihr schlechter Odem hat die Luft / Zum Schiffsraum so sehr verdorben / Auch starben viel durch Melancholie/ Dieweil sie sich tödlich langweilen“303

Die Zeichen tiefster Trostlosigkeit und Hoffnungslosigkeit ihres auf ‚nacktes Leben‘ zurückgeworfenen Daseins können sich die kolonialen

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Täter nur in Begriffe der ‚Schwäche‘, der ‚Abgestumpftheit‘ und ‚Langweile‘ der selbstverschuldeten Krankheit der Melancholie übersetzen. William Turner: The slave ship, 1840

(commons.wikipedia.org, 29.10.16)

William Turner erfasst den Augenblick, zu dem tote und sterbende schwarze Sklaven über Bord geworfen werden – und die noch Lebenden sich verzweifelt der sie umringenden Haifische erwehren – erstmals in bildlicher Darstellung seines Gemäldes ‚The Slave Ship‘ von 1840. Die Aussage des Bildes erschließt sich verzögert, da die schockierenden Details der Gräueltat vor der Kulisse eines grandiosen Sonnenuntergangs erst nach und nach erkennbar werden.304 Dem Bildthema liegt ein realer Vorgang zu Grunde: 1781 hatte der Kapitän Collingwood des britischen Sklavenschiffes ‚Zong‘ 133 Sklaven über Bord geworfen, um die Versicherungssumme bei ‚Warenverlust‘ auf See kassieren zu können. Erstaunlich bleibt, dass trotz des eindeutigen Bildtitels einige Interpreten zu vollkommen abgehobenen allegorischen Deutungen (Arche Noah,

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Lebensschiff etc.) kommen – ganz ähnlich wie einige Interpreten des Heine’schen ‚Sklavenschiffs‘. Johann Moritz Rugendas: Im Frachtraum eines Sklavenschiffs (Nègres a fond de Calle), 1827

(prints.rmg.co.uk, 29.10.16)

Eine Lithographie nach einer Zeichnung von Johann Moritz Rugendas’‚Im Frachtraum eines Sklavenschiffs‘ von 1827 zeigt eine Szene aus dem Inneren „des stinkenden Bauches des Schiffes“ während der ‚Middle Passage‘ nach Brasilien: resigniert, ihrem Schicksal ausgelieferte schwarze Sklaven liegen am Boden, einer der Ihren wird als Toter von Matrosen hinausgezogen. Mit diesem Bild von Rugendas wurde erstmals eine Darstellung des Elends von Sklaverei und Sklavenhandel im offiziellen Rahmen des Pariser Salons von 1827 ausgestellt.305 Es sind diese Bilder, die neben bestimmten Texten den roten Faden der ‚dark places‘ innerhalb des kolonialen Diskurses (wieder)aufnehmen. Schon frühzeitig begründen die Illustrationen von Theodor de Bry zur lateinischen Übersetzung der ‚Brevissima relación‘ von Las Casas (1598) die-

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sen Bild-Typ (vgl. Kap. I), dessen gegenwärtige Ausprägung beispielsweise in den Fotos und Videos aus dem Foltergefängnis Abu-Ghraib und deren künstlerischer Verarbeitung in dem Abu-Ghraib-Werkzyklus (2005) von Fernando Botero vorliegen. Mit Sicherheit leisten die Bild-Medien einen bedeutenden Beitrag – sowohl in Bezug auf die Visualisierung der lichten-paradiesischen Orte als auch aller ‚dunklen Orte‘ des Schreckens und der Grausamkeit. Theodor de Bry: Greueltaten der Spanier, 1598

(www.lehigh.edu, 29.10.16)

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Fernando Botero: Abu Ghraib 57, 2005

(clas.berkeley.edu, 29.10.16)

Der koloniale Diskurs umfasst die sprachlich-literarischen ebenso wie die visuell-ikonischen Anteile einer gesellschaftlichen Kommunikation über das koloniale Geschehen. Die besondere Funktion des Bild-Mediums in Bezug auf das Zeigen von ‚Grausamkeit‘ bedürfte einer gesonderten Untersuchung und Analyse – wie sie z.B. Susan Sontag schon angestoßen hat: Regarding the Pain of Others, 2003. Nach diesem Exkurs kehre ich zu jener Autorin des 19. Jahrhunderts zurück, zu Harriet Beecher-Stowe, die ihr Kapitel XXXII von ‚Uncle Tom’s Cabin‘ mit der Überschrift ‚Dark Places‘ versah und das Psalmen-Zitat folgen ließ: „Dark places of the earth are full of the habitaions of cruelty“. Als sie beschreiben möchte, wie der schwarze Sklave Tom an einem jener dunklen Schreckens-Orte eines Sklavenlagers von seinem Plantagenherren zu Tode gepeitscht wird, gerät sie ins Stocken und fügt eine Reflexion ein: „Scenes of blood and cruelty are shocking to our ear and heart. What man has nerve to do, man has not nerve to hear. What brother-man and brother-christian

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must suffer cannot be told us, even in our secret chamber, it so harrows up the soul [...]“306

Beecher-Stowe macht sich bewusst, dass es für sie als Autorin eine Grenze des Sagbaren gibt, wenn es um Szenen grausamer, blutiger und tödlicher Misshandlung geht. Beecher-Stowe thematisiert 1852 somit Grenzen des Sagbaren in einem geschichtlichen Augenblick, zu dem sich Grenzen des Zeigbaren durch vielfältig reproduzierbare Bilder zu verschieben begannen: Die ‚dark places‘ sollten von nun an jederzeit öffentlich sichtbar gemacht werden können. In Grenzen des Sagbaren beschreibt BeecherStowe den Ort des Schreckens: „[...] a lone plantation, ten miles from any other, in the swamps; not a white person here who could testify if you were burned alive – if you were scalded, cut into inchpieces, set up for the dogs to tear, or hung up and whipped to death. There’s no law here, of God or man, that can do you or any one of us the least good [...].“ 307

Der ‚dunkle Ort‘ – der Plantage und des Arbeitslagers – liegt signifikant ‚außerhalb‘, in einer mehr oder weniger unzugänglichen Sumpf-Landschaft, meilenweit entfernt von anderen menschlichen Ansiedlungen, an der zivilisatorischen Peripherie: Ein rechtsfreier Raum, wo kein Weißer das an Schwarzen begangene Unrecht bezeugen kann, wenn Sklaven im Zeugenstand ohnehin nicht zugelassen sind. An ‚dark places‘ wie diesen schützt den Sklaven kein Recht vor Misshandlung oder Tötung, bei lebendigem Leib verbrannt zu werden, in Stücke zerschnitten, von Hunden zerrissen, aufgehängt und zu Tode gepeitscht zu werden. Die Unterkünfte der ‚Negersklaven‘: „Quarters [...] a little sort of a street of rude shanties, in a row [...] far off the house“308 können zweifellos schon den Status eines ‚neuzeitlichen‘ Lagers – im Sinne Agambens – beanspruchen: eines Ortes „außerhalb der normalen Rechtsordnung“, als der „in die (koloniale) Ordnung hineingenommen(e) [...] Ausnahmezustand selbst“. Der Ort des ‚Lagers‘ ist von vornherein nicht der Schauplatz der persönlichen Willkür eines einzelnen despotischen Plantagenherren, sondern Teil des ‚kolonialen Systems‘: Erst innerhalb des Systems entstehen ‚rechtsfreie Räume‘ – ‚dark places‘ – die den Exekutoren freie Hand lassen, über Tod und Leben der Lagerinsassen zu verfügen. „Das Lager“ – so Agamben – „ist der Raum, der sich öffnet, wenn der Ausnahmezustand zur Regel wird“.309 In den Zwangsarbeitslagern

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der amerikanischen Sklavenhaltergesellschaft des 18. und 19. Jahrhunderts lassen sich die Prototypen des ‚modernen‘ Lagers des folgenden Jahrhunderts erkennen. Jede Entfernung aus dem Sklaven-Lager hat strengste Bestrafung zur Folge: Tod durch Auspeitschung, Durchschneiden der Kniekehlen, Amputationen u.a.; die Überwachung übernehmen – so auch in der realitätsnahen Beschreibung Beecher-Stowes – schwarze Aufseher von besonderer Brutalität: „The slave is always a tyrant, if he can get a chance to be one.“309 Die Roman-Autorin kann so die wesentliche Folter- und Tötungsarbeit an die beiden schwarzen Aufseher (Sambo und Quimbo) delegieren. Uncle Tom, „der schwarze Christ“, dagegen soll – im Sinne der Autorin – das ‚weiße‘ Unrecht seiner Erniedrigung, seines Todes in Demut erdulden und seine Belohnung im Jenseits erwarten. Das diesseitige koloniale System aber scheint von ‚schwarzer Demut‘ kaum zu erschüttern sein. ‚Uncle Tom’s Cabin‘ (1852) wurde ein Welterfolg. 18 Londoner Verlage publizierten 40 Ausgaben des Buches; in der Folge erschienen Übersetzungen in 37 Sprachen. Den Bestseller ereilte jedoch das Schicksal ‚Robinson Crusoes‘: Nicht nur in Deutschland kamen gekürzte Fassungen in Umlauf, die den Roman auf das Format eines Kinder- und Jugendbuches reduzierten; gerade dadurch aber konnte sich über Generationen ein fatales Bild rassischer Hierarchie in den Köpfen befestigen. Wenn so mehrfach im Text von der Dominanz der angelsächsischen Rasse die Rede ist, der man die Geschicke der Welt anvertraut310, bleibt für die ‚schwarze Rasse‘ lediglich ein Platz auf den unteren Rängen. Tocqueville – wie schon zitiert – hatte demgegenüber gefordert, dass es nach der Abschaffung der Sklaverei um die viel schwierigere Aufgabe gehen müsse, die Vorurteile der Rasse aus den Köpfen der Menschen wieder zu tilgen (vgl. Kap. VI). Die exemplarisch zitierten ‚dark places‘ verweisen eindeutig auf Todesorte der kolonialen Wirklichkeit: auf den Meeresgrund für die indianischen Perlentaucher, auf Schauplätze eines Kannibalen-Massakers, auf den „stinkenden Bauch“ eines Sklavenschiffes, auf die Plantagen-Lager für schwarze Zwangsarbeiter – es sind die Tatorte, an denen der Indigene der weißen Macht ausgeliefert ist: den Konquistadoren der ersten Stunde, geschäftstüchtigen Kapitänen, zynischen Schiffsärzten, despotischen Plantagenherren: Ihnen räumt das ‚koloniale System‘ rechtsfreie Zonen

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ein, in denen das praktische Geschäft der ‚ethnischen Säuberung‘, der Ausbeutung und Unterwerfung reibungslos abgewickelt werden kann. Der koloniale Diskurs bezieht sich auf einer ersten Ebene leitmotivisch auf die Örtlichkeit des ‚kolonialen Geschehens‘, während auf einer zweiten symbolischen Ebene die Zeitlichkeit eines Geschehens thematisch wird, immer dann wenn sich augenblicklich und katastrophisch die Verwandlung eines (scheinbar) lichten Ortes in einen dunklen Ort des Schreckens und des Todes ereignet. Eine derartige ‚Verwandlung‘ kann als Augenblick einer weltgeschichtlichen ‚Transformation‘ erfahren werden: Ein Akt radikaler Vernichtung wird zum Zeichen einer epochalen Wende. In dem ersten der fünf sog. Lederstrumpf-Romane von James Fenimore Cooper: ‚The Pioneers, or the Sources of the Susquehanna‘ (1823) findet sich ein symbolisches Tableau: Schauplatz ist eine Wald- und Bergregion, alter Siedlungsraum der Delaware-Indianer, neuer Siedlungsraum europäischer Eroberer, Hauptperson: der Letzte der Delaware Indianer. Der alte Indianerhäuptling Chingachgook, John Mohegan, sitzt auf dem Stamm einer gefallenen Eiche, unterhalb des Gipfels eines Berges, den die weißen Siedler den Visionsberg nennen, in ‚seinem‘ Wald, der jetzt in Flammen steht; er verharrt dort in der Pose eines indianischen Kriegers, der sich auf ein ungewöhnlich wichtiges Ereignis vorbereitet: Inmitten der ihn schon umgebenden Flammen erwartet er seinen Tod. Er ist der Letzte seines Stammes: „When John has gone, the last will leave these hills, and his family will be dead.“311

Zum letzten Mal sieht er herab auf ‚sein‘ Land, das ihm die Weißen entrissen; sein ganzes Volk ist vertrieben und ausgelöscht im Kampf gegen die Weißen: „John has lived till all this people have left him for the land of spirits; his time has come, and he is ready.“ 312

Jetzt steht ‚sein‘ Wald in Flammen, ein Brand, der von unverantwortlichen Siedlern, die am Berg gierig und rücksichtslos nach Erz graben, ausgelöst worden ist. Der alte Häuptling singt seine indianischen Totenlieder. Es ist ‚sein‘ Wald, der untergeht, er möchte mit ihm, in ihm sterben. Seine weißen Freunde, die ihn finden, retten ihn; Lederstrumpf trägt ihn aus dem

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Feuer. Ein letztes Mal verfügen sie über sein Schicksal. Er stirbt, während das Feuer weiter wütet und den Wald vernichtet, seinen indianischen Tod; ihn erreichen nicht die christlichen Segens-Zeichen; ihn ruft „der Große Geist der Wilden“: [...] – „he trusts only the Great Spirit of the Savages“.313 In symbolischer Lesart bezeugt diese Szene, in der das Sterben des Letzten der Delaware und die Vernichtung seines heimatlichen Waldes zusammenfallen, nur noch die geschichtliche Wahrheit des irreversiblen Untergangs der indianischen Welt – und den Sieg der besitzergreifenden europäischen Siedler auf fremdem Boden. Der koloniale Diskurs lässt den ‚dark place‘ von Brandstätte und Todesort im Medium der Literatur in einer atmosphärisch dichten Sequenz als ‚Transitzone‘ erscheinen: anschaulich werden Übergänge im geschichtlichen Prozess, der scheinbar der Logik eines universellen zivilisatorischen Fortschritts gehorcht. So führt die europäische Expansion grundsätzlich zu einer Kolonisierung der natürlichen Wildnis, zu der mit der Zerstörung notwendig einhergehenden Transformation von ‚Natur‘ in ‚Kultur‘: zur extensiven Nutzbarmachung der Erde, der Urbarmachung, der Landgewinnung, der Entwaldung, des Bergbaus, der Ausbeutung aller Rohstoffe etc. Da sich aber alle Vorgänge der Kolonisierung auf erobertem, enteignetem Boden fremder Kontinente abspielen, ist jeder einzelne Akt der Umwandlung (nach und nach oder augenblicklich) verbunden mit der Auslöschung indigener Lebenswelten – und schließlich der Tilgung ‚wilder‘ primitiver, heidnischer, dem Aberglauben und irrationaler Magie ergebener Lebensweisen überhaupt. Der ‚dark place‘ von Brandstätte und Todesort verweist auf diese Pole der zivilisatorischen Bemächtigung, einmal der natürlichen Wildnis als Lebenswelt der Indigenen – zum anderen des ‚wilden‘ Indigenen selbst, befangen im ‚Aberglauben‘ seiner Ahnen. Der Tod des Letzten seiner Sippe und seines Volkes setzt nur den Schlusspunkt der gewaltsamen Transformation und ‚Säuberung‘ des Landes. ‚Brandstätte‘ und ‚Todesort‘ werden zu Chiffren für den, in europäischer Perspektive, notwendigen Untergang präzivilisatorischer Völkerschaften und für den geschichtlich ebenso unausweichlichen ‚Fortschritt‘, für dessen globale Exekution die ‚weiße Rasse‘ das alleinige Mandat zu besitzen glaubt. Cooper macht seine Außenseiter-Figur ‚Lederstrumpf‘ zum Verteidiger einer ursprünglichen Natur, die es zu schützen gälte vor „sündhafter Verwüstung“ („I call it sinful and wasty to catch more than can be

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eat“)314 durch die Siedler. Auch wenn der Vertreter der besitzergreifenden Frontier-Generation, Richter Marmaduke, sich teilweise der Meinung Lederstrumpfs anschließen möchte, muss er sich vorwerfen lassen, „gute Jagdgründe in Weiden voll Baumstümpfe“ („turn good hunting grounds into stumpy pastures“)315 zu verwandeln und damit das Siedlungswerk der Anfänge aus Gewinn-Interesse bedenkenlos weiterzubetreiben. Dass aber diese ‚Verwandlung‘ der natürlichen Wildnis in Nutzfläche die totale Auslöschung indianischer Lebenswelt bedeutet – und das sog. „Verschwinden“ ganzer indigener Völkerschaften bewirkt, verfällt offenbar schon frühzeitig dem Vergessen oder der Ausblendung; in euphemistischen Leerformeln berufen sich die christlichen Siedler seitdem auf die Fortschritts-Bewegung der Geschichte: „Those times have gone by, old warrier [...] since then your people have disappeared, and in place of chasing your enenmies, you have learned to fear God and to live at peace.“316

Dieses Siedler-Statement beruht auf jenem geschichts-philosophischen Minimum, das als ausreichend erachtet wird, dem Anderen, dem Ureinwohner, die eigentliche Bedeutung ihrer Begegnung mit den Europäern zu erklären: Sie müssen erkennen, dass sie den Ansprüchen als Mitspieler im weltgeschichtlichen Prozess nicht genügen – und dass somit ihr Volk seine Existenzberechtigung verwirkt hat; der Anachronismus ihrer Lebensweise erweist sich als Hemmnis des globalen Fortschritts; ein Überleben kann dem Einzelnen lediglich in der Rolle des friedfertigen christlichen Konvertiten – oder des folkloristisch interessanten Exoten gewährt werden. Die Prämissen eines geschichtslinearen Fortschritts-Verständnisses können (noch) nicht reflektiert werden. Die Vorstellung, dass die europäische Kultur als die ‚fortgeschrittenste‘ Zivilisationsform zu gelten hat, kann als legitimierendes Konstrukt (noch) nicht durchschaut werden. Erst die Massaker des ersten Weltkrieges sollten die Annahme kultureller Superiorität Europas auch bei den Kolonisierten vollends erschüttern. So betrachten die weißen Siedler den Tod des Indianerhäuptlings, des Letzten seines Stammes, eher als das notwendige Opfer auf dem Altar einer vorgeblich vernunftgeleiteten Menschheits-Geschichte, als dass sie die von Europäern bewirkte Ausrottung indianischer Völker sittlich in Zweifel zögen. So gilt dem toten Indianer, der Rothaut, von dem keine

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Gefahr mehr ausgeht, ein gewisses verklärendes Gedenken; sein Grabstein soll zu seinem Gedächtnis eine Inschrift tragen: „He was the last of his people who continued to inhabit this country; and it may be said of him, that his faults were those of an Indian, and his virtues those of a man.“317

Die Trennung aber in den ‚schlechten‘ Indianer und den ‚guten‘ Menschen vergiftet das Gedenken. „Nur ein toter Indianer ist ein guter Indianer“. Allein der in die Wälder zurückstrebende Lederstrumpf scheint zu einer unvergifteten Art von Welt-Trauer fähig zu sein, wenn er sich die Verwandlung vor Augen stellt, die den ursprünglich ‚lichten‘ Ort indianischen Lebens in den Bergen zu einem ‚dunklen‘ Ort des Schreckens, der Brandstätte und des Todes entstellt hat: „When I look about me, at these hills, where I used to could count, sometimes twenty smokes, curling over the tree-tops, from the Delaware camps, it raises mourneful thoughts, to think, that no Red-Skin is left of them all [...]“318

Cooper lässt seine Erzählung – „as a remarkably faithful portrait of the frontier life in general and of the Otsego region in particular“319 – in den 1790er Jahren spielen: somit etwa im letzten Drittel der zwischen 16091614 bis 1842 andauernden sog. ‚Indianerkriege‘ im amerikanischen Osten – bis 1886 im (Süd)Westen.320 Um 1790 standen den verbliebenen Indianervölkern noch entscheidende Vertreibungs-, Säuberungs- und Auslöschungsaktionen bevor. Tocqueville konnte auf seiner Amerikareise von 1831 feststellen, dass: „Sämtliche Indianerstämme, die ehemals das Gebiet von Neuengland bewohnten, die Naragansett, die Mohikaner, die Pecot […] nur mehr in der Erinnerung der Menschen (leben). Die Lenap, die vor hundertfünfzig Jahren Penn am Ufer des Delaware empfingen, sind heute verschwunden. Ich traf die letzten Irokesen; sie bettelten. Alle genannten Stämme breiteten sich einst bis an die Meeresküste aus; jetzt muss man mehr als hundert Meilen ins Innere des Erdteils hineinreisen, um einem Indianer zu begegnen. Diese Wilden haben sich nicht zurückgezogen, sie sind a u s g e r o t t e t. 321

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Tocqueville beschreibt 1831 damit den für die Indianerstämme der ehemals ‚neuenglischen Kolonien‘ den Endpunkt eines Prozesses konsquenter Extermination, der für die Frontier-Community von Otsego um 1790 (der Spielzeit von Coopers ‚The Pioneers‘) noch nicht ganz abgeschlossen schien; Cooper erzählt seine ‚Geschichte‘ 1823 aus einem Abstand von über dreißig Jahren und teilt in etwa die Beobachterperspektive Tocquevilles. Wie auch immer man sich das massenhafte ‚Verschwinden‘ der indianischen Urbevölkerung während eines über zweihundert Jahre andauernden Eroberungskrieges vorstellen will, das Faktum „der Ausdehnung des nationalen Raums der USA durch staatliche und private Landnahme“322 nötigt dazu, eine vorausgehende gewaltsame ethnische Säuberung zur Kenntnis zu nehmen. Die Anzahl der Indianer am Vorabend der europäischen Invasion wird unterschiedlich eingeschätzt: die Zahlenangaben schwanken von 9 Millionen zwischen Rio Grande und der Antarktis bis 1,5 Millionen auf dem Gebiet er späteren USA; gesichert aber erscheinen die Zahlen nach Abschluss der sog. ‚Indianerkriege‘ in den 1880er Jahren; so lebten schon um 1850 auf dem Territorium der amerikanischen Bundesstaaten nur noch 250.000 Indianer – und um 1900 ca. 300.000.323 Die unterschiedlichen Ursachen dieser enormen Dezimierungen sollen / können hier nicht diskutiert werden.324 Da aber alle ‚Vorgänge‘ auf die einzige ‚prima causa‘ der gewaltsamen europäischen Landnahme zurückzuführen sind, legen die Fakten den Tatbestand einer völkermordartigen, zum Teil durchaus planmäßigen Auslöschung einer ethnischen Gruppe nahe. Coopers symbolischer Ort als einer jener ‚dark places‘, an dem der zeitliche Verlauf eines geschichtlichen ‚Transits‘ ansichtig wird, hat – auf anderem symbolischen Niveau – ein literarisches Pendant. Wie wir wissen, hat sich Goethe 1826/7 der Lektüre der Romane Coopers gewidmet. 1826 las Goethe ‚The Pioneers‘ gleich zweimal und mit gleichem Interesse 1827 auch die folgenden Romane ‚The Last of the Mohicans‘ und ‚ The Prairie‘.325 Diese Roman-Lektüre aber steht nicht nur im Zusammenhang mit Goethes Arbeit an der Zweiten Fassung der ‚Wanderjahre‘ und ‚der Wiederaufnahme des Faust, die nun zum Hauptgeschäft erklärt wird‘, sondern vor allem mit seinem Interesse an ‚kolonialthematischer‘ Literatur überhaupt: so liest Goethe im selben Zeitraum Reise-

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beschreibungen, Werke zur Geschichte der Entdeckung Amerikas, das ‚Cuba-Buch‘ Alexander von Humboldts im selben Jahr 1827 oder ‚kolonialthematisierende‘ Dichtung wie etwa de Saint-Pierres ‚Paul et Virginie‘ oder Johann Gottfried Schnabels ‚Insel Felsenburg‘.326 Goethes Hinwendung zur Thematik der globalen Expansion ist verbunden mit seinen Reflexionen des Zeitenwandels in der Folge der beiden neuzeitlichen Revolutionen: der industriell-technischen seit 1750 und der politisch-kulturellen seit 1789, die zu seinen Lebzeiten gerade in engster Verzahnung mit der ‚kolonialen Revolution‘ eine ganz neue Schubkraft entfalten (vgl. Kap. V). Auf dem Boden der ehemals neuenglischen Kolonien entsteht ein unabhängiges neues Staatsgebilde, das (in Umwidmung eines Marx-Notats zu England und Indien) „eine Doppelmission zu erfüllen (hat), eine zerstörende und eine schöpferische Vernichtung der alten (indigenen) Gesellschaftsordnung einerseits, Schaffung der materiellen Voraussetzungen für eine westliche Gesellschaftsordnung (in Amerika) andererseits.“327 Aber auch Marx äußert – wie viele seiner Zeitgenossen, so auch Cooper oder Heinrich Heine328 – seine Welt-Trauer, wenn er von den „vernichtenden Wirkungen der (englischen) Industrie (auf Indien)“, von der „Verwandlung der materiellen Produktion in wissenschaftliche Beherrschung der Naturkräfte“ spricht – und ‚ein auf unser Empfinden so erschütternd wirkendes Bild des Zusammenbruchs einer alten Welt‘ zeichnet.329 Die Marx-Notate stammen aus dem Jahre 1853; 1829 erscheint die 2. Fassung von Goethes ‚Wanderjahren‘, Juli 1831 wird der ‚Faust‘ (4. und 5. Akt) abgeschlossen. Michael Jaeger spricht von deutlichen Spuren, die die Cooper-Lektüre in Goethes ‚zweiten Wanderjahren‘ hinterlassen habe – besonders natürlich in Bezug auf die dort entwickelte Idee eines ‚amerikanischen Siedlungsplans‘.330 In meiner (dikursanalytischen) Sicht besteht ein besonderer struktural-symbolischer Zusammenhang in der Konzeption der ‚Brand- und Todesszenen‘, die sowohl für Coopers ‚The Pioneers‘, als auch für den 5. Akt (Szene 1-3) des Faust II von entscheidender Bedeutung sind – insofern, als sie ein epochales Datum im Prozess fortschreitender europäischer Weltbemächtigung markieren – und die Brandstätte als eine Chiffre der Transformation erscheinen lassen.

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Rein topographisch betrachtet, weisen die Orts-Inszenierungen bei Cooper und Goethe Ähnlichkeiten auf, die sich in unterschiedlichen Graden symbolischer Sublimierung von der Aussageform des überlieferten zweipoligen ‚kolonialen Diskurses‘ ableiten, wie er sich seit dem 17. Jahrhundert kontinuierlich auch literarisch artikuliert. Anfänglich entwerfen sie das „paradiesische Bild“ eines Landschaftsraums, der schon dem Prozess ordnender ‚Kulturierung‘ unterworfen ist, wenngleich sich inselhaft, dem Sog der Transformation trotzend, alte Naturreservate zu behaupten scheinen. Cooper stellt uns mit den ersten Sätzen seines Romans den Schauplatz als ‚in hohem Grade romantisch und malerisch‘ vor, um in gleichem Atemzug darüber zu befinden, wo zukünftig Manufakturen an Wasserläufen zu errichten seien; seine Figur des Lederstrumpf-Trappers hat noch die Berge vor Augen, wo die Rauchsäulen von den Lagern der Indianer über den Baumwipfeln friedlich aufsteigen. Goethes Philemon schildert auf gleiche Weise, wie der ‚alte Naturgrund‘ hineingerissen wird in den Sog der Zeit und seine phantastische Umwandlung erfährt. Wo unlängst noch die Wildnis eines „grenzenlosen Meeres“ war, ist jetzt der umgrenzte Raum eines künstlichen ‚Paradieses‘: Wiese an Wiese grünt, Anger, Garten, Dorf und Wald liegen in der Abendsonne, während der „Lindenraum“ der Alten ganz dem friedlichen Lager der letzten Delaware-Indianer unter den Bäumen zu entsprechen scheint: ein bedrohter, dem Untergang geweihter, aus der Zeit gefallener Ort. Das plötzlich katastrophische Ereignis eines Waldbrandes trifft den einsamen im Walde verharrenden Indianerhäuptling und die Alten und den Wanderer in der Exklave ihrer Hütte unter den Linden. Es sind die Letzten ihrer Art, die letzten Menschen, deren alte lokale Welt im Feuer untergeht, das von Agenten der neuen Zeit gelegt wird. Mit dem Tod des ‚letzten Menschen‘ an dieser Brandstätte ist die Bahn frei für den nach „Weltbesitz“ strebenden Entrepreneur in einer neuen globalen Welt etc. Die Dialektik von „Paradies“ und „Scheiterhaufen“ bestimmt den ‚kolonialen Diskurs‘ seit seinen frühesten Artikulationen (vgl. Kap. I). Die (Kolonial)Mächte der ‚neuen Zeit‘ sind erfüllt vom Geist des Aufbruchs, der Überwindung der alten kontinentalen Grenzen und einer bedingungslosen Expansion – getragen „von der großen Bestimmung“ – wie Hegel es von England sagen konnte – „die Missionarien der Zivilisation in der ganzen Welt zu sein; denn ihr Handlungsgeist treibt sie, alle Meere und alle Länder zu durchsuchen, Verbindungen mit den

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barbarischen Völkern anzuknüpfen, in ihnen Bedürfnisse und Industrie zu erwecken und vor allem die Bedingungen des Verkehrs herzustellen, nämlich“ – fährt er in eurozentrischer Verkehrung der Dinge fort – „das Aufgeben von Gewalttätigkeit, den Respekt vor dem Eigentum und die Gastfreundschaft.“331 Hegel fasst hier – auf der Grundlage seiner Vorlesungen über ‚Philosophie der Weltgeschichte‘ in den Jahren 1822/3 und 1830/1 – Eckpunkte jenes kolonialen Programms zusammen, das eine neue imperiale Phase europäischer Kolonisation und Expansion gegen Ende des 19. Jahrhunderts schon vorzeichnete. Hegels Zeitgenossen wurden bekannt gemacht mit der Idee einer auf einen bestimmten „Endzweck“ sich hinbewegenden „Weltgeschichte“. Wenn auch Hegels kritische Schüler, Heinrich Heine und Karl Marx, „das Resultat der Weltgeschichte“ anders interpretierten, teilten sie Hegels Vorstellung, dass zumindest die ‚westliche Welt‘ sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt in einer entscheidenden Umbruchphase befände. Der Gedanke, „dass unsere Zeit eine Zeit der Geburt und des Übergangs zu einer neuen Periode“ sei332, spiegelte das Empfinden der Zeitgenossen. Heine war es, der als erster deutscher Literat schon frühzeitig – in seinem Nordsee-Reisebild von 1825/6 – von der „großen europäischen Zeitverwandlung “ sprach, in die auch „der kleine Zustand (der) armen Insulaner“ – der Eingeborenen der Insel Norderney – hineingerissen werde: „Auch diese stehen an der Grenze einer solchen neuen Zeit, und ihre alte Sinneseinheit und Einfalt wird gestört“333, zerstört durch den Einbruch einer alles einebnenden „unerfreulichen Modernität“ (hier: der banalen Einrichtung eines modernen Seebades)334 . Goethes Entwurf einer symbolischen Landschaft in der Enge von Anger, Garten, Dorf und Hütte auf der einen Seite – in der Weite von „grenzenlosem Meer“, in der Offenheit von Hafen und Kanal – und ihres symbolischen Personals, der Protagonisten eines unerbittlichen Fortschritts und der unglücklichen Antagonisten, die dem Sog der kolonisierenden Weltbemächtigung zu weichen haben – verdichtet ‚das Zeitgeschehen‘ in einer dunklen Parabel. Ich folge dem Faden meiner kolonialgeschichtlichen und -kritischen Fragestellung, wenn ich Goethes symbolisches Tableau der drei Szenen des 5. Aktes (Faust II) sowohl der Kontinuität des ‚kolonialen Diskurses‘ als auch dem zeitgenössischen Kontext des europäischen Krisenbewusstseins verpflichtet sehe. Das Thema einer ‚großen Zeitverwandlung‘, der Beschleunigung der geschichtlichen Bewegung und der globalen Hori-

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zontweitung war allgegenwärtig. So gilt es, den symbolischen Schauplatz der Szenen – Offene Gegend – Palast – Tiefe Nacht – als aufs engste verknüpft zu betrachten mit dem ‚imaginären Raum‘ „fremder Weltgegenden“, dem überseeischen Raum kolonialer Expansion. Aus diesem Blickwinkel gesehen, erscheint Faust ganz als Protagonist eben dieser kolonialen Expansion, den sein Handels- und Machtgeist treibt, „alle Meere und Länder (zu) durchsuchen“; sein Blick geht in die Weite des ‚grenzenlosen Meeres‘; die Enge umgrenzter Lokalität sperrt sich der Welthaftigkeit seines „Hochbesitzes“; der „Lindenraum“, die braune Baute, das morsche Kirchlein fallen dem HomogenisierungsFuror des Fortschritts zum Opfer; die binnenkolonisatorische Landnahme genügt ihm nicht; sein Weltbesitz gründet sich auf Besitzergreifung in „fremden Weltgegenden“; von dort kommen schon seine Schiffe mit kostbarer Kolonialware; inzwischen ist er kolonialer Entrepreneur, dem die ‚Dreieinigkeit‘ von „Krieg, Handel und Piraterie“ längst zum Geschäftsmodell geworden ist. Ohne Krieg und Gewaltanwendung ist er auf den Weltmeeren seinen Konkurrenten unterlegen, ohne Peitsche und Fessel sind seine Sklaven nicht zu bändigen. „Menschenopfer mußten bluten“ – schon während des Großprojekts der Eindeichung. Die plötzliche nächtliche Brand- und Mordaktion säubert die ‚neuen Räume‘ von überflüssigen ‚letzten Menschen‘; die Plötzlichkeit offenbart nur den „züngelnden“ Blitzschlag geschichtlicher Beschleunigung, mit der die Vernichtung „aller festen, eingerosteten Verhältnisse“, „alles Ständische(m) und Stehende(m)“ vonstatten geht und „alles Heilige entweiht wird“;335 die Agenten des mephistophelischen Unternehmensprojektes sehen sich im Dienst des beschleunigten Geschichts-Prozesses überhaupt: „Was sich sonst dem Blick empfohlen/ Mit Jahrhunderten ist hin.“ Dark places der Brandstätten: „[...] der Lindenwuchs vernichtet/ zu halbverkohlter Stämme Graun [...]“ – und der Scheiterhaufen: „Nun lodert’s frei/ Als Scheiterhaufen dieser drei“336 sind die Landmarken des Fortschritts. Marx soll hier (noch einmal) als Zeitgenosse und hellsichtiger Zeitzeuge – abgesehen von allen ideologischen Implikationen – zitiert werden; seine Beschreibungen dieser Epochenzeitstelle aus dem ‚Manifest‘ der Jahre 1847/8 tragen zur Erhellung des zeitgenössischen Kontextes wesentlich bei. Sie verdeutlichen, wie gerade das Jahrhundert zwischen 1750 und 1850 erfahren werden konnte als eine Phase der „großen Zeitverwandlung“. Die industriell-technische und politisch-kulturelle Doppel-

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revolution verlieh der kolonialen Revolution einen neuen Stellenwert im Prozess einer Okzidentalisierung der Welt. Die neuen technischen vehicularen und medialen Apparate der Dampfschiffe, Eisenbahnen oder Telegraphen werden mit der Beschleunigung aller Verkehrsverhältnisse die Distanzen zwischen den Ländern und Völkern vermindern und somit das Projekt einer Weltgesellschaft befördern. So heißt es bei Marx, dass „die Kolonisierung von Amerika, der Austausch mit den Kolonien, die Vermehrung der Tauschmittel und der Waren überhaupt [...] dem Handel, der Schiffahrt, der Industrie einen nie gekannten Aufschwung (gaben).“ „Die große Industrie (habe) den Weltmarkt hergestellt, den die Entdeckung Amerikas vorbereitete.“337 Andererseits ist die Voraussetzung allen Fortschritts (bekanntlich) die Zerstörung: „Britische Dampfkraft und britische Wissenschaft zerstörten in ganz Hindostan die Union von Landwirtschaft und Manufakturindustrie.“338 Goethe vollendete seine Faust-Tragödie 1831. Er war hellsichtig genug, diese Zeitzusammenhänge von Kolonisierung, neuer Technik, Beschleunigung, Weltbemächtigung und Zerstörung der traditionellen ‚Lebensräume‘ zu erkennen: „Eisenbahnen, Schnellposten, Dampfschiffe und alle möglichen Fazilitäten der Kommunikation sind es, worauf die gebildete Welt ausgeht [...].“339 – so bemerkt er in einem Brief an Zelter vom 6.6.1825. Die Wahrnehmung beschleunigter und translokaler Kommunikations- und Verkehrsverhältnisse ist generationstypisch. So kann es Goethe „für das größte Unheil unserer Zeit, die nichts reif werden läßt, halten [...] dass man im nächsten Augenblick den vorhergehenden verspeist“ – und – „alles [...] ins Öffentliche geschleppt (wird): so springt’s von Haus zu Haus, von Stadt zu Stadt, von Reich zu Reich, zuletzt von Weltteil zu Weltteil, alles veloziferisch.“340 Wenn sich somit der Verkehr von Weltteil zu Weltteil insgesamt veloziferisch d.h. eilpostmäßig beschleunigt, rücken nicht nur die Weltteile zusammen, sondern auch die kolonialen Peripherien und die alt-europäischen Zentren. Die „neuen Fazilitäten der Kommunikation“ ermöglichen den Bewohnern der Zentren, sich über die Vorgänge in den (alten) Peripherien der Kolonien schneller und besser zu informieren. Das Cuba-Buch Humboldts eröffnete Goethe – wie er schrieb – „eine Weltübersicht“. Die Schicksale der schwarzen Sklaven in der Karibik oder etwa der um ihre Rechte betrogenen und vertriebenen Irokesen konnten Goethe in Weimar nicht verborgen bleiben; ihm werden auch Humboldts Worte aus

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dem ‚schwarzen Negerbuch‘ über Cuba (das dieser ihm mit Begleitbrief vom 2.2.1827 überreichen ließ) im Gedächtnis geblieben sein: „Es sind die menschlichen Schicksale dermaßen verwickelt, dass eben jene Grausamkeiten, welche die Eroberung beider Amerika mit Blut befleckt haben, sich unter unseren Augen in einer Zeit wiederholten und erneuerten, die unserem Empfinden nach durch die größten Fortschritte der Aufklärung und allgemeine Sanftheit der Sitten ausgezeichnet ist.“341

Die Zeitgenossen des 19. Jahrhunderts hätten von dieser Botschaft betroffen sein können: Sie hätten zur Kenntnis nehmen müssen, dass ‚koloniale Gewalt‘ gegenüber Indigenen seit der Eroberung Amerikas keine Episode der Vergangenheit ist, sondern endemisch ein Element kolonialer Praxis bis in die Gegenwart. Die „Kontinuitäten europäischer Welteroberung“ (Osterhammel) sind die Kontinuitäten von Gewalt und Unterwerfung. Die Dialektik des kolonialen Diskurses beruht – wie beschrieben – auf diesen Polen von ‚Zivilisierung‘ und ‚Zerstörung‘. Nach Topographie und Personenkonstellation, nach Schauplatz und Aktion kann das symbolisch-‚europäische‘ Tableau der Faust-Szenen (5,1-3) nur ein Spiegelbild dessen sein, was sich ‚außen‘, in „fernen Weltgegenden“, im kolonialen Raum abspielt: Landnahme, zivilisatorische ‚Zähmung‘ der ursprünglichen Wildnis der Natur, Ausbeutung und Vernichtung indigener Völker, Auslöschung überflüssiger Populationen. M. Jaegers detaillierte Analyse und Deutung der Faust II-Szenen des 5. Aktes342, deren Befunde ich in der großen Linie seines Ansatzes zustimmen kann, krankt allerdings daran, dass von „Kolonisationsgeschehen“ oder von „Globalexploitation“, von „Weltkolonisation“ etc. gesprochen werden kann, ohne das koloniale Syndrom (europäischer „Sendungsglaube (und) Vormundschaftspflicht“, Mission, kulturelle Überlegenheit des Kolonisators, Rassismus, Ausrottung ‚niederer Rassen‘, überflüssigen Lebens etc.) überhaupt je zu thematisieren. So kann nicht in den Blick kommen, dass die Alten unter den Linden als die letzten Menschen der ‚alten Welt‘ und der Letzte der Delaware-Indianer in seinen ‚alten Jagdgründen‘ vergleichbar das Schicksal teilen, als ‚evolutionsgeschichtlich‘ mindere Spezies im Sog ein und desselben einebnenden Fortschrittsprozesses ausgelöscht werden. Wiederum war es Heine – wie schon angesprochen – der in seinem Nordsee-Reisebild von 1826 schon auf den globalen Zusammenhang von

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‚binnen‘- und ‚außen‘-kolonisatorischer Homogenisierung aufmerksam gemacht hat (vgl. Kap. VI). Ausgehend von der „großen europäischen Zeitverwandlung“, in die die ‚armen‘, ebenfalls evolutionsgeschichtlich zurückgebliebenen Norderney-Insulaner hineingerissen werden, entwirft er das Panorama einer (kolonial)geschichtlichen Entwicklung, deren Ausgang er in der spanischen Konquista und der Zerstörung der alt-mexikanischen Kultur des Jahres 1521 sieht; inzwischen sind längst auch ‚alteuropäische‘ „National-Besonderheiten“ in den Sog der Einebnung geraten – wie etwa Schottland nach der (quasi-kolonisatorischen) Eingemeindung in das britische Königreich um 1707; „ein großer Schmerz über den Verlust der National-Besonderheiten, die in der Allgemeinheit neuerer Kultur verloren gehen“, erfasse die Völker. Die koloniale Revolution in der Phase der ersten Expansionen nach 1492 – so legt Heine nahe – sei der Beginn eines unumkehrbaren Prozesses gewaltsamer Einebnung, von dem „die ganze Erde“ betroffen werde. Heine gibt diesem Prozess erstmals den Namen einer sich gewalttätig ausbreitenden „unerfreulichen Modernität“ – wie sie sich zeitgenössisch u.a. in der Zerstörung der „uralten Weltordnung“ Indiens im Zuge der britischen Kolonisation zeige.343 Heine sollte hier deshalb noch einmal ausführlich mit diesem Text von 1826 zitiert werden, um zu verdeutlichen, dass sich die zeitgenössische Reflexion des Untergangs der ‚alten‘ lokalen Welt von vornherein auf ein weites „historisches Terrain“ begibt, das sich zwischen den Eckdaten der großen Revolutionen von 1492, 1750 und 1789 erstreckt. Erst aus dieser Perspektive wird die krisenhafte Kumulation der Ereignisse zwischen 1789 und 1830 als Phase eines global-geschichtlichen Geschehens wahrnehmbar, das mit der iberischen Eroberung Amerikas seinen Anfang nahm. Goethes symbolisches Tableau verdichtet seinerseits das historische Geschehen der europäischen Weltbemächtigung in einem einzigen SchockMoment exzessiver und grauenerregender Gewalt: Dieses Bild einer Menschenverbrennung ist zu radikal, zu monströs in der Aufkündigung zivilisatorischer Standards, um lediglich auf das schmale „historische Terrain der europäischen Revolutionsepoche zwischen 1789 und 1830“ (Jaeger)344 bezogen zu werden. Das Bild der Menschenverbrennung transzendiert diesen Zeithorizont. Brandstätte und Scheiterhaufen sind jene wahren ‚dark places of cruelty‘: die Zeichen des Schreckens im Kontinuum kolonialer Gewalt von den ersten Anfängen im Zeitalter der Entde-

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ckungen und Eroberungen bis in alle Zukunft europäischer Weltherrschaft. Die Verbrennung von Menschen setzt den Akt der Selektion voraus und vollzieht jene „Ausscheidung von Schädlichem oder Überflüssigem zugunsten des reibungslosen Ablaufs einer Bewegung […], aus der schließlich gleich dem Phönix aus der Asche eine Art (neuer) Menschheit entstehen soll.“ (H. Arendt)345 Der finale Akt der Menschenverbrennung wird zum SchlüsselZeichen europäischer Hybris, sich im Besitz der ‚geschichtlichen Wahrheit‘ zu wähnen und durch Liquidierung stigmatisierter (niederer) Rassen,sterbender Klassen346 und Völkerschaften den ‚notwendigen‘ Gang eines fragwürdigen Fortschritts beschleunigen zu können. Goethes erschreckter Blick fällt auf die dem ‚Fortschritt‘ inhärente Gewalttat, mit der (jeweils) der Untergang einer Welt besiegelt wird. Das symbolische Faust-Tableau erhält seinen welthistorischen Sinn, indem es das Janusgesicht eines nach Weltbemächtigung strebenden Europas kenntlich macht. Die ‚Zivilisierung‘ und ‚Akkulturierung‘ des Anderen wird aufs engste verknüpft bleiben mit dessen Auslöschung, „der Gnadenakt der Zivilisation“347 mit Akten totaler Ausbeutung und Ausrottung.

VIII. Afrika vs. Europa

Horror der Wildnis vs. Fackeln der Aufklärung –



J. Conrad

1) Am 13.6.1890 begann Joseph Conrad von Boma an der afrikanischen Westküste aus seine Reise ins Innere des ‚schwarzen Kontinents‘: Im Auftrag der ‚Compagnie du Congo pour le Commerce et l’Industrie du Haut-Congo‘ übernahm er das Kommando auf der ‚Roi des Belges‘ von den Stanley-Falls nach Kinshasa. Am 3.1.1891 kehrte er krank nach Europa zurück. Erst 1899 veröffentlichte er seinen literarischen Text ‚Heart of Darkness‘, der die Reise in die Finsternis des Fremden als eine Art ‚rite de passage‘ – im Sinne Genneps348 – zu beschreiben versucht. „The phrase ‚heart of darkness‘“ – so schreibt der Herausgeber des Textes, Cederic Watts – „could mean the centre of a dark (obscure, mysterious, sinister or evil) place.“ Der Kongo, das Innere Afrikas, „the profound darkness of its heart“, erscheint als der ‚dark place‘ par excellence: „the abominable; the primordial; the inscrutable; the unknown [...]“.349 Als Conrad sich 1890 in das Zentrum dieses dunklen Ortes begibt, bewegt er sich schon auf dem Territorium jenes Gebildes, dem der belgische König Léopold II den Namen ‚Etat Indépendant du Congo‘ gegeben hatte. Dieser Aneignung vorausgegangen war die ‚berühmte‘ Berliner Kongo-Konferenz vom 15.11.1884 bis zum 26.2.1885, die sich mit der abschließenden ‚Kongoakte‘ als „richtungsweisend für den einsetzenden kolonialen Imperialismus“ erweisen sollte. Die 14 Vertreter der europäischen Mächte legten die Rahmenbedingungen für Grenzziehungen und Einflusssphären auf einem (noch) fremden Kontinent fest; wie schon in der Frühzeit des Kolonialismus wurde ein ganzer Kontinent als eine sog. ‚terra nullius‘ betrachtet, die der europäischen Inbesitznahme ideale

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Voraussetzungen bot. Über die Zukunft Afrikas entschieden die europäischen Interessen-Vertreter selbstverständlich ohne irgendeinen afrikanischen Repräsentanten.350 Die Berliner Konferenz ist zu Recht in der Kontinuität der ersten ‚imperial-kolonialen‘ Verfügungsakte gesehen worden, die den Entdeckern der Neuen Welt beider Amerika ‚Erschließungsrechte‘ zusicherten; zu regeln waren lediglich die Abgrenzungen der Interessensphären – so bekanntlich der spanischen und portugiesischen Konquistadoren – zunächst 1493 die päpstliche Zusicherung einer Zone westlich der Azoren für Spanien und 1494 im Vertrag von Tordesillas die Festlegung einer Nord-Süd-Linie westlich der Kapverden, die die Einflusszonen Spaniens und Portugals voneinander abgrenzte. Die Berliner Konferenz von 1884/5 erweist sich als Glied in einer Kette vergleichbarer ‚Verfügungen‘ über Räume mit ‚fremdrassiger‘, nichtchristlicher Bevölkerung, deren Existenz man nicht zur Kenntnis zu nehmen brauchte – wobei latent oder manifest rassistische Vorurteile durchaus schon eine Rolle spielten. So folgte auch die ‚Aufteilung‘ der ‚arabischen Provinzen‘ des Osmanischen Reiches nach dem ersten Weltkrieg in Einflusszonen und Mandatsgebiete der westlichen Siegermächte Englands und Frankreichs diesem kolonialen Muster: Das Sykes-Picot-Abkommen von 1916 und die Konferenz von San Remo ersetzten gewissermaßen neuzeitlich die Vorstellung einer ‚terra nullius‘ durch die Annahme eines zivilisatorischrückständigen Niemandslandes. 2) Als sich Marlow – der (implizite) Erzähler der Reise-Geschichte – dem afrikanischen Kontinent nähert, fährt er die Küste entlang, die sich ihm ‚gesichtslos, mit dem Ausdruck monotonen Grimms‘ zeigt; „am Rande eines riesigen Urwalds, nicht dunkelgrün, sondern fast schon schwarz und mit weißer Gischt gesäumt [...] das Land schien im Dampf zu glänzen […] da und dort grau-weiße Flecken [...] hinter der weißen Brandung [...] ein paar Jahrhunderte alte Siedlungen.“351 „I had no point of contact, the oily and languid sea, the uniform sombreness of the coast, seemed to keep me away from the truth of things [...]“352

Die Grenzlinie der Küste verläuft, von ‚weißer Gischt gesäumt‘, ‚schnurgerade, wie mit dem Lineal gezogen‘, entlang eines blauen Meeres und

VIII. Afrika vs. Europa

trennt ein Raumfeld von einem anderen. Marlow befindet sich in einer Zwischenzone, die es zu durchqueren gilt, um von dem Territorium seines Ausgangs in das Ziel-Territorium des Anderen zu gelangen. „Eine Zeitlang“ aber verbleibt er „sowohl räumlich als auch magisch [...] in einer besonderen Situation: er schwebt zwischen zwei Welten.“353 „Watching a coast as it slips by the ship is like thinking about an enigma.“354

In dieser Zwischenzone magischer Indifferenz wird Marlow Augenzeuge eines änigmatischen Geschehens: Aus dem Inneren des fremden Territoriums nähert sich ein von ‚brüllend-singenden schwarzen Kerlen‘ gerudertes Boot; wenig später beschießt ein vor der Küste, außen, „in der leeren Unendlichkeit der Erde, des Himmels und des Wassers“ liegendes französisches Kriegsschiff – in umgekehrter Richtung – den unbekannten fremden schwarzen Kontinent – „außer Sichtweite irgendwo ein Lager der Eingeborenen“.355 In der Zwischenzone der Transition oder Initiation verflüchtigen sich die gewohnten Bedeutungen. Marlow gelingt es nicht, das ZeichenRätsel dieser Bilder zu lösen ; er sieht die „wilde Vitalität“ der „schwarzen Kerle“ („black fellows“), die der Vernichtung in ihrem Land zu entkommen scheinen; er empfindet „einen Hauch von Wahnsinn“, der über dem Vorgang der vagen Beschießung von Eingeborenen in der Tiefe des Kontinents liegt, im Ganzen „die klägliche Komik“, die mit dem Eindringen eines „winzigen Projektils“ in diese Weite des fremden Raums verbunden ist. Die Bilder richten einen Appell an den Initianden, sein eigenes Eindringen in den ‚fremden Raum‘ in Bezug zu setzen zu dem sinnlosen Schuss des Projektils aus dem Sechs-Zoll-Geschütz des französischen Kriegsschiffs – und ebenso die „wilde Vitalität“ der brüllenden Indigenen in ihrem Kanu zu der technischen Gewalt des Kriegsschiffs, vor der die „ungeheure Energie“ der schwarzen Körper-Bewegung („intense energy of movement“) zunichte wird. Die surrealen Szenen seines Transits, die sich für Marlow „vor einem finsteren Bühnenhintergrund“ wie eine „miese Farce“ abspielen, erfahren auf der Hauptbühne des kolonialen Theaters der Grausamkeiten ihre schockhafte Reinszenierung. Der Besucher aus der anderen Welt Europas hat scheinbar eine erste Grenzlinie zum ‚dunklen Kontinent‘ überschritten; auf dem Kongo-Fluss ist er in den fremden Raum eingedrungen; schon an der ersten Station der Gesellschaft, in deren Auftrag er sich hier aufhält, stößt er augenblicklich auf einen der dunkelsten Orte der

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Menschenschändung und Unterwerfung des schwarzen Körpers: Ausgemergelte Sklaven, ein „Band aus Eisen um den Hals“, „durch eine Kette miteinander verbunden“, ziehen „mit jener [...] totenähnlichen Gleichgültigkeit unglücklicher Wilder“ an ihm vorüber. In einem nahen Wäldchen entdeckt er ein Todeslager kranker, verhungernder, sterbender – überflüssig gewordener Sklaven „in allen Stellungen des Schmerzes, der Verlassenheit und Verzweiflung.“356 „[...] it seemed to me I had stepped into the gloomy circle of some Inferno“357

Fast fluchtartig verlässt Marlow diesen dantesken Todesort und trifft auf einen ‚Weißen‘, den er „im ersten Moment für so etwas wie eine Vision hielt“: „Ich sah einen hohen steifen Kragen, weiße Manschetten, ein leichtes Alpaka-Jackett, schneeweiße Hosen, eine helle Krawatte, und glänzend polierte Schuhe. Die Haare mit einem Scheitel, gebürstet, ölig, unter einem grünen Sonnenschirm, den er in einer weißen Hand hielt.“358 Es ist der Chefbuchhalter der Gesellschaft, der dem Chaos der Wildnis Paroli bieten will: Sein Büro ist eine weiße Zelle der Ordnung inmitten des schwarzen Infernos. Alles gerät ihm zu einem Akt zynischer Präsentation des Überlebens des Kolonialisten – garantiert durch ein System, das die lebensvernichtende Zwangsarbeit zur Grundlage der Ausbeutung macht. Es gehört zur narrativen Strategie Conrads, den ‚kolonialen Diskurs‘ bis in die kleinste szenische Einheit dichotomisch in ‚Satz‘ und ‚GegenSatz‘, in ‚Bild‘ und ‚Gegen-Bild‘ anzulegen, wobei jeweils eingenommene Positionen relativiert werden: das heißt, jeden ‚Satz‘ und jedes ‚Bild‘ in Relation zu seinem Gegen-Satz und Gegen-Bild zu bringen. Die Relationierungen führen zur konsequenten Aufhebung von ‚Eindeutigkeiten‘ zugunsten von Mehrdeutigkeit und Differenz. Conrads hochgradig relationaler Text ist folgerichtig ein hochgradig symbolisch-polyvalenter Text. Die fortlaufenden Dichtomien von ‚Kanu-Boot‘ und ‚Kriegsschiff‘ in der Initiationsszene – oder von sterbenden Sklaven im Todeslager und dem Chef buchhalter der Station in „schneeweißen Hosen“ – generieren Bedeutungen auf einer zweiten symbolischen Ebene – wie etwa: • Die Behauptung ‚natürlicher‘ weißer Überlegenheit und schwarzer Unterlegenheit begründet sich relational, wechselseitig („your strength is just an accident arising from the weakness of others“)359.

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• Die systemisch, koloniale Praxis der Unterwerfung des Anderen durch einen „schlaffen, eingebildeten, schwachsichtigen Teufel („a flaby, pretending, weak-eyed devil“)360 schließt sich nicht nur nicht aus, sondern ist die Regel. • In der zivilisatorischen Zähmung und Kultivierung der Wildnis und des ‚wilden Menschen‘ schlägt sich die Angst des ‚zivilisierten‘ Menschen nieder, vom „urzeitlichen“ Chaos überwältigt zu werden; so scheint er von dem Verlangen getrieben, die Welt von aller ‚Wildnis‘ zu säubern und in finale Ordnung zu überführen. 3) Dem Text Conrads liegt eine symbolische Kartographie des kolonialen Raums zu Grunde. Grenzlinien der Differenz trennen bestimmte Territorien – im kolonialen Zentrum sind es die Ortsfelder: ‚London‘ vs. ‚Brüssel‘, an der Peripherie des Kongos sind es die Raumzonen ‚weißer‘ Stationen und Stützpunkte vs. ‚schwarzer‘ Wildnis und des Dschungels. Mit dem Schiff bewegt sich der Held (Marlow) auf einer Route zwischen dem europäischen Zentrum und der zugleich (noch) wilden und (schon) kolonialen Peripherie; der Held erfährt seine Reise aus den ‚lichten‘ Kultur-Räumen Europas in die dunkelsten Bezirke Afrikas wie eine rituelle Passage in das vollkommen Fremde. Er verlässt einen vertrauten strukturierten Geschichts-Raum und setzt sich der ‚leeren‘ Geschichtslosigkeit der afrikanischen Wildnis aus: einer Welt, die von den europäischen Raum-Zeit-Regimen noch unberührt erscheint. Das viktorianische London muss Marlow für die „größte(n) […], herrlichste(n) Stadt auf Erden“ halten, gleichzeitig tritt sie ihm als „monströse Stadt“ vor Augen, deren Widerschein sich unheilvoll am Himmel abzeichnet („the place of the monstrous town was still marked ominously on the sky“).361 Tatsächlich stand die Millionen-Metropole London, „das Zentrum des einzigen Weltreichs der Epoche“362, auf dem Gipfel seiner imperialen Machtfülle und verfügte 1899 über den Großteil des afrikanischen Kontinents: vom Sudan, Uganda, Rhodesien bis Kenia, Somaliland und Ägypten. Conrad aber versieht die Hauptstadt dieses Weltreichs schon mit den unheilvollen (Vor)Zeichen zukünftigen Untergangs. Die an der Mündung der Themse wahrnehmbaren „unaufhörlich wechselnden Gezeiten“ beschwören nicht nur den großen Geist der vergangenen Tage („the great spirit of the past“)363, sondern rufen auch die Ahnung zukünftiger Tage wach: ein Gedenken der Vergänglichkeit überhaupt.

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Zunächst aber geht es Marlow/Conrad darum, das gegenwärtige koloniale Geschehen – so die gerade sich vollziehende Enteignung Afrikas – in der Kontinuität einer glorreichen Geschichte („of a gigantic tale“) der Weltbemächtigung zu sehen. Seit Francis Drake und John Franklin seien Kapitäne, Admirale und die „Generäle der East-India-Company mit dem Schwert in der Hand, und oft mit der Fackel der Aufklärung“ in fremde Weltregionen aufgebrochen, um dort „die Keime von Weltreichen“ („the germs of empires“) zu hinterlassen. Wenn sich diese Geschichts-Erzählung noch einfügt in den Triumphalismus der viktorianischen Epoche, so liest sich die nachfolgende Gegen-Erinnerung an die römische Kolonisation Britanniens wie dessen Antithese: Einst lag auch die britische Insel in der Finsternis seiner „Wälder und Sümpfe“ und bot den römischen Eroberern den gleichen Anblick wie den europäischen Kolonisatoren das Innere Afrikas: die ‚zivilisierten‘ Eindringlinge stoßen auf ‚Wildnis‘ und ‚Wilde‘. In Antithese zur westlich-britischen Kolonisation, die „den Funken der heiligen Flamme“, das Licht in die verfinsterten Länder trägt, beschreibt Marlow/Conrad die Nachtseite der römischen Eroberung: „Es war ganz einfach Raub unter Anwendung von Gewalt, Mord in großem Stil“ („It was just robbery with violence, aggravated murder on a great scale“ [...])364 – jene Seite, die für das ‚große Werk‘ der europäischen Kolonisation verdrängt und vergessen ist. Auf diese Weise nun wie Marlow/Conrad die römischen Eindringlinge schildern: wie sie den Themse-Fluss hochfahren ins Innere der Wildnis von Sumpf und Wäldern, wie sie Stützpunkte anlegen, „umschlossen von reiner Wildnis“, erregt von dem „geheimnisvollen Leben der Wildheit“, die sich „in den Wäldern und in den Herzen der Eingeborenen regt“365, wie sie der „Faszination des Grauens“ („fascination of abomination“) erliegen – kann es sich bei dieser Geschichts-Erzählung nur um den Prätext der eigenen Fahrt auf dem Kongo-Fluss ins Innere Afrikas handeln. Marlow kommt allerdings weder als ‚böser‘ Eroberer, noch als ‚guter‘ Kolonisator nach Afrika, sondern als Beobachter; er wird erkennen, dass ‚physische Gewalt‘ der Unterwerfung von ‚struktureller Gewalt‘ der kolonialen Herrschaft nicht zu trennen ist – und vice versa. Die Kartographie des kolonialen Raums erfasst signifikante ‚Orte‘ im Netzwerk des kolonialen Systems: Jeder Ort steht nicht nur in Relation zu anderen Orten in den Raumfeldern des Zentrums oder der Peripherie, sondern immer auch schon zu einer bestimmten Zeitstelle im Zeitfeld

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der Geschichte. So ‚öffnet‘ sich der gegenwärtige Ortspunkt ‚London‘ auf die Vor- und Frühgeschichte kolonialer Expansion und auf das europäische Projekt der „Eroberung der Welt“ („conquest of the earth“) seit dem 16. Jahrhundert. Es lässt sich von der generellen Verzeitlichung der Schauplätze eines kolonialen Geschehens sprechen. Die Hauptstadt des belgischen Königreichs: Brüssel erscheint von vornherein – in Antithese zu London, „der herrlichsten Stadt auf Erden“, als negative Örtlichkeit im Zentrum des europäischen Kolonialismus; Brüssel beherbergt die Büros jener Gesellschaft, „die gerade dabei (ist) ein Weltreich in Übersee aufzubauen und mit ihrem Handel Geld wie Heu zu verdienen“.366 Es sind die Büros der berüchtigten ‚Société Anonyme du Haut-Congo‘, die das skrupellose Geschäft der Ausbeutung der riesigen Kongo-Region betreibt; dieses Gebiet – „größer als England, Frankreich, Deutschland, Spanien und Italien zusammengenommen“367 – wurde Léopold II bekanntlich auf der Berliner Konferenz von 1884/5 überlassen und von ihm als Privatunternehmer beherrscht. Die Stadt Brüssel kommt Marlow vor wie „eine frisch geweißelte Totengruft“: „Eine enge, einsame Stadt voller Schatten, hohe Häuser, zahllose Fenster mit Jalousien, Totenstille, zwischen Pflastersteinen sprießendes Gras [...]“368 Als er die Zentrale der Congo-Société betritt, trifft er im Eingang auf zwei Frauen, die mit schwarzer Wolle stricken – „so etwas wie warme Leichentücher“ – und die ihm erscheinen als bewachten sie „das Tor der Finsternis“. Natürlich legt Conrad nahe, an die Schicksalsgöttinnen Klotho und Lachesis zu denken, die den Lebensfaden spinnen und messen oder an die Vergilsche Sibylle, die das Tor zur Unterwelt hütet: Der Hauch des Todes liegt über der Stadt. In der Brüsseler Zentrale der Société wurde über Tod und Leben von Millionen von Sklaven in der fernen Kongo-Kolonie entschieden; hier liefen die Fäden einer kolonialen Logistik zusammen, die alle Abläufe der Ausbeutung und Unterwerfung steuerte. Die Durchsetzung der Produktionsvorgaben und -maximierung lag seit 1888 vor Ort in den Händen der berüchtigten ‚Force Publique‘, einer von weißen Offizieren befehligten Söldner-Armee.369 Im selben Jahr 1890, als Conrad in eben dieser Brüsseler Zentrale (wie seine Figur Marlow) die Bestätigung seines Arbeitsvertrages mit der Société Anonyme entgegennimmt und sich anschließend auf die Fahrt in den Kongo begibt, erregte eine erste Anklageschrift gegen das Kolonialregime Léopolds II in Europa Aufsehen: Der schwarze Amerikaner George Washington Williams, Anwalt, Pastor und Historiker, verfasste in Form eines ‚Of-

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fenen Briefes‘ an den belgischen König diese „erste umfassende Denkschrift über Leopolds Schreckensherrschaft im Kongo“, die – gedruckt „noch vor Ende des Jahres 1890“ – weite Verbreitung in Europa fand.370 371 Einiges spricht dafür, dass Conrad die Schrift nach seiner Rückkehr aus Afrika 1891 zur Kenntnis genommen hat. Für seinen Helden (Marlow) jedenfalls erweist sich Brüssel allein dadurch, dass die mächtige Zentrale der Société [...] du Haut-Congo hier ihren Sitz hat, als einer der ‚dark places of the earth‘: Das Gehäuse der Macht präsentiert sich in jener unheimlichen Ambivalenz des Zeigens und Verbergens von Herrschaft. Außen zeigen sich „gewaltige Wageneinfahrten“ und „riesige, schwere Flügeltüren“ – innen verbirgt sich die Macht hinter der Maske des Unscheinbaren: „Schmucklose Treppen, karg wie eine Wüste“ führen ins „Allerheiligste“ („sanctuary“); nur die im Wartezimmer an der Wand hängende Weltkarte zeigt in unterschiedlichen Farben die von den Europäern beherrschten Territorien: in der Mitte Afrikas der Kongo-Fluss wie „eine tödliche Schlange“. Aber auch diese Kartographie der Gewalt und Unterwerfung verleiht der Expansion den abstrakten Charakter einer geographisch verifizierbaren Normalität. Im düsteren Sanktuarium der Macht steht ein schwerer Schreibtisch; hinter ihm erhebt sich – anonymisiert zur Unkenntlichkeit eines „bleichen plumpen Etwas in einem Gehrock“ – „der große Meister“ selbst: der Direktor der Société. Wieder scheint sich die reale Machtfülle, über Millionen von versklavten Menschen zu verfügen, hinter der Maske des Mediokren zum Verschwinden bringen zu wollen. Angesichts dieser „Zeremonien“ der Macht, der Ambivalenzen des Zeigens und Verbergens, stellt sich für Marlow das Gefühl des Unheimlichen ein: „an etwas nicht ganz Rechten beteiligt zu sein“. Schließlich muss sich Marlow einer betriebsärztlichen Inspektion unterziehen. Dem Arzt geht es vornehmlich darum, Marlow im Interesse der Wissenschaft den Schädel zu vermessen. Dieses Vorhaben steht im Kontext einer zeitgenössischen ‚Phrenologie‘, die in der Schädelvermessung eine Methode sah, Individuen einem rassischen Typus je nach Graden der Intelligenz zuordnen zu können372 – selbstverständlich um sich in der Hypothese der Überlegenheit der weißen und der Unterlegenheit der farbigen Rasse bestätigt zu sehen. Das Gehäuse der Macht – „so still wie ein Haus in einer Totenstadt“ – und sein Personal – die somnambulen strickenden ‚Nornen‘, der Sekretär mit knochigem Zeigefinger, der Arzt im Dienst der Rassen-Forschung, der bleiche Direktor – bekommt das Ansehen einer verkappten ‚Todes-

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fabrik‘ mit ihren Schreibtisch-Tätern und Vollzugsfiguren – fernab der Orte der realen Vernichtung ‚rassisch-minderwertiger‘ Völkerschaften. Mit den geschätzten zehn Millionen Menschen, die unter der KolonialHerrschaft Léopolds ums Leben kamen, ist „das Geschehen im Kongo [...] als das mörderischste Kapitel des europäischen Kampfes um die afrikanische Beute“ zu bezeichnen.373 Die Verzeitlichung der kolonialen Schauplätze nötigt dazu, signifikante Orte wie London und Brüssel als Transitzonen im Geschichtsprozess wahrzunehmen. London ist als Hauptstadt eines Weltreichs hier der historische Schauplatz einer ‚glorreichen Vergangenheit‘ der Welteroberung – Brüssel dagegen ist als zeitgenössisch-gegenwärtiger Zentrale einer kolonialen Administration, die sich gerade anschickt, ein „Weltreich in Übersee aufzubauen“, ein Schauplatz des Zukünftigen. Conrad stellt den „wie eine Totengruft“ aussehenden Schauplatz ‚Brüssel‘ als Prototyp einer Herrschaftsform vor, der sich auf dem „Organisationsprinzip“ einer anonymen fernen Bürokratie und eines Unterdrückungs-Apparats am Kolonial-Ort gründet. Die Anwesenheit des Schädel vermessenden Arztes offenbart die alltägliche Normalität einer rassistischen Praxis. Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts wurden die kurrenten Rasse-Vorstellungen pseudo-wissenschaftlich systematisiert374 und konnten zur Legitimation mehr oder weniger geplanter Auslöschung „unterentwickelter Völker“ herangezogen werden. 1850 erschien ‚The Races of Man‘ von Robert Knox, 1853 ‚Essai sur l’Inégalité des Races Humaines‘ von Joseph Arthur de Gobineau. Theorie und Praxis des kolonialen Rassismus und Expansionismus im 19. Jahrhundert lieferten alle Bausteine eines neuerlichen Strebens nach ‚Weltherrschaft‘ und der damit verbundenen Auslöschung des Anderen im 20. Jahrhundert. Bekanntlich erwies sich Darwins Schrift ‚The Descend of Man‘ von 1871 auf besondere und fatale Weise anschlussfähig für Rassen-Idiologeme aller Art. Schon Darwin konnte in evolutionsgeschichtlicher Konsequenz davon ausgehen, dass „die zivilisierten Rassen der Menschheit“ in naher Zukunft „die wilden Rassen“ auf der ganzen Erde ausgerottet haben werden. 4) Nach der symbolischen Kartographie des kolonialen Raums ließen sich (s.o.) für die koloniale Peripherie Afrikas ‚weiße‘ Zonen der Kolonisierung von ‚schwarzen‘ Zonen der ‚Wildnis‘ unterscheiden: die Stationen der Kolonisatoren als winzige Einsprengsel in einer „gewaltigen [...] Masse [...] bewegungslos(er) Stämme, Äste, Blätter, Zweige, Lianen“, in „der über-

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schwemmenden Wirklichkeit dieser fremdartigen Welt aus Pflanzen und Wasser und Stille“, umschlossen von der urwäldlichen Lebenswelt der Eingeborenen. Die Stationen der Weißen halten der Wildnis nicht stand: Es herrscht heilloses Durcheinander: „verrottende Maschinenteile, Stapel rostiger Schienen“, „ein auf dem Rücken liegender Eisenbahnwagen“; allein das Büro des Buchhalters bildet eine Insel ‚weißer Ordnung‘, während für andere Bereiche der Zusammenbruch von ‚Ordnung‘ inmitten der tropischen Welt längst eingesetzt hat. Die Unterwerfung der fremden Natur durch europäische Technik – Stanleys Eisenbahnbau durch den Dschungel – scheint zu stagnieren. Grenzlinien zwischen den Zonen lassen sich kaum ausmachen. Das baufällige Haus des Generalagenten Kurtz entspricht ganz dem „verlotterten“ Gesamtzustand des Stations-Ortes – wobei der Versuch der Abgrenzung durch einen Zaun die Züge zivilisatorischer Auflösung offenbart: Auf den Pfostenspitzen sind die Schädel erschlagener wilder Aufständischer aufgespießt: die Enklave scheint in ‚Wildnis‘ zurückgefallen. Wenn Marlow in diese diffusen Räumen eindringt, glaubt er, sich „auf prähistorischer Erde zu bewegen“, „auf einer Erde, die wie ein unbekannter Planet aussah“, bewohnt von „prähistorischen Menschen“. Das Maximum an Fremde erfährt er räumlich in der regungslosen, stummen Wildnis, zeitlich, indem er das Leben der Indigenen zurückverlegt in eine Phase vor dem Beginn der Geschichte: in einem geschichtslosen Sein gefangen, ohne Spur von Überlieferungen oder Zeugnissen kultureller Lösung aus dem ‚Gefängnis‘ der Natur. Eine derartige Erfahrung spiegelt nur die Weigerung des Europäers, sein Leben in seiner Welt als gleichzeitig mit dem Leben der Anderen in seiner Welt, jedoch auf demselben Planeten zu betrachten. Marlow stößt auf den schwarzen Indigenen, der in der Regel schon gezeichnet ist von der ‚Begegnung‘‚ mit den weißen Eroberern: auf den ‚Neger‘ als Opfer weißer Gewalt, als Diener oder Arbeitssklaven, auf den ‚Neger‘ als wilden Krieger – und vor allem auf die schwarze Frau an den Rändern der Wildnis. Die ‚black fellows‘ in ihrem Boot aus der InitiationsSzene begegnen Marlow nicht in der Wildnis, sondern in einer Zwischenzone – außerhalb ihrer Lebenswelt und außerhalb der weißen Stationen. So können sie Marlow in der „wilden Vitalität“ ihrer Körper-Bewegungen „natürlich und wahr“ erscheinen, in einem phantastischen Sinne noch ‚unberührt‘, ungezeichnet von der Begegnung mit den Fremden. Doch schon die Kanonen des Kriegsschiffes hatten eine andere Wahrheit

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bezeugt: die der obwaltenden Gewalt und der Todesdrohung. Auch die Wahrnehmung Marlows bezeugt schließlich eine andere Wahrheit: die nämlich jenes mächtigen Stereotyps, die ‚primitiven‘, schwarzen Wilden über ihre Körperlichkeit zu definieren: über „das Weiß ihrer Augäpfel“, über den „schweißüberströmten Körper“, über Muskeln und Knochen, über ihre „Gesichter wie groteske Masken“, die die ‚rassische‘ Differenz nur allzu deutlich hervortreten lassen; überdies beschränken sich ihre Äußerungsformen auf einen brüllend hervorgebrachten Sing-Sang. Dieses Stereotyp liegt mehr oder weniger allen Begegnungen mit dem Indigenen, ob in der Rolle des Opfers, des Sklaven oder des Kriegers, des Kannibalen oder der schwarzen Heroine, zugrunde. Das Stereotyp reduziert die Wahrnehmung der Fremdheit des Anderen auf die bloße Feststellung körperlicher Differenz: auf „absonderliche“ Körperbewegung, auf eigenartige Körper-Gestikulation, auf „seltsame“ Körperlaute. So ist von einem „Geschrei“ die Rede, das plötzlich aus dem Wald ertönt und von einem „Wirrwarr aus schwarzen Beinen, klatschenden Händen überall, stampfenden Füßen, sich wiegende Körper, rollende Augen, (das) hinter schwerem, bewegungslosen Blattgrün“375 zum Vorschein kommt. Oder Marlow sieht „eine Unmenge nackter, atmender, zitternder, bronzefarbener Körper“376, die aus dem Wald herausströmen. Oder Marlow hört bei der Ankunft einer Karawane von schwarzen Trägern, „das Trampeln vieler Füße“ und „seltsam rohe Laute, wild durcheinander“. Oder er macht „tief in der düsteren Blätterwildnis nackte Brüste, Arme, Beine, leuchtende Augen“ aus: „das Dickicht wimmelte von Menschengliedern“.377 Die Wahrnehmung des Beobachters erfasst (hier) nicht den Einzelnen, sondern allein den bedrohlichen Massen-Körper, den der ängstliche Blick zerlegt in seine Glieder und Teile; zu irgendeiner Form von Artikulation, von menschlicher Rede scheint dieser Massen-Körper nicht fähig zu sein; seine Auftritte vermitteln den Eindruck ungezügelter ‚Triebhaftigkeit‘, von Chaos und offensichtlicher ‚Zivilisationsferne‘. Marlow blickt aus der Ferne seines zivilisatorischen Standpunktes von außen zurück auf diesen ‚wilden Raum‘, wenn er mit seinem Dampfschiff auf dem Fluss immer nur vorbeifährt an dieser fremden Welt, die er selten betritt. An Bord des Schiffs, das „am Rand eines schwarzen und unverständlichen Wahnsinns entlangkeuchte“, sieht er sich „abgeschnitten vom Verständnis seiner (augenblicklichen) Umgebung“378. Eine Schlüsselstelle des Textes offenbart, dass Marlow, anders als der geheimnisumwitterte „Chef der Station im Innern“ Kurtz, die Schwelle zu dieser

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fremden Welt nicht überschritten hat und seine Initiation verfehlt bzw. verweigert hat: „We could not understand, because we were too far and could not remember, because we were travelling in the night of first ages, of those ages that are gone, leaving hardly asign – and no memories.“379

Marlow befindet sich nicht nur an einer fernen Stelle im Raum, sondern vor allem an einer fernen Stelle in der Zeit. Die Verzeitlichung des Schauplatzes im Inneren Afrikas versetzt ihn in einen imaginären vorgeschichtlichen Raum: Sie begünstigt die Vorstellung, er bewege sich auf „urzeitlichem“ Boden und sei „ein Wanderer auf prähistorischer Erde“; so errichtet er hohe Hürden des Verstehens und Erinnerns. Die Distanzen in der Zeit werden unüberbrückbar. Wie der gesunde Mensch entfernt bleibt von den Ausbrüchen der Irren in einem „Irrenhaus“, so trennt Marlow der Prozess der Geschichte von dem gegenwärtigen „Wahnsinn“ eines wilden Rituals. Im selben Augenblick ist er davon entlastet, die Gleichzeitigkeit von ‚rituellem Wahnsinn‘ in Afrika und ‚rationaler Normalität‘ in Europa zu akzeptieren. Über die Formel von der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen konnte der Mann des viktorianischen Zeitalters noch nicht verfügen. Alle Distanzierungs-Versuche des ‚Zivilisierten‘ von den ‚Wilden‘ kommen an eine Grenze: Das „Schlimmste“ lässt sich nicht aus der Welt schaffen, der Verdacht, dass diese animalischen Wesen „nicht unmenschlich waren“; „was uns erschreckte, war just der Gedanke an ihre Menschlichkeit – die unserer glich – der Gedanke an die entfernte Verwandtschaft mit diesem wilden und leidenschaftlichen Aufruhr.“380 Das Entsetzen des Kolonialisten, der aus der triebgezügelten Welt Europas kommt, über die triebentfesselte Welt der Afrikaner, rührt an den Kernpunkt des imperialen Rassismus dieses Zeitalters.381 Da man nicht leugnen konnte, dass auch der schwärzeste ‚Neger‘ der Gattung der Menschen zuzurechnen war, ließ sich umso rigider behaupten, dass er einer anderen Rasse als der Europäer angehören müsse. Die Doktrin einer fundamentalen Ungleichheit der Rassen wird den Wunsch nach endgültiger Ausrottung aller präzivilisatorischen ‚wilden‘ Restbestände auf Erden bestärken und begründen. In dem Postskriptum seines Berichts an die ‚Internationale

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Gesellschaft für die Unterdrückung wilder Bräuche‘ wird der Chef der Inneren Station, Kurtz, vermerken: „Exterminate all the brutes.“382 Auch wenn der Kolonialist einräumen muss, dass er es auch bei den Schwarzen Afrikas mit ‚Menschen‘ zu tun hat, kann er immer noch die Auslöschung von ‚menschlichen Scheusalen‘ (brutes) für geboten halten. Immer wieder kamen Europäer im Verlauf der kolonialen Revolution an diesen Punkt, die totale Auslöschung des ‚Anderen‘ – sei es der Heide, der Barbar, der Kannibale oder der rassisch Minderwertige – als notwendig anzusehen: Der ‚Primitive‘ und ‚Wilde‘ taugt weder zur Akkulturation noch zur Assimilation, er ist einer Zivilisierung oder Missionierung weder zugänglich noch würdig. Der Andere, der somit weder in seiner Existenzform akzeptiert ist, noch Zugang findet zur ‚Fremdkultur‘ der Okkupanten wird zurückgeworfen auf sein ‚nacktes Leben‘. In der Doktrin von der Ungleichheit der Rassen schlägt sich die Geschichte des Versagens der europäischen Kolonisatoren in der Begegnung mit dem indigenen Anderen nieder; immer schon leitete sich aus der Reduktion auf ‚nacktes Leben‘ (vgl. Kap. VI) die Lizenz zur Verfügung über den fremden Körper, schließlich zu seiner Tötung ab. Die UngleichheitsDoktrin des 19. Jahrhunderts liefert – wie wir wissen – die pseudowissenschaftliche Begründung jeder rassistischen Selektion, die nun mit dem Anspruch auftreten kann, die Auslöschung „niederer, geistig unterentwickelter Völker anderer Kontinente“383 im Dienste des evolutionsgeschichtlichen Fortschritts zu betreiben. 5) Marlow (Conrad) bewegt sich an den Rändern der Wildnis – zu Fuß und zu Schiff – und verweilt für kurze Zeit in den Stationen der Kompanie entlang des Kongo-Flusses. Die Fahrten mit dem Flussdampfer zumindest lassen nur eine bestimmte Art der Oberflächen-Wahrnehmung en passant zu; die „atemberaubende Wirklichkeit“ der Wildnis zieht wie im Film phasenhaft an seinem Auge vorüber; anfänglich hatte er davon gesprochen, dass sich alles wie vor einem „finsteren Bühnenhintergrund“ abspiele. Diese Sichtweise prägt die Wahrnehmung des fremden Anderen; ob es sich um eine Masse von schwarzen Körpern oder um einen Einzelnen handelt, immer ist das Auge gebannt von der äußeren Erscheinung des fremden Körpers, überwältigt von den sinnlichen Sensationen, die seine absonderlichen Bewegungen auslösen. Die Wahrnehmung des Europäers gelangt nicht zur Synthese eines ‚Bildes‘, sondern kommt über die punktuelle Aufnahme von Teilansichten nicht hinaus: Die Zerstü-

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ckelung offenbart nur, auf welche Weise eine wie immer geartete ‚Übersetzung‘ des rituell-fremden Körper-Geschehens in die eigene Sprache misslingen muss. Die schreckhafte Berührung mit der anderen Wirklichkeit der Indigenen führt lediglich zu einer Aufzeichnung von schockauslösenden Körper-Details: „heulen, hüpfen, herumwirbeln, grausliche Gesichter schneidend, schwarze Beine, klatschende Hände, stampfende Füße, sich wiegende Körper, rollende Augen, Geschrei und schrilles Gekreisch [...]“384 Den schwarzen Körper sieht das Auge des Europäers in der grotesken Theatralik seiner Bewegung und Gestik, seines ‚Kostüms‘ und seines unergründlichen ‚Schreis‘ – hier auf der ‚Original-Bühne‘ – aber schon wie auf allen späteren Präsentationen der Weltausstellungen in Paris und London oder den anthropologisch-zoologischen Ausstellungen des Hagenbeckschen Tierparks in Hamburg dem Voyeurismus des europäischen Publikums preisgegeben. Was für die Wahrnehmung und Beschreibung des (noch) freien schwarzen Indigen in seinem Lebensraum gilt, muss auch für den seiner Lebenswelt entrissenen Arbeitssklaven gelten: Den Heizer auf seinem Schiff sieht Marlow ähnlich ‚theatralisch‘ als den clownesk-primitiven Akteur in einer Farce; der Anblick des Schwarzen „mit spitzgefeilten Zähnen [...] und zu seltsamen Mustern geschorener Wolle auf seinem Schädel, mit drei Ziernarben auf jeder seiner Wangen“ – sei „so auf bauend wie der eines Hundes, der in Hosen und Federn auf Hinterbeinen geht“.385 Der Häuptling wird vorgestellt als ein ‚Wilder‘, der „leidenschaftlich durch die Nasenlöcher schnaubte, mit blutunterlaufenen, weit aufgerissenen Augen und blitzenden Zähnen“ die einzigen Sprachlaute hervorbringt, die von einem Schwarzen vernommen werden: In Bezug auf die aus dem Busch angreifenden Landsleute sagt er: „Fang sie [...] Gib sie uns“ – und auf die Frage, was er mit ihnen wolle: „Essen!“ (Eat’m).386 In jedem Schwarzen lauert der (verborgene) Kannibale. Im Kontext der weißen Arbeitswelt, herausgerissen aus ihrer Lebenswelt, abgerichtet zu Handgriffen an einer Maschine – „Knechte fremder Zauberkunst“ – erscheinen diese Wilden und Kannibalen in den Augen ihrer Herren vollends entstellt zu grotesken Wesen zwischen Mensch und Tier. In dieser Annahme eines zeitgenössisch ganz normalen „weißen Rassismus“ kann ich Chinua Achebe an dieser Stelle nur bestätigen.387 Auch an den schwarzen Opfern, denen Marlow im „grove of death“ begegnet, nimmt er anfangs lediglich die grotesken Entstellungen ihrer

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geschundenen Körper‘ wahr, sieht sie aber bald als die unglücklichen Insassen eines Sonderlagers, in dem ‚weltliche‘ Zuschreibungen wie etwa „Feinde“ zu sein oder „Kriminelle“ längst ihren Sinn eingebüßt haben: „Sie waren jetzt nichts Irdisches mehr – nur noch schwarze, kranke, verhungernde Schatten“ – „Gespenster [...] in allen erdenklichen Haltungen schmerzverkrümmter Erschöpfung“.388 Joseph Conrad vertieft seine Beobachtung: Er artikuliert – angesichts dieser namenlosen und sprachlosen Opfer – sein Erschrecken über die Praxis der Dehumanisierung und der Depersonalisierung, die in dieser Form erst im 20. Jahrhundert zum festen Bestandteil „totaler Herrschaft“ (H. Arendt) überhaupt avancieren sollte. Schon innerhalb des kolonialen Systems im 19. Jahrhundert – wie es sich auf menschenverachtende Weise im sog. État Indépendant du Congo Léopolds II etabliert hatte – ließ sich somit beobachten, wie die Entsorgung überflüssigen („inefficient“) Menschenmaterials („raw matter“) vonstatten ging. Weder konnte sie ihren Opfern irgendeine personale Identität zugestehen, noch die Rolle eines „Feindes“ oder „Kriminellen“, so dass sich der ganze zivilisatorische Apparat der Schuld- und Strafzumessung als inadäquat erweist und an seine Stelle ein Verfahren tritt, das sich an dem „in seiner ganzen Furchtbarkeit noch kaum geahnten neuen Begriff der Unerwünschten und Lebensuntauglichen“ orientierte. „Nur den Verbrecher kann man bestrafen, Unerwünschte, Lebensuntaugliche (und Überflüssige) läßt man von der Erdoberfläche verschwinden“.389 Conrads Beschreibung jener Sonderzone des Verschwindens („the moribunds shapes were free as air – and nearly as thin“)390 als „gloomy circle of some Inferno“ erfasst hellsichtig den kolonialen Prototyp aller zukünftigen Auslöschung überflüssigen ‚nackten Lebens‘. 6) Conrads autobiographisch-fiktionale Fortschreibung des ‚kolonialen Diskurses‘ aktualisiert die Pole von ‚Triumph‘ und ‚Katastrophe‘ europäischer Weltbemächtigung: Triumphal erscheint das britische Empire, das „mit dem Schwert in der Hand und oft mit der Fackel der Aufklärung“ den „Funken der heiligen Flamme“391 in die Welt getragen hat – katastrophisch dagegen die Nachtseite aller Bemächtigung durch Raub, Gewalt, Gier und Mord am „Ort der Finsternis“ – in Afrika: in Belgisch-Kongo. Die Begegnung mit dem fremden Anderen, dem schwarzen Afrikaner, ereignet sich im imaginären Spannungsfeld zwischen diesen Polen.

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Der ‚koloniale Diskurs‘ hat nun seit jeher der Begegnung mit der fremden ‚wilden‘ Frau eine besondere Bedeutung beigemessen – nicht nur dass ihr Körper zur Projektionsfläche von Wünschen und Begierden diente, sondern dass sie dem fremden europäischen Mann einen Zugang zu einer fremden Welt zu eröffnen schien, indem sie ihre eigene Fremdheit entschieden behauptete. In dieser Ambivalenz tritt die ‚wilde‘ Frau in Conrads Text auf: Ihr Auftritt ist untrennbar verbunden mit dem fremden Raum der Wildnis; sie erscheint unversehens an dem „dunklen Waldrand“ und „glitt in die Büsche zurück“, verschwindet ebenso unversehens wieder hinter „hohen Vegetationsmauern“, einer „gewaltige(n) Masse aus Stämmen, Ästen, Blättern, Zweigen, Lianen.“392 „Sie stand da und sah uns an, reglos und wie die Wildnis selber“.393 Keine andere Figur wird auf diese Weise dem ‚wilden Raum‘ des Urwaldes zugeordnet wie diese „wilde und prachtvolle Erscheinung einer Frau“, von der „etwas Unheildrohendes und Majestätisches“ ausging: Sie muss als seine allegorische Verkörperung gelten. Das Erleben der Wildnis geht dem Schock voraus, den der Auftritt dieser ‚phantastischen‘‚ Frau in „urzeitliche(m) Schmuck“ [...] mit „zahllosen Halsbändern aus Glasperlen, bizarren Gegenständen, Amulette(n) (und) Gaben von Hexern“ bei dem aus der Ferne beobachtenden Marlow auslöst. Die Wildnis hatte sich dem in den ‚schwarzen Kontinent‘ eindringenden Marlow von vornherein in der „atemberaubende(n) Wirklichkeit (ihres) verborgenen Lebens“ vorgestellt. Immer wieder erschreckt ihn „das Schweigen auf dem Gesicht der Unendlichkeit“, das eine „Bitte oder eine Drohung“ auszudrücken schien; immer wieder sieht er sich auf „ein(er) Reise zu den frühesten Tagen der Erde“ und fühlt sich verloren auf einem leeren Strom, in „großer Stille“ gegenüber einem „undurchdringlichen Wald“; er empfindet sich bedroht „angesichts der überschwemmenden Wirklichkeit dieser fremdartigen Welt“; das „Schweigen des Lebens“ erfährt er angstvoll als das „Schweigen einer gnadenlosen Macht“.394 Im Prätext seiner Erzählung, als von der römischen Okkupation Britanniens die Rede ist, unterstellt er den römischen Eroberern, die gleich ihm in die „reine Wildnis“ eindringen, seine eigenen afrikanischen Wahrnehmungen; wie Marlow sind sie von dem „geheimnisvollen Leben der Wildnis“ umschlossen. Es gibt keine Einweihung in diese Geheimnisse – „There is no initiation either into such mysteries“ – man muss sich

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abfinden mit dem Unverständlichen, das widerwärtig und faszinierend zugleich ist. Das Schlüsselwort ist das einer Faszination des Schrecklichen, des Grauenvollen: „The fascination of the abomination“.395 Es ist dieses Schlüsselwort, das auf eine Eigenart des euro-perspektivischen Blicks auf die Fremde verweist. Immer wenn das erste Erschrecken zu übermächtig ist, um eine ‚Initiation‘ in die fremde Welt überhaupt noch sinnvoll erscheinen zu lassen, bleibt das Auge der Oberfläche verhaftet. Der Blick von ‚außen‘, aus der Distanz, inszeniert das „Unbegreifliche“ („the incomprehensible“) und das zugleich „Abscheuliche“ („the destable“) der Fremde als ästhetisches Ereignis: So ereignet sich der Auftritt der unheildrohenden, majestätischen wilden Frau wie auf einer Bühne – wie in einem ‚tragischen‘ Schauspiel: eine verzweifelte Heroine, „Haare in der Form eines Helmes [...] Beinschutz aus Messing [...] einen karmesinroten Fleck auf jeder der hellbraunen Wangen“, gezeichnet von „wilde(m) Schmerz und stumm(en) Leiden“, „wild und großartig, glutäugig und herrlich“: „eine ungeheure Stille hing über der Szene.“397 Es ist der theatralische Augenblick, in dem es zu der „Berührung zweier kultureller Wirklichkeiten“ kommt: der Lebenswelt der weißen Zuschauer auf dem Dampfer am Fluss und der Lebenswelt der Schwarzen, die aus der Wildnis kommend an Ufer erscheinen: „schwarze Schatten von Menschen“; „zwei Bronzefiguren, mit riesigen Speeren in den Händen und phantastischen Kopf bedeckungen“ begleiten die schwarze Frau; es bleibt eine sprachlose stumme ‚Berührung‘, aus der keine ‚Übersetzung‘ in den Kontext der jeweils eigenen Kultur erfolgen kann. Die wilde Frau ist symbiotisch mit dem „gewaltigen Körper des fruchtbaren geheimnisvollen Lebens“ der Wildnis verbunden, der in ihr „das Bild seiner eigenen dunklen und leidenschaftlichen Seele“ erblickt; aus dieser Symbiose erwachsen der ‚wilden Frau‘ ebenso geheimnisvolle und dunkle Kräfte. Sie gebietet über die schwarzen Krieger, die auf ihren Wink plötzlich aus dem Busch stürzen und sich bedrohlich um den Dampfer der weißen Männer scharen. Sie richtet den ‚bösen Blick‘ unerschütterlich und fest auf die fremden Weißen, die gebannt in Erwartung irgendeiner Ungeheuerlichkeit erstarren. Sie ist die Einzige unter den Schwarzen, die den weißen Männern auf ‚Augenhöhe‘ entgegentritt – und zwar in dem Moment, als jener mächtige ‚weiße Mann‘, Kurtz, der geheimnisumwitterte Chef der inneren Station, krank, geschwächt auf

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einer Bahre aus ihrer Zone der Wildnis herausgetragen wird; er, der das ‚wilde Leben‘ mit ihr eine Zeitlang geteilt und das Wagnis einer Initiation in die fremde Welt auf sich genommen hat, kehrt zurück in die Zone der kolonialen (Schein)Ordnung als ein „Zerstörter“: Die ‚Wildnis‘ – verkörpert in der wilden Frau – „hatte ihn genommen, geliebt, umarmt, war in seine Adern eingedrungen, hatte sein Fleisch verschlungen und seine Seele durch irgendwelche unvorstellbaren teuflischen Initiationszeremonien an die ihre gekettet.“398 Der ‚weiße Mann‘, der ausgezogen war, sich der Wildnis zu bemächtigen, die verbliebenen dunklen Orte dieser Erde zu kolonisieren, sie dem Chaos zu entreißen und ihre „Götzendiener“ zum Verschwinden zu bringen, scheitert. Mit ihm gescheitert ist ein koloniales Programm, das sich an den Extremen von ‚Zivilisieren‘ und ‚Vernichten‘ orientierte. Die ‚Wildnis‘ hatte gesiegt; ihren Triumph begleitete „ein überschwemmendes und rachedurstiges Gefühl“399: eine für den europäischen ‚kolonialen Diskurs‘ überraschende Pointe. Die „teuflischen Initiationszeremonien“ hatten ja gerade das Ziel, die Bemächtigungsphantasien des weißen Herren und Meisters (Kurtz) gegenüber der fremden Natur und dem fremden Anderen (kurzfristig) in Nichts aufzulösen, seinen zivilisatorischen Auftrag zu unterlaufen. Der wilden Frau im Bunde mit Hexern und Schamanen, vielleicht selbst eine Zauberin, wird den weißen Männer zu einem Faszinosum: ihre Erscheinung und ihr ‚böser Blick‘ lösen ambivalente Gefühle aus: „Abscheu“(„disgust“) ebenso wie „Unterwerfung“(„surrender“) oder „Hass“(„hate“). In der Exotisierung dieser ‚Wilden‘ aber gelingt so etwas wie die ästhetische Neutralisierung des Bedrohlich-Fremden. Der wilden Frau aus dem Kongo wächst die Aura des Exotisch-Interessanten aber auch in Relation zu der ‚zivilisierten Frau‘ aus dem europäischen Brüssel zu; während die wilde Geliebte des ‚Meisters‘ ganz als Verkörperung „des geheimnisvollen L e b e n s“ der Wildnis auftritt, erscheint die leidende, zivilisierte Verlobte als Verkörperung des dahinschwindenden Lebens und der T o d e s-Nähe; während die schwarze Frau ihren Auftritt inmitten einer „wilden Menge“ von Kriegern hat, begleitet „vom Dröhnen der Trommeln“, am Rande des „düsteren Waldes“, im Schein glühender Feuer, trifft Marlow die weiße Verlobte in ihrem dämmrigen Zimmer an, dessen Möbel schon die Zeichen des T o d e s tragen: der Marmorkamin, kalt wie „ein weißes Denkmal“, ein Klavier wie „ein polierter Sarkophag“. Und wenn sich zudem der Außenraum der Stadt Brüssel wie „eine Totengruft“ ausnimmt, wo „hundsgewöhnliche Individuen ihren Geschäften

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[...] nachgehen, befangen in bedeutungslosen und dummen Träumen“400 – so erweist sich die Zivilisationswelt Europas in dem Jahrzehnt vor dem Ausbruch des ersten Weltkrieges gegenüber dem Geheimnis Afrikas: „der atemberaubenden Wirklichkeit seines verborgenen Lebens“401, nur noch als nichtig, abgestorben, in der sterilen Ordnung seiner Kultur erstarrt. Zur selben Stunde, zu der die menschenverachtende Praxis der Ausbeutung und Unterwerfung der Kongo-Kolonie während des Kautschukbooms in den neunziger Jahren zu den schlimmsten Mord- und Strafexzessen führte402 – in demselben Jahren, in denen die imperiale Inbesitznahme des afrikanischen Kontinents als abgeschlossen gelten konnte – und die europäischen Kolonialmächte 68 Prozent der Weltfläche unter sich aufgeteilt hatten403 – zu eben diesem Epochen-Augenblick setzt die ‚massive‘ literarische Exotisierung der unterworfenen Räume und ihrer eingeborenen Völkerschaften ein. Die Exotisierung der indigenen Welten leitet eine Form der ästhetisch-mentalen Ausbeutung ein, die gerade das für sich ‚bewahren‘ will, was die materiell-ökonomische Ausbeutung zerstören muss.404 Indem man plötzlich die ‚primitive‘ Existenzform nicht mehr (nur) als vorzivilisatorischen Restbestand ansah, sondern sie als den natürlichen Lebensquellen nahe exotisierte, konnte sie dazu dienen, die eigenen Defizite der Natur- und Lebensferne zu kompensieren. In der Genealogie dieses Stereotyps der ‚wilden Frau‘ ist Gustave Flauberts ägyptisch-orientalische Kurtisane und Tänzerin Ruchiouk Hanem eine weitläufige Verwandte der stolzen Wilden aus dem Kongo. „Ein großes, prächtiges Geschöpf [...] ihre Haut [...] leicht kaffeebraun [...] ihre Augen [...] schwarz und übergroß [...] Brauen schwarz [...] Nasenflügel gekerbt [...] üppige Brüste [...] (sie) trug einen breiten Tarbusch [...] geschmückt mit einer goldenen Scheibe (und) einer dreifachen Halskette aus dicken hohlen Goldkörnern [...] am Arm tätowiert [...]“405: auffällig die detaillierte Beschreibung der äußerlich-körperlichen Erscheinung. Flaubert trifft sie auf seiner Orientreise 1849-1850 im Süden Ägyptens. Conrad und Flaubert gehören zu jener Generation von europäischen Reisenden, deren neu gewecktes Interesse „den Erscheinungsformen nicht-domestizierten ‚wilden‘ oder archaischen Lebens“ im kolonialen Afrika gilt: es geht ihnen um die Sensation der „drastischen Abweichung von der Monotonie, der Biederkeit und Häßlichkeit“406 des bürgerlichen Alltags – sei es nun in Paris oder in Brüssel.

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Die exotisierte indigene Frau wird dem weißen Mann zum idealen Objekt, an dem sich die ‚Erscheinungsformen nicht-domestizierten wilden Lebens‘ in drastischer Abweichung vom Bild der zivilisierten-‚gezähmten‘ Frau so eindeutig zu zeigen scheinen. In Conrads Text vertritt – wie schon erwähnt – die bleichgesichtige, blonde Brüsseler Verlobte die europäische Rollennorm. Wenn der koloniale Diskurs sich um die Jahrhundertwende – im Bewusstsein der europäischen Weltbemächtigung – der exotischen Verklärung des kolonialen Raums und seiner Eingeborenen widmet, dann immer in der Weise einer weiteren (nunmehr) ästhetischen Eingemeindung des Fremden-Anderen (vgl. Kap. IV). Als Tendenz hatte sich abgezeichnet, exotische Räume als Heterotopien dem Imperium einzuverleiben. So thematisiert der koloniale Diskurs bekanntlich die Sehnsüchte (männlicher) Zivilisationsflüchtlinge, die den Erfolg ihrer Heilssuche auf fernen tropischen Eilanden abhängig machen von der fremden Eingeborenen. Als Paul Gauguin 1891 – im Jahr der Rückkehr Conrads aus dem Kongo – auf seiner Europa-Flucht in Tahiti eintraf, war ihm das exotische ‚Abweichungs-Erlebnis‘ in Papeete schon versagt: „Dies war ja Europa – das Europa, von dem ich mich befreit zu haben glaubte [...]“. (Noa-Noa)407 Erst im Inneren der Insel wird er Tehura, seine wilde Maori-Frau, finden, die ihm dazu verhilft, den „alten Kulturmenschen“ in sich absterben zu lassen. Auch Pierre Loti (Julien Viaud) sucht und findet auf Tahiti, das 1872 – zur Spielzeit seines Bestsellers ‚Le Mariage de Loti‘ von 1880 – schon lange französisches ‚Protektorat‘ ist, seine polynesische Geliebte Rarahu. Aber auch die Exotisierung der Fremde und des Fremden ist schließlich nichts anderes als eine Variante ihrer Europäisierung: „La civilisation d’Europe ne peut que nuire aux indigénes, elle les tue déjà [...]“408 Texte wie die Lotis (Aziyadé suivi Fantome d’Orient, 1879, Le Mariage den Loti, 1880 etc.) lösten eine Welle exotistischer Literatur in Europa aus. Die prägende Grundfigur des kolonialen Diskurses, den Triumph der Herrschaft auf das Elend der Beherrschten zu beziehen, wird in dieser Literatur aufgegeben – zugunsten der einseitigen ‚Verklärung‘ des kolonialen Raums als Flucht- und „Kompensations-Hetereotopie“ (Foucault), der indigenen Frau als exotisches Objekt der Begierde. Wenn man diese Texte überhaupt noch dem ‚kolonialen Diskurs‘ zurechnen will, dann nur noch in der Form des ‚narzisstischen Monologs‘, der um die eigene Heilssuche kreist.

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7) Der Täter: So wie die „wilde und großartige“ schwarze Heroine die Wildnis verkörpert, so kann ihr ‚counterpart‘, der Kolonialherr Kurtz als die Verkörperung Europas gelten: „All Europe contributed to the making of Kurtz: The original Kurtz had been educated partly in England [...]. His mother was half-English, his father was half-French.“409

Dem Konstrukt dieser Hauptfigur werden Rollen, Attitüden, Haltungen, Vorstellungen und Vorurteile etc. zugeschrieben, über die Europa zeitgenössisch verfügt und seine ‚natürliche‘ Vormachtstellung in der Welt begründet. • So tritt Kurtz auf als Philanthrop und Weltverbesserer, den die ‚Internationale Gesellschaft für die Unterdrückung wilder Bräuche‘ beauftragt, einen Bericht zu schreiben; Kurtz argumentiert im Sinne der evolutionsgeschichtlichen Doktrin, nach der die Weißen den derzeit höchsten Entwicklungsstand erreicht haben; so kann er sich als „Botschafter der Barmherzigkeit und der Wissenschaft und des Fortschritts“ verstehen, dem die Aufgabe der Zivilisierung der ‚wilden Welt‘ zukommt. • Kurtz repräsentiert als das vorgebliche „Universalgenie“ – als Musiker, Maler, Philosoph, Dichter, Rhetor und Journalist – das kulturelle Potential Europas. • Kurtz ist der von Gier ergriffene Kolonialist und Ausbeuter, der in Raubzügen „mehr Elfenbein als alle anderen Agenten zusammen gesammelt, getauscht, erschwindelt oder gestohlen hat“;410 er ist von der Hybris getrieben, alles könne und müsse ihm gehören: „mein Elfenbein, meine Station, mein Fluß [...].“ • Kurtz ist brutaler Kolonialherr, der die Schädel von hingerichteten Aufständischen vor seinem Haus auf Pfosten zur Schau stellt und der in einem Postskriptum seines Berichts an die Internationale Gesellschaft den Satz vermerkt: „Exterminate all the brutes!“411 • Kurtz ist der Abenteurer, der jenseits der gefahren- und risikoentlasteten bürgerlichen Welt das nicht-domestizierte Leben sucht und der Wildnis „mit seiner eigenen Substanz [...] mit seiner eigenen angeborenen Kraft“ begegnen will.

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• Am Ende erscheint Kurtz als der hohle Schwindler oder Scharlatan („the hollow sham“), der den „teuflischen Initiationszeremonien“ erlegen ist, dem die Wildnis „in seine Adern eingedrungen“ ist und „seine Seele an sich gekettet hat“ und ihn zugrunde richtet. „Das Grauen! Das Grauen!“ – sind die letzten Worte, die man kurz vor seinem Tode von ihm vernimmt: „He cried in a whisper at some image, at some vision – he cried out twice, a cry that was no more than a breath – The horror! The horror!“412 Elfenbeinausbeute im ‚Freistaat Kongo‘

(Spiegel online: Nachrichten>einestages>Kolonialzeit>Bürgerkrieg im Kongo, 07.11.2016)

Die Kurtz-Figur trägt in allen Widersprüchen, Paradoxien und Antinomien das Doppelgesicht Eurropas. Die Herausforderung des gänzlich Fremden wird das in die Weite der Welt strebende Europa nicht anders als mit dieser Strategie des ‚doppelten Blicks‘ beantworten können. Den Indigenen der anderen Welt wird der Europäer doppelgesichtig erschei-

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nen müssen; er zeigt ihnen das Gesicht des Heilsbringers und des Vernichters gleichermaßen und versetzt sie in eine ‚double-bind-Situation‘. Wenn Kurtz als Botschafter der Barmherzigkeit, der Wissenschaft und des Fortschritts auftreten möchte und gleichzeitig die Botschaft der ‚Extermination‘ der schwarzen Scheusale kommuniziert, offenbart sich das Janusgesicht Europas in einer Kernaussage. Joseph Conrad verschlüsselt in diesem Punkt den realgeschichtlichen Kontext des Erwerbs der Kongo-Kolonie durch Léopold II: den Widerspruch ‚menschenfreundlicher‘ Motive und ‚menschenverachtender‘ kolonialer Praxis. Die Berliner Konferenz von 1884/5 hatte – bekanntlich – dem belgischen König das gewaltige Territorium der Kongo-Region unter der Bedingung zugesprochen, dass Neutralität, Freihandel und Absage an jegliche Art der Sklaverei gewährleistet sei. Unter dem „philanthropischen“ Deckmantel der Zivilisierung und Förderung der christlichen Mission und des Kampfes gegen den arabischen Sklavenhandel entstand im Kongo ein grausames System der Sklavenwirtschaft, das durch Ausrottungen, Mordaktionen, Strafexpeditionen und ‚Spezialitäten‘ wie das berüchtigte Abhacken von Händen und andere Verstümmelungen unrühmlich von sich Reden machte.413 Der Vorsatz einer Zivilisierung Afrikas, der Befreiung seiner Einwohner von abergläubisch „wilden Bräuchen“ schließt die evolutionsgeschichtlich begründete Vorstellung einer Auslöschung niederer wilder Rassen nicht aus. Conrad legt seiner Figur ‚Kurtz‘ einen Satz in den Mund („Exterminate all the brutes!“), der als ein Darwin-Zitat gelesen werden muss. In ‚The Descent of Man‘ von 1871 hieß es: „At some future period, not very distant as measured by centuries, the civilized races of man will almost certainly e x t e r m i n a t e, and replace, the savage races throughout the world.“414 ‚Doppelgesichtig‘ erscheint der Europäer (Kurtz), wenn er als ‚Abenteurer‘ angezogen wird vom „stummen Zauber der Wildnis“, sich verlocken lässt, die Grenzen der zivilisatorisch erlaubten ‚Neugier zu überschreiten‘415 und gleichzeitig als Kolonialherr am selben Ort seine Macht über Tod und Leben demonstriert, indem er z.B. die Schrumpfköpfe erschlagener schwarzer Rebellen zur Schau stellt. (Im übrigen zitiert auch dieses Detail einen realen Vorfall: Nach einer Strafexpedition hatte der belgische Capitain der ‚Force Publique‘ Léon

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Rom 21 Köpfe mitgebracht und als Dekoration um ein Blumenbeet vor seinem Haus derselben ‚Inner Station‘ an den Stanley Falls aufgestellt.)416 Janusgesichtig begegnet ‚Europa‘ dem Indigenen in seiner Welt: Einerseits zerstören Europas Raub- und Vernichtungszüge die Lebenswelten aller Indigenen dieser Welt, andererseits erwacht jenes exotistische Interesse an der Andersartigkeit und ‚Irrationalität‘ dieser wilden Lebenswelten. Einerseits soll die Welt der Wilden von den barbarischen Bräuchen gesäubert werden, andererseits sind es diese Mythen, Rituale und Kulte, die jene Angstlust auslösen, sich für ekstatische Momente der eigenen kulturellen Disziplin zu entziehen, sich der entfesselten (Trieb)Welt der ‚savage races‘ anzunähern. Der Europäer wird immer wieder das Opfer seiner eigenen Phantasmen, Projektionen und Konstrukte. Folgerichtig lässt Conrad seine Figur des zwielichtigen ‚Universalgenies‘ und ‚kolonialen Raubritters‘ auf dem Flussdampfer Marlows sterben mit dem Schrei: „Das Grauen! Das Grauen!“ Folgerichtig könnte sich das Grauen (The horror!) auf das Scheitern seines privaten Abenteuers beziehen, auf das Scheitern des zivilisatorischen Programms und somit auf die Fortdauer jener unerträglichen „dumpfen Reglosigkeit des Dschungels“, „abgeschottet gegen das menschliche Denken“, jener trostlosen ‚Unmündigkeit‘ der schwarzen Eingeborenen; schließlich könnte sich sein Grauen auf den skandalösen Fortbestand der Triebentzügelung, des Götzendienstes – inmitten einer aufgeklärten weißen Welt – beziehen. Das Grauen könnte sich beziehen auf die im eigenen Unbewussten schlummernden ‚dunklen Anteile‘, über die jeder Weiße sich als verwandt mit jenen Wesen, halb Mensch, halb Tier, betrachten müsste, auf die Begegnung mit dem ‚wilden‘ Anderen in sich selbst. Das Grauen könnte sich aber auch beziehen auf die Entdeckung der eigenen Hohlheit – einer Leere, die im kolonialen Kontext der Machtfülle des einzelnen Weißen gegenüber dem Indigenen der Moral jegliches Stützwerk entzieht, sodass „monströse Leidenschaften“ und „brutale Instinkte“ hervortreten können; „nichts auf Erden (kann) ihn daran hindern, jeden zu töten, den er töten (will)“.417 Am Ende könnte sich das Grauen auf den Albtraum des Nichts beziehen, auf die Ahnung, dass die kulturelle Ordnung nur auf dünnem Eis über dem Abgrund errichtet ist. Oder es ist nichts anderes als der xenophobe ‚weiße‘ „horror of the degenerancy of the human nature“ an-

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gesichts des schwarzen Kannibalen, von dem schon Defoes Robinson erfasst wurde. In dieser Täter-Bilanz haben offenbar die Opfer keinen Platz. Im Vordergrund stehen die Ängste und Sorgen des weißen Mannes, dessen Auftrag es ist, „mit der Finsternis fertig zu werden“, die „Eroberung der Erde“ an den ‚dark places‘ dieser Welt zu vollenden, „die Fackel der Aufklärung“ auch nach Afrika zu tragen: an „den Ort der Finsternis“ par excellence. An keinem anderen Ort der Welt tritt aus eurozentrischer Perspektive die rassistische Differenz von „civlized races (und) savage races“ so deutlich zu Tage – zeigt sich das Janusgesicht Europas so unverhüllt. Die Fallgeschichte des Stationschefs Kurtz erhält aus der Sicht Marlows eine paradigmatische Bedeutung. Wenn diese Figur als Verkörperung des idealen Kolonial-Europäers gelten kann, wird man in seinem Scheitern auch das Scheitern jener janusgesichtigen Kolonialpolitik Europas überhaupt sehen können. Während die Fallgeschichte somit als die Geschichte des gescheiterten Versuchs gelesen werden kann, auf irgendeine Weise mit dem ‚wilden Anderen‘, mit der Fremdheit des wilden Raums zu kommunizieren, lassen die ‚Protokolle‘ Marlows erkennen, dass der Versuch einer ‚Kommunikation‘ aus der Distanz garnicht erst unternommen wird. Die Wildnis begegnet Marlow schweigend als „geräuschloses Leben“, „stummes Etwas“; der Wilde tritt ihm sprachlos gegenüber, unartikuliert „Ketten wahnsinniger Wörter“ schreiend, „die in nichts den Klängen menschlicher Sprache gleichen“.418 Irritiert verharrt er vor der „fremdartigen Welt aus Pflanzen und Wasser und Stille“; als bedrohlich und „rachsüchtig“ empfindet er „das Schweigen einer gnadenlosen Macht“;419 entsetzt fällt sein Blick auf die Masse nackter Körper, auf Stereotypen des ‚unglücklichen Wilden‘ des leidenden, geprügelten Sklaven, des grotesken Kriegers, des furchtbaren Hexers, des lächerlichen Domestiken, des „unterwürfigen Götzendieners“ etc. Schließlich fällt der Angst-Blick des weißen Mannes auf die schwarze Frau – halb Zauberin, halb Hetäre, halb Hexe, halb Amazone, auf der Schwelle von Vergangenheit und Zukunft gleichermaßen: So erinnert die majestätisch und unheildrohend auftretende schwarze Frau, begleitet von „zwei Bronzefiguren mit riesigen Speeren [...] und phantastischen Kopf bedeckungen“ und einer Masse von Kriegern, ganz von fern an die Allegorie der ‚Liberté‘ auf dem Bild von Eugène Delacroix aus dem Jahre 1830, wo diese mit entblößten Brüsten, begleitet von einer ‚Masse‘ von Revolutionskämpfern, über männliche Leichen vorausschreitet: „eine seltsame Mischung“ – wie Heine schreibt – „von Phryne, Poissarde und

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Freiheitsgöttin“. Die wilde schwarze Frau erscheint als ein Phantom „der frühen Tage der Erde“ ebenso wie eine Verheißung des Kommenden: den Sieg des ‚Lebens‘ über das sieche Europa. Die weiße Heroine führt in die Zukunft aller Freiheiten, Emanzipationen und Ablösungen, die schwarze Heroine erinnert den weißen Mann an die Ursprünge der Einheit von Mensch und Natur und imaginiert eine Zukunft jenseits der Geschichte Europas. Zusammenfassend: Der autobiographische-fiktionale Text Conrads ‚Heart of Darkness‘ von 1899 kann als die bislang dichteste Form einer Narrativierung des ‚kolonialen Diskurses‘ verstanden werden. Auch wenn der Text an der Fundamental-Opposition von „civilized races“ vs. „savage races“ als Rahmen aller Beschreibung festhält, werden dennoch vereinfachende Anschluss-Dichotomien – z.B. nach dem Täter-Opfer-Schema – immer wieder ‚relational‘ aufgelöst. Täter können zu Opfern werden, Opfer zu Tätern. So werden unterschiedlichste Formen der ‚Begegnung‘, ‚Berührung‘, des ‚Zusammenstoßes‘ etc. zueinander in Relation gesetzt; unterschiedliche Typen von Tätern treffen auf unterschiedliche Typen von Opfern, unterschiedliche Formen von Aktionen und Reaktionen an verschiedenen Orten zu verschiedenen Zeiten werden zueinander in Beziehung gebracht etc. So entsteht ein äußerst komplexes Bild, das trotz aller relationalen Offenheit einer Perspektive verhaftet bleibt: der Perspektive des europäischen Beobachters, der sich – im Falle Conrads – allerdings auf das ‚authentische‘ Erlebnis einer ‚realen‘ Reise berufen kann. Die ethnozentrische Sichtweise Conrads ist dafür verantwortlich, dass der ‚wilde Andere‘ nirgends zu Wort kommt: Aus der Sicht des reisenden Europäers erscheint er ‚sprachlos‘, sich in Lauten äußernd, „die in nichts einer menschlichen Sprache“ gleichen. Die Einsicht,dass es sich um eine reziprok misslingende Kommunikation handeln könnte, die durch die Unkenntnis des weißen Mannes mit verursacht ist, bleibt dem Europäer, im Bewusstsein seiner kulturellen Überlegenheit, versagt. So verbleibt auch Conrads komplexer Diskurs in den Grenzen des zeitgenössisch üblichen „narzisstischen Monologs des Westens“. Das narzisstische Element tritt in der schwerpunktmäßigen Thematisierung von Befindlichkeiten des weißen Mannes in der unwirtlichen Fremde des afrikanischen Dschungels zu Tage. So rückt das Sterben und der Tod des ‚Stationschefs‘ Kurtz auf dem Flussdampfer als eine Schlüsselszene in den Mittelpunkt der erzählten Geschichte. Auch die antithetische Schlüsselszene des Auftritts der schwarzen Heroine und ‚Königin

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der Wildnis‘ – als Epiphanie ‚urzeitlichen Lebens‘ wie als ‚Prophetin‘ einer „unheildrohenden“ Zukunft – gewinnt ihre Bedeutung erst in Relation zu der Figur des todkranken Kolonialherren, der in diesem Moment ihres Auftritts aus der Wildnis in die Zone der zivilisierten ‚alten‘ Welt zurückgetragen wird. Der ethnozentrischen Wahrnehmung verdankt sich das Leitmotiv der ‚schweigenden Wildnis‘; der Beobachter, der aus dem kulturellen Resonanzraum Europas verschlagen ist in den – für ihn – unbezeichneten Fremdraum des afrikanischen Urwalds, sieht sich zu einer Kommunikation außerstande; seine kulturspezifische ‚mental map‘ verhilft ihm nicht zu einer befriedigenden Orientierung im Raum; in dem Maße wie die Aneignung des fremden Raums misslingt, löst das bedeutungsleere ‚weiße Rauschen‘ in dem Reisenden Gefühle der Bedrohung und der Verlorenheit aus. In der Folge dieses Misslingens jeglicher Verständigung mit dem Anderen – „dem geheimnisvollen Leben der Wildheit, die sich [...] in den Wäldern (und) in den Herzen der Eingeborenen regt“420 – verfällt der Europäer in einer Art Übersprunghandlung darauf, die widerständige und widerwärtige Fremde zu exotisieren: Er unterwirft sich die „unverständliche“ Fremde, indem er sie ästhetisch ‚eingemeindet‘; sie kann ihm nun zum Objekt einer Faszination des ‚Abscheulichen‘ – „fascination of the abomination“421 – werden: ein weiteres Schlüsselwort des Textes. Die rassistische Wahrnehmung des schwarzen Afrikaners (aus der Sicht Marlows) liegt dem (kurzfristig) geäußerten Zweifel an dessen Zugehörigkeit zur menschlichen Spezies ebenso zu Grunde wie die durchgängig Deklassierung zum bloßen Körper, in seiner animalischen Nacktheit und Sprachlosigkeit. In der ethnozentrischen, exotistischen und rassistischen Sichtweise, sowie in der Attitüde des ‚narzisstisch-monologischen‘ Sprechens erweist sich zumindest Conrads Figur Marlow als Bürger des viktorianisch-imperialen Zeitalters – was nicht ausschließt, dass Marlow sich aus diesem zeitgenössischen Kontext lösen kann und zum Kritiker der kolonialen Praxis werden kann – vornehmlich wenn es um belgisches Fehlverhalten geht. Conrads Text aber erscheint authentisch gerade auf Grund seiner hochgradigen Ambiguitäten. Das Konzept der drei Sichtpunkte: des unsichtbaren Autors – des impliziten Beobachters und Erzählers Marlow – und des kolonialen ‚Großtäters‘ Kurtz, lässt Überschneidungen zu und macht Differenz deutlich.

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Die Kritik des kolonialen Systems erfolgt somit aus der Sichtweise des ‚unsichtbaren‘ Autors Conrad und (teilweise) seines Sprachrohrs Marlow; sie hat sich zu bewähren in der Beschreibung der kolonialen Gräuel im Kongo und in der Abgrenzung zu dem privaten Kolonial-Experiment des ‚europäischen Universalgenies‘ Kurtz.

S chlüsselstellen dieser S ystem -K ritik enthüllen das J anusgesicht E uropas Die Opposition der kolonialen Zentren: London vs. Brüssel verweist auf die ‚Tag‘- und ‚Nacht‘-Seite des europäischen Kolonialismus; das ‚gute‘ System des britischen Empires trägt die Fackel der Aufklärung in die Welt; das ‚böse‘ System der belgischen Kongo-Kolonie steuert von den düsteren Büros der Société Anonym Belge pour le Commerce du Haut-Congo ein Schreckensregiment im Inneren Afrikas. Den strahlenden britischen Kolonial-Helden stehen „die Teufel der Gewalt, der Gier und des heißen Verlangens“ gegenüber – den „Generälen der East-India-Company“ die „schlaffen [...] eingebildeten Teufel eines räuberischen mitleidlosen Wahnsinns“ im Belgisch-Kongo. Die Opposition von ‚dark places‘ des Todes und ‚weißen Zonen‘ bürokratischer Gewalt verweist auf den obszönen kolonialen Alltag: „The gloomy circle of some Inferno“ – der Todeshain sterbender Sklaven – in unmittelbarer Nachbarschaft zum Stationsbüro; hier die Entsorgung ‚überflüssigen Menschenmaterials‘ – dort die kühle Verrechnung der Ausbeutungsgewinne. Die Opposition von ‚Auslöschung‘ und ‚Humanisierung‘ legt Positionen fest im Rahmen der Leit-Opposition von „civilized races“ und „savage races“. „Exterminate all the brutes!“ kann dann als Auftrag zur Auslöschung der ‚schwarzen Scheusale‘ neben dem Auftrag zu ihrer Zivilisierung stehen: „Each station shoud be a beacon on the road towards better things, a centre for trade of course, but also for humanising, improving, instructing.“422 – als Aussage ein und derselben Person (Kurtz). ‚Heart of Darkness‘, publiziert im letzten Jahr des ausgehenden 19. Jahrhunderts, muss als das literarische Schlusskapitel angesehen werden in der langen Reihe von Texten, die den ‚kolonialen Diskurs‘ in Form der literarischen Erzählung fortgeschrieben haben. Conrads Text aktuali-

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siert und kumuliert noch einmal alle Topoi und Stereotypen des Diskurses: so in den Gegenüberstellungen des ‚Zivilisierten‘ und des ‚Wilden‘, des überlegenen ‚Weißen‘ und des in jeder Hinsicht unterlegenen Indigenen, des weißen Mannes und der irritierenden indigenen Frau, des europäischen Kultur-Raums und des wilden Natur-Raums als ‚terra nullius‘, als exotische Wildnis, als quasi-paradiesischer Ursprungsort, schließlich im vertrauten Rollenbild von Herr und Knecht etc. Conrad verleiht dem Diskurs die Transparenz der perspektivischen Vielfalt und die Ambiguität der Relationierungen. Der Text formuliert die Kritik des europäischen Kolonialismus eindeutig und exemplarisch als Kritik der Janusgesichtigkeit Europas; er übergibt die Inhalte des Diskurses an das neue Jahrhundert. Eine derart dichte und polyvalente Artikulation des kolonialen Diskurses wird literarisch aus europäischer Perspektive nicht mehr erscheinen. Es beginnt für das neue 20. Jahrhundert die Zeit des Diskurses aus der Perspektive der Kolonisierten – und mit dem Siegeszug des Bild-Mediums die Zeit des fotografisch-filmischen artikulierten Diskurses. Joseph Conrad verfasst seinen Text an einer Zeitenwende423 zwischen 1890, dem Jahr seines Auf bruchs nach Afrika und 1899, dem Jahr der Publikation seines Buches, feierte die Königin Victoria 1892 ihr‚Diamond Jubilee‘, zu dem man sich gleichzeitig beglückwünschen konnte, dass „a quarter of the human race was subject to the Queen“.424 Die „Aufteilung Afrikas“ unter die europäischen Mächte galt als abgeschlossen. 1898 wurde der erste (und letzte) zeitweise erfolgreiche sog. Madhi-Aufstand muslimischer Afrikaner von den Briten (unter Kitchner) und unter Einsatz modernster Waffentechnik verlustreich für die Aufständischen niedergeschlagen. Diese ‚Schlacht‘ von Omdurman, in der zum ersten Mal das neue Maxim-Maschinengewehr in großer Stückzahl eingesetzt wurde (was zu einem Massaker von bis zu 10.000 Toten unter den Aufständischen führte), wird auch militärgeschichtlich als Wendepunkt angesehen.425: als Vorschein der technischen Massenvernichtung auf den Schlachtfeldern des ersten Weltkriegs. (Im übrigen legt auch Conrad großen Wert darauf, die waffentechnisch-überlegene Ausstattung der Kolonialisten genauestens zu vermerken: „Winchesters“, „Martini-Henry-Rifles“, „British-Army-Rifles“, „Squirls-Rifles“ und die „eight-inch-guns“ des französischen Kriegsschiffs; der Stationschef Kurtz verfügt über „two shotguns, a heavy rifle and a light revolver“.)

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Von Anfang an beruhte die europäische Überlegenheit zu einem großen Teil darauf, über die überlegenen Waffen zu verfügen: „Whatever happens/we have got/the maxim-gun and they have not“. In der „Zeit des patriotischen Taumels“ in London nach der Rückkehr des Siegers von Omdurman, Kitchner, schreibt Conrad an seiner Erzählung. 1890, noch zur Zeit, als die Mahdi-Aufständischen im Süd-Sudan, in unmittelbarer Nachbarschaft zum ‚Kongo-Freistaat‘, einen islamischen Staat errichtet hatten, trifft Conrad nach seiner Ankunft in Afrika Roger Casement: den Mann, der als britischer Konsul zur gleichen Zeit den Kongo bereist und Material sammelt für seine „Berichte über die brutalen Zustände“ in der Kongo-Kolonie Léopolds II. Von Casement könnte Conrad bei ihrem Treffen schon über Einzelheiten unterrichtet worden sein, „wie das verbrecherische System am Kongo funktioniert“.426 Seinen Bericht (als ‚parlamentory report‘) über den „Massenmord [...] von völkermordartigem Ausmaß“427 im Kongo konnte Casement erst 1904 veröffentlichen; immerhin erregte die Publikation in Europa einiges Aufsehen – und kann als Wendepunkt der Kritik am europäischen Kolonialismus in Afrika verstanden werden. In einem Brief vom 21.12.1903 an Casement wünscht Conrad ihm Erfolg mit seiner ‚Campaign of protest‘ und bestätigt ihm seine Einschätzung: „And the fact remains that [...] there exists in Africa a Congo State, created by the act of European Powers [...] where ruthless, systematic cruelty towards the blacks is the basis of administration“. 428

Entscheidend für die Sichtweise Conrads ist es somit, die ‚Congo-StateCausa‘ als exemplarisch im Kontext eines kolonialen Imperialismus der europäischen Mächte zu betrachten.

IX. Epilog – Historische Kontinuität

Der literarisch-koloniale Diskurs ‚begleitet‘ das europäische GlobalProjekt einer Besitzergreifung fremder Räume und einer Unterwerfung fremder Einwohner von Beginn an; als ‚Begleitung‘ ist hier für die einzelnen exemplarischen Leittexte ihre Zeitnähe oder vielfach ihre Gleichzeitigkeit mit dem beschriebenen Geschehen zu verstehen. Die literarische Darstellung sieht sich einer Menge von Beobachtungsdaten aus der fremden Welt gegenüber und versucht, diese ‚Daten‘ in die Sprachmuster und Stereotypen der ‚eigenen Welt‘ zu übersetzen. Die Narrativierung bedient sich häufig – zumal wenn der Autor als Augenzeuge auftritt – des Musters der ‚Reise‘ in die fremde Welt und inszeniert die erste Begegnung mit der fremden Welt und dem fremden Anderen in Form einer ‚Initiation‘ oder ‚Intervention‘. Diese ‚ersten Begegnungen‘ aber ereignen sich immer schon in einem kolonialen Kontext, der durch das „Machtgefälle“ gekennzeichnet ist, das zwischen dem europäischen Eindringling und dem Indigenen besteht.429 Die Analyse exemplarischer Leittexte (von Kolumbus bis Conrad und Kipling) zeigt – mit der Ausnahme von Las Casas – dass eine Übersetzung „im Horizont von Machtasymmetrien“ immer nur als „das Ergebnis eines einseitigen Assimilations-“430 und Homogenisierungs-Zwangs aufzufassen ist. Die Texte, die auf Augenzeugenschaft beruhen, wie auch jene, die sich der poetischen Imagination verdanken, gleichwohl aber auf ein real-historisches Geschehen bezogen bleiben, zielen darauf ab, die irritierende Fremde auf unterschiedliche Weise zu ent-fremden: den fremden Raum z.B. im vertrauten Bild des ‚irdischen Paradieses‘ zu assimilieren, den fremden Anderen im Stereotyp des guten oder bösen Wilden zu neutralisieren oder die Fremde im Bild des von wilden Bewoh-

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nern gesäuberten Raums gänzlich zum Verschwinden zu bringen (Defoe, Cooper; vgl. Kap. III, VII). Das europäische Denken in Gegensätzen trennt ‚Kultur‘ und ‚Natur‘, den eigenen Kultur-Raum und den indigenen Natur-Raum, essentiell voneinander und rechtfertigt die Exklusion indigener Natur-Gesellschaften. Der einzige Text, der die tödlichen Konsequenzen derartiger Exklusion für den indigenen Anderen thematisiert, ist die nicht-literarische Dokumentation des Las Casas: Von vornherein ist hier der Ausschluss mit jener gewaltsamen Intervention der Säuberung verbunden, die den Untergang ganzer indigener Völkerschaften zur Folge hatte. Es bleibt unter den folgenden literarischen Zeugnissen der einzige Text, der die drei „großen Themen der Menschenrechtsgeschichte“ zur Sprache bringt: den Genozid – die Folter und die Sklaverei431, der einzige auch der das koloniale Geschehen vor Ort auch aus der Perspektive der Opfer betrachten kann (vgl. Kap. I). Keiner der prominenten Texte, die den ‚kolonialen Diskurs‘ im 16. und 17. Jahrhundert im Kontext der ozeanischen Horizont-Erweiterung fortschreiben, thematisiert die primordialen Gewaltakte der Europäer. Erstaunlicherweise sind die ‚weißen Utopien‘ (Morus, Campanella, Bacon), die zur Hoch-Zeit der iberischen Eroberungen in Amerika (1520-1570) und im Zeitraum der entstehenden karibischen Sklaven-Wirtschaft (1630-1680)432 erscheinen, einseitig befasst mit dem Entwurf exklusiver Insel-Staaten; die unter ExperimentalBedingungen abgeschlossenen Insel-Räume, lassen sich als homogene, vor jeder Berührung mit Fremden geschützte Gesellschaften vorstellen – jeweils am Nicht-Ort, der von den Autoren scheinbar widersprüchlich seine real-fiktive Verortung im ozeanischen Raum erfährt. Genau dieses Momentum aber leitet – aus dem Geist des zeitgenössischen Kolonialismus – die Umwandlung der ‚Utopie‘ in die ‚moderne‘ Heterotopie ein, deren eigentliche Karriere erst später einsetzen sollte. Genau aber in diesem Augenblick der Entdeckung neuer fremder Welten in der Offenheit der Weltmeere kann die Vorstellung eines abgeschlossenen, fernen, gleichwohl in das ‚Imperium‘ eingemeindeten Ortes gedacht werden: Er diente ausschließlich der Identitätsvergewisserung in Zeiten der Herausforderung durch die Fremde (vgl. Kap. III). Der ‚koloniale Diskurs‘ – wie er sich in außerordentlich erfolgreichen literarischen Texten des 18. Jahrhunderts (Defoe, Schnabel, de Saint-Pierre) artikuliert, übernimmt mit dem klassischen Insel-Topos die Vision einer paradiesischen Neugründung auf fremden Boden: Die Exklaven auf den

IX. Epilog

Inseln teilen das Merkmal der doppelten Abgeschlossenheit, der Unzugänglichkeit hinter Felsenmauern und Umzäunungen und der (real) geographischen Isolation im Weltmeer: jenseits des Caps der Guten Hoffnung, auf Mauritius im indischen Ozean, jenseits der Orinoko-Mündung im atlantischen Ozean. Den Schiff brüchigen und Flüchtlingen aus Europa geht es um ihr eigenes Geschick, weniger um die Schicksale irgendwelcher Indigenen. So entstehen jene europatypischen, befriedeten Zonen, in denen das Chaos der Wildnis in Ordnung überführt ist und aus denen der ‚Wilde‘ vertrieben ist. Diese in der Weite der kolonialen Räume verortbaren Gegen-Plätze entwerfen sich nach dem Prinzip des rigiden Ausschlusses des Anderen, entsprechend des gesicherten Einschlusses des ‚Eigenen‘. Überhaupt lässt sich die Mustergültigkeit des ganzen Unternehmens, sich dauerhaft auf leeren Inseln einzurichten, nur behaupten, wenn der Kontext kolonialer Gewalt ausgeblendet wird. Die ganz ‚normale‘ Inbesitznahme von fremden Inseln erfolgt jedoch immer schon im Zusammenhang gewaltsamer Expansion im ozeanischen Raum. Die Insel-Heterotope entlasten die europäischen Kolonialisten befristet von allen Pflichten und Aufgaben der ‚Herrschaft‘, vom blutigen Handwerk der Vernichtung und Ausrottung. Die (verdrängte) Nachtseite des kolonialen Geschäfts kann ins Gedächtnis gerufen werden, wenn es darum geht, das eigene Verhalten gegenüber den Indigenen im Unterschied zu dem eines kolonialen Konkurrenten in gutem Licht erscheinen zu lassen: So werden die Gräueltaten der Spanier von Robinson/Defoe instrumentalisiert, um ein moralisches Dilemma aufzuzeigen, das offensichtlich für die Spanier nie bestand, jedoch sich für Robinson gegenüber den Kannibalen stellte: „The conduct of the Spaniards in all their barbarities practised in America, where they destroyed millions of these people, who, however they were idolaters and barbarians [...] were yet, as to the Spaniards very innocent people [...]“.433 Das moralische Dilemma, in das der Kolonialist geraten kann, bleibt durch Jahrhunderte das gleiche: Einerseits sieht er sich beauftragt, die Erde zu befreien von ‚Wesen‘ („hellish wretches“), die in uns „das Grauen über die Degeneration der menschlichen Natur“ („the horror of the degenerancy of human nature“)434 wachrufen – andererseits weiß er sich in der christlichen Pflicht des Erziehers, die in „geistiger Finsternis“ unschuldig Verharrenden zum Licht zu führen. Der Standard-Kolonialist wird von derartigen Reflexion unberührt bleiben. Auf einer anderen Ebene der zeitgenössischen kolonialen Praxis des Sklavenhandels, der Zwangsarbeit auf den Plantagen, der systemischen

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Gewaltausübung – scheint für den Geschäftsmann Robinson Crusoe ein moralisches Dilemma von vornherein nicht zu bestehen: „Crusoe [...] acts towards the Indians in the all-conquering way of the successful, mercantile civilization which Defoe so admired, and which we from time to time realize is still our inheritance.“435 Seine kolonialen Unternehmungen haben dem auf Ausbeutung und Gewalt ruhenden Geschäftsmodell schon längst den Anschein vollkommener ‚Normalität‘ und ‚Legitimität‘ verliehen. Dem Robinson-Crusoe-Text Defoes von 1719, dessen Wirkungsund Rezeptionsgeschichte sich bis in unsere Tage erstreckt, kommt eine besondere Bedeutung zu: In der Tat ist es die Nachhaltigkeit seiner Botschaft, die uns erkennen lässt, in welchen Kontinuitäten wir uns bewegen, welche Erbschaften auf uns lasten. Der im Text vorgestellte Phänotyp des europäischen Kolonialisten musste Generationen von Lesern als der idealtypische Missionar und Geschäftsträger der westlichen Zivilisation gelten. Wir Nachgeborenen bleiben in unserem Handeln gegenüber den ‚Indianern‘ unserer Epoche geprägt von den ererbten Mustern des „allconquering way of the successful mercantile civilization“: dem Muster westlicher Überlegenheit, dem Muster von Assimilation und Homogenisierung, von Inklusion und Exklusion etc. Wir übernehmen die mentale, ideologische und geopolitische Erbschaft einer kolonialen Revolution, die sich in unterschiedlichen Phasen, Schüben und Transformationen durch fünf Jahrhunderte bis in unserer Gegenwart vollzieht. Während die exemplarischen literarischen Texte des 18. Jahrhunderts die Ansiedlung der weißen Kolonialisten (Robinson, die Felsenburger, Paul und Virginie) auf tropischen Inseln fernab ihrer Herkunftswelten primär als Expedition der Selbsterkundung und Heilssuche beschreiben, richtet sich der Blick der Augenzeugen (G. Forster, L.A. de Bougainville und im folgenden Jahrhundert Tocqueville und A. v. Humboldt) auf die Indigenen, gerade auch auf diejenigen, die ihre Herkunftswelten unfreiwillig und nicht zu ihrem Heil verlassen mussten. Tocqueville schreibt 1835 über die Indianerstämme Nordamerikas, die von den Siedlern weit in die Wildnis vertrieben, zu unstetem Wanderleben verurteilt und in ihrem Heimatgefühl geschwächt seien: Die Familien seien aufgelöst, die Überlieferungen verdunkelt, das Band der Erinnerungen zerrissen und alle Gewohnheiten verändert [...].436 Was den Indianerstämmen hier zustößt – aller Bindungskräfte beraubt, herausgerissen aus den Zusammenhängen der kollektiven Geschichte, verbannt aus jenem Raum, der

IX. Epilog

ein symbolisches Optimum von Vertrautheit und Selbstgewissheit437 zusichert, bedeutet den sozialen und mentalen Tod vor dem physischen. Von Beginn an seiner Verschiffung in Afrika erleidet der ‚Neger-Sklave‘ dasselbe Schicksal; in den Arbeitslagern der amerikanischen Plantagen „hat er (vollends) die Erinnerung an seine Heimat verloren, er vernimmt die Sprache seiner Väter nicht mehr, er hat ihrem Glauben abgeschworen und ihre Sitten vergessen.“438 Was Tocqueville hier zum „Schicksal (der) geschlagenen Rassen“ der Indianer und ‚Neger‘ feststellt, ist nichts anderes als der Tatbestand der vorsätzlichen sozialen, mentalen Tötung von Menschen, denen Raum und Ort genommen wird, an denen man über Erinnerung – Sprache – Überlieferung – Sitte überhaupt erst seines Mensch-Seins gewiss wird. Alexander von Humboldt bezeichnet in seinem Cuba-Werk von 1826 entsprechend „die Sklaverei (als) das größte aller Übel, welche die Menschheit gepeinigt haben, sei es, dass man den Sklaven betrachtet, wie er seiner Familie in der Heimat entrissen und in die Schiffsräume eines für den Negerhandel zugerichteten Fahrzeugs geworfen wird, oder dass man ihn als einen Teil der Herde schwarzer Menschen, die auf dem Boden der Antillen zusammengepfercht wird, betrachtet.“439 Über die Jahrhunderte des europäischen Sklavenhandels und der Sklavenhaltung haben sich bei den Tätern, den weißen Herren, eine Vielzahl rassistischer Verhaltens- und Urteilsklischees eingeprägt, während sich bei den Opfern, den schwarzen Sklaven, die Traumata ihrer Deportation, ihrer sozialen und mentalen ‚Ortlosigkeit‘ ins kollektive Gedächtnis eingebrannt haben. Die Autoren des 19. Jahrhunderts sind in ihren Leittexten zur Thematik der ‚großen europäischen Zeitverwandlung‘ um 1900 bemüht, die ‚abgespaltene Geschichte des Kolonialismus‘ 440 in den weltgeschichtlichen Prozess der Globalisierung zu re-integrieren. Heinrich Heine ist derjenige deutsche Schriftsteller, der sich frühzeitig dem Gesamtzusammenhang des europäischen kolonialen Abenteuers widmet (vgl. Kap. VI). Aus weltgeschichtlicher und weltironischer Perspektive entwirft er das Panorama eines zivilisatorischen Prozesses, der sowohl binnen- wie außen-kolonisatorisch die ‚Alte Welt‘ Europas auf gleiche Weise wie die ‚Neue Welt‘ der Entdeckungen betreffen wird. Dabei nimmt der ‚koloniale Diskurs‘ Züge eines modernitäts-kritischen Diskurses an. So leitet die ‚Freiheit‘ und ‚Neubeginn‘ verheißende Entdeckung der ‚Neuen Welt‘

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durch Kolumbus jenen Fortschrittsprozess ein, der mit der Erfindung des „Pulvers“, der „Buchdruckerei“ und der „Eisenbahn“ sich auf der Linie jener „großen europäischen Zeitverwandlung“ bewegt: Es sind die Etappen eines weltgeschichtlichen Siegeszuges der „Modernität“. In den Sog dieser zunächst „unerfreulichen Modernität“ (Heine), die alle überkommenen Strukturen zerstört, geraten die „uralten Weltordnungen“ sowohl in Indien durch die britische Kolonisation oder in Mexiko durch die Spanier, als auch in Alt-Europa selbst durch die industriell-politischen Revolutionen. Aus dieser (hegelianischen) Sicht Heines scheinen die Schicksale der Indigenen allein der Logik des weltgeschichtlichen Fortschrittsprozess unterworfen zu sein; andererseits öffnet sie den Blick auf die Verschränkung der kolonialen Revolution mit der industriell-politischen Doppelrevolution der Neuzeit. Wenn von der „schöpferischen“ (Tag)Seite der europäischen Welt-Mission gesprochen werden kann, so bleibt Heine ‚dialektisch‘ die „zerstörerische (Nacht)Seite nicht verborgen. In seinem (kaum beachteten) Gedicht „Das Sklavenschiff“ von 1853/4 gelingt ihm, die ganze Doppelbödigkeit eines kolonialen Systems offenzulegen, das sich auf den christlichen Gott als Garant für das erfolgreiche Geschäft mit den zur Ware dehumanisierten Sklaven beruft. Der Text verweist auf die Urszene aller rassistischen Selektion und Brandmarkung am ‚dark place‘ der afrikanischen Guineaküste, wo erstmals systematisch und massenhaft Menschen aufgrund des ‚Rassemerkmals‘ der Hautfarbe ihrer Menschenwürde beraubt wurden. Der ‚dark place‘ des Sklavenschiffs bildet die Machtkonstellation des kolonialen System auf engstem Raum ab. Der gefesselte Sklave gerät in eine Sonderzone der Rechtlosigkeit; entstellt zu einem ‚Waren-Ding‘, existentiell zurückgeworfen auf sein „nacktes Leben“, befindet sich der Sklave in einem Ausnahmezustand, der in der Tat zur Regel geworden war. Der abgeschlossen, gefängnisartige ‚Ort‘ des Sklavenschiffs – so wie er in Heines Text gedeutet wird – kann als Prototyp des späteren „Lagerorts außerhalb der Rechtsordnung“ gesehen werden. G. Agamben hat bekanntlich „das Lager [...] als verborgene Matrix, als nomos des politischen Raums, in dem wir auch heute noch leben“, bezeichnet.441 Die Prototypen aber lassen sich weit im Vorfeld des rassistisch begründeten Sklavenhandels zwischen 1441 und 1860442 erkennen. „Die Geburt des Lagers“ als „nomos der Moderne“ hat somit eine lange kolonial-europäischen Vorgeschichte.

IX. Epilog

Alexander v. Humboldt (dessen Cuba-Buch Heine wohl zu seiner Sklavenschiff-Ballade anregte) hatte darauf hingewiesen, dass in „den Sklavenländern [...] durch lange Angewöhnung die ungerechtesten Institutionen einen Schein von Legitimation erhalten“ hätten.443 Über Jahrhunderte vollzog sich diese „Angewöhnung“ an die Verhaltensmuster rassistischer Ausgrenzung und die Normalisierung von „Ausnahmezuständen“ bis in unsere Gegenwart. Es gehört zur Leistung des ‚kolonialen Diskurses‘ – hier im Narrativ des Sklavenschiff-Gedichts – diesen „Schein von Legitimation“ kenntlich zu machen und jede „Angewöhnung“ zu denunzieren. Ohne Bewusstwerdung und ohne Kritik ererbter Mentalitäten wird „die Sklaverei mit ihrem Jammer und ihren Scheußlichkeiten“ [...] „trotz der gepriesenen Fortschritte der Aufklärung“ fortbestehen bis „die Zeit der Rache gekommen sein wird“ (v. Humboldt)444: ein wahrhaft prophetischer Satz aus dem Jahre 1826. Nunmehr fast 200 Jahre später könnte diese Zeit der Rache angebrochen sein. Mit der Okkupation Ägyptens 1798 durch Napoleon war der europäische Kolonialismus erstmals als Sendbote des wissenschaftlich-technischen Fortschritts (vgl. Kap. V) in Erscheinung getreten: ein Expeditions-Corps von Wissenschaftlern und Ingenieuren sollte (bekanntlich) die ‚Modernisierung‘ eines zurückgebliebenen Landes in die Wege leiten. Wenn man sich vor Augen hält, dass ein vergleichbarer Modernisierungsprozess gleichzeitig auch ‚Alt-Europa‘ und seine zurückgebliebenen Provinzen erfasste, lag der Gedanke nahe, den Kolonialismus unter dem Aspekt eines universellen Zeitwandels im Zusammenhang mit der industriell-politischen Doppelrevolution zu sehen. Unter der ‚Ägide‘ einer seit den Entdeckungen immer schon global operierenden ‚kolonialen Revolution‘ sind diese Revolutionen auf die Umgestaltung der Welt ausgerichtet – sei es in Form der technisch-wissenschaftlichen Beherrschung der Naturkräfte, der Homogenisierung aller verbleibenden Naturräume, der Akkulturierung oder Auslöschung von sog. Naturvölkern oder der Auflösung des feudal-agrarischen ‚abendländischen Alt-Europa‘ etc. Allerdings könnte eine derartige ‚Relativierung‘ der kolonialen Prozesse dazu verleiten, die gewalttätige Expansion mit ihren Opfern als geschichtlich notwendig zu betrachten. Auf jeden Fall aber verlegt ein europäischer Oktroi den nicht-europäischen Völkern und Kulturen den Weg in eine je eigene ‚Moderne‘. Die Plötzlichkeit der Intervention lässt der geschichtlichen Aneignung keine ‚Zeit‘.

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Das symbolische Tableau in Goethes ‚Faust-Tragödie‘ (1.-3. Szene des 5. Aktes) erfasst diesen universellen Charakter einer kolonialen ‚Modernisierung‘ – eines ‚modernen‘ Kolonialismus, der sich in der globalen Weite von „fremden Weltgegenden“ ebenso manifestiert wie in der lokalen ‚alteuropäischen‘ Enge von „Lindenraum (und) Baute“. Die Gewalttätigkeit aber einer nach „Weltbesitz“ und Weltbemächtigung strebenden europäischen Expansion erscheint verdichtet in dem Schockmoment einer Menschenverbrennung (vgl. Kap. VII). In welthistorischer Perspektive enthüllt das ‚Brandopfer‘, das dem Entwurf ‚neuer Welten‘, ‚künstlicher Paradiese‘ dieses Moment der Vernichtung ‚alter Welten‘ inhärent ist; dass die Herrschaft über fremde Weltgegenden und ihre Reichtümer die Auslöschung fremder Lebenswelten einschließt. Faust gründet „sein neues Eigentum“ nicht nur auf „den Trümmern der (eigenen) Überlieferung“ (M. Jaeger)445, sondern seinen neuen „Weltbesitz“ auf den Trümmern fremder Überlieferung in „fremden Weltgegenden“. Der „Scheiterhaufen dieser drei“ (Philemon, Baucis und des Wanderers) ist dann das Fanal des millionenfachen „Menschenopfers“ in der Ferne der fremden Welt Amerikas. Der monologisch und ethnozentrisch ausgerichtete ‚koloniale Diskurs‘, in dem die Stimme des Anderen nicht vernehmbar ist, wird in der Regel den Indigenen als passives, quasi-bewegungsloses Opfer – und den ‚weißen Mann‘ als den aktiv-handelnden, sich vorwärts-bewegenden Täter darstellen. Wenn schwarze Sklaven im exemplarischen Ausnahmefall als Täter auftreten, erscheinen sie entweder als grausame und mörderische Barbaren – so während der ‚Neger-Revolte‘ auf Haiti (Kleist: Die Verlobung auf St. Domingo, 1811) oder als grausame und „stumpfsinnige“ ‚Primitive‘, die während der (wohl fiktiven) Meuterei auf einem Sklavenschiff unfähig sind, das Schiff nach der Tötung der weißen Besatzung zu dirigieren und zugrunde gehen (Mérimée: Tamango, 1829) – oder als zu äußerster Brutalität abgerichtete schwarze Sklaven Quimbo und Sambo auf der Plantage des weißen Zwingherren (Uncle Tom’s Cabin, 1852) etc. Es kann als das Symptom einer ‚Zeitenwende‘ verstanden werden, dass der späte Text Joseph Conrads von 1899 wohl erstmals den bewegten, aktiven weißen Täter am Ende zum Opfer macht und ihn zu Stillstand, Krankheit und Tod ‚verurteilt‘, während eine „majestätische“ schwarze Frau aller weißen Unterwerfung trotzt; noch aber steht sie auf der Schwelle des zukünftigen Widerstandes. An dieser Zeitstelle hat der Exponent Europas, der Agent einer Brüsseler Kompanie, die sich einer menschenverach-

IX. Epilog

tenden Ausbeutungspraxis verschrieben hat, der ‚gnadenlosen Macht der Wildnis‘ und der ‚Lebensmacht‘ der Wilden nichts entgegenzusetzen; der in seine Rollenspiele als ‚Heilsbringer‘, ‚Weltverbesserer‘, als ‚Erzieher‘, Ausbeuter und Vernichter verstrickte „Scharlatan“ muss scheitern. Das Grauen, von dem er in seiner Todesstunde ergriffen wird, bezieht sich auf die Anwesenheit der „gnadenlosen Macht“ der Natur, deren Schweigen nur der Ausdruck ihrer zivilisatorischen Exklusion ist; sein Grauen bezieht sich auf den Schock der Begegnung mit dem unheimlichen Anderen, einem ‚Natur-Wesen‘, dessen Sprachlosigkeit wiederum nichts anderes als der Nachweis seiner vollkommenen Exkommunikation aus dem kulturellen Universum sein kann. ‚Heart of Darkness‘ von Conrad ist das Schlusskapitel einer Reihe von kolonial-literarischen Texten des 19. Jahrhunderts, in denen – unterschiedlich gewichtet – immer auch die ‚dark places‘ der europäischen Kolonisierung zur Sprache kamen. Nunmehr scheint der Faden dieser Überlieferung des Schreckens abzureißen. Wie die unmittelbare Antithese zu Joseph Conrads kritischer Narrativierung des ‚kolonialen Diskurses‘ von 1899 publiziert Rudyard Kipling 1901 seinen ‚Roman aus dem heutigen Indien‘: Kim. Die gescheiterten Rollenspiele des Stationschefs im Kongo werden in den erfolgreichen Rollenspielen der Hauptfigur Kim konterkariert. Kim, verwaister Sohn armer irischer Eltern, wächst als Straßenkind in den Slums von Lahore auf und wird dort als ein ‚Eingeborener‘ angesehen. Die ‚doppelte Herkunft‘ verschafft ihm die Möglichkeit, in der Doppelrolle als weißer Europäer und als farbiger Inder aufzutreten. Im sog. ‚Great Game‘ der Auseinandersetzung der kolonialen Konkurrenten, Englands und Russlands, in Indien übernimmt Kim die Rolle eines Spions und Agenten des britischen Geheimdienstes, folgt aber gleichzeitig als Schüler seinem Meister, einem tibetischen Lama, auf dem Weg der Erleuchtung. In seinem privaten ‚Great Game‘ wechselt er spielerisch die Positionen und Rollen als Spion und Schüler zwischen weltlich-westlicher Rationalität und weltentrückter-östlicher Spiritualität. Einerseits ist er daran beteiligt, das Herrschaftswissen der britischen Kolonialisten zu sichern, andererseits begibt er sich auf Heilssuche mit dem Kolonisierten. In keinem Augenblick stellt er die britische Vorherrschaft in Indien in Frage; gleichzeitig teilt er das ‚Geheimwissen‘ des Lamas von dem mystischen Gegenort innerhalb des imperialen Herrschaftsraums: dem Ort am Fluss, „wo Buddhas Pfeil zu Boden fiel“. Kim bleibt – nach seiner ‚weißen Schulerziehung‘ ein weißer Fremder, der weiße Sahib, in dem Land der

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Anderen; als Agent des britischen Geheimdienstes ist er darauf trainiert, seine Rollen zu wechseln. Der Begegnung mit den Anderen haftet ein Moment der Verstellung und Unwahrhaftigkeit an; dem Lama, seinem Lehrer, verbirgt er seine Spionagetätigkeit. Er ist der Diener der britischen Kolonialmacht – und nicht der Diener, der Chelah, seines Meisters, der er sein möchte. Der Geheimagent gehört fest zum kolonialen Personal der Briten in ihren Kolonien; er pflegt ein prekäres Verhältnis zu den Kolonisierten; es ist gekennzeichnet durch eine fast obszöne Schein-Assimilation an das Fremde, verbunden mit der professionellen Neugier für jedes Detail des fremden Lebens; sein Wissen dient der Kolonialmacht dazu, Herrschaft zu sichern, die Steuerung der Kolonisierten zu optimieren. Perfekt verkörpert der Agent und Spion im (neuen) System der ‚direct rule‘– nach dem ‚Government of India Act‘ von 1858 – die habituelle Janusgesichtigkeit des Europäers. Die literarische Agentenfigur Kiplings lässt an reale Kolonialfiguren denken: Der britische Kolonialoffizier Richard Burton – 1821-1890 – der sich in Indien einen Namen macht durch täuschend genaue Mimikry des Indigenen, steht im Dienst des britischen Geheimdienstes ebenso wie die legendäre Figur des ‚Lawrence of Arabia‘ an anderer Stelle, zu einer anderen Zeit. Kiplings Roman ‚Kim‘ von 1901, die Vorgänger-Texte Lotis (1880) und Gauguins (1897), sowie die Nachfolger-Texte, die den Schauplatz Indien wählen, wie etwa Hermann Hesses ‚Aus Indien‘ von 1913 oder Waldemar Bonsels ‚Indienfahrt‘ von 1916 oder Edward Morgan Forsters ‚A Passage to India‘ von 1924 etc., am anderen Schauplatz der Amazonaswildnis Robert Müllers ‚Tropen‘ von 1915 etc. leiten mit der Jahrhundertwende bekanntlich auch eine symbolische Trendwende ein: Der Kolonial-Raum etabliert sich eindeutig und ausschließlich zum Heterotop des europaund zivilisations-müden ‚Globetrotters‘. Der ‚koloniale Diskurs‘ erleidet eine thematische Reduktion: Die Wahrnehmung des fremden Raums und des fremden Anderen verkürzt sich auf den Aspekt des ExotischInteressanten, auf den bloßen Reiz der Abweichung von der zivilisatorischen Norm Europas. Der exotisch-interessante Ort wird als Heterotop ‚eingemeindet‘ und der entlastenden ‚mentalen Nutzung‘ zugeführt; der fremde Andere erfährt seine Aufwertung als ‚letzter Repräsentant‘ einer verlorenen Naturwelt. Der koloniale Diskurs artikuliert sich ‚verkürzt‘ auf die schon im 18. Jahrhundert sich anzeigenden Formen ästhetisch-

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projektiver Vereinnahmung des Fremden – nunmehr in der Form kompensatorisch ‚sanfter‘ Besetzung und mentaler Aneignung des fremden Raums – sowie neuer psycho-physischer Indienstnahme des (weiblichen) Eingeborenen durch den europäischen Zivilisationsflüchtling. Die Texte – in der Regel Reise- und Initiations-‚Protokolle‘ – spiegeln den kolonialen Kontext dieser neuen Intervention, die überhaupt erst möglich werden konnte, nachdem „die Phase eines kämpferischen Imperialismus“ in den ersten Jahrzehnten des neuen Jahrhunderts zwischen 1900 und 1920 als abgeschlossen angesehen werden konnte, und „die Epoche eines ruhigen Genusses der kolonialen Früchte“ (Osterhammel)446 angebrochen schien. Die handfeste Kommerzialisierung dieser Ausbruchslüste hatte übrigens längst eingesetzt: 1869 organisierte Thomas Cook die erste Pauschalreise nach Ägypten. Der ästhetische und real-kommerzielle Entwurf von Heterotopien in den alten kolonialen Räumen als Gegenorte der Entlastung hatte sich von der Last eines kolonialen Erbes vollkommen befreit. Eine allgemeine Amnesie hüllte die Fakten einer gewalttätigen Weltbemächtigung in die Nebel einer irrelevanten Früh- und Vorgeschichte. Schließlich hatten auch schon die immens erfolgreichen ‚Trivialmythen‘ der ‚Winnetou‘- (187693) und ‚Lederstrumpf‘- (1823-41) Erzählungen Karl Mays und Fennimore Coopers den Überlebenskampf der Indianer und den Vertreibungs- und Ausrottungskrieg der weißen Siedler in Form von Abenteuergeschichten für jugendliche Leser ‚übersetzt‘ – und die Wirklichkeit der sog. ‚Indianerkriege‘ verfälscht, verharmlost und ‚sentimentalisiert‘. Am Anfang standen die Zeugnisse der ersten Augenzeugen, des Entdeckers Kolumbus und des Berichterstatters Las Casas, deren Texte den ‚klassischen‘ Widerspruch bezeugen, der den ersten Begegnungen mit den fremden Räumen und ihren Menschen zugrunde liegt: das Phantasma des irdischen Paradieses und der nackten adamitischen Wilden einerseits – und der „anthrophagischen“ Einverleibung oder des „anthropemischen“ Ausspeiens des Anderen und der Verwüstung des wilden Natur-Raums andererseits. Der literarisch-koloniale Diskurs hat sich durch die Jahrhunderte zwischen diesen Polen bewegt, bis er sich am Ende allein dem Phantasma des Exotisch-Anderen ausliefert: dem Phantasma einer narzisstischen Heilssuche – seiner Auflösung allerdings geht der Diskurs als Parodie seiner selbst entgegen, wenn die alten Helden nur noch „als Clowns und Graziosos mit ihren Narrenkolben und Pritschen“

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auftreten – so wie in Kehlmanns ‚Vermessung der Welt‘ (2005) oder in Krachts ‚Imperium‘ (2015). Das Buch-Medium wird mit dem Siegeszug der neuen Bild-Medien ohnehin sein Beschreibungs- und Deutungsmonopol einbüßen. Aber auch die neuen Bilder werden bald nur noch die Ansichten jener ‚Tristes Tropiques‘ ausstellen können, die gezeichnet sind von den Eingriffen der Kolonialisten: „[...] Man hat den Boden vergewaltigt, man hat ihn zerstört, seiner Reichtümer beraubt.“447 Mit dem Zerfall und der Zerstörung der Fremde selbst büßt die koloniale Welt den Reiz des Exotisch-Anderern ein. Frühzeitig hatte Gauguin nach seiner Ankunft auf Tahiti notiert: „Das Leben in Papeete wurde mir sehr schnell zur Last. Das war ja Europa – das Europa, von dem ich mich befreit zu haben glaubte, nur noch vergröbert durch die Spielarten des kolonialen Snobismus und eine kindliche, bis zur Karikatur groteske Nachahmerei.“ (Noa, Noa, 1891) 448

Die Fluchtreise „konfrontiert uns mit den unglücklichsten Formen unserer historischen Existenz“ (Lévi-Strauss).449 Wenn der ‚klassische‘ koloniale Diskurs das ‚primordiale Menschheits-Verbrechen‘ der Anfänge in beiden Amerika, in Australien und Tasmanien u.a. nie ganz aus den Augen verloren hatte, so trug die symbolische Übersetzung in den literarischen Text dazu bei, dem kolonialen Geschehen im Ganzen den Anschein vollkommener ‚Normalität‘ zu verleihen. Diese Herstellung von Normalität erweist sich als die Voraussetzung dafür, dass sich Selbstverständlichkeiten und mentale Gewissheiten ausbilden: so etwa in (unhinterfragten) Annahmen der Überlegenheit der weißen Rasse, oder der Natürlichkeit rassischer Ungleichheit oder eines darin wurzelnden ‚normalen Rassismus‘, eines europäischen Sendungsglaubens etc. Als These – die mentalitätsgeschichtlich zu verifizieren wäre – lässt sich formulieren, dass in der ‚longue durée‘ einer kolonialen Praxis seit dem 16. Jahrhundert sich Verhaltens-, Wahrnehmungsund Urteilsmuster herausgebildet haben, die bis in die Gegenwart unser Verhältnis zu dem Anderen in seinen, uns fremden Lebensräumen prägen. Ein Kernbestand ‚kolonialer Mentalität‘ hat sich in Transformationen über den langen Zeitraum der globalen Vorherrschaft Europas und des sog. Westens bis in die globale Moderne erhalten.

IX. Epilog

In den über die Jahrhunderte verbreiteten Texten Defoes, BeecherStowes oder Conrads – aber auch Coopers oder Mays – erreichte der koloniale Diskurs ein Millionen-Publikum, zu einem großen Teil junger Leser. Die Texte erzählen die Geschichte siegreicher ‚Begegnungen‘ des weißen Mannes mit dem farbigen Eingeborenen und übermitteln exemplarisch das ‚mentale Programm‘ des Kolonialismus. Von der Kernbotschaft, dass der weiße Europäer zur Herrschaft über die Welt berufen sei („the Anglo-Saxon is the dominant race of the world, and is to be so“)450, leiten sich alle weiteren Einstellungen gegenüber dem Anderen ab: von paternalistischer Inklusion bis zur rassistischen Exklusion. Der ‚koloniale Diskurs‘, der heute in einem multiplen ‚Globalisierungs-Diskurs‘ aufgegangen ist, überliefert alle wesentlichen Inhalte der ‚alten‘ Kernbotschaft: Der sog. Westen sieht sich – in geschichtlicher Kontinuität – weiterhin im Besitz eines Deutungsmonopols, das ihn befugt, die Welt einteilen zu können in eine Erste, Zweite und Dritte Welt, in die fortgeschrittene westliche Welt und sog. Schwellen- oder Entwicklungsländer oder neuerdings in „Kreditgeber“ und „Kreditnehmer“.451 Es ist wenig erstaunlich, dass die Dominanz der westlichen Welt am deutlichsten gegenüber jenen Ländern der zweiten und dritten Kategorie zu Tage tritt, die als ehemalige Kolonien von vornherein mit dem Makel ‚subalterner Staaten‘ behaftet sind. Ein ‚moderner Kolonialstatus‘ bemisst sich nach dem Grad der Abhängigkeit von den globalen Institutionen des IWF, der Weltbank und der WTO; die alte koloniale Vorherrschaft erscheint transformiert in Form der Hegemonie dieser Institutionen, wobei allein die Stimmenanteile der USA die Rolle des Hegemons bestätigen452 etc. Mir geht es mit diesen Hinweisen auf den gegenwärtigen Kontext der Globalisierung unter anderem auch darum, meine kulturwissenschaftliche These zur ‚Nachhaltigkeit‘ kolonialer Mentalität, zur ‚Übersetzbarkeit‘ kolonialer Grundkonstellationen aus der Frühzeit in unsere Gegenwart zu überprüfen; letztlich möchte ich mich der Annahme versichern, dass der europäische Kolonialismus als ein kontinuierlicher Prozess der Weltbemächtigung seit dem Initialdatum des 12.10.1492 gegenwärtig seit 1945 bzw. 1989 in die Phase zunehmender „Verdichtung und weltweiter Vernetzung“ (Osterhammel) eingetreten ist – oder anders gesehen, dass alle „gegenwärtigen Prozesse der Globalisierung“ immer nur im Zusammenhang „einer langen und komplexen Geschichte kolonialer Ausbeutung und imperialer Herrschaft“453 zu verstehen sind.

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Das Janusgesicht Europas

Durch die Jahrhunderte bedurfte die koloniale Intervention der Rechtfertigung; die Abfolge ihrer wechselnden Titel belegt die historische Kontinuität. Am Anfang steht der Rechtfertigungs-Titel der Mission und der Verbreitung des ‚heiligen christlichen Glauben‘ in der ‚Neuen Welt‘; gefolgt von Titeln wie der Zivilisierung heidnisch-barbarischer Völker, der Kolonisierung und Urbarmachung der Wildnis; der Stiftung kulturellreligiös-rassisch-homogener Räume; schließlich der Beförderung des evolutionsgeschichtlichen Gangs, der notwendigen Entwicklung unterentwickelter Gesellschaften, mündend in dem Programm-Titel einer zukünftigen globalen Weltgesellschaft als vorgebliches Ziel der Geschichte: in der universellen Geltung der Menschenrechte und der demokratischen Spielregeln etc. Das Janusgesicht Europas zeigt sich sogleich, wenn man sich den Zusammenhang von Expansion – Ausrottung – Versklavung – Ausbeutung und massiven Macht-, Handels- und Kapital-Interessen vergegenwärtigt. Eine „historische Horizontverkürzung“ liegt vor, wenn man die nationalstaatlichen Geschichten Europas aus ihrer Verflechtung mit dem Prozess der europäischen Weltbemächtigung seit den Entdeckungen löst – oder anders gesagt: die koloniale ‚Ur-Geschichte‘ von einer vorgeblichen nationalstaatlichen Binnengeschichte abspaltet. Die Abspaltung der globalen Geschichte des kolonialen Imperialismus hat dazu geführt, sich der Erinnerung an das Menschheitsverbrechen, das mit der Gründung der kolonialen Imperien aufs Engste verknüpft bleibt, zu entledigen. Die Stimme der Anderen, die seit den 50er Jahren des vergangenen 20. Jahrhunderts erstmals deutlich zu vernehmen ist, hat Europa an seine verdrängte und abgespaltene koloniale Geschichte erinnert. Wenn Frantz Fanon 1961 „die Hauptmittel“ des kolonialen Imperialismus erwähnt: „Deportation, Blutbäder, Zwangsarbeit und Versklavung“ – und darauf verweist, dass „vor kurzem der Nazismus ganz Europa in eine Kolonie verwandelt (habe)“454, rührt er an ein Tabu, das schon Aimé Césaire in seinem ‚Discour sur le colonialisme‘ (Paris 1955) ansprach: Er konfrontierte uns aus der Perspektive des ‚Kolonisierten‘ mit dem Befund, das NSRegime habe „kolonialistische Methoden (erstmals) auf Europa (selbst) angewendet, denen bislang nur die Araber Algeriens, die Kulis Indiens und die Neger Afrikas“ (man müsste hinzufügen: die Indios der Karibik) „ausgesetzt gewesen“ (seien). Aimé Césaire geht aber noch einen Schritt weiter: Das Entsetzen Europas und der ‚weißen Welt‘ über das Menschheitsverbrechen des NS-Regimes sei nicht das Entsetzen über „das Ver-

IX. Epilog

brechen an sich, das Verbrechen gegen den Menschen [...] nicht die Erniedrigung des Menschen an sich, sondern das über das Verbrechen gegen den weißen Menschen, die Erniedrigung des weißen Menschen.“455 Der Blick des Anderen auf uns legt etwas offen: Der „Nazismus“ tritt mit systemischem Rassismus, mit Landraub und Vertreibung, schließlich mit monströsem Völkermord die verbrecherische Erbschaft des europäischen Kolonialismus an – und weiterhin: Im kollektiven Gedächtnis der Anderen, der Kolonisierten, sind die frühen Menschheitsverbrechen der europäischen Kolonialisten an den Anderen: den Azteken, Inkas, Majas, Indios, Indianern, Afrikanern, Tasmaniern, Arabern u.a. auf eine Weise präsent, dass sie jederzeit mit den Menschheitsverbrechen von Europäern an ‚anderen‘ Europäern in der Mitte Europas gleichgesetzt werden können, da es sich in beiden Fällen um Verbrechen ‚an dem Menschen an sich‘ handelt. Der Kolonisierte kann uns darauf hinweisen, dass es für den Europäer offenbar unterschiedliche Kriterien dafür gibt, bestimmte ‚Ereignisse‘ als ‚Zivilisationsbruch‘ zu bezeichnen, je nachdem ob es sich um einen Genozid an Europäern oder an Indigenen in fernen Länder handelt. Die rassistische Auslöschung farbiger Völker wurde als geschichtlich notwendiger Schritt verstanden in Richtung auf eine homogene, dominant-westliche Weltgesellschaft: und somit als Zivilisations-Fortschritt und nicht als Zivilisations-Bruch. Naturgemäß konnten sich die Anderen niemals in der Rolle jener Opfer sehen, die dem Endzweck der Weltgeschichte gebracht werden müssen. Ihr kollektives Gedächtnis behauptet die Wahrheit der eigenen Geschichte; es stehen sich die Gedächtnisse der Kolonialisten und der Kolonisierten gegenüber; es stehen sich Wahrheitsansprüche gegenüber. Europa war und ist bis auf den heutigen Tag nicht fähig oder gewillt, seinen Anspruch, über die Wahrheit der Geschichte zu verfügen, in Frage zu stellen. Der Europäer war und ist kein Meister des Lichtenbergschen Perspektivwechsels: Niemals war er willens und in der Lage, die Perspektive des ‚Indianers‘ einzunehmen, für den die ‚Entdeckung‘ des weißen Mannes an der Küste seines Landes eine schreckliche Entdeckung war; er kann dem ‚primitiven Indigenen‘ die perspektivische Wahrheit seiner Sicht nicht zubilligen. Und wenn der Europäer sich die längste Zeit als ‚Subjekt der Geschichte‘ verstehen konnte, so ist die Rolle übergegangen an den ‚neuen‘ amerikanischen Hegemon, der sich den ‚Pflichten‘ der Mission in der Welt annimmt, janusgesichtig verbrämt von dem Gedanken der Universalität der (vor-

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Das Janusgesicht Europas

geblich) westlichen Menschenrechts-Charta und gesteuert von Strategien gewaltsamer Expansion der Handels-, Kapital- und KommunikationsRäume, der Oktroyierung des westlichen Weges in die ‚Moderne‘, der geopolitischen Intervention – vornehmlich in ‚altem‘ Kolonial-Raum des Nahen und Fernen Ostens und Afrikas. Die Macht des ‚kollektiven Gedächtnisses‘ ist auch gegenwärtig in den zukunftsgeleiteten Gesellschaften der westlichen Welt ungebrochen; so lässt sich ein Großteil des augenblicklichen politischen Handelns Europas und des ‚Westens‘ auf die im kollektiven Gedächtnis bewahrten ‚Erzählungen‘ beziehen; eine besondere Bedeutung erlangen die frühen Triumphe der kolonialen Weltbemächtigung: die glorreichen Entdeckungen der europäischen Seefahrer, die Begründung der europäischen Kolonial-Reiche, die glücklichen Zeiten des Empires etc., während die dunklen Gewaltanteile jeder Bemächtigung abgekapselt werden. Erst in der Konfrontation mit dem ‚kollektiven Gedächtnis‘ der Anderen werden wir der ‚Nachtseiten‘ der Gewalttätigkeit der ‚europäischen Mission‘ wieder bewusst. Über lange Zeiträume hat Europa die Kolonisierten nicht zu Wort kommen lassen. Erst jüngst hat Achille Mbembe aus dem ‚Text‘, den das ‚kollektive Gedächtnis‘ des Afrikaners über Jahrhunderte bewahrt hat, ‚zitiert‘. Es sind die Traumata erlittener Vernichtung und Entmenschlichung, die Wunden der Demütigung und Erniedrigung, die das politische Handeln des Kolonisierten auf gleiche Weise bestimmen wie die erinnerten Triumphe der neuzeitlichen Kolonialisten. Die westliche Welt steht im Banne von Zukünftigem und kann sich die Macht des kollektiven Gedächtnisses nicht eingestehen; verhängnisvoll aber wirkt sich aus, die Macht des kollektiven Gedächtnisses bei ‚den Verdammten dieser Erde‘ nicht zur Kenntnis zu nehmen und nicht ins Kalkül des politischen Handelns zu ziehen – auch dann nicht, wenn ein stets gegenwärtig virulenter Rassismus dazu nötigen sollte. Die Stimme Jean-Paul Sartres, die wie aus einer anderen Epoche herüberklingt, mahnte schon vor einem halben Jahrhundert (1961), dass „die Domestizierung niederer Rassen das menschliche Gedächtnis“ der Kolonisierten vernachlässige und „ihre unauslöschlichen Erinnerungen“, die von Generation zu Generation weitergegeben werden, nicht beachte. „Von der zweiten an haben die Söhne, kaum dass sie das Licht der Welt erblickten, gesehen, wie ihre Väter geschlagen wurden. In der Sprache der Psychatrie ist das ihr Trauma – für das ganze Leben“, bis schließlich

IX. Epilog

„der Moment des Bumerangs, die dritte Phase der Gewalt“ gekommen sein wird: Die Gewalt schlägt auf den Kolonialisten zurück, der nicht versteht, dass es seine eigene ist.456 Europa müsste sich zu seinem dunklen ‚Gründungsmythos‘ bekennen: zu dem im primordialen Rassismus begründeten Menschheitsverbrechen des Genozids und des Sklavenhandels; es müsste sich seiner Janusgesichtigkeit bewusst werden und die historische Kontinuität des Kolonialismus kritisch zur Kenntnis nehmen; Europa (der Westen) müsste sich von seinem in Jahrhunderten befestigtem Vormacht- und Überlegenheits-Phantasma befreien und die ‚mentalen Programme‘ der Weltherrschaft verabschieden; es müsste das kollektive Gedächtnis der Anderen respektieren und der Wahrheit einer Geschichte der Anderen einen Platz einräumen in einer Weltgeschichte der Menschheit – um eine globale Weltgemeinschaft jenseits von Intervention und Indoktrination, jenseits aller Asymmetrien von Macht und Herrschaft zu ermöglichen.

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Anmerkungen

1 | Kolumbus, Christoph: Bordbuch, Frankfurt a. M. 1981, S. 9-11. 2 | Kolumbus, Christoph: a. a. O., S. 10. 3 | Pirenne, Henri: Geschichte Europas. Von der Völkerwanderung bis zur Reformation, Frankfurt – Wien – Zürich, 1961, S. 465. 4 | Todorov, Tzvetan: Die Eroberung Amerikas. Das Problem des Anderen, edition suhrkamp 1213, Neue Folge Bd. 213, Frankfurt 1985, S. 65. 5 | Kolumbus, Christoph: a. a. O., S. 10. 6 | Pirenne, Henri: a. a. O., vgl. S. 500. 7  |  Todorov, Tzvetan: a. a. O., vgl. dazu bes. S. 11-66; Gewecke, Frauke: Nachwort in: Christoph Kolumbus: Bordbuch, Frankfurt a. M. 1981, S. 301-331. 8 | Kolumbus, Christoph: a. a. O., S. 44. 9 | Kolumbus, Christoph: a. a. O., S. 52. 10 | Kolumbus, Christoph: a. a. O., S. 46. 11 | Kolumbus, Christoph: a. a. O., S. 46. 12 | Todorov, Tzvetan: a. a. O., vgl. S. 25, 48f. 13 | Todorov, Tzvetan: a. a. O., S. 49. 14 | Todorov, Tzvetan: a. a. O., S. 52; Gewecke, Frauke. a. a. O., S. 323; Bitterli, Urs: Die Wilden und die Zivilisierten. Die europäisch-überseeische Begegnung, München 1982, vgl. S. 367-411. 15 | Kolumbus, Christoph: a. a. O., S. 63 (16. Oktober 1492). 16 | Kolumbus, Christoph: a. a. O., S. 53 (14. Oktober 1492). 17 | Kolumbus, Christoph: a. a. O., S. 98 (6. Novemver 1492). 18 | Lévi-Strauss, Claude: Traurige Tropen, Frankfurt 1981, S. 382f. 19 | Kolumbus, Christoph: a. a. O., S. 200f. 20 | Osterhammel, Jürgen: Kolonialismus. Geschichte – Formen – Folgen, München 1995, S. 116. 21 | Todorov, Tzvetan: a. a. O., S. 49.

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Das Janusgesicht Europas

22 | Kolumbus, Christoph: a. a. O., S. 80, 81, 127. 23 | Kolumbus, Christoph: a. a. O., S. 127, 80, 72. 24 | Todorov, Tzvetan: a. a. O., S. 25f. 25 | Kolumbus, Christoph:a. a. O., S. 50. 26 | Kolumbus, Christoph: a. a. O., S. 191. 27 | Kolumbus, Christoph: a. a. O., S. 129. 28 | Kolumbus, Christoph: a. a. O., S. 120. 29 | Kolumbus, Christoph: a. a. O., S. 289. 30 | Kolumbus, Christoph: a. a. O., S. 102f. 31 | Kolumbus, Christoph: a. a. O., S. 102. 32 | Kolumbus, Christoph: a. a. O., S. 92. 33 | Kolumbus, Christoph: a. a. O., S. 189, 191. 34 | Todorov, Tzvetan: a. a. O., S. 12f. 35 | Todorov, Tzvetan: a. a. O., S. 13. 36 | Monegal, Emir Rodriguez (Hg.): Die Neue Welt. Chroniken Lateinamerikas von Kolumbus zu den Unabhängigkeitskriegen, Frankfurt 1982, S. 8. 37 | Todorov, Tzvetan: a. a. O., S. 177. 38 | Todorov, Tzvetan: a. a. O., 227f. 39 | Monegal, Emir Rodriguez (Hg.): a. a. O., S. 15. 40 | Monegal, Emir Rodriguez (Hg.): a. a. O., S. 15. 41  |  Las Casas, Bartolomé de: Kurzgefaßter Bericht von der Verwüstung der Westindischen Länder, hg. von Hans Magnus Enzensberger, Frankfurt 1981, S. 115. 42 | Kolumbus, Christoph: a. a. O., S. 9. 43 | Las Casas, Bartolomé de: a. a. O., S. 56, 27, 77, 81, 100. 44 | Las Casas, Bartolomé de: a. a. O., S. 22, 30, 82, 89. 45 | Monegal, Emir Rodriguez (Hg.): a. a. O., S. 15. 46 | Todorov, Tzvetan: a. a. O., S. 314. 47 | Las Casas,Bartolomé de: a. a. O., S. 11. 48 | Las Casas, Bartolomé de: a. a. O., S. 27. 49 | Las Casas, Batolomé de: a. a. O., S. 31. 50 | Las Casas, Bartolomé de: a. a. O., S. 42. 51 | Las Casas, Bartolomé de: a. a. O., S. 16. 52 | Las Casas, Bartolomé de: a. a. O., S. 42. 53 | Las Casas, Bartolomé de: a. a. O., S. 106. 54 | Las Casas, Bartolomé de: a. a. O., S. 23. 55 | Las Casas, Bartolomé de. a. a. O., S. 38. 56 | Las Casas, Bartolomé de: a. a. O., S. 60. 57 | Las Casas, Bartolomé de: a. a. O., S. 82.

Anmerkungen

58 | Las Casas, Bartolomé de: a. a. O., S. 54. 59 | a) Enzensberger, Hans Magnus: Las Casas oder Ein Rückblick in die Zukunft in: Las Casas: Bericht von der Verwüstung der Westindischen Länder, Hg. H.M. Enzensberger, Frankfurt 1981, S. 124-128; b) Todorov, Tzvetan: a. a. O., S. 165, 168, 171, 172. 60 | Todorov, Tzvetan: a. a. O., S. 160ff. 61 | Enzensberger, Hans Magnus: Las Casas oder Ein Rückblick in die Zukunft: a. a. O., S. 131. 62 | Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte – Neu edierte Ausgabe: Redaktion Eva Moldenhauer, Markus Michel, G.W.F. Hegel Werke 12, Frankfurt 1986, S. 107f. 63 | Todorov, Tzvetan: a. a. O., S. 175. 64 | Todorov, Tzvetan: a. a. O., S. 175. 65 | Arendt, Hannah: Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft – Antisemitismus, Imperialismus, totale Herrschaft, München 1986, S. 417. 66 | Horkheimer, Max/Adorno, Theodor W.: Die Dialektik der Aufklärung, Frankfurt 1971, vgl. S. 207: Abwandlung eines Satzes am Anfang des Kapitels ‚Interesse am Körper‘. 67 | Großklaus, Götz: Zur Mediengeschichte der Bilder. Wandel der raumzeitlichen Entwürfe in: Zeitkritische Medien, Hg. Axel Volmar, Berlin 2009, S. 283 ff. 68  |  Foucault, Michel: Andere Räume – in: Stadt-Räume, Hg. Martin Wentz, Frankfurt 1981, S. 71f., 68. 69 | Foucault, Michel: Andere Räume: a. a. O., S. 72. 70 | Grimmelshausen, Johann Jakob Christoffel: Der abenteuerliche Simplizissimus. Hg. Alfred Kelletat, München 1962, S. 468, 451, 455. 71 | Jens Walter (Hg.): Studienausgabe: Kindlers Neues Literatur-Lexikon, Bd. 12, München 1996, S. 385. 72 | Osterhammel, Jürgen: Kolonialismus: a. a. O., S. 34. 73 | Bitterli, Urs: Die Wilden und die Zivilsierten: a. a. O., S. 105. 74 | Bitterli, Urs: a. a. O., S. 148. 75 | Osterhammel, Jürgen: Kolonialismus: a. a. O., S. 36f. 76 | Bitterli, Urs: a. a. O., S. 150. 77 | Bitterli, Urs (Hg.): Die Entdeckung und Eroberung der Welt. Dokumente und Berichte. Band I Amerika, Afrika, München 1980, S. 163. 78 | Mbembe, Achille: Kritik der schwarzen Vernunft, Berlin 2014, S. 27. 79 | Mbembe, Achille: a. a. O., S. 42. 80 | Leclerc, Gérard: Anthropologie und Kolonialismus – Hg. W. Lepenies/H. Ritter, München 1973, S. 24.

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81 | Greverus, Ina-Maria: Kultur und Alltagswelt, München 1978, vgl. Territorialität und Raumorientierung, S. 275f. – Sprache des Raums, S. 273f. 82  |  Defoe, Daniel: The Life and Adventures of Robinson Crusoe, Harmondsworth, Middlessex, 1965, S. 77. 83 | Defoe, Daniel: a. a. O., S. 139. 84  |  Schnabel, Johann Gottfried: Insel Felsenburg. Wunderliche Fata einiger SeeFahrer, absonderlich Alberti Julii, eines gebohrnen Sachsens…, Reinbek b. Hamburg 1969, S. 92. 85 | Schnabel, Johann Gottfried: a. a. O., S. 95. 86 | Saint-Pierre, Bernardin de: Paul und Virginie, Würzburg 1981. 87 | Großklaus, Götz: Symbolische Raumorientierung als Denkfigur des Selbstund Fremdverstehens – in: Perspektiven und Verfahren interkultureller Germanistik, Hg. A. Wierlacher, München 1987, S. 377-403, vgl. Defoe/Schnabel/SaintPierre: S. 391-396. 88  |  Foucault, Michel:Andere Räume – in: Stadt-Räume, Hg. Martin Wentz, Frankfurt/New York 1991, S. 68, 71. 89 | Schnabel, Johann Gottfried:a. a. O., S. 48, 46, 71. 90 | Defoe, Daniel: a. a. O., S. 59. 91 | Mbembe, Achille: a. a. O., S. 14. 92 | Bitterli, Urs: Die Wilden und die Zivilisierten: a. a. O., S. 150. 93 | Defoe, Daniel: Robinson Crusoe (engl.): a. a. O., S. 44. 94 | Defoe, Daniel: Robinson Crusoe (engl.): a. a. O., S. 178. 95 | Defoe, Daniel: Robinson Crusoe (engl.): a. a. O., S. 209. 96 | Defoe, Daniel: Robinson Crusoe (engl.): a. a. O., S. 216. 97 | Defoe ,Daniel: Robinson Crusoe (engl.): a. a. O., S. 208f. 98 | Defoe, Daniel: Robinson Crusoe (engl.):a. a. O., S. 211f. 99 | Leclerc, Gérard: Anthropologie und Kolonialismus: a. a. O., S. 24. 100 | Defoe, Daniel: Robinson Crusoe (engl.) a. a. O., S. 215. 101 | Defoe, Daniel: Robinson Crusoe (engl.): a. a. O., S. 218. 102 | Defoe, Daniel: Robinson Crusoe (engl.): a. a. O., S. 222. 103 | Defoe, Daniel: Robinson Crusoe (dt.): a. a. O., S. 276f. 104 | Defoe, Daniel: Robinson Crusoe (engl.): a. a. O., S. 201. 105 | Defoe, Daniel: Robinson Crusoe (engl.): a. a. O., S. 172. 106 | Defoe, Daniel: Robinson Crusoe (engl.): a. a. O., S. 172. 107 | Defoe, Daniel: Robinson Crusoe (engl.): a. a. O., S. 177. 108 | Kolumbus, Christoph: Bordbuch: a. a. O., S. 200, 232. 109 | Defoe, Daniel: Robinson Crusoe (dt.): a. a. O., S. 226f.

Anmerkungen

110 | Defoe, Daniel: Robinson Crusoe (engl.): a. a. O., S. 178. 111 | Defoe, Daiel: Robinson Crusoe (engl.): a. a. O., S. 178. 112 | Osterhammel, Jürgen: Kolonialismus: a. a. O., S. 36. 113 | Osterhammel, Jürgen: Kolonialismus: a. a. O., S. 48. 114 | Montaigne, Michel de: Essais, 1. moderne Gesamtübersetzung von Hans Stilett, Hg. H.M. Enzensberger, Frankfurt 1998, S. 111. 115 | Defoe, Daniel: Robinson Crusoe (dt.): a. a. O., S. 306. 116 | Defoe, Daniel: Robinson Crusoe (engl.): a. a. O., S. 233. 117 | Todorov, Tzvetan: a. a. O., S. 181. 118 | Defoe, Daniel: Robinson Crusoe (dt.): a. a. O., S. 139. 119 | Defoe, Daniel: Robinson Crusoe (dt.): a. a. O., S. 319. 120 | Osterhammel, Jürgen: Kolonialismus: a. a. O., S. 36. 121 | Ross, Angus: Introduction – in: The Life and Adventures of Robinson Crusoe: a. a. O., S. 21. 122 | Rousseau, Jean-Jacques: Discours sur les Sciences et les Arts (1750) Discours sur l’Origine de l’Inégalité parmi les Hommes (1755) – in: Schriften zur Kulturkritik, Hg. Kurt Weigand, 2. Aufl., Hamburg 1971. 123 | Bitterli, Urs: Die Wilden und die Zivilisierten: a. a. O., S. 429. 124 | Rousseau, Jean-Jacques: Discours sur l’Origine de l’Inégalité: a. a. O., S. 213. 125 | Aguet, Isabelle: Der Sklavenhandel. Bilder und Dokumente (La Traite des Nègres), Genève 1971, S. 134. 126 | Saint-Pierre, Bernardin de: Paul und Virginie (dt.), Würzburg 1981, S. 89. 127 | Saint-Pierre, Bernerdin de: a. a. O., S. 125. 128 | Saint-Pierre, Bernardin de: a. a. O., S. 20. 129 | Saint-Pierre, Bernardin de: a. a. O., S. 34f. 130 | Saint-Pierre, Bernardin de: a. a. O., S. 52. 131 | Saint-Pierre, Bernardin de: a. a. O., S. 53. 132  |  Herder, Johann Gottfried: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit – in: Herders Werke in fünf Bänden, Hg. von den Nationalen Forschungs- und Gedenkstätten der klassischen deutschen Literatur in Weimar, Berlin/Weimar 1982, S. 116. 133 | Humboldt, Alexander von: Betrachtungen über die Sklaverei – in: Ansichten der Natur mit wissenschaftlichen Erläuterungen, Stuttgart o. J.: Teil II Versuch über den politischen Zustand der Insel Cuba, S. 76, 77, 79. 134 | Steiner, Gerhard: Georg Forsters ‚Reise um die Welt‘ – in: Georg Forster: Reise um die Welt, Hg. G. Steiner, Frankfurt 1983, S. 1025.

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135 | Todorov, Tzvetan: a. a. O., S. 155. 136 | Leclerc, Gérard: a. a. O., S. 25. 137 | Forster, Georg: Reise um die Welt, Hg. G. Steiner, Frankfurt 1983, S. 207f. 138  |  Grenfell Price, A. : Einführung – in: James Cook. Entdeckungsfahrten im Pacific 1768-1779, Tübingen /Basel, S. 16. 139 | Chakrabarty, Dipesh: Europa als Provinz. Perspektiven postkolonialer Geschichtsschreibung, Frankfurt 2010, S. 41. 130 | Mbembe, Achille: a. a. O., S. 69. 131 | Rousseau, Jean-Jacques: Über den Ursprung der Ungleichheit unter den Menschen – in: Schriften zur Kulturkritik: a. a. O., S. 131f. 142 | Bitterli, Urs: Die Wilden und die Zivilisierten: a. a. O., S. 197. 143 | Bitterli, Urs: Die Wilden und die Zivilisierten: a. a. O., S. 196. 144 | Bitterli, Urs: Die Wilden und die Zivilisierten: a. a. O., S. 180. 145 | Montaigne, Michel de: Essais: a. a. O., 1. Buch, Kap. 31, S. 115. 146 | Rousseau, Jean-Jacques: Über den Ursprung der Ungleichheit unter den Menschen: a. a. O., S. 209. 147 | Todorov, Tzvetan: a. a. O., S. 262. 148 | a) Monegal, Emir Rodriguez: Einleitung – in: Die Neue Welt – Chroniken Lateinamerikas, a. a. O., S. 225f., S. 158-168; b) Todorov, Tzvetan: a. a. O., S. vgl. bes. S. 264f. , S. 260-266. 149 | Todorov, Tzvetan: a. a. O., S. 264. 150 | Forster, Georg: Reise um die Welt: a. a. O., vgl. S. 179-181. 151 | Lévi-Strauss: Das wilde Denken, Frankfurt 1973, S. 270. 152 | Lévi-Strauss: a. a. O., S. 253. 153 | Diderot, Denis: Nachtrag zu ‚Bougainvilles Reise‘ oder Gespräch zwischen A und B über die Unsitte, moralische Ideen an gewisse physische Handlungen zu knüpfen, zu denen sie nicht passen, Hg. H. Dieckmann, Frankfurt 1965. 154 | Renn, Joachim/Straub, Jürgen/Shimada, Shingo (Hg.): Übersetzung als Medium des Kulturverstehens und sozialer Integration, Frankfurt/New York, 2002, S. 9. 155 | Renn, Joachim et al.: a. a. O., S. 24. 156 | Renn, Joachim et al.: a. a. O., S. 10. 157 | Diderot, Denis: Nachtrag zu Bougainvilles Reise: a. a. O., S. 15. 158 | Diderot, Denis: a. a. O., S. 15. 159 | Forster, Georg: Reise um die Welt: Vorrede: a. a. O., S. 20. 160 | Rousseau, Jean-Jacques: Über den Ursprung der Ungleichheit unter den Menschen: a. a. O., S. 209. 161 | Diderot, Denis: a. a. O., S. 17, 19.

Anmerkungen

162 | Diderot, Denis: a. a. O., S. 18. 163 | Diderot, Denis: a. a. O., S. 55. 164 | Diderot , Denis: a. a. O., S. 64. 165 | Leclerc, Gérard: a. a. O., S. 18. 166 | Diderot, Denis: a. a. O., S. 53. 167 | Diderot , Denis: a. a. O., S. 55. 168 | Diderot, Denis: a. a. O., S. 60. 169 | Diderot, Denis: a. a. O., S. 63. 170 | Forster, Georg: a. a. O., S. 207. 171 | Foucault, Michel: Andere Räume: a. a. O., S. 71. 172 | Osterhammel, Jürgen: Kolonialismus: a. a. O., S. 17f. 173 | Pirenne, Henri: Geschichte Europas. Von der Völkerwanderung bis zur Reformation, Frankfurt a. M. 1961, S. 500. 174 | Hobsbawm, Eric: Europäische Revolutionen – 1789-1848, Zürich 1962, S. 74. 175 | Osterhammel, Jürgen: Kolonialismus: a. a. O., S. 37. 176 | Osterhammel, Jürgen: Kolonialismus: a. a. O., S. 49. 177 | Hottinger, Arnold: Bonaparte in Ägypten – Aus der Chronik des Abdarrahman Al-Garbati (1754-1829) – übersetzt v. A. Hottinger, Zürich / München 1983, Vorwort S. 7-11. 178 | Abdarrahman, Al-Garbati: Bonaparte in Ägypten: a. a. O., S. 173, 87. 179 | Abdarrahman, Al-Garbati: Bonaparte in Ägypten: a. a. O., S. 86. 180 | Mishra, Pankaj: Aus den Ruinen des Empires. Die Revolte gegen den Westen und der Wiederaufstieg Asiens, Frankfurt 2013, S. 24. 181 | Hottinger, Arnold: Vorwort – in: Bonaparte in Ägypten:a. a. O., S. 8. 182 | Abdarrahman, Al-Garbati: Bonaparte in Ägypten: a. a. O., S. 81. 183 | Hottinger, Arnold: Vorwort: a. a. O., S. 8f. 184 | Hottinger, Arnold: Vorwort: a. a. O., S. 8. 185 | Abdarrahman, Al-Garbati: Bonaparte in Ägypten: a. a. O., S. 164f. (beide Zitate). 186 | Abdarrahman, Al-Garbati: a. a. O., S. 165f. 187 | Said, Edward: Orientalism. Western Conceptions on the Orient, London 1995, S. 87. 188 | Abdarrahman, Garbati: a. a. O., S. 167. 189 | Naef, Silvia: Bilder und Bilderverbot im Islam, München 2007, S. 75. 190 | Abdarrahman, Garbati: a. a. O., S. 169. 191 | Said, Edward: Orientalism: a. a. O., S. 84.

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192 | Kleist, Heinrich von: Die Verlobung von St. Domingo – in: Heinrich von Kleist. Sämtliche Werke und Briefe in vier Bänden, Hg. H. Sembdner, Dritter Band, Wien 1982, S. 161. 193 | Kleist, Heinrich von: Die Verlobung von St. Domingo: a. a. O., S. 161, 166. 194 | Kleist, Heinrich von: a. a. O., S. 171. 195 | Kleist, Heinrich von: a. a. O., S. 170. 196 | Kleist, Heinrich von: a. a. O., S. 170. 197 | Kleist, Heinrich von: a. a. O., S. 175. 198 | Kleist, Heinrich von: a. a. O., S. 172. 199 | Kleist, Heinrich von: a. a. O., S. 161, 172. 200 | Kleist, Heinrich von: a. a. O., S. 173. 201 | Kleist, Heinrich von: a. a. O., S. 175. 202 | Mbembe, Achille: a. a. O., S. 42. 203 | Aguet, Isabelle: Der Sklavenhandel: a. a. O., S. 119. 204 | Osterhammel, Jürgen: Kolonialismus: a. a. O., S. 39. 205 | Leclerc, Gérard: a. a. O., S. 13. 206 | Osterhammel, Jürgen: Kolonialismus: a. a. O., S. 40. 207 | Osterhammel, Jürgen: Kolonislismus: a. a. O., S. 40. 208 | Tocqueville, Alexis de: Über die Demokratie in Amerika, München 1951, S. 372, S. 412. 209  |  Humboldt, Alexander von: Cuba-Werk – Studienausgabe, Bd. III, Hg. Hanno Beck, Darmstadt 1992, S. 231. 210 | Humboldt, Alexander von: Cuba-Werk: a. a. O., S. 229, 232. 211 | Humboldt, Alexander von: Cuba-Werk: a. a. O., S. 250. 212 | Mende, Fritz: Heinrich Heine – Chronik seines Lebens, Berlin 1970, S. 89, 23. 213 | Heine, Heinrich: Ludwig Börne. Eine Denkschrift. Kommentar – in: Heinrich Heine. Sämtliche Schriften. Vierter Band, Hg. K. Briegleb, München 1971, S. 822. 214 | Heine, Heinrich: Lutetia – Anhang: Gefängnisreform – in: Heinrich Heine. Sämtliche Schriften. Fünfter Band, Hg. K. H. Stahl, München 1974, S. 513. 215 | Humboldt, Alexander von: Cuba-Werk: a. a. O., S. 168. 216 | Tocqueville, Alexis de: Über die Demokratie in Amerika, München 1951, S. 378, S. 367. 217 | Tocqueville, Alexis de: a. a. O., S. 367. 218 | Tocqueville, Alexis de: a. a. O., S. 396. 219 | Tocqueville, Alexis de: a. a. O., S. 419. 220  |  Heine, Heinrich: Briefe. Erste Gesamtausgabe nach den Handschriften, Hg. F. Hirth, Mainz/Berlin, 3. Teil (1848-1856) Nr. 1104, S. 335.

Anmerkungen

221  |  Heine, Heinrich: Die Nordsee – Reisebilder 2. Teil – in: Heinrich Heine. Sämtliche Schriften, 2. Band, Hg. G. Häntzschel/K. Briegleb, München1969, S. 236f. 222 | Heine, Heinrich: Die Nordsee: a. a. O., S. 215. 223 | Heine, Heinrich: Die Nordsee: a. a. O., S. 216. 224 | Osterhammel, Jürgen: Kolonialismus: a. a. O., S. 38. 225 | Heine, Heinrich: Die Nordsee: a. a. O., S. 236f. 226 | Heine, Heinrich: Ludwig Börne. Eine Denkschrift: a. a. O., S. 38f. 227 | Osterhammel, Jürgen: Kolonialismus: a. a. O., S. 49. 228 | Heine, Heinrich: Ludwig Börne. Eine Denkschrift: a. a. O., S. 38 229 | Heine, Heinrich: Ludwig Börne. Eine Denkschrift: a. a. O., S. 38f. 230 | Tocqueville, Alexis de: a. a. O., S. 397f. 231 | Heine, Heinrich: Ludwig Börne. Eine Denkschrift: a. a. O., S. 35. 232 | Heine, Heinrich: Ludwig Börne. Eine Denkschrift: a. a. O., S. 38. 233 | Tocqueville, Alexis de: a. a. O., S. 294. 234 | Heine, Heinrich: Ludwig Börne. Eine Denkschrift: a. a. O., S. 39. 235 | Tocqueville, Alexis de: a. a. O., S. 294. 236 | Tocqueville, Alexis de: a. a. O., S. 295. 237 | Tocqueville, Alexis de: a. a. O., S. 396. 238 | Tocqueville, Alexis de: a. a. O., S. 420. 239 | Tocqueville, Alexis de: a. a. O., S. 394. 240 | Humboldt, Alexander von: Versuch über den politischen Zustand des Königreichs Neuspanien – in: A. v. Humboldt – Gesammelte Werke, Neunter Band. Neuspanien I, Stuttgart (Cotta’sche Buchhandlung) o. J., S. 108. 147ff., 149, 150, 152, 155. 241 | Heine, Heinrich: Vitzliputzli – Präludium – in: Heinrich Heine. Sämtliche Schriften, Sechster Band. 1. Teilband, Hg. K. Briegleb, München 1975, S. 56. 242 | Heine, Heinrich: Vitzliputzli: a. a. O., S. 56. 243 | Heine, Heinrich: Vitzliputzli: a. a. O., S. 56. 244 | Heine, Heinrich: Vitzliputzli: a. a. O., S. 63. 245 | Heine, Heinrich: Vitzliputzli: a. a. O., S. 68. 246 | Heine, Heinrich: Vitzliputzli: a. a. O., S. 66. 247 | Heine, Heinrich: Vitzliputzli: a. a. O., S. 67. 248 | Heine, Heinrich: Vitzliputzli: a. a. O., S. 69. 249 | Heine, Heinrich: Die Stadt Lucca – in: Heinrich Heine. Sämtliche Schriften. Zweiter Band, Hg. K. Briegleb/G. Häntzschel, München 1969, S. 486. 250 | Todorov, Tzvetan: a. a. O., S. 161. 251  |  Humboldt, Alexander von: Versuch über den politischen Zustand des Königreichs Neuspanien: a. a. O., S. 147, 148, 149.

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252 | Hegel,Georg, Wilhelm Friedrich: Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte: a. a. O., S. 107-108. 253 | Heine, Heinrich: Bimini – in: Heinrich Heine. Sämtliche Schriften, Sechster Band, 1. Teilband, Hg. K. Briegleb/W. Klaar München 1975, S. 263. 254 | Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte, a. a. O., S. 490f. 255 | Heine, Heinrich: Bimini: a. a. O., S. 244f. 256 | Heine, Heinrich: Bimini: a. a. O., S. 245. 257 | Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte: a. a. O., S. 490. 258 | Heine, Heinrich: Bimini: a. a. O., S. 251. 259 | Heine, Heinrich: Bimini: a. a. O., S. 245. 260 | Heine, Heinrich: Bimini: a. a. O., S. 246. 261 | Mbembe, Achille: a. a. O., S. 331. 262 | Heine, Heinrich: Das Sklavenschiff – in: Heinrich Heine. Sämtliche Schriften. Sechster Band, 1. Teilband, Hg. K. Briegleb/W. Klaar. München 1975, S. 194-199. 263 | Heine, Heinrich: Das Sklavenschiff: a. a. O., S. 198. 264 | Heine, Heinrich: Das Sklavenschiff: a. a. O., S. 196f. 265 | Heine, Heinrich: Das Sklavenschiff: a. a. O., S. 194. 266 | Mbembe, Achille: a. a. O., S. 41. 267 | Holub, Robert C.: Heinrich Heine on the Slave Trade: Cultural Repression and the Persistance of History. The German Quarterly 3 – 4 (Summer – Fall) 1992, S. 332, S. 330. 268  |  Holub, Robert C.: Heinrich Heine on the Slave Trade: a. a. O., S. 330, S. 332. 269 | Humboldt, Alexander von: Cuba-Werk: a. a. O., S. 156. 270 | Aguet, Isabelle (Hg.): Der Sklavenhandel: a. a. O., S. 44f. , S. 34f. 271 | Bitterli, Urs: Die Wilden und die Zivilisierten: a. a. O., S. 152. 272 | Humboldt, Alexander von: Cuba-Werk: a. a. O., S. 156. 273 | Bitterli, Urs: Die Wilden und die Zivilisierten: a. a. O., S. 105. 274 | Agamben, Giorgio: Homo sacer. Die souveräne Macht und das nackte Leben, Frankfurt 2002, vgl. Einleitung, 3. Teil, wo Agamben diesen Sachverhalt ausdrücklich ohne Bezug auf die europäische Kolonialgeschichte beschreibt! 275 | Mbembe, Achille: a. a. O., S. 84. 276 | Agamben, Giorgio: a. a. O., S. 140. 277 | Agamben, Giorgio: a. a. O., S. 148. 278 | Tocqueville, Alexis de: a. a. O., S. 369. 279 | Tocqueville, Alexis de: a. a. O., S. 396.

Anmerkungen

280  |  Humboldt, Alexander von: Versuch über den politischen Zustand des Königreichs Neuspaniens: a. a. O., S. 112f. 281 | Heine, Heinrich: Geständnisse – in: Heinrich Heine. Sämtliche Schriften. Sechster Band, Erster teil, Hg. K. Briegleb/W. Klaar, München 1975, S. 480. 282 | Beecher-Stowe, Harriet: Uncle Tom’s Cabin, First published in this edition 1909, Last reprinted London 1961, S. 270, S. 426, S. 428. 283 | Tocqueville, Alexis de: a. a. O., S. 367. 284 | Tocqueville, Alexis de: a. a. O., S. 396. 285 | Sarasin, Philipp: Zweierlei Rassismus? Die Selektion des Fremden als Problem in Michel Foucaults Verbindung von Biopolitik und Rassismus – in: Biopolitik und Rassismus, Hg. Martin Stingelin, Frankfurt 2003, S. 67. 286 | Heine, Heinrich: Bimini: a. a. O., S. 251. 287 | Heine, Heinrich: Vitzliputzli: a. a. O., S. 68. 288 | Heine, Heinrich: Die Nordsee: a. a. O., S. 236. 289 | Heine, Heinrich: Almansor. Eine Tragödie – in: Heinrich Heine. Sämtliche Schriften, Erster Band, Hg. K. Briegleb, München 1968, S. 318, 316. 290 | Heine, Heinrich: Almansor: a. a. O., S. 321, 318, 316, 314. 291 | Heine,Heinrich: Almansor: a. a. O., S. 326, 284. 292 | Osterhammel, Jürgen: Kolonialismus: a. a. O., S. 40. 293 | Kolumbus, Christoph: Bordbuch: a. a. O., S. 200. 294 | Defoe, Daniel: Robinson Crusoe (engl.): a. a. O., S. 113. 295 | Schnabel, Johan Gottfried: Insel Felsenburg: a. a. O., S. 95. 296 | Saint-Pierre, Bernardin de: Paul und Virginie: a. a. O., S. 89. 297 | Saint-Pierre, Bernardin de: Paul und Virginie: a. a. O., S. 52. 298 | Las Casas, Bartolomé de: Kurzgefaßter Bericht von der Verwüstung der westindischen Länder: a. a. O., S. 75. 299 | Las Casas, Bartolomé de: a. a. O., S. 84, 83. 300 | Aguet, Isabelle: Der Sklavenhandel: a. a. O., S. 59f. 301 | Aguet, Isabelle: a. a. O., S. 66. 302  |  Mérimée, Prosper: Tamango – in: Prosper Mérimée – Auserlesene Novellen, Sammlung Dietrich, Band 134, 5. Aufl., Leipzig 1965, S. 11. 303 | Heine, Heinrich: Das Sklavenschiff: a. a. O., S. 196. 304 | Honour, Hugh/Fleming, John: Weltgeschichte der Kunst, München 2000, S. 598-600. 305 | Honour, Hugh/Fleming, John: a. a. O., S. 600. 306 | Beecher-Stowe, Harriet: Uncle Tom’s Cabin: a. a. O., S. 408. 307 | Becher-Stowe, Harriet: a. a. O., S. 357f. 308 | Beecher-Stowe, Harriet: a. a. O., S. 345.

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309 | Agamben, Giorgio: Homo sacer: a. a. O., S. 179, S. 177; Agamben bezieht seine Definition von ‚Lager‘ nicht auf die europäische Kolonialzeit (vgl. Anm. 274). 310 | Beecher-Stowe, Harriet: a. a. O., S. 270: „The Anglo-Saxon is the dominant race of the world, and is to be so“ a. a. O., S. 428: „The Anglo-Saxon race has been intrusted the destinies of the world, during its pioneer period of struggle and conflict. To that mission its stern, inflexible, energetic elements, were well adapted“. 311 | Cooper, James Fenimore: The Pioneers, New York 2012, S. 409. 312 | Cooper, James Fenimore: a. a. O., S. 409. 313 | Cooper, James Fenimore: a. a. O., S. 428. 314 | Cooper, James Fenimore: a. a. O., S. 268. 315 | Cooper, James Fenimore: a. a. O., S. 268. 316  |  Cooper, James Fenimore: a. a. O., S. 407 (Rede der Elizabeth Temple an den Indianer-Häuptling Chingachgook). 317 | Cooper, James Fenimore: a. a. O., S. 460. 318 | Cooper, James Fenimore: a. a. O., S. 461. 319 | Taylor, Alan: Introducction – in: Cooper, James Fenimore: The Pioneers: a. a. O., S. XIII. 320 | Osterhammel, Jürgen: Die Verwandlung der Welt: a. a. O., S. 490. 321 | Tocqueville, Alexis de: a. a. O., S. 372. 322 | Osterhammel, Jürgen: Die Verwandlung der Welt: a. a. O., S. 486. 323 | Osterhammel, Jürgen: Die Verwandlung der Welt: a. a. O., S. 486; Forb, Peter: Die Indianer. Entwicklung und Vernichtung eines Volkes, München 1988, S. 292; Todorov, Tzvetan: Die Eroberung Amerikas: a. a. O., S. 161ff. 324 | Osterhammel, Jürgen: Die Verwandlung der Welt: a. a. O., S. 481. 325 | Jaeger, Michael: Wanders Verstummen. Goethes Schweigen, Fausts Tragödie oder: Die große Transformation der Welt, Würzburg 2014, S. 512. 326 | Nicolai, Heinz: Zeittafel zu Goethes Leben und Werk – in: Goethes Werke Band XIV, Hamburger Ausgabe in 14 Bänden, Textkritisch durchgesehen und mit Anmerkungen versehen von Dorthea Kuhn, Hamburg 1966, S. 515. 327 | Marx, Karl: Die zukünftigen Ergebnisse der englischen Herrschaft in Indien (1853) – in: Karl Marx: Politische Schriften. Erster Band, Hg. v. H. J. Lieber, Darmstadt 1971, S. 566. 328 | Großklaus, Götz: Heinrich Heine. Der Dichter der Modernität, München 2013, S. 40-44 . 329 | Marx, Karl: a) Die zukünftigen Ergebnisse der englischen Herrschaft in Indien: a. a. O., S. 572; b) Die Britische Herrschaft in Indien – in: Karl Marx: Politische Schriften. Erster Band: a. a. O., S. 553.

Anmerkungen

330 | Jaeger, Michael: a. a. O., S. 513. 331 | Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte: a. a. O., S. 538. 332 | Hegel: Georg Wilhelm Friedrich: Phänomenologie des Geistes – Werke 3 – Auf der Grundlage der Werke von 1832-1845, neu edierte Ausgabe, Redaktion: E. Moldenhauer/K.M. Michel, Frankfurt 1970, S. 18. 333 | Heine Heinrich: Die Nordsee – Reisebilder Zweiter Teil: a. a. O., S. 215f. 334 | Großklaus, Götz: Heinrich Heine. Der Dichter der Modernität: a. a. O., S. 37-46. 335 | Marx, Karl: Manifest der kommunistischen Partei – in: Karl Marx: Die Frühschriften, Hg. Siegfried Landshut, Stuttgart 1955, S. 529. 336 | Goethe, Johann Wolfgang: Faust. Eine Tragödie – in: Goethes Werke. Hamburger Ausgabe in 14 Bänden, Bd. III, Textkritisch durchgesehen und mit Anmerkungen versehen von Erich Trunz, Hamburg 1949, S. 341, 342. 337 | Marx, Karl: Manifest der kommunistischen Partei: a. a. O., S. 526f. 338 | Marx, Karl: Die britische Herrschaft in Indien: a. a. O., S. 550. 339 | Goethe, Johann Wolfgang: Brief an Zelter vom 6. 6.1825 – Zitiert nach Anmerkungen des Herausgebers zu ‚Wilhelm Meisters Wanderjahren oder die Entsagenden‘ – in: Goethes Werke. Hamburger Ausgabe in 14 Bänden, Bd. VIII, S. 684. 340 | Goethe, Johann Wolfgang. Maximen und Reflexionen – in: Goethes Werke, Bd. XII, Schriften zur Kunst, Schriften zur Literatur. Maximen und Reflexionen, Hg. H. v. Einem, H.J. Schrimpf, W. Weber, Hamburg 1953, S. 389. 341 | Humboldt, Alexander von: Cuba-Werk: a. a. O., S. 168. 342 | Jaeger, Michael: a. a. O., bes. S. 459-572. 343 | Heine, Heinrich: Die Nordsee – Reisebilder Zweiter Teil: a. a. O., S. 236, 237. 344 | Jaeger, Michael: a. a. O., S. 560. 345 | Arendt, Hannah: Elemente und Ursprüngen totaler Herrschaft: a. a. O., S. 951. 346 | Arendt, Hannah: a. a. O., S. 877. 347 | Osterhammel, Jürgen: Kolonialismus: a. a. O., S. 116. 348 | Gennep, Arnold van: Übergangsriten (Les rites de passage), Frankfurt,New York 1999. 349 | Conrad, Joseph: Heart of Darkness and Other Tales, Edited with an Introduction and Notes by Cederic Watts, Oxford, New York 2001 – Explanatory Notes, S. 200. 350  |  Hochschild, Adam: Schatten über dem Kongo. Die Geschichte eines großen fast vergessenen Menschheitsverbrechens, 9. Aufl., Stuttgart 2012.

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351 | Conrad, Joseph: Herz der Finsternis und die ‚Kongo-Tagebücher , Nachwort und Übersetzung von Urs Widmer, Zürich 1992, S. 25f. 352 | Conrad, Joseph: Heart of Darkness, Edited with Introduction and Notes by Owen Knowless, London 2007, S. 15. 353 | Gennep, Arnold van: Übergangsriten: a. a. O., S. 27f. 354 | Conrad, Joseph: Heart of Darkness, London 2007, S, 15. 355 | Conrad, Joseph: Herz der Finsternis, Zürich 1992, S. 27f. 356 | Conrad, Joseph: Herz der Finsternis, Zürich 1992, S. 33. 357 | Conrad, Joseph: Heart of Darkness, London 2007, S. 19. 358 | Conrad, Joseph: Herz der Finsternis, Zürich 1992, S. 35. 359 | Conrad, Joseph: Heart of Darkness, London 2007, S. 7. 360  |  Conrad, Joseph: Herz der Finsternis, Zürich 1992, S. 32; Heart of Darkness, London 2007, S. 19. 361 | Conrad, Joseph: Heart of Darkness, London 2007, S. 5. 362 | Osterhammel, Jürgen: Die Verwandlung der Welt: a. a. O., S. 431. 363  |  Conrad, Joseph: Heart of Darkness, London 2007, S. 5; Herz der Finsternis, Zürich 1992, S. 9. 364 | Conrad, Joseph: Heart of Darkness, London 2007,S. 7; Herz der Finsternis, Zürich 1992, S. 14. 365 | Conrad, Joseph: Herz der Finsternis, Zürich 1992, S. 13. 366 | Conrad, Joseph: Herz der Finsternis, Zürich 1992, S. 19. 367 | Hochschild, Adam: Schatten über dem Kongo: a. a. O., S. 125. 368 | Conrad, Joseph: Herz der Finsternis, Zürich 1992, S. 19. 369 | Hochschild, Adam:Schatten über dem Kongo: a. a. O., S. 177. 370 | Hochschild, Adam: Schatten über dem Kongo: a. a. O., S. 160, 149. 371 | Hochschild, Adam: Schatten über dem Kongo: a. a. O., S. V. 372 | Conrad, Joseph: Heart of Darkness, London 2007, S. 121 (Notes). 373 | Hochschild, Adam: Schatten über dem Kongo:a. a. O., S. 393. 374 | a) Lindquist, Sven: Durch das Herz der Finsternis. Ein Afrika-Reisender auf den Spuren des europäischen Völkermords, Frankfurt/New York 1999, S.165ff. (Die Entstehung des Rassismus); b) Arendt, Hannah: Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft: a. a. O., S. 405 ff. c) Darwin, Charles: The Descend of Man and the Selection in Relation to Sex (chapter 6), 1871. 375 | Conrad, Joseph: Herz der Finsternis, Zürich 1992, S. 69. 376 | Conrad, Joseph: Herz der Finsternis, Zürich 1992, S. 129. 377 | Conrad, Joseph: Herz der Finsternis, Zürich 1992, S. 87. 378 | Conrad, Joseph: Herz der Finsternis, Zürich 1992, S. 69. 379 | Conrad, Joseph: Heart of Darkness, London 2007, S. 44.

Anmerkungen

380 | Conrad, Joseph: Herz der Finsternis, Zürich 1992, S. 70. 381 | Arendt, Hannah: Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft:a. a. O., S. 407. 382 | Conrad, Joseph: Heart of Darkness, London 2007, vgl. S. 62. 383 | Lindquist, Sven: a. a. O., S. 177. 384 | Conrad, Joseph: Herz der Finsternis, Zürich 1992, S. 70, 69, 77. 385 | Conrad, Joseph: Herz der Finsternis, Zürich 1992, 71. 386 | Conrad, Joseph: Herz der Finsternis, Zürich 1992, S. 78. 387 | Achebe, Chinua: Ein Bild von Afrika. Rassismus in Conrads ‚Herz der Finsternis‘, Berlin 2000, vgl. S. 25f. 388 | Conrad, Joseph: Herz der Finsternis, Zürich 1992, S, 33, 34. 389 | Arendt, Hannah: Elemente und Ursprüngen totaler Herrschaft. a. a. O., S. 3v8. 390 | Conrad, Joseph: Heart of Darkness, London 2007, S. 20. 391 | Conrad, Joseph: Herz der Finsternis, Zürich 1992, S. 14. 392 | Conrad, Joseph: Herz der Finsternis, Zürich 1992, S. 117f. , 58. 393 | Conrad, Joseph: Herz der Finsternis, Zürich 1992, S. 118. 394 | Conrad, Joseph: Herz der Finsternis, Zürich 1992, S. 51, 65, 66. 395 | Conrad, Joseph: Heart of Darkness, London 2007, S. 7. 396 | Conrad, Joseph: Heart of Darkness , London 2007, S. 7. 397 | Conrad, Joseph: Herz der Finsternis, Zürich 1992, S. 117f. 398 | Conrad, Joseph: Herz der Finsternis, Zürich 1992,S. 93. 399 | Conrad, Joseph: Herz der Finsternis, Zürich 1992, S. 142. 400 | Conrad, Joseph: Herz der Finsternis, Zürich 1992, S. 137. 401 | Conrad, Joseph: Herz der Finsternis, Zürich 1992, S. 1. 402 | Hochschild, Adam: Schatten über dem Kongo: a. a. O., S. 320f. 403 | Der große Ploetz: Die Daten-Enzyklopädie der Weltgeschichte. Daten, Fakten, Zusammenhänge, 32. Aufl., Freiburg 1998, S. 708. 404 | Leclerc, Gérard: Anthropologie und Kolonialismus:a. a. O., S. 27. 405 | Flaubert, Gustave: Reise in den Orient, Hg. André Stoll, Frankfurt 1985, S. 98. 406 | Stoll, André: Die Entführung des Eremiten in die Wüste – Anhang in: Gustave Flaubert: Reise in den Orient, Hg. A. Stoll, Frankfurt 1985, S. 394. 407 | Gauguin, Paul: Noa – Noa , Berlin 1962, S. 7. 408 | Loti, Pierre: Le Mariage de Loti, Paris 1976. 409 | Conrad, Joseph: Heart of Darkness, London 2007. S. 61. 410 | Conrad, Joseph: Herz der Finsternis, Zürich 1992, S. 91.

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411 | Conrad, Joseph: Heart of Darkness, London 2007, S. 62. 412 | Conrad, Joseph: Heart of Darkness, London 2007, S [...] 86. 413 | Hochschild, Adam: Schatten über dem Kongo: a. a. O., S. 321, 305, 331. 414 | Conrad, Joseph: Heart of Darkness, London 2007. Notes, Part II by Robert Hampson, S. 128, 129. 415 | Conrad, Joseph: Heart of Darkness, London 2007: S. 82: „…this alone had beguiled his unlawful soul beyond the bounds of permitted aspirations.“ 416 | a) Conrad, Joseph: Heart of Darkness, London 2007, Notes Part III, S. 129f. b) Hochschild, Adam: Schatten über dem Kongo: a. a. O., S. 207. 417 | Conrad, Joseph: Herz der Finsternis, Zürich 1992, S. 109. 418 | Conrad, Joseph: Herz der Finsternis, Zürich 1992, S. 130. 419 | Conrad, Joseph: Herz der Finsternis, Zürich 1992, S. 66. 420 | Conrad, Joseph: Herz der Finsternis, Zürich 1992, S. 13. 421 | Conrad, Joseph: Heart of Darkness, London 2007, S. 7. 422 | Conrad, Joseph: Heart of Darkness, Londom 2007, S. 40. 423 | Osterhammel, Jürgen: Kolonialismus: a. a. O., S. 40. 424 | Conrad, Joseph: Heart of Darkness and Other Tales, Oxford 2008, Cederic Watts: Introduction, S. XII. 425 | Lindquist, Sven: Durch das Herz der Finsternis: a. a. O., S. 91- 98, 80. 426 | Hochschild, Adam: Schatten über dem Kongo: a. a. O., S. 378, 280. 427 | Hochschild, Adam: Schatten über dem Kongo: a. a. O., S. 320. 428 | Conrad, Joseph: Heart of Darkness and Other Tales, Oxford 2008, Cederic Watts: Introduction, S. XXIV. 429 | Renn, J./Straub, J./Shimada, Sh.: Übersetzung als Medium: a. a. O., S. 9. 430 | Renn, Joachim: Einleitung: Übersetzen, Verstehen, Erklären. Soziales und sozialwissenschaftliches Übersetzen zwischen Erkennen und Anerkennen – in: J. Renn/J. Straub/Sh. Shimada (Hg.): Übersetzung als Medium: a. a. O., S. 19. 431 | Joas, Hans: Sind die Menschenrechte westlich?, München 2015, S. 59 – Frage an Hans Joas: Warum sprechen Sie im Zusammenhang mit dem Kolonialismus lediglich von zwei der großen Themen der Menschenrechtsgeschichte – von der Folter und der Sklaverei – und klammern das große dritte Thema des Völkermords aus? 432 | Osterhammel, Jürgen; Kolonialismus: a. a. O., S. 34f. 433 | Defoe, Daniel: Robinson Crusoe, edited with an Introduction by Angus Ross, Harmondsworth 1965, S. 178. 434 | Defoe, Daniel: Robinson Crusoe, Harmondsworth 1965, S. 172.

Anmerkungen

435 | Ross, Angus: Introduction – in: Daniel Defoe: Robinson Crusoe, Harmondsworth 1965, S. 21. 436 | Tocqueville, Alexis de: Über die Demokratie in Amerika: a. a. O., S. 368f. 437 | Greverus, Ina-Maria: Kultur und Alltagswelt, München 1978, vgl. S. 276ff. Greverus spricht von ‚Raumorientierungserfüllung‘ und ‚Identitätsgewißheit‘. 438 | Tocqueville, Alexis de: a. a. O., S. 367. 439 | Humboldt, Alexander von: Cuba-Werk: a. a. O., S. 156. 440 | Joas, Hans: Sind die Menschenrechte westlich?: a. a. O., S. 63 – vgl. dazu mein Kapitel VI mit derselben Beobachtung. 441 | Agamben, Giorgio: Homo sacer: a. a. O., S. 175. 442  |  Bitterli, Urs: Die Wilden und die Zivilisierten: a. a. O., S. 105: Jahreszahlenangabe für die Dauer des Sklavenhandels. 443 | Humboldt, Alexander von: Cuba-Werk: a. a. O., S. 169. 444 | Humboldt, Alexander von: Cuba-Werk: a. a. O., S. 168. 445 | Jaeger, Michael: a. a. O., S. 532 446 | Osterhammel, Jürgen: Kolonialismus: a. a. O., S. 42f. 447 | Lévi-Strauss, Claude: Traurige Tropen, Frankfurt 1981, S. 84. 448 | Gauguin, Paul: Noa Noa, Berlin 1962, S. 7. 449 | Lévi-Strauss, Claude: Traurige Tropen,Frankfurt 1981, S. 31. 450 | Beecher-Stowe, Harriet: Uncle Tom’s Cabin, London 1961, S. 270. 451 | Randeria, Shalini/Eckert, Andreas (Hg.): Vom Imperialismus zum Empire. Nicht-westliche Perspektiven auf Globalisierung, Frankfurt 2009, S. 10. 452 | Randeria, Sh./Eckert, A. (Hg.): a. a. O., S. 18. 453 | Randeria, Sh./Eckert, A. (Hg.): a. a. O., S. 11. 454 | Fanon, Frantz: Die Verdammten dieser Erde (Les Damnés de la Terre), Frankfurt 1966, S. 82f. 455 | a) Césaire, Aimé: Rede über den Kolonialismus und andere Texte, Berlin 2010, S. 81. b) Frankopan, Peter: Licht aus dem Osten. Eine neue Geschichte der Welt, Berlin 2016, S. 538, 530: Frankopan erinnert daran, dass die Nazi-Ideologen in der Tat „den russischen Raum als unser Indien“ und die Slawen als unsere Indianer ansahen, die es hinter die Wolga, „unseren Mississippi“, zurückzudrängen galt. 456 | Sartre, Jean-Paul: Kolonialismus und Neokolonialismus. Sieben Essays, Reinbek bei Hamburg, 1968, S. 68f., S. 71.

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Literaturverzeichnis

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Kulturwissenschaft Eva Horn, Peter Schnyder (Hg.) Romantische Klimatologie Zeitschrift für Kulturwissenschaften, Heft 1/2016 Mai 2016, 152 S., kart., 14,99 € (DE), ISBN 978-3-8376-3434-1 E-Book: 14,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3434-5

Fatima El-Tayeb Undeutsch Die Konstruktion des Anderen in der postmigrantischen Gesellschaft September 2016, 256 S., kart., 19,99 € (DE), ISBN 978-3-8376-3074-9 E-Book: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3074-3

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